Betriebswirtschaftliche Prüfungslehre: Eine Einführung [Reprint 2019 ed.] 9783110867480, 9783110074192

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Betriebswirtschaftliche Prüfungslehre: Eine Einführung [Reprint 2019 ed.]
 9783110867480, 9783110074192

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
1. Einführende Überlegungen
2. Der Prüfungsprozeß
3. Prüfungsorgane
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis

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de Gruyter Lehrbuch Egner • Betriebswirtschaftliche Prüfungslehre

Henning Egner

Betriebswirtschaftliche Prüfungslehre Eine Einführung

w DE

G Walter de Gruyter • Berlin • New York • 1980

Dr. Henning Egner Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Egner, Henning: Betriebswirtschaftliche Prüfungslehre : e. Einf. / Henning Egner. - Berlin, New York : de Gruyter, 1980 (De-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-007419-2

© Copyright 1979 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit Sc Comp., Berlin. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz und Druck: Georg Wagner, Nördlingen. - Bindearbeiten: Wübben & Co., Berlin. - Printed in Germany

Vorwort

Dieses Buch richtet sich vor allem an Studenten von Universitäten, Fachhochschulen und Akademien, die sich einem Fachgebiet zuwenden, das üblicherweise als „Revisions- und Treuhandwesen", „betriebswirtschaftliches Prüfungswesen" oder auch kurz als „Wirtschaftsprüfung" bezeichnet wird. Das Buch richtet sich aber nicht zuletzt auch an alle Personen in Unternehmen und Verwaltungen, die in irgendeiner Weise mit betriebswirtschaftlichen Prüfungen in Berührung kommen und ihre Kenntnisse unter Berücksichtigung der zuständigen Fachwissenschaft vertiefen und erweitern wollen. Betriebswirtschaftliche Prüfungen sind aus dem heutigen Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenken. Sie sind ein sehr bedeutsames Instrument in der Hand des Staates zur Verfolgung rechts-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ziele. Sie sind ein gleichermaßen bedeutsames Instrument in der Hand von Firmen- oder Konzernleitungen, das es ermöglicht, der immer komplizierter werdenden Steuerungsprobleme in stark verzweigten Unternehmen Herr zu werden. Das Fach, das sich mit diesen betriebswirtschaftlichen Prüfungen befaßt, und für das ich die Bezeichnung „betriebswirtschaftliche Prüfungslehre" am treffendsten finde, zeichnet sich in seinem gegenwärtigen Entwicklungsstand durch drei Dinge aus: - durch sein Theorie-Defizit: Es gibt zwar eine große Zahl von Theorie-Entwürfen. Aber nur sehr wenige dieser Entwürfe sind einigermaßen ausgearbeitet, und nach meiner Meinung kann keiner den Anspruch erheben, die Wirklichkeit des Prüfungsgeschehens auch nur annähernd zu erklären; - durch seine starke Prägung durch rechtliche Vorschriften: Juristische Normen, von denen ein großer Teil im Aktiengesetz und in der Wirtschaftsprüferordnung, der Rest aber in vielen anderen Gesetzen enthalten ist, regeln einerseits die Prüfungsdurchführung, enthalten andererseits die Maßstäbe, nach denen die sog. Prüfungsobjekte beurteilt werden. Probleme der Auslegung juristischer Vorschriften haben daher in Lehre und Literatur eine sehr große (manchmal meine ich: zu große) Beachtung erfahren; - durch eine große Vielfalt von in der Praxis vorkommenden Prüfungen: Nicht nur die Anzahl der Prüfungsarten (man kann rund 100 Prüfungsarten unterscheiden), sondern die großen Unterschiede in Prüfungsziel und Prüfungsdurchführung machen die Beschäftigung mit der Prüfungslehre so schwierig.

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Vorwort

Aus den Bedürfnissen der eben genannten Benutzer des Buchs und aus den skizzierten Besonderheiten des Fachs ergeben sich nun Folgerungen für Darstellungsweise und Inhalt des Buchs. Zuerst: Ich habe mich bemüht, ein Buch zu schreiben, das auch für Menschen, die mit betriebswirtschaftlich-wissenschaftlichen Darstellungen noch wenig vertraut sind, lesbar ist. Sehr viel Raum habe ich darauf verwendet, Einflüsse auf Prüfungen und diejenigen Probleme zu besprechen, die in der bislang vorliegenden Prüfungsliteratur nicht oder nur am Rande behandelt werden: die Tatsache nämlich, daß Prüfungen von Menschen durchgeführt werden. In den verbreiteten Lehrbüchern des Fachs (Leffson: Wirtschaftsprüfung; Loitlsberger: Treuhandwesen; v. Wysocki: Prüfungsordnungen, Grundlagen1) hat der Mensch als Prüfer eine sehr untergeordnete (fast nur instrumentale) Stellung. Es wird dargelegt, was Prüfer tun sollen und was sie aufgrund gesetzlicher Vorschriften tun müssen. Es wird aber nicht gefragt, welche Zusammenhänge zwischen Prüferpersönlichkeit, den in Prüfergruppen ablaufenden sozialen Prozessen und den zwischen Prüfern und geprüften Personen vorhandenen Beziehungen und dem Ablauf von Prüfungen bestehen können. Genau hier liegt der Schwerpunkt dieses Buchs. Angesichts der großen Zahl von Prüfungsarten hilft nur eine „Arbeitsteilung": In diesem Buch wird nur das behandelt, was nach meiner Meinung allen Prüfungen gemeinsam ist (allgemeine Prüfungslehre). Uber die Besonderheiten einzelner Prüfungsarten (besondere Prüfungslehren) informiert den Leser die jeweils angegebene weiterführende Literatur. Eine derartige Beschränkung ist notwendig. Das Buch würde andernfalls sehr umfangreich und unhandlich, - oder die Behandlung aller Teilgebiete sehr oberflächlich. Bei der Darstellung der rechtlichen Vorschriften (sie betreffen vor allem den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer und die Durchführung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen) habe ich mich um Kürze bemüht. Die relativ wenigen als wichtig erachteten Vorschriften werden dann allerdings kritisiert und es wird nach den Problemen ihrer Umsetzung in die Praxis gefragt. Einzelheiten können in wenigen Handbüchern, auf die verwiesen wird, nachgeschlagen werden. Das Buch ist in vier Teile gegliedert. In einem einleitenden Teil wird gefragt, was man eigentlich sinnvollerweise unter Prüfungen verstehen kann, warum Prüfungen durchgeführt werden und welches die in der Praxis häufigsten Prüfungen sind. Das zweite Kapitel bietet eine Darstellung und Erklärung der wichtigsten, bei allen Prüfungen vorzunehmenden Entscheidungen und Handlungen. Dabei wird von einem Grundmodell menschlichen Verhaltens 1 Im Text wird neben dem Namen des Autors nur ein Kurztitel angegeben, wenn mehrere Werke des Autors verwendet werden. Ansonsten reicht der Name des Autors aus, um das betreffende Werk im Literaturverzeichnis zu finden.

Vorwort

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ausgegangen und werden die Einflüsse aufgezeigt, die von unterschiedlichen menschlichen Persönlichkeiten und ihrem unterschiedlichen Befinden auf die Prüfungsdurchführung, insbesondere auf die vorbereitenden Entscheidungen und auf das schließlich formulierte Prüfungsurteil ausstrahlen. Das dritte Kapitel schließlich behandelt die Prüfungsorgane (d. h. diejenigen Institutionen, die Prüfungsurteile erarbeiten) und vor allem Probleme der beiden in der Praxis am weitesten verbreiteten Prüfungsorgane, der Wirtschaftsprüfer-Unternehmen und der Abteilungen für Interne Revision von Unternehmen. Dabei wird besonders auf die Einflüsse geachtet, die von unterschiedlichen Situationen in Prüfungsorganen auf die Prüfungsdurchführung ausgehen können. Dieses Buch hätte ohne die Hilfe der anderen Mitglieder der Fachrichtung Betriebswirtschaftliches Prüfungswesen an der Freien Universität Berlin kaum entstehen können. Den Herren Dipl.-Kfm. Manfred Buchner, Dipl.-Kfm. Franz Heistermann, Ass. Prof. Dr. Gernot Moegelin und Dipl.-Kfm. Karl Moog danke ich für ihre vielen Anregungen und ihre ständige Bereitschaft zu Diskussion und Kritik. Frau Susanne Buchholz danke ich für ihre große Einsatzbereitschaft beim Schreiben der verschiedenen Fassungen des Manuskripts. Berlin, Dezember 1979

Henning Egner

Inhalt

1. Einführende Überlegungen 1.1 Die Überwachung als Grundfunktion der Unternehmensleitung 1.2 Was verstehen wir unter „Prüfungen"? 1.3 Warum bilden wir eine „allgemeine" Prüfungslehre? 1.4 Notwendigkeit, Aufgaben und Arten von Prüfungen 1.4.1 Die Notwendigkeit von Prüfungen (Beispiele) 1.4.2 Arten von Prüfungen 2. Der Prüfungsprozeß 2.1 Urteil und Urteilsbildung 2.1.1 Die logische Struktur eines Urteils 2.1.2 Das Urteil als Ergebnis einer Uberzeugungsbildung 2.1.3 Die Dimensionen des Prüfungsprozesses 2.2 Die Zeitdimension 2.2.1 Der Prüfungsauftrag 2.2.2 Prüfungsplanung und -Vorbereitung 2.2.3 Die Prüfungsdurchführung 2.2.4 Die Berichterstattung 2.2.5 Die Einflußfaktoren auf die zeitliche Ausdehnung 2.3 Die Basisdimensionen 2.3.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten 2.3.2 Die Zielebene 2.3.2.1 Individuelle Ziele 2.3.2.2 Uberindividuelle Ziele 2.3.2.2.1 Ziele des Prüfungsorgans 2.3.2.2.2 Ziele des Auftraggebers 2.3.3 Die Nonnebene 2.3.3.1 Aufgaben und Arten von Normen 2.3.3.2 Überlegungen zur Verhaltenswirksamkeit von Normen 2.3.3.2.1 Sachlicher Inhalt von Normen und Verhaltenswirksamkeit 2.3.3.2.2 Sprachliche Formulierung von Normen und Verhaltenswirksamkeit 2.3.3.2.3 Wahrscheinlichkeit von Sanktionen bzw. Gratifikationen 2.3.3.3 Normen über die Prüfungsdurchführung 2.3.3.4 Normen über die Erstellung der Prüfungsobjekte

15 15 17 19 20 20 23 29 29 29 33 38 42 42 43 47 48 48 51 52 58 58 61 61 68 70 70 75 75 77 78 81 84

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Inhalt

2.3.4 Die Persönlichkeitsebene 2.3.4.1 Fachliche Qualifikation 2.3.4.2 Persönlichkeitszüge 2.3.4.3 Die private Situation des Prüfers 2.4 Die Verhaltensdimension 2.4.1 Die Kommunikationsebene 2.4.1.1 Wahrnehmungen 2.4.1.1.1 Wahrnehmung von sprachlichen Informationen 2.4.1.1.2 Wahrnehmung von Verhaltensweisen Dritter 2.4.1.2 Äußerungen 2.4.1.2.1 Äußerung von sprachlichen Informationen 2.4.1.2.2 Äußerung von Verhaltensweisen 2.4.2 Die Ebene der konstituierenden Entscheidungen 2.4.2.1 Die Auftragsannahme-Entscheidung 2.4.2.2 Die Abgrenzung der Prüfungsgegenstände 2.4.2.3 Entscheidung über die Wahl des Prüfungsverfahrens 2.4.2.4 Entscheidung über die Einteilung des Prüfungsgegenstands in Teilgebiete 2.4.2.5 Die Prüfer-Prüffeld-Zuordnung 2.4.2.6 Die Entscheidung über die Reihenfolge der Bearbeitung 2.4.2.7 Die Entscheidung über die Auswahl der Prüfungsobjekte 2.4.2.7.1 Die Auswahlentscheidung bei Einzelfallprüfungen 2.4.2.7.2 Die Auswahlentscheidung bei Systempriifungen 2.4.2.8 Die Entscheidung über Prüfungshandlungen 2.4.2.8.1 Prüfungshandlungen bei Einzelfallprüfungen 2.4.2.8.2 Prüfungshandlungen bei Systemprüfungen 2.4.2.9 Die Entscheidung über Abbruch der Prüfungshandlungen und Urteilsabgabe 2.4.2.9.1 Die Formulierung der Urteilshypothese 2.4.2.9.2 Der Einfluß der Einzelergebnisse auf den erreichten Uberzeugungsgrad

88 88 92 96 98 98 99 99 100 101 101 102 102 102 105 108 112 115 117 125 126 136 137 137 147 162 163 165

Inhalt

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2.4.2.9.3 Der Schwellenwert des Uberzeugungsgrades 2.4.3 Die Ebene der Annahme-Entscheidungen 2.4.3.1 Die Festlegung der relevanten Merkmale 2.4.3.2 Die Festlegung der Sollausprägung der Merkmale 2.4.3.3 Die Messung der Merkmalsausprägungen des Prüfungsobjektes 2.4.3.4 Die Ermittlung von Abweichungen 2.4.3.5 Die Gewichtung der Abweichungen und Entscheidung über Annahme bzw. Ablehnung 2.4.4 Die Ebene der Handlungen 2.4.4.1 Die Beschaffung von Informationen 2.4.4.2 Die Aufbereitung von Informationen 2.4.4.3 Die Formulierung der Prüfungsdokumentation und der Prüfungsergebnisse 3. Prüfungsorgane 3.1 Uberblick 3.2 Externe Prüfungsorgane 3.2.1 Der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer 3.2.1.1 Der Wirtschaftsprüfer als Träger öffentlicher Aufgaben 3.2.1.2 Der Zugang zum Berufsstand 3.2.1.2.1 Die persönliche Eignung 3.2.1.2.2 Die fachliche Eignung 3.2.1.3 Die Berufsgrundsätze der WP 3.2.1.3.1 Der Berufsgrundsatz der Unbefangenheit und Unabhängigkeit 3.2.1.3.2 Der Berufsgrundsatz der Eigenverantwortlichkeit 3.2.1.3.3 Der Berufsgrundsatz der Gewissenhaftigkeit 3.2.1.3.4 Der Berufsgrundsatz der Verschwiegenheit 3.2.1.3.5 Der Berufsgrundsatz der Unparteilichkeit 3.2.1.3.6 Sonstige Berufsgrundsätze 3.2.1.4 Die Berufsaufsicht 3.2.1.5 Unternehmenspolitische Probleme der WP-Unternehmung 3.2.1.5.1 Das Problem der Wahl der Gestaltungsform

170 174 174 177 180 180 183 188 189 193 194 199 199 199 200 201 202 202 203 209 210 226 229 231 232 232 233 238 238

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Inhalt

3.2.1.5.2 Das Problem der Saisonabhängigkeit der Beschäftigung 3.2.1.5.3 Die Ertrags- und Aufwandssituation von WP-Unternehmen 3.2.1.5.4 Die Wettbewerbssituation und die Marktanteile der einzelnen Erscheinungsformen 3.2.2 Prüfungsverbände 3.2.2.1 Prüfungsverbände im genossenschaftlichen Bereich 3.2.2.2 Prüfungsstellen der Sparkassen- und Giroverbände 3.3 Interne Prüfungsorgane 3.3.1 Die wachsende Notwendigkeit der Internen Revision 3.3.2 Aufgaben von Revisionsabteilungen 3.3.3 Das Problem der Prozeßunabhängigkeit und der Aufgabenbereich der Revisionsabteilung 3.3.4 Die organisatorische Einordnung der Revisionsabteilung in die Unternehmung 3.3.4.1 Die Art der zu schaffenden Stelle 3.3.4.2 Die Unterstellung der Revisionsabteilung 3.3.5 Die Zusammenarbeit der Revisionsabteilung mit anderen Stellen 3.3.5.1 Die Einbeziehung der Abteilung in den betrieblichen Informationsfluß 3.3.5.2 Das Verhältnis zur Organisationsabteilung 3.3.5.3 Das Verhältnis zu externen Jahresabschlußprüfern 3.4 Die interne Organisation von Prüfungsorganen 3.4.1 Die Möglichkeiten der Arbeitsteilung in Prüfungsorganen 3.4.2 Möglichkeiten der Organisation des Innendienstes 3.4.3 Möglichkeiten der Organisation des Außendienstes 3.4.4 Zentralisation oder Dezentralisation von Prüfungsorganen

253 259 268 276 276 277 277 277 278 282 285 285 287 288 289 289 291 294 294 295 296 298

Literaturverzeichnis

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Stichwortverzeichnis

313

Abkürzungsverzeichnis

AG AktG AICPA AO BB BFuP DB EDV EStG FAMA FG GenG GmbH GmbHG GoB HGB Hrsg HWB IdW JA JoA KA KWG LG OLG TKA VAG WiSt WP WPG WPg WPK WPO ZfB ZfbF ZIR

Aktiengesellschaft Aktiengesetz American Institute of Certified Public Accountants Abgabenordnung Der Betriebsberater Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis Der Betrieb Elektronische Datenverarbeitung Einkommensteuergesetz Fachausschuß moderne Abrechnungssysteme Fachgutachten Genossenschaftsgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung Handelsgesetzbuch Herausgeber (herausgegeben) Handwörterbuch der Betriebswirtschaft Institut der Wirtschaftsprüfer Jahresabschluß Journal of Accountancy Konzernabschluß Kreditwesengesetz Landgericht Oberlandesgericht Teilkonzernabschluß Versicherungsaufsichtsgesetz Wirtschaftswissenschaftliches Studium Wirtschaftsprüfer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Die Wirtschaftsprüfung Wirtschaftsprüferkammer Wirtschaftsprüferordnung Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift Interne Revision

1. Einführende Überlegungen

Lemziele Nach dem Lesen dieses einführenden Kapitels soll der Leser - über die Bedeutung der Überwachung als Bestandteil der Aufgaben der Unternehmensleitung nachgedacht haben, - eine Vorstellung davon haben, was normalerweise unter „Prüfung" verstanden wird, - die im Fach üblich gewordene Arbeitsteilung zwischen „allgemeiner" Priifungslehre und „speziellen" Prüfungslehren kennen - und einen Uberblick über die wichtigsten in der Praxis vorkommenden Prüfungen haben.

1.1 Die Überwachung als Grundfunktion der Unternehmensleitung Die in einer Unternehmung 2 ablaufenden Tätigkeiten kann man im ersten Anlauf etwa in der folgenden Weise systematisieren: Finanzieren - Beschaffen - Produzieren - Absetzen - Abrechnen. 3 Diese sehr anschauliche Systematik hat allerdings den Nachteil, die Wirklichkeit unvollständig wiederzugeben. Denn bevor z. B. beschafft und produziert werden kann, muß zunächst einmal entschieden werden, was im einzelnen beschafft und produziert werden soll, kurz: es muß eine Planung erfolgen. Außerdem muß festgelegt werden, auf welche Weise die einzelnen Beschaffungs- und Produktionsvorgänge ablaufen sollen, und durch welche Personen oder Stellen sie durchgeführt werden sollen. Es muß also organisiert werden. Bei einer anderen Betrachtungsweise der gleichen betrieblichen Arbeiten, die den Steuerungscharakter hervorhebt, können wir also die Tätigkeiten Planen, Organisieren und Ausführen unterscheiden. Planen und Organisieren sind somit Tätigkeiten, die gleichsam über der Ausführung

Prüfungen werden natürlich auch in Organisationen durchgeführt, die man nicht als „Unternehmung" bezeichnen würde, z. B. in Krankenhäusern, bei freiberuflich Tätigen. Da die meisten Prüfungen aber in Unternehmen stattfinden, spreche ich hier nur von Unternehmen. 3 Die gewählte Reihenfolge ist nicht mit einer Zeitfolge zu verwechseln. Es ist klar, daß diese Tätigkeiten ständig und gleichzeitig ablaufen. 2

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1. Einführende Überlegungen

liegen, die sie regeln und steuern, um auf diese Weise eine möglichst gute Erreichung der der Unternehmung gesetzten Ziele zu gewährleisten. Diese Tätigkeiten werden häufig als „Funktionen der Unternehmensleitung" bezeichnet. Allerdings ist die Tätigkeit der Unternehmensleitung mit diesen beiden Funktionen nicht erschöpfend beschrieben. Als dritte - gleich wichtige - Tätigkeit kommt die Überwachung hinzu. Warum? Für die Behauptung, Überwachung sei von gleicher Bedeutung wie Planung und Organisation, können wir mehrere Gründe aufzählen. 1) Überwachung ist die unabdingbare Voraussetzung für jede Planung: Die beste Planung nützt nichts, wenn man nicht nach dem Vollzug feststellen kann, ob die geplanten Ergebnisse erreicht wurden, und wenn man nicht versuchen kann, Gründe für etwaige Abweichungen zwischen Soll und Ist herauszufinden. Ohne Planung aber „sind und waren die wirtschaftlichen Risiken falschen, zu späten oder unkoordinierten Handelns infolge mangelhafter Entscheidungsvorbereitung einfach zu groß" (Wild, S. 12). Die Überwachung erst liefert die Grundlagen für den Vergleich zwischen Planwerten und erreichten Istwerten. Sie ist die Basis für die (vielleicht noch mögliche) Korrektur von Fehlern, für personelle oder sachliche Konsequenzen im Rahmen der betroffenen Abteilungen, natürlich auch für die Aufstellung besserer Pläne für künftige Perioden. 2) Überwachung ist unabdingbarer Bestandteil jedes Organisations-Systems: Ohne eine bewußte Gestaltung der Beziehungen der einzelnen Personen oder Stellen (Aufbauorganisation) und ohne eine bewußte Gestaltung der Arbeitsabläufe (Ablauforganisation) ist es sehr fraglich, ob die Unternehmung den Planzielen so nahe kommt, daß man das Ergebnis als „gut" bezeichnen könnte. Es genügt aber nicht, zu irgendeinem Zeitpunkt organisatorische Anweisungen auszuarbeiten und zu erlassen. Organisieren ist ein ständiger Prozeß (Bleicher 1975, Sp. 2874), der die ausführenden Tätigkeiten begleitet und laufende Anpassungsmaßnahmen umfaßt. Die Überwachung liefert die Basis für diese ständig kritische Analyse des Unternehmensprozesses und damit auch für organisatorische Anpassungsmaßnahmen. Wir müssen also das „Fünf-Phasen-Schema" der Tätigkeiten ergänzen durch ein „Vier-Phasen-Schema" : 1. Ebene: Unterscheidung nach dem Steuerungscharakter der Tätigkeit Planen - Organisieren - Ausführen - Uberwachen 2. Ebene: Unterscheidung nach dem Ausführungsgegenstand der Tätigkeit Finanzieren - Beschaffen - Produzieren - Absetzen - Abrechnen Aus den unter 1) und 2) dargestellten Überlegungen können wir zwei Hauptaufgaben der Überwachung entnehmen:

1.2 Was verstehen wir unter „Prüfungen"?

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1) Verhaltensbeeinflussung: jeder in der Unternehmung Tätige4 soll durch die Kenntnis der Überwachung dazu angehalten werden, die organisatorischen Regelungen und die Planvorgaben zu beachten. Neben dieser „anregenden" Wirkung kann Überwachung natürlich auch motivationshemmende Wirkung haben. 2) Information: vorgekommene positive wie negative Abweichungen zwischen Soll und Ist sollen aufgedeckt werden als Basis für: a) Korrektur: Soweit möglich (und das ist häufig nicht der Fall) sollen Abweichungen noch korrigiert werden. b) Anpassung: Art und Umfang der aufgedeckten Abweichungen sind die Basis für die Suche nach den Ursachen der Abweichungen und für die Entscheidung, auf welche Weise künftig Abweichungen verhindert werden sollen: Änderung der angewendeten Arbeitsverfahren bei negativen Abweichungen bzw. Anpassung künftiger Pläne an positive und negative Abweichungen. Um die Gefahr von Mißverständnissen zu verringern, soll schließlich noch versucht werden, eine Definition von „Überwachung" zu geben. Ich greife dabei auf Gerstrier zurück (S. 4), der einen Uberwachungsvorgang so beschreibt: es handelt sich um „eine planmäßige Kritik ausgeführter Arbeitshandlungen irgendwelcher Art im Sinne einer vollständigen oder teilweisen Arbeitswiederholung". Diese sehr weite Definition hat Loitlsberger (Loitlsberger, Prüfungstheorie, S. 29) später präzisiert, indem er hinzufügte, daß es sich bei dieser Arbeitswiederholung um einen Vergleich zwischen einem Istund einem Sollobjekt handele, mit dem Ziel, eine Urteilsbildung über die Sollentsprechung vorzunehmen.

1.2 Was verstehen wir unter „Prüfungen"? Obwohl in der Umgangssprache kein Unterschied zwischen „Überwachung", „Prüfung", „Kontrolle" gemacht wird 5 (man könnte höchstens feststellen, daß Überwachung seltener benutzt wird), hat sich in unserer Wissenschaft jahrzehntelang ein Streit um die Begriffsinhalte abgespielt. Dieser Disput ist nur zu verstehen, wenn man bedenkt, daß nach der früher herrschenden wissenschaftstheoretischen Meinung ein wissenschaftliches 4

Man möge mir die mangelnde Präzision dieser Formulierung nachsehen. Natürlich gibt es Ausnahmen und Unterschiede in der Überwachung, so z. B. wenn man einen Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH und einen angestellten Abteilungsleiter vergleicht. Darauf kommt es hier aber nicht an. 5 „Revision" wird in Übereinstimmung mit der Literatur als gleichbedeutend mit „Prüfung" angesehen.

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1. Einführende Überlegungen

Fach durch seinen „Gegenstand", sein „Erkenntnisobjekt" gebildet wird, daß sein Wissenschaftsprogramm durch dieses Erkenntnisobjekt und die aus ihm ableitbaren Probleme abschließend umrissen wird. Je nachdem, wie die Begriffsinhalte der oben genannten Ausdrücke verstanden werden, ergibt sich also eine engere oder weitere Fassung des Fachs. Der Meinung, daß dieser Streit nicht mehr sehr fruchtbar ist,6 reicht es an dieser Stelle aus, wenn in groben Umrissen deutlich wird, welche in der Praxis vorkommenden Handlungen mit den einzelnen Begriffen gemeint sind. Ich möchte den vielen Prüfungsdefinitionen nicht eine weitere hinzufügen, sondern dem Leser ein grobes Verständnis davon verschaffen, was mit „Prüfung" gemeint ist. Dabei werden wir uns an die im Fach weitgehend akzeptierten Definitionen halten, obwohl die Abgrenzungen im einzelnen durchaus kritikwürdig sind. Man hat sich in den letzten Jahren weitgehend darauf verständigt, den Begriff „Überwachung" als Oberbegriff für „Prüfung" und „Kontrolle" zu verwenden. Unter Überwachung versteht man dann alle Maßnahmen, die das Ziel haben, ein Urteil über die Vorschrifts- und/oder Zweckmäßigkeit ausgeführter Handlungen zu bilden; ob es sich bei jeder einzelnen Uberwachungshandlung immer um einen Soll-Ist-Vergleich handeln muß wie die Literatur fast einhellig schreibt, oder ob nicht auch andere Tätigkeiten vorkommen, soll hier bewußt offen gelassen werden. Wichtig ist allein das Ziel der Urteilsbildung. „Prüfungen" und „Kontrollen" werden üblicherweise nach dem Merkmal der Prozeßabhängigkeit voneinander getrennt (vgl. v. Wysocki, Prüfungswesen, S. 5 ff.). Prüfungen wären dann Uberwachungshandlungen, die von Personen durchgeführt werden, die nicht direkt oder indirekt am Zustandekommen des betreffenden Sachverhaltes beteiligt (prozeßunabhängig) waren, z. B. die Nachprüfung von Buchungen durch einen externen Wirtschaftsprüfer oder einen der Unternehmensleitung unterstellten Mitarbeiter einer Revisionsabteilung. Von „Kontrollen" spricht man, wenn Uberwachungsmaßnahmen von Personen durchgeführt werden, die direkt oder indirekt mit der Realisierung des zu prüfenden Sachverhalts befaßt (prozeßabhängig) waren, also wenn z. B. ein Buchhalter seine eigene Arbeit kontrolliert bzw. durch einen ihm unterstellten Mitarbeiter kontrollieren läßt. Dabei wird unterstellt, daß „Prüfungen" zuverlässigere Uberwachungsergebnisse erbringen als „Kontrollen". M. E. ist diese Unterstellung viel zu pauschal, als daß man sie akzeptieren könnte. Die Qualität eines Urteils hängt von einer derartigen Vielzahl von Faktoren ab (Schwierigkeitsgrad des zu beurteilenden Objekts, Qualifikation der urteilenden Person, Gewissenhaftigkeit dieser Person, Informationsmöglichkeiten, zugestandener Zeitver6

Obwohl ich mich früher einmal an dieser Diskussion beteiligt habe; vgl. Egner, Programm.

1.3 Warum bilden wir eine „allgemeine" Prüfungslehre?

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brauch, um nur einige zu nennen), daß mir die Trennung in (tendenziell unzuverlässigere) Kontrollen und (tendenziell zuverlässigere) Prüfungen sehr fragwürdig erscheint.7

1.3 Warum bilden wir eine „allgemeine" Prüfungslehre? Die folgenden Unterpunkte dieses Kapitels werden zeigen, daß es in der Praxis eine große Zahl von Prüfungen gibt, die man zu Arten oder Gruppen zusammenfassen kann, z. B. nach dem Prüfungsziel, den Prüfungsgegenständen, der rechtlichen Regelung, den mit der Durchführung betrauten Personen usw. Trotz aller Unterschiede im einzelnen haben diese Prüfungen aber auch sehr viele Gemeinsamkeiten. Während es in der Frühzeit des Fachs üblich war, in Veröffentlichungen und Lehrveranstaltungen jeweils eine besondere Prüfungsart zu behandeln (vorwiegend die Jahresabschlußprüfung, aber auch die Kreditwürdigkeitsprüfung), wobei die Probleme des Prüfungsprozesses entweder überhaupt nicht, oder nur in bezug auf diese eine Prüfungsart behandelt wurden, hat sich später eine andere Auffassung durchgesetzt. Insbesondere seit 1950 ist im Fach die Tendenz zu beobachten, die stärker juristisch und prüfungstechnisch orientierten Aussagen der Lehrbücher zu einzelnen Prüfungsarten durch den Versuch der Ausarbeitung einer Prüfungstheorie zu ersetzen. Da es das Ziel derartiger Prüfungstheorien aber ist, in verallgemeinernder Weise in der Wirklichkeit beobachtbare Prüfungsabläufe zu erklären und die Bedingungen der Wirksamkeit von Prüfungen zu erforschen, hat sich auch in den Lehrbüchern eine Arbeitsteilung durchgesetzt. Ein weiterer Grund für diese Trennung in eine allgemeine und spezielle Prüfungslehre für die einzelnen Prüfungsarten liegt im stark angewachsenen Stoff. Die Menge der Aussagen über Prüfungsorgane (z. B. WP-Unternehmen bzw. Revisionsabteilungen) und über den Prüfungsprozeß, die unabhängig von einzelnen besonderen Prüfungsarten getroffen werden können, ist so groß geworden, daß eine Zusammenfassung dieses Stoffs in einem Band mit Aussagen über einzelne Prüfungsarten zu einem sehr unhandlichen Buch führen müßte. In Werken zur allgemeinen Prüfungslehre wird daher der Versuch unternommen, allgemeingültige Aussagen über „Prüfungen" darzustellen. Diese Bücher werden ergänzt durch Werke, die sich mit den Besonderheiten einzelner Prüfungsarten befassen, dabei aber auf allgemeine Ausführungen über Prüfungsprozesse verzichten können. 8 7 8

Eine ausführliche Kritik bietet Bretzke. Vgl. z. B. Heigl/Uecker, Munkert, Selchert (Sonderprüfungen).

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1. Einführende Überlegungen

1.4 Notwendigkeit, Aufgaben und Arten von Prüfungen Wir hatten oben (S. 17) allgemein die Aufgaben von Prüfungen als Vorbeugung, Aufdeckung, Basis für Korrekturen und für Anpassungen beschrieben. Wir wollen jetzt anhand einiger Beispiele untersuchen, warum Prüfungen in einigen Situationen notwendig sind und welches ihre Aufgaben in diesen Fällen sein können. Erst dann wollen wir überlegen, auf welche Weise man die in der Praxis vorkommenden Prüfungen zu Gruppen zusammenfassen kann.

1.4.1 Die Notwendigkeit von Prüfungen (Beispiele) Man kann die Notwendigkeit von Prüfungen allgemein als das Ergebnis der sehr weit getriebenen Arbeitsteilung darstellen, wie sie für hochentwickelte Wirtschaftssysteme charakteristisch ist. Wenn Personen Aufgaben übertragen werden (nicht nur im wirtschaftlichen, sondern im gesamten staatlichen und gesellschaftlichen Bereich), muß die übertragende Stelle die ordnungsmäßige Ausführung der Aufgabe durch eine möglichst zutreffende Berichterstattung überwachen können. Je umfangreicher und komplizierter die übertragene Tätigkeit, je ungenauer die gegebenen Ausführungsrichtlinien, desto größer wird der Ermessensspielraum des Ausführenden, desto notwendiger wird eine Überwachung seiner Arbeitsergebnisse. Da, wie oben schon erwähnt, befürchtet werden muß, daß die Überwachung durch den Ausführenden selbst oder auch durch Personen, die indirekt mit der ausführenden Tätigkeit befaßt sind, ein weniger objektives Urteil erbringt, werden Kontrollen und Berichtspflichten in zunehmendem Maße durch Prüfungen ergänzt. Es muß allerdings noch einmal betont werden, daß auch Prüfungen nicht mit absoluter Sicherheit zutreffende Urteile ergeben, wie wir oben allgemein schon dargelegt haben und wie in den Kapiteln 2 und 3 noch im einzelnen zu zeigen sein wird. Hier soll an vier Beispielen besonders wichtiger Prüfungen ihre Notwendigkeit und ihre sich aus der jeweiligen Interessenkonstellation ergebenden Aufgaben gezeigt werden. Beispiel 1: Die Jahresabschlußprüfung In vielen Unternehmen (vornehmlich den Kapitalgesellschaften) besteht eine •Arbeitsteilung zwischen Eigentümer- und Geschäftsführer-Funktion. Da die Tätigkeit der angestellten Manager (Vorstandsmitglieder von AG, Geschäftsführer von GmbH) aus verschiedenen Gründen (z. B. unterschiedliche Zielvorstellungen, mangelnde Qualifikation und/oder Gewissenhaftigkeit) den

1.4 Notwendigkeit, Aufgaben und Arten von Prüfungen

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Interessen der Eigentümer nicht entsprechen kann, muß eine Überwachung ihrer Tätigkeit vorgenommen werden. Bei einem größeren Kreis von Eigentümern können nicht alle direkt und persönlich an der Überwachung beteiligt sein. Für die AG (die früher als die typische Rechtsform für Unternehmen mit einem größeren Kreis von Eigentümern angesehen wurde) sieht daher das AktG zwei Uberwachungsinstrumente vor: den Aufsichtsrat (§§ 95-116)9, der uns hier nicht interessiert, und eine standardisierte Information der Eigentümer durch den Jahresabschluß (Bilanz und Erfolgsrechnung) und den Geschäftsbericht (§§ 148-161). Diese Information soll den Eigentümern die Ausübung ihrer Uberwachungsbefugnis ermöglichen, die sich schließlich in der „Entlastung" des Vorstands und damit der Billigung der Geschäftsführung (§ 120 AktG) niederschlägt. Da diese standardisierte Information aber von den zu Uberwachenden erarbeitet wird, mithin bewußte Fehlinformationen denkbar sind, und da überdies der an die Eigentümer auszuschüttende Gewinn auch aus den Zahlen des Jahresabschlusses hervorgeht, hielt der Reichspräsident 1931 (und die gesetzgebenden Körperschaften bei den Novellierungen des AktG 1937 und 1965) eine unabhängige Überwachung des Vorgangs der Rechnungslegung für notwendig. Die Pflicht zur Durchführung einer Prüfung des Jahresabschlusses für AG wurde eingeführt.10 Die Aufgabenstellung der Einrichtung „Jahresabschlußprüfung" in dieser Situation ist in § 162 AktG festgelegt: Uberprüfung, ob der Jahresabschluß und Geschäftsbericht „ordnungsgemäß" aufgestellt sind in dem Sinne, daß die Vorschriften des AktG, der Satzung der Gesellschaft und ergänzend die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung beachtet wurden.11 Beispiel 2: Die Kreditwürdigkeitsprüfung In unserem Wirtschaftssystem hat sich eine Arbeitsteilung zwischen Kapital(Geld-)Sammler-Institutionen (Banken) und den Geldanlegern (Investoren, hier vor allem Privatpersonen und Unternehmen) herausgebildet: Banken stellen den Investoren Kredite zur Verfügung. In derartigen Fällen muß geprüft werden, ob die vorgetragene Selbsteinschätzung des Investors, er könne den Kredit mit großer Wahrscheinlichkeit zurückzahlen, realistisch ist. Zur Beurteilung dieser Wahrscheinlichkeit hat man im Laufe der Zeit eine Reihe von Maßgrößen erarbeitet, die mit den drei Schlagworten „VermöDas Durcharbeiten dieses Texts wird durch die Verwendung des Texts des Aktiengesetzes sehr erleichtert. 10 Natürlich ergibt sich dadurch auch eine sicherere Information anderer Gruppen, wie z. B. der Gläubiger, der Arbeitnehmer. 11 Auf die Diskussion um eine Ausweitung der Prüfungsaufgabe in Richtung der Beurteilung der Qualität der Geschäftsführung kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. dazu Sieben/Bretzke, Raulwing. 9

22

1. Einführende Überlegungen

genslage, Ertragslage, Liquiditätslage" umschrieben werden können. Aufgabe der Kreditwürdigkeitsprüfung ist also festzustellen, ob die vom Kreditinstitut vorgegebenen Mindestwerte der einzelnen Maßgrößen durch die kreditsuchende Unternehmung über- oder unterboten werden. Beispiel 3: Die steuerliche Außenprüfung In unserem Staat besteht eine Arbeitsteilung auf dem Gebiet der Besteuerung. Der Steuerpflichtige nimmt die Steuererklärung selbst vor (z. B. Einkommensteuererklärung, Antrag auf Lohnsteuerjahresausgleich), d. h. er liefert alle für die Steuerveranlagung notwendigen Informationen. Auf dieser Basis erfolgt dann die Berechnung des geschuldeten Steuerbetrages durch die Finanzverwaltung. Da Steuerpflichtige der Versuchung erliegen könnten, durch Lieferung falscher Informationen Steuern zu „sparen", muß die Richtigkeit der Angaben in den Steuererklärungen überprüft werden: es wird eine steuerliche Außenprüfung vorgenommen. Aufgabe der Außenprüfung (§§ 193-203 Abgabenordnung 1977, früher als steuerliche Betriebsprüfung bezeichnet) ist es, alle tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen, die für die Steuerpflicht und die Bemessung des Steuerbetrages von Belang sind, zu überprüfen. Dabei sollen sowohl Tatsachen und Umstände, die zugunsten des Steuerpflichtigen, als auch solche, die zugunsten des Fiskus sprechen, berücksichtigt werden. Beispiel 4: Die Interne Revision Innerhalb der Unternehmen hat sich ebenfalls eine Arbeitsteilung herausgebildet: einzelne Aufgaben wurden organisatorisch verselbständigten Einheiten übertragen. Die so gebildeten Stellen und Abteilungen (in Konzernen die rechtlich selbständigen Tochtergesellschaften) haben im Rahmen von Richtlinien, die von der Unternehmens- bzw. Konzernleitung ausgearbeitet werden müssen, eine gewisse Selbständigkeit. Es muß also überwacht werden, ob die organisatorischen Einheiten diese Richtlinien befolgen, ob die von den einzelnen Stellen an die Unternehmensleitung übermittelten Berichte korrekt sind; außerdem, ob die Richtlinien und Anweisungen sinnvoll und brauchbar sind: es werden aus internen Uberwachungsgründen Prüfungen veranstaltet. Aufgabe der internen Revision ist es daher, die Unternehmensleitung mit Prüfungsberichten über die Effizienz und Ordnungsmäßigkeit der Arbeit der einzelnen Abteilungen (bzw. Tochtergesellschaften) zu versorgen und sicherzustellen, daß die im Unternehmen ausgetauschten Informationen zutreffend sind.

1.4 Notwendigkeit, Aufgaben und Arten von Prüfungen

23

1.4.2 Arten von Prüfungen Je nach dem Verwendungszweck der angestrebten Systematik, kann man in der Praxis beobachtbare Prüfungen nach einer großen Zahl von Gesichtspunkten systematisieren. Bei einer einfacheren Systematik wird dann jeweils nur einer der Gesichtspunkte verwendet, aber es ist natürlich auch denkbar, daß mehrere Gesichtspunkte kombiniert werden. Die wichtigsten Merkmale sind die folgenden: 1) Einteilung nach der rechtlichen Grundlage (vgl. v. Wysocki, Prüfungswesen, S. 34 ff.) in: - gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen (z. B. Jahresabschlußprüfung bei AG), - gesetzlich vorgesehene Prüfungen (z. B. die Sonderprüfung von Vorgängen der Geschäftsführung nach § 142 AktG), - vertraglich vereinbarte Prüfungen (z. B. gesellschaftsvertraglich vereinbarte freiwillige Jahresabschlußprüfung einer GmbH), - aus internen Gründen veranlaßte Prüfungen (interne Revision). 2) Einteilung nach dem zeitlichen Rhythmus in: - periodische Prüfungen (in der Regel jährlich, es kommen aber auch kürzere bzw. längere Fristen vor), - aperiodisch stattfindende Prüfungen (solche, die nur auf Antrag bestimmter Betroffener durchgeführt werden oder solche, die an das Eintreten bestimmter Vorgänge geknüpft sind). 3) Einteilung nach der Betriebszugehörigkeit der Prüfer - externe Prüfungen (durch Außenstehende vorgenommen), - interne Prüfungen (durch Unternehmensangehörige vorgenommen). 4) Einteilung nach dem Ziel der Prüfung (Art des gewünschten Urteils) - Ordnungsmäßigkeitsprüfungen (Ubereinstimmung der Prüfungsobjekte mit gesetzlichen oder anderen Vorschriften), - Zweckmäßigkeitsprüfungen (auch Effizienz-, Situations-, Geschäftsführungsprüfungen genannt). Prüfungsziel ist hier die Erfüllung vorgegebener Optimalitätskriterien. Die folgende Ubersicht bringt nur die wichtigsten der in der Praxis vorkommenden Prüfungen.12 Dabei ist neben den eben genannten Einteilungsmerkmalen 1 und 2 bei den gesetzlich vorgeschriebenen periodischen Prüfungen als weiteres Merkmal noch der die Prüfungspflicht auslösende Tatbestand verwendet worden. Wir wollen noch eine weitere, prüfungstechnisch bedingte Unterscheidung von Prüfungen vornehmen. Wir werden später zeigen, daß Prüfer bei der 12 Eine sehr viel umfangreichere Übersicht findet sich bei v. Wysocki, Prüfungswesen, S. 94-108

24

1. Einführende Überlegungen

Prüfung von Abrechnungen (wie z. B. Jahresabschlüssen) und Unternehmensbereichen (wie z. B. dem Bestellwesen) weitgehende Freiheit bei der Entscheidung haben, ob sie ihren Prüfungsgegenstand - als die Summe der in einer Periode abgelaufenen Vorfälle beschreiben (wenn sie dies tun, spricht man von Einzelfallprüfung); - als die Gesamtheit der Regelungen und Verfahrensweisen begreifen, nach denen im geprüften Bereich einzelne Vorfälle bearbeitet werden (in diesem Fall spricht man von Systemprüfung). Die Bedingungen, unter denen sich Prüfer für die eine oder andere Verfahrensweise (oder eine Kombination davon) entscheiden, werden erst später im Abschnitt 2423 (S. 108) behandelt. Kombinieren wir dieses Merkmal „Prüfungsverfahren" mit dem eben genannten Merkmal „Ziel des Prüfungsurteils", erhalten wir die folgende Matrix: Prüfungsverfahren Einzelfallprüfung

Systemprüfung

Ordnungsmäßigkeitsprüfung

vorwiegend

hilfsweise

Zweckmäßigkeitsprüfung

hilfsweise

vorwiegend

Sie erlaubt es uns, die in der Praxis vorkommenden häufigsten Prüfungen anschaulich einzuordnen: - Ordnungsmäßigkeitsprüfungen bedienen sich vorwiegend des Verfahrens der Einzelfallprüfung. Eine Systemprüfung wird lediglich in geringerem Umfang zum Zweck der Gewinnung von Vorinformationen vor der eigentlichen Einzelfallprüfung durchgeführt. - Bei Zweckmäßigkeitsprüfungen bedient man sich vorwiegend des Verfahrens der Systemprüfung. Einzelfälle werden lediglich zur Absicherung der Ergebnisse nach der Systemprüfung geprüft. Übersicht über wichtige in der Praxis vorzufindende Art und Bezeichnung der Prüfung

Rechtsgrundläge §§

Prüfungen Gegenstand und Ziel

1) Gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen a) periodische Prüfungen an der Rechtsform der Unternehmung anknüpfende - Jahresabschlußprüfung der A G

162 ff. A k t G

Prüfer

Prüfungen

Übereinstimmung des J A mit Gesetz und Satzung

W P oder WPG

1.4 Notwendigkeit, Aufgaben und Arten von Prüfungen

Art und Bezeichnung der Prüfung

Rechtsgrundlage §s

Gegenstand und Ziel

53 ff. GenG

Ubereinstimmung des JA mit Gesetz und Satzung, Ordnungsmäßigk. der Geschäftsführung - geplant: JahresabschlußUbereinstimmung des JA 138 ff. RegE mit Gesetz und Satzung prüfung der GmbH GmbHG an Rechtsform und Tatbestand der Verbundenheit anknüpfende Prüfungen - Konzernabschlußprü336 AktG Übereinstimmung des KA mit Gesetz, Ubereinstimfung bei Obergesell28(1) mung der einbezogenen schaft als AG, GmbH EGAktG usw. JA mit GoB Ubereinstimmung des - Teilkonzern-Abschluß330 und 336 TKA mit Gesetz, Überprüfung bei ObergesellAktG 28(2) schaft des Teilkonzerns einstimmung der einbezoEGAktG genen JA mit GoB als AG, GmbH usw. - Abhängigkeitsbericht 313 f. AktG Richtigkeit des Berichts und Vornahme des Nachbei Untergesellschaft als teilsausgleichs AG an Unternehmensgröße anknüpfende Prüfungen 6 PublG Übereinstimmung des JA - Jahresabschlußprüfung von Großunternehmen mit GoB - Konzernabschlußprü14 PublG Übereinstimmung des KA und der einbezogenen JA fung bei Obergesellschaft Großunternehmen mit GoB - Teilkonzern-Abschluß14 PublG Übereinstimmung des prüfung bei ObergesellTKA und der einbezogeschaft des Teilkonzerns nen JA mit GoB Großunternehmen an Zugehörigkeit zu einer Branche anknüpfende Prüfungen Kreditinstitute 27 f. KWG Ubereinstimmung des JA mit AktG, KWG, außer eGmbH GmbHG - Kreditinstitute als 27KWG Übereinstimmung des JA eGmbH 53 GenG mit GenG und KWG - Jahresabschlußprüfung der GmbH

Versicherungsunternehmen und Bausparkassen gemeinnützige Wohnungsunternehmen Kapitalanlagegesellschaften

57 f. VAG 26 WGG

25 KapAnlGG

Übereinstimmung des JA mit GoB und VAG Übereinstimmung des JA mit GoB und WGG Einhaltung der Vorschriften des Gesetzes

25

Prüfer

genossenschaftlicher Prüfungsverband noch ungeklärt

WP oder WPG

WP oder WPG

WP oder WPG

WP oder WPG WP oder WPG WP oder WPG

WP oder WPG genossenschaftl. Prüfungsverband WP oder WPG genossenschaftl. Prüfungsverband

26

1. Einführende Überlegungen

Art und Bezeichnung der Prüfung

Rechtsgrundlage §§

Gegenstand und Ziel

an bestimmten Eigentumsverhältnissen anknüpfende Prüfungen 1 ff. NotVO Feststellung der wirt- JAP bei Betrieben der vom 6. 10. 31 schaftlichen Verhältnisse öffentlichen Hand

b) aperiodische Prüfungen bei Aktiengesellschaft en Einhaltung der §§ 33, 34 - Gründungsprüfung, 33,52 AktG AktG auch bei Umwandlung in AG 33, 52 und 342 Einhaltung der genannten - Fusionsprüfung (Bilanz der aufnehmenden GeAktG SS sellschaft) Übereinstimmung mit - Fusionsprüfung der un345 AktG Gesetz und Satzung tergehenden Gesellschaft Ubereinstimmung des JA 209 AktG - Prüfung der Zwischenmit Gesetz und Satzung bilanz bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln 2) a) -

Gesetzlich vorgesehene Prüfungen Prüfungsrechte von Eigentümern BGB-Gesellschaft 716 BGB OHG 118 HGB

Unterrichtung Unterrichtung

- KG

166 HGB

Unterrichtung

- stille Gesellschaft

338 HGB

Unterrichtung

- GmbH

46 GmbHG

- Sonderprüfungen bei AG

142 ff. AktG

- Sonderprüfung bei AG

258 ff. AktG

- Sonderprüfung bei AG

315 AktG

Überwachung der Geschäftsführung Prüfung von Vorgängen bei Gründung, Geschäftsführung, Kapitalveränderungen Unterrichtung über Unterbewertung und fehlende Angaben im Geschäftsbericht Unterrichtung über Abhängigkeitsverhältnisse

Prüfer

WP oder WPG oder offend. Prüfungsstelle

Buchhaltungssachverständiger wie oben

WP oder WPG WP oder WPG

Gesellsch. Gesellsch. o. Vertreter Kommanditist o. Vertreter stiller Ges. o. Vertreter Gesell. o. Vertreter Buchhaltungssachverständiger WP oder WPG

Buchhaltungssachverständige

27

1.4 Notwendigkeit, Aufgaben und Arten von Prüfungen Art und Bezeichnung der Prüfung

Rechtsgrundlage §§

b) Prüfungsrechte der öffentlichen Hand allgemeines Prüfungsrecht - allgemeine Auskünfte VO über Ausund Prüfungen kunftspflicht v. 13. 7. 23 Prüfungsrechte der Finanzverwaltung - allgemeines Uberwa201 AO chungsrecht - ordentliche Betriebsprü162 AO fung - Prüfung im Festset204,205 AO zungs- und Ermitt204,205 AO lungsverfahren - Prüfung im Beitrei325 AO bungs-, Stundungs- und Erlaßverfahren - Prüfung im Steuerstraf440 AO verfahren Prüfungsrechte sonstiger staatlicher Stellen allgemeines Überwa46 Karteiiges. chungsrecht der Kartellbehörden - Preisprüfung bei öffentl. § 9 VO PR Aufträgen und § 10 VPÖA - allgemeines Einsichts810 BGB, und Prüfungsrecht der 45-47 HGB, Gerichte 415,421,422 ZPO, 94,110 StPO 3) Vertraglich vereinbarte Prüfungen - Prüfungsrechte von EiGesellschaftsgentümern, die über das vertrag ges. Minimun hinausgehen (evtl. freiwillige JAP) - Prüfungsrechte für LieVertrag feranten - Prüfungsrechte für Vertrag Abnehmer - Prüfungsrechte für KreVertrag ditgeber

Gegenstand und Ziel

Prüfer

allgemeine Auskünfte

staatl. Behörden

Überwachung der Steuerund Zollzahlungen wie oben

Betriebsprüfer

Ermittlung von Bemessungsgrundlagen

wie oben

Überwachung der Zahlungen

wie oben

Sicherung von Beweismitteln

wie oben

Durchführung der Vorschr. des KartellG

behördl. Prüfer

Überwachung der Preisstellung

behördl. Prüfer

Beschaffung und Prüfung v. Beweismaterial

Gerichte bzw. Sachverständige

Überwachung der Geschäftsführung

nach Vertrag

Überwachung der Abnehmer Überwachung der Lieferfähigkeit Prüfung der Kreditwürdigkeit

nach Vertrag

wie oben

nach Vertrag nach Vertrag

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1. Einführende Überlegungen

Art und Bezeichnung der Prüfung

Rechtsgrundläge §§

4) Aus internen Gründen veranlaßte - Prüfung aller Geschäftsbereiche auf Ordnungsmäßigkeit und Effizienz

Gegenstand und Ziel

Prüfer

Uberwachung

externer oder interner Prüfer

Aufdeckung

externer oder interner Prüfer

Prüfungen

JA = Jahresabschluß; KA = Konzernabschluß; TKA = Teilkonzernabschluß; WP = Wirtschaftsprüfer; WPG = Wirtschaftsprüfergesellschaft.

Kontrollfragen: 1) Warum ist die Überwachung eine sehr wesentliche Funktion der Unternehmensleitung? 2) Welche Aufgaben der Überwachung können wir unterscheiden? 3) Welche Beziehungen haben nach der im Fach üblichen Sprechweise die Begriffe „Prüfung", „Kontrolle", „Überwachung"? 4) Warum wird im Fach häufig eine Trennung zwischen allgemeiner Prüfungslehre und speziellen Prüfungslehren vorgenommen? 5) Erläutern Sie Notwendigkeit und Aufgabenstellung von zwei wichtigen Prüfungen. 6) Nennen Sie einige der Merkmale, nach denen man Prüfungen zu Gruppen zusammenfassen kann.

2. Der Prüfungsprozeß

Wir hatten eben (Kapitel 1.2) die Prüfung als eine Veranstaltung bezeichnet, bei der ein Urteil abgegeben wird. Wir müssen nun fragen, auf welche Weise ein Prüfer in den Stand versetzt wird, ein Urteil (dessen Form und/oder Aussage ihm im Prüfungsauftrag beschrieben wird) über einen Prüfungsgegenstand (der im Prüfungsauftrag ebenfalls mehr oder weniger exakt beschrieben wird) abgeben zu können.

2.1 Urteil und Urteilsbildung Lemziele Dieser Abschnitt soll dem Leser zeigen, - welche Elemente ein Urteil in sprachlicher Hinsicht beschreiben und von anderen Sätzen unterscheiden, - welche logischen Vorgänge einem Urteil zugrunde liegen, - daß nicht alle Prüfungsurteile nach diesem logischen Muster erarbeitet wurden, - wieviele Vorentscheidungen und vorbereitenden Handlungen bei betriebswirtschaftlichen Prüfungen notwendig sind, bevor ein Prüfer Urteile abgeben kann, - auf welche Weise sich Prüfer die subjektive Uberzeugung von der Richtigkeit der im Urteil behaupteten Eigenschaften der Prüfungsobjekte verschaffen, - wie das im weiteren Text verwendete Grundmodell des Prüfungsvorganges aussieht.

2.1.1 Die logische Struktur eines Urteils Prüfungsurteile kommen in der Praxis in sehr vielen Formen vor. Das reicht von der lapidaren Kurzformel „der Jahresabschluß und der Geschäftsbericht entsprechend Gesetz und Satzung" (vgl. § 167 AktG) bis zu umfangreichen Berichten, in denen z. B. das Verfahren der Lohnabrechnung einer Unternehmung mit seinen vielen einzelnen Arbeitsvorgängen als zweckmäßig bzw. unzweckmäßig bezeichnet wird. Neben diesen zusammenfassenden Endurteilen müssen Prüfer, - wie wir sehen werden - außer einer Vielzahl von Entscheidungen über den Ablauf der Prüfung eine sehr große Zahl von Einzelurteilen über einzelne Sachverhalte des zu prüfenden Gebiets abgeben. Diese Urteile scheinen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich zu sein. Was haben z. B. die folgenden Urteile gemeinsam?

30

2. Der Prüfungsprozeß

- „diese Buchung ist korrekt" - „die Bewertung der Rohstoffe entspricht nicht den Erfordernissen des § 155 Abs. 2 AktG" - „das Verfahren der Ausstellung von Schecks gewährleistet weitgehende Sicherheit gegen Unterschlagungen". Alle diese Urteile lassen sich jedoch auf eine logische Grundstruktur, ein gemeinsames Muster zurückführen. Ein Urteil besteht aus drei Bestandteilen: - dem Subjekt oder Urteilsgegenstand, auf den sich die Urteilsaussage bezieht, - dem Prädikat, also einer Eigenschaft, die dem zu beurteilenden Gegenstand zugeschrieben wird, - der Kopula, also einer Verbindungsformel, mit der Subjekt und Prädikat verbunden werden; „ist", „entspricht", „stimmt nicht überein" wären einige Beispiele. Die Kopula in einem Urteil muß eine Behauptung enthalten, darf also nicht etwa als Frage formuliert sein. Das wird unmittelbar deutlich, wenn man die Elemente des Urteils „diese Buchung ist richtig" in eine andere Form kleidet: „Ist diese Buchung richtig?" Während die logische Elementarlehre sich nur mit der Schlußweise eines Urteils befaßt und den Prozeß, der zum Entstehen eines Urteils führt, aus ihrer Betrachtung ausklammert, ist es für uns gerade dieser Prozeß, der erklärt werden muß. Die genannten drei Elemente eines Urteils bieten aber Ansatzpunkte, um den Ablauf von Prüfungsprozessen zu erklären. Es muß zunächst vom Auftraggeber1 der Prüfung ein Urteilsgegenstand benannt werden, über den ein Urteil abgegeben wird. Je nach konkreten Umständen ist dieser Gegenstand einfacherer oder komplizierterer Natur, ist genau abgegrenzt oder nur vage umschrieben. Es muß weiter eine Eigenschaft (oder ein Katalog von Eigenschaften) beschrieben sein, die der Urteilsgegenstand aufweisen soll. Der Prüfer hat dann die Aufgabe festzustellen, ob der Urteils- (Prüfungs-)gegenstand diese Eigenschaften) aufweist oder nicht, bzw. in stärkerem oder geringerem Ausmaß aufweist. Ein Urteil ist nicht losgelöst von einer Person bzw. einer Gruppe von Personen denkbar. „Urteile als die gedankliche Abbildung von Sachverhalten existieren nur im menschlichen Bewußtsein, die in Urteilen ausgedrückte Erkenntnis ist das Ergebnis psychischer Prozesse."2 1 Es gibt Prüfungen, bei denen es schwerfällt, „den Auftraggeber" zu bestimmen. Das gilt für alle gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen, bei denen meist die Leitung der geprüften Unternehmen dem W P den Auftrag erteilt, dies allerdings aufgrund eines „Auftrags" tun muß, den ihr der Gesetzgeber durch eine Rechtsvorschrift erteilt hat, wie z. B. bei der Jahresabschlußprüfung der A G nach § 163 Abs. 1 AktG. 2 Vgl. Hagest, Logik, S. 16.

2.1 Urteil und Urteilsbildung

31

Wie kommt aber nun der Urteilende zu der Uberzeugung, daß die im Prüfungsurteil abgegebene Beschreibung des Prüfungsgegenstandes richtig, wahr sei? Von der Richtigkeit des Urteils wird der urteilende Prüfer dann überzeugt sein, wenn er Gründe gefunden hat, die die Wahrheit der Urteilsaussage stützen. Während z. B. bei dem Urteil „dieses Glas ist zerbrochen" die Gründe für die Behauptung leicht einsehbar und für jedermann durch Beobachtung nachvollziehbar sind, entstehen bei komplexen Urteilsgegenständen, wie wir sie bei betriebswirtschaftlichen Prüfungen regelmäßig vorfinden, komplizierte Probleme der Erarbeitung des Urteils. Immer dann, wenn der Prüfungsgegenstand nicht eindeutig umschrieben ist, d. h. der Prüfer eine Abgrenzung und Auswahl der Prüfungsobjekte vornehmen muß, wenn die Prüfungsdurchführung nicht eindeutig festgelegt ist, nicht alle vorhandenen Prüfungsobjekte, sondern nur Stichproben geprüft werden, immer wenn der Sollzustand eines Prüfungsobjekts nicht ganz eindeutig definiert ist, entsteht für Prüfer ein erheblicher Ermessensspielraum. Hinzu kommt, daß häufig das Prüfungsurteil nicht in der einfachen Skala „ordnungsgemäß - nicht ordnungsgemäß" ausgedrückt wird, sondern daß feiner nuancierte Skalen zum Ausdruck des Prüfungsurteils verwendet werden. Durch diese vielen Wahlmöglichkeiten und notwendigen Entscheidungen fließen so viele subjektive Einflüsse in den Prozeß der Überzeugungsbildung ein, daß es aussichtslos erscheint, sie in einem einfachen Modell einzufangen. Sucht man trotzdem nach einem derartigen Modell, so bietet sich das aus der Logik bekannte Verfahren der Wahrscheinlichkeitsschlüsse an. Ein Schluß besteht darin, daß ein Urteil als Schlußsatz aus Vordersätzen oder Prämissen hergeleitet wird. Im Fall der Wirtschaftsprüfung haben wir es dabei mit sogenannten mittelbaren Schlüssen zu tun, d. h. Schlüssen, die aus mehreren Prämissen abgeleitet sind. Ein mittelbarer Schluß weist mindestens zwei Prämissen auf: Den allgemeinen oder »Obersatz« (Majorprämisse) und einen „Untersatz" (Minorprämisse). Als Obersätze kommen Theorien, Erfahrungssätze, theoretische Annahmen infrage, als Untersätze wären die im Verlauf der Prüfung erarbeiteten Informationen zu nennen. Der Schluß oder die Konklusion wären dann im vorliegenden Fall das vertretene Prüfungsurteil, so daß wir das Schema eines derartigen Schlusses folgendermaßen aufschreiben können: Majorprämisse (Gesetze, Erfahrungssätze, theoretische Annahmen) Minorprämisse (Prüfungsinformationen) (r) Konklusion (vertretenes Urteil) 3

3 Vgl. Hagest, Logik, S. 67. Einen ähnlichen Ansatz vertritt auch Yoshihide Toba, hier S. 17-22. Vgl. auch die Stellungnahme dazu von John N. Kissinger.

32

2. Der Prüfungsprozeß

In dieser Darstellung soll die Trennungslinie den Schlußvorgang andeuten, der Buchstabe r den erreichten Uberzeugungsgrad ausdrücken, d. h. die vom Urteilenden empfundene Gewißheit, daß der Schluß zutreffend ist. Beispiel:

Obersatz: Untersatz: (r) Schluß:

Das Fehlen eines Kassenbuchs führt in aller Regel zu Fehlbeständen Im geprüften Bereich wird kein Kassenbuch geführt In dem zu prüfenden Bereich des Kassenverkehrs sind vermutlich Fehler enthalten

Nun wäre es sicherlich nicht realistisch zu glauben, daß man mit diesem relativ einfachen Modell (oder einem anderen einfachen Modell, etwa dem sog. Soll-Ist-Vergleich) die gesamte Wirklichkeit von Prüfungen einfangen und darstellen könne. In der Realität ist eine Prüfung ein sehr komplexer Vorgang, auf dessen Verlauf viele Personen (nicht nur die Prüfer) Einfluß nehmen und in dessen Verlauf viele tausende von Einzelvorgängen aufgerollt und überprüft werden, und der dann mit einem mehr oder weniger differenzierten Prüfungsurteil abgeschlossen wird. Neben Urteilsvorgängen nach dem obigen Muster läuft eine Vielzahl psychischer und mentaler Vorgänge ab, wird eine Vielzahl von vorbereitenden Entscheidungen gefällt. Das Modell wird, - wie wir sehen werden - , sehr viel komplizierter ausfallen. Urteile sind aber ein ganz wesentlicher Baustein dieses Modells. Die Schlußfolgerungen von Prüfern brauchen überdies nicht immer genau nach dem Modell der logischen Schlußlehre ablaufen: „Die Vorgänge des Schließens in der Realität sind ungleich komplizierter, die einzelnen Denkoperationen gehen ineinander über, kreuzen sich, oder brechen halbfertig ab, um in diesem rohen Zustand eine neue Wendung zu nehmen oder als Unterlage weiterer Schlüsse verwendet zu werden." 4 So können wir z. B. nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß sog. „Gefälligkeitstestate" vorkommen, also Fälle, in denen ein Prüfer ein Urteil abgibt, ohne den beurteilten Stoff näher zu kennen. Wichtig ist, darauf hinzuweisen, daß ein Urteil, das nicht nach diesem logischen Schlußverfahren erarbeitet wurde, trotzdem als „Prüfungsurteil" behandelt wird, da es ja in seiner sprachlichen Ausdrucksform ein Urteil beinhaltet. Es mag sein, daß derartige Urteile aus der Sicht der Urteilsverwender nicht wünschenswert sind und daß sie nicht „ordnungsgemäß" zustande gekommen sind, aber das kann der Außenstehende ja nur selten nachprüfen, und das ändert nichts an ihrer Einstufung als „Prüfungsurteil". Trotz dieser Einschränkung glaube ich, daß dieses Schlußmodell einen 4

Wittmann, Waldemar, S. 123.

2.1 Urteil und Urteilsbildung

33

Beitrag zur Erklärung prüferischen Verhaltens in der Realität liefern kann, jedenfalls einen informativeren Beitrag als das Modell des Soll-Ist-Vergleichs.5

2.1.2 Das Urteil als Ergebnis einer Uberzeugungsbildung Gehen wir, um den Uberzeugungsbildungsprozeß anschaulich zu machen, zunächst von einem sehr einfachen, nichtwirtschaftlichen Beispiel aus: Ein in eine Metallplatte gebohrtes Loch soll hinsichtlich seiner Abmessungen auf Normentsprechung überprüft werden. In diesem einfachen Fall sind die folgenden Probleme gelöst oder einfach zu lösen: - Identifizierung des Prüfungsobjektes, - Bestimmung der an der Prüfung beteiligten Personen, - Festlegung der für das Prüfungsobjekt geltenden Normen (Durchmesser und Tiefe der Bohrung), - Angabe eines Prüfungsverfahrens (Prüfung durch Einführen eines der Sollbohrung entsprechenden Metallstifts) - Bezeichnung der Art des gewünschten Prüfungsurteils (Durchmesser: zu klein, zu groß, korrekt; Tiefe: zu gering, zu groß, korrekt). Bei Vorliegen dieser Situation wird die Prüfung des einzelnen Prüfungsobjekts bzw. auch eines größeren Loses dieser Prüfungsobjekte zu einer fast mechanischen, programmierbaren Angelegenheit. Ohne großes Nachdenken, ebenfalls ohne ersichtliche Einflüsse seitens des Prüfers bzw. seitens der Umwelt des Prüfers kann er sein Prüfungsurteil „paßt" - „zu klein" - „zu groß" fällen. Betriebswirtschaftliche Prüfungen hingegen sind ungleich komplizierter: - Der Prüfungsgegenstand ist in aller Regel im Prüfungsauftrag nur unvollkommen umschrieben. Die genaue Abgrenzung des Kreises der Prüfungsobjekte und die Nennung der Merkmale, an denen sie beurteilt werden, damit natürlich auch der Gegenstandsbereich des schließlich gefällten Urteils, gehört zur Arbeit der Prüfungsdurchführung. - Die Personen, die die Prüfung durchführen sollen, müssen bestimmt werden. Das umfaßt sowohl den Vorgang der Bildung eines Prüferteams als auch die Zuordnung der einzelnen Teilaufgaben nach der Qualifikation zu einzelnen Mitgliedern des Teams. - Die Vorschriften, die die Prüfungsdurchführung regeln, sind in aller Regel 5

Das im übrigen auch in meiner Darstellung, allerdings an untergeordneter Stelle, verwendet

wird; vgl. Kapitel 2.4.3, S. 174.

34

2. Der Prüfungsprozeß

im Prüfungsauftrag entweder überhaupt nicht oder nur sehr pauschal benannt. O b ein Prüfer nun alle im zu prüfenden Bereich überhaupt vorhandenen Prüfungsobjekte einer Uberprüfung unterzieht oder eine Auswahl daraus trifft und wie er das macht, das sind Entscheidungen, die von Prüfern im Laufe der Prüfung getroffen werden müssen. - Die Regeln (oder Vorschriften), wie die zu prüfenden Gegenstände beschaffen sein sollen, sind häufig sehr unvollständig und sehr unpräzise formuliert. Beispiele für solche Vorschriften: Eine Bilanz einer Aktiengesellschaft soll hinsichtlich ihrer Gliederung den Vorschriften des § 151 AktG, hinsichtlich der Bewertung der einzelnen Bilanzpositionen den Vorschriften der §§ 153-156 AktG genügen. Die Interpretation derartiger Vorschriften, d. h. die Festlegung der Eigenschaften oder Merkmale, die die zu prüfenden Objekte aufweisen sollen, ist eine der Hauptarbeiten im Verlauf von Prüfungen. 6 - Auch die Form und der Aussagegehalt des zusammenfassenden Prüfungsurteils sind häufig im Prüfungsauftrag nicht präzise vorgegeben. Zwar gibt es Prüfungen, z. B. die aktienrechtliche Jahresabschlußprüfung, bei der die Aussage des gewünschten Prüfungsurteils sich aus den §§ 162 und 167 AktG relativ klar umschreiben läßt. Daneben findet sich aber in der Praxis die Vielzahl von intern durchgeführten Prüfungen, die sehr häufig auf die Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Arbeitsweise einzelner betrieblicher Teilbereiche gerichtet sind, bei denen differenziertere Prüfungsurteile gefordert sind und daher die relativ einfache Skala „ordnungsgemäß - nicht ordnungsgemäß" nicht anwendbar ist. Diese Beispiele zeigen, daß betriebswirtschaftliche Prüfungen außerordentlich komplizierte Vorgänge sind, bei denen Prüfer sehr viele Vorentscheidungen fällen müssen, bevor sie überhaupt Prüfungsurteile abgeben können. Bei der Darstellung des Uberzeugungsbildungsvorgangs wollen wir mit der Verwendung des vom Prüfer gefällten Prüfungsurteils beginnen. Der Prüfer weiß, daß sich der Urteilsempfänger der Prüfung auf das Urteil verlassen können will und muß; um ein verläßliches Urteil über einen wirtschaftlichen Tatbestand zu erhalten, wurde die Prüfung schließlich veranlaßt.7 Diese Kenntnis der Notwendigkeit eines inhaltlich richtigen und verläßlichen Prüfungsurteils allein braucht den Prüfer aber noch nicht dahin zu bringen, sich mit der Prüfungsaufgabe voll zu identifizieren, d. h. nach besten Kräften dahin zu streben, eine Urteilsaussage mit einem (unter den sonst gegebenen Umständen) möglichst hohen (subjektiven) Uberzeugungsgrad zu erarbeiten. Um das Maß an Identifikation des Prüfers mit der Prüfungsaufgabe zu

6 7

Allein für die Kommentierung zum § 151 AktG benötigen Adler/Düring/Schmaltz 114 Seiten. Vgl. Richter, Martin, Veranlassung, S. 717.

2.1 Urteil und Urteilsbildung

35

erhöhen, haben Prüfungsauftraggeber zwei Möglichkeiten, die auch in der Praxis beide verwendet werden: 8 - sie können Gratifikationen (Belohnungen) bei erfolgreicher Prüfungsdurchführung in Aussicht stellen, - sie können Sanktionen (Strafen) bei nicht erfolgreicher Prüfungsdurchführung androhen.9 Uber die Bedingungen, unter denen durch Gratifikationen bzw. Sanktionen eine Identifikation erreicht werden kann, soll jetzt noch nicht gesprochen werden. Wir nehmen zunächst an, der Prüfer strebe nach einem möglichst verläßlichen Urteil über die zu prüfenden Sachverhalte, um Gratifikationen zu erreichen und um Sanktionen zu vermeiden. Für den Prüfer stellt sich dann das Problem, daß er über einen Sachverhalt, von dem er - je nach Vorwissen -nichts oder nur sehr wenig weiß, ein Prüfungsurteil hinsichtlich bestimmter, im Prüfungsauftrag genannter Eigenschaften abgeben muß, von dem er (subjektiv) überzeugt ist, daß es zutreffend ist. Im Beispiel einer Jahresabschlußprüfung heißt das ein Urteil darüber abzugeben, ob Buchführung, Bilanz und Erfolgsrechnung und Geschäftsbericht einer dem Prüfer zunächst unbekannten Aktiengesellschaft (bestehend aus mehreren Hunderttausend bis mehreren Millionen Einzelvorgängen) den Vorschriften des AktG und ergänzender Gesetze, den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB), der Satzung der Gesellschaft entsprechen. Unsere Hypothese (bislang unbewiesene Annahme) ist, daß der Prüfer sein Urteil in drei Schritten erarbeitet: - er bildet eine Urteilshypothese bzw. ein System von Urteilshypothesen (Schritt 1), - er sucht nach zweckdienlichen Informationen, um seine vorläufige Uberzeugung über die Richtigkeit der Hypothese zu stützen oder zu widerlegen und verarbeitet gleichzeitig die Ergebnisse dieser Informationssuche (Schritt 2), - er bricht den Informations-Suchvorgang ab und spricht die (gestützte) Hypothese als Prüfungsurteil aus, wenn sein Uberzeugungsgrad einen gewissen Schwellenwert erreicht hat (Schritt 3).

8 Die Möglichkeit, prüferisches Verhalten durch möglichst genaue Vorschriften über die Prüfung zu steuern, soll hier noch nicht behandelt werden, insbesondere, weil der Prüfer bei mangelnder Identifikation viele Möglichkeiten hat, sich über derartige Vorschriften hinwegzusetzen. 9 Wie der Erfolg oder Mißerfolg einer Prüfung gemessen werden kann, wird später besprochen werden. Vgl. S. 81.

36

2. Der Prüfungsprozeß

1. Schritt: Formulierung der Urteilshypothese Eine Urteilshypothese ist eine vorläufige Formulierung der Erwartung des Prüfers über den Zustand des Prüfungsgegenstands hinsichtlich der gewünschten Eigenschaften.10 Da ein Prüfer immer Vorinformationen vor Beginn der Prüfung hat bzw. sie sich beschaffen kann, dienen ihm diese Vorinformationen dazu, seine Hypothese zu formulieren. Die Urteilshypothese kann, wenn es sich um einen aus mehreren Teilen bestehenden Prüfungsgegenstand handelt, differenziert werden, d. h. für einzelne Teilgebiete formuliert der Prüfer eigene, möglicherweise unterschiedliche Urteilshypothesen. Ob die Hypothese nun positiv oder negativ formuliert ist, d. h. ob der Prüfer erwartet, daß der Prüfungsgegenstand die gewünschten Eigenschaften aufweist oder nicht, ist zunächst ohne Belang. Es ist eine Zweckmäßigkeitsfrage der sprachlichen Formulierung, ob der Prüfer eine positiv formulierte Urteilshypothese (der Prüfungsgegenstand besitzt die gewünschten Eigenschaften) annimmt oder eine negativ formulierte Hypothese (der Prüfungsgegenstand weist die gewünschten Eigenschaften nicht auf) ablehnt. 2. Schritt: Beschaffung und Auswertung von Informationen Aufgrund seiner Ausbildung und Berufserfahrung verfügt der Prüfer über einen Bestand an Fachwissen (Fakten, Normen, Gesetze, Theorien, bewährte Annahmen) über die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Prüfungsobjekten seines Prüfungsgegenstands. Er wird so in die Lage versetzt, gezielt die Informationen zu bestimmen, die er zur Beurteilung des Prüfungsgegenstandes, mit anderen Worten: zur Stützung bzw. Widerlegung seiner Urteilshypothese benötigt. Alle gesammelten Informationen über Zustände einzelner Sachverhalte des Prüfungsgebiets werden in dem Augenblick „ausgewertet", in dem der Prüfer sie geistig aufnimmt. Ausgewertet bedeutet, daß er sie zu seiner Urteilshypothese in Beziehung setzt und feststellt, ob seine Vermutung durch die betreffende Information gestützt wird oder nicht (oder ob die Information irrelevant ist). Je nach Gehalt der Information wird sein Uberzeugungsgrad über die Richtigkeit der Urteilshypothese mehr oder weniger stark zunehmen oder sinken. 3. Schritt: Abbruch der Informationssuche und Urteilsabgabe Sobald der Uberzeugungsgrad des Prüfers, daß die Hypothese zutreffend ist, einen von ihm bestimmten Grenzwert (Schwellenwert, kritischen Wert) erreicht bzw. überschritten hat, bricht er die Suche nach weiteren Informa10

Daß diese vom Auftraggeber vorgegeben sein müssen, wurde oben schon gesagt.

2.1 Urteil und Urteilsbildung

37

tionen ab und übernimmt die Hypothese als Prüfungsurteil. Da das Erreichen dieses Grenzwerts neben vielen anderen Faktoren vom mehr oder weniger wunschgemäßen Zustand der einzelnen untersuchten Prüfungsobjekte abhängt, kann prinzipiell nicht vorher gesagt werden, wieviele Objekte der Prüfer nun untersuchen wird, bevor er zur Urteilsabgabe kommt. Diese kurze Skizze eines Prüfungsvorgangs läßt viele Fragen offen. Um nur einige zu nennen: - Wovon hängt es ab, welche Urteilshypothese der Prüfer formuliert? Ist sie von Anfang an mit einem gewissen Uberzeugungsgrad ausgestattet, oder fängt der Prüfer mit einem Uberzeugungsgrad von Null an? - Wie zerlegt der Prüfer den Prüfungsgegenstand in Teilgebiete, wie wählt der Prüfer einzelne Objekte in den jeweiligen Teilgebieten aus, wieviele Objekte wählt er aus und welche Informationen versucht er über sie zu beschaffen? - Wie groß ist der Beitrag zur Stärkung bzw. Minderung des Uberzeugungsgrades, den eine positive Information (über vorhandene erwünschte Eigenschaften) oder eine negative Information (über nicht vorhandene erwünschte Eigenschaften) erbringt? - Wie hoch ist der Schwellenwert des Uberzeugungsgrades, der zur Bereitschaft zur Urteilsabgabe notwendig ist und verändert er sich möglicherweise während der Prüfung? - Welchen Einfluß haben die einzelnen Vorschriften über die Prüfungsdurchführung auf den Vorgang? - Welchen Einfluß haben die Vorschriften über die Gestaltung der zu prüfenden Gegenstände auf den Vorgang? - Welchen Einfluß hat die Persönlichkeit des Prüfers und seine private Umweltsituation auf die Prüfung? - Welchen Einfluß haben die unterschiedlichen Bedingungen der Zusammenarbeit im Prüferteam auf die Prüfung? - Welchen Einfluß haben die unterschiedlichen Bedingungen der Arbeit im Prüfungsorgan (außerhalb des Prüferteams) auf die Prüfung? - Welchen Einfluß haben die Personen der geprüften Unternehmung bzw. des Unternehmensbereichs auf die Prüfung? - Und vor allem: wie verändert sich der Vorgang, wenn wir die Annahme, der Prüfer identifiziere sich voll mit der Prüfungsaufgabe, fallen lassen? Die Liste der Fragen könnte mühelos erheblich verlängert werden. Diese Fragen sollen aber an dieser Stelle noch nicht in systematischer Form gestellt, sondern nach und nach in diesem Kapitel abgearbeitet werden, wobei eine Beschränkung auf die wichtigsten geboten erscheint.

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2. Der Prüfungsprozeß

2.1.3 Die Dimensionen des Prüfungsprozesses Im folgenden soll versucht werden, den Prozeß der Erarbeitung eines Prüfungsurteils als Prozeß darzustellen, der acht Dimensionen aufweist. Jede dieser Dimensionen ist notwendiger Bestandteil des Prozesses; zwischen allen Dimensionen bestehen viele wechselseitige Beeinflussungen. Die Dimensionen werden zunächst kurz einzeln skizziert: - Zeit: Prüfungsprozesse laufen in der Zeit ab. Ihr Beginn und ihr Abschluß sowie einige besonders markante Zwischenschritte lassen sich ziemlich gut in der Realität ausmachen. Solche Akte sind z. B.: Der Zeitpunkt der Auftragsannahme, der Zeitpunkt des Prüfungsbeginns vor Ort, der Zeitpunkt des Beginns und Abschlusses einzelner Teilgebiete der Prüfung, der Abschluß des Prüfungsberichts über die gesamte Prüfung. - Ziele: Menschliches Handeln wird von dem Streben nach Zielerreichung geleitet. Im Bereich von Individuen handelt es sich dabei um Ziele der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse im privaten und beruflichen Bereich. Im Bereich einer Prüfungsunternehmung handelt es sich darum, Ziele, die von der Unternehmensleitung mit mehr oder weniger großer Kooperation der Unternehmensmitglieder ausgearbeitet wurden, zu erreichen. Aber auch Ziele aus dem gesamtwirtschaftlichen Bereich beeinflussen die Prüfungsdurchführung; so wenn etwa der Gesetzgeber mit der Jahresabschlußprüfung Interessenkonflikte zwischen den an einer Aktiengesellschaft beteiligten Personen bzw. Personengruppen zu schlichten versucht und daher für Jahresabschlußprüfungen Ziele aufstellt. Die genannten individuellen, gruppenbezogenen oder gesellschaftsbezogenen Ziele können untereinander eine Gleichrichtungsbeziehung aufweisen oder sie können im Konflikt stehen. In jedem Fall bleibt festzuhalten, daß aus der Existenz dieser Ziele und dem Versuch, diesen Zielen gerecht zu werden, Einflüsse auf den Prozeß der Prüfungsdurchführung ausgehen. - Normen: Normen sind allgemein Verhaltensanweisungen oder Regeln. Sie werden von Individuen oder Gruppen (wie z. B. Prüferteams, einer Prüferunternehmung, dem Staat, der Gesellschaft) formuliert, um das Verhalten der Normadressaten, also der Prüfer, aber auch der im geprüften Unternehmensbereich tätigen Personen, zu beeinflussen. Durch Normen sollen bestimmte Verhaltensweisen als erwünscht gefördert und andere Verhaltensweisen als unerwünscht vermieden werden. Zwischen Normen und Zielen besteht ein enger Zusammenhang. Der Zielerreichungsgrad hängt u. a. davon ab, inwieweit es gelingt, durch Normen zielfördernde Verhaltensweisen durchzusetzen bzw. zielschädliche Verhaltensweisen zu verhindern. Im Bereich der betriebswirtschaftlichen Prüfungen können wir unterscheiden zwischen Normen, die die Erstellung der zu prüfenden

2.1 Urteil und Urteilsbildung

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Objekte regeln und solchen Normen, die die Prüfungsdurchführung regeln. - Persönlichkeiten: Neben der oben schon erwähnten Bedürfnisstruktur beeinflussen weitere persönliche Eigenschaften des Prüfers die Prüfungsdurchführung. Neben seiner fachlichen Qualifikation (Ausbildung, Berufserfahrung, Spezialisierung) sind hier auch seine menschlichen Charaktereigenschaften (Persönlichkeitszüge) zu erwähnen: Ausdauer, Gewissenhaftigkeit, Durchsetzungsvermögen, um nur einige davon zu nennen. Es bestehen enge Beziehungen zwischen Persönlichkeiten und den Normen und der Bedürfnisstruktur. Neben den Prüferpersönlichkeiten sind auch die der Personen des geprüften Bereichs von Bedeutung. - Kommunikation: Ein Prüfungsprozeß ist ohne Wahrnehmungen seitens des Prüfers nicht zu erklären. Dabei handelt es sich zunächst einmal um die Wahrnehmung von Vorinformationen vor Beginn der Prüfung, d. h. von Normen, Fakten über die zu prüfende Unternehmung etc. Während des Ablaufs der Prüfung wird weiterhin eine Vielzahl weiterer Fakten und Behauptungen wahrgenommen; neben Informationen nimmt der Prüfer aber auch Verhaltensweisen anderer Personen wahr. z. B. von Personen aus der geprüften Unternehmung, von anderen Mitgliedern des Prüferteams, von Vorgesetzten aus der Prüfungsunternehmung. Zusammen mit den Bedürfnissen, den Normen und den persönlichen Eigenschaften des Prüfers bilden die Wahrnehmungen die Voraussetzung dafür, daß der Prüfer sich verhält, d. h. Handlungen vornimmt, Entscheidungen fällt und mit anderen Personen in Kommunikation tritt. Prüfungen sind aber auch ohne Äußerungen nicht erklärbar. Prüfer äußern Wünsche hinsichtlich notwendiger Informationen an Personen des geprüften Bereichs, sie tauschen untereinander Informationen aus, sie legen eine Prüfungsdokumentation und das (die) Prüfungsurteil(e) schriftlich nieder. - konstituierende Entscheidungen: Mit diesem Ausdruck sollen die die Prüfungsdurchführung prägenden Entscheidungen bezeichnet werden, wie z. B. Auftragsannahmeentscheidung, Abgrenzung des Prüfungsgegenstands, Einteilung des Prüfungsgegenstands in Teilgebiete, Entscheidungen über die Auswahl der zu prüfenden Prüfungsobjekte und deren Merkmale, Entscheidungen über die zu verwendenden Prüfungsverfahren und Prüfungshandlungen, Entscheidung über den Abbruch der Prüfungshandlungen, wenn ein als ausreichend erachteter Uberzeugungsgrad erreicht ist. Es bestehen vielfältige Beziehungen zwischen konstituierenden Entscheidungen und den bisher genannten Dimensionen, aber nicht nur in dem Sinne, daß die konstituierenden Entscheidungen das Ergebnis der Vorgänge in den vorgenannten Dimensionen wären, nein auch in umgekehrter Weise haben die hier getroffenen Entscheidungen Einfluß auf die anderen Dimensionen.

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2. Der Prüfungsprozeß

- Annahmeentscheidungen: Neben den seltener vorkommenden konstituierenden Entscheidungen wird ein Prüfungsprozeß durch eine Vielzahl von Entscheidungen über einzelne Prüfungsobjekte geprägt. Hier muß der Prüfer festlegen, welche der vielen denkbaren Merkmale von Prüfungsobjekten er als relevant erachtet, wie er die Merkmalsausprägungen messen will, wie er Abweichungen zwischen den gewünschten Merkmalsausprägungen (Istzustand) gewichten will, um danach das Prüfungsobjekt „anzunehmen" bzw. „abzulehnen". In gleicher Weise wie vielfältige Beziehungen zwischen den konstituierenden Entscheidungen und den anderen Dimensionen bestanden, bestehen auch zwischen den Annahmeentscheidungen und den anderen Dimensionen viele Berührungspunkte. - Handlungen: Als weitere Dimension kommen die Handlungen hinzu. Unter Handlungen sind natürlich zunächst die konkreten Vorgänge des Suchens und Aufbereitens von Informationen über relevante Teile des zu prüfenden Bereichs zur Vorbereitung der konstituierenden und der Annahmeentscheidungen zu verstehen. Darüber hinaus ist aber auch der Vorgang der Ermittlung der Merkmalsausprägungen der einzelnen Prüfungsobjekte als eine Handlung aufzufassen. Eng verbunden mit Handlungen sind Kommunikationsvorgänge, d. h. die schriftliche oder mündliche

2. Dimension: Basis

3. Dimension: Verhalten

1. Dimension: Zeit

2.1 Urteil und Urteilsbildung

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Formulierung und Weitergabe von Informationen, aber auch die Beeinflussung von anderen Personen durch nicht verbale Verhaltensweisen. Es stellt sich die Frage, wie diese acht Dimensionen dargestellt werden können. Ich habe mich dafür entschieden, sie zu drei Dimensionen zusammenzufassen; die acht einzelnen Dimensionen werden dann künftig als „Ebenen" innerhalb der Dimensionen bezeichnet. Wir bekommen dann folgende Systematik: 1. Dimension: die Zeit 2. Dimension: die Basis menschlichen Verhaltens Ebene 1: die Zielebene Ebene 2: die Normebene Ebene 3: die Persönlichkeitsebene 3. Dimension: prüferisches Verhalten Ebene 1: die Kommunikationsebene Ebene 2: die Ebene der konstituierenden Entscheidungen Ebene 3: die Ebene der Annahme-Entscheidungen Ebene 4: die Handlungsebene Man könnte dann versuchen, den Prüfungsprozeß als einen dreidimensionalen Vorgang zu beschreiben, bei dem - sich die zeitliche Erstreckung als Ergebnis von Basis und Verhalten ergibt, aber ihrerseits Basis und Verhalten beeinflußt - die Basis als Ergebnis von Zeitablauf und Verhalten verändert wird, aber ihrerseits die Zeitdimension der Prüfung und das Verhalten beeinflußt - das Verhalten als Ergebnis von Zeit und Basis gesehen wird, aber seinerseits die zeitliche Erstreckung und die einzelnen Ebenen der Basis beeinflußt. Diese Darstellung unterschlägt allerdings diejenigen Wechselbeziehungen, die innerhalb einer Dimension ablaufen, also z. B. zwischen Zielen, Normen und Persönlichkeitsmerkmalen. Im weiteren Teil dieses Abschnitts werden die innerhalb der einzelnen Ebenen ablaufenden Vorgänge dargestellt und versucht, die wichtigsten zwischen den Ebenen bestehenden Beziehungen herauszuarbeiten. Kontrollfragen: 1) Erläutern Sie, welche Elemente ein Urteil ausmachen. 2) Nach welchem Muster läuft ein Wahrscheinlichkeitsschluß ab? 3) Warum können wir nicht behaupten, daß alle Urteile nach den Mustern der logischen Schlußlehre ablaufen? 4) Warum sind die bei betriebswirtschaftlichen Prüfungen zu fällenden Urteile sehr komplexer Natur? 5) In welchen Schritten werden Prüfungsurteile erarbeitet? 6) Wie kann man die Dimensionen des Prüfungsvorgangs zu Gruppen zusammenfassen? 7) Welche Beziehungen bestehen zwischen den einzelnen Ebenen der Basisgruppe und den Ebenen der Verhaltensebene?

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2. Der Prüfungsprozeß

2.2 Die Zeitdimension Lernziele Ziel dieses Abschnitts ist es, - wichtige Teiltätigkeiten im Rahmen einer Prüfung in ihrer zeitlichen Verknüpfung darzustellen, - zu zeigen, welchen Inhalt Prüfungsaufträge zur Vermeidung von späteren Streitigkeiten aufweisen sollten, - darzustellen, welche Teilpläne bei Prüfungsplänen unterschieden werden können und welche Zusammenhänge zwischen ihnen bestehen, - herauszuarbeiten, warum eine gründliche und detaillierte Prüfungsplanung für die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Urteilsabgabe wichtig ist, - zusammenzustellen, welche Faktoren die zeitliche Dauer von Prüfungen beeinflussen.

2.2.1 Der Prüfungsauftrag Voraussetzung für den Beginn einer Prüfung ist das Vorliegen eines Prüfungsauftrages. Ob es sich um einen von Fall zu Fall abschließenden Vertrag über die Durchführung der Prüfung (wie z. B. bei einer Jahresabschlußprüfung) oder um die routinemäßige Vornahme der Beauftragung durch ein Revisionsprogramm z. B. einer Abteilung interne Revision handelt, ist dabei ohne Belang. Der Prüfungsauftrag muß in der Regel die folgenden Elemente enthalten (oder auf generelle Regelungen verweisen, die diese Punkte klären): - Angaben über das Ziel der Prüfung und Angaben über die Art des gewünschten Prüfungsurteils. - Angaben über den Gegenstand der Prüfung, d. h. die zu prüfenden Objekte. - Angaben über die Normen, mit denen gearbeitet werden soll; dazu gehören sowohl die Normen, nach denen die einzelnen Prüfungsobjekte beurteilt werden sollen, als auch die Normen, die die Durchführung der Prüfungen im einzelnen regeln. - Außerdem können im Prüfungsauftrag weitere technische Einzelheiten geregelt werden, wie z. B. Beginn der Prüfung, Zeitdauer der Prüfung, Anzahl der abzuliefernden Berichtsexemplare u. ä. Dinge. Im externen Prüfungswesen werden Aufträge im allgemeinen nach den „allgemeinen Auftragsbedingungen für Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften", die vom IdW erarbeitet wurden, abgewickelt.11 - Angaben über die Art der Honorierung, falls es sich um eine externe Prüfung handelt.12 11 12

Vgl. WP-Handbuch 1977, S. 151 ff. Vgl. unten Kapitel 3.2.1.5.3, S. 259.

2.2 Die Zeitdimension

43

Da durch Prüfungsaufträge (bzw. durch die in ihnen enthaltenen Verweise auf Gesetze, allgemeine Auftragsbedingungen oder ähnliche Normen) die Rechte und Pflichten beider Partner, des Prüfungsorgans und des geprüften Bereichs festgelegt werden, ist die präzise Formulierung eines Prüfungsauftrags außerordentlich wichtig. Je unschärfer der Prüfungsauftrag formuliert ist, desto mehr Entscheidungsfreiheit hat das Prüfungsorgan bei der Durchführung der Prüfung. Da die vom Prüfungsorgan und/oder vom Prüfer verfolgten Zielsetzungen nicht unbedingt mit denen des Auftraggebers identisch sein müssen, kann das zur Folge haben, daß die Prüfungsdurchführung nicht mit den Vorstellungen des Auftraggebers übereinstimmt. So wird eine WP-Unternehmung bei einer Jahresabschlußprüfung nicht auf die Wirtschaftlichkeit der Arbeitsabläufe in der Finanzbuchhaltung achten, wenn das nicht ausdrücklich im Prüfungsauftrag vereinbart war.

2.2.2 Prüfungsplanung und -Vorbereitung Nachdem die Auftragsannahme-Entscheidung gefallen ist, stellt sich für den vorgesehenen Leiter der Prüfung das Problem der Vorbereitung der Prüfung. Hier können wir zwei Tätigkeitsbereiche unterscheiden: - die Planung der Prüfung - die Vorbereitung der Prüfung im technischen Sinne. Da unter Planung im allgemeinen die gedankliche Vorwegnahme künftiger Strukturen und Abläufe mit dem Ziel einer möglichst zielkonformen Regelung verstanden wird, müßte ich den Inhalt der in den folgenden Abschnitten beschriebenen Entscheidungen und Handlungen vorwegnehmen, wenn ich die einzelnen Gegenstände der Planung hier darstellen wollte. Das wäre vom didaktischen Standpunkt sehr unbefriedigend. Da überdies die in der Prüfungspraxis angewandten Planungsverfahren sich nicht von den in anderen Bereichen betriebswirtschaftlicher Planungen unterscheiden, sei hier auf eine ausführliche Darstellung verzichtet. 13 Die Prüfungsplanung besteht aus drei Teilgebieten, - dem Sachgebiets- oder Bearbeitungsplan, - dem Personalplan, - dem Zeitplan. Aufgabe des Bearbeitungsplans ist es, den Prüfungsstoff genau abzugrenzen (da dies im Prüfungsauftrag häufig nicht präzis erfolgt), ihn in Teilgebiete zu zerlegen (um möglichst gleichförmige Teilgebiete zu erhalten, eine angemes-

13

Vgl. dazu Wulf, Karl; Krüger, Ralf; Schettler, Klaus und Sperl, Andreas.

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2. Der Prüfungsprozeß

sene Erfassung aller Teilgebiete zu gewährleisten, um die Zuordnung der einzelnen Aufgaben zu den Mitgliedern des Prüferteams zu ermöglichen und um Zeitschätzungen vornehmen zu können); diese Entscheidungen werden unten im Kap. 242 im einzelnen besprochen. Der Personalplan enthält die Zuordnung der einzelnen Mitglieder des Prüferteams zu den Arbeitsgebieten unter Berücksichtigung ihrer Qualifikation und der zeitlichen Verfügbarkeit (vgl. Kap. 2425). Der Zeitplan enthält schließlich die Zeitschätzungen für die einzelnen Teilgebiete; er erlaubt es, eine Schätzung für den wahrscheinlichen Endtermin vorzunehmen und eine Kontrolle des termingemäßen Fortschritts der Prüfungsdurchführung vorzunehmen. Aus der eben gewählten Reihenfolge der drei Teilpläne Sachgebiets-, Personal- und Zeitplan darf nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, daß dies die relative Bedeutung der Teilpläne (die sog. Priorität) darstelle. Lediglich für den theoretischen Ausnahmefall, daß keinerlei Kapazitätsbeschränkungen bei den Prüfern bestehen und Endtermin bzw. Dauer der Prüfung nicht festgesetzt sind, könnte diese Aussage aufrecht erhalten werden. Wenn aber, was in der Praxis der Regelfall ist, eine oder mehrere dieser Grenzen vorliegen, z. B. - Prüfer nur in beschränkter Zahl und mit unterschiedlicher Qualifikation verfügbar sind, - Prüfer nur während eines beschränkten Zeitraums verfügbar sind, - der Prüfungszeitraum durch einen Anfangs- oder Endtermin begrenzt ist, - die insgesamt zur Durchführung des Prüfungsauftrags verfügbare Zahl an Prüferstunden begrenzt ist, kann durchaus der Fall eintreten, daß entweder der Personal- oder der Zeitplan zum sog. Engpaßsektor werden, nach denen sich die restlichen Teilpläne zu richten haben. So kann es u. U. notwendig werden, die Abgrenzung des Prüfungsstoffs enger zu fassen, um bei gegebener Personalausstattung einen vorgegebenen Endtermin einhalten zu können14 oder die Zahl der Prüfer zu erhöhen, um bei gegebenem Prüfgebiet und gegebenem Endtermin zu einem für den verantwortlichen Prüfer akzeptablen Uberzeugungsgrad des Endurteils zu kommen. Eine detaillierte Prüfungsplanung hat verschiedene Vorzüge, von denen nur die wichtigsten genannt werden sollen: - sie hilft, eine angemessene Berücksichtigung aller Teilgebiete sicherzustellen, so daß keine Gebiete ausgelassen oder doppelt geprüft werden, - sie erlaubt es, rechtzeitig Engpässe zu erkennen und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, 14 Die nicht geprüften Teilgebiete müßten dann bei der nachfolgenden Prüfung einbezogen werden, was insbesondere bei der Jahresabschlußprüfung mit dem gesetzlich (grob) festgelegten Prüfungsumfang zu Schwierigkeiten führen kann.

2.2 Die Zeitdimension

45

- sie ermöglicht eine laufende Kontrolle des termingerechten Fortschritts und eine bessere Überwachung der Tätigkeit der eingesetzten Mitarbeiter durch den Prüfungsleiter. Das IdW hat daher im Fachgutachten (FG) 1/77 „Grundsätze ordnungsmäßiger Durchführung von Abschlußprüfungen" im Satz C IV folgende Normen gesetzt: „Eine ordnungsmäßige Prüfung erfordert planvolles Vorgehen und eine angemessene Beaufsichtigung. Die Planung umfaßt alle Maßnahmen in personeller, sachlicher und zeitlicher Hinsicht zur Vorbereitung und Durchführung der Prüfung." Abschließend muß noch auf die Möglichkeit eingegangen werden, Prüfungen durch die Verwendung von Prüfungsfragebogen und Prüfungsprogrammen vorzustrukturieren. Beide Begriffe meinen die gleiche Sache, nämlich einen Plan, der dem Prüfer (mehr oder weniger genau) vorschreibt, welche Prüfungsobjekte er auswählen soll und welche Prüfungshandlungen in welchem Umfang er durchführen soll. Die beiden Begriffe sind nicht ganz klar umrissen und nicht eindeutig voneinander abgrenzbar. - Prüfungsprogramm ist der Begriff, der vorwiegend im Bereich der WP verwendet wird. Nach meiner Beobachtung sind Prüfungsprogramme umfassender, d. h. sie regeln den gesamten Prüfungsablauf oder zumindest sehr große Teile davon. Auf der anderen Seite sind Prüfungsprogramme häufig weniger detailliert, d. h. sie belassen dem Prüfer mehr Entscheidungsfreiheiten. - Prüfungsfragebogen ist der Begriff, der vorwiegend im Bereich der internen Revision verwendet wird. Häufig beziehen sich diese Fragebogen nur auf kleinere Teile der Prüfungsdurchführung, allerdings sind sie oft viel detaillierter als Prüfungsprogramme, d. h. sie belassen dem Prüfer weniger Entscheidungsfreiheit. Der Verwendung dieses Instruments werden verschiedene Vorteile zugeschrieben: 15 - bei häufigerer Verwendung wird die planende Instanz des Prüfungsorgans entlastet, - es verbessert die Lückenlosigkeit und Zielbezogenheit der Prüfung, erhöht die Präzision der Fragen und Antworten, - es sichert eine gewisse Gleichmäßigkeit der Prüfungsdurchführung von Team zu Team des gleichen Prüfungsorgans, ebenfalls die Gleichmäßigkeit im Zeitablauf von Jahr zu Jahr, - es erleichtert die Kontrolle der durchgeführten Prüfung und ermöglicht eine bessere Auswertung der Prüfungsergebnisse - es vermindert sture Schreibarbeit und erhöht die Sicherheit der Prüfungsdurchführung bei Berufsneulingen. 15

Vgl. Ballmann, W., S. 42 ff.

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2. Der Prüfungsprozeß

Dem stehen allerdings auch einige Nachteile gegenüber: - die Ausarbeitung von Fragebogen oder Programmen kostet sehr viel Zeit, - die Verwendung von Fragebogen kann dazu führen, daß der Prüfer in seiner Initiative gebremst wird, kritisches Nachdenken unterläßt und sich auf routinemäßiges Abhaken beschränkt. Der Nachteil Nr. 1 wird dadurch gemildert, daß man veröffentlichte ModellProgramme oder -Fragebogen verwendet und diese nach eigenen Bedürfnissen anpaßt.16 Da sich die für die Erstellung der Programme aufgewendete Zeit um so eher „amortisiert", je häufiger das jeweilige Programm verwendet wird, ergibt sich ein leichter Vorteil für die Verwendung des Instruments bei Revisionsabteilungen, da hier das Problem des Mandantenwechsels wie bei WP und WPG nicht besteht. Der Nachteil Nr. 2 kann dadurch gemildert werden, daß man die Fragen in offener Form abfaßt, also Antworten durch einfaches Abhaken oder „ja" bzw. „nein" nicht zuläßt. Im Bereich der Jahresabschlußprüfung durch WP werden Programme recht selten benutzt, wenn man vom engen Bereich der Prüfung des Internen Kontrollsystems absieht.17 Mir sind nur die Tochtergesellschaften amerikanischer Prüfungsunternehmen bekannt, bei denen häufiger Prüfungen mit Hilfe von Programmen durchgeführt werden. Die Untersuchung „Die Interne Revision in der Bundesrepublik Deutschland" (künftig zitiert als „Interne Revision 1973") des Instituts für Interne Revision18 hat ergeben, daß 24% der befragten Revisionsabteilungen generell und 78% in einzelnen Fällen Fragebogen verwenden. Unter Prüfungsvorbereitung sollen hier die stärker technisch orientierten Vorbereitungen verstanden werden. Dazu gehört vor allem, daß sich Prüfer anhand der sog. Dauerakte19 oder des Vorjahresberichts (wenn es sich um eine Folgeprüfung handelt), durch Sammlung sonstigen erreichbaren Materials und durch eine Vorbesprechung über die wichtigsten allgemeinen Eigenschaften des zu prüfenden Unternehmens bzw. Unternehmensbereichs 16 Für das Gebiet der Internen Revision gibt es die von Arbeitskreisen des Instituts für Interne Revision erarbeiteten Fragebogen, die in der Zeitschrift Interne Revision veröffentlicht werden. Für das Gebiet der Jahresabschlußprüfung gibt es die Prüfungsprogramme von WP P. Goetze, Wiesbaden. 17 Vgl. dazu die z. B. im WP-Handbuch unter dem Stichwort „Ordnungsprüfungen in einzelnen Bereichen der Buchführung" abgedruckten Fragen zur Prüfung des Internen Kontrollsystems in einzelnen Funktionsbereichen der Unternehmung, WP-Handbuch 1977, S. 1037 ff. Vgl. dazu auch Pougin, Erwin. 18 Veröffentlicht in ZIR 1974, S. 123 ff. " Eine Sammlung aller längerfristig bedeutsamer Unterlagen über einen Mandanten bzw. einen Unternehmensbereich; vgl. WP-Handbuch 1977, S. 1068 f. und Havermann, Hans. Nach Havermann hat (allerdings 1962!) die Dauerakte noch keinen allgemeinen Eingang in die Praxis der WP und WPG gefunden. Nach der Untersuchung Interne Revision 1973 (ZIR 1974, S. 204) haben daher 68% der befragten Revisionsabteilungen Dauerakten.

2.2 Die Zeitdimension

47

informieren. Zumindest im Bereich der Jahresabschlußprüfung durch W P und W P G hat sich außerdem die Übung eingebürgert, daß das Prüfungsorgan der geprüften Unternehmung eine Liste mit erwünschten Unterlagen, Daten und Datenzusammenstellungen zuschickt, die bis zum Prüfungsbeginn vorbereitet werden sollen. 20 Die Prüfungsvorbereitung ist aber nicht nur auf Prüfer und Prüfungsorgan beschränkt. Eine möglichst umfassende Vorbereitung auf die Prüfung durch das zu prüfende Unternehmen bzw. den zu prüfenden Unternehmensbereich ist für beide Partner, Prüfungsorgan und geprüften Bereich von Interesse. Eine gute Prüfungsvorbereitung bedeutet, daß die Prüfung schneller vorangeht, was nicht nur die Prüfungskosten senkt, sondern auch die mit einer Prüfung immer verbundene Behinderung für die Arbeitsabläufe im geprüften Bereich zu verringern erlaubt. Ein Unternehmensbereich wird dann als prüfbereit bezeichnet, wenn die personellen und sachlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Prüfung ohne Verzögerung geschaffen sind. Unter personellen Voraussetzungen versteht man, daß die als Auskunftspersonen in Frage kommenden Mitarbeiter des zu prüfenden Bereichs während der Prüfungszeit anwesend sind. Zu den sachlichen Voraussetzungen gehören drei Dinge: - Die Buchführung der Unternehmung bzw. die Abrechnungen des zu prüfenden Bereichs müssen prüfbereit sein, d. h. alle Konten einer Buchführung müssen abgeschlossen und eine vorläufige Hauptabschlußübersicht und vorläufige Bilanz und Erfolgsrechnung angefertigt sein; - die vom Prüfer angeforderten Unterlagen bzw. Zusammenstellungen müssen angefertigt oder herausgesucht worden sein; - Arbeitsplätze und Hilfsmittel für die Prüfer müssen vorbereitet sein (Schreib-, Rechenmaschinen etc.).

2.2.3 Die Prüfungsdurchführung Während die zur Prüfungsvorbereitung und -planung notwendigen Tätigkeiten (soweit sie sich auf das Prüfungsorgan erstrecken) vorwiegend vom Leiter der Prüfung durchgeführt werden, kommen während der Durchführungsphase die weiteren Mitglieder des Prüferteams hinzu. Jeder Mitarbeiter beginnt mit dem ersten, ihm vom Prüfungsleiter zugewiesenen Teilgebiet der Prüfung und sammelt die ihm vorgegebenen bzw. von ihm als notwendig erachteten Informationen über die Prüfungsobjekte, d. h. über die Arbeitsabläufe oder über die Ergebnisse der Arbeitsabläufe im zu untersuchenden Teilgebiet der Prüfung, je nachdem, ob die Arbeitsabläufe (Systemprüfung) 20

Vgl. WP-Handbuch 1977, S. 10161 ff. für Beispiele dieser Unterlagen.

48

2. Der Prüfungsprozeß

oder die Ergebnisse der Arbeit (Einzelfallprüfung) geprüft werden. Vgl. zu diesen Prüfungsverfahren Kapitel 2.4.2.3, Seite 108. Sobald der einzelne Prüfer genügend Informationen über Arbeitsabläufe und -ergebnisse im zu prüfenden Teilbereich hat, bricht er den Such- und Vergleichsprozeß ab und beginnt mit der Formulierung und Begründung seines Prüfungsurteils, indem er den Berichtsentwurf über den geprüften Teilbereich formuliert. Dieser Berichtsentwurf wird sodann hinsichtlich der durchgeführten Prüfungshandlungen und der erarbeiteten Prüfungsergebnisse mit dem Prüfungsleiter durchgesprochen, der das vom Prüfungsmitarbeiter erarbeitete Prüfungsurteil übernimmt bzw. bei Beanstandungen den Mitarbeiter anweist, weitere Prüfungshandlungen zur Fundierung des Urteils vorzunehmen.

2.2.4 Die Berichterstattung Unter Verwendung der vorliegenden Berichtsentwürfe für die einzelnen Teilgebiete der Prüfung wird der Gesamt-Berichtsentwurf angefertigt. Dieser wird zur Klärung von Zweifelsfällen und zur Auseinandersetzung in Konfliktfällen mit der Leitung des geprüften Unternehmensbereichs in einer sog. Schlußbesprechung21 durchgesprochen und schließlich einer Berichtskritik unterzogen, bevor er als fertiger Prüfungsbericht den vertraglich bzw. gesetzlich vorgesehenen Berichtsempfängern zugestellt wird.22

2.2.5 Einflußfaktoren auf die zeitliche Ausdehnung Die zeitliche Ausdehnung einer Prüfung hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die hier nur kurz und skizzenhaft dargestellt werden, weil auf sie erst im folgenden Kapitel näher eingegangen wird. Faktoren der Zielebene: Hier wäre zunächst das Prüfungsziel zu erwähnen. Je komplexer das gewünschte Prüfungsurteil ist (z. B. über die Wirtschaftlichkeit der Arbeitsweise einer Abteilung im Vergleich mit der OrdnungsmäVgl. Kürschner, Hans und WP-Handbuch 1977, S. 1069 f. Das WP-Handbuch bezeichnet es als allgemeine Übung, eine Schlußbesprechung durchzuführen. Im Bereich der Internen Revision werden in 96% der befragten Revisionsabteilungen Schlußbesprechungen durchgeführt (Interne Revision 73, ZIR 1974, S. 209). 22 Empfänger des Prüfungsberichts im Falle der aktienrechtlichen Jahresabschlußprüfung sind nach § 166 Abs. 3 und 170 Abs. 1 A k t G Vorstand und Aufsichtsrat. Bei internen Prüfungen ist Empfänger in aller Regel die Unternehmensleitung; in 97% der befragten Unternehmen erhalten auch die geprüften Abteilungen ein Exemplar (Interne Revision 73, ZIR 1974, S. 209). Zur Form der Berichterstattung vgl. auch Kapitel 2.4.4. 21

2.2 Die Zeitdimension

49

ßigkeit einer Abrechnung) desto schwieriger und langwieriger sind die mit der Bestimmung und Beurteilung der Prüfungsobjekte verbundenen Arbeitshandlungen. Aber auch die Ziele des Prüfungsorgans (möglichst schnelle Beendigung der Prüfung zum Beispiel wegen einer terminlich festgesetzten Nachfolgeprüfung, oder aber Auslastung des Prüferbestands in einer saisonschwachen Zeit) haben direkten Einfluß auf die zeitliche Erstreckung der Prüfung. Auch prüferindividuelle Ziele, wie z. B. das Streben nach Begrenzung der täglichen Arbeitszeit, das Streben nach Prüfungsdurchführung dergestalt, daß keine Sanktionen durch den Prüfungsleiter oder sonstige vorgesetzte Personen erfolgen, haben direkten Einfluß auf die zeitliche Erstreckung der Prüfung. Normebene: Von der Normebene gehen sehr direkte Einflüsse auf die zeitliche Erstreckung der Prüfung aus. Sind die bei einer Prüfung anzuwendenden Normen sowohl was die Erstellung und Beurteilung der Prüfungsobjekte als auch was die Normen zur Prüfungsdurchführung anbetrifft, eindeutig und klar definiert, - ein in der Realität nicht existierender Fall - , ließen sich Prüfungsdauern relativ eindeutig berechnen und Prüfer hätten wenig Möglichkeiten, die Prüfungsdauer zu beeinflussen. Man könnte dann allenfalls feststellen, daß z. B. die Norm a eine relativ intensive und damit länger dauernde Prüfung, die Norm b eine weniger intensive und damit kürzer dauernde Prüfung nach sich zieht. Da Prüfungsnormen in der Realität, wie wir sehen werden, sehr wenig präzise gefaßt sind, ergeben sich zwei, zeitlich bedeutsame Konsequenzen: Der Prüfer muß einen nicht unwichtigen Teil seiner Prüfungszeit damit verbringen, Normen zu interpretieren. Das gilt sowohl für diejenigen Normen, die die Prüfungsdurchführung regeln (ist es gewissenhaft, eine Stichprobenprüfung durchzuführen, oder muß eine Vollprüfung erfolgen) als auch für die Normen, die zur Erstellung bzw. Beurteilung der Prüfungsobjekte verwendet werden (ist es zweckmäßig, daß bei sogenannten Eilbestellungen nicht vergleichende Angebote von mehreren Lieferanten eingeholt werden?). Zweitens ist darauf hinzuweisen, daß bei wenig präzise formulierten Normen der Entscheidungsspielraum von Prüfern wächst. Damit besteht für den Prüfer die Möglichkeit, den Prüfungszeitraum gemäß seinen eigenen Zielen bzw. denjenigen der Prüfungsunternehmung zu beeinflussen. Persönliche Eigenschaften des Prüfers: Neben der Zahl der für eine Prüfung verfügbaren Mitarbeiter spielt deren fachliche Qualifikation eine erhebliche Rolle. Umfassende Berufserfahrungen und Spezialkenntnisse der zu prüfenden Sachgebiete verringern die für die Prüfung notwendige Zeit. In ähnlicher Weise wirken sich die charakterlichen Eigenschaften des Prüfers, wie z. B. Ausdauer, Durchsetzungsvermögen, Einsatzbereitschaft aber natürlich auch Trägheit, langsame Auffassungsgabe etc. auf die Zeitdauer der Prüfung direkt aus.

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2. Der Prüfungsprozeß

Kommunikationsebene: Das Vorhandensein von Kommunikationshemmnissen oder die Existenz von kommunikationsfördernden Umständen beeinflussen ebenfalls die für Prüfungen notwendige Zeit. Dabei ist zunächst an zwischen Prüfern und Geprüften ablaufenden Prozesse zu denken. Je besser die von Prüfern geäußerten Fragen, Wünsche oder Anweisungen aufgenommen und realisiert werden, je besser die von Geprüften formulierten Informationen von Prüfern aufgenommen werden, um so schneller kann die Prüfung vonstatten gehen. Dabei ist klar, daß Kommunikationshemmnisse häufig nicht aus Unvermögen zu klarer Formulierung, sondern häufig aus nicht-kooperativer Einstellung zum jeweils anderen Partner resultieren. Auch das Kommunikationsklima im Prüferteam ist von Bedeutung. Dabei denke ich sowohl an die Beziehungen zwischen Prüfungsleiter und seinen Mitarbeitern, als auch an die Beziehungen der Mitarbeiter untereinander. Der Austausch von Hinweisen auf Besonderheiten, Probleme, Lösungsmöglichkeiten beschleunigt (oder hemmt bei einem ungünstigen Gruppenklima) den Prüfungsablauf. Konstituierende Entscheidungen: Die vom Prüfungsleiter bzw. von den Mitarbeitern des Prüferteams vorzunehmenden konstituierenden Entscheidungen sind einerseits das Ergebnis der auf den anderen (bislang genannten) Ebenen ablaufenden Prozesse, einschließlich der vom Prüfer als vorhanden wahrgenommenen Zeitbedingungen (Gefühl der Zeitknappheit, Gefühl des ausreichenden Vorhandenseins von Prüfungszeit), andererseits beeinflussen sie natürlich den zeitlichen Ablauf einer Prüfung. Auf die Verbindung zwischen Zielen und Normen und den konstituierenden Entscheidungen wurde oben auf S. 38 schon hingewiesen. So haben die Leitung des Prüfungsorgans, der Leiter der Prüfung und die beteiligten Prüfungsmitarbeiter die Möglichkeit, bei allen unten im Abschnitt 242 genannten konstituierenden Entscheidungen (z. B. durch Wahl einer Stichprobenprüfung oder einer Vollprüfung, durch Wahl zeitsparender Prüfungshandlungen oder durch Variation des Schwellenwerts des von ihnen geforderten Überzeugungsgrades) die Dauer der Prüfung zu beeinflussen. Begrenzt sind diese Möglichkeiten allerdings (man ist versucht zu sagen: lediglich) dadurch, daß Normen zur Gewissenhaftigkeit der Prüfungsdurchführung bestehen. Diese sind allerdings relativ vage formuliert, so daß die hierdurch erzielte Begrenzung der Entscheidungsfreiheit der Prüfer nur bedingt wirksam ist (vgl. dazu Kap. 2333 und 32133). Annahmeentscheidungen: Auch auf dieser Entscheidungsebene sind Einflüsse auf die zeitliche Erstreckung der Prüfung festzustellen. Da der Prüfer verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten hat, festzulegen, hinsichtlich welcher Merkmale er die einzelnen Prüfungsobjekte überprüfen will, kann er im Rahmen der oben erwähnten Normen zur Gewissenhaftigkeit die zeitliche Erstreckung der Prüfung beeinflussen. So z. B. durch die Entscheidung, daß

2.3 Die Basisdimensionen

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Belege nur hinsichtlich des Vorhandenseins aller vorgeschriebenen äußeren Merkmale und ihrer rechnerischen Korrektheit überprüft werden, nicht aber auf ihren materiellen Gehalt, d. h. die Korrektheit der auf ihnen behaupteten Vorfälle mit Hilfe anderer Indizien überprüft werden. Handlungsebene: Die für die Suche nach Informationen verbrauchte Zeit hängt von den auf den anderen Ebenen ablaufenden und eben geschilderten Prozessen ab, aber natürlich auch von dem Zustand und der Prüfungsbereitschaft des zu prüfenden Gebiets und der Auskunftsbereitschaft der im zu prüfenden Gebiet tätigen Personen. Darüber hinaus ist auch die schriftliche Fixierung von Dokumentationen über den Prüfungsablauf und der Prüfungsergebnisse ein zeitverbrauchender Vorgang, der zwar durch Normen geregelt wird, doch dem Prüfer Gestaltungsmöglichkeiten läßt.

Kontrollfragen: 1) Welche Probleme können entstehen, wenn Prüfungsaufträge wesentliche Angaben zur Prüfungsdurchführung nicht enthalten? 2) Welche allgemeinen Aussagen lassen sich über die Prioritäten der Teilpläne des Prüfungsplans formulieren? 3) Welcher Zusammenhang besteht zwischen Prüfungsplanung und der Aussagesicherheit eines Prüfungsurteils? 4) Erläutern Sie, was man unter einem Prüfungsprogramm versteht und welche Vor- und Nachteile mit seiner Verwendung verbunden sind. 5) Welche Tätigkeiten gehören zur Prüfungsvorbereitung durch den Prüfer? 6) Welche Tätigkeiten gehören zur Prüfungsvorbereitung durch die geprüfte Unternehmung? 7) Welche Beziehungen bestehen zwischen den bei Prüfungen anzuwendenden Normen und der Dauer der Prüfung? 8) Auf welche Weise können persönliche Ziele und Eigenarten von Prüfern die Dauer einer Prüfung beeinflussen?

2.3 Die Basisdimensionen Lernziele Die Lektüre dieses Abschnitts soll den Leser befähigen, - menschliches Verhalten als Resultat aus Bedürfnissen, Denkprozessen und Lernvorgängen zu begreifen, - die einzelnen Grundbedürfnisse, die relevanten Denkprozesse und einige lerntheoretische Thesen kennenzulernen, - individuelle Ziele als situationsgebundene Konkretisierungen menschlicher Bedürfnisse zu sehen, - das Problem der Ermittlung von Zielen von WP-Unternehmen zu sehen und denkbare hypothetische Zielsetzungen zu kennen,

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2. Der Prüfungsprozeß - Möglichkeit der Formulierung von Zielsetzungen bei Revisionsabteilungen zu kennen, - mögliche Ziele von Auftraggebern und einige Konflikte mit individuellen Zielen und Zielen von Prüfungsorganen zu sehen, - die wichtigsten Aufgaben von Normen und Möglichkeiten der Bildung von Gruppen von Normen zu kennen, - zu erkennen von welchen Faktoren Verhaltenswirksamkeit von Normen beeinflußt wird, - die wichtigsten Normen über die Prüfungsdurchführung zu kennen, - einen Überblick über einige der wichtigen Normen zur Erstellung von Prüfungsobjekten zu haben, - den Zusammenhang zwischen fachlicher Qualifikation von Prüfern und ihren im Rahmen von Prüfungen zu fällenden Entscheidungen zu sehen, - die Charakterzüge von Prüfern und ihre private Situation als weitere Komponenten der Prüfungsdurchführung zu begreifen.

2.3.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten Eine Lehre, die menschliches Verhalten in wirtschaftlichem (hier prüferischem) Zusammenhang erklären will, kommt nicht darum herum, Erkenntnisse der Psychologie und der Soziologie über menschliches Verhalten zu verwenden, da keinerlei Grund für die Annahme besteht, daß menschliches Verhalten im beruflichen und außerberuflichen Bereich unterschiedlichen Regeln unterworfen wäre. „Wer sich der Psychologie in der Hoffnung zuwendet, hier Genaueres über das zu erfahren, was man als „fundamentales Repertoire der menschlichen Natur" (Homans) bezeichnen könnte, dürfte zunächst wahrscheinlich enttäuscht werden. Die Vielfalt der Meinungen, auf die man hier stößt, deutet an, welche Probleme die Frage nach der menschlichen Natur aufwirft.23 Angesichts dieser Vielfalt von Thesen, Theorieentwürfen und Meinungen 24 , die den jeweiligen Aspekt mehr oder weniger unvollständig erklären, die mehr oder weniger umfassend sind, die einander teilweise widersprechen, sich aber auch manchmal ergänzen, die durch empirische Untersuchungen teilweise gestützt, teilweise aber auch infrage gestellt werden, dürfen an das hier skizzierte Grundmodell menschlichen Verhaltens keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Es enthält zum großen Teil Annahmen, die nicht als gesicherte Erkenntnis etwa im Sinne naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten betrachtet werden können, es enthält die Elemente, die nach meiner (subjektiven) Meinung „plausibel" zusammenpassen, und es ist - aus

23 24

Schanz, Grundlagen, S. 97. Vgl. Schanz, Grundlagen, S. 99.

2.3 Die Basisdimensionen

53

Gründen der gebotenen Kürze im Rahmen eines einführenden Lehrbuchs - relativ grob.25 Man kann menschliches Verhalten als das Ergebnis des Zusammenspiels von Motivationen, Kognitionen und Vergangenheitserfahrungen betrachten.26 Unter Motivationen wird dabei verstanden, daß Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben und danach streben, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Als Kognition bezeichnet man Denkvorgänge, mit denen sich Menschen unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse Ziele setzen, mit denen sie unter Beachtung ihrer Umweltbedingungen auf von außen kommende Anstöße (Stimuli) reagieren und Entscheidungen über Handlungsalternativen so treffen, daß sie der Erfüllung dieser Ziele näher kommen. Vergangenheitserfahrung in diesem Zusammenhang bedeutet, daß Menschen das Wissen der Vergangenheit über die Bedingungen, unter denen bestimmte Entscheidungen einen Erfolg oder Mißerfolg auf dem Weg zu einer angestrebten Bedürfnisbefriedigung darstellten, analysieren, um so in künftigen gleichen oder ähnlichen Fällen zu besseren Entscheidungen, d. h. zu einer besseren Zielerreichung zu kommen. Fragt man zunächst nach den Bedürfnissen von Menschen, so kann man sie mit Maslow27 zu fünf Gruppen ordnen, ohne daß damit eine Vollständigkeit angestrebt wäre oder garantiert werden könnte. Physiologische Bedürfnisse: Das Streben nach Befriedigung dieser Bedürfnisse, wie Vermeidung von Hunger, Durst oder Kälte ist eine Grundvoraussetzung für menschliche Existenz und dafür, daß die weiteren Bedürfnisse überhaupt auftreten. Sicherheitsbedürfnisse: Nach Maslows Konzept tritt nach der Befriedigung der physiologischen Bedürfnisse eine zweite Bedürfnisgruppe in den Vordergrund, die sogenannten Sicherheitsbedürfnisse. Sie sind beschrieben im Wunsch nach materieller Sicherheit, Schutz vor Krankheit und einem weitgehend angstfreien Leben. Bedürfnisse nach Zugehörigkeit: Wenn die physiologischen Bedürfnisse sowie die Sicherheitsbedürfnisse befriedigt sind, treten nach Maslow die Bedürfnisse nach Zugehörigkeit in den Vordergrund, d. h. das Individuum versucht, Freundschaftsbeziehungen mit anderen Menschen herzustellen, Eine etwas feiner ausgearbeitete Darstellung eines ähnlichen Modells enthält das Kapitel „Grundannahmen über menschliches Verhalten in sozialen Systemen" bei Hill/Fehlbaum/Ulrich, S. 56 ff. 26 Vgl. dazu das instruktive Kapitel „Die Idee der Gratifikation" bei Schanz, Grundlagen, S. 97 ff. 27 Vgl. Maslow, Motivation, S. 36 ff. Maslows Theorie zielt darauf ab, eine Hierarchie zwischen den Bedürfnissen herzustellen, dergestalt, daß „höhere" Bedürfnisse erst nach vollständiger oder teilweiser Befriedigung der „niedrigeren" empfunden werden. Dieser (kritisierbare) Aspekt seiner Theorie interessiert hier nicht. Für uns ist das System der Bedürfnisse wichtig.

25

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2. Der Prüfungsprozeß

strebt nach Zugehörigkeit zu Gruppen, d. h. es versucht, seine Isolation zu überwinden. Hier bestehen Berührungspunkte zum eben genannten Sicherheitsbedürfnis, weil die Zugehörigkeit zu Gruppen wenn nicht Sicherheit, so doch mindestens ein Sicherheitsgefühl vermitteln kann. Ebenso besteht eine Überlappung mit der nächsten Gruppe von Bedürfnissen, den Wertschätzungsbedürfnissen, weil die Zugehörigkeit zu einer Gruppe häufig Ausdruck der Wertschätzung seitens der anderen Gruppenmitglieder ist. Wertschätzungsbedürfnisse: Über die eben geschilderten Zugehörigkeitsbedürfnisse hinaus entwickelt der Mensch nach Maslow sogenannte Wertschätzungsbedürfnisse. Dabei unterscheidet Maslow zwei Gruppen, das Bedürfnis nach Selbstwertschätzung und das Bedürfnis nach Fremdwertschätzung (durch andere, als relevant erachtete Personen). Während mit Selbstwertschätzung das Streben nach eigener Stärke, nach eigener Leistung beschrieben wird, wird mit Fremdwertschätzung der Wunsch nach einem hohen Ansehen, nach Anerkennung durch die jeweilige soziale Umwelt ausgedrückt. Zwischen beiden Wertschätzungsbedürfnissen besteht ein Zusammenhang dergestalt, daß die Wertschätzung durch andere Personen gleichzeitig die Selbstwertschätzung hebt. Wie eben bei den Zugehörigkeitsbedürfnissen schon gesagt, hängt die Selbstwertschätzung in beträchtlichem Maße von dem Status ab, den die betreffende Person in ihrer engeren oder weiteren Gruppe genießt. Selbstverwirklichung: An oberster Stelle in der Bedürfnishierarchie nach Maslow steht das Streben nach Selbstverwirklichung. Wenn die vorgelagerten Bedürfnisse erfüllt sind, verspürt der Mensch den Wunsch, kreativ tätig zu werden. Das Streben nach Wissen, der Wunsch nach eigenständiger und selbständiger Leistung sind weitere Bestandteile dieser Bedürfnisgruppe. Hier besteht natürlich ein enger Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach Selbstwertschätzung.28 Es muß nun allerdings noch erläutert werden, warum unterschiedliche Individuen in unterschiedlichem Maße nach Erfüllung der einzelnen Bedürfnisse streben, z. B. stärker sicherheitsbetont, stärker wertschätzungsbetont oder stärker zugehörigkeitsbetont sind, kurz, warum sie unterschiedliche Anspruchsniveaus bezüglich der einzelnen Bedürfnisse aufweisen. Unter Anspruchsniveau versteht man dabei „das von einem Individuum für sein Verhalten definierte Zielausmaß (Zielhöhe)"29. Nach der Lewinschen Feldtheorie30 hängt das Anspruchsniveau eines Menschen von drei Faktoren ab: Auf Weiterentwicklungen des Maslowschen Ansatzes, wie z. B. die Herzbergsche Zwei-Faktoren-Theorie (vgl. Schanz, Grundlagen, S. 110 ff.) oder die ERG-Theorie von Alderfelder (vgl. Schanz, S. 113 ff.) wird hier nicht eingegangen. 29 Schanz, Grundlagen, S. 122. 30 Vgl. Schanz, Grundlagen, S. 115 ff. 28

2.3 Die Basisdimensionen

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- von der Suche nach Erfolg, - von dem Wunsch, Mißerfolge zu vermeiden, - von der empfundenen Wahrscheinlichkeit des erwarteten Erfolgs bzw. Mißerfolgs.31 Neben diesen, im betrachteten Menschen liegenden Faktoren ist auch die Umwelt des Menschen von Einfluß auf sein Anspruchsniveau. Sowohl einzelne Bezugspersonen als auch die engeren Gruppen (z. B. Familie, berufliche Gruppe(n), aber auch außenstehende Personen bzw. Gruppen können mittels ihrer vom Individuum wahrgenommenen Erwartung das Anspruchsniveau einer Person steigern oder senken. Menschliches Verhalten wird aber, wie wir sahen, nicht nur durch Motivationen, sondern ebenso durch kognitive, d. h. auf Erkenntnis gerichtete geistige Prozesse beeinflußt. Menschen entwickeln unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse und Anspruchsniveaus Ziele, d. h. erreichbare Konkretisierungen ihrer Bedürfnisse, sie nehmen Einflüsse und Veränderungen der Umwelt wahr, sie suchen nach möglichen Handlungsalternativen in konkreten Situationen und sie entscheiden sich für eine der Handlungsalternativen, nämlich diejenige, die den jeweils betroffenen Zielen am ehesten gerecht wird. Diese Such- und Entscheidungsvorgänge entsprechen allerdings nicht immer den strengen Regeln der Rationalität, da - der Mensch seine Umwelt nur selektiv wahrnimmt; das gilt sowohl für die Anstöße, die ein Handeln erfordern (nicht alle Anstöße werden wahrgenommen) als auch für die vorhandenen Handlungsalternativen (nicht alle sind bekannt), - die Hierarchie der Ziele unvollständig formuliert und möglicherweise in sich widerspruchsvoll ist. Zielerreichung im eben verwendeten Sinne bedeutet daher oft nicht maximale Zielerreichung, sondern eher die Erfüllung eines individuellen Anspruchsniveaus im Sinne einer befriedigenden Lösung. Die Behandlung von Zielen der von betriebswirtschaftlichen Prüfungen betroffenen Personen bzw. Institutionen wird sich im folgenden Kapitel anschließen. Menschliches Verhalten wird schließlich von Lernprozessen beeinflußt. Als Lernen wird hier, - wie schon erwähnt - , der Vorgang bezeichnet, durch den Menschen aus der Erfahrung, daß in der Vergangenheit einzelne Verhaltensweisen unter bestimmten Bedingungen erfolgreich oder nicht erfolgreich waren, Folgerungen ableiten. Homans 32 hat zu der Frage, welche Einflüsse Lernprozesse auf menschliches Verhalten ausüben, die folgenden Hypothesen formuliert: 31

Hier haben wir eine Verbindung zur Kognition und zu den Lernprozessen. Homans, George Caspar, Social Behavior; hier S. 15-50; vgl. auch Schanz, Grundlagen, S. 158 ff.

32

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2. Der Prüfungsprozeß

Die Erfolgshypothese: Für alle menschlichen Handlungen gilt, daß sie um so wahrscheinlicher durchgeführt werden, je häufiger sie mit einer Belohnung33 verbunden sind. (S. 16) Aus der Umkehrung dieser Hypothese ergibt sich, daß ein Mensch früher oder später aufhören wird, eine Handlung auszuführen, wenn eine Belohnung ausbleibt. Die Anstoßhypothese: Wenn in der Vergangenheit ein Stimulus oder mehrere Anstöße der Anlaß für eine Handlung war, mit der sich die Person eine Belohnung errang, dann wird die Wahrscheinlichkeit, daß die Person diese oder eine ähnliche Handlung wiederholt um so größer, je stärker die gegenwärtigen Anstöße den früheren ähneln. (S. 22) Die Hypothese besagt also, daß Menschen verallgemeinern können, d. h. Verhaltensweisen nicht nur bei Vorliegen derselben Anstöße, sondern auch bei ähnlichen (d. h. für ähnlich gehaltenen) Anstößen zeigen. Malewski spricht hier vom Transfer gelernter Reaktionen auf andere Situationen.34 Die Werthypothese: Je wertvoller das Ergebnis einer Handlung für eine Person ist, um so wahrscheinlicher wird sie diese Handlung ausführen. (Seite 24 ) Diese Hypothese muß im Zusammenhang mit der (1.) Erfolgshypothese betrachtet werden, weil es nicht allein auf die Höhe der Belohnung, sondern auch auf die aus Vergangenheitserfahrung geprägte erwartete (subjektive) Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Belohnung ankommt. Außerdem fragt sich, was eigentlich den vom Menschen empfundenen unterschiedlichen Wert einzelner Belohnungen ausmacht. Nach Malewski hängt der Wert der Belohnung sowohl von der Stärke des Bedürfnisses ab, das durch diese Belohnung befriedigt wird als auch vom Zeitabstand zwischen Handlung und Belohnung.35 Malewski formuliert die folgenden, die Werthypothese ergänzenden Hypothesen: - wenn eine Belohnung oft und in kurzen Abständen wiederholt wird, verringert jede folgende Belohnung derselben Art die Wahrscheinlichkeit der Vornahme der belohnten Handlung; - verspätet erfolgende Belohnungen sind weniger wirksam als unmittelbar folgende Belohnungen. Was wird hier unter einer Belohnung verstanden? Zunächst natürlich die Befriedigung eines Bedürfnisses. Homans führt diese Überlegung aber noch weiter: „Alle Handlungen, die es einer Person erlauben, Bestrafungen zu entkommen bzw. diese zu vermeiden, werden dann um so eher durchgeführt,

33 34 35

Zum Begriff der Belohnung vgl. Werthypothese. Malewski, Andrzej, S. 58. Malewski, S. 56.

2.3 Die Basisdimensionen

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wenn diese Handlungen erfolgreich waren. Es gibt also zwei Gruppen von Belohnungen: direkte Belohnungen und das Vermeiden von Bestrafung. Genauso gibt es zwei Arten von Bestrafungen: direkte Bestrafung und das Vorenthalten einer Belohnung." (S. 26) Die Entbehrungs-Sättigungs-Hypothese: Je öfter eine Person in der unmittelbaren Vergangenheit eine bestimmte Belohnung erhalten hat, um so weniger Wert hat die Einheit an Belohnung für ihn. (S. 28) Diese These steht offensichtlich in engem Zusammenhang mit der eben genannten Werthypothese, ja Malewski faßt sie, wie wir sahen, zusammen. Wir haben es hier weiter mit einem Berührungspunkt mit der Maslowschen Bedürfnishierarchie zu tun, bei der, wie wir sahen, nach Befriedigung „niedrigerer" Bedürfnisse die höheren Bedürfnisse in den Vordergrund treten, weil ihr „Wert" wegen der Sättigung der niedrigeren Bedürfnisse als höher empfunden wird. Die Aggressions-Zustimmungs-Hypothese: Sie ist in zwei Untersätze geteilt und hat die Aufgabe, zu erklären, warum Personen aggressives und zustimmendes Verhalten entwickeln. Die Frustrations-Aggressions-Hypothese (die erste Teil-Hypothese) lautet: Wenn die Handlung einer Person nicht die erwartete Belohnung erbringt oder die Person unerwartet bestraft wird, wird sie ärgerlich; sie wird wahrscheinlich agressives Verhalten zeigen und die Ergebnisse dieses Verhaltens sind für sie belohnend. (S. 37) Die These soll also aus Frustration kommende Aggressionen erklären. Homans schränkt allerdings ein (S. 39), indem er sagt, daß aggressives Verhalten nicht unbedingt folgen muß, da Menschen gelernt haben, daß unter gewissen Bedingungen aggressives Verhalten zu weiteren Bestrafungen führt. Aggressionen werden also vornehmlich dann geäußert, wenn darauf keine Bestrafung erwartet wird. Die zweite Teil-Hypothese hat bei Homans keine eigene Bezeichnung; man könnte sie nach ihrem Gehalt als Erfüllungs-Zustimmungs-Hypothese bezeichnen. Sie lautet: Wenn eine Handlung einer Person die erwartete Belohnung einbringt, besonders eine größere Belohnung als erwartet, oder wenn die Person eine erwartete Bestrafung nicht erhält, wird sie erfreut sein; sie wird dadurch wahrscheinlicher ein zustimmendes Verhalten (approving behavior) ausüben, und die Ergebnisse dieses Verhaltens werden für sie wertvoller. (S. 39) Wenn auch die Homans'schen Thesen in vielen Punkten vage, unvollständig und entwicklungsbedürftig sind, so glaube ich doch, daß sie, wie die anderen Annahmen, für die weitere Darstellung von Nutzen sind. Wir werden auf diese durch Lernprozesse geprägten Verhaltensweisen im Abschnitt 2.3.4 über die Prüferpersönlichkeit, aber auch in den Abschnitten 2.4.2 und 2.4.3 über die bei Prüfungen vorzunehmenden Entscheidungen zurückkommen.

58

2. Der Prüfungsprozeß

2.3.2 Die Zielebene 2.3.2.1 Individuelle Ziele Wir wollen mit Hilfe der eben geschilderten Annahmen einige Thesen über Ziele der an Prüfungen beteiligten Individuen erarbeiten. Es stellt sich zunächst die Frage, welche Ziele Prüfer aufgrund der zuvor genannten Bedürfnisse haben können. Dabei wird kurz auf die Durchsetzungsmöglichkeiten dieser Ziele eingegangen; detailliert wird darauf später im Zusammenhang mit prüferischen Verhaltensweisen (Abschnitt 2.3.4) einzugehen sein. Physiologische Bedürfnisse: Wir wollen uns mit den physiologischen Bedürfnissen nicht weiter befassen, allerdings festhalten, daß sich daraus das Einkommensziel ableitet, d. h. daß jeder Prüfer zur Befriedigung seiner physiologischen Bedürfnisse ein Einkommensniveau anstrebt, das einen von ihm für ausreichend erachteten Lebensstandard ermöglicht.36 Zwischen dem Einkommensziel und den aus anderen Bedürfnissen rührenden Zielen können durchaus Konflikte auftreten (intraindividuelle Konflikte), z. B. zwischen Sicherheitszielen und dem Einkommensziel (hohe Einkommenserzielung könnte Verstöße gegen Normen des jeweiligen Berufsstands und damit Strafen zur Folge haben) oder z. B. zwischen Selbstverwirklichungs- und Einkommensbedürfnissen (wenn diese nicht beruflicher Natur sind, wie Familie, Sport o. ä. und dadurch die Einkommenserzielung begrenzen). Derartige intraindividuelle Zielkonflikte werden hier aber ausgeklammert. Das Einkommensstreben ist eines der Motive, das Personen dazu bewogen hat, sich in Gestalt des Prüferberufs am Berufsleben zu beteiligen. Jeder Prüfer hat im Rahmen gewisser Grenzen Einflußmöglichkeiten darauf, ob und in welcher Höhe er ein Einkommen erzielt; das gilt vor allem für den freiberuflich tätigen selbständigen Prüfer, der bei jedem einzelnen Prüfungsoder Beratungsauftrag die Möglichkeit hat, anzunehmen oder abzulehnen. Das gilt aber mit Einschränkungen auch für als Angestellte tätige Prüfer, die die Möglichkeit haben, den gegenwärtigen Arbeitsplatz gegen einen anderen, z. B. mit höherem Einkommensniveau aber geringerer Freizeit einzutauschen. Sicherheitsbedürfnisse: Bei Prüfern äußert sich dieses Streben vorwiegend im Ziel der Sicherung des Arbeitsplatzes bzw. der Sicherung des Bestands der Prüfungsunternehmung bei einem als Mitgesellschafter bzw. als Praxismitinhaber tätigen Wirtschaftsprüfer. Ähnlich wie bei dem Einkommens ziel hat auch hier der Prüfer in gewissen Grenzen die Möglichkeit, die Zielerreichung 36 Auch das Fremdwertschätzungsbedürfnis ist hier angesprochen, z. B. käufliche Status-Symbole.

2.3 Die Basisdimensionen

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zu beeinflussen, indem er Verhaltensweisen zeigt, die (nach Meinung des Prüfers) bei seinen Vorgesetzten die Erhaltung seines Arbeitsplatzes fördern. Wie Sicherheitsbedürfnisse bei in eigener Praxis tätigen Prüfern bzw. bei als Mitgesellschaftern Tätigen erfüllt werden können, wird im Abschnitt 2.3.2.2.1 über Ziele des Prüfungsorgans zu zeigen sein. Auf den Konflikt zwischen Einkommens- und Sicherheitsziel wurde schon hingewiesen. Es sei aber noch kurz eingegangen auf den möglichen Konflikt zwischen zwei Komponenten des Sicherheitsziels, der bei angestellten Prüfern denkbar ist. Dieser Konflikt entsteht dadurch, daß Vorgesetzte vom Prüfer Verhaltensweisen verlangen können, die mit gesetzlichen oder sonstigen Normen nicht vereinbar sind. Der Prüfer steht dann im Konflikt zwischen dem aus dem Sicherheitsstreben resultierenden Ziel der Arbeitsplatzerhaltung (durch dem Vorgesetzten gegenüber konformes Verhalten) und dem ebenso sicherheitsorientierten Wunsch nach Vermeidung von Sanktionen, mit denen die Normverletzung belegt werden könnte. Er hat also die Wahl zwischen zwei Handlungsmöglichkeiten, die beide mit Strafen verbunden sein können. Die Entscheidung des Prüfers hängt wesentlich davon ab, wie schwer die Bestrafung in beiden Fällen von ihm empfunden werden, wie hoch er die Wahrscheinlichkeiten einschätzt, bei der einen oder anderen Verhaltensweise mit der Sanktion rechnen zu müssen und ob mit den Wahlmöglichkeiten vielleicht andere Belohnungen (z. B. das Bewußtsein, nach seinen eigenen ethischen Normen gehandelt zu haben) verbunden sind. Zugehörigkeitsbedürfnisse: Sie äußern sich im beruflichen Bereich des Prüfers so, daß er versucht, eine Zugehörigkeit zum Prüfungsteam bzw. zum Prüfungsorgan zu entwickeln, indem er Verhaltensweisen zeigt, die nach seiner Meinung geeignet sind, das Ausmaß seiner Akzeptierung durch die anderen Teammitglieder zu fördern, und indem er Verhaltensweisen vermeidet, die seine Zugehörigkeit gefährden könnten. Das Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit äußert sich aber nicht nur im jeweiligen Prüfungsorgan, sondern findet seinen Ausdruck ebenfalls im Willen zur Zugehörigkeit zum jeweiligen Berufsstand, also z. B. dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer bzw. zum Berufsstand der internen Revisoren. Auch hier hat der Prüfer einen gewissen eigenen Handlungsspielraum zur Beeinflussung seiner Gruppenzugehörigkeit. Bestehen von der Gruppe allgemein anerkannte Verhaltensnormen, so kann der einzelne Prüfer seine Gruppenzugehörigkeit dadurch demonstrieren, daß er vom Berufsstand als erwünscht bezeichnete Verhaltensweisen bevorzugt. Wertschätzungsbedürfnisse: Auch hier ergibt sich ein relativ enger Bezug zum Prüferteam, dem Prüfungsorgan bzw. dem Berufsstand. Während im Prüfungsorgan bzw. dem Berufsstand insbesondere die fachlichen Leistungen (wozu auch Veröffentlichungen über Fachthemen zählen) zu einer Befriedigung der Wertschätzungsbedürfnisse durch Erhöhung der empfun-

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2. Der Priifungsprozeß

denen Einschätzung durch Dritte führen, sind es im Prüferteam neben den fachlichen Leistungen auch der Wille zur Mitarbeit und die gesamten sonstigen Persönlichkeitszüge eines Menschen, die die Fremdwertschätzung beeinflussen. Ein ganz besonderes motivationales Problem ergibt sich für Prüfer, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften Prüfungen durchführen. Bezugspersonen, deren Wertschätzungen für Prüfer durchaus relevant sind, sind in diesem Fall die leitenden Personen der geprüften Unternehmung. Versucht der Prüfer allerdings, seine Fremdwertschätzungsbedürfnisse stärker zu befriedigen, indem er eine besonders intensive Prüfung durchführt, gerät er in Konflikt mit den Zielen dieser Personen, dann nämlich, wenn sie an einer höheren Qualität der Prüfungsleistung gar nicht interessiert sind. „Mancher Auftraggeber mag durchaus einer minimalen, wenn auch den Berufsgrundsätzen der Wirtschaftsprüfer noch genügenden Prüfungsleistung den Vorzug geben, wenn damit eine schnellere Beendigung der Prüfung und deshalb eine geringere Störung des Betriebsablaufs verbunden ist.37 Für eine „bessere" Prüfungsleistung wird der Prüfer also hinsichtlich seines Fremdwertschätzungsbedürfnisses bestraft, was nach Homans auf Dauer zu einem Unterlassen führt. Wir werden auf das Problem unten bei der Behandlung von Zielkonflikten noch eingehen müssen. Selbstverwirklichungsbedürfnisse: Auch hier sind Bezüge zur prüferischen Tätigkeit unverkennbar. Prüfer haben die Möglichkeit, insbesondere wenn sie in eine leitende Position aufgerückt sind, durch Ideenreichtum und Initiative ihre Selbstverwirklichungsbedürfnisse zu befriedigen. Das gilt uneingeschränkt für den Bereich der internen Revision, wo die Originalität des Prüfers im Finden von Mängelursachen und im Entwickeln von Lösungsmöglichkeiten besonders gefragt ist. Das gilt, wegen der eben geschilderten Problematik nur sehr beschränkt für den Bereich der gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen. Wirtschaftsprüfer haben allerdings die Möglichkeit (und nutzen sie auch), in ihrer Tätigkeit als Unternehmensberater und als Gutachter das Streben nach Selbstverwirklichung zu realisieren. Da die eben geschilderten Bedürfnisse, wie schon einleitend gesagt, menschliches Verhalten grundsätzlich beschreiben sollen, müßte man sie auch zur Erklärung des Verhaltens anderer, von Prüfungen betroffener Personen heranziehen können. Dabei ist zunächst an diejenigen Personen gedacht, deren Arbeit durch die Prüfung überwacht werden soll. Je nach der Uberzeugung, die das überprüfte Individuum über die Normentsprechung der Arbeit in seinem Teilbereich in der Vergangenheit hat, läßt sich bei positiver Selbsteinschätzung der Arbeitsweise aus seinen Fremdwertschätzungsbe-

37

Selchert, Friedrich W., Absatz, S. 7.

2.3 Die Basisdimensionen

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dürfnissen eine kooperative, auf Bestätigung der eigenen Einschätzung ausgerichtete Einstellung zu den Prüfern erwarten. Im Falle einer negativen Selbsteinschätzung läßt sich allerdings aus dem Sicherheitsbedürfnis bzw. ebenfalls aus den Fremdwertschätzungsbedürfnissen eine auf Verdeckung ausgerichtete unkooperative Einstellung der geprüften Personen gegenüber den Prüfern vermuten. 2.3.2.2 Überindividuelle Ziele 2.3.2.2.1 Ziele des Prüfungsorgans Prüfungsorgane verfolgen, wie alle Unternehmen bzw. größere organisatorisch verselbständigte Unternehmensabteilungen, eigene Ziele. Da zwischen den Zielen von selbständigen Prüfungsunternehmen (WP-Unternehmen) und Revisionsabteilungen erhebliche Unterschiede bestehen, sollen sie getrennt behandelt werden. 1) Ziele von Prüfungsunternehmen Ziele von Unternehmen, also auch von Prüfungsunternehmen, lassen sich nicht losgelöst von den Zielen der in der Unternehmung tätigen Personen diskutieren. Die betriebswirtschaftliche Zielforschung ist heute überwiegend zu der Auffassung gelangt, daß Unternehmensziele nicht von „dem Inhaber", „der Unternehmensleitung" gesetzt werden, insbesondere deswegen, weil es sich bei Unternehmenszielen nicht um einwertige Ziele, sondern um Zielbündel handelt. Sie sind überdies noch in verschiedene Ebenen nach Ober- und Subzielen gegliedert und werden in einen multipersonalen Prozeß erarbeitet. Das schließt allerdings nicht aus, daß zwischen den Zielen der einzelnen Individuen (also z. B. den einzelnen Prüfern) und den der Unternehmung Konflikte bestehen.38 Einkommensziele Da bislang noch keine empirischen Untersuchungen über die Zielsysteme von Prüfungsunternehmungen vorliegen, muß versucht werden, vermutete Zielformulierungen aus den oben dargelegten individuellen Bedürfnisstrukturen heraus darzustellen. Für diese Vorgehensweise spricht, daß die Gründung eines Unternehmens oder die Beteiligung daran aus der Sicht des oder der Gründer ein Instrument zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse im umfassenden Sinne darstellt. Da kaum anzunehmen ist, daß zwischen den Zielen des Gründers und den Zielen der von ihm gegründeten Unternehmung (bei Vgl. dazu Bidlingmaier/Schneider, Sp. 4731; Grün, Oskar, Sp. 4719; Heinen, Edmund, Zielsystem, S. 191 ff.

38

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2. Der Prüfungsprozeß

mehreren Gründern könnten natürlich Zielkonflikte unter diesen bestehen) sich Konflikte auftun, scheint das vorgeschlagene Vorgehen plausibel zu sein. Wir können danach annehmen, daß es Grundziel von WP-Unternehmen ist, das Einkommensstreben ihrer Eigentümer zu befriedigen. Das Streben nach dem maximalen Gewinn, wie es in betriebswirtschaftlichen Theorien bisweilen verwendet wird, läßt sich aus den elementaren physiologischen Bedürfnissen m. E. nicht ableiten. Der in der Begründung zur WPO von 1961 enthaltenen Aussage, daß die Tätigkeit des WP nicht vom Gewinnstreben beherrscht sein dürfe, kann ebenfalls nicht beigepflichtet werden. 39 Vielmehr muß angenommen werden, daß die Inhaber bzw. Gesellschafter von WP-Unternehmen das Zielausmaß, d. h. die Höhe des angestrebten Einkommens in für die einzelnen Personen befriedigender Höhe ansetzen.40 Dabei sind sicherlich die Einkommensverhältnisse von Berufskollegen in Angestelltenfunktion, in selbständiger Tätigkeit und von anderen freien Berufen und das in einer Gesellschaft vorhandene Maß an Wohlstandsstreben von Bedeutung. Wenn Eigentümer von WP-Unternehmen also vermutlich von einem individuell angestrebten Einkommensniveau ausgehen, fragt sich, wie Zielvorgaben so konkret formuliert werden können, daß die in der WP-Unternehmung zu treffenden Entscheidungen auch tatsächlich zur Zielerreichung beitragen. Die Eigentümer werden bei dieser Zielkonkretisierung von vermuteten Gesetzmäßigkeiten (Hypothesen) über die Wirkungsweise einzelner Handlungsweisen auf das verfügbare Einkommen ausgehen. Obwohl WP-Unternehmen wegen des weitgehenden Fehlens von Sachanlagen ein relativ einfaches Leistungsgefüge aufweisen, kann ich nur einige Beispiele aufzeigen: 41 - Einkommen der Eigentümer entsteht durch Verteilung des Jahresgewinns nach einer im Gesellschaftsvertrag festgelegten Regel (bei Einzelpraxen überflüssig); - Gewinn entsteht als Differenz zwischen Erträgen und Aufwendungen. Mittel zur Erreichung des angestrebten Gewinns wären daher die Beeinflussung von Erträgen (bei gegebenen Aufwendungen) und die Beeinflussung der Aufwendungen (bei gegebenen Erträgen). Damit sind wir allerdings nicht viel weitergekommen, denn normalerweise steigen mit Erträgen auch die Aufwendungen bzw. sinken mit den Aufwendungen auch die Erträge. Das Problem läßt sich etwas klarer formulieren, indem man nicht nach „dem Vgl. Begründung zur WPO, zitiert nach Gerhard, Karl-Heinz, S. 18. Vgl. Hauschildt, Jürgen, S. 731. 41 Auf die von Dieter J. G. Schneider (Ziele und Mittel) dargelegte Problematik der Ableitung von Mitteln aus Zielen (deduktives Zweck-Mittel-Schema) bzw. der Subsumierung von Mitteln unter Ziele (induktives Mittel-Zweck-Schema) sei hingewiesen; hier kann nicht darauf eingegangen werden. 39

40

2.3 Die Basisdimensionen

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Mittel" fragt, sondern unterschiedliche Mittel bei unterschiedlichen Umweltsituationen der WP-Unternehmen betrachtet. Das ist zwar einerseits unbefriedigend, weil man keine oder nur beschränkt verallgemeinerungsfähige Aussagen erhält, hat aber den Vorteil, realitätsnäher zu sein. Wir wollen erstens trennen zwischen vorwiegend ertragsorientierten und vorwiegend aufwandsorientierten Mitteln (der Ausdruck „vorwiegend" soll darauf verweisen, daß ertragsbeeinflussende Maßnahmen häufig auch Aufwandswirkungen haben und umgekehrt). Wir werden weiter trennen zwischen kurzfristigen Zielen (im Rahmen eines gegebenen Auftragsbestandes und gegebener (Personal-)Kapazität) und längerfristigen Zielen. Einige wichtige Beispiele für kurzfristige Ertragsziele sind: - die WP-Unternehmung hat mehr Aufträge, als sie mit der vorhandenen Personalsituation bewältigen kann: Ziel wird dann sein, die Gesamtdauer der einzelnen Prüfungen zu senken; zwar sinken dadurch die berechneten Zeitgebühren42, aber wegen der zusätzlich berechneten Wertgebühren steigt insgesamt das Honoraraufkommen der Periode. 43 - Die WP-Unternehmung hat weniger Aufträge, als sie mit der gegebenen Personalsituation bewältigen kann: Ziel wird dann sein, die Summe der verrechneten Prüferzeiten zu heben.44 Wenn wir uns dem kurzfristigen Mittel der Aufwandssenkung zuwenden, werden wir enttäuscht. Der Löwenanteil des Aufwands ist periodenfix (Personalkosten, Mieten, Abschreibung auf Geschäftsausstattung) bzw. auftragsfix (Reisekosten) 45 , d. h. die mögliche Zielsetzung „senke den Aufwand" ist bei kürzerfristiger Betrachtung nicht sinnvoll. Es gibt allerdings einen Sonderfall: - die WP-Unternehmung steht unter dem Druck des Mandanten, einen bestimmten (meist vom Vorjahr übernommenen) Honorar-Gesamtbetrag für die Prüfung nicht zu überschreiten: Ziel ist dann die Senkung der verwendeten Prüferzeiten46 und der sonstigen Aufwendungen. Damit kommen wir zu den längerfristigen Ertragszielen. Wenn man davon ausgehen kann, daß die Differenz zwischen zusätzlichen Erträgen bei Erreichung zusätzlicher Aufträge und dem damit im Zusammenhang stehenden zusätzlichen Aufwand für eine erweiterte Kapazität positiv ist (und eine Kapazitätserweiterung wegen der Arbeitsmarktlage realisierbar ist), kann man die längerfristige Zielsetzung formulieren: Vgl. Abschnitt 3.2.1.5.3, S. 260. Vgl. Abschnitt 3.2.1.5.3, S. 261. 44 Zu den berufsrechtlichen Grenzen vgl. die Ausführungen zum Sicherheitsziel (S. 64) und zum Grundsatz der Gewissenhaftigkeit, Abschnitt 3.2.1.3.3, S. 229. 45 Vgl. Abschnitt 3.2.1.5.3, S. 265. 46 Zu den berufsrechtlichen Grenzen vgl. die Ausführungen zum Sicherheitsziel (S. 64) und zum Grundsatz der Gewissenhaftigkeit, Abschnitt 3.2.1.3.3, S. 229. 42 43

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2. Der Prüfungsprozeß

- Beschaffung zusätzlicher Aufträge. - Vermeidung des Verlusts vorhandener Mandanten. Aus der Tatsache, daß zwar der Aufwand für die Prüfungsunternehmung weitgehend fix ist, aber die Verrechnung der geleisteten Arbeitsstunden als Honorarsatz gegenüber Mandanten beeinflußbar ist, ergeben sich als längerfristige Zielsetzung die Sätze: - Vermeide Leerzeiten von Prüfern und sonstigem Personal; - Vermeide den Einsatz überqualifizierten Personals. Die genannten Zielformulierungen liegen hart am Rande der Trivialität. Die Untersuchung hat aber zweierlei erbracht: - es gibt sicherlich kein Ding, das man als „die Zielsetzung ¿er Prüfungsunternehmung" bezeichnen könnte. Derartige Vorstellungen sind unbrauchbare theoretische Konstrukte. Es muß vermutet werden, daß WP-Unternehmen mit Zielbündeln arbeiten, die verschiedene Elemente von Einkommenszielen umfassen (zu den Sicherheitszielen kommen wir gleich) und die je nach Umweltsituation von Unternehmung zu Unternehmung unterschiedlich sind, ja im Zeitablauf innerhalb der gleichen Unternehmung variieren. - es ist notwendig, sich im Rahmen einer empirischen Forschung näher mit den Zielen von WP-Unternehmen zu befassen. Dabei haben wir noch nicht berücksichtigt, daß möglicherweise die Mitarbeiter der Unternehmung an der Formulierung der Ziele beteiligt sind47, wodurch Verschiebungen von Zielgehalt und Zielausmaß eintreten können, weil Kompromisse bei Interessenkonflikten (beispielsweise Ertragserhöhung der Unternehmung durch Uberstunden der Mitarbeiter) geschlossen werden müssen. Dabei haben wir ebenfalls nicht berücksichtigt, daß die angestrebten Zielinhalte und Zielausmaße bei mehreren Eigentümern einer WP-Unternehmung unterschiedlich gesetzt sein können, also auch hier Kompromisse geschlossen werden müssen (z. B. „Mehr Einkommen - weniger Freizeit").

Sicherheitsziele Welche Zielkomponenten im Zielsystem von WP-Unternehmen können sich nun aus den Sicherheitsbedürfnissen der Eigentümer ergeben? Es fällt nicht schwer, das im ersten Anlauf als „Erhalt des Bestands der Unternehmung" zu formulieren. Aber wie läßt sich dieses Ziel operational fassen? Hier könnte die Überlegung weiterhelfen, auf welche Weise der Bestand der Unternehmung gefährdet sein könnte. Die wichtigsten Gefährdungstatbestände sind: 1. Mangel an Aufträgen, so daß das Einkommen des (der) Eigentümer unter das persönlich fixierte Existenzminimum sinkt (z. B. unter das Gehalt eines angestellten WP).

2.3 Die Basisdimensionen

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2. Entzug der Befugnis zur Ausübung des WP-Berufs durch gerichtliche Entscheidung 48 , 3. fehlerhafte Berufsausübung mit der Folge existenzbedrohender Verluste 49 bzw. Schadenersatzansprüche.50 Diese Systematik ist offensichtlich nicht überschneidungsfrei: fehlerhafte Berufsausübung kann sowohl zu berufsrechtlichen Strafen als auch zu Schadenersatzansprüchen führen. Auf der einen Seite kann ein Entzug der Berufserlaubnis auch ohne berufliche Verfehlungen (z. B. im privaten Bereich) erfolgen, zum anderen können existenzbedrohende Verluste auch ohne oder mit milderen berufsrechtlichen Sanktionen als dem Ausschluß aus dem Beruf vorliegen. Tatbestand Nr. 1 erbringt nichts Neues. Das darunter zu subsumierende Ziel ergab sich schon aus dem Einkommenstreben. Die Tatbestände Nr. 2 und 3 erlauben allerdings die Formulierung zusätzlicher Komponenten des Zielbündels: 51 a) vermeide Verhaltensweisen, die berufsgerichtliche Strafen auslösen könnten, b) vermeide berufliche Verhaltensweisen, die existenzbedrohende Verluste oder Schadensersatzansprüche auslösen könnten. Der Satz b) ist eine Trivialität: wer sieht schon existenzbedrohende Verluste voraus und entscheidet sich trotzdem für diese Alternative. Da es sich überdies um einen ziemlich exotischen Sonderfall handelt, wollen wir uns nicht weiter damit befassen. Das unter a) formulierte Ziel ist dagegen von großer praktischer Bedeutung, obwohl es nicht sehr operabel formuliert ist (welche Verhaltensweisen sind gemeint, sind sie immer „verboten", oder nur dann, wenn mit ihrer Aufdekkung gerechnet werden muß?). Die Bedeutung rührt daher, weil häufig Konflikte zwischen ihm und den Einkommenszielen bestehen. Diese Konflikte kommen in zwei Arten vor. Ausprägung Nr. 1 : Mandanten könnten versuchen, durch (offene oder verdeckte) Androhung des Mandatsentzugs die WP-Unternehmung dazu zu bewegen, gegen Vorschriften über die Prüfungsdurchführung zu verstoßen bzw. die Nichtbeachtung von Vorschriften durch den Mandanten unbeanstandet zu lassen. Der zweite Konfliktkreis liegt darin, daß wichtige Subziele im Rahmen der

Vgl. z. B. Heinen, Zielsystem, S. 192 ff. Zur Berufsaufsicht vgl. Abschnitt 3.2.1.4, S. 233. 49 So ist z. B. 1974 eine W P G wegen eines fehlerhaften Treuhandvertrags in Konkurs gegangen, vgl. Berufsgerichtliche Entscheidungen, S. 43. 50 Zur zivil- und strafrechtlichen Verantwortlichkeit von W P vgl. WP-Handbuch 1977, S. 82 ff. 51 Hier halte ich die Formulierung „des Zielbündels" für vertretbar, weil ich keinen Anlaß für eine umweltbezogene Differenzierung sehe.

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2. Der Prüfungsprozeß

Einkommensziele die Senkung der Gesamtdauer einzelner Prüfungen und die Senkung der Prüferzeiten waren. Ein Verhalten gemäß diesen Zielvorschriften führt allerdings dazu, daß die Qualität des Prüfungsurteils unter die durch gesetzliche bzw. berufsständische Normen gezogenen Grenzen sinken kann, was mit berufs-, zivil- und strafrechtlichen Sanktionen geahndet werden kann. Jede WP-Unternehmung muß daher einen Kompromiß zwischen beiden Zielen dergestalt finden, daß das Ausmaß der Zielerreichung im Rahmen der Einkommensziele durch ein als notwendig erachtetes Mindestausmaß im Rahmen der Sicherheitsziele begrenzt wird. Wie dieser Kompromiß aussieht, hängt neben der (notwendigerweise subjektiven Beurteilung der Entdeckungswahrscheinlichkeit) von der Persönlichkeitsstruktur der betroffenen Personen ab. Sonstige Ziele Weitere, aus dem Kreis der mitarbeitenden Eigentümer in das Zielsystem der Unternehmung fließende Ziele könnten darin gesehen werden, daß die höheren Bedürfnisse dieser Personen, insbesondere also das Wertschätzungsbedürfnis und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung positiv beeinflußt werden, wenn die von ihnen geleitete Prüfungsunternehmung erfolgreich arbeitet. Erfolgreich sowohl in dem Sinne, daß sie ökonomisch erfolgreich ist, als auch in dem Sinne, daß im Bereich der Berufskollegen die Arbeitsweise der Unternehmung ein hohes Ansehen genießt. Auch das Bewußtsein des WP, einem Berufsstand anzugehören, dem in einem marktwirtschaftlichen System eine erhebliche öffentliche Bedeutung zukommt, vermag zur Erfüllung von Selbstwertschätzungsbedürfnissen beizutragen und daher das Ziel, an der Bewältigung der am Berufsstand übertragenen Aufgaben mitzuwirken, durchaus ein Element des Zielbündels von WP-Unternehmen zu sein. Zwischen den so formulierten Unternehmenszielen und anderen Ebenen bzw. Elementen des hier beschriebenen Prüfungsprozesses bestehen vielerlei Verbindungen. Zunächst muß darauf hingewiesen werden, daß zwischen den Zielen der Unternehmung und den Zielen der in Unternehmungen tätigen Prüfern durchaus Konflikte bestehen können. Da Ziele zu ihrer Durchsetzung als operable Normen formuliert werden müssen, was ausgesprochen schwierig ist, wie sich zeigen wird, haben die Prüfer als Mitglieder einer Prüfungsunternehmung durchaus die Möglichkeit, in relativ weitem Rahmen eigene Ziele zu verfolgen und anzustreben, auch wenn dies den ausformulierten Zielen der Prüfungsunternehmung zuwider läuft. Ziele der Prüfungsunternehmungen können weiterhin im Konflikt stehen mit den unten zu schildernden Zielen, die der Gesetzgeber mit Prüfungsdurchführungen verfolgt. Wir werden dort darauf eingehen. Ziele der Prüfungsunternehmung schlagen sich, soweit sie als Normen an Prüfer weitergegeben werden, bzw.

2.3 Die Basisdimensionen

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von Prüfern auch ohne eine derartige formelle Vorschrift verinnerlicht und angewendet werden, in vielfältiger Weise bei der Prüfungsdurchführung, insbesondere bei den konstituierenden und den Annahme-Entscheidungen nieder. Zusätzlich zu den gesetzlichen bzw. berufsständischen Regelungen über die Prüfungsdurchführung haben insbesondere größere Prüfungsunternehmen eigene Handbücher, in denen den Prüfern bestimmte unternehmenszielbezogene Handlungsweisen vorgeschrieben werden. 2) Ziele von Revisionsabteilungen Die Zielsetzungen von Revisionsabteilungen unterscheiden sich erheblich von denen der Prüfungsunternehmungen.52 Zunächst ist eine Revisionsabteilung kein erwerbswirtschaftliches Unternehmen, so daß das Einkommensstreben als Motiv für ihre Existenz wegfällt. Die in der Praxis der WP-Unternehmung häufige Konstruktion des mitarbeitenden Gesellschafters ist in einer Revisionsabteilung fast undenkbar. Revisionsabteilungen verdanken ihre Existenz vielmehr dem Sicherheitsbedürfnis von Unternehmensleitungen insbesondere größerer Unternehmen. Wenn eine Revisionsabteilung überhaupt eine kollektiv erarbeitete Zielvorgabe hat, und nicht nur eine von der Unternehmensleitung dekretierte Aufgabenstellung, dann wird diese Zielvorgabe sehr stark auf die Interessenlage der Unternehmensleitung Rücksicht nehmen, da Revisionsabteilungen in aller Regel als Instrument in den Händen der Leitung des jeweiligen Unternehmens betrachtet werden. Wir können also bei Zielen von Revisionsabteilungen unterscheiden zwischen - von der Unternehmensleitung erlassenen Zielsetzungen, - vom Leiter der Abteilung (bzw. von der Gruppe der Mitarbeiter) erarbeiteten Ziele, wobei natürlich die Regelungen in einzelnen Abteilungen eine Mischung aus beiden Gruppen darstellen. Als Sonderfall seien noch Zielformulierungen erwähnt, die von Berufsverbänden interner Revisoren ausgearbeitet werden, von denen man aber nicht weiß, wie weit sie tatsächlich verwendet werden.53 Die von den Unternehmensleitungen erlassenen Zielsetzungen (die nicht immer als solche bezeichnet sein müssen, sich vielmehr auch implizit z. B. aus Aufgabenstellungen bzw. Kompetenzen ergeben können) unterscheiden sich neben unterschiedlichen Vorstellungen über das Zielausmaß (Zielhöhe) vor allem im unterschiedlichen Zielgehalt. Der Zielgehalt kann bei Zielen von 52 Nach der Erhebung Interne Revision 73 gab es allerdings bei 377 Antworten vier Fälle, in denen die Revisionsabteilung als rechtlich selbständige Gesellschaft geführt wird. 53 Vgl. z. B. das bei Brink/Cashin/Witt abgedruckte Statement of Responsibilities of the Internal Auditor des (US-) Institute of Internal Auditors von 1971, S. 741 ff.; deutsch in ZIR 1968, S. 59 (dabei handelt es sich aber um eine ältere Fassung aus dem Jahre 1967).

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2. Der Prüfungsprozeß

Revisionsabteilungen durch drei Teilgebiete beschrieben werden, wobei jeweils extreme Ausprägungen angegeben werden: - Fassung des Aufgabengebiets: Ziel der Arbeit ist lediglich die Beurteilung des Rechnungswesens - Ziel der Arbeit sind alle betrieblichen Funktionsbereiche, - Art der Prüfungsurteile: Ziel ist nur die Feststellung der Ordnungsmäßigkeit der Arbeitsweise der Abteilungen - Ziel ist die Beurteilung des Erfolgs der Arbeitsweise einzelner Abteilungen, - Verhältnis zu geprüften Bereichen: Ziel ist ausschließlich eine Kontrolle der Arbeitsweise - Ziel ist, als helfender und motivierender Berater der einzelnen Abteilungen zu dienen. Die vom Leiter und dem Personal der Revisionsabteilung verfolgten Ziele können sich durchaus bezüglich der Zielinhalte und der Zielausmaße von denen der Unternehmensleitung unterscheiden. Eine in der Praxis nicht seltene Konstellation ist die, daß der Zielinhalt und das Anspruchsniveau der Unternehmensleitung enger bzw. niedriger formuliert werden, als das bei der Abteilung interne Revision der Fall ist (was sich aus den Wertschätzungsbedürfnissen der Mitglieder der Abteilung durchaus begründen läßt). Revisoren stoßen dann immer wieder an Grenzen, die für sie nicht sinnvoll sind, was zu Frustrationen und damit Leistungsminderungen führt. So können z. B. einzelne Funktionsbereiche der Unternehmenstätigkeit ganz aus dem Aufgabengebiet der Revisionsabteilung ausgeschlossen sein, oder es werden nur Ordnungsmäßigkeitsprüfungen durchgeführt, obwohl Zweckmäßigkeitsprüfungen nach Meinung der Revisionsabteilung die Leistungsfähigkeit der betreffenden Bereiche erhöhen könnten.

2.3.2.2.2 Ziele des Auftraggebers Auftraggeber ist in diesem Fall diejenige Person, die den Auftrag zur Durchführung einer Prüfung erteilt. Dabei kann es sich um private Personen oder Unternehmen handeln, die einem Prüfungsorgan den Auftrag zur Durchführung einer Prüfung in einer dritten Unternehmung erteilen. Dabei kann es sich aber auch um die Unternehmensleitung handeln, die einer Revisionsabteilung den Auftrag zur Durchführung einer Prüfung übergibt. Es kann auch eine staatliche Behörde sein, die einer anderen staatlichen Behörde (etwa der Staatsanwaltschaft) den Auftrag zur Durchführung einer Prüfung erteilt. In Schwierigkeiten kommen wir bei all denjenigen Prüfungen, die aufgrund eines gesetzlichen Auftrags durch freiberuflich tätige WP bzw. WP-Gesellschaften vorgenommen werden. Auftraggeber an die WPUnternehmung ist in diesen Fällen, vom Sonderfall der Bestellung durch ein Gericht (z. B. nach § 163 Abs. 3 AktG) abgesehen, die zur Duldung der

2.3 Die Basisdimensionen

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Prüfung verpflichtete Unternehmung und nicht der Staat selbst; der Staat hat für die zu prüfende Unternehmung in Gesetzen die Pflicht zur Erteilung des Prüfungsauftrages festgehalten. Wir wollen in diesen Fällen, obwohl formal der Prüfungsauftrag von der geprüften Unternehmung an die Prüfungsunternehmung erteilt wird, den Staat als Auftraggeber bezeichnen, da in diesen Fällen die Durchführung der Prüfung aus übergeordneten, öffentlichen Interessen veranlaßt wird. Häufig werden die Ziele einer Prüfung nicht explizit im Prüfungsauftrag genannt, sondern sie müssen aus der Art des gewünschten Prüfungsurteils heraus gefiltert werden. Die mit Prüfungen verfolgten Zielsetzungen (z. B. mit der Jahresabschlußprüfung von Aktiengesellschaften) sind häufig auch so komplex, daß sie nicht in kurzen, knappen und operablen Formulierungen angegeben werden könnten. Man behilft sich in diesen Fällen damit, daß neben der Zielsetzung der Prüfung im Prüfungsauftrag auch Bezug genommen wird auf Normen, und zwar sowohl auf die Normen, die die Prüfungsdurchführung regeln sollen als auch auf die Normen, nach denen der Prüfungsgegenstand zu beurteilen ist. Wir finden hier also einen sehr engen Zusammenhang zwischen Zielen und Normen. Nur wenn es gelingt, Verhaltensanweisungen dergestalt zu formulieren, daß das tatsächliche Prüferverhalten den angestrebten Zielen entspricht, können Auftraggeber von Prüfungen ihre Ziele auch durchsetzen. Da, wie wir sehen werden, eine quasi automatische Transformierung von Zielen in Normen nicht möglich ist, und da zwischen den Zielen der Auftraggeber und den Zielen des Prüfungsorgans bzw. den individuellen Zielen der einzelnen an einer Prüfung beteiligten Prüfern erhebliche Konflikte bestehen können, verfügen die Auftraggeber nur über beschränkte Möglichkeiten, ihre Zielsetzungen zu verwirklichen. Ein erstes Beispiel für einen solchen Zielkonflikt zwischen Auftraggebern und Prüfungsorganen haben wir schon genannt: der Konflikt zwischen eng formulierter, von der Unternehmensleitung erlassener Zielsetzung für Revisionsabteilungen und dem weiter gefaßten, selbstgesetzten Ziel der Abteilung. Wer in diesem Fall seine Ziele stärker durchsetzen kann, hängt kurzfristig betrachtet davon ab, wie präzise die Regeln zur Prüfungsdurchführung sind. Bei längerfristiger Betrachtung hängt die Lösung des Konflikts davon ab, ob es der Revisionsabteilung gelingt, die Unternehmensleitung von der Zweckmäßigkeit einer weiteren Fassung der Ziele zu überzeugen. Ein wichtiges Beispiel im Bereich externer Prüfungen ist der mögliche Zielkonflikt zwischen Zielen des Auftraggebers „Staat" und den Zielen der Prüfungs-Unternehmung. Während das öffentliche Interesse daraufhinaus läuft, eine durch gesetzliche Grundsätze zwar nur grob beschriebene Mindestqualität des Prüfungsurteils zu sichern, haben wir gesehen, daß als Zielkomponenten von WP-Unternehmen Einkommensziele eine Rolle spielen, deren Verfolgung der Tendenz nach auf eine Senkung der Urteilsqualität

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2. Der Prüfungsprozeß

hinausläuft. Inwieweit es gelingt, diesen Zielkonflikt zugunsten der öffentlichen Ziele zu lösen, hängt neben der aus ethisch-moralischen Gründen rührenden Bereitschaft von Wirtschaftsprüfern, einen Zielkompromiß einzugehen, vorwiegend davon ab, ob die Rechtsnormen zur Prüfungsdurchführung eine zuverlässig verhaltenssteuernde Wirkung haben.

2.3.3 Die Normebene 2.3.3.1 Aufgaben und Arten von Normen Wir haben den Begriff der Norm schon sehr häufig verwendet und darunter Verhaltensanweisungen oder Regeln verstanden, durch die ein Normgeber das Verhalten von Personen, die Normadressaten sind, in dem Sinne zu beeinflussen versucht, daß unerwünschte Verhaltensweisen verhindert und erwünschte Verhaltensweisen gefördert werden. Man kann Normen nach verschiedenen Gesichtspunkten systematisieren. Unterscheiden wir zunächst nach dem Normgeber, so können wir zwischen individuellen und überindividuellen Normen trennen. Während individuelle Normen von Personen formuliert werden und für das eigene Verhalten maßgeblich sind, allenfalls noch für Personen im unmittelbaren Lebensbereich des Normgebers verhaltenswirksam sein sollen, werden überindividuelle Normen von größeren oder kleineren Gruppen von Menschen gesetzt. Als solche Gruppen kommen in Betracht: Formelle oder informelle Gruppen im privaten bzw. beruflichen Leben, Firmen, Behörden, staatliche Körperschaften oder auch überstaatliche Zusammenschlüsse, wie z. B. die Europäische Gemeinschaft, die Vereinten Nationen. Individuelle Normen sind bei Prüfungen von erheblicher Bedeutung, denn in ihnen äußern sich die religiösen oder moralischen Werthaltungen eines Individuums. Wir können hier der Entstehung derartiger wertbezogener Individualnormen nicht nachgehen, müssen aber festhalten, daß sie immer dann das Verhalten von Menschen beeinflussen, wenn aufgrund anderer, nicht präziser Normen Freiräume entstehen. Nach der Art der Formulierung können wir Normen trennen in formale und informelle Normen. Von formalen Normen wollen wir dann sprechen, wenn sie ausdrücklich als Verhaltensanweisung (meist in schriftlicher Form) formuliert worden sind. Nicht formale Normen wären dann Verhaltensregeln, die sich in Gruppen herausgebildet haben, ohne daß sie ausdrücklich als Verhaltensanweisung formuliert bzw. vereinbart worden wären. Als Beispiel für solch eine informale Norm im Bereich von Prüfungen könnte z. B. gelten, daß in einem Prüferteam aufgedeckte Fehler, die ein anderer Prüfer begangen hat, nicht dem Prüfungsleiter, sondern lediglich dem betreffenden Prüfer mitgeteilt werden.

2.3 Die Basisdimensionen

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Im Prüfungsbereich kommen beide Arten der Normformulierung vor. Prüfungsgeschehen wird maßgeblich von explizit formulierten Normen, z. B. von gesetzlichen Normen, z. B. von innerbetrieblichen Normen beeinflußt. Daneben kommen aber auch, wie das eben gebrachte Beispiel bezeugt, nicht ausdrücklich formulierte individuelle bzw. überindividuelle Normen in Frage. Nach der Fundierung können wir Normen unterscheiden in ethische und soziale Normen, Rechtsnormen und betriebliche Normen. Zu den ethischen Normen wollen wir diejenigen Verhaltensanweisungen bzw. Regeln rechnen, die Individuen bzw. Gruppen aus ihrer religiösen bzw. moralischen Grundhaltung heraus für sich bzw. alle Gruppenangehörigen, aber auch mit Aufforderung zur Zustimmung an Nicht-Gruppenangehörige formulieren. Derartige ethische Normen sind häufig nicht formale Normen, wenn auch insbesondere im religiösen Bereich die schriftliche Formulierung von Geboten durchaus anzutreffen ist. Es besteht eine enge Verwandtschaft zwischen ethischen und sozialen Normen. Soziale Normen sind im Gegensatz zu ethischen solche, die sich ohne unbedingt eine ethische Basis zu haben, als praktizierte Verhaltensregeln für Personen herauskristallisiert haben, die in einer formalen oder informellen Gruppe zusammenarbeiten. Derartige soziale Normen sind sehr häufig informelle Normen. Die Abgrenzung zwischen ethischen und sozialen Normen einerseits und den Rechtsnormen andererseits ist ausgesprochen unscharf. Eine Vielzahl der in unseren Gesetzbüchern bzw. Verordnungen zu findenden Normen haben ihren Ursprung im ethisch-religiösen Bereich bzw. sind Sozialnormen in dem Sinne, daß sie sich als zweckmäßige Regelungen zum Vermeiden oder Steuern von Konflikten im Zusammenleben der Menschen herausgestellt haben und daher von Gesetzgebern in Gesetze übernommen wurden. Da allerdings nicht alle Rechtsnormen sich auf derartige ethische bzw. soziale Grundbedürfnisse zurückführen lassen, möchte ich sie neben den ethischen bzw. sozialen Normen als getrennte Gruppe aufführen. Der Begriff Rechtsnorm ist hier in sehr umfassender Weise gedacht. Neben den in Gesetzen festgehaltenen Normen kommen Verordnungen und Erlasse von staatlichen Stellen hinzu, aber auch diejenigen Regeln, die sich aus der Rechtsprechung der verschiedenen Gerichte ergeben bzw. die sich aus Satzungen von Gesellschaften oder anderen Verträgen zwischen Personen ableiten. Rechtsnormen sind häufig sehr viel konkreter ausgestaltet als ethische Normen und in aller Regel explizit formuliert. Das heißt nicht, daß die Formulierung immer so eindeutig wäre, daß jede Diskussion über die Frage, ob eine bestimmte Verhaltensweise einer Person oder Personengruppe normkonform ist oder nicht, ausgeschlossen wäre. Wir werden später auf dieses Problem zurückkommen. Die Rechtsnormen unterscheiden sich von ethischen und sozialen Normen

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2. Der Prüfungsprozeß

häufig auch durch die unterschiedliche Konstruktion der Sanktionen, die bei Normverstößen eintreten können. Bei ethisch bzw. sozial fundierten Normen haben im Falle von Verstößen durch einzelne Gruppenmitglieder die restlichen Gruppenmitglieder lediglich die Möglichkeit, die Normverletzter ihrer Geringschätzung zu versichern bzw. sie im Extremfall aus der Gruppe auszuschließen. Die normverletzende Person wird also durch Nichtbefriedigung ihrer Sicherheitsbedürfnisse gestraft, ohne daß zur Feststellung des Normverstoßes ein irgendwie geartetes formales Verfahren eingerichtet oder notwendig wäre. Im Falle des vermuteten Verstoßes gegen Rechtsnormen droht in aller Regel ein gerichtliches Verfahren. Dem urteilenden Gericht steht dann (je nach Rechtsordnung) eine fein abgestufte Skala von Sanktionen zu Gebote, die von Verweis, über körperliche Züchtigung, Ausschluß aus der Gruppe, bis hin zu Geldstrafe, Freiheitsstrafe, ja selbst bis zum endgültigen Ausschluß aus der menschlichen Gemeinschaft durch die Todesstrafe reichen kann. Betriebliche Normen im Bereich von Prüfungsorganen können zwei unterschiedliche Fundierungen aufweisen. Es kann sich, was insbesondere bei WP-Unternehmen vorkommt, um die innerbetriebliche Interpretation von Rechtsnormen handeln, die immer dann notwendig wird, wenn die Rechtsnormen unvollständig oder unklar sind. Diese Normen lassen sich im wesentlichen den Sicherheitszielen zuordnen. Betriebliche Normen können weiter Verhaltensweisen vorschreiben, die der betrieblichen Einkommenszielsetzung förderlich sein sollen bzw. Verhaltensweisen verbieten, die dieser betrieblichen Zielsetzung zuwiderlaufen. Ein Beispiel für solch eine betriebliche Einkommensnorm im Bereich von Prüfungen: Bei Auftreten von Wartezeiten hat der betreffende unbeschäftigte Prüfer bei anderen Prüffeldern mitzuhelfen. Mit ethischen und sozialen Normen haben die betrieblichen Normen gemeinsam, daß ein formales Verfahren zur Feststellung von Normverstößen fehlt. Unternehmen haben aber die Möglichkeit, wirksame Sanktionen zu verhängen. Die Sakala reicht von der Rüge (Fremdwertschätzungsbedürfnis) über die Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz (Zugehörigkeitsbedürfnis) bis zur Ablehnung von Gehaltserhöhungen und schließlich bis zur Kündigung (Einkommens- und Sicherheitsbedürfnisse). Schließlich können wir die bei Prüfungen verwendeten Normen nach dem Gegenstandsbereich einteilen in Normen, die die Erstellung der Prüfungsobjekte regeln, die damit als Basis der Prüfungsurteile mit herangezogen werden und solche Normen, die die Prüfungsdurchführung regeln. Als Beispiel für Normen, die sich auf die Erstellung der Prüfungsobjekte beziehen, seien die Rechnungslegungsvorschriften des AktG genannt. Normen zur Prüfungsdurchführung sind zum Beispiel die „Grundsätze ordnungsmäßiger Durchführung von Abschlußprüfungen" des FG 1/1977 des IdW. Normen, die die Erstellung der Prüfungsobjekte regeln, haben als Adressaten zunächst einmal

2.3 Die Basisdimensionen

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diejenigen Personen, die für Arbeitsabläufe in Unternehmen verantwortlich sind. Der Prüfer muß sie allerdings bei seiner Annahmeentscheidung berücksichtigen. Sofern es sich dabei nicht um gesetzliche Normen handelt, die sowohl für die arbeitenden Personen in der Unternehmung als auch für den Prüfer (ggf. nach situationsbezogener Interpretation) ein Datum sind, kann der Prüfer auch die Normen selbst zum Gegenstand seines Prüfungsurteils machen. Dieser Fall kommt besonders häufig bei internen Prüfungen vor. Wenn ein interner Revisor z. B. die Arbeitsweise des Bereichs Beschaffung überprüft, dann überprüft er nicht nur, ob sich die betreffenden Personen an die ihnen vorgeschriebenen Verfahrensweisen gehalten haben, sondern er überprüft häufig, ob ein besseres wirtschaftliches Ergebnis der Beschaffungstätigkeit nicht auch durch eine Veränderung der Normen, d. h. der Verfahrensweisen erzielt werden könnte. Normen zur Regelung der Prüfungsdurchführung betreffen dagegen die sog. konstituierenden Entscheidungen. Im Fall externer Prüfung durch WP-Unternehmen handelt es sich dabei vorwiegend um Normen, die vom Gesetzgeber, aber auch vom Berufsstand der WP erarbeitet wurden. Darüber hinaus kommen allerdings, wie schon erwähnt, auch innerbetriebliche Normen in Frage. Im Bereich der Internen Revision sind die die Prüfungsdurchführung regelnden Normen dagegen meist betriebliche Normen 54 , d. h. sie können entweder von der Unternehmensleitung oder von der Leitung der Revisionsabteilung erarbeitet und erlassen werden.

Entnommen aus: BANK-BETRIEB 6/1976 (S. 248) Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen: Anforderungen für die Ausgestaltung der Innenrevision Das Bundesaufsichtsamt hat mit seinem Schreiben vom 28. Mai 1976 die nachstehenden Anforderungen für die Ausgestaltung der Innenrevision bekanntgegeben und die Verbände aufgefordert, die ihnen angeschlossenen Kreditinstitute hiervon zu unterrichten. „1. Die Betriebsabläufe jedes Kreditinstituts müssen durch eine funktionsfähige Innenrevision überprüft werden. Voraussetzung der Funktionsfähigkeit der Innenrevision ist eine schriftlich fixierte Ordnung des gesamten Betriebes, die sich sowohl auf die Kompetenz der einzelnen Betriebsangehörigen 54

Eine Ausnahme bilden die vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BÄK) erlassenen Anforderungen für die Ausgestaltung der Innenrevision . . .

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2. Der Prüfungsprozeß

als auch im erforderlichen Rahmen auf die Arbeitsabwicklung erstreckt und deren Einhaltung von der Innenrevision zu überprüfen ist. Soweit aus Gründen der Betriebsgröße ein Innenrevisor nicht vorhanden ist, kann diese Funktion von einem Geschäftsleiter erfüllt werden. Die Aufgaben der Innenrevision können auch ganz oder teilweise auf außenstehende Prüfer oder Gemeinschaftseinrichtungen übertragen werden. 2. Personalausstattung und qualitative Anforderungen an die Innenrevision müssen der Art und dem Umfang des zu prüfenden Geschäftsbetriebes gerecht werden. 3. Arbeitsweise und -umfang der Innenrevision müssen so beschaffen sein, daß die Prüfungsergebnisse über die Ordnungsmäßigkeit des Betriebsablaufes, aufgetretene Mängel sowie über Gefahren für das Kreditinstitut hinreichenden Aufschluß geben. Grundsätzlich sollten die in der Innenrevision beschäftigten Angestellten nicht mit Aufgaben betraut werden, die nicht im Rahmen der Innenrevision liegen. Auf keinen Fall dürfen diese Angestellten Aufgaben wahrnehmen, die nicht im Rahmen der Innenrevision liegen. Auf keinen Fall dürfen diese Angestellten Aufgaben wahrnehmen, die mit der Prüfungstätigkeit nicht im Einklang stehen. Ebenso sollten Angestellte, die in anderen Abteilungen des Kreditinstituts beschäftigt sind, nicht zeitweise mit Aufgaben der Innenrevision betraut werden (Funktionstrennung). 4. Die Prüfungshandlungen der Innenrevision sollen sich auf die Betriebsabläufe aller Teilbereiche des Kreditinstituts erstrecken. Auch sind der Innenrevision die Weisungen der Geschäftsleitung an andere Abteilungen bekanntzugeben, soweit hierdurch offensichtlich ihre Aufgabe berührt wird. 5. Die Veranwortung für die Einrichtung und den Ausbau einer funktionsfähigen Innenrevision obliegt der gesamten Geschäftsleitung, und zwar auch dann, wenn den einzelnen Geschäftsleitern bestimmte Aufgabenbereiche innerhalb des Kreditinstituts unterstehen. 6. Unbeschadet des Direktionsrechts der Geschäftsleitung soll bei der Aufstellung der Revisionsprogramme (Prüfungspläne) und bei der Durchführung der Prüfungshandlungen die Innenrevision ihre Aufgaben möglichst selbständig wahrnehmen. 7. Schriftliche Revisionsberichte sind regelmäßig und zeitnah, bei drohenden Gefahren unverzüglich zu erstellen und der Geschäftsleitung vorzulegen. Im Revisionsbericht selbst sind nicht nur Feststellungen zu treffen, sondern auch Beurteilungen des Prüfungsgebietes auszusprechen. 8. Die Erledigung von Beanstandungen ist zu überwachen und aktenkundig zu machen. Wird den Beanstandungen nicht Rechnung getragen, so hat der Leiter der Innenrevision dem für das betreffende Sachgebiet zuständigen Geschäftsleiter schriftlich zu berichten. Werden im Rahmen der Prüfungshandlungen schwerwiegende Feststellungen gegen Mitglieder der Geschäftsleitung bekannt, so ist der gesamten

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2.3 Die Basisdimensionen

Geschäftsleitung unverzüglich schriftlich Bericht zu erstatten. Diese ist verpflichtet, den Bericht des Innenrevisors unverzüglich dem Vorsitzenden des Aufsichtsorgans zu unterbreiten, gegebenenfalls mit einer eigenen Stellungnahme. 9. Revisionsberichte und Arbeitspapiere der Innenrevision sind den Prüfern der externen Revision zur Verfügung zu stellen. 10. Der Abschlußprüfer hat im Prüfungsbericht darzulegen, ob die Ausgestaltung der Innenrevision des zu prüfenden Instituts den vorstehenden Anforderungen genügt. Das Recht der Aufsichtsbehörden der Länder, für die Ausgestaltung der Innenrevision der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute Regelungen zu treffen, sowie die bereits auf diesem Gebiet bestehenden weitergehenden Regelungen bei den einzelnen Institutsgruppen bleiben von den oben aufgeführten Anforderungen unberührt.« 2.3.3.2 Überlegungen zur Verhaltenswirksamkeit von Normen55 Bevor wir einige der für Prüfungen relevanten Kataloge von Normen besprechen, wollen wir einige Überlegungen zur Frage anstellen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Normen die ihnen gesetzten Aufgaben, nämlich erwünschtes Verhalten zu fördern bzw. unerwünschtes Verhalten zu vermeiden, gerecht werden können. Wir nehmen damit die Position eines Normgebers ein. 2.3.3.2.1 Sachlicher Inhalt von Normen und

Verhaltenswirksamkeit

Zielbezogenheit: Normen müssen zielbezogen sein, da sonst die Gefahr besteht, daß durch die geforderten bzw. verbotenen Verhaltensweisen die Zielerreichung nicht gefördert wird. Damit soll nicht gesagt werden, daß Normen mittels logischer Operationen aus Zielen ableitbar seien. Es genügt, daß auf intuitivem Wege gewonnene Verhaltensweisen auf ihre Eignung hin geprüft worden sind, einen Beitrag zur Zielerreichung zu leisten.56 Beispiel: Aus dem Ziel einer Jahresabschlußprüfung „sichere Beurteilung der Gesetz- und Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung" (FG 1/1977, Satz C V) läßt sich die Norm „Eine ordnungsmäßige Prüfung erfordert planvolles Vorgehen" (FG 1/1977, Satz C IV) nicht allein mit Hilfe logischer Operationen ableiten. Man wird aber kaum bestreiten können, daß die genannte Vgl. dazu Moog, Karl, S. 12. Auf die Problematik der Ziel-Mittel-Ableitung hatten wir schon hingewiesen, vgl. dazu Schneider, Dieter J. G., Ziele und Mittel, insbesondere S. 43-55. 55

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2. Der Prüfungsprozeß

Norm (neben anderen Bedingungen) zu einer Zielerreichung beitragen kann. Noch schwieriger wird die Erfüllung der Forderung nach Zielbezogenheit dann, wenn es sich nicht um eine einzelne Zielsetzung handelt, sondern um mehrere Ziele, die z. T. miteinander in Konflikt stehen. Wenn in solchen Fällen nicht Prioritätsregeln aufgestellt werden können, die angeben, in welchem Umfang die Verfolgung der in Konkurrenz stehenden Ziele angestrebt werden soll, ergibt sich der im folgenden zu behandelnde Fall der Widersprüchlichkeit von Einzelnormen in einem Normensystem. Widerspruchsfreiheit: Die einzelnen Normen in einem Normensystem müssen in sich widerspruchsfrei sein, d. h. es darf nicht vorkommen, daß einer handelnden Person zwei unterschiedliche, sich gegenseitig ausschließende Handlungsweisen vorgeschrieben werden. Als Beispiel für einen Widerspruch in einem Normensystem mögen die folgenden Sätze aus dem Teil C V des FG 1/1977 des IdW gelten: „Der Abschlußprüfer muß Art und Umfang der Prüfungshandlungen so bemessen, daß eine sichere Beurteilung der Gesetz- und Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung möglich ist." und: „Die Zielsetzung der Abschlußprüfung erfordert im allgemeinen keine lückenlose Prüfung." Während der erstzitierte Satz mit seiner Forderung nach einer sicheren Beurteilung eine vollständige Prüfung verlangt, läßt der 2. Satz eine stichprobenartige Prüfung zu. Derartige Widersprüche führen dazu, daß der Prüfer und Prüfungsorgan die Möglichkeit haben, gemäß ihren eigenen Ziel- bzw. Normstrukturen zu entscheiden. Vollständigkeit: Wenn ein System von Normen seine Aufgabenstellung erfüllen soll, alle unerwünschten Verhaltensweisen auszuschließen, muß die Forderung nach Vollständigkeit der Normen erhoben werden. Wenn schon die Forderung nach Zielbezogenheit bzw. Widerspruchsfreiheit von Normsystemen Schwierigkeiten bereitete, so scheint die Forderung nach Vollständigkeit zunächst völlig unerfüllbar. Die Zahl der einzelnen Vorschriften, die z. B. zur Erstellung eines Jahresabschlusses bzw. zur Durchführung einer Prüfung erlassen werden müßten, wäre so groß, daß die betroffene Person sie überhaupt nicht mehr im einzelnen wahrnehmen könnte. Außerdem würde das Vorhandensein eines derart vollständigen Normensystems zu einer sehr starren und wenig flexiblen Prüfungsdurchführung führen. Die Forderung nach Vollständigkeit von Normensystemen muß daher relativiert werden, und zwar dergestalt, daß nicht alle Handlungen bis ins letzte Detail geregelt sein müssen, daß aber der Entscheidungsrahmen zumindest für die relativ wenigen konstituierenden Entscheidungen zur Prüfungsdurchführung abgesteckt ist. Wird dieses Ziel nicht erreicht, können andere, konkurrierende Ziele des Prüfers bzw. der Prüfungsunternehmung zu Entscheidungen führen, die nicht mit dem Ziel des Auftraggebers übereinstimmen. Hier besteht

2.3 Die Basisdimensionen

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überdies eine Wechselwirkung zwischen der Forderung nach Zielbezogenheit und Vollständigkeit. Sind die Ziele, die mit einem Normensystem verfolgt werden, relativ klar formuliert, sind Verstöße gegen das Vollständigkeitsgebot weniger bedenklich, da die individuelle Entscheidung eines Prüfers, eine bestimmte Verhaltensweise zielkonform oder nicht zielkonform ist, intersubjektiv nachprüfbar bleibt. Operationalität: Die Forderung nach Operationalität besagt zunächst, daß Normen Handlungsanweisungen enthalten müssen. Sie gesagt weiter, daß die geforderten Verhaltensweisen durchführbar bzw. die verbotenen Verhaltensweisen vermeidbar sein müssen. Ein Beispiel für mangelnde Handlungsanweisung ist der Satz aus dem FG 1/1977 „Der ordnungsmäßigen Prüfung dient eine Aufteilung des Prüfungsstoffs in einzelne Prüfungsgebiete." (Anmerkung 1 zu Satz C IV) Je weniger die aufgestellten Forderungen nach Zielbezogenheit, Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeit und Operationalität erfüllt sind, und die Ausführungen zu den einzelnen Forderungen haben gezeigt, daß sie nicht in vollständiger Weise zu erfüllen sind, desto mehr Freiraum entsteht für den Prüfer, d. h. desto mehr Entscheidungen über alternative Verhaltensweisen muß er im Verlauf der Prüfung fällen. In all denjenigen Fällen, in denen seine Bedürfnisse und Ziele und in denen seine persönlichen Normen bzw. die in der Prüfergruppe entwickelten Normen nicht mit den Zielen des Prüfungsorgans und den Zielen des Auftraggebers in Ubereinstimmung stehen, hat der Prüfer die Möglichkeit, durch Wahl geeigneter Verhaltensweisen seine Ziele anzustreben, was möglicherweise eine geringere Zielerreichung der Ziele des Prüfungsorgans bzw. des Auftraggebers impliziert. 2.3.3.2.2 Sprachliche Formulierung von Normen und Verhaltenswirksamkeit Eindeutigkeit: Die einzelnen Normen in einem Normensystem müssen eindeutig formuliert sein, d. h. es darf kein Zweifel darüber entstehen, ob einzelne Verhaltensweisen zulässig oder verboten sind. Der folgende Satz: „Bei betriebswirtschaftlichen Prüfungen . . . kann . . . Besorgnis der Befangenheit vorliegen, wenn nahe Beziehungen des WP zu einer leitenden Persönlichkeit des Unternehmens oder zu einem an der Sache Beteiligten . . . bestehen."57 verstößt gegen die Forderung nach Eindeutigkeit, denn selbst wenn der betreffende WP nahe Beziehungen zu einer leitenden Persönlichkeit des Unternehmens konstatiert, ist wegen der Formulierung „kann" immer noch nicht klar, ob nun die Übernahme des Auftrags wegen Besorgnis 57

Richtungweisende Feststellung Nr. 1 zum Grundsatz I „Unabhängigkeit und Unbefangenheit" der Richtlinien für die Berufsausübung der WP und vereidigten Buchprüfer, S. 7.

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2. Der Prüfungsprozeß

der Befangenheit abgelehnt werden muß oder ob eine Auftragsannahme zulässig ist. Konkretheit: Die Forderung nach Konkretheit bedeutet, daß der sachliche Inhalt der Normen nicht mit Hilfe von sog. Leerbegriffen bzw. Leeraussagen formuliert sein darf. Leerbegriffe sind solche Begriffe, die trotz des entgegenstehenden ersten Augenscheins keinen eigenständigen Begriffsgehalt haben, sondern die erst mit Hilfe zusätzlicher Denkoperationen mit Begriffsgehalt gefüllt werden müssen. Ein Beispiel für solch einen Leerbegriff im Prüfungsbereich ist der Begriff der Gewissenhaftigkeit, wie er im § 168 AktG und im § 43 WPO verwendet wird. Der Ausdruck läßt völlig offen, was damit gemeint ist; er wird erst durch den Passus im Berufsgrundsatz II Gewissenhaftigkeit der Richtlinien der WPK: „Der WP muß bei der Erfüllung seiner Aufgaben Gesetze und fachliche Regeln beachten sowie nach seinem Gewissen handeln." mit Sinngehalt erfüllt. Eine mit Hilfe dieses Leerbegriffs aufgestellte Norm „die Abschlußprüfung ist gewissenhaft durchzuführen" wäre dann eine Leeraussage, die keinerlei Anweisungs- bzw. Verbotscharakter aufweist. Zwischen den Forderungen nach Eindeutigkeit und Konkretheit besteht eine Beziehung dergestalt, daß nicht konkrete Normen, d. h. Leerformeln nie eindeutig sein können. Umgekehrt ist es aber denkbar, daß konkrete, d. h. nicht leerformelartige Normen durchaus nicht eindeutig sein müssen. Verstöße gegen die Forderungen nach Konkretheit und Eindeutigkeit führen dazu, daß sich Prüfer für Verhaltensweisen entscheiden können, die ihrer eigenen Ziel-Bedürfnisstruktur bzw. ihren eigenen Normen entsprechen und damit möglicherweise gegen Ziele der Auftraggeber bzw. des Prüfungsorgans wirken. 2.3.3.2.3 Wahrscheinlichkeit

von Sanktionen bzw.

Gratifikationen

Normen können nur dann verhaltenswirksam sein, wenn sie von den Adressaten überhaupt wahrgenommen werden. Mit diesem Problem wollen wir uns allerdings erst später befassen. Zunächst müssen wir aber noch einige Überlegungen zu dem Fall anstellen, daß Normen nach ihrem sachlichen Inhalt und nach ihrer sprachlichen Formulierung zwar durchaus geeignet sind, die gewünschten Verhaltensweisen beim Prüfer hervorzurufen, aber der Prüfer sich bewußt über die in Normen enthaltenen Verhaltensvorschriften hinweg setzt, um seinen eigenen Bedürfnissen, Zielen bzw. Normvorstellungen gerecht zu werden. Dieser Fall wird immer dann eintreten, wenn bestimmte, vorgeschriebene Verhaltensweisen den Zielvorstellungen des Prüfers bzw. seinen Normvorstellungen entgegenlaufen. Um derartiges, bewußt abweichendes Verhalten zu verhindern, muß der Normgeber versuchen, die

2.3 Die Basisdimensionen

79

einzelnen, durch Normen in ihrem Verhalten zu steuernden Personen durch Anreize zur Beachtung der Normen anzuhalten, Derartige Anreize können positiver Art sein, also Gratifikation. Derartige Anreize können aber (was im Bereich der rechtlichen Normen der Regelfall ist) negativer Art sein, also Sanktionen darstellen. Als Belohnung oder Gratifikation kommt das Eingehen auf die menschlichen Grundbedürfnisse wie sie oben geschildert wurden in Betracht. Vor allem wären, auf das Einkommensstreben von Menschen eingehend, Geldzahlungen, also Prämien oder Gehaltserhöhungen möglich.58 Eine zweite Gruppe von Maßnahmen umschließt die Fremdwertschätzungsbedürfnisse des Menschen; die vor den anderen Mitgliedern des Prüferteams bzw. des Prüfungsorgans geäußerte positive Stellungnahme zur Arbeit eines Prüfers wäre hier zu nennen. Auch ein Eingehen auf das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung wäre möglich, so z. B., wenn ein bestimmter, als besonders erfolgreich erachteter Prüfer zum Prüfungsleiter ernannt wird und damit einen in stärkerer Weise Kreativität und Eigeninitiative erfordernden Arbeitsplatz erhält. Bestrafungen bzw. Sanktionen bestehen in einem negativen Eingehen auf die menschlichen Grundbedürfnisse, d. h. im Verweigern der Möglichkeit zur Befriedigung dieser Bedürfnisse. Auf die möglichen Arten von Sanktionen wurde oben schon eingegangen. Nicht schon die Existenz möglicher Sanktionen wirkt verhaltenssteuernd, sondern zunächst die Erwartung eines Individuums, bei normabweichendem Verhalten mit einer Aufdeckung dieses abweichenden Verhaltens und erst dann möglicherweise anschließend mit einer Sanktion rechnen zu müssen. Entdeckungswahrscheinlichkeit und Sanktionswahrscheinlichkeit werden hier bewußt getrennt. Es ist denkbar, daß ein Normverstoß zwar entdeckt wird, aber daß nicht in jedem Falle eine Sanktion darauf liegt. Wenn z. B. bei einer Jahresabschlußprüfung die innerbetriebliche Norm vorliegt: „Bei Forderungskonten mit einem Bestand von mehr als DM 10 000,- ist die Abwicklung des Bestandes in der folgenden Periode zu überprüfen", kann nicht mit Sicherheit damit gerechnet werden, daß der betreffende Prüfungsmitarbeiter sich dieser (mühsamen) Prozedur unterwirft, wenn er aus der Erfahrung weiß, daß die Entdeckungswahrscheinlichkeit für sein normabweichendes Verhalten gering ist, weil der betreffende Prüfungsleiter die Prüfungsfeststellungen unbesehen in seinen Berichtsentwurf übernimmt, ohne anhand der Arbeitspapiere die Vorgehensweise des Prüfungsassistenten zu überprüfen. Neben der „Entdeckungswahrscheinlichkeit" ist es die Sanktionswahr-

58 Es wäre sogar denkbar, Prüfungshonorare als Erfolgshonorar zu bezahlen. Das scheitert aber daran, daß der Erfolg einer Prüfung schlecht meßbar ist.

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2. Der Prüfungsprozeß

scheinlichkeit, von der die Verhaltenswirksamkeit von Normen in ganz wesentlicher Weise abhängt, d. h. die Wahrscheinlichkeit, mit der das Individuum das Eintreten von Belohnungen bzw. Bestrafungen erwartet. Wenn ein Individuum nach Ableisten einer normkonformen Verhaltensweise feststellt, daß die erwartete Belohnung ausbleibt, so wird das, zumindest im Wiederholungsfalle, dazu führen, daß es künftig andere Verhaltensweisen, die möglicherweise seinen individuellen Normen besser entsprechen, vorzieht. 59 Als praktisches Beispiel dafür wäre der Prüfungsleiter zu nennen, der die besonders gründliche Arbeit eines Prüfungsassistenten entweder gar nicht wahrnimmt oder sie trotz Wahrnehmung nicht positiv würdigt oder der Prüfungsleiter, der Normverstöße einzelner Mitarbeiter nicht rügt. Neben Entdeckungs- und Sanktionswahrscheinlichkeit spielt auch die Schärfe der angedrohten Bestrafung eine Rolle. Nehmen wir ein weiteres Beispiel, das diesmal nicht einen Prüfungsassistenten und innerbetriebliche Normen, sondern einen WP bzw. eine WP-Unternehmung und gesetzliche Normen zum Gegenstand hat: Aus der Tatsache, daß der § 167 Abs. 2 AktG sagt: „Sind Einwendungen (gegen die Ordnungsmäßigkeit von Jahresabschluß und Geschäftsbericht) zu erheben, so haben die Abschlußprüfer die Bestätigung einzuschränken oder zu versagen." kann man noch nicht schlußfolgern, daß zuverlässig in allen Fällen von Einwendungen eine Einschränkung bzw. Versagung des Bestätigungsvermerks erfolgt. Da keine stichprobenweise Nachprüfung der Arbeit von Abschlußprüfern erfolgt60, braucht ein Abschlußprüfer nur dann mit einer Entdeckung seines Verstoßes gegen diese Norm zu rechnen, wenn irgendeine der betroffenen Personen diesen Verstoß aufdeckt. Selbst nach erfolgter Aufdeckung ist die Wahrscheinlichkeit einer Sanktion noch kleiner als 1, da die Interpretationsschwierigkeiten dieser Vorschrift enorm sind; insbesondere müßte bevor irgendeine Sanktion verhängt werden könnte, nachgewiesen werden, daß die Einwendungen, die der Abschlußprüfer erhoben hat, so wesentlich sind, daß sie zu einer Einschränkung bzw. Versagung des Vermerks führen mußten. Es erhebt sich schließlich die Frage, ob die zu erwartenden Sanktionen, im Beispiel also auf fehlerhafte Erteilung eines Bestätigungsvermerks, auch spürbar sind. In der Zeit von November 1961 bis Februar 1978 behandelte die Berufsaufsicht (also WPK und Berufsgerichtsbarkeit zusammen) drei Fälle der Testaterteilung ohne ordnungsmäßige vorangehende Prüfung. 61 Die Sanktionen:

59

Nach der Homans'schen Erfolgshypothese, vgl. oben Abschnitt 2.3.1, S. 56. Wenn man von der Uberprüfung der veröffentlichten Jahresabschlüsse im Bundesanzeiger durch die WPK absieht. 61 Vgl. WPK, Berufsgerichtliche Entscheidungen.

60

2.3 Die Basisdimensionen

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- ein Verweis verbunden mit einer Geldbuße von DM 1000,- nach § 68 WPO, verhängt vom Landgericht Düsseldorf wegen fehlerhafter Testaterteilung in Verbindung mit anderen Verstößen (S. 27); - eine Rüge in Form der schärfsten Mißbilligung durch den Vorstand der WPK wegen fehlerhafter Testaterteilung in Verbindung mit anderen Verstößen (S. 47); - eine Rüge in Form der schärfsten Mißbilligung durch den Vorstand der WPK wegen fehlerhafter Testaterteilung (S. 63). 2.3.3.3 Normen über die Prüfungsdurchführung Wir wollen hier unterscheiden nach Rechtsnormen und betrieblichen Normen. Rechtliche Normen bestehen vorwiegend für den Bereich der externen Prüfung, d. h. für Prüfungen, die nicht von Betriebsangehörigen durchgeführt werden. Die Tatsache, daß die externen Prüfungen fast ausschließlich aufgrund einer gesetzlichen Veranlassung, aber nicht immer im Interesse der jeweiligen Auftraggeber (also z. B. der geprüften Aktiengesellschaft) durchgeführt werden, hat den Gesetzgeber veranlaßt, in Gesetzen Normen zur Durchführung von solchen Prüfungen zu verankern. Als Beispiele seien die Vorschriften der §§ 162-169 AktG über die aktienrechtliche Jahresabschlußprüfung, der §§ 33 ff. AktG über die aktienrechtliche Gründungsprüfung und der §§ 142 ff. über die aktienrechtliche Sonderprüfung von Vorgängen bei der Gründung oder der Geschäftsführung genannt. Aber auch in anderen Gesetzen, so z. B. in den §§ 53 ff. des Genossenschaftsgesetzes (GenG) und in den §§ 27 ff. des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG) sind Vorschriften über die Durchführung von Prüfungen enthalten. Die Vorschriften sind allerdings sehr kurz und unvollständig. Als Beispiel mag ein Zitat aus dem § 168 Abs. 1 des AktG dienen: „Die Abschlußprüfer, ihre Gehilfen und die bei der Prüfung mitwirkenden gesetzlichen Vertreter einer Prüfungsgesellschaft sind zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung und zur Verschwiegenheit verpflichtet. Sie dürfen nicht unbefugt Geschäfts* und Betriebsgeheimnisse verwerten, die sie bei ihrer Tätigkeit erfahren haben. Wer vorsätzlich oder fahrlässig seine Pflichten verletzt, ist der Gesellschaft und, wenn ein Konzernunternehmen oder ein herrschendes oder abhängiges Unternehmen geschädigt worden ist, auch diesem zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet." Daß ein derartiger Satz von Normen wegen seiner mangelnden Vollständigkeit, Eindeutigkeit und Konkretheit nicht geeignet ist, das Verhalten von Prüfern bei Jahresabschlußprüfungen in zielbezogener Weise zu steuern, ist offensichtlich. Es würde im Rahmen dieser Einführung zu weit führen, alle diese Normen

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2. Der Prüfungsprozeß

inhaltlich darzustellen und bezüglich ihrer vermuteten Verhaltenswirksamkeit einer Kritik anhand der eben herausgearbeiteten Anforderungen an Normen zu unterziehen. Ich beschränke mich daher darauf, eine (nicht auf Vollständigkeit zielende) Ubersicht über Normen zur Prüfungsdurchführung zu geben. Gesetzliche Normen: Gesetzliche Vorschriften zur Regelung der Prüfungsdurchführung finden wir z. B. in den §§ 162 bis 169 AktG, §§ 43 und 44 WPO, den §f 53 bis 64 c GenG, den §§ 27 bis 29 KWG, den §§ 57 bis 59 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG). Der vollständigste Satz derartiger Normen ist in den genannten Vorschriften des AktG enthalten. Im allgemeinen regeln derartige gesetzliche Normen aber lediglich die Auswahl der Prüfer, den Prüfungsgegenstand, die Form der Berichterstattung über die Prüfung und die Adressaten des Prüfungsberichts. Berufsständische Normen: Die wichtigsten Normen zur Prüfungsdurchführung haben formal Gültigkeit nur für den Berufsstand der WP. Es sind die FG 1-3/1977 des IdW, die Grundsätze ordnungsgemäßer Durchführung von Abschlußprüfungen, Grundsätze ordnungsgemäßer Berichterstattung über Abschlußprüfungen und Grundsätze ordnungsgemäßer Testaterteilung bei Abschlußprüfungen enthalten. Innerbetriebliche Normen: Während die gesetzlichen Normen nur für eine beschränkte Zahl von Prüfungsarten Geltung haben und die berufsständischen Normen sich nur auf einen Teil der Gesamtzahl der in der Bundesrepublik tätigen Prüfer beziehen, es sich aber jeweils um Normen mit größerem Geltungsbereich handelt, gibt es eine Vielzahl von Systemen innerbetrieblicher Normen zur Prüfungsdurchführung. Wir wollen dabei unterscheiden nach solchen Normen, die innerhalb von WP-Unternehmungen Geltung haben und solchen Normensystemen, die bei Abteilungen interner Revision verwendet werden. Bei WP-Unternehmen findet man solche als Prüfungshandbücher (oder mit dem amerikanischen Ausdruck auch als manuals) bezeichneten Normensätze vorwiegend bei größeren Unternehmen, die ein Netz von mehreren Niederlassungen und eine größere Zahl von Prüferteams aufweisen. Darüber hinaus findet man Normensysteme, vorwiegend bei den deutschen Tochtergesellschaften amerikanischer Prüfungsunternehmen, in Form sog. Prüfungsprogramme. Diese Normensysteme haben zwei Aufgaben: a) Präzisierung und Detaillierung der in gesetzlichen und berufsständischen Normen enthaltenen Verhaltensvorschriften, um innerhalb der Prüfungsunternehmung eine gewisse Gleichförmigkeit der Qualität der Prüfungsdurchführung zu erreichen und um zu vermeiden, daß von der Unternehmensleitung nicht erwünschte Verstöße gegen gesetzliche oder berufsständische Normen vorkommen; b) wenn gesetzliche bzw. berufsständische Normen mehrere Handlungswei-

2.3 Die Basisdimensionen

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sen zulassen, diejenigen Handlungsweisen durchzusetzen, die der jeweiligen Zielsetzung der Unternehmung gerecht werden, bzw. diejenigen Handlungsweisen auszuschließen, die gegen betriebliche Normen verstoßen. Für die Prüfungsdurchführung bei Revisionsabteilungen bestehen keinerlei gesetzliche oder berufsständische Vorschriften. 62 Die Ausarbeitung der Normen zur Prüfungsdurchführung obliegt daher der Unternehmensleitung bzw. der Leitung der Abteilung Interne Revision. Nach der Umfrage des Instituts Interne Revision aus dem Jahr 1973 wird von 57% der befragten Unternehmen ein Prüfungshandbuch zur Festlegung der Normen verwendet.63 Die Zahl der ein Prüfungshandbuch verwendenden Revisionsabteilungen ist seit 1963 von 46% auf 57% gestiegen. Bei den Unternehmen, die ein Prüfungshandbuch verwenden, sind die folgenden Informationen im Handbuch enthalten (Zahl der ein Handbuch verwendenden Unternehmen = 100%) Organisation der Gesellschaft und/oder der Abteilung 68% Stellenbeschreibungen 48% Arbeits- und Dienstvorschriften 66% Revisionsrichtlinien allgemeiner Art 86% Sonstiges 25% Nach der Verwendung von Prüfungsfragebogen wurde in der Erhebung leider nicht gefragt. Es sei abschließend noch darauf hingewiesen, daß sich derartige Normen zur Prüfungsdurchführung nicht nur an den jeweiligen Prüfer wenden. Das IdW hat in der Vorbemerkung zu seiner 1967 erlassenen 1. Version der Grundsätze ordnungsmäßiger Durchführung von Abschlußprüfungen (GoA, F G 1/67) bemerkt: „Mit den nachstehenden Ausführungen will das IdW seinen Mitgliedern beratend zur Seite stehen und darüber hinaus allen an der Abschlußprüfung interessierten Kreisen bestimmte Grundsätze aufzeigen, von denen sich der Abschlußprüfer heute bei der Durchführung seiner Aufgabe leiten lassen soll." Neben WP sind also z. B. Vorstände der geprüften Unternehmungen Adressaten. Sie könnten, wenn die Normen operational, eindeutig und konkret wären, feststellen, welche Prüfungshandlungen sie „erdulden" müssen. Adressaten dieser Normen sind ferner die „Benutzer" der Prüfungsurteile. Sie könnten sich mit ihrer Hilfe ein Bild von der Zuverlässigkeit der Prüfungsurteile machen. Das meint das IdW, wenn es in der Anmerkung Nr. 2 zum Satz B des F G 3/1977 unter Bezugnahme auf den Bestätigungsvermerk nach § 167 Wenn man von den oben erwähnten Normen des B Ä K absieht. Vgl. dazu Bahre, Inge Lore, Bankenaufsicht und Interne Revision, ZIR 1979, S. 33 ff. 63 Vgl. ZIR 1974, S. 200. 62

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2. Der Prüfungsprozeß

Abs. 1 AktG formuliert: „Der Bestätigungsvermerk ermöglicht es dem Adressaten, eine stets gleichbleibende Interpretation mit dem formelhaft verwendeten Text zu verbinden, setzt aber voraus, daß dem Leser der gesetzlich gezogene Rahmen der Rechnungslegung (und der Prüfung, der Verfasser) vertraut ist." 2.3.3.4 Normen über die Erstellung der Prüfungsobjekte Wenn es schon schwierig war, einen Uberblick über wichtige Normen zur Prüfungsdurchführung zu geben, so wachsen diese Schwierigkeiten erheblich an, wenn man sich bemüht, einen Uberblick über Normen zur Gestaltung von Prüfungsobjekten zu bieten. Da praktisch alle in einer Unternehmung vorkommenden Tätigkeiten Gegenstand von betriebswirtschaftlichen Prüfungen sein können, müßte ein derartiger Uberblick alle von allen denkbaren Normgebern zur Regelung aller denkbaren Prozesse abgegebenen Vorschriften umfassen. Ich möchte mich daher auf die Angabe einiger weniger Rechtsnormen beschränken, die Regelungen über Tätigkeiten enthalten, die anschließend Gegenstand wichtiger Prüfungsarten sein können. Bei Buchprüfungen verwendete Normen Dabei ist nicht nur an Jahresabschlußprüfungen, sondern auch an andere Prüfungen gedacht, deren Gegenstand die Prüfung von Buchführung bzw. Bilanzen ist. Wir wollen unterscheiden zwischen solchen Rechtsnormen, die in Gesetzen bzw. in Verordnungen mit gesetzlicher Grundlage enthalten sind, solchen Rechtsnormen, die andere Quellen aufweisen und internen Normen, die ohne gesetzliche Grundlage von Buchführungspflichtigen geschaffen wurden, um internen Zielen zu dienen. Den weitesten Geltungskreis haben die Buchführungs- und Bilanzierungsnormen der §§ 38-47 HGB, da sie grundsätzlich für alle Kaufleute i. S. des § 1 HGB Gültigkeit haben. Diese Normen sind allerdings so unvollständig und so unpräzise64, daß der Gesetzgeber zu verschiedenen Zeitpunkten für einzelne Rechtsformen bzw. die Unternehmen einzelner Branchen Spezialnormen erlassen hat. Die wichtigsten, sich nur auf Unternehmen bestimmter Rechtsformen beziehenden Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften befinden sich in den §§ 148-161 AktG und 33-33 h GenG. Beispiele für Buchführungs- und Bilanzierungsnormen einzelner Branchen befinden sich in den §§ 25 a bis 26 b KWG und 55-56 VAG. Da sich herausgestellt hat, daß die Jahresabschlüsse, die aufgrund der geltenden handelsrechtlichen Vorschriften erstellt wurden, wenig geeignet sind, die besonderen Ziele der 64

Wenn man von einigen Änderungen jüngeren Datums, wie z. B. § 39 Abs. 4 oder § 43 absieht.

2.3 Die Basisdimensionen

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Finanzverwaltung bei der Erhebung von Steuern zu berücksichtigen, hat der Gesetzgeber in verschiedenen Steuergesetzen eigene Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften geschaffen. Ein Beispiel für einen derartigen Satz von Normen enthalten die §§ 4-7 EstG. Da der Gesetzgeber in den genannten Gesetzen bzw. Verordnungen nicht die Vielzahl aller möglichen Einzelfälle regeln konnte, und da dies auch gar nicht zweckmäßig erschien, um den einzelnen Unternehmen eine größere Freiheit in der Anpassung von Buchführung und Bilanz an ihre speziellen Belange zu belassen, ergab sich die Notwendigkeit Gesetzeslücken bzw. Auslegungsprobleme der bestehenden gesetzlichen Vorschriften anders zu regeln. Zu diesem Grunde wurden die sog. Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und Bilanzierung (GoB) geschaffen. Nach Leffson65 sind GoB Regeln, nach denen Geschäftsvorfälle aufzuzeichnen und im Jahresabschluß darzustellen sind. Da § 38 Abs. 1 HGB darauf verweist, daß der Kaufmann seine Bücher zu führen und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung ersichtlich zu machen habe, sind einzelne Regeln nur dann aus dem Gesetz abgeleitete Rechtssätze und damit als GoB zwingendes Recht, wenn man sich darauf geeinigt hat, daß eine bestimmte Verhaltensweise zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung und Bilanzierung gehört. Die wichtigsten Quellen für GoB sind: - Gesetzgebung: Hier handelt es sich nicht um einen Gliederungsirrtum meinerseits, sondern darum, daß Vorschriften, die in Spezialgesetzen nur für bestimmte Rechtsformen Gültigkeit haben, Kraft ihrer Zugehörigkeit zu den GoB auch für Unternehmen anderer Rechtsformen Anwendung finden müssen. Ein Beispiel dafür sind die Vorschriften des AktG 1937 zur Rechnungslegung, die nach herrschender Meinung als GoB anzusehen sind und daher noch Gültigkeit für alle rechnungslegungspflichtigen Unternehmen haben. - Gewohnheiten und Ansichten der Kaufleute: Da Kaufleute mit Gesetzeslücken und Zweifelsfragen bei der Interpretation von gesetzlichen Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften leben müssen und trotzdem Bilanzen erstellen müssen, entwickelt sich auf derartigen gesetzlich nicht eindeutig geregelten Gebieten rasch eine kaufmännische Übung. Solcher kaufmännischer Übung ist ein Normcharakter nicht grundsätzlich abzusprechen. In aller Regel werden derartige Übungen allerdings erst dadurch zu GoB, daß sie durch höchstrichterliche Rechtsprechung bzw. durch Gutachten von Verbänden als gute kaufmännische Übung festgestellt werden. - Rechtsprechung: Entscheidungen höherer und oberster Gerichte (wie z. B. Bundesgerichtshof, Bundesfinanzhof) setzen häufig Grundsätze ord65

Leffson, GoB, S. 2.

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2. Der Prüfungsprozeß

nungsgemäßer Buchführung. Sie bedienen sich allerdings bei der Feststellung der Grundsätze häufig einer induktiven Methode, indem sie sich bei der Erhebung der Verhaltensweisen ordentlicher Kaufleute auf Gutachten von Verbänden von Kaufleuten stützen. Auch der deduktiven Methode kommt bei der Setzung von GoB durch Gerichte eine Bedeutung zu. - Wissenschaftliche Überlegungen: Das Setzen von GoB durch Anerkennung einer allgemeinen ordentlichen kaufmännischen Übung (mit oder ohne gerichtliche Feststellung) bringt allerdings die Gefahr mit sich, daß die vom Gesetzgeber im jeweiligen Gesetz, angestrebten Regelungsziele, zu dessen Ausfüllung oder Interpretation ein Grundsatz ordnungsgemäßer Buchführung entwickelt werden soll, sich in der Übung der Kaufleute nicht unbedingt widerspiegeln müssen. Da die Übung der Kaufleute vorwiegend von den eigenen Interessen der Kaufleute geprägt wird, könnten gesetzgeberische Ziele zum Schutz anderer Gruppen möglicherweise zu kurz kommen. Daher wird der im Bereich der wissenschaftlichen Arbeit vorgenommenen Uberprüfung der Frage, ob bestimmte Verhaltensweisen im Bereich von Buchführung und Bilanzierung den Interessen anderer beteiligter Gruppen zuwiderlaufen (etwa Eigentümer, Gläubiger) eine große Bedeutung beigemessen.66 Neben diesen, sich aus Gesetzen, Verordnungen und anderen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung ableitenden Verhaltensvorschriften zur Erstellung von Buchführung und Bilanz bestehen noch interne, auf die jeweilige Zielsetzung der einzelnen Unternehmung abgestellte Verhaltensanweisungen zur Ausfüllung der in rechtlichen Vorschriften enthaltenen Freiräume. Dazu gehören im Bereich der Buchführung etwa Kontenpläne, Kontierungsanweisungen, Vorschriften zur Steigerung der Effizienz der einzelnen Arbeitsabläufe im Bereich der Bilanzbuchhaltung. Derartige Vorschriften sind nicht nur für den betreffenden Sachbearbeiter in der Unternehmung, sondern auch für den Prüfer bindend, soweit sie nicht mit gesetzlichen Normen bzw. GoB in Kollision stehen. Bei internen Prüfungen verwendete Normen Die eben sehr umrißartig geschilderten bei Buchprüfungen verwendeten Normen sind relativ homogen, was den Regelungsgegenstand anbetrifft, nämlich die Erstellung von Buchführungen und Jahresabschlüssen. Sie sind sehr heterogen, was ihre Herkunft bzw. auch die angesprochenen Unternehmen anbetrifft. Bei den nun zu besprechenden bei internen Prüfungen verwendeten Normen ist es genau umgekehrt. Sie gelten nur für eine einzelne Unternehmung bzw. eine Gruppe von Unternehmen, die z. B. in einem

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Zu den Interessen dieser Gruppen vgl. Egner, Bilanzen, S. 25 ff. und S. 59 ff.

2.3 Die Basisdimensionen

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Konzern zusammengefaßt sind. Ihre Regelungsgegenstände sind dagegen sehr vielfältig, da im Grundsatz alle Tätigkeiten, die in einer Unternehmung vorgenommen werden, der Uberprüfung durch die Interne Revision zugänglich sind.67 Solche internen Normen werden in aller Regel von der Unternehmungsleitung gesetzt; häufig wird das Recht zur Ausarbeitung und Erlassung derartiger Regeln einer Spezialabteilung, der Organisationsabteilung übertragen. Derartige interne Normen finden wir in vielfältiger Gestalt: Organisationsschemata, Arbeitsplatzbeschreibungen, Dienstanweisungen, Arbeitsablaufsanweisungen sind einige Beispiele dafür. Im Gegensatz zu Buchprüfungen, bei denen der Prüfer in allererster Linie darauf zu achten hat, ob die im jeweiligen Arbeitsbereich tätigen Personen die vorhandene externe Rechtsnorm bzw. die intern gesetzten Ergänzungsnormen beachten 68 , hat der Prüfer bei internen Prüfungen in aller Regel ein doppeltes Prüfungsziel: - Uberprüfung der Einhaltung der vorgeschriebenen Verhaltensweisen durch die im geprüften Bereich tätigen Personen (Ordnungsmäßigkeitsziel); - Uberprüfung, ob die zur Regelung der Arbeitsabläufe im überprüften Teilbereich vorhandenen Normen ihrerseits zweckmäßig sind, d. h. ob sie zielbezogen sind und den sonstigen oben genannten Kriterien zur Verhaltenswirksamkeit von Normen entsprechen (Zweckmäßigkeitsziel). Bei dieser Überprüfung von Normen anhand von übergeordneten Normen wird der Prüfer vor erheblich schwierigere Probleme gestellt, als das im Fall der Buchprüfung gezeigt wurde. Wir hatten oben 69 gesehen, daß es nicht möglich ist, aus gegebenen Zielen (wie sie für die gesamte Unternehmung bzw. einzelne betriebliche Teilbereiche vorgegeben sein können) mit Hilfe von logischen Operationen Vorschriften darüber abzuleiten, wie diese Ziele am besten zu erreichen seien. Bei der Kritik von vorhandenen Normen ist der Prüfer daher in sehr starkem Maße auf seine persönliche Kreativität angewiesen, da es häufig nicht ausreicht, auf Fehler oder Mißerfolge der gegenwärtig praktizierten Verhaltensweisen hinzuweisen. Um diese gegenwärtig praktizierten Verhaltensweisen zu kritisieren, ist es daher notwendig, Vorstellungen darüber zu erarbeiten, wie Verhaltensweisen aussehen müßten, die bessere als die gegenwärtig erzielten Ergebnisse erreichen.

Zu den Aufgabengebieten der Internen Revision vgl. Abschnitt 3.3.2., S. 278. Damit soll nicht gesagt werden, daß Revisionsabteilungen nicht auch Buchprüfungen durchführen; vgl. dazu Abschnitt 3.3.2., S. 281. 69 Im Abschnitt 2.3.2.2.1, S. 61 ff.

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2. Der Prüfungsprozeß

2.3.4 Die Persönlichkeitsebene Es ist selbstverständlich, daß wir mit den bislang unterschiedenen, vom Prüfer als Mensch ausgehenden Einwirkungen auf den Prüfungsprozeß (Bedürfnisstruktur, individuelle Normen) noch nicht alle Einflüsse dargestellt haben, die vom Prüfer als Mensch ausgehen. Neben Bedürfnissen und mit diesen mehr oder weniger eng zusammenhängenden Zielen und Normen spielt die Persönlichkeit des Prüfers eine bedeutende Rolle. Ich möchte drei Gruppen von Einflüssen unterscheiden, die vom Prüfer mitgebrachte fachliche Qualifikation zur Durchführung einer Prüfungsaufgabe, seine Charaktereigenschaften und seine private Umweltsituation.70 2.3.4.1 Fachliche Qualifikation Aus der im Kapitel 2.171 skizzenhaft dargelegten Komplexheit eines Prüfungsvorgangs, ebenfalls aus der im Kapitel 2.3.372 geschilderten mangelnden Präzision der Normen ergibt sich, daß die Arbeit des Prüfers im betriebswirtschaftlichen Bereich beileibe keine mechanische Tätigkeit ist, sondern daß geistige Höchstleistungen73 von ihm verlangt werden. Neben einem Mindestmaß an geistiger Begabung, das als ein wichtiger Persönlichkeitszug im folgenden Kapitel zu besprechen ist, muß daher vom Prüfer ein Bestand an Fachwissen verlangt werden, der den an ihn gestellten Anforderungen entspricht,74 und der mit dem Ausdruck „Qualifikation" bezeichnet werden kann. Mit dem Begriff Qualifikation ist nicht eine menschliche Fähigkeit schlechthin gemeint, sondern immer die Fähigkeit eines Menschen zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit. Wenn wir von der Qualifikation von Prüfern sprechen, können wir weiter unterscheiden zwischen Grundvoraussetzungen (Allgemeinbildung, betriebswirtschaftliche Grundausbildung) und besonderen prüferischen Qualifikationen. Auch über prüferische Qualifikationen können wir nicht losgelöst von einzelnen prüferischen Aufgabenstellungen sprechen, da es z. B. im Rahmen von Prüferteams Aufgabenstellungen von unterschiedlichem Schwierigkeits-

Man kann sich sicher darüber streiten, ob diese Überlegungen zur Persönlichkeitsebene oder zur Bedürfnisebene zu zählen sind. 71 Vgl. S. 33 ff. 72 Vgl. S. 75 ff. 73 So verlangt z. B. die W P K in einem Rügebescheid vom W P „sorgfältige Überlegung und Anspannung aller beruflichen . . . Fähigkeiten (vgl. Berufsgerichtliche Entscheidungen, S. 23). 74 Das ist natürlich eine Leeraussage. Es wird versucht, sie im folgenden mit Gehalt zu füllen. 70

2.3 Die Basisdimensionen

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grad, aber auch mit prüfungsgegenstandspezifischen unterschiedlichen Anforderungen gibt. Als Prüfungstätigkeit mit relativ geringerer qualitativer Anforderung wäre z. B. das Heraussuchen und formalrechnerische Nachprüfen der Korrektheit von Belegen zu nennen, das infolgedessen unter Prüfern ausgesprochen unbeliebt ist. Als Beispiel für einen Prüfungstätigkeit von hohem Schwierigkeitsgrad wäre z. B. die Uberprüfung der Angemessenheit von Rückstellungen einer in der Bilanz einer Unternehmung zu nennen. Beispiele für Prüfungstätigkeiten, bei denen es auf eine unterschiedliche Ausrichtung der Qualifikation ankommt wären die Prüfung von EDV-Programmen, die Prüfung von Bankbilanzen, die Prüfung der Zweckmäßigkeit der Arbeitsverfahren in einzelnen Unternehmensbereichen in einer Abteilung interne Revision75. Da auch ein erfahrener Prüfer nicht über die Spezialkenntnisse zur Durchführung aller in externen bzw. internen Prüfungsorganen vorkommenden Prüfungen verfügen kann, hat sich in der Praxis eine gewisse Spezialisierung durchgesetzt. Im Bereich der WP-Unternehmen besteht diese Spezialisierung sowohl zwischen den Unternehmen als auch innerhalb der einzelnen Unternehmung. So gibt es z. B. Prüfungsunternehmen, die sich auf die Durchführung der Prüfungen in bestimmten Branchen, wie z. B. Banken, Versicherungen spezialisiert haben. Der Vorteil der Spezialisierung bei Personen wie bei Prüfungsorganen liegt darin, daß die durchzuführenden Prüfungshandlungen sicherer und schneller ablaufen; sicherer deswegen, weil die Person(en) über einen Überblick über alle relevanten Spezialkenntnisse verfügen, so daß weniger leicht Irrtümer bzw. Fehler vorkommen; schneller deswegen, weil sie notwendige Spezialkenntnisse nicht erst nachschlagen und aufnehmen müssen und weil die einzelnen Prüfungshandlungen wegen des Lernprozesses schneller ablaufen. Analysieren wir die Qualifikation hinsichtlich ihrer Herkunft, so können wir unterscheiden nach Ausbildung und Berufserfahrung. Neben der Schul- und Hochschul- bzw. Fachhochschulausbildung sind hierbei vorwiegend die unternehmensinternen bzw. vom Berufsverband organisierten Ausbildungslehrgänge zu erwähnen. Das Erreichen eines bestimmten Ausbildungsniveaus (und der dazu notwendige Einsatz) wird neben der Ausprägung bestimmter, im folgenden Abschnitt zu besprechender Persönlichkeitszüge (Intelligenz, Ausdauer) mit beeinflußt von der sozialen Herkunft des Menschen und den ihm damit zusammenhängend gebotenen (oder vorenthaltenen) Möglichkeiten. Als Berufserfahrung bezeichnet man den Bestand an Fertigkeiten und Fähigkeiten, die ein Mensch erworben hat, indem er berufliche Wahrnehmungen, Zusammenhänge, wie z. B. erfolgreiche oder auch erfolglose Tätigkeiten

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Vgl. dazu Abschnitt 2.4.2.5, S. 115.

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2. Der Prüfungsprozeß

unter bestimmten Randbedingungen geistig verarbeitet und dadurch für künftige, ähnlich gelagerte Fälle nutzbar macht. 76 Solche Erfahrungen werden bisweilen auch als „Alltagstheorien" bezeichnet. Im Verlauf der beruflichen Erfahrung lernt ein Mensch außerdem, die ihm während seiner beruflichen Ausbildung vermittelten Theorien hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit zu relativieren, Bedingungen ihrer Anwendbarkeit besser kennenzulernen, und vor allem lernt er, diejenigen Teilprobleme seiner Berufstätigkeit, die bislang noch nicht mit Hilfe von Theorien erklärbar sind, bzw. bei denen es noch keine auf theoretischen Einsichten gegründeten Handlungsanweisungen gibt, befriedigenden Lösungsmöglichkeiten zuzuführen. Aus den Überlegungen zur Herkunft von Qualifikation ergibt sich unmittelbar, daß die Qualifikation einer Person im Zeitablauf Veränderungen unterliegt. Während der Ausbildungsphase(n) kann generell ein ständiges Steigen der Qualifikation unterstellt werden. Auch während der Anfangszeit der beruflichen Erfahrungssammlung kann wohl generell eine Steigerung der Qualifikation angenommen werden. O b das damit erreichte Qualifikationsniveau bzw. die gewählte Qualifikationsausrichtung erhalten bleibt, hängt von einer größeren Zahl von Einflußfaktoren und von Willensentscheidungen der betroffenen Person und ihrer Umwelt ab. Die Erhöhung des beruflichen Erfahrungsniveaus hängt ab einerseits von der Fähigkeit und Bereitschaft der Person, die gemachten Erfahrungen zu verarbeiten und zu speichern (Lernprozesse), aber auch von der Art der Beschäftigung, die ihr im jeweiligen Zusammenhang geboten wird. Nur wenn einer Person durch Wechsel zu anspruchsvolleren Tätigkeiten die Möglichkeit gegeben wird, weitere berufliche Erfahrungen zu sammeln und zu verarbeiten, kann von einem Steigen des Qualifikationsniveaus ausgegangen werden. In gleicher Weise hängt eine Änderung der Qualifikationsrichtung im wesentlichen davon ab, ob dieser Person durch Einsatz in anderen Spezialgebieten der jeweiligen Prüfung die Möglichkeit gegeben wird, auf diesem Gebiet berufliche Erfahrungen zu sammeln. Genauso wie wir bei der Herkunft der Qualifikation nach Ausbildung und Berufserfahrung unterschieden hatten, müssen wir bei der Diskussion der Entwicklung der Qualifikation im Zeitablauf nach Berufserfahrung und Weiterbildung trennen. Die beschriebene Entwicklung der beruflichen Qualifikation im Zeitablauf hängt ebenso davon ab, ob Prüfern ihr Qualifikationsniveau generell erhöhendes bzw. ihre Qualifikationsrichtung ändernde Weiterbildungsmöglichkeiten geboten werden. Das Qualifikationsniveau der Person kann gemessen an den ihr gestellten Aufgaben jedoch auch dadurch sinken, daß in ihrem Aufgabenbereich neue Problemstellungen auftauchen, neue Techniken angewendet werden, ohne daß die betreffende Person darauf eingeht. Um ein Sinken der Qualifikation 76

Es handelt sich also um Lernprozesse im oben dargelegten Sinn (Abschnitt 2.3.1, S. 55).

2.3 Die Basisdimensionen

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ihrer Mitglieder zu vermeiden, hat die Wirtschaftsprüferkammer in die Richtungweisende Feststellung Nr. 11 zum Berufsgrundsatz II der Gewissenhaftigkeit die Bestimmung aufgenommen „der Wirtschaftsprüfer verletzt seine Verpflichtung zu gewissenhafter Berufsausübung auch dann, wenn er sich nicht über die für sein berufliches Verhalten maßgebenden Bestimmungen auf dem laufenden hält." In größeren Prüfungsunternehmungen und in größeren Revisionsabteilungen werden darüber hinaus laufend Weiterbildungsveranstaltungen durchgeführt, um ein Absinken der relativen Qualifikation der beschäftigten Prüfer zu verhindern. Ein sehr schwieriges Problem, das allerdings erhebliche praktische Relevanz hat, ist das der Einschätzung des Qualifikationsniveaus einer Person. Das Problem taucht erstens auf zum Zeitpunkt der Einstellung einer Person als Mitarbeiter eines Prüfungsorgans und es taucht zweitens ständig auf, wenn Prüfungsleiter im Rahmen konkreter Prüfungen zu entscheiden haben, welche Prüffelder einzelnen Personen nach Maßgabe ihrer Qualifikation zugeteilt werden können. Zum Zeitpunkt der Einstellung einer Person wird in aller Regel versucht, durch Auswertung der Zeugnisunterlagen (Fachhochschulexamen, Hochschulexamen, WP-Examen) durch Auswertung des Werdegangs der Person und der im Rahmen der bisherigen Berufstätigkeit erreichten Zeugnisse, durch ein persönliches Vorstellungsgespräch eine Vorstellung vom Qualifikationsniveau zu erarbeiten. Daß angesichts der Unsicherheit der Benotung von Examensleistungen, den vielen Faktoren, die sich in beruflichen Zeugnissen widerspiegeln, der unterschiedlichen Verhaltensweise von Personen in der prüfungsähnlichen Situation „Vorstellungsgespräch" auf diese Weise nur eine sehr grobe Einschätzung des Qualifikationsniveaus möglich ist, liegt auf der Hand. Das Arbeitsverteilungsproblem wird später im Rahmen des Abschnitts über Prüfungsplanung erneut aufgegriffen werden. Hier sei nur gesagt, daß in der Praxis sich Prüfungsleiter intuitiv durch Beobachtung der Arbeit eines Prüfers und durch Lektüre seiner schriftlichen Aufzeichnungen über Prüfungsdurchführungen und Prüfungsergebnis ein Bild von Qualifikationsniveau und Qualifikationsrichtung ihrer Mitarbeiter machen. Sie versuchen dann, die Arbeits Verteilung im Rahmen der Prüfung so zu steuern, daß - Qualifikationsrichtungen und Tätigkeiten möglichst wenig auseinanderfallen, - gemessen an den Anforderungen des Prüfgebiets weder Unterqualifikation noch Uberqualifikation vorliegt; Unterqualifikation bedeutet in aller Regel ein wenig sicheres Prüfungsurteil und längere Prüfungszeiten, Uberqualifikation bedeutet, daß der betreffende Prüfer unzufrieden ist, - Ausbildungserfordernissen eines jüngeren Prüfungsmitarbeiters Rechnung getragen wird.

2. Der Prüfungsprozeß

92

2.3.4.2 Persönlichkeitszüge Wollen wir über die Persönlichkeit von Menschen sprechen, so stehen wir zunächst vor dem Problem, zu definieren, was wir eigentlich unter Persönlichkeit verstehen. Es gibt keine allgemein akzeptierte Definition dieses Begriffs; Krech/Crutchfield 77 verweisen auf C. W. Allport, der schon 1937 nicht weniger als 50 verschiedene Persönlichkeitsdefinitionen aus den Gebieten der Philosophie, Theologie, Jurisprudenz, Soziologie sowie der Psychologie aufzählt. Wir wollen uns hier an die Definition von Krech/Crutchfield anlehnen, die die individuellen Charakterzüge, Fähigkeiten, Uberzeugungen, Werthaltungen, Einstellungen und das Temperament als Elemente der Persönlichkeitsdefinition verwenden. Akzeptiert man diese Definition, dann stellt sich das Problem, die als Persönlichkeitszüge bezeichneten Eigenarten eines Individuums zu beschreiben und mit den entsprechenden Eigenarten anderer Personen zu vergleichen. Persönlichkeitszug ist dabei definiert als eine überdauernde Eigenart des Individuums, die sich in einer Vielfalt von Situationen immer wieder in bestimmter Weise darbietet. Personen unterscheiden sich dabei in der Regel nicht dadurch, daß einzelne Persönlichkeitszüge vorhanden oder nicht vorhanden wären, sondern dadurch, daß bestimmte Persönlichkeitszüge in mehr oder weniger ausgeprägter Form vorhanden sind. Es fragt sich dann, welche menschlichen Eigenschaften so wichtig sind, daß man sie als persönlichkeitsbeschreibende Merkmale verwenden könnte. Krech/Crutchfield bringen eine auf R. B. Kattell zurückgehende Liste von Persönlichkeitszügen, die als „wiederholt bestätigt und unverkennbar" angesehen wird78. Die einzelnen Persönlichkeitszüge sind jeweils durch die beiden Extreme kennzeichnende Begriffe und durch eine Anzahl von Adjektiva charakterisiert. Es ist selbstverständlich, daß eine derart geringe Zahl von Persönlichkeitszügen lediglich ein sehr grobes Raster zur Beschreibung von Persönlichkeiten darstellen kann. 1. Grundstimmung emotional ausdrucksbereit, freimütig, gelassen

Grundstimmung zurückhaltend, ängstlich

2. Begabung intelligent, klug

Geistiger Mangel unintelligent, stumpf, blöde

77 78

Vgl. Krech, David und Crutchfield, Richard, S., S. 383. Krech/Crutchfield, S. 387 ff.

verschlossen,

93

2.3 Die Basisdimensionen

3. Emotional stabil frei von neurotischen Symptomen, realistische Lebenseinstellung

Neurotische Gefühlserregbarkeit verschiedene neurotische Symptome, ausweichend, unreif

4. Dominanz selbstbehauptend, selbstvertrauend, aggressiv

Unterwerfung unterwürfig, unsicher, nachgiebigentgegenkommend

5. Hochgestimmtheit Ungestüm heiter, freudig, humorvoll, witzig

Gedrückte Verstimmtheit deprimiert, pessimistisch phlegmatisch

6. Positiver Charakter ausdauernd, aufmerksam gegenüber anderen

Abhängiger Charakter wechselhaft-unzuverlässig, nachlässig hinsichtlich gesellschaftlichen Notwendigkeiten

7. abenteuergeneigte Stimmungslage lernt gerne Menschen kennen, starkes Interesse am anderen Geschlecht

Verschlossene Stimmungslage scheu, zurückhaltend, wenig Interesse am anderen Geschlecht

8. Ausgereift, Haltungsfähigkeit geistig unabhängig, selbstgenügsam

Empfindsam, infantile Emotionalität abhängig, unreif, Beachtung suchend

9. Gesellschaftlich geschulter, kultivierter Geist poliert, gelassen-gefaßt, introspektiv

Tölpelei ungelenk, gesellschaftlich schickt, ungehobelt, roh

10. Vertrauende Stimmungslage zuversichtlich, verstehend

Paranoische Stimmungslage mißtrauisch, eifersüchtig

11. Bohemienhafte Unbekümmertheit unkonventionell, exzentrisch, launisch, hysterisch, aus der Fassung gebracht werden

Konventionell praktisches halten konventionell, unemotional

unge-

Ver-

94

2. Der Prüfungsprozeß

12. Weltklugheit Logischer Geist, kühl, abständig

Einfältigkeit sentimental, aufmerksam gegenüber Menschen

Da die Erstellung von Persönlichkeitsbeschreibungen mit dieser relativ geringen Anzahl von Charakterzügen zu kompliziert wäre, hat man versucht, Persönlichkeitstypen als Hilfsmittel zur Einordnung und Beschreibung von Personen zu entwickeln. Bei derartigen Typbildungen werden gewöhnlich nur zwei oder drei der Persönlichkeitszüge als besonders bedeutsam in die Typenbildung einbezogen. Derartige Typenbildungen (wie z. B. die Einteilung in asthenisch, pyknisch und athletisch hängen in ihrer Brauchbarkeit natürlich sehr stark davon ab, in welchem Zusammenhang sie verwendet werden. Eine auf wissenschaftlicher Basis durchgeführte Arbeit zur Bildung von Prüfer-Typen ist mir nicht bekannt, dafür allerdings eine Typologie eines Praktikers, die ich einem praxisorientierten Buch aus dem Gebiet der internen Revision entnehme.79 „Typ 1: Der Streber Er kniet sich außerordentlich tief in die Materie hinein und geht den Dingen oft zu sehr auf den Grund. Er sieht den weiten Unterschied zwischen dem Istzustand und dem von ihm angestrebten Idealzustand. Er ist der Auffassung, daß die ganze Organisation ohne sein ständiges Eingreifen und Mahnen in Kürze zusammenbrechen müsse. Er kann sich so sehr in ein Problem „verbeißen", daß er andere Punkte nur noch flüchtig prüfen kann. Der Streber bohrt solange, bis er einen negativen Punkt gefunden hat: Denn er glaubt, daß er dies der Firma und sich selbst schuldig ist. Sein übersteigerter Einsatz verschafft ihm in den geprüften Stellen zwar einen gewissen Respekt, aber keine Freunde. Er ist für die Prüfungsprüftätigkeit nicht ungeeignet, reibt sich aber zu schnell auf und kann die ganze Abteilung in Verruf bringen. Typ 2: Der Systematiker Mit dem Streber hat er den Tiefgang und die Problemorientierung gemein. Darüber hinaus zeichnet er sich aber durch eine exakte Vorgehensweise aus; Prüfungsplanung wird bei ihm groß geschrieben. Er übersieht auf diese Weise kaum einen Einzelpunkt. Doch ist er dadurch oft nicht flexibel genug, um aufgedeckte Schwachstellen ganz auszuloten und notfalls Kleinigkeiten links liegen zu lassen. Der Systematiker gehört zum besseren Drittel des Personals der Revisionsabteilung. Bei ausreichender Betriebspraxis kann er sich zu einem Spitzenprüfer heranbilden. 79

Grupp, Bruno, S. 93-95.

2.3 Die Basisdimensionen

95

Typ 3: Der Managertyp Man findet ihn höchst selten in der Revisionsstelle eines Unternehmens. Sein Blick ist auf das Wesentliche gerichtet. Er verfolgt festgestellte Fehler und Nachlässigkeiten nur dann, wenn sie wirklich negative Auswirkungen haben. Für die Durchführung von Formalprüfungen ist er nicht gern zu haben. Er ist hier leicht zu großzügig. Für Pfennigbeträge hat er ohnedies nichts übrig. Gepaart mit ausreichender Systematik und entsprechendem Fachwissen ist der Managertyp der ideale Prüfer. Typ 4: Der Routinier Er ist seit Jahren im Fach, kennt alle Schliche und weiß, wie man eine Prüfung zweckmäßig anpackt und abwickelt. Ihm kann keiner ein x für ein u vormachen. Aber weil es für ihn angeblich nichts Neues mehr gibt, liegt in ihm eine Gefahr: Er ist neuen Prüfungsideen und -methoden gegenüber nicht aufgeschlossen genug, und seine Prüfungserfolge reichen meist nicht über den guten Durchschnitt hinaus. Dem Routinier sollte gelegentlich durch einen zeitweiligen „Tapetenwechsel" „frisches Blut" zugeführt werden, sei es durch einen Sondereinsatz in der Revisionsabteilung, sei es durch Mitwirkung an einem Organisationsprojekt. Typ 5: Der joviale Positivist Er kann nur durch Zufall in die Revisionsabteilung geraten sein. Denn seine Lebensauffassung, auch mal 5 gerade sein zu lassen, paßt nicht ganz zum Wesen eines Revisors. Nicht daß ihm die Fähigkeiten eines guten Prüfers abgehen würden. Aber er nimmt das Prüfen nicht allzu ernst; schwierige Prüfungshandlungen kommen oft zu kurz. Mit den zu prüfenden Stellen versteht er sich ausgezeichnet. Ein jovialer Wesenszug ist bei Mitarbeitern in einer Revisionsstelle nur dann zu verantworten, wenn er durch andere positive Eigenschaften überkompensiert wird. Typ 6: Der Besserwisser Hier sind zwei Arten zu unterscheiden: solche, die es tatsächlich sind und andere, die es annehmen. Beide leiden unter einer gehörigen Portion Überheblichkeit und glauben, diese als Revisor ausspielen zu können. In den geprüften Stellen sind sie ungern gesehene Gäste. Sie machen sich selbst durch ihr Nörgeln das Leben schwer. Besserwisserei ist oft ein Übel jüngerer Revisoren. Manchmal stoßen sich diese Herren im Lauf der Zeit die Hörner ab - wenn nicht schaden sie dem Ruf der Internen Revision mehr als sie ihr nützen. Typ 7: Der Pedant Typische Pedanten findet man häufig unter den Revisoren der alten Schule,

96

2. Der Prüfungsprozeß

den „Abhakspezialisten". Ihr spezielles Feld ist die sich routinemäßig wiederholende Prüfung innerhalb des Finanzbereichs geblieben. Der Pedant pflügt nicht tief; neue Ideen sind von ihm nicht zu erwarten. Dafür hält er sich an kleinen Formfehlern fest. Mit dem Pedantentyp kann eine moderne Revisionsabteilung nichts mehr anfangen. Sein Prüfungserfolg ist minimal; er sollte so schnell wie möglich in eine Linienabteilung versetzt werden. Ergänzung zu diesem Abschnitt: In den letzten Jahren haben sich noch zwei ganz besondere Revisorentypen entwickelt (die man auch unter den bereits dargestellten finden kann). Es ist dies der EDV-Fanatiker und sein Gegenteil: der Pragmatiker, der nichts von „diesem ganzen Kram" hält. Beide sind Extremisten, können aber durch die exponierte Stellung in der Revisionsabteilung viel Verwirrung stiften."

2.3.4.3 Die private Situation des Prüfers Während wir mit den Persönlichkeitszügen eine Komponente menschlichen Verhaltens skizziert haben, die im Zeitablauf relativ stabil bleibt, wollen wir unter dem Stichwort „private Situation" all jene Einflüsse zusammenfassen, die sich aus der nichtberuflichen Sphäre des Prüfers ergeben, und die einem relativ raschen Wandel unterworfen sein können. Obwohl es offensichtlich ist, daß auch aus diesem Bereich Einflüsse auf die Prüfungsdurchführung ausstrahlen, fällt es schwer, sie systematisch zu erfassen. Das liegt daran, daß es eine Vielzahl privater Bereiche gibt, deren - aus der Sicht des Prüfers - mehr oder weniger befriedigender Zustand seine Arbeitsbereitschaft und seine Arbeitsfähigkeit beeinflussen. Es sei nur auf die besonders wichtigen Bereiche - Ehe und Familie, - Gesundheit, - private Finanzsphäre, - Neigungen, Hobbies, Freizeit verwiesen. Daß der Gesetzgeber und die WPK diesen Zusammenhang zwischen privater Situation und Prüfungsverhalten sehen, ergibt sich z. B. schon daraus, daß § 43 Abs. 2 WPO den WP „berufswürdiges Verhalten" auch außerhalb des Berufs abverlangt oder auch daraus, daß nach § 20 Abs. 2 WPO die Bestellung zum WP dann zu widerrufen ist, wenn eine Person infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen geistiger Schwäche voraussichtlich dauernd unfähig ist, den Beruf des WP auszuüben. Die Bestellung eines WP kann vom zuständigen Landes-Wirtschaftsminister widerrufen werden,

2.3 Die Basisdimensionen

97

wenn ein WP infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über sein Vermögen allgemein beschränkt ist (z. B. durch Eröffnung des Konkursverfahrens) oder wenn er in Vermögensverfall geraten ist und dadurch die Interessen der Auftraggeber oder anderer Personen gefährdet sind. Der Abschnitt „Berufsansehen" der Berufsgerichtlichen Entscheidungen (S. 93 ff.) enthält eine Reihe konkreter, jeweils mit unterschiedlichen Sanktionen belegter Verstöße gegen den Grundsatz des berufswürdigen Verhaltens nach § 43 Abs. 2 W P O , darunter verschuldete Zerrüttung der wirtschaftlichen Verhältnisse, beleidigende Äußerungen inner- und außerhalb der Berufstätigkeit, Trunkenheitsfahrten und homosexuelle Handlungen. Es muß allerdings gesehen werden, daß sowohl im Gesetz selbst als auch in den Urteilsbegründungen nicht der unmittelbare Zusammenhang zwischen privaten Schwierigkeiten und der Qualität der Prüfungsdurchführung ausgesprochen wird, sondern in erster Linie die Auswirkung auf das „Berufsansehen". So wird z. B. im Urteil des L G Düsseldorf vom 14. 1. 1971 (S. 97 ff.) nicht die verschuldete Zerrüttung der finanziellen Verhältnisse (mit der anschließenden Gefahr der Erpreßbarkeit des WP) in den Vordergrund gestellt, sondern die Tatsache, daß es im Anschluß daran zu „entehrenden Vollstreckungshandlungen" gekommen ist. Obwohl es sicher richtig ist, daß das Ansehen des Berufsstandes im Interesse seiner öffentlichen Aufgabe geschützt werden muß, scheinen mir hier doch die Gewichte fragwürdig verteilt zu sein.

Kontrollfragen: 1) Welche Beziehungen bestehen zwischen den einzelnen Bedürfnissen der Maslow'schen Hierarchie? 2) Warum fällen Menschen in ihrem Streben nach Zielerreichung häufig nicht rationale Entscheidungen ? 3) Zeigen Sie, mit welchen Hypothesen Homans menschliche Lernprozesse zu erklären versucht. 4) Welcher Zusammenhang besteht zwischen individuellen Zielen und Bedürfnissen? 5) Warum bestehen zwischen Einkommens- und Sicherheitszielen Konflikte? 6) Wie können individuelle Ziele von Prüfern die Prüfungsdurchführung beeinflussen? 7) Nennen Sie einige Möglichkeiten, das Einkommensziel von WP-Unternehmen bei Entscheidungen über die Prüfungsdurchführung durchzusetzen. 8) Welcher Zielkonflikt besteht häufig bei Revisionsabteilungen? 9) Nennen Sie mindestens zwei Konflikte zwischen Zielen von Auftraggebern und Zielen von Prüfungsorganen. 10) Welchen Kriterien muß der sachliche Gehalt von Normen entsprechen, damit Normen die erwünschte Verhaltens Wirksamkeit erreichen? 11) Welchen Anforderungen an die sprachliche Formulierung müssen Normen genügen, um verhaltenswirksam zu sein?

98

2. Der Prüfungsprozeß 12) Skizzieren Sie den Zusammenhang zwischen Verhaltenswirksamkeit von Normen und Gratifikationen bzw. Sanktionen. 13) Welche Gruppen von Normen zur Regelung der Prüfungsdurchführung kennen Sie? 14) Welches sind die wichtigsten Quellen für Normen für die Gestaltung der Prüfungsobjekte bei Buchprüfungen? 15) Skizzieren Sie, wie die fachliche Qualifikation eines Prüfers von Einfluß auf die Prüfungsdurchführung ist.

2.4 Die Verhaltensdimensionen Lernziele Dieser Abschnitt soll das Prüferverhalten bei Prüfungen als Ergebnis von Gegebenheiten bzw. Prozessen darlegen, die im vorigen Abschnitt erläutert wurden, insbesondere: - die Wahrnehmung von sprachlichen Äußerungen und anderen Verhaltensweisen von an Prüfungen beteiligten Personen durch Prüfer darstellen, - die Faktoren darstellen, die bei Auftragsannahme-Entscheidungen

berücksichtigt

werden, - erklären, wie Prüfer zu einer Abgrenzung der zu prüfenden Gegenstände kommen, - erläutern, warum es zwei unterschiedliche Prüfungsverfahren gibt und welches ihre Einsatzgebiete sind, - klarmachen, warum der Prüfungsgegenstand in Teilgebiete eingeteilt wird, - die Kriterien aufzeigen, nach denen Prüfungsleiter die Zuordnung der einzelnen Arbeitsgebiete zu den einzelnen Prüfern bewerkstelligen können, - aufzuzeigen, auf welche Weise Prüfer bei Stichprobenprüfungen die Entscheidung über die Auswahl der zu prüfenden Objekte treffen, - zeigen, welche unterschiedlichen Prüfungshandlungen Prüfern zur Verfügung stehen und wie sie hieraus eine Auswahl treffen, - erklären, wann Prüfer bereit sind, ein Urteil abzugeben, d. h. wann sie einen hinreichenden Überzeugungsgrad erreicht haben, - zeigen, wie Annahmeentscheidungen gefällt werden, d. h. wie Prüfer darüter entscheiden, ob einzelne Prüfungsobjekte normkonform sind oder nicht, - und schließlich darstellen, welche Handlungen im Ablauf von Prüfungen vorkommen. Nachdem ich in den drei Abschnitten des vorigen Kapitels versucht habe, in der Person von Prüfern liegende Einflußfaktoren auf die Prüfungsdurchführung und möglichst viele der für die Durchführung von Prüfungen relevanten Normen zu schildern, muß nun unter Einbeziehung all dieser Umstände gezeigt werden, wie prüferisches Verhalten während der Prüfungen abläuft.

2.4.1 Die Kommunikationsebene Kommunikationsvorgänge sind eine elementare Voraussetzung für den Beginn und den Ablauf der Tätigkeit, die wir als Prüfung bezeichnen. Ich möchte die Gruppe aller im Rahmen von Prüfungen denkbaren Kommunika-

2.4 Die Verhaltensdimension

99

tionsvorgänge unterteilen nach Wahrnehmungen (d. h. die Aufnahme von Informationen durch eine Person) und nach Äußerungen (d. h. die Abgabe von Informationen durch eine Person). Der Begriff Information ist dabei sehr weit gefaßt. Er umfaßt nicht nur die explizite mündliche bzw. schriftliche Formulierung und Abgabe bzw. Aufnahme von Fakten, Fragen, Anweisungen, Behauptungen etc., sondern er umfaßt ebenfalls die Äußerung bzw. Wahrnehmung von Einstellungen, Emotionszuständen, wie sie durch menschliches Verhalten, mit oder ohne gesprochenes Wort, mitteilbar sind. 2.4.1.1 Wahrnehmungen

2.4.1.1.1 Wahrnehmung von sprachlichen

Informationen

Wir können die von einem Prüfer im Verlauf eines Prüfungsprozesses wahrnehmbaren bzw. wahrgenommenen sprachlichen Informationen zunächst nach den Gegenständen systematisieren, auf die sie sich beziehen:80 - Informationen über den Prüfungsauftrag - Informationen über die bei der Prüfungsdurchführung anzuwendenden Normen (sowohl über die Prüfungsdurchführung als auch über die Prüfungsobjekte) - Informationen über den Zustand der einzelnen Prüfungsobjekte. Wir können die bei Prüfungen relevanten sprachlichen Informationen weiter systematisieren nach der Art der in ihnen enthaltenen Aussage: - Anweisungen (z. B. der Leitung des Revisionsorgans, des Prüfungsleiters), Empfehlungen, Hinweise, - Behauptungen, damit sind insbesondere diejenigen Aussagen über Prüfungsobjekte gemeint, deren Glaubwürdigkeit noch unüberprüft ist. - Tatsachen, damit sind die Aussagen über Prüfungsobjekte gemeint, deren Glaubwürdigkeit als hoch eingestuft wird, die daher als wahr unterstellt werden. Wir können bei Prüfungen wahrgenommene Informationen weiter nach ihrer Präzision einteilen in eindeutige Informationen und solche, die mehrdeutig, d. h. unklar sind. Schließlich können Informationen nach ihrer Verfügbarkeit eingestuft werden in: - unmittelbar erreichbare Informationen, - Informationen, von denen der Prüfer weiß, daß sie im Prinzip vorhanden sind, aber bei denen Such- oder Nachfragevorgänge notwendig sind, - Informationen, die erst mit Hilfe von Denkoperationen aus anderen Informationen erarbeitet werden müssen. 80 Wittmann (S. 14) bezeichnet als Information „das unserem Handeln zugrunde liegende Wissen." Seiner Einschränkung auf „zweckorientiertes Wissen" folgen wir nicht.

100

2. Der Prüfungsprozeß

Das Ausmaß der Wahrnehmung von Informationen durch einen Prüfer hängt zunächst ab von der Wahrnehmungsbereitschaft dieser Person. Die Wahrnehmungsbereitschaft ihrerseits wird von folgenden Umständen beeinflußt: - der Struktur der Bedürfnisse und Ziele des Prüfers; wir können davon ausgehen, daß ein unter Erfüllungsmangel seiner Bedürfnisse leidender Prüfer besonders stark motiviert sein wird, durch die bewußte Wahrnehmung von Informationen zu Gratifikationen seitens der Mitglieder des Prüferteams bzw. der Vorgesetzten zu gelangen. - von der Struktur seiner individuellen Normen; vorhandene ethisch-moralische, religiöse Normen können z. B. eine besondere Sorgfalt bei der Informationswahrnehmung bewirken. - der Persönlichkeitsstruktur eines Prüfers; z. B. Vorhandensein und Ausprägung des Persönlichkeitszuges der Ausdauer. - der privaten Umweltsituation des Prüfers; - dem Vorhandensein von eindeutigen und mit Gratifikationen oder Sanktionen versehenen Normen, die den Prüfer die Aufnahme dieser bestimmten Informationen vorschreiben. Neben der vorhandenen Wahrnehmungsbereitschaft hängt die Wahrnehmung von Informationen auch ab von ihrer Wahrnehmbarkeit. Die Wahrnehmbarkeit ihrerseits ist eine Folge der beiden oben schon genannten Gesichtspunkte Präzision der Information und Verfügbarkeit. Wenn Informationen nicht unmittelbar erreichbar sind, sondern vom Prüfer vor ihrer Wahrnehmung Tätigkeiten wie Suche bzw. Ausarbeitung verlangen, muß der Grad an Wahrnehmungsbereitschaft größer sein, als bei unmittelbar erreichbaren Informationen. Wir werden auf diese beiden Vorgänge der Suche nach Informationen bzw. der Aufbereitung von Informationen im Kapitel 2.4.4 noch einmal zurückkommen. Wahrgenommene Informationen werden vom Prüfer geistig verarbeitet. Sie beeinflussen damit einmal die während einer Prüfung vorzunehmenden konstituierenden Entscheidungen, Annahmeentscheidungen und Handlungen, sie werden aber auch in Lernprozessen verarbeitet und gespeichert und beeinflussen damit die Berufserfahrung und die Kenntnisse und Erwartungen des Prüfers über den zu prüfenden Bereich.

2.4.1.1.2 Wahrnehmung von Verhaltensweisen

Dritter

Menschliche Kommunikation bedient sich nicht nur des gesprochenen bzw. geschriebenen Worts. Uber ein, sicher vom jeweiligen Kulturkreis mitbestimmtes System von Zeichen, wie z. B. Mimik, Gestik, Variation der Stimmfärbung und Lautstärke, können Menschen den sachlichen Gehalt des gesprochenen Wortes variieren, ja sogar ohne daß Worte gewechselt werden,

2.4 Die Verhaltensdimension

101

durch Verhaltensweisen in bestimmten Umweltsituationen nichtsprachliche Informationen übermitteln. Auch beim geschriebenen Wort ist eine derartige Variation, wenn auch in Grenzen möglich. Man vergleiche etwa den unterschiedlichen Nachdruck der Anweisung in den beiden folgenden Sätzen: „Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sind durch Einholung von Saldenbestätigungen zu prüfen." Und „Bei der Prüfung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ist die Einholung von Saldenbestätigungen unabdingbar, ein Verzicht auf Saldenbestätigungen ist nicht zulässig." Derartige nichtsprachliche Kommunikationselemente können, analog der bei den Informationen vorgenommenen Systematisierung ebenfalls nach Informationsgebern, nach Informationsgegenständen unterteilt werden. Auch die Unterteilung nach Art der Aussage läßt sich bei nicht sprachlichen Kommunikationsinstrumenten vornehmen: Hier können wir unterscheiden nach Verstärkungen von sprachlichen Informationen, Abschwächungen von sprachlichen Informationen und der Vermittlung von Informationen ohne die Verwendung der Sprache. Bei der Abgabe derartiger Informationen können wir unterscheiden nach bewußter und unbewußter Abgabe. Als Beispiel für die bewußte Abgabe wäre der besondere stimmliche Nachdruck beim Geben einer Anweisung, als Beispiel für eine unbewußte Abgabe etwa die steigende Nervosität des Geprüften zu nennen, wenn er erwartet, daß der Prüfer in dem von ihm zu verantwortenden Arbeitsbereich Fehler oder Mängel aufdeckt. Die Wahrnehmung von Verhaltensweisen Dritter wird vom Prüfer wie die Wahrnehmung schriftlicher oder mündlicher Informationen geistig und emotional aufgenommen und verarbeitet, d. h. sie führen zu Reaktionen, zu Änderungen der Verhaltensweisen des Prüfers.

2.4.1.2 Äußerungen 2.4.1.2.1 Äußerung von sprachlichen Informationen Neben der Wahrnehmung von Informationen wird im Verlauf eines Prüfungsprozesses eine Vielzahl von Informationen durch Prüfer abgegeben. Wichtige Beispiele dafür sind die Anweisungen, die der Prüfungsleiter an die Mitglieder des Prüferteams erteilt, die Anweisungen bzw. Fragen, die Prüfer an Personen im geprüften Bereich richten, um Informationen über einzelne Prüfungsobjekte zu erhalten, die schriftliche Aufzeichnung von Prüfungsvorgängen zu Zwecken der Dokumentation, die schriftliche Aufzeichnung der Prüfungsurteile. Da diese aufgezeichneten Informationen im wesentlichen im Zusammenhang mit den in den folgenden Abschnitten zu bespre-

102

2. Der Prüfungsprozeß

chenden konstituierenden und Annahmeentscheidungen bzw. den einzelnen Handlungen anfallen, sei hier auf eine nähere Erläuterung verzichtet.81 2.4.1.2.2 Äußerung von

Verhaltensweisen

Gleichzeitig mit dem Informationsaustausch zwischen Mitgliedern des Prüferteams bzw. zwischen Prüfern und den in dem geprüften Bereich tätigen Personen wählt der Prüfer Verhaltensweisen, d. h. Zeichen der Gestik, Mimik im oben besprochenen Sinne, um seine sprachlich gegebenen Informationen zu verstärken bzw. abzuschwächen oder zu modifizieren.

2.4.2 Die Ebene der konstituierenden Entscheidungen Wir hatten als konstituierende Entscheidungen solche bezeichnet, die den Ablauf der Prüfung insgesamt beeinflussen.82 Sie werden hier in einer sachlogisch begründeten Reihenfolge, die weitgehend auch mit der zeitlichen Abfolge identisch ist, behandelt. Die erste derartige Entscheidung ist die Auftragsannahme-Entscheidung. 2.4.2.1 Die Auftragsannahme-Entscheidung Die Entscheidung, ob eine von einem Mandanten vorgesehene Beauftragung zur Durchführung einer Prüfung (Fall der WP-Unternehmung) bzw. die Vornahme einer von der Unternehmensleitung bzw. einer anderen Instanz gewünschten internen Prüfung zum vorgesehenen Zeitpunkt durchgeführt werden kann, wird in aller Regel vom obersten Leitungsgremium des Prüfungsorgans gefällt. Ausschlaggebend sind dabei die folgenden Gesichtspunkte: - Anforderungen der in Aussicht genommenen Prüfung: Dabei ist zunächst festzustellen, ob das für die Durchführung der fraglichen Prüfungen möglicherweise notwendige Spezialwissen bei Mitgliedern des Prüfungsorgans vorhanden ist. In gleicher Weise muß geschätzt werden, welcher Zeitbedarf für die Prüfung in Frage kommt, um daraus ableiten zu können, wieviele Prüfer der einzelnen Qualifikationsstufen zur Durchführung der Prüfung notwendig sind. Ebenfalls muß untersucht werden, ob und welche Möglichkeiten der Verschiebung dieser Prüfung bestehen.

81 82

Vgl. Abschnitt 2.4.4.3. Vgl. Abschnitt 2.1.3, S. 39.

2.4 Die Verhaltensdimension

103

- Vorhandene Kapazität des Prüfungsorgans: Den so überschlägig ermittelten Anforderungen der in Aussicht genommenen Prüfung wird dann die vorhandene Kapazität des Prüfungsorgans gegenüber gestellt. Die Richtlinien der WPK zum Grundsatz II Gewissenhaftigkeit verlangen in der Richtungweisenden Feststellung Nr. 1: „Der Wirtschaftsprüfer hat gewissenhaft zu prüfen, ob er nach den Berufspflichten und nach der Berufsauffassung - insbesondere bei Abschlußprüfungen - den Auftrag annehmen darf und ob er über die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, um den Auftrag sachgerecht durchführen zu können." Da nicht immer eindeutig meßbar ist, welche qualitativen Anforderungen an Spezialwissen einzelne Prüfungen erfordern und da andererseits ebenfalls das Vorhandensein von diesem Spezialwissen nicht zweifelsfrei feststellbar ist, haben WP bzw. die Leiter von Revisionsabteilungen ein relativ großes Maß an Ermessensfreiheit bei dem Treffen dieser Teilentscheidung. Des weiteren muß festgestellt werden, wie die freien Kapazitäten an Prüfern der geeigneten Qualifikationsstufen zum fraglichen Zeitpunkt sind. Eine Gefährdung der Ziele des Auftraggebers der fraglichen Prüfungen und auch der Zielerreichung von anderen, vom betreffenden Prüfungsorgan im gleichen Zeitraum durchgeführten Prüfungen könnte dadurch eintreten, daß der verantwortliche Prüfungsleiter die Zeitvorgaben für alle Prüfungen so zusammenstreicht, daß die neu hinzukommende Prüfung aufgenommen werden kann. Daß dadurch die Qualität der Urteilsabgabe leiden würde, liegt auf der Hand. Um einer derartigen Wirkung vorzubeugen, hat die WPK in die Richtungweisenden Feststellungen zum Berufsgrundsatz II Gewissenhaftigkeit die Nr. 9 aufgenommen: „Zeitmangel ist kein Entschuldigungsgrund für eine unzulängliche Berufsausübung. Ist vom Auftraggeber eine zu kurze Zeit gesetzt, so hat der Wirtschaftsprüfer unverzüglich zu erklären, daß der Auftrag nicht oder nicht vollständig in der vorgesehenen Frist durchgeführt werden kann." Da die Zeitschätzungen für die neu aufzunehmende Prüfung und die im fraglichen Zeitraum schon angenommenen Prüfungsaufträge mit erheblichen Unsicherheiten belastet sind, da außerdem sehr schwierig festzustellen ist, ab wann die Prüfungsdurchführung „unzulänglich" ist, hat auch hier der Entscheidende einen erheblichen Ermessensspielraum. - Ziele des Prüfungsorgans: Wir können davon ausgehen, daß im Fall einer WP-Unternehmung die zu treffende Entscheidung zunächst am Einkommensziel orientiert wird. Dieses wird in aller Regel durch die Aufnahme eines zusätzlichen Prüfungsauftrags gefördert, insbesondere dann, wenn es sich um einen neuen Mandanten handelt, der möglicherweise Folgeaufträge für Prüfungen bzw. laufende Beratung erteilen wird. Begrenzt wird der Entscheidungsspielraum der Leitung der WP-Unternehmung allerdings durch das zweite, oben herausgearbeitete Ziel der Vermeidung von Sank-

104

2. Der Prüfungsprozeß

tionen. Die beiden eben zitierten Richtungweisenden Feststellungen der WPK (Nr. 1 und Nr. 9) sind allerdings selbst nicht mit Sanktionen versehen. Lediglich dann, wenn bei der Prüfungsdurchführung wegen des Zeitdrucks gegen Berufspflichten bzw. die Berufsauffassung (z. B. die schon erwähnten Grundsätze ordnungsgemäßer Durchführung von Abschlußprüfungen) verstoßen wird, und dieser Verstoß aufgedeckt wird, hat ein WP mit Sanktionen zu rechnen. Um Prüfungsaufträge nicht ablehnen zu müssen, wird daher in der Praxis der WP-Unternehmen mit einer Kombination der folgenden Maßnahmen gearbeitet: • Variation der Abgrenzung der Prüfungsgegenstände; eine (im Rahmen der Berufsgrundsätze mit Einschränkungen zulässige) Beschränkung bei den zu prüfenden Gegenständen verkürzt die Zeitdauer aller Prüfungen in der Engpaßperiode; • die Verwendung zeitsparender (i. d. R. allerdings unsichererer) Prüfungsverfahren und das Arbeiten mit wechselnden Prüfungsschwerpunkten 83 haben die gleiche Wirkung; • die Möglichkeit der Verschiebung der Abschlußtermine der neu aufzunehmenden Prüfung und anderer Prüfungen schaffen ebenfalls kapazitätsmäßige Voraussetzungen zur Aufnahme der neuen Prüfung; • bei größeren WP-Unternehmen mit mehreren Niederlassungen wird versucht, durch Abordnung von Prüfungsmitarbeitern von anderen Niederlassungen Kapazitätsengpässe zu überbrücken, die bei einzelnen Niederlassungen auftreten. Da bei nicht erwerbswirtschaftlich organisierten Prüfungsorganen das Einkommensziel wegfällt, müssen die Leitungen derartiger Prüfungsorgane (bzw. die ihnen vorgesetzten Instanzen) eine Abwägung der Bedeutung der im fraglichen Engpaßzeitraum durchzuführenden Prüfungen vornehmen. Im Bereich der externen Prüfungen ist eine Einschränkung der Prüfungsgegenstände bei allen fraglichen Prüfungen bzw. eine Veränderung der Prüfungsverfahren mit zeitsparender, aber die Urteilssicherheit vermindernder Wirkung wegen der Berührung von Interessen Dritter nur in sehr engen Grenzen möglich. Bei internen Prüfungen liegen diese Anpassungen zur Uberwindung des Engpasses durchaus im Bereich des Möglichen. Der Anpassungsprozeß wird also durch das gewünschte Ausmaß an Zielerreichung bei allen zur fraglichen Zeit durchzuführende Prüfungen bestimmt. Auch die Möglichkeit der Verschiebung anderer Prüfungen ist im internen Bereich häufig größer als im Bereich der WP-Unternehmung.

83

Vgl. Abschnitt 3.2.1.5.2, S. 257 f.

2.4 Die Verhaltensdimension

105

2.4.2.2 Die Abgrenzung der Prüfungsgegenstände An dieser Stelle sollen zwei zentrale Begriffe, die wir schon verschiedentlich verwendet haben, definiert und durch Beispiele veranschaulicht werden, um Mißverständnisse zu vermeiden. Prüfungsgegenstand Definition: zusammenfassende Bezeichnung für alle bei einer Prüfung zu untersuchenden Sachverhalte. Prüfungsgegenstand ist die Bezeichnung für die Menge der Prüfungsobjekte. Beispiele: Jahresabschlußprüfung nach § 162 AktG: Jahresabschluß, Buchführung, Geschäftsbericht; Sonderprüfung nach § 142 AktG: Vorgänge bei der Gründung oder der Geschäftsführung, bei Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und Kapitalherabsetzung. Das Bestellsystem, die Kostenrechnung, das System der Verkaufsabwicklung einer Unternehmung. Prüfungsgegenstände werden also durch allgemein verständliche Namen bezeichnet, dabei werden aber selten alle zu prüfenden Sachverhalte genau abgegrenzt. Prüfungsobjekt Definition: Bezeichnung für die kleinste Einheit innerhalb des Prüfungsgegenstands. Prüfungsgegenstände können in unterschiedlicher Weise in Prüfungsobjekte zerlegt werden. Jedes Prüfungsobjekt wird durch eine nicht von vornherein feststehende Anzahl von Merkmalen beschrieben. Beispiele: Hier müssen wir unterscheiden nach den oben schon genannten Prüfungsarten „Einzelfallprüfung" und „Systemprüfung", denn sie zerlegen (gegebene) Prüfungsgegenstände in unterschiedlicher Weise in Prüfungsobjekte. Einzelfallprüfung: Prüfungsobjekte sind hierbei die Ergebnisse der Handlungen oder Verrichtungen, die im geprüften Bereich vorgenommen wurden. Beispiele aus dem Bereich der Buchprüfung: - Beleg als Ergebnis einer Aufzeichnungshandlung, - Buchung als Ergebnis eines Eintragungsvorgangs, - Summe als Ergebnis eines Additionsvorgangs, - Saldo als Ergebnis eines kombinierten Additions-Subtraktionsvorgangs - Ubertrag als Ergebnis eines Ubertragungsvorgangs. Systemprüfung: Prüfungsobjekte sind hierbei die Regelungen, die einzelne Handlungen oder Verrichtungen betreffen und die

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2. Der Prüfungsprozeß

Handlungen oder Verrichtungen selbst. Beispiele aus einer Prüfung des Bestellwesens: - Vorgang des Ausfüllens einer Bedarfsmeldung, - Vorgang der Uberprüfung der Bedarfsmeldung auf ihre Berechtigung, - Vorgang der Auswahl des Lieferanten, - Vorgang der Ausfüllung des Auftrags, - Vorgang der Wareneingangskontrolle mit Ausfüllen des Wareneingangsscheins, - Vorgang des Vergleichs von Bestellung, Wareneingangsschein und Lieferantenrechnung. Nach positiver Entscheidung über die Auftragsannahme stellt sich als nächstes Problem, das durch eine konstituierende Entscheidung geklärt werden muß, das Problem der Abgrenzung der zu prüfenden Gegenstände. Während im Bereich interner Prüfungen das zu prüfende Gebiet häufig in Form eines Revisionsprogramms oder durch Benennung des zu prüfenden Bereichs relativ präzise beschrieben wird, ergeben sich im Bereich von WP-Unternehmen Prüfungsgegenstände aufgrund gesetzlicher bzw. vertraglicher Vorschriften häufig nur in sehr umrißartiger Form. Der Prüfungsleiter muß daher eine präzisere Abgrenzung vornehmen, bevor er weitere Entscheidungen zur Prüfungsdurchführung fällen kann. Als Beispiel für eine derartige Abgrenzung sei die aktienrechtliche Jahresabschlußprüfung nach § 162 AktG genannt. Dort wird lediglich gesagt, daß der Jahresabschluß unter Einbeziehung der Buchführung und des Geschäftsberichts zu prüfen ist. Während die Nennung der Gegenstände Jahresabschluß und Geschäftsbericht eindeutig ist, wirft die Einbeziehung des Bereichs der Buchführung erhebliche Fragen auf. Ist dabei nur die Finanzbuchführung im engeren Sinne gemeint oder gehören z. B. die Lagerbuchführungen, die Kostenrechnung ebenfalls dazu? Sind darüber hinaus nicht auch andere Vorgänge bzw. Abrechnungen, wie z. B. die Ausführung der Entscheidungen der Hauptversammlung aus dem Vorjahr, die zur Erfüllung der Verpflichtungen aus Steuer- und Sozialversicherungsgesetzen notwendigen Aufzeichnungen, die von der Unternehmung mit Dritten abgeschlossenen längerfristigen Verträge auf dem Gebiet der Beschaffung, des Absatzes, der Finanzen, nicht ebenfalls Gegenstände, deren Auswirkungen auf den Jahresabschluß untersucht werden müssen? Diese Fragen werden beispielhaft gezeigt haben, daß der Prüfungsleiter eine Fülle von Einzelentscheidungen zu treffen hat. Diese Entscheidungen werden im wesentlichen von den folgenden Faktoren gesteuert: - Vorinformationen: Der Prüfungsleiter hat, aus persönlicher Kenntnis von früheren Prüfungen, aus Aufzeichnungen anderer Prüfer über frühere Prüfungen und aus sonstigen Quellen über die geprüfte Unternehmung

2.4 Die Verhaltensdimension

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bzw. den geprüften Unternehmensbereich eine Fülle von Informationen. Zu diesen Informationen zählen auch seine persönlichen Einschätzungen der im fraglichen Unternehmensbereich tätigen Personen, wenn er über frühere Kontakte mit diesen Personen verfügt. Alle diese Kenntnisse schlagen sich nieder in einer Erwartung des Prüfers bezüglich des Zustandes des fraglichen Bereichs. Je nach positiver bzw. negativer Erwartung spricht diese Einflußgröße „Vorinformationen" für bzw. gegen die Einbeziehung einzelner Grenzbereiche. - Normen: Zunächst wäre auf berufsständische Normen zu verweisen. So sagt z. B. die Anmerkung Nr. 1 zum Grundsatz C I des FG 1/1977 des IdW: „Die Abschlußprüfung erstreckt sich insbesondere nicht darauf festzustellen, ob von dem Unternehmen alle Vorschriften des Steuerrechts, des Sozialversicherungsrechts, des GWB84 sowie evtl. Preisvorschriften . . . eingehalten worden sind." Neben dieser berufsständischen Norm, die nicht sehr präzise ist, existieren insbesondere in größeren Prüfungsunternehmen bzw. internen Revisionsabteilungen interne Normen, die klarstellen, welche dieser Teilgebiete zu prüfen sind. Insbesondere Prüfungsprogramme bzw. Fragebogen schreiben eindeutig vor, welche Detailabgrenzung des Prüfungsgegenstandes zu verwenden ist. - Ziele der Prüfung: Für die Fälle, in denen keine eindeutige Norm die Entscheidung des Prüfungsleiters regelt, wird häufig darauf verwiesen, daß seine Entscheidung sich an den Zielen der jeweiligen Prüfung zu orientieren habe. Da, wie wir oben schon gesagt hatten, Mittel (das ist auch die Abgrenzung des Prüfungsgegenstands) nicht unmittelbar aus Zielen ableitbar sind, hat der Prüfungsleiter bei seiner Entscheidung über die Abgrenzung des Prüfungsgegenstandes einen erheblichen Freiraum, in dem sich seine persönlichen Ziele, seine persönlichen Normen und seine Persönlichkeitsstruktur auf seine Abgrenzungsentscheidungen auswirken können. - Zeitmangel: Im vorhergehenden Kapitel zur Auftragsannahmeentscheidung wurde schon darauf hingewiesen, daß das Weglassen bzw. Einbeziehen von Gesamtbereichen des Prüfungsgegenstandes eines der Instrumente zur Anpassung an Kapazitätsschwierigkeiten ist. Je nachdem, ob zur fraglichen Zeit Zeitmangel herrscht bzw. Leerkapazitäten vorhanden sind, entscheidet sich der Prüfungsleiter für oder gegen Einbeziehung solcher Grenzbereiche. Das Problem der Abgrenzung des Prüfungsgegenstandes ist selbstverständlich nicht ein Problem, das sich nur einmal, während des Vorgangs der Prüfungsplanung stellt. Die Verarbeitung der laufend während einer Prüfung gewonnenen Informationen durch den Prüfungsleiter bzw. den Prüfungsmit-

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Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen.

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2. Der Prüfungsprozeß

arbeiter kann dazu führen, daß zu wiederholten Malen die ursprünglich vorgenommene Detailabgrenzung des Prüfungsgebietes geändert wird, weil sich die Notwendigkeit ergibt, weitere Gebiete in die Prüfung einzubeziehen, um Priifungsurteile über zu prüfende Gegenstände abzusichern oder umgekehrt, weil sich aus den erarbeiteten Informationen kein Anhaltspunkt mehr dafür ergibt, daß die ursprüngliche Einbeziehungsentscheidung aufrecht erhalten werden müßte. Auch die sich im Verlauf der Prüfung häufig verschlechternde Zeitsituation (wegen unerwarteter Verzögerungen einzelner Prüffelder) kann dazu führen, daß ursprünglich eingeplante Teilbereiche nicht geprüft werden. 2.4.2.3 Entscheidung über die Wahl des Prüfungsverfahrens In der Praxis haben sich zwei sehr unterschiedliche Arten der Prüfungsdurchführung herauskristallisiert, die ich als Prüfungsverfahren bezeichnen möchte: Die Einzelfallprüfung und die Systemprüfung. Beide kommen heute in der Praxis kaum in reiner Form vor, sie werden vielmehr miteinander kombiniert, wobei der Schwerpunkt entweder stärker auf der Prüfung von Einzelfällen oder stärker auf der Prüfung der Verarbeitungssysteme liegen kann. Die Einzelfallprüfung ist das historisch ältere Verfahren. Ansatzpunkt für die Prüfung sind dabei die einzelnen Arbeitsvorfälle, wie z. B. Buchungen, Geschäftsvorfälle, Bestellvorgänge, Arbeitsaufträge. Ziel dieses Prüfungsverfahrens ist es, ein Urteil über die Ordnungsmäßigkeit bzw. Zweckmäßigkeit der Ergebnisse der einzelnen Vorfälle zu erarbeiten; dieses Prüfungsverfahren wird daher auch als Ergebnisprüfung bezeichnet. Die Systemprüfung ist das historisch jüngere Verfahren, das insbesondere mit dem Auftauchen der automatisierten Datenverarbeitung immer größere Bedeutung erlangte. Bei diesem Prüfungsverfahren werden nicht einzelne Arbeitsvorfälle zum Gegenstand der Prüfung gemacht, sondern das Verfahren, nach dem die einzelnen, in einem Arbeitsbereich zu bearbeitenden Vorfälle verarbeitet werden. Ziel der Prüfung ist es daher, ein Urteil über die Ordnungsmäßigkeit bzw. Sicherheit und die Zweckmäßigkeit der angewendeten Arbeitsverfahren zu erarbeiten. Von dieser Kenntnis der angewendeten Verfahren schließt man dann auf die vermutete Abwicklung der einzelnen Geschäftsvorfälle. Dieses Prüfungsverfahren bemüht sich also mit anderen Worten, nicht fehlerhafte Ergebnisse zu finden, sondern die Ursachen für Fehler bzw. Mängel in den Arbeitsergebnissen herauszufinden; es wird daher auch als Verfahrensprüfung bezeichnet. Wir werden später 85 die bei beiden Verfahren sehr unterschiedlichen Prü85

Vgl. Abschnitt 2.4.2.8, S. 137 ff.

2.4 Die Verhaltensdimension

109

fungshandlungen besprechen. An dieser Stelle muß nur untersucht werden, nach welchen Kriterien sich ein Prüfungsleiter für eine bestimmte Kombination aus Einzelfallprüfungen bzw. Systemprüfungen bei einer von ihm durchzuführenden Prüfung entscheidet. Die Faktoren, die bei dieser Entscheidung eine Rolle spielen, sind die folgenden: - Art des Prüfungsgegenstandes: Wenn es sich bei dem zu beurteilenden Prüfungsgegenstand um eine Abrechnung (wie z. B. einen Jahresabschluß, eine Lagerbuchführung, ein Kassenbuch) handelt, liegt es nahe, diese zusammenfassende Abrechnung in ihre Einzelbestandteile aufzuspalten und aus der korrekten Behandlung der einzelnen Vorfälle die Korrektheit der gesamten Abrechnung abzuleiten. Wenn der dem Prüfer zur Beurteilung vorgelegte Prüfungsgegenstand hingegen eine betriebliche Teilfunktion ist (wie z. B. Lohnabrechnung, das Bestellwesen, die Verkaufsabrechnung), erscheint es zweckmäßig, nicht die Summe aller Einzelvorfälle, die im zu prüfenden Bereich in einer zu prüfenden Periode abgelaufen sind, zum Prüfungsgegenstand zu machen, sondern die Verfahren, nach denen diese Vorfälle abgewickelt wurden. Aber natürlich ist es denkbar, eine Abrechnung vorwiegend mit Hilfe einer Systemprüfung zu beurteilen, genauso wie es denkbar ist, die Ordnungsmäßigkeit der Funktionsweise eines betrieblichen Teilbereichs mit Hilfe der Untersuchung von Einzelfällen zu beurteilen. - Menge und Gleichförmigkeit der Prüfungsobjekte: Wenn sich der vom Prüfer zu beurteilende Prüfungsgegenstand aus einer relativ kleinen Menge bzw. aus wenig gleichförmigen Prüfungsobjekten zusammensetzt, liegt es nahe, den Prüfungsgegenstand als die Summe der einzelnen Prüfungsobjekte aufzufassen und ihn mit Hilfe des Ansatzes der Einzelfallprüfung zu beurteilen. Wenn hingegen im zu prüfenden Gegenstand eine sehr große Zahl von Prüfungsobjekten und ein relativ hohes Maß an Gleichartigkeit vorhanden ist, liegt die Überlegung nahe, daß es sinnlos ist, aus dieser großen Menge von Vorfällen eine relativ geringe Stichprobe (wegen des fast immer vorhandenen Termindrucks) zu ziehen und diese als Einzelfälle zu beurteilen, da große Mengen von annähernd gleichartigen Vorfällen in aller Regel nach einem streng standardisierten Verfahren, sehr häufig sogar mit Hilfe von automatischen Datenverarbeitungsanlagen bearbeitet werden. - Art der Arbeitsverfahren: Von Menge und Gleichförmigkeit der zu bearbeitenden Vorfälle hängt nicht nur das Prüfungsverfahren, sondern auch die in Unternehmen vorwiegend angewandten Arbeitsverfahren ab. Je stärker ein Arbeitsverfahren standardisiert, automatisiert und mit menschlichen oder maschinellen Kontrollen zur Sicherung der Gleichförmigkeit des Arbeitsablaufs ausgestattet ist, desto unzweckmäßiger wird es, einzelne dieser Geschäftsvorfälle herauszugreifen und diese auf Korrektheit

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2. Der Prüfungsprozeß

bzw. Zweckmäßigkeit der Bearbeitung zu untersuchen. Wenn umgekehrt in einem Arbeitsbereich Vorgänge zu bearbeiten sind, die sehr unterschiedlich behandelt werden müssen, und wenn die Menge der Vorfälle gleicher Art relativ gering ist, werden weniger standardisierte Arbeitsverfahren angewandt, die dann ihrerseits seine Prüfung von Einzelfällen nahelegen. - Art des gewünschten Prüfungsurteils: Wenn vom Prüfer ein Urteil über die Ordnungsmäßigkeit einer Abrechnung oder auch über die Ordnungsmäßigkeit der Arbeitsweise eines Bereichs im Rahmen gegebenener Vorschriften verlangt wird, erscheint die Betrachtung von Einzelfällen als eine sinnvolle Prüfungsmöglichkeit. Wenn vom Prüfer hingegen erwartet wird, daß er ein Urteil über die Zweckmäßigkeit der Bearbeitung der einzelnen Vorfälle und die Zielentsprechung der Arbeitsweise in einem Bereich abgibt, erscheint es erfolgversprechender zu sein, wenn der Prüfer die Arbeitsverfahren selbst zum Gegenstand seiner Untersuchung macht, nicht aber, daß er aus der mehr oder weniger erfolgreichen Bewältigung einzelner Arbeitsvorfälle einen Rückschluß auf die Zweckmäßigkeit der angewandten Arbeitsverfahren zieht. - Verfügbare Kapazität: Die beiden Verfahren der Einzelfall- und Systemprüfung unterscheiden sich durch die zur Beurteilung eines gegebenen Prüfungsgegenstandes (bei sonst gleichen Bedingungen) notwendige Zeit. Während sich bei einer reinen Einzelfallprüfung praktisch kein Rationalisierungseffekt im Zeitablauf ergibt, d. h. bei einer Wiederholungsprüfung die Vorkenntnis des Prüfers über das zu prüfende Gebiet nur sehr geringe Rationalisierungseffekte bringt, entsteht bei der Verwendung der Systemprüfung ein erheblicher Unterschied in der notwendigen Zeit zwischen einer Erstprüfung und den Folgeprüfungen. Der zur Beurteilung von einem Arbeitssystem notwendige Zeitaufwand geht bei der Erstprüfung weit über das hinaus, was bei einer analogen Einzelfallprüfung notwendig wäre. Bei den Folgeprüfungen mit Hilfe einer Systemprüfung liegt der Zeitverbrauch dagegen erheblich unter einer Einzelfallprüfung, weil die Beurteilung über das vorhandene Arbeitssystem schon vorliegt, lediglich noch aktualisiert werden muß. Die Entscheidung des Prüfungsleiters über die Wahl der Prüfungsverfahren Einzelfallprüfung bzw. Systemprüfung hängt also auch davon ab, ob im fraglichen Zeitraum genügend Zeit zur Durchführung einer Systemprüfung vorhanden ist und davon, ob hierfür möglicherweise Spezialisten benötigt werden. - Wirtschaftlichkeits- und Sicherheitserwägungen: Aus dem eben Gesagten ergibt sich, daß die Durchführung der Systemprüfung, selbst wenn sie mit einer stark reduzierten Einzelfallprüfung kombiniert wird, das wirtschaftlichere Prüfungsverfahren darstellt, d. h. über längere Sicht mit geringeren Prüfungskosten (bei annähernder Gleichheit der Urteilssicherheit) aus-

2.4 Die Verhaltensdimension

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kommt. Daneben treten Sicherheitserwägungen.86 Da in vielen Unternehmen heute integrierte Steuerungs- und Abrechnungssysteme bestehen, die z. B. die gesamte Finanzbuchhaltung, Kostenrechnung, Lagerdisposition auf der Einkaufsseite, Fertigungssteuerung, Lagerdisposition und Abrechnung auf der Verkaufsseite umfassen können, ist der Verflechtungs- und Komplexheitsgrad derartiger automatisierter Verarbeitungsverfahren so groß geworden, daß ein Prüfer, der nur die Ergebnisse der Einzelfälle überprüfen wollte, in große Schwierigkeiten bezüglich des Überzeugungsgrades seines Prüfungsurteils käme. Hinzu kommt, daß bei derartigen Steuerungs- und Abrechnungsverfahren häufig Zwischenergebnisse gar nicht mehr ausgedruckt werden, so daß einem Prüfer die gewohnten Unterlagen, auf denen sich einzelne Arbeitsvorgänge nachverfolgen lassen, (wie z. B. der Weg einer Buchung von Beleg über Konto, Journal, bis schließlich hin zur Schlußbilanz oder z. B. der Weg eines Bestellvorganges von Bedarfsmeldung über Bedarfsprüfung, Auswahl eines Lieferanten, Bestellung, Wareneingangskontrolle bis hin zur Verbuchung als Lagerzugang) nicht mehr zur Verfügung stehen. - Persönliche Einschätzung und Neigung des Prüfungsleiters: Aus dieser Aufzählung ergibt sich, daß die Vorteilhaftigkeit des einen oder des anderen Prüfungsverfahrens im Rahmen einer konkreten Prüfung, bzw. die Schwerpunktsetzung in der Kombination näher bei der Systemprüfung bzw. näher bei der Einzelfallprüfung, von einer Vielzahl von Faktoren abhängt. Es kann also nicht gesagt werden: In diesem Fall muß die Systemprüfung bzw. die Einzelfallprüfung angewendet werden. Die Beurteilung der Bedeutung der einzelnen genannten Faktoren obliegt dem Prüfungsleiter, es sei denn, daß durch innerbetriebliche Normen die Verwendung des einen oder anderen Verfahrens zwingend vorgeschrieben sei. Der Prüfungsleiter hat also durchaus die Möglichkeit, die Entscheidung unter Miteinbeziehung seiner persönlichen Ziele, seiner Persönlichkeitszüge, seiner persönlichen Fachkenntnisse und unter Berücksichtigung der entsprechenden Eigenschaften seiner Mitarbeiter zu treffen. Dabei kann die Vermutung geäußert werden, daß im Bereich der Jahresabschlußprüfung stärker mit der Einzelfallprüfung, während im Bereich der Internen Revision stärker mit der Systemprüfung gearbeitet wird. Wie zu Anfang dieses Abschnitts schon kurz angedeutet, sind die beiden Verfahren Einzelfall- bzw. Systemprüfung theoretische Denkmodelle, die in der Praxis fast nie in reiner Form vorkommen. Bei umfassenden, aus einer Vielzahl von Teilbereichen bestehenden Prüfungsgegenständen ist es durchBeide Argumente finden sich auch in der Stellungnahme 1/74 „Prüfung von EDV-Buchführungen" des FAMA (Fachausschuß moderne Abrechnungssysteme) des IdW; vgl. zu einer Würdigung Buchner, Manfred, S. 90 ff. 86

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2. Der Prüfungsprozeß

aus üblich, daß einzelne Teilgebiete vorwiegend mit Hilfe einer Systemprüfung, andere Teilgebiete hingegen vorwiegend mit einer Einzelfallprüfung verarbeitet werden. 2.4.2.4 Entscheidung über die Einteilung des Prüfungsgegenstands in Teilgebiete Die Notwendigkeit, den gesamten Prüfungsgegenstand in Teilgebiete zu zerlegen, ergibt sich aus zwei Gründen: - Personalzuordnung: Da Prüfungen in aller Regel als Mehrpersonenprüfungen durchgeführt werden, ergibt sich das Problem, die Verteilung der anfallenden Prüfungsaufgaben auf die einzelnen Mitglieder des Prüferteams nach Maßgabe der verfügbaren Zeit und nach Qualifikationsgesichtspunkten vorzunehmen. - Reihenfolge der Bearbeitung: Sie ist für die einzelnen Teilgebiete des Prüfungsgegenstands in vielen Fällen nicht beliebig; es kann unzweckmäßig bzw. sogar unmöglich sein, einzelne Teilgebiete des Prüfungsstoffs zu bearbeiten, ohne daß vorher andere Teilgebiete beurteilt wurden. - Prüfungsverfahren: Wir hatten eben im Zusammenhang mit der Wahl des Prüfungsverfahrens gesehen, daß diese Entscheidung mitbestimmt wird durch die in den einzelnen betrieblichen Teilbereichen angewandten Arbeitsverfahren und durch Art und Menge der zu bearbeitenden Vorfälle. Da es also bei komplexen Prüfungsgegenständen durchaus möglich ist, für unterschiedliche Teilbereiche unterschiedliche Prüfungsverfahren anzuwenden, innerhalb eines Teilgebiets aber möglichst ein einheitliches Prüfungsverfahren angewendet wird, ist auch aus dieser Überlegung eine Einteilung des Prüfungsgegenstandes in Teilgebiete sinnvoll.87 - Zeitschätzung: Eine Schätzung des vermutlichen Zeitverbrauchs für die gesamte Prüfung ist nur dann fundiert durchzuführen, wenn der Zeitverbrauch für die einzelnen Teilgebiete der Prüfung geschätzt wird. - Kontrolle: Eine laufende Kontrolle des plan- und termingemäßen Prüfungsfortschritts und eine Qualitätskontrolle der Prüfungsdurchführung ist nur bei Bildung von Teilgebieten möglich. - Steuerung: Eine Anpassung der Terminplanung und Arbeitsteilung innerhalb des Teams ist auch nur bei Bildung von Teilgebieten sinnvoll. Während für den Bereich der Funktionsprüfungen einzelner betrieblicher Teilbereiche mir keine Untersuchungen zur Zerlegung des gesamten Prüfungsgebietes in Teilbereiche bekannt sind, hat sich die Literatur zur Planung von Jahresabschlußprüfung intensiv mit diesem Problem befaßt. Die Teilge87

Vgl. Hövermann, Klaus, S. 62 ff.

2.4 Die Verhaltensdimension

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biete, in die der gesamte, bei einer Jahresabschlußprüfung zu prüfende Stoff zerlegt wird, bezeichnet man als „Prüffelder" bzw. Prüffeldergruppen. Die Begriffe gehen auf Zimmermann88 zurück, der als Prüffeld eine Anzahl von gleichartigen oder ähnlichen Prüfvorgängen bezeichnet. Nach Zimmermann soll ein Prüffeld eine Einheit sein, die nicht zu klein ist, um noch wirtschaftliches Arbeiten zuzulassen, aber auch nicht zu groß sein darf, damit der Uberblick über die Gesamtheit der im Prüffeld vereinigten Vorgänge nicht verlorengeht. Auf die Zusammenfügung der Prüffelder zu Prüffeldgruppen werden wir später eingehen. Hövermann hat 5 Grundsätze erarbeitet, nach denen die Prüffelderbildung vor sich gehen kann: - Vollständigkeitsgrundsatz: Alle im Rahmen der Abgrenzung des Prüfungsgegenstands als prüfungsrelevant bezeichneten Teilgebiete müssen einem Prüffeld zugeteilt werden. - Grundsatz der Anlehnung an gegebene Strukturen des Prüfgebiets: Die zu prüfenden Abrechnungen sind in aller Regel vorstrukturiert, allerdings sind diese Strukturen auf die Verwender der Daten abgestellt. Die Gliederung von Bilanz und Erfolgsrechnung nach AktG z. B. läßt sich kaum aus buchhalterischen bzw. sachlogischen Überlegungen zu Arbeitszusammenhängen, sondern nur aus den angestrebten Einblicks- bzw. Analysemöglichkeiten für externe Bilanzleser erklären. Trotzdem werden in aller Regel die der zu prüfenden Abrechnung zugrunde liegenden Strukturen für die Prüffeldereinteilung übernommen, sie werden, wie das auf Seite 119 folgende Beispiel zeigt, allerdings ergänzt um Prüffelder, die zur Beurteilung der in der Abrechnung enthaltenen Prüffelder notwendig sind, die aber nicht in der Abrechnung selbst enthalten sind, wie z. B. Prüffelder, die sich mit dem internen Kontrollsystem des jeweiligen Teilbereichs der Abrechnung befassen. - Grundsatz der Berücksichtigung einzusetzender Prüfmethoden: Da für unterschiedliche Sachverhalte unterschiedliche Prüfungsverfahren bzw. Prüfungsmethoden 89 zweckmäßig sein können, diese unterschiedlichen Prüfungsverfahren bzw. -methoden ihrerseits völlig unterschiedliche Vorgehensweisen, Dokumentationen, unterschiedliche Urteilssicherheit und Urteilsgenauigkeit zur Folge haben können, scheint es sinnvoll, Prüffelder ebenfalls unter dem Gesichtspunkt unterschiedlicher Prüfungsverfahren und -methoden zu differenzieren. - Grundsatz der Beachtung des Umfangs und der Differenziertheit des Prüfgebiets: Mit dem Grundsatz der Beachtung des Umfangs der Prüfgebiete soll auf die schon von Zimmermann in seiner Definition angedeutete 88 89

Zimmermann, S. 73. Vgl. dazuS. 137 ff.

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2. Der Prüfungsprozeß

Forderung hingewiesen werden, daß Prüffelder überschaubar sein sollen, daß andererseits eine zu feine Einteilung in Prüffelder eine sehr große Zahl von Prüffeldern zur Folge hat, die unüberschaubar wird; außerdem kann solch eine sehr feine Einteilung von Prüffeldern dazu führen, daß Sachzusammenhänge, die zwischen einzelnen Teilen der Abrechnung bestehen, unnötig getrennt werden. Der Ausdruck „Differenziertheit des Prüfgebiets" soll andeuten, daß die Prüffeldereinteilung von Unternehmung zu Unternehmung, von Abrechnung zu Abrechnung unterschiedlich sein kann und muß, je nach den individuellen Gegebenheiten der zu prüfenden Abrechnung. - Grundsatz der Prüferunabhängigkeit: Da Prüffelder bzw. Prüffeldergruppen Tätigkeitsgebiete von einzelnen Mitgliedern des Prüferteams sein werden, könnte man auf die Idee kommen, die Prüffelder von Anfang an auf die Qualifikationen der vorhandenen Prüfer zuzuschneiden. Damit würde man aber den Forderungen nach möglichst großer Homogenität der Vorgänge innerhalb eines Prüffelds und nach Bildung der Prüffelder nach sachlogischen Gesichtspunkten widersprechen. Die Prüffeldereinteilung wird daher in aller Regel losgelöst von den vorhandenen Prüfungspersonen vorgenommen; die Frage der Prüferqualifikation kommt erst bei der Bildung von Prüffeldergruppen und deren Zuordnung zu Prüfern ins Spiel. Die Zusammenfassung der so gebildeten Prüffelder zu größeren Einheiten, den sogenannten Prüffeldergruppen erfolgt aus mehreren Gründen: - Bei der Prüffeldereinteilung ergibt sich meist eine sehr große Anzahl, die unübersichtlich wird. - Die einzelnen Prüffelder werden, wie beschrieben, in enger Anlehnung an die Gliederung der jeweiligen Abrechnung gebildet. Eine derartige Gliederung ist aber weder nach arbeitsablauftechnischen Gesichtspunkten noch nach prüfungstechnischen aufgebaut. Sie ignoriert z. B. im Bereich der Buchhaltung die Zusammenhänge zwischen Bilanz- und Erfolgsrechnung. Ein Prüfer kann aber z. B über das Prüffeld Grundstücke mit Betriebsgebäuden isoliert wenig aussagen. Zur Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit dieses Feldes braucht er Informationen, die aus der Prüfung der Felder „Abschreibungen auf Gebäude", „Erhaltungsaufwand für Gebäude" resultieren. Im Bereich interner Revisionen wäre z. B. eine Prüfung von Lagerbeständen nicht durchzuführen ohne die Prüfung der Verfahren der Lagerentnahmen bzw. der Bestellungen. Eine Zusammenfassung der Prüffelder zu Prüffeldergruppen erfolgt also nach prüfungstechnischen Gesichtspunkten. Neben diesen sachlichen Gegebenheiten und Zusammenhängen des zu prüfenden Bereichs kommt aber noch die Personalbesetzung der Prüfung als Merkmal hinzu, denn die Bildung von Prüffeldergruppen soll nicht nur die Ubersicht erleichtern, Prüffeldergruppen sind

2.4 Die Verhaltensdimension

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auch gleichzeitig Arbeits- und Verantwortungsbereiche einzelner Prüfer und Bereiche, über deren Ordnungsmäßigkeit oder Zweckmäßigkeit ein zusammenfassendes Teilurteil abgegeben wird. Damit hängt die Bildung von Prüffeldergruppen im wesentlichen von den sachlogischen Beziehungen zwischen den einzelnen Prüffeldern, von der Zahl und den vorhandenen Qualifikationen der einzelnen Teaminitglieder ab. Daraus folgt ebenfalls, daß man nicht „den" Prüffeldergruppenplan für die Jahresabschlußprüfung entwerfen kann, sondern daß diese Planung sowohl auf die Gegebenheiten des zu prüfenden Bereichs als auch auf die Gegebenheiten des Prüferteams Rücksicht nehmen muß. Die bislang genannten Überlegungen bzw. Grundsätze zur Einteilung des Prüfungsgegenstands in Teilgebiete orientierten sich im wesentlichen an zwei Zielen von Prüfungsunternehmen: - Dem Einkommensstreben, das sich im wesentlichen im Streben nach Senkung der Prüferzeiten und/oder der gesamten Prüfungszeiten konkretisiert, - dem Sicherheitsstreben, das im wesentlichen dadurch zum Ausdruck kam, daß Sanktionen wegen einer Prüfungsdurchführung, die nicht den Berufsgrundsätzen entspricht, vermieden werden sollen. Die Überlegungen haben gezeigt, daß wegen der Abhängigkeit von den Eigenarten des zu prüfenden Bereichs und der Team-Zusammensetzung relativ wenige der vom Prüfungsleiter anzustellenden Überlegungen mit Hilfe von Normen vorzustrukturieren sind. Der Satz C IV Planung und Beaufsichtigung des Fachgutachtens 1/77 des IdW enthält lediglich zwei Sätze im Zusammenhang mit der besprochenen Entscheidung: „Eine ordnungsmäßige Prüfung erfordert planvolles Vorgehen und angemessene Beaufsichtigung. Der ordnungsmäßigen Prüfung dient eine Aufteilung des Prüfungsstoffs in einzelne Prüfungsgebiete." Der Prüfungsleiter hat daher in relativ weitem Rahmen die Möglichkeit, eigene Bedürfnisse und Ziele bzw. Persönlichkeitszüge zu berücksichtigen bzw. auf Wünsche und Neigungen der Mitglieder seines Prüferteams einzugehen. 2.4.2.5 Die Prüfer-Prüffeld-Zuordnung Als nächste konstituierende Entscheidung ist die Zuordnung der einzelnen Mitglieder des Prüferteams zu einzelnen Prüffeldergruppen zu fällen. Solange Prüfungen nur von einem oder zwei Prüfern vorgenommen werden stellt sich dieses Zuordnungsproblem nicht oder nur in sehr einfacher Form, da entweder überhaupt keine Parallelarbeiten möglich sind oder die denkbaren Variationsmöglichkeiten in der Zuordnung so übersichtlich sind, daß eine regelrechte Planung und Entscheidung überflüssig erscheint. Sobald aber größere

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2. Der Prüfungsprozeß

Prüferteams eingesetzt werden, müssen die Arbeiten der einzelnen Prüfer koordiniert werden. Diese Zuordnung muß zwei Gruppen von Gesichtspunkten Rechnung tragen: - Sachlich-persönliche Gesichtspunkte: Dabei versucht der Prüfungsleiter, die Anforderungen der einzelnen Prüffeldergruppen bezüglich des Qualifikationsniveaus und der Qualifikationsrichtung zu ermitteln und eine Zuordnung der Bearbeitung zu den einzelnen Prüfern dergestalt vorzunehmen, daß weder eine Unter- noch eine Uberqualifikation der einzelnen Prüfer in bezug auf die einzelnen Prüffelder entsteht. Unterqualifikation führt leicht dazu, daß das betreffende Prüfungsurteil unsicherer ausfällt oder der betreffendende Prüfer zu seiner Erarbeitung erheblich mehr Zeit benötigt als ein Prüfer, der bezüglich seines Qualifikationsniveaus für das Prüffeld besser geeignet wäre. Uberqualifikation führt tendenziell dazu, daß die Wertschätzungs- und Selbstverwirklichungsbedürfnisse des Prüfers nicht erfüllt, die Zuteilung als eine Bestrafung empfunden, seine Leistungsmotivation sinken wird. Bei - gemessen an der Qualifikationsrichtung (Spezialisierung) - falscher Zuordnung treten beide Nachteile zugleich auf: Größere Unsicherheit des Prüfungsurteils und längere Arbeitsdauer sowie Unzufriedenheit des betreffenden Prüfers. - Ausbildungsgesichtspunkte: Als weiterer Gesichtspunkt kommt hinzu, daß jüngere, in Ausbildung befindliche Mitarbeiter möglichst viele Teilgebiete der Prüfungstätigkeit aus eigener Anschauung kennenlernen sollen. In derartigen Fällen werden also Prüfern, obwohl sie das erforderliche Qualifikationsniveau noch nicht erreicht haben, bewußt Prüffelder zugeteilt, obwohl dadurch die Zeitdauer der Prüfungsdurchführung verlängert werden kann und obwohl dadurch möglicherweise die Sicherheit der Urteilsgewinnung leiden kann. Diese letzte Folge versucht man dadurch zu mildern, daß dem Prüfer eine entsprechende Anleitung gegeben und seine Arbeit intensiver überwacht wird, als das sonst der Fall ist. - Persönliche Neigungen der Prüfer: Je nach Anzahl und Anforderungen der Prüffelder, je nach Anzahl und Qualifikation der Mitglieder des Prüferteams ergibt sich nach den beiden eben genannten Kriterien aber keine eindeutige Zuordnung aller Prüffelder zu Prüfern. Der Prüfungsleiter hat daher die Möglichkeit, persönliche Neigungen bzw. Abneigungen der einzelnen Prüfer in bezug auf einzelne Prüffelder zu berücksichtigen. Da es bei jeder Prüfung Prüffelder gibt, die eine relativ monotone Arbeit enthalten, während andere Prüffelder von Prüfern generell als „interessant" eingestuft werden, liegt es nahe, die endgültige Entscheidung des Prüfungsleiters über die Zuordnung auch als das Ergebnis eines Diskussionsprozesses zu interpretieren, in dem die aus den unterschiedlichen Bedürfnissen und Zielen bzw. Persönlichkeitszügen der einzelnen Gruppenmitglieder resultierenden Konflikte gelöst werden müssen. Das Aus-

2.4 Die Verhaltensdimension

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maß der Berücksichtigung der Wünsche der Team-Mitglieder und ihrer Einbeziehung in den Entscheidungsprozeß hängt nicht zuletzt vom stärker kooperativen oder stärker autoritativen Führungsstil des Prüfungsleiters ab.90 Die in der Literatur verschiedentlich erörterten, mathematisch-quantitativ orientierten Verfahren der Prüfer-Prüffeldzuordnung 91 scheitern im wesentlichen daran, daß weder die Anforderungen einzelner Prüffelder an Qualifikationsniveau- bzw. -ausrichtung noch die bei den einzelnen Prüfern vorhandenen Qualifikationsniveaus bzw. -ausrichtungen eindeutig meßbar sind. Ebenso wenig sind die einzelnen persönlichen Neigungen bzw. Abneigungen der Prüfer in bezug auf einzelne Prüffelder bei derartigen Verfahren einbeziehbar. Die Zuordnung der Prüfer zu Prüffeldern muß weiterhin zeitlichen Gesichtspunkten Rechnung tragen. Bei gegebener Anzahl an Prüffeldern und gegebener Anzahl von Prüfern im Team hängt die Gesamtdauer der Prüfung u. a. auch davon ab, wieviele Prüffelder den einzelnen Prüfern übertragen werden. Der Prüfungsleiter muß also die Verteilung der einzelnen Prüffelder auf die Mitglieder seines Prüferteams dergestalt vornehmen, daß unter Berücksichtigung der im folgenden Kapitel zu behandelnden Reihenfolgebedingungen und gegebenenfalls unter Berücksichtigung von nur zeitweiliger Anwesenheit einzelner Prüfer bei einer Prüfung eine gegebene Zielvorschrift möglichst erfüllt wird. Wenn wir das oben gesprochene Ziel der Minimierung der Gesamtdauer der Prüfung zugrunde legen, bedeutet das, daß die zeitliche Auslastung der einzelnen Mitglieder des Prüferteams möglichst gleich sein muß. Anders beim Ziel der Minimierung der Prüferzeiten. Hier müßte streng diejenige Zuordnung gewählt werden, bei der jeder Prüfer das Feld bearbeitet, für das er die kürzeste Bearbeitungszeit benötigt. Daraus kann sich allerdings eine längere Gesamtdauer der Prüfung ergeben. Da diese Zuordnung der Prüffelder zu Prüfern unter zeitlichen Gesichtspunkten sehr eng mit den Problemen der Reihenfolge der Bearbeitung der einzelnen Prüffelder verbunden ist, soll darauf im folgenden Abschnitt eingegangen werden. 2.4.2.6 Die Entscheidung über die Reihenfolge der Bearbeitung Die Reihenfolge der Bearbeitung der einzelnen Prüffeldergruppen durch die Prüfer ist in der Praxis in aller Regel nicht beliebig. Dafür können zwei Gründe angegeben werden: - Zwischen einzelnen Prüffeldern können sachlogische Beziehungen bestehen, 90

Zu den Arten von Führungsstilen und ihren Auswirkungen vgl. den Abschnitt Partizipation bei Hill/Fehlbaum/Ulrich, S. 235 ff. " Vgl. dazu z. B. Leffson/Lippmann/Baetge, S. 85 ff. mit weiteren Verweisen.

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2. Der Prüfungsprozeß

- einzelne Prüffelder müssen aus Zweckmäßigkeitserwägungen in einer bestimmten Reihenfolge bearbeitet werden. Für zwingende Abhängigkeiten lassen sich nur schwierig Beispiele finden. Hövermann (S. 67) bringt das Beispiel der Prüfung der abgeführten Gesellschaftssteuer, die sich erst dann beurteilen läßt, wenn feststeht, in welcher Höhe eine Kapitalerhöhung stattgefunden hat. Die weitaus meisten Reihenfolgebedingungen entstehen aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen. So wäre es z. B. möglich, bei einer Jahresabschlußprüfung eine Prüfung der Abschreibungen vorzunehmen, ohne vorher die Zu- und Abgänge geprüft zu haben. Zweckmäßig wäre ein derartiges Vorgehen aber nicht, da ein Teil der Prüfungshandlungen zum Prüffeld Abschreibungen noch einmal aufgenommen werden müßte, wenn sich bei der Prüfung der Zu- und Abgänge im Prüfgebiet „Maschinen und maschinelle Anlagen" ergibt, daß die von der Unternehmung zugrunde gelegte Abschreibungsbasis nicht korrekt ermittelt war. Reihenfolgebedingungen können bestehen zwischen den Prüffeldern einer Priiffeldergruppe bzw. auch zwischen den Prüffeldergruppen untereinander. Da Prüffeldergruppen in aller Regel auch Tätigkeitsgebiete der einzelnen Prüfer sind, ergibt sich bei derartigen Reihenfolgebedingungen und zwischen einzelnen Prüffeldergruppen nicht nur das Problem, daß möglicherweise mehr Arbeit entsteht, wenn über einzelne Prüffelder nur vorläufige Urteile abgegeben werden können, da andere, zur endgültigen Beurteilung notwendige Prüffelder noch nicht abgeschlossen sind. Es entsteht außerdem das Problem, daß für einzelne Prüfer Wartezeiten entstehen können, wenn Prüffeldergruppen nicht so rechtzeitig abgeschlossen worden sind, daß das sich auf sie beziehende Prüfungsurteil bei der Beurteilung weiterer Prüffeldergruppen zugrunde gelegt werden kann. Als Beispiel sei erwähnt, daß die Prüffeldergruppe Geschäftsbericht nicht sinnvoll begonnen werden kann, bevor nicht die sich mit Bilanz und Erfolgsrechnung beffassenden Prüffeldergruppen abgeschlossen wurden. Als Beispiel für einen Prüffelderplan, der Reihenfolgebedingungen berücksichtigt, wird ein dem Aufsatz von Hövermann (a.a.O., S. 69 ff.) entnommener Prüffelderplan abgedruckt. Angesichts der Vielzahl möglicher Reihenfolgebedingungen bei einer Prüfung (der von Hövermann erarbeiteten Prüffelderplan unfaßt 15 Prüffeldergruppen mit insgesamt 130 Prüffeldern) und angesichts der zeitlichen Abhängigkeiten, die daraus entstehen, daß die einzelnen Prüffeldergruppen in unterschiedlicher Weise mit Prüfern ausgestattet werden können, wird in der Literatur die Möglichkeit diskutiert, das Problem der Prüfungsplanung mit Hilfe der Netzwerktechnik anzugehen.92 Die Netzwerktechnik gestattet es mit relativ

92

Vgl. z. B. Leffson/Lippmann/Baetge, a.a.O., S. 71 ff. mit vielen weiteren Nachweisen.

2.4 Die Verhaltensdimension

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geringem formalem Aufwand, eine Darstellung aller sachlichen Abhängigkeiten, auch bei sehr großen Projekten zu erarbeiten. Die Notwendigkeit, das sogenannte Strukturnetz zu erstellen, zwingt den Prüfungsleiter, die Abhängigkeiten aller Prüffelder bzw. aller Prüffeldergruppen zu durchdenken. Die Netzwerktechnik erlaubt es weiter, mit Hilfe der Schätzung der für die einzelnen Prüffelder notwendigen Bearbeitungszeiten, den frühestmöglichen Endtermin der Prüfung zu schätzen und diejenigen Prüffelder bzw. Prüffeldergruppen zu identifizieren, bei denen sich aufgrund der sachlogischen Zusammenhänge und aufgrund der (vorgegebenen) Prüferzuteilung zu einzelnen Prüffeldern Wartezeiten ergeben bzw. bei welchen Prüfern unausgelastete Leerzeiten vorhanden sind. Insbesondere bei Verwendung vorhandener Computerprogramme scheint daher die Netzwerktechnik ein sinnvolles Planungsinstrument für Prüfungsplanungen zu sein.

A. Informationen über die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie vorgezogene Ordnungsmäßigkeitsprüfungen I. Prüffeldergruppe Rechtliche Grundlagen und wirtschaftliche Entwicklung 1. Satzung 2. Hauptversammlungsprotokoll 3. Besetzung der Gesellschaftsorgane 4. Ubersicht über verbundene Unternehmen 5. Wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft im Berichtsjahr II. Prüffeldergruppe Organisatorischer Aufbau des Rechnungswesens und Ordnungsmäßigkeit der Buchführung 1. Organisation des Rechnungswesens einschl. Betriebsabrechnung, Kalkulation und kurzfristige Erfolgsrechnung 2. EDV-Programmsysteme 3. Inventar-Auf Stellung 4. Bilanzidentität 5. Wareneingang/-ausgang und Lagerverwaltung 6. Kassen-, Bank-, Postscheck- und Scheckverkehr 7. Kontokorrent- und Wechselverkehr 8. Lohn- und Gehaltsverkehr

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2. Der Prüfungsprozeß

B. Weitgehend unabhängig voneinander zu bearbeitende Prüffeldergruppen mit vereinzelten Querverbindungen zwischen Prüffeldern unterschiedlicher Gruppenzugehörigkeit I. Prüffeldergruppe Grundkapital sowie damit verbundene Sachverhalte und Vorgänge 1. Grundkapital 2. Ausstehende Einlagen auf das Grundkapital 3. a) eigene Aktien b) genehmigtes Kapital c) Bezug von Aktien bei bedingter Kapitalerhöhung (s. a. VIII.2) d) Genußrechte, Rechte aus Besserungsscheinen und ähnliche Rechte 4. Bestehen einer wechselseitigen Beteiligung 5. Bestehen einer nach § 20 Abs. 1 oder 4 AktG mitgeteilten Beteiligung 6. Gesellschaftsteuer II. Prüffeldergruppe Sachanlagen und immaterielle Anlagenwerte Prüffelder 1. Internes Kontrollsystem 2. Zugänge zu Sachanlagen und immateriellen Anlagewerten 3. Aktivierte Eigenleistungen 4. Erhaltungsaufwand 5. Zuschreibungen zu Gegenständen des Sachanlagevermögens und zu immateriellen Anlagewerten 6. Erträge aus dem Abgang von Gegenständen des Sachanlagevermögens und immaterieller Anlagewerte 7. Verluste aus dem Abgang von Gegenständen des Sachanlagevermögens und immaterieller Anlagewerte 8. Abschreibungen auf das Sachanlagevermögen und auf immaterielle Anlagewerte 9. Verbindlichkeiten aus dem Erwerb von Sachanlagen 10. Verbindlichkeiten aus der Annahme gezogener und der Ausstellung eigener Wechsel soweit ihnen Verbindlichkeiten aus dem Erwerb von Sachanlagen zugrunde liegen 11. Anlagen im Bau 12. Anzahlungen für Sachanlagen 13. Aus der Bilanz nicht ersichtliche Haftungsverhältnisse, soweit sie sich aus dem Sachanlagevermögen ableiten (s. a. VIII.3,4)

2.4 Die Verhaltensdimension

121

III. Prüffeldergruppe Beteiligungen 1. Internes Kontrollsystem 2. Beteiligungsbestand 3. Erträge aus Beteiligungen 4. Erträge aus Gewinngemeinschaften, Gewinn- oder Teilgewinnabführungsverträgen 5. Erträge/Aufwendungen aus Ergebnisübernahmen 6. Abschreibungen auf oder Zuschreibungen zu Beteiligungen 7. Erträge/Verluste aus dem Abgang von Beteiligungen 8. Rechtliche und geschäftliche Beziehungen zu verbundenen Unternehmen IV. Prüffeldergruppe Wertpapiere des Anlage- und Umlaufvermögens, Ausleihungen und Beziehungen zu verbundenen Unternehmen (soweit nicht unter III.8 geprüft) Prüffelder 1. Internes Kontrollsystem 2. Wertpapiere des Anlagevermögens die keine Beteiligungen sind 3. Ausleihungen (s. a. IX.7) 4. Wertpapiere des Umlaufvermögens 5. Anteile an einer herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Gesellschaft 6. Forderungen an verbundene Unternehmen soweit nicht aus Warenlieferungen und Leistungen 7. Finanzwechsel auch weitergegebene 8. Wechsel von verbundenen Unternehmen soweit nicht aus Warenlieferungen und Leistungen 9. Abschreibungen auf Wertpapiere des Anlagevermögens und Ausleihungen 10. Abschreibungen auf Wertpapiere des Umlaufvermögens und auf Forderungen an verbundene Unternehmen 11. Zuschreibungen zu Wertpapieren des Anlagevermögens, Ausleihungen, Wertpapiere des Umlaufvermögens und zu Forderungen an verbundene Unternehmen 12. Erträge aus Wertpapieren des Anlagevermögens 13. Erträge aus Ausleihungen 14. Erträge aus Wertpapieren des Umlaufvermögens 15. Erträge, Verluste aus dem Abgang von Wertpapieren des Anlage- und Umlaufvermögens 16. Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen, soweit nicht aus Warenlieferungen und Leistungen 17. Verbindlichkeiten aus der Annahme gezogener und der Ausstellung

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2. Der Prüfungsprozeß

eigener Wechsel, soweit an verbundene Unternehmen weitergegeben und nicht aus Warenlieferungen und Leistungen V. Prüffeldergruppe Materialbestand/-einsatz und hiermit zusammenhängende Schuldverhältnisse Prüffelder 1. Ordnungsmäßigkeit der Inventur 2. Bestand an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen 3. Bezogene Waren 4. Verbindlichkeiten aufgrund von Warenlieferungen und Leistungen, auch gegenüber verbundenen Unternehmen 5. Verbindlichkeiten aus der Annahme gezogener und der Ausstellung eigener Wechsel, soweit ihnen Warenlieferungen und Leistungen zugrunde liegen 6. Aufwendungen für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, für ihnen gleichzusetzende Fremdleistungen und für bezogene Waren 7. Abschreibungen auf Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und auf Waren 8. Zuschreibungen zu den Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen und zu den Waren 9. Zinsaufwand zu Nr. 5 10. Geleistete Anzahlungen VI. Prüffeldergruppe Erzeugnisse, Schuldverhältnisse und Erlöse aus ihrem Verkauf 1. Ordnungsmäßigkeit der Inventur (soweit nicht unter 8 II. 3 geprüft) 2. Unfertige Erzeugnisse 3. Fertige Erzeugnisse, soweit nicht unter A. II. 5 geprüft 4. Umsatzerlöse 5. Forderungen aufgrund von Warenlieferungen und Leistungen auch gegen verbundene Unternehmen, soweit nicht unter A. II. 7 geprüft 6. Wechsel soweit ihnen Forderungen aus Warenlieferungen und Leistungen zugrunde liegen (auch Teilzahlungswechsel) einschl. der weitergegebenen, soweit nicht unter 5 geprüft 7. Umsatzsteuer 8. Abschreibungen auf Erzeugnisse, Forderungen und Wechsel 9. Zuschreibungen zu den Erzeugnissen, Forderungen und Wechseln 10. Pauschalwertberichtigungen zu Forderungen aufgrund von Warenlieferungen und Leistungen (einschließlich Wechsel) 11. Erhöhung/Verminderung des Bestandes an unfertigen und fertigen Erzeugnissen, soweit nicht unter 2 und 3 geprüft 12. Anzahlungen (von Kunden), auch von verbundenen Unternehmen

2.4 Die Verhaltensdimension

123

VII. Prüffeldergruppe Geldverkehr (soweit nicht unter A. II. 6 und 7 geprüft) Prüffelder 1. Kassenbestand 2. Bundesbankguthaben 3. Postscheckguthaben 4. Andere Guthaben 5. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten, hier: Kontokorrentkredite 6. Schecks, einschl. der weitergegebenen 7. Kurzfristige Wechsel 8. Bankzinsen, Diskonte, Provisionen u. dgl. VIII. Prüffeldergruppe Langfristige Verbindlichkeiten Prüffelder: 1. Lastenausgleichs-Vermögensabgabe 2. Anleihen (s. a. I. 3 c) 3. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten, hier: Langfristige Darlehen (s. a. II. 13) 4. Sonstige langfristige Verbindlichkeiten (s. a. II. 13) 5. Verbindlichkeiten aus der Annahme gezogener und der Ausstellung eigener Wechsel, soweit ihnen nicht der Kauf von Sachen zugrunde liegt und sie nicht an verbundene Unternehmen weitergegeben sind (Finanzakzepte) 6. Zinsaufwendungen zu Nr. 2-5 IX. Prüffeldergruppe Personalaufwendungen, -forderungen und -Verbindlichkeiten Prüffelder 1. Löhne und Gehälter, soweit nicht unter A. II. 8 geprüft 2. Lohnsummensteuer 3. Pensionszahlungen 4. Gesamtbezüge des Vorstandes 5. Soziale Abgaben 6. Zusätzliche freiwillige soziale Aufwendungen 7. Forderungen an Betriebsangehörige (s. a. IV. 3) 8. Forderungen gemäß § 89 AktG 9. Verbindlichkeiten gegenüber Betriebsangehörigen 10. Forderungen gemäß § 115 AktG 11. Zinserträge aus Nr. 7, 8 und 10 12. Bezüge des Aufsichtsrates 13. Verbindlichkeiten gegenüber Mitgliedern des Aufsichtsrates

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2. Der Prüfungsprozeß

X. Prüffeldergruppe Sonstige Prüffelder Prüffelder 1. Sonstige Vermögensgegenstände 2. Wertberichtigungen zu den sonstigen Vermögensgegenständen 3. Abschreibungen auf die sonstigen Vermögensgegenstände 4. Zuschreibungen zu den sonstigen Vermögensgegenständen 5. Sonstige Verbindlichkeiten 6. Aktive Rechnungsabgrenzungsposten 7. Passive Rechnungsabgrenzungsposten 8. Sonstige Erträge 9. Verbindlichkeiten aus Bürgschaften, Wechsel- und Scheckbürgschaften sowie aus Gewährleistungsverträgen 10. Aus der Bilanz nicht ersichtliche Haftungsverhältnisse, soweit nicht aus dem Sachanlagevermögen und der Weitergabe von Wechseln und Schecks 11. Beiträge an Institutionen 12. Sonstige Aufwendungen C. Untereinander verflochtene Prüffeldergruppen mit enger Verbindung zu Prüffeldern in B. I. Prüffeldergruppe Rücklagen 1. Sonderposten mit Rücklageanteil 2. Gesetzliche Rücklage 3. Freie Rücklagen II. Prüffeldergruppe Rückstellungen und Steuern 1. Pensionsrückstellung 2. Andere Rückstellungen 3. Steuern vom Einkommen, vom Ertrag und vom Vermögen 4. Sonstige Steuern (ohne Lohnsummensteuer) III. Prüffeldergruppe Geschäftsbericht 1. Lagebericht 2. Sozialbericht 3. Erläuterungsbericht 4. Einzelangaben im Geschäftsbericht 5. Vorgänge von besonderer Bedeutung nach dem Bilanzstichtag

2.4 Die Verhaltensdimension

125

In der Praxis der Prüfungsplanung wird diese Technik allerdings noch nicht angewendet; über die Gründe lassen sich nur Vermutungen anstellen. Zu diesen Gründen gehört, daß Prüfungsleiter aufgrund ihrer Berufserfahrung über eine recht genaue Kenntnis über die sachlogischen Zusammenhänge der einzelnen Teilgebiete der jeweiligen Prüfung verfügen. Hinzu kommt, daß die erstmalige Verwendung derartiger Verfahren mit einem erheblichen Planungs- und Vorbereitungsaufwand verbunden ist. Neben einer gewissen Scheu vor dem Umgang mit Computern kommt noch hinzu, daß mit Hilfe der Netzwerktechnik allein das Problem der Zuordnung von Prüfern zu Prüffeldern nicht zu lösen ist. Daß die für dieses Problem vorhandenen quantitativen Verfahren in der Praxis nicht anwendbar sind, wurde schon gesagt. Es sei abschließend noch darauf hingewiesen, daß die Verwendung der Netzplantechnik mit Hilfe des Computers nicht nur eine sehr flexible Anpassung des Prüfungsplans an geänderte Umstände (wie z. B. Ausfall von Prüfern, unvorhergesehene Verzögerungen beim Abschluß einzelner Prüffelder) gestattet, sondern auch eine ausgezeichnete Hilfe bei der Kontrolle des plangemäßen Fortschritts der Prüfungsdurchführung darstellt.93 In der Prüfungspraxis ist die Reihenfolge der Bearbeitung immer dann vorgegeben, wenn eine Prüfung anhand eines Prüfungsprogramms bzw. anhand von Prüfungsfragebogen durchgeführt wird. Im übrigen nehmen Prüfungsleiter nur eine relativ grobe Prüffeldergruppenplanung vor und bewältigen etwa auftretende Schwierigkeiten im Zeitablauf dadurch, daß Prüfer mit Wartezeiten bei denjenigen Prüffeldern aushelfen, deren Abschluß sich zeitlich verzögert. Daß durch die Nichtanwendung Rationalisierungseffekte, Kontrollhilfen und flexible Plananpassungsmöglichkeiten „verschenkt" werden, läßt sich nicht im strengen Sinne beweisen. Es ist allerdings denkbar, daß der zunehmend spürbare Konkurrenzdruck, der von Unternehmensleitungen ausgehende Druck auf die Honorare bei Pflichtprüfungen, das Nachwachsen einer neuen, mit quantitativen Methoden vertrauten Generation von Prüfungsleitern, das Entstehen neuer, im Dialogverfahren zu bedienender Computerprogramme dazu führen könnten, daß die Prüfungspraxis ihre ablehnende Haltung revidiert. 2.4.2.7 Die Entscheidung über die Auswahl der Prüfungsobjekte Liegt nun die Einteilung des Prüfungsgegenstands in Teilgebiete in Gestalt eines Prüffelderplans fest, muß im Rahmen der nächsten konstitutiven Entscheidung darüber entschieden werden, welche der vielen einzelnen Prü93

Vgl. dazu auch Egner, Planungsmodell.

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2. Der Prüfungsprozeß

fungsobjekte, die in ihrer Gesamtheit das Prüffeld bilden, in die Prüfung einbezogen werden sollen. Da diese Entscheidung sehr stark davon geprägt wird, ob bei der Wahl des Prüfungsverfahrens für eine Einzelfallprüfung oder eine Systemprüfung entschieden wurde, sollen die sich bei beiden Prüfungsverfahren ergebenden Probleme getrennt dargestellt werden.

2.4.2.7.1 Die Auswahlentscheidung bei Einzelfallprüfungen Hier müssen wir zwei Problemkreise unterscheiden: Der Prüfungsleiter bzw. der Prüfer muß zunächst festlegen, auf welche Weise er aus der Vielzahl der vorhandenen Elemente im Prüffeld einzelne Elemente herausgreift, um zu beurteilen, ob ihre Merkmalsausprägungen den jeweils zu erarbeitenden Anforderungen entsprechen. Weiterhin muß der Prüfer entscheiden, an welcher Stelle im Prüfgebiet er ansetzen möchte. Da es sich bei Einzelfallprüfungen im wesentlichen um die Prüfung von Abrechnungen (Jahresabschluß, Mengenrechnungen, wie z. B. Bestandskarteien o. ä.) im Hinblick auf die Ordnungsmäßigkeit der Rechnung handelt, stehen dem Prüfer unterschiedliche Ansatzpunkte zur Verfügung. So kann er z. B. bei der Sammlung der verbuchten Belege ansetzen oder aber bei der zu prüfenden Endabrechnung selbst. 1) Die Stichprobenauswahl Zunächst muß der Prüfungsleiter bzw. der Prüfer sich dafür entscheiden, ob er mit einer Vollprüfung oder einer Stichprobenprüfung arbeiten möchte. Die Literatur ist sich (zumindest im Bereich der Jahresabschlußprüfung) darüber einig, daß es sehr wenige Prüffelder gibt, in denen mit einer Vollprüfung gearbeitet werden muß. Bei den weitaus meisten Prüffeldern wird eine Stichprobenprüfung für zulässig erachtet.94 Dabei muß beachtet werden, daß mit sinkendem Auswahlsatz (Anzahl der betrachteten Prüfungsobjekte bezogen auf die Gesamtzahl der Prüfungsobjekte im Prüffeld) der Uberzeugungsgrad der Urteilshypothese sinkt. Andererseits ist klar, daß der Zeitverbrauch für die Prüfungsdurchführung im betreffenden Prüffeld mit sinkendem Auswahlsatz abnimmt. Mit diesen Feststellungen ist nun nicht viel gewonnen. Da in aller Regel nicht zweifelsfrei feststeht, wie hoch der vom Prüfer geforderte Uberzeugungsgrad angesetzt werden muß, mit anderen Worten, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Auftraggeber ein Fehlurteil auszuschließen wünscht, da auf der anderen Vgl. Anmerkung 1 zum Satz C V des Fachgutachtens 1/77: „Die Zielsetzung der Abschlußprüfung erfordert im allgemeinen keine lückenlose Prüfung." Ein Paradebeispiel für mangelnde Eindeutigkeit einer Norm. 94

2.4 Die Verhaltensdimension

127

Seite auch nicht präzisiert ist, wieviel Prüfungszeit für die Prüfung eines ganz bestimmten Prüffeldes aufgewendet werden darf, ist der Prüfer auf eine intuitive Erfassung und Bearbeitung beider Größen angewiesen. Dabei ist zu bedenken, daß eine Fehlentscheidung des Prüfers Anlaß zu Sanktionen sein kann. Die Praxis behilft sich damit, daß sie Faustregeln angibt für Fälle, in denen eine Vollprüfung durchzuführen sei: - Eine lückenlose Prüfung ist nur dann erforderlich, wenn der Zustand eines Prüffelds so verworren ist, daß der Prüfer anders keine Ubersicht erreichen kann, - wenn es sich um ein Prüffeld handelt, das eine besondere Bedeutung für die zu prüfende Abrechnung hat (als Beispiel sei das Prüffeld „Bilanzidentität" aus Abschnitt A des Prüfplans auf S. 119 genannt), - wenn es sich um sehr kleine Prüffelder handelt (Beispiel: das Prüffeld „Besetzung der Gesellschaftsorgane"), - wenn es sich um eine sogenannte Deliktprüfung handelt, d. h. wenn im zu prüfenden Prüffeld Unregelmäßigkeiten vermutet werden oder der Umfang von dem Grunde nach bekannten Unregelmäßigkeiten festgestellt werden soll. Hat sich der Prüfer dafür entschieden, sein Prüffeld stichprobenweise zu prüfen, ergibt sich ein weiteres wichtiges Problem. Er muß entscheiden, nach welchen Gesichtspunkten er einzelne Prüfungsobjekte in die zu prüfende Stichprobe aufnimmt und damit die restlichen Prüfungsobjekte aus der Prüfung ausnimmt. Es gibt zwei, sich in ihrer Zielsetzung, ihrem formalen Aufbau und ihrem Anwendungsbereich in der Praxis sehr stark unterscheidende Gruppen von Stichprobenverfahren: die mathematisch-statistisch fundierten Verfahren und die sogenannte Urteils-Stichprobe. Die mathematisch-statistisch fundierte Stichprobe Bei den mathematisch-statistisch fundierten Stichprobenverfahren können wir zwei unterschiedliche Gruppen von Verfahren unterscheiden: - Die Schätzstichprobe: Die Fragestellung wird dabei so formuliert: Wie hoch wird der Fehleranteil in einer Grundgesamtheit sein, wenn der in einer Stichprobe ermittelte Fehleranteil x% beträgt? Es wird im Wege des sogenannten Repräsentationsschlusses von Eigenschaften der Stichprobe auf Eigenschaften der Grundgesamtheit geschlossen. - Die Annahmestichprobe: Hier lautet die Fragestellung folgendermaßen: Liegt der aufgrund einer Stichprobe geschätzte Fehleranteil in der Grundgesamtheit über oder unter einem vorbestimmten Grenzwert? Liegt der Fehleranteil über dem Grenzwert, wird die Grundgesamtheit abgelehnt, liegt der Fehleranteil unter dem Grenzwert, wird die Grundgesamtheit angenommen. Es handelt sich also um einen modifizierten Repräsentationsschluß.

128

2. Der Prüfungsprozeß

Bei den Verfahren ist gemeinsam, daß sie eine Zufallsauswahl der Stichprobenelemente aus der Grundgesamtheit voraussetzen. Der Umfang der Stichprobe kann dabei nach Formeln berechnet werden, er hängt im wesentlichen ab von Umfang der Grundgesamtheit, dem erwarteten Fehleranteil, verlangter Aussagesicherheit und verlangtem Genauigkeitsgrad der Aussage. 95 Der Stichprobenumfang wird dabei zu Beginn der Prüfung berechnet; er ist abhängig vom Umfang der Grundgesamtheit, von der vorgegebenen Aussagesicherheit, von der geforderten Aussagegenauigkeit, ist aber unabhängig davon, ob sich im Lauf der Prüfung nun mehr oder weniger Fehler einstellen als erwartet.96 Die Werte für die Aussagesicherheit (also die Wahrscheinlichkeit, daß der tatsächliche Fehleranteil außerhalb des geschätzten Fehlerbereichs liegt) und für Aussagegenauigkeit (also der Umfang des Bereichs in dem der tatsächliche Fehleranteil der Grundgesamtheit oberhalb bzw. unterhalb des in der Stichprobe gefundenen Fehleranteils liegen kann) können dabei vom Prüfer vorgegeben werden. Wie wir später bei der Untersuchung der Formulierung der jeweiligen Prüfungsurteile sehen werden, bringt dies den unbestreitbaren Vorteil mit sich, daß die Bedingungen, unter denen das Prüfungsurteil Gültigkeit hat, zahlenmäßig angegeben werden können. Als Nachteile der mathematisch-statistischen Stichprobenverfahren müssen genannt werden, daß die Einbeziehung von Vorwissen des Prüfers nur sehr beschränkt möglich ist. Zwar geht in die Berechnung des Umfangs der Stichprobe der Wert für den vom Prüfer erwarteten Fehleranteil ein, da aber die Elemente für die Stichprobe nach Zufallsverfahren gezogen werden müssen, besteht nicht die Möglichkeit, besondere dem Prüfer bekannte Fehlerursachen im Rahmen der Stichprobe ausdrücklich zu berücksichtigen. Auch ist der mit dem mathematisch-statistischen Stichprobenverfahren verbundene analytische Aufwand, d. h. die Rechenarbeit, die im Zusammenhang mit Ermittlung des notwendigen Stichprobenumfangs und der Formulierung des Prüfungsurteils einhergeht, erheblich größer als bei einer Urteilsstichprobe. 97

95 Auf die Wiedergabe des notwendigen Formelapparats soll hier verzichtet werden, da diesen Verfahren keine große praktische Bedeutung zukommt und da die wichtigsten Formeln in sämtlichen Nachschlagewerken des Fachs nachgelesen werden können. Vgl. zur Schätzstichprobe z. B. WP-Handbuch 1977 S. 1019 ff. Vgl. zu Schätz- und Annahmestichprobe Leffson/Lippmann/Baetge, S. 26 ff. 96 Ausgenommen von dieser Feststellung sind lediglich die sogenannten Sequentialstichproben, bei denen der Stichprobenumfang in Funktion der vorgefundenen Priifungsergebnisse einzelner Prüfungsobjekte schwankt; vgl. dazu z. B. Schulte, Elmar W., S. 129 ff. 97 Der analytische Aufwand läßt sich allerdings durch die Verwendung von Hilfsmitteln, wie z. B. Nomogrammen (von Wysocki, Klaus, S. 484 ff.) oder durch die Verwendung von Stichprobenplänen (z. B. ASO-Stichprobentabellen zur Attributprüfung) stark herabsetzen.

2.4 Die Verhaltensdimension

129

Die Anwendbarkeit der mathematisch-statistischen Verfahren wird weiter dadurch eingeschränkt, daß von der Fiktion ausgegangen wird, alle Fehler seien gleichgewichtig. So kann man zwar einen Fehlerprozentsatz schätzen, aber dieser ist dann wenig aussagefähig, wenn er sich aus Fehlern unterschiedlicher Art und Gewichts ergibt.98 Die statistischen Verfahren sind weiter nur dann anwendbar, wenn gewisse Mindestgrößen für Grundgesamtheit bzw. Stichprobe nicht unterschritten werden: Als Faustregel wird genannt, daß Stichprobenumfänge von weniger als dreißig Einheiten bzw. Grundgesamtheiten von weniger als hundert Einheiten sich für eine mathematisch-statistische Stichprobe nicht mehr eignen. Schließlich seien die Verfahren noch durch die Art der Formulierung des jeweiligen Prüfungsurteils beschrieben: Bei einer Schätzstichprobe lautet das Prüfungsurteil folgendermaßen: „Mit einer Sicherheit von x% liegt der Fehleranteil in der Grundgesamtheit zwischen y und z % . " Bei einer Annahmestichprobe würde das Prüfungsurteil folgendermaßen lauten: „Mit einer Sicherheit von x% liegt der Fehleranteil der Grundgesamtheit nicht über dem Grenzwert von y % . " Die Urteilsstichprobe99 Anders als bei der Schätzstichprobe, bei der es lediglich um die Kenntnis eines Fehleranteils im betreffenden Prüffeld ging, ist es das Ziel der Durchführung einer Urteilsstichprobe, festzustellen, daß nach Durchführung und Prüfung (und Behebung der im Verlauf der Prüfung festgestellten Fehler, soweit das noch möglich ist) das Prüffeld keine wesentlichen Fehler100 nach Wert, Art und Menge der Fehler enthält. Insofern ist die Fragestellung bei der Urteilsstichprobe eher mit der Annahmestichprobe zu vergleichen, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, daß die einzelnen Stichprobenelemente nicht nach Zufallsverfahren bestimmt werden, sondern nach bestimmten Kriterien gezielt festgelegt werden. Die Urteilsstichprobe geht bei der Bestimmung der in die Stichprobe einzubeziehenden Elemente von folgenden beiden Überlegungen aus: - Die Ordnungsmäßigkeit eines Prüffeldes im Rahmen der Prüfung einer Abrechnung hängt zunächst davon ab, welchen Anteil die fehlerhaften Elemente an der Gesamtzahl der Elemente nach der jeweiligen Bedeutung der Fehler haben. Die Bedeutung eines Fehlers läßt sich dann ausdrücken 98

Vgl. zum Problem der Fehlergewichtung Abschnitt 2.4.3.5, S. 183 ff. Vgl. dazu insbesondere Hagest, Urteilsstichprobe. 100 Mir ist klar, daß „wesentlich" ein schillernder Begriff ist. Um angeben zu können, ob Fehler wesentlich sind oder nicht, müßte man erstens einen Maßstab haben, an dem man die Bedeutung von Fehlern mißt und zweitens einen Grenzwert oder zumindest einen Grenzbereich angeben können, bis zu dem Fehler als unwesentlich, jenseits dessen Fehler als wesentlich bezeichnet werden. 99

2. Der Prüfungsprozeß

130

als Prozentsatz des gesamten Betrags der jeweiligen Position, z. B. als Prozent der Aufwendungen, als Prozent des Bestandes. Die Erfahrung lehrt nun, daß Bestände (wie z. B. ein Lagerbestand) oder Summen (wie z. B. die Summe aller Aufwandsbuchungen einer bestimmten Aufwandsart über eine Periode) sich sehr häufig nicht aus Posten bzw. Buchungen gleicher Höhe zusammensetzen, sondern aus einer relativ großen Anzahl von Posten bzw. Buchungen von geringem Wert und einer relativ kleinen Anzahl von Posten bzw. Buchungen mit sehr hohem Wert. Dieser Zusammenhang läßt sich graphisch durch die folgende Darstellung zeigen.101 Die lineare Verbindung der beiden Punkte 0/0 und 100/100 stellt den Zusammenhang zwischen Positions- bzw. Buchungsanzahl und Gesamtbetrag des Postens unter der Voraussetzung dar, daß alle Buchungen bzw. Posten den gleichen Wert haben. Je stärker die tatsächlichen einzelnen Beträge der Posten bzw. Buchungen vom durchschnittlichen Wert abweichen, um so stärker wird die den Zusammenhang zwischen Posten- und Wertanteil ausdrückende sogenannte Konzentrations- oder Lorenz-Kurve in der gezeigten Form von der Geraden abweichen. Wenn wir die dargestellte Form der Verteilung für ein konkretes Gebiet als gültig unterstellen, hätte der Prüfer nahezu 65% des Gesamtwerts des Endbestandes geprüft, indem er nur 5% der Positionen in seine Stichprobe einbezieht. Wenn er 10% der Positionen in seine Stichprobe einbezieht, hat er nahezu 80% der Werte des entsprechenden Bestandes geprüft. Das setzt natürlich voraus, daß er seine Stichprobe nicht nach Zufallsverfahren ansetzt, sondern nur diejenigen Posten in seine Stichprobe einbezieht, die die höchsten Werte je Vorgang aufweist. Damit wird die als Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit der Verfahren der mathematischen Statistik notwendige Homogenitätsbedingungn der einzelnen Elemente in einem Prüffeld gleichzeitig in Frage gestellt. Es wird behauptet, daß eben nicht Fehler gleich Fehler sei, sondern daß von seiner Auswirkung her ein Fehler von zwei Promille der Gesamtsaumme der jeweiligen Position etwas anderes sei als ein Fehler von z. B. 3% der gesamten Position. - Neben der Bedeutung der einzelnen Fehler für das gesamte Prüffeld wird als zweite Grundüberlegung die Frage nach den Fehlerursachen in den Vordergrund gestellt. Während die mathematisch-statistischen Verfahren durch die Verwendung der Zufallsauswahl einen Fehler als ein Zufallsereignis ansehen, das irgendwo im Verlauf der Bearbeitung eintreten kann und für dessen Ursachen sich der Prüfer im Verlauf der Stichprobenprüfung nicht weiter interessiert, wird bei einer Urteilsstichprobe die Fehlerquelle bewußt in den Mittelpunkt gestellt, indem Prüfer sich Teilgebiete 101

Entnommen aus Roth/Bujak, Anlage 8.

2.4 Die Verhaltensdimension

131

Lorenz = Konzentrationskurve Darstellung der Zusammenhänge zwischen Posten- und Wertanteilen 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 Werte 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 0

5

10

15

20

25

30

35

40

45 50 55 60 Positionsanzahl

65

70

75

80

85 90

95

t %

100

%

des Arbeitsvorganges, die sie aufgrund der vorhergehenden Analyse des Arbeitsystems oder aufgrund anderer Informationen 1 0 2 als besonders fehleranfällig erkannt haben, besonders intensiv vornehmen. Das kann dazu führen, daß Teile des Prüffeldes sogar voll geprüft werden, während in anderen Teilen nur sehr wenige Stichproben angesiedelt werden. 102 Ein Beispiel für eine derartige Information und ihre Auswertung: Wenn ein Prüfer erfährt, daß eine Unternehmung ein schlechtes Jahr hinter sich hat, wird er sich besonders intensiv mit der Bewertung der Vermögensgegenstände und Schulden befassen, um unzulässige Aufdeckung stiller Rücklagen aufzudecken.

132

2. Der Prüfungsprozeß

Neben der allgemeinen Aussage, daß der Prüfer aus Teilgebieten, in denen er Kontrollmängel festgestellt hat, besonders viele Stichproben entnimmt, können als weitere Beispiele für fehleranfällige Teilmengen des Prüffeldes genannt werden: Die Zeit kurz vor oder kurz nach dem Abschluß der Abrechnung (die Zeiträume also, in denen Manipulationen am Bestand vorzugsweise vorgenommen, bzw. anschließend wieder rückgängig gemacht werden), Perioden mit besonders starkem Buchungsverkehr, Urlaubszeit, in der möglicherweise Mitarbeiter mit weniger Erfahrung zur Durchführung der Tätigkeit eingesetzt werden, Arbeitsbereiche bestimmter, vom Prüfer als unzuverlässig eingeschätzter Angestellter, Vorgänge, die bereichsüberschreitend sind (weil wegen der manchmal schlechten Kommunikation zwischen einzelnen Unternehmensbereichen Abstimmungsvorgänge unterlassen werden), interne Vorgänge (weil hier kein Mitwirken Betriebsfremder erforderlich ist), Geschäfte mit verbundenen Unternehmen (weil hier die Möglichkeit der Verlagerung von Gewinnen bzw. Verlusten durch ungewöhnliche Preisgestaltung besteht) usf. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. - Wenn der Prüfer durch die Prüfung der größten Posten und durch die Prüfung der fehleranfälligsten Teilgebiete des Prüffelds sich ein vorläufiges Bild gemacht hat, kann er durch die Auswahl und Prüfung von typischen Einzelfällen sein bisheriges Bild vom Zustand des Prüfgebiets vertiefen und absichern. Da der Prüfer nicht sicher sein kann, daß er bei seiner vorhergehenden Untersuchung des Arbeitssystems (wenn er eine solche Systemprüfung durchgeführt hat) nicht möglicherweise Mängel und Fehlerquellen übersehen hat, bietet die Prüfung von typischen Einzelfällen die Möglichkeit, die Ordnungsmäßigkeit des gesamten Bearbeitungsablaufs im geprüften Bereich zu beurteilen. Möglicherweise liegt hier im Rahmen der Urteilsstichprobe ein Anwendungsgebiet für die mathematisch-statistische Zufallsstichprobe. Zusammenfassend können wir also feststellen, daß die „Bedeutung" eines Prüfungsobjekts im Rahmen eines Prüffelds von drei Faktoren abhängt - seinem realtiven Anteil am Gesamtbetrag des Feldes - seiner Eignung, Aufschluß über die Arbeitsweise des Systems an besonderen Schwachstellen zu geben - seiner Eignung, Aufschluß über die Arbeitsweisen zu geben, ohne daß es sich um den Schwachstellentest handelt. Wir werden auf die Bedeutung von Prüfungsobjekten bei der Besprechung der Entscheidung über den Abbruch der Prüfungshandlungen zurückkommen. 103

103

Vgl. Abschnitt 2.4.2.9, S. 162 ff.

2.4 Die Verhaltensdimension

133

Wie sich aus dem Vorhergehenden ergibt, wird der Umfang der Stichprobe bei einer Urteilsstichprobe nicht von vornherein bestimmt. Die Zahl der in die Stichprobe aufzunehmenden „Großposten" hängt von der Verteilung der Posten ab, d. h. von der Ausprägung der Lorenkurze 104 . Je stärker diese von der Gleichverteilung abweicht, um so weniger Posten braucht der Prüfer in seine Stichprobe einzubeziehen. Je positiver die Ergebnisse der Untersuchung der einzelnen Prüfungsobjekte ausfallen, um so eher wird der Prüfer geneigt sein, einen geringeren Prozentsatz der gesamten Posten zu untersuchen und umgekehrt. Auch der Umfang der aufgrund der Analyse der Fehlerursachen gezogenen Stichprobenelemente steht nicht von vornherein fest. Der Prüfer wird zunächst versuchen, durch Überprüfung aller Elemente eines relativ kurzen Zeitraums festzustellen, wie groß der Anteil der an dieser Fehlerquelle entstehenden fehlerhaften Elemente ist. Je nach den Ergebnissen dieser kleinen Stichprobe wird er weitere Elemente aus dem gesamten zu prüfenden Zeitraum in einem größeren oder geringeren Umfang ziehen.105 Aus der vorangegangenen Darstellung der Verfahrensweise der Urteilsstichprobe ergibt sich, daß ein Wert für die Aussagesicherheit (die Wahrscheinlichkeit also, mit der das getroffene Prüfungsurteil richtig ist) nicht angebbar ist. In gleicher Weise ist ein Wert für die Genauigkeit der Aussage (die quantifizieren müßte, wie „unwesentlich" die verbliebenen Fehler sind) nicht angebbar. Hingegen ist, im Gegensatz zur mathematisch-statistisch, fundierten Stichprobe, die Einbeziehung von Vorwissen nicht nur möglich, sondern sogar notwendig, um Urteilsstichproben durchführen zu können. Hinzu kommt, daß der analytische Aufwand bei der Verwendung der Urteilsstichprobe sehr gering ist. Die bei den mathematisch-statistischen Verfahren notwendigen Voraussetzungen der Homogenität des Prüffelds bzw. eines Mindestumfangs der Stichprobe bzw. Grundgesamtheit sind bei der Urteilsstichprobe nicht notwendig. Das Prüfungsurteil im Fall einer Urteilsstichprobe hat die Form „das Prüffeld ist im wesentlichen ordnungsmäßig". Angesichts der vielen genannten unterschiedlichen Eigenschaften der beiden Stichprobenverfahren erscheint es klar, daß man erstens nicht das eine oder das andere Verfahren generell als „besser" bezeichnen kann und daß zweitens die Entscheidung in starkem Maße von Faktoren abhängig ist, die in der Person des Entscheidenden liegen. Die Praxis in Deutschland hat sich fast einhellig gegen die Verwendung der mathematischen Verfahren entschieden. Von den 63 im Rahmen einer Umfrage aus dem Jahre 1974 befragten WP-Unternehmen verwendeten 58 die bewußte Stichprobe und nur 5 die 104

Das Herausnehmen der „Großposten" ab einer bestimmten Grenze ist mit Hilfe von Service-Programmen per Computer leicht möglich. 105 Vgl. dazu die Darstellung der Bildung des Uberzeugungsgrads des Prüfers in Abschnitt 2.4.2.9, S. 162 ff.

134

2. Der Prüfungsprozeß

mathematische Stichprobe. Das Bild in den USA ist etwas anders. Nach einer 1975 von Beddingfield106 durchgeführten Untersuchung bei 100 bundesweit tätigen und 103 nicht bundesweit tätigen Wirtschaftsprüfungsunternehmen ergab sich das folgende Bild: Bundesweit tätige Unternehmung Anzahl Prozent verwenden statistische Stichprobe verwenden Urteilsstichprobe

Nicht bundesweit tätige Unternehmung Anzahl Prozent

Summe Anzahl

Prozent

89

89

37

36

126

62

11

11

66

64

77

38

100

100

103

100

203

100

Selbst in den USA wird also die mathematisch-statistische Stichprobe nur von den größeren, d. h. bundesweit tätigen Unternehmen in stärkerem Umfange angewendet. Diese Tatsache läßt sich m. E. durch zwei Überlegungen erklären: - Die bundesweit tätigen Prüfungsunternehmen in den USA betreuen vorwiegend größere Kunden, bei denen wegen der relativ ausgefeilten Kontrolltechniken und des Anfalls großer Mengen von Daten die mathematisch-statistischen Stichprobenverfahren eher anwendbar sind als bei kleineren Unternehmen, - bei derartigen Großunternehmen mit einer Vielzahl von Filialen und einer noch größeren Anzahl von Prüferteams wird das Problem der Sicherung eines unternehmensintern einheitlichen Prüfungsstandards von der Leitung des jeweiligen Unternehmens als drängend empfunden (sowohl aus Gründen der Vermeidung von Sanktionen durch Aufsichtsbehörden bzw. Gerichte als auch aus Gründen, die mit dem Einkommensstreben der jeweiligen Unternehmung zusammenhängen, da mögliche Prozesse wegen schlechter Prüfungsdurchführung sich umsatzmindernd auswirken könnten). 2) Der Ansatzpunkt der Prüfungshandlungen Bei Einzelfallprüfungen fungieren, wie schon verschiedentlich gesagt, die einzelnen Vorfälle als Prüfungsobjekt. Die Bearbeitung eines Einzelfalls, z. B. die Buchung eines Geschäftsvorfalls, die Erfassung einer Lagerbewegung besteht aus mehreren Einzelarbeitsgängen und schlägt sich in mehreren

106

Vgl. Beddingfield, James P„ S. 48 ff.

2.4 Die Verhaltensdimension

135

Dokumenten nieder. Diese Teilarbeitsgänge lassen sich als eine Kette auffassen, die sich z. B. von wirtschaftlichem Tatbestand über Beleg, über Kontoeintragung, über Journaleintragung, über Hauptbucheintragung bis hin zur Bilanz erstreckt. In ähnlicher Weise ist z. B. der Vorfall „Lohnabrechnung des Arbeiters X für Monat Mai" ein Vorgang, der sich von Ermittlung des Mengengerüsts über Ermittlung des Bruttolohns, Ermittlung der diversen Abzüge bis hin zur Auszahlung des Lohnbetrages erstreckt. Der Niederschlag dieser Tätigkeiten in verschiedenen Dokumenten (wie Beleg, Konten, Listen, Zusammenstellungen) wird im angloamerikanischen als „audit trail", als Prüfungspfad bezeichnet. Nimmt der Prüfer diesen Pfad zum Beginn des Vorfalls auf, d. h. verfolgt er den Vorfall in der ursprünglichen Bearbeitungsrichtung, dann spricht man von progressiver Prüfung. Nimmt der Prüfer hingegen diesen Pfad am Ende der Bearbeitung auf, also z. B. bei Bilanz oder einer anderen zusammenfassenden Darstellung, und verfolgt die einzelnen Arbeitsvorgänge in entgegengesetzter Richtung zum ursprünglichen Arbeitsablauf, spricht man von retrograder Prüfung. Selbstverständlich ist es auch möglich, daß der Prüfer den Prüfungspfad an einer Stelle in der Mitte aufnimmt und von dort aus in beiden Richtungen sowohl progressiv als auch retrograd weiterarbeitet. Wir müssen daher fragen, wovon die Entscheidung des einzelnen Prüfers für eine progressive bzw. retrograde oder kombinierte Prüfungsrichtung abhängt. Hierbei sind die folgenden Überlegungen von Bedeutung: - Fehlerfortpflanzung: Ein bei derartigen Bearbeitungsketten bei einer beliebigen Teilverrichtung entstehender Fehler pflanzt sich durch alle weiteren Bearbeitungsvorgänge hin bis zur endgültigen Abrechnung fort. Wird bei der Bearbeitung eines Geschäftsvorfalls z. B. ein Rechenfehler im Beleg nicht gefunden, sind alle darauf aufbauenden weiteren Buchungen falsch. Dies bedeutet für eine retrograde Prüfungsrichtung, daß alle Prüfungsurteile über die Korrektheit der einzelnen Teilarbeitsgänge (z. B. korrekte Übernahme des Saldos eines Kontos in die Bilanz, korrekte Übernahme einer im Journal ermittelten Summe ins Hauptbuch, korrekte Übernahme einer auf einem Beleg wiedergegebenen Summe in das Konto) nur vorläufigen Charakter haben, solange nicht das Ende der Bearbeitungskette erreicht ist, solange also nicht geklärt ist, ob der Beleg, mit dem die Bearbeitungskette begann, korrekt ist und den in der Realität abgelaufenen Vorfall zutreffend wiedergibt. Je größer also die Unsicherheit des Prüfers über die Zuverlässigkeit der Arbeitsweise im geprüften Bereich ist, um so stärker muß der Prüfer auf die progressive Prüfungsrichtung bauen und umgekehrt. - Aufdeckungspotential: Die beiden Prüfungsrichtungen unterscheiden sich weiter hinsichtlich ihrer Eignung, bestimmte Sachverhalte aufzudecken. Wenn der Prüfer von einer zusammenfassenden Größe ausgeht, z. B. dem

2. Der Prüfungsprozeß

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Bilanzansatz für Rohstoffe oder der monatlichen ausgezahlten NettoLohnsumme und versucht, diesen Endbetrag in seine Einzelteile aufzuspalten und zu überprüfen, kann er auf diese Weise der Einbeziehung von fiktiven Vorfällen auf die Spur kommen. Wenn umgekehrt der Prüfer alle entsprechenden Vorfälle eines Abrechnungszeitraumes aufgreift und das korrekte Eingehen dieser Vorfälle in den Endbestand der betreffenden Abrechnung überprüft, besteht die Möglichkeit der Uberprüfung der Vollständigkeit der Bearbeitung der zugrunde liegenden Geschäftsvorfälle. - Verfügbarkeit: Den Ausschlag für die Wahl einer der drei Möglichkeiten gibt in der Praxis häufig die Verfügbarkeit bzw. bequeme Zugänglichkeit einzelner Dokumentsammlungen, wie z. B. Konten, Saldenlisten, Belegregistratur. Hier besteht auch ein Zusammenhang zwischen Entscheidungen über Prüfungsrichtung und Entscheidungen über die Kriterien, nach denen die Stichprobe gebildet wird. Wenn der Prüfer im Rahmen seiner Urteilsstichprobe zunächst alle Großposten durchprüfen will, bietet sich als Ansatzpunkt für seine Prüfung das Konto bzw. die zusammenfassende Bestandsliste an. Wenn der Prüfer darüber hinaus noch einzelne Zeiträume aufgreift, erweist sich die Sammlung der Belege über die einzelnen Geschäftsvorfälle in diesem Zeitraum als geeigneter Ansatzpunkt. Auch bei dieser Entscheidung zeigte sich also, daß nur relativ wenig zielbezogene Kriterien angegeben werden können, nach denen der Prüfer seine Entscheidung ausrichten kann. Wenn wir von dem Fall absehen, daß unternehmensinterne Richtlinien die Entscheidung des Prüfers vorbestimmen, hat der Prüfer in erheblichem Umfang die Möglichkeit, die Entscheidungen seinen eigenen Zielen gemäß zu treffen. 2.4.2.7.2 Die Auswahlentscheidung

bei

Systemprüfungen

Prüfungsgegenstand bei einer Systemprüfung ist die Gesamtheit der in einem betrieblichen Teilbereich ablaufenden Arbeitsverfahren. Prüfungsobjekte wären dann die einzelnen, diese Arbeitsabläufe ausmachenden Teilverrichtungen. Obwohl die Zahl der möglichen Prüfungsobjekte im Rahmen eines Arbeitssystems sehr viel geringer ist als das normalerweise in einem Prüffeld bei Einzelfallprüfungen der Fall ist, stellt sich auch bei Systemprüfungen das Problem der Entscheidung über die Auswahl der Prüfungsobjekte. Der Prüfer muß entscheiden, ob er - die Gesamtheit der im betreffenden System vorkommenden Verrichtungen prüfen möchte, - ob er nur einzelne Arten von Verrichtungen prüfen möchte, z. B. nur die durchgeführten Kontrollen, z. B. nur die durchzuführenden Optimierungsentscheidungen, z. B. nur die vorgenommenen Abstimmungen an

2.4 Die Verhaltensdimension

137

Berührungsstellen des betrachteten Systems mit anderen Systemen, z. B. die Dokumentation der vorgenommenen Handlungen einschl. des Belegflusses, z. B. das System der Registratur der verwendeten Dokumente, - nur einzelne Teilgebiete des zu untersuchenden Systems prüfen möchte, z. B. Arbeitsbereiche einzelner Mitarbeiter, z. B. besonders fehleranfällige Verrichtungen, nur diejenigen Verrichtungen, die maschinell durchgeführt werden, nur diejenigen Verrichtungen, die von Hand vorgenommen werden. Die Entscheidung wird sehr stark von dem sich aus dem Prüfungsauftrag ergebenden Ziel der Prüfung im betreffenden Bereich beeinflußt. Während der interne Revisor z. B. bei einer Routineprüfung eines Betriebsbereichs in aller Regel die Gesamtheit der vorkommenden Verrichtungen überprüft, konzentriert sich der externe WP stärker auf die in die Arbeitsabläufe eingebauten Kontrollen, da diese für sein Ziel, die möglichen Fehlerquellen im Bereich der von ihm zu prüfenden Abrechnung zu erkennen von besonderer Bedeutung sind. Ich halte allerdings die insbesondere im Bereich der Literatur zur Prüfung von Jahresabschlüssen immer wieder auftauchende Feststellung, daß der Abschlußprüfer lediglich das sog. interne Kontrollsystem zu überprüfen habe, für problematisch. Da Kontrollen ja bestenfalls sicherstellen können, daß einzelne Mitarbeiter sich bei ihrer Tätigkeit im Rahmen vorgegebener Dienstanweisungen bewegen, die Korrektheit der Arbeitsergebnisse aber sowohl durch die in Dienstanweisungen enthaltenen Regeln als auch durch Kontrollen bewirkt wird, muß der Prüfer bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit bzw. der Fehlerquellen in seinem Bereich selbstverständlich auch überprüfen, ob die vorgeschriebenen Verfahrensweisen bzw. Verrichtungen ihrerseits geeignet sind, alle vorkommenden Fälle korrekt zu bearbeiten. 2.4.2.8 Die Entscheidung über Prüfungshandlungen Da die beiden Prüfungsverfahren Einzelfallprüfung und Systemprüfung sich nicht nur hinsichtlich der unterschiedlichen Umschreibung von Prüfungsgegenständen und Prüfungsobjekten unterscheiden, sondern auch hinsichtlich der bei einzelnen Prüfungsobjekten denkbaren Prüfungshandlungen, müssen die Prüfungshandlungen getrennt nach Einzelfallprüfungen bzw. Systemprüfungen dargestellt werden. 2.4.2.8.1 Prüfungshandlungen bei Einzelfallprüfungen Wir wollen bei diesen Prüfungshandlungen zwei Gruppen unterscheiden: - direkte Prüfungshandlungen, d. h. solche, die sich unmittelbar mit dem Objekt „Geschäftsvorfall" bzw. „Vorgang" befassen und

138

2. Der Prüfungsprozeß

- indirekte Prüfungshandlungen, die ohne ein isoliertes Betrachten einzelner Vorfälle versuchen, ein Urteil über die Korrektheit einer Menge von Einzelvorgängen zu erarbeiten. 1) Direkte Prüfungshandlungen Auch im Rahmen der Gruppe direkte Prüfungshandlungen können wir zwei Untergruppen unterscheiden: - Abbildungs-Prüfungshandlungen, d. h. solche Handlungen, die überprüfen sollen, ob in der Realität abgelaufene Vorgänge bzw. Tatbestände korrekt im Rechnungswesen der Unternehmung abgebildet werden, - Verrechnungs-Prüfungshandlungen, d. h. solche Prüfungshandlungen, die überprüfen sollen, ob die weiteren zusammenfassenden oder aufschlüsselnden Rechengänge korrekt vorgenommen wurden. Abbildungs-Prüfungshandlungen Diese Prüfungshandlungen befassen sich mit denjenigen Vorgängen, bei denen in der Realität vorgefallene Abläufe bzw. in der Realität vorgefundene Tatbestände erstmals in das System einer Buchführung bzw. einer sonstigen Abrechnung übernommen werden. Aus der Tatsache, daß in der Realität zu irgendeinem (vergangenen) Zeitpunkt stattgefundene Vorfälle bzw. vorhanden gewesene Tatbestände später nur unter sehr großen Schwierigkeiten rekonstruierbar bzw. beweisbar sind, bei der Abbildung begangene Fehler daher später nur unter Anstrengungen (wenn überhaupt) korrigierbar sind, ergibt sich die ganz besondere Bedeutung dieser Arbeitsvorgänge für die Korrektheit der später präsentierten Abrechnung; daraus folgt eine ganz besondere Bedeutung der auf diese Arbeitsvorgänge zielenden Prüfungshandlungen. Während Fehler im Rahmen der weiteren Verrechnung von Daten im jeweiligen Rechnungswesen später relativ leicht auffindbar und behebbar sind, bedingen Fehler bei der Abbildung zu ihrer Auffindung bzw. Korrektur einen erheblichen Arbeitsaufwand; häufig sind derartige Fehler später überhaupt nicht mehr zweifelsfrei aufklärbar. Im Bereich von Buchführungen gibt es zwei solche Nahtstellen zwischen Realität und Rechnungswesen: Den Beleg und das Inventar. Die Bedeutung der an diesen Nahtstellen ansetzenden Prüfungshandlungen Belegprüfung, Bestandsprüfung und Bewertungsprüfung wird in der WPPraxis sehr unterschiedlich gesehen. Der Bewertungsprüfung wird schon seit jeher große Bedeutung zugemessen, nicht zuletzt wegen der sonst gegebenen großen Manipulationsmöglichkeiten des Werts des Gesamtbestands durch die Unternehmensleitung. Die Bedeutung der Bestandsprüfung erfährt zunehmende Anerkennung. Während im F G 1/67 des IdW (dem Vorgänger des F G 1/77) neben einer Prüfung der Maßnahmen zur Planung und Durchführung der Inventur lediglich gesagt wurde, daß die Anwesenheit der Prüfer bei

2.4 Die Verhaltensdimension

139

der Inventur zweckmäßig sein kann, enthält die neue Fassung des Texts folgende Aussage:107 „Sind die Vorräte des Unternehmens absolut oder relativ von Bedeutung, so wird der Abschlußprüfer gewissenhaft zu prüfen haben, ob und in welchem Umfang seine Anwesenheit bei der körperlichen Bestandsaufnahme erforderlich ist, um sich durch eigene Beobachtung von der Zuverslässigkeit des Aufnahmeverfahrens und von der Ordnungsmäßigkeit der Handhabung zu überzeugen. Es kann erforderlich sein, in Stichproben das Ergebnis der körperlichen Bestandsaufnahme nachzuprüfen."

Die Bedeutung der Belegprüfung wird dagegen sehr gering eingeschätzt. Die im WP-Handbuch 1977 (S. 1014 ff.) unter dem Stichwort „Belegprüfung" angeführten Tätigkeiten befassen sich ausschließlich mit dem Beleg selbst (d. h. nicht mit dem Vergleich zwischen Beleg und anderen, die auf ihm behaupteten Vorfälle stützenden Dokumenten). Zum Stichwort „Wurzelstichprobe" findet man folgende Sätze (S. 1026): „Ein ausgezeichnetes Mittel, einen zusammenhängenden Vorgang in der Buchführung offenzulegen, ist die sog. Wurzelstichprobe, die eine Buchung einschließlich der dazu gehörenden Unterlagen durch alle Stufen des Rechnungswesens bis zu ihrer eigentlichen Ursache - der Wurzel - verfolgt. Der besondere Wert dieser Prüfung liegt darin, daß er automatisch in Bereiche führt, die sonst im Rahmen einer Jahresabschlußprüfung nicht ohne weiteres erfaßt werden, und dem Prüfer somit einen Einblick in den organisatorischen Aufbau des Unternehmens und die Abwicklung der Geschäfte gibt."

Belegprüfung Ziel der Belegprüfung ist es, festzustellen, ob der Beleg die Wirklichkeit zutreffend wiedergibt. Es wird also die Frage nach der formalen und materiellen Richtigkeit der Belege gestellt. Dazu gehören die folgenden Tätigkeiten: - Nachprüfung, ob ein derartiger Geschäftsvorfall überhaupt stattgefunden hat, vorwiegend durch Vergleich mit Unterlagen oder Belegen, die unabhängig vom zu prüfenden Abrechnungssystem sind, der sog. cross check. - Prüfung, ob der Beleg den Geschäftsvorfall hinreichend genau beschreibt, sowohl qualitativ (also die Art des Vorfalls) als auch quantitativ (also bezüglich der Menge bzw. des Werts der Bewegung). - Prüfung der rechnerischen Richtigkeit des Belegs, - Prüfung der formalen Ordnungsmäßigkeit, d. h. des Belegdatums, der Abzeichnung, der Numerierung, des Vorhandenseins einer Kontierung. Hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit können wir zwei Arten von Belegen unterscheiden: - externe Belege, wie z. B. Eingangsrechnungen, Bankauszüge, Frachtbriefe, eingegangene Korrespondenz.

107

Ebenfalls ein Beispiel für eine Norm, der es an Eindeutigkeit der Aussage mangelt.

140

2. Der Prüfungsprozeß

- interne Belege, wie z. B. Rechnungsdurchschläge, Umbuchungsanweisungen, Lohn- und Gehaltsabrechnungen. Die Unterscheidung ist wichtig, weil interne Belege häufig mit einer geringeren Glaubwürdigkeitsvermutung als externe Belege ausgestattet sind. Während der Prüfer in aller Regel den behaupteten Inhalt eines externen Belegs als gegeben akzeptiert, es sei denn, er habe Hinweise auf verminderte Glaubwürdigkeit, und den Beleg nur hinsichtlich seiner rechnerischen Richtigkeit und sonstigen formalen Ordnungsmäßigkeit überprüft, ist bei internen Belegen größere Vorsicht am Platze. Die Glaubwürdigkeitsvermutung eines internen Belegs kann durch cross checking oder generell durch vorhergehende kritische Analyse des Verarbeitungssystems, das die betreffenden Belege produziert, erhöht werden. Bestandsprüfung Das Aufnehmen von Beständen gehört zu den wichtigsten Uberwachungsmaßnahmen überhaupt, gleichgültig, ob es sich dabei um Vorbereitungen für den Jahresabschluß (Inventur), oder um die Überwachung einzelner innerbetrieblicher Bereiche handelt. Die Art der Bestandsaufnahme, das technische Verfahren, hängt von der Art der aufzunehmenden Bestände ab. Bei Bargeld, den meisten Waren, Wertpapieren, Patenten und ä. Rechten, bei Maschinen handelt es sich um das Identifizieren des Gegenstandes selbst bzw. der verbriefenden Urkunde und um anschließendes Zählen. Bei einer ganzen Reihe von Waren reicht das Zählen nicht aus, es muß gemessen oder gewogen werden. Bei Forderungen und Verbindlichkeiten werden die Bestände in aller Regel im Wege der Saldenliste aus den einzelnen Konten abgeleitet. Die Überprüfung von Bestandsaufnahmen erfolgt in der Regel als eine Kombination von direkten und indirekten Prüfungshandlungen. - Bei besonders wichtigen Gegenständen (Kassenbeständen, Beteiligungen, immateriellen Rechten) erfolgt eine direkte Aufnahme des Bestands durch den Prüfer. - Bei allen in Mengen vorhandenen Beständen, wie z. B. vielen maschinellen Anlagen, den Vorräten an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen und Fertigwaren erfolgt allenfalls eine stichprobenartige Nachprüfung der Zählarbeit der Aufnahmegruppe der Unternehmung oder des Unternehmensbereichs durch den Prüfer, ansonsten wird die vermutete Korrektheit der Bestandsaufnahme in diesen Fällen anhand einer Untersuchung der zur Inventurvorbereitung und -durchführung erlassenen Richtlinien und Anweisungen erfolgen.108 Der Satz C VII des FG 1/77 des IdW verlangt unter Ziff. b: „Bei der Prüfung der Vorräte, auch derjenigen in Zweigstellen und Außenlägern, hat der Abschlußprüfer neben der Prüfung der buchmäßigen Nachweise zusätzliche Prüfungshandlungen vorzunehmen, die sich auf die Planung und Durchführung der Inventur erstrecken." 108

2.4 Die Verhaltensdimension

141

- in zweifelhaften Fällen folgt eine Prüfung der Aktivierungsfälligkeit. - Die Bestandsaufnahme bei Forderungen bzw. Verbindlichkeiten kann prinzipiell durch 2 unterschiedliche Verfahren erfolgen. Der Bestand kann geprüft werden, indem der Prüfer sein Zustandekommen anhand der Gutschriften und Belastungen auf dem Konto (durch Vergleichen mit den entsprechenden Belegen) und durch die weitere Abwicklung dieses Bestandes durch Zahlungsvorgänge in der folgenden Periode überprüft. Dieses sehr arbeitsaufwendige Verfahren wird zunehmend ersetzt durch die Einholung von Saldenbestätigungen seitens der betroffenen Marktpartner der geprüften Unternehmung.109 Bewertungsprüfung Liegt durch die Uberprüfung der Bestandsaufnahme das Mengengerüst der am Stichtag vorhandenen Gegenstände fest, bleibt als letzte Prüfungshandlung im Rahmen der Prüfung der korrekten Abbildung der Realität die Uberprüfung der Bewertung der einzelnen Vermögensgegenstände bzw. Schulden. Vermögensgegenstände und Schulden werden bei ihrer erstmaligen Übernahme in das Rechnungswesen immer zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten (vgl. §§ 153 Abs. 1 und 155 Abs. 1 AktG) bewertet. Die Prüfung der Korrektheit dieser Werte erfolgt bei der Belegprüfung. Später ergibt sich dann zu jedem Bilanzstichtag allerdings die Frage, ob dieser Wertansatz noch realistisch ist. Das AktG zwingt Unternehmen, - die Werte von Gegenständen des Anlagevermögens, die der Abnutzung unterliegen, durch den Abzug planmäßiger Abschreibungen herabzusetzen (§ 154 Abs. 1), - die Werte von allen Gegenständen des Anlagevermögens (also auch die Restbuchwerte teilweise abgeschriebener Gegenstände) darauf hin zu überprüfen, ob nicht wegen veränderter Umstände eine Wertminderung vorliegt. Bei dauerhaften Wertminderungen muß, bei nicht dauerhaften Wertminderungen kann dann eine außerplanmäßige Abschreibung vorgenommen werden. (§ 154 Abs. 2) - die Werte von allen Gegenständen des Umlaufvermögens darauf hin zu überprüfen, ob nicht wegen geänderter Umstände ein Wertabschlag notwendig ist. Dieser muß vorgenommen werden, auch wenn der Grund voraussichtlich nicht dauerhaft ist. (§ 155 Abs. 2) - Rentenverpflichtungen zu ihrem (von Jahr zu Jahr unterschiedlichen) Barwert anzusetzen (§ 156 Abs. 2), 109 Das FG 1/77 des IdW sagt in Satz C VII unter Ziff. d: „Ist die Höhe der Forderungen oder Verbindlichkeiten absolut oder relativ von Bedeutung, so sind zur Prüfung ihres Nachweises Saldenbestätigungen heranzuziehen."

142

2. Der Prüfungsprozeß

- bestimmte Rückstellungen (z. B. für ungewisse Schulden und drohende Verluste aus schwebenden Geschäften) zu einem sich nach „vernünftiger kaufmännischer Beurteilung" ergebenden Wert zu schätzen und in der Bilanz anzusetzen. (§ 156 Abs. 4) Es handelt sich bei allen diesen Vorschriften um Regeln für „Bewertungshandlungen", d. h. den fraglichen Vermögensgegenständen oder Schulden wird ein (neuer) Wert zugeordnet, der sich aus den Verhältnissen des Bilanzstichtags ergibt. Diese im wesentlichen nur im Bereich der Prüfung von Jahresabschlüssen vorkommende Prüfungshandlung ist deswegen von außerordentlich großer Bedeutung, weil die zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften häufig äußerst vage und wenig präzise sind. Während eine Bewertung zu Anschaffungskosten nach § 153 Abs. 1 AktG noch relativ unproblematisch ist, wirft die Vorschrift des § 153 Abs. 2 über die Berechnung der Herstellungskosten eine Fülle von Problemen auf. Auch die Vorschrift des § 154 AktG zur Berechnung von planmäßigen Abschreibungen auf abnutzbare Anlagegegenstände ist sehr wenig präzise. Himzu kommt, daß bei der Bewertung durch Verrechnung von Abschreibungen notwendigerweise Zukunftsschätzungen eingehen, also eine subjektive Einschätzung des Bilanzaufstellers.

Die Prüfung der korrekten Weiterverarbeitung der übernommenen Daten Nachdem der Prüfer die korrekte Abbildung der Realität durch seine Prüfungshandlungen Belegprüfung, Bestandsprüfung, Bewertungsprüfungen abgesichert hat, bleibt die weitere korrekte Verarbeitung der in das Rechnungswesensystem übernommenen Daten zu prüfen. Auch hier können wir drei unterschiedliche Prüfungshandlungen unterscheiden:

Verbucbungsprüfung Da Bestandsaufnahmen und Bewertung normalerweise nur im Zusammenhang mit dem Abschluß des betreffenden Rechenwerks vorkommen, sind Belege die bedeutendsten Datenträger, die buchhalterische Arbeit auslösen. Die Prüfung der korrekten Weiterverarbeitung von Belegen steht daher bei der prüferischen Arbeit im Vordergrund. Wir hatten oben im Zusammenhang mit der Belegprüfung als einen Teilaspekt der Prüfung schon das Vorhandensein einer Kontierung genannt. Bei der nun anschließenden Prüfung der korrekten Verbuchung eines Belegs stehen die folgenden Tätigkeiten im Vordergrund: - Die Prüfung der sachlichen Richtigkeit der Kontierung (anhand des Belegtextes und des Kontenplans der Buchführung), - Prüfung der kontenrichtigen Verbuchung (Feststellung, ob die beiden Teile eines Buchungssatzes auf einem Konto der jeweils richtigen Gruppe und dem richtigen Konto innerhalb der Kontogruppe verbucht wurden),

2.4 Die Verhaltensdimension

143

- Prüfung, ob die verbuchten Zahlen mit denen des Belegs übereinstimmen und eine seitenrichtige Verbuchung (Soll und Haben) vorgenommen wurde. Rechnerische Prüfung Sind nun die Belege selbst nachgeprüft worden und steht fest, daß sie richtig kontiert und auf den angegebenen Konten in der richtigen Höhe verbucht worden sind, so bleiben als weitere Fehlerquelle im Rahmen eines Kontos Rechenfehler übrig. Besonders bei manuell oder mit nicht rechnenden Buchungsmaschinen geführten Buchhaltungen kann der Prüfer sich nicht einfach auf die rechnerische Richtigkeit der Konten bzw. Teilabrechnungen verlassen. Wenn auch im Zuge der Automatisierung des Rechnungswesens diese Prüfungshandlung an Bedeutung verloren hat, so gibt es doch auch heute noch eine Reihe von Teilgebieten, bei denen eine rechnerische Prüfung erforderlich ist. Das WP-Handbuch (a.a.O., S. 1014) nennt folgende Gebiete einer Buchführung, die durch rechnerische Prüfung abgesichert werden müssen: - Hauptbuchkonten, bei kleinen bzw. manuell geführten Buchführungen, u. U. lückenlos, - Abschlußbuchungen, - Grund-, Neben- und Hilfsbücher, insbesondere solche, die schon äußerlich einen unübersichtlichen oder unordentlichen Eindruck machen, - Debitoren- und Kreditoren-Saldenlisten, - Inventurlisten. Besondere Bedeutung haben rechnerische Prüfungen bei denjenigen Gebieten, bei denen Fehler wegen der nicht vorhandenen Selbstkontrolle der doppelten Buchführung nicht automatisch in Erscheinung treten, wie z. B. bei Saldenlisten oder Inventurlisten. Übertragungsprüfung Die Ubertragungsprüfung hat mit der Einführung der Durchschreibebuchhaltung und der fortschreitenden Automatisierung ebenfalls stark an Bedeutung verloren. Sowohl die Arbeit des Buchhalters als auch die des Prüfers wurde früher durch die häufigen Übertragungen, von Seite zu Seite, von Buch zu Buch stark geprägt.110 Im System der Durchschreibebuchführung per Hand, erst recht mit der rechnenden Buchungsmaschine und schließlich später mit EDV-Anlagen hat auch die Ubertragungsprüfung immer mehr an Bedeutung verloren. Trotzdem ist die buchhalterische Übertragung, nachdem Beleg und die rechnerische Richtigkeit einzelner Konten geprüft wurde,

110

Vgl. Wipper, R., S. 47 ff.

144

2. Der Prüfungsprozeß

eine dritte Fehlerquelle, der nachgegangen werden muß. Wichtige laufende Übertragungen sind die von abgeschlossenen Konten bzw. Journalseiten auf die jeweils neue Seite, von Journalseiten auf Konten, von Nebenbüchern in Hauptbücher. Sehr wichtig sind ebenfalls die im Zusammenhang mit dem Jahresabschluß vorzunehmenden Übertragungen, wie z. B. Übertragung von Saldenlisten, von Bestandslisten, die Übertragung von Zahlen aus den einzelnen Konten in die Schlußbilanz bzw. Übertragung sämtlicher Zahlen der Schlußbilanz des abgelaufenen Jahres auf die Bestandskonten des neuen Geschäftsjahres. Bedeutsam ist die Übertragungsprüfung auch im Bereich interner Abrechnungen, denn viele der Nebenbuchführungen wie z. B. Lagerbücher und sonstige betriebsinterne Abrechnungen, besonders im Verkehr zwischen den einzelnen Abteilungen werden heute noch von Hand vorgenommen und haben nicht die automatische Abstimmung einer doppelten Buchführung. Der Prüfer achtet vor allem auf das Ubertragen falscher Zahlen auf ein richtiges Konto und auf den Ubertrag richtiger Zahlen auf ein falsches Konto.

2) Indirekte Prüfungshandlungen

Die indirekten Prüfungshandlungen unterscheiden sich von den direkten dadurch, daß nicht Einzelfälle, sondern Gruppen von Einzelfällen gemeinsam überprüft werden. Wichtigstes Instrument dabei ist der Vergleich, d. h. es werden Summen oder Salden, die in einem sachlogischen Zusammenhang stehen, aber auf unterschiedliche Weise erarbeitet wurden, miteinander verglichen. Aus der Ubereinstimmung von zwei Zahlen, deren Ubereinstimmung aufgrund des sachlogischen Zusammenhanges erwartet wird, wird dann auf die Korrektheit der zu prüfenden Menge von Einzelfällen geschlossen. Als Beispiel sei die Uberprüfung des Gesamtbetrages an Provisionszahlungen an Vertreter durch Multiplikation des Gesamtumsatzes in der Periode mit dem entsprechenden Provisionssatz erwähnt. Bevor die Brauchbarkeit indirekter Prüfungshandlungen untersucht wird, sollen einzelne Arten indirekter Prüfungshandlungen dargestellt und anhand von Beispielen erläutert werden.

Abstimmungen

Unter Abstimmung versteht man einen Vergleich von Summen, die in irgendeinem buchhalterischen oder sachlogischen Zusammenhang stehen und aus dem System der doppelten Buchführung heraus notwendigerweise übereinstimmen müssen. Abstimmungen befassen sich also mit der Gesamtbuchhaltung oder größeren, isolierbaren Teilen davon. In ähnlicher Weise können Nebenbuchhaltungen mit den ihnen entsprechenden Teilen der Finanzbuchhaltung abgestimmt werden. Ähnliche Abstimmungen lassen sich auch im nicht buchhalterischen Bereich vornehmen, insbesondere im Bereich

2.4 Die Verhaltensdimension

145

des Warenverkehrs, angefangen von Rohmateriallager über die verschiedenen Produktionsabteilungen bis hin zum Fertigwarenlager. Man kann unterscheiden in Gesamtabstimmungen und Teilabstimmungen. Die bekannteste Gesamtabstimmung im Bereich der Finanzbuchhaltung ist der Vergleich aller Soll- und Habenzahlen einer Periode in der Umsatzbilanz, d. h. Zusammenstellungen sämtlicher Kontenbewegungen während der zu bilanzierenden Periode. Diese Abstimmung wird auch als „Große Umsatzprobe" bezeichnet. Weitere Gesamtabstimmungen können zum Beispiel die Summen der einzelnen Konten den Journalsummen gegenüberstellen oder die Summen sämtlicher Einkäufe den Summen der Materialzugänge, die Summen sämtlicher Verkäufe den Fertiglagerabgängen etc. Neben solchen Gesamtabstimmungen gibt es eine große Zahl von Möglichkeiten für Einzelabstimmungen zwischen Grund- und Nebenbüchern und Hauptbuch oder innerhalb der einzelnen Bestands- und Erfolgskonten. Einige Beispiele dafür: 111 - Anlagekartei oder Anlagebuchhaltung mit den entsprechenden Anlagekonten im Hauptbuch, - Summe der Saldenlisten für Forderungen und Verbindlichkeiten mit den entsprechenden Hauptbuchkonten, - Wechsel- und Scheckbestand lt. Wechsel- und Scheckkopierbuch mit den Hauptbuchkonten, - Kassenbestand lt. Kassenbuch und Kassenaufnahmeprotokoll mit dem Kassenkonto, - Bestand auf Bank- und Postscheckkonten mit den Tagesauszügen der Institute, - Löhne, Gehälter und Einbehaltungen lt. Lohn- und Gehaltslisten mit den entsprechenden Aufwands- und Kontokorrentkonten. Abstimmungen sind rein rechnerische Prüfungen, sie beziehen sich nur auf die korrekte Weiterverarbeitung des betreffenden Buchungsstoffs und sie decken auch nur manche Arten von Fehlern, nämlich ungewollte Flüchtigkeitsfehler auf. Zwar werden durch Abstimmungen unvollständige Buchungen bzw. Aufzeichnungen immer und unterlassene Buchungen häufig entdeckt, die folgenden wichtigen Fehler aber nicht: - die Buchung falscher Beträge (dann, wenn Soll- und Habenbuchungen gleich sind), - Buchung auf falsche Konten, - Fehler, die sich gegenseitig aufheben. Summarische Kontrollrechnungen Unter summarischer Kontrollrechnung versteht man die Zusammenfassung 111

Vgl. WP-Handbuch 1977, S. 1013.

146

2. Der Prüfungsprozeß

einer Zahl gleichartiger Einzelposten und die anschließende Gegenüberstellung mit auf anderem Wege gewonnenen Zahlen. 112 Als Beispiele kann man nennen: Vergleich von Gesamtumsatz und Provisionszahlungen, Umsatz und Warenausgang nach Lagerbuchhaltung, Vergleich zugekaufter Handelswaren zu Stückumsatz, Vergleich der Erlöse und Forderungen mit anderen betrieblichen Unterlagen. Der Unterschied zur Abstimmung liegt lediglich darin, daß im Falle der summarischen Kontrollrechnung diese zum Vergleich benötigten Zahlen erst eigens für die Prüfung erarbeitet werden, während bei der Abstimmung es sich um den Vergleich von im Verlauf der Bearbeitung der Daten automatisch ergebenden Summen handelt. Kennziffernvergleiche Während es sich bei Abstimmungen und summarischen Kontrollrechnungen immer um Vergleiche handelt, die Zahlen einer einzelnen Periode untereinander in Beziehung setzen, handelt es sich bei den Kennziffernvergleichen darum, Zahlen zweier aufeinanderfolgender Perioden zu vergleichen. Kennziffern können sowohl als Gliederungszahlen (die eine Gesamtmasse in Teilmasse gliedern, wie z. B. Anteil des Anlagevermögens am Gesamtvermögen) als auch als Beziehungszahlen (die verschiedenartige, aber vermutlich in einer inneren Beziehung stehende Zahlen verbinden, wie z. B. Gewinn zu Umsatz) gebildet werden. Der Zeitvergleich des Werts einer Kennzahl über zwei oder mehrere Perioden soll dem Prüfer dann Hinweise auf ungewöhnliche Entwicklungen geben. Wir müssen uns nun die Frage vorlegen, wie zuverlässig die mit Hilfe indirekter Prüfungshandlungen erzielten Prüfungsurteile sind.113 Da bei indirekten Prüfungshandlungen an die Stelle der vielen einzelnen Prüfungsobjekte das Ersatzprüfungsobjekt „Summe aller betrachteten Einzelfälle" tritt, wobei die Summe dann anschließend mit einer auf anderem Wege ermittelten Kontrollsumme verglichen wird, wird die Zuverlässigkeit der indirekten Prüfungshandlungen durch zwei Gruppen von Einflüssen beschränkt: - die gebildete Prüfsumme müßte alle Eigenschaften der einzelnen Prüfungsobjekte abbilden, die für den Prüfer relevant sind. Wir hatten anläßlich der Besprechung der Belegprüfung gesehen, daß neben dem Betrag eines Vorfalls eine ganze Reihe weiterer Merkmale für den Prüfer von Belang sind. Schon aus diesem Grunde sind indirekte Prüfungshandlungen nur beschränkt aussagefähig. - unterschiedliche Arten, einzelne Vorfälle zu bearbeiten, müßten sich in unterschiedlicher Weise in der Summe niederschlagen. Wie wir oben bei 112 1,3

Vgl. Becker, W „ Petersen, H „ S. 408 ff. Vgl. Buchner, Manfred, S. 90 ff.

2.4 Die Verhaltensdimension

147

der Besprechung der Abstimmung gesehen hatten, ist dies aber nicht immer der Fall: Die Buchung eines korrekten Betrages auf einem falschen Konto schlägt sich in der Prüfsumme nicht erkennbar nieder. - eine zweite Gruppe von Einflußfaktoren hängt mit der jeweils verwendeten Kontrollsumme zusammen. Die Kontrollsumme müßte alle bei ordnungsgemäßer Bearbeitung auftauchenden Teile enthalten (wie die zu prüfende Summe), aber nur diese Elemente. N u r dann wäre von einer Abweichung zwischen Kontrollsumme und Prüfsumme auf das Vorhandensein von Fehlern zu schließen und bei der Nichtabweichung zwischen beiden Summen auf das Nichtvorhandensein von Fehlern zu schließen. - wenn Kontrollsummen nicht eigens zum Zwecke des Vergleichs gebildet werden, sondern einfach Kontrollsummen des Vorjahres verwendet werden, wie das bei den Kennziffervergleichen der Fall ist, entstehen noch größere Probleme. Sämtliche Unterschiede in der (ordnungsmäßigen) Arbeitsweise der Unternehmung, die z. B. auf Planänderungen, Änderungen der Umweltbedingungen etc. zurückzuführen sind, schlagen sich in unterschiedlicher Ausprägung der Kennziffern zweier aufeinander folgender Jahre nieder. Weder kann von der Ubereinstimmung beider Kennziffern auf Ordnungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Prüffelder noch kann von der Nichtübereinstimmung auf Nichtordnungsmäßigkeit geschlossen werden. Aus dem eben Gesagten ergibt sich, daß generell die Aussagefähigkeit indirekter Prüfungshandlungen gering ist. Zwar sind sie im Verhältnis zu direkten Prüfungshandlungen außerordentlich zeitsparend, aber ihre Aussagefähigkeit nimmt in der oben genannten Reihenfolge Abstimmungen-summarische Kontrollrechnungen-Kennziffernvergleiche ab. Die vom WPHandbuch 1977 (S. 1027) den indirekten Prüfungshandlungen zugeschriebenen Vorzüge „sie ist darüber hinaus vorzüglich geeignet, mögliche Fehlerfelder einzukreisen, die dann nach direkter Methode genauer zu untersuchen sind, sowie Teile der Rechnungslegung, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ordnungsgemäß sind, von der weiteren Prüfung auszuschließen", kann ich daher nicht erkennen. Während die Abstimmung möglicherweise als erste Information eines Prüfers über ein Prüffeld noch einen gewissen Sinn hat, haben die summarischen Kontrollrechnungen und die Kennziffernvergleiche mit der Einführung der Systemprüfung ihren Sinn verloren. Sie waren im Grunde genommen lediglich Vorläufer der heutigen Systemprüfung. 2.4.2.8.2 Prüfungshandlungen bei Systemprüfungen Bei der Durchführung von Systemprüfungen tauchen im wesentlichen 3 Arten von Arbeitsvorgängen auf: - die Erfassung des Systems,

148

2. Der Prüfungsprozeß

- die Beurteilung des Systems, - das Testen des Systems. Die Schritte 1 und 2 sind dabei nicht deutlich zu trennen; schon während der Arbeitsgänge zur Erfassung des Systems analysiert der Prüfer Teile der Arbeitsvorgänge und findet Mängel bzw. Schwachstellen. Diese Reihenfolge Erfassung-Beurteilung-Testen wird überdies dann nicht angewendet, wenn der Prüfer nach einem Fragebogen bzw. Prüfungsprogramm vorgeht. Häufig sind in derartigen Fragebogen bzw. Programmen die drei hier gedanklich getrennten Schritte bei der Systemprüfung so ineinander verwoben, daß Erfassung, Beurteilung und Testen jeweils einzelner Teilbereiche des Arbeitssystems praktisch simultan erfolgen. I) Erfassung des Systems Häufiger findet man in der Literatur, insbesondere in Werken zur Jahresabschlußprüfung die Auffassung, daß zunächst der sog. Ist-Zustand des Systems (im wesentlichen aus den Organisationsplänen, Arbeitsplatzbeschreibungen, Dienstanweisungen) ermittelt werden soll; diesen Ist-Zustand habe der Prüfer dann einem von ihm zu ermittelnden Soll-Zustand gegenüber zu stellen, um im Wege des Vergleichs Abweichungen, d. h. Schwachstellen festzustellen. Ich halte diese Darstellung aus mehreren Gründen für zu schematisch. Zunächst ist der Ist-Zustand eines Arbeitssystems mit Sicherheit nicht allein aus den formalen Organisationsanweisungen einer Unternehmung abzuleiten. Viele organisatorische Regelungen, auch die nicht von den betreffenden Personen eigenmächtig herbeigeführten, werden nicht in förmlicher Weise schriftlich festgehalten. Zweitens kommt es ja gar nicht darauf an, den von der Unternehmensleitung angeordneten Zustand des Arbeitssystems zu untersuchen, sondern die in der täglichen Praxis der Arbeit ausgeübten Verhaltensweisen kennenlzulernen. Und schließlich ist auch der SollZustand eines Arbeitssystems kaum in so umfassender und detaillierter Weise anzugeben, wie es die Vorstellung vom Soll-Ist-Vergleich zwischen Soll- und Ist-Zustand eines Arbeitssystems vermuten läßt. 114 Bevor wir uns mit der in 3 Schritten erfolgenden Erfassung des Systems befassen wollen, soll kurz zu den Informationsquellen des Prüfers Stellung genommen werden, aus denen er die für die Erfassung notwendigen Informationen bekommt. 115 1) Organisationspläne (so vorhanden), 114 Diese These vom Soll-Ist-Vergleich von Arbeitssystemen ist nur aus der traditionellen Organisationslehre heraus erklärbar, die glaubte, Optimal-Lösungen für organisatorische Probleme ermitteln zu können. Die neuere Organisationslehre hat diese Vorstellung aufgegeben und bemüht sich, „befriedigende" Lösungen zu erarbeiten. Vgl. dazu Hill/Fehlbaum/Ulrich, S. 51 ff. 115 Meigs/Larson/Meigs, S. 147 f.

2.4 Die Verhaltensdimension

149

2) Arbeitsanweisungen und Geschäftsverteilungspläne (so vorhanden), 3) Arbeitsplatzbeschreibungen (so vorhanden), 4) Kontenpläne und Kontierungsrichtlinien (so vorhanden), 5) Besprechungen mit Mitgliedern der Geschäftsleitung, 6) Befragung der die einzelnen Tätigkeiten ausführenden Angestellten, 7) Untersuchung der Buchungsunterlagen, Belege, Formulare, Maschinen i. V. m. dem geprüften Bereich, 8) Besichtigung der Räume des geprüften Bereichs, 9) Verfolgen eines Arbeitsablaufs von Ursache bis zu endgültiger Erledigung, 10) Prüfungsberichte aus den Vorjahren, sowohl Berichte der letzten Prüfung durch die Revisionsabteilung als auch der letzten Prüfung durch den externen Abschlußprüfer. Die ersten 6 der genannten Informationsquellen sind solche mit tendenziell geringerer Glaubwürdigkeit, da die formalen, schriftlichen Informationsquellen nicht immer die Wirklichkeit wiedergeben müssen und da die Befragung der Mitglieder der Geschäftsleitung bzw. der im betreffenden Bereich arbeitenden Personen bewußt oder unbewußt falsche Informationen erbringen kann. Die Erfassung des Systems erfolgt in 3 Schritten: - Anlage von Organigrammen - Anlage von Arbeitsablaufdiagrammen - Sammlung weiterer Detailinformationen zu den einzelnen im Verlauf des Systems durchgeführten Arbeitsvorgängen. Die Anlage der Organigramme Um einen Uberblick über alle in der Abteilung beschäftigten Personen und ihre Funktionen bzw. Unterstellungsverhältnisse zu bekommen, beginnt die Prüfung eines Bereich i. d. R. mit der Anlage eines Organigramms. Für unsere Zwecke muß das Schema sehr detailliert sein; jedes Kästchen für jede Funktion sollte nicht nur mit einer Bezeichnung der Funktion versehen sein, sondern auch mit dem Namen des jeweiligen Inhabers der Stelle und ggf. einer laufenden Nummer. Weiter soll darauf geachtet werden, daß alle Unterstellungsverhältnisse aus dem Schema klar hervorgehen. Das gilt besonders für die Fälle, in denen Mehrfachunterstellungen vorkommen oder disziplinarische und sachliche Unterstellungen unterschiedlich geregelt sind. Das Organigramm sollte möglichst vollständig sein. Die Nichterwähnung von Personen ist nur dann vertretbar, wenn es sich um rein ausführende Tätigkeiten handelt und eine große Zahl von Personen mit gleicher Tätigkeit vorhanden ist. Aber auch dann sollte zumindest die Zahl der Personen angegeben werden. Im Zweifel ist es besser, ein zu unübersichtlich werden-

150

2. Der Prüfungsprozeß

des Organisationsschema in mehrere Blätter aufzuteilen und auf Vollständigkeit zu achten, als später während der Erstellung der Arbeitsablaufidagramme bzw. während der Schwachstellenanalyse festzustellen, daß einzelne Instanzen im Organigramm nicht enthalten sind. Durch Übersichtsblätter kann man in solchen Fällen die einzelnen Bereichsschemata miteinander verbinden, so daß der Zusammenhang nicht verloren geht. Die Anlage eines Organigramms bedeutet bei einer Erstprüfung eines Bereichs eine erhebliche Arbeitsbelastung, insbesondere dann, wenn entweder keine „offiziellen" Organigramme vorhanden sind oder die faktischen Verhältnisse weit von dem offiziellen Organigramm entfernt sind. Auf der anderen Seite ergeben sich schon bei dieser ersten Arbeit möglicherweise Informationen über Mängel und Schwachstellen, wie z. B. unklare Funktionsbeschreibungen bzw. -abgrenzungen zwischen einzelnen Stellen, unklare oder unzweckmäßige Unterstellungsverhältnisse, Verstöße gegen den Grundsatz der Funktionstrennung. Bei Folgeprüfungen ist diese Prüfungshandlung wesentlich einfacher; man braucht nur das in der Dauerakte geführte alte Organigramm zu fotokopieren und kann dann auf der Kopie die inzwischen eingetretenen Änderungen festhalten. Natürlich muß man sich auch bei Folgeprüfungen durch Befragungen und Beobachtungen davon überzeugen, ob das „offizielle" Organisationsschema mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmt. Die Anlage der Ablaufidagramme116 Alle Arbeitsabläufe einer Unternehmung lassen sich als ein Netzwerk darstellen, das aus den verschiedenen Etappen (Arbeitsvorgänge) und aus den Transportwegen von Material oder Informationen (in Gestalt von Belegen, Dokumenten, Mitteilungen etc.) besteht. Um ein derartiges System prüfen zu können, muß der Prüfer es zunächst einmal kennen. Er beginnt seine Tätigkeit daher damit, festzustellen, welche Aufgabe der geprüfte Bereich hat, welche Tätigkeiten in ihm überhaupt vorkommen, welche Informationen und Materialien in diesem Zusammenhang in die Abteilung hineinkommen, welche Informationen und Materialien an andere Bereiche weitergegeben werden. Der Prüfer muß dann feststellen, welchen Transformationen diese Informationen bzw. Materialien in der Abteilung unterzogen werden, d. h. er muß ein komplettes Bild der Arbeitsgänge und Arbeitsabläufe in der Abteilung erarbeiten, das für die nachfolgende Analyse bzw. als Informationsgrundlage für spätere Prüfungen schriftlich dokumentiert sein muß. Es gibt im wesentlichen zwei Methoden, um Arbeitsabläufe festzuhalten: Die verbale Beschreibung und die Darstellung in Ablaufdiagrammen. Die verbale

1,6

Vgl. dazu Bird, Peter, S. 32 ff.

2.4 Die Verhaltensdimension

151

Beschreibung hat zwar den Vorteil, sich leichter und schneller erarbeiten zu lassen, möglicherweise auch den Vorteil größerer Flexibilität, ihr haftet aber der Nachteil an, daß die entsprechenden Berichte leicht schwerfällig und unübersichtlich ausfallen. Vor allen Dingen zwingt die etwas formale Struktur der Diagramm-Darstellung dazu, Vollständigkeit in der Darstellung der Auslöser für Arbeitsgänge, der Bennennung der einzelnen Teilarbeitsgänge und ihrer Reihenfolge, der Benennung der für sie zuständigen Personen, der Darstellung der durch einzelne Arbeitsgänge berührten Dokumente, der Darstellung des Verbleibs der produzierten Belege, Dokumente, Materialien zu wahren. Man kann also bei einer verbalen Beschreibung insbesondere nicht sicher sein, daß alle Teilaspekte und Tätigkeiten berücksichtigt sind, und es ist sehr viel schwieriger als bei einem Ablaufidagramm, die Schwachstellen herauszufinden. Wir wollen uns daher im folgenden zunächst mit der Darstellung von Arbeitsabläufen mit Hilfe von Ablauf- oder Flußdiagrammen beschäftigen. Es wäre allerdings eine Illusion zu glauben, daß alle für den Prüfer relevanten Informationen in ein derartiges Diagramm gepackt werden könnten. Wir werden später sehen, daß die Vielzahl der zu stellenden Fragen neben der Verwendung von Flußdiagrammen die Anlage von Protokollen bzw. Beschreibungen für einzelne Teiltätigkeiten notwendig macht. Um der doppelten Aufgabe als Informationsträger und Analyseinstrument gerecht zu werden, sollte ein Arbeitsablaufsdiagramm insbesondere die folgenden Angaben sichtbar machen (vgl. Bird, Peter, S. 33): 1) Auf welche Weise die einzelnen Handlungen eines Arbeitsablaufs ausgelöst werden (durch welche Person, „automatisch" durch generelle Anweisung, durch spezielle Einzelanweisung etc.), 2) die einzelnen Verrichtungen in der tatsächlich angewendeten Reihenfolge, einschließlich der Darstellung aller parallel, d. h. gleichzeitig ablaufenden Arbeitsvorgänge; wichtig ist, dabei auf alle Kontroll- bzw. Vergleichsvorgänge zu achten, 3) Angabe, in welcher Abteilung und an welchem Arbeitsplatz die einzelnen Handlungen vorgenommen werden, 4) den Bestimmungsort aller im Verlauf des Arbeitsgangs entstandenen oder berührten Dokumente oder Belege, 5) aus Gründen der einfachereren Referenzierung sollten die einzelnen Arbeitshandlungen fortlaufend numeriert sein. Um das Lesen der Ablaufdiagramme zu erleichtern, kann man sich innerhalb eines Revisionsorgans auf eine Reihe von Standardsymbolen für die einzelnen Tätigkeiten einigen. Diese Symbole sind von Fall zu Fall unterschiedlich, ich kann daher nur ein Beispiel bringen:117 117

Vgl. Bird, Peter, S. 35.

2. Der Prüfungsprozeß

152 Ablaufdiagramm Materialbeschaffung

Vorgang Bedarfsmeldung geht ein i—

yZ

Bestellung wird ausgefüllt

Lieferant Bestellende I Abteilung

^V

Ausstellen des Wareneingangsscheins

Wareneingangskontrolle Eintragung Lagerkartei Ausstellen Reklamationsformular Rücksend, an Lief, oder Annahme Eingang d e r " \ 2 / ' ^ Lieferantenrechnung Rechnungskontrolle (Übereinstimmung) rechnerische Kontrolle Kontieren und Auflisten Buchungen, Statistik Summenvergleich Ablage Datumsordner bis Zahlung Ausstellung Uberweisung „Bezahlt"-Stempel Buchung der Zahlung Abstimmung

2.4 Die Verhaltensdimension

153

Arbeitsgang, z. B. Ausfüllen eines Formulars, Buchung, Eintragung x Formular, Beleg oder Konto • Kontrolle oder Vergleich {} Vorübergehende Lagerung oder Ablage V Endgültige Lagerung oder Ablage V118 Als Beispiel habe ich ein sehr einfaches Materialbeschaffungssystem gewählt, in dem der komplizierte Bereich der Uberprüfung der Korrektheit der Bedarfsmeldung und der Auswahl des „optimalen" Lieferanten ausgeklammert wurden. Das Verfahren ist im Grunde sehr einfach und eignet sich daher nur für eine sehr kleine Unternehmung. Es weist zudem eine Reihe von Mängeln auf und läßt wesentliche Kontrollmöglichkeiten außer acht. Es soll in diesem Zusammenhang ja lediglich zeigen, wie die Form der Darstellung aussieht. Dabei kommt es gar nicht nur auf das fertige Diagramm an, sondern ebenso auf den Prozeß der Erstellung des Diagramms. Sowohl während der Befragung der Unternehmensangehörigen zur Informationsgewinnung als auch während der Arbeit des Aufstellens des Diagramms ist der Prüfer gezwungen, den Arbeitsablauf zu durchdenken, wodurch die Wahrscheinlichkeit wächst, daß er Mängel in den Anweisungen zur Durchführung und in der Ausführung des Arbeitsablaufs selbst entdeckt. Einzelfragen zum Arbeitssystem Mit Organigramm und der Sammlung der Arbeitsablaufsdiagramme für die im zu prüfenden Bereich vorgenommenen Arbeitsgänge hat der Prüfer aber noch nicht alle Unterlagen zusammen, die er braucht, um das Verarbeitungssystem zuverlässig beurteilen zu können. Was wir bis jetzt haben, ist nur eine Art Gerippe; wir müssen uns jetzt den einzelnen Handlungen detailliert zuwenden und, - im oben dargestellten Beispiel - , untersuchen: - wie werden die Bedarfsmeldungen ausgefüllt (wer tut das, wie wird sichergestellt, daß die Ware tatsächlich benötigt wird, daß sie nicht etwa auf Lager ist, daß sie auch in der bestellten Menge benötigt wird, daß die angegebenen Qualitätsspezifikationen auch zutreffen?) - wie bei der Bestellung sichergestellt wird, daß der „optimale" Lieferant (hinsichtlich Preis, Qualität, Liefertermin etc.) ausgewählt wird, daß die optimale Menge bestellt wird? - wie bei der Wareneingangskontrolle zuverlässig sichergestellt wird, daß die Waren in jeder Beziehung (Qualität, Preis, Menge) der Bestellung entsprechen? - nach welchen Kriterien bei einer Abweichung zwischen Bestellung und

118 Ähnliche Sätze von Symbolen finden sich auch in anderen amerikanischen Lehrbüchern, so z. B. Sawyer, Lawrence B., S. 139; oder Arens, Alvin und Loebbecke, James, K., S. 171.

154

2. Der Prüfungsprozeß

Lieferung über Rücksendung oder Annahme bei Kaufpreisminderung entschieden wird. Wenn man versucht, die zusätzlich zu erhebenden Informationen zu systematisieren, konnte man sich auf den folgenden Katalog einigen: - Welche Entscheidungen sind zu treffen? - Welche Entscheidungsalternativen sind vorhanden? - Nach welcher Zielvorschrift und welchen Anweisungen geht der Handelnde vor? - Welche Entscheidungsunterlagen und -hilfsmittel werden verwendet (z. B. Karteien über Lieferanten, Kunden, Rechenverfahren wie z. B. Investitionsrechnungen, Rechnungen zur Vergleichbarmachung von Angeboten)? - Welche Dokumente werden erstellt, bearbeitet, und wo gehen diese Dokumente hin? - Welche AufSchreibungen werden vorgenommen? - Welche Kontrollen werden vorgenommen? Es wäre wenig sinnvoll, diese Revisionsfragen, die sich sehr auf die Details der Arbeitsverfahren beziehen, an dieser Stelle eingehend behandeln zu wollen. Der sachliche Inhalt der Fragen ist eng verbunden mit den Arbeitssystemen der einzelnen betrieblichen Teilgebiete zu denen sie gehören; sie sind daher auch von Unternehmung zu Unternehmung sehr unterschiedlich. Es bietet sich daher an, auf in der Literatur veröffentlichte Fragenkataloge zurückzugreifen. Die aus dem Bereich der WP-Literatur stammenden Fragenkataloge haben dabei den Nachteil, sehr stark auf Eigenarten des Kontrollsystems abgestellt zu sein und die für eine Systemprüfung m. E. ebenso wichtigen Einzelheiten des Verarbeitungssystems außer acht zu lassen. Die von Arbeitskreisen des Instituts für Interne Revision erarbeiteten und in der Zeitschrift Interne Revision veröffentlichten Fragebogen sind sehr viel umfangreicher und lassen sich durch Streichung bzw. Anpassungen auf die Belange der einzelnen Unternehmung zuschneiden. Nur zur Illustration: Die IIR-Fragebogen zu den beiden hier angesprochenen Gebieten „Organisation des Einkaufs und Einkaufspolitik" und „Wareneingang"119 enthalten 96 bzw. 151, zusammen also rd. 250 Fragen; sie beziehen sich allerdings teilweise auch auf zwei Dinge, die wir hier schon erledigt haben, nämlich auf die Erstellung des Organigramms und der Arbeitsablaufsdiagramme. II) Beurteilung des Systems Die Aufgabe der Analyse und Beurteilung eines Arbeitssystems durch den Prüfer ist eine doppelte: Vgl. z. B. Pougin, Erwin; auch das WP-Handbuch 1977 enthält im Abschnitt über Ordnungsprüfungen in einzelnen Bereichen der Buchführung (S. 1073 ff.) derartige Fragenkataloge.

2.4 Die Verhaltensdimension

155

- festzustellen, inwieweit das geprüfte System geeignet ist, die ihm gestellten Aufgaben gemäß vorgegebenen Zielen möglichst gut zu erfüllen (d. h. die Brauchbarkeit des Systems zu beurteilen), - festzustellen, ob die Arbeitsergebnisse des Systems unter Heranziehung der jeweils relevanten Normen als ordnungsgemäß bezeichnet werden können. Während die erste Fragestellung nach der Effizienz eines Arbeitsablaufs stärker von internen Revisionsabteilungen verfolgt wird, interessiert die zweite Fragestellung nach den Zusammenhängen zwischen der Ordnungsmäßigkeit der Arbeitsergebnisse und den Arbeitsabläufen stärker den externen Jahresabschlußprüfer. Da in den meisten (zumindest den größeren) Unternehmen die Funktionen 120 Prüfung und Organisation getrennt sind, liegt die Aufgabe des Prüfers im wesentlichen darin, Ursachen für Fehler in Arbeitsabläufen bzw. Ursachen für einen als unbefriedigend empfundenen Zielerreichungsgrad in Arbeitssystemen aufzuspüren. Da die Organisationstheorie inzwischen die Vorstellung eines „optimalen Organisationszustandes" aufgegeben hat 121 , kann nicht erwartet werden, daß der Prüfer zu Zwecken der Beurteilung eines gegebenen Arbeitssystems ein komplettes „Idealsystem" erarbeitet, um dann durch Kontrastierung beider Systeme die Mängel und Schwachstellen des zu überprüfenden Systems herauszuarbeiten. Es muß allerdings vom Prüfer erwartet werden, daß er das zu überprüfende System mit Hilfe einer Reihe von Grundsätzen durchleuchtet, die sich in Organisationstheorie und -praxis als befriedigend herausgestellt haben. Unter diesen einschränkenden Voraussetzungen soll nun versucht werden darzustellen, unter welchen Gesichtspunkten Prüfer die organisatorischen Lösungen in den von ihnen erfaßten Systemen beurteilen können. Aufgabenstellung Der Prüfer muß sich zunächst die Frage vorlegen, ob die Aufgabenstellung eines Arbeitssystems eindeutig definiert und von der angrenzender Systeme abgegrenzt ist. Findet der Prüfer keine konkrete und detaillierte Aufgabenstellung vor, kann er im Grunde überhaupt kein Urteil über die Brauchbarkeit des Systems abgeben. Er kann insbesondere nicht feststellen, ob alle notwendigen Arbeitsgänge geregelt sind, ob die Beziehungen zwischen Gebildestruktur (Stellengliederung) und Prozeßstruktur (Zerlegung des Arbeitsprozesses in Teile) sinnvoll sind. Trotzdem ist es in der Praxis nicht selten so, daß die Aufgabenbereiche einzelner Teilsysteme nur unzulänglich abgegrenzt sind, besonders, daß sich eine informelle Aufgabenzuordnung 120 121

Vgl. zum Verhältnis beider Funktionen Abschnitt 3.3.5.2, S. 289 f. Vgl. Hill/Fehlbaum/Ulrich, S. 51 ff.

2. Der Prüfungsprozeß

156

ergeben hat, entweder, weil die „offizielle" Zuordnung nicht eindeutig, nicht vollständig oder nach Meinung der betroffenen Personen nicht praktikabel war. Der Prüfer muß jedenfalls die Untersuchung des Systems mit einer Definition der Aufgabenstellung beginnen. Wenn er sie nicht in Dienst- bzw. Arbeitsanweisungen vorfindet, muß er sie unter Verwendung der vorhandenen Informationen selbst formulieren; er muß dann allerdings im Prüfungsbericht auf diesen Mangel hinweisen. Untersuchung der Prozeßstruktur

Arbeitsabläufe in Unternehmen im 20. Jahrhundert sind durch ein hohes Maß von Arbeitszerlegung gekennzeichnet. „Unter Arbeitszerlegung wird die Zerlegung eines operativen (physischen Transformations- oder administrativen) Prozesses in einfache, interdependente Teilarbeiten und ihre Weisung an einzelne Stellen bzw. Individuen verstanden."122 Dabei sollen die betrachteten Arbeitsabläufe in zwei Gruppen getrennt werden, die sog. operativen Arbeitsabläufe und die sog. Leitungsprozesse. Bei den operativen Abläufen, also den rein ausführenden Tätigkeiten, hat sich ein sehr hoher Grad an Arbeitszerlegung herausgebildet. Eine derartige Situation ist gekennzeichnet durch: - relativ geringe Personalkosten wegen der Möglichkeit, relativ wenig qualifizierte Personen einsetzen zu können, wegen des Trainingseffekts durch häufige Wiederholung, wegen der kurzen Anlern- und Einarbeitungszeiten, wegen der Möglichkeit, hochspezialisierte Maschinen den einzelnen Arbeitsplätzen zuzuordnen. - negative psychische Auswirkungen auf die betroffenen Menschen wegen einseitiger nervlicher und psychischer Belastung, Monotonie, Entfremdung von der eigenen Arbeit, da keine Möglichkeit zur Einschätzung der eigenen Arbeitsergebnisse im Rahmen des Gesamtarbeitsvorgangs besteht.123 Diese psychische Situation äußert sich in den bekannten Phänomen der hohen Fluktuation, der hohen Abwesenheit, einer hohen Ausschußquote. Unter Beachtung dieser beiden Folgen der Zerlegung eines Arbeitsablaufs in Teilverrichtungen muß der Prüfer die vorgefundene Zerlegung kritisch beurteilen. Er muß nicht nur feststellen, welche Arbeitsgänge unter Berücksichtigung der Verzahnung des zu prüfenden Systems mit anderen Teilbereichen der Unternehmung erforderlich sind, um die Aufgabenstellung zu erfüllen. Zwar kann man davon ausgehen, daß alle unbedingt notwendigen Arbeitsgänge vorgenommen werden, da das System sonst nicht funktionieren würde.

122 123

Hill/Fehlbaum/Ulrich, S. 298. Hill/Fehlbaum/Ulrich, S. 310 f.

2.4 Die Verhaltensdimension

157

Er muß aber vor allem auf Teilarbeitsgänge achten, die Zwecken der Optimierung und Zwecken der Kontrolle dienen. Als Optimierungs-Arbeitsgänge werden solche Entscheidungen bezeichnet, die zu einem besseren oder schlechteren Ergebnis des jeweiligen einzelnen Arbeitsvorgangs führen können. Als Beispiel sei die Entscheidung eines Einkäufers für den Lieferanten A bzw. den Lieferanten B, die Entscheidung eines Verkaufssachbearbeiters über die einem bestimmten Kunden zu gewährenden Konditionen genannt. Unter Kontrollarbeitsgängen werden hier nicht nur die Arbeitswiederholungen oder Meßvorgänge zum Zwecke der Uberprüfung der Korrektheit abgelaufener Arbeitsvorgänge verstanden, sondern auch die Vornahme von Aufschreibungen, mit denen später im Wege von summarischen Kontrollrechnungen die Korrektheit der Arbeitsweise bestimmter Teilarbeitsgänge überprüft werden kann. Daneben gibt es noch eine Reihe von Einzelheiten, auf die der Prüfer sein Augenmerk richten muß: 124 - Doppelarbeiten (z. B. Durchführung der gleichen Aufschreibungen an verschiedenen Stellen), - sinnlose Teilarbeiten (z. B. die Erstellung von Aufschreibungen, die niemals ausgewertet werden), - unnötig lange Transportwege, - besondere Engpässe oder dauernde Überlastung einzelner Stellen, - unzweckmäßige Einrichtung bzw. maschinelle Ausstattung einzelner Arbeitsplätze. Von ähnlicher Wichtigkeit wie die Frage nach der Zerlegung des gesamten Arbeitsablaufs in Teilarbeitsgänge ist die Frage nach der Art und Weise, wie die einzelnen Verrichtungen vorgenommen werden. Die Frage nach der Zweckmäßigkeit der zur Durchführung einzelner Teilaufgaben verwendeten Arbeitsverfahren ist von besonderer Bedeutung dann, wenn es sich bei den betrachteten Arbeitsgängen um Entscheidungen handelt. In diesem Fall muß der Prüfer insbesondere die folgenden Fragen stellen: - Werden vom Entscheidenden alle denkbaren Entscheidungsalternativen untersucht oder werden bestimmte Alternativen nicht gesehen oder von vornherein ausgeschieden? - Ist die Zielvorschrift bzw. sind die Anweisungen, nach denen der Entscheidende vorgeht, eindeutig, präzise und operational formuliert? - Sind die bei der Entscheidung verwendeten Entscheidungsunterlagen bzw. -hilfsmittel und Rechenverfahren ausreichend, zweckgerecht und wird ihr Inhalt gelegentlich überprüft bzw. auf den neuesten Stand gebracht?

124

Hill/Fehlbaum/Ulrich, S. 514 f.

2. Der Prüfungsprozeß

158

Die Beurteilung der Gebildestruktur Unter Gebildestruktur versteht man die Anordnung von einzelnen Personen bzw. Gruppen von Personen (Stellen), und ihre dauerhaften Beziehungen untereinander125, wobei man als Beziehungen sowohl die Weitergabe von Informationen bzw. physischen Gegenständen als auch die Abgabe bzw. den Empfang von Anordnungen bzw. Vorschlägen verstehen kann. Die Aufgabe des Prüfers, zu beurteilen, ob die vorgefundene Gebildestruktur als sinnvoll bezeichnet werden kann, läßt sich in einige Teilaufgaben zerlegen. Da eine sehr enge wechselseitige Beziehung zwischen Prozeß- und Gebildestruktur besteht, kann der Prüfer zunächst von seinem Urteil über die Prozeßstruktur ausgehen und Fragen, ob alle im vorgefundenen Prozeß (ggf. unter Einbeziehung von Verbesserungsvorschlägen des Prüfers) enthaltenen Teilarbeitsgänge eindeutig einzelnen Personen zugeordnet sind. Bei stark zerlegten Arbeitsvorgängen ist es die Regel, daß eine feste Zuordnung (zumindest über einen längeren Zeitraum) zu einer bestimmten Person bzw. einer eng umrissenen Gruppe von Personen erfolgt. Das hat neben den im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen Vor- und Nachteilen aus der Sicht des Prüfers den Vorzug, daß relativ eindeutige Aussagen über die für die Person notwendigen Kompetenzen bzw. den Verantwortungsbereich gemacht werden können. Wenn umgekehrt ein geringerer Zerlegungsgrad von Arbeitsvorgängen gewählt wird und daher mehrere Personen zuständig sein können (Gruppenarbeit an wechselnden Arbeitsplätzen), muß durch ein entsprechend differenziertes Aufzeichnungssystem sichergestellt werden, daß festgestellt werden kann, wer für Mängel bzw. Fehler verantwortlich ist. Insbesondere muß der Prüfer feststellen, ob die Aufgabenstellungen der einzelnen Ein- bzw. Mehrpersonenstellen eindeutig formuliert sind, ob eine eindeutige und an die Aufgabenstellung angepaßte Kompetenzaufteilung gegeben ist, ob die Weisungsbefugnis einzelner Stelleninhaber bzw. -mitglieder gegenüber anderen Personen bzw. Stellen den jeweiligen Aufgaben- und Verantwortungsbereich angemessen sind, inwieweit die Informationsbeziehungen der einzelnen Stellen untereinander ihren Aufgabenstellungen und Weisungsbefugnissen angemessen sind. Die Beurteilung des Belegflusses Dabei handelt es sich um ein wichtiges organisatorisches Hilfsmittel, um die Effizienz des Arbeitsablaufes zu steigern und um Kontrollhandlungen vornehmen zu können. Es müssen im geprüften Bereich Vorschriften vorhanden sein, die sicherstellen, daß die Bearbeitung jedes einzelnen Arbeitsvorfalls anhand von Unterlagen nachvollziehbar ist. Die Analyse der Gestaltung der 125

Vgl. Hill/Fehlbaum/Ulrich, S. 26.

2.4 Die Verhaltensdimension

159

einzelnen verwendeten Dokumente bzw. Belege selbst und des Belegflusses ist zunächst von Wichtigkeit für das Funktionieren der Kontrollen innerhalb des Systems: Nur wenn man weiß, an welcher Stelle ein Fehler begangen worden ist, läßt sich die Fehlerquelle abstellen. Das Belegsystem ist aber ebenso eine wichtige Voraussetzung für die später folgende Prüfungshandlung „Testen des Systems", da ohne solche, möglichst den gesamten Arbeitsvorgang begleitenden Formulare das Herausarbeiten des „Prüfungspfades" für den Prüfer außerordentlich schwer wird.

Die Beurteilung von Ausnahmeregelungen In jedem System treten Ausnahmen oder Sonderfälle auf, auch dann, wenn das System sehr flexibel arbeitet, bzw. auch dann, wenn sich die Unternehmung veränderten Umständen flexibel anpaßt. Es kommt vom Standpunkt der Prüfung erstens darauf an, diejenigen Teilarbeitsgänge aufzuspüren, bei denen überhaupt Ausnahmen von den ansonsten angewendeten Verfahrensweisen vorkommen; zweitens ist wichtig, die Häufigkeit der jeweiligen Ausnahmen festzustellen, denn vom häufigen Vorkommen von Ausnahmen kann man darauf schließen, daß das betrachtete System häufiger vorkommende Fälle nicht geregelt hat. Derartige „Ausnahmefälle" sind also eigentlich keine Ausnahmen, sondern seltener vorkommende Normalfälle. Eine eindeutige Grenze zwischen „Normalfällen" und „Ausnahmefällen" besteht ja bekanntlich nicht. Da die Gefahr besteht, daß bei der Bearbeitung von Ausnahmefällen wichtige Zielvorschriften außer acht gelassen werden bzw. wichtige Kontrollarbeitsgänge übersprungen werden, da überdies das häufige Vorkommen von Ausnahmen den Durchfluß der Normalfälle durch den entsprechenden Arbeitsablauf behindern kann, muß der Prüfer vor allem darauf achten, daß Regeln darüber bestehen, wer und unter welchen Bedingungen über das Vorliegen eines Ausnahmefalles entscheiden kann.

Beurteilung der Einstellung der Mitarbeiter zur Prozeß- und Gebildestruktur Im Zusammenhang mit der Erfassung des Systems hat der Prüfer nicht nur Fakten und Beobachtung gesammelt, sondern er hat auch in Gesprächen mit den einzelnen Mitgliedern des Systems deren Meinungen und Einstellungen zu dem gegenwärtigen organisatorischen Zustand der Arbeitsprozesse und der Stellengliederung und ihren Beziehungen erhoben. Für eine derartige Vorgehensweise sprach nicht nur die Überlegung, daß die Mitglieder einer Organisation über die besten Informationen über Ungereimtheiten und Schwächen der Arbeitsprozesse bzw. der Gebildestruktur verfügen, sondern auch die Überlegung, daß sich aus diesen notwendigerweise subjektiven Äußerungen deutliche Hinweise auf den Grad der Arbeitszufriedenheit der einzelnen Individuen und auf das Ausmaß der Befriedigung ihrer individuellen Bedürfnisse ableiten lassen. Von der Arbeitszufriedenheit der betroffenen

160

2. Der Prüfungsprozeß

Individuen wiederum wird das Arbeitsergebnis hinsichtlich Qualität und Quantität in gleicher Weise beeinflußt, wie etwa von zweckmäßiger oder unzweckmäßiger Prozeßstruktur bzw. zweckmäßiger oder unzweckmäßiger Gebildestruktur. Da die Arbeitszufriedenheit der einzelnen Mitglieder im geprüften System neben Einflüssen aus der Gebildestruktur und der Prozeßstruktur, neben Einflüssen aus dem allgemeinen Bedingungsrahmen der zu prüfenden Unternehmung maßgeblich auch durch den sog. Führungsstil geprägt wird, muß der Prüfer sich auch mit diesem Problemkreis befassen. Der Prüfer muß insbesondere feststellen, ob innerhalb der betrachteten Gesamtgruppe bzw. auch innerhalb der einzelnen Teilgruppen im geprüften System Diskrepanzen bestehen zwischen der Mitwirkungserwartung der einzelnen Gruppenmitglieder und dem Mitwirkungsangebot seitens der jeweiligen Gruppenvorgesetzten.126 Solche Unterschiede zwischen Partizipationsangebot und Partizipationserwartung führen zu Frustrationen. Wenn das Angebot größer als die Erwartung ist, fühlen sich Individuen überfordert und unsicher; ist umgekehrt die Erwartung größer als das Angebot, so wird dies als Nichtbefriedigung des Zugehörigkeitsbedürfnisses empfunden. Frustrationen bewirken, daß das einzelne Individuum sich mit dem Führer der Gruppe bzw. der Gruppenaufgabe nicht mehr identifizieren kann bzw. diese Identifikation zumindest erschwert wird. Mangelnde Identifikation der einzelnen Mitglieder einer Gruppe mit der von ihnen zu bewältigenden Aufgabe führt nun dazu, daß die Leistungsmotivation des einzelnen Gruppenmitglieds sinkt, die Leistungsabgabe der einzelnen Gruppenmitglieder stark schwankt (bei Abwesenheit des autoritativen Gruppenführers sinkt seine Leistungsabgabe stark, bei hoher Identifikation mit der Gruppenaufgabe kann ein derartiges Phänomen nicht beobachtet werden). III) Testen des Systems Nachdem der Prüfer sich während der beiden vorangegangenen Schritte Erfassung und Beurteilung des Systems ein Urteil über die vermutete Ordnungsmäßigkeit bzw. Effizienz der Arbeitsergebnisse hat bilden können, folgt nun als 3. und letzter Schritt der Test des Systems. Man kann die Meinung vertreten, daß dieser Schritt überflüssig sei, da der Prüfer ja nicht nur anhand schriftlicher Aufzeichnungen ein Bild über einen vorgeschriebenen Zustand eines Arbeitssystems erhoben hat, sondern sich durch eigene Befragung bzw. Beobachtung ein Bild von dem zum Zeitpunkt der Prüfung angewendeten System gemacht hat. Gegen diese Meinung sind folgende Einwendungen möglich:

126

Vgl. Hill/Fehlbaum/Ulrich, S. 235 f.

2.4 Die Verhaltensdimension

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- Der Prüfer kann bei aller erdenklicher Sorgfalt bei Erfassung und Beurteilung des Systems nicht sicher sein, daß er nicht doch in Einzelheiten Ursachen für Fehler bzw. Unwirtschaftlichkeiten übersehen hat; - es wäre denkbar, daß sich die Handhabung des Arbeitssystems in einzelnen Detailpunkten im Verlauf des überprüften Zeitraums geändert hat, d. h. daß die in der Vergangenheit erzielten Arbeitsergebnisse des Systems besser oder schlechter als die gegenwärtig erzielten Arbeitsergebnisse sind; - der Prüfer hat zwar Vermutungen über die Stellen in den Arbeitsabläufen, an denen fehlerhafte bzw. suboptimale Arbeitsergebnisse erzielt werden. Er kann aber nicht wissen, in welchem Umfang derartige Fehler bzw. suboptimale Entscheidungen realisiert wurden. Es ist sowohl möglich, daß die systembedingten Mängel und Fehler nur zu einer relativ geringen Fehlerquote geführt haben, weil die mit der jeweiligen Tätigkeit betrauten Personen aufgrund eigener Initiative eine Fehler- bzw. Mängelentstehung in erheblichem Umfang verhindert haben; umgekehrt ist selbstverständlich auch möglich, daß wegen sturer Anwendung eines fehlerhaften Arbeitssystems in erheblich stärkerem Umfang Mängel angefallen sind, als der Prüfer erwartet. Den Abschluß der Systemprüfung bildet daher der Systemtest. Es gibt zwei Möglichkeiten, diesen Systemtest durchzuführen: - die sog. Testfallmethode: Diese Methode ist dadurch gekennzeichnet, daß der Prüfer in das zu testende System eine Reihe von fiktiven, konstruierten Vorfällen eingibt und die erzielten Arbeitsergebnisse mit den von ihm vorher von Hand erarbeiteten Soll-Ergebnissen vergleicht. Die Zuverlässigkeit dieses Systemtests hängt offensichtlich davon ab, ob es dem Prüfer gelingt, seine Testfälle so umfassend zu konstruieren, daß alle im zu prüfenden System vorhandenen Verrichtungen einschl. aller Kontrollen und Vergleichshandlungen angesprochen und somit auf ordnungsmäßiges Funktionieren überprüft werden. Der Anwendungsbereich der Testfallmethode ist insofern begrenzt, als der Prüfer mit ihnen nur das zum Zeitpunkt der Prüfung tatsächlich ablaufende Arbeitsverfahren überprüfen kann; wenn während einer zu überprüfenden Periode Änderungen in den Arbeitsverfahren vorgenommen wurden, lassen sich die vor diesen Änderungen erzielten Arbeitsergebnisse mithilfe der Testfallmethode nicht überprüfen. Die Testfallmethode ist im wesentlichen nur bei Verwaltungsarbeitsgängen anwendbar. Hierbei stellt sich dann das Problem, daß die einzelnen, über den fiktiven Geschäftsvorfall getätigten Aufzeichnungen anschließend wieder gelöscht werden müssen, weil sonst die Gefahr besteht, daß der fiktive Vorfall wie ein echter Vorfall behandelt wird und in der abschließenden Abrechnung des betrachteten Teilbereichs auftaucht. - Durchführung einer Einzelfallprüfung: Die genannten Nachteile der Test-

162

2. Der Prüfungsprozeß

fallmethode lassen sich weitgehend vermeiden, wenn man stattdessen eine normale Einzelfallprüfung an die Systemprüfung anschließt. Da hier echte Vorfälle überprüft werden, stellt sich das Problem der anschließenden Eliminierung der fiktiven Geschäftsvorfälle nicht; durch eine zweckentsprechende zeitliche Staffelung der einzelnen Stichproben läßt sich überdies die oben gestellte Frage, ob das zum Prüfungszeitpunkt praktizierte Arbeitsverfahren während des gesamten zu überprüfenden Zeitraums angewendet wurde, ebenso lösen. Da der Prüfer aufgrund seiner kritischen Analyse des Arbeitssystems über fundierte Kenntnisse über Schwachstellen und Stärken verfügt, kann er seine Stichprobe gezielt bei den schwachen Stellen ansetzen und kommt daher mit einem sehr viel geringeren Stichprobenumfang aus, als das bei einer reinen Einzelfallprüfung der Fall wäre. 2.4.2.9 Die Entscheidung über Abbruch der Prüfungshandlungen und Urteilsabgabe Die letzte der neun konstituierenden Entscheidungen über die Prüfungsdurchführung ist zugleich diejenige, die bislang am wenigsten erforscht ist und deren Bedingungen am wenigsten leicht herauszuarbeiten sind. Da Prüfer in aller Regel nicht die Gesamtheit der Prüfungsobjekte in einem Prüffeld hinsichtlich aller ihrer Merkmale überprüfen, muß im Rahmen einer Prüfungstheorie erklärt werden, von welchen Faktoren es abhängt, daß Prüfer nach der Untersuchung einer bestimmten Anzahl von Prüfungsobjekten die weitere Suche abbrechen und ein Urteil über das zu prüfende Prüffeld abgeben. Vorab muß gesagt werden, daß sich das Problem des Abbruchs der Prüfungshandlungen bei allen Prüfungen mit Ausnahme der Vollprüfungen stellt. Die Art der Fragestellung ist allerdings abhängig vom angewandten Prüfungsverfahren und von der angewandten Stichprobentechnik. Beim Verfahren der Einzelfallprüfung entsteht das Problem der Abbruch-Entscheidung in Form der ex-ante oder kontinuierlich zu fällenden Entscheidung über den Stichprobenumfang. Beim Verfahren der Systemprüfung stellt sich für den Prüfer bei jedem untersuchten Teilaspekt des Systems die Frage, wie umfassend er die Verfahrensweisen erhebt und analysiert. Bei der Urteilsstichprobe und beim Sequentialverfahren kann der Prüfer nach jedem einzelnen geprüften Objekt entscheiden, ob er ein weiteres Objekt überprüft oder abbricht. Lediglich bei der mathematisch-statistischen Schätzund Annahmestichprobe ist dieses schrittweise Vorgehen nicht möglich. Hier wird der Stichprobenumfang durch die Wahl der Werte für Aussagesicherheit und zulässigen Stichprobenfehler vor Beginn der Prüfungshandlungen festgelegt.

2.4 Die Verhaltensdimension

163

Die eben gestellte Frage nach dem Umfang der bis zum Abbruch durchgeführten Prüfungshandlungen läßt sich folgendermaßen allgemein beantworten: Der Prüfer bricht die Prüfungshandlungen dann ab, wenn er einen ausreichenden Uberzeugungsgrad dafür erreicht hat, daß das von ihm in Aussicht genommene Prüfungsurteil (die Urteilshypothese) der Wirklichkeit entspricht. Mit dieser allgemeinen Formulierung ist nun nicht viel gewonnen; es bleiben die Fragen: - auf welche Weise erarbeitet der Prüfer die Urteilshypothese? - wie wirken sich einzelne Prüfungsergebnisse auf den Uberzeugungsgrad aus? - wovon hängt der kritische Wert (Schwellenwert) des Uberzeugungsgrades ab?

2.4.2.9.1 Die Formulierung der

Urteilshypothese

Bei der Untersuchung der 1. Frage, nämlich auf welche Weise der Prüfer die Urteilshypothese, d. h. das in Aussicht genommene Urteil erarbeitet, gedanklich formuliert, müssen wir unterscheiden nach solchen Prüfungen, bei denen ein zusammenfassendes Gesamturteil (z. B. Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit) gefordert wird und solchen Prüfungen, bei denen keine Gesamtbeurteilung, dafür aber eine Reihe von differenzierten Einzelurteilen gefordert wird. Gesamturteile etwa i. S. der Formulierung des § 167 AktG werden vorwiegend von WP bei gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen gefordert, während differenzierte Einzelurteile vorwiegend im Zusammenhang mit internen Prüfungen und denjenigen Prüffeldern bei externen Prüfungen gefordert werden, bei denen es auf die Systembeurteilung ankommt. Außerdem läßt sich sagen, daß zusammenfassende Gesamturteile vorwiegend im Wege von Einzelfallprüfungen erarbeitet werden, während Systemprüfungen vorwiegend zu einer Sammlung von differenzierten Einzelurteilen über Teile des Arbeitssystems führen. Basis für die Erarbeitung eines vorläufigen zusammenfassenden Gesamturteils, also der Urteilshypothese, sind in erster Regel die Vorinformationen, die dem Prüfer über das zu beurteilende Prüffeld bzw. den gesamten zu beurteilenden Unternehmensbereich vorliegen. Während diese Vorinformation bei Erstprüfungen relativ unspezifisch und spärlich sind, kann sich ein Prüfer bei Folgeprüfungen entweder auf seine eigenen Erfahrungen mit dem zu prüfenden Bereich aus Vorperioden, zumindest aber auf die in der Dauerakte niedergelegten Ergebnisse der Prüfung des gleichen Prüffeldes im Vorjahr (möglicherweise sogar auf spezielle Notizen bezüglich einzelner Probleme) stützen.

164

2. Der Prüfungsprozeß

Als solche Vorinformationen kommen in Betracht: - allgemeine Informationen über Entwicklung und Situation der Unternehmung und des geprüften Bereichs (ökonomische Entwicklung wie Stagnation, Wachstum, arbeitstechnische Umstände wie Veränderungen in der Zusammensetzung der zu bearbeitenden Vorfälle oder in den verwandten Arbeitsverfahren, Arbeitsklima im Bereich), - spezielle Informationen über die Arbeitsverfahren des Bereichs. Diese können aus einer möglicherweise auf die Arbeitssysteme abzielenden Vorprüfung127, aus früheren Systemprüfungen, aus den Arbeitsergebnissen der Internen Revision stammen, aber auch ohne eigentliche Systemprüfung das Ergebnis der Tatsache sein, daß der Prüfer in früheren Jahren die gefundenen Fehler bezüglich ihrer Fehlerursachen analysiert hat. - spezielle Informationen über die Personen bzw. Gruppen des geprüften Bereichs, über ihre jeweiligen Qualifikationen und Motivationen. Derartige Informationen werden vom Prüfer geistig verarbeitet; er stellt unter Verwendung seiner Kenntnisse der sachlogischen Zusammenhänge des Bereichs und aufgrund seines Bestandes an „Alltagstheorien" Beziehungen zwischen den Rahmenbedingungen der Arbeit im Bereich und den vermuteten Arbeitsergebnissen her. Unter Verwendung solcher Vorinformationen formulieren Prüfer also ihr zusammenfassendes Gesamturteil für die einzelnen Prüffelder zunächst in Form einer Hypothese: sie erwarten, daß das Prüffeld insgesamt ordnungsgemäß oder nicht ordnungsgemäß ist. Die Formulierung der Urteilshypothese kann weiter durch die nach und nach erarbeiteten Einzelergebnisse der Prüfung beeinflußt werden. Zwei Fälle sind denkbar: - die Hypothese wird durch einschränkende oder präzisierende Zusätze modifiziert, - die Hypothese erweist sich als falsch. Einschränkungen der Formulierung der Urteilshypothese sind dann sinnvoll, wenn nur an einzelnen, abgrenzbaren Teilen des Prüffelds Zustände aufgedeckt werden, die mit der Urteilshypothese nicht in Einklang stehen. Ein Beispiel: Das Prüffeld Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ist ordnungsgemäß mit der Einschränkung, daß Forderungen an verbundene Unternehmen (fälschlich) hier ausgewiesen wurden. Solange ein Prüfer lediglich in einzelnen Teilen des Prüffelds derartige

127 Auf die Möglichkeit der Teilung einer Prüfung in Vor- und Hauptprüfung wird im Abschnitt 3.2.1.5.2 (S. 253 ff.) eingegangen.

2.4 Die Verhaltensdimension

165

umgrenzte Normverstöße findet, dürfte eine Einschränkung der ursprünglichen Hypothese der einfachere Weg sein. Wenn allerdings die Zahl der Fehler und/oder die Entstehungsursachen sehr weit gestreut sind, wird ein Prüfer seine ursprüngliche Hypothese aufgeben und seiner weiteren Prüfung die sog. Gegenhypothese zugrunde legen. Im Fall einer Prüfung, die auf differenzierte Einzelurteile abzielt, ist der Vorgang einfacher. Der Prüfer braucht keine Gesamthypothese über eine größere Gesamtheit von Einzelvorfällen zu formulieren, es genügt, wenn er einzelne Regelungen des betrachteten Systems herausgreift, eine Urteilshypothese mit sehr eng begrenztem Aussagebereich während der Untersuchung des jeweiligen Regelungsbereichs erarbeitet, die dann unmittelbar zu einem bestätigten, d. h. mit einer subjektiven Uberzeugung ausgestatteten Prüfungsurteil wird.

2.4.2.9.2 Der Einfluß der Einzelergebnisse auf den Uberzeugungsgrad

erreichten

Wir müssen nun den Einfluß untersuchen, der von den Ergebnissen der einzelnen Prüfungshandlungen an einzelnen Prüfungsobjekten auf den erreichten Überzeugungsgrad des Prüfers ausgeht. Man kann diesen Prozeß des Aufbaus eines Uberzeugungsgrades mit Hilfe einer graphischen Darstellung veranschaulichen. Die Zahl der vom Prüfer überprüften Elemente wird dabei sukzessive auf der mit n bezeichneten horizontalen Achse aufgetragen. Auf der vertikalen Achse des Koordinatensystems werden die Werte für den Ü=l

Ü,Soll

Ü„

-I

I

I L.

N

_l

I

I

I I L.

(=Min)

166

2. Der Prüfungsprozeß

geforderten bzw. erreichten Uberzeugungsgrad aufgetragen. Der vom Prüfer geforderte Mindestüberzeugungsgrad läßt sich dann als obere Begrenzung des durch die beiden Koordinaten dargestellten Raumes einzeichnen, wobei einstweilen offenbleiben soll, ob es sich hierbei um lineare, parallele oder um irgendwie gekrümmte, auf- oder absteigende Kurvenverläufe handelt. Im Beispiel wurde der einfacheren Darstellung halber ein linearer Verlauf gewählt. In aller Regel wird der Kurvenzug, der den erreichten Uberzeugungsgrad darstellt, nicht bei U = O anfangen, sondern, je nach Vorhandensein und Auswertung von Vorinformationen durch den Prüfer, bei einem U-Wert größer als O. Je nachdem, ob die einzelnen nacheinander geprüften Prüfungsobjekte den vom Prüfer erwarteten (positiven oder negativen, je nach Formulierung der Prüfungshypothese) Zustand aufweisen, wird durch die Untersuchung des einzelnen Prüfungsobjektes der erreichte Uberzeugungsgrad erhöht bzw. vermindert. Das wichtigste sachliche Problem in dieser (weitgehend formalen) Darstellungsweise ist die Frage, wie stark der erreichte Uberzeugungsgrad durch die Aufdeckung eines fehlerhaften, d. h. nicht normkonformen Prüfungsobjektes oder durch das Finden von fehlerfreien, d. h. normkonformen Prüfungsobjekten steigt oder sinkt (oder ob er gleich bleibt, wenn das Objekt sich als nicht relevant erweist). Wir wollen dabei von einem stark vereinfachten Modell ausgehen, das durch folgende Annahmen beschrieben ist: - der Prüfer hat keinerlei Vorinformationen, - die Zahl der Prüfungsobjekte ist endlich und bekannt (N), - jedes Prüfungsobjekt hat die gleiche Bedeutung, - der Prüfer will einen Uberzeugungsgrad von 1 erreichen, d. h. eine Irrtumswahrscheinlichkeit von Null; er führt darum eine Vollprüfung durch.128 Der Soll-Uberzeugungsgrad beträgt dann 1, der Uberzeugungsgradbeitrag jedes einzelnen Prüfungsobjekts ergibt sich durch Division die Entwicklung des Ist-Uberzeugungsgrads ergibt sich als regelmäßige „Treppenkurve" vom Punkt 0/0 bis zum Punkt 1/N. Wir wollen nun nach und nach die unrealistischen Annahmen dieses Modells durch realitätsnähere ersetzen. Die Voraussetzung der Vollprüfung können wir fallen lassen, - wenn der Prüfer risikofreudiger wird, - wenn er über Vorinformationen positiver Art verfügt, - wenn beide genannte Bedingungen in einer Kombination vorliegen. Ein Anreiz für Prüfer, risikofreudiger zu sein, liegt in der oben im Abschnitt 128

Die Möglichkeit von Prüfungsfehlern wird vernachlässigt.

2.4 Die Verhaltensdimension

167

über die Urteilsstichprobe (Nr. 24271, S. 126) erwähnten Tatsache, daß die einzelnen Prüfungsobjekte von unterschiedlicher Bedeutung im Rahmen des Prüffelds sind. Wenn der Prüfer - gemessen am Gesamtwert - unbedeutende Prüfungsobjekte nicht prüft, steigt sein Risiko eines Fehlurteils geringfügig, aber der Prüfungsaufwand sinkt erheblich. Daraus folgt, daß der Uberzeugungsgradbeitrag eines Großpostens größer ist als der von Kleinposten. Wir wollen dies als die Wertwirkung der Prüfung eines Prüfungsobjekts auf den erreichten Uberzeugungsgrad bezeichnen. Würde man immer noch den Soll-Uberzeugungsgrad von 1 (von der Vollprüfung) beibehalten, wäre aber nichts gewonnen, der Prüfer hätte lediglich die Großposten zuerst geprüft. Um zum geforderten Uberzeugungsgrad von 1 zu kommen, müßten doch alle Prüfungsobjekte durchgeprüft werden. Nun kommt aber die folgende Überlegung über die Folgen der mangelnden Genauigkeit eines Prüfungsurteils hinzu: wenn wie im Fall einer stark augesprägten Lorenzkurve z. B. 10% der Posten 90% des Werts ausmachen und nur die 10% der Zahl der Posten ausmachenden Großposten geprüft werden, kann das Prüfungsurteil, selbst wenn die restlichen 90% der Anzahl der Posten (mit nur 10% des Werts) völlig fehlerhaft sind, nicht so unzureichend sein, daß der Urteilsempfänger darauf aufbauend völlig falsche Dispositionen trifft. Daraus folgt, daß der Prüfer seinen Soll-Uberzeugungsgrad niedriger ansetzen kann, zumindest um so viel niedriger, als der wertmäßige Anteil der als unbedeutend eingestuften Kleinposten ist, in unserem Beispiel als um 0,1 auf 0,9. Der Prüfer in unserem Beispiel hätte zwar durch diese gezielte Auswahl der Großposten und eine geringfügige Senkung des Soll-Uberzeugungsgrads eine erhebliche Einschränkung des Stichprobenumfangs und damit der Prüfungszeit erreicht, er hätte aber zwei Möglichkeiten verschenkt, die zu einer weiteren Senkung des Stichprobenumfangs bzw. zu einer Erhöhung des Ist-Uberzeugungsgrads bei konstantem Stichprobenumfang (oder zu einer Kombination von beidem) führen könnten: - er hat keinerlei Vorinformationen beschafft und ausgewertet, - er hat nicht berücksichtigt, daß er aus der mehr oder weniger fehlerfreien Ausführung der geprüften Vorgänge Schlußfolgerungen über die Zuverlässigkeit der im geprüften Bereich tätigen Personen und die angewandten Verfahrensweisen ableiten kann. Uber die Art dieser Vorinformationen und über ihre geistige Verarbeitung durch Prüfer hatten wir im Zusammenhang mit der Formulierung der Urteilshypothese schon gesprochen. Wir brauchen hier nur festzuhalten, daß wegen dieser Vorinformationen, und abhängig vom Umfang, der Präzision und dem Inhalt der Vorinformationen, Prüfer ihre Prüfungshypothesen von Anfang an, d. h. bevor sie eine einzige Prüfungshandlung durchgeführt haben, mit einem Ist-Uberzeugungsgrad ausstatten, der größer als Null ist.

2. Der Prüfungsprozeß

168

Man könnte das als a-priori-Uberzeugungsgrad bezeichnen. Dieser a-prioriUberzeugungsgrad, der sich zwar auf die einzelnen Prüfungsobjekte bezieht, aber aus Vorinformationen über die arbeitenden Personen und die verwendeten Verfahrensweisen herleitet, wird nun während der Prüfungsdurchführung, je nach Ergebnis der einzelnen Prüfungshandlungen erhöht oder vermindert. Wir werden darauf später zurückkommen. Graphisch könnte der Vorgang wie folgt dargestellt werden: Ü 1,0 -r 0,9

Ü,Soll

Ü,.

0,3

0

0

1

I

I

I



'

I

I

I

I

I

I

I

I

I

I

I

I

I

n

Vorinformationen werden aber nicht nur durch einen a-priori-Uberzeugungsgrad, sondern auch durch weitere gezielte Auswahl der Prüfungsobjekte im Prüfungsprozeß wirksam. Neben den Großposten wählt der Prüfer nämlich die Objekte so aus, daß sie es ihm sozusagen als „Testobjekte" ermöglichen, seine mehr oder weniger detaillierten Vermutungen über die Arbeitsweise der einzelnen Verrichtungen im Rahmen des Arbeitsablaufs zu stützen oder zu schwächen, je nachdem, ob das betreffende Prüfungsobjekt angenommen oder abgelehnt wird. Wir wollen dies als die „Indizwirkung" der Prüfung eines Prüfungsobjekts auf den erreichten Überzeugungsgrad bezeichnen. Nach der Prüfung jedes einzelnen Objekts hat der Prüfer also zwei Informationen gewonnen: - der Anteil der geprüften Objekte an der Gesamtzahl der Objekte ist gestiegen, damit ist sein Informationsgrad besser geworden, - er hat ein Indiz für oder gegen seine Vermutung über die Arbeitsweise des Systems gefunden. Die erste Information über den tatsächlichen Zustand eines Objekts führt sowohl bei sofortiger Annahme des Prüfungsobjekts als auch bei vorläufiger

169

2.4 Die Verhaltensdimension

Ablehnung mit anschließender Korrektur des Fehlers und anschließender Annahme des Objekts zu einer Zunahme des Uberzeugungsgrads. Nur wenn ein Fehler nicht korrigiert wird, sinkt der Uberzeugungsgrad.129 Die Höhe der Zunahme bzw. des Sinkens entspricht dem relativen Betrag des Objekts. Die zweite Information hingegen führt nur bei sofortiger Annahme des Prüfungsobjekts zu einer Steigerung des Uberzeugungsgrads. Wird das Objekt hingegen abgelehnt, so führt dies zum Sinken des Uberzeugungsgrads über die korrekte Arbeitsweise des Systems, gleichgültig ob der Fehler nun beseitigt wird oder nicht, weil auch ein beseitigter Fehler seine Indizwirkung auf mangelnde Zuverlässigkeit des Arbeitssystems behält. Wenn wir nun die Eigenschaften der Prüfungsobjekte hinsichtlich ihres Uberzeugungsgradbeitrags kombinieren, erhalten wir die folgende Matrix: Wertwirkung auf Überz.grad

Indizwirkung auf Überz.grad

Annahme

Großposten130 Indizposten130

hoch positiv gering positiv

gering positiv hoch positiv

Ablehnung mit Korrektur

Großposten Indizposten

hoch positiv gering positiv

gering negativ hoch negativ

Großposten Indizposten

hoch negativ gering negativ

gering negativ hoch negativ

ohne Korrektur

Die so erreichte Einstufung von Prüfungsobjekten nach ihrem Uberzeugungsgradbeitrag ist zugegebenermaßen sehr grob. Es kann vermutet werden, daß Prüfer eine differenziertere Einteilung als „hoch" und „gering" verwenden, indem sie den Wertanteil des betreffenden Prüfungsobjekts in bezug zum Gesamtbetrag setzen und indem sie das Fehlerpotential des Regelungsmangels, der zur Ablehnung des betrachteten Prüfungsobjekts führte, auswerten. Der Vorgang kann unter Einbeziehung aller diskutierten Aspekte (Vorinformationen, positive und negative Beiträge, Gewichtung der Uberzeugungsbeiträge) wie folgt dargestellt werden:

Zur Korrigierbarkeit von Fehlern, vgl. S. 186. Großposten sind solche, die wegen ihrer Größe ausgewählt wurden, Indizposten sind solche, die wegen ihrer Indizwirkung ausgewählt wurden. Natürlich besteht die Möglichkeit, einen Posten wegen seiner Größe und der Indizwirkung auszuwählen. 129

130

170

2. Der Prüfungsprozeß

Ü 1,0

T

0,8

Ü„ Ü„

0,3

2.4.2.9.3 Der Schwellenwert des Überzeugungsgrades Nun muß die Frage untersucht werden, von welchen Faktoren der SollÜberzeugungsgrad oder anders ausgedrückt der Schwellenwert des Uberzeugungsgrades abhängt. Die vorhin schon erwähnte Frage, ob dieser Wert während des gesamten Ablaufs der Prüfung in einem Teilfeld konstant bleibt oder Änderungen unterworfen ist, soll erst im Anschluß an die Analyse der seine Höhe beeinflussenden Faktoren untersucht werden. 1) Normen Man könnte zunächst davon ausgehen, daß der Schwellen- oder Sollwert des Uberzeugungsgrads durch Normen bestimmt werden könnte, so etwa durch die Vorschrift des § 168 Abs. 1 AktG und des § 43 Abs. 1 WPO. Dort wird gefordert, daß die Prüfung gewissenhaft durchzuführen sei. Zwar wird der Leerformelcharakter dieser Norm durch den Inhalt des Grundsatzes II „Gewissenhaftigkeit" der Richtlinien der WPK etwas gemildert: „Der Wirtschaftsprüfer muß bei Erfüllung seiner Aufgaben Gesetze und fachliche Regeln beachten sowie nach seinem Gewissen handeln." Es fragt sich aber immer noch, welche fachlichen Regeln den Soll-Uberzeugungsgrad des Prüfers bestimmen. Als eine derartige Norm im Bereich der WP-Tätigkeit hatten wir schon den Satz C V des FG 1/1977 des IdW genannt: „Der Abschlußprüfer muß Art und Umfang der Prüfungshandlungen so bemessen, daß eine sichere Beurteilung der Gesetz- und Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung möglich ist." Vergleichbare Normen, die in aller Regel einen größeren Präzisionsgrad

2.4 Die Verhaltensdimension

171

aufweisen, sind in den internen Prüfungsrichtlinien von WP-Unternehmen bzw. Revisionsabteilungen enthalten. Bemerkenswert bei diesen Normen ist zunächst, daß sie sich in aller Regel nicht auf den zu erreichenden Uberzeugungsgrad selbst beziehen, sondern lediglich den Stichprobenumfang ansprechen. Es besteht aber kein direkter funktionaler Zusammenhang zwischen Stichprobenumfang und erreichtem Überzeugungsgrad, wie wir gesehen haben. Der Uberzeugungsgrad kann sich, je nachdem, wieviele als positiv bzw. als negativ eingestufte Prüfungsobjekte untersucht wurden, und vor allem, je nachdem wie die gefundenen Elemente gewichtet wurden, sehr unterschiedlich entwickeln (gilt nicht für die Schätz- und einfache Annahmestichprobe). Das FG 1/1977 trägt dem durch die Anmerkung Nr. 6 zum eben zitierten Satz Rechnung, in der es heißt: „Werden durch Stichproben Verstöße oder Fehler aufgedeckt, so werden die Prüfungshandlungen auszudehnen sein." Neben der Tatsache, daß die genannten Normen den Uberzeugungsgrad lediglich indirekt ansprechen, sind sie vor allem hinsichtlich ihrer Präzision zu untersuchen. Von den wenigen (internen) Normen abgesehen, die einen festen Auswahlprozentsatz vorgeben, sind die Normformulierungen sehr unpräzise und lassen daher den Prüfern einen erheblichen Entscheidungsspielraum. Da ein Abschlußprüfer nur dann mit Sanktionen wegen unzureichender Berufsausübung zu rechnen hat, wenn ihm ein Verstoß gegen die eben zitierte sehr unpräzise Norm zum Stichprobenumfang nachgewiesen werden kann, ist auch von dieser Seite her nicht damit zu rechnen, daß der Einfluß von Normen auf den Sollwert des Uberzeugungsgrads sehr hoch ist. Auch Vorgaben für die bei mathematisch-statistischen Stichproben zu verwendenden Werte für den verlangten Sicherheits- und Genauigkeitsgrad der Aussage sind zumindest in externen Normen nicht vorhanden. 2) Fachliche Qualifikation

Jeder Prüfer hat im Verlauf seines prüferischen Berufslebens wiederholt Erfahrungen positiver wie negativer Art mit seinen persönlichen Entscheidungen über den Abbruch der Prüfungshandlungen unter bestimmten Randbedingungen gemacht. Außerdem hat er die persönlichen negativen wie positiven Erfahrungen anderer Prüfer in seinem Umkreis und die Bedingungen, unter denen diese Erfahrungen gesammelt wurden, verarbeitet und gespeichert. Durch Heranziehen seiner so erworbenen beruflichen Erfahrungen ist der Prüfer in der Lage, Analogien herzustellen. Er vergleicht Situationen in der Vergangenheit, in denen ein nach Meinung von übergeordneten Instanzen (Vorgesetzte, z. B. Prüfungsleiter, Leiter der Revisionsabteilung, Leiter der WP-Unternehmung, ggf. aber auch Berufs- oder sonstige Gerichte) vorzeitiger Prüfungsabbruch zu Sanktionen führte mit seiner gegenwärtigen Lage. Er zieht außerdem Situationen heran, in denen ein zu später

172

2. Der Prüfungsprozeß

Abbruch der Prüfungshandlungen zu Sanktionen in umgekehrter Richtung führte (z. B. Vorwürfe wegen zu hohen Zeitverbrauchs). Gleichfalls stellt der Prüfer selbstverständlich Analogien her zu Situationen, in denen er wegen des rechtzeitigen Abbruchs der Prüfungshandlungen Gratifikationserlebnisse hatte. Ebenfalls unter dem Stichwort Qualifikation möchte ich die Fähigkeit eines Prüfers verstehen, die Bedeutung des von ihm gegenwärtig geprüften Prüffelds für die Gesamtprüfung zutreffend einzuschätzen. Aufgrund seiner Kenntnis der Sachzusammenhänge im zu prüfenden Bereich und aufgrund seiner beruflichen Erfahrungen weiß der Prüfer, ob er es mit einem im Gesamtzusammenhang mehr oder weniger bedeutsamen Bereich zu tun hat. Bei weniger bedeutsamen Bereichen setzt er den Sollwert des Uberzeugungsgrads entsprechend niedriger an und umgekehrt. 3) Zur Verfügung stehende Zeit Der vom Prüfer selbst gesetzte Sollwert des Überzeugungsgrades wird weiterhin beeinflußt von der zur Durchführung der Prüfungshandlungen im jeweiligen Prüffeld verfügbaren Zeit. Dabei ist es nicht ausschlaggebend, ob ihm eine Zeitvorgabe ausdrücklich vorgegeben wurde, oder ob er seine Einschätzung der zur Verfügung stehenden Zeit aus dem allgemeinen Umständen der Prüfungsdurchführung, wie z. B. der Tatsache, daß der Endtermin der Prüfung relativ nahe ist und er weiß, daß er noch zwei weitere Prüffelder zu bearbeiten hat, ableitet. Zwischen der vom Prüfer wahrgenommenen zeitlichen Situation und ihrem Einfluß auf den Sollüberzeugungsgrad und den eben behandelten Faktorengruppen „Normen" bzw. „fachliche Qualifikation" besteht ein Zusammenhang. Je weniger präzise Normen gefaßt sind und je geringer der Prüfer die Sanktionswahrscheinlichkeit einschätzt, um so eher wird er geneigt sein, dem in der Praxis häufigen Zeitdruck nachzugeben und den Sollüberzeugungsgrad herabzusetzen. 4) Die Situation im Prüferteam Auch die im Prüferteam herrschende Situation geht in die Bestimmung des Soll-Uberzeugungsgrades ein. Die Gewißheit eines Prüfers, daß er Unterstützung durch andere Prüferkollegen erfahren wird, wenn er bei Vorgabe eines hohen Soll-Uberzeugungsgrades in Zeitdruck gerät, führt zu einem relativ hohen Ansatz dieses Überzeugungsgrades. Umgekehrt tendiert ein Prüfer, der nicht mit der Unterstützung seiner Kollegen rechnen kann, der möglicherweise sogar mit Sanktionen rechnen muß, weil andere Prüfer wegen seiner Überschreitung von Vorgabezeiten in Schwierigkeiten geraten bzw. zur Mithilfe aufgefordert werden, zu einem relativ niedrigen Ansatz des Soll-Uberzeugungsgrads. Auch das Maß an Identifikation mit der von der Gruppe zu bewältigenden Aufgaben spielt hier eine Rolle. Je stärker der

2.4 Die Verhaltensdimension

173

Prüfer aufgrund der Führerqualitäten des Gruppenleiters sich mit der Aufgabe der Prüfergruppe identifiziert, desto stärker wird er versuchen, durch den jeweiligen Umständen angepaßte Setzung des Soll-Überzeugungsgrades zur Aufgabenerfüllung der Gruppe beizutragen. 5) Die Prüferpersönlichkeit Wie sich aus den bislang aufgezählten Faktoren, die die Höhe des Soll-Uberzeugungsgrades beeinflussen, ergibt, sind sie in sehr weitgehender Weise der subjektiven Einschätzung und Gewichtung des einzelnen Prüfers unterworfen. Dies gibt dem Prüfer in sehr weitgehendem Rahmen die Möglichkeit, die Entscheidung über den Abbruch der Prüfungshandlungen von seinen eigenen persönlichen Zielen und Bedürfnissen bzw. seinen eigenen Charakterzügen beeinflussen zu lassen. Wir müssen nun noch untersuchen, ob der Soll-Uberzeugungsgrad des Prüfers vermutlich im Zeitablauf konstant ist, oder ob er Schwankungen unterliegt. Aus den eben herausgearbeiteten fünf Einflußgrößen ergibt sich, daß er nicht als konstant, sondern als variabel angesehen werden muß. Für eine Konstanz spräche, wenn der Uberzeugungsgrad aufgrund von Normen bzw. sachlogischer Erwägungen eindeutig vorgeschrieben oder zumindest ermittelbar wäre. Wir hatten aber gesehen, daß die relevanten gesetzlichen und berufsständischen Normen sehr wenig konkret waren. In dieser Situation gewinnen die in der Person des Prüfers und in den Rahmenbedingungen der jeweiligen Prüfung liegenden Faktoren erheblich an Gewicht. Schon die fachliche Qualifikation bringt als Einflußfaktor eine starke subjektive Komponente, so daß der Soll-Uberzeugungsgrad in der gleichen Situation von Prüfer zu Prüfer unterschiedlich sein kann. Es sind insbesondere die Faktoren „Zeitsituation" und „Situation im geprüften Bereich", die sich im Ablauf einer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit ändern. Wegen der häufig nur grob vorgenommenen Zeitplanung entsteht gegen Ende der Prüfung ein erheblicher Zeitdruck, der dazu führen kann, daß der Soll-Uberzeugungsgrad niedriger angesetzt wird. Mit fortschreitender Kenntnis des Prüfers über die im geprüften Bereich tätigen Personen wird sich ebenfalls, - je nachdem, ob der Prüfer sie als mehr oder weniger vertrauenswürdig als zu Beginn der Prüfung einschätzt - , eine Veränderung des Soll-Uberzeugungsgrads nach oben oder unten ergeben. Zum Schluß dieses Abschnitts muß nochmals darauf hingewiesen werden, daß es sich bei diesen Überlegungen zum Uberzeugungsgrad um ein Modell handelt. Es kann nicht behauptet werden, daß prüferische Uberzeugungsbildung immer nach diesem Muster abläuft. Noch weniger kann man aus einem derartigen Modell die Folgerung ableiten, Prüfer sollten ihre Uberzeugungsbildung nach diesem Muster gestalten.

174

2. Der Prüfungsprozeß

2.4.3 Die Ebene der Annahme-Entscheidungen Als Annahme-Entscheidung hatten wir oben (vgl. Kapitel 2.1.3 Seite 40) die Entscheidung des Prüfers darüber bezeichnet, ob ein einzelnes Prüfungsobjekt bezüglich der Ausprägungen der überprüften Merkmale mit den SollMerkmalsausprägungen gemäß den für die Prüfung relevanten Normen übereinstimmt oder nicht. Derartige Entscheidungen werden also dann notwendig, nachdem der Prüfer die im Kapitel 2.4.2.7 beschriebene Entscheidung über die Auswahl der einzelnen Prüfungsobjekte (vgl. S. 125) getroffen und sich ebenfalls für einzelne der im Kapitel 2.4.2.8 beschriebenen Prüfungshandlungen (vgl. S. 137) entschieden hat. Die Entscheidung über Annahme bzw. Ablehnung des jeweiligen Prüfungsobjekts läßt sich in fünf Schritte zerlegen: 1) Festlegung der relevanten Merkmale, 2) Festlegung der Soll-Ausprägung der Merkmale, 3) Messung der Merkmalsausprägungen des Prüfungsobjektes, 4) Ermittlung von Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Ausprägung der Merkmale durch Vergleich, 5) Gewichtung der Abweichung und Entscheidung über Annahme bzw. Ablehnung. 2.4.3.1 Die Festlegung der relevanten Merkmale Jedes einzelne Prüfungsobjekt ist durch eine große Zahl von Merkmalen beschrieben; die Zahl der denkbaren Merkmale ist von vornherein unbeschränkt. Einige Beispiele mögen dies belegen: - Ein Beleg ist z. B. beschrieben durch das Datum, Aussteller des Belegs, Empfänger des Belegs, verbale Beschreibung des stattgefundenen Vorfalls, Mengenangabe, Wertangabe, Unterschrift, Numerierung, Kontierung, durch die Form des Formulars, durch die Farbe des Papiers, durch die Stärke des Papiers; bei genauerer Analyse lassen sich noch weitere Merkmale finden, durch die ein bestimmter Beleg sich von anderen Belegen unterscheidet. - Eine Buchung ist z. B. beschrieben durch: Konto-Nr., auf dem der Sollteil der Buchung verzeichnet wurde, Konto-Nr., auf dem der Habenteil der Buchung verzeichnet wurde, Datum der Buchung (möglicherweise zwei unterschiedliche Daten), Text der Buchung, jeweilige Angabe der Gegenkonten auf den beiden berührten Kontenblättern, Betrag (wobei möglicherweise zwei unterschiedliche Beträge gebucht wurden), die Person, die sie vorgenommen oder veranlaßt hat, die Art, in der geschrieben wurde (z. B. mit Maschine, mit Kugelschreiber, mit Tinte); auch hier wären weitere Merkmale zur Beschreibung in der Buchung denkbar.

2.4 Die Verhaltensdimension

175

- Eine Handlung als Teil eines Arbeitssystems kann z. B. beschrieben werden durch den Gegenstand, an dem die Handlung vorgenommen wird, durch die Werkzeuge, die bei der Handlung verwendet werden, durch die physische Veränderung, der der Gegenstand durch die Handlung unterworfen wird, durch die Person oder Personen, die die Handlung vornehmen. - Eine Entscheidung als Teil eines Arbeitsablaufssystems kann in gleicher Weise beschrieben werden durch die Zielvorschrift, nach der der Handelnde entscheidet, die Alternativen, die seiner Entscheidung zugrunde gelegt werden, durch die Zielbeiträge, die den einzelnen Alternativen beigelegt werden, durch die Hilfsmittel (Dateien, Recheninstrumente), die dem Entscheidenden zur Verfügung stehen, durch das Ergebnis der Entscheidung. Es leuchtet unmittelbar ein, daß je nach Zielsetzung der Prüfung unterschiedliche, jedoch in kaum einem Fall sämtliche Elemente des einzelnen Prüfungsobjekts von gleicher Bedeutung sind. Wir müssen also feststellen, nach welchen Kriterien der Prüfer entscheidet, welche Bedeutung er den einzelnen Merkmalen zuordnet und welche Merkmale er als relevant betrachtet und daher bei den ausgewählten Prüfungsobjekten die Ausprägungen der jeweiligen Merkmale anhand von Soll-Vorstellungen überprüft. Um es vorweg zu sagen: die Bedeutung der einzelnen Merkmale ist nicht eindeutig meßbar. Bei einigen der oben genannten Merkmale erscheint die Entscheidung einfach: Da die Aufgabe, die das jeweilige Prüfungsobjekt im Rahmen der geprüften Abrechnung bzw. des geprüften Arbeitssystems übernimmt, von der Ausprägung des Merkmals nicht tangiert wird, könnten derartige Merkmale als irrelevant eingestuft werden. Beispiele wären z. B. die Farbe des Papiers, auf dem die Schriftzeichen eines Belegs angebracht sind oder etwa die Frage, ob eine Buchung mit Tinte oder Kugelschreiber vorgenommen wurde. Aber bei näherem Hinsehen erweist sich, daß selbst diese beiden Einschätzungen fragwürdig sind: Ist es wirklich gleichgültig, ob der textliche Gehalt einer Verkaufsrechnung auf dem (blauen) Durchschlag für die Finanzbuchhaltung oder auf dem (gelben) Durchschlag für die Mahnabteilung verzeichnet ist? Und ist es wirklich gleichgültig, um das obige Beispiel etwas zu verändern, ob eine Buchung mit Bleistuft oder mit Kuli vorgenommen wurde? Der Prüfer wird also versuchen, eine Rangfolge der Bedeutung der Merkmale herzustellen, wobei sich diese Rangfolge orientiert an dem funktionalen Zusammenhang, der zwischen der Ausprägung einer bestimmten Eigenschaft eines Prüfungsobjekts und der zu leistenden Aufgabe vermutet wird. Er kann also die verschiedenen Merkmale differenzieren nach drei Gesichtspunkten: - funktional unabdingbare Merkmale, ohne deren Vorhandensein die jewei-

176

2. Der PrüfungsprC»»«ß

lige Teilaufgabe nicht oder nicht normkonform erledigt würde (Nichtvorhandensein oder falsche Wertangabe auf einem Beleg, falsches Konto bei einer Buchung, fehlerhafter physischer Transformationsprozeß, unter Verwendung falscher Daten gefällte Entscheidung); - Merkmale, die die Sicherheit bzw. Nachprüfbarkeit der jeweiligen Aufgabenerfüllung ermöglichen sollen (z. B. Verwendung des korrekten Formulars, Vorhandensein der vorgeschriebenen Abzeichnungen, Verwendung des vorgesehenen Werkzeugs, Einhaltung der vorgeschriebenen Rechenverfahren); - irrelevante Merkmale (z. B. Stärke des Papiers). Die funktional unabdingbaren Merkmale sind diejenigen, die ein Prüfer vorrangig untersuchen wird. Wenn er hier Abweichungen von der Sollvorstellung findet, ist eindeutig ein Fehler im Prüffeld vorhanden, d. h. es ist ein direkter Einfluß auf den Gesamtzustand des Prüffelds gegeben. Wenn ein Prüfer sich schon die Mühe macht, ein Prüfungsobjekt auszuwählen und sich darüber die notwendigen Informationen zu beschaffen, können wir davon ausgehen, daß die Rahmenbedingungen seiner Entscheidung sehr extrem sein müssen (Zeitdruck, mangelnde Motivierung, Fehlen von Sanktionen), damit er das Merkmal nicht als relevant einstuft und überprüft. Bei den Merkmalen der zweiten Gruppe haben dagegen die Rahmenbedingungen erheblich größeren Einfluß. Eine unbefriedigende Ausprägung bei derartigen Merkmalen hätte nicht direkten Einfluß auf den Gesamtzustand des Prüffelds. Folgen wären möglicherweise Fehler bei anderen Prüfungsobjekten, ohne daß diese zwingend eintreten müßten. Wir werden auf diese Überlegungen bei der Entscheidung über die Gewichtung und Zusammenfassung einzelner Abweichungen zurückkommen. Neben diesen theoretischen Kenntnissen über die Zusammenhänge der Aufgabenerfüllungen im geprüften Gebiet können es Normen sein, die dem Prüfer die Untersuchung bestimmter Merkmale vorschreiben und andere Merkmale nicht erwähnen. So wird dem Prüfer z. B. im Satz C VII des FG 1/1977 des IdW Unterpunkt a „Allgemeines" vorgeschrieben: „Der Abschlußprüfer hat zu prüfen, ob die Vermögens- und Schuldposten nach Art, Menge und Wert vollständig und richtig erfaßt sind." Derartige überbetriebliche Normen sind nur sehr selten anzutreffen; in größeren WP-Unternehmen und in größeren Revisionsabteilungen sind derartige Richtlinien häufig sehr viel detaillierter und schreiben dem Prüfer vor, welche Merkmale mindestens als relevant zu untersuchen sind. Daß angesichts des weitgehenden Fehlens von Normen und der Unterschiedlichkeit des Bestandes an persönlicher Erfahrung und Theoriekenntnis nicht nur sachlogische Erwägungen die Wahl der als relevant empfundenen Merkmale beeinflussen, sondern auch Umstände wie z. B. zur Verfügung stehende Zeit, Motivation des Prüfers, individuelle Ziel- und Bedürfnisstruktur usw. liegt auf der Hand.

2.4 Die Verhaltensdimension

177

2.4.3.2 Die Festlegung der Soll-Ausprägung der Merkmale Der 2. Schritt im Zusammenhang mit dem Fällen einer Annahme-Entscheidung besteht darin, daß der Prüfer festlegen muß, welche Merkmalsausprägungen die verschiedenen von ihm für relevant gehaltenen Merkmale des Prüfungsobjekts aufweisen sollen. Eine derartige Festlegung setzt zunächst einmal voraus, daß die möglichen unterschiedlichen Ausprägungen eines Merkmals meßbar sind. 1) Verwendung von Unterschiedsskalen Die einfachste Form der Messung besteht darin, festzustellen, ob ein als relevant erachtetes Merkmal bei dem betreffenden Prüfungsobjekt vorhanden ist oder nicht. Bei vielen im Bereich von Buchprüfungen vorkommenden Prüfungsobjekten werden derartige sehr einfache Messungen mit Hilfe sog. Diversitäts- oder Unterschiedsskalen verwendet: Sie gestatten lediglich die Feststellung, daß ein Merkmal vorliegt oder nicht vorliegt, daß ein Unterschied zwischen Soll- bzw. Ist-Ausprägung des Merkmals gegeben ist, ohne eine Aussage darüber zu erlauben, ob die Ist-Ausprägung größer oder kleiner als die Soll-Ausprägung ist bzw. um wieviel größer oder kleiner als die Soll-Ausprägung die Ist-Ausprägung des betreffenden Merkmals ausgefallen ist. In sehr vielen Fällen, in denen lediglich zwei Ausprägungen eines Merkmals überhaupt denkbar sind, können derartige Unterschiedsskalen durchaus zweckmäßig sein: Ein Datum ist auf einem Beleg entweder vorhanden oder nicht vorhanden; die Frage, um wieviel es nicht vorhanden ist, ist sinnlos. In vielen anderen Fällen werden aber einfache Unterschiedsskalen verwendet, obwohl bekannt ist, daß die Merkmalsausprägungen feiner skaliert werden können, als diese Zwei-Klasseneinteilung glauben läßt. Schwierigkeiten der Quantifizierung der Merkmalsausprägungen sind in solchen Fällen die Ursache dafür, daß man statt auf eine Rangskala auf eine einfachere Unterschiedsskala zurückgreift. Die statistischen Stichprobenverfahren, die lediglich den Anteil der Fehler in einer Grundgesamtheit zu schätzen erlauben, obwohl bekannt ist, daß ein Prüfungsobjekt mit einer Soll-Ist-Abweichung von 1% in geringerer Weise fehlerhaft ist als ein Prüfungsobjekt mit einer Soll-Ist-Abweichung von 10%, bieten ein Beispiel für einen derartigen Rückgriff auf einfachere Skalen. 2) Verwendung von Rangskalen Von einer Messung mit Hilfe von Rang- bzw. Ordinalskalen wird dann gesprochen, wenn es möglich ist, die Merkmalsausprägungen einzelner Merkmale so zu ordnen, daß man feststellen kann, ob eine Merkmalsausprägung stärker oder schwächer ist als eine andere. Hier wird also nicht nur ein Unterschied festgestellt, sondern auch die Richtung des Unterschiedes als positiv bzw. negativ erfaßt. Ein Beispiel aus dem Bereich der Buchprüfung:

178

2. Der Prüfungsprozeß

Buchungen lassen sich durchaus nicht nur in richtige und fehlerhafte zerlegen; die fehlerhaften Buchungen ihrerseits können noch weiter in stärker bzw. in weniger stark fehlerhafte unter dem Gesichtspunkt zerlegt werden, ob sich lediglich Verschiebungen innerhalb einzelner Konten, die zu einer Bilanz- bzw. Erfolgsrechnungsposition gehören ergeben, oder ob sich durch den Fehler die Relationen zwischen zwei Bilanzpositionen verschieben. In ähnlicher Weise läßt sich bei einer Systemprüfung häufig durchaus entscheiden, ob eine mögliche Art, eine Verrichtung durchzuführen hinsichtlich des Merkmals Sicherheit der Ergebniserzielung besser oder schlechter ist als eine andere Art der Verrichtung, oder ob z. B. die erstgenannte Art der Verrichtung hinsichtlich des Merkmals Schnelligkeit besser oder schlechter ist als die zweitgenannte Art der Verrichtung. Es muß allerdings festgestellt werden, - das gilt auch für die noch zu behandelnden Abstands- bzw. Kardinalskalen - , daß die Literatur sich bislang wenig mit den Anwendungsbedingungen bzw. -möglichkeiten anspruchsvollerer Meßverfahren beschäftigt hat, so daß in der Praxis häufig mit dem gröberen Instrument der Unterschiedsskalen gearbeitet wird. 3) Verwendung von Abstandsskalen Die genaueste Art der Messung ist die mit Hilfe von Abstands- bzw. Kardinalskalen, bei denen nicht nur die Richtung einer Abweichung, sondern auch ihre Stärke bestimmt werden kann. Solche Messungen werden immer dann verwendet, wenn sich Eigenschaften der Prüfungsobjekte in DM, kg, kwh, Minuten o. ä. Einheiten ausdrücken lassen. Die Sollausprägung eines Merkmals läßt sich dann nicht nur als kleiner bzw. größer als irgendein Vergleichswert feststellen, sondern man kann diese Soll-Ausprägung formulieren als festen Wert bzw. Höchst- oder Mindestwert in einer festgelegten Einheit. Ein Beispiel im Rahmen einer Buchprüfung wäre z. B. die Vorschrift des § 153 Abs. 1 AktG, der vorschreibt, daß Gegenstände des Anlagevermögens zu den Anschaffungskosten anzusetzen sind. Der Prüfer kann danach mit Hilfe der Einkaufsrechnung (Anschaffungsnebenkosten wollen wir vernachlässigen) feststellen, mit wieviel DM eine bestimmte Maschine in den Büchern der Gesellschaft bei ihrem Kauf erscheinen muß. In ähnlicher Weise könnte z. B. die Soll-Ausprägung des Merkmals Materialverbrauch je Stück im Rahmen einer Systemprüfung formuliert sein als kg je Stück. Betrachten wir die Entscheidung des Prüfers über die Festlegung der SollAusprägung der einzelnen Merkmale bei unterschiedlichen verwendeten Meßverfahren, so gelangen wir zu folgendem Ergebnis: - Bei Verwendung von Unterschiedsskalen hat der Prüfer keinerlei Entscheidungsfreiraum. Er hat eben das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein des entsprechenden Merkmals (d. h. die Ausprägung 1 bzw. 0) festzustellen.

2.4 Die Verhaltensdimension

179

- Vergleichsweise groß ist der Entscheidungsspielraum des Prüfers dann, wenn Soll-Ausprägungen der Merkmale mit Hilfe von Rangskalen formuliert sind. Bei rangskalierten Soll-Ausprägungen wird weder über das in aller Regel intersubjektiv nachprüfbare Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein eines Merkmals befunden noch von einer allgemein anerkannten Meßskala wie DM, kg, etc. gesprochen, sondern immer ein Vergleich bezüglich wohl wahrnehmbarer, aber nicht meßbarer Unterschiede vorgenommen. Daher liegt bei der Verwendung von Rangskalen notwendigerweise ein erheblicher Entscheidungsspielraum des Prüfers vor. - Wiederum sehr gering ausgeprägt ist der Entscheidungsfreiraum des Prüfers bei der Festlegung der Soll-Ausprägung von Merkmalen mit Hilfe von Kardinalskalen. Die dem Soll-Ist-Vergleich zugrunde zu legende Soll-Ausprägung der Merkmale ist dem Prüfer in einem allgemein anerkannten Maßstab vorgelegt. Die Entscheidungen des Prüfers über die Sollausprägungen der einzelnen als relevant bezeichneten Merkmale können sich auf verschiedene Weise ergeben: - Anweisungen über die Soll-Ausprägungen der einzelnen Merkmale könnten dem Prüfer aus Normen entnehmbar sein. Derartige Normen sind für den Bereich der Buchprüfung in Gestalt der gesetzlichen Vorschriften und der GoB vorhanden. Auf die Tatsache, daß diese Normen den im Kapitel über die Verhaltenswirksamkeit von Normen (vgl. Seite 75) dargestellten Anforderungen an Normen in vielfältiger Weise nicht entsprechen, wurde im Abschnitt 2.3.3.4 (vgl. S. 84) schon hingewiesen. Diese Normen können hier nicht im einzelnen dargestellt werden, da sie sehr stark mit den einzelnen Prüfungsarten variieren. Derartige Soll-Ausprägungen sind im Bereich interner Prüfungen, wie schon erwähnt, ebenfalls z. T. als Normen vorgegeben. Während bei internen Ordnungsmäßigkeitsprüfungen die Sollausprägung häufig in Gestalt von Dienst- oder Arbeitsanweisungen sehr detailliert vorliegen, ist der Entscheidungsspielraum des Prüfers bei internen Zweckmäßigkeitsprüfungen erheblich größer als im Fall der externen Prüfungen, weil er sich hier die Soll-Ausprägung in Gestalt einer jeweils besseren Lösung selbst schaffen muß. - Der Prüfer kann Sollausprägungen aus der Sachlogik der im zu prüfenden Bereich ablaufenden Vorgänge ableiten. So braucht z. B. einem Prüfer im Rahmen einer Buchprüfung nicht vorgegeben zu werden, daß bei einer Buchung Soll- und Haben-Teil den gleichen Betrag aufzuweisen haben, da er aus seiner Kenntnis der Sachlogik der doppelten Buchführung diese Soll-Ausprägungen des Merkmals „Betrag der Buchung" ohne Schwierigkeiten ableiten kann. - Es gibt allerdings viele Fälle, in denen weder Normen existieren noch sich

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2. Der Prüfungsprozeß

aus der Sachlogik eine eindeutige Sollausprägung ableiten läßt. In diesen Fällen kann der Prüfer Soll-Ausprägungen aus von ihm für wahr gehaltenen „Gesetzen" bzw. Hypothesen über Zusammenhänge des zu prüfenden Gebiets, bzw. aus den Zielen, die der jeweiligen Abrechnung bzw. dem Arbeitssystem gesetzt sind, ableiten. Aus der Tatsache, daß solche „Gesetze" bzw. Hypothesen (z. B. die Vermutung, daß zwischen dem zurückgegangenen Absatzpreis eines Produkts und dem Wert der zur Herstellung dieses Produkts notwendigen Maschinen ein Zusammenhang besteht, z. B. die Vermutung, daß zwischen der Art einer in einem Arbeitsablauf eingebauten Kontrolle und der Zuverlässigkeit der Arbeitsergebnisse ein Zusammenhang besteht) vom Prüfer subjektiv für wahr gehalten werden, und aus der Tatsache, daß sich aus den Zielen der geprüften Abrechnung bzw. des geprüften Arbeitssystems nicht in schlüssiger Weise Anforderungen an die Mittel zur Erreichung dieser Ziele ableiten lassen, ergibt sich, daß der Prüfer bei der Festlegung der Soll-Ausprägungen der einzelnen Merkmale einen erheblichen Entscheidungsspielraum hat. 2.4.3.3 Die Messung der Merkmalsausprägungen des Prüfungsobjekts Bevor der Prüfer durch einen Vergleich der Soll- und Ist-Ausprägung der einzelnen Merkmale eines Prüfungsobjekts Abweichungen feststellen kann, müssen zunächst die Ausprägungen der einzelnen Merkmale des Prüfungsobjekts festgestellt werden. Das setzt voraus, daß sich der Prüfer die notwendigen Informationen über das betreffende Prüfungsobjekt beschafft oder von Personen des zu prüfenden Unternehmens(bereichs) beschaffen läßt. In vielen Fällen sind auch noch Aufbereitungsvorgänge notwendig. Daten müssen zusammengefaßt, auseinandergezogen oder durch Verknüpfung in eine Form gebracht werden, die einen Vergleich zwischen Soll-Ausprägung und Ist-Ausprägung zuläßt. Da diese Vorgänge entscheidungsvorbereitende Handlungen sind, soll erst bei der Handlungsebene (Abschnitt 244, S. 188) darauf eingegangen werden. Da wir im vorigen Abschnitt auf das Problem der Meßbarkeit eingegangen sind, erübrigen sich hier weitere Ausführungen. 2.4.3.4 Die Ermittlung von Abweichungen Der Vorgang der Ermittlung von Abweichungen ist dann relativ problemlos, wenn Unterschiedsskalen verwendet werden. Die Entscheidung „Merkmal liegt vor - Merkmal liegt nicht vor" ist in aller Regel problemlos. Schwierigkeiten entstehen bei der Verwendung von Unterschiedsskalen nicht beim Meßvorgang oder der anschließenden Abweichungsermittlung, sondern le-

2.4 Die Verhaltensdimension

181

diglich in den Bereichen Festlegung der Soll-Ausprägung der Merkmale und Gewichtung der festgestellten Abweichungen. Erhebliche Schwierigkeiten stellen sich hingegen dann ein, wenn die Merkmalsausprägungen an Rangskalen gemessen werden. Ein Beispiel aus dem Bereich der Jahresabschlußprüfung: Der Prüfer soll beurteilen, ob die vom Vorstand vorgelegte Darstellung der Bewertungs- und Abschreibungsmethoden im Geschäftsbericht (vgl. § 160 Abs. 2 Satz 2) so vollständig ist, wie es zur Vermittlung eines möglichst sicheren Einblicks in die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft erforderlich ist. Nehmen wir das Problem der Berichterstattung über die Abschreibungsmethoden. Der Prüfer hätte in diesem Fall als Soll-Ausprägung des Merkmals „Umfang der Berichterstattung" etwa festlegen können: „Eine ausreichende Angabe der Abschreibungsmethoden wird in der Darstellung liegen, daß die planmäßige Abschreibung des Anlagevermögens nach Maßgabe der jeweils steuerlich zulässigen Höchstgrenze erfolgt. Ob degressiv oder linear abgeschrieben wird, ist zu erwähnen; bei degressiver Methode empfiehlt sich ggf. der zusätzliche Hinweis auf anschließenden Ubergang zur linearen Methode im Auslauf (es liegt dann später kein nach Satz 4 und 5 berichtspflichtiger Methodenwechsel vor). Eine weitere Erläuterung durch Angabe der Nutzungsdauer und der Abschreibungssätze erscheint durch den Hinweis auf die jeweils zugelassenen steuerlichen Höchstsätze nicht erforderlich." 131 Im Geschäftsbericht der Adam Opel AG für das Jahr 1976 (S. 29) liest er dann: Maschinen und maschinelle Anlagen sowie die Betriebs- und Geschäftsausstattung werden zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich Abschreibungen bewertet. Bei der Ermittlung der Herstellungskosten selbsterstellter Anlagen werden die Fertigungslöhne, das eingesetzte Material sowie ein angemessener Gemeinkostenzuschlag aus dem Fertigungs- und Konstruktionsbereich berücksichtigt. Verwaltungskosten werden nicht aktiviert. Die Abschreibungen für Maschinen und maschinelle Anlagen sowie für die Betriebsausstattung (ohne Spezialwerkzeuge) erfolgen im wesentlichen nach der degressiven Methode, wobei jedoch zur linearen Abschreibung übergegangen wird, sobald diese höher ist. Bei Spezialwerkzeugen werden die Abschreibungen gesondert für jedes Modell entsprechend der jeweils geplanten Laufzeit vorgenommen. Wurde während des Geschäftsjahres eine Abweichung zwischen geplanter und tatsächlicher Modell-Laufzeit festgestellt, wurden die Abschreibungen auf Spezialwerkzeuge entsprechend berichtigt. Die Geschäftsausstattung wird, soweit es sich um kurzlebige Gegenstände handelt, linear abgeschrieben, während bei langlebigen Gütern die degressive Abschreibungsmethode angewendet wird. 131

Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Tz. 33 zu § 160.

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2. Der Prüfungsprozeß

Den Abschreibungen liegt im wesentlichen folgende geschätzte Nutzungsdauer zugrunde: Grundstücke mit Geschäfts-, Fabrik- und anderen Bauten 20-33 Jahre Maschinen und maschinelle Anlagen 10 Jahre Betriebs- und Geschäftsausstattung 3-10 Jahre Anlagen im Bau stehen mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu Buch. Die geleisteten Anzahlungen werden mit dem Nennwert ausgewiesen. Geringwertige Anlagegüter unterlagen der sofortigen Abschreibung. Sonderabschreibungen wurden in nur geringem Umfang vorgenommen. Alle Abschreibungen entsprechen den steuerlichen Vorschriften." Ist der Umfang der Berichterstattung über Abschreibungen auf das Anlagevermögen mehr oder weniger umfangreich als die Soll-Ausprägung des Merkmals? Das Beispiel belegt, wie schwierig Meßvorgänge mit Hilfe von Rangskalen sind, wie stark subjektive Einflüsse des einzelnen Prüfers zum Tragen kommen können. Das Beispiel zeigt aber auch, warum in allen Fällen, in denen es möglich ist, die Prüfungspraxis lieber auf die Abweichungsermittlung mit Hilfe von Unterschiedsskalen ausweicht. Relativ geringe Schwierigkeiten wiederum bereitet die Ermittlung von Abweichungen bei der Verwendung von Abstands- bzw. Kardinalskalen. Wenn wir vom Problem der Meßgenauigkeit zunächst absehen, reduziert sich die Ermittlung einer Abweichung als Differenz zwischen Soll- und Istwert der Ausprägung des Merkmals auf eine reine Rechenoperation. Bei der Verwendung von Rang- und Kardinalskalen kommt ein weiteres Problem hinzu: Das der Unschärfebereiche. Bei vielen Prüfungsobjekten besteht das Problem, daß man gewisse Merkmalsausprägungen zwar vom Grundsatz her messen kann, daß aber Messungen nur eine beschränkte Genauigkeit erbringen bzw. genauere Messungen mit einer erheblichen Kostensteigerung einhergehen. Als Beispiel sei die Bestandsprüfung eines auf Halde geschütteten Kohlevorrats erwähnt. Die genaueste Ermittlung der Kohlenmenge wäre die durch Abwiegen. Da dies aus Kostengründen kaum

PS.: Daß die Abschlußprüfer mit der zitierten Berichterstattung einverstanden waren, belegt folgender Auszug aus dem Geschäftsbericht: Die Buchführung, der Jahresabschluß und der Geschäftsbericht entsprechen nach unserer pflichtmäßigen Prüfung Gesetz und Satzung. Düsseldorf, 11. März 1977 Deloitte, Haskins & Seils GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Schindewolf Dr. Ziehm Wirtschaftsprüfer Wirtschaftsprüfer

2.4 Die Verhaltensdimension

183

realisierbar ist, beschränkt sich der Prüfer in aller Regel auf Abmessung der Halde mit anschließender Berechnung des Kohlevorrats. Da Meßungenauigkeiten weder bei der Inventuraufnahme durch die überprüfte Unternehmung noch bei der Bestandsprüfung durch den Prüfer auszuschließen sind, kann aus der Tatsache, daß die Unternehmung einen Bestand von x Tonnen angegeben hat, während der Prüfer einen Bestand von v Tonnen errechnet hat, nicht unbedingt auf das Vorliegen einer tatsächlichen Differenz geschlossen werden. Der Prüfer ist in derartigen Fällen auf Plausibilitätsüberlegungen angewiesen, mit deren Hilfe er Grenzen des Unschärfebereichs festlegt, also z. B. Abweichungen von 5% nach oben oder unten als im Rahmen des Unschärfebereichs liegend zuläßt. Streng zu unterscheiden von solchen aufgrund meßtechnischer Schwierigkeiten entstehender Unschärfebereiche ist das Vorliegen von Toleranzen. Während wir bislang bei der Verwendung von Kardinalskalen davon ausgingen, daß die Soll-Ausprägung eines Merkmals als eindeutiger Wert festgelegt war, kennt die Praxis sehr viele Fälle, in denen für die Soll-Ausprägung eines Merkmals ein Schwankungsbereich vorgegeben ist; alle innerhalb dieses Schwankungsbereichs liegenden Ist-Ausprägungen werden dann als normkonform bezeichnet. Beispiele für solche Toleranzen im Bereich der Buchprüfung wären alle einer Unternehmensleitung zugestandenen Ansatz- bzw. Bewertungswahlrechte. So setzt das AktG z. B. in § 154 Abs. 1 nicht fest, welche Abschreibungsmethode angewendet wird; der Prüfer hat also sowohl einen nach linearer als auch einen degressiver Methode ermittelten Stichtagswert eines Anlagegegenstands zu akzeptieren. Umgekehrt gibt es Bereiche, in denen keinerlei Toleranzen zulässig sind. Die richtige Addition, die richtige Saldierung, die richtige Übertragung von Summen oder Salden auf andere Kosten sind Beispiele dafür. 2.4.3.5 Die Gewichtung der Abweichungen und die Entscheidung über Annahme bzw. Ablehnung Nachdem der Prüfer nun die Abweichungen des Prüfungsobjekts bezüglich aller von ihm als relevant beurteilten Merkmale ermittelt hat, stellt sich das Problem zu entscheiden, ob er das Prüfungsobjekt für insgesamt akzeptabel hält oder nicht. Diese Entscheidung wäre dann einfach, wenn ein bestimmtes Prüfungsobjekt nur durch ein einziges Merkmal beschrieben würde. Dann wäre jede nicht durch einen Toleranz- bzw. Unschärfebereich gedeckte Abweichung ein Ablehnungsgrund. Für den sehr viel häufigeren Fall, daß ein Prüfungsobjekt durch mehrere Merkmale beschrieben wird, die der Prüfer als relevant eingestuft hat, kommt noch das Problem hinzu, die Einzelabweichungen zu einem Gesamtfehler zusammenzufassen, da sich erst daraus die Annahme- bzw. Ablehnungs-Entscheidung erarbeiten läßt.

184

2. Der Prüfungsprozeß

Ein Beispiel möge das Problem verdeutlichen: Ein Beleg möge nach Uberzeugung des Prüfers durch die in der folgenden Tabelle aufgeführten relevanten Merkmale beschrieben sein. Die Art der vom Prüfer verwendeten Skalen sind daneben vermerkt. Im rechten Teil der Tabelle sind die möglichen Merkmalsausprägungen entweder als Zwei-Klasseneinteilung bei Unterschiedsskalen, oder als nach oben offenes bzw. begrenztes Kontinuum von möglichen Ausprägungen verzeichnet. Merkmale

Skalierung

Ausprägung

Eindeutigkeit des Textes Korrektheit des Textes

Rang Rang

eindeutig« korrekt

Menge

Kardinal

Einzelpreis

Kardinal

Gesamtbetrag

Kardinal

Numerierung Abzeichnung Vorhandensein der Kontierung Richtigkeit der Kontierung

Unterschied Unterschied

falsch Abweichung in kg/Stk. 0 1 2 SVi S 6 7 S 9 10 11 12 13 14 15 » korrekt Abweichung in DM 0 1 2 3 4 3 6 7 8 9 10 11 12 13 14 13 16 korrekt i Abweichung in DM i i i i./ i i i i—i i i i 0 10 20^30 40 30 «0 70B0 » 100 110120 130 140 ISO 160 vorhanden«^^ nicht vorhanden vorhanden nicht vorhanden

Unterschied

vorhandeni

Rang

korrekt

teilweise mißverst. teilweise falsch

mißverständlich

korrekt i

nicht vorhanden teilweise falsch

falsch

Durch Eintragung der gemessenen Ist-Ausprägung der einzelnen Merkmale läßt sich das Zustandsprofil des jeweiligen Prüfungsobjekts darstellen, so wie im Beispiel geschehen. Um Mißverständnissen vorzubeugen: diese Darstellung soll nicht etwa als Arbeitsinstrument für Prüfer vorgeschlagen werden; bei der Vielzahl von Prüfungsobjekten wäre die Anlage solcher Profile unmöglich. Das Zustandsprofil ist lediglich ein Modell für die Abbildung der Daten des Prüfungsobjekts im Kopf des Prüfers. Damit sind wir aber dem Problem der Zusammenfassung der einzelnen Abweichungen zur Vorbereitung der Annahme-Ablehnungsentscheidung noch nicht viel näher gekommen. Um die Abweichungen gewissermaßen wie eine Addition zusammenfassen zu können, benötigte man eine Regel, die besagt, mit welchen anteiligen Gewichten die einzelnen Merkmale bzw. ihre Abweichungen in die Annahme-Ablehnungs-Entscheidung eingehen.

2.4 Die Verhaltensdimension

185

Die in der Literatur zu findenden Fehlerkataloge132 und Gewichtungsverfahren133 sind nur bedingt hilfreich. Das liegt daran, daß Abweichungen nicht zuerst in bezug auf einzelne Prüfungsobjekte gewichtet werden, und dann erst in einer zweiten Stufe versucht wird, von abgelehnten Prüfungsobjekten auf die Normkonformität des Prüffelds zu schließen, wie wir es hier tun. Durch dieses einstufige Vorgehen der anderen Autoren wird eine Differenzierungsmöglichkeit verschenkt und die Fehlerkataloge werden unsystematisch, weil eine Abweichung bei einem Merkmal eines Prüfungsobjekts noch nicht eine Abweichung des Prüffelds insgesamt implizieren muß. Überdies wird häufig bei den Gewichtungsverfahren nicht angegeben, wie die Gewichte festgelegt wurden bzw. die Gewichtungsverfahren sind unklar oder nicht durchführbar. 134 Die Diskussion leidet weiter darunter, daß offensichtlich mit Hilfe der Gewichtung zwar versucht wird, die unterschiedliche Bedeutung von Abweichungen zu erfassen, aber ohne dabei zu bedenken, daß die Bedeutung eines Gegenstands nur unter Bezugnahme auf ein angestrebtes Ziel überhaupt bestimmbar ist. Unter diesem Gesichtspunkt wollen wir die oben schon verwendete Überlegung weiter verfolgen, daß Abweichung hinsichtlich ihrer Folgen zu zwei Gruppen zusammengefaßt werden können: - Abweichungen bei funktional unabdingbaren Merkmalen, - Abweichungen bei abdingbaren Merkmalen, die Nachprüfungs-, oder Sicherungsfunktionen haben. Als nicht funktional notwendig werden diejenigen Merkmale bezeichnet, die der Erhöhung des Zuverlässigkeitsgrades des jeweiligen Vorgangs oder Arbeitsablaufs dienen, wie z. B. Elemente des Internen Kontrollsystems, also Kontrollen, Vergleiche, der Grundsatz der Funktionstrennung. Dazu gehören aber auch Merkmale, die einer späteren Uberprüfung dienen sollen, wie z. B. Einhaltung der Regeln des Formularwesens, der Abzeichnung, der Dokumentation, oder die Datenbasis für spätere Berichterstattungen und Dispositionen liefern sollen (statistische Aufzeichnungen z. B.). Als funktional unabdingbar werden diejenigen Merkmale bezeichnet, ohne die der betreffende Vorfall oder Ablauf überhaupt nicht abgeschlossen werden könnte. Bei einem Beleg betrifft dies z. B. den Betrag und den Text; bei einem Entscheidungsvorgang gehören dazu auch diejenigen Merkmale, 132

Z. B. bei Mautz/Sharaf, S. 155 ff., Baetge, S. 33 ff., Schulte, S. 22 ff. Z. B. Kolarik, S. 40 ff., Schulte, S. 24 ff., Stettier zitiert nach Schulte, S. 26. Schulte zitiert die 2. Aufl.; in der neuesten (3. Aufl.) des Werks von Stettier ist der Abschnitt nicht mehr enthalten, ich vermute daher, daß Stettier von seinem Vorschlag abgerückt ist. 134 Z. B. der Vorschlag von Kolarik, die Gewichtungsfaktoren nach der Wahrscheinlichkeit festzulegen, mit der ein qualitativer Fehler zu quantitativen führt. 133

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2. Der Prüfungsprozeß

die die Zielkonformität der Entscheidung sichern sollen, also z. B. die Auswahl des „besten Bieters" nach vorgegebenen Regeln bei einem Bestellvorgang. Bevor wir zur Frage der Zusammenfassung aller Abweichungen eines Prüfungsobjekts kommen können, müssen noch weitere für die Annahme-Entscheidung bedeutsame Unterscheidungen von Fehlern eingeführt werden: - die Korrigierbarkeit, - das verwendete Meßverfahren, - die Stärke der Abweichung. Zur Korrigierbarkeit: Wir können bei Fehlern solche unterscheiden, die nach ihrer Aufdeckung korrigiert werden können (z.B. eine falsche Addition, eine falsche Buchung) und solche, die nicht mehr korrigierbar sind (die meisten Entscheidungen z. B.). Abweichungen, die zwar korrigierbar sind, die aber (das kommt vorwiegend im Fall der externen Jahresabschlußprüfung vor) aufgrund eines Entschlusses der Unternehmensleitung nicht korrigiert werden, sollen hier den nicht korrigierbaren gleichgestellt werden. Als weiteres wichtiges Kriterium benötigen wir das Meßverfahren. Wir verwenden dazu die drei oben geschilderten Skalen: - Messung durch Unterschiedsskalen: die Abweichung ist zweifelsfrei feststellbar, es gibt keine Zweifelsfragen wegen Unschärfebereichen; Abweichungen bei durch Unterschiedsskalen gemessenen Merkmalen wird daher ein höheres Gewicht beigelegt. - Messung durch Rangskalen: das Vorliegen einer Abweichung und die Richtung der Abweichung sind wegen der notwendigerweise vorhandenen subjektiven Einflüsse bei Messung und Vergleich nicht immer einwandfrei feststellbar. Der Prüfer wird diese Unsicherheit berücksichtigen, indem er Abweichungen bei rangskalierten Merkmalen geringer gewichtet als bei Unterschieds- oder abstandsskalierten Merkmalen. - Messung durch Abstandsskalen: hier sind Abweichungen wiederum eindeutiger feststellbar. Zwar sind Unschärfebereiche denkbar, sie wirken sich aber nur bei der Feststellung der Stärke der Abweichung, nicht bei der Ermittlung der Richtung der Abweichung aus. Prüfer werden daher Abweichungen bei abstandsskalierten Merkmalen stärker gewichten. Schließlich müssen wir noch das Problem unterschiedlicher Stärke von Abweichungen angehen. Auch hier müssen wir nach den verwendeten Meßverfahren differenzieren: - unterschiedsskalierte Merkmale: die Stärke einer Abweichung ist kaum in intersubjektiv nachprüfbarer Weise festzustellen'. Bei diesen Eigenschaften von Prüfungsobjekten wird eine Gewichtung von Abweichungen nach ihrer Stärke aus dem Meßverfahren nicht möglich. - rangskalierte Merkmale: Zwar ist die Richtung einer Abweichung (positiv/ negativ) feststellbar, aber wegen der subjektiven Einflüsse die Stärke der

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2.4 Die Verhaltensdimension

Abweichung nicht oder nur sehr grob meßbar. Diese Abweichungen werden geringer gewichtet und im folgenden nur in zwei Gruppen getrennt, da die Wahrnehmung des Prüfers über die Stärke der Abweichung mit Unsicherheit belastet ist. - abstandsskalierte Merkmale: Stärke und Richtung der Abweichung sind angebbar. Der Prüfer kann bei negativen Abweichungen unschwer eine Gewichtung durch Vergleich mit der Gesamtsumme des betreffenden Bereichs herstellen. Wir werden nach der Stärke der Abweichung drei Fehlergruppen bilden. Wir werden nun die verschiedenen Eigenschaften von Abweichungen Funktionszusammenhang - Meßverfahren - Stärke der Abweichung miteinander kombinieren. Das Merkmal Korrigierbarkeit wird dabei in der Darstellung nur angedeutet und nicht voll mit durchgezogen, um die Zahl der Fälle überschaubar zu halten. Wir werden mit Hilfe der genannten Merkmale Fehler in die folgenden Gruppen einordnen: - Abweichungen von sehr großer Bedeutung. Sie führen dazu, daß das betreffende Prüfungsobjekt abgelehnt wird. Ein falscher Belegtext oder eine falsche Kontierung sind Beispiele. Korrigierbarkeit

FunktionsMeßverfahren Zusammenhang

Stärke der Abweichung

Kategorie des Gesamtfehlers

Unterschiedsskalen

keine Differenzierung stärker

Ablehnung

schwächer stark

bedingte Ablehnung Ablehnung

mittel schwach

Ablehnung bedingte Ablehnung

Unterschiedsskalen fRangskalen

keine Differenzierung stärker schwächer

bedingte Ablehnung

lAbstandsIskalen

stark mittel schwach

bedingte Ablehnung bedingte Ablehnung Ablehnung nur bei mehreren Fehlern

unabdingbares Merkm., ' Rangskalen l Abstandslskalen

UD C 3 JS

korrigier. bar

abdingbares ^Merkmal