Betriebsstätten-Handbuch: Gewinnermittlung und Besteuerung [2. völlig überarbeitete Auflage] 9783504380199

Die Begebenheiten souverän meistern, das gelingt mit dem Betriebsstätten-Handbuch. Als zentrales Steuerungselement führt

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Betriebsstätten-Handbuch: Gewinnermittlung und Besteuerung [2. völlig überarbeitete Auflage]
 9783504380199

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Wassermeyer/Andresen/Ditz (Hrsg.)

Betriebsstätten-Handbuch

Betriebsstätten Handbuch Gewinnermittlung und Besteuerung in- und ausländischer Betriebsstätten herausgegeben von

Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer Vors. Richter am BFH a.D., Rechtsanwalt und Steuerberater, Bonn Honorarprofessor an der Universität Bonn

Dr. Ulf Andresen Dipl.-Kfm., Steuerberater und Chartered Accountant (Australia), Frankfurt am Main Lehrbeauftragter an der Universität Erlangen-Nürnberg und an der WHU – Otto Beisheim School of Management, Vallendar

Dr. Xaver Ditz Dipl.-Kfm. und Steuerberater, Bonn Lehrbeauftragter an der Universität Trier

2. völlig überarbeitete Auflage

2018

Gewinnermittlung und Besteuerung in- und ausländischer Betriebsstätten

Bearbeiter Dr. Ulf Andresen Dipl.-Kfm., Steuerberater und Chartered Accountant (Australia), Frankfurt am Main Lehrbeauftragter an der Universität Erlangen-Nürnberg und an der WHU – Otto Beisheim School of Management, Vallendar

Dr. Julian Böhmer Rechtsanwalt und Steuerberater, Düsseldorf

Dr. Felix Buchholz Rechtsanwalt, Frankfurt am Main

Dr. Oliver Busch Steuerberater, Frankfurt am Main Lehrbeauftragter an der Universität Frankfurt am Main

Dr. Xaver Ditz Dipl.-Kfm. und Steuerberater, Bonn Lehrbeauftragter an der Universität Trier

Dr. Michael Puls Rechtsanwalt und Steuerberater, Düsseldorf Lehrbeauftragter an der Universität Augsburg

Dr. Carsten Quilitzsch, LL.M.oec. Dipl.-Kfm. und Steuerberater, Bonn

Prof. Dr. Jens Schönfeld Dipl.-Kfm., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn Honorarprofessor an der Universität Osnabrück

Maximilian Tenberge Dipl.-Volksw. und Steuerberater, Frankfurt am Main

Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer Vors. Richter am BFH a.D., Rechtsanwalt und Steuerberater, Bonn Honorarprofessor an der Universität Bonn

Matthias Weidmann, LL.M. Dipl.-Kfm., Rechtsanwalt und Steuerberater, München

Zitierempfehlung: Bearbeiter in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl., Rz. 1.1 ff.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-26056-9 ©2018 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort zur 2. Auflage Über elf Jahre nach dem Erscheinen der ersten Auflage legen wir (endlich) die zweite, völlig überarbeitete Auflage des Betriebsstätten-Handbuchs vor. Die Entwicklungen und grundlegenden Veränderungen der Betriebsstättenbesteuerung, vor allem in Bezug auf die Gewinnermittlung der Betriebsstätte, haben es notwendig gemacht, das ursprüngliche Werk völlig neu zu konzipieren und um weitere Facetten der Besteuerung von Betriebsstätten zu ergänzen. Im Zentrum des Betriebsstätten-Handbuchs steht weiterhin die internationale Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, wobei zwischen innerstaatlichem Recht und Abkommensrecht zu unterscheiden ist. Auf beiden Rechtsebenen haben sich die Vorschriften seit der Erstauflage des Betriebsstätten-Handbuchs im Jahr 2006 erheblich geändert. Die OECD hat mit ihrem Betriebsstättenbericht 2010 die Grundlage für die Einführung des „Authorised OECD Approach“ (AOA) gelegt, der auch zu einer grundlegenden Anpassung des Art. 7 OECD-MA und seines Musterkommentars geführt hat. Was das innerstaatliche Recht betrifft, hatte der Gesetzgeber bereits im Jahr 2006 sog. Entstrickungsvorschriften in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG eingeführt, die durch das JStG 2010 angepasst und um eine Entstrickungsklausel in § 16 Abs. 3a EStG ergänzt wurden. Die Hoffnung, dass der Gesetzgeber damit die Entstrickung stiller Reserven im Zusammenhang mit der Überführung und Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern bei Betriebsstätten klar geregelt habe, war allerdings aufgrund des unklaren Wortlauts der Entstrickungsvorschriften ein Trugschluss. Vielmehr bestehen bis heute Rechtsunsicherheiten, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass der EuGH mit seiner Rechtsprechung prinzipiell einer früheren Besteuerung stiller Reserven den Weg geebnet hat. Neben den Entstrickungsvorschriften hat der Gesetzgeber im Jahr 2013 mit dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz den AOA in § 1 AStG implementiert und seine Anwendung später durch die Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) vom 13.10.2014 weiter konkretisiert. Erstmals gibt es damit – ein Novum im Internationalen Steuerrecht – ein eigenes Gewinnermittlungsrecht für Betriebsstätten. Dem war aber noch nicht genug: Die Finanzverwaltung hat ihrerseits auf ca. 100 Seiten (!) in den Verwaltungsgrundsätzen Betriebsstättengewinnaufteilung vom 22.12.2016 (VWG BsGa) ihre Interpretation des in § 1 AStG und der BsGaV niedergelegten AOA zusammengefasst und damit das wohl letzte Kapitel der Implementierung des AOA in deutsches Recht abgeschlossen. Dieser in seiner Form sehr deutsche Weg hat seine zwischenstaatliche Bewährungsprobe jedoch noch vor sich. In diesem Kontext ist es Anliegen der Verfasser, dem Rechtsanwender durch das Formulieren dessen, was laut Gesetz sein soll oder sollte, Orientierung in dieser nach wie vor komplexen Materie zu geben, zumal es zwischen Gesetz (insbesondere § 1 Abs. 5 AStG) und dessen Umsetzung in der BsGaV und dessen Auslegung in den VWG BsGa durchaus kritisch zu beurteilende Diskrepanzen und – daraus resultierend – zahlreiche ungeklärte Rechtsfragen gibt. Neben den dadurch notwendigen Änderungen der Ausführungen zur Gewinnermittlung und -abgrenzung bei internationalen Betriebsstätten enthält die Neuauflage des Betriebsstätten-Handbuchs – nicht zuletzt den aktuellen Entwicklungen im Rahmen des BEPS-Projekts der G20/OECD geschuldet – auch Ausführungen zum Begriff der Betriebsstätte (§ 12 AO und Art. 5 OECD-MA) sowie den Implikationen des BEPS-Projekts auf die Betriebsstättenbesteuerung. Da sich die Betriebsstätte ferner zum „Dauerbrenner“ des Internationalen

VII

Vorwort zur 2. Auflage

Steuerrechts entwickelt hat, haben wir uns entschlossen, grundlegende Hinweise zur Besteuerung von Betriebsstätten in Kapitel 3 des Betriebsstätten-Handbuchs aufzunehmen. Wir freuen uns, dass wir gegenüber der 1. Auflage des Werkes weitere namhafte Autoren aus der Beratungspraxis gewinnen konnten. Dies betrifft Herrn RA/StB Dr. Michael Puls, der den Begriff der Betriebsstätte in Kapitel 2 kommentiert. Herr StB/Dipl.-Kfm. Dr. Carsten Quilitzsch, LL.M., hat Kapitel 3 zur Besteuerung der Betriebsstätte sowie zusammen mit Herrn RA/FAStR/Dipl.-Kfm. Prof. Dr. Jens Schönfeld Kapitel 12 zur Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht mitverfasst. Herr StB Dr. Oliver Busch hat Kapitel 13 zu den verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten der Betriebsstättenbesteuerung neu konzipiert. Herr RA/ StB Dr. Julian Böhmer hat das neue Kapitel 14 zum Thema „Base Erosion and Profit Shifting“ verfasst. Darüber hinaus hat Herr RA/StB/Dipl.-Kfm. Matthias Weidmann, LL.M., das Kapitel 10 zu den Besonderheiten bei Betriebsstätten im Zusammenhang von Umwandlungen übernommen. Ferner haben Herr RA Dr. Felix Buchholz und Herr Dipl.-Volksw./StB Maximilian Tenberge Herrn StB/Dipl.-Kfm. Dr. Ulf Andresen bei der Verfassung der Abschnitte von Kapitel 11 zur Gewinnermittlung bei Bank- und Versicherungsbetriebsstätten unterstützt. Die Herausgeber möchten allen Autoren danken, die sich neben ihrer bereits ausschöpfenden praktischen Arbeit der Mühe unterzogen haben, ihre Kapitel sehr kompetent und detailliert zu bearbeiten. Danken möchten wir auch unseren Lektoren, Herrn Ass. iur. Michael Kunze, LL.M., sowie Herrn Dipl.-Kfm. Daniel Dahl, die beide das Projekt von Beginn an begleitet, unterstützt und immer mit großer Geduld vorangetrieben haben. Bonn und Frankfurt am Main, im September 2017

VIII

Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer, Dr. Ulf Andresen und Dr. Xaver Ditz

Vorwort zur 1. Auflage Das deutsche Steuerrecht enthält z.B. in § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG, § 6 Abs. 3 Nr. 3 AStG und in § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG Regelungen, die auf eine Realisierung stiller Reserven im Inland zielen, wenn die Erfassung künftiger Veräußerungsgewinne im Inland nicht „sicher gestellt ist“. Die Gesetzesformulierungen sind in den genannten Vorschriften sehr unterschiedlich, was die Unsicherheiten des Gesetzgebers auf diesem Rechtsgebiet belegt. Tatsache ist jedenfalls, dass bezüglich der Verteilung von Besteuerungsrechten zwischen Stammhausund Betriebsstättenstaat im Rahmen der Unternehmensbesteuerung erhebliche Unklarheiten bestehen. Diese Unklarheiten waren der Ausgangspunkt für das jetzt vorgelegte Werk. Die Verfasser wollten das Thema „Betriebsstättengewinnermittlung“ einerseits wissenschaftlich vertieft angehen und andererseits praktische Hilfestellungen anbieten. Sie wollten eine Einheitslösung finden, die alle Aspekte berücksichtigt. Dieses Anliegen konnte erfolgreich zu Ende geführt werden. Die gefundene Lösung umschließt das deutsche innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht ebenso wie das Abkommensrecht. Die Diskussionsansätze der OECD zur Betriebsstätten-Gewinnabgrenzung, die in den sog. „OECD Discussion Drafts Part I–IV“ veröffentlicht sind, werden vor dem Hintergrund des innerstaatlichen Gewinnermittlungsrechts kritisch gewürdigt. Dies bezieht den vorliegenden Entwurf eines SEStEG mit den dort geregelten Entstrickungs-Entnahmen und Verstrickungs-Einlagen mit ein. Im Mittelpunkt stehen jedoch eine Erklärung für das Zusammenwirken in- und ausländischer Unternehmensteile und die sich daraus für die Bilanzierung (Gewinnermittlung) und Gewinnabgrenzung ergebenden Konsequenzen. Zusätzlich werden u.a. die Besonderheiten bei Personengesellschaften, Bauausführungen und Vertreterbetriebsstätten besprochen. Ein großes Kapitel ist der EG-Rechtskonformität des geltenden Betriebsstättengewinnermittlungsrechts und den verfahrensrechtlichen Vorgaben (z.B. Dokumentationspflichten) gewidmet. Viele Beispiele sollen dem Praktiker helfen, die Probleme zu erkennen. Herausgeber und Verlag haben die Hoffnung und die Erwartung, dass die interessierte Fachöffentlichkeit das Bemühen um einen gedanklich klaren und logischen Problemansatz und dessen konsequente Beibehaltung im Bereich der Betriebsstättengewinnermittlung akzeptiert und honoriert. Sollte dies der Fall sein, versprechen wir, unsere Gedankenansätze in einer 2. Auflage zu vertiefen. Herr Andresen dankt Frau Steuerberaterin Dipl.-Kff. Miriam Engel und Herrn cand. rer. oec. Phillip Huber für die kritische Durchsicht seines Manuskripts. Bonn/Frankfurt/Köln, im Mai 2006

Verfasser und Verlag

IX

Inhaltsübersicht Ausführliche Inhaltsübersichten zu Beginn der einzelnen Kapitel. Seite

Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Vorwort zur 1. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII

Kapitel 1 Einführung (Wassermeyer) A. B. C. D. E. F. G. H. I.

Rz. Seite

. . . . . .

1.1 1.3 1.19 1.22 1.27 1.28

1 2 14 16 19 19

.. .. ..

1.29 1.31 1.32

20 22 23

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.1 2.5

27 28

3.1 3.32

120 132

Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslandsbezüge eines Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lieferungs- und Leistungsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einkunftsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterscheidung zwischen innerstaatlichem Recht und Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veranlassungsprinzip und Fremdvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einordnung des Fremdvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

Kapitel 2 Begriff der Betriebsstätte (Puls) A. B.

Kapitel 3 Besteuerung der Betriebsstätte (Ditz/Quilitzsch) A. B.

Besteuerung inländischer Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besteuerung ausländischer Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

Inhaltsübersicht Rz. Seite

Kapitel 4 Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht (Andresen) A. B. C. D. E. F.

Paradigmenwechsel vom Veranlassungsprinzip zum Authorised OECD Approach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung und -abgrenzung . . . . . . . . Regeln der Einkünfteabgrenzung nach dem Authorised OECD Approach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regeln der Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip . . . . Übersicht über die geltenden Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.1 4.2 4.9

160 162 168

4.30 4.233

184 274

4.278

298

5.1 5.4 5.10 5.71 5.73

301 303 307 331 331

5.77 5.78

332 333

5.79

333

5.80

333

6.1 6.259 6.279

335 486 493

Kapitel 5 Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht (Andresen) A. B. C. D. E. F.

G. H. I.

Entwicklung des Art. 7 OECD-MA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsstättenprinzip (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . Gegenberichtigung (Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010) . . . . . . . . . . . . . Aufwandszuordnung (Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2008) . . . . . . . . . . . . Zuordnung von Betriebsstätteneinkünften zu anderen Verteilungsnormen (Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2010 vormals Art. 7 Abs. 7 OECD-MA 2008) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufteilung von Gesamtgewinnen (Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2008) . . . . Keine Gewinnzurechnung zu Einkaufsbetriebsstätten in vor dem 22.7.2010 ratifizierten DBA (Art. 7 Abs. 5 OECD-MA 2008) . . . . . . . . Grundsätzliche Fortführung einer gewählten Zurechnungsmethode (Art. 7 Abs. 6 OECD-MA 2008) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kapitel 6 Entstrickung und Verstrickung von Wirtschaftsgütern, Vermögenswerten und Funktionsverlagerungen (Ditz) A. B. C.

XII

Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten . . . . . . . . Verstrickung von Wirtschaftsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstrickung von Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Inhaltsübersicht

Kapitel 7 Besteuerung vor Gründung und nach Beendigung einer Betriebsstätte (Wassermeyer) A. B. C. D.

. . . .

7.1 7.7 7.15 7.23

526 530 535 539

Fragen der Gewinnermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodenprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuordnung von Währungsgewinnen und -verlusten . . . . . . . . . . . . .

8.1 8.8 8.9

541 543 545

. . . .

9.1 9.10 9.21 9.41

548 555 562 569

. . . . . .

9.48 9.49 9.50 9.51 9.52 9.57

573 573 573 574 575 577

. . . . . .

10.1 10.14 10.23 10.28 10.36 10.38

582 591 594 595 598 599

Einordnung des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gründungsaufwand einer Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . Veräußerungs-, Aufgabe- und Umwandlungstatbestände . Erträge und Aufwand nach Auflösung einer Betriebsstätte

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

Kapitel 8 Währungs- und Umrechnungsprobleme (Wassermeyer) A. B. C.

Kapitel 9 Besonderheiten bei Personengesellschaften (Wassermeyer) A. B. C. D. E. F. G. H. I. J.

Begriff und Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewinnermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Denkbare Aus- und Inlandsbezüge einer Personengesellschaft . . . . . . Besonderheiten bei der Anwendung von § 2a und § 15a EStG . . . . . . Betriebsveräußerung, Teilbetriebsveräußerung, Betriebsaufgabe, Teilbetriebsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veräußerung oder Aufgabe eines Mitunternehmeranteils . . . . . . . . . Mehrstöckige Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Atypisch stille Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsaufspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personengesellschaft als Organträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kapitel 10 Umwandlungen (Weidmann) A. B. C. D. E. F.

Internationale Aspekte des deutschen Umwandlungssteuerrechts Einbringungsvorgänge mit inländischen Betriebsstätten . . . . . . . Einbringungsvorgänge mit ausländischen Betriebsstätten . . . . . . Umwandlungsvorgänge mit inländischen Betriebsstätten . . . . . . Umwandlungsvorgänge mit ausländischen Betriebsstätten . . . . . Speziell: gewerblich tätige Personen- und Kapitalgesellschaften . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

XIII

Inhaltsübersicht Rz. Seite

Kapitel 11 Sonderfälle A. B. C. D. E. F. G. H. I. J.

Gewinn einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte (Wassermeyer) . . . . . . . Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten (Andresen) . . . . . . . . . . . . . Bankbetriebsstätte (Andresen/Buchholz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versicherungsbetriebsstätten (Andresen/Tenberge) . . . . . . . . . . . . . . Bauausführungen und Montage (Ditz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertreterbetriebsstätte (Andresen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Förder- und Explorationsbetriebsstätten (Ditz) . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewinnermittlung bei Betriebsstätten von Freiberuflern (Wassermeyer) Gewinnermittlung bei Betriebsstätten durch Einsatz von Seeschiffen, Binnenschiffen und Luftfahrzeugen (Wassermeyer) . . . . . . . . . . . . . . Repräsentanzen, Hilfs- und Dienstleistungsbetriebsstätten (Andresen) .

11.1 11.21 11.49 11.189 11.293 11.347 11.402 11.421

602 612 633 707 744 777 823 835

11.431 11.438

842 844

12.1 12.7 12.42 12.47

855 860 888 892

Kapitel 12 Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht (Schönfeld/Quilitzsch) A. B. C. D.

Unionsrechtlicher Rahmen der internationalen Betriebsstättenbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besteuerung ausländischer Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besteuerung inländischer Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kapitel 13 Anzeige-, Buchführungs-, Bilanzierungs-, Aufzeichnungs-, Amtsermittlungs-, Mitwirkungsund Dokumentationspflichten und zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe (Busch) A. B. C. D. E. F. G. H. I.

XIV

Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buchführungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilanzierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufzeichnungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflicht zur Aufstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung . . Aufbewahrungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . Auskunfts- und Vorlagepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

13.1 897 . . 13.11 901 . 13.28 913 . 13.38 918 . 13.41 920 . 13.46 927 . 13.50 929 . 13.214 1026 . 13.221 1028

Inhaltsübersicht

Kapitel 14 Base Erosion and Profit Shifting (Böhmer) A. B. C. D. E.

Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichte zu den Aktionspunkten . . . . . . . . . . . . Auswirkungen auf die Betriebsstättenbesteuerung . Monitoring und Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . .

14.1 1038 . . 14.17 1044 . 14.138 1098 . 14.144 1101 . 14.146 1103

Gesamtliteraturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1111

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1169

XV

Abkürzungsverzeichnis

a.A. AB abl. ABl. EG ABl. EU Abs. Abschn. abw. AcP a.E. AEAO AEUV a.F. AfA AG AhiRL aHZB AIG AktG AlkopopStG AlkStG allg. Alt. a.M. amtl. Anh. Anm. AO AOA AöR APA Art. ASA AStG ATR Aufl. ausf. ausl. AuslInvG AVR AWD AWG Az.

andere(r) Ansicht Ausführungsbestimmung(en) ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (bis Januar 2003) Amtsblatt der Europäischen Union (ab Februar 2003) Absatz Abschnitt abweichend Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) am Ende Anwendungserlass zur Abgabenordnung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Absetzung für Abnutzung Aktiengesellschaft; auch „Die Aktiengesellschaft“ (Zeitschrift) Amtshilfe-Richtlinie anzusetzender Hinzurechnungsbetrag Auslandsinvestitionsgesetz Aktiengesetz Alkopopsteuergesetz Alkoholsteuergesetz allgemein Alternative anderer Meinung amtlich Anhang Anmerkung Abgabenordnung Authorised OECD Approach Archiv für öffentliches Recht (Zeitschrift) Advanced Pricing Agreement(s) Artikel Archiv für Schweizerisches Abgabenrecht (Zeitschrift) Außensteuergesetz Advance Tax Rulings Auflage ausführlich ausländisch Auslandsinvestmentgesetz Archiv für Völkerrecht (Zeitschrift) Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (Zeitschrift) Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen

XVII

Abkürzungsverzeichnis

Bad.Württ. BaFin BAnz. BAO BayObLG BayVBl BayVerfGH BB BBG BBK Bd. BdF BDI Begr. BeitrRL Bem. BEPS BergPG BerlinFG bes. Beschl. bestr. betr. BewG BfF BFH BFHE BFH/NV BFuP BG BGB BGBl. BGE BGH BGHSt BGHZ BierStG BierStV BIFD BilMoG B/J/S B/K/K/R B/K/L/M/R BMF XVIII

Baden-Württemberg Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesanzeiger Bundesabgabenordnung (Österreich) Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Bayerischer Verfassungsgerichtshof Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz Buchführung, Bilanz, Kostenrechnung, Zeitschrift für das gesamte Rechnungswesen Band Bundesminister der Finanzen Bundesverband der Deutschen Industrie Begründung Beitreibungsrichtlinie Bemerkung(en) Base Erosion and Profit Shifting Bergmannsprämiengesetz Berlinförderungsgesetz besonders Beschluss bestritten betreffend Bewertungsgesetz Bundesamt für Finanzen Bundesfinanzhof Entscheidungssammlung des BFH Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Zeitschrift) Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (Zeitschrift) Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I oder II Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Biersteuergesetz Verordnung zur Durchführung des Biersteuergesetzes Bulletin for International Fiscal Documentation Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG – StromStG Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler/Rosenberger, Internationales Steuerrecht Brezing/Krabbe/Lempenau/Mössner/Runge, Kommentar zum Außensteuerrecht Bundesministerium der Finanzen

Abkürzungsverzeichnis

BMWi Bp BpO BPT BR BranntwMonG BR-Drucks. BSG BsGaV Bsp. bspw. BStBK BStBl. BT BT-Drucks. BTR Buchst. BVerfG BVerfGE

B/W BZSt bzw.

Bundesministerium für Wirtschaft Betriebsprüfung Betriebsprüfungsordnung Branch Profits Tax Bundesrat Gesetz über das Branntweinmonopol Drucksachen des Bundesrates Bundessozialgericht Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung Beispiel beispielsweise Bundessteuerberaterkammer Bundessteuerblatt (Teil I oder II) Bundestag Drucksache(n) des Bundestages British Tax Review (Zeitschrift) Buchstabe Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch Bundeszentralamt für Steuern beziehungsweise

CbCR CCN C-Corp CDFI CFC CGI CIR Corp CSI CV

Country-by-Country-Reporting Common Communication Network Subchapter C Corporation Cahiers de Droit Fiscal International Controlled Foreign Companies Général des impôts Code des impôts sur les revenus Corporation Common System Interface Commanditaire Vennootschap

DB DBA DBW DDR DepotG DE-VG

Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift) Deutsche Demokratische Republik Depotgesetz Deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen Deutscher Finanzgerichtstag (Tagungsband) dergleichen das heißt

BVerfGG BVerwG BVerwGE

DFGT dgl. d.h.

XIX

Abkürzungsverzeichnis

d.i. DIHT Diss. DJT DK DNotZ Dok. DÖV D/P/M D/P/P/M Drucks. DStG DStJG DStR DStRE DStZ DStZ A und B DSWR dt. DV (DVO) DVBl. DVR E EAG EAS EC EDV EFG EF-VO e.G. EG EGAHiG EGAO EGBGB EGHGB EGKS EGV Einf. Einl. einschl. EK EMCS EMRK EnergieStG EnergieStV XX

das ist Deutscher Industrie- und Handelstag Dissertation Deutscher Juristentag Der Konzern (Zeitschrift) Deutsche Notar-Zeitschrift Dokument, Dokumentation Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer Dötsch/Patt/Pung/Möhlenbrock, Umwandlungsteuerrecht Drucksache Deutsche Steuergewerkschaft Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. (Tagungsbände) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung (seit 1980) Deutsche Steuer-Zeitung Ausgabe A (bis 1979) und B (bis 1979) Datenverarbeitung in Steuer, Wirtschaft und Recht (Zeitschrift) deutsch Durchführungsverordnung Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau (Zeitschrift) (Gesetz-)Entwurf Europäische Atomgemeinschaft Express-Antwort-Service des BMF (Österreich) Tax Review European Communities Tax Review (Zeitschrift) Elektronische Datenverarbeitung Entscheidungssammlung der Finanzgerichte (Zeitschrift) Verordnung über die Eingangsabgabenfreiheit von Waren im persönlichen Gepäck der Reisenden eingetragene Genossenschaft Europäische Gemeinschaft EG-Amtshilfegesetz Einführungsgesetz zur Abgabenordung Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Amsterdam Einführung Einleitung einschließlich (verwendbares) Eigenkapital Excise Movement and Control System Europäische Menschenrechtskonvention Energiesteuergesetz Verordnung zur Durchführung des Energiesteuergesetzes

Abkürzungsverzeichnis

Entsch. entspr. EntwHStG EntwLStG EP ErbSt ErbStG Erl. E/S ESt EStB EStDV EStG EStH EStR EStZ ET EU EUAHiG EUBeitrG EuGH EuGHE EuGH-URep EuR EU-SchU

EWR EWRA EWS

Entscheidung entsprechend Entwicklungshilfe-Steuergesetz Entwicklungsländer-Steuergesetz Europäisches Parlament Erbschaftsteuer Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz Erlass Erle/Sauter, Körperschaftsteuergesetz Einkommensteuer Einkommensteuerberater (Zeitschrift) Einkommensteuer-Durchführungsverordnung Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Hinweise Einkommensteuer-Richtlinien Europäische Steuer-Zeitung European Taxation (Zeitschrift) Europäische Union EU-Amtshilfegesetz EU-Beitreibungsgesetz Europäischer Gerichtshof Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs EuGH-Umsatzsteuerreport Europarecht (Zeitschrift) Europäisches Schiedsübereinkommen (Schiedsverfahrenskonvention) Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung Europäische Steuerzeitung Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) eingetragener Verein eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG-Vertrag Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Gesetz zur Ausführung der EWG-Verordnung über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Verordnung über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift)

f. FA FamRZ FATCA FATCA-USA-UmsV F/D FeuerschStG

folgende (eine Seite) Finanzamt Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Foreign Tax Account Compliance Act FATCA-USA-Umsetzungsverordnung Frotscher/Drüen, KStG-Kommentar Feuerschutzsteuergesetz

EUStBV EuStZ EuZW e.V. evtl. EWG EWGV EWIV EWIV-AG EWIV-VO

XXI

Abkürzungsverzeichnis

ff. F/G FG FGO Fifo FiMaNoG Fin.Arch. FinMin. FinSen. FinVerw. FKAustG Fn. FN-IdW FR FRL FS FuSt FVerlV FVG F/W/B/S F/W/K

fortfolgende (mehrere Seiten) Frotscher/Geurts, EStG-Kommentar Finanzgericht; Festgabe Finanzgerichtsordnung First in – first out Finanzmarktnovellierungsgesetz Finanzarchiv (Zeitschrift) Finanzministerium Finanzsenator Finanzverwaltung Finanzkonten-Informationsaustauschgesetz Fußnote Fachnachrichten des Instituts der Wirtschaftsprüfer (Zeitschrift) Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Fusions-Richtlinie Festschrift Finanzen und Steuern Funktionsverlagerungsverordnung Gesetz über die Finanzverwaltung Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland – Schweiz

G GA GATS GATT GAufzV GbR gem. GemVO GenG GewArch. GewStDV GewStG GewStR GG ggf. GKG G/K/G GKKB

Gesetz Generalanwalt General Agreement on Trade and Services General Agreement on Tarifs and Trade Gewinnaufzeichnungsverordnung Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes gemäß Gemeinnützigkeitsverordnung Genossenschaftsgesetz Gewerbearchiv (Zeitschrift) Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuer-Richtlinien Grundgesetz gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage gleicher Ansicht Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betr. die GmbH GmbH-Rundschau (Zeitschrift) GmbH-Steuerberater (Zeitschrift) Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung Grundsätze ordnungsmäßiger Speicherbuchführung Gruppe

gl.A. GmbH GmbHG GmbHR GmbH-StB GoB GoS Gr. XXII

Abkürzungsverzeichnis

GRCh GrEStG GrS GS GS GuV GVBl. GVG GWR

Charta der Grundrechte der EU Grunderwerbsteuergesetz Großer Senat Gesetzessammlung Gedächtnisschrift Gewinn- und Verlustrechnung Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

H Halbs., HS HB Hdb. Hess. HFA HFA des IdW HFR HGB HGrG H/H H/H/R

Hinweis(e) Halbsatz Handelsbilanz Handbuch Hessen Hauptfachausschuss Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) Handelsgesetzbuch Haushaltsgrundsätzegesetz Haase/Hruschka, Umwandlungsteuergesetz Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung Highest in – first out Haun/Kahle/Goebel/Reiser, Außensteuerrecht herrschende Lehre Haritz/Menner, Umwandlungsteuergesetz herrschende Meinung Herausgeber, herausgegeben Hinzurechnungsbetrag

H/H/Sp Hifo H/K/G/R h.L. H/M h.M. Hrsg. HZB i.A. IAS IBFD i.d.F. i.d.R. i.d.S. IdW i.E. i.e.S. IFA IFRS IGH i.H.v. Inc. INF

im Allgemeinen International Accounting Standard International Bureau of Fiscal Documentation in der Fassung in der Regel in dem Sinne Institut der Wirtschaftsprüfer im Einzelnen im engeren Sinne International Fiscal Association International Financial Reporting Standard Internationaler Gerichtshof in Höhe von Incorporated Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (Zeitschrift) XXIII

Abkürzungsverzeichnis

InfAustAbk inl. insb. InsO Inst.FuSt intern. Intertax InvG InvStG InvZulG IPO IPR IPrax IRC IRG IRS i.S. ISR IStGH IStR ITA ITJ ITPJ i.V. IWB i.w.S.

Informationsaustauschabkommen inländisch insbesondere Insolvenzordnung Institut „Finanzen und Steuern“ international International Tax Review (Zeitschrift) Investmentgesetz Investmentsteuergesetz Investitionszulagengesetz Initial Public Offering Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Internal Revenue Code Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Internal Revenue Service im Sinne Internationale Steuer-Rundschau (Zeitschrift) Internationaler Strafgerichtshof Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) Income Tax Act The international Tax Journal (Zeitschrift) International Transfer Pricing Journal (Zeitschrift) in Verbindung Internationale Wirtschafts-Briefe im weiteren Sinne

JA Jb. JbFStR JBl. Jg. JöR JStG Jura JuS JZ

Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Jahrbuch Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Juristische Blätter (Zeitschrift) Jahrgang Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahressteuergesetz Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift)

KaffeeStG KAG Kap. KapErhStG

Kaffeesteuergesetz Kommunalabgabengesetz Kapitel Gesetz über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln Kapitalertragsteuer Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung Kapp/Ebeling, Erbschaftsteuergesetz, Kommentar Kommentierte Finanzrechtsprechung Kleinsendungs-Einfuhrfreimengen-Verordnung

KapErtrSt KapErtrStDV K/E KFR KF-VO XXIV

Abkürzungsverzeichnis

Kfz. KG KGaA Kj. KÖSDI KraftStG krit. K/S/M KSt KStDV KStG KStR KStZ KWG

Kraftfahrzeug Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kalenderjahr Kölner Steuerdialog (Zeitschrift) Kraftfahrzeugsteuergesetz kritisch Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz Körperschaftsteuer Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung Körperschaftsteuergesetz Körperschaftsteuer-Richtlinien Kommunale Steuer-Zeitschrift Gesetz über das Kreditwesen

LB L/B/P LG Lifo li.Sp. lit. LLC L/L/H LLLP LLP LoB LP L/S LStDV lt. Ltd. LuF LuftVStG

Lehrbuch Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht Landgericht Last in – first out linke Spalte Buchstabe Limited Liability Company Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung Limited Liability Limited Partnership Limited Liability Partnership Limitation of Benefit Limited Partnership Lenski/Steinberg, GewStG-Kommentar Lohnsteuer-Durchführungsverordnung laut Private Company Limited by Shares, Limited Land- und Forstwirtschaft Luftverkehrsteuergesetz

m. Anm. MA m.a.W. MCCA

mit Anmerkung(en) Musterabkommen mit anderen Worten Multilateral Competent Authority Agreement on the Exchange of Country-by-Country Reports Multilateral Convention on Mutual Administrative Assistance in Tax Matters Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) MwSt-Informations-Austausch-System Mineralölsteuergesetz Million(en) Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen

MCMAA MDR MIAS MinöStG Mio. MoMiG MoRaKG

XXV

Abkürzungsverzeichnis

m.R. MRK MTR MüKo M/W m.w.N. MwSt MwStSystRL MwSt-ZVO MZK

mit Recht Menschenrechtskonvention Mutter-Tochter-Richtlinie Münchner Kommentar Moench/Weinmann, ErbStG mit weiteren Nachweisen Mehrwertsteuer Mehrwertsteuersystemrichtlinie Mehrwertsteuer-Zusammenarbeitsverordnung Modernisierter Zollkodex

Nds. n.F. NJW NL Nr. nrkr. NRW, NW NSt NV NVwZ NW NWB NZG

Niedersachsen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Niederlande Nummer nichtrechtskräftig Nordrhein-Westfalen Neues Steuerrecht von A-Z (Zeitschrift) Namenloze Vennootschap (Niederlande) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen Neue Wirtschafts-Briefe Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

o.Ä. OECD OECD-MA

oder Ähnliches Organisation for Economic Co-operation and Development OECD-Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen OECD-Musterkommentar Transfer Pricing Guidelines der OECD Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (Vorgängerorganisation der OECD) Oberfinanzdirektion(en) Oberster Finanzgerichtshof oben genannt offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht schweizerisches Obligationenrecht Geschäfte ohne Rechnung Österreichische Steuerzeitung Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Entscheidungen des preuß. OVG in Staatssteuersachen Ordnungswidrigkeitengesetz Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht

OECD-MK OECD-TPG OEEC OFD OFH o.g. OHG OLG OR OR-Geschäfte ÖStZ OVG OVGE OVGSt OWiG ÖZöffR, ÖZöR

XXVI

Abkürzungsverzeichnis

p.a. PartGG PIStB Pkw plc Preuß./(pr.) Prot.

per annum Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Praxis Internationale Steuerberatung (Zeitschrift) Personenkraftwagen Public Limited Company preußisch Protokoll

R RabelsZ

R/H/N R/H/vL RIW RJF R/K/L rkr. RL Rs. Rspr. RStBl. RT RWP Rz.

Richtlinie Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Zeitschrift) Reichsabgabenordnung Rechnungsabgrenzungsposten Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz Rechtsverordnung Referentenentwurf Regierungsbegründung Real Estate Investment Trust Rennwett- und Lotteriesteuergesetz rechte Spalte Revision Reichsfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Reichsgesetzblatt Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, Umwandlungssteuergesetz Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Revue des Jurisprudence Fiscale (Zeitschrift) Reiß/Kraeusel/Langer, Umsatzsteuergesetz rechtskräftig Richtlinie Rechtssache Rechtsprechung Reichssteuerblatt Reichstag Rechts- und Wirtschafts-Praxis (Zeitschrift) Randziffer

s. S. S.A. Sàrl SC SCA SCE

siehe Seite Société anonyme; Sociéta a accomandita Société à responsabilité limitée Sociedad en comandita Société en Commandite par Actions Societas Cooperativa Europaea, Europäische Genossenschaft

RAO RAP R/D RechtsVO RefE Reg.-Begr. REIT RennwLottG re.Sp. Rev. RFH RFHE RGBl. RGSt. RGZ

XXVII

Abkürzungsverzeichnis

SCE-VO SchaumwZwStG Schl.-Holst. Schr. S-Corp S/D SE sec. SEED SEStEG

SE-VO S/F sfr. SGB SGG S/H/S SICAF SICAR-Status SICAV S/K/K Slg. SNC s.o. sog. SolZG Sp. SP SpA SparPG S/R SrC SRÜ st. St ST StÄndG StandOG StAnpG StB Stbg StbJb StbKongrRep StBp StEK SteuerHBekG SteuerHBekV

XXVIII

Verordnung über das Statut der Europäischen Genossenschaft Schaumweinsteuer- und Zwischenerzeugnissteuergesetz Schleswig-Holstein Schreiben Subchapter S Corporation Schönfeld/Ditz, DBA-Kommentar Societas Europaea, Europäische Aktiengesellschaft, Europa-AG section System for Exchange of Excise Data Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) Schnitger/Fehrenbacher, KStG-Kommentar Schweizer Franken Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Schmitt/Hörtnagl/Stratz, Umwandlungsteuergesetz Société d'investissement à capital fixe Société d'investissement en capital à risque Société d'investissement à capital variable Strunk/Kaminski/Köhler, AStG und OECD-MA Amtliche Sammlung der EuGH-Entscheidungen Société en nom collectif siehe oben so genannt Solidaritätszuschlagsgesetz Spalte Schlussprotokoll Societa per Azioni Sparprämiengesetz Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz Sociedad regular colecitva Seerechtsübereinkommen ständig Steuer Der Schweizer Treuhänder (Zeitschrift) Steueränderungsgesetz Standortsicherungsgesetz Steueranpassungsgesetz Der Steuerberater (Zeitschrift) Die Steuerberatung (Zeitschrift) Steuerberater-Jahrbuch Steuerberaterkongress-Report (Zeitschrift seit 1977) Die steuerliche Betriebsprüfung (Zeitschrift) Felix/Carlé, Steuererlasse in Karteiform, Loseblatt und CD-ROM Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz Steuerhinterziehungsbekämpfungs-Verordnung

Abkürzungsverzeichnis

StEUVUmsG StGB StJ StLex StPO StQ str. StR StRev. StRK StromStG StSäumG StStud StuB StuW stv. StVergAbG StVj. StWa s.u. SWI TabStG TabStV T/G/J TIEA

Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften Strafgesetzbuch Steuerjournal (Zeitschrift) Steuer-Lexikon Strafprozessordnung Quintessenz des Steuerrechts (Zeitschrift) strittig Steuerrecht Steuer-Revue (Zeitschrift) Steuerrechtskartei Stromsteuergesetz Steuersäumnisgesetz Steuer und Studium (Zeitschrift) Steuern und Bilanzen (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) stellvertretend Steuervergünstigungsabbaugesetz Steuerliche Vierteljahresschrift (Zeitschrift) Steuer-Warte (Zeitschrift) siehe unten Steuer & Wirtschaft International (Zeitschrift)

T/K TLR TMTP TNI TNMM TPIR Tz.

Tabaksteuergesetz Verordnung zur Durchführung des Tabaksteuergesetzes Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuergesetz Tax Information Exchange Agreement (Informationsaustauschabkommen) Tipke/Kruse, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung Tax Law Review (Zeitschrift) Tax Management Transfer Pricing (Zeitschrift) Tax Notes International (Zeitschrift) Transactional net margin method Tax Planning International Review (Zeitschrift) Textziffer

u. u.a. u.Ä. u.a.m. Übers. Ubg udgl. UmwG UmwR UmwStG UN UR UrhG

und und andere, unter anderem und Ähnliches und andere(s) mehr Übersicht Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift) und dergleichen Umwandlungsgesetz Umwandlungsrecht Umwandlungssteuergesetz United Nations Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift) Urheberrechtsgesetz XXIX

Abkürzungsverzeichnis

Urt. USA USt UStDV UStG USt-IdNr. UStKongrBericht UStR usw. u.U. UVR UWG UZK

Urteil Vereinigte Staaten von Amerika Umsatzsteuer Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung Umsatzsteuergesetz Umsatzsteuer-Identifikationsnummer Umsatzsteuerkongress-Bericht Umsatzsteuer-Richtlinien und so weiter unter Umständen Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (Zeitschrift) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Unionszollkodex

v. VAG VAT V/B/E v.E. VerbrStSystRL VerbrSt-ZVO VermBG VersR

vom, von Versicherungsaufsichtsgesetz Value added Tax Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise verdeckte Einlage Verbrauchsteuersystemrichtlinie Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung Vermögensbildungsgesetz Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Versicherungsteuergesetz Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verfügung verdeckte Gewinnausschüttung Verwaltungsgerichtshof vergleiche vom Hundert Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht (Zeitschrift) Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen Verordnung Volume Vorbemerkung Verschmelzungs-Richtlinie Vermögensteuer Vermögensteuer-Durchführungsverordnung Vermögensteuergesetz Verbrauchsteuersystem-Richtlinie Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungszustellungsgesetz

VersRAI VersStG VerwArch. Vfg. vGA VGH vgl. v.H. VJSchrStFR V/L VO Vol. Vorb. VRL VSt VStDV VStG VStSystRL VVaG VVDStRL VWG BsGa VwGO VwVfG VwZG XXX

Abkürzungsverzeichnis

W/A/D W/B WEG WiB WiRO WiSt wistra WiVerw W/J Wj. WKBG WKV WM W/M WPg W/R/S WTO WTOÜ WÜD WÜK WÜRV WVK

ZaöRV z.B. ZBstA ZErb ZEV ZfB ZfbF ZfgK ZfV ZfZ ZG ZGB ZGR ZHR Ziff. ZiLiRL ZIP ZiRL zit. ZIV ZK ZPO

Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen Wohnungseigentumsgesetz Wirtschaftliche Beratung (Zeitschrift) Wirtschaft und Recht in Osteuropa (Zeitschrift) Wirtschaftswissenschaftliches Studium (Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wirtschaftsverwaltung (Zeitschrift) Wilms/Jochum, Erbschaftsteuergesetz, Kommentar Wirtschaftsjahr Gesetz zur Förderung von Wagniskapitalbeteiligungen Wiener Vertragsrechtskonvention Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht Welthandelsorganisation WTO-Übereinkommen Wiener Übereinkommen für Diplomaten Wiener Übereinkommen für Konsuln Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Wiener Konvention über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen und zwischen internationalen Organisationen Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zinsbesteuerungsabkommen Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Betriebswirtschaft Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Völkerrecht Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern Zollgesetz Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zins- und Lizenz-Richtlinie Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zinsrichtlinie zitiert, Zitat Zinsinformationsverordnung Zollkodex Zivilprozessordnung XXXI

Abkürzungsverzeichnis

ZRP z.T. zutr. ZVglRWiss

XXXII

Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil zutreffend Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft einschließlich des Rechts der Entwicklungsländer und der ethnologischen Rechtsforschung

Kapitel 1 Einführung A. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1

B. Begriffe I. Betriebsbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.3

II. Betriebsstättenbegriff . . . . . . . . . . . .

1.4

III. Erfordernis des Tätigwerdens von Personen in einer Betriebsstätte . . . .

1.8

IV. Unterbetriebsstätte . . . . . . . . . . . . . .

1.9

V. Inländische Betriebsstätte kein eigenständiger Betrieb . . . . . . . . . . .

1.11

I. Lieferungs- und Leistungsbeziehungen zwischen Betrieben verschiedener Betriebsinhaber . . . . .

1.22

II. „Lieferungs- und Leistungsbeziehungen“ zwischen Betrieben desselben Betriebsinhabers . . . . . . . .

1.23

III. Lieferungen und Leistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen mehreren Betriebsstätten eines Unternehmens

1.24

IV. Nutzungsüberlassungen . . . . . . . . . .

1.25

E. Steuerarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.27

VI. Fiktion der Selbständigkeit der Betriebsstätte. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.12

VII. Gewinnermittlungspflicht . . . . . . . .

1.13

F. Einkunftsarten . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.28

I. Erster Grundfall . . . . . . . . . . . . . . . .

1.19

G. Unterscheidung zwischen innerstaatlichem Recht und Abkommensrecht. . . . . . . . . . . . . . .

1.29

II. Zweiter Grundfall . . . . . . . . . . . . . . .

1.20

III. Verbundene Unternehmen. . . . . . . .

1.21

H. Veranlassungsprinzip und Fremdvergleich . . . . . . . . . . . . . . . .

1.31

I. Einordnung des Fremdvergleichs

1.32

C. Auslandsbezüge eines Betriebs

D. Lieferungs- und Leistungsbeziehungen

A. Abgrenzungen Betriebsstätte – Betriebsstättengewinnermittlung. Die Betriebsstättengewinnermittlung setzt begriffliche Klarheit darüber voraus, was unter einer Betriebsstätte zu verstehen und nach welchen Regeln der Betriebsstättengewinn zu ermitteln ist. Die Betriebsstätte ist in der Regel der in einem gewissen Sinn verselbständigte Teil eines Betriebes. Ein Betrieb kann aber auch nur aus einer einzigen Betriebsstätte bestehen. In diesem Fall ist der Betrieb mit seiner Geschäftsleitungsbetriebsstätte identisch (vgl. Rz. 2.122 u. 11.1 ff.). Bezüglich der Betriebsstättengewinnermittlung empfiehlt sich eine Differenzierung danach, ob der ausländische Betriebsstättengewinn eines inländischen Betriebes oder der inländische Betriebsstättengewinn eines ausländischen Betriebes zu ermitteln ist. Der ausländische Betriebsstättengewinn eines inländischen Betriebes leitet sich aus dem nach deutschem Steuerrecht ermittelten gesamten Betriebsgewinn ab, was die Aufstellung einer gesonderten Betriebsstättenbilanz zu Abgrenzungszwecken nicht ausschließt (vgl. Rz. 1.16, 4.5). Ist der inländische Betriebsstättengewinn eines ausländischen Betriebes zu ermitteln, so setzt dies nicht die Ermittlung des Gewinns des gesamten Betriebes voraus. Aus dem Verständnis des Betriebsstättengewinns als eines Teils des Gesamtgewinns eines Betriebes leitet sich der Grundsatz ab, dass für die Betriebsstättengewinnermittlung die Vorschriften über die Gewinnermittlung eines Betriebes entsprechend gelten (vgl. Rz. 3.3 ff. und 4.2 ff.). Hier wie dort gilt das Veranlassungsprinzip. Wassermeyer 1

1.1

Kap. 1 Rz. 1.2

Einführung

1.2 Aufbaufragen. Der Begriff „Betriebsstätte“ wird im Kapitel 2 besprochen. In Kapitel 3 ff. folgen Ausführungen über die Ermittlung des Gewinns einer Betriebsstätte, insbesondere die Abgrenzung zwischen dem Gewinn des Stammhauses und dem einer Betriebsstätte bzw. die zwischen den Gewinnen mehrerer Betriebsstätten. Diese Frage ist allerdings steuerlich nur dann von Interesse, wenn ein Betrieb über eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte (Stammhaus) und mindestens noch eine andere Betriebsstätte verfügt und die Betriebsstätten in verschiedenen Staaten unterhalten werden. Insoweit werden die dann maßgeblichen Rechtsgrundlagen der Betriebsstättengewinnermittlung und ihre Auslegung durch die Finanzverwaltung dargestellt, wie sie in den sog. Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen (BS-VWG)1 und in den Verwaltungsgrundsätzen Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa)2 behandelt werden. Ebenso soll umfänglich auf Einzelprobleme eingegangen werden. Die Einkunftsabgrenzung zwischen mehreren miteinander verbundenen Unternehmen ist dagegen nicht Gegenstand der folgenden Ausführungen (vgl. Rz. 1.21).3

B. Begriffe I. Betriebsbegriff 1.3 Betriebswirtschaftslehre. Die Betriebswirtschaftslehre versteht unter einem Betrieb eine planmäßig organisierte technische und organisatorische Wirtschaftseinheit, in der Faktoren zur Herstellung von Sachgütern und/oder zur Bereitstellung von Dienstleistungen kombiniert werden.4 Die Fragen, ob der betriebswirtschaftliche Betriebsbegriff auch für das Steuerrecht maßgebend ist oder ob das Steuerrecht einen eigenen Betriebsbegriff bzw. möglicherweise sogar verschiedene Betriebsbegriffe verwendet, sind umstritten.5 Sie sollen hier nicht vertieft werden. Jedenfalls weichen der betriebswirtschaftliche und der steuerliche Betriebsbegriff nicht wesentlich voneinander ab. Im Kern der Begriffe besteht Deckungsgleichheit. Zwar definieren die deutschen Steuergesetze den Betriebsbegriff nicht. Der Betrieb bildet jedoch für den Regelfall die Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung (zu Ausnahmen vgl. Rz. 1.8 und 1.11). Er erstreckt sich auf alle Einkunftsarten i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1–3 EStG. Er 1 Grundsätze der Verwaltung für die Prüfung der Aufteilung der Einkünfte bei Betriebsstätten international tätiger Unternehmen (kurz: BS-VWG): BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076. 2 Grundsätze für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die Aufteilung der Einkünfte zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte und auf die Ermittlung der Einkünfte der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes und der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung – VWG BsGa): BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182. 3 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 67 ff.; Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen (Verwaltungsgrundsätze – kurz: VWG 1983): BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218; OECD-Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, wiedergegeben in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Köln 1997/2015. 4 Gablers Wirtschaftslexikon15, Band 1, „Betrieb“, 428; ähnlich Brösel in Wöhe/Döring, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre26, 27. 5 Vgl. Kanzler in H/H/R, Vor §§ 4–7 EStG Anm. 85 ff.; Seiler in K/S/M, § 4 EStG Rz. B 50 ff. Im Steuerrecht bestehen Meinungsverschiedenheiten darüber, ob der Betriebsbegriff i.S. eines engen, weiten oder mittleren Betriebsvermögensbegriffes auszulegen ist: vgl. dazu Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 61; Frotscher, § 4 EStG Rz. 22 ff.

2

Wassermeyer

B. Begriffe

Rz. 1.3 Kap. 1

kann i.S.v. § 15 Abs. 2 EStG ausgelegt werden, wenn man die Einkunftsarten i.S.d. §§ 13 und 18 EStG als lex specialis gegenüber § 15 EStG versteht. Der Begriff ist jedoch unabhängig davon auszulegen, ob der Betriebsinhaber unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist. Der Gewinn ist für jeden Betrieb separat zu ermitteln. Der Betriebsbegriff dient der Abgrenzung zu anderen Einkunftsarten, zu anderen Betrieben derselben Einkunftsart und zum Privatbereich des Betriebsinhabers. Damit steht er in einem engen Zusammenhang zu den Begriffen Betriebsvermögen, Betriebseinnahmen, Betriebsausgaben, Gewinn, Entnahmen und Einlagen. Eine natürliche Person kann mehrere Betriebe haben (z.B. Handelsvertreter und Betreiber eines Campingplatzes).1 Die Betriebe können derselben (z.B. Einkünfte aus Gewerbebetrieb) oder verschiedenen Einkunftsarten (z.B. Einkünfte aus Gewerbebetrieb einerseits und Einkünfte aus selbständiger Arbeit andererseits) zuzuordnen sein. Ob im Einzelfall mehrere Wirtschaftseinheiten einen oder mehrere Betriebe bilden, ist eine im Tatsächlichen liegende Frage ihres funktionalen Zusammenhanges (wirtschaftliche, technische und organisatorische Einheit).2 Teilbetriebe i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind wie Betriebsstätten zu behandeln. Allerdings kann ein Teilbetrieb auch mehrere Betriebsstätten umfassen. Im Übrigen hat der Begriff „Teilbetrieb“ international gesehen keine Bedeutung. Auf ihn kommt es nur innerhalb des § 6 Abs. 3, § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG und der §§ 20, 24 UmwStG an. Wirtschaftseinheiten, die verschiedenen Steuersubjekten zuzuordnen sind, bilden steuerlich stets einen selbständigen Betrieb. Soweit eine Personengesellschaft Einkünfte i.S.d. §§ 15–18 EStG erzielt, unterhält sie wegen § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nur „einen“ einheitlichen Betrieb. Entsprechend unterhalten verschiedene Personengesellschaften jeweils verschiedene eigenständige Betriebe. Dies gilt auch, wenn sie als Ober- und Untergesellschaft aneinander beteiligt sind. Dennoch bestehen Unklarheiten darüber, ob und ggf. wann im Gesamthandsvermögen gehaltene Wirtschaftsgüter einer Mitunternehmerbetriebsstätte bzw. im Sonderbetriebsvermögen gehaltene Wirtschaftsgüter einer Betriebsstätte der Mitunternehmerschaft zugeordnet werden können (vgl. Rz. 9.5).3 Die Tätigkeit einer inländischen Kapitalgesellschaft begründet wegen § 8 Abs. 2 KStG nur einen einzigen Betrieb.4 (Ausländische) Körperschaften, die nicht unter § 8 Abs. 2 KStG fallen, können dagegen mehrere Betriebe nebeneinander unterhalten und möglicherweise sogar Privatvermögen haben. Für sie ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen, ob mehrere oder nur eine wirtschaftliche, technische und organisatorische Einheit(en) besteht(en).5 Dies kann auch für ausländische Kapitalgesellschaften gelten. Zu einem Betrieb gehört zwar nicht notwendigerweise, jedoch regelmäßig ein Betriebsvermögen. Das Betriebsvermögen eines Betriebes bildet notwendigerweise eine Einheit. Jeder Betrieb kann nur ein und nicht mehrere Betriebsvermögen haben. Dies gilt insbesondere für die Anwendung von § 6 Abs. 5 EStG (vgl. Rz. 1.22, 1.23, 4.260, 6.19, 6.20, 6.42, 7.16 und 10.19).

1 Vgl. BFH v. 9.8.1989 – X R 130/87, BStBl. II 1989, 901 = FR 1990, 29. 2 Vgl. BFH v. 1.12.1960 – IV 353/60 U, BStBl. III 1961, 65; v. 28.5.1968 – IV 340/64, BStBl. II 1968, 688; v. 28.4.1977 – IV R 165/76, BStBl. II 1977, 666; v. 12.1.1978 – IV R 26/73, BStBl. II 1978, 348; v. 12.1.1983 – IV R 177/80, BStBl. II 1983, 425; v. 13.10.1988 – IV R 136/85, BStBl. II 1989, 7 = FR 1989, 178; v. 10.2.1989 – III R 78/86, BStBl. II 1989, 467 = FR 1989, 440; v. 5.9.1990 – X R 20/89, BStBl. II 1991, 25 = FR 1990, 756; v. 9.8.1989 – X R 130/87, BStBl. II 1989, 901 = FR 1990, 29; v. 27.1.1994 – IV R 137/91, BStBl. II 1994, 477 = FR 1994, 408; v. 14.9.1993 – VIII R 84/90, BStBl. II 1994, 764 = FR 1994, 511; v. 29.3.2001 – IV R 62/99, BFH/NV 2011, 1248; v. 19.2.2004 – III R 1/03, BFH/NV 2004, 1231. 3 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149; Wassermeyer, IStR 2010, 37 ff. (41). 4 Vgl. BFH v. 10.2.1989 – III R 78/86, BStBl. II 1989, 467 = FR 1989, 440. 5 Vgl. BFH v. 19.11.2003 – I R 33/02, DB 2004, 416.

Wassermeyer 3

Kap. 1 Rz. 1.4

Einführung

II. Betriebsstättenbegriff 1.4 Begriffliche Unterschiede. Vom Betriebsbegriff ist der Betriebsstättenbegriff zu unterscheiden. Die Betriebsstätte ist ein steuerrechtlicher Begriff, der vom Handelsrecht zumindest nicht expressis verbis verwendet wird. Das Handelsrecht kennt nur die Haupt- und die Zweigniederlassung, die jeweils steuerrechtlich als Betriebsstätten zu werten sind.1 Handelsund steuerrechtlich begründen „Lieferungen“ und „Leistungen“ zwischen Stammhaus und Betriebsstätten und umgekehrt bzw. zwischen Betriebsstätten keine Forderungen und Verbindlichkeiten. Man spricht insoweit von Innentransaktionen (vgl. Rz. 1.11, 1.16, 1.24, 1.29, 1.32, 4.20, 4.31, 4.40, 4.42, 4.222, 4.236, 4.250, 6.83, 6.118, 8.2, 11.9, 11.16, 13.12, 13.35, 13.40, 13.52, 13.169).2 Die Betriebsstätte ist im steuerrechtlichen Sinne regelmäßig eine örtliche Einrichtung, die auf eine gewisse Dauer angelegt, in einen Betrieb eingebettet ist und demselben dient. Anders ausgedrückt ist die Betriebsstätte i.d.R. der Teil eines Betriebes (Unternehmens), der bestimmte Funktionen mit einer gewissen Selbständigkeit und Planmäßigkeit innerhalb des Gesamtunternehmens wahrnimmt, wobei allerdings nicht jeder Teil eines Betriebes eine Betriebsstätte bilden muss. Der Begriff „Betriebsstätte“ drückt die organisatorische und wirtschaftliche Selbständigkeit einer betrieblichen Einrichtung aus. Mehrere örtliche Einrichtungen eines Unternehmens können eine (einzige) Betriebsstätte bilden, wenn sie nur in demselben Staat belegen sind (vgl. Rz. 1.6), müssen jedoch nicht in jedem Fall eine (einzige) Betriebsstätte bilden (s. unten zur nicht gegebenen Attraktivkraft einer Betriebsstätte). Ein Betrieb kann aber auch nur aus einer Betriebsstätte bestehen. In diesem Fall ist der Betrieb mit der Geschäftsleitungsbetriebsstätte identisch (vgl. Rz. 2.15 ff., 2.122 ff. und 11.1 ff.).3 In der Betriebsstätte muss keine Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt werden. Es ist unerheblich, ob in der Betriebsstätte auch Haupt- oder nur Nebentätigkeiten erbracht werden.4 Die Betriebsstätte muss nicht selbst am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen.5 Gewöhnlich ist einer Betriebsstätte lediglich Vermögen zuzuordnen, das im Betriebsstättenstaat belegen ist, wobei mangels Attraktivkraft der Betriebsstätte nicht das gesamte, im Betriebsstättenstaat belegene Vermögen dieser Betriebsstätte zuzuordnen sein muss. Einer Betriebsstätte kann aber auch Vermögen zuzuordnen sein, das in einem anderen Staat belegen ist und für sich gesehen keine Betriebsstätte bildet. Die Betriebsstätte ist selbst weder Rechts- noch Steuersubjekt. Auf § 12 AO einerseits und Art. 5 OECD-MA andererseits wird hingewiesen. Der Betriebsstättenbegriff wird auch in Art. 2 Abs. 2 MTR verwendet. Die dortige Definition stimmt weitgehend mit der des Art. 5 OECD-MA und der des § 12 Abs. 1 Satz 1 AO überein. Man muss allerdings beachten, dass die Diskussion um die sog. Dienstleistungsbetriebsstätte innerhalb der OECD zu möglichen Auslegungsdivergenzen zwischen Betriebsstätten i.S.d. Art. 5 OECD-MA und solchen i.S.d. § 12 Abs. 1 Satz 1 AO führt (vgl. Rz. 1.29). Dies kann auch für Betriebsstätten im Internetbereich gelten (vgl. Rz. 11.21 ff.).

1 Vgl. § 12 Satz 2 Nr. 1 und 2 AO. 2 Vgl. Strunk in Mössner u.a., Internationales Steuerrecht4, Rz. 4.1 ff. 3 Vgl. Roth in H/H/R, § 49 EStG Anm. 180; Schaumburg in Schaumburg4, Rz. 21.125 ff.; Schmitz in Löwenstein/Looks/Heinsen2, Rz. 1014. 4 Vgl. BFH v. 30.8.1960 – I B 148/59U, BStBl. III 1960, 468; BFH v. 10.5.1961 – IV 155/60 U, BStBl. III 1961, 317. 5 Vgl. BFH v. 9.7.1986 – I R 85/83, BStBl. II 1986, 851 = FR 1986, 603; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 634; Roth in H/H/R, § 49 EStG Anm. 200.

4

Wassermeyer

B. Begriffe

Rz. 1.6 Kap. 1

Geschäftsleitungsbetriebsstätte. Jeder Betrieb hat zumindest eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte (Stammhaus).1 Er kann daneben eine Vielzahl anderer Betriebsstätten unterhalten. Die Betriebsstätten bilden in ihrer Summe den (einheitlichen) Betrieb. Ungeachtet der Zahl der Betriebsstätten besteht für den Betrieb eine Verpflichtung zur einheitlichen Gewinnermittlung.2 Für die einzelne Betriebsstätte gilt an sich keine separate Gewinnermittlungspflicht. Sind allerdings der Betrieb im Inland und eine einzelne Betriebsstätte im Ausland angesiedelt, so kann das ausländische Steuerrecht eine Verpflichtung zur separaten Gewinnermittlung nur für die ausländische Betriebsstätte vorschreiben. Alternativ kann das ausländische Steuerrecht vorsehen, dass der ausländische Betriebsstättengewinn aus dem Gesamtgewinn des Unternehmens abzuleiten ist. Nach deutschem Steuerrecht gilt dies nicht für die inländische Betriebsstätte eines ausländischen Betriebes (vgl. Rz. 1.11, 1.13 und 3.4). Auch kann das inländische Steuerrecht für in- und/oder ausländische Betriebsstätteneinkünfte eine Steuerbefreiung oder -ermäßigung vorsehen, was deren Abgrenzung von den übrigen Einkünften erforderlich macht (vgl. Rz. 4.2). Der Betriebsstättenbegriff ist darüber hinaus in zahlreichen Gesetzen von Bedeutung, die steuerliche Vor- oder Nachteile begründen (InvZulG, InvStG, AStG). Innerhalb der Lohnsteuer kann sich die Finanzamtszuständigkeit nach der Betriebsstätte bestimmen (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 38 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Außerdem bestehen Aufzeichnungspflichten beim Lohnsteuerabzug am Ort der Betriebsstätte (§ 41 Abs. 1 EStG). Eine Betriebsstätte begründet i.d.R. die Unternehmereigenschaft nach dem UStG im Betriebsstättenstaat. Schließlich war die Betriebsstätte innerhalb der beschränkten Vermögensteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 VStG) bzw. innerhalb der Anrechnung ausländischer Vermögensteuern (§ 11 VStG i.V.m. § 121 Abs. 2 Nr. 3 BewG a.F.) von Bedeutung. § 90 Abs. 3 Satz 4 AO begründet Aufzeichnungspflichten für Steuerpflichtige, die für die inländische Besteuerung Gewinne zwischen ihrem inländischen Unternehmen und dessen ausländischer Betriebsstätte aufzuteilen oder den Gewinn der inländischen Betriebsstätte ihres ausländischen Unternehmens zu ermitteln haben (vgl. Rz. 13.93 ff.).

1.5

Mehrere feste Geschäftseinrichtungen in einem anderen Staat. Unterhält das in dem einen Staat ansässige Unternehmen in einem anderen Staat mehrere feste Geschäftseinrichtungen, so stellt sich die Frage, ob diese eine oder mehrere Betriebsstätten bilden. Dies ist zum einen eine im Tatsächlichen liegende Frage ihres funktionalen Zusammenhanges (wirtschaftliche, technische und organisatorische Einheit – vgl. Rz. 1.3).3 Bei bestehendem funktionalem Zusammenhang können verschiedene feste Geschäftseinrichtungen zusammen eine Betriebsstätte bilden. Von diesem Ausnahmefall abgesehen gilt jedoch der Grundsatz, dass jede feste Geschäftseinrichtung, die für sich genommen die Voraussetzungen des § 12 AO bzw. des Art. 5 OECD-MA erfüllt, als eigenständige Betriebsstätte zu behandeln ist. Dies gilt gleichermaßen für die Anwendung von § 12 AO und Art. 5 OECD-MA. Begrifflich liegen Überführungen zwischen zwei Betriebsstätten unabhängig davon vor, ob die Betriebsstätten im Inoder im Ausland gelegen sind. Wegen § 4 Abs. 1 Sätze 4 und 8 Halbs. 2 EStG n.F. und § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG n.F. kommt der entsprechenden Differenzierung jedoch große Bedeutung zu. Der Gewinn mehrerer inländischer Betriebsstätten desselben Unternehmens muss zusammengefasst ermittelt werden. Insoweit besteht zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht kein Unterschied. Man muss allerdings die Frage der Zusammenfassung mehrerer Betriebsstätten auch vor dem Hintergrund der DBA-Aktivitätsklauseln beurteilen.

1.6

1 BFH v. 15.10.1997 – I R 76/95, BFH/NV 1998, 434; BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398 = FR 2008, 920. 2 Vgl. BFH v. 23.7.2003 – I R 62/02, BFH/NV 2004, 317 – unter II.3.c). 3 Vgl. Roth in H/H/R, § 49 EStG Anm. 181.

Wassermeyer 5

Kap. 1 Rz. 1.7

Einführung

Anders als § 8 AStG stellen die DBA-Aktivitätsklauseln regelmäßig darauf ab, ob die in der Betriebsstätte erzielten Einkünften (Bruttoerträge) ausschließlich oder fast ausschließlich aktiv sind. Einkünfte derselben Betriebsstätte, die teils aktiv und teils passiv sind, ohne deshalb das Merkmal „fast ausschließlich“ zu erfüllen, fallen nicht unter die DBA-Steuerbefreiung. So gesehen kann es im Interesse des Steuerpflichtigen liegen, die Einkünfte aus aktivem Erwerb in einer eigenständigen Betriebsstätte zu erzielen.

1.7 Bauernhof als Betriebsstätte. Die Working Party 1 der OECD hatte am 12.10.2011 einen Bericht mit Stellungnahmen zu insgesamt 25 Zweifelsfragen zur Auslegung des Betriebsstättenbegriffes vorgelegt. Die OECD hatte alle Interessierten aufgefordert, zu dem Bericht eine Stellungnahme abzugeben. Die Working Party 1 befasste sich u.a. mit der Frage, ob ein Bauernhof eine Betriebsstätte begründen kann. Sie vertritt die Auffassung, dass die Frage nach dem Bestand einer Betriebsstätte unabhängig davon zu beantworten ist, welche Verteilungsnorm anzuwenden ist. Werden im Quellenstaat z.B. Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen besteuert, so ist die Existenz einer Betriebsstätte für die Anwendung des Art. 6 OECD-MA an sich ohne Bedeutung. Die Frage kann aber von Interesse sein, wenn dem Bauernhof Dividenden oder Zinseinnahmen zuzuordnen sind und insoweit die Anwendung von Art. 10 Abs. 4 oder Art. 11 Abs. 4 OECD-MA zur Diskussion steht. Die Frage kann ebenso im Bereich der Arbeitnehmerbesteuerung gem. Art. 15 Abs. 2 Buchst. c OECD-MA von Bedeutung sein. Die Auffassung der OECD begegnet jedenfalls im Bereich der Art. 10 Abs. 4, 11 Abs. 4 und 12 Abs. 3 OECD-MA erheblichen Bedenken. Zwar kann ein Unternehmen auch Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen erzielen. Eine LuF ist aber kein Unternehmen i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Buchst. d OECD-MA. Es fehlt deshalb an einer dem Rechtsgedanken des Art. 6 Abs. 4 OECDMA entsprechenden Vorschrift. Für Art. 15 Abs. 2 Buchst. c OECD-MA mag etwas anderes gelten, weil es dort nur um die Umschreibung geht, welchem Vertragsstaat die ausgeübte unselbständige Arbeit zuzuordnen ist. Nach der Auffassung des BFH hat ein im Ausland belegenes und landwirtschaftlich bewirtschaftetes Grundstück die Eignung, eine Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO mit der Folge zu begründen, dass die nach einem DBA an sich steuerfreien Einkünfte beim Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen sind.1

III. Erfordernis des Tätigwerdens von Personen in einer Betriebsstätte 1.8 Aktuelle Entwicklungen. Es gibt Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die unabhängig von der Existenz einer Betriebsstätte erzielt werden. Dies gilt zum einen für den Bereich des § 17 EStG bzw. des § 6 AStG und zum anderen für den Gewinnanteil i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG eines persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA.2 Erzielt eine Person nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S.d. § 24 Satz 1 Nr. 2 EStG, so wird es häufig an einer im Zeitpunkt der Einkünfteerzielung noch existenten Betriebsstätte fehlen. Ein Veranlassungszusammenhang besteht nur zu einer früher unterhaltenen Betriebsstätte, die aber aufgegeben sein kann oder heute von einem anderen Unternehmer betrieben wird. Schließlich kann unter den Voraussetzzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG bzw. des § 8 Abs. 2 KStG auch eine Vermögensverwaltungstätigkeit steuerrechtlich als eine unternehmerische zu beurteilen sein. Die erzielten Einkünfte sind dann einer Betriebsstätte, ggf. der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen. Ob deshalb auch abkommensrechtlich Unternehmensgewinne oder aber „Einkünfte aus Vermögensverwaltung“ i.S.d. Art. 6, 10–12 oder 21 OECD-MA anzunehmen

1 Vgl. BFH v. 2.4.2014 – I R 68/12, BStBl. II 2014, 875 = ISR 2014, 274 m. Anm. Krain. 2 Vgl. Wassermeyer, Ubg 2011, 47 und FS Streck, 259 (267).

6

Wassermeyer

B. Begriffe

Rz. 1.9 Kap. 1

sind, ist eine andere Frage.1 Man muss beachten, dass die Auslegungen von Art. 5 OECDMA einerseits und § 12 AO andererseits eher auseinanderdriften. Innerhalb des Abkommensrechts findet die sog. Dienstleistungsbetriebsstätte immer mehr Befürworter, während innerhalb des § 12 AO das Schwergewicht auf den Begriffen „feste Geschäftseinrichtung“ und „Anlage“ liegt. Die Sonderbehandlung von Einkünften, die mit Hilfe eines ständigen Vertreters i.S.d. § 13 AO erzielt werden, verdeutlicht dies. Man kann den Einsatz eines ständigen Vertreters auch als typische Dienstleistungsbetriebsstätte des Vertretenen verstehen (vgl. Rz. 11.347 ff. u. 11.371). Nach der Auffassung des BFH2 begründet eine unterirdisch durch das Inland verlaufende Rohrleitung eine inländische Betriebsstätte. Die Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO setzt deshalb keine Tätigkeit von mindestens einer Person voraus, die in der Betriebsstätte ausgeübt wird. Der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff erfasst dagegen auch die Vertreterbetriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA, die ihrerseits keine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage des Vertreters bzw. des Vertretenen voraussetzt (vgl. Rz. 2.204 ff.). Angesichts der Bedeutung des tatsächlichen Tätigwerdens in einer Betriebsstätte für Zwecke der Gewinnermittlung unter dem AOA ist es nicht hinnehmbar, wenn der Gesetzgeber die Anwesenheit von Personal(funktionen) in einer Betriebsstätte gesetzlich fingiert.

IV. Unterbetriebsstätte Bezug zum Stammhaus oder zu einer Oberbetriebsstätte. Umstritten ist die Frage, ob eine Betriebsstätte eine Unterbetriebsstätte haben kann oder ob sich jede „Unter“-betriebsstätte einer „Ober“-betriebsstätte steuerlich nur als eine Betriebsstätte des Gesamtunternehmens darstellt.3 In tatsächlicher Hinsicht können zwischen einer „Ober“-betriebsstätte und einer „Unter“-betriebsstätte so enge wirtschaftliche Verflechtungen bestehen, dass die „Unter“-betriebsstätte nur oder vor allem einer „Ober“-betriebsstätte dient. Abkommensrechtlich gesehen gibt es jedoch gem. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA keine Attraktivkraft einer „Ober“betriebsstätte gegenüber einer „Unter“-betriebsstätte. Diese Überlegung gilt auch für das nach innerstaatlichem Recht anzuwendende Veranlassungsprinzip. Wirtschaftsgüter, Erträge und Aufwand müssen unter Veranlassungsgesichtspunkten entweder der Geschäftsleitungsbetriebsstätte oder einer anderen Betriebsstätte zugeordnet werden. Sie können auch anteilig mehreren Unternehmensteilen zugeordnet werden. Allerdings sieht § 5 Abs. 1 Satz 3 BsGaV eine vorrangige Zuordnung zu der Betriebsstätte vor, die das Wirtschaftsgut überwiegend nutzt (vgl. Rz. 4.89). Unklarheiten bestehen, wenn das Nutzungsverhältnis gleich ist bzw. wenn sich während eines Wirtschaftsjahrs ständige Veränderungen des Nutzungsverhältnisses ergeben. Es kann nicht der gesamte Buchwert eines Wirtschaftsguts bzw. ein Ertrag oder Aufwand insgesamt zwei Betriebsstätten gleichzeitig zugerechnet werden. Die Summe der ggf. anteiligen Zuordnungen muss zwar stets 100 % erreichen, darf aber 100 % auch nicht übersteigen oder gar unter 100 % liegen.4 Daraus folgt, dass jede „Unter“-betriebsstätte für 1 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510 = FR 2008, 724 m. Anm. Lohmann/Rengier; v. 8.9.2010 – I R 74/09, BStBl. II 2011, 138; Wassermeyer, IStR 2011, 361 (367). 2 Vgl. BFH v. 30.10.1996 – I R 12/92, BStBl. II 1997, 12. 3 Vgl. BFH v. 10.7.2002 – I R 71/01, BStBl. II 2003, 191 = FR 2003, 236; v. 16.10.2002 – I R 17/01, FR 2003, 362 = BFH/NV 2003, 366; Buciek in FS Flick, 647 (654); Heinsen/Looks in Löwenstein/ Looks/Heinsen2, Rz. 588; Hemmelrath in V/L6, Art. 7 OECD-MA Rz. 42; Wolff, SWI 2004, 16; Loukota, SWI 2004, 16. 4 BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663 (665) = FR 1988, 392 – unter II.2.e) der Gründe: „Das Betriebsstättenprinzip geht ganz allgemein davon aus, dass Einkünfte immer nur einer Betriebsstätte zugerechnet werden können.“

Wassermeyer 7

1.9

Kap. 1 Rz. 1.10

Einführung

sich zu beurteilen ist, wenn sie die Voraussetzungen einer Betriebsstätte erfüllt.1 Der Gewinn/Verlust einer „Unter“-betriebsstätte kann weder einer „Ober“-betriebsstätte noch der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zugerechnet werden.2 Dies entspricht der Überlegung, dass jeder Teilbetrag des Unternehmensgewinns mindestens einer und höchstens einer Betriebsstätte zuzuordnen ist.3 Ist allerdings die „Unter“-betriebsstätte im Inland belegen, so sind hier alle Einkünfte aus inländischen Betriebsstätten zusammen zu fassen. Die Frage, ob die „Unter“-betriebsstätte in tatsächlicher Hinsicht mehr einer „Ober“-betriebsstätte oder der Geschäftsleitungsbetriebsstätte dient, ist für die steuerliche Gewinnermittlung ohne Belang.4 Entsprechend ist der BFH in seinem Urteil vom 16.10.20025 davon ausgegangen, dass alle Betriebsstätten einer Personenuntergesellschaft abkommensrechtlich den Mitunternehmern der Personenobergesellschaft und nicht etwa der Personenobergesellschaft selbst zuzurechnen sind.

1.10 „Unterbetriebsstätte“, die keine Betriebsstätte ist. Eine andere Frage ist die, wie zu verfahren ist, wenn eine „Unterbetriebsstätte“ die Tatbestandsvoraussetzungen einer Betriebsstätte nicht erfüllt. Lang6 behandelt den Fall, dass ein Unternehmer, der selbst ausschließlich im Staat A wohnt, ein im Staat B ansässiges Bauunternehmen betreibt, das im Staat C eine Bauausführung für die Dauer von nur fünf Monaten unterhält. Eine solche Bauausführung erfüllt die zeitlichen Voraussetzungen weder des Art. 5 Abs. 3 OECD-MA noch des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO. Dies bedeutet, dass die Bauausführung als solche keine Betriebsstätte darstellt und deshalb einer anderen Betriebsstätte zugeordnet werden muss. In der Regel wird sie der Geschäftsleitungsbetriebsstätte des Unternehmens zuzuordnen sein. Dies gilt auch dann, wenn die Bauausführung unter im Übrigen gleichen Voraussetzungen sich im Wohnsitzstaat A vollziehen sollte. Überschreitet dagegen die Bauausführung die nach Art. 5 Abs. 3 OECDMA bzw. nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO maßgebende Frist, so erstarkt sie rückwirkend und von Anfang an zu einer eigenen Betriebsstätte mit der Folge, dass die ihr nach Abkommensrecht bzw. nach innerstaatlichem Recht zuzurechnenden Gewinne keiner anderen Betriebsstätte zugerechnet werden können.

V. Inländische Betriebsstätte kein eigenständiger Betrieb 1.11 Steuerausländer mit inländischer Betriebsstätte. Hat ein im Inland nur beschränkt Steuerpflichtiger hier eine Betriebsstätte, so besteht nach deutschem Steuerrecht eine Gewinnermittlungspflicht nur für die inländischen Betriebsstätteneinkünfte (vgl. Rz. 1.5, 1.13, 3.33 ff. u. 4.20). Die Frage geht dahin, ob deshalb aus der inländischen „Betriebsstätte“ ein inländischer „Betrieb“ wird, in den Wirtschaftsgüter eingelegt bzw. aus dem solche entnommen werden 1 Eine solche Situation ergibt sich häufig im Bereich der Bauindustrie, wenn eine sog. Dauerniederlassung, die in einem anderen Staat als dem Ansässigkeitsstaat der Geschäftsleitungsbetriebsstätte belegen ist, in einem Drittstaat eine Bau- und/oder Montagetätigkeit aufnimmt, durch die eine Betriebsstätte begründet wird. 2 Gassner/Hofbauer, Die Unterbetriebsstätte, 83 ff.; Piltz, Personengesellschaften, 215; Kumpf, Inländische Betriebsstätten, 26; Kumpf, StbJb. 1988/89, 399 (409). 3 Vgl. Wassermeyer, IStR 2004, 676 und IStR 2010, 241; a.A. Kramer, IStR 2004, 672 (677), Kramer, IStR 2010, 239 und Kramer, IStR 2016, 499; Hruschka/Lüdemann, IStR 2005, 76. 4 Vgl. BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663 = FR 1988, 392; v. 10.7.2002 – I R 71/01, BStBl. II 2003, 191 = FR 2003, 236; v. 16.10.2002 – I R 17/01, BStBl. II 2003, 631 = FR 2003, 362; v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398 = FR 2008, 920. 5 Vgl. BFH v. 16.10.2002 – I R 17/01, BStBl. II 2003, 631 = FR 2003, 362. 6 Vgl. Lang in FS Wassermeyer, 709 ff. (711).

8

Wassermeyer

B. Begriffe

Rz. 1.12 Kap. 1

können. Diese Frage, die der BFH ausdrücklich offengelassen hat, ist zu verneinen. Deutlich wird das Problem an dem Beispiel einer Personengesellschaft mit in- und ausländischen Betriebsstätten, an der sowohl ein unbeschränkt als auch ein beschränkt steuerpflichtiger Mitunternehmer beteiligt ist. Bei dieser Personengesellschaft bildet das gesamte Unternehmen wegen § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG den Betrieb. Die inländische Betriebsstätte wird nicht dadurch zum Betrieb, dass an der Personengesellschaft ein beschränkt Steuerpflichtiger beteiligt ist, der im Inland nur mit seinen inländischen Einkünften steuerpflichtig ist. Selbst wenn das EStG die Gewinnermittlungspflichten für den Regelfall auf einen Betrieb bezieht, schließt das nicht aus, dass sie aus Gründen der beschränkten Steuerpflicht ausnahmsweise auf eine inländische Betriebsstätte beschränkt werden. Deshalb wird aus einer Betriebsstätte noch kein Betrieb. Dies bestätigt die Einfügung von § 16 Abs. 3a EStG im JStG 2010.1 Dessen ungeachtet ist der Betriebsstättengewinn ein „Gewinn“ i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 und des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG. Die im Schrifttum vertretene andere Auffassung,2 ein Gewinn könne nicht für die Betriebsstätte selbst, sondern nur für das Gesamtunternehmen ermittelt werden, ist durchaus fragwürdig und letztlich nur eine definitorische Frage. Das deutsche Steuerrecht versteht jedenfalls die inländischen Betriebsstätteneinkünfte eines Steuerausländers als „Gewinn“. Dies folgt aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG und gilt über die begriffliche Verkettung der § 34d Nr. 1, 2 und 3, §§ 13–18 und § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG auch für ausländische Betriebsstätteneinkünfte. Eine andere Frage ist die, wie sich diese Feststellung auf Innentransaktionen von einer inländischen in eine ausländische Betriebsstätte bzw. umgekehrt im Einzelnen auswirkt (vgl. Rz. 4.31).

VI. Fiktion der Selbständigkeit der Betriebsstätte Selbständigkeit und Fremdvergleich. Während es in Deutschland bisher herrschende Meinung war, dass die Betriebsstätte auch für Zwecke der Gewinnabgrenzung als unselbständiger Teil eines Unternehmens verstanden werden muss, der mit den übrigen Unternehmensteilen keine Verträge mit steuerlicher Wirkung abschließen kann, hat sich auf der Ebene der OECD eine andere Auffassung durchgesetzt, der auch die deutsche Finanzverwaltung folgen möchte. Einschlägig war zunächst der OECD-Report „Attribution of Income to Permanent Establishments“ aus dem Jahr 1993. Im Jahr 2006 wurde sodann das Gewinnabgrenzungskonzept des „Authorised OECD Approach“ veröffentlicht, der am 17.7.2008 revidiert wurde und eine Neufassung des MK zu Art. 7 auslöste. Im Jahr 2010 wurde sowohl der Text von Art. 7 OECD-MA als auch der MK zu Art. 7 OECD-MA sowie der „Authorised OECD Approach“ in ihren heute geltenden Fassungen beschlossen. Danach soll für die Zuordnung von Erlösen, Aufwendungen und Wirtschaftsgüter auf die von den Betriebsstätten ausgeübten Funktionen und Risiken abgestellt werden. Im Vordergrund stehen sog. Personalfunktionen, d.h., es ist zu prüfen, welche Personen welche Funktionen innerhalb des Unternehmens ausüben und welcher Betriebsstätte diese Personen zuzuordnen sind. Es wird zwischen Routinefunktionen und bedeutsamen Personalfunktionen differenziert. Zuordnungskriterium soll der Fremdvergleich sein, wobei die Betriebsstätten fiktiv wie eigenständige Rechtsträger behandelt werden. Den Betriebsstätten werden Wirtschaftsgüter und Risiken entsprechend den von ihnen übernommenen Funktionen zugeordnet. Für jede Betriebsstätte muss das notwendige Eigenkapital ermittelt werden. Betriebsstätten sollen die Eignung haben, wirtschaftliche Eigentümer der ihnen zuzuordnenden Wirtschaftsgüter mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen sein 1 JStG 2010 v. 9.12.2010, BGBl. I 2010, 1900. 2 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 761 ff.; Becker, DB 1989, 11; Ritter, JbFSt 1976/77, 291; Quack, BB 1975, 833; Ditz, Gewinnabgrenzung, 37.

Wassermeyer 9

1.12

Kap. 1 Rz. 1.13

Einführung

zu können. Diese Entwicklung ist im höchsten Maße bedenklich. Sie führt zwar dann zu zutreffenden Ergebnissen, wenn eine Betriebsstätte in tatsächlicher Hinsicht wie ein selbständiges Unternehmen agiert und im Außenverhältnis abgeschlossene Leistungen allein erbringt. Dies ist jedoch nicht die Regel. Stellt sich die Betriebsstätte als ein unselbständiger Unternehmensteil dar, der nur mit anderen Unternehmensteilen poolmäßig zusammenwirkt, um im Außenverhältnis gemeinsam bestimmte Leistungen zu erbringen, so entspricht die angenommene Selbständigkeit gerade nicht dem Fremdvergleich. Vor allem können die einzelnen Betriebsstätten nicht die in einem anderen Unternehmensteil gesetzten Risiken vertraglich übernehmen. In vielen Fällen ist auch die von einer Betriebsstätte übernommene Funktion an sich nur auf vertraglicher Grundlage bestimmbar, an der es jedoch notwendigerweise fehlt. So kann eine Vertreiberbetriebsstätte alternativ als Eigenhändler, Kommissionär oder Agent tätig werden. Die Unterschiede wirken sich auf die Frage aus, welche Betriebsstätte das Risiko des zufälligen Untergangs des zu verkaufenden Produktes trägt. Wurde das Produkt in einer anderen Betriebsstätte desselben Unternehmens hergestellt, so kann die produzierende Betriebsstätte nicht das Risiko des zufälligen Untergangs des hergestellten Produkts auf die vertreibende Betriebsstätte vertraglich übertragen. Das Beispiel macht deutlich, dass die angenommene Selbständigkeit der Betriebsstätte auf einer Unterstellung beruht, die gerade nicht dem Fremdvergleich entspricht. Sie ist letztlich eine willkürliche Annahme. Selbst wenn der deutsche Gesetzgeber sie nunmehr in § 1 AStG gesetzlich verankert hat, muss man beachten, dass mit der fiktiven Veräußerungsgewinnbesteuerung keineswegs alle Probleme gelöst sind. Gegebenenfalls stellt sich auch die Frage, welchem Unternehmensteil ein sich anschließender zufälliger Untergang des Produktes erfolgsmäßig zuzuordnen ist.

VII. Gewinnermittlungspflicht 1.13 Abhängigkeit von der Steuerpflicht. Das deutsche innerstaatliche Steuerrecht unterscheidet wie das Steuerrecht vieler anderer Staaten zwischen der unbeschränkten und der beschränkten Steuerpflicht. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf das sog. Welteinkommen; Besteuerungsgegenstand der beschränkten Steuerpflicht sind dagegen nur die inländischen Einkünfte (§ 49 EStG). Der unbeschränkt Steuerpflichtige hat deshalb schon nach deutschem innerstaatlichem Recht sein gesamtes Welteinkommen einschließlich evtl. steuerfreier Einkünfte zu ermitteln und zu erklären. Bei dem beschränkt Steuerpflichtigen erstrecken sich dagegen die deutschen innerstaatlichen Ermittlungs- und Erklärungspflichten nur auf die inländischen Einkünfte. Dies gilt für beschränkt Steuerpflichtige mit Wohnsitz oder Sitz in einem DBA-Staat oder einem Nicht-DBA-Staat gleichermaßen. Dabei ist zu beachten, dass sowohl der unbeschränkt als auch der beschränkt Steuerpflichtige zusätzlich in anderen Staaten persönlich steuerpflichtig sein können. Die aus solchen Steuerpflichten resultierenden zusätzlichen Ermittlungs- und Erklärungspflichten richten sich nach dem innerstaatlichen Recht des oder der anderen Staaten. Sie können unbeschränkt oder beschränkt sein. Vor allem wird das Gewinnermittlungsrecht eines anderen Staates i.d.R. nicht mit dem deutschen Gewinnermittlungsrecht übereinstimmen. Gegebenenfalls müssen mehrere Gewinnermittlungen nach den unterschiedlichen Rechten verschiedener Staaten für dieselben Einkünfte nebeneinander erstellt werden. Zu den inländischen Einkünften können auch Erträge und Aufwendungen gehören, die im Ausland erzielt bzw. getätigt worden sind, wenn das Veranlassungsprinzip die Zuordnung zu der im Inland steuerpflichtigen Einkunftsquelle verlangt (vgl. Rz. 1.15). Entsprechend kann auch im Ausland belegenes Vermögen einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnen sein. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Rz. 3.1 ff. u. 4.31 ff. verwiesen.

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Wassermeyer

B. Begriffe

Rz. 1.15 Kap. 1

Ermittlung ausländischer Betriebsstätteneinkünfte. Wird durch die wirtschaftliche Aktivität eines unbeschränkt steuerpflichtigen Steuersubjektes eine Betriebsstätte im Ausland begründet, kann sich für Zwecke der Besteuerung im Inland die Notwendigkeit ergeben, die Einkünfte aus der ausländischen Betriebsstätte von den übrigen Einkünften aus demselben Betrieb abzugrenzen (ausländische Einkünfte). Insoweit ist zwischen Gewinnermittlung und Gewinnaufteilung bzw. Gewinnabgrenzung zu differenzieren, wobei sich die Gewinnabgrenzung auf beiden Stufen der Gewinnermittlung vollziehen kann, i.d.R. jedoch auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung (vgl. Rz. 4.6 und 4.13 ff.) erfolgt. Die Notwendigkeit, die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte von den übrigen abzugrenzen, besteht immer dann, wenn dieselben im Inland eine andere steuerliche Behandlung als die inländischen bzw. die nichtausländischen Einkünfte erfahren. Die abweichende steuerliche Behandlung kann in einer Steuerbefreiung oder -ermäßigung (Anrechnung, Quellensteuerermäßigung oder Abzug ausländischer Steuern)1 oder in einem Abzugsverbot bzw. in einer Abzugsbeschränkung für ausländische Betriebsstättenverluste (§ 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG) bestehen. Ausländische Betriebsstätteneinkünfte unterliegen nicht der deutschen Gewerbesteuer und kürzen deshalb die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen gem. § 9 Nr. 3 GewStG.2 Dies erfordert nicht notwendigerweise eine gesonderte Ermittlung, jedoch eine Trennung der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte von den inländischen. Ausländische Betriebsstätteneinkünfte können ebenso für die Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrages nach § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG und des sog. Progressionsvorbehaltes nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG von Bedeutung sein. Schließlich sind auch bei Anwendung des Pauschalierungserlasses auf Einkünfte ausländischer Betriebsstätten in Nicht-DBA-Staaten diese ausländischen Einkünfte gesondert zu berechnen.3

1.14

Für die Betriebsstättengewinnermittlung maßgebende Vorschriften. Das deutsche innerstaatliche Steuerrecht enthält kaum Vorschriften, die die Ermittlung speziell von Betriebsstättengewinnen regeln. Zu erwähnen ist einerseits § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG, der jedoch nur für die Ermittlung inländischer Betriebsstätteneinkünfte eines sog. Steuerausländers gilt und über einen allgemeinen Programmsatz nicht hinausgeht, und andererseits § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG, der jedoch nur für ausländische Betriebsstätteneinkünfte eines Steuerinländers gilt und dessen Inhalt eher unklar ist. Hidien4 hält diesen Zustand für verfassungswidrig. Die Tatsache, dass für in- und ausländische Betriebsstätten unterschiedliche Vorschriften bestehen, belegt bereits, dass die EU-Rechtskonformität der Vorschriften zumindest zweifelhaft ist. Als Folge der Steuerfreiheit ausländischer Betriebsstätteneinkünfte kann auch die Anwendung von § 3c EStG besondere Probleme aufwerfen. Zusätzlich sind § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 und § 16 Abs. 3a EStG sowie § 12 KStG zu beachten. Durch das AmtshilfeRLUmsG5 wurde der Anwendungsbereich des § 1 AStG auf die Ermittlung grenzüberschreitender Betriebsstättengewinne ausgedehnt. Die neu eingeführten Vorschriften treten jedoch nur neben den Grundsatz, dass sich die Ermittlung der Betriebsstättengewinne im Übrigen nach den allgemeinen Regeln richtet. Insbesondere kann die Frage des Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne die Kenntnis der für die Betriebsstättengewinn-

1.15

1 Vgl. § 34c Abs. 1 oder 6 i.V.m. § 34d EStG und für unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Personen i.V.m. § 8 Abs. 1 und § 26 Abs. 1 und 6 KStG. 2 Vgl. auch § 9 Nr. 2 GewStG; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.1.4.1.b. 3 Vgl. BMF v. 10.4.1984 – IV C 6 - S 2293 – 11/84, BStBl. I 1984, 252, Tz. 3.1.1. 4 Vgl. Hidien in K/S/M, § 49 Rz. D 984 ff.; Lang in Gassner/Lechner, Steuerbilanzreform, 241 ff. (252). 5 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809.

Wassermeyer 11

Kap. 1 Rz. 1.16

Einführung

ermittlung allgemein geltenden Abgrenzungsgrundsätze beantwortet werden. Insoweit sind die für die allgemeine Gewinnermittlung geltenden Grundsätze auf die Betriebsstättengewinnermittlung entsprechend anzuwenden. Insbesondere gilt für die Betriebsstättengewinnermittlung das sog. Veranlassungsprinzip, wie es aus § 4 Abs. 4 EStG abgeleitet wird und das deutsche Einkünfteermittlungsrecht beherrscht.1 Möglicherweise wurden jedoch mit der Einführung von § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4, § 16 Abs. 3a EStG und § 12 Abs. 1 KStG die bisher geltenden Grundsätze über die Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung in einem wichtigen Punkt dahin modifiziert, dass jede Betriebsstätte wie ein eigenständiger Betrieb zu behandeln ist (vgl. Rz. 1.12). Insoweit geht es vor allem um die Frage, welchem Unternehmensteil stille Reserven eines Wirtschaftsgutes nach dessen Überführung in eine andere Betriebsstätte zuzuordnen sind.

1.16 Gewinnermittlung und Gewinnabgrenzung. Versteht man den in- oder ausländischen Betriebsstättengewinn als den Teil des Gewinns eines sog. Gesamtunternehmens, dann kann jeder Staat vorschreiben, wie dieser Teil des Gewinns des Gesamtunternehmens zu ermitteln ist. Denkbar ist insoweit eine isolierte Betriebsstättengewinnermittlung, bei der die Betriebsstätte wie ein selbständiger Betrieb behandelt wird. Dies wäre eine Form der direkten Gewinnermittlung. Denkbar ist aber ebenso, dass der Betriebsstättengewinn aus der Bilanz und der GuV des Einheitsunternehmens abzuleiten ist. Dann handelt es sich begrifflich um eine Gewinnaufteilung. Sie kann sowohl nach den Regeln der direkten als auch nach denen der indirekten bzw. einer gemischten Gewinnermittlung vorgenommen werden (vgl. Rz. 1.17, 4.9 ff.).Dabei sind die Staaten frei, Innentransaktionen erfolgswirksam oder erfolgsneutral zu behandeln. Die EU-Mitgliedstaaten sind allerdings gehalten, die Grundfreiheiten des EUV zu beachten, weshalb sie nur im Inland und innerhalb der EU grenzüberschreitend vollzogene Innentransaktionen nach den gleichen Grundsätzen besteuern müssen. In Deutschland würde die erfolgswirksame Erfassung inländischer Innentransaktionen zu erheblichen Erfassungs- und Bewertungsproblemen führen. Es müsste jeweils entschieden werden, ob sich die Innentransaktion zwischen zwei Betriebsstätten oder aber zwischen sonstigen Unternehmensteilen vollzieht. Abkommensrechtlich gilt zwar für die Gewinnabgrenzung der sog. dealing-at-arm’slength-Grundsatz. Dieser zwingt jedoch die Vertragsstaaten lediglich dazu, Besteuerungsrechte nicht wahrzunehmen, die mit diesem Grundsatz nicht in Einklang stehen. Die Vertragsstaaten müssen deshalb nicht alles besteuern, was sie nach dem dealing-at-arm’slength-Grundsatz besteuern könnten (vgl. Rz. 1.29, 1.30, 1.34, 4.16). Insoweit ist von Bedeutung, dass der dealing-at-arm’s-length-Grundsatz auf einer Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte aufbaut (vgl. Rz. 1.12, 1.29, 1.32, 3.4, 3.25 u. 4.34), die dem deutschen innerstaatlichen Gewinnermittlungsrecht in dieser Form bisher fremd war.2 Damit kann die von den Vertragsstaaten unterschiedlich gehandhabte Gewinnabgrenzung die Ursache für zumindest zeitlich vorübergehende Doppel- oder Keinmalbesteuerungen sein. Die erweiterte Selbständigkeit der Betriebsstätte hat der deutsche Gesetzgeber durch Einführung des AOA in § 1 AStG in das deutsche innerstaatliche Steuerrecht eingeführt, wodurch die Gefahr von Doppel- oder Keinmalbesteuerungen jedoch nicht gebannt ist.

1.17 Brutto- oder Nettoermittlung. Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist die, ob der für das Gesamtunternehmen ermittelte Gewinn als Nettobetrag auf Stammhaus und Betriebsstätte(n) aufzuteilen ist oder ob jeder einzelne Erlös (Vermögensmehrung) und jede einzelne Aufwendung (Vermögensminderung) als Bruttobeträge ggf. anteilig dem Stamm-

1 A.A. VWG BsGa, Rz. 460 ff. 2 Vgl. Wassermeyer, IStR 2004, 733; Wassermeyer, DB 2006, 1176 (1178).

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Wassermeyer

B. Begriffe

Rz. 1.18 Kap. 1

haus und der/den Betriebsstätte(n) zuzuordnen sind. Auch insoweit gilt (vgl. Rz. 1.15), dass die Frage im deutschen innerstaatlichen Steuerrecht nicht ausdrücklich geregelt ist. Entsprechend sind beide Vorgehensweisen grundsätzlich zulässig. Allerdings ist die Bruttozuordnung von Erträgen und Aufwendungen Ausdruck der Anwendung einer direkten Gewinnermittlungsmethode. Die Aufteilung des Gewinns als Nettobetrag ist Ausdruck einer indirekten Gewinnermittlungsmethode. Jede direkte Gewinnermittlungsmethode gilt gegenüber einer indirekten als die genauere. Deshalb sind Betriebsstätteneinkünfte vorzugsweise durch Zuordnung von Erträgen und Aufwendungen gegenüber Stammhaus und Betriebsstätte(n) auf der Basis von Bruttobeträgen zu ermitteln. Nur dann, wenn eine Bruttozuordnung nicht exakt durchgeführt werden kann, kommt die Aufteilung des Gewinns als Nettobetrag im Schätzungswege in Betracht. Dabei ist es denkbar, den Betriebsstättengewinn nach einer der bekannten Methoden zu ermitteln und den Restbetrag des Gesamtunternehmensgewinnes als Stammhausgewinn zu behandeln. Betriebsstättenbuchführung. Gemäß § 146 Abs. 2 Satz 2 bis 4 AO kann der im Inland unbeschränkt Steuerpflichtige die Ergebnisse einer ausländischen Betriebsstättenbuchführung nach Anpassung an die deutschen steuerlichen Vorschriften in die Buchführung des inländischen Unternehmens übernehmen.1 Selbst wenn in dieser Erleichterungsregelung keine Vorschrift zur gesonderten Ermittlung des ausländischen Betriebsstättengewinns gesehen wird, so führt sie faktisch zu einer gesonderten Ermittlung des Unterschiedsbetrages (1. Stufe der Gewinnermittlung – vgl. Rz. 4.10, 4.11 u. 4.13 ff.) der ausländischen Betriebsstätte. Besteht im Belegenheitsstaat der ausländischen Betriebsstätte keine Verpflichtung, Bücher und Aufzeichnungen zu führen, wird einer solchen bestehenden Verpflichtung nicht nachgekommen oder sind die gebotenen Anpassungen an die deutschen steuerrechtlichen Vorschriften nicht vorgenommen oder kenntlich gemacht worden, so fehlen die Voraussetzungen für die Annahme, dass eine gesonderte Betriebsstättengewinnermittlung vorliegt. In diesen Fällen ist der Anteil von Stammhaus und Betriebsstätte(n) am Gesamtgewinn des Unternehmens durch Aufteilung des Gesamtgewinns bzw. durch Zuordnung von Erträgen und Aufwendungen zu ermitteln. § 90 Abs. 3 Satz 4 AO bestätigt dies. Für Zwecke der Dokumentation der Einkünfteabgrenzung ist dort für ausländische Unternehmen mit inländischer Betriebsstätte von einer Ermittlung, für inländische Unternehmen mit ausländischer Betriebsstätte jedoch von einer Aufteilung des Gewinns die Rede. Die notwendige Voraussetzung für eine solche Aufteilung bzw. Zuordnung von Erträgen und Aufwendungen bildet die gesetzliche Verpflichtung, die einzelnen Geschäftsvorfälle so zu erfassen, dass deren Entstehung und Abwicklung nachvollzogen werden kann.2 Allerdings bedenkt die Gesetzesfassung nicht den Fall, dass das Unternehmen von einer (in- oder ausländischen) Personengesellschaft geführt wird, an der Steuerin- und -ausländer beteiligt sind. Unterhält ein ausländisches Unternehmen eine Betriebsstätte im Inland, so besteht i.d.R. keine Buchführungspflicht nach §§ 238 ff. HGB. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die inländische Betriebsstätte die Voraussetzungen einer Zweigniederlassung (§§ 13, 13f HGB) erfüllt. Das ausländische Unternehmen ist allerdings mit seinen inländischen Betriebsstätteneinkünften den §§ 140 ff. AO unterworfen. Es kann nach § 141 Abs. 2 Satz 1 AO aufgefordert werden, für die Geschäftsvorfälle der inländischen Betriebsstätte Bücher zu führen. Werden keine Bücher geführt, so sind die inländischen Betriebsstätteneinkünfte gem. § 162 Abs. 1 AO i.V.m. § 4 Abs. 1 EStG zu schätzen, es sei denn, das ausländische Unternehmen hat zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG optiert.

1 Zur Problematik der Währungsumrechnung s. Rz. 8.1 ff. 2 Vgl. § 145 Abs. 1 Satz 2 AO. So auch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.1.4.2.

Wassermeyer 13

1.18

Kap. 1 Rz. 1.19

Einführung

C. Auslandsbezüge eines Betriebs I. Erster Grundfall 1.19 Unternehmer ist in dem einen Staat ansässig, Unternehmen ist in dem anderen Staat belegen. Ein Betrieb kann unterschiedliche Auslandsbezüge haben. Sie lassen sich – soweit in dem hier zu besprechenden Zusammenhang von steuerlicher Relevanz – in zwei Grundfällen zusammenfassen. Im ersten Grundfall ist der Betriebsinhaber nur in dem Staat A ansässig (= unbeschränkte Steuerpflicht), während der Betrieb seine Geschäftsleitung in dem Staat B hat. Dieser Grundfall kann in zwei Unterfälle untergliedert werden, dass nämlich die Problematik entweder aus der Sicht des Ansässigkeitsstaates oder aus der des Geschäftsleitungsstaates betrachtet wird. In diesen Fällen bestimmt sich nach den Rechten des Ansässigkeitsstaates des Betriebsinhabers einerseits und des Geschäftsleitungsstaates andererseits, ob die Gewinne ganz oder teilweise der in den betroffenen Staaten geltenden unbeschränkten und/oder beschränkten Steuerpflicht unterworfen sind. Dies ist von besonderer Bedeutung, wenn der Betrieb von einer Personengesellschaft unterhalten wird, deren Mitunternehmer in verschiedenen Staaten ansässig sind, weil die Einkünfte der Personengesellschaft dann anteilig der unbeschränkten und der beschränkten Steuerpflicht in den betroffenen Staaten unterworfen sind.1 Ist der Betriebsinhaber in mehreren Staaten unbeschränkt steuerpflichtig, so können sich Steuer- und Gewinnermittlungspflichten nach dem Recht jedes einzelnen Ansässigkeitsstaates sowie nach dem Recht des Geschäftsleitungsstaates ergeben. Innerhalb dieses ersten Grundfalls ist eine weitere Unteralternative zu beachten, dass nämlich ein und derselbe Betriebsinhaber jeweils selbständige Betriebe in verschiedenen Staaten unterhält, die untereinander in Lieferungs- oder Leistungsbeziehungen stehen. Wegen § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG und § 8 Abs. 2 KStG ist dies allerdings vor allem für Einzelunternehmen einerseits und die Beteiligung an mehreren Personengesellschaften andererseits von Bedeutung. Denkbar ist insoweit auch, dass die mehreren selbständigen Betriebe ihrerseits Betriebsstätten unterhalten und sich der „Lieferungs- und Leistungsverkehr“ zwischen den Betriebsstätten verschiedener Betriebe vollzieht. In dieser Unteralternative bedarf es der Abgrenzung zwischen den Gewinnen der Betriebe in den verschiedenen Staaten. Nach deutschem Steuerrecht vollzieht sich diese Abgrenzung über die Rechtsinstitute der Entnahme und der Einlage. § 1 AStG kommt nur dann zur Anwendung, wenn zwei einander nahestehende Personen oder Personengesellschaften, an denen dieselben Gesellschafter beteiligt sein mögen (ggf. über Betriebsstätten), zueinander in Lieferungs- oder Leistungsbeziehungen stehen, wobei vom Inland ins Ausland geleistet werden muss.

II. Zweiter Grundfall 1.20 Ein Unternehmen unterhält Betriebsstätten in verschiedenen Staaten. Daneben gibt es den zweiten Grundfall, dass ein (in- oder ausländischer) Betrieb zumindest eine Betriebsstätte in einem anderen Staat unterhält. In diesem Fall können die Geschäftsleitungsbetriebsstätte (Stammhaus) im Inland und eine bzw. mehrere andere Betriebsstätten im Ausland oder aber die Geschäftsleitungsbetriebsstätte (Stammhaus) im Ausland und die anderen Betriebsstätten im Inland und/oder im Ausland liegen. Jeweils muss für den Betrieb nach dem Recht des Staates, in dem der Betriebsinhaber unbeschränkt steuerpflichtig ist (Ansässigkeitsstaat des Betriebsinhabers), der Gewinn des gesamten Betriebes ermittelt werden. Außerdem 1 Vgl. BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663 = FR 1988, 392; Jochum in K/S/M, § 20 EStG Rz. B 68.

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Wassermeyer

C. Auslandsbezüge eines Betriebs

Rz. 1.21 Kap. 1

müssen i.d.R. in dem oder den Betriebsstättenstaaten die jeweiligen Betriebsstättengewinne nach dem dort geltenden Steuerrecht gesondert ermittelt werden. Soweit die ausländischen Betriebsstättengewinne im Ansässigkeitsstaat des Betriebsinhabers eine Steuerbefreiung oder -ermäßigung (Anrechnung ausländischer Steuern) erfahren, müssen sie auch dort von den übrigen Einkünften abgegrenzt und betragsmäßig ermittelt werden. Dazu bedarf es der Klärung der Vorfrage, wie „Lieferungs- und Leistungsbeziehungen“ zwischen den Betriebsstätten steuerlich zu behandeln sind. Diese Frage wird eingehend zu erörtern sein (vgl. Rz. 4.30 ff.; vgl. auch Rz. 3.38 ff., 3.57, 3.62, 4.1 ff.). Auch in dem zweiten Grundfall besteht eine Besonderheit, wenn der Betrieb von einer Personengesellschaft unterhalten wird, an der Mitunternehmer beteiligt sind, die in verschiedenen Staaten unbeschränkt steuerpflichtig sind.1 Dann verlangt i.d.R. das Steuerrecht des Ansässigkeitsstaates eines jeden Mitunternehmers – jedenfalls bei Anwendung des Transparenzprinzips – die Ermittlung des Gesamtgewinnes der Personengesellschaft und dies auch noch nach dem jeweils „eigenen“ Steuerrecht.

III. Verbundene Unternehmen Steuerpflicht. Bestehen die Lieferungs- und Leistungsbeziehungen zwischen sog. verbundenen Personen oder Unternehmern (z.B. Kapitalgesellschaften), so werden jedenfalls nach deutschem Steuerrecht jede Person und jeder Unternehmer als eigenständige Steuersubjekte behandelt. Anders ausgedrückt wird nicht das eine verbundene Unternehmen (z.B. Tochtergesellschaft) als Betriebsstätte des anderen (z.B. Muttergesellschaft) angesehen. Dies gilt auch dann, wenn zwischen den beiden Unternehmen eine Organschaft mit Gewinnabführungsvertrag besteht. Die aus den wechselseitigen Lieferungen und/oder Leistungen von jedem verbundenen Unternehmen erzielten Gewinne/Verluste werden im Rahmen der 1. Stufe der Gewinnermittlung (Unterschiedsbetragsermittlung – vgl. Rz. 4.13 ff.) nach Bilanzrecht ermittelt. Auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung (Korrekturebene vgl. Rz. 4.16 ff.) können Korrekturen unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte Gewinnausschüttung – vgl. Rz. 4.19), des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (Entnahme/Einlage – vgl. Rz. 4.25) und des § 1 AStG (vgl. Rz. 4.21) anzubringen sein. Fragen der Betriebsstättengewinnermittlung stellen sich nur dann, wenn für eine der genannten Rechtsfolgen zu entscheiden ist, ob sie den Gewinn des Stammhauses oder den einer Betriebsstätte berührt. Allerdings kann das eine verbundene Unternehmen Vertreterbetriebsstätte des anderen sein. In diesem Fall vermittelt der Vertreter dem Vertretenen eine Steuerpflicht im Betriebsstättenstaat.2 Sind die verbundenen Unternehmen Personengesellschaften oder ist eines der verbundenen Unternehmen eine Personengesellschaft, so fehlt es zwar insoweit an eigenständigen Steuersubjekten. Die Personengesellschaften werden jedoch als eigenständige Gewinnerzielungssubjekte mit der Folge behandelt, dass jede Personengesellschaft, die eine Tätigkeit i.S.d. §§ 13 bis 18 EStG ausübt, einen eigenständigen Betrieb unterhält, für den der Gewinn zu ermitteln ist. Zwischen einer Personengesellschaft und anderen verbundenen Unternehmen können Geschäftsbeziehungen bestehen. Die Geschäftsbeziehungen sind der Ermittlung des Unterschiedsbetrags auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung (vgl. Rz. 4.13 ff.) zugrunde zu legen. Auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung (vgl. Rz. 4.16 ff.) sind Hinzurechnungen und Kürzungen denkbar, deren Rechtsgrundlage in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (Entnahme/Einlage), in § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte Gewinnausschüttung) und in § 1 AStG zu suchen ist. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist nur dann 1 Vgl. BFH v. 18.12.2002 – I R 92/01, FR 2003, 842 = DB 2003, 104 m. Anm. Wassermeyer; Wassermeyer, IStR 2003, 388. 2 Zu den Implikationen für die Gewinnermittlung bzw. Einkünfteabgrenzung s. Rz. 11.200 ff.

Wassermeyer 15

1.21

Kap. 1 Rz. 1.22

Einführung

anwendbar, wenn durch die Geschäftsbeziehung der Anteil am Unterschiedsbetrag einer Person i.S.d. § 1 Abs. 1 KStG gemindert wird.1

D. Lieferungs- und Leistungsbeziehungen I. Lieferungs- und Leistungsbeziehungen zwischen Betrieben verschiedener Betriebsinhaber 1.22 Besonderheiten nur bei einander nahestehenden Betriebsinhabern. Lieferungs- und Leistungsbeziehungen zwischen den Betrieben verschiedener Betriebsinhaber sind grundsätzlich mit ihrem vertraglichen Inhalt steuerlich anzuerkennen und der Gewinnermittlung der Betriebe zugrunde zu legen. Nur dann, wenn die Inhaber der beiden beteiligten Betriebe einander nahestehen (vgl. Rz. 1.21), stellt sich die Frage nach einer Korrektur auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung (vgl. Rz. 4.16 ff.). Rechtsgrundlage für eine Korrektur sind die Entnahme, die Einlage, die verdeckte Gewinnausschüttung, § 1 AStG oder die fehlende betriebliche Veranlassung von Aufwendungen. Die Entnahme und die Einlage setzen jeweils voraus, dass der Inhaber des abgebenden Betriebes dem Inhaber des übernehmenden Betriebes etwas zuwendet bzw. dass Aufwendungen des einen Betriebes durch den anderen Betrieb und damit aus der Sicht des einen Betriebes „außerbetrieblich“ veranlasst sind. Damit ist dem Grunde nach eine Gewinnabgrenzung bei dem abgebenden Betrieb gewährleistet. Bei dem den Vermögensvorteil empfangenden Betrieb findet eine Gegenberichtigung unter den Voraussetzungen einer Einlage bzw. des § 1 AStG statt. Da die Einlage ein Wirtschaftsgut voraussetzt, kommt eine Gegenberichtigung bei Nutzungs- und Dienstleistungseinlagen nur gem. § 1 AStG in Betracht. Es kann sich auch um echten Drittaufwand handeln, der nicht berücksichtigungsfähig ist.2 Unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 EStG (Sicherstellung der Besteuerung der stillen Reserven) ist allerdings die Fortführung des Buchwertes mit der Folge geboten, dass bei dem abgebenden Betrieb auf eine Gewinnrealisierung und bei dem übernehmenden Betrieb auf eine Buchwertaufstockung verzichtet wird. Entsprechendes kann gelten, wenn ein Wirtschaftsgut unentgeltlich oder gegen Gewährung oder Minderung von Gesellschaftsrechten aus einem Betriebsvermögen eines Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft oder umgekehrt bzw. unentgeltlich oder gegen Gewährung oder Minderung von Gesellschaftsrechten aus dem Sonderbetriebsvermögen eines Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen derselben Mitunternehmerschaft oder einer anderen Mitunternehmerschaft, an der er beteiligt ist, bzw. unentgeltlich zwischen den jeweiligen Sonderbetriebsvermögen verschiedener Mitunternehmer derselben Mitunternehmerschaft übertragen wird (§ 6 Abs. 5 Satz 3 EStG).

II. „Lieferungs- und Leistungsbeziehungen“ zwischen Betrieben desselben Betriebsinhabers 1.23 Entnahme, Einlage, Aufwandsabgrenzung. Die Gewinnabgrenzung zwischen mehreren Betrieben desselben Betriebsinhabers vollzieht sich nach den Rechtsinstituten der Entnahme und der Einlage (§ 4 Abs. 1 Sätze 1, 2 und 5, § 6 Abs. 1 Nr. 4 und 5, § 6 Abs. 3 bis 5 EStG) 1 Vgl. Wassermeyer, GmbHR 1999, 18. 2 Vgl. BFH v. 23.8.1999 – GrS 1/97, BStBl. II 1999, 778 = FR 1999, 1167 m. Anm. Fischer; v. 23.8.1999 – GrS 2/97, BStBl. II 1990, 782; v. 23.8.1999 – GrS 3/97, BStBl. II 1990, 787; v. 23.8.1999 – GrS 5/97, BStBl. II 1990, 774 = FR 1999, 1180 m. Anm. Fischer; Wassermeyer, DB 1999, 2486.

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Wassermeyer

D. Lieferungs- und Leistungsbeziehungen

Rz. 1.24 Kap. 1

bzw. des § 1 AStG, wobei allerdings die Rechtsprechung des BFH zu beachten ist.1 Ist der Gegenstand der Entnahme/Einlage ein einzelnes Wirtschaftsgut, so ist dasselbe sowohl bei dem abgebenden als auch bei dem übernehmenden Betrieb vorbehaltlich § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Halbs. 2 EStG im Grundsatz mit dem Teilwert zu bewerten. Allerdings vertritt der VIII. Senat des BFH die Auffassung, dass die Überführung eines Wirtschaftsgutes von einem Betrieb in einen anderen Betrieb desselben Steuerpflichtigen auch für die Zeit vor Einführung von § 6 Abs. 3 bis 5 EStG zur Buchwertfortführung zwingt.2 Unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 EStG (Sicherstellung der Besteuerung der stillen Reserven) ist ab 1999 die Fortführung des Buchwertes mit der Folge geboten, dass beim abgebenden Betrieb auf eine Gewinnrealisierung und beim übernehmenden Betrieb auf eine Buchwertaufstockung verzichtet wird. Ist der Gegenstand der Entnahme eine Nutzung oder Dienstleistung, so sind die durch die Nutzung oder Dienstleistung tatsächlich veranlassten Aufwendungen nicht bei dem abgebenden, sondern nur bei dem empfangenden Betrieb als Betriebsausgaben abziehbar. Die Nutzung bzw. Dienstleistung kann an sich nicht zum Fremdvergleichspreis verrechnet werden. Jedoch findet § 1 AStG Anwendung, wenn sich die Nutzung bzw. Dienstleistung zu Lasten einer inländischen und zugunsten einer ausländischen Betriebsstätte desselben Unternehmens auswirkt. Dies hat der Gesetzgeber durch Neuformulierung des § 1 Abs. 4 AStG für VZ ab 2013 und – in nochmals modifizierter Form – ab 2015 geändert. Die Vorschriften über die Entnahme und die Einlage haben bisher bei grenzüberschreitenden Vorgängen nur den Ansatz des Teilwerts und keine Gewinnabgrenzung zum Fremdvergleichspreis erlaubt. Personengesellschaften werden steuerlich gesehen grundsätzlich als selbständige Betriebsinhaber behandelt (vgl. Rz. 1.3), weshalb die Überführung von Wirtschaftsgütern aus dem Gesamthandsvermögen auch bei Gesellschafteridentität Gewinnrealisierung aufgrund einer Entnahme auslöst. Etwas anderes gilt nur unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 und des § 16 Abs. 3 EStG.

III. Lieferungen und Leistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen mehreren Betriebsstätten eines Unternehmens Begriffliches. Streng genommen gibt es keine Lieferungen und Leistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte,3 weil Lieferungen und Leistungen mindestens zwei Personen voraussetzen, zwischen denen sich der Lieferungs- oder Leistungsverkehr vollzieht. Daran fehlt es im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. im Verhältnis zwischen mehreren Betriebsstätten eines Unternehmens. Allenfalls können Wirtschaftsgüter von dem einen in den anderen Unternehmensteil überführt werden. Diese Überführung hat der BFH in einem untechnischen Sinne als Leistungserbringung bezeichnet.4 Ebenso können in dem einen Unternehmensteil Aufwendungen für den anderen Unternehmensteil anfallen. So gesehen sind die sog. „Lieferungen und Leistungen“ zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen mehreren Betriebsstätten eines Unternehmens im Kern nur ein Zuordnungsproblem. Insbesondere für Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens geht es darum, sie (ggf. anteilig) dem Stammhaus- oder einem Betriebsstättenvermögen zuzuordnen (vgl. Rz. 4.58 ff.). Bei Aufwendungen und Erträgen geht es darum, durch welchen Unternehmensteil sie veranlasst sind und welchen Teilgewinn sie deshalb mindern oder erhöhen (vgl. Rz. 4.58 ff.). Für die hier so bezeichneten „Lieferungen und Leistungen“ zwischen Stammhaus und Betriebsstätte 1 2 3 4

Vgl. BFH v. 14.6.1988 – VIII R 387/83, BStBl. II 1989, 187 = FR 1988, 671. Vgl. BFH v. 15.6.2004 – VIII R 7/02, BStBl. II 2004, 914. Vgl. Kramer, StuW 1991, 151 (156). Vgl. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140 (142) = FR 1988, 678.

Wassermeyer 17

1.24

Kap. 1 Rz. 1.25

Einführung

bzw. zwischen mehreren Betriebsstätten desselben Betriebes gilt gem. § 1 Abs. 5 AStG das, was für Lieferungs- und Leistungsbeziehungen zwischen Betrieben desselben Betriebsinhabers gilt. Anders ausgedrückt finden zwar die Vorschriften über die Entnahme und die Einlage auf sog. Lieferungen und Leistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen mehreren Betriebsstätten desselben Betriebes keine Anwendung. Das Problem wird jedoch über § 1 Abs. 5 AStG gelöst. So genannte Lieferungen und Leistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte und umgekehrt bezeichnet man als Innentransaktionen (vgl. Rz. 1.4). Innentransaktionen sind weder Veräußerungen noch sonstige Leistungen, weder Entnahmen noch Einlagen (vgl. Rz. 1.24). Aufgrund des § 1 Abs. 5 AStG werden nur Innentransaktionen zwischen einer inländischen und einer ausländischen Betriebsstätte steuerrechtlich wie Leistungen gegenüber einem Dritten behandelt werden.

IV. Nutzungsüberlassungen 1.25 Bilanzielle und aufwandsmäßige Behandlung. Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist die, ob es im steuerlichen Sinn Nutzungsüberlassungen zwischen Betriebsstätten desselben Unternehmens geben kann. Diese Frage ist zu verneinen. Jeder Unternehmensteil leitet sein „Nutzungsrecht“ an Wirtschaftsgütern aus der Rechtsposition ab, die das Gesamtunternehmen in Bezug auf das Wirtschaftsgut innehat. Liegt das wirtschaftliche Eigentum an einem Wirtschaftsgut bei dem Gesamtunternehmen, so folgt das Nutzungsrecht jedes einzelnen Unternehmensteils aus der wirtschaftlichen Eigentümerstellung. Daneben kann kein vertragliches Nutzungsüberlassungsverhältnis zwischen einzelnen Unternehmensteilen (Betriebsstätten) bestehen. Bei gleichzeitiger Nutzung des Wirtschaftsgutes durch zwei oder mehrere Unternehmensteile (Betriebsstätten) ist zumindest gedanklich dessen vermögensmäßige Aufteilung auf die nutzenden Unternehmensteile (Betriebsstätten) geboten. Bilanziell ist auf die Verhältnisse am Bilanzstichtag abzustellen. Insoweit kommt es auf die Nutzung am Bilanzstichtag an. Allerdings kann aus Vereinfachungsgründen das Wirtschaftsgut auch dem Unternehmensteil zugeordnet werden, durch den es hauptsächlich genutzt wird, wenn die Nutzung durch andere Unternehmensteile von untergeordneter Bedeutung ist. Eine solche Vereinfachungsmaßnahme darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Rechtfertigungsgrund für die anteilige Zuordnung des mit einem Wirtschaftsgut verbundenen Aufwands (AfA, Refinanzierungskosten, laufende Wartung) in der anteiligen Nutzung einerseits und der sich daraus ergebenden anteiligen Zuordnung des Nutzungsrechts (Eigentum, Miete, Pacht) zu suchen ist. Für die Aufteilung von Aufwendungen, die mit dem so genutzten Wirtschaftsgut verbunden sind, kommt es nur auf die zeitanteilige (Mit-)Benutzung während des Wirtschaftsjahres an. So kann z.B. die AfA für ein Wirtschaftsgut nur deshalb zeitanteilig verschiedenen Unternehmensteilen zugeordnet werden, weil man sie für die Dauer der (Mitbe-)Nutzung als wirtschaftliche (Mit-)Eigentümer behandelt. Mit dem Inkrafttreten des AmtshilfeRLUmsG vom 26.6.2013 ist § 1 AStG auf die Betriebsstättengewinnermittlung mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die ausländische Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens steuerrechtlich wie ein selbständiges, jedoch nahestehendes Unternehmen zu behandeln ist. Dabei stellt sich die Frage, wann steuerrechtlich von einer Nutzungsüberlassung und wann von einer Überführung der Sache nach auszugehen ist. Im Fremdvergleich bestimmt sich dies nach den abgeschlossenen Verträgen. Zwischen Betriebsstätten desselben Unternehmens können jedoch keine Verträge zivilrechtlich wirksam abgeschlossen werden. Auch bedeutet der Ansatz eines angemessenen Nutzungsüberlassungsentgelts bei dem die Nutzung überlassenden Unternehmensteil, dass Aufwendungen, die unter Veranlassungsgesichtspunkten bisher dem nutzenden Unternehmensteil zugeordnet wurden, künftig

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Wassermeyer

F. Einkunftsarten

Rz. 1.28 Kap. 1

bei dem die Nutzung überlassenden Unternehmensteil anzusetzen sind. Bei dem nutzenden Unternehmensteil entsteht in Höhe des Nutzungsentgelts fiktiver Aufwand, für den der Abzug als Betriebsausgabe sichergestellt werden muss. Dienstleistungen. Eine Betriebsstätte kann einer anderen Betriebsstätte desselben Unternehmens Dienstleistungen z.B. in der Form von Beratungen erbringen. Nach bisher geltendem Recht wird für derartige Dienstleistungen bei dem leistenden Unternehmensteil kein Entgelt und bei dem empfangenden Unternehmensteil kein fiktiver Aufwand angesetzt. Es werden lediglich die bei dem leistenden Unternehmensteil tatsächlich anfallenden und durch die Dienstleistung veranlassten Aufwendungen dem empfangenden Unternehmensteil steuerrechtlich zugeordnet. Auch insoweit ist durch die Einführung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG eine neue Situation entstanden. Die Vorschrift löst die im Bereich der Dienstleistungen in Rz. 1.25 bereits angesprochenen Probleme.

1.26

E. Steuerarten An den Gewinn anknüpfende Steuern. Die Betriebsstättengewinnermittlung kommt für die Steuerarten in Betracht, für die der Gewinn in die Bemessungsgrundlage der Besteuerung eingeht. Dies sind vor allem die ESt, die KSt und die GewSt. Die Betriebsstättengewinnermittlung ist allerdings auch deshalb erforderlich, weil die Staaten glauben, die Gewinne jeweils nach dem eigenen innerstaatlichen Recht ermitteln zu sollen. Auf die Betriebsstättengewinnermittlung könnte in ihrer bisherigen Form verzichtet werden, wenn die Staaten sich in der Lage sähen, die Gewinnermittlung z.B. durch den Geschäftsleitungsstaat allgemein anzuerkennen, und den so ermittelten Gewinn nach einem dann festzulegenden (anderen) Maßstab aufzuteilen („unitary taxation“). Als Beispiel sei auf die Zerlegung nach §§ 28 ff. GewStG hingewiesen, wobei der dort verwendete Aufteilungsmaßstab sicherlich ein sehr ungenauer ist.

1.27

F. Einkunftsarten Gewinnbegriff. Nach deutschem innerstaatlichen Recht kann vor allem der Steuerpflichtige, der einen Gewerbebetrieb unterhält, eine Betriebsstätte haben und damit einen Betriebsstättengewinn erzielen (§ 34d Nr. 2 Buchst. a, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Nach § 2a Abs. 1 Nr. 1 EStG kann auch der Land- oder Forstwirt eine im Ausland belegene land- oder forstwirtschaftliche Betriebsstätte unterhalten. Nach § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG kann jeder, der einen Gewinn i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG erzielt, und damit auch ein Freiberufler i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG Fahrten zu seiner Betriebsstätte unternehmen, was allerdings darauf zurückzuführen ist, dass § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG einen der Arbeitsstätte angenäherten (anderen) Betriebsstättenbegriff verwendet. Aus der Sicht des § 12 AO kann jeder Steuerpflichtige, der ein Unternehmen betreibt, eine Betriebsstätte unterhalten. Dies sind jeweils Personen, die Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG erzielen. Deshalb hat der Betriebsstättenbegriff seine vorrangige Bedeutung innerhalb der sog. Gewinneinkünfte und dort vor allem innerhalb der Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Dies wird durch das Abkommensrecht unterstrichen. Nach Abkommensrecht kann nur derjenige, der einen Unternehmensgewinn i.S.d. Art. 7 OECDMA erzielt, eine Betriebsstätte unterhalten. Dabei ist seit dem 29.4.2000 zu beachten, dass Art. 14 OECD-MA a.F. in Art. 7 OECD-MA n.F. aufgegangen ist. Seit dem 29.4.2000 kann deshalb auch ein Freiberufler einen Unternehmensgewinn erzielen; entsprechend kann er auch eine Betriebsstätte z.B. in der Form eines Büros im Ausland unterhalten. Der LandWassermeyer 19

1.28

Kap. 1 Rz. 1.29

Einführung

und Forstwirt kann keine Betriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinne unterhalten. Zusätzliche Bedeutung hat der Betriebsstättenbegriff allerdings nach Art. 15 Abs. 2 Buchst. c OECD-MA, auch wenn die Vorschrift keine Betriebsstättengewinnermittlung erfordert.

G. Unterscheidung zwischen innerstaatlichem Recht und Abkommensrecht 1.29 Selbständigkeit der Betriebsstätte. Nach Art. 7 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA werden vorbehaltlich des Art. 7 Abs. 3 OECD-MA jeder Betriebsstätte die Gewinne zugerechnet, die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Tätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre. Man spricht insoweit von der hypothetischen Selbständigkeit einer Betriebsstätte.1 Abkommensrechtlich ist also ein fiktiver „Lieferungs- und Leistungsverkehr“ zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen Betriebsstätten denkbar, der Gewinnrealisierung in dem einen Unternehmensteil und Anschaffungskosten in dem anderen auszulösen geeignet ist.2 Auch kann abkommensrechtlich gesehen die Übernahme von Risiken zwischen Stammhaus und Betriebsstätte „vertraglich“ mit der Folge vereinbart werden, dass sich die Übernahme auf die Gewinnabgrenzung auswirkt.3 Entsprechend könnten abkommensrechtlich gesehen Stammhaus und Betriebsstätte vereinbaren, dass die Betriebsstätte die Funktion entweder eines Eigenhändlers oder eines Kommissionärs oder eines Agenten haben soll. Die damit verbundenen unterschiedlichen Risiken müssen sich auf die Gewinnabgrenzung auswirken. Im Schrifttum wird daraus abgeleitet, dass Stammhaus und Betriebsstätte im Verhältnis untereinander „wie“ selbständige Unternehmen zu behandeln seien.4 Die fiktive Verselbständigung der Betriebsstätte ist indes problematisch, weil die Realität anders aussieht.5 Tatsächlich werden die meisten Betriebsstätten nicht wie eigenständige Unternehmen geführt. Sie verfolgen nicht notwendiger Weise eine eigenständige Gewinnerzielungsabsicht. Das deutsche innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht kannte deshalb vor Inkrafttreten des § 1 Abs. 5 AStG keinen Grundsatz der hypothetischen Selbständigkeit der Betriebsstätte.6 Eine andere Auffassung vertrat Baranowski,7 der die Fiktion der Selbständigkeit der Betriebsstätte aus der direkten Gewinnermittlungsmethode ableitete. Jedoch stellt sich die Frage, weshalb die direkte Gewinnermittlungsmethode auf einer entsprechenden Fiktion aufbauen und weshalb sich ein anderes Ergebnis bei einer Gewinnabgrenzung nach der indirekten Methode einstellen soll. Für die Annahme einer Fiktion fehlt es an einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage. Unter dem Gesichtspunkt des Veranlassungsprinzips ist sie auch nicht erforderlich. Im deutschen innerstaatlichen Gewinnermittlungsrecht gilt jedoch das sog. Veranlassungsprinzip, das seinerseits auf den allgemeinen Gewinnermittlungsgrundsätzen aufbaut. Letztere verbinden mit sog. Innentransaktionen keine Gewinnrealisierung, keine Entnahme, keine Einlage und auch keine Anschaffung. Das Ri-

1 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 323 ff.; Hemmelrath in V/L6, Art. 7 OECD-MA Rz. 78. 2 Vgl. Art. 7 Tz. 15 OECD-MK. 3 So auch Kroppen, IWB 2005, 1865 (1872). 4 Vgl. Becker, DB 1989, 13 ff.; Becker, DB 1990, 392; Beiser, IStR 1992, 7; Kumpf, StbJb. 1988/89, 399; Haiß, Gewinnabgrenzung, 363 (Zusammenfassung Nr. 1); Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 93 ff. 5 Vgl. Haiß, Gewinnabgrenzung, 30 ff. 6 Vgl. Wassermeyer, IStR 2004, 733; Wassermeyer, IStR 2005, 49. 7 Vgl. Baranowski, Auslandsbeziehungen2, Rz. 286.

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G. Unterscheidung zwischen innerstaatlichem Recht und Abkommensrecht

Rz. 1.30 Kap. 1

siko des Untergangs eines bestimmten Produktes oder der Vermarktung einer bestimmten Leistung trägt stets das Unternehmen insgesamt jedenfalls solange, als es nicht gegenstandslos wird bzw. auf einen Dritten übertragen werden kann. Die entsprechenden Risiken können nicht vertraglich vom Stammhaus auf eine Betriebsstätte oder umgekehrt verlagert werden. Ebenso kann die Kreditwürdigkeit von Stammhaus und Betriebsstätte nicht unterschiedlich beurteilt werden. Es besteht nur eine einheitliche und gemeinsame Kreditwürdigkeit. Soweit Stammhaus und Betriebsstätte Beistellleistungen zu dem Außenumsatz erbringen, wirken sie stets poolartig zusammen. Das deutsche innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht füllt insoweit die ihm vom Abkommensrecht eröffneten Möglichkeiten nicht aus. Deshalb darf nur der jeweils nach dem deutschen innerstaatlichen Steuerrecht ermittelte (realisierte) Gewinn zwischen Stammhaus und Betriebsstätte abgegrenzt werden. Insoweit ist von einer Selbständigkeit der Betriebsstätte nicht schon bei der Gewinnermittlung, sondern erst bei der Abgrenzung des zuvor ermittelten Gewinns des Einheitsunternehmens auszugehen. Entsprechend unterscheidet sich die Gewinnabgrenzung in einem international tätigen Unternehmen von derjenigen zwischen miteinander verbundenen Unternehmen.1 Man spricht deshalb auch von einer eingeschränkten Anwendung der Selbständigkeitsfiktion im deutschen innerstaatlichen Gewinnermittlungsrecht.2 Auch wenn Selbständigkeitsfiktion und Veranlassungsprinzip grundsätzlich zweierlei sind, ergeben sich dennoch in der Praxis zwischen den Begriffen Überschneidungen, weshalb auch das Veranlassungsprinzip zu Ergebnissen führen kann, die dem dealing-at-arm’s-length-Grundsatz entsprechen.3 Wenn demgegenüber Haiß4 meint, man komme zwecks Wahrung des steuerlichen Gerechtigkeitsideals nicht um die Anwendung der absoluten Selbständigkeitsfiktion umhin, so sind dies große Worte, für die jedoch keine Rechtsgrundlage erkennbar ist. In Deutschland wird nicht nach einem Gerechtigkeitsideal, sondern nach Recht und Gesetz besteuert. Allerdings gilt seit 2010 ein revidierter Abkommenstext zu Art. 7. Außerdem wurde der Art. 7 OECD-MK im Jahr 2008 revidiert (OECD Report 2008) und im Jahr 2010 noch einmal aktualisiert. Die Neufassung zielt auf eine abkommensrechtlich uneingeschränkte Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte. Die OECD geht fortgesetzt von einer einheitlichen Kreditwürdigkeit des Gesamtunternehmens aus und steht einem Risikotransfer skeptisch gegenüber, obwohl es sich hierbei eher um eine Zuordnungsfrage handelt. Die indirekte Gewinnermittlungsmethode soll keine Anwendung mehr finden. Diese Änderungen sind mit Wirkung ab 2013 und mit der weiteren Konkretisierung durch die BsGaV ab 2015 umgesetzt worden. Konkurrenz zwischen Art. 7 Abs. 2 und 3 OECD-MA a.F. Nach Art. 7 Abs. 3 OECD-MA a.F. werden bei der „Ermittlung“ der Gewinne einer Betriebsstätte die für diese Betriebsstätte entstandenen Aufwendungen zum Abzug zugelassen, gleichgültig, ob sie in dem Staat, in dem die Betriebsstätte liegt, oder anderswo entstanden sind. Nach Art. 7 Tz. 17 OECD-MK a.F. soll Art. 7 Abs. 3 OECD-MA a.F. eine Regel für die Ermittlung der Gewinne der Betriebsstätte enthalten. Dies könnte im Widerspruch zu dem bisher Gesagten (vgl. Rz. 1.16, 3.7) dafür sprechen, dass das OECD-MA a.F. doch die Gewinnermittlung in einem bestimmten Teilbereich regelt. Insoweit könnte Art. 7 Abs. 3 OECD-MA a.F. dem Abs. 2 a.F. als lex specialis vorgehen.5 Vom Inhalt her gesehen enthält jedoch Art. 7 Abs. 3 OECD-MA a.F. die Aussage, dass 1 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.2 Abs. 3 Satz 1 – BSVWG. 2 Vgl. Ditz, Gewinnabgrenzung, 133; a.A. Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 109; Kroppen, IStR 2005, 74. 3 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 186; Ditz, Gewinnabgrenzung, 245. 4 Vgl. Haiß, Gewinnabgrenzung, 363 (Zusammenfassung Nr. 1). 5 Vgl. Haiß, Gewinnabgrenzung, 213.

Wassermeyer 21

1.30

Kap. 1 Rz. 1.31

Einführung

die Zuordnung von Aufwendungen zum Stammhaus oder zur Betriebsstätte nicht von dem Ort ihrer Entstehung abhängt. Dies belegt auch Art. 7 Tz. 12.2 OECD-MK a.F., wonach der Grundsatz des Abs. 2 den in Abs. 3 a.F. genannten Bestimmungen untergeordnet ist. Auch nach Art. 7 Tz. 16 OECD-MK a.F. stellt Abs. 3 a.F. nur klar, wie die allgemeine Regel des Abs. 2 auf die Aufwendungen einer Betriebsstätte anzuwenden ist. Inhaltlich konkretisiert damit Art. 7 Abs. 3 OECD-MA a.F. negativ den dealing-at-arm’s-length-Grundsatz. Die Formulierungen im OECD-MK a.F. sind teilweise unscharf. Sie differenzieren nicht ausreichend zwischen Gewinnermittlung und Gewinnabgrenzung.1

H. Veranlassungsprinzip und Fremdvergleich 1.31 Veranlassungsprinzip. Das deutsche innerstaatliche Steuerrecht baut in vielfacher Hinsicht auf dem sog. Veranlassungsprinzip auf, wie es in § 4 Abs. 4 EStG seinen Ansatz hat. Die Veranlassung setzt einen objektiven und/oder subjektiven wirtschaftlichen Zusammenhang zu einer betrieblichen Tätigkeit voraus. Im Bereich der Betriebsstättengewinnermittlung ist zwischen dem wirtschaftlichen Zusammenhang zu der Tätigkeit des Stammhauses und dem zu der Tätigkeit einer Betriebsstätte zu differenzieren. Für die Bejahung eines wirtschaftlichen Zusammenhanges ist auf das die Einnahmen oder Betriebsausgaben oder die Verwendung eines Wirtschaftsgutes auslösende Moment abzustellen.2 Entsprechend können Wirtschaftsgüter, Erträge und Aufwendungen unter Veranlassungsgesichtspunkten dem Stammhaus einerseits und/oder den Betriebsstätte(n) andererseits zuzuordnen sein (vgl. Rz. 3.38 ff.). Es gibt auch sog. Mitveranlassungen, d.h., Erträge und Aufwendungen können sowohl durch das Stammhaus als auch durch die eine Betriebsstätte bzw. durch mehrere Betriebsstätten veranlasst sein. Wirtschaftsgüter können den genannten Unternehmensteilen gleichzeitig dienen. In diesem Fall ist eine anteilige Zuordnung möglich, weil es im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte keine Nutzungsentnahmen geben kann. Die Abgrenzung kann deshalb nur durch eine anteilige Zuordnung vorgenommen werden. Währungskursumrechnungsgewinne und -verluste können durch die bloße Existenz von Betriebsstätten entstehen. Sie sind dann durch dieselben veranlasst und ihnen infolgedessen auch zuzurechnen (vgl. Rz. 7.9).3 Von Bedeutung ist ferner die begriffliche Unterscheidung zwischen dem Veranlassungsprinzip und dem Fremdvergleich. Das Veranlassungsprinzip ist dem deutschen innerstaatlichen Steuerrecht zuzuordnen. Der Fremdvergleich wird dort als Hilfskriterium zur Konkretisierung der maßgeblichen Veranlassung verwendet.4 Im Abkommensrecht hat der Fremdvergleich eine teilweise andere Bedeutung.5 Dort löst er einerseits das Problem der self-executing-Wirkung aus (vgl. Rz. 1.29 und 1.32); andererseits ist er das Instrument für eine Angemessenheitsprüfung von vereinbarten Leistungen innerhalb von kaufmännischen und finanziellen Beziehungen zwischen nahestehenden Unternehmen. Wenn im Schrifttum6 gefordert wird, zwecks Durchführung des Fremdvergleichs müsse die Betriebsstätte wie ein selbständiges Unternehmen behandelt werden, so hat diese These im innerstaatlichen deutschen Gewinnermittlungsrecht keine Rechtsgrundlage. Innerhalb der Betriebsstättengewinnermittlung ist der Fremdvergleich insoweit widersinnig, als eine hypothetische Selbständig-

1 2 3 4 5 6

Vgl. Ditz, Gewinnabgrenzung, 123 (124). BFH v. 4.7.1990 – GrS 2/88, GrS 3/88, BStBl. II 1990, 817 = FR 1990, 708 – unter C.II.2.b.bb. A.A. Ditz, Gewinnabgrenzung, 249. Vgl. Wassermeyer, DB 2001, 2465. Vgl. Kumpf/Roth, DB 2000, 744; Heinsen/Looks in Löwenstein/Looks/Heinsen2, Rz. 694. Vgl. Sieker, DB 1996, 110; Kramer, StuW 1991, 151 ff.

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Wassermeyer

I. Einordnung des Fremdvergleichs

Rz. 1.32 Kap. 1

keit der Betriebsstätte angenommen wird, die in Wirklichkeit nicht besteht und auch nicht bestehen kann.1

I. Einordnung des Fremdvergleichs Veranlassungsprinzip und Fremdvergleich. Mit dem Fremdvergleich arbeiten sowohl das deutsche innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht als auch das Abkommensrecht. Das innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht verwendet den Fremdvergleich bei der Prüfung der Frage, ob und inwieweit die zwischen einander nahestehenden Personen getroffenen Vereinbarungen betrieblich oder privat veranlasst sind und in diesem Sinne der Besteuerung zugrunde gelegt werden können. Zusätzlich dient der Fremdvergleich der Überprüfung der Angemessenheit des vereinbarten Entgelts. Ein in unangemessener Höhe vereinbartes Entgelt kann nach den Grundsätzen der Entnahme, der Einlage, der vGA und/oder des § 1 AStG korrigiert werden. Innerhalb des deutschen innerstaatlichen Gewinnermittlungsrechts löst der Fremdvergleich allerdings nur eine widerlegbare Vermutung aus. Es wird für ein dem Fremdvergleich nicht entsprechendes Verhalten vermutet, dass es privat oder durch ein Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Damit wird dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit des Nachweises eröffnet, dass sein Verhalten dennoch „good business practice“ entsprochen hat. Im innerstaatlichen Gewinnermittlungsrecht baut damit der Fremdvergleich nur auf einer Üblichkeitsprüfung auf („arm’s length behaviour“). Im Abkommensrecht wird der Fremdvergleich dagegen stärker als Aufteilungs- und Angemessenheitsmaßstab verwendet. Die Rechtsfolge ist absoluter, was auch der Wortlaut des § 1 AStG belegt („so sind seine Einkünfte so anzusetzen“).2 Im Abkommensrecht baut der Fremdvergleichsgrundsatz sowohl auf einer Üblichkeits- als auch auf einer Selbständigkeitsfiktion auf. Dies drückt sich auch in dem Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters aus.3 Dieser Maßstab wird bei der Prüfung von Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Unternehmen regelmäßig verwendet. Im Rahmen der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätten bzw. zwischen mehreren Betriebsstätten wird der Maßstab de facto nicht erwähnt. Dahinter mag die Erkenntnis stehen, dass sich Stammhaus und Betriebsstätte typischerweise nicht als selbständige Unternehmen, sondern als Teile eines Einheitsunternehmens gegenüberstehen, innerhalb dessen eine bestimmte Hierarchie besteht. Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (und umgekehrt) lassen sich nicht mit dem Leistungsverkehr zwischen nahestehenden Personen vergleichen (vgl. Rz. 1.21). Sie begründen weder Forderungen noch Verbindlichkeiten. Es handelt sich vielmehr um Transaktionen (Innentransaktionen) zwischen unselbständigen Unternehmensteilen desselben Unternehmens. Dies bedeutet vor allem, dass zwischen Stammhaus und Betriebsstätte keine Risiken vertraglich übertragen werden können. Diese Übertragung wäre auf der Grundlage einer Selbständigkeitsfiktion denkbar. Der entscheidende Unterschied zwischen dem deutschen innerstaatlichen Recht und dem Abkommensrecht besteht deshalb darin, dass die Gewinnabgrenzung nach dem deutschen innerstaatlichen Recht stärker auf dem Poolgedanken aufbaut. Stammhaus und Betriebsstätte wirken bei der Erbringung eines Außenumsatzes poolartig zusammen, soweit beide Unternehmensteile Teilleistungen erbringen. Im Abkommensrecht steht dagegen die Selbständigkeitsfiktion im Vordergrund. Es können zwischen den unselbständigen Unternehmensteilen Risiken und Funktionen quasi vertraglich übernommen werden.4 Das Verhältnis zwischen Stammhaus 1 2 3 4

Vgl. Haiß, Gewinnabgrenzung, 30 ff. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 443. Vgl. Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 93 ff. So auch Kroppen, IWB 2005, 1865 (1872).

Wassermeyer 23

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Kap. 1 Rz. 1.33

Einführung

und Betriebsstätte lässt sich deshalb nur aus der Sicht des Abkommensrechts, nicht jedoch aus der Sicht des deutschen innerstaatlichen Gewinnermittlungsrechts mit dem zwischen unabhängigen Unternehmen vergleichen. Dennoch geht es hier wie dort darum, eine bestimmte Gewinnabgrenzung aus der Simulation eines Preisbildungsprozesses abzuleiten, wie er unter Einbeziehung von Skalenvorteilen, Synergieeffekten und niedrigeren Transaktionskosten des Einheitsunternehmens zwischen sachgerecht handelnden Dritten im Zweifel durchgeführt worden wäre. Im Schrifttum1 wird jedoch die Auffassung vertreten, im Rahmen der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte sei kein Raum für die Denkfigur eines einfachen oder verdoppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Zwingend ist diese Auffassung allerdings nicht. Letztlich ist es eine Frage der tatsächlichen Selbständigkeit von Stammhaus und Betriebsstätte einerseits und der verbundenen Unternehmen andererseits, ob der Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu sachgerechten Ergebnissen führt. Eine Obergesellschaft kann jedoch die ihr nachgeschaltete Untergesellschaft in tatsächlicher Hinsicht ebenso selbständig wie unselbständig halten, wie dies zwischen Stammhaus und Betriebsstätte denkbar ist. Damit sollte der Rückgriff auf den Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auch im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung logisch nicht ausgeschlossen sein. Dennoch sind die bestehenden Unterschiede zu beachten.

1.33 Formen des Fremdvergleichs. Als Formen des Fremdvergleichs sind der konkrete und der hypothetische zu nennen. Beim konkreten Fremdvergleich wird auf eine Geschäftsbeziehung zwischen untereinander unabhängigen Personen zurückgegriffen. Insoweit kann es sich um einen betriebsinternen oder um einen betriebsexternen Fremdvergleich handeln. Beim betriebsinternen Fremdvergleich unterhält regelmäßig der Steuerpflichtige selbst die zum Vergleich heranzuziehende Beziehung zu einem unabhängigen Dritten. Das Problem des konkreten Fremdvergleichs liegt jedoch in der Erfahrungstatsache, dass Geschäftsbeziehungen sehr selten vollständig vergleichbar sind, es sei denn, den bestehenden Unterschieden kann durch Anpassungen in ausreichendem Maße Rechnung getragen werden.2 Beim hypothetischen Fremdvergleich wird gewissermaßen theoretisch darüber nachgedacht, was ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter, der zudem unabhängiger Dritter im Verhältnis zu den Partnern der Geschäftsbeziehung ist, in der konkreten Situation vereinbart hätte. In der Praxis ist der hypothetische Fremdvergleich der am häufigsten durchgeführte. Nicht selten werden die beiden Formen des Fremdvergleichs auch dergestalt miteinander vermischt, dass der konkrete Fremdvergleich als Ausgangspunkt gewählt wird, um die zum Vergleich herangezogene Geschäftsbeziehung mit Hilfe des hypothetischen Fremdvergleichs anschließend anzupassen und auf diese Weise die Geschäftsbeziehungen vergleichbar zu machen. Der Fremdvergleich kann sich im Übrigen auf die Geschäftsbeziehung dem Grunde oder nur der Höhe nach beziehen. Ein Fremdvergleich der Geschäftsbeziehung dem Grunde nach ist allerdings problematisch, weil er die Frage betrifft, ob ein fremder Dritter den Leistungsverkehr überhaupt durchgeführt hätte. In der Regel ist der Leistungsverkehr als Tatsache hinzunehmen. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA hat nur den Fremdvergleich der Geschäftsbeziehung der Höhe nach im Auge. Es wird geprüft, ob die Erträge einerseits und der Aufwand andererseits fremdvergleichskonform zugeteilt wurden. Dies schließt nicht aus, dass der tatsächlich realisierte Sachverhalt seiner wirtschaftlichen Veranlassung entsprechend besteuert wird. Über das Verhältnis zwischen dem konkreten und dem hypothetischen Fremdvergleich besteht Streit. Richtigerweise gibt es keinen logischen Vorrang. Im Zweifel sollte bei einem konkreten Fremdvergleich 1 Vgl. Kleineidam, IStR 2000, 577 ff. 2 So auch BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030; vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 592; Hoffmann, GmbHR 2005, 1142.

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I. Einordnung des Fremdvergleichs

Rz. 1.34 Kap. 1

die Wahrscheinlichkeit seiner Richtigkeit größer sein. Letztlich hängt dies allerdings von der Vergleichbarkeit der tatsächlichen Verhältnisse sowie von der erforderlichen Wahrung des Steuergeheimnisses ab. Da die tatsächlichen Verhältnisse selten vergleichbar sind, kommt dem hypothetischen Fremdvergleich in der Praxis die größere Bedeutung zu.1 Dealing-at-arm’s-length. Bekanntlich regelt Art. 7 Abs. 2 OECD-MA den sog. dealing-atarm’s-length-Grundsatz für Zwecke der Betriebsstättengewinnermittlung. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA regelt den sog. dealing-at-arm’s-length-Grundsatz für Zwecke des Leistungsverkehrs zwischen sog. verbundenen Unternehmen. Von Bedeutung ist der Unterschied zwischen den beiden Vorschriften. Während nach Art. 9 Abs. 1 OECD-MA der dealing-at-arm’s-lengthGrundsatz auf jeden Leistungsverkehr zwischen verbundenen Unternehmen anzuwenden ist, betrifft Art. 7 Abs. 2 OECD-MA a.F. nur die Anwendung des dealing-at-arm’s-length-Grundsatzes auf die Zuordnung der tatsächlich realisierten Erträge und der tatsächlich angefallenen Aufwendungen. Dies mag an den beiden folgenden Beispielen deutlich werden. Übernimmt eine inländische Muttergesellschaft für ihre ausländische Tochtergesellschaft die Anfertigung von Steuererklärungen, so muss diese Dienstleistung gem. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA i.V.m. § 1 AStG nach Fremdvergleichsgrundsätzen „verrechnet“ werden. Der anzusetzende Verrechnungspreis muss einen angemessenen Gewinnaufschlag berücksichtigen. Entsprechendes gilt, wenn eine Muttergesellschaft ihrer Tochtergesellschaft Know-how zur Verfügung stellt und die Tochtergesellschaft Umsätze mit Hilfe des Know-how erwirtschaftet. In diesem Fall muss eine angemessene Lizenzgebühr „verrechnet“ werden. Fertigt dagegen das inländische Stammhaus für seine ausländische Betriebsstätte eine Steuererklärung an, so entsteht „nur“ Aufwand, der nach Fremdvergleichsgrundsätzen zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte aufzuteilen ist. Im Zweifel ist der entsprechende Aufwand (zeitanteiliger Personalaufwand) ausschließlich der Betriebsstätte zuzuordnen. Stellt dagegen ein inländisches Stammhaus seiner ausländischen Betriebsstätte Know-how zur Verfügung, mit dessen Hilfe die Betriebsstätte Umsätze tätigt, so entstehen Erträge, die nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufzuteilen sind. Es darf keine Lizenzgebühr verrechnet werden. Jedoch ist das Stammhaus an den Erträgen der Betriebsstätte entsprechend dem Wert des beigestellten Know-how zu beteiligen. Es ist also zu ermitteln, welchen Anteil am Erlös der Zurverfügungstellung des Know-how zuzuordnen ist. Die unterschiedlichen Ansätze sind von sehr grundsätzlicher Bedeutung.

1 Vgl. Ditz, Gewinnabgrenzung, 190 ff.; ähnlich Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 592 (593).

Wassermeyer 25

1.34

Kapitel 2 Begriff der Betriebsstätte A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.1

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte I. Der Betriebsstättenbegriff im innerstaatlichen Recht 1. Funktion und Auftrag des Betriebsstättenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriffsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der DBA-rechtliche Betriebsstättenbegriff 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis zum Betriebsstättenbegriff des § 12 AO . . . . . . . . . . . . . . 3. Struktur des Betriebsstättenbegriffs nach Art. 5 OECD-MA. . . . . . . . . . . III. Die Betriebsstätte im Überblick 1. Wesenskern der Betriebsstätte a) Geschäftseinrichtung oder Anlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Betriebsstätte als „institutionalisierte“ Unternehmenstätigkeit c) Unternehmenstätigkeit als Wesenskern. . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Dienstleistungsbetriebsstätte . . . . 2. „Geschäftseinrichtung“ und „Anlage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Kriterium der „Festigkeit“ a) Grundvoraussetzungen einer örtlichen Fixierung . . . . . . . . . . . b) Räumliche Begrenzung . . . . . . . . c) Zeitliche Komponente . . . . . . . . . aa) Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . bb) Beginn und Ende einer Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . cc) Unterbrechungen . . . . . . . . . 4. Verfügungsmacht a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . b) Verfügungsmacht als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal aa) Verfügungsmacht als Bindeglied zur Geschäftseinrichtung . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtliche und tatsächliche Absicherung. . . . . . . . . . . . . . c) Nutzung privater Räumlichkeiten

26

Puls

2.5 2.6

2.9 2.11 2.12

2.15 2.17 2.20 2.22 2.27 2.32 2.35 2.40 2.41 2.42 2.49 2.52

2.53 2.55 2.58

d) Tätigkeiten bei einem Dritten . . . e) Gegenwärtige Entwicklungen auf OECD-Ebene . . . . . . . . . . . . . 5. Weitere Fragen der Zurechnung a) Unterbetriebsstätte. . . . . . . . . . . . b) Problematik der mittelbaren Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . c) Betriebsstätte am Ort der Vermietung oder Verpachtung . . d) Betriebsstätte bei Personengesellschaften aa) Strukturelle Besonderheit der Personengesellschaft . . . . bb) Zurechnung der Betriebsstätte auf die Mitunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das Dienen der Geschäftseinrichtung a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kausalbeziehung zwischen Unternehmenstätigkeit und Geschäftseinrichtung . . . . . . . . . . c) Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit . . . . . . . . d) Unterschiede zum abkommensrechtlichen Verständnis/ „Unmittelbares Ausüben“ der Unternehmenstätigkeit . . . . . e) Subunternehmerbetriebsstätte . . 7. Ausschluss von Hilfs- und Vorbereitungstätigkeiten im DBA-rechtlichen Betriebsstättenbegriff a) Negativkatalog nach Art. 5 Abs. 4 OECD-MA . . . . . . . . . . . . b) Hilfs- oder Unterstützungstätigkeiten aa) Einrichtungen zur Lagerung, Ausstellung oder Auslieferung von Gütern oder Waren/ Bestände von derartigen Gütern oder Waren (Buchst. a und b). . . . . . . . . . bb) Bestände von Gütern oder Waren zwecks Be- oder Verarbeitung (Buchst. c) . . . .

2.60 2.70 2.73 2.75 2.78

2.81 2.82 2.89 2.91 2.93

2.95 2.98

2.104

2.109 2.112

A. Einführung

cc) Einrichtungen zum Einkauf von Gütern oder Waren oder zur Informationsbeschaffung (Buchst. d) . . . . dd) Geschäftseinrichtungen für Vorbereitungs- oder Hilfstätigkeiten (Buchst. e) . . . . . . ee) Einrichtungen für gemischte Tätigkeiten (Buchst. f)/ Anti-Fragmentation Rule . . .

2.118

IV. Katalogisierung bestimmter Betriebsstättenformen 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsleitungsbetriebsstätte . . . . 3. Zweigniederlassungen. . . . . . . . . . . . 4. Geschäftsstellen. . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fabrikations- und Werkstätten . . . . 6. Warenlager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ein- oder Verkaufsstellen . . . . . . . . . 8. Bergwerke und Steinbrüche . . . . . . .

2.120 2.122 2.128 2.132 2.134 2.136 2.138 2.140

V. Bau- und Montagebetriebsstätten 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriff der Bauausführung und Montage a) Bauausführungen. . . . . . . . . . . . . b) Montagetätigkeiten . . . . . . . . . . . c) Vorbereitungs- und Planungstätigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Begründung einer Bau- oder Montagebetriebsstätte durch bloße Personalgestellung? . . . . . . 3. Beginn und Ende der Frist . . . . . . . . 4. Zeitliche Mindestdauer a) Innerstaatliches Recht . . . . . . . . . b) Mindestdauer im DBA-Recht . . . 5. Sonderfall Bau- und Montageüberwachung, Subunternehmer . . . . . . . 6. Vorhandensein von Bau-/Montagebuden bzw. -containern . . . . . . . . . .

2.113 2.115

2.144 2.148 2.152 2.155 2.161 2.163 2.167 2.171 2.175 2.178

Rz. 2.1 Kap. 2

7. Bauausführungen und Montagen durch mehrere Unternehmen a) Zusammenschluss mehrerer unabhängiger Unternehmen . . . . b) Bau- und Montagekonsortien . . . c) Arbeitsgemeinschaften. . . . . . . . . d) Eigeninvestitionen . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenrechnung mehrerer Bauausführungen oder Montagen a) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammenrechnungsregelungen im DBA-Recht aa) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . bb) Wirtschaftlicher Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Technischer Zusammenhang dd) Organisatorischer Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Geografischer Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Vertreterbetriebsstätte 1. Grundsätzliches a) Systemische Verortung der Vertreterbetriebsstätte . . . . . . . . . b) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . 2. Die Tatbestandsmerkmale der Vertreterbetriebsstätte a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . b) Abschlussvollmacht . . . . . . . . . . . c) Handeln im Rahmen der ordentlichen Geschäftstätigkeit . . d) Abgrenzung zum innerstaatlichen Vertreterbegriff . . . . . . . . . e) Neuerungen auf OECD-Ebene . .

2.182 2.183 2.185 2.187 2.188 2.190 2.191 2.196 2.198 2.200

2.204 2.206 2.209 2.211 2.215 2.217 2.219

VII. Behandlung von beherrschenden und beherrschten Gesellschaften 1. Anwendungsrahmen. . . . . . . . . . . . . 2.226 2. Kasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.229

A. Einführung Die Betriebsstätte im nationalen und DBA-Recht. Der Begriff der Betriebsstätte ist sowohl im innerstaatlichen Recht als auch im Bereich des DBA-Rechts entscheidend für die Fragestellung nach der Ausübung nationaler Besteuerungsrechte. Nicht zu vergessen ist dabei, dass innerstaatliches Steuerrecht und zwischenstaatliches Abkommensrecht eigenständige Rechtskreise verkörpern, die strikt voneinander zu trennen sind. Während der Betriebsstättenbegriff im innerstaatlichen Recht u.a. die inländischen von den ausländischen Einkünften und in umgekehrter Weise die ausländischen von den inländischen Einkünften abgrenzen soll (vgl. §§ 34d und 49 EStG), zielt der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff darauf ab, die unterschiedlichen Steuerinteressen der Vertragsstaaten durch eine entsprechende BegriffsPuls 27

2.1

Kap. 2 Rz. 2.2

Begriff der Betriebsstätte

definition zu moderieren und schließlich eine Abgrenzung der Besteuerungsrechte an Unternehmensgewinnen herbeizuführen.1

2.2 Innerstaatliches Besteuerungsrecht. Da das DBA-Recht nur festlegen kann, welchem Vertragsstaat welche Besteuerungsmöglichkeit für bestimmte Einkünfte obliegen soll, ist die Substantiierung dieser Besteuerungsmöglichkeit zunächst von einer entsprechenden Besteuerungsnorm des innerstaatlichen Rechts des Vertragsstaats abhängig, an den die Besteuerungsmöglichkeit abkommensrechtlich delegiert werden soll. Hierbei ist das Vorhandensein einer inländischen Betriebsstätte das entscheidende Kriterium zur Begründung der beschränkten Steuerpflicht im Inland.

2.3 Interaktion mit dem Betriebsstättenprinzip. Überdies steht einer innerstaatlichen Betriebsstätte zugleich immer auch eine fiktive Auslandsbetriebsstätte gegenüber. Bei einer ziellos ausufernden Betriebsstätteninterpretation sowohl im Steuerausland als auch in den DBA hat dies zur Folge, dass die in der Bundesrepublik ansässigen Unternehmen mit ihren ausländischen Unternehmenseinrichtungen aus der deutschen Besteuerung ausscheiden müssen.2 Die funktionale Wertung des hinter dem Betriebsstättenbegriffs stehenden Betriebsstättenprinzips, das Besteuerungsrecht lediglich an denjenigen Staat zu delegieren, in welchem die betreffende Betriebsvorrichtung infrastrukturell verwurzelt ist, geht damit verloren. Zugleich wird die Funktionalität des Betriebsstättenbegriffs, mittels einer relativ einfachen Tatbestandsskizzierung Klarheit über die Verstrickung eines Steuerobjekts in einem oder mehreren Abkommensstaaten zu gewinnen, faktisch beseitigt. Im Bereich des Abkommensrechts liegt darin unbeabsichtigt eine der Ursachen zahlreicher Doppelbesteuerungskonflikte.

2.4 Zukunft der Betriebsstätte. Die Begriffsdefinition der Betriebsstätte steht momentan auf internationaler Ebene im Zentrum vielfältiger Diskussionen. Festzustellen ist, dass viele Staaten die Betriebsstätte als Anknüpfungspunkt für eine lokale (beschränkte) Steuerpflicht künftig tatbestandlich „weiter“ auslegen möchten. So wird gegenwärtig von vielen Staaten versucht, den Begriff der Betriebsstätte vom Tatbestandsmerkmal einer „festen Geschäftseinrichtung“, über die Verfügungsmacht bestehen muss, zu entkoppeln. Sinnbild hierfür ist die Diskussion um die sog. Dienstleistungsbetriebsstätte sowie das sog. „Anstreicherbeispiel“ im OECD-MK. In der Literatur wird dementsprechend auch von „Auflösungserscheinungen des Betriebsstättenbegriffs“ gesprochen.3 Auch die jüngsten Diskussionen auf Ebene der OECD – nicht zuletzt im Rahmen des BEPS-Projekts – zeigen, dass es auch in Zukunft auf internationaler Bühne kontrovers um den Begriff der Betriebsstätte bestellt sein wird.

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte I. Der Betriebsstättenbegriff im innerstaatlichen Recht 1. Funktion und Auftrag des Betriebsstättenbegriffs

2.5 Räumliche Zuordnung. Die Betriebsstätte verkörpert die tatbestandliche Konkretisierung einer räumlichen Zuordnung von Einkünften und Vermögen. Bei der beschränkten Einkommen- oder Körperschaftsteuerpflicht werden Einkünfte aus Gewerbebetrieb als inländi1 Grundlegend Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 8. 2 Siehe hierzu Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 308 f. 3 Siehe Esterer, Der Betriebsstättenbegriff im DBA und seine schleichende Auflösung, in Festgabe Wassermeyer, 137 Rz. 3 ff.

28

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.8 Kap. 2

sche Einkünfte qualifiziert, wenn im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter nach § 13 AO bestellt ist (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Ein im Inland betriebener Gewerbebetrieb ist dann der Gewerbesteuer unterworfen, wenn für ihn im Inland eine Betriebsstätte nach § 12 AO unterhalten wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 GewStG).1 Nach § 4 GewStG werden die stehenden Gewerbebetriebe sodann in derjenigen Gemeinde zur Gewerbesteuer herangezogen, in deren Bezirk eine Betriebsstätte zur Ausübung des Gewerbebetriebs unterhalten wird. Der Betriebsstättenbegriff im innerstaatlichen Recht hat damit zum einen eine steuerbegründende, zum anderen eine steuerverteilende Regelungsaufgabe.2 2. Begriffsstruktur Wortlaut des § 12 Satz 1 und 2 AO. Nach § 12 Satz 2 AO sind bestimmte Ausprägungen unternehmerischer Betätigungsformen – wörtlich – „insbesondere“ als Betriebsstätten anzusehen. Dies lässt den Schluss zu, dass die in § 12 Satz 2 Nr. 1 bis 8 genannten Sachverhalte exemplarisch als Betriebsstätten gelten, unabhängig davon, ob sie die Generalklausel nach Satz 1 tatbestandlich erfüllen.3 Nach Ansicht der BFH-Rechtsprechung handelt es sich bei der Aufzählung in Satz 2 sogar um eine Erweiterung der Basisdefinition des Satzes 1, die nicht zwingend eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage voraussetze. Begründet wird dies u.a. damit, dass z.B. eine länger als sechs Monate andauernde Bau- oder Montageausführung auch dann als Betriebsstätte qualifiziert werde, wenn es ihr in dieser Zeit an einer festen Geschäftseinrichtung oder Anlage mangele.4

2.6

Betriebsstätte als Typusbegriff? Die Betriebsstätte setzt nach diesem Verständnis nur im Grundtatbestand nach Satz 1 ein festes körperliches Substrat („Geschäftseinrichtung“) voraus. Der Betriebsstättenbegriff rückt damit in die Nähe eines sog. Typusbegriffs. Wenn die in § 12 Satz 2 AO genannten Sachverhalte unabhängig von einer der Unternehmenstätigkeit dienlichen festen Geschäftseinrichtung als Betriebsstätte qualifiziert werden können, dann kommt es nicht mehr auf eine präzise Subsumtion unter die wesensbegründenden Tatbestandsmerkmale des Begriffs an. Die Betriebsstätte würde dann aus quasi „merkmalselastischen Wesensaspekten“ bestehen. Sie würde danach im übertragenen Sinne ein bloßes „Anschauungsbild“ verkörpern, dem Sachverhalte und Erscheinungen als „entsprechend“ oder „sinnähnlich“ zugeordnet werden.5 Für die Bestimmung der Formalstruktur bedeutet dies, dass nicht das Vorhandensein oder das Fehlen eines bestimmten Tatbestandsmerkmals, sondern ein elastisches Merkmalsgefüge über die Betriebsstätteneigenschaft entscheidet.

2.7

Katalogisierung in § 12 Satz 2 AO. Da die Rechtsprechung annimmt, die Katalogisierung bestimmter Betriebsstättenformen sei nicht abschließend, ist das Wesen der Betriebsstätte folglich nicht durch eine erschöpfende Anzahl stets unabdingbarer Merkmale umgrenzt. Der Betriebsstättenbegriff spaltet sich hiernach in einen Oberbegriff, der nach § 12 Satz 1 AO eine feste Geschäftseinrichtung voraussetzt, und in einen bzw. mehrere typisierte Unterbegriffe auf, die unabhängig von § 12 Satz 1 AO als Betriebsstätte qualifiziert werden. Hierdurch wird

2.8

1 Vgl. dazu jüngst BFH v. 20.7.2016 – I R 50/15, BStBl. II 2017, 230 = ISR 2016, 424 m. Anm. Kahlenberg. 2 Siehe bereits Debatin, DB 1989, 1692 (1694); Kumpf, StbJb. 1988/89, 399 (401). 3 BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148 = FR 1994, 58 m. Anm. Kempermann; dem folgend Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Tz. 23; Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 25. 4 So bereits BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148 (149) = FR 1994, 58 m. Anm. Kempermann. 5 Hierzu Mössner, Typusbegriffe im Steuerrecht in FS Kruse, 161.

Puls 29

Kap. 2 Rz. 2.9

Begriff der Betriebsstätte

eine inhaltliche Öffnung des tatbestandlichen Betriebsstättenbegriffs ermöglicht, die kritisch zu betrachten ist, denn nicht das Vorhandensein oder Fehlen eines einzelnen Begriffsmerkmals entscheidet über die „Zuordnung“ eines Sachverhalts, sondern die (interpretationsoffene) Intensität, mit der der Sachverhalt die entsprechenden Merkmalsausprägungen als „Betriebsstätte“ aufweist.1

II. Der DBA-rechtliche Betriebsstättenbegriff 1. Vorbemerkungen

2.9 OECD-MA als Orientierungskompass. Der Betriebsstättenbegriff verkörpert im Hinblick auf die zwischenstaatliche Verteilung des Steuergesamtaufkommens ein zentrales fiskalpolitisches Gestaltungsinstrument. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass der in den jeweiligen DBA definierte Betriebsstättenbegriff in seiner tatbestandlichen Ausgestaltung variieren kann. Insgesamt ist festzustellen, dass der Betriebsstättenbegriff des OECD-MA in den jeweiligen DBA nur in geringem Maß an die jeweiligen Interessenlagen der Vertragsstaaten angepasst worden ist. Damit fungiert der Betriebsstättenbegriff des OECD-MA als zentraler „Orientierungskompass“ für die konkret ausgehandelten DBA.2

2.10 Fiskalpolitische Dimension. Die Ausgestaltung des jeweiligen abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs verkörpert zugleich ein Fiskalpolitikum der beteiligten Vertragsstaaten.3 Insbesondere im Hinblick auf zwischen industrialisierten Ländern und Ländern der Dritten Welt abgeschlossenen DBA ist eine Tendenz zur Ausweitung der Quellenbesteuerung zugunsten der Entwicklungsländer auszumachen, die u.a. auf einer tatbestandlichen Erweiterung des Betriebsstättenbegriffs beruht. Jüngste Entwicklungstendenzen im Rahmen des UN-MA bestätigen diese Entwicklung.4 Da jedes DBA als völkerrechtlicher Vertrag einen eigenständigen und abschließenden Rechtskreis bildet, bestehen grundsätzlich zahlenmäßig gleich viele Betriebsstättenbegriffe wie dazugehörige DBA.5 2. Verhältnis zum Betriebsstättenbegriff des § 12 AO

2.11 Nur funktional-inhaltliche Übereinstimmung. Da der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff die definitorische Voraussetzung der zwischenstaatlichen Verteilung von Steuerzugriffen zugunsten des Betriebsstättenstaats konkretisiert, begrenzt er in spiegelbildlicher Weise die steuerliche Zugriffsmöglichkeit des Ansässigkeitsstaats eines grenzüberschreitend

1 Dazu bereits Storck, Ausländische Betriebsstätten, 125. 2 Debatin, DB 1989, 1692 (1694). Siehe die deutsche DBA-Verhandlungsgrundlage v. 22.8.2013 unter www.bundesfinanzministerium.de; dazu Ditz/Schönfeld, DB 2013, 1437. 3 Zur deutschen Abkommenspolitik s. allgemein Prang, Vertragspolitik der Bundesrepublik beim Abschluss von DBA, 1982, 93 ff. 4 Siehe dazu Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 71 f. 5 Durch die Transformation in innerstaatliches Recht reift das DBA als völkerrechtlicher Vertrag zu einem Bestandteil der nationalen Rechtsordnung aus (s. Art. 32, 59 Abs. 2 GG). Das Transformandum ist damit eine genuine Rechtsnorm, die anderen Vorschriften im innerstaatlichen Recht normenhierarchisch gleichrangig gegenübersteht; zur Transformation mit besonderem Bezug zum DBA-Recht s. auch Fischer-Zernin, RIW 1987, 785 (787, 788); Debatin, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1 (2); Debatin, DStR 1985, Beilage 23, 1.

30

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.13 Kap. 2

tätigen Unternehmens.1 Der strukturelle Vergleich zur Betriebsstättenvorschrift des § 12 AO zeigt, dass auch der innerstaatliche Begriff darauf gerichtet ist, die räumliche Zuordnung von Einkünften und Vermögen im Hinblick auf die interkommunale Hebeberechtigung gewerbesteuerlich zu disponieren. Insoweit besteht zwischen beiden Begriffe trotz der Ansiedlung auf verschiedenen Regelungsebenen in gewisser Weise eine vergleichbare Funktionalität.2 Dem Anschein nach hat dieser Umstand die Finanzverwaltung dazu bewogen, zwischen dem abkommensrechtlichen und dem abgabenrechtlichen Betriebsstättenbegriff eine inhaltliche Übereinstimmung anzunehmen.3 Zwar sind die Wurzeln des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs auch im früheren deutschen Gewerbesteuerrecht zu finden. Dies verdeutlicht sich anhand vieler inhaltlicher Gemeinsamkeiten der Begriffe. Dennoch sind entgegen der Verwaltungsauffassung die Regelungen des Art. 5 OECD-MA und § 12 AO inhaltlich nicht identisch.4 3. Struktur des Betriebsstättenbegriffs nach Art. 5 OECD-MA Folgerungen aus der OECD-MK. Im Gegensatz zur Auffassung der Rechtsprechung, die davon ausgeht, dass die in § 12 Satz 2 AO genannten Formen per definitionem als Betriebsstätten gelten sollen, betrachtet die Musterkommentierung die in Art. 5 Abs. 2 OECD-MA genannten Beispiele in funktionaler Verbindung mit der allgemeinen Betriebsstättendefinition des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA.5 In Anbetracht dessen hat die Katalogisierung in Art. 5 Abs. 2 MA bislang keinen eigenständigen Aussagewert.6 Für das OECD-MA 1963 besaß noch die sog. Fiktionstheorie Gültigkeit, nach der sämtliche Beispiele in Abs. 2 a priori als Betriebsstätten angesehen werden sollten. Der Vorteil der jetzigen OECD-Ansicht, welcher im OECD-MK Ausdruck verliehen wird, liegt darin, dass die Betriebsstätte sich durch einen abschließenden Merkmalskatalog skizzieren lassen muss. Dadurch kann das begriffliche Profil der Betriebsstätte geschärft werden. Allerdings ist die OECD – aufgrund der zahlreichen unterschiedlichen Fiskalinteressen ihrer Mitgliedstaaten – hier nicht konsequent, wie das sog. „Painter Example“ (Loslösung vom Erfordernis einer festen Geschäftseinrichtung und Hinbewegung zu einer rein tätigkeitsorientierten Betrachtungsweise) in Art. 5 Tz. 4.5 OECD-MK anschaulich verdeutlicht.7

2.12

Gegenwärtige Diskussion zur Revision des OECD-MK. Vor diesem Hintergrund erwägt die OECD in ihrem Diskussionspapier zur Revision des OECD-MK zu Art. 5 OECD-MA vom 19.10.2012 derzeit, das Verhältnis zwischen Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 OECD-MA erneut

2.13

1 Siehe Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 8. 2 Deutlich wird dies auch anhand der Vorschrift des § 30 GewStG, welche insoweit die durch das Vorhandensein einer Betriebsstätte entstehenden Gemeindelasten bei der Zerlegung zu berücksichtigen versucht; s. dazu auch oben Rz. 2.5. 3 Siehe BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.2.1; zum Verhältnis zwischen nationalem und abkommensrechtlichem Betriebsstättenbegriff vgl. auch Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 315 f. 4 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 9 weist zu Recht darauf hin, dass zwar aus tatsächlichen Gründen zu vermuten sei, jede Betriebsstätte i.d. Art. 5 OECD-MA verkörpere zugleich eine solche des § 12 AO; der abkommensrechtliche Begriff sei im Regelfall jedoch enger als der innerstaatliche Begriff gezogen. 5 Siehe Art. 5 Tz. 12 Satz 2 OECD-MK. 6 So bereits van Raad, Intertax 1991, 497 (501): „Whether or not an establishment is of a type listed in paragraph 2, makes no difference for determining whether it is a permanent establishment for treaty purpose.“ 7 Siehe Art. 5 Tz. 4.4, 4.5 OECD-MK.

Puls 31

Kap. 2 Rz. 2.14

Begriff der Betriebsstätte

klarzustellen.1 Es soll durch einen veränderten Wortlaut in Art. 5 Tz. 12 OECD-MK verdeutlicht werden, dass die in Art. 5 Abs. 2 OECD-MA aufgelisteten Betriebsstättensachverhalte nicht automatisch („prima facie“) als tatbestandliche Betriebsstätten qualifiziert werden können. Es soll sich bei der Auflistung in Art. 5 Abs. 2 OECD-MA vielmehr um beispielhafte Benennungen von möglichen Betriebsstättensachverhalten handeln. Es handelt sich bei dem Formulierungsvorschlag für Art. 5 Tz. 12 OECD-MK damit um den Versuch einer weiteren Klarstellung des Verhältnisses zwischen Art. 5 Abs. 1 und 2 OECD-MA.

2.14 Unterschiedliche Sichtweise im DBA-Recht. Die Frage nach der Rechtsnatur des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs stellt sich damit aus einer anderen Perspektive als im innerstaatlichen Recht. Durch die funktionale Verbindung des Grundtatbestandes mit der beispielhaften Katalogisierung in Art. 5 Abs. 2 verkörpert der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff in seiner Rechtsnatur einen abstrakten Allgemeinbegriff. Die von der Rechtsprechung zu § 12 AO vertretene Ansicht, die Beispiele in § 12 Satz 2 AO seien weder abschließend noch irgendwie funktional mit dem Grundtatbestand verbunden, tendiert demgegenüber in die Richtung einer typisierenden Begriffsbetrachtung.

III. Die Betriebsstätte im Überblick 1. Wesenskern der Betriebsstätte a) Geschäftseinrichtung oder Anlage

2.15 Wesenskern des Begriffs der Betriebsstätte. Zwar legt der Wortlaut des Betriebsstättenbegriffs nahe, die Betriebsstätte zunächst einer „festen Geschäftseinrichtung“ gleichzusetzen. Denn Geschäftseinrichtungen und Anlagen, die bereits begriffsnotwendig dinglich-konkret sind, stehen als verschiedene Tatbestandsalternativen des Grundtatbestands der Betriebsstätte in § 12 Satz 1 AO gleichrangig nebeneinander. Betrachtet man die Rechtsprechung zum Begriff der Betriebsstätte genauer, so ergeben sich Zweifel, ob im Kern des Betriebsstättenbegriffs tatsächlich das Element einer „festen Geschäftseinrichtung“ steht.2 Denn sofern die Rechtsprechung mobile Betriebsvorrichtungen -bspw. den beweglichen Wochenmarktstand3 – als „feste Geschäftseinrichtung“ anerkennt, ergeben sich Zweifel an der These, im Kern der Betriebsstätte stünde eine „feste Geschäftseinrichtung“. Eine im wahrsten Sinn feste bzw. räumlich verfestigte Geschäftseinrichtung liegt hier gerade nicht vor. Betriebsstätte könnte dann nur die an einem bestimmten Ort erfolgende unternehmerische Betätigung sein. Jedoch dürfte es dann keinen sachlichen Grund mehr geben, einen bloßen Schutthaufen4 oder eine Haltestelle5 als Betriebsstätte zu qualifizieren, denn hier wird gerade keine aktive Tätigkeit entfaltet. Geht man davon aus, dass die „Geschäftseinrichtung“ das Zentralelement des Betriebsstättenbegriffs bildet, dann verkörpern die Festigkeit der Einrichtung, die darüber bestehende Verfügungsmacht sowie die zeitliche Mindestdauer ihres Bestehens integrative Merkmale des Begriffs, die ihn nur weiter präzisieren.

1 OECD-Diskussionspapier vom 19.10.2012, Tz. 59 f., abrufbar unter www.oecd.org/tax. 2 Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 594. 3 FG Münster v. 28.2.1966 – II a 417/65, EFG 1966, 501; BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148 = FR 1994, 58 m. Anm. Kempermann. 4 FG Düsseldorf v. 11.3.1970 – II 520-529/66 G, EFG 1970, 460. 5 So jedoch RFH v. 15.4.1942 – VI B 4/42, RStBl. 1942, 469; BFH v. 18.10.1962 – IV 319/60 U, BStBl. III 1963, 38.

32

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.19 Kap. 2

Parallele zur Dienstleistungsbetriebsstätte. Ferner geben die jüngsten Rechtsentwicklungen auf OECD-Ebene Anlass, sich genau dieser Frage detaillierter zuzuwenden. Die Einführung der sog. Dienstleistungsbetriebsstätte als alternativer Betriebsstättentatbestand, der keine „Geschäftseinrichtung“ oder „Anlage“, über die Verfügungsmacht bestehen muss, voraussetzt, sondern ausschließlich auf die Ausübung einer Tätigkeit (Dienstleistung) abstellt, nährt den Verdacht, den Wesenskern der Betriebsstätte eher in einem tätigkeitsbezogenen Sinn zu begreifen. Erforderlich wäre für die Annahme einer Betriebsstätte dann ein dingliches Substrat in Gestalt einer „Geschäftseinrichtung“ oder „Anlage“. In die gleiche Richtung geht die (nicht verstummen wollende) Diskussion über das berühmte „Painter Example“ in Art. 5 Tz. 4.5 OECD-MK (s. dazu auch unter Rz. 2.15 u. 2.19 f.) sowie das in § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG geregelte Erfordernis von Personalfunktionen.1

2.16

b) Betriebsstätte als „institutionalisierte“ Unternehmenstätigkeit Örtlich radizierte Unternehmenstätigkeit. Soll im Kern des Betriebsstättenbegriffs eine an einem bestimmten „Ort“ erfolgende Unternehmenstätigkeit stehen, so ist fraglich, wie die den Begriffskern umrandenden Tatbestandsmerkmale auszulegen sind. „Fest“ könnte eine Betriebsstätte etwa dann sein, wenn sie nur über eine bestimmte Zeitdauer hinweg besteht (gewisse Ständigkeit). Fraglich ist dann auch, welche Rolle das Kriterium der „Verfügungsmacht“ erfüllen soll. Es fragt sich dann auch, ob sich die Verfügungsmacht dann ausschließlich auf den Ort der Tätigkeitsausübung beziehen kann.2

2.17

Wesenskern entscheidend für das Begriffsverständnis. Die Klärung dieser „Wesensfrage“ ist für das Verständnis des Betriebsstättenbegriffs von entscheidender Bedeutung. Auf Basis einer abstrakteren Betrachtungsweise könnte man die Betriebsstätte als „verobjektivierte Unternehmenstätigkeit“ umschreiben. Erfasst man den Wortsinn der „Geschäftseinrichtung“ dementsprechend, so ist die Betriebsstätte zunächst die institutionalisierte wirtschaftliche Betätigung eines Unternehmens. Für diesen Interpretationsansatz scheint der englischsprachige Vergleichsbegriff zu sprechen. Der Begriff „permanent establishment“ verkörpert nicht dasselbe wie die körperliche Betriebsvorrichtung eines Unternehmens, die allgemein als „assets“ oder in Bezug auf einzelne Ausrüstungsgegenstände als „furnishings“ oder „business equipment“ bezeichnet wird. Das Betriebsstättenprinzip würde durch diesen Interpretationsansatz allerdings erheblich entmaterialisiert werden, denn hier wären die Übergänge vom Betriebsstättenprinzip zum reinen Tätigkeitsprinzip fließend.

2.18

Anwendungsbeispiel nach dem OECD-MK. An dieser Stelle ist ein Blick auf den OECDMK hilfreich. Zu erkennen ist dabei, dass eine Akzentuierung des Tätigkeitselements des Begriffs „Betriebsstätte“ stattgefunden hat. Gleichzeitig scheinen die Tatbestandsmerkmale der „festen Geschäftseinrichtung“ und der „Verfügungsmacht“ in ihrer Bedeutung abgenommen zu haben. Nach Art. 5 Tz. 4 Satz 2 OECD-MK soll eine „Geschäftseinrichtung“ auch dann anzunehmen sein, wenn keine Räumlichkeiten zur Unternehmenstätigkeit vorhanden sind, das Unternehmen gleichwohl über einen gewissen „Platz“ zur Tätigkeitsentfaltung „verfüge“. Das Kriterium der „Verfügungsmacht“ verlangt nach Ansicht der OECD in diesem Zusammenhang nicht das Vorhandensein eines förmlichen Rechts zu Absicherung des Tätigkeitsorts. Vielmehr soll die tatsächliche Nutzung eines bestimmten Orts zur Entfaltung einer unternehmerischen Tätigkeit in bestimmten Fällen für die Annahme einer „Geschäftseinrichtung“ ausreichend sein. Dies verdeutlichen auch die in Art. 5 Tz. 4.1–4.5 OECD-MK aufgeführten Beispielssach-

2.19

1 Siehe Wassermeyer, IStR 2015, 37. 2 Dazu Puls, Die Betriebsstätte im Abgaben- und Abkommensrecht, 2005, 31 ff.

Puls 33

Kap. 2 Rz. 2.20

Begriff der Betriebsstätte

verhalte. Nach Art. 5 Tz. 4.4 OECD-MK (Beispiel 3) kann bspw. ein Anstreicher, der über einen Zeitraum von zwei Jahren wöchentlich drei Tage in einem großen Bürokomplex seines Hauptkunden Arbeiten ausführt, dort aufgrund seiner Anwesenheit und seiner Tätigkeitsentfaltung bereits eine „Geschäftseinrichtung“ innehaben und mithin eine Betriebsstätte begründen. Art. 5 Tz. 4.6 Satz 2 OECD-MK illustriert überdies das Beispiel eines Straßenbauunternehmens, das den Auftrag hat, eine Straße zu pflastern. Das Straßenbauunternehmen soll nach dem OECD-MK so angesehen werden, als übe es seine Tätigkeit „durch“ den Ort aus, von wo aus die Tätigkeit stattfinde. Die Kriterien der herkömmlichen „Geschäftseinrichtung“ und der „Verfügungsmacht“ scheinen hier durch die „Unternehmenstätigkeit“ als solche (teilweise) kompensiert werden zu können, wenn die Tätigkeit aufgrund ihres Charakters nicht an ein fixes betriebliches Substrat (z.B. eine Produktionsmaschine) gebunden ist (s. Art. 5 Tz. 4.6 Satz 1 OECD-MK). c) Unternehmenstätigkeit als Wesenskern

2.20 Betriebsstätte als institutionalisierte Unternehmenstätigkeit. Nimmt man an, dass im Kern der Betriebsstätte lediglich eine Tätigkeit stehen kann, so geraten die anderen Tatbestandsmerkmale des Begriffs in ein differenziertes Licht. Die Betriebsstätte ist dann in erster Linie als konkretisierte und institutionalisierte Unternehmenstätigkeit zu verstehen, die über ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal – etwa der „festen Geschäftseinrichtung“ oder des bestimmten Zeitfensters bei den Bau- oder Montageausführungen – eine hinreichende infrastrukturelle Verwurzelung und damit einen „besteuerungswürdigen“ Bezug zum Tätigkeitsstaat erlangt. Vor diesem Hintergrund ist die Betriebsstätte keineswegs der festen Geschäftseinrichtung gleichzusetzen; die „feste Geschäftseinrichtung“ ist vielmehr bloßes Tatbestandskriterium zur Erlangung einer hinreichenden Intensität der Tätigkeit im Hinblick auf ihre infrastrukturelle Verwurzelung.1 Folgt man diesem Gedanken weiter, so ist die Umschreibung des § 12 Satz 1 AO bzw. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA als sog. „Grundtatbestand“ der Betriebsstätte unzutreffend.2 In der AO wie im OECD-MA existieren kein „Grundtatbestand“ der Betriebsstätte; § 12 Satz 1 AO verkörpert genauso wie Art. 5 Abs. 1 OECD-MA lediglich eine bestimmte Erscheinungsform der Betriebsstätte, indem sie eine „feste Geschäftseinrichtung“ als Merkmal zur Umschreibung des hinreichenden infrastrukturellen Bezugs zum Tätigkeitsgebiet voraussetzen. Insoweit kann man davon sprechen, dass die in § 12 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 bis 7 und Satz 2 Nr. 8 AO verankerten „Betriebsstättentypen“ allesamt nur bestimmte Erscheinungsformen der Betriebsstätte verkörpern. Ihr Begriffsmittelpunkt – nämlich eine unternehmerische Tätigkeit – ist identisch, lediglich ihre infrastrukturelle Verankerung im Tätigkeitsgebiet – feste Geschäftseinrichtung, bestimmte Tätigkeitsdauer bzw. Ständigkeit der Vertretung im Rahmen des § 13 AO – ist verschieden. Diese Erkenntnis wird insbesondere durch die jüngere BFH-Rechtsprechung sowie die auf OECD-Ebene stattfindenden Diskussionen zur Weiterentwicklung des Betriebsstättenbegriffs gestützt.

2.21 Fazit. Erkennbar ist mithin, dass sich hinter dem Begriff der Betriebsstätte ein allgemeines Konzept verbirgt, (lediglich) hinreichend infrastrukturell intensive Tätigkeiten steuerlich zu erfassen. Am deutlichsten wird dies am Beispiel der abkommensrechtlichen Vertreter-

1 Siehe dazu allgemein auch Buciek, DStZ 2003, 139: „Die Anknüpfung an das Bestehen einer Betriebsstätte beruht auf dem Gedanken, dass in der Existenz der Betriebsstätte eine gesteigerte Beziehung des Unternehmens zum Ort seiner Betätigung zum Ausdruck kommt.“ 2 So allerdings z.B. Züger in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 35.

34

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.24 Kap. 2

betriebsstätte. Bei Art. 5 Abs. 5 OECD-MA handelt es sich nicht nur um die Fiktion1 einer Betriebsstätte, sondern um eine echte tatbestandliche Erweiterung des Betriebsstättenbegriffs.2 Dadurch wird zugleich offenkundig, dass die Tätigkeit eines Vertreters einen gleichwertigen Bezug zum Tätigkeitsgebiet herstellt wie die Betriebsstätte des Unternehmers. Die hinreichende Intensität kann entweder durch eine „feste Geschäftseinrichtung“ des Unternehmens oder durch die „Ständigkeit“ der Vertretertätigkeit herbeigeführt werden. Beide Elemente führen im DBA-Recht jedenfalls in ihrer steuerlichen Wertigkeit zu denselben Rechtsfolgen. Gleiches gilt im Grunde für den Bereich der Bau- und Montagebetriebsstätten. Die (Bau- oder Montage-)„Tätigkeit“ des Unternehmens ist hier das Kernelement der Betriebsstätte. d) Dienstleistungsbetriebsstätte Neue Erscheinungsform der Betriebsstätte. Nach Art. 5 Tz. 42.20 OECD-MK kann eine tatbestandliche Betriebsstätte auch dann vorliegen, wenn keine „feste Geschäftseinrichtung“ vorhanden ist. Sinn des Dienstleistungsbetriebsstättenbegriffs ist es mithin, die „Schwelle“ für die ertragsteuerliche Erfassung einer Unternehmenstätigkeit dergestalt zu senken, dass die bloße Tätigkeitsausübung als solche – losgelöst von einer festen Einrichtung oder Anlage – bereits betriebsstättenbegründend wirkt. Insoweit weist die von der OECD in die Musterkommentierung aufgenommene Figur der „Dienstleistungsbetriebsstätte“ darauf hin, dass Wesenskern der Betriebsstätte eine Unternehmenstätigkeit sein muss, die über eine bestimmte örtliche Radizierung verfügen soll (vgl. Rz. 2.20).

2.22

Dienstleistungsbetriebsstätte in bisherigen deutschen DBA. In einigen DBA ist eine Dienstleistungsbetriebsstättenregelung bereits enthalten. So ist bspw. nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. b DBA-China das Erbringen von Dienstleistungen über einen Mindestzeitraum von sechs Monaten eine Betriebsstätte. Weitere Beispiele sind Art. 5 Abs. 7 DBA-Liberia, Protokoll Nr. 2 zum DBA-Philippinen. In diesen DBA wird deutlich, dass die Dienstleistungsbetriebsstätte ursprünglich von Art. 5 Abs. 3 Buchst. b UN-MA inspiriert wurde. Bei diesen speziellen Betriebsstättenregelungen zur ertragsteuerlichen Erfassung von lokal erbrachten Dienstleistungen handelt es sich nach Ansicht der Literatur nicht um eine bloße Betriebsstättenfiktion, sondern um eine echte Begriffserweiterung, die vom Betriebsstättengrundtatbestand nach Art. 5 Abs. 1 OECD-MA losgelöst zu betrachten ist.3

2.23

Tatbestand im Überblick. Art. 5 Tz. 42.23 OECD-MK nennt zwei unterschiedliche Tatbestandsformen der Dienstleistungsbetriebsstätte: (1) die Tätigkeit eines Einzelunternehmers oder einer natürlichen Person, der bzw. die für einen Zeitraum von länger als 183 Tagen innerhalb eines beliebigen Zwölfmonatszeitraums in einem DBA-Staat tätig sein muss und währenddessen mindestens 50 % des Unternehmensumsatzes durch dort aktiv erbrachte Dienstleistungen erzielt. (2) Eine Dienstleistungsbetriebsstätte kann auch dann vorliegen, wenn eine oder mehrere Personen (Festangestellte oder freie Mitarbeiter) für länger als 183 Tage innerhalb eines beliebigen Zwölfmonatszeitraums Dienstleistungen für ein Unternehmen im Rahmen desselben Projekts (oder für verbundene Projekte „gleicher Natur“) gegenüber Dritten

2.24

1 Dahingehend jedoch u.a. Kumpf, Betriebsstätte, in Haarmann, Beschränkte Steuerpflicht, 1993, 27 (28, 40). 2 Siehe Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 192. Wassermeyer weist darauf hin, Art. 5 Abs. 5 OECD-MA hätte auch dahin formuliert werden können, dass „alle von der Person in diesem Staat für das Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten eine Betriebsstätte des Unternehmens begründen“. 3 Siehe Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 73.

Puls 35

Kap. 2 Rz. 2.25

Begriff der Betriebsstätte

im DBA-Staat tätig werden. Voraussetzungen bei beiden Formen ist, dass die Dienstleistungen tatsächlich im DBA-Staat geleistet worden sind (Art. 5 Tz. 42.22 OECD-MK). Die 183-TageRegelung wird in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Art. 15 OECD-MA ausgelegt (Art. 5 Tz. 42.36 OECD-MK).

2.25 Verhältnis zum Grundtatbestand nach Art. 5 Abs. 1 OECD-MA. Interessant ist, dass nach Art. 5 Tz. 42.11 OECD-MK das „Betriebsstättenprinzip“ durch die Dienstleistungsbetriebsstätte nicht berührt werden soll. Die OECD betont daher, dass das Besteuerungsrecht des Quellenstaats – auch im Rahmen der Dienstleistungsbetriebsstätte – erst ab einem bestimmten Mindestmaß physischer Präsenz des Service Providers möglich ist.1 Gleichwohl ist der Dienstleistungsbetriebsstätte zu eigen, dass sie – ebenso wie Art. 5 Abs. 1 OECD-MA – eine hinreichende Verwurzelung zum Tätigkeitsstaat erfordert. Ohne diese hinreichende Verwurzelung (in Gestalt einer Tätigkeitsausübung über eine bestimmte Zeitdauer) findet keine Delegation des Besteuerungsrechts an den Tätigkeitsstaat statt. Parallelen bestehen daher zur Tätigkeit eines Vertreters nach Art. 5 Abs. 5, 6 OECD-MA. Auch bei diesem ist eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage nicht erforderlich; es kommt lediglich auf eine bestimmte Verwurzelung der Vertretertätigkeiten in einem DBA-Staat an. Insoweit lässt sich am Beispiel der Dienstleistungsbetriebsstätte erkennen, dass Wesenskern der Betriebsstätte die Unternehmenstätigkeit als solche ist.

2.26 Unechte Dienstleistungsbetriebsstätte. Nach einer Verfügung der OFD Karlsruhe v. 16.9.2014 soll dem Konzept der unechten „Dienstleistungsbetriebsstätte“ auf Basis der bestehenden Regelungen des § 12 AO und der Art. 5 OECD-MA nachgebildeten Betriebsstättendefinitionen in den einzelnen DBA eine Absage zu erteilen sein.2 So genannte „unechte Dienstleistungsbetriebsstätten“ orientieren sich am Grundtatbestand der Betriebsstättendefinition, erfordern mithin das Vorhandensein einer festen Geschäftseinrichtung, über die Verfügungsmacht bestehen muss. Die Finanzverwaltung vertritt hier – begrüßenswerterweise – die Auffassung, dass durch die Ausübung von Tätigkeiten in den Räumen eines Auftraggebers nicht per se eine Betriebsstätte begründet werden kann. Auch ein fest zugewiesener Schreibtisch (auch in einem Großraumbüro), der in den Räumlichkeiten des Auftraggebers vorhanden ist, führt mangels „fester Geschäftseinrichtung“ und aufgrund fehlender Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten zu keiner dortigen Betriebsstätte des auftragnehmenden ausländischen Unternehmens. Dies steht in Übereinkunft mit dem o.g. näher beleuchteten Wesenskern der Betriebsstätte in Gestalt einer Unternehmenstätigkeit, die jedoch – um tatbestandsbegründend zu sein – über ein hinreichendes Maß an örtlicher Radizierung verfügen muss (s. Rz. 2.20 und 2.32 ff.). 2. „Geschäftseinrichtung“ und „Anlage“

2.27 Allgemeines. Unter dem Begriff der Geschäftseinrichtung wird die Gesamtheit aller körperlichen Gegenstände verstanden, die sachlich geeignet sind, Grundlage der unternehmerischen Betätigung zu sein.3 Bisherige Rechtsprechung und Literatur folgen damit dem konkret-dinglichen Verständnis der Betriebsstätte. Im Mittelpunkt des Begriffs steht die körperliche Geschäftseinrichtung als Betriebsvorrichtung. Demzufolge kann auch der einzelne Gegenstand,

1 Siehe Bendlinger, SWI 2007, 151; vgl. auch Reimer, IStR 2009, 378; Kaeser, IStR 2012, 674. 2 OFD Karlsruhe, Vfg. v. 16.9.2014 – S 130.1/316-St 222, IStR 2015, 887. 3 BFH v. 13.7.1989 – IV R 55/88, BStBl. II 1990, 23 = FR 1989, 719; v. 16.2.1994 – XI R 52/91, BStBl. II 1994, 468 = FR 1994, 393, Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 4.

36

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.28 Kap. 2

sofern er der Unternehmenstätigkeit „dient“, betriebliches Substrat und damit Geschäftseinrichtung sein.1 Diese Begriffserläuterung der Geschäftseinrichtung zielt vornehmlich auf Unternehmenstätigkeiten ab, deren Merkmal die gegenständlich-produktive Wertschöpfung ist.2 Mit ihrer Hilfe lassen sich leicht überschaubare und räumlich fest installierte Gegenstände – man denke an eine Produktionsmaschine oder Werkstattgerätschaften – relativ problemlos als Geschäftseinrichtung einordnen. Da die Geschäftseinrichtung grundsätzlich keine bestimmte bauliche Beschaffenheit bzw. keine bauliche Vorkehrungen voraussetzt,3 soll unter ihr auch die einfache Räumlichkeit i.S. eines bloßen Platzes verstanden werden können. Räume sind nach diesem Verständnis infolge ihrer physischen Eingrenzung im weiteren Sinne körperliche Gegenstände. Privaträume als Geschäftseinrichtung. Für unternehmenseigene Räumlichkeiten ist die Qualifizierung als Geschäftseinrichtung im Grundsatz zunächst selbstverständlich. Nach Ansicht des BFH soll allerdings auch die (private) Wohnung eines Unternehmers Geschäftseinrichtung sein können, wenn er seine Geschäfte von der Wohnung aus führt und anderweitige Geschäftsräume nicht zur Verfügung stehen.4 Dies erscheint nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Denn fraglich ist, ab welcher Intensität der von einem Privatraum aus vorgenommenen Geschäftsführungsmaßnahmen von einer „Umqualifizierung“ dieser Räume in eine „Geschäftseinrichtung“ im eigentlichen Wortsinn auszugehen ist. Der BFH hat entschieden, dass eine inländische Betriebsstätte und somit eine Geschäftseinrichtung eines ausländischen Unternehmens auch dann anzunehmen sei, wenn der Betrieb in Räumen ausgeübt werde, welche ein leitender Mitarbeiter des Unternehmens gemietet und dem Unternehmen zur Verfügung gestellt habe.5 Dies ist konsequent. Denn hier hat durch die Weitergabe der Verfügungsmacht eine „betriebliche Widmung“ stattgefunden. Folgt man diesem Ansatz, so müsste auch das von einem Mitarbeiter ständig genutzte Hotelzimmer, von welchem aus geschäftliche Telefonate und Korrespondenzen erfolgen, prinzipiell als Geschäftseinrichtung betrachtet werden können.6 In beiden Fällen übt der Mitarbeiter von unternehmensfremden Räumen eine Tätigkeit für das Unternehmen aus. Unklar bleibt jedoch, ob allein die bloße Möglichkeit einer eher allgemeinen – auch privaten – Nutzung oder aber die ausschließliche Nutzung zu betrieblichen Zwecken das entscheidende Kriterium zur Qualifizierung einer betriebsfremden Einrichtung als Geschäftseinrichtung verkörpert.7 Eine gelegentliche Nutzung der Einrichtung zu betrieblichen Zwecken würde sich ohne weitere eingrenzende Kriterien als zu weitgehend erweisen. Eine Geschäftseinrichtung könnte dann bereits vorliegen, wenn von den privaten Räumen eines Mitarbeiters von Zeit zu Zeit geschäftliche Telefonate und Korrespondenzen vorgenommen würden. Die Aufmerksamkeit muss sich also auf das Vorliegen einer bestimmten qualitativen oder quantitativen Nutzungsintensität der Räumlichkeiten zu betrieblichen Zwecken richten. Denn nur wenn ein Hauptteil der unternehmerischen Tätigkeit in der betreffenden Räumlichkeit ausgeübt wird, kann dies zum Vorliegen einer spezifisch „geschäftlich nutzbaren“ Einrichtung führen. Die Qualifizierung einer Pri-

1 Siehe FG Münster v. 6.11.2000 – 9 K 6931/98, EFG 2001, 234 („Arbeitstisch“). 2 Hierzu Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 590. 3 Siehe etwa BFH v. 18.10.1962 – IV 319/60 U, BStBl. III 1963, 38; FG Hamburg v. 10.10.1991 – V 298/88, EFG 1992, 332 (333). 4 BFH v. 18.10.1962 – IV 319/60 U, BStBl. III 1963, 38. 5 BFH v. 30.1.1974 – I R 87/72, BStBl. II 1974, 327. 6 FG Rheinland-Pfalz v. 24.4.1998 – 4 K 2608/95, EFG 1998, 1182. Die Betriebsstätteneigenschaft wurde letztlich aufgrund mangelnder Verfügungsmacht des Unternehmens verneint. 7 Siehe Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 591.

Puls 37

2.28

Kap. 2 Rz. 2.29

Begriff der Betriebsstätte

vatwohnung als tatbestandliche „Geschäftseinrichtung“ ist infolgedessen eng mit der Frage verbunden, ob jene Einrichtung dem nutznießenden Unternehmen wie eine eigene Betriebseinrichtung zugerechnet werden kann (vergleiche dazu das Stichwort „Verfügungsmacht“ Rz. 2.52 ff.).

2.29 Vollautomatische Geschäftseinrichtungen. In der sog. Pipeline-Entscheidung vom 30.10.1996 hat der BFH ausgeführt, dass der Einsatz von Personen, wie etwa des Unternehmers, seiner Arbeitnehmer, des fremden weisungsgebundenen Personals oder der Person des Subunternehmers „in“ oder „an“ der Geschäftseinrichtung, nicht in jedem Fall erforderlich sei (s. zur Einkünfteabgrenzung bei personenlosen Betriebsstätten Rz. 4.64 ff.; Rz. 5.19 f. und Rz. 11.25). Bei vollautomatisch arbeitenden Einrichtungen reiche vielmehr das Tätigwerden des Unternehmens „mit“ der Geschäftseinrichtung aus.1 Dies ist zweifelhaft, denn die Funktion einer Betriebsstätte setzt bereits eine unternehmerische Tätigkeit und nicht die bloße Nutzung einer Geschäftseinrichtung voraus. Dies wird durch das in § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG geregelte Erfordernis einer Personalfunktion unterstrichen.2 Zwar wird die inländische, unterirdisch verlaufende Pipeline ebenso wie eine auf der Erdoberfläche verlaufende Gleisanlage zunächst als Geschäftseinrichtung zu betrachten sein. Dem steht auch nicht die Tatsache entgegen, dass die dem Streitfall zugrunde liegende Rohrleitung lediglich einen unselbständigen, nach Worten des BFH „für sich allein nicht funktionstüchtigen Teil einer Gesamtanlage“3 ausgemacht hat. Denn es spricht nichts dagegen, auch in einer bloßen Teilanlage zunächst eine Sachgesamtheit körperlicher Gegenstände und damit tatbestandlich eine Geschäftseinrichtung zu erblicken. Daran ändert sich auch nichts, wenn die (Teil-)Anlage unterhalb der Erdoberfläche verläuft, denn insoweit verliert sie nicht ihre körperlich-räumliche Konkretisierbarkeit.4 Die eigentliche Frage, inwieweit ein „menschlicher Impetus“ im Hinblick auf die in der Geschäftseinrichtung vollzogene Tätigkeit erforderlich ist bzw. aus welchen Gründen möglicherweise auf ihn verzichtet werden soll, ist auch in der o.g. BFH-Entscheidung offengelassen worden.5

2.30 E-Commerce/Internet. Das im Schrifttum heftig kritisierte Pipeline-Urteil des BFH vom 30.10.1996 hat zugleich die Diskussion um die (potentielle) Betriebsstätteneigenschaft von Internet-Servern maßgeblich angefacht.6 Im Mittelpunkt dieser Diskussion steht vor allem die Frage, im welcher Form der herkömmliche Betriebsstättenbegriff auf grenzüberschreitende Einrichtungen der virtuellen Informationstechnologie angewendet werden kann.7 Im Rahmen des Abkommensrechts hat sich die OECD bereits veranlasst gesehen, die Kommentierung des Musterabkommens um den Abschnitt „Electronic Commerce“ zu erweitern. Die unter Art. 5 Tz. 42.1–42.10 OECD-MK nunmehr enthaltenen Erläuterungen beschäftigen sich insbesondere mit der Frage, unter welchen Gegebenheiten und Voraussetzungen der Internet-Server

1 2 3 4

BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12 (14). Siehe Wassermeyer, IStR 2015, 37. BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12. Dies folgt bereits im Umkehrschluss aus BFH v. 9.10.1974 – I R 128/73, BStBl. II 1975, 203; s. auch Günkel, IWB F. 3a, Gr. 1, 585 (589). Vgl. zum Ganzen auch Riemenschneider, IStR 2002, 561, der das gesamte Netz eines Pipelinesystems als Betriebsstätte begreifen möchte. 5 Vgl. auch Hruschka in S/D, DBA, Art. 5 OECD-MA Rz. 60. 6 Siehe Kessler/Peter, IStR 2001, 238 (240); zur Diskussion des Betriebsstättenbegriffs im Lichte der „Digital Economy“ s. Heggmair/Riedl/Wutschke, IStR 2015, 92. 7 Auf dieses Problem machte erstmals im Jahr 1988 Pankow, CDFI LXXIIIb, 147 aufmerksam. Nach dem sog. Pipeline-Urteil des BFH vom 30.10.1996 gewann die Diskussion eine erhebliche Dynamik; s. auch Kessler/Peter, BB 2000, 1545; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 335 f.

38

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.32 Kap. 2

eine Betriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinn begründen kann. Im Rahmen des abkommensrechtlichen wie des innerstaatlichen Betriebsstättenverständnisses sind die strittigen Fragen jedoch nahezu identisch. So ist insbesondere fragwürdig, ob der Zugangsserver1 – würde er eine Betriebsstätte verkörpern – lediglich dem Anbieter oder auch dem Nutzer zugerechnet werden kann. Eine Zurechnung auf den Nutzer käme dann in Betracht, wenn man den Grundsätzen des Pipeline-Urteils folgend bereits das bloße Tätigwerden „mit“ der Geschäftseinrichtung ausreichen ließe.2 Exemplarisch für diese Diskussionsrichtung ist ein Urteil des FG Schleswig-Holstein aus dem Jahre 2001.3 In der ergangenen Revisionsentscheidung hat der BFH die Frage, ob der in der Schweiz installierte Rechner (ggf. in Verbindung mit dem ihm umgebenden Raum) eine Betriebsstätte verkörpern könne, offenlassen können.4 BFH vom 2.4.2014 – I R 68/12. Nach Ansicht des BFH können auch bewirtschaftete Grundstücksflächen, die zu einem inländischen landwirtschaftlichen Betrieb gehören und im grenznahen Ausland belegen sind, als Betriebsstätte i.S.v. § 12 AO zu qualifizieren sein. Danach ist als „Geschäftseinrichtung“ i.S.v. § 12 Satz 1 AO jeder körperliche Gegenstand bzw. jede Zusammenfassung körperlicher Gegenstände zu behandeln, der (die) geeignet ist (sind), Grundlage einer Unternehmenstätigkeit zu sein. Da dem Betriebsstättenbegriff nach Ansicht des BFH die Funktion zufällt, unternehmerische Tätigkeiten und damit auch die Besteuerungstatbestände örtlich zuzuordnen, setzt die Betriebsstätte (i.S.v. § 12 AO) eine „feste“ Geschäftseinrichtung mit einer festen Beziehung zu einem bestimmten Teil der Erdoberfläche voraus, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat. Eine feste Einrichtung i.S.v. § 12 AO erfordert jedoch – so der BFH in dieser Entscheidung – weder besondere Vorrichtungen noch für den Aufenthalt von Menschen geeignete Räumlichkeiten. Die im Ausland belegenen Grundstücke haben daher nach Überzeugung des BFH der unternehmerischen Tätigkeit des Steuerpflichtigen i.S.v. § 12 Satz 1 AO gedient. Die Ackerflächen bildeten nach Auffassung des BFH die eigentliche Grundlage der von § 13 EStG erfassten landwirtschaftlichen Urproduktion.5

2.31

3. Das Kriterium der „Festigkeit“ a) Grundvoraussetzungen einer örtlichen Fixierung Die „Festigkeit“ der Einrichtung. Die zur Betriebsstättenbegründung notwendige Geschäftseinrichtung muss sowohl nach § 12 Satz 1 AO als auch nach Art. 5 Abs. 1 OECD-MA „fest“ sein. In der Literatur wie in der Rechtsprechung wird das Kriterium der Festigkeit mehrheitlich im Sinne einer örtlichen Fixierung ausgelegt, wenngleich aus dem Attribut „fest“ auch ei-

1 Der Begriff des Zugangsanbieters bzw. Zugangsservers kennzeichnet ein Unternehmen, das seinen Kunden durch Bereitstellung entsprechender Infrastruktur den Zugang zum Internet ermöglicht. Demgegenüber ist der sog. Nutzungsanbieter bzw. Nutzungsserver darauf ausgerichtet, mithilfe des Internets dem Kunden verschiedene Informationen in Datenform – etwa zum Download – bereitzustellen. 2 Siehe BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12 (14). 3 FG Schleswig-Holstein v. 6.9.2001 – II 1224/97, IStR 2002, 134; s. dazu auch Hahn, SWI 2002, 17 ff. 4 BFH v. 5.6.2002 – I R 86/01, FR 2002, 1188 = BFH/NV 2002, 1374. 5 BFH v. 2.4.2014 –I R 68/12, BStBl. II 2014, 875 = ISR 2014, 274 m. Anm. Krain m.w.N.

Puls 39

2.32

Kap. 2 Rz. 2.33

Begriff der Betriebsstätte

ne gewisse zeitliche Komponente der Geschäftseinrichtung abgeleitet wird.1 Nach der Rechtsprechung soll sich das Kriterium der Festigkeit zunächst allgemein auf die örtliche Fixierung der Geschäftseinrichtung beziehen.2 Eine Geschäftseinrichtung soll demnach „fest“ sein, wenn sie einen dauerhaften Bezug zu einem bestimmten Punkt auf der Erdoberfläche hat.3 Nach Auffassung der Rechtsprechung zählen dazu jedoch auch mobile Betriebsvorrichtungen, wie etwa der Wochenmarktverkaufswagen, der auf einem fest zugewiesenen Standplatz regelmäßig abgestellt wird.4 Die Literatur hat sich dem nahezu einhellig angeschlossen und fordert dementsprechend keine in der Erdoberfläche festgemauerte, festgeschraubte oder gar einbetonierte Betriebsvorrichtung.5 Das Tatbestandsmerkmal „fest“ umschließt nach diesem Verständnis also auch lediglich verfestigte, d.h. für einige Zeit örtlich fixierte Einrichtungen. Kehrt der Unternehmer regelmäßig und für längere Zeitabschnitte immer wieder an einen bestimmten Ort, um dort unternehmerische tätig zu werden, so ist von einer hinreichenden „Festigkeit“ auszugehen.6

2.33 Vergleich zum Originaltext des OECD-MA. Legt man in diesem Zusammenhang die englische Originalversion des OECD-MA als Vergleichstext an, die begrifflich von einem „fixed place of business“ ausgeht, so wird deutlich, was das Attribut „fixed“ bedeuten soll. Das Wort „fixed“ trägt im Englischen neben der Bedeutung „fest“ auch die Bedeutung „bestimmt“. Ein örtlich „bestimmter“ Platz erfordert aber keine dauerhafte Verwurzelung der Geschäftseinrichtung mit der Erdoberfläche. Auch das regelmäßige kurzzeitige Abstellen eines mobilen Verkaufsstands an einer Stelle ist demnach „fixed“, solange die Stelle „bestimmt“ oder im weiteren Sinne „bestimmbar“ ist. Die Geschäftseinrichtung wäre im Sinne einer örtlich bestimmten Radizierung „fest“, ohne dass es auf die Dauerhaftigkeit der Verwurzelung ankommt.

2.34 Bedeutung. Wenn die Betriebsstätte nach der Tatbestandsformulierung entweder „feste Geschäftseinrichtung“ oder „Anlage“ sein soll, dann muss für jede Tatbestandsalternative dasselbe Maß an örtlicher Verwurzelung bestehen. Es ist allerdings keine „Anlage“ vorstellbar, die örtlich mobilisiert werden kann. Wesenszug der „Anlage“ ist deren örtliche Radizierung, die sich nur durch erheblichen technischen Einsatz aufheben lässt. Klassische Beispiele der Anlage sind dementsprechend Fabriken oder Werkstätten. Diese verfügen über ein hohes Maß an örtlicher Verwurzelung und sind grundsätzlich nicht transportabel. Sie lassen sich – anders als ein Verkaufswagen oder ein Zelt – auch nicht einfach auf- und abbauen. Aus der tatbestandlichen Fassung des Begriffs der Betriebsstätte folgt also schon, dass das Kriterium der „Festigkeit“ semantisch einer punktuellen Verwurzelung der Betriebsvorrichtung anzunähern ist. Die Möglichkeit der Mobilisation der Betriebsvorrichtung als solche ist dem Wesen der Betriebsstätte hiernach gänzlich unbekannt.

1 Siehe Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 10; Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 8; Buciek in Beermann/Gosch, § 12 AO Rz. 9. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung dem Kriterium der Festigkeit im Rahmen der zur Betriebsstättenbegründung notwendigen Verfügungsmacht des Unternehmens über die Geschäftseinrichtung Bedeutung beigemessen, s. Rz. 2.53. 2 BFH v. 28.8.1986 – V R 20/79, BStBl. II 1987, 162 (163). Der BFH spricht hier von einer „organisatorischen Verfestigung“ der Einrichtung. 3 BFH v. 8.5.1988 – VIII R 270/81, BFH/NV 1988, 735. 4 BFH v. 9.10.1974 – I R 128/73, BStBl. II 1975, 203; vgl. auch v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148 (149) = FR 1994, 58 m. Anm. Kempermann. 5 So Gersch in Klein, AO, 2016, § 12 AO Rz. 2; Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Tz. 8, 9. 6 Siehe Buciek, DStZ 2003, 139.

40

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.37 Kap. 2

b) Räumliche Begrenzung Allgemeines. Die Frage der räumlichen Ausdehnung der Betriebsstätte stellt sich vor dem Hintergrund eines möglichen räumlichen Zusammenhangs verschiedener Betriebsvorrichtungen, der zur Begründung einer einzigen, vereinheitlichten Betriebsstätte führen kann. Naturgemäß kann es für das tatbestandliche Vorliegen einer Betriebsstätte zunächst nicht auf die räumliche Größe oder Ausdehnung der Geschäftseinrichtung ankommen. Auch bei nur geringer räumlicher Ausdehnung kann daher eine Betriebsstätte vorliegen, die das Substrat für eine unternehmerische Betätigung erzeugt. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, wie räumlich voneinander getrennte Betriebsvorrichtungen als eine „einheitliche“ Betriebsstätte zusammengefasst werden können. Die Beantwortung der Frage einer Zusammenfassung mehrerer Betriebsvorrichtungen ist im Gewerbesteuerrecht ebenso wie im Rahmen des internationalen Doppelbesteuerungsrechts von Interesse.

2.35

Ansatzpunkte der Rechtsprechung. Eine Zusammenfassung mehrerer Betriebsstätten liegt immer dann auf der Hand, wenn zwischen den Einrichtungen ein räumlicher Zusammenhang besteht. Nach der Rechtsprechung soll neben der räumlichen Komponente auch eine organisatorische, technische wie wirtschaftliche Verbundenheit bestehen müssen.1 Von einer einheitlichen Betriebsstätte wird allerdings nur dann gesprochen werden können, wenn zwischen sämtlichen zusammenzufassenden Teilen der Betriebsstätte auch ein räumlicher Zusammenhang besteht. Dies ist in aller Regel der Fall, wenn die Betriebsteile auf einer einheitlichen und zusammenhängenden Fläche liegen. Nach der Rechtsprechung soll auch eine bloße technische Verbindung in Gestalt gemeinsamer Rohrleitungen oder eines Drahtseilbahnsystems eine räumliche Verbundenheit begründen können.2

2.36

Indikatoren für die Zusammenfassung. Problematisch ist jedoch, einen bestimmten und verlässlichen Indikator dafür zu erstellen, wann räumlich getrennte Betriebsteile noch als „einheitlich“ gelten können. Das Kriterium einer geografischen Einheit der jeweiligen Betriebsteile ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Sofern Betriebsteile räumlich weit voneinander entfernt sind, kann bereits begrifflich keine „Einheit“ vorliegen.3 Aber selbst eine bauliche Trennlinie, die durch beide Betriebsvorrichtungen verläuft, ändert zunächst nichts daran, dass beide Betriebsteile räumlich benachbart sind. Nach Ansicht der finanzgerichtlichen Rechtsprechung soll der Gesamteindruck der räumlichen Lage einzelner Anlagen für die „Einheitlichkeit“ der Betriebsstätte entscheidend sein.4 So spricht sich etwa das FG Sachsen-Anhalt dagegen aus, eine einheitliche Betriebsstätte dann anzunehmen, wenn die einzelnen Betriebsteile nur technisch miteinander verbunden seien. Dies erscheint sachgerecht, denn im Gegensatz zu den Unternehmen der Elektrizitäts-, Gas- oder Wasserversorgung wird es bei „normalen“ Betrieben praktisch kaum möglich sein, die technische Verbundenheit in Gestalt von technischen Anlagen wie Rohren oder Kabelverbindungen zwischen den einzelnen Betriebsvorrichtungen im Einzelnen nachzuvollziehen. Ist das Büro eines Telekommunikationsanbieters über eine Vielzahl von Verteilungsstationen und Schalteinrichtungen technisch mit anderen Geschäftseinrichtungen verbunden, so würde dies zu kaum lösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten der einzelnen Betriebsteile zueinander führen. Eine

2.37

1 Siehe BFH v. 26.10.1954 – I B 186/53 U, BStBl. III 1954, 372; v. 20.2.1974 – I R 179/72, BStBl. II 1974, 427; v. 12.10.1977 – I R 227/75, BStBl. II 1978, 160; v. 26.2.1992 – I R 58/91, BFH/NV 1992, 766. 2 BFH v. 10.7.1974 – I R 54/72, BStBl. II 1975, 42; v. 12.12.1985 – V R 126/80, BFH/NV 1987, 269. 3 Vgl. Art. 5 Tz. 5.1, 5.2 und 5.4 OECD-MK. 4 FG Sachsen-Anhalt v. 14.1.1999 – I 438/96, EFG 1999, 668.

Puls 41

Kap. 2 Rz. 2.38

Begriff der Betriebsstätte

„einheitliche“ Betriebsstätte ließe sich dann je nach Schaltung der Verbindungen und Datenübertragungskreise nahezu beliebig konstruieren. Diese Bewertung scheint insgesamt der Sichtweise der jüngeren Rechtsprechung des BFH zu entsprechen. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1997 hat der BFH für den Begriff der „einheitlichen Arbeitsstätte“ festgestellt, dass ein größeres räumliches Gebiet ausschließlich dann als einheitliche und gleichbleibende Arbeitsstätte beurteilt werden könne, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handele, z.B. ein größeres Werksgelände oder ein Forstrevier. Nicht ausreichend sei dagegen ein gesamter Stadtbereich oder ein Ballungsgebiet.1 Auch wenn sich diese Entscheidung nicht auf den Begriff der Betriebsstätte bezieht, so ist ihr dennoch eine gewisse Tendenz zur restriktiven Beurteilung der Einheitlichkeit eines Tätigkeitsorts zu entnehmen.

2.38 Beispiel im OECD-MK. Instruktiv ist in diesem Zusammenhang das im OECD-MK verwendete Beispiel eines Personalschulungsunternehmens:2 Arbeitet ein Berater im Rahmen eines Personalschulungsprojekts in örtlich verschiedenen Zweigstellen eines Kreditinstituts, so soll nach Ansicht der OECD jede Zweigstelle, in der Beratungstätigkeiten erbracht werden, getrennt betrachtet werden. Wechselt der Berater allerdings nur von Büro zu Büro innerhalb derselben Zweigniederlassung, so soll davon ausgegangen werden, als habe der Berater sämtliche Tätigkeiten in derselben Geschäftseinrichtung vollzogen. Umgekehrt soll nach Ansicht der OECD die Ausführung von Anstreicherarbeiten aufgrund nicht miteinander verbundener Verträge und nicht miteinander verbundener Kunden in einem großen Gebäudekomplex nicht dazu führen können, das Gebäude als „eine“ Geschäftseinrichtung anzusehen.3 Ausschlaggebend ist neben der geografischen Nähe damit auch die wirtschaftliche Verbundenheit der ausgeführten Dienstleistungen als Unternehmenstätigkeiten.4

2.39 Erkenntniswert. Für die Zusammenfassung von räumlich getrennten Betriebsteilen kann es im Ergebnis nur auf die erkennbare Verbundenheit der einzelnen Geschäftseinrichtungen ankommen. Allerdings lässt die Rechtsprechung offen, welche konkreten Tatbestandserfordernisse an eine „einheitliche“ Betriebsstätte zu richten sind. Es wird vielmehr abstrakt auf die äußere Erkennbarkeit eines Zusammenhangs der einzelnen Betriebsteile abgestellt. Zieht man die Parallele zur Zusammenfassung räumlich getrennter Baustellen, so wird man auf die fußläufige Erreichbarkeit der einzelnen Betriebsteile abstellen müssen. Vor diesem Hintergrund ist schon aus Praktikabilitätsüberlegungen allein darauf abzustellen, ob die einzelnen Betriebsteile aus Sicht eines objektiven Dritten ohne besondere Nachforschungen leicht erkennbar als räumliche Einheit auszumachen sind.5 Entscheidend ist damit neben der geografischen Nähe auch die betriebstechnisch-organisatorische Verbundenheit der Betriebsvorrichtungen. Eine Zusammenfassung kann auch dann nicht in Betracht kommen, wenn die Betriebsteile entweder völlig unterschiedliche oder nicht aufeinander aufbauende Betriebsfunktionen wahrnehmen. Hier handelt es sich um jeweils gesondert zu betrachtende Betriebsvorrichtungen, die individuell die Eigenschaft einer Betriebsstätte besitzen müssen. c) Zeitliche Komponente

2.40 Besonders intensive Verwurzelung der Arbeit mit dem Ort der Ausübung. Die örtliche Verwurzelung im Sinne einer Festigkeit der Betriebsvorrichtung umschreibt zunächst eine 1 2 3 4 5

BFH v. 7.2.1997 – VI R 61/96, BStBl. II 1997, 333 = FR 1997, 412. Art. 5 Tz. 5.4 OECD-MK. Art. 5 Tz. 5.3 OECD-MK. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen in den Rz. 2.191 f. FG Sachsen-Anhalt v. 14.1.1999 – I 438/96, EFG 1999, 668.

42

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.43 Kap. 2

räumliche Komponente. Nach der Rechtsprechung des BFH setzt die Betriebsstätte allerdings verallgemeinernd eine „besonders intensive Verwurzelung der Arbeit mit dem Ort der Ausübung“ voraus.1 Daraus folgt, dass neben der örtlichen auch eine zeitliche Verwurzelung der Betriebsvorrichtung vorhanden sein muss. aa) Vorbemerkung Komponente einer zeitlichen Verwurzelung. Dem Begriffselement der „festen Geschäftseinrichtung“ wohnt neben der räumlichen Fixierung auch die Komponente einer zeitlichen Verwurzelung inne.2 Soweit die Betriebsstätte als Ausdruck einer intensiven Verflechtung der „Arbeit“ mit dem „Ort der Ausübung“ betrachtet wird,3 kann diese Verflechtung naturgemäß nicht nur vorübergehend sein. Schließlich wird auch eine gewisse Verwurzelung mit einem Fixpunkt auf der Erdoberfläche gemeinhin immer von einer gewissen Dauer begleitet sein.4 Es lässt sich spiegelbildlich erkennen, dass die zeitliche Stetigkeit einer Betriebsstätte notwendigerweise mit einer räumlichen Verflechtung verbunden ist. Die feste räumliche Verwurzelung ermöglicht erst die zeitliche Verwurzelung. Eine räumliche Verwurzelung soll allerdings nach der BFH-Rechtsprechung bereits dann anzunehmen sein, wenn ein mobiler Verkaufsstand regelmäßig an einen bestimmten Aufstellort wiederkehrt. Abgesehen von der mangelnden räumlichen Verwurzelung kann nur bei zusammenfassender Betrachtung der jeweils einzelnen Verweilabschnitte eine zeitlich länger anhaltende Verwurzelung mit dem Tätigkeitsort vorliegen. Die Verflechtung in zeitlicher Hinsicht entspringt hier einer wertenden Betrachtung. Schwierigkeiten bereitet dies bei unregelmäßig wiederkehrenden mobilen Geschäftseinrichtungen. Denn dann müsste aus der Summe der einzelnen Verweilabschnitte eine zeitliche Mindestgrenze herauszubilden sein.

2.41

bb) Beginn und Ende einer Betriebsstätte DBA-Recht. Im Bereich des DBA-Rechts soll eine Betriebsstätte bereits entstehen können, sobald das Unternehmen in der Geschäftseinrichtung die Tätigkeit vorbereitet, für welche die Einrichtung auf Dauer bestimmt ist.5 Diejenige Zeitdauer, während derer die Betriebsvorrichtung selbst vom Unternehmen errichtet wird, kann nicht dem Bestehen einer Betriebsstätte zugerechnet werden, wenn sich die Gründungstätigkeit qualitativ wesentlich von der in der Geschäftseinrichtung später auszuübenden Tätigkeit unterscheidet.6

2.42

Innerstaatliches Recht. Im innerstaatlichen Recht ist die Gründung, der Erwerb oder die „Schaffung“ einer Betriebsstätte ähnlich zu bewerten. Erst wenn die eigentliche Unterneh-

2.43

1 So BFH v. 19.5.1993 – I R 80/92, BStBl. II 1993, 655 = FR 1993, 614 m. Anm. Kempermann; v. 17.9.2003 – I R 12/02, BStBl. II 2004, 396 = FR 2004, 291; Puls, Die Betriebsstätte im Abgabenund Abkommensrecht, 2005, 50 f. 2 So lautet etwa der englische Terminus der Betriebsstätte „permanent establishment“; vgl. auch Puls, Die Betriebsstätte im Abgaben- und Abkommensrecht, 2005, 92 (93 f.). 3 So die Formulierung in BFH v. 19.5.1993 – I R 80/92, BStBl. II 1993, 655 = FR 1993, 614 m. Anm. Kempermann. 4 Vgl. bspw. Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 14; lediglich andeutend Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 8. 5 Siehe Art. 5 Tz. 11 OECD-MK. 6 Abermals Art. 5 Tz. 11 OECD-MK; a.A. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 414 = FR 2008, 1149; v. 28.10.2009 – I R 99/08, FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke = IStR 2010, 98; v. 26.2.2014 – I R 56/12, FR 2014, 855 = ISR 2014, 273 m. Anm. Haase = IStR 2014, 567; v. 25.5.2015 – I R 75/14, ISR 2015, 416 m. Anm. Böhmer = IStR 2015, 883; kritisch zur jüngeren BFH-Rechtsprechung Wassermeyer, IStR 2015, 37.

Puls 43

Kap. 2 Rz. 2.44

Begriff der Betriebsstätte

menstätigkeit in der Betriebsvorrichtung aufgenommen wird, entsteht eine „Stätte“, an dem der Unternehmenszweck wirtschaftlich verfolgt werden kann. Die bloße Vorbereitung zur Schaffung einer Geschäftseinrichtung unterscheidet sich im Regelfall wesentlich von der bezweckten Unternehmenstätigkeit, die von dieser Geschäftseinrichtung zukünftig ausgehen soll. Obwohl die Betriebsstätte nur eine steuertechnische Einheit ist, entscheidet – ähnlich wie bei Gründung einer Personengesellschaft – neben der Erfüllung der Gründungtatbestandskriterien auch der Zeitpunkt der Aufnahme einer betrieblichen Tätigkeit über deren steuerliche Erfassung.1 Spiegelbildlich endet die Betriebsstätte bei Wegfall einer Geschäftseinrichtung oder bei endgültiger Aufgabe der durch sie erfolgenden unternehmerischen Betätigung. Veräußert der Unternehmer die der Betriebsstätte zugrunde liegende Geschäftseinrichtung an einen anderen Unternehmer, so muss der Erwerber zeitnah die von ihm bezweckte Unternehmenstätigkeit in der Geschäftseinrichtung anknüpfen; ansonsten wird von einer Stilllegung der Betriebsvorrichtung auszugehen sein. Eine „ruhende Betriebsstätte“ ist sowohl Art. 5 OECD-MA wie auch § 12 AO fremd.2 Lediglich dann, wenn für einen vorübergehenden Zeitraum die Unternehmenstätigkeit unterbrochen wird, liegt keine Beendigung vor. Was dies im Einzelnen bedeutet, ist eine komplexe Abgrenzungsfrage, deren Antwort es u.a. im Folgenden zu präzisieren gilt.

2.44 Mindestdauer. Anders als bei den Bauausführungen und Montagen, die nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO erst ab einer zeitlichen Mindestdauer von sechs Monaten als Betriebsstätte gelten, ist im Betriebsstätten-Grundtatbestand keine zeitliche Mindestbestehensgrenze vorgesehen. Bereits die englischsprachige Übersetzung der Betriebsstätte als „permanent establishment“ deutet jedoch darauf hin, dass auch der Grundtatbestand eine bestimmte zeitliche Mindestdauer voraussetzt.3 Die Rechtsprechung hat sich bislang nicht auf ein bestimmtes zeitliches Fixum festlegen wollen. In einer Entscheidung vom 19.5.1993 hat der BFH lediglich eine Mindestspanne von sechs Monaten angesetzt, bei deren Überschreitung eine Betriebsstätte vorliegen könne, ohne jedoch dieser zeitlichen Eingrenzung generelle Bedeutung zukommen zu lassen.4 Maßgeblich für den Ansatz einer Sechsmonatsgrenze waren nach Ansicht des BFH die Rechtsgedanken des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO und des § 9 Satz 2 AO. Nach § 9 Satz 2 AO gilt der Verweilort einer natürlichen Person erst dann als gewöhnlicher Aufenthaltsort, wenn ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer vorliegt.

2.45 Abweichende Literaturauffassungen. Die Frage ist allerdings, ob überhaupt eine fest vorbestimmte Mindestdauer zur Begründung einer Betriebsstätte im Grundtatbestand veranschlagt werden kann. Im Schrifttum mehren sich die Stimmen, die ein derartiges zeitliches Fixum ablehnen und stattdessen eine an der Einzelfallbetrachtung orientierte zeitliche Mindestgrenze befürworten.5 Auffallend ist, dass in der Formulierung des Grundtatbestands der Betriebsstätte ausdrücklich keine Mindestzeitdauer aufgenommen worden ist. Es ist eine hy1 Bei Personengesellschaften beginnt die Gewerbesteuerpflicht in dem Zeitpunkt, in dem erstmals sämtliche Voraussetzungen eines Gewerbebetriebs erfüllt sind. Anders als bei den Kapitalgesellschaften, die als Gewerbebetrieb kraft Rechtsform gelten, ist der Zeitpunkt einer handelsregisterlichen Eintragung unmaßgeblich; vgl. hierzu auch R 2.5 Abs. 1 Satz 3 GewStR. 2 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 57. 3 Vgl. bereits grundlegend Feuerbaum, DB 1972, 887 (888). 4 BFH v. 19.5.1993 – I R 80/92, BStBl. II 1993, 655 = FR 1993, 614 m. Anm. Kempermann. 5 Siehe Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 15; ferner Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Tz. 21; Züger in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 52; Feuerbaum, Internationale Besteuerung des Industrieanlagenbaus, 1983, 57 plädiert hingegen dafür, dass der Betriebsstättenbegriff des § 12 AO grundsätzlich keine zeitliche Mindestdauer voraussetze.

44

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.47 Kap. 2

pothetische Frage, ob der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zu der Bauausführung oder Montage bereits eine kürzere Zeitdauer für die „gewöhnliche“ Betriebsstätte ausreichend ist.1 Die Betriebsstätte verkörpert im übertragenen Sinn allerdings auch den „gewöhnlichen Aufenthaltsort“ des Unternehmens. In analoger Anwendung des § 9 Satz 2 AO könnte damit eine Zeitdauer von mindestens sechs Monaten tatbestandlich angemessen sein.2 Bei näherer Betrachtung ist zuzugestehen, dass eine Geschäftseinrichtung sowohl räumlich als auch zeitlich sicherlich nicht mehr als „fest“ gelten kann, wenn die Zeitdauer ihres Bestehens unterhalb dieser sechsmonatigen Grenze veranschlagt wird. Die notwendige Intensität der infrastrukturellen Verwurzelung, die in diesem Zusammenhang von der BFH-Rechtsprechung fortlaufend unterstrichen wird, ist – ähnlich wie bei der Ansässigkeit einer natürlichen Person – regelmäßig erst ab einem Mindestzeitkorridor von sechs Monaten gegeben. Weihnachtsmarkt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung des BFH v. 17.9.2003,3 die im Ergebnis dem Urteil des FG Köln vom 17.12.2001 entspricht.4 In dem Streitfall ging es um die Frage, ob die Teilnahme an einem jährlich für ca. vier Wochen andauernden Weihnachtsmarkt bereits eine Betriebsstätte begründen könne. Der BFH hat eine Betriebsstätte verneint. Er vertritt die Auffassung, bereits das Merkmal der festen örtlichen Einrichtung setze einen bestimmten, auf Dauer angelegten Bezug der Einrichtung zu einem bestimmten Teil der Erdoberfläche voraus. Soll hingegen die Einrichtung von vornherein nur zu einer kurzfristigen oder vorübergehenden Nutzung dienen, so sei keine Betriebsstätte gegeben. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn es sich um eine Einrichtung handele, die, wenn auch mit zeitlichen Unterbrechungen, einen dauerhaften Bezug zu einem bestimmten Ort aufweise (der an einen bestimmten Standplatz regelmäßig wiederkehrende Marktstand). Ein dauerhafter Bezug kann nach Ansicht des BFH allerdings nur dann angenommen werden, wenn die Tätigkeit regelmäßig und in relativ kurzen Abständen stattfinde und somit als „zusammenhängend“ betrachtet werden könne.5 Ein derartiger „Zusammenhang“ sei aber bei einer elfmonatigen Unterbrechung – auch aus Perspektive der Marktbesucher – nicht mehr anzunehmen. Daran könne auch nichts ändern, wenn der Marktstandbetreiber wegen der Art seines Betriebs bei der Vergabe der Standplätze auf dem Weihnachtsmarkt bevorzugt berücksichtigt werde.

2.46

Eigene Auffassung. Den Entscheidungen des BFH und des FG Köln ist zuzustimmen. Von einer hinreichenden örtlichen Verwurzelung der Unternehmenstätigkeit qua der vom Standbetreiber genutzten Betriebsvorrichtung kann keine Rede sein. Hier bietet sich auch der Vergleich zur Figur des „ständigen Vertreters“ an. Würde ein Vertreter auf dem Weihnachts-

2.47

1 Züger in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 51 m.w.N. weist hingegen darauf hin, im Rahmen des Abkommensrechts könne historisch belegt werden, dass die Frist des Art. 5 Abs. 3 OECD-MA nur dazu dienen sollte, Bauausführungen und Montagen möglichst frühzeitig zu erfassen. Dies spreche dafür, im Grundtatbestand der Betriebsstätte auch eine längere Zeitdauer annehmen zu können. 2 Siehe BFH v. 19.5.1993 – I R 80/92, BStBl. II 1993, 655 (656) = FR 1993, 614 m. Anm. Kempermann. 3 Siehe BFH v. 17.9.2003 – I R 12/02, BStBl. II 2004, 396 = FR 2004, 291. 4 FG Köln v. 17.12.2001 – 3 K 2338/01, EFG 2002, 485. Die Entscheidung der Revision (Beschluss des BFH v. 18.12.2002 – I R 12/02, FR 2004, 291 = BFH/NV 2003, 636) konnte die Frage nach dem Vorliegen einer Betriebsstätte offenlassen. Der BFH hat aber die Auffassung des FG Köln in seinem Urt. v. 17.9.2003 – I R 12/02, BStBl. II 2004, 396, bestätigt. 5 Das FG Köln verweist hier auf die Entscheidung des BFH v. 9.10.1974 – I R 128/73, BStBl. II 1975, 203, wonach eine regelmäßige Wiederholung in relativ kurzen Abständen bei zweimaligem Erscheinen des Marktstands binnen Wochenfrist zu bejahen sei.

Puls 45

Kap. 2 Rz. 2.48

Begriff der Betriebsstätte

markt mit den feilzubietenden Produkten – bspw. mit einem Bauchladen – umherziehen, ohne dort über eine feste Geschäftseinrichtung zu verfügen, von welcher er aus die Produkte den Marktbesuchern anbieten könnte, so müsste eine „Ständigkeit“ dieser Tätigkeit im vorliegenden Streitfall sicherlich verneint werden. Hier wäre das Tätigwerden des Vertreters nur auf einen kurzen Zeitraum beschränkt; es wäre offenkundig lediglich momentaner und vorübergehender Natur. Es läge damit keine hinreichende örtliche Radizierung der Vertretertätigkeit vor, mithin auch keine besteuerungswürdige Intensität einer unternehmerischen Betätigung. Für die Betriebsstätte kann im Grunde nichts anderes gelten. Die erforderliche „Festigkeit“ der Betriebsvorrichtung als „Marker“ der infrastrukturellen Verwurzelung darf sich hier in der Qualität der örtlichen Radizierung nicht von der „Ständigkeit“ der Vertretertätigkeit unterscheiden.

2.48 Fazit. Es sollte dafür plädiert werden, die Sechsmonatsfrist in der Regel als Ausschlusskriterium zu verstehen. Liegt eine Tätigkeit unterhalb dieser Zeitdauer, so lässt sich regelmäßig nicht mehr von einer „festen“ Einrichtung sprechen.1 Der Bezug zum Tätigkeitsort ist hier bereits aus zeitlicher Sicht nicht hinreichend ausgeprägt; eine örtliche Radizierung liegt nicht vor. Ein Sechsmonatsfixum dient erheblich der Rechtssicherheit, da es dem Unternehmer Planungssicherheit gewährt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass unterhalb des Sechsmonatszeitraums niemals eine Betriebsstätte vorliegen könnte. War die Bestehensdauer der Geschäftseinrichtung über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus geplant und wird die Einrichtung vor Erreichen des sechsten Monats ihres Bestehens wieder aufgelöst, so entfällt damit nicht die Eigenschaft als Betriebsstätte. Wichtig ist dies für die Betriebsstättenerrichtung des erfolglosen Unternehmers.2 Der Unternehmer, der bspw. bereits in den ersten drei Monaten den Betrieb mangels Erfolgs wieder aufgibt, verfügt infolgedessen während der gesamten Bestehensdauer der Betriebsvorrichtung über eine tatbestandliche Betriebsstätte.3 Auch im Rahmen des Abkommensrechts soll der nur für eine einen kurzen Zeitraum bestehenden Geschäftseinrichtung die Eigenschaft einer Betriebsstätte nicht verloren gehen, wenn sie aufgrund besonderer Umstände – z.B. Tod des Steuerpflichtigen, Fehlinvestition – vorzeitig wieder aufgegeben werden muss.4 Ist eine Betriebsvorrichtung vorhanden, die nach den Plänen des Unternehmers nur für einen vorübergehenden Zeitraum bestehen sollte, jedoch tatsächlich länger als sechs Monate existent ist, so liegt von Beginn der Tätigkeiten in der Geschäftseinrichtung an eine Betriebsstätte vor.5 cc) Unterbrechungen

2.49 Keine Beendigung der Betriebsstätte. Wird die Unternehmenstätigkeit nur für einen vorübergehenden Zeitraum ausgesetzt, so liegt keine Beendigung der Betriebsstätte vor, wenn absehbar ist, dass die Tätigkeit wieder aufgenommen wird. Ist dagegen die Stilllegung des Betriebs geplant, etwa durch eine Betriebsaufgabe oder eine Betriebsveräußerung, so erlöschen 1 Siehe hierzu Tz. 32, 33 des OECD-Diskussionspapiers vom 19.10.2012. 2 Hierzu Züger in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 50. 3 Entsprechendes gilt bspw. für die Behandlung des „erfolglosen Unternehmers“ im Rahmen des Umsatzsteuerrechts. Auch hier kann trotz mangelnder Nachhaltigkeit der unternehmerischen Betätigung Vorsteuer gezogen werden. Nach Ansicht des EuGH (v. 29.2.1996 – Rs. C-110/94 – Inzo/ Belgische Staat, ECLI:EU:C:1996:67 = BStBl. II 1996, 655; desgleichen EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-37/95, ECLI:EU:C:1998:1 = Slg. 1998, I-1, 17) seien bereits erste Investitionsausgaben, die für Zwecke eines Unternehmens oder dessen Verwirklichung getätigt werden, als wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 4 der 6. EG-RL anzusehen. 4 Art. 5 Tz. 6.3 OECD-MK (Planungsänderungen). 5 Art. 5 Tz. 6.3 OECD-MK.

46

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.51 Kap. 2

mit dem Betrieb auch die dazugehörigen Betriebsstätten.1 Hier ist zunächst eine Differenzierung vorzunehmen: Zum einen existieren – wie zuvor gesehen – Unterbrechungen aufgrund des regulären Geschäftsgangs (Saisonbetriebe wie der Ski- oder Bootsverleih, der Weihnachtsmarktstand etc.). Diese Unterbrechungen sind planmäßige Zäsuren der Geschäftstätigkeit, welche in der Natur der ausgeübten Tätigkeit liegen. Davon zu unterscheiden sind kurzfristige Unterbrechungen der Tätigkeit, die i.d.R. auf unvorhersehbaren Ereignissen beruhen und nicht zum ordentlichen Geschäftsgang zählen; diese sollen hier von näherem Interesse sein. Frage in der Rechtsprechung ungeklärt. Anders als bei der Frage der Bestimmung einer zeitlichen Mindestdauer gibt es bislang in der Rechtsprechung keine Anhaltspunkte dafür, wann nur eine vorübergehende Unterbrechung und keine endgültige Beendigung der Betriebsstätte vorliegen soll. Eine Unterbrechung kann begrifflich allerdings nur gegeben sein, wenn sich die Einstellung des Geschäftsbetriebs oder die Auswechslung der Geschäftseinrichtung in einem begrenzten Zeitkorridor bewegt. Eine Unterbrechung kann demzufolge nur vorliegen, wenn die Wiederaufnahme der Tätigkeit bereits bei Beginn der Zäsur sichergestellt ist.2

2.50

Eigene Auffassung. Ausschlaggebend ist, dass die „Verwurzelung“ des Unternehmens im Tätigkeitsgebiet nicht erkennbar verloren geht. Stellt man hierzu zunächst auf Bau- und Montagebetriebsstätten ab, bei denen kurzfristige Unterbrechungen bis zu zwei Wochen die Sechsmonatsfrist des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO nicht hemmen sollen,3 so könnte bei Überschreiten dieser Zweiwochengrenze das Fortbestehen einer Betriebsstätte wohl nur in Ausnahmefällen angenommen werden. Beruht die Unterbrechung auf ungünstigen Witterungsverhältnissen oder Materialmangel, soll sogar die Sechsmonatsfrist prinzipiell nicht gehemmt werden.4 Im Rahmen des § 16 Abs. 3 EStG gilt eine Betriebsunterbrechung nicht als endgültige Betriebsaufgabe, wenn die werbende Tätigkeit innerhalb eines überschaubaren Zeitraums in gleichartiger oder ähnlicher Weise wieder aufgenommen wird. Das FG München hat hier einen Zeitkorridor von zwei Jahren angesetzt.5 Ein derartiger Zeitraum vermag allerdings kaum zu rechtfertigen, bei kritischer Betrachtungsweise noch von einer nur zeitweilig „unterbrochenen“ Geschäftstätigkeit auszugehen. Ebenso erscheint die bei Bau- und Montageausführungen geltende Zweiwochengrenze als zu kurz gegriffen. Ratsam erscheint daher, eine Frist von einem Monat für eine vorübergehende Tätigkeitseinstellung anzunehmen. Ein Zeitraum von einem Monat vermag bei lebensnaher Betrachtung aus Perspektive eines Dritten (Kunden, Lieferanten etc.) noch die Annahme zu rechtfertigen, die Betriebstätigkeit sei bspw. nur infolge eines Urlaubs oder eines Umbaus eingestellt, jedoch nicht (dauerhaft) aufgegeben worden. Anders als bei Bau- und Montagearbeiten, die ihrer Natur nach lediglich temporär sind und aufgrund dessen strengeren Anforderungen an eine „Unterbrechungszeitdauer“ unterliegen müssen, wird bei einem Unterbrechungszeitraum von einem Monat noch ein erkennbarer hinreichender Bezug der Unternehmenstätigkeit zum Tätigkeitsort vorliegen. Diese feste Zeitgrenze dient auch der Rechtssicherheit, da für den Unternehmer hinreichend deutlich erkennbar ist, ab wann die Eigenschaft als tatbestandliche Betriebsstätte entfällt.

2.51

1 2 3 4 5

Siehe etwa BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.9.2. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 58. Siehe BFH v. 22.9.1977 – IV R 51/72, BStBl. II 1978, 140. Siehe H 2.9 Abs. 2 GewStR (Bauausführungen). FG München v. 17.11.1986 – XIII 318/84 F, EFG 1987, 350 (rkr.); s. auch BFH v. 28.9.1995 – IV R 39/94, BStBl. II 1996, 276 = FR 1996, 145 (Zeitraum von 11–14 Jahren); vgl. auch BFH v. 7.10.1998 – VIII B 43/97, BFH/NV 1999, 350.

Puls 47

Kap. 2 Rz. 2.52

Begriff der Betriebsstätte

4. Verfügungsmacht a) Vorbemerkungen

2.52 „Beherrschung“ der Geschäftseinrichtung. Damit die Geschäftseinrichtung dem Unternehmer als solche zugerechnet werden kann, muss nach nahezu einhelliger Auffassung eine nicht nur vorübergehende „Verfügungsmacht“ des Unternehmers über die Geschäftseinrichtung bestehen.1 „Verfügungsmacht“ soll dabei nach bisherigem Verständnis bedeuten, dass der Unternehmer eine Rechtsposition innehat, die (ihm) ohne seine Mitwirkung nicht ohne weiteres entzogen oder verändert werden kann. Er kann m.a.W. die Geschäftseinrichtung oder Anlage quasi „beherrschen“.2 In der neueren Rechtsprechung hat der BFH die „Faustformel“ der Verfügungsmacht sogar vorübergehend dahingehend erweitert, dass eine Rechtsposition zur Absicherung der Verfügungsmacht nicht unbedingt erforderlich sei. Hierzu sollen im Einzelfall – worauf zurückzukommen sein wird – auch nur allgemeine rechtliche Absicherungen der Verfügungsmacht, ja sogar bereits die tatsächliche Nutzung ohne vertragliche Nutzungsvereinbarung ausreichen.3 b) Verfügungsmacht als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal aa) Verfügungsmacht als Bindeglied zur Geschäftseinrichtung

2.53 Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Das Kriterium der Verfügungsmacht lässt sich aus dem Wortlaut des § 12 AO nicht unmittelbar herauslesen. Die notwendige Verfügungsmacht über die Geschäftseinrichtung ist daher ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, über dessen Rechtfertigung Unklarheit besteht.4 Der BFH leitet die Notwendigkeit der Verfügungsmacht aus der Erkenntnis ab, dass der Betriebsstättenbegriff insgesamt eine gewisse Verwurzelung mit dem Ort der Ausübung einer unternehmerischen Betätigung voraussetzt.5 Die Verfügungsmacht wird daher quasi als Verbindungsglied zwischen der Geschäftseinrichtung und dem Dienen dieser Einrichtung zum Zwecke der unternehmerischen Betätigung betrachtet.6 Bereits nach der Rechtsprechung des RFH sollte der Unternehmer die Einrichtung für seine unternehmerischen Zwecke „nützen“ können, was im Ergebnis nichts anderes bedeuten sollte, als ein gewisses „Nutzungsrecht“ an der Betriebsvorrichtung innehaben zu müssen.7

2.54 DBA-Recht. Das Abkommensrecht hat das Kriterium der Verfügungsmacht demgegenüber seit jeher mit Zurückhaltung betrachtet. Zwar wird die Verfügungsmacht des Unternehmers 1 Siehe etwa BFH v. 17.3.1982 – I R 189/79, BStBl. II 1982, 624 (625) = FR 1982, 548; v. 28.8.1986 – V R 20/79, BStBl. II 1987, 162 (163); v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166 (167) = FR 1990, 230; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten, 1982, 135 (136 f.); Züger in Gassner/ Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 43 ff. 2 BFH v. 17.3.1982 – I R 189/79, BStBl. II 1982, 624 (625) = FR 1982, 548; v. 29.4.1987 – I R 118/83, BFH/NV 1988, 122 f.; v. 8.5.1988 – VIII R 270/81, BFH/NV 1988, 735 (736). 3 BFH v. 3.2.1993 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462 (466) = FR 1993, 336 m. Anm. Kempermann; FG Köln v. 20.3.2002 – 10 K 5152/97, DStRE 2002, 768. 4 So bereits Zitzlaff, StuW 1940, Sp. 87 (88). 5 Siehe BFH v. 28.8.1986 – V R 20/79, BStBl. II 1987, 162 f. 6 Dazu BFH v. 3.2.1993 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336 m. Anm. Kempermann; Koenig, DStZ 1950, 125; Puls, Die Betriebsstätte im Abgaben- und Abkommensrecht, 2005, 56. 7 Siehe etwa RFH v. 4.3.1927 – I B 1/27, RStBl. 1927, 112; v. 19.12.1934 – VI A 230/34, RStBl. 1935, 491; v. 26.9.1939 – I 272/39, RStBl. 1939, 1228.

48

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.58 Kap. 2

über die Geschäftseinrichtung auch in der Literatur als notwendiges Element des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs erwähnt;1 die Kommentierung des OECD-MA zu Art. 5 OECD-MA hingegen hat es in der Vergangenheit fast völlig vermieden, sich zu diesem Kriterium dezidierter zu äußern. In der aktuellen Diskussion um die Revision der Kommentierung des OECD-MA scheint die OECD dem Merkmal der „Verfügungsmacht“ allerdings stärkere Bedeutung beimessen zu wollen (s. Neufassung der Art. 5 Tz. 4.2–4.4 OECD-MK).2 bb) Rechtliche und tatsächliche Absicherung Grundfragen. Die Frage, ob die Verfügungsmacht rechtlich abgesichert sein oder nur tatsächlich bestehen soll, ist insbesondere bei der Durchführung von Dienstleistungen in für den Unternehmer fremden Räumen – bspw. in solchen eines Kunden – von Bedeutung. Wenn die Betriebsstätte keine rechtliche Absicherung der Verfügungsmacht über die Geschäftseinrichtung voraussetzt, also weder Eigentum, Miet-, Untermiet- noch Pachtvertrag erfordert, so müsste prinzipiell bereits das bloße Tätigwerden in einer fremden Betriebsvorrichtung fortan eine Geschäftseinrichtung des Unternehmens begründen können. Die Räumlichkeiten werden dann zu einer „Einrichtung“ umqualifiziert, von der der Unternehmer seine „Geschäfte“ betreibt. Der BFH ist in Fortentwicklung seiner bisherigen Rechtsprechung zu der Auffassung gelangt, dass im Einzelfall auch eine lediglich „allgemeine rechtliche Absicherung“ dieser Verfügungsmacht zur Annahme einer Betriebsstätte ausreichen könne. Sofern sich aus tatsächlichen Gründen ergebe, dass bspw. dem betrieblichen Mitarbeiter ein ganz bestimmter Raum zur Verfügung und somit zur Ausübung einer Tätigkeit gestellt worden sei und hierüber eine bestimmte Verfügungsgewalt unbestritten sei, sei eine Betriebsstätte anzunehmen.3

2.55

FG Düsseldorf vom 14.8.2003 – 15 K 6671/01. In einer Entscheidung des FG Düsseldorf vom 14.8.2003 kam das Gericht zu dem Schluss, dass die ständige (und vertraglich abgesicherte) Nutzung einer Ladezone durch ein ausländisches Speditionsunternehmen eine entsprechende Verfügungsmacht über die Ladezone begründet. Dem stand nach Ansicht des Gerichts auch nicht entgegen, dass dem Unternehmen keine bestimmte Abstell- und Ladefläche zur alleinigen Nutzung zugewiesen worden ist. Denn für die Annahme einer erforderlichen Verfügungsmacht reicht nach Auffassung des FG Düsseldorf eine „gemeinschaftliche rechtliche oder tatsächliche Dispositionsbefugnis“ aus.4

2.56

Kontroverse Diskussion in der neueren FG- und BFH-Rechtsprechung. Die neuere BFHRechtsprechung hat in mehreren Entscheidungen die Thematik der Verfügungsmacht in das Zentrum der Begriffsbetrachtung gestellt. Diese Entscheidungen sind für das Verständnis des Betriebsstättenbegriffs von erheblicher Bedeutung. Einzelheiten dazu in Rz. 2.61 f.

2.57

c) Nutzung privater Räumlichkeiten BFH-Rechtsprechung. In einer Entscheidung vom 23.5.2002 hat der BFH klargestellt, dass es bei einer bloßen Mitbenutzung eines Raums in der Privatwohnung eines Arbeitnehmers 1 Kritisch Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 42. 2 Siehe dazu im Folgenden unter Rz. 2.70 f. 3 BFH v. 3.2.1993 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336 m. Anm. Kempermann; s. jüngst auch FG Köln v. 20.3.2002 – 10 K 5152/97, DStRE 2002, 768 (770); FG Rheinland-Pfalz v. 30.5.2001 – 1 K 2256/98, n.v.; v. 29.8.2000 – 1 K 2766/99, n.v., NZB als unzulässig verworfen, s. BFH v. 5.9.2001 – I B 178/00, BFH/NV 2002, 204; FG München v. 5.8.1998 – 1 K 764/98, n.v.; dazu allgemein auch Lüdicke, Die inländische Betriebsstätte, StbKongrRep 1994, 217 (223). 4 FG Düsseldorf v. 14.8.2003 – 15 K 6671/01, n.v.

Puls 49

2.58

Kap. 2 Rz. 2.59

Begriff der Betriebsstätte

durch den Arbeitgeber – ohne entsprechende (miet-)vertragliche Grundlage – an einer mindestens allgemein-rechtlichen Absicherung der Verfügungsmacht des Arbeitgebers fehle.1 Allein aufgrund des bestehenden Arbeitsverhältnisses und eines höheren Gehalts im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern könne noch nicht gefolgert werden, dass die Nutzung der Räumlichkeiten durch den Arbeitgeber ausreichend abgesichert wäre, denn der Arbeitnehmer hätte dem Arbeitgeber einseitig die Räumlichkeiten zur Nutzung jederzeit wieder entziehen können.

2.59 OECD-Diskussionsentwurf vom 19.10.2012. Interessant ist in dieser Hinsicht die Entwicklung auf OECD-Ebene. In dem revidierten Diskussionsentwurf zur Neufassung des OECDMK vom 19.10.2012 wird in Tz. 22 Art. 5 die Fragestellung behandelt, ob ein Heimarbeitsplatz („home office“) des Arbeitnehmers eine Betriebsstätte des Arbeitgebers begründen kann. Der OECD-Diskussionsentwurf gelangt hierbei zu der Erkenntnis, dass lediglich in Ausnahmefällen das Unternehmen über ein häusliches Arbeitszimmer Verfügungsmacht haben könne. Dies kann z.B. nur dann der Fall sein, wenn der Arbeitsplatz laufend und über einen längeren Zeitraum sowie den Vorgaben des Unternehmens entsprechend zur Ausführung von Tätigkeiten genutzt wird. d) Tätigkeiten bei einem Dritten

2.60 Historie. Die Finanzverwaltung hatte in einem Erlass aus dem Jahre 1983 die Ansicht vertreten, allein die tatsächliche Nutzung von Räumen eines Auftraggebers durch ausländische Unternehmensberater sei für die Begründung einer Betriebsstätte ausreichend, wenn die Nutzung – ohne dass es auf einen fixen Zeitkorridor oder ein aus festen Mitgliedern bestehendes Team von Beratern ankäme – mit einer gewissen Dauerhaftigkeit verbunden sei.2 Der BFH ist diesem Ansatz seinerzeit nicht gefolgt und hat deutlich gemacht, dass bereits eine bloße (Mitbe-)Nutzungsmöglichkeit der Geschäftseinrichtung nicht ausreichen könne, um eine Betriebsstätte zu begründen.3

2.61 Unternehmensberaterbeispiel. Übt ein Unternehmensberater allerdings über Jahre hinweg von Räumlichkeiten seines Auftraggebers seine Tätigkeit für den Auftraggeber aus, ohne an den Räumen eine zivilrechtliche Rechtsposition eingeräumt bekommen zu haben, dann müsste auch dies zur Annahme einer Betriebsstätte führen können. Auch hier ist die Nutzungsposition „allgemein abgesichert“. Zwischen dem Unternehmensberater und dem Auftraggeber besteht im Regelfall ein Geschäftsbesorgungs- oder Dienstvertrag, der es dem Unternehmensberater durchweg erlaubt, seine Tätigkeit in den Räumen des Kunden durchzuführen. Wie im Folgenden zu betrachten sein wird, führt diese Fallkonstellation in der Praxis immer wieder zu erheblichem Streitpotential mit der Finanzverwaltung. 1 BFH v. 23.5.2002 – III R 8/00, BStBl. II 2002, 512 = FR 2002, 1321. 2 Siehe Erlass des FM Baden-Württemberg v. 24.3.1983 – S 1301 A – Schweiz – 5/71, in Beck, DBATextausgabe, DBA-Allg. Nr. 5.1; a.A. Bendixen, DB 1983, 203 (204), der in diesem Zusammenhang auf die frühere Rechtsprechung des RFH verweist. Der RFH hat bei Tätigkeiten in fremden Räumen auf das Wesen des Beratungsvertrags abgestellt. Nach dieser Ansicht gilt: Werden Einzelaufträge in den Räumlichkeiten des Kunden bearbeitet, so ist der Aufenthalt seinem Wesen nach nicht auf Dauer bestimmt, sondern nur vorübergehend, nämlich für die Dauer der Auftragserledigung. Nach Auffassung des RFH sollte dies auch gelten, wenn sich die Auftragserledigung über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren erstreckte, s. RFH v. 1.4.1936 – IV B III/36, RStBl. 1936, 546 (547). 3 Siehe BFH v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166 = FR 1990, 230.

50

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.63 Kap. 2

BFH vom 14.7.2004 – I R 106/03. Gegenstand dieses Verfahrens war die Fragestellung, ob eine Gesellschaft, die mit dem Betrieb und der Wartung von Kampfsimulator-Systemen auf dem Gelände von US-Militäreinrichtungen beauftragt worden war, dort mit ihren Mitarbeitern eine Betriebsstätte begründet hat.1 Die Mitarbeiter des Unternehmens hatten nach Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung durch das Wachpersonal ungehinderten Zugang zu den von ihnen auf dem Kasernengelände genutzten Räumen, in denen sich die Computersysteme befanden. Der BFH qualifizierte diese Tätigkeiten als betriebsstättenbegründend, da eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht des Personals über bestimmte Räumlichkeiten in der Kaserne bestanden habe. Die Tatsache, dass die Mitarbeiter erst Zugang zu dem Gelände und den Räumlichkeiten nach Überprüfung durch das Wachpersonal hatten, sei unmaßgeblich, da es sich insoweit um eine bloße Sicherheitskontrolle gehandelt habe. Die Entscheidung des BFH ist in der Literatur sehr kritisch betrachtet worden, da der BFH durch diese Entscheidung das Erfordernis einer rechtlichen oder tatsächlichen Dispositionsbefugnis durch das Erfordernis eines bloßen „Tätigwerdens“ quasi ersetzt habe.2

2.62

BFH vom 4.6.2008 – I R 30/07. Der BFH-Entscheidung vom 4.6.2008 lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Auch hier ging es darum, ob die Durchführung von Reinigungsarbeiten in Militärflugzeugen auf einem deutschen NATO-Militärflughafen durch Mitarbeiter eines ausländischen Unternehmens eine inländische Betriebsstätte begründen kann.3 Das Reinigungspersonal konnte nach erfolgreicher Sicherheitsüberprüfung das Militärgelände betreten und die Reinigungsarbeiten durchführen. Das Personal wurde hierbei von einem Mitarbeiter des Unternehmens eingeteilt und überwacht. Dem Unternehmen standen jedoch – anders als in der BFH-Entscheidung vom 14.7.2004 – keine bestimmten Räumlichkeiten (mit Ausnahme eines Aufenthaltsraums als Umkleide- und Pausenraum) zur Ausübung der Tätigkeiten zur Verfügung. Der BFH war der Ansicht, dass die Tätigkeiten des Unternehmens auf dem Militärgelände nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Das Gericht hat hierbei unterstrichen, dass das bloße Tätigwerden in Räumlichkeiten eines Vertragspartners an sich nicht ausreichend ist, um die erforderliche Verfügungsmacht an bzw. über die Räumlichkeiten zu begründen. Aufgrund der Tatsache, dass die Mitarbeiter des Unternehmens keinen Zugriff auf etwaig angemietete Räumlichkeiten hatten, lag – so die Ansicht des BFH – auch keine hinreichende Verfügungsmacht und damit eine entsprechende örtliche Verfestigung der Tätigkeit vor. Die Entscheidung des BFH ist insoweit von Interesse, als durch sie dem Konstrukt der „Dienstleistungsbetriebsstätte“ eine klare Absage erteilt wird; diese kann nach BFHAnsicht im Grundsatz nur bei Bau- und Montagebetriebsstätten nach Art. 5 Abs. 3 OECDMA vorliegen. Zugleich wendet sich der BFH damit gegen das in Art. 5 Tz. 4.5 OECD-MK verankerte „Painter-Example“, wonach die bloße Tätigkeitsausübung (die mit einer gewissen Regelmäßigkeit versehen ist) bereits betriebsstättenbegründend sein soll. Entscheidend für die Verneinung der Betriebsstätteneigenschaft war in dem entschiedenen Streitfall letztlich, dass das ausländische Unternehmen keine spezifischen Räumlichkeiten zur Tätigkeitsausübung benutzt hatte. Zwar bestand eine gewisse Dispositionsbefugnis an der Tätigkeitsumgebung (zu reinigende Flugzeuge, bereitgestellter Abstell- und Pausenraum). Diese „gewisse Dispositionsbefugnis“ sah der BFH allerdings als nicht ausreichend für die Annahme einer Verfügungsmacht über eine Geschäftseinrichtung an. Auch diese BFH-Entscheidung ist im Schrifttum eingehend diskutiert und im Verhältnis zur Entscheidung vom 14.7.2004

2.63

1 BFH v. 14.7.2004 – I R 106/03, BFH/NV 2005, 154. 2 Lühn, BB 2009, 700, 701; Rosenberger/Vitali/Ziehr, IStR-Beih 2010, 1 (13). 3 BFH v. 4.8.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922.

Puls 51

Kap. 2 Rz. 2.64

Begriff der Betriebsstätte

als klarstellende Aussage gegen die Existenz der „Dienstleistungsbetriebsstätte“ mehrheitlich begrüßt worden.1

2.64 FG Düsseldorf vom 19.1.2016 – 13 K 952/14 E und FG Thüringen vom 7.7.2015 – 2 K 646/12. Diesen Grundsätzen folgt eine aktuelle Entscheidung des FG Düsseldorf. Nach Ansicht des FG Düsseldorf ist eine „ständige Einrichtung“ nach dem DBA-NL ausschließlich dann anzunehmen, wenn sie dem Unternehmer für seine Tätigkeit ständig zur Verfügung steht und auch während seiner Abwesenheit dazu bestimmt ist, der jeweiligen Berufstätigkeit zu dienen. Erforderlich ist daher insbesondere ein selbständiger Anspruch auf Zugang zum Arbeitsraum, d.h. eine eigene Zugangsberechtigung. Fehlt diese umfassende und unlimitierte Zugangsberechtigung, so mangelt es an einer tatbestandlichen Verfügungsmacht.2 Nach Ansicht des FG Thüringen besteht bei Vorhandensein eines Werkvertrags und eines für die gesamte Vertragsdauer gegebenen Anspruchs auf unentgeltliche Nutzung der zur Tätigkeitsdurchführung erforderlichen Räumlichkeiten und Gerätschaften eine feste Geschäftseinrichtung, über die der Tätigkeitsausübende nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht innehat, sofern diese auch rechtlich abgesichert und nicht nur geduldet ist.3

2.65 BFH vom 24.8.2011 – I R 46/10. Anlass zur weiteren (kontroversen) Diskussion des Merkmals der Verfügungsmacht wurde durch eine weitere BFH-Entscheidung aus 2011 gegeben.4 Hier ging es um Folgendes: Zwei in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige GmbHs waren an einer in Großbritannien (in der dortigen Rechtsform einer Limited Partnership = Personengesellschaft) ansässigen Fondsgesellschaft beteiligt. Nach dem Gesellschaftsvertrag waren die Kommanditisten der Fondsgesellschaft von der Geschäftsführung ausgeschlossen. Zur alleinigen Vertretung der Fondsgesellschaft waren die Geschäftsführer bestellt. Die Fondsgesellschaft (vertreten durch eben diesen Vollhafter) schloss mit einer ebenfalls in Großbritannien ansässigen Managementgesellschaft einen Managementvertrag ab. Die Geschäftsführer der Fondsgesellschaft waren zugleich Mitarbeiter der Managementgesellschaft, die über eigenes Personal und eigene Räumlichkeiten verfügte. Die Geschäftsführer der Fondsgesellschaft übten ihre Leitungstätigkeiten in den Räumlichkeiten der Managementgesellschaft aus. Die Fondsgesellschaft selbst verfügte über keine eigenen Büroräume. Nach Ansicht des BFH unterhielt die Fondsgesellschaft, an der die beiden deutschen GmbHs beteiligt waren, in Großbritannien eine Betriebsstätte (nach Art. II Abs. 1 Buchst. l (i) DBA-Großbritannien 1964/ 1970). Entscheidend für die Annahme einer dortigen Betriebsstätte sei – so der BFH –, dass die Gesellschaft vermöge der vertraglichen Übertragung von Aufgaben und dadurch vermöge einer sachlichen und personellen Geschäftsausstattung in die Lage versetzt wurde, ihre operativen Unternehmenstätigkeiten auszuüben. Infolgedessen – so der BFH – hatte sie auch die entsprechende Verfügungsmacht über die entsprechenden Büroräumlichkeiten inne. Im Schrifttum ist diese BFH-Entscheidung erheblich kritisiert worden.5 Insbesondere wird angemerkt, dass der BFH mit dieser Rechtsprechung das Merkmal der Verfügungsmacht in nahezu extremer Weise ausdehnt. Kritisch sei vor allen Dingen, dass allein auf1 Siehe zur Diskussion z.B. Korff, IStR 2009, 231 (236); Kahle/Ziegler, DStZ 2009, 834 (844); Eckl, IStR 2009, 510 (511); Rosenberg/Vitali/Ziehr, IStR-Beih 2010, 14; Wassermeyer, IStR 2011, 931; Gosch, SWI 2011, 324 (333); Blumers/Weng, DStR 2012, 551; Elser/Bindl, FR 2012, 44; Ditz/Quilitzsch, FR 2012, 493; Reiser/Cortez, IStR 2013, 6. 2 Siehe FG Düsseldorf v. 19.1.2016 – 13 K 952/14 E, EFG 2016, 507. 3 Siehe FG Thüringen v. 7.7.2015 – 2 K 646/12 (rkr.), DStRE 2016, 858. 4 Vgl. BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl = BFH/NV 2011, 2165. 5 Vgl. nur Blumers/Weng, DStR 2012, 551; Ditz/Quilitzsch, FR 2012, 493; Urteilsanmerkung v. Wassermeyer, IStR 2011, 931.

52

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.67 Kap. 2

grund der Übertragung von dispositiven Aufgaben auf eine Servicegesellschaft eine entsprechende Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten der Gesellschaft einhergehen soll und dort zu einer Betriebsstättenbegründung führen kann. Auch im Hinblick auf die Einschaltung von Subunternehmen führt die BFH-Auffassung – so Stimmen aus dem Schrifttum – dazu, dass die bloße Beauftragung eines Subunternehmers dann eine Betriebsstätte des Auftraggebers am Ort der Betriebsstätte des Subunternehmers (Auftragnehmers) begründen würde. Daher wird betont, dass bei Einschaltung eines Auftragnehmers lediglich dann eine Betriebsstätte des Auftraggebers vorliegen könne, wenn der Auftraggeber eine hinreichende Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten des Auftragnehmers innehat. Eine bloße vertraglich begründete Auftragstätigkeit kann aufgrund der fehlenden Verfügungsmacht des Auftraggebers mithin nicht per se zum Vorliegen einer Betriebsstätte des Auftraggebers am Ort der Tätigkeitsausübung durch den Auftragnehmer führen.1 FG Bremen vom 25.6.2015 – 1 K 68/12 (6). In die gleiche Richtung geht eine Entscheidung des FG Bremen. Die für die Annahme einer Betriebsstätte notwendige, nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht ist nach Ansicht des FG Bremen dann gegeben, wenn die Gesellschaft eine Rechtsposition innehat, die ohne ihre Mitwirkung nicht ohne weiteres beseitigt oder verändert werden kann. Hierfür ist nicht erforderlich, dass der Gesellschaft vertraglich ein Nutzungsrecht eingeräumt wird. Vielmehr reicht es aus, wenn tatsächliche Gründe die Annahme rechtfertigen, dass dem Unternehmer irgendein für seine Tätigkeit geeigneter Raum zur ständigen Nutzung zur Verfügung steht. Für das Vorliegen einer solchen tatsächlichen Position spricht i.d.R. die Identität der handelnden Organe der überlassenden und der nutzenden Gesellschaft. Daher kann – so das Gericht – es für das Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.V.m. § 12 AO ausreichen, wenn eine GmbH & Co. KG ohne eigene Büroräume und ohne eigenes Personal durch einen Dienstleistungsvertrag bestimmte geschäftsführende administrative und operative Dienstleistungen auf eine Managementgesellschaft mit Räumlichkeiten und Personal im Inland übertragen hat, wenn der alleinige Geschäftsführer der geschäftsführenden Komplementär-GmbH zugleich auch Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der Managementgesellschaft ist und wenn er tatsächlich die Tagesgeschäfte in Räumlichkeiten der Managementgesellschaft im Inland erledigt.2

2.66

Eigene Auffassung. Nach der hier vertretenen Auffassung ist zweifelhaft, ob dem Merkmal der „Verfügungsmacht“ überhaupt eine derart zentrale Stellung innerhalb des Betriebsstättenbegriffs eingeräumt werden kann. Es ist zu erwägen, die „Verfügungsmacht“ durch das Merkmal der „ständigen Nutzung“ der Geschäftseinrichtung zu ersetzen. In der Literatur wird unter Verweis auf die BFH-Entscheidung vom 4.6.2008 die Meinung vertreten, der BFH habe das Merkmal der Verfügungsmacht fortwährend als wesensnotwendig für das Vorliegen einer Betriebsstätte bestätigt; deswegen sei es für die Annahme einer Betriebsstätte wesensnotwendig.3 Abzustellen ist auf den Wortlaut des § 12 AO bzw. Art. 5 OECD-MA, denn eine „feste Geschäftseinrichtung“ enthält nicht nur eine geografische, sondern auch eine zeitliche Begriffskomponente. Sie enthält jedoch kein wirtschaftliches Element. Eine Geschäftseinrichtung ist nicht nur „fest“, wenn sie örtlich unverrückbar ist, sondern allen voran dann, wenn aus der Betriebsvorrichtung heraus mit einer gewissen Ständigkeit die Unternehmensbetätigung betrie-

2.67

1 Siehe dazu Ditz/Quilitzsch, FR 2012, 493; Reiser/Cortez, IStR 2013, 6. 2 FG Bremen v. 25.6.2015 – 1 K 68/12 6, n.v.; Rev. anhängig unter BFH I R 58/15. 3 Reiser/Cortez, IStR 2013, 6; a.A. offenbar Kahle/Ziegler, DStZ 2009, 834 (844); Eckl, IStR 2009, 511; Haiß in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 2011, 33 (36).

Puls 53

Kap. 2 Rz. 2.68

Begriff der Betriebsstätte

ben wird.1 Die Ständigkeit einer Unternehmenstätigkeit im Rahmen der Betriebsstättenfrage unterscheidet sich auch von dem bloßen Tätigwerden eines Freiberuflers, dessen Tätigkeitsdauer für die steuerliche Verstrickung unerheblich ist. Die Ständigkeit der Unternehmensausübung verkörpert daher nichts anderes als die anhaltende Nutzung der Betriebsvorrichtung zu unternehmerischen Zwecken.2 Ausschließlich diese Nutzung führt die hinreichend notwendige organisatorische wie infrastrukturelle Verwurzelung mit dem Betätigungsumfeld herbei, auf Grundlage derer die Betriebsstättenbesteuerung makroökonomisch gerechtfertigt wird.

2.68 Bedeutung der Verfügungsmacht im Licht des Grundtatbestands. Das Konstrukt der „Verfügungsmacht“ erscheint vor diesem Hintergrund nicht mehr als ein synthetisches „Vehikel“, das die Verbindungslinie zwischen der infrastrukturellen Verwurzelung der Geschäftseinrichtung und der Betätigung des Unternehmers in oder an ihr erschaffen soll. Es ist offensichtlich, dass eine konkrete Rechtsposition an einer Sache, die von dem Unternehmen als betriebliches Substrat genutzt wird, dazu geeignet ist, dieses Verbindungselement tatbestandlich zu konkretisieren. Denn wer eine tatsächliche oder rechtlich abgesicherte Verfügungsmacht an einer Geschäftseinrichtung hat, der darf diese Sache regelmäßig auch für seine unternehmerischen Zwecke einsetzen. Bei dieser Argumentation wird allerdings die eigentliche Kernfrage der Zurechnung einer Geschäftseinrichtung auf den Unternehmer nur in das Konstrukt eines zusätzlichen Tatbestandsmerkmals – nämlich der Verfügungsmacht – verlagert. Die Feststellung einer rechtlich allgemeinen oder konkret abgesicherten „Verfügungsmacht“ ist aber unerheblich, solange von der genutzten Geschäftseinrichtung das Unternehmen mit der notwendigen (Be-)Ständigkeit betrieben wird. Die Ständigkeit der Nutzung und die Dispositionsbefugnis über die Betriebsvorrichtung werden sich regelmäßig nicht entgegenstehen, da sonst eine ständige Unternehmensbetätigung aus tatsächlichen Gründen nicht zu bewerkstelligen ist. Nutzung und Verfügungsbefugnis korrelieren also in aller Regel miteinander. Erkennbar ist allerdings auch, dass das Kriterium der „Verfügungsmacht“ nicht alle Fälle einer mit der festen Geschäftseinrichtung verbundenen unternehmerischen Tätigkeit abdecken kann. Entscheidend ist vielmehr der hinreichende örtliche Bezug, den der Unternehmer durch seine Tätigkeit zum Ort der Ausführung entwickelt.3 Wird über eine gewisse Zeit eine Betriebsvorrichtung zu unternehmerischen Zwecken genutzt, so liegt auch ein hinreichender Bezug zum Tätigkeitsort vor. Die spezielle Frage nach dem Kriterium der „Verfügungsmacht“ ist demzufolge eng mit der allgemeinen Frage nach dem Kern des Betriebsstättenbegriffs verbunden. Interpretiert man die Betriebsstätte als konkretisierte Form einer unternehmerischen Tätigkeit, so konstruiert bereits die ständige Nutzung der Betriebsvorrichtung einen hinreichenden Bezug zum Tätigkeitsort. Auch ohne das formale Kriterium der „Verfügungsmacht“ kann mithin eine gesteigerte Beziehung der Tätigkeit zum Tätigkeitsort vorliegen. Die jüngeren Entwicklungen auf OECD-Ebene scheinen diesen Weg beschreiten zu wollen.

2.69 Folgerungen für die Praxis. Gleichwohl ist es für die Praxis erforderlich, eine bestimmte Grenzlinie zu skizzieren, ab wann eine Betriebsstätte vorliegt und unter welchen Voraussetzungen dies gerade nicht der Fall ist. Die Entscheidung des BFH vom 24.8.20114 sowie das „Painter-Example“ in Art. 5 Tz. 4.5 OECD-MK machen deutlich, dass es bestimmter Abgrenzungskriterien bedarf. Geschieht dies nicht, so wird die „Schwelle“ zur Annahme einer 1 Siehe Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 42a. 2 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 42a; Puls, Die Betriebsstätte im Abgabenund Abkommensrecht, 2005, 60 f. 3 In diesem Sinne auch FG Hessen v. 2.4.2003 – 11 K 6139/97, EFG 2003, 1190. 4 BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl = BFH/NV 2011, 2165.

54

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.71 Kap. 2

Betriebsstätte in signifikanter Weise herabgesetzt und das Risiko besteht, jeden Ort der Dienstleistungserbringung letztlich aus Sicht des Leistungserbringers als latent betriebsstättenrelevant zu qualifizieren. Deutschland ist innerhalb der OECD dieser Entwicklung daher zu Recht entgegengetreten.1 So scheint es, dass die Verfügungsmacht letztlich als eine Art „Bollwerk“ gegen eine ausufernde Betriebsstättenannahme fungieren soll. Die Entscheidung des BFH v. 24.8.2011 offenbart dieses Dilemma. Sie zeigt zudem, dass die Ausführung von Dienstleistungen (vorliegend in Gestalt von Managementaufgaben) nicht automatisch zu einer Betriebsstättenbegründung führen sollte. Diese Fragestellung hat vor allem Auswirkungen auf die Beauftragung von Dienstleistern und Subunternehmen und ist daher höchst praxisrelevant.2 e) Gegenwärtige Entwicklungen auf OECD-Ebene OECD-Diskussionsentwurf vom 19.10.2012. Die Frage nach Erfordernis und Reichweite des Merkmals der Verfügungsmacht ist vor dem Hintergrund der geplanten Neufassung des OECD-MK zu Art. 5 OECD-MA auch auf abkommensrechtlicher Ebene vielfältigen Diskussionen ausgesetzt.3 Der vom 19.10.2012 stammende, revidierte Diskussionsentwurf (basierend auf dem ersten Entwurf vom 12.10.2011) der OECD sieht in diesem Zusammenhang von einer generischen Definition der Merkmals der Verfügungsmacht ab (vgl. Art. 5 Tz. 4.2 OECD-MK des Entwurfs v. 19.10.2012). Hintergrund dessen ist, dass die „Verfügungsmacht“ über eine Einrichtung generell stark von der zugrunde liegenden Unternehmenstätigkeit abhängt, so dass eine abstrakte Definition der Working Party 1 der OECD nicht realistisch erscheint. Illustrativ soll das Verständnis der „Verfügungsmacht“ anhand von Beispielssituation in den Art. 5 Tz. 4.2 ff. OECD-MK näher erläutert werden. Im Zentrum des Merkmals der Verfügungsmacht steht das Verständnis, Verfügungsmacht sei jedenfalls immer dann gegeben, wenn der Unternehmer ein exklusives Recht zur Nutzung der Geschäftsausstattung hat (z.B. infolge eines Miet- oder Pachtvertrags). Ferner soll Verfügungsmacht auch dann gegeben sein, wenn das Unternehmen andauernd und regelmäßig über einen längeren Zeitraum Räumlichkeiten eines anderen Unternehmens nutzt oder diese Nutzung mehreren Unternehmern gemeinsam zugänglich ist. Nicht ausreichend soll eine gelegentliche und unregelmäßige Nutzung sein.

2.70

Beispiel des Consultants in Tz. 13 des Entwurfs. Nach Ansicht der OECD soll ein Unternehmensberater mit seinen Tätigkeiten in den Räumlichkeiten seines Kunden Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten haben, wenn ihm aufgrund einer ausgehändigten Sicherheitskarte ein personengebundenes und exklusiv ihm zustehendes Recht an den Räumlichkeiten zugebilligt wird. Erfolgt die Tätigkeitsausübung zudem über einen längeren Zeitraum (im Beispielsfall 20 Monate, so dass eine Mindestdauer von 6 Monaten überschritten wird), so ist nach OECD von einer andauernden, regelmäßigen und über einen ausreichend langen Zeitraum erfolgenden Nutzung einer Geschäftseinrichtung auszugehen. Dieser Wertung ist zuzustimmen, denn allein aufgrund der bloßen Anwesenheit des Unternehmensberaters lässt sich noch keine Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten annehmen; es bedarf vielmehr einer entsprechenden Nutzungsbefugnis. Ob damit zugleich eine Abkehr der OECD vom sog. „Painter-Example“ in Art. 5 Tz. 4.5 OECD-MK eingeläutet werden soll, sollte jedoch vorsichtig beurteilt werden. Schließlich bleibt unklar, welches Ausmaß der Nutzungs- bzw. Zugangsbefugnis der

2.71

1 Art. 5 Tz. 45.7–45.9 OECD-MK; Wichmann, FR 2011, 1082 (1084); Wichmann in Lüdicke, Forum der internationalen Besteuerung, Bd. 35, 2009, 103 (107, 108). 2 Siehe Wassermeyer, IStR 2011, 931. 3 Vgl. hierzu auch Reiser/Cortez, IStR 2013, 6 sowie Ronge, IStR 2013, 266.

Puls 55

Kap. 2 Rz. 2.72

Begriff der Betriebsstätte

Unternehmer haben muss, damit ihm eine Verfügungsmacht über die Einrichtung zugebilligt wird. Es kann nicht darauf ankommen, ob die Verfügungsmacht immer über denselben Raum besteht.

2.72 Beispiel des Contract Manufacturers in Tz. 17 des Entwurfs. Dieses Beispiel ist nach Ansicht der Working Party 1 besonders im Hinblick auf erfolgte „Business Conversions“ (d.h. bei Umwandlungen in sog. Low-Risk-Tätigkeiten, im Produktionsbereich vor allem Lohnfertiger) von Bedeutung. Die Working Party 1 vertritt in diesem Beispiel die Ansicht, dass es für die Annahme einer Verfügungsmacht erforderlich sei, dass dem Auftraggeber des Lohnfertigers selbst das Produktionsgelände zur Verfügung stehe. Es fehlt daher an der Verfügungsmacht des Auftraggebers an der Geschäftseinrichtung des Lohnfertigers. Eine Betriebsstätte soll allerdings dann in Betracht kommen, wenn der Auftraggeber eine starke Einflussnahme auf den Produktionsprozess des Lohnfertigers nehmen kann, d.h., wenn sich der Auftraggeber die Tätigkeit des Lohnfertigers zurechnen lassen muss. Unklar bleibt hier, ab welcher Intensität einer (damit erforderlich werdenden) Überwachung des Lohnfertigers eine Tätigkeitszurechnung möglich sein soll. Dies kann mit der BFH-Rechtsprechung wohl erst dann der Fall sein, wenn der Auftraggeber durch seine Überwachung de facto die Leitung und Einflussnahme auf den Lohnfertiger i.S. einer Geschäftsführung übernimmt.1 5. Weitere Fragen der Zurechnung a) Unterbetriebsstätte

2.73 Bezug zum Stammhaus oder zu einer Oberbetriebsstätte. Umstritten ist die Frage, ob eine Betriebsstätte eine Unterbetriebsstätte haben kann oder ob sich jede „Unter“-Betriebsstätte einer „Ober“-Betriebsstätte steuerlich nur als eine Betriebsstätte des Gesamtunternehmens darstellt.2 In tatsächlicher Hinsicht können zwischen einer „Ober“-Betriebsstätte und einer „Unter“-Betriebsstätte so enge wirtschaftliche Verflechtungen bestehen, dass die „Unter“-Betriebsstätte nur oder vor allem einer „Ober“-Betriebsstätte dient. Abkommensrechtlich gesehen gibt es jedoch gem. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA keine Attraktivkraft einer „Ober“-Betriebsstätte gegenüber einer „Unter“-Betriebsstätte. Diese Überlegung gilt auch für das nach innerstaatlichem Recht anzuwendende Veranlassungsprinzip. Wirtschaftsgüter, Erträge und Aufwand müssen unter Veranlassungsgesichtspunkten entweder der Geschäftsleitungsbetriebsstätte oder einer anderen Betriebsstätte zugeordnet werden. Sie können auch anteilig mehreren Unternehmensteilen zugeordnet werden.3 Es kann jedoch nicht der gesamte Buchwert eines Wirtschaftsguts bzw. ein Ertrag oder Aufwand insgesamt zwei Betriebsstätten gleichzeitig zugerechnet werden. Die Summe der ggf. anteiligen Zuordnungen muss zwar stets 100 % erreichen, darf aber 100 % auch nicht übersteigen oder gar unter 100 % liegen.4 Daraus folgt, dass jede „Unter“-Betriebsstätte für sich zu beurteilen ist, wenn sie denn die Vorausset-

1 Vgl. BFH v. 23.2.2011 – I R 52/10, BFH/NV 2011, 1354. Siehe dazu auch Rz. 2.99. 2 Vgl. BFH v. 10.7.2002 – I R 71/01, BStBl. II 2003, 191 = FR 2003, 236; v. 16.10.2002 – I R 17/01, FR 2003, 362 = BFH/NV 2003, 366; Buciek in FS Flick, 647 (654); Heinsen/Looks in Löwenstein/ Looks/Heinsen2, Rz. 588; Hemmelrath in V/L6, DBA, Art. 7 Rz. 42; Redebeitrag Wolff in Lang/Loukota/Waldburger/Waters/Wolff, SWI 2004, 14 (16); Redebeitrag Loukota in Lang/Loukota/Waldburger/Waters/Wolff, SWI 2004, 14 (16). 3 Vgl. Rz. 3.40. 4 BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663 (665) = FR 1988, 392 – unter II 2 e. der Gründe: „Das Betriebsstättenprinzip geht ganz allgemein davon aus, dass Einkünfte immer nur einer Betriebsstätte zugerechnet werden können.“

56

Puls/Wassermeyer

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.75 Kap. 2

zungen einer Betriebsstätte erfüllt. Der Gewinn/Verlust einer „Unter“-Betriebsstätte kann weder einer „Ober“-Betriebsstätte noch der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zugerechnet werden.1 Dies entspricht der Überlegung, dass jeder Teilbetrag des Unternehmensgewinns mindestens einer und höchstens einer Betriebsstätte zuzuordnen ist.2 Ist allerdings die „Unter“-Betriebsstätte im Inland belegen, so sind hier alle Einkünfte aus inländischen Betriebsstätten zusammenzufassen. Die Frage, ob die „Unter“-Betriebsstätte in tatsächlicher Hinsicht mehr einer „Ober“-Betriebsstätte oder der Geschäftsleitungsbetriebsstätte dient, ist für die steuerliche Gewinnermittlung ohne Belang.3 Entsprechend ist der BFH in seinem Urteil vom 16.10.20024 davon ausgegangen, dass alle Betriebsstätten einer Personenuntergesellschaft abkommensrechtlich den Mitunternehmern der Personenobergesellschaft und nicht etwa der Personenobergesellschaft selbst zuzurechnen sind. „Unterbetriebsstätte“, die keine Betriebsstätte ist. Eine andere Frage ist die, wie zu verfahren ist, wenn eine „Unterbetriebsstätte“ die Tatbestandsvoraussetzungen einer Betriebsstätte nicht erfüllt. Lang5 behandelt den Fall, dass ein Unternehmer, der selbst ausschließlich im Staat A wohnt, ein im Staat B ansässiges Bauunternehmen betreibt, das im Staat C eine Bauausführung für die Dauer von nur fünf Monaten unterhält. Eine solche Bauausführung erfüllt die zeitlichen Voraussetzungen weder des Art. 5 Abs. 3 OECD-MA noch des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO. Dies bedeutet, dass die Bauausführung als solche keine Betriebsstätte darstellt und deshalb einer anderen Betriebsstätte zugeordnet werden muss. In der Regel wird sie der Geschäftsleitungsbetriebsstätte des Unternehmens zuzuordnen sein. Dies gilt auch dann, wenn sich die Bauausführung unter im Übrigen gleichen Voraussetzungen im Wohnsitzstaat A vollziehen sollte. Überschreitet dagegen die Bauausführung die nach Art. 5 Abs. 3 OECDMA bzw. nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO maßgebende Frist, so erstarkt sie rückwirkend und von Anfang an zu einer eigenen Betriebsstätte mit der Folge, dass die ihr nach Abkommensrecht bzw. nach innerstaatlichem Recht zuzurechnenden Gewinne keiner anderen Betriebsstätte zugerechnet werden können.

2.74

b) Problematik der mittelbaren Betriebsstätte Eingrenzungserfordernis. Die Tatsache, dass sich auch in betriebsfremden Räumen eine Betriebsstätte begründen lässt, zeigt, dass die Betriebsstätte letztlich demjenigen zuzurechnen sein muss, für dessen Rechnung die unternehmerische Betätigung ausgeübt wird.6 Damit ist nicht etwa nur der Eigentümer oder der berechtigte Besitzer einer Betriebsvorrichtung Zurechnungssubjekt für die tatbestandliche Betriebsstätte. Insbesondere bei angestellten Personen, die Räume auf eigene Rechnung anmieten, diese dann aber nur zur (Mit-)Benutzung dem Unternehmen überlassen, stellt sich die Frage der Zurechnung der Betriebsstätte vor allem im Hinblick auf das Kriterium der „Verfügungsmacht“. Die Frage lautet daher, ob eine

1 Gassner/Hofbauer, Die Unterbetriebsstätte, 83 ff.; Piltz Personengesellschaften, 215; Kumpf, Inländische Betriebsstätten, 26; Kumpf, StbJb. 1988/89, 399 (409). 2 Vgl. Wassermeyer IStR 2004, 676 und IStR 2010, 241; a.A. Kramer IStR 2004, 672 (677) und IStR 2010, 239; Hruschka/Lüdemann, IStR 2005, 76. 3 Vgl. BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663 = FR 1988, 392; v. 10.7.2002 – I R 71/01, BStBl. II 2003, 191 = FR 2003, 236; v. 16.10.2002 – I R 17/01, BStBl. II 2003, 631 = FR 2003, 362; v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398 = FR 2008, 920. 4 Vgl. BFH v. 16.10.2002 – I R 17/01, BStBl. II 2003, 631 = FR 2003, 362. 5 Vgl. Lang in FS Wassermeyer, 709 f. (711). 6 Siehe etwa FG Baden-Württemberg v. 11.5.1992 – 3 K 309/91, EFG 1992, 653 (rkr.).

Wassermeyer 57

2.75

Kap. 2 Rz. 2.76

Begriff der Betriebsstätte

Betriebsstätte auch dann vorliegen kann, wenn ein Angestellter für das Unternehmen wirtschaftlich zugutekommende Tätigkeiten von Räumlichkeiten erbringt, über die das Unternehmen unmittelbar keine Verfügungsmacht besitzt.

2.76 BFH-Standpunkt. In einem Beschluss vom 15.7.1998 hat der BFH eine GeschäftsleitungsBetriebsstätte eines als Kapitalgesellschaft organisierten Unternehmens bereits dann angenommen, wenn der Geschäftsführer nicht nur vorübergehend von seinen Räumlichkeiten unternehmerisch tätig wird, ohne dass das Unternehmen eine eigene Verfügungsmacht an den Räumen besitzt.1 Mietet ein leitender Angestellter unter seinem eigenen Namen Räume an, die er aber dann dem Unternehmen zur Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit überlässt, und wird von dort tatsächlich die Unternehmenstätigkeit ausgeübt, so begründet dies zweifellos eine Betriebsstätte des Unternehmens.2 An letzterem Streitfall aus dem Jahr 1974 ist deutlich zu erkennen, dass es nicht darauf ankommen kann, wer zivilrechtlich als Mieter auftritt; entscheidend ist vielmehr die Nutzung der Räume zu unternehmerischen Zwecken. Der BFH, Beschl. v. 10.11.1998, der besagt, dass die von einem Pharmareferenten angemieteten Büro- und Lagerräume nicht als Betriebsstätte des Pharmaunternehmens zu werten sind, scheint dem zu widersprechen.3 Wenn die Tätigkeit des Anmietenden – so der BFH – selbständiger Natur sei und er eigenes Personal beschäftige, könne eine Betriebsstätte naturgemäß nicht dem Unternehmen zugerechnet werden, dessen Produkte er vertreibe.4 Zu bedenken ist hier allerdings, dass die Anmietung der Büro- und Lagerräume durch den (unselbständigen) Pharmareferenten vornehmlich dem Unternehmer selbst wirtschaftlich zugutekommen wird.

2.77 Praxisfolgen. Parallelen bestehen hier zur Geschäftsleitungsbetriebsstätte. Auch diese kann in einer unternehmensfremden Räumlichkeit eines Dritten betrieben werden. Gleichwohl kommt die von dort ausgeübte Tätigkeit wirtschaftlich einzig dem Unternehmer und nicht dem Angestellten zugute. In der Literatur wird bei einer derartigen Konstellation von einer sog. „mittelbaren Betriebsstätte“ gesprochen.5 Die Mittelbarkeit ergibt sich daraus, dass zivilrechtlicher Vertragspartner eines mietweise genutzten Raums nicht das Unternehmen selbst ist, sondern ein (fremder) Dritter. Dennoch nützen die Räumlichkeiten in letzter Konsequenz ausschließlich dem Unternehmen, denn die angemieteten Räume, die der Angestellte wirtschaftlich dem Unternehmer widmet, sind lediglich Substrat für dessen unternehmerische Betätigung.6 Stellt man auf den Nutzungsbevorteilten ab, so ergeben sich im Einzelfall schwierige Abgrenzungsfragen, soweit nicht offensichtlich ist, welcher Unternehmer der Nutzungsbevorteilte sein soll. Mit dem Konstrukt der „mittelbaren Betriebsstätte“ sollte daher sehr vorsichtig umgegangen werden. c) Betriebsstätte am Ort der Vermietung oder Verpachtung

2.78 Zurechnungsfrage. Ein weiterer Fragenkomplex der „Zurechnung“ einer Betriebsstätte auf den Unternehmer ergibt sich in Fällen der Vermietung und Verpachtung einer Geschäftseinrichtung. Nach ständiger Rechtsprechung verkörpert die vermietete oder verpachtete Ge-

1 2 3 4 5 6

BFH v. 15.7.1998 – I B 134/97, BFH/NV 1999, 372 (373). BFH v. 30.1.1974 – I R 87/72, BStBl. II 1974, 327. BFH v. 10.11.1998 – I B 80/97, BFH/NV 1999, 665. Siehe BFH v. 9.3.1962 – I B 156/58 S, BStBl. III 1962, 227 (228). Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 41. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 41.

58

Wassermeyer

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.80 Kap. 2

schäftseinrichtung regelmäßig keine Betriebsstätte des Vermieters oder Verpächters.1 Der BFH begründet dies damit, dass die Vermietungs- oder Verpachtungshandlung – etwa das Empfangen des Miet- oder Pachtzinses oder die Inspektion des Mietobjekts – keine betriebliche Tätigkeit darstelle. Das Empfangen des Mietzinses sei bereits vom Verwaltungssitz des Vermieters oder Verpächters zu bewältigen.2 Selbst wenn der Vermieter oder Verpächter berechtigt sei, die Einrichtung von Zeit zu Zeit zu betreten, so soll dies mangels „Verfügungsmacht“ über das Objekt nicht zu einer Betriebsstättenbegründung führen.3 Lediglich dann, wenn die Handlungen des Vermieters oder Verpächters über die reine Gebrauchsüberlassung hinausgingen, wenn also Personal regelmäßig zur Instandhaltung des Miet- oder Pachtobjekts eingesetzt werde, soll tatbestandlich eine Betriebsstätte vorliegen können. Wenn der Personaleinsatz nur hin und wieder in dem Mietobjekt erfolge, so begründe dies mangels dauerhafter Verfügungsmacht über die Miet- oder Pachteinrichtung noch keine Betriebsstätte.4 Möglichkeit der „Einflussnahme“ entscheidend. Nach Ansicht des BFH kann eine Betriebsstätte auch in der Betriebsstätte eines Dritten begründet werden, wenn der Unternehmer rechtlich befugt ist, die Einrichtung oder Anlage nach den Bedürfnissen seines Unternehmens zu nutzen oder wenn er dort eigene Arbeitnehmer beschäftigt (oder ihm überlassene, seinen Weisungen unterliegende Arbeitnehmer bzw. Subunternehmer dort tätig werden lasse).5 Feststeht mithin nach Ansicht des BFH, dass die mit der Vermietung oder Verpachtung verbundenen Verwaltungsarbeiten für die Annahme einer Betriebsstätte am Ort des Pachtobjekts nicht ausreichen. Denn Verwaltungsarbeiten sind – so der BFH – der Betriebsstätte des Verwaltungssitzes zuzuordnen, selbst wenn sich der Verpächter das Recht zum Betreten der Pachträume und zur Prüfung von Geschäftsvorfällen oder sogar eine Kontrolle des gesamten Betriebsablaufs vorbehalten hat. Ebenso wenig reicht es nach Ansicht des BFH aus, dass der Verpächter den Betriebsablauf durch Datenfernübertragung überwacht und ggf. auch steuern kann. Der Verpächter kann nach Überzeugung der Rechtsprechung allenfalls dann eine eigene Betriebsstätte unterhalten, wenn er zur Pflege und Instandhaltung der verpachteten Betriebsanlage eigenes oder beauftragtes Personal vor Ort beschäftigt oder wenn ihm die gewerbliche Tätigkeit des Pächters zuzurechnen ist.6

2.79

Auswirkungen auf Subunternehmerthematik. In einer weiteren Entscheidung hat der BFH zum Ausdruck gebracht, dass eine Betriebsstätte des Verpächters am Ort der verpachteten Einrichtung nur dann vorliegen kann, wenn ihm die an oder in der Einrichtung ausgeübten Tätigkeiten auch zugerechnet werden können. Relevant ist dies vor allem für Subunternehmerverhältnisse, da hier gleichsam das Risiko einer Betriebsstättenbegründung durch den Hauptunternehmer am Ort des Tätigwerdens des Subunternehmens gegeben sein kann.7

2.80

1 So die ständige Rechtsprechung, im Einzelnen s. BFH v. 30.8.1960 – I B 148/59 U, BStBl. III 1960, 468 (469); v. 16.8.1962 – I B 223/61 S, BStBl. III 1962, 478; v. 19.3.1981 – IV R 49/77, BStBl. II 1981, 538 = FR 1981, 468; v. 10.2.1988 – VIII R 159/84, BStBl. II 1988, 653 = FR 1988, 398. 2 Siehe auch FG München v. 24.9.1990 – 13 K 13707/85, EFG 1991, 328; vgl. insoweit auch FG Brandenburg v. 27.8.1996 – 3 K 1488/95 I, EFG 1997, 299. 3 BFH v. 10.2.1988 – VIII R 159/84, BStBl. II 1988, 653 = FR 1988, 398. 4 BFH v. 10.2.1988 – VIII R 159/84, BStBl. II 1988, 653 = FR 1988, 398; s. auch Gebbers, RIW 1985, 876 (877). 5 BFH v. 30.6.2005 – III R 76/03, BStBl. II 2006, 84 = FR 2006, 95. 6 BFH v. 6.7.1978 – IV R 24/73, BStBl. II 1979, 18 m.w.N. 7 BFH v. 13.6.2006 – I R 84/05, BStBl. II 2007, 94 = FR 2007, 140 m. Anm. Kanzler.

Wassermeyer 59

Kap. 2 Rz. 2.81

Begriff der Betriebsstätte

d) Betriebsstätte bei Personengesellschaften aa) Strukturelle Besonderheit der Personengesellschaft

2.81 Besonderheit der Betriebsstätte bei Personengesellschaften. Unterhält eine Personengesellschaft eine oder mehrere Betriebsstätten, so stellt sich die Frage, ob und ggf. wie diese Betriebsstätten den beschränkt oder unbeschränkt steuerpflichtigen Mitunternehmern der Personengesellschaft zugerechnet werden können. Bevor diese Frage beantwortet werden kann, ist die steuerrechtliche Struktur der Personengesellschaft näher zu beleuchten. Die inländische Personengesellschaft mit ihren ausländischen Gesellschaftern ist selbst kein Steuersubjekt. Die Steuerpflicht der ausländischen Gesellschafter besteht nur insoweit, als diese inländische Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 2, § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG erzielen.1 Im Regelfall setzt dies eine inländische Betriebsstätte voraus, die gewerblich tätig wird. Die bloße Beteiligung eines Steuerausländers an einer inländischen Personengesellschaft kann für diesen eigentlich noch keine Betriebsstätte und damit keinen steuerlichen Anknüpfungspunkt begründen, denn die bloße gesellschaftsrechtliche Beteiligung verkörpert als solche keine „feste Geschäftseinrichtung“.2 Strukturlogisch ist demnach zwischen einer inländischen Betriebsstätte und einer mitunternehmerischen Beteiligung an einer inländischen Personengesellschaft zu unterscheiden. Rechtsprechung und Literatur gehen davon aus, dass die Betriebsstätte der Personengesellschaft anteilig den jeweiligen Gesellschaftern zuzurechnen ist. Da die Personengesellschaft nach deutscher Rechtsauffassung weder Steuersubjekt noch abkommensberechtigt ist, kann eine unmittelbare Zurechnung der Unternehmensgewinne nur über das Vehikel der Mitunternehmerschaft als Zweckverbindung der Gesellschafter erfolgen.3 bb) Zurechnung der Betriebsstätte auf die Mitunternehmer

2.82 Vermittlung der Betriebsstätte durch die Gesellschafterstellung. Die Beteiligung des einzelnen Gesellschafters als Mitunternehmer wird hier grundsätzlich als dessen „Unternehmen“ betrachtet. Nach Ansicht des BFH ist diese Erkenntnis auch aus der Systematik des Abkommensrechts abzuleiten,4 da bereits aus dem abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriff eine gewisse Sachverbundenheit mit dem Begriff des „Unternehmens“ folge. Der Begriff „Unternehmen“ eines Vertragsstaats bedeutet hierbei, dass jenes von einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person betrieben werden muss. Daraus folgt allerdings zugleich, dass die Eigenschaft als „Unternehmer“ nicht die Ausübung einer unternehmerischen Betätigung im Vertragsstaat voraussetzt. Ein „Unternehmer“ des Vertragsstaats kann deshalb auch gegeben sein, wenn eine dort ansässige Person den Betrieb ausschließlich im anderen Vertragsstaat unterhält. Auch dann ist nach Ansicht der Rechtsprechung der Betrieb im anderen Vertragsstaat als Betriebsstätte des „Unternehmens“ der im anderen Vertragsstaat ansässigen Person zu werten.

2.83 Keine eigene Verfügungsmacht erforderlich. Die anteilige Zurechnung der Betriebsstätte auf die Mitunternehmer kann nach einhelliger Auffassung auch dann erfolgen, wenn die

1 Zur Frage der Zurechnung vgl. auch BFH v. 14.12.1999 – VIII R 49/98, BStBl. II 2000, 341 = FR 2000, 515. 2 Siehe dazu auch BFH v. 29.8.1984 – I R 154/81, BStBl. II 1985, 160 = FR 1985, 104. Im DBA-Recht s. dazu auch Art. 5 Abs. 7 OECD-MA. 3 BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; s. auch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 -S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076; Debatin, BB 1992, 1181 (1183); Tumpel in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 146 (150, 151), s. auch BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354, Tz. 2.2.3. 4 BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937.

60

Wassermeyer

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.84 Kap. 2

Mitunternehmer in der jeweiligen Betriebsstätte der Personengesellschaft nicht selbst tätig sind und über die Geschäftseinrichtung keine eigene Verfügungsmacht innehaben.1 In einer grundlegenden Entscheidung, die bereits aus dem Jahr 1978 stammt, hat der BFH hervorgehoben, dass Ertrag und Substanz eines Wirtschaftsguts einkommensteuerrechtlich nicht getrennt voneinander beurteilt werden können. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist der Ertrag eines Wirtschaftsguts als Gewinn aus dem Gewerbebetrieb zu erfassen. Daraus leitet sich zugleich der Grundsatz ab, dass im Hinblick auf eine einkommensteuerrechtliche Gleichstellung von Einzel- und Mitunternehmern Ertrag und Substanz eines Wirtschaftsguts, das als notwendiges Betriebsvermögen fungiert, eine Einheit bilden müssen.2 Die Zurechnung der von der Personengesellschaft unterhaltenen Betriebsstätte auf die jeweiligen Mitunternehmer ist jedenfalls aus abkommensrechtlicher Sicht danach im Ergebnis konsequent, denn die Gesellschafter als Mitunternehmer sind es letztlich, die das „Unternehmen“ betreiben.3 Gleiches gilt für die Fälle, in denen an einer Personengesellschaft eine weitere Personengesellschaft beteiligt ist (sog. doppelstöckige Personengesellschaft). Die Betriebsstätte der Untergesellschaft wird hier wiederum unmittelbar den Gesellschaftern der Obergesellschaft zuzurechnen sein.4 Allerdings muss auch hier keine unmittelbare Verfügungsmacht der Personenobergesellschafter an der Betriebsstätte der Untergesellschaft bestehen. Mitunternehmerstellung entscheidend für Zurechnung. Bedenken an der anteiligen Zurechnung der Betriebsstätte auf die Mitunternehmer ergeben sich in erster Linie daraus, dass zwischen den Gesellschaftern und der Betriebsstätte weder tatsächliche noch sachenrechtlich qualifizierte Verbindungen bestehen müssen. Sofern lediglich gefordert wird, dass die Personengesellschaft selbst bzw. derjenige Gesellschafter, der die Einrichtung zur Verfügung gestellt hat, Verfügungsmacht an der Einrichtung haben muss, so ist fraglich, wie die Zurechnung der Geschäftseinrichtung auf die anderen Gesellschafter als Mitunternehmer rechtlich konstruiert werden kann. Bedenken ergeben sich in erster Linie vor dem Hintergrund der Rechtsprechung. Hiernach ist das Tatbestandsmerkmal der Verfügungsmacht zentrales Kriterium der Zurechnung einer Betriebsstätte zu den entsprechenden Unternehmer.5 Es wäre rechtssystematisch inkonsequent, von diesem Grundsatz auf Ebene der Mitunternehmer abzuweichen. Fehlt nämlich die Verfügungsmacht über die Geschäftseinrichtung, so wird in der Regel angenommen, dass die Betriebsvorrichtung keine Geschäftseinrichtung des Unternehmers verkörpert. Eine Zurechnung der Betriebsstätte zu allen Mitunternehmern lässt sich nur dann rechtfertigen, wenn bereits die gesellschaftsrechtliche Beteiligung der Mitunternehmer an der Personengesellschaft das Kriterium der Verfügungsmacht über die Geschäftseinrichtung überlagert. Allerdings verkörpert die Mitunternehmerschaft nur ein Rechtsinstitut zur einkommensteuerlichen Erfassung eines Zusammenschlusses von Gewerbetreibenden.6 Die 1 BFH v. 29.1.1964 – I B 153/61 S, BStBl. III 1964, 165; v. 19.5.1987 – VIII B 104/85, BStBl. II 1988, 5 = FR 1987, 591; v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; v. 2.12.1992 – I R 165/90, BStBl. II 1993, 577. 2 BFH v. 6.7.1978 – IV R 164/74, BStBl. II 1978, 647. 3 So im Ergebnis auch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.1.5.1. 4 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 44; vgl. auch FG München v. 11.5.1998 – 1 K 3371/88, EFG 1998, 1268 (1272); ebenso BFH v. 21.7.1999 – I R 71/98, BStBl. II 2000, 336 = FR 2000, 323. 5 Siehe bereits BFH v. 10.5.1961 – IV 155/60 U, BStBl. III 1961, 317; v. 9.3.1962 – I B 156/58 S, BStBl. III 1962, 227; v. 29.4.1987 – I R 118/83, BFH/NV 1988, 122; v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922 = FR 2009, 192. 6 Dazu bereits Söffing, Besteuerung der Mitunternehmer4, 1994, 50.

Wassermeyer 61

2.84

Kap. 2 Rz. 2.85

Begriff der Betriebsstätte

Frage der Zurechnung ist also davon abhängig zu machen, was unter dem Begriff des „Unternehmers“ zu verstehen ist. Setzt man den Tatbestandsbegriff des „Unternehmers“ der „Mitunternehmerschaft“ gleich, so bedarf es keiner Verfügungsmacht eines jeden Gesellschafters, denn bereits aufgrund der Mitunternehmerschaft besteht für jeden Gesellschafter eine – zumindest – abstrakte Verfügungsmacht über die Geschäftseinrichtung, die es ihm ermöglicht, jederzeit in tatsächlicher Hinsicht auf die Betriebsvorrichtung zuzugreifen.

2.85 DBA-Recht. Auch im Rahmen des Abkommensrechts (Art. 7 OECD-MA) kann eine Zurechnung der Betriebsstätte nur zum Objekt des „Unternehmens“ erfolgen. Im Gegensatz zum Art. 14 OECD-MA a.F. wird nicht mehr gefordert, dass einer „Person“ für die Ausübung ihrer Tätigkeit eine Einrichtung zur Verfügung stehen müsse. Hieraus kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass es auch abkommensrechtlich bei einer gewerblich tätigen Personengesellschaft nicht auf die Verfügungsmacht des einzelnen Gesellschafters über die Geschäftseinrichtung ankommen kann. Als Fazit einer aktuellen Entscheidung des BFH aus 20151 zu Art. 14 DBA-USA 1989 kann entnommen werden, dass die abkommensrechtliche Zuweisung des Besteuerungsrechts personenbezogen zu verstehen sein soll. Hiernach muss der jeweilige Gesellschafter seine Tätigkeit persönlich ausüben und es muss ihm – nach BFH-Auffassung – eine „feste Einrichtung“ für die Tätigkeitsausübung zustehen; die bloße (wechselseitige) Tätigkeitszurechnung zwischen Gesellschaftern (im Streitfall einer Freiberuflersozietät) komme nicht in Betracht.2 Diese BFH-Sichtweise ist kritisch zu betrachten, denn sie macht eine Zurechnung der „festen Einrichtung“ davon abhängig, ob der Gesellschafter dort auch persönlich tätig ist. Insoweit geht der BFH davon aus, dass für Art. 14 OECD-MA a.F. andere Zurechnungsgrundsätze gelten, als für Art. 7 OECD-MA. Dies steht nach der hier vertretenen Ansicht im Widerspruch zur OECD-Auffassung, denn mit der Novellierung des OECD-MA im Jahr 2000 und der „Überführung“ des Regelungsgehalts des Art. 14 OECD-MA a.F. in Art. 7 OECD-MA sind die Regelungsinhalte beider Vorschriften einheitlich auszulegen.

2.86 Sonderbetriebsvermögen. Stellt ein Mitunternehmer der Gesellschaft allerdings eine in seinem Sonderbetriebsvermögen stehende Betriebsstätte zur Verfügung und übt er von dort aus lediglich mit dem Sonderbetriebsvermögen zusammenhängende Tätigkeiten aus, so wird eine Zurechnung dieser Betriebsstätte nur zu dem betreffenden Gesellschafter in Betracht kommen können.3 Gehören hingegen nur Teile einer Betriebsstätte zum Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters, oder hat der Gesellschafter die aus dem Sonderbetriebsvermögen bestehende Betriebsstätte der Gesellschaft insgesamt zur Nutzung übergeben, so kann eine Zurechnung zu sämtlichen Mitunternehmern nur erfolgen, wenn die Gesellschaft selbst oder die übrigen Mitunternehmer die betreffende Geschäftseinrichtung zu unternehmerischen Zwecken nutzen können.4

2.87 Fazit. Die Betriebsstätte einer Personengesellschaft ist den Gesellschaftern als Mitunternehmer zuzurechnen, ohne dass diese im Einzelfall eine konkrete Verfügungsmacht über die der Betriebsstätte zugrunde liegende Geschäftseinrichtung innehaben müssen. Abkommensrechtlich betreibt jeder Mitunternehmer – sofern die Personengesellschaft nicht als eigenständiges 1 BFH v. 25.11.2015 – I R 50/14, BFHE 253, 52 = ISR 2015, 198, mit Anm. Richter/Kater = FR 2015, 861 m. Anm. Wassermeyer. 2 BFH v. 25.11.2015 – I R 50/14, BFHE 253, 52 = ISR 2015, 198, mit Anm. Richter/Kater = FR 2015, 861 m. Anm. Wassermeyer. 3 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 44. 4 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 44; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 2000, 782 (783).

62

Wassermeyer

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.90 Kap. 2

Steuersubjekt behandelt wird – durch seine Beteiligung an der Personengesellschaft ein eigenständiges Unternehmen. Resultieren aus der Beteiligung Sondervergütungen, so gilt nach der neueren BFH-Rechtsprechung, dass diese nicht mehr automatisch als Unternehmensgewinne i.S.d. Art. 7 OECD-MA angesehen werden können, sondern lediglich dann, wenn sie der Betriebsstätte als „tatsächlich“ zugehörig zu betrachten sind. Hierbei ist der funktionale Sachzusammenhang zu der in der Betriebsstätte ausgeübten Unternehmenstätigkeit ausschlaggebend. Eine tatsächliche Zugehörigkeit wird immer dann zu bejahen sein, wenn sich die Sondervergütungen als Nebenerträge zu der in der Betriebsstätte ausgeübten Haupttätigkeit erweisen.1 Die neuere Rechtsprechung bedeutet zugleich, dass Sondervergütungen grundsätzlich losgelöst von einem Gewinnanteil des Gesellschafters einer Personengesellschaft in einem dezidiert abkommensrechtlichen Licht zu betrachten sind. Sonderfall: Zurechnung der Betriebsstätte einer KGaA gegenüber dem persönlich haftenden Gesellschafter. Der Gewinnanteil eines im Ausland ansässigen Komplementärs kann grundsätzlich nur bei Vorhandensein einer inländischen Betriebsstätte in Deutschland besteuert werden.2 Verfügt eine KGaA über einen inländischen Sitz bzw. einen inländischen Geschäftsleitungsort, ist der persönlich haftende Gesellschafter (phG) jedoch ausschließlich im Ausland ansässig, so ist fraglich, in welchem Umfang der Gewinnanteil des ausländischen phG nach § 49 EStG inländischen Einkünften zugeordnet werden kann. Sind der phG im Ausland und die KGaA im Inland ansässig, so steht Deutschland für den Gewinnanteil des Komplementärs grundsätzlich kein Besteuerungsrecht nach dem Welteinkommensprinzip zu.3 Zum Teil wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass ausländische Komplementäre mit ihren Gewinnanteilen an der inländischen KGaA Einkünfte aus Gewerbebetrieb gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erzielen würden. Die steuerliche Behandlung des Komplementärs wie ein Mitunternehmer vermittle dem Komplementär eine inländische Betriebsstätte, soweit die KGaA eine solche im Inland unterhalte.4 Ob dem tatsächlich so ist, erscheint zweifelhaft. Denn es besteht bis dato keine gesetzliche Regelung, dass die von einer KGaA realisierten Besteuerungsmerkmale (vorliegend inländische Betriebsstätte) anteilig einem ausländischen phG zugerechnet werden können.5

2.88

6. Das Dienen der Geschäftseinrichtung a) Allgemeines Verbindung zwischen Geschäftseinrichtung und Tätigkeit. Die funktionale Verbindung von Geschäftseinrichtung und Unternehmenstätigkeit bildet das eigentliche Charakteristikum der Betriebsstätte. Das Kriterium des „Dienens“ verbindet das dynamische Element der Betriebshandlung mit dem statischen Element der „festen Geschäftseinrichtung“. Die Betriebsstätte ist demzufolge mehr als ein bloßer Belegenheitsort der Geschäftseinrichtung, denn erst das Hinzutreten einer unternehmerischen Betätigung verwandelt den Ort der Belegenheit der Geschäftseinrichtung tatbestandlich in eine Betriebsstätte.

2.89

Merkmal des „Dienens“ in § 12 AO. Das „Dienen“ der Unternehmenstätigkeit i.S.d. § 12 AO kennzeichnet sich zunächst dadurch, dass die noch in § 16 StAnpG geforderte „Aus-

2.90

1 2 3 4 5

Siehe Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 987 f. Siehe auch Bielinis, DStR 2014, 769. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 31. Zehnpfennig in Müller/Rödder, BeckHdb/AG, 2009, Rz. 159. Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst& Young GmbH, DB 2014, 147.

Puls 63

Kap. 2 Rz. 2.91

Begriff der Betriebsstätte

übung des Betriebs eines stehenden Gewerbes“ nicht mehr erforderlich ist. Durch den Wegfall des „Gewerbe“-Erfordernisses können daher prinzipiell auch Unternehmen von Freiberuflern oder Land- und Forstwirten eine Betriebsstätte begründen.1 In der Literatur findet sich zuweilen der Hinweis, die Unternehmenstätigkeit nach § 12 AO sei aufgrund dessen synonym mit dem Unternehmerbegriff in § 2 Abs. 1 UStG.2 Zutreffend ist, dass der „Unternehmer“ im UStG ähnlich wie das „Unternehmen“ in § 12 Satz 1 AO eine selbständige gewerbliche oder berufliche Tätigkeit ausüben muss, die in aller Regel dann vorliegt, wenn die Tätigkeit nachhaltig ist und mit Gewinnerzielungsabsicht vorgenommen wird. Allerdings erfasst § 2 Abs. 1 UStG auch die Tätigkeit der Landwirte und Vermieter bzw. Verpächter. Ein Vermieter hat jedoch nach der Rechtsprechung keine Betriebsstätte am Ort der Vermietung, da sich in der vermieteten Einrichtung keine Unternehmenstätigkeit vollziehen soll (vgl. Rz. 2.78). Der Unternehmerbegriff des UStG ist daher weiter gefasst und muss dezidiert vor einem „verbrauchssteuer-teleologischen“ Hintergrund betrachtet werden. Er ist keinesfalls kongruent mit dem Begriff des „Unternehmens“ in § 12 Satz 1 AO.3 b) Kausalbeziehung zwischen Unternehmenstätigkeit und Geschäftseinrichtung

2.91 Organisatorische Verbindung zur Geschäftseinrichtung. In einer Entscheidung vom 28.8.1986 hat der BFH hervorgehoben, dass eine Geschäftseinrichtung als der Unternehmenstätigkeit unmittelbar „dienend“ anzusehen sei, wenn zwischen der Geschäftseinrichtung und dem Unternehmen eine organisatorische Verbindung bestehe und die ausgeübte Tätigkeit einen dauerhaften Bezug zum Unternehmen aufweise.4 Mit dieser Beschreibung skizziert die Rechtsprechung i.E. nichts anderes als das Erfordernis der Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit in der Geschäftseinrichtung. Die dienende Funktion der Geschäftseinrichtung konkretisiert sich hierbei nicht durch die Art der Tätigkeit.

2.92 Sonderfall Hilfs- und Nebentätigkeiten. Nach Überzeugung der Rechtsprechung können daher – im Gegensatz zum abkommensrechtlichen Betriebsstättenverständnis – auch Hilfsund Nebentätigkeiten der Unternehmenstätigkeit „dienen“.5 Diesem weiten Verständnis der dienenden Funktion möchte man entgegenhalten, dass sog. Hilfs- und Nebentätigkeiten in einer Geschäftseinrichtung allenfalls geringe wirtschaftliche Auswirkungen auf das Unternehmensgesamtergebnis haben. Dem Aufwand zum Betrieb einer Service-Stelle oder eines Kundeninformationszentrums wird im Regelfall nur ein geringer und praktisch schwer messbarer betriebswirtschaftlicher Ertrag gegenüberstehen. Abgesehen von der Verkomplizierung der Betriebsstättenbesteuerung durch eine Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs auf Hilfs- und Nebentätigkeiten einerseits und durch den Ausschluss der betrieblichen Sozial- und Ausbildungseinrichtungen von der Betriebsstätteneigenschaft andererseits, droht auch die Gefahr der Verwässerung des Kriteriums des „Dienens“.

1 Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 3. 2 So etwa Birk in H/H/Sp, AO/FGO (1996), § 12 AO Rz. 20; Gersch in Klein, AO, 2016, § 12 AO Rz. 5; Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Tz. 17. 3 Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 596. 4 BFH v. 28.8.1986 – V R 20/79, BStBl. II 1987, 162 f. 5 Etwa BFH v. 8.12.1971 – I R 3/69, BStBl. II 1972, 289; BVerwG v. 4.8.1993 – 11 C 36/93, BStBl. II 1994, 136 ff.; so auch Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 20; Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 22.

64

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.96 Kap. 2

c) Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit Aktive Tätigkeitsentfaltung. Die auffallend weite Sinndeutung des Kriteriums der dienenden Funktion durch die Rechtsprechung führt dazu, dass bloße Schutthalden,1 Werbetafeln2 oder Landungsbrücken3 als Betriebsstätte gelten können. In ihnen vollzieht sich allerdings keine wirkliche „unternehmerische Tätigkeit“. Sie sind nur in einem passiven Sinn dem Unternehmen dienlich. Es fehlt an der Ausübung von Personalfunktionen i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG.

2.93

Pipeline-Entscheidung des BFH. In dem viel zitierten Pipeline-Urteil4 scheint der BFH die dienende Funktion der Geschäftseinrichtung inhaltlich noch stärker zu weiten. Zunächst stellt er fest, dass eine feste Geschäftseinrichtung der Tätigkeit eines Unternehmens dient, wenn der Unternehmer diese für eine gewisse Dauer zu unternehmerischen Zwecken nutzt. Eine Nutzung zu unternehmerischen Zwecken bedeute – und hierauf kommt es an – ein unternehmensbezogenes Tätigwerden „in, an oder mit“ der Geschäftseinrichtung.5 Mit dieser „Faust-Formel“ lässt sich allerdings nahezu jede feste Einrichtung als Betriebsstätte qualifizieren, denn ein „unternehmerisches Tätigwerden“ mit einer Betriebsvorrichtung liegt immer dann vor, wenn diese Einrichtung dem wirtschaftlichen Betrieb in irgendeiner Weise „nützlich“ ist. Das Pipeline-Urteil könnte durch § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG gesetzgeberisch überholt sein.6

2.94

d) Unterschiede zum abkommensrechtlichen Verständnis/„Unmittelbares Ausüben“ der Unternehmenstätigkeit Abweichender Wortlaut in Art. 5 Abs. 1 OECD-MA. Dem Wortlaut nach verlangt Art. 5 Abs. 1 OECD-MA, dass „durch“ die feste Geschäftseinrichtung die Unternehmenstätigkeit „ausgeübt“ werden soll. Der Betriebsstättenbegriff in § 12 AO setzt hingegen voraus, dass die Geschäftseinrichtung dem Unternehmer „dienen“ muss. Kann die Nutzung der Betriebsvorrichtung damit weniger intensiv sein, um tatbestandlich von einer Betriebsstätte ausgehen zu können?7

2.95

Tätigkeitsausübung durch Menschenhand. Im Hinblick auf § 16 StAnpG, der Vorläufervorschrift des § 12 AO, der voraussetzte, dass die Geschäftseinrichtung der Ausübung des Betriebs eines stehenden Gewerbes dienen musste, hat der BFH mit zwei Entscheidungen aus dem Jahre 1977 angemerkt, dass die „Ausübung einer Tätigkeit“ durch dazugehöriges Personal erfolgen müsse, um aus einer bloßen Geschäftseinrichtung eine Betriebsstätte entstehen zu lassen.8

2.96

1 FG Düsseldorf v. 11.3.1970 – II 520-529/66 G, EFG 1970, 460. 2 BFH v. 13.5.1958 – I B 49/58 U, BStBl. III 1958, 379. 3 FG Düsseldorf v. 11.4.1978 – II 39/70 G, EFG 1978, 503; dem folgend Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 19. 4 BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12 (14); vgl. auch v. 2.4.2014 – I R 68/12, BStBl. II 2014, 875 = ISR 2014, 274 m. Anm. Krain. 5 Vgl. BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12 (14). 6 Wassermeyer, IStR 2015, 37. 7 Der BGH hat in einer steuerstrafrechtlichen Revisionsentscheidung einen Unterschied zwischen Art. 5 OECD-MA und § 12 AO darin gesehen, dass der abkommensrechtliche Begriff enger gefasst sei, da er die Ausübung einer Tätigkeit in der Geschäftseinrichtung voraussetze; s. BGH v. 24.10.1988 – 3 StR 533/87, HFR 1990, 150. 8 BFH v. 12.10.1977 – I R 226/75, BStBl. II 1978, 111; v. 10.12.1977 – I R 227/75, BStBl. II 1978, 160.

Puls 65

Kap. 2 Rz. 2.97

Begriff der Betriebsstätte

Zwar ist der BFH nach wie vor der Ansicht, dass die Geschäftseinrichtung dem Unternehmer „unmittelbar“ dienen muss. Jedoch ist spätestens seit der sog. Pipeline-Entscheidung erkennbar, dass eine aktive Entfaltung der unternehmerischen Betätigung in der Betriebsvorrichtung nicht mehr gefordert wird. Der BFH hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die Geschäftseinrichtung der Tätigkeit eines Unternehmens auch dann „dient“, wenn der Unternehmer die Einrichtung für eine gewisse Dauer zu unternehmerischen Zwecken benutzt. Dies bedeutet nach Auffassung der BFH jedoch nur, dass ein „unternehmensbezogenes Tätigwerden in, an oder mit der Geschäftseinrichtung“ zur Annahme einer Betriebsstätte erfolgen muss.1 Das „Dienen“ beinhaltet jedoch damit im Kern keine ausschließlich aktive Tätigkeitsentfaltung.2

2.97 OECD-MK. Auch nach dem OECD-MK erfordert der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff zunächst keine Entfaltung einer Tätigkeit, die sich durch einen speziellen „Produktivcharakter“ kennzeichnet und quantitative Auswirkungen auf den Unternehmensgewinn besitzen muss.3 Der OECD-MK geht davon aus, dass eine Betriebsstätte auch dann vorliegen kann, wenn die Unternehmenstätigkeit hauptsächlich aus automatisierten Vorgängen besteht. Die automatisierte Unternehmenstätigkeit setzt nach dem OECD-MK zumindest im Bereich des „E-Commerce“ auch nicht voraus, dass zumindest zeitweilig dem Unternehmen unterstelltes Personal die Betriebsvorrichtung überwacht und wartet.4 Für automatisierte Einrichtungen der „Old Economy“ scheint der OECD-MK hingegen noch die Entfaltung einer irgendwie gearteten menschlich gesteuerten Einflussnahme vorauszusetzen.5 Damit nähert sich die OECD der BFH-Interpretationsposition zu automatisierten Unternehmenstätigkeiten an, wie sie sich im Pipeline-Urteil vom 30.10.1996 manifestiert hat. Zugleich führt eine derartige Sichtweise zu einem extensiven Begriffsverständnis. Dem könnte jedoch seit 2013 § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG entgegenstehen. e) Subunternehmerbetriebsstätte

2.98 Häufiges Praxisthema. Im Rahmen produktionsaufwendiger Gütererzeugung ist es üblich, dass der Hauptunternehmer, der ein gebrauchsfertiges Produkt an den Markt bringen möchte, sich eines oder mehrerer Subunternehmer bedient. Der Vorteil besteht darin, dass der Subunternehmer regelmäßig über eine notwendige Spezialisierung verfügt und daher bestimmte Produktionsprozesse betriebswirtschaftlich effizienter als der Hauptunternehmer gestalten kann.6 Lagert der Unternehmer die betreffende Produktfertigung in den Betrieb des Subunter1 2 3 4 5

BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12 (14). Siehe dazu auch Kessler/Peter, IStR 2001, 238 (240). Art. 5 Tz. 42.6 OECD-MK. Art. 5 Tz. 42.6 OECD-MK. Siehe Art. 5 Tz. 10.5 OECD-MK: „Eine Betriebsstätte kann aber auch dann vorliegen, wenn die Tätigkeit des Unternehmens hauptsächlich durch automatisch arbeitende Maschinen geleistet wird und die Aufgabe des Personals lediglich darin besteht, die Maschinen aufzustellen, zu bedienen, zu überwachen oder instandzuhalten.“ 6 Zwar schuldet im Regelfall der Unternehmer die Erstellung eines Werks oder die Erbringung einer Dienstleistung durch seinen eigenen Betrieb, dem das Vertrauen des Bestellers gilt. Allerdings hat der Unternehmer die geschuldete Leistung personell und sachlich so zu organisieren, dass sie den Anforderungen des Bestellers genügt. Hierbei kann er u.U. Subunternehmer einschalten, die den Leistungserfolg sicherstellen sollen; dazu Peters in Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 631 ff. Rz. 44, 45. Dagegen ist die Leistungserbringung durch einen selbständigen Subunternehmer grundsätzlich nicht gestattet, vgl. insoweit § 5 Nr. 8 Abs. 1 VOB/B; s. auch Amann, Dienstleistungen im internationalen Steuerrecht, 1998, 19.

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Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.100 Kap. 2

nehmers aus, so wird am Ort der Produktion in der Regel keine Betriebsstätte des Hauptunternehmers vorliegen. Zwar erfolgt die Produktion auf wirtschaftliche Rechnung des Hauptunternehmers. Der Subunternehmer nutzt hier allerdings eine eigene Produktionsstätte, die dem Hauptunternehmer nicht zurechenbar ist.1 Auch scheint keine mittelbare Betriebsstätte vorzuliegen, denn der Subunternehmer vollzieht durch sein Tätigwerden eine eigenständige unternehmerische Betätigung. Wird allerdings ein selbständiger Subunternehmer in der Betriebsvorrichtung des Hauptunternehmers tätig, so wird sich die Frage, ob dort noch eine Betriebsstätte des Hauptunternehmers vorliegt, nur individuell beantworten lassen. Lohnveredelung. Nach Entscheidungen des FG Baden-Württemberg vom 11.5.1992 soll die an einen Lohnfertiger vermietete Betriebsanlage keine Betriebsstätte des auftraggebenden Unternehmers verkörpern, wenn der Lohnveredeler auf eigene Rechnung und Gefahr in der überlassenen Betriebsvorrichtung tätig wird und der Unternehmer keine Möglichkeit – etwa durch den Einsatz eigenen Personals – zur Überwachung des Lohnveredelers hat.2 Auch im Rahmen der Lohnveredelung übernimmt der Lohnfertiger eine Tätigkeit, die der Unternehmer eigentlich selbst ausüben könnte. Anders als der Subunternehmer, der in der Regel in ein Gesamtprojekt des Hauptunternehmers eingebunden ist, wird der Lohnfertiger allerdings im unmittelbaren und eigentlichen Tätigkeitsgebiet des Unternehmers tätig. Der Subunternehmer erbringt dagegen meist eine Zuarbeitungstätigkeit, die nicht unmittelbar das Tätigkeitsfeld des Hauptunternehmers berührt. Eine Zurechnung kann dann stattfinden, wenn der Lohnfertiger von vornherein unmittelbar auf Rechnung und Gefahr des Unternehmers tätig wird oder der Unternehmer die eigentliche Tätigkeit inhaltlich so weit bestimmt und überwacht, dass sie praktisch als von ihm selbst ausgeführt gelten kann.3 Insbesondere dann, wenn lediglich betriebsintern ein Lohnfertiger in Erscheinung tritt und ein Produkt herstellt, welches anschließend auf wirtschaftliche Gefahr des auftraggebenden Unternehmers vertrieben wird, kommt eine Betriebsstättenzurechnung lediglich auf den Unternehmer – nicht jedoch auf den Lohnfertiger – in Betracht,4 denn hier liegt eine feste Geschäftseinrichtung vor, die ausschließlich der Tätigkeit des auftraggebenden Unternehmers dient. Einen Schritt weiter ist das Hessische FG in seiner Entscheidung vom 22.4.1997 gegangen.5 Nach Überzeugung des FG ist bei Einschaltung eines selbständigen Subunternehmers nur dann eine Betriebsstätte des Hauptunternehmers anzunehmen, wenn der Hauptunternehmer über die vom Subunternehmer genutzte Geschäftseinrichtung Verfügungsmacht besitzt und gleichzeitig eine laufende Beaufsichtigung und Überwachung der Betätigung des Subunternehmers am Ort der Belegenheit der Geschäftseinrichtung durch den Hauptunternehmer erfolgt.

2.99

BFH vom 23.2.2011 – I R 52/10. In die gleiche Richtung geht auch die neuere BFH-Rechtsprechung. So hat der BFH in einer Entscheidung vom 23.2.2011 unterstrichen, dass eine Betriebsstätte des Subunternehmers nicht zugleich als Betriebsstätte des Hauptunterneh-

2.100

1 Hier bestimmt sich die Frage nach dem Vorliegen einer Betriebsstätte nach den allgemeinen Grundsätzen, insbesondere nach dem Vorliegen einer entsprechenden „Verfügungsmacht“ über die Betriebsvorrichtung; s. Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 22. 2 FG Baden-Württemberg v. 11.5.1992 – 3 K 309/91, EFG 1992, 653; v. 7.11.1996 – 3 K 54/93, juris = IStR 1997, 240. 3 Siehe Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 42c. 4 Ist bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt eine Lohnfertigung für ein inländisches Stammhaus gegeben, so sollen der ausländischen Betriebsstätte nur diejenigen Gewinne zustehen, die der fremde Lohnfertiger in dem betreffenden DBA-Staat erzielt hätte; s. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 3.1.3. 5 FG Hessen v. 22.4.1997 – 6 K 3417/94, EFG 1997, 1063 (1064) (bestätigt durch BFH v. 10.12.1998 – V R 49/97, BFH/NV 1999, 839).

Puls 67

Kap. 2 Rz. 2.101

Begriff der Betriebsstätte

mens anzusehen ist.1 Lediglich dann, wenn der Hauptunternehmer die Tätigkeit des Subunternehmers im Rahmen dessen Geschäftseinrichtung fortlaufend überwacht, kann Raum für Annahme einer Betriebsstätte gegeben sein. Gleiches gilt nach Ansicht des BFH, wenn leitende Personen des Hauptunternehmers zugleich die Leitung des Subunternehmers obliegt und die genannte Überwachung gleichsam durch eine Identität der Leitungsorgane ersetzt wird. Damit bleibt der BFH seiner bereits in der Entscheidung vom 13.6.2006 vertretene Linie treu.2 Dort hatte er ausgeführt, dass auch die Tätigkeit eines Subunternehmers nicht stets an diesem Ort eine Betriebsstätte des Hauptunternehmers begründe. Vielmehr kann eine Betriebsstätte nur dann angenommen werden, wenn der Hauptunternehmer an dem betreffenden Ort eigene betriebliche Handlungen vornimmt. Diese können – so der BFH – auch in der Überwachung des Subunternehmers bestehen, allerdings nur dann, wenn sie eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen. Die Frage nach der Zurechnung der Betriebsstätte des Subunternehmers auf den Hauptunternehmer ist vor diesem Hintergrund eng mit der Fragestellung nach einer entsprechenden Verfügungsmacht des Hauptunternehmers über die Einrichtung des Subunternehmers verbunden.

2.101 FG Köln vom 18.9.2014 – 4 K 1753/11. Weiteren Aufschluss vermittelt desgleichen eine jüngere finanzgerichtliche Entscheidung. Die bloße Berechtigung zur Nutzung eines fremden Raums im Interesse eines anderen sowie eine rein tatsächliche Nutzungsmöglichkeit durch von einem – nicht unmittelbar als Vertragspartner des Auftraggebers agierenden – Subunternehmer zur Verfügung gestelltes Personal sind nicht betriebsstättenrelevant, und zwar auch dann, wenn die Tätigkeit zeitlich wiederholt oder sogar dauerhaft erbracht wird. Neben der zeitlichen Komponente müssen zusätzliche Umstände auf eine örtliche Verfestigung der Tätigkeit schließen lassen, in der sich eine gewisse Verwurzelung des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ausdrückt. Für die Annahme einer festen Geschäftseinrichtung ist nach Ansicht des FG Köln nicht erforderlich, dass sie von dem Steuerpflichtigen dauernd benutzt wird. Sie muss jedoch – auch während seiner Abwesenheit – dazu bestimmt sein, der jeweiligen Berufstätigkeit zu dienen. Das ist nicht der Fall, wenn die Geschäftseinrichtung während der Abwesenheit des Steuerpflichtigen der gewerblichen oder freien Tätigkeit eines anderen Unternehmers zuzuordnen ist.3

2.102 Einflussmöglichkeit des Hauptunternehmers entscheidend. Die Eigenschaft als Betriebsstätte resultiert danach nicht mehr aus dem Zurechenbarkeitskriterium der Weisungsgebundenheit oder der organisatorischen Einflussnahme des Hauptunternehmers, sondern ausschließlich aufgrund des eigenen unternehmerischen Tätigwerdens in Gestalt der Produktionsüberwachung. Interessant daran ist vor allem die Frage, ab welchem Intensitätsgrad eine (aktive) Überwachungstätigkeit des Hauptunternehmers als quasi eigenständige unternehmerische Tätigkeit in der Regel vorliegen kann. Die bloß abstrakte Kontrollmöglichkeit über die Geschäftseinrichtung ohne tatsächliche Durchführung wird kaum ausreichen, um von einer unternehmerischen Betätigung des Hauptunternehmers in der überlassenen Geschäftseinrichtung auszugehen. Die Betriebsstätteneigenschaft wird regelmäßig dann zu bejahen sein, wenn die Durchführung der Überwachung oder der Erteilung von Arbeitsanweisungen an den Subunternehmer von einer Geschäftseinrichtung des Hauptunternehmers ausgeht.4 Ausschließlich in diesem Fall liegt zweifelsfrei ein unternehmerisches Tätigwerden in der Geschäftseinrichtung durch den Hauptunternehmer vor, die eine eigenständige Be1 2 3 4

BFH v. 23.2.2011 – I R 52/10, BFH/NV 2011, 1354. BFH v. 13.6.2006 – I R 84/05, BStBl. II 2007, 94 = FR 2007, 140 m. Anm. Kanzler. FG Köln v. 18.9.2014 – 4 K 1753/11, EFG 2014, 2115. Vgl. auch Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 20.

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.104 Kap. 2

triebsstättenbegründung rechtfertigen kann. Die Überwachungstätigkeit muss daher ein bestimmtes Maß an unternehmerischer Intensität einnehmen (z.B. Überwachungsaktivitäten an Ort und Stelle durch eigenes Personal des Generalunternehmers), um als Betriebshandlung eingestuft werden zu können. Allein die abstrakte Kontrollmöglichkeit über den Subunternehmer verkörpert demgegenüber noch keine aktive Tätigkeitsentfaltung des Hauptunternehmers. Hier ergeben sich Parallelen zur Überwachung von Bau- und Montageausführungen, die durch Subunternehmer erbracht werden.1 Aktuelle Entwicklungen auf OECD-Ebene. Im Rahmen der Diskussion zur Neufassung des OECD-MK wird in Tz. 47 ff. Art. 5 des OECD-Diskussionspapiers vom 19.10.2012 die Ansicht vertreten, dass eine Zurechnung der Geschäftseinrichtung des Subunternehmers auf den Hauptunternehmer nur dann in Betracht kommt, wenn Personal des Hauptunternehmers in der Einrichtung des Subunternehmers tätig wird. Wird kein eigenes Personal des Hauptunternehmers eingesetzt, so kommt eine Zurechnung nur infrage, wenn die Einrichtung des Subunternehmers dem Hauptunternehmer zugerechnet werden kann, z.B. durch eine eigene Nutzungsberechtigung des Hauptunternehmers. Hierzu soll in Art. 5 Tz. 19 OECD-MK ein illustratives Beispiel zur Tätigkeitszurechnung auf den Hauptunternehmer eingefügt werden. Maßgeblich soll hierbei sein, ob der Hauptunternehmer eine (rechtlich abgesicherte) Nutzungsbefugnis hat, den Zugang zu der Einrichtung kontrollieren kann und generelle Verantwortung für die dort erfolgenden Tätigkeiten innehat („overall responsibility for what happens at that location“).

2.103

7. Ausschluss von Hilfs- und Vorbereitungstätigkeiten im DBA-rechtlichen Betriebsstättenbegriff a) Negativkatalog nach Art. 5 Abs. 4 OECD-MA Allgemeines. Im Gegensatz zu § 12 AO beinhaltet der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff einen sog. Negativkatalog. Die in diesem Katalog aufgelisteten Geschäftseinrichtungen sind eo ipso keine Betriebsstätten.2 Danach gelten ungeachtet des Art. 5 Abs. 1 bis 3 OECDMA Lager-, Ausstellungs- oder Auslieferungseinrichtungen des Unternehmers sowie Einkaufs- und Informationsbeschaffungsstellen ebenso wenig als Betriebsstätten wie Geschäftseinrichtungen, in denen die vorgenannten Tätigkeiten lediglich kombiniert werden und die in der Gesamtbetrachtung nicht über das Maß einer Vorbereitungs- oder Hilfstätigkeit hinausgehen.3 Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA macht eine detaillierte Negativkatalogisierung eigentlich überflüssig, wenn feste Geschäftseinrichtungen, in denen lediglich vorbereitende oder helfende Arbeiten ausgeführt werden, grundsätzlich keine Betriebsstätten verkörpern.4 1 Siehe dazu Rz. 2.155. 2 Art. 5 Tz. 21 ff. OECD-MK. Diese Sachverhalte können nach Ansicht der OECD auch dann niemals Betriebsstätte im tatbestandlichen Sinn des Abs. 1 sein, wenn die Tätigkeit durch eine feste Geschäftseinrichtung ausgeübt wird. 3 Für den Fall der sog. Geschäftsverdichtung stellt Abs. 4 Buchst. f auf eine Gesamtbetrachtungsweise ab, s. dazu Art. 5 Tz. 27 OECD-MK. 4 Siehe Art. 5 Tz. 23 Satz 2 OECD-MK. Im Einzelfall kann die Frage nach dem (nur) helfenden oder vorbereitenden Charakter einer Tätigkeit allerdings problematisch sein. Grundsätzlich stehen sich hier zwei Meinungspole gegenüber: Nach der sog. quantitativen Betrachtungsweise (Storck, Ausländische Betriebsstätten, 1980, 148 [149] sowie Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 310 f.) soll auf den Umfang der Tätigkeiten abgestellt werden. Hingegen macht die sog. funktionale Theorie die Hilfs- bzw. Vorbereitungseigenschaft einer Tätigkeit von ihrer Qualität abhängig. Nach Art. 5 Tz. 21, 24 OECD-MK wird in der funktionalen Theorie auf die „Art“ der Tätigkeit abgestellt.

Puls 69

2.104

Kap. 2 Rz. 2.105

Begriff der Betriebsstätte

Gleichwohl schärft der Negativkatalog das Begriffsprofil der abkommensrechtlichen Betriebsstätte, indem er durch die Katalogisierung eine nuancierte Abgrenzung zwischen „auxiliary activities“ und „major activities“ in der Geschäftseinrichtung ermöglicht.

2.105 Hintergrund des Negativkatalogs. Nach der abkommensrechtlichen Vorstellung können Hilfs- und Vorbereitungstätigkeiten in der Regel nicht unmittelbar gewinnbringend sein.1 Dies erscheint plausibel. Für den Bereich der Erteilung von Produktinformationen, der Durchführung von Marketingkampagnen oder Forschungsprojekten – die zunächst regelmäßig nur verlustverursachend sind – wird sich auch praktisch nicht ermitteln lassen, ob und inwieweit diese Tätigkeiten das spätere Unternehmensergebnis positiv beeinflussen. Da bereits die Ermittlung der wirtschaftlichen Auswirkungen dieser sog. auxiliary oder preparatory activities in Bezug auf das Unternehmensergebnis unverhältnismäßig schwierig ist, kann auch eine eindeutige Gewinnzurechnung auf die Hilfsbetriebsstätte nicht präzise erfolgen.

2.106 Andere Sichtweise im innerstaatlichen Recht. Für das innerstaatliche Recht wird demgegenüber davon ausgegangen, dass auch bloße Hilfs- und Nebentätigkeiten zur Begründung einer Betriebsstätte ausreichen können, m.a.W. der Unternehmenstätigkeit „dienlich“ sind. Nach der BFH-Rechtsprechung ist jede auch unwesentliche zum Unternehmenserfolg beitragende Tätigkeit grundsätzlich betriebstättenrelevant.2 Dennoch sollen etwa Einrichtungen eines Betriebs, die der Sozialfürsorge oder der Erholung der Arbeitnehmer dienen, nicht als Betriebsstätten gelten.3 Am deutlichsten wird die Abgrenzung zwischen Haupt- und Hilfsbetriebsstätten am Beispiel der Warenlager und Warenbestände.

2.107 Ausschlusswirkungen von Art. 5 Abs. 4 OECD-MA. Gegenstand kontroverser Diskussionen auf OECD-Ebene war die Frage, ob die in Art. 5 Abs. 4 Buchst. a bis d OECD-MA enthaltenen Ausschlusstatbestände per se als nicht betriebsstättenbegründend anzusehen sind. Einige OECD-Mitgliedstaaten hatten die Ansicht vertreten, bei jedem Tatbestand sei der Hilfs- oder Unterstützungscharakter gesondert zu prüfen. Vor diesem Hintergrund ist eine Klarstellung der Position angestrebt worden, dass die in Art. 5 Abs. 4 Buchst. b bis d OECDMA enthaltenen Ausschlusstatbestände per se als nicht betriebstättenbegründend betrachtet werden können.4

2.108 Neuerungen durch BEPS-Aktionspunkt 7. Im Rahmen des BEPS-Aktionspunkts 7 ist von der OECD-WP 6 vorgeschlagen worden, den Katalog der Hilfs- und Unterstützungstätigkeiten gewissermaßen „nachzuschärfen“.5 Gegenstand der auf Basis des Aktionspunkts 7 geführten Diskussion war insbesondere die Fragestellung, ob einzelne Tatbestände des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA keinen helfenden bzw. unterstützenden Charakter aufweisen und demzufolge aus dem Katalog zu entfernen sind. Auf Basis des sog. Final Reports zu Aktionspunkt 7 sollen sämtliche, in Abs. 4 enthaltenen Tatbestände nur dann als nicht betriebsstättenbegründend betrachtet werden, wenn die in einer festen Geschäftseinrichtung ausgeübten Tätigkeiten ihrem Gesamtcharakter nach als vorbereitend oder unterstützend qualifiziert werden. 1 Art. 5 Tz. 23.5 OECD-MK für Tätigkeiten vorbereitender Art; vgl. Ditz, die Hilfsbetriebsstätte und die Atomisierung der Unternehmenstätigkeit in Festgabe Wassermeyer, 153, Rz. 1 ff. 2 So etwa BFH v. 8.12.1971 – I R 3/69, BStBl. II 1972, 289 (290); dem folgend Kruse in T/K, AO/ FGO, § 12 AO Rz. 19; Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 22. 3 Siehe etwa BFH v. 29.11.1960 – I B 222/59, BStBl. III 1961, 52. 4 OECD-Diskussionspapier v. 19.10.2012 zur Revision des OECD-MK zu Art. 5 OECD-MA, Tz. 70 ff., 75. 5 OECD 2015 Final Report, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7.

70

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.112 Kap. 2

b) Hilfs- oder Unterstützungstätigkeiten aa) Einrichtungen zur Lagerung, Ausstellung oder Auslieferung von Gütern oder Waren/Bestände von derartigen Gütern oder Waren (Buchst. a und b) Warenlager. Nach § 12 Satz 2 Nr. 5 AO werden Warenlager grundsätzlich als Betriebsstätte angesehen, während nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. a und b OECD-MA Bestände von Gütern und Waren des Unternehmens, die ausschließlich zur Lagerung, Ausstellung, Auslieferung oder zu dem Zweck der Weiterverarbeitung durch ein anderes Unternehmen unterhalten werden, nicht betriebsstättenrelevant sind. Bei Warenlagern und Warenbeständen handelt es sich nach dem abkommensrechtlichen Verständnis um Einrichtungen, in denen keine unmittelbar gewinnbringenden Betriebshandlungen vorgenommen werden. Dies ist auch vor dem Hintergrund des Betriebsstättengrundtatbestands einleuchtend, denn in einem Warenlager als bloßer Aufbewahrungsort muss sich nicht notwendigerweise eine über das Aufbewahren der Güter hinausgehende „unternehmerische Tätigkeit“ vollziehen. Erkennbar ist auch, dass der Einfluss des funktionalen Tatbestandselements in Abhängigkeit zum jeweiligen Wortlaut („Ausüben“ oder „Dienen“) in diesem Punkt unterschiedliche Anforderungen an die Intensität der Unternehmenstätigkeit stellt. Vertieft man diesen Gedanken, dann kann zwischen dem abkommensrechtlichen Begriff des „Ausübens“ und dem Negativkatalog des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA grundsätzlich eine funktionale Verbindung hergestellt werden, die Folgewirkungen auf die betriebsstättenrechtliche Beurteilung unterschiedlicher unternehmerischer Betätigungsformen besitzt.

2.109

Lagerstätten. Aus einer etwas anderen Perspektive ist die Betriebsstättenfrage bei Schutt-, Mineralien- oder Rohstoffhalden zu betrachten. Hier handelt es sich im Grunde genommen um Bestände von Gütern des Unternehmens, die ausschließlich zur Lagerung oder Auslieferung unterhalten werden. Derartige Güterbestände sind nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. b OECDMA nicht betriebsstättenbegründend, obwohl ihnen im innerstaatlichen Recht von der Rechtsprechung die Eigenschaft als Betriebsstätte zugesprochen wird.1

2.110

OECD-Entwicklung. Bereits seit der OECD-Diskussion über das in die OECD-RL eingefügte Kapitel 9 zu Business Restructurings stand die Frage im Raum, ob der Ausschlusstatbestand des Art. 5 Abs. 4 Buchst. a OECD-MA auch dann beansprucht werden kann, wenn die Einrichtung neben der reinen Auslieferungsfunktion auch in den Verkauf von Waren involviert ist. Nach Ansicht der OECD-WP 6 sollen Warenlager, in denen eine Vielzahl von Mitarbeitern tätig sind, die den Versand von Waren, die bspw. online gekauft worden sind, organisieren und abfertigen, betriebsstättenrelevant sein; die dort ausgeübten Tätigkeiten sind nach OECD-Ansicht ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmensgesamtaktivität und nicht durch einen bloß vorbereitenden oder unterstützenden Charakter gekennzeichnet.2

2.111

bb) Bestände von Gütern oder Waren zwecks Be- oder Verarbeitung (Buchst. c) Keine Betriebsstätte. Auch Bestände von Gütern oder Waren zur Be- bzw. Verarbeitung verkörpern abkommensrechtlich keine Betriebsstätte. Unter dem Begriff der Bearbeitung sind alle Tätigkeiten, die der Veränderung der Beschaffenheit einer Sache dienen, zu verste1 Nach BFH v. 17.3.1982 – I R 189/79, BStBl. II 1982, 624 = FR 1982, 548 verkörpern Lagerräume generell Betriebsstätten; nach FG Düsseldorf v. 11.3.1970 – II 520-529/66 G, EFG 1970, 460 sind auch Schutthalden als Betriebsstätten zu werten. 2 OECD 2015 Final Report, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, 31 (zu Art. 5 Tz. 22 OECD-MK-E).

Puls 71

2.112

Kap. 2 Rz. 2.113

Begriff der Betriebsstätte

hen. Die Verarbeitung zielt auf die Umgestaltung einer Sache (Roh- oder Zwischenerzeugnisse) zu einer neuen Sache ab. Da Art. 5 Abs. 4 Buchst. b und c OECD-MA nur Güteroder Warenbestände, welche bei anderen Unternehmen eingelagert sind, betreffen, ist hier bereits keine eigene Geschäftseinrichtung des Unternehmens gegeben.1 cc) Einrichtungen zum Einkauf von Gütern oder Waren oder zur Informationsbeschaffung (Buchst. d)

2.113 Beschaffung von Waren oder Gütern. Als tatbestandlicher „Einkauf“ wird das Abschließen schuldrechtlicher Verträge im Hinblick auf den Erwerb von Gütern und Waren angesehen.2 Nicht erfasst ist hingegen die Weiterverarbeitung oder der Verkauf dieser Waren und Güter; unabhängig davon, ob dies konzernintern oder -extern erfolgt.3 Während lange Zeit die in Art. 5 Abs. 4 Buchst. d OECD-MA genannten Einkaufstätigkeiten als generell „unterstützend“ betrachtet worden sind, und zwar auch dann, wenn sie die Haupttätigkeit innerhalb der festen Geschäftseinrichtung verkörperten, vertritt die OECD im Rahmen ihrer Ausführungen zum Aktionspunkt 7 nunmehr eine abweichende Auffassung.4 Hintergrund der Literaturauffassung war die Annahme, dass bloßen Einkaufstätigkeiten ehedem kein Gewinn zugeordnet werden könne (s. Art. 7 Abs. 5 OECD-MA i.d.F. 2008). Nach jetziger Ansicht der OECD ist eine Einkaufstätigkeit jedenfalls dann nicht mehr als unterstützend zu betrachten, wenn die Unternehmensgesamttätigkeit darin besteht, die eingekauften Waren und Güter wiederzuverkaufen und dies die Haupttätigkeit der Einrichtung ist.5 Dies gilt ohnehin auch schon bisher, wenn und soweit die Einkaufstätigkeit für ein „anderes Unternehmen“ ausgeführt wird.

2.114 Informationsbeschaffung. Informationsbeschaffungstätigkeiten können sich auf unterschiedliche Arten von Informationen beziehen. Reine Marktsondierungstätigkeiten und das Sammeln bzw. Zusammentragen von marktrelevanten Informationen sind i.d.R. als unterstützend zu betrachten. Die OECD stellt in ihrer Bewertung derartiger Tätigkeiten wiederum darauf ab, ob in der Gesamtschau die Tätigkeit noch als vorbereitend bzw. unterstützend zu werten ist.6 Die Auswertung oder Weiterverarbeitung von Informationen ist hingegen nicht als „unterstützend“ zu betrachten.7 dd) Geschäftseinrichtungen für Vorbereitungs- oder Hilfstätigkeiten (Buchst. e)

2.115 Auffangtatbestand. Nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA sollen sämtliche Tätigkeiten, die unterstützender oder vorbereitender Natur sind – unabhängig von ihrem konkreten Tätigkeitsinhalt – nicht betriebsstättenbegründend wirken können. Vorbereitende Tätigkeiten sind dabei solche, die zunächst zeitlich der Haupttätigkeit vorgelagert

1 Siehe auch OECD 2015 Final Report, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, 32 (zu Art. 5 Tz. 22.3 OECD-MK-E). 2 Siehe Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 172. 3 Vgl. Ditz, Die Hilfsbetriebsstätte und die Atomisierung der Unternehmenstätigkeit, in Festgabe Wassermeyer, 153, Rz. 8. 4 So etwas Lang in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 77 (91). 5 OECD 2015 Final Report, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, 33 (zu Art. 5 Tz. 22.5 OECD-MK-E). 6 OECD 2015 Final Report, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, 33 (zu Art. 5 Tz. 22.6 OECD-MK-E). 7 Siehe BFH v. 23.1.1985 – I R 292/81, BStBl. II 1985, 417 = FR 1985, 389.

72

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.118 Kap. 2

sind.1 Hilfstätigkeiten liegen vor, wenn diese die Haupttätigkeit begleiten oder dieser zeitlich nachgeordnet sind. Beiden Tätigkeiten ist gemein, dass sie sich von der Haupttätigkeit unterscheiden.2 Entscheidend für die Qualifikation einer Tätigkeit als Vorbereitung bzw. Unterstützung einer Haupttätigkeit ist damit ihr Tätigkeitsgegenstand, der nicht kongruent mit der Haupttätigkeit sein darf. OECD-Entwicklung. Nach neuester Auffassung der OECD soll der im Wortlaut des Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA bislang am Ende stehende Zusatz „of preparatory or auxiliary character“ gelöscht werden, da das Vorhandensein eines vorbereitenden bzw. unterstützenden Tätigkeitscharakters als wesensnotwendige „Vorbedingung“ in den gesamten Abs. 4 hineingelesen werden soll. Demgemäß soll der Zusatz „provided that such activity […] is of preparatoy or auxiliary character“ künftig an das Ende des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA gestellt werden. Die Voraussetzung, dass die Tätigkeiten nur vorbereitenden oder unterstützenden Charakter haben, wird damit gewissermaßen „vor die Klammer gezogen“.3 Die OECD möchte die in Art. 5 Abs. 4 Buchst. a bis d OECD-MA genannten Tätigkeiten demzufolge auch nur als beispielhafte Nennungen für Tätigkeiten mit vorbereitendem oder unterstützendem Charakter begreifen. Demzufolge soll sich Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA auf sämtliche Hilfsoder Vorbereitungstätigkeiten beziehen können, die nicht explizit in den Buchst. a bis d genannt worden sind.4

2.116

Konsequenzen. Entscheidend für die Anerkennung der Tätigkeiten als „Tätigkeiten mit vorbereitendem oder unterstützendem Charakter“ ist, dass diese Tätigkeiten nicht ggü. einem fremden Dritten erbracht werden; sie müssen daher einen funktionalen Bezug zur Haupttätigkeit des Stammhauses oder der Betriebsstätte selbst aufweisen; dies folgt aus dem bisherigen OECD-MK. Die Beurteilung, ob eine derartige Tätigkeit vorliegt, ist nach Ansicht der OECD primär nach qualitativen Gesichtspunkten zu beantworten.5 Abzulehnen ist eine quantitative Sichtweise, wonach bestimmte Tätigkeitsanteile zueinander in Relation gesetzt werden.6 Entscheidend ist zum einen der Charakter der Haupttätigkeit, zum anderen die Bedeutung des Vorbereitungs- oder Unterstützungscharakters. In diesem Zusammenhang ist eine einzelfallbezogene Sichtweise erforderlich. Ferner ist zu analysieren, wie tief die betreffende Tätigkeit in die Unternehmenswertschöpfung „eingreift“.7 Je weiter die Tätigkeit, die als vorbereitend oder unterstützend angesehen werden soll, von einer gewinnerzeugenden Funktion („actual realisation of profits“) entfernt ist, desto naheliegender ist die Annahme eines entsprechenden Vorbereitungs- oder Unterstützungscharakters.

2.117

ee) Einrichtungen für gemischte Tätigkeiten (Buchst. f)/Anti-Fragmentation Rule Tätigkeitsverknüpfungen. Die „Kombination“ von Tätigkeiten nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. a bis e OECD-MA soll desgleichen nicht zu einer Verneinung des Vorliegens von Vorberei1 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.2.1.1. 2 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.2.1.1. 3 OECD 2015 Final Report, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, 29 (Vorschlag zum künftigen Wortlaut des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA). 4 OECD 2015 Final Report, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, 34 (zu Art. 5 Tz. 23 ff. OECD-MK-E). 5 OECD 2015 Final Report, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, 30 (zu Art. 5 Tz. 21.1 OECD-MK-E). 6 Siehe auch Günkel in G/K/G, DBA, Art. 5 OECD-MA Rz. 180. 7 OECD 2015 Final Report, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, 29 (zu Art. 5 Tz. 21 OECD-MK-E).

Puls 73

2.118

Kap. 2 Rz. 2.119

Begriff der Betriebsstätte

tungs- oder Unterstützungstätigkeiten führen können. Grundlegende Voraussetzung hierzu ist allerdings, dass durch die o.g. „Kombination“ der Tätigkeiten keine Haupttätigkeit erwächst.1 Im Rahmen der Prüfung dieser Fragestellung spricht sich die OECD für einen eher großzügigen Interpretationsansatz aus („not be viewed on rigid lines“); gleichwohl sollen die Umstände des Einzelfalls entscheidend sein.2

2.119 OECD-Entwicklung. Neu eingefügt ist im Rahmen der BEPS-Diskussion zu Aktionspunkt 7 eine sog. „Anti-Fragmentation-Rule“. Demgemäß sollen die in Art. 5 Abs. 4 OECD-MA genannten Tatbestände der „Hilfsbetriebsstätte“ dann nicht einschlägig sein, wenn das Unternehmen (oder eine mit ihm verbundene Partei) Unternehmenstätigkeiten an einem Ort im Tätigkeitsstaat ausübt und dort über eine Betriebsstätte verfügt und (a) daneben noch an demselben oder einem anderen Ort Vorbereitungs- bzw. Unterstützungstätigkeiten ausführt oder (b) die Gesamttätigkeit, die aus der Kombination der Tätigkeiten der beiden (verbundenen) Unternehmen resultiert, keinen Vorbereitungs- oder Unterstützungscharakter mehr aufweist. Durch diese Ausnahmeregelungen soll verhindert werden, dass eine künstliche Aufsplittung von Tätigkeiten in einzelne Vorbereitungs- oder Unterstützungsaktivitäten erreicht werden kann, wenn die Tätigkeiten funktional als zusammenhängend betrachtet werden müssen.3

IV. Katalogisierung bestimmter Betriebsstättenformen 1. Vorbemerkungen

2.120 Begriffsstruktur. § 12 Satz 2 AO beinhaltet ebenso wie Art. 5 Abs. 2 OECD-MA eine Aufzählung bestimmter Betriebsstättenformen.4 Umstritten ist, ob die katalogisierten Betriebsstättenformen nur als beispielhafte Konkretisierung des Grundtatbestands oder als Tatbestandserweiterung gelten. Sind die genannten Erscheinungsformen lediglich Konkretisierungen des § 12 Satz 1 AO bzw. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA, kann eine tatbestandliche Betriebsstätte nur bei Erfüllung sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen des jeweiligen Satz 1 vorliegen. Der BFH befürwortet im Hinblick auf die innerstaatliche Vorschrift des § 12 AO die gegenteilige Betrachtungsweise: Der Betriebsstättenbegriff des § 12 AO erfordere nur in seinem Grundtatbestand eine der Unternehmenstätigkeit dienende feste Geschäftseinrichtung. Entsprechend sei § 12 Satz 2 AO als Definitionserweiterung zu betrachten, die spiegelbildlich keine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage voraussetze.5

2.121 Kritik. Ähnlich wie im Rahmen des OECD-MK6 sollte die in § 12 Satz 2 Nr. 1 bis 7 Halbs. 1 AO enthaltene Aufzählung lediglich Beispielcharakter besitzen. Die Frage nach dem tatbestandlichen Vorliegen einer Betriebsstätte (mit Ausnahme von Bau- und Montageausführungen) ist ausschließlich anhand von § 12 Satz 1 AO zu beantworten. Zwar werden sich die in § 12 Satz 2 Nr. 1 bis 7 Halbs. 1 AO genannten Sachverhalte in aller Regel unter die 1 Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 97; s. auch OECD 2015 Final Report, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, 36 (zu Art. 5 Tz. 27 OECD-MK-E). 2 OECD 2015 Final Report, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, 36 (zu Art. 5 Tz. 27 OECD-MK-E). 3 OECD 2015 Final Report, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, 39, 40 (zu Art. 5 Tz. 27.1 und 30.2 f.OECD-MK-E). 4 Zur Frage der begrifflichen Formalstruktur des Betriebsstättenbegriffs vgl. Rz. 2.15 ff. 5 Siehe BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148 (149) = FR 1994, 58 m. Anm. Kempermann. 6 Siehe Art. 5 Tz. 12 OECD-MK.

74

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.124 Kap. 2

„Grundregel“ des Satz 1 subsumieren lassen. Gleichwohl ist erforderlich, dass sich die Unternehmenstätigkeit nicht nur auf eine beliebige „feste Einrichtung“ als infrastruktureller Marker der Unternehmensbetätigung bezieht. Erforderlich ist, dass dieser Marker einem dezidiert betrieblichen Zweck gewidmet ist (Problemfall Privatwohnung als „Geschäftsleitungsbetriebsstätte“, s. folgend Rz. 2.124). 2. Geschäftsleitungsbetriebsstätte Grundsatz. Begreift man § 12 Satz 2 AO mit der diesbezüglichen Rechtsprechung als Erweiterung des Betriebsstättengrundtatbestands, dann ist der Ort der Geschäftsleitung per definitionem Betriebsstätte. Nach § 10 AO ist die Geschäftsleitung als Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung eines Unternehmens anzusehen.1 Sie ist von dem bloßen Sitz des Unternehmens zu unterscheiden; der Sitz eines Unternehmens kann allein noch keine Betriebsstätte begründen. Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung ist in der Regel dort anzutreffen, wo diejenigen Unternehmensentscheidungen getroffen werden, die in ihren wirtschaftlichen wie auch organisatorischen Ausmaßen für das Unternehmen am weitreichendsten sind.2 Darunter dürfen nicht nur unternehmensstrategische Entscheidungen zu subsumieren sein, die ausschließlich bei besonderer Sachnotwendigkeit erforderlich werden, denn auch das sog. unternehmerische Tagesgeschäft erfordert Geschäftsführungsmaßnahmen.3

2.122

Leitungstätigkeit. Elementar ist, dass unternehmensrelevante Entscheidungen als Entscheidungen von geschäftsleitender Bedeutung einzustufen sind, denn ansonsten wäre jeder Ort, von dem aus irgendwie geartete Leitungsaufgaben vorgenommen werden, zugleich Betriebsstätte des Unternehmens.4 In diesem Zusammenhang kommt es nicht auf den Umfang, sondern lediglich auf die „Qualität“ der Entscheidungen als Führungsmaßnahme an (Stichwort „Letztentscheidungsbefugnis“), ferner auf die tatsächliche Leitungsstätte, nicht auf den im Gesellschaftsvertrag umschriebenen Leitungsort.5 Da die sog. Geschäftsleitungsbetriebsstätte nach BFH-Auffassung keine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage voraussetzen soll,6 können bei einem Steuerpflichtigen, der bspw. reisegewerblich tätig ist, auch die eigenen Wohnräumlichkeiten Geschäftsleitungsbetriebsstätte sein.7

2.123

Privaträume. Problematisch ist die Loslösung der Geschäftsleitungsbetriebsstätte vom Grundtatbestand der Betriebsstätte. Der Ansatz der Rechtsprechung tendiert dazu, nahezu aus jeder Privatwohnung eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte entstehen zu lassen, wenn für die eigentliche unternehmerische Betätigung kein anderer Ort der räumlichen Verwurzelung auszumachen ist.8 Damit entfernt sich die Rechtsprechung soweit vom Begriffskern der Betriebsstätte, dass beinahe ein völlig neuer Begriffsinhalt entsteht. Ist der Geschäftsführer nicht gleichzeitig

2.124

1 Dazu allgemein Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 10 AO Rz. 14 f. 2 Siehe allgemein BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175 (178) = FR 1995, 193; Kruse in T/K, AO/FGO, § 10 AO Rz. 1. 3 Bspw. Gersch in Klein, AO, 2016, § 10 AO Rz. 2. 4 Vgl. hierzu Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 590. 5 Siehe RFH v. 11.7.1940 – II 135/39, RStBl. 1940, 706. 6 BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148 (149) = FR 1994, 58 m. Anm. Kempermann. 7 Siehe bspw. BFH v. 18.10.1962 – IV 319/60 U, BStBl. III 1963, 38; v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; v. 7.9.1993 – VII B 169/93, BFH/NV 1994, 193; FG Münster v. 27.1.1972 – VI 590/71 E, EFG 1972, 325 (326) (rkr.). 8 Siehe insoweit BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437 = FR 1999, 756 m. Anm. Kempermann = IStR 1999, 404.

Puls 75

Kap. 2 Rz. 2.125

Begriff der Betriebsstätte

Unternehmer, so wird – wenn der Geschäftsführer in der Privatwohnung tätig wird und von dort Leitungsaufgaben erledigt – allerdings kaum eine Verfügungsmacht des Unternehmens über die Wohnung anzunehmen sein.1 Damit muss die Frage offenbleiben, wie die Privateinrichtung des Geschäftsführers zu einer „Geschäfts“-Einrichtung des Unternehmens mutieren soll. Es ist in diesem Zusammenhang auch zu fragen, ob es betriebsstättenlose gewerbliche Einkünfte geben kann.2 Der BFH hat diese Frage bislang unter Hinweis auf den weiten Begriff der Geschäftsleitungsbetriebsstätte verneint. Würde man diese Frage abweichend beantworten, so hätte dies signifikante Auswirkungen im Rahmen der Gewerbesteuer. Die Frage geht letztlich dahin, ob jede Betriebsstätte gem. § 12 AO ein gewerbliches Unternehmen voraussetzt bzw. ob aus § 12 AO schlussgefolgert werden kann, dass es kein gewerbliches Unternehmen ohne (Geschäftsleitungs-)Betriebsstätte geben kann; Letzteres ist richtigerweise der Fall.

2.125 Mehrere Leitungsorte. Ferner ist fraglich, ob ein Unternehmen über mehrere Geschäftsleitungsbetriebsstätten verfügen kann. Üben mehrere Personen gleichwertige Geschäftsführungsaufgaben von verschiedenen Orten aus, so können grundsätzlich mehrere Geschäftsleitungsbetriebsstätten bestehen. In der Praxis ist dies vor allem für die Frage der geschäftlichen Oberleitung bei sog. Kontroll- und Koordinierungsstellen, insbesondere bei Konzernen mit einer Matrixorganisation relevant, bei denen Leitungsaufgaben an verschiedenen Stellen aufgehängt sind.3 Das Vorhandensein mehrerer Geschäftsleitungsbetriebsstätten wird auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bejaht.4 Ansatzpunkt des BFH ist es, zunächst eine Gewichtung der Tätigkeiten an den verschiedenen Orten vorzunehmen. Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung nach § 10 AO soll dort anzunehmen sein, wo sich die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutsamste Stelle befindet. Darüber hinaus konstatiert die höchstrichterliche Rechtsprechung, dass in seltenen Fällen eine Gewichtung im vorstehenden Sinn nicht möglich ist, verbunden mit der Folge, dass mehrere Geschäftsleitungsbetriebsstätten bestehen können. Dies soll insbesondere dann gelten, wenn mehrere Personen, die mit gleichwertigen Geschäftsführungsaufgaben betraut sind, diese nicht von einem gemeinsamen Ort, sondern von unterschiedlichen Orten aus wahrnehmen.5 Die Frage nach dem Vorhandensein mehrerer Leitungsorte wird auch im folgenden Abschnitt nochmal problematisiert.

2.126 Geschäftsleitung und Digital Economy. Ein weiterer Gedanke ist, dass die Stätte der Geschäftsleitung als räumlicher Ausgangspunkt des Orts der Geschäftsleitung in den Zeiten des „Cyberspace“ ohnehin immer schwieriger zu konkretisieren sein wird. Angesichts der technischen Möglichkeiten, entweder online oder per Video-/Audio-Konferenz an völlig verschiedenen Orten Geschäftsleitungsentscheidungen zu treffen, ist bereits ein bestimmter „Ort“ der Geschäftsleitung und damit eine Geschäftsleitungsstätte immer schwieriger auszumachen.6 1 Vgl. auch BFH v. 23.5.2002 – III R 8/00, BStBl. II 2002, 512 = FR 2002, 1321. 2 Siehe BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356 = FR 2008, 729; zustimmend Wassermeyer, IStR 2004, 676; a.A. Kramer, IStR 2004, 672, Kramer, DB 2011, 1882 sowie Kramer, IStR 2016, 499. 3 Siehe Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 306. 4 Vgl. jüngst BFH v. 5.11.2014 – IV R 30/11, BStBl. II 2015, 601 = FR 2015, 905. 5 BFH v. 5.11.2014 – IV R 30/11, BStBl. II 2015, 601; s. auch Gosch, StBp 1998, 106 f.; Kempermann, FR 1999, 758; a.A. wohl Koenig in Koenig, 2014, § 10 AO Rz. 7; vgl. auch Gersch in Klein, AO, 2016, § 10 AO Rz. 2, 3. 6 Hierzu Höllhuber in Toifl/Züger, Besteuerung von E-Commerce, 2000, 71 (86, 87), der auf verschiedene Problemkonstellationen aufmerksam macht und hierzu eigene Lösungsvorschläge unterbreitet; zum Ganzen auch Hinnekens, Intertax 1998, 52 (66, 67); ebenso Kessler/Müller, IStR 2003, 361 (367).

76

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.128 Kap. 2

Für die an einem Management-Meeting teilnehmenden Geschäftsführer spielt es keine Rolle, an welchem Ort sie sich aufhalten, denn diese Orte sind aufgrund der technischen Möglichkeiten beliebig auswechselbar. Insoweit berührt die Diskussion auch die Grundfesten des Betriebsstättenkonzepts. Die Feststellung der Rechtsprechung,1 ein Unternehmen müsse nur über mindestens einen Ort der Geschäftsleitung verfügen, ist in diesem Zusammenhang zum Anlass genommen worden, im Bereich der Digital Economy und der „virtuellen Unternehmen“ über neue Lösungswege zur Lokalisierung des Orts der Geschäftsleitung nachzudenken. Wie bereits oben ausgeführt wird im Schrifttum teilweise die Ansicht vertreten, dass sofern ein Unternehmen über mehrere Orte der Geschäftsleitung verfügen könne, es naturgemäß keinen entsprechenden Mittelpunkt der Geschäftsleitung geben könne.2 Stimmen im Schrifttum halten dieser Auffassung entgegen, sie verstoße gegen den eindeutigen Wortlaut des § 10 AO.3 Sie weisen darauf hin, dass die Bejahung mehrerer Geschäftsleitungsorte allerdings in grenzüberschreitenden Fällen, in denen der Ort der Geschäftsleitung über die beschränkte Steuerpflicht entscheide, letztlich anhand der Tie-Breaker-Rule nach Art. 4 Abs. 3 OECD-MA gelöst werden müsse, was letztlich zu identischen Abgrenzungsproblemen führe.4 Andere Stimmen plädieren dafür, in Fällen einer „derartigen Dezentralisierung“ keinen Ort der Geschäftsleitung anzunehmen; die Steuerpflicht und die Veranlagungszuständigkeit richteten sich dann einzig nach dem Sitz der Gesellschaft (§ 11 AO).5 Fazit. Die aufgezeigten Entwicklungen im Bereich der Digital Economy greifen tief in das herkömmliche Verständnis des Orts der Geschäftsleitung ein. Im Ergebnis bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber hierauf reagieren wird. Die Ersetzung des „Mittelpunkts der geschäftlichen Oberleitung“ durch das Kriterium des „Sitzes“ der Gesellschaft nach § 11 AO läuft dem Wortlaut des Betriebsstättentatbestands in § 12 Satz 2 Nr. 1 AO jedenfalls zuwider. Abzulehnen ist die sog. virtuelle Geschäftsleistungsstätte, da diese die Grenze zum Tätigkeitsprinzip vollends verwischen würde. Das bloße Tätigwerden in Gestalt einer Leitungsfunktion würde die an eine feste – d.h. räumlich punktuell definierbare – Betriebsvorrichtung gebundene unternehmerische Betätigung ersetzen. Die Folge wäre dann, dass die mangelnde organisatorische Verbundenheit mit einem festen betrieblichen Substrat – in Gestalt der Geschäftseinrichtung – die Gefahr einer Entmaterialisierung des Betriebsstättenbegriffs beschleunigte.6

2.127

3. Zweigniederlassungen Abgrenzung zur Geschäftseinrichtung. Der Begriff der Zweigniederlassung ist zivilrechtlich geprägt.7 Nach § 13 HGB (bzw. § 12 GmbHG, § 42 AktG) ist unter einer Zweigniederlassung ein unselbständiger, auf gewisse Dauer angelegter, räumlich, organisatorisch und wirtschaftlich selbständiger Teil eines Unternehmens zu verstehen, der eigenständige Leistungen

1 BFH v. 15.10.1997 – I R 76/95, BFH/NV 1998, 434 (435) sowie BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437 = FR 1999, 756 m. Anm. Kempermann. 2 Siehe bspw. Kruse in T/K, AO/FGO, § 10 AO Tz. 9; vgl. hierzu auch Breuninger/Krüger, Abnehmende Lokalisierung von Unternehmen, in FS Rädler, 79 (100 f., 112). 3 Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 10 AO Rz. 41. 4 Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 10 AO Rz. 41. 5 Koenig in Koenig, AO, 2014, § 10 Rz. 7. 6 Vgl. dazu auch Lüthi in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 18. 7 Siehe dazu Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 27 (rechtliche Selbständigkeit der Zweigniederlassung).

Puls 77

2.128

Kap. 2 Rz. 2.129

Begriff der Betriebsstätte

– und dementsprechend nicht bloße Hilfstätigkeiten – für die Hauptniederlassung erfüllt.1 Charakteristisch für die Zweigniederlassung ist ihre räumliche Trennung von der Hauptniederlassung. Damit wird die Zweigniederlassung im Regelfall auch über eine eigene Geschäftseinrichtung verfügen; sie ist als solche aber nicht mit einer festen Geschäftseinrichtung gleichzusetzen. Die Zweigniederlassung muss so eingerichtet sein, dass sie im Fall eines Verkaufs des Unternehmens als selbständiges Geschäft weitergeführt werden könnte.2 Die zivilrechtliche Natur der Zweigniederlassung wird dadurch unterstrichen, dass auch die Zweigniederlassung zu ihrer Anerkennung der Eintragung in das Handelsregister bedarf.3 Die registerrechtliche Eintragung führt allerdings nicht dazu, dass der Niederlassung zivilrechtlich die Qualität eines Rechtssubjekts verliehen wird. Durch die Eintragung wird nur die Vermutung begründet, dass eine der Unternehmenstätigkeit dienende feste Geschäftseinrichtung vorliegt.4

2.129 FG Bremen vom 26.6.1997 – 3 95 016 K 5. Unterhält eine ausländische Gesellschaft eine inländische Zweigniederlassung gem. § 13 HGB, verfügt sie darin über Räume, Büromaterial, Geschäftsunterlagen und unterhält sie ferner ein eigenes Bankkonto und Wertpapierdepot sowie eine eigene Kassenführung, so soll die ausländische Gesellschaft nach Ansicht der Entscheidung des FG Bremen vom 26.6.1997 darin im Grundsatz auch eine Betriebsstätte nach § 12 AO betreiben.5 Das FG hat seine Ausführungen dahingehend konkretisiert, dass trotz einer Einschränkung der Außenvertretungsbefugnisse durch Übertragung auf einen Dritten die Zweigniederlassung als Betriebsstätte anzuerkennen sei, da sie sachlich selbständig das gleiche Geschäft wie die Hauptniederlassung im Ausland betreibe. Es ist fraglich, ob angesichts der gewählten Aufgabenverteilung tatsächlich eine Zweigniederlassung angenommen werden kann. In sachlicher Hinsicht hätte die Zweigniederlassung als solche dem Abschluss von Geschäften und damit einer unternehmerischen Betätigung dienen müssen. Das FG Bremen hat diese Frage ohne nähere Begründung bejaht. Es hat sich mit der Feststellung begnügt, dass die inländische Zweigniederlassung sachlich selbständig die gleichen Geschäfte wie die Hauptniederlassung wahrgenommen habe. Bloße „Hilfsgeschäfte“ wie die Vorbereitung, die Vermittlung oder die Ausführung von Verträgen können allerdings nicht ausreichen, um der Zweigniederlassung das notwendige Maß an Selbständigkeit zuzusprechen;6 es kann sich dann lediglich nur noch um eine (unselbständige) Geschäftsstelle handeln.

2.130 FG Köln vom 16.10.2012 – 8 K 2753/08. Nach Auffassung des FG Köln wird der Begriff der Zweigniederlassung als Beispiel für eine Betriebsstätte in § 12 Nr. 2 AO verwendet. Hieraus folgt nach Ansicht des Gerichts, dass zwar nicht jede Betriebsstätte eine Zweigniederlassung sein muss, aber eine Zweigniederlassung jedenfalls als Mindestvoraussetzung die Kriterien einer Betriebsstätte erfüllen muss, um eine steuerliche Ansässigkeit im Inland zu begründen.7

1 Siehe Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 25; Gersch in Klein, AO, 2016, § 12 AO Rz. 11; Scholtz in Koch/Scholtz, AO, 1996, § 12 Rz. 9. 2 FG Bremen v. 26.6.1997 – 3 95 016 K 5, EFG 1998, 438 (439). 3 Gersch in Klein, AO, 2016, § 12 AO Rz. 11; Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 27. 4 BFH v. 30.1.1981 – III R 116/79, BStBl. II 1981, 560; so bereits RFH v. 6.10.1925 – II A 397/25, RFHE 17, 204. 5 FG Bremen v. 26.6.1997 – 3 95 016 K 5, EFG 1998, 438 (439). 6 Siehe bereits RFH v. 10.7.1936 – II A 245/35, RStBl. 1936, 817. 7 FG Köln v. 16.10.2012 – 8 K 2753/08, EFG 2013, 168 (Revisionsentscheidung BFH v. 11.4.2013 – V R 32/12, BFH/NV 2013, 1426, welche die Frage nach der Betriebsstättenthematik allerdings nicht näher thematisiert).

78

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.134 Kap. 2

OECD-MA. Im Rahmen von Art. 5 Abs. 2 OECD-MA wird lediglich in Buchst. b von einer Zweigniederlassung gesprochen; diese wird jedoch abkommensrechtlich nicht näher definiert. Insoweit ist gem. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA das o.g. Begriffsverständnis der Zweigniederlassung nach innerstaatlichem Recht auszulegen (Art. 31 Abs. 1 WÜRV).

2.131

4. Geschäftsstellen Abgrenzung zur Zweigniederlassung. Unter den Begriff der Geschäftsstelle fallen sämtliche Einrichtungen, die bestimmte Aufgaben der Hauptniederlassung oder anderer Unternehmenseinheiten wahrnehmen.1 Sie sind wirtschaftlich und organisatorisch unselbständig tätig und unterscheiden sich daher in diesem Punkt am deutlichsten von den Zweigniederlassungen.2 Es kommt nicht darauf an, dass in ihnen eine eigenständige und eigenverantwortliche Tätigkeit entfaltet wird.3 Dementsprechend hat der Leiter einer Geschäftsstelle im Regelfall keinen selbständigen Leitungs- und Entscheidungsspielraum gegenüber dem Unternehmer.4

2.132

OECD-MA. Der Begriff der Geschäftsstelle wird in Art. 5 Abs. 2 Buchst. c OECD-MA verwendet, jedoch nicht näher definiert. Insoweit ist unter Rückgriff auf Art. 3 Abs. 2 OECD-MA der Begriff nach innerstaatlichem Recht zu definieren. Inhaltlich dürfte § 12 Satz 2 Nr. 3 AO dem Art. 5 Abs. 2 Buchst. c OECD-MA entsprechen. Abweichungen zum innerstaatlichen Recht können allerdings insbesondere dann bestehen, wenn die Geschäftsstelle als reine „Hilfsstelle“ genutzt wird und insoweit unter Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA zu subsumieren ist.5 Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Kommentarstelle im OECD-MK zu Art. 5: Hier wird das Beispiel eines Managementbüros eines multinational tätigen Unternehmens angeführt.6 Wird in diesem Büro die Überwachung und Koordinierung der Tätigkeiten sämtlicher Unternehmensabteilungen und Tochtergesellschaften für ein bestimmtes Gebiet vorgenommen, so begründen diese Tätigkeiten eine Geschäftsstelle gem. Art. 5 Abs. 2 Buchst. c OECDMA.

2.133

5. Fabrikations- und Werkstätten Definition nach § 12 Satz 2 Nr. 4 AO. Gegenstand der Fabrikationsstätte nach § 12 Satz 2 Nr. 4 AO ist die industrielle Be- und Verarbeitung von Zwischen- oder Endprodukten. Der Begriff der Werkstätte beinhaltet funktional die Erfassung sämtlicher Vorgänge, die auf die Reparatur, Instandhaltung oder Wartung technischer Geräte gerichtet sind.7 Im Mittelpunkt der Werkstätte steht die handwerkliche Schaffenskraft, währenddessen die Fabrikationsstätte durch ein höheres Maß an technischer Intensität zur Produktfertigung gekennzeichnet ist.8 Fabrikations- und Werkstätten sind im Regelfall „feste Geschäftseinrichtungen, die der Unternehmenstätigkeit dienen.“ Sie sind daher geradezu exemplarisch für den Grundtatbestand der Betriebsstätte.

1 2 3 4 5 6 7 8

Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 28. Vgl. Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 43; Haase in Haase3, DBA/AStG, Art. 5 OECD-MA Rz. 85. BFH v. 10.5.1989 – I R 50/85, BStBl. II 1989, 755 (756). Vgl. auch Hruschka in S/D, DBA, Art. 5 OECD-MA Rz. 81. Siehe Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 75. Art. 5 Tz. 24 Satz 7 OECD-MK. Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 27. Siehe Hruschka in S/D, DBA, Art. 5 OECD-MA Rz. 83, 84.

Puls 79

2.134

Kap. 2 Rz. 2.135

Begriff der Betriebsstätte

2.135 OECD-MA. Nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. d und e OECD-MA sind beide Begriffe nicht abkommensrechtlich definiert und daher ebenfalls gem. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA nach innerstaatlichem Recht zu interpretieren (vgl. auch Art. 31 Abs. 1 WÜRV). 6. Warenlager

2.136 Innerstaatliches Verständnis. Warenlager verkörpern nach § 12 Satz 2 Nr. 5 AO feste Geschäftseinrichtungen, die der Aufbewahrung von beweglichen Waren und Gütern dienen.1 Nach der Rechtsprechung des BFH ist damit notwendigerweise verbunden, dass der Unternehmer nicht nur eine vorübergehende Verfügungsmacht über das Lager besitzen muss.2 Eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht kann bspw. dann vorhanden sein, wenn der Unternehmer weisungsabhängiges Personal in der Einrichtung beschäftigt. Entscheidend für die Annahme einer Betriebsstätte muss auch sein, dass sich in dem Lager eine gewisse unternehmerische Betätigung vollzieht.

2.137 OECD-MA. Warenlager können nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. a OECD-MA von der Betriebsstätteneigenschaft ausgenommen sein. Eine entsprechende Ausnahmeregelung fehlt in § 12 Satz 2 AO. Der Begriff des Warenlagers in Art. 5 Abs. 4 Buchst. a OECD-MA dürfte inhaltlich § 12 Satz 2 Nr. 5 AO entsprechen. Näheres zu Art. 5 Abs. 4 OECD-MA wird in Rz. 2.104 ff. behandelt. 7. Ein- oder Verkaufsstellen

2.138 Begriffsinhalt nach § 12 Satz 2 Nr. 6 AO. In ihnen werden Güter und Waren für das Unternehmen eingekauft und veräußert. Der BFH hat auch hier das Kriterium der Verfügungsmacht des Unternehmers über die Ein- und Verkaufsstellen als zentrales Kriterium für die Zurechnung der Geschäftseinrichtung auf diesen vorausgesetzt.3 Ein- oder Verkaufsstellen unterscheiden sich von einem Warenlager insoweit, als in ihnen die unternehmerische Betätigung in Gestalt des Ein- oder Verkaufsvorgangs und nicht nur in der bloßen Aufbewahrung von Gütern erfolgt.4 Der Begriff des „Einkaufs“ ist auf das schuldrechtliche und – sofern erforderlich – auch dingliche Rechtsgeschäft zum Erwerb von Waren und Gütern gerichtet.

2.139 OECD-MA. Einrichtungen zum Einkauf von Gütern oder Waren sowie sog. Informationsbeschaffungsstellen nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. d OECD-MA werden als sog. Hilfs- bzw. Vorbereitungstätigkeiten vom Betriebsstättentatbestand ausgeklammert (s. jedoch Rz. 2.108, 2.113 und 2.116). Die Relevanz der Einkaufstätigkeit für den Unternehmenserfolg bzw. seine Bedeutung im Rahmen einer Unternehmensgesamtwertschöpfungskette ist nicht weiter relevant; die OECD hat im Rahmen des Final Reports zu BEPS-Aktionspunkt 7 hierzu Stellung bezogen und auf den in der Gesamtschau erforderlichen Hilfs- oder Vorbereitungscharakter der Tätigkeit abgestellt. Verkaufsstellen unterfallen nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. d OECD-MA hingegen

1 Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 28. 2 BFH v. 19.6.1963 – I B 103/62, HFR 1963, 416 f.; Kühn/Hofmann, AO/FGO, § 12 Anm. 3 e); nicht ausreichend soll die bloße Kontrollmöglichkeit über das Lager sein. 3 BFH v. 18.3.1976 – IV R 168/72, BStBl. II 1976, 365. 4 Vgl. Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 31, der darauf hinweist, dass eine Ein- oder Verkaufsstelle regelmäßig nicht vorliegen wird, wenn der Ein- oder Verkauf durch einen selbständigen Unternehmer erfolge. Nach Kühn/Hofmann, AO/FGO, § 12 Anm. 3 f. wird sich die Betriebsstätteneigenschaft bereits häufig aus § 12 Satz 2 Nr. 2 AO ergeben können.

80

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.143 Kap. 2

nicht dem Charakter einer Vorbereitungs- oder Hilfstätigkeit; dies gilt auch für Verkaufstätigkeiten innerhalb eines grenzüberschreitend tätigen Konzerns.1 8. Bergwerke und Steinbrüche Definition nach § 12 Satz 2 Nr. 7 AO. Unter dem Begriff „Bergwerke und Steinbrüche“ sind zunächst allgemein Stätten der Gewinnung von Bodenschätzen zu verstehen. Ein „Bergwerk“ ist dazu bestimmt, bereits erschlossene, unterirdisch vorhandene Bodenschätze abzubauen. Steinbrüche hingegen sind dem Tagebau gewidmet. Bei beiden Betriebsstättenformen ist es jedoch notwendig, dass die vorhandenen Betriebsvorrichtungen tatsächlich der Gewinnung von Bodenschätzen dienen.2

2.140

Erkundungsstätten. Grundsätzlich zweifelhaft wird die Betriebsstätteneigenschaft von Erkundungsstätten beurteilt.3 Besteht die Hauptaufgabe eines Unternehmens darin, das Vorhandensein von Bodenschätzen zu erforschen, so muss sich die Betriebsstätteneigenschaft nach den allgemeinen Grundsätzen des Betriebsstättentatbestands beurteilen lassen.4 Nicht ausreichend für die Bejahung einer Betriebsstätte ist demnach die topografische Erkundung eines Geländes durch bloßes Umherziehen eines Erkundungstrupps. Dies gilt regelmäßig auch dann, wenn für eine kurze Zeit ein Erkundungslager errichtet wird, von dem aus Erforschungsexpeditionen erfolgen und in dem die Expeditionsergebnisse aufbereitet und ausgewertet werden. Abgesehen davon, dass es sich abkommensrechtlich nur um eine sog. Hilfsbetriebsstätte handeln müsste (sofern nicht der Hauptzweck des Unternehmens in Erforschungstätigkeiten liegt), müssen auch hier stets die allgemeinen Tatbestandserfordernisse der Betriebsstätte erfüllt sein (insbesondere die Mindestzeitdauer).

2.141

Abgrenzung zu Bauausführungen. Denkbar ist auch, dass Explorationstätigkeiten in bestimmten Fällen Bauausführungen (Versuchsbohrungen, Messvorgänge etc.) ähneln. Dies kann z.B. auch der Fall sein, wenn Ausgrabungsarbeiten an der oder in die Erdoberfläche erfolgen. Dann beurteilt sich das Vorliegen einer Betriebsstätte nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO.5 Der Beginn einer derartigen Explorationstätigkeit liegt nicht bereits in der Anlieferung von Erkundungsgeräten, sondern erst in dem Eintreffen des Erkundungspersonals.6

2.142

OECD-MA. In Art. 5 Abs. 2 Buchst. e OECD-MA wird allgemein von einem „Bergwerk, ein Öl- oder Gasvorkommen, einen Steinbruch oder eine anderen Stätte der Ausbeutung von Bodenschätzen“ gesprochen. Inhaltlich dürften die dort verwendeten Begriffe in Übereinstimmung mit § 12 Satz 2 Nr. 7 AO auszulegen sein. Nach dem OECD-MK sollen zudem auch schwim-

2.143

1 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 172. 2 Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 30; Gersch in Klein, AO, 2016, § 12 AO Rz. 16. 3 Nach Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 30 sowie Kühn/Hofmann, AO/FGO, § 12 Anm. 3 f. soll sich die Betriebsstätteneigenschaft einer Explorationsstätte stets nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO richten; so auch R 2.9 Abs. 2 Satz 9 GewStR. 4 Siehe Gersch in Klein, AO, 2016, § 12 AO Rz. 16; vgl. auch BMF v. 19.2.1970 – IV B/2 - S 2170 46/69, DB 1970, 1003 (1004) zu Explorationstätigkeiten von deutschen Erdölunternehmen; s. auch AEAO zu § 12, Nr. 3 – BMF v. 24.8.1987 – IV A 5 - S 0062 - 38/87, BStBl. I 1987, 664 (665). 5 Nach der ausdrücklichen Formulierung in § 12 Satz 2 Nr. 7 AO sollen auch örtlich fortschreitende oder schwimmende Stätten der Gewinnung von Bodenschätzen als Betriebsstätte gelten können, dies muss entsprechend auch für Erkundungs- und Erforschungseinrichtungen gelten. 6 Vgl. hierzu auch Rz. 2.163.

Puls 81

Kap. 2 Rz. 2.144

Begriff der Betriebsstätte

mende Stätten zur Gewinnung von Bodenschätzen unter Art. 5 Abs. 2 Buchst. e OECD-MA zu subsumieren sein, ähnlich wie dies ausdrücklich in § 12 Satz 2 Nr. 7 AO formuliert ist.1

V. Bau- und Montagebetriebsstätten 1. Vorbemerkungen

2.144 Allgemeines. Bauausführungen oder Montagen stellen besondere tatbestandliche Ausformungen der Betriebsstätte dar; sie weisen ihrer Morphologie zufolge eine Parallelität zur Dienstleistungs- und Vertreterbetriebsstätte auf.2 Anders als die „Geschäftseinrichtungs“-Betriebsstätte nach § 12 Satz 1 AO bzw. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA sind Bauausführungen oder Montagen von vornherein nur auf eine gewisse Zeitdauer eingerichtet;3 nach Erreichung eines vorgegebenen Konstruktionsziels werden sie wieder aufgelöst. Insoweit nehmen Bauausführungen und Montagen eine Sonderstellung innerhalb des Betriebsstättentatbestands ein. Ihre Betriebsstätteneigenschaft ist aufgrund des nur vorübergehenden Existenzcharakters von dem Überschreiten einer bestimmten Intensitätsschwelle abhängig. Diese Schwelle wird durch eine zeitliche Mindestdauer markiert.4

2.145 Grundperspektive der Rechtsprechung. Nach der Rechtsprechung des BFH sollen die in § 12 Satz 2 AO aufgezählten Sachverhalte als Erweiterung des Betriebsstättengrundtatbestands gelten.5 Demzufolge setzen Bauausführungen und Montage keine festen Geschäftseinrichtungen voraus, sondern gelten als Betriebsstätten, wenn sie die zeitliche Mindestdauer von sechs Monaten überschreiten.6 Dementsprechend verkörpert § 12 Satz 2 Nr. 8 AO bzw Art. 5 Abs. 3 OECD-MA eine eigene operative Betriebsstättenregelung. Dies hat seinen Grund darin, dass in dem Ausüben einer bloßen Tätigkeit einerseits und in der Regelexistenz der Tätigkeitsdauer – als Surrogat für eine feste Geschäftseinrichtung – andererseits bereits ein hinreichender Bezug ebendieser Tätigkeit zum Ausführungsort vorliegt. Die Bau- bzw. Montagetätigkeit, sofern sie eine zeitliche Mindestgrenze überschreitet, verkörpert mithin einen hinreichenden territorialen Bezug zum Tätigkeitsort, der einer festen Geschäftseinrichtung entsprechen und einen steuerlichen Zugriff auf die mit dieser Tätigkeit erzielten Einkünfte rechtfertigen soll.

2.146 Dogmatik der Bau- und Montagbetriebsstätte nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO. Da Bau- und Montagetätigkeiten innerhalb des Betriebsstättenbegriffs eine Sonderstellung einnehmen, wird in der Literatur die Frage gestellt, ob die „Bau- bzw. Montage-Betriebsstätte“ rein tätigkeitsbezogen zu interpretieren ist.7 Im Gegensatz zu den übrigen Katalogaufzählungen in 1 Art. 5 Tz. 13 Satz 3 OECD-MK. 2 Siehe Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 91, 94; Gassner in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 59. 3 Vgl. Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 62; a.A. Haase in Haase3, AStG/DBA, Art. 5 OECD-MA Rz. 197. 4 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 91, 94; Gassner in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 59. 5 Siehe BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148 (149) = FR 1994, 58 m. Anm. Kempermann; dem zustimmend Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 25; zur Frage der Betriebsstättenfiktion bei Bau- und Montageausführungen s. auch Storck, Ausländische Betriebsstätten, 1980, 169. 6 BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148 (149) = FR 1994, 58 m. Anm. Kempermann. Der BFH stellt insoweit klar, dass eine sechsmonatige Bauausführung auch dann Betriebsstätte i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO sei, wenn eine „feste Geschäftseinrichtung“ nicht vorhanden sei. 7 Siehe Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 599; vgl. auch Gassner in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 59 f.; Puls, Die Betriebsstätte im Abgaben- und Abkommensrecht, 2005, 106 f.

82

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.147 Kap. 2

§ 12 Satz 2 AO bzw. im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 OECD-MA steht bei der Bauausführung und Montage allen voran das Zeiterfordernis im Vordergrund.1 Die Bauausführung erscheint daher als unternehmerische Betätigung, die im Hinblick auf die Eigenschaft als Betriebsstätte lediglich unter der aufschiebenden Bedingung einer hinreichenden Zeitgrenze steht.2 Dementsprechend wird der im Rahmen von Bau- und Montageausführungen durch das Vorhandensein einer „festen Geschäftseinrichtung“ gegebene hinreichende Bezug zum Tätigkeitsort (territoriale Komponente) quasi durch eine „feste zeitliche Mindestdauer“ ersetzt. Bau- und Montageausführungen können daher Betriebsstätten sein, ohne dass es auf das Vorhandensein einer Betriebsvorrichtung ankommt. Insoweit ähneln Bau- und Montagetätigkeiten eher der Tätigkeit eines ständigen Vertreters bzw. eines Dienstleistungserbringers als dem Betriebsstättengrundtatbestand des § 12 Satz 1 AO, denn auch die Vertretertätigkeit fungiert ohne „körperliche“ Verwurzelung am Tätigkeitsort. Hieraus folgt, dass sich Bau- und Montageausführungen von Betriebsstättenformen, die über eine feste Geschäftseinrichtung verfügen, nur insoweit unterscheiden, als ihr „infrastruktureller Marker“ kein dingliches Substrat in Gestalt einer Geschäftseinrichtung oder Anlage erfordert. Andererseits bestehen Unterschiede zur Tätigkeit des „ständigen Vertreters“. So erfolgt die Bau- oder Montagetätigkeit im Wesentlichen innerhalb eines punktuellen Raumbezugs. Dies bedeutet, dass die Bau- oder Montageaktivität über einen örtlichen Mittelpunkt verfügt, mithin genau lokalisierbar ist. Zwar besteht im Rahmen des DBA-Rechts die Möglichkeit einer Zusammenfassung von räumlich getrennten Bau- oder Montagetätigkeiten. Voraussetzung hierfür ist allerdings die Lokalisierung eines bestimmten Tätigkeitsorts, um eine geografische Zusammenfassung zu ermöglichen. Die Tätigkeit des „ständigen Vertreters“ erfolgt hingegen gebietsbezogen; sie erfordert keinen punktuellen Raumbezug. DBA-rechtliche Perspektive. Das Erbringen von Bauleistungen und Montagetätigkeiten nimmt auch in Art. 5 OECD-MA eine besondere Stellung ein. Obwohl regelmäßig keine „feste Geschäftseinrichtung“ vorliegt, gelten Konstruktions- oder Installationstätigkeiten auch im DBA-Recht ab einer bestimmten zeitlichen Mindestdauer tatbestandlich als Betriebsstätte. Im Gegensatz zu § 12 AO wird im Bereich des DBA-Rechts über den Rechtscharakter der Bauausführungen und Montagen nach wie vor kontrovers gestritten. Während im innerstaatlichen Recht nach – auch im Schrifttum begrüßter – Auffassung der BFH-Rechtsprechung § 12 Satz 2 Nr. 8 AO als Erweiterung der Basisdefinition nach § 12 Satz 1 AO zu betrachten ist, die keine feste Geschäftseinrichtung voraussetzt, wird dies für den abkommensrechtlichen Begriff unterschiedlich beurteilt.3 Art. 5 Abs. 3 OECD-MA soll nach verbreiteter Ansicht lediglich eine Betriebsstättenfiktion enthalten; Bauausführungen und Montagen sollen danach keine feste Geschäftseinrichtung voraussetzen; sie seien gleichwohl qua Fiktion als Betriebsstätte zu betrachten, solange sie nur das Kriterium der zeitlichen Mindestdauer erfüllten. Dem wird entgegengehalten, dass Art. 5 Abs. 3 OECD-MA aus der Sicht eines Betriebsstättenoberbegriffs betrachtet werden müsse, da Abs. 3 innerhalb des Art. 5 OECD-MA eine dem Abs. 2 vergleichbare Funktion einnehme. Bauausführungen und Montagen erweitern nach diesem Ansatz das Tatbestandsmerkmal der „festen Geschäftseinrichtung“. Gleichzeitig gelten sie als „lex specialis“ zum allgemeinen Grundtatbestand der Betriebsstätte.4 Der Streit um den vermeintlichen Fiktionscharakter der Bauausführungen als Betriebsstätte verdeckt allerdings die eigentliche Frage nach dem Wesen der Baubetriebsstät-

1 2 3 4

Vgl. bereits insoweit Feuerbaum, DB 1977, 2401 (2402). Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 91, 94, 95. Siehe hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 91, 94. Haase in Haase3, DBA/AStG, Art. 5 MA Rz. 91, 92.

Puls 83

2.147

Kap. 2 Rz. 2.148

Begriff der Betriebsstätte

te. Problematisch ist allein die Fragestellung, ob die Bauausführung als Tätigkeit selbst eine Betriebsstätte verkörpert oder ob zusätzlich – in Anlehnung an Art. 5 Abs. 1 OECD-MA – eine feste Geschäftseinrichtung erforderlich ist. Gerade für die Zusammenfassung mehrerer Bautätigkeiten ist diese Fragestellung im Bereich des Abkommensrechts unumgänglich, denn hier fehlt es an einer dem § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. a bis c AO entsprechenden Regelung. Setzt man die Bauausführung oder Montage dem Begriff einer „Geschäftseinrichtung“ gleich, dann ist bei Vorliegen einer Bauausführung oder Montage, die nicht das Kriterium der zeitlichen Mindestbestehensdauer erfüllt, ein Rückgriff auf eine etwaig vorhandene „feste Geschäftseinrichtung“ in Gestalt einer Baubude, eines Planungsbüros etc. als Anknüpfungspunkt für eine Betriebsstätte grundsätzlich ausgeschlossen. Eine „Baubetriebsstätte“ könnte hier z.B. bei Versäumnis der zeitlichen Mindestbestehensdauer nicht durch die „Hintertür“ des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA entstehen. 2. Begriff der Bauausführung und Montage a) Bauausführungen

2.148 Begriffsinhalt. Der Begriff der „Bauausführung“ umfasst zunächst alle Arbeiten, die auf die Konstruktion von Hoch- und Tiefbauten am Ort der Errichtung ausgeführt werden.1 Daneben sollen auch Arbeiten, die für die Errichtung eines Hoch- oder Tiefbaus erforderlich sind – wie z.B. Bohrungen, Rohrleitungsverlegungen, Aushub- bzw. Aufschüttungsarbeiten aber auch Abbrucharbeiten – dem Begriff der Bauausführung unterfallen.2 Ausschlaggebend für die Anerkennung als tatbestandliche Bauausführung ist, dass die Tätigkeiten am Konstruktionsort selbst stattfinden und der Herstellung von Bauwerken dienen.3 Eine Bautätigkeit liegt daher auch vor, wenn ein Unternehmen Fenster und Türen in einen Neubau installiert.4 Reine Hilfstätigkeiten, die nur in einem weiteren Kausalzusammenhang mit der Konstruktion stehen, gelten nicht mehr als Bauausführungen. Demgemäß werden nach Einschätzung der Rechtsprechung von einem konkreten Bauvorhaben losgelöste Lackier- und Anstricharbeiten,5 reine Instandsetzungs- oder Reparaturarbeiten6 oder bloße Baumateriallieferungen7 regelmäßig keine Bauausführungen verkörpern.

2.149 Vergleich zur Bauabzugsbesteuerung. Aufschlussreich ist ein Vergleich mit der Definition der „Bauleistung“ im Rahmen der sog. Bauabzugsbesteuerung nach § 48 Abs. 1 Satz 3 EStG. 1 BFH v. 22.9.1977 – IV R 1/72, BStBl. II 1978, 141; v. 7.3.1979 – I R 145/76, BStBl. II 1979, 528; v. 21.10.1981 – I R 21/78, BStBl. II 1982, 241 (242) = FR 1982, 126; Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 32; Gersch in Klein, AO, 2016, § 12 AO Rz. 17; s. auch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.1; ferner Art. 5 Tz. 17 OECD-MK. 2 BFH v. 30.10.1956 – I B 71/56 U, BStBl. III 1957, 8 (10) (Erd- und Aufschüttungsarbeiten); FG Düsseldorf v. 7.8.1980 – X 11/80, EFG 1981, 183, rkr. (Erd- und Abbrucharbeiten). 3 Keine Bauausführung oder Montage wäre demzufolge die bloße Anlieferung von Bau- oder Montagematerialien, die zu einem späteren Zeitpunkt von dem Bauunternehmer eingebaut werden sollen; vgl. hierzu auch BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 (696) = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann. 4 BFH v. 21.10.1981 – I R 21/78, BStBl. II 1982, 241 = FR 1982, 126; Kühn/Hofmann, AO/FGO, § 12 Anm. 3 h). 5 RFH v. 17.9.1941 – VI B 15/41, RStBl. 1941, 764. 6 BFH v. 27.4.1954 – I B 136/53, BStBl. III 1954, 179; v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 983 = FR 1990, 752. 7 BFH v. 22.9.1977 – IV R 51/82, BStBl. II 1978, 140; ebenso v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann.

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.152 Kap. 2

Bauleistungen sollen danach in Anlehnung an § 211 Abs. 1 SGB III i.V.m. § 1 BaubetriebeVerordnung alle Leistungen sein, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. Diese allgemeine Definition ist durch die Finanzverwaltung näher erläutert worden. Nach Tz. 6 des BMF-Schreibens vom 27.12.20021 zum Steuerabzug von Vergütungen für im Inland erbrachte Bauleistungen gehören zum Begriff „Bauleistung“ sämtliche Tätigkeiten, die sich unmittelbar auf die Substanz des Bauwerks auswirken, d.h. eine Substanzveränderung im Sinne einer Substanzerweiterung, Substanzverbesserung oder Substanzbeseitigung bewirken. Bemerkenswert ist, dass hierzu ausdrücklich ebenso Erhaltungsaufwendungen und Schönheitsreparaturen zählen sollen wie der Einbau festen Einrichtungsgegenständen in Bauwerken (z.B. Ladeneinbauten). Darüber hinaus sollen gem. Tz. 10 des o.g. BMF-Schreibens zu den Bauleistungen auch Reinigungsarbeiten zählen, wenn sie Auswirkungen auf die Oberfläche eines Objekts Einfluss haben (Abschleifen oder Abstrahlen einer Gebäudefassade). Reinen Wartungstätigkeiten wird indes die Eigenschaft als „Bauleistung“ verwehrt, wenn in ihrem Zuge nicht Teile eines Objekts verändert, bearbeitet oder ausgetauscht werden (Tz. 11 des o.g. BMF-Schreibens). Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten. Im Gegensatz dazu verneint die BFH-Rechtsprechung bei Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten prinzipiell die Eigenschaft als „Bauausführung“ i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO. In der Literatur wird hierzu angemerkt, Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten zeichneten sich dadurch aus, dass sie nicht auf die Errichtung oder den Austausch von wesentlichen Komponenten eines Bauwerks gerichtet seien.2 Im Einzelfall wirft die Abgrenzung zwischen einer tatbestandlichen „Bauausführung“ und einer nach der Rechtsprechung nicht betriebsstättenrelevanten „Reparaturtätigkeit“ allerdings Fragen auf. Wird bspw. eine durch starken Verkehr oder Witterungseinflüsse verschlissene Straße durch ein Straßenbauunternehmen neu geteert, so müsste es sich eigentlich um eine Reparatur- bzw. Instandsetzungsarbeit handeln, die nach der Rechtsprechung nicht als tatbestandliche Bauausführung anzusehen wäre. Andererseits liegt der Tätigkeitsschwerpunkt in der „Neuerrichtung“ einer Fahrbahndecke, so dass insoweit von einer Bautätigkeit i.e.S. auszugehen sein müsste. Der Begriff „Bauausführung“ sollte in einem tatbestandlich weiten Sinn zu verstehen sein; entscheidend sollte die Fragestellung sein, ob die Tätigkeit in einem engen und unmittelbaren Zusammenhang mit der Errichtung eines Bauwerks steht. Insoweit gelten nicht nur die eigentlichen Errichtungsarbeiten als „Bauausführungen“, sondern auch entsprechende Hilfstätigkeiten, die für die Errichtung wesensnotwendig sind, bspw. Kranarbeiten, Verschalungsarbeiten oder Trockenlegungsarbeiten.

2.150

OECD-MK. Im OECD-MK wird der Begriff der Bauausführung tatbestandlich weit interpretiert. Bei Bauausführungen kann es sich entweder um Hoch- oder Tiefbauarbeiten handeln. Exemplarisch werden folgende Tätigkeiten genannt: (i) Errichtung von Bauwerken, (ii) Umbau- oder sogar Abbrucharbeiten, (iii) Errichtung von Brücken, Kanälen, Straßenbau, (iv) Gebäuderenovierung, (v) Rohrleitungsverlegung, (vi) Erd- und Baggerarbeiten etc.3

2.151

b) Montagetätigkeiten Begriffsinhalt. Unter dem Begriff der „Montage“, der in § 12 Satz 2 Nr. 8 AO bzw. Art. 5 Abs. 3 OECD-MA alternativ zum Begriff der Bauausführung genannt wird, sind sämtliche

1 BMF v. 27.12.2002 – IV A 5 - S 2272 - 1/02, BStBl. I 2002, 1399. 2 Vgl. Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, 478 f. 3 Art. 5 Tz. 17 OECD-MK.

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2.152

Kap. 2 Rz. 2.153

Begriff der Betriebsstätte

Vorgänge zu verstehen, die darauf gerichtet sind, vorgefertigte Einzelteile zu einem neuen Ganzen zusammenzufügen oder umzugestalten.1 Bauausführungen und Montagen stehen sich als gleichwertige Tatbestandsalternativen gegenüber.2 Der Begriff der Montage unterscheidet sich insoweit vom Begriff der Bauausführung, als er nicht nur eine nach außen gerichtete Konstruktionstätigkeit, sondern auch innerhalb einer Geschäftseinrichtung erfolgende Installationsaktivitäten erfasst.3 Nach der Rechtsprechung des BFH ist allerdings nicht jedes Zusammenfügen von vorgefertigten Einzelteilen als „Montage“ zu betrachten. Insoweit kann etwa das Zusammenschweißen von vorgefertigten Einzelkomponenten dann nicht mehr als „Montage“ zu qualifizieren sein, wenn die Schweißarbeiten für das Zusammenfügen der Einzelteile unwesentlich sind.4 Entscheidend soll nach der BFH-Rechtsprechung sein, dass die Tätigkeit zumindest die wesentlichen Arbeiten des Zusammenfügens von Einzelteilen zu einer Sache umfasst.5 Insoweit zählen auch sämtliche Arbeiten im Hinblick auf die Installation einer Elektro- oder Telefoninfrastruktur zu den Montagetätigkeiten.6 Auch hier wird durch die Installationstätigkeit ein „Montage-Ergebnis“ erzielt, dass sich letztlich in Gestalt einer funktionsfähigen Elektroversorgungs- oder Telefonverbindung zeigt.

2.153 Demontage als „Montage“. Zweifelhaft ist, ob auch die „Demontage“ als tatbestandliche „Montage“ begriffen werden kann.7 Der Wortlaut des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO bzw. des Art. 5 Abs. 3 OECD-MA spricht insoweit ausschließlich von der „Montage“. Die Demontage hat das umgekehrte Tätigkeitsziel zum Gegenstand, mithin die Zerlegung eines Produkts in einzelne Teile. Für die Erfassung derartiger Tätigkeit kann es allerdings nicht darauf ankommen, ob ein Unternehmen Einzelteile zu einem neuen Gegenstand zusammensetzt oder umgekehrt den Gegenstand in Einzelteile zerlegt.8 Der Charakter der Tätigkeit als betriebstechnischer Vorgang, an dessen Ende ein neues „Produkt“ steht, ist auch hier identisch. Darüber hinaus werden Abbrucharbeiten auf Basis des OECD-MK als tatbestandliche Bauausführungen gewertet; dieser Wertungsmaßstab ist auch auf die Demontage als tatbestandliche „Montage“ zu über-

1 BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 984 = FR 1990, 752; v. 13.11.1990 – VIII R 152/86, BStBl. II 1991, 96 = FR 1991, 117; FG Düsseldorf v. 1.7.1997 – 3 K 7090/94 L, EFG 1998, 487; Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 32; Gersch in Klein, AO, 2016, § 12 AO Rz. 17; Scholtz in Koch/ Scholtz, AO, 1996, § 12 Rz. 17. 2 Scholtz in Koch/Scholtz, AO, 1996, § 12 Rz. 17; Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 12 AO Rz. 37 unter Verweis auf BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 984. = FR 1990, 752 Danach ist die Montage kein Unterfall der Bauausführung; ihr kommt selbständige Bedeutung zu. Montagen und Bauausführungen können jedoch kombiniert als sog. Baumontage auftreten; s. BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 984 = FR 1990, 752; Fricke, AWD 1966, 34 sieht den Unterschied zwischen Bauausführungen und Montagen darin, dass Erstere in einem eher kontinuierlichen Sinn ausgeführt werden, währenddessen Montagen eher einen „intervallistischen“ Tätigkeitsgehalt aufweisen. 3 Siehe Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 112, der auf das Beispiel einer Montage von Maschinen als „innere“ Betriebseinrichtungen hinweist. 4 BFH v. 20.1.1993 – I B 106/92, IStR 1993, 330. 5 BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 984 = FR 1990, 752. 6 Siehe etwa FG Niedersachsen v. 19.6.2001 – 15 K 794/98, EFG 2002, 142; bestätigt durch BFH v. 9.7.2003 – I R 4/02, juris = IStR 2003, 710. 7 Unter den Begriff der „Bauausführungen“ sollen nach h.M. auch Abbrucharbeiten fallen; s. FG Düsseldorf v. 7.8.1980 – X 11/80, EFG 1981, 182 (rkr.); BFH v. 22.9.1977 – IV R 51/72, BStBl. II 1978, 140; kritisch Storck, Ausländische Betriebsstätten, 1980, 175; eindeutig bejahend Andresen/ Weidlich, DB 2015, 267. 8 Vgl. FG Düsseldorf v. 7.8.1980 – X 11/80, EFG 1981, 183 (rkr.).

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.156 Kap. 2

tragen.1 Erwirbt und demontiert der Unternehmer jedoch Teile einer Anlage und verkauft er diese anschließend weiter, so ist zweifelhaft, ob bei entsprechender Fristüberschreitung eine Baubetriebsstätte vorliegt. Abkommensrechtlich jedenfalls kann es sich hier genauso gut um eine sog. Einkaufsbetriebsstätte nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. d OECD-MA handeln, denn die Demontage und der Erwerb der Anlagenteile unterscheiden sich letztlich nicht von einem Einkauf transportabler Güter – dem Musteranwendungsfall des Art. 5 Abs. 4 Buchst. d OECDMA –, die von vornherein für den Weiterverkauf bestimmt sind.2 Fazit. Die Begriffe der „Bauausführung“ und der „Montage“ sind auf der Grundlage eines weiten Tatbestandsverständnisses zu interpretieren. Unter die genannten Begriffe fallen daher sämtliche Tätigkeiten, die technisch in einem engen und unmittelbaren Zusammenhang mit der eigentlichen Errichtungs- oder Konstruktionstätigkeit stehen, m.a.W. für die Erreichung eines Konstruktionsziel wesensnotwendig sind. Reine Hilfstätigkeiten, die lediglich mittelbar dem Erreichen des Konstruktionsziels dienen (z.B. Anlieferung von Baumaterialien, Wartung von Baumaschinen am Konstruktionsort etc.), gehören nicht zu den Bauoder Montagetätigkeiten im tatbestandlichen Sinn.3

2.154

c) Vorbereitungs- und Planungstätigkeiten Begriffsnotwendige Abgrenzungsfrage. Tätigkeiten, die auf die Bau- oder Montageplanung und -leitung, aber auch auf die Bauüberwachung gerichtet sind, dienen lediglich mittelbar der Errichtung oder Gestaltung eines Objekts. Deutlich wird dies bereits daran, dass die Bau- oder Montageplanung in aller Regel nicht am Ort der späteren Bauausführung durchgeführt wird. Sie ist oftmals organisatorisch und funktional von der eigentlichen Bauausführungstätigkeit getrennt. Die Planung ist eine eigenständige geistige Leistung, die Voraussetzung für die spätere Realisierung des Bauvorhabens ist. DBA-rechtlich wird die Bauplanung gleichwohl als Bauausführung im tatbestandlichen Sinn verstanden. Einschränkend gilt dies allerdings nur dann, wenn sie selbst vom Bauunternehmer ausgeführt wird.4 Erfolgt die Bauplanung selbständig durch einen Subunternehmer oder einen Konsortialpartner, so liegt regelmäßig eine eigenständige Werkleistung vor, die dem Generalunternehmer nicht ohne weiteres zugerechnet werden kann.5 Im innerstaatlichen Recht ist die Einordnung der Bauplanung als Bauausführung im tatbestandlichen Sinn umstritten.6

2.155

Meinungsbild im innerstaatlichen Recht. Nach Ansicht des FG München sollen Bauplanungs- wie bloße Bauleitungs- oder Bauüberwachungstätigkeiten grundsätzlich nicht be-

2.156

1 2 3 4

Art. 5 Tz. 17 OECD-MK. Siehe Bendlinger/Remberg/Kuckhoff, IStR 2002, 40 (42). Vgl. BMF v. 27.12.2002 – IV A 5 - S 2272 - 1/02, BStBl. I 2002, 1399, Tz. 12. Siehe Art. 5 Tz. 17 Satz 2 OECD-MK a.F. Nach BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.1 soll auch die als Teilleistung ausgeführte Planungstätigkeit als Bauoder Montagetätigkeit i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO wie nach Art. 5 Abs. 3 OECD-MA 1992 gelten können. Nach dem Wortlaut von Art. 5 Tz. 17 Satz 2 OECD-MK (2003) sollen Planungstätigkeiten – unabhängig von dem Ausführenden – Bau- oder Montagebetriebsstätten begründen können; kritisch Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 61. 5 Siehe BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.2; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 114. 6 Nach BMF v. 27.12.2002 – IV A 5 - S 2272 - 1/02, BStBl. I 2002, 1399, Tz. 7 sollen ausschließlich planerische Leistungen (Architekten- oder Bauingenieurarbeiten) keine „Bauleistungen“ i.S.d. Bauabzugsbesteuerung sein können.

Puls 87

Kap. 2 Rz. 2.157

Begriff der Betriebsstätte

triebsstättenbegründend sein können.1 Der Begriff der Bauausführung ist nach Überzeugung des FG zwar weit auszulegen, stets müsse es sich jedoch um Arbeiten handeln, die unmittelbar zur Errichtung von Hoch- und Tiefbauten ausgeführt werden. In der Literatur wird demgegenüber betont, auch Maßnahmen der Bauplanung, -leitung oder -überwachung seien tatbestandlich als Bauausführung i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO zu beurteilen.2 Kritisch anzumerken ist hierbei, dass die bloße Bauplanung im Regelfall einen völlig anderen Tätigkeitsschwerpunkt als die eigentliche Bauausführung hat. Sie beinhaltet eine eigenständige geistige Leistung, die der eigentlichen Konstruktions- bzw. Installationstätigkeit zeitlich wie funktional vorgelagert ist und statt eines mechanischen einen intellektuell-schöpferischen Mittelpunkt aufweist. Aus diesem Grund ist die Planung von der späteren Realisierung des Bauvorhabens mit ihren Begleitaufgaben der Leitung und Überwachung bei der Frage nach dem Vorliegen eines unternehmerischen Tätigwerdens des Bauunternehmers regelmäßig zu trennen.

2.157 BFH vom 21.4.1999 – I R 99/97. In einer Entscheidung vom 21.4.1999 hat der BFH Arbeiten, die der unmittelbaren Vorbereitung einer Montageausführung – im Streitfall handelte es sich um das Zusammenfügen von verschiedenen Gegenständen zu einer einheitlichen Sache – dienen, bereits als „Montage“ im tatbestandlichen Sinn verstanden.3 Hingegen hat der BFH klargestellt, dass lediglich Materialanlieferungen am Ort der Montage oder Bauausführung nicht schon als tatbestandliche Ausführungstätigkeit angesehen werden können.4 Diese Einschränkung ist sachgerecht, denn die bloße Anlieferung beinhaltet noch keinen hinreichenden Bezug zur eigentlichen Bau- oder Montagetätigkeit. So kann eine Materialanlieferung bereits erfolgen, wenn sich das Bau- oder Montageprojekt noch in der Planung befindet. Demnach kann es aber kaum zu rechtfertigen sein, den Lieferungsvorgang bereits der Bauausführung oder Montage unmittelbar zuzurechnen.5

2.158 Vorfeldtätigkeiten und Teileanlieferung. Von der bloßen Bauplanung unterscheiden sich die Vorfertigung und die Bereitstellung von Montageteilen insoweit, als sie der eigentlichen Montagetätigkeit funktional sehr nahestehen.6 Die Vorfeldmontage ist im Gegensatz zur Planung bereits der bautechnischen Projektrealisierung zuzuordnen. Unter dem Begriff der Bauausführung oder Montage sind danach nicht nur eigentliche Konstruktions- oder Installationsvorgänge zu verstehen, sondern alle notwendigen Arbeiten – wie Konstruktion oder Installation –, die durch das vor Ort handelnde Bau- oder Montagepersonal technisch und organisatorisch erst ermöglicht werden.7 Dies lässt sich allerdings kaum auf bloße Planungshandlungen übertragen, denn der Tätigkeitsschwerpunkt der Bauplanung ist im Regelfall auf ein „aliud“ – sozusagen auf die „geistige Montage“ – gerichtet. Deutlich wird dies u.a. daran, dass Bau- bzw. Montagepersonal und Planungspersonal in der Regel nicht personen-

1 FG München v. 18.3.1975 – II 43/72, EFG 1975, 489 (rkr.). 2 Dazu Scholtz in Koch/Scholtz, AO, § 12 Rz. 16; i.E. wohl offen Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Tz. 33. 3 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann. 4 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann. 5 Relevant wird dies für die Abgrenzung von Gewinnen aus Lieferungen gegenüber solchen aus Montagen; s. BFH v. 13.11.1990 – VIII R 152/86, BStBl. II 1991, 96. 6 Vgl. Art. 5 Tz. 19 Satz 1 OECD-MK, wonach Vorarbeiten vor Ort bereits betriebsstättenbegründend wirken können. 7 Siehe Feuerbaum, Internationale Besteuerung des Industrieanlagenbaus, 1983, 65; vgl. auch Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 131; Storck, Ausländische Betriebsstätten, 1980, 183.

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.161 Kap. 2

identisch sind, denn Planungs- und Konstruktionstätigkeiten erfordern jeweilig voneinander unterschiedliches technisches Wissen.1 Gleichwohl sind Fälle denkbar, in denen die Planungstätigkeit mit der folgenden Bau- oder Montagehandlung unmittelbar und nahezu untrennbar verwoben ist. Wie bereits erwähnt, soll im DBA-Recht die Bauplanung unter den Begriff der „Bauausführung“ zu subsumieren sein, wenn sie vom Bauunternehmer selbst ausgerichtet wird.2 Engineering-Tätigkeiten. Die Eigenschaft von sog. Engineering-Tätigkeiten im Vorfeld oder während der Bau- bzw. Montagerealisierung als tatbestandliche „Bau- oder Montagetätigkeiten“ ist ungeklärt. Besonders im Großanlagenbau ist es üblich, dass komplexes Know-how zur Realisierung eines Projekts erforderlich wird, das nur durch entsprechend kenntnisreiche Dritte zur Verfügung gestellt werden kann. Das Engineering bezieht sich daher vornehmlich auf einen Wissenstransfer durch spezialisierte Dritte, eine Anlage zu planen (sog. Basis-Engineering), gemeinsam mit dem Auftraggeber zu entwickeln (sog. Detail-Engineering), zum Laufen zu bringen (Montage-Engineering) und in Betrieb zu halten.3 Werden derartige Leistungen, die überwiegend dem Transfer von technischem Know-how und Erfahrungen dienen, durch einen Dritten erbracht, so handelt es sich grundsätzlich weder um Bau-, noch um Montagetätigkeiten.4 Im Kern der Dienstleistung steht keine unmittelbar auf eine Errichtung eines Bauwerks oder der Konstruktion eines technischen Gebildes gerichtete Tätigkeit. Das Vorliegen einer Betriebsstätte bei derartigen Arbeiten, die lediglich auf das Erbringen einer technischen Dienstleistung gerichtet sind, richtet sich nach dem allgemeinen Betriebsstättentatbestand nach § 12 Satz 1 AO bzw. nach Art. 5 Abs. 1 OECD-MA.

2.159

OECD-Entwicklungen. Auf Basis eines Diskussionspapiers vom 19.10.20125 hat die OECD auch die Fragestellung nach der Zurechnung von Bautätigkeiten auf den Generalunternehmer, die durch Subunternehmer erbracht werden, näher beleuchtet. Im Rahmen von Engineering-Tätigkeiten kann dieser Diskussionsherd gleichsam von Bedeutung sein; s. hierzu Rz. 2.98.

2.160

d) Begründung einer Bau- oder Montagebetriebsstätte durch bloße Personalgestellung? Betriebsstättengrundtatbestand. Die bloße Gestellung von Bau- oder Montagepersonal für den gestellenden Unternehmer kann im Ansässigkeitsstaat des beschäftigenden Unternehmers keine Betriebsstätte begründen. Dies gilt auch im Rahmen von grenzüberschreitenden Bau- und Montageprojekten. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA ist bereits deswegen nicht einschlägig, weil die gestellten Arbeitskräfte nicht die Tätigkeit des überlassenden Unternehmens ausüben, sondern dies Tätigkeiten des beschäftigenden Unternehmens sind. Die bloße Überlassung von Personal soll überdies – da das überlassende Unternehmen nicht für die Erfül1 Gassner in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 76 weist darauf hin, dass im Bereich des DBA-Rechts die Bedeutung von hochspezialisierten geistigen und technischen Dienstleistungen im Zusammenhang mit Bau- oder Montageprojekten immer stärker zunehme. Gassner, a.a.O., (m.w.N.) gibt zu Bedenken, dass diese Entwicklung bei der Fortentwicklung der DBA sowie der „Baustellenklauseln“ berücksichtigt werden sollte. 2 Siehe bereits Art. 5 Tz. 17 Satz 2 OECD-MK. 3 Sonntag, IStR 1996, 463; Dubberke, IStR 1998, 662. 4 Zur Frage des Personaltrainings aus abkommensrechtlicher Perspektive s. Dubberke, IStR 1998, 662. 5 http://www.oecd.org/ctp/treaties/PermanentEstablishment.pdf.

Puls 89

2.161

Kap. 2 Rz. 2.162

Begriff der Betriebsstätte

lung eines Werks (z.B. Errichtung eines Bauwerks), sondern lediglich für das „Auswahlverschulden“ im Hinblick auf das gestellte Personal haftet – bspw. nach Auffassung der österreichischen Finanzverwaltung keine Betriebsstätte nach dem Grundtatbestand des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA begründen können.1 Dieser Auffassung ist uneingeschränkt zuzustimmen, so dass durch die Gestellung von Bau- oder Montagepersonal regelmäßig keine Betriebsstätte des Stammhauses im Staat der Bauausführung begründet wird. Wird lokal eine Geschäftsstelle zur Koordination der Personalgestellungsangelegenheiten unterhalten, so kann ggf. der Betriebsstättengrundtatbestand (Art. 5 Abs. 1 OECD-MA) erfüllt sein.

2.162 OECD-MK. Nach einhelliger Auffassung im Schrifttum fällt die Personalgestellung nicht unter Art. 5 Abs. 3 OECD-MA, da der Begriff „Personalgestellung“ trotz eines engen Sachzusammenhangs mit einem Bauvorhaben nicht als „Bauausführungen“ oder „Montage“ im eigentlichen Sinn ausgelegt werden kann.2 Bedauerlicherweise fehlt im offiziellen Kommentar der OECD zur Frage der Betriebsstättenbegründung durch Personalgestellung bislang eine eindeutige Aussage. Insoweit versuchen manche Staaten gegenwärtig, die Überlassung von Arbeitskräften als betriebsstättenbegründend zu qualifizieren. Zum Teil wird die Ansicht vertreten, die Gestellung von Personal sei als Überlassung von Know-how zu werten; die Vergütungen für die Personalgestellungen seien infolgedessen als quellensteuerpflichtige Lizenzgebühren i.S.d. Art. 12 OECD-MA zu qualifizieren. Diese Auffassung ist bereits aus systematischen Gründen abzulehnen. 3. Beginn und Ende der Frist

2.163 Eintreffen des Bau-/Montagepersonals. Bau- oder Montagetätigkeiten beginnen nicht erst mit dem Auftakt der eigentlichen Konstruktions- oder Installationsarbeiten.3 Nach Ansicht der Rechtsprechung ist der Beginn einer Montagetätigkeit bereits in dem Eintreffen der ersten Person, die vom Bau- oder Montageunternehmen mit den vorzunehmenden Arbeiten betraut worden ist, zu erblicken.4 Der BFH hat hierzu ausgeführt, dass als „Montagearbeiten“ im tatbestandlichen Sinn auch solche Tätigkeiten zu erfassen sind, die der unmittelbaren Vorbereitung der Konstruktions- oder Installationstätigkeit am Errichtungsort dienen. Dies ist nicht unproblematisch, da die bloße Anwesenheit des Bau- oder Montagepersonals noch keine – dem Wortlaut nach erforderliche – Bau- bzw. Montagetätigkeit verkörpert. Die Rechtsprechung des BFH beruht vielmehr auf der Annahme, dass das Eintreffen des Bau- oder Montagepersonals am Errichtungsort eine gewisse Indizwirkung für den Beginn der Bau- oder Montagetätigkeiten beinhaltet.

2.164 Anlieferung von Material. Im Gegensatz zum Eintreffen des Personals soll nach Ansicht der Rechtsprechung die bloße Anlieferung von Baumaterial oder Montagegegenständen für 1 ÖBMF-EAS 1532 v. 27.9.1999; BMF-EAS v. 9.10.1995 zitiert bei Bendlinger/Görl/Paaßen/Remberg, IStR 2004, 145 (147 f.); Bendlinger/Görl/Paaßen/Remberg, in „Positionspapier“ des DMA – Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V., Frankfurt/M. 2003, 5 (6). 2 Bendlinger/Görl/Paaßen/Remberg, IStR 2004, 145 (147 f.). 3 Im Bereich des DBA-Rechts stellt bei grenzüberschreitenden Bau- oder Montagetätigkeiten aus Praktikabilitätsgründen in aller Regel der Einreisetag des Bau- oder Montagepersonals den Beginn der maßgeblichen Zeitdauer dar; so noch Art. 5 Tz. 19 OECD-MK a.F. Nach Art. 5 Tz. 19 Satz 1 OECD-MK (2003) soll die Bauausführung bereits mit der Errichtung eines Bauplanungsbüros beginnen können. Nach Ansicht von Feuerbaum, Internationale Besteuerung des Industrieanlagenbaus, 1983, 55 soll hingegen auf den faktischen Beginn der Bau- oder Montageaktivitäten abgestellt werden. 4 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann.

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.167 Kap. 2

den Beginn der Bauausführung nicht ausreichend sein. Nach Meinung der Rechtsprechung unterscheidet sich die Materialanlieferung vom Eintreffen des Personals dadurch, dass durch die Ankunft des Personals bereits die notwendige örtliche Verbindung mit dem Tätigkeitsort hergestellt werde. Hier ergebe sich praktisch eine Indizwirkung für die Herstellung eines personalen (Tätigkeits-)Bezugs zum Ort der Bau- oder Montageausführung. Dies gelte auch dann, wenn das betreffende Personal zunächst nur Vorbereitungstätigkeiten durchführe und der eigentliche Installationsvorgang erst später beginne.1 Beendigung der Bau-/Montagetätigkeit. Beendet ist eine Bauausführung bzw. Montage erst dann, wenn der übernommene Auftrag zivilrechtlich erfüllt ist; im Rahmen von Werklieferungsverträgen ist dies in aller Regel die Abnahme.2 Arbeiten bis zur förmlichen Abnahme sind daher in jedem Fall als Bau- oder Montagetätigkeiten im tatbestandlichen Sinn zu betrachten. Sind nach einer erfolgten Abnahme Nachbesserungsarbeiten notwendig und werden diese unmittelbar im Anschluss an die eigentliche Bau- oder Montagetätigkeit ausgeführt, so gehören sie zu der eigentlichen Bau- oder Montagetätigkeit.3 Ist eine Abnahme nicht vereinbart, so endet die Bauausführung oder Montage bei Anwendung der BFH-Rechtsprechung spiegelbildlich mit der Abreise des Bau- oder Montagepersonals.4

2.165

Fristberechnung. Weder § 12 AO, Art. 5 Abs. 3 OECD-MA noch die offizielle Kommentierung der OECD enthält eine Spezifizierung, wie die Fristberechnung für die Frage nach einer Bau- bzw. Montagebetriebsstätte in rechtstechnischer Hinsicht beantwortet werden soll. Nach Art. 3 Abs. 2 OECD-MA ist demzufolge für das DBA-Recht Rückgriff auf das innerstaatliche Recht zu nehmen. Insoweit finden die §§ 187 ff. BGB Anwendung. Für den Fristbeginn ist § 187 Abs. 1 BGB maßgeblich; das Fristende bestimmt sich nach § 188 Abs. 2 (Alt. 2) BGB; dies gilt gleichermaßen für § 12 Satz 2 Nr. 8 AO.

2.166

4. Zeitliche Mindestdauer a) Innerstaatliches Recht Fristenregelung. Nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO wird eine Bauausführung oder Montage dann als tatbestandliche Betriebsstätte betrachtet, wenn die Dauer der Tätigkeiten die gesetzlich vorgesehene Sechsmonatsgrenze überschreitet. Ist der Bauunternehmer mit der Realisierung mehrerer Bauprojekte betraut worden, die sich zeitlich allesamt überschneiden und in der Gesamtdauer einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten einnehmen, von denen jedoch keine der einzelnen Projektarbeiten einen Zeitraum von sechs Monaten überschreitet, so liegt allerdings weder nach § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. b noch nach Nr. 8 Buchst. c AO eine einheitliche Baubetriebsstätte vor; es erfolgt mithin keine Zusammenrechnung.5 Das FG Köln hat in einer

1 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 696 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann. 2 Soweit ersichtlich ist dies einhellige Auffassung; s. BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 697 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann. 3 So auch BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 696 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann, obwohl Reparaturarbeiten im Regelfall nicht zu den Bau- oder Montagetätigkeiten zählen sollen. 4 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 696 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann; vgl. auch Feuerbaum, Internationale Besteuerung des Industrieanlagenbaus, 1983, 66 (67). 5 Siehe dazu R 2.9 Abs. 2 Satz 3 f. GewStR. Gewerbesteuerlich wird zudem vorausgesetzt, dass die einzelnen Bauausführungen oder Montagen in derselben Gemeinde vorgenommen werden müssen.

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2.167

Kap. 2 Rz. 2.168

Begriff der Betriebsstätte

älteren Entscheidung diese Sichtweise bestätigt und sich bei derartigen Fallkonstellationen auch dagegen ausgesprochen, § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. c AO sinngemäß anzuwenden, um eine Zusammenrechnung zu ermöglichen.1 Das Gericht hat hierbei betont, dass eine entsprechende Anwendung des § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. c AO einer nicht zu rechtfertigenden Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs gleichkommen würde. Regelungsgedanke der Vorschrift sei vielmehr, nur die Fallgruppe mehrerer ohne Unterbrechung zeitlich aufeinanderfolgender Bauausführungen zu erfassen, nicht dagegen den Fall parallellaufender bzw. sich überschneidender Bauausführungen.

2.168 BFH vom 21.4.1999 – I R 99/97. Fraglich ist, ob diese Sichtweise vor dem Hintergrund der BFH-Rechtsprechung noch Bestand haben kann, denn der BFH hat in einer Entscheidung vom 21.4.1999 wörtlich festgestellt:2 „Tritt während der Zeit der Fristhemmung eine weitere Montage in demselben Territorium hinzu, so sind die für beide Montagen anzurechnenden Fristen in entsprechender Anwendung des § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. c AO 1977 zusammenzurechnen. Denn in dieser Situation besteht ein noch engerer Zusammenhang zwischen beiden Montagen als bei einer zeitlichen Aufeinanderfolge, weshalb die für jenen Fall geltende Zusammenrechnungsregelung (§ 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. c AO 1977) hier erst recht eingreifen muss.“3 Mit der hier angesprochenen Sachverhaltskonstellation ist der Fall gemeint, dass mehrere Montagen, die parallel, jedoch nicht individuell voneinander getrennt erfolgen, grundsätzlich einheitlich betrachtet werden können, wenn sie in der Summe die Sechsmonatsgrenze überschreiten. Eine entsprechende Anwendung des § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. c AO auf derartige Sachverhalte ist nach Ansicht des BFH sinnvoll, da es im Grundsatz nur auf die qualitative Intensität der infrastrukturellen Belastung ankommen kann, die den Besteuerungsanspruch durch Vollendung des Baubetriebsstättentatbestands rechtfertigt. Eine hinreichende Inanspruchnahme der kommunalen Infrastruktur (Straßen und Wege, Versorgungseinrichtungen etc.) liegt nicht nur in den Fällen des § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. b und Buchst. c AO vor, sondern auch dann, wenn kürzere, aufeinanderfolgende Bau- oder Montagetätigkeiten erfolgen. Ein Außerachtlassen dieser Sachverhalte kann kaum gewollt sein, denn schließlich beinhaltet auch die Sechsmonatsgrenze des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO nur eine gesetzlich kodifizierte Regelvermutung dafür, ab welchem Zeitpunkt von einer „besteuerungswürdigen“ Belastung der örtlichen Infrastruktur auszugehen ist.4 Bei zeitlich parallel erfolgenden Bau- oder Montagetätigkeiten kann – so die Conclusio des BFH – eine infrastrukturelle Belastung zudem viel intensiver ausgeprägt sein als bei einer Baumaßnahme, die sich über einen sechsmonatigen Zeitraum erstreckt.

2.169 Ruhen des Bau-/Montageprojekts. In die Bau- oder Montagefrist von sechs Monaten sind auch solche Zeitspannen miteinzubeziehen, in denen die Bau- oder Montagearbeit aufgrund betriebstechnischer Gegebenheiten nicht weiterbetrieben werden kann.5 Nach bisheri-

1 FG Köln v. 30.6.1983 – IX 104/80 G, EFG 1984, 187 (188) (rkr.) unter Berufung auf BFH v. 22.9.1977 – IV R 51/72, BStBl. II 1978, 140. 2 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 (697) = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann. 3 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 (697) = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann; s. zu diesem Problemkreis auch FG Niedersachsen v. 19.6.2001 – 15 K 794/98, IStR 2002, 171 (172) (n.rkr.). 4 Vgl. dazu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 94; Gassner in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 59; Kühn/Hofmann, AO/FGO, 1995, § 12 Rz. 3. 5 Siehe BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 (697) = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann.

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.171 Kap. 2

ger Rechtsprechung sollte bei einer betriebsbedingten Unterbrechung von mehr als zwei Wochen regelmäßig von einer Hemmung der Ablauffrist auszugehen sein.1 Diese Rechtsprechung ist mit der BFH-Entscheidung vom 21.4.1999 „in dieser Allgemeinheit“ – so hat es das Gericht selbst formuliert – aufgegeben worden.2 Da betriebsbedingte Unterbrechungen im Rahmen des DBA-Rechts seit jeher – unabhängig von einer bestimmten Frist – den Ablauf der Bau- oder Montagemindestdauer nicht hemmen konnten, hat der BFH zur Vereinheitlichung der Rechtsanwendung diese Sichtweise nunmehr auch auf den Betriebsstättenbegriff nach § 12 AO angewendet. Die Frage, ob die Ablauffrist gehemmt wird, kann sich daher grundsätzlich nicht in Abhängigkeit zu den konstruktionstechnischen Besonderheiten einer Bau- oder Montageausführung beantworten lassen.3 Nicht-betriebsbezogene Unterbrechungen. Von den betriebsbezogenen Unterbrechungen sind solche Unterbrechungen zu unterscheiden, die nicht im Arbeitsablauf des Bau- oder Montageunternehmens oder seiner Subunternehmer begründet sind, sondern ihre Ursache in anderen Sachverhalten finden.4 Die Rechtsprechung hatte hier den Fall zu entscheiden, in welchem der Besteller eine erforderliche Mitwirkungshandlung an der Abnahme des fertiggestellten Werks unbegründet ablehnte. Bei einer derartigen Konstellation soll – so die Sichtweise des BFH – die für die Entstehung einer Betriebsstätte maßgebliche Frist dann gehemmt sein, wenn die Unterbrechung der Arbeiten nicht nur ganz kurzfristig ausfällt und die mit dem Bau- oder Montagevorgang betrauten Personen von der Tätigkeitsstätte abgezogen werden. Hier besteht nach Ansicht des BFH die Bau- oder Montagestelle fort, da die Arbeiten noch nicht endgültig eingestellt worden seien; die Unterbrechungszeit sei daher nicht für die Fristberechnung einzubeziehen.5 Dies erscheint einleuchtend, denn hier hat es der Bauunternehmer nicht mehr in der Hand, durch die Ausgestaltung der ihm obliegenden oder zuzurechnenden Tätigkeiten die Frist zur Betriebsstättenbegründung maßgeblich mitzugestalten. Als Anhaltspunkt für eine Fristhemmung kann auf die Zweiwochenfrist abzustellen sein.6

2.170

b) Mindestdauer im DBA-Recht Fristenregelung. Im Gegensatz zu § 12 Satz 2 Nr. 8 AO, der von einer Mindestbestehensdauer von sechs Monaten ausgeht, setzt Art. 5 Abs. 3 OECD-MA zunächst eine Mindestausführungsdauer von zwölf Monaten für jede einzelne Bau- oder Montagemaßnahme voraus. Die Vorschrift des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO ermöglicht zudem explizit die Zusammenrechnung mehrerer Bauausführungen bzw. Montagen zu einem einheitlichen Tätigkeitszeitraum. Die in § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. a bis c AO benannten Sachverhalte müssen alternativ eine Mindestdauer von sechs Monaten aufweisen. Bestehen mehrere Bauausführungen oder Monta-

1 BFH v. 21.10.1981 – I R 21/78, BStBl. II 1982, 241 = FR 1982, 126. 2 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann. 3 Vor BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann wurde dies z.T. unterschiedlich beurteilt; vgl. insoweit Gassner in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 67; zum Ganzen auch Krawitz/Hick, RIW 2002, 523 (527, 528). 4 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann. 5 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann. 6 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann unter Berufung auf BFH v. 22.9.1977 – IV R 51/72, BStBl. II 1978, 140 u. v. 21.10.1981 – I R 21/78, BStBl. II 1982, 241 = FR 1982, 126; s. auch H 2.9 Abs. 2 letzter Spiegelstrich GewStR; hier wird desgleichen auf eine Frist von zwei Wochen abgestellt.

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2.171

Kap. 2 Rz. 2.172

Begriff der Betriebsstätte

gen nebeneinander oder aufeinander folgend, so dürfen sie entsprechend dem Regelungszweck zu einem einheitlichen Bau- oder Montageprojekt zusammengefasst werden. Nehmen mehrere Bauausführungen nebeneinander denselben Zeitkorridor ein, so ist eine alle Einzeltätigkeiten einschließende Betriebsstätte bereits dann gegeben, wenn nur eine der ausgeführten Tätigkeiten länger als sechs Monate besteht. Art. 5 Abs. 3 OECD-MA betont hingegen den Einzelbetrachtungscharakter jeder Bauausführung und Montage. Die tatbestandlich geforderte Mindestdauer gilt im Grundsatz isoliert für jede Bau- oder Montagetätigkeit.1

2.172 Vorübergehende Unterbrechungen. Die BFH-Rechtsprechung unterscheidet für den abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriff im Grundsatz zwischen (im weiteren Sinne) technisch bedingten sowie sog. witterungsbedingten Unterbrechungen der Bau- oder Montagetätigkeiten. Wie bereits oben aufgezeigt sind betriebstechnisch bedingte Unterbrechungen – unabhängig von der Dauer einer Tätigkeitsunterbrechung – in die Berechnung der Bau- oder Montagefrist miteinzubeziehen. Witterungsbedingte Unterbrechungen sollen die Frist demgegenüber hemmen, wenn die Tätigkeitsunterbrechung nicht nur kurzfristig eintritt und das Bau- oder Montagepersonal noch immer am Tätigkeitsort verweilt. Nach dem OECD-MK sind jahreszeitbedingte oder „andere vorübergehende“ Unterbrechungen bei der Ermittlung der zeitlichen Mindestdauer einer Bautätigkeit oder Montage grundsätzlich miteinzubeziehen.2

2.173 Besonderheiten bei Personengesellschaften. Der OECD-MK enthält überdies eine Stellungnahme zur Qualifizierung der zeitlichen Mindestdauer von Bauausführungen und Montagen, die durch (fiskalisch transparente) Personengesellschaften durchgeführt werden. Grundsätzlich soll die Zwölfmonatsmindestdauer auch auf Ebene der Gesellschaft gelten. Ist ein Gesellschafter der transparenten Personengesellschaft länger als zwölf Monate auf einer Bau- oder Montagestelle tätig, so „wirkt“ die Entstehung einer Baubetriebsstätte auch im Hinblick auf alle übrigen Gesellschafter. Jeder Gesellschafter wird – unabhängig von der Zeitdauer, die er auf der Bau- oder Montagestelle verbracht hat – so betrachtet, als ob er dort selbst eine Betriebsstätte unterhalten habe.

2.174 Aktuelle Entwicklungen auf OECD-Ebene. Nach dem OECD Final Report zu BEPS-Aktionspunkt 7 soll eine Zusammenrechnung der Tätigkeitsdauer eines an einem Bau- und Montageprojekt beteiligten Unternehmens mit den während eines davon abweichenden Zeitraums ausgeübten Tätigkeiten eines sog. „eng verbundenen Unternehmens“ an demselben Bauund Montageprojekt in dem betreffenden DBA-Staat vorgenommen werden können.3 Hierdurch soll verhindert werden, dass Unternehmen eine Aufsplittung von Tätigkeiten dergestalt vornehmen kann, dass im Tätigkeitsstaat mangels Überschreiten der erforderlichen Mindestzeitdauer keine Bau- oder Montagebetriebsstätte vorliegen kann. Die OECD schlägt zur Vermeidung derartiger Gestaltungsideen vor, die Gesamtdauer der (miteinander verbundenen) Unternehmen an dem Bau- und Montageprojekt aggregiert zu betrachten. Eine Aufsplittung der Tätigkeiten an einem Bau- oder Montageprojekt auf verschiedene Unternehmen einer Unternehmensgruppe hätte als solche – jedenfalls in zeitlicher Hinsicht – keine Auswirkungen mehr auf die Annahme einer Bau- oder Montagebetriebsstätte nach Art. 5 Abs. 3 OECD-MA. Sofern ein Konzernunternehmen lediglich kurzfristig im Rahmen eines Bau- oder Montageprojekts einem anderen verbundenen Unternehmen quasi „aushilft“, soll eine Zusammenrechnung der Tätigkeiten nicht erfolgen, wenn eine Mindesttätigkeitsdauer

1 Siehe Art. 5 Tz. 18 Satz 1 OECD-MK. 2 Art. 5 Tz. 18 Satz 3, 4 OECD-MK. 3 Siehe Art. 5 Tz. 42.45 OECD-MK.

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.176 Kap. 2

von 30 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten nicht überschritten wird („Bagatellregelung“). Im Hinblick auf den Begriff der „eng verbundenen Unternehmen“ stellt die OECD auf die im Rahmen des Vertreterbetriebsstättenbegriffs nach Art. 5 Abs. 6 Buchst. b OECD-MA verwendete Definition ab (vgl. hierzu Rz. 2.223). 5. Sonderfall Bau- und Montageüberwachung, Subunternehmer Frage nach der Tätigkeitszurechnung. Ähnlich wie im Rahmen der Betriebsstätte nach § 12 Satz 1 AO stellt sich bei den Bau- oder Montagetätigkeiten die Frage, ob und unter welchen Umständen Tätigkeiten des Subunternehmers dem Generalunternehmer zuzurechnen sind. Erbringt der Subunternehmer im Rahmen eines Bau- oder Montageprojekts eigenständige Leistungen, so beschränken sich die Aufgaben des Generalunternehmers im Hinblick auf die vom Subunternehmer zu erbringenden Tätigkeiten in der Regel lediglich auf deren Leitung, Koordination sowie allen voran auf die Tätigkeitsüberwachung.1 Nach Ansicht der Finanzverwaltung und der Rechtsprechung soll eine Zurechnung auf den Generalunternehmer bereits dann möglich sein, wenn dieser als Schuldner der Herstellung des Werks die eigentliche Errichtungstätigkeit vollumfänglich auf einen Subunternehmer übertragen habe, jedoch gleichzeitig die Überwachung mit eigenem Personal durchführe.2 Die durch den Subunternehmer vorgenommenen Konstruktions- und Installationstätigkeiten sollen insoweit „für und gegen“ den Generalunternehmer wirken, der zivilrechtlicher Schuldner des zu erbringenden Werks bleibt. Maßgeblich für die Zurechnung ist damit, ob der Generalunternehmer eine Überwachungstätigkeit vornimmt, die sein unternehmerisches und wirtschaftliches Risiko der Auftragsübernahme entsprechend reflektiert.3

2.175

Kritik. Letztlich bedeutet diese Auffassung, dass der Generalunternehmer eine eigenständige Tätigkeit ausüben muss, die sich in Gestalt einer Überwachungstätigkeit offenbart. Eine eigenständige Tätigkeit des Generalunternehmers ist in aller Regel allerdings nur dann gegeben, wenn dem Generalunternehmer konkrete Leitungs- und Dispositionsbefugnisse über den Subunternehmer zustehen. Nur unter diesen Voraussetzungen steht die Überwachungstätigkeit des Generalunternehmers wertungsmäßig der durch den Subunternehmer auszuführenden Bauausführung oder Montage gleich und ist damit qualitativ als eigene unternehmerische Betätigung zu werten. Erfolgt die Überwachung des Subunternehmers ausschließlich während bestimmter Zeitabschnitte, die unter der Sechsmonatsgrenze liegen, so kann eine Zurechnung auch unter zeitlichen Aspekten fragwürdig sein.4 Entscheidend ist stets, dass die Überwachungstätigkeit als solche eine derartige Intensität erreicht, dass sie als eigene unternehmerische Betätigung des Generalunternehmers angesehen werden kann. Eine eigenständige, betriebsstättenrelevante Tätigkeit des Generalunternehmers liegt allerdings nur

2.176

1 Vgl. Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten, 1982, 39; s. bereits Tillmann, FR 1971, 306 ff., wonach eine Betriebsstätte bei bloßer Bauaufsicht durch den Generalunternehmer nur bei Vorhandensein einer entsprechenden festen Geschäftseinrichtung in Betracht kommen kann. 2 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.2; BFH v. 13.11.1962 – I B 224/61 U, BStBl. III 1963, 71; vgl. dazu auch Jacobs, IStR 2002, 505 (506); s. auch Art. 5 Tz. 19 Satz 8 OECD-MK. 3 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 115 f.; Schieber, IStR 1994, 521 (524); Münch, RIW 1995, 930 f. Beschränkt sich der Tätigkeitsgehalt eines Unternehmers nur auf reine Aufsichtsarbeiten, so kann eine Betriebsstätte nur unter den Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Satz 1 AO bzw. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA vorliegen, s. Schieber, IStR 1994, 521 (525). 4 Vgl. dazu Schieber, IStR 1994, 521 (526, 527); Münch, RIW 1995, 932.

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Kap. 2 Rz. 2.177

Begriff der Betriebsstätte

dann vor, wenn dessen Überwachungstätigkeit das Zeitkriterium von mehr als sechs Monaten nach der AO bzw. von mehr als zwölf Monaten nach dem OECD-MA erfüllt.1 Insoweit handelt es sich bei den Tätigkeiten des General- wie des Subunternehmers nicht etwa nur um einheitliche Arbeiten, die lediglich zum Vorliegen einer einzigen Baubetriebsstätte führen. Durch die eigentliche Bau- oder Montagetätigkeit wird zunächst eine eigenständige Betriebsstätte des Subunternehmers begründet. Die Überwachungstätigkeit des Generalunternehmers führt sodann zur Annahme einer weiteren, eigenständigen Betriebsstätte.2 Diese ist strikt von der „Tätigkeits-Betriebsstätte“ des Subunternehmers zu trennen, die insoweit als eigenständig zu betrachten ist.3 Der Generalunternehmer kann vor diesem Hintergrund nicht über zwei Betriebsstätten verfügen, denn die Voraussetzungen für die Bau- bzw. Montagebetriebsstätte durch die eigentlichen Bau- oder Montagearbeiten können nur vom Subunternehmer erfüllt werden.4

2.177 Entwicklungen auf OECD-Ebene. Im Rahmen des Diskussionspapiers vom 19.10.2012 zur Interpretation des Betriebsstättenbegriffs nach Art. 5 OECD-MA hat die OECD auch zur weiteren Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen von Bau- und Montagebetriebsstätten Stellung genommen. Hierbei geht es zum einen um die Frage nach der Zurechnung von Bautätigkeiten auf den Generalunternehmer, die durch Subunternehmer erbracht werden. Darüber hinaus ist die Fragestellung der sog. Zwölfmonatsfrist im Rahmen des OECD-Papiers näher andiskutiert worden. Im Rahmen der Fragestellung der Einschaltung von Subunternehmern und deren Tätigkeitszurechnung auf den Generalunternehmer sollen nach dem OECD-Diskussionspapier Tätigkeitszeiten des Subunternehmers nicht nur bei einer Vergabe einzelner Gewerke auf diesen, sondern auch bei einer Totaldelegation dem Generalunternehmer zugerechnet werden können.5 Nach der OECD-Vorstellung soll die Tätigkeit des Subunternehmers damit zeitlich dem Generalunternehmer zuzurechnen sein, denn der Generalunternehmer habe – nach den jeweiligen Umständen – regelmäßig die Dispositionsmacht über den Subunternehmer. Ist der Generalunternehmer bspw. „im Besitz“ eines Baustellenplatzes und kann er den Zugang zur Baustelle sowie die Tätigkeitsausübung dort kontrollieren, so soll ihm nach OECD-Auffassung auch die entsprechende Gesamtverantwortung für die dort erbrachten Tätigkeiten obliegen.6 Ferner soll die Zurechnungsmöglichkeit nach OECD-Ansicht nicht nur für Bau- und Montageausführungen gelten, sondern für jedwede Einsetzung eines Subunternehmers.7 Diese Sichtweise ist in der Literatur zu Recht kritisiert worden; es droht infolge der Tätigkeitszurechnung eine komplette Loslösung des Betriebsstättenkonzepts vom Erfordernis einer physischen Präsenz.8 Ferner soll im Hinblick auf die

1 Schieber, IStR 1994, 268 (269) zur Problematik von Überwachungsunterbrechungen. Anzumerken ist, dass in einigen DBA isolierte Überwachungsleistungen dem Tatbestand des Art. 5 Abs. 3 zugeordnet sind; vgl. hierzu etwa Art. 5 Abs. 3 Buchst. a DBA-China; s. dazu auch die Übersicht bei Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 115. 2 Siehe auch Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 600. 3 Vgl. insoweit BFH v. 13.11.1962 – I B 224/61 U, BStBl. III 1963, 71. Nach Ansicht von Storck, Ausländische Betriebsstätten, 1980, 176 sollen sowohl die reine Bauleitung als auch die Bauplanung betriebsstättenbegründend wirken können; s. nunmehr auch Art. 5 Tz. 17 Satz 3 OECD-MK. 4 Vgl. bereits Art. 5 Tz. 19 Satz 8 OECD-MK. 5 OECD-Diskussionspapier v. 19.10.2012, Tz. 47, abrufbar unter http://www.oecd.org/ctp/treaties/ PermanentEstablishment.pdf; vgl. auch Bendlinger, SWI 2011, 251 (255); Wichmann, IStR 2012, 711 (712). 6 OECD-Diskussionspapier v. 19.10.2012, Tz. 47. 7 OECD-Diskussionspapier v. 19.10.2012, Tz. 49. 8 Wichmann, IStR 2012, 711 (712); s. auch Bürkle/Ullmann, DStR 2013, 944 (946).

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.180 Kap. 2

Frage nach dem Ende der Zwölfmonatsfrist bei Bau- und Montageausführungen auf den Zeitpunkt der Übergabe des Bauwerks oder Montagegegenstands an den Werkauftraggeber abzustellen sein.1 Ausnahme hiervor soll sein, wenn das bau- oder montageausführende Unternehmen auch nach diesem Zeitpunkt an der Bau- oder Montagestelle tätig ist, um das Bauwerk oder den Montagegegenstand zu komplettieren; hierzu sollen auch Garantiearbeiten gehören, ebenso die Zeitdauer eines Testlaufs.2 6. Vorhandensein von Bau-/Montagebuden bzw. -containern Abgrenzung zwischen Tätigkeit u. Einrichtung. Erfolgt die Tätigkeit von einer sog. Bauoder Montagebude, so ist fraglich, ob bereits in dem Objekt selbst – als feste Geschäftseinrichtung nach § 12 Satz 1 AO bzw. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA – eine Baubetriebsstätte zu erblicken ist.3 Auch hier wird die eingangs aufgeworfene Frage nach dem Kern der „Baubetriebsstätte“ berührt. Nach herrschender Auffassung kann eine Baubude bzw. ein Container nur dann Baubetriebsstätte sein, wenn er selbst das Kriterium der Existenzdauer der Bauausführung nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO bzw. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA erfüllt.4 Hier wird unterstellt, dass die Tätigkeit in der Baubude derart eng mit der eigentlichen Bautätigkeit verbunden ist, dass das Kriterium der zeitlichen Mindestdauer auch auf die Existenz der Baubude – als quasi „feste Geschäftseinrichtung“ – Ausstrahlungswirkung besitzen muss.5

2.178

Aufsichts-/Leitungstätigkeit. Sofern in dem Baucontainer eigenständige Aufsichts- oder Leitungstätigkeiten ausgeführt werden, wird bereits eine derart enge Verbindung mit der eigentlichen Bauausführung vorliegen, die eine Ausdehnung des Zeitkriteriums auf die Tätigkeit in der Baubude in aller Regel rechtfertigt.6 Lediglich dann, wenn die Tätigkeit in der Baubude eine eigenständige Werk- oder Dienstleistung verkörpert, die ihrerseits in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Bauausführung steht, wird sich die Betriebsstätteneigenschaft ausschließlich nach dem Grundtatbestand beurteilen lassen.7 Für die Koordinierung verschiedener Tätigkeiten innerhalb eines Baukonsortiums kann dies erhebliche Auswirkungen haben. Ist die eigentliche Bautätigkeit auf einen Subunternehmer übertragen worden, so wird der Generalunternehmer nur noch mit den von seiner Baubude ausgehenden Koordinierungsund Kontrollaufgaben eine Betriebsstätte nach dem Grundtatbestand begründen können (sog. „Überwachungsbetriebsstätte“).

2.179

Verhältnis zu geschäftsleitenden Tätigkeiten/FG München vom 4.2.2004 – 7 K 4479/02. Nach Auffassung der FG-Rechtsprechung sind Bauausführungen und Montagen grundsätz-

2.180

1 2 3 4

OECD-Diskussionspapier v. 19.10.2012, Tz. 68. OECD-Diskussionspapier v. 19.10.2012, Tz. 68. Vgl. zum DBA-Recht Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 109. BFH v. 27.4.1954 – I B 136/53 U, BStBl. III 1954, 179; s. auch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.2.1.2. 5 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 109. 6 Siehe Spitaler, StuW 1959, Sp. 8 (9). Werden am Ort der Bau- oder Montagetätigkeit Baracken oder Baubuden zur Lagerung von Werkzeugen und Baumaterialien installiert, so soll dies nach Ansicht Spitalers bereits für sich allein ein „Merkmal“ für das Vorhandensein einer Betriebsstätte an Ort und Stelle sein. 7 Vgl. insoweit BFH v. 19.6.1963 – I B 352/60, HFR 1963, 459; H 2.9 Abs. 2 GewStH „Montage“; Gassner in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 63 (64); Storck, RIW/ AWD 1979, 767 (768), wonach dann auch eine entsprechende Verfügungsmacht über die „Baubude/Container“ vorauszusetzen wäre.

Puls 97

Kap. 2 Rz. 2.181

Begriff der Betriebsstätte

lich auch bei Vorliegen einer festen Geschäftseinrichtung nur dann als „Betriebsstätten“ anzusehen, wenn sie länger als sechs Monate dauern. Dies gilt nach Ansicht des FG München jedoch nicht, wenn eine feste Geschäftseinrichtung als geschäftsleitende Betriebsstätte dazu dient, eine Vielzahl verschiedener Bauausführungen nach- oder nebeneinander baustellenübergreifend für – im Streitfall – eineinhalb Jahre durchzuführen und von dort die gesamten Aktivitäten des ausländischen Unternehmens im Inland zu organisieren und zu steuern. Nach Ansicht des FG München stellt Art. 5 Abs. 3 OECD-MA eine lex specialis-Regelung zu Art. 5 Abs. 1 OECD-MA dar, so dass trotz Vorliegens einer festen Geschäftseinrichtung bei Bauausführungen unterhalb der Sechsmonatsgrenze keine inländische Betriebsstätte im Sinne des im Streitfall anzuwendenden DBA vorliegt. Diese Grundaussage – so das FG – ist jedoch einzuschränken, wenn die feste Geschäftseinrichtung selbst als geschäftsleitende Betriebsstätte zur Administration, Steuerung und Koordinierung verschiedener Bauausführungsprojekte gilt.1

2.181 Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung – VWG BsGa. Wird eine Geschäftstätigkeit ausgeübt, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erledigung eines Bau- und Montagevertrags steht, so ist nach Ansicht der Finanzverwaltung diese Geschäftstätigkeit nicht einer ggf. vorliegenden Bau- und Montagebetriebsstätte zuzuordnen. Es ist insoweit auf die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen nach § 12 Satz 1 AO bzw. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA zurückzugreifen. Besteht neben einer eigenständig zu beurteilenden Bauund Montagebetriebsstätte eine feste Geschäftseinrichtung des Bau- und Montageunternehmens, welche die Arbeiten der verschiedenen Bau- und Montagebetriebsstätten koordiniert, so ist nach Ansicht der Finanzverwaltung der Gewinn dieser festen Geschäftseinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA nach den allgemeinen Regeln der §§ 1 bis 17 BsGaV zu ermitteln.2 7. Bauausführungen und Montagen durch mehrere Unternehmen a) Zusammenschluss mehrerer unabhängiger Unternehmen

2.182 Auftreten in der Praxis. Ein Zusammenschluss verschiedener Unternehmen im Rahmen von Großprojekten kann auf Basis eines Arbeitsgemeinschaftsvertrags erfolgen. Hierbei ist zu unterscheiden, ob die involvierten Unternehmen einheitlich nach außen auftreten (Außenverbund) oder ob zwischen ihnen nur intern eine Verbindung bestehen soll.3 Bei einem reinen Innenverbund tritt ausschließlich ein federführendes Unternehmen („general contractor“) als Vertragspartner gegenüber dem Auftraggeber in Erscheinung. Hingegen fungieren bei einem Außenverbund sämtliche Arbeitsgemeinschaftsmitglieder als gesamtschuldnerische Vertragspartner des Auftraggebers.4 Werden Unternehmen in einem Zusammenschluss tätig, so ist zu klären, ob und unter welchen Umständen eine Baubetriebsstätte dem Verbund oder den Einzelmitgliedern zuzurechnen ist.5 Ferner besteht die Möglichkeit, dass sich Unternehmen auf Basis von Konsortialverträgen im Rahmen eines Bau- oder Montageprojekts zusammenschließen.

1 FG München v. 4.2.2004 – 7 K 4479/02, juris. 2 BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 344 – im Folgenden VWG BsGa. 3 Dazu im Einzelnen Nicklisch, NJW 1985, 2361 (2363 f.). 4 Ulmer/Schäfer in MünchKomm/BGB, vor § 705 Rz. 30 f. sowie insb. Rz. 36. 5 Siehe dazu BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.4.

98

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.185 Kap. 2

b) Bau- und Montagekonsortien Rechtliche Grundstruktur. Konsortien gehören zivilrechtlich zu den sog. Gelegenheitsgesellschaften.1 Wesensmerkmal eines Konsortiums ist, dass sich seine Zweckverfolgung entweder auf eine einmalige Angelegenheit beschränkt oder absehbar zeitgebunden ist.2 Ein Konsortium kennzeichnet sich im Weiteren dadurch, dass mehrere Konsorten als selbständige Auftragnehmer gegenüber einem Auftraggeber mit einem fest definierten Leistungs- und Arbeitsumfang auftreten.3 Der Werklohn wird je nach dem auf den entsprechenden Konsorten entfallenen Wertanteil am Auftragsvolumen aufgeschlüsselt und aufgeteilt.4 Im Innenverhältnis ist jedes Konsortialmitglied mithin nur für den selbst zu erbringenden Leistungsanteil verantwortlich.

2.183

Fehlende Mitunternehmerschaft. Ein Konsortium ist allerdings keine Mitunternehmerschaft im eigentlichen Sinne. Das Mitunternehmerrisiko und die Mitunternehmerinitiative – also die Wesensmerkmale der Mitunternehmerschaft – beziehen sich ausschließlich auf das jeweilige von dem Konsorten auszuführende Geschäft. Trotz der gesamtschuldnerischen Haftung gegenüber dem Auftraggeber verbleibt es im Innenverhältnis bei einer Abgrenzung der einzelnen Leistungsteile. Die Finanzverwaltung hat hieraus den Schluss gezogen, dass unabhängig vom Vorliegen eines Außen- oder Innenkonsortiums die Tätigkeit des einen Konsortialpartners dem anderen Konsortialpartner nicht zugerechnet werden könne.5 Infolgedessen sei für jeden Konsortialpartner anhand der Betriebsstättenvorschrift gesondert zu prüfen, ob eine Baubetriebsstätte vorliege. Dies erscheint sachgerecht, denn auch wirtschaftlich wollen sich die Konsortialpartner gerade so behandeln lassen, als wäre zwischen dem Auftraggeber und jedem einzelnen ein Vertrag über die jeweilig zu erbringende Bau- oder Montageleistung zustande gekommen. Das Vorliegen einer Betriebsstätte ist demzufolge für jeden Konsorten gesondert zu prüfen.

2.184

c) Arbeitsgemeinschaften Qualifikation als Mitunternehmerschaft. Bei der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) soll es sich nach Ansicht der Finanzverwaltung dagegen um eine sog. Mitunternehmerschaft handeln, die eine Zurechnung der Tätigkeit eines ARGE-Unternehmens auf alle anderen rechtfertigen könne.6 Von einem Konsortium unterscheidet sich die ARGE dadurch, dass die Mitglieder einer ARGE zur Durchführung eines Bauprojekts gemeinschaftlich Betriebsgrundlagen (Personal, Baumaterial, bautechnische Geräte) in die Gesellschaft miteinbringen und damit Gesamthandsvermögen bilden.7 Gegenüber dem Auftraggeber erbringt die ARGE selbst und unmittelbar die Werkleistung. Wesentlicher Unterschied zum Konsortium ist damit, dass die Mitglieder der ARGE nur im Innenverhältnis eigenverantwortlich tätig werden; nach außen dagegen tritt ausschließlich die ARGE als eigenständiges Rechtsgebilde auf.8 Die Recht1 Siehe Ulmer/Schäfer in MünchKomm/BGB, vor § 705 Rz. 36; dazu auch Keßler in Staudinger, BGB, vor § 705 Rz. 153. 2 Ulmer/Schäfer in MünchKomm/BGB, vor § 705 Rz. 36; Nicklisch, NJW 1985, 2361 (2364). 3 Nicklisch, NJW 1985, 2361 (2364, 2365), der im Weiteren noch zwischen sog. Innen- und Außenkonsortien unterscheidet. 4 Dies folgt aus der Konzeption eines Konsortiums als sog. Dach-Arbeitsgemeinschaft; s. Nicklisch, NJW 1985, 2361 (2364). 5 VWG BsGa, Rz. 346. 6 VWG BsGa, Rz. 345. 7 Siehe dazu Güroff in Glanegger/Güroff9, § 2a GewStG Rz. 2, 5. 8 Zu den rechtlichen Einzelheiten s. Ulmer/Schäfer in MünchKomm/BGB, vor §§ 705 Rz. 43 f.

Puls 99

2.185

Kap. 2 Rz. 2.186

Begriff der Betriebsstätte

sprechung befürwortet, eine nach außen im eigenen Namen auftretende ARGE unabhängig von deren Dauer stets als Mitunternehmerschaft anzusehen.1

2.186 Kritik. Die Frage nach einer Mitunternehmerschaft der ARGE beinhaltet grundsätzlich diverse Problemstellungen. Die Finanzverwaltung sieht den Grund für die Annahme einer Mitunternehmerschaft und einer darauf begründeten Zurechnung der Tätigkeiten auf sämtliche ARGE-Mitglieder darin, dass die Tätigkeiten der ARGE-Partner in sachlicher und zeitlicher Hinsicht als Einheit erfolgen. Vergegenwärtigt man sich allerdings, dass die ARGE nur ein Zusammenschluss rechtlich selbständiger Unternehmen zur Erbringung einer einzigen Werkleistung oder einer begrenzten Zahl von Werkleistungen ist,2 so fehlt es eigentlich bereits an einer fortlaufenden unternehmerischen Betätigung der ARGE. In Ermangelung einer Ausrichtung auf eine Vielzahl nach außen gerichteter Geschäfte besteht zugleich die Gefahr, dass die ARGE kein Gewerbe im tatbestandlichen Sinn betreibt, da es an der Nachhaltigkeit der Tätigkeitserbringung mangeln kann.3 Dies darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die ARGE ein Zusammenschluss von Unternehmen auf Zeit verkörpert. Sie ist wesensmäßig zwischen einem einheitlichen Unternehmen und einer Unternehmenskooperation angesiedelt.4 Die eigentlich fehlende mitunternehmerschaftliche Verbindung wird im Gewerbesteuergesetz (GewStG) ausdrücklich betont. Eine ARGE, deren ausschließlicher Zweck auf die Erfüllung eines einzigen Werklieferungsvertrags gerichtet ist, verkörpert nach § 2a Satz 1 GewStG daher keinen Gewerbebetrieb.5 Obwohl in der ARGE kein Gewerbebetrieb zu erblicken ist, sind die Wirtschaftsgüter der ARGE sowie die erfolgten Bau- oder Montagetätigkeiten dennoch anteilig den Beteiligten zuzurechnen. Die Auffassung des BMF geht in diesem Zusammenhang soweit, dass es aus Vereinfachungsgründen für Zwecke der Gewinnaufteilung nicht zu beanstanden sein soll, den zugrunde liegenden Bau- und Montagevertrag nicht der ARGE, sondern den ARGE-Partnern unmittelbar zuzuordnen, um Abgrenzungsprobleme zwischen § 1 Abs. 1 AStG und § 1 Abs. 5 AStG zu vermeiden. Wird diese Vereinfachungsregel angewandt, so ist nach Ansicht des BMF eine eigene Bau- und Montagebetriebsstätte der einzelnen ARGE-Mitglieder zu fingieren.6 Hiergegen ist kritisch einzuwenden, dass eine Zurechnung der Betriebsstätten der ARGE auf die Mitglieder allerdings nur dann konsequent erscheint, wenn auch eine Mitunternehmerschaft vorliegt.7 Zutreffend wäre es daher, auch hier auf die einzelne Betätigung des Unternehmens im Rahmen der ARGE abzustellen. Die Frage nach der Betriebsstätte muss dann für jedes einzelne ARGE-Mitglied gesondert geprüft und beantwortet werden.8 d) Eigeninvestitionen

2.187 Kein Auftreten „am Markt“. Führt ein Unternehmen im Rahmen von Eigeninvestitionen Bau- oder Montagearbeiten durch, so ist fraglich, ob diese Tätigkeiten als „Unternehmenstätigkeit“ verstanden werden können. Die Bau- oder Montagetätigkeit wird bei Eigeninvesti1 BFH v. 23.2.1961 – IV 313/59 U, BStBl. III 1961, 194. 2 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, 1702; s. auch BFH v. 2.12.1992 – I R 165/90, BStBl. II 1993, 577 sowie FG Niedersachsen v. 2.12.2004 – 10 K 130/89, n.v. 3 Alberts, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, 1994, 83. 4 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, 1703; Alberts, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, 1994, 83. 5 Siehe dazu Güroff in Glanegger/Güroff9, § 2a GewStG Rz. 3. 6 VWG BsGa, Rz. 345. 7 Siehe Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 600 (601). 8 Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 600 (601).

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.189 Kap. 2

tionen nicht durch einen Vertragsabschluss mit einem fremden Dritten, d.h. dem Auftraggeber veranlasst; demzufolge fehlt es zunächst an einer entsprechenden Marktteilnahme. Bereits nach historischer Rechtsprechungsansicht konnte durch das probeweise Inbetriebsetzen einer Anlage noch keine Betriebsstätte begründet werden.1 Denn zum Zeitpunkt des Probebetriebs werden in der Anlage – so die tradierte Rechtsprechungsauffassung – noch keine Tätigkeiten vollzogen, die von gewisser Dauerhaftigkeit den Gegenstand des fortlaufenden Betriebs bilden. Auch nach dem OECD-MK kann die Errichtung einer Betriebsgrundlage nur dann als Betriebsstätte gelten, wenn die Errichtungstätigkeit mit der späteren, in der Einrichtung verrichteten Tätigkeit übereinstimmt. Unterscheiden sich beide Tätigkeiten – was bei der normalen Errichtungstätigkeit einer Betriebsstätte der Fall sein dürfte –, so liegt in der Errichtung noch keine betriebsstättenrelevante Tätigkeit.2 8. Zusammenrechnung mehrerer Bauausführungen oder Montagen a) Vorbemerkung Zusammenrechnungsregelung nach § 12 AO. Die Betriebsstättendefinition nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO enthält in ihren Teilregelungen (§ 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. a bis c AO) mehrere Zusammenrechnungsregelungen zur sachlichen Vereinheitlichung mehrerer Bauausführungen oder Montagen. Eine einheitliche Baubetriebsstätte ist gegeben, wenn entweder (i) die einzelne Bauausführung oder Montage oder (ii) eine von mehreren zeitlich nebeneinander bestehenden Bauausführungen oder Montagen oder (iii) mehrere ohne Unterbrechung aufeinander folgende Bauausführungen oder Montagen in ihrer Dauer die Sechsmonatsfrist überschreiten. Nach § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. b und c AO können auch zeitlich nebeneinander und aufeinander folgende Bau- oder Montageprojekte zu einer einheitlichen Betriebsstätte zusammengefasst werden. Bei zeitlichem Nebeneinander mehrerer Bau- und Montagetätigkeiten liegt eine sämtliche Tätigkeiten umfassende Baubetriebsstätte bereits dann vor, wenn lediglich eine der Tätigkeiten die zeitliche Mindestdauer von sechs Monaten überschreitet. Gleiches gilt für den Fall, dass mehrere individuelle Bau- und Montagetätigkeiten ohne Unterbrechung aufeinanderfolgen. Gesetzlich geregelt ist damit lediglich die zeitliche Komponente einer Zusammenfassung. Die räumliche, wirtschaftliche oder organisatorische Verbundenheit der einzelnen Tätigkeiten ist dagegen in der AO nicht näher bestimmt und demzufolge tatbestandlich nicht erforderlich.3

2.188

Gemeinsame Bau- und Montagetätigkeit. Führt ein Unternehmer sowohl „Bauausführungen“ als auch „Montagen“ aus, so können beide Tätigkeitsformen Gegenstand einer Zusammenrechnung sein. Sowohl die Bauausführung als auch die Montage sind lediglich als Tatbestandsalternativen eines Konstruktionsvorgangs anzusehen, die im Hinblick auf ihre Eigenschaft als Betriebsstätte unter den gleichen zeitlichen Voraussetzungen stehen. Da die Qualifikation als Bauausführung oder als Montage im Übrigen lediglich von einem anderen Tätigkeitsschwerpunkt abhängt, die Tätigkeiten der Sache nach jedoch derselben Natur sind („Konstruktion“), steht einer Zusammenrechnung in sachlicher Hinsicht nichts entgegen.

2.189

1 Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten, 1982, 45 unter Verweis auf PrOVG v. 29.10.1937 – VIII GSt 119, 120/36, RVerwBl. 1938, 40. 2 Art. 5 Tz. 11 Satz 3 OECD-MK. 3 Allerdings bestimmt R 2.9 Abs. 2 Satz 6 GewStR, dass die Bauausführungen innerhalb des Gebiets einer Gemeinde zu erfolgen haben, um als einheitliche Betriebsstätte anerkannt werden zu können.

Puls 101

Kap. 2 Rz. 2.190

Begriff der Betriebsstätte

b) Zusammenrechnungsregelungen im DBA-Recht aa) Vorbemerkung

2.190 Erforderlichkeit einer Regelung. Eine § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. a bis c AO entsprechende Zentrierungsregelung mehrerer Bau- und Montagetätigkeiten zu einer einheitlichen Betriebsstätte fehlt im DBA-Recht.1 Sind die Ausführungsorte der jeweiligen Bautätigkeiten oder Montagen getrennt, so kann DBA-rechtlich eine Zusammenfassung nur dann erfolgen, wenn im Mittelpunkt des Begriffs der „Bauausführung“ oder „Montage“ eine Tätigkeit und keine „feste Geschäftseinrichtung“ steht.2 Anderenfalls ließe sich eine Zusammenrechnung nur vornehmen, wenn zwischen den einzelnen „Baustellen“ eine räumliche Beziehung im Sinne einer zusammenhängenden Fläche und ggf. einer gemeinsamen technischen Infrastruktur (gemeinsame Versorgungszuführungen, gemeinsame Straßenanbindung) besteht.3 Nach dem OECDMK können jedoch verschiedene Bauausführungen oder Montagen eine einheitliche Betriebsstätte begründen, wenn sie (i) wirtschaftlich und (ii) geografisch als einheitliches Ganzes („coherent whole commercially and geographically“) anzusehen sind.4 Der BFH hat die Voraussetzung einer wirtschaftlichen und geografischen Einheitlichkeit in einer Entscheidung aus 2001 noch um das Merkmal der (iii) technischen und (iv) organisatorischen Verbundenheit ergänzt.5 bb) Wirtschaftlicher Zusammenhang

2.191 Einheitlichkeit des Auftrags. Eine wirtschaftliche Einheit soll vorliegen, wenn die einzelnen Tätigkeitskomponenten so zusammenhängen, dass sie den Gegenstand eines einheitlichen Auftrags bilden.6 Unklar ist, welchen Zweck die „wirtschaftliche Verbundenheit“ der einzelnen Tätigkeiten für die angestrebte Vereinheitlichung zu einer Betriebsstätte haben soll. Die wirtschaftliche Verbundenheit verkörpert für die Zusammenfassung verschiedener Tätigkeitselemente ein abstraktes Kriterium,7 dessen inhaltliche Ausgestaltung weitgehend unerschlossen ist.

2.192 Parallele zu Gewerbesteuerrecht. Besitzt ein Gewerbetreibender mehrere Betriebe der gleichen Art, so können nach R 2.4 Abs. 2 GewStR diese Betriebe grundsätzlich eine sog. wirtschaftliche Einheit darstellen. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob die Begriffe „Betrieb“ und „Betriebsstätte“ identisch zu verwenden sind. Nach R 2.4 Abs. 2 GewStR spricht bei einer Vereinigung mehrerer gleichartiger Betriebe in der Hand eines Unternehmers dieser Umstand regelmäßig für einen einheitlichen Gewerbebetrieb. Allerdings kann auch bei in mehreren Gemeinden angesiedelten Betrieben ein einheitlicher Gewerbebetrieb vorliegen, wenn sich die „wirtschaftlichen Beziehungen“ über die Gemeindegrenzen hinweg erstrecken. Wirtschaftliche Beziehungen der verschiedenen Betriebe bestehen in aller Regel aus mehreren Aspekten. So sind nach H 2.4 Abs. 2 GewStH die Art der gewerblichen Betätigung wie auch der identische Kunden- und Lieferantenkreis Anhaltspunkte für eine Zusammenfas1 Siehe dazu allg. auch Wilke, PIStB 2000, 188 (191), der dies als wesentlichen Unterschied zwischen Art. 5 OECD-MA und § 12 AO beschreibt. 2 Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 599. 3 Siehe Pflüger, PIStB 2001, 282. 4 Art. 5 Tz. 18 Satz 3 OECD-MK. 5 Siehe BFH v. 16.5.2001 – I R 47/00, BStBl. II 2002, 846 = FR 2001, 1067; v. 19.11.2003 – I R 3/02, BStBl. II 2004, 932; vgl. auch Krawitz/Hick, RIW 2002, 523 (529). 6 BFH v. 19.11.2003 – I R 3/02, BStBl. II 2004, 932. 7 Nach BFH v. 16.5.2001 – I R 47/00, BStBl. II 2002, 846 = FR 2001, 1067 soll die „wirtschaftliche Einheit“ stets aus dem Blickwinkel des Auftraggebers zu beurteilen sein.

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.196 Kap. 2

sung. Für die Zusammenfassung von Bau- und Montagetätigkeiten auf dem Gebiet des DBARechts sollten ähnliche Kriterien gelten. Zwischen den vorgenannten Begriffen „Betrieb“ und „Betriebsstätte“ darf keine künstliche Trennlinie gezogen werden. Denn „wirtschaftlich“ verbunden sind Tätigkeiten in aller Regel auch im Rahmen von Bau- und Montageausführungen dann, wenn sie aus Perspektive des Unternehmers so ausgestaltet sind, dass das betriebswirtschaftliche Auftragsrisiko aller Einzeltätigkeiten einheitlich gebündelt ist.1 Dies kann der Fall sein, wenn die verschiedenen Bau- oder Montagetätigkeiten auf einem einheitlichen Werklieferungsvertrag beruhen.2 Finanzierungsrisiko als Zumessungsfaktor. Für das Kriterium des „wirtschaftlichen Zusammenhangs“ ist darüber hinaus festzuhalten, dass aus Sicht des Bauunternehmers die betriebswirtschaftliche Absicherung eines Bauprojekts regelmäßig mit dem bestehenden Risiko einer Insolvenz des Auftraggebers korrelieren wird.3 Dementsprechend kann ein „wirtschaftlicher Zusammenhang“ zwischen den einzelnen Bauausführungen auch dann bestehen, wenn die an verschiedenen Orten erfolgenden Tätigkeiten bspw. auf einer einheitlichen Finanzierung des Auftraggebers beruhen.

2.193

Auffassung der Finanzverwaltung. Die Finanzverwaltung legt das Kriterium eines „wirtschaftlichen Zusammenhangs“ im Anschluss an die – im Folgenden noch näher zu betrachtende – Entscheidung des BFH vom 16.5.20014 in einem integrativen Sinn aus. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang der einzelnen Bauausführungen soll dann gegeben sein, wenn die Arbeiten in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgen, es sich um gleichartige Arbeiten handelt, die für denselben Auftraggeber ausgeführt würden und die organisatorisch durch Einschaltung einer bestimmten inländischen Kontaktperson miteinander verzahnt sind.5

2.194

Fazit. Festzuhalten bleibt, dass ein „wirtschaftlicher Zusammenhang“ zwischen den einzelnen Bautätigkeiten nur dann angenommen werden kann, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse eine „Gesamtbaustelle“ vorliegt: Eine einheitliche Finanzierung der einzelnen Baumaßnahmen und eine damit einhergehende einheitliche betriebswirtschaftliche Absicherung des Gesamtbauprojekts aufgrund einer einheitlichen Projektfinanzierung sind aus Sicht des Auftragnehmers ein prägnantes Indiz für den wirtschaftlichen Zusammenhang der Einzeltätigkeiten.

2.195

cc) Technischer Zusammenhang Heterogenität technischer Prozesse. Eine Bau- oder Montagetätigkeit besteht regelmäßig aus einer Vielzahl von heterogenen Tätigkeitskomponenten. Typischer Fall ist, dass die ver1 Im Regelfall wird die „wirtschaftliche Einheit“ immer dann problemlos anzunehmen sein, wenn die einzelnen Tätigkeiten im Rahmen eines Gesamtbau- oder Montageprojekts erfolgen; s. etwa Krawitz/Hick, RIW 2002, 523 (529). 2 Damit beinhaltet die „wirtschaftliche Einheit“ zugleich auch die Frage nach einer „rechtlichen Einheit“ der einzelnen Tätigkeiten. Die rechtliche Grundlage eines Bau- oder Montageprojekts ist danach nur Bestandteil der Frage nach der wirtschaftlichen Einheit („substance over form“); s. BFH v. 16.5.2001 – I R 47/00, BStBl. II 2002, 846 = FR 2001, 1067 = IStR 2001, 564 (566). 3 Damit ist für verschiedene Tätigkeiten eines Projekts nicht die Einbettung in eine einheitliche rechtliche Strukturform, sondern ausschließlich die wirtschaftliche Verteilung der Risiken der Auftragsvergabe entscheidend. 4 BFH v. 16.5.2001 – I R 47/00, BStBl. II 2002, 846 = FR 2001, 1067. 5 BMF v. 18.12.2002 – IV B 4 - S 1300 - 273/02, BStBl. I 2002, 1385; s. auch OFD Koblenz v. 6.2.2003 – S 1301 A - St 34 3 (n.v.).

Puls 103

2.196

Kap. 2 Rz. 2.197

Begriff der Betriebsstätte

schiedenen Arbeiten konstruktionslogisch aufeinander aufbauen.1 Technisch verbunden sind daher Tätigkeiten, die sich im Konstruktions- oder Installationsvorgang ergänzen oder aufeinander aufbauen.2

2.197 BFH vom 9.7.2003 – I R 4/02 und FG Niedersachsen vom 19.6.2001 – 15 K 795/98. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein von der Rechtsprechung entschiedener Fall, in welchem ein deutscher Unternehmer über mehrere Jahre in Luxemburg für eine dortige Telefongesellschaft aufgrund einzelner, für bestimmte Baubezirke abgeschlossener Verträge Kabel verlegte und Hausanschlüsse erstellte.3 Der BFH sah zunächst in der Zusammenfügung von Telefonkabeln und dem Erstellen der Hauanschlüsse sowie dem Einbau von Verteilerkästen in den einzelnen Anschluss- und Verkabelungsstellen eine nach § 12 AO tatbestandliche Montagetätigkeit, denn durch die Montage entstand ein einheitliches öffentliches Telefonnetz von den technischen Einrichtungen der Telefongesellschaft bis zum Endnutzer. Aufschlussreich sind in dieser Hinsicht die Ausführungen der Vorinstanz, die vom BFH bestätigt worden sind:4 Abgesehen von diesem „wirtschaftlich-sachlichen Zusammenhang“ – so die Diktion in der Entscheidung des FG Niedersachsen – bestand in dem Streitfall ein technischer Zusammenhang zwischen den einzelnen Montageausführungen. Die Arbeiten an einem einheitlichen Telefonnetz wiesen nach Ansicht des FG zwangsläufig eine Konnexität zwischen dem Erstellen und der Verkabelung der Hausanschlüsse und der Herstellung einer Leitungsverbindung zum Netzbetreiber auf. Hierdurch ist nach Meinung des FG eine technische „Einheitlichkeit“ der einzelnen Montagearbeiten erzeugt worden, die dem Tätigkeitsgehalt nach allesamt „gleichartig“ waren. dd) Organisatorischer Zusammenhang

2.198 Zweck der Organisationseinheit. Neben dem wirtschaftlichen und dem technischen Zusammenhang müssen die einzelnen Tätigkeiten organisatorisch miteinander verflochten sein.5 Allein der wirtschaftliche wie der technische Zusammenhang reicht für eine Zusammenfassung der Einzeltätigkeiten nicht aus.6 Schließlich ist denkbar, dass die Einzeltätigkeiten zwar einheitlich finanziert werden, jedoch zueinander in keiner weiteren Verbindung stehen. Dies ist bspw. der Fall, wenn mit den jeweiligen Bau- oder Montagetätigkeiten unterschiedliche Zielprojekte verbunden sind. Bei der organisatorischen Verbundenheit liegt der Schwerpunkt auf der Einheitlichkeit der erforderlichen bautechnischen Maßnahmen. Notwendig ist demnach ein nicht aufspaltbares, einheitliches Konstruktionsziel, von welchem das Gesamtprojekt getragen wird. Die betreffenden Bau- und Montagetätigkeiten erfüllen vor diesem Hintergrund nur dann ihren Sinn, wenn sie gleichermaßen zur Realisierung des Projektziels beitragen.7 Hierzu ist jedoch nicht erforderlich, dass auf den verschiedenen Bau- und Montageplätzen dieselben Arbeitnehmer beschäftigt sind.8 Anderenfalls wäre der organisatorische 1 2 3 4 5

Vgl. das Beispiel in Art. 5 Tz. 18 Satz 4 OECD-MK („Reihenhäuser“). Siehe dazu BFH v. 19.11.2003 – I R 3/02, BStBl. II 2004, 932; vgl. auch Pflüger, PIStB 2002, 217. BFH v. 9.7.2003 – I R 4/02, BFH/NV 2004, 83. Siehe FG Niedersachsen v. 19.6.2001 – 15 K 794/98, EFG 2002, 142. Vgl. bereits BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 697 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann; dahingehend auch Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 599. 6 Siehe auch BFH v. 16.5.2001 – I R 41/00, BStBl. II 2002, 846. 7 Ein Indiz kann hierfür auch sein, dass die Tätigkeiten im Rechnungswesen des Unternehmens einheitlich verbucht werden; s. Krawitz/Hick, RIW 2002, 529 („eigenständiger Rechnungskreis“). 8 Dies kann schon deshalb nicht zu fordern sein, weil eine Zusammenrechnung mehrerer Tätigkeiten bei sog. komplementären Bautätigkeiten (z.B. Errichtung eines Verteilerpunkts an Ort A bei gleichzeitiger Kabelverlegung von B nach A) nicht möglich wäre; vgl. auch das Beispiel nach

104

Puls

B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.201 Kap. 2

Zusammenhang bei Bau- oder Montagetätigkeiten, die aus technischen Gründen zeitgleich erfolgen müssen, praktisch kaum denkbar. Ausschlaggebend ist, dass die verschiedenen Bauoder Montageplätze zueinander in einem funktionalen Sachzusammenhang stehen. Diese Konnexität stellt zwischen den einzelnen Tätigkeiten eine innere Verbindung her, die eine Grenzziehung zwischen anderweitigen, zufällig parallel verlaufenden Bau- oder Montagetätigkeiten ermöglicht. OECD-MK. Instruktiv ist in diesem Zusammenhang auch das in Art. 5 Tz. 20 Satz 3 OECDMK genannte Beispiel. Danach sind Teile einer komplexen technischen Konstruktion – genannt wird eine „Seebohrinsel“ –, die an verschiedenen Orten innerhalb eines Landes zusammengebaut und zur Endmontage an einen anderen Ort innerhalb des Landes verbracht wird, als Elemente eines einzigen „Projekts“ („part of a single project“) anzusehen.

2.199

ee) Geografischer Zusammenhang Voraussetzungen. Neben dem wirtschaftlichen, technischen und organisatorischen Zusammenhang bedarf es einer räumlichen Nähe der zusammenzufassenden Bau- und Montagetätigkeiten.1 Eine einheitliche Baubetriebsstätte, die sich aus völlig verschiedenen, nicht miteinander räumlich in Beziehung stehenden Tätigkeitsorten zusammensetzt, ist nicht vorstellbar.

2.200

Ansatzpunkt der Finanzverwaltung. Ein geografischer Zusammenhang soll nach Ansicht der Finanzverwaltung immer dann gegeben sein, wenn die Entfernung zwischen den Bautätigkeiten eine Grenze von „50 km Luftlinie“ nicht überschreitet.2 Die Bestimmung der 50 kmGrenzmarke beruht auf einem Urteil des FG Baden-Württemberg vom 3.6.1999,3 wonach auf die Fortbewegungsmöglichkeit mit einem Kleinlastwagen binnen einer Stunde abgestellt worden ist. Die Finanzverwaltung ist der Ansicht, dass sich mit einem derartigen Kfz, welches typischerweise im Rahmen von Bau- und Montagetätigkeiten verwendet werde, ein Bewegungsradius von 50 km binnen Stundenfrist möglich sei. Demnach sei dieser Aktionsradius zugleich taugliches Kriterium für die geografische Zusammenfassung von räumlich verschiedenen Bau- oder Montagetätigkeiten. Zwar geht die Finanzverwaltung davon aus, dass bei örtlich fortschreitenden Bauausführungen ohne Rücksicht auf die 50 km-Grenze stets eine wirtschaftliche und geografische Einheit vorliegen soll.4 Bei dieser Annahme handelt es sich allerdings nur um die Fiktion einer einheitlichen Betriebsstätte. Das Kriterium einer bestimmten räumlichen Grenzziehung kann aber gerechterweise nur auf sämtliche Bautätigkeiten – unabhängig von deren bautechnischer Ausprägung und Form – Anwendung finden. Davon abgesehen folgt eine Grenzziehung von 50 km weder aus dem DBA-Recht, noch besteht für diese Grenzziehung eine sachliche Nachvollziehbarkeit. Im Schrifttum ist sie aufgrund dessen als willkürlich kritisiert worden.5

2.201

1 2 3 4 5

BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.5 (örtlich fortschreitende Baustellen); s. insoweit auch Art. 5 Tz. 18 Satz 4 OECD-MK. BFH v. 16.5.2001 – I R 47/00, FR 2001, 1067 = IStR 2001, 564 (565); BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.5. Abermals BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.5; s. auch FG Baden-Württemberg v. 3.6.1999 – 12 K 160/79, n.v.; Wilke, PIStB 2000, 188 (191). Siehe FG Baden-Württemberg v. 3.6.1999 – 12 K 160/79, n.v. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.5. So etwa Wassermeyer (Anmerkung zu BFH v. 16.5.2001), IStR 2001, 567;desgleichen Mössner, Neuere Entwicklungen beim Betriebsstättenbegriff, in FS Vogel, 952; Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 66.

Puls 105

Kap. 2 Rz. 2.202

Begriff der Betriebsstätte

2.202 Verbindung zwischen funktionaler und räumlicher Einheit. Entscheidend für die Möglichkeit der Zusammenrechnung ist die Frage, ob im Rahmen der Planung eines Gesamtprojekts die einzelnen Bau- oder Montagetätigkeiten von vornherein als räumlich-funktional zusammenhängend errichtet werden sollen. Diese Voraussetzung ist vor dem Hintergrund der späteren Funktionalität der errichteten Bauobjekte zu betrachten. War die gleichzeitige oder aufeinander folgende Errichtung dieser Objekte für den späteren Betreiber betriebswirtschaftlich notwendig und sinnvoll, dann besitzt das räumliche Verhältnis der zu errichtenden Betriebsstätten bereits Ausstrahlungswirkung auf die geografische Zusammenfassung der Errichtungstätigkeit.1 Eine entsprechende räumliche Disponierung der Bau- oder Montagetätigkeit wird allerdings lediglich dann in Betracht kommen, wenn die verschiedenen Konstruktionsorte nach ihrem Gesamtbild noch als geografisches „Ganzes“ betrachtet werden können.2 Davon kann sicherlich nicht mehr die Rede sein, wenn die verschiedenen Tätigkeiten nicht mehr innerhalb eines bestimmten Baugebiets liegen. In diesem Zusammenhang ist eine fixe Kilometergrenze abzulehnen; es ist eine einzelfallabhängige Betrachtung geboten. Interessant ist auch ein Vergleich zum Begriff der „einheitlichen Arbeitsstätte“.3 Im Bereich des Lohnsteuerrechts hat der BFH unterstrichen, dass ein größeres räumliches Gebiet nur dann als einheitliche gleichbleibende Arbeitsstätte beurteilt werden könne, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handele, wie es z.B. bei einem größeren Werksgelände oder einem Forstrevier der Fall sei.4 Überträgt man diesen Maßstab auf die geografische Verbundenheit von einzelnen Bauausführungen, so erscheint der von der Finanzverwaltung befürwortete Radius von 50 km als zu groß bemessen.

2.203 Fazit. Letztlich muss sich die Beantwortung der Frage nach einer Zusammenfassung mehrerer Tätigkeitsorte einzelfallabhängig entschieden werden. Hierbei ist wohl eher auf eine fußläufige Erreichbarkeit5 der einzelnen Baustellen abzustellen als auf einen fahrzeugbezogenen Aktionsradius. Vor diesem Hintergrund kann die Frage nach einem räumlichen Zusammenhang der verschiedenen Bautätigkeiten letztlich nur daran zu messen sein, ob ein räumlicher Zusammenhang sachlich ohne weitere Nachforschungen nachvollzogen werden kann.

VI. Vertreterbetriebsstätte 1. Grundsätzliches a) Systemische Verortung der Vertreterbetriebsstätte

2.204 Innerstaatliches Recht u. Allgemeines. Die Rechtsfigur des sog. „ständigen Vertreters“ steht im deutschen Steuerrecht neben dem Begriff der Betriebsstätte. Der Begriff ist in § 13 AO eigenständig definiert.6 Die Tätigkeit des Vertreters fungiert als ein eigenständiges steuerliches Anknüpfungsmerkmal gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Der Vertreterbegriff soll im deutschen Steuerrecht dementsprechend einen personalen, im Vergleich zur Betriebsstätte allerdings subsidiären Anknüpfungspunkt für die räumliche Zuordnung von Einkommen und 1 2 3 4 5

Vgl. auch Art. 5 Tz. 18 Satz 3 OECD-MK. Wassermeyer, IStR 2001, 567 (Anmerkung zu BFH v. 16.5.2001). Hierzu auch Buciek, DStZ 2003, 139 (142). BFH v. 7.2.1997 – VI R 61/96, BStBl. II 1997, 333 = FR 1997, 412. Wassermeyer, IStR 2001, 567 (Anmerkung zu BFH v. 16.5.2001); vgl. hierzu auch Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2000, 250. 6 Allgemein zum Verhältnis des Begriffs des ständigen Vertreters zur Betriebsstätte im innerstaatlichen Recht s. Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 13 AO Rz. 3 und 4.

106

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.207 Kap. 2

Vermögen verkörpern.1 Etwaige Besteuerungslücken, die auftreten, wenn ein Vertreter durch dauernde Reisetätigkeiten nicht von einer festen Geschäftseinrichtung seinen Aufgaben nachkommt, sollen hiernach ausgeschlossen werden.2 Abgrenzung zum Betriebsstättenbegriff. Der „ständige Vertreter“ erweitert letztlich den Begriff der Betriebsstätte. Dies gilt gleichermaßen für das innerstaatliche Recht wie für das DBARecht. „Betriebsstätte“ und „ständiger Vertreter“ stehen daher in einem Verhältnis der Alternativität. Anstelle einer „festen Geschäftseinrichtung“ reicht es für die Vertretertätigkeit aus, wenn diese mit einer gewissen Ständigkeit ausgeübt wird. Diese gewisse „Ständigkeit“ rechtfertigt es, einen mit der „festen Geschäftseinrichtung“ vergleichbaren, hinreichenden Bezug des Unternehmers zum Tätigkeitsort herzustellen. Im Rahmen des OECD-MA wird die „Verwandtschaft“ zur Betriebsstätte bereits dadurch hergestellt, dass die Vertretertätigkeit Bestandteil der Definition des Betriebsstättenbegriffs nach Art. 5 Abs. 5, 6 OECD-MA ist. Unnötigerweise wird hier allerdings im Wege der Fiktion die Tätigkeit des ständigen Vertreters als „Betriebsstätte“ gewertet.3 Dies erweckt den Anschein, der „ständige Vertreter“ sei ein „aliud“ zur Betriebsstätte, das aus Gründen einer definitorischen Vereinfachung dem Betriebsstättenbegriffsinhalt zugeordnet worden ist. Diese Fiktion wird dem Begriff des „ständigen Vertreters“ als eine alternative Form der Betriebsstätte allerdings nicht gerecht. Man kann daher feststellen, dass der Vertreter einen der festen Geschäftseinrichtung gleichgestellten steuerlichen Anknüpfungspunkt erzeugt, wenn und solange dessen Tätigkeit „ständig“ erfolgt.4

2.205

b) Kritische Würdigung Schnittmenge zur Dienstleistungsbetriebsstätte. Vor dem Hintergrund der o.g. Feststellungen ähnelt die Vertreterbetriebsstätte der sog. Dienstleistungsbetriebsstätte. Auch bei der Dienstleistungsbetriebsstätte fehlt es an einem punktuellen territorialem Bezug; stattdessen ist die – in gewisser Weise – nachhaltige Ausübung einer Tätigkeit als solcher ausreichend für die Rechtfertigung eines lokalen Besteuerungsanspruchs bzw. einer Delegation des Besteuerungsrechts an den Dienstleistungsbetriebsstättenstaat. Dementsprechend erfolgt auch bei der Vertreterbetriebsstätte eine Loslösung des Tatbestands vom Erfordernis einer festen Einrichtung sowie einer fixen örtlichen Radizierung. Es ist – in der Tradition des im OECD-MK verwendeten problematischen „Anstreicher-Beispiels“ – die Tätigkeit als solche, die im Kern als besteuerungswürdig betrachtet wird. Aufgrund der Tatsache, dass die Vertreterbetriebsstätte durch zahlreiche, tatbestandlich „elastisch“ auszulegende Merkmale geprägt ist, die in der Praxis sehr problematisch anzuwenden sind, wird in der Literatur für die Abschaffung der Vertreterbetriebsstätte plädiert.5

2.206

Einflussnahme durch BEPS. Die jüngsten Verlautbarungen der OECD im Rahmen des BEPSProjekts zu Aktionspunkt 7 sehen jedoch gewissermaßen eine Verschärfung des Tatbestands

2.207

1 Siehe BT-Drucks. VI/1982, 104; so auch Birk in H/H/Sp, AO/FGO, § 13 AO Rz. 3 und 4; Hillert, FR 1973, 277 (Abgrenzung Betriebsstätte vs. ständiger Vertreter); zur Frage der Abgrenzung zwischen passiver Repräsentanz und aktiver Betriebsstätte durch Einschaltung von (un-)abhängigen Vertretern s. Kaligin, RIW 1995, 398 (400). 2 Kumpf, Die Besteuerung inländischer Betriebsstätten, 1982, 48. 3 Kritisch Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 192. 4 So noch Tz. 1.2.1 des Betriebsstättenerlass-Entwurfs; s. hierzu auch Roth, Betriebsstättenbesteuerung, in StbJb. 1997/98, 427 (432); nunmehr BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.2.2: „Subsidiarität“. 5 Siehe Wassermeyer, SWI 2010, 505 (508); Bendlinger, ÖStZ 2010, 140 (141 ff.); Hruschka in S/D, DBA, Art. 5 OECD-MA Rz. 126.

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Kap. 2 Rz. 2.208

Begriff der Betriebsstätte

und damit eine sehr weitgehende Revitalisierung der Vertreterbetriebsstätte vor.1 Dies ist aus Praxisperspektive kritisch zu beurteilen, da dies dem in der internationalen Unternehmensbesteuerung notwendigem Maß an Rechts- und Planungssicherheit eindeutig zuwiderläuft.2 Die Vertreterbetriebsstätte bietet in der Tat den Fisci die Möglichkeit – insbesondere vor dem Hintergrund des künftigen Konzepts der rein „wirtschaftlichen Vertretungsbefugnis“ infolge der Ergebnisse zu BEPS-Aktionspunkt 7 – Besteuerungsansprüche auszudehnen und auch solche (vertriebsnahen) Tätigkeiten steuerlich erfassbar zu machen, die ohne eine (zivilrechtliche) Bevollmächtigung erfolgen. Die Vertreterbetriebsstätte wird damit zukünftig noch intensiver als „Instrument“ zur Verteidigung nationaler Fiskalinteressen dienen, insbesondere in Fällen von Vertriebsstrukturen, in denen der Vertretene – zumindest funktionsbezogen – nur noch eine Hintergrundrolle spielt (die Hauptrolle des Vertreters im Rahmen der Vertragsanbahnung kann infolge des BEPS-Aktionspunkts 7 die Bevollmächtigung ersetzen), jedoch – rein risikobezogen – die Konsequenzen des Geschäftsvorfalls zivilrechtlich und wirtschaftlich vollumfänglich selbst tragen muss. Die Diskrepanz zwischen (i) der niedrigen Schwelle einer Funktionszurechnung durch die Tätigkeiten des Vertreters auf den Vertretenen und (ii) der Risikotragung ohne eigene Funktionsausübung des Vertretenen ist lediglich fiskalpolitisch zu erklären und offenbart zugleich das Dilemma der Vertreterbetriebsstätte in der Post-BEPS-Agenda.

2.208 Konkurrenzverhältnis. Die Auflösung des Konkurrenzverhältnisses3 zwischen der Betriebsstätte und dem ständigen Vertreter ist immer dann von entscheidender Bedeutung, wenn eine sog. Vertreterbetriebsstätte neben einer „regulären Geschäftseinrichtungs-Betriebsstätte“ bestehen soll.4 Sieht man den „ständigen Vertreter“ und die „feste Geschäftseinrichtung“ in einem alternativen Verhältnis zueinander, so schließen sich beide Betriebsstättenformen keinesfalls aus. Beide können bei Erfüllung ihrer Tatbestandsvoraussetzungen unabhängig voneinander vorliegen; aus Gründen der Praktikabilität können sie allerdings zusammengefasst werden, soweit die feste Geschäftseinrichtung und die Vertretertätigkeit in demselben Abkommensstaat vorliegen.5 Schwierigkeiten ergeben sich dann, wenn Vertretertätigkeiten in anderen Staaten durchgeführt werden, die bspw. nicht über das notwendige Maß an Ständigkeit der Ausübung verfügen. In einem derartigen Fall ist es zweckmäßig, die Tätigkeiten des Vertreters der „Geschäftseinrichtungs-Betriebsstätte“ zuzurechnen, von welchem aus der Vertreter seine Tätigkeiten aufnimmt und zu der er regelmäßig zurückkehrt.6 2. Die Tatbestandsmerkmale der Vertreterbetriebsstätte a) Vorbemerkungen

2.209 Überblick. Auf Basis des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA begründen Personen, welche nicht als unabhängige Vertreter gem. Art. 5 Abs. 6 OECD-MA zu betrachten sind, dann eine Vertreterbetriebsstätte für ein anderes (ausländisches) Unternehmen, wenn sie eine Vertragsabschlussvollmacht besitzen und diese Vollmacht gewöhnlich ausüben, ohne dass reine Hilfstätigkeiten 1 2 3 4

Siehe dazu auch Rz. 2.219; Schmidt-Heß, IStR 2016, 165 f.; Schoppe/Reichel, BB 2016, 1245 f. Wassermeyer, SWI 2010, 505 (506 f.). So Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 601. Wassermeyer, Die Betriebsstätte, in FS Kruse, 601; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 191b. 5 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.2.2. Die Finanzverwaltung betont hingegen, dass die Tätigkeiten des ständigen Vertreters lediglich dann zu einer „eigenständigen“ Betriebsstätte führen könnten, wenn sie losgelöst und außerhalb der festen Geschäftseinrichtung stattfänden. 6 Siehe dazu von Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 191b, 192, 194.

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.211 Kap. 2

nach Art. 5 Abs. 4 OECD-MA vorliegen. Zwischen dem Begriff des „Vertreters“ in Abs. 5 und Abs. 6 besteht – bis auf das Merkmal der „Abhängigkeit/Unabhängigkeit“ insoweit kein Unterschied.1 Die gewöhnliche Ausübung der Vertragsabschlussvollmacht soll dabei ein ähnliches Maß an Verwurzelung mit dem Tätigkeitsort aufweisen wie eine feste Geschäftseinrichtung, so dass die Sachverhalte in steuerlicher Hinsicht wertungsmäßig gleich behandelt werden.2 Figur des „Vertreters“. Im Hinblick auf die „Person“ des Vertreters ist allgemein auf Art. 3 Abs. 1 Buchst. a OECD-MA abzustellen; insoweit können natürliche Personen, Personenvereinigungen (einschließlich Personengesellschaften) sowie Kapitalgesellschaften als „Vertreter“ fungieren. Mithin kann auch eine Tochterkapitalgesellschaft „Vertreter“ der Konzernmuttergesellschaft sein. Eine Betriebsstätte als solche (Art. 5 Abs. 1 OECD-MA) kann hingegen nicht „Vertreter“ sein.3 „Vertreter“ ist in jedem Fall derjenige, der aufgrund rechtsgeschäftlicher Bevollmächtigung handelt.4 Die Eigenschaft eines Organs – z.B. eines Geschäftsführers – als „Vertreter“ ist indes umstritten.5 In der jüngsten finanzgerichtlichen Rechtsprechung wird die Vertretereigenschaft des Organs einer Kapitalgesellschaft abgelehnt. In einer aktuellen (nicht rechtskräftigen) Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz geht das Gericht davon aus, dass die Tätigkeit eines Geschäftsführers einer ausländischen Kapitalgesellschaft nicht als ständiger Vertreter gem. § 13 AO qualifiziert werden kann, da er das gesellschaftsrechtlich erforderliche und zugleich einzige Vertretungsorgan der Kapitalgesellschaft sei; die organschaftliche Vertretung schließe insoweit die Stellung als „Vertreter“ nach § 13 AO aus.6 Stellt man das Unternehmen und den Vertreter infolge seiner Organschaftsstellung gleich, so würde die Grenze zu § 12 AO verwischt werden. Das Handeln des Organs müsste dann wertungsmäßig einer „festen Geschäftseinrichtung“ gleichzusetzen sein. Dies erscheint fraglich, denn dann würde das Erfordernis eines dinglichen Substrats in Gestalt der Geschäftseinrichtung dem Tätigwerden der Gesellschaft als solches entsprechen. Der Vertreter muss sich jedoch außerhalb des Rechtskörpers eines Unternehmens bewegen; er darf – im Lichte des § 13 AO – kein inkorporationsrechtlicher Teil desjenigen Unternehmens sein, das er nach außen vertreten soll (kein Glied des Körpers „Unternehmen“). Dies gilt sowohl für Kapitalgesellschaften als auch für Personengesellschaften.

2.210

b) Abschlussvollmacht Handlungslegitimität des Vertreters. Von entscheidender Bedeutung für die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte im Abkommensrecht ist das Tatbestandsmerkmal der sog. Abschlussvollmacht, d.h. der Vollmacht, im Namen des Unternehmens (Prinzipals) Verträge abzuschließen. Nach dem Wortlaut des Abkommenstexts wird hierbei nicht zwischen offe1 2 3 4

Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 201c. Vgl. zum Ganzen auch Avery Jones/Lüdicke, World Tax Journal 2014, 203 ff. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 197. Siehe auch Gersch in Klein, AO, 2016, § 13 AO Rz. 2; Haase in Haase3, DBA/AStG, Art. 5 OECDMA Rz. 152. 5 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437 = FR 1999, 756 m. Anm. Kempermann; v. 3.8.2005 – I R 87/04, BStBl. II 2006, 220; Vertretertätigkeit eines Geschäftsführers ablehnend FG Düsseldorf v. 16.1.2003 – 15 K 8624/99 K, EFG 2003, 1125 sowie FG Rheinland-Pfalz v. 16.3.2005 – 1 K 2073/02, n.v.; BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, FR 1999, 756 m. Anm. Kempermann = IStR 1999 m. Anm. FW; s. auch Puls, RIW 2004, 172; Heußner, IStR 2004, 16. 6 FG Rheinland-Pfalz v. 15.6.2016 – 1 K 1685/14, IStR 2016, 818 m. Anm. Leidel (n.rkr., Rev. BFH unter I R 54/16); Korff, ISR 2016, 362; die Vertretereigenschaft im Ergebnis bejahend Weber, IStR 2017, 165.

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2.211

Kap. 2 Rz. 2.212

Begriff der Betriebsstätte

ner und verdeckter bzw. mittelbarer Stellvertretung differenziert. Beispiel hierfür ist nach kontinentaleuropäischem Verständnis der Kommissionär, der zwar im eigenen Namen, aber auf Rechnung des Kommittenten (§§ 383 Abs. 1, 384 HGB) handelt. Im Bereich des Common Law hingegen ist bereits die zivilrechtliche Ausgangssituation eine andere, hier ist der sog. „undisclosed agent“ beheimatet. Dieser kann den Vertretenen – obwohl sein Handeln als Vertreter nicht offenkundig ist – gleichwohl rechtsgeschäftlich binden. Zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung von offener und verdeckter Stellvertretung sieht bereits der bisherige OECD-MK vor, dass der Begriff der „Vertretung“ nicht auf solche Vorgänge beschränkt ist, in denen der Vertreter „im Namen“ des vertretenen Unternehmens handelt.1 Stattdessen sollen ebenso Vertretungsvorgänge erfasst werden, in denen der Vertreter gerade nicht „im Namen“ des Vertretenen handelt. Dies hat in der Vergangenheit die Frage auf den Plan gerufen, in welcher Weise der Vertreter den Vertretenen binden können muss. Nach einer Auffassung soll unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 2 OECD-MA ein Vertreter nur dann eine tatbestandliche Vertreterbetriebsstätte nach Art. 5 Abs. 5 OECD-MA begründen können, wenn die von ihm abgeschlossenen Verträge den Vertretenen im Außenverhältnis zivilrechtlich binden.2 Demgegenüber wird – vor allem seitens der Finanzverwaltungen diverser OECD-Staaten – die Ansicht vertreten, der Begriff der „Vertretung“ sei in einem rein wirtschaftlichen Sinn zu interpretieren. Es soll ausreichend sein, wenn der Vertretene die wirtschaftlichen bzw. finanziellen Folgen des durch den Vertreter veranlassten Rechtsgeschäfts tragen muss. Eine Bindung des Vertretenen im zivilrechtlichen Sinn ist demzufolge nicht erforderlich.3 Hinter dieser Auffassung steht das Bestreben, auch der typischen Kommissionärstätigkeit Vertreterbetriebsstättenrelevanz zu verleihen. Insoweit wird der Versuch unternommen, insbesondere die Umwandlung von Eigenhändlerstrukturen in Kommissionärstrukturen durch die Annahme einer entsprechenden Vertreterbetriebsstätte gleichsam zu torpedieren. Die zahlreichen, auch in der Literatur diskutierten Fälle (Zimmer,4 Dell,5 Roche,6 Boston Scientific7) unterstreichen diese Entwicklung signifikant.

2.212 Gewöhnliche Ausübung. Ferner muss die Abschlussvollmacht durch den Vertreter „gewöhnlich“ ausgeübt werden. Insoweit bedarf es einer gewissen „Ständigkeit“ des Vertreterhandelns. Voraussetzung dazu ist ein planvolles und auf eine gewisse Dauer angelegtes Handeln.8 Dies ist lediglich dann gegeben, wenn die Vertretertätigkeit im Tätigkeitsstaat auf eine Dauer von mehr als sechs Monaten angelegt ist; insoweit bestehen keine Abweichungen zum Begriff der „festen Geschäftseinrichtung“ („permanent establishment“); es darf diesbezüglich kein Wertungswiderspruch zum Grundtatbestand der Betriebsstätte nach Art. 5 Abs. 1 OECD-MA auftreten. Die Ständigkeit muss auf Basis der o.g. Grenze von sechs Monaten betrachtet werden. Dies bedeutet, dass die Sechsmonatsgrenze dann nicht erreicht ist, wenn die Tätigkeit in dem jeweiligen Staat die Dauer von mehr als sechs Monaten nicht überschreitet. In diesem Zusammenhang ist auf den Aufenthalt anlässlich der Vertretungstätigkeit in dem einzelnen Staat und nicht auf deren Tätigkeitsdauer als solche abzustellen.9 Die Ständigkeit des Vertreterhandelns 1 Siehe Art. 5 Tz. 32.1 OECD-MK. 2 Siehe Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 201c; Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 117. 3 Vgl. etwa BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.2.2 sowie ÖBMF v. 28.2.2010 – VPR 2010 (BMF-010221/2522-IV/4/2010), Tz. 175. 4 Conseil d’État v. 31.3.2010 – no. 304715/308525, International Tax Law Reports 2012, 739. 5 Noregs Hø´gsterett v. 2.12.2011 – HR2011-2245-A, International Tax Law Reports 2011, 371. 6 Tribunal Supremo v. 12.1.2012 – no. 1626/2008, International Tax Law Reports 2012, 892. 7 Corte Suprema die Cassazione v. 9.3.2012 – no. 3669, International Tax Law Reports 2012, 1060. 8 Vgl. insoweit BFH v. 28.6.1972 – I R 35/70, BStBl. II 1972, 785. 9 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 195, 196.

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.214 Kap. 2

ist in diesem Zusammenhang einschränkend auszulegen. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA kann sich nur auf eine Tätigkeit beziehen, die ein Vertreter für Rechnung eines Vertretenen ausübt.1 Abhängigkeit. In der Praxis ist nach wie vor unklar, wann von einer „Abhängigkeit“ des Vertreters auszugehen ist und wie diese „Abhängigkeit“ konkret ausgestaltet sein soll. Der OECD-MK sieht vor, dass „eingehende Anweisungen“ und/oder eine „umfassende Aufsicht“ die Unabhängigkeit des Vertreters ausschließen sollen.2 Dies wird dahingehend präzisiert, dass zum einen auf die Anzahl der Geschäftsherren, für die der Vertreter tätig ist, zum anderen auf die Aufsicht, mit anderen Worten die Sachanweisungen ggü dem Vertreter, abgestellt werden soll und die der Vertreter einzuhalten hat.3 Nach Auffassung von Wassermeyer soll es letztlich um die Frage gehen, ob der Vertreter die unternehmerische Tätigkeit des vertretenen Unternehmens ausübt oder ob auf der Grundlage vernünftiger betriebswirtschaftlicher Funktionsaufteilungen zwei eigenständige Unternehmen geschaffen worden sind. Von zwei eigenständigen Unternehmen soll dann auszugehen sein, wenn die Funktionen auf betriebswirtschaftlich vernünftiger Grundlage separiert worden sind und der Vertreter auf Basis des vereinbarten Leistungsentgelts selbständig lebensfähig sein kann. Anders gewendet soll es an einer Abhängigkeit fehlen, wenn der Vertreter eigene unternehmerische Aufgaben erfüllt, mit anderen Worten keine unternehmerischen Aufgaben aus der Sphäre des Vertretenen erfüllt.4 Die Rechtsprechung des BFH hat in einem Fall, in welchem eine inländische Produktionsgesellschaft, die neben ihrer eigenen, originären Fertigungstätigkeit auch Vertriebstätigkeiten für ein Konzernunternehmen ausgeübt hat, die Eigenschaft als „abhängiger Vertreter“ verneint.5 Nach Ansicht des BFH hatte das inländische Produktionsunternehmen eine eigene umfassende Wirtschaftstätigkeit begründet, die es als nicht „abhängig“ erscheinen lasse.6 Letztlich wird man der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Vertreters eine erhöhte Bedeutung zumessen müssen. Die Weisungsgebundenheit ggü dem Vertretenen (und damit ggü dem Auftraggeber) allein wird noch nicht zu einer „Abhängigkeit“ führen können, denn auch ein „unabhängiger Vertreter“ hat auf die Instruktionen seines Auftraggebers Rücksicht zu nehmen und diese – in seiner Eigenschaft als Dienstleister – zu befolgen.7 In diesem Zusammenhang ist ferner von Bedeutung, wie die Vergütung des Vertreters bemessen wird. Eine unternehmerisch incentivierte Vergütung, die Raum für eine erfolgsbasierte Entlohnung des Vertreters beinhaltet, wird indiziell gegen eine „Abhängigkeit“ des Vertreters sprechen.

2.213

Antonym „Unabhängigkeit“. Spiegelbildlich ist zu fragen, nach welchen Kriterien dann die „Unabhängigkeit“ eines Vertreters beurteilt werden soll. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls auf das Innenverhältnis zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen abzustellen. Eine zivilrechtliche Abhängigkeit, z.B. durch das Bestehen einer arbeitsrechtlichen Direktionsbefugnis, deutet regelmäßig auf eine tatbestandliche „Abhängigkeit“ hin (sog. rechtliche [Un]Abhängigkeit). Darüber hinaus ist auch die Frage nach dem unternehmerischen Risiko des Vertreters relevant (sog. wirtschaftliche [Un-]Abhängigkeit).8 Kriterien, die für einen unabhängigen Vertreter sprechen, sind demzufolge fehlende Gebundenheit im Hinblick auf An-

2.214

1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. BFH v. 3.8.2005 – I R 87/04, BStBl. II 2006, 220; Buciek in FS Wassermeyer, 289 (301). Siehe insgesamt Art. 5 Tz. 38 OECD-MK. Vgl. auch Art. 5 Tz. 38.6 OECD-MK. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 203. BFH v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238 = FR 1995, 238 m. Anm. Kempermann. Vgl. hierzu Endres, IStR 1996, 1 (3); Roser, FR 1996, 577; kritisch hierzu FW, IStR 1995, 133. A.A. wohl Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 116. Zehetner in Gasser/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 111 (119); s. insgesamt Art. 5 Tz. 38 OECD-MK.

Puls 111

Kap. 2 Rz. 2.215

Begriff der Betriebsstätte

weisungen sowie die fehlende Aufsicht und Übernahme des Unternehmerrisikos durch den Vertretenen. Die Frage der „Abhängigkeit“ ist im Rahmen des BEPS-Aktionspunkts 7 (s. dazu im Folgenden Rz. 2.223) von der OECD weiter thematisiert worden. Insoweit soll nach jüngster OECD-Auffassung bei der (Un-)Abhängigkeitsprüfung die vom Vertreter auf eigene Rechnung ausgeübten Vertriebstätigkeiten nur noch eine untergeordnete Bedeutung haben. c) Handeln im Rahmen der ordentlichen Geschäftstätigkeit

2.215 Voraussetzung. Bei dem sog. unabhängigen Vertreter bedarf es darüber hinaus nach Art. 5 Abs. 6 OECD-MA eines Handelns im Rahmen seiner ordentlichen Geschäftstätigkeit, um keine Vertreterbetriebsstättentatbestand auszulösen. Hintergrund dieser Einschränkung ist es zu analysieren, ob der Vertreter im Rahmen einer eigenen geschäftlichen Tätigkeit aktiv wird und die wirtschaftlichen Interessen eines selbständigen Gewerbetreibenden wahrnimmt; denn nur dann kann es sich um die Tätigkeit eines „unabhängigen Vertreter“ handeln.1 Vor diesem Hintergrund ist bei der Fragestellung nach dem Handeln im Rahmen der ordentlichen Geschäftstätigkeit die Vergleichsparallele zur idealtypischen Figur eines unabhängigen Vertreters in Gestalt eines Maklers bzw. Kommissionärs zu ziehen. Hierbei kommt es auf die Bedingungen seines Handelns (d.h. um die Frage, ob diese z.B. einer typischen Makler- bzw. Kommissionärstätigkeit mit entsprechenden „Freiheitsgraden“ und eigener Verantwortlichkeit entsprechen) sowie auf die Vergütung der Vertretertätigkeit an, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen muss.2 Von Bedeutung ist ein typisiertes Leistungsspektrum der Vergleichsgruppe zum handelnden Vertreter.3 Übt der Vertreter nebenbei noch weitere Tätigkeiten aus, so ist nach Rechtsprechungsansicht zu prüfen, ob die Tätigkeit in der jeweiligen Branche als üblich anzusehen ist.4

2.216 Keine Ausübung von Hilfs- und Vorbereitungstätigkeiten. Die Tätigkeit des Vertreters führt dann nicht zur Begründung einer Vertreterbetriebsstätte des Vertretenen, wenn Gegenstand der Tätigkeit ausschließlich Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten sind. Insoweit besteht eine Wertungsparallele zu Art. 5 Abs. 4 OECD-MA; denn hätte der Vertretene die entsprechende Tätigkeit selbst ausgeübt, so wäre sie desgleichen nicht betriebsstättenrelevant gewesen.5 Das Vorhandensein einer Betriebsstätte ist deshalb zu verneinen, wenn sich die Geschäftsbesorgung des Vertreters für den Vertretenen auf die in Art. 5 Abs. 4 genannten Tätigkeiten beschränkt.6 Wassermeyer weist zu Recht darauf hin, dass auch insoweit entscheidungserheblich sei, ob der Vertreter Abschlussvollmacht habe. Eine fehlende Abschlussvollmacht kann gleichwohl dazu führen, dass eine Betriebsstätte des Vertreters gem. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA angenommen werden kann.7 d) Abgrenzung zum innerstaatlichen Vertreterbegriff

2.217 Geschäftsbesorgung. Inhaltlich ist der Vertreterbegriff in Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA tatbestandlich enger gefasst als die abgabenrechtliche Definition in § 13 AO. Nach Art. 5 Abs. 5 und Abs. 6 OECD-MA werden unabhängige Vertreter, die im Rahmen ihrer eigenen 1 2 3 4 5 6 7

Zehetner in Gasser/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 111 (114). Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 231. Vgl. Helling, Die Vertreterbetriebsstätte im Internationalen Steuerrecht, 2009, 78 f. Siehe BFH v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238; Kempermann, FR 1995, 238 f. Siehe Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 123. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 209. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 209.

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.220 Kap. 2

ordentlichen Geschäftstätigkeit handeln, grundsätzlich nicht dem Betriebsstättenbegriff untergeordnet.1 Dies trifft vor allen Dingen auf Makler, Kommissionäre oder andere unabhängige Vertreter zu. Nach § 13 AO können demgegenüber auch Makler und Kommissionäre als ständige Vertreter eines Unternehmers fungieren.2 Der abkommensrechtliche Vertreter muss zudem über eine vom Vertretenen verliehene Vollmacht verfügen, Verträge im Namen des Vertretenen abzuschließen, sowie diese Vollmacht auch gewöhnlich auszuüben.3 Bloße Vermittlungstätigkeiten sind unerheblich.4 Kein Vollmachterfordernis nach § 13 AO. Das Motiv einer zu erteilenden rechtsgeschäftlichen Vollmacht ist § 13 AO demgegenüber nicht bekannt. Im Rahmen dieser Vorschrift kommt es lediglich darauf an, dass die Vertretungstätigkeit nachhaltig erfolgt.5 Der abkommensrechtliche Vertreterbegriff verlangt im Unterschied zu § 13 AO auch, dass Gegenstand der Vertretungstätigkeit nicht nur Hilfs- oder Vorbereitungstätigkeiten sein dürfen.6 § 13 Satz 2 Nr. 2 AO betrachtet demgegenüber bereits das Unterhalten von Güter- und Warenbeständen sowie die sich daraus ergebenden Auslieferungen als tatbestandliche Vertretertätigkeit. Hierdurch wird unterstrichen, dass auch bloße Hilfs- oder Vorbereitungstätigkeiten Gegenstand der Vertreteraktivitäten sein können.7

2.218

e) Neuerungen auf OECD-Ebene Hintergrund der Entwicklung. Aufgrund der zahlreichen Diskussionen um die Betriebsstättenrelevanz von sog. Kommissionärsmodellen sind auf OECD-Ebene im Rahmen des Final Reports zu BEPS-Aktionspunkt 7 signifikante Änderungsvorschläge im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzung der Vertreterbetriebsstätte nach Art. 5 Abs. 5, 6 OECD-MA unterbreitet worden. Zielrichtung der Diskussion ist, dass Kommissionärsstrukturen auf Grundlage der vorgeschlagenen Neufassung von Art. 5 Abs. 5, 6 OECD-MA künftig generell zur Annahme einer Vertreterbetriebsstätte für die ausländische Prinzipalgesellschaft führen sollen. Hierdurch soll das Einbüßen von Besteuerungssubstrat infolge der Abschmelzung des Funktionsprofils einer inländischen Vertriebseinheit kompensiert werden können. Die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte soll mithin dazu genutzt werden, die Attraktivität von Kommissionärsmodellen erheblich zu reduzieren.8

2.219

Überblick de lege ferenda. Nach OECD-Auffassung soll der Begriff der Vertreterbetriebsstätte künftig folgende Tatbestandselemente enthalten:

2.220

– Tätigwerden einer Person für ein in einem anderen DBA-Staat ansässiges Unternehmen (Vertretener);

1 Siehe insgesamt Art. 5 Tz. 32 OECD-MK. 2 Koch in Koch/Scholtz, 1996, § 13 AO Rz. 3. 3 Kaligin, RIW 1995, 398 (400): Abschlussvollmacht bedeutet Bevollmächtigung zum Vertragsabschluss, ohne sich des Einverständnisses des Vertretenen vergewissern zu müssen. 4 Hillert, FR 1973, 277 (279). 5 BFH v. 27.11.1963 – I 335/60 U, BStBl. III 1964, 76. 6 Dies folgt bereits aus Art. 5 Tz. 31 Satz 1, 2 u. Tz. 34 OECD-MK; vgl. auch Vetter in Gassner/Lang/ Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 95 (103); Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 123. 7 Für den Ausschluss derartiger Tätigkeiten plädieren u.a. Gebbers, StBp 1989, 78 (80) sowie Kruse in T/K, AO/FGO, § 13 AO Tz. 4. 8 Kraft/Weiß, ISR 2016, 30; Ismer in Lüdicke, Forum der internationalen Besteuerung, Bd. 45, 2016, 45 f.

Puls 113

Kap. 2 Rz. 2.221

Begriff der Betriebsstätte

– Abschluss von Verträgen bzw. – und dies ist eine bedeutende Erweiterung des bisherigen Konzepts der Vertreterbetriebsstätte – Wahrnehmung der „Hauptrolle“ beim Zustandekommen von Verträgen, welche vom Vertretenen routinemäßig ohne wesentliche Änderungen dann selbst abgeschlossen werden; – Abschluss der Verträge im Namen des Vertretenen bzw. Gegenstand des Vertrags ist die Übertragung, Einräumung eines Nutzungsrechts an im Eigentum des Vertretenen stehenden Vermögens oder die Erbringung von Dienstleistungen; – die „Vertretertätigkeiten“ sind nicht auf Hilfs- oder Vorbereitungstätigkeiten nach Art. 5 Abs. 4 OECD-MA limitiert; – der Vertreter ist nicht „unabhängig“, wobei das Kriterium der „Unabhängigkeit“ tatbestandlich stark reduziert wird. So soll künftig keine „Unabhängigkeit“ mehr vorliegen, wenn der Vertreter ausschließlich oder fast ausschließlich für Unternehmen tätig wird, zu welchem ein Näheverhältnis besteht. Damit wird offenkundig, dass der „Vertreter“ nach OECD-Auffassung künftig nicht mehr zwangsläufig rechtsgeschäftlich bindend auftreten muss. Dies belegt schon der Umstand, dass künftig auf ein zivilrechtliches Vollmachterfordernis zugunsten des Vertreters verzichtet werden soll. Zum anderen wird der Tatbestand des „unabhängigen Vertreters“ nach Art. 5 Abs. 6 OECD-MA erheblich eingeschränkt. Darüber hinaus wird Art. 5 Abs. 6 OECD-MA-E künftig begrifflich neu strukturiert.

2.221 Fokussierung auf die Vertretungstätigkeit anstelle einer Bevollmächtigung. Kernpunkt der im Rahmen des BEPS-Aktionspunkts 7 diskutierten Novellierung der Vertreterbetriebsstätte ist die Loslösung der Vertretungstätigkeit vom Erfordernis einer Bevollmächtigung. Dahinter steht auf Seiten der OECD die Erkenntnis, dass die Rolle des Vertreters beim Zustandekommen eines Vertrags zutreffend gewürdigt werden soll, wenn der Vertrag infolge der Tätigkeiten des Vertreters ohne wesentliche Änderungen vom Vertretenen abgeschlossen wird.1 Denn der eigentliche Wertschöpfungsbeitrag des Vertreters liegt – so die OECD – bereits in dem Anbahnen des Vertragsabschlusses; der formale Signierungsakt ist lediglich eine Konsequenz dessen und verkörpert demzufolge nicht das entscheidende Momentum für den Vertragsabschluss.2 Ferner bedurfte es bis dato bei sog. Massenverträgen, die ohne weiteres vom Vertretenen selbst abgeschlossen werden konnten, keiner Abschlussvollmacht zugunsten des Vertreters. Beide Feststellungen legen in den Augen der OECD nahe, das Merkmal der Abschlussvollmacht vollends neu zu überdenken.3 Was die OECD hingegen genau unter konkreten Tätigkeiten verstehen möchte, die zu der „Hauptrolle“ des Vertreters bei der Vertragsanbahnung führen, verbleibt unklar. Bloße Marketing- und Werbetätigkeiten eines Vertreters, welche nicht unmittelbar in eine Kaufentscheidung und mithin in einen Vertragsschluss münden, sollen nicht ausreichend sein; ebenso wenig soll die bloße Anwesenheit des Vertreters bei Vertragsverhandlungen genügen.4 Entscheidend soll nach OECD-Ansicht die Fragestellung sein, ob der Vertreter den Kunden von der jeweiligen Kaufentscheidung überzeugen kann.5 Wie tiefgehend diese Überzeugungsarbeit sein soll, um die „Hauptrolle“ beim Zustandekommen eines Vertrags annehmen zu können, dürfte damit in der Praxis nicht leicht zu beantworten sein. Es ist zu vermuten, dass viele Staaten das „weiche“ Tatbestandsmerkmal der sog. 1 2 3 4 5

OECD Final Report zu BEPS-Aktionspunkt 7, 2015, 15. OECD Final Report zu BEPS-Aktionspunkt 7, 2015, 15. Art. 5 Tz. 32.5 Satz 1 OECD-MK. Art. 5 Tz. 32.5 Satz 6 OECD-MK. Vgl. Art. 5 Tz. 32.5 Satz 4 OECD-MK.

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.223 Kap. 2

Hauptrolle dazu „missbrauchen“ werden, um die Schwelle zur Annahme einer tatbestandlichen Vertretertätigkeit (noch) weiter abzusenken. In der Praxis wird dies zu Lasten der Rechtssicherheit gehen, denn die Vorhersehbarkeit einer Vertreterbetriebsstätte wird dadurch noch weiter erschwert werden.1 Tätigkeitsobjekte der Vertreteraktivitäten. Die Tätigkeiten eines Vertreters müssen – um vertreterbetriebsstättenbegründend sein zu können – auf die in Art. 5 Abs. 5 Buchst. a bis c OECD-MA-E genannten Vertragsgegenstände ausgerichtet sein. Im Rahmen dieser Vorschrift sollen drei Vertragsgegenstände maßgeblich sein, wenn der Vertreter Tätigkeiten ausübt, die auf ihren Abschluss ausgerichtet sind: (1) Verträge, die den Vertretenen rechtsgeschäftlich binden (Buchst. a), (2) Verträge, die auf die Übertragung des Eigentums an Vermögensgegenständen bzw. die Einräumung von Nutzungsrechten hieran gerichtet sind (Buchst. b), (3) Verträge, welche eine Dienstleistungserbringung zum Gegenstand haben (Buchst. c). Hintergrund dieser Neustrukturierung des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA ist der Gedanke, dass auch solche Verträge vertreterbetriebsstättenbegründend wirken sollen, die auch eine – neben einer zivilrechtlichen (s. Buchst. a) – wirtschaftliche Bindung des Vertretenen bewirken (s. Buchst. b und c). Wirkt der Vertreter an einem Vertragsschluss dergestalt mit, der auf die in Buchst. b bis c genannten Vertragsgegenstände gerichtet ist, dass er die „Hauptrolle“ bei dem Zustandekommen des Vertrags einnimmt, so wirkt dies vertreterbetriebsstättenbegründend. Nach OECDAnsicht ist mithin zwischen zwei Vertretertypen zu differenzieren:2 Zum einen existiert der (bereits bekannte) zivilrechtlich ermächtigte Vertreter, der den Vertretenen vertraglich binden kann; zum anderen existiert nunmehr der (neue) wirtschaftlich ermächtigte Vertreter, der zwar den Vertretenen nicht rechtsgeschäftlich binden kann, jedoch dem Vertretenen die wirtschaftlichen Konsequenzen des Vertreterhandelns aufbürdet.

2.222

Künftige Rolle der (Un-)Abhängigkeit des Vertreters. Die Ausdehnung der Tatbestandsmerkmale des Vertreterhandelns in Art. 5 Abs. 5 OECD-MA-E wirft die Frage auf, ob die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte künftig nur noch auf Basis der „Unabhängigkeit“ des Vertreters verneint werden kann, denn nach Art. 5 Abs. 6 OECD-MA-E soll auch künftig der „unabhängige Vertreter“ nicht betriebsstättenrelevant sein können. Die Frage nach der „Unabhängigkeit“ geht primär dahin, ob durch das Ausüben von weiteren Tätigkeiten – bspw. neben rein konzernintern ausgeübten Kommissionärstätigkeiten – eine „Unabhängigkeit“ des Vertreters hergestellt werden kann, sofern der Vertreter diese auf eigenes wirtschaftliches Risiko mit weiteren Auftraggebern ausüben würde. In dieser Hinsicht werden weitere Neuerungen im OECD-MA beabsichtigt: Art. 5 Abs. 6 Buchst. a Satz 2 OECD-MA-E sieht zunächst vor, dass ein Vertreter nicht „unabhängig“ sein kann, wenn er ausschließlich oder fast ausschließlich für ein nahestehendes Unternehmen tätig ist. Hierdurch soll offenkundig eine stärkere Berücksichtigung von Konzernsachverhalten bei der Würdigung der Fragestellung nach der (Un-)Abhängigkeit des Vertreters erfolgen.3 In Art. 5 Abs. 6 Buchst. b wird das Kriterium des Näheverhältnisses – ähnlich wie die Regelungen des § 1 Abs. 2 AStG und über den Begriff der verbundenen Personen in Art. 9 OECD-MA hinausgehend – näher umschrieben. Demnach können folgende Fallkonstellationen unterschieden werden: (i) Vorliegen eines (aufgrund von Tatsachen und Umständen begründeten) Beherrschungsverhältnisses; (ii) Beherrschung beider Parteien durch ein- und dieselbe Person; (iii) Innehaben (unmittelbar oder mittelbar) von mehr als 50 % des wirtschaftlichen Eigentums (bei Gesellschaften in der Regel

2.223

1 Zutreffend Kraft/Weiß, ISR 2016, 30 (33), Demleitner, BB 2016, 599 f. 2 Siehe auch Kraft/Weiß, ISR 2016, 30 (34). 3 So Kraft/Weiß, ISR 2016, 30 (35); Ismer in Lüdicke, Forum der internationalen Besteuerung, Bd. 45, 2016, 45 (46).

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Kap. 2 Rz. 2.224

Begriff der Betriebsstätte

mehr als 50 % der Stimmrechte) an der anderen Partei; (iv) einer dritten Person stehen (unmittelbar oder mittelbar) mehr als 50 % des wirtschaftlichen Eigentums (in der Regel mehr als 50 % der Stimmrechte) an beiden Parteien zu.

2.224 Tätigkeiten außerhalb der eigentlichen Vertreteraktivität. Bei einer konzerninternen Vertretertätigkeit stellt sich die o.g. Frage, wann und unter welchen Umständen eine Vertretertätigkeit durch die Aufnahme weiterer Tätigkeiten als „unabhängig“ einzustufen ist. Nach Ansicht der OECD ist die weitere Tätigkeit des Vertreters (im Hinblick auf die eigentliche Vertretertätigkeit) nach deren Umfang abzuwägen und zu würdigen. Nach dem novellierten Entwurf des OECD-MK soll eine sog. Wesentlichkeitsgrenze vorgesehen werden; hierzu wird ein Beispiel vorgesehen:1 Sofern die Umsatzerlöse eines Vertreters mit nicht-nahestehenden Unternehmen weniger als 10 % seiner gesamten Umsatzerlöse aus sämtlichen Vertretertätigkeiten betragen, soll der Vertreter als „exclusively or almost exclusively“ für das nahestehende Unternehmen handelnd betrachtet werden. Insoweit wäre eine „Unabhängigkeit“ des Vertreters zu verneinen. Insoweit ist erkennbar, dass in die Prüfung der Frage nach der „Unabhängigkeit“ des Vertreters ausschließlich Vertretungstätigkeiten einbezogen werden sollen; anderweitige Tätigkeiten – z.B. eigene Produktionstätigkeiten des Vertreibers wie in der BFHEntscheidung vom 14.9.1994 ausgeführt2 – spielen demnach keine Rolle; ebenso ist eine zusätzliche, eigenständige Tätigkeit des Vertreters als Eigenhändler, der im eigenen Namen und auf eigene Rechnung handelt, unmaßgeblich. Die neue OECD-Auffassung widerspricht damit klar der bisherigen o.g. Rechtsprechung des BFH im Hinblick auf das Kriterium der Unabhängigkeit. Gleichwohl ist die o.g. 10 %-Grenze eher als Anhaltspunkt zu verstehen und nicht als fixe Wesentlichkeitsgrenze. Erforderlich ist mithin stets eine einzelfallbezogene Betrachtung. Konzerngesellschaften, welche die Rolle eines Absatzkommissionärs für eine Prinzipalgesellschaft ausüben und nebenher keine anderen, ggü fremden Dritten ausgeübten Vertretertätigkeiten wahrnehmen, wären auf Basis der OECD-Meinung daher als „abhängig“ zu qualifizieren. Nach OECD-Ansicht ist allerdings noch zu prüfen, ob anderen Tatsachen und Umstände die Einstufung als „unabhängiger Vertreter“ nicht doch noch rechtfertigen können.3 Es geht um eine typusbezogene Auslegung des Begriffs der Unabhängigkeit, die nicht von fixen Tatbestandsmerkmalen geprägt und abhängig ist. Insoweit eröffnet Art. 5 Tz. 38 OECD-MK-E letztlich die Möglichkeit einer Gesamtschau und einen gewissen Beurteilungsspielraum bei der Frage nach der „Ausschließlichkeit“ des Tätigwerdens und mithin der „Unabhängigkeit“ des Vertreters.

2.225 Missglückte Vertriebsrepräsentanzen im Lichte der OECD-Entwicklungen. In der Praxis wird beim Aufbau von Vertriebsstrukturen in ausländischen Zielmärkten zunächst in der Regel eine reine Repräsentanz aufgebaut, die Kontakt zu potentiellen Kunden aufbauen soll. Bei erfolgreichem Verbindungsaufbau zu potentiellen Abnehmern wird die Repräsentanz oftmals auch in erste Vertragsverhandlungen involviert. Durch die Nähe und den unmittelbaren Kontakt der Repräsentanz zum lokalen Kunden erfolgt eine ggf. recht intensive Involvierung in den Verhandlungsprozess. Bereits hier stellt sich die Frage, wann das Involviertsein der Repräsentanz – bei sich wiederholenden Vorgängen – in ein Ausüben der „Hauptrolle“ („principal role“) im Rahmen des Vertriebsgeschäfts erwächst. Da nach OECD-Auffassung das „Überzeugungsmoment“ im Hinblick auf die Kaufentscheidung maßgebliche Bedeutung haben soll, besteht hier das erhebliche Risiko, dass die lokale Finanzverwaltung in dem bloßen Involviertsein des Repräsentanzbüros bereits die „principal role“ hineininterpretieren wird. In der 1 Siehe Art. 5 Tz. 38.8 Satz 2 OECD-MK. 2 BFH v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238 = FR 1995, 238 m. Anm. Kempermann. 3 So auch Kraft/Weiß, ISR 2016, 30 (36); vgl. auch Demleitner, BB 2016, 599 (600).

116

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.228 Kap. 2

Praxis sind Unternehmen vor diesem Hintergrund gut beraten, die Rolle der Repräsentanz auf das Ausüben bloßer Marketing- bzw. Promotion-Aktivitäten reduziert zu belassen. Weitere Vertreterbetriebsstättenrisiken können insbesondere in sog. Schwellenländern dadurch entstehen, dass eine Repräsentanz über ein Auslieferungslager des zu repräsentierenden Unternehmens verfügt, ohne Abschlussvollmacht ggü. möglichen Kunden zu verfügen oder in Vertragsverhandlungen involviert zu sein. Art. 5 Abs. 5 Buchst. b UN-MA sieht – anders als Art. 5 Abs. 5 OECD-MA – vor, dass bereits das Unterhalten eines Auslieferungslagers, von dem aus regelmäßig Belieferungsvorgänge für das Unternehmen erfolgen, vertreterbetriebsstättenrelevant sein kann.

VII. Behandlung von beherrschenden und beherrschten Gesellschaften 1. Anwendungsrahmen Grundsatz. Im Gegensatz zum abgabenrechtlichen Betriebsstättenbegriff beinhaltet Art. 5 Abs. 7 OECD-MA die Klarstellung, dass eine Tochtergesellschaft aufgrund ihrer bloßen Beherrschung durch die Muttergesellschaft prinzipiell nicht als deren Betriebsstätte angesehen werden kann.1 Auch im innerstaatlichen Steuerrecht besteht Einigkeit darüber, dass die bloße Kapitalbeteiligung an einer Tochtergesellschaft nicht zur Annahme einer Betriebsstätte führen kann.2 Im Rahmen des abgabenrechtlichen Betriebsstättenbegriffs ist diese Feststellung nicht ausdrücklich erwähnt; sie folgt allerdings bereits aus dem Tatbestand des § 12 Satz 1 AO. Auch im innerstaatlichen Recht führt die Beteiligung an einer anderen Gesellschaft weder dazu, dass eine Betriebsstätte der beherrschten Gesellschaft bei der beherrschenden Gesellschaft, noch umgekehrt dazu, dass eine entsprechende Betriebsstätte der beherrschenden bei der beherrschten Gesellschaft vorliegt.

2.226

Dogmatische Rechtfertigung. Zwar ist regelmäßig bei der Tochtergesellschaft eine feste örtliche Einrichtung in Gestalt der zur Verfügung stehenden Geschäftsräume gegeben. Das Vorhandensein einer räumlichen Einrichtung führt aufgrund der steuerlichen Selbständigkeit der Tochtergesellschaft und der damit verbundenen Abschirmwirkung gegenüber der Muttergesellschaft allerdings nicht zu einer ihr zuzurechnenden Betriebsstätte.3 Der RFH hatte dagegen noch die sog. Filialtheorie vertreten und damit eine rechtlich selbständige deutsche Gesellschaft allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem ausländischen Konzern als Betriebsstätte dieses Konzerns qualifiziert.4

2.227

Keine Fiktion der Verfügungsmacht. Die Frage nach der Betriebsstätte im Rahmen des Art. 5 Abs. 7 OECD-MA ist vornehmlich eine Frage der Zurechnung der Betriebsvorrichtung auf die beherrschende Gesellschaft. Zwar wird die beherrschende Gesellschaft eine allgemein abgesicherte Verfügungsmacht über die Geschäftseinrichtung der beherrschten Gesellschaft innehaben. Allerdings kann eine Zurechnung einer Betriebsvorrichtung bzw. Geschäftseinrichtung auf die Betriebsstätte nur dann in Betracht zu ziehen sein, wenn durch die Unterneh-

2.228

1 Allgemein Toifl in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 126 (127); Ditz, IStR 2010, 553. 2 Siehe etwa BFH v. 29.8.1984 – I R 154/81, BStBl. II 1985, 160 = FR 1985, 104, wonach das bloße Halten von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen kann; so auch Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 4. 3 Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen, 1996, Rz. 408. 4 Siehe RFH v. 21.1.1930 – I A 682/28, RStBl. 1930, 148 sowie v. 16.9.1930 – I A 129/30, RStBl. 1930, 757.

Puls 117

Kap. 2 Rz. 2.229

Begriff der Betriebsstätte

menstätigkeit der beherrschten Gesellschaft auch ein hinreichender Bezug der beherrschenden Gesellschaft zum Tätigkeitsort begründet wird. Durch die zivil- und steuerrechtliche Abschirmwirkung der beherrschten Gesellschaft (Tochter- oder Schwestergesellschaft) ist eine derartige Verwurzelung der herrschenden Gesellschaft gerade nicht gegeben. Die Frage nach der Betriebsstätte in Gestalt der beherrschten Gesellschaft ist sowohl aus dem Blickwinkel des Ansässigkeitsstaats wie des Quellenstaats zu stellen.1 Sofern etwa der Ansässigkeitsstaat ausländische Betriebsstätteneinkünfte freizustellen hat, so sind die der Betriebsstätte zuzurechnenden Einkünfte im Ansässigkeitsstaat der herrschenden Gesellschaft keinem Steuerzugriff ausgesetzt. Denkbar ist allerdings, dass die beherrschte Gesellschaft als Vertreter für die beherrschende Gesellschaft agiert. Dies kann allerdings nur aufgrund besonderer Beziehungen zur beherrschenden Gesellschaft – die außerhalb des gesellschaftsrechtlichen Beherrschungsverhältnisses liegen müssen -2angenommen werden. Hierzu bedarf es aus abkommensrechtlicher Perspektive der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 5 Abs. 5 OECDMA.3 2. Kasuistik

2.229 BFH vom 14.9.1994 – I R 166/93. Nach bereits oben zitierter Auffassung der Rechtsprechung kann eine Tochtergesellschaft, sofern sie eine eigene umfassende Wirtschaftstätigkeit entfaltet, grundsätzlich nicht als abhängig angesehen werden. Ihre Zugehörigkeit zu einem Konzern, zu welchem auch der Vertretene angehört, steht der Annahme einer Unabhängigkeit nicht entgegen.4

2.230 Italienische Phillip-Morris-Entscheidungen. Der italienische Kassationsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen im März 2002 zur Frage der Betriebsstättenrelevanz einer Konzernverbundenheit Stellung genommen.5 Hierbei ging es um ein Konzernunternehmen, das mit dem „Monitoring“ der Erfüllung von Vertragspflichten zur Herstellung von Tabakprodukten befasst war, die auf Basis einer Lizenzvereinbarung produziert wurden. Obwohl die Entscheidungen einen umsatzsteuerlichen Hintergrund hatten, entwickelte das Gericht folgende Gedanken: (i) Das lokale Konzernunternehmen kann als „Betriebsstätte“ ausländischer Konzernunternehmen fungieren, sofern eine gemeinsame Geschäftsstrategie verfolgt wird; (ii) das Überwachen vertraglicher Pflichten kann nicht per se als Tätigkeit mit Hilfs- oder Unterstützungscharakter betrachtet werden; (iii) das Ausüben von Geschäftstätigkeiten für ein ausländisches Konzernunternehmen, auch sofern diese nur auf bestimmte Bereiche beschränkt sind, führt zur Annahme einer Betriebsstätte des ausländischen Konzernunternehmens; (iv) die Tatbestandserfordernisse im Hinblick auf das Vorliegen einer Betriebsstätte, einschließlich derjenigen eines abhängigen Vertreters, dürfen nicht rein formal, sondern müssen substanzbezogen ausgelegt werden.

1 Siehe etwa Toifl in Gassner/Lanf/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 128. 2 Siehe Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 168; dazu auch Toifl in Gassner/Lang/Lechner, Betriebsstätte im Recht der DBA, 1998, 139. 3 Görl in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 168. 4 BFH v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238 = FR 1995, 238 m. Anm. Kempermann; s. dazu auch oben Rz. 2.224. 5 Italienischer Kassationsgerichtshof, Entscheidungen v. 20.12.2001 – Nr. 3367 und 3368; v. 20.12.2002 – Nr. 7682 und 10925.

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B. Die Tatbestandsmerkmale der Betriebsstätte

Rz. 2.233 Kap. 2

Die Entscheidungen haben in der Literatur umfangreiche Kritik ausgelöst, da sie zu einer signifikanten und vom Wortlaut des OECD-MA losgelösten Erweiterung des Betriebsstättentatbestands führen würden.1 Italienische UGE-Entscheidung. Im Nachgang zu der Philip Morris-Entscheidungen hatte der italienische Kassationsgerichtshof einen weiteren, ähnlich gelagerten Fall zu beurteilen („UGE S.A.“).2 Auch dieser Sachverhalt hatte einen umsatzsteuerlichen Hintergrund; gleichwohl nutzte das Gericht die aus dem DBA-Recht entstammende Betriebsstättendefinition für die Urteilsfindung und legte diese im Lichte der o.g. Philip Morris-Entscheidungen aus. Hierbei betonte das Gericht, dass auch aufgrund der Zugehörigkeit eines in Italien ansässigen Unternehmens zu einem ausländischen Konzern das lokale Unternehmen als Betriebsstätte der ausländischen Konzernmutter fungieren kann, sofern es über Hilfs- und Vorbereitungstätigkeiten hinausgehende Aktivitäten wahrnehmen würde. Die Tatsache, dass es sich bei dem lokalen Konzernunternehmen um eine rechtlich selbständige und steuerlich eigenständig zu erfassende Legaleinheit handele, sei nicht maßgeblich. Darüber hinaus wurde erneut betont, dass rein formale Kriterien (Abschlussvollmacht für Vertreterhandeln etc.) nicht für die Frage nach dem Vorhandensein einer Betriebsstätte ausschlaggebend seien; es sei vielmehr eine wirtschaftliche (sich an Substanzerfordernissen orientierende) Betrachtungsweise anzulegen.

2.231

Norwegische Siemens-Entscheidung. Im Rahmen dieser Entscheidung kam der norwegische Høyesterett zu dem Ergebnis, das ein ausländisches Konzernunternehmen in Norwegen (ungeachtet Art. 5 Abs. 7 OECD-MA) auch dann eine Betriebsstätte unterhalten kann, wenn es lokal wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet, für die es weder wirtschaftlich noch rechtlich verantwortlich zeichnet und die auch nicht auf Rechnung des ausländischen Konzernunternehmens erfolgen.3 Konkret ging es darum, dass neben der Lieferung von Produkten aus Deutschland nach Norwegen auch begleitende Tätigkeiten (Installations-, Adaptionstätigkeiten etc.) ausgeführt wurden, die einen unternehmerischen Entscheidungsspielraum (d.h. über die reine Erbringung einer Arbeitsleistung hinaus) erforderten.

2.232

Fazit. Die „Anti-Organ-Klausel“ nach Art. 5 Abs. 7 OECD-MA ist vor dem Hintergrund zu betrachten, dass Konzernunternehmen bereits über die zwischen ihnen bestehenden Verrechnungspreise eine fremdvergleichskonforme Behandlung herstellen, die nicht zu Lasten des Fiskalaufkommens desjenigen Staats führt, in dem die Unternehmenstätigkeit ausgeübt wird und die Anlass zur Diskussion über eine Betriebsstättenbegründung geben könnte.4 Würde eine Betriebsstätte des ausländischen Unternehmens angenommen werden, so müsste dieser – wie bereits oben angemerkt – ein entsprechender Gewinn zuzuordnen sein; diese würde einer Einkünftekorrektur infolge nicht fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise entsprechen und zugunsten des fiktiven „Betriebsstättenstaats“ kein steuerliches Mehrergebnis produzieren.5 Art. 5 Abs. 7 OECD-MA sollte infolgedessen zu einem restriktiven Betriebsstättenverständnis führen. Die o.g. Entscheidungen ausländischer Gerichte verwischen die Grenzen zwischen dem Grundtatbestand der Betriebsstätte nach Art. 5 Abs. 1 OECDMA und dem Tätigwerden als Vertreter nach Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA und sind in ihrer dogmatischen Rechtfertigung mehr als zweifelhaft.

2.233

1 2 3 4 5

Siehe stellvertretend Ditz, IStR 2010, 553. Italienischer Kassationsgerichtshof, Entscheidung v. 25.1.2006 – Nr. 17206. Norwegischer Høyesterett, Entscheidung v. 29.4.1997, ET 1997, 388. Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 242. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 242.

Puls 119

Kapitel 3 Besteuerung der Betriebsstätte I. Besteuerungsgrundsätze nach innerstaatlichem Recht 1. Einkommensteuer und Körperschaftsteuer a) Buchführung und Gewinnermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderheiten bei der Überführung von Wirtschaftsgütern . . c) Berücksichtigung von Verlusten d) Vermeidung internationaler Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . e) Progressionsvorbehalt . . . . . . . . . 2. Besonderheiten bei der Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

A. Besteuerung inländischer Betriebsstätten I. Besteuerungsgrundsätze nach innerstaatlichem Recht 1. Einkommensteuer und Körperschaftsteuer a) Persönliche Steuerpflicht . . . . . . . b) Buchführungspflicht und Gewinnermittlung . . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten bei der Überführung von Wirtschaftsgütern . . d) Behandlung von Gewinnen aus Anteilen an Kapitalgesellschaften e) Behandlung von Verlusten. . . . . . f) Tarif. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Vermeidung internationaler Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten bei der Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Besteuerungsgrundsätze nach Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . . B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

3.1 3.3 3.8 3.11 3.13 3.16 3.18 3.20 3.26

II. Besteuerungsgrundsätze nach Abkommensrecht 1. Betriebsstättenprinzip und Freistellungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abkommensrechtliche Rückfallklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unilaterale Rückfallklauseln a) § 50d Abs. 9 EStG. . . . . . . . . . . . . b) § 20 Abs. 2 AStG. . . . . . . . . . . . . .

3.32 3.36 3.38 3.43 3.53 3.59

3.64 3.68 3.71 3.74

A. Besteuerung inländischer Betriebsstätten I. Besteuerungsgrundsätze nach innerstaatlichem Recht 1. Einkommensteuer und Körperschaftsteuer a) Persönliche Steuerpflicht

3.1 Beschränkte Steuerpflicht. Das Vorliegen einer im Inland belegenen Betriebsstätte bildet das zentrale Anknüpfungsmerkmal im Rahmen des beschränkten Einkommen- und Körperschaftsteuerpflicht gewerblicher Einkünfte von im Ausland ansässigen, natürlichen oder juristischen Person. Denn sowohl § 1 Abs. 4 EStG als auch § 2 Nr. 1 KStG nehmen Bezug auf die Erzielung inländischer Einkünfte i.S.v. § 49 EStG, der – so es um gewerbliche Einkünfte geht – in Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG entweder eine Betriebsstätte i.S.v. § 12 AO oder einen ständigen Vertreter gem. § 13 AO im Inland einfordert. Ob eine (Vertreter-)Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 OECD-MA vorliegt, ist für die Begründung der beschränkten Steuerpflicht ohne Bedeutung.

120

Ditz/Quilitzsch

A. Besteuerung inländischer Betriebsstätten

Rz. 3.2 Kap. 3

Einkommen- vs. Körperschaftsteuerpflicht – Rechtstypenvergleich. Wird die inländische Betriebsstätte nicht durch eine natürliche Person, sondern durch ein ausländisches Rechtsgebilde unterhalten, ist die Frage, ob die Betriebsstätteneinkünfte der deutschen Einkommen- oder Körperschaftsteuer zu unterwerfen sind, anhand der durch den BFH entwickelten Rechtsfigur des sog. Typenvergleichs zu beantworten.1 Eine ausländische Gesellschaft ist danach als Körperschaft einzuordnen, wenn sich bei der Gesamtbetrachtung der einschlägigen ausländischen Bestimmungen und der getroffenen Vereinbarungen über die Organisation und Struktur der Gesellschaft ergibt, dass diese rechtlich und wirtschaftlich im Wesentlichen einer inländischen Körperschaft i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG oder sonstigen juristischen Person i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG entspricht. Im Einzelnen vollzieht sich der Rechtstypenvergleich in zwei Schritten:2 In einem ersten Schritt sind die gesellschaftsrechtlichen Eigenschaften der ausländischen Gesellschaft nach dem für sie geltenden ausländischen Recht zu bestimmen. Dabei ist insbesondere auf die zivilrechtlichen Merkmale abzustellen, die eine Grenzziehung zwischen Personengesellschaft und Körperschaft ermöglichen. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob eine inländische Gesellschaftsform existiert, die vergleichbare Eigenschaften zu der gegenständlichen ausländischen Gesellschaft aufweist. Insofern ist der Rechtstypenvergleich zwischen ausländischem und deutschem Gesellschaftsrecht vorzunehmen, wobei die individuell-konkrete Betrachtung unter Berücksichtigung der speziellen Umstände des Einzelfalls (d.h. insbesondere im Hinblick auf den konkret in Rede stehenden Gesellschaftsvertrag) durchzuführen ist.3 Der steuerlichen Behandlung der ausländischen Gesellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat kommt hierbei keine Bedeutung zu.4 Entspricht die ausländische Gesellschaft als Ergebnis des Rechtstypenvergleichs einer Personengesellschaft deutscher Prägung, so wird sie für deutsche Besteuerungszwecke als (transparent besteuerte) Gesellschaft behandelt. Für die Frage, ob durch eine Betriebsstätte im Inland eine beschränkte Einkommen- oder Körperschaftsteuerpflicht begründet wird, ist dann auf die Ebene der an der ausländischen Gesellschaft ultimativ beteiligten Gesellschafter abzustellen. Dies gilt selbst dann, wenn die betreffende Gesellschaft nach dem für sie im Ausland anwendbaren Recht als eigenständig rechtsfähiges und intransparentes Steuersubjekt behandelt wird. Sowohl die Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze5 als auch die Ausführungen des BMF zur Anwendung der DBA auf Personengesellschaften6 enthalten länderbezogene Übersichten über die Einordnung ausländischer Rechtsträger, die als Orientierungshilfe für die Frage herangezogen werden können, ob im Inland Körperschaft- oder Einkommensteuerpflicht besteht. Ferner wird man für die Klassifizierung ausländischer Rechtsformen – so wie dies zahlreiche 1 Grundlegend die sog. „Venezuela“-Entscheidung des RFH v. 12.2.1930 – VI A 899/27, RStBl. 1930, 444; BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, BStBl. II 1992, 972; v. 4.4.2007 – I R 110/05, BStBl. II 2007, 521 = FR 2007, 923; v. 20.8.2009 – I R 34/08, BStBl. II 2009, 263. 2 Vgl. zu Einzelheiten Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 3.5 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 491 ff.; Maier in Löwenstein/Looks/ Heinsen2, Rz. 540 ff. 3 Vgl. BMF v. 19.3.2004 – IV B 4 - S 1301 USA-22/04, BStBl. I 2004, 411, Tz. V; BFH v. 20.8.2008 – I R 34/08, BStBl. II 2008, 263. 4 Vgl. Mössner in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 2.55; Ditz in S/D, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 74. 5 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tabellen 1 und 2. 6 BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Anlage.

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3.2

Kap. 3 Rz. 3.3

Besteuerung der Betriebsstätte

Gerichte praktiziert haben1 – den sog. LLC-Erlass2 und die dort aufgeführten Kriterien heranziehen können. Die Finanzverwaltung hat dessen grundsätzliche Anwendbarkeit auch auf andere Gesellschaften als die US-amerikanische LLC ausdrücklich bestätigt.3 b) Buchführungspflicht und Gewinnermittlung

3.3 Buchführungspflicht. Unterfällt das ausländische Stammhaus im Inland der Pflicht zur Führung von Büchern gem. §§ 238 ff. HGB bzw. § 140 AO, so sind die Einkünfte der Betriebsstätte durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG, § 5 Abs. 1 EStG) zu ermitteln. Gleiches gilt, sofern der Steuerpflichtige freiwillig zur Buchführungspflicht optiert. In allen anderen Fällen, d.h. wenn weder nach in- oder ausländischen Recht eine Buchführungspflicht begründet wird und der Steuerpflichtige auch nicht freiwillig dazu übergegangen ist, Bücher zu führen, ist der Betriebsstättengewinn anhand einer Einnahmen-Überschuss-Rechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG zu ermitteln.4

3.4 Hilfs- und Nebenrechnung. Hinsichtlich der Frage nach der Ermittlung der Einkünfte, die der Betriebsstätte zuzurechnen sind, treffen weder das Einkommen- noch das Körperschaftsteuergesetz Regelungen. Diese richtet sich vielmehr nach dem in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 niedergelegten Grundsatz der uneingeschränkten Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte, wonach ihr die Gewinne zuzurechnen sind, die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte. Die Umsetzung dieses sog. Authorised OECD Approach (AOA) in innerstaatliches Recht erfolgte im Rahmen des AmtshilfeRLUmsG5 durch die Einfügung von § 1 Abs. 5 AStG. Flankiert wird diese Vorschrift durch die Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV).6 Zur steuerlichen Ergebnisermittlung der Betriebsstätte sieht § 3 BsGaV die Pflicht zur Führung einer sog. Hilfs- und Nebenrechnung für die Betriebsstätte vor.7 Sie dient der steuerlichen Ergebnisberechnung der Betriebsstätte und ist zu Beginn des jeweiligen Wirtschaftsjahres entsprechend den Regeln für die steuerliche Gewinnermittlung aufzustellen. Im Übrigen ist sie während des Wirtschaftsjahrs laufend fortzuführen und zu dessen Ende abzuschließen.8 Nach Auffassung der Finanzverwaltung können hierfür die aufgrund der originären Buchführung erstellten Unterlagen nur im Einzelfall unmittelbar

1 Vgl. BFH v. 20.8.2008 – I R 34/08, BStBl. II 2009, 263 = FR 2009, 299; FG Münster v. 27.8.2009 – 8 K 4552/04 F, EFG 2009, 1951 (rkr.); FG Baden-Württemberg v. 14.1.2009 – 4 K 4968/08, juris (rkr.). 2 BMF v. 19.3.2004 – IV B 4 - S 1301 USA-22/04, BStBl. I 2004, 411. 3 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 1.2. Dazu ausführlich Rupp in D/P/M, IntGA, Rz. 1507 ff. 4 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 346; Strunk in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.64 ff. 5 Gesetz v. 29.6.2013, BGBl. I 2013, 1809; vgl. dazu Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917 (1919); Paintner, DStR 2013, 1629 (1642); Adrian/Franz, BB 2013, 1879 ff.; Rehfeld/Goldner, IWB 2013, 548 ff.; Schnitger, IStR 2012, 633 ff. 6 Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes (Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV), BGBl. I 2014, 1603. 7 Zu Einzelheiten vgl. Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 ff.; Dombrowski/Sommer/Dahle, IStR 2016, 109; Busch, DB 2014, 2490 ff.; Nientimp/Ludwig/Stein, IWB 2014, 815 ff. 8 Vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 52 – im Folgenden VWG BsGa.

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A. Besteuerung inländischer Betriebsstätten

Rz. 3.6 Kap. 3

herangezogen werden.1 Damit normiert die BsGaV ein eigenständiges Betriebsstättengewinnermittlungsrecht. Diese Grundsätze gelten nach Auffassung der Finanzverwaltung sowohl im DBA- als auch im Nicht-DBA-Fall.2 Zudem ist es unbeachtlich, ob das im Einzelfall anwendbare DBA Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 entspricht und damit auch abkommensrechtlich den AOA umsetzt.3 Insofern hat das in § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG normierte Veranlassungsprinzip, wonach im Rahmen der steuerlichen Einkünfteermittlung nur solche Betriebsaufgaben zum Abzug zugelassen werden, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit in der Betriebsstätte begründeten Einnahmen stehen, nur deklaratorischen Charakter.4 Zu den Einzelheiten der Betriebsstättengewinnermittlung wird auf die Ausführungen in Rz. 4.1 ff. verwiesen. Authorised OECD Approach (AOA). Nach dem AOA ist die Betriebsstätte für steuerliche Zwecke fiktiv wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln. Dazu ist in einem ersten Schritt eine Funktions- und Risikoanalyse der Betriebsstätte durchzuführen. Auf dieser Grundlage sind der Betriebsstätte Personalfunktionen sowie darauf aufbauend Vermögenswerte, Chancen und Risiken sowie ein angemessenes Dotationskapital zuzurechnen. In einem zweiten Schritt sind sodann die mit dem übrigen Unternehmen unterhaltenen, anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen (sog. dealings) zu identifizieren und anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes abzurechnen. Hierbei kommen die üblichen Verrechnungspreismethoden zur Anwendung, insbesondere also die Preisvergleichsmethode, die Wiederverkaufspreismethode sowie die Kostenaufschlagsmethode. Bei nicht fremdüblich abgerechneten dealings ordnet § 1 Abs. 5 AStG eine Einkünftekorrektur in Gestalt einer Erhöhung des der deutschen Steuerhoheit unterfallenden Betriebsstättenergebnisses an.5 Für Einzelheiten zum AOA wird auf die Ausführungen in Rz. 4.30 ff. verwiesen.

3.5

Keine Anwendung von § 4j EStG. Für Zwecke der durch das „Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen“6 in § 4j EStG eingefügten „Lizenzschranke“ gelten als Schuldner und Gläubiger der Lizenzentgelte auch Betriebsstätten, die ertragsteuerlich als Nutzungsberechtigter oder Nutzungsverpflichteter der Rechte für die Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung von Rechten behandelt werden (§ 4j Abs. 1 Satz 3 EStG). Damit greift § 4j EStG die Regelungen in der Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie7 auf, in deren Anwendungsbereich die Betriebsstätte ebenfalls als Nutzungsberechtigter und Zahlungsleistender behandelt wird und bewegt sich zudem im Einklang mit den Vorgaben der OECD.8 Durch die Regelung erfasst werden in erster Linie Zahlungen einer Betriebsstätte an eine dem Steuerpflichtigen nahe stehende Person oder die Zahlung

3.6

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 53. 2 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.2. 3 Vgl. aber § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG, dessen Anwendungsbereich aufgrund der überaus restriktiven Haltung der Finanzverwaltung aber weitgehend leerlaufen dürfte (VWG BsGa, Rz. 427 ff.). 4 Vgl. Heinsen in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 254. 5 Vgl. im Einzelnen Ditz, ISR 2013, 261 ff.; Ditz, ISR 2012, 48 ff.; Kraft/Dombrowski, FR 2014, 1105 ff.; Kraft/Dombrowski, Ubg 2015, 143 ff.; Girlich/Müller, ISR 2015, 169 ff.; Froitzheim, Ubg 2015, 354 ff.; Richter/Heyd, Ubg 2013, 418 ff.; Baldamus, 2012, 317 ff.; Kahle/Mödinger, DStZ 2012, 802 ff.; Andresen/Busch, Ubg 2012, 451 ff. 6 Gesetz v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074. 7 Richtlinie 2003/49/EG des Rates v. 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 157, 49. 8 Vgl. Abschlussbericht 2015 der OECD zu Aktionspunkt Nr. 5, Abschn. 33.

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Kap. 3 Rz. 3.7

Besteuerung der Betriebsstätte

eines Steuerpflichtigen an die Betriebsstätte einer ihm nahe stehenden Person. Es ist aber zweifelhaft, ob hiervon auch fiktive Lizenzzahlungen aufgrund anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen zwischen Betriebsstätte und Stammhaus i.S.v. § 16 Abs. 1 BsGaV erfasst werden, sofern das Stammhaus die sonstigen Voraussetzungen gem. § 4j Abs. 1 EStG erfüllt (indem es insbesondere eine steuerliche Präferenzregelung in Anspruch nimmt). Denn man wird den in § 4j Abs. 1 EStG verwendeten Begriff der „Aufwendungen“ – wie in § 4 Abs. 4 EStG – als einen Wertabfluss i.S.v. „gezahlten“ bzw. „tatsächlichen“ Ausgaben verstehen müssen.1 Fiktive Lizenzgebühren zur fremdüblichen Abrechnung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte dürften hiervon indessen nicht erfasst sein. Infolgedessen sind diese nicht unter die Restriktionen des § 4j EStG zu fassen.2 Hierfür spricht auch, dass § 1 AStG, und damit auch § 1 Abs. 5 AStG, ohnehin nicht als nicht als Gewinnermittlungs-, sondern als reine Einkünftekorrekturvorschrift fungieren. Deutlich wird dies bspw. daran, dass die Finanzverwaltung als Rechtsgrundlage für den Abzug fiktiver Betriebsausgaben einer Betriebsstätte – anstelle von § 1 Abs. 5 AStG – Art. 7 Abs. 2 OECDMA anführt.3

3.7 Keine Attraktivkraft der Betriebsstätte. Der Betriebsstätte sind nicht sämtliche durch den Steuerausländer im Inland erzielte Einkünfte zuzurechnen. So kann der Steuerpflichtige bspw. außerdem inländische Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG) erzielen, ohne dass diese in gewerbliche und der Betriebsstätte zuzuordnende Einkünfte umqualifiziert werden. Die im Inland unterhaltene Betriebsstätte entfaltet somit keine Attraktivkraft.4 c) Besonderheiten bei der Überführung von Wirtschaftsgütern

3.8 Entstrickung von Wirtschaftsgütern. Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG steht einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts im Hinblick auf den Gewinn aus der Veräußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsgutes gleich. Der Gesetzgeber hat diese Entnahmefiktion im Rahmen des JStG 20105 dahingehend ergänzt, als nach dem in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG normierten Regelbeispiel ein Ausschluss oder eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts immer dann vorliegt, wenn ein bislang der inländischen Betriebsstätte zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Demnach entfalten die Regelungen ihre Bedeutung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht, sofern ein der inländischen Betriebsstätte zuzuordnendes Wirtschaftsgut in das ausländische Stammhaus oder eine andere ausländische Betriebsstätte des Stammhauses überführt wird bzw. dieser unter funktionalen Gesichtspunkten zuzuordnen ist. Für diese Fälle schreibt § 6 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 EStG den Ansatz des gemeinen Werts mit der Folge einer vollständigen Aufdeckung der in dem überführten Wirtschafts-

1 So zu § 4 Abs. 4 EStG Heinicke in Schmidt36, § 4 EStG Rz. 471 f.; Bode in Kirchhof16, § 4 EStG Rz. 168 f. sowie Ditz, ISR 2013, 261 (263) zur vergleichbaren Problematik im Rahmen von § 1 Abs. 5 AStG. 2 Vgl. Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561; a.A. Grotherr, Ubg 2017, 233 (235) sowie zweifelnd Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (420). 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 21. 4 Vgl. Heinsen in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 255; Ditz in S/D, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 85; Fresch/Strunk in S/K/K, Art. 5 OECD-MA Rz. 38; Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 403. 5 Gesetz v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768.

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A. Besteuerung inländischer Betriebsstätten

Rz. 3.12 Kap. 3

gut enthaltenen stillen Reserven vor. Die gleichen Grundsätze gelten aufgrund der in § 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 KStG getroffenen Regelungen analog im Rahmen der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht. Für Einzelheiten wird auf die Ausführungen in Rz. 6.35 verwiesen. Keine Anwendung von § 4g EStG. Die Möglichkeit, nach § 4g EStG einen Ausgleichsposten zu bilden, der über fünf Jahre linear aufzulösen ist und demnach eine gestaffelte Steuererhebung nach sich zieht, findet im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht ausdrücklich keine Anwendung. Lediglich bei einem Zuordnungswechsel i.S.v. § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV – wenn das Wirtschaftsgut also aufgrund der maßgeblichen Personalfunktionen einer anderen betrieblichen Einheit zuzuordnen ist – will die Finanzverwaltung dessen Anwendung aus Billigkeitsgründen auch im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht zulassen.1 Diesbezügliche Bedenken aus unionsrechtlicher Sicht werden in Rz. 12.43 dargestellt.

3.9

Verstrickung von Wirtschaftsgütern. Nach § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG steht der Einlage eines Wirtschaftsgutes die Begründung eines deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsgutes gleich. Den Regelfall einer solchen Verstrickung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht dürfte die Überführung oder erstmalige Zuordnung eines Wirtschaftsgutes zu einer inländischen Betriebsstätte bilden. Losgelöst von der steuerlichen Behandlung im Inland schreibt § 6 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG den Ansatz des gemeinen Werts im Zeitpunkt der Verstrickung vor. Abweichend von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG kann die bloße Nutzung eines Wirtschaftsguts in einer inländischen Betriebsstätte aber keine Verstrickung auslösen. Für Einzelheiten wird auf die Ausführungen in Rz. 6.258 ff. verwiesen.

3.10

d) Behandlung von Gewinnen aus Anteilen an Kapitalgesellschaften Einkommensteuer. Steuerliche Sonderregelungen gelten, soweit den Betriebsstätteneinkünften Gewinnausschüttungen in- oder ausländischer Kapitalgesellschaften funktional zuzuordnen sind. Wird das ausländische Stammhaus von einer natürlichen Person gebildet, findet insoweit das Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Buchst. d EStG) Anwendung. Danach unterliegen über die Betriebsstätte vereinnahmte Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften nur zu 60 % der Besteuerung. Für verdeckte Gewinnausschüttungen gilt dies jedoch nur insoweit, wie diese das Einkommen der leistenden Körperschaft nicht gemindert haben (sog. materielles Korrespondenzprinzip gem. § 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 2 EStG). Ebenfalls nur zu 60 % der Besteuerung unterliegen Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die der Betriebsstätte unter funktionalen Gesichtspunkten zuzurechnen sind (§ 3 Nr. 40 Buchst. a EStG). Korrespondierend dazu können im wirtschaftlichen Veranlassungszusammenhang mit den Gewinnausschüttungen oder Veräußerungsgewinnen anfallende Betriebsvermögensminderungen, Betriebsausgaben oder Veräußerungskosten nur i.H.v. 60 % steuerlich geltend gemacht werden (§ 3c Abs. 2 EStG). Eine etwaig im Abzugsweg einbehaltene, deutsche Kapitalertragsteuer kann gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG im Rahmen der Veranlagung angerechnet werden.

3.11

Körperschafsteuer. Rechnet die Betriebsstätte zu einer im Ausland domizilierenden Stammhaus-Körperschaft, findet im Grundsatz und vorbehaltlich der Sondervorschriften für Kreditund Finanzdienstleistungsinstitute, Finanzunternehmen sowie Lebens- und Krankenversicherungen (§ 8b Abs. 7 bis 9 KStG) das körperschaftsteuerliche Beteiligungsprivileg gem. § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG Anwendung. Danach sind Gewinnausschüttungen im Rahmen der Ermitt-

3.12

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 453 u. 457.

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Kap. 3 Rz. 3.13

Besteuerung der Betriebsstätte

lung des zu versteuernden Einkommens vollständig auszuscheiden sind. Gemäß § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG gelten jedoch 5 % der Gewinnausschüttungen als fiktiv nicht abzugsfähige Betriebsausgaben, so dass Gewinnausschüttungen im Ergebnis nur zu 95 % von der Körperschaftsteuer ausgenommen werden. Für vGA gilt dies aber nur insoweit, als diese das Einkommen der leistenden Körperschaft nicht gemindert haben (sog. materielles Korrespondenzprinzip gem. § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG). Weiterhin kommt die Steuerbefreiung nicht für Gewinne aus Streubesitzbeteiligungen i.S.v. § 8b Abs. 4 KStG zu Anwendung, d.h. aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, die weniger als 10 % ausmachen. In diesem Fall unterliegen Gewinnausschüttungen in voller Höhe der Körperschaftsteuer.1 Dagegen bleiben Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft (allerdings wiederum vorbehaltlich der in § 8b Abs. 7 bis 9 KStG normierten Sondervorschriften) nach § 8b Abs. 2 KStG unabhängig von der Beteiligungshöhe außer Ansatz. Ebenso wie bei der Besteuerung von Dividenden gelten jedoch auch insoweit 5 % des Veräußerungsgewinns als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 3 KStG). Korrespondierend zu der sich daraus annähernd ergebenden Steuerbefreiung wirken sich Verluste aus der Veräußerung der Anteile sowie im Hinblick darauf geltend gemachte Teilwertabschreibungen vorbehaltlich der Fremdvergleichsklausel gem. § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG nicht steuermindernd aus (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG). e) Behandlung von Verlusten

3.13 Verlustausgleich. Werden in der Betriebsstätte Verluste erzielt, können diese vom Steuerpflichtigen im Grundsatz mit anderen positiven inländischen Einkünften ausgeglichen werden. Ausgenommen hiervon sind indessen Einkünfte, die dem Steuerabzug unterliegen (insbesondere aufgrund von § 43a EStG und § 50a EStG).

3.14 Verlustabzug. Nach Anwendung des innerperiodischen Verlustausgleichs verbleibende negative Einkünfte können im Wege des Verlustabzugs unter Anwendung von § 10d EStG vorbzw. zurückgetragen werden. Insoweit sind aber die Regelungen zur Mindestbesteuerung zu beachten. Dem Verlustausgleich bzw. Verlustabzug ist jedoch vorausgesetzt, dass die Verluste in wirtschaftlichem Zusammenhang mit inländischen Einkünften i.S.v. § 49 Abs. 1 EStG stehen (§ 50 Abs. 1 Satz 1 EStG).2 Dies setzt voraus, dass sie im Rahmen von inländischen Einkünften aus dem Katalog des § 49 Abs. 1 EStG anfallen, was für Betriebsstättenverluste aufgrund von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gegeben ist.3

3.15 Drittstaateneinkünfte. Sind der Betriebsstätte Verluste aus Drittstaaten zuzurechnen, so ist ferner die Verlustausgleichsbeschränkung gem. § 2a EStG zu beachten (vgl. dazu Rz. 3.39 ff.).4 f) Tarif

3.16 Maßgebender Tarif. Die Einkommensbesteuerung von Betriebsstättengewinnen, die durch natürliche Personen erzielt werden, bemisst sich nach dem in § 32a EStG normierten Tarif. Der zugunsten unbeschränkt steuerpflichtiger Personen zu Anwendung kommende Grund1 Hinsichtlich im Abzugsweg einbehaltener, deutscher Kapitalertragsteuer gilt § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG im Rahmen der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht entsprechend. 2 Vgl. Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 50 EStG Rz. 38; Gosch in Kirchhof16, § 50 EStG Rz. 4; Loschelder in Schmidt36, § 50 EStG Rz. 7. 3 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 347. 4 Vgl. Wagner in Blümich, § 2a EStG Rz. 15.

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A. Besteuerung inländischer Betriebsstätten

Rz. 3.18 Kap. 3

freibetrag wird im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nicht gewährt (§ 50 Abs. 1 Satz 2 EStG). Unionsrechtliche Zweifel an dieser Differenzierung wurden durch den EuGH als unbegründet erachtet (vgl. im Einzelnen Rz. 12.44). Anrechnung gem. § 35 EStG. Gemäß § 35 EStG ermäßigt sich die Einkommensteuer pauschaliert um das 3,8fache des Gewerbesteuermessbetrags, so dass bei Gewerbesteuerhebesätzen von bis zu 380 % im Ergebnis eine Doppelbelastung des Betriebsstättenergebnisses mit Einkommen- und Gewerbesteuer vollständig vermieden wird. Dagegen unterliegen Betriebsstättengewinne beschränkt steuerpflichtiger Körperschaften sowohl der tariflichen Körperschaftsteuer i.H.v. 15 % (§ 23 KStG) als auch der Gewerbesteuer. Denn eine mit § 35 EStG korrespondierende Vorschrift kennt das Körperschaftsteuerrecht nicht.

3.17

g) Vermeidung internationaler Doppelbesteuerung Anwendung von § 50 Abs. 3 EStG. Sofern inländischen Betriebsstätten ausländische Einkünfte zuzuordnen sind, kann sich eine internationale Doppelbesteuerung ergeben, wenn diese Einkünfte nicht nur im Inland, sondern auch im Quellenstaat der Besteuerung unterliegen. Für diesen Fall sieht § 50 Abs. 3 EStG eine analoge Anwendung von § 34c Abs. 1-3 EStG und damit der Anrechnungs- oder Abzugsmethode auch im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht vor. § 50 Abs. 3 EStG adressiert damit in erster Linie sog. Dreiecksverhältnisse und erfasst die sog. Drittstaatensteuern. Die Norm kommt sowohl bei Vorliegen als auch bei Abwesenheit von DBA zur Anwendung und gilt in gleicher Weise für natürliche und juristische Personen (§ 26 Abs. 6 KStG).1 Ihr ist vorausgesetzt, dass die beschränkt steuerpflichtige Person im Inland einen Gewerbebetrieb unterhält, was wiederum die Existenz einer inländischen Betriebsstätte i.S.v. § 12 AO voraussetzt.2 Ferner bedarf es in der inländischen Betriebsstätte dem Anfall beschränkt steuerpflichtiger Einkünfte, die zugleich ausländische Einkünfte i.S.v. § 34d EStG darstellen und im Ausland einer der deutschen Steuer entsprechenden Steuer unterliegen. Schließlich darf die Besteuerung im Quellenstaat der Einkünfte nicht das Ausmaß einer unbeschränkten Steuerpflicht annehmen. Die steuerliche Behandlung im Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen ist für die Anwendbarkeit von § 50 Abs. 3 EStG hingegen ohne Bedeutung. Insbesondere steht es § 50 Abs. 3 EStG nicht entgegen, wenn auch der Ansässigkeitsstaat der in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen Person eine Anrechnung der im Quellenstaat erhobenen Steuern erlaubt.3 Zudem ist es für die Anrechnung nach § 50 Abs. 3 EStG ohne Bedeutung, ob ein zwischen dem Ansässigkeitsstaat des beschränkt Steuerpflichtigen und dem Quellenstaat bestehendes DBA eine Steuerreduktion im Quellenstaat bewirken könnte. Derlei Entlastungen schließen die Anwendung von § 50 Abs. 3 EStG – auch nicht anteilig – aus.4 Beispiel: An der gewerblich tätigen D-KG, deren einzige Betriebsstätte in Deutschland unterhalten wird, sind der in Deutschland wohnhafte A sowie der in den Niederlanden wohnhafte B als Kommanditisten beteiligt. Die D-KG ist an der in Rumänien ansässigen R-SRL beteiligt. Die D-KG hat der R-SRL ein Patent zur Nutzung überlassen und verrechnet dafür eine Lizenzgebühr, auf die in Rumänien eine Quellensteuer i.H.v. 16 % einbehalten wird. Nach den Vorgaben von Art. 12 Abs. 2 1 Vgl. Mick/Dyckmans in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 8.104; Kube in K/S/M, § 50 EStG Rz. F 3; Lieber in H/H/R, § 26 KStG Rz. 110. 2 Vgl. Frotscher in F/D, § 26 KStG Rz. 159; Kube in K/S/M, § 50 EStG Rz. F 6; Wied in Blümich, § 50 EStG Rz. 117; Müller-Dott in F/W/B/S, § 34d EStG Anm. 21.3. 3 Vgl. FG Düsseldorf v. 15.12.1992 – 6 K 110/88 K, EFG 1993, 447 (rkr.). 4 A.A. Debatin, RIW/AWD 1980, 3 (4); Wied in Blümich, § 50 EStG Rz. 120; Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 50 EStG Rz. 401.

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3.18

Kap. 3 Rz. 3.19

Besteuerung der Betriebsstätte

DBA Deutschland-Rumänien wäre jedoch nur eine Quellensteuer i.H.v. 3 % zulässig. In Bezug auf den A hat dies zur Folge, dass eine Anrechnung gem. § 34c Abs. 1 EStG nur i.H. der abkommensrechtlich zulässigen Quellensteuer (3 %) in Frage kommt, weil die rumänische Steuer im Übrigen in Rumänien einem Erstattungsanspruch (13 %) unterliegt. B ist aufgrund seines Wohnsitzes in den Niederlanden jedoch keine ansässige Person im Rahmen des DBA Deutschland-Rumänien. Infolgedessen kann er die dort normierten Vorteile – hier die Reduktion der Quellensteuer auf 3 % – nicht einfordern, so dass die auf ihn entfallende Quellensteuer keinem Erstattungsanspruch i.S.v. § 50 Abs. 3 EStG unterliegt. Damit ist im Rahmen von § 50 Abs. 3 EStG die auf ihn anteilig entfallende Steuer in voller Höhe (16 %) auf seine deutsche Einkommensteuer anzurechnen. Ob ggf. das zwischen den Niederlanden und Rumänien geschlossene DBA ein der Höhe nach beschränktes Quellenbesteuerungsrecht für Lizenzgebühren vorsieht, ist hierfür ohne Bedeutung und schränkt die Pflicht Deutschlands zur vollumfänglichen Anrechnung nicht ein. Denn aus Sicht der Niederlande wären die Lizenzgebühren der deutschen Betriebsstätte zuzuordnen und als solche freizustellen (Art. 12 Abs. 3 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande). Aus diesem Grund würden die Niederlande den Anwendungsbereich ihres DBA mit Rumänien ohnehin nicht für eröffnet ansehen. Schließlich kann aber auch der in § 34c Abs. 1 EStG verwandte und durch § 50 Abs. 3 EStG in Bezug genommene Begriff des „Erstattungsanspruchs“ nur in dem Sinne verstanden werden, dass er sich allein aus der Anwendung deutschen (Abkommens-)Rechts ergeben kann. Dies schließt die Prüfung der durch die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen DBA ein, zwischen anderen Staaten bestehende DBA aber aus.

3.19 Pauschalierung gem. § 50 Abs. 4 EStG. Mit Zustimmung des BMF kann die Einkommensteuer im Rahmen der beschränkten Einkommen- und Körperschaftsteuerpflicht1 ganz oder zum Teil erlassen oder pauschal festgesetzt werden, wenn dies aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig erscheint oder die Berechnung der Steuer mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist. Die Anwendung von § 50 Abs. 4 EStG kann vom Steuerpflichtigen beantragt werden. Der Antrag wirkt jedoch nicht konstitutiv. 2. Besonderheiten bei der Gewerbesteuer

3.20 Steuerbarkeit. Inländische Betriebsstätteneinkünfte unterliegen grundsätzlich der Gewerbesteuer. Eine Unterscheidung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht ist der Gewerbesteuer fremd. § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG trifft diesbezüglich eine explizite Regelung, indem er den Inlandscharakter der Gewerbesteuer dahingehend konkretisiert, dass ein Gewerbebetrieb im Inland nur betrieben wird, soweit für ihn im Inland oder auf einem inländischen Schiffsregister eingetragenen Kauffahrteischiff eine Betriebsstätte i.S.v. § 12 AO unterhalten wird. Dies gilt unabhängig davon, ob das betreffende Unternehmen seinen Sitz und/oder den Ort seiner Geschäftsleitung im Inland hat.2 Ebenso wenig entscheidend ist im Einzelfall die Anwendbarkeit eines DBA. Vertreterbetriebsstätten i.S.v. Art. 5 Abs. 5 OECDMA unterliegen indessen nicht der Gewerbesteuer. Denn sie gelten zwar abkommensrechtlich als Betriebsstätte. Das innerstaatliche Recht stuft sie hingegen als ständigen Vertreter gem. § 13 AO ein und grenzt sie demnach vom innerstaatlichen und für die Gewerbesteuerpflicht maßgebenden Begriff der Betriebsstätte i.S.v. § 12 AO ab.

3.21 Gewerbeertrag als Bemessungsgrundlage. Die Ausgangsgröße für die Ermittlung der Gewerbesteuer bildet der Gewerbeertrag gem. § 7 GewStG, dessen Ausgangsgröße – der nach Vorschriften des EStG bzw. KStG bestimmte Gewinn aus Gewerbebetrieb – um Hinzurechnungen nach § 8 GewStG sowie Kürzungen nach § 9 GewStG zu modifizieren ist. Die Vor1 Vgl. R 8.1 Abs. 1 Nr. 1 KStR. 2 Vgl. Lüdicke, IStR 2015, 770 (770).

128

Ditz/Quilitzsch

A. Besteuerung inländischer Betriebsstätten

Rz. 3.24 Kap. 3

schriften des EStG und des KStG über die Ermittlung des Gewinns erstrecken sich aber nur auf den inländischen Betriebsstättengewinn.1 Der so ermittelte Gewinn erfasst demnach keine ausländischen Betriebsstätteneinkünfte, weshalb eine Anwendung von § 9 Nr. 3 GewStG eigentlich von vornherein obsolet ist. Behandlung von Einkünften aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften. In Bezug auf der Betriebsstätte zuzuordnende Beteiligungen an Kapitalgesellschaften sind insbesondere § 8 Nr. 5, § 9 Nr. 2a, Nr. 7 sowie Nr. 8 GewStG zu beachten. Hiernach unterliegen sowohl offene als auch verdeckte Gewinnausschüttungen einer inländischen Kapitalgesellschaft dann nicht der Gewerbesteuer, wenn sich die Beteiligung zum Beginn des Erhebungszeitraumes ununterbrochen auf mindestens 15 % beläuft (§ 8 Nr. 5 i.V.m. § 9 Nr. 2a GewStG). Für Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften kommt nach § 9 Nr. 7 GewStG jedoch einschränkend hinzu, dass die betreffende Gesellschaft einer aktiven Tätigkeit i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG nachgehen muss. Dieses Aktivitätserfordernis entfällt im Hinblick auf EU-Kapitalgesellschaften, die unter die Mutter-Tochter-Richtlinie2 fallen, für die sich außerdem die erforderliche Mindestbeteiligungsquote auf 10 % reduziert (§ 9 Nr. 7 Halbs. 2 GewStG). Schließlich führt § 9 Nr. 8 GewStG dazu, dass im Anwendungsbereich eines DBA unilateral zwar ebenfalls auf eine Mindestbeteiligungsquote i.H.v. 15 % abzustellen ist, diese im Einzelfall jedoch hinter eine im DBA vereinbarte, niedrigere Mindestbeteiligungsquote zurücktritt.

3.22

Kein gewerbesteuerliches Korrespondenzprinzip. Ist Inhaber der inländischen Betriebsstätte ein aufgrund von § 2 Nr. 1 KStG beschränkt steuerpflichtiges Körperschaftsteuersubjekt, so ist den vorgenannten Kürzungsvorschriften gemein, dass aus der Anwendung der Schachtelstrafe gem. § 8b Abs. 5 KStG resultierende Einkommenserhöhungen nicht zu kürzen sind und demnach stets der Gewerbesteuer unterfallen (vgl. § 9 Nr. 2a Satz 4, Nr. 7 Satz 3, Nr. 8 Satz 3 GewStG). Dies gilt jedoch nicht, soweit vGA das Einkommen der leistenden Kapitalgesellschaft gemindert haben und demnach wegen des in § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG geregelten materiellen Korrespondenzprinzips in voller Höhe der deutschen Körperschaftsteuer unterliegen. In diesem Fall findet wegen der durch § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG ausgelösten Suspendierung von § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG auch die Schachtelstrafe gem. § 8b Abs. 5 KStG keine Anwendung. Der Gewerbesteuer ist ein solches Korrespondenzprinzip jedoch fremd. Infolgedessen befreien § 9 Nr. 2a, 7, und 8 GewStG vGA, die § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG unterfallen, in voller Höhe von der Gewerbesteuer, sofern deren Tatbestandsvoraussetzungen – insbesondere also die erforderliche Mindestbeteiligung – im Einzelfall erfüllt sind.

3.23

Behandlung von Verlusten. Werden aus einer inländischen Betriebsstätte Verluste erzielt, können diese im Grundsatz mit anderen positiven inländischen Einkünften aus demselben Veranlagungszeitraum ausgeglichen werden. Dies gilt allerdings nur insoweit, als die Einkünfte nicht dem mit abgeltender Wirkung ausgestatteten Steuerabzug gem. § 43 EStG oder § 50a Abs. 1 EStG unterworfen werden. Scheitert der innerperiodische Verlustausgleich vollständig oder der Höhe nach partiell, so eröffnet § 10a GewStG die Möglichkeit, Gewerbeverluste in zeitlicher sowie in betragsmäßiger Hinsicht unbeschränkt, jedoch unter Beachtung der Mindestbesteuerung auf künftige Erhebungszeiträume vorzutragen. Die Geltendmachung gewerbesteuerlicher Verlustvorträge in späteren Erhebungszeiträumen ist an die sog. Unternehmersowie die Unternehmensidentität geknüpft.3

3.24

1 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I R 95/96, BStBl. II 1998, 260 = FR 1998, 474. 2 RL 90/435/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG Nr. L 225, 6. 3 Im Einzelnen R 10a.3 GewStR. Vgl. auch Kleinheisterkamp in Lenski/Steinberg, § 10a GewStG Rz. 17; Drüen in Blümich, § 10a GewStG Rz. 1.

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Kap. 3 Rz. 3.25

Besteuerung der Betriebsstätte

3.25 Tarif. Nach § 16 GewStG wird die Gewerbesteuer auf Basis des Steuermessbetrages festgesetzt. Dieser bestimmt sich, indem der Gewerbeertrag einheitlich mit einer Steuermesszahl i.H.v. 3,5 % multipliziert wird (§ 11 Abs. 2 GewStG). Zuvor wird der Gewerbeertrag um einen Freibetrag i.H.v. 24.500 Euro gekürzt, sofern es sich bei dem ausländischen Stammhaus um eine natürliche Person oder eine Personengesellschaft handelt (§ 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG). Juristische Personen erhalten hingegen keinen Freibetrag. Zur Ermittlung der Gewerbesteuer ist auf den Steuermessbetrag der von der betreffenden Gemeinde festgelegte Hebesatz anzuwenden (mind. 200 % gem. § 16 GewStG).

II. Besteuerungsgrundsätze nach Abkommensrecht 3.26 Deutsche Abkommenspolitik. Auf der Basis der von Deutschland praktizierten Abkommenspolitik steht dem Quellenstaat grundsätzlich nur ein Besteuerungsrecht für die Gewinne zu, die einer im Quellenstaat belegenen Betriebsstätte zuzuordnen sind (Betriebsstättenprinzip gem. Art. 7 Abs. 1 und 2 OECD-MA). Der Quellenstaat ist insoweit in seinem Besteuerungsrecht nicht eingeschränkt, d.h. er bestimmt über die Art der Gewinnermittlung und die Höhe der auf die Betriebsstätteneinkünfte zu erhebenden Ertragsteuer nach eigenem Ermessen. Allerdings gilt dies nur für Einkünfte, die einer Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 OECD-MA zuzurechnen sind. Da dieser regelmäßig enger als der innerstaatliche Betriebsstättenbegriff i.S.v. § 12 AO gefasst ist, ergeben sich durch die Anwendung der DBA zumeist Einschränkungen im Hinblick auf den über § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG begründeten Anknüpfungspunkt für die deutsche Besteuerung. Durch die unilaterale Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV erfolgt die Betriebsstättengewinnermittlung losgelöst von der Frage, ob das im Einzelfall einschlägige DBA Art. 7 OECD-MA 2010 Folge leistet, stets anhand der uneingeschränkten Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte. Gleichwohl wird den DBA, die den AOA nicht umsetzen und deren Anwendung deshalb ggf. zu einem von § 1 Abs. 5 AStG abweichenden Betriebsstättengewinn führt, Vorrang eingeräumt (§ 1 Abs. 5 Satz 8 AStG). Der Steuerpflichtige muss dazu jedoch nachweisen, dass der andere Vertragsstaat sein Besteuerungsrecht entsprechend der abkommensrechtlich vorgesehenen Gewinnermittlung geltend macht und die Anwendung von § 1 Abs. 5 AStG insoweit eine Doppelbesteuerung nach sich zieht.1 Die Finanzverwaltung will den Anwendungsbereich von § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG jedoch nur in Ausnahmefällen – nämlich nur im Rahmen von DBA mit Nicht-OECD-Staaten, die Art. 7 OECDMA 2008 oder Art. 7 UN-MA entsprechen – anwenden und verweist für die Vermeidung der Doppelbesteuerung im Übrigen auf die Möglichkeit der Führung von Verständigungsverfahren.2 Diese Interpretation entbehrt jeder Rechtsgrundlage.

3.27 Erzielung von Unternehmensgewinnen. Das Betriebsstättenprinzip kommt nur für Einkünfte zur Anwendung, die unmittelbar aus einer unternehmerischen Tätigkeit (= originär gewerbliche Einkünfte) stammen.3 Ein Unternehmen kann aber auch ausschließlich oder neben Einkünften aus Gewerbebetrieb solche aus Vermögensverwaltung erzielen. Diese lösen innerstaatlich gesehen wegen § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG bzw. § 8 Abs. 2 KStG in der Regel Ein1 Vgl. hierzu Gebhardt, BB 2012, 2353; Kahle/Baschnagel/Kindich, FR 2016, 193 (201 f.); Kraft/Dombrowski, IWB 2015, 87 ff.; Höreth/Zimmermann, DStZ 2014, 743 (751). 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 427 ff.; dazu ausführlich Kahle/Kindich, GmbHR 2017, 341 (344). 3 Vgl. BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754 = FR 2010, 903 m. Anm. Buciek; v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760 = FR 2011, 1175 m. Anm. Kempermann; v. 4.5.2011 – II R 51/09, BStBl. II 2014, 751; v. 24.8.2011 – I R 46/10, BStBl. II 2014, 764 = FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl; v. 9.12.2010 – I R 49/09, BStBl. II 2011, 482 = FR 2011, 683.

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A. Besteuerung inländischer Betriebsstätten

Rz. 3.31 Kap. 3

künfte aus Gewerbebetrieb aus, was auf deren abkommensrechtliche Behandlung aber nicht durchschlägt. Auch die Finanzverwaltung leistet dieser Auslegung zwischenzeitlich Folge.1 Spezialitätenvorrang. Gehören zu den Gewinnen der Betriebsstätte Einkünfte, die von den DBA an anderer Stelle gezielt angesprochen werden, so sind die entsprechenden Verteilungsnormen – insbesondere die Art. 6, 10 bis 12, 14 a.F., 15, 17 oder 21 OECD-MA – vorrangig anzuwenden. Dies beruht auf Art. 7 Abs. 7 OECD-MA.2 Insbesondere können die Art. 10 bis 12 und 21 Abs. 2 OECD-MA das Besteuerungsrecht des Quellenstaates einschränken. Dies gilt auch für Sachverhalte, die nach innerstaatlichem Recht unter § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG zu subsumieren sind.3 Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 3 und Art. 21 Abs. 2 OECD-MA sehen allerdings unter den dort genannten Voraussetzungen wiederum eine vorrangige Anwendung von Art. 7 OECD-MA vor.

3.28

Behandlung von Verlusten. Der abkommensrechtliche Einkünftebegriff umfasst sowohl Gewinne als auch Verluste.4 Aus diesem Grund sind die DBA nicht im Stande, Abweichungen zur Verlustbehandlung nach innerstaatlichem Recht zu bewirken.5

3.29

Vermeidung der Doppelbesteuerung. Sind der Betriebsstätte Drittstaateneinkünfte zuzurechnen, so wird die Doppelbesteuerung auf der Basis von § 50 Abs. 3 EStG i.V.m. § 34c Abs. 1 bis 3 EStG vermieden. Die DBA stehen dem nicht entgegen.6

3.30

Diskriminierungsverbot. Nach dem in Art. 24 Abs. 3 Satz 1 OECD-MA niedergelegten Diskriminierungsverbot darf die Besteuerung einer Betriebsstätte, die ein Unternehmen eines Vertragsstaates im anderen Vertragsstaat unterhält, in dem anderen Vertragsstaat nicht ungünstiger sein als die Besteuerung von Unternehmen des anderen Vertragsstaates, die eine vergleichbare (also insbesondere gewerbliche) Tätigkeit wahrnehmen. Für die Beurteilung einer möglichen Diskriminierung ist die Betriebsstätte also einem rechtlich selbständigen Unternehmen gegenüberzustellen. Dieses muss eine dem ausländischen Stammhaus vergleichbare Rechtsform aufweisen.7 Im Hinblick auf die von Art 24 Abs. 3 Satz 1 OECD-MA geforderte Gleichbehandlung will der BFH eine Beschränkung auf betriebliche Besteuerungsmerkmale ausmachen.8 Hierzu rechnen in erster Linie die Vorschriften zu Bestimmung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und der Steuertarif, nicht jedoch die Erhebungsform.9 Es kommt somit

3.31

1 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.1. 2 Wie hier Kluge in FS Wassermeyer, München 2005, 663; a.A. Wolff in FS Wassermeyer, München 2005, 647 ff. 3 A.A. Wolff in FS Wassermeyer, München 2005, 647 (649). 4 Vgl. BFH v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 382 = FR 1983, 284; v. 11.3.2008 – I R 116/04, FR 2007, 84 = BFH/NV 2008, 1161; v. 28.6.2006 – I R 84/04, BStBl. II 2006, 861 = FR 2007, 86 m. Anm. Pezzer; v. 29.11.2006 – I R 45/05, BStBl. II 2007, 398 = FR 2007, 757; v. 22.2.2017 – I R 2/15, juris. 5 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Vor. Art. 6–22 OECD-MA Rz. 55. 6 Vgl. Wied in Blümich, § 50 EStG Rz. 119. 7 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 46. 8 Vgl. BFH v. 13.1.1970 – I 32/65, BStBl. II 1970, 790; v. 13.10.1973 – I R 38/70, BStBl. II 1974, 255. 9 Vgl. Hageböke in S/K/K, Art. 24 OECD-MA Rz. 71; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 24 OECDMA Rz. 49; Rust in V/L6, DBA, Art. 24 OECD-MA Rz. 104; Bruns in S/D, Art. 24 OECD-MA Rz. 103.

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Kap. 3 Rz. 3.32

Besteuerung der Betriebsstätte

insbesondere auf das Ergebnis der Besteuerung an; die Steuerbelastung der Betriebsstätte darf in der Gesamtschau nicht höher ausfallen als die Besteuerung derselben Tätigkeit, wenn sie im Rahmen eines inländischen Unternehmens unternommen wird.1

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten I. Besteuerungsgrundsätze nach innerstaatlichem Recht 1. Einkommensteuer und Körperschaftsteuer a) Buchführung und Gewinnermittlung

3.32 Welteinkommensprinzip. In der ausländischen Betriebsstätte erzielte Gewinne werden unmittelbar dem Welteinkommen des in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Stammhauses zugerechnet. Sie unterliegen – vorbehaltlich möglicher Einschränkungen durch ein DBA – somit vollständig der Einkommen- oder Körperschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 EStG, § 2 EStG, § 1 Abs. 1 und Abs. 2 KStG).

3.33 Feststellungsprinzip. Aufgrund ihrer Stellung als Teil eines Einheitsunternehmens kommt Thesaurierungs- oder Ausschüttungsfragen im Rahmen der Besteuerung von Betriebsstätten keine Bedeutung zu.2 Stattdessen werden dem Stammhaus die Erfolge der Betriebsstätte im Jahr ihrer Feststellung unmittelbar und vollumfänglich zugerechnet.3

3.34 Gewinnermittlung. Der für die inländische Besteuerung relevante Erfolg der ausländischen Betriebsstätte ist auf der Grundlage der deutschen Gewinnermittlungsvorschriften und – unter Beachtung der handelsrechtlichen GoB – in der Regel durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG i.V.m. § 5 Abs. 1 EStG) zu ermitteln. Der Frage, ob zugleich im Quellenstaat eine Buchführungspflicht besteht, ist insoweit ohne Bedeutung.4 Besteht eine solche Verpflichtung, so können die so ermittelten Ergebnisse nach § 146 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO aber gleichwohl übernommen und zu dem am Bilanzstichtag gültigen Wechselkurs in Euro umgerechnet werden.5 Die Übernahme erfordert nach Auffassung der Finanzverwaltung jedoch Anpassungen an die deutschen Buchführungspflichten.6 De facto mündet dies in der Notwendigkeit einer zweifachen Buchführung der Betriebsstätte (vgl. zu unionsrechtlichen Aspekten Rz. 12.7 ff.).7 Eine Besonderheit besteht im Hinblick auf im Inland ansässige Kreditinstitute. Denn unterhalten diese eine Auslandsbetriebsstätte, ist die Bankenabgabe im Sinne des RStrukFG,8 die als Jahres- und ggf. Sonderbeitrag zugunsten des Restrukturierungsfonds erhoben wird, abzuführen. Die steuerliche Zurechnung dieser der ab dem 31.12.2010 zu ent-

1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. BFH v. 22.4.1998 – I R 54/96, FR 1998, 899 = BFH/NV 1998, 1290. Vgl. FG Hessen v. 16.9.1983 – IV 381/78, EFG 1984, 270 (rkr.). Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 467. Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.1.4.2. Vgl. VWG BsGa, Rz. 55. Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.1.4.2. So auch Heinsen in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 383. Art. 3 des Gesetzes zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung (RStruktG) v. 9.12.2010, BGBl. I 2010, 1900, zuletzt geändert durch das FMSA-Neuordnungsgesetz (FMSANeuOG) v. 23.12.2016, BGBl. I 2016, 3171.

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Ditz/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.38 Kap. 3

richtenden und seit dem 1.1.2015 unionsrechtlich fundierten Abgabe wird in Rz. 11.121 ff. im Detail erläutert. Hilfs- und Nebenrechnung. Ebenso wie bei inländischen Betriebsstätten besteht – als Ausfluss der Umsetzung des AOA – nach § 3 Abs. 1 BsGaV auch für ausländische Betriebsstätten die Verpflichtung, eine Hilfs- und Nebenrechnung anzufertigen und laufend fortzuschreiben (vgl. für Einzelheiten Rz. 4.53).1 Besteht für die ausländische Betriebsstätte aufgrund der dort geltenden Rechnungslegungsvorschriften eine Verpflichtung, Bücher zu führen, oder werden freiwillig Bücher geführt, so können die Ergebnisse bzw. diese Unterlagen als Grundlage für die Hilfs- und Nebenrechnung dienen bzw. diese im Einzelfall ersetzen.2

3.35

b) Besonderheiten bei der Überführung von Wirtschaftsgütern Entstrickung von Wirtschaftsgütern. Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG steht einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts im Hinblick auf den Gewinn aus der Veräußerung der Nutzung eines Wirtschaftsgutes gleich. Der Gesetzgeber hat diese Entnahmefiktion im Rahmen des JStG 20103 dahingehend ergänzt, als nach dem in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG normierten Regelbeispiel ein Ausschluss oder eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts immer dann vorliegt, wenn ein bislang der inländischen Betriebsstätte zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Für diese Fälle schreibt § 6 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 EStG den Ansatz des gemeinen Werts mit der Folge einer vollständigen Aufdeckung der in dem überführten Wirtschaftsgut enthaltenen stillen Reserven im Überführungszeitpunkt vor. Die gleichen Grundsätze gelten aufgrund der in § 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 KStG getroffenen Regelungen analog im Rahmen der Körperschaftsteuerpflicht.

3.36

Anwendung von § 4g EStG. Nach § 4g EStG besteht die Möglichkeit, einen Ausgleichsposten zu bilden, der über fünf Jahre linear aufzulösen ist und der somit eine gestaffelte Steuererhebung nach sich zieht. Dessen Anwendung ist jedoch auf die Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens beschränkt. Ferner setzt die Norm voraus, dass die Wirtschaftsgüter in eine Betriebsstätte überführt werden, die in einem Mitgliedstaat der EU belegen ist (zu den unionsrechtlichen Problemen der Vorschrift s. Rz. 12.27).

3.37

c) Berücksichtigung von Verlusten Verlustausgleich und Verlustabzug. Vorbehaltlich der Sonderregelung für in Drittstaaten erzielte Verluste (§ 2a EStG) ergeben sich keine Besonderheiten oder Einschränkungen im Hinblick auf die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten, die im Rahmen einer im Ausland belegenen Betriebsstätte anfallen. Stattdessen erfolgt im Feststellungszeitpunkt ein unmittelbarer Ausgleich mit den im Inland durch das Stammhaus erzielten Einkünften (innerperiodischer Verlustausgleich). Übersteigen die ausländischen Verluste die Gewinne des inländischen Stammhauses, finden die in § 10d EStG normierten Regelungen zum Verlustabzug Anwendung. Danach kann der im Saldo verbleibende Verlust wahlweise in den unmittelbar

1 Für Einzelheiten zur Gewinnermittlung bei ausländischen Betriebsstätten nach AOA-Grundsätzen Komander, Praktische Auswirkungen der neuen steuerlichen Gewinnermittlung ausländischer Betriebsstätten, StbJb. 2013/2014, 339 ff. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 53 f. 3 Gesetz v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768.

Ditz/Quilitzsch

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3.38

Kap. 3 Rz. 3.39

Besteuerung der Betriebsstätte

vorangegangenen Veranlagungszeitraum rück- oder auf künftige Veranlagungszeiträume vorgetragen werden. In diesem Zusammenhang sind die aus der Mindestbesteuerung resultierenden Einschränkungen zu berücksichtigen.

3.39 Verlustausgleichsbeschränkung gem. § 2a Abs. 1 EStG. Eine Einschränkung erfährt der Grundsatz der Verlustberücksichtigung im Rahmen der Welteinkommensbesteuerung durch § 2a EStG. Nach dieser Vorschrift – die gem. R 8.1 Abs. 1 Nr. 1 KStR gleichermaßen im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer Anwendung findet – dürfen Verluste aus einer in einem Drittstaat1 belegenen Betriebsstätte nur mit Gewinnen derselben Art aus demselben Drittstaat verrechnet werden. § 2a Abs. 1 EStG verpflichtet den Steuerpflichtigen demnach zur Führung eines eigenständigen „Verlustverrechnungstopfes“.2 Damit ist das Verlustausgleichspotential beschränkt auf positive Einkünfte passiv tätiger Drittstaaten-Betriebsstätten, die im selben Staat belegen sind. Darüber hinaus scheidet ein Verlustausgleich aus. Mangels ausreichend vorhandener positiver Einkünfte im Jahr ihrer Entstehung verbleibende Verluste können jedoch zeitlich unbegrenzt auf Folgeperioden vorgetragen werden (§ 2a Abs. 1 Satz 3 EStG). Ihre Verrechenbarkeit bleibt jedoch auch insoweit auf denselben „Verlustverrechnungstopf“ beschränkt. Ein Verlustrücktrag scheidet hingegen aus.

3.40 Aktive Einkünfte gem. § 2a Abs. 2 EStG. Indessen ergeben sich keinerlei Einschränkung im Hinblick auf die Verlustverrechnung, sofern die Tätigkeit der Betriebsstätte als aktiv i.S.v. § 2a Abs. 2 EStG einzustufen ist. Dies ist der Fall, wenn die Einkünfte einer Betriebsstätte aus den folgenden Tätigkeiten stammen: – Herstellung und der Lieferung von Waren, ausgenommen Waffen, – Gewinnung von Bodenschätzen, – Gewerbliche Leistungen, ausgenommen die Errichtung und der Betrieb bzw. die Herstellung von Fremdenverkehrsanlagen sowie die Vermietung und Verpachtung einzelner Wirtschaftsgüter einschließlich der Überlassung von Rechten, Plänen, Mustern, Verfahren Erfahrungen und Kenntnissen (Know-how), – Einkünfte aus dem unmittelbaren Halten einer wesentlichen Beteiligung (mind. 25 %) an einer Kapitalgesellschaft sowie deren Finanzierung, wenn die Kapitalgesellschaft ihrerseits ausschließlich oder fast ausschließlich Einkünfte aus aktiven Tätigkeiten i.S.v. § 2a Abs. 2 EStG vorweisen kann. Um die Rechtsfolgen des § 2a EStG zu suspendieren, muss der Steuerpflichtige nachweisen, dass die Einkünfte der Betriebsstätte ausschließlich oder fast ausschließlich auf eine der vorgenannten Tätigkeiten entfallen. Hierbei ist nach Auffassung der Finanzverwaltung auf das Verhältnis der Bruttoerträge abzustellen, wobei Verluste, die im Rahmen der Aufnahme oder Beendigung einer Tätigkeit anfallen, entsprechend der funktionalen Betrachtungsweise zuzuordnen sind.3 Im Rahmen der Beurteilung, ob sich die Einkünfte der Betriebsstätte ausschließlich oder fast ausschließlich aus aktiven Tätigkeiten speisen, ist nach der herrschenden Auffassung auf die vom BFH4 im Kontext von § 8 Abs. 2 AStG a.F. geprägte 10 %-Grenze ab-

1 Als Drittstaaten gelten nach § 2a Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 EStG Staaten, die nicht Mitglied der EU sind. 2 Vgl. Wagner in Blümich, § 2a EStG Rz. 97; Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 2a EStG Rz. 80; Gosch in Kirchhof16, § 2a EStG Rz. 42. 3 R 2a Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStR. 4 BFH v. 30.8.1995 – I R 77/94, BStBl. II 1996, 122 = FR 1996, 178.

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Ditz/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.43 Kap. 3

zustellen.1 Beruht das Betriebsstättenergebnis demnach zu mehr als 10 % auf einer passiven Tätigkeit, tritt eine Infektionswirkung in der Weise ein, dass die Tätigkeit der Betriebsstätte insgesamt als passiv einzustufen ist und unter die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 2a EStG fällt. Keine Anwendung bei Anwendung der Freistellungsmethode. § 2a EStG gelangt nur unter Geltung des Welteinkommensprinzips zur Anwendung. Im Rahmen der grenzüberschreitenden Betriebsstättenbesteuerung ist dem vorausgesetzt, dass entweder kein DBA Anwendung findet oder ein im Einzelfall anwendbares DBA im Hinblick auf die erzielten Einkünfte der ausländischen Betriebsstätte die Anrechnungsmethode vorsieht. Denn nur dann finden die Betriebsstätteneinkünfte Eingang in die deutsche Bemessungsgrundlage. Findet hingegen die abkommensrechtliche Freistellungsmethode Anwendung, so entspricht es der herrschenden Auffassung im Schrifttum2 sowie der ständigen Rechtsprechung,3 dass dann positive wie negative Einkünfte aus der steuerlichen Bemessungsgrundlage beim Stammhaus ausgespart bleiben und es der Anwendung von § 2a EStG schlichtweg nicht bedarf. Etwas anderes kann sich insoweit nur infolge eines durch abkommensrechtliche oder unilaterale Umschaltklauseln bewirkten Wechsels von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode ergeben.4

3.41

Unionsrechtliche Problematik. Durch seinen Fokus auf im Ausland erzielte Verluste steht § 2a EStG seit geraumer Zeit im Verdacht, mit den unionsrechtlichen Grundfreiheiten in Konflikt zu stehen. Diesbezügliche Einzelheiten werden in Rz. 12.19 ff. dargestellt.

3.42

d) Vermeidung internationaler Doppelbesteuerung Allgemeines. Unbeschränkt Steuerpflichtige müssen im Inland ihr Welteinkommen versteuern. Verfügt ein unbeschränkt Steuerpflichtiger über eine Betriebsstätte im Ausland, so sind die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte im Rahmen des Welteinkommens grundsätzlich im Inland zu versteuern. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn und soweit ein DBA mit dem Betriebsstättenstaat besteht und das DBA Deutschland als Ansässigkeitsstaat verpflichtet, die konkreten Betriebsstätteneinkünfte steuerfrei zu stellen. Besteht kein DBA oder sieht das bestehende DBA nur die Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche Steuer vor, so ergibt sich aus § 34c Abs. 1 und 6 Satz 2 EStG, dass und wie die ausländische Steuer auf die inländische Einkommensteuer anzurechnen ist. Bei einem im Inland unbeschränkt Körperschaftsteuerpflichtigen ergibt sich die entsprechende Anwendung von § 34c Abs. 1 und 6 Satz 2 EStG aus der Verweisung in § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG. Sieht ein DBA allerdings eine Steuerbefreiung in Deutschland vor, so kann sich das Gegenteil immer noch aus § 20 Abs. 2 AStG oder § 50d Abs. 9 EStG ergeben. 1 Vgl. Heinicke in Schmidt36, § 2a EStG Rz. 14; Probst in F/W/B/S, § 2a EStG Anm. 376; Gosch in Kirchhof16, § 2a EStG Rz. 34; Wagner in Blümich, § 2a EStG Rz. 111; Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 2a EStG Rz. 104; Scholten/Griemla, IStR 2007, 615 (616). 2 Vgl. Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 2a EStG Rz. 1; Gosch in Kirchhof16, § 2a EStG Rz. 5aa. 3 RFH v. 25.1.1933 – VI A 199/32, RStBl. 1933, 478; v. 26.5.1935 – VI A 414/35, RStBl. 1935, 1358; v. 10.3.1937 – VI A 71/37, RStBl. 1937, 486; BFH v. 11.3.1970 – I B 50/68, I B 3/69, BStBl. II 1970, 569; v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 948; v. 28.3.1973 – I R 59/71, BStBl. II 1973, 531; v. 20.11.1974 – I R 1/73, BFHE 114, 530; v. 25.2.1976 – I R 150/73, BStBl. II 1976, 454; v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 382 = FR 1983, 284; v. 6.10.1993 – I R 32/93, BStBl. II 1994, 113 = FR 1994, 95 m. Anm. Meyer; v. 18.1.2001 – I R 70/00, FR 2002, 169 = DB 2001, 2696; v. 13.11.2002 – I R 13/02, IStR 2003, 314; v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. II 2009, 630 = FR 2007, 86 m. Anm. Pezzer. 4 Vgl. zu § 20 Abs. 2 AStG Becker/Loose/Misere, IStR 2016, 353 ff.

Ditz/Quilitzsch

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3.43

Kap. 3 Rz. 3.44

Besteuerung der Betriebsstätte

3.44 Ermittlung der ausländischen Einkünfte. Die Anrechnung ausländischer Steuern setzt die Ermittlung der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte (ggf. nur) für Zwecke der Anrechnung voraus. Die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte sind insoweit nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln.1 Zu beachten ist § 34c Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 EStG. Danach werden im Zähler der Berechnungsformel die „ausländischen Einkünfte“ um solche Einkünfte gekürzt, die entweder nach dem Recht des Staates, aus dem sie stammen, oder nach einem DBA dort nicht besteuert wurden.2 Für ein inländisches Stammhaus einer ausländischen Betriebsstätte hat dies zur Folge, dass wegen der Reduzierung des Anrechnungshöchstbetrages die Gefahr von Anrechnungsüberhängen steigt, und zwar auch für körperschaftsteuerpflichtige Stammhäuser, für die § 26 Abs. 6 KStG auf § 34c Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 EStG verweist. Dazu stellt sich die Frage, ob die Regelung generell bei der Ermittlung von Betriebsstätteneinkünften zu beachten ist, ob sie nur für die Ermittlung ausländischer Betriebsstätteneinkünfte gilt oder ob sie nur dann anzuwenden ist, wenn ausländische Einkünfte zwecks Anrechnung ausländischer Steuern zu ermitteln sind. Richtigerweise ist nur letztere Auffassung zutreffend. Gerade deshalb kann man der Auffassung sein, dass § 34c Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 EStG an der falschen Stelle im Gesetz steht. Nach § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG sind bei der Ermittlung der zu einem inländischen Betrieb gehörenden ausländischen Einkünfte nur solche Betriebsausgaben oder Betriebsvermögensminderungen abzuziehen, die im wirtschaftlichen Verlassungszusammenhang mit den zugrunde liegenden Einnahmen stehen (zur möglichen Unionsrechtswidrigkeit der entsprechenden Kausalitätsfiktion vgl. Rz. 12.40). Der gesetzlich nicht definierte Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhangs ist eng im Sinne des Veranlassungsprinzips (§ 4 Abs. 4 EStG) auszulegen.3 Es bedarf folgerichtig eines zweckgerichteten Bezugs zwischen den Betriebsausgaben oder den Betriebsvermögensminderungen einerseits sowie der entsprechenden Einnahmen andererseits.4 Daraus folgt das Erfordernis eines direkten wirtschaftlichen Bezugs, der in der Regel nur dann zweifelsfrei vorliegen dürfte, wenn die Betriebsausgaben oder Betriebsvermögensminderungen keinen anderen Einnahmen als den ausländischen zugeordnet werden können.5 Soweit eine direkte Zuordnung ausscheidet, hat eine Aufteilung zu erfolgen.6

3.45 Ermittlung der ausländischen Steuer. Neben den ausländischen Betriebsstätteneinkünften ist auch die ausländische Steuer zu ermitteln, die auf die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte erhoben wurde. Dabei kann es sich um eine einzige oder um mehrere Steuern handeln. Die Steuer muss in der Regel aus dem ausländischen Steuerbescheid abgeleitet werden. Soweit der Steuerpflichtige im Ausland noch andere Einkünfte zu versteuern hat, muss ermittelt und dargelegt werden, welche Steuer auf die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte entfällt. Die Steuer muss festgesetzt und gezahlt sein. Sie darf keinem Ermäßigungsanspruch mehr unterliegen. Die Steuerfestsetzung und -zahlung muss nachgewiesen werden (§ 68b EStDV). Auf Anforderung müssen der ausländische Steuerbescheid und eine Quittung über 1 Vgl. BFH v. 6.4.2016 – I R 61/14, BStBl. II 2017, 48 = FR 2016, 911 = ISR 2016, 326 m. Anm. Lüdicke. 2 Vgl. Heinicke in Schmidt36, § 34c EStG Rz. 12; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 91. 3 Vgl. BFH v. 6.4.2016 – I R 61/14, BStBl. II 2017, 48 = FR 2016, 911 = ISR 2016, 326 m. Anm. Lüdicke = IStR 2016, 666 m. Anm. Wacker. In diese Richtung ebenfalls FG München v. 11.5.2016 – 6 K 2122/14, EFG 2016, 1363 (Rev. anhängig unter Az. I R 37/16). 4 Ausführlich hierzu Wassermeyer in FS Gosch, 439 (445 ff.); Wissenschaftlicher Beirat Steuern bei der Ernst & Young GmbH, IStR 2016, 922. 5 Vgl. Kraft in Kanzler/Kraft/Bäuml2, § 34c EStG Rz. 38. 6 Vgl. BFH v. 6.4.2016 – I R 61/14, BStBl. II 2017, 48 = FR 2016, 911 = ISR 2016, 326 m. Anm. Lüdicke.

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Ditz/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.49 Kap. 3

die Zahlung vorgelegt werden. Soweit Urkunden in fremder Sprache verfasst sind, kann das FA eine beglaubigte Übersetzung in deutscher Sprache anfordern. Höchstbetragsberechnung. § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG schreibt vor, dass die Anrechnung ausländischer Steuern nur innerhalb eines Höchstbetrages möglich ist. Der ausländischen Steuer ist die deutsche tarifliche Einkommen- oder Körperschaftsteuer gegenüberzustellen, die anteilig auf die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte entfällt. Insoweit ist § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG zu beachten. Danach ist für Veranlagungszeiträume bis 2014 das Verhältnis der ausländischen Einkünfte zur Summe der Einkünfte maßgebend. Für Veranlagungszeiträume ab 2015 orientiert sich die Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrages indessen an der Höhe des für die ausländischen Einkünfte maßgebenden Durchschnittsteuersatzes (vgl. zur unionsrechtlichen Problematik Rz. 12.38). Ist die (anteilige) deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer niedriger als die anrechenbare ausländische Steuer, so kann Letztere nur bis zur Höhe der (anteiligen) deutschen Einkommen- und Körperschaftsteuer angerechnet werden. Dadurch können Anrechnungsüberhänge entstehen, die in andere Veranlagungszeiträume weder vor- noch rückgetragen werden können. Zur möglichen Unionsrechtwidrigkeit derartiger Überhänge vgl. Rz. 12.38.

3.46

Per country limitation. § 34c Abs. 1 EStG fasst alle ausländischen Steuern zusammen, die von einem bestimmten Staat gegenüber dem unbeschränkt Steuerpflichtigen erhoben werden und ausländische Einkünfte betreffen, die aus diesem Staat stammen. Man spricht insoweit von einer „per country limitation“; sie steht im Gegensatz zur sog. „over all limitation“. Die per country limitation zwingt dazu, die in Rz. 3.46 angesprochene Höchstbetragsberechnung für jeden ausländischen Staat getrennt durchzuführen. Auch dadurch können sich Anrechnungsüberhänge ergeben. Dies gilt insbesondere dann, wenn bestimmte ausländische Einkünfte negativ sind. Zur möglichen Unionsrechtwidrigkeit dieser Segmentierung der Anrechnungshöchstbeträge vgl. Rz. 12.37.

3.47

Keine Anrechnung von Drittstaatensteuern. Fallen in einer ausländischen Betriebsstätte sog. Drittstaatensteuern an, z.B. weil die Betriebsstätte aus einem Drittstaat Dividenden, Lizenzgebühren und/oder Zinsen erzielt, so ist auf der Grundlage einer dem Art. 21 Abs. 2 OECD-MA entsprechenden Vorschrift zu prüfen, ob die Drittstaateneinkünfte den Betriebsstättengewinn erhöhen. Bejahendenfalls stellt sich aus deutscher Sicht die Frage, ob die Drittstaatensteuern anrechenbar sind. In der Regel wird dies verneint. Allerdings kann zwischen Deutschland und dem Drittstaat ein DBA bestehen, das Deutschland zwingt, die Drittstaatensteuer dennoch anzurechnen. Zur möglichen Unionsrechtswidrigkeit des Verbots der Anrechnung von Drittstaatensteuern vgl. Rz. 12.41.

3.48

Abzug der ausländischen Steuern bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte. Nach § 34c Abs. 2 und 3 EStG können ausländische Steuern auch bei der Ermittlung der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte abgesetzt werden. Die Vorschrift greift jedoch nur dann, wenn die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte im Inland nicht steuerfrei sind. § 34c Abs. 2 EStG ist dabei als Antragstatbestand ausgestaltet. Der Abzug der ausländischen Steuern nach § 34c Abs. 3 EStG ist dagegen von Amts wegen durchzuführen. Als Voraussetzung für die Anwendung des § 34c Abs. 2 EStG muss die ausländische Steuer nach § 34c Abs. 1 EStG anrechenbar sein. Ist sie nicht anrechenbar, findet nur § 34c Abs. 3 EStG Anwendung. Der Antrag nach § 34c Abs. 2 EStG muss für alle ausländischen Steuern einheitlich gestellt werden, die von ein und demselben Staat auf die aus seinem Gebiet stammenden Einkünfte erhoben wurden. Sind die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte gesondert festzustellen, muss der Abzug schon in dem Feststellungsbescheid berücksichtigt werden. Sind an der Erzielung der ausländischen Be-

3.49

Ditz/Quilitzsch

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Kap. 3 Rz. 3.50

Besteuerung der Betriebsstätte

triebsstätteneinkünfte mehrere Personen beteiligt, so kann jede von ihnen den Antrag nach § 34c Abs. 2 EStG mit der Folge stellen, dass die Vorschrift nur ihm gegenüber anzuwenden ist.

3.50 Anwendung von § 34c Abs. 3 EStG. § 34c Abs. 3 EStG findet in drei denkbaren Fallgestaltungen Anwendung, nämlich wenn – die erhobene ausländische Steuer nicht der deutschen Einkommensteuer entspricht oder – die ausländische Steuer nicht von dem Staat erhoben wurde, aus dem die Einkünfte stammen, oder – die ausländische Steuer auf Einkünfte erhoben wurde, die nach deutscher Rechtsauffassung keine ausländischen sind.

3.51 Steueranrechnung vs. Steuerabzug. Der Abzug der ausländischen Steuer bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte ist gegenüber der Anrechnung günstiger, wenn der Höchstbetrag der anrechenbaren Steuer niedriger als die Steuerersparnis ist, die durch den Abzug der ausländischen Steuer von der Bemessungsgrundlage eintritt. Damit ist die Antwort auf die Frage, ob der Abzug günstiger als die Anrechnung ist, von der Höhe des Höchstbetrages abhängig. Ist der Höchstbetrag höher als die ausländische Steuer, so ist die Anrechnung immer günstiger. Ist der Höchstbetrag niedriger, so kann die Anrechnung immer noch günstiger sein. Es muss im Einzelfall gerechnet werden. Als Grundsatz gilt dabei, dass der Steuerabzug günstiger sein kann, wenn der Höchstbetrag deutlich unter dem Betrag der ausländischen Steuer liegt oder sogar negativ ist.

3.52 Pauschalierungsmethode. Im Rahmen der verwaltungsseitig konkretisierten Pauschalisierungsmethode steht einkommensteuerpflichtigen Stammhäusern1 gem. § 34c Abs. 5 EStG – neben der Anrechnungs- und Abzugsmethode – eine weitere Möglichkeit zur Verfügung, um eine internationale Doppelbesteuerung abzuschwächen, sofern vom Steuerpflichtigen volkswirtschaftliche Gründe oder besondere Schwierigkeiten im Rahmen der Steueranrechnung geltend gemacht werden können. Dazu sieht der sog. Pauschalierungserlass2 vor, dass die Erfolge der ausländischen Betriebsstätte mit einem pauschalen Steuersatz i.H.v. 25 % zu besteuern sind. Dem ist jedoch eine aktive Tätigkeit in der Betriebsstätte vorausgesetzt. Auf die im Pauschalierungsweg ermittelte Steuer kann eine ausländische Steuer aber weder im Anrechnungs- noch im Abzugsweg geltend gemacht werden. Liegen die Voraussetzungen des Pauschalierungserlasses vor, so muss der Steuerpflichtige also abschließend über die Anwendung der Anrechnungs-, Abzugs- oder Pauschalierungsmethode entscheiden. Wenngleich der Pauschalierungserlass dies nicht ausdrücklich vorschreibt, wird man die Anwendung der Pauschalierungsmethode in der Praxis auf durch den Steuerpflichtigen beantragte Fälle beschränken können. Ob und inwieweit die Finanzverwaltung dem entsprechen will, liegt in ihrem Ermessen.3 e) Progressionsvorbehalt

3.53 Grundsatz. Erzielt ein unbeschränkt Steuerpflichtiger steuerfreie ausländische Betriebsstätteneinkünfte, so hat die Steuerbefreiung an sich die Eignung, innerhalb der sog. Progressi1 Vgl. BMF v. 24.11.2003 – IV B 4 - S 2293-46/03, BStBl. I 2003, 747. 2 Vgl. BMF v. 10.4.1984 – IV C 6 - S 2293-11/84, BStBl. I 1984, 252. 3 Vgl. Heinsen in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 406.

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B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.57 Kap. 3

onszone eine Steuersatzminderung für das nicht von der Einkommensteuer befreite zu versteuernde Einkommen herbeizuführen. Um dieser Wirkung zu begegnen, sieht § 32b Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG vor, dass ausländische Einkünfte, die im Veranlagungszeitraum nicht der deutschen Einkommensteuer unterlegen haben (§ 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG) sowie Einkünfte, die nach einem DBA oder nach einem anderen zwischenstaatlichen Übereinkommen im Inland steuerfrei sind (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG), bei der Bemessung des Steuersatzes für das zu versteuernde Einkommen zu berücksichtigen sind. Die Berücksichtigung geschieht dadurch, dass sich das zu versteuernde Einkommen um die steuerfreien Einkünfte erhöht und der sich danach ergebende Steuersatz (nur) auf das zu versteuernde Einkommen angesetzt wird. Die Einkommensteuer für das zu versteuernde Einkommen wird also nach der Progressionsstufe bestimmt, die anzusetzen wäre, wenn die steuerfreien Einkünfte sachlich steuerpflichtig wären. Man nennt dies den Progressionsvorbehalt. Er wirkt sich nur auf den für das zu versteuernde Einkommen anzusetzenden Tarif aus. Anders ausgedrückt wird das zu versteuernde Einkommen nach einem besonderen Steuersatz besteuert. Dies lässt die Steuerfreiheit der ausländischen Einkünfte unberührt. Progressionsvorbehalt nicht für alle steuerfreien Einkünfte. Nach § 32b EStG gilt der Progressionsvorbehalt nicht für alle steuerfreien Einkünfte. Betroffen sind nur die in § 32b EStG enumerativ aufgezählten Einkünfte. Aus der Sicht der Betriebsstättengewinnermittlung interessieren insoweit

3.54

– bei unbeschränkter Steuerpflicht ausländische Betriebsstätteneinkünfte, die durch ein DBA oder ein anderes Übereinkommen im Inland steuerfrei gestellt sind, – bei zeitweiser unbeschränkter Steuerpflicht ausländische Betriebsstätteneinkünfte, die entweder durch ein DBA im Inland steuerfrei gestellt oder im Inland nicht steuerbar sind, – bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 und/oder § 1a EStG nicht steuerbare ausländische Betriebsstätteneinkünfte. Ermittlung der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte. Die Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG setzt die Ermittlung der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte der Höhe nach voraus. Insoweit besteht betragsmäßige Identität zwischen den steuerfreien und den zur Ermittlung des besonderen Steuersatzes anzusetzenden ausländischen Betriebsstätteneinkünften. Die Einkünfte sind nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln. Es finden die §§ 4 bis 7k EStG unmittelbar Anwendung. Dazu wird auf die Ausführungen in Rz. 4.9 verwiesen.

3.55

Anwendung in zeitlicher Hinsicht. Der Progressionsvorbehalt wirkt sich in zeitlicher Hinsicht auf den Veranlagungszeitraum aus, für den die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte steuerfrei zu stellen sind. In der Regel bestimmt sich dies nach der bilanziellen Erfassung der steuerfreien Einkünfte.1

3.56

Kein Progressionsvorbehalt bei passiven EU-/EWR-Betriebsstätten. Gemäß der im Zuge des JStG 20092 eingefügten Ausnahmeregelung des § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG werden von der Anwendung des Progressionsvorbehaltes Einkünfte ausgenommen, die in einer anderen als in einem Drittstatt belegenen gewerblichen Betriebsstätte erzielt werden, sofern die Betriebsstätte nicht die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 EStG erfüllt. Aufgrund der sprach-

3.57

1 Vgl. BFH v. 12.10.1995 – I R 153/94, BStBl. II 1996, 201 = FR 1996, 249. 2 Gesetz v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794.

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Kap. 3 Rz. 3.58

Besteuerung der Betriebsstätte

lich misslungenen Formulierung1 war lange Zeit strittig, welche Art von Einkünften durch den in § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG normierten Verweis schlussendlich aus dem Progressionsvorbehalt auszuscheiden sind. Denn obwohl der Wortlaut eindeutig nur von anderen als in Drittstaaten belegenen Betriebsstätten spricht, wurde vertreten, dass sich die Wirkungen der Norm auch auf in Drittstaaten belegene und einer passiven Tätigkeit i.S.v. § 2a Abs. 2 EStG nachgehende Betriebsstätten erstrecken.2 Dazu gelangte man, wenn man den in § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG enthalten Verweis auch als Brücke zu dem in § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG normierten Einleitungssatz „gewerblichen Betriebsstätte in einem Drittstaat“ verstehen und aus diesem Ortsbezug eine für § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG weitere Tatbestandsvoraussetzung ableiten wollte. Zwischenzeitlich dürfte es jedoch als geklärt gelten, dass sich der Verweis lediglich auf den in § 2a Abs. 2 EStG enthaltenen Aktivitätsvorbehalt bezieht und auf diese Weise nur passive gewerbliche Einkünfte aus EU-/EWR-Betriebsstätten aus dem Progressionsvorbehalt ausgeklammert werden.3 Aus unionsrechtlicher Sicht ist dies jedoch als problematisch einzustufen (vgl. Rz. 12.23).

3.58 Keine Anwendung auf Körperschaften. Erzielt eine unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Person steuerfreie ausländische Betriebsstätteneinkünfte, so findet § 32b Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG keine entsprechende Anwendung, weil § 8 Abs. 1 KStG nicht auf die Tarifvorschriften des EStG verweist.4 Zudem würde der Progressionsvorbehalt aufgrund des in § 23 KStG vorgeschriebenen linearen Steuertarifs im Rahmen der Körperschaftsteuer ohnehin ohne Auswirkungen bleiben. 2. Besonderheiten bei der Gewerbesteuer

3.59 Inlandscharakter der GewSt. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer jeder Gewerbebetrieb nur insoweit, als für ihn eine Betriebsstätte im Inland unterhalten wird. Maßgebend ist insoweit der in § 12 AO niedergelegte Betriebsstättenbegriff. Von Bedeutung ist dies insbesondere beim Einsatz eines ausländischen Vertreters i.S.v. § 13 AO. Denn dessen Tätigkeit kann zwar unter Art. 5 Abs. 5 OECD-MA fallen und deshalb aus abkommensrechtlicher Sicht eine Betriebsstätte begründen. Gleichwohl erfüllt er gerade nicht die Voraussetzungen von § 12 AO mit der Folge, dass die von dem Vertretenen im Ausland erzielten Einkünfte seinen sonstigen – in- oder ausländischen – Betriebsstätten zuzurechnen sind und deshalb im Grundsatz vorbehaltlich einer Anwendung von § 9 Nr. 3 GewStG der Gewerbesteuerpflicht unterfallen können. Gleichwohl können diese Gewinne im Inland aufgrund eines im Einzelfall anwendbaren BDA von der Gewerbesteuer freizustellen sein, sofern der Vertreter entweder die Tatbestandsvoraussetzungen einer Vertreterbetriebsstätte gem. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA erfüllt oder seine Einkünfte einer sonstigen ausländischen Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 OECD-MA zugerechnet werden.

1 Vgl. Schmidt/Heinz, IStR 2009, 43 (45). 2 Vgl. Wittkowski/Lindscheid, IStR 2009, 225 (230); a.A. Goebel/Schmidt, IStR 2009, 620 (621); Mössner in Lüdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerecht, Baden-Baden 2010, 128; Gebhardt/Quilitzsch, IStR 2010, 390 (390). 3 Vgl. BFH v. 26.1.2017 – I R 66/15, juris; FG Münster v. 21.3.2014 – 4 K 2292/11 F, EFG 2014, 1003 (rkr.); FG Köln v. 1.7.2015 – 1 K 555/13, EFG 2015, 2068 f. (rkr.) m. Anm. Wendt; außerdem Gebhardt/Quilitzsch, IStR 2010, 390 (391); Heinicke in Schmidt36, § 32b EStG Rz. 34; Kuhn/Kühner in H/H/R, § 32b EStG Rz. 129; Schmidt/Heinz, IStR 2009, 43 (45); Wagner in Blümich, § 32b EStG Rz. 67; Mössner in Lüdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerrecht, Baden-Baden 2010, 128. 4 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 125.

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Ditz/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.60 Kap. 3

Ausklammerung ausländischer Betriebsstättengewinne gem. § 9 Nr. 3 GewStG. Da der Gewerbeertrag nach § 7 GewStG auf dem (gesamten) nach den Vorschriften des EStG und des KStG ermittelten Gewinn aufbaut, müssen ausländische Betriebsstättengewinne bzw. -verluste aus der Gewerbeertragsermittlung ausgeklammert werden. Im Grunde ergibt sich dies bereits aus dem in § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG geregelten Inlands- bzw. Territorialitätscharakter der Gewerbesteuer, wodurch zugleich klargestellt ist, dass Ergebnisse, die steuerlich einer ausländischen Betriebsstätte zuzurechnen sind, nicht der Gewerbesteuer unterfallen. Dieser Grundsatz erfährt in § 9 Nr. 3 GewStG und der dort normierten Kürzungsvorschrift gleichwohl eine Klarstellung.1 Hiernach wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen gem. § 8 GewStG um den Teil des Gewerbeertrags eines inländischen Unternehmens gekürzt, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfällt. In diesem Zusammenhang trifft das GewStG keine Aussage dazu, wie der auf die Betriebsstätte entfallende Gewerbeertrag zu ermitteln ist. Infolgedessen finden die allgemeinen Grundsätze der Betriebsstättengewinnermittlung und -gewinnabgrenzung entsprechende Anwendung.2 Allerdings bezieht sich § 9 Nr. 3 GewStG nicht auf jedwede aus dem Ausland stammende Einkünfte, sondern nur auf solche, die einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind. Andere ausländische Einkünfte, die keiner ausländischen Betriebsstätte zugeordnet werden können, sind stattdessen automatisch einer inländischen Betriebsstätte zuzurechnen. Dies ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des BFH,3 wonach betriebsstättenlose Einkünfte (sog. floating income) nicht existieren und deshalb stets eine Zuordnung von Einkünften zu einer (in- oder ausländischen) Betriebsstätte vorgenommen werden muss. Sind infolgedessen im Ausland erzielte Einkünfte einer Betriebsstätte im Inland zuzuordnen, unterliegen sie aufgrund von § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG nur dann nicht der Gewerbesteuer, wenn im Einzelfall eine andere Kürzungsvorschrift greift. § 9 Nr. 3 GewStG ist indessen dann unbeachtlich, wenn ein DBA für einen unbeschränkt Steuerpflichtigen die Steuerfreiheit seiner ausländischen Betriebsstätteneinkünfte im Inland vorschreibt. Denn in diesem Fall ist die Steuerbefreiung bereits auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung zu gewähren, so dass der i.S.v. § 7 GewStG nach den Vorschriften des EStG und des KStG ermittelte Gewinn die (steuerfreien) ausländischen Einkünfte nicht erfasst und es deshalb auch keiner Kürzung nach § 9 Nr. 3 GewStG mehr bedarf. Ausgenommen hiervon sind seit Inkrafttreten des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes4 jedoch Einkünfte einer ausländischen Betriebsstätte, die über den in § 20 Abs. 2 AStG angeordneten Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode der deutschen Besteuerung unterworfen werden. Denn diese Einkünfte gelten – anders als vom BFH5 judiziert – gem. § 7 Satz 8 GewStG als in einer inländischen Betriebsstätte erzielt. Flankiert wird diese Einkünftezuordnung durch § 9 Nr. 3 GewStG, wonach diese Einkünfte nicht für eine entsprechende Kürzung des Gewerbeertrags

1 Für den (nur) deklaratorischen Charakter von § 9 Nr. 3 GewStG: Roser in Lenski/Steinberg, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 2; Gosch in Blümich, § 9 GewStG Rz. 212; Güroff in Glanegger/Güroff9, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 1; Schnitter in F/D, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 156; Lüdicke, IStR 2015, 770 (770). 2 Differenzierend zwischen DBA- und Nicht-DBA-Fällen die Auffassung der Finanzverwaltung, vgl. VWG BsGa, Rz. 22 f. 3 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398 = FR 2008, 920; v. 12.6.2013 – I R 47/12, BStBl. II 2014, 770 = FR 2014, 57 m. Anm. Kempermann = ISR 2013, 415 m. Anm. Ehlermann. Dazu Wassermeyer, IStR 2004, 676; Wassermeyer, IStR 1994, 28; Schauhoff, IStR 1995, 108 (110). 4 Gesetz zur Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen, BGBl. I 2016, 3000. 5 BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BStBl. II 2015, 1049 = FR 2015, 719 m. Anm. Klein = ISR 2015, 276 m. Anm. Quilitzsch.

Ditz/Quilitzsch

141

3.60

Kap. 3 Rz. 3.61

Besteuerung der Betriebsstätte

in Betracht kommen.1 Vermieden kann diese Rechtsfolge gem. § 7 Satz 9 GewStG allein dann, wenn die betroffenen Einkünfte in einer ausländischen Zwischengesellschaft erzielt worden wären, auf die § 8 Abs. 2 AStG Anwendung gefunden hätte. Ist die Auslandsbetriebsstätte also in der EU/EWR belegen und verfügt sie über einen Umfang an wirtschaftlicher Substanz, der sie für die in § 8 Abs. 2 AStG normierte „Cadbury-Schweppes-Ausnahme“ qualifiziert, so bleiben ihre Einkünfte vom Gewerbeertrag ausgenommen.

3.61 Maßgebender Betriebsstättenbegriff. § 9 Nr. 3 GewStG trifft dem Wortlaut nach keine Aussage darüber, welcher Betriebsstättendefinition sich die Norm anschließt. Grundsätzlich in Frage kommen hierfür der innerstaatliche Betriebsstättenbegriff i.S.v. § 12 AO sowie – bei Anwendbarkeit eines DBA – das in Art. 5 OECD-MA geregelte, abkommensrechtliche Betriebsstättenverständnis. Wenngleich beide Definitionen in ihrem Grundtenor recht nahe beieinander liegen, können sich Wertungswidersprüche insbesondere bei Betriebsstätten ergeben, über die vorbereitende oder Hilfsfunktionen wahrgenommen werden und für die gem. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA nur die DBA qua Rückausnahme nicht von einer (abkommensrechtlichen) Betriebsstätte ausgehen. In derlei Konstellationen ist es denkbar, dass nach § 12 AO eine Betriebsstätte zu bejahen ist, während Art. 5 OECD-MA deren Existenz aufgrund ihres unter Art. 5 Abs. 4 OECD-MA zu fassenden Funktionsprofils für abkommensrechtliche Zwecke verneint und sich infolgedessen auch die Frage nach der Zurechnung eines Gewinns und dessen Freistellung im Rahmen des Methodenartikels nicht stellt. Beispiel: Die deutsche A-GmbH unterhält in der Türkei ein Einkaufsbüro, das unstreitig als eine Betriebsstätte i.S.v. § 12 AO anzusehen ist, weil jedenfalls die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Alt. 1 AO („Einkaufstelle“) erfüllt sind. Hingegen liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Betriebsstätte gem. Art. 5 DBA-Türkei nicht vor, weil eine bloße Einkaufsstelle nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. d DBA-Türkei als sog. Hilfsbetriebsstätte explizit von der abkommensrechtlichen Betriebsstättendefinition ausgenommen wird. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die dem Einkaufsbüro zuzuordnenden Gewinne nach § 9 Nr. 3 GewStG aus dem Gewerbeertrag der A-GmbH auszuscheiden sind. Sofern § 9 Nr. 3 GewStG auf den in § 12 AO geregelten Betriebsstättenbegriff rekurriert, wäre dies der Fall. Sollte die in Art. 5 DBA-Türkei ausgemachte Definition maßgebend sein, wäre hingegen von einer Unanwendbarkeit des § 9 Nr. 3 GewStG und demzufolge von einer Gewerbesteuerpflicht der dem Einkaufsbüro zuzuordnenden Gewinne auszugehen.

3.62 Keine Bedeutung einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte. Die Anwendbarkeit von § 9 Nr. 3 GewStG kann das Fehlen einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte indessen nicht suspendieren. Stattdessen ist es für eine Kürzung gem. § 9 Nr. 3 GewStG allein entscheidend, ob im Ausland eine Betriebsstätte vorliegt, die die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 AO erfüllt.2 Die gegenteilige Auffassung der Finanzverwaltung,3 wonach der in § 9 Nr. 3 GewStG verwandte Betriebsstättenbegriff aufgrund des Spezialitätenvorrangs an den des Art. 5 OECDMA anknüpft, ist deshalb abzulehnen. Denn sie hätte zur Folge, dass ein aufgrund von § 2 1 Vgl. ausführlich Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 281 (287); Benz/Böhmer, DB 2016, 1531 (1533); Schnitger, IStR 2016, 637 (642). 2 Vgl. BFH v. 20.7.2016 – I R 50/15, BStBl. II 2017, 230 = ISR 2016, 424 m. Anm. Kahlenberg = GmbHR 2016, 1230 m. Anm. Levedag. H.M. Hruschka in S/D, Art. 5 OECD-MA Rz. 25; Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 44; Gosch in Blümich, § 9 GewStG Rz. 218; Gosch, Außensteuerliche Aspekte der Gewerbesteuer, Hefte zur Internationalen Besteuerung, Nr. 177, 3; Roser in Lenski/Steinberg, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 3; Güroff in Glanegger/Güroff9, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 2a; Schnitter in F/D, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 162; Wingler in Bergemann/Wingler, Wiesbaden 2012, § 9 Nr. 3 Rz. 169; Becker/Loose, Ubg 2015, 520 (522); Andresen, IWB 2017, 90 (93). 3 AEAO zu § 12, Nr. 4. Ebenso FG Köln v. 7.5.2015 – 10 K 73/13 (Vorinstanz zu BFH v. 20.7.2016 – I R 50/15, ISR 2016, 424 m. Anm. Kahlenberg), IStR 2015, 794.

142

Ditz/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.63 Kap. 3

Abs. 1 Satz 3 GewStG eigentlich nicht der Gewerbesteuer unterliegender Sachverhalt unter Rückgriff auf das im Einzelfall einschlägige DBA dennoch zur Gewerbesteuer herangezogen wird. Somit wären die DBA im Stande, ein innerstaatlich nicht existentes Besteuerungsrecht zu begründen, obwohl sie aufgrund der von ihnen ausgehenden Schrankenwirkung nach der ganz herrschenden Auffassung in der Literatur1 und Rechtsprechung2 bestehende innerstaatliche Besteuerungsansprüche nur bestätigen bzw. einschränken, jedoch nicht erweitern oder gar begründen können. Zudem kommt die gewerbesteuerliche Kürzung nach § 9 Nr. 3 GewStG unstreitig auch in Nicht-DBA-Fällen zur Anwendung, sofern im ausländischen Staat eine Betriebsstätte i.S.v. § 12 AO vorliegt. Es kann jedoch nicht überzeugen, dass sich hierin im Abkommensfall etwas ändern und – je nach Ausgestaltung im entsprechenden DBA – eine Vielzahl verschiedener Betriebsstättenbegriffe Eingang in das Gewerbesteuergesetz finden soll.3 Unklar ist indessen, wie im vorab beschriebenen Beispiel hinsichtlich der Betriebsstättengewinnermittlung zu verfahren ist. Denn in diesem Fall fließen die der Betriebsstätte zuzuordnenden Gewinne zunächst in den Gewinn des inländischen Stammhauses ein und sind sodann für die Ermittlung des Gewerbeertrages nach § 9 Nr. 3 GewStG zu kürzen. Die Finanzverwaltung geht in einer solchen Konstellation allerdings von einer Unanwendbarkeit von § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV aus, „da mangels DBA-Betriebsstätte keine Betriebsstättengewinnermittlung durchzuführen ist“.4 Es dürfte insoweit aber nichts anderes als im Nicht-DBA-Fall gelten. Schließlich macht es – wie die vorstehenden Ausführungen zeigen – im Zusammenhang mit der Anwendung von § 9 Nr. 3 GewStG im Ergebnis keinen Unterschied, ob im Einzelfall gar kein DBA anwendbar ist oder im DBA-Fall die Existenz einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte verneint werden muss. Die Finanzverwaltung5 verweist insoweit auf die Anwendung der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze 1999,6 wobei im Rahmen einer profiskalischen „Günstigerprüfung“ geprüft werden soll, ob die VWG BsGaV im Einzelfall nicht zu niedrigen ausländischen Einkünften und somit zu einem geringeren Kürzungsbetrag gem. § 9 Nr. 3 GewStG gelangen.7 Anrechnung ausländischer Steuern. Weder das GewStG noch die Kommunalabgabengesetze enthalten Vorschriften über die Anwendung von im Ausland erhobenen Steuern auf die Gewerbesteuer. § 34c EStG sowie § 26 KStG finden nur auf die deutsche Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer Anwendung. Beide Normen bilden Tarifvorschriften, die im Rahmen der Gewinnermittlung keine Berücksichtigung finden. Die Frage nach der Möglichkeit ausländischer Steuern auf die deutsche Gewerbesteuer kann sich deshalb nur im Zusammenhang mit einem von Deutschland abgeschlossenen DBA stellen. Sie stellt sich ferner nur dann und nur insoweit, als aus dem Ausland stammende Einkünfte mit einer nicht erstattungsfähigen ausländischen (Quellen-)Steuer belastet sind und der deutschen Gewerbesteuer unterfallen. Vorstellbar ist dies bspw. bei Zinsen oder Lizenzgebühren. Insoweit ist zwischen zwei

1 Vgl. Lehner in V/L6, Grundlagen Rz. 65; Lüdicke, IStR 2015, 770 (770); Becker/Loose, Ubg 2015, 520 (521); Schulz-Trieglaff, IStR 2017, 406 (407); Schönfeld/Häck in S/D, Systematik Rz. 22; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.38; Vogel, StuW 1985, 369; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl., München 2000, Rz. R 21 ff. 2 Vgl. BFH v. 12.10.1978 – I R 69/75, BStBl. II 1979, 64; v. 12.3.1980 – I R 186/76, BStBl. II 1980, 531 = FR 1980, 360; BFH v. 17.10.1990 – I R 16/89, BStBl. II 1991, 211. 3 Vgl. Becker/Loose, Ubg 2015, 520 (522). 4 VWG BsGa, Rz. 66. Vgl. auch Schulz-Trieglaff, IStR 2017, 406 (407 f.). 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 23 u. 25. 6 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076. 7 VWG BsGa, Rz. 25.

Ditz/Quilitzsch

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3.63

Kap. 3 Rz. 3.64

Besteuerung der Betriebsstätte

Gruppen von DBA zu unterscheiden. Die 1. Gruppe von DBA regelt diese Frage ausdrücklich. So schließen Art. 24 Abs. 3 Buchst. b DBA-Italien, Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz sowie Art. 24 Abs. 2 Buchst. b DBA-China die Anrechnung ausdrücklich oder im Umkehrschluss aus. Eine 2. Gruppe von DBA sieht sinngemäß vor, dass sich die Anrechnung ausländischer Steuern nach den Vorschriften des deutschen Steuerrechts über die Anrechnung ausländischer Steuern richtet. Die Formulierungen sind in den einzelnen DBA sehr unterschiedlich.1 Unbeschadet dessen muss man aber sehen, dass die deutsche Gewerbeertragsteuer abkommensrechtlich zweifelsfrei als eine Steuer vom Einkommen i.S.d. Art. 2 Abs. 2 OECD-MA zu qualifizieren ist. Insoweit gebietet es der Abkommenszusammenhang, dass sich die deutsche Anrechnungsverpflichtung auch auf die Gewerbesteuer erstreckt.2 Zwar ist dem deutschen Gewerbesteuerrecht eine den §§ 34c EStG bzw. 26 KStG entsprechende Regelung über die Anrechnung ausländischer Steuern fremd. Verweisen die DBA indessen auf das innerstaatliche Recht, so kann dies nur als Rechtsfolgenverweis verstanden werden. Andernfalls wäre der Umfang der Anrechnung in das Belieben des Ansässigkeitsstaates gestellt.3 Ergibt sich demnach ein Anrechnungsüberhang, so dass die im Betriebsstättenstaat erhobene Steuer nicht vollständig auf die deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer angerechnet werden kann, so muss eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer möglich sein.4 Im Hinblick auf die Praxis der Finanzverwaltung ist jedoch festzuhalten, dass eine Anrechnung ausländischer Steuern auf die deutsche Gewerbeertragsteuer bislang stets versagt wird.

II. Besteuerungsgrundsätze nach Abkommensrecht 1. Betriebsstättenprinzip und Freistellungsmethode

3.64 AOA und Betriebsstättengewinnermittlung. In Anwendung des in Art. 7 Abs. 1 und 2 OECD-MA 2010 verankerten Grundsatzes der Behandlung einer Betriebsstätte als funktional selbständige Einheit sind der Betriebsstätte die Gewinne zuzuordnen, die sie aufgrund ihrer übernommenen Funktionen, getragenen Risiken, eingesetzten Wirtschaftsgüter und unter Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes erzielt hätte, wenn sie als vollkommen selbständiges und unabhängiges Unternehmen im Markt aufgetreten wäre. Aufgrund der unilateralen Implementierung des Grundsatzes (AOA) in § 1 Abs. 5 AStG, ergeben sich im Hinblick auf DBA, die in Art. 7 dem OECD-MA 2010 folgen, keine Unterschiede.

3.65 Freistellungsmethode als Grundsatz. Ist Deutschland innerhalb eines DBA der sog. Ansässigkeitsstaat, so werden die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte im Regeltatbestand unter Progressionsvorbehalt steuerfrei gestellt. Die Steuerbefreiung ergibt sich regelmäßig aus dem sog. Methodenartikel des DBA. Sie ist rechtssystematisch wie eine solche i.S.d. § 3 EStG zu

1 Vgl. bspw. Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Belgien (Anrechnung auf die „erhobene Steuer“) oder Art. 23 Abs. 3 Buchst. b DBA-USA (Anrechnung unter „Beachtung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts über die Anrechnung ausländischer Steuern“). 2 Vgl. Schönfeld/Häck in S/D, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 111; Vogel in V/L6, Art. 23 OECD-MA Rz. 132; Schmidt/Blöchle in S/K/K, Art. 23 A/B OECD-MA Rz. 195; Becker/Loose, IStR 2012, 57 (58); Schmidt/Boller, PIStB 2008, 270 (276); a.A. Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Anm. 172; Oho in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 2. Aufl., München 2008, § 10 Rz. 123; Eglmeier, IStR 2011, 951 (955 ff.); Heurung/Seidel, IWB 2009, 687 (690 f.). 3 Vgl. Schönfeld/Häck in S/D, Art. 23 A/B OECD-MA Rz. 111. 4 Vgl. Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.554; Schönfeld/Häck in S/D, Art. 23 A/B OECD-MA Rz. 111.

144

Ditz/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.67 Kap. 3

verstehen. Der Regeltatbestand erfährt allerdings zahlreiche Ausnahmen, die sich teilweise unmittelbar aus dem DBA, teilweise aber auch aus den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts ergeben (vgl. Rz. 3.71 ff.). Dies gilt für die anteiligen aus dem DBA-Ausland stammenden Betriebsstättengewinne eines unbeschränkt steuerpflichtigen Mitunternehmers einer in- oder ausländischen Personengesellschaft entsprechend. Gehören zu den ausländischen Betriebsstätteneinkünften auch Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren, so ist streitig,1 ob der Ansässigkeitsstaat sie als Teil der Betriebsstätteneinkünfte oder aber als Dividenden, Zinsen und/ oder Lizenzgebühren unter den Methodenartikel subsumiert. Von der Beantwortung dieser Frage kann die Besteuerung im Ansässigkeitsstaat abhängen. Verlustbehandlung und Symmetriethese. Besteht mit dem ausländischen Betriebsstättenstaat ein DBA, nach welchem die Betriebsstätteneinkünfte von der Besteuerung im inländischen Stammhausstaat ausgenommen sind, dann entspricht es der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung2 und Schrifttum,3 dass die in den DBA vereinbarte Freistellungsmethode positive sowie kehrseitig auch negative Einkünfte erfasst (sog. „Symmetriethese“). Für das inländische Stammhaus hat dies zur Folge, dass in der ausländischen Betriebsstätte erlittene Verluste keine steuerliche Berücksichtigung im Inland finden.4 Ausnahmen hiervon können lediglich unionsrechtlich geboten sein, wenn es sich im Ausland um sog. „finale Verluste“ handelt (vgl. dazu Rz. 12.11).

3.66

Muss das einschlägige DBA die Anwendung des Progressionsvorbehaltes erlauben? Streitig ist, ob der Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG nur anwendbar ist, wenn das einschlägige DBA seine Anwendung ausdrücklich vorsieht,5 was heute die Regel ist. Das BVerfG forderte zwar in seinem Urteil vom 10.3.1971,6 der Progressionsvorbehalt

3.67

1 Für Unternehmensgewinn: Wolff in FS Wassermeyer, München 2005, 647 ff.; Strunk/Kaminski, IStR 2003, 181 ff.; Kleineidam, IStR 2004, 1 (2 ff.); Wagner, IWB 2003, F. 3 Deutschland, Gr. 2, 1067 (1071); für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren: Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 160; Kluge in FS Wassermeyer, München 2005, 663 ff.; unentschieden BFH v. 7.8.2002 – I R 10/01, BStBl. II 2002, 848 = FR 2003, 151 m. Anm. Kempermann. 2 Vgl. RFH v. 25.1.1933 – VI A 199/32, RStBl. 1933, 478; v. 26.5.1935 – VI A 414/35, RStBl. 1935, 1358; v. 10.3.1937 – VI A 71/37, RStBl. 1937, 486; BFH v. 11.3.1970 – I B 50/68, I B 3/69, BStBl. II 1970, 569; v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 948; v. 28.3.1973 – I R 59/71, BStBl. II 1973, 531; v. 20.11.1974 – I R 1/73, BFHE 114, 530; v. 25.2.1976 – I R 150/73, BStBl. II 1976, 454; v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 382 = FR 1983, 284; v. 6.10.1993 – I R 32/93, BStBl. II 1994, 113 = FR 1994, 95 m. Anm. Meyer; v. 18.1.2001 – I R 70/00, FR 2002, 169 = DB 2001, 2696; v. 13.11.2002 – I R 13/02, IStR 2003, 314; v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. II 2009, 630 = FR 2007, 86 m. Anm. Pezzer; v. 22.2.2017 – I R 2/15, juris. 3 Vgl. zur Diskussion mit zahlreichen Nachweisen aus dem Schrifttum den umfassenden Beitrag von Cordewener, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Europäischen Recht, in DStJG Bd. 28, Köln 2005, 282 ff.; ferner Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 57; Schönfeld/Häck in S/D, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 31; Schuch, Europarechtliche und abkommensrechtliche Vorgaben für die Verlustbehandlung, in Lehner, Verluste im nationalen und internationalen Steuerrecht, München 2004, 74 ff.; Kessler, Ausländische Betriebsstättenverluste, in Lehner, Verluste im nationalen und internationalen Steuerrecht, München 2004, 85 ff.; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.533; Keuthen, Die Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung im EG-Binnenmarkt, Berlin 2009, 68 ff. 4 Zu einem dadurch möglicherweise begründeten Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerecht4, Rz. 19.533. 5 Bejahend Puls, DStZ 2003, 755 (757); Lüdicke in FS Lutz Fischer, Berlin 1999, 731 (744); Dankmeyer in F/G, § 32b EStG Rz. 45. 6 BVerfG v. 10.3.1971 – 2 BvL 3/68, BStBl. II 1973, 431 (434).

Ditz/Quilitzsch

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Kap. 3 Rz. 3.68

Besteuerung der Betriebsstätte

dürfe nur angewendet werden, wenn dies mit dem jeweiligen DBA vereinbar sei. Es begründete diese These jedoch mit der Tatsache, dass damals das EStG keinen Progressionsvorbehalt enthielt und ein solcher einer Rechtsgrundlage bedürfe. Als Reaktion auf diese Entscheidung hat der Gesetzgeber ab 1975 den Progressionsvorbehalt in § 32b EStG eingeführt. Für die Auffassung, dass das einschlägige DBA die Anwendung eines Progressionsvorbehaltes ausdrücklich erlauben müsse, spricht der Wortlaut des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG.1 Der BFH2 hält indes die Formulierung des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 19963 für verunglückt. Die frühere Fassung von § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG war weiter.4 Der BFH misst ferner Vorschriften, die dem Art. 23A Abs. 3 OECD-MA entsprechen, nur deklaratorische Bedeutung bei. 2. Abkommensrechtliche Rückfallklauseln

3.68 Begriff und Rechtsfolge. Unter Switch-over- oder Umschaltklauseln sind Regelungen in den DBA zu verstehen, die im Rahmen des Methodenartikels unter bestimmten Voraussetzungen die eigentlich vorgesehene Freistellungsmethode zugunsten der Anrechnungsmethode suspendieren. Sie sind in unterschiedlichen Ausprägungsformen anzutreffen und berufen sich üblicherweise auf die Überlegung, die Freistellungsmethode nur im Hinblick auf aktive Tätigkeiten zu gewähren (sog. Aktivitätsklauseln) oder eine doppelte Nichtbesteuerung als Resultat sog. Qualifikations- bzw. Zurechnungskonflikte zu vermeiden (sog. Subject-to-TaxKlauseln). Als Folge von deren Anwendbarkeit wird die Anrechnungs- statt der Freistellungsmethode angewendet.

3.69 Aktivitätsklauseln. Knapp 80 % der von Deutschland abgeschlossenen DBA enthalten eine sog. Aktivitätsklausel.5 Sinn der Aktivitätsklauseln ist es, die an sich vorgesehene Steuerbefreiung von Einkünften und Vermögen nur dann zu gewähren, wenn die Einkünfte aus näher zu umschreibenden „aktiven“ Tätigkeiten und Beteiligungen stammen bzw. das Vermögen derartigen Tätigkeiten dient.6 Man spricht insoweit auch von einem Aktivitätsvorbehalt. Sind die Voraussetzungen der Aktivitätsklausel nicht erfüllt, so gewährt Deutschland statt der Steuerbefreiung nur die Anrechnung ausländischer Steuern. Diese Rechtsfolge kann – abhängig von der konkreten Ausgestaltung der Klausel – entweder die gesamten Betriebsstätteneinkünfte (d.h. aktive und passive Einkünfte) einheitlich7 oder isoliert nur die passiven Einkünfte8 treffen. Der zuletzt genannte Fall bringt es demzufolge mit sich, dass die Betriebsstätteneinkünfte aufzuteilen sind.9 Im Einzelnen können sich die Aktivitätsklauseln

1 Einkünfte, die nach einem DBA unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer steuerfrei sind. 2 BFH v. 19.12.2001 – I R 63/00, BStBl. II 2003, 302 = FR 2002, 526; zustimmend Wassermeyer, IStR 2002, 289; Wassermeyer, IStR 2003, 421. 3 Gesetz v. 11.10.1995, BGBl. I 1995, 1250 = BStBl. I 1995, 438. 4 Einkommensteuerreformgesetz 1975 v. 5.8.1974, BGBl. I 1974, 1769 = BStBl. I 1974, 530. 5 Ausführlich Lüdicke, Überlegungen zur deutschen Abkommenspolitik, Baden-Baden 2008, 77 ff.; Kaminski, StuW 2007, 275 ff.; Holthaus, IStR 2003, 632; Wassermeyer, IStR 2000, 65; Gebhardt/ Quilitzsch, IWB 2010, 473; Schönfeld/Häck in S/D, Art. 23 A/B OECD-MA Rz. 84. 6 Vgl. Lüdicke, Überlegungen zur deutschen Abkommenspolitik, Baden-Baden 2008, 77. 7 Art. 22 Abs. 2 Buchst. a DBA-Australien i.V.m. Protokoll zu Art. 22 Buchst. d; Art. 23 Abs. 2 Buchst. c DBA-Russland. 8 Art. 23 Abs. 5 Buchst. a DBA-Finnland i.V.m. Protokoll zu Art. 23 Abs. 5; Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a DBA-Schweiz. 9 Vgl. BMF v. 26.3.1975 – IV C 6 - S 1301-Schweiz-3/75, BStBl. I 1975, 479, Tz. 3.1.2.

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Ditz/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.70 Kap. 3

auf Unternehmensgewinne und/oder sog. Schachteldividenden sowie auf betriebliches Vermögen und/oder Schachtelbeteiligungen beziehen.1 Überwiegend enthalten die DBA – insbesondere aber auch die Verhandlungsgrundlage des BMF2 – eine ausformulierte Aktivitätsklausel, die selbst den Katalog derjenigen Tätigkeiten definiert, die als aktiv gelten und in den Genuss der Freistellungsmethode kommen sollen (sog. originärer Aktivkatalog).3 Teilweise besteht die Aktivitätsklausel allerdings auch aus einer Verweisung auf § 8 Abs. 1 AStG, wobei die unterschiedlichen Fassungen dieser Vorschrift zu beachten sind (sog. derivativer Aktivkatalog).4 So verweisen jüngere DBA5 pauschal auf § 8 Abs. 1 AStG, während ältere Abkommen – der Gesetzeshistorie wegen – nur auf § 8 Abs. 1 Nr. 1-6 AStG bzw. § 8 Abs. 2 AStG a.F. (sog. Landes- und Funktionsholdingprivileg)6 rekurrieren. Häufig ist die Aktivitätsklausel nur in einem Protokoll oder in einem Notenwechsel zu dem DBA vereinbart.7 Deren Aufnahme wird damit gerechtfertigt, dass die Idee von Kapitalimportneutralität – nämlich die Vermeidung steuerlicher Wettbewerbsnachteile deutscher Investoren im Ausland durch Anwendung der Freistellungsmethode – nur dann zum Tragen kommen soll, wenn im Ausland aktive und damit keinem Missbrauchsverdacht unterliegende Tätigkeiten unternommen werden.8 Subject-to-Tax-Klauseln. Unter Subject-to-Tax-Klauseln sind Vereinbarungen in einem DBA zu verstehen, auf Grund derer eine an sich im DBA vereinbarte Steuerbefreiung im Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen nicht eingreift, weil der Quellenstaat – infolge von Zuordnungs- oder Qualifikationskonflikten – von seinem Besteuerungsrecht keinen oder aus Sicht des Ansässigkeitsstaates keinen hinreichenden Gebrauch macht.9 Das Besteuerungsrecht fällt unter dieser Voraussetzung auf Grund der Rückfallklausel an den Ansässigkeitsstaat zurück. Subject-to-Tax-Klauseln finden sich in zahlreichen deutschen DBA, sind allerding nicht selten (nur) in den Protokollregelungen verortet.10 Auch die Verhandlungsgrundlage des BMF enthält derartige Vorschriften.11 Ihnen allen ist gemein, dass der Zuordnungskonflikt kausal mit einer Nicht- oder Niedrigbesteuerung verbunden sein muss. Eine aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften der Anwenderstaaten hervorgerufene Nicht- oder Niedrigbesteue-

1 Für einen Überblick Wassermeyer in Wassermeyer, Anlage zu Art. 23 A/B OECD-MA; Wassermeyer, IStR 2000, 65 ff. sowie ausführlich Schönfeld/Häck in S/D, Art. 23 A/B OECD-MA Rz. 114 ff. 2 Verhandlungsgrundlage für DBA im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen v. 22.8.2013, Art. 22 Abs. 1 Buchst. d; dazu Ditz/Bärsch/Quilitzsch, ISR 2013, 156 ff.; Schönfeld/ Häck, ISR 2013, 168 ff.; Schönfeld/Ditz/Häck in S/D, Anhang 4 Rz. 137 ff. 3 Bspw. Art. 23 Abs. 1 Buchst. c DBA-Indien. 4 Ausführlich hierzu Schönfeld/Häck in S/D, Art. 23 A/B OECD-MA Rz. 86. 5 Art. 22 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Luxemburg; Art. 22 Abs. 1 Buchst. c DBA-Niederlande; Art. 23 Abs. 1 Buchst. c DBA-Großbritannien. 6 Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b DBA-Schweiz; Art. 23 Abs. 2 Buchst. c DBA-Russland. 7 Protokoll zum DBA-China, Nr. 6. 8 Vgl. Schönfeld/Häck in S/D, Art. 23 A/B OECD-MA Rz. 84 m.w.N. 9 Vgl. Meretzki in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 15.6; BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980, Tz. 4. 10 Art. 23 Abs. 1 Buchst. e Doppelbuchst. aa DBA-Großbritannien; Art. 22 Abs. 1 Buchst. e Doppelbuchst. aa DBA-Luxemburg; Art. 22 Abs. 1 Buchst. e Doppelbuchst. aa DBA-Niederlande; Protokoll Nr. 6 Buchst. c, aa, ii) DBA-Indien; Protokoll Nr. 18 Buchst. a DBA-Italien; Art. 23 Abs. 4 Buchst. b, 1. Fall DBA-USA. 11 Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen v. 22.8.2013, Art. 22 Abs. 1 Buchst. e Doppelbuchst. aa und bb.

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Kap. 3 Rz. 3.70

Besteuerung der Betriebsstätte

rung kann demnach nicht zur Anwendung abkommensrechtlicher Subject-to-Tax-Klauseln führen.1 Ferner kann von einer Nichtbesteuerung nur dann ausgegangen werden, wenn die Einkünfte im Quellenstaat „tatsächlich“ nicht versteuert wurden. Davon ist nur auszugehen, wenn die Einkünfte im Quellenstaat nicht in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen wurden. Das Fehlen einer Steuerzahllast – bspw. durch die Gewährung umfangreicher Sonderabschreibungen – ist hingegen nicht ausreichend, um eine Nicht- oder Niedrigbesteuerung herbeizuführen.2 Nicht weniger problematisch erweist sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen von einer Niedrigbesteuerung ausgegangen werden muss. Da die Anwendung der Subject-to-Tax-Klausel aber stets dem Ansässigkeitsstaat vorbehalten ist, wird man aus seiner Sicht fragen müssen, ob der Quellenstaat einen höheren Steuersatz zur Anwendung gebracht hätte, sofern er dieselbe Zuordnung- und Qualifikationsentscheidung wie der Ansässigkeitsstaat getroffen hätte.3 Infolge der gestiegenen Bedeutung von Subject-to-Tax-Klauseln hat sich in der jüngeren Vergangenheit auch die Finanzverwaltung intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wann sie für Zwecke der Anwendung solcher Klauseln von einer Nichtbesteuerung im Quellenstaat ausgehen will.4 In deren Ergebnis enthält § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG nunmehr einen unilateralen Anwendungs- bzw. Auslegungsbefehl für die Interpretation abkommensrechtlicher Subjectto-Tax-Klauseln.5 Hiernach sollen Einkünfte, die nach den Bestimmungen eines DBA „aufgrund ihrer Behandlung in anderen Vertragsstaaten nicht von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen werden, […] soweit die Voraussetzung der jeweiligen Bestimmungen des Abkommens hinsichtlich dieser Einkommensteile erfüllt sind.“ Im Kern bedeutet dies, dass insbesondere die in den DBA vorgesehenen Besteuerungsvorbehalte (Subjectto-Tax- und Switch-over-Klauseln), in deren Folge die Freistellungsmethode mangels einer Besteuerung im Quellenstaat bereits abkommensrechtlich suspendiert wird, auch dann anzuwenden sind, soweit Teile der Einkünfte im Ausland nicht besteuert werden. Es wird demnach unilateral eine „Atomisierung“ von Einkünften angeordnet, auch wenn die konkret anwendbare DBA-Regelung dies gar nicht vorsieht.6 Hintergrund dieser Regelung dürfte die Rechtsprechung des BFH7 sein, wonach Einkünfte für die Frage nach ihrer Besteuerung grundsätzlich nicht in einzelne Bestandteile zu zerlegen sind.8 Eine solche gesonderte Betrachtungsweise schreibt § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG aber explizit vor. Durch diese Handhabe entfällt nicht nur die Vorteilhaftigkeit der Freistellungsmethode, keine umfangreichen Nachforschungen über die Besteuerung im anderen Staat anstellen zu müssen, sondern sie unterstreicht die allgemeine Abkehr von der Freistellungsmethode.9 Laut der Gesetzesbegründung ist die Regelung auf alle bestehenden DBA anzuwenden, die eine Einbeziehung von Teilen von Einkünften nicht bereits ausdrücklich vorsehen.10

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Vgl. Schönfeld/Häck in S/D, Art. 23 A/B Rz. 97. Vgl. Meretzki in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 15.47 ff. Vgl. Schönfeld/Häck in S/D, Art. 23 A/B OECD-MA Rz. 97. Vgl. BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980. Dazu Schönfeld, IStR 2013, 757 ff.; Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 ff.; Meretzki in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 15.35 ff. Vgl. Sommer/Retzer, ISR 2016, 283 (290). Vgl. Kahle/Beinert/Heinrichs, Ubg 2017, 247 (249). Vgl. BFH v. 27.8.1997 – I R 127/95, BStBl. II 1998, 58 = FR 1998, 169. Vgl. Gebhardt, IStR 2016, 1009 (1009). Vgl. Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 281 (290); Benz/Böhmer, DB 2016, 1531 (1537). Vgl. BT-Drucks. 18/9536, 57.

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B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.71 Kap. 3

3. Unilaterale Rückfallklauseln a) § 50d Abs. 9 EStG Grundkonzeption. § 50d Abs. 9 EStG wurde im Rahmen des JStG 20071 als treaty override eingeführt. Die Norm hat zum Ziel, unbeschränkt Steuerpflichtigen die abkommensrechtlich gewährte Freistellung seiner im anderen Vertragsstaat erzielten Einkünfte unilateral zu versagen, um die abkommensrechtliche Freistellungsmethode auf Fälle einer tatsächlichen Doppelbelastung zu beschränken.2 Die Vorschrift gliedert sich in zwei voneinander unabhängig anwendbare Subject-to-Tax-Klauseln (§ 50d Abs. 9 Nr. 1 und Nr. 2 EStG), die über § 8 Abs. 1 KStG und § 7 Satz 1 GewStG auch auf die Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer wirken.3 Gemeinsam sind ihnen eine in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Person sowie die Anwendbarkeit einer abkommensrechtlich gewährten Freistellungsmethode vorausgesetzt.4 Sie betrifft sowohl positive als auch negative Einkünfte; mithin ist sie geeignet, Verluste einer Auslandsbetriebsstätte im Inland zum Abzug zu bringen (allerdings unter Berücksichtigung von Verlustausgleichsbeschränkungen, insbesondere § 2a EStG).5 Nach dem in der Vergangenheit (bis einschließlich 2016) gültigen Wortlaut bewirkte § 50d Abs. 9 EStG einen Wechsel von der abkommensrechtlichen Freistellungs- zur Anrechnungsmethode, wenn der Quellenstaat von seinem qua DBA eingeräumten Besteuerungsrecht nicht oder (aus Sicht des deutschen Fiskus) nicht in einem angemessenen Ausmaß Gebrauch machte. Wenngleich dies offenkundig nicht durch die Gesetzesformulierung gedeckt wurde, war die Klausel nach Auffassung der Finanzverwaltung aber auch anzuwenden, wenn der Quellenstaat die betreffenden Einkünfte nur zum Teil der Besteuerung unterwarf.6 In einer zutreffenden und eng am Wortlaut orientierten Auslegung hatte der BFH allerdings in mehreren Verfahren7 entschieden, dass für Einkünfte, die nach einem DBA von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind, eine Freistellung auch dann in vollem Umfang zu gewähren ist, wenn (und nicht soweit) sie im Quellenstaat nur zu einem Teil der Besteuerung unterworfen werden (konditionales Verständnis).8 Eine steuerliche Teilerfassung von Einkünften im Quellenstaat genügte demnach für den in § 50d Abs. 9 EStG angeordneten Besteuerungsrückfall nicht mit der Folge, dass diese Norm immer dann ins Leere lief, wenn der Quellenstaat nicht vollständig, sondern nur teilweise auf das abkommensrechtlich ihm zugewiesene Besteuerungsrecht verzichtete.9 Diese – aus

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Gesetz v. 13.12.2006, BGBl. I 2006, 2878. Vgl. Frotscher in F/G, § 50d EStG Rz. 188. Vgl. Loschelder in Schmidt36, § 50d EStG Rz. 56. Vgl. Meretzki in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 15.63. Vgl. Loose/Hölscher/Althaus, BB 2006, 2724 (2726); Frotscher in F/G, § 50d EStG Rz. 197; Klein/Hagena in H/H/R, § 50d EStG Rz. 122; Kahle/Beinert/Heinrichs, Ubg 2017, 181 (184); Wagner in Blümich, § 50d EStG Rz. 116; Zuber/Ditsch in Littmann/Bitz/Pust, § 50d EStG Rz. 162. BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980, Tz. 2.3 Buchst. b sowie v. 12.11.2008, BStBl. I 2008, 988. Vgl. BFH v. 20.5.2015 – I R 68/14, BStBl. II 2016, 90 = ISR 2015, 353 m. Anm. Kahlenberg = FR 2016, 46; v. 20.5.2015 – I R 69/14, BFH/NV 2015, 1395; v. 21.1.2016 – I R 49/14, ISR 2016, 273 m. Anm. Kahlenberg = FR 2017, 38 = DStR 2016, 1310; v. 19.12.2013 – I B 109/13, ISR 2014, 124 m. Anm. Kempermann = FR 2014, 575 = BFH/NV 2014, 623. Vgl. auch FG Baden-Württemberg v. 24.11.2014 – 6 K 4033/13, EFG 2015, 410 (rkr.). Vgl. BFH v. 19.12.2013 – I B 109/13, ISR 2014, 124 m. Anm. Kempermann = FR 2014, 575 = DStR 2014, 363. Vgl. Gosch in Kirchhof16, § 50d EStG Rz. 41e; Quilitzsch, ISR 2014, 377 (379); Meretzki, IStR 2008, 23 (24); Benecke/Beinert, FR 2010, 1120 (1132); Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760; Lüdicke, IStR 2013, 721 (724); Schönfeld/Häck, ISR 2013, 168 (175); Schönfeld/Ditz/Häck in S/D, Anhang 4

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3.71

Kap. 3 Rz. 3.72

Besteuerung der Betriebsstätte

Sicht der Finanzverwaltung offensichtlich missliebige1 – Rechtsprechung wurde vom Gesetzgeber im Rahmen des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes2 aufgegriffen, indem in § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG das Wort „wenn“ durch „soweit“ ersetzt wurde. Dadurch wird im Wege einer Einkünfteatomisierung3 erreicht, dass in Höhe des Teils der Einkünfte, die im anderen Staat nicht oder nur unzureichend (bspw. über eine abkommensrechtlich der Höhe nach begrenzte Quellensteuer) der Besteuerung unterliegen, ab dem 1.1.2017 keine Freistellung mehr gewährt wird und das Besteuerungsrecht (auch insoweit) an Deutschland zurückfällt.4

3.72 § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG. Nach § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG ist die abkommensrechtliche Freistellungsmethode nicht zu gewähren, soweit der andere Staat die Bestimmungen des DBA so anwendet, dass die Einkünfte in diesem Staat von der Besteuerung auszunehmen sind oder nur zu einem durch das DBA der Höhe nach begrenzten Steuersatz erfasst werden. Bei einem Blick in die Gesetzesbegründung zur Einführung der Norm wird deutlich, dass der Gesetzgeber sich ganz überwiegend aufgrund zwischenstaatlicher Zuordnungs- und Qualifikationskonflikte zu der Einführung der Vorschrift veranlasst gesehen haben dürfte.5 Es bedarf also eines abkommensrechtlichen Qualifikationskonfliktes, der entweder eine gänzliche Nichtbesteuerung (Alternative 1) oder die Anwendung einer abkommensrechtlich vorgeschriebenen Steuersatzbegrenzung (Alternative 2) auslöst. Hingegen sind Minder- oder Nichtbesteuerungen infolge von Eigenheiten des ausländischen innerstaatlichen Rechts nicht geeignet, die Rechtsfolgen von § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG auszulösen.6 Zu den Hauptanwendungsfällen des § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG dürfte die Besteuerung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen zählen, der sich an einer im anderen Vertragsstaat tätigen Mitunternehmerschaft beteiligt und von dieser Sondervergütungen bezieht. Beispiel: Der in Deutschland wohnhafte A ist an der in Italien tätigen I-S.r.l. beteiligt. Diese Beteiligung vermittelt dem A eine anteilige Betriebsstätte in Italien. Erzielt die Personengesellschaft in ihrer ausländischen Betriebsstätte einen Gesamthandsgewinn, unterfällt dieser gem. Art. 7 Abs. 1 DBAItalien für beide Staaten übereinstimmend dem ausschließlichen Besteuerungsrecht Italiens. Gewährt A der I-S.r.l. darüber hinaus ein verzinsliches Darlehen, werden die Zinsen entsprechend Art. 11 Abs. 2 DBA-Italien in Italien mit einer Quellensteuer i.H.v. 10 % belegt. Aus deutscher Sicht erzielt die I-S.r.l. jedoch ausschließlich Unternehmensgewinne, wozu als Sondervergütungen auch die dem A zufließenden Zinsen rechnen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG i.V.m. § 50d Abs. 10 EStG). In der Konsequenz stellen die auch die Zinseinkünfte des A (aus deutscher Sicht) Unternehmensgewinne i.S.v. Art. 7 Abs. 1 DBA-Italien dar, für die Deutschland an der Stelle Italiens ein der Höhe nach uneingeschränktes Besteuerungsrecht reklamieren würde. Da Italien jedoch wegen Art. 7 Abs. 7 DBAItalien von der vorrangigen Anwendung von Art. 11 DBA-Italien ausgeht und somit kein volles Be-

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Rz. 169; Gosch, BFH/PR 2014, 173 (174); Kempermann, ISR 2014, 124; Loschelder in Schmidt36, § 50d EStG Rz. 57; Kahle/Beinert/Heinrichs, Ubg 2017, 247 (247). Vgl. BMF v. 12.11.2008 – IV B 5-5 1300/07/10080, BStBl. I 2008, 988. Gesetz zur Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen, BGBl. I 2016, 3000. Vgl. Kahle/Beinert/Heinrichs, Ubg 2017, 181 (182). Vgl. Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 281 (289); Bartelt/Geberth/Heggmair, DB 2016, 1335 (1337); Benz/ Böhmer, DB 2016, 1531 (1534); Gebhardt, IStR 2016, 1009 (1011). Vgl. BT-Drucks. 16/2712 v. 25.9.2006, 61 f. Vgl. Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 281 (290); Gebhardt in Kanzler/Kraft/Bäuml2, § 50d Rz. 163; Wagner in Blümich, § 50d EStG Rz. 115 ff.; Schrage in Festgabe Wassermeyer, 463; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 4.1.3.3.2; Kahle/Beinert/ Heinrichs, Ubg 2017, 181 (184); Grotherr, IStR 2007, 265 (266); Kahle, IStR 2007, 757 (760); BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, BStBl. II 2014, 764 = FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl; v. 6.6.2012 – I R 6/11, I R 8/11, BStBl. II 2013, 111 ff.

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B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.74 Kap. 3

steuerungsrecht in Anspruch nimmt, zieht die Anwendung von § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG in Bezug auf die Darlehenszinsen die Suspendierung der Freistellungs- zugunsten der Anrechnungsmethode und somit eine Besteuerung der Sondervergütungen in Deutschland nach sich. Es liegt also ein Qualifikationskonflikt vor, der ursächlich für die – aus deutscher Sicht – insoweit nur unzureichende Besteuerung der Sondervergütung im Ausland ist.

§ 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG. Die die als „mystisch klausulierte“1 titulierte Vorschrift des § 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG versagt die abkommensrechtliche Freistellung, soweit die Einkünfte im anderen Vertragsstaat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie von einer Person bezogen werden, die in diesem Staat nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist. Vereinfacht formuliert geht es der Klausel darum, dass eine in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Person, die bei (hypothetisch) unbeschränkter Steuerpflicht im anderen Vertragsstaat mit den betreffenden Einkünften dort steuerpflichtig wäre, jedoch nur deshalb nicht steuerpflichtig ist, weil sie über keinen entsprechenden Anknüpfungspunkt für die unbeschränkte Steuerpflicht in diesem Staat verfügt.2 Damit richtet sich die Norm gegen die steuerliche Privilegierung (bspw. in Form von Investitionsanreizen) des anderen Vertragsstaates, die nur an ausländische (nämlich allenfalls beschränkt steuerpflichtige) Personen gerichtet ist, darüber hinaus aber nicht gewährt wird.3 Keine Anwendung findet § 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG hingegen auf Konstellationen, in denen der Quellenstaat die Einkünfte von unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen Personen in sachlicher Hinsicht gleichbehandelt und dies in einer Nichtbesteuerung (anders als in § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG genügt eine Minderbesteuerung nicht) der von beschränkt steuerpflichtigen Personen erzielten Einkünfte mündet.4 Ebenso wenig ist kann eine fehlende konkrete Steuerpflicht im Quellenstaat die Anwendung der Norm nach sich ziehen. Denn diese stellt allein auf eine abstrakte Steuerpflicht der Einkünfte ab. Sind also bspw. Einkünfte im Quellenstaat zwar abstrakt steuerpflichtig, unterbleibt jedoch eine Besteuerung in tatsächlicher Hinsicht, weil bspw. eine Verrechnung mit Verlustvorträgen erfolgt, liegt kein Anwendungsfall von § 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG vor.5

3.73

b) § 20 Abs. 2 AStG Annexvorschrift zu den §§ 7–14 AStG. Werden in einer ausländischen Betriebsstätte niedrig besteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb i.S.d. § 8 Abs. 1 und 3 AStG erzielt, so wird für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2002 beginnen, die Doppelbesteuerung nicht durch die in einem DBA vorgesehene Steuerbefreiung, sondern lediglich durch Anrechnung der auf diese Einkünfte erhobenen ausländischen Steuern vermieden. Hiervon ausgenommen bleiben gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG Einkünfte i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG. Die Vorschrift ist nur dann einschlägig, wenn und soweit ein DBA die Steuerbefreiung im Inland für ausländische Betriebsstätteneinkünfte vorsieht.6 Dies folgt aus der Überschrift zu § 20 AStG. Die Vorschrift ist auch auf ausländische Betriebsstätteneinkünfte anzuwenden, die sich zugleich als Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen i.S.d. Art. 6 und 13 Abs. 1 OECD-MA bzw. als Veräußerungsgewinne i.S.d. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA darstellen. Ein DBA-Aktivitätsvor-

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Vgl. Gosch in Kirchhof16, § 50d EStG Rz. 41d. Vgl. Schönfeld in F/W/B/S, § 50d EStG Anm. 103. Vgl. zu denkbaren Fallgruppen Gebhardt in Kanzler/Kraft/Bäuml2, § 50d Rz. 165 ff. Vgl. Grotherr, IStR 2007, 265 (267). Vgl. Schönfeld in F/W/B/S, § 50d EStG Anm. 105. Vgl. Gebhardt/Quilitzsch, IStR 2011, 169 ff.; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 20 AStG Anm. 160.

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3.74

Kap. 3 Rz. 3.75

Besteuerung der Betriebsstätte

behalt ist in dem Sinne vorrangig zu beachten, als er steuerfreie Betriebsstätteneinkünfte begründet, auf die 20 Abs. 2 AStG Anwendung findet.

3.75 Auswirkungen auf die Gewerbesteuer. Anders als in der Vergangenheit schlägt die Anwendung von § 20 Abs. 2 AStG auf die Gewerbesteuer durch. Denn als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH,1 wonach Zwischeneinkünfte i.S.v. § 8 AStG der Kürzungsvorschrift gem. § 9 Nr. 3 GewStG unterfallen, sieht der im Zuge des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes2 eingefügte § 7 Satz 8 Halbs. 1 GewStG vor, dass Einkünfte i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG als in einer inländischen Betriebsstätte erzielt gelten. Nach § 7 Satz 8 Halbs. 2 GewStG soll dies außerdem für Nicht-DBA-Fälle bzw. Fälle gelten, in denen bereits das maßgebliche DBA die Anrechnungsmethode vorschreibt – sprich auch für die Fälle, die mangels abkommensrechtlicher Freistellung gar nicht von § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG erfasst werden (müssen). Problematisch ist dies insbesondere deshalb, weil die Betriebsstätteneinkünfte somit zwingend der Gewerbesteuer unterfallen, ohne dass das Gesetz an andere Stelle die Möglichkeit der Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer zulässt. Dies kann in Verbindung mit der in § 8 Abs. 3 AStG vergleichsweise hoch bemessenen Niedrigsteuergrenze und den sich daraus ergebenden Anrechnungsüberhängen zu erheblichen und systematisch nicht zu rechtfertigenden Belastungswirkungen führen.3 Vermieden kann diese Rechtsfolge gem. § 7 Satz 9 GewStG allein dann, wenn die betroffenen Einkünfte in einer ausländischen Zwischengesellschaft erzielt worden wären, auf die § 8 Abs. 2 AStG Anwendung gefunden hätte. Ist die Auslandsbetriebsstätte also in der bzw. dem EU/EWR belegen und verfügt sie über einen Umfang an wirtschaftlicher Substanz, der sie für die in § 8 Abs. 2 AStG normierte „Cadbury-SchweppesAusnahme“ qualifiziert, so bleiben ihre Einkünfte vom Gewerbeertrag ausgenommen.4

3.76 Zwei Grundkonstellationen. Bei der Anwendung des § 20 Abs. 2 AStG ist zwischen zwei Grundkonstellationen zu unterscheiden. Zum einen kann ein inländisches Stammhaus über eine ausländische Betriebsstätte verfügen. In diesem Fall gilt das inländische Stammhaus wegen des Wortlauts von § 20 Abs. 2 AStG zu 100 % fiktiv als an der Betriebsstätte beteiligt. Unterhält z.B. eine inländische Kapitalgesellschaft eine ausländische Betriebsstätte, so stellt § 20 Abs. 2 AStG die Fiktion auf, dass die inländische Kapitalgesellschaft zu 100 % an der ausländischen Betriebsstätte beteiligt und die Betriebsstätte wie eine ausländische Gesellschaft zu behandeln ist. Zu dieser ersten Konstellation gehört auch der Fall, dass eine inländische Personengesellschaft über eine ausländische Betriebsstätte verfügt. In diesem Fall kommt es allerdings wegen § 7 Abs. 3 AStG darauf an, ob an der inländischen Personengesellschaft unbeschränkt Steuerpflichtige und/oder Personen i.S.d. § 2 AStG gem. § 7 Abs. 2 AStG mehrheitlich beteiligt sind. In der zweiten Grundkonstellation betreibt ein unbeschränkt Steuerpflichtiger ein ausländisches Einzelunternehmen. In diesem Fall wird nur für Zwecke der Anwendung des § 20 Abs. 2 AStG das ausländische Einzelunternehmen wie eine ausländische Gesellschaft behandelt, an der der unbeschränkt Steuerpflichtige zu 100 % beteiligt 1 Vgl. BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, FR 2015, 719 m. Anm. Klein = ISR 2015, 276 m. Anm. Quilitzsch = BStBl. I 2015, 1090. 2 Gesetz zur Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen, BGBl. I 2016, 3000. 3 Haas, IStR 2011, 353 (354); Rödder, IStR 2009, 873 (875); Ruf/Wohlfahrt, Ubg 2009, 496 (499); Schnitger, IStR 2016, 637 (641); Haarmann, IStR 2011, 565 (572); Schaumburg/Schaumburg, StuW 2005, 306 (311); Hey, StuW 2008, 167 (171); Roser, FR 2005, 178 (182); Thiel, FR 2007, 729 (730); Quilitzsch, Ubg 2011, 942 (945). 4 Vgl. hierzu ausführlich Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 281 (287); Benz/Böhmer, DB 2016, 1531 (1533); Schnitger, IStR 2016, 637 (642).

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B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.78 Kap. 3

ist. Zu der zweiten Grundkonstellation gehört der Fall, dass unbeschränkt Steuerpflichtige an einer ausländischen Personengesellschaft beteiligt sind. In diesem Fall ist die mehrheitliche Beteiligung gem. § 7 Abs. 2 AStG der unbeschränkt steuerpflichtigen Mitunternehmer an der Personengesellschaft zu prüfen. Ob im Ausland eine Betriebsstätte besteht, ist vorrangig nach den Kriterien des § 12 AO zu prüfen. Allerdings kann die Steuerbefreiung nach einem DBA zusätzlich eine Betriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinne voraussetzen. Beteiligung gem. § 7 Abs. 6 AStG. Werden in einer ausländischen Personengesellschaft Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S.d. § 7 Abs. 6a AStG erzielt, so mag es bereits zweifelhaft sein, ob diese Zwischeneinkünfte nach einem DBA steuerfrei sein werden. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, greift § 20 Abs. 2 AStG insoweit ein, als die Zwischeneinkünfte anteilig einem im Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen zuzurechnen sind und dieser zu mindestens 1 % an der Personengesellschaft beteiligt ist. Sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 6 Satz 3 AStG erfüllt, so gilt Entsprechendes auch bei einer Beteiligung von weniger als 1 %.

3.77

Katalog des § 8 Abs. 1 AStG nur teilweise passend. Zu der entsprechenden Anwendung des § 8 AStG auf ausländische Betriebsstätteneinkünfte ist kritisch anzumerken, dass der Katalog des § 8 Abs. 1 AStG in vieler Hinsicht auf selbständige Kapitalgesellschaften und die ihnen nahestehenden Personen abgestellt ist und deshalb auf Betriebsstätteneinkünfte häufig nicht passt. Dies zeigt sich z.B. bei der Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG auf die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte einer inländischen Mitunternehmerschaft. § 8 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AStG stellt in seinem Grundtatbestand darauf ab, ob ein an der ausländischen Zwischengesellschaft beteiligter Gesellschafter oder eine dem Gesellschafter nahestehende Person, die mit ihren Einkünften hieraus im Inland unbeschränkt steuerpflichtig ist, der ausländischen Gesellschaft die Verfügungsmacht an den gehandelten Gütern oder Waren verschafft. Stellt man sich dazu eine inländische OHG vor, die die vom inländischen Stammhaus eingekauften Waren über eine ausländische Betriebsstätte vertreibt, so stellt sich zunächst die Frage, ob aus der Sicht des § 20 Abs. 2 AStG das inländische Stammhaus an der ausländischen Betriebsstätte „beteiligt“ ist. Bejaht man dies mit Rücksicht auf die in § 20 Abs. 2 AStG enthaltene Fiktion, so stellt sich die weitere Frage, ob die inländische OHG „mit ihren Einkünften hieraus im Inland steuerpflichtig ist“. Diese Frage ist schon deshalb zu verneinen, weil eine OHG weder einkommen- noch körperschaftsteuerpflichtig ist. Will man statt auf die OHG wegen § 7 Abs. 3 AStG auf die hinter ihr stehenden Mitunternehmer abstellen, muss man die Möglichkeit in die Überlegungen einbeziehen, dass diese ganz oder teilweise im Ausland ansässig sein können. Auf eine inländische OHG, die von Steuerausländern beherrscht wird, findet § 20 Abs. 2 AStG keine Anwendung. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob § 8 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AStG nur auf die unmittelbare Verschaffung der Waren durch die OHG (Stammhaus) abstellt oder ob die Mitunternehmer sich das Handeln der OHG wie eigenes zurechnen lassen müssen. Auch im Rahmen des ggf. sich anschließenden Mitwirkungstatbestandes stellt sich die Frage, ob der einzelne Mitunternehmer persönlich mitwirken muss bzw. ob sich ein Mitunternehmer die Mitwirkung eines anderen zurechnen lassen muss. Im Umkehrschluss aus § 7 Abs. 3 AStG folgt eigentlich, dass das Verschaffen durch eine OHG nicht den Mitunternehmern zugerechnet werden kann. Die Vorschrift arbeitet nämlich mit einer Fiktion. Die Fiktion bezieht sich jedoch nur auf die mittelbar über eine Personengesellschaft gehaltene Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft. Die Überlegungen zeigen, dass die Regelung in § 20 Abs. 2 AStG ohne vertieftes Nachdenken seitens des Gesetzgebers zustande gekommen ist. In ihrer jetzigen Form macht die Verweisung des § 20 Abs. 2 AStG auf § 8 Abs. 1 AStG in vielen Fallgestaltungen keinen Sinn. Es ist auch ein Widerspruch in sich, wenn § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG voraussetzt,

3.78

Ditz/Quilitzsch

153

Kap. 3 Rz. 3.79

Besteuerung der Betriebsstätte

dass eine bestimmte Person mit bestimmten Einkünften im Inland steuerpflichtig ist und § 20 Abs. 2 AStG zum Ziel hat, steuerfreie Einkünfte in anrechnungspflichtige umzuwandeln. Die nach dem DBA an sich zu gewährende Steuerbefreiung schließt die Annahme von im Inland steuerpflichtigen Einkünfte aus.

3.79 Analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 1 AStG. Nach § 20 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 AStG verbleibt es bei ausländischen Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft bei der in einem DBA vorgesehenen Steuerbefreiung. Insoweit ist es unerheblich, ob die Land- und Forstwirtschaft im Ausland von einer natürlichen Person, von einer Personen- oder von einer Kapitalgesellschaft betrieben wird. Was unter „Land- und Forstwirtschaft“ zu verstehen ist, bestimmt sich durch Auslegung von § 8 Abs. 1 Nr. 1 AStG.1 Insoweit liegt es in der Natur der Vorschrift, dass auch Kapitalgesellschaften Land- und Forstwirtschaft betreiben können. Abkommensrechtlich fällt das Betreiben einer Land- und Forstwirtschaft in der Regel unter die Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen i.S.d. Art. 6 OECD-MA, weshalb der jeweilige Methodenartikel aus der Sicht dieser Vorschrift auszulegen ist. In einigen DBA gewährt Deutschland auf Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen nur die Steueranrechnung, was die Anwendung von § 20 Abs. 2 AStG ausschließt. Gegebenenfalls ist auch eine DBA-Aktivitätsklausel vorrangig zu beachten.

3.80 Analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 2 AStG. Nach § 20 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 2 AStG verbleibt es für ausländische Einkünfte aus Produktionstätigkeit bei der in einem DBA vorgesehenen Steuerbefreiung. Auch insoweit ist es unerheblich, ob die Produktionstätigkeit im Ausland von einer natürlichen Person, von einer Personen- oder von einer Kapitalgesellschaft betrieben wird. Die Steuerbefreiung nach DBA setzt allerdings voraus, dass die Produktionstätigkeit in einer ausländischen Betriebsstätte betrieben wird. Dabei kann die Produktionstätigkeit auch aus einer Bauausführung oder Montage bestehen. Nicht unter § 8 Abs. 1 Nr. 2 AStG fallen Dienstleistungen. Soweit ein DBA die Steuerbefreiung nur unter Aktivitätsvorbehalt gewährt, müssen die abkommensrechtlichen Aktivitätsvoraussetzungen erfüllt sein, um § 20 Abs. 2 AStG anzuwenden. Problematisch kann der Fall sein, wenn Produkte, die in einem inländischen Stammhaus oder in einer anderweitigen in- oder ausländischen Betriebsstätte hergestellt werden, durch eine eigenständige ausländische Vertreiberbetriebsstätte gehandelt werden. Hier stellt sich die Frage, ob der Handel losgelöst von der Produktion unter § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG oder ob er als notwendiger Teil der Produktion unter § 8 Abs. 1 Nr. 2 AStG zu subsumieren ist. Richtigerweise bilden Stammhaus und Betriebsstätte insoweit eine Einheit. Die in § 20 Abs. 2 AStG enthaltene Fiktion hebt diese Einheit nicht auf. Das Vertreiben durch die Betriebsstätte ist steuerlich als die Veräußerung eines selbst hergestellten Produktes zu verstehen, die unter § 8 Abs. 1 Nr. 2 AStG fällt.

3.81 Analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG. Der Tatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG kann von natürlichen Personen kaum realisiert werden. Soweit Personengesellschaften, deren Mitunternehmer natürliche Personen sind, ein Kreditinstitut oder ein Versicherungsunternehmen betreiben, sollten die Voraussetzungen des „Es-sei-denn-Satzes“ eigentlich nie gegeben sein, weil aus tatsächlichen Gründen eine entsprechende Personengesellschaft die in § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG genannten Geschäfte nie überwiegend mit den an ihr beteiligten Mitunternehmern betreibt. Deshalb ist der Anwendungsbereich von § 20 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG auf Kapitalgesellschaften begrenzt, die mit Hilfe einer ausländischen Betriebsstätte im Ausland ein Kreditinstitut oder ein Versicherungsunternehmen betreiben. Insoweit kann es sich auch um eine in- oder ausländische Personengesellschaft handeln, an der Kapitalgesell1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 8 AStG Anm. 52 ff.

154

Ditz/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.83 Kap. 3

schaften beteiligt sind. Der entsprechende Betrieb eines Kreditinstituts oder eines Versicherungsunternehmens ist grundsätzlich aktiv, weshalb eine nach DBA zu gewährend Steuerbefreiung durch § 20 Abs. 2 AStG nicht in Frage gestellt wird. Eine Ausnahme gilt zwar für Konzerngesellschaften. § 20 Abs. 2 AStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG spricht allerdings nur inländische Konzerngesellschaften an, die entweder über eine ausländische Betriebsstätte verfügen oder an einer (i.d.R. ausländischen) Personengesellschaft beteiligt sind und ihre Geschäfte überwiegend konzernintern betreiben. Nur unter dieser Voraussetzung ist es denkbar, dass § 20 Abs. 2 AStG die nach einem DBA an sich zu gewährende Steuerbefreiung in eine Steueranrechnung umwandelt. Analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG. § 20 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG kann von Einzelunternehmern, Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften gleichermaßen verwirklicht werden. Die insoweit angesprochenen Einzelunternehmer und Kapitalgesellschaften müssen unbeschränkt steuerpflichtig sein. Für eine Personengesellschaft ist § 20 Abs. 2 AStG nur insoweit einschlägig, als an ihr überwiegend unbeschränkt steuerpflichtige Personen beteiligt sind. Bezogen auf einen Einzelunternehmer mit Stammhaus im Inland und einer Vertreiberbetriebsstätte im Ausland stellt sich die Frage, ob der Einzelunternehmer an seinem Einzelunternehmen bzw. an seiner ausländischen Betriebsstätte „beteiligt“ sein kann. Diese Frage ist wohl mit Rücksicht auf die in § 20 Abs. 2 AStG enthaltene Fiktion zu bejahen, weshalb die ausländische Vertreiberbetriebsstätte eines im Inland ansässigen Einzelhändlers passiv i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG sein kann. Dies gilt unabhängig davon, ob die Waren im Inoder Ausland eingekauft werden. Entsprechendes gilt für eine inländische Handelspersonengesellschaft mit ausländischer Vertreiberbetriebsstätte, wenn an ihr überwiegend Steuerinländer beteiligt sind. Zu dieser Fallgestaltung stellt sich allerdings die Frage, ob der einzelne Mitunternehmer den sog. Verschaffungstatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AStG bzw. ob die ausländische Betriebsstätte ihm gegenüber den Verschaffungstatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AStG erfüllen kann. Im Grundsatz ist dies zu bejahen. Allerdings muss der betroffene Mitunternehmer unbeschränkt steuerpflichtig sein. Er muss persönlich den Verschaffungstatbestand (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AStG) bzw. muss die ausländische Betriebsstätte den Verschaffungstatbestand ihm persönlich gegenüber (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AStG) erfüllen. Der Mitwirkungstatbestand ist schon dann nicht gegeben, wenn die Handelstätigkeit in der ausländischen Betriebsstätte ausschließlich durch dort angestellte Personen bewirkt wird, die keine Mitunternehmer sind und auch keinem Mitunternehmer i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG nahestehen. Soweit die Handelstätigkeit von einer inländischen Kapitalgesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte ausgeübt wird, ist die „Mitwirkung“ des inländischen Stammhauses an der Handelstätigkeit der ausländischen Betriebsstätte irrelevant. Es handelt sich um eine Innentransaktion, die als solche nicht den Verschaffenstatbestand erfüllt. Entscheidend ist darauf abzustellen, ob eine der Kapitalgesellschaft nahestehende und im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Person den Verschaffungstatbestand erfüllt bzw. ihr gegenüber der Verschaffungstatbestand von der Kapitalgesellschaft erfüllt wird. An dem Sinn einer solchen Regelung darf durchaus gezweifelt werden.

3.82

Analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG. § 20 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG kann sowohl von einzelnen natürlichen Personen als auch von Personen- und Kapitalgesellschaften gleichermaßen verwirklicht werden. Die Vorschriften finden sowohl im Bereich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb als auch in dem der Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit (insbesondere dürften Ärzte, Steuerberater und Rechtsanwälte betroffen sein, die im Inland wohnen und im Ausland eine Praxis/Sozietät unterhalten) Anwendung. Vor dem Hinter-

3.83

Ditz/Quilitzsch

155

Kap. 3 Rz. 3.84

Besteuerung der Betriebsstätte

grund, dass sich Deutschland in den einschlägigen DBA zur Befreiung von derlei Einkünften verpflichtet hatte, entfaltete die mit ab dem Veranlagungszeitraum 20031 verschärfte Klausel gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG deutlich überschießende Wirkungen, weil dem im Inland wohnenden Freiberufler oder Einzelunternehmer aufgrund seiner häufig anzutreffenden Mitwirkung an der im Ausland unterhaltenen Einkünfteerzielung die abkommensrechtliche Freistellung regelmäßig versagt wurde. Dieser Zustand wurde erst im Rahmen des JStG 20102 bereinigt. Der Gesetzgeber bekannte sich dort offen zu einer unbeabsichtigten und vielfach zu weitreichenden Wirkungsweise des § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG und ergänzte die Norm um einen Satz 2, wonach § 20 Abs. 2 AStG in Bezug auf in der Betriebsstätte erzielte Einkünfte i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG keine Anwendung findet.3 Gemäß § 21 Abs. 19 Satz 2 AStG gilt dies rückwirkend für alle noch nicht bestandskräftig veranlagten Zeiträume. Tatsächlich wirkt sich diese Gesetzesänderung aber auch im gewerblichen Bereich aus. Stellt man sich einen im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Dienstleister vor, der im Ausland über eine Betriebsstätte (feste Einrichtung) verfügt, mit deren Hilfe er Dienstleistungen erbringt, so sind die entsprechenden Tätigkeiten aus mehreren Gründen aktiv i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG mit der Folge, dass es bei einer durch das maßgebende DBA gewährten Steuerbefreiung verbleibt. Zum einen muss der Dienstleister selbst als der Steuerpflichtige i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG auftreten, d.h., er muss die Betriebsstätteneinkünfte aus Dienstleistungen erzielen. Ferner muss der Dienstleister an seiner ausländischen Betriebsstätte gem. § 7 AStG beteiligt sein. Tatbestandsmäßig ist dies gegeben, weil § 20 Abs. 2 AStG unterstellt, die Betriebsstätte sei eine ausländische Gesellschaft, an der der unbeschränkt Steuerpflichtige zu 100 % beteiligt ist. Jedoch ist der Dienstleister mit seinen ausländischen Betriebsstätteneinkünften gerade nicht im Inland steuerpflichtig; vielmehr sind die Einkünfte auf Grund des DBA steuerfrei. Zwar bedient sich die Betriebsstätte des Dienstleisters, wenn dieser die Dienstleistung höchstpersönlich erbringt. Wird jedoch die Dienstleistung im Ausland von einer anderen Person erbracht, die dem Dienstleister nicht nahesteht, so fehlt es auch an der Verwirklichung des Bedienenstatbestandes i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG. In der Vergangenheit war dies ein taugliches Konstrukt, um der Anwendung von § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG zu entgehen. Durch die im Zuge des JStG 2010 vorgenommene Entschärfung ist nunmehr jedoch der gesamte Tatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG aus dem Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG herausgelöst. Insofern beschränkt sich deren Anwendungsbereich im Zusammenhang mit aus Dienstleistungen erzielten Einkünften auf die von § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b AStG in den Fokus genommenen Fälle, wenn also in der ausländischen Betriebsstätte Dienstleistungen gegenüber dem Stammhaus oder einer dem Stammhaus nahestehende Person i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG erbracht werden.

3.84 Analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 6 AStG. § 20 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 6 AStG kann sowohl von einzelnen natürlichen Personen als auch von Personen- und Kapitalgesellschaften gleichermaßen verwirklicht werden. Allerdings ist in allen drei Alternativen schwer vorstellbar, dass die Einkünfte im Sinne der Vorschrift durch ein DBA steuerfrei gestellt werden. Einkünfte für die Überlassung der Nutzung von Rechten, Plänen, Mustern, Verfahren, Erfahrungen und Kenntnissen (§ 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a AStG) werden unter dem Begriff „Lizenzgebühren“ subsumiert. Für Lizenzgebühren sehen die dem Art. 12 OECD-MA nachgebildeten DBA ein Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates vor. Zwar schließen die DBA

1 Steuervergünstigungsabbaugesetz v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 2 Gesetz v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. 3 BT-Drucks. 17/2249, Begründung zu Art. 7; dazu Gebhardt/Quilitzsch, BB 2010, 2212; Kaminski/ Strunk, IStR 2011, 137 ff.; Benecke/Schnitger, IStR 2010, 432 ff.

156

Ditz/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 3.85 Kap. 3

häufig eine Besteuerung im Quellenstaat aus. Es macht jedoch keinen Sinn, § 20 Abs. 2 AStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 6 AStG auf den Ausschluss der Quellenbesteuerung von Lizenzgebühren im Inland anzuwenden, weil § 20 Abs. 2 AStG statt der Steuerbefreiung die Steueranrechnung vorsieht. Eine Steueranrechnung kann aber im Quellensteuerabzugsverfahren aus praktischen Gründen nicht durchgeführt werden. Hier zeigt sich ein weiteres Mal, dass die Regelung in § 20 Abs. 2 AStG nicht zu Ende gedacht ist. § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b AStG hat aus der Sicht des § 20 Abs. 2 AStG keinen eigenständigen Anwendungsbereich. Soweit die DBA für Einkünfte aus Grundvermögen die Steuerbefreiung im Inland vorsehen, bleibt es dabei auch bei Anwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b AStG. Soweit die DBA keine Steuerbefreiung vorsehen, kommt es gar nicht zur Anwendung von § 20 Abs. 2 AStG. Der Anwendungsbereich des § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. c AStG ist aus der Sicht des § 20 Abs. 2 AStG zumindest äußerst gering. Die Vermietung und Verpachtung von beweglichen Sachen vollzieht sich in der Regel außerhalb eines Betriebes. Sollte sie sich ausnahmsweise innerhalb eines Betriebes vollziehen, so ist zwangsläufig ein Geschäftsbetrieb gewerbsmäßiger Vermietung oder Verpachtung anzunehmen. Nach § 15 Abs. 2 EStG ist auch die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr Tatbestandsvoraussetzung eines Gewerbebetriebes. Die Steuerbefreiung kann deshalb gem. § 20 Abs. 2 AStG nur an dem in § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. c AStG erwähnten Mitwirkungstatbestand scheitern. Dabei ist unter dem unbeschränkt Steuerpflichtigen i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. c AStG der Inhaber des inländischen Stammhauses zu verstehen. Ist der Inhaber des inländischen Stammhauses eine Personengesellschaft, so gelten deren Mitunternehmer als an der Betriebsstätte beteiligt. Gegebenenfalls ist wegen § 7 Abs. 3 AStG zu ermitteln, ob die Mehrheit der Mitunternehmer unbeschränkt steuerpflichtig und/oder Person i.S.d. § 2 AStG ist. Die in § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. c AStG erwähnte nahestehende Person muss einem fiktiv Beteiligten nahestehen. Erforderlich ist die Mitwirkung an einer Tätigkeit, die zu Vermietung und Verpachtung gehört. Dazu zählen vor allem die Nutzungsüberlassung und der Besitzübergang an den beweglichen Sachen. Dazu gehört z.B. nicht die Finanzierung des Ankaufs der beweglichen Sachen oder die Finanzierung der Miete. Auch kann durch eine klar vereinbarte und tatsächlich durchgeführte Funktionsabgrenzung festgelegt werden, auf welche Tätigkeiten der Aufgabenbereich der ausländischen Betriebsstätte begrenzt ist. Analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG. Die Anwendung von § 20 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG setzt voraus, dass die ausländische Betriebsstätte Kapital an eine andere Person darlehenshalber vergibt. Die entsprechende Darlehensvergabe setzt einen Vertrag voraus, der im Verhältnis zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte undenkbar ist. Die Darlehensvergabe führt zu aktiven Zinseinkünften und damit zum Fortbestand einer Steuerbefreiung gemäß DBA, wenn die Betriebsstätte zuvor das Kapital ausschließlich auf ausländischen Kapitalmärkten aufgenommen hat. Auch dies setzt einen entsprechenden Vertrag voraus, weshalb eine Kapitalaufnahme im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte undenkbar ist. Nimmt das Stammhaus Fremdkapital auf und überlässt es dieses der Betriebsstätte zur Darlehensvergabe, so ist die Kapitalaufnahme der Betriebsstätte zuzurechnen. Das Darlehen muss von dem Darlehensnehmer einem Betrieb oder einer Betriebsstätte zugeführt werden. Der Betrieb und die Betriebsstätte können im In- oder Ausland belegen sein. Ist der Betrieb oder die Betriebsstätte im Ausland belegen, so muss er/sie seine/ihre Bruttoerträge fast ausschließlich aus Tätigkeiten i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG erzielen. Zu beachten ist insoweit der notwendige Zeitbezug. Abzustellen ist auf das Wirtschaftsjahr des Darlehensnehmers, das dem Wirtschaftsjahr der Betriebsstätte entspricht. Sollten die Wirtschaftsjahre voneinander abweichen, muss an sich das Wirtschaftsjahr des Darlehensnehmers an das Wirtschaftsjahr der Betriebsstätte angepasst werden. Un-

Ditz/Quilitzsch

157

3.85

Kap. 3 Rz. 3.86

Besteuerung der Betriebsstätte

ter Billigkeitsgesichtspunkten sollte auch auf das Wirtschaftsjahr des Darlehensnehmers abgestellt werden können, das überwiegend mit dem Wirtschaftsjahr der Betriebsstätte übereinstimmt. Passiv sind alle Zinseinkünfte, soweit das Kapital im Inland aufgenommen wurde.

3.86 Analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG. Erzielt die ausländische Betriebsstätte Dividenden und sind die Dividenden nach dem einschlägigen DBA im Inland steuerfrei, so verbleibt es bei der Steuerbefreiung auch der Anwendung von § 20 Abs. 2 AStG. Dies gilt auch für Beteiligungserträge, die sich als vGA darstellen.

3.87 Analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG. Erzielt die ausländische Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen einen Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft und ist der Beteiligungsveräußerungsgewinn nach einem DBA im Inland steuerfrei, so entfällt die Steuerbefreiung gem. § 20 Abs. 2 AStG, wenn die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG nicht erfüllt sind. Insoweit treffen den unbeschränkt Steuerpflichtigen Nachweispflichten. Diese beziehen sich auf die Wirtschaftsgüter, die im Vermögen der Gesellschaft liegen, an der die veräußerte Beteiligung besteht. Die Wirtschaftsgüter dürfen nicht den in § 7 Abs. 6a AStG bezeichneten Tätigkeiten dienen. Gegebenenfalls sind in die Prüfung auch die Wirtschaftsgüter einer nachgeschalteten Gesellschaft einzubeziehen.

3.88 Unionsrechtswidrigkeit von § 20 Abs. 2 AStG. § 20 Abs. 2 AStG kommt seinem Wortlaut nach „ungeachtet des § 20 Abs. 2 AStG“ zur Anwendung. Der Einschub geht auf das JStG 20081 und die im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Cadbury Schweppes“2 geführte Diskussion zurück, ob die Unionsrechtswidrigkeit der Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung in den §§ 7–14 AStG auf die Anwendung des § 20 Abs. 2 AStG durchschlagen könne oder nicht.3 Einzelheiten zur unionsrechtlichen Einordnung der Norm sind in Rz. 12.32 ff. dargestellt.

1 Gesetz v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150. 2 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, ECLI:EU:C:2006:544 = FR 2006, 987 m. Anm. Lieber. 3 Bejahend bspw. Haun/Käshammer/Reiser, GmbHR 2007, 184 (188); Rainer/Müller, IStR 2007, 151 (152); Köhler/Eicker, DStR 2007, 331 (334); Köhler/Haun, Ubg 2008, 73 (85 f.); Scheipers/Maywald, IStR 2006, 472; Schnitger, IStR 2007, 729 (733).

158

Ditz/Quilitzsch

Kapitel 4 Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht A. Paradigmenwechsel vom Veranlassungsprinzip zum Authorised OECD Approach . . . . .

4.1

B. Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.2

C. Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung und -abgrenzung I. Innerstaatliches Recht. . . . . . . . . . . .

4.9

II. Zweistufige Gewinnermittlung 1. Unterschiedsbetrag . . . . . . . . . . . . . . 2. Hinzurechnungen und Kürzungen

4.13 4.16

D. Regeln der Einkünfteabgrenzung nach dem Authorised OECD Approach I. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA für nach dem 31.12.2014 beginnende Wirtschaftsjahre 1. Einschlägige Rechtsvorschriften. . . . 2. Grundzüge des Authorised OECD Approach nach innerstaatlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG als Anwendungsvoraussetzung des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG . . . . . . . . 4. Einkünfteminderung als Tatbestandsvoraussetzung für den zweiten Schritt des Authorised OECD Approach? . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einordnung des § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG (erster Schritt des AOA) in die zweistufige Gewinnermittlung . . a) Zuordnungsregelungen – steuerbilanzielle Wirkungsebene (Rechtsfolge) des § 1 Abs. 5 AStG b) Die Vorstufe: Zuordnung von Personalfunktionen (§ 4 BsGaV) c) Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern (§ 5 BsGaV) . . d) Zuordnung von immateriellen Werten (§ 6 BsGaV). . . . . . . . . . . e) Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten (§ 7 BsGaV) . . f) Zuordnung von sonstigen Vermögenswerten (§ 8 BsGaV) . .

4.30 4.34 4.41

4.43 4.46 4.58 4.64 4.79 4.95

g) Zuordnung von Geschäftsvorfällen des Unternehmens (§ 9 BsGaV) . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Zuordnung von Chancen und Risiken (§ 10 BsGaV). . . . . . . . . . i) Zuordnung von Sicherungsgeschäften (§ 11 BsGaV) . . . . . . . j) Zuordnung von Dotationskapital für buchführungspflichtige Unternehmen aa) Dotationskapital inländischer Betriebsstätten ausländischer Unternehmen (§ 12 BsGaV) bb) Dotationskapital ausländischer Betriebsstätten inländischer Unternehmen (§ 13 BsGaV) . . . . . . . . . . . . . k) Zuordnung übriger Passivposten (§ 14 BsGaV) . . . . . . . . . . . . . . . . l) Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen (§ 15 BsGaV) . . . m) Besondere Zuordnungsregelungen für Banken (§§ 18–22 BsGaV) . . n) Besondere Zuordnungsregelungen für Versicherungen (§§ 23–29 BsGaV) . . . . . . . . . . . . o) Besondere Zuordnungsregelungen für Bau- und Montageaktivitäten (§§ 30–34 BsGaV) . . . p) Besondere Zuordnungsregelungen für Vertreterbetriebsstätten (§ 39 BsGaV) . . . . . . . . . . q) Besondere Zuordnungsregelungen für Förderaktivitäten (§§ 35–38 BsGaV) . . . . . . . . . . . . 6. Bestimmung der Art der Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Betriebsstätte (zweiter Schritt des AOA) und der Verrechnungspreise (Ebene der Gewinnermittlung) a) Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (§ 16 BsGaV) . . . . .

4.121 4.128 4.136

4.144

4.156 4.167 4.174 4.184 4.185 4.186 4.187 4.188

4.189

4.105 4.113

Andresen 159

Kap. 4 Rz. 4.1

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

b) Gewinnabgrenzung für die Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens (§ 17 BsGaV) . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Einkünftekorrektur (dritter Schritt des AOA) – außerbilanzielle Wirkungsebene (Rechtsfolge) des § 1 Abs. 5 AStG a) Einkünftekorrektur nach dem AOA in § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG . . b) Einschränkung durch DBA nach § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG . . . .

4.202

4.210 4.216

II. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA für vor dem 1.1.2015 beginnende Wirtschaftsjahre . . . . . .

4.222

E. Regeln der Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip . .

4.233

I. Einkünfteabgrenzung vor dem Veranlagungszeitraum 2000 . . . . . . .

II. Einkünfteabgrenzung in den ab dem 1.1.2000 beginnenden bis in die vor dem 31.12.2005 endenden Wirtschaftsjahre . . . . . . . . . . . . . . . .

4.249

III. Einkünfteabgrenzung für nach dem 31.12.2005 und bis zum 31.12.2012 endende Wirtschaftsjahre 1. Änderungen durch das SEStEG . . . . 2. Einführung der Zinsschranke durch das UntStReformG 2008. . . . . . . . . . 3. Ergänzende Vorschriften der Einkünfteabgrenzung durch das JStG 2010 mit Wirkung ab dem 27.8.2010 (BT-Drucks. 17/2823) . . .

4.271

F. Übersicht über die geltenden Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte(n) . . . . . . . . . . .

4.278

4.255 4.270

4.234

A. Paradigmenwechsel vom Veranlassungsprinzip zum Authorised OECD Approach 4.1 Paradigmenwechsel in der steuerlichen Gewinnermittlung und -abgrenzung für Betriebsstätten. Die Einführung des sog. Authorised OECD Approach in innerstaatliches Recht durch die Neuformulierung des § 1 Abs. 5 AStG im Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz1 mit Wirkung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, markiert einen Paradigmenwechsel in der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung. In der Vergangenheit ist der Rechtsanwender vom Gesetzgeber weitestgehend allein gelassen worden, wenn er über das durch Richterrecht für die zwischenstaatliche Einkünfteabgrenzung nutzbar gemachte Veranlassungsprinzip hinaus nach Hinweisen im Gesetz gesucht hat, wie die Einkünfte von in- bzw. ausländischen Betriebsstätten zu ermitteln bzw. von denen der Geschäftsleitungsbetriebsstätte (Stammhaus) und Betriebsstätten in anderen Staaten abzugrenzen sind.2 Bis zur Einführung der Societas Europaea („SE“) durch die am 8.10.2004 in Kraft getretene Verordnung (EG) Nr. 2157/20013 als supranationale Gesellschaftsform, die u.a. durch die grenzüberschreitende Verschmelzung zweier Rechtsträger als einen der möglichen Gründungsakte4 geschaffen wird und der daher die Notwendigkeit zur zwischenstaatlichen Einkünfteabgrenzung immanent ist, hat es im innerstaatlichen Recht außer dem Veranlassungsprinzip keine Vorschrift gegeben, die die Gewinnermittlung und/oder -abgrenzung von Betriebsstätten i.S.d. §§ 34d und 49 1 Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG) v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 ff. 2 Die Finanzverwaltung hat mit ihren BMF-Schreiben zu nachträglichen Einkünften v. 27.9.1982 – IV C 6 - S 2293-31/82, BStBl. I 1982, 771; zur Überführung von Wirtschaftsgütern v. 12.2.1990 – IV B 2 - S 2135-4/90, BStBl. I 1990, 72, zur Versteuerung stiller Reserven v. 3.6.1992, DB 1992, 1655 und zu den Verwaltungsgrundsätzen für Betriebsstätten v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076 nur begrenzt geholfen. 3 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) („VO Statut SE“), ABl. Nr. L 294 v. 10.11.2001, 1. 4 Vgl. Art. 2 Abs. 1 u. Art. 17 bis 31 VO Statut SE.

160

Andresen

A. Paradigmenwechsel

Rz. 4.1 Kap. 4

EStG ggf. i.V.m. § 8 KStG regelt. Die Einführung der Entstrickungs-Entnahme mit Ausgleichsposten für ins EU-Ausland überführte Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens (§ 4 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. § 4g EStG, § 12 Abs. 1 KStG) und der Verstrickungseinlage (§ 4 Abs. 1 Satz 7 [seit dem JStG 2010: Satz 8] Halbs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG) durch das SEStEG schließt für den kleinen Teilbereich der Entstrickung durch Überführung von Wirtschaftsgütern die bestehende Regelungslücke jedoch nur unzureichend.1 Symptomatisch für die Zeit davor sind insoweit die Rückgriffe der inländischen FG2 auf Art. 7 OECD-MA und dessen Auslegungshilfen, wenn es in Rechtsbehelfsverfahren um die Entwicklung von Regeln für die Ermittlung und Abgrenzung des Gewinns in- bzw. ausländischer Betriebsstätten gegangen ist. Dort wird insbesondere auf die direkte Methode des Art. 7 OECD-MA abgestellt, von der aus sich der BFH spätestens mit seinem Urteil vom 20.7.19883 zum Veranlassungsprinzip als Abgrenzungsmaßstab für Zwecke des innerstaatlichen Rechts entwickelt hat, dem auch die Finanzverwaltung mit Veröffentlichung der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze4 im Wesentlichen gefolgt ist. Das Abstellen auf Art. 7 OECD-MA in Tz. 2.2 der BS-VG, wo es um die Grundsätze der Aufteilung der Einkünfte geht, ist insoweit ebenso symptomatisch. Die Einführung der Fiktion des Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG gepaart mit der uneingeschränkten, rückwirkenden Anwendung5 des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG auf Zuordnungen von Wirtschaftsgütern zu ausländischen Betriebsstätten mit freizustellenden Gewinnen bzw. Verlusten und die Einführung der Entstrickungs-Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3a i.V.m. § 36 Abs. 5 EStG) beides durch das JStG 2010,6 das der Gesetzgeber nach der Aufgabe der finalen Entnahmetheorie7 und der Theorie der finalen Betriebsaufgabe8 durch den BFH formuliert hat, bilden eine weitere Zäsur in der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung. Parallel zu der langsamen Entwicklung des innerstaatlichen Rechts haben zunehmende Gewinnabgrenzungsprobleme zwischen Betriebsstätten in Verständigungsverfahren die OECD die Notwendigkeit erkennen lassen, präzisere Regeln für die Durchführung der Betriebsstätten-Gewinnabgrenzung insbesondere in Verständigungsverfahren zu formulieren, damit sonst drohende Doppelbesteuerungen vermieden werden können. Die seit 2001 andauernden Diskussionen zwischen den OECD-Staaten haben ihren Abschluss 2010 gefunden mit der Formulierung eines neuen Wortlautes für Art. 7 OECD-MA, einer grundlegenden Überarbeitung des OECD-MK zu Art. 7 OECD-MA und der Veröffentlichung des „2010 Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments“ („2010 PE Report“ = Betriebsstättenbericht 2010). Die dort für Abkommenszwecke entwickelte Verselbständigung der Betriebsstätte für steuerliche Zwecke vollzieht § 1 1 Vgl. zur Entwicklung des Entnahmebegriffs Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 476–491. 2 Vgl. BFH v. 27.7.1965 – I 110/63 S, BStBl. II 1966, 24 unter II.; v. 21.1.1972 – III R 57/71, BStBl. II 1972, 374 (375); v. 25.6.1986 – II R 213/83, BStBl. II 1986, 785 (786). 3 Vgl. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140 = FR 1988, 678 unter II.B.2.a. 4 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076 – Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze (geändert durch BMF v. 20.11.2000 – IV B 4 - S 1300-222/00, BStBl. I 2000, 1509; v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888 und v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980, Tz. 2.2. 5 Vgl. § 52 Abs. 8b EStG i.d.F. des JStG 2010; verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Rückwirkung äußert Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 486 m.w.N. 6 Vgl. Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1786 ff. 7 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149; Nichtanwendungserlass des BMF v. 20.5.2009, BStBl. I 2009, 671 (aufgehoben m.W.v. 31.12.2011 durch BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, 1407). 8 Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke u. v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432.

Andresen 161

Kap. 4 Rz. 4.2

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Abs. 5 AStG nach und schafft dadurch eine innerstaatliche Rechtsvorschrift zur Anwendung des Authorised OECD Approach auf in- und ausländische Betriebsstätten für die Ermittlung von deren Einkünften bzw. deren zu versteuerndem Einkommen. Die nachfolgende Kommentierung setzt sich schwerpunktmäßig mit dem insoweit seit 2006 neu geschaffenen Recht auseinander (s. insoweit Rz. 4.30 ff.). Hinsichtlich der Gewinnermittlung bzw. -abgrenzung unter dem Veranlassungsprinzip vor dem 1.1.2013 bzw. 20151 sei auf Abschnitt E. verwiesen (s. Rz. 4.233 ff.); für die Zeit vor dem 1.1.2006 sei auf das Kapitel 2. der Vorauflage verwiesen.

B. Begriffe 4.2 Gewinnermittlung für einkommen- und körperschaftsteuerliche Zwecke. Der Begriff der Gewinnermittlung bezeichnet die Anwendung der Rechtsvorschriften des nationalen Steuerrechts, nach denen der steuerliche Gewinn i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 und des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG zu ermitteln ist (s. dazu Rz. 4.9 ff.). Die Gewinnermittlung ist ein Prozess, der sich in zwei Stufen vollzieht.2 Entsprechend ist innerhalb der Gewinnermittlung zwischen der Unterschiedsbetragsermittlung und den Korrekturvorschriften zu unterscheiden. Die Unterschiedsbetragsermittlung umfasst die Anwendung der Rechtsvorschriften des nationalen Steuerrechts, nach denen der Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (1. Stufe) zu ermitteln ist (s. dazu Rz. 4.13 ff.). Das sind vor allem alle handelsund steuerrechtlichen Vorschriften, die die Bilanzierung regeln. Als Korrekturvorschriften werden die Vorschriften bezeichnet, die im Rahmen der Gewinnermittlung den Unterschiedsbetrag (1. Stufe) durch Hinzurechnungen und Kürzungen erhöhen oder vermindern (s. dazu Rz. 4.16 ff.).3 Diese Korrekturen vollziehen sich grundsätzlich außerhalb der Steuerbilanz.4 Zu ihnen zählen u.a. die Entnahme einschließlich Entstrickungs-Entnahme und -Betriebsaufgabe, die Einlage einschließlich Verstrickungseinlage, die verdeckte Gewinnausschüttung, die verdeckte Einlage, grundsätzlich auch § 1 AStG,5 Gegenberichtigungen i.S. Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010,6 i.S.d. Art. 5 SchÜ und in Ausnahmefällen7 auch i.S.d. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA, die nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben einschließlich Überentnahmen, Hinzurechnungen nach § 4h EStG/§ 8a KStG und steuerfreie Betriebseinnahmen bzw. Einkünfte. Die Anwendung von Korrekturvorschriften vollzieht sich auf der sog. 2. Stufe der Gewinn1 Angesichts der Tatsache, dass die BsGaV erst für Wirtschaftsjahre gilt, die nach dem 31.12.2014 beginnen, dürfte die Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG i.d.F. des AHRilUmsG nicht an den spezifischen Regelungen der BsGaV gemessen werden. 2 Vgl. Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 109 unter Verweis auf das BFH v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123 = FR 1997, 311; Wassermeyer, StbJb. 1998/99, 141 (157). 3 Vgl. Wassermeyer, GmbHR 2002, 617; Mössner in FS Wassermeyer, 63, 64 ff.; Wassermeyer, IStR 2001, 633 ff. 4 Vgl. BFH v. 16.5.2001 – I B 143/00, BStBl. II 2002, 436 = FR 2001, 954 m. Anm. Weber-Grellet. Dies kann jedoch für § 1 Abs. 5 AStG insoweit nicht gelten, als Zuordnungsänderungen in der Steuerbilanz die Rechtsfolge des § 1 Abs. 5 Satz 3 ff. AStG sind; zur Begründung s. Rz. 4.46, 4.50 f. 5 Zur Ausnahme bei den Rechtsfolgen bilanzieller Korrekturen durch veränderte Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach § 1 Abs. 5 AStG s. Rz. 4.51. 6 Vgl. zum erstmaligen Abschluss eines Art. 7 nach dem Muster des OECD-MA 2010: DBA-Liechtenstein 2011, BStBl. I 2013, 488; s. dazu Niehaves/Beil, DStR 2012, 209 (210); Kuntschik/Bödefeld, IStR 2012, 137 (139). 7 Siehe zu den Schwierigkeiten bei der Vermeidung der Doppelbesteuerung in triangulären Fällen mangels Personeneigenschaft der Betriebsstätte Rz. 4.28.

162

Andresen

B. Begriffe

Rz. 4.4 Kap. 4

ermittlung (s. dazu Rz. 4.16, 4.17). Der ermittelte Gewinn eines Betriebes kann in verschiedene Teile aufzuteilen sein, die ihrerseits unterschiedlichen Besteuerungsfolgen unterliegen (s. dazu Rz. 1.14, 4.9). Die unterschiedlichen Besteuerungsfolgen können eine Steuerbefreiung, eine Steuerermäßigung, eine besondere tarifliche Behandlung (Progressionsvorbehalt), ein Abzugsverbot oder die fehlende Steuerbarkeit sein. Man spricht insoweit auch von Gewinnabgrenzung (s. Rz. 4.5), d.h., die Gewinnabgrenzung hat zum Ziel, einen Teilbetrag des Gesamtgewinns zu ermitteln, für den eine besondere Rechtsfolge vorgesehen ist. Davon zu unterscheiden ist die sog. Atomisierung von Einkünften für Zwecke der Anwendung von Subject-to-Tax-Klauseln, wie sie das BMF-Schreiben vom 20.6.20131 vorsieht.2 Gewinnermittlung für gewerbesteuerliche Zwecke; Gewerbesteuerfreiheit ausländischer Repräsentanzen und Hilfsbetriebsstätten. Der Steuergegenstand der Gewerbesteuer ist jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird.3 Daraus folgt, dass auch ausländische Repräsentanzen oder Hilfsbetriebsstätten nicht der Gewerbesteuer unterliegen, weil insoweit kein Gewerbebetrieb im Inland betrieben wird.4 Folglich haben inländische Steuerpflichtige bspw. nicht nur ihren Mietaufwand für diese ausländischen Repräsentanzen oder Hilfsbetriebsstätten in den Erhebungszeiträumen ab 2008 nach § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG dem Gewinn aus Gewerbebetrieb i.S.d. § 7 Satz 1 GewStG nicht zur Hälfte hinzuzurechnen,5 sondern vielmehr und auch schon vor dem Erhebungszeitraum, für das das JStG 2008 gilt, diesen Gewinn aus Gewerbebetrieb um diejenigen Erträge und Aufwendungen zu korrigieren, die auf ausländische Repräsentanzen und andere Hilfsbetriebsstätten i.S.d. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA entfallen. Erträge und Aufwendungen, die durch ausländische Repräsentanzen und Hilfsbetriebsstätten veranlasst sind, gehören nicht zum inländischen Gewerbebetrieb und unterliegen daher nicht der Gewerbesteuer. Gleiches gilt wegen § 9 Nr. 2 und Nr. 3 GewStG, die insoweit jedoch vor allem deklaratorische Bedeutung haben, auch für ausländische Betriebsstätten oder Gewinnanteile ausländischer Personengesellschaften. Die GewerbesteuerRichtlinien 2009 enthalten in R 2.9 und H 7.1 (1) Hinweise auf die gebietsmäßige Begrenzung der Besteuerung auf das Inland und zum anzuwendenden Betriebsstättenbegriff (§ 12 AO),6 gehen jedoch nicht auf Repräsentanzen oder Hilfsbetriebsstätten und die durch sie veranlassten Erträge und Aufwendungen ein, die zwar für die Einkommen- und Körperschaftsteuer im Inland, jedoch nicht für die GewSt zu berücksichtigen und insoweit aus dem Gewinn aus Gewerbebetrieb auszuscheiden sind (s. Kapitel 11 Abschnitt J. zur Gewinnermittlung bei Repräsentanzen, Hilfs- und Dienstleistungsbetriebsstätten; Rz. 11.438).

4.3

Einkünfteabgrenzung (Gewinnabgrenzung). Die Einkünfteabgrenzung bezeichnet die Anwendung der Rechtsvorschriften des nationalen Steuerrechts und des Doppelbesteuerungsrechts, die in ihrem Zusammenwirken mit den Vorschriften der Unterschiedsbetragsermittlung und den Korrekturvorschriften eine angemessene Abgrenzung des Vermögens und des

4.4

1 2 3 4

Vgl. BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980. Vgl. zur Kritik daran Lüdicke, IStR 2013, 721. § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG. Auch die inländische Vertreterbetriebsstätte eines ausländischen Prinzipals unterliegt mangels stehenden Gewerbebetriebes im Inland nicht der Gewerbesteuer. 5 Die Vorlage des FG Hamburg (v. 29.2.2012 – 1 K 138/10) zur Prüfung der Verfassungswidrigkeit dieser Hinzurechnung hat das BVerfG als unzulässig abgewiesen; vgl. BVerfG v. 15.2.2016 – 1 BvL 8/12, BStBl. II 2016, 557. 6 Anders zu § 9 Nr. 3 GewStG FG Köln v. 7.5.2015 – 10 K 73/13, IStR 2015, 794. Es fehlt in dem Urteil jedoch die Auseinandersetzung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GewStG; s. zur Kritik an dem in der Zwischenzeit vom BFH (s. Rz. 11.443) aufgehobenen Urteil des FG Köln: Lüdicke, IStR 2015, 770 ff.; Becker/Loose, Ubg 2015, 520 ff.

Andresen 163

Kap. 4 Rz. 4.5

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Gewinns (Verlusts) in- oder ausländischer Betriebsstätten nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes gewährleisten sollen (s. dazu Rz. 1.14, 1.32). Bei der Vermögensabgrenzung ist zwischen der Erstzuordnung von Wirtschaftsgütern, Schulden und Eigenkapitalpositionen bei Einführung des AOA, der Zuordnungsänderung und der Zuordnung von Wirtschaftsgütern bei laufenden Geschäftsvorfällen zu unterscheiden. Die Zuordnung von Wirtschaftsgütern bei laufenden Geschäftsvorfällen ist nicht mehr der Gewinnermittlung, sondern bereits dem Bereich der Gewinnabgrenzung zuzurechnen (s. Rz. 4.121 ff.). Die Einkünfteabgrenzung kann sich nach den Regeln der direkten, der indirekten oder einer gemischten Methode vollziehen (s. dazu Rz. 4.7). Die Einkünfteabgrenzung kann auch mit dem Oberbegriff „Gewinnabgrenzung“ bezeichnet werden, da der Gewinn in den meisten Fällen die Erfolgsgröße ist, die zwischen Stammhaus und Betriebsstätte(n) im Rahmen der Einkünfteabgrenzung aufgeteilt wird. Dies bedeutet nicht, dass die Abgrenzung sich auf der Basis eines Nettobetrages vollziehen müsste, sondern dass Erträge und Aufwendungen ggf. anteilig zugerechnet werden (Bruttoprinzip; s. Rz. 1.18).

4.5 Gewinnabgrenzung (Gewinnaufteilung). Als Gewinnabgrenzung wird die Aufteilung (Segmentierung, De-Konsolidierung) der Bilanz und der GuV des Einheitsunternehmens auf Stammhaus und Betriebsstätte(n) bezeichnet. Sie ist nicht die einzige Technik, einen Betriebsstättengewinn von dem übrigen Unternehmensgewinn abzugrenzen. Der Betriebsstättengewinn kann auch durch das Aufstellen einer separaten Betriebsstättenbilanz und GuV ermittelt werden (Gewinnermittlung im engeren Sinne), wobei die dabei entstehenden Fragen der Gewinnabgrenzung bereits bei dem Aufstellen der separaten Betriebsstättenbilanz und GuV im Wege der Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Schulden und der Zurechnung von Erträgen und Aufwendungen oder Teilen derselben zu klären sind. Der direkten Methode entspricht es, die Erträge und die Aufwendungen jeweils als Bruttobeträge – ggf. anteilig – den Betriebsstätten zuzuordnen (s. auch Rz. 1.18). Ausnahmsweise zulässig ist aber auch, den Gewinn als Nettobetrag aufzuteilen. In der Regel ist dies gleichzusetzen mit der Anwendung einer indirekten Methode (s. dazu Rz. 1.17, 1.18).

4.6 Abgrenzung der Gewinnermittlung von der Gewinnabgrenzung. Nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA sollen die Gewinne des Stammhauses und einer Betriebsstätte bzw. die Gewinne mehrerer Betriebsstätten untereinander nach dem sog. „dealing-at-arm’s-length“-Grundsatz (s. zum Begriff Rz. 1.34) – ab 2010 bei entsprechendem Abkommenstext in der Ausprägung des Authorised OECD Approaches – abgegrenzt werden. Bei dem „dealing-at-arm’s-length“Grundsatz handelt es sich um einen abkommensrechtlichen Aufteilungsmaßstab, der einerseits als Erlaubnis- und andererseits als Beschränkungsnorm zu verstehen ist. Die beteiligten Vertragsstaaten dürfen einerseits die Besteuerungsrechte ausschöpfen, die ihnen der „dealingat-arm’s-length“-Grundsatz einräumt. Sie müssen sie jedoch nicht ausschöpfen. Andererseits dürfen die Vertragsstaaten Besteuerungsrechte nicht wahrnehmen, die mit dem „dealing-atarm’s-length“-Grundsatz nicht in Einklang stehen, der durch § 2 AO im Inland unmittelbar anwendbares (Schranken-)Recht ist.1 Daraus folgt, dass die DBA nicht die Ermittlung der Unternehmensgewinne selbst regeln. Die Gewinnermittlung ist ausnahmslos in den einschlägigen innerstattlichen Rechtsvorschriften geregelt.2 Deren zunehmende Divergenz bietet jedoch Anlass zur Sorge (s. exemplarisch Rz. 4.2 „Atomisierung von Einkünften“/sog. „items of income“, Rz. 4.222 ff. und Rz. 11.162 „Bankenabgabe“), da daraus resultierende Doppelbesteuerungen grundsätzlich nicht durch eine Gegenberichtigung i.S.d. Art. 7 Abs. 3

1 Vgl. Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.5, 19.49 ff. 2 Vgl. Andresen/Kiesel, DStR 2011, 745 m.w.N.

164

Andresen

B. Begriffe

Rz. 4.6 Kap. 4

und Art. 9 Abs. 21 OECD-MA 2010 bzw. Art. 5 SchÜ oder Verständigungsverfahren i.S.d. Art. 25 OECD-MA 2010 aufgelöst werden können. Ein aktuelles Beispiel dafür mag die steuerliche Abzugsfähigkeit oder Nicht-Abzugsfähigkeit von Bankenabgaben in verschiedenen europäischen Ländern sein. So gesehen ist Art. 7 Abs. 2 OECD-MA dem Bereich der Gewinnabgrenzung2 und nicht dem Bereich der Gewinnermittlung zuzuordnen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Art. 7 Abs. 2 eines der deutschen DBA eine nach § 1 Abs. 5 AStG vorgenommene (geänderte) Vermögenszuordnung, die sich in der Steuerbilanz vollzieht (s. Rz. 4.39), auf Grundlage des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG wieder rückgängig macht, weil die Zuordnung nicht den abkommensrechtlichen Zuordnungsgrundsätzen entspricht. Entsprechend kann Art. 7 Abs. 2 eines jeweils einschlägigen DBA Deutschlands § 1 Abs. 5 AStG insoweit begrenzen, als dessen Wortlaut noch nicht den AOA des OECD-MA 2010 enthält und daher eine Verselbständigung der Betriebsstätte nur eingeschränkt zulässt. Die entsprechenden Regelungen zur Gewinnermittlung ergeben sich nur aus dem innerstaatlichen Recht der Vertragsstaaten,3 wobei jeder Vertragsstaat sein eigenes Gewinnermittlungsrecht normiert und anwendet, das mit dem des anderen Vertragsstaates nicht übereinstimmen muss. Dementsprechend verstehen die beiden Vertragsstaaten regelmäßig unter dem steuerlichen Gewinn eines Unternehmens bzw. dessen Betriebsstätten unterschiedliche Beträge. In vielen Staaten, insbesondere denen, die nicht die Freistellungs-, sondern die Anrechnungsmethode anwenden, ist das Bewusstsein über die daraus resultierenden Schwierigkeiten nicht besonders ausgeprägt,4 es sei denn, der Anrechnungsbetrag beim Stammhaus ist wegen abweichender Bemessungsgrundlagen deutlich kleiner als die tatsächliche Steuer der ausländischen Betriebsstätten.5 Gedanklich geht es darum, dass die Vertragsstaaten entweder eine isolierte Ermittlung des Betriebsstättengewinns oder aber die Aufteilung des Gesamtgewinns eines Unternehmens in einen Stammhausgewinn und in einen oder mehrere Betriebsstättengewinn(e) vorschreiben können. In der Praxis wird häufiger letztere Methode angewendet, d.h., es wird zunächst der Gesamtgewinn eines Betriebes nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht ermittelt, um anschließend den ermittelten Gewinn in Gestalt der Erträge und Aufwendungen (Bruttoprinzip; s. Rz. 1.18) auf Stammhaus und Betriebsstätte(n) aufzuteilen. § 90 Abs. 3 Satz 4 AO6 spricht in diesem Kontext bezogen auf ein inländisches Unternehmen mit ausländischer Betriebsstätte von einer „Gewinnaufteilung“ und bezogen auf die inländische Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens von „Betriebsstättengewinnermittlung“ (s. Rz. 1.18). Art. 7 Abs. 2 OECD-MA regelt demnach nur die Gewinnabgrenzung zwischen den betroffenen Vertragsstaaten und nicht etwa die Gewinnermittlung dem Grunde und der Höhe nach im engeren Sinne. Die Vertragsstaaten müssen deshalb den internationalen „dealing-at-arm’s-length“-Grundsatz als Aufteilungsmaßstab (Abgren1 Siehe zur eingeschränkten Anwendung des Art. 9 Abs. 2 OECD-MA 2010 bei Betriebsstätten Rz. 4.28. 2 Im Schrifttum wird die Gewinnabgrenzung auch als Gewinnzurechnung, Gewinnzuordnung, Gewinnaufteilung, Einkünftezurechnung, Einkünfteabgrenzung, Erfolgsabgrenzung u.a.m. bezeichnet. Zwischen den Begriffen besteht kein materieller Unterschied. 3 Vgl. Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 26; Fink, RIW 1988, 43; Debatin, DB 1989, 1692 (1695); Hemmelrath in V/L6, Art. 7 OECD-MA Rz. 21; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 159; Niehaves in Haase3, Art. 7 OECD-MA Rz. 52; Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECDMA Rz. 36; Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 42. 4 Ein Beispiel ist Großbritannien, das Steuerpflichtigen ab 2012 den Übergang zur Freistellungsmethode erlaubt, was dort das Bewusstsein für Abgrenzungsfragen dieser Art schärfen wird. 5 Ein Beispiel dafür ist die Nichtanerkennung von Rückversicherungsverträgen für steuerliche Zwecke im australischen Steuerrecht; s. dazu Rz. 5.4. 6 In der Fassung des StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660 = BStBl. I 2003, 321.

Andresen 165

Kap. 4 Rz. 4.7

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

zungsmaßstab) nur bei der Gewinnabgrenzung beachten (s. Rz. 5.2). Der Aufteilungsmaßstab bestimmt die Grenzen, in denen die beiden Vertragsstaaten ihr Besteuerungsrecht ausüben können. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA findet also erst im Zuge der Abgrenzung (Aufteilung) des nach dem innerstaatlichen Recht des Anwenderstaates ermittelten Gewinns auf die vorhandenen Betriebsstätten Anwendung und ggf. erst dann, wenn eine Finanzverwaltung die Angemessenheit der Betriebsstätteneinkünfte einer Prüfung unterzieht.1 Dies gilt auch für die Zeit nach Einführung des Authorised OECD Approach uneingeschränkt. Die dem „dealingat-arm’s-length“-Grundsatz zugrunde liegende Fiktion der Selbständigkeit und der Unabhängigkeit der Betriebsstätte hat durch den Authorised OECD Approach und den geänderten Wortlaut des Art. 7 OECD-MA eine stärkere Akzentuierung erfahren (s. dazu Rz. 5.10, 5.56) und ist bei entsprechender Umsetzung in innerstaatliches Recht bereits bei der Gewinnermittlung zu beachten. Die Betriebsstättengewinnermittlung durch das Aufstellen gesonderter Betriebsstättenbilanzen darf zu keinem anderen Ergebnis als die Abgrenzung des Betriebsstättengewinns aus dem Gesamtgewinn des Unternehmens führen. In die Gewinnabgrenzung gehen deshalb die Grundsätze der Gewinnermittlung ein.

4.7 Verschiedene Formen der Einkünfteabgrenzung. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Gewinn einer Betriebsstätte von dem übrigen Unternehmensgewinn abzugrenzen. Zum einen kann auf der Grundlage der sog. direkten Methode (s. dazu Rz. 5.10) eine gesonderte Betriebsstättenbilanz und -GuV erstellt werden, aus denen sich der Betriebsstättengewinn ergibt. Im praktischen Ergebnis bedeutet dies, dass der Betriebsstätte nach dem Fremdvergleichsgrundsatz i.S.d. AOA einerseits Erträge (Außenumsätze) und andererseits Aufwendungen ggf. anteilig zuzurechnen und in der Betriebsstätten-GuV auszuweisen sind. Insoweit handelt es sich um eine Bruttomethode. Die Erträge und Aufwendungen sind zu ihrem jeweiligen Realisationszeitpunkt in der Betriebsstätten-GuV anzusetzen. Der Realisationszeitpunkt bestimmt sich nach dem innerstaatlichen Recht des Staates, nach dessen Recht der Betriebsstättengewinn zu ermitteln ist. Wichtig ist, dass in der Betriebsstätten-GuV – in Übereinstimmung mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dessen Konkretisierung durch Leistungsfähigkeitsindikatoren, wie z.B. das Einkommen (Reinvermögenszugang i.S.d. Markteinkommensprinzips)2 – nur tatsächlich realisierte Erträge und nur tatsächlich angefallene Aufwendungen angesetzt werden können. Es dürfen keine fiktiven Erträge oder fiktiven Aufwendungen angesetzt werden. Dieser Grundsatz wird jedoch durch den AOA und zahlreiche in der Zwischenzeit vom EuGH europarechtlich sanktionierte Entstrickungsregeln mit einer aufschiebenden Besteuerung mittels Ansatzes von Korrekturposten durchbrochen (s. z.B. Rz. 4.255 ff.). Es ist jedoch ebenso möglich, jede Position der Bilanz und der GuV des Gesamtunternehmens auf die verschiedenen Unternehmensteile ggf. anteilig nach Veranlassungsgesichtspunkten aufzuteilen und daraus eine Betriebsstättenbilanz und Betriebsstätten-GuV abzuleiten. Auch insoweit handelt es sich um eine Aufteilung nach Bruttobeträgen (s. Rz. 1.18). Schließlich ist es denkbar, den Gewinn des Gesamtunternehmens als Nettobetrag nach einem bestimmten Schlüssel nach den Grundsätzen der indirekten Methode (s. dazu Rz. 5.78) auf die verschiedenen Unternehmensteile aufzuteilen. Diese Methode gilt als ungenau, weil das Finden eines angemessenen Aufteilungsschlüssels regelmäßig problematisch ist. Die entsprechende Diskussion über die Einführung der GKKB, die im Übrigen eine dem Authorised OECD Approach diametral entgegenstehende Philosophie verfolgt – und das für Unternehmensgruppen mit eigenständigen Unternehmen bzw. Gesellschaften – belegt die mit Aufteilungsschlüsseln verbundenen Schwierigkeiten in einer dem Leistungsfähigkeitsprinzip verpflichteten globalen Steuerwelt. Letztlich gibt es auch gemischte Methoden, bei denen Wirtschaftsgüter, Erträge 1 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 185. 2 Vgl. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht22, § 4 Rz. 91, 108; Tipke in StRO I2, 478–503.

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B. Begriffe

Rz. 4.8 Kap. 4

und Aufwendungen vorrangig direkt und brutto zugeordnet werden. Nicht eindeutig zuordenbare verbleibende Beträge werden im Schätzungswege aufgeteilt. Die schätzungsweise Aufteilung kann sich sowohl auf Brutto- als auch auf Nettoteilbeträge beziehen. Gewinnermittlung vor Einkünfteabgrenzung (Gewinnabgrenzung).1 Meinungsstreit besteht darüber, ob die Einkünfteabgrenzung (Gewinnabgrenzung) der Gewinnermittlung vorangeht oder ihr nachfolgt. Becker2 ordnet die Einkünfteabgrenzung (Gewinnabgrenzung) dem Vorfeld der nationalen Besteuerung zu, was dafür spricht, dass sie der Gewinnermittlung vorangeht. Ähnlich meint Debatin,3 dass man erst dann zu der Frage komme, wie der zurechenbare Gewinn zu ermitteln sei, wenn feststehe, dass die Gewinnerzielung der Betriebsstätte zuzuordnen sei. Noch deutlicher formuliert Haiß,4 dass erst die Einkünfteabgrenzung (Gewinnabgrenzung) nach Abkommensrecht die Voraussetzungen dafür schaffe, die Gewinnermittlung überhaupt durchführen zu können. Dies stellt jedoch die Wirkungsweise der Einkommensermittlung auf den Kopf. Offenbar geht Haiß davon aus, dass steuerfreie Gewinne nicht zu ermitteln sind. Anderer Ansicht ist Wassermeyer,5 für den die Gewinnabgrenzung ein nach den allgemeinen Grundsätzen ermitteltes Ergebnis im Rahmen der Gewinnermittlung voraussetzt. Nach seiner Auffassung ist nur der zuvor nach den allgemeinen nationalen Vorschriften ermittelte Gewinn abzugrenzen. Ähnlich betrachtet Schaumburg6 die Einkünfteermittlung als der Einkünftezuordnung vorgelagert. Diese Auffassung sollte auch der von Buciek7 und Mutscher8 entsprechen. Die unterschiedlichen Auffassungen beruhen offensichtlich auf einem anderen Verständnis der verwendeten Begriffe. Während Becker und Debatin den Begriff der Gewinnabgrenzung im Sinne einer Einkünfteabgrenzung und damit als Oberbegriff für alle Korrekturmaßnahmen zur steuerlich zutreffenden Bestimmung des Betriebsstättengewinns bezeichnen, versteht Wassermeyer unter dem Begriff der Gewinnabgrenzung lediglich die Ableitung des Betriebsstättenergebnisses aus der Bilanz und GuV des Einheitsunternehmens. Richtigerweise sind zwei Fragen auseinanderzuhalten. Zunächst ist darüber zu entscheiden, ob der Betriebsstättengewinn durch das Aufstellen einer gesonderten Betriebsstättenbilanz zu ermitteln oder aus der Bilanz des Gesamtunternehmens abzuleiten ist (Gewinnermittlung im engeren Sinne vs. Gewinnabgrenzung im Sinne einer Gewinnaufteilung). Im ersteren Fall stellt sich die Vorrangfrage nicht, weil die Fragen der Einkünfteabgrenzung bereits im Rahmen der Gewinnermittlung im engeren Sinne zu klären sind. Sie vollzieht sich auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung durch Anwendung der Korrekturvorschriften. Im letzteren Fall (Gewinnabgrenzung) müssen dagegen zunächst die Bilanz und GuV des Einheitsunternehmens erstellt werden, um aus ihr die Betriebsstättenbilanz und -GuV ableiten zu können. Die hier behandelte Vorrangfrage betrifft auch die, ob der gesamte Unternehmensgewinn oder nur der Betriebsstättengewinn der innerstaatlichen Steuerpflicht unterliegt (s. Rz. 1.14, 4.2). Unterliegt der gesamte Unternehmensgewinn der innerstaatlichen Steuerpflicht, so zwingt dies regelmäßig dazu, den Gewinn des Gesamtunternehmens dem zuständigen Finanzamt zu erklären und deshalb auch zu ermitteln. Dies 1 Der Begriff der Gewinnabgrenzung wird hier als Oberbegriff gebraucht und nicht wie in dieser Kommentierung als Definition der Vorgehensweise für das Ableiten der Betriebsstättenbilanz und -GuV aus der des Einheitsunternehmens. 2 Vgl. Becker, DB 1990, 392 (394). 3 Vgl. Debatin, DB 1989, 1692 (1695). 4 Vgl. Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 26. 5 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 185. 6 Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.25. 7 Vgl. Buciek in Piltz/Schaumburg, Internationale Betriebsstättenbesteuerung, 53. 8 Vgl. Mutscher, Die Kapitalstruktur von Betriebsstätten, 9 ff.

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4.8

Kap. 4 Rz. 4.9

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

gilt insbesondere dann, wenn der Unternehmer unbeschränkt steuerpflichtig und auf ihn das Welteinkommensprinzip anzuwenden ist.1 Der unbeschränkt steuerpflichtige Unternehmer muss auch seine steuerfreien Einkünfte ermitteln und erklären. Aufzuteilen ist dann regelmäßig der ermittelte Gesamtgewinn. Die Summe der Teilgewinne, die im Wege der Abgrenzung dem Stammhaus und der (oder den) Betriebsstätte(n) zuzuordnen sind, muss in jedem Veranlagungszeitraum dem Gesamtgewinn des Unternehmens in diesem Zeitraum entsprechen (s. auch Rz. 1.29).2 Wäre das nicht der Fall, würde dies nicht dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechen. Dabei muss bei der Einkünfteabgrenzung insoweit auf die Gewinnermittlung zurückgegriffen werden, als alle dort angesetzten Erträge (Vermögensmehrungen) oder Aufwendungen (Vermögensminderungen) einem bestimmten Unternehmensteil unter Fremdvergleichsgesichtspunkten zugerechnet werden müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Gewinnabgrenzung der Gewinnermittlung insoweit vorgehe.3 Unterliegt nur der Betriebsstättengewinn der innerstaatlichen Steuerpflicht, so kann das innerstaatliche Steuerrecht die Ermittlung nur des Betriebsstättengewinns vorschreiben (s. Rz. 1.11). In diesem Fall ist eine Gewinnabgrenzung entbehrlich bzw. sie vollzieht sich im Rahmen der Gewinnermittlung. Aus Gleichbehandlungs- und Nichtdiskriminierungsgründen dürfen jedoch die inländischen Einkünfte bei der Gewinnermittlung im engeren Sinne nicht nach anderen Grundsätzen als im Fall der Gewinnabgrenzung (Gewinnaufteilung) ermittelt werden. Die Grundsätze der Einkünfteabgrenzung sind deshalb schon innerhalb der isolierten Betriebsstättengewinnermittlung zu beachten. Anders ausgedrückt kann dasselbe Ergebnis auf zwei verschiedene Methoden ermittelt werden, wenn sich die unterschiedlichen Methoden nur an den gleichen Zuordnungskriterien orientieren.

C. Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung und -abgrenzung I. Innerstaatliches Recht 4.9 Allgemeine rechtliche Grundlagen der Betriebsstättengewinnermittlung. Die Rechtsgrundlagen der Betriebsstättengewinnermittlung sind im innerstaatlichen Recht des Staates definiert, der den Steuerpflichtigen zu einer Gewinnermittlung verpflichtet (s. Rz. 1.13 ff.). Dies gilt gleichermaßen für die Ermittlung der Höhe des sachlich steuerpflichtigen oder steuerfreien Gewinns, für die Steuerbarkeit des Gewinns, und für den Zeitpunkt der steuerlichen Erfassung bestimmter Vermögensmehrungen oder -minderungen.4 Einkünfte sowohl einer inländischen als auch einer ausländischen Betriebsstätte sind für Zwecke der Besteuerung im Inland nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln, wenn derjenige, der die Einkünfte erzielt, unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist.5 Voneinander abweichende Gewinnermittlungsvorschriften in zwei Staaten können dabei zu Doppelbesteuerungen führen, die noch nicht einmal durch Gegenberichtigungen, Verständigungsverfahren oder andere bi-

1 Vgl. zu den Implikationen einer konsequenten Transformierung des Authorised OECD Approach in innerstaatliches Recht und den damit notwendigerweise einhergehenden Brüchen mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip oder dem Welteinkommensprinzip Rz. 4.9. 2 Gl.A. Rädler, CDFI 1973, Bd. II, 7 (11); Bähr, Gewinnermittlung, 4; a.A. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 8 (s. zur Kritik daran Rz. 5.7). 3 A.A. Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 53. 4 Vgl. Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung, 49 (50). 5 Vgl. BFH v. 13.9.1989 – I R 117/87, BFHE 158, 340 = BStBl. II 1990, 57 = FR 1990, 58; v. 22.5.1991 – I R 32/90, BFHE 165, 197 = BStBl. II 1992, 94 = FR 1991, 724.

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C. Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung und -abgrenzung

Rz. 4.9 Kap. 4

laterale Verfahren zur Beseitigung der doppelten Besteuerung vermieden werden.1 Dies gilt z.B. für nicht abzugsfähige Betriebsausgaben, deren Umfang zwischen den Staaten variieren kann. Sowohl die unbeschränkte als auch die beschränkte Steuerpflicht natürlicher Personen knüpfen hinsichtlich des Umfangs der Besteuerung im Inland an den Terminus der „Einkünfte“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG bzw. den Terminus der „inländischen Einkünfte“ i.S.d. § 49 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG oder – bei anzuwendender Anrechnungs- oder Freistellungsmethode2 – an den Terminus der „ausländischen Einkünfte i.S.d. § 34d EStG an. Für die Besteuerung juristischer Personen richtet sich der Umfang der Besteuerung nach den Einkünften (§ 1 Abs. 2 KStG) bzw. den inländischen Einkünften (§ 2 KStG), deren Ermittlung sich nach den Vorschriften des EStG ergänzt durch jene des KStG und ggf. des UmwStG bestimmt.3 Danach hat jedes Steuersubjekt im Rahmen seiner Steuererklärungspflicht4 eine Ermittlung der Einkünfte getrennt nach Einkunftsarten – ggf. sogar innerhalb derselben Einkunftsart für einzelne Betriebe getrennt – durchzuführen. Soweit Einheitsunternehmen mit ausländischen Betriebsstätten Gewinneinkünfte i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG erzielen, sind diese nach Maßgabe der §§ 4 bis 7k EStG ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG zu ermitteln.5 Für nicht buchführungspflichtige Steuerpflichtige und für andere Einkunftsarten sind die Einkünfte jeweils der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten, die ggf. bei gleichzeitiger Führung eines Verzeichnisses über das Anlage- und Umlaufvermögen zu ermitteln sind. Endpunkt der Gewinnermittlung für einkommen- und körperschaftsteuerliche Zwecke bei den Gewinneinkünften ist der Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, der mit dem Gewinn i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG identisch ist und gleichzeitig die Grundlage für die Ermittlung der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage bildet (§ 7 GewStG).6 Die korrespondierende Größe bei den Überschusseinkünften ist der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Ist der Inhaber der Betriebsstätte im Inland beschränkt steuerpflichtig, so sind die Einkünfte der inländischen Betriebsstätte ebenfalls nach inländischen Vorschriften zu ermitteln. Die Einkünfte sind nach §§ 4 bis 7k EStG ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG (Gewinneinkünfte) oder nach Maßgabe der §§ 8 bis 9a EStG (Überschusseinkünfte) zu ermitteln. § 50 Abs. 1 EStG ist zu beachten. Im Unterschied zur unbeschränkten Steuerpflicht bleibt die Ermittlungspflicht auf die Einkünfte begrenzt, die der inländischen Betriebsstätte zuzurechnen sind. Dazu können auch ausländische Einkünfte, z.B. Dividenden- oder Lizenzeinkünfte, und ausländisches Vermögen gehören. Bei der Gewinnermittlung von juristischen Personen sind die Vorschriften des KStG ergänzend anzuwenden.7 Unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 EStG ist zusätzlich der sog. Maßgeblichkeitsgrundsatz mit seinen in § 5 Abs. 2 bis 6 EStG geregelten Durchbrechungen zu beachten. Die durch das BilMoG herbeigeführte Aufgabe der umgekehrten Maßgeblichkeit und die größere Anzahl von Durchbrechungen des grundsätzlich fortgesetzt gültigen Maßgeblich-

1 Vgl. dazu Andresen/Kiesel, DStR 2011, 745; aber auch Nr. 4 Buchst. b des Protokolls zum DBAAustralien 1972, die für Versicherungsgeschäfte mit Ausnahme von Lebensversicherungsgeschäften Besonderheiten vorsieht; s. dazu Rz. 5.4. 2 Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass § 34d Satz 1 EStG den Begriff nur für § 34c Abs. 1–5 und nicht Abs. 6 EStG definiert, da keine andere passende Rechtsgrundlage erkennbar ist. 3 Vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. R 32 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 KStR 2004. 4 Vgl. § 149 Abs. 1 AO i.V.m. § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG und für körperschaftsteuerpflichtige Personen i.V.m. § 31 Abs. 1 KStG und für die Gewerbesteuer i.V.m. § 14a GewStG. 5 Vgl. zuletzt BFH v. 10.8.2011 – I R 45/10, FR 2012, 318 = IStR 2012, 155. 6 Vgl. zur Ermittlung der für gewerbesteuerliche Zwecke auszuscheidenden Gewinne bzw. Verluste ausländischer Repräsentanzen Rz. 11.438. 7 Vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. R 8 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 KStR 2015.

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Kap. 4 Rz. 4.10

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

keitsgrundsatzes1 dürften tendenziell dazu geeignet sein, eine stärkere Abweichung der nach den jeweiligen nationalen Vorschriften ermittelten Gewinne bzw. Verluste herbeizuführen. Nach deutschem Steuerrecht beurteilen sich insbesondere der Zeitpunkt der Gewinnrealisierung, das Bestehen und der bilanzielle Ausweis von Forderungen und Verbindlichkeiten sowie der Ansatz von Gewinnkorrekturen nach Art einer verdeckten Gewinnausschüttung i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (s. Rz. 4.19, 4.20), einer verdeckten Einlage i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG (s. Rz. 4.26), einer Einlage i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG (s. Rz. 4.25), einer Verstrickungseinlage i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG (s. Rz. 4.264), einer Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG (s. Rz. 4.243 ff.), einer Entstrickungs-Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 u. 4 (s. Rz. 4.257–4.260) i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG oder § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG ggf. i.V.m. § 4g EStG (s. Rz. 4.261), einer Entstrickungs-Betriebsaufgabe i.S.d. § 16 Abs. 3a ggf. i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG (s. Rz. 4.273 f.), und/oder einer Einkünftekorrektur i.S.d. § 1 AStG (s. Rz. 4.21), die ggf. in ihrer Anwendung durch einschlägige Abkommensvorschriften (wie z.B. Gegenberichtigungen und [Vorab-]Verständigungsverfahren; s. dazu Rz. 4.28, 4.247) in Gestalt des Art. 7 bzw. Art. 9 ggf. i.V.m. Art. 25 OECD-MA in der Neufassung vom 22.7.2010 („OECD-MA 2010“)2 oder Art. 5 SchÜ (ggf. nur partiell) eingeschränkt sein können.3 Ebenso sind die innerstaatlichen Vorschriften über die Nichtabzugsfähigkeit von Betriebsausgaben (s. dazu Rz. 4.22 ff.).

4.10 Gewinnermittlung inländischer Betriebsstätten. Wird durch die wirtschaftlichen Aktivitäten einer im Ausland steuerpflichtigen Person eine Betriebsstätte im Inland begründet, ergibt sich die Notwendigkeit, die inländischen Einkünfte dieser Betriebsstätte zu ermitteln, unmittelbar aus dem Gesetz, das den Umfang der Besteuerung auf inländische Einkünfte begrenzt.4 Dies gilt für beschränkt steuerpflichtige Personen mit Wohnsitz oder Sitz in einem DBA-Staat oder einem Nicht-DBA-Staat gleichermaßen. Zu den inländischen Einkünften können auch Einnahmen und Ausgaben gehören, die im Ausland erzielt bzw. getätigt worden sind, es sei denn, das Veranlassungsprinzip verlangt eine Zurechnung dieser Einnahmen und Ausgaben zu einer ausländischen Betriebsstätte. Entsprechend kann auch im Ausland belegenes Vermögen einer inländischen Betriebsstätte zuzurechnen sein. Soweit für eine inländische Betriebsstätte nach deutschem Handels- oder Steuerrecht Buchführungspflicht besteht, ist bereits für diese Zwecke eine gesonderte Ermittlung des Gewinns der inländischen Betriebsstätte vorzunehmen.5 Der Gewinn ist durch Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln, wenn der Steuerpflichtige auf Grund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet ist, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, oder er freiwillig Bücher führt und regelmäßig Abschlüsse macht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Neben den Zweigniederlassungen i.S.d. § 13 HGB und den Betriebsstätten, die nach § 141 AO buchführungspflichtig sind, haben außerdem diejenigen beschränkt Steuerpflichtigen ihren Betriebsstättengewinn durch Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln, die freiwillig Bücher führen. Beschränkt Steuer1 Siehe zu den Auswirkungen des BilMoG Herzig/Briesemeister, DB 2009, 1; Herzig/Briesemeister, DB 2009, 926; Oser et al., WPg 2009, 573; Prinz, GmbHR 2009, 1027. 2 Der Text des davor geltenden Musterabkommens vom 17.7.2008 wird als „OECD-MA 2008“ bezeichnet. 3 Vgl. dazu FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03 (rkr.), EFG 2008, 161 m. Anm. Wilk; FG Hamburg v. 31.10.2011 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190. 4 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 i.V.m. §§ 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 5, 6, 7 und 9, §§ 21, 22 Nr. 1, 2, 3 und 4 EStG und für beschränkt körperschaftsteuerpflichtige Personen i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG. 5 Zur Buchführungspflicht s. Rz. 13.7 ff.

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C. Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung und -abgrenzung

Rz. 4.12 Kap. 4

pflichtigen, die weder buchführungspflichtig sind, noch freiwillig Bücher führen, fehlen die Voraussetzungen dafür, die inländischen Einkünfte aus einer Buchführung zu ermitteln. Sie können den Gewinn im Wege der Aufteilung aus der Buchführung des Einheitsunternehmens ableiten,1 wobei der zu verteilende Betriebsgewinn entweder durch Betriebsvermögensvergleich i.S.d. § 4 Abs. 1 EStG oder als Überschuss der Einnahmen über die Betriebsausgaben i.S.d. § 4 Abs. 3 EStG ermittelt werden kann. Sie können ebenso eine auf die inländische Betriebsstätte beschränkte Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 oder 3 EStG vorlegen. Wenn die Einkünfte einer inländischen Betriebsstätte nach den beschriebenen Verfahren nicht zu ermitteln sind, ist eine Schätzung vorzunehmen, die sich im Zweifel an § 4 Abs. 1 EStG orientieren sollte.2 Zu dieser Gruppe gehören auch die ständigen Vertreter, es sei denn, diese ermitteln die der Vertreterbetriebsstätte des Prinzipals zuzurechnenden Erträge und Aufwendungen gesondert. Gewinnermittlung ausländischer Betriebsstätten. Begründet eine im Inland steuerpflichtige Person eine Betriebsstätte im Ausland, ergibt sich die Notwendigkeit, die ausländischen Einkünfte dieser Betriebsstätte zu ermitteln, unmittelbar aus dem Gesetz,3 das an die nach § 34d EStG ermittelten ausländischen Einkünfte Steuerermäßigungen wie die Anrechnung, den Abzug oder – bei Einschlägigkeit eines entsprechenden DBA – die Freistellung ggf. unter zusätzlichen Voraussetzungen knüpft. Zu den ausländischen Einkünften können auch Einnahmen und Ausgaben gehören, die im Inland erzielt bzw. getätigt worden sind, es sei denn, das Veranlassungsprinzip verlangt eine Zurechnung dieser Einnahmen und Ausgaben zu einer inländischen Betriebsstätte. Entsprechend kann auch im Inland belegenes Vermögen einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sein. Die Zuordnung richtet sich dabei grundsätzlich nach den Zuordnungsregeln in § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. der BsGaV ggf. ergänzt um die Regelungen der VWG BsGa.4

4.11

Implikationen des Fehlens einer Pflicht zur gesonderten Gewinnermittlung: Anwendung der indirekten Methode. Das nationale Steuerrecht lässt es zu, dass der Gewinn einer inländischen oder ausländischen Betriebsstätte mangels gesonderter Buchführungspflicht nicht gesondert, sondern lediglich im Wege der Aufteilung aus dem Ergebnis des Gesamtunternehmens abgeleitet wird. In diesen Fällen ist das Betriebsergebnis im Rahmen der Gewinnermittlung im Wege der indirekten Methode5 auf Stammhaus und Betriebsstätte(n) aufzuteilen. Dem steht das BFH-Urteil vom 17.12.19976 nicht entgegen. Dort stellt der BFH lediglich fest, dass es offen ist, ob die im Inland belegenen Grundstücke eines im Ausland ansässigen Landwirtes Teil eines ausländischen Betriebes oder als eigenständiger inländischer Betrieb zu verstehen sind. Er vertritt jedoch die Auffassung, dass trotz der Eigenständigkeit des inländi-

4.12

1 Dem steht § 90 Abs. 3 Satz 4 AO i.d.F. des StVergAbG nicht entgegen, der für inländische Betriebsstätten nicht von einer Aufteilung des Betriebsgewinns, sondern einer Ermittlung des Betriebsstättengewinns ausgeht. § 90 Abs. 3 AO regelt besondere Aufzeichnungspflichten, wobei sich die Frage stellt, ob inländische Betriebsstätten von der Aufzeichnungspflicht nicht erfasst sind, wenn sie ihren Gewinn im Wege der Aufteilung ermitteln. Der Wortlaut des § 90 Abs. 3 Satz 4 AO spricht für diese Auslegung. 2 Vgl. BFH v. 5.6.2003 – IV R 36/02, BStBl. II 2003, 871 = FR 2003, 1123 unter III.1.b m.w.N. 3 Vgl. § 34d EStG und für unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Personen i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG; vgl. auch H 34d EStH 2012. 4 Soweit es um die Abgrenzung von Einkünften zwischen rechtlich selbständigen Personen geht, wie z.B. Personengesellschaften, kommt es primär auf den sachlichen und persönlichen Zusammenhang zu dem Geschäftsbetrieb an. 5 Siehe Rz. 5.78 zur indirekten Methode. 6 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I R 95/96, BFHE 185, 16 = BStBl. II 1998, 260 = FR 1998, 474.

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Kap. 4 Rz. 4.13

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

schen Betriebsteils für Gewinnermittlungszwecke und der daraus resultierenden Begrenzung der Ermittlungspflicht auf die inländischen Einkünfte grundsätzlich nichts gegen eine Ableitung derselben aus dem Betriebsgewinn des Gesamtunternehmens spricht. Gegebenenfalls ist der nach ausländischem Steuerrecht ermittelte Betriebsgewinn zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufzuteilen und der resultierende Betriebsstättengewinn anschließend in reziproker Anwendung des § 146 Abs. 2 Satz 2 bis 4 AO auf eine inländische Betriebsstätte nach Maßgabe der im Inland geltenden steuerlichen Vorschriften anzupassen. Diese Vorgehensweise entspricht auch dem Tenor der Entscheidung in der Rechtssache Futura Participations S.A.,1 in der der EuGH eine Regelung als nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar verworfen hat, die die Gewährung eines Verlustvortrages an die Existenz einer inländischen Betriebsstättenbuchführung knüpft.

II. Zweistufige Gewinnermittlung 1. Unterschiedsbetrag

4.13 Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG. Aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG folgt, dass die Gewinnermittlung in zwei Stufen vorzunehmen ist.2 Auf einer 1. Stufe ist der sog. Unterschiedsbetrag zu ermitteln, der auf einer 2. Stufe – wie bei der Gewerbesteuer – um Hinzurechnungen und Kürzungen korrigiert wird, soweit der Unterschiedsbetrag auf Wertansätzen beruht, die die Tatbestandsvoraussetzungen der Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften (zusammen: Korrekturvorschriften) erfüllen. Auch die Steuerbefreiung ausländischer Betriebsstättengewinne vollzieht sich auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung (s. Rz. 4.27). Das Ergebnis ist der Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, der dem Gewinn i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG entspricht und der zugleich Grundlage für die Ermittlung des Gewerbeertrages ist.

4.14 Unterschiedsbetrag in den unterschiedlichen Arten der Gewinnermittlung. Ausgangspunkt der Gewinnermittlung ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss eines Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, wobei das jeweilige Betriebsvermögen unter Beachtung der einschlägigen handels- und steuerrechtlichen Bilanzierungsvorschriften und der Zuordnungskriterien nach dem Veranlassungsprinzip bzw. – für nach dem 31.12.2012 beginnende Wirtschaftsjahre – nach § 1 Abs. 5 AStG anzusetzen ist (sog. Vermögensabgrenzung).3 Grundsätzlich erscheint es auch denkbar, dass der Unterschiedsbetrag durch Einnahmen-Überschussrechnung i.S.d. § 4 Abs. 3 EStG, nach Durchschnittssätzen i.S.d. § 13a EStG oder nach § 5a EStG4 (sog. Tonnagesteuer) ermittelt wird.5 Mit Ausnahme der Einnahmen-Überschussrechnung i.S.d. § 4 Abs. 3 EStG sind diese alternativen Arten der Gewinnermittlung einer Korrektur durch Hin-

1 Vgl. EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura Participations S.A., ECLI:EU:C:1997:239 = FR 1997, 567 m. Anm. Dautzenberg = EuZW 1997, 443. 2 Vgl. BFH v. 5.6.2002 – I R 69/01, BFHE 199, 315 = BStBl. II 2003, 329; v. 10.7.2002 – I R 37/01, BFHE 199, 536 = BStBl. II 2003, 418 = FR 2003, 185. 3 Vgl. § 60 Abs. 2 EStDV; zur Vermögensabgrenzung unter dem AOA vgl. Rz. 4.72–4.110. 4 Vgl. Giese, DStR 2015, 107 (109). 5 Vgl. zum Betrachtungszeitraum bei der Ermittlung eines Veräußerungsgewinns i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG: BFH v. 5.6.2002 – I R 81/00, BFHE 199, 300 = BStBl. II 2004, 344 = FR 2002, 1055 m. Anm. Kempermann = IStR 2002, 670 m. Anm. Lüdicke; Schmidt/Blöchle, IStR 2002, 645.

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C. Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung und -abgrenzung

Rz. 4.15 Kap. 4

zurechnungen oder Kürzungen – mit Ausnahme des Übergangsjahres1 – nicht zugänglich. Der Grund dafür liegt darin, dass diese Arten der Gewinnermittlung nicht auf den einzelnen Geschäftsvorfall abstellen, was eine Korrektur rein technisch erschwert, es sei denn, man korrigiert den Gesamtgewinn. Zum anderen gilt für diese Arten der Gewinnermittlung bereits eine Angemessenheitsvermutung. Letzteres wird durch das BFH-Urteil vom 5.12.2002 bestätigt, in dem zumindest für die Gewinnermittlung i.S.d. § 13a EStG festgehalten wird, dass das objektive Nettoprinzip nicht bzw. nur eingeschränkt gilt.2 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den BFH-Urteilen vom 6.3.2003 und vom 17.3.2010,3 wonach andauernde Verluste bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen zur Annahme einer Liebhaberei führen. In den Urteilen geht es nicht um die Korrektur eines Entgelts, sondern um die gänzliche Unbeachtlichkeit der land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit für steuerliche Zwecke, die unter Anwendung der im jeweiligen Veranlagungszeitraum gesetzlich geforderten Gewinnermittlungsart hinsichtlich des sich daraus ergebenden Gewinns bzw. Verlusts zu beurteilen ist. Der nach § 5a und § 13a EStG ermittelte Gewinn entspricht noch nicht dem Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG und damit dem Gewinn (2. Stufe).4 Der nach § 5a und § 13a EStG ermittelte Gewinn ist im Wege der Gewinnabgrenzung (Gewinnaufteilung) dem Betriebsteil insoweit zuzuordnen, als er durch diesen veranlasst ist. Eine solche Gewinnaufteilung wird wohl nur mittels indirekter Methode – im DBA-Fall in den Grenzen des Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2008 bzw. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 – möglich sein. Für den solchermaßen abgegrenzten Gewinnanteil ist zu entscheiden, ob er nicht steuerbar, steuerbefreit oder tarifermäßigt zu besteuern ist oder einem Abzugsverbot unterliegt. Gegebenenfalls ist der nach § 5a und § 13a EStG ermittelte „Gewinn“ des gesamten Unternehmens und der den Betriebsteilen zugeordnete Gewinnanteil daran auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung entsprechend zu korrigieren, wenn der gewählte Aufteilungsmaßstab nicht dem entspricht, was unabhängige Unternehmen vereinbart hätten. Auf die explizite Aufteilungsregelung in Form der in der Zwischenzeit Gesetz gewordenen Konsultationsvereinbarung5 mit den Niederlanden sei hier der Vollständigkeit halber hingewiesen. Keine Gleichheit von Unterschiedsbetrag und Steuerbilanzgewinn bzw. -verlust. Der BFH hat in seinem Beschluss vom 6.7.2000 zwar deutlich gemacht, dass die Ermittlung eines Gewinns und dessen steuerliche Behandlung nacheinander erfolgen und deshalb voneinander zu trennen sind.6 Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Korrekturvorschriften und die steuerliche Behandlung beide zwischen dem Gewinn 1. Stufe (= Unterschiedsbetrag) und dem Gewinn 2. Stufe ansetzen, also im Rahmen der Gewinnabgrenzung bzw. der Steuerbefreiung. In der Mehrzahl der Fälle ist der Unterschiedsbetrag (Gewinn 1. Stufe) entweder durch Betriebsvermögensvergleich oder Einnahmen-Überschussrechnung i.S.d. § 4 Abs. 3 EStG zu ermitteln. Zwar ist unter dem anzusetzenden Betriebsvermögen das jeweilige Eigenkapital zu 1 Vgl. BFH v. 19.7.2011 – IV R 40/08 und IV R 42/10, BStBl. II 2011, 878 = FR 2012, 140. 2 Vgl. BFH v. 5.12.2002 – IV R 28/02, BStBl. II 2003, 345 = FR 2003, 739. 3 Vgl. BFH v. 6.3.2003 – IV R 26/01, BStBl. II 2003, 702 = FR 2003, 795 m. Anm. Kanzler; v. 17.3.2010 – IV R 60/07, BFH/NV 2010, 1446. 4 Diese Behandlung soll bei der Gewinnermittlung nach § 5a EStG auf die Gewerbesteuer durchschlagen, so dass der Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG dem endgültigen Gewerbeertrag i.S.d. § 7 Satz 3 GewStG entspricht; vgl. BFH v. 6.7.2005 – VIII R 72/02, FR 2009, 140 = BFH/NV 2006, 363. 5 Vgl. Verordnung zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande vom 20.12.2010, BStBl. I 2011, 142, § 5 und § 6. 6 BFH v. 6.7.2000 – I B 34/00, BStBl. II 2002, 490 = FR 2000, 1135 m. Anm. Kempermann.

Andresen 173

4.15

Kap. 4 Rz. 4.16

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

verstehen. Der Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht in allen Fällen mit dem Steuerbilanzgewinn bzw. -verlust identisch sein,1 wie es im Schrifttum2 vereinzelt offenbar angenommen worden ist. Die Finanzverwaltung hat sich dieser Position in der Zwischenzeit angeschlossen, da das insoweit anderslautende BMF-Schreiben vom 28.5.2002 durch das BMF-Schreiben vom 29.3.2007 aufgehoben worden ist.3 Nach § 268 Abs. 1 Satz 2 HGB und § 158 Abs. 1 AktG ist der Bilanzgewinn oder -verlust der um die Ergebnisverwendung bereinigte Jahresüberschuss. Steuerlich folgt indes aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 3 KStG, das in den Gewinn ein „Betrag“ vor Ergebnisverwendung eingehen muss. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG bezeichnet diesen „Betrag“ als den Unterschiedsbetrag. Ein Unterschied zwischen dem Unterschiedsbetrag und dem Steuerbilanzgewinn bzw. -verlust ergibt sich dann, wenn Entnahmen und Einlagen in der Steuerbilanz erfolgsneutral und nicht – wie § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG es fordert – erfolgswirksam gebucht werden. 2. Hinzurechnungen und Kürzungen

4.16 Anwendung der Korrekturvorschriften. Die handels- und steuerrechtlichen Bilanzierungsvorschriften, die die Ermittlung des Unterschiedsbetrages regeln, reflektieren das zivilrechtlich oder tatsächlich Vereinbarte und korrigieren dies im Zusammenwirken mit den Zuordnungskriterien des Veranlassungsprinzips bzw. § 1 Abs. 5 AStG ggf. im Sinne einer steuerlich angemessene Zuordnung von Wirtschaftsgütern dem Grunde nach. Dies gilt nach der Anpassung des Handelsbilanzrechts an § 39 AO durch die Neuformulierung des § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB im BilMoG umso mehr, als die wirtschaftliche Zuordnung neben die rechtliche tritt.4 Dort wird jedoch nicht das steuerlich angemessene Entgelt für Geschäftsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und nahestehenden Personen geregelt. Der Grund dafür liegt zum einen darin, dass die Bilanz den Vermögensstatus des Steuerpflichtigen zu einem Zeitpunkt betrachtet. Zum anderen stellen sowohl Handels- als auch Steuerrecht auf die Anschaffungskosten bzw. auf den Veräußerungspreis ab, für die bzw. den angenommen wird, dass der Markt die angebotenen und nachgefragten Leistungen richtig bewertet.5 Dies ist zuletzt durch den EuGH in der Rechtssache Belgien/GIMLE SA6 bestätigt worden, wobei die belgische Finanzverwaltung in dem Fall die offensichtlich nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Anschaffungskosten einer 38 Tage später verkauften Beteiligung eher durch Anwendung einer der verdeckten Einlage entsprechenden Korrekturvorschrift hätte anpassen sollen (Unterpreislieferung von Unternehmensanteilen durch eine nahestehende Person) als durch die Korrektur der Anschaffungskosten auf den 38 Tage später realisierten Verkaufspreis. An einem Markt fehlt es aber bei Geschäftsvorfällen zwischen Betriebsinhaber und Betrieb(en), zwischen Mitunternehmer und Mitunternehmerschaft(en), zwischen nahestehenden Personen und zwischen Stammhaus und Betriebsstätte(n) wie der Sachverhalt in der Rechtssache 1 Zur Erläuterung vgl. Gosch, DStR 2002, 977 (982); Wassermeyer, GmbHR 2002, 617 (619) – entgegen seiner ursprünglichen Auffassung in GmbHR 1998, 157 (159 unter III.2.). 2 Vgl. Dörner, INF 2002, 481 (485); a.A. Reiss, StuW 2003, 21 (24). 3 Vgl. BMF v. 28.5.2002 – IV A 2 - S 2742 – 32/02, BStBl. I 2002, 603 (aufgehoben durch BMF v. 29.3.2007 – IV C 6 – O 1000/07/0018, BStBl. I 2007, 369 [408 unter Nr. 748]). Zur Kritik an dem BMF v. 28.5.2002 vgl. Frotscher, FR 2002, 859; Neu/Watermeyer, DStR 2002, 2101; Reiss, StuW 2003, 21 (24–39). 4 Vgl. Herzig/Briesemeister, DB 2009, 926. 5 Vgl. Andresen, Konzernverrechnungspreise für multinationale Unternehmen, Wiesbaden, 1999, 270 f. 6 Vgl. EuGH v. 3.10.2013 – Rs. C-322/12, ECLI:EU:C:2013:632 = IStR 2014, 24; dazu Dziadkowski, IStR 2014, 461 ff.

174

Andresen

C. Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung und -abgrenzung

Rz. 4.17 Kap. 4

Belgien/GIMLE SA zeigt.1 Auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung ist daher das jeweils vereinbarte Entgelt nach Maßgabe der nationalen Korrekturvorschriften ggf. begrenzt durch ein DBA im Wege der Hinzurechnung oder Kürzung zu korrigieren, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen einer oder mehrerer Korrekturvorschriften erfüllt sind (s. dazu Rz. 4.18 ff.). Auf dieser zweiten Stufe der Gewinnermittlung ist außerdem eine Korrektur oder besser Gegenkorrektur auf Grund einer unilateral vorzunehmenden Gegenberichtigung i.S.d. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA 2010,2 i.S.d. Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010 oder i.S.d. Art. 5 SchÜ vorzunehmen. Gleiches gilt für Verrechnungspreiskorrekturen aufgrund einer Verständigungsvereinbarung mit einem DBA-Partnerstaat oder auf Grund einer Vorabverständigungsvereinbarung nach Abschluss eines Advance Pricing Agreement, das in bereits abgelaufene Besteuerungszeiträume zurückwirkt, die als Kürzung vom oder ggf. Hinzurechnung zum Unterschiedsbetrag zu berücksichtigen sind. Die Vornahme einer Gegenberichtigung ist auf den Gewinn nach Betriebsvermögensvergleich oder Einnahmen-Überschussrechnung i.S.d. § 4 Abs. 3 EStG beschränkt. Eine Gegenberichtigung für den nach § 5a oder § 13a EStG ermittelten Gewinn scheidet grundsätzlich aus, da es sich dabei bereits grundsätzlich um den Gewinn nach Hinzurechnungen und Kürzungen handelt, es sei denn, die Aufteilung dieses Gewinns entspricht nicht dem „dealing-at-arm’s-length“-Grundsatz ggf. in der Form des Authorised OECD Approach. Eine Ausnahme bildet neben der Korrektur einer bestehenden Gewinnaufteilung entsprechend einer getroffenen Verständigungsvereinbarung lediglich die Steuerbefreiung, die als Kürzungsvorschrift den Gewinn i.S.d. § 5a und § 13a EStG vermindern kann. Insoweit, d.h. soweit eine Gegenberichtigung Einkünfte betrifft, die steuerbefreit sind, kommt eine entsprechende Kürzung in Betracht. Von den Gegenberichtigungen sind die sog. Sekundärberichtigungen3 zu unterscheiden, die sich wiederum auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung niederschlagen. Ermittlung des Gewinns (2. Stufe) im Schema der zweistufigen Gewinnermittlung. Die in den Abschnitten D.I. bis E.III. nach Anwendungszeiträumen gegliedert kommentierten Rechtsvorschriften ergeben in ihrem Zusammenwirken den Gewinn (2. Stufe) des Betriebes i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (= § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG). Dieser Gewinn bildet die Obergrenze für die sich anschließende Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (so auch Rz. 1.29), d.h., die Summe der Gewinne (Verluste) von Stammhaus und Betriebsstätte(n) hat dem Betriebsgewinn zu entsprechen.4 Das nachfolgend abgebildete verkürzte Berechnungsschema der zweistufigen Gewinnermittlung5 illustriert, in welcher Reihenfolge die verschiedenen Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen, nach denen der Gewinn ermittelt wird. Soweit für die ausländische Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen eine eigene Buchführung besteht, deren Ergebnis nach § 146 Abs. 2 Satz 3 AO umgerechnet wird, 1 Diesem Umstand wird bei abhängigen Aktiengesellschaften, die keinen Beherrschungsvertrag und auch keinen Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen haben, dadurch Rechnung getragen, dass diese durch § 312 AktG verpflichtet werden, einen Abhängigkeitsbericht aufzustellen, in dem sie über Vor- und Nachteile aus Geschäftsvorfällen mit verbundenen Unternehmen Rechenschaft abzulegen haben. Gl.A. Schön, IStR 2011, 777. 2 Art. 9 Abs. 2 OECD-MA ist nur auf Geschäftsbeziehungen anwendbar, die das Einheitsunternehmen bestehend aus Stammhaus und Betriebsstätte(n) mit verbundenen Unternehmen bzw. nahestehenden Personen in anderen Staaten hat. 3 Vgl. zum Begriff Keerl, Internationale Verrechnungspreise in der globalisierten Wirtschaft, Göttingen 2008, zugl. Diss. Univ. Göttingen 2007, 293–294 m.w.N. 4 Anders wohl OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 8. 5 Vgl. zu dessen Entwicklung BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BFHE 175, 347 = BStBl. II 2002, 366 = FR 1994, 833; Wassermeyer, GmbHR 1998, 157 (159); Wassermeyer, IStR 2001, 633 (634); insoweit zustimmend Reiss, StuW 2003, 21 (26).

Andresen 175

4.17

Kap. 4 Rz. 4.18

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

kommt es bei Anwendung der direkten Methode der Gewinnabgrenzung gewissermaßen zur Verdoppelung des Berechnungsschemas. In diesem Fall können die Geschäftsvorfälle in dem Berechnungsschema sowohl der ausländischen Betriebsstätte als auch des Steuerpflichtigen im Rahmen der Gewinnermittlung und -abgrenzung erfasst werden. Letztlich ist jedoch auch bei der Verdoppelung des Schemas der Gewinnabgrenzung maximal der Gewinn des gesamten Betriebes abzugrenzen (Rz. 1.29). Dieses verkürzte Berechnungsschema ähnelt den Schemata in R 2 Abs. 1 EStR 2012 und in R 7.1 Abs. 1 KStR 2015 und stellt sich wie folgt dar: Verkürztes Schema der zweistufigen Gewinnermittlung 1. Stufe Betriebsvermögen (= Eigenkapital) am Schluss des Wirtschaftsjahres (unter Einbeziehung der Bewertungsvorschriften in §§ 3, 4, 11, 13, 20, 21, 24 UmwStG) –

Betriebsvermögen (= Eigenkapital) am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres

=

Unterschiedsbetrag (Gewinn/Verlust 1. Stufe)

2. Stufe Unterschiedsbetrag (= Gewinn/Verlust 1. Stufe) +

Entnahmen/Betriebsaufgaben

+

Entstrickungs-Entnahme und -Betriebsaufgabe



Einlagen



Verstrickungseinlagen

+

verdeckte Gewinnausschüttungen



verdeckte Einlagen

+

Korrekturbetrag nach § 1 AStG (einschließlich Funktionsverlagerungen)

+

nicht abziehbare Betriebsausgaben (einschließlich Überentnahmen)

+

Hinzurechnung nach § 4h EStG/§ 8a KStG (Zinsschranke)

+/–

weitere Hinzurechnungen und Kürzungen i.S.d. R 7.1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–6, 11–15 u. 17–20 KStR 2015

+

nicht berücksichtigungsfähige negative Einkünfte mit Auslandsbezug (§ 2a EStG)



Gegenberichtigungen i.S.d. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA oder § 5 SchÜ1



Gegenberichtigungen i.S.d. Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010 oder § 5 SchÜ

–/+

Einkünftekorrekturen aus Verständigungsvereinbarungen und Vorabverständigungsvereinbarungen



Steuerfreie Einkünfte/Einnahmen

=

Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (Gewinn/Verlust 2. Stufe)

4.18 Differenzierung. Die in dem Schema genannten Korrekturvorschriften wirken teilweise in einem der Betriebsteile eines Betriebes und verändern lediglich den Gewinn dieses Betriebs1 Die Verquickung von Gegenberichtigungen mit dem Einbuchen einer Verbindlichkeit wie geschehen in dem Erlass des FinMin. Baden-Württemberg (FinMin. BW v. 31.7.1995 – S 1300/20 – unter Tz. III., OLG Nürnberg v. 31.7.1995 – 1 U 1318/95, IStR 1995, 539–540 = IWB, Fach 3, Gruppe 2, 303–306 m. Anm. Baranowski) ist deshalb irreführend, weil eine Gegenberichtigung eine außerbilanzielle Korrektur auslöst. Lediglich die sog. Sekundärberichtigungen lösen bilanzielle Korrekturen aus.

176

Andresen

C. Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung und -abgrenzung

Rz. 4.20 Kap. 4

teils. Diese Korrekturvorschriften sind in diesem Abschnitt dargestellt und erläutert. Diejenigen Hinzurechnungen und Kürzungen mit Einkünfte abgrenzender Wirkung zwischen Stammhaus und Betriebsstätten (Regeln der Einkünfteabgrenzung) sind in den nachfolgenden Abschnitten D.I. bis E.III. zur Einkünfteabgrenzung behandelt. Letztere sind in dem obigen Schema fett gedruckt. Da sich diese für die Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte(n) maßgeblichen Regeln seit 2006 sukzessive und grundlegend verändert haben und daher je nach Veranlagungszeitraum in anderer Kombination wirksam sind, sind die jeweiligen Veränderungen nachfolgend in D. und E. in separaten Abschnitten dargestellt und erläutert. Verdeckte Gewinnausschüttungen. Wenn und soweit eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. § 1 Abs. 1 KStG eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung hingenommen hat, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf den Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht, ist deren Gewinn außerbilanziell um den Betrag der Vermögensminderung oder verhinderten Vermögensmehrung zu erhöhen, der durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Zusätzlich wird bei Abfluss der Vermögensminderung oder bei Nicht-Zufluss der verhinderten Vermögensmehrung insoweit eine Ausschüttung fingiert, die nach dem Halb- bzw. Teileinkünfteverfahren besteuert wird.1 Verdeckte Gewinnausschüttungen können auch durch eine inländische2 oder ausländische3 Betriebsstätte ausgelöst werden. Im Rahmen der Gewinnabgrenzung ist eine verdeckte Gewinnausschüttung nach dem Veranlassungsprinzip oder den Zuordnungskriterien des § 1 Abs. 5 AStG – ggf. anteilig4 – dem Unterschiedsbetrag des Stammhauses oder der Betriebsstätte(n) zuzuordnen. Verdeckte Gewinnausschüttungen sind mit dem Fremdvergleichspreis anzusetzen. Sie gehen der Entnahme,5 der Korrektur nach § 1 AStG und der nicht abzugsfähigen Betriebsausgabe6 vor. Verdeckte Gewinnausschüttungen, die im Rahmen der Gewinnabgrenzung ggf. anteilig einer ausländischen Betriebsstätte zuzurechnen sind, können im Inland – ggf. unter Aktivitätsvorbehalt – steuerbefreit sein.7

4.19

Verdeckte Gewinnausschüttung/Grundsätze der Liebhaberei. Übernimmt eine Kapitalgesellschaft von ihrem bzw. für ihren Gesellschafter Tätigkeiten, für die keine Einkunftserzie-

4.20

1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BFHE 197, 68 = BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; Nichtanwendungserlass des BMF v. 26.2.2004, BStBl. I 2004, 270; BFH v. 5.6.2002 – I R 69/01, BFHE 199, 315 = BStBl. II 2003, 329 – unter II.1.; BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BFHE 200, 197 = FR 2003, 132 = DB 2002, 2686. 2 Vgl. BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, FR 1995, 476 = IStR 1995, 330 m. Anm. FW. 3 Vgl. zur Kollision des § 1 AStG mit der Hinzurechnungsbesteuerung und deren Auflösung durch Vorrang des § 1 AStG und entsprechende Gegenberichtigung BFH v. 19.3.2002 – I R 4/01, BFHE 198, 499 = BStBl. II 2002, 644 = FR 2002, 1058 = IStR 2002, 669 m. Anm. KB. 4 Während unter dem Veranlassungsprinzip und nach den OECD-Betriebsstättenberichten 2008 und 2010 die Aufteilung von Wirtschaftsgütern zulässig ist, sieht die deutsche Finanzverwaltung in der BsGaV mit Ausnahme der immateriellen Wirtschaftsgüter eine einheitliche Zuordnung von Wirtschaftsgütern vor. 5 Vgl. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., 643 unter Verweis auf BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BFHE 151, 523 = BStBl. II 1988, 348 ff. (354 ff.) = FR 1988, 160. 6 Vgl. BFH v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123 = FR 1997, 311; zum Konkurrenzverhältnis zwischen vGA und nicht abzugsfähiger Betriebsausgabe Dörner, INF 2002, 481 (485); Reiss, StuW 2003, 21 (27 Fn. 15.). 7 Vgl. zur Steuerfreiheit eines um eine vGA erhöhten Veräußerungsgewinns BFH v. 6.7.2000 – I B 34/00, BFHE 192, 307 = BStBl. II 2002, 491 = FR 2000, 1135 m. Anm. Kempermann – unter II.2.a.

Andresen 177

Kap. 4 Rz. 4.20

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

lungsabsicht nachgewiesen werden kann, ohne dass ein Ausgleichsanspruch gegenüber dem Gesellschafter besteht, ist in dem Verzicht auf einen Ausgleichsanspruch eine verdeckte Gewinnausschüttung begründet.1 Soweit eine solche Tätigkeit in einer ausländischen Betriebsstätte ausgeübt wird, ist dieser die verdeckte Gewinnausschüttung nach dem Veranlassungsprinzip bzw. den Zuordnungskriterien des § 1 Abs. 5 AStG – ggf. anteilig – zuzurechnen. Einer der Gründe für diese Auslegung ist die Feststellung des BFH, dass eine Kapitalgesellschaft keine außerbetriebliche Sphäre hat, der eine solche Tätigkeit zugeordnet werden könnte. Dem sollte das BFH-Urteil vom 7.11.2001 nicht entgegenstehen.2 In dem Verfahren ging es darum, ob eine im Ausland ansässige Person mit den Prämieneinnahmen aus Pferdesportveranstaltungen beschränkt steuerpflichtig sein kann, wenn sich die gesamte Pferdesportaktivität als Liebhaberei darstellt. Zwar ist nach dieser Entscheidung die fehlende Gewinnerzielungsabsicht einer ausländischen Gesellschaft zu berücksichtigen. Die Entscheidung baut jedoch insoweit auf § 49 Abs. 2 EStG auf und ist deshalb auf inländische Betriebsstätteneinkünfte einer ausländischen Kapitalgesellschaft nicht übertragbar. Die inländischen Betriebsstätteneinkünfte einer ausländischen Kapitalgesellschaft müssen wie die einer inländischen Kapitalgesellschaft ermittelt werden. In beiden Fällen gilt, dass die Kapitalgesellschaft steuerlich über keine Privatsphäre verfügt. Der nachfolgende Sachverhalt verdeutlicht, dass Überlegungen zu den Grundsätzen der Liebhaberei im Kontext einer von der Finanzverwaltung beabsichtigten Feststellung einer verdeckter Gewinnausschüttungen notwendig sind, wenn es darum geht zu entscheiden, ob und inwieweit der Authorised OECD Approach3 eine Wirkung im deutschen Steuerrecht entfalten kann. Beispiel: Eine Bank mit Sitz und Geschäftsleitung in einem EU-Staat A hat im Jahr 01 eine Zweigniederlassung im Inland zum Handelsregister angemeldet und erbringt in drei Filialen in Städten im Inland Vermögensverwaltungsdienstleistungen. Im Jahr 03 gründet sie zusätzlich Filialen in zwei weiteren Städten im Inland. Die Zweigniederlassung hat folgende Ergebnisse ausgewiesen, wobei in den Jahren 04 und 05 die gesamte Branche weltweit Verluste erlitten hat4: in TEuro

01

02

03

04

05

06

Summe

Erträge

200

1.200

1.200

1.300

1.300

1.900

7.100

(280)

(1.060)

(2.120)

(1.840)

(310)

(6.300)

Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit (690)

Jede der fünf Filialen für sich genommen hat in einem Zeitraum von 3 bis 4 Jahren die Gewinnzone erreicht. Die inländische Betriebsstätte hat ihre Erträge ausschließlich aus Geschäftsbeziehungen mit Kunden erwirtschaftet, die ausnahmslos dem Kreditinstitut nicht nahestehen. Die Aufwendungen der Zweigniederlassung (z.B. Gehaltskosten, Miete, Abschreibung für Betriebs- und Geschäftsausstattung) ergeben sich aus Vertragsbeziehungen, die mit Geschäftspartnern und Mitarbeitern bestehen, die dem Kreditinstitut ebenfalls nicht im wirtschaftlichen Sinne ver-

1 Vgl. BFH v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123 = FR 1997, 311; BFH v. 8.7.1998 – I R 123/97, FR 1998, 1091 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 1999, 269. 2 Vgl. BFH v. 7.11.2001 – I R 14/01, BFHE 197, 287 = BStBl. II 2002, 861 = FR 2002, 634 m. Anm. Kempermann = IStR 2002, 307 m. Anm. KB; Nichtanwendungserlass des BMF v. 11.12.2002 – IV A 5 - S 2411 – 69/02, BStBl. I 2002, 1394. 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 8–9. 4 Das Beispiel ist dem folgenden Beitrag entnommen: Andresen, DB 2012, 879 ff.

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Andresen

C. Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung und -abgrenzung

Rz. 4.20 Kap. 4

bunden sind. Neben diesen Geschäftsbeziehungen mit fremden Dritten gibt es keine nennenswerten Innentransaktionen. Die einzige Ausnahme ist die Refinanzierung der Zweigniederlassung durch das Stammhaus, deren annahmegemäß angemessene Verzinsung unter 50.000 Euro p.a. liegt. Die Finanzverwaltung stuft die Zweigniederlassung als sog. Unternehmen mit Routinefunktionen i.S.d. Tz. 3.4.10.2. Buchst. a VWG-Verfahren ein und unterstellt, dass bei „üblichem“ Geschäftsverlauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne erzielt worden wären. Die Prüfungsfeststellung sieht ab Jahr 01 eine Einkünftekorrektur auf einen Gewinn i.H.v. 7,5 % der gesamten Aufwendungen vor, d.h., sämtliche Verluste werden steuerlich nicht akzeptiert und es wird ein Gewinn auf Basis der Kostenaufschlagsmethode von 7,5 % angesetzt. Die Korrektur der Einkünfte einer inländischen Betriebsstätte bedarf einer Rechtsgrundlage im innerstaatlichen Recht. Die in der Prüfungsfeststellung genannten Urteile des BFH sind ausnahmslos zu verdeckten Gewinnausschüttungen i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ergangen, die zwar auch durch den ordentlichen gewissenhaften Leiter einer inländischen Zweigniederlassung (Betriebsstätte) ausgelöst werden können,1 was jedoch voraussetzt, dass eine Geschäftsbeziehung zwischen dieser Zweigniederlassung und einem verbundenem Unternehmen oder einer diesem Unternehmen nahestehenden Person existiert. Daran fehlt es allerdings in dem hier zu beurteilenden Sachverhalt. Sämtliche Erträge und Aufwendungen der Betriebsstätte ergeben sich aus Geschäftsvorfällen mit fremden Dritten. Die – ohnehin angemessen entgoltene – Refinanzierung durch das Stammhaus ist keine Geschäftsbeziehung und entzieht sich daher eine Korrektur unter Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Die gleichen Überlegungen gelten für § 1 AStG, der mangels Existenz einer Geschäftsbeziehung zu einer nahestehenden Person im Ausland ebenfalls keine Anwendung finden kann.2 Weder die mangels Veräußerung oder Nutzung(süberlassung) nicht einschlägige Entstrickungs-Entnahme i.S.d. § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG noch das Veranlassungsprinzip können Grundlage für die beabsichtigte Einkünftekorrektur sein. Die Prüfungsfeststellung hat also keine Rechtsgrundlage. Der Vergleich mit einer inländischen Tochtergesellschaft mit identischem Geschäftsmodell zeigt, dass selbst das Ziel der OECD bei der Formulierung des Authorised OECD Approach, die Angleichung der Einkünfteabgrenzung zwischen Einheitsunternehmen und Kapitalgesellschafs-Konzernen bei dem hier angedachten Vorgehen überhaupt nicht erreicht wird: Die Korrektur der Einkünfte einer Tochterkapitalgesellschaft erfordert, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der verdeckten Gewinnausschüttung erfüllt sind. Die hier entscheidende Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis liegt dann vor, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter die Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung gegenüber einer Person, die nicht Gesellschafter ist, unter sonst gleichen Umständen nicht hingenommen hätte (Fremdvergleich).3 Das ist im vorliegenden Beispiel jedoch nicht der Fall, da die vereinbarten Entgelte mit fremden Dritten angemessen gewesen sind, die Verlustursache als nicht durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst gewesen sein kann. Da die Kapitalgesellschaft laut ständiger BFH-Rechtsprechung4 keine außerbetriebliche Sphäre

1 Vgl. BFH v. 17.11.2004 – I R 55/03, BFH/NV 2005, 1016 = DStRE 2005, 580. 2 Vgl. BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123; BMF v. 12.1.2010 – IV B 5 - S 1341/07/10009 – DOK 2010/0002173, BStBl. I 2010, 34; v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04 (AStG-Anwendungserlass), BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 1.4.3. 3 Vgl. zuletzt BFH v. 9.12.2010 – I R 28/09, BFH/NV 2011, 850 unter II.2. 4 Vgl. BFH v. 4.12.1996 – I R 54/05, BFH/NV 1997, 190.

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Kap. 4 Rz. 4.21

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

hat, sind sowohl bei unbeschränkt als auch bei beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften bei der Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen der verdeckten Gewinnausschüttung die Kriterien anzuwenden, die für die Abgrenzung zwischen Einkünfteerzielung und Liebhaberei zur Anwendung kommen.1 Die Kriterien der Einkünfteerzielungsabsicht lassen sich in qualitative und quantitative Kriterien aufteilen. Das Verhalten wie ein Gewerbetreibender2 ist dabei das primäre qualitative Merkmal, während der Totalgewinn bzw. die Periode, innerhalb deren ein Gewinn erzielt sein muss, wenn die Tätigkeit zu steuerlich anzuerkennenden Einkünften geführt hat, das wesentliche quantitative Merkmal darstellt. Die Rechtsprechung hat in Abhängigkeit der zu beurteilenden Sachverhalte unterschiedliche Totalperioden als steuerlich maßgeblich angesehen. Diese reichen von 30 Jahren3 bis zu mehr als zehn Jahren.4 Der hier zu beurteilende Sachverhalt erfüllt beide Kriterien der Einkünfteerzielungsabsicht, so dass auch insoweit keine Rechtsgrundlage für eine Einkünftekorrektur zu erkennen ist. Schließlich ist es dem Steuerpflichtigen möglich gewesen, für jede einzelne Filiale zu zeigen, dass diese nach einer Zeitdauer von drei bis vier Jahren profitabel gearbeitet hat, ein Zeitraum, der auch von der BFH-Rechtsprechung5 als steuerlich nicht zu beanstanden erkannt worden ist. Dass die Anfangsinvestitionen für weitere Filialen den Gewinn aus den zuvor eröffneten übersteigen, ist nachvollziehbar und betriebswirtschaftlich plausibel. Der ordentliche gewissenhafte Geschäftsleiter der Zweigniederlassung wird letztendlich aus der größeren Anzahl profitabel betriebener Filialen einen absolut höheren Gewinn erzielen als aus einer geringeren Anzahl. Die beabsichtigte Einkünftekorrektur ist daher als unzulässig abzulehnen und lässt sich auch nicht mit dem AOA, d.h. mit einer für steuerliche Zwecke verselbständigten Betriebsstätte begründen.

4.21 Korrekturbetrag nach § 1 Abs. 1 AStG. Wenn und soweit der Steuerpflichtige in seinen Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 5 AStG6 zu nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG Bedingungen vereinbart hat, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen vereinbart hätten, tritt die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG ein. Die Rechtsfolge ist, dass der Gewinn außerbilanziell auf den Betrag zu korrigieren ist, der angefallen wäre, wenn der Steuerpflichtige Bedingungen wie zwischen unabhängigen Dritten vereinbart hätte. Im Rahmen der Gewinnabgrenzung ist der Korrekturbetrag nach dem Veranlassungsprinzip bzw. den Zuordnungskriterien des § 1 Abs. 5 AStG – ggf. anteilig – dem Unterschiedsbetrag des Stammhauses oder der Betriebsstätte(n) zuzurechnen. Dies gilt jedoch nur insoweit, als eine – unterstellte – Geschäftsbeziehung zwischen zwei nahestehenden Personen besteht, von denen eine im Inland und die andere im Ausland ansässig ist. Wenn und soweit Geschäftsbeziehungen lediglich zwischen zwei nahestehenden Personen im

1 Vgl. BFH v. 4.12.1996 – I R 54/05, BFH/NV 1997, 190; v. 15.5.2002 – I R 92/00, FR 2002, 1175 m. Anm. Pezzer = DB 2002, 2082. 2 Vgl. Weber-Grellet in Schmidt36, § 2 EStG Rz. 22; Wacker in Schmidt36, § 15 EStG Rz. 24 ff. 3 Vgl. BFH v. 6.11.2001 – IX R 97/00, BStBl. II 2002, 726 = FR 2002, 385. 4 Vgl. BFH v. 23.5.1985 – IV R 84/82, BStBl. II 1985, 515 = FR 1985, 588; v. 26.4.1989 – VI R 104/86, BFH/NV 1989, 696; v. 7.5.1993 – VI R 39/90, BFH/NV 1993, 652. 5 Vgl. BFH v. 15.5.2002 – I R 92/00, FR 2002, 1175 m. Anm. Pezzer = DB 2002, 2082. 6 Vgl. zum Terminus Geschäftsbeziehung BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123; BMF v. 12.1.2010 – IV B 5 - S 1341/07/10009 – DOK 2010/0002173, BStBl. I 2010, 34; stärker differenzierend BFH v. 23.6.2010 – I R 37/09, BStBl. II 2010, 895 = FR 2011, 139; zur veränderten Definition des § 1 Abs. 5 AStG vgl. Schnitger, IStR 2003, 73 (76).

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C. Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung und -abgrenzung

Rz. 4.22 Kap. 4

Inland bestehen, kommt § 1 Abs. 1 AStG auch dann nicht zur Anwendung, wenn der Gegenstand der Geschäftsbeziehung, z.B. ein Darlehen, der ausländischen Betriebsstätte einer der beiden Personen zuzuordnen ist.1 Dies dürfte daher auch für Geschäftsbeziehungen zwischen der inländischen Betriebsstätte einer ausländischen Person und deren inländischem verbundenen Unternehmen gelten. Nicht abziehbare Betriebsausgaben. Wenn und soweit Betriebsausgaben i.S.d. § 4 Abs. 4a und 5 bis 7 EStG2 den Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG gemindert haben, sind diese auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung wieder hinzuzurechnen. Dies gilt gleichermaßen, soweit andere Betriebsausgaben geltend gemacht worden sind, bei denen die Voraussetzungen für die mindernde Berücksichtigung im Rahmen der Einkommensermittlung nicht oder nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Sind bestimmte Aufwendungen nur begrenzt abziehbar,3 so sind sie auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung in voller Höhe als Betriebsausgaben abzusetzen und auf der 2. Stufe nur mit ihrem nicht abziehbaren Teil dem Unterschiedsbetrag wieder hinzuzurechnen. Im Rahmen der Gewinnabgrenzung ist der Korrekturbetrag nach dem Veranlassungsprinzip bzw. den Zuordnungskriterien des § 1 Abs. 5 AStG – ggf. anteilig4 – dem Unterschiedsbetrag des Stammhauses oder der bzw. den Betriebsstätte(n) zuzuordnen. Dies gilt bspw. auch für Geschenke i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG oder Aufwendungen für die Bewirtung von Personen aus geschäftlichem Anlass i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG, die der ausländischen Betriebsstätte insoweit zuzurechnen sind, als sie durch diese veranlasst sind. Wenn und soweit die innerstaatlichen Gewinnermittlungsvorschriften des ausländischen Belegenheitsstaats der Betriebsstätte derartige Aufwendungen zu 100 % als nichtabzugsfähige Betriebsausgabe behandeln, entsteht eine Doppelbesteuerung, weil die Einkünfte im Ausland um 100 % der betreffenden Betriebsausgaben erhöht und besteuert worden sind, während im Inland lediglich eine um 30 % der betreffenden Betriebsausgabe erhöhte Freistellung erfolgt. Diese Doppelbesteuerung wird auch nicht durch eine Gegenberichtigung i.S.d. Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010 oder ein Verständigungsverfahren beseitigt, da sie auf unterschiedlichen Gewinnermittlungsvorschriften beruht.5 Bei der Transformation des Authorised OECD Approach in innerstaatliches Recht stellt sich mithin die Frage, ob der Gesetzgeber konsequent ist und die Aufwendungen für Geschenke und Bewirtungen, die das ausländische Stammhaus an eine inländische Betriebsstätte belastet, als abzugsfähigen Aufwand behandelt, weil (oder wenn) er bereits im Ausland als nichtabzugsfähige Betriebsausgabe die steuerliche Bemessungsgrundlage des Stammhauses erhöht hat. Dies ist meist nicht der Fall und führt zu Doppelbesteuerungen. Eine entsprechende Gesetzesänderung in § 4 Abs. 5 Satz 1 EStG ist für inländische Betriebsstätten daher zu fordern.

1 Vgl. BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123; BMF v. 12.1.2010 – IV B 5 - S 1341/07/ 10009 – DOK 2010/0002173, BStBl. I 2010, 34. 2 Siehe zur Nichtabzugsfähigkeit der sog. Bankenabgabe (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 13 EStG) Rz. 11.120 ff. 3 Vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 2 und § 10 Nr. 4 KStG. 4 Während unter dem Veranlassungsprinzip und nach den OECD-Betriebsstättenberichten 2008 und 2010 die Aufteilung von Wirtschaftsgütern zulässig ist, sieht die deutsche Finanzverwaltung in der BsGaV mit Ausnahme der immateriellen Wirtschaftsgüter eine einheitliche Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer einzigen Betriebsstätte vor. 5 Vgl. dazu auch Andresen/Busch, Ubg 2012, 451.

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4.22

Kap. 4 Rz. 4.23

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.23 Nicht-Anerkennung des Betriebsausgabenabzuges auf Grund der Anwendung des § 160 AO. Betriebsausgaben, Werbungskosten oder andere Ausgaben sind steuerlich nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der Finanzbehörde nicht nachkommt, die Gläubiger oder die Empfänger genau zu benennen. § 160 AO wirkt nur auf Ausgaben, die nicht bereits nach den Einzelsteuergesetzen nicht berücksichtigungsfähig sind. So gehen z.B. § 4, Abs. 5 und 6 und § 9 Abs. 5. EStG dem § 160 AO vor.1

4.24 Entgelt ist nicht betrieblich veranlasst i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG. Wenn und soweit der Steuerpflichtige Aufwendungen gebucht hat, die nicht betrieblich veranlasst sind, sind diese Aufwendungen als Abweichung zwischen Handels- und Steuerbilanz zu korrigieren. Es handelt sich dabei entweder um eine bilanzielle Korrektur auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung, z.B. bei einem Einzelunternehmen, oder um eine außerbilanzielle Hinzurechnung auf der 1. oder 2. Stufe der Gewinnermittlung. Soweit die nicht betrieblich veranlassten Aufwendungen anteilig beim Stammhaus und Betriebsstätte(n) gebucht worden sind, hat der Steuerpflichtige diese nach dem Veranlassungsprinzip bzw. den Zuordnungskriterien des § 1 Abs. 5 AStG – ggf. anteilig2 – auf der 1. oder 2. Stufe der Gewinnermittlung des Stammhauses oder der Betriebsstätte(n) wieder hinzuzurechnen.

4.25 Einlagen. Wenn und soweit der Steuerpflichtige Wirtschaftsgüter in sein Betriebsvermögen eingelegt hat, kann die Einlage erfolgswirksam oder erfolgsneutral eingebucht werden. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG geht von einer erfolgswirksamen Verbuchung der Einlage mit dem Teilwert aus und gebietet nur für diesen Fall, dass sich der Gewinn des Betriebes gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 und 8 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG grundsätzlich um den Teilwert3 des entnommenen Wirtschaftsgutes vermindert.4 Dies gilt auch für Zuführungen von Wirtschaftsgütern bei Eröffnung eines Betriebes (§ 6 Abs. 1 Nr. 6 EStG). Abweichend sind die Anschaffungsoder Herstellungskosten – bei abnutzbaren Wirtschaftsgütern korrigiert um Abschreibungen – anzusetzen, wenn das zugeführte Wirtschaftsgut innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Zeitpunkt der Zuführung angeschafft oder hergestellt worden ist, oder es sich bei diesem Wirtschaftsgut um einen Anteil an einer Kapitalgesellschaft handelt, an der der Steuerpflichtige i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG beteiligt (gewesen) ist. Der Entnahmewert – ggf. vermindert um die seit dem Entnahmezeitpunkt entstandenen Abschreibungen – ist anzusetzen, wenn der Einlage eine Entnahme des Wirtschaftsgutes aus einem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen vorausgegangen ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 und 3 EStG). Im Rahmen der Gewinnabgrenzung ist eine Einlage nach dem Veranlassungsprinzip bzw. den Zuordnungskriterien des § 1 Abs. 5 AStG – ggf. anteilig5 – dem Unterschiedsbetrag des Stammhauses oder der Betriebsstätte(n) zuzuordnen. 1 Vgl. Seer in T/K, AO/FGO § 160 AO Rz. 11; Buciek in Beermann/Gosch, § 160 AO Rz. 13 ff. 2 Während unter dem Veranlassungsprinzip und nach den OECD-Betriebsstättenberichten 2008 und 2010 die Aufteilung von Wirtschaftsgütern zulässig ist, sieht die deutsche Finanzverwaltung in der BsGaV mit Ausnahme der immateriellen Wirtschaftsgüter eine einheitliche Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer einzigen Betriebsstätte vor. 3 Siehe zum Teilwertbegriff Rz. 4.243. Vgl. zur Kritik am und zur Forderung der Abschaffung des Teilwertbegriff(s) Wissenschaftlicher Beirat des Fachbereichs Steuern der Ernst & Young AG, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, BB 2004, Beilage 3 – zu Heft 24. 4 Vgl. Werndl in K/S/M, § 6 EStG Rz. E 32; Winkeljohann in H/H/R, § 6 EStG Anm. 1191 und 1193. 5 Während unter dem Veranlassungsprinzip und nach den OECD-Betriebsstättenberichten 2008 und 2010 die Aufteilung von Wirtschaftsgütern zulässig ist, sieht die deutsche Finanzverwaltung in der BsGaV mit Ausnahme der immateriellen Wirtschaftsgüter eine einheitliche Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer einzigen Betriebsstätte vor.

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C. Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung und -abgrenzung

Rz. 4.28 Kap. 4

Verdeckte Einlagen. Neben der offenen Einlage kann bei Steuerpflichtigen, die der Körperschaftsteuer unterliegen, die verdeckte Einlage als Korrekturvorschrift zur Anwendung kommen. Eine verdeckte Einlage liegt vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person einer Kapitalgesellschaft oder einer Personengesellschaft oder ein Einzelunternehmer seinem Betrieb einen einlagefähigen Vermögensvorteil zuwendet und diese Zuwendung durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist bzw. die Einlage nicht als solche bezeichnet ist, und folglich nicht offen erfolgt. Die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis ist dann anzunehmen, wenn ein Nichtgesellschafter bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns den Vermögensvorteil nicht zugewendet hätte. Die Annahme einer verdeckten Einlage führt bei der Gesellschaft zum Ansatz des eingelegten Wirtschaftsgutes mit dessen Teilwert.1 Beim Gesellschafter erhöhen sich insoweit die Anschaffungskosten auf die Beteiligung. Die Zuordnung einer solchen verdeckten Einlage richtet sich je nach Veranlagungszeitraum nach dem Veranlassungsprinzip oder nach den Zuordnungsregeln des AOA.

4.26

Steuerfreie Einnahmen oder Einkünfte. Sowohl das innerstaatliche Steuerrecht als auch die DBA können bestimmte Einnahmen und/oder Einkünfte für steuerfrei erklären. Für die Gewinnermittlung eines Unternehmens bedeutet dies regelmäßig, dass nur ein Teilbetrag des Gesamtgewinnes steuerfrei gestellt wird. Dieser steuerfreie Teil des Gewinns muss von dem übrigen Gewinn abgegrenzt werden. Diese Abgrenzung vollzieht sich auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung außerhalb der Gesamtbilanz des Unternehmens. Als Folge steuerfreier Einnahmen können Betriebsausgaben nicht abziehbar sein.

4.27

Gegenberichtigungen i.S.d. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA 2010 bei triangulären Fällen. Wenn und soweit die inländische Finanzverwaltung die Doppelbesteuerung aus einer Verrechnungspreisanpassung bzw. Einkünftekorrektur bei einer ausländischen Schwesterkapitalgesellschaft z.B. auf Grundlage einer dem § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ähnlichen Vorschrift (Unterpreislieferung der ausländischen Schwesterkapitalgesellschaft sowohl an das ausländische Stammhaus als auch an die inländische Betriebsstätte) durch eine Gegenberichtigung i.S.d. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA 2010 vermeiden möchte, müsste sie den Unterschiedsbetrag der inländischen Betriebsstätte(n) nach dem Veranlassungsprinzip bzw. den Zuordnungskriterien des § 1 Abs. 5 AStG – ggf. anteilig – um diese Gegenberichtigung außerbilanziell kürzen. Dabei ist zu beachten, dass Gegenberichtigungen nach Art. 9 Abs. 2 OECD-MA 2010 im Verhältnis zwischen Stammhaus bzw. Betriebsstätte auf der einen und nahestehenden Personen bzw. verbundenen Unternehmen auf der anderen Seite häufig die Rechtsgrundlage fehlt, da es sich um trianguläre Fälle handelt. Die inländische Betriebsstätte ist regelmäßig nicht Person i.S.d. DBA zwischen dem Staat des Stammhauses und dem Ansässigkeitsstaat der Schwesterkapitalgesellschaft. Da die Finanzverwaltungen des Betriebsstättenstaates sich somit nicht auf das DBA zwischen dem Ansässigkeitsstaat des Stammhauses und dem Ansässigkeitsstaat des korrigierenden Staates stützen kann, was die Maßnahmen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung anbetrifft, muss der Steuerpflichtige darauf hoffen, dass in einem späteren Verständigungsverfahren der Ansässigkeitsstaat des Stammhauses zwei Verständigungsverfahren eröffnet, je eines zum Ansässigkeits- bzw. Belegenheitsstaat der Schwesterkapitalgesellschaft bzw. der Betriebsstätte, wie es einige europäische Finanzverwaltungen bei Verständigungsverfahren in triangulären Fällen praktizieren.2

4.28

1 § 5 Abs. 6 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 und 5 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG; vgl. auch Rz. 4.243. 2 Vgl. zu triangulären Fällen das Protokoll des EU-Joint Transfer Pricing Forums: Final Report of the EU Joint Transfer Pricing Forum on the Interpretation of some Provisions of the Arbitration Convention, Brüssel, 14.9.2009, SEC(2009)1169 final, 8 ff.

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Kap. 4 Rz. 4.29

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.29 Anwendungsbereich der Korrekturvorschriften. Es bleibt festzuhalten, dass die verdeckte Gewinnausschüttung, die verdeckte Einlage, § 1 AStG, die Entnahme etc. auf die Geschäftsvorfälle zwischen Stammhaus und/oder Betriebsstätte auf der einen Seite einer Geschäftsbeziehung und verbundenen Unternehmen bzw. nahestehenden Personen auf der anderen Seite dieser Geschäftsbeziehung Anwendung finden können. In diesen Fällen ist zu prüfen, welchem Betriebsteil die Rechtsfolgen zuzuordnen sind, die aus der Anwendung der jeweiligen Korrekturvorschrift resultieren. Die Zuordnung der Rechtsfolgen folgt in den Wirtschaftsjahren, die nach dem 31.12.2012 beginnen, der Zuordnung des Geschäftsvorfalls nach § 9 BsGaV bei Geschäftsvorfällen allgemein (s. Rz. 4.121 ff.) bzw. § 15 BsGaV bei Finanzierungsaufwendungen (s. Rz. 4.174 ff.). Beispiel 1: Die B, eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland, ist zu je 100 % an zwei ausländischen Kapitalgesellschaften A1 und A2 beteiligt. A1 und A2 bilden eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (A-GbR) im Inland und erwerben in dieser Rechtsform ein inländisches Grundstück. Der Kaufpreis beträgt 12 Mio. Euro. Der zur Finanzierung des Kaufpreises notwendige Betrag wird der A-GbR von der B zur Verfügung gestellt. Der vereinbarte Zinssatz beträgt 10 %. Die A-GbR hätte den Darlehensbetrag unter gleichen Bedingungen von einer inländischen Bank zu einem Zinssatz von 7,5 % erhalten.1 Die Zinsen, die den Fremdvergleichszinssatz von 7,5 % übersteigen, sind eine vGA und dürfen die Einkünfte der A-GbR nicht mindern. Beispiel 2: Die A., eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Staat A, hat eine eingetragene Zweigniederlassung im Inland. Die drei gem. Handelsregister ständigen Vertreter der Zweigniederlassung erwerben Beteiligungen an drei inländischen Kapitalgesellschaften im Wert von 180 Mio. Euro, ermittelt nach Ertragswertverfahren. Der Erwerb der Beteiligungen wird größtenteils fremdfinanziert. Zu diesem Zweck erhält die inländische Zweigniederlassung 160 Mio. Euro in Form eines Darlehens von der B, einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Staat B, deren Anteile zu 100 % von A gehalten werden. Der vereinbarte Zinssatz beträgt 9 % und entspricht dem Marktzins zum Zeitpunkt der Begebung des Darlehens. Die Niederlassung trägt die Zinszahlungen und erwirtschaftet mangels ausreichender Dividendeneinkünfte während eines Zeitraums von acht Jahren ausschließlich Verluste.

Die Zinszahlungen begründen bei der inländischen Zweigniederlassung trotz der langen Verlustperiode von 8 Jahren keine vGA, da der Zinssatz marktkonform ist und das Ausbleiben der Dividendeneinkünfte zum Zeitpunkt der Aufnahme des Darlehens nicht absehbar war.

D. Regeln der Einkünfteabgrenzung nach dem Authorised OECD Approach I. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA für nach dem 31.12.2014 beginnende Wirtschaftsjahre 1. Einschlägige Rechtsvorschriften

4.30 Fortgeltung der durch das SEStEG und das JStG 2010 eingefügten Normen. In den Wirtschaftsjahren, die nach dem 31.12.2012 beginnen, gelten die Entstrickungsregeln fort, die der Gesetzgeber mit dem SEStEG und dem JStG 2010 eingeführt hat (s. dazu Rz. 4.257 ff. und 4.271 ff.). Dies gilt insbesondere auch für den Ausgleichsposten i.S.d. § 4g EStG, dessen Bildung für Entnahmen i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG auch unter dem AOA zulässig ist.2 Die

1 Siehe auch BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, FR 1995, 476 = IStR 1995, 330 m. Anm. FW. 2 Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 6 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG.

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Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.31 Kap. 4

in der Literatur diskutierte Frage, ob es Gründe für die Rechtfertigung eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit durch die Vorschrift des § 4g EStG gibt, ist durch das Urteil des EuGH1 in der Rechtssache Verder LabTec zugunsten des Gesetzgebers beantwortet worden. Der EuGH hat die Bildung des Ausgleichspostens i.S.d. § 4g EStG als ausreichenden Aufschub für die Steuerzahlung im Falle einer Entstrickung angesehen. Ergänzende Rechtsgrundlagen der Gewinnabgrenzung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen. Das AmtshilfeRLUmsG ändert den § 1 AStG in einigen wesentlichen Punkten und eröffnet dadurch dessen Anwendung auf Geschäftsbeziehungen zu und zwischen Personengesellschaften und anderen Mitunternehmerschaften und auf sog. Innentransaktionen (auch anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen) zwischen Betriebsstätten, die in unterschiedlichen Staaten belegen sind. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG definiert Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften abweichend von der anderslautenden, aber somit überholten BFH-Rechtsprechung (Gesellschafter der Personengesellschaft sind Steuerpflichtige)2 selbst als Steuerpflichtige i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG und als nahestehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG, wenn diese dessen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Dies soll grundsätzlich für Veranlagungszeiträume ab 2013 gelten (§ 21 Abs. 20 Satz 1 AStG), wohingegen ein gegenseitiges Nahestehen von mehreren Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften nach § 21 Abs. 20 Satz 2 AStG in allen noch nicht bestandskräftigen Veranlagungen gelten soll.3 Diese Vorschrift ist in verfassungskonformer4 Weise dahingehend auszulegen, dass erst ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Veröffentlichung des Wortlautes des neuen § 1 Abs. 1 AStG im Referentenentwurf des Jahressteuergesetzes 2013 am 5.3.20125 von einem Nahestehen von Personengesellschaften oder Mitunternehmerschaften untereinander mit Bezug auf die Anwendung des § 1 AStG auf eine Geschäftsbeziehung zum Ausland ausgegangen werden kann. § 1 Abs. 4 und 5 AStG werden durch das AmtshilfeRLUmsG neu gefasst. Danach sind grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen von Personengesellschaften unmittelbar von § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG erfasst.6 § 1 Abs. 4 AStG definiert den Begriff der Geschäftsbeziehung neu unter Einschluss von Geschäftsvorfällen zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte, i.e. sog. anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (s. dazu Rz. 4.41f.). Da Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft und Einkünfte aus selbständiger Arbeit häufig nicht in Betriebsstätten, sondern bestenfalls in festen Einrichtungen erwirtschaftet werden, stellt sich die Frage, ob der AOA insoweit überhaupt Anwendung finden kann.7 Dies dürfte grundsätzlich zu bejahen sein. Schließlich enthält § 1 Abs. 5 AStG die Regelungen, die den AOA in innerstaatliches Recht umsetzen. „Der neue Abs. 5 betrifft […] nur rechtlich unselbständige Betriebsstätten unabhängig

1 Vgl. EuGH v. 21.5.2015 – Rs. C-657/13 – Verder LabTec, ECLI:EU:C:2015:331 = FR 2015, 600 = ISR 2015, 259 = IStR 2015, 440 ff. m. Anm. Mitschke. 2 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321 = FR 1998, 487. 3 Der Gesetzgeber erhoffte sich hier wohl Sachverhalte aus Altjahren der Besteuerung zuführen zu können, die dem Sachverhalt ähnlich sind, der dem BFH-Urteil v. 17.7.2008 (I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149) zugrunde gelegen hat; s. entsprechend auch den Nichtanwendungserlass: BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/1005, BStBl. I 2009, 671. 4 Vgl. BVerfG v. 10.10.2012 – 1 BvL 6/07, BStBl. II 2012, 932 unter C. 5 Der unveränderte Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG findet sich auch in der BT-Drucks. 17/10000 in Art. 5, 21. 6 Vgl. gleichlautend für die Vergangenheit BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875; s. auch Wilke, IWB 2012, 271 (272). 7 Vgl. Wassermeyer, IStR 2012, 277 (281).

Andresen 185

4.31

Kap. 4 Rz. 4.32

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

von der Rechtsform des Unternehmens.“1 Dazu gehören die Behandlung einer Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen gem. § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG, die Zuordnungsregeln für Funktionen, Vermögenswerte, Chancen und Risiken sowie für ein angemessenes Eigenkapital (§ 1 Abs. 5 Satz 3 AStG) und die Bestimmung der Art von Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Betriebsstätte und deren Verrechnungspreisen gem. § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG. § 1 Abs. 4 und 5 AStG sind erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2012 beginnen (§ 21 Abs. 20 Satz 3 AStG). Schließlich hat das AmtshilfeRLUmsG § 50i in das EStG eingefügt. Die Vorschrift soll die inländische Besteuerung der Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach Einbringung der besagten Anteile in eine fiktiv gewerbliche Personengesellschaft und nach einem sich anschließenden Wegzug ins Ausland sichern2 und ist auf die Veräußerung von Wirtschaftsgütern oder Anteilen oder ihre Entnahme anzuwenden, wenn diese nach dem 29.6.2013 stattfindet, dem Datum der Verkündung des AmtshilfeRLUmsG im BGBl.3

4.32 Anwendung der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung ab 1.1.2015. § 1 Abs. 6 AStG hat das BMF dazu ermächtigt, in einer Rechtsverordnung die Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.d. § 1 Abs. 1, 3 und 5 AStG sowie Grundsätze zur Bestimmung des Dotationskapitals i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG festzulegen. Die unter dieser Ermächtigung verfasste Rechtsverordnung, die Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) ist erstmals am 5.8.2013 im Entwurf veröffentlicht worden. Die endgültige Fassung ist mit Datum 13.10.2014 im BGBl. abgedruckt worden und ausweislich § 40 BsGaV erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2014 beginnen. Steuerpflichtige sind damit in den Wirtschaftsjahren 2013 und 2014 der praktischen Schwierigkeit ausgesetzt, den abstrakten Maßstab des AOA anwenden zu müssen, ohne dass sie eine hinreichend konkrete Anleitung dafür vom Gesetzgeber erhalten haben. Grundsätzlich dürfte nichts dagegen sprechen, die Abgrenzungsgrundsätze der BsGaV – soweit möglich – auf die Wirtschaftsjahre 2013 und 2014 anzuwenden und so dem gesetzlichen Gebot zu folgen, die inländischen und ausländischen Einkünfte i.S.d. §§ 49 und 34d EStG unter Anwendung des AOA ggf. begrenzt durch insoweit einschränkende DBA zu ermitteln. Gleichzeitig darf die Nichtanwendung der Vorschriften der BsGaV in diesen beiden Jahren nicht zu nachteiligen Rechtsfolgen für den Steuerpflichtigen führen. Es spricht daher vieles dafür, dass Steuerpflichtige ihre bestehende Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip zunächst fortführen und erst zum 1.1.2015 auf den AOA umstellen.

4.33 Einschränkung der Anwendung des Veranlassungsprinzips durch lex specialis „AOA“. Die Einführung des AOA ist eine Zäsur und bedeutet einen Paradigmenwechsel für die Einkünfteabgrenzung, die bisher ausschließlich auf dem Veranlassungsprinzip gefußt hat. Ob die Einführung des AOA das Ende der Anwendung des Veranlassungsprinzips für Zwecke der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung bedeutet, ist zu bezweifeln, da das Veranlassungsprinzip als Gewinnermittlungsprinzip für Abgrenzungszwecke fortbestehen wird. Das Veranlassungsprinzip, das in Ermangelung anderer Maßstäbe über Jahrzehnte den Steuerpflichtigen, der Finanzverwaltung und der Finanzgerichtsbarkeit als Abgrenzungsmaßstab gedient hat, wird auch weiterhin benötigt, damit betriebliche Einkünfte abgegrenzt werden können. Angesichts der Tatsache, dass das in § 4 Abs. 4 EStG kodifizierte Veranlassungsprinzip durch

1 BMF, Referentenentwurf eines JStG 2013 v. 5.3.2012, 88. 2 Vgl. Töben, IStR 2013, 682 ff.; Liekenbrock, IStR 2013, 690 ff.; Pohl, IStR 2013, 699 ff. 3 Vgl. Köhler, ISR 2014, 317 ff.; Bron, DStR 2014, 1849 ff.; Ettinger/Beuchert, IWB 2014, 680 ff.

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D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.34 Kap. 4

die Einführung des AOA nicht aufgehoben ist, spricht alles dafür, dass das Veranlassungsprinzip fortgesetzt auch über den 1.1.2013 hinaus in der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung Anwendung findet und lediglich durch die ggf. spezifischeren Regelungen des AOA bezüglich der Zuordnung von Wirtschaftsgütern, Kapital und Geschäftsbeziehungen ergänzt und ggf. begrenzt wird. Auf das Veranlassungsprinzip ist entsprechend dann zurückzugreifen, wenn es an einer spezielleren Zuordnungsregelung in der BsGaV fehlt. 2. Grundzüge des Authorised OECD Approach nach innerstaatlichem Recht Aufbau des § 1 Abs. 5 AStG. § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG verlangt die Anwendung der §§ 1 Abs. 1 (Einkünftekorrektur unter Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes), 1 Abs. 3 (Bestimmung von Fremdvergleichswerten auch im Falle einer Funktionsverlagerung) und 1 Abs. 4 (Fingierung schuldrechtlicher Vereinbarungen mit Gegenbeweismöglichkeit) AStG auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG, wenn in diesen Beziehungen vom Steuerpflichtigen Bedingungen, insbesondere Verrechnungspreise, der Besteuerung zugrunde gelegt werden, die dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht entsprechen, und wenn dadurch entweder a) die Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder b) die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden. Der dort in den folgenden Sätzen 2–8 formulierte zweite Schritt des AOA,1 die Verrechnungspreisanalyse unter Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes, setzt jedoch voraus, dass die Betriebsstätte für steuerliche Zwecke wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen behandelt wird (§ 1 Abs. 5 Satz 2 AStG). Der Grund dafür liegt darin, dass nur dann, wenn die Betriebsstätte auf diese Weise verselbständigt wird, die Annahme schuldrechtlicher Beziehungen zwischen Betriebsstätte und Unternehmen gedanklich möglich ist, auf die bzw. deren Konditionen dann wiederum der Fremdvergleichsmaßstab i.S.d. AOA angewendet werden kann. Die Verselbständigung vollzieht sich im ersten Schritt des AOA in der gesetzlich normierten Zuordnung von sog. Personalfunktionen (besser Geschäftstätigkeiten),2 von Vermögenswerten (besser Wirtschaftsgüter) und von Chancen und Risiken des Unternehmens und eines angemessenen Eigenkapitals (Dotationskapital) zur (bzw. zu den jeweiligen) Betriebsstätte(n).3 Ausweislich der Gesetzesbegründung handelt es sich jedoch um eine eingeschränkte Selbständigkeitsfiktion, was sich u.a. darin niederschlägt, dass eine Betriebsstätte stets die gleiche Bonität bzw. das gleiche ‚Credit Rating‘ wie das Unternehmen als Ganzes haben soll und dass Darlehensverhältnisse zwischen Unternehmen und Betriebsstätte nicht uneingeschränkt anerkannt werden. Während die Annahme eines identischen Kreditratings konsequent ist,4 erscheint die restriktive Handhabung der Anerkennung von Darlehensverhältnissen – wohlgemerkt bei gleichem Kreditrating – ungerechtfertigt und steht auch im Widerspruch zum OECD-Betriebsstättenbericht 2010.5 Nach der oben beschriebenen Zuordnung hat der Steuerpflichtige die Art seiner Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und der Betriebsstätten zu bestimmen und deren Verrechnungspreise bzw. Entgelt festzulegen. 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 44, 21. 2 Die Aufzählung in § 2 Abs. 3 BsGaV führt letztendlich Tätigkeiten bzw. Handlungen auf: die Nutzung, die Anschaffung, die Herstellung, die Verwaltung, die Veräußerung, die Weiterentwicklung, den Schutz, die Risikosteuerung und die Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen. 3 Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG. 4 Vgl. Andresen, RdF 2015, 303 ff. 5 Die folgenden Textpassagen machen deutlich, dass interne Darlehensverhältnisse zugelassen sein sollten: OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 151, 152 ff.

Andresen 187

4.34

Kap. 4 Rz. 4.35

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.35 Analoge Anwendung auf Vertreterbetriebsstätten. § 1 Abs. 5 Satz 5 AStG verlangt die analoge Anwendung der Sätze 1 bis 4 der Vorschrift auf Vertreterbetriebsstätten, d.h. die Einkünftekorrektur durch Zuordnung von Personalfunktionen, Wirtschaftsgüter, Chancen und Risiken und Eigenkapital für die durch einen ständigen Vertreter begründete Betriebsstätte (s. dazu Kapitel 11 Abschnitt F.; Rz. 11.347 ff.).

4.36 Analoge Anwendung auf Dienstleistungsbetriebsstätten. Trotz fehlenden Dienstleistungsbetriebsstätten-Tatbestands in der AO und fehlender Erwähnung in § 1 Abs. 5 AStG ist davon auszugehen, dass die Sätze 1 bis 4 der Vorschrift auf im Ausland belegene Dienstleistungsbetriebsstätten und deren Einkünfteabgrenzung entsprechend anzuwenden sind, soweit das DBA die Existenz einer Dienstleistungsbetriebsstätte zulässt (s. dazu Kapitel 11 Abschnitt J.; Rz. 11.438 ff.).1

4.37 Keine Anwendung des AOA auf Geschäftsbeziehungen zu Personengesellschaften i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG. Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften können ausweislich § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG sowohl Steuerpflichtige als auch – unter Voraussetzung des § 1 Abs. 2 AStG – nahestehende Personen i.S.d. § 1 AStG sein. Geschäftsbeziehungen zu diesen Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften, sei es mit dem Gesellschafter oder Mitunternehmer oder mit anderen Personengesellschaften, fallen jedoch nicht in den Anwendungsbereich des AOA i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 1 bis 4 AStG.2 Diese Geschäftsbeziehungen sind nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 AStG auf ihre Angemessenheit zu überprüfen. Lediglich dann, wenn eine Personengesellschaft eine eigene Betriebsstätte in einem anderen Staat begründet hat, kann der AOA für Zuordnungs- und Abgrenzungszwecke im Verhältnis zu dieser Betriebsstätte auch bei Personengesellschaften zur Anwendung kommen.3 Dies gilt jedoch nicht, wenn diese Personengesellschaft Einkünfte i.S.d. § 21 EStG erzielt, weil eine solche Personengesellschaft nur eine feste Einrichtung haben kann, aber keine Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO (s. auch Rz. 2.78 ff.).4

4.38 Reichweite des AOA i.S.d. § 1 Abs. 5 AStG. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 5 AStG soll „die Behandlung einer rechtlich unselbständigen Betriebsstätte als fiktiv eigenständiges und unabhängiges Unternehmen und die Anwendung der Verrechnungspreisgrundsätze“ dazu führen können, dass eine Betriebsstätte einen Gewinn erzielt, obwohl das Unternehmen insgesamt Verluste erlitten hat oder sogar nie einen Gewinn erzielt (hat) oder dass die Betriebsstätte einen Verlust erleidet, während das Unternehmen insgesamt einen Gewinn erzielt.5 Während der vorstehend beschriebene Umstand ein mögliches Ergebnis der Anwendung des AOA sein kann, ist der folgende Abschnitt der Gesetzesbegründung in verfassungskonformer und unionsrechtskonformer Weise auszulegen. Dort heißt es: „Der Ansatz von Fremdvