Bewusstsein und Selbstbewusstsein bei Kant: Eine neue Rekonstruktion 9783110743364, 9783110743265, 9783110743456, 2021940479

This book provides readers with a comprehensive understanding of Kant’s teachings on the structure of consciousness and

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Bewusstsein und Selbstbewusstsein bei Kant: Eine neue Rekonstruktion
 9783110743364, 9783110743265, 9783110743456, 2021940479

Table of contents :
Inhalt
Siglenverzeichnis
Vorwort und Danksagung
Einführung
Kapitel 1 Transzendentales Selbstbewusstsein
Kapitel 2 Der innere Sinn
Kapitel 3 Selbstaffektion
Literaturverzeichnis
Sachregister
Personenregister

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Yibin Liang Bewusstsein und Selbstbewusstsein bei Kant

Kantstudien-Ergänzungshefte

Im Auftrag der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Manfred Baum, Bernd Dörflinger, Heiner F. Klemme und Konstantin Pollok

Band 215

Yibin Liang

Bewusstsein und Selbstbewusstsein bei Kant Eine neue Rekonstruktion

ISBN 978-3-11-074326-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-074336-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-074345-6 ISSN 0340-6059 Library of Congress Control Number: 2021940479 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt Siglenverzeichnis

VII

Vorwort und Danksagung Einführung

IX

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein 9 9 . Die Anfangspassage des § 16 der KrV und das Apperzeptionsprinzip . Erster Eindruck und Interpretationsfragen 13 . ‚Vorstellungen‘, ‚Vorstellungen in mir‘ und ‚meine Vorstellungen‘ 15 26 . Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein 58 . Reine Apperzeption 110 . Bewusstsein, transzendentale Apperzeption und innerer Sinn . Apperzeption und zwei Gewahrseinsweisen des Gedankens: Loses Blatt Kiesewetter 120 127 Kapitel 2: Der innere Sinn . Einführung 128 130 . Die speziellen Sinnesdaten des inneren Sinnes . Gegenstand der inneren Anschauungen: Der „eigentliche Stoff“ 143 . Gegenstand der inneren Anschauungen: Selbsttätigkeit oder innere 148 Zustände? . Selbstbezug des inneren Sinnes 158 162 . Bewusstseinstheoretischer Status des inneren Sinnes . Das empirische Bewusstsein an sich 166 Kapitel 3: Selbstaffektion 171 . Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten . Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung 200 238 . Struktur der Selbstaffektion und Zeitlichkeit 257 . Innerer Sinn, innere Erfahrung und Aufmerksamkeit Literaturverzeichnis Sachregister Personenregister

276

284 296

172

Siglenverzeichnis AA Anth BDG Br DfS ECHU FM HN KpV KrV KU LB Log MAN MS OP PhilEnz PND Prol Refl UD ÜGTP VBO VIS V-Anth/Fried V-Anth/Mron V-Lo/Blomberg V-Lo/Busolt V-Lo/Dohna V-Lo/Philippi V-Lo/Pölitz V-Lo/Wiener V-Mo/Mron II V-Met/Dohna V-Met/Herder V-Met-K/ Heinze V-Met-K/Arnoldt

Akademie-Ausgabe Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (AA ) Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (AA ) Briefe (AA  – ) Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren erwiesen (AA ) An Essay Concerning Human Understanding (John Locke) Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolf’s Zeiten in Deutschland gemacht hat? (AA ) Handschriftlicher Nachlass (AA  – ) Kritik der praktischen Vernunft (AA ) Kritik der reinen Vernunft (zu zitieren nach Originalpaginierung A/B) Kritik der Urteilskraft (AA ) Logik Bauch Logik (AA ) Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaften (AA ) Die Metaphysik der Sitten (AA ) Opus Postumum (AA  u. ) Philosophische Enzyklopädie (AA ) Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio (AA ) Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik (AA ) Reflexion (AA  – ) Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral (AA ) Über den Gebrauch teleologischer Principien in der Philosophie (AA ) Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus (AA ) Vom Inneren Sinne oder Loses Blatt Leningrad  Vorlesungen Wintersemester / Friedländer (AA ) Vorlesungen Wintersemester / Mrongovius (AA ) Logik Blomberg (ca. ) (AA ) Logik Busolt (ca. /) (AA ) Vorlesungen Sommersemester  Logik Dohna-Wundlacken (AA ) Logik Philippi (ca. ) (AA ) Vorlesungen Sommersemester  Logik Pölitz (AA ) Wiener Logik ( ff.) (AA ) Vorlesungen Wintersemester / Moral Mrongovius II (AA ) Vorlesungen Wintersemester / Metaphysik Dohna (AA ) Metaphysik Herder ( – ) (AA ) Kant Metaphysik K (Heinze, Schlapp) (ca.  – ) (AA ) Vorlesungen Wintersemester / Metaphysik K(Arnoldt, Schlapp) (AA )

https://doi.org/10.1515/9783110743364-001

VIII

V-Met-L/Pölitz V-Met-L/Pölitz V-Met/Mron V-Met-N/Herder V-Met/Schön

Siglenverzeichnis

Kant Metaphysik L  (Pölitz) (Mitte er) (AA ) Kant Metaphysik L  (Pölitz, Original) (/?) (AA ) Vorlesungen Wintersemester / Metaphysik Mrongovius (AA ) Nachträge Metaphysik Herder ( – ) (AA ) Metaphysik von Schön, Ontologie (ca.  – ) (AA )

Vorwort und Danksagung Vor etwa neunzehn Jahren, als ich noch das Gymnasium in einer ostchinesischen Provinzstadt besuchte, stieß ich, bereits von philosophischen Fragen angezogen, in einem Buchladen zufällig auf die chinesische Übersetzung der Kritik der reinen Vernunft. Dem Klappentext zufolge handelte es sich um eines der bedeutendsten Werke der ‚abendländischen Philosophie‘. Ich kaufte es mir umgehend, weil mir neben seiner Rolle in der Geschichte der Philosophie auch ein weiterer, mir damals zumindest schon ansatzweise bekannter Umstand zu Herzen ging: Der Übersetzer gehörte zu den ersten Studenten, die nach dem Untergang der späten Qing-Dynastie nach Europa gezogen waren und dort Philosophie studiert hatten. Nach seiner Heimkehr setzte er sich als Professor und später als Rektor einer berühmten Universität in Wuhan sein ganzes Leben lang unermüdlich und unnachgiebig – zwischen Höhen und Tiefen, die mit den großen Umwälzungen Chinas im zwanzigsten Jahrhundert einhergingen – dafür ein, das chinesische Volk in Wissen und Fortschritt einzuweihen und insbesondere das Land für die Hochkultur der gesamten Menschheit zu öffnen. Die Übersetzung der Kritik bewerkstelligte er überwiegend unter für uns unvorstellbaren Bedingungen – in materieller Not und zeitweiliger Lebensgefahr – während einer verhängnisvollen Zeit. Damals hatte ich nur eine vage Vorstellung von der Bedeutung der Entstehungsgeschichte der Übersetzung: Was der Autor in den Strömungen und Strudeln der Geschichte erlebte und dachte, konnte ich mir – ohne Zweifel auch bis heute – nicht annähernd konkret vorstellen. Ähnliches gilt auch für das Buch Kritik der reinen Vernunft: Ich ahnte nur dunkel, dass es mir eine völlig neue, faszinierende Dimension des Weltverständnisses eröffnen würde, zu der ich keine Parallele im kulturellen Gedankengut kannte, das mich bis dahin umgeben hatte. Obwohl es anfangs meine Auffassungsgabe überstieg, las ich in der Kritik, bis mir die Augen schmerzten. Doch mir war bereits klar geworden: Ich wollte nach dem Abitur an einer Universität Philosophie studieren. Ich würde versuchen, dieses Buch zu verstehen und mich der Philosophie zu widmen, da einer der weisesten und am weitesten schauenden Köpfe Chinas es als bedeutungsvoll erachtet hatte, sein Leben für dieses Werk und für die altehrwürdige Philosophie einzusetzen. Diese Gesinnung habe ich bisher – wenn mein persönliches Interesse in der Philosophie sich in den letzten Jahren auch leicht verändert hat – immer beibehalten: Sie begleitete mich zum Philosophiestudium an einer chinesischen Universität, motivierte mich wenig später dazu, jenes Studium abzubrechen, um nach Heidelberg zu gehen, und kristallisierte sich schließlich in der vorliegenden Dissertation, von der ich ganz zu Beginn nicht einmal zu träumen gewagt hätte.

https://doi.org/10.1515/9783110743364-002

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Vorwort und Danksagung

Diese kleine persönliche Geschichte gehört nicht nur zu dieser Dissertation. Hoffentlich kann sie auch diejenigen chinesischen Kollegen und Kolleginnen gleicher Gesinnung ermutigen, die ähnlich heftige innere Kämpfe wie ich erlebt haben und eines Tages im Ozean der Forschungsliteratur über Kant zufälligerweise diese Dissertation entdecken werden. Viele Menschen und Einrichtungen haben den Entstehungsprozess dieser Dissertation mit Geduld und Anteilnahme begleitet. Ihnen bin ich zu großem Dank verpflichtet. In besonderer Weise habe ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Anton Koch, zu danken. Er hat mir von Anfang an die größte akademische Freiheit gewährt. Damit konnte ich nicht nur während der Promotion Lehrveranstaltungen in anderen Fächern (Mathematik, Informatik und Psychologie) als Abwechslung und Ergänzung zur jahrelangen Beschäftigung mit der Philosophie besuchen. Auch konnte ich stressbefreit verschiedene philosophische Strömungen, darunter insbesondere die analytische Philosophie des Geistes, kennenlernen und mit neuen Ideen aus den Kognitionswissenschaften experimentieren. Herrn Professor Dr. Peter McLaughlin danke ich für die Betreuung und die Ratschläge hinsichtlich der wissenschaftlichen Publikation auf Englisch. Ein herzlicher Dank gilt beiden Betreuern für ihre uneingeschränkte Unterstützung bei verschiedenen, manchmal umständlichen Bewerbungen. Dr. Wei Cheng, Dr. Asher Jiang und Dr. Xingming Hu danke ich für ihren jahrelangen ideellen Beistand und ihre Ermutigung. Für ihre großzügige finanzielle Unterstützung für einen unbekannten Studenten aus ärmeren Verhältnissen bin ich der FriedrichEbert-Stiftung zutiefst dankbar. Professor Dr. Jost Jonas, meinem Augenarzt, möchte ich von Herzen für seine zur Weltspitze gehörenden medizinischen Kompetenzen, seine Warmherzigkeit und Einfühlsamkeit danken. Bei Frau Professorin Dr. Ina Goy und Patrick Buchholz bedanke ich mich sehr für hilfreiche Verbesserungsvorschläge zur sprachlichen Form des Texts. Seit meiner Promotion im Jahre 2017 sind mir viele weitere Gedanken und Theorieansätze gekommen, die nicht mehr in den vorliegenden Text einbezogen werden konnten. Ich musste mich damit begnügen, diese Arbeit in ihrer ursprünglichen Gestalt beizubehalten. Gewidmet ist diese Arbeit meinen Eltern, die mich bei meinen für chinesische Verhältnisse ungewöhnlichen und wirtschaftlich nur wenig ertragreichen Studien in Deutschland stets mit Verständnis, Geduld und Liebe ermutigt haben.

Einführung In der Transzendentalen Analytik der Kritik der reinen Vernunft sind drei eng miteinander verwandte Begriffe der Subjektivität stets präsent: die Apperzeption, das Bewusstsein und das Selbstbewusstsein. Kombiniert mit Attributen wie ‚transzendental‘, ‚rein‘ und ‚empirisch‘, ergeben sich daraus Varianten von Begriffen der Subjektivität: transzendentale Apperzeption, transzendentales Bewusstsein, reine Apperzeption, reines Bewusstsein, reines Selbstbewusstsein, empirische Apperzeption, empirisches Bewusstsein usw.¹ Ein exaktes Verständnis von Kants Lehre des Bewusstseins und des Selbstbewusstseins ist für die adäquate Auslegung vieler Aspekte der KrV unentbehrlich. In § 16 der KrV (B-Auflage) beginnt Kant mit der eigentlichen Argumentation der Transzendentalen Deduktion. Den Eröffnungssatz bildet das berühmte Apperzeptionsprinzip: Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches eben so viel heißt als: die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein. (B131– 132)

Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ ist der Ausdruck der reinen Apperzeption (B132). Bei dieser handelt es sich um ein Selbstbewusstsein, das alle Vorstellungen begleiten können und in allen Episoden des Bewusstseins identisch bleiben muss (B132). Die Beziehung aller ‚meiner‘ Vorstellungen auf ein identisches Subjekt nennt Kant die „transzendentale Einheit des Selbstbewusstseins“ (B132). Die gesamte Transzendentale Deduktion fängt mit der These an, dass alle kognitiv relevanten Vorstellungen unter dieser Einheit stehen müssen (B133). Die synthetische Einheit der Apperzeption macht gar den „höchste[n] Punkt“ aus, „an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik und nach ihr die Transscendental-Philosophie heften muß“ (B134 Anm.). Es ist deutlich, dass der Schlüssel zur richtigen Interpretation des ersten und zentralen Schrittes der Transzendentalen Deduktion im Begriff der Einheit der Apperzeption (oder Einheit des Selbstbewusstseins bzw. Einheit des Bewusstseins, siehe B132– 133) liegt. Für ein adäquates Verständnis dessen ist wiederum entscheidend, die Begriffe Apperzeption, Selbstbewusstsein und Bewusstsein korrekt auszulegen.²

 Ich nenne nur diejenigen Kombinationen, die tatsächlich in beiden Auflagen der KrV erscheinen. Für die genauen Fundstellen siehe die späteren Ausführungen in dieser Abhandlung.  Dasselbe gilt auch für die A-Auflage der Transzendentalen Deduktion. Siehe Abschnitt 1.1 dieser Abhandlung. https://doi.org/10.1515/9783110743364-003

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Einführung

Das zweite Moment, das mit Kants Lehre des Bewusstseins und Selbstbewusstseins in einem wesentlichen Zusammenhang steht, ist der Begriff des inneren Sinnes. Der innere Sinn wird von Kant mit der empirischen Apperzeption identifiziert (A107, Anth 7:134 Anm.). Er erzeugt das empirische Bewusstsein (A176/B217– 218, A107). Dieser Begriff spielt unter anderem in zwei wichtigen Komponenten der transzendentalen Analytik eine bedeutsame Rolle. Die erste ist die sogenannte These der ‚Idealität des inneren Sinnes‘ (B66). Der innere Sinn gilt als Vermögen des Gemüts, die inneren Zustände wahrzunehmen (B66 ff.). In den empirischen Anschauungen als Produkt des inneren Sinnes wird das Gemüt anhand seiner inneren Zustände als Erscheinung vorgestellt, nicht aber als Ding an sich (B66 ff. und B152 ff.). Im Exkurs zur Idealität des inneren Sinnes in § 24 der KrV (B152 ff.) wird nicht nur das Verhältnis zwischen der reinen Apperzeption und dem inneren Sinn thematisiert, sondern Kant deckt mit einem vieldiskutierten Beispiel auch die komplizierte Bewusstseinsstruktur der Selbstaffektion bei einem speziellen Fall der Introspektion bzw. der expliziten Selbstwahrnehmung auf. Die zweite Komponente der transzendentalen Analytik, die mit dem inneren Sinn in enger Verbindung steht, ist die Lehre der transzendentalen Zeitbestimmung. Diese wird als ein übergreifender Aspekt von Kants Theorie der Erfahrung sowohl im Schematismus-Kapitel, als auch in den Axiomen-, Antizipationen- und Analogien-Kapiteln ausgeführt. Durch diese Lehre wird demonstriert, wie die Kategorien überhaupt in Anwendung auf die Sinnesgegenstände Gültigkeit haben können. Bei der transzendentalen Zeitbestimmung operiert die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft gemäß den Schemata (A142/B181) mit dem Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung a priori – d. h. dem Mannigfaltigen des Zeitlichen (A177/B220). Dieses wird in einer einheitlichen Zeitordnung organisiert, damit es mit der synthetischen Einheit der Apperzeption konform ist (B150). Der innere Sinn wird durch den Verstand, der hier in der Form der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft auftritt, gemäß den Kategorien bestimmt, da die Form des inneren Sinnes die Zeit ist (A142/B181). Durch die Zeitbestimmung a priori werden die Verhältnisse der verschiedenen Episoden des empirischen Bewusstseins in eine zeitliche Ordnung gebracht, damit sie zur Einheit der Apperzeption gehören (A177/B220) – sodass sie von der über die Zeit hinweg identischen Vorstellung des ‚Ich denke‘ begleitet werden können. Im Prozess der Zeitbestimmung wird der innere Sinn von den Verstandesakten affiziert, wodurch das phänomenale Bewusstsein der Erscheinungen überhaupt aktiviert wird.³ Aus der obigen Darstellung lässt sich entnehmen, dass die Lehre des inneren Sinnes, die mit zentralen Komponenten von Kants Theorie der empirischen Erkenntnisse

 Siehe Liang 2020 und Abschnitt 2.2.

Einführung

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zusammenhängt, sich in diesem Zusammenhang mit verschiedenen (Selbst‐)Bewusstseinsbegriffen verwickelt. Um diese Komponenten und damit auch die Hauptargumente der ersten Hälfte der KrV möglichst präzise auszulegen, muss man Kants Lehre des Bewusstseins und Selbstbewusstseins möglichst exakt rekonstruieren. In der Kritik der reinen Vernunft gibt Kant für diese Begriffe selten klare und unmissverständliche Definitionen, noch seltener konkrete Beispiele. Die Verhältnisse dieser Begriffe sind ebenfalls unbestimmt: Es ist nicht nur unklar, ob sie sich auf dieselben mentalen Zustände, Ereignisse oder Prozesse beziehen, sondern auch, wenn dies nicht der Fall sein sollte, wie sich die jeweiligen Bezugsgegenstände voneinander unterscheiden. Diese Unbestimmtheit ist gewissermaßen nachvollziehbar, denn schließlich ist eine Theorie des (Selbst‐)Bewusstseins nicht das Hauptanliegen der eher epistemologisch ausgerichteten KrV. Möglicherweise geht Kant davon aus, dass seine Leserschaft, die mit den damals gängigen Theorien des (Selbst‐)Bewusstseins vertraut ist, auch ohne explizite Erläuterungen ein richtiges Verständnis dieser Begriffe erlangen kann.⁴ Diese Annahme könnte zutreffen, jedoch liefert ein eingehender Blick in die Vorgängertheorien keine entscheidenden Anhaltspunkte für die Interpretation von Kants Lehre. Hinsichtlich des Themas des (Selbst‐)Bewusstseins ist er nämlich von verschiedenen Autoren beeinflusst.⁵ Es ist schwierig, für jede infrage stehende These in Kants Lehre eine eindeutige Quelle zu identifizieren und dann mittels jener die jeweilige These selbst näher zu beleuchten. Bei verschiedenen Punkten modifizierte er zudem die Lehren seiner Vorgänger in teils gravierender Weise.Von diesen Einschränkungen abgesehen sind auch generelle Zweifel dahingehend, inwiefern es angebracht ist, sich in einer rigiden, detaillierten exegetischen Analyse von Kants Originaltext auf den Wortlaut anderer Philosophen zu verlassen, berechtigt. Man kann auch vermuten, dass Kant davon ausgeht, dass seine Leserschaft allein anhand seiner Ausführungen, welche die Thematik des (Selbst‐)Bewusstseins auch nur verstreut und nach dem jeweiligen kontextuellen Zweck bestimmen, die genaue Bedeutung der Grundbegriffe versteht. Auch dies scheint mir nicht der Fall zu sein. Die Leser können zwar nach und nach ein bestimmtes ‚Sprachgefühl‘ entwickeln und ein intuitives Urteil über die Bedeutungen und Verhältnisse dieser Grundbegriffe bilden. Letzteres bleibt jedoch philosophisch oder exegetisch oft unbegründet und mithin unzuverlässig.Wer allein anhand des

 Sturm und Wunderlich (2010, S. 56) sind der Ansicht: „Kant mostly adopted what was implicit in the school philosophy of his time“.  Siehe Sturm und Wunderlich 2010, Wunderlich 2005, Dyck 2006.

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Einführung

Texts der KrV den Versuch unternimmt, diese Grundbegriffe sowie ihre Verhältnisse exakt zu klären, wird mit vermeintlich unüberwindbaren Problemen konfrontiert. Nicht nur ist die Textressource zu diesen speziellen Begriffen spärlich. Auch entsteht leicht der Eindruck, dass diese inkonsequent, unreflektiert und unsystematisch verwendet werden. Schließlich sind Kants Ausführungen, die diese Begriffe enthalten, ohnehin selbst äußerst dunkel und mehrdeutig. All diese Umstände erschweren es, ein klares Bild von Kants Lehre des Bewusstseins und Selbstbewusstseins zu zeichnen. Vermutlich deswegen ist Heiner F. Klemme der Ansicht, dass Kant sich nicht dafür interessiere, „wie das Selbstbewusstsein selbst verfasst ist, sondern, welche Begründungsrolle es übernehmen kann“ (Klemme 1996, S. 377). Manche Interpreten bezweifeln sogar, dass sich bei Kant überhaupt eine konsistente Theorie des Bewusstseins findet.⁶ Wenn die einschlägige Sekundärliteratur – sowohl Werke, die die transzendentale Analytik übergreifend kommentieren, als auch jene, die sich auf spezielle Aspekte derselben konzentrieren – betrachtet wird, kann schnell der Eindruck entstehen, dass sich in den vergangenen dreißig Jahren erstaunlich wenige etablierte Kant-Forscher der Theorie des (Selbst‐)Bewusstseins gewidmet haben.⁷ Im unüberschaubaren Meer der Forschungsliteratur über Kants Kritik der reinen Vernunft gibt es unter den neueren Publikationen in Buchform nur einige wenige, die speziell auf Kants Lehre des Subjekts und bestimmte Aspekte derselben eingehen.⁸ Diese Werke, darunter auch diejenigen, die sich mit einem vergleichsweise großen Umfang dem Thema des (Selbst‐)Bewusstseins widmen, weisen zudem jeweils den Mangel auf, dieses nicht systematisch zu behandeln. Entweder berücksichtigen sie nicht sämtliche über das Kantische Opus verstreute, erhellende Ausführungen zu dem Thema oder versäumen es, die relevanten und zusammenhängenden Theoriekomponenten in beiden Auflagen der KrV in einer Einheit zu beleuchten. Deswegen gelingt es ihnen nicht, eine auf

 Siehe Wunderlich 2005, S. 133, 145; Brook 1994, S. 46.  Baum 1986, Guyer 1987, Kitcher 1990, Carl 1992, Longuenesse 2001, Koch 2004, Allison 2004, Haag 2007, Schulting 2013 und Allison 2015 sind die meistdiskutierten oder -zitierten Werke, die die transzendentale Analytik (und zum Teil auch das Paralogismen-Kapitel) übergreifend analysieren und kommentieren. Allerdings finden sich darin meistens lediglich Interpretationsansätze, aber keine detaillierten Behandlungen von Kants Lehre des (Selbst‐)Bewusstseins. Diese wird in den oben genannten Werken nur insoweit beleuchtet, als es für deren jeweilige Fragestellungen zweckmäßig ist. Die Verwicklung der verschiedenen (Selbst‐)Bewusstseinsbegriffe und ihr Zusammenhang bleiben weitgehend ungeklärt.  Powell 1990, Rosefeldt 2000 und Ameriks 2000 thematisieren hauptsächlich das Paralogismen-Kapitel und widmen dem Begriff des (Selbst‐)Bewusstseins lediglich ein bis zwei Kapitel. Mohr 1991, Klemme 1996, Brook 1994, Wunderlich 2010, Kitcher 2014 und Longuenesse 2017 wenden sich in ihren Werken vergleichsweise ausführlich diesem Thema zu.

Einführung

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Kants Aussagen beruhende rigide Analyse und umfassende Rekonstruktion der fraglichen Lehre herauszuarbeiten. In der vorliegenden Abhandlung möchte ich einen Beitrag zu einem umfassenden Verständnis von Kants Lehre der Struktur des Selbstbewusstseins und Bewusstseins leisten und damit die erwähnte Lücke in der Kant-Forschung schließen. Dabei möchte ich wie folgt vorgehen: Ich werde alle Aussagen über den Begriff des Bewusstseins und Selbstbewusstseins in den beiden Auflagen der KrV einer sorgfältigen, strukturierten und kritischen Analyse unterziehen. Dabei werde ich auch einschlägige Passagen aus anderen Schriften einbeziehen. Basierend auf einer Gesamtbetrachtung dieser Textpassagen, argumentiere ich dahingehend, dass Kant, entgegen der von einigen Interpreten geäußerten Skepsis, über eine facettenreiche Theorie der Struktur des Bewusstseins verfügt. Es wird demonstriert, wie sich eine einheitliche Theorie des Bewusstseins und Selbstbewusstseins aus den verstreuten Textressourcen herausarbeiten lässt. Aus einer derartigen systematischen Rekonstruktion lassen sich viele anscheinend unüberwindbare exegetische Unklarheiten aufhellen, die sonst als laxe Formulierungen, Unbedachtheit, Obskurität oder gar Inkonsistenzen Kant zur Last gelegt werden könnten. Des Weiteren wird demonstriert, wie diese Rekonstruktion ein neues Licht auf einige feine Details von Kants Ausführung des (Selbst‐)Bewusstseins werfen kann. Hier könnten Bedenken hinsichtlich der Verlässlichkeit solcher Passagen aufkommen. Möglicherweise ändert Kant im Verlauf der Zeit seine Auffassung. Es ist nicht einmal vollständig auszuschließen, dass er in unterschiedlichen Schriften derselben Zeit verschiedene Positionen vertritt. Dieser Vorwurf kann der Beweiskraft dieser Abhandlung nicht abträglich sein. Ich stütze die Argumentationen hauptsächlich auf die Passagen aus den beiden Auflagen der KrV (1781 und 1787), der Prolegomena (1783) und der Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786). Beinahe alle wichtigen Momente der Argumentation werden durch mindestens eine Passage aus den drei Schriften direkt oder indirekt belegt (fortan werden diese drei Werken zur Vereinfachung als ‚Haupttexte‘ bezeichnet). Etliche Passagen aus dem zu Kants Lebzeit publizierten, von ihm selbst vorbereiteten Vorlesungsskript Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798) enthalten seine Auffassungen über sogenannte dunkle Vorstellungen, nicht-apperzeptives Bewusstsein und auch direkt über das Bewusstsein und Selbstbewusstsein. Diese Passagen sind aufschlussreich und detaillierter als die sporadischen Aussagen in den Haupttexten. Ich betrachte solche Stellen ebenfalls als verlässlich und gebrauche sie bei der Rekonstruktion. Da aber die Anthropologie einige Jahre nach der B-Auflage der KrV erschien, versuche ich bei der Verwendung der Passagen daraus immer zu zeigen, dass es in den drei Haupttexten Parallelen, Andeutungen oder Tendenzen gibt, die mit der erstgenannten Schrift übereinstimmen. Dieje-

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Einführung

nigen Stellen aus der Anthropologie, für die sich keine direkte oder indirekte Unterstützung in den drei Haupttexten finden lässt, versuche ich durch Parallelstellen aus Kants Briefen, seinem schriftlichen Nachlass oder aus den zeitgenössischen Vorlesungsmitschriften zu untermauern. Materialien aus diesen Schriften, der unzuverlässigen Jäsche-Logik sowie den vorkritischen Schriften verwende ich nur dann, wenn sie mit Kants Position in den Haupttexten im Einklang stehen oder wenn sie bis in seine kritische Zeit konsistent bleiben. Manche Auffassungen – z. B. über die dunklen Vorstellungen oder die Struktur und Eigenschaft des (Selbst‐)Bewusstseins – hat Kant über mehrere Jahre in verschiedenen Kontexten in seinen Vorlesungen wiederholt. In manchen Briefen versucht er, seinen Kollegen seine Positionen in der KrV zu erläutern. Solche Ausführungen halte ich für verlässlich. Ein derartiger Umgang mit Kants Schriften ist gängige Praxis in der Kant-Forschung.⁹ Auf einer solchen Grundlage wird versucht, durch eine minutiöse kritische Analyse der Schlüsselpassagen und durch eine gemeinsame Betrachtung verschiedener Theorienkomponenten von Kants Theorie der Erfahrung ein einheitliches Bild seiner Konzeption der Struktur des Bewusstseins sowie des Selbstbewusstseins zu erarbeiten. Dabei werden auch Begriffe und Unterscheidungen aus aktuellen philosophischen Diskussionen über das Bewusstsein und Selbstbewusstsein einbezogen, um einige feine und verdeckte Aspekte seiner Lehre zu beleuchten. In dieser Untersuchung findet sich zudem eine Auseinandersetzung mit nahezu allen einflussreichen neueren Interpretationen der einschlägigen Themen, um die von mir vorgeschlagene Lesart zu verteidigen. Die vorliegende Abhandlung besteht aus drei Kapiteln. Im ersten Kapitel wird zuerst das Apperzeptionsprinzip in den beiden Auflagen der KrV vorgestellt. Kants Ausführungen darüber enthalten die wichtigsten Aussagen zur Struktur des Selbstbewusstseins und des Bewusstseins. Bei der Analyse dieser Aussagen wird ein erster Eindruck seiner Lehre des (Selbst‐)Bewusstseins vermittelt, und die wichtigsten Interpretationsfragen werden vorgestellt. Dabei wird das Apperzeptionsprinzip in verschiedene Elemente zerlegt. Im zweiten Teil des ersten Kapitels wird das Apperzeptionsprinzip in seinen unterschiedlichen Momenten genauer analysiert. Zuerst wird Kants Konzeption der Vorstellung erläutert. Dabei wird gezeigt, dass er Vorstellungen hinsichtlich ihres epistemischen und bewusstseinstheoretischen Status unterscheidet. Danach wird Kants Lehre der dunklen Vorstellung thematisiert. Anhand dieser wird argumentiert, dass das Bewusstsein für Kant in das apperzeptive und das nicht-apperzeptive Bewusstsein unterteilt ist. Mittels dieser Unterscheidung wird das komplexe Verhältnis zwischen Vor-

 Siehe z. B. Kitcher 2014, Kitcher 2017, Wunderlich 2005, McLear 2011, Klemme 1996.

Einführung

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stellung und Bewusstsein skizziert. Danach wird Kants Auffassung über die (Selbst‐)Bewusstseinsstruktur im Apperzeptionsprinzip erläutert und eine Rekonstruktion dieses Prinzips geliefert. Am Ende dieses Teils werden anhand einschlägiger Passagen das Bewusstsein, die transzendentale und die empirische Apperzeption begrifflich differenziert und in einen Zusammenhang gebracht. Im dritten Teil des ersten Kapitels wird die reine Apperzeption charakterisiert. Nach einer ersten begrifflichen Klärung ähnlicher Begriffe werden Kants Aussagen über die Charaktere der reinen Apperzeption zusammengefasst. Danach wird der bewusstseinstheoretische Status derselben geklärt. In den daran anschließenden Abschnitten werden drei Varianten des ‚Ich denke‘ und zwei Arten der hiermit zusammenhängenden Selbstanschauungen unterschieden und jeweils charakterisiert. Anhand einer sorgfältigen Analyse einer berühmten und obskuren Passage in der B-KrV (B422 Anm.) wird versucht, das damit einhergehende Problem der unbestimmten Selbstwahrnehmung zu lösen. Im letzten Teil dieses Kapitels werden anhand der Analyse einer berühmten Passage aus Kants Nachlass (das sogenannte Lose Blatt Kiesewetter, Refl 18:319 – 320, 1788 – 1789) zwei Bewusstseinsmodi des Denkens a priori – die reine sowie die empirische Apperzeption des Denkens – miteinander verglichen und das Problem des intellektuellen Bewusstseins behandelt. Das zweite Kapitel befasst sich mit dem inneren Sinn. Unklarheiten bezüglich der empirischen Materialien der inneren Wahrnehmung, des Umfangs der Vorstellungen, die vom empirischen Bewusstsein des inneren Sinnes begleitet werden können, sowie des intentionalen Gegenstands der empirischen inneren Anschauung werden nacheinander behandelt. Anschließend wird die Frage aufgegriffen, ob der innere Sinn einen Selbstbezug haben muss. Nach einer begrifflichen Analyse des empirischen Bewusstseins als Produkt des inneren Sinnes wird argumentiert, dass es eine empirische Vorstellung höherer Stufe sein muss. Beim dritten Kapitel handelt es sich um eine detaillierte Untersuchung des Prozesses der Selbstaffektion. Zuerst wird gezeigt, worin ihre bewusstseinstheoretische Rolle bei der Aufnahme des sinnlichen Mannigfaltigen besteht. Anhand des Ergebnisses der Rekonstruktion der Lehre der dunklen Vorstellungen und des ersten Schritts der Apprehension wird gezeigt, dass bei der Selbstaffektion das rein rezeptiv gegebene Mannigfaltige apperzeptiv bewusst wird. Danach werden verschränkte Begriffe der Synthesis der Einbildungskraft analysiert und verglichen. Dadurch wird gezeigt, was die Bestimmung des inneren Sinnes durch den Verstand genau bedeutet. Einige gängige Fehler der Interpretationen dieses Begriffs werden zurückgewiesen. Zugleich wird eine gravierende Interpretationsschwierigkeit der Bestimmung des inneren Sinnes vorgestellt. Um diese zu überwinden, werden der Prozess der Selbstaffektion bei der Entstehung der äußeren Erfahrung und die dabei involvierten Begriffe des Bewusstseins analysiert. Dabei

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Einführung

wird dieser Prozess nach Kants Unterscheidung der mathematischen und der relationalen Kategorien in zwei Schritte aufgeteilt. Anschließend wird gezeigt, wie das bestimmte Zeitbewusstsein in den zwei Schritten generiert wird, sodass die obige Interpretationsschwierigkeit gelöst werden kann. Ich verzichte im Rahmen dieser Abhandlung auf ein abschließendes Kapitel, da eine zusammenfassende Darstellung der im Zuge der Arbeit entwickelten differenzierten Analyse nicht gerecht werden kann.

Kapitel 1 Transzendentales Selbstbewusstsein 1.1 Die Anfangspassage des § 16 der KrV und das Apperzeptionsprinzip In der Darstellung des Apperzeptionsprinzips in § 16 der KrV wird die reine oder ursprüngliche Apperzeption vorgestellt und mit der Vorstellung des „Ich denke“ in Verbindung gebracht (B132).¹⁰ Die reine Apperzeption wird von der empirischen Apperzeption unterschieden und als eine besondere Art des Selbstbewusstseins, nämlich als das reine und invariable Selbstbewusstsein, das einen Bestandteil jeglichen Bewusstseins darstellt, bezeichnet.¹¹ Im Folgenden werden die bedeutsamsten Aussagen über die reine Apperzeption sowie das ‚Ich denke‘ systematisch behandelt. Es ist hilfreich, alle wichtigen Aussagen Kants über die transzendentale Apperzeption zu sortieren und daraus zentrale Thesen zu klassifizieren, um auf diesem Wege einen Gesamteindruck hiervon zu erhalten. Vorab muss bemerkt werden, dass Kant mit dem Wort „Apperzeption“ manchmal die transzendentale Apperzeption meint (B68, 134, 154; A216/B263 f.; Anth 7:141) und manchmal die Apperzeption tout court. Beide Bedeutungen müssen je nach Kontext sorgfältig unterschieden werden. In der Tat differenziert er in seinen Schriften in der kritischen Periode meistens zwischen der Apperzeption, der transzendentalen Apperzeption und der empirischen Apperzeption (siehe Abschnitt 1.6). In den Ausführungen dieser Dissertation werde ich terminologisch an dieser Unterscheidung festhalten. Am Anfang der B-Deduktion (§ 16 der KrV) stellt Kant die reine Apperzeption zum ersten Mal vor: [IDB]¹² 1) Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; 2a) denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches eben so viel heißt, 2b) als die Vorstellung würde entweder unmöglich, 2c) oder wenigstens für mich nichts sein. 3) Diejenige Vorstellung, die vor allem Denken gegeben sein kann, heißt Anschauung. 4) Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine nothwendige Beziehung

 Wie wir noch sehen werden, werden beide in Verbindung gebracht, jedoch nicht gleichgesetzt. Fortan werden die Bezeichnungen ‚die Vorstellung des „Ich denke“‘ und ‚das „Ich denke“‘ benutzt. Dies sind vereinfachte Bezeichnungen für die Vorstellung, deren repräsentationaler Gehalt durch den Satz ‚Ich denke‘ beschrieben werden kann.  Siehe auch Schulting 2012, S. 272.  IDB steht für ‚das „Ich denke“ in der B-Auflage der KrV‘. https://doi.org/10.1515/9783110743364-004

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

auf das: Ich denke, in demselben Subject, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird. 5) Diese Vorstellung aber ist ein Actus der Spontaneität, d. i. sie kann nicht als zur Sinnlichkeit gehörig angesehen werden. 6) Ich nenne sie die reine Apperception, um sie von der empirischen zu unterscheiden, oder auch die ursprüngliche Apperception, weil sie dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, in dem es die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle andere muß begleiten können, und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiter begleitet werden kann. 7) Ich nenne auch die Einheit derselben die transscendentale Einheit des Selbstbewußtseins, um die Möglichkeit der Erkenntniß a priori aus ihr zu bezeichnen. 8) Denn die mannigfaltigen Vorstellungen, die in einer gewissen Anschauung gegeben werden, würden nicht insgesamt meine Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewußtsein gehörten, d. i. als meine Vorstellungen (ob ich mich ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin) müssen sie doch der Bedingung nothwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können, weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden. 9) Aus dieser ursprünglichen Verbindung läßt sich vieles folgern. (B131– 132, Nummerierung durch den Verfasser)

Diese Passage ist argumentativ sehr dicht. In ihr wird eines der wichtigsten Prinzipien der Transzendentalen Deduktion vorgestellt: [APB]¹³ 1) Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; 2a) denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches eben so viel heißt als: 2b) die Vorstellung würde entweder unmöglich, 2c) oder wenigstens für mich nichts sein.

Den Kern dieses Prinzips bildet eine Relation zwischen zwei Relata, die durch eine verschachtelte Modalität eingeschränkt wird. Die Kernkomponenten dieser im Weiteren als ‚Begleitrelation‘ bezeichneten Relation lassen sich wie folgt zusammenfassen: R1. Alle ‚meine‘ Vorstellungen [kurzum: Meinigkeit] R2. Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ [kurzum: Apperzeption] R3. Die notwendig mögliche Begleitung aller ‚meiner‘ Vorstellungen durch die Vorstellung des ‚Ich denke‘ [kurzum: notwendige Begleitungsmöglichkeit] Die Analyse dieses Prinzips in APB und die hiermit zusammenhängenden relevanten Themen bilden den Kerninhalt dieses Kapitels.Wie Cramer gehe ich davon aus, dass dieses Prinzip „auf eigene[n] Füßen“ steht, d. h., unabhängig von der

 APB steht für ‚das Apperzeptionsprinzip in der B-Auflage der KrV‘.

1.1 Die Anfangspassage des § 16 der KrV und das Apperzeptionsprinzip

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Argumentation der Transzendentalen Deduktion ist.¹⁴ Der Grund dafür ist, dass Kant dieses Prinzip an keiner Stelle vor der oben zitierten Passage IBD ausführt. Außer den Sätzen 2a, 2b und 2c sind alle übrigen Sätze in der Passage IDB keine Begründung, sondern entweder Erläuterung und terminologische Bestimmung (wie die Sätze 5, 6, 7) oder konkrete Anwendung dieses Prinzips (wie die Sätze 3, 4, 8). Der Satz 9 macht deutlich, dass Kant im anschließenden Text zur Implikation des Prinzips übergeht. In den übrigen Teilen der B-Deduktion werden lediglich Anwendungen, jedoch keine Begründungen des Prinzips gefunden. Folglich scheint Kant davon auszugehen, dass das Apperzeptionsprinzip in der Passage IDB ausreichend begründet und erläutert wird. Die Textquellen über das Apperzeptionsprinzip sind damit nicht erschöpft, da es andere Stellen gibt, die wertvollen Aufschluss geben können. Entscheidend ist eine Parallelstelle in der A-Deduktion: [IDA] 1) Alle Vorstellungen haben eine nothwendige Beziehung auf ein mögliches empirisches Bewußtsein: 2) denn hätten sie dieses nicht, und wäre es gänzlich unmöglich, sich ihrer bewußt zu werden, so würde das so viel sagen, sie existirten gar nicht. 3) Alles empirische Bewußtsein hat aber eine nothwendige Beziehung auf ein transscendentales (vor aller besondern Erfahrung vorhergehendes) Bewußtsein, nämlich das Bewußtsein meiner selbst als die ursprüngliche Apperception. 4) Es ist also schlechthin nothwendig, daß in meinem Erkenntnisse alles Bewußtsein zu einem Bewußtsein (meiner selbst) gehöre. 5) Hier ist nun eine synthetische Einheit des Mannigfaltigen (Bewußtseins), die a priori erkannt wird und gerade so den Grund zu synthetischen Sätzen a priori, die das reine Denken betreffen, als Raum und Zeit zu solchen Sätzen, die die Form der bloßen Anschauung angehen, abgiebt. 6) Der synthetische Satz: daß alles verschiedene empirische Bewußtsein in einem einigen Selbstbewußtsein verbunden sein müsse, ist der schlechthin erste und synthetische Grundsatz unseres Denkens überhaupt. 7) Es ist aber nicht aus der Acht zu lassen, daß die bloße Vorstellung Ich in Beziehung auf alle andere (deren collective Einheit sie möglich macht) das transscendentale Bewußtsein sei. 8) Diese Vorstellung mag nun klar (empirisches Bewußtsein) oder dunkel sein, daran liegt hier nichts, ja nicht einmal an der Wirklichkeit desselben; 9) sondern die Möglichkeit der logischen Form alles Erkenntnisses beruht nothwendig auf dem Verhältniß zu dieser Apperception als einem Vermögen. (A117 Anm., Nummerierung durch den Verfasser)

Diese Anmerkung sowie ihr Haupttext (A116 – 117) gelten wegen ihrer augenscheinlichen Ähnlichkeit als Parallelstellen der Passage IDB. Die A-Version des Apperzeptionsprinzips, die in dieser Anmerkung enthalten ist, lautet: [APA] 1) Alle Vorstellungen haben eine nothwendige Beziehung auf ein mögliches empirisches Bewußtsein: 2) denn hätten sie dieses nicht, und wäre es gänzlich unmöglich, sich ihrer bewußt zu werden, so würde das so viel sagen, sie existirten gar nicht. 3) Alles em-

 Cramer 1987, S. 178.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

pirische Bewußtsein hat aber eine nothwendige Beziehung auf ein transscendentales (vor aller besondern Erfahrung vorhergehendes) Bewußtsein, nämlich das Bewußtsein meiner selbst als die ursprüngliche Apperception. 4) Es ist also schlechthin nothwendig, daß in meinem Erkenntnisse alles Bewußtsein zu einem Bewußtsein (meiner selbst) gehöre. (A117 Anm., Nummerierung durch den Verfasser)

Die Begründung für das Apperzeptionsprinzip ist neben den Sätzen 2 und 4 in APA auch eine Passage im Haupttext in A116: [AA] Alle Anschauungen sind für uns nichts und gehen uns nicht im mindesten etwas an, wenn sie nicht ins Bewußtsein aufgenommen werden können, sie mögen nun direct oder indirect darauf einfließen, und nur durch dieses allein ist Erkenntniß möglich. (A116, H. d. V.)¹⁵

Anscheinend gibt Kant sich auch hier mit einer kurzen Begründung des Prinzips zufrieden. Diese Begründung ist, wie ihr Pendant in der B-Auflage (siehe den Satz IBD.1), eine Beschreibung der erkenntnis- und bewusstseinstheoretischen Situation, in der das Prinzip nicht erfüllt ist. Fortan wird dies in Anlehnung an Dennis Schulting¹⁶ als ‚nicht-apperzeptives Szenario‘ und eine Vorstellung in diesem Szenario als ‚nicht-apperzeptive Vorstellung‘ bezeichnet. Wie in der B-Auflage scheint Kant zu glauben, dass diese Beschreibung der negativen Situation unumstritten ist und zur plausiblen Begründung des Prinzips hinreicht. Bei der folgenden detaillierten Analyse des Apperzeptionsprinzips werde ich auf diese hilfreiche Parallelstelle zurückgreifen. Nun stellt sich jedoch eine Interpretationsfrage: Soll von zwei verschiedenen Versionen des Apperzeptionsprinzips ausgegangen werden? Meines Erachtens eher nicht. Beide Ausführungen des Prinzips laufen auf dasselbe hinaus: Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ muss alle ‚meine‘ Vorstellungen begleiten können. Die A-Version des Apperzeptionsprinzips enthält nämlich alle oben genannten Kernkomponenten des Apperzeptionsprinzips in der B-Version. Die Begleitrelation ist aus der Ausführung über das Verhältnis zwischen den Vorstellungen und der reinen Apperzeption in A117 Anm. indirekt zu entnehmen: Alle Vorstellungen haben eine nothwendige Beziehung auf ein mögliches empirisches Bewußtsein. […] Alles empirische Bewußtsein hat aber eine nothwendige Beziehung auf ein

 Hier ist mit dem Wort „Bewußtsein“ dem Kontext nach das transzendentale Bewusstsein gemeint. Obwohl diese Passage eine direkte Anwendung des Apperzeptionsprinzips auf den Fall der Anschauung ist, enthält sie eine einfache Begründung dieses Prinzips, die aufgrund starker Ähnlichkeit an die Formulierung in B131– 132 erinnert.  Schulting 2012.

1.2 Erster Eindruck und Interpretationsfragen

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transscendentales (vor aller besondern Erfahrung vorhergehendes) Bewußtsein, nämlich das Bewußtsein meiner selbst als die ursprüngliche Apperception. (A117 Anm.)

Die Meinigkeit wird zwar nicht explizit im Zitat APA formuliert, ist aber ebenfalls dem kursiven Text des Zitats AA zu entnehmen.¹⁷ Obwohl Kant in der A-Version der Ausführung des Apperzeptionsprinzips im Gegensatz zur B-Version die Vorstellung des ‚Ich denke‘ nicht explizit erwähnt, bleibt sie stets relevant, denn er bezeichnet an anderen Stellen der A-Auflage der KrV das ‚Ich denke‘ als den „formal[en] Satz der Apperzeption“ (A354, siehe auch A398). Was das Zitat APA dem Zitat APB anscheinend voraushat, ist, dass die Ausführung der Begleitrelation in APA auf ein kompliziertes Modell der Struktur des Bewusstseins angewiesen ist: Jede Vorstellung muss vom empirischen Bewusstsein begleitet werden können, das wiederum eine notwendige Beziehung zur transzendentalen Apperzeption hat. Die gleiche Struktur liegt in der Tat auch der B-Version des Apperzeptionsprinzips zugrunde: […], weil sie [die ursprüngliche Apperzeption] dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, in dem es die Vorstellung: Ich denke, hervorbringt, die alle andere muß begleiten können und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiter begleitet werden kann. (B132)

In den folgenden Ausführungen gehe ich daher davon aus, dass beide Versionen der Ausführung des Apperzeptionsprinzips grundsätzlich äquivalent sind, weswegen die Analyse dieses Prinzips unter Zuhilfenahme der Parallelstelle in der AVersion erfolgen kann.

1.2 Erster Eindruck und Interpretationsfragen Zu Beginn wird das Apperzeptionsprinzip in der B-Version betrachtet. Übersichtshalber wird es erneut zitiert: [APB] 1) Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; 2a) denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches eben so viel heißt wie: 2b) die Vorstellung würde entweder unmöglich, 2c) oder wenigstens für mich nichts sein. (B131– 132, Nummerierung durch den Verfasser)

 Die Passage AA steht im unmittelbaren Kontext der Anmerkung APA.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Die Argumentation in dieser Passage ist äußerst dicht. Anhand Kants Formulierung können die inneren Verhältnisse zwischen den Sätzen teilweise bestimmt werden, was für die weiteren Schritte eine gute Orientierung bietet: T1. Die mögliche Begleitung des ‚Ich denke‘ ist eine notwendige Bedingung dafür, dass eine Vorstellung gedacht wird. (aus 1 und 2a) T2. Eine mögliche Vorstellung ist genau dann ‚etwas für mich‘, wenn sie gedacht werden kann. (aus 2a, 2b und 2c) Unklar bleibt jedoch, wie diese beiden Thesen begründet werden sollen. Außerdem sind viele Begriffe in diesem Prinzip zwar auf den ersten Blick verständlich, aber nicht klar und präzise anhand des Zitats APB sowie der Parallelstellen in der A-Auflage zu bestimmen. Es stellen sich hinsichtlich des APB folgende Fragen: F1. Wie qualifizieren sich Vorstellungen als ‚meine Vorstellungen‘? F1* Ist die Begleitung des ‚Ich denke‘ eine notwendige Bedingung der Meinigkeit ‚meiner Vorstellungen‘ oder eher eine Bedingung dafür, dass die bereits zu ‚mir‘ gehörigen Vorstellungen zusätzlich ‚gedacht‘ werden? F2. Was bedeutet die verschachtelte Modalität ‚begleiten können muss‘? F3. Was bedeutet ‚in mir‘? Was ist der Unterschied zwischen der Eigenschaft ‚in mir‘ und der Meinigkeit ‚meiner‘ Vorstellungen? F4. Was heißt ‚unmöglich‘ und ‚für mich nichts‘? Was bedeutet es, dass eine Vorstellung, die nicht gedacht werden kann, entweder unmöglich oder für ‚mich‘ nichts ist? Wie schon erwähnt, ist die Ausführung des Apperzeptionsprinzips in der A-Auflage auf eine Zweiteilung der Bewusstseinsstruktur angewiesen: Alle Vorstellungen müssen vom empirischen Bewusstsein begleitet werden können; dieses enthält wiederum einen notwendigen Bezug auf die transzendentale Apperzeption. Diese Bewusstseinsstruktur muss genau analysiert werden, also erhalten wir eine weitere Frage: F5. Wie ist das Bewusstsein für Kant strukturiert? In den folgenden Kapiteln werden diese Fragen nacheinander untersucht.

1.3 ‚Vorstellungen‘, ‚Vorstellungen in mir‘ und ‚meine Vorstellungen‘

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1.3 ‚Vorstellungen‘, ‚Vorstellungen in mir‘ und ‚meine Vorstellungen‘ Eine Vorstellung nach Kant ist, wie bereits erwähnt, „nichts anderes, als wenn sich in meiner Seele etwas befindet, was mit der vorgestellten Sache eine Ähnlichkeit hat“ (LB, S. 30) oder eine „Bestimmung der Seele, die sich auf andere Dinge bezieht“ (Refl 16:76 f.). „Vorstellung bedeutet eine Bestimmung in uns, die wir auf etwas Anderes beziehen (dessen Stelle sie gleichsam in uns vertritt)“ (Br 11:395). In der Logik Blomberg sagt Kant, dass „sich eine Vorstellung wie ein Bild verhalte, welches die mahlerische Geschicklichkeit der Seele in ihrem innwendigen zeichnet“ (V-Lo/Blomberg 24:40). „[J]ede Vorstellung ist etwas in uns, das aber sich beziehet auf etwas anderes, welches das Object ist“ (V-Lo/Blomberg 24:40, siehe auch V-Lo/Philippi 24:340). Eine Vorstellung gehört sozusagen als eine „Bestimmung[] des Gemüths […] zum innern Zustande“ (A34/B50), der durch seine Strukturähnlichkeit mit einem Gegenstand diesen repräsentiert. Eine Bestimmung eines Dings ist ein „reales“ Prädikat (BDG 2:72, A571 f./B599 f.). Dieses ist ein Prädikat, das diesem Ding zugeschrieben werden kann und das „über den Begriff des Subjects hinzukommt und ihn vergrößert“ (A598/B626). Eine „Bestimmung der Seele“ kann folglich ein Zustand, eine Eigenschaft oder eine Handlung der Seele sein. Als ein Etwas „in meiner Seele“ kann eine Vorstellung auch einen Bestandteil der Seele darstellen. Welchen ontologischen Status eine Bestimmung der Seele hat, ist jedoch schwer zu bestimmen. Kant will diese Frage offenbar offenlassen.¹⁸ Fortan bezeichne ich, wie viele Interpreten, der Einfachheit wegen die Vorstellung als ‚Zustand‘ der Seele oder des Gemüts, denn auch die Alternativen – d. h. die Handlung und die Eigenschaft der Seele – können im weiten Sinn als Zustand der Seele betrachtet werden. Im Übrigen muss die Vorstellung immer einen intentionalen Gegenstand haben. Dieser Gegenstand muss nicht die Objektivität in vollem Umfang besitzen, sonst würden Tiere keine Vorstellung haben können.¹⁹ Kant schreibt aber zumindest manchen Tieren explizit die Fähigkeit der Vorstellung zu (V-Met-L1/Pölitz 28:276 ff.).²⁰

 In Kants Vorlesungen über Metaphysik gehört das Thema des Bewusstseins zum Kapitel der empirischen Psychologie (PhilEnz 29:44). Das Erforschen des Bewusstseins „gehöret […] eigentlich in die Metaphysicam, und wird, um einen richtigen Begriff davon zu haben, vieles aus der Metaphysica zum Grunde geleget“ (V-Met-L1/Pölitz 28:227, 1777– 1780). Kant spricht pauschal von einer Metaphysik des Bewusstseins (V-Log-Blom 24:40 – 41), es gibt jedoch keine Quellen, die belegen, dass er eine solche Metaphysik betrieben hat.  Für eine detaillierte Untersuchung des Begriffs der Objektivität bei Kant, siehe Stang 2020.  Siehe dazu Deppermann 2001, S. 134; Cramer 1987, S. 169; Fischer 2017, passim.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

1.3.1 „[Mir] etwas in mir [vorstellen]“ (B131) Zuerst untersuchen wir die genaue Bedeutung des Ausdrucks „[mir] etwas in mir [vorstellen]“ (B131), weil dieser im Vergleich zu anderen Begriffen leichter zu bestimmen ist. Der Ausdruck ‚in mir‘ ist offenbar mit anderen Ausdrücken in Kants Ausführungen über die Natur der Vorstellung, wie z. B., „in meiner Seele“ (LB, S. 30) sowie „[in meinem] Gemüt“ (A34/B50), eng verwandt. Der Ausdruck „[mir] etwas in mir [vorstellen]“ bedeutet entsprechend ‚mir etwas in meiner Seele vorstellen‘. Dies bedeutet wiederum gemäß der obigen Definition der Vorstellung, etwas durch die Bestimmung ‚meiner‘ Seele vorzustellen. Das heißt, dass die Bestimmung ‚meiner‘ Seele durch ihre strukturelle Ähnlichkeit einen Gegenstand repräsentiert. Diese Auslegung lässt sich in dieser Passage exakt bestätigen: Nun drückt selbst diese Vorstellung, daß alle diese Erscheinungen, mithin alle Gegenstände, womit wir uns beschäftigen können, insgesammt in mir, d. i. Bestimmungen meines identischen Selbst sind, eine durchgängige Einheit derselben in einer und derselben Apperception als nothwendig aus. (A129, H. d. V.)

Nun ist ein möglicher Einwand zu untersuchen. Cramer (1987, S. 181– 182) zufolge gebe es zwei mögliche Auslegungen des Ausdrucks ‚mir etwas in mir vorstellen‘. Erstens könne Kant damit den Eigentümer der Vorstellung betonen. Demnach wolle Kant hervorheben, dass ‚ich‘ etwas in ‚mir‘ und nicht in einem anderen vorstelle. Diese Interpretation ist allerdings unzutreffend oder zumindest unpräzise, weil die Möglichkeit der Fremdzugehörigkeit in der Ausführung des Apperzeptionsprinzips (und auch anderswo in Kants Schriften) gar nicht thematisiert wird und mithin irrelevant ist.²¹ Deppermann meint, der Ausdruck ‚in mir‘ gebe eher den Ort der Vorstellung an: „es handelte sich also um Vorstellungen, die im Subjekt anzutreffen sind, ohne deshalb jedoch schon Vorstellungen für das Subjekt zu sein“ (Deppermann 2001, S. 137). Der Ausdruck ‚in mir‘ sei dabei metaphorisch, weil das Subjekt nicht räumlich sei. Mit der oben zitierten Bemerkung erklärt Deppermann jedoch nur die Implikation des Ausdrucks ‚in mir‘, nicht die eigentliche Bedeutung desselben. Somit lässt die Bemerkung die Metapher unerklärt.²² Cramer (1987, S. 181– 182) selbst vertritt die Auffassung, dass die Wörter ‚etwas in mir‘ im Ausdruck ‚mir etwas in mir vorstellen‘ zusammengehörten und ein mentales Ereignis oder einen mentalen Zustand bezeichneten. Demnach bedeute

 Einige Patienten könnten ihre eigenen Gedanken einer fremden Person zuschreiben. Siehe Lane und Liang 2011.  Deppermann (2001, S. 137 Anm.) gibt dies zu.

1.3 ‚Vorstellungen‘, ‚Vorstellungen in mir‘ und ‚meine Vorstellungen‘

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dieser Ausdruck in dem Kontext des Apperzeptionsprinzips, sich einen Vorstellungszustand als Gegenstand vorzustellen (Cramer 1987, S. 182, 184). Der Ausdruck „etwas in mir vorgestellt“ (B131) bedeute entsprechend: ‚Ich‘ stelle ‚mir‘ vor, dass ‚ich‘ eine Vorstellung [= „etwas in mir“] habe (Cramer 1987, S. 185). Diese Interpretation ist jedoch bei genauerer Betrachtung zu verwerfen. Wäre diese richtig, wäre die erste Hälfte des APB wie folgt zu paraphrasieren: [CAPB] Die mögliche Begleitung des ‚Ich denke‘ ist dafür entscheidend, dass eine Vorstellung als ‚meine‘ gilt. Der Grund dafür ist, dass ohne die Möglichkeit einer solchen Begleitung der Vorstellungszustand zwar vorgestellt, aber nicht gedacht werden kann. Es ist allerdings nicht einzusehen, wie aus APB.2a, APB.2b und APB.2c eine plausible Argumentation herzustellen. Das Apperzeptionsprinzip muss sich eigenständig – d. h. allein anhand der Ausführung in APB – als plausibel erweisen können. Aber es ist kaum möglich, allein anhand von APB einzusehen, warum die Tatsache, dass ein Vorstellungszustand bloß vorgestellt, aber nicht gedacht werden kann, dazu führt, dass die Vorstellung „für mich nichts“ ist. Es ist nämlich vorstellbar, dass der repräsentationale Gehalt eines derartigen Vorstellungszustandes nicht nur das Verhalten des Subjekts beeinflussen, sondern auch in der Wahrnehmung oder sogar in der Erfahrung eine Rolle spielen kann. Zumindest nichts in APB schließt dies aus.²³ Die Interpretation, die am Anfang dieses Abschnitts vorgestellt wurde, ist plausibler: Die Vorstellung von etwas wird als ‚in mir‘ oder ‚im Subjekt‘ bezeichnet, weil es sich bei ihr um eine Bestimmung bzw. einen Zustand der Seele handelt. Es gibt dazu jedoch ein Problem. Eine Vorstellung ist, der Definition zufolge, eine Bestimmung der Seele, die etwas repräsentiert. Wenn der Ausdruck ‚mir etwas in mir vorstellen‘ wirklich ‚etwas durch eine Bestimmung meiner Seele vorstellen‘ bedeutet, dann fügt der Ausdruck ‚in mir‘ dem Begriff Vorstellung nichts Neues hinzu und ist somit keine echte Einschränkung. ‚Eine Vorstellung in mir‘ wäre demnach äquivalent zu ‚eine Vorstellung‘. Was versucht Kant mit der räumlichen Metapher ‚in mir‘ auszudrücken? Diese Metapher dient meines Erachtens dazu, einen speziellen Aspekt der Vorstellung hervorzuheben. Nach dem Satz 1 in APB enthält ‚mein‘ Zustand, ‚mir‘ etwas in ‚mir‘ vorzustellen, per definitionem nicht den kognitiven Akt, diesen Gegenstand zu denken. Ansonsten wäre die Rede von den Vorstellungen der Tiere und vom möglichen Szenario, in dem

 Deppermann (2001, S. 137) liefert weitere Argumente gegen Cramers Position, die hier nicht wiederholt werden.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

etwas in ‚mir‘ vorgestellt wird, was nicht gedacht werden kann, gar nicht sinnvoll. Folglich muss es möglich sein, dass etwas vorgestellt, aber nicht gedacht wird. In der Tat kann das Subjekt über eine Vorstellung verfügen, ohne sich dessen bewusst zu sein.²⁴ Da eine Bestimmung der Seele nicht automatisch bewusst wird, ist ‚eine Vorstellung in mir‘ nicht automatisch eine Vorstellung für mich bzw. ‚für das Subjekt‘.²⁵ Dunkle Vorstellungen sind gerade eine solche Art von Vorstellungen. Sie sind diejenigen, die das Subjekt zwar ‚hat‘, aber derer es sich nicht direkt bewusst ist (Anth 7:134– 135). Es kann sich solcher Vorstellungen nur auf indirektem Wege, etwa durch eine Schlussfolgerung, bewusst werden (Anth 7:134– 135). Einige Zitate über die dunkle Vorstellung belegen wörtlich, dass diese zwar ‚in mir‘ oder ‚in meiner Seele‘ sind, aber nicht gedacht oder bewusst werden: Klarheit ist nicht, wie die Logiker sagen, das Bewußtsein einer Vorstellung; denn ein gewisser Grad des Bewußtseins, der aber zur Erinnerung nicht zureicht, muß selbst in manchen dunkelen Vorstellungen anzutreffen sein. (B414 Anm., H. d. V.) Wenn das Vermögen sich bewußt zu werden das, was im Gemüthe liegt, aufsuchen (apprehendiren) soll, […]. (B68, H. d. V.) […] den in mir noch dunkel liegenden Begrif zu entwikeln […]. (Refl 18:64) […] durchs Gebet die in der Seele vorhandenen dunkeln und verworrenen Vorstellungen deutlicher gemacht […]. (Refl 19:637)²⁶

Es gibt folglich Vorstellungen, derer sich das Subjekt nicht bewusst ist und die nicht gedacht werden, über die man jedoch sagen kann, dass sie in der Seele vorhanden sind – d. h., dass sie faktische Zustände der Seele sind. Kant verwendet eine Metapher, um solch eine Präsenzform der Vorstellung darzustellen: Die dunkele Erkenntniß ist eine Erkentniß, so wie ein Bild ein Bild bleibt, welches in einem dunkeln Gemache ausgehängt worden. (Refl 16:322)

Die Vorstellung, die nicht durch das ‚Licht‘ des Bewusstseins erhellt wird, ist vergleichbar mit einem unbeleuchteten Bild in der Dunkelheit. Gerade wie das unbeleuchtete Bild mit all seinem gemalten Gehalt im „Gemache“ gespeichert ist, ist die dunkle Vorstellung mit ihrem repräsentationalen Gehalt ‚in der Seele‘ vorhanden. Ein mentaler Zustand ist sozusagen bereits dann eine Vorstellung,

 Dies schließt nicht aus, dass das Subjekt sich dieser Vorstellung irgendwann bewusst werden kann.  Im Abschnitt 1.4 wird diese These ausführlich behandelt. An dieser Stelle soll nur präsentiert werden, was für die Begriffsklärung relevant ist.  Weitere Stellen sind zum Beispiel V-Met/Mron 29:863 und V-Met-L1/Pölitz 28:227.

1.3 ‚Vorstellungen‘, ‚Vorstellungen in mir‘ und ‚meine Vorstellungen‘

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wenn er durch seine Ähnlichkeit einen Gegenstand repräsentiert. Gilt dies für diesen mentalen Zustand, dann ist eine Vorstellung ‚in der Seele‘ oder ‚in mir‘ vorhanden. Die Ausdrücke ‚in der Seele‘ oder ‚in mir‘ heben gerade ein derartiges, eventuell ‚unsichtbares‘ Vorhandensein der Vorstellung hervor, um es mit anderen Vorhandenseinsmodi der Vorstellung wie ‚als meine‘ oder ‚für mich etwas‘ zu kontrastieren. Mit dem Satz „denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte“ im APB will Kant deshalb gerade ausschließen, dass eine Vorstellung, die als Bestimmung der Seele vorhanden ist, aber nicht gedacht werden kann, als ‚meine‘ Vorstellung zu bezeichnen ist. Zu Kants Terminologie ist noch eine weitere Bemerkung vonnöten: der Ausdruck ‚eine Vorstellung haben‘ ist synonym zu dem Ausdruck ‚eine Vorstellung in mir/in meiner Seele‘. Beide Ausdrücke können sich auf dunkle Vorstellungen beziehen (Anth 7:135). Folglich beschreiben diese den Sachverhalt, dass eine Vorstellung als Zustand des Subjekts wirklich präsent ist, ob sie bewusst oder nicht bewusst ist.

1.3.2 ‚Meine Vorstellung‘ Nun stellt sich die Frage, was der Ausdruck „meine Vorstellungen“ im Satz 1 des APB bedeutet. Zunächst ist es von Belang, das Verhältnis zwischen der möglichen Begleitung der Vorstellung ‚Ich denke‘ und der Meinigkeit zu klären. Ist eine Vorstellung erst dann ‚meine Vorstellung‘, wenn sie von der Vorstellung ‚Ich denke‘ begleitet werden kann, oder ist sie unabhängig von der möglichen Begleitung schon aus anderen Gründen ‚meine Vorstellung‘? Cramer behandelt die zweite Möglichkeit als eine ernsthaft in Betracht zu ziehende Lesart.²⁷ Ihm zufolge sei eine Vorstellung ‚meine Vorstellung‘, wenn ‚ich‘ ‚mir‘ vorstellte, dass ‚ich‘ ‚sie‘ habe oder dass sie ‚in mir‘ oder ‚meine‘ sei. Eine derartige Selbstzuschreibung setze nicht die Begleitung des ‚Ich denke‘ voraus. Das ‚Ich denke‘ garantiere etwas anderes.²⁸ Ich bin der Meinung, dass diese Lesart aus textuellen und sachlichen Gründen auszuschließen ist. Erstens gibt es, wie bereits argumentiert, keine nichtbegriffliche Selbstzuschreibung einer Vorstellung. Jede Selbstzuschreibung geschieht durch die Begleitung der zugeschriebenen Vorstellung mit dem ‚Ich denke‘ oder dem ‚Ich‘.²⁹ Zweitens sagt Kant bereits in der oben zitierten Schlüsselpassage IDB:  Cramer 1987, S. 179 – 180.  Cramer 1987, S. 186.  Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ kann klar oder dunkel sein (A117 Anm.). Für Näheres siehe Abschnitt 1.5. Cramer weist die zweite Option aus anderen Gründen zurück.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

8) [D]ie mannigfaltigen Vorstellungen, die in einer gewissen Anschauung gegeben werden, würden nicht insgesamt meine Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewußtsein gehörten, d. i. als meine Vorstellungen (ob ich mich ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin) müssen sie doch der Bedingung nothwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können, weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden. (B132– 133)

Eine Vorstellung ist demnach erst dann ‚meine‘, wenn sie mit anderen Vorstellungen in ‚mir‘ zu einem Selbstbewusstsein gehört. Dies bedeutet gerade, dass sie mit anderen von einem identischen ‚Ich denke‘ begleitet werden kann (siehe den Satz 6 in IDB bzw. B132). Daher ist die mögliche Begleitung des ‚Ich denke‘ die notwendige Bedingung der Meinigkeit von ‚meinen Vorstellungen‘. Eine Vorstellung ist erst dann ‚meine‘ Vorstellung, wenn sie vom ‚Ich denke‘ begleitet werden kann. Im anschließenden Text schreibt Kant: „als meine Vorstellungen (ob ich mich ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin)“ (B132). Offenbar ist es für die Meinigkeit ‚meiner‘ Vorstellung nicht nötig, dass ‚ich‘ ‚mir‘ explizit vorstelle, dass diese Vorstellung in ‚mir‘ bzw. ‚meine‘ ist. Der erste Satz des APB kann demnach so paraphrasiert werden: [APB 1*] Vorstellungen sind erst dann ‚meine Vorstellungen‘, wenn die Vorstellung ‚Ich denke‘ sie begleiten kann. Vorstellungen gehören genau dann zu ‚mir‘, wenn ‚ich‘ sie ‚mir‘ durch die Vorstellung des ‚Ich denke‘ als ‚meine‘ vorstellen kann. Oder, anders gesagt, sie sind ‚meine‘, wenn ‚ich‘ sie ‚mir‘ selbst zuschreiben kann. Nebenbei bemerkt lässt sich durch diese Paraphrase die verschachtelte Modalität in der Formulierung „Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können“ wegerklären (B131). Ihr zufolge drückt das Wort „muß“ keine Notwendigkeit aus, sondern nur dass die Möglichkeit der Begleitung eine notwendige Bedingung dafür ist, dass eine Vorstellung überhaupt zu ‚mir‘ gehört. Oder, anders gesagt, der Satz APB.1 drückt mit dem Wort „muß“ implizit einen Konditionalsatz aus, der keine verschachtelte Modalität enthält.³⁰ Die These APB 1* gibt jedoch lediglich eine notwendige Bedingung dafür an, dass eine Vorstellung zu ‚mir‘ gehört. Die eigentliche Bedeutung des Begriffs Meinigkeit einer Vorstellung bleibt unaufgeklärt, wenn man die Meinigkeit lediglich damit gleichsetzt, dass diese Vorstellung durch das ‚Ich denke‘ begleitet werden kann. Der Satz 2 des APB kann den entscheidenden Hinweis zur Klärung dieser Unklarheit geben. Dieser Satz beschreibt nämlich die inakzeptable Kon-

 Dies hat Allison (2015, S. 335) verkannt.

1.3 ‚Vorstellungen‘, ‚Vorstellungen in mir‘ und ‚meine Vorstellungen‘

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sequenz des Falls, dass das ‚Ich denke‘ eine Vorstellung nicht begleiten kann und diese folglich nicht als ‚meine Vorstellung‘ gilt. Diese Konsequenz lautet: Die durch das ‚Ich denke‘ unbegleitbare Vorstellung kann nicht gedacht werden. Man braucht nur das Gegenszenario dieser Konsequenz analysieren, um herauszustellen, was die Meinigkeit genau beinhält. Das Gegenszenario der Konsequenz ist, dass die durch das ‚Ich denke‘ begleitbare Vorstellung gedacht werden kann. Der begriffliche Zustammenhang zwischen dem Gedachtwerden und der Meinigkeit liegt nicht klar auf der Hand. Denn es ist nicht a priori auszuschließen, dass es Vorstellungen gibt, die zwar nicht gedacht – d. h. konzeptualisiert – werden können, aber dennoch eine Rolle bei der Entstehung der Erkenntnis spielen. Eine solche kognitive Rolle könnte eine Vorstellung als ‚meine‘ qualifizieren. Der Teilsatz APB.2c kann dabei hilfreich sein, diese Unklarheit zu beseitigen. Bevor dies gezeigt wird, soll bemerkt werden, dass der Teilsatz APB.2b bei unserer jetzigen rückschließenden Untersuchung außer Acht gelassen werden kann. Der Fall, dass einige Vorstellungen aufgrund irgendeines Charakters ihres intentionalen Gegenstands nicht möglich sind, ist für den jetzigen Kontext nicht relevant. Uns interessiert eher der Grund dafür, dass einige Vorstellungen, die existieren und somit nicht ‚unmöglich‘ sind, als ‚meine Vorstellungen‘ charakterisiert werden können.³¹ Betrachtet man nun das Gegenteil von APB.2c, dann stellt sich heraus, dass die Vorstellung, die gedacht werden kann, in dem Sinne als ‚meine‘ gilt, als sie etwas für ‚mich‘ ist. Daraus ergibt sich die folgende Zwischenbilanz der Analyse der APB.2: [MV] Eine Vorstellung ist ‚meine‘ genau dann, wenn sie etwas für ‚mich‘ ist. Eine Vorstellung ist etwas für ‚mich‘ genau dann, wenn sie gedacht werden kann. Eine Vorstellung kann gedacht werden genau dann, wenn sie von der Vorstellung des ‚Ich denke‘ begleitet werden kann. ‚Meine‘ Vorstellungen sind diejenigen, die für ‚mich‘ etwas sind. Die Begriffe ‚meine‘ und ‚für mich‘ erweisen sich folglich als äquivalent und müssen von dem Begriff ‚in mir‘ unterschieden werden.³² Wir wissen nun, dass die nicht zu denkenden Vorstellungen nicht ‚meine‘ sind, weil sie für ‚mich‘ nichts sind. Kants Formulierung „für mich nichts“ (B132)

 Die Bedeutung von APB.2b ist an sich relativ unproblematisch. Es könnte sich dabei um die Vorstellung eines ‚Undings‘ handeln, d. h. eines (unmöglichen) Gegenstandes, dessen Vorstellung „sich selbst aufhebt“ wegen eines logischen Widerspruchs (A292/B348; diesen Hinweis verdanke ich Tobias Rosefeldt). Mit dem Satz APB.2b könnte auch ein Gegenstand gemeint sein, der die Forderung der transzendentalen Ästhetik nicht erfüllt (Klemme 1996, S. 187).  Zu demselben Ergebnis kommt auch Deppermann (2001, S. 135).

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

ist an sich jedoch hoffnungslos mehrdeutig. Fest steht zuerst nur, dass sie ‚für mich keine Bedeutung‘ hat. Es ist unklar, ob sich dieser Ausdruck auf ‚mich‘ als Erkenntnissubjekt, als handelnde Person, oder gar als Lebewesen bezieht. Oder will Kant mit der Formulierung „für mich nichts“ (B132) vielmehr, wie Cramer vorschlägt, ausdrücken, dass das Subjekt sich einer Vorstellung gar nicht bewusst sein kann? Die Parallelstelle in der A-Version gibt darüber wertvollen Aufschluss. Bezüglich der nicht-apperzeptiven Anschauungen sagt Kant, sie „sind vor uns nichts, und gehen uns nicht im mindesten etwas an“ (A116). An einer anderen Stelle der A-Deduktion bemerkt Kant ebenfalls zu nicht-apperzeptiven Anschauungen, dass sie „niemals Erkenntnis, also für uns so viel als gar nichts“ wären (A111). Die nicht-apperzeptiven Vorstellungen sind „ohne Objekt, und nichts als ein blindes Spiel der Vorstellungen, d. i. weniger, als ein Traum“ (A112). Dem Kontext nach kann dies nur bedeuten, dass nicht-apperzeptive Vorstellungen für uns keine epistemische Bedeutung haben. In einem Brief an Herz gibt Kant explizit eine Stellungnahme zu solchen Vorstellungen: Ich würde gar nicht einmal wissen können, daß ich sie habe, folglich würden sie für mich, als erkennendes Wesen, schlechterdings nichts seyn, wobey sie (wenn ich mich in Gedanken zum Thier mache) als Vorstellungen, die nach einem empirischen Gesetze der Association verbunden wären und so auch auf Gefühl und Begehrungsvermögen Einflus haben würden, in mir, meines Daseyns unbewust, (gesetzt daß ich auch jeder einzelnen Vorstellung bewust wäre, aber nicht der Beziehung derselben auf die Einheit der Vorstellung ihres Obiects, vermittelst der synthetischen Einheit ihrer Apperception,) immer hin ihr Spiel regelmäßig treiben können, ohne daß ich dadurch in mindesten etwas, auch nicht einmal diesen meinen Zustand, erkennete. (Br 11:51– 52, 1789, H. d. V.)

Diese Passage impliziert, dass die Vorstellungen, die ‚für mich nichts‘ sind, ‚mir‘ dennoch bewusst werden können – obwohl nicht durch das apperzeptive Bewusstsein (siehe den hervorgehobenen Text).³³ Diese Passage bekräftigt zudem, dass der Ausdruck ‚nichts für mich‘ auf den epistemischen Wert der Vorstellung beschränkt ist, denn diejenigen Vorstellungen, die ‚für mich nichts‘ sind, können dieser Passage zufolge mittels einfacher, nicht-begrifflicher Verbindungen einen kausalen Einfluss auf nicht-kognitive Aspekte ‚meines‘ Lebens ausüben. Das heißt, diese Vorstellungen sind nicht „nichts“ aus anderen Perspektiven – d. h. für ‚mich‘ als handelnde Person oder als Lebewesen. Dadurch ist auch die Relation zwischen „nicht gedacht werden [kann]“ und „für mich nichts“ verständlich (B132). Eine Vorstellung, die nicht gedacht werden kann, ist deswegen „für mich nichts“, weil sie für ‚mich‘ als diskursiv erkennendes Wesen keine epistemische Bedeutung hat. Daraus ergibt sich zusammengefasst: Eine Vorstellung ist genau  Siehe Allison 2004:477 Anm. 16, Schulting 2012, Liang 2017.

1.3 ‚Vorstellungen‘, ‚Vorstellungen in mir‘ und ‚meine Vorstellungen‘

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dann ‚meine‘, wenn sie gedacht werden kann und somit für ‚mich‘ als diskursiv erkennendes Wesen eine epistemische Bedeutung hat. Für die Meinigkeit muss jedoch noch eine weitere fundamentale Bedingung erfüllt werden. Die Vorstellungen müssen nämlich zu einem über die Zeit hinweg numerisch identischen Ich gehören, weil „sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden“ (B133). Anders gesagt muss die „durchgängige Identität der Apperzeption“ bewahrt werden (B133), „sonst würde ich ein so vielfärbiges verschiedenes Selbst haben, als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewußt bin“ (B134). Das heißt, nur wenn ein identisches Ich-Bewusstsein bewahrt wird, kann man von der Meinigkeit sprechen. Kants Lehre der Identität des Selbstbewusstseins bildet wegen ihrer Unklarheit und Verwickeltheit ein separates Forschungsthema, auf das ich an dieser Stelle aufgrund des Umfangs der Arbeit nicht eingehen kann.³⁴ Weniger kontrovers ist jedoch die folgende Beobachtung: Das Bewusstsein der Identität des Subjekts wird nicht durch die Identität des repräsentationalen Gehalts des Begriffs des Ich garantiert. Das Ich ist nämlich eine „einfache und für sich selbst an Inhalt gänzlich leere Vorstellung […], von der man nicht einmal sagen kann, daß sie ein Begriff sei, sondern ein bloßes Bewußtsein, das alle Begriffe begleitet“ (B404). Es gibt auch kein wahrnehmbares inneres ‚Beharrliches‘, auf dem das Bewusstsein der Identität des Ich basieren könnte (A364). Kants Lösung besteht darin, das Identitätsbewusstsein dadurch zu garantieren, dass das Selbstbewusstsein selbst über die Zeit hinweg, d. h. in verschiedenen Bewusstseinsepisoden, unverändert bleibt. Kants Ausführung über die Meinigkeit der Vorstellung sieht dementsprechend wie folgt aus: Eine Vorstellung ist ‚meine‘ Vorstellung, wenn sie mit allen anderen in einem Selbstbewusstsein (= die reine Apperzeption, vgl. B132) vereinigt werden kann (B134). Auf den ersten Blick ist der Begriff des Vereinigens metaphorisch und der des Selbstbewusstseins unklar. Kant gibt jedoch in der Tat einen klaren Hinweis auf den bewusstseinstheoretischen Status der reinen Apperzeption: Dieses Selbstbewusstsein ist nicht die Vorstellung „Ich denke“, sondern „dasjenige Selbstbewußtsein […] was, indem es die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle andere muß begleiten können, und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist“ (B132). Die reine Apperzeption ist nicht gleich der Vorstellung des ‚Ich denke‘, sondern eine Art des Selbstbewusstseins, das die Vorstellung des ‚Ich denke‘ bewirken kann. Dieses Selbstbewusstsein ist sozusagen für den Akt der Selbstzuschreibung verantwortlich. Es bleibt numerisch identisch über die Zeit hinweg. Als Zwischenbilanz erhalten wir somit die folgende These:

 Ich reserviere dieses Thema für ein weiteres Buchprojekt.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

[MV2] Eine Vorstellung ist ‚meine‘, wenn sie ein über die Zeit hinweg identisch bleibendes Selbstbewusstsein begleitet, das einen Akt der Selbstzuschreibung – die Vorstellung des ‚Ich denke‘ – bewirken kann. Nun kann die Frage nach dem Verhältnis zwischen ‚meinen‘ Vorstellungen und den Vorstellungen (‚in mir‘) behandelt werden.³⁵ Sind nicht alle Vorstellungen (‚in mir‘) ‚meine‘ Vorstellungen? Gibt es Vorstellungen, die nicht vom ‚Ich denke‘ begleitet werden können und die ‚ich‘ ‚mir‘ selbst nicht zuschreiben kann? Die AVersion des Apperzeptionsprinzips schließt solche Vorstellungen aus, weil dieses für „alle Vorstellungen“ (A117 Anm.) gilt. Über die Vorstellungen, die nicht vom empirischen und mithin auch transzendentalen Bewusstsein begleitet werden können, bemerkt Kant dort, „sie existierten gar nicht“ (A117 Anm.). In den Ausführungen der B-Version des Apperzeptionsprinzips und in späteren Stellungnahmen ist Kants Position jedoch zurückhaltender. Er bezeichnet solche Vorstellungen als „unmöglich, oder wenigstens für mich nichts“ in APB. Die zweite Möglichkeit scheint zu implizieren, dass einige dieser Vorstellungen zwar keine epistemische Bedeutung für ‚mich‘ haben, aber durchaus möglich sind. Zudem spricht Kant an einigen Stellen über den Tiergeist³⁶ explizit von nicht-apperzeptiven Vorstellungen.³⁷ Meines Erachtens ist es nicht plausibel, die Existenz von Vorstellungen zu leugnen, die zwar keine epistemische Bedeutung, aber dennoch einen kausalen Einfluss auf das Verhalten und Gefühl haben. Daher gehe ich davon aus, dass die späteren Stellungnahmen Kants eher seine reife Überlegung widerspiegeln. ‚Meine‘ Vorstellungen sind also nicht notwendigerweise alle Vorstellungen in ‚meiner‘ Seele; ‚meine‘ Vorstellungen sind Vorstellungen, die durch ‚mein‘ reines Selbstbewusstsein begleitet werden können. ‚Meine‘ Vorstellungen sind folglich nur eine Teilmenge der Vorstellungen ‚in mir‘ oder ‚in meiner Seele‘. Damit erweist sich eine weitere scheinbar plausible Interpretation des Satzes 1 im APB als falsch: Es kann keine Vorstellung in ‚mir‘ geben, die nicht vom ‚Ich denke‘ begleitet werden kann.³⁸ Am Ende dieses Abschnitts wird nun eine bekannte Zweideutigkeit aufgeklärt: Der Begriff der Vorstellung in dem Ausdruck ‚meine Vorstellungen‘ kann nicht nur

   

Wie bereits dargelegt, sind die Begriffe ‚Vorstellungen in mir‘ und ‚Vorstellungen‘ synonym. Siehe den bereits zitierten Brief an Herz 1789 (Br 11:51–52) und Log 9:64– 65. Siehe Abschnitt 2.2.2 dieser Abhandlung. Für eine ähnliche Position siehe auch Cramer 1987, S. 176.

1.3 ‚Vorstellungen‘, ‚Vorstellungen in mir‘ und ‚meine Vorstellungen‘

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den Vorstellungszustand selbst, sondern auch das Vorgestellte bedeuten, d. h. den repräsentationalen Gehalt des Vorstellungszustands.³⁹ Was aber bedeutet demnach der Begriff ‚meine Vorstellungen‘ genau? Sind damit ‚meine Vorstellungszustände‘ oder eher ‚die Gegenstände, die ich mir vorstelle‘ gemeint? Natürlich kann man sachliche Überlegungen anstellen, welche Lesart zutreffender ist. Aufgrund der komplexen Textlage ist eine sachliche Herangehensweise jedoch sehr kompliziert und von vielen Faktoren sowie umstrittenen Aspekten des Originaltexts abhängig.⁴⁰ Die Textlage zeigt: Auch Kant ist sich hierüber nicht immer im Klaren. Die Ausführung des Apperzeptionsprinzips in der B-Auflage spricht zwar deutlich für die erste Lesart. So schreibt Kant zum Beispiel: „indem es die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle andere [Vorstellungen] muß begleiten können“ (B132). Die erste Erwähnung von „Vorstellung“ bedeutet alternativlos ‚Vorstellungszustand‘, denn die andere Option macht hier keinen Sinn. Der Ausdruck „alle andere“ (B132) deutet an, dass das Wort „Vorstellung“ an beiden Textstellen die gleiche Bedeutung hat. Außerdem ist die zweite Lesart des Ausdrucks „meine Vorstellungen“ kaum mit einer Stelle in IDB vereinbar: „als meine Vorstellungen (ob ich mich ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin) müssen sie […] in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können“ (B132). An anderer Stelle jedoch finden sich Gegenbeispiele. Das Auffälligste ist dabei folgendes: „[Die Vorstellung des] Ich denke, welche sogar alle transscendentale Begriffe möglich macht, in welchen es heißt: Ich denke die Substanz, die Ursache etc.“ (B401). Demnach begleitet das ‚Ich denke‘ nicht den Vorstellungszustand, sondern den Vorstellungsgehalt. Meiner Meinung nach hat Kant selbst die Wörter „Vorstellung“ und „begleiten“ zweideutig benutzt, weil man der Sache nach für den Fall des expliziten Selbstbewusstseins in beiden Sinnen von Vorstellung und Begleitung sprechen kann, d. h. für den Fall, dass der Gedanke ‚Ich denke‘ selbst eine bewusste Vorstellung ist. Der propositionale Gehalt ‚Ich denke‘ muss in diesem Fall mit dem propositionalen oder begrifflichen Gehalt der gegenstandsbezogenen Vorstellung verbunden werden.⁴¹ In diesem Sinne begleitet der Vor Z. B. B129, 137; KU 5:217, 219. Siehe auch Grüne 2009, S. 96; Mohr 1991, S. 106.  Siehe Cramer 1987, Abschnitt 3.  Fortan werden diejenigen Vorstellungen als ‚gegenstandsbezogen‘ oder ‚Vorstellungen erster Ordnung‘ genannt, die von der Apperzeption als Vorstellung höherer Ordnung begleitet werden. Mit der Bezeichnung ‚gegenstandsbezoge Vorstellung‘ wird darauf hingewiesen, dass diese Vorstellung die Vorstellung erster Ordnung ist, die sich auf einen Gegenstand bezieht, auf den die Aufmerksamkeit des Subjekts gerichtet ist. Die gegenstandsbezogenen Vorstellungen sind ein Vehikel unserer Erkenntnisse. Sie sind diejenigen, die Informationen über äußere, innere oder abstrakte Sachverhalte tragen und deren Gehalt zur Bearbeitung durch synthetische Handlungen bereitsteht. Die begleitenden Vorstellungen, d. h. die Apperzeption tout court, machen die gegenstandsbezogenen Vorstellungen apperzeptiv bewusst. Siehe Liang 2017.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

stellungsgehalt des ‚Ich denke‘ den Vorstellungsgehalt ‚meiner‘ gegenstandsbezogenen Vorstellung. Des Weiteren steht das Subjekt in der Tat in zwei Vorstellungszustände: Es stellt sowohl den Gegenstand durch den propositionalen Gehalt im von ‚Ich denke‘ eingeleiteten ‚dass‘-Satz, als auch den Vorstellungszustand selbst durch die Vorstellung des ‚Ich denke, dass…‘ vor. In diesem Sinne kann man sagen, dass das ‚Ich denke‘ ‚meinen‘ (gegenstandsbezogenen) Vorstellungszustand begleitet. Von diesem Punkt hängt jedoch nichts Wichtiges ab, sofern je nach Kontext die passende Bedeutung bestimmt werden kann. In der B-Version der Transzendentalen Deduktion operiert Kant mit der Vorstellung ‚Ich denke‘, um die Bedingung der Meinigkeit anzugeben. In der A-Version verwendet er jedoch hauptsächlich den Begriff des empirischen und des transzendentalen Bewusstseins sowie den Begriff des Bewusstseins tout court. Es ist notwendig, aus der Perspektive der Ich-denke-Begleitung das Verhältnis zwischen diesen drei Begriffen zu klären, denn das Verhältnis betrifft einen fundamentalen Aspekt der Begründung des Apperzeptionsprinzips. Um dieser Aufgabe nachzugehen, müssen jedoch zuerst einige relevante Begriffe analysiert werden.

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein Die dunkle Vorstellung wird in der KrV nicht eigens thematisiert, sondern von Kant lediglich an verschiedenen Stellen erwähnt. Wichtige Aussagen über die dunklen Vorstellungen in anderen Texten, vor allem in der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht und der Jäsche-Logik, sind wertvoll im Hinblick auf den Charakter des Bewusstseins in einer immanenten Hinsicht. Sie zeigen, dass der Begriff des Bewusstseins wesentlich mit dem Begriff der Dunkelheit bzw. Klarheit zusammenhängt. Um dies zu demonstrieren, werden zuerst Beispiele und Definitionen der dunklen Vorstellung betrachtet. Danach wird der Begriff der dunklen Vorstellung unter Zuhilfenahme relevanter Passagen genauer analysiert. In der Anthropologie werden dunkle und klare Vorstellungen wie folgt definiert: § 5. Vorstellungen zu haben und sich ihrer doch nicht bewußt zu sein, darin scheint ein Widerspruch zu liegen […] Allein wir können uns doch mittelbar bewußt sein eine Vorstellung zu haben, ob wir gleich unmittelbar uns ihrer nicht bewußt sind. – Dergleichen Vorstellungen heißen dann dunkele; die übrigen sind klar. (Anth 7:135) ⁴²

 Siehe auch UD 2:290, Log 9:33, Refl 15:665.

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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Anhand der Beispiele, die Kant für dunkle Vorstellungen gibt, ist klar, dass sie eine Familie von kognitiven Phänomenen umfassen, die jeweils eine ähnliche Eigenschaft aufweisen. Solche Beispiele können grob in zwei Arten eingeteilt werden. Die erste Art betrifft die Wahrnehmung. Typische Beispiele hierzu lauten:⁴³ [B.1] Obwohl wir mit bloßen Augen nur die Milchstraße, nicht die einzelnen Sterne von ihr sehen können, haben wir von jedem Stern eine dunkle Vorstellung. Denn ein Teleskop bringt nicht mehr Lichtstrahlen in unseren Augen, sondern breitet sie nur aus. Deswegen affiziert jeder Lichtstrahl unsere Netzhaut, woraus eine dunkle Vorstellung des Sterns entsteht. (Anth 7:135, siehe auch V-Met/Mron 29:879, V-Met-L1/Pölitz 28:227)⁴⁴ [B.2] „Wenn ich weit von mir auf einer Wiese einen Menschen zu sehen mir bewußt bin, ob ich gleich seine Augen, Nase, Mund usw. zu sehen mir nicht bewußt bin, so schließe ich eigentlich nur, daß dies Ding ein Mensch sei“. Ein derartiger Schluss soll nach Kant nur dann möglich sein, wenn das Subjekt dunkle Vorstellungen von Augen, Nase, Mund, usw. hat. Es schließt sozusagen unterschwellig von den dunklen Vorstellungen von Augen, Nase und Mund darauf, dass es sich um einen Menschen handelt. Denn nur „aus diesen Theilvorstellungen“ ist „die ganze (des Kopfs oder des Menschen)“ möglich. (Anth 7:135) [B.3] Ein Musiker spielt eine Improvisation mit zehn Fingern und beiden Füßen auf einer Orgel und spricht zugleich mit dem Publikum. Dabei nimmt er eine große Menge Töne zugleich wahr. Er ist sich zwar der einzelnen Töne nicht bewusst, muss aber von jedem Ton zumindest eine dunkle Vorstellung haben, denn falls nur einer davon nicht mit den anderen zusammenklingt, weiß er es sofort. (Anth 7:136, siehe auch V-Anth/Fried 25:479) Die zweite Art der Beispiele betrifft das Denken. Bei Schlussfolgerungen könnten sich nach Kant manchmal Begriffe oder Prinzipien einschleichen und eine Rolle spielen, obwohl das Subjekt sich gar nicht bewusst ist, diese zu haben. Solche eine dunkle Vorstellung könnte etwa [B.4] der „Rechtsgrund“ sein, der Monarchen dunkel vorschwebt (MS 6:345),  Um längere Zitate zu vermeiden, wird das Wesentliche aufgenommen und in Gruppen eingeteilt. Es handelt sich bei B.1 bis B.6 also nicht um wörtliche Zitate. Für eine ähnliche, aber vereinfachte Analyse siehe Liang 2017.  Für eine Analyse siehe Kitcher 1999, S. 347.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

oder [B.5] Begriffe der Metaphysik sein, d. h. „dunkel gedachte Metaphysik, die jedem Menschen in seiner Vernunftanlage beiwohnt“ (MS 6:216, 376). „[A]lles was in der Metaphysik und Moral gelehrt wird, das weiß schon ein jeder Mensch; nur war er sich dessen nicht bewußt“ (V-Met-L1/Pölitz 28:227). Dunkle Vorstellungen können auch alltägliche Urteile oder Gefühle sein wie [B.6] die implizite Voreingenommenheit wie „Kleider macht Leute“ (Anth 7:137) oder die „Antipathie beym Anblik eines Menschen“ (Refl 15:65). Diesen Beispielen lässt sich entnehmen, dass dunkle Vorstellungen diejenigen sind, die wir tatsächlich haben, obwohl wir uns nicht unmittelbar bewusst sind, dass wir sie haben.⁴⁵ Wir können uns dieser Vorstellung lediglich auf mittelbarem Wege bewusst werden. Kant führt die Frage, worin solche mittelbaren Wege bestehen könnten, nicht systematisch aus. Anhand relevanter Passagen in verschiedenen Schriften lassen sich drei verschiedene Weisen des mittelbaren Bewusstwerdens der dunklen Vorstellungen zusammenfassen: 1. Das Subjekt erlangt ein mittelbares Bewusstsein einer dunklen Vorstellung durch eine Schlussfolgerung. Es schließt aus der Wirkung der dunklen Vorstellung auf ihre Existenz: Unsere Vorstellungen sind entweder dunkel oder klar etc. Dunkle Vorstellungen sind die, deren ich mir nicht unmittelbar bewußt bin, durch Schlüsse aber doch mittelbar bewußt werden kann. (V-Met/Mron 29:879. Siehe auch Anth 7:135; V-Met-L1/Pölitz 28:227) Unmittelbar weiß ich sie nicht, indeßen kann ich aus ihren Würkungen schlüßen daß ich sie haben muß. (V-Anth/Mron 25:1221)

Es ist im Fall der Wahrnehmung aus den obigen Beispielen B.2 und B.3 unmittelbar klar, was mit dem mittelbaren Bewusstwerden der dunklen Vorstellungen gemeint ist. Über B.1, das Beispiel der Beobachtung der Milchstraße, bemerkt Kant:

 Es geht, dem Wortlaut der Schriften Kants nach, sehr deutlich nicht darum, dass wir uns des Inhalts der Vorstellungen nicht bewusst sind, sondern darum, dass wir uns nicht bewusst sind, dass wir die Vorstellungen haben. Vgl. Anth 7:135. Bei dem fehlenden Bewusstsein handelt es sich auch hier um die apperzeptive Vorstellung höherer Ordnung. Für Näheres siehe Abschnitt 1.4.2.1; Liang, 2017; vgl. Longuenesse, im Erscheinen.

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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Wir wissens freilich immediate nicht, aber durch Schlüße doch, z. E. wir sind es uns nicht bewußt, daß die Milchstraße, wenn wir sie mit bloßen Augen betrachten, aus lauter kleinen Sternen bestehe, aber durchs Telescop sehen wirs. Nun schließen wir, da wir die ganze Milchstraße gesehen haben, so müßen wir auch alle einzelnen Sterne gesehen haben. Denn wäre das nicht, so hätten wir nichts gesehen. Was wir aber gesehen haben, müßen wir uns auch vorgestellt haben. Da wir von diesen Vorstellungen nichts wissen, so müssen sie dunkel gewesen sein. (V-Met/Mron 29:879)

Im Fall der zweiten Gruppe der dunklen Vorstellungen – der dunklen Vorstellungen beim Denken – geschieht das mittelbare Bewusstwerden der dunklen Vorstellungen durch Reflexion. Zum Beispiel gibt es, wie bereits erwähnt, eine „dunkel gedachte Metaphysik, die jedem Menschen in seiner Vernunftanlage beiwohnt“, sodass der Mensch „nach dunkel vorgestellten Principien, urtheilt“ (MS 6:376). Diese können durch eine Schlussfolgerung aufgedeckt werden, indem darüber reflektiert wird, was dem Urteil als Begründung bzw. versteckte Prämisse zugrunde liegt.⁴⁶ Das mittelbare Bewusstwerden der dunklen Vorstellung durch eine Schlussfolgerung ist wohlgemerkt nicht unbedingt ein unmittelbares Bewusstsein des Gehalts der Vorstellung. Durch eine Schlussfolgerung kann das Subjekt sich zwar der dunkel vorgestellten Prinzipien, welche es beim Denken verwendet hat, direkt bewusst werden. Jedoch kann in manchen Fällen von Wahrnehmungen, wie z. B. bei den Beispielen B1, B2 und B3, der repräsentationale Gehalt der jeweiligen Wahrnehmung (und insbesondere der phänomenale Charakter dieser Vorstellungen) nicht durch Schlussfolgerungen wieder ins Bewusstsein gerufen werden. Was man dadurch erlangt, ist lediglich das Bewusstsein der Existenz dieser dunklen Vorstellungen. 2. Das Subjekt erlangt ein direktes Bewusstsein des Gehalts einer dunklen Vorstellung durch einen Wechsel der Aufmerksamkeit: Wir können unsre Vorstellungen klar machen und auch wieder verdunkeln. Jenes heißt attendiren dieses abstrahiren. (V-Anth/Mron 25:1239)

Durch die Aufmerksamkeit erlangt das Subjekt ein Bewusstsein des Gehalts der vorher dunklen Vorstellung. Solch eine Vorstellung kann entweder eine Wahr-

 Dies ist auch die Funktion der philosophischen Analyse: „In der Analytischen Philosophie mache ich nur die dunklen Vorstellungen in der Seele klar. Denn alle Satze der Philosophie sind jederman bekant aber nur in dunkeln Vorstellungen die durch die Philosophie klar und deutlich gemacht werden daß er sich derselben bewußt wird und so zu sagen erinnert indem er fühlt daß dieses dieselben Setze sind, deren er sich vorher auch obgleich undeutlich bewußt war“ (V-Anth/ Mron 25:1221– 1222).

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

nehmung, ein Begriff oder ein Teil der beiden – d. h. ein sogenanntes ‚Merkmal‘ eines Begriffs oder ein Teil einer Anschauung – sein. 3. Das Subjekt erlangt ein direktes Bewusstsein des Gehalts eines verworrenen Begriffs durch Analyse. Dieser Begriff selbst wird dadurch deutlich gemacht. Dabei werden die Merkmale, die in diesem Begriff dunkel enthalten sind, klar gemacht⁴⁷: Unser Erkenntniß kann auf zweierley Art deutlich gemacht werden. a) per Synthesin, b) per Analysin. wir machen nemlich entweder einen deutlichen Begrif, und dieses geschiehet per Synthesin oder wir machen einen Begrif, der zuvor verworren war, deutlich, und dieses geschiehet per Analysin. (V-Lo/Blomberg 24:130. Siehe auch 24:134)⁴⁸

4. Im Fall B6 kann das Subjekt durch Beobachtung einer dritten Person seine eigene implizite Voreingenommenheit indirekt erkennen. Die dritte Weise, die dunklen Vorstellungen klar zu machen, kann als Variante der ersten betrachtet werden, insofern sich die Analyse als eine Art von Schlussfolgerung im weiten Sinn betrachten lässt. Damit wurde das Wesentliche von Kants Lehre der dunklen Vorstellungen ausgeführt. Des Weiteren sind zwei Bemerkungen zu den klaren Vorstellungen notwendig. Erstens kann, wie bereits dargestellt wurde, durch einen Wechsel der Aufmerksamkeit eine dunkle Vorstellung klar gemacht werden. Dabei wird das Subjekt sich des Gehalts der dunklen Vorstellung unmittelbar bewusst. Daher muss die Definition der dunklen Vorstellung leicht modifiziert werden.⁴⁹ Um Kants Auffassung dieses Begriffs präzise darzustellen und gleichzeitig nicht umständlich zu formulieren, ist es von Vorteil, den Begriff ‚unmittelbar‘ weiter als bisher zu fassen. Die Definition der dunklen Vorstellung wird dahingehend interpretiert, dass das Subjekt sich dieser Vorstellung unmittelbar – d. h. ohne weitere Aktionen, die bewusstseinstheoretische Konsequenzen haben – nicht bewusst sein kann. Da nichts Entscheidendes an dem Begriff hängt, werde ich in den weiteren Ausführungen mit dem modifizierten Begriff ‚unmittelbar‘ operieren.

 Der Ausdruck ‚etwas klar machen’ bedeutet eine dunkle Vorstellung in eine klare umzuwandeln. Hier folge ich Kants Verwendung des Ausdrucks (Log 9:142; Refl 15:63).  Die Erzeugung eines neuen deutlichen Begriffs wird hier nicht zu der Handlung gezählt, einen dunklen Begriff klar zu machen. Es geht nämlich in diesem Kontext um die Art und Weise, eine vorhandene dunkle Vorstellung klar zu machen.  Dies haben Kommentatoren bisher nicht berücksichtigt.Valaris z. B. ist der Meinung, dass das Subjekt zwar durch theoretische Argumente die dunklen Vorstellungen indirekt erkennen, sich ihrer aber nicht direkt bewusst sein könne (Merritt und Valaris 2017, S. 580). Diese Auslegung ist angesichts der obigen Ausführungen unzutreffend.

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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Kant hat die Klarheit der klaren Vorstellung weder eigens thematisiert noch mithilfe von Beispielen illustriert, da dunkle Vorstellungen offenbar theoretisch viel interessanter sind. Zudem könnte dieses Versäumnis daran liegen, dass er davon ausgeht, dass uns intuitiv klar ist, was eine klare Vorstellung bedeutet. Der Begriff der klaren Vorstellung ist ferner in deutliche und undeutliche Vorstellungen untergliedert. Diese Untergliederung ist zwar nicht trivial, aber für den Zweck dieser Abhandlung nicht entscheidend. Dieses Begriffspaar definiert Kant nämlich wie folgt: Alle klaren Vorstellungen, auf die sich allein die logischen Regeln anwenden lassen, können nun unterschieden werden in Ansehung der Deutlichkeit und Undeutlichkeit. Sind wir uns der ganzen Vorstellung bewußt, nicht aber des Mannigfaltigen, das in ihr enthalten ist: so ist die Vorstellung undeutlich. (Log 9:34)

Wir haben eine klare Vorstellung von der „Zusammensetzung“ der deutlichen Vorstellungen (Anth 7:138). Eine Vorstellung ist deutlich, wenn die „Klarheit sich auch auf die Theilvorstellungen eines Ganzen derselben und ihre Verbindung erstreckt“ (Anth 7:135). Da das Ziel dieser Abhandlung die Klärung von Kants Begriff des Bewusstseins ist, werde ich im Folgenden direkt die Klarheit der deutlichen Vorstellung fokussieren, falls Kants Ausführungen der deutlichen Vorstellung hilfreich sind. Zwei wichtige Momente in der Definition der dunklen Vorstellung werden von Kant nicht explizit behandelt. Diese sollen präzisiert werden: 1.Was ist der Unterschied zwischen eine Vorstellung bloß zu haben und sich einer Vorstellung bewusst zu sein? 2. Was bedeutet es genau, sich einer Vorstellung unmittelbar nicht bewusst zu sein? Was bedeutet es dementsprechend, sich einer Vorstellung unmittelbar bewusst zu sein? Im Folgenden wird versucht, die Fragen lediglich anhand der theoretischen und textuellen Ressourcen bezüglich dunkler Vorstellungen zu beantworten. Die dahinterstehende Idee ist, den Begriff des Bewusstseins anhand des Begriffs der dunklen Vorstellung zu beleuchten.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

1.4.1 Was heißt es, eine Vorstellung zu ‚haben‘? Eine Vorstellung ist nach Kant, wie bereits erwähnt, „nichts anderes, als wenn sich in meiner Seele etwas befindet, was mit der vorgestellten Sache eine Ähnlichkeit hat“ (LB, S. 30) oder eine „Bestimmung der Seele, die sich auf andere Dinge bezieht“ (Refl 16:76 f.). Eine Vorstellung ist dementsprechend ein Zustand oder ein Bestandteil des Gemüts, der durch seine Strukturähnlichkeit mit einem Gegenstand diesen repräsentiert. Nun sind die dunklen Vorstellungen diejenigen, die das Subjekt zwar ‚hat‘, derer es sich jedoch nicht bewusst ist. Es stellen sich die Fragen, was es bedeutet, eine Vorstellung bloß zu haben, und was eine bewusste Vorstellung von einer solchen bloß gehabten dunklen Vorstellung unterscheidet. Dass das Subjekt eine Vorstellung hat, ist im Kontext von Kants Ausführungen über die dunkle Vorstellung äquivalent dazu, dass sich eine Vorstellung in der Seele befindet.⁵⁰ Eine solche Erklärung ist jedoch metaphorisch und mithin philosophisch nicht hilfreich. Kants Beispiele der dunklen Vorstellungen können hingegen sachgerechte Hinweise geben. Demzufolge können wir hinsichtlich der dunklen Vorstellungen deswegen sinnvoll sagen, dass wir sie ‚haben‘ bzw. dass sie ‚in‘ unserer Seele sind, weil sie offenbar im Erkenntnisprozess eine Rolle spielen.⁵¹ Im Teleskop-Beispiel B1 werden die einzelnen Sterne wahrgenommen, deren Vorstellungen damit im Gemüt vorhanden sind, weil sie Bestandteile der Vorstellung der Milchstraße sind.⁵² Im Beispiel B2 schließt das

 „Leibnitz sagte: der größte Schatz der Seele besteht in dunklen Vorstellungen, welche nur durch das Bewußtseyn der Seele deutlich werden. Wenn wir uns aller unserer dunkeln Vorstellungen und des ganzen Umfanges der Seele möchten auf einmal unmittelbar durch ein übernatürliches Verhältniß bewußt werden; so möchten wir über uns selbst, und über den Schatz in unserer Seele erstaunen, welchen Reichthum sie von Erkenntnissen an sich enthält“ (V-Met-L1/ Pölitz 28:227, siehe auch UD 2:290, Refl 15:665, Refl 16:322, Refl 19:637).  Dies wird fortan durch den Ausdruck ‚eine kognitive Rolle spielen‘ vereinfacht ausgedrückt. Im weitesten Sinne bedeutet dieser, sich an dem Prozess der Entstehung der Erkenntnisse zu beteiligen oder das Verhalten des Subjekts zu beeinflussen. Im Kontext der KrV bedeutet dies für den Fall der Wahrnehmung, dass sie eine Rolle für das empirische Urteil des Subjekts spielt. Für den Fall des Denkens bedeutet es, dass ein Begriff oder ein Gedanke eine Rolle bei der Schlussfolgerung spielt.  „Nun schließen wir, da wir die ganze Milchstraße gesehen haben, so müßen wir auch alle einzelnen Sterne gesehen haben. Denn wäre das nicht, so hätten wir nichts gesehen.Was wir aber gesehen haben, müßen wir uns auch vorgestellt haben. Da wir von diesen Vorstellungen nichts wissen, so müssen sie dunkel gewesen sein.Wir haben also dunkle Vorstellungen, und diese zwar in so großer Menge, daß sie die Anzahl unserer klaren Vorstellungen bei weitem übersteigen. Unsre Seele ist gleichsam wie eine Karte, auf der einige wenige Stellen illuminirt sind.Würden alle unsre dunkle Vorstellungen einmal zu klaren werden, so würden wir über die Menge derselben erstaunen“ (V-Met/Mron 29:879).

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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Subjekt von den dunklen Vorstellungen der Nase, der Augen und des Mundes darauf, dass das in der Ferne stehende Objekt ein Mensch ist. Damit spielen solche dunklen Vorstellungen im Entstehungsprozess der Erkenntnis, dass es sich in der Ferne um einen Menschen handelt, eine Rolle. Im Beispiel B3 muss der Musiker zu jedem Ton unbewusst ein Urteil abgegeben haben. Dies zeigt sich darin, dass ihm jeder unharmonische Ton sofort auffällt. Das heißt, der Musiker hat unbewusst einen kognitiven Zugriff auf die Vorstellungen einzelner Töne. Im Fall des Denkens ist die kognitive Rolle der dunklen Vorstellungen noch deutlicher: Sie dienen als implizite Prämissen bei der Schlussfolgerung. In der Definition der dunklen Vorstellung sagt Kant, dass man nur von der ‚Wirkung‘ auf die Existenz einer dunklen Vorstellung schließen kann (V-Anth/Mron 25:1221). Diese Wirkung ist nichts anderes als das Ergebnis ihrer kognitiven Rolle. Damit kann vorerst darauf geschlossen werden, dass eine Vorstellung zu ‚haben‘ bedeutet, dass diese Vorstellung irgendeine kognitive Rolle spielt.⁵³ Hier kann eingewendet werden, dass auch im metaphorischen Sinne gesagt werden kann, dass wir eine Vorstellung ‚haben‘, wenn sie in der Seele bloß ‚gespeichert‘ ist. Zwei Möglichkeiten sind hierbei denkbar: (1) Eine Vorstellung ist nur in der Seele ‚gespeichert‘, sie spielt kognitiv noch keine Rolle, aber ist mittelbar oder unmittelbar abrufbar. (2) Eine Vorstellung ist in der Seele lediglich ‚gespeichert‘, ohne dass sie eine kognitive Rolle spielen könnte. Über die Vorstellung in (2) können wir nichts wissen, da lediglich anhand ihrer möglichen kognitiven Rolle auf ihre Existenz geschlossen wird. Solche Vorstellungen, wenn sie auch tatsächlich existieren mögen, sind weder epistemologisch noch psychologisch interessant, da sie keinerlei epistemische oder psychische Wirkung haben. Kant hat solche Vorstellungen im Endeffekt ausgeschlossen.⁵⁴ Ein informationstragender mentaler Zustand, der keine kognitive Rolle spielen kann, bedeutet für das Subjekt nichts. Man kann nicht in einem epistemisch re-

 Dies ist eine vorläufige, vereinfachte Konklusion. Später wird verdeutlicht, dass die theoretische Konstellation an diesem Punkt hoch kompliziert ist.  „[…] so wie selbst zwischen einem Bewußtsein und dem völligen Unbewußtsein (psychologischer Dunkelheit) immer noch kleinere stattfinden; daher keine Wahrnehmung möglich ist, welche einen absoluten Mangel bewiese, z. B. keine psychologische Dunkelheit, die nicht als ein Bewußtsein betrachtet werden könnte, welches nur von anderem, stärkerem überwogen wird, und so in allen Fällen der Empfindung“ (Prol 4:307).

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

levanten Sinn sagen, dass das Subjekt diesen Zustand ‚hat‘.⁵⁵ Daher kann man bei der folgenden Überlegung diese Variante außer Acht lassen. In der Variante (1) kann das Haben einer Vorstellung als eine Fähigkeit der Seele betrachtet werden, bestimmte gespeicherte Informationen bei Bedarf zur Verfügung zu stellen. Diese Lesart wird fortan als ‚dispositionale Lesart‘ bezeichnet. Im Gegensatz dazu wird mit der oben vorgeschlagenen Lesart die Ansicht vertreten, dass das Haben einer Vorstellung gerade den Zugriff auf den Gehalt der Vorstellung bedeute. Diese Lesart wird weiterhin als ‚okkurente Lesart‘ bezeichnet. Die Frage ist nun, wie zwischen diesen beiden Lesarten entschieden werden kann. Der Sinn des Habens einer Vorstellung in (1) kann meines Erachtens weder der Sinn des Habens einer Vorstellung in der Definition der dunklen Vorstellungen sein noch als eine Möglichkeit in dem Sinn des Habens einer Vorstellung in der Definition der dunklen Vorstellungen enthalten sein. Diese Definition lässt sich wie folgt herausarbeiten: [Def. DV] Eine Vorstellung ist dunkel, wenn ‚ich‘ ‚sie‘ habe, aber ‚mir‘ ihrer unmittelbar nicht bewusst bin.⁵⁶ Wenn der Ausdruck ‚wenn ich sie habe‘ dem Sinn ‚wenn sie irgendwie in einer Seele gespeichert ist‘ entsprechen oder diesen als eine Möglichkeit enthalten würde, müsste der Begriff der dunklen Vorstellung zu weit gefasst werden. Dieser würde dann auch die Vorstellungen im Gedächtnis miteinschließen. Das aber ist problematisch: ‚Ich‘ habe zu jeder Zeit unzählige Vorstellungen im Gedächtnis. Natürlich bin ‚ich‘ ‚mir‘ dieser nicht unmittelbar bewusst, weil ‚ich‘ ‚mir‘ nicht jederzeit jeder Vorstellung im Gedächtnis bewusst sein kann. Diese als dunkle Vorstellungen zu thematisieren, hat jedoch keine große theoretische Bedeutung.⁵⁷

 Kant deutet in B414 Anm. an, dass es völlig unbewusste Vorstellungen gibt. Dies steht mit der Stelle in Prol 4:307 in Konflikt. Allerdings muss man in diesem Kontext erwähnen, dass Kant in Prol 4:307 genauer gesagt die Existenz der psychologisch unbewussten Vorstellungen ausschließt, während er in B414 Anm. logisch (völlig) unbewusste Vorstellungen andeutet. Diese können psychologisch bewusst sein, d. h., sie können immer noch einen kausalen Einfluss auf die Triebe oder Gefühle ausüben. Mit dem Gegensatz „psychologisch“ und „logisch“ unterscheidet Kant kausale bzw. physiologische Vorgänge von regelgeleiteten bzw. rationalen Vorgängen des Gemüts (siehe DfS 2:59 – 60, V-Lo/Pölitz 24:536).  Siehe UD 2:290; Anth 7:135; Log 9:33; Refl 15:665; Refl 18:332; V-Lo/Blomberg 24:119, 409; V-Lo/ Pölitz 24:510; V-Lo/Busolt 24:616.  Kant bezeichnet übrigens die Vorstellungen im Gedächtnis selten als dunkel. Eine einzige Stelle scheint dieser Beobachtung zu widersprechen: „Wenn wir einer Sache erinnern so ziehen wir die dunkle [sic!] Vorstellungen in der Sache hervor und machen sie klar“ (V-Anth/Mron

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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Die obige Interpretation würde dann auch die vergessenen Vorstellungen miteinschließen, die zwar im Gemüt, aber nicht ins Gedächtnis zurückzurufen sind. Diese als dunkle Vorstellung kennzuzeichnen, ist ebenfalls theoretisch irrelevant. Die okkurente Lesart liefert eine passendere Interpretation der Definition: Eine Vorstellung ist dunkel, wenn sie zwar ihre kognitive Wirkung ausübt, ‚ich‘ ‚mir‘ ihrer aber nicht bewusst bin. Diese Interpretation kann eine Auffälligkeit des letzten Nebensatzes der obigen Def. DV besser erklären. In diesem Nebensatz sagt Kant wohlgemerkt nicht, dass das Subjekt sich einer dunklen Vorstellung nicht unmittelbar bewusst sein kann. Der Nebensatz drückt eher, konform mit der okkurenten Lesart, eine Art der Aktualität als eine Modalität aus: ‚Zu der Zeit, als diese Vorstellung ihre kognitive Rolle spielt, bin „ich“ „mir“ ihrer nicht bewusst‘. Diese Darstellung stimmt mit Kants Beispielen der dunklen Vorstellungen weitgehend überein. Zudem kann eine Stelle in Kants früheren Schriften die okkurente Lesart belegen: Dunkle Vorstellungen sind diejenigen, deren man sich nicht bewußt ist. […] Hier ist das Bewußtsein von zwiefacher Bedeutung. Man ist sich entweder einer Vorstellung nicht bewußt, daß man sie habe, oder, daß man sie gehabt habe. Das erstere bezeichnet die Dunkelheit der Vorstellung, so wie sie in der Seele ist; das zweite zeigt weiter nichts an, als daß man sich ihrer nicht erinnere. (UD 2:290, H. d. V.)

Aus dem hervorgehobenen Satz wird deutlich, dass das Haben einer Vorstellung offenbar ein mentales Ereignis ist, nicht aber ein bloßer Zustand in dem Sinne, dass die Vorstellung in der Seele irgendwie gespeichert ist und zur weiteren Verfügung bereitsteht. Wenn dieses Ereignis nach der Definition nicht das (apperzeptive) Bewusstsein der Vorstellung ist, dann kann es nur der (nicht-apperzeptive) kognitive Zugriff des Erkenntnisvermögens auf den Gehalt der Vorstellung sein.⁵⁸ Anders gesagt bedeutet das, man ‚hat‘ eine Vorstellung genau dann, wenn sie gerade im Erkenntnisprozess zur Geltung kommt. Damit lässt sich die fragliche Aktualität im letzten Nebensatz der Def. DV wie folgt erklären: Es ist irrelevant, ob 25:1221). Es sollte jedoch beachtet werden, dass es hier nicht unbedingt darum geht, die Vorstellungen im Gedächtnis durch das Erinnern klar zu machen. Vielmehr könnte diese Stelle bedeuten, dass das Subjekt, wenn es sich an eine Sache erinnert, dabei auf die früher nicht beachteten dunklen Details achtet und diese Details nunmehr klar macht.  Für das apperzeptive und das nicht-apperzeptive Bewusstsein siehe Liang 2017. Ein Bewusstsein ist genau dann nicht-apperzeptiv, wenn es die Vorstellung des Ich nicht enthält. Dieser Fall kann auf zweierlei Weise auftreten: 1) Das Subjekt des Bewusstseins hat nicht die Fähigkeit der Apperzeption; 2) das Subjekt des Bewusstseins hat die Fähigkeit der Apperzeption, die Vorstellung wird jedoch faktisch nicht von der Apperzeption begleitet – d. h., sie ist eine dunkle Vorstellung. Fortan werden die beiden Sinne des Ausdrucks ‚nicht-apperzeptiv‘ nicht explizit unterschieden, denn sie sind je nach Kontext leicht zu bestimmen.

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der Inhalt der Vorstellung vor oder nach dem Zugriff irgendwie bewusst werden kann oder nicht – was zählt, ist lediglich, ob er während des Zugriffs bewusst ist. Kant will vermutlich damit nicht die Möglichkeit ausschließen, dass man sich der dunklen Vorstellungen irgendwie – z. B. durch bestimmte Aktionen, die eine bewusstseinstheoretische Konsequenz haben – unmittelbar bewusst wird. Die dunklen Vorstellungen sind damit nicht nur diejenigen, derer man sich wegen ihres Charakters nicht unmittelbar bewusst sein kann, wenn sie gerade ihre Wirkung ausüben. Die Vorstellungen, derer man sich nur zufällig nicht bewusst ist, wenn sie gerade ihre Wirkung ausüben, können ebenfalls als dunkel bezeichnet werden. Diese Überlegung kann dadurch bestätigt werden, dass Kant es erlaubt, dass der Wechsel der Aufmerksamkeit und die begriffliche Analyse eine dunkle in eine klare Vorstellung überführen. Als Konklusion lässt sich festhalten, dass die ‚gehabten‘ Vorstellungen nicht die lediglich ‚gespeicherten‘ Vorstellungen sind, sondern diejenigen, die gerade ihre kognitive Rolle spielen – d. h. diejenigen, auf die im kognitiven Prozess zugegriffen wird.

1.4.2 Was heißt es, sich einer Vorstellung bewusst zu sein? Der Definition der dunklen Vorstellungen zufolge ist man sich der dunklen Vorstellungen nicht bewusst. Wie lässt sich dieses Bewusstsein, an dem es hier mangelt, charakterisieren? Meines Erachtens ist es ein Bewusstsein des Vorstellungszustands, also eine Vorstellung höherer Ordnung. Zuerst werde ich einige Textbelege für diese Position anführen und dann zeigen, warum dieses Bewusstsein, welches den dunklen Vorstellungen fehlt, nicht bloß ein Bewusstsein des Gehalts der Vorstellung ist.⁵⁹

1.4.2.1 Das fehlende Bewusstsein in der dunklen Vorstellung Das fehlende Bewusstsein in der dunklen Vorstellung ist eine Vorstellung höherer Ordnung. Es handelt sich bei diesem, genauer gesagt, um eine Vorstellung des Vorstellungsakts oder des repräsentationalen Zustands des Gemüts.⁶⁰ Kant expliziert diesen Punkt zwar nicht, deutet ihn aber an mehreren Textstellen aus verschiedenen Zeiten an:

 Für Näheres siehe Liang 2017.  Über diese Äquivalenz siehe Abschnitt 2.4.

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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Wenn ich weit von mir auf einer Wiese einen Menschen zu sehen mir bewußt bin, ob ich gleich seine Augen, Nase, Mund u.s.w. zu sehen mir nicht bewußt bin, so schließe ich eigentlich nur, daß dies Ding ein Mensch sei […]. (Anth 7:135, H. d. V.) Man ist sich entweder einer Vorstellung nicht bewußt, daß man sie habe, oder, daß man sie gehabt habe. Das erstere bezeichnet die Dunkelheit der Vorstellung, so wie sie in der Seele ist; das zweite zeigt weiter nichts an, als daß man sich ihrer nicht erinnere. (UD 2:290, H. d.V.) [S]ich einer […] Vorstellung bewust seyn, ist: wißen, daß man diese Vorstellung hat. (Refl 16:80, H. d. V.)

Kant verknüpft zudem dieses fehlende Bewusstsein mit dem inneren Sinn:⁶¹ Ein dunkler Begrif ist nicht der, dessen wir uns nicht bewust sind sondern dessen wir uns nicht unmittelbar bewust sind, dessen wir durch Schlüsse uns bewust werden können; aber nicht durch den innern Sinn. (V-Lo/Philippi 24:410)

Da der innere Sinn als Vermögen für die empirische Vorstellung des eigenen Zustandes⁶² definiert wird,⁶³ bestätigt das obige Zitat, dass das fehlende Bewusstsein der dunklen Vorstellung eine Vorstellung des eigenen mentalen Zustands ist. Der innere Sinn ist, wie in Abschnitt 1.6 argumentiert, unzertrennlich mit der reinen Apperzeption verbunden. Beide sind Aspekte der Apperzeption tout court. Daher kann gedeutet werden, dass das Bewusstsein, das eine dunkle Vorstellung zu einer klaren Vorstellung macht, die Apperzeption tout court ist. Diese ist ein implizites empirisches Bewusstsein der Vorstellung erster Ordnung, welche wiederum ein (repräsentationaler) Zustand des Subjekts ist. Diese Interpretation lässt sich mit den folgenden Zitaten belegen: Diejenige Vorstellung, der wir uns durch die apperception bewust seyn, ist klar. (V-Met-L2/ Pölitz 28:84) Alle Vorstellungen müssen in Verhaltnis zu einem Bewustseyn und also als der Einheit des Bewustseyns allgemein unterworfen vorgestellt werden (dieses Verhaltnisses zum Bewustseyn sind wir uns nicht immer bewust, und denn ist die Vorstellung dunkel, aber gleichwohl immer mit diesem Bewustseyn verglichen). (R5708, Refl 18:332, 1780 – 1789)⁶⁴

   

Für eine detailliertere Behandlung dieser These siehe Liang 2020. Im Kontext der KrV: des eigenen repräsentationalen Zustands. Siehe Kapitel 2. Das Wort „Bewustseyn“ bedeutet in dem Kontext die Apperzeption tout court.

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1.4.2.2 Das Bewusstsein in der dunklen Vorstellung Bei der obigen Auffassung handelt es sich um eine relativ anspruchsvolle These. Sie besagt, dass das Bewusstsein, welches dunklen Vorstellungen fehlt, Kants Definition zufolge eine Vorstellung des Vorstellungszustands ist, d. h. eine Vorstellung höherer Stufe. Dies hat eine starke Implikation: Die dunkle Vorstellung ist deswegen dunkel, weil eine solche Vorstellung höherer Stufe fehlt, nicht weil man sich des Gehalts der dunklen Vorstellung nicht unmittelbar bewusst ist. Es lassen sich folglich zwei Arten von Bewusstsein unterscheiden: die erste als Vorstellung des eigenen repräsentationalen Zustands und die zweite als Vergegenwärtigung des Vorstellungsgehalts in diesem Zustand.⁶⁵ Zur Verteidigung der vorgeschlagenen Lesart müsste demnach bewiesen werden, dass man sich des Gehalts der dunklen Vorstellung unmittelbar bewusst sein kann. Dies mag zwar befremdlich klingen, ist aber in der Tat gerade das, was Kant behauptet. Um dies deutlich werden zu lassen, empfiehlt es sich, eine äußerst wichtige Passage im Paralogismen-Kapitel genauer zu untersuchen: Klarheit ist nicht, wie die Logiker sagen, das Bewußtsein einer Vorstellung; denn ein gewisser Grad des Bewußtseins, der aber zur Erinnerung nicht zureicht, muß selbst in manchen dunkelen Vorstellungen anzutreffen sein, weil ohne alles Bewußtsein wir in der Verbindung dunkeler Vorstellungen keinen Unterschied machen würden, welches wir doch bei den Merkmalen mancher Begriffe (wie der von Recht und Billigkeit und des Tonkünstlers, wenn er viele Noten im Phantasiren zugleich greift) zu thun vermögen. Sondern eine Vorstellung ist klar, in der das Bewußtsein zum Bewußtsein des Unterschiedes derselben von andern zureicht. Reicht dieses zwar zur Unterscheidung, aber nicht zum Bewußtsein des Unterschiedes zu, so müßte die Vorstellung noch dunkel genannt werden. Also giebt es unendlich viele Grade des Bewußtseins bis zum Verschwinden. (B414– 415 Anm., H. d. V.)

Laut dieser Passage kommt auch manchen dunklen Vorstellungen ein zumindest schwaches Bewusstsein zu. Ein so geartetes Bewusstsein ist von dem zu unterscheiden, durch das eine dunkle Vorstellung klar wird. Ich bezeichne das letztere fortan als ‚Bewusstsein1‘ und das erstere als ‚Bewusstsein2‘. Worin unterscheiden sich die beiden Arten des Bewusstseins voneinander? Bevor wir uns dieser Frage im Detail widmen, begnügen wir uns zunächst mit der folgenden Beobachtung, die unmittelbar aus der obigen Passage folgt: Die beiden Arten des Bewusstseins unterscheiden sich in den folgenden Hinsichten:

 Siehe Mohr 1991, Kap. V.2 und S.119 – 120.

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1. Verbreitung: Das Bewusstsein1 begleitet jede klare Vorstellung. Das Bewusstsein2 begleitet nur manche der dunklen Vorstellungen. 2. Grad: Das Bewusstsein2 ist schwächer als das Bewusstsein1. 3. Ontologischer Charakter: Das Bewusstsein1 ist eine Vorstellung höherer Stufe und steht in engem Zusammenhang mit dem inneren Sinn. Daraus lässt sich ableiten, dass das Bewusstsein2 keine solche Vorstellung ist, weil es die dunklen Vorstellungen ohne Bewusstsein1 begleitet. 4. Kognitive Funktion: Das Bewusstsein2 ermöglicht es dem Gemüt, die von ihm begleitete Vorstellung von anderen Vorstellungen zu unterscheiden. Das Bewusstsein1 hat nicht nur diese Funktion. Es ermöglicht außerdem, dass sich das Gemüt des Unterschieds der von dem Bewusstsein1 begleiteten Vorstellung von anderen Vorstellungen bewusst wird.⁶⁶

1.4.3 Die kognitive Funktion des Bewusstseins: Unterscheidung und Bewusstsein des Unterschieds Kant verbindet die kognitive Funktion der Unterscheidung generell eng mit dem Bewusstsein. Zuweilen machen Kants Ausführungen den Eindruck, dass das Bewusstsein und das Unterscheidungsvermögen identisch sind: sich einer […] Vorstellung bewust seyn, ist: wißen, daß man diese Vorstellung hat; das heißt: diese Vorstellung von den andern unterscheiden. (Refl 16:80)

Dieser Eindruck ist jedoch trügerisch. Der Begriff des Bewusstseins1, das bei der klaren Vorstellung vorhanden ist, schließt jedenfalls neben dem Unterscheidungsakt auch das Bewusstsein des Vorstellungsgehalts mit ein: Alle Klarheit ist entweder absolute (innere) oder relative (außere) Klarheit. Jene ist das Bewustseyn der Vorstellung an sich selbst, diese das Bewustseyn ihres Verhaltnißes (der identitaet und diversitaet) in der Vergleichung mit andern. (Refl 16:84)

 Für Näheres hierzu siehe Liang 2017. Kant hält nicht immer an diesem kognitiven Unterschied der beiden Arten des Bewusstseins fest: „Das Bewußtsein seiner Vorstellungen, welches zur Unterscheidung eines Gegenstandes von anderen zureicht, ist Klarheit“ (Anth 7:137). Hier folge ich der KrV.

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Nun können wir zur eigentlichen Frage übergehen, wie genau die kognitive Funktion der beiden Arten des Bewusstseins hinsichtlich des Unterscheidungsakts zu charakterisieren ist. Dazu gibt eine oft zitierte Passage aufschlussreiche Hinweise: Ich gehe noch weiter und sage: es ist ganz was anders Dinge von einander unterscheiden und den Unterschied der Dinge erkennen. Das letztere ist nur durch Urtheilen möglich und kann von keinem unvernünftigen Thiere geschehen. Folgende Eintheilung kann von großem Nutzen sein. Logisch unterscheiden, heißt erkennen, daß ein Ding A nicht B sei, und ist jederzeit ein verneinendes Urtheil, physisch unterscheiden, heißt, durch verschiedene Vorstellungen zu verschiedenen Handlungen getrieben werden. Der Hund unterscheidet den Braten vom Brote, weil er anders vom Braten, als vom Brote gerührt wird (denn verschiedene Dinge verursachen verschiedne Empfindungen), und die Empfindungen vom erstern ist ein Grund einer andern Begierde in ihm als die vom letztern, der natürlichen Verknüpfung seiner Triebe mit seinen Vorstellungen. Man kann hieraus die Veranlassung ziehen, dem wesentlichen Unterschiede der vernünftigen und vernunftlosen Thiere besser nachzudenken. Wenn man einzusehen vermag, was denn dasjenige für eine geheime Kraft sei, wodurch das Urtheilen möglich wird, so wird man den Knoten auflösen. Meine jetzige Meinung geht dahin, daß diese Kraft oder Fähigkeit nichts anders sei als das Vermögen des innern Sinnes, d. i. seine eigene Vorstellungen zum Objecte seiner Gedanken zu machen. Dieses Vermögen ist nicht aus einem andern abzuleiten, es ist ein Grundvermögen im eigentlichen Verstande und kann, wie ich dafür halte, blos vernünftigen Wesen eigen sein. Auf demselben aber beruht die ganze obere Erkenntnißkraft. (DfS 2:59 – 60)⁶⁷

Das logische Unterscheiden als Erkennen des Unterschieds der Vorstellungen ist, seiner Definition zufolge, synonym zum „Bewusstsein des Unterschieds“ in B414, welches durch das Bewusstsein1 ermöglicht wird. In dieser Passage stellt Kant es dem psychologischen Unterscheiden gegenüber. Dies ist lediglich die kausale physiologische Verknüpfung zwischen den Vorstellungen und körperlichen Handlungen, die als solche keinen echten spontanen Unterscheidungsakt voraussetzt. Im Gegensatz dazu ist das logische Unterscheiden das Erkennen des Unterschieds, welches lediglich „durch Urteilen“ möglich ist. Die Fähigkeit des Urteilens setzt der obigen Passage zufolge wiederum voraus, dass man „seine eigenen Vorstellungen zum Objecte seiner Gedanken“ (DfS 2:59 – 60) machen kann. Diese Fähigkeit zur Vorstellung höherer Ordnung ist gerade das Bewusstsein1, weil dieses, wie bereits ausgeführt, eine Vorstellung des eigenen repräsentationalen Zustands ist. Aus dieser Überlegung ergibt sich, dass das Bewusstsein1 deswegen das Bewusstsein des Unterschieds der Vorstellung erlaubt, weil es als Vorstellung höherer Ordnung die Fähigkeit des Urteils ermöglicht. Das Bewusst Für eine Analyse dieser Passage siehe Grüne 2009, S. 86.

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sein1 muss somit eng mit der Verstandeshandlung zusammenhängen. Diese These kann zusätzlich durch weitere Textbelege unterstützt werden: Da das Bewußtsein die wesentliche Bedingung aller logischen Form der Erkenntnisse ist: so kann und darf sich die Logik auch nur mit klaren, nicht aber mit dunkeln Vorstellungen beschäftigen. (Log 9:33)⁶⁸

Die logische Form der Erkenntnisse ist nichts anderes als die Form der Urteile und der Schlüsse. Die Urteile und Schlüsse sind wiederum die Funktion des Verstandes und der Vernunft. Wenn nun das Bewusstsein die wesentliche Bedingung aller logischen Formen der Erkenntnisse ist, dann ist es eine Bedingung der Funktion des Verstandes und der Vernunft. Die im obigen Zitat erwähnte Art des Bewusstseins ist offenbar die Bedingung der Verstandes- und Vernunfthandlung. Dieses Bewusstsein ist aus dem folgenden Grund gerade das klaren Vorstellungen zukommende Bewusstsein1: Die Logik, in welcher die Form des Verstandes und der Vernunft erforscht und in welcher das erstere Bewusstsein vorausgesetzt wird, beschäftigt sich „nur mit klaren, nicht aber mit dunklen Vorstellungen“ (Log 9:33). Somit besteht die kognitive Funktion des Bewusstseins1 darin, Verstandes- und Vernunfthandlungen zu ermöglichen, wohingegen das Bewusstsein2 diese Funktion nicht hat, weil es keine Vorstellung des eigenen Denkakts ist.

1.4.4 Vorstellungen und Bewusstsein Es stellt sich weiterhin die Frage, ob es unbewusste Vorstellungen gibt. Diese Frage ist deswegen relevant, weil sie entscheidend dafür ist, Vorstellungen ontologisch vom Bewusstsein zu unterscheiden. Vor dem weiteren Vorgehen sollte angemerkt werden, dass Kant, entgegen der Meinung einiger Kommentatoren, sehr selten mit dem Begriff ‚unbewusste Vorstellung‘ operiert.⁶⁹ Noch seltener verbindet er ‚unbewusst‘ mit ‚dunkel‘. Daher muss nachgewiesen werden, dass Kant wirklich glaubt, dass es Vorstellungen gibt, die von keinem Bewusstsein begleitet werden.

 Ähnliche Belege sind z. B. „denn alle Handlungen des Verstandes und der Vernunft sind nur in sofern möglich, als man sich seiner selbst bewußt ist“ (V-Met-L1/Pölitz 28:276). „Alle klaren Vorstellungen, auf die sich allein die logischen Regeln anwenden lassen, […]“ (Log 9:34).  Kitcher (2012, S.14) verwendet z. B. die Begriffe ‚unbewusst‘ und ‚dunkel‘ fast synonym. Heidemann (2012) operiert mit dem Begriff ‚unbewusste Vorstellung‘, ohne zu erklären, wie er Kants Begriff des Bewusstseins versteht.

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Viele Kommentatoren sehen den Bewusstseinsaspekt des Geistes eng mit dem repräsentationalen Aspekt verbunden. Dieses Verhältnis wird in vier Varianten benannt, die von verschiedenen Kommentatoren vertreten werden: (1) Die mögliche Begleitung der Vorstellung des ‚Ich denke‘ ist eine notwendige Bedingung dafür, dass ein mentaler Zustand eine Vorstellung ist. (2) Die aktuale Begleitung der Vorstellung des ‚Ich denke‘ ist eine notwendige Bedingung dafür, dass ein mentaler Zustand eine Vorstellung ist. (3) Die aktuale Begleitung des Bewusstseins ist eine notwendige Bedingung dafür, dass ein mentaler Zustand eine Vorstellung ist. (4) Die mögliche Begleitung des Bewusstseins ist eine notwendige Bedingung dafür, dass ein mentaler Zustand eine Vorstellung ist. Im Folgenden wird argumentiert, dass es sich bei der ersten und der dritten These um Fehlinterpretationen handelt. Die zweite ist eine stärkere Version der ersten These, die durch die Widerlegung der ersten These automatisch zurückgewiesen werden kann. Es muss an dieser Stelle noch angemerkt werden, dass die Befürworter der dritten These eigentlich meinen, dass die aktuale Begleitung des wirklichen Bewusstseins eine notwendige Bedingung für den Vorstellungstatus sei. Ob dieses Bewusstsein die transzendentale Apperzeption in irgendeiner Form enthalten muss, ist für einige von ihnen eine offene Frage. Daher ist die dritte These eine von der ersten und der zweiten unabhängige These und muss als solche separat behandelt werden. Die erste These ist in der Tat als eine Paraphrasierung des zweiten Satzes des Apperzeptionsprinzips aufzufassen. Laut Allison seien Vorstellungen ohne die aktuale Begleitung der transzendentalen Apperzeption zwar möglich, aber ohne die mögliche Begleitung der transzendentalen Apperzeption blieben sie ohne Objektbezug, ohne „representational value“ und verborgen „in the inmost recesses of the mind“ (Alison 1983, S. 146),⁷⁰ also seien sie epistemisch ‚nichts für uns‘. In einer noch stärkeren Lesart könnten mentale Zustände ohne mögliche Begleitung der transzendentalen Apperzeption keine repräsentationalen Zustände sein, sondern bildeten nur „undifferentiated subjective affects“ (Pippin

 Schulting (2012, S. 282) tendiert jedoch dazu, Allison als Vertreter der stärkeren Variante der These (1) zu lesen. Siehe auch Beiser 2002, S. 156; Kitcher 1984, S. 116 – 117.

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1982, S. 38 – 39).⁷¹ Das heißt, die Möglichkeit der Begleitung der transzendentalen Apperzeption sei die notwendige Bedingung der Vorstellung tout court. ⁷² Tatsächlich findet man für diese Position den folgenden Textbeleg: Wir sind uns a priori der durchgängigen Identität unserer selbst in Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserem Erkenntniß jemals gehören können, bewußt, als einer nothwendigen Bedingung der Möglichkeit aller Vorstellungen (weil diese in mir doch nur dadurch etwas vorstellen, daß sie mit allem andern zu einem Bewußtsein gehören, mithin darin wenigstens müssen verknüpft werden können). (A116, H. d. V.)

Die erste Ansicht schränkt den „representational value“ jedoch zu stark ein. Demnach ist eine Vorstellung für uns genau dann kognitiv relevant und wertvoll, wenn sie mit anderen Vorstellungen nach den Kategorien unter der Einheit der Apperzeption geordnet werden und eine genuine Objekterkenntnis ermöglicht. Wie einigen Passagen aus Kants Opus entnommen werden kann (Br 11:52, V-MetL1/Pölitz 28:277),⁷³ spricht er bei einem nicht-apperzeptiven Gemüt von assoziativen Verbindungen der Vorstellungen, die das Gefühl oder das Verhalten beeinflussen können. Solche assoziativen Verbindungen sind natürlich von einer genuinen Erkenntnis weit entfernt. Dennoch kann nicht gesagt werden, dass sie keinen repräsentationalen oder epistemischen Wert haben, denn schließlich spiegeln sie die Regelmäßigkeit der Natur wider, wenn auch in einer unzuverlässigen Weise.⁷⁴ Zudem erkennt Kant Tieren explizit die Fähigkeit zu, Vorstellungen zu bilden, wie in Abschnitt 1.3 bereits argumentiert. Es gibt keinen zwingend Grund, auszuschließen, dass auch bei einem erkennenden Subjekt, wie dem menschlichen Gemüt, unter bestimmten Umständen kategorial unbestimmte Vorstellungen in primitiven, nicht-apperzeptiven Verbindungen stehen und eine Wirkung auf andere ‚Geistesmodule‘ ausüben.⁷⁵ Was die stärkere Variante angeht, so spricht neben obigen Punkten auch die Definition der Vorstellung als „Bestimmung der Seele, die sich auf andere Dinge bezieht“ (Refl 16:76 f.) bzw. als „etwas [in ‚meiner‘ Seele], was mit der vorgestellten Sache eine Ähnlichkeit hat“ (LB, S. 30) gegen sie. Die Bedingung dafür, eine Vorstellung zu sein, ist gemäß dieser Definition nicht voraussetzungsvoll und kann somit von einer „gedan-

 Siehe auch Kitcher 2011, S. 141.  Schulting 2012, S. 282, 291.  Für Näheres siehe Fisher 2017, Kapitel 4.  Valaris zufolge (2017, S. 23) brächten solche rein assoziativen Verbindungen sogar „some degree of objective reference“ mit sich. Allerdings würde Kant dieser Meinung nicht zustimmen (Br 11:51– 52).  Hoppe (1983, Abschnitt 14) behauptet im Endeffekt dies.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

kenlosen Anschauung“ (A111) ohne Weiteres erfüllt werden.⁷⁶ Nach der B-Version des Apperzeptionsprinzips ist eine Vorstellung ohne mögliche Begleitung des ‚Ich denke‘ ‚nichts für mich‘. Dies schließt nicht aus, dass sie eine Vorstellung ‚für sich‘ ist.⁷⁷ Der Gegenstand einer Vorstellung braucht nicht unbedingt ein kategorial bestimmtes Objekt zu sein, sondern ein simples ‚irgendetwas‘.⁷⁸ Kurz gesagt ist die Vorstellung eine mentale Entität,⁷⁹ die unabhängig von der transzendentalen Apperzeption einen repräsentationalen Gehalt haben kann. Transzendentale Apperzeption verleiht den Vorstellungen eher einen Bezug auf ein kategorial bestimmtes Objekt als den Status der Vorstellung.⁸⁰ Was die dritte These angeht, steht zunächst fest, dass Kant das Bewusstsein und die Vorstellung begrifflich eindeutig trennt. In der Stufenleiter deutet Kant an, dass es Vorstellungen ohne Bewusstsein gibt: „Die Gattung ist Vorstellung überhaupt (repraesentatio). Unter ihr steht die Vorstellung mit Bewußtsein (perceptio)“ (A320/B376). Es gibt auch diverse andere Stellen, an denen Kant beide Begriffe klar voneinander trennt.⁸¹ In einer Vorlesung bezeichnet Kant beide gar als verschiedenartige mentale Größen.⁸² In einer Stelle der A-Deduktion mit zentraler Bedeutung merkt Kant an: Alle Vorstellungen haben eine nothwendige Beziehung auf ein mögliches empirisches Bewußtsein: denn hätten sie dieses nicht, und wäre es gänzlich unmöglich, sich ihrer bewußt zu werden. (A117 Anm., H. d. V.)

 Schulting (2012, S. 283) diagnostiziert bei dem Befürworter dieser Lesart „a confusion of existential (or psychological) and transcendental conditions“.  Siehe Kants Bemerkungen über die gedankenlose Anschauung in A111 und A119.  Vgl. Pippin 1982, S. 45.  Hier wird der Begriff Entität in einem weiten Sinne verwendet: „‘Thing’, in its most general sense, is interchangeable with ‘entity’ or ‘being’ and is applicable to any item whose existence is acknowledged by a system of ontology, whether that item be particular, universal, abstract, or concrete. In this sense, not only material bodies but also properties, relations, events, numbers, sets, and propositions are—if they are acknowledged as existing—to be accounted ‘things’“ (Lowe 2005, S. 915).  Siehe Klemme 1996, S. 196. Vgl. Schulting 2012, S. 288 ff.  „Nehmet nun nach der Analogie mit dergleichen Körpern Substanzen an, deren die eine der andern Vorstellungen sammt deren Bewußtsein einflößte, so wird sich eine ganze Reihe derselben denken lassen, deren die erste ihren Zustand sammt dessen Bewußtsein der zweiten, diese ihren eigenen Zustand sammt dem der vorigen Substanz der dritten und diese eben so die Zustände aller vorigen sammt ihrem eigenen und deren Bewußtsein mittheilte“ (A363 – 364 Anm., H. d. V.). Siehe auch A197/B242.  „Daher zwischen dem bestimmten Grade A bis zum 0 = Zero müßen sich eine unendliche Menge von Qualitaeten des realen finden, in einem, wenngleich unmerklichen Grade; z. E. das Wißen, Vorstellungen, ja selbst das Bewußtseyn des Menschen haben viele Grade, ohne daß man den kleinsten bestimmen kann“ (V-Met-K3/Arnoldt 29:1000).

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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Die Einschränkung „mögliches“ macht deutlich, dass die Vorstellung nicht unbedingt immer vom Bewusstsein begleitet wird. In B414 Anm. deutet Kant, wie bereits erwähnt, die Existenz völlig unbewusster Vorstellungen an: „denn ein gewisser Grad des Bewußtseins, der aber zur Erinnerung nicht zureicht, muß selbst in manchen dunkelen Vorstellungen anzutreffen sein“. Hier macht Kant deutlich, dass lediglich manche dunklen Vorstellungen von schwachem Bewusstsein begleitet werden. In Jäsche-Logik (Log 9:64), an einigen Parallelstellen zu dieser in Logik-Vorlesung (V-Lo/Blomberg 24:132; V-Lo/Pölitz 24:417; V-Lo/Wiener 24:846) und an einer Stelle in Reflexionen zur Logik präsentiert Kant eine weitere Rangordnung der Erkenntnis „in Ansehung des objectiven Gehaltes unserer Erkenntniß überhaupt“ (Refl 16:343). Die ersten vier Stufen sind dabei die folgenden: Der erste Grad der Erkenntniß ist: sich etwas vorstellen; Der zweite: sich mit Bewußtsein etwas vorstellen oder wahrnehmen (percipere); Der dritte: etwas kennen (noscere) oder sich etwas in der Vergleichung mit andern Dingen vorstellen sowohl der Einerleiheit als der Verschiedenheit nach; Der vierte: mit Bewußtsein etwas kennen, d. h. erkennen (cognoscere). Die Thiere kennen auch Gegenstände, aber sie erkennen sie nicht. (Log 9:64)

Die erste Stufe ist demnach Erkenntnis ohne Bewusstsein. Wohlgemerkt ist der vierten Stufe zufolge das in dieser Passage erwähnte Bewusstsein nicht das apperzeptive Bewusstsein des Menschen, sondern jenes, über das auch Tiere verfügen. Damit zeigt die erste Stufe, dass es durchaus unbewusste Vorstellungen gibt. Nun erwäge ich einige Einwände gegen die These, dass Kant die Existenz unbewusster Vorstellungen annimmt.⁸³ Generell nehmen Befürworter dieser Auffassung an, dass die aktuale Begleitung des Bewusstseins eine notwendige Bedingung dafür sei, dass ein mentaler Zustand überhaupt eine Vorstellung sei.⁸⁴ Guyer behauptet, „[that] representations just are impingements on consciousness, and thus cannot exist except as states of consciousness, is incontestable“ (Guyer 1980, S. 209). Die Vorstellung wird demnach als eine Form des Bewusstseins klassifiziert. Schulting behauptet, „a perception is the minimally instantiatable form of representation for a mind such as ours“ (Schulting 2012, S. 288).

 Neben den unten behandelten Einwänden von Schulting und Deppermann siehe auch Ferraris 2004, zitiert nach: La Rocca 2008, S. 47.  Der Begriff des Bewusstseins ist hier weit gefasst. Er schließt sowohl das apperzeptive als auch das schwache Bewusstsein in B414 Anm. mit ein.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Es gebe keine „actual representations with no intensity of consciousness“ (Schulting 2012, S. 293). Schulting stützt seine Position auf zwei Stellen in den Antizipationen der Wahrnehmung (Schulting 2012, S. 291). Dort behauptet Kant, dass die Empfindung als Material der Wahrnehmung, abstrahiert von der extensiven Größe der Wahrnehmung, immer einen intensiven Grad hat (B207 f., A167/ B209 f., siehe auch B414). Bei der Apprehension der Empfindung wird sozusagen durch Affektion des inneren Sinnes ein empirisches Bewusstsein eines bestimmten Grades bewirkt (A176/B218). Dieser Grad kann von null bis zu einer „beliebige[n] Größe“ (B208) oder umgekehrt variieren, wobei der Grad null gerade einen „Mangel“ der Empfindung oder „nichts“ darstellt, also die Negation der Empfindung ist (B209). Daraus zieht Schulting folgenden Schluss: „any sensation is necessarily (empirically) consciously apprehended, as consciousness is the measure of intensity“ (2012, S. 291). Schulting glaubt, dass es keine sinnliche Vorstellung gebe – sei sie apperzeptiv und objektiv gültig oder nicht-apperzeptiv und lediglich subjektiv gültig –, die von keinem Bewusstsein begleitet werde.⁸⁵ Bei genauer Betrachtung ist Schultings Darstellung jedoch unzutreffend. Betrachten wir eine Stelle in der B-Auflage des Antizipationen-Kapitels: Nun ist vom empirischen Bewußtsein zum reinen eine stufenartige Veränderung möglich, da das Reale desselben ganz verschwindet, und ein bloß formales Bewußtsein (a priori) des Mannigfaltigen im Raum und Zeit übrig bleibt: also auch eine Synthesis der Größenerzeugung einer Empfindung von ihrem Anfange, der reinen Anschauung =0, an bis zu einer beliebigen Größe derselben. (B208)

Hieraus lässt sich entnehmen, dass das Bewusstsein selbst nicht verschwindet, sondern zum „formal[en] Bewusstsein“ wird, wenn das Reale der Empfindung gänzlich verschwindet. In diesem Prozess variieren die Empfindungsqualitäten, also „Farben, Geschmack“ (A175/B217, B211), aber nicht das Bewusstsein selbst. Die Empfindungsqualitäten betrachtet Kant daher nicht als das Bewusstsein, welches diese Vorstellung begleitet, sondern als Gehalt der Vorstellung. Der Grund dafür wird deutlich, wenn Kants Terminologie der Wahrnehmung analysiert wird: Das Reale ist der „Gegenstand der Empfindung“ (B207) oder dasjenige, was mit „den Empfindungen überhaupt korrespondiert“ (A175/B217). Das Reale ist somit das Repräsentierte, während die Empfindung das Reale durch die Empfindungsqualitäten repräsentiert. Die Empfindungsqualitäten sind sozusagen das repräsentationale Vehikel (B211, A175/B217). Daher gehören sie für Kant zum repräsentationalen Gehalt der Vorstellung – nicht aber zu dem Bewusstsein, welches diese Vorstellung begleitet. Das Bewusstsein selbst fügt dem repräsenta-

 Schulting 2012, S. 291.

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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tionalen Gehalt der Vorstellung nichts hinzu: „Durchs Bewustseyn entspringt kein Bild, sondern man erkent es nur deutlich oder klar“ (Refl 15:291). Wenn Kant folglich von dem variierenden „Realen“ oder der „intensiv[en] Größe“ (B208) der Empfindung spricht, meint er damit nicht das Bewusstsein selbst, sondern die Qualität der Empfindung. Daher betrifft die Lehre der intensiven Größe der Empfindung im Antizipationen-Kapitel nicht das Bewusstsein selbst. Zugegebenerweise sind für Schultings Position anscheinend indirekte Textbelege in den Prolegomena zu finden: [A]llein es ist zwischen Realität (Empfindungsvorstellung) und der Null, d. i. dem gänzlich Leeren der Anschauung, in der Zeit doch ein Unterschied, der eine Größe hat, da nämlich zwischen einem jeden gegebenen Grade Licht und der Finsterniß, zwischen einem jeden Grade Wärme und der gänzlichen Kälte, jedem Grad der Schwere und der absoluten Leichtigkeit, jedem Grade der Erfüllung des Raumes und dem völlig leeren Raume immer noch kleinere Grade gedacht werden können, so wie selbst zwischen einem Bewußtsein und dem völligen Unbewußtsein (psychologischer Dunkelheit) immer noch kleinere stattfinden; daher keine Wahrnehmung möglich ist, welche einen absoluten Mangel bewiese, z. B. keine psychologische Dunkelheit, die nicht als ein Bewußtsein betrachtet werden könnte, welches nur von anderem, stärkerem überwogen wird, und so in allen Fällen der Empfindung. (Prol 4:307, siehe auch V-Met/Mron 29:834)

In dieser Passage scheint Kant die Existenz der psychologischen Dunkelheit oder des völligen „Unbewußtsein[s]“ komplett zu leugnen. Diese Stelle, die in § 24 der Prolegomena zu finden ist, ist jedoch kein Einwand gegen meine Interpretation. Der Abschnitt ist dem Kontext nach ersichtlich parallel zu den Antizipationen. Aus der obigen Analyse des Begriffs des formalen Bewusstseins in der B-Version des Antizipationen-Kapitels ist bekannt, dass Kants Rede von der graduellen Variation des empirischen Bewusstseins sehr irreführend ist, denn diese Variation betrifft nicht das Bewusstsein selbst. So könnte vermutet werden, dass die graduelle Variation des Bewusstseins in der obigen Passage in den Prolegomena eher auch die Variation der Empfindungsqualität bedeutet. Das zeigt sich deutlich im ersten Satz: „zwischen Realität (Empfindungsvorstellung) und der Null“. Es handelt sich hier also um eine ähnliche irreführende Formulierung, in der Kant nicht über das Bewusstsein selbst, sondern über die Empfindungsqualität redet, die mit dem Realen korrespondiert. Selbst wenn die Auffassung Schultings als richtig angesehen würde, ergäbe sich aus ihr eine Absurdität. Zu den dunklen Vorstellungen stellt Kant fest: Daß das Feld unserer Sinnenanschauungen und Empfindungen, deren wir uns nicht bewußt sind, ob wir gleich unbezweifelt schließen können, daß wir sie haben, d. i. dunkeler Vorstellungen im Menschen (und so auch in Thieren), unermeßlich sei, die klaren dagegen nur unendlich wenige Punkte derselben enthalten, die dem Bewußtsein offen liegen. (Anth 7:135)

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Wenn man keine Vorstellungen akzeptiert, die nicht vom Bewusstsein begleitet sind, oder das Verfügen über Vorstellungen gar als eine Variante des Bewusstseins betrachtet, dann muss gemäß diesem Zitat daraus geschlossen werden, dass eine Unmenge dunkler Vorstellungen von dem Bewusstsein begleitet ist. Dies ist jedoch insbesondere nicht plausibel hinsichtlich des Beispiels der Milchstraße, da es aussagen würde, dass ein schwaches Bewusstsein von jedem Stern im sichtbaren Bereich der Milchstraße vorhanden ist. Deppermann zufolge (2001, S. 135, 141) schließe Kant in denjenigen Abschnitten der Transzendentalen Deduktion, welche die These der transzendentalen Apperzeption behandeln, zweimal die Möglichkeit der unbewussten Vorstellungen aus: Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird. (B132) Alle Vorstellungen haben eine notwendige Beziehung auf ein mögliches empirisches Bewußtsein; denn hätten sie dieses nicht, und wäre es gänzlich unmöglich sich ihrer bewußt zu werden; so würde das sagen, sie existierten gar nicht. (A117 Anm.)

Auf den ersten Blick unterstützen beide Stellen die Behauptung Deppermanns: Wenn alle Vorstellungen notwendigerweise vom Bewusstsein begleitet werden, dann gibt es keine bewusstseinsunfähigen Vorstellungen. Bei näherer Betrachtung stellt sich Folgendes heraus: In den Passagen geht es um die Voraussetzung für die Meinigkeit der Vorstellungen.Wie bereits argumentiert wurde, sind ‚meine‘ Vorstellungen nur eine Teilmenge aller Vorstellungen in ‚mir‘. Die Zitate implizieren zwar, dass eine Beziehung auf das ‚Ich denke‘ oder auf „ein mögliches empirisches Bewußtsein“ (A117 Anm.) eine notwendige Bedingung für die Meinigkeit ist, aber über die Art dieser Beziehung macht Kant darin keine Aussage. Es kann sein, dass es lediglich nötig ist, dass das Subjekt sich indirekt einer bestimmten Vorstellung bewusst wird, z. B. durch Schlussfolgerung. Die Mittelbarkeit dieser Beziehung könnte schon für die Meinigkeit der Vorstellung ausreichen. So könnte es nämlich der Fall sein, dass die Mittelbarkeit oder Unmittelbarkeit der Beziehung keine Rolle spielt. Wichtig ist nur, ob sich diese Vorstellung durch die Kategorien in die Einheit der Apperzeption integrieren lässt. Dem Apperzeptionsprinzip (B131– 132) zufolge ist die Meinigkeit ‚meiner‘ Vorstellung dann gegeben, wenn sie von ‚mir‘ gedacht werden kann. Soweit man eine Vorstellung denken kann, also soweit man eine Vorstellung mit bewusstem Denken begleiten kann, ist es irrelevant, ob diese direkt oder indirekt erlangt wird. Eine Stelle in der A-Deduktion bestätigt die obige These:

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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Alle Anschauungen sind für uns nichts und gehen uns nicht im mindesten etwas an, wenn sie nicht ins Bewußtsein aufgenommen werden können, sie mögen nun direct oder indirect darauf einfließen, und nur durch dieses allein ist Erkenntniß möglich. (A116, H. d. V.)

Wenn die hier vertretene Auffassung richtig ist, stellt sich ferner die Frage, welche Rolle die völlig unbewussten Vorstellungen spielen. Sie müssen eine Rolle im gesamten Leben des Subjekts einnehmen können, damit behauptet werden kann, dass solche Vorstellungen überhaupt existieren. Die gesuchte Rolle kann dabei keine kognitive sein, denn eine solche setzt, wie bereits ausgeführt, das apperzeptive Bewusstsein voraus. Obwohl sich Kant hierzu nicht explizit geäußert hat, lässt sich plausiblerweise vermuten, dass die gesuchte Rolle in einem potenziellen kausalen Einfluss der unbewussten Vorstellung auf das Gefühl oder Verhalten des Subjekts zu finden ist (siehe die Beispiele in Anth 7:136 – 137). Zusammenfassend zeigt die vorherige Analyse, dass es Kant zufolge völlig unbewusste (im Sinne von nicht-bewusstseinsfähige) Vorstellungen gibt. Mithin müssen Vorstellungen und das Bewusstsein ontologisch voneinander unterschieden werden.

1.4.5 Dunkle Vorstellungen und die Begleitung des ‚Ich denke‘ Abschließend wird hier versucht, die Relation zwischen den dunklen Vorstellungen und der Begleitung des ‚Ich denke‘ näher zu erklären. Gemäß dem Apperzeptionsprinzip müssen alle ‚meine‘ Vorstellungen vom ‚Ich denke‘ begleitet werden können. Da das Ich sich auf ein numerisch identisches Subjekt beziehen soll, besagt das Prinzip, mit Kants Worten ausgedrückt, dass alle ‚meine‘ Vorstellungen unter der Einheit der Apperzeption stehen sollen. Nun stellt sich die Frage, ob die dunklen Vorstellungen auch ‚meine Vorstellungen‘ sind und ob sie auch unter der Einheit der Apperzeption stehen. In seiner detaillierten Abhandlung vertritt Heidemann eine weithin repräsentative Auffassung über den kognitiven Status der dunklen Vorstellungen: In Kant’s theory of representation having cognitive access means to be able to accompany representations with the “I think”; this implies bringing about logical structure among representations, i. e., logical unity in judgment. Hence obscure representations, although they might have an impact on our psychological life, are cognitively inaccessible to us for they are unconscious simpliciter such that we do not even know that we have them. (Heidemann 2012, S. 51)⁸⁶

 Siehe auch Schlicht und Newen 2015. Ameriks (2006, S. 58) vertritt eine ähnliche Meinung.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Laut Heidemann hätten dunkle Vorstellungen zwar eine psychologische Bedeutung, seien jedoch dem kognitiven Zugriff entzogen. Dies bedeutet, dass sie nicht durch das ‚Ich denke‘ begleitet werden können (sie sind also nicht-apperzeptiv).⁸⁷ Nicht-apperzeptive Vorstellungen setzt Heidemann wiederum mit unbewussten Vorstellungen gleich. Heidemanns Lesart ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Wie schon erwähnt, gibt es viele Möglichkeiten, dunkle Vorstellungen klar zu machen, etwa die Schlussfolgerung, den Wechsel der Aufmerksamkeit oder die Analyse. Besonders die letzten beiden Möglichkeiten zeigen, dass dunkle Vorstellungen keine Vorstellungen sind, die gar nicht apperzeptiv bewusst werden können. Dunkle Vorstellungen stehen somit unter der Einheit der Apperzeption und gehören zu ‚meinen‘ Vorstellungen.⁸⁸ Auch abgesehen von dem oben genannten indirekten Weg zur Klarheit ist man sich mancher dunklen Vorstellungen, einer Passage in B414 Anm. zufolge, schwach bewusst. Dieses Bewusstsein ermöglicht primitive, unterschwellige Unterscheidungsakte und die darauf basierenden einfachen kognitiven Handlungen (vgl. Beispiele B2 und B3). Folglich sind dunkle Vorstellungen weder kognitiv unzugänglich noch gänzlich unbewusst. Sie sind zwar unbewusst in dem Sinne, dass eine Vorstellung höherer Stufe fehlt. Das heißt, das Subjekt ist sich nicht bewusst, eine dunkle Vorstellung zu haben. Aber es ist manchmal dennoch ein schwaches Bewusstsein vorhanden, welches einen unterschwelligen kognitiven Zugriff auf den repräsentationalen Gehalt dieser Vorstellung ermöglicht.

 Auf ähnliche Weise behauptet Bondelin: „Die Frage, ob Vorstellungen klar oder dunkel sind, hängt bei Kant letztlich mit der Einheit oder Verbindung gegebener Vorstellungen zusammen. Nur unter der Einheit stehende, verbundene Vorstellungen sind klar, ermöglichen eine Differenz zu anderen Vorstellungen und damit auch den Bezug auf Gegenstände“ (Bondelin 2015:2572). Auch Ameriks behauptet: „The doctrine of transcendental apperception is to be understood as relevant only for those states that are at least not ‘nothing to me’ (B132, my emphasis)—and so, if in some sense there can be states that are in some subliminal way ‘in’ my mind (for example, as effective parts of my actual mental history) without also being ‘for’ or ‘to’ me, then one does not even have to consider whether these states are directly subject to a global transcendental apperception. […] For Kant, states like this could exhaust what crude brutes are allowed to have, and they might also coexist with other higher-level features in the more complex minds that human beings have“ (Ameriks 2006, S. 58).  Klemme 1996, S. 192. An manchen Stellen deutet Kant an, dass auch dunkle Vorstellungen zu Erkenntnissen gehören: „Es liegt also im Felde der dunkeln Vorstellungen ein Schatz, der den tiefen Abgrund der menschlichen Erkenntnisse ausmacht, den wir nicht erreichen können“ (VMet-L1/Pölitz 28:228). „Die dunkele Erkenntniß ist eine Erkentniß, so wie ein Bild ein Bild bleibt, welches in einem dunkeln Gemache ausgehängt worden. Ohne dunkele Erkenntniß würde auch keine klare seyn“ (Refl 16:322. Siehe auch Ref 16:324, 326).

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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1.4.6 Die Struktur des Bewusstseins im Apperzeptionsprinzip Hinter der Forderung einer möglichen Begleitung der Vorstellung des ‚Ich denke‘ im Apperzeptionsprinzip steckt eine Lehre bezüglich der Struktur des Bewusstseins, die leicht zu Missverständnissen führen kann. Betrachten wir die Passage IDB aus B131– 132 genau, so lassen sich folgende Beobachtungen anstellen: [TB1] ‚Meine‘ Vorstellung kann vom Bewusstsein begleitet werden. [TB2] Die reine Apperzeption ist ein Selbstbewusstsein, das in „allem [gesundmenschlichem] Bewusstsein“ nicht nur vorhanden, sondern auch „ein und dasselbe“ ist. (IDB 6) [TB3] Es ist die reine Apperzeption, die die Vorstellung des ‚Ich denke‘ gegebenenfalls hervorbringen kann. (IDB 6) Die These TB1 ist zwar nicht direkt aus IDB zu entnehmen, doch sie ist unumstritten. Sie impliziert, dass uns einige unserer Vorstellungen unter Umständen nicht (apperzeptiv) bewusst sind. Jede Episode des Bewusstseins enthält nur eine begrenzte Anzahl von Vorstellungen, während sich die übrigen teilweise im Gedächtnis befinden. In jedem Moment sind wir uns im Übrigen lediglich jener begrenzten Anzahl von Vorstellungen bewusst, die in diesem Moment eine genuine epistemische Rolle spielen. Die anderen Vorstellungen sind dunkel vorhanden und können nur unter Umständen sowie auf verschiedenen speziellen Wegen bewusst gemacht werden (siehe Abschnitt 1.4). Die reine Apperzeption muss nicht in allen Episoden des Bewusstseins die klare Vorstellung des ‚Ich denke‘ hervorbringen, denn Kant sagt explizit: „als meine Vorstellungen (ob ich mich ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin) müssen sie doch der Bedingung nothwendig gemäß sein“ (APB 8). Wohlgemerkt bedeutet dies jedoch lediglich, dass eine klare Vorstellung des ‚Ich denke‘ für die Meinigkeit nicht nötig ist. Kant bestreitet nicht, dass eine dunkle Vorstellung des ‚Ich denke‘ notwendigerweise in sämtliche Episoden des Bewusstseins eingebettet werden muss.⁸⁹ Wenn die transzendentale Apperzeption dennoch die klare Vorstellung des ‚Ich denke‘ hervorbringt, dann handelt es sich dabei um eine explizite Begleitung des ‚Ich denke‘ bzw. um ein explizites Selbstbewusstsein. Die reine Apperzeption muss

 Pippin (1987, S. 461) und Allison (2015, S. 338) scheinen dies zu verkennen.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

(mindestens in Form einer dunklen Vorstellung)⁹⁰ alle Episoden des Bewusstseins begleiten, d. h., in allen Episoden enthalten sein: Er wird also aus dem Ich, welches alle Vorstellungen zu aller Zeit in meinem Bewußtsein und zwar mit völliger Identität begleitet, ob er es gleich einräumt, doch noch nicht auf die objective Beharrlichkeit meiner selbst schließen. (A362– 363, H. d. V.)

Das Apperzeptionsprinzip kann folglich anders formuliert werden: Alle ‚meine‘ Vorstellungen müssen von dem Bewusstsein begleitet werden können, welches die reine Apperzeption enthält. Es muss jedoch angemerkt werden, dass die Interpretationslage zu Kants Ausführungen in der A-Auflage der KrV schwierig ist. Zwar sind die ersten beiden Komponenten vorhanden: TB1 ist explizit in A117 Anm. ausgedrückt. TB3 kann durch viele Textstellen belegt werden und ist insofern unproblematisch.⁹¹ Hinsichtlich der TB2 enthält Kants Position in der A-Version eine gravierende Ambivalenz. Es gibt zwar viele Stellen, die belegen, dass die reine Apperzeption in alle Episoden des Bewusstseins eingebettet ist und identisch bleibt. Für den ersten Teil dieser These spricht neben dem obigen Zitat aus A362– 363 auch die folgende Passage: „[D]as Ich ist zwar in allen Gedanken immer wiederum vorkömmt“ (A350).⁹² Ein Beleg für den zweiten Teil der These ist z. B. der oben zitierte Satz aus A362– 363 und A107. Das Problem ist jedoch, dass eine Stelle in der A-Version der Ausführung des Apperzeptionsprinzips mit der TB2 nicht übereinstimmt: [IDA] 7) Es ist aber nicht aus der Acht zu lassen, daß die bloße Vorstellung Ich in Beziehung auf alle andere (deren collective Einheit sie möglich macht) das transscendentale Bewußtsein sei. 8) Diese Vorstellung mag nun klar (empirisches Bewußtsein) oder dunkel sein, daran liegt hier nichts, ja nicht einmal an der Wirklichkeit desselben; 9) sondern die Möglichkeit der logischen Form alles Erkenntnisses beruht nothwendig auf dem Verhältniß zu dieser Apperception als einem Vermögen. (A117 Anm.)

 Siehe Abschnitt 1.5.  Siehe A343/B401, A354 und besonders A398.  Siehe auch A365. Darin spricht Kant über die „Identität des Ich in dem Bewußtsein aller Zeit“. In A123 – 124 sagt Kant: „alles Bewußtsein gehört eben so wohl zu einer allbefassenden reinen Apperception“. In der späteren Anthropologie behauptet Kant: „so wird das Bewußtsein in das discursive (welches als logisch, weil es die Regel giebt, voran gehen muß) und das intuitive Bewußtsein eingetheilt werden; das erstere (die reine Apperception seiner Gemüthshandlung) ist einfach. Das Ich der Reflexion hält kein Mannigfaltiges in sich und ist in allen Urtheilen immer ein und dasselbe, weil es blos dies Förmliche des Bewußtseins“ (Anth 7:141, H. d. V.).

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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Laut dieser Passage ist es gar nicht nötig, dass eine wirkliche Vorstellung des Ich oder des ‚Ich denke‘⁹³ eine empirische Vorstellung begleitet, damit diese unter der Einheit der Apperzeption steht und sich als empirische Erkenntnis qualifiziert. Es kommt laut dieser Passage vielmehr darauf an, dass die empirische Vorstellung prinzipiell davon begleitet werden kann. Folglich könnte diese Passage implizieren, dass es Episoden des Bewusstseins (wohlgemerkt nicht Episoden der Vorstellungen) gibt, welche die reine Apperzeption nicht enthalten. Dies könnte als Beleg gegen die Interpretationsthese TB 2 gelten. Diese Stelle wird später eingehend behandelt, nachdem die Apperzeption genauer dargelegt ist (siehe Abschnitt 1.5.3). Vorerst wird davon ausgegangen, dass diese einzelne Stelle kein entscheidendes Argument gegen die hier vorgeschlagene Lesart darstellt.

1.4.7 Begründung des Apperzeptionsprinzips In diesem Abschnitt wird Kants Begründung des Apperzeptionsprinzips, und zwar die Relation zwischen IDB 1) und 2), untersucht. Da diese Abhandlung nicht darauf zielt, Kants Begründung zu bewerten, wird die Frage außer Acht lassen, ob seine Begründung aus einer sachlichen Perspektive haltbar ist oder nicht. Als Vorbereitung wird die Begründung für das Apperzeptionsprinzip in beiden Versionen verglichen. In der B-Version schreibt Kant, die Vorstellung des ‚Ich denke‘ müsse alle ‚meine‘ Vorstellungen begleiten können, weil nur dann der Gegenstand der Vorstellung gedacht werden könne. In der A-Version sieht die Begründung hierfür wie folgt aus: Alle ‚meine‘ Vorstellungen müssen von einem empirischen Bewusstsein begleitet werden können, sonst könnte sich das Subjekt ihrer nicht bewusst sein. Das empirische Bewusstsein hat wiederum eine notwendige Beziehung auf die reine Apperzeption. Daraus lässt sich aufgrund der Transitivität schließen, dass alle ‚meine‘ Vorstellungen von der reinen Apperzeption begleitet werden können müssen, sonst könnte man sich ihrer nicht bewusst sein. Die Konsequenz für das nicht-apperzeptive Szenario lautet in der AAuflage, dass die nicht-apperzeptive Vorstellung nicht bewusst werden kann. In der B-Auflage ist die Konsequenz jedoch, dass die nicht-apperzeptive Vorstellung nicht gedacht werden kann. Im Licht der Unterscheidung der beiden Arten des Bewusstseins in den Abschnitten 1.4.2 und 1.4.3 ist es folglich nachvollziehbar, warum die modifizierte B-Version die bessere Fassung des Texts ist: Die nichtapperzeptive Vorstellung kann zwar nicht durch das apperzeptive Bewusstsein,

 Später wird gezeigt, warum Kant beides – ‚Ich‘ und ‚Ich denke‘ – als repräsentationalen Gehalt der reinen Apperzeption betrachtet.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

wohl aber durch das nicht-apperzeptive Bewusstsein⁹⁴ begleitet werden. Von daher ist die Wortwahl in der A-Version vergleichsweise unpräzise. Das Denken einer Vorstellung kann nicht ohne Einschränkung mit dem Bewusstsein einer Vorstellung identifiziert werden.⁹⁵ In der Tat zeigt der Satz IDA 6 deutlich, dass Kant eigentlich auch in der A-Version die Möglichkeit des Gedachtwerdens für die Konsequenz der apperzeptiven Begleitung hält. Die Formulierung der B-Version hebt die Möglichkeit des Gedachtwerdens einer Vorstellung zu Recht hervor, denn diese Möglichkeit steht direkt im Zusammenhang mit der Frage, ob die Vorstellung für das Subjekt als erkennendes Wesen eine epistemische Bedeutung hat. Nun gehen wir zu der eigentlichen Frage über: Warum muss das ‚Ich denke‘ eine Vorstellung begleiten können, damit diese überhaupt gedacht werden kann? Zunächst ist zu bemerken, dass die Begleitung der Vorstellung des ‚Ich denke‘ an sich nicht das Wesentliche für das Gedachtwerden der Vorstellung ist. Die transzendentale Apperzeption hat im Vergleich dazu die bewusstseinstheoretische Priorität, denn sie ist das Bewusstsein, das die Vorstellung ‚Ich denke‘ hervorbringen kann und somit die Begleitung der gegenstandsbezogenen Vorstellung durch das ‚Ich denke‘ erstmals ermöglicht. Da die transzendentale Apperzeption nur ein Aspekt des apperzeptiven Bewusstseins⁹⁶ ist, ist das Letztere dafür notwendig, dass eine Vorstellung gedacht werden kann. Die obige Begründungsfrage kann beantwortet werden, wenn erörtert wird, warum die transzendentale Apperzeption sowie das apperzeptive Bewusstsein eine notwendige Bedingung dafür sind, dass eine Vorstellung gedacht werden kann. Diese Frage kann zwar dadurch beantwortet werden, dass die transzendentale Apperzeption in der Anthropologie (Anth 7:161) als intellektuelles Bewusstsein der Denkakte definiert wird. Das Problem bei dieser Antwort ist jedoch, dass die transzendentale Apperzeption in den Ausführungen der Transzendentalen Deduktion mehr enthält als ein solches intellektuelles Bewusstsein der Denkakte. Die transzendentale Apperzeption ist vor allem ein Selbstbewusstsein und ein Bewusstsein der Identität des Selbst. Zwei Begründungen für die hier gestellte Frage lassen sich finden. Der erste Grund betrifft die Identität des Bewusstseins im Denken. Die Begriffe und Urteile,

 Unter ‚nicht-apperzeptives Bewusstsein‘ verstehe ich das Bewusstsein, das die (dunkle oder klare) Vorstellung des Ich entweder faktisch nicht enthält oder gar nicht enthalten kann.  „[S]o wird das Bewußtsein in das discursive (welches als logisch, weil es die Regel giebt, voran gehen muß) und das intuitive Bewußtsein eingetheilt werden; das erstere (die reine Apperception seiner Gemüthshandlung) ist einfach. Das Ich der Reflexion hält kein Mannigfaltiges in sich und ist in allen Urtheilen immer ein und dasselbe, weil es blos dies Förmliche des Bewußtseins“ (Anth 7:141, H. d. V.). Vgl. Cramer 1987, passim.  Siehe Anth 7:141. Mehr dazu folgt in Abschnitt 1.5.1 dieser Abhandlung.

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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aus denen das Denken besteht, setzen im Wesentlichen ein Bewusstsein, das über die Zeit hinweg identisch bleibt, und somit die Identität der Apperzeption voraus. Das heißt, das Subjekt muss dazu in der Lage sein, sich selbst die über die Zeit verstreut aufkommenden Vorstellungen zuzuschreiben, damit der Verstand überhaupt mit ihnen arbeiten kann. Für diese Auffassung sprechen die folgenden Stellen: „Wie sind aber die Begriffe durch Apperception möglich? Dadurch, daß ich mir die Identitaet meiner Apperception in vielen Vorstellungen vorstelle“ (VMet/Mron 29:889, siehe auch besonders A341– 342/B399 – 400). „[E]in Urtheil [ist] nichts andres, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objectiven Einheit der Apperception zu bringen“ (B141). „Die Vereinigung der Vorstellungen in einem Bewußtsein ist das Urtheil. Also ist Denken so viel als Urtheilen, oder Vorstellungen auf Urtheile überhaupt beziehen“ (Prol 4:304). Der zweite Grund ist impliziter Art. Zuerst ist das Denken ein Akt, in dem Regeln angewendet werden. In diesem Sinne behauptet Kant am Anfang der Jäsche-Logik: Denn so wie die Sinnlichkeit das Vermögen der Anschauungen ist, so ist der Verstand das Vermögen zu denken, d. h. die Vorstellungen der Sinne unter Regeln zu bringen. (Log 9:11)⁹⁷

Der Verstand als Vermögen, zu denken, ist ein Vermögen der Regeln (A127). Die Begründung dafür lautet wie folgt: Denken ist „das Erkenntnis durch Begriffe“ (A69/B94). „Von diesen Begriffen kann nun der Verstand keinen andern Gebrauch machen, als daß er dadurch urteilt“ (A68/B93). „Urteile, so fern sie blos als die Bedingung der Vereinigung gegebener Vorstellungen in einem Bewußtsein betrachtet werden, sind Regeln“ (Prol 4:305). Daraus lässt sich schließen, dass das Denken eines empirischen Gegenstands eine Anwendung der Regeln auf das Mannigfaltige ist. Nun behauptet Kant: Das obere Erkenntnissvermögen (Verstand) beruht lediglich auf dem Bewusstsein seiner selbst; denn man kann sich keine Regel ohne dieses Bewusstsein der Einheit der Vorstellungen denken. (V-Met-K2/Heinze 28:736) […] wenn ich nicht weiß daß ich eine Vorstellung habe: so kann ich auch nicht auf sie die logischen Regeln anwenden. (V-Lo/Pölitz 24:510)

Die beiden Passagen bekräftigen somit die bisherige Analyse. Sie zeigen deutlich, dass die reine Apperzeption, durch die das Subjekt sich eine Vorstellung zu-

 „Der Verstand macht Regeln. Er zieht aus mannigfaltigen Vorstellungen das Allgemeine, was bei allen angetroffen wird, heraus. Er heißt daher auch das Vermögen der Regeln“ (V-Met/Mron 29:889).

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

schreibt, deswegen von Belang ist, weil ohne sie keine Regelanwendung, d. h. kein Denken möglich ist. An der folgenden Stelle findet sich eine Erklärung dafür, warum dies der Fall sein muss:⁹⁸ (1) Das Bewustseyn ist eine Vorstellung seiner Eigenen idee. (2) Dieses giebt Anlaß, daß die denkende Kraft der Seele eigentlich ihrer gantzen Größe nach in ausübung kommen kan. (3) Den Weil die Seele weis, was sie sich vorstellt und wie sie sichs vorstelt, so kan sie auf verschiedene Art mit ihren Vorstellungen umgehen, sie vergleichen, absondern, verbinden und dadurch dasjenige verrichten, was man nachdenken nennt. (4) Welches die Thiere nicht können, weil sie sich ihrer Nicht bewust seyn. (Refl 16:79, Nummerierung durch den Verfasser)

Obwohl Kant im Satz 1 anscheinend vom (apperzeptiven) Bewusstsein tout court spricht, ist aus dem Satz 4 über den Geist bei Tieren klar, dass er mit dem Begriff „Bewustseyn“ eigentlich nicht das (apperzeptive) Bewusstsein selbst, sondern die reine Apperzeption im Bewusstsein tout court hervorheben will. Die reine Apperzeption ermöglicht es dem Subjekt, sich eine Vorstellung zuzuschreiben – dadurch hat es „eine Vorstellung seiner Eigenen idee“ (Refl 16:79, zitiert oben), ein „Bewusstsein seiner Selbst“ (V-Met-K2/Heinze 28:736, zitiert oben) und folglich „weiß [es,] daß [es] eine Vorstellung ha[t]“ (V-Lo/Pölitz 24:51, zitiert oben). Dadurch weiß das Subjekt, im Kontext des Zitats also „die denkende Seele“, „was sie sich vorstellt und wie sie sichs vorstelt“ (Refl 16:79, zitiert oben). Dies macht wiederum möglich, dass die denkende Kraft „ihrer gantzen Größe nach in ausübung kommen kann“ (Refl 16:79, zitiert oben). Das heißt, dass das Subjekt dadurch alle basalen Denkakte, wie Vergleichung, Absonderung, Verbindung oder Reflexion, ausführen kann.⁹⁹ Vereinfacht gesagt besteht die wichtigste Begründung für das Apperzeptionsprinzip im folgenden Schritt: Nur wenn das Subjekt „eine Vorstellung seiner Eigenen idee“ hat, weiß es, was es sich vorstellt. Dadurch kann es alle wichtigen Denkhandlungen auf diese Vorstellungen gemäß der logischen Regel ausüben. Das heißt, dass das Subjekt erst durch das apperzeptive Bewusstsein als Vorstellung höherer Ordnung, die wiederum die reine Apperzeption voraussetzt, das Denkvermögen in seiner ganzen Vielfalt ausüben kann. Dem Leser fällt hier möglicherweise auf, dass im letzten Absatz immer wieder betont wurde, dass das Denkvermögen unter der Bedingung der reinen Apperzeption „in seiner ganzen Vielfalt“ „ihrer gantzen Größe nach“ (Refl 16:79) ausgeübt werden kann. Diese Einschränkung ist deswegen von Belang, weil, wie wir

 Siehe auch V-Lo/Blomberg 24:40 – 41.  „Bewustsein seiner Vorstellungen und damit verknüpfte Vergleichung und Verbindung (reflexion)“ (Refl 15:710). Siehe auch Refl 16:80.

1.4 Dunkle, klare Vorstellungen und Tierbewusstsein

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gesehen haben, primitive Denkakte auch in Form dunkler Vorstellungen stattfinden können.¹⁰⁰ Nun kommt die Frage auf, ob auch für solche Denkakte gilt, dass sie von der transzendentalen Apperzeption begleitet werden müssen. Nach der obigen Analyse muss die transzendentale Apperzeption vorhanden sein, denn jeder Denkakt setzt sie voraus. Tatsächlich sagt Kant, dass ein gewisser Grad der Apperzeption bzw. des Bewusstseins in der dunklen Vorstellung vorhanden sein muss: Diese Apperception in gewißem Grade giebt deutliche, im mindern Grade dunkle Vorstellungen. (V-Met/Mron 29:878, 1782/3) [E]in gewisser Grad des Bewußtseins, der aber zur Erinnerung nicht zureicht, muß selbst in manchen dunkelen Vorstellungen anzutreffen sein, weil ohne alles Bewußtsein wir in der Verbindung dunkeler Vorstellungen keinen Unterschied machen würden, welches wir doch bei den Merkmalen mancher Begriffe zu thun vermögen. (B414 Anm.)

Die Apperzeption bzw. das Bewusstsein ist bis zu einem unendlich niedrigen Grad veränderlich (V-Met/Mron 29:834, V-Met-K3/Arnoldt 29:1000, Log 9:35). Da die transzendentale Apperzeption ein Aspekt des Bewusstseins ist, muss sie in gewisser Form vorhanden sein. Die schwache Apperzeption sorgt dafür, dass das Subjekt die dunklen Vorstellungen unterscheiden und miteinander verbinden kann – das heißt, sie sorgt dafür, dass primitive Denkakte in der dunklen Form möglich sind. Kant gibt in der Anthropologie einige Beispiele für dunkle Denkakte (Anth 7:137) und spricht an einer anderen Stelle von dunkler Reflexion (Refl 15:66, Anth 7:145) oder dunklen Urteilen: „Zu den dunckeln Vorstellungen gehören auch noch die vorläufigen Urtheile. Ehe der Mensch ein Urtheil fällt, welches bestimmt ist, so fällt er schon im voraus im Duncklen ein vorläufiges Urtheil“ (V-Anth/Fried 25:481). Es stellt sich die Frage, ob eine derartige schwache Form der Apperzeption in dunklen Vorstellungen noch als Vorstellung höherer Ordnung gelten kann. Meines Erachtens ist die Frage eindeutig zu verneinen. Die Apperzeption als Vorstellung höherer Ordnung ist, auch wenn sie schwach ist, immer mit dem Akt der Selbstzuschreibung verbunden, während die dunklen Vorstellungen keinerlei Selbstzuschreibungen implizieren. Daher kann die schwache Form der Apperzeption in solchen Vorstellungen keine Vorstellung höherer Ordnung sein. Eher ist es plausibel, „diese Apperception in gewißem Grade“ nicht als Vorstellung höherer Ordnung bzw. Bewusstsein, sondern als Vermögen zu lesen, das die primitiven kognitiven Aktivitäten ermöglicht (siehe Abschnitt 1.5.3.).

 Siehe Liang 2017.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

1.5 Reine Apperzeption 1.5.1 Apperzeption, reine Apperzeption, transzendentale Apperzeption und ursprüngliche Apperzeption Eng verwandt mit dem Begriff der reinen Apperzeption sind die Begriffe der transzendentalen Apperzeption und der ursprünglichen Apperzeption. Die ursprüngliche Apperzeption wird in B132 explizit mit der reinen Apperzeption identifiziert und ist insofern unproblematisch.¹⁰¹ Den Begriff der transzendentalen Apperzeption verwendet Kant nur selten in der B-Auflage (z. B. A158/B197), jedoch öfter in der A-Auflage der KrV (A106 – 107, 114 usw.). Besonders in A106 – 107 wird deutlich, dass die transzendentale Apperzeption sachlich mit der reinen Apperzeption identisch ist, denn sie ist „das reine, ursprüngliche, unwandelbare Bewusstsein“, welches die transzendentale Bedingung der Einheit des Bewusstseins darstellt. Also können die folgenden Gleichsetzungen konstatiert werden: transzendentale Apperzeption = reine Apperzeption = ursprüngliche Apperzeption Den Terminus ‚Apperzeption‘ verwendet Kant offenbar sehr frei. Überwiegend meint er damit anscheinend die reine Apperzeption (z. B. B134, 153). Doch wird die Apperzeption synonym zu der reinen Apperzeption verwendet? Meines Erachtens ist dies nicht der Fall. An einer Stelle scheint die Apperzeption die Vorstellung der Zeit zu enthalten: denn in der Apperception ist die Zeit eigentlich nur in mir vorgestellt. (A363)

Dies widerspricht dem Charakter der reinen Apperzeption, denn darin soll nichts Sinnliches enthalten sein. Diese Stelle bringt dennoch keine Inkonsistenz in Kants Terminologie, denn mit „Apperception“ bezieht er sich nicht bloß auf die reine Apperzeption, sondern auf einen mentalen Akt, der sowohl die reine als auch die empirische Apperzeption als verschiedene Aspekte enthält.¹⁰² Dies macht Kant in A115 deutlich: Es sind drei subjective Erkenntnißquellen, worauf die Möglichkeit einer Erfahrung überhaupt und Erkenntniß der Gegenstände derselben beruht: Sinn, Einbildungskraft und Ap-

 Der Ausdruck „ursprünglich“ deutet lediglich auf die Eigenschaft der reinen Apperzeption hin, dass diese nicht durch ein weiteres ‚Ich denke‘ begleitet werden muss. Siehe B132.  Vgl. Ameriks 2006, S. 54; Kitcher 2015, S. 281– 282.

1.5 Reine Apperzeption

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perception; jede derselben kann als empirisch, nämlich in der Anwendung auf gegebene Erscheinungen, betrachtet werden, alle aber sind auch Elemente oder Grundlagen a priori, welche selbst diesen empirischen Gebrauch möglich machen. Der Sinn stellt die Erscheinungen empirisch in der Wahrnehmung vor, die Einbildungskraft in der Association (und Reproduction), die Apperception in dem empirischen Bewußtsein der Identität dieser reproductiven Vorstellungen mit den Erscheinungen, dadurch sie gegeben waren, mithin in der Recognition. (A115)

Die Apperzeption wird hier als ein Vermögen betrachtet. Sie umfasst zwei Aspekte, nämlich einen reinen und einen empirischen, wie es auch bei der Sinnlichkeit und bei der Einbildungskraft der Fall ist. Der reine Aspekt, die reine Apperzeption, ist eine Voraussetzung des empirischen Aspekts, der empirischen Apperzeption. Aus dem obigen Zitat wird nämlich eindeutig klar, dass diese Unterscheidung auf verschiedene Betrachtungsweisen zurückgeführt werden kann. Es handelt sich bei der Apperzeption um ein mentales Vermögen. Die Tätigkeit dieses Vermögens kann angesichts seiner Anwendung auf die empirischen Vorstellungen zwar empirisch genannt werden, abstrahiert davon lässt sich der repräsentationale Gehalt dieser Tätigkeit aber durch den formalen Satz ‚Ich denke‘ fassen (siehe besonders A354). Entsprechend kann die Vorstellung, die durch eine solche Tätigkeit generiert wird, nämlich die Vorstellung ‚Ich denke‘ (die entweder dunkel oder klar ist), auf zweierlei Weise betrachtet werden. Jedes Auftreten des ‚Ich denke‘ (ob dunkel oder klar), welches eine bestimmte Vorstellung in der Zeit begleitet, ist ein Auftreten der empirischen Apperzeption bzw. der Apperzeption tout court. Die Gemeinsamkeit solcher konkreten Vorstellungen ‚Ich denke‘ – den spontanen Verstandesakt der Selbstzuschreibung – versteht Kant als die reine Apperzeption. Eine bedeutende Stelle spricht dafür, dass die Unterscheidung zwischen der empirischen und der reinen Apperzeption auf den unterschiedlichen Betrachtungsweisen basiert: Denn diese innere Wahrnehmung ist nichts weiter, als die bloße Apperception: Ich denke, welche sogar alle transscendentale Begriffe möglich macht, in welchen es heißt: Ich denke die Substanz, die Ursache etc. Denn innere Erfahrung überhaupt und deren Möglichkeit, oder Wahrnehmung überhaupt und deren Verhältniß zu anderer Wahrnehmung, ohne daß irgend ein besonderer Unterschied derselben und Bestimmung empirisch gegeben ist, kann nicht als empirische Erkenntniß, sondern muß als Erkenntniß des Empirischen überhaupt angesehen werden und gehört zur Untersuchung der Möglichkeit einer jeden Erfahrung, welche allerdings transscendental ist. Das mindeste Object der Wahrnehmung (z. B. nur Lust oder Unlust), welche zu der allgemeinen Vorstellung des Selbstbewußtseins hinzukäme, würde die rationale Psychologie sogleich in eine empirische verwandeln. (A343/B401, H. d. V.)

Die reine Apperzeption resultiert somit aus einer Abstraktion des diversen realen Auftretens der Apperzeption tout court. Die Unterscheidung der reinen und der

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

empirischen Apperzeption impliziert daher nicht, dass es zwei verschiedene Arten von Apperzeption gibt. Dies kann durch weitere Stellen bestätigt werden: […] so wird das Bewußtsein in das discursive (welches als logisch, weil es die Regel giebt, voran gehen muß) und das intuitive Bewußtsein eingetheilt werden; das erstere (die reine Apperception seiner Gemüthshandlung) ist einfach. Das Ich der Reflexion hält kein Mannigfaltiges in sich und ist in allen Urtheilen immer ein und dasselbe, weil es blos dies Förmliche des Bewußtseins, dagegen die innere Erfahrung das Materielle desselben und ein Mannigfaltiges der empirischen inneren Anschauung, das Ich der Apprehension, (folglich eine empirische Apperception) enthält. (Anth 7:141, H. d. V.; siehe auch deutlich OP 22:31)

Die reine und die empirische Apperzeption sind somit jeweils der formale und der materielle Aspekt eines mentalen Phänomens, und diese beiden Aspekte können nur begrifflich, aber nicht real voneinander getrennt werden. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass die reine Apperzeption nicht mit der Apperzeption tout court gleichzusetzen, sondern lediglich ein formaler Aspekt dieser ist.

1.5.2 Charakter der reinen Apperzeption Zunächst erfolgen einige einführende Bemerkungen über die reine Apperzeption. Diese stark vereinfachte Darstellung dient bloß dazu, einen vorbereitenden Überblick über das Thema zu ermöglichen. Wir sind bereits mit einigen grundlegenden Eigenschaften der reinen Apperzeption und der Vorstellung des ‚Ich denke‘ vertraut. Die reine Apperzeption ist das ursprüngliche Selbstbewusstsein, welches die Vorstellung des ‚Ich denke‘, die entweder klar oder dunkel ist, hervorbringt (B132, A117 Anm.). Die reine Apperzeption bleibt in „allem Bewußtsein ein und dasselbe“ (B132). Insofern kann man sagen, dass „alles Bewußtsein […] zu einer allbefassenden reinen Apperzeption [gehört]“ (A123). Die reine Apperzeption wird auch als eine intellektuelle Vorstellung des eigenen Verstandesakts charakterisiert, die nicht durch Affektion generiert wird (B153, 158 f.). Das ‚Ich denke‘ ist der formale Satz der reinen Apperzeption. Die Vorstellung des Ich ist „das stehende und bleibende“ (A123) in allem Bewusstsein. Als Vorstellung ist das ‚Ich denke‘ „ein Aktus der Spontaneität, d. i. sie kann nicht als zur Sinnlichkeit gehörig angesehen werden“ (B132).¹⁰³ Es handelt sich dabei außer Die reine Apperzeption ist somit zugleich ein Akt und eine Vorstellung. Dies ist, im Gegensatz zu Allisons Behauptung (2015, S. 337), keine Eigenart der reinen Apperzeption. Dies steht nämlich in Übereinstimmung damit, dass Kant die Leistung des Verstandes, den Begriff, zugleich als Akt und Vorstellung betrachtet (A103).

1.5 Reine Apperzeption

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dem um eine allgemeine Vorstellung, da Kant den Ausdruck ‚Ich denke‘ präzise als einen „allgemeinen Ausdruck“ (B138) oder „allgemein[en] Satz“ (A398, siehe auch B421, B422 f.) bezeichnet. Bei der Vorstellung des ‚Ich denke‘ wird sowohl vom konkreten Vorstellungsgehalt, den sie begleitet, als auch von der Art des von ihr begleiteten Denkakts abstrahiert.¹⁰⁴ Bezüglich des logischen Status dieser Vorstellung bemerkt Kant: „Dieses ist der Begriff, oder, wenn man lieber will, das Urteil: Ich denke. Man sieht aber leicht, daß er das Vehikel aller Begriffe überhaupt, und mithin auch der transzendentalen sei, und also unter diesen jederzeit mit begriffen werde, und daher ebensowohl transzendental sei“ (A341/B399). Die reine Apperzeption ist folglich ein begriffliches Selbstbewusstsein. Als ein Vermögen betrachtet ist sie ein spontanes, begriffliches: „Diese Apperception ist es nun, welche zu der reinen Einbildungskraft hinzukommen muß, um ihre Function intellectuell zu machen“ (A124). Die Vorstellung ‚Ich‘ ist „eine Vorstellung vom transzendentalen Subjekt der Gedanken = x, welches nur durch die Gedanken, die seine Prädikate sind, erkannt wird, und wovon wir, abgesondert, niemals den mindesten Begriff haben können“ (A345 – 346/B404). Solche Prädikate des Ich, also die Gedanken, werden von Kant missverständlich als ‚meine Vorstellungen‘ charakterisiert. Sie sind ‚meine‘, weil sie als dessen Zustände zu dem transzendentalen Subjekt gehören, nicht aber weil sie dieses Subjekt selbst repräsentieren.¹⁰⁵ Brook gibt dazu eine paradigmatische Darstellung: The cognitive and semantic machinery used to obtain consciousness of self as subject is quite unusual. In it, we „denote“ but do not „represent“ ourselves (A382). Put otherwise, we designate ourselves without noting „any quality whatsoever“ in ourselves (A355). […] In attaching „I“ to our thoughts, we designate the subject only transcendentally […] without

 Vgl. Ameriks 2006, S. 55. Er betrachtet die transzendentale und die empirische Apperzeption als „particular instances of apperception“ (Ameriks 2006, S. 55). Die Apperzeption definiert er wie folgt: „I take Kant’s paradigm of apperception to be an ordinary judgment of experience, involving a claimed objective fact as well as a judging subject. An example is, ‘I think that this body is heavy’ (Vgl. B142), which illustrates the scheme ‘I think that x is F’“. Ameriks zufolge sei der propositionale Gehalt der transzendentalen Apperzeption, die eine „particular instance[] of apperception“ sein solle, „I think that: I think that x ist F“ (Ameriks 2006, S. 57). Ameriks interpretiert die Einheit der Apperzeption mit einer Formel: „(T) I think that (I think that x, I think that y, I think that z…)“ (2000, S. 240). Seiner Interpretation fehlen jedoch jegliche textuellen Belege. Hinsichtlich der redundanten Verschachtelung des ‚Ich denke‘ in der transzendentalen Apperzeption argumentiert er, dass nur damit die Identität des Ich garantiert werden könne, was jedoch nicht überzeugend erscheint (2000, S. 241). Er bezeichnet die Formel (T) selbst als unklar für einen Nicht-Kantianer.  Siehe Allison 2004, S. 279 – 280.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

noting in it any quality whatsoever—in fact, without knowing anything of it either directly or by inference (A355). (Brook 1995, S. 94)

Deswegen repräsentiert die Vorstellung ‚Ich‘ lediglich die „Beziehung der innern Erscheinungen [d. h. der wahrgenommenen Gedanken] auf das unbekannte Subjekt derselben“ (Prol 4:334), nicht aber ‚Erscheinungen des Subjekts‘. Kant schließt aus, dass die Vorstellung des Ich ein (echter) Begriff ist (Prol 4:334 Anm., MAN 4:543).¹⁰⁶ Vielmehr soll sie lediglich eine „Bezeichnung des Gegenstandes des innern Sinnes“ sein (Prol 4:334). Als Grund dafür nennt Kant seinen syntaktischen Charakter: Die Vorstellung des Ich darf nicht selbst Prädikat anderer Dinge sein oder solche Prädikate enthalten. Dieser Charakter bedingt, dass sie aufgrund der Dichotomie der Vorstellungsart nur eine Anschauung sein kann. Das Denken bezieht sich nie direkt, sondern immer nur mittels eines Begriffs auf einen Einzelgegenstand. Ein Begriff ist die Vorstellung eines Merkmals, welches viele Gegenstände teilen (A68 – 69/B93 – 94). Daher kann die Vorstellung des Ich nicht begrifflich beschaffen sein. Kant grenzt diese Vorstellung jedoch auch von einer Anschauung im eigentlichen Sinne ab, weil man introspektiv keine speziellen sinnlichen Eindrücke vom Subjekt selbst entdecken kann. Die Vorstellung ist „an Inhalt gänzlich [leer]“ und kann nicht „den mindesten Begriff“ motivieren (A345 – 346/B404). Die Vorstellung des Ich ist somit entgegen der obigen vorläufigen Charakterisierung auch keine Anschauung: „Das Bewusstsein meiner selbst in der Vorstellung Ich ist gar keine Anschauung, sondern eine bloße intellektuelle Vorstellung der Selbsttätigkeit eines denkenden Subjekts“ (B278, siehe auch B413, 429; A350, A345 – 346/B404). Nach dem Überblick sollen nun einige grundlegende Eigenschaften der reinen Apperzeption behandelt werden. In erster Linie ist die reine Apperzeption ein „einfaches Bewußtsein“ (A360). Sie ist einfach, weil sie gar „keinen Inhalt“ hat (A381) und eine „einfache und für sich selbst an Inhalt gänzlich leere Vorstellung: Ich“ ist (A345/B404 f; B135; A77/B102). Durch das Ich als einfache Vorstellung ist nichts Mannigfaltiges gegeben (B135, A355, A381– 382). Es ist eine „absolute (obzwar blos logische) Einheit“ (A355). Allerdings ist Kants Begriff des Inhalts hier sehr eng gefasst. Er bedeutet nicht, dass der (Quasi‐)Begriff des Ich keinen Sinn und als mentaler Akt keinen repräsentationalen Inhalt hat, da man ihn andern-

 In seiner späteren Schrift rückt er von dieser Position jedoch ab: „blos ein Begrif sich irgend einen Gegenstand correspondirend zu setzen“ (OP 22:69). Da die Vorstellung des Ich einen Teil des Urteils ‚Ich denke‘ darstellt und die Rolle des Subjekts in einem Satz spielen kann, bezeichne ich sie durchgehend als ‚(Quasi‐)Begriff‘.

1.5 Reine Apperzeption

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falls durch ein beliebiges Wort ohne Sinn und Bedeutung ersetzen könnte.¹⁰⁷ Vielmehr beschränkt sich der Begriff „Inhalt“ auf das sinnliche Mannigfaltige (B68) und bedeutet ‚sinnlicher Inhalt‘. Kant verwendet das Wort „Inhalt“ z. B. in A77/B102 gerade in diesem Sinne und bezeichnet die reinen, unschematisierten Verstandesbegriffe als „ohne allen Inhalt, mithin völlig leer“.¹⁰⁸ Der Sinn des (Quasi‐)Begriffs des Ich ist das Subjekt oder der Grund des Denkens oder das Ding, dem alle mentalen Prädikate zugeschrieben werden sollen: Durch dieses Ich oder Er oder Es (das Ding), welches denkt, wird nun nichts weiter als ein transscendentales Subject der Gedanken vorgestellt = X, welches nur durch die Gedanken, die seine Prädicate sind, erkannt wird, und wovon wir abgesondert niemals den mindesten Begriff haben können. (B404. Siehe auch B407) Wenn ich mich hier als Subject der Gedanken oder auch als Grund des Denkens vorstelle, so bedeuten diese Vorstellungsarten nicht die Kategorien der Substanz oder der Ursache. (B429) Da aber das Ich in dem Satze: Ich bin, nicht blos den Gegenstand der innern Anschauung (in der Zeit), sondern das Subject des Bewußtseins, so wie Körper nicht blos die äußere Anschauung (im Raume), sondern auch das Ding an sich selbst bedeutet, was dieser Erscheinung zum Grunde liegt. (Prol 4:337)

Ohne diesen minimalen Sinn kann er kein „einfaches Object [vorstellen] oder, besser gesagt, […] bezeichnen“ (A381– 382). Daher hat die Vorstellung des Ich bzw. die reine Apperzeption zwar keinen sinnlichen, jedoch durchaus einen repräsentationalen Gehalt. Durch diesen wird das Subjekt der Gedanken oder der Grund des Denkens vorgestellt. Mit diesem minimalen repräsentationalen Gehalt bezeichnet der Begriff des Ich den transzendentalen Gegenstand des inneren Sinnes (A361).¹⁰⁹ Er sollte zumindest dazu ausreichen, diesen Gegenstand – d. h.

 Wenn das Ich gar keinen intentionalen Gehalt hat, wäre es schwer zu erklären, warum es „überhaupt ein genuin personales Subjekt erfordert und nicht nur ein bloßes Objekt oder lediglich die quasi-animalische Bedingung des reinen inneren Sinnes einschließt“ (Ameriks 2004, S. 88).  Siehe auch eine Stelle in B471: „wenn etwas bloß als Gegenstand gedacht wird, ohne irgend eine synthetische Bestimmung seiner Anschauung hinzu zu setzen (wie denn dieses durch die ganz nackte Vorstellung: Ich, geschieht), so könne freilich nichts Mannigfaltiges und keine Zusammensetzung in einer solchen Vorstellung wahrgenommen werden“ (H. d. V.). Die Vorstellung des Ich „bloß als Gegenstand“ schließt jeglichen sinnlichen Gehalt – sowohl ein empirisches Mannigfaltiges als auch die schematische Bestimmung dieses Mannigfaltigen – aus. Eine ähnliche Verwendung des Ausdrucks „ohne Inhalt“ ist auch in OP 22:95 zu finden.  Das Subjekt nimmt durch den inneren Sinn seine Denkakte wahr (B154, Anth 7:161, für Näheres siehe auch Kapitel 2 dieser Abhandlung). Daher bezieht sich die Kennzeichnung „transzendental[er] Gegenstand des inneren Sinnes“ auf den gleichen Gegenstand wie „das Subjekt der Gedanken“ oder „der Grund des Denkens“. Dazu siehe Anth 7:134 Anm.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

den Denkenden – vom Gegenstand des äußeren Sinnes zu unterscheiden (A342/ B400). Die reine Apperzeption wird zudem als ein intellektuelles Bewusstsein der Denkakte dargestellt. „Das Bewußtsein meiner selbst in der Vorstellung Ich ist […] eine bloß intellektuelle Vorstellung der Selbsttätigkeit eines denkenden Subjekts“ (B278).¹¹⁰ „Die Apperzeption ist das Bewußtsein des Denkens“ (Refl 17:647). Die reine Apperzeption ist „ein Bewußtsein dessen, was der Mensch [hier im Sinne des Subjekts] thut“ (Anth 7:161). Genauer gesagt, ist es das „Bewußtsein der Thätigkeit in Zusammenstellung des Mannigfaltigen der Vorstellung nach einer Regel der Einheit desselben, d. i. Begriff und (vom Anschauen unterschiedenes) Denken überhaupt“ (Anth 7:142). Diese Charakterisierung der reinen Apperzeption ist jedoch problematisch. Kant hat die reine Apperzeption andernorts, wie gezeigt, als eine einfache, inhaltsleere Vorstellung des Subjekts dargestellt. Gemäß dieser Darstellung soll sich die reine Apperzeption auf einen unbekannten und unbestimmten Gegenstand beziehen. Wie kann sie zugleich ein Bewusstsein des Denkens sein, welches als ein mentales Ereignis die spontane Handlung des unbestimmten Gegenstands ist? Um diese Frage zu beantworten, ist es nötig, den repräsentationalen Gehalt der reinen Apperzeption genauer zu analysieren. Meiner Meinung nach gibt es hinsichtlich des repräsentationalen Gehalts der transzendentalen Apperzeption zwei Möglichkeiten: Er enthält entweder den Satz ‚Ich denke‘ oder den (Quasi‐)Begriff ‚Ich‘.¹¹¹ Sowohl in der Darstellung des Apperzeptionsprinzips in B131 f. als auch in der A-Auflage der Kritik (A341/B399, A342/B400, A343, passim) wird der ‚formale Satz‘ der reinen Apperzeption mit ‚Ich denke‘ beschrieben. In manchen Stellen der KrV bezeichnet Kant die reine Apperzeption jedoch auch als „die einfache Vorstellung des Ich“ (B68, siehe auch A355 f., B278). „Die Vorstellung der Apperzeption“ ist „das Ich“ (Prol 4:334). „[D]ie bloße Vorstellung Ich in Beziehung auf alle anderen (deren kollektive Einheit sie möglich macht) [ist] das transzendentale Bewußtsein“ (A117 Anm.). Ähnliche Aussagen sind auch in späteren Schriften zu finden: „das Ich als Subject des Denkens (in der Logik), welches die reine Apperception bedeutet“ (Anth, 7:134). Zur Einfachheit der Vorstellung erklärt Kant: „Zum Grunde derselben können wir aber nichts anderes legen, als die einfache und für sich selbst an Inhalt gänzlich leere Vorstellung: Ich; von der man nicht einmal sagen kann, daß sie ein Begriff sei, sondern ein bloßes Bewußtsein, das alle Begriffe begleitet“ (B404). Die zwei möglichen Kandidaten für den repräsentationalen Gehalt der reinen Apperzep Siehe auch B153, A546/B574, Anth 7:140.  Unter den Kommentatoren sind Rolf-Peter Horstmann und Béatrice Longuenesse meines Wissens die einzigen, die Kants Unentschiedenheit zwischen dem Ausdruck ‚Ich‘ und ‚Ich denke‘ bemerken. Siehe Horstmann 1993, S. 415 und Longuenesse 2017, Abschnitt 5.1.

1.5 Reine Apperzeption

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tion scheinen für Kant äquivalent zu sein. In A341/B399 ff., im unmittelbaren Kontext, bezeichnet Kant sowohl den Satz ‚Ich denke‘ als auch ‚Ich‘ als Gehalt der reinen Apperzeption. An manchen Stellen unterscheidet er dagegen die Vorstellung des ‚Ich denke‘ und die Vorstellung des Ich durchaus voneinander und weist auf ihren unterschiedlichen epistemischen Charakteren hin: Denn es ist zu merken, daß, wenn ich den Satz: ich denke, einen empirischen Satz genannt habe, ich dadurch nicht sagen will, das Ich in diesem Satze sei empirische Vorstellung, vielmehr ist sie rein intellektuell, weil sie zum Denken überhaupt gehört. (B422 Anm.)

Kant beschreibt nicht explizit, wie die Denkhandlungen im intellektuellen Bewusstsein vorgestellt werden. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: 1) Die Verstandesakte werden in der reinen Apperzeption mit einem Satz beschrieben, der ihren intentionalen Gehalt ausdrückt. Alle Handlungen des Verstandes lassen sich auf die Urteile zurückführen (A69/B94), die durch Sätze ausgedrückt werden können; 2) Die Verstandesakte werden in der reinen Apperzeption lediglich unspezifisch als Denken überhaupt vorgestellt. Die inhaltsleere und einfache Vorstellung des Ich soll das Bewusstsein des Denkens enthalten. Der Grund dafür ist: Die einfache Vorstellung des Ich ist nach der Darstellung im letzten Abschnitt eine Vorstellung des unspezifizierten Subjekts der Gedanken. Der Sinn dieses (Quasi‐)Begriffs ‚Ich‘ ist das Subjekt oder der Grund des Gedankens, den die Vorstellung des Ich begleitet. Die Vorstellung des Ich muss sich auf den Denkakt, den die Vorstellung des Ich begleitet, beziehen. Dabei wird dieser Denkakt in der Vorstellung des Ich jedoch nur als das Denken allgemein, das ein Bestandteil des Sinnes des leeren Begriffs des Ich ausmacht, vorgestellt. Das heißt, die oben erwähnte erste Möglichkeit trifft nicht zu. Im repräsentationalen Gehalt der Vorstellung des Ich darf der Gedanke, der dem Ich als dem Subjekt zugeschrieben wird, nicht spezifiziert werden, sonst wäre die reine Apperzeption je nach der Vorstellung, die sie begleitet, wandelbar und würde gegebenenfalls empirische Begriffe enthalten. Dies würde den zwei Charakteristika der reinen Apperzeption, der Unwandelbarkeit und Inhaltslosigkeit, abträglich sein. Daher repräsentiert die reine Apperzeption nicht die einzelnen Denkakte, die sie begleitet, obwohl sie als das intellektuelle Bewusstsein der Selbsttätigkeit beschrieben wird. Vielmehr enthält der Sinn des (Quasi‐)Begriffs ‚Ich‘ oder der repräsentationale Gehalt der reinen Apperzeption lediglich einen Bezug auf das Denken überhaupt (B423). Aus der obigen Darstellung wird deutlich, dass durch die reine Apperzeption ein Verstandesakt auf das Subjekt bezogen wird. Das heißt, dass die reine Apperzeption neben dem intellektuellen Bewusstsein eine weitere theoretische Komponente enthält, und zwar die Selbstzuschreibung: „[D]as Ich [ist das] Sub-

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

jekt des Denkens (in der Logik), welches die reine Apperzeption bedeutet (das bloß reflektierende Ich)“ (Anth 7:134).¹¹² Die reine Apperzeption „dient [dazu], alles Denken, als zum Bewußtsein gehörig, aufzuführen“ (A341 f./B400). Das Ich ist „die Vorstellung desjenigen, worauf alles Denken in Beziehung steht“ (Prol 4:334 Anm.). Die Vorstellungen, welche die reine Apperzeption direkt begleitet und auf das Subjekt bezieht, sind wohlgemerkt nicht ‚alle meine Vorstellungen‘, sondern lediglich die Denkakte: „Ich, als ein denkend Wesen, bin das absolute Subject aller meiner möglichen Urtheile“ (A348, siehe auch A349). Denn nur Anschauungen, die zumindest minimal konzeptualisiert sind, können direkt von der Vorstellung des ‚Ich denke‘ begleitet werden. Als ein Urteil kann die Vorstellung des ‚Ich denke‘ nur Begriffe oder Urteile begleiten, nicht aber eine Anschauung.¹¹³ Die sinnlichen Vorstellungen werden indirekt durch den Denkakt, genauer durch die mit ihnen korrespondierenden Begriffe, gedacht. Dadurch werden sie indirekt von der reinen Apperzeption begleitet. Zusammenfassend lässt sich feststellen: a) Das ‚Ich denke‘ bezieht sich als eine Vorstellung auf die „Handlung des Denkens“, die das Mannigfaltige einer möglichen Anschauung des Gegenstands zur Einheit der Apperzeption bringt (B157). Diese Handlung resultiert im repräsentationalen Gehalt, der durch den Nebensatz, den der Ausdruck ‚Ich denke‘ einleitet, ausgedrückt wird. b) Das ‚Ich denke‘ ist selbst eine „Handlung des Denkens“, die gegebenenfalls das Mannigfaltige einer möglichen Anschauung der Selbsttätigkeit zur Einheit der Apperzeption bringen kann.¹¹⁴ Im Gedanken ‚Ich denke‘ wird das Subjekt bloß durch einen „allgemeinen“, unbestimmten Begriff des Denkens als ein nicht näher spezifizierbares Objekt, ein „X“, gedacht (B158) – dieser Begriff des Denkens hat an sich keinen Bezug auf einen bestimmten Einzeldenkakt. Eine der wichtigsten Eigenschaften der reinen Apperzeption ist ihre „durchgängige Identität“ (B133). Präzise gesagt wird eine Gruppe von Vorstellungen genau dann von der durchgängig identischen Apperzeption begleitet, wenn man sich bewusst ist, dass diese Vorstellungen „durchgängig mir angehören“ (B133, siehe auch B134), wenn man also „die Identität des Bewußtseins in diesen Vorstellungen selbst vorstell[t]“ (B133). Die reine Apperzeption ist sozusagen ein Selbstbewusstsein, das „ein und dasselbe“ in allem Bewusstsein (B132) bleibt. Alle Episoden des Bewusstseins sollen eine „Beziehung auf die Identität des Subjekts“ enthalten (B133), sodass das Subjekt jederzeit behaupten kann: „Ich bin  Für eine weitere Darstellung dieses Punkts siehe Kitcher 1990, S. 92– 93.  „Die Vorstellung des Verhältnißes verschiedener Begriffe zu einem Bewustseyn ist ein Urteil“ (V-Lo/Pölitz 24:577).  Siehe unten.

1.5 Reine Apperzeption

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mir also des identischen Selbst bewußt“ (B135, siehe auch B138). Das Subjekt muss in der reinen Apperzeption als numerisch identisch „vorgestellt“ werden (A107, A362). Hinsichtlich der Identität der Apperzeption gibt es viele Unklarheiten. Vor allem ist unklar, was numerisch identisch bleiben soll. Es bedürfte einer separaten Abhandlung, um dieser Frage und angrenzenden Themen gerecht zu werden. Hier begnüge ich mich mit einer vorsichtigen Analyse. Der erste Kandidat für die Identitätsthese ist die Apperzeption als Vermögen. Es ist jedoch schwierig nachzuvollziehen, was es bedeuten soll, dass ein Vermögen numerisch identisch bleibt. Wenn man kein mysteriöses, ontologisch anspruchsvolles Substrat für das Vermögen der Apperzeption annehmen will, lässt sich die Identität der Apperzeption als Vermögen auf nichts anderes als die Identität des Produkts dieses Vermögens, die Identität der Vorstellung des Ich, zurückführen.¹¹⁵ Damit ergeben sich drei Möglichkeiten. Numerisch identisch bleibt: 1) der repräsentationale Gehalt der Vorstellung des Ich, 2) das Bewusstsein des Ich selbst (als ein mentaler Zustand)¹¹⁶ oder 3) der Bezug des (Quasi‐)Begriffs des Ich. Belege für alle drei Optionen können in den Zitaten der obigen Absätze gefunden werden, von denen einige mehrdeutig sind. Gegen Option 2) spricht, dass die reine Apperzeption hinsichtlich ihres Grades veränderlich ist und somit als ein mentaler Zustand nicht numerisch identisch bleibt (MAN 4:542, V-Met-L2/Pölitz 28:590). Zudem leugnet der dritte Paralogismus jegliche Basis für die persönliche Identität über die Zeit hinweg in der reinen Apperzeption, was die Option 2) deutlich ausschließt. Die letzte Option ist ebenfalls nicht haltbar. Der Bezug des Quasi-Begriffs ‚Ich‘ ist nämlich das „transzendentale Subjekt der Gedanken“ (A345 – 346/B404) bzw. das „unbekannte Subjekt“ der inneren Erscheinungen (Prol 4:334), dessen Identität nicht zu bestimmen ist. Daher bleibt lediglich die erste Option haltbar: Was über die Zeit hinweg identisch bleibt, ist der repräsentationale Gehalt der Vorstellung des Ich. In dieser Vorstellung hält sich das Subjekt für das identische Subjekt verschiedener Gedanken. Dieses Für-identisch-

 Allison (2015, S. 337) zufolge sei diese Option trivial wahr und dementsprechend nicht theoretisch relevant.  Das heißt, das repräsentationale Vehikel der Vorstellung des Ich bleibt numerisch identisch.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Halten bleibt in den repräsentationalen Gehalt der Vorstellung des Ich eingebettet und stellt die Identität der reinen Apperzeption dar.

1.5.3 Der bewusstseinstheoretische Status der transzendentalen Apperzeption: mentales Ereignis, Vermögen oder epistemische Bedingung? Der bewusstseinstheoretische Status der transzendentalen Apperzeption ist äußerst unklar. In Abschnitt 1.5.2 wird die These vertreten, dass die transzendentale Apperzeption eine Vorstellung oder ein Teilaspekt einer Vorstellung sein muss. Diese These leugnet nicht, dass Kant den Ausdruck „transzendentale Apperzeption“ gelegentlich auf ein Vermögen bezieht (A115 f., B153, Refl 16:646). Hier wird diese Auffassung gegen den Einwand verteidigt, dass der Begriff der transzendentalen Apperzeption nur ein Vermögen, jedoch keine wirkliche „Bestimmung des Gemüts“, d. h. einen mentalen Zustand bezeichnet.¹¹⁷ Vertreter dieser Auffassung lehnen es ab, die transzendentale Apperzeption im psychologischen Sinne zu interpretieren. Stattdessen wird sie als erkenntnistheoretische Rahmenstruktur verstanden.¹¹⁸ Zwei prominente Vertreter, Henry Allison und Günter Zöller¹¹⁹, stützen ihre These auf eine Stelle in der oben zitierten Passage aus A117 Anm.: [IDA] 7) Es ist aber nicht aus der Acht zu lassen, daß die bloße Vorstellung Ich in Beziehung auf alle andere (deren collective Einheit sie möglich macht) das transscendentale Bewußtsein sei. 8) Diese Vorstellung mag nun klar (empirisches Bewußtsein) oder dunkel sein, daran liegt hier nichts, ja nicht einmal an der Wirklichkeit desselben; 9) sondern die Möglichkeit der logischen Form alles Erkenntnisses beruht nothwendig auf dem Verhältniß zu dieser Apperception als einem Vermögen. (A117 Anm.)

Allison behauptet: „By denying that this transcendental consciousness requires an actual awareness of the ‘I think’, much less a clear one, Kant effectively undermines any effort to interpret his thesis in psychological terms. As his closing remark that ‘the possibility of the logical form of all cognition necessarily rests on the relationship to this apperception as a faculty’ indicates, its thrust is entirely

 Fortan werden beide Auffassungen als ‚Vermögenslesart‘ und ‚Vorstellungslesart‘ bezeichnet.  Kitcher fasst das darunterliegende Motiv so zusammen: „The only way to protect Kant against the charge of psychologism is to maintain that it is a nonpsychological, or innocuously psychological, claim about thinkers“ (Kitcher 1990, S. 91).  Eine ähnliche Meinung vertritt auch Schulting (2012, S. 290).

1.5 Reine Apperzeption

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epistemological“ (Allison 2015, S. 247). Zöller bemerkt: „In ihrer notwendigen Begründungsfunktion für gegenständliches Bewusstsein ist die Apperzeption allerdings nicht eigentlich ein Fall von wirklichem Bewusstsein oder wirklichem Selbstbewusstsein, sondern die subjektive Ermöglichungsstruktur für Bewusstsein wie Selbstbewusstsein oder ein ‚Vermögen‘ (KrV A117 Anm.), genauer: das ‚Radicalvermögen aller unsrer Erkenntniß‘ (KrV A 114)“ (Zöller 2015, S. 147). Tatsächlich könnte diese Passage für die Vorstellungslesart problematisch sein. Die reine Apperzeption kann klar sein. Das heißt, das Subjekt ist sich bewusst, dass es den Gedanken ‚Ich denke‘ oder ‚Ich‘ denkt.¹²⁰ Dieses Bewusstsein ist ein Produkt des inneren Sinnes und daher ein „empirisches Bewusstsein“ (A117 Anm.) oder eine „empirische innere Vorstellung“ (A848/B876). Dabei handelt es sich um ein explizites Selbstbewusstsein. Es ist explizit, weil das Subjekt sich der Vorstellung des Ich oder der Vorstellung des ‚Ich denke‘ introspektiv bewusst ist. Dagegen ist das Subjekt sich bei der dunklen reinen Apperzeption dieser Vorstellung nicht bewusst, obwohl sie in der Seele vorhanden ist und insofern auch als wirklich betrachtet werden kann. Die dunkle reine Apperzeption ist ein implizites Selbstbewusstsein.¹²¹ Nun scheint Kant mit dem Satz 8 in der obigen Passage überraschenderweise zu behaupten, es reiche schon aus, dass die empirischen Daten auf die reine Apperzeption als ein Vermögen bezogen seien, damit sie empirische Erkenntnisse sein könnten. Es sei dafür nicht nötig, dass ein wirkliches Selbstbewusstsein – ob klar oder dunkel – hervorgebracht werde. Es reiche aus, dass das Subjekt das Vermögen habe, jede seiner Vorstellungen mit der Vorstellung des Ich zu begleiten. Bei genauer Betrachtung stellt die Stelle in A117 Anm. kein Argument gegen die Vorstellungslesart dar. Dort leugnet Kant nicht die Wirklichkeit der Vorstellung des Ich in dem apperzeptiven Bewusstsein, das eine Vorstellung höherer Stufe¹²² ist und dessen Wirkungsbereich mit dem Bereich der Aufmerksamkeit deckungsgleich ist.¹²³ Er bestreitet nur, dass die Vorstellung des Ich auch in dem

 Obwohl Kant in der zitierten Passage lediglich von der Vorstellung ‚Ich‘ spricht, ist es falsch zu sagen, dass seine Aussage nicht für die Vorstellung ‚Ich denke‘ gilt. Er bezeichnet, wie schon gezeigt, an zahlreichen Stellen sowohl ‚Ich‘ als auch ‚Ich denke‘ als repräsentationalen Gehalt der reinen Apperzeption.  Auch in B132 erwähnt Kant im Übrigen ein solches implizites Selbstbewusstsein: „als meine Vorstellungen (ob ich mich ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin) müssen sie doch der Bedingung nothwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können“. Dem eingeklammerten Text zufolge ist es nicht nötig, dass das Subjekt seine Vorstellung explizit auf die Vorstellung des Ich bezieht, d. h., durch die bewusste Vorstellung des ‚Ich denke‘ begleitet.  Siehe Liang 2017.  Siehe unten und Liang 2020.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Bewusstsein der dunklen Erkenntnisse vorhanden sein muss. Nach diesem neuen Erklärungsmodell enthält das apperzeptive, attentive Bewusstsein die Vorstellung des ‚Ich denke‘ oder des Ich. Diese ist in allem apperzeptiven, attentiven Bewusstsein präsent und wirklich, daher ist sie nicht eine rein ‚erkenntnistheoretische Rahmenstruktur‘. Kant spricht hier deswegen von der reinen Apperzeption als „einem Vermögen“, nicht weil diese kein wirkliches Bewusstsein ist. Er akzentuiert den Aspekt der reinen Apperzeption als Vermögen besonders im Hinblick auf die dunklen Erkenntnisse, deren schwaches (nicht-apperzeptives) Bewusstsein eine Vorstellung des Ich faktisch nicht enthält. Mit den Sätzen IDA 8 und 9 will Kant also Folgendes konstatieren: „Um mit der logischen Form der Erkenntnisse konform zu sein, ist es für eine Vorstellung nicht notwendig, faktisch von einem wirklichen reinen Selbstbewusstsein begleitet zu werden. Die dunklen Erkenntnisse sind gerade ein Beispiel dafür, warum dies nicht notwendig ist: Soweit sie irgendwann von einem wirklichen reinen Selbstbewusstsein begleitet werden können, sind sie mit der logischen Form der Erkenntnisse konform und gelten als ‚meine Vorstellungen‘“. Neben den oben erwähnten Stellen für TB 1 muss auch bemerkt werden, dass zahlreiche andere Stellen nahelegen, dass die reine Apperzeption weder ein bloßes ‚Vermögen‘ noch eine bloße ‚formale epistemologische Rahmenstruktur‘, sondern eine wirkliche Vorstellung ist.¹²⁴ Kant schreibt z. B.: „Man kann also zwar wahrnehmen, daß diese Vorstellung [des Ich] bei allem Denken immer wiederum vorkömmt“ (A350, siehe auch A342/B400 und besonders BXL). Zudem bemerkt Kant deutlich: Dieses ist der Begriff oder, wenn man lieber will, das Urtheil: Ich denke. Man sieht aber leicht, daß er das Vehikel aller Begriffe überhaupt und mithin auch der transscendentalen sei und also unter diesen jederzeit mit begriffen werde und daher eben sowohl transscendental sei, aber keinen besondern Titel haben könne. (A341/B399, H. d. V.).¹²⁵

Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ begleitet alle Verstandesakte – d. h. Urteile und Begriffe. Besonders entscheidend ist, dass sie selbst ein Urteil, d. h. ein wirkliches mentales Ereignis ist. An vielen Stellen der B-KrV (und gelegentlich auch in der AKrV) bezeichnet Kant die reine Apperzeption sogar als eine „Wahrnehmung“, eine

 Vgl. Zöller 2015.  Der Verstand macht mit den Begriffen nichts anderes als zu urteilen (B93). Daher muss die Vorstellung des ‚Ich denke‘ in jedem Urteil vergegenwärtigt werden.

1.5 Reine Apperzeption

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„Anschauung“ (B422 Anm.; A343/B401; A350) oder etwas „Reales“ (B419). Die Apperzeption ist eine Realität, die einen veränderlichen Grad aufweist:¹²⁶ Alle realitaet hat Grade. Von Empfindung bis zu dem Gedanken, da ich mich selbst denke in Ansehung des Verstandes, i. e. bis zu der apperception sind Grade. Etwas kann so wenig Grade haben, daß ichs kaum merken kann, aber ich bin mir doch noch immer deßen bewußt. (V-Met/Mron 29:834, siehe auch B414– 415, 419; V-Met-K3/Arnoldt 29:1000)

Dass die Apperzeption etwas Reales ist, bedeutet, dass die Vorstellung ‚Ich denke‘ entweder klar oder dunkel vorhanden sein muss. Das heißt, es handelt sich bei der reinen Apperzeption um eine wirkliche mentale Bestimmung und nicht bloß um ein Vermögen oder eine Rahmenstruktur. Aus der These, dass die reine Apperzeption in allen Episoden des (apperzeptiven, attentiven) Bewusstseins vorhanden ist (TB 2 bzw. B132), lässt sich schließen, dass sie als faktische mentale Bestimmung in allen Episoden des (apperzeptiven, attentiven) Bewusstseins vorhanden sein muss.¹²⁷ Eine weitere Stelle, die anscheinend eine Herausforderung für die hier vorgeschlagene Auffassung darstellt, ist diese: Der Gedanke: diese in der Anschauung gegebene Vorstellungen gehören mir insgesammt zu, heißt demnach so viel, als ich vereinige sie in einem Selbstbewußtsein, oder kann sie wenigstens darin vereinigen […]. (B134)

Diese Stelle ist auf den ersten Blick ein Beleg dafür, dass es Episoden des Bewusstseins gibt, die kein Selbstbewusstsein enthalten. Kant deutet nämlich an, dass es unter dem sinnlich Gegebenen auch solches gibt, das zwar potenziell in einem Selbstbewusstsein vereinigt werden kann, faktisch aber nicht vereinigt ist. Jedoch ist dieses Zitat mit meinem Interpretationsvorschlag völlig kompatibel. Denn es ist möglich, dass Kant im letzten Nebensatz des Zitats nicht von den

 Das Bewusstsein, das Kant mit der Apperzeption tourt cout identifiziert, ist im Übrigen ein realer metaphysischer Gegenstand: In den Vorlesungen über Metaphysik behandelt Kant das Thema des Bewusstseins im Kapitel der empirischen Psychologie (PhilEnz 29:44). Das Erforschen des Bewusstseins „gehöret davon die Lehre eigentlich in die Metaphysicam, und wird um einen richtigen Begriff davon zu haben, vieles aus der Metaphysica zum Grunde geleget“ (V-Met-L1/ Pölitz 28:227, 1777– 1780).  Pippin behauptet, dass alle Aussagen, die eine solche starke Auffassung über die reine Apperzeption belegen würden, aus der B-KrV gestrichen worden seien (Pippin 1987, S. 461). Anhand der obigen Ausführungen ist diese Meinung jedoch unzutreffend. In Kants späteren Schriften gibt es zusätzlich diverse Belege dafür, dass die reine Apperzeption ein genuiner Vorstellungsakt ist: „Bei allem Denken ist die Apperception rein, denn es ist ein actus der reinen Spontaneität“ (V-Met-K2/Heinze 28:713, 1790/91). Siehe auch OP 22:031.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

noch-nicht-apperzeptiven bewussten Elementen in der Anschauung, sondern von dunklen Momenten der Anschauung spricht,¹²⁸ die prinzipiell „direkt oder indirekt“ (A116) im apperzeptiven Bewusstsein, welches das Selbstbewusstsein als Bestandteil enthält, aufgenommen werden können. Anders gesagt gilt nach dieser Lesart, dass diese dunklen Momente der Anschauung diejenigen Dinge sind, die „wenigstens [in einem Selbstbewußtsein] vereinigt werden“ können. Eine Stelle in der Anthropologie liefert zusätzlich einen zwingenden sachlichen Grund für die sogenannte Vorstellungslesart: Die Frage, ob bei den verschiedenen inneren Veränderungen des Gemüths (seines Gedächtnisses oder der von ihm angenommenen Grundsätze) der Mensch, wenn er sich dieser Veränderungen bewußt ist, noch sagen könne, er sei ebenderselbe (der Seele nach), ist eine ungereimte Frage; denn er kann sich dieser Veränderungen nur dadurch bewußt sein, daß er sich in den verschiedenen Zuständen als ein und dasselbe Subject vorstellt. (Anth 7:134 Anm.)

Dass das Subjekt sich der sukzessiven Zustandswechsel seines Gemüts (darunter auch des Wechsels seiner Wahrnehmungen) bewusst ist, setzt voraus, dass es sich selbst als ein und demselben Subjekt schon (implizit oder gegebenenfalls explizit) diese Vorstellungen zuschreibt. Diese faktische, vor aller Erfahrung zu vollziehende Selbstzuschreibung ist sogar eine Bedingung des Bewusstseins der Vorstellung. Sie ist eine genuine Vorstellung, wie auch der letzte Satz des Zitats und eine weitere Stelle in derselben Passage andeuten: [D]as Ich als Subject des Denkens (in der Logik), welches die reine Apperception bedeutet (das blos reflectirende Ich), und von welchem gar nichts weiter zu sagen, sondern das eine ganz einfache Vorstellung ist. (Anth 7:134 Anm., H. d. V.)

Der Einwand, dass sich diese Auffassung dem Vorwurf des Psychologismus aussetzt, ist unbegründet, weil Kant ausdrücklich klarstellt, dass allgemeine und empirisch unspezifische Aspekte der empirischen Vorstellungen zum Bereich der transzendentalen Untersuchung gehören (A343/B401). Der Begriff der reinen Apperzeption greift gerade einen allgemeinen intellektuellen Aspekt der Apperzeption tout court, und zwar den Akt der Selbstzuschreibung, heraus. Im Übrigen soll in Abschnitt 1.6 noch verdeutlicht werden, dass die transzendentale Apperzeption eine Komponente der Apperzeption tout court ist. Diese ist wiederum eine wirkliche, spezielle Vorstellung des mentalen Zustands. Wie noch dargelegt wird, ist die Apperzeption tout court gerade das Bewusstsein in der  Die Momente der Anschauung schließen sowohl Teilanschauungen als auch Empfindungen ein.

1.5 Reine Apperzeption

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Aufmerksamkeit.¹²⁹ Daher muss in dem attentiven Bewusstsein die transzendentale Apperzeption wirklich, d. h. als Aspekt der faktischen Bestimmung des Gemüts, vorhanden sein.

1.5.4 Drei Varianten des ‚Ich denke‘ Die Vorstellung ‚Ich denke‘ tritt in der KrV in drei verschiedenen Varianten auf.¹³⁰ Es ist sinnvoll, diese genauer unter die Lupe zu nehmen. Die ersten beiden Varianten stellt Kant in der „Allgemeine[n] Anmerkung, den Übergang von der rationalen Psychologie zur Kosmologie betreffend“ (B428 ff.) einander detailliert gegenüber. Im Folgenden werden zunächst mit einem besonderen Augenmerk auf diese Stellen die beiden Varianten analysiert.

1.5.4.1 Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ als intellektuelle Vorstellung der Selbsttätigkeit Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ wird erstens als eine intellektuelle Vorstellung dargelegt. In der Einführung des Apperzeptionsprinzips in § 16 der KrV bezeichnet Kant die Vorstellung des ‚Ich denke‘ ausdrücklich als „Actus der Spontaneität, d. i. sie kann nicht als zur Sinnlichkeit gehörig angesehen werden“ (B132). Das Subjekt hat durch diese rein intellektuelle Vorstellung eine direkte Kenntnis der Existenz seines Selbst, obwohl es keine über die bloße Existenzbehauptung hinausgehende Erkenntnisse über das Selbst besitzt: Das: Ich denke, drückt den Actus aus, mein Dasein zu bestimmen. Das Dasein ist dadurch also schon gegeben, aber die Art, wie ich es bestimmen, d. i. das mannigfaltige zu demselben Gehörige in mir setzen solle, ist dadurch noch nicht gegeben. (B157 Anm.) [S]o bedarf ich auch zum Erkenntnisse meiner selbst außer dem Bewußtsein oder außer dem, daß ich mich denke, noch einer Anschauung des Mannigfaltigen in mir. (B158)

Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ ist deswegen eine intellektuelle Vorstellung, weil sie auf keinem sinnlichen Mannigfaltigen des Subjekts basiert. Weder liegt ihr ein spezielles inneres sinnliches Mannigfaltiges zugrunde, das das Subjekt direkt repräsentieren kann, noch basiert sie auf einem speziellen sinnlichen Mannig-

 Siehe auch Liang 2020.  Für eine ähnliche Unterscheidung siehe auch Longuenesse 2017, S. 86 – 92.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

faltigen, welches das Denken selbst bewirkt (siehe B155).¹³¹ Das heißt, der ersten Variante des ‚Ich denke‘ liegt kein phänomenaler Gehalt im heutigen Sinne zugrunde. Noch weniger enthält das ‚Ich denke‘ in der ersten Variante ein reines zeitliches Mannigfaltiges, durch das man den Zustand des Subjekts in der Zeit bestimmen könnte: Ich denke ist ein Satz a priori; ist eine bloße Categorie des Subjects, intellectuale Vorstellung ohne irgendwo und irgendwenn, also nicht empirisch. (NTKrV 23:39, H. d. V.)

Das heißt, das ‚Ich denke‘ ist insbesondere kein Urteil, das auf dem empirischen Bewusstsein des eigenen Zustands als Produkt des inneren Sinnes basiert. In dieser Variante ist das ‚Ich denke‘ als „der formale Satz der Apperzeption“ „keine Erfahrung […], sondern die Form der Apperzeption“ (A354, siehe auch A382). Was genau ist diese intellektuelle Vorstellung hinsichtlich des bewussten Erlebens, wenn die reine Apperzeption, wie schon argumentiert wurde, ein Aspekt des faktischen Bewusstseins ist? Sie ist ein „Bewußtsein meiner Selbst beim bloßen Denken“ (B429). Das bloße Denken ist wiederum „bloß die logische Funktion, mithin lauter Spontaneität der Verbindung des Mannigfaltigen einer bloß möglichen Anschauung“ (B428). Im bloßen Denken wird das Subjekt vorgestellt „wie ein jedes Objekt überhaupt, von dessen Art der Anschauung ich abstrahiere“ (B429). Genauer gesagt wird das Ich als „Subjekt der Gedanken, oder auch als Grund des Denkens“ vorgestellt (B429). Kant lehnt es ab, diese Vorstellung als Anwendung der Kategorien der Substanz oder der Ursache zu betrachten, weil die Kategorien „jene Funktionen des Denkens (Urteilens)“ darstellen, die „schon auf unsere sinnliche Anschauung angewandt“ sind (B429). Das bloße Denken als logische Funktion ist folglich der Verbindungsakt in den unschematisierten Kategorien. Das, was es verbindet, ist das Mannigfaltige einer Anschauung überhaupt.¹³² Mit dem bloßen Denken ist somit die sogenannte Verstandesverbindung (synthesis intellectualis) gemeint (siehe Abschnitt 3.2.2.1). Diese ist diejenige Synthesis, „welche in Ansehung des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt in der bloßen [d. h. unschematisierten] Kategorie gedacht würde“ (B151) und „ohne alle Einbildungskraft, bloß durch den Verstand“ (B152).

 Hier werden das sinnliche Mannigfaltige des Ich und das der Denkhandlung getrennt thematisiert, weil das Ich als „Subjekt der Gedanken, oder als Grund des Denkens“ (B429) vom Denken selbst begrifflich zu unterscheiden ist.  Das Mannigfaltige einer Anschauung überhaupt ist keine sinnliche Vorstellung, sondern die allgemeine begriffliche Bestimmung einer möglichen Anschauung, abstrahiert von ihrem besonderen sinnlichen Charakter. Eine derartige Betrachtungsstufe, die von jeglicher empirischen Gegebenheit absieht, ist nicht empirisch, sondern transzendental (A343/B401).

1.5 Reine Apperzeption

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Unschematisierte Kategorien sind in der Tat nichts anderes als „blos auf Objecte überhaupt angewandte logische Functionen“ (ÜGTP 8:184, 1788). Das repräsentationale Vehikel des Selbstbewusstseins in der ersten Variante ist demnach das rein intellektuelle Denken. Der Ausdruck ‚Ich denke‘ drückt in dieser Variante einen Denkakt des Selbstbewusstseins aus, dessen Bestandteile reine Begriffe sind. Das Subjekt wird in diesem Satz folglich durch das reine Denken vorgestellt. Von Belang ist jedoch auch, dass das Subjekt bei der ersten Variante nicht nur durch das reine Denken, sondern auch als das Subjekt des reinen Denkens vorgestellt wird: Wenn ich mich hier als Subject der Gedanken oder auch als Grund des Denkens vorstelle, so bedeuten diese Vorstellungsarten nicht die Kategorien der Substanz oder der Ursache, denn diese sind jene Functionen des Denkens (Urtheilens), schon auf unsere sinnliche Anschauung angewandt, welche freilich erfordert werden würde, wenn ich mich erkennen wollte. Nun will ich mich meiner aber nur als denkend bewußt werden; wie mein eigenes Selbst in der Anschauung gegeben sei, das setze ich bei Seite. (B429)

Das, was durch die Vorstellung des ‚Ich denke‘ in der ersten Variante repräsentiert wird, sind ein reiner Denkakt im Sinne einer reinen logischen Funktion und das sowohl empirisch als auch begrifflich unbestimmte Subjekt. Der reine Denkakt, den das ‚Ich denke‘ bezeichnet, ist nicht der reine Denkakt des ‚Ich denke‘ selbst. Wenn dies der Fall wäre, würde die Vorstellung ‚Ich denke‘ einen reflexiven Denkakt darstellen, der sich auf sich selbst bezieht und keine weitere gegenstandsbezogene Vorstellung erster Ordnung begleitet. Derartige Denkakte sind jedoch im Kontext der Ausführung des Apperzeptionsprinzips in der Transzendentalen Deduktion (§ 16 der KrV) nicht relevant, da es dort in erster Linie um die Vorstellung des ‚Ich denke‘ geht, die eine gegenstandsbezogene Vorstellung begleitet.¹³³ Die Möglichkeit der Begleitung der Vorstellung des ‚Ich denke‘ stellt eine notwendige Bedingung dafür dar, dass eine Vorstellung für das Subjekt eine epistemische Relevanz besitzt. Folglich muss sich die Vorstellung des ‚Ich denke‘ in der ersten Variante nicht auf sich selbst, sondern in erster Linie auf einen fremden Denkakt beziehen. Der Denkakt, den der Ausdruck ‚Ich denke‘ bezeichnet, ist vielmehr jener, der in dem vom ‚Ich denke‘ eingeleiteten Nebensatz (implizit) ausgedrückt wird. Dieser Denkakt ist im Kontext der Transzendentalen Deduktion die transzendentale Synthesis, die das rein sinnliche Mannigfaltige kategorial organisiert: „die bloße Apperception: Ich denke, welche sogar alle transscendentale Begriffe möglich macht, in welchen es heißt: Ich denke die Substanz, die Ursache etc.“ (A343/B401, H. d. V.). Diese transzendentale Synthesis

 Siehe auch Ameriks 2006.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

ist die intellektuelle Komponente der Synthesis der Einbildungskraft, wodurch sich eine empirische, bestimmte Anschauung ergibt.¹³⁴ Die vorherige Analyse hat den bewusstseinstheoretischen und semantischen Charakter der Vorstellung des ‚Ich denke‘ als intellektuelles Bewusstsein aufgezeigt. Es gibt vereinzelte Stellen, die belegen, dass Kant tatsächlich die Wirklichkeit dieser Variante der Vorstellung des ‚Ich denke‘ behauptet: Ich denke z. B. über die Gottheit nach und verbinde mit diesen Gedanken das transscendentale Bewußtseyn (denn sonst würde ich nicht denken können), ohne mich mir dabei doch in der Zeit vorzustellen, welches geschehen müßte, wenn ich mir dieser Vorstellung durch meinen innern Sinn bewußt wäre. (Refl 18:611, siehe auch Refl 18:319 – 320)

Meines Erachtens verhindert jedoch eine sachliche Überlegung, dass dieser reine Denkakt der reinen Apperzeption einen realen mentalen Akt darstellt, welcher selbstständig vollzogen werden kann. Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ repräsentiert einen Denkakt, dessen sich das Subjekt intellektuell bewusst ist. Dabei soll sich diese Vorstellung auf einen einzelnen Denkakt beziehen. Allerdings kann sich das Urteil des ‚Ich denke‘ wegen seines allgemeinen diskursiven Charakters nicht auf einen einzelnen Gegenstand beziehen.¹³⁵ Jeglicher Bezug auf einen einzelnen Gegenstand muss mittels einer Anschauung erfolgen, denn lediglich diese kann einen individuellen Gegenstand repräsentieren (B157, 158; OP 22:95). Das intellektuelle Bewusstsein ist jedoch keine Anschauung (B158). Zudem ist kaum vorstellbar, wie man sich wirklich gedanklich auf einen Denkakt als solchen beziehen sollte, ohne diesen als ein Ereignis in der Zeit aufzufassen, denn das Individualisierungsprinzip des Denkakts ist die Zeit. Folglich muss das Bewusstsein des Denkakts mittels einer Anschauung, die Produkt des inneren Sinnes ist, entstehen. Daher kann meiner Meinung nach die erste Variante des ‚Ich denke‘ kein wirklicher, selbstständiger mentaler Akt sein, sondern nur das Ergebnis davon, dass die zweite Variante der Vorstellung ‚Ich denke‘ von ihrem empirischen Gehalt abstrahiert betrachtet wird.¹³⁶

 Siehe Abschnitt 3.2.2.  Für eine ähnliche Meinung siehe Klemme 2015, S. 1078, 1080.  Für Näheres über den Unterschied zwischen empirischem und intellektuellem Bewusstsein der Denkakte siehe Abschnitt 1.7.

1.5 Reine Apperzeption

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1.5.4.2 Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ als Urteil der inneren Erfahrung Das ‚Ich denke‘ in der ersten Variante ist ein Satz a priori (NTKrV 23:39). Im Gegensatz dazu bestimmt Kant die Vorstellung des ‚Ich denke‘ auch als empirische Vorstellung: Der Satz: Ich denke, oder: Ich existire denkend, ist ein empirischer Satz. Einem solchen aber liegt empirische Anschauung, folglich auch das gedachte Object als Erscheinung zum Grunde […]. (B428) Der Satz aber: Ich denke, so fern er so viel sagt, als: Ich existire denkend, ist nicht bloße logische Function, sondern bestimmt das Subject (welches dann zugleich Object ist) in Ansehung der Existenz und kann ohne den inneren Sinn nicht stattfinden, dessen Anschauung jederzeit das Object nicht als Ding an sich selbst, sondern bloß als Erscheinung an die Hand giebt. In ihm ist also schon nicht mehr bloße Spontaneität des Denkens, sondern auch Receptivität der Anschauung, d. i. das Denken meiner selbst auf die empirische Anschauung eben desselben Subjects angewandet. (B429 – 430, H. d. V.)

Nach Kant ist der Satz ‚Ich denke‘ in dem Sinne von ‚Ich existiere denkend‘ ein empirischer Satz. Beiden Sätzen liegt die empirische innere Anschauung durch den inneren Sinn zugrunde. Kennen wir jedoch nicht schon einen apriorischen Satz ‚Ich denke‘ als ein bloßes Denken, das die augenscheinlich ähnliche Existenzaussage ‚Ich bin‘ unmittelbar miteinschließt? Den entscheidenden Hinweis liefert die folgende Aussage: „Der Satz aber: Ich denke, so fern er so viel sagt, als: Ich existire denkend, ist nicht bloße logische Function, sondern bestimmt das Subjekt (welches dann zugleich Object ist) in Ansehung der Existenz“ (B429). Das heißt, in diesem Satz wird das Subjekt nicht bloß unmittelbar bewusst, sondern „bestimmt“. Bestimmen heißt hier, dass ein Prädikat A einem Ding zugesprochen und damit das kontradiktorische Prädikat Nicht-A abgesprochen wird (PND 1:391; A571 f./B599 f.; VBO 2:31; BDG 2:72). Bestimmen bedeutet anders gesagt entscheiden, ob eine Eigenschaft einem Ding zukommt oder nicht. Das ist im Endeffekt ein Synonym dafür, dieses Ding zu erkennen (B166 Anm.). Der kognitive Akt für die Bestimmung ist „synthetisch urtheilen“ (FM 20:268). Das Bestimmen eines Gegenstands heißt folglich, ein synthetisches Urteil über diesen zu fällen. Dafür ist eine sinnliche Anschauung erforderlich (B148, siehe auch B166 Anm.). Die Bestimmung der Existenz des Subjekts bedeutet entsprechend, eine sinnliche Erkenntnis von dieser zu erzielen. Eine Stelle in der Widerlegung des Idealismus belegt und erklärt den Unterschied zwischen dem Bewusstsein der Existenz des Subjekts und der Bestimmung (der Existenz) des Subjekts explizit: Allein hier wird bewiesen, daß äußere Erfahrung eigentlich unmittelbar sei, daß nur vermittelst ihrer zwar nicht das Bewußtsein unserer eigenen Existenz, aber doch die Bestimmung derselben in der Zeit, d. i. innere Erfahrung, möglich sei. Freilich ist die Vorstellung: ich bin,

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

die das Bewußtsein ausdrückt, welches alles Denken begleiten kann, das, was unmittelbar die Existenz eines Subjects in sich schließt, aber noch keine Erkenntniß desselben, mithin auch nicht empirische, d. i. Erfahrung; denn dazu gehört außer dem Gedanken von etwas Existirendem noch Anschauung und hier innere, in Ansehung deren, d. i. der Zeit, das Subject bestimmt werden muß. (B276 – 277, H. d. V.)

Zunächst sollte angemerkt werden, dass Kant anscheinend nicht zwischen der Bestimmung des Subjekts und der Bestimmung der Existenz des Subjekts unterscheidet. Hier begeht er nicht den Fehler der Verwechslung, denn dem Subjekt wahrheitsgemäß ein Prädikat zuzuschreiben und das Gegenteil abzusprechen, bedeutet nichts anderes als zu bestimmen, auf welche Weise das Subjekt existiert.¹³⁷ Beide Begriffe können somit ohne Weiteres gleichgesetzt werden. In der zweiten Variante ist die Vorstellung des ‚Ich denke‘ deswegen eine empirische Vorstellung, weil sie sich auf die innere Anschauung des inneren Sinnes bezieht (siehe das Zitat aus B429 – 430 am Anfang dieses Abschnitts). Das bedeutet aber nicht, dass der Denkakt ‚Ich denke‘ selbst ein mentales Ereignis des Sinnes ist, denn als Denkakt bleibt er eine kognitive Handlung des Verstandes und kein Produkt des Sinnes. Abgesehen von der inneren Anschauung des inneren Sinnes, auf die er sich bezieht, gehört er als spontane Handlung zum Verstand. Was ist nun die innere Anschauung des inneren Sinnes, welche bei der Bestimmung des Subjekts erforderlich ist? Sie ist, Kants Definition des inneren Sinnes zufolge, ein empirisches Bewusstsein des Gemütszustands in der Zeit.¹³⁸ Der Gemütszustand ist im Kontext der KrV vor allem der Zustand der Vorstellung oder der repräsentationale Zustand. Kants Bemerkung im obigen Zitat aus B276 – 277, dass die Existenz des Subjekts in Ansehung der Zeit anhand der inneren Anschauung bestimmt wird, bedeutet deswegen gerade, dass das Subjekt sich dessen bewusst ist, dass es sich zu einer bestimmten Zeit in einem repräsentationalen Zustand des Gemüts befindet. Der Vorstellungszustand als Gegenstand des inneren Sinnes ist beim Menschen als denkendem Wesen vor allem ein Denkzustand¹³⁹, denn später wird deutlich, dass der innere Sinn nach Kant lediglich durch den spontanen Denkakt des Subjekts affiziert werden kann und somit im Wesentlichen ein empirisches Bewusstsein des Denkaktes hervorbringt. Die innere Anschauung ist folglich das empirische Bewusstsein, dass sich das

 Für eine ähnliche Meinung siehe Allison 2015, S. 397.  Die Zeit ist deswegen von Belang, weil sie die Form des inneren Sinnes ist. Die zweite Hervorhebung des obigen Zitats aus B276 – 277 betont gerade den zeitlichen Charakter der inneren Anschauung, was zeigt, dass dort von der inneren Anschauung durch den inneren Sinn die Rede ist.  Mehr dazu siehe Abschnitt 2.4.

1.5 Reine Apperzeption

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Subjekt zur bestimmten Zeit in einem bestimmten Zustand des Denkens befindet. Diese Auslegung stimmt mit dem folgenden Zitat überein: ich existire denkend, so ist er empirisch und enthält die Bestimmbarkeit meines Daseins bloß in Ansehung meiner Vorstellungen in der Zeit. (B420, H. d. V.)

Wenn dem Gedanken „Ich existire denkend“ eine Wahrnehmung meines Vorstellungszustands in der Zeit zugrunde liegt, dann beschreibt dieser Gedanke die Tatsache, dass das Subjekt zum Zeitpunkt des Aufkommens dieses Gedankens einen bestimmten Gedanken hat, was auch der Modus der Existenz des Subjekts zu diesem Zeitpunkt ist. Damit enthält der Gedanke „Ich existire denkend“ „die Bestimmbarkeit meines Daseins bloß in Ansehung meiner Vorstellung in der Zeit“.¹⁴⁰ Im Lichte dessen besagt die wahre Bedeutung des ‚Ich denke‘ Folgendes: [ED] Ich existiere (jetzt) denkend. Anhand der inneren Anschauung kann das ‚Ich denke‘ in der zweiten Variante die Existenz des Subjekts deswegen bestimmen, weil es diesem einen konkreten Denkakt zu einem bestimmten Zeitpunkt als Prädikat zuschreibt. Dabei wird der Denkakt im Gegensatz zur ersten Variante nicht durch ein intellektuelles Bewusstsein, sondern durch eine empirische Anschauung als ein inneres Ereignis in der Zeit – d. h. in der Erscheinungswelt – vorgestellt. Die Vorstellung des Denkens in ED und mithin die Existenz des Subjekts sind zeitlich bestimmt. Damit bezieht sich das Prädikat ‚denken‘ wegen des Zeitindikators ‚jetzt‘ auf ein objektives Ereignis und hat mithin eine objektive Bedeutung. Der Satz ‚Ich denke‘ drückt dementsprechend ein empirisches Urteil über ein Ereignis in der Zeit aus und stellt somit einen Erfahrungssatz dar. Durch diesen wird das Ich wiederum em Der anschließende Kontext des obigen Zitats aus B420 lautet: „Da ich aber wiederum hierzu zuerst etwas Beharrliches bedarf, dergleichen mir, sofern ich mich denke, gar nicht in der inneren Anschauung gegeben ist; so ist die Art, wie ich existiere, ob als Substanz oder als Akzidens, durch dieses einfache Selbstbewußtsein gar nicht zu bestimmen möglich“ (B420, H. d.V.). Aufgrund des hervorgehobenen Texts könnte behauptet werden, dass die Bestimmung meines Daseins in der Zeit ein Beharrliches des inneren Sinnes voraussetzt. Diese Auslegung ist jedoch unzutreffend und hat eine absurde Implikation: Da ein solches Beharrliches im inneren Sinn nicht vorzufinden ist, kann geschlossen werden, dass Bestimmungen meines Daseins in der Zeit nicht möglich wären. In der Tat handelt es sich bei dem obigen Zitat um eine unglückliche Formulierung Kants. Laut einer eindeutigen Paralellstelle zu B420 in der Vorrede (BXL) kann man durchaus durch die innere Erfahrung sein eigenes Dasein in der Zeit bestimmen. Was anhand ihrer nicht bestimmbar ist, ist der ontologische Status des Subjekts: „So ist demnach die Beharrlichkeit eine nothwendige Bedingung, unter welcher allein Erscheinungen als Dinge oder Gegenstände in einer möglichen Erfahrung bestimmbar sind“ (B232, H. d. V.).

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

pirisch bestimmt. Im Gegensatz dazu bezieht sich der reine Gedanke ‚Ich denke‘ auf kein Ereignis in der objektiven Welt. Daher kann er das Subjekt nicht bestimmen. Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ in der zweiten Variante ist somit nicht mehr ein bloßer „Gedank[e] von etwas Existirendem“ (B276 – 277). Dabei wird das Subjekt „sich [nicht] lediglich ihres Verbindungsvermögens bewusst“ (B158). Die rein intellektuelle Vorstellung der Existenz ist keine Erkenntnis über die innere Erscheinung, denn diese soll zeitlich sein. Dagegen drückt die Vorstellung des ‚Ich denke‘ in der zweiten Variante ein empirisches Urteil aus und stellt einen Satz der empirischen inneren Erkenntnisse dar. In der Tat handelt es sich bei dem Urteil ‚Ich denke‘ gerade um eine begriffliche Bestimmung der inneren Wahrnehmung des inneren Zustands, die bloß rezeptiv durch die Selbstaffektion generiert wird und begrifflich noch nicht bestimmt ist. Anhand dieses Urteils wird die unbestimmte innere Anschauung zur kategorial bestimmten und damit zeitlich bestimmten inneren Anschauung. Dass der Gedanke durch das Urteil ‚Ich denke‘ kategorial bestimmt wird, kann auch durch einige Stellen im vierten Paralogismus bestätigt werden: Denn ich bin mir doch meiner Vorstellungen bewußt; also existiren diese und ich selbst, der ich diese Vorstellungen habe. […] Also existiren eben sowohl äußere Dinge, als ich selbst existire, und zwar beide auf das unmittelbare Zeugniß meines Selbstbewußtseins […] Ich habe in Absicht auf die Wirklichkeit äußerer Gegenstände eben so wenig nöthig zu schließen, als in Ansehung der Wirklichkeit des Gegenstandes meines innern Sinnes (meiner Gedanken); denn sie sind beiderseitig nichts als Vorstellungen, deren unmittelbare Wahrnehmung (Bewußtsein) zugleich ein genugsamer Beweis ihrer Wirklichkeit ist. (A370 – 371, H. d.V.)

Aus dieser Analyse ergibt sich die folgende Beobachtung: Was die erste und die zweite Variante des ‚Ich denke‘ unterscheidet, ist, ob sich der Denkakt ‚Ich denke‘ durch ein direktes intellektuelles Bewusstsein auf den Denkakt erster Ordnung bezieht oder mittels einer inneren Anschauung, die der innere Sinn infolge der Selbstaffektion durch den Denkakt erster Ordnung generiert. Diesen beiden Varianten liegen zwei unterschiedliche Arten des epistemischen Zugangs zum Denkakt zugrunde: Man kann ein direktes intellektuelles Bewusstsein von einem Denkakt oder ein empirisches Bewusstsein von demselben mittels des inneren Sinnes haben. Die erste Variante ist in der Tat gerade die reine Apperzeption. Die zweite ist die Apperzeption tout court, die aus der reinen und der empirischen Apperzeption (d. h. dem empirischen Bewusstsein durch den inneren Sinn) besteht.¹⁴¹

 Siehe Abschnitt 1.7 über den Aufsatz Loses Blatt Kiesewetter.

1.5 Reine Apperzeption

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1.5.4.3 Die dritte Variante des ‚Ich denke‘ Das wohl Schwierigste an Kants Ausführungen zur Apperzeption sind seine ambivalenten Bemerkungen über die reine Apperzeption. Diese fallen besonders an einer Stelle am Anfang des Paralogismus (A341/B399–A343/B401) ins Auge, die im Folgenden genauer untersucht werden soll. Zunächst bezeichnet Kant das ‚Ich denke‘ als einen speziellen transzendentalen Begriff oder ein „Urteil“, welches das „Vehikel aller Begriffe überhaupt“ ist (A341/B399). Es ist transzendental und dient dazu, „alles Denken, als zum Bewußtsein gehörig, aufzuführen“ (A341/B400). Somit handelt es sich hier offenbar um das ‚Ich denke‘ in der ersten Variante, d. i. die reine Apperzeption. Dies macht Kant auch deutlich, indem er schreibt, dass das ‚Ich denke‘ „rein […] vom Empirischen (dem Eindrucke der Sinne) ist“ (A342/B400). Überraschend und unmissverständlich behauptet Kant jedoch im weiteren Verlauf des Texts, dass die Vorstellung des ‚Ich denke‘ in der ersten Variante im Wesentlichen eine innere Wahrnehmung ist: Man darf sich daran nicht stoßen, daß ich doch an diesem Satze, der die Wahrnehmung seiner selbst ausdrückt, eine innere Erfahrung habe, und mithin die rationale Seelenlehre, welche darauf erbaut wird, niemals rein, sondern zum Teil auf ein empirisches Prinzipium gegründet sei. Denn diese innere Wahrnehmung ist nichts weiter, als die bloße Apperzeption: Ich denke; welche sogar alle transzendentalen Begriffe möglich macht, in welchen es heißt: Ich denke die Substanz, die Ursache usw. (A342/B400 f)

Laut dieser Passage hat das Subjekt „eine innere Erfahrung“ „an dem Satz [Ich denke], der die Wahrnehmung seiner selbst ausdrückt“. Auf den ersten Blick suggeriert diese Bemerkung den Eindruck, dass es sich dabei um die zweite Variante der Vorstellung des ‚Ich denke‘ handeln könnte: Das ‚Ich denke‘ ist eine begriffliche Bestimmung der inneren Anschauung des Denkakts, der wiederum die Vorstellung erster Ordnung begrifflich bestimmt. Denn der Satz „Ich denke“ soll die „Wahrnehmung seiner selbst ausdrück[en]“ und diese ist wiederum eine empirische Anschauung des eigenen Denkakts – wir wissen schon, dass eine Wahrnehmung des beharrlichen Selbst nicht gibt. Damit drückt das Urteil ‚Ich denke‘ eine empirische Erkenntnis über den inneren Zustand, mithin eine innere Erfahrung aus. Das Urteil ‚Ich denke‘ bleibt jedoch eine spontane Handlung des Verstandes. Es ist, wie bereits verdeutlicht wurde, eine empirische Vorstellung, weil es die innere Anschauung begrifflich bestimmt. Damit wäre die im Zitat gemeinte „bloße Apperzeption“, die Kant mit der inneren Anschauung erklärt, die Apperzeption tout court, die sowohl die reine Apperzeption als auch die empirische Apperzeption miteinschließt. Dieser Eindruck ist jedoch trügerisch, denn die Textlage ist deutlich komplizierter.

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Die fragliche innere Wahrnehmung wird von Kant mit der bloßen Apperzeption ‚Ich denke‘ identifiziert. Diese Identifikation ist allerdings problematisch und wird noch genauer zu untersuchen sein. Doch es bleibt unbezweifelbar, dass diese innere Wahrnehmung Kants Wortlaut zufolge daran beteiligt ist, „sogar alle transzendentalen Begriffe möglich“ zu machen (A342/B400 f.). Diese Wahrnehmung kann auf keinen Fall die Wahrnehmung der inneren Zustände durch den inneren Sinn sein. Die transzendentalen Begriffe sind nämlich diejenigen, gemäß derer die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft die reine und formale Anschauung gestaltet. Damit sind diese Begriffe die transzendentale Bedingung der Erfahrung und ipso facto auch jene der inneren Erfahrung. Erst durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft wird der innere Sinn affiziert. Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ und die innere Wahrnehmung „an diesem Satz“ sind Bedingungen der „transzendentalen Begriffe“, daher müssen sie vor und unabhängig von der Selbstaffektion bzw. der Affektion des inneren Sinnes bereits vorhanden sein. Wenn die im Zitat erwähnte innere Wahrnehmung nicht diejenige durch den inneren Sinn ist, wie ist sie genauer zu verstehen? Im letzten Satz des Zitats wird „dies[e] innere Wahrnehmung“, die offenbar auf „die Wahrnehmung seiner selbst“ bezogen ist, gar mit der „bloß[en] Apperzeption: Ich denke“ identifiziert. An einer anderen Stelle in der KrV wird die bloße Apperzeption eindeutig mit der reinen Apperzeption identifiziert, die an sich eine Vorstellung des Verstandes ist und keine sinnlichen Eindrücke beinhaltet.¹⁴² Da außerdem diese „bloße Apperzeption“ dem obigen Zitat zufolge „sogar alle transzendentalen Begriffe möglich“ machen soll, ist sie von ihrer transzendentalen Rolle her auch mit der reinen Apperzeption zu identifizieren. Infolgedessen muss ausgeschlossen werden, dass die reine Apperzeption eine innere Wahrnehmung ist. Dies würde einen großen terminologischen Widerspruch bedeuten, denn die reine Apperzeption soll, wie andere Textstellen zeigen, frei von allen sinnlichen Eindrücken und ein spontaner Akt des Verstandes sein. Bei genauerer Betrachtung deutet alles darauf hin, dass der Satz „diese innere Wahrnehmung ist nichts weiter, als die bloße Apperzeption“ eine unglückliche

 „Allein der Mensch, der die ganze Natur sonst lediglich nur durch Sinne kennt, erkennt sich selbst auch durch bloße Apperzeption, und zwar in Handlungen und inneren Bestimmungen, die er gar nicht zum Eindrucke der Sinne zählen kann, und ist sich selbst freilich einesteils Phänomen, anderenteils aber, nämlich in Ansehung gewisser Vermögen, ein bloß intelligibler Gegenstand, weil die Handlung desselben gar nicht zur Rezeptivität der Sinnlichkeit gezählt werden kann“ (A546/B574). Siehe auch A400. Diese Bemerkung schließt jeden Deutungsversuch aus, die „bloße Apperzeption“ als eine empirische Vorstellung zu interpretieren. Zur Definition der reinen Apperzeption siehe z. B. BXL, B132.

1.5 Reine Apperzeption

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Formulierung darstellt. Streng genommen identifiziert Kant im ersten Satz der zitierten Passage aus A342/B400 f. die reine Apperzeption (mit dem propositionalen Gehalt ‚Ich denke‘) weder wörtlich noch sachlich mit der inneren Wahrnehmung. Kant macht die Relation der beiden deutlich: Der Satz ‚Ich denke‘ soll die Wahrnehmung seines Selbst ausdrücken. In der Anmerkung in B422, die eine Parallelstelle zum obigen Zitat aus A342/B400 f. ist, verweist Kant auch darauf, dass „[das Ich denke] eine unbestimmte empirische Anschauung, d. i. Wahrnehmung, aus[drückt]“. Kant behauptet also nicht, dass der Gedanke des ‚Ich denke‘ selbst eine Wahrnehmung ist. Es kann nur sein, dass dieser Gedanke auf einer inneren Wahrnehmung basiert. Dies lässt sich zudem durch Kants Bemerkung „ich doch an diesem Satze [‚Ich denke‘] eine innere Erfahrung habe“ untermauern: Nur wenn man den Gedanke des ‚Ich denke‘ so versteht, dass er sich als ein Urteilsakt auf eine innere Wahrnehmung bezieht und nicht selbst eine innere Wahrnehmung ist, kann sie eine empirische innere Erkenntnis, d. h. „eine innere Erfahrung“ darstellen. Es ist außerdem schwierig, die Aussage, dass die reine Apperzeption bzw. der Gedanke ‚Ich denke‘ selbst eine innere Wahrnehmung ist, wörtlich zu nehmen. Die einzig sinnvolle Interpretationsoption für diese Aussage ist, dass man ein phänomenales Erlebnis von dem reinen Verstandesakt ‚Ich denke‘ selbst hat. Es gibt, anders ausgedrückt, eine sogenannte kognitive Phänomenologie vom Urteilsakt ‚Ich denke‘.¹⁴³ Es ist jedoch nicht plausibel, dass das ‚Ich denke‘ als eine transzendentale Bedingung der Erfahrung immer phänomenal bewusst ist. Diese Lesart hat eine absurde Implikation angesichts der Aussage Kants in der oben zitierten Passage, dass das Urteil ‚Ich denke‘ die fragliche innere Wahrnehmung ausdrückt. Infolge dieser Lesart würde nämlich gelten: Der Gedanke des ‚Ich denke‘ bezieht sich auf das phänomenale Erlebnis, das dieser selbst hervorruft. Wenn dies die richtige Lesart wäre, ließe sich das Apperzeptionsprinzip in B132 auch nicht mehr sinnvoll erklären. Denn was würde dann der völlig selbstbezogene Gedanke ‚Ich denke‘ mit der von ihm zu begleitenden Vorstellung zu tun haben? An dem Satz „Ich denke die Substanz, die Ursache usw.“ der oben zitierten Passage wird deutlich, dass sich der Gedanke ‚Ich denke‘ semantisch auf die spontanen Akte der Vorstellung erster Ordnung als auf ihn selbst oder auf einen seiner Aspekte bezieht. Wohlgemerkt ist mit „innere[r] Erfahrung“ in der oben zitierten Passage nicht diejenige innere Erfahrung gemeint, die durch Anwendung der (transzendentalen) Begriffe auf die unbestimmte Wahrnehmung des inneren Sinnes entsteht. Denn die Vorstellung des ‚Ich denke‘, an der man die fragliche ‚innere Erfahrung‘

 Für Näheres über die kognitive Phänomenologie, siehe Tim Bayne und Michelle Montague 2011.

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haben soll, ist Bedingung „all[er] transzendentalen Begriffe“ und damit Bedingung der äußeren und der inneren Erfahrung durch den inneren Sinn. Die „innere Erfahrung“ „an diesem Satz“ steht somit logisch vor der inneren Erfahrung durch den inneren Sinn und der äußeren Erfahrung. Zusammenfassend bedeutet dies: Die reine Apperzeption lässt sich nicht mit der in A342/B400 f. erwähnten inneren Wahrnehmung identifizieren. Diese innere Wahrnehmung muss vielmehr durch einen anderen Akt des Gemüts affiziert werden.

1.5.5 Primäre Selbstanschauung: Analyse einer Schlüsselpassage in B422 f. Was ist nun die innere Wahrnehmung, die mit der reinen Apperzeption unzertrennlich verbunden ist? An dieser Stelle ist es sinnvoll, eine besonders aufschlussreiche Passage genauer zu untersuchen: [IDU] 1) Das: Ich denke, ist, wie schon gesagt, ein empirischer Satz und hält den Satz: Ich existire, in sich. 2) Ich kann aber nicht sagen: alles, was denkt, existirt; denn da würde die Eigenschaft des Denkens alle Wesen, die sie besitzen, zu nothwendigen Wesen machen. 3) Daher kann meine Existenz auch nicht aus dem Satze: Ich denke, als gefolgert angesehen werden, wie Cartesius dafür hielt, (weil sonst der Obersatz: alles, was denkt, existirt, vorausgehen müßte) sondern ist mit ihm identisch. 4) Er drückt eine unbestimmte empirische Anschauung, d. i.Wahrnehmung, aus, (mithin beweiset er doch, daß schon Empfindung, die folglich zur Sinnlichkeit gehört, diesem Existentialsatz zum Grunde liege) geht aber vor der Erfahrung vorher, die das Object der Wahrnehmung durch die Kategorie in Ansehung der Zeit bestimmen soll; 5) und die Existenz ist hier noch keine Kategorie, als welche nicht auf ein unbestimmt gegebenes Object, sondern nur ein solches, davon man einen Begriff hat, und wovon man wissen will, ob es auch außer diesem Begriffe gesetzt sei, oder nicht, Beziehung hat. 6) Eine unbestimmte Wahrnehmung bedeutet hier nur etwas Reales, das gegeben worden und zwar nur zum Denken überhaupt, also nicht als Erscheinung, auch nicht als Sache an sich selbst (Noumenon), sondern als Etwas, was in der That existirt und in dem Satze: Ich denke, als ein solches bezeichnet wird. 7) Denn es ist zu merken, daß, wenn ich den Satz: Ich denke, einen empirischen Satz genannt habe, ich dadurch nicht sagen will, das Ich in diesem Satze sei empirische Vorstellung; vielmehr ist sie rein intellectuell, weil sie zum Denken überhaupt gehört. 8) Allein ohne irgend eine empirische Vorstellung, die den Stoff zum Denken abgiebt, würde der Actus: Ich denke, doch nicht stattfinden, und das Empirische ist nur die Bedingung der Anwendung oder des Gebrauchs des reinen intellectuellen Vermögens. (B422 f. Anm., Nummerierung durch den Verfasser)

Diese Passage knüpft sehr eng an die oben zitierte Stelle in A342/B400 f. an und ist offenbar eine Parallelstelle dazu. Im ersten Satz dieser Passage verweist Kant nämlich auf vorherige Passagen, in denen er den Satz ‚Ich denke‘ als empirisch bezeichnet.Vor B422 erfüllt neben einer weiteren Stelle (B420) besonders die oben

1.5 Reine Apperzeption

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zitierte Passage IDU (A342/B400 f.) diese Bedingung. Daher muss man alle diesen Passagen gemeinsam analysieren. Die obige Passage IDU ist jedoch elliptisch und dunkel. Sie gibt zusammen mit anderen Stellen einige hartnäckige Fragen auf und scheint mit verschiedenen Interpretationen konform zu sein. Im Folgenden stelle ich diese Rätsel nacheinander vor und präsentiere dann eine neue Interpretation, die diese Rätsel löst.

1.5.5.1 Die unbestimmte Selbstwahrnehmung Das Auffälligste an der obigen Passage und zugleich das größte Rätsel in Kants Lehre der Apperzeption ist, dass ihr zufolge eine spezielle ‚unbestimmte Anschauung‘ bzw. eine ‚unbestimmte Wahrnehmung‘ der Vorstellung des ‚Ich denke‘ zugrunde liegt. Der Satz IDU.4 bekräftigt die vorherige Analyse der Passage aus A343/B401, wonach die Vorstellung des ‚Ich denke‘ zwar eine innere Wahrnehmung ausdrückt bzw. mit dieser semantisch korrespondiert, aber nicht selbst diese Wahrnehmung ist. Er bestätigt außerdem, dass die „unbestimmte Anschauung“ nicht mit derjenigen (unbestimmten) Anschauung des inneren Zustandes zu identifizieren ist, die von der Affektion des inneren Sinnes durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft erzeugt wird.¹⁴⁴ Dafür sprechen drei Gründe: Erstens geht die fragliche unbestimmte empirische Anschauung bzw. Wahrnehmung dem Satz IDU.4 zufolge „der Erfahrung vorher, die das Object der Wahrnehmung durch die Kategorie in Ansehung der Zeit bestimmen soll“.¹⁴⁵ Dies entspricht genau der Darstellung in A343/B401, nach der die innere Wahrnehmung vor der kategorialen Bestimmung der Erscheinung und somit vor der Selbstaffektion stattfindet. Zweitens stellt sie nach dem Satz IDU.6 im Unterschied zu der unbestimmten Anschauung durch den inneren Sinn keine Erscheinung dar: Der Satz aber: Ich denke, so fern er so viel sagt, als: Ich existire denkend, ist nicht bloße logische Function, sondern bestimmt das Subject (welches dann zugleich Object ist) in Ansehung der Existenz und kann ohne den inneren Sinn nicht stattfinden, dessen Anschauung jederzeit das Object nicht als Ding an sich selbst, sondern bloß als Erscheinung an die Hand giebt. (B429, H. d. V.)

 Eine ähnliche Meinung vertritt Frank 1991, S. 421– 422. Für die Anschauung des inneren Zustandes durch die Affektion des inneren Sinnes durch die transzdentale Synthesis der Einbildungskraft siehe A107, BXL–XLI, B277, B430, B156, B68.  Die grammatische Konstruktion ‚X vor Y‘ bedeutet an dieser Stelle, dass X transzendental unabhängig von und grundlegender als Y und gegebenfalls auch Voraussetzung für Y ist (für ähnliche Verwendungen siehe A26, B523).

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Drittens stellt die unbestimmte Anschauung in IDU keine sinnliche Grundlage für die Anwendung der Kategorie der Existenz dar (siehe IDU.5), während aus der eben zitierten Passage deutlich wird, dass die Vorstellung des ‚Ich denke‘ dennoch die innere Anschauung als Produkt des inneren Sinnes hinsichtlich der Kategorie der Existenz bestimmt. Viertens kann die unbestimmte Wahrnehmung aus IDU nicht die Vielfalt der spontanen Verstandesakte repräsentieren, während die Wahrnehmung durch den inneren Sinn dies könnte (A378, B471). Folglich muss die unbestimmte Anschauung in IDU von der inneren Anschauung durch den inneren Sinn, die der zweiten Variante der Vorstellung des ‚Ich denke‘ zugrunde liegt, deutlich unterschieden werden. Der Einfachheit halber bezeichne ich fortan die erste als ‚primäre Selbstanschauung‘ und die zweite als ‚sekundäre Selbstanschauung‘. Wir erinnern uns an die Anmerkung in B157 f. Dort lehnt Kant die Selbstanschauung ab, die „das Bestimmende in mir, dessen Spontaneität ich mir nur bewußt bin, eben so vor dem Actus des Bestimmens gibt, wie die Zeit das Bestimmbare“. Nach der bisherigen Analyse widerspricht dies der Passage IDU nicht, weil es in IDU nicht um eine Anschauung im eigentlichen Sinne, sondern um eine spezielle, unbestimmte empirische Anschauung geht, die sich jeglichem Kategorisierungsversuch entzieht. Neben den oben zitierten Passagen gibt es zusätzlich weitere Stellen, welche den Passagen A343/B401 und B422 Anm. ähneln. Den Gedanken des ‚Ich denke‘ bezeichnet Kant z. B. in A848/B876 als „empirisch[e] inner[e] Vorstellung“. In Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786) behauptet Kant: Der Gedanke Ich dagegen gar kein Begriff, sondern nur innere Wahrnehmung, aus ihm kann also auch gar nichts (außer der gänzliche Unterschied eines Gegenstandes des inneren Sinnes von dem, was bloß als Gegenstand äußerer Sinne gedacht wird), folglich auch nicht die Beharrlichkeit der Seele als Substanz gefolgert werden. (MAN 4:543)

In Kants vorkritischen Notizen sind bereits Ansätze zu finden, die eine solche Anschauung oder Wahrnehmung belegen: Das Ich ist eine unerklarliche Vorstellung. Sie ist eine Anschauung, die unwandelbar ist. (Refl 17:465, ca. 1769 – 1770 oder 1771– 1778) [D]as Ich, welches gleichwohl kein Begriff, sondern eine [Empfindung] Anschauung ist. (Refl 17:346, 1769)¹⁴⁶

 Für eine ähnliche Meinung hierzu siehe Frank 1991, S. 422.

1.5 Reine Apperzeption

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Die Selbstanschauung in dem ersten Zitat ist kein Produkt des inneren Sinnes, denn durch A107 ist bekannt, dass die innere Anschauung des inneren Sinnes „jederzeit wandelbar“ ist.

1.5.5.2 Charakter der primären Selbstanschauung Es ist äußerst schwierig, die primäre Selbstanschauung genauer zu beschreiben und ihre Rolle in Kants Lehre der mentalen Aktivitäten zu bestimmen, weil Kant diesen Begriff selten erwähnt und erläutert. Im Folgenden wird trotz der spärlichen Textlage versucht, eine Analyse dieses Begriffs durchzuführen. Zunächst ist die Frage zu betrachten, inwiefern die primäre Selbstanschauung bzw. Selbstwahrnehmung unbestimmt ist. Aus dem Begriff der unbestimmten Selbstanschauung können wir vieles über die Apperzeption ableiten. Im Fall der Wahrnehmung bedeutet der Ausdruck ‚unbestimmt‘ bei Kant gewöhnlich, dass diese Wahrnehmung nicht kategorisiert bzw. begrifflich noch nicht näher bestimmt ist.¹⁴⁷ Es geht dabei um eine Betrachtungsweise der empirischen Erkenntnis: Das Ergebnis des rezeptiven Erkenntnisvermögens wird vom Ergebnis des spontanen reflexiven Erkenntnisvermögens abstrahiert und separat betrachtet. Im Gegensatz dazu handelt es sich in IDU jedoch um eine Spezies der Wahrnehmung.¹⁴⁸ Die primäre Selbstanschauung ist nicht deswegen unbestimmt, weil sich das Gegebene der unbestimmten Selbstwahrnehmung der Konzeptualisierung bzw. Objektivierung noch nicht unterzogen hat, obwohl es prinzipiell durch das ‚Ich denke‘ begrifflich bestimmt werden kann. Aus der Lehre des Paralogismen-Kapitels geht hervor, dass der Vorstellung des Ich nicht die Anschauung fehlt. Aber die Anschauung, die dem (Quasi‐)Begriff des Ich zugrunde

 Dies geht aus z. B. folgender Passage hervor „[D]agegen der innere Sinn die bloße Form der Anschauung, aber ohne Verbindung des Mannigfaltigen in derselben, mithin noch gar keine bestimmte Anschauung enthält, welche nur durch das Bewußtsein der Bestimmung desselben durch die transscendentale Handlung der Einbildungskraft (synthetischer Einfluß des Verstandes auf den inneren Sinn), welche ich die figürliche Synthesis genannt habe, möglich ist“ (B154). Siehe auch Michel 2015, S. 2595.  Die Adverbialbestimmung „hier“ in der Formulierung „eine unbestimmte Wahrnehmung bedeutet hier“ deutet darauf hin, dass der Ausdruck „unbestimmte Wahrnehmung“ sich auf jenen „unbestimmte Anschauung, d. i. Wahrnehmung“ bezieht. Kant definiert die Wahrnehmung auch im Sinne „unbestimmte Anschauung“ (A374). Ist das Wort „unbestimmt“ im Ausdruck „unbestimmte Wahrnehmung“ vielleicht redundant? Anders gesagt handelt es sich in der ersten Formulierung vielleicht nicht um eine spezielle Wahrnehmung, sondern um die Wahrnehmung selbst? Aus dem Folgenden geht hervor, dass es hier tatsächlich um eine eher spezielle Wahrnehmung geht, denn auf diese Wahrnehmung der Denkakte kann, im Gegensatz zur normalen Wahrnehmung, keine Kategorie angewendet werden.

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liegt, kann bestimmte Bedingungen nicht erfüllen, die für eine Anwendung der Kategorien auf sie notwendig sind (A348/B406 ff.).¹⁴⁹ In diesem Sinne bezeichnet Kant das ‚Ich denke‘ als „den empirischen, aber in Ansehung aller Art der Anschauung unbestimmten Satz“ (B421, H. d. V.). Die primäre Selbstwahrnehmung ist aufgrund der Eigenschaft der ihr zugrunde liegenden Empfindung nicht zu konzeptualisieren und folglich auch nicht zu objektivieren (B413). Es fehlt eine Anschauung des Ich, anhand derer bestimmt wird, ob das Ich Substanz oder Akzidenz ist (B420). In der uns vorliegenden Selbstanschauung (jeglicher Art) lassen sich die empirischen Daten nicht in eine Substanz-AkzidenzStruktur einordnen. Insbesondere fehlt in dem phänomenalen Gehalt einer solchen Anschauung eine Unterscheidung zwischen dem Wandelbaren und dem Beharrlichen, d. i. eine Prädikat-Substrat-Struktur, welche die Substanzialität des Subjekts empirisch begründen würde: Wenn ich ein Ding für eine Substanz in der Erscheinung erkläre, so müssen mir vorher Prädikate seiner Anschauung gegeben sein, an denen ich das Beharrliche vom Wandelbaren und das Substratum (Ding selbst) von demjenigen, was ihm bloß anhängt, unterscheide. (A399 f., siehe auch B413)

Die Anschauung der Seele weist nämlich nichts Beharrliches auf, da ihre Teile nicht „außerhalb einander“ sind (MAN 4:542; B413 ff.). Außer der Kategorie der Inhärenz und Subsistenz hat Kant sich zur Anwendbarkeit der Kategorien der Realität und Modalität auf die primäre Anschauung geäußert. Seine Ausführungen dazu sind komplex. In der Anmerkung B422– 423 behauptet Kant, dass die unbestimmte Wahrnehmung, die für den Satz des ‚Ich denke‘ die semantische Grundlage bildet, „etwas Reales“ vorstellt. Das Reale ist nichts anderes als der Gegenstand der Empfindung, mit dem der qualitative Aspekt der Empfindung insofern korrespondiert, als der Gegenstand für diesen Aspekt verantwortlich ist (A175 f./B217). Das Reale stellt „die transzendentale Materie aller Gegenstände, als Dinge an sich (die Sachheit, Realität)“ dar (A143/B182). Der qualitative Aspekt der Empfindung soll durch die Kategorie bzw. das Schema der Qualität konzeptualisiert werden, indem der Begriff für ihn „an sich selbst ein Sein (in der Zeit) vorstellt“ (A143/B182). Eine solche Konzeptualisierung der primären Selbstanschauung ist jedoch unmöglich. Durch die Vorstellung des ‚Ich denke‘ wird der

 Obwohl wir an dieser Stelle die mit dem Satz des ‚Ich denke‘ verbundene primäre Selbstanschauung noch nicht ohne Weiteres mit der Selbstanschauung, die Kant im ParalogismenKapitel thematisiert hat, gleichsetzen können, ist es wegen der allgemeinen Geltung der Paralogismen-Kritik unbedenklich zu behaupten, dass sich die Defizienz, die Kant in der letzteren Selbstanschauung aufzeigt, auch in der ersteren Selbstanschauung finden lässt.

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Gegenstand der primären Selbstempfindung lediglich „bezeichnet“ (IDU.6). Dieser wird als „Denkendes“ von dem Gegenstand der äußeren Sinne unterschieden (MAN 4:543), ohne dass eine nähere Bestimmung möglich ist. Der Grund dafür kann meines Erachtens nur in dem phänomenalen Gehalt der primären Selbstanschauung liegen. Durch die unbestimmte Anschauung wird zwar etwas Qualitatives in einer direkten Bekanntschaft gegeben, aber dieser qualitative Gehalt kann nicht durch einen gehaltvollen phänomenalen Begriff erfasst werden. Dieses flüchtige Gefühl des Ich könnte ein Grund dafür sein, dass Kant zwischen dem rein intellektuellen Bewusstsein der Verstandeshandlung und der unbestimmten Selbstwahrnehmung schwankt, als er mit der Frage konfrontiert wird, zu welchem Bewusstseinsmodus die reine Apperzeption gehört. Hinsichtlich der Kategorie der Existenz ist Kants Position ebenfalls schwer nachzuvollziehen. Kant schreibt nämlich: Das Dasein ist dadurch [d. i. durch die (empirische) Vorstellung des Ich denke, siehe auch B420] also schon gegeben, aber die Art, wie ich es bestimmen, d. i. das mannigfaltige zu demselben Gehörige in mir setzen solle, ist dadurch noch nicht gegeben. (B157– 158 Anm.)

Kant will anscheinend damit sagen, dass die Existenz des Ich in der Vorstellung des ‚Ich denke‘ bereits kategorial bestimmt ist, obwohl die Art seiner Existenz nicht dadurch bestimmbar ist. Die Vorstellung des ‚Ich denke‘ stellt tatsächlich eine Art Wirklichkeit vor, weil sie eine unbestimmte Selbstwahrnehmung ausdrückt. Gemäß dem Postulaten-Kapitel ist nämlich „die Wahrnehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergibt, […] der einzige Charakter der Wirklichkeit“ (A225/ B272– 273); „Wahrnehmung [ist] die Vorstellung einer Wirklichkeit“ (A374– 375); „[W]as […] durch Wahrnehmung vorgestellt wird, ist […] auch wirklich“ (Refl 18:332). In dem Satz IDU.5 behauptet Kant jedoch überraschenderweise, dass die unbestimmte empirische Anschauung die Anwendung der Kategorie der Existenz nicht legitimiert. Aus IDU.5 lässt sich einiges über den Grund erschließen, warum die Kategorie der Existenz nicht auf die unbestimmte primäre Selbstanschauung anwendbar ist:¹⁵⁰ [G1] Die primäre Selbstanschauung liefert nur ein unbestimmtes Objekt.

 Der Sachverhalt, dass die primäre Selbstanschauung „vor der Erfahrung, die das Object der Wahrnehmung durch die Kategorie in Ansehung der Zeit bestimmen soll“ (B422– 423 Anm.), liegt, stellt keinen zwingenden Grund dafür dar, dass die Kategorie der Existenz nicht auf diese Selbstanschauung anwendbar ist.

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[G2] Die Kategorie der Existenz soll sich auf ein Objekt beziehen, von dem man „einen Begriff hat“ und von dem man „wissen will, ob es auch außer diesem Begriff gesetzt [ist], oder nicht“. (B423 Anm.) G1 stellt an sich kein Hindernis für die Anwendung der Kategorie der Existenz auf die primäre Selbstanschauung dar, weil alle Anschauungen ein unbestimmtes Objekt repräsentieren, bevor sie kategorisiert werden (A20/B34).¹⁵¹ Es ergibt sich jedoch dann ein Grund gegen die Anwendung der Kategorie der Existenz, wenn die primäre Selbstanschauung lediglich ein unbestimmtes Objekt liefert, ohne G2 zu erfüllen. Wenn Kant bestreitet, dass die primäre Selbstanschauung diese Kriterien erfüllt, deutet er in der Tat an, dass G2 nicht erfüllt ist. Gemäß G2 sollen zwei Kriterien erfüllt werden, damit die Kategorie der Existenz anwendbar ist. Die Bedeutung des ersten Kriteriums ist klar: Es muss ein Begriff des unbestimmten Objekts vorhanden sein. In dem zweiten Kriterium geht es darum, dass man prinzipiell feststellen kann, ob tatsächlich¹⁵² ein Gegenstand unter den Begriff fällt, falls es einen solchen Begriff gibt. Den beiden Kriterien liegt Kants Konzeption der Existenz zugrunde: Existenz ist kein Prädikat eines Gegenstands (A598/B626), sondern muss eher als ein Prädikat des Begriffs betrachtet werden (BDG 2:72; A225/B272 f., A598/B626; Refl 18:126, 333, 525, 543, 698). Einem Begriff kann dieses Prädikat genau dann zugeschrieben werden, wenn seine Extension nicht leer ist. Der Satz G2 lässt sich damit wie folgt neu formulieren: Die Kategorie der Existenz ist auf ein unbestimmtes Objekt der Vorstellung anwendbar, wenn man vom Objekt einen Begriff hat und prinzipiell untersuchen kann, ob es bei diesem Objekt um ein Objekt in der Erscheinungswelt geht. Dass wir keinen Begriff von dem Ich als Gegenstand haben, wird aus A346/B404 deutlich. Der repräsentationale Gehalt der primären Selbstanschauung lässt sich folglich nicht mit einem Begriff erfassen. Die Unerfüllbarkeit des Kriteriums G2

 „Ist Empfindung einmal gegeben (welche, wenn sie auf einen Gegenstand überhaupt, ohne diesen zu bestimmen, angewandt wird, Wahrnehmung heißt) […]“ (A374). Die Wahrnehmung ist demnach eine Empfindung, die sich auf einen Gegenstand überhaupt bezieht, ohne diesen kategorial zu bestimmen. Die Wahrnehmung kann durch Kategorien bestimmt werden (wie bei der Erfahrung äußerer Gegenstände) oder nicht (wie bei der primären Selbstanschauung). Eine auf einen unbestimmten Gegenstand bezogene Wahrnehmung ist damit die Vorstufe der kategorial bestimmten Anschauung.  Für den Menschen als Subjekt der Erfahrung heißt dies: in der Erscheinungswelt.

1.5 Reine Apperzeption

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stellt einen entscheidenden Grund dagegen dar, dass die Kategorie der Existenz auf die primäre Selbstanschauung angewendet werden kann.¹⁵³

1.5.5.3 Wie lässt sich das Affektionsverhältnis bei der unbestimmten Selbstwahrnehmung spezifizieren? Die Wahrnehmung ist empirisches Bewusstsein, dem eine Empfindung zugrunde liegt. Der Satz ‚Ich denke‘ soll der Passage IDU (B422– 423 Anm.) zufolge gerade das empirische Bewusstsein bezeichnen, das von einer Empfindung generiert wird. Jede Art von Empfindung ist bei Kant eine zweistellige Relation zwischen dem Affizierenden und dem Affizierten. Zudem hat die Empfindung einen qualitativen Charakter, der als repräsentationales Vehikel der Anschauung dienen kann.¹⁵⁴ Es stellt sich die Frage, wie man die Affektionsrelation im Fall der dem ‚Ich denke‘ zugrunde liegenden Empfindung sowie den Gehalt des empirischen Bewusstseins spezifizieren kann. Es gibt für das Affizierende, das Affizierte und den Gehalt des empirischen Bewusstseins jeweils zwei mögliche Kandidaten: Affiziert wird: 1) der innere Sinn, 2) nicht der innere Sinn.  Allison (2015, S. 399) hat eine ähnliche Meinung, allerdings ohne substanzielle Begründung. Ebenfalls ohne substanzielle Begründung behauptet Longuenesse (2016, S. 90), dass die Kategorie der Existenz deswegen nicht auf die primäre Selbstanschauung anwendbar sei, weil wir weder eine Wahrnehmung von dem Objekt selbst hätten noch uns seine Existenz als mit anderen wahrnehmbaren Objekten gemäß empirischen Gesetzen verbunden vorstellen könnten. Diese Lesart läuft im Endeffekt auf die hier vorgeschlagene Lesart hinaus.  Die Empfindung ist die Materie (A20/B34) und die „ersten Grundstücke“ (Refl 15:268) der Wahrnehmung. Sie ist kein eigenständiger mentaler Zustand und kann für sich allein noch nichts vorstellen. Vielmehr ist sie der materielle Aspekt der Anschauung, die sich auf einen Gegenstand beziehen kann. Um die Empfindung auf einen intentionalen Gegenstand zu beziehen, muss sie gemäß der Form der Anschauung strukturiert werden und zudem unter Verstandesbegriffe gebracht werden. Ob Letzteres nötig ist, ist unter dem Stichwort Konzeptualismus-Nonkonzeptualismus in der Sekundärerliteratur umstritten. Der bereits zitierte Brief an Herz (1789) könnte ein Beweis dafür sein, dass es unentbehrlich ist. Für eine Überblick über dieses Thema siehe McLear 2020. Obwohl die Empfindung keinen intentionalen Gegenstand hat, hat sie jedoch einen qualitativen Charakter, der als repräsentationales Vehikel der Anschauung dienen kann. Ich bezeichne hiermit den phänomenalen Gehalt der Anschauung, der die raumzeitliche Form erfüllt. Zu der Unterscheidung zwischen dem repräsentationalen Vehikel und dem von diesem ‚transportierten‘ Inhalt siehe eine Bemerkung von Fish: „The distinction between a representation and its content is often characterized in terms of a distinction between representational vehicles and representational content. The vehicle of representation is the thing that is doing the telling—in the cases just discussed, the picture on the postcard and the icons on the map are the vehicles as they are doing the telling. The content of the representation is what the vehicle is saying—that St. Paul’s is on the north bank of the Thames and that it has a large domed vault“ (Fish 2010, S. 21).

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Das Affizierende sind: 1) die synthetischen Handlungen, die auf die empirischen Daten des äußeren Sinnes ausgeübt warden, 2) der Denkakt ‚Ich denke‘. Das repräsentationale Vehikel der primären Selbstanschauung stellt 1) ein Mannigfaltiges des äußeren Sinnes, 2) ein Mannigfaltiges des inneren Ereignisses dar. Im Folgenden wird jede dieser Möglichkeiten eingehend untersucht.

1.5.5.3.1 Das repräsentationale Vehikel: negative Beschreibung der primären Selbstanschauung Zunächst wird der dritte Aspekt der primären Selbstanschauung behandelt. Dabei wird versucht zu klären, was für einen phänomenalen qualitativen Charakter die primäre Selbstanschauung manifestiert, der den wichtigsten Aspekt einer empirischen Anschauung darstellt. Der letzte Satz des Zitats B422 Anm. kann einen entscheidenden Hinweis auf die Antwort geben: Allein ohne irgendeine empirische Vorstellung, die den Stoff zum Denken abgibt, würde der Aktus, Ich denke, doch nicht stattfinden, und das Empirische ist nur die Bedingung der Anwendung, oder des Gebrauchs des reinen intellektuellen Vermögens. (B422– 423 Anm.)

Das repräsentationale Vehikel der primären Selbstanschauung kann nicht ein Mannigfaltiges des äußeren Sinnes sein. Die primäre Selbstanschauung geht nämlich aller Erfahrung voraus. Folglich muss sie von der äußeren Erfahrung unabhängig sein. Der äußere Sinn hat zudem den Raum als seine Form, während der Denkakt kein Gegenstand im Raum ist und als Nicht-Körperliches lediglich Gegenstand des inneren Sinnes sein kann (A356 – 357, A342/B400). Klemme interpretiert den oben zitierten Satz (B422– 423 Anm.) jedoch wie folgt: (1) Das „Ich denke“ ist nicht deshalb ein „empirischer“, das eigene Dasein enthaltender „Satz“ (KrV B 422), weil wir eine „empirische Vorstellung“ (KrV B 423 Anm., vgl. KrV B 428 – 430) vom Ich hätten, sondern weil uns etwas Empirisches in unserer Sinnlichkeit zum Denken gegeben sein muss, damit der Aktus des „Ich denke“ vollzogen werden kann. (2) Weil mir etwas Empirisches zum Denken (d. h. zum Vollzug von Urteilsakten) in meiner Rezeptivität gegeben sein muss, beweist das Bewusstsein meines empirisch bestimmten Daseins, dass etwas „im Raume außer mir“ (KrV B 275) (extra me) existiert. (Klemme 2015, S. 1068, Nummerierung durch den Verfasser; siehe auch Klemme 2015, S. 1072)

1.5 Reine Apperzeption

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Meines Erachtens ist Klemmes Lesart allerdings problematisch.¹⁵⁵ Klemmes Interpretationsannahme, dass das ‚Ich denke‘ eine zu begleitende empirische Vorstellung verlangt, macht streng genommen nicht den Satz ‚Ich denke‘, sondern lediglich den von dem ‚dass‘ eingeleiteten Nebensatz zu einem empirischen Satz. Daher kann diese Annahme nicht garantieren, dass das ‚Ich denke‘ ein empirischer Satz ist. Dies zeigt, dass Klemmes These 1 im obigen Zitat nicht haltbar ist. Aus diesem Zitat lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Erstens interpretiert Klemme den Ausdruck „irgendeine empirische Vorstellung, die den Stoff zum Denken abgibt“ (B422– 423 Anm.) offenbar dahingehend, dass der Gehalt der „unbestimmten empirischen Vorstellung“ den Denkinhalt des ‚Ich denke‘ ausmache. Das heißt, er bildet die empirische Grundlage für den propositionalen Gehalt des ‚dass‘-Nebensatzes, der dem Ausdruck ‚Ich denke‘ folgt. Zweitens wird das „Empirisch[e] zum Denken“ als Vorstellung des räumlichen Daseins „außer mir“ verstanden. Beide Schlüsse erweisen sich bei näherer Betrachtung als unplausibel. Der Gedanke ‚Ich denke‘ schreibt dem Subjekt einen gegenstandsbezogenen Denkakt erster Ordnung zu, dessen Gehalt durch den ‚dass‘-Satz ausgedrückt wird. Der Gedanke ‚Ich denke‘ stellt als Vorstellung dieses Denkakts eine Vorstellung höherer Ordnung dar. Dieser Denkakt verbindet gemäß der Einheit der logischen Funktionen verschiedene Vorstellungen in einem Urteil oder Begriff. Streng genommen müssen solche Vorstellungen keinen empirischen Gehalt aufzuweisen, um den gegenstandsbezogenen Denkakt erster Ordnung zu ermöglichen. Wenngleich ihr Gehalt vielleicht letztendlich auf empirische Vorstellungen zurückzuführen ist, verlangt der Akt des ‚Ich denke‘ an sich¹⁵⁶ keine raumzeitlichen empirischen Gegenstände als Denkinhalt. Wahrgenommene mentale Ereignisse im Rahmen einer Introspektion oder abstrakte Sachverhalte – wie logische oder mathematische Sätze – können an dieser Stelle durchaus als „Stoff zum Denken“ dienen. Ferner muss bemerkt werden, dass sich das Wort „Denken“ im Ausdruck „ohne irgend eine empirische Vorstellung, die den Stoff zum Denken abgibt“ auf den Denkakt höherer Ordnung, das ‚Ich denke‘ selbst, bezieht. Denn an einer anderen Stelle der Anmerkung von B422 betont Kant explizit: „Eine unbestimmte Wahrnehmung bedeutet hier nur etwas Reales, das gegeben worden und zwar nur zum Denken überhaupt, also nicht als Erscheinung, auch nicht als Sache an sich selbst (Noumenon), sondern als Etwas, was in der That existirt und in dem Satze:

 Longuenesse (2016, S. 89 – 90) teilt diese Meinung.  D. h., ohne die Argumentation der ‚Widerlegung des Idealismus‘ zu berücksichtigen, die hier auch nicht relevant ist.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Ich denke, als ein solches bezeichnet wird“. Das Reale der unbestimmten Wahrnehmung, die dem ‚Ich denke‘ zugrunde liegt, wird im Ausdruck ‚Ich denke‘ „als ein solches“ – d. h. „als Etwas, was in der Tat existiert“ – bezeichnet. Der Ausdruck „Ich denke“ bezieht sich auf das Reale – d. h. den Gegenstand – der unbestimmten Wahrnehmung und steht somit in einer semantischen Korrespondenz mit diesem. Diese unbestimmte Wahrnehmung repräsentiert folglich einen Denkakt, auf den sich die Vorstellung des ‚Ich denke‘ bezieht.¹⁵⁷ Dieser Denkakt ist gerade derjenige, der für die gegenstandsbezogene Vorstellung erster Ordnung verantwortlich ist. Somit muss es das repräsentationale Vehikel der unbestimmten Selbstanschauung sein, das die Vorstellung des ‚Ich denke‘ semantisch motiviert. Es veranlasst, dass diese Selbstanschauung einen Denkakt vorstellt, der durch den Satz ‚Ich denke‘ zudem als ein solcher bezeichnet wird. Das repräsentationale Vehikel der unbestimmten Selbstanschauung kann dies nur dann tun, wenn es von dem repräsentationalen Vehikel der äußeren Vorstellung zu unterscheiden ist. In diesem Sinne sagt Kant: Der Gedanke Ich ist dagegen gar kein Begriff, sondern nur innere Wahrnehmung, aus ihm kann also auch gar nichts (außer der gänzliche Unterschied eines Gegenstandes des inneren Sinnes von dem, was blos als Gegenstand äußerer Sinne gedacht wird), folglich auch nicht die Beharrlichkeit der Seele als Substanz gefolgert werden. (MAN 4:543, siehe auch A342/ B400, H. d. V.)

Für die primäre Selbstanschauung (hier die „innere Wahrnehmung“) lässt sich folgern, dass es sich bei ihrem Gegenstand nicht um einen äußeren, sondern um einen inneren Gegenstand handelt. Es muss der Charakter des repräsentationalen Vehikels der unbestimmten Wahrnehmung sein, der diese Unterscheidung motiviert. Dieser Umstand erklärt den Sinn des Satzes 8 in der Passage IDU: Der reine Denkakt ‚Ich denke‘ kann nicht ohne irgendeine empirische Anlassung stattfinden. Er muss zumindest von einer empirischen Vorstellung des Denkakts erster Ordnung, sei diese auch unbestimmt, motiviert werden.

1.5.5.3.2 Positive Beschreibung des repräsentationalen Vehikels: unbestimmte Wahrnehmung als ein unveränderliches Selbstgefühl Die Empfindungen, welche die unbestimmte Selbstanschauung bilden, müssen, wie Empfindungen des äußeren Sinnes, ebenfalls ein sinnlich Gegebenes generieren. Dabei muss es sich um eine Art von sinnlicher Qualität handeln. Der

 Für weitere Ausführungen zu diesen Punkt siehe unten.

1.5 Reine Apperzeption

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Beitrag der Empfindung lässt sich in Kants System nämlich generell als sinnliche Qualität verstehen: Die Empfindung liefert die Materie, welche die raumzeitlichen Gestalten der reinen Anschauung ausfüllt (A20/B34).¹⁵⁸ Die Anschauung eines raumzeitlichen Gegenstandes weist eine extensive Größe auf. Hinsichtlich ihres quantitativen Aspekts hat die Empfindung lediglich eine Dimension: In der Empfindung wird „weder die Anschauung vom Raum, noch von der Zeit angetroffen […], so wird ihr zwar keine extensive, aber doch intensive Größe zukommen“ (B208). Die Empfindung ist nicht ausgedehnt und erfüllt „nur einen Augenblick“ (A167/B209). Diese einzige quantitative Dimension der Empfindung, nämlich die intensive Größe, ist die Größe der „Qualität der Empfindung“ (A175/ B217). Letztere ist „jederzeit bloß empirisch, und kann a priori gar nicht vorgestellt werden (z. B. Farben, Geschmack etc.)“ (A175/B217). Mit anderen Worten: Die Wahrnehmung der Außenwelt stellt empirische Gegenstände in bestimmten raumzeitlichen Regionen vor und die innere Wahrnehmung innere Ereignisse an bestimmten Zeitstellen oder in bestimmten Zeitabschnitten. Die Vorstellung der raumzeitlichen ‚Rahmenstruktur‘ ist der reinen Anschauung a priori zu verdanken, während die Empfindungen die jeweiligen empirischen Gehalte liefern, die eine raumzeitliche Region füllen. Daraus lässt sich schließen, dass die Empfindung sinnliche Qualitäten liefert. Somit muss die primäre Selbstanschauung, mit der der Gedanke des ‚Ich denke‘ semantisch korrespondiert, auch ein subjektives phänomenales Erlebnis liefern.¹⁵⁹ Diese Auslegung lässt sich durch eine wichtige Stelle in den Prolegomena bestätigen:

 Die sinnliche Qualität kann unbewusst oder in der dunklen Form eine Rolle in den kognitiven Prozessen spielen. Hier wird dieser Aspekt vorerst ausgeklammert. Siehe Abschnitt 2.2. Wenn eine sinnliche Qualität phänomenal bewusst ist, wird sie als ‚phänomenale Qualität‘ bezeichnet.  Longuenesse (2016, S. 89) ist die einzige Interpretin, die diesen Punkt detailliert behandelt hat. Bekannte Interpreten wie Manfred Frank (1991, S. 421 ff.), deuten die unbestimmte Anschauung unter Verweis auf Schelling als eine intellektuelle Selbstanschauung. Diese Interpretation wird von der Tatsache abgeleitet, dass Kant die reine Apperzeption manchmal als eine unbestimmte Anschauung und manchmal als ein intellektuelles Bewußtsein, das ‚meine‘ Verstandeshandlungen begleitet, bezeichnet. Einige Gründe sprechen gegen diese Lesart. Kant lehnt eine solche Lesart explizit ab (z. B. BXL, B68, B159). Zudem ist die intellektuelle Anschauung „eine solche […], durch die selbst das Dasein des Objekts der Anschauung gegeben wird“ (B72). Das heißt, eine intellektuelle Anschauung ist eine spontane Selbsttätigkeit (B130) und kausal unabhängig von dem Gegenstand, da sie unabhängig von allen „Sinnlichkeitsbedingungen“ ist (FM 20:267). Dabei ist insbesondere keine Empfindung im Spiel. Die unbestimmte Anschauung des Ich ist jedoch rezeptiv und auf eine Empfindung angewiesen (B423 Anm.). Weitere Gründe gegen diese Lesart bietet Klemme (1996).

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Wäre die Vorstellung der Apperception, das Ich, ein Begriff, wodurch irgend etwas gedacht würde, so würde es auch als Prädicat von andern Dingen gebraucht werden können, oder solche Prädicate in sich enthalten. Nun ist es nichts mehr als Gefühl eines Daseins ohne den mindesten Begriff und nur Vorstellung desjenigen, worauf alles Denken in Beziehung (relatione accidentis) steht. (Prol 4:334, H. d. V.)

Im letzten Satz charakterisiert Kant die Apperzeption bzw. die Vorstellung des Ich als „Gefühl eines Daseins ohne den mindesten Begriff“. Der Begriff „Apperception“ bezieht sich nicht auf die Apperzeption tout court, sondern auf die reine Apperzeption, denn Kant thematisiert in diesem Kontext gerade die illegitime Hypostasierung der „ganz leeren“ Vorstellung des Ich der reinen Apperzeption (Prol 4:334) durch die rationale Psychologie. Zudem behauptet Kant in dem Zitat, dass sich alles Denken auf die fragliche Apperzeption beziehen muss. Diese Rolle kann lediglich die reine Apperzeption spielen, denn die Apperzeption tout court hat die empirische Apperzeption als ihre Komponente. Die empirische Apperzeption ist an sich wechselhaft und kann nicht als etwas Unwandelbares in Beziehung mit allem Denken stehen. Die „Vorstellung desjenigen, worauf alles Denken in Beziehung (relatione accidentis) steht“ ist Kants anderen Aussagen zufolge nichts anderes als die reine Apperzeption (A350, B419). Es gibt auch ein weiteres Indiz dafür, dass Kant für ein empirisches Selbstgefühl plädiert, das mit der reinen Apperzeption semantisch korrespondiert: Es ist aber merkwürdig: daß das Kind, was schon ziemlich fertig sprechen kann, doch ziemlich spät (vielleicht wohl ein Jahr nachher) allererst anfängt durch Ich zu reden, so lange aber von sich in der dritten Person sprach (Karl will essen, gehen u.s.w.), und daß ihm gleichsam ein Licht aufgegangen zu sein scheint, wenn es den Anfang macht durch Ich zu sprechen: von welchem Tage an es niemals mehr in jene Sprechart zurückkehrt. – Vorher fühlte es bloß sich selbst, jetzt denkt es sich selbst. (Anth 7:127, H. d. V.)

Es ist zwar unklar, ob Kant hier das Wort ‚fühlen‘ notwendigerweise als einen Terminus für eine spezielle Art von empirischen Vorstellungen benutzt. Sowohl im alltäglichen als auch im philosophischen Gebrauch bezeichnet das Wort jedoch einen mentalen Prozess, der wesentlich mit der Empfindung zu tun hat. Das entspricht gerade dem Ausdruck der „unbestimmten Wahrnehmung“, wie in der Schlüsselpassage B422 f. dargelegt. Nach dem gängigen Wortgebrauch jener Zeit ist das Wort als eine Nominalisierung des Verbs ‚fühlen‘ aufzufassen. Alle Bedeutungen des Wortes ‚Gefühl‘ enthalten eine passive, affektive Färbung und können auf die innere oder äußere Empfindung zurückgeführt werden.¹⁶⁰ Das Wort ‚Gefühl‘ wird in der KrV am häufigsten im Sinne von „Gefühl der Lust und  Vgl. „Gefühl“ im Deutschen Wörterbuch von J. Grimm und W. Grimm.

1.5 Reine Apperzeption

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Unlust“ gebraucht (z. B. A29, A49/B66, A801/B829). Es drückt somit eher einen Begriff der praktischen Philosophie aus. Im theoretischen Kontext wird dieser Begriff selten benutzt und wenn doch, dann im Sinne der Wahrnehmung durch den Tastsinn (A28/B44). In KU B8 f. erläutert Kant den Begriff des Gefühls, indem er die subjektive und die objektive Empfindung voneinander unterscheidet. Die objektive Empfindung wird durch Affektion der Sinne generiert. Als materielle Komponente einer empirischen Anschauung trägt sie dazu bei, einen Gegenstand zu repräsentieren und dient zu dessen Erkenntnis; die subjektive Empfindung oder das Gefühl wird dagegen durch Affektion des inwendigen Sinnes generiert (Anth 7:153) und lediglich auf das Subjekt bezogen. Die subjektive Empfindung dient weder zur Erkenntnis über ein Objekt noch zur Erkenntnis über das Subjekt. Sie ist nämlich nicht intentional und macht keine Vorstellung eines Gegenstandes aus. Als Beispiele für beide Arten der Empfindung nennt Kant für die objektive Empfindung die Wahrnehmung der Farbe und für die subjektive die Annehmlichkeit. Es ist aufschlussreich, wenn man das Selbstgefühl analog zu dem Gefühl der Lust und Unlust betrachtet. Wie das Gefühl der Lust und Unlust ist auch das Selbstgefühl aufgrund des Charakters seines phänomenalen Beitrags zu keinem Objektbezug fähig. Des Weiteren ist das Selbstgefühl, wie das Gefühl der Lust und Unlust, das einen empfänglichen Aspekt aufweist, eine echte empirische Vorstellung.Wenn man sich auf die Tatsache besinnt, dass der wesentliche Charakter des Gefühls der Lust und Unlust die phänomenale Qualität ist, ist es plausibel, zu sagen, dass auch das Gefühl des Daseins einen phänomenalen Aspekt haben muss. Wenn man in einem gegebenen Moment seine Aufmerksamkeit sowohl von der Wahrnehmung der äußeren Welt als auch vom inneren körperlichen Gefühl abstrahiert, scheint ein Gefühl von dem Selbst übrigzubleiben, das als solches eine bestimmte phänomenale Qualität aufweist. Der Begriff des Gefühls des Daseins steht mit der primären Selbstanschauung in direktem Zusammenhang.¹⁶¹ Er zeigt, dass Kant zumindest zwischen den beiden Auflagen der KrV mit einem speziellen empirischen Selbstbewusstsein operiert hat, welches sich von der genuinen Selbstanschauung als Produkt des inneren Sinnes unterscheidet und zudem den Akt des ‚Ich denke‘ empirisch veranlasst. In der B-Auflage der KrV wird dieses ursprüngliche empirische Selbstbewusstsein¹⁶² nicht mehr als nicht-repräsentationales Gefühl, sondern als unbestimmte Anschauung bezeichnet. Nach dem Satz 6 der Passage IDU kann  Mohr (1991, S. 65) hingegen ist der Meinung, dass das „Gefühl eines Daseins“ nichts mit einer Selbstanschauung zu tun habe.  Fortan werden die primäre Selbstanschauung in der B-KrV und das ‚Gefühl eines Daseins‘ in den Prolegomena als ‚ursprüngliches empirisches Selbstbewusstsein‘ bezeichnet, denn beide gehen der kategorialen Bestimmung der empirischen Daten bzw. der Erfahrung voraus.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

dieses empirische Selbstbewusstsein im Gegensatz zu dem „Gefühl eines Daseins“ in den Prolegomena dennoch einen Gegenstand repräsentieren. Eine Gemeinsamkeit verbindet die beiden sukzessiven Auffassungen des ursprünglichen empirischen Selbstbewusstseins jedoch: Sie setzen im Wesentlichen jeweils eine Empfindung – gemäß der ersten Auffassung eine subjektive und gemäß der zweiten eine objektive Empfindung – voraus. Da die (bewusste) Empfindung eine phänomenale Qualität hat, muss das ursprüngliche empirische Selbstbewusstsein nach beiden Auffassungen einen phänomenalen Charakter aufweisen.

1.5.5.3.3 Das Affizierende und das Affizierte Was wird bei der primären Selbstanschauung affiziert? Ein naheliegender Kandidat ist die Affektion des inneren Sinnes. Das Problem ist jedoch, dass die Definition des inneren Sinnes eher der sekundären als der primären Selbstanschauung entspricht (B37). Der innere Sinn ist nämlich durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft (B153 – 154) affiziert und daher nach der Kategorisierung des sinnlichen Mannigfaltigen aktiviert, während die primäre Selbstanschauung vor dieser Kategorisierung entsteht. An dieser Stelle sollte vielleicht eine Erweiterung des Begriffes des inneren Sinnes vorgenommen werden. Es ist theoretisch nicht relevant und auch textuell unfundiert, ein neues Sinnesvermögen anzunehmen, das für die primäre Selbstanschauung verantwortlich ist. Diese Erweiterung hat an sich keine schwerwiegende sachliche Konsequenz, wenn innerhalb des inneren Sinnes – in einem weiten Sinn verstanden – zwei Arten der Selbstanschauungen unterschieden werden, wobei die erste vor und die zweite nach der Kategorisierung stattfindet und beide unterschiedliche repräsentationale Gehalte haben. Am Ende stellt sich die Frage, welcher mentale Prozess die affizierende Rolle spielt. Sind es die synthetischen Handlungen, welche das sinnliche Mannigfaltige gemäß den Kategorien in eine bestimmte temporale Ordnung bringen? Oder ist es der Denkakt, dessen propositionaler Gehalt durch den Satz ‚Ich denke‘ ausgedrückt wird? Die primäre Selbstanschauung kann nichts anderes als die Denkakte erster Ordnung repräsentieren – wenn auch nur als „unbestimmt gegebenes Objekt“. Das Reale der unbestimmten Wahrnehmung, welche dem ‚Ich denke‘ der dritten Variante zugrunde liegt, wird mit diesem Ausdruck „als ein solches“ – d. h. als „etwas, was in der Tat existiert“ – bezeichnet (B422– 423 Anm.). Der Ausdruck ‚Ich denke‘ bezieht sich somit auf das Reale – d. h. auf den Gegenstand der unbestimmten Wahrnehmung – und steht in einer semantischen Relation zu ihm.¹⁶³

 Obwohl dem Wortlaut des Zitats zufolge (B422– 423 Anm.) durch ‚Ich denke‘ das Reale der

1.5 Reine Apperzeption

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Diese unbestimmte Wahrnehmung repräsentiert folglich einen Denkakt, auf den sich die Vorstellung des ‚Ich denke‘ durch diese Wahrnehmung bezieht. Dieser Denkakt ist gerade derjenige, der für die gegenstandsbezogene Vorstellung erster Ordnung verantwortlich ist. Diese Interpretation kann durch zwei weitere Überlegungen unterstützt werden: 1) Der Satz ‚Ich denke‘ bezieht sich sinngemäß auf einen Denkakt. 2) Der Begriff des Ich ist nach der Passage IDU rein intellektuell und enthält kein empirisches Mannigfaltiges. Wenn die Vorstellung des ‚Ich denke‘ empirisch sein soll (B423 Anm.), dann muss ihr empirischer Gehalt mit dem Begriff ‚denken‘ korrespondieren. Dieser empirische Gehalt in der Vorstellung des ‚Ich denke‘ ist auf die primäre Selbstanschauung zurückzuführen (B422 Anm.). Daher muss diese Selbstanschauung einen Denkakt repräsentieren. Wie bereits argumentiert,¹⁶⁴ kann dieser Denkakt nicht der Denkakt des ‚Ich denke‘ selbst sein, daher muss er der Denkakt sein, der für die gegenstandsbezogene Vorstellung erster Ordnung verantwortlich ist. Diese Darlegung birgt gleichwohl eine Gefahr in sich: Ihr zufolge hat das Subjekt zwei verschiedene Arten von Anschauungen von einem einzigen Denkakt erster Ordnung, zudem korrespondieren beide mit demselben ‚Ich denke‘-Gedanken. Dieses Problem kann als das ‚Problem der doppelten Korrespondenz‘ bezeichnet werden. Es kann gelöst werden, indem das Verhältnis beider Selbstanschauungen analysiert wird. Die sekundäre Selbstanschauung ist eine Wahrnehmung des eigenen mentalen Zustands. Später wird argumentiert, dass das empirische Material dieser Selbstwahrnehmung die phänomenalen Qualitäten des äußeren Sinnes¹⁶⁵ oder die der subjektiven Empfindung (Gefühl der Lust und Unlust) sowie die Sinnesmaterialien der primären Selbstanschauung darstellt.¹⁶⁶ Bei der sekundären Selbstanschauung wird der phänomenale Gehalt der empirischen Vorstellung erster Stufe bewusst. Im Gegensatz dazu enthält die primäre Selbstanschauung die sinnliche Qualität der Verstandesakte, die in der empirischen Vorstellung erster Ordnung ausgeübt werden. Außerdem ist die sekundäre Selbstanschauung durch den inneren Sinn in dem Sinne eine spezifische Anschauung des inneren Zustands, dass das Subjekt

unbestimmten Wahrnehmung als etwas Existierendes bezeichnet wird, wird das Reale durch ‚Ich denke‘ in der ersten Linie wörtlich als ein Denkakt bezeichnet. Der Satz ‚Ich denke‘ bezeichnet nämlich etwas Existierendes lediglich in dem Sinne, dass er ‚Ich bin‘ impliziert (B422– 423 Anm.).  Siehe Abschnitt 1.5.4.1.  Um Missverständnisse zu vermeiden, bezieht sich der Begriff ‚phänomenal‘, wenn nicht anders vermerkt, in dieser Abhandlung auf die Charaktere des Erlebnisses der empirischen Data, die von den Sinnesorganen erzeugt werden. Die Charaktere des Erlebnisses, bestimmte räumliche Gestalte oder zeitliche Sukzessionen anzuschauen, werden nicht als ‚phänomenal‘ bezeichnet.  Siehe auch Liang 2020.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

dank ihr diesen Zustand genau beschreiben kann. Der Gedanke des ‚Ich denke‘, welcher mit der sekundären Selbstanschauung als Produkt des inneren Sinnes korrespondiert, ist in seiner vervollständigten Form eine Beschreibung des individuellen inneren Zustands – d. h. eine solche mit Zeitangabe, da der innere Sinn eine Wahrnehmung des inneren Zustands in der Zeit erzeugt. Angenommen sei, dass ich jetzt einen Laptop vor mir liegen sehe und dabei die empirische Erkenntnis habe, dass ein Laptop vor mir liegt. Ich habe in dieser kognitiven Situation eine empirische Anschauung des Laptops und bin mir dieses repräsentationalen Zustands zudem durch den inneren Sinn bewusst. Das Vorkommen der Apperzeption in diesem Szenario hat diesen Gehalt: [Q] Ich denke jetzt: „Ein Laptop liegt vor mir“. Der Satz ‚Ich denke‘ bedeutet hier wohlgemerkt nicht ‚Ich glaube‘. Er beschreibt diesen momentanen Wahrnehmungszustand, indem er sich auf den Denkakt bezieht, der in diesem Wahrnehmungszustand das Mannigfaltige der Vorstellung erster Ordnung synthetisiert. Dieser Denkakt enthält alle begrifflichen und kategorialen Leistungen, die im Urteil „ein Laptop liegt vor mir“ enthalten oder von diesem vorausgesetzt sind. Anders ausgedrückt: Der Denkakt, der diesem Satz zugrunde liegt, wird durch ‚Ich denke jetzt‘ bezeichnet. Die Selbstanschauung, die diesem Satz zugrunde liegt, enthält nicht nur alle empirischen Daten und alle phänomenalen Qualitäten¹⁶⁷ der empirischen Anschauung des Laptops, sondern auch alle empirischen Materialien der unbestimmten Anschauung dieses Denkakts. Der Satz Q korrespondiert mit der primären und der sekundären Anschauung und beschreibt den gesamten inneren Zustand. Im Gegensatz zur sekundären Selbstanschauung repräsentiert die primäre Selbstanschauung keinen einzelnen inneren Zustand in der Zeit – sie enthält nicht alle phänomenalen Qualitäten im repräsentationalen Zustand erster Ordnung, sondern ist nur ein phänomenales Bewusstsein der Denkakte. Die primäre Selbstanschauung wird zwar, wie die sekundäre Selbstanschauung, ebenfalls von den Denkakten erster Ordnung affiziert, sie ist jedoch eine sehr eigenartige empirische Anschauung: Sie stellt die individuellen Denkakte zwar vor – denn als Anschauung stellt sie individuelle Gegenstände vor (A32/B47) –, jedoch nicht in der Zeit, denn sie geht „der Erfahrung vorher“ (B423) und macht „alle transcendentale[n] Begriffe möglich“ (A343/B401). Dies ist deswegen der Fall, weil die primäre Selbstanschauung allein von den Denkakten abhängig ist und die

 Für den Unterschied zwischen empirischen Daten und phänomenalen Qualitäten siehe Liang 2020.

1.5 Reine Apperzeption

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Denkakte von empirischen Materialien und jeglicher inneren und äußeren Erfahrung ontologisch unabhängig sind. Durch die primäre Selbstanschauung ist keine objektive Bestimmung einzelner Denkakte als objektiver Ereignisse möglich, da die einzelnen Denkakte ohne Zeitbestimmung von ihnen gar nicht individuiert bzw. vergegenständlicht werden können.¹⁶⁸ Deswegen betont Kant, dass die primäre Selbstanschauung unbestimmt ist und lediglich mit einem allgemeinen und ebenfalls unbestimmten Ausdruck „Ich denke“ erfasst werden kann (B423 Anm.).¹⁶⁹ Genauer gesagt korrespondiert sie mit dem „Ich denke“ als „Denken überhaupt“, wie Kant in B423 Anm. wiederholt betont. Mit dem Begriff „Denken überhaupt“ meint Kant die spontanen Verstandesakte abstrahiert von jeglichem konkreten Gegenstandsbezug: Als eine Wissenschaft, die auf alles Denken überhaupt geht, unangesehen der Objecte als der Materie des Denkens ist die Logik. (Log 9:13) Weil wir beim Denken überhaupt von aller Beziehung des Gedanken auf irgend ein Object (es sei der Sinne oder des reinen Verstandes) abstrahiren: so ist die Synthesis der Bedingungen eines Gedanken überhaupt (no. 1) gar nicht objectiv, sondern blos eine Synthesis des Gedanken mit dem Subject, die aber fälschlich für eine synthetische Vorstellung eines Objects gehalten wird. (A397)

Zusammenfassend kann somit Folgendes gesagt werden: Die primäre Selbstanschauung wird durch die reinen spontanen Komponenten der einzelnen faktischen Verstandesakte affiziert. Diese Komponenten sind wiederum diejenigen, die übrigbleiben, wenn man die einzelnen, faktisch vollzogenen Verstandesakte von allen sinnlichen Komponenten abstrahiert. Mithilfe der obigen Analyse ist das erwähnte Problem der doppelten Korrespondenz wie folgt zu lösen: Die primäre Selbstanschauung ist das phänomenale Bewusstsein der reinen Verstandesakte in den faktischen einzelnen Denkakten. Sie korrespondiert mit der „bloßen Apperception“ – d. h. der reinen Apperzeption – als dem bloßen „Denken überhaupt“. Dieses ist diejenige Komponente der Apperzeption, die übrigbleibt, wenn die Apperzeption tout court von allem empirischen Anteil abstrahiert betrachtet wird. Die sekundäre Selbstanschauung ist  Ohne Zeitbestimmung kann ein Subjekt einen Denkakt weder in der Erscheinungswelt noch rein intellektuell individuiert werden, denn es ist kaum vorstellbar, wie zwei Denkakte mit gleichem Gehalt ohne Zeitlichkeit unterschieden werden können. Kant bestreitet vermutlich deswegen in B423 Anm., dass die primäre Selbstanschauung eine Erscheinung vorstellt.  Kant hat kontinuierlich den allgemeinen Charakter des ‚Ich denke‘ in der reinen Apperzeption betont. Er spricht von „[dem] Allgemeinen Ausdruck Ich denke“ (B138), „dem allgemeinen Satze Ich denke“ (A398) und „in Ansehung aller Art der Anschauung unbestimmten Satz, Ich denke“ (B421).

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

wiederum das empirische Bewusstsein eines inneren Zustandes. Sie enthält alle phänomenalen Qualitäten dieses inneren Zustandes. Die primäre Selbstanschauung ist hinsichtlich ihres phänomenalen Gehalts in der sekundären Selbstanschauung enthalten. Sie wird durch einen Gedanken mit dem ‚allgemeinen Satz‘ ‚Ich denke‘ erfasst. Dieser Satz ist selbst in den propositionalen Gehalt der spezifischen Beschreibung der Apperzeption tout court – ‚Ich denke jetzt, dass …‘ – eingebettet, die eine begriffliche Bestimmung der sekundären Selbstanschauung darstellt. Beide repräsentieren somit auf unterschiedlichen Ebenen die Denkakte des Subjekts und stehen miteinander nicht im Konflikt.¹⁷⁰

1.5.5.3.4 Probleme der primären Selbstanschauung Kant hat die primäre Selbstanschauung nicht näher beschrieben. Falls er mit dieser ein prä-kategoriales phänomenales Erlebnis meinen sollte, würde er mit zu vielen Problemen konfrontiert. Zunächst lässt sich schließen, dass sich der phänomenale Gehalt dieses Erlebnisses deutlich vom Mannigfaltigen des Räumlichen unterscheidet (MAN 4:543). Er dürfte auch nicht den mit dem Gefühl der Lust und Unlust verbundenen Qualitäten ähneln, denn es wäre kontraintuitiv, diese speziellen Erlebnisse verallgemeinernd als Gehalt eines empirischen Selbstbewusstseins zu bezeichnen. Somit muss eine spezielle Art des phänomenalen Gehalts angenommen werden, die sich von allen oben erwähnten Arten unterscheidet. Die primäre Selbstanschauung kann, wie bereits argumentiert, lediglich die Denkakte des Subjekts repräsentieren (wenn auch nur als ‚unbestimmt gegebenes Objekt‘). Damit nähern wir uns einer Position, die aus der zeitgenössischen Diskussion um die phänomenalen Qualitäten kognitiver Zustände bekannt ist: Man hat ein phänomenales Erlebnis von Denkakten, welches das Dasein eines Subjekts demonstriert. Das phänomenale Erlebnis der unbestimmten Anschauung muss die ganze Zeit hindurch vorhanden sein, weil diese

 Ameriks zufolge gebe es keine unbestimmte Anschauung, die dem ‚Ich denke‘ zugrunde liegt. Dieser Begriff bezeichne allgemein die unbestimmten empirischen Selbstanschauungen, ohne sich auf eine konkrete Selbstanschauung von diesen zu beziehen, deswegen sei er „unbestimmt“ (Ameriks 2006, S. 61). Ameriks sagt: „one can easily enough save the statement [d. h. die Aussage über die unbestimtme empirische Anschauung in B422– 423 Anm.] from absurdity by reading it as expressing how at this point the cogito is ‘topic neutral’ […] One can simply note that ‘something real is given’ already with this thought, and one can remain agnostic about what might be said about the I given further facts“ (Ameriks 2006, S. 61). Die unbestimmte empirische Anschauung ist demnach deswegen unbestimmt, weil Kant sich unspezifisch auf eine solche beziehen will. Die Unbestimmtheit führt Ameriks auf die Betrachtungsweise, nicht auf die Eigenschaft der fraglichen Selbstanschauung zurück. Dies steht nicht nur mit Kants Gebrauch des Worts ‚unbestimmt‘ in Konflikt, sondern trivialisiert auch die Anmerkung in B422– 423.

1.5 Reine Apperzeption

103

innere Selbstanschauung vor der Erfahrung vorhanden und insbesondere vom inneren Sinn unabhängig ist (IDU 4). Deswegen soll diese Selbstanschauung nicht von bestimmten kontingenten zeitlichen Bedingungen abhängen und muss immer präsent sein. Bis zu diesem Punkt ist die obige Spekulation über den Charakter der primären Selbstanschauung noch plausibel. Es taucht erst dann ein Problem auf, wenn bedacht wird, dass der qualitative Charakter dieser Selbstanschauung nicht über die Zeit hinweg unverändert bleiben soll, denn dann würde dieser sich als eine Art von Beharrlichkeit qualifizieren, was Kant im Paralogismen-Kapitel ausdrücklich ablehnt.¹⁷¹ Wenn die primäre Selbstanschauung nichts Beharrliches aufweisen soll, dann muss sie stattdessen Episoden von verschiedenen Qualitäten darstellen. Die Vorstellung des Ich wäre demnach als ein Sammelbegriff für eine Gruppe von mannigfaltigen phänomenalen Gehalten zu fassen. Damit würde sich Kant wieder dem Vorwurf aussetzen, dass das Ich, da es ein Begriff ist, als Prädikat anderer Dinge fungieren oder solche enthalten würde. An diesem Punkt scheint man mit der Annahme der primären Selbstanschauung in eine Sackgasse zu geraten. Kants Position ist jedoch sehr verwickelt. Der Gegenstand der primären Selbstanschauung – das Reale – ist kategorial unbestimmbar. Das heißt, es ist nicht einmal möglich zu sagen, dass die primäre Selbstanschauung in einer bestimmten Zeit bestimmte phänomenale Qualitäten aufweist, denn dies verlangt die kategorialen Leistungen des Verstandes, die für die primäre Selbstanschauung aber nicht verfügbar sind. Daher steht nicht zur Diskussion, ob ihr phänomenaler Charakter beharrlich ist oder nicht. Die primäre Selbstanschauung kann im Übrigen lediglich mit dem Begriff des Denkens in dem Satz ‚Ich denke‘ semantisch korrespondieren, weil der Begriff des Ich keinen empirischen Inhalt hat. Wenn die primäre Selbstanschauung mit dem Begriff des Denkens korrespondiert, ergibt sich ein weiteres gravierendes Problem: Dieser Begriff ist ein allgemeiner Ausdruck, der sich auf keinen einzelnen Gegenstand, sondern auf das gemeinsame Merkmal verschiedener Gegenstände bezieht, während sich die primäre Anschauung auf einen einzelnen Gegenstand beziehen muss. Was genau dieser einzelne Gegenstand wäre, ist eine Frage, auf die es bislang keine Antwort gibt. Als Schlusswort dient eine Bemerkung über die systematische Bedeutung des Begriffs der primären Selbstanschauung. Neben den drei bereits intensiv disku-

 Die Intensität der primären Selbstanschauung kann veränderlich sein, denn Wahrnehmung oder Anschauung repräsentiert nach Kant etwas Reales, das einen veränderlichen Grad hat. Auch die Apperzeption selbst weist einen Grad auf (MAN 4:542). Wenn Kant behauptet, die reine Apperzeption sei „[k]eine stehende und bleibende Anschauung, worin die Gedanken (als wandelbar) wechselten“ (A350), will er ausschließen, dass der phänomenale Charakter der Apperzeption beharrlich sein kann. Nur etwas Räumliches kann beharrlich sein (B291; A381).

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

tierten Stellen scheint Kant diese Lehre nicht weiter entwickelt zu haben. Der Grund dürfte darin liegen, dass er diesem Begriff keine transzendentale Funktion beimisst. Es kann vermutet werden, dass die Annahme der primären Selbstanschauung dazu dient, das Bewusstsein der Identität des Ich zu erklären – d. h., zu erklären, wie der Gedanke des Ich auf ein numerisch identisches Subjekt bezogen ist. Denn was bedeutet, dass der Gedanke des Ich auf ein identisches Subjekt bezogen ist, wenn er nur einen minimalen indexikalischen Sinn enthält – d. h., „das Subjekt dieser Gedanken zu dieser Zeit“? Das Bewusstsein der Identität des Subjekts könnte folglich auf einem Gefühl der Identität basieren. Es gibt jedoch keine Indizien dafür, dass Kant die primäre Selbstanschauung als Grundlage des Bewusstseins der Identität des Subjekts betrachtet.¹⁷² Die primäre Selbstanschauung kann dieser Rolle auch nicht gerecht werden, weil sie kategorial unbestimmt ist und damit nicht von einem über die Zeit hinweg identischen empirischen Selbstbewusstsein gesprochen werden kann. Die primäre Selbstanschauung kann nicht einmal die minimale Funktion haben, den Akt der reinen Apperzeption ‚Ich denke‘ zu veranlassen, obwohl Longuenesse dies neuerdings behauptet¹⁷³ und der letzte Satz der Anmerkung in B422– 423 anscheinend ebenso darauf hindeutet. Der Akt der reinen Apperzeption ‚Ich denke‘ muss jede Episode des apperzeptiven, attentiven Bewusstseins begleiten, andernfalls würde diese Episode des Bewusstseins nicht zur Einheit des Bewusstseins gehören. Dies ist ein transzendentales Prinzip, welches jeder repräsentationale Zustand als solcher befolgen muss, wenn dieser dem Subjekt bewusst ist. Wenn Longuenesses Auslegung richtig wäre, wäre es ein empirischer Sachverhalt, ob eine Episode des Bewusstseins den Akt der reinen Apperzeption enthält oder nicht: ‚Ich‘ begleite einen Denkakt nur dann mit dem Akt ‚Ich denke‘ (egal ob dunkel oder klar), wenn er Gegenstand ‚meiner‘ primären Selbstanschauung ist. Ob ein Denkakt bzw. ein repräsentationaler Zustand zur Einheit des Bewusstseins gehört oder von der transzendentalen Apperzeption begleitet wird, hängt davon ab, ob ‚ich‘ ihn durch die primäre Selbstanschauung wahrnehmen kann oder nicht. Diese Implikation würde Kant auf keinen Fall akzeptieren, denn das Subjekt hat laut Kant ein rein intellektuelles Bewusstsein von dem Denkakt, welches den Akt der reinen Apperzeption ‚Ich denke‘ motiviert.¹⁷⁴ Die Selbstzuschreibung eines Denkakts ist rein intellektuell und basiert auf keiner Wahrnehmung, wie etwa die primäre Selbstanschauung (Anth 7:161; B278).

 Mohr (1991, S. 65) vertritt die gleiche Position.  Longuenesse 2016, S. 89.  Indessen ist dieses intellektuelle Bewusstsein kein selbstständiger mentaler Prozess, wie bereits dargestellt wurde.

1.5 Reine Apperzeption

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1.5.5.4 Unbestimmbarkeit der primären Selbstanschauung: Das Abstraktionsmodell In verschiedenen Kontexten drückt Kant die These aus, dass die Vorstellung des Ich oder des ‚Ich denke‘ unbestimmbar ist. Diese These soll im Weiteren als Unbestimmbarkeitsthese bezeichnet werden. Die Bestimmung eines Dinges X erfolgt dadurch, dass ihm ein Prädikat zugesprochen wird (A571– 572/B599 – 600) oder dass ein Satz, z. B. ein Theorem der Geometrie, von X gilt (Prol 4:287).¹⁷⁵ Der Akt des Bestimmens ist das Denken (B157 f.) oder, genauer gesagt, das Urteil. Das Ich zu bestimmen bedeutet, ‚mir‘ ein Prädikat zuzuschreiben oder ein Urteil über ‚mich‘ auszusagen. Die Unbestimmbarkeitsthese umfasst verschiedene Arten, die voneinander unterschieden werden müssen.

1.5.5.4.1 Die erste Art der Unbestimmbarkeit des Denkakts des ‚Ich denke‘ In der ersten Art der Unbestimmbarkeit ist die Vorstellung des Subjekts allein durch das intellektuelle Bewusstsein der eigenen spontanen Verstandesakte, d. h. ohne eine korrespondierende Selbstanschauung, hinsichtlich der sinnlichen Welt nicht bestimmbar: „Das, Ich denke, drücke den Actus aus, mein Dasein zu bestimmen. Das Dasein ist dadurch also schon gegeben, aber die Art, wie ich es bestimmen, d. i. das Mannigfaltige, zu demselben Gehörige, in mir setzen solle, ist dadurch noch nicht gegeben. Dazu gehört Selbstanschauung, die eine a priori gegebene Form, d. i. die Zeit, zum Grunde liegen hat, welche sinnlich und zur Rezeptivität des Bestimmbaren gehörig ist. Habe ich nun nicht noch eine andere Selbstanschauung, die das Bestimmende in mir, dessen Spontaneität ich mir nur bewusst bin, eben so vor dem Actus des Bestimmens gibt, wie die Zeit das Bestimmbare, so kann ich mein Dasein, als eines selbsttätigen Wesens, nicht bestimmen, sondern ich stelle mir nur die Spontanität meines Denkens, d. i. des Bestimmens, vor, und mein Dasein bleibt immer nur sinnlich, d. i. als das Dasein einer Erscheinung, bestimmbar. (B157 f.)

Durch das ‚Ich denke‘ als Denkakt wird das Dasein des Ich bloß vorgestellt, jedoch nicht sinnlich bestimmt. Das heißt, allein durch das ‚Ich denke‘ als Denkakt wird dem Ich kein sinnliches Prädikat zugesprochen. Das Subjekt kann durch das ‚Ich denke‘ zwar nicht sinnlich, jedoch als ein intelligibler Gegenstand bestimmt werden: Allein der Mensch, der die ganze Natur sonst lediglich nur durch Sinne kennt, erkennt sich selbst auch durch bloße Apperception und zwar in Handlungen und inneren Bestimmungen, die er gar nicht zum Eindrucke der Sinne zählen kann, und ist sich selbst freilich eines Theils

 Vgl. Rainer Stuhlmann-Laeisz 2015, S. 266.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Phänomen, anderen Theils aber, nämlich in Ansehung gewisser Vermögen, ein bloß intelligibeler Gegenstand, weil die Handlung desselben gar nicht zur Receptivität der Sinnlichkeit gezählt werden kann. (A546/B574)

Hier scheint die „bloße Apperception“ deutlich die reine Apperzeption zu sein, welche ein nicht-sinnliches Bewusstsein der Handlungen ist. Wie ein Vorkommen des Ausdrucks „bloße Apperzeption“ an einer weiteren Stelle andeutet (A342/ B400 f), bezieht er sich auf den bloßen Verstandesakt des ‚Ich denke‘. Daraus lässt sich schließen, dass das Subjekt entgegen der bisher naheliegenden Vermutung durch den bloßen Verstandesakt des ‚Ich denke‘ doch nicht völlig unbestimmt bleibt. Diese Bestimmung ist jedoch höchstens eine Bestimmung „in Beziehung auf eine intelligible (freilich nur gedachte) Welt“ (B430 f.).¹⁷⁶ Der dadurch bestimmte Gegenstand ist ein Noumenon (B341), d. h. ein Gegenstand, der „nach bloßen Begriffen bestimmbar ist“ (B341), „bloß durch den Verstand gedacht“ wird und der „gar nicht Objecte unserer Sinne“ ist (B306). Das Noumenon ist ein „Gedankending[]“ (A290 ff./B347 ff.). Es ist Gegenstand eines widerspruchsfreien Begriffs, mit dem aber keine Anschauung korrespondiert (A290 ff./B347 ff.). Die objektive Realität des Gedankendings kann „auf keine Weise erkannt werden“ (B310). Folglich hat das Ich als ein „intelligibler Gegenstand“ bzw. ein Noumenon keine objektive Realität. Die Bestimmung des Ich durch das Bewusstsein des bloßen Verstandesakts ist keine Bestimmung ‚meines‘ Daseins in Beziehung auf die sinnliche Welt. Die Bestimmung des Ich „in Beziehung auf eine intelligible (freilich nur gedachte) Welt“ (B430 f.) ist zwar eine Bestimmung, aber keine objektive Bestimmung. Um das Ich in der sinnlichen, objektiven Welt zu bestimmen, ist eine „Anschauung des Mannigfaltigen in mir“ nötig (B158). Es gibt also eine erste Art der Unbestimmtheit des Selbstbewusstseins, und zwar die Unbestimmtheit des ‚Ich denke‘, das man allein als Denkakt betrachtet, d. h., von allem empirischen Gehalt abstrahiert. Sie besagt, dass das Subjekt durch den Verstandesakt des ‚Ich denke‘ allein nicht objektiv bestimmbar ist. Die Begründung dieser Unbestimmbarkeit ist auf den ersten Blick nicht befriedigend. Kant betont nämlich oft, dass jeder Mensch ein direktes intellektuelles Bewusstsein der Selbsttätigkeit besitzt. Aus dem letzten Satz des obigen Zitats aus B157 f. lässt sich entnehmen, dass das ‚Ich denke‘, als reiner Denkakt betrachtet, gerade eine intellektuelle Vorstellung der Denkakte erster Stufe – d. h. der Urteile

 Sie ist nur ‚höchstens‘ eine solche Bestimmung, weil das Bewusstsein der bloßen Spontaneität der Selbsttätigkeit für die genannte intellektuelle Bestimmung nicht ausreicht, sondern man zudem eine Kenntnis der „gewißem […] a priori feststehenden, unsere Existenz betreffenden Gesetzen des reinen Vernunftsgebrauchs“ haben muss (B430). Damit verweist Kant hier auf die Domäne der praktischen Vernunft.

1.5 Reine Apperzeption

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oder Synthesis in der empirischen Anschauung – darstellt. Zugleich lehnt er ab, dass dieses intellektuelle Bewusstsein eine Basis für die objektive Bestimmung des Daseins des Subjekts darstellt (B158 Anm.). Es ist nicht klar, warum es so sein muss.¹⁷⁷ Hat das Subjekt nicht eine direkte intellektuelle Bekanntschaft mit der Spontaneität? Repräsentiert diese Bekanntschaft nicht die inneren spontanen Ereignisse als eine Art von Existenz für uns? Auch wenn ein derartiges intellektuelles Bewusstsein ohne sinnliches Mannigfaltiges nichts in der Raumzeit festlegen mag – also auch wenn es keine Realität in der sinnlichen, zeitlichen Welt vorstellen mag – so stellt es dennoch eine Art Realität für uns selbst dar. Wenn es auch keine empirische Selbsterkenntnis sein mag, so ist es dennoch eine Erkenntnis über das Subjekt als ein spontanes, denkendes Wesen. Die Bekanntschaft mit der Spontaneität kann das Subjekt durchaus positiv darstellen: Das Denken in dem Satz ‚Ich denke‘ bezeichnet etwas Aktives, einen von ‚mir‘ bewirkten Akt. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum dieses intellektuelle Bewusstsein der Selbsttätigkeit, im Gegensatz zum empirischen Bewusstsein der Selbsttätigkeit durch den inneren Sinn, keine objektive Realität hat.¹⁷⁸ Dieser Umstand kann auch aus einer anderen Perspektive beleuchtet werden: Kant gesteht, „das Dasein ist dadurch also schon gegeben“ (B157). Das heißt, ‚mein Dasein‘ ist durch das Ich denke, wodurch ich „nur die Spontaneität meines Denkens, d. i. des Bestimmens“ vorstelle, schon gegeben (B158). Somit bezeichnet oder korrespondiert der Satz ‚Ich denke‘ mit der Existenz des Subjekts. Es muss einen Grund (wenn nicht eine Ursache) dafür geben, dass sich das Subjekt seiner Existenz bewusst wird. Ein derartiger Grund kann durchaus eine Art Realität genannt werden. Das Bewusstsein einer derartigen Realität kann auch als Erkenntnis betrachtet werden, wie manche Forscher angedeutet haben.¹⁷⁹ Kant hat sich zu diesem Einwand nicht geäußert. Zugunsten Kants lässt sich die folgende Verteidigung vorbringen: Das intellektuelle Bewusstsein der Selbsttätigkeiten kann nicht als Grundlage für die objektive Bestimmung des Ich fungieren. Eine objektive Bestimmung muss prinzipiell unabhängig von dem Subjekt (A28 – 29, B49) und intersubjektiv, d. h., „für jedermann gültig“ sein (Prol 4:298). Dies setzt wiederum die Eigenschaft „communicabel“ bzw. „mittheilbar“ voraus (Br 11:515).¹⁸⁰ Wenn die Selbsttätigkeit durch das intellektuelle Bewusstsein objektiv bestimmbar wäre, dann müsste die Vorstellung der Selbsttätigkeiten

 Für eine ähnliche Meinung siehe Klemme 2015, S. 1078.  Z. B. plädiert Ameriks (1983, S. 72) hinsichtlich eines derartigen intellektuellen Bewusstseins für eine direkte Bekanntschaft mit der „underlying reality“, d. h. mit dem Noumenon. Er verweist auf Belege wie B429, A546/B574. Dagegen siehe Klemme 1996, S. 383.  Siehe Caimi 2015, S. 91; Frank 1991, S. 419.  Siehe Baumgarten 2015, S. 1695.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

prinzipiell mitteilbar sein. Um diese Bedingung sowie die objektive Bestimmbarkeit zu erfüllen, müsste die Selbsttätigkeit zumindest in der Raumzeit identifizierbar sein. Denn ohne diese Bedingung zu erfüllen, kann man sich gar nicht auf einen individuellen spontanen Verstandesakt beziehen, geschweige denn diesen mitteilen. In der intellektuellen Vorstellung ist eine Selbsttätigkeit jedoch atemporal vorgestellt. Das heißt, sie wird nicht als ein Ereignis in der Erscheinungswelt vorgestellt. Um als ein Ereignis vorgestellt zu werden, müsste sie als in der Zeit bestimmt vorgestellt werden. Dies würde aber voraussetzen, dass diese Selbsttätigkeit durch den inneren Sinn wahrgenommen wird. Folglich kann durch den reinen Denkakt des ‚Ich denke‘ oder das intellektuelle Selbstbewusstsein das Ich nicht objektiv bestimmt werden.

1.5.5.4.2 Unbestimmbarkeit der Selbstanschauungen Bei der zweiten und dritten Art der Unbestimmbarkeit des ‚Ich denke‘ handelt es sich um die Unbestimmtheit des ‚Ich denke‘ nicht aufgrund seines eigenen Charakters, sondern aufgrund der mit dem ‚Ich denke‘ korrespondierenden Anschauung. Das ‚Ich denke‘ ist dabei unbestimmt, weil der mit ihm korrespondierenden Selbstanschauungen kategorial nicht zu bestimmen ist. Genau in diesem Sinne sagt Kant im Paralogismen-Kapitel, dass das ‚Ich denke‘ ein „empirische[r], aber in Ansehung aller Art der Anschauung unbestimmte[r] Satz“ sei (B421). Die beiden Arten der Unbestimmbarkeit sind jedoch hinsichtlich der mit dem ‚Ich denke‘ korrespondierenden Selbstanschauung voneinander zu unterscheiden: Bei der ersten Unbestimmbarkeit ist die korrespondierende Selbstanschauung die primäre Selbstanschauung; bei der zweiten ist sie die sekundäre Selbstanschauung oder die Anschauung des inneren Zustandes durch den inneren Sinn. Die sekundäre Selbstanschauung ist eine empirische Anschauung der inneren Zustände als innere Ereignisse in der Zeit. Wenn man sie als Vorstellung des Subjekts betrachtet, ist dieses durch die sekundäre Anschauung gemäß dem Paralogismen-Kapitel in allen Hinsichten (d. h. in allen Kategorien) unbestimmbar, da sie kein Mannigfaltiges liefert, das eine Vorstellung des Subjekts konstituieren kann. Wenn sie jedoch als Vorstellung der inneren Zustände betrachtet wird, dann sind diese Zustände durch den Gedanken ‚Ich denke‘ hinsichtlich bestimmter Kategorien teilweise bestimmbar (B429 f.).¹⁸¹ Man kann diese Zu Daher könnte Klemmes pauschale ‚Verurteilung‘ des Satzes ‚Ich denke‘ problematisch sein: „Der Satz hat keinen bestimmten empirischen Inhalt, da es keine Anschauung eines denkenden Ich gibt“ (2015, S. 1075). „Da das ‚Ich denke‘ sich auf den Akt des Verbindens beliebiger Inhalte vermittels beliebiger Urteilsformen bezieht, hat es keinen eigenen Inhalt“ (Klemme 2015, S. 1075). Der Satz ‚Ich denke‘ kann einen bestimmten empirischen Inhalt haben, wenn er mit einer

1.5 Reine Apperzeption

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stände mit ihren wesentlichen Komponenten, den spontanen Akten, hinsichtlich der Anzahl, Dauer, Wirklichkeit oder eventuell der (mentalen) Kausalität bestimmen. Das heißt, in diesem Fall sind die Kategorien der Quantität, Kausalität und Modalität anwendbar. Die primäre Selbstanschauung erfolgt „vor aller Erfahrung“, daher können die Denkakte, anders als bei der sekundären Selbstanschauung, durch sie auch nicht teilweise empirisch bestimmt werden. Hinsichtlich der beiden Arten der Unbestimmbarkeit gibt es jedoch eine Unklarheit: Zuweilen deutet Kant anscheinend an, dass die Vorstellung des Ich anhand der Selbstanschauung durch die Kategorie der Existenz dennoch gewissermaßen bestimmt werden kann. An einer Stelle des Paralogismen-Kapitels behauptet er, dass das ‚Ich denke‘ „dazu dient, alles Denken, als zum Bewußtsein gehörig, aufzuführen“ und damit „zweierlei Gegenstände aus der Natur unserer Vorstellungenskraft zu unterscheiden“, nämlich das „Ich, als denkend“ sowie die „Körper“ (A342/B400). Ähnliche Aussagen sind zusätzlich in Metaphysische Anfangsgründe zu finden.¹⁸² Anhand der Vorstellung des Ich lässt sich der Gegenstand des inneren Sinnes vom Gegenstand des äußeren Sinnes unterscheiden. Als Erklärung der Unklarheit kann dazu die folgende Stelle aus den ParalogismenKapiteln eingebracht werden: Ich unterscheide meine eigene Existenz, als eines denkenden Wesens, von anderen Dingen außer mir (wozu auch mein Körper gehört), ist eben so wohl ein analytischer Satz; denn andere Dinge sind solche, die ich als von mir unterschieden denke. Aber ob dieses Bewußtsein meiner selbst ohne Dinge außer mir, dadurch mir Vorstellungen gegeben werden, gar möglich sei, und ich also bloß als denkend Wesen (ohne Mensch zu sein) existiren könne, weiß ich dadurch gar nicht. (B409)

Gemäß Kant kann man allein anhand des Begriffs des denkenden Wesens das Subjekt nicht von körperlichen Dingen unterscheiden, weil diese Unterscheidung analytisch ist.¹⁸³ Das heißt, sie beruht lediglich auf eine Analyse der Bedeutung

Selbstanschauung eines Denkakts als Produkt des inneren Sinnes semantisch korrespondiert. Für eine neue Interpretation dieser Thematik, siehe Chignell 2017, Emundts 2007. Nach Chignell sei Kant der Ansicht, dass das Subjekt das Ich als eine Substanz erkennen könne.  „Der Gedanke Ich ist dagegen gar kein Begriff, sondern nur innere Wahrnehmung, aus ihm kann also auch gar nichts (außer der gänzlichen Unterschied eines Gegenstandes des inneren Sinnes von dem, was bloß als Gegenstand äußerer Sinne gedacht wird) folglich auch nicht die Beharrlichkeit der Seele als Substanz gefolgert werden“ (MAN 4:542). Siehe auch Prol 4:343.  „Wenn mir jemand überhaupt die Frage aufwürfe: von welcher Beschaffenheit ist ein Ding, welches denkt? so weiß ich darauf a priori nicht das mindeste zu antworten, weil die Antwort synthetisch sein soll (denn eine analytische erklärt vielleicht wohl das Denken, aber gibt keine erweiterte Erkenntnis von demjenigen, worauf dieses Denken seiner Möglichkeit nach beruht). Zu

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

des Begriffs ‚andere Dinge außer mir‘, ohne das wahre Verhältnis zwischen dem Ich und dem Körperlichen zu bestimmen. Kann durch die primäre Anschauung somit keine synthetische Unterscheidung zwischen dem Denkenden als „etwas Reale[m]“ (B423 Anm.) und dem Körperlichen gemacht werden? Wenn die Antwort positiv ist, dann könnte die Vorstellung des Ich dennoch in einem gewissen Ausmaß (besonders hinsichtlich der Kategorie der Existenz) empirisch bestimmt sein. Das ist ein Thema, dem im Rahmen dieser Abhandlung nicht nachgegangen werden kann. Hier begnüge ich mich mit einer vorläufigen Überlegung: Es ist für die Anwendung der Kategorie der Existenz auf einen Denkenden nicht nötig, das Denken von dem Körperlichen, wie es im obigen Zitat der Fall ist, ontologisch zu unterscheiden. Es ist dafür umso weniger nötig, diesen Denkenden als Substanz oder Akzidenz zu bestimmen. Um etwas als existierend zu erkennen, muss man nicht seinen ontologischen Charakter bestimmen. Es reicht bereits aus, festzustellen zu können, dass die Extension des Begriffs des Denkenden¹⁸⁴ nicht leer ist – d. h., man muss bei der Anwendung der Kategorie der Existenz Kants Erörterung dieser Kategorie wörtlich nehmen und keine zu hohe ontologische Voraussetzung aufstellen. Die primäre und die sekundäre Selbstanschauung scheinen für diesen Zweck ausreichend zu sein.

1.6 Bewusstsein, transzendentale Apperzeption und innerer Sinn Oft scheint Kant der Ansicht zu sein, dass das Bewusstsein notwendigerweise einen Bezug auf das transzendentale Subjekt und damit auf die transzendentale Apperzeption enthält: Weil das Bewußtsein das einzige ist, was alle Vorstellung zu Gedanken macht, und worin mithin alle unsere Wahrnehmungen, als dem transzendentalen Subjekte, müssen angetroffen werden. (A350) Mit der Repräsentation läßt sich noch die Apperzeption verbinden – das Bewußtsein der Vorstellung. (V-Lo/Dohna 24:752)¹⁸⁵

jeder synthetischen Auflösung aber wird Anschauung erfordert, die in der so allgemeinen Aufgabe gänzlich weggelassen worden“ (A398).  Dieser Begriff ist in der Tat eine transzendentale Idee. Siehe Kraus 2019.  Siehe auch Log 9:33.

1.6 Bewusstsein, transzendentale Apperzeption und innerer Sinn

111

Passagen wie die zweite führen zu der Auffassung, dass Kant das Bewusstsein und die transzendentale Apperzeption nicht voneinander abgrenzt.¹⁸⁶ Derartige Stellen sind in der Tat zahlreich und über Kants kritische und nachkritische Zeiten hinweg zu finden.¹⁸⁷ Diese starke Position ist allerdings nicht haltbar. Aus einer bedeutsamen Passage über das Thema Bewusstsein in A117 Anm. geht deutlich hervor, dass Kant das (empirische) Bewusstsein und die transzendentale Apperzeption (dort unter dem Namen „transzendentale[s] Bewusstsein“) begrifflich unterscheidet. Letztere ist ein Bewusstsein des Selbst, während der Selbstbezug des „verschieden[en] empirisch[en] Bewußtsein[s]“ erst durch die synthetische Handlung des Verstandes herzustellen ist.¹⁸⁸ Das Bewusstsein an sich enthält nicht notwendigerweise die transzendentale Apperzeption bzw. einen Bezug auf das Subjekt: Das empirische Bewußtsein, welches verschiedene Vorstellungen begleitet, ist an sich zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjects. Diese Beziehung geschieht also dadurch noch nicht, daß ich jede Vorstellung mit Bewußtsein begleite, sondern daß ich eine zu der andern hinzusetze und mir der Synthesis derselben bewußt bin. (B133)

Um diese Passage richtig zu verstehen, ist eine vorbereitende Bemerkung notwendig. Obwohl diese Passage das empirische Bewusstsein thematisiert, gilt ihre Aussage für das Bewusstsein tout court. Denn aus dem Antizipationen-Kapitel (B207) ist bekannt, dass das empirische Bewusstsein deswegen empirisch ist, weil die Vorstellung, die es begleitet, einen Gehalt aus der Empfindung enthält. Sein empirischer Charakter hat nichts mit dem Bewusstsein selbst zu tun, weil die Empfindung kein Bestandteil des Bewusstseins ist.¹⁸⁹ In B207 stellt Kant dem empirischen Bewusstsein das formale Bewusstsein gegenüber. Dieser Gegenüberstellung liegt die Dichotomie Form-Materie zugrunde, sodass die Einteilung

 Z. B. „almost all cases where Kant uses the term Bewustseyn, he means […] transcendental apperception“ (Schulting 2015, S. 106). „Whenever I am conscious of anything, I also apperceive that it is I who am thusly conscious“ (Pippin 1987, S. 459). Siehe auch Zöller 2015; Kitcher 2015; Brook 2006, S. 89; Allison 2004, S. 163 f., 164 Anm. 14. Dagegen unterscheiden Brook (1994, Abschnitt 3) und Carl (2008, S. 156) das Bewusstsein von der Apperzeption.  Z. B. Anth 7:141 f.; V-Met-L2/Pölitz 28:584; V-Met-K3/Arnoldt 29:970; MAN 4:542; Refl 18:332; OP 21:201; V-Lo/Dohna 24:752.  Am Anfang des § 16 der KrV (B132) ist die begriffliche Unterscheidung des Bewusstseins und des Selbstbewusstseins ebenfalls ersichtlich: „weil sie [die transzendentale Apperzeption] dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, in dem es die Vorstellung: Ich denke, hervorbringt, die alle andere muß begleiten können und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiter begleitet werden kann“ (B132, H. d. V.).  Refl 18:72, siehe auch McLear 2015.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

des Bewusstseins in empirisches und formales Bewusstsein das gesamte Spektrum von Bewusstseinsarten erschöpft. Das formale Bewusstsein unterscheidet sich somit lediglich im Grad der Qualität der Empfindung von dem empirischen Bewusstsein. Die beiden Arten sind in anderen bewusstseinstheoretischen Hinsichten miteinander identisch. Daher kann die Ausführung in der oben zitierten Stelle aus B133 nicht nur für das empirische Bewusstsein, sondern auch für das Bewusstsein tout court gelten. Nun zurück zum Zitat aus B133. Die Beziehung der Vorstellungen auf die Identität des Subjekts bedeutet im Kontext von B133, dass die Vorstellungen durch die transzendentale Apperzeption begleitet werden, die sich auf ein identisches Ich bezieht. Kants Bemerkung, dass die bloße Begleitung des Bewusstseins für diese Beziehung nicht ausreicht, impliziert gerade, dass das Bewusstsein an sich keinen Bezug auf das Subjekt bzw. keine transzendentale Apperzeption enthält.¹⁹⁰ In der Tat gibt es in anderen Schriften Kants starke Belege dafür, dass das Bewusstsein an sich nicht notwendigerweise die transzendentale Apperzeption enthält. Betrachten wir eine oft diskutierte Passage aus Kants Brief an Herz aus dem Jahr 1789:¹⁹¹ Denn wenn wir darthun können, daß unser Erkentnis von Dingen selbst das der Erfahrung nur unter jenen Bedingungen allein möglich sey, so sind nicht allein alle andere Begriffe von Dingen (die nicht auf solche Weise bedingt sind) für uns leer und können zu gar keinem Erkentnisse dienen, sondern auch alle data der Sinne zu einer möglichen Erkentnis würden ohne sie niemals Obiecte vorstellen, ja nicht einmal zu derjenigen Einheit des Bewustseyns gelangen, die zum Erkentnis meiner selbst (als obiect des inneren Sinnes) erforderlich ist. Ich würde gar nicht einmal wissen können, daß ich sie habe, folglich würden sie für mich, als erkennendes Wesen, schlechterdings nichts seyn, wobey sie (wenn ich mich in Gedanken zum Thier mache) als Vorstellungen, die nach einem empirischen Gesetze der Association verbunden wären und so auch auf Gefühl und Begehrungsvermögen Einflus haben würden, in mir, meines Daseyns unbewust, (gesetzt daß ich auch jeder einzelnen Vorstellung bewust wäre, aber nicht der Beziehung derselben auf die Einheit der Vorstellung ihres Obiects, vermittelst der synthetischen Einheit ihrer Apperception,) immer hin ihr Spiel regelmäßig treiben können, ohne daß ich dadurch in mindesten etwas, auch nicht einmal diesen meinen Zustand, erkennete. (Br 11:51– 52)

 Kant leugnet in B133 streng genommen lediglich die Beziehung der Vorstellung auf die Identität des Subjekts, nicht aber auf das Subjekt. Dies schließt nicht aus, dass die einzelnen Vorstellungen durch Episoden von Bewusstsein begleitet werden, die sich auf verschiedene Subjekte beziehen. Anders gesagt, die distributiven, atomaren Episoden des Bewusstseins könnten an sich ein Bewusstsein des Ich enthalten, das noch nicht auf ein identisches Selbst bezogen ist. Die Annahme der diskreten Episoden des Selbstbewusstseins ohne Identitätsbewusstsein ist jedoch kaum nachvollziehbar (für eine ähnliche Position siehe Carl 2008, S. 154). Für eine detaillierte Diskussion siehe Thöle (1994, S. 66 – 68).  Für eine genauere Analyse dieser Passage siehe Liang 2017.

1.6 Bewusstsein, transzendentale Apperzeption und innerer Sinn

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Die Passage thematisiert ein primitives Gemüt, für das die Bedingungen der Einheit der Apperzeption nicht zu erfüllen sind. Für dieses Gemüt sind die transzendentale und die empirische Apperzeption zwar nicht möglich, aber Kant spricht explizit vom Bewusstsein „jeder einzelnen Vorstellung“ (Br 11:52). In demselben Brief schreibt er: Die synthetische Einheit der Apperception, durch welche allein das Mannigfaltige der Anschauung (deren jedes ich mir besonders immerhin bewust seyn mag) in ein vereinigtes Bewustseyn, zur Vorstellung eines Obiects überhaupt, (dessen Begrif durch jenes Mannigfaltige nun bestimmt wird) zu bringen. (Br 11:50, H. d. V.)

Auch hier scheint Kant zu behaupten, dass sich der primitive Geist unabhängig von der Einheit der Apperzeption der einzelnen Sinnesdaten bewusst sein kann. Zudem wurde schon erwähnt, dass Kant auch in der Ausführung der Rangordnung der Erkenntnisse in mehreren Schriften andeutet, dass (zumindest manche) Tiere über ein Bewusstsein verfügen. All dies ist ein Beleg dafür, dass eine bewusste Vorstellung nicht unbedingt ein Selbstbewusstsein enthalten muss. Allerdings definiert Kant die Vorstellung des inneren Sinnes (d. h. die empirische Apperzeption, siehe Anth 7:134, A107) als die Anschauung oder Wahrnehmung der eigenen Vorstellung: Der innere Sinn, vermittelst dessen das Gemüth sich selbst oder seinen inneren Zustand anschauet. (A22/B37)¹⁹²

Eine derartige Darstellung klingt ähnlich wie Kants Definition des Bewusstseins als Vorstellung oder Anschauung der eigenen Vorstellung.¹⁹³ Sowohl die Vorstellung des inneren Sinnes als auch das Bewusstsein werden als Vorstellungen höherer Ordnung charakterisiert, die einen repräsentationalen Zustand niedrigerer Stufe als ihren intentionalen Gehalt haben.¹⁹⁴ In beiden Fällen sind die Vorstellungen höherer Stufe Wahrnehmungen. Dies suggeriert die Auffassung,

 Siehe auch A197/B242, V-Met/Mron 29:882, V-Lo/Philippi 24:341, V-Met/Dohna 28:673.  „Das Bewustseyn begleitet jeden unserer Zustände, es ist gleichsahm das Anschauen unserer selbst“ (V-Lo/Blomberg 24:40 f.; siehe auch V-Lo/Philippi 24:341). „Bewustseyn ist das Anschauen seiner Selbst“ (Refl 18:72). „Das Bewußtseyn ist ein Wissen dessen, was mir zukommt. Es ist eine Vorstellung von meinen Vorstellungen, es ist eine Selbstwahrnehmung, Perception“ (VMet-L1/Pölitz 28:227).  Fortan bezeichne ich mit dem Begriff ‚Vorstellung des inneren Sinnes‘, wenn nicht anders angegeben, die empirische Anschauung, die der innere Sinn erzeugt.

114

Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

dass Kant die Vorstellung des inneren Sinnes mit dem Bewusstsein identifiziere.¹⁹⁵ In der Tat identifiziert Kant beides an manchen Stellen explizit: „Der innre Sinn ist das Bewußtsein unserer Vorstellungen selbst“ (V-Mo/Mron II 29:882). Der innere Sinn begleitet nämlich als das wirkliche empirische Bewusstsein alle bewussten Vorstellungen (A176/B217, A177/B220). Wenn die transzendentale Apperzeption, die der innere Sinn als seine transzendentale Voraussetzung enthält, kein wirkliches Bewusstsein, sondern eine logisch-epistemologische Bedingung der Erfahrung ist, dann lässt sich schließen, dass das Bewusstsein mit dem inneren Sinn ein und dasselbe ist. Die transzendentale Apperzeption ist, wie bereits gezeigt, jedoch ein Aspekt des faktischen Bewusstseins. Obwohl Kant gelegentlich die „unmittelbare Wahrnehmung“ der Vorstellungen mit dem Bewusstsein gleichsetzt (A371), ist es dennoch unzutreffend, den inneren Sinn ohne Weiteres mit dem Bewusstsein zu identifizieren. Kants Ausführungen zum Thema Bewusstsein und Selbstbewusstsein in seinen späteren Schriften (vor allem in der Anthropologie) zeigen deutlich den Tenor, der sich wie folgt zusammenfassen lässt: 1. Die transzendentale und die empirische Apperzeption sind nicht zwei separate mentale Akte, sondern können jeweils als der formale und der materielle Aspekt der Apperzeption betrachtet werden. 2. Die Apperzeption und das Bewusstsein sind ein und dasselbe. Beide Thesen sind auch in KrV wiederzufinden. Fangen wir zunächst mit der späteren Ausführung Kants über das Thema Bewusstsein und Selbstbewusstsein an. In der Anthropologie sind detaillierte Aussagen über die Verhältnisse zwischen transzendentaler Apperzeption, empirischer Apperzeption, Apperzeption und Bewusstsein zu finden: […] so kann das Bewußtsein seiner selbst (apperceptio) in das der Reflexion und das der Apprehension eingetheilt werden. Das erstere ist ein Bewußtsein des Verstandes, das zweite der innere Sinn; jenes die reine, dieses die empirische Apperception, da dann jene fälschlich der innere Sinn genannt wird […]. (Anth 7:134 Anm.)

 Schulting 2015, S. 92, 97 f.; Zöller 2015. Wunderlich (2005, S. 135) hält diese Position für eine Verwechselung des Bewusstseins mit dem inneren Sinn, die nur in vorkritischer Zeit zu finden ist. Aber in Schriften aus anderen Perioden sind ähnliche Aussagen zu finden. Siehe V-Lo/Philippi 24:341; V-Met/Dohna 28:673, 952; V-Met/Mron 29:882; 4:31.

1.6 Bewusstsein, transzendentale Apperzeption und innerer Sinn

115

Hier setzt Kant das Selbstbewusstsein mit der Apperzeption gleich, die wiederum die empirische und die transzendentale Apperzeption einschließt. Einige Passagen später schreibt Kant: […] so wird das Bewußtsein in das discursive (welches als logisch, weil es die Regel giebt, voran gehen muß) und das intuitive Bewußtsein eingetheilt werden; das erstere (die reine Apperception seiner Gemüthshandlung) ist einfach. Das Ich der Reflexion hält kein Mannigfaltiges in sich und ist in allen Urtheilen immer ein und dasselbe, weil es blos dies Förmliche des Bewußtseins, dagegen die innere Erfahrung das Materielle desselben und ein Mannigfaltiges der empirischen inneren Anschauung, das Ich der Apprehension, (folglich eine empirische Apperception) enthält. (Anth 7:141)

Demnach enthält das Bewusstsein die transzendentale Apperzeption als seinen formalen Aspekt und die empirische Apperzeption – d. h. das empirische Bewusstsein durch den inneren Sinn – als seinen materiellen Aspekt. Die beiden sind unzertrennliche Aspekte des Bewusstseins als eines mentalen Phänomens. Dies wird ebenfalls in der folgenden Passage deutlich: Wir müßen uns ein doppeltes Bewustseyn vorstellen, eine reine und eine empirische Apperception. Das Denken ist Actus der reinen Spontaneitaet, also intellectuelle Apperception; die empirische ist Receptivität, sezt etwas gegebnes voraus, wodurch wir afficirt werden. (V-Met/ Dohna 28:654, H. d. V.)

Der Interpretationsversuch, die transzendentale Apperzeption oder den inneren Sinn mit dem Bewusstsein zu identifizieren, scheitert somit. Das obige Zitat verstärkt zudem den Eindruck, dass Kant mit dem Begriff des Bewusstseins im Wesentlichen das Selbstbewusstsein meint. Denn das Bewusstsein schließt sowohl die transzendentale Apperzeption, d. h. das direkte intellektuelle Bewusstsein der eigenen Geistesakte, als auch die empirische Apperzeption, d. h. die empirische Anschauung des eigenen inneren Zustands (A22/B37), ein. Das Bewusstsein ist dementsprechend die höherstufige Vorstellung eines Vorstellungszustands erster Ordnung. Da dieser Vorstellungszustand erster Ordnung bei den Menschen wesentlich eine Relation der Repräsentation zwischen dem Subjekt und einem Objekt ist, enthält das Bewusstsein unzertrennlich einen Bezug auf das Subjekt.¹⁹⁶ Diese Überlegung zum Verhältnis zwischen der empirischen und der reinen Apperzeption lässt sich durch die folgende Passage weiter verstärken:

 Mehr dazu siehe Liang 2017.

116

Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Wie ist es möglich daß ein Subject sich seiner Selbst als bloßer Erscheinung und unmittelbar bewust werde und doch zugleich als Ding an sich selbst? Jenes durch empirische dieses durch reine Apperception. (Br 10:340, H. d. V.)

Die Wortwahl „zugleich“ ist ein Beleg dafür, dass die empirische und die reine Apperzeption keine getrennten mentalen Akte, sondern zwei Aspekte desselben Akts sind. Die gerade skizzierte Lehre Kants über das Verhältnis zwischen den beiden Apperzeptionen und dem Bewusstsein beschränkt sich nicht auf Kants spätere Schriften. In der Tat lassen sich alle Elemente dieser Lehre in der KrV und anderen zeitgleichen Schriften finden. Zunächst wird gezeigt, dass dies für die These gilt, dass die transzendentale Apperzeption mit dem Bewusstsein des inneren Sinnes im menschlichen Gemüt unzertrennlich verbunden ist. Auf der einen Seite ist der innere Sinn von der transzendentalen Apperzeption abhängig. Dafür sprechen mehrere Gründe. Er ist von der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft affiziert, die wiederum die transzendentale Apperzeption voraussetzt. Da der innere Sinn das empirische Bewusstsein liefert (A176/B217, A177/B220) und die transzendentale Apperzeption, wie bereits argumentiert, in allem attentiven Bewusstsein vorhanden ist, muss das Bewusstsein des inneren Sinnes die transzendentale Apperzeption enthalten.¹⁹⁷ Es gibt einen wichtigen sachlichen Grund für diese Abhängigkeit: Der innere Sinn ist dasjenige, „vermittelst dessen das Gemüth sich selbst oder seinen inneren Zustand anschauet“ (A22/B37, A38/B55). Er liefert eine Vorstellung, „daß eine andre Vorstellung in mir ist“ (Log 9:33). Das empirische Bewusstsein des inneren Sinnes repräsentiert also den inneren Zustand als etwas, das zu ‚meinem Gemüt‘ gehört – d. h. als etwas, das „in mir“ ist. Das empirische Bewusstsein des inneren Sinnes muss folglich mit einem Verstandesakt – d. h. der reinen Apperzeption – verbunden sein, durch den der innere Zustand als „mein[] eigen[er]“ erfasst wird (A122; V-Met/Mron 29:882, 1782/3; Refl 18:186). Wie bereits gesagt, liefert der innere Sinn keine eigenen empirischen Materialien bzw. keine eigenen Sinnesqualitäten. Ausschließlich die phänomenalen Qualitäten der Vorstellungen der äußeren Gegenstände und des Gefühls der Lust und Unlust machen die Materie des inneren Sinnes aus.¹⁹⁸ Um diese phänomenalen Erlebnisse als eigene Zustände zu erfassen, wird zusätzlich ein gedanklicher Akt verlangt, der dem Subjekt diese Vorstellungen oder Gefühle zu-

 „Der innre Sinn ist das Bewußtsein unserer Vorstellungen selbst. (Die Apperception liegt dem innern Sinn zum Grunde). Es hat zum Object die Seele. Wenn die Seele sich selbst ihrer bewußt ist, ohne ihres Zustandes bewußt zu sein, so ists Apperception. Ist sie auch ihres Zustandes bewußt, so ist es Empfindung oder Wahrnehmung“ (V-Met/Mron 29:882, H. d. V.).  Mehr dazu siehe Liang 2020.

1.6 Bewusstsein, transzendentale Apperzeption und innerer Sinn

117

schreibt. Dieser gedankliche Akt ist nichts anderes als die transzendentale Apperzeption. Die Abhängigkeit zeigt sich auch darin, dass Kant gelegentlich das Identitätsbewusstsein im empirischen Bewusstsein des inneren Sinnes (d. h. der empirischen Apperzeption) betont (siehe den kursiven Text in der unten zitierten Passage A115 – 117). Dieses Identitätsbewusstsein verdankt der innere Sinn der transzendentalen Apperzeption. Im Lichte des bisher Gesagten ist dieses Zitat nun verständlich: „Die Apperception liegt dem innern Sinn zum Grunde“ (V-Met/Mron 29:882).¹⁹⁹ Auf der anderen Seite ist die transzendentale Apperzeption auch auf den inneren Sinn angewiesen. Sie ist nämlich in der Tat das Bewusstsein der „durchgängig[en] Identität seiner selbst bei allen möglichen Vorstellungen“ (A115). Hier werden mit dem Ausdruck „all[e] möglichen Vorstellungen“ nicht alle bewussten Vorstellungen und die dunklen oder nur im Gedächtnis vorhandenen Vorstellungen gemeint, sondern alle bewussten Vorstellungen (A115 – 117). Das heißt, die transzendentale Apperzeption ist ein transzendentales Bewusstsein, das in allen Episoden des Bewusstseins unverändert bleibt und diese zusammenbindet. Ihre Aktivierung setzt die empirischen Vorstellungen im inneren Sinn voraus, denn sonst würde es kein Bewusstsein geben. Daher hängt die transzendentale Apperzeption auch unzertrennlich mit dem inneren Sinn zusammen. Eine Stelle in der A-Deduktion zeigt das Verhältnis zwischen der transzendentalen und der empirischen Apperzeption am deutlichsten auf. Sie stimmt

 Ameriks verweist auf eine Stelle, wonach man den inneren Sinn ohne die transzendentale Apperzeption haben könne: „Es ist aber merkwürdig: daß das Kind, was schon ziemlich fertig sprechen kann, doch ziemlich spät (vielleicht wohl ein Jahr nachher) allererst anfängt durch Ich zu reden, so lange aber von sich in der dritten Person sprach (Karl will essen, gehen u.s.w.). […] Vorher fühlte es bloß sich selbst, jetzt denkt es sich selbst“ (Anth 7:127). Das Kind scheint zwar das empirische Bewusstsein seines Gemütszustands, aber kein Bewusstsein des Selbst zu haben. Das genannte Fühlen des Selbst ist anscheinend ein nicht-begriffliches Selbstbewusstsein. Diese Stelle liefert jedoch keinen entscheidenden Beleg gegen die Abhängigkeit des inneren Sinnes von der transzendentalen Apperzeption. Es könnte sein, dass Karl das Vermögen der transzendentalen Apperzeption bereits in einem gewissen Grad hat, denn die Fähigkeit des Denkens, die Einheit des Bewusstseins und die Kohärenz der Erfahrung – Karl scheint all dies bereits in gewißem Maße zu besitzen – setzen dieses Vermögen voraus. Er hat möglicherweise bloß nicht die Fähigkeit, das Wort ‚Ich‘ zu verwenden. Oder er könnte lediglich eine dunkle Vorstellung des Ich haben. Zudem ist es auffällig, dass Kant gerade in einem Kontext über die Apperzeption das Beispiel des kleinen Karls nicht gravierend findet, obwohl es nach Ameriks Interpretation problematisch sein kann: Falls seine Interpretation korrekt wäre, könnte das Beispiel einen Beleg für die Möglichkeit der empirischen Erkenntnisse ohne die transzendentale Apperzeption (denn es scheint wenig umstritten zu sein, dass der kleine Karl manche empirischen Erkenntnisse haben kann) oder zumindest einen Beleg für das Denkvermögen ohne die transzendentale Apperzeption liefern. Beides widerspricht den fundamentalen Thesen der Transzendentalen Deduktion.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

zudem mit dem oben zitierten Hauptbeleg für die hier vertretene Auffassung (d. h. Anth 7:141) überein: Es sind drei subjektive Erkenntnisquellen, worauf die Möglichkeit einer Erfahrung überhaupt, und Erkenntnis der Gegenstände derselben beruht: Sinn, Einbildungskraft und Apperzeption; jede derselben kann als empirisch, nämlich in der Anwendung auf gegebene Erscheinungen betrachtet werden, alle aber sind auch Elemente oder Grundlagen a priori, welche selbst diesen empirischen Gebrauch möglich machen. Der Sinn stellt die Erscheinungen empirisch in der Wahrnehmung vor, die Einbildungskraft in der Assoziation (und Reproduktion), die Apperzeption in dem empirischen Bewußtsein der Identität dieser reproduktiven Vorstellungen mit den Erscheinungen, dadurch sie gegeben waren, mithin in der Rekognition. Es liegt aber der sämmtlichen Wahrnehmung die reine Anschauung (in Ansehung ihrer als Vorstellung die Form der inneren Anschauung, die Zeit), der Association die reine Synthesis der Einbildungskraft und dem empirischen Bewußtsein die reine Apperception, d. i. die durchgängige Identität seiner selbst bei allen möglichen Vorstellungen, a priori zum Grunde. (A115 – 117, H. d. V.)

Diese beiden Passagen haben den gleichen Tenor wie die schon zitierte Stelle aus Anth 7:141: Die Apperzeption tout court besteht aus einem empirischen und einem apriorischen Aspekt – d. h. aus der empirischen und der reinen Apperzeption. Die Apperzeption hat bei der Erfahrung vor allem einen empirischen Gebrauch, der wiederum den apriorischen Gebrauch derselben voraussetzt. Wegen dieses empirischen Gebrauchs ist die Apperzeption faktisch eine empirische Vorstellung bzw. eine Wahrnehmung. Nachdem dargestellt wurde, dass es sich bei der reinen und der empirischen Apperzeption um zwei Aspekte der Apperzeption als einer einzigen mentalen Aktivität handelt, soll noch gezeigt werden, dass der Begriff Apperzeption im Kontext des Gemüts des Menschen sich auf dasselbe Phänomenon wie der Begriff Bewusstsein bezieht.²⁰⁰ Historisch wird der Begriff der Apperzeption erstmals von Leibniz eingeführt: Daher muß man zwischen der Perzeption, welche der innere, die Außendinge darstellende Zustand der Monade ist, und der Apperzeption unterscheiden, welche das Bewußtsein oder reflexives Wissen dieses inneren Zustands ist, welches weder allen Seelen noch derselben Seele immerwährend verliehen ist. (Leibniz: Die in der Vernunft begründeten Prinzipien der Natur und der Gnade, § 4).

 Es ist nicht ausgeschlossen, dass die beiden Begriffe in manchen Kontexten jeweils zwei verschiedene Seiten eines mentalen Phänomenons hervorheben.

1.6 Bewusstsein, transzendentale Apperzeption und innerer Sinn

119

Johann Christian Wolff führt den leibnizschen Ausdruck der Apperzeption zunächst mit dem Ausdruck ‚Bewusstsein‘, später aber mit ‚Apperzeption‘ in die deutsche philosophische Terminologie ein.²⁰¹ Bei ihm ist die Apperzeption ein mentaler Akt, der alles Denken,Vorstellen oder Erfahren begleitet und sich primär auf den Gegenstand der Vorstellung, nicht aber auf das Subjekt derselben bezieht.²⁰² Kant betont bei der Verwendung des Begriffs der Apperzeption vor allem den Bezug auf das Subjekt der Vorstellung und steht somit der leibnizschen Verwendung nahe. In der KrV und den zur gleichen Zeit entstandenen Schriften verwendet Kant den Begriff „Einheit des Bewusstseins“, wenn er eigentlich „Einheit der Apperzeption“ meint (A107, 117 Anm.; B411, 427). An vielen Stellen verwendet er die Begriffe „Apperzeption“ und „Bewusstsein“ synonym (z. B. A117 Anm., 304, 361).²⁰³ Wenn er sich auf die Apperzeption als Vermögen bezieht, bezeichnet er sie manchmal gar als „Vermögen des Bewußtseins“ (MAN, 4:542. Siehe auch A117 Anm.). Das „bloße Bewußtsein“ bezeichnet er als das Bewusstsein, „welches in allem Denken enthalten ist“ (B812). Das ist, sachlich betrachtet, genau die transzendentale Apperzeption. An einer Stelle in der Vorlesung Metaphysik L2 legt Kant gar dar: Eine Art der Vorstellung kann alle unsere Vorstellungen begleiten, diese ist die Vorstellung von uns selbst. Die Vorstellung von uns selbst heißt das Bewustseyn, apperceptio. (V-Met-L2/ Pölitz 28:584)

Deutlich behauptet Kant auch: Dieses [Das Bewusstsein] ist die Vorstellung seiner Vorstellungen und heißt auch darum Apperception. (V-Met/Mron 29:889)

Aus diesen Gründen ist der Begriff des Bewusstseins mit dem der Apperzeption bedeutungsgleich. Kants Terminologie des Bewusstseins und des Selbstbewusstseins ist nach meiner Analyse, entgegen der Meinung vieler Kommentatoren, durchaus konsequent und sauber.²⁰⁴

   

Carl 1992, S. 61. Carl 1992, S. 61. Siehe auch V-Met-K3/Arnoldt 29:970. Vgl. Zoeller 2015; Kitcher 2015; Wunderlich 2010.

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

1.7 Apperzeption und zwei Gewahrseinsweisen des Gedankens: Loses Blatt Kiesewetter Um das Verhältnis zwischen der reinen und der empirischen Apperzeption sowie ihren bewusstseinstheoretischen Status zu klären, muss man einen wichtigen Aufsatz aus Kants Nachlass mit dem Titel Beantwortung der Frage, ist es eine Erfahrung, daß wir denken? (Refl 18:319 – 320, 1788 – 1789) untersuchen. Er könnte wertvolles Licht auf ein Rätsel werfen, das in Abschnitt 1.5.4 erwähnt wurde, nämlich den Unterschied zwischen dem intellektuellen Bewusstsein und dem empirischen Bewusstsein des Denkakts. Fortan wird dieser Aufsatz Loses Blatt Kiesewetter genannt. Zu Beginn dieses Aufsatzes werden drei Stufen der empirischen Vorstellung unterschieden. Im Gegensatz zur Wahrnehmung, die „eine empirische Vorstellung [ist], deren ich mir bewußt bin“, werden die Begriffe empirische Erkenntnis und Erfahrung eingeführt: [Z.1] Eine empirische Vorstellung, deren ich mir bewust bin, ist Wahrnehmung; das, was ich zu der Vorstellung der Einbildungskraft vermittelst der Auffassung und Zusammenfassung (comprehensio aesthetica) des Mannigfaltigen der Wahrnehmung denke, ist die empirische Erkenntniß des Objects, und das Urtheil, welches eine empirische Erkenntniß ausdrückt, ist Erfahrung. (Refl 18:318)

Die empirische Erkenntnis ist ein Gedanke, welcher die Sinnesdaten in der Wahrnehmung mittels der Einbildungskraft unter Begriffen erfasst. Gegenstand der empirischen Erkenntnis sind raumzeitliche Dinge, Ereignisse oder Zustände. Die Erfahrung ist das Urteil, welches diese Gedanken ausdrückt. Im Gegensatz zur Erfahrung behauptet Kant: [Z.2] (1) wenn ich mir a priori ein Quadrat denke, so kann ich nicht sagen, dieser Gedanke sey Erfahrung; (2) wohl aber kann dieses gesagt werden, wenn ich eine schon gezeichnete Figur in der Wahrnehmung auffasse, und die Zusammenfassung des Mannigfaltigen derselben vermittelst der Einbildungskraft unter dem Begriff eines Quadrats denke. (3) In der Erfahrung und durch dieselbe werde ich vermittelst der Sinne belehrt; allein wenn ich ein Object der Sinne mir blos willkührlich denke, so werde ich von demselben nicht belehrt und hänge bei meiner Vorstellung in nichts vom Objecte ab, sondern bin gänzlich Urheber derselben. (Refl 18:318 – 319)

Es gibt einige Unklarheiten bezüglich dieser Passage. Obwohl Kant am Anfang des Aufsatzes relevante Begriffe definiert, bleibt der wichtigste Begriff des Denkens ungeklärt, was leicht zu Verwirrung führt. Die Rede über die apriorische Vorstellung eines Quadrats könnte suggerieren, dass der Begriff des Denkens in dem Zitat nicht nur die rein gedankliche Vergegenwärtigung des Begriffs des Quadrats

1.7 Apperzeption und zwei Gewahrseinsweisen des Gedankens

121

enthält, sondern auch eine mentale Imagination der Gestalt des Quadrats.²⁰⁵ Der Satz Z.2.2 stellt kein entscheidendes Argument gegen diesen Eindruck dar, weil es sich dort um eine „gezeichnete Figur in der Wahrnehmung“, d. h. eine wahrgenommene, nicht aber eine a priori imaginierte Figur handelt. Gegen diese Auffassung der Konzeption des Denkens sprechen jedoch drei Überlegungen. Erstens wird das Denken in Kants Schriften immer als spontane Akte des Verstandes – als Verbindung begrifflicher Vorstellungen bzw. Urteile – im Gegensatz zur Anschauung charakterisiert.²⁰⁶ In B746 ff. wird das Denken des Dreiecks gerade als rein diskursive Vorstellung der Definition des Dreiecks ohne Beteiligung der reinen Anschauung dargestellt. Zweitens gehört gemäß dem weiter folgenden Text des oben zitierten Aufsatzes das Denken zum „Denkungsvermögen“, d. h. zum Verstand, nicht zur Sinnlichkeit. Offenbar geht es hier eher um rein begriffliche Vorstellungsakte als um reine Anschauung. Drittens wird die Interpretation des Wortes ‚Denken‘ als Urteil, dem keine reine Anschauung zugrunde liegt, auch durch das Zitat Z.4 bestätigt, das eine Parallelstelle zum Aufsatz Loses Blatt Kiesewetter darstellt. Das Beispiel in Z.4 ist wegen des rein diskursiven Charakters des Denkens an Gott unmissverständlich. Dort sollte klar sein, dass für Kant in einem solchem Beispiel der Kontrast zwischen dem diskursiven Denken an sich und dem empirischen Bewusstsein eines derartigen Denkens als eines mentalen Zustands oder als „Bestimmung des Gemüths“ von Bedeutung ist. Schließlich spricht auch eine entscheidende Aussage gegen die obige Auffassung: Der Unterschied zwischen Erfahrung und apriorischem Denken ist, dass die Erfahrung uns über die Eigenschaft der Figur „belehr[en]“ kann (siehe Z.2.3). Sachlich betrachtet kann die Imagination des Quadrats dies tun, während das apriorische Denken an den Begriff der Figur dies zu tun nicht vermag. In Z.3.3 bezeichnet Kant im Übrigen den mentalen Akt „eine Figur von vier gleichen Seiten und rechten Winkeln so in Gedanken [zu] fassen, daß ich davon die Eigenschaften demonstrieren kann“, als Erfahrung. Dies bezieht sich offenbar auf die Imagination des

 Mit „Imagination“ meine ich die Vorstellung eines Gegenstands ohne dessen Gegenwart, um sie von Kants Begriff der „Einbildung“ zu unterscheiden, die sowohl in als auch ohne Gegenwart des Gegenstands ausgeübt werden kann (Anth 7:167).  Denken ist „soviel als Urteilen oder Vorstellungen auf Urteile überhaupt beziehen“ (Prol 4:304). Das Vermögen zu urteilen ist „eben soviel, als das Vermögen zu denken“ (B106). Das Denken besteht „in der Handlung, die Synthesis des Mannigfaltigen […] zur Einheit der Apperzeption zu bringen“ (B145). „Denken ist das Erkenntnis durch Begriffe“ (B94). Siehe auch Eisler 1994, S. 86 – 87. Ameriks z. B. interpretiert das „Denken“ in dem Aufsatz Loses Blatt Kiesewetter als „lesser awareness“ (Ameriks 2001, S. 247). Diese Interpretation ist unzutreffend. Das englische Wort „awareness“ bezeichnet ein unspezifisches Bewusstsein, welches sowohl sinnliche als auch begriffliche Vorstellungen sein können, während das Denken für Kant ein Akt des Begriffs und des Urteils ist.

122

Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Quadrats. Daher muss das am Anfang des Aufsatzes Loses Blatt Kiesewetter erwähnte Beispiel lediglich die gedankliche Vergegenwärtigung des Begriffs des Quadrats betreffen. Wie all diese Indizien zeigen, ist der springende Punkt des Beispiels also nicht, dass die Imagination der geometrischen Figur keine Erfahrung liefert, sondern dass apriorisches Denken, welches rein begrifflich ist und mit dem gar keine sinnlichen Daten korrespondieren²⁰⁷, keine Erfahrung liefert. Ferner muss beachtet werden, dass es das Denken a priori ist, dem Kant den epistemischen Status der Erfahrung entziehen will, nicht aber das Denken tout court, obwohl der Titel des Aufsatzes Loses Blatt Kiesewetter ²⁰⁸ auf den ersten Blick auf Letzteres hindeuten könnte. Denn sowohl der erste Satz des Beispiels Z.1 als auch das Beispiel Z.4 zeigen, dass das Denken a priori in Kants Fokus steht. Sachlich gesehen kann dies auch nicht anders sein, denn Erfahrung ist ein „Urteil, welches eine empirische Erkenntniß ausdrückt“. Das heißt, Erfahrung ist eine Art von Denken, die empirische Sachverhalte beschreibt. Daher muss es in diesem Aufsatz in erster Linie um das Denken a priori gehen. Der ausschlaggebende Punkt von Loses Blatt Kiesewetter findet sich in der folgenden Passage. Kant meint, dass das Denken als ein inneres Ereignis einen Gegenstand der inneren Erfahrung darstellt, auch wenn der Gehalt des Denkens keine Erfahrung ist, d. h., auch wenn das Denken a priori von seinem repräsentationalen Gehalt her keine empirischen Erkenntnisse liefert: [Z.3] (1) Aber auch das Bewußtseyn, einen solchen Gedanken zu haben, ist keine Erfahrung; eben darum, weil der Gedanke keine Erfahrung, Bewußtseyn aber an sich nichts Empirisches ist. (2) Gleichwohl aber bringt dieser Gedanke einen Gegenstand der Erfahrung hervor oder eine Bestimmung des Gemüths, die beobachtet werden kann, sofern es nämlich durch das Denkungsvermögen afficirt wird; (3) ich kann daher sagen, ich habe erfahren, was dazu gehört, um eine Figur von vier gleichen Seiten und rechten Winkeln so in Gedanken zu fassen, daß ich davon die Eigenschaften demonstriren kann. (4) Dies ist das empirische Bewußtseyn der Bestimmung meines Zustandes in der Zeit durch das Denken; (5) das Denken selbst, ob es gleich auch in der Zeit geschieht, nimmt auf die Zeit gar nicht Rücksicht, wenn die Eigenschaften einer Figur gedacht werden sollen. (6) Aber Erfahrung ist, ohne Zeitbestimmung damit zu verbinden, unmöglich, weil ich dabei passiv bin und mich nach der formalen Bedingung des innern Sinnes afficirt fühle. (7) Das Bewußtseyn, wenn ich eine Erfahrung anstelle, ist Vorstellung meines Daseyns, sofern es empirisch bestimmt ist, d. h. in der Zeit. […] (8) Das Bewußtseyn aber, eine Er-

 Man kann sagen, dass diesem Gedanken des Quadrats eine reine Anschauung zugrunde liegt und er somit nicht rein von Sinnlichkeit ist. Meines Erachtens will Kant in diesem Aufsatz das Denken jedoch als bloßes Bewusstsein des Urteils, also der Verknüpfung der Begriffe, betonen. Dies lässt sich deutlich aus der Passage Z.4 entnehmen.  „Beantwortung der Frage, ist es eine Erfahrung, daß wir denken?“.

1.7 Apperzeption und zwei Gewahrseinsweisen des Gedankens

123

fahrung anzustellen, oder auch überhaupt zu denken, ist ein transscendentales Bewußtseyn, nicht Erfahrung. (Refl 18:318 – 319, Nummerierung durch den Verfasser)

Nun stellen sich zwei Fragen: Warum ist das Denken a priori keine Erfahrung? In welchem Sinne sagt Kant, dass es einen Gegenstand der Erfahrung hervorbringt? Zunächst betrachten wir die erste Frage. Genauer gesagt besteht die Antwort nicht darin, dass ein solches Denken lediglich eine begriffliche Bestimmung ist, die mit keiner empirischen Anschauung korrespondiert. Der Gedanke des Begriffs eines Quadrats a priori kann durchaus einem empirischen Gegenstand entsprechen (A137/B176). Laut dem Zitat Z.2 ist deutlich, dass ein Denken genau dann Erfahrung ist, wenn sein begrifflicher Gehalt nicht potenziell, sondern tatsächlich auf einen empirischen Gegenstand in der Raumzeit – d. h. „eine schon gezeichnete Figur in der Wahrnehmung“ – Bezug nimmt. Das reine Denken an den Begriff des Quadrats, dem auch eine reine Anschauung a priori zugrunde liegen mag, greift durch seinen Gehalt selbst keinen konkreten empirischen Gegenstand heraus. Die Erfahrung beinhaltet nicht einen beliebigen begrifflichen Gehalt, sondern denjenigen, der ein tatsächlich empirisch gegebenes Mannigfaltiges zusammenfasst. Nun gehen wir zu der zweiten Frage über. Aus der Passage Z.3 geht hervor, dass es zu einem Denkakt zwei verschiedene Gewahrseinsweisen²⁰⁹ gibt: a) durch „Bewußtseyn, einen solchen Gedanken zu haben“, das keine Erfahrung ist; b) durch Erfahren von dem, „was dazu gehört, um eine Figur von vier gleichen Seiten und rechten Winkeln so in Gedanken zu fassen, daß ich davon die Eigenschaften demonstrieren kann“. Mit dem „Bewußtseyn, einen solchen Gedanken zu haben“ in Z.3.1 ist augenfällig das unmittelbare intellektuelle Bewusstsein des reinen Denkakts gemeint. Das Bewusstsein eines solchen Gedankens ist nämlich „keine Erfahrung“. Nicht nur involviert der Gedanke als spontane Selbsttätigkeit keine Rezeptivität des Sinnes. Auch das „Bewußtseyn [] an sich“ ist „nichts Empirisches“ (Z.3.1). Hier ist mit dem Begriff „Bewußtseyn [] an sich“ daher nicht das Bewusstsein tout court bzw. die Apperzeption tout court, sondern die reine Apperzeption gemeint. Ferner behauptet Kant in Z.3.8, „das Bewußtseyn aber, […] überhaupt zu denken, ist ein transscendentales Bewußtseyn“. Das Bewusstsein des Denkakts a priori ist folglich intellektuell im Sinn vom ‚unvermittelt durch die Sinnlichkeit‘. Die zweite Gewahrseinsweise ist die Selbstwahrnehmung. Obwohl nämlich der Gehalt des Denkens a priori rein ist, stellt der Denkakt selbst „ein[en] Gegenstand der Erfahrung“ dar. Kant konstruiert die Wahrnehmung des Denkens

 Um den bei Kant sehr verwickelten Begriff Bewusstsein zu vermeiden, verwende ich den Begriff Gewahrsein. Damit ist das Gegenstandsbewusstsein im weitesten Sinn in der zeitgenössischen Disskussion der Philosophie des Bewusstseins gemeint.

124

Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

nach dem Modell der äußeren Wahrnehmung. Analog zum Gegenstand der äußeren Erfahrung ist der Denkakt selbst als Gegenstand der inneren Wahrnehmung ein zeitliches Ereignis²¹⁰ und damit ein Teil der Erscheinungswelt.²¹¹ Als eine „Bestimmung meines Zustandes in der Zeit“ (Z.3.4) oder eine „factische Bestimmung unseres Vorstellungsvermögens“ (FM 20:270) ist der Denkakt eine Art von Realität, die beobachtet und objektiv erkannt werden kann. Ebenfalls analog zu äußeren Gegenständen kann man das Denken durch Affektion der Sinnlichkeit – d. h. die Selbstaffektion – wahrnehmen. Entsprechend kann das Denken als ein Zustand des Gemüts auch unbeobachtet – wie im Fall der dunklen Denkhandlungen – oder falsch beobachtet werden, da auch die Selbstaffektion, wie die äußere Affektion, einem Defekt unterliegen kann (Anth 7:135 ff., 161 ff.; VIS, S. 1– 2). Folglich misst Kant dem Denken als Zustand des Gemüts eine Art von Objektivität bei. Somit gibt es zwei Gewahrseinsweisen zu einem Denkakt. Erstens gibt es das transzendentale Bewusstsein vom Gehalt des Denkens.²¹² Es ist direkt sowie unfehlbar und eine Voraussetzung für die Erfahrung überhaupt, wie der Aufsatz Loses Blatt Kiesewetter zeigt. Zweitens ist ein Denkakt eine „factische Bestimmung unseres Vorstellungsvermögens“ (FM 20:270), d. h. ein reales Ereignis in der Zeit. Das Bewusstsein von einem Denkakt als einem solchen enthält nicht nur das Bewusstsein seines repräsentationalen Gehaltes, sondern auch das Bewusstsein der Tatsache, dass das Subjekt zu einem bestimmten Zeitpunkt diesen Denkakt ausführt oder, anders gesagt, im Zustand des Denkens ist. Dieses Bewusstsein basiert auf der Selbstaffektion und enthält eine genaue Zeitbestimmung vom Denkakt – d. h. ein Bewusstsein davon, in welchem Zeitverhältnis dieser Denkakt mit anderen Ereignissen steht.²¹³ Eine ähnliche Stelle bestätigt diese Interpretation: [Z.4] Ich denke z. B. über die Gottheit nach und verbinde mit diesen Gedanken das transscendentale Bewußtseyn (denn sonst würde ich nicht denken können), ohne mich mir dabei doch in der Zeit vorzustellen, welches geschehen müßte, wenn ich mir dieser Vorstellung durch meinen innern Sinn bewußt wäre. Geschehen Eindrücke auf meinen innern Sinn, so setzt dies voraus, daß ich mich selbst afficire (ob es gleich uns unerklärbar ist, wie dies zugeht) und so setzt also das emprische Bewußtseyn das transscendentale voraus. (Refl 18:611)

 Siehe Z.3.5: „in der Zeit geschieht“.  Hier unterscheide ich, wie Kant, nicht zwischen dem Denken als Ereignis – d. h. einem ‚Akt‘ oder einer ‚Handlung‘ in Kants Worten – und als Zustand, weil er diesbezüglich ebenfalls nicht entschieden ist, und zudem hier nichts Wichtiges an dieser Unterscheidung hängt.  Mehr dazu siehe unten.  Siehe Vom dem inneren Sinn, S. 1– 2.

1.7 Apperzeption und zwei Gewahrseinsweisen des Gedankens

125

Dieser Passage zufolge sind die beiden Gewahrseinsweise jeweils die reine Apperzeption (d. h. „das transscendentale Bewußtseyn“)²¹⁴ und die empirische Apperzeption (d. h. der „inner[e] Sinn“). Obwohl Kant an einigen Stellen²¹⁵ andeutet, dass man sich der Verstandesakte „auch ohne Sinnlichkeit bewußt“ ist, ist die Annahme eines rein intellektuellen Bewusstseins der Verstandesakte als eines faktischen mentalen Zustandes sehr problematisch.²¹⁶ Das Hauptproblem liegt darin, dass sich ein intellektuelles Bewusstsein der einzelnen Denkakte als ein solches auf ein einzelnes Ereignis im Gemüt beziehen muss. Gemäß Kants Lehre der Dichotomie des Erkenntnisvermögens kann dieses intellektuelle Bewusstsein nur eine intellektuelle Anschauung sein, zu der der Mensch aber nicht fähig ist. In einem reinen Denkakt kann man sich nicht auf einen Gedanken beziehen, weil das Denken aus Begriffen besteht, die sich auf keinen einzelnen Gegenstand beziehen können. In den früheren Schriften nimmt Kant eine intellektuelle Anschauung der Selbsttätigkeit an, bei der sich dieses Problem nicht stellt: Die Wirklichkeit der Freyheit könen wir nicht aus der Erfahrung schließen. Aber wir haben doch nur einen Begrif von ihr durch unser intellectuelles inneres Anschauen (nicht den innern Sinn) unsrer Thatigkeit. (Refl 17:509, 1770 – 1771)

In der KrV lehnt er die intellektuelle Anschauung im menschlichen Gemüt jedoch kategorisch ab (B68, 159, 308; NTKrV 23:36) und ist damit wieder mit dem obigen Problem konfrontiert. Es ist schwer vorstellbar, wie man sich auf einen Gedanken beziehen können sollte, ohne ihn sich als ein Ereignis in der Zeit vorzustellen. Soweit man sich diesen Gedanken als zeitliches Ereignis vorstellt, gehört er zum inneren Sinn sowie zum empirischen Bewusstsein, da man sich nur durch den inneren Sinn etwas Zeitliches vorstellen kann. Als Lösungsversuch schlage ich vor, die „intellektuelle Vorstellung der Selbsttätigkeit“ (B278) nicht als selbstständiges mentales Ereignis aufzufassen. Wir haben schon gesehen, dass die reine Apperzeption mit der empirischen Apperzeption unzertrennlich zu zwei Aspekten einer mentalen Bestimmung, der Apperzeption tout court, gehört. In einer aufschlussreichen Passage sagt Kant,

 Mit dem Ausdruck „das transscendentale Bewußtseyn“ ist die reine Apperzeption gemeint, weil ohne dieses Bewusstsein „ich nicht denken können“ würde.Wie bereits mehrmals gezeigt, ist es die reine Apperzeption, die diese Rolle spielt.  Neben den Zitaten in diesem Abschnitt siehe auch B153.  Z. B. glaubt Heimsoeth, dass reines Selbstbewußtsein „nie als reines auftreten kann“ (Heimsoeth 1956b, S. 239, 241, 249, zitiert nach Wunderlich 2010, S. 172).

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Kapitel 1: Transzendentales Selbstbewusstsein

Gedanken, als factische Bestimmungen des Vorstellungsvermögens, gehören auch mit zur empirischen Vorstellung unsers Zustandes. (FM 20:270)

Dementsprechend gibt es kein intellektuelles Bewusstsein des Gedankens, das faktisch und selbstständig als Bestimmung des Gemüts existiert. Alle unsere Gedanken sind Vorstellungen der Denkakte durch den inneren Sinn. Wahrscheinlich in diesem Sinne betrachtet Kant den inneren Sinn als „Inbegriff aller Vorstellungen“ (B220, B194). Mit dem Ausdruck „intellektuelle Vorstellung der Selbsttätigkeit“ will Kant meines Erachtens eher den Zugriff des Subjekts auf den Gehalt des Denkakts in der Apperzeption tout court hervorheben. Es ist bereits bekannt, dass das Bewusstsein bzw. die Apperzeption zwei Gewahrseinsweisen des Denkakts als seine bzw. ihre Komponenten hat. Drei Aspekte spontaner Denkakte sind für das Subjekt kognitiv zugänglich: 1) das Produkt oder der Inhalt dieser Denkakte; 2) wann sie auftreten; 3) wie es sich anfühlt, diese Denkakte als mentale Handlungen zu haben. Angesichts ihres sinnlichen oder empirischen Charakters gehören die beiden letzteren Aspekte zum Vorstellungsgehalt des inneren Sinnes. Im Gegensatz dazu ist das Produkt der Denkakte begrifflich und fällt in den Bereich des Verstandes bzw. der transzendentalen Apperzeption. Diese Überlegung kann durch Kants Bemerkung, dass man sich bei einer spontanen Handlung wie der eines Begriffs meist nur der Wirkung (d. h. des Gehalts des Denkakts), nicht aber des Aktes selbst bewusst sein kann, weiter abgesichert werden (A103). Es kann davon ausgegangen werden, dass Kant, indem er behauptet, das intellektuelle Bewusstsein ist ein nicht-sinnliches und daher nicht-zeitliches Bewusstsein von Handlungen des Verstandes, nicht von einer Art von Bewusstsein spricht. Er meint vielmehr, dass man sich nicht auf einem sinnlichen Weg bewusst ist, was spontane Denkakte tun – d. h., dass man sich ihrer Inhalte intellektuell bewusst ist – und dass man sich nicht auf einem intellektuellen Weg dieser spontanen Denkakte als solcher bewusst sein kann.

Kapitel 2 Der innere Sinn In diesem Kapitel wird versucht, eine Skizze von Kants Lehre des inneren Sinnes darzulegen. In der KrV sowie in anderen Schriften gibt Kant selten eine detaillierte Charakterisierung des inneren Sinnes an. Der Grund hierfür liegt vermutlich darin, dass der innere Sinn in Kants Zeit einen gängigen Begriff darstellt. Ein generelles Verständnis dieses Begriffs scheint Kant als zum Gemeingut philosophischer Bildung gehörend vorauszusetzen.²¹⁷ In der KrV steht der innere Sinn jedoch in engem Zusammenhang mit fast allen wichtigen Begriffen der kognitiven Vermögen und Prozesse. Ein großer Teil der textlichen Neuerungen der zweiten Auflage der KrV nimmt so direkt oder indirekt Bezug auf den Begriff des inneren Sinnes. Sachlich betrachtet ist die Theorie des inneren Sinnes, die historisch auf Locke zurückzuführen ist, sehr kontrovers.²¹⁸ Im Kontext des an dieser Stelle verfolgten Projekts ist es aber bereits ausreichend, die Vorstellungen des inneren Sinnes als mentale Ereignisse sowie ihre Verhältnisse zum Bewusstsein tout court und zur reinen Apperzeption klären zu können. Zu diesem Zweck möchte ich zunächst Kants Lehre des inneren Sinnes darstellen und die mit ihr verbundenen Interpretationsschwierigkeiten vorstellen. Die Sinnlichkeit bedeutet allgemein die Fähigkeit, „Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen“ (A19/B33). Im Fall des inneren Sinnes liegt die sogenannte Selbstaffektion der inneren Wahrnehmung zugrunde: Er [der Verstand] also übt unter der Benennung einer transscendentalen Synthesis der Einbildungskraft diejenige Handlung aufs passive Subject, dessen Vermögen er ist, aus, wovon wir mit Recht sagen, daß der innere Sinn dadurch afficirt werde. (B153 – 154)

Um den inneren Sinn zu erklären, muss demnach die Selbstaffektion genau verstanden werden. Die Hauptschwierigkeit liegt dabei in der Spezifizierung des genauen Vorgangs der Selbstaffektion sowie ihrer Ergebnisse. Kurz und grob gesagt, affizieren in der Selbstaffektion die spontanen kognitiven Akte des Verstandes den inneren Sinn. Dadurch wird sich das Subjekt seiner eigenen mentalen Zustände perzeptuell bewusst. So einfach dies auch zu sein scheint, gibt es über einige wichtige Punkte jedoch bisher keine Einigkeit unter den Kommentatoren: 1) Welche spontanen mentalen Akte affizieren den inneren Sinn? 2) Wird der innere  Mohr 1991, S. 55.  Für die neuere Debate darüber siehe z. B. Lycan 1995, Lycan 2004, Shoemaker 1996. https://doi.org/10.1515/9783110743364-005

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Kapitel 2: Der innere Sinn

Sinn zweimal affiziert, wie einige Kommentatoren behaupten? 3) Was ergibt sich aus der Selbstaffektion (bzw. folgt man den erwähnten Kommentatoren: den Selbstaffektionen)? 4) Wessen wird sich das Subjekt durch die Selbstaffektion(en) bewusst? Um diese Fragen zu beantworten, wird in den folgenden Abschnitten versucht, Kants Lehre des inneren Sinnes und der Selbstaffektion zu rekonstruieren. Dabei werde ich mich auf zwei Textstellen konzentrieren: den zweiten Teil des § 8 in der Transzendentalen Ästhetik (B66 – 69) und den berühmten Exkurs des § 24 über das Paradox des inneren Sinnes.

2.1 Einführung In diesem Abschnitt werden einige begriffliche Vorbereitungen getroffen. Der Begriff des inneren Sinnes kann sowohl ein sinnliches Vermögen (Anth 7:135) als auch die Vorstellungen, die dieses Vermögen produziert, bedeuten. Der Begriff der Vorstellungen des inneren Sinnes ist ebenfalls zweideutig. Er kann sowohl die Vorstellungszustände bedeuten, die Gegenstände des inneren Sinnes sind, als auch die Vorstellungen zweiter Ordnung, die der innere Sinn als Vermögen produziert und deren repräsentationaler Gehalt die Vorstellungszustände erster Ordnung sind. Fortan wird der Ausdruck ‚die Vorstellung des inneren Sinnes‘, wenn nicht anders vermerkt, immer die empirische innere Anschauung, die der innere Sinn erzeugt, bedeuten. In der folgenden Ausführung muss diese Unterscheidung stets beachtet werden. Über den Gegenstand des inneren Sinnes gibt es in Kants Hauptwerken der theoretischen Philosophie in der kritischen Zeit zweierlei Arten von Aussagen. Kant sagt einerseits, „[dass] [d]er innere Sinn, vermittelst dessen das Gemüth sich selbst oder seinen inneren Zustand anschauet, […] keine Anschauung von der Seele selbst als einem Object [gibt] […]“ (A22/B37). Er betont stets, dass der innere Sinn „uns selbst und unser[en] inner[en] Zustand[]“ repräsentiert (A33/B49, siehe auch A38/B55, B68). Er betont auch den Anschauungscharakter des inneren Sinnes: Dieser soll „die innere und sinnliche Anschauung unseres Gemüths (als Gegenstandes des Bewußtseins)“ liefern (B520).²¹⁹ Im Kontext der empirischen Erkenntnisse meint Kant mit dem Begriff ‚innerer Zustand‘ nicht jeden beliebigen, sondern lediglich einen repräsentationalen Zustand. In diesem Sinne bezeichnet er den Gegenstand des inneren Sinnes als das „Ich selbst mit allen meinen Vor-

 In der Anthropologie schreibt Kant: „Ihm [Dem inneren Sinn] liegt die innere Anschauung, folglich das Verhältniß der Vorstellungen in der Zeit […] zum Grunde“ (Anth 7:161).

2.1 Einführung

129

stellungen“ (A368, V-Met/Mron 29:882). An einer weiteren Stelle grenzt er den Gegenstand des inneren Sinnes weiter ein: Dasjenige, was „mein innerer Sinn mir darbietet“, ist „das, was entweder selbst ein Denken, oder mit diesem analogisch ist“ (B331). Diese enge Fassung des Begriffs des inneren Zustands hängt damit zusammen, dass der innere Sinn durch die Verstandesakte affiziert werden soll. Zugleich verbindet Kant an manchen Stellen den Gegenstand des inneren Sinnes mit der Seele. Diese definiert er wiederum als das denkende Subjekt. In diesem Sinn bezeichnet er den Gegenstand des inneren Sinnes als „die Seele, und nach den Grundbegriffen derselben überhaupt die denkende Natur“ (A846/B874) oder „das Ich, was da denkt“ (B471). So schreibt er auch: „Ich, als denkend, bin ein Gegenstand des innern Sinnes und heiße Seele“ (A342/B400).²²⁰ Diesem Zitat zufolge stehen beide Angaben des Gegenstands des inneren Sinnes in Übereinstimmung, weil die Begriffe des Ich, des denkenden Wesens und der Seele synonym sind (siehe auch A361). Nach Kant ist der innere Sinn „Inbegriff, darin alle unsre Vorstellungen enthalten sind“ (A155/B194). Mit dem Ausdruck „alle[] Vorstellungen“ sind in der Wirklichkeit alle bewussten Vorstellungen (d. h. Vorstellungen mit der faktischen Begleitung der Apperzeption) gemeint. Denn es gibt dunkle Vorstellungen, die nicht Gegenstand des inneren Sinnes sein können, und es gibt dunkle Vorstellungen, die noch nicht Gegenstand des inneren Sinnes sind. Die Vorstellungen, welche der innere Sinn begleitet, können aus zweierlei Hinsicht betrachtet werden: Einerseits sind sie „Modification[en]“ des Gemüts bzw. Zustände des Gemüts. Mithin ist das Bewusstsein von ihnen die Wahrnehmung der eigenen repräsentationalen Zustände. In diesem Sinne sind alle (irgendwann) bewussten Vorstellungen (wenn sie bewusst sind) als „Prädicate des innern Sinnes“ auf „das Ich als Subject“ bezogen (Prol 4:334). Andererseits haben sie als repräsentationale Zustände jedoch auch einen intentionalen Gehalt und sind somit auf ein Objekt bezogen.²²¹ Folglich enthält der innere Sinn mittels der von ihm begleiteten Vorstellungen auch ein Gegenstandsbewusstsein. In den folgenden Abschnitten wird nacheinander auf drei Unklarheiten eingegangen: 1. Welche Art empirischer Daten liefert der innere Sinn?

 Ähnliche Formulierungen gibt es an mehreren Stellen (A357, A361, Prol 4:336,V-Met-L2/Pölitz 28:583, V-Met/Mron 29:882).  „Da überdem die Prädicate, wodurch ich diesen Gegenstand denke, bloß Anschauungen des inneren Sinnes sind […]“ (B471).

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Kapitel 2: Der innere Sinn

2. Was ist das Material, das durch die Synthesis, die den inneren Sinn affiziert, verbunden wird? 3. Welche Art von Vorstellungen sind das Ergebnis der Selbstaffektion?

2.2 Die speziellen Sinnesdaten des inneren Sinnes Die Vorstellungen äußerer Sinne machen „den eigentlichen Stoff“ für den inneren Sinn aus (B67, BXXXIX Anm., VIS S. 18).²²² Der repräsentationale Gehalt solcher Vorstellungen sind räumliche Gestalten, die von bestimmten Sinnesqualitäten ‚gefüllt‘ sind. Diese Bemerkung aus B67 ist schwer nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass sie nicht erklärt, was das Produkt des inneren Sinnes sein soll, wenn dieser keinen eigenen „Stoff“ liefert. Es steht zwar fest, dass der innere Sinn ein reines Mannigfaltiges der Zeitanschauung gibt. Dies ist jedoch offenbar kein „eigentlich[er] Stoff“ eines Sinnesvermögens. Wenn der innere Sinn analog zum äußeren Sinn konzipiert werden soll, dann erwartet man, dass er gleichfalls empirische Daten als seinen „eigentlichen Stoff“ liefert.²²³ Der Grund dafür ist, dass der innere Sinn empirisch ist – er enthält eine Empfindung durch die Affektion der Handlungen des Subjekts und erzeugt eine innere Wahrnehmung: „Das Bewußtsein seiner selbst nach den Bestimmungen unseres Zustandes bei der innern Wahrnehmung ist blos empirisch“ (A107, H. d. V.). „Die Wahrnehmung (empirische Anschauung mit Bewußtseyn) könne nur Erscheinung des inneren Sinnes genannt werden“ (Anth 7:399, H. d. V., siehe auch Anth 7:134, 153, 397; Br 10:270).²²⁴ Nun bezeichnet Kant das Element in den Erscheinungen, „was [mit] der Empfindung correspondirt“, als die Materie derselben und die Art, dieses empirische Mannigfaltige der Erscheinung zu ordnen, als „die Form der Erscheinung“ (A20/B34). Die Form der Erscheinung ist nichts anderes als Zeit und Raum. Daraus kann geschlossen werden, dass die Empfindung die ‚Materie‘ liefert, welche die  Für eine verkürzte, aber ergänzende Version dieses Abschnitts, siehe Liang 2020.  Allison stellt die Analogie des äußeren und des inneren Sinnes hinsichtlich der fehlenden Sinnesdaten in Frage, die für den inneren Sinn spezifisch sind (Allison 1983, S. 266). Schmitz (2015, S. 1052, 1057) verwendet die fehlenden Sinnesdaten des inneren Sinnes als ein entscheidendes Argument dafür, die Existenz der inneren Anschauung zu leugnen.  Diese Beobachtung ist keineswegs trivial, denn in der anfänglichen terminologischen Erklärung (A19 – 20/B34) definiert Kant die Sinnlichkeit als eine Fähigkeit der Rezeptivität, Vorstellungen des Gegenstands durch die Affektion zu bekommen. Das Produkt der Sinnlichkeit ist die Anschauung. Jedoch unterscheidet Kant zudem zwischen der Anschauung mit und jener ohne Empfindung. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass der innere Sinn allein eine Anschauung ohne Empfindung – d. h. eine reine Anschauung – generiert.

2.2 Die speziellen Sinnesdaten des inneren Sinnes

131

Zeit- und Raumgestalten ausfüllt. Diese Materie sind nichts anderes als die Sinneseindrücke oder Sinnesqualitäten (A175/B217). Wenn die Empfindung die Sinnesqualitäten liefert und der innere Sinn innere Empfindungen erzeugen soll, stellt sich die Frage, was die Sinnesqualitäten des inneren Sinnes sein sollen. Diese Frage ist insofern schwierig, als der innere Sinn, wie Kant explizit ausdrückt, keinen „eigentlichen Stoff“ (B67) haben solle. Der erste Vorschlag der Interpretation der empirischen Materialien des inneren Sinnes wäre, zu akzeptieren, dass der innere Sinn keine speziellen empirischen Daten liefert. Allison (2004, S. 282– 283) macht auf dieses Interpretationsproblem aufmerksam: Die Affektion und die Sinnlichkeit stünden in einem wesentlichen Zusammenhang, und zwar in dem Sinne, dass die Affektion der Sinnlichkeit empirische Daten liefern solle. Das sei beim inneren Sinn im Gegensatz zum äußeren Sinn jedoch nicht der Fall, denn die Selbstaffektion „is not regarded as an independent source of data“. Zwischen dem inneren und dem äußeren Sinn besteht seiner Meinung nach eine Disanalogie, weswegen er beim Sinnlichkeitscharakter des inneren Sinnes ‚Abstriche‘ macht: „[T]here is little in common between the influence of objects upon outer sense (outer affection) and the ‚synthetic influence of the understanding on the inner sense‘ (B154)“. Allison verweist auf Paton, der behauptet, dass die Funktion der Selbstaffektion allein darin bestehe, das Mannigfaltige nach Bedingungen der Zeit zu verbinden.²²⁵ Allison schreibt: „[T]he identification of self-affection with the transcendental synthesis serves to accentuate the disanalogy between the two modes of affection“.²²⁶ Damit ist nicht gemeint, dass die epistemische Rolle des inneren Sinnes darin besteht, die Vorstellungen des äußeren Sinnes in Zeitverhältnisse zu bringen. So konzipiert wäre der innere Sinn nicht mehr ein Vermögen der Sinnlichkeit, die durch Rezeptivität charakterisiert ist, sondern er würde gefährlich in die Nähe eines spontanen kognitiven Vermögens gerückt, das die empirischen Vorstellungen des äußeren Sinnes organisiert. Allison und Paton sind im Gegensatz zu einer solchen Auffassung wohl vielmehr der Meinung, dass der innere Sinn als das Vermögen zu betrachten sei, das den empirischen Daten des äußeren Sinnes eine neue Form – die Zeitlichkeit – gebe. Manchmal vermittelt Kant tatsächlich den Eindruck, dass der innere Sinn lediglich die sinnliche Form, nicht aber die

 Paton 1936, Vol. 2, S. 238 – 240.  Erwing hat eine ähnliche Meinung wie Paton (1938, S. 124). In Allisons neuerem Werk hat er jedoch eine andere Position: „Kant maintains that its content [the inner sense’s content] is provided by outer sense. This [] allows for the possibility of an inner experience, understood as a second-order, reflective cognition of one’s mental history“ (Allison 2015, S. 401). Er liefert jedoch keine substanzielle Begründung dafür.

132

Kapitel 2: Der innere Sinn

Materie der empirischen Anschauungen betrifft. Im Folgenden sind Belege dafür zu finden: [A] Die Apperception und deren synthetische Einheit ist mit dem inneren Sinne so gar nicht einerlei, daß jene vielmehr, als der Quell aller Verbindung, auf das Mannigfaltige der Anschauungen überhaupt, unter dem Namen der Kategorien vor aller sinnlichen Anschauung auf Objecte überhaupt geht; dagegen der innere Sinn die bloße Form der Anschauung, aber ohne Verbindung des Mannigfaltigen in derselben, mithin noch gar keine bestimmte Anschauung enthält, welche nur durch das Bewußtsein der Bestimmung desselben durch die transscendentale Handlung der Einbildungskraft (synthetischer Einfluß des Verstandes auf den inneren Sinn), welche ich die figürliche Synthesis genannt habe, möglich ist. (B154) [B] Denn der innere Sinn kan nichts als […] das Zeitverhaltnis unserer Vorstellungen enthalten. (Refl 18:312) [C] Ebenso löse ich, wenn ich auf die Vorstellungen des innern Sinns Acht gebe, alles in lauter Zeitverhaltnisse auf, und das Absolute für den Verstand fehlt. (Refl 18:315)

Demzufolge liefere der innere Sinn zwar kein empirisches Mannigfaltiges, wohl aber ein reines sinnliches Mannigfaltiges der Zeitrelation (B160 – 161). Genauer gesagt seien dieses Mannigfaltige die Vorstellungen der „Zeitlänge“, der „Zeitstellen“ (B156) und der Verhältnisse zwischen ihnen. Die Form des inneren Sinnes oder die Zeit sei die Art der Zusammensetzung des empirisch Gegebenen bzw. die Eindimensionalität der Sukzession der Wahrnehmungen. Das, was der innere Sinn unmittelbar erzeuge, seien die subjektiven Zeitrelationen der Vorstellungen, die noch nicht kategorial bestimmt würden. Das heißt, obwohl der innere Sinn keine eigenen Sinneseindrücke generiere, solle er das Bewusstsein der subjektiven Sukzession der Wahrnehmungen liefern und damit auch das Bewusstsein der Relation einzelner Wahrnehmungen in der objektiven Zeit möglich machen. Insgesamt sei er für das Bewusstsein der formalen zeitlichen Relationen der Sinnesdaten verantwortlich. Somit sei er rein formal und liefere keinen materiellen Output. Diese Interpretation weist jedoch einige Schwächen auf. So behauptet Kant etwa in A99: „Jede Anschauung enthält ein Mannigfaltiges in sich“. Dabei beschränkt er seine Aussage nicht auf die äußere Anschauung. Obwohl es unleugbar zu sein scheint, dass das obige Zitat A aus B154, eine der beiden in der B-KrV hinzugefügten Ausführungen über den inneren Sinn, diesen als bloße Form der Anschauung bezeichnet, wird aus der anderen in B-KrV hinzugefügten Ausführung über den inneren Sinn (B68) deutlich, dass dieser Eindruck falsch ist: wenn sie [die Anschauung] nichts als Verhältnisse enthält, die Form der Anschauung, welche, da sie nichts vorstellt, außer so fern etwas im Gemüthe gesetzt wird, nichts anders sein kann als die Art, wie das Gemüth durch eigene Thätigkeit, nämlich dieses Setzen seiner

2.2 Die speziellen Sinnesdaten des inneren Sinnes

133

Vorstellung, mithin durch sich selbst afficirt wird, d. i. ein innerer Sinn seiner Form nach. (B67, H. d. V.)

Hier besagt der Kern dieser Aussage, dass die Zeit die Art der Selbstaffektion durch die spontanen Akte des Gemüts bzw. die Form des inneren Sinnes ist. In B155 spricht Kant auch von der Bestimmung des inneren Sinnes „seiner Form gemäß“. All diese Stellen zeigen, dass der innere Sinn auch einen materiellen Aspekt haben muss. Im anschließenden Text in B68 wird das empirische Selbstbewusstsein sogar als „innere Wahrnehmung von dem Mannigfaltigen, was im Subjekte vorher gegeben wird“, bezeichnet. Streng genommen besagt das Zitat A dem Kontext nach nicht notwendigerweise, dass der innere Sinn lediglich die Form enthält. Der Ausdruck „bloß“ könnte lediglich der Betonung dienen, dass der innere Sinn keine Verbindung enthält. Die fragliche Interpretation ist im Übrigen mit der Definition des inneren Sinnes kaum vereinbar. Gemäß dieser bewirkt der innere Sinn eine Anschauung „unserer selbst und unsers innern Zustandes“ (A33/B49). Diese Anschauung enthält mehr als das Bewusstsein der Zeitverhältnisse der inneren Zustände. Wenn der innere Sinn lediglich eine reine Zeitanschauung liefern würde, lässt sich schließen, dass die reine Zeitanschauung die Anschauung „unserer selbst und unsers innern Zustandes“ darstellen würde, was unplausibel ist. Zudem werden durch den inneren Sinn „innere Erscheinung[en]“ vorgestellt (A107, A478/B506 Anm., A491– 492/B519 – 520) – analog zum äußeren Sinn, durch den äußere Erscheinungen vorgestellt werden. Lediglich die Sinnesdaten, die die Empfindung liefert, können den materiellen Aspekt der Erscheinungen darstellen, wie es bei dem äußeren Sinn genau der Fall ist. Die obige Bemerkung Kants über den Stoff des inneren Sinnes kann so ausgelegt werden, dass das phänomenale Bewusstsein des äußeren Sinnes den materiellen Aspekt der empirischen Anschauungen des inneren Sinnes ausmacht. Genauer gesagt beteiligt sich der innere Sinn an der Erzeugung des phänomenalen Bewusstseins der äußeren Anschauung – d. h. des phänomenalen Bewusstseins sowohl der Sinnesdaten als auch der Räumlichkeit. Die Aussage, dass der innere Sinn keinen ‚eigentlichen Stoff‘ hat, impliziert nicht, dass der innere Sinn kein empirisches Bewusstsein liefert. Im Folgenden werden einige hilfreiche Passagen über den inneren Sinn betrachtet: Es ist nur ein Inbegriff, darin alle unsre Vorstellungen enthalten sind, nämlich der innre Sinn und die Form desselben a priori, die Zeit. (B194)

Auch diese Aussage widerspricht direkt der oben behandelten Lesart, dass der innere Sinn lediglich die Form der Anschauung betreffe. Wenn die Vorstellungen

134

Kapitel 2: Der innere Sinn

des inneren Sinnes koextensiv mit „alle[n] unsre[n] Vorstellungen“ – d. h., wie bereits demonstriert, mit allen bewussten Vorstellungen – sind, dann spricht das obige Zitat dafür, dass das (phänomenale) Bewusstsein dieser Vorstellungen den materiellen Aspekt des inneren Sinnes ausmacht. In Kants nachträglichen Reflexionen zur A-Auflage der KrV heißt es: Empfindung ist das eigentliche empirische unserer Erkenntnis, und das Reale der Vorstellungen des inneren Sinns im Gegensatz gegen die Form desselben, die Zeit. (NTKrV 23:27)

Die Sinnesqualitäten der Empfindung²²⁷ werden hier gar mit dem empirischen Gehalt der Vorstellung des inneren Sinnes gleichgesetzt. Ganz deutlich behauptet Kant in B68, dass „innere Wahrnehmung von dem Mannigfaltigen, was im Subjekte vorher gegeben wird [, erfordert wird]“, um innere Erfahrung zu gewinnen. Dieses Mannigfaltige als Gegenstand der inneren Wahrnehmung kann dem dortigen Kontext nach nichts anderes als das Mannigfaltige des äußeren Sinnes sein. Diese Zitate liefern die deutlichste Evidenz dafür, dass die Sinnesdaten des äußeren Sinnes den materiellen Aspekt der Vorstellung des inneren Sinnes ausmachen. Auch in der Reflexion 6362 behauptet Kant: [D]er innere Sinn so fern auch das Bewustseyn der äußern Anschauung enthält. (Refl 18:690) Die Wahrnehmung (empirische Anschauung mit Bewußtseyn) könne nur Erscheinung des inneren Sinnes genannt werden. Damit sie aber innere Erfahrung werde muß das Gesetz bekannt sein welches die Form der Verbindung in einem Bewußtseyn des Objects bestimmt. (Anth 7:399)

Das Bewusstsein der Sinneseindrücke des äußeren Sinnes und der reinen Räumlichkeit gehören demnach zu der Vorstellung des inneren Sinnes. Im empirischen Bewusstsein des inneren Sinnes werden die Sinnesdaten nicht nur auf äußere Gegenstände bezogen, sondern durch eine gedankliche Leistung der reinen Apperzeption auch als Prädikate des Subjekts umgedeutet: Bey der inneren Erfahrung aber die ich anstelle afficire ich mich selbst indem ich die Vorstellungen äußerer Sinne in ein empirisches Bewußtseyn [bringe um] meines Zustandes bringe. (VIS, S. 1, H. d. V.) Die reine Anschauung des Manigfaltigen im Raum enthalt die Form des Gegenstandes in der Erscheinung a priori vom ersten Range d. i. directe. Die Zusammensetzung der Warnehmungen Erscheinung im Subject zum Behuf der Erfahrung ist wiederum Erscheinung des so afficirten Subjectes wie es sich selbst vorstellt also indirect und ist vom zweyten Range Er-

 Mit dem Ausdruck „Empfindung“ bezieht sich Kant gemäß dem dortigen Kontext auf die Empfindung des äußeren Sinnes.

2.2 Die speziellen Sinnesdaten des inneren Sinnes

135

scheinung […] d. i. Erscheinung des sich selbst afficirenden Subjects mithin indirect. (OP 22:367)

Aus der vorigen Analyse und besonders aus den letzten vier Zitaten kann man schließen, dass der innere Sinn das Bewusstsein der äußeren Anschauung – d. h. das Bewusstsein der Sinneseindrücke des äußeren Sinnes sowie das Bewusstsein der der äußeren Anschauung zugrunde liegenden Raumvorstellungen – enthält. Es bleiben zwei Möglichkeiten offen, dieses Enthaltensein zu deuten: A. Die Anschauungen des äußeren Sinnes werden erst in dem inneren Sinn bewusst werden (in dem Sinne des phänomenalen Bewusstseins). Ohne das Bewusstsein des inneren Sinnes bleiben sie dunkele Vorstellungen. B. Die Anschauungen des äußeren Sinnes könnten ohne Affektion des inneren Sinnes bewusst werden (in dem Sinne des phänomenalen Bewusstseins). Erst durch die Selbstaffektion werden sie als Bewusstsein ‚meines Zustandes‘ umgedeutet. Der ersten Interpretation liegt das Selbstwahrnehmungsmodell zugrunde. Sie impliziert, dass der innere Sinn eine notwendige und hinreichende Bedingung für das (phänomenale) Bewusstsein der Anschauung des äußeren Sinnes ist, obwohl der äußere Sinn die Vorstellung dieser Sinnesdaten sowie deren formale Bedingung erbringt.²²⁸ Der zweiten Interpretation liegt das Reflexionsmodell zugrunde, welches das Bewusstsein des inneren Sinnes als einen gelegentlichen Reflexionsakt konzipiert. Dieses Modell ist jedoch in vielerlei Hinsicht unzutreffend.²²⁹ Unabhängig von der Ablehnung des Reflexionsmodells gibt es auch einige weitere Gründe, die obige Interpretation A zu befürworten. Einige Aussagen Kants lassen erkennen, dass der innere Sinn für das phänomenale Bewusstsein der sinnlichen Vorstellungen sorgt. Wenn Kant in dem Antizipationen-Kapitel vom „empirischen Bewußtsein“ der Sinnesqualitäten – von dem auf das Äußere orientierten phänomenalen Erlebnis, und nicht von einer Introspektion – spricht, erwähnt er, wie bereits verdeutlicht wurde, dass dieses empirische Bewusstsein „in dem innern Sinn“ ist (A176/B217). In A177/B220 behauptet er, dass die reine Apperzeption sich „a priori auf die Form desselben [d. h., des inneren Sinnes], d. i.  Für Kants Unterscheidung zwischen dem informativen, repräsentationalen Gehalt der empirischen Daten und dem phänomenalen Bewusstsein dieses Gehalts, siehe Liang 2020. Für zeitgenössische Argumente dieser Unterscheidung, siehe Rosenthal 1997, S. 732– 733; Rosenthal 2009, S. 245 – 246.  Siehe Abschnitt 3.4. Siehe auch Ameriks 2000, S. 241– 254.

136

Kapitel 2: Der innere Sinn

das Verhältnis des mannigfaltigen empirischen Bewußtseins in der Zeit“, bezieht. Auch hier scheint das empirische Bewusstsein der Sinnesqualitäten (hier „mannigfaltigen empirischen Bewußtseins“) auf den inneren Sinn zurückzuführen. Weitere Stellen machen deutlich, dass der innere Sinn die phänomenal bewussten Sinneseindrücke (im Text heißt es: „Erscheinungen“) hervorbringt, die durch einen weiteren synthetischen Akt zur inneren Erfahrung verarbeitet werden können: [Z]uerst müssen wir Erscheinungen durch ihn [= den inneren Sinn] haben, nachher allererst durch Reflexion über dieselbe uns einen Begrif von uns selbst machen, der alsdann empirisches Erkentnis meiner selbst, d. i. […] innere Erfahrung, zur Folge hat. (Refl 18:680, H. d.V.)

Auch eine Stelle in der B-Deduktion ist sehr relevant. Demzufolge wird dadurch [d. h. durch den inneren Sinn] jenes Mannigfaltige der Anschauung zu einer solchen Verbindung empirisch gegeben wird. (B139, H. d. V.)

Alle oben genannten Stellen zeigen, dass der innere Sinn nicht nur eine neue Dimension der Organisation des sinnlichen Mannigfaltigen, die Zeitlichkeit, sondern auch das Bewusstsein des Mannigfaltigen der äußeren Anschauung selbst erzeugt. Nun ist ersichtlich, inwiefern Allisons These der Disanalogie des äußeren und des inneren Sinnes verfehlt ist. Die Selbstaffektion hat durchaus einen Fluss von empirischen Materialien als ‚Output‘, und zwar das Bewusstsein des Mannigfaltigen des äußeren Sinnes. Im Unterschied zu dem äußeren Sinn erzeugt der innere Sinn nicht dieses Mannigfaltige, sondern er nimmt den von dem äußeren Sinn gelieferten, schon im Gemüt vorhandenen repräsentationalen Gehalt wahr, und zwar in dem Sinne, dass er diesen Gehalt phänomenal bewusst und für komplexe kognitive Operationen des Verstandes verfügbar macht.²³⁰ Der empirische Gehalt der äußeren Wahrnehmungen lässt sich auf den äußeren Sinn als Ursprung zurückführen; die Bereitstellung und das Erlebnis dieses Gehalts verdankt das Gemüt jedoch dem inneren Sinn.²³¹ Die Analogie zwischen beiden Modi der Sinnlichkeit besteht nicht nur darin, dass beide ein Mannigfaltiges hervorbringen, sondern auch darin, dass für beide Modi gilt, dass bestimmte (innere oder äußere)

 Liang 2017.  Es könnte eingewendet werden, dass das phänomenale Bewusstsein auch dem nicht-apperzeptiven Geist, der keinen inneren Sinn hat, zugesprochen wird (siehe Abschnitt 2.2.2). Als Antwort könnte darauf hingewiesen werden, dass der nicht-apperzeptive Geist auch einen quasi inneren Sinn haben könnte, der durch rein assoziative Mechanismen der Sinnlichkeit ‚affiziert‘ wird und das phänomenale Bewusstsein erzeugt. Mehr dazu siehe Abschnitt 2.2 und Liang 2020.

2.2 Die speziellen Sinnesdaten des inneren Sinnes

137

Gegenstände trotz ihrer Existenz (im Gemüt oder in der Außenwelt außer Reichweite der Sinne) nicht wahrgenommen werden. Dieses Selbstwahrnehmungsmodell trifft sowohl auf den äußeren als auch auf den inneren Sinn zu. Im Gemüt gibt es unzählige dunkle Vorstellungen, die nicht vom Bewusstsein „illuminiert“ sind (V-Met/Mron 29:879). Erst in der Aufmerksamkeit werden einige von diesen durch Affektion des inneren Sinnes ins Bewusstsein aufgenommen. Diejenigen, die nicht in die Aufmerksamkeit gelangen, bleiben unentdeckt und dunkel.²³²

2.2.1 Einwand bezüglich der Mehrdeutigkeit des Begriffs Vorstellung Gegen die obige Interpretation könnte eingewendet werden, dass sie auf der berühmten und berüchtigten Zweideutigkeit des Begriffs ‚Vorstellung‘ basiert. Unter dem Begriff ‚Vorstellung‘ werden sowohl der Vorstellungszustand als auch der Vorstellungsinhalt verstanden. Ersterer ist, wie gesagt, eine ‚Bestimmung‘ des Gemüts oder der Seele, durch die man sich etwas vorstellt, und entspricht damit dem sogenannten repräsentationalen Vehikel im heutigen Sinn. Letzterer ist der repräsentationale Gehalt der Vorstellung. Der innere Sinn wird von Kant als für das Bewusstsein des inneren (repräsentationalen) Zustandes verantwortlich charakterisiert. Dieses ist dem obigen Einwand zufolge jedoch nicht ohne Weiteres mit dem Bewusstsein des Inhalts des repräsentationalen Zustandes gleichzusetzen. Es sei falsch, die empirischen Anschauungen des inneren Sinnes, die wesentlich ein Zustandsbewusstsein sind, als Inhaltsbewusstsein – d. h. als Vorstellungen der äußeren Gegenstände – zu bezeichnen.²³³ Gegen diesen Vorwurf spricht, dass das Bewusstsein des Vorstellungszustands in zwei möglichen Formen, entweder explizit oder implizit, vorkommen kann. Die explizite Form ist die Introspektion. Ihr repräsentationaler Gehalt sind innere Zustände anstatt äußerer Gegenstände, und ihre Struktur ist relativ komplex.²³⁴ Betrachten wir stattdessen die implizite Form dieses Bewusstseins, weil diese im Kontext der KrV, die vor allem die empirischen Erkenntnisse der Außenwelt thematisiert, eher relevant ist und ihre Analyse mutatis mutandis auf den Fall der Introspektion anwendbar ist. Wenn die Vorstellungen, die der innere Sinn begleitet, äußere Gegenstände als intentionale Gegenstände haben,²³⁵ ist das Bewusstsein des in-

 Siehe Abschnitte 3.1, 3.4 und Liang 2020.  Siehe z. B. Schmitz 2015, S. 1048.  Siehe Abschnitt 3.4.  Das Bewusstsein bzw. die empirischen Anschauungen des inneren Sinnes können sicher auch Vorstellungen begleiten, die innere Ereignisse als ihre intentionalen Gegenstände haben. In diesem Fall handelt es sich jedoch um Introspektionen.

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Kapitel 2: Der innere Sinn

neren Sinnes kein introspektives Bewusstsein und enthält nur ein implizites Bewusstsein des Vorstellungszustands. Es enthält neben dem Bewusstsein des repräsentationalen Gehalts der Vorstellung erster Ordnung zwar keinen bewussten, aber dennoch einen unbewussten impliziten Bezug auf das Subjekt.²³⁶ Diese unbewusste Selbstzuschreibung macht ein implizites Zustandsbewusstsein aus, wenn sie mit dem Bewusstsein des repräsentationalen Gehalts der Vorstellung erster Ordnung verknüpft wird. In Kants eigener Terminologie braucht die Vorstellung des Vorstellungszustands selbst nicht klar zu sein. Der Bezug auf das Ich ist bei der Selbstanschauung des inneren Sinnes in einem nicht-introspektiven Fall selbst dunkel. Damit wird in dem nicht-introspektiven Fall durch das Bewusstsein des inneren Sinnes allein der Vorstellungsinhalt der äußeren Wahrnehmung explizit bewusst.²³⁷ Der Bezug auf das Ich bleibt zwar vorhanden, wird aber nicht explizit bewusst. Dieser implizite Bezug macht das Bewusstsein des inneren Sinnes im nicht-introspektiven Fall dennoch zu einem impliziten Zustandsbewusstsein.

2.2.2 Einwand bezüglich des tierischen und des infantilen Bewusstseins Gegen den obigen Interpretationsvorschlag bezüglich des inneren Sinnes kann man einwenden, dass Tiere oder auch Säuglinge, denen Kant das Vermögen des inneren Sinnes sowie der Apperzeption abspricht,²³⁸ dennoch über ein bewusstes

 Dass ein solches Bewusstsein vorhanden ist, lässt sich dadurch zeigen, dass man die Frage, was man gerade bewusst erlebt hat, richtig beantworten kann, obwohl man zu jener Zeit nicht explizit den Gedanken hat, dass man dieses oder jenes erlebt. Dies ist gemäß dem Tenor von Kants Lehre der dunklen Vorstellung ein indirekter Beleg für das Vorhandensein des impliziten Bewusstseins des Vorstellungszustands.  Frederike Schmitz (2015, S. 1048) kritisiert die Higher-Order-Lesart des inneren Sinnes. Nach ihrer Interpretation könne die Higher-Order-Wahrnehmung des eigenen Wahrnehmens nicht die Vorstellung äußerer Gegenstände beinhalten. Nach der Higher-Order-Lesart sei der Gehalt der empirischen Anschauung des inneren Sinnes mit dem Satz ‚Ich nehme wahr‘ oder ‚Ich sehe‘ formulierbar. Schmitz zufolge könne diese Lesart nicht erklären, wie die Zeit, welche die Form des inneren Sinnes sei, ebenfalls die formale Bedingung der äußeren Erscheinungen sei, denn der innere Sinn stelle die äußeren Vorstellungen gar nicht vor. Diese Lesart könne die Analogie zwischen dem inneren und dem äußeren Sinn auch nicht aufrechterhalten, denn der innere Sinn liefere offensichtlich keine spezifischen empirischen Qualitäten. Die hier vertretene Interpretation vermeidet diese Probleme, weil der innere Sinn an dem Bewusstsein der Vorstellungen der äußeren Erscheinungen maßgeblich beteiligt ist.  Für Tiere, siehe V-Met/Herder 28:67; V-Met-L1/Pölitz 28:276, 938; Refl 17:469; für Säuglinge, siehe Anth 7:128. Diese Textstellen stammen hauptsächlich aus Kants vorkritischer Zeit. Ameriks ist der Ansicht, dass Kant in der vorkritischen Zeit unter dem Begriff des inneren Sinnes die

2.2 Die speziellen Sinnesdaten des inneren Sinnes

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Erleben ihrer Sinnesdaten sowie ein Bewusstsein des jeweils wahrgenommenen Gegenstands, wenn auch nicht als Gegenstand, verfügen. Dies zu leugnen scheint nicht nur intuitiv inakzeptabel zu sein, sondern auch unserer Erfahrung mit Tieren und Säuglingen zu widersprechen. Belege dafür, dass auch Kant beiden diese Vermögen zuspricht, sind leicht zu finden: Die Erinnerung seiner Kinderjahre reicht aber bei weitem nicht bis an jene Zeit, weil sie nicht die Zeit der Erfahrungen, sondern blos zerstreuter, unter den Begriff des Objects noch nicht vereinigter Wahrnehmungen war. (Anth 7:128)

Hier sind die „zerstreut[en]“ Wahrnehmungen nichts anderes als das empirische Bewusstsein „an sich“, das noch nicht unter einer Einheit der Apperzeption steht und deswegen „zerstreut“ (B133) ist. Kant spricht einem nicht-apperzeptiven Geist ein phänomenales Bewusstsein der Sinnesdaten zu.²³⁹ Da sich ein solcher Geist einzelner Sinnesdaten bewusst sein kann, lässt sich daraus schließen, dass er sich der Gegenstände, deren Vorstellungen aus Sinnesdaten bestehen, auch phänomenal bewusst sein kann.²⁴⁰ Demzufolge wäre der innere Sinn gar keine notwendige Bedingung für das phänomenale Bewusstsein. Der innere Sinn würde mit der Entstehung der phänomenalen Qualitäten der Erfahrung gar nichts zu tun haben. Mithin würde er den materiellen Aspekt der empirischen Vorstellungen nicht betreffen.Wie bereits dargestellt, ist die Auslegung, den inneren Sinn als ein Vermögen der reinen Sinnlichkeit zu deuten, jedoch nicht plausibel. Als Antwort auf diesen Einwand könnte darauf hingewiesen werden, dass das nicht-apperzeptive Geist auch einen quasi inneren Sinn haben könnte, der durch gewisse handlungsähnlichen Mechanismen der Sinnlichkeit ‚affiziert‘ wird und das phänomenale Bewusstsein erzeugt.²⁴¹ Kant würde dem Tier die Fähigkeit des Bewusstseins seines inneren Zustandes nicht völlig absprechen. Die Zeit, untrennbar mit dem inneren Sinn als dessen Form verbunden, ist nämlich die „eine Bedingung a priori von aller Erscheinung überhaupt“ (A34/B50 – 51). Würde Kant

transzendentale Apperzeption verstanden habe (Ameriks 2000, S. 252). Diese Auffassung ist allerdings nicht haltbar. Der Metaphysik L1 (V-Met-L1/Pölitz 28:276 ff.) zufolge unterscheidet Kant schon in der Mitte 1770er-Jahre den inneren Sinn von der reinen Apperzeption. Dort nennt er nämlich die Seele als den Gegenstand des inneren Sinnes. Was auch immer der Begriff der Seele dort genau bedeuten mag, so ist mit dessen Gebrauch in derselben Schrift nicht das logische Ich ohne alle Attribute gemeint (V-Met-L1/Pölitz 28: 259 ff, 284 ff.).  Siehe Abschnitt 1.4.  Siehe DfS 2:60; BDG 2:140; V-Met/Mron 29:888. Dabei handelt es sich nicht um ein Bewusstsein des Gegenstands als Gegenstand, denn dies setzt die synthetischen Leistungen gemäß den Kategorien voraus.  Liang 2020.

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Kapitel 2: Der innere Sinn

den Tieren den inneren Sinn absprechen, könnten sie keine zeitlichen Ereignisse wahrnehmen. In der Tat hat der Mensch einen inneren Sinn in dem starken Sinne, dass seine Wahrnehmung innerer Zustände untrennbar mit der reinen Apperzeption und dem Verstand verbunden ist. Genauer gesagt produziert der innere Sinn das empirische Bewusstsein des eigenen Zustands, das einen Akt der Selbstzuschreibung – d. h. die transzendentale Apperzeption – voraussetzt. Der innere Sinn erzeugt sozusagen die innere Anschauung bzw. das empirische Bewusstsein des eigenen Zustands als etwas zu dem Selbst Gehörendes. Dies lässt sich aus V-Met-L1/Pölitz 28:275 ersehen, wo Kant dieses Thema ausführlich erörtert: Demnach werden die Thiere alle Vorstellungen der äußern Sinne haben; nur derjenigen Vorstellung werden sie entbehren, die auf dem innern Sinne, die auf dem Bewußtseyn seiner Selbst, kurz auf dem Begriffe vom Ich beruhen. (V-Met-L1/Pölitz 28:275)

Dadurch wird nicht verneint, dass das Tier eine bloße Wahrnehmung des eigenen mentalen Zustands hat – ‚bloß‘ bedeutet ‚ohne den Akt der Selbstzuschreibung des eigenen Zustands‘. Eher wird bestritten, dass das Tier die Fähigkeit hat, seine inneren Zustände mittels des Begriffs ‚Ich‘ auf sich selbst zu beziehen. Mit anderen Worten: Der innere Sinn im starken Sinne verschafft dem Menschen nicht nur ein empirisch-anschauliches Bewusstsein seiner mentalen Zustände; in diesem Bewusstsein ist sich der Mensch dieser Zustände auch (klar oder dunkel) als seiner eigenen bewusst. Der quasi innere Sinn der Tiere ist dagegen von der reinen Apperzeption und dem Verstand völlig losgelöst. Tiere sind zu Imagination (V-Met-L1/Pölitz 28:277; V-Met-L2/Pölitz 28:594; V-Met/Dohna 28:689 – 690), Assoziation (Br 11:52), Reproduktion (V-Met/Mron 29:884) und Reflexion (KU 20:211) fähig. Obwohl es sich bei diesen Akten, im Gegensatz zu ihren Pendanten beim Menschen, nicht um echte spontane Handlungen des Gemüts handelt, kann man argumentieren, dass diese ‚Quasi-Handlungen‘ den quasi inneren Sinn der Tiere affizieren könnten. Mittels des quasi inneren Sinnes können sich die Tiere ihrer inneren Zustände sinnlich bewusst sein, ohne sie einem identischen Ich zuschreiben zu können. Kants Ausführungen sprechen den Tieren nur die voraussetzungsvolle kognitive Fähigkeit der Selbstzuschreibung ab²⁴²; die

 V-Met-L1/Pölitz 28:276; DfS 2:60. Siehe McLear 2011, S. 9 – 10 und Ameriks 2000, Kapitel 7; vgl. Fisher 2017. Für Näheres über das Thema des tierischen Bewusstseins bei Kant siehe Fisher 2017 und Indregard 2018, Abschnitt 9.3.

2.2 Die speziellen Sinnesdaten des inneren Sinnes

141

sinnliche Natur des inneren Sinnes zur Bewirkung der Wahrnehmung mentaler Zustände und des phänomenalen Bewusstseins bleibt erhalten.²⁴³

2.2.3 Unterschied zwischen dem inneren und äußeren Sinn Wenn nun der innere Sinn die Anschauung des äußeren Sinnes nicht nur enthält, sondern sogar ihr Bewusstsein hervorbringt, wie wird er folglich von dem äußeren Sinn unterschieden?²⁴⁴ Der erste Unterschied liegt darin, dass das Bewusstsein des inneren Sinnes einen Akt des Selbstbezugs enthält, da es mit der reinen Apperzeption wesentlich verbunden ist: „[A]lle Prädicate des innern Sinnes beziehen sich auf das Ich als Subject“ (Prol 4:334). Meines Erachtens gibt es außer dem Selbstbezug, den der innere Sinn durch die reine Apperzeption enthält, noch zwei weitere Aspekte, die beide Sinnesvermögen allein hinsichtlich der Rezeptivität unterscheiden. Man hat in den Vorstellungen des inneren Sinnes das Erlebnis der Sukzessivität, die die Vorstellungen des äußeren Sinnes nicht haben. Entscheidend ist aber, wie schon argumentiert, dass der äußere Sinn die Sinnesdaten, d. h. den „Stoff des inneren Sinnes“, und als Form dieser Daten die Räumlichkeit liefert, während der innere Sinn das phänomenale Bewusstsein dieser Sinnesdaten hervorbringt. Wie bereits anhand der Lehre der Klarheit und Dunkelheit demonstriert, ist das empirische Bewusstsein mit dem inneren Sinn koextensiv. Es gibt Anschauungen der äußeren Gegenstände, die nicht apperzeptiv bewusst, somit durch keine Vorstellung des inneren Sinnes begleitet sind. Daraus kann man den folgenden Schluss ziehen: Der äußere Sinn sorgt für die  Übrigens kann der innere Sinn des Menschen im Gegensatz zu dem quase inneren Sinn auch strukturierende Wirkungen enthalten – d. h., das Bewusstsein des inneren Sinnes weist den Charakter auf, dass wir bestimmte kategoriale Strukturen unter den empirischen Qualitäten phänomenal erleben. Der innere Sinn wird nämlich von der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft affiziert – somit sind die Vorstellungen, die vom Bewusstsein des inneren Sinnes begleitet sind, das Ergebnis der Anwendung der Kategorien. Ein Beispiel kann dies illustrieren. Aus der bewusstseinstheoretischen Perspektive sind diese beiden Erlebnisse nicht identisch: Zwei Punkte lediglich verstreut zu sehen und zwei Punkte als zusammengehörig zu sehen. Das zweite Erlebnis erfordert eine gedankliche Leistung gemäß der Kategorie der Quantität. Kants Bemerkungen über das Szenario, in dem die synthetische Leistung des Gemüts gemäß den Kategorien entfällt, zeigen deutlich, dass diese Leistung eine das phänomenale Bewusstsein gestaltende Wirkung hat. In diesem möglichen Szenario verfügt das Subjekt lediglich über ein „Gewühle von Erscheinungen“ (A111) und „ein blindes Spiel der Vorstellungen, d. i. weniger, als ein Traum“ (A112). Der innere Sinn spielt somit eine maßgebliche Rolle bei der Entstehung des phänomenalen Erlebnisses im menschlichen Gemüt.  Eine ähnliche Frage stellen Schmitz (2015) und Wolff (1963) in ihrer Kritik an Interpretationen, die mit der hier vorgeschlagenen vergleichbar sind.

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Kapitel 2: Der innere Sinn

‚Lieferung‘ der äußeren Sinnesdaten und des räumlichen ‚Rahmens‘ des äußeren Gegenstands, während der innere Sinn das kategorial strukturierte empirische Bewusstsein von diesen Sinnesdaten und dem räumlichen ‚Rahmen‘ generiert. Mit anderen Worten gesagt: Der äußere Sinn liefert den repräsentationalen informativen Gehalt der Vorstellung, während der innere Sinn für das Bewusstsein von diesem verantwortlich ist. Die äußeren Sinnesdaten können somit ohne Affektion des inneren Sinnes gar nicht empirisch bewusst werden.²⁴⁵ Es gibt noch einen gravierenden Unterschied, der den inneren und den äußeren Sinn unterscheidet. Dieser wird im nächsten Abschnitt behandelt. Am Ende dieses Abschnitts muss eine alternative Interpretation der empirischen Materialien des inneren Sinnes betrachtet werden. Mohr verweist auf Kants exkursive Ausführung des inneren Sinnes in § 24 der Transzendentalen Deduktion (B154 ff.), und zwar auf das vieldiskutierte Beispiel des Ziehens einer Linie im Gedanken: „[D]ie Vorstellung des Nacheinanders gründet sich auf das ‚Achthaben‘ auf die Verstandeshandlungen, die im Beschreiben eines Raumes, wie etwa im Ziehen einer Linie, ausgeführt werden“. Weiter behauptet er, dass es „[d]ie Kontruktionsakte des Verstandes sind […], die den sinnlichen ‚Stoff‘ für den inneren Sinn abgeben“ (Mohr 1991, S. 167– 168). Mohr erklärt nicht, wie seine Auslegung mit den beiden erwähnten Stellen (B67, BXXXIX Anm.) zu vereinbaren ist, mit denen Kant klarstellt, dass die „Dinge außer uns“ „den ganzen Stoff zu Erkenntnissen selbst für unsern inneren Sinn“ geben. Der Stoff des inneren Sinnes ist nämlich gemäß diesen Stellen der empirische Gehalt der Vorstellung des äußeren Sinnes und nicht die Vorstellung des den Gegenstand konstruierenden Verstandesaktes, der auf das Mannigfaltige des äußeren Sinnes ausgeübt wird. Zudem liefern die „Konstruktionsakte des Verstandes“ – d. h. die synthetischen Akte in der Zusammensetzung der Anschauung – kein empirisches Mannigfaltiges, das eine spezielle bestimmbare phänomenale Qualität besitzt²⁴⁶; andernfalls würde man solche Konstruktionsakte und mithin die Zeit ohne Hilfe der Analogie zur räumlichen Anschauung wie der einer Linie wahrnehmen, was dem Tenor der exkur-

 Mohr (1991, S. 156 – 158) vertritt vielleicht eine ähnliche Position, jedoch ohne substanzielle Begründung. Er ist der Auffassung, dass das Subjekt die sinnlichen Vorstellungen unter der alleinigen Voraussetzung des äußeren Sinnes lediglich als „Inhalt“, nicht als „Vorstellungen von solchen“ habe: „es hat ‚Daten‘, aber es hat sie nicht als Daten“. Mohr scheint hier die These zu vertreten, dass das Bewusstsein des empirischen Inhalts die Voraussetzung dafür sei, dass die sinnliche Vorstellung überhaupt eine Vorstellung sei. Diese Ansicht ist angesichts von Kants Lehre der dunklen Vorstellung als unzutreffend zu bewerten. Im Übrigen zieht Mohr aus dieser Position nicht den Schluss, dass der innere und der äußere Sinn den gleichen ‚Stoff‘ produzieren.  Die unbestimmte primäre Selbstanschauung ist dadurch nicht auszuschließen. Siehe Abschnitt 1.5.5.

2.3 Gegenstand der inneren Anschauungen: Der „eigentliche Stoff“

143

siven Bemerkung in § 24 der KrV widerspricht (B156). Solche Konstruktionsakte könnten höchstens das Bewusstsein eines zeitlichen Mannigfaltigen hervorrufen. Dieses wäre jedoch kein ‚Stoff‘ des inneren Sinnes, sondern gehörte zu dessen Form. Daher ist Mohrs Interpretation des ‚Stoffs‘ des inneren Sinnes nicht haltbar.

2.3 Gegenstand der inneren Anschauungen: Der „eigentliche Stoff“ Vorab ist eine allgemeine Bemerkung zu Kants Ausführungen über den Gegenstand der inneren Anschauung bzw. des inneren Sinnes vonnöten. Kant spezifiziert den Begriff des Gegenstandes der inneren Anschauungen grob auf dreierlei Weise²⁴⁷: dieser Gegenstand ist 1) das „[S]elbst“ (B68), „die Seele“ (A342/B400; B415; A683/B711; A385), das (denkende) „Ich“ (A342/B400; A361, 379) oder das „denkende Wesen“ (A380, A342/B400); 2) das „[S]elbst“ (oder „das Ich“) und seine Zustände (A38/B55; A22– 23/B37; A33/B49; B471; A368, 371; Refl 15:66); 3) innere Zustände (A22– 23/B37; A98 – 99, 107; A371). In der Tat kann dem Paralogismen-Kapitel zufolge (A350, siehe auch A22– 23/B37) der Gegenstand der inneren Anschauungen bzw. des inneren Sinnes weder die Seele, das denkende Wesen bzw. Ich noch das Selbst sein – Kant behandelt diese im Allgemeinen als äquivalent (A361, A342/B400). Vielmehr ist die Seele oder das Selbst der transzendentale Gegenstand des inneren Sinnes (A360 – 361; Refl 18:31). Der Begriff der Seele ist eine transzendentale oder regulative Idee, die keinem real existierenden Gegenstand in der Raumzeit entspricht.²⁴⁸ Es sind innere Zustände, die intentionale Gegenstände der inneren Anschauungen oder des inneren Sinns sind (A107, 371; Prol 4:336).²⁴⁹ Ein weiterer, oft übersehener Aspekt, der den inneren und äußeren Sinn unterscheidet, besteht darin, dass der innere Sinn nicht nur die Vorstellungen des äußeren Sinnes, sondern auch das Denken, das Gefühl der Lust und Unlust, den Willen, die Begierde, die freie Einbildung und schließlich auch introspektive Vorstellungen als Gegenstände in den inneren Anschauungen repräsentieren kann. Durch die oben mehrmals zitierte Bemerkung über den „eigentlichen Stoff“ (B67) des inneren Sinnes wird anscheinend die naheliegende Vermutung ausgeschlossen, dass das phänomenale Erlebnis im Gefühl der Lust und Unlust, beim Willen und Begehren ein phänomenales Mannigfaltiges darstellt und als Gegen-

 Für eine leicht abweichende Klassifizierung siehe Mohr 1991, S. 67 ff.  Kraus 2019.  Liang 2020, Anm. 5. Vgl. Rosefeldt 2006, S. 290; Wolff 2006, S. 267; Kraus 2019.

144

Kapitel 2: Der innere Sinn

stand des inneren Sinnes gilt. Dabei kommt die Frage auf, warum all dies nicht zu dem inneren Sinn gehören soll. Schließlich handelt es sich dabei auch um einen „inneren Zustand“, den man „vermittelst [den inneren Sinn] anschau[en]“ kann (A22/B37, siehe auch A33/B49). Alle Arten von inneren Zuständen können der intentionale Gegenstand der inneren Anschauungen sein (A357– 359; A443/B471). Der Gegenstand des inneren Sinnes ist alles, was Innerliches ist und nicht zum Äußerlichen gehört (V-Met-L1/Pölitz 28:265, 279). Meines Erachtens sagt Kant deswegen, dass die Vorstellungen des äußeren Sinnes den eigentlichen Stoff des inneren Sinnes darstellen, weil er wegen des epistemologischen Kontexts der KrV das Gefühl der Lust und Unlust, den Willen und das Begehren außer Acht lässt. In der KrV deutet Kant in der Tat an, dass der innere Zustand nicht auf die Vorstellung des äußeren Sinnes beschränkt ist. Er fasst den Begriff des inneren Zustandes äußerst weit: „alle Vorstellungen, sie mögen nun äußere Dinge zum Gegenstande haben oder nicht, [gehören] doch an sich selbst, als Bestimmungen des Gemüths, zum innern Zustande“ (B50, H. d. V.). Dies könnte ein Beleg für die hier vorgeschlagene Interpretation sein. Als Einwand könnte man auf den Unterschied zwischen dem Gefühl (der Lust und Unlust) als „inwendige[em] Sinn“ (Anth 7:153) und dem inneren Sinn verweisen: Die Sinne aber werden wiederum in die äußeren und den inneren Sinn (sensus internus) eingetheilt; der erstere ist der, wo der menschliche Körper durch körperliche Dinge, der zweite, wo er durchs Gemüth afficirt wird; wobei zu merken ist, daß der letztere als bloßes Wahrnehmungsvermögen (der empirischen Anschauung) vom Gefühl der Lust und Unlust, d. i. der Empfänglichkeit des Subjects, durch gewisse Vorstellungen zur Erhaltung oder Abwehrung des Zustandes dieser Vorstellungen bestimmt zu werden, verschieden gedacht wird, den man den inwendigen Sinn (sensus interior) nennen könnte. (Anth 7:153)

Im Gegensatz zum inneren Sinn vermittelt der inwendige Sinn keine Erkenntnisse des Gegenstandes und enthält keinen Objektbezug (KU 5:206). Folglich hat das Gefühl der Lust und Unlust diesem Einwand nach gar keinen repräsentationalen Gehalt und gilt nicht als Vorstellung, während der innere Sinn als ‚Inbegriff‘ der Vorstellungen, also der repräsentationalen Zustände, gilt.²⁵⁰ Dieser Einwand ist jedoch verfehlt. Kant bezeichnet nämlich das Gefühl der Lust und Unlust offenbar in weitem Sinn auch als Vorstellung, obwohl es keinen intentionalen Gegenstand hat: Was ein ästhetisches Urteil vermittelt, ist „die Vorstellung, nicht als Gedanke, sondern als inneres Gefühl eines zweckmäßigen Zustandes des Gemüths“ (KU 5:296). Das Gefühl (der Lust und Unlust) ist eine subjektive Empfindung (KU 5:206), die selbst in der ‚Stufenleiter‘ als Vorstellung klassifiziert wird (A320/

 Diese Position vertreten Allison (2004, S. 278) und Valaris (2008, S. 2).

2.3 Gegenstand der inneren Anschauungen: Der „eigentliche Stoff“

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B376). Da der innere Sinn „Inbegriff aller Vorstellungen“, darunter auch der Empfindung, ist, enthält er somit auch das Produkt des inwendigen Sinnes.²⁵¹ Es ist vielleicht schwer zu erklären, warum Kant das Gefühl der Lust und Unlust als Vorstellung bezeichnet, obwohl er es anderswo für nicht-repräsentational hält.²⁵² Diese Unklarheit stellt jedoch kein Problem für die hier vorgeschlagene Interpretation dar, denn Textbelege demonstrieren unmittelbar, dass die Gemütszustände des inwendigen Sinnes Gegenstand des inneren Sinnes werden können. In Refl 18:619 bezeichnet Kant den inneren Sinn als dasjenige, „wozu auch Lust und Unlust gehören“. Es gibt auch zahlreiche Belege, welche die Begierde und den Willen als den Gegenstand des inneren Sinnes bezeichnen: „[W]ir können ihre Gedanken, ihr Bewußtsein, ihre Begierden, etc. nicht äußerlich anschauen; denn dieses gehört alles vor den inneren Sinn“ (A357; V-Met-L1/Pölitz 28:279). „[A]lso erstlich Vorstellungskraft und Begehrungsvermögen [sind] die Gegenstände des inneren Sinnes“ (Refl 17:366). An einer Stelle der Vorlesungen über die Metaphysik sagt Kant direkt: „Denken und Wollen sind bloß Gegenstände des inneren Sinnes“ (V-Met-L1/Pölitz 28:279). Sachlich betrachtet gehören solche mentalen Zustände deswegen zum inneren Sinn, weil der innere Sinn das vorstellt, was entweder selbst ein Denken, oder mit diesem analogisch ist. (A265 – 266/B321)

 Weitere Belege sind z. B. KU 5:228.  Kants Begriff der Vorstellung ist in der Tat sehr weit gefasst. Kant bezeichnet nämlich die Empfindung an sich als nicht objektiv (B208), obwohl sie zur Vorstellung gehört (A320/B376). Es wird in der zeitgenössischen Philosophie des Geistes kontrovers diskutiert, ob Empfindungen als intentionale Zustände zu betrachten sind – wie es der sogenannte ‚Repräsentationalismus‘ bzw. ‚Intentionalismus‘ vorschlägt – oder nicht (Jacob 2014). Kant bezeichnet sie als Vorstellungen, vermutlich weil sie eine empirische Anschauung konstituieren können. An diesem Punkt hängt jedoch nichts Wichtiges für meine Argumentation. Eine weitere Erklärung in der Literatur besteht darin, das Gefühl der Lust und Unlust als Wahrnehmung der eigenen Körperzustände zu betrachten. Da der eigene Körper ein Gegenstand des äußeren Sinnes sei, sei die Vorstellung des Gefühls der Lust und Unlust eine Vorstellung eines Körperzustands (Valaris 2008, S. 3). Dies widerspricht offensichtlich Kants Taxonomie der Gemütsvermögen. Denn der inwendige Sinn gehört nicht zu dem äußeren Sinn, der als Vermögen der Wahrnehmung der körperlichen Dinge auch die Wahrnehmung des eigenen Körperzustandes einschließen sollte (siehe Anth 7:153). Im Übrigen ist der Gehalt des inwendigen Sinnes nichts Räumliches und teilt somit auch nicht die gleiche Form mit dem äußeren Sinn. Mein vorläufiger Vorschlag wäre, das Gefühl der Lust und Unlust insgesamt als einen durch den Gegenstand des äußeren Sinnes erregten subjektiven Zustand zu betrachten. Obwohl der sinnliche Gehalt dieses mentalen Zustandes den Gegenstand des äußeren Sinnes weder direkt repräsentiert noch auf diesen zu reduzieren ist, steht dieser mentale Zustand in einem direkten Kausalzusammenhang mit dem Gegenstand und verdankt seinen Gehalt der Existenz des Gegenstands. Daher kann auch in diesem Sinn behauptet werden, dass die äußeren Vorstellungen den ‚eigentlichen Stoff‘ des inneren Sinnes ausmachen.

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Kapitel 2: Der innere Sinn

„Wollen, Lust und Unlust“ sind deswegen mit dem Denken analog, weil sie gerade aus dem Denken „entspringen“ sollen (V-Met/Mron 29:929).²⁵³ Das heißt, diese mentalen Zustände beruhen im menschlichen Geist auf einem Denkakt, daher sind sie „mit diesem analogisch“. Da die Vorstellung des inwendigen Sinnes zeitlich und nicht räumlich ist und Kant stets die Zeit mit der Form des inneren Sinnes gleichsetzt, muss der inwendige Sinn notwendigerweise zum inneren Sinn gehören. Als Konklusion kann festgestellt werden, dass subjektive Empfindungen (Lust und Unlust), Wollen und Begehren als zu den Gegenständen des inneren Sinnes gehörig betrachtet werden müssen.²⁵⁴ In der Tat haben sowohl der äußere Sinn als auch der inwendige Sinn den gleichen Status in Bezug auf den inneren Sinn: Sowohl die Vorstellungen des äußeren Sinnes als auch die des inwendigen Sinnes sind innere Zustände, die bestimmte Informationen (über äußere Gegenstände oder über subjektive Zustände des Gemüts) enthalten und potenziell phänomenal bewusst werden können. Die Vorstellungen des inneren Sinnes sind Vorstellungen dieser inneren Zustände und machen die darin enthaltenen Informationen phänomenal bewusst. Man kann sagen, die Vorstellungen des äußeren Sinnes und die des inwendigen Sinnes sind jeweils informationstragende Zustände und befinden sich auf der gleichen Ebene, während sich die Vorstellungen des inneren Sinnes als Vorstellungen dieser informationstragenden Zustände auf einer höheren Ebene befinden. Als intentionaler Gehalt einer inneren Anschauung kommen nicht nur Vorstellungen äußerer Gegenstände, die oben erwähnten subjektiven Empfindungen, die Begierde und das Wollen in Frage, sondern auch das bewusste Denken (darunter das Denken an abstrakte Gegenstände, wie Gott oder mathematische Sätze, und das Denken an innere Wahrnehmungsvorgänge).²⁵⁵ Die Vorstellungen mit den abstrakten oder introspektiven Gehalten sind Gegenstände des inneren Sinnes, einfach weil sie innere Zustände sind. Mehrere Stellen in Kants Schriften können diese Auffassung belegen.²⁵⁶ Zum Gegenstand des inneren Sinnes gehört auch die Einbildung im Sinne der freien Verknüpfung von Gedächtnisinhalten zu

 Vgl. Locke, dessen Theorie des inneren Sinnes Kant direkt beeinflusst hat, behauptet: „The term Operations here, I use in a large sense, as comprehending not barely the Actions of the Mind about its Ideas, but some sort of Passions arising sometimes from them, such as is the satisfaction or uneasiness arsising from any thought“ (Locke, ECHU 2.1.4, S. 105).  Für ähnliche Meinungen siehe z. B. Klemme 1996, S. 222, 224, 226.  Vgl. Schmitz nennt die resultierenden Vorstellungen des inneren Sinnes bloß „temporally ordered outer intuitions“ (Schmitz 2015, S. 1052).  Siehe V-Met-L1/Pölitz 28:279. Für den Fall des Gedankens an Gott siehe Refl 18:661, an mathematische Propositionen siehe die Analyse des Aufsatzes Loses Blatt Kiesewetter im Abschnitt 1.7, und für den Fall der Introspektion siehe FM 20:270.

2.3 Gegenstand der inneren Anschauungen: Der „eigentliche Stoff“

147

neuen Vorstellungen.²⁵⁷ Um diese von der Einbildung im Sinne der Verbindung der Sinnesdaten zur Anschauung zu unterscheiden, wird sie fortan als ‚Imagination‘ bezeichnet. Die Imagination gehört nicht zum äußeren Sinn,²⁵⁸ obwohl sie Teile der vergangenen Vorstellungen der äußeren Gegenstände wiederverwendet. Hier muss man sich daran erinnern, dass der innere Sinn in seinem Mitwirken bei dem Bewusstsein des äußeren Gegenstands nicht den repräsentationalen Gehalt der Vorstellung liefert, sondern solchen Gehalt lediglich phänomenal bewusst macht. Ähnliches gilt auch hier: Die sinnlichen Qualitäten der subjektiven Empfindung, der abstrakten Denkinhalte (Gott, mathematische Sätze)²⁵⁹ und die sinnlichen Qualitäten dessen, was auch immer introspektiv beobachtet oder imaginiert wird, werden nicht vom inneren Sinn geliefert. Nach Kant gibt es nämlich dunkle Gedanken, Gefühle,Willen und Triebe (Anth 7:135 ff.). Nach seiner Lehre der dunklen Vorstellungen ist es möglich, dass man sich den inneren Zustand dunkel vorstellt, ohne ihn apperzeptiv und phänomenal bewusst zu vergegenwärtigen. Dieser Sachverhalt stellt ein Argument dafür dar, dass der innere Sinn nicht die sinnlichen Qualitäten der subjektiven Empfindung und des abstrakten Denkinhalts, und ebenso wenig den introspektiven Gehalt liefert. Der Beitrag des inneren Sinnes besteht allein darin, die Qualitäten und den Gehalt phänomenal bewusst zu machen. Hier könnte der Vorwurf erhoben werden, dass es im Fall der subjektiven Empfindung nicht die synthetischen Akte der Einbildungskraft wären, die den inneren Sinn affizieren, sondern Gefühl, Begierde oder Wille.²⁶⁰ Dieser Vorwurf rührt von einem falschen Verständnis der Selbstaffektion her. In der Tat ist die Art des Verstandesakts, der den inneren Sinn affiziert, im Fall der subjektiven Empfindung dieselbe wie im Fall der äußeren Anschauung, und zwar die Synthesis der transzendentalen Einbildungskraft. Sie bringt auch hier das Bewusstsein der subjektiven Empfindung a priori in einer bestimmten, einheitlichen Zeitordnung hervor, genau wie sie die Wahrnehmungen des äußeren Sinnes a priori in einer bestimmten, einheitlichen Zeitordnung hervorbringt. Kant vertritt sozusagen eine weite Auffassung des inneren Sinnes, und zwar als Inbegriff aller bewussten Zustände.²⁶¹ Infolge der obigen Analyse soll Kants

 „[D]as Bewustseyn kann alle Vorstellungen begleiten, mithin auch die der Einbildung, die und deren Spiel selbst ein Object des innern Sinnes ist“ (Refl 18:621), siehe auch V-Met/Schön 28:483, Refl 15:675.  „Die Frage wegen der letzteren würde sein: ob wir nur einen inneren Sinn, aber keinen äußeren, sondern bloß äußere Einbildung hätten“ (B276 Anm.), siehe auch Prol 4:337.  Hier wird angenommen, dass die Lehre der kognitiven Phänomenologie wahr ist.  Schmitz (2015, S. 1059) erwähnt dieses Problem indirekt.  Siehe auch Ameriks 2000, S. 244.

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Kapitel 2: Der innere Sinn

häufige Charakterisierung der Vorstellung des inneren Sinnes als Anschauung oder Wahrnehmung des inneren Zustands ernstgenommen werden (A22/B37, A38/ B55, A33/B49, A106 f.).²⁶² Bei diesen Darstellungen spezifiziert Kant auffälligerweise nicht genau, was für innere Zustände im inneren Sinn wahrgenommen werden können.²⁶³ Der Grund hierfür kann nur darin liegen, dass er denkt, dass seine Darstellung ausreicht, um den inneren Sinn präzise zu charakterisieren. Der Begriff des inneren Zustands ist für ihn ein sehr umfassender Begriff. Ein innerer Zustand ist einfach ein Zustand des Gemüts, der für eine bestimmte Dauer anhält.²⁶⁴ Er braucht als solcher nicht repräsentational zu sein. Nun ist eine Anschauung eine Vorstellung, die sich erstens direkt auf einen Gegenstand bezieht und zweitens durch die Affektion entsteht (A19/B33). Da der innere Sinn die Anschauung des inneren Zustandes erzeugt, sind der Gegenstand des inneren Sinnes einfach alle Zustände, derer wir uns direkt und nicht nur mittels einer Denkleistung, wie eines Urteils oder eines Schlusses, bewusst werden können. Durch diese Überlegung wird die obige weite Auffassung des Gegenstands des inneren Sinnes nochmals gerechtfertigt.

2.4 Gegenstand der inneren Anschauungen: Selbsttätigkeit oder innere Zustände? Gegen die obige Interpretation sprechen jedoch anscheinend einige Bemerkungen Kants. An zentralen Stellen über den inneren Sinn in der B-Auflage der KrV und auch der Anthropologie (7:161) behauptet er: Nun ist das, was als Vorstellung vor aller Handlung irgend etwas zu denken vorhergehen kann, die Anschauung und, wenn sie nichts als Verhältnisse enthält, die Form der Anschauung, welche, da sie nichts vorstellt, außer so fern etwas im Gemüthe gesetzt wird, nichts anders sein kann als die Art, wie das Gemüth durch eigene Thätigkeit, nämlich dieses Setzen seiner Vorstellung, mithin durch sich selbst afficirt wird, d. i. ein innerer Sinn seiner Form nach. (B67– 68, H. d. V.) Der innere Sinn ist nicht die reine Apperception, ein Bewußtsein dessen, was der Mensch thut, denn dieses gehört zum Denkungsvermögen, sondern was er leidet, wiefern er durch sein eignes Gedankenspiel afficirt wird. (Anth 7:161)

 Vgl. Schmitz 2015.  In FM 20:270 bestimmt Kant z. B. den inneren Sinn generell als „empirische Vorstellung unsers Zustandes“.  Der Charakter der Person zählt nicht dazu, denn Kant hat diesen davon ausgeschlossen (Anth 7:285 ff.).

2.4 Gegenstand der inneren Anschauungen: Tätigkeit oder Zustand?

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Den beiden Zitaten zufolge lassen sich die Vorstellungen des inneren Sinnes als empirische Vorstellungen der Tätigkeit des Subjekts oder, genauer gesagt, als empirische Vorstellungen der Denkakte des Subjekts auffassen. In diesem Sinn sagt Kant in A265 – 266/B321: was kann ich mir für innere Akzidenzen denken, als diejenigen, so mein innerer Sinn mir darbietet? nämlich das, was entweder selbst ein Denken, oder mit diesem analogisch ist.

Als Gegenstand des inneren Sinnes nennt Kant im Übrigen das „Ich, als denkend“ (A342/B400). „Der allgemeine Charakter des Gegenstandes des innern Sines ist Denken“ (V-Met-L1/Pölitz 28:222). „Denken und Wollen sind bloß Gegenstände des innern Sinnes“ (V-Met-L1/Pölitz 28:279). An all diesen Stellen wird hervorgehoben, dass das Affizierende des inneren Sinnes der Denkakt ist. In der KrV bezeichnet Kant den affizierenden Akt des inneren Sinnes explizit und spezifisch als die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft (B153-154). Es ist in der Tat überraschend, wenn Kant behauptet, dass im inneren Sinn ein Denkakt als intentionaler Gegenstand perzeptuell vorgestellt wird. Es stellt sich nämlich die Frage, wie man diese These mit derjenigen in Einklang bringen kann, dass die Vorstellung des inneren Sinnes eine Wahrnehmung oder Anschauung des eigenen repräsentationalen Zustandes ist, in dem man die äußeren Gegenstände vorstellt.²⁶⁵ Schließlich lässt sich die Wahrnehmung eines Verstandesaktes nicht ohne Weiteres mit der Wahrnehmung eines inneren Zustandes identifizieren. Drei Probleme stehen einer derartigen Gleichsetzung im Wege. Erstens scheint der innere Zustand mehr zu enthalten als einen Verstandesakt. Eine Stelle in Von dem inneren Sinne (S. 1) ist ein starker Beleg dafür. Dort behauptet Kant explizit: Bey der inneren Erfahrung aber die ich anstelle afficire ich mich selbst indem ich die Vorstellungen äußerer Sinne in ein empirisches Bewußtseyn [bringe um] meines Zustandes bringe. (H. d. V.)

Wie bereits argumentiert, wird in dem „empirisch[en] Bewußtseyn meines Zustandes“ der empirische Gehalt der Vorstellung des äußeren Sinnes überhaupt erst bewusst gemacht. Das Bewusstsein des inneren Sinnes enthält demnach das phänomenale Bewusstsein aller repräsentationalen Gehalte der Vorstellungen erster Ordnung, die der äußere Sinn hervorbringt. Darunter ist das Bewusstsein der empirischen Qualitäten und der räumlichen Gestalten zu fassen, die nicht durch Verstandesakte erzeugt werden, sondern der Rezeptivität der Sinnlichkeit

 Mohr artikuliert eine ähnliche Sorge (1991, S. 172).

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Kapitel 2: Der innere Sinn

zu verdanken sind. Folglich sollte Kants Definition des inneren Sinnes wörtlich genommen werden: Durch ihn nehmen wir unseren inneren Zustand derart wahr, dass wir uns nicht nur des darin involvierten Denkaktes, sondern auch des sinnlichen Gehaltes dieses Zustandes bewusst werden. Die Vorstellungen des inneren Sinnes sind insgesamt perzeptuelle Vorstellungen des eigenen inneren Zustandes. In diesem Sinne bezeichnet Kant den Gegenstand des inneren Sinnes präzise als „Vorstellungen und Denken“ (A359) und nicht lediglich als Denken. Zweitens schließt der Begriff des inneren Zustands mehr als einen kognitiven repräsentationalen Zustand ein. Das Erleben der Gefühle der Lust und Unlust sowie des Begehrens, die vielfältige phänomenale Gehalte aufweisen, gehören ebenfalls zu inneren Zuständen. Erinnern wir drittens daran, dass Kant im Kontext der KrV meistens von der Affektion des inneren Sinnes durch einen speziellen Denkakt, die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, spricht. Zugleich macht er jedoch deutlich, dass man sich des synthetischen Aktes der Einbildungskraft meistens „selten nur einmal bewußt“ ist (A79/B103; siehe auch A103 f.). Daher kann man das Bewusstsein des inneren Sinnes nicht ohne Einschränkung als das Bewusstsein des synthetischen Akts bezeichnen. In der Tat sind beide vorgeschlagenen Interpretationen miteinander vereinbar. Im Kontext der Diskussion über den inneren Sinn sagt Kant: „Gedanken, als factische Bestimmungen des Vorstellungsvermögens, gehören auch mit zur empirischen Vorstellung unsers Zustandes“ (FM 20:270).²⁶⁶ In dieser Passage wird das Bewusstsein des Denkakts explizit als empirische Vorstellung des inneren Zustands dargestellt. Man kann zwar unter Umständen einen synthetischen Akt, abstrahiert von den empirischen Daten, die er bearbeitet, wahrnehmen. Dafür braucht man jedoch eine spezielle reflexive Aufmerksamkeit, die man nur im Rahmen einer Introspektion, nicht aber bei jeder empirischen Anschauung – insbesondere nicht bei der Wahrnehmung der Außenwelt – ausüben kann (B154 f.). Das heißt, wenn man sich des operierenden Verstandesakts bei einer Wahrnehmung der Außenwelt nicht-introspektiv bewusst ist, nimmt man notwendigerweise auch diejenigen Sinnesdaten und somit den gesamten inneren Zustand wahr, auf die der Verstandesakt ausgeübt wird. Umgekehrt gibt es für das gesunde menschliche Gemüt keinen inneren Zustand, der keinen Verstandesakt involviert, denn jede Episode des Bewusstseins enthält die reine Apperzeption, wie bereits gezeigt  In einer Reflexion (Refl 18:614) setzt Kant das Bewusstsein der Handlung der Einbildungskraft mit dem Bewusstsein des inneren Zustands gleich: „Weil die Einbildungs Kraft (und ihr Product) selbst nur Gegenstand des inneren Sinnes ist, so kan das empirische Bewustseyn (apprehensio) dieses Zustandes nur Succession [den Zeitbed] enthalten“.

2.4 Gegenstand der inneren Anschauungen: Tätigkeit oder Zustand?

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worden ist. Es gibt bei Menschen (im normalen Zustand) keinen Bewusstseinszustand, der keinen spontanen Denkakt enthält. Folglich scheint der Begriff der Wahrnehmung der inneren Zustände mit dem der Wahrnehmung der spontanen Verstandesakte koextensiv zu sein. Mit der Rede von der Wahrnehmung der spontanen Verstandesakte will Kant wahrscheinlich lediglich den spontanen Aspekt des intentionalen Gehalts der Selbstwahrnehmung hervorheben.

2.4.1 Anschauung des inneren Zustands und Anschauung des Ich Bisher wurde stets von Anschauungen des inneren Sinnes gesprochen. In Abschnitt 1.5.5 wurden die primäre und die sekundäre Selbstanschauung unterschieden und analysiert. Einzuwenden wäre, dass es manchen Textstellen zufolge keine Anschauung gibt, die mit der Apperzeption korrespondiert. Es gibt Belege, in denen die Selbstanschauung anscheinend vollständig geleugnet wird: Allein dieses Ich ist sowenig Anschauung, als Begriff von irgendeinem Gegenstande, sondern die bloße Form des Bewußtseins, welches beiderlei Vorstellungen begleiten und sie dadurch zu Erkenntnissen erheben kann, sofern nämlich dazu noch irgend etwas anderes in der Anschauung gegeben wird, welches zu einer Vorstellung von einem Gegenstande Stoff darreicht. (A382)

Kant vertritt die Position, dass mit der Vorstellung des Ich „nicht die mindeste Anschauung verbunden [sei], die es von anderen Gegenständen der Anschauung unterschiede“ (A350). Das „Etwas überhaupt“, das der Begriff des Ich bezeichnet, ist „keiner eigentlichen Anschauung fähig“ (A400, H. d. V.). Ebenfalls deutlich ist auch diese Bemerkung: „Das Bewusstsein meiner selbst in der Vorstellung Ich ist gar keine Anschauung, sondern eine bloße intellektuelle Vorstellung der Selbsttätigkeit eines denkenden Subjekts“ (B278. Siehe auch BXL Anm.). Auch eine relevante Fußnote in B157 f. über die Selbstanschauung könnte – wenn sie mit dem Paralogismen-Kapiteil verknüpft wird – suggerieren, dass es gar keine Selbstanschauung gibt:²⁶⁷ Das: Ich denke, drückt den Actus aus, mein Dasein zu bestimmen. Das Dasein ist dadurch also schon gegeben, aber die Art, wie ich es bestimmen, d. i. das mannigfaltige zu demselben Gehörige in mir setzen solle, ist dadurch noch nicht gegeben. Dazu gehört Selbstanschauung, die eine a priori gegebene Form, d. i. die Zeit, zum Grunde liegen hat, welche sinnlich und zur Receptivität des Bestimmbaren gehörig ist. Habe ich nun nicht noch eine andere Selbstanschauung, die das Bestimmende in mir, dessen Spontaneität ich mir nur bewußt

 Diese Meinung vertritt Kitcher (2011, S. 199).

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Kapitel 2: Der innere Sinn

bin, eben so vor dem Actus des Bestimmens giebt, wie die Zeit das Bestimmbare, so kann ich mein Dasein als eines selbstthätigen Wesens nicht bestimmen; sondern ich stelle mir nur die Spontaneität meines Denkens, d. i. des Bestimmens, vor, und mein Dasein bleibt immer nur sinnlich, d. i. als das Dasein einer Erscheinung, bestimmbar. Doch macht diese Spontaneität, daß ich mich Intelligenz nenne. (B157– 158 Anm.)

In diesem Sinn zieht Kitcher den Schluss: „But he is clear that inner sense can provide no intuition of a self (A107, B134) […] There is no I-impression or I-Intuition“ (2011, S. 117).²⁶⁸ Diese Behauptung steht in eklatanter Weise mit Textstellen in Konflikt, die in den Abschnitten 1.5.5 und 2.4.2 als Belege für die Existenz der Selbstanschauung aufgeführt werden. Jedoch ist zu beachten, dass Kant in allen oben zitierten Textstellen, in denen er anscheinend die Möglichkeit der Selbstanschauung ausschließt, von der Anschauung spricht, die eher dem Begriff des Ich als dem Gedanken ‚Ich denke‘ entspricht. Nahezu jedes Mal, wenn er über eine spezielle rudimentäre Anschauung spricht, handelt es sich um eine, die mit dem Denkakt ‚Ich denke‘ in Zusammenhang steht (A342/B400 f., A343/B401, A848/B876). Am deutlichsten sieht man den Unterschied zwischen ‚Ich denke‘ und ‚Ich‘ hinsichtlich der korrespondierenden Anschauung in B422– 423 Anm. Das Reale, das die unbestimmte Wahrnehmung repräsentiert, wird im Satz „Ich denke“ „als ein solches bezeichnet“ (B422– 423 Anm., siehe auch B423). Somit besteht zwischen dem ‚Ich denke‘ und der unbestimmten Wahrnehmung offenbar eine semantische Korrespondenz. Direkt im Anschluss stellt Kant das ‚Ich denke‘ als empirische Vorstellung der Vorstellung des Ich als intellektueller Vorstellung gegenüber. Folglich lässt sich schließen, dass der Ausdruck ‚Ich denke‘ mit einer rudimentären Selbstanschauung korrespondiert, während der Begriff des Ich überhaupt keiner Anschauung entspricht. Die sekundäre Selbstanschauung durch den inneren Sinn wird durch die oben zitierten scheinbaren Gegenbelege auch nicht geleugnet: Da überdem die Prädicate, wodurch ich diesen Gegenstand denke, bloß Anschauungen des inneren Sinnes sind, so kann darin auch nichts vorkommen, welches ein Mannigfaltiges außerhalb einander, mithin reale Zusammensetzung bewiese. (B471)

Die Anschauungen des inneren Sinnes korrespondieren semantisch, genauer ausgedrückt, mit dem Begriff des Denkens im Satz ‚Ich denke‘. Den Prädikaten,

 Eine ähnliche Meinung findet sich auch bei Klemme (2015, S. 1067, 1070). Dagegen wendet sich Lau. Ihm zufolge gebe es eine Anschauung des Ich als eines Objekts (Lau 2015, S. 2103), aber „keine Anschauung von der Seele selbst als einem Object“ (A22/B37). Siehe Lau 2015, S. 2102.

2.4 Gegenstand der inneren Anschauungen: Tätigkeit oder Zustand?

153

durch die das Subjekt gedacht wird, liegen nämlich diesem Zitat zufolge die (empirischen) Anschauungen des inneren Sinnes zugrunde. Diese Vorstellungen werden durch den Begriff des Denkens im ‚Ich denke‘ begrifflich erfasst. All solche positiven Bestimmungen der Selbstanschauung im Gedanken ‚Ich denke‘ sind damit kompatibel, dass wir „keine Anschauung von der Seele selbst als einem Object“ haben (A22/B37). Es fehlt eine Anschauung, die das Ich durch etwas Beharrliches als „stehend [] und bleibend []“ und somit als ein genuines Objekt vorstellt, worin die Gedanken (als Prädikate) wechseln (A350, siehe auch B420, 413 f.). Mit einem Wort: Man hat Anschauungen der Prädikate des Subjekts, aber keine des Substrats dieser Prädikate (Refl 18:186). Nun kommen wir zurück zu einem Satz aus der zuvor zitierten Passage: Habe ich nun nicht noch eine andere Selbstanschauung, die das Bestimmende in mir, dessen Spontaneität ich mir nur bewußt bin, eben so vor dem Actus des Bestimmens giebt, wie die Zeit das Bestimmbare, so kann ich mein Dasein als eines selbstthätigen Wesens nicht bestimmen. (B157– 158 Anm.)

Diese kann nicht so interpretiert werden, als ob Kant die fragliche Selbstanschauung und dadurch die Möglichkeit leugnen will, „mein Dasein als ein[…] selbstthätige[s] Wesen [zu] bestimmen“. Denn er schreibt ausdrücklich, dass der Gedanke ‚Ich denke‘, wenn er mit einer „inneren Anschauung“ als Produkt des inneren Sinnes verbunden ist, „die Bestimmbarkeit meines Daseins bloß in Ansehung meiner Vorstellungen in der Zeit“ enthält (B420). Diese Überlegung kann durch eine weitere Passage bestätigt werden: Allein ich bin mir meines Daseins in der Zeit (folglich auch der Bestimmbarkeit desselben in dieser) durch innere Erfahrung bewußt, und dieses ist mehr, als bloß mich meiner Vorstellung bewußt zu sein, doch aber einerlei mit dem empirischen Bewußtsein meines Daseins, welches nur durch Beziehung auf etwas, was mit meiner Existenz verbunden außer mir ist, bestimmbar ist. (BXXXIX – XL, H. d. V.)

„Mein[] Dasein“ kann durchaus bestimmbar sein, indem das „empirische[] Bewußtsein“ der inneren repräsentationalen Zustände in der Zeit bestimmt wird. Dieses bestimmte empirische Bewusstsein bzw. die innere Erfahrung ist nichts anderes als eine kategorial bestimmte Selbstanschauung der inneren Zustände.

2.4.2 Liefert der innere Sinn nur zeitlich geordnete äußere Anschauungen? Nun betrachten wir einen alternativen Interpretationsvorschlag. Gegen die Higher-Order-Lesart des inneren Sinnes schlägt Frederike Schmitz eine neue, ele-

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gante Interpretation vor, wonach die Affektion des inneren Sinnes keine Anschauung der inneren Vorgänge oder Zustände, sondern äußere Vorstellungen hervorbringe.²⁶⁹ Da in der Selbstaffektion die figürliche Synthesis auf die empirischen Rohdaten der äußeren Vorstellungen einwirke, sollten diese äußeren Vorstellungen empirische Anschauungen sein. Da die Form des inneren Sinnes die Zeit sei, seien diese Vorstellungen zeitlich geordnete Anschauungen der äußeren Gegenstände.²⁷⁰ Somit sind die vom inneren Sinn hervorgebrachten Vorstellungen zeitlich geordnete äußere Anschauungen. Anders gesagt: Die Selbstanschauung durch den inneren Sinn ist die äußere Anschauung. Schmitz‘ Interpretation basiert auf Horstmanns Darlegung der Vorstellung des Ich. Letzterem zufolge sei das Ich bei Kant keineswegs ein Objekt, sondern ein Implikat der spontanen Denkhandlung.²⁷¹ Schmitz konstatiert: [SCH.1] The ‘I’ cognizes itself only insofar as it thinks because it is essentially thinking. Thinking in turn can only have content in relation to given intuitions, and according to my interpretation intuitions are given in inner sense. Only if the figurative synthesis affects inner sense and thereby produces intuitions, can the subject realize itself as thinking and in this way achieves a kind of ‘self-intuition’, an empirical self-consciousness of oneself as a thinking subject of representations. (Schmitz 2015, S. 1061 Anm. 17, H. d. V.)

Was genau ist diese Selbstanschauung? Nach Schmitz werde diese vom inneren Sinn erzeugt, aber sie sei weder Anschauung des eigenen Zustands noch Anschauung des Subjekts als Objekt: [SCH.2] The intelligence only cognizes itself ‘as it appears to itself with regard to an intuition’, which means that the subject of cognition, by being conscious of an intuition which is due to its own act of combination, can cognize itself as the responsible faculty of combination and therefore as the subject of the respective intuition which it can accordingly attribute to itself. Thus, Kant is not concerned with self-intuition in the sense of intuitions of oneself or of one’s own inner states, but rather in the sense of intuitions of outer objects by means of which an empirical self-consciousness of oneself as a subject to which those intuitions belong is made possible. (Schmitz 2015, S. 1053 – 1054, die erste Hervorhebung durch den Verfasser)

 Schmitz 2015, S. 1052.  Schmitz 2015, S. 1052.  Horstmann 1997, S. 98. „Diese Vorstellung [des Ichs] bezeichnet nichts weiter als ein sozusagen analytisches Implikat der Denkhandlung, ein Implikat, das gedacht werden muß nicht als etwas, das (gegenständlich) ist, sondern das, indem Denken stattfindet, sich gleichsam realisiert“ (Horstmann 1997, S. 103). Es gibt eine Debatte zwischen Horstmann und Rosefeldt darüber, welche der beiden Lesarten der wahren Meinung Kants entspricht. In dieser Arbeit verzichte ich auf eine Stellungnahme zu dieser Frage, weil sie sehr kompliziert ist und meinen Argumentationsvorgang nicht beeinflusst.

2.4 Gegenstand der inneren Anschauungen: Tätigkeit oder Zustand?

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Bezogen auf B68 – 69 deute Kant laut Schmitz an, dass „das Vermögen sich bewußt zu werden“ – womit dem Kontext zufolge hier das Vermögen der Synthesis gemeint sei – das Gemüt affiziere und dadurch sich selbst anschaue.²⁷² Folglich liefere der innere Sinn „a self-intuition of the understanding as a faculty of combination or synthesis“ (Schmitz 2015, S. 1053). Da der innere Sinn nach Schmitz keine andere Anschauung als äußere hervorbringe, müsste mit der fraglichen Selbstanschauung gerade die äußere Anschauung gemeint sein. Nun stellt sich die Frage, warum die letztere als Selbstanschauung gelten kann. In den Zitaten SCH.1 und SCH.2 scheint Schmitz die Auffassung zu vertreten, dass die äußere Anschauung als eine Selbstanschauung des Verstandes als eines Synthesisvermögens betrachtet werden kann.²⁷³ Die Gründe hierfür, die Schmitz nur vage formuliert, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die äußere Anschauung sei das Produkt des synthetischen Akts. Indem das Subjekt sich ihrer bewusst sei, die es mittels einer Denkhandlung produziert habe, könne es sich seiner selbst als denkendes Subjekt empirisch bewusst werden, das für diese Anschauung verantwortlich sei – als Subjekt der Anschauung. Das Bewusstsein der äußeren Anschauung stelle daher ein empirisches Selbstbewusstsein dar. Schmitz‘ Lesart ist hauptsächlich von der Auffassung motiviert, dass die Higher-Order-Lesart des inneren Sinnes sachlich nicht haltbar sei. Schmitz versucht deswegen zu beweisen, dass die Vorstellung des inneren Sinnes nichts ‚im‘ Subjekt, sondern äußere Gegenstände als repräsentationalen Gehalt habe (Schmitz 2015, S. 1052). Innere Anschauungen, die innere Gegenstände (wie innere Zustände) repräsentieren, gibt es dieser Argumentation folgend bei Kant gar nicht (Schmitz 2015, S. 1056). Meines Erachtens ist Schmitz‘ Interpretationsvorschlag jedoch problematisch.²⁷⁴ Diese Lesart widerspricht Kants häufigen Darstellungen des inneren Sinnes als Anschauung des inneren Zustands in eklatanter Weise. Die Anschauung oder Wahrnehmung des inneren Zustands ist nicht gleichzusetzen mit äußerer Anschauung. Schmitz‘ Versuch, diese beiden in der beschriebenen Weise begrifflich in einen Zusammenhang zu bringen, ist nicht begründet. Das zeigt sich in vielerlei Hinsicht. Schmitz‘ Lesart bleibt eine plausible Erklärung der Selbstbeziehung in der äußeren Anschauung qua Selbstanschauung schuldig, d. h., Schmitz‘ Erklärung, inwiefern die äußere Anschauung als eine ‚Selbstanschauung‘ betrachtet werden  Obwohl dies befremdlich klingt, ist Schmitz‘ Interpretation durch Kants Wortlaut gut fundiert (Schmitz 2015, S. 1053).  In diesem Sinne schreibt Schmitz, „all intuitions are inner intuitions“ (Schmitz 2015, S. 1056).  Siehe Liang 2020 für eine verkürzte, aber ergänzende Version dieser Kritik.

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kann, ist nicht haltbar. Die äußere, nicht synthetisierte Anschauung biete empirische rohe Materialien für die synthetischen Handlungen (Schmitz 2015, S. 1061 Anm. 17) und stellt folglich höchstens einen Anlass für solche Handlungen dar, nicht aber eine Anschauung dieser. Wenn die äußere Anschauung synthetisiert wird, ist sie ein Produkt der Sinnlichkeit und der synthetischen Handlung. Es geht in diesem Fall aber zu weit, die äußere Anschauung als ‚Selbstanschauung‘ zu bezeichnen. Da die synthetischen Handlungen meist unbewusst bleiben – wie Kant in A78/B103 und A103 – 104 explizit feststellt –, kann das Subjekt sich meistens nur ihrer Produkte bewusst sein. Das Bewusstsein des Produkts der Handlung ist jedoch nicht schlichtweg das Bewusstsein der Handlung. Umso weniger nachvollziehbar ist es, wie das Bewusstsein der Wirkung der Handlung – d. h. das Bewusstsein der äußeren Anschauungen oder, genauer gesagt, das der äußeren Gegenstände, da Schmitz das Bewusstsein der inneren Zustände leugnet – zugleich ein empirisches der Handlung selbst darstellen sollte. Wollte Schmitz dies ablehnen, müsste sie sich einer Kritik anhand der mooreschen These der Transparenz der Erfahrung aussetzen: „When we try to introspect the sensation of blue, all we can see is the blue; the other element is as if it were diaphanous“ (Moore 1903, S. 450).²⁷⁵ In der Kritik kommt zum Ausdruck, dass der Fokus auf einen äußeren Gegenstand zu dessen Wahrnehmung und zu jener seiner wahrnehmbaren Eigenschaften führt, nicht aber zu einer Wahrnehmung der eigenen Wahrnehmung desselben. Im Bewusstsein der äußeren Anschauung selbst gibt es kein Bewusstsein der eigenen synthetischen Handlungen. Auch wenn wir von diesem Problem absehen, bleibt ein anderes unüberwindbar. Wenn das Gemüt sich selbst durch die äußere Anschauung anschaut, muss der intentionale Gegenstand dieser Anschauung die Denkhandlung sein. Dies ist jedoch nicht der Fall. Als eine Vorstellung, die „sich direkt auf die Gegenstände der Materialien bezieht, die durch den Verstand verbunden werden“ (Schmitz 2015, S. 1052), kann die äußere Anschauung die Denkhandlung nicht repräsentieren. Was ist der intentionale Gehalt der von Schmitz vorgeschlagenen Selbstanschauung? Diese ist „an empirical self-consciousness of oneself as a thinking subject of representations“ (SCH.1). Das Subjekt sei sich in diesem Selbstbewusstsein dessen bewusst, dass es das Subjekt der äußeren Anschauung sei, weil es sich seiner Denkhandlung bewusst sei, die für diese Anschauung verantwortlich sei. Laut Schmitz schreibe das Subjekt sich selbst diese äußere Anschauung zu. Das bedeutet, dass das Subjekt zur Kenntnis nimmt, dass diese Anschauung

 Moores These wird von Schmitz bemerkenswerterweise selbst als Argument gegen die Higher-Order-Lesart verwendet.

2.4 Gegenstand der inneren Anschauungen: Tätigkeit oder Zustand?

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zu ihm gehört (siehe SCH.2). Das Subjekt, als jenes der äußeren Anschauung vorgestellt, ist somit der intentionale Gehalt der von Schmitz vorgeschlagenen Selbstanschauung. Dieser kann aber, wie bereits argumentiert, nicht von der äußeren Anschauung erbracht werden. Um sich auf das Subjekt einer Vorstellung zu beziehen, braucht das Subjekt den Quasi-Begriff des Ich. Die Zuschreibung der äußeren Anschauung auf das Subjekt gelingt mittels eines spontanen Akts der reinen Apperzeption und ist damit keine Selbstanschauung, sondern eine gedankliche Zutat zur äußeren Anschauung. Schmitz hält die Leistung der reinen Apperzeption fälschlicherweise für die der empirischen Apperzeption. Schmitz‘ Interpretation ist auch textuell nicht ausreichend fundiert. Sie ist in der Tat auf eine einzige Stelle angewiesen, die oben aus B158 – 159 zitiert wurde, wonach das Ich „sich […] selbst doch nur erkennen kann, wie [es], in Absicht auf eine Anschauung […] [seiner] selbst bloß erscheint“. Hier deutet Kant an, dass eine Anschauung der empirischen Selbsterkenntnis zugrunde liegt. Er spezifiziert diese nicht weiter. Diese Deutungsoffenheit nutzt Schmitz aus und legt den Ausdruck „eine Anschauung“ als „äußere Anschauung“ aus. Es gibt keine eindeutigen Textbelege dafür, dass die Selbstanschauung mit der äußeren Anschauung identisch ist. An vielen Stellen spricht Kant hingegen von Selbstanschauung, die das Ergebnis des inneren Sinns ist (A22/B37, A33/B49, A37/54, B67, B158, B160, usw.). Es fehlt für Schmitz‘ Auffassung somit jeglicher direkte Textbeleg. Im Übrigen scheint Kant die äußere Anschauung gerade von der Selbstanschauung klar zu unterscheiden: „[I]m Raum und der Zeit stellt die Anschauung sowohl der äußeren Objecte, als auch die Selbstanschauung des Gemüths beides vor, so wie es unsere Sinne afficirt […]“ (B69). Kant spricht oft von ‚Selbstanschauung‘ bzw. ‚innerer Anschauung‘ (BXXXIX Anm., B37, B48 – 49, B53, B67, B471, Anth 7:142, 161). Schmitz versucht solche Stellen ‚weg‘zuinterpretieren: Der Ausdruck ‚innere Anschauung‘ sei nicht als ‚Anschauung der inneren Gegenstände‘ auszulegen, sondern als ‚inneres Anschauen‘, das sich auf den Prozess des Anschauens der äußeren Gegenstände beziehe. Die Bedingungen des Objektbezugs seien nämlich laut dem AnalogienKapitel im Fall der Vorstellung des inneren Zustands nicht erfüllt, während ein Objektbezug ein unentbehrliches Merkmal einer Anschauung sei. Gegen diese Auffassung finden sich jedoch direkte Belege: Der innere Sinn, vermittelst dessen das Gemüth sich selbst oder seinen inneren Zustand anschauet, giebt zwar keine Anschauung von der Seele selbst als einem Object; allein es ist doch eine bestimmte Form, unter der die Anschauung ihres inneren Zustandes allein möglich ist, so daß alles, was zu den inneren Bestimmungen gehört, in Verhältnissen der Zeit vorgestellt wird. (B37, H. d. V.)

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Kapitel 2: Der innere Sinn

Aus dieser Passage wird ersichtlich, dass Kant die Anschauung des Ich als eines Objekts und die Anschauung des eigenen inneren Zustands unterscheidet. Erstere lehnt er ab, während er die zweite anerkennt.²⁷⁶ Schmitz übersieht im Übrigen, dass auch die Gefühle der Lust und Unlust, der Wille, die Begierde sowie das Denken innere Zustände sind und ihr Bewusstsein nach Kant unter die Vorstellungen vom inneren Sinn fällt. Wie bereits angemerkt, kann der repräsentationale Gehalt der Vorstellungen vom inneren Sinn nicht auf eine bestimmte Art beschränkt werden; vielmehr sind diese Vorstellungen aller möglichen mentalen Zustände. Abschließend ist zu bemerken, dass das Ich nicht, wie Schmitz behauptet, allein ein denkendes Wesen ist: The ‘I’ cognizes itself only insofar as it thinks because it is essentially thinking. Thinking in turn can only have content in relation to given intuitions, and according to my interpretation intuitions are given in inner sense. (Schmitz 2015, S. 1061)

In der Anthropologie macht Kant deutlich, dass es nicht nur ein ‚Ich der Apperzeption‘, sondern auch ein ‚Ich der Apprehension‘ gibt: Das Ich der Reflexion hält kein Mannigfaltiges in sich und ist in allen Urtheilen immer ein und dasselbe, weil es blos dies Förmliche des Bewußtseins, dagegen die innere Erfahrung das Materielle desselben und ein Mannigfaltiges der empirischen inneren Anschauung, das Ich der Apprehension, (folglich eine empirische Apperception) enthält. (Anth 7:141– 142)

Das phänomenale Bewusstsein der äußeren Gegenstände und das phänomenale Erlebnis der inneren subjektiven Empfindung, des Willens oder der Begierde bilden den materiellen Aspekt der Apperzeption tout court. Das Ich ist nicht nur das Subjekt des Denkens, sondern auch das der empirischen Anschauungen, der subjektiven Empfindung und des Willens. Es ist somit nicht, wie Schmitz behauptet, „essentially thinking“.

2.5 Selbstbezug des inneren Sinnes Die empirischen Anschauungen des inneren Sinnes enthalten einen Selbstbezug: „[A]lle Prädicate des innern Sinnes beziehen sich auf das Ich als Subject“ (Prol

 Der Begriff des Gegenstands der Anschauung ist somit weit gefasst. Der Gegenstand muss also keine Substanz sein. Auch ein Zustand der Substanz (B420) stellt einen intentionalen Gegenstand einer Anschauung dar.

2.5 Selbstbezug des inneren Sinnes

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4:334). Die reine Apperzeption stellt „die Beziehung der inneren Erscheinungen auf das unbekannte Subjekt derselben“ her (Prol 4:334). Der Selbstbezug der Vorstellungen des inneren Sinnes lässt sich auch durch eine Stelle direkt bestätigen: Der innre Sinn ist das Bewußtsein unserer Vorstellungen selbst. (Die Apperception liegt dem innern Sinn zum Grunde). Es hat zum Object die Seele. Wenn die Seele sich selbst ihrer bewußt ist, ohne ihres Zustandes bewußt zu sein, so ists Apperception. Ist sie auch ihres Zustandes bewußt, so ist es Empfindung oder Wahrnehmung. (V-Met/Mron 29:882)

Aus dieser Passage (besonders aus dem Wort „auch“ im letzten Satz) geht hervor, dass das Subjekt sich im inneren Sinn nicht nur seines Zustandes bewusst ist, sondern auch besonders des Selbst, das die reine Apperzeption enthält.²⁷⁷ Dieser Selbstbezug ist der Grund dafür, dass Kant den Gegenstand des inneren Sinnes oft als „[mich] selbst und mein[en] Zustand“ (B55) bezeichnet. Diese Charakterisierung des inneren Sinnes ist auf den ersten Blick problematisch, weil der innere Sinn, wie wir im Paralogismen-Kapitel und anhand mehrerer Zitate bereits gesehen haben, „keine Anschauung von der Seele selbst, als einem Objekt“ liefert (A22/B37). Das Subjekt hat keine direkte Vorstellung vom Selbst, weil es kein „stehendes oder bleibendes Selbst“ (A107) gibt. Wir können das Ich nur durch ‚meine Vorstellungen‘ erkennen – damit sind alle unsere (bewussten) Vorstellungen, nicht aber eine Vorstellung des Ich gemeint. Dieser scheinbare Widerspruch kann nur überwunden werden, wenn die Definition des Bewusstseins des inneren Sinnes als „Anschauen[s] unserer selbst und unseres inneren Zustandes“ (B49) auf folgende Weise interpretiert wird: Die Vorstellung des inneren Sinnes ist eine Anschauung davon, wie ‚ich‘ in einem mentalen Zustand stehe. In dieser muss ein Bezug auf das Ich als das Subjekt dieses Zustands enthalten sein, d. h., der Ausdruck „unserer selbst“ bezeichnet den Selbstbezug, für den die reine Apperzeption verantwortlich ist, die in das Bewusstsein des inneren Sinnes²⁷⁸ eingebettet ist. Dieser Selbstbezug ist, wie bereits gezeigt, eine ‚leere‘ Vorstellung und enthält keine Merkmale des Subjekts selbst. Im Bewusstsein des inneren Sinnes denkt das Subjekt somit an sich selbst. Genauer gesagt nimmt das Gemüt dabei nicht nur seinen Vorstellungszustand (erster Ordnung) wahr, sondern schreibt sich diese Vorstellung gedanklich zu. Deswegen behauptet Kant im obigen Zitat, dass „[d]ie Apperception [..] dem innern Sinn zum Grunde [liegt]“. Dieser Gedanke an sich selbst im Bewusstsein des inneren Sinnes ist normaler-

 In diesem Sinne bemerkt Valaris zutreffend: „The role of inner sense is to enable the subject to become aware of its outer representations as its own“ (Valaris 2008, S. 3, H. d. V.).  D. h. in der Apperzeption oder im apperzeptiven Bewusstsein. Siehe § 1.6.

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Kapitel 2: Der innere Sinn

weise jedoch eine dunkle Vorstellung, da man sich im apperzeptiven Bewusstsein selten seiner selbst explizit bewusst ist, wofür ein introspektives Selbstbewusstsein nötig ist. Unabhängig von dem Ergebnis in § 1.6 betrachtet, ist der Selbstbezug dem inneren Sinn unzertrennlich verbunden. Die Vorstellungen des inneren Sinnes werden dadurch erzeugt, dass der spontane Akt die Sinnlichkeit affiziert. Dasjenige, was „mein innerer Sinn mir darbietet“ ist „das, was entweder selbst ein Denken, oder mit diesem analogisch ist“ (B331). Folglich steht der innere Sinn in einem wesentlichen Zusammenhang mit der spontanen Verstandeshandlung. Eine derartige Handlung involviert immer ein intellektuelles Bewusstsein, weswegen der innere Sinn wesentlich mit einem solchen verbunden ist. Ohne den Selbstbezug verlieren die Vorstellungen des inneren Sinnes außerdem die ‚Innerlichkeit‘, da die Vorstellungen des äußeren Sinnes den ‚eigentlichen Stoff‘ des inneren Sinnes bilden. In dem empirischen Bewusstsein des inneren Sinnes wird der empirische Gehalt des äußeren Sinnes entweder ‚wiederverwendet‘ (nach dem Reflexionsmodell von Allison 2004, S. 278) oder zu Bewusstsein gebracht (nach der hier vorgeschlagenen Lesart). Beide Sinne teilen sich dasselbe empirische Bewusstsein der sinnlichen Qualitäten. Ohne den Selbstzuschreibungsakt macht es keinen Sinn, davon zu sprechen, dass das Subjekt sich seines inneren Zustands (wenn auch dunkel) bewusst wird. Colin McLear betrachtet den inneren Sinn als das Vermögen, das alle Vorstellungen enthält, die wir uns zuschreiben können (McLear 2015, Abschnitt 2.c.). Er lehnt hingegen ab, dass die Vorstellungen des inneren Sinnes einen Selbstbezug enthalten. Diese Lesart ist problematisch, weil der innere Sinn damit nicht auf sinnvolle Weise vom Vorstellungsvermögen unterschieden werden kann. Wie bereits demonstriert wurde, gibt es Vorstellungen, die nicht von jenen des inneren Sinnes begleitet sind. Im Gegensatz zu McLear sind einige Interpreten der Meinung, dass die Vorstellungen des inneren Sinnes an sich einen Selbstbezug aufweisen.²⁷⁹ Das ist jedoch unhaltbar, denn der innere Sinn kann keine begrifflichen Momente integrieren, weil er als ein rezeptives Vermögen an sich sinnlich ist (A107, siehe auch B154). Was er an sich darbietet ist bloß ein Fluss „innerer Erscheinungen“ (A107). Den Selbstbezug verdankt er allein der reinen Apperzeption, die mit ihm unzertrennlich verbunden ist.

 „Empirical apperception is supposed to explain how a particular thinker self-ascribes particular representations at particular times (B158). Empirical apperception provides representations of a state of the mind at a time: I am tasting something sweet now; I was thinking about the properties of a body earlier“ (Kitcher 2011, S. 157). In ähnlicher Weise auch Valaris 2008, S. 3.

2.5 Selbstbezug des inneren Sinnes

161

Angesichts der Analogie zwischen dem inneren und dem äußeren Sinn liegt die Annahme nahe, dass der innere Sinn eine Wahrnehmung hervorbringt, die noch nicht synthetisiert ist. In diesem Sinne schreibt Ameriks: Kant eventually distinguished inner sense from apperception in a way that obviously allows the possibility of reflection without cognition. He defines apperception as the conceptual determination of the intuitions of the self provided through inner sense (B 154). There is no evident logical necessity prohibiting bringing such intuitions to consciousness without simultaneously synthesizing them in cognition. The latter consciousness in turn should be distinguished from the fully developed self-consciousness that is had when, instead of merely judging a particular inner state, one rather synthesizes broad stretches of experience so as to come to a concept of the concrete situation and character of the self. (Ameriks 2000, S. 246)

Es ist unumstritten, dass die Konzeption des inneren Sinnes an sich den Aspekt der Erfahrung hervorhebt, der wesentlich durch Rezeptivität charakterisiert wird. Kant unterscheidet diesen Aspekt von der inneren Erfahrung. Letztere ist das Ergebnis der Operation des synthetischen Akts auf den inneren Sinn. Gegen Ameriks Ansicht sprechen allerdings folgende Beobachtungen: Wie wir schon gesehen haben, sind die reine und die empirische Apperzeption voneinander abhängig (A115 f.). Erstere ist in jeder Episode des attentiven Bewusstseins enthalten. Ameriks hat recht, wenn er sagt: „[T]here is no evident logical necessity prohibiting bringing such intuitions to consciousness without simultaneously synthesizing them in cognition“ (Ameriks 2000, S. 246). Allerdings führt nicht der Akt der reinen Apperzeption²⁸⁰ diese Synthetisierung aus, der notwendigerweise in der Vorstellung des inneren Sinnes eingebettet ist, sondern jener der reinen Apperzeption qua Synthesis der Einbildungskraft. Dieser Akt synthetisiert die Vorstellungen des inneren Sinnes zur inneren Erfahrung. Ameriks liegt falsch, weil er die Rolle der reinen Apperzeption im Bewusstsein des inneren Sinns verkennt, indem er konstatiert: „He defines apperception as the conceptual determination of the intuitions of the self provided through inner sense (B 154)“.²⁸¹ In B154 geht es, wie schon angedeutet und noch ausgeführt werden wird, eher um den zweiten Akt der reinen Apperzeption, der qua Synthesis der Einbildungskraft in der Erzeugung der inneren Erfahrung ausgeübt wird, als um den ersten Akt der

 Ein Verstandesakt ist wesentlich ein Akt der reinen Apperzeption (A119), weil die reine Apperzeption, wie bereits ausgeführt, das intellektuelle Bewusstsein des spontanen Akts ist.  Ameriks (2006, S. 55 – 56) hält den inneren Sinn für frei von jeder kognitiven und apperzeptiven Leistung. Nach meiner Interpretation ist ersterer wesentlich mit der reinen Apperzeption verbunden, wie oben erläutert.

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Kapitel 2: Der innere Sinn

reinen Apperzeption, der den inneren Sinn affiziert und diesen erst mit empirischen Vorstellungen besetzt.

2.6 Bewusstseinstheoretischer Status des inneren Sinnes Die überwiegende Mehrheit der Kommentatoren, die das Thema Bewusstsein bei Kant behandelt, ist der Meinung, dass der innere Sinn Vorstellungen höherer Stufe erzeuge.²⁸² Dies wird auch in vorliegender Abhandlung vertreten. Entscheidend für diese Auffassung ist, dass Kant den inneren Sinn oft als Anschauung bzw. Wahrnehmung des (im Kontext der KrV: repräsentationalen) Zustands des Gemüts charakterisiert. Diese innere Anschauung ist eine Vorstellung, die nicht zur Vorstellung erster Ordnung gehört, die sie begleitet. Denn wie Kants Lehre der dunklen Vorstellungen zeigt, kann eine Vorstellung ohne Begleitung der inneren Anschauung als Produkt des inneren Sinnes auch unterschwellig kognitive Funktionen ausüben – d. h., eine kausale oder epistemische Rolle spielen.²⁸³ Dies impliziert, dass die Begleitung durch eine innere Wahrnehmung keine notwendige Bedingung für den Vorstellungsstatus eines mentalen Zustands ausmacht. Viele weitere Indizien deuten darauf hin, dass es sich bei der Vorstellung des inneren Sinnes um einen richtigen repräsentationalen Zustand handelt. Im Aufsatz Loses Blatt Kiesewetter macht Kant z. B. diese Bemerkung: Gleichwohl aber bringt dieser Gedanke einen Gegenstand der Erfahrung hervor oder eine Bestimmung des Gemüths, die beobachtet werden kann, sofern es nämlich durch das Denkungsvermögen afficirt wird. (Refl 18:319)

Ein Gedanke ist, entsprechend dem Kontext, ein zeitliches Ereignis, das den inneren Sinn affizieren kann. Der innere Sinn nimmt ihn durch Beobachtung wahr. Wie bereits ausgeführt, erlaubt Kant die Möglichkeit, dass dieser Zustand nicht oder falsch wahrgenommen wird – d. h. nicht beobachtet oder falsch beobachtet wird. Die Analogie zwischen dem inneren und äußeren Sinn ist offenbar. Es scheint keine Alternative zu geben, als das Bewusstsein des inneren Sinnes als genuine empirische Vorstellungen zu interpretieren. Dessen Form ist im Übrigen die Zeit. Die Zeitlichkeit kann nicht durch den Gehalt der Vorstellungen erster Ordnung – d. h. der Vorstellungen des äußeren Sinnes, der subjektiven Empfindungen usw. (siehe Abschnitt 2.2) – repräsentiert werden. Das Erleben der Suk-

 Befürworter einer solchen Lesart sind z. B. Collins 1999, S. 109; Wolff 1963, S. 199; Allison 2004, S. 278 – 279; McLear 2011. Dagegen: Schmitz 2015, Guyer 1987.  Siehe Liang 2017.

2.6 Bewusstseinstheoretischer Status des inneren Sinnes

163

zessivität ist jedoch ein Faktum. Somit muss eine weitere Vorstellung existieren, die die Zeitlichkeit vorstellt. Diese Vorstellung ist im Rahmen von Kants Lehre die Reproduktion. In dieser fasst das Gemüt die gegenwärtigen, unmittelbar und mittelbar vergangenen Wahrnehmungsbilder in einer sukzessiven Serie zusammen und schreibt sie sich unbewusst als zu sich selbst gehörend zu.²⁸⁴ Damit entsteht eine Vorstellung, die die unmittelbar vergangenen und gegenwärtigen Wahrnehmungen vereinigt und deren Form die Zeit ist. Collins gibt eine hilfreiche Zusammenfassung dieser Higher-Order-Lesart des inneren Sinnes: In order that the original representations of outer sense be accessible to our combinatory powers, they must themselves be apprehended, and this is the fundamental business of inner sense, at least as far as knowledge is concerned. […] Inner sense is a matter of apprehending mental realities that are, in the first instance, none other than the representations of outer things that the stimulation of outer sense engenders. […] Therefore, in so far as there is an empirical manifold of inner sense, it will contain representations of the representations that make up the manifold of outer sense. (Collins 1999, S. 109, H. d. V.)

Deutlich spricht Kant in seiner späten Schrift sogar wörtlich vom inneren Sinn als Vorstellung höherer Stufe: Die reine Anschauung des Manigfaltigen im Raum enthalt die Form des Gegenstandes in der Erscheinung a priori vom ersten Range d. i. directe. Die Zusammensetzung der Warnehmungen Erscheinung im Subject zum Behuf der Erfahrung ist wiederum Erscheinung des so afficirten Subjectes wie es sich selbst vorstellt also indirect und ist vom zweyten Range Erscheinung von der Erscheinung der Warnehmungen in Einem Bewustseyn d. i. Erscheinung des sich selbst afficirenden Subjects mithin indirect, und der Synthesis derselben zur Moglichkeit der Erfahrung (die nur Eine ist) Das Subjective der Verknüpfung der Darstellungen in dem Subject nach Principien des Bewustseyns der Zusammensetzung desselben zu einem Erkentnis dieser Phänomene im Bewustseyn der synthetischen Einheit der Erfahrung ist die mittelbare Erscheinung. Folglich die Zusammenfassung der Warnehmungen zur Einheit der Erfahrung folglich so daß ein System dieser inneren Wahrnehmungen die sich a priori classificiren u. specificiren lassen da das zusammensetzende Subject sich selbst

 Oben habe ich argumentiert, dass auch Tiere im Rahmen von Kants Lehre dieses Erlebnis der Sukzessivität haben können. Es stellt sich die Frage, warum dieses Erlebnis im menschlichen Gemüt eine innere Anschauung ist, im tierischen Geist hingegen nicht. Obwohl jede Vermutung exegetisch rein spekulativ bleiben muss, ist meiner Ansicht nach folgende Erklärung möglich: Die subjektive Folge der Wahrnehmungen ist beim Tier im Gegensatz zum Menschen durch einen rein sinnlichen Prozess zustande gekommen. Da das Tier keine Apperzeption hat, stellt es diese Reihe der Wahrnehmungen nicht als seine eigenen Zustände vor. Es ist nicht zur Einheit der Apperzeption fähig, somit ist sein Bewusstsein dieser Folge zwar phänomenologisch möglich, aber insofern fragmentarisch und isoliert, als diese Folge in keinen einheitlichen Sinnzusammenhang mit anderen Wahrnehmungsfolgen gebracht werden kann. Für diese Frage siehe McLear 2011 und Fisher 2017.

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Kapitel 2: Der innere Sinn

in der Zusammensetzung nach Principien erscheint und so a priori in einem System der Warnehmungen als die Sinne afficirenden Kraften der Materie zur Moglichkeit einer Physik fortschreitet. (OP 22:367, H. d. V.)

Nun möchte ich einige Einwände gegen die Higher-Order-Lesart zurückweisen. Der erstere verweist auf den Aspekt der sogenannten Transparenz bzw. Diaphanität phänomenaler Erlebnisse, worunter nach einer berühmten Charakterisierung Folgendes zu verstehen ist: When we try to introspect the sensation of blue, all we can see is the blue: the other element is as if it were diaphanous. (Moore 1903, S. 450)

Folgt man Kritikern der Higher-Order-Lesart, dann kann das Subjekt den Vorstellungszustand aus dem Grunde nicht – wie einen Gegenstand des äußeren Sinnes – als Gegenstand wahrnehmen, da es seine Aufmerksamkeit nicht auf die Wahrnehmung selbst als einen mentalen Zustand richten kann (Schmitz 2015, S. 1048 – 1049). Schmitz zufolge könne man den Gehalt des inneren Sinnes als Vorstellung höherer Ordnung nicht spezifizieren, weil der innere Sinn keine empirischen Vorstellungen des Wahrnehmungsakts gebe. Dementsprechend bleibe die Higher-Order-Lesart eine Antwort auf die folgenden Fragen schuldig: „[W]hat can it mean to say that we (sensually) represent a representation of a red apple? What would be the content of such a secondary representation, and what exactly would be its relation to the apple?“ (Schmitz 2015, S. 1049). Dieser Einwand ist in vielerlei Hinsichten unzutreffend. Von einem exegetischen Standpunkt aus stellt die Schwäche einer Lehre – angenommen, dass es diese wirklich gibt – keinen zwingenden Grund dar, Kant diese Lehre abzusprechen, besonders dann, wenn zahlreiche Textstellen diese Lehre belegen. Die Kritiker könnten damit Recht haben, dass der repräsentationale Akt nicht wahrnehmbar ist, sie übersehen aber, dass Kant es als ein Faktum betrachtet, dass das Gemüt die äußere Wahrnehmung von ihrem Gegenstandsbezug abstrahieren und sie dann ohne Weiteres als einen repräsentationalen Zustand oder Akt auffassen kann. Dass Kant die innere Wahrnehmung des eigenen Zustands als ein Faktum betrachtet, macht er deutlich: Wie es möglich sey, daß ich, der ich denke, mir selber ein Gegenstand (der Anschauung) seyn, und so mich von mir selbst unterscheiden könne, ist schlechterdings unmöglich zu erklären, obwohl es ein unbezweifeltes Factum ist. (FM 20:270, H. d. V.) [D]as Bewustseyn kann alle Vorstellungen begleiten, mithin auch die der Einbildung, die und deren Spiel selbst ein Object des innern Sinnes ist und von der es moglich seyn muß, sich ihrer als einer solchen bewust zu werden, weil wir wirklich solche als innere Vorstellungen, mithin in der Zeit existirend, von der Sinnenanschauung unterscheiden. (Refl 18:621, H. d.V.)

2.6 Bewusstseinstheoretischer Status des inneren Sinnes

165

Jeder actus der Aufmerksamkeit kann uns ein Beispiel davon [d. h. von der Selbstaffektion] geben. […] Wie sehr das Gemüt gemeiniglich hierdurch affiziert werde, wird ein jeder in sich wahrnehmen können. (B156 – 157 Anm.)

Sachlich betrachtet sind spezifische Sinneseindrücke, die mit dem Vorstellungsakt kausal korrespondieren und folglich diesen Akt selbst repräsentieren würden, nicht notwendig dafür, dass das Subjekt sich auf den Vorstellungsakt bezieht. Es gibt in der Tat zwei mögliche Wege, eine gegenstandsbezogene Wahrnehmung als eigenen Zustand zu betrachten. Das Subjekt kann den repräsentationalen Akt als solchen wahrnehmen, was der These der Transparenz zufolge nicht möglich ist. Jedoch kann es das phänomenale Erlebnis der Vorstellung erster Ordnung direkt umdeuten. Die Fähigkeit zu einer derartigen Umdeutung scheint Kant als Faktum niemals infrage gestellt zu haben, sondern er scheint sie im Gegenteil ausdrücklich zu akzeptieren (A189/B234– A190/B235), denn ein zentrales Prinzip seiner Lehre setzt sie voraus. Wie bereits ausgeführt, muss ein Selbstzuschreibungsakt der Apperzeption alle Vorstellungen, darunter auch die äußeren Wahrnehmungen, begleiten können. Dieser Akt der Apperzeption begleitet eine Vorstellung dann, wenn das Subjekt sich dieser Vorstellung apperzeptiv bewusst ist. Der Selbstzuschreibungsakt, die Apperzeption, muss nämlich in „allem Bewußtsein“ des Menschen enthalten sein (B132) – dabei kann dieser Akt entweder bewusst oder unbewusst sein. Dieses Apperzeptionsprinzip setzt voraus, dass das Subjekt sich aller Vorstellungen explizit als seiner eigenen mentalen Zustände bewusst werden kann. In diesem Selbstzuschreibungsakt muss die von der Apperzeption begleitete Vorstellung als intentionaler Gegenstand betrachtet werden. Folglich ist es wegen der Apperzeption für Kant kein Problem, sich auf eine Vorstellung als Gegenstand zu beziehen. Spezielle Sinneseindrücke von diesem Vorstellungsakt selbst sind dafür nicht notwendig. Der phänomenale Gehalt der Vorstellung höherer Stufe entsteht daraus, dass die Sinnesqualitäten der Vorstellung des äußeren Sinnes phänomenal bewusst gemacht werden. Dadurch nimmt der innere Sinn den eigenen Zustand als Gegenstand wahr. Um dies zu sehen, braucht man nur zu bedenken, dass es dunkle Vorstellungen gibt, die ebenfalls sinnesqualitäten-enthaltende mentale Zustände, aber unbewusst sind. Die Sinneseindrücke des äußeren Sinnes, wenn sie phänomenal bewusst sind, konstituieren zugleich Erscheinungen des Subjekts, wenn von ihrem Objektbezug abgesehen wird. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch ein weiterer Einwand als falsch. Schmitz wirft der Higher-Order-Theorie vor, dass das Verhältnis zwischen der Vorstellung erster und der Vorstellung höherer Ordnung problematisch sei (Schmitz 2015, S. 1049). Wenn die letztere nicht die gleichen Sinneseindrücke wie die erstere enthalte, dann sei es im Licht der Transparenz-These fragwürdig, was die speziellen Sinneseindrücke der Vorstellung des inneren Sinnes sein sollten.

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Kapitel 2: Der innere Sinn

Wenn dagegen die Vorstellung höherer Ordnung die gleichen Sinneseindrücke wie die Vorstellung erster Ordnung habe, sei es wiederum problematisch, wie sich beide voneinander unterscheiden sollten. Aus diesem Grund behauptet auch Wolff, dass die äußeren Wahrnehmungen nicht zugleich die inneren Zustände repräsentierten.²⁸⁵ Der in dieser Abhandlung vertretenen Auffassung des inneren Sinnes zufolge ist es ersichtlich, warum die Einwände von Schmitz und Wolff unberechtigt sind. Das apperzeptive Bewusstsein durch den inneren Sinn enthält nämlich (in einem nicht-introspektiven Szenario) neben dem Erlebnis der Sinnesqualitäten des äußeren Sinnes auch eine implizite Selbstzuschreibung – schließlich bringt ein solches Bewusstsein die Vorstellung des inneren Zustands als eigenen Zustands hervor. Dieser Selbstzuschreibungsakt ist nicht in den Wahrnehmungen des äußeren Sinnes enthalten und macht damit den Unterschied zwischen der apperzeptiven Vorstellung höherer Ordnung und der empirischen Vorstellung erster Ordnung aus.

2.7 Das empirische Bewusstsein an sich In diesem Abschnitt wird der Versuch unternommen, den Begriff des empirischen Bewusstseins zu klären, der eng mit jenem des inneren Sinnes verwandt ist. Argumentiert wird, dass das empirische Bewusstsein an sich keinen Bezug auf das Ich enthält. Es ist für Kant eine Vergegenwärtigung der Sinnesdaten mit minimaler Aktivierung kognitiver Fähigkeiten.

2.7.1 Empirisches Bewusstsein, formales Bewusstsein und Grad des Bewusstseins Die Empfindung, der das empirische Bewusstsein das Attribut des ‚empirischen‘ in seiner Bezeichnung verdankt, liefert die empirischen Materialien der Vorstellung erster Ordnung.²⁸⁶ Diese Empfindung ist nicht mit jener durch die Selbstaffektion zu verwechseln. Der Grund dafür ist: Wenn der Grad des empirischen Bewusstseins null ist, wird das empirische in das formale Bewusstsein verwandelt: Nun ist vom empirischen Bewußtsein zum reinen eine stufenartige Veränderung möglich, da das Reale desselben ganz verschwindet, und ein bloß formales Bewußtsein (a priori) des

 Wolff 1963, S. 198.  McLear (2015) vertritt eine ähnliche Position.

2.7 Das empirische Bewusstsein an sich

167

Mannigfaltigen im Raum und Zeit übrig bleibt: also auch eine Synthesis der Größenerzeugung einer Empfindung von ihrem Anfange, der reinen Anschauung = 0, an bis zu einer beliebigen Größe derselben. (B208)

Ein formales Bewusstsein enthält keine Empfindung erster Ordnung in den von ihm begleiteten Vorstellungen, denn diese sind reine Anschauungen des „Mannigfaltigen im Raum und Zeit“. Das formale Bewusstsein gehört aus den folgenden Gründen jedoch immer noch zum inneren Sinn: Erstens ist das Subjekt sich dabei seines inneren repräsentationalen Zustands – dessen repräsentationalen Gehalt das reine Mannigfaltige ausmacht – (explizit oder implizit) bewusst; zweitens spielt die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft eine strukturierende Rolle bei der Konstruktion der reinen Anschauung im formalen Bewusstsein. Da diese Synthesis den inneren Sinn affiziert, gehört das formale Bewusstsein zu diesem. Es enthält folglich noch die Empfindung durch die Selbstaffektion. Daher müssen mit dem ‚Empirischen‘ im Begriff ‚empirisches Bewusstsein‘ nicht zwingend die empirischen Materialien der Empfindung durch die Selbstaffektion gemeint sein. Empirisches und formales Bewusstsein lassen sich wie folgt voneinander unterscheiden: 1. Hinsichtlich des empirischen Gehaltes der Vorstellung, die durch die Selbstanschauung des inneren Sinnes begleitet wird, können wir das Bewusstsein des inneren Sinnes in das empirische und das nicht-empirische, formale Bewusstsein desselben unterscheiden. Dieses Bewusstesin setzt die transzendentale Apperzeption voraus und ist ein apperzeptives Bewusstsein. 2. Hinsichtlich der Selbstaffektion, die für die empirische Anschauung des inneren Sinnes verantwortlich ist, ist sämtliches durch den inneren Sinn erzeugtes Bewusstsein als empirisch zu betrachten.²⁸⁷ Es gibt auch ein nicht-apperzeptives Bewusstsein, das eine empirische Vorstellung begleitet.²⁸⁸ Dieses gehört allerdings nicht zum empirischen Bewusstsein, das in der KrV erwähnt wird.

 Vermutlich in diesem Sinn bezeichnet Kant in der ‚Stufenleiter‘ alle bewussten Vorstellungen, darunter auch Begriffe, als ‚perceptio‘, die empirisch ist: „Die Gattung ist Vorstellung überhaupt (repraesentatio). Unter ihr steht die Vorstellung mit Bewußtsein (perceptio)“ (A320/B376).  Siehe Liang 2017.

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Kapitel 2: Der innere Sinn

2.7.2 Empirisches Bewusstsein an sich Das empirische Bewusstsein ist eines, das eine Empfindung enthält (A166/B207). Die Empfindung ist die „Materie“ (A20/B34) der Wahrnehmung und liefert Sinnesqualitäten wie „Farben, Geschmack etc.“ (A175/B217). Einer Stelle im Antizipationen-Kapitel zufolge kann das empirische Bewusstsein anscheinend als das phänomenale Bewusstsein im heutigen Sinn interpretiert werden: [I]n dem innern Sinn nämlich kann das empirische Bewußtsein von 0 bis zu jedem größern Grade erhöhet werden, so daß eben dieselbe extensive Größe der Anschauung (z. B. erleuchtete Fläche) so große Empfindung erregt, als ein Aggregat von vielem andern (minder Erleuchteten) zusammen. (A176/B217– 218)

Problematisch ist jedoch die Tatsache, dass Kant die Wahrnehmung mit dem empirischen Bewusstsein gleichzusetzen scheint: „Wahrnehmung ist das empirische Bewußtsein, d. i. ein solches, in welchem zugleich Empfindung ist“ (A166/ B207). Wenn man die Wahrnehmung als kognitiv voraussetzungsvoll betrachtet, könnte man dazu tendieren, das empirische Bewusstsein ebenfalls als solches zu interpretieren: Das empirische Bewusstsein ist für Kant der letzte Schritt in der Entstehung von Erkenntnis (vgl. KrVA 115). Erst nachdem das Rohmaterial der Empfindung in den Ordnungsrahmen von Raum und Zeit eingepasst und durch die synthetisierende Tätigkeit der Einbildungskraft im Einklang mit den kategorialen Grundsätzen des Verstandes sowie dem Grundsatz der Apperzeption zu früheren Erfahrungen in Beziehung gesetzt wurde, erst dann ist empirisches Bewusstsein möglich. (Fridland/Kitcher 2015, H. d. V.)

Meines Erachtens ist diese Auslegung unzutreffend, denn das empirische Bewusstsein setzt bei Kant die synthetische Operation des Verstandes nicht unbedingt voraus. Wir müssen die Definition des empirischen Bewusstseins als solches, das die Empfindung enthält, wörtlich nehmen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Kants Aussage erzeugt tatsächlich vereinzelt den Eindruck, als ob das empirische Bewusstsein die reine Apperzeption voraussetzt oder gar enthält: Alles empirische Bewusstsein hat aber eine notwendige Beziehung auf ein transzendentales Bewusstsein, nämlich das Bewußtsein meiner Selbst. (A117 Fn)

Dies gilt jedoch nicht unbedingt. Für die Vorstellungen, die als ‚meine Vorstellungen‘ qualifiziert – d. h., für ‚mich‘ kognitiv relevant – sind, und die sich möglicherweise als empirische Erkenntnisse qualifizieren könnten, enthält das begleitende empirische Bewusstsein einen Bezug auf das Ich. Mit anderen Worten

2.7 Das empirische Bewusstsein an sich

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gesagt: Für ‚mich‘ als ein Wesen mit Verstand im Gegensatz zum nicht-apperzeptiven Geist, etwa dem des Tieres, gilt, dass jede Episode des attentiven empirischen Bewusstseins einen Bezug auf das Ich enthält. Eine weitere Stelle, die die obige Lesart von Fridland/Kitcher motiviert, lautet: Zuvörderst merke ich an, daß ich unter der Synthesis der Apprehension die Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer empirischen Anschauung verstehe, dadurch Wahrnehmung, d. i. empirisches Bewußtsein derselben (als Erscheinung), möglich wird. (B160)

Fridland und Kitcher übersehen jedoch, dass die Wahrnehmung dieser Stelle zufolge nicht mit dem empirischen Bewusstsein tout court gleichzusetzen ist, sondern mit dem „empirisch[en] Bewusststein derselben (als Erscheinung)“. Das Wort „Erscheinung“ kommt in B160 nochmals vor, offensichtlich im Sinn eines Gegenstandes der äußeren Erfahrung bzw. der empirischen Erkenntnisse (siehe auch A240/B299, A248 – 249). Folglich bedeutet der Ausdruck „empirisches Bewußtsein derselben (als Erscheinung)“ die bewusste Vorstellung des Gegenstands als eines kategorial bestimmten empirischen Gegenstands. Dieses Bewusstsein setzt synthetische Akte voraus; dies gilt jedoch nur deswegen, weil Kant hier eher über das empirische Bewusstsein der Anschauung „als Erscheinung“ als über das empirische Bewusstsein tout court spricht. Zudem gibt es Textindizien dafür, dass die Wahrnehmung an sich nicht unbedingt einen synthetischen Akt voraussetzt. Gemäß einer Stelle in den Prolegomena soll „Wahrnehmung (perceptio)“ „blos den Sinnen angehör[en]“ (Prol 4:300). An anderer Stelle verdeutlicht Kant: „[…] das empirische Bewußtsein, welches verschiedene Vorstellungen begleitet, ist an sich zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts“ (B133, H. d. V.). Das empirische Bewusstsein, von dem hier gesprochen wird, ist die einzelne Episode des Bewusstseins, die das einzelne Sinnesdatum begleitet. Die Rede von „an sich“ und der Kontext deuten darauf hin, dass dieses Bewusstsein noch nicht der Synthesis nach den Kategorien unterzogen wird und somit noch nicht Teil der Einheit der Apperzeption ist. Im empirischen Bewusstsein an sich gibt es keine begriffliche Operation des Verstandes. Nun meint Kant, dass das empirische Bewusstsein an sich „ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts“ ist – d. h., keinen Bezug auf ein identisches Subjekt und somit die reine Apperzeption nicht enthält. Folglich ist das empirische Bewusstsein an sich ein bloßes Erlebnis der sinnlichen Qualitäten der von ihm begleiteten empirischen Vorstellungen. Man kann hier einwenden, dass das erwähnte Bewusstsein einer empirischen Vorstellung an sich – im Sinne einer Episode des phänomenalen Bewusstseins – dennoch ein Prädikat des Ich darstelle und somit als eine Variante des Selbst-

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Kapitel 2: Der innere Sinn

bewusstseins betrachtet werden könne.²⁸⁹ Schließlich spreche Kant davon, dass man keinen epistemischen Zugang zum Ich als Substrat der Vorstellungen habe und lediglich über eine wechselnde Folge von Vorstellungen verfüge, die die Prädikate des Ich darstellen (A359, A443/B471). Dieser Einwand ist jedoch unhaltbar. Man muss zwischen der Perspektive eines idealistisch gesinnten Philosophen und jener des (nicht-apperzeptiven) Subjekts unterscheiden. Das Subjekt des bloßen empirischen Bewusstseins kennt keine ‚Theorie des Geistes‘: Es erlebt lediglich die wechselnden phänomenalen Qualitäten, kann diese aber nicht als empirische Vorstellungen des Ich betrachten. Abschließend lässt sich Folgendes konstatieren: Das empirische Bewusstsein bei Kant ist nicht derart mit dem phänomenalen Bewusstsein im heutigen Sinn gleichzusetzen, als ob es allein das Erleben der phänomenalen Qualitäten bedeutete. Kant verbindet das Bewusstsein wesentlich mit der Fähigkeit der Unterscheidung des Vorgestellten (V-Lo/Blomberg 24:40 – 41, B414 Anm.).²⁹⁰ Daher enthält das empirische Bewusstsein neben dem Erlebnis der phänomenalen Qualitäten auch die Möglichkeit, die Gegenstände der Vorstellungen, die das empirische Bewusstsein begleitet, von anderen zu unterscheiden. Diese Unterscheidungsfähigkeit kann primitiv sein, wie es beim Tier der Fall ist, oder sie kann kognitiv voraussetzungsvoll und zum Verstand und zur Apperzeption zugehörig sein, wie es beim Menschen der Fall ist.

 Dieses Bewusstsein ist als eine Art des Selbstbewusstseins zu verstehen, besonders wenn die ihm zugrunde liegende Empfindung eine Empfindung von Verstandesakten ist (siehe Kitcher 1999).  McLear (2015) zufolge sei das Bewusstsein gar mit „discriminatory acts“ gleichzusetzen. Meiner Meinung nach sind beide Begriffe voneinander zu unterscheiden. Denn wie Kants Bemerkungen zum Bewusstsein (Anth 7:134, 141), zu den synthetischen Handlungen (A78/B103, BXL Anm.) sowie die Fußnote in B414 f. zeigen, unterscheidet er generell kognitive Handlungen vom Bewusstsein, das solche Handlungen begleitet. In A78/B103 deutet er an, dass es synthetische Handlungen gibt, die nicht mit dem Bewusstsein einhergehen. Aus B414 f. lässt sich entnehmen, dass der Unterscheidungsakt vielmehr eine Wirkung des Bewusstseins ist. Zu diesem Thema siehe Liang 2017.

Kapitel 3 Selbstaffektion In diesem Kapitel wird der Begriff der Selbstaffektion untersucht, da dieser Prozess dem inneren Sinne zugrunde liegt. Die Grundzüge der Lehre der Selbstaffektion wurden in den vorigen Abschnitten teilweise erwähnt. Behandelt wurden bereits einige Interpretationsfragen bzgl. des inneren Sinnes. Damit wurden die Fragen zum Produkt der Selbstaffektion weitgehend geklärt. Unklar bleiben nur zwei Punkte: Welche mentalen Akte affizieren den inneren Sinn? Wie sieht der genaue Verlauf der Selbstaffektion aus? Beide Fragen hängen eng miteinander zusammen, da es verschiedene Aktivierungen der Selbstaffektion geben könnte. Betrachten wir zunächst die erste Frage. Kants Ausführungen über den affizierenden Akt der Selbstaffektion sind vage, wenn nicht sogar inkonsistent. In der B-Deduktion (B153 – 154) sowie im Schematismus-Kapitel (A145/B185) behauptet er, dass die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft den inneren Sinn affiziert. Es wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass andere mentale Akte ebenfalls dazu imstande sind. In B67 wird als der affizierende Akt generell die „eigene Tätigkeit, nämlich dieses Setzen seiner Vorstellung“ genannt, ohne diese Setzung speziell als transzendentale Einbildungskraft zu bezeichnen. Im dortigen Kontext ist das „Setzen seiner Vorstellung“ ein Akt, der die Vorstellung in einen zeitlichen Rahmen einordnet. Diese Setzung bzw. zeitliche Bestimmung involviert sowohl die transzendentale als auch die empirische Einbildungskraft. In welcher Relation beide Akte zueinanderstehen, ob sie womöglich gar identisch sind, bleibt zu klären. Allison bezeichnet die Unklarheit von Kants Ausführungen über den affizierenden Akt als eines der Hauptprobleme seiner Lehre der Selbstaffektion. Ihm zufolge sei es im Ästhetik-Kapitel die Synthesis der Apprehension, die den inneren Sinn affiziere, während in der Transzendentalen Deduktion die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft dies leiste.²⁹¹ Neben den oben genannten kommen weitere mentale Akte infrage. In B150 schreibt Kant, dass der Verstand den inneren Sinn „bestimmt“. Das heißt, der Verstand denkt die „synthetische Einheit der Apperzeption des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung a priori“. Letzteres ist hier das Mannigfaltige der Zeit. Die reinen Verstandeshandlungen gemäß den Kategorien stehen folglich mit der Zeitlichkeit und damit auch mit der Selbstaffektion in engem Zusammenhang. In der Darstellung des inneren Sinnes in der Anthropologie bezeichnet Kant diesen als „Bewußtsein […] was er [der Mensch] leidet, wiefern er durch sein eignes

 Allison 1983, S. 267. https://doi.org/10.1515/9783110743364-006

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Gedankenspiel afficirt wird“ (Anth 7:161). Im Aufsatz Loses Blatt Kiesewetter scheint Kant anzunehmen, dass der reine Gedanke den inneren Sinn affiziert.²⁹² Hierdurch nimmt das Subjekt seine „innere[n] Akzidenzen“ wahr, die nichts anderes als „ein Denken, oder mit diesem analogisch [sind]“ (A265/B321). Er scheint nicht auszuschließen, dass andere spontane Denkakte als die Synthesis der transzendentalen Einbildungskraft den inneren Sinn affizieren. Meines Erachtens müssen die Schritte der Zeitbestimmung präzise untersucht werden, um die Struktur und den Prozess der Selbstaffektion zu klären und somit auch die zu Beginn dieses Abschnitts genannte erste Frage zu beantworten.

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten 3.1.1 Einführung In diesem Kapitel wird eine Interpretation der Selbstaffektion vorgestellt. Hierbei wird argumentiert, dass zwei verschiedene Aktivierungen des inneren Sinnes in der Entstehung der Erfahrung stattfinden. In verschiedenen Aktivierungen wirken unterschiedliche spontane Handlungen des Verstandes auf die Rezeptivität des inneren Sinnes, wodurch auch verschiedene Produkte hervorgebracht werden. Die relevanten Thesen zur Selbstaffektion lassen sich wie folgt herausstellen: (SA1) Die (transzendentale) Synthesis der Einbildungskraft organisiert das Mannigfaltige des äußeren Sinnes gemäß den mathematischen Kategorien; dabei affiziert sie den inneren Sinn zum ersten Mal. Man hat durch den inneren Sinn ein unbestimmtes Bewusstsein seines inneren Zustands: Man nimmt eine Serie äußerer Wahrnehmungen (d. h., eine Folge räumlicher ‚Bilder‘) in der Art wahr, dass sie sukzessiv erscheinen. Die objektive Zeitordnung dieser Folge äußerer Wahrnehmungen ist noch nicht bestimmt. Sowohl die objektive Zeitordnung der äußeren Ereignisse als auch die objektive Zeitordnung der inneren Ereignisse bleiben unbestimmt. (SA2) Die (transzendentale) Synthesis der Einbildungskraft gemäß den relationalen Kategorien wird auf das Produkt der ersten Selbstaffektion angewendet. Dadurch wird die objektive Zeitordnung der äußeren Ereignisse bestimmt. Dies ermöglicht eine Bestimmung der objektiven Zeitordnung der inneren Zustände,

 Siehe Abschnitt 1.7.

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

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d. h., man nimmt seine inneren Zustände so wahr, dass ihre objektiven Zeitverhältnisse bestimmt werden. Die erste Selbstaffektion findet in der Aufnahme des Mannigfaltigen des äußeren Sinnes oder, genauer gesagt, im „Durchlaufen“ (A99) der Sinnesdaten statt. Das Produkt der Apprehension ist eine Folge von Wahrnehmungen, die so eingeordnet sind, wie sie dem Subjekt gegeben wurden. Der affizierende Akt ist die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft gemäß den mathematischen Kategorien, die in diesem Stadium auf das Mannigfaltige des äußeren Sinnes wirkt. Diese Selbstaffektion liegt dem inneren Sinn in seiner ersten Aktivierung zugrunde. Das Produkt dieser Selbstaffektion ist die subjektive Folge der Wahrnehmungen. Dies bedeutet, dass das Subjekt verschiedene Wahrnehmungen nacheinander erlebt. Die objektive Zeitrelation dieser bleibt in der Apprehension noch unbestimmt.²⁹³ Die erste Selbstaffektion ist dafür maßgeblich, dass die Sinnesdaten phänomenal bewusst sind und überhaupt in einer Relation der Abfolge stehen. Die zweite Selbstaffektion geschieht in der synthetischen Bearbeitung der subjektiven Folge der Wahrnehmungen durch die transzendentale Einbildungskraft nach den relationalen Kategorien. Das Produkt dieser Synthesis ist die bestimmte Zeitordnung der Erscheinungen. Dies bedeutet, dass die objektiven Zeitrelationen der Zustände der Dinge oder Ereignisse in der zweiten Selbstaffektion bestimmt werden. Infolgedessen wird auch die objektive Zeitrelation der Wahrnehmungen bestimmt. Das Produkt dieser Selbstaffektion ist dementsprechend das zeitlich bestimmte Bewusstsein der äußeren sowie dasjenige der inneren Erfahrung. Bevor ich eine ausführliche Begründung für die obige Interpretation vorlege, werde ich die einflussreichste Interpretation des inneren Sinnes von Georg Mohr skizzieren. Seine Interpretation ist repräsentativ dafür, wie in der Forschung Kants Lehre des inneren Sinnes ausgelegt wird.

3.1.2 Ein rezeptiv gegebenes Mannigfaltiges? Die am meisten zitierte, somit quasi die ‚Standardinterpretation‘ des inneren Sinnes stellt Mohr in seinem Buch Das sinnliche Ich (1991) vor. Laut seiner Analyse sei das Affizierende die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, die auf ein bereits gegebenes Mannigfaltiges des äußeren Sinnes wirkt. Analog zum äu-

 Dies ist die sogenannte ‚Unbestimmtheit der objektiven Zeitordnung‘, die in der Zweiten Analogie der KrV thematisiert wird (siehe Thöle 1998).

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Kapitel 3: Selbstaffektion

ßeren Sinn liefere der innere Sinn durch die Selbstaffektion neue empirische Materialien, die weiteren synthetischen Operationen des Verstandes zur Verfügung stünden. Diese synthetische Operation verarbeiteten die neuen Materialien zur Selbsterkenntnis oder zum Begriff der Zeit. Mohrs Interpretation des Begriffs des inneren Sinnes lässt sich wie folgt zusammenfassen²⁹⁴: 1) Die gegenstandskonstruierenden Verstandeshandlungen der Synthesis (der produktiven Einbildungskraft) bestimmen das Mannigfaltige des äußeren Sinnes gemäß den Kategorien und bringen dieses in eine Beziehung auf einen Gegenstand. 2) Der innere Sinn wird von der Folge der Verstandeshandlungen affiziert. 3) Der Verstand bezieht sich, indem er von den resultierenden empirischen Materialien der Affektion des inneren Sinnes abstrahiert, bloß auf den formalen Aspekt dieser Affektion: die Sukzessivität. Durch eine derartige Verstandesleistung wird dann der Begriff der Sukzession hervorgebracht. Der Verstand verbinde gemäß den Kategorien das Mannigfaltige des äußeren Sinnes. Im Verlauf der Bestimmung der empirischen Rohmaterialien affiziere er den inneren Sinn sukzessiv und generiere auf diese Weise neue empirische Materialien. Diese Materialien könne er erneut synthetisieren, um den Begriff der Sukzession herzustellen (Nakano 2011: 206). Die Interpretationsannahmen (2) und (3) scheinen an sich unproblematisch zu sein, anders ist dies bei Annahme (1). Nakano (2011) kritisiert die Annahme eines unabhängig von der Selbstaffektion gegebenen Mannigfaltigen des äußeren Sinnes, das rudimentär zeitlich ist.²⁹⁵ Mohr vertrete laut Nakano die Ansicht, dieses von der Selbstaffektion vorausgesetzte Mannigfaltige sei zeitlich, obwohl es noch nicht in eine einheitliche Zeitordnung gebracht worden sei. Die Aufnahme des sinnlichen Mannigfaltigen des äußeren Sinnes – d. h. das Gegebenwerden dieser Sinnesdaten – sei nämlich nicht auf die Spontaneität des Verstandes angewiesen, während die einheitliche Zeitordnung der Erfahrung nicht rezeptiv gegeben werden könne. Folglich werde dieses zeitliche Mannigfaltige isoliert gegeben und habe keinen Bezug zur Einheit der Zeit. Diese Einheit solle die Ausübung der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft herstellen, und

 Mohr 1991, S. 168 – 171. Bei dieser Zusammenfassung bin ich wesentlich auf Nakano (2011) angewiesen.  Für einen ähnlichen Standpunkt siehe Longuenesse 1998, S. 37.

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

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der innere Sinn werde von dieser Synthesis zum ersten Mal affiziert. Mohrs These scheint durch Kants Aussage belegt zu sein: Das Bewußtsein seiner selbst (Apperception) ist die einfache Vorstellung des Ich, und wenn dadurch allein alles Mannigfaltige im Subject selbstthätig gegeben wäre, so würde die innere Anschauung intellectuell sein. Im Menschen erfordert dieses Bewußtsein innere Wahrnehmung von dem Mannigfaltigen, was im Subjecte vorher gegeben wird, und die Art, wie dieses ohne Spontaneität im Gemüthe gegeben wird, muß um dieses Unterschiedes willen Sinnlichkeit heißen. (B68, H. d. V.)

Es lohnt sich, eine neue, repräsentative Lesart von Nakano (2011) zu analysieren. Ihm zufolge sei die These des lediglich rezeptiv gegebenen Mannigfaltigen, das zur Operation der transzendentalen Einbildungskraft bereitliege, grundlegend falsch. Nakano bemängelt Mohrs Unterscheidung der Zeitlichkeit des lediglich rezeptiv aufgenommenen Mannigfaltigen und der synthetisch organisierten einheitlichen Zeitordnung.²⁹⁶ Nach Nakano sei die Annahme der Zeitlichkeit des vor der Operation der transzendentalen Synthesis rezeptiv Gegebenen, wie Mohr es darstellt, sehr problematisch. Diese Zeitlichkeit zeichne sich gegenüber der synthetisch organisierten einheitlichen Zeitordnung durch zwei Charakteristika aus: Erstens fehle es der Zeitlichkeit an „einheitlicher Ordnung“ und zweitens solle „jeder Augenblick […] ein isoliertes Jetzt ohne Beziehung zu anderen Augenblicken“ sein (Nakano 2011, S. 217). Die erste Annahme einer nicht synthetisierten Uneinheitlichkeit der Zeit widerspreche Kants Erörterungen der Zeit:

 Mit der Zeitlichkeit des Mannigfaltigen, die die Einordnung durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft erfordert, ist das Bewusstsein der Zeitordnung der Vorstellungsakte des derartigen Mannigfaltigen gemeint. Es wird nicht behauptet, dass das sinnliche Mannigfaltige in seinem repräsentationalen Gehalt Zeitlichkeit aufweist und dass diese durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft organisiert wird. Man kann sich einen bestimmten Zeitpunkt vorstellen, z. B. den Eintritt eines bestimmten Ereignisses zu einer bestimmten Zeit. Dies ist aber nicht das Zeitbewusstsein, das uns interessiert, wenn behauptet wird, dass alle Vorstellungen, die dem inneren Sinn zugehören (A177/B220), die Zeit als ihre Form haben und gemäß den Kategorien in einer zeitlichen Einheit geordnet werden müssen. Was durch die transzendentale Zeitbestimmung in eine einheitliche Ordnung gebracht wird, ist das Zeitbewusstsein in der Vorstellung der Vorstellungsakte selbst. Der Zweiten Analogie zufolge wandelt der Verstand die subjektive Sukzession in eine objektive Folge um. Die subjektive Sukzession ist die unorganisierte Zeitrelation des empirischen Mannigfaltigen, die die transzendentale Bestimmung der Einbildungskraft erfordert. Sie ist gerade das Zeitbewusstsein der Vorstellung der Vorstellungsakte. Der Begriff der allumfassenden Zeitlichkeit bezieht sich auf das Bewusstsein der Zeitordnung der Vorstellungsakte: „Ich kann zwar sagen: meine Vorstellungen folgen einander; aber das heißt nur, wir sind uns ihrer, als in einer Zeitfolge, d. i. nach der Form des inneren Sinnes, bewußt“ (A37/B54 Anm.).

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Verschiedene Zeiten sind nur Theile eben derselben Zeit. (A31– 32/B47) [A]lle bestimmte Größe der Zeit [ist] nur durch Einschränkung einer einigen zum Grund liegenden Zeit möglich. Daher muß die ursprüngliche Vorstellung Zeit als uneingeschränkt gegeben sein. (A32/B47– 48).

Nakano zufolge könne die Form des im inneren Sinn Gegebenen der Einheit nicht entbehren. Die zweite Annahme, dass es eine rudimentäre Zeitlichkeit gebe, die „[d]as Nacheinander augenblicklicher und sich wechselseitig ausschließender Präsenzen“ darstelle, ohne dass „die einzelnen Fälle als Teile der einen Zeit ausfüllend und insofern als bestimmte Sukzession begriffen würden“, sei ebenfalls problematisch (Nakano 2011, S. 192). Denn isolierte Zeitpunkte ergäben kein ‚Nacheinander‘. Damit fiele die Sukzessivität aus, die gerade die wesentliche Eigenschaft der Zeit sei. Diese rudimentäre Zeitlichkeit sei nach Nakano unbegründet, weil die Zeitlichkeit wesentlich mit der Spontaneität des Verstandes verbunden sei. Die Zeit sei nach Kant „die Art […], wie das Gemüt durch eigene Tätigkeit […] affiziert wird“ (B67– 68). „Ohne Synthesis der Apprehension würden wir die Vorstellung der Zeit a priori nicht haben“ (A99). Ein Mannigfaltiges könne nicht ohne Beteiligung der Tätigkeit des Subjekts als etwas Zeitliches gegeben sein. Nach Nakano sei somit jegliche Zeitlichkeit bei ihrer Erzeugung schon durch die Synthesis organisiert und stehe in einer einheitlichen Ordnung. Nakano sieht keinen anderen Ausweg, als Mohrs grundlegende Annahme zu verwerfen, dass das Mannigfaltige unabhängig von der Selbstaffektion rein rezeptiv gegeben sei. Denn wenn die rudimentäre Zeitlichkeit, wie gezeigt, problematisch sei, müsse man annehmen, dass das rein rezeptiv gegebene Mannigfaltige nicht zeitlich sei. Jedoch sei diese Annahme problematisch, weil ein derartiges Mannigfaltiges weder durch die direkte Beobachtung noch durch einen logischen Schluss zu bestätigen sei und damit zur „transzendentalen Psychologie“ gehöre (Nakano 2011, S. 218). Es bleibe somit eine Annahme, und seine Bedeutung für die Erfahrung könne nicht bewiesen werden. Zudem könne ein nichtzeitliches Mannigfaltiges nicht im inneren Sinn, dessen Form die Zeit sei, gegeben werden. Es bleibe nur die Annahme, dass es weder zum inneren Sinn noch zeitlich geordnet, sondern bloß gemäß der Form des Raumes gegeben sei. Letztere Alternative sei auch nicht haltbar, denn die Zeit sei die formale Bedingung a priori aller Erscheinungen (A34/B50), und der innere Sinn sei der „Inbegriff aller Vorstellungen“ (A177/B220). Nakano kommt zu dem Schluss, dass das Mannigfaltige, das zur Bearbeitung durch die transzendentale Synthesis bereitsteht, nicht nur zeitlich sein, sondern auch bei der Aufnahme bereits gemäß den Kategorien in einer einheitlichen Zeitordnung synthetisiert werden müsse. Es gebe kein Mannigfaltiges des inneren Sinnes, das rein rezeptiv gegeben sei.

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

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Nakanos Diagnose von Mohrs Annahme lässt sich wie folgt zusammenfassen: Ein rein rezeptiv gegebenes Mannigfaltiges im inneren Sinn gebe es nicht. Falls ein Mannigfaltiges rein rezeptiv gegeben wäre, könnte es nur eine Zeitlichkeit aufweisen, die durch fehlende Einheit und isolierte Zeitpunkte gekennzeichnet und folglich problematisch wäre. Dieses Mannigfaltige müsse zeitlich sein, da es im inneren Sinn vorliege. Es bleibe somit nur eine Möglichkeit: bereits bei seiner Aufnahme in den inneren Sinn – d. h. beim Gegebenwerden – wird das Mannigfaltige gemäß den Kategorien synthetisiert und vereinheitlicht. Meines Erachtens ist Nakanos Diagnose scharfsinnig und aufschlussreich, weil er auf einen leicht vernachlässigten Sachverhalt hinweist, dass ein Mannigfaltiges, wenn es im inneren Sinn gegeben ist, zeitlich und nicht allein ein Produkt der Sinnlichkeit sein kann. Denn die Zeitlichkeit ist immer mit dem inneren Sinn, der Selbstaffektion und damit der Selbsttätigkeit verbunden. Der springende Punkt von Mohrs Annahme ist die Zeitlichkeit vor aller Spontaneität, die zum Gehalt des empirischen Mannigfaltigen gehört. Nach Kant gehört die Zeitlichkeit jedoch nicht zu diesem Gehalt (A30/B46), sondern ist die sinnliche Form der empirischen Anschauung der spontanen Handlungen, die dieses Mannigfaltige bearbeiten (siehe Fußnote 296). Nakanos Diagnose und Lösungsvorschlag sind jedoch falsch, weil er eine passendere interpretative Alternative verkannt hat: Der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft liegt doch ein rein rezeptiv gegebenes Mannigfaltiges vor, und es gehört weder zum inneren Sinne noch ist es zeitlich. Nakano stützt seine Kritik auf zwei Säulen, die beide jedoch unbegründet sind. Erstens setzt er, ohne dass dies explizit ausgeführt wird, voraus, dass ‚gegeben‘ identisch mit ‚in den inneren Sinn aufgenommen‘ sei (Nakano 2011, S. 213) und folglich zeitlich sein muss. Zweitens behauptet Nakano, dass die Apprehension gerade den Prozess der Aufnahme des Mannigfaltigen in den inneren Sinn darstelle (Nakano 2011, S. 221– 222). Die erste These ist schlicht falsch. Die zweite ist zwar richtig, steht aber in keinem Zusammenhang mit dem ‚Gegebenwerden‘ des Mannigfaltigen. Laut Nakano sei ‚gegeben‘ deswegen identisch mit ‚in den inneren Sinn aufgenommen‘, da es keine Vorstellungen gebe, die nicht zum inneren Sinn gehörten, und das empirisch gegebene Mannigfaltige dennoch Vorstellungen seien, wenn auch nicht synthetisierte Vorstellungen. Wenn diese Gleichsetzung wahr wäre, könnte man ohne Weiteres schließen, dass das empirisch gegebene Mannigfaltige zeitlich ist, denn die Form des inneren Sinnes ist zeitlich. Bei genauer Analyse ist diese Gleichsetzung jedoch falsch. Eine empirische Vorstellung in den inneren Sinn aufzunehmen bedeutet, wie bereits demonstriert, dass man sich dieser auch apperzeptiv bewusst wird. Der bloße Begriff des Gegebenwerdens des empirischen Mannigfaltigen impliziert nicht, dass man sich des Mannigfaltigen auch apperzeptiv bewusst sein bzw. es in den inneren Sinn aufnehmen muss.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Unter terminologischen Gesichtspunkten gilt Folgendes: Eine Vorstellung ist genau dann gegeben, wenn der Gehalt dieser nicht vom Subjekt erzeugt wird. Kant stellt nämlich generell das Gegebenwerden dem Gedachtwerden gegenüber; im Gegensatz zu Ersterem generiert das Gemüt bei Letzterem den repräsentationalen Gehalt spontan. Das ‚Gegebene‘ bezieht sich auf das „Material“ oder „das Datum zu denken“ (BDG 2:78), welches durch keine spontane Tätigkeit des Subjekts bewirkt werden kann. Das Gegebenwerden ist mit der Sinnlichkeit, dem inneren Sinn und somit dem apperzeptiven Bewusstsein nicht notwendigerweise begrifflich verbunden.²⁹⁷ Als Produkt der reinen Rezeptivität – d. h. völlig ohne Auswirkung der Spontaneität – ist das empirisch gegebene Mannigfaltige nicht im inneren Sinn, weil der innere Sinn Selbsttätigkeit voraussetzt. Alle im inneren Sinn gegebenen Vorstellungen sind dadurch generiert, dass dieser durch Selbsttätigkeit affiziert wird. Hieraus ist zu schließen, dass das Gegebenwerden des empirischen Mannigfaltigen eine rein rezeptive Entstehungsweise der Vorstellungen bedeutet, was nicht unbedingt ein apperzeptives Bewusstsein durch den inneren Sinn impliziert. Um die These zu begründen, dass das Gegebenwerden der empirischen Vorstellungen synthetische Leistungen und damit auch Selbstaffektion voraussetzt, macht Nakano auf die Konstruktion der formalen Zeitanschauung als Bedingung der Wahrnehmungen und mithin der Erfahrung als verknüpfter Wahrnehmungen aufmerksam (B161 f.). Ihm zufolge setze diese Konstruktion die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft voraus. Er verweist auf § 26 der Transzendentalen Deduktion (darunter besonders auf den Absatz B160 – 161): Die Synthesis der Apprehension verbindet das empirische Mannigfaltige zu einer Anschauung. In diesem Prozess muss die Apprehension gemäß der Form der Anschauung (Raum und Zeit) vorgehen. Da Raum und Zeit selbst einheitliche

 In Jäsche Logik stellt Kant dem Gegebenwerden das Gemachtwerden gegenüber. Damit sind mit dem „Gegebenen“ diejenigen Vorstellungen gemeint, deren Gehalte nicht durch das Subjekt spontan bewirkt sind. Zum Beispiel sagt Kant „Gegebene (a priori oder a posteriori) und gemachte Begriffe. Alle Begriffe sind der Materie nach entweder gegebene (conceptus dati) oder gemachte Begriffe (conceptus factitii). Die ersteren sind entweder a priori oder a posteriori gegeben. Alle empirischen oder a posteriori gegebenen Begriffe heißen Erfahrungsbegriffe, a priori gegebene, Notionen“ (Log 9:93). Am a priori gegebenen Begriff wird deutlich, dass das Gegebenwerden nicht notwendigerweise mit der Sinnlichkeit bzw. dem inneren Sinn begrifflich verbunden ist. An einer Stelle der KrV spricht Kant von solchen Begriffen: „a priori gegebener Begriffe […] z. B. Substanz, Ursache, Recht, Billigkeit etc.“ (A728/B756). Er behauptet, dass in a priori gegebenen Begriffen „viele dunkele Vorstellungen enthalten“ (A728/B756) sein können. Das ist ein Beleg dafür, dass gegebene Vorstellungen dunkel – d. h. nicht apperzeptiv bewusst bzw. nicht Gegenstand des inneren Sinnes – sein können. Zum Begriff ‚gegeben‘ siehe auch A19/B33; BDG 2:78; Heinz 2015, S. 698.

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

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Anschauungen sind, müssen sie zuerst aus dem eventuell zerstreut gegebenen reinen Mannigfaltigen konstruiert werden, damit sie die Bedingung der Einheit der empirischen Anschauung sein können. Nach Nakano verstehe Mohr diese Konstruktion wie folgt: Das empirische Mannigfaltige werde zuerst rein rezeptiv im inneren Sinn gegeben. Es weist eine rudimentäre Zeitlichkeit auf. Das heißt, die reinen zeitlichen Entsprechungen dieses Mannigfaltigen würden auf eine rudimentäre Weise mit ihm im inneren Sinn gegeben sein. Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft organisiere dieses reine Mannigfaltige und bringe es in eine einheitliche Zeitordnung. Daraus entstehe die formale Anschauung der Zeit als Gegenstand. Nakano zufolge sei Mohrs Interpretation verfehlt, weil das reine und das empirische Mannigfaltige schon im Zuge des Gegebenwerdens durch die Synthesis der Einbildungskraft zu einer einheitlichen Anschauung verarbeitet würden: Während das Gegebenwerden der empirischen Anschauung die Synthesis der Apprehension voraussetze, setze das der reinen Anschauung die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft voraus. Nakano zitiert zwei Stellen als Belege: In der Folge (§ 26) wird aus der Art, wie in der Sinnlichkeit die empirische Anschauung gegeben wird, gezeigt werden, daß die Einheit derselben keine andere sei, als welche die Kategorie nach dem vorigen § 20 dem Mannigfaltigen einer gegebenen Anschauung überhaupt vorschreibt […]. (B144– 145). Denn da durch sie (indem der Verstand die Sinnlichkeit bestimmt) der Raum oder die Zeit als Anschauungen zuerst gegeben werden, so gehört die Einheit dieser Anschauung a priori zum Raume und der Zeit und nicht zum Begriffe des Verstandes (§ 24). (B161 Anm., § 26)

Nakano übersieht, dass es in diesen Passagen (sowie auch in anderen) nicht um das Gegebenwerden des zur Verarbeitung stehenden Mannigfaltigen, sondern eher um die Bedingung der aus dem Mannigfaltigen zusammengesetzten (empirischen oder reinen) Anschauung geht. Für das Bewusstsein einer Anschauung sind synthetische Leistungen erforderlich, weil das Mannigfaltige der Anschauung in einer Einheit stehen und einen Gegenstandsbezug haben muss. Das steht außer Frage und stellt eine der bedeutsamsten Thesen der Transzendentalen Deduktion dar. Im Gegensatz dazu bleibt die Frage angesichts der beiden zitierten Stellen offen, ob das bloße Gegebenwerden des Mannigfaltigen die synthetische Leistung voraussetzt oder ob es ein rein rezeptiv gegebenes Mannigfaltiges vor der Erzeugung der Anschauung gibt. Nakano (2011, S. 222) unterscheidet das Gegebenwerden des Mannigfaltigen (d. h. das Aufnehmen des Mannigfaltigen in das Gemüt) und das Gegebenwerden der empirischen Anschauung (d. h. das Aufnehmen des Mannigfaltigen in den inneren Sinn) fälschlicherweise nicht, wäh-

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Kapitel 3: Selbstaffektion

rend diese Unterscheidung in Kants Ausführungen ersichtlich ist.²⁹⁸ Außerdem ist eine andere Unterscheidung zu beachten: Das Gegebenwerden des empirischen Mannigfaltigen im inneren Sinn impliziert, dass das Subjekt sich der Vorstellung dieses Mannigfaltigen auch bewusst ist, denn der innere Sinn erzeugt die empirische Anschauung des inneren Zustands. Im Gegensatz dazu setzt das Gegebenwerden des empirischen Mannigfaltigen im Gemüt ein solches empirisches Bewusstsein des eigenen Zustands gar nicht voraus. Nun stellt sich die Frage, ob ein rein rezeptiv gegebenes Mannigfaltiges theoretisch notwendig ist. Ein einfaches Argument unterstützt diese Auffassung. Wie aus A99 f. sowie B160 ersichtlich ist, ist es die Synthesis der Apprehension, die das Mannigfaltige ‚durchläuft‘, in einer Anschauung zusammennimmt und das empirische Bewusstsein von ihr erwirkt. Kant spricht vom Mannigfaltigen, mit dem die Synthesis der Apprehension operiert – schließlich verlangt eine Synthesis per definitionem Sinnesdaten, die sie verarbeitet. Nun kann dieses Mannigfaltige, das die Synthesis der Apprehension bearbeitet, nicht ein Produkt des inneren Sinnes sein, weil der innere Sinn erst durch die Synthesis der Apprehension affiziert wird. Wird es dennoch als ein Produkt des inneren Sinnes betrachtet, muss eine weitere Selbstaffektion durch einen synthetischen Akt postuliert werden, aus der dieses Mannigfaltiges produziert wird. Dieser synthetische Akt findet sich an keiner Stelle in der theoretischen Konstellation der KrV. Folglich muss dieses Mannigfaltige allein durch den äußeren Sinn, d. h. rein rezeptiv, entstehen. In der Tat impliziert der Begriff der Selbstaffektion in der Apprehension, die mit dem inneren Sinn wesentlich verbunden ist, ein rein rezeptiv Gegebenes.²⁹⁹ Denn die Selbstaffektion in der Apprehension wird durch die Synthesis der Apprehension erwirkt. Um kein rein rezeptiv Gegebenes zu postulieren, kann mit Nakano behauptet werden, dass erst durch Selbstaffektion das empirische Mannigfaltige gegeben wird. Das Gegebenwerden des Mannigfaltigen ist folglich die Wirkung der Selbstaffektion. Wäre dies tatsächlich so, wäre schwer zu erklären, worauf die Synthesis der Apprehension, die die Selbstaffektion veranlasst,³⁰⁰ überhaupt ausgeübt wird. Dies kann nicht das empirische Mannigfaltige sein, weil es erst nach der Selbstaffektion zu erwarten ist. Nakano verkennt, dass die Synthesis und die Selbstaffektion zwei Seiten derselben Medaille sind – d. h., es handelt sich bei ihnen um denselben Prozess; eine Seite davon, die Synthesis, verlangt die Verarbeitung eines rein rezeptiven Mannigfaltigen.  Siehe B161 Anm.  Hier betrachten wir allein die Selbstaffektion in der Apprehension, da die Selbstaffektion durch andere Denkakte – falls es eine solche gibt – mit einem empirischen Mannigfaltigen nichts direkt zu tun hat.  Siehe B68.

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

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Nakanos Auslegung ist somit sowohl sachlich als auch textuell nicht hinreichend begründet. Im Gegenteil erwähnt Kant die Existenz eines solchen Mannigfaltigen explizit: „[D]as Mannigfaltige [müsse] für die Anschauung noch vor der Synthesis des Verstandes, und unabhängig von ihr, gegeben sein“ (B145). Zugunsten Nakanos könnte eingewendet werden, dass die Unterscheidung der Leistung des Verstandes und derjenigen der Sinnlichkeit in dem Zitat aus B145 bloß aus einer epistemologischen Betrachtung resultiere und keine metaphysische Implikation habe. In der Tat seien der Verstand und die Sinnlicheit als zwei Aspekte desselben Erkenntnisvermögens voneinander untrennbar, und sie müssten in einem Zug ausgeübt werden. Daher gebe es kein rein rezeptiv Gegebenes als Zwischenprodukt zwischen den beiden. Bei genauer Analyse impliziert Kants Lehre der Synthesis der Apprehension allerdings die Existenz des rein rezeptiv gegebenen Mannigfaltigen. Wenn man die Struktur der Apprehension betrachtet, ist ersichtlich, dass die Annahme eines rein rezeptiv Gegebenen unvermeidbar ist:³⁰¹ (1) Jede Anschauung enthält ein Mannigfaltiges in sich, welches doch nicht als ein solches vorgestellt werden würde, wenn das Gemüth nicht die Zeit in der Folge der Eindrücke auf einander unterschiede: denn als in einem Augenblick enthalten kann jede Vorstellung niemals etwas anderes als absolute Einheit sein. (2) Damit nun aus diesem Mannigfaltigen Einheit der Anschauung werde (wie etwa in der Vorstellung des Raumes), so ist erstlich das Durchlaufen der Mannigfaltigkeit und dann die Zusammennehmung desselben nothwendig, welche Handlung ich die Synthesis der Apprehension nenne, (3) weil sie gerade zu auf die Anschauung gerichtet ist, die zwar ein Mannigfaltiges darbietet, dieses aber als ein solches und zwar in einer Vorstellung enthalten niemals ohne eine dabei vorkommende Synthesis bewirken kann. (A99, Nummerierung durch den Verfasser)

In unserem Zusammenhang relevant ist der erste Satz. Demzufolge unterscheidet Kant zwei bewusstseinstheoretische Modi des gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung: Das Mannigfaltige als „in einem Augenblick enthalten“ und das Mannigfaltige „als ein solches vorgestellt“. Im ersten Modus ist das Mannigfaltige „niemals etwas anderes als absolute Einheit“. Kant hat nicht explizit dargelegt, was mit all diesen Formulierungen genau gemeint ist. Der zweite Modus kann jedoch entscheidenden Aufschluss darüber geben. Wörtlich betrachtet, bedeutet ein Mannigfaltiges „als ein solches vorgestellt“ in dem Kontext, dass man sich dessen Vielfalt apperzeptiv bewusst wird. Dies bedeutet wiederum, die einzelnen Details dieses Mannigfaltigen unterscheiden zu können. Denn ein Bewusstsein eines Mannigfaltigen, dessen Details man nicht voneinander unterscheiden kann,

 Liang 2020.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

ist nichts anderes als ein Bewusstsein von undifferenzierter Vielfalt.³⁰² Das Gegenteil davon, ein Mannigfaltiges als ein Mannigfaltiges vorzustellen, entspricht dem genannten ersten Modus: Er besteht darin, das Mannigfaltige als ‚absolute Einheit‘ vorzustellen, d. h. als ein ununterscheidbares Gewirr, das keine Information über die Vielfalt der Details liefert.³⁰³ Es ist ähnlich wie eine flüchtige ‚Momentaufnahme‘ eines empirischen Gegenstands. In dieser kann die Aufmerksamkeit nur wenige Merkmale des Gegenstands erfassen; die übrigen Details des sinnlichen Inputs werden bloß durch die Sinnesorgane aufgenommen, jedoch noch nicht als solche erfasst.³⁰⁴ Die Annahme solcher ‚Momentaufnahmen‘ bzw. flüchtiger Anblicke empirischer Gegenstände ist auch textuell nicht unfundiert. Kant postuliert eine Zwischenstufe der Bearbeitung der empirischen Materialien, die ‚Synopsis‘: Es sind aber drei ursprüngliche Quellen, (Fähigkeiten oder Vermögen der Seele), die die Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung enthalten und selbst aus keinem andern Vermögen des Gemüths abgeleitet werden können, nämlich Sinn, Einbildungskraft und Apperception. Darauf gründet sich 1) die Synopsis des Mannigfaltigen a priori durch den Sinn; 2) die Synthesis dieses Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft; endlich 3) die Einheit dieser Synthesis durch ursprüngliche Apperception. Alle diese Vermögen haben außer dem empirischen Gebrauch noch einen transscendentalen, der lediglich auf die Form geht und a priori möglich ist. Von diesem haben wir in Ansehung der Sinne oben im ersten Theile geredet, die zwei andre aber wollen wir jetzt ihrer Natur nach einzusehen trachten. (A94)

 Auch Longuenesse (1998, S. 38) betont die Bedeutung der Unterscheidung einzelner Bestandteile des Mannigfaltigen. Nach Mohr bedeutet der Begriff der Vorstellung des Mannigfaltigen als ‚absolute Einheit‘, dass die Verhältnisse der Eindrücke nicht bestimmt würden. Das ist jedoch eine bloße Implikation des Begriffs. In erster Linie geht es darum, dass die Eindrücke im ersten Modus der Vorstellung des Mannigfaltigen gar nicht voneinander unterschieden werden können.  Dies kann durch Kants Verwendung des Begriffs ‚absolute Einheit‘ bestätigt werden: „Substantz ist entweder absolute Einheit oder an sich selbst Vielheit: compositum substantiale“ (Refl 17:739). „Dieses kommt daher, weil in der Große überhaupt als Einheit doch noch immer die Moglichkeit liegt, sie als Menge anderer Einheiten anzusehen, und Große keine absolute Einheit enthält“ (Refl 14:59). Ein Ding ist folglich nur dann absolute Einheit, wenn es keine Teile enthält.  Siehe unten. Diese Interpretation löst den von Falkenstein behaupteten Widerspruch: Einerseits behaupte Kant, eine Anschauung enthalte ein Mannigfaltiges, andererseits sei aber eine Anschauung eine absolute Einheit, wenn sie „in eine[m] Augenblick enthalten“ sei (Falkenstein 1995, S. 75). Falkenstein (1995, S. 75 – 76) löst diesen Widerspruch, indem er den ersten Fall als irreal herabstuft. Das ist jedoch nicht zufriedenstellend. Kant will den ersten Fall als Argument für die Notwendigkeit der Apprehension verwenden. Wenn der erste Fall aus einem anderen Grund gar unmöglich wäre, würde dies der Beweiskraft seiner Argumentation für die Funktion der Apprehension erheblich schaden. Falkenstein glaubt nicht an diese Lösung und bietet eine Alternative, die jedoch ebenfalls problematisch ist. Siehe Allison (2015, S. 209) für eine Diagnose von Falkensteins zweiter Lösung.

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

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Die Synopsis operiert nicht nur mit dem Mannigfaltigen a priori, sondern auch mit empirischen Daten. Gemäß 1) ist die Synopsis des Mannigfaltigen das Produkt der Sinnlichkeit; da die drei Vermögen in der Passage isoliert betrachtet werden, muss die Synopsis rein rezeptiv bzw. unabhängig von jeglicher Beteiligung der Spontaneität des Verstandes sein. Dies lässt sich aus dem folgenden Zitat erkennen:³⁰⁵ Wenn eine jede einzelne Vorstellung der andern ganz fremd, gleichsam isolirt und von dieser getrennt wäre, so würde niemals so etwas, als Erkenntniß ist, entspringen, welche ein Ganzes verglichener und verknüpfter Vorstellungen ist. Wenn ich also dem Sinne deswegen, weil er in seiner Anschauung Mannigfaltigkeit enthält, eine Synopsis beilege, so correspondirt dieser jederzeit eine Synthesis, und die Receptivität kann nur mit Spontaneität verbunden Erkenntnisse möglich machen. (A97)

Dass Kant den Begriff der ‚Synopsis‘ nicht genau erläutert, ist wahrscheinlich damit zu erklären, dass der metaphorische Ausdruck ‚Synopsis‘ (die ‚Zusammenschau‘) genügend Hinweise für das richtige Verständnis dieses Begriffs bietet.³⁰⁶ Im Vergleich mit der ‚Synthesis‘ (die ‚Zusammensetzung‘), einer spontanen Handlung, ist die Synopsis die rein rezeptive Aufnahme der Sinnesdaten, in der diese Sinnesmaterialien zwar zusammen in der Sinnlichkeit ‚registriert‘ werden – d. h., ‚zusammengesehen‘ –, jedoch noch in keinen intentionalen Zusammenhang gebracht werden – d. h., noch nicht ‚zusammengesetzt‘ oder durch apperzeptives Bewusstsein erfasst werden. In der Synopsis wird die Aufmerksamkeit höchstens auf eine kleine Teilmenge der jeweils vorhandenen Sinnesmaterialien gerichtet. Die übrigen davon werden nicht durch die Synthesis der Einbildungskraft in der Aufmerksamkeit organisiert (siehe Abschnitt 3.1.4)³⁰⁷ und bleiben in der Sinnlichkeit unverarbeitet. Nebenbei bemerkt, ist es in der heutigen Philosophie des Bewusstseins umstritten, ob das Subjekt sich der Stimuli phänomenal bewusst ist, die außerhalb des Umfanges der Aufmerksamkeit stehen.³⁰⁸ Dies ist auch kein Thema, womit sich Kant und seine Zeitgenossen beschäftigten. Meines Erachtens hat das Subjekt kein empirisches Bewusstsein vom Mannigfaltigen in der Syn Für eine gegenteilige Interpretation siehe z. B. Hoppe 1998, S. 166, oder Carl 1992, S. 145 f. Hier schließe ich mich der Position von Haag (2007, S. 156) an. Die Synopsis ist im Übrigen begrifflich von der Synthesis deutlich zu unterscheiden (A97). Zwar korrespondiert mit ihr nach Kant „jederzeit eine Synthesis, und die Receptivität kann nur mit Spontaneität verbunden Erkenntnisse möglich machen“ (A97). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Synopsis de facto immer mit der Synthesis verbunden ist, da es mentale Zustände gibt, die nicht oder noch nicht als Erkenntnisse im kantischen Sinne gelten.  Siehe auch Haag 2007, S. 155 f.  Die Synthesis der Einbildungskraft wird allein in der Aufmerksamkeit vollzogen. Siehe Dyck 2006, Merrit und Valaris 2017, Liang 2020.  Mole 2011.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

opsis im Sinne eines propositional strukturierten Bewusstseins als Produkt des inneren Sinnes, denn dieses setzt die Apprehension und die Wirkung der Synthesis der Einbildungskraft voraus, die im nicht-aufmerksamen Teil der Synopsis nicht stattfindet.³⁰⁹ Das Subjekt könnte am Rand der Aufmerksamkeit ein schwaches, unstrukturiertes phänomenales Bewusstsein davon haben (gedacht werden könnte an den Begriff ‚Zusammenschau‘).³¹⁰ Die Frage, ob Kant dieser Auffassung zustimmen würde, bleibt offen. Gemäß seiner Ausführung der dunklen Vorstellungen kann das Subjekt auf den nicht aufmerksamen Teil des Mannigfaltigen in der Synopsis jedoch einen subliminalen kognitiven Zugriff haben – im Sinne eines nicht-apperzeptiven Zugriffsbewusstseins.³¹¹ Es ist anzumerken, dass die Sinnesdaten, die in die Synopsis eingetreten sind, aber noch nicht durch die Aufmerksamkeit in den inneren Sinn aufgenommen werden, schon in ‚meinem Gemüt‘ sind, da sie teilweise vom schwachen phänomenalen Bewusstsein begleitet werden können und für kognitive Zugriffe verfügbar sind. Wohlgemerkt ist mit der Metaphor ‚Momentaufnahme‘ kein ‚visual field‘ gemeint, das die darin vereinigten empirischen Qualitäten in der Weise enthält, wie Wolff interpretiert: „a green patch, a red circle, a blue patch and a black pot“.³¹² Die ‚Momentaufnahme‘ kann auch in einer mentalen Repräsentation eines dreidimensionalen Gegenstands bestehen. Die Details des dabei Repräsentierten bleiben vage, sodass wir uns der inneren Vielfalt und Verhältnisse zwischen verschiedenen Elementen dieser Vielfalt nicht apperzeptiv bewusst sind – d. h., das Mannigfaltige ist eine ‚absolute Einheit‘. Im Übrigen ist das Durchlaufen des Mannigfaltigen nicht so zu interpretieren, als nehme die Synthesis der Apprehension die Elemente einer gespeicherten mentalen ‚Momentaufnahme‘ sukzessiv auf. Wir können uns vorstellen, dass unter realen Bedingungen die Sinnlichkeit für längere oder kürzere Zeit die gleiche komplexe Vorstellung (vielleicht auch mit leichten Änderungen) liefert, sodass die Synthesis der Apprehension sie mehrfach durchlaufen kann und muss.³¹³ Wie man diesen Prozess unter realen Bedingungen spezifiziert, ist ein Thema der Psychologie und wird wohl auch deswegen in der B-Auflage der KrV von Kant ausgespart. Es bleibt jedoch außer Frage, dass das erste Produkt der Synthesis der Apprehension ein momentanes Bild des Gegenstands ist, das auf einer von der Sinnlichkeit erbrachten Mo-

 Für gegenteilige Meinung siehe z. B. Haag 2007, S. 155 Anm. 128.  Das Bewusstsein ist nämlich gemäß Kant eine Art ‚Realität‘. Jede Realität hat eine Größe, die sich von null bis beliebig ändern kann (B414 f.).  Über kognitive Zugriffe auf die Sinnesdaten, denen in der Synopsis, obwohl dort gegenwärtig, keine Aufmerksamkeit zuteil wird, siehe Liang 2017.  Wolff 1963, S. 153.  Siehe Grüne 2009, S. 163 Anm. 32.

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

185

mentaufnahme des Gegenstands basiert. Das von der Synthesis der Apprehension erzeugte mentale Bild des Gegenstands ist genau die Vorstellung des Mannigfaltigen „als ein solches“ (A99). Eine Diskussion der Kontroverse über die richtige Auffassung der Apprehension und ihren genauen Vorgang findet sich in Abschnitt 3.1.4. Um vom ersten Modus zum zweiten überzugehen, ist es nötig, dass „das Gemüth […] die Zeit in der Folge der Eindrücke auf einander untersch[eidet]“ (A99). Das menschliche Gemüt ist nämlich kein göttlicher Verstand, der alle Details des Mannigfaltigen zugleich erfassen kann. Es kann Sinnesdaten nur sukzessiv in der Zeit aufnehmen. Diese Aufgabe der sukzessiven Aufnahme erfüllt laut Satz (3) des obigen Zitates aus A99 die Synthesis der Apprehension.Wenn erst durch einen synthetischen Akt das Mannigfaltige im Lauf der Zeit sukzessiv aufgenommen und „als ein solches vorgestellt“ werden kann, lässt sich daraus schließen, dass es ohne diesen Akt nicht in einen zeitlichen Rahmen einzuordnen ist. Mit anderen Worten gesagt, wenn dieses Mannigfaltige nicht durch die Synthesis der Apprehension in den inneren Sinn, dessen Form die Zeit ist, aufgenommen wird und folglich kein Gegenstand der inneren Anschauung ist, kann das Subjekt es auch nicht zeitlich einordnen. Dies führt dazu, dass die Elemente des Mannigfaltigen nicht voneinander unterschieden werden können. Ohne die Synthesis der Apprehension wäre das Mannigfaltige des äußeren Sinnes „eine absolute Einheit“. Nach Kant ist eine Vorstellung unbewusst, wenn das Subjekt sie nicht von anderen unterscheiden kann (Refl 16:80). Folglich ist das Mannigfaltige „als in einem Augenblick enthalten“ eine unbewusste Vorstellung und damit auch nicht vom inneren Sinn begleitet.³¹⁴ Kants Stellungnahme über die Synthesis der Apprehension in der B-Deduktion zeigt ebenfalls, dass die Apprehension mit dem inneren Sinn wesentlich verbunden ist: Zuvörderst merke ich an, daß ich unter der Synthesis der Apprehension die Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer empirischen Anschauung verstehe, dadurch Wahrnehmung, d. i. empirisches Bewußtsein derselben (als Erscheinung), möglich wird. (B160) [Erscheinungen könnten] nicht anders apprehendirt, d. i. ins empirische Bewußtsein aufgenommen werden, als durch die Synthesis des Mannigfaltigen […]. (B202)

Die Synthesis der Apprehension bewirkt somit das empirische Bewusstsein der empirischen Anschauung.Wie bereits ausgeführt, ist das empirische Bewusstsein

 Der Begriff ‚unbewusst‘ bedeutet in dieser Passage, streng genommen‚ ‚nicht durch das apperzeptive Bewusstsein begleitet‘. Zudem bedeutet der Begriff ‚unterscheiden‘ nicht ‚den Unterschied erkennen‘. Zu den theoretischen Komplikationen siehe Liang 2017.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

bei dem menschlichen Gemüt das Bewusstsein des inneren Sinnes, denn jede Episode des Bewusstseins enthält die reine Apperzeption bzw. einen Selbstbezug, sodass das empirische Bewusstsein ein implizites (und eventuell explizites) Bewusstsein davon ist, dass das Ich eine empirische Vorstellung hat – dieses implizite Bewusstsein ist genau ein Produkt des inneren Sinnes. Es lässt sich folgern, dass diejenigen Elemente des Mannigfaltigen, die von der Synopsis, nicht aber der Synthesis der Apprehension erfasst werden, nicht apperzeptiv bewusst bzw. nicht Gegenstände des inneren Sinnes sein können. Daher sind sie noch nicht in einer (subjektiven oder objektiven) zeitlichen Ordnung geordnet. Somit kann man schließen, dass es durchaus ein rein rezeptiv gegebenes Mannigfaltiges gibt, das nicht zeitlich geordnet ist. Es ist nicht zeitlich, da es noch nicht in den inneren Sinn aufgenommen und noch nicht von einem empirischen phänomenalen Bewusstsein begleitet ist. Kurz gesagt, das Gegebenwerden des empirischen Mannigfaltigen ist nicht mit der Aufnahme dessen in den inneren Sinn identisch. Nun gilt es einige mögliche Einwände zu behandeln. Wenn die obige Interpretation korrekt ist, gibt es Vorstellungen, die nicht zum inneren Sinn gehören. Damit stehen einige Bemerkungen von Kant jedoch nicht im Einklang: Der innere Sinn ist „Inbegriff der Vorstellungen“ (A177/B220) oder „die formale Bedingung a priori aller Erscheinungen“ (A34/B50). Meines Erachtens sind solche Bemerkungen unglückliche Formulierungen, die Kants wahre Meinung nicht präzise zum Ausdruck bringen. Denn es gibt Kant zufolge tatsächlich Vorstellungen, die nicht zum inneren Sinn gehören und derer wir uns nicht apperzeptiv bewusst sind, die jedoch zur Aufnahme in den inneren Sinn bereit sind. Dies zeigen die folgenden Passagen deutlich: Wir haben Vorstellungen in uns, deren wir uns auch bewußt werden können. Dieses Bewußtsein aber mag so weit erstreckt, und so genau oder pünktlich sein, als man wolle, so bleiben es doch nur immer Vorstellungen, d. i. innere Bestimmungen unseres Gemüts in diesem oder jenem Zeitverhältnisse. (B242, H. d. V.) Wenn das Vermögen sich bewußt zu werden das, was im Gemüthe liegt, aufsuchen (apprehendiren) soll, so muß es dasselbe afficiren und kann allein auf solche Art eine Anschauung seiner selbst hervorbringen. (B68)

Wie der erste Satz des ersten Zitates zeigt, glaubt Kant, dass es (apperzeptiv) unbewusste Vorstellungen gibt, denn er impliziert, dass wir uns der Vorstellungen in uns gegebenfalls nicht bewusst sind. Der zweite Satz macht deutlich, dass das Bewusstsein einer Vorstellung im ersten Zitat gerade die Vorstellung des inneren Sinnes ist, weil jenes die Gemütszustände in „diesem oder jenem Zeitverhältnisse“ bestimmt und die Vorstellung des inneren Sinnes der Definition zufolge ge-

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

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rade das Bewusstsein der Gemütszustände in der Zeit ist.³¹⁵ Das zweite Zitat demonstriert, dass die empirischen Materialien vor der Apprehension bzw. Selbstaffektion schon in bestimmter Form im Gemüt bereitliegen. Da die Vorstellung des inneren Sinnes die Selbstaffektion voraussetzt, kann im Übrigen der Schluss gezogen werden, dass erst durch die Selbstaffektion eine Vorstellung ins apperzeptive Bewusstsein gelangt. Kants Lehre der dunklen Vorstellungen liefert konkrete Beispiele solcher Vorstellungen.Wie bereits dargestellt, sind solche im Gemüt ‚präsent‘ und können unter Umständen eine unentbehrliche Rolle bei der Erkenntnis spielen, auch wenn das Subjekt sich ihrer bei ihrer Aktivierung nicht bewusst sein mag. Das bedeutet, dass diese Vorstellungen nicht durch den inneren Sinn wahrgenommen werden, denn dieser betrifft gerade die Wahrnehmung unseres inneren Zustands (A107, siehe Kapitel 2). Über den epistemischen Status dieser Vorstellungen wissen wir bereits, dass sie zu ‚meinen Vorstellungen‘ gehören, weil sie in unserem Erkenntnisprozess eine Rolle spielen können (B131 f.). Somit gibt es durchaus ‚meine‘ Vorstellungen im Gemüt, die nicht im inneren Sinn sind. Das Mannigfaltige des äußeren Sinnes in der Synopsis, das noch nicht in der Aufmerksamkeit und somit dunkel ist, besteht gerade aus solchen Vorstellungen.³¹⁶ Anders gesagt: Die Affektion des äußeren Sinnes ist nicht mit jener des inneren Sinnes gleichzusetzen. Die dunklen Vorstellungen des äußeren Sinnes sind Produkt seiner Affektion und repräsentationale Zustände, obwohl sie noch keine Gegenstände des inneren Sinnes sind. Sie werden es, erst nachdem die Synthesis der Apprehension sie durchlaufen hat. Damit sind Nakanos Vorwürfe gegen die Auffassung eines rein rezeptiv Gegebenen, die auf dem Charakter des inneren Sinnes und der Selbstaffektion basieren, verfehlt. Da die dunklen Vorstellungen des äußeren Sinnes nicht oder noch nicht in den inneren Sinn aufgenommen sind, sind sie nicht zeitlich bewusst. So führt auch Nakanos Kritik an der Zeitlichkeit des rein rezeptiv Gegebenen ins Leere. Über die Existenz der dunklen Vorstellungen des äußeren Sinnes wissen wir nämlich auf dem direkten Weg kaum etwas. Noch weniger sind wir in der Lage, sie in die Abfolge der Wahrnehmungen einzuordnen. Kants Annahme solcher Vorstellungen beseitigt den Zweifel, ob es ein gegebenes Mannigfaltiges im oben genannten ersten epistemischen Modus überhaupt gibt. Wenn die obige Interpretation korrekt ist, dann ist der den inneren Sinn beschreibende Ausdruck ‚Inbegriff aller Vorstellungen‘ als ‚Inbegriff aller bewussten Vorstellungen‘ zu verstehen.

 Ein anderer Beweis dieser These findet sich bei Liang 2020.  Mehr dazu siehe Liang 2020.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

3.1.3 Bestimmung des Mannigfaltigen aus dunklen Vorstellungen Zuvor habe ich gegen Nakano argumentiert, dass das Mannigfaltige, das zur Apprehension bereitliegt, rein rezeptiv gegeben ist – d. h. vor und unabhängig von der Aktivierung der (transzendentalen) Synthesis der Einbildungskraft – und dass es sich dabei um ‚dunkle Vorstellungen‘ handelt. Viele Bestandteile dieser These wurden bisher nur erwähnt, nicht jedoch durch textuelle oder sachliche Argumente belegt. Es bleibt daher zu zeigen, dass die Synthesis der Einbildungskraft tatsächlich auf ein derartiges rein rezeptiv gegebenes Mannigfaltige einwirkt, im Verlauf dieser Operation den inneren Sinn affiziert und das Subjekt sich dadurch dieses Mannigfaltigen bewusst wird. Das heißt, der Status als rein rezeptiv gegebenes Mannigfaltiges ist das erste Stadium der Aufnahme der Sinnesdaten in das apperzeptive Bewusstsein. Dies wird im Folgenden schrittweise demonstriert.³¹⁷ Zuerst ist zu beweisen, dass die Apprehension gerade der Prozess der Aufnahme des Mannigfaltigen in den inneren Sinn ist, dem wiederum die Selbstaffektion zugrunde liegt.³¹⁸ Dies wird aus dem folgenden Zitat ersichtlich: [D]ie Zeit [ist] diejenige […], welche a priori allen Wahrnehmungen und deren Verbindung zum Grunde liegt, deren Auffassung (apprehensio) der Art, wie das Subject dadurch afficirt wird, d. i. der Zeitbedingung gemäß ist, indem das sinnliche Ich vom intellectuellen, zur Aufnahme derselben ins Bewußtseyn, bestimmt wird. (FM 20:270)

Diesem Zitat zufolge ist die Apprehension der Wahrnehmungen auch der Prozess der Selbstaffektion und mithin jener Prozess, in dem das Mannigfaltige in den inneren Sinn aufgenommen wird. Die „Synthesis der Apprehension“ ist „die Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer empirischen Anschauung, dadurch Wahrnehmung, d. i. empirisches Bewußtsein derselben (als Erscheinung), möglich wird“ (B160). Kant erklärt das Apprehendieren explizit als „ins empirische Bewußtsein [aufnehmen]“ (B202). Erst damit gelangt das Mannigfaltige ins empirische Bewusstsein, worunter hier das Bewusstsein des inneren Sinnes zu verstehen ist, da das empirische Bewusstsein im menschlichen Gemüt, wie schon argumentiert, einen Selbstbezug enthalten muss und somit das Bewusstsein der inneren (repräsentationalen) Zustände ist. Neben B68, einer der relevantesten Stellen zum inneren Sinn, legt auch die Definition desselben in der Anthropologie

 Für eine vereinfachte Version dieses Beweises siehe Liang 2020.  Dies wird schon in der obigen Ausführung angedeutet, jedoch nicht bewiesen.

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

189

die enge Verbindung zwischen dem inneren Sinn und der Apprehension nahe.³¹⁹ Unabhängig von der terminologischen Komplexität der Passage und dem interpretativen Bedarf, den ein vollständiges Verständnis erfordern würde, scheint zumindest eine Beobachtung unproblematisch zu sein: Der innere Sinn erzeugt das Bewusstsein der Apprehension. Ferner kann eine Stelle in der Zweiten Analogie der Erfahrung diese These bestätigen, an der Kant die Apprehension als „Aufnahme [des Mannigfaltigen] in die Synthesis der Einbildungskraft“ charakterisiert (B235), denn der innere Sinn ist gerade durch diese Synthesis affiziert.³²⁰ Folglich ist die Apprehension der Akt oder Prozess, in dem die Sinnesdaten in den inneren Sinn und in die Synthesis der Einbildungskraft aufgenommen werden. Nun betrachten wir zwei äußerst relevante Passagen: Ich sehe nicht, wie man so viel Schwierigkeit darin finden könne, daß der innere Sinn von uns selbst afficirt werde. Jeder Actus der Aufmerksamkeit kann uns ein Beispiel davon geben. Der Verstand bestimmt darin jederzeit den inneren Sinn der Verbindung, die er denkt, gemäß zur inneren Anschauung, die dem Mannigfaltigen in der Synthesis des Verstandes correspondirt. (B156 – 157 Anm.) [E]s wird dazu erfordert, daß wir den innern Sinn, zum Theil auch wohl bis zum Grade der Beschwerlichkeit, vermittelst der Aufmerksamkeit afficiren. (FM 20:270)

Daraus geht deutlich hervor, dass sich die Selbstaffektion bzw. die Aufnahme des gegebenen Mannigfaltigen in den inneren Sinn in einem Akt der Aufmerksamkeit vollzieht.³²¹ Wenn das gegebene Mannigfaltige in der Apprehension in den in-

 „Wenn wir uns die innere Handlung (Spontaneität), wodurch ein Begriff (ein Gedanke) möglich wird, die Reflexion, die Empfänglichkeit (Receptivität), wodurch eine Wahrnehmung (perceptio), d. i. empirische Anschauung, möglich wird, die Apprehension, beide Acte aber mit Bewußtsein vorstellen, so kann das Bewußtsein seiner selbst (apperceptio) in das der Reflexion und das der Apprehension eingetheilt werden. Das erstere ist ein Bewußtsein des Verstandes, das zweite der innere Sinn; jenes die reine, dieses die empirische Apperception, da dann jene fälschlich der innere Sinn genannt wird“ (7:134 Anm., H. d. V.). In der Anth 7:141 f. verdeutlicht Kant ebenfalls, dass die empirische Apperzeption – d. h. das Bewusstsein des inneren Sinnes – das Bewusstsein des „Ich der Apprehension“ ist.  „Die Einbildungskraft soll nämlich das Mannigfaltige der Anschauung in ein Bild bringen; vorher muß sie also die Eindrücke in ihre Thätigkeit aufnehmen, d. i. apprehendiren“ (A120). Ferner ist auch ein Beleg im Vom Inneren Sinne zu finden: „Nur so fern ich Gegenstände in der Zeit apprehendire und zwar Gegenstände des Raumes bestime ich mein Daseyn in der Zeit“ (VIS, Seite 1). Die Bestimmung des eigenen Daseins in der Zeit findet gerade in der Selbstaffektion statt.  Siehe auch Refl 18:680: „[W]eil wir doch von etwas, allenfals durch Attention von uns selbst afficirt seyn müssen und also alle innere Anschauung passiv ist“. Dyck (2006, S. 41) ist der Meinung, dass die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft mit dem Akt der Aufmerksamkeit identisch sei. Die Aufmerksamkeit sei nicht bloß „the means through which self-affection

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Kapitel 3: Selbstaffektion

neren Sinn aufgenommen ist und dieser im Wirkungsbereich der Aufmerksamkeit affiziert wird, lässt sich daraus schließen, dass sich die Apprehension in der Aufmerksamkeit vollzieht. Diese These kann durch die folgende Passage belegt werden: Man sieht wohl, daß, wenn das Vermögen der Erkenntniß überhaupt Verstand (in der allgemeinsten Bedeutung des Worts) heißen soll, dieser das Auffassungsvermögen (attentio) gegebener Vorstellungen, um Anschauung, das Absonderungsvermögen dessen, was mehreren gemein ist (abstractio), um Begriff, und das Überlegungsvermögen (reflexio), um Erkenntniß des Gegenstandes hervorzubringen, enthalten müsse. (Anth 7:138)

Daraus geht deutlich hervor, dass die Aufmerksamkeit (attentio) die gegebenen Vorstellungen zu einer Anschauung ‚auffasst‘. Dies ist, sachlich betrachtet, der Akt der Apprehension.³²² Im Übrigen ist das Wort ‚Auffassung‘ synonym zur ‚Apprehension‘, wie einige Stellen zeigen (KU 5:189, 192, 251; Anth 7:142). Ein Ergebnis des obigen Abschnitts kommt hinzu. In der Darstellung der Apprehension am Anfang der A-Deduktion behauptet Kant, dass, wenn das Mannigfaltige der Anschauung in „einem Augenblick enthalten“ ist, die Anschauung „nichts anderes als absolute Einheit“ ist und das Mannigfaltige auch nicht „als ein solches vorgestellt“ werden kann (A99). Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei dem Ausdruck „[das] Mannigfaltige […] als in einem Augenblick enthalten“ (A99) nicht um eine irreale Situation, sondern um eine Phase der Entstehung der empirischen Anschauung. Bei dieser handelt es sich um die Synopsis oder die ‚Momentaufnahme‘ des Gegenstands der Anschauung, die viele Details enthält. Das Mannigfaltige einer Anschauung ist eine absolute Einheit, weil das Subjekt dieses Mannigfaltige als Vorstellungen zwar schon in sich hat. Das Subjekt kann jedoch dessen Details nicht voneinander apperzeptiv unterscheiden oder, anders gesagt, nicht als solche identifizieren. Das heißt, das

is witnessed“. Es ist zwar unumstritten und durch die ersten beiden Zitate gut fundiert, dass die Aufmerksamkeit die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft immer enthält. Aber Kant sagt in diesen Zitaten streng genommen nicht, dass diese Synthesis nur in der Aufmerksamkeit stattfindet. Allison (2004, S. 284) ist gegen die Auffassung, dass jeder Akt der Aufmerksamkeit ein Beispiel der Selbstaffektion ist, was sich angesichts der Textbelege als falsch erweist. Er ist der Meinung, dass nur diejenigen Akte der Aufmerksamkeit, die sich auf innere Zustände richteten, Fälle der Selbstaffektion seien. Gemäß meiner Interpretation liefert dagegen auch die Aufmerksamkeit auf äußere Gegenstände eine dunkle Vorstellung des inneren Zustands und stellt somit eine Selbstaffektion dar (s.u.).  Ameriks bemerkt zur Aufmerksamkeit: „A simple act of attention, for example, can involve less than the specific kind of taking that is involved in the synthesis that is judgment, and yet it is not simply an instance of primitive inner sense (B157 n.)“ (Ameriks 2006, S. 56). Seine Lesart läuft der zitierten Textevidenz zuwider.

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

191

Subjekt hat dieses Mannigfaltige gar nicht durchgehend erfasst. Der Grund hierfür kann nur sein, dass es in einem Akt („Augenblick“, A99) nicht alles erfassen kann. Das Verstandesvermögen unterliegt einer Schranke der Aufnahmefähigkeit hinsichtlich der Sinnesdaten, die die Sinnlichkeit liefert.³²³ Das Erfassen der Details gelingt erst, wenn die sukzessive Apprehension das Mannigfaltige ‚zerlegt‘ und nach und nach ‚durchläuft‘. Vor der Apprehension ist das Mannigfaltige bewusstseinstheoretisch nur ein Gewirr von unbestimmten Details. Die Einzelteile dieses Mannigfaltigen sind dunkle Vorstellungen, die zwar schon ins Gemüt – genauer gesagt, in die Sinnlichkeit –, jedoch noch nicht in den inneren Sinn bzw. ins apperzeptive Bewusstsein aufgenommen wurden. Die Aufgabe, diese Details in den inneren Sinn aufzunehmen, führt die Synthesis der Apprehension durch: Damit nun aus diesem Mannigfaltigen Einheit der Anschauung werde (wie etwa in der Vorstellung des Raumes), so ist erstlich das Durchlaufen der Mannigfaltigkeit und dann die Zusammennehmung desselben nothwendig, welche Handlung ich die Synthesis der Apprehension nenne. (A99)

Das ‚Durchlaufen‘ des Mannigfaltigen ist nicht dessen Aufnahme in das Gemüt. Vielmehr spielt die Bedeutung des Wortes ‚Durchlaufen‘ darauf an, dass das Mannigfaltige schon im Gemüt vorhanden ist. Die Apprehension nimmt es nicht ins Gemüt auf, sondern versetzt es als bereits Vorhandenes in einen anderen kognitiven und bewusstseinstheoretischen Modus. Dieser Eindruck wird von einer anderen Stelle in der B-Auflage der KrV bestätigt. Dort bezeichnet Kant den ersten Schritt der Apprehension – der Aufnahme des Mannigfaltigen in das apperzeptive Bewusstsein – auf ähnliche Weise als ‚Durchgehen‘ des Mannigfaltigen: Allein die Spontaneität unseres Denkens erfordert es, daß dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegangen, aufgenommen und verbunden werde, um daraus eine Erkenntniß zu machen. Diese Handlung nenne ich Synthesis. (A77/B102– 103, H. d. V.)

Interessanterweise erwähnt Kant einen weiteren Schritt nach dem ‚Durchgehen‘ des Mannigfaltigen, und zwar die Aufnahme des Mannigfaltigen. Diese kann nichts anderes sein als die Aufnahme in die Synthesis der Einbildungskraft, das apperzeptive Bewusstsein bzw. den inneren Sinn (siehe die zuvor zitierten Passagen in A120 und B235). Wenn diese Analyse korrekt ist, dann muss das Mannigfaltige vor der Aufnahme in den inneren Sinn in gewissem Sinne schon im

 Vgl. Wolff 1963, S. 153– 154; Allison 2015, S. 207, aber nur andeutungsweise.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Gemüt vorhanden sein. Die Aufgabe der Apprehension besteht somit darin, die bereits vorhandenen Details apperzeptiv bewusst zu machen. Wie gezeigt wurde, spielt sich die Apprehension in der Aufmerksamkeit ab. Daraus ist zu schließen, dass die Vorstellungen, die im Gemüt schon vorhanden, aber noch nicht in die Apprehension aufgenommen sind, solche außerhalb der Reichweite der Aufmerksamkeit sind. Diese deckt nur eine kleine Fläche der gesamten Momentaufnahme ab. Folglich muss die Aufmerksamkeit sich auf verschiedene Teile des mentalen Bildes richten, sie muss sich von einem Detail zum anderen bewegen – d. h., das mentale Bild „durchlaufen“ – und so sukzessiv das Mannigfaltige in den inneren Sinn aufnehmen. Diese Interpretation wird von Kants Wortwahl „Durchlaufen“, „Durchgehen“‚ „in einem Augenblick enthalten“ und „absolute Einheit“ unterstützt. Gegenstände außerhalb der Reichweite der Aufmerksamkeit, jedoch innerhalb jener der Sinnesorgane, werden von Kant als dunkle Vorstellungen bezeichnet.³²⁴ Es gibt auf dem Weg der Sinnesdaten ins apperzeptive Bewusstsein eine Zwischenstufe zwischen ‚in der Aufmerksamkeit‘ und ‚die Sinnesorgane gar nicht affiziert‘. Wie Kant im Beispiel des improvisierenden Musikers zum Ausdruck bringt (B415 Anm.; Anth 7:136), sind alle Töne, auf die dieser nicht geachtet hat, bereits in seinem Gemüt, obwohl er wegen der Einschränkung der Aufnahmefähigkeit des apperzeptiven Vermögens nicht alle in den inneren Sinn bzw. in das apperzeptive Bewusstsein aufnehmen kann. Mit einem Wort gesagt, das empirische Mannigfaltige durchläuft eine Vorstufe der Apprehension, nämlich in

 Grüne (2009, S. 159 – 160) deutet zurecht darauf hin, dass die Funktion der Apprehension nicht darin bestehe, eine klare Anschauung deutlich zu machen. Dies würde nämlich implizieren, dass nicht klare, sondern deutliche Anschauungen eine Einheit bilden könnten, da in der Apprehension „aus diesem Mannigfaltigen Einheit der Anschauung werde (wie etwa in der Vorstellung des Raumes)“ (A99). Dass nur deutliche Anschauungen eine Einheit bilden, ist laut Grüne unangemessen. Mit Blick auf weitere Textindizien (A99, 102, B160, 202) zieht sie den Schluss, dass die Apprehension in der Tat dafür verantwortlich sei, dass eine klare, bewusste Anschauung mit ihrer Einheit überhaupt erst gebildet bzw. erzeugt werde (Grüne 2009, S. 160). Grüne liegt insofern richtig, als es vor der Apprehension keine klare Anschauung gibt und es folglich unzutreffend ist zu sagen, dass die Apprehension eine klare Anschauung deutlich macht. Grüne verkennt jedoch Folgendes: Wenn das Mannigfaltige einer Anschauung in einem bestimmten Maß – z. B., x von allen Elementen des Mannigfaltigen, da aufgrund der Kontinuität des Raumes und der Zeit nicht alle Elemente von der Apprehension gedeckt werden können – durchlaufen und zusammengesetzt wird, wird die Anschauung in entsprechendem Maß deutlich. Somit ist die Apprehension dennoch ein Prozess, eine Anschauung zum gewissen Grad deutlich zu machen. Ich möchte in dieser Arbeit nicht weiter auf dieses Problem eingehen, da meine Argumentation davon unabhängig ist und es allein in der terminologischen Bestimmung der Deutlichkeit der Anschauung besteht. Der Einfachheit halber bezeichne ich die Apprehension als Vorgang, in dem eine dunkle Anschauung bewusst bzw. klar gemacht wird.

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

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Gestalt dunkler Vorstellungen.³²⁵ Die Aufmerksamkeit nimmt empirische Materialien aus dem dunklen Mannigfaltigen und übt synthetische Operationen darauf aus, affiziert dabei den inneren Sinn und macht dieses Material apperzeptiv bewusst bzw. zum Gegenstand des inneren Sinnes. Das Durchlaufen des Mannigfaltigen ist gerade der Prozess, in dem es apperzeptiv bewusst gemacht wird.³²⁶ In der Tat können wir eine weitere Implikation aus diesem Interpretationsmodell ziehen: In einem äußerst zerstreuten Zustand des Subjekts sind die meisten empirischen Daten des äußeren Sinnes dunkle Vorstellungen, die kaum durch synthetische Akte des Verstandes bearbeitet werden. Daher ist das rein rezeptiv Gegebene kein uns völlig fremder mentaler Zustand.

3.1.4 Anhang: Ein Kommentar zu A99 Die Apprehension und ihre Synthesis sind für unser Verständnis des inneren Sinnes unentbehrlich. Kants vage Ausführung diesbezüglich wirft jedoch viele Fragen auf. In der Literatur gibt es zu der Frage, was die Synthesis der Apprehension verbindet, verschiedene Interpretationen. In diesem Kapitel wird diskutiert, welche Interpretation von Kants Aussagen über die Apprehension korrekt ist. Im Kern steht die Frage, wie der vor-apprehensive Status des Mannigfaltigen³²⁷ zu interpretieren ist. Zunächst sollen zwei Interpretationsvorschläge zweier prominenter Kommentatoren analysiert werden. Allison baut seine Interpretation auf dem Begriff „Augenblick“ auf und verweist auf A169 – 170/B211: „[T]he crucial pont is that an instant or moment (ein Augenblick) is a boundary or limit rather that a part of time, just as a point is a boundary or limit rather than a part of space“ (Allison 2015, S. 210). Dementsprechend bemerkt er zum ersten Modus des Mannigfaltigen: „[S] ince, ex hypothesi, an instant or moment is not a part of time nothing is intuited in it, including an absolute unity“. Dieser Lesart zufolge sei in einem Augenblick

 Merritt und Valaris kamen unlängst zu einem ähnlichen Interpretationsmodell: „Kant’s talk of the understanding determining inner sense in acts of attention corresponds to the idea that attention involves selecting representations to bring into direct or clear consciousness“ (Merritt und Valaris 2017, S. 581).  Grüne kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Vorstellung zu durchlaufen bedeutet, Vorstellungen bewusst zu machen, genauer Vorstellung für einen Augenblick bewusst zu machen“ (Grüne 2009, S. 167). Allerdings hat Grüne eine andere Auffassung vom Begriff des Bewusstseins bei Kant als die hier vertretene.  „[A]ls in einem Augenblick enthalten, kann jede Vorstellung niemals etwas anderes, als absolute Einheit sein“ (A99).

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Kapitel 3: Selbstaffektion

weder ein Mannigfaltiges noch eine absolute Einheit enthalten. Dies widerspricht Kants Aussage auf einer markanten Weise. Als Beleg nennt Allison (2015, S. 210) eine Passage in R5390, Refl 18:169 – 170. In der Tat geht es dort hauptsächlich um den metaphysischen Charakter der Zeit. Kant will lediglich aus der Kontinuität der Zeit jene der Erscheinung ableiten. Diese Passage ist keine parallele Stelle zu A99, obwohl in beiden der Begriff „Augenblick“ verwendet wird. In der KrV bedeutet dieser in Übereinstimmung mit seinem alltäglichen Sinn eine kurze Dauer gemäß einer Passage in A103, die an die im Fokus stehende Passage A99 anschließt. Der metaphysische Charakter des Augenblicks spielt keine Rolle im Argumentationsgang in A99. Andernfalls wäre gar nicht nachvollziehbar, warum Kant über das Mannigfaltige in einem Augenblick sprechen sollte, wenn dieses gar nicht existierte. Zu dem vor-apprehensiven Status des Mannigfaltigen behauptet Guyer: „I am not immediately acquainted with any manifold of representations insofar as I think of our representational state as ‘contained in a single moment’, but can instead think of a manifold as a manifold only if I first represent a ‘sequence of one impression upon another’“ (Guyer 1987, S. 148). Er glaubt, „[the representation of a manifold] is not itself a manifold of representations but rather a single representation which must be interpreted or judged to represent a diversity or manifold of representations“(Guyer 1987, S. 148). Im ersten Zitat scheint er den Ausdruck „[eine Anschauung mit ihrem Mannigfaltigen] als in einem Augenblick enthalten [vorstellen]“ (A99) durch ‚eine Anschauung mit ihrem Mannigfaltigen als in einem Augenblick enthalten interpretieren‘ umzuformulieren. Dies ist aber unbegründet, denn in A99 geht es in erster Linie darum zu zeigen, dass eine Anschauung eines Mannigfaltigen ohne Synthesis der Apprehension unmöglich ist. Mit der Erwähnung der Anschauung „als in einem Augenblick enthalten“ will Kant den bewusstseinstheoretischen Status des Mannigfaltigen vor der sukzessiven Synthesis der Apprehension beschreiben, um die Notwendigkeit dieser Synthesis hervorzuheben. Vor der Synthesis besteht in Hinsicht auf das Mannigfaltige keine Denkhandlung, ebenso wenig ein Interpretationsakt. Daher ist die Rede von „I think of our representational state as ‘contained in a single moment’“ unzutreffend. Nun sollen zwei vielversprechende Interpretationsmodelle diskutiert werden. Das erste besagt, dass die Synthesis der Apprehension „ein Zusammenfassen von jeweils momentan gegebenen einzelnen Sinneseindrücken zu Wahrnehmungen, d. h. ein Zusammensetzen der Teile eines gegenwärtigen ganzheitlichen Anblicks einer Sache zu eben diesem Anblick“ darstelle (Hoppe 1983, S. 179). Der Kern dieser Interpretation besteht darin, dass die Apprehension die einzelnen Sinneseindrücke nicht auf einmal, sondern nacheinander aufnehmen müsse, bevor sie diese in einem mentalen Bild, das einen momentanen Anblick des Gegen-

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

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stands ausmache, zusammenbaue. Als Belege dazu werden von den Befürwortern z. B. A162/B202 ff. und B160 genannt. Zugunsten dieses Modells müssen folgende Modifikationen vorgenommen werden: Dieses mentale Bild muss nicht eindimensional und rein visuell sein, sondern kann durchaus dreidimensional sein und aus empirischen Daten verschiedener Sinneskanäle bestehen. Von Belang ist zudem, dass dieses Bild eine Vorstellung des Gegenstands zu einem Zeitpunkt sein muss. Es bietet keine vollständige Abbildung des Gegenstands aus verschiedenen Blickwinkeln zu verschiedenen Zeitpunkten, sondern stellt nur eine Momentaufnahme aus einem Blickwinkel zu einem Zeitpunkt dar. Diesem Modell zufolge lässt sich die Notwendigkeit der Apprehension in der Einschränkung des Verstandesvermögens begründen: Die Details des Bildes übersteigen die Kapazität des Verstandes³²⁸, der in einem Augenblick nur auf wenige Eindrücke aufmerksam sein und diese dann apperzeptiv bewusst machen kann. Um sich des Mannigfaltigen als eines solchen bewusst zu werden, muss der Verstand einen Eindruck nach dem anderen in der Zeit durchlaufen und aufnehmen. Entsprechend interpretiert ein prominenter Befürworter dieses Modells Kants Bemerkung über das Mannigfaltige als „in einem Augenblick enthalten“ wie folgt: [W]e could never know a representation as diverse in a single moment. In order to know a diversity of representations, even if they are given as simultaneous, the mind must run over them one after another. (Wolff 1963, S. 152– 153)

Den Befürwortern des zweiten Modells zufolge seien in der Apprehension nicht Sinneseindrücke zu einem augenblicklichen Anblick, sondern mehrere Anblicke zu einer Anschauung des Gegenstands komponiert.³²⁹ Diese zusammengesetzte Anschauung sei nicht eine Abbildung des Gegenstands zu einem bestimmten Zeitpunkt unter einem bestimmten Gesichtspunkt, sondern eine gesamte Abbildung des Gegenstands – d. h. ein mentales Modell der vierdimensionalen Gestalt mit allen Sinnesqualitäten. Diese Anschauung besteht im Übrigen aus mehr als augenblicklichen Abbildungen des Gegenstands. Sie könnte eventuell auch die typische kausale Interaktion des Gegenstands mit seiner Umgebung in der Zeit repräsentieren, da ein Gegenstand oder Sachverhalt „gegenwärtig vollständig gar nicht gegeben ist“ (Hoppe 1983, S. 180). Die Synthesis der Apprehension erzeuge

 Hier soll der Begriff ‚Verstand‘ weit gefasst werden, sodass er sich auf die Leistung der Einbildungskraft unter der Leitung des Verstandes bezieht. Mehr dazu siehe unten.  „Die Mannigfaltigkeit der Anschauung eines komplexen Gegenstandes ist durch den Zusammenhang von gleichartigen, ähnlichen und verschiedenen Empfindungen, die wir über einen Zeitraum haben, bestimmt, und nur dieser Zusammenhang liefert uns ein Bild des Gegenstands“ (Carl 1991, S. 154, H. d. V.). Siehe auch Carl 1991, S. 152– 154.

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„die Einheit eines Gegenwärtigen, das anschaulich erfüllt gegeben ist, mit einem bloß Gemeinten, Erinnerten“ (Hoppe 1983, S. 180). Hoppe führt die folgende Passage als Beleg an: Das Gemüth muß viele Beobachtungen anstellen, um sich einen Gegenstand abzubilden. (VMet-L1/Pölitz 28:236)

Nach Hoppe solle der Gegenstand durch solche Beobachtungen von jeder Seite anders abgebildet [werden]. Z. E. so sieht eine Stadt von der Morgenseite anders aus, als von der Abendseite. (Hoppe 1983, S. 180)³³⁰

Ähnliche Stellen bestätigen diese Aussage: Es sind durch die genannten Beobachtungen „viele Erscheinungen von einer Sache nach den verschiedenen Seiten und Gesichtspunkten“ dargeboten (V-Met-L1/Pölitz 28:236). „Alle Erscheinungen stehen als Vorstellungen in der Zeit und werden in der Zeit bestimmt. Als ein Theil einer ganzen Erscheinung kann sie nicht in einem Augenblicke, sondern in einem Theile der Zeit bestimmt werden (genetisch apprehendiert werden)“ (R 5390, Refl 18:151). Meines Erachtens ist das zweite Modell verfehlt, weil es die Funktion der Apprehension zu grobkörnig darstellt. Die Funktion der Apprehension ist „die Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer empirischen Anschauung […] dadurch Wahrnehmung, d. i. empirisches Bewußtsein derselben, (als Erscheinung) möglich wird“ (B160, siehe auch A99). Die Verwirrung bezüglich der Konkurrenz der beiden Modelle stammt aus der Unklarheit des Begriffs der empirischen Anschauung, die ein Produkt der Apprehension sein soll: Ist dieses eine Momentaufnahme oder ein vierdimensionales mentales Modell des Gegenstands? Einige oft vernachlässigte Stellen in der Zweiten Analogie bieten einen entscheidenden Hinweis zur Natur der Apprehension: Die Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung ist jederzeit sukzessiv. Die Vorstellungen der Teile folgen auf einander. Ob sie sich auch im Gegenstande folgen, ist ein zweiter Punkt der Reflexion, der in dem ersteren nicht enthalten ist. (A189/B234) [D]ie Apprehension des Mannigfaltigen in der Erscheinung eines Hauses, das vor mir steht, sukzessiv. (A190/B235) In dem vorigen Beispiele von einem Hause konnten meine Wahrnehmungen in der Apprehension von der Spitze desselben anfangen, und beim Boden endigen, aber auch von unten

 Hoppe illustriert diesen Punkt anhand eines eigenen Beispiels der Wahrnehmung eines Zimmers: Um ein mit „Gemälden und Auszierungen überhäuft[es] Zimmer“ wahrzunehmen, müsse das Subjekt es durchlaufen und alle Details zusammenfassen (Hoppe 1983, S. 180).

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anfangen, und oben endigen, imgleichen rechts oder links das Mannigfaltige der empirischen Anschauung apprehensidern. (A192– 193/B237– 238)

Wohlgemerkt steht das Haus „vor mir“. Das Produkt der Apprehension ist in diesem Beispiel eine mentale Abbildung einer Fassade, d. h. ein Anblick eines Gegenstandes. Demnach produziert die Apprehension eine Folge sukzessiver Wahrnehmungen, die Abbildungen einzelner Aspekte des Gegenstands sind. Das zweite Modell ist insofern grobkörnig, als es erfordert, dass das Produkt der Synthesis der Apprehension eine Abbildung des Gegenstands unter verschiedenen Gesichtspunkten sei. Die Funktion diese Synthesis sei es, diese Abbildung aus verschiedenen ‚Anblicken‘ des Gegenstands zusammenzusetzen. Das erste Modell steht Kants Intention am nächsten, obwohl sie ihrerseits problematisch ist und modifiziert werden muss. Können die Vorstellungen, die die Apprehension durchläuft und zum Anblick eines Gegenstands zusammenbaut, einzelne Eindrücke sein? Wie die obigen Zitate aus der Zweiten Analogie (A192– 193/B237– 238) zeigen, ist es die Aufgabe der Synthesis der Apprehension, die verschiedenen Teilvorstellungen des Anblicks des Gegenstandes in einem Anblick zusammenzufassen. Solche Teilvorstellungen sind z. B. die von Teilen der Fassade des Hauses, die selbst komplexe Vorstellungen, jedoch keine einzelnen Sinneseindrücke sind. Damit stellt sich eine weitere Frage: Wie feinkörnig können die Teilvorstellungen sein, die durch die Synthesis der Apprehension im Bild des Gegenstands zusammengefasst werden? Sind es einzelne Sinneseindrücke, die jeweils nur ein Merkmal beinhalten, oder schon Wahrnehmungen, die relativ komplexe Details enthalten können (z. B. Teilabbildungen des Gegenstands, wie das obige Beispiel des Hauses zeigt)?³³¹ Diese Frage ist deswegen relevant, weil es

 Wohlgemerkt verpflichtet die erste Option Kant nicht zum Sinnesdatenatomismus. Laut diesem könne die Sinnlichkeit keine komplexe Vorstellung liefern, d. h. eine solche, die mehr als ein Merkmal beinhaltet. Die Aufgabe der Synthesis bestehe für diese Auffassung darin, einzelne Eindrücke in eine komplexe Vorstellung zu verbinden. Diese Lesart vertreten Henrich (1976, S. 17, 21) und gewissermaßen auch Hoppe (1983, S. 179). Sie ist sowohl empirisch als auch philosophisch nicht haltbar und wird von Grüne (2009, S. 153) und Dickerson (2004, S. 131– 148) eingehend widerlegt, was in dieser Arbeit nicht wiederholt wird. Hier wird eher die Auffassung verteidigt, dass die Sinnlichkeit zwar komplexe Vorstellungen liefern kann, aber nicht in der Lage ist, die Details zu differenzieren. Diese Auslegung vertreten Grüne (2009, S. 153 – 154), Dickerson (2004, S. 132), Longuenesse (1998, S. 38 Anm. 10, 271 f.), Thöle (1991, S. 216 f.) und Wolff (1963, S. 152 f.). Bei Liang (2017) wird gezeigt, dass das Subjekt nach Kant ein spezielles Bewusstsein der Details in dem noch nicht synthetisierten Mannigfaltigen hat, das nicht das Bewusstsein des inneren Sinnes ist. Mit einem solchen Bewusstsein ist das Subjekt sich des Mannigfaltigen bewusst, obwohl dieses Bewusstsein nicht dafür ausreicht, dass das Subjekt das Mannigfaltige ‚als

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darum geht, was die Apprehension überhaupt bewusst macht. Es gehört zum Aufgabenbereich der Apprehension, aus verschiedenen Anblicken des Gegenstands eine multidimensionale Gestalt zusammenzusetzen, aber die Anblicke sind selbst schon bewusste Vorstellungen. Was für unser Ziel von Bedeutung ist – d. h., den inneren Sinn und die Selbstaffektion zu verstehen –, ist die Frage, was die kleinste Einheit der Vorstellungen ist, die die Apprehension überhaupt bewusst machen könnte. Hierzu betrachten wir eine relevante Kritik am ersten Modell. Diesem zufolge durchlaufe die Apprehension die einzelnen Eindrücke und setze diese zusammen. Aber ist es wirklich wahr, dass das Subjekt keine komplexe Vorstellung in einem Augenblick haben kann? Haben wir nicht unzählige Gegenbeispiele aus unserem alltäglichen Leben? Wenn ich meine Augen öffne, sehe ich nicht zumindest zugleich die Wand, die Tischlampe, den Tisch und das Bücherregal? Zugunsten des ersten Modells kann darauf erwidert werden: Die Apprehension in diesem Fall erfolgt extrem schnell.³³² In kurzer Zeit unterscheidet das Subjekt drei Gegenstände voneinander und von solchen im Hintergrund. Ohne diesen Unterscheidungsakt (mit Kant gesagt, ohne das ‚Durchlaufen‘) blieben alle genannten Gegenstände undifferenziert. Um die Existenz des „Durchlaufen[s]“ (A99) zu zeigen, hilft die Vorstellung, wie es wäre, wenn ein Bild des Zimmers nur für Millisekunden erschiene und danach wieder verschwände: In diesem Fall hätte das Subjekt nur ein Gewirr von Eindrücken, von denen er vielleicht nur von einem oder zwei Merkmalen Notiz nehmen könnte – d. h., das Mannigfaltige ist in einem einzigen Augenblick, der als solcher keine Synthesis der Apprehension ermöglicht, eine ‚absolute Einheit‘. Daher sind die mentalen Elemente, die die Apprehension durchläuft, die einzelnen Sinneseindrücke. Ein solches Argument ist jedoch eine reine Spekulation über den kognitiven Prozess und bedarf noch einer empirischen Verifikation.³³³ Es gibt aber ein epistemisches Argument, das unabhängig von dieser Überlegung aus der empirischen Psychologie stammt: Für Kant gehört der Unterscheidungsakt per definitionem zum Aufgabenbereich der spontanen kognitiven Fähigkeit. Der Unterscheidungsakt, der in dem Akt, „das Mannigfaltige […] als ein solches vor[zu] stell[en]“ (A99), eine Rolle spielt, ist eine kognitive Zutat zum empirisch Gegebenen, die nicht durch die Sinnlichkeit bewirkt werden kann. Dass das Subjekt

solches‘ vorstellt – d. h., die Details als voneinander unterschieden erkennt. Der hier vertretenen Lesart zufolge ist Kant keinem Sinnesdatenatomismus verpflichtet.  Siehe auch Grüne 2009, S. 163.  Kant selbst hat nie eine solche Überlegung angestellt, wohl deswegen, weil ihm klar war, dass sie zur empirischen Psychologie gehört. Hinsichtlich des epistemischen und bewusstseinstheoretischen Status des Mannigfaltigen, das die Apprehension durchläuft und zusammenfasst, bleiben seine Stellungnahmen ausnahmslos dürftig und vage (A77/B102, A99, B160).

3.1 Die erste Selbstaffektion in der Aufnahme der Sinnesdaten

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einen Unterscheidungsakt als einen kognitiven Akt ausübt, bedeutet nicht, dass das Subjekt unterschiedliche kausale und physiologische Reaktionen auf unterschiedliche Stimuli aufweist, sondern dass es ein Urteil darüber fällt, dass ein Element des Mannigfaltigen anders als ein anderes ist.³³⁴ Da ein solcher Unterscheidungsakt bezüglich des Mannigfaltigen der Anschauung nicht in einem ‚Augenblick‘ ausgeführt werden kann, ist Kant völlig berechtigt zu sagen, dass das Mannigfaltige als in einem Augenblick enthalten eine undifferenzierte Einheit darstellt. Die hier vertretene Lesart besagt nicht, dass die Apprehension nicht mit einzelnen Anblicken operieren kann. Der springende Punkt bleibt, dass die erste ‚Anwendung‘ der Synthesis der Apprehension auf den einzelnen Eindrücken geschieht und sich erst aus mehreren Anwendungen derselben Synthesis eine gesamte Abbildung des Gegenstands ergibt. Nur hinsichtlich der ersten Anwendung der Synthesis der Apprehension auf den einzelnen Eindrücken ist Kants Ausführung über die „absolute Einheit“ des Mannigfaltigen als „in einem Augenblick enthalten“ (A99) überhaupt sinnvoll. Wäre das zweite Modell korrekt, wäre es nicht nachvollziehbar, was die sich daraus ergebende Interpretation des vorapprehensiven Status des Mannigfaltigen der empirischen Anschauung – d. h. die Interpretation der These, dass die verschiedenen Anblicke als „in einem Augenblick enthalten“ eine „absolute Einheit“ sind – bedeuten sollte, da verschiedene Anblicke nur zu verschiedenen Zeitpunkten gegeben werden können. Das Szenario, dass mehrere Anblicke des Gegenstands unter verschiedenen Gesichtspunkten in einem Augenblick vor der Synthesis der Apprehension gegeben sind, enthält in sich einen Widerspruch und ist damit gar nicht vorstellbar, während jenes Szenario, dass verschiedene Eindrücke in einem Augenblick gegeben sind, durchaus vorstellbar ist. In Kürze: Die Apprehension ist eine Art des kognitiven Akts, der sowohl verschiedene Eindrücke in einem Anblick des Gegenstands als auch verschiedene Anblicke des Gegenstands in einer Anschauung kombiniert.

 Siehe B414– 415 Anm. In Spitzfindigkeit (DfS 2:59 – 60) unterscheidet Kant zwischen physischem und logischem Unterscheiden. Ersteres besteht in den unterschiedlichen Reaktionen auf unterschiedliche Stimuli. Diese Fähigkeit hat auch das Tier: „Der Hund unterscheidet den Braten vom Brote, weil er anders vom Braten, als vom Brote gerührt wird (denn verschiedene Dinge verursachen verschiedne Empfindungen)“ (DfS 2:60). Das Tier übt dabei keinen mentalen Unterscheidungsakt aus, vielmehr laufen nur unterschiedliche kausale Verknüpfungen ab: Unterschiedliche Empfindungen bewirken unterschiedliche tierische Triebe. Im Gegensatz wird das logische Unterscheiden immer durch ein Urteil in der Form ‚A ist nicht B‘ ausgeführt. Somit ist der Unterscheidungsakt eine spontane Handlung des Subjekts. Kant macht deutlich, dass die logische Unterscheidung nur durch den inneren Sinn geschehen kann. Es gibt im Übrigen in der KrV eine weitere subliminale Art der Unterscheidungsakte, die nicht genuine Urteile sind (siehe Liang 2017).

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Kapitel 3: Selbstaffektion

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung In der obigen Analyse kamen wir zu dem Schluss, dass die Synthesis der Apprehension als ihre kleinsten Akte das rein rezeptiv gegebene Mannigfaltige des äußeren Sinnes durchläuft und die einzelnen Sinneseindrücke in einer momentanen Abbildung des Gegenstands zusammennimmt. Da laut Kant die Synthesis der Apprehension das Mannigfaltige ins Bewusstsein bzw. in den inneren Sinn aufnimmt, lässt sich schließen, dass in dieser Phrase der innere Sinn affiziert wird. Das impliziert, dass die Synthesis der Apprehension als eine empirische den inneren Sinn affizieren kann. Dies ist anscheinend unvereinbar mit der Tatsache, dass Kant explizit die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft als denjenigen Akt des Subjekts erwähnt, der den inneren Sinn affiziert (B153 – 154). Im Übrigen sind weitere Anwendungen der synthetischen Handlungen erforderlich, um die Wahrnehmungen, die die Synthesis der Apprehension aus Sinneseindrücken erzeugt, in eine den Gegenstand multidimensional und multimodal darstellende Anschauung zusammenzusetzen. Es scheint somit, dass das synthetische Vermögen der Apprehension mehrmals betätigt werden muss. Zusätzlich gibt es die Synthesis der Reproduktion und Rekognition, die mit der Synthesis der Apprehension und mithin dem inneren Sinn wesentlich verbunden sind. In der Ausführung der Synthesislehre verwendet Kant auch die Begriffspaare ‚figürliche/intellektuelle Synthesis‘, ‚produktive/reproduktive Synthesis‘ und ‚reine/empirische Synthesis‘.Wird der innere Sinn durch all diese verschiedenen Arte der Synthesis affiziert? Diese Frage scheint Kant in der Anthropologie zu bejahen, in der er das Affizierende des inneren Sinnes unspezifisch als das „Gemüt[]“ (Anth 7:153) oder „sein eigenes Gedankenspiel“ (Anth 7:161) bezeichnet.³³⁵ Wenn dies der Fall ist, wie bringt man diese These mit Kants Bemerkung in Übereinstimmung, dass es die transzendentale Einbildungskraft ist, die den inneren Sinn affiziert? Um solche Fragen zu beantworten und den inneren Sinn sowie die Selbstaffektion zu verstehen, müssen die verschiedenen Arten der Synthesis spezifiziert werden, was in diesem Kapitel angestrebt wird. Der vorliegende Abschnitt beansprucht dabei nicht, eine vollständige Analyse von Kants Lehre der Synthesis darzustellen. Vielmehr liegt die Absicht darin, den sachlichen Kern seiner Lehre der Synthesis herauszuarbeiten, wobei die zahlreichen Begriffe der Synthesis

 Eine weitere unspezifische Darstellung des affizierenden Akts lautet wie folgt: „[D]as Gemüth [wird] durch eigene Thätigkeit, nämlich dieses Setzen seiner Vorstellung, mithin durch sich selbst afficirt […], d. i. ein innerer Sinn seiner Form nach“ (B67– 68).

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

201

ihrer Funktion nach auf wenige reduziert werden. Im Anschluss wird die Struktur der Selbstaffektion untersucht.

3.2.1 Synthesis der Apprehension, der Reproduktion und der Rekognition Im ersten Abschnitt dieses Kapitels werden die Synthesis der Apprehension, der Reproduktion und der Rekognition analysiert. Damit bezeichnet Kant Arten der Synthesis, die „notwendiger Weise in allem Erkenntnis vorkomm[en]“ (A97). Sie sind „drei subjektive Erkentnisquellen“, die im Gegensatz zur Rezeptivität des Sinnes die spontanen Komponenten der Erkenntnisse ausmachen (A97). Konkret bedeutet dies, dass durch diese Arten der Synthesis erstmals empirische Erkenntnisse in Form von empirischen Anschauungen möglich werden (A115). In diesem Abschnitt werden als Vorbereitung für das Folgende vor allem die Materialien, die Funktion und das Produkt der drei Synthesisakte analysiert. Zugleich soll demonstriert werden, dass es sich bei der Apprehension, der Reproduktion und der Rekognition nicht um drei separate Synthesisakte, sondern um unterschiedliche Aspekte eines einzigen synthetischen Akts handelt. Auch wird die Frage beantwortet, ob sie unter bestimmten Bedingungen teilweise eigenständig vollzogen werden können. Dies soll dazu dienen, die Synthesis der Apprehension, die mit der Selbstaffektion eng verbunden ist, besser zu verstehen.

3.2.1.1 Synthesis der Apprehension Die Synthesis der Apprehension wurde in den vorigen Kapiteln eingehend behandelt. Sie ist ein Akt, der das empirische Mannigfaltige zu einer empirischen Anschauung zusammensetzt (A99, B160). Sie besteht aus zwei Teilakten. Das Mannigfaltige der Anschauung wird zuerst sukzessiv „[d]urchlaufen“ und dann als in einer Vorstellung enthalten zusammengenommen (A99). Dadurch werden die apperzeptiv unbewussten Sinnesdaten in den inneren Sinn aufgenommen bzw. ins apperzeptive Bewusstsein gebracht (B68, 202, siehe Kapitel 2). In der ADeduktion spricht Kant noch vom reinen Gebrauch der Synthesis der Apprehension, die a priori auf das Mannigfaltige der reinen Anschauung ausgeübt wird (A99 – 100). Es ist jedoch unzutreffend, eine separate reine Synthesis der Apprehension anzunehmen, denn später bemerkt Kant nicht nur, dass die Synthesis der Apprehension „unmittelbar an den Wahrnehmungen ausgeübt“ wird (A120), sondern bezeichnet sie auch ausdrücklich als empirisch (A108). Die Synthesis der Apprehension kann nicht einmal empirisch und einmal a priori ausgeübt werden. Viel plausibler wäre es, dass sie, obwohl sie auf Sinnesdaten wirkt, zugleich einen reinen apriorischen Aspekt hat. Der empirische und der reine Gebrauch der

202

Kapitel 3: Selbstaffektion

Synthesis der Apprehension vollziehen sich in einem Zug, da die Zusammensetzung der empirischen Anschauung gemäß den Formen der Anschauung – Raum und Zeit – geschehen muss. In der B-Deduktion modifiziert Kant die Konzeption der Apprehension leicht. Aus § 26 der B-Deduktion wissen wir, dass Raum und Zeit selbst Anschauungen sind, deren Bestandteile, das reine Mannigfaltige, ebenfalls in eine Einheit zusammengenommen werden müssen.Wenn das Subjekt die empirischen mannigfaltigen Vorstellungen gemäß der sinnlichen Form in einer Anschauung kombiniert, muss dies so geschehen, dass zugleich die reinen Entsprechungen dieses Mannigfaltigen in einer reinen Anschauung verbunden werden. Kant charakterisiert die Synthesis der Apprehension „selbst“ (B164, 527) – d. h. die Apprehension an sich – ausschließlich als empirisch. Die Funktion der Zusammennehmung des reinen Mannigfaltigen in einer formalen Anschauung gehört in der B-Auflage der KrV nicht mehr zum Aufgabenbereich der Synthesis der Apprehension (B160 – 165), sondern, wie wir später noch sehen werden, zur figürlichen oder reinen produktiven Synthesis der Einbildungskraft. Im Folgenden werde ich bei Konfliktfällen Kants Terminologie aus der B-Auflage folgen. Dies ist nicht nur deswegen angebracht, weil die B-Auflage Kants reifere Auffassung vertritt, sondern auch weil unser Interesse dem Thema der Selbstaffektion gilt. Detaillierte Darstellungen hierzu sind hauptsächlich dort anzutreffen.

3.2.1.2 Synthesis der Reproduktion Die Synthesis der Reproduktion bringt „eine vorher gehabte empirische Anschauung ins Gemüth“ zurück (Anth 7:167). „Die Einbildung von etwas aus der vergangenen Zeit ist reproduction“ (Refl 15:135). Diese Darstellungen sind vage, was dazu führt, dass in der Literatur die Position vertreten wird, dass es zwei gänzlich unterschiedliche Arten der Reproduktion gibt.³³⁶ Bei der ersten Art gehe es um die „Reproduktion der aktuell durchlaufenen Vorstellungen“ (Grüne 2009, S. 170). Dabei werden bei der sukzessiven Apprehension die gerade durchlaufenen empirischen Vorstellungen, die nicht mehr präsent sind, im Bewusstsein behalten (A102, 121), damit sie nicht verlorengehen und bei der Zusammensetzung zu einer ganzen Anschauung bzw. zu einem mentalen Bild noch verfügbar sind. Bei der zweiten Art handle es sich um die „Reproduktion von ehemals verursachten Vorstellungen“ (Grüne 2009, S. 170): Es ist zwar ein blos empirisches Gesetz, nach welchem Vorstellungen, die sich oft gefolgt oder begleitet haben, sich mit einander endlich vergesellschaften und dadurch in eine Verknüpfung setzen, nach welcher auch ohne die Gegenwart des Gegenstandes eine dieser

 Grüne 2009, S. 166 – 172.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

203

Vorstellungen einen Übergang des Gemüths zu der andern nach einer beständigen Regel hervorbringt. (A100)

Die dahinterstehende Idee lautet: Angenommen, die empirischen Vorstellungen a, b und c kommen stets zusammen vor. Das führt dazu, dass das Gemüt diese drei Vorstellungen als eine Einheit – wenn auch als eine subjektive Einheit gemäß Hume, die keine strenge Notwendigkeit aufweist (B139 ff.) – betrachtet und miteinander assoziiert, sodass eine „beständig[e] Regel“ oder ein empirisches Assoziationsgesetz gebildet wird.³³⁷ Wenn in einer Wahrnehmungssituation nur die Vorstellungen a und c vorkommen, wird die Reproduktion aktiviert und auch ein Vorkommnis der Vorstellung b in der Einbildung bewirkt – obwohl dieses nicht so lebhaft ist wie ein Vorkommnis dieser Vorstellung, das durch das faktische Vorkommen vom Gegenstand B bewirkt wird.³³⁸ Die Funktion der zweiten Reproduktion besteht darin, das Vorliegen einer ganzen Anschauung zu bewirken, auch wenn ihre Teilelemente unter bestimmten Umständen gar nicht vorhanden sind.³³⁹ Daraus ergibt sich ein Interpretationsproblem: Beide Arten der Reproduktion scheinen unterschiedlich zu sein, obwohl Kant nicht explizit zwei unterscheidet. Vielerorts identifiziert er die Assoziation mit der Reproduktion (A115, A120 ff.), obwohl sie laut obiger Lesart lediglich mit der zweiten Reproduktion identifiziert werden sollte. Meines Erachtens kann folgende Einsicht helfen, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Beide Arten der Reproduktion sind in der Tat wesentlich miteinander verbunden. Das Gesetz der Assoziation ist nicht nur für die zweite Art entscheidend, sondern ist auch die subjektive Voraussetzung der ersten, was Kant in A121 deutlich macht: Ohne eine Regel, gemäß derer die Reproduktion eine Vorstellung vielmehr mit einer bestimmten als mit einer anderen Vorstellung verbindet, würde ‚ohne Unterschied‘ und ohne Zusammenhang reproduziert. Diese Regel, die die Reproduktion direkt lenkt, ist nichts anderes als der Assoziationsmechanismus, der anhand vergangener Erfahrungen gebildet wird.³⁴⁰ Somit

 Mit dem Begriff der Assoziation wird offenkundig auf Hume angespielt. Streng genommen ist die Assoziation nach dem Assoziationsgesetz keine Synthesis, denn ein Tier, das zu keinem spontanen kognitiven Akt fähig ist, ist gleichwohl zur mechanischen Assoziation fähig (Anth 7:197).  Angenommen, die Vorstellung b repräsentiert den Gegenstand B.  Hier folge ich Grüne (2009, S. 169 – 170) und Sellars (1978, S. 234– 235). Dagegen Young (1988, S. 142– 145).  Die Assoziabilität der empirischen Vorstellungen sowie deren subjektive Einheit durch das Assoziationsgesetz setzt einen objektiven Grund, die Affilität, voraus, die wiederum in der Einheit der Apperzeption begründet wird (A122).

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Kapitel 3: Selbstaffektion

sind beide Arten von Reproduktion wesentlich auf Assoziation zurückzuführen. Ihr Unterschied ist bloß empirisch: Die erste Reproduktion behält die gerade durchlaufenen Vorstellungen im Bewusstsein, während die zweite eine frühere komplexe empirische Vorstellung im Gedächtnis abruft. Dieser Unterschied ist epistemisch irrelevant, da beide Arten dieselbe Rolle spielen: Sie sind Bedingungen des zweiten Schritts der Apprehension – d. h. des Zusammennehmens des empirischen Mannigfaltigen in einer ganzen Anschauung. Sie beide bewirken, dass alle Bestandteile einer Anschauung bei der Zusammensetzung des mentalen Bildes präsent sind. Es bleibt jedoch noch eine Unklarheit bestehen: Kant macht die überraschende Bemerkung, dass die reproduktive Synthesis „zu den transzendentalen Handlungen des Gemüts“ gehört und als „das transzendentale Vermögen der Einbildungskraft“ bezeichnet werden kann (A102).³⁴¹ Den Grund für den transzendentalen Charakter der reproduktiven Synthesis erklärt Kant in A101– 102: Wenn wir nun darthun können, daß selbst unsere reinste Anschauungen a priori keine Erkenntniß verschaffen, außer so fern sie eine solche Verbindung des Mannigfaltigen enthalten, die eine durchgängige Synthesis der Reproduction möglich macht, so ist diese Synthesis der Einbildungskraft auch vor aller Erfahrung auf Principien a priori gegründet, und man muß eine reine transscendentale Synthesis derselben annehmen, die selbst der Möglichkeit aller Erfahrung (als welche die Reproducibilität der Erscheinungen nothwendig voraussetzt) zum Grunde liegt. (A101)

In diesem Abschnitt spricht Kant von einer reinen transzendentalen Synthesis „derselben“, d. h. der Einbildungskraft, worauf die Synthesis der Reproduktion „gegründet“ ist. Diese transzendentale Synthesis, die die Synthesis der Reproduktion „möglich macht“, ist eine Synthesis der „reinst[en] Anschauung“. Unmittelbar danach erläutert Kant diese reine transzendentale Synthesis anhand einiger Beispiele. Dabei handelt es sich konkret um die reine Synthesis der Einbildungskraft, die das reine Mannigfaltige zu einer reinen Anschauung verbindet: Nun ist offenbar, daß, wenn ich eine Linie in Gedanken ziehe, oder die Zeit von einem Mittag zum andern denken, oder auch nur eine gewisse Zahl mir vorstellen will, ich erstlich nothwendig eine dieser mannigfaltigen Vorstellungen nach der andern in Gedanken fassen müsse. Würde ich aber die vorhergehende (die erste Theile der Linie, die vorhergehende Theile der Zeit oder die nach einander vorgestellte Einheiten) immer aus den Gedanken verlieren und sie nicht reproduciren, indem ich zu den folgenden fortgehe, so würde niemals eine ganze Vorstellung und keiner aller vorgenannten Gedanken, ja gar nicht einmal die reinsten und ersten Grundvorstellungen von Raum und Zeit entspringen können. Die Syn-

 Vgl. z. B. Zammito 2015, S. 467.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

205

thesis der Apprehension ist also mit der Synthesis der Reproduction unzertrennlich verbunden. (A102, H. d. V.)

Einige Kommentatoren vertreten die Meinung, dass es hier um den reinen Gebrauch der reproduktiven Einbildungskraft gehe,³⁴² die auf das reine Mannigfaltige wirke und in reinen Anschauungen a priori resultiere. Der Annahme einer reinen transzendentalen Synthesis der Reproduktion fehlt es meines Erachtens an jeglicher Textgrundlage. Kant bezeichnet nämlich an vielen Stellen die Reproduktion bzw. reproduktive Synthesis als empirisch: „[E]s kann aber nur die productive Synthesis der Einbildungskraft a priori stattfinden; denn die reproductive beruht auf Bedingungen der Erfahrung“ (A121, siehe auch A118, Anth 7:167). In der B-Deduktion bezeichnet Kant die Reproduktion als Synthesis, die „lediglich empirischen Gesetzen, nämlich denen der Assoziation […] unterworfen ist“ (B152, H. d. V.). Wenn die reproduktive Synthesis gemäß der empirischen Regel ausgeübt werden muss, kann sie nicht eine „reine transzendentale“ Handlung sein, die a priori verfahren soll. Sie wird in der B-Deduktion gar von der Transzendentalphilosophie ausgeschlossen und als Thema der Psychologie klassifiziert (B152). Rein begrifflich ist die reine Synthesis der Reproduktion im Übrigen schwer nachzuvollziehen. Angenommen, dass es eine solche Synthesis gäbe, dann müsste ihre Funktion darin liegen, das reine Mannigfaltige wie Linien oder Zeitdauer, was die reine Entsprechung des gerade apprehendierten empirischen Mannigfaltigen darstellt, im Bewusstsein zu behalten, damit es in einer reinen Anschauung zusammengenommen werden könnte. Da die Einheit dafür eher schematisierte Kategorien sind als das empirische Assoziationsgesetz, kann hier nicht von der Reproduktion gesprochen werden, weil deren Regel das Assoziationsgesetz ist. Außerdem wäre die reine reproduktive Synthesis hinsichtlich ihrer Funktion identisch mit der figürlichen bzw. reinen produktiven Synthesis.³⁴³ Vermutlich genau aus diesen Gründen schreibt Kant in den Nachträgen zur ersten Auflage der KrV (Refl 23:18) sowie in der B-Deduktion (B152 ff.) die in A102 skizzierte Funktion der vermeintlichen transzendentalen Synthesis der Reproduktion eindeutig der figürlichen sowie der reinen produktiven Synthesis der Einbildungskraft zu. Dabei verwendet er bemerkenswerterweise gerade das Beispiel des gedanklichen Linienziehens³⁴⁴ und bezeichnet es als Handlung der figürlichen Synthesis, die er explizit als die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft bestimmt (B151).  Z. B. Grüne 2009, S. 166; Zammito 2015, S. 462; Allison 2015, S. 185, 215.  Unten wird dies demonstriert.  Dieses Beispiel ist eine Darstellung der vermeintlichen reinen Synthesis der Reproduktion (siehe die oben zitierte Passage aus A102).

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Im Folgenden werde ich die oben genannte Unklarheit in A102 f. außer Acht lassen und davon ausgehen, dass es keine reine oder transzendentale Synthesis der Reproduktion gibt.

3.2.1.3 Synthesis der Rekognition im Begriff Die zweite Funktion der Synthesis der Apprehension besteht darin, die Sinneseindrücke in einer Anschauung zusammenzusetzen. Wie gezeigt, wird die Apprehension immer sukzessiv ausgeführt. Die nicht gegenwärtig vorliegenden Vorstellungen müssen im Bewusstsein behalten werden. Dafür ist die Reproduktion verantwortlich. Somit ist sie eine Bedingung der Apprehension. Für das Gelingen der Reproduktion selbst sind wiederum zwei Bedingungen zu erfüllen. Beide werden durch die Synthesis der Rekognition im Begriff erfüllt. Erstens muss das Subjekt sich dessen bewusst sein, dass das sukzessive Apprehendierte, d. h. sowohl das momentan als auch das zuvor Durchlaufene, inhaltlich zu einer (objektiven) Einheit gehört oder, anders formuliert, einen und denselben Gegenstand repräsentiert: Ohne Bewußtsein, daß das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir einen Augenblick zuvor dachten, würde alle Reproduction in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein. Denn es wäre eine neue Vorstellung im jetzigen Zustande, die zu dem Actus, wodurch sie nach und nach hat erzeugt werden sollen, gar nicht gehörte, und das Mannigfaltige derselben würde immer kein Ganzes ausmachen, weil es der Einheit ermangelte, die ihm nur das Bewußtsein verschaffen kann. (A103)³⁴⁵

 Die Kommentatoren sind sich nicht einig darüber, wie der erste Satz des Zitats genau zu interpretieren ist. Henrich zufolge (1976, S. 74– 75) meinte Kant damit, dass das Subjekt sich bewusst sein müsse, dass das zuvor Wahrgenommene mit dem jetzt Reproduzierten qualitativ identisch sei. Andere Kommentatoren vertreten die hier vorgeschlagene Lesart (Carl 1992, S. 163; Thöle 1991, S. 223 Anm. 6; Grüne 2009, S. 175 ff.). Wolff und Longuesnesse lassen beide Interpretationen zu (Wolff 1963, S. 129; Longuenesse 1998, S. 45 – 46). Meines Erachtens spricht Kants Bemerkung über den Begriff einige Zeilen nach diesem Zitat deutlich gegen die erste Lesart: „[D]ieses eine Bewußtsein [d. h. der Begriff] ist es, was das Mannigfaltige, nach und nach Angeschaute und dann auch Reproducirte in eine Vorstellung vereinigt“ (A103; siehe auch A102). Wenn die Rekognition nur das Bewusstsein der Identität der Vorstellungen über die Zeit wäre, würden lediglich wahllos Vorstellungen reproduziert, da nicht irgendein beliebiges Mannigfaltiges reproduziert und als über die Zeit hinweg im Gedächtnis identisch geblieben betrachtet werden soll, sondern nur dasjenige, was zu einer objektiven Einheit gehört. Das Bewusstsein der qualitativen Identität der Vorstellungen, die für die Reproduktion nötig ist, muss im Übrigen schon Teil der Reproduktion, nicht aber Teil der Rekognition sein, da auch das Tier, das zur Rekognition unfähig ist, zur Reproduktion durch Assoziation fähig ist. Für weitere Argumente gegen die erste Lesart siehe Grüne 2009, S. 175 – 176.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

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Dieses Bewusstsein der Einheit des Apprehendierten und Reproduzierten ist eine notwendige Bedingung der Einheit der Anschauung.³⁴⁶ Es ist nichts anderes als ein empirischer Begriff, der der in der Apprehension zu konstruierenden Anschauung korrespondiert: „[D]ieses eine Bewußtsein [d. i., nach dem Kontext, ein empirischer Begriff] ist es, was das Mannigfaltige, nach und nach Angeschaute und dann auch Reproducirte in eine Vorstellung vereinigt“ (A103; siehe auch A79/ B104, A106).³⁴⁷ Dieses vereinigende Bewusstsein nennt Kant auch einen „Actus“, d. h. einen synthetischen Akt (A103). Zweitens ist die Reproduktion kein „regellos[es]“ bzw. unterschiedsloses ImBewusstsein-Behalten von miteinander in keinem Zusammenhang stehenden Sinneseindrücken, aus denen sich keine Anschauung ergeben kann, die auf einen Gegenstand bezogen ist (A120). Vielmehr müssen die Sinnesdaten, die zu verbinden sind, eine Einheit bilden. Sie müssen von anderen, nicht dazugehörigen Sinneseindrücken unterschieden werden, die bei der Reproduktion aussortiert werden. Die Reproduktion enthält deshalb auch einen Akt der Selektion aus den vorliegenden Sinnesdaten gemäß einer Regel. Dieser Verbindungsakt des Mannigfaltigen unter Begriffen ist gerade die Synthesis der Rekognition.³⁴⁸ Die empirischen Begriffe, die für die Zusammensetzung der empirischen Anschauung direkt als Regel dienen, sind empirische Begriffe, die durch Assoziation gewonnen werden.³⁴⁹ Allerdings sind in der Rekognition nicht nur die

 Dieses Bewusstsein der Einheit der vom Gemüt durch die Zeit durchlaufenen empirischen Vorstellungen braucht nicht ein explizites Urteil der Form: „Diese Sinneseindrücke und jene, die ich gerade erlebt habe, gehören als eine Einheit zusammen“ zu sein, da auch Tiere oder Säuglinge ein solches Bewusstsein der Einheit haben können, das auf vergangene Erlebnisse und Assoziation gegründet ist. Wie dieses Bewusstsein zu charakterisieren ist, ist somit eine schwierige Frage. Für einen Versuch siehe Grüne 2009, S. 177.  Diesem Zitat zufolge sind Begriffe ein Bewusstsein, das komplexe empirische Vorstellungen vereinigt. Für ähnliche Interpretationen siehe Longuenesse 1998, S. 46; Thöle 1991, S. 225 ff.; Grüne 2009, S. 181– 182. Dagegen siehe Carl 1992, S. 164.  Siehe auch Haag 2007, S. 220 – 221; Wolff 1963, S. 229; Grüne 2009, S. 177– 178. Für eine unterschiedliche Darstellung der Funktion der Rekognition siehe Thöle 1991, S. 220; Longuenesse 1998, S. 45 ff., 51, 62 f., 117, 208 und 220.  Obwohl Kant den Assoziationsprozess nicht explizit als Grundlage der empirischen Begriffsbildung bezeichnet, ist dies aus A100 – 101 zu entnehmen (für eine ähnliche Darstellung siehe auch Haag 2007, S. 224– 245). Dort bemerkt Kant, dass die Erscheinungen selbst eine Regelmäßigkeit aufweisen, sodass „in dem Mannigfaltigen ihrer Vorstellungen eine gewissen Regeln gemäße Begleitung oder Folge statt finde“. Das bedeutet mit Kants Beispiel, dass ein Ding, z. B. der Zinnober, uns unter normalen Bedingungen immer rot, schwer und steinförmig erscheint. Infolgedessen verbindet die Assoziation solche Eigenschaften miteinander, aus denen mittels weiterer Verstandesleistungen ein empirischer Begriff des Zinnobers hervorgebracht werden kann. Es handelt sich bei der Einheit der Assoziation zwar um eine subjektive Einheit des Man-

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Kapitel 3: Selbstaffektion

empirischen Begriffe am Werk, sondern auch notwendigerweise die Kategorien. Empirische Begriffe stellen nämlich nur einen „subjektiven und empirischen Grund“ (A121) für die Einheit der Anschauung dar. Im Gegensatz zu den empirischen Begriffen liefern die Kategorien die „formale Einheit“ der Anschauung und ihre „objective Gültigkeit“ (A125). In welchem Sinne die Kategorien dies tun, ist eine kontroverse Frage, die in dieser Abhandlung des Umfangs wegen nicht eingehend bearbeitet werden kann. Im Folgenden begnüge ich mich mit einer Skizze, wie die Intellektualität in Form der Kategorien die drei Synthesis der Einbildungskraft ‚durchdringt‘. Die empirische Anschauung, die durch die drei Synthesis konstruiert wird, enthält per definitionem einen Bezug auf einen Gegenstand (A109). Der Gegenstand der Erfahrung kann selbst keine Vorstellung sein, da er etwas „außer der Vorstellungskraft“ und „davon unterschieden […]“ ist (A104). Der Gegenstand kann auch nicht ein Ding an sich sein (A104, A109), denn dieses ist nicht sinnlich zu erkennen. Kant zufolge kann der Gegenstand der Erfahrung nichts anderes als eine notwendige Verknüpfung der sinnlichen Vorstellungen sein, oder, mit seinen Worten gesagt, eine notwendige Einheit des sinnlichen Mannigfaltigen. Diese ist ein Bewusstsein davon, dass das vorliegende und reproduzierte Mannigfaltige zu einer repräsentationalen Einheit gehört, in dem Sinne, dass dieses Mannigfaltige zusammen einen Gegenstand repräsentiert. Diese Einheit des Bewusstseins bewirkt mithin den Gegenstandsbezug der empirischen Anschauung. Kant zufolge ist sie sowie ihre Notwendigkeit in der Einheit der transzendentalen Apperzeption begründet (A106 ff., 122 ff.). Die Vorstellung des Gegenstands wird zudem als die „formale“ Einheit des Bewusstseins bezeichnet (A105). Dies bedeutet, dass die Zusammengehörigkeit des Mannigfaltigen bzw. der Sinneseindrücke allein aus deren empirischem phänomenalem Gehalt nicht herauszulesen ist. Der repräsentationale Zusammhang des Mannigfaltigen der empirischen Anschauung stellt keine Eigenschaft dieses Gehalts,³⁵⁰ sondern vielmehr eine reine gedankliche Zutat dar, die durch eine synthetische Leistung herbeizuführen ist.³⁵¹ Der Gegenstandsbezug wird mit anderen Worten nicht angeschaut, sondern „gedacht“

nigfaltigen, nicht um eine objektive (A121), die Assoziation ist jedoch der Ausgangspunkt für die empirische Begriffsbildung und für diese insofern unentbehrlich.  Man sieht z. B. ein Auto vor einem Haus geparkt. Dabei hat man eine komplexe empirische Vorstellung. Der Verstand synthetisiert einen Teil davon zum Bild eines Autos und den restlichen zum Bild eines Hauses. Die Sinneseindrücke und die raumzeitlichen Gestalten selbst erzwingen diese Auffassung jedoch nicht. Aus ihnen könnte sich z. B. durchaus eine Vorstellung einer Fassade mit einem auto-förmigen Teil ergeben. Ähnliches siehe auch Grüne 2009, S. 179.  „Es ist leicht einzusehen, daß dieser Gegenstand nur als etwas überhaupt = X müsse gedacht werden“ (A104). Siehe auch A111.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

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(A104, 106). Im Gegensatz zur subjektiven Einheit der empirischen Vorstellungen durch Assoziation, die lediglich zufällig ist und der es an Objektivität mangelt (A111), ist die objektive Einheit des Mannigfaltigen des Sinnes, unter der der Gegenstand überhaupt gedacht³⁵² wird, eine notwendige Einheit (A106). Die Notwendigkeit der Einheit wird von dem Gegenstandsbezug der Anschauung vorausgesetzt (A121).³⁵³ Eine solche Notwendigkeit bedeutet, dass die sinnlichen Vorstellungen, die unter der Einheit stehen, nicht „beliebig“ (A104) bzw. nicht „anders apprehendiert“ (A121) werden können, als es die Regel der Einheit vorschreibt. Durch die reinen Verstandesbegriffe, d. h. die Kategorien, wird der Gegenstand überhaupt gedacht (A111, 124– 125). Die Kategorien stellen nichts anderes als den Begriffsinhalt des Gegenstands überhaupt dar. Eine Verknüpfung des Mannigfaltigen des Sinnes repräsentiert für uns genau dann einen Gegenstand, wenn dieses Mannigfaltige notwendigerweise hinsichtlich aller vier Gruppen der Kategorien bestimmbar ist: Der Gegenstand muss eine extensive Größe – d. h. raumzeitliche Ausdehnung und Gestalt – haben; seine Wahrnehmung weist (phänomenale) Qualitäten von bestimmter intensiver Größe bzw. eines ‚Grades‘ auf; er ist entweder eine beharrliche Substanz oder eine der wechselnden Bestimmungen einer solchen Substanz und steht zudem in bestimmten kausalen Relationen mit seiner Umgebung; sein Dasein ist entweder möglich, wirklich oder gar notwendig. Der Begriff des Gegenstands ist insofern eine notwendige Einheit, als das Mannigfaltige, durch das ein Gegenstand erkannt wird, notwendigerweise alle oben genannten Aspekte aufweisen muss. Die Kategorien liefern die formale Einheit für die Rekognition und damit auch für die Reproduktion. Gemäß den Kategorien werden diejenigen sinnlichen Vorstellungen unter dem Apprehendierten im Bewusstsein behalten, die in einem intentionalen Zusammenhang stehen und zusammen einen Gegenstand konstruieren. Das heißt, erst in der Synthesis der Rekognition werden die Verstandeshandlungen gemäß den Kategorien durchgeführt und die Bedingungen für die

 Der Gedanke an den Gegenstand überhaupt kann als die Gedankenformen verstanden werden, die übrig bleiben, wenn man alle sinnlichen Inhalte von empirischen Anschauungen abstrahiert. Der Gedanke an den Gegenstand überhaupt macht den Gegenstandsbezug einer empirischen Anschauung aus.  Grob gesagt ist ein Gegenstand der Erfahrung etwas, was „dawider ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl, oder beliebig [sind]“ (A104). Das heißt, er ist dadurch charakterisiert, dass er unter Gesetzen steht. Kant scheint zu meinen, dass der Gegenstand der Anschauung nur dann unter Gesetzen steht, wenn die Vorstellungen desselben in einer notwendigen Einheit stehen (A104 f.). Grüne (2009, S. 188) gibt eine Erklärung dafür, warum nur Vorstellungen, die eine notwendige Einheit bilden, einen Gegenstandsbezug besitzen.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Einheit der Apperzeption erfüllt. Da „die Einheit der Apperception in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft […] der Verstand [ist]“ (A119), ist die Synthesis der Rekognition das Stadium, in dem der Verstand auf die Konstruktion der Anschauung wirkt.

3.2.2 Einbildungskraft und Synthesis der Einbildungskraft In der A-Auflage der KrV operiert Kant hinsichtlich der Erzeugung der empirischen Anschauung hauptsächlich mit drei Schritten: Apprehension, Reproduktion und Rekognition. In der B-Auflage wird diese Unterscheidung aufgegeben. Die Synthesis der Reproduktion spielt bei der Transzendentalen Deduktion keine Rolle mehr, und der Begriff Rekognition wird nicht mehr verwendet. Stattdessen werden andere Synthesisbegriffe verwendet. Dabei verbindet Kant die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft direkt mit dem inneren Sinn und der Selbstaffektion, deren Lehre er ebenfalls in der B-Auflage der KrV intensiv ausarbeitet. Das Ziel dieses Abschnitts ist es zu untersuchen, ob es sich bei den verschiedenen Arten der Synthesis um unterschiedliche kognitive Akte handelt und was es bedeutet, dass die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft den inneren Sinn affiziert.³⁵⁴ Zunächst muss bemerkt werden, dass die Synthesis der Einbildungskraft keine Handlung des Subjekts an sich, sondern ein zeitlicher Prozess ist. Zu der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft bemerkt Kant in den Nachträgen zur Kritik der reinen Vernunft (1. Auf.): „Die Synthesis geschieht in der Zeit“ (NTKrV 23:18, siehe auch B204). Als ein Vorgang in der Zeit kann die Synthesis der transzendentalen Einbildungskraft nicht die Handlung eines Dings an sich sein, sondern jene des Gemüts, die ein Gegenstand des inneren Sinnes bzw. ein Ereignis der Erscheinungswelt ist. Das rechtfertigt die Fragestellung, welche und wieviele synthetische Handlungen auf welche Art und Weise den inneren Sinn affizieren. Die Einbildungskraft ist „ein Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen“ (B151; siehe auch Anth 7:167). Sie ist von daher ein Vermögen, das direkt für die Erzeugung der anschaulichen Vorstellung des Gegenstands verantwortlich ist, unabhängig davon, ob der Gegenstand den Sinnesorganen vorliegt oder nicht.³⁵⁵ In Kants Ausführungen treten  In diesem Abschnitt werden Kontroversen ausgeklammert, die für das hier verfolgte Ziel nicht relevant sind. Für eine ausführliche Darstellung des Synthesisvermögens siehe z. B. Hoppe 1983, Longuenesse 1998, Haag 2007, Grüne 2009, Olk 2016.  Auch in der Gegenwart des Gegenstands muss die Einbildungskraft ausgeübt werden, sonst würde man nur eine Menge von Eindrücken ohne jeglichen Zusammenhang erleben.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

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verschiedene Einteilungen der Synthesis (der Einbildungskraft) auf, die für unser Anliegen von Bedeutung sind: 1) reine/empirische Synthesis der Einbildungskraft, 2) produktive/reproduktive Synthesis der Einbildungskraft, 3) figürlich/intellektuelle Synthesis, 4) und transzendentale Synthesis der Einbildungskraft.³⁵⁶ Im Folgenden werden zuerst die ersten drei Einteilungen dargestellt und anschließend in einen Zusammenhang mit der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft gebracht.

3.2.2.1 Einteilungen der Synthesis (der Einbildungskraft) 1) Eine Synthesis ist die reine Synthesis der Einbildungskraft, „wenn das Mannigfaltige nicht empirisch, sondern a priori gegeben ist (wie das im Raum und der Zeit)“ (A77/B103; siehe auch A78 – 79/B104). „Sie ist a priori möglich u. bringt nichts als Gestalten hervor“ (NTKrV 23:18). Sie ist „obgleich a priori ausgeübt, dennoch jederzeit sinnlich, weil sie das Mannigfaltige nur so verbindet, wie es in der Anschauung erscheint, z. B. die Gestalt eines Triangels“ (A124). Die Reinheit der reinen Synthesis der Einbildungskraft besteht zum einen im Mannigfaltigen, das sie verbindet: Dieses ist das reine Mannigfaltige des Raumes und der Zeit.³⁵⁷

 Es muss bemerkt werden, dass Kant oft ‚Synthesis der Einbildungskraft‘ als Synonym von ‚Einbildungskraft‘ verwendet, denn erstere ist „die bloße Wirkung der Einbildungskraft“ (A78/ B103).  Nach Grüne (2015, S. 2233) könne der Begriff der reinen Synthesis zum einen als eine Verbindung von a priori gegebenen sinnlichen Vorstellungen, zum anderen aber auch als „Verbindung von Vorstellungen, bei der Begriffe a priori als Synthesisregeln fungieren“ charakterisiert werden. Laut Kant ist die reine Synthesis „diejenige, welche auf einem Grunde der synthetischen Einheit a priori beruht“ (A78/B104), und die (schematisierten) Kategorien als Synthesisregeln sind gerade ein solcher Grund. Gegen die erste Möglichkeit führt Grüne an, dass die offensichtlich reine Synthesis nach den Begriffen der Substanz, der Kausalität und der Wechselwirkung nicht die reinen Anschauungen, sondern die empirischen Anschauungen produziere. Denn nur bei empirischen Gegenständen, nicht aber bei den Gegenständen der reinen Anschauungen handele es sich um Substanzen, die in einer kausalen Wechselwirkung stehen. Grünes Interpretation ist jedoch in vieler Hinsicht nicht haltbar. Erstens ist die reine Synthesis in der von ihr genannten ersten Lesart in der Tat lediglich die reine Synthesis der Einbildungskraft, denn es gibt auch eine

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Zum anderen ist sie rein, weil sie für die Erzeugung der reinen Anschauung direkt und mithin für die Erzeugung der empirischen Anschauung indirekt verantwortlich ist.³⁵⁸ Die empirische Synthesis der Einbildungskraft wird von Kant nur erwähnt, aber nie explizit charakterisiert. Sie ist im Gegensatz zur reinen Synthesis der Einbildungskraft diejenige, die direkt auf die Sinnesdaten wirkt und diese zur empirischen Anschauung verbindet. Die beiden oben genannten Synthesen sind nicht zwei unabhängige Akte, sondern jeweils der empirische und der reine Aspekt der Synthesis der Einbildungskraft selbst (A115). 2) In der B-Auflage der KrV wird nicht mehr eingehend über die Reproduktion gesprochen, stattdessen wird die Synthesis der Einbildungskraft in die produktive und reproduktive Synthesis derselben eingeteilt (B152; NTKrV 23:18). Dabei wird die reproduktive Synthesis nur flüchtig erwähnt. Die reproduktive Synthesis der Einbildungskraft fällt in der B-Deduktion mit der Synthesis der Reproduktion in der A-Deduktion zusammen, die im vorigen Abschnitt dieses Kapitels bereits behandelt wurde. Allerdings ist in der B-Deduktion vom reinen Gebrauch der Synthesis der Reproduktion nicht mehr die Rede. Die Synthesis der reproduktiven Einbildungskraft ist nämlich „lediglich empirischen Gesetzen, nämlich denen der Association, unterworfen“ (B152), die nur „subjective Gültigkeit“ haben (B141). Sie kann „daher zur Erklärung der Möglichkeit der Erkenntniß a priori nichts [beitragen] und [gehört] um deswillen nicht in die Transscendentalphilosophie, sondern in die Psychologie“ (B152). Im Gegensatz dazu ist die produktive Synthesis der Einbildungskraft ein Vermögen der „ursprünglichen“ anschaulichen Darstellung des Gegenstands (Anth 7:167). Sie verbindet Sinneseindrücke, und ihr Produkt ist die bildliche

Art reiner Synthesis, nämlich die intellektuelle Synthesis, die nicht mit sinnlichem Mannigfaltigen operiert. Zweitens bestimmt die Synthesis nach den Kategorien der Relation direkt die Relation der Zeit. Sie ist mithin im Gegensatz zu Grünes Meinung durchaus für die Vorstellung der Zeit als reine formale Anschauung verantwortlich (B160 – 161). Drittens ist zu bemerken, dass die von Grüne vorgeschlagenen zwei Lesarten sich auf Textbelege auf direkt benachbarten Seiten stützen (A77– 79/B103 – 104). Es ist unplausibel zu unterstellen, dass Kant innerhalb von nur zwei Seiten unterschiedliche Meinungen vertritt. Ich werde mich im Folgenden Text deshalb Grünes Darstellung nicht anschließen.  Grüne (2015, S. 2234) weist auf die Unklarheiten hin, ob „es sich bei der Synthesis des ‚Mannigfaltige[n] der Sinnlichkeit a priori‘ (A76/B102) tatsächlich um eine Synthesis von a priori gegebenen Vorstellungen handelt, die von empirischen Vorstellungen unterschieden sind, oder ob die Vorstellungen, die synthetisiert werden, auch im Falle reiner Synthesis empirische Vorstellungen sind, wobei man bei der Synthesis dieser Vorstellungen von allen empirischen Merkmalen abstrahiert“. Siehe auch Haag (2007, S. 245 – 256). In diesem Kapitel werden Belege dafür präsentiert, dass die Synthesis des reinen Mannigfaltigen des Sinnes a priori bloß der reine Aspekt der faktischen vollzogenen Synthesis des empirischen Mannigfaltigen ist.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

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Darstellung eines empirischen Gegenstands: „[D]as Bild ist ein Product des empirischen Vermögens der productiven Einbildungskraft“ (B181). In den Nachträgen zur KrV (1781) teilt Kant die produktive Synthesis in dreierlei Hinsichten ein: Die productive Einbildungskraft ist 1. empirisch in der apprehension 2. rein aber sinnlich in Ansehung eines Gegenstandes der reinen sinnlichen Anschauung. 3. transscendental in Ansehung eines Gegenstandes überhaupt die erstere setzt die zweyte voraus u. die zweyte die dritte. (NTKrV 23:18)

Entgegen mancher Auffassung kann die produktive Synthesis somit nicht nur rein, sondern auch empirisch sein.³⁵⁹ Die empirische produktive Einbildungskraft wird von Kant nur an manchen Stellen skizzenhaft erwähnt. Sie hat zwei Funktionen. Bei der ersten geht es um die Imagination oder Einbildung im alltäglichen Sinne: Der empirische Gebrauch der einbildungskraft beruht auf der synthesis der Apprehension der empirischen Anschauung die denn auch reproducirt werden kan oder nach deren analogie eine andere gemacht werden kan. Im letztern Fall ist es die productive Einbildungskraft. (NTKrV 23:18)

Die empirische produktive Synthesis operiert hier wie die reproduktive zwar auch mit einem empirischen Mannigfaltigen, das im Gedächtnis erhalten ist, aber ihre Funktion besteht im Gegensatz zu letzterer darin, im Gemüt ein anschauliches Bild eines empirischen Gegenstands mittels des empirischen „Stoff[es]“ aus vorherigen Wahrnehmungen neu zu konstruieren (Anth 7:168). Sie erzeugt somit eine Anschauung eines neuen Gegenstands ohne dessen Gegenwart. Kant spricht deswegen von „nach deren Analogie“, weil die empirische produktive Einbildungskraft Sinneseindrücke nicht „schöpferisch“, d. h. aus nichts, schaffen kann (Anth 7:167– 169), sondern nur diejenigen aus der vergangenen Erfahrung wiederverwendet. Beispiele der Anwendung dieser Einbildungskraft sind Halluzinationen durch Rauschmittel oder Alkohol (Anth 7:169 ff.) oder die Imagination, die man hat, wenn man Begriffen ein „selbstgeschaffenes Bild“ unterlegt, denen eine entsprechende Anschauung aus bestimmten Gründen fehlt – z. B. dem Begriff eines Heldens im Mythos oder dem Begriff eines räumlichen Gegenstands für einen Blinden (Anth 7:172 – 173). Solche Fälle sind irrelevant für die epistemologische Fragestellung der KrV und insbesondere der Transzendentalen Deduktion, denn dort geht es primär um die transzendentale Begründung synthetischer Erkenntnisse a priori.

 Z. B. Zammito 2015, S. 466, dagegen siehe auch A123.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Die empirische produktive Einbildungskraft ist in der Tat nur dann relevant, wenn es um ihre zweite Funktion geht. Diese besteht darin, nicht ohne, sondern in der Gegenwart des Gegenstandes ein Bild dessen aus den gegebenen Sinnesdaten zu konstruieren.³⁶⁰ In diesem Sinn bemerkt Kant, dass die produktive Synthesis die reproduktive ermöglicht – und vermutlich deswegen „ursprünglich“ ist (Anth 7:167) –, denn „haben wir es nicht vorher in Vorstellung durch die synthesis zu Stande gemacht so können wir diese auch nicht mit andern in unserm folgenden Zustande verbinden“ (NTKrV 23:18). Die hinter dieser Bemerkung liegende Idee ist meines Erachtens folgende: Aus einem vorgelegten Mannigfaltigen zum Zeitpunkt t1 greift die empirische produktive Einbildungskraft gemäß den Kategorien einige Elemente heraus und bildet daraus ein momentanes Bild des Gegenstands.³⁶¹ Erst unter dieser Voraussetzung kann die reproduktive Einbildungskraft dieses Bild, das zu t2 nicht mehr vorhanden ist, zu t2 im Gedächtnis behalten und mit dem momentanen Bild desselben Gegenstands zu t2 verbinden. Aus verschiedenen Bildern zu verschiedenen Zeitpunkten wird dann eine multidimensionale Anschauung des Gegenstands gebildet.³⁶² Die Aufgabe der reinen produktiven Einbildungskraft besteht darin, „reine Raumes- und Zeitanschauungen“ (Anth 7:167) oder genauer gesagt die reine raumzeitliche Gestalt eines Gegenstands zu konstruieren (NTKrV 23:18). Zu seinem Produkt zählen zum Beispiel die Vorstellung der Bewegung als Beschreibung eines Raumes überhaupt (B155 Anm.), „Gestalten, welche [im Raum überhaupt] verzeichnet [werden]“ (B196, siehe auch B205) oder die Vorstellung der Zeitgröße (B211). So dargestellt, fällt die reine produktive Einbildungskraft mit der reinen Synthesis der Einbildungskraft zusammen. Beide sind für die Konstruktion reiner Raum- und Zeitanschauungen verantwortlich. An dieser Stelle sind die Verhältnisse der ersten beiden Einteilungen der Synthesis der Einbildungskraft zu klären. Außer Frage steht, dass die empirische Synthesis der Einbildungskraft die reproduktive und die empirische produktive Synthesis der Einbildungskraft einschließt. Da es, wie schon argumentiert, keine  „Einbildungskraft ist das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen“ (B151, H. d. V.). Daraus lässt sich schließen, dass die Einbildungskaft auch dann operiert, wenn der Gegenstand präsent ist.  Diese Konzeption der produktiven Einbildungskraft hat Kant nicht explizit dargestellt. Aus dem Satz „Die productive Einbildungskraft ist 1. empirisch in der apprehension“ (NTKrV 23:28, siehe oben), aus der gerade zitierten Passage aus NTKrV 23:18 sowie aus der Definition der produktiven Einbildungskraft (Anth 7:167, siehe oben) ist jedoch ersichtlich, dass Kant sie vertreten hat.  Im Übrigen muss bemerkt werden, dass die Zusammensetzung dieser Anschauungen der obigen Definition zufolge ebenfalls ein Produkt der empirischen Synthesis der produktiven Einbildungskraft ist, denn die Anschauung des Gegenstands wird daraus erstmalig erzeugt.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

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reine reproduktive Einbildungskraft gibt, fällt die reine Synthesis der Einbildungskraft hinsichtlich ihrer Funktion mit der reinen produktiven Einbildungskraft zusammen. 3) Die Einbildungskraft wird auch in die figürliche und die intellektuelle Synthesis eingeteilt. Erstere ist die „Synthesis des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung, die a priori möglich und nothwendig ist“ (B151). Sie verbindet das reine Mannigfaltige (z. B. Linien, Figuren, Zeitstellen oder Zeitlängen) zur reinen formalen Anschauung einer raumzeitlichen Gestalt, weswegen sie ‚figürlich‘ genannt wird. Vom Begriff her ist sie identisch mit der reinen produktiven Synthesis der Einbildungskraft, denn beide resultieren in der reinen Anschauung eines raumzeitlichen Gegenstands. Die figürliche Synthesis der Einbildungskraft bringt das reine sinnliche Mannigfaltige unter „die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperception“, die in den Kategorien gedacht wird (B151). Deswegen wird sie auch als transzendentale Synthesis der Einbildungskraft bezeichnet (B151). Im Gegensatz dazu ist die intellektuelle Synthesis diejenige, „welche in Ansehung des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt in der bloßen Kategorie gedacht würde und Verstandesverbindung (synthesis intellectualis) heißt“ (B151).³⁶³ Der Ausdruck „in Ansehung des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt“ könnte suggerieren, dass es sich hierbei um eine Art der Synthesis der Einbildungskraft handelt. Mithin kann die synthesis intellectualis nur die Synthesis der Schemata sein, da unschematisierte Kategorien als reine Gedankenformen nichts Sinnliches enthalten und somit ungleichartig zu dem Sinnlichen sind, während die Synthesis der Schemata, die eine Art transzendentale Zeitbestimmung sind, auf das reine Zeitliche und mithin auf das Mannigfaltige einer empirischen Anschauung einwirken kann. Die zitierte Stelle ist jedoch irreführend, denn die synthesis intellectualis ist eine Synthesis „ohne alle Einbildungskraft, bloß durch den Verstand“ (B152), während die Schemata ein Produkt der Einbildungskraft sind (B179). Den Ausdruck „in Ansehung des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt“ sollte man eher dahingehend interpretieren, dass es sich dabei um eine transzendentale Betrachtungsweise handelt, die als eine solche von allen spezifischen sinnlichen Details des Mannigfaltigen abstrahiert (A343/B401). Das Wort „überhaupt“ im Ausdruck „in Ansehung des Mannigfal-

 In einem Brief bezeichnet Kant die „Zahlwissenschaft“ als „eine reine intellectuelle Synthesis“ (Brief an Schultz, 1788, Br 10:557). Dies widerspricht jedoch nicht nur dieser Definition der intellektuellen Synthesis in B151, sondern auch der Klassifizierung der Zahl im SchematismusKapitel. Denn dort bezeichet Kant die Zahl als Schema der Kategorien der Größe (B182). Das Schema ist Produkt der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft, die nicht rein intellektuell ist. Mithin ist zumindest der KrV nach die Vorstellung der Zahl nicht, wie Kant im Brief an Schultz behauptet, rein intellektuell.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

tigen einer Anschauung überhaupt“ bedeutet meines Erachtens an dieser Stelle ‚ganz allgemein, abstrahiert von möglichen Beziehungen auf spezifischen sinnlichen Details‘. Das, was die synthesis intellectualis verbindet, sind eher reine Begriffe als reines anschauliches Mannigfaltiges. Daher ist sie eine Synthesis, die in den „bloßen Kategorie[n]“, d. h. in den unschematisierten Kategorien, die bloße „Gedankenformen“ sind (B150), gedacht wird. Beim „Mannigfaltige[n] einer Anschauung überhaupt“ (B151) handelt es sich nicht um sinnliches, sondern um begriffliches Mannigfaltiges oder mannigfaltige Verstandesbegriffe a priori, die einer Anschauung entsprechen und mithin empirische Gültigkeit haben können.³⁶⁴ Es stellt sich nun die Frage, ob eine solche Synthesis des Verstandes ein selbstständiger Akt des Gemüts ist, der ein rein begriffliches Mannigfaltiges überhaupt verbindet. Es ist sehr fragwürdig, ob es in der Bildung der Anschauung eine solche Synthesis gibt, die als ein separater Vorgang neben der figürlichen Synthesis vollzogen wird. Das Mannigfaltige einer Anschauung überhaupt bedeutet, die sinnlichen Vorstellungen ganz allgemein zu betrachten, ohne ihre individuellen Eigenschaften oder spezifischen Inhalte zu berücksichtigen. In diesem Sinne behauptet Kant, die reinen Verstandesbegriffe als Regel der intellektuellen Synthesis sind maßgebend für die Einheit des Mannigfaltigen der „Anschauung überhaupt, ob sie die unsrige oder irgendeine andere, doch sinnliche sei“ (B150). Es gibt kein Mannigfaltiges überhaupt als reale Vorstellungen, die durch Verstandeshandlungen organisiert werden müssen. Man kann wohl einwenden, dass die synthesis intellectualis wegen ihres intellektuellen Charakters verschiedene Begriffe a priori verbindet, die unspezifisch auf empirische Vorstellungen bezogen sein können. Somit erweist sie sich als ein Urteil von abstraktem Gehalt. Die Verstandeshandlung gemäß der Kategorie der Kausalität verbindet z. B. den Begriff der Ursache mit dem Begriff der Wirkung. Beide Begriffe enthalten nichts Sinnliches. Es ist jedoch unhaltbar zu postulieren, dass eine solche Synthesis bei der Wahrnehmung wirklich vollzogen wird. Es ist erstens redundant, dass ein abstraktes Urteil, das nicht mit Sinnesdaten operiert, parallel zur Synthesis der Einbildungskraft vollzogen wird.³⁶⁵ Zweitens ist es zwar a priori, aber nicht transzendental. Die intellektuelle und die figürliche Synthesis sind beide transzendental, da sie „die Möglichkeit anderer Erkenntniß a priori gründen“ (B151); im Gegensatz dazu kann ein rein intellektuelles Urteil ohne

 Siehe Olk 2016, Abschnitt 3.  Longuenesse (1998, S. 199 – 209) vertritt dagegen die Position, dass die intellektuelle Synthesis die Verbindung von Begriffen in Urteilen sei.

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konkreten Bezug auf das Mannigfaltige der empirischen Anschauung diese transzendentale Rolle nicht spielen. Kant selbst macht dies deutlich: Es giebt zwar eine transscendentale Synthesis aus lauter Begriffen, die wiederum allein dem Philosophen gelingt, die aber niemals mehr als ein Ding überhaupt betrifft, unter welchen Bedingungen dessen Wahrnehmung zur möglichen Erfahrung gehören könne. (A719/B747)

Da die hier erwähnte Synthesis „lauter Begriffe[]“ verbindet und sich auf ein „Ding überhaupt“ bezieht, ist sie gerade eine intellektuelle Synthesis. Eine solche Synthesis kann jedoch allein ein „Philosoph[]“ bei der philosophischen Reflexion vollziehen. Somit lässt sich schließen, dass in der Entstehung der Anschauung keine separate intellektuelle Synthesis neben der Synthesis der Einbildungskraft vollzogen wird. Unter der intellektuellen Synthesis werden in der Tat die synthetischen Handlungen des Verstandes, die nach den Kategorien als Regeln vermittels der Synthesis der Einbildungskraft mit Sinnesdaten operieren, von einer Abstraktionsstufe aus beschrieben, in der von den dadurch synthetisierten empirischen Vorstellungen gänzlich abstrahiert wird.³⁶⁶ Damit werden die Handlungen des Verstandes als reine synthetische Funktionen oder „bloße Gedankenformen“ (B150) hervorgehoben. In diesem Sinne sagt Kant (fortan wird diese Behauptung als ‚Identitätsthese der Spontaneität‘ bezeichnet): Auf solche Weise wird bewiesen: daß die Synthesis der Apprehension, welche empirisch ist, der Synthesis der Apperception, welche intellectuell und gänzlich a priori in der Kategorie enthalten ist, nothwendig gemäß sein müsse. Es ist eine und dieselbe Spontaneität, welche dort unter dem Namen der Einbildungskraft, hier des Verstandes, Verbindung in das Mannigfaltige der Anschauung hineinbringt. (B162 Anm.)

 Haag (2007, S. 256 – 264) ist einer ähnlichen Auffassung, die darin besteht, dass die figürliche und die intellektuelle Synthesis zwei verschiedene Weisen darstellen, in denen die Verbindungshandlung charakterisiert werden könne. Siehe auch Allison 2015, S. 378. Nakano (2011, S. 225 – 226) dagegen ist der Meinung, dass beide Synthesisarten zwei Typen der Synthesis seien. Er verweist auf Baum, der behauptet, dass „der Unterschied zwischen den zwei Teilen der Transzendentalen Deduktion auf den Unterschied zwischen der intellektuellen Synthesis in einem Urteil und der figürlichen Synthesis der Einbildungskraft beruht“ (Nakano 2011, S. 226). Meines Erachtens abstrahiert der erste Teil der Transzendentalen Deduktion gerade von der Art der Gegebenheit des sinnlichen Mannigfaltigen (B144). Daher ist die intellektuelle Synthesis, die der erste Teil der Transzendentalen Deduktion thematisiert, ein Aspekt der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft unter Abstraktion von der Art der Gegebenheit des sinnlichen Mannigfaltigen.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Dass die intellektuelle Synthesis die Handlung des Verstandes abgesehen von ihrem spezifischen Bezug auf das sinnliche Mannigfaltige ist, zeigt sich deutlich in folgenden Bemerkungen von Kant: Nun ist das, was das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung verknüpft, Einbildungskraft, die vom Verstande der Einheit ihrer intellectuellen Synthesis und von der Sinnlichkeit der Mannigfaltigkeit der Apprehension nach abhängt. (B164, H. d. V.)

An dieser Stelle ist deutlich sichtbar, dass die Einbildungskraft die intellektuelle Synthesis ausübt, was Kants zuvor zitierter Behauptung widerspricht, dass diese Synthesis nicht zur Einbildungskraft, sondern zum Verstand allein gehört (B152).³⁶⁷ In Übereinstimmung mit dem obigen Zitat charakterisiert Kant die „Synthesis überhaupt“ jedoch als „die bloße Wirkung der Einbildungskraft“ (B103). Diese Inkonsistenz kann nur dadurch erklärt werden, dass der Begriff der intellektuellen Synthesis den intellektuellen, begrifflichen Aspekt der Synthesis der Einbildungskraft bezeichnet, der allein Produkt des Verstands ist. Genauer gesagt, sind dieser Beitrag des Verstandes die Kategorien, die als einheitsstiftende Regel für die Synthesis der Einbildungskraft fungieren und diese Synthesis intellektuell machen. Eine weitere Stelle bestätigt diese Vermutung: Diese Apperception ist es nun, welche zu der reinen Einbildungskraft hinzukommen muß, um ihre Function intellectuell zu machen. Denn an sich selbst ist die Synthesis der Einbildungskraft, obgleich a priori ausgeübt, dennoch jederzeit sinnlich, weil sie das Mannigfaltige nur so verbindet, wie es in der Anschauung erscheint, z. B. die Gestalt eines Triangels. Durch das Verhältniß des Mannigfaltigen aber zur Einheit der Apperception werden Begriffe, welche dem Verstande angehören, aber nur vermittelst der Einbildungskraft in Beziehung auf die sinnliche Anschauung, zu Stande kommen können. (A124, H. d. V.)

Die reine produktive Einbildungskraft zeichnet die reine Raum- und Zeitanschauung ab, die aber bloß sinnlich bleibt. Ihre Funktion wird dadurch intellektuell, dass sie das Mannigfaltige in die Einheit der Apperzeption bringt, d. h., dass sie gemäß den Kategorien als Synthesisregel vollzogen wird. Da die reine produktive Einbildungskraft der einheitsstiftenden Regel des Verstandes folgt, bleibt von ihrer Synthesis, wenn man diese unter Abstraktion vom sinnlichen Mannigfaltigen betrachtet, nichts als eine intellektuelle Synthesis bzw. bloße Verstandesfunktion übrig. Im gesamten Vorgang der Erzeugung empirischer Anschau-

 Ameriks (2006, S. 55) z. B. identifiziert gar die Apperzeption und das Urteil, die beide zum Verstand gehören, mit der Synthesis.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

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ungen wird keine intellektuelle Synthesis separat ausgeübt.³⁶⁸ Vielmehr ist diese ein Aspekt von ein und derselben Synthesis der Einbildungskraft, die für die Erzeugung der Anschauung verantwortlich ist. In diesem Sinne schreibt Kant: Die Einheit der Apperception in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft ist der Verstand und eben dieselbe Einheit beziehungsweise auf die transscendentale Synthesis der Einbildungskraft der reine Verstand. (A119)

3.2.2.2 Synthesis der Einbildungskraft in der B-Deduktion An dieser Stelle ist eine Bemerkung zu den verschiedenen Bezeichnungen der Synthesis der Einbildungskraft notwendig. Wie wir gesehen haben, bezeichnen die Begriffe der reinen, der reinen produktiven und der figürlichen Synthesis der Einbildungskraft eigentlich dasselbe, nämlich die reine Anschauungen konstruierende Synthesis der Einbildungskraft. Das heißt, funktional sind die drei äquivalent: Von ihnen wird eine reine raumzeitliche Gestalt hervorgebracht, die der empirischen Synthesis des Mannigfaltigen als ‚Rahmen‘ dient.Wir haben auch gesehen, dass die drei Begriffspaare der Synthesis (siehe Abschnitt 3.2.2.1) nicht jeweils zwei voneinander unabhängig vollzogene spontane Akte, sondern zwei Aspekte eines einzigen Synthesisakts darstellen, und zwar der Synthesis der Einbildungskraft tout court, aus der sich die empirische Anschauung ergibt.³⁶⁹ Der Grund, warum Kant mit verschiedenen Begriffen der Synthesis der Einbildungskraft operiert, kann nur sein, dass diese Begriffe jeweils einen speziellen Aspekt der Synthesis der Einbildungskraft herausgreifen, um ihn mit einem anderen Aspekt dieser Synthesis zu vergleichen. Aus diesem Grund verwendet Kant die drei Dichotomien, um die Synthesis dieser Einbildungskraft unter drei Gesichts-

 Ich muss einräumen, dass manche Formulierung Kants suggeriert, dass neben der Synthesis der Einbildungskraft, die die Anschauung konstruiert, auch eine intellektuelle Synthesis der Apperzeption separat ausgeübt wird: „Auf solche Weise wird bewiesen: daß die Synthesis der Apprehension, welche empirisch ist, der Synthesis der Apperception, welche intellectuell und gänzlich a priori in der Kategorie enthalten ist, nothwendig gemäß sein müsse“ (B162 Anm.). Bei der „Synthesis der Apperzeption“ in der Kategorie handelt es sich an dieser Stelle, sachlich betrachtet, um die Synthesis der Rekognition (A124 f.). Später wird gezeigt, dass die Synthesis der Apprehension, der Reproduktion und der Rekognition nicht drei separate Synthesisarten, sondern ein und dieselbe Synthesis in verschiedenen Hinsichten sind. Die Synthesis der Apprehension und der Apperzeption sind ebenfalls als zwei Aspekte der Synthesis der Einbildungskraft tout court zu betrachten.  Der Fall der figürlichen und der intellektuellen Synthesis ist im Übrigen, wie schon bemerkt, besonders. Sie sind beide a priori und mithin rein. Obwohl die intellektuelle Synthesis streng genommen keine Synthesis der Einbildungskraft ist, bilden die beiden den transzendentalen Gebrauch dieser Synthesis.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

punkten zu beleuchten³⁷⁰: Die erste Dichotomie teilt sie hinsichtlich des epistemischen Charakters des von ihr bearbeiteten Mannigfaltigen ein; die zweite macht darauf aufmerksam, dass die Synthesis der Einbildungskraft aus einem konstruierenden Akt und einer zur Konstruktion nötigen psychologischen Hilfskomponente besteht. Das heißt, die zweite Dichotomie teilt sie hinsichtlich der Teilakte der Einbildungskraft ein, die nur begrifflich, jedoch nicht real voneinander zu trennen sind; und die dritte teilt die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft hinsichtlich der Vermögen ein, die an dieser Synthesis beteiligt sind. Sie besteht demnach aus einer sinnlichen Komponente, die für die Konstruktion der Anschauung verantwortlich ist, und einer begrifflichen, die allein dem Verstand zu verdanken ist. In einem Wort, sind die drei Dichotomien auf nichts anderes als verschiedene Darstellungsweisen eines einzigen Synthesisakts zurückzuführen: der Synthesis der Einbildungskraft tout court, die die Bausteine der Erfahrung – d. h. die empirischen Anschauungen – erzeugt. Im letzten Kapitel wurden drei Synthesisarten behandelt, die in den Anfangsabschnitten der A-Deduktion erwähnt werden: Apprehension, Reproduktion und Rekognition. Sie sollen ebenfalls denselben synthetischen Akt, der am Ende in einer empirischen Anschauung resultiert, nach verschiedenen Hinsichten darstellen, denn sie sind in der Tat nicht drei unterschiedliche synthetische Akte, sondern eine „dreifache[] Synthesis“ (A97): Die Synthesis der Apprehension enthält zwei Teilhandlungen, das Durchlaufen und die Zusammensetzung verschiedener Sinnesdaten zu einer empirischen Anschauung; die Reproduktion ist derjenige Teilakt dieser dreifachen Synthesis, der nicht mehr präsente Sinnesdaten zwecks der Zusammensetzung wieder vergegenwärtigt; der Begriff der Rekognition schließlich verweist auf das Auf-den-Begriff-Bringen der Sinnesdaten, das die Voraussetzung der Zusammensetzung ist. Die dreifache Synthesis ist hinsichtlich ihres Produkts nichts anderes als die Synthesis der Einbildungskraft; sie wird lediglich am Anfang der A-Deduktion in funktionaler Hinsicht in drei Teilakte zerlegt. An dieser Stelle ist eine exegetische Bemerkung vonnöten. Interessanterweise spielen die letzten beiden Aspekte der Synthesis der Einbildungskraft in der BDeduktion keine Rolle mehr. An den wenigen Stellen, an denen Kant die Synthesis der Apprehension erwähnt, charakterisiert er sie entweder als Akt, der das Mannigfaltige in das Gemüt bloß aufnimmt (B235), oder als Prozess, in dem die  Bei diesen Dichotomien handelt es sich um die reine/empirische Synthesis der Einbildungskraft, die produktive/reproduktive Synthesis der Einbildungskraft und die figürliche/intellektuelle Synthesis. Streng genommen bilden die figürliche und die intellektuelle Synthesis nur eine Dichotomie der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft. Zur Vereinfachung verwende ich trotzdem den Begriff ‚Dichotomie‘.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

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empirische Anschauung zusammengesetzt wird (B160 ff., 219). Der Begriff der Apprehension bezeichnet folglich in der B-Deduktion den gesamten Prozess der Erzeugung der empirischen Anschauung. Kant thematisiert im Unterschied zur ADeduktion die Reproduktion nicht mehr, weil sie als Teil des empirischen Gebrauchs der Apprehension transzendental nicht relevant ist. Das impliziert aber nicht, dass er die Existenz der Reproduktion völlig ablehnt. Die Rekognition in empirischen Begriffen spielt ebenfalls keine Rolle in der B-Deduktion. Der Begriff der Rekognition in den reinen Verstandesbegriffen wird nicht mehr erwähnt und hinsichtlich ihrer argumentativen Rolle von der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft abgelöst, die in der A-Deduktion nur flüchtig zur Sprache kommt (A118 f.) und argumentativ nur wenig Gewicht trägt. In der B-Deduktion wird die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft im Vergleich mit der Synthesis der Rekognition in der A-Deduktion direkt mit dem inneren Sinn und der Selbstaffektion in Zusammenhang gebracht.

3.2.2.3 Transzendentale Synthesis der Einbildungskraft Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft ist transzendental, weil sie nicht nur „selbst a priori vorgeh[t]“, sondern auch die Möglichkeit „anderer Erkenntniß a priori [be]gründe[t]“ (B151, siehe auch A124).³⁷¹ Sie ist ein Vermögen, das eine vermittelnde Rolle zwischen Sinnlichkeit und Verstand spielt: „Vermittelst [ihrer] bringen wir das Mannigfaltige der Anschauung einerseits mit der

 Grüne zufolge erläutert Kant die transzendentale Synthesis auf drei verschiedene Weisen (Grüne 2015: 2235). Erstens macht sie „den transscendentalen Grund der Möglichkeit aller Erkenntnise überhaupt (nicht blos der empirischen, sondern auch der reinen a priori) aus []“ (A102). Sie sei mithin eine notwendige Bedingung für das Vorliegen sowohl apriorischer als auch empirischer Erkenntnisse. Zweitens begründet sie „die Möglichkeit anderer Erkenntniß a priori“ (B151). Drittens ist eine Synthesis transzendental, wenn sie „ohne Unterschied der Anschauung [] auf nichts, als blos auf die Verbindung des Mannigfaltigen a priori geht“ (A118). Laut Grüne bezieht sich der Ausdruck „a priori“ in diesem Zitat auf „geht“. Damit sei eine Synthesis genau dann transzendental, wenn sie a priori abläuft, egal ob die verbundenen Vorstellungen empirisch oder a priori seien. Gemäß dem ersten und dritten Begriff der transzendentalen Synthesis könne eine Synthesis empirischer Vorstellungen transzendental sein (vgl. auch Haag 2007, S. 256 – 264; Guyer 1980). Grünes Meinung ist meines Erachtens verfehlt. Aus der Aussage, dass die transzendentale Synthesis der transzendentale Grund der Möglichkeit der empirischen Erkenntnisse ist, folgt nicht, dass diese Synthesis direkt empirische Vorstellungen verbindet. Sie kann durchaus a priori auf die Bedingung der letzteren gehen. Nach Kant gehen außerdem sowohl die Einbildungskraft als auch die Apperzeption in ihrem transzendentalen Gebrauch „auf die Form“ (A94 Anm.), mithin kann die transzendentale Synthesis nicht direkt die empirischen Vorstellungen verbinden. Grünes erste und dritte Darstellung basieren fälschlicherweise nicht auf der Definition der transzendentalen Synthesis in B151, sondern auf spezifischen Anwendungen dieser Definition.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Bedingung der nothwendigen Einheit der reinen Apperception andererseits in Verbindung“ (A124, siehe auch B152). Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft verkörpert folglich zwei unterschiedliche Eigenschaften und muss sowohl Sinnlichkeit als auch Spontaneität aufweisen (B151– 152). Wie ist jedoch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, die diese beiden Charaktere aufweist, konkret aufzufassen? Welches sind die von ihr bearbeiteten Materialien und Produkte? Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft ist in ihrer sinnlichen Seite identisch mit der „rein[en] Einbildungskraft“ (A124), der reinen produktiven Einbildungskraft (A123) oder der „figürlich[en] Synthesis“ (B151), die die reinen Raum- und Zeitanschauungen konstruiert.³⁷² Diese sind gerade formale Anschauungen, gemäß denen das Mannigfaltige der empirischen Anschauung apprehendiert wird (B160 – 161). Die transzendentale Synthesis ist folglich für die reinen sinnlichen Bedingungen der empirischen Anschauung verantwortlich. Sie operiert mit dem Mannigfaltigen der reinen Anschauung und verbindet es gemäß der Einheit der Kategorien. Deswegen ist sie „die erste Anwendung [des Verstandes] […] auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung“ (B152). Diese anschauungskonstruierende Funktion allein macht jedoch nur ihre sinnliche Seite aus, denn Kant betrachtet diese Funktion als alleinige Leistung der Sinnlichkeit: Die Einbildungskraft ist „an sich selbst […] obgleich a priori ausgeübt, dennoch jederzeit sinnlich, weil sie das Mannigfaltige nur so verbindet, wie es in der Anschauung erscheint, z. B. die Gestalt eines Triangels“ (A124).³⁷³ Diese reine figürliche Einbildungskraft wird erst dann zur transzendentalen Synthesis, wenn die spontane intellektuelle Synthesis des Verstandes sie lenkt und mithin intellektualisiert: „Diese Apperception ist es

 Wie oben gezeigt, beziehen sich die drei Bezeichnungen auf denselben Akt.  Für Ähnliches siehe auch B151– 152: „Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehört die Einbildungskraft der subjectiven Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine correspondirende Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit“. Siehe auch eine Stelle in den Nachträgen zur ersten Auflage der KrV (NTKrV 23:18). Wenn die figürliche Synthesis der Einbildungskraft „an sich“ (A124) sinnlich ist, hat man ein interpretatives Problem. Sinnlichkeit ist nämlich wesentlich ein Erkenntnisvermögen der Rezeptivität oder Empfänglichkeit, d. h. ein Vermögen, Vorstellungen dadurch zu bekommen, dass das Gemüt durch Gegenstände affiziert wird (A50/B74; Anth 7:140). An anderer Stelle scheint Kant jedoch die Meinung zu vertreten, dass die figürliche Synthesis der Einbildungskraft die Spontanität des Verstandes voraussetzt (NTKrV 23:18). In B160 Anm. scheint Kant ebenfalls der Auffassung zu sein, dass die Synthesis der reinen Raumes- und Zeitanschauungen „nicht den Sinnen angehört“, obwohl ihre Einheit zur Sinnlichkeit gehört. Einerseits gehört die figürliche Synthesis als spontaner Akt zur Spontaneität, da eine Synthesis per definitionem ein spontaner Akt ist, andererseits soll sie nun aber zur Sinnlichkeit als Rezeptivität gehören. Das ist begrifflich inkonsistent. Dies wird im weiteren Verlauf der Arbeit schrittweise aufgeklärt werden.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

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nun, welche zu der reinen Einbildungskraft hinzukommen muß, um ihre Function intellectuell zu machen“ (A124). Auf ihrer intellektuellen Seite hat die transzendentale Einbildungskraft „die nothwendige Einheit in der Synthesis [des reinen Mannigfaltigen] zu ihrer Absicht“ (A123). Sie dient dazu, Einheit im reinen Mannigfaltigen zu bewirken, sodass die Einheit der Apperzeption hergestellt wird, die die notwendige Voraussetzung des Bewusstseins der Vorstellungen und der Erfahrung sein soll. Sie geht „bloß auf die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperception, d. i. diese transscendentale Einheit […] welche in den Kategorien gedacht wird“ (B151, siehe auch NTKrV 23:18). Diese Bemerkungen sind sehr abstrakt und schwer nachzuvollziehen, denn schließlich ist es unklar, was es genau bedeuten soll, dass die Handlungen, die die reinen Anschauungen konstruieren, auf die transzendentale Einheit nach den Kategorien abzielen. Die intellektuelle Seite der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft trägt zur Vorstellung keinen sinnlichen Gehalt bei, die durch die Synthesis der Einbildungskraft erzeugt wird, denn letztere ist dafür schon hinreichend, dass das Mannigfaltige der reinen Anschauung „so verb[u]nde[n] [wird], wie es in der Anschauung erscheint“ (A124). Vielmehr wird durch die intellektuelle Funktion der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft „ein Begriff vom Gegenstande überhaupt […] nach den verschiedenen Arten der transscendentalen Synthesis [gedacht]“ (NTKrV 23:18).³⁷⁴ Durch die intellektuelle Funktion dieser Synthesis wird das Mannigfaltige der reinen Anschauung in einer objektiven Einheit vereinigt bzw. in einen repräsentationalen Zusammenhang gebracht. Anders ausgedrückt, werden bestimmte empirische Vorstellungen so gedacht, dass ihr repräsentationaler Gehalt in dem Sinne eine Einheit bildet, als sie zusammen einen Gegenstand repräsentieren. Die Beziehung des reinen Mannigfaltigen auf einen Gegenstand kann die Sinnlichkeit als Rezeptivität allein nicht herstellen, da dafür eine spontane Denkhandlung nötig ist, die nur durch die intellektuelle Funktion der Synthesis der Einbildungskraft ausgeführt werden kann. Durch diese Denkhandlung wird die Gegenständlichkeit im Mannigfaltigen folgendermaßen hineingedacht:³⁷⁵ Der Gegenstand der empirischen Anschauung ist eine räumliche Gestalt, die für eine bestimmte Zeitdauer existiert; jeder der raumzeitlichen Teile, die ihn konstituieren, ist von einer Realität bestimmten Grades zu erfüllen, die durch eine bestimmte Sinnesqualität von entsprechendem

 Diese Synthesisarten sind lediglich in dem Sinne verschieden, als die Regel für deren Einheit, die Kategorien, verschieden sind.  In einem bedeutsamen Kapitel der B-Deduktion (§ 26) behauptet Kant, dass die Einheit der Synthesis der Einbildungskraft a priori bzw. der Bezug auf einen Gegenstand „mit (nicht in) diesen Anschauungen zugleich gegeben“ ist (B161, H. d. V.). Die Gegenständlichkeit ist offenbar eine gedankliche Zutat zu den sinnlichen Materialien.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Grad repräsentiert wird; der repräsentationale Gegenstand einer empirischen Vorstellung kann eine Substanz oder eine Akzidenz (Zustand) einer Substanz sein; wenn er Zustand einer Substanz ist, steht er mit anderen Ereignissen in kausalem Zusammenhang; ein bestimmter Zustand einer Substanz könnte zu irgendeiner Zeit, zu einer bestimmten Zeit oder zu allen Zeiten vorkommen. All diese Aspekte, die die Gegenständlichkeit ausmachen – die raumzeitlichen Größen, der Grad der Sinnesqualitäten, der Umstand, ob es sich bei einem Gegenstand um eine Substanz oder nur eine von deren Bestimmungen handelt usw. –, sind nicht direkt aus den Sinnesdaten wahrzunehmen, sondern verdanken sich der gedanklichen Zutat der intellektuellen Seite der transzendentalen Einbildungskraft. Die Synthesis dieser Einbildungskraft operiert mit dem reinen sinnlichen Mannigfaltigen, indem sie einen Teil davon zu einer raumzeitlichen Größe zusammennimmt, die Zeitdauer oder Raumregionen als durch Sinnesqualitäten verschiedenen Grades erfüllt vorstellt, das Beharrliche als Substanz und das Wechselhafte als deren Bestimmungen interpretiert, die Zustände des Gegenstands als in kausaler Beziehung mit anderen Ereignissen stehend denkt usw. Die Regel für alle solchen Denkhandlungen, die Einheit in dem Mannigfaltigen stiften, sind die Kategorien, die „nichts anders als Vorstellungen von Etwas (Erscheinung) überhaupt so fern es durch transsc. Synthesis der Einbildungskraft vorgestellt wird“ (NTKrV 23:19). Diese transzendentale Synthesis bringt das Mannigfaltige unter die Kategorien und mithin in die notwendige Einheit der Apperzeption. Sie ermöglicht die Zusammensetzung des Mannigfaltigen, d. h. die Synthesis der Apprehension. In dieser Hinsicht hat sie die gleiche Funktion wie die Synthesis der Rekognition in (reinen) Begriffen. Da sie als figürliche Synthesis für die Erzeugung der formalen Anschauung verantwortlich und für die empirische Synthesis der Einbildungskraft maßgebend ist (B160), ist sie mit der reinen Synthesis der Apprehension funktional identisch.³⁷⁶ Zusammengefasst lässt sich Folgendes feststellen: Wenn man sich auf die Terminologie der B-Auflage der KrV beschränkt, ist für die Entstehung der empirischen Anschauung nur eine Synthesis verantwortlich: die Synthesis der Apprehension. In ihrem empirischen Aspekt fasst diese Synthesis das empirische Mannigfaltige in einer empirischen Anschauung zusammen, während sie in ihrem transzendentalen oder formalen Aspekt die Kategorien auf die reine Sinnlichkeit anwendet.³⁷⁷  Hier wird unter der Apprehension die gesamte Handlung der Konstruktion der Anschauung, nicht bloß das Durchlaufen des Mannigfaltigen, verstanden.  Valaris (2008, S. 8) behauptet, dass die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft und die Synthesis der Apprehension jeweils dem formalen oder transzendentalen Aspekt und dem materiellen oder empirischen Aspekt der figürlichen Synthesis entsprächen. Es bestehen jedoch

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

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3.2.2.4 Dreifache Synthesis, transzendentale Synthese der Einbildungskraft und der innere Sinn Nun stellen sich die folgenden Fragen: Welche Implikationen hat die bisherige Ausführung für die Auslegung der Lehre Kants, dass die Synthesis der Apprehension den inneren Sinn affiziert? (Anth 7:134, Refl 18:614). Kants Darstellung suggeriert, dass die Synthesis der Apprehension, die der Reproduktion und die der Rekognition nacheinander vollzogen werden und zudem unabhängig voneinander ausgeübt werden können. In der Tat bezeichnet er die drei Synthesisarten explizit als „dreifach[e] Synthesis“ (A97). Das deutet darauf hin, dass es dabei nicht um drei unterschiedliche synthetische Akte geht. Vielmehr sind sie drei Aspekte desselben synthetischen Akts. Wie oben gezeigt, ist nämlich die Apprehension mit der Reproduktion „unzertrennlich verbunden“ (A102). Ohne die Rekognition wäre wiederum „alle Reproduktion in der Reihe der Vorstellungen vergeblich“ (A103). Genauer gesagt sind die Reproduktion und die Rekognition die notwendigen Bestandteile des zweiten Schritts der Apprehension, nämlich der Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer Anschauung. Die Apprehension kann somit als eine Bezeichnung für die gesamte Handlung der Erzeugung der empirischen Anschauung betrachtet werden, die als ihre Teilaspekte die Reproduktion und Rekognition einschließt.³⁷⁸ Die Apprehension und Reproduktion als anschauungskonstruierende Akte der Einbildungskraft und die Rekognition als begriffliche Leistung des Verstandes werden in einem Zug ausgeübt: Es ist eine und dieselbe Spontaneität, welche dort unter dem Namen der Einbildungskraft, hier des Verstandes, Verbindung in das Mannigfaltige der Anschauung hineinbringt. (B162 Anm.)

Die Behauptung, dass die drei Akte in einem Zug vollzogen werden, hat auch eine ontologische Implikation. Kant macht nämlich in den Nachträgen zur KrV 1781 explizit: „[D]ie Synthesis geschieht in der Zeit“ (NTKrV 23:18; B204). Somit impliziert die obige Behauptung, dass die drei Akte gleichzeitig ausgeübt werden. Diese anscheinend triviale Konklusion wird uns später helfen, die Selbstaffektion besser zu verstehen. Die obige Implikation impliziert aber nicht, dass die Apprehension und Reproduktion ohne Rekognition unmöglich sind. Eine Apprehension im schwächeren Sinn, aus der sich keine empirische Anschauung mit einem genuinen

nur geringfügige terminologische Unterschiede zwischen seiner Lesart und der hier vorgeschlagenen. Beide sind der Auffassung, dass in der Entstehung der empirischen Anschauung nur eine synthetische Aktivität im Spiel ist.  Siehe auch Paton 1951 Bd.1, S. 362; Grüne 2009, S. 184.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Gegenstandsbezug ergibt, ist durchaus ohne Rekognition möglich. Wie Kant im Brief an Herz (1789) andeutet, ist ein rudimentärer Geist ohne Apperzeption und Verstand dazu fähig, Daten der Sinne nach „einem empirischen Gesetze der Association“ zu verbinden.³⁷⁹ Die sich daraus ergebene Vorstellung enthält weder einen genuinen Gegenstandsbezug, da der primitive Geist zu keiner Synthesis nach Kategorien fähig ist, noch ermöglicht sie ein genuines empirisches Bewusstsein des eigenen mentalen Zustands, da für den inneren Sinn die reine Apperzeption notwendig ist (A122).Vielmehr ist das Endprodukt dieser verkürzten Apprehension eine assoziative Verbindung empirischer Vorstellungen, die nur eine subjektive Einheit aufweisen. In einem Brief an Alexander Fürst von Beloselsky (Br 11:345, 1792) erwähnt Kant im Übrigen, dass auch Tiere, die über keine Apperzeption sowie Verstandesvermögen verfügen, zur apprehensio bruta – d. h. einer bloßen Apprehension ohne Verstandesleistung – fähig sind: Zuerst die Eintheilung des Vorstellungsvermögens in die der bloßen Auffassung der Vorstellungen apprehensio bruta ohne Bewustseyn, ist lediglich für das Vieh und die sphaere der apperception, d. i. der Begriffe, die letztere macht die sphaere des Verstandes überhaupt. (Br 11:345) ³⁸⁰ Die Thiere haben auch apprehensiones, aber nicht apperceptiones; mithin können sie ihre Vorstellungen nicht allgemein machen. (Refl 15:166, siehe auch Refl 15:958)

Folglich sind die Apprehension und die Reproduktion nicht nur begrifflich nicht notwendigerweise mit der Rekognition verbunden, sondern auch in der Wirklichkeit ohne diese möglich.³⁸¹ Die Assoziation kann dabei als Ersatz der Rekognition dazu dienen, verschiedene Sinneseindrücke in eine subjektive Einheit zu bringen. Undenkbar ist lediglich, dass die Apprehension allein oder die Apprehension mit der Reproduktion ohne Rekognition eine empirische Anschauung mit  Siehe auch Anth 7:197, in der Kant dem Tier die mechanische Reproduktionsfähigkeit zuschreibt. Eine solche Fähigkeit setzt keine Verstandesleistung voraus (Anth 7:197) und kann daher nicht als Synthesis betrachtet werden. Es gibt jedoch Stellen, an denen sichtbar ist, dass die Assoziation dennoch die Verstandesleistung voraussetzt: „Es liegt […] der Assoziation die reine Synthesis der Einbildungskraft […] a priori zum Grund“ (A116 – 117). Angesichts der Aussagen in Anthropologie sollte diese Bemerkung so verstanden werden, dass sie speziell auf die Assoziation eines Erkenntnissubjekts wie jene des Menschen beschränkt ist. Vgl. Zammito (2015:467).  Zwar spricht Kant von „apprehensio bruta ohne Bewustseyn“, aber in dem oben zitierten Brief an Herz sowie an einer Stelle in Logik (9:65) schreibt Kant explizit vom Tierbewusstsein. Das Bewusstsein im Ausdruck „apprehensio bruta ohne Bewustseyn“ muss im starken Sinn, d. h. als Vorstellung höherer Ordnung mit einem Selbstbezug, verstanden werden, wie es in der KrV üblicherweise der Fall ist.  Natürlich gilt dies nicht für Menschen als Erkenntnissubjekt im normalen Zustand. Vgl. Grüne (2009, S. 184).

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

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einem genuinen Gegenstandsbezug generiert. Die Apprehension und die Reproduktion ohne Rekognition sind keine ‚zweifache‘ Synthesis, da sie keine richtigen spontanen regelfolgenden Akte sind. Wie schon ausgeführt, deutet Kant auffällig darauf hin, dass sich dieser primitive Geist im obigen Szenario der einzelnen Sinnesdaten bewusst werden kann (siehe Log 9:65 und den Brief an Herz 1789). Aus all dem eben Gesagten lässt sich schließen, dass das Bewusstsein der Anschauung mit Gegenstandsbezug sowie das Bewusstsein des eigenen Zustands erst durch die Beteiligung der Synthesis der Rekognition möglich sind.³⁸² Aber ein Bewusstsein einzelner Sinnesdaten, das diese in keinen intentionalen Zusammenhang integriert und daraus kein mentales Bild eines Gegenstandes erzeugt, kann schon ein Wesen haben, das nur zur bloßen Apprehension und der primitiven mechanischen Reproduktion fähig ist.³⁸³ Das heißt, empirisches Bewusstsein einzelner Sinnesdaten ohne Gegenstandsbezug ist bewusstseinstheoretisch nicht notwendigerweise mit der Rekognition verbunden. Im Abschnitt 3.1 habe ich die Apprehension oder genauer das Durchlaufen des Mannigfaltigen als den Prozess von dessen Aufnahme in das apperzeptive Bewusstsein bezeichnet. Der obigen Analyse entsprechend muss diese These nunmehr modifiziert werden: Die Apprehension des nicht-apperzeptiven Wesens – d. h. die Apprehension des empirischen Mannigfaltigen ohne Wirkung der Synthesis gemäß den Kategorien – ermöglicht ein phänomenales Bewusstsein des Mannigfaltigen als Bewusstsein einzelner Eindrücke ohne Gegenstandsbezug, während die Apprehension des Menschen – d. h. die Apprehension des empirischen Mannigfaltigen unter Wirkung der Synthesis gemäß den Kategorien – das begrifflich strukturierte phänomenale Bewusstsein eines Gegenstands durch dieses Mannigfaltige ermöglicht. Die Apprehension des nichtapperzeptiven Wesens ist gerade die empirische Apprehension per se. Daher kann man anhand des bisher Gesagten behaupten, dass die empirische Apprehension derjenige Prozess ist, der für das phänomenale Bewusstsein überhaupt verantwortlich ist.

 Neuere Nonkonzeptualisten unter den Kant-Kommentatoren vertreten die Ansicht, dass die Einbildungskraft ohne Mitwirkung des Verstandes Sinnesdaten zu Anschauungen verbinden könne (Grüne 2009, S. 173). Im Rahmen dieser Abhandlung werde ich nicht auf die Konzeptualismus-Nonkonzeptualismus-Kontroverse eingehen. Mir scheint, dass die Textevidenz und sachliche Gründe dafür sprechen, dass ohne Verstandesleistung keine Anschauung mit Gegenstandsbezug möglich ist.  Das menschliche Gemüt kann die einzelnen Sinnesdaten erleben, aber nur insofern, als diese einen Gegenstandsbezug enthalten. Das heißt, sie sind stets Teile der repräsentationalen Vehikel der Vorstellung eines Gegenstands in Raum und Zeit.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Einzuräumen ist, dass einige Stellen dafür sprechen, dass ein empirisches Bewusstsein ohne die Einheit der Apperzeption und die damit verbundene Rekognition unmöglich ist. So behauptet Kant, in einem solchen Fall würde eine Menge Wahrnehmungen und auch wohl eine ganze Sinnlichkeit möglich sein, in welcher viel empirisches Bewußtsein in meinem Gemüth anzutreffen wäre, aber getrennt und ohne daß es zu einem Bewußtsein meiner selbst gehörte, welches aber unmöglich ist. Denn nur dadurch, daß ich alle Wahrnehmungen zu einem Bewußtsein (der ursprünglichen Apperception) zähle, kann ich bei allen Wahrnehmungen sagen: daß ich mir ihrer bewußt sei. (A122, H. d. V.)

Zu dem „unmöglich[en]“ Szenario des Ausfallens der Apperzeption bemerkt Kant, dass man in einem solchem Fall nur „gedankenlose Anschauung, aber niemals Erkenntnis“ hat (A111). Die gedankenlose Anschauung ist „für uns so viel als gar nichts“ (A111) oder „ein blindes Spiel der Vorstellungen“ „ohne Objekt“, das „weniger, als ein Traum [ist]“ (A112). Kant scheint beides als nicht real zu betrachten. Der Kontext der Thematisierung des ‚unmöglichen‘ Szenarios ist jedoch das empirische Bewusstsein des Menschen in einem normalen mentalen Zustand, welches das Thema der KrV ist. Kant will lediglich sagen, dass das begrifflich strukturierte empirische Bewusstsein unter den Bedingungen dieses Szenarios für den Menschen als Erkenntnissubjekt nicht möglich ist. Zwar könnten bei dem Menschen pathologische oder anormale Bewusstseinszustände existieren, die diesem Szenario ähneln.³⁸⁴ In einem solchen gibt es aber kein Erkenntnissubjekt (B134). Zudem wird aus dem letzten Satz des Zitats, der den vorletzten Satz begründet, deutlich, dass das, was aufgrund fehlender Apperzeption unmöglich ist, das empirische Bewusstsein des inneren Sinnes mit Selbstbezug ist, nicht aber das empirische Bewusstsein schlechthin. Ferner ist zu beachten, dass die verneinenden Bemerkungen über das ‚unmögliche‘ Szenario des Ausfallens der Apperzeption ausschließlich in der A-Auflage der KrV vorzufinden sind, während Kants Aussagen zum Tier- sowie zum nicht-apperzeptiven Bewusstsein eher in den Schriften nach 1787 zu finden sind. Bei diesen Aussagen könnte es sich somit um eine reifere Meinung Kants handeln. Aus der obigen Analyse lässt sich schließen, dass das strukturierte empirische Bewusstsein durch den inneren Sinn bzw. durch die Selbstaffektion wesentlich mit der Rekognition verbunden ist. Der innere Sinn wird, anders gesagt, nicht durch die ersten beiden Aktivitäten in der dreifachen Synthesis der Einbil-

 Siehe z. B. Hoppe 1982 über die erste Möglichkeit. Einen anormalen Fall stellt z. B. das Erlebnis dar, das man in bestimmten halbwachen Zuständen hat. Dabei kann man seine eigenen Gedanken gar nicht fassen und nimmt nicht einmal die Umgebung wahr.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

229

dungskraft affiziert, sondern durch den Akt der Rekognition, die durch den Verstand als das Vermögen des Begriffs und des Urteils ausgeführt wird. Dieser Schluss kann durch eine weitere Überlegung unterstützt werden. Nach Kant wird der innere Sinn durch den eigenen spontanen kognitiven Akt affiziert. Dies setzt damit die transzendentale Apperzeption voraus. Das Tier, das zu einem solchen Akt und zu der Apperzeption nicht fähig ist, hat, wie schon erwähnt, auch keinen genuinen inneren Sinn. Die Apprehension und Reproduktion stellen unabhängig von der Rekognition an sich keine Synthesis im eigentlichen Sinn dar, d. h., sie sind keine spontanen kognitiven Akte. Die Apprehension besteht nämlich aus zwei Teilakten, der Aufnahme und der Zusammensetzung der Sinneseindrücke. Den ersten Teilakt teilt der Mensch mit dem Tier, von daher ist er wesentlich rezeptiv und sinnlich. Die Zusammensetzung setzt Reproduktion voraus, die per definitionem allein auf Assoziation angewiesen ist. Assoziation ist auf einen bloß durch Gewohnheit etablierten psychologischen Mechanismus angewiesen und mithin kein spontanes Befolgen einer Regel. Assoziation kann an sich nicht als Verstandesakt betrachtet werden (Anth 7:197), folglich können weder die Reproduktion noch die daraus folgende Zusammensetzung als spontane Akte bzw. Synthesis betrachtet werden.³⁸⁵ Aus diesem Grund wird der innere Sinn streng genommen erst durch die genuine Synthesis der Rekognition affiziert.³⁸⁶ Am Ende dieses Abschnitts möchte ich noch eine Bemerkung über das Verhältnis zwischen der Apprehension und der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft machen. Die Funktion letzterer besteht darin, das Mannigfaltige der reinen Anschauung in die objektive Einheit durch die Kategorien zu bringen. Sie ist für die Erzeugung der formalen Anschauung von Raum und Zeit maßgebend. Da die empirische Synthesis der Apprehension auf sinnliche Materialien einwirkt und die formale Bedingung der sinnlichen Anschauung Raum und Zeit ist, muss mit dieser Synthesis auch die formale Einheit von Raum und Zeit hergestellt werden (B160 – 161). Daher muss die empirische Synthesis der Appre-

 Kant bezeichnet die Reproduktion und die nachfolgende Zusammensetzung als Synthesis, weil sie im menschlichen Verstand eng mit der Synthesis der Rekognition verbunden sind und zusammen mit dieser eine „dreifach[e]“ Synthesis bilden (A97).  Vereinzelt gibt es Stellen, die anscheinend das Gegenteil belegen: „Wenn aber die Seele sich selbst nur Erscheinung ist, mithin ihre empirische Anschauung nur die sinnliche Form der Art ist, wie ihr eigen Subject durch die Apprehension des Manigfaltigen einer Gegebenen Anschauung afficirt wird“ (Refl 18:615, H. d. V.; siehe auch B68, FM 20:270). Solche Stellen sind aber eher unerheblich, da in ihnen der Begriff Apprehension als Bezeichnung für die gesamte Handlung der dreifachen Synthesis fungiert.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

hension gemäß der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft ausgeübt werden (B164; A108). Beide werden in einem Zug ausgeführt.³⁸⁷

3.2.3 Zwischenbilanz: Transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, innerer Sinn und phänomenales Bewusstsein Nun stellt sich die Frage, welche Position die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft in der theoretischen Konstellation der Lehre der Synthesen in der B-Deduktion einnimmt.Wie beschrieben, ist sie einerseits die reine produktive bzw. figürliche Synthesis, die „an sich selbst […] jederzeit sinnlich“ (A124) ist. Anderseits wird sie „intellektuell“ gemacht, weil sie „die erste Anwendung [des Verstandes] […] auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist“ (B152). In ihr werden die Kategorien auf die Form der Anschauung angewendet; insofern wird bei ihrem Vollzug auch die intellektuelle Synthesis als ihre ‚Gedankenformen‘ gleichzeitig vollzogen. Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft ist nichts anderes als derjenige Akt der figürlichen Einbildungskraft, der gemäß den reinen Gedankenformen, den Kategorien, vollzogen wird (siehe z. B. A118). Erinnert man sich an die obige Darstellung der intellektuellen Synthesis und der Identitätsthese der Spontaneität (B162 Anm.), lässt sich schließen, dass die transzendentale Synthesis sich als Verbindung der „beide[n] äußerste[n] Enden, nämlich Sinnlichkeit und Verstand“ (A124) und somit als Verbindung der figürlichen und der intellektuellen Synthesis erweist. Diese Analyse kann neues Licht auf Kants Behauptung werfen, dass die transzendentale Synthesis den inneren Sinn affiziert. Wenn die reine produktive Synthesis bzw. figürliche Synthesis „an sich […] jederzeit sinnlich“ (A124, siehe auch B151– 152) ist, gehört sie streng genommen nicht zum spontanen Verstandesakt. Folglich kann sie nicht den inneren Sinn affizieren, da dies nur eine spontane Handlung des Subjekts zu tun vermag. Interessanterweise bezeichnet Kant unter den vielen Synthesisarten der Einbil-

 Wie schon ausgeführt, besteht die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft aus zwei Aspekten – der produktiven Synthesis, die die reine Anschauung konstruiert, und der begrifflichen intellektuellen Synthesis gemäß den Kategorien. Erstere als reine Synthesis der Einbildungskraft macht mit der empirischen Synthesis der Apprehension zwei Aspekte der Einbildungskraft aus. Sie ist von ihrer Funktion her identisch mit der reinen Synthesis der Apprehension, die Kant nur einmal erwähnt und auf die er jedoch nicht weiter eingeht (A99 – 100). Die intellektuelle Synthesis bezeichnet Kant als ein und dieselbe Spontaneität wie die Synthesis der Apprehension (B162 Anm.). Carl und Dyck setzen die reine Synthesis der Apprehension mit der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft gleich (Carl 1991, S. 155; Dyck 2006, S. 51 Anm. 23), was meiner Interpretation nach nicht präzise ist.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

231

dungskraft nur die transzendentale als denjenigen Akt, der den inneren Sinn affiziert. Der Grund dafür liegt darin, dass sie im Vergleich zu den anderen anschauungskonstruierenden Akten den spontanen Akt des Verstandes enthält. Diese Überlegung stimmt mit dem Ergebnis der Analyse in Abschnitt 3.2.1.3 überein, dass es die Synthesis der Rekognition ist, die den inneren Sinn affiziert bzw. das empirische Bewusstsein des Menschen generiert. Der Begriff der Synthesis der Rekognition ist gerade diejenige Komponente der dreifachen Synthesis, die zur spontanen Leistung des Verstandes gehört. Ein weiterer Schluss aus der obigen Analyse der Synthesis der Einbildungskraft ist, dass die Selbstaffektion in normalen Fällen entgegen der reflexiven Lesart kein Reflexionsakt sein kann. Der Akt, der den inneren Sinn affiziert, d. h. die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, ist die apriorische spontane Komponente des Akts, der den Gegenstandsbezug in der empirischen Anschauung herstellt. Der innere Sinn bzw. die Selbstaffektion findet daher bereits im Prozess statt, in dem das Subjekt seine Aufmerksamkeit eher auf den äußeren Gegenstand als auf den eigenen Zustand oder kognitiven Akt selbst richtet. Nachdem wir die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft als den den inneren Sinn affizierenden Akt ermittelt haben, könnte man an dieser Stelle auf einen möglichen Einwand stoßen. Wie schon gezeigt, gehören nicht nur die empirischen Anschauungen der äußeren Gegenstände, sondern auch die subjektive Empfindung, der Wille und die Begierde zu den Gegenständen des inneren Sinnes. Wenn der innere Sinn durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft affiziert wird, deren Funktion vor allem darin besteht, die äußeren Sinnesdaten zur empirischen Anschauung des äußeren Gegenstands zu verbinden, könnte dies die Frage aufwerfen, was an dem Bewusstsein der nicht-repräsentationalen Gemütszustände, wie der subjektiven Empfindung, der Begierde und des Willens – sofern sie ohne einen begleitenden Urteilsakt auftreten –, den inneren Sinn affiziert.³⁸⁸ Die Antwort lautet wie folgt: Derartige Vorstellungen haben eine qualitative Dimension und stellen somit ein phänomenales Erlebnis dar. Wir nehmen solche Vorstellungen derart wahr, dass notwendigerweise die kategoriale Leistung der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft involviert ist: Sie sind faktische mentale Ereignisse mit bestimmten phänomenalen Qualitäten von bestimmter zeitlicher Dauer, die uns unter Umständen zu Handlungen veranlassen können. Das bestimmte Bewusstsein der phänomenalen Qualitäten und der Dauer erfordert die Kategorien der Qualität und der Quantität. Zusammengenommen bedeutet dies, dass die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft derjenige Akt ist, der den inneren Sinn zum bestimmten (phä-

 Die Fälle mit einem begleitenden Urteil werden unten behandelt.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

nomenalen) Bewusstsein der nicht-repräsentationalen Gemütszuständen affizieren muss.³⁸⁹

3.2.4 Bestimmen und Affizieren 3.2.4.1 Synthesis und Affektion In diesem Abschnitt wird eine begriffliche Unklarheit behandelt, die den Unterschied zwischen der Bestimmung und der Affektion des inneren Sinnes betrifft. Einer verbreiteten Interpretation zufolge ist das Produkt der Selbstaffektion die Zeitbestimmung der Anschauungen. Wolff behauptet z. B.: „[T]he result of the affection is to set the self-awareness of the spatial manifold in a temporal order“ (Wolff 1962, S. 199). Die Rolle der Selbstaffektion besteht dieser Interpretation zufolge nicht darin, ein empirisches Mannigfaltiges für das Selbstbewusstsein zu erzeugen, sondern darin, die transzendentalen Schemata in die reine Zeitlichkeit zu setzen.³⁹⁰ Somit identifizieren sie die Selbstaffektion und die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft miteinander.³⁹¹ Klaus Düsing, der eine ähnliche Position vertritt, fasst dies wie folgt auf: Durch Selbstaffektion wirkt der Verstand auf die vielfältig im inneren Sinn bereitliegenden Vorstellungen ein und bringt unter ihnen erst zeitliche Ordnung sowie, darauf aufbauend, die Einheit eines im Wechsel dauernden empirischen Selbstbewußtseins hervor. (Düsing 1987, S. 102) Die Selbstaffektion aber dokumentiert die Endlichkeit des menschlichen Denkens, das Kant, wie erwähnt, innovativ als spontane Synthesis konzipiert; diese kommt nur zum Vollzug am vorgegebenen, zeitlich-sinnlich sich präsentierenden Mannigfaltigen. (Düsing 2010, S. 149)

Eine solche Lesart ist meines Erachtens sehr problematisch. Sie stellt nichts anderes als eine Verwechslung der Selbstaffektion mit der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft dar. Es ist zwar unumstritten, dass die Erstere durch

 Dyck (2006, S. 46 ff.) verweist dagegen auf eine Stelle in B68 – 69 und ist der Ansicht, dass die Selbstaffektion notwendigerweise mit der Apprehension und damit auch mit der äußeren Wahrnehmung verbunden sei: „Wenn das Vermögen sich bewußt zu werden das, was im Gemüthe liegt, aufsuchen (apprehendiren) soll, so muß es dasselbe afficiren“ (B68 – 69). Das, was apprehendiert wird, können jedoch durchaus die phänomenalen Qualitäten der subjektiven Empfindung, der Begierde usw. sein. Diese gehören nämlich zu dem, was „im Gemüthe liegt“.  Allison 2004, S. 283; Vleeschauwer 1887, S. 204– 205; Paton 1951, Vol.2, S. 404; Ewing 1938, S. 124. Dagegen Dyck 2006, S. 45. Valaris (2008, S. 4– 5) vertritt eine Auffassung, die der hier vorgeschlagenen ähnlich ist.  Allison 2004, S. 283; Kitcher 2011, S. 158.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

233

die Letztere bewirkt wird und es die Funktion dieser Synthesis ist, die transzendentalen Schemata in der reinen Sinnlichkeit anzuwenden. Beide Begriffe beziehen sich somit auf denselben mentalen Prozess. Es ist jedoch ein Fehlschluss, die Selbstaffektion schlechthin mit dieser Synthesis zu identifizieren. Die transzendentale Zeitbestimmung ist nämlich eine Art gedanklicher Bestimmung der Zeitordnung der Wahrnehmungen, die zur Spontaneität gehört, während die Selbstaffektion als Aktivierung der Rezeptivität eher sinnliche Materialien liefert und schließlich in der Wahrnehmung des eigenen Zustands resultiert. Beide haben damit ganz unterschiedliche Funktionen und Rollen. Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft als ein synthetischer Akt, der das reine Mannigfaltige gemäß den Kategorien bestimmt, ist deutlich von der Rezeptivität der Selbstaffektion zu unterscheiden. Die obige Lesart ist hauptsächlich dadurch motiviert, dass der innere Sinn nicht über einen eigenen Stoff verfügt. Wenn die Selbstaffektion keine Sinnesdaten generiere, könne ihr Produkt nur etwas Formales sein.³⁹² Dieses könne aber nicht die sinnliche Form sein, da „die Affektion, die vom Ich stammt, intellektuell ist und auf Sinnlichkeit ausgeübt wird“ (Caimi 2015, S. 101– 102). Daher sei das Ergebnis der Affektion nichts anderes als „die vom Ich dem Mannigfaltigen des inneren Sinnes auferlegte intellektuelle Form“ (Caimi 2015, S. 101– 102). Diese ist gerade die transzendentale Zeitordnung, die durch die Schemata ausgedrückt werden kann. Wie bereits ausführlich argumentiert, impliziert die Aussage, dass der innere Sinn keinen eigenen Stoff hat, jedoch gar nicht notwendigerweise, dass er überhaupt keinen sinnlichen Stoff liefert. Der innere Sinn soll vielmehr für das strukturierte phänomenale Bewusstsein des äußeren Gegenstands sowie das phänomenale Erlebnis der nicht-repräsentationalen Vorstellungen des inwendigen Sinnes, der Begierde sowie des Willens mitverantwortlich sein. Die Lesart, die Selbstaffektion mit der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft zu identifizieren, lässt sich auf eine Missdeutung der Eigenschaft des inneren Sinnes zurückführen.

3.2.4.2 Konsequenz der Standardlesart Um die Konsequenz der Auslegung der Selbstaffektion als einen Bestimmungsakt zu zeigen, ist es sinnvoll, Allisons Interpretation zu analysieren. Er unterscheidet zwei Arten der Selbstaffektion (Allison 2004, S. 283 – 284). Die erste Selbstaffektion sei bewirkt durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, die gemäß den Kategorien das reine sinnliche Mannigfaltige synthetisiere. Sie sei

 Caimi 2015, S. 101– 102.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

„eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben (zugleich der Grund aller übrigen) auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist“ (B152). Die zweite Selbstaffektion sei durch die empirische Synthesis der Apprehension bewirkt, aus der erst die innere Erfahrung entspringe. Genauer gesagt, sei sie gerade das „Achthaben auf die Vorstellungen selbst“ (Allison 2004, S. 284), das in Kants Erläuterung davon illustriert werde, wie man die Sukzessivität durch das Ziehen einer Linie im Gedanken vorstellt (B154– 156). Als „a second-order, reflective act“ sei der repräsentationale Gehalt der zweiten Selbstaffektion die empirische Vorstellung erster Ordnung selbst. Über die beiden Arten der Selbstaffektion schreibt Allison: As a second-order, reflective act, this presupposes a prior outer experience and, therefore, the transcendental synthesis of the imagination (the “the first application”). Nevertheless, as a “second application,” this act involves an active seeking out by the mind of the representations it endeavors to make into objects of inner sense. It also requires a change of epistemic focus and with it a reconceptualization. Whereas the initial conceptualization is the act whereby the given representations are referred to an object, the second is the act whereby these representations themselves become objects. […] the mind must reconceptualize its representations in order to grasp them as objects. (Allison 2004, S. 284, H. d. V.)

Allison geht offenbar davon aus, dass das Subjekt sich seiner Vorstellung als Gegenstand nicht durch die erste Selbstaffektion bewusst werde. Diese generiere zwar eine einheitliche Zeitordnung in der äußeren Wahrnehmung, nicht aber eine innere Wahrnehmung. Das ist der Grund, warum er die zweite Anwendung des Verstandes bzw. die zweite Selbstaffektion annimmt, wodurch die Vorstellung selbst als Gegenstand wahrgenommen werde. Das heißt, erst nach den beiden Selbstaffektionen könne eine Vorstellung Gegenstand des inneren Sinnes sein (siehe den hervorgehobenen Text im obigen Zitat) oder anders ausgedrückt: Erst in der zweiten Selbstaffektion wird der innere Sinn richtig affiziert. Diese Konzeption der doppelten Selbstaffektion ist jedoch textlich kaum fundiert. Es ist vor allem nicht zu erklären, weshalb die erste Selbstaffektion den inneren Sinn – als Vermögen der Wahrnehmung eines inneren Zustandes – nicht aktiviert. Dagegen sprechen viele Textbelege.³⁹³ Zudem enthält die transzendentale Synthesis der

 Z. B. B153, 185. Falls Allisons Lesart korrekt wäre, würde der innere Sinn nicht permanent affiziert, sondern nur bei der Introspektion. Das Bewusstsein des inneren Sinnes begleitet jedoch nicht bestimmte repräsentationale, sondern alle unserer bewussten inneren Zustände und bleibt ununterbrochen (V-Lo/Blomberg 24:40 f., A155/B194, A177/B220, Refl 17:593 f.). Außerdem kann auch jede Erwähnung des inneren Sinnes im Grundsatz-Kapitel als ein Beleg angeführt werden, denn es geht dort primär um die Anwendung der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft. Siehe auch Valaris 2008, S. 5 – 6.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

235

Einbildungskraft als ein spontaner Akt unter Beteiligung des Verstandes die reine Apperzeption, d. h. einen Selbstzuschreibungsakt. Dieser verleiht der daraus resultierenden empirischen Anschauung einen Selbstbezug. Folglich enthält das empirische Bewusstsein des äußeren Gegenstands entgegen der Auffassung Allisons zugleich eine (dunkle) innere Wahrnehmung – d. h. eine Aktivierung des inneren Sinnes. Obwohl er sie nicht explizit erwähnt, gewinnt Allison seine Interpretation wahrscheinlich aus drei Textstellen, die sich bei genauer Analyse jedoch als unhaltbar erweist: 1. Aus Kants Behauptung, dass die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft „die erste Anwendung desselben [d. h. des Verstandes] auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung“ (B152) ist, zieht Allison den Schluss, dass es eine zweite Anwendung geben müsse, um die Vorstellung erster Ordnung selbst als Gegenstand vorzustellen. Diese Behauptung ist nichts als eine bloße Spekulation. „[A]lle übrigen [Anwendungen des Verstandes]“ (B152) sind nämlich dem Kontext der Transzendentalen Deduktion nach wahrscheinlich eher die empirischen Urteile, die die empirischen Erkenntnisse über die fraglichen „Gegenstände“ (B152) der Anschauungen darstellen. 2. Allison verweist auf die reflexive Aufmerksamkeit auf die Vorstellung erster Ordnung im Linienbeispiel (B154– 156). Ihm zufolge sei diese Aufmerksamkeit gerade eine empirische Synthesis der Apprehension, die die Wahrnehmung des Vorstellungsakts synthetisiere. Diese reflexive Vorstellung zweiter Ordnung ist zwar zugegebenermaßen eine (apperzeptiv) bewusste Vorstellung des inneren Zustands, schließt aber keineswegs aus, dass bereits die erste Selbstaffektion durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft eine (dunkle) Vorstellung des inneren Zustands generiert. 3. Allison bezeichnet die zweite Affektion als „an active seeking out by the mind of the representations it endeavors to make into objects of inner sense“ (Allison 2004, S. 284). Dieser Ausdruck spielt offenbar auf die vielmals zitierte Darstellung der Selbstaffektion in der Transzendentalen Ästhetik an: „Wenn das Vermögen sich bewußt zu werden, das, was im Gemüte liegt, aufsuchen (apprehendieren) soll, so muß es dasselbe affizieren“ (B68). Diese Stelle allein kann Allisons Position aber nicht stärken. Erstens kann „das Vermögen sich bewußt zu werden“ zwar „das Vermögen sich seiner selbst bewusst zu werden“, aber auch „das Vermögen sich irgendetwas bewusst zu werden“ bedeuten.³⁹⁴ Der Ausdruck „das, was im Gemüte liegt“ kann entweder die eigenen Vorstellungsakte oder das dunkel Vorgestellte bedeuten. Im zweiten Fall ist mit dem „aufsuchen“ bzw. „apprehendieren“ die Apprehension des Mannigfaltigen der empirischen An-

 Schmitz 2015, S. 1061.

236

Kapitel 3: Selbstaffektion

schauung erster Ordnung gemeint. Folglich ist diese Stelle sowohl mit Allisons Lesart als auch mit der hier vorgeschlagenen kompatibel.

3.2.4.3 ‚Der Verstand bestimmt den inneren Sinn‘ Nun kommen wir zu einem Problem, das Kants Ausführungen selbst aufwerfen: Kant suggeriert in einigen Fällen, dass die Selbstaffektion und die Aktivierung des inneren Sinnes unterschiedliche Vorgänge sind. Wie die obigen Zitate von Düsing andeuten, sollten vor der Selbstaffektion durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft schon Vorstellungen im inneren Sinn bereitliegen: […] so kann der Verstand als Spontaneität den inneren Sinn durch das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen der synthetischen Einheit der Apperception gemäß bestimmen und so synthetische Einheit der Apperception des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung a priori denken. (B150) Nun ist Verknüpfung kein Werk des bloßen Sinnes und der Anschauung, sondern hier das Product eines synthetischen Vermögens der Einbildungskraft, die den inneren Sinn in Ansehung des Zeitverhältnisses bestimmt. (B233)³⁹⁵

In beiden Passagen spricht Kant davon, dass der synthetische Akt des Verstandes bzw. der Einbildungskraft den inneren Sinn bestimmt. Zuerst ist eine zusätzliche Bemerkung nötig. Den inneren Sinn zu bestimmen bedeutet, dessen Vorstellungen zu bestimmen.³⁹⁶ Wie schon gezeigt, ist der Termimus ‚die Vorstellungen des inneren Sinnes‘ zweideutig, sodass auch der Ausdruck ‚die Vorstellungen des inneren Sinnes zu bestimmen‘ zweideutig ist. Der Ausdruck kann sich entweder auf eine beliebige (durch die Affektion des inneren Sinnes) bewusste Vorstellung³⁹⁷ oder auf die empirische Anschauung des Vorstellungszustands des Gemüts beziehen. Fortan wird beides jeweils als Vorstellung1 des inneren Sinnes und als Vorstellung2 des inneren Sinnes bezeichnet. Dementsprechend ergeben sich zwei mögliche Interpretationen des Ausdruckes „den inneren Sinn bestimmen“: 1) Der Verstand wirkt auf die Vorstellungen1 des inneren Sinnes und synthetisiert diese zur empirischen Anschauung eines äußeren Gegenstands; 2) der Verstand wirkt auf die Vorstellungen2 des inneren Sinnes und synthetisiert diese zur Selbstanschauung. Nach dem Kontext der beiden Zitate handelt es sich dort eher um den ersten Fall. Daraus ergibt sich ein Problem: Streng genommen impliziert

 Für Ähnliches siehe z. B. B153 – 156 passim, B181, NTKrV 23:27.  Siehe Düsing 1987, S. 102, und Düsing 2010, S. 149.  Der innere Sinn ist, wie schon argumentiert, der Inbegriff aller (apperzeptiv) bewussten Vorstellungen.

3.2 Die zweite Selbstaffektion in der Zusammensetzung der Anschauung

237

diese Interpretation, dass der innere Sinn vor der Wirkung der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft bzw. vor der Selbstaffektion schon aktiviert wird und auch bereits empirische Vorstellungen erzeugt hat.³⁹⁸ Folgendes kann eingewendet werden: Die Vorstellungen des äußeren Sinnes gehören laut Kants Inbegriff-Klausel³⁹⁹ zum inneren Sinn. Daher kann durchaus behauptet werden, dass die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft ‚die Vorstellungen des inneren Sinnes‘ strukturiert. Aber die Vorstellungen des äußeren Sinnes können, wie bereits gezeigt, streng genommen nicht ohne die Selbstaffektion zum inneren Sinn gehören, und der springende Punkt liegt gerade darin, dass Kant nach Düsing von ‚Vorstellungen des inneren Sinnes‘ vor der Selbstaffektion sprechen würde. Das Problem lässt sich wie folgt zusammenfassen: Einerseits strukturiert die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft die Vorstellungen1 im inneren Sinn gemäß den Kategorien; zugleich, d. h. im Zuge dieser Synthesis, soll der Verstand durch diese Synthesis den inneren Sinn affizieren, damit dieser mit Vorstellungen1 besetzt ist.⁴⁰⁰ Dass dieselben synthetischen Akte dieselben Vorstellungen zugleich erzeugen und strukturieren, scheint zunächst nicht ohne Weiteres verständlich zu sein. Denn gemäß der Natur der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft entstehen die Vorstellungen1 des inneren Sinnes als Effekt einer Auswirkung dieser Synthesis auf das Mannigfaltige des äußeren Sinnes. Die Materialien, auf die die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft wirkt, können nicht identisch mit dem Effekt sein, der sich gerade aus der Tätigkeit dieser Synthesis ergibt. Es gibt zu diesem Problem verschiedene Lösungen. Erstens könnte akzeptiert werden, dass es sich bei der Selbstaffektion durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft und der Affektion des inneren Sinnes um zwei unterschiedliche Vorgänge handelt. Dies ist insofern nicht angebracht, als das Bewusstsein durch den inneren Sinn als Bewusstsein des eigenen Zustands wesentlich mit der Selbstaffektion verbunden ist.⁴⁰¹ Letztere ist wiederum wesentlich mit der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft verbunden. Ein weiterer

 Düsings Interpretation suggeriert dies. Siehe Düsing 1987, S. 102 und Düsing 2010, S. 149.  Nach Kant ist der innere Sinn „Inbegriff, darin alle unsre Vorstellungen enthalten sind“ (A155/B194).  Mohr (1991, S. 162– 163) behauptet, dass Kant den Begriff ‚Bestimmung‘ auch im Sinne ‚Affektion‘ verwende, gibt dafür jedoch keinen Textbeleg an. Meines Erachtens verwendet Kant den Begriff ‚Bestimmung‘ konsequent im Sinne von ‚Auf-Begriffe-Bringen‘. Was zweideutig ist, ist lediglich der Vorgang der Selbstaffektion.  B68, B152– 154, auch explizit in Refl 18:611. Düsing (2010, S. 151) scheint beides als einen einzigen Vorgang zu betrachten. Er geht auf die obige Problematik jedoch nicht ein.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Ausweg bestünde darin, anzunehmen, dass zwei Selbstaffektionen involviert sind: Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft selbst affiziert bei ihrer Strukturierung des empirischen Mannigfaltigen des äußeren Sinnes den inneren Sinn; die Vorstellungen, die sie verbindet, gehören zum inneren Sinn und setzen folglich eine vorherige Affektion voraus.⁴⁰² Auch diese Option scheint auf den ersten Blick unbegründet zu sein. Es bleibt ungeklärt, welche Funktion eine zusätzliche Selbstaffektion bzw. eine erneute Anwendung der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft überhaupt haben sollte, wenn erst in der zweiten Selbstaffektion der Gegenstandsbezug im Mannigfaltigen des äußeren Sinnes hergestellt wird. Hierbei ist zu beachten, dass Kant selten behauptet, dass der Verstand die Vorstellungen des inneren Sinnes bestimmt, sondern häufig davon spricht, dass der Verstand den inneren Sinn bestimmt. Die einzige Stelle, an der er zugleich über den inneren Sinn, den synthetischen Akt und dessen sinnliche Materialien spricht, lautet: „[S]o kann der Verstand als Spontaneität den inneren Sinn durch das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen der synthetischen Einheit der Apperception gemäß bestimmen“ (B150). Hier schreibt Kant das Mannigfaltige nicht dem inneren Sinn selbst zu.⁴⁰³ Der Begriff ‚innerer Sinn‘ in dem Satz ‚Der Verstand bestimmt den inneren Sinn‘ bezieht sich meines Erachtens daher eher auf den inneren Sinn als Vermögen als auf dessen Vorstellungen. Der Verstand bestimmt das Vermögen des inneren Sinnes, indem er die empirischen Rohdaten des äußeren Sinnes bei der von ihm veranlassten Selbstaffektion in der Weise in den inneren Sinn bringt, dass sie bereits durch seine Synthesis nach den Kategorien organisiert wurden. Das heißt, der Verstand bestimmt den inneren Sinn, indem er bei der von ihm bewirkten Selbstaffektion die Vorstellungen erster Ordnung in das empirische Bewusstsein des inneren Sinnes bringt und dabei diese kategorial organisiert. Es gibt eine weitere Möglichkeit, diese Problematik zu beleuchten, indem man die komplizierte Struktur der Selbstaffektion betrachtet. Dies wird in den folgenden Abschnitten dargestellt.

3.3 Struktur der Selbstaffektion und Zeitlichkeit In diesem Abschnitt wird dargestellt, wie die Selbstaffektion, die die transzendentale Synthesis im Laufe der Synthetisierung der Sinnesdaten zur Anschauung

 Laut Kants späterer Ansicht kann die Selbstaffektion mehrmals stattfinden (OP 22:69 f., 73, 77 f., 89 f., 323).  Siehe auch B181.

3.3 Struktur der Selbstaffektion und Zeitlichkeit

239

des Gegenstands bewirkt, in zwei Schritte aufzuteilen ist. Ein besseres Verständnis dieses Problems kann dabei helfen, typische Fehlinterpretationen des inneren Sinnes zu vermeiden. Die Einteilung basiert auf der Einteilung der Kategorien in zwei Abteilungen, die mathematischen und die dynamischen. Die erste Abteilung schließt die Kategorien der Quantität und der Qualität ein und richtet sich auf „Gegenstände der Anschauung“ (B110). Der Begriff des Gegenstands ist hier weit gefasst und nicht mit dem eines ‚Einzeldings‘ oder einer ‚Substanz‘ zu identifizieren. Er bezieht sich vielmehr auf den intentionalen Gegenstand der Anschauung und kann im Kontext der mathematischen Kategorien auch raumzeitliche Gestalten der reinen Anschauung oder auch das unbestimmte Reale bedeuten, das mit einer Empfindung korrespondiert. Die zweite Abteilung schließt die Kategorien der Relation der Gegenstände und die der Modalität ein. Kategorien in dieser Abteilung richten sich auf „die Existenz dieser Gegenstände (entweder in Beziehung auf einander oder auf den Verstand)“ (B110). Kant nennt die Kategorien der ersten Gruppe ‚konstitutiv‘, da der Gegenstand der Anschauung und das Reale der Wahrnehmung „nach Regeln einer mathematischen Synthesis erzeugt werden könnten“ (B221). Dagegen sind die Kategorien der zweiten Abteilung regulativ, weil sie „nur auf das Verhältniß des Daseins“ der Erscheinungen gehen, welches „sich nicht construiren läßt“ (B221). Die mathematischen Kategorien werden in der Erzeugung eines augenblicklichen Bildes verwendet. Sehe ich z. B. ein rotes Auto vor mir, fasst die Synthesis der Einbildungskraft die mannigfaltigen Details der wahrgenommenen räumlichen Region, die das Auto besetzt, zusammen. Diese werden als eine homogene extensive Größe wahrgenommen und zu einer räumlichen Einheit gefasst, die ihnen durch die Kategorie der Quantität aufgesetzt wird.⁴⁰⁴ Diese räumliche Region wird ferner als durch die rote Farbe erfüllt wahrgenommen. Die Verknüpfung der empfundenen roten Qualität mit der reinen Anschauung verdankt sich der Wirkung der Synthesis der Einbildungskraft gemäß der Kategorie der Qualität. Beide mathematische Kategorien sind die einheitsstiftende Regel für die Erzeugung solcher augenblicklichen Wahrnehmungsbilder und, da diese zusammen die Anschauung des Gegenstands bilden, auch für die Konstruktion der Anschauung. Im Gegensatz dazu sind die übrigen Kategorien nicht für die Anschauung des Gegenstands selbst, besonders nicht für den bildlichen Aspekt dieser Anschauung, konstruierend. Sie betreffen stattdessen nur die Beziehung der Gegenstände untereinander oder ihre Beziehung zum Verstand. Nehmen wir die Kategorien der Relation als Beispiel. Die Anwendung der Kategorie der Substanz und Akzidenz

 Siehe Chignell 2015, S. 210, und Klemme 1998, S. 247– 266. Für ein ähnliches Beispiel siehe B162.

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betrifft nur, welche Rolle ein Gegenstand in der Relation der Inhärenz einnimmt, das heißt, ob er „das letzte Subject der Existenz, d. i. dasjenige, was selbst nicht wiederum blos als Prädicat zur Existenz eines anderen gehört“ ist (MAN 4:503), oder zu „Bestimmungen einer Substanz“ gehört, die „nichts andres sind, als besondere Arten derselben zu existiren“ (A186/B229). Anhand des zeitlichen Charakters einer Erscheinung – ob sie beharrlich oder wechselnd ist – bestimmt der Verstand, ob sie eine Substanz oder nur eine Bestimmung einer solchen ist. Es ist leicht zu sehen, dass es hier nicht um die Konstruktion der Anschauung des Gegenstands geht, sondern um die Bestimmung der Beziehung eines Gegenstandes zu anderen Gegenständen hinsichtlich ihres ontologischen Status. Diese Unterscheidung hat in der Tat nicht nur eine wichtige bewusstseinstheoretische Implikation, sondern hängt auch mit der Struktur der Selbstaffektion zusammen. Um dies zu zeigen, wird die Bestimmung der Zeitordnung durch die Kategorie der Kausalität und die der Wechselwirkung genau untersucht. Die Kategorien der Modalität haben mit der Bestimmung der Beziehung zwischen Gegenständen nichts zu tun und betreffen lediglich die Beziehung der Gegenstände zum Verstand. Im Folgenden werde ich die Wirkung der Synthesis nach den Kategorien der Modalität ausklammern, da diese Synthesis keine bewusstseinstheoretischen Implikationen hat.

3.3.1 Analogien der Erfahrung und Selbstaffektion Der Zweiten Analogie zufolge ist die Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung „jederzeit“ sukzessiv (B234). Mit der Folge der apprehendierten Wahrnehmungen korrespondiert die Folge der objektiven Ereignisse, die diese Wahrnehmungen repräsentieren, nicht. Wir haben sozusagen eine subjektive Folge der Apprehension und eine objektive Folge der Erscheinungen, die voneinander abweichen (A193/B238). Mit anderen Worten gesagt: Die subjektive Folge der Wahrnehmungen ist objektiv unbestimmt und unterliegt der Interpretationsoffenheit hinsichtlich ihrer zeitlichen Ordnung. Es gibt zwei Arten einer solchen Unbestimmtheit. Die erste betrifft eine Folge der Wahrnehmungen, die ein Ereignis repräsentieren:⁴⁰⁵ Ich nehme wahr, daß Erscheinungen auf einander folgen, d. i. daß ein Zustand der Dinge zu einer Zeit ist, dessen Gegentheil im vorigen Zustande war. Ich verknüpfe also eigentlich zwei Wahrnehmungen in der Zeit. Nun ist Verknüpfung […] das Product eines synthetischen

 Ein Ereignis oder, in Kants Terminologie gesagt, eine Veränderung der Erscheinung ist im Rahmen seiner Substanzontologie ein Zustandswechsel einer Substanz (B232– 233).

3.3 Struktur der Selbstaffektion und Zeitlichkeit

241

Vermögens der Einbildungskraft, die den inneren Sinn in Ansehung des Zeitverhältnisses bestimmt. Diese kann aber gedachte zwei Zustände auf zweierlei Art verbinden, so daß der eine oder der andere in der Zeit vorausgehe; […] Ich bin mir also nur bewußt, daß meine Imagination eines vorher, das andere nachher setze, nicht daß im Objecte der eine Zustand vor dem anderen vorhergehe, oder, mit anderen Worten, es bleibt durch die bloße Wahrnehmung das objective Verhältniß der einander folgenden Erscheinungen unbestimmt. (B233 – 234) Zu aller empirischen Erkenntniß gehört die Synthesis des Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft, die jederzeit successiv ist; d. i. die Vorstellungen folgen in ihr jederzeit auf einander. Die Folge aber ist in der Einbildungskraft der Ordnung nach (was vorgehen und was folgen müsse) gar nicht bestimmt, und die Reihe der einander folgenden Vorstellungen kann eben sowohl rückwärts als vorwärts genommen werden. (A201/B246)

Die Folge der Wahrnehmungen, sowie sie gegeben und bloß durch die Synthesis der Einbildungskraft verknüpft sind – d. h., abstrahiert von der Wirkung der Kategorien –, ist immer sukzessiv.⁴⁰⁶ Diese subjektive Sukzession der Vorstellungen bietet nach Kant an sich keine Anhaltspunkte für die Bestimmung der objektiven Zeitordnung. Auch aus ihren Gehalten allein kann die objektive Zeitordnung nicht abgelesen werden, da die Zeit nicht wahrnehmbar ist (B225). Zu beliebigen zwei sukzessiven Wahrnehmungen steht laut den obigen Zitaten die Möglichkeit offen, welche der beiden der jeweils anderen zeitlich vorausgeht. Laut der Zweiten Analogie kann diese Deutungsoffenheit nur dann beseitigt werden, wenn die Synthesis der Apprehension gemäß der Kategorie der Kausalität ausgeübt wird: Damit dieses nun als bestimmt erkannt werde, muß das Verhältniß zwischen den beiden Zuständen so gedacht werden, daß dadurch als nothwendig bestimmt wird, welcher derselben vorher, welcher nachher und nicht umgekehrt müsse gesetzt werden. Der Begriff aber, der eine Nothwendigkeit der synthetischen Einheit bei sich führt, kann nur ein reiner Verstandesbegriff sein, der nicht in der Wahrnehmung liegt; und das ist hier der Begriff des Verhältnisses der Ursache und Wirkung, wovon die erstere die letztere in der Zeit als die Folge und nicht als etwas, was bloß in der Einbildung vorhergehen (oder gar überall nicht wahrgenommen sein) könnte, bestimmt. (B234)

Trotz aller Kontroversen über die genaue Wirkungsweise der Synthesis nach der Kategorie der Kausalität und über die Reichweite des Kausalprinzips lässt sich der Kern von Kants Überlegung grob so darstellen: Wir betrachten zwei sukzessive Wahrnehmungen, die den Zustandswechsel einer Substanz zum Inhalt haben, z. B. ‚a – b‘, deswegen als eine Vorstellung, die ein Ereignis ‚A – B‘ in der objek-

 Die Anwendung der Kategorie der Substanz ist übrigens keine Voraussetzung für das Erlebnis der Sukzessivität, sonst müsste man dem Tier ein solches Erlebnis absprechen, was unplausibel und kontra-intuitiv ist. Mehr dazu siehe Abschnitt 3.3.2.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

tiven Welt repräsentiert, weil unser Verstand gemäß einer schon vorhandenen Kausalregel diese Folge so denkt, dass es sich notwendigerweise so verhält und sie nicht umgekehrt verlaufen könnte, weil eine weitere Bedingung ‚C‘ – d. h. die Ursache für diesen Zustandswechsel – vorhanden ist.⁴⁰⁷ Diese gedankliche Interpretation ist eine Anwendung der Kategorie der Kausalität. Die Notwendigkeit der Regel gemäß dieser Kategorie verleiht der Wahrnehmungsfolge Objektivität – d. h., durch diese notwendige Regel wird diese Folge auf einen Gegenstand in der objektiven Welt bezogen (A196 – 197/B241– 242). Wie bereits ausgeführt, ist der Denkakt, der den Gegenstandsbezug einer empirischen Vorstellung gemäß den Kategorien herstellt, nichts anderes als die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft. Die Argumentation der Dritten Analogie teilt mit der Zweiten Analogie die gleiche Struktur und geht auf die Frage ein, wie man die Gleichzeitigkeit der Wahrnehmungen bestimmt. Mit dem Begriff Gleichzeitigkeit ist, bedingt durch Kants Substanzontologie, hauptsächlich die Gleichzeitigkeit (von Zuständen) verschiedener Substanzen gemeint. Das Argument lautet: Man betrachtet zwei Substanzen X und Y als gleichzeitig – genauer gesagt, sie sind gleichzeitig jeweils in Zuständen Z1 und Z2 –, wenn man „die Wahrnehmungen dieser Gegenstände einander wechselseitig folgen [lassen kann]“ (B257). Somit kann z. B. nach Belieben etwa zuerst der Mond und dann die Erde oder umgekehrt betrachtet werden (B258). Die Erkenntnis der Gleichzeitigkeit entsteht auf folgende Weise: Anhand der Tatsache, dass das Subjekt die Wahrnehmungen wechselseitig aufeinander folgen lassen kann, urteilt es, dass beide Gegenstände gleichzeitig sind. Diese Erkenntnis lässt sich allein durch die jeweiligen Wahrnehmungen sowie die Synthesis der Einbildungskraft (ohne eine Beteiligung der Kategorien) nicht begründen. Die subjektive und die objektive Folge weichen nämlich voneinander ab. Die subjektive Folge an sich kann keinerlei Hinweis auf die Gleichzeitigkeit geben, da diese Kant zufolge wegen der Nichtwahrnehmbarkeit der Zeit selbst nicht wahrzunehmen ist (B257). Das, was man wahrnimmt, ist lediglich eine wechselseitige Abwesenheit: Zuerst die des Mondes und dann jene der Erde oder umgekehrt zuerst die der Erde und dann jene des Mondes. Daraus lässt sich die Gleichzeitigkeit nicht schließen. Kant zufolge kann diese wechselseitige Sukzession nur dann „im Objecte gegründet“ sein (B257), d. h., sich als eine objektive Gleichzeitigkeit repräsentierend interpretieren lassen, wenn der Verstand die Kategorie der Wechselwirkung auf die subjektive Sukzession anwendet (B257).

 Für unterschiedliche Interpretationen der Wirkungsweise der Kategorien der Kausalität und der Wechselwirkung siehe Longuenesse 1998, S. 335; Merritt und Valaris 2017, S. 587; Kitcher 2012; Guyer 1987; Allison 2004; Thöle 1991; Watkins 2004.

3.3 Struktur der Selbstaffektion und Zeitlichkeit

243

Das bedeutet, nur dann, wenn man die Substanzen, deren Bestimmungen die subjektive Folge der Wahrnehmungen repräsentiert, als in der Relation der Wechselwirkung stehend betrachtet (B258), kann man diese wechselseitig abwesenden Wahrnehmungen als Vorstellungen gleichzeitiger Sachverhalte betrachten. Das heißt, für jede der beiden Substanzen muss man annehmen, dass ihr wahrgenommener Zustand durch den Zustand der anderen Substanz verursacht wird.Warum kann dadurch die objektive Gleichzeitigkeit bestimmt werden? Der Grund lautet:⁴⁰⁸ Der Zustand Z1 von X hat einen kausalen Einfluss auf Y und bewirkt, dass Y in Z2 übergeht oder bleibt; dadurch kann die Zeitstelle des Z2 von Y wegen der Eigenschaft der Kausalität nur gleichzeitig oder unmittelbar nach Z1 liegen. Umgekehrt hat der Zustand Z2 von Y einen kausalen Einfluss auf X, sodass Z1 von X sich kausal dem Zustand Z2 von Y verdankt. Dadurch kann die Zeitstelle von Z1 nur gleichzeitig oder unmittelbar nach Z2 sein. Zusammenfassend lässt sich schließen, dass Z1 und Z2 gleichzeitig sind.⁴⁰⁹ In welchem Zusammenhang steht all dies mit der Selbstaffektion und dem inneren Sinn? Die wichtigste Erkenntnis besteht darin, dass die Selbstaffektion bzw. Synthetisierung des Mannigfaltigen gemäß den Kategorien durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft in zwei Phasen aufgeteilt werden muss. In der ersten Phase konstruiert die Synthesis der Apprehension gemäß den mathematischen Kategorien das empirische Mannigfaltige zu bildlichen Vorstellungen der Gegenstände – d. h.Vorstellungen von ihren Gestalten und sekundären Eigenschaften. Daraus ergibt sich eine subjektive Folge der Wahrnehmungen. Die objektiven Verhältnisse der Gegenstände sind an dieser Stelle noch nicht bestimmt. Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft gemäß den Kategorien der Relation führt die objektive Zeitbestimmung aus. Gemäß der Kategorie der Substanz wird durch das Beharrliche in den Erscheinungen die Zeit selbst vorgestellt. Dieses dient somit als Substrat der Vorstellung des Zugleichseins und der Sukzession in der objektiven Ordnung. Gemäß den Kategorien der Kausalität und der Wechselwirkung wird das Zugleich- und Nacheinandersein der Erscheinungen bestimmt. Die Einteilung der Kategorien in zwei Gruppen ist bewusstseinstheoretisch fundiert. Dies wird in den folgenden Abschnitten gezeigt. Die mathematischen Kategorien sorgen zwar dafür, dass Bilder mit Gestalten und Sinnesqualitäten erzeugt werden. Der richtige Gegenstandsbezug der Erfahrung ist jedoch erst durch die Kategorien der Relation herzustellen. Das Produkt der mathematischen  Peter Rohs 2015, S. 740 – 742.  Für von der hier vertretenen Auffassung abweichende Rekonstruktionen des Arguments der Dritten Analogie siehe auch Watkins 2005, S. 217, 228; Guyer 1987, S. 267– 278; Thöle 1998, S. 267– 296.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Kategorien ist eine rein subjektive Folge von Wahrnehmungsbildern, die keinen Zusammenhang aufweist – das heißt, sie stellt keine Einzeldinge vor, geschweige denn eine kausale Wirkung oder Wechselwirkung.⁴¹⁰ Am Anfang des AnalogieKapitels verdeutlicht Kant, dass es die Synthesis gemäß den relationalen Kategorien ist, die die Bilder, die durch die Synthesis gemäß den mathematischen Kategorien erzeugt werden, in einer notwendigen Einheit des Bewusstseins zusammenbringt. Diese Einheit macht nämlich das Wesentliche einer Erkenntnis der Objekte der Sinne, d. h. der Erfahrung (nicht bloß der Anschauung oder Empfindung der Sinne) [aus]“ (B218 – 219, H. d. V.).

Hier spielt der kursive Text auf die Wirkungsdomänen der mathematischen Kategorien an, wie schon allein anhand der Titel der Abschnitte des GrundsatzKapitels leicht zu erkennen ist („Axiome der Anschauung“, „Antizipationen der Wahrnehmung“ und „Analogien der Erfahrung“). Die Kategorien der Quantität werden bei der Konstruktion der extensiven Größe der Anschauung und jene der Qualität bei der Synthesis der Sinnesqualität der Wahrnehmung benötigt – diese Synthesis füllt eine Zeitstelle mit bestimmten Sinnesqualitäten aus. Das obige Zitat impliziert deshalb, dass das Ergebnis der Anwendung der mathematischen Kategorien keine Vorstellung eines Gegenstands der Erfahrung ist, die voraussetzungsreich ist. Der Grund dafür ist nachvollziehbar: Das Produkt der Synthesis gemäß den Kategorien der Quantität ist die „Form der Erscheinung“ (A180/B223) – d. h. raumzeitliche Gestalten; das Produkt der Synthesis gemäß den Kategorien der Qualität ist dagegen die „Materie derselben [d. h. der Erscheinung]“ (A180/ B223) – d. h. ungefähr, die Vorstellung der Eigenschaften der raumzeitlichen Gegenstände, die durch Sinnesqualitäten repräsentiert werden. Beides erzeugt insgesamt nur separate, augenblickliche Bilder oder fragmentarische Sinneserlebnisse, die nur eine zusammenhanglose Folge von Wahrnehmungen bilden. Die empirische Anschauung eines vierdimensionalen Gegenstands erfordert nämlich, dass die aus verschiedenen Zeitpunkten stammenden mentalen Bilder zur Vorstellung eines beharrlichen Gegenstands zusammengefasst werden. Dafür muss das Subjekt die Bilder als zu einem über die Zeit hinweg identischen Gegenstand

 Die Wahrnehmung von Einzeldingen setzt die Kategorie der Substanz und Inhärenz voraus. Den Begriff der subjektiven Sukzession erläutert Kant in der Zweiten Analogie. Dort wird jedoch vorausgesetzt, dass infolge der Wirkung der Kategorien der Substanz und Inhärenz auf die subjektive Folge der Wahrnehmungen schon Vorstellungen von Substanzen vorliegen und als Substrat der objektiven Zeitbestimmung dienen können (B232– 233). Allein unter Wirkung der mathematischen Kategorien ist in der subjektiven Folge kein Gegenstand als Substanz wahrzunehmen.

3.3 Struktur der Selbstaffektion und Zeitlichkeit

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gehörig betrachten. Hierfür ist die Leistung der Kategorie der Substanz und Inhärenz notwendig. Ein Objekt der Erfahrung zeichnet sich dadurch aus, dass seine Vorstellung eine notwendige Einheit des empirischen Mannigfaltigen ist (B218 – 219; A104 – 105). Diese notwendige Einheit betrifft die Zeitverhältnisse des empirischen Mannigfaltigen: In der ursprünglichen Apperception soll nun alle dieses Mannigfaltige seinen Zeitverhältnissen nach vereinigt werden; denn dieses sagt die transscendentale Einheit derselben a priori, unter welcher alles steht, was zu meinem (d. i. meinem einigen) Erkenntnisse gehören soll, mithin ein Gegenstand für mich werden kann. (A177/B220)

Die Zeitverhältnisse sind „Simultaneität und Succession“ (B226). Sie werden gerade durch die relationalen Kategorien bestimmt (B184).⁴¹¹ Durch die Kategorie der Kausalität wird nämlich die Sukzession bestimmt (siehe die Zweite Analogie), durch die Kategorie der Wechselwirkung hingegen die Simultanität (siehe die Dritte Analogie). Beide setzen die Kategorie der Inhärenz voraus: „[N]ur in dem Beharrlichen sind also Zeitverhältnisse möglich (denn Simultaneität und Succession sind die einzigen Verhältnisse in der Zeit)“ (B226). Die Notwendigkeit der Verbindung der Sinnesdaten in der Zeit verdankt sich nur den relationalen Kategorien (B219; A177/B220), weil „Apprehension nur eine Zusammenstellung des Mannigfaltigen der empirischen Anschauung, aber keine Vorstellung von der Notwendigkeit der verbundenen Existenz der Erscheinungen [ist]“ (B219). Insgesamt bedeutet das bisher Erläuterte, dass die Kategorien der Relation im Vergleich mit anderen für die Notwendigkeit der Verbindung des Mannigfaltigen maßgeblich sind, die den Kern des Gegenstandsbezug ausmacht.⁴¹² Obwohl Kant die Kategorien als „Grundbegriffe, Objekte überhaupt zu den Erscheinungen zu denken“ (A111) bzw. „Begriffe von einem Gegenstande überhaupt“ (B128) bezeichnet, sind die mathematischen Kategorien für die Objektivität an sich nicht maßgebend, da diese durch die Notwendigkeit gekennzeichnet ist. Die Funktion der mathematischen Synthesis ist zwar für die Konstruktion der Anschauung selbst – d. h. der reinen räumlichen Gestalten mit zeitlichen Größen – und auch für das Bewusstsein der Materie der empirischen Anschauung notwendig. Sie reicht aber nicht dafür aus, das empirische Mannigfaltige auf ein Objekt der Erfahrung – d. h. einen empirischen Gegenstand in der Raumzeit – zu beziehen. Hier ist vielleicht einzuwenden, dass dasjenige, was

 Die Zeitverhältnisse werden in B184 unter dem Namen „Zeitordnung“ erwähnt. Beides ist der Sache nach synonym.  Unter Veweis auf R5295, Refl 18:146 behauptet Dohrn, „Die Kategorie der Substanz bezeichnet den Gegenstand direkt“ (Dohrn 2015, S. 702 ff.).

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Kapitel 3: Selbstaffektion

aus der Bestimmung der mathematischen Kategorien resultiert, dennoch eine Art von empirischen Gegenständen darstellt, wie augenblickliche Bilder, Ton- und Geruchsempfindungen oder Tastgefühle. Das Problem ist aber, dass wir laut Analogien-Kapitel „alle Zeitbestimmung nur durch den Wechsel in äußeren Verhältnissen […] in Beziehung auf das Beharrliche im Raume […] wahrnehmen können“ (B277– 278). Ohne die Anwendung der Kategorie der Substanz und Inhärenz ist keine objektive Zeitbestimmung möglich, sodass die Sukzession der Wahrnehmungen ein bloßer Wechsel der Zustände des Subjekts bleibt, die als solche allein keine objektiven Sachverhalte repräsentieren. Zuvor wurde die These aufgestellt, dass die Einteilung der Kategorien in zwei Gruppen bewusstseinstheoretisch relevant ist. Dies ist deswegen so, weil eine subjektive Folge ohne Wirkung der Synthesis gemäß den Kategorien der Relation durchaus ein reales Erlebnis sein kann. Eine Implikation dieser These ist das folgende Interpretationsmodell der Selbstaffektion: Die Synthesis gemäß den Kategorien der Relation wirkt auf eine bereits vorliegende Folge der Wahrnehmungen, die durch die mathematischen Kategorien generiert wird. Als Resultat wird in die subjektive Folge eine objektive Zeitordnung hineininterpretiert. Nur ist eine subjektive Folge ohne Wirkung der Synthesis gemäß den Kategorien der Relation möglich? Den Begriff der subjektiven Folge der Wahrnehmungen stellt Kant in der Zweiten und der Dritten Analogie der Erfahrung vor. Die subjektive Folge ist dort anscheinend nicht eine Folge von Wahrnehmungen ohne jegliche Wirkung der relationalen Kategorien. Die Zweite Analogie betrifft nämlich die Folge der Wahrnehmungen, die die Zustandswechsel einer Substanz repräsentiert, während die Dritte Analogie die Folge der Wahrnehmungen betrifft, die abwechselnd Zustände verschiedener Substanzen repräsentiert. Beide Arten von Wahrnehmungsfolgen setzen voraus, dass die Kategorie der Substanz bereits angewendet wird (B232 f.), weil alle objektiven Zeitverhältnisse allein an einem beharrlichen Substrat als einer Art von ‚Zeitskala‘ vorgestellt werden können (B225). Aber es handelt sich an dieser Stelle im Gegensatz zum Analogien-Kapitel nicht um die Bedingung der Bestimmung der objektiven Zeitverhältnisse. Das Bewusstsein der subjektiven Folge der Wahrnehmungen braucht somit keine beharrliche ‚Zeitskala‘ vorauszusetzen und ist auch ohne Beteiligung aller Kategorien der Relation möglich. Der Hauptbeleg dafür liegt in der Möglichkeit eines nicht-apperzeptiven Bewusstseins.

3.3.2 Zeitbewusstsein des nicht-apperzeptiven Geistes Meines Erachtens ist für Kant das Bewusstsein eines nicht-apperzeptiven und nicht-kategoriefähigen Wesens, wie das des Tiers, ein Bewusstsein der Sukzession

3.3 Struktur der Selbstaffektion und Zeitlichkeit

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von Wahrnehmungsbildern.⁴¹³ Kants Auffassung des tierischen Bewusstseins stellt nicht nur eine Spekulation über den Geist eines biologischen Wesens dar, sondern kann auch als eine Antwort auf die Frage betrachtet werden, wie ein rein sinnlicher Geist bewusstseinstheoretisch verfasst ist, wenn er kein Vermögen der Apperzeption und der Diskursivität besitzt, aber teilweise ein dem Menschen ähnliches kognitives Verhalten aufweist.⁴¹⁴ Daher ist diese Auffassung für unser Ziel, Kants Lehre des Bewusstseins zu klären, sehr hilfreich. Bisher wissen wir, dass das Gemüt des Tiers nach Kant weder einen logischen Selbstbezug noch ein empirisches Bewusstsein des eigenen Zustands als seines Zustands kennt (Br 11:52). Zudem hat es keinen Objektbezug (Br 11:52), da dieser nur durch die Kategorien hergestellt werden kann. Als nicht-apperzeptives Wesen verfügt der tierische Geist nicht über die Fähigkeit der Synthesis der Einbildungskraft gemäß den Kategorien. Daraus könnte geschlossen werden, dass er auch nicht über die Wahrnehmungsbilder verfügen kann, die nur unter Wirkung der mathematischen Kategorien möglich sind. Es ist jedoch äußerst kontraintuitiv, Tieren das Erleben von raumzeitlichen Gestalten oder Sinnesqualitäten abzusprechen. Auch Kants eigene Aussagen scheinen diese Auffassung zu widerlegen. So schreibt er explizit, dass das Tier zu Wahrnehmungsbildern fähig ist: „Thiere sehen im Sinne Bilder, Menschen ihre Bilder“ (V-Met-N/Herder 28:952). Das Tier hat für ihn ferner „alle Vorstellungen der äußern Sinne“ und im Vergleich mit den Menschen sogar „in der Sinnlichkeit bessere Phänomena“ (V-Met-L1/Pölitz 28:276). Wie wir bereits gesehen haben, kann das Tier sich auch einzelner „data der Sinne“ bewusst sein (Br 11:52), wenn auch ohne Gegenstandsbezug. Es ist folglich kaum plausibel zu bestreiten, dass Kant dem Tier die Fähigkeit augenblicklicher Wahrnehmungsbilder zuschreibt. Diese Auffassung bzgl. der mentalen Fähigkeiten von Tieren scheint der Beweiskraft von Kants Deduktion der objektiven Gültigkeit der Kategorien erheblich abträglich zu sein, denn er scheint zu meinen, dass der phänomenale Charakter der Wahrnehmung (mit raumzeitlichen Gestalten und Sinnesqualitäten) die Beteiligung der mathematischen Kategorien voraussetzt.⁴¹⁵ Direkt nach dem zweiten Schritt der Transzendentalen Deduktion demonstriert Kant nämlich anhand von Beispielen, wie die Synthesis der Einbildungskraft gemäß den Kategorien der Quantität auf Sinnesmaterialien wirkt:

 Darunter verstehe ich das Erleben raumzeitlicher Gestalten gefüllt mit Sinnesqualitäten.  Für aktuellere Abhandlungen über den tierischen Geist bei Kant siehe McLear 2011 und Fisher 2017.  Ginsborg 2008, S. 68 – 69; Griffith 2012. Für übergreifende Darstellungen und Kritiken rund um dieses Problem, siehe Allais 2009; Tolley 2013; McLear 2014.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Wenn ich also z. B. die empirische Anschauung eines Hauses durch Apprehension des Mannigfaltigen derselben zur Wahrnehmung mache, so liegt mir die nothwendige Einheit des Raumes und der äußeren sinnlichen Anschauung überhaupt zum Grunde, und ich zeichne gleichsam seine Gestalt dieser synthetischen Einheit des Mannigfaltigen im Raume gemäß. (B162, H. d. V.)

Die Synthesis der Einbildungskraft scheint hier für den phänomenalen Charakter der Ausdehnung des Hauses verantwortlich zu sein, was den obigen Zitaten über den Tiergeist widerspricht. Zu dieser Problematik entstand in den letzten Jahren eine heftige und andauernde Debatte zwischen Konzeptualisten und Nonkonzeptualisten. Die vorliegende Abhandlung ist weder ein geeigneter Ort, um dieses Problem ausführlich zu behandeln, noch wird in ihr für eine der beiden Positionen Partei ergriffen. Um die angezeigte Spannung jedoch zu mildern, möchte ich einen Lösungsversuch vorschlagen. Meines Erachtens können im Licht der obigen Analyse der Bedeutung der relationalen Kategorien für den Objektbezug der empirischen Anschauungen die folgenden Überlegungen vorgebracht werden. Kant hält die mathematische Synthesis nicht für den phänomenalen Charakter der Wahrnehmungen tout court, sondern für die begrifflich strukturierten Wahrnehmungsbilder notwendig. Das Gemüt des Menschen muss sich auf das durch Wahrnehmungsbilder Dargestellte als Gegenstand⁴¹⁶ beziehen. Ein solcher Bezug setzt die Leistung der mathematischen Synthesis voraus, denn die Anschauung allein ermöglicht noch keinen Gegenstandsbezug (A51/B75).⁴¹⁷ Kant besteht darauf, dass die Wahrnehmungsbilder von der mathematischen Synthesis synthetisiert werden müssen, also nicht deswegen, weil diese für das Erleben des phänomenalen Charakters von Wahrnehmungen notwendig ist, sondern weil sie konzeptualisiert werden müssen, damit (danach) die relationale Synthesis mit dem Ergebnis dieser Konzeptualisierung operieren kann. Die Synthesis gemäß der Kategorie der Substanz bestimmt die noch unbestimmten intentionalen Gegenstände der Anschauung jeweils als Substanz oder Akzidenz. Dazu muss das gegebene Mannigfaltige der unbestimmten Anschauung vorher individualisiert werden – dies heißt, dass bestimmte räumliche Regionen gemäß der Kategorie der Quantität als homogen erfasst werden (B162) und dann gemäß der Kategorie der Qualität mit Sinnesqualitäten von einem gewissen Grad ausgefüllt werden (B207 ff.; Refl 18:661). Insbesondere die Anwendung der Kategorie der Kausalität

 Der Begriff Gegenstand wird hier im weiten Sinn des Wortes gebraucht. Alle Substanzen, Zustände der Substanzen, Ereignisse und Eigenschaften können als Gegenstand verstanden werden.  Einige Forscher sind der Ansicht, dass die Anschauung sich auch ohne Begriffe auf unbestimmte Gegenstände beziehen könne. Siehe Friebe 2015, S. 709 – 710. Vgl. A258/B314.

3.3 Struktur der Selbstaffektion und Zeitlichkeit

249

setzt eine Vor-Konzeptualisierung der Anschauung voraus, da die Kausalregel, die die schematisierte Kategorie der Kausalität enthält, letztendlich auf einzelne Zustände der Substanzen angewendet wird. Dies setzt eine Konzeptualisierung der Wahrnehmungsbilder der subjektiven Folge voraus. Betrachten wir erneut das Hauptargument der Zweiten Analogie: Nehmen wir an, ich erlebe eine Folge der Wahrnehmungen ‚a‘ und ‚b‘, die die Zustandswechsel einer Substanz repräsentiert. Anders als beim Erleben zweier simultaner Geschehnisse, kann ich diese Folge nicht umgekehrt erleben, wie sehr auch immer ich dieses versuchen mag. Da diese Folge gemäß dem Kausalprinzip als die notwendige Wirkung einer Ursache zu interpretieren ist, urteile ich, dass die Sukzession ‚a – b‘ eine objektives Ereignisfolge ‚A – B‘, nicht aber eine Ereignisfolge ‚B – A‘ repräsentiert.⁴¹⁸ Das Bewusstsein des Kausalprinzips ist begrifflich. Um dieses Prinzip auf Wahrnehmungen anzuwenden, muss das Subjekt sich auf verschiedene Wahrnehmungsbilder durch Begriffe beziehen können, die die augenblicklichen Zustände der Dinge repräsentieren. Dazu werden die mathematischen Kategorien angewendet. Die mathematische Synthesis ist für die relationale Synthesis unentbehrlich, die wiederum für den Gegenstandsbezug der Anschauung maßgebend ist. Damit fällt der obige Einwand bzgl. der Annahme des phänomenalen Erlebens sukzessiver Wahrnehmungsbilder beim Tier weg. Nun ist es ebenfalls weder intuitiv plausibel noch empirisch fundiert, dem tierischen Geist das Erlebnis der Sukzession der Zeit abzuerkennen. Es gibt keinen notwendigen Zusammenhang zwischen den apperzeptiven Fähigkeiten – d. h. der reinen, der empirischen Apperzeption und der Synthesis gemäß den Kategorien – und dem Bewusstsein der Sukzession an sich, denn diese gehört zur Anschauung, die „vor allem Denken gegeben sein kann“ (B132). Dies bedeuet, das Erleben der Sukzessivität verdankt sich nicht dem apperzeptiven, begrifflichen Vermögen und ist folglich von ihm unabhängig. Nichts spricht in Kants Lehre dagegen, dem Tier das Bewusstsein der sukzessiven Folge der Wahrnehmung zuzuschreiben, solange man nicht zulässt, dass das Tier die Zeitordnung als solche erkennt – d. h. begrifflich bestimmt. ⁴¹⁹ Wohlgemerkt bedeutet dieses Bewusstsein nicht, dass die Wahrnehmungen des Tiers lediglich sukzessiv verlaufen – d. h. sukzessiv hinsichtlich unserer theoretischen Betrachtung aus der Perspektive der dritten Per-

 Es ist umstritten, ob die objektive Zeitbestimmung konkrete Kausalgesetze oder lediglich das allgemeine Kausalprinzip – d. h., „Jede Veränderung hat eine Ursache“ – benötigt (Allison 2004). Hier folge ich der zweiten Auffassung, da das Ergebnis der folgenden Analyse mutatis mutandis leicht auf die erste Auffassung anzuwenden ist.  McLear 2011, S. 11. McLear und Land sind der Ansicht, „pre-categorically, consciousness is still temporally structured, but there is no consciousness of any content as having determinate temporal structure without the concept of magnitude“ (McLear 2011, S. 10 Anm. 23).

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Kapitel 3: Selbstaffektion

son, denn dies ist damit kompatibel, dass das Tier lediglich kausal auf neue Ereignisse reagiert, ohne ein Erlebnis der Sukzession zu haben. Stattdessen zielt die hier entwickelte These darauf ab, dass das Tier die Sukzessivität der Wahrnehmungen in der Weise phänomenal erleben kann, dass es die sukzessiven Verhältnisse der den Wahrnehmungen kausal zugrunde liegenden Ereignisse bestimmen könnte, wenn es über die dafür erforderlichen apperzeptiven und begrifflichen Fähigkeiten verfügen würde.⁴²⁰ Gegen diese Interpretation müssen jedoch einige Einwände erwogen werden. Dem ersten Einwand nach ist die subjektive Folge der Wahrnehmungen ein Produkt der Synthesis der Einbildungskraft (B233). Zur Synthesis ist das Tier jedoch nicht fähig. Dieser Einwand kann dadurch abgewehrt werden, dass man die Synthsis der Einbildungskraft genauer untersucht. Das Bewusstsein der subjektiven Folge ist ein Produkt der Synthesis der Einbildungskraft, der die Geltung der Kategorie der Kausalität noch nicht auferlegt wird: „[D]iese [Einbildungskraft kann] […] zwei Zustände auf zweierlei Art verbinden, so daß der eine oder der andere in der Zeit vorausgehe“ (B233). Dies geht auch aus dem folgenden Zitat deutlich hervor: Zu aller empirischen Erkenntniß gehört die Synthesis des Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft, die jederzeit successiv ist; d. i. die Vorstellungen folgen in ihr jederzeit auf einander. Die Folge aber ist in der Einbildungskraft der Ordnung nach (was vorgehen und was folgen müsse) gar nicht bestimmt, und die Reihe der einander folgenden Vorstellungen kann eben sowohl rückwärts als vorwärts genommen werden. Ist aber diese Synthesis eine Synthesis der Apprehension (des Mannigfaltigen einer gegebenen Erscheinung), so ist die Ordnung im Object bestimmt, oder, genauer zu reden, es ist darin eine Ordnung der successiven Synthesis, die ein Object bestimmt, nach welcher etwas nothwendig vorausgehen, und wenn dieses gesetzt ist, das andre nothwendig folgen müsse. (B246, H. d. V.)

Die Einbildungskraft ist Kant zufolge nicht eine an sich spontane, regelgeleitete kognitive Handlung, die als solche ein nicht-apperzeptives Wesen wie das Tier nicht vollziehen könnte. Sie ist nicht per se Spontaneität, vielmehr gehört sie zur Sinnlichkeit: Die Sinnlichkeit im Erkenntnißvermögen (das Vermögen der Vorstellungen in der Anschauung) enthält zwei Stücke: den Sinn und die Einbildungskraft. (Anth 7:153)⁴²¹

 McLear scheint diese Unterscheidung nicht zu bemerken (McLear 2011, S. 9).  „Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehört die Einbildungskraft der subjectiven Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine correspondirende Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit; so fern aber doch ihre Synthesis eine Ausübung der Spontaneität ist, welche bestimmend und nicht wie der Sinn bloß bestimmbar ist, mithin a priori den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperception gemäß bestimmen kann, so ist die

3.3 Struktur der Selbstaffektion und Zeitlichkeit

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Kant schreibt dem Tier ausdrücklich die Fähigkeit der Einbildungskraft zu und zwar nicht nur die produktive, sondern auch die reproduktive: Das Bewustseyn fehlt den Thieren ganz, ihre Handlungen geschehn nach Gesetzen der Einbildungskraft, welche die Natur in sie gelegt hat – nach Analogie. Das Princip was als analogon rationis die Thiere lenkt nennt man Instinkt, das Vermögen ohne Bewustseyn Handlungen auszuüben, wozu die Menschen Bewustseyn bedürfen, Naturtrieb. (V-Met/ Dohna 28:690) Die Thiere haben Sinne und Imaginatio. Bey der Imagination können wir uns noch facultatem fingendi, der praevision und reproduction denken. (V-Met-L2/Pölitz 28:594. Siehe auch V-Met/Dohna 28:689 f.; V-Met-L1/Pölitz 28:277)⁴²²

Die subjektive Folge ist ein Produkt der ‚Synthesis‘ der Einbildungskraft, die nicht per se ein spontaner Akt des Verstandes ist, auch wenn die Bezeichnung ‚Synthesis‘ dies suggeriert: Die Synthesis überhaupt ist, wie wir künftig sehen werden, die bloße Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Function der Seele, ohne die wir überall gar keine Erkenntniß haben würden, der wir uns aber selten nur einmal bewußt sind. Allein diese Synthesis auf Begriffe zu bringen, das ist eine Function, die dem Verstande zukommt, und wodurch er uns allererst die Erkenntniß in eigentlicher Bedeutung verschafft. (B103)

Unter „Synthesis“ versteht Kant im Kontext dieser Passage nicht Synthesis allgemein, sondern die Synthesis der Einbildungskraft. Er bezeichnet die „bloße Wirkung der Einbildung“ als „blind[]“, wenn sich die „Function“ des Verstandes daran nicht beteiligt und diese Synthesis folglich nicht gemäß der Regel der Kategorien vollgezogen wird. Daher enthält die Synthesis der Einbildungskraft per se kein Zutun des Verstandes und ist ein Produkt allein der Sinnlichkeit.⁴²³ In diesem Sinne – d. h. als bloßer Mechanismus der Sinnlichkeit – ist sie kein spontaner Akt und kann auch vom Tier ausgeführt werden. Es spricht folglich hinsichtlich des epistemologischen Charakters der Einbildungskraft nichts dagegen, dass ein

Einbildungskraft so fern ein Vermögen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen“ (B151 f.). Wenige Zeilen später schreibt Kant zudem: „So fern die Einbildungskraft nun Spontaneität ist […]“ (B152). Der Ausdruck „so fern […] nun“ in diesen Zitaten impliziert, dass die Einbildungskraft nicht wesentlich Spontaneität ist.  In Anth 7:106 behauptet Kant: „Daher träumen vermuthlich alle Thiere, wenn sie schlafen“. Das ist ein eindeutiger Beleg dafür, dass er Tieren die reproduktive Einbildungskraft zuerkennt.  In ähnlicher Weise sagt Kant, „die reine Vernunft überläßt alles dem Verstande, der sich zunächst auf die Gegenstände der Anschauung oder vielmehr deren Synthesis in der Einbildungskraft bezieht“ (B382 f.).

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Kapitel 3: Selbstaffektion

nicht-apperzeptiver Geist ohne Fähigkeit der Synthesis gemäß den Kategorien das phänomenale Erlebnis der subjektiven Sukzession hat. Um eine unnötige Verwechslung und eine irreführende Assoziation mit dem genuin spontanen synthetischen Akt zu vermeiden, wird fortan die rein sinnliche Synthesis als ‚QuasiSynthesis‘ bezeichnet. Die Frage bleibt, ob allein anhand der Einbildungskraft ein Bewusstsein der Sukzession von Wahrnehmungen möglich ist. Meines Erachtens ist die Antwort positiv. Das Tier kann ein Erlebnis der Sukzession haben, soweit Kant ihm die reproduktive Einbildungskraft zuschreibt (Anth 7:106, 197). Denn in der rückblickenden Einbildung vergangener Erlebnisse kann das Tier diese als sukzessive Bilder erleben, was keine begrifflichen oder apperzeptiven Fähigkeiten erfordert. Aber wie kann ein solches Erleben ohne diese Fähigkeiten geschehen? Es kann durch einen einfachen Mechanismus realisiert werden: Das Tier hat eine Wahrnehmung w1 zum Zeitpunkt t1 und danach eine weitere w2 zum Zeitpunkt t2, wobei w1 und w2 voneinander in einigen Details abweichen. Zu t2 hat es zugleich die Wahrnehmung w2 und ein Erinnerungsbild von w1.⁴²⁴ Dadurch entsteht ein phänomenales Erlebnis der Sukzessivität. Das rudimentäre sinnliche Verknüpfungsvermögen, d. h. das Beibehalten und die Zusammenstellung der sukzessiven Wahrnehmungen als Quasi-Synthesis, ist bereits ausreichend, um eine subjektive Sukzession zu generieren. Das Bewusstsein des Tiers scheint hauptsächlich eine Sukzession von Wahrnehmungen zu sein, die ohne Wirkung der Kategorien der Relation erzeugt wird. Man kann auch hierzu einwenden, dass das Tier nach Kant die Fähigkeit der Unterscheidung und vertretbar auch die der kausalen Prognose besitzt. Sind dies Belege dafür, dass das Tier auch die Fähigkeit der Anwendung der Kategorien der Relation besitzen muss? Die Fähigkeit der Unterscheidung des Tiers erklärt Kant auf eine reduktionistische Weise weg: Das Tier reagiert auf unterschiedliche Stimuli unterschiedlich, wobei es sich des Unterschiedes der Stimuli nicht als eines solchen bewusst ist (V-Met/Herder 28:66 f., 87 f.).⁴²⁵ Mit anderen Worten: Die Fä Hier wird nicht behauptet, dass dieser Mechanismus empirisch haltbar ist.Vielmehr handelt es sich hierbei um einen Versuch zu zeigen, dass das Erlebnis der Sukzessivität im Rahmen von Kants Lehre keine voraussetzungsvollen synthetischen Vermögen erfordert. Im Übrigen verlangt der Mechanismus, dass das Tier beide Wahrnehmungen so auffasst, dass sie ein und denselben Gegenstand repräsentieren. Dies könnte anscheinend die Apperzeption, das Bewusstsein der Identität des Subjekts über die Zeit hinweg, verlangen, worüber das Tier nach Kant nicht verfügt. In der Tat wird für den Mechanismus jedoch nicht die transzendentale Apperzeption erfordert, weil ein kurzes und fragmentarisches Identitätsbewusstsein völlig ausreicht.  „E. Ochse wird durch Gras anders als durch Stein gerührt, weil das Gras ihn mit einer Vorstellung rührt, die der Grund des Hungers, so ist der Stein nicht so, also ist dieser Unterschied blos an der verschiedenen Rührung“ (V-Met/Herder 28:66 f.).

3.3 Struktur der Selbstaffektion und Zeitlichkeit

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higkeit der Unterscheidung lässt sich durch rein physiologische Mechanismen erklären (V-Met-L1/Pölitz 28:277), die durch Gewöhnung erworben werden können (V-Met-N/Herder 28:900). Kant zufolge hat das Tier auch eine rudimentäre mechanische Assoziationsfähigkeit, die seine Fähigkeit der kausalen Prognose erklären kann. Damit muss die Annahme der beiden Fähigkeiten keine bewusstseinstheoretische Implikation haben (V-Met-N/Herder 28:900). Es ist also nicht notwendig, repräsentationale oder bewusste Zustände im Geist des Tiers zu postulieren, die die Fähigkeiten der Unterscheidung und der kausalen Prognose ermöglichen. In diesem Sinne schreibt Kant: Analogon rationis: Verknüpfung der ideen ohne Bewustseyn ihres Grundes. (Refl 15:38) Das Bewustseyn fehlt den Thieren ganz, ihre Handlungen geschehn nach Gesetzen der Einbildungskraft, welche die Natur in sie gelegt hat – nach Analogie. Das Princip was als analogon rationis die Thiere lenkt nennt man Instinkt, das Vermögen ohne Bewustseyn Handlungen auszuüben, wozu die Menschen Bewustseyn bedürfen, Naturtrieb. (V-Met/ Dohna 28:690) Wir können den Thieren ein Analogon rationis beilegen, welches Verknüpfungen der Vorstellungen sind nach den Gesetzen der Sinnlichkeit, aus denen dieselben Wirkungen folgen, als aus der Verknüpfung nach Begriffen. (V-Met-L1/Pölitz 28:276)

Was das Tier phänomenal erlebt, ist somit nichts anderes als eine subjektive Folge seiner Wahrnehmungen. Alle (rudimentären) Verbindungen der Wahrnehmungen sind durch „Gesetz[e] der Sinnlichkeit“ erklärbar, d. h., diese Verbindungen werden vom Geist des Tiers nicht mithilfe des apperzeptiven Bewusstseins und der spontanen kognitiven Akte hergestellt, sondern sie sind vielmehr passiv bereits in der Sinnlichkeit gegeben:⁴²⁶ Auch sind wir gar nicht genöthiget, bei den Thieren Ueberlegung anzunehmen, sondern wir können dieses alles aus der bildenden Kraft herleiten.Wir eignen demnach diesen Wesen ein Empfindungsvermögen, Imagination u.s.w. zu, aber alles nur sinnlich als unteres Vermögen, und nicht mit Bewußtseyn verbunden. Aus dieser äußern Sinnlichkeit und aus mechanischen Gründen ihres Körpers können wir alle Phänomena der Thiere erklären, ohne das Bewußtseyn oder den innern Sinn anzunehmen. Der Philosoph muß die Principien der Erkenntnisse nicht ohne Ursache vermehren. (V-Met-L1/Pölitz 28:277)

 Diese Verbindungen können wie erwähnt z. B. durch Wiederholung und Gewöhnung in Form von Assoziation zustande kommen.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Es ist vorstellbar, dass solche Erlebnisse der subjektiven Folge auch beim Säugling oder Erwachsenen in bestimmten anormalen Zuständen vorkommen.⁴²⁷ Das Erleben einer bloßen Folge von Wahrnehmungen muss somit für die Menschen ein mögliches mentales Ereignis sein. Dies zeigt, dass die Synthesis gemäß den Kategorien der Relation für die bloß subjektive Folge von Wahrnehmungen (im engen Sinne) nicht konstitutiv ist. Damit könnte davon ausgegangen werden, dass diese Synthesis ein Akt ist, der mit einer vorliegenden subjektiven Folge von Wahrnehmungen operiert, die selbst wiederum unter Wirkung der mathematischen Synthesis zustande kommt.

3.3.3 Anhang: epistemischer Status und Zeitlichkeit der transzendentalen Einbildungskraft Es stellt sich die Frage, ob die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft sukzessiv ausgeübt wird oder nicht. Die Textevidenz für die sukzessive Ausübung ist hinreichend.⁴²⁸ Da das empirische Mannigfaltige des äußeren Sinnes sukzessiv gegeben und synthetisiert wird, muss auch seine reine Entsprechung – das reine Mannigfaltige – sukzessiv gegeben und synthetisiert werden. Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, die auf dieses reine Mannigfaltige wirkt, muss entsprechend auch sukzessiv ausgeübt werden. In den Nachträgen zur ersten Auflage der KrV bezieht Kant sich auf die Synthesis der Einbildungskraft und behauptet: „Die Synthesis geschieht in der Zeit“ (NTKrV 23:18). Wenn die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft ein Teilaspekt der Synthesis der Einbildungskraft ist (siehe Abschnitt 3.2.2.3), muss sie auch dementsprechend zeitlich sein. Dies wird auch durch das Beispiel des „Achthaben[s]“ auf das Ziehen einer Linie (B154– 156) bestätigt. Dort scheint Kant tatsächlich die Ansicht zu vertreten, dass die synthetische Handlung der Einbildungskraft, die beim Ziehen

 Z. B. wenn man unter bestimmten Geisteskrankheiten leidet oder unter Drogen steht. Hoppe (1982, Abschnitt 14) schildert ausführlich einige solcher Fälle. Klemme (1994, S. 181– 182, 200, 215, 224) schlägt Traum und Einbildung vor. Ich halte den Fall des Traumes für problematisch, weil Kant das nicht-apperzeptive Szenario als „weniger, als ein Traum“ (A112) bezeichnet. Zudem verfügen wir auch im Traum über das Bewusstsein des Selbst.  Siehe Mohr 1991, S. 167– 171 passim. Caimi zufolge (2005, S. 100 – 101) kann sie nicht Handlung des Dinges an sich sein. Ameriks (2000, S. 253) bezeichnet die Apperzeption als „an actual, conceptually determinative process“. Damit sei ihre Handlung, die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, ein Gegenstand der Erscheinungswelt. Eine ähnliche Position vertritt auch Waxman (1991, S. 185).

3.3 Struktur der Selbstaffektion und Zeitlichkeit

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der Linie das räumliche Mannigfaltige verbindet, sukzessiv ist.⁴²⁹ Diese sukzessive Handlung verbindet die gedanklich gezogenen Strecken zu einer Einheit, d. h. einer Linie. Dieser Handlung der empirischen Synthesis liegt die transzendentale Handlung der Einbildungskraft zugrunde, die die Strecken als gleichartige Größen betrachtet und sukzessiv in die Apperzeption aufnimmt, so dass diese im Resultat zusammen eine extensive Größe ausmachen (B162). Hierbei handelt es sich um eine Anwendung der Kategorie der Quantität. Wenn die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft sukzessiv ausgeübt wird, ist sie ein Gegenstand des inneren Sinnes und phänomenal, denn die Zeitlichkeit ist die Form des inneren Sinnes. Diese Implikation ist insofern problematisch, als die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft demnach ein Prozess in der Erscheinungswelt wäre, durch den die Erscheinungen des inneren Sinnes erst konstituiert werden sollten.⁴³⁰ Wenn die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft als das Affizierende wirklich phänomenal bzw. ein Teil der Erscheinungswelt wäre, würde eine transzendentale Bedingung der Erfahrung selbst einen Gegenstand der Erfahrung ausmachen, was ipso facto den transzendentalen Charakter der transzendentalen Einbildungskraft untergraben würde. Nach Kant ist nämlich die figürliche Synthesis der Einbildungskraft gemäß den Kategorien deswegen transzendental, „nicht bloß weil sie selbst a priori vorgehen, sondern auch die Möglichkeit anderer Erkenntnis a priori gründen“ (B151). Als Gegenstand der Erfahrung kann die transzendentale Synthesis nicht zugleich einen apriorischen Status genießen. Zudem kann dieser synthetische Akt aber nicht zur Handlung des Dinges an sich gehören, denn wir wissen ziemlich viel über diesen Akt, z. B., dass er auf das Mannigfaltige der reinen Anschauung wirkt und gemäß den Kategorien vollzogen wird, während wir über das Noumenale als solches nichts wissen sollten.⁴³¹

 Durch die Handlung der Synthesis des Mannigfaltigen des äußeren Sinnes sollten wir „den inneren Sinn sukzessiv bestimmen“ (B154). Da die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft den inneren Sinn affiziert, impliziert dieses Zitat, dass die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft sukzessiv ist. Siehe auch: „Bewegung, als Beschreibung eines Raumes, ist ein reiner Actus der sukzessiven Synthes des Mannigfaltigen in der äußeren Anschauung überhaupt durch produktive Einbildungskraft“ (B154). Bewegung ist sicher sukzessiv, deswegen muss die Synthesis des reinen Mannigfaltigen des äußeren Sinnes dies ebenfalls sein.  Hatfield 1992, S. 212.  Für eine Kritik an der Ansicht, dass die synthetische Handlung des Verstandes die noumenale Handlung des Subjekts ist, siehe Hatfield 1992, S. 212. Im Übrigen ist es bekanntlich seit der Erscheinung der KrV sehr kontrovers, ob empirische Gegenstände, Dinge an sich oder gar beides dasjenige sind, was die Sinnlichkeit affiziert. Siehe Hogan 2009 für noumenale Affektion, Nitzan 2010 für empirische Affektion und Stang 2015 für doppelte Affektion.

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Wie kann dieses Dilemma aufgelöst werden? Hierauf könnte geantwortet werden, dass die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft im Beispiel des Ziehens einer Linie nur sukzessiv erscheint.⁴³² Schließlich nimmt man beim gedanklichen Ziehen der Linie den eigenen Akt dadurch wahr, dass der innere Sinn affiziert wird. Die Introspektion der Sukzessivität der eigenen Akte ist somit ein Produkt der Affektion. Hinter der Erscheinung des Akts verbirgt sich jedoch die noumenale Entsprechung der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft, die ihre phänomenale Handlung letztendlich begründet, sodass die obige Sorge um den phänomenalen Status der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft unbegründet ist. Diese Lösung ist jedoch nicht ausreichend, da der fragliche Einwand dies überhaupt nicht bestreiten muss, sondern darauf bestehen kann, dass alle Funktionen der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft auf phänomenale Prozesse zurückführbar sind und sich damit erklären lassen.⁴³³ Folglich lässt sich die Gefahr für den transzendentalen und erkenntnisbegründenden Charakter dieser Synthesis nicht überwinden. Zur Lösung des Dilemmas kann meiner Meinung nach die hier vorgeschlagene Interpretation der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft zur Hilfe genommen werden. Dieser Lesart zufolge ist diese Synthesis nicht noumenal, sondern phänomenal, und zwar derart, dass sie den allgemeinen und apriorischen Aspekt der Synthesis der Einbildungskraft ausmacht.⁴³⁴ Sie ist phänomenal und sukzessiv, da sie den intellektuellen Aspekt der Synthesis der Einbildungskraft darstellt, die selbst ein phänomenaler und sukzessiver Prozess ist (A115). Im Gegensatz zur empirischen oder figürlichen Synthesis der Einbildungskraft, deren Produkt Vorstellungen individueller Objekte oder reiner Gestalten sind, sind die transzendentalen Schemata das Produkt der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft (B179, 181). Obwohl umstritten ist, ob es sich bei den transzendentalen Schemata um Regeln der Synthesis des reinen Mannigfaltigen zur Erzeugung reiner Anschauungen oder eher selbst um reine Anschauungen handelt,⁴³⁵ steht fest, dass sie „allgemein[e] Verfahren“ der Einbildungskraft sind (B179, siehe auch B177). Dieser allgemeine Charakter ist in ihrer Definition fest verankert, da sie eine vermittelnde Rolle zwischen den reinen Verstandesbegriffen, die allgemeine Regeln sind, und der reinen Sinnlichkeit spielen. Mit beidem sollen die transzen-

 Streng genommen nehmen wir sie nicht direkt wahr, sondern lediglich indirekt durch ihr Produkt, nämlich durch das mentale Bild der Linie.  Vgl. Caimi 2005, S. 101.  Hatfield (1992, S. 213) schlägt vor, dass die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft weder noumenal noch phänomenal sei, gibt jedoch keine weitere Erklärung, wie eine derart beschaffene Synthesis konkret zu konzipieren ist.  Seel 1998.

3.4 Innerer Sinn, innere Erfahrung und Aufmerksamkeit

257

dentalen Schemata nach den Aussagen von A137/B176–A138/B179 gleichartig sein.⁴³⁶ Wegen ihres allgemeinen Charakters kann der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft ein transzendentaler Status zugeschrieben werden, auch wenn sie nur einen Teilaspekt eines phänomenalen Prozesses, der Synthesis der Einbildungskraft, darstellt. Ähnliches macht Kant an einer Stelle des Paralogismen-Kapitels über die Apperzeption deutlich: Denn innere Erfahrung überhaupt und deren Möglichkeit, oder Wahrnehmung überhaupt und deren Verhältniß zu anderer Wahrnehmung, ohne daß irgend ein besonderer Unterschied derselben und Bestimmung empirisch gegeben ist, kann nicht als empirische Erkenntniß, sondern muß als Erkenntniß des Empirischen überhaupt angesehen werden und gehört zur Untersuchung der Möglichkeit einer jeden Erfahrung, welche allerdings transscendental ist. (A343/B401)⁴³⁷

Als „Umriß (monogramma)“ (A833/B861) beziehen sich die transzendentalen Schemata nicht auf einzelne Gegenstände, sondern auf den Gegenstand überhaupt. Diese Schemata als Bedingungen der Vorstellung des Gegenstands überhaupt muss jeder einzelne Gegenstand der empirischen Anschauung erfüllen. Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, die die transzendentalen Schemata hervorbringt, liefert somit Erkenntnisse des Empirischen überhaupt und gehört dennoch zur transzendentalen Bedingung der Erkenntnisse.

3.4 Innerer Sinn, innere Erfahrung und Aufmerksamkeit Kant unterscheidet zwischen den inneren Anschauungen und der inneren Erfahrung. Der innere Sinn liefert unbestimmte Anschauungen allein (B154), während die innere Erfahrung die auf diesen Anschauungen „gegründet[e] empirisch[e] Erkentnis seiner selbst“ (Anth 7:397) ist: Die Warnehmung (empirische Anschauung mit Bewußtseyn) könne nur Erscheinung des inneren Sinnes genannt werden. Damit sie aber innere Erfahrung werde muß das Gesetz bekannt sein welches die Form der Verbindung in einem Bewußtseyn des Objects bestimmt. (Anth 7:399)

 Die transzendentalen Schemata sind Regeln der Zeitbestimmung, beziehen sich jedoch nicht auf individuelle Zeitanschauungen. Daher untergräbt ihre sinnliche Seite ihren allgemeinen Charakter nicht.  Das dieser Stelle zugrundeliegende Prinzip lässt sich mutatis mutandis auf die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft übertragen, obwohl diese Stelle diese Synthesis nicht direkt betrifft.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Analog zur Unterscheidung der äußeren Anschauung und der äußeren Erfahrung sind die unbestimmten inneren Anschauungen nur dasjenige sinnliche Material, das noch nicht durch begriffliche Leistungen synthetisiert wurde, während die innere Erfahrung kategorial bestimmte empirische Erkenntnisse über die inneren Ereignisse als innere Gegenstände liefert.⁴³⁸ Der Unterschied zwischen den Anschauungen des inneren Sinnes und der inneren Erfahrung liegt sozusagen darin, ob die Sinnesmaterialien begrifflich und insbesondere kategorial bestimmt werden (siehe auch BXL und besonders B154) und ob ein Gegenstandsbezug vorliegt. Analog zum Fall des äußeren Sinnes besteht diese kategoriale Bestimmung in der Zeitbestimmung: Der innere Sinn liefert eine empirische Anschauung der inneren Zustände, die diese zwar in der Zeit vorstellt, aber noch nicht hinsichtlich ihrer zeitlichen Ordnung bestimmt. Durch die Anwendung der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft wird diese empirische Anschauung zeitlich bestimmt (B154, 276). Dies lässt sich durch die folgende Textstelle bestätigen: Allein ich bin mir meines Daseins in der Zeit (folglich auch der Bestimmbarkeit desselben in dieser) durch innere Erfahrung bewußt, und dieses ist mehr, als bloß mich meiner Vorstellung bewußt zu sein, doch aber einerlei mit dem empirischen Bewußtsein meines Daseins […]. (BXXXIX–XL)

Im Licht des Interpretationsmodells, das in den letzten Kapiteln vorgeschlagen wurde, lässt sich der Unterschied der empirischen inneren Anschauungen und der inneren Erfahrung weiter wie folgt präzisieren: Die bloß durch den inneren Sinn erzeugten Vorstellungen sind die subjektive Sukzession der inneren Wahrnehmungen, während das empirische Bewusstsein der inneren Zustände, in dem die objektiven Zeitverhältnisse dieser Zustände bestimmt sind, zur inneren Erfahrung gehört. Diese Unterscheidung gibt auch einen wichtigen interpretativen Aufschluss: Das berühmte Beispiel der Aufmerksamkeitslenkung auf den Akt des Ziehens einer Linie, das für unser Verständnis der Selbstaffektion von Belang ist, enthält mehr als eine durch den inneren Sinn erzeugte empirische Anschauung des in-

 „Erfahrung [ist] aber [] das empirische Erkentnis [] wodurch [ein Gegenstand] zugleich als ein solcher gedacht wird. Also ist Erfahrung die Handlung (der Vorstellungskraft) wodurch Erscheinungen unter den Begriff von einem Gegenstande derselben gebracht werden“ (Anth7:398). „[S]o bin ich mir vermittelst der äußern Erfahrung eben sowohl der Wirklichkeit der Körper als äußerer Erscheinungen im Raume, wie vermittelst der innern Erfahrung des Daseins meiner Seele in der Zeit bewußt, die ich auch nur als einen Gegenstand des innern Sinnes durch Erscheinungen, die einen innern Zustand ausmachen, erkennen kann“ (Prol 4:336, H. d. V.).

3.4 Innerer Sinn, innere Erfahrung und Aufmerksamkeit

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neren Zustands. Die Aufmerksamkeit wird nämlich auf die Synthesis des äußeren Mannigfaltigen – das gedankliche Ziehen der Linie – gerichtet. Diese Aufmerksamkeit macht die durch diese Synthesis entstandene dunkle⁴³⁹ innere Anschauung zur inneren Erfahrung, da die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft in der Aufmerksamkeit ausgeübt wird. Dort wird die unbestimmte dunkle Anschauung der Synthesis des äußeren Mannigfaltigen von der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft synthetisch strukturiert (B154); der innere Zustand wird vergegenständlicht (B155 – 156), und insbesondere werden die objektiven Zeitverhältnisse der wahrgenommenen synthetischen Akte bestimmt (B156). In diesem Sinne meint Kant, dass im Linienbeispiel der innere Sinn bestimmt wird (B154– 156), was darauf hindeutet, dass es dabei bereits um eine innere Erfahrung geht. Im folgenden Abschnitt wird die hier vorgeschlagene Interpretation genauer begründet.

3.4.1 Bestimmung des inneren Sinnes und Aufmerksamkeit: Analyse der Schlüsselstelle B154 – 155 In diesem Abschnitt wird auf eine der wichtigsten Textstellen zum inneren Sinn (B154 f.) fokussiert, an der Kant das berühmte Beispiel des Ziehens einer Linie entwickelt. Diese Textstelle ist nicht nur deswegen bedeutsam, weil Kant an keiner anderen Stelle sonst eine derart ausführliche Beschreibung der Selbstaffektion gibt, sondern auch weil sich eine ausgeprägte Meinungsverschiedenheit über die Einzelheiten und die Bedeutung an dieser Darstellung der Selbstaffektion entzündet hat. Obwohl diese Stelle häufig als Darstellung der Selbstaffektion zitiert wird, ist der darin thematisierte Fall der Selbstaffektion speziell und komplex. Deswegen lassen sich die Schlüsse daraus nicht verallgemeinernd auf die Selbstaffektion und den inneren Sinn tout court anwenden. Im Folgenden wird zunächst Kants berühmtes Beispiel dargestellt. Danach wird anhand von Interpretationen prominenter Exegeten argumentiert, warum und inwiefern die Bedeutung dieses Beispiels beschränkt ist. Kants Hauptidee im Exkurs des § 24 der KrV über die innere Erfahrung ist zu zeigen, dass die Vorstellung der Zeit als Form des inneren Sinnes immer auf die Vorstellungen des äußeren Sinnes angewiesen ist (B156). Da die Vorstellungen des äußeren Sinnes eher Erscheinungen als Dinge an sich repräsentieren, müssen

 Wie schon argumentiert, ist eine Anschauung, auf der noch keine Aufmerksamkeit liegt, eine dunkle Anschauung. Innere Anschauungen sind normalerweise dunkel, wenn die Aufmerksamkeit nicht auf innere Gegenstände gerichtet ist.

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auch die Vorstellungen des inneren Sinnes das Subjekt als Erscheinung repräsentieren. Der unmittelbare Kontext der fraglichen Textstelle ist Kants Bemerkung darüber, wie der innere Sinn als ein sinnliches Vermögen von der reinen Apperzeption⁴⁴⁰ zu unterscheiden ist: Die Apperception und deren synthetische Einheit ist mit dem inneren Sinne so gar nicht einerlei, daß jene vielmehr, als der Quell aller Verbindung, auf das Mannigfaltige der Anschauungen überhaupt, unter dem Namen der Kategorien vor aller sinnlichen Anschauung auf Objecte überhaupt geht; dagegen der innere Sinn die bloße Form der Anschauung, aber ohne Verbindung des Mannigfaltigen in derselben, mithin noch gar keine bestimmte Anschauung enthält, welche nur durch das Bewußtsein der Bestimmung desselben durch die transscendentale Handlung der Einbildungskraft (synthetischer Einfluß des Verstandes auf den inneren Sinn), welche ich die figürliche Synthesis genannt habe, möglich ist. (1) Dieses nehmen wir auch jederzeit in uns wahr. (2) Wir können uns keine Linie denken, ohne sie in Gedanken zu ziehen, keinen Cirkel denken, ohne ihn zu beschreiben, die drei Abmessungen des Raums gar nicht vorstellen, ohne aus demselben Punkte drei Linien senkrecht auf einander zu setzen, (3a) und selbst die Zeit nicht, ohne indem wir im Ziehen einer geraden Linie (die die äußerlich figürliche Vorstellung der Zeit sein soll) bloß auf die Handlung der Synthesis des Mannigfaltigen, (3b) dadurch wir den inneren Sinn successiv bestimmen, (3c) und dadurch auf die Succession dieser Bestimmung in demselben Acht haben. (4a) Bewegung als Handlung des Subjects (nicht als Bestimmung eines Objects), folglich die Synthesis des Mannigfaltigen im Raume, (4b) wenn wir von diesem abstrahiren und bloß auf die Handlung Acht haben, dadurch wir den inneren Sinn seiner Form gemäß bestimmen, (4c) bringt sogar den Begriff der Succession zuerst hervor. (5) Der Verstand findet also in diesem nicht etwa schon eine dergleichen Verbindung des Mannigfaltigen, sondern bringt sie hervor, indem er ihn afficirt. (B154– 155, Nummerierung durch den Verfasser)

Der erste Absatz hebt den rein rezeptiven Charakter des inneren Sinnes hervor, indem dieser mit der reinen Apperzeption verglichen wird. Dieser Vergleich lässt sich im Wesentlichen in zwei Aussagen zusammenfassen: [BI.1] Der innere Sinn enthält das Mannigfaltige der Anschauung und dessen sinnliche Form,⁴⁴¹ nicht aber die Verbindung des Mannigfaltigen. Er enthält mithin nur eine unbestimmte Anschauung.⁴⁴²

 Mit dem Begriff „Apperception“ ist in diesem Zitat, sachlich betrachtet, die reine Apperzeption gemeint.  Der Satz „dagegen der innere Sinn die bloße Form der Anschauung, aber ohne Verbindung des Mannigfaltigen in derselben, mithin noch gar keine bestimmte Anschauung enthält“ (B154) soll nicht bedeuten, dass der innere Sinn nur die Form der Anschauung, die Zeit, enthält. Nähere Gründe hierzu finden sich im Abschnitt 2.2.  Diese Ausführung ist in zwei Punkten unklar. Erstens hat Kant nicht erklärt, was das in Frage stehende Mannigfaltige ist. Ist es das räumliche Mannigfaltige oder ein Mannigfaltiges, das

3.4 Innerer Sinn, innere Erfahrung und Aufmerksamkeit

261

[BI.2] Diese Anschauung wird bestimmt, wenn (A) die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft den inneren Sinn bestimmt und (B) man sich dieser Bestimmung bewusst wird. Dem Satz 1 im zweiten Absatz zufolge sollen diese Thesen im ersten Absatz durch das Beispiel im zweiten Absatz illustriert werden. Kern des Beispiels des Ziehens einer Linie lässt sich in wenigen Schritten herausstellen: [ZL.1] Die Handlung der Synthesis der Einbildungskraft verbindet das räumliche Mannigfaltige sukzessiv zur Vorstellung einer Linie. [ZL.2] Das Subjekt richtet seine Aufmerksamkeit auf diese Handlung der Einbildungskraft, dabei abstrahiert es vom räumlichen Mannigfaltigen und achtet nur auf die Sukzession dieser Synthesis. [ZL.3] Dadurch kann man die Sukzession unter einem Begriff denken, d. h., die Zeit als einen Gegenstand vorstellen. Im ersten Schritt ZL.1 wird das räumliche Mannigfaltige – imaginäre kurze Strecken – zu einer Linie vereinigt.⁴⁴³ Hier wird die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft zum ersten Mal gemäß der Kategorie der Quantität angewendet. Die imaginären Strecken werden als homogene Größen betrachtet und zusammengenommen. Es handelt sich dabei bereits um die „Bestimmung“ des inneren Sinnes durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, was durch den

spezifisch zum inneren Sinn gehört? Zweitens ist unklar, ob die in Frage stehende Anschauung eine äußere oder eine innere Anschauung ist. Beide Punkte sind unklar, weil der innere Sinn gemäß der Inbegriff-Klausel auch äußere Anschauungen und das zu ihnen gehörige Mannigfaltige enthält. Meines Erachtens handelt es sich beim ersten Absatz des Zitats um die Bestimmung der inneren Anschauung und die synthetische Organisation des zeitlichen Mannigfaltigen, denn das Thema der als Exkurs eingefügten Bemerkung in § 24 der KrV (B152– 156) ist die Frage, wie das Subjekt im inneren Sinn als Erscheinung vorgestellt wird. Zudem soll dem Satz 1 im zweiten Absatz des obigen Zitats gemäß das Beispiel des Ziehens der Linie die Thesen BL.1 und BL.2 direkt demonstrieren.Wie anschließend gezeigt wird, geht es in diesem Beispiel hauptsächlich nicht um die Erzeugung einer äußeren Anschauung, sondern um die Erzeugung einer inneren Anschauung und um die Erzeugung einer reinen Anschauung der Zeit als Form der inneren Anschauung. Für mehr zu Kants Konzeption der inneren Anschauung siehe Schmitz 2015, Kraus 2019 und Liang 2020.  Die kurzen Strecken sind imaginär, weil laut dem Satz (2) die Linie nur gedanklich gezogen wird.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Satz (3b) bestätigt wird. Beim Bewusstsein der Linie muss der innere Sinn bereits durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft affiziert werden. Wenn die Schritte ZL.2 und ZL.3 nicht folgen würden, handelte es sich bei ZL.1 allein um das gedankliche Ziehen einer Linie. ZL.1 stellt einen Fall der Einbildung eines äußeren Gegenstands dar, bei dem die Aufmerksamkeit auf einen imaginären äußeren Gegenstand gerichtet wird. Im zweiten Schritt wechselt die Aufmerksamkeit stattdessen auf die synthetische Handlung, die auf das räumliche Mannigfaltige wirkt. Dadurch ergibt sich eine sukzessive Folge der empirischen Vorstellungen dieser synthetischen Handlung. ZL.3 besagt, dass der Begriff der Sukzession aus dem Akt ZL.2 entsteht. Zwischen ZL.2 und ZL.3 sind jedoch eine weitere Anwendung der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft auf die Vorstellungen der Handlung des Ziehens der Linie sowie eine Abstraktion im Spiel. Zuerst erklären wir die Notwendigkeit der zweiten Anwendung der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft.⁴⁴⁴ Die sukzessiven Wahrnehmungen der synthetischen Handlung des Ziehens einer Linie geschehen nämlich in der Zeit. Die Serie der Wahrnehmungen der synthetischen Handlung ist an sich – d. h. als lediglich sinnlich gegeben und ohne weitere synthetische Verarbeitung betrachtet – diskret und zusammenhanglos.⁴⁴⁵ Sie stehen nicht unter der Einheit des Bewusstseins und beziehen sich auch nicht auf einen Gegenstand. Sie sind sukzessiv aufgetreten, aber noch nicht so erfasst, dass sie zusammengehören und eine Sukzession repräsentieren. Um die wahrgenommenen Akte der Synthesis des Räumlichen als einen inneren Gegenstand in der Zeit zu erfassen, genauer gesagt, als einen zeitlichen Prozess vorzustellen, muss man die wahrgenommenen Akte in einem Akt des Bewusstseins erfassen – d. h., sie müssen in der Einheit des Bewusstseins gemäß den Kategorien verbunden werden.⁴⁴⁶ Dazu muss die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft erneut zum Einsatz kommen. Obwohl Kant diese zweite Anwendung der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft nicht explizit nennt, ist es plausibel, darauf zu schließen: Er konstatiert zweimal, dass man auf die Synthesis des räumlichen Mannigfaltigen „achten“ muss (3a, 4b). Besonders in Satz 4 merkt er zum Akt der Aufmerksamkeit an:

 Allison (2015, S. 394) ist auch der Ansicht, dass die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft bei der Erfahrung mehrmals betätigt werden müsse. Allerdings gibt es ihm zufolge drei solche Anwendungen, was von der hier vorgeschlagenen Interpretation abweicht.  Siehe auch Dyck 2006, S. 42.  Siehe auch Dyck 2006, S. 42.

3.4 Innerer Sinn, innere Erfahrung und Aufmerksamkeit

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[…] die Synthesis des Mannigfaltigen im Raume, wenn wir von diesem abstrahiren und bloß auf die Handlung Acht haben, dadurch wir den inneren Sinn seiner Form gemäß bestimmen, bringt sogar den Begriff der Succession zuerst hervor.

Kant scheint hier zu meinen, dass die Form des inneren Sinnes im „Achthaben“ auf die Synthesis des räumlichen Mannigfaltigen durch den Verstand bestimmt wird, wodurch die Vorstellung der Sukzession hervorgebracht wird.⁴⁴⁷ Das kann meines Erachtens dem Kontext nach nur bedeuten, dass der Verstand durch die Aufmerksamkeit auf die Synthesis des räumlichen Mannigfaltigen die sukzessiven Vorstellungen dieser Synthesis zu einer Vorstellung der Sukzession verbindet. In B156 Anm. erklärt Kant die Funktion dieses „Achthaben[s]“ bzw. der Aufmerksamkeit auf die synthetische Handlung unmissverständlich: Der Verstand bestimmt darin [d. h. in der Aufmerksamkeit] jederzeit den inneren Sinn der Verbindung, die er denkt, gemäß zur inneren Anschauung […]. (B156 Anm.)

Bei der Aufmerksamkeit auf die Synthesis des räumlichen Mannigfaltigen werden folglich die Sinnesmaterialien der inneren Wahrnehmung zur begrifflich bestimmten inneren Anschauung verarbeitet. Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft kommt in dieser Aufmerksamkeit zum Einsatz, weil diese Synthesis gerade als „synthetischer Einfluß des Verstandes auf den inneren Sinn“ definiert wird (B154).⁴⁴⁸ Die sukzessiven Vorstellungen der Synthesis des räumlichen Mannigfaltigen werden dabei zu einer empirischen Vorstellung einer gesamten sukzessiven Handlung verbunden. Im Endeffekt werden die sukzessiven Teilakte der Synthesis des räumlichen Mannigfaltigen als gleichartig betrachtet und somit als zu einer Einheit gehörig – d. h. als eine kontinuierliche Handlung mit einer Zeitdauer – zusammengenommen und repräsentiert. Dieser Operation liegt die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft gemäß der Kategorie der Quantität und der Kategorie der Substanz und Akzidenz zugrunde: Sie verbindet die reinen anschaulichen Entsprechungen der Wahrnehmungen der Teilakte der Synthesis des räumlichen Mannigfaltigen – d. h. das reine Mannigfaltige der Zeit – zu einer formalen Anschauung der Zeit als Gegenstand (B161 Anm.).⁴⁴⁹ Der

 Der Relativsatz „dadurch wir den inneren Sinn seiner Form gemäß bestimmen“ ist zweideutig, insofern er sich entweder auf „die Handlung“ – d. h. die Synthesis des räumlichen Mannigfaltigen – oder auf das „Achthaben“ auf diese Handlung beziehen kann. Die unten zitierte Stelle aus B156 Anm. zeigt, dass die zweite Möglichkeit die richtige Interpretation ist.  Dyck 2006, S. 41.  Das Ziel des gedanklichen Ziehens einer Linie ist es, die Zeit vorzustellen (B154, 156). Konkreter gesagt, geht es primär darum, die Sukzession, die die wesentliche Eigenschaft der Zeit ist, vorzustellen (B155). Dabei ist die Kategorie der Qualität nicht erforderlich, da es sich bei Kants

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Kapitel 3: Selbstaffektion

springende Punkt ist: Die Vorstellung der Zeit soll nach Kant dadurch entstehen, dass das Subjekt bei der Beobachtung der Handlung des Ziehens einer Linie von der Handlung selbst abstrahiert und nur auf die Sukzession der (Teil‐)Handlungen „achtha[t]“. Die Vorstellung der Sukzession ist nichts anderes als die formale Anschauung der Zeit. Der Fokus der Aufmerksamkeit wechselt dabei von der synthetischen Handlung zur Form der Wahrnehmung dieser Handlung. Dieser Wechsel der Aufmerksamkeit ist dem Text zu entnehmen: [I]ndem wir im Ziehen einer geraden Linie […] bloß auf die Handlung der Synthesis des Mannigfaltigen, […] und dadurch auf die Sukzession dieser Bestimmung in demselben, Acht haben. (B154, H. d. V.).

Wie schon argumentiert, ist die Aufmerksamkeit der Akt, der eine dunkle Vorstellung in eine klare, apperzeptiv bewusste Vorstellung verwandelt. Die mit dem räumlichen Mannigfaltigen a priori operierende Synthesis der Einbildungskraft bleibt an sich unbewusst bzw. dunkel.⁴⁵⁰ Die auf diese Synthesis gerichtete Aufmerksamkeit ermöglicht es dem Subjekt, sich dieses synthetischen Akts bewusst zu werden. Ferner wissen wir: Die Abstraktion ist die Ausübung der Aufmerksamkeit, durch die eine Vorstellung klar gemacht wird und die übrigen verdunkelt werden (V-Met/Mron 29:878).⁴⁵¹ Daher stellt der obige Fokuswechsel der Aufmerksamkeit eigentlich eine Abstraktion dar: Die Aufmerksamkeit wird allein auf den reinen formalen Aspekt der Wahrnehmung des mentalen Akts gerichtet. Anschließend verbindet sie die Vorstellungen dieses Aspekts zur Vorstellung der Sukzession selbst.

Beispiel um die Erzeugung der reinen Anschauung handelt. Die Anwendung der Kategorie der Substanz und Inhärenz ist jedoch unentbehrlich, denn „[n]ur in dem Beharrlichen sind also Zeitverhältnisse möglich (denn Simultaneität und Succession sind die einzigen Verhältnisse in der Zeit), d. i. das Beharrliche ist das Substratum der empirischen Vorstellung der Zeit selbst, an welchem alle Zeitbestimmung allein möglich ist. […] Durch das Beharrliche allein bekommt das Dasein in verschiedenen Theilen der Zeitreihe nach einander eine Größe, die man Dauer nennt“ (B226, H. d.V.). Das Beharrliche ist im Linienbeispiel schwer zu spezifizieren. Diese Unklarheit ist für diese Abhandlung nicht gravierend. Es reicht aus zu wissen, dass die Kategorie der Substanz und Inhärenz im Linienbeispiel benötigt wird. Im Übrigen ist zu bemerken, dass es im Linienbeispiel um die objektive Zeitbestimmung und nicht um die subjektive Folge der Wahrnehmungen geht (siehe die Hervorhebungen im obigen Zitat). Folglich wird die Interpretation des Abschnitts 3.3.1 nicht beeinträchtigt.  Kant macht deutlich, dass sich das Subjekt der „Synthesis überhaupt“, mit der im dortigen Kontext die Synthesis der Einbildungskraft gemeint ist, „selten nur einmal bewußt“ (A78/B103) ist. Wenn sich das Subjekt ihrer aber dennoch bewusst ist, dann ist es sich eher ihrer Wirkung als ihres Aktes bewusst (A103 f.).  Siehe auch Dyck 2006, S. 40.

3.4 Innerer Sinn, innere Erfahrung und Aufmerksamkeit

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Die hier vorgeschlagene Interpretationsthese ist nicht nur aus der obskuren Formulierung des Beispiels aus B154– 155 ersichtlich, sondern geht auch aus einem ähnlichen Fall deutlich hervor: Daß dieses so sey, davon kann uns jede innere, von uns angestellte psychologische Beobachtung zum Beleg und Beyspiel dienen; denn es wird dazu erfordert, daß wir den innern Sinn, zum Theil auch wohl bis zum Grade der Beschwerlichkeit, vermittelst der Aufmerksamkeit afficiren (denn Gedanken, als factische Bestimmungen des Vorstellungsvermögens, gehören auch mit zur empirischen Vorstellung unsers Zustandes), um ein Erkenntniß von dem, was uns der innere Sinn darlegt, zuvörderst in der Anschauung unsrer selbst zu haben, welche uns dann uns selbst nur vorstellig macht, wie wir uns erscheinen, indessen daß das logische Ich das Subject zwar, wie es an sich ist, im reinen Bewußtseyn, nicht als Receptivität, sondern reine Spontaneität anzeigt, weiter aber auch keiner Erkenntniß seiner Natur fähig ist. (FM 20:270)

In dieser Passage geht es um eine „psychologische Beobachtung“ – d. h. eine introspektive Beobachtung des Gemütszustands. Dies ist ähnlich wie die Beobachtung des Ziehens einer Linie, denn beides ist kein bewusstes Erlebnis äußerer Gegenstände, sondern eine nach innen gerichtete Aufmerksamkeit. In beiden Fällen richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Gemütshandlungen selbst.⁴⁵² Nun ist das Ergebnis der nach innen gerichteten Aufmerksamkeit eine „Erkenntniß von dem, was uns der innere Sinn darlegt“ (FM 20:270, H. d. V.). Das heißt, in dieser Beobachtung wird das Ergebnis der Selbstaffektion synthetisch zu einer empirischen Erkenntnis (d. h. inneren Erfahrung) verarbeitet. In dieser introspektiven Aufmerksamkeit wird der innere Sinn nicht nur durch die synthetische Handlung erster Ordnung affiziert, sondern das Ergebnis dieser Selbstaffektion wird zugleich zur bestimmten inneren Anschauung synthetisiert. Der Akt der introspektiven Aufmerksamkeit ist keine Selbstaffektion schlechthin, sondern enthält schon einen synthetischen Akt, der gemäß den Kategorien auf das Gegebene des inneren Sinnes ausgeübt wird und selbst eine weitere Selbstaffektion bewirkt.⁴⁵³ Somit lässt sich die introspektive Aufmerksamkeit in einer doppelten Selbstaffektion analysieren. Diese Analyse lässt sich mit einer von Kants Reflexionen fast wörtlich bestätigen: Der innere Sinn ist noch nicht […] Erkentnis meiner selbst, sondern […] zuerst müssen wir Erscheinungen durch ihn haben, nachher allererst durch Reflexion über dieselbe uns einen

 „[I]ndem wir im Ziehen einer geraden Linie […] bloß auf die Handlung der Synthesis des Mannigfaltigen […] Acht haben“ (B154). Im Zitat aus FM 20:270 wird die Aufmerksamkeit auf „Gedanken“, d. h. synthetische Handlungen mit Bewusstsein, gerichtet.  Was sich aus dieser Affektion ergibt, könnten wir hier vorläufig ausklammern.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Begrif von uns selbst machen, der alsdann empirisches Erkentnis meiner selbst, d. i. […] innere Erfahrung, zur Folge hat. (Refl 18:680, R6354)

Daraus ist ersichtlich, dass der innere Sinn an sich keine Reflexion ist, sondern bloß ein mentaler Prozess, „Erscheinungen“ (das heißt hier: nicht-synthetisierte empirische Anschauungen) vom Selbst zu haben. Ein Reflexionsakt kommt erst dann ins Spiel, wenn man die empirischen Daten, die der innere Sinn liefert, durch die transzendentale Synthesis gemäß den Kategorien zu empirischen Erkenntnissen des Selbst bearbeitet.⁴⁵⁴ Eine ähnliche Analyse lässt sich auf das Beispiel des Ziehens der Linie übertragen. In diesem Beispiel achtet man eher auf die auf die empirischen Materialien des äußeren Sinnes ausgeübten synthetischen Akte als auf die äußeren Gegenstände selbst. Der Verstand synthetisiert dabei das Mannigfaltige des inneren Sinnes zu einer kategorial bestimmten inneren Anschauung: Ich sehe nicht, wie man so viel Schwierigkeit darin finden könne, daß der innere Sinn von uns selbst afficirt werde. Jeder Actus der Aufmerksamkeit kann uns ein Beispiel davon geben. Der Verstand bestimmt darin jederzeit den inneren Sinn der Verbindung, die er denkt, gemäß zur inneren Anschauung, die dem Mannigfaltigen in der Synthesis des Verstandes correspondirt. Wie sehr das Gemüth gemeiniglich hiedurch afficirt werde, wird ein jeder in sich wahrnehmen können. (B156 – 157)

Anders gesagt, hat man vor der introspektiven Aufmerksamkeit bei äußerer Wahrnehmung lediglich eine unbestimmte Anschauung der inneren Zustände, die eine dunkle Selbstwahrnehmung bleibt. Durch die introspektive Aufmerksamkeit – somit eine weitere Anwendung der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft – wird diese unbestimmte Anschauung der inneren Zustände zu einer bestimmten inneren Anschauung synthetisiert, die eine klare Selbstwahrnehmung ausmacht. Durch die zweite Selbstaffektion wird das Produkt der ersten kategorial synthetisiert und in eine klare Vorstellung transformiert. Nach der obigen Analyse sieht man somit deutlich, dass die bloßen Vorstellungen des inneren Sinnes und die innere Erfahrung unterschiedlich sind.

 Diese Erkenntnis betrifft, wie bereits ausgeführt, nicht unmittelbar das Ich, sondern sie repräsentiert das Ich „als einen Gegenstand des innern Sinnes durch Erscheinungen, die einen innern Zustand ausmachen“ (Prol 4:336).

3.4 Innerer Sinn, innere Erfahrung und Aufmerksamkeit

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3.4.1.1 Introspektion, innerer Sinn und Selbstaffektion Kants Ausführung über den inneren Sinn und die innere Erfahrung in § 24 der KrV ist zwar sehr aufschlussreich, ihre Bedeutung ist aber in vielerlei Hinsicht eingeschränkt. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn man aus ihr verallgemeinernede Rückschlüsse auf die Struktur der Selbstaffektion bei der äußeren Wahrnehmung ziehen will. Der Grund dafür besteht hauptsächlich darin, dass es sich nicht um ein Beispiel einer äußeren Wahrnehmung, sondern einer ganz speziellen Art der inneren Wahrnehmung handelt, und zwar der Introspektion des reinen formalen Aspekts der Vorstellung des inneren Akts. Das Produkt dieser Introspektion ist der „Begriff der Sukzession“ (B155), d. h., durch die Introspektion wird die Zeit als Form des inneren Sinnes vorgestellt (B154, 156). Diese Introspektion weist eine spezifische und komplizierte Bewusstseinsstruktur auf, die im Bewusstsein der äußeren Wahrnehmungen nicht zu finden ist. Die Aufmerksamkeit bei ihr richtet sich nicht auf einen äußeren Gegenstand, sondern reflexiv auf die synthetische Handlung des Subjekts selbst, wodurch die Anschauung eines äußeren Gegenstands erstmals konstruiert wird. Dieser Akt der Aufmerksamkeit ist eine bewusste reflexive Vorstellung höherer Stufe und hat die synthetische Handlung des Subjekts als seinen intentionalen Gegenstand. Anschließend kommt ein weiterer Akt der Aufmerksamkeit zustande, die sich auf den reinen formalen Aspekt der Vorstellung der Handlung, nämlich die „Sukzession dieser Bestimmung [d. h. der synthetischen Handlung]“ (B154), richtet. In diesem Akt der Aufmerksamkeit wird das reine Mannigfaltige der Zeit zur formalen Anschauung der Zeit, d. h. zur Vorstellung der Sukzession, verbunden. Insgesamt wird die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft auf zwei Ebenen ausgeübt: 1) Sie wird auf das räumliche Mannigfaltige angewendet, woraus sich die Anschauung der Linie ergibt. 2) Sie wird auf die reinen Entsprechungen der Wahrnehmungen der synthetischen Handlung in Punkt 1 angewendet, woraus sich die Anschauung der Sukzession ergibt. Aufgrund der komplexen bewusstseinstheoretischen Struktur, die auf den introspektiven Charakter des Linienbeispiels zurückzuführen ist, lassen sich aus diesem nicht ohne Weiteres Rückschlüsse über die Struktur der Selbstaffektion in der

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Kapitel 3: Selbstaffektion

äußeren Wahrnehmung ziehen. Im Folgenden werden solche Rückschlüsse prominenter Interpreten evaluiert.⁴⁵⁵

3.4.1.2 Das Linienbeispiel: Formale Anschauung und Selbstbewusstsein Einige Interpreten tendieren zu der Auffassung, dass im Linienbeispiel die Zeit in einer faktischen formalen Anschauung als Gegenstand vorgestellt werde.⁴⁵⁶ In seiner Rekonstruktion des Linienbeispiels vertritt Dyck die These, dass das Mannigfaltige des inneren Sinnes gerade in den sukzessiven Akten der Aufmerksamkeit auf die Synthesis des räumlichen Mannigfaltigen bestehe: [A]ttention provides inner sense with an ersatz manifold of its own, a manifold comprising just the acts of attention to the syntheses involved in the drawing of a line. (Dyck 2006, S. 40 – 41)

Daraus zieht er den Schluss: Attention then plays a central role in explaining time’s acquisition of a pure manifold of its own. (Dyck 2006, S. 40)

In ähnlicher Weise ist Mohr der Auffassung, dass es „Konstruktionsakte des Verstandes“ seien, die „den sinnlichen ‚Stoff‘ für den inneren Sinn abgeben“ (Mohr 1991, S. 167): Die Vorstellung des Nacheinanders konstituiert sich im Zuge einer ‚Aufmerksamkeit‘ (B156 f. Anm.) auf die Verstandestätigkeit der Konstruktion des räumlichen Bildes einer Linie und insbesondere auf die formale Bedingung der Konstruktionsakte. Diese formale Bedingung ist das Nacheinander. […] [S]o ist die Zeitvorstellung als das Produkt einer „formalen Verbindung“ der Einzelakte [der Synthesis der äußeren Daten] zu charakterisieren […]. Diese „formale Verbindung“ ist die Vorstellung der sukzessiven Bestimmung2 (Affektion) des inneren Sinns als einer Aufeinanderfolge und eines Sich-Ablösens von Zeit-„Punkten“. (Mohr 1991, S. 167)

Also sind demnach die Verstandestätigkeiten der Gegenstand des inneren Sinnes. Daraus, dass der innere Sinn keine speziellen empirischen Materialien liefert –

 Mohr (1991, S. 171) z. B. hat diesen Charakter des Linienbeispiels nicht erkannt und nimmt es als Beispiel für die Selbstaffektion überhaupt. Unter den Interpreten hebt Düsing (2010, S. 151 Anm.) m.W. als Einziger den introspektiven Charakter dieses Beispiels hervor. Unter Verweis auf B68 und B156 unterscheidet er grob zwei Arten der Selbstaffektion: die „empirisch-zeitliche, ggf. biographische Selbstanschauung des sinnlichen Ich“ und die der „äußeren Anschauung“.  Mohr 1991, S. 165; Dyck 2006, S. 38.

3.4 Innerer Sinn, innere Erfahrung und Aufmerksamkeit

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hierin geht Mohr mit Dyck konform –, lässt sich schließen, dass das Mannigfaltige des inneren Sinnes, das von der Affektion der Verstandesakte stammt, ein reines Mannigfaltiges ist. Die Zeitvorstellung gewinne man, laut Mohr, indem man den „formalen Aspekt des Vollzugs der Akte selbst“ (Mohr 1991, S. 169) auf den Begriff der Sukzession bringe. Dyck und auch Mohr haben recht, wenn sie meinen, dass die Akte der Aufmerksamkeit ein (reines) Mannigfaltiges des inneren Sinnes bewirken.⁴⁵⁷ Sie verkennen aber, dass es sich bei der Aufmerksamkeit auf die Akte der Synthesis der Apprehension um einen speziellen Akt der Introspektion handelt. Ihre Auslegung setzt voraus, ohne dass dies explizit ausgeführt wird, dass das Subjekt nur dann eine Anschauung der Zeit mit ihrem reinen Mannigfaltigen haben kann, wenn es diesen speziellen Akt der Introspektion vollzieht. Aber das direkte Bewusstsein der synthetischen Akte kommt selten vor (A78/B103, A103 – 104). Das Subjekt kann aber auch dann die formale Anschauung der Zeit haben, wenn es seine Aufmerksamkeit auf die äußeren Gegenstände richtet. Die formale Anschauung der Zeit muss nicht durch die Aufmerksamkeit bewusst gemacht werden.⁴⁵⁸ Vielmehr bleibt sie bei der äußeren Wahrnehmung als die reine Entsprechung und der maßgebende, formale und normative Faktor der zu konstruierenden empirischen Anschauung im Hintergrund. Die formale Anschauung der Zeit ist also eine dunkle Vorstellung, die jederzeit der äußeren Wahrnehmung zugrunde liegt. Sobald wir aber darüber reflektieren, bemerken wir, dass die äußeren Ereignisse und Gegenstände immer schon in einer bestimmten einheitlichen Zeitordnung stehen. Das zeigt, dass unser Gemüt eine dunkle, formale Zeitanschauung als reine Entsprechung und Grundlage der Wahrnehmung hat. Außerdem lässt sich nicht nachvollziehen, wie allein durch ein reines Mannigfaltiges die introspektive Vorstellung der synthetischen Akte der Apprehension erklärt werden kann. Der repräsentationale Gehalt dieser introspektiven Vorstellung ist nämlich die innere Aktivität. Die introspektive Vorstellung dieser Aktivität muss eine spezielle innere Wahrnehmung sein. Folgende Gründe sprechen dafür, dass es sich bei ihr um eine Wahrnehmung bzw. eine empirische Anschauung handelt: (1) Diese Aktivität ist in der introspektiven Vorstellung durch eine direkte Bekanntschaft – d. h. nicht mittels eines Begriffs – gegeben. (2) Diese introspektive Vorstellung der Akte bezieht sich auf Einzelgegenstände, d. h. innere Akte. (3) Sie muss sinnlich sein, da sie Zeitlichkeit aufweist, die zur Sinnlichkeit gehört. (4)

 Mohr 1991, S. 167.  In V-Met/Mron 29:878 behauptet Kant, dass die Aufmerksamkeit eine Vorstellung klar macht und die übrigen Vorstellungen außerhalb des Bereichs der Aufmerksamkeit dunkel bleiben.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

Sie ist empirisch, denn ihr liegt eine Affektion, mithin eine Empfindung zugrunde. Dass die (introspektive) Aufmerksamkeit eine Wahrnehmung ist, schreibt Kant ganz explizit: Wie sehr das Gemüth gemeiniglich hiedurch [durch den „Actus der Aufmerksamkeit“] afficirt werde, wird ein jeder in sich wahrnehmen können. (B157 Anm., H. d. V.)

Das reine Mannigfaltige kann somit nur die Form der Wahrnehmung der synthetischen Akte sein. Die introspektive Vorstellung dieser synthetischen Akte kann nicht durch ein reines Mannigfaltiges erklärt werden. Als eine weitere Implikation des Linienbeispiels nimmt Dyck (2006, S. 43) an, dass der zweite Akt der Aufmerksamkeit ein empirisches Selbstbewusstsein darstelle, das eine notwendige Komponente der Wahrnehmung sei. Dieser Akt der Aufmerksamkeit sei nämlich „das Bewußtsein der Bestimmung desselben [d. h. des inneren Sinnes] durch die transscendentale Handlung der Einbildungskraft“ (B154). Somit gelte, dass „a reflexive attention to those acts of attention […] constitute[s] the manifold of inner sense“ (Dyck 2006, S. 43). Diese Behauptung ist auf die gleiche Weise unzutreffend wie die erste, denn die auf die inneren Akte gerichtete introspektive Aufmerksamkeit ist gerade keine notwendige Komponente der Wahrnehmung im Allgemeinen, sondern dient dazu, eine bewusste empirische Vorstellung höherer Ordnung zu bewirken.

3.4.2 Zweistufige Generation des Zeitbewusstseins Die in dieser Arbeit vorgeschlagene Entkopplung des subjektiven Zeitbewusstseins von den apperzeptiven diskursiven Fähigkeiten lässt sich also nicht nur mit dem Grundsatz-Kapitel belegen, sondern wird auch von Kants Lehre des nichtapperzeptiven Geistes bestätigt. Vor dem Hintergrund der obigen Analyse möchte ich Kants Lehre des Zeitbewusstseins des Menschen als Theorie der zweistufigen Generation des Zeitbewusstseins zusammenfassend präsentieren. Diese Lehre besteht aus den folgenden Aussagen: [T.1] Das subjektive Erlebnis der Folge der Wahrnehmungen ist ein Produkt der gemäß den mathematischen Kategorien geschehenden Operationen der Einbildungskraft mit dem räumlichen Mannigfaltigen ohne Beteiligung der relationalen Kategorien. [T.2] Die transzendentale Synthesis gemäß den relationalen Kategorien bringt dieses subjektive Erlebnis in objektive Zeitverhältnisse.

3.4 Innerer Sinn, innere Erfahrung und Aufmerksamkeit

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Allerdings müssen einige Unklarheiten angesprochen werden. Kant zufolge stehen die Zeit, der innere Sinn und die Selbstaffektion in einem wesentlichen Zusammenhang: Die Zeit ist die Form des inneren Sinnes, der wiederum durch einen Verstandesakt des Subjekts affiziert werden soll. Weniger abstrakt formuliert, ist die Zeit die Form der inneren Anschauung, die wiederum die mentalen Zustände direkt und sinnlich repräsentiert. Es stellt sich die Frage, wie die Selbstaffektion im Fall der subjektiven Folge genau zu spezifizieren ist. Bei der subjektiven Folge ist die Operation der transzendentalen Synthesis gemäß den mathematischen Kategorien mit dem räumlichen Mannigfaltigen das, was den inneren Sinn affiziert. Aus dieser Selbstaffektion ergibt sich zunächst eine subjektive Sukzession. Unsere synthetischen Akte gemäß den mathematischen Kategorien werden, mit anderen Worten gesagt, in der inneren Anschauung der ersten Selbstaffektion so vorgestellt, dass das Produkt dieser Akte eine subjektive Sukzession ausmacht.⁴⁵⁹ Sofern unsere inneren kognitiven Akte uns anschaulich gegeben sind, müssen sie immer sukzessiv sein; die Sukzessivität ist die Form der Wahrnehmung des inneren Zustands oder Akts. Nun steht es der Synthesis der Einbildungskraft frei, wie eine Folge der Wahrnehmungen objektiv zu bestimmen ist, d. h., ob sie ein Ereignis in der Zeit oder Gleichzeitigkeit darstellt, in welcher Reihenfolge die Wahrnehmungen anzuordnen sind, wenn sie ein Ereignis repräsentieren usw. Um die Folge der Wahrnehmungen objektiv zu bestimmen, muss die Synthesis der Einbildungskraft gemäß den Regeln, die die Kategorien der Relation vorschreiben, auf die subjektive Folge der Wahrnehmungen – genauer gesagt, auf den repräsentationalen Gehalt dieser Folge – angewendet werden (B234). Infolgedessen wird zuerst die objektive Folge der äußeren Gegenstände bestimmt. Dadurch, dass diese Folge bestimmt wird, wird auch die Serie der äußeren Wahrnehmungen als Vorstellungszustände in der objektiven Zeit bestimmt (A193/ B238). Dies ist auch eine der gesuchten Bedeutungen des Ausdrucks ‚den inneren Sinn bestimmen‘. Die objektiven Zeitverhältnisse der Vorstellungszustände zu bestimmen bedeutet nämlich, das empirische Bewusstsein der Vorstellungszustände zeitlich zu bestimmen.⁴⁶⁰ Der innere Sinn generiert gerade „das empirische Bewußtseyn der Bestimmung meines Zustandes in der Zeit“ (Refl 15:319 f.). Wie bereits in Abschnitt 3.2.4.3 angekündigt, lässt sich nun das Verhältnis ‚Bestimmung des inneren Sinnes durch den Verstand‘ besser verstehen. Zu die-

 Kant zufolge nimmt man selten direkt einen synthetischen Akt wahr, sondern lediglich dessen Produkt (A103 f). Vom Akt besitzt man normalerweise lediglich dunkle bzw. unbewusste Vorstellungen.  „Man muß die reine (transsc:) Apperception von der empirischen […] unterscheiden. Die erste sagt blos ich bin. Die zweyte ich war, ich bin und ich werde seyn d. i. ich bin ein Ding der Vergangenen der Gegenwärtigen und Künftigen Zeit“ (VIS, S.1).

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Kapitel 3: Selbstaffektion

sem Zweck betrachten wir ferner eine repräsentative Formulierung dieses Bestimmungsverhältnisses: Denn die ursprüngliche Apperception bezieht sich auf den innern Sinn (den Inbegriff aller Vorstellungen) und zwar a priori auf die Form desselben, d. i. das Verhältniß des mannigfaltigen empirischen Bewußtseins in der Zeit. (B220)

Die Wirkung des Verstandes – hier unter der Kennzeichnung „ursprünglich[er] Apperzeption“⁴⁶¹ – auf den inneren Sinn besteht darin, dass das empirische Bewusstsein des Vorstellungszustands im inneren Sinn hinsichtlich seiner Form, d. h. hinsichtlich der Zeit, gemäß den Kategorien organisiert wird. Diese formale Strukturierung betrifft der zitierten Formulierung Kants folgend die Zeitverhältnisse. Bei den Zeitverhältnissen der Vorstellungen handelt es sich um das Verhältnis des Nacheinanders und des Zugleichseins (B47, 225, 243). Daher bedeutet die Bestimmung des inneren Sinnes nichts anderes als die Anwendung der Kategorien der Relation auf das Mannigfaltige des inneren Sinnes. Der zitierten Formulierung zufolge wirkt die Synthesis gemäß den Kategorien der Relation auf Vorstellungen2 im inneren Sinn. Damit Vorstellungen1 in den inneren Sinn aufgenommen werden bzw. damit der innere Sinn mit Vorstellungen2 besetzt wird, muss vorher eine Selbstaffektion stattfinden. Der affizierende Akt der ersten Affektion ist nichts anderes als die Synthesis gemäß den mathematischen Kategorien. Diese wirkt auf das räumliche Mannigfaltige und erzeugt ein „mannigfaltig[es] empirisch[es] Bewußtsein[] in der Zeit“, d. h. eine subjektive Sukzession der Wahrnehmungen.⁴⁶² Das „Verhältniß“ dieses Bewusstseins in der Zeit wird bei der zweiten Selbstaffektion strukturiert. Damit löst die Theorie der zweistufigen Generation des Zeitbewusstseins das Bestimmungsproblem des inneren Sinnes insofern erfolgreich, als sich alle Probleme durch die doppelten Selbstaffektionen⁴⁶³ auflösen.

 Die Apperzeption steht in einem wesentlichen Zusammenhang mit dem Verstand: „Die Einheit der Apperception in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft ist der Verstand und eben dieselbe Einheit beziehungsweise auf die transscendentale Synthesis der Einbildungskraft der reine Verstand“ (A119).  Angesichts der komplexen Struktur und insbesondere des zweigliedrigen Prozesses der Selbstaffektion ist Nakanos Auffassung, dass Spontaneität und Rezeptivität – genauer gesagt: der affizierende Akt und der innere Sinn – „nicht numerisch getrennt“ und „zwei untrennbare Seiten einer einzelnen Aktivität“ (Nakano 2011, S. 228) seien, falsch.  Die Selbstaffektion bei der Entstehung der äußeren Erfahrung besteht, genauer gesagt, nicht aus zwei Affektionen, sondern aus zwei Gliedern oder Stufen einer Affektion, weil beide durch die transzedentale Synthesis der Einbildungskraft bewirkt werden. Einfachheitshalber wird hier trotzdem von zwei Selbstaffektionen gesprochen.

3.4 Innerer Sinn, innere Erfahrung und Aufmerksamkeit

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3.4.2.1 Widerlegung von repräsentativen Interpretationen der Struktur der Selbstaffektion Diese Konklusion hilft uns, einige repräsentative Interpretationsversuche der Selbstaffektion zu bewerten. Alle diese Versuche sind mit demselben Problem konfrontiert: Der Verstand bestimmt in Form der Synthesis der transzendentalen Einbildungskraft die Vorstellungen des inneren Sinnes, obwohl die Affektion durch diese Synthesis den inneren Sinn überhaupt erst mit Vorstellungen besetzen soll. Dyck (2006, S. 44) ist zum Beispiel der Meinung, dass die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, die mit dem räumlichen Mannigfaltigen operiere, keine Selbstaffektion bewirke, da nur die auf den inneren Sinn wirkende transzendentale Synthesis der Einbildungskraft dies zu tun vermöge. Er geht offenbar davon aus, dass sich das Mannigfaltige des inneren Sinnes erst durch die introspektive Aufmerksamkeit auf die synthetischen Akte ergebe, die wiederum auf das räumliche Mannigfaltige wirkten. Dycks Auffassung fehlt jedoch die Textunterstützung. Kant selbst unterscheidet meines Wissens nach an keiner Stelle zwei Arten der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft (B150). Nach den Antizipationen der Wahrnehmung (A176/B217) zum Beispiel wirkt die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft gemäß der Kategorie der Qualität auf den inneren Sinn. Diese Kategorie ist unter anderem für die Synthetisierung des äußeren Mannigfaltigen verantwortlich. Im Beispiel des gedanklichen Ziehens einer Linie bezeichnet Kant die gemäß der Kategorie der Quantität operierende Synthesis des räumlichen Mannigfaltigen als die Handlung, durch die „wir den inneren Sinn successiv bestimmen“ (B154). Dycks Interpretation rührt meines Erachtens daher, dass er Kants Ausdruck „[d]er Verstand bestimmt […] den inneren Sinn“ (B157 Anm., B154) zwar als ‚der Verstand bestimmt die Vorstellungen im inneren Sinn‘ auffasst.⁴⁶⁴ Er berücksichtigt aber nicht hinreichend die Komplexität der Bestimmung solcher Vorstellungen durch den Verstand. Auch Wolff bietet zu der oben genannten Problematik einen Lösungsvorschlag an, der sich wie folgt zusammenfassen lässt: Das Ergebnis der Selbstaffektion durch die Synthesis der Einbildungskraft ist die subjektive Folge der Wahrnehmungen. Um diese objektiv zu bestimmen, ist eine Ausübung der transzendentalen Synthesis des Verstandes notwendig. Wolff behauptet, dass „the result of the affection [hier: Selbstaffektion durch die Synthesis der Einbildungskraft] is to set the self-awareness of the spatial manifold

 Dyck 2006, S. 44.

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Kapitel 3: Selbstaffektion

in a temporal order. That order is the subjective order of the empirical consciousness of outer objects“ (Wolff 1963, S. 199). Der Akt, der den inneren Sinn zunächst affiziert, sei seiner Meinung nach die Synthesis der Einbildungskraft, die auf das räumliche Mannigfaltige wirke.⁴⁶⁵ Laut Wolff (1963, S. 201) handele es sich bei der Synthesis der Einbildungskraft und der Synthesis des Verstandes um zwei verschiedene Akte. Während sich die Synthesis der Einbildungskraft auf das Mannigfaltige des äußeren Sinnes richte, beziehe sich die Synthesis des Verstandes auf das Produkt der ersteren. Diese Lesart wird durch die uns bereits bekannte Sorge motiviert: Obwohl objektiv unbestimmt, gehört die Zeitlichkeit der nicht synthesierten Folge der Wahrnehmungen zur Form des inneren Sinnes. Das heißt, um die nicht synthesierte Folge der Wahrnehmung zu erzeugen, muss der innere Sinn aktiviert werden. Da die Aktivierung des inneren Sinnes eine Selbstaffektion verlange, müsse laut Wolff (1963, S. 195) eine Synthesis für diese Selbstaffektion und somit die subjektive Zeitlichkeit verantwortlich sein. Diese Auslegung trifft nicht zu. Die Trennung der Synthesis der Einbildungskraft, die auf das Mannigfaltige des äußeren Sinnes wirkt, von der des Verstandes ist im Kontext der Entstehung der äußeren Erfahrung exegetisch nicht begründet, wie bereits ausführlich behandelt wurde. Sachlich ist diese Trennung ebenfalls nicht haltbar, da die Synthesis des Verstandes vielmehr indirekt mit den sinnlichen Materialien operiert, indem sie die Synthesis der Einbildungskraft lenkt. Entgegen Wolffs Auffassung ist die Synthesis, die das Mannigfaltige des äußeren Sinnes direkt bestimmt, nicht mehr und nicht weniger als die Synthesis der Einbildungskraft gemäß den mathematischen Kategorien: Sie ist nicht mehr, weil die Synthesis gemäß den Kategorien der Relation nicht direkt mit dem räumlichen Mannigfaltigen operiert; sie ist nicht weniger, weil die Wahrnehmungen in der subjektiven Sukzession schon quantitativ und qualitativ gemäß der mathematischen Synthesis bestimmt werden müssen. Nakano zufolge (2011, S. 226) sind sinnliche Anschauungen unter Wirkung der figürlichen Synthesis alias der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft gegeben. Diese Synthesis mache die formale Anschauung als Bedingung der Aufnahme des sinnlichen Mannigfaltigen erst möglich und sei damit auch für die Besetzung des inneren Sinnes mit Vorstellungen verantwortlich. Die Aufgabe der intellektuellen Synthesis sei es dagegen, „die mannigfaltigen Vorstellungen auf ihren Gegenstand [zu beziehen] und diesen Gegenstandbezug bzw. die Objektivität der Vorstellungen in einem Urteil [auszudrücken]“ (Nakano 2011, S. 227, H. d. V.). Wie bereits angedeutet, basiert diese Lesart auf einer unzutreffenden Auffassung der figürlichen und der intellektuellen Synthesis. Nakano verkennt, dass

 Wolff 1963, S. 200.

3.4 Innerer Sinn, innere Erfahrung und Aufmerksamkeit

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es sich bei beiden nicht um zwei unabhängige spontane Akte des Subjekts, sondern um zwei Aspekte eines einzigen synthetischen Akts handelt. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, was damit gemeint ist, dass die intellektuelle Synthesis als Verbindung des Mannigfaltigen überhaupt, die in den Kategorien gedacht wird (B151), einen konkreten Gegenstandsbezug herstellt. Es handelt sich bei der intellektuellen Synthesis nicht einmal um ein tatsächlich vollzogenes Urteil. Vielmehr ist sie als ein Aspekt des regelgeleiteten, anschauungskonstruierenden Akts der Einbildungskraft zu betrachten, wobei vom sinnlichen Mannigfaltigen (sowohl vom reinen als auch vom empirischen Mannigfaltigen) abstrahiert wird. Zusammen bilden sie also die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, die einer Anschauung einen Gegenstandsbezug verleiht, denn gerade sie bringt das reine sinnliche Mannigfaltige gemäß den Kategorien in die notwendige objektive Einheit der Apperzeption (A108 ff., 118 f.), die nichts anderes als eine Vorstellung des Gegenstands überhaupt ist.

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Sachregister Abbildung – Abbildung des Gegenstands 195, 197, 199 f. Abstraktion 59, 217 f., 262, 264 Akzidenz, siehe auch Substanz 88, 110, 149, 172, 224, 239, 248, 263 Analogie – Analogien-Kapitel 2, 157, 246 – Dritte Analogie 242 f., 245 f. – Zweite Analogie 173, 175, 189, 196 f., 240–242, 244–246, 249 – Analogie der Erfahrung 240, 244 – Analogie des inneren und des äußeren Sinnes 130, 136, 138, 161 f. Anblick, siehe auch Momentaufnahme 182, 194 f., 197–199 Annehmlichkeit 97 Anschauung 2, 9–12, 20, 22, 30, 44, 47– 49, 55, 62 f., 66, 71–78, 85–88, 90 f., 95, 99–101, 103, 106, 108, 110, 113, 121, 128–130, 132–136, 141 f., 147–149, 151– 159, 162, 164, 168 f., 171, 178–183, 186, 189 f., 192, 194 f., 199–204, 206–211, 213–219, 221–223, 225, 227–230, 232, 234–236, 238 f., 244, 248–251, 257– 261, 265, 267, 269, 274 f. – äußere Anschauung 63, 132 f., 135 f., 147, 153–157, 255, 258, 261, 268 – eigentliche Anschauung, siehe auch rudimentäre Anschauung 151 – empirische Anschauung, siehe auch Wahrnehmung 2, 77, 79, 81, 92, 97, 100, 102, 107 f., 113, 115, 123, 130, 132–134, 137 f., 144 f., 150, 154, 158, 167, 169, 177, 179 f., 185, 188–190, 196 f., 199, 201 f., 207–213, 215, 217, 219–226, 229, 231, 235 f., 244 f., 248, 257 f., 266, 269 – formale Anschauung 82, 179, 202, 212, 215, 222, 224, 229, 263 f., 267–269, 274 – innere Anschauung 78–81, 86 f., 118, 128, 130, 140, 143 f., 146, 148, 153, 155, 157,

https://doi.org/10.1515/9783110743364-008

162 f., 175, 185, 189, 257–259, 261, 263, 265 f., 271 – empirische innere Anschauung, siehe auch innere Wahrnehmung 7, 60, 77, 115, 128, 158, 258 – intellektuelle Anschauung 95, 125 – reine Anschauung 46, 95, 118, 121–123, 130, 134, 163, 167, 179, 201 f., 204 f., 211 f., 215, 219, 222 f., 229 f., 239, 255 f., 261, 264 – rudimentäre Anschauung, siehe auch eigentliche Anschauung 152 Anthropologie (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht) 5 f., 26, 52, 54, 57, 72, 114, 128, 148, 158, 171, 188, 200, 226 Antizipation 2, 46 f., 244, 273 – Antizipationen-Kapitel 46 f., 111, 135, 168 Apperzeption 1, 9 f., 13 f., 25, 35, 42–44, 48, 51, 53 f., 57–61, 64, 67–69, 71–74, 81 f., 85, 87, 96, 100 f., 103 f., 110–112, 114–120, 126, 129, 138–140, 151, 158 f., 163, 165, 167 f., 170, 208, 218 f., 221, 224, 226, 228 f., 247, 252, 254 f., 257, 272, 275 – Apperzeptionsprinzip 1, 6 f., 9–14, 16 f., 24–26, 42, 44, 48 f., 51–53, 56, 64, 73, 75, 83, 165 – bloße Apperzeption 81 f., 106 – empirische Apperzeption 1 f., 7, 9, 58–61, 80 f., 96, 113–115, 117 f., 120, 125, 157, 161, 189, 249 – reine Apperzeption 1 f., 7, 9, 12, 23, 37, 51–53, 55 f., 58–72, 74, 76, 80–84, 89, 95 f., 101, 103 f., 106, 115 f., 118, 123, 125, 127, 134 f., 139–141, 150, 157, 159–162, 168 f., 186, 226, 235, 260 – ursprüngliche Apperzeption 9, 13, 58 – Apperzeption tout court, siehe auch Bewusstsein tout court 9, 25, 37, 59 f., 72, 80 f., 96, 101 f., 118, 123, 125 f., 158 apperzeptiv 6, 28, 35, 45 f., 51, 54, 56, 70 f., 104, 147, 161, 166, 186, 190, 192, 235 f., 249 f., 252, 270

Sachregister

apprehensio bruta 226 Apprehension/apprehendieren, siehe auch Auffassung, siehe auch Aufnahme, siehe auch Durchlaufen/durchlaufen, siehe auch Zusammensetzung/zusammensetzen 7, 46, 60, 114 f., 158, 173, 177 f., 180–182, 184 f., 187–202, 204, 206 f., 210, 213 f., 218, 220 f., 224–227, 229 f., 232, 234 f., 240, 245, 248, 269 Assoziabilität 203 Assoziation/assoziativ 118, 140, 203–209, 226, 229, 252 f. – Assoziationsgesetz 203, 205 – Assoziationsmechanismus 136, 203 – assoziative Verbindung 43, 226 attentiv, siehe Aufmerksamkeit/aufmerksam Auffassung, siehe auch Apprehension 188, 190 Aufmerksamkeit/aufmerksam 25, 29, 69, 73, 97, 131, 137, 164 f., 178, 182–184, 187, 189 f., 192 f., 195, 220, 231, 235, 257, 259, 261–270, 273 – reflexive Aufmerksamkeit, siehe auch Introspektion 150, 235, 265 – Wechsel der Aufmerksamkeit 29 f., 36, 50, 264 Aufnahme, siehe auch Apprehension 7, 172–174, 176 f., 183, 185 f., 188 f., 191, 227, 229, 274 – Aufnahmefähigkeit 191 f. Augenblick 95, 175, 181 f., 185, 190–196, 198 f., 206 – metaphysischer Charakter des Augenblicks 194 Begierde/begehren 40, 143–147, 150, 158, 231–233 Begriff – empirischer Begriff 65, 207 f., 221 – empirische Begriffsbildung 207 f. – transzendentaler Begriff 81 f., 84 begrifflich 25, 61 f., 74 f., 80 f., 87, 100, 102, 121-123, 126, 153, 160, 169, 218, 220, 225–228, 230, 248–250, 252, 258, 263 Beharrlichkeit/Beharrliches/beharrlich 23, 52, 79, 81, 86, 88, 94, 103, 109, 153, 209, 224, 240, 243–246, 264

285

bestimmt – begrifflich bestimmt 81, 87, 249, 263 – empirisch bestimmt 80, 92, 105, 109 f., 122 – kategorial bestimmt 44, 80, 89 f., 132, 153, 169, 258, 266 – sinnlich bestimmt, siehe empirisch bestimmt Bestimmung/bestimmen 15, 59, 63, 77, 80 f.,85, 87, 97, 105 f., 124, 150, 153, 174 f., 188, 209, 224, 233, 237. 240 f., 243, 246, 258, 261, 267 f., 271–273 – begriffliche Bestimmung 74, 80 f., 102, 123 – objektive Bestimmung 101, 106 f. – Bestimmung der Existenz des Subjekts 77–79 – Bestimmung des Gemüts, siehe Bestimmung des Subjekts – Bestimmung der Seele, siehe Bestimmung des Subjekts – Bestimmung des Subjekts 15, 17–19, 32, 43, 68, 73, 78, 126 bewusst – bewusste Vorstellung 114, 117, 129, 134, 167, 187, 198, 236 Bewusstsein 1–7, 9, 13–15, 18, 23, 26, 29– 31, 35–42, 44–58, 60, 62, 64–67, 69– 72, 76, 92, 104, 106 f., 110–119, 121–126, 129, 132–143, 147, 149–151, 155 f., 158– 163, 166 f., 169 f., 172 f., 175, 179, 181– 184, 186–189, 193, 197, 200, 202, 204– 209, 223, 226–228, 231 f., 234, 237, 244–247, 249 f., 252, 254, 262, 265, 267, 269, 272 – bewusstseinsunfähig 48 – Bewusstseinszustand 151 – pathologische oder anormale Bewusstseinszustände 228, 254 – Inhaltsbewusstsein 137 – Zeitbewusstsein 8, 175, 246, 270 – Theorie der zweistufigen Generation des Zeitbewusstseins 270, 272 – Zustandsbewusstsein 137 f. – apperzeptives Bewusstsein 7, 22, 25, 45, 49 f., 53 f., 56, 69, 72, 141, 159 f., 165–

286

Sachregister

167, 177 f., 181, 183–188, 191–193, 195, 201, 227, 253, 264 – attentives Bewusstsein 70, 73, 104, 116, 161 – empirisches Bewusstsein 1 f., 7, 13 f., 37, 46 f., 53, 69, 74, 78, 80, 91, 102, 107, 111 f., 114–117, 120 f., 125, 133–136, 139– 142, 153, 160, 166–170, 180, 183, 185 f., 188, 226–228, 231, 235, 238, 247, 258, 271 f. – explizites Bewusstsein 138, 160 – fehlendes Bewusstsein in der dunklen Vorstellung 28, 36 f. – formales Bewusstsein 47, 111 f., 166 f. – implizites Bewusstsein 138, 186 – intellektuelles Bewusstsein 7, 54, 64 f., 76, 79 f., 89, 104–107, 115, 120, 123, 125 f., 160 f. – mittelbares Bewusstsein 28 – mittelbares Bewusstsein der dunklen Vorstellung 28 f. – phänomenales Bewusstsein, siehe auch Zugriffsbewusstsein 2, 83, 95, 100 f., 133, 135 f., 139, 141, 146 f., 149, 158, 165, 168–170, 173, 183 f., 186, 227, 230, 233 – propositional strukturiertes Bewusstsein 184 – schwaches Bewusstsein 38, 45, 48, 50 – transzendentales Bewusstsein 1, 12, 24, 26, 117, 124, 168 – unmittelbares Bewusstsein 28–31, 34– 36, 38, 77 – wirkliches Bewusstsein 42, 69 f., 74, 114 – Bewusstsein tout court, siehe auch Apperzeption tout court 26, 56, 111 f., 123, 127 – Bewusstsein der Existenz des Subjekts 77 – Episode des Bewusstseins 1 f., 51–53, 66, 71, 104, 112, 117, 150, 169, 186 – Metaphysik des Bewusstseins 15 Brief an Herz 22, 24, 91, 112, 226 f. communicabel

107

Dasein 24, 28 f., 33 f., 45, 47, 73, 77–79, 84 f., 89–93, 95, 102, 105–107, 109, 130,

137, 145, 151–153, 181, 187, 189, 198, 209, 221, 239 f., 245, 258, 264 – Dasein des Ich, siehe Dasein des Subjekts – Dasein des Subjekts 73, 78 f., 89, 105, 107, 151–153, 258 Data – Sinnesdaten 112 f., 120, 130–135, 139, 141 f., 147, 150, 166, 172–174, 180, 183– 185, 188 f., 191 f., 201, 207, 212, 214, 216 f., 220, 224, 227, 231, 233, 238, 245, 247 – Data der Sinne, siehe Sinnesdaten – empirische Daten 69, 88, 92, 97, 99 f., 129–131, 135, 150, 183, 193, 195, 266 Denken/denken – Denkakt 41, 54, 56 f., 61, 63–66, 74–76, 78–81, 87, 92–94, 98–102, 104–106, 108 f., 120, 123–126, 146, 149–152, 154– 156, 172, 180, 194, 223 f., 242 – reflexiver Denkakt 75 – reiner Denkakt 75, 106 – Individualisierungsprinzip des Denkakts 76 – Denkhandlung, siehe Denkakt – Denkzustand 78 – bloßes Denken 74, 77 – reines Denken 11, 75, 123 – Denken a priori 7, 121–3 – Denken tout court 122 – Denken überhaupt 11, 64 f., 84, 93, 101 – denkendes Wesen, siehe auch Seele 78, 107, 109, 129, 143, 158 – Grund des Denkens 63, 74 f. Deutlichkeit/deutlich 30–32, 192 Diaphanität, siehe Transparenz Ding an sich 2, 63, 77, 85, 88, 116, 208, 210, 254 f., 259 diskursiv 76, 121, 270 Dunkelheit/dunkel 4, 11, 18 f., 26–30, 32, 34–38, 41, 45, 47, 50–52, 57, 59 f., 68 f., 71, 85, 104, 135, 137 f., 140 f., 147, 160, 178, 187, 235, 259, 264, 269 – dunkler Denkakt 57 – dunkles Urteil 57 – dunkle Vorstellung 5–7, 18 f., 26–39, 41, 45, 47–52, 57, 117, 129, 137 f., 142, 147,

Sachregister

160, 162, 165, 184, 187 f., 190–193, 264, 269 – psychologische Dunkelheit 33, 47 Durchlaufen/durchlaufen, siehe auch Apprehension 173, 181, 184, 187, 191–193, 195 f., 198, 202, 204, 206 f., 220, 224, 227 Einbildung, siehe auch Imagination 121, 143, 146 f., 150, 164, 202 f., 213, 241, 251 f., 254, 262 – Einbildungskraft 58 f., 74, 87, 118, 120, 132, 147, 150, 168, 171–175, 182, 189, 195, 200, 202, 204 f., 210–215, 217–227, 229–231, 236, 241, 250–256, 260 f., 270, 273, 275 – produktive Einbildungskraft 174, 213– 215, 218, 222, 255 – reine Einbildungskraft 61, 218, 223 – reproduktive Einbildungskraft 205, 212, 214 f., 251 f. Eindruck/Sinneseindruck 62, 82, 105, 132, 134–136, 165 f., 168, 181 f., 185, 189, 191, 194 f., 197–200, 206–208, 210, 212, 213, 226 f., 229 Einheit 1, 4, 10 f., 16, 22, 37, 50, 52, 55, 62, 64, 68, 93, 112 f., 132, 163, 174–177, 179, 182, 192, 196, 198 f., 202–211, 215 f., 218 f., 222–224, 229, 232, 236, 238 f., 241, 244 f., 248, 250, 255, 260, 263, 272 – absolute Einheit, siehe auch Vielfalt 181 f., 184 f., 190, 192–194, 198 f. – formale Einheit des Bewusstseins 208 – objektive Einheit 206, 209, 223, 229, 275 – repräsentationale Einheit 208 – subjektive Einheit 203, 207, 209, 226 – Einheit der Anschauung 181, 191 f., 207 f. – Einheit der Apperzeption 1 f., 43, 48–50, 53, 61, 66, 113, 119, 121, 139, 163, 169, 203, 210, 218, 223, 228 – synthetische Einheit der Apperzeption 1 f., 171 – Einheit des Bewusstseins 1, 58, 104, 117, 119, 208, 262 – Einheit des Selbstbewusstseins, siehe Einheit der Apperzeption

287

Empfindung 33, 40, 46 f., 71 f., 84, 86, 88, 90 f., 94–98, 111 f., 116, 130 f., 133 f., 145, 159, 166–168, 170, 195, 199, 239, 244, 270 – objektive Empfindung 97 f. – subjektive Empfindung 97, 99, 144, 146 f., 158, 162, 231 f. Ereignis 35, 76, 79 f., 108, 124 f., 162, 210, 240 f., 271 – inneres Ereignis 79, 122 – mentales Ereignis 16, 35, 64, 68, 70, 78, 125, 254 Erfahrung 2, 6, 11–13, 17, 53, 58 f., 72, 74, 78 f., 81–85, 87, 89 f., 92, 97, 100, 103, 109, 112, 114, 117 f., 120–125, 134, 139, 161, 163, 168, 172, 174, 176, 178, 182, 189, 203–205, 213, 217, 220, 223, 243 f., 246, 255, 257 f., 262, 265 – Erfahrungssatz 79 – äußere Erfahrung 7, 77, 84, 92, 101, 124, 169, 258, 272, 274 – innere Erfahrung 59 f., 77, 79, 81–84, 115, 122, 134, 136, 149, 153, 158, 161, 173, 234, 257–259, 265–267 Erkenntnis/erkennen 12, 21 f., 30, 33, 40, 43, 45, 55, 75, 77, 80, 83, 97, 107, 109 f., 118, 121, 134 f., 157, 159, 168, 183, 185, 187, 201, 208, 221, 228, 242–244, 255, 258, 266 – Erkenntnisvermögen 35, 87, 125, 181, 222 – empirische Erkenntnis, siehe Erfahrung Erlebnis 136, 141, 163, 166, 169 f., 228, 241, 246, 249 f., 252, 265, 270 – phänomenales Erlebnis 83, 95, 102, 135, 143, 158, 165, 231, 233, 252 Erscheinung 2, 16, 59, 62 f., 77, 79 f., 84 f., 88, 93, 101, 105, 116, 118, 130, 133–136, 138 f., 141, 152, 163, 169, 173, 176, 185 f., 188, 194, 196, 204, 207, 224, 229, 239– 241, 243–245, 250, 255–261, 265 f. – innere Erscheinungen 67, 159 f. Existenz, siehe Dasein – Existenz des Ich, siehe Dasein des Subjekts – Existenz des Subjekts, siehe Dasein des Subjekts

288

Sachregister

Extension 90, 95, 110 – extensive Größe 46, 95, 168, 209, 239, 244, 255 Folge, siehe auch Sukzession 163, 170, 172–175, 181, 185, 197, 240–242, 244, 246, 249 f., 254, 262, 270 f., 274 – objektive Folge 175, 240, 242, 271 – subjektive Folge 132, 163, 173, 175, 240– 244, 246, 249–254, 258, 264, 271–274 Form – logische Form 11, 41, 52, 68, 70 – Form der Erkenntnisse 41 Funktion – kognitive Funktion 39–41, 162 – logische Funktion 74 f., 93 für mich 9 f., 13 f., 17–19, 21 f., 24, 112, 245 – etwas für mich 14 – nichts für mich 22, 44 gedacht – Gedachtwerden 21, 54, 178 Gedächtnis 34 f., 51, 117, 204, 206, 213 f. Gedanke/gedanklich 16, 22, 25, 32, 40, 52, 61–63, 65–67, 69, 71, 75 f., 78–80, 83, 86, 93–95, 99–104, 108–110, 112, 116 f., 120–126, 134, 138, 141 f., 144 f., 147, 150, 152 f., 157, 159, 162, 172, 189, 204 f., 209, 223 f., 228, 233 f., 242, 255 f., 259– 263, 265, 273 – Gedankending 106 – Gedankenform 209, 215–217, 230 – reine gedankliche Zutat 208 Gefühl 22, 24, 28, 34, 43, 49, 96 f., 112, 116, 144, 147 – körperliches Gefühl 97 – Gefühl eines Daseins, siehe Selbstgefühl – Gefühl des Ich, siehe Selbstgefühl – Gefühl der Lust und Unlust 97, 99, 102, 116, 143–146, 150, 158 Gegebenes/gegeben 87, 175 f., 178, 265 – Gegebenwerden 174, 177–180, 186 – empirisch Gegebenes 59, 123, 132, 136, 177 f., 198, 257 – rezeptiv Gegebenes 174 f. – sinnlich Gegebenes 71, 94,262

Gegenstand, siehe auch Objekt – Gegenständlichkeit 223 f. – Gegenstandsbezug 101, 164, 179, 208 f., 226 f., 231, 238, 242 f., 245, 247–249, 258, 275 – empirischer Gegenstand 55, 123, 169, 182, 213, 245 – intentionaler Gegenstand 7, 15, 21, 91, 144, 149, 156, 158, 165, 239, 267 – Gegenstand der Erfahrung 122 f., 162, 208 f., 244, 255 gemacht 178 Gemüt 2, 15 f., 32, 34–36, 39, 43, 72, 78, 84, 113, 116, 125, 129, 133, 136 f., 140 f., 146, 155 f., 159, 163–165, 176, 178–180, 184, 186 f., 191 f., 200, 203 f., 207, 210, 213, 216, 220, 222, 235 f., 247, 269 – Gemüt des Menschen 43, 116, 118, 125, 141, 150, 163, 185 f., 188, 227, 248 Gewirr 191, 198 – ununterscheidbares Gewirr 182 Gewöhnung/Gewohnheit 229, 253 Gleichzeitigkeit 242 f., 245, 264, 271 Gott – Gedanke an Gott 121, 146 f. Grad 18, 38 f., 44–47, 57, 67, 71, 103, 112, 117, 166, 168, 209, 223 f., 248 Halluzination 213 Higher-Order-Lesart

138, 153, 155 f., 163 f.

Ich – Vorstellung des Ich 35, 53 f., 60, 62 f., 65, 67–70, 87, 89, 96, 103, 105, 109 f., 151 f., 154, 159, 170 Ich denke 1 f., 7, 9 f., 12–14, 17, 19–21, 23– 26, 42, 44, 48–51, 53 f., 58–62, 64–66, 69–71, 73–89, 91–95, 97–109, 111, 124, 151–153, 164 – Begleitung des Ich denke 10, 12–14, 17– 20, 25 f., 28, 42, 44, 49, 51, 54, 75 – aktuale Begleitung des Ich denke 42, 45 – mögliche Begleitung des Ich denke 10, 14, 17, 19 f., 42, 44, 51, 84 – verschachtelte Modalität der Begleitung 10, 14, 20

Sachregister

Idee 31, 56, 203, 214, 253 – regulative Idee 143 – transzendentale Idee 110 Identität/identisch 1 f., 16, 20, 23 f., 43, 52, 54 f., 59, 66–68, 104, 111 f., 117 f., 140, 206, 244 – Identitätsbewusstsein, siehe Identität des Selbstbewusstseins – Identitätsthese der Spontaneität 217, 230 – numerisch identisch 23, 49, 67, 104 – persönliche Identität 67 – Identität der Apperzeption, siehe Identität des Selbstbewusstseins – Identität des Bewusstseins, siehe Identität des Selbstbewusstseins – Identität des Ich, siehe Identität des Selbstbewusstseins – Identität des Selbstbewusstseins 1, 23, 52, 54 f., 61, 66 f., 104, 112, 117, 140, 169, 252 – Identität des Subjekts, siehe Identität des Selbstbewusstseins – Bewusstsein der qualitativen Identität der Vorstellungen 206 – Gefühl der Identität 104 Imagination, siehe auch Einbildung 121 f., 140, 147, 213, 234, 241, 251, 253 in meinem Gemüt, siehe in mir in meiner Seele, siehe in mir in mir 14–19, 21 f., 24, 32, 43, 58, 73, 86, 89, 105 f., 112, 116, 133 f., 151, 153 – etwas in mir 1, 9 f., 13, 16 f., 19 – Vorstellung in mir 15, 17–19, 24, 116 Inbegriff – Inbegriff-Klausel 237, 261 – Inbegriff aller Vorstellungen 126, 129, 133, 144 f., 147, 176, 186 f., 236 f., 272 Information 25, 34, 146, 182 inhaltsleer 64 f. Inhärenz, siehe auch Substanz 240, 244– 246, 264 Innerlichkeit 160 intellektuell 65, 72, 75 f., 92, 95, 99, 101, 104, 106–108, 123, 126, 215 f., 218, 223 f., 230, 233, 256

289

– intellektuelle Vorstellung 60, 73 f., 106, 108, 152 – intellektuelle Vorstellung der Existenz 80 – intellektuelle Vorstellung der Selbsttätigkeit 62, 64, 73, 125 f., 151 Intension/intensiv 46 f., 95, 103, 209 f. intentional, siehe auch repräsentational 7, 15, 21, 91, 97, 137, 143 f., 145, 149, 156, 158, 165, 183, 209, 227, 239, 248, 267 – intentionaler Gehalt 63, 65, 113, 129, 146, 151, 156 f. Interpretationsakt 194 Introspektion/introspektiv, siehe auch reflexive Aufmerksamkeit 2, 62, 69, 93, 135, 137 f., 143, 146 f., 150, 160, 166, 234, 256, 265–270, 273 Jäsche-Logik

6, 26, 45, 55

Kategorie 2, 43, 48, 63, 74 f., 84 f., 87–91, 98, 108, 110, 132, 139, 141, 169, 171, 174–177, 179, 208 f., 211, 214–219, 221– 224, 226 f., 229 f., 233, 237–252, 255 f., 260, 262–266, 272 f., 275 – Kategorisierung 98 – dynamische Kategorie 239 – mathematische Kategorie 172 f., 239, 243–247, 249, 270–272, 274 – relationale Kategorie 8, 172 f., 244–246, 248, 270 – schematisierte Kategorie 205, 249 – unschematisierte Kategorie 63, 74 f., 215 f. – Kategorie der Existenz 86, 89–91, 109 f. – Kategorie der Inhärenz und Subsistenz 88 – Kategorie der Modalität 240 – Kategorie der Qualität 231, 239, 244, 248, 263, 273 – Kategorie der Quantität 109, 141, 239, 244, 247 f., 255, 261, 263, 273 – Kategorie der Realität 88 – Kategorie der Relation 212, 239, 243, 245 f., 252, 254, 271 f., 274 Kausalität/kausal 34, 40, 95, 109, 162, 165, 195, 199, 209, 211, 216, 224, 240–245, 248–250 – Kausalprinzip 241, 249

290

Sachregister

– Kausalregel 242, 249 – kausaler Einfluss 22, 24, 34, 49, 243 – kausale Prognose 252 f. Kind 96, 117, 154, 190 Klarheit/klar 11, 18 f., 26–32, 34–39, 41, 47, 50–52, 54, 56, 59 f., 68 f., 71, 104, 138, 140 f., 192, 264, 266, 269 kognitiv – kognitive Handlung 50, 78, 136, 170, 250 – kognitive Operation, siehe kognitive Handlung – kognitive Rolle 21, 32 f., 35 f. – kognitive Zutat 198 konstitutiv 239, 254 Konstruktion – Konstruktionsakt 142 f., 268 – Konstruktion der Anschauung 167, 178 f., 210, 214, 220, 224, 239 f., 244 f., 268 Konzeptualisierung 87 f., 248 f. Körper/körperlich 40, 44, 63, 92, 109 f., 144 f., 253, 258 Lebewesen 22 Linienbeispiel 142, 204 f., 215, 234, 254– 256, 258–268, 273 Loses Blatt Kiesewetter 7, 80, 120–122, 124, 146, 162, 172 Lust und Unlust, siehe Gefühl der Lust und Unlust Mannigfaltigkeit/Mannigfaltiges/mannigfaltig 2, 7, 9–11, 20, 31, 46, 48, 52, 54 f., 60, 62–64, 66, 73 f., 87, 89, 92, 100, 102 f., 105 f., 108, 113, 115, 120 f., 123, 130–134, 136, 142 f., 151 f., 158, 167, 169, 171–202, 204–209, 211 f., 214–225, 227, 229, 232 f., 235–241, 243, 245, 248, 250, 254–256, 259–275 – begriffliches Mannigfaltiges 216 – empirisches Mannigfaltiges 63, 99, 130, 132, 142, 175, 177–180, 186, 192, 201 f., 204 f., 212 f., 224, 227, 232, 238, 243, 245, 254, 275 – rezeptiv gegebenes Mannigfaltiges 173, 175

– sinnliches Mannigfaltiges 7, 63, 73–75, 98, 107, 132, 136, 174 f., 208, 212, 215, 217 f., 224, 233, 274 f. – zeitliches Mannigfaltiges 74, 143, 174, 176, 261 – Mannigfaltiges a priori 182 f., 221, 264 Material – empirisches Material 7, 46, 99–101, 116, 131, 136, 142, 166 f., 182, 187, 193, 258, 266, 268 meine Vorstellung, siehe Meinigkeit Meinigkeit 1, 9 f., 13–15, 19–21, 23–26, 48 f., 51, 61, 66, 69 f., 79 f., 113, 120, 129, 153, 159, 168, 175, 187, 258 Merkmal 30, 38, 57, 62, 103, 159, 182, 197 f., 212 mitteilbar 108 Momentaufnahme, siehe auch Anblick 182, 184 f., 190, 192, 195 f. nicht-apperzeptiv 5 f., 22, 35, 43, 46, 50, 53 f., 70, 72, 136, 139, 167, 169 f., 184, 227 f., 246 f., 250, 252, 254, 270 – nicht-apperzeptive Anschauung 2 – nicht-apperzeptives Bewusstsein 5, 50, 54, 141, 167, 178, 184, 186 – nicht-apperzeptiver Geist 43, 136, 139, 169, 246, 252, 270 – nicht-apperzeptives Gemüt, siehe nicht-apperzeptiver Geist – nicht-apperzeptives Szenario 12 – nicht-apperzeptive Verbindung 43 – nicht-apperzeptive Vorstellung 12, 22, 24, 50, 53 nicht-aufmerksam 184 nicht-begrifflich 19, 22 – nicht-begriffliches Selbstbewusstsein 117 nicht-repräsentational 97, 145, 231–233 Notwendigkeit/notwendig – notwendige Einheit 203, 208 f., 224, 242, 244 f. – notwendige Verknüpfung 208 – Notwendigkeit der Einheit 208 f., 242, 245 Noumenon/noumenal 84, 93, 106 f., 255 f.

Sachregister

Objekt, siehe auch Gegenstand 22, 33, 44, 63, 66, 74, 90 f., 95, 97 f., 102, 115, 129, 152–154, 158 f., 228, 244 f., 256 – Objektbezug 42, 97, 144, 157, 165, 247 f. – Objektivität 15, 124, 209, 242, 245, 274 – Objekt der Erfahrung 245 Paralogismus 67, 80 f., 88, 151 – Paralogismen-Kapitel 4, 38, 87 f., 103, 108 f., 143, 159, 257 Person 16, 30, 96, 117, 148, 250 – handelnde Person 22 phänomenal 89, 92, 97, 99, 116, 134 f., 141, 143, 164, 209, 232, 249 f., 253, 255–257 – phänomenaler Charakter, siehe auch qualitativer Charakter 29, 98, 103, 247 f. – phänomenaler Gehalt 74, 88 f., 91, 99, 102 f., 150, 165, 208 Phänomenologie – kognitive Phänomenologie 83, 147 Prädikat 15, 61–63, 77–79, 88, 90, 103, 152 f. – Prädikat des Ich 61 f., 105, 134, 153, 169 f. – Prädikat des Selbst, siehe Prädikat des Ich – Prädikat des Subjekts, siehe Prädikat des Ich primitiv 43, 50, 57, 170, 190, 227 – primitiver Denkakt 50, 57 – primitiver Geist 113, 226 f. – primitives Gemüt 113 – primitive kognitive Aktivität 57 Problem der doppelten Korrespondenz 99, 101 Prolegomena (Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können) 5, 47, 95, 97 f., 169 Psychologie 15, 59, 71, 73, 96, 176, 184, 198, 205, 212 Psychologismus 72 Qualität/qualitativ 47, 88 f., 95, 102 f., 112, 147, 206, 209, 231, 239, 244, 274 – Empfindungsqualität 46 f. – qualitativer Charakter, siehe auch phänomenaler Charakter 91 f., 103 – empirische Qualität 138, 141, 149, 184

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– phänomenale Qualität 95, 97–100, 102 f., 116, 139, 142, 170, 231 f. – sinnliche Qualität 94 f., 99, 116, 130 f., 134–136, 147, 160, 165 f., 168 f., 195, 223 f., 243 f., 247 f. Quasi-Begriff 67, 157 Quasi-Handlung 140 quasi innerer Sinn 136, 139 f. Quasi-Synthesis 252 Rahmenstruktur – epistemische Rahmenstruktur 68, 70 f., 95 Raum/Räumlichkeit/räumlich 11, 46 f., 63, 92, 95, 130, 133 f., 141 f., 157, 163, 167 f., 176, 178 f., 181, 189, 191 f., 202, 204, 211, 214, 218, 222, 227, 229, 246, 248, 255, 258, 260, 263 Realität 47, 71, 88, 106 f., 124, 184, 223 Reales/real 44, 46 f., 84, 88, 93 f., 98 f., 102 f., 110, 134, 143, 152, 166, 239 – das Reale der unbestimmten Wahrnehmung 94, 98 f. Reflexion 29, 45, 52, 54, 56 f., 60, 114 f., 134, 136, 140, 150, 158, 189, 196, 217, 265 f. – Reflexionsakt 135, 231, 266 – Reflexionsmodell 135, 160 Regel 31, 41, 52, 54–56, 60, 64, 115, 203, 205, 207, 209, 216–218, 223 f., 229, 239, 242, 251, 256 f., 271 – Regelanwendung 56 regulativ 239 Rekognition 118, 200 f., 206 f., 209 f., 219– 221, 225–229 repräsentational, siehe auch intentional 37, 42 f., 62, 129, 137, 142, 144, 148, 153, 162, 164 f., 187 f., 208, 223 f., 234, 253 – repräsentationaler Gehalt 9, 17 f., 23, 25 f., 29, 38 f., 44, 46 f., 50, 59, 61, 63– 68, 90, 98, 122, 124, 126, 128, 130, 135– 138, 144, 147, 149, 155, 158, 167, 175, 178, 223, 234, 269, 271 – repräsentationaler Gehalt der reinen Apperzeption 53, 64 f., 69 – repräsentationales Vehikel 46, 67, 75, 91 f., 94, 137, 227

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Sachregister

Reproduktion/reproduktiv 118, 140, 163, 201–207, 209 f., 212–214, 219–221, 225– 227, 229, 251 – mechanische Reproduktion 226 f. Rezeptivität/rezeptiv 80, 82, 87, 92, 95, 105, 123, 130 f., 141, 149, 160 f., 172, 175, 178, 201, 222 f., 229, 233, 272 – rein rezeptiv 7, 176–181, 183, 186–188, 193, 200, 260 Sachverhalt – abstrakte Sachverhalte 25, 93 Säugling 138 f., 207, 254 Schema – transzendentales Schema 88, 215, 232 f., 256 f. Schlussfolgerung 18, 27–30, 32 f., 48, 50 Seele, siehe auch denkendes Wesen 15 f., 18 f., 24, 29, 32–35, 37, 43, 56, 69, 72, 86, 88, 94, 109, 116, 118, 128 f., 137, 139, 143, 152 f., 157, 159, 182, 229, 251, 258 Selbstaffektion 2, 7, 46, 80, 82, 85, 98, 124, 127 f., 130 f., 133, 135–137, 142, 147, 150, 154, 165–167, 171–174, 176–178, 180, 187–190, 198, 200–202, 210, 221, 225, 228, 231–238, 240, 243, 246, 258 f., 265–268, 271–274 – doppelte Selbstaffektionen 272 – Funktion der Selbstaffektion 131 Selbstanschauung 7, 86–89, 94, 97–100, 102 f., 105, 108 f., 138, 151–157, 167, 236, 268 – intellektuelle Selbstanschauung 95 – primäre Selbstanschauung 84, 86–92, 94 f., 97–105, 108–110, 142, 151 – sekundäre Selbstanschauung 86, 98– 102, 108–110, 151 f. Selbstbewusstsein 1–6, 9, 20, 23 f., 51, 54, 60 f., 66, 69, 71 f., 75, 106, 108, 111, 113–115, 119, 156, 160, 170, 232, 268 – empirisches Selbstbewusstsein 97 f., 102, 104, 133, 155, 270 – explizites Selbstbewusstsein 25, 51, 69 – implizites Selbstbewusstsein 69 – reines Selbstbewusstsein 1, 24, 70

– diskrete Episoden des Selbstbewusstseins 112 Selbstbeziehung/Selbstbezug 7, 111 f., 115, 119, 138, 141, 155, 158–160, 186, 188, 226, 228, 235, 247 Selbstgefühl 89, 94, 96–98, 117 Selbsttätigkeit 65 f., 95, 106–108, 123, 125, 148, 177 f. Selbstwahrnehmung 2, 87, 99, 113, 123, 151, 266 Selbstzuschreibung 19, 23 f., 57, 59, 65, 72, 104, 138, 140, 166 Simultanität, siehe Gleichzeitigkeit Sinn – Sinnesdaten, siehe Data – Sinnesdatenatomismus 197 f. – Sinnesorgan 99, 182, 192, 210 – äußerer Sinn 64, 86, 89, 92, 94, 99, 109, 130 f., 133–136, 138, 141–147, 149, 160– 162, 164–166, 172–174, 180, 185, 187, 193, 200, 237 f., 254 f., 258 f., 266, 274 – Affektion des äußeren Sinnes 187 – innerer Sinn – Bestimmung des inneren Sinnes 7, 133, 259, 271 f. – Gegenstand des inneren Sinnes 63, 78, 86, 92, 94, 109, 128 f., 139, 143–146, 148–150, 159, 178, 193, 210, 234, 255, 268 – transzendentaler Gegenstand des inneren Sinnes 63, 143 – Idealität des inneren Sinnes 2 – Produkt des inneren Sinnes 2, 7, 69, 74, 76, 86 f., 97, 100, 109, 130, 153, 162, 180, 184, 186 – Vorstellung des inneren Sinnes 113 f., 127 f., 134, 141, 146, 148–150, 155, 159– 162, 165, 186 f., 236–238, 260, 266, 273 – inwendiger Sinn 97, 144–146, 233 Sinnlichkeit 10, 55, 59 f., 73, 82, 84, 92, 106, 121–125, 127, 130 f., 136, 139, 149, 156, 160, 175, 177–179, 181, 183 f., 191, 197 f., 212, 218, 221–224, 228, 230, 233 f., 247, 250 f., 253, 255 f., 269 Spontaneität 10, 60, 71, 73 f., 77, 86, 105– 107, 151–153, 174–178, 183, 189, 191,

Sachregister

217, 222, 225, 230, 233, 236, 238, 250 f., 265, 272 Stoff 84, 89, 92 f., 130, 142 f., 151, 213, 233, 268 – eigentlicher Stoff des inneren Sinnes 130 f., 133, 141–145, 160, 233 Stufenleiter 44, 144, 167 Subjekt – Erkenntnissubjekt 22 f., 226, 228 – transzendentales Subjekt 61, 67, 110 – Subjekt der Gedanken 63, 65, 74 – Erscheinung des Subjekts 62, 165 – Verhalten des Subjekts 17, 32, 49 Substanz/Substanzialität, siehe auch Akzidenz, siehe auch Inhärenz 25, 44, 59, 63, 74 f., 79, 81, 83, 86, 88, 94, 109 f., 158, 178, 209, 211, 224, 239–246, 248 f., 263 f. Substrat 67, 88, 153, 170, 243 f., 246 Sukzession, siehe auch Folge 99, 174, 176, 242 f., 245 f., 249 f., 252, 261–264, 267, 269 – Sukzession der Wahrnehmungen 132, 246 Sukzessivität/sukzessiv 72, 98, 141, 163, 172, 174, 176, 184 f., 191 f., 194, 196 f., 201 f., 206, 234, 240 f., 249 f., 252, 254– 256, 261–263, 268, 271 Synopsis 182–184, 186 f., 190 Synthesis/synthetisch – synthetischer Akt 136, 142, 147, 150, 155, 161, 169, 180, 185, 193, 201, 207, 220, 225, 233, 236–238, 252, 255, 259, 264– 266, 269–271, 273, 275 – dreifache Synthesis 220, 225, 228 f., 231 – empirische Synthesis 200, 211 f., 214, 219 f., 224, 229 f., 234 f., 255 – figürliche Synthesis 87, 132, 154, 205, 215–217, 219, 222, 224, 230, 255 f., 260, 274 – intellektuelle Synthesis 200, 211 f., 215– 220, 222, 230, 274 f. – mathematische Synthesis 239, 245, 248 f., 254, 274 – produktive Synthesis 202, 205, 212–215, 230

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– reine Synthesis 118, 201, 204 f., 211 f., 214 f., 224, 226, 230 – relationale Synthesis 248 f. – reproduktive Synthesis 200, 204 f., 211 f., 220 – transzendentale Synthesis der Einbildungskraft 2, 82, 85, 98, 116, 141, 149 f., 167, 171, 173–175, 177–179, 189 f., 200, 205, 210 f., 215, 217, 220–224, 229–238, 242 f., 254–259, 261–263, 266 f., 273– 275 – transzendentale Synthesis der Reproduktion 205 f. – synthesis intellectualis 74, 215 f. – Synthesis der Apprehension 169, 171, 176, 178–181, 184–188, 191, 193–195, 197–202, 205 f., 213, 217, 219 f., 224 f., 230, 241, 243, 250, 269 – Synthesis der Einbildungskraft 7, 76, 85, 127, 161, 172, 179, 183 f., 188 f., 191, 204 f., 208, 210–212, 214–220, 223 f., 231, 239, 241 f., 247 f., 250 f., 254, 256 f., 261, 264, 271–274 – Synthesis der Rekognition 206 f., 209 f., 219, 221, 224, 227, 229, 231 – Synthesis der Reproduktion 200, 202, 204, 210, 212 Tastsinn 97 Tier 15, 17, 43, 45, 56, 113, 138–140, 163, 169 f., 199, 203, 206 f., 226, 228 f., 241, 246 f., 249–253 – Tiergeist 24, 163, 247–249 Transparenz 164 f. – Transparenz der Erfahrung 156 transzendental – transzendentale Analytik 1 f., 4 – transzendentale Ästhetik 21, 128, 235 – transzendentale Bedingung 58, 82 f., 255, 257 – transzendentale Deduktion 1, 10 f., 26, 48, 54, 75, 117, 142, 171, 178 f., 210, 213, 217, 235, 247 – transzendentale Funktion 104 – transzendentale Untersuchung 72 Traum 22, 141, 228, 254 Trieb 34, 40, 147, 199

294

Sachregister

Unbestimmbarkeit/unbestimmbar 105 f., 108 f. – Unbestimmbarkeitsthese 105 – kategorial unbestimmbar 103 Unbestimmtheit/unbestimmt 64, 66, 75, 80, 84 f., 87–90, 93 f., 98, 101 f., 106, 108, 142, 172 f., 191, 239–241, 248, 258 f., 274 – kategorial unbestimmt 43, 104 – unbestimmte Anschauung 85–87, 89, 95, 97, 100, 102, 248, 257, 260, 266 – unbestimmte empirische Anschauung 83–89, 93 f., 96, 98 f., 102, 152 – unbestimmte empirische Selbstanschauung, siehe unbstimmte Selbstwahrnehmung – unbestimmtes Objekt 89 f. – unbestimmte Selbstwahrnehmung 7, 85, 87, 89, 91, 102 – unbestimmte Wahrnehmung, siehe unbestimmte empirische Anschauung Unbewusstsein/unbewusst 33, 41, 49 f., 95, 138, 156, 163, 165, 185, 264 – apperzeptiv unbewusst 201 – unbewusste Vorstellung 34, 41, 44 f., 48– 50, 185 f., 271 Undeutlichkeit/undeutlich 29, 31 Unding 21 Unterscheidung/Unterschied – Unterscheidungsakt 39 f., 50, 170, 198 f. – logisches Unterscheiden 40, 199 – psychologisches Unterscheiden 40 – Bewusstsein des Unterschieds 39 f. – Erkennen des Unterschieds 40 ursprünglich 10–13, 58, 60, 97 f., 176, 182, 212, 214 f., 223, 228, 245, 272 Urteil 3, 28 f., 33, 40 f., 54 f., 61 f., 65 f., 70, 74, 76 f., 80 f., 83, 93, 100, 105 f., 120– 122, 144, 148, 199, 207, 216–218, 229, 231, 249, 274 f. – empirisches Urteil 32, 79 f., 235 Vehikel – Vehikel der Begriffe 25, 61, 70, 81 Vernunft 41, 106, 118, 251 – Vernunfthandlung 41

Verstand 2, 7, 40 f., 55, 60, 68, 70 f., 74, 78, 82, 87, 93, 98, 101, 103, 106, 114, 121, 126 f., 132, 136 f., 139 f., 142, 155 f., 168– 171, 174–176, 179, 181, 183, 185, 189 f., 193, 195, 208–210, 215, 217–222, 224– 227, 229–232, 234–240, 242, 248, 251, 260, 263, 266, 268, 271–274 – Verstandesakt 2, 41, 59 f., 65, 70, 81, 83, 86, 89, 95, 99, 101, 105 f., 108, 111, 116, 125 f., 129, 142, 147, 149–151, 160 f., 170–172, 174, 209, 216–218, 229 f., 255, 269, 271 – Verstandesbegriff, siehe Kategorie – Verstandeshandlung, siehe Verstandesakt – Verstandesverbindung, siehe synthesis intellectualis – Kapazität des Verstandes 195 Vielfalt, siehe auch absolute Einheit 181 f., 184 Vom Inneren Sinne 189 vor-apprehensiv 193 f., 199 Vorstellung – Vorstellungsgehalt, siehe repräsentationaler Gehalt – einfache Vorstellung 62, 64 f., 72, 175 – komplexe Vorstellung 184, 197 f. – Vorstellung erster Ordnung 25, 37, 75, 81, 83, 94, 99 f., 138, 149, 162, 165 f., 234 f., 238 – Vorstellung erster Stufe, siehe Vorstellung erster Ordnung – Vorstellung höherer Ordnung 7, 25, 28, 36, 38–40, 50, 56 f., 69, 93, 113, 115, 128, 162–166, 226, 235, 267, 270 – Vorstellung höherer Stufe, siehe Vorstellung höherer Ordnung Wahrnehmung, siehe auch empirische Anschauung 17, 27–30, 32 f., 46 f., 59, 70, 72, 79–87, 89–91, 95, 97, 99 f., 103 f., 110, 113 f., 116, 118, 120 f., 123, 129 f., 132, 134, 138–141, 145, 147–151, 155 f., 159, 161–166, 168 f., 173, 178, 185, 187–189, 194, 196 f., 200 f., 209, 213, 216 f., 228, 233–235, 239–244, 246– 250, 252–254, 257, 262–264, 267, 269– 274

Sachregister

– äußere Wahrnehmung 124, 136, 138, 164–166, 172, 232, 234, 266–269, 271 – innere Wahrnehmung, siehe auch empirische innere Anschauung 7, 59, 80–86, 94 f., 109, 124, 127, 130, 133 f., 162–164, 175, 234 f., 258, 263, 267, 269 Wechselwirkung 211, 240, 242–245 Welt – Erscheinungswelt 79, 90, 101, 108, 124, 210, 254 f. – intelligible Welt 106 – sinnliche Welt 105 f. Widerlegung des Idealismus 77, 93 Wille 143–147, 149, 158, 175, 182, 231 Wirklichkeit 11, 52, 68 f., 76, 80, 89, 109, 125, 258 Zeit/Zeitlichkeit – Zeitanschauung 130, 133, 178, 214, 218, 222, 257, 269 – Zeitbestimmung 2, 101, 122, 124, 172, 175, 215, 232 f., 243 f., 246, 249, 257 f., 264 – transzendentale Zeitbestimmung 2, 175, 215, 233 – Zeitordnung 173, 175, 233, 240, 245, 249 – einheitliche Zeitordnung 2, 147, 174– 176, 179, 234, 269 – objektive Zeitordnung 172 f., 241, 246 – Zeitrelation 124, 132, 175 – objektive Zeitrelation 173, 246, 258 f., 270 f. – Zeitskala 246

295

– Zeitstelle 95, 132, 215, 243 f. – Zeitverhältnis, siehe Zeitrelation – objektive Zeitverhältnisse, siehe objektive Zeitrelation – rudimentäre Zeitlichkeit 176, 179 zerstreut 111, 139, 169, 179, 193 Zugriff 34, 36, 126 – Zugriffsbewusstsein, siehe auch phänomenales Bewusstsein 184 – kognitiver Zugriff 33, 35, 50, 184 Zusammensetzung/zusammensetzen, siehe auch Apprehension 31, 63, 132, 134, 142, 152, 163 f., 169, 183, 185, 188, 194, 196, 200, 202, 204, 207, 214, 220, 224 f., 229 Zustand – Gemütszustand, siehe innerer Zustand – Vorstellungszustand 17, 25 f., 36–38, 40, 78 f., 100, 104, 113, 115, 128, 137 f., 149 f., 159, 162, 164, 167, 236, 272 – innerer Zustand 15–18, 33, 37, 42, 45, 67 f., 72, 74, 78, 80 f., 85, 91, 99 f., 102, 108, 113, 115–118, 121, 124 f., 128 f., 139 f., 144 f., 147–151, 155, 157–160, 162, 164, 166, 172, 180, 187, 190, 193, 226, 228, 234 f., 259, 265, 271 – mentaler Zustand, siehe innerer Zustand – repräsentationaler Zustand, siehe Vorstellungszustand – Zustand der Seele, siehe innerer Zustand – Zustand des Subjekts, siehe innerer Zustand

Personenregister Allais, Lucy 247 Allison, Henry E. 4, 20, 22, 42, 51, 60 f., 67 f., 78, 90, 110, 130 f., 136, 144, 160, 162, 171, 182, 190 f., 193 f., 205, 217, 232–235, 241, 249, 262 Ameriks, Karl 4, 49 f., 58, 60–62, 75, 102, 107, 116 f., 121, 135, 138–140, 147, 161, 190, 218, 254 Baum, Manfred 4, 217 Baumgarten, Hans Ulrich 107 Bayne, Tim 83 Beiser, Frederick C. 42 Bondelin, Martin 49 Brook, Andrew 4, 61, 110 Caimi, Mario 107, 233, 254, 256 Carl, Wolfgang 4, 110, 112, 118, 183, 195, 206 f., 230 Chignell, Andrew 108, 239 Collins, Arthur 162 f. Cramer, Konrad 10, 15–17, 19, 21, 24, 53 Deppermann, Arnulf 15–17, 21, 45, 47 f. Dickerson, A. B. 197 Dohrn, Daniel 245 Düsing, Klaus 232, 235–237, 267 Dyck, Corey W. 3, 183, 189, 230–232, 262– 264, 267–269, 272 f. Eisler, Rudolf 120 Emundts, Dina 108 Ewing, Alfred Cyril 232 Falkenstein, Lorne 182 Fish, William 91 Fisher, Naomi 43, 140, 163, 247 Frank, Manfred 85 f., 95, 107 Friebe, Cord 248 Ginsborg, Hannah 247 Griffith, Aaron M. 247

https://doi.org/10.1515/9783110743364-009

Grüne, Stefanie 24, 40, 184, 192 f., 197 f., 202 f., 205–212, 221, 225–227 Guyer, Paul 4, 45, 162, 194, 221, 241, 243 Haag, Johannes 4, 183 f., 207, 210, 212, 217, 221 Hatfield, Gary 255 f. Heidemann, Dietmar Herrmann 41, 49 f. Heimsoeth, Heinz 124 Heinz, Mario 55 f., 71, 178 Henrich, Dieter 197, 206 Hogan, Desmond 255 Hoppe, Hansgeorg 43, 183, 194–197, 210, 228, 253 Horstmann, Rolf-Peter 64, 154 Hume, David 203 Jacob, Pierre

145

Kitcher, Patricia 4, 6, 27, 41 f., 58, 65, 68, 110, 119, 151 f., 160, 168–170, 232, 241 Klemme, Heiner F. 4, 6, 21, 44, 50, 76, 92, 95, 106–108, 146, 152, 239, 253 Koch, Anton Friedrich 4 Kraus, Katharina 110, 143, 261 La Rocca, Claudio 45 Lane, Timothy 16 Lau, Chong-Fuk 152 Leibniz, Gottfried Wilhelm 118 Liang, Caleb 16 Liang, Yibin 2, 22, 25, 27 f., 35 f., 37, 39, 57, 69, 99 f., 73, 112, 115 f., 130, 135 f., 139, 143, 155, 162, 167, 170, 181, 197, 199 Locke, John 127, 146 Longuenesse, Béatrice 4, 28, 64, 73, 90, 92, 95, 104, 174, 182, 197, 206 f., 210, 216, 241 Lowe, Edward Jonathan 43 Lycan, William G. 127

Personenregister

297

McLear, Colin 6, 91, 111, 140, 160, 162 f., 166, 170, 247, 249 f. Merritt, Melissa 30, 183, 193, 242 Michel, Karin 87 Mohr, Georg 4, 24, 37, 97, 104, 127, 142 f., 149, 173–177, 179, 182, 237, 254, 267 f. Mole, Christopher 183 Montague, Michelle 83

Schulting, Dennis 4, 9, 12, 22, 42–47, 68, 110, 113 Seel, Gerhard 256 Sellars, Wilfrid 203 Shoemaker, Sydney 127 Stang, Nick F. 15, 255 Stuhlmann-Laeisz, Rainer 105 Sturm, Thomas 3

Nakano, Hirotaka 174–181, 187 f., 217, 272, 274 Newen, Abert 49 Nitzan, Lior 255

Thöle, Bernhard 112, 173, 197, 206 f., 241, 243 Tolley, Clinton 247

Olk, Carsten

210, 216

Paton, Herbert James 131, 225, 232 Pippin, Robert B. 42 f., 51, 71, 110 Powell, C. Thomas 4 Rohs, Peter 242 Rosefeldt, Tobias 4, 21, 143, 154 Rosenthal, David M. 135 Schlicht, Tobias 49 Schmitz, Friedrike 130, 137 f., 141, 146–148, 153–158, 162, 164–166, 235, 261

Valaris, Markos 30, 43, 144 f., 159 f., 183, 193, 224, 232, 234, 241 Watkins, Eric 241, 243 Waxman, Wayne 254 Wolff, Robert Paul 118, 141, 143, 162, 166, 184, 191, 195, 197, 206 f., 232, 273 f. Wunderlich, Falk 3 f., 6, 113, 119, 124 Young, J. Michael

203

Zammito, John 204 f., 213, 226 Zöller, Günter 68–70, 110, 113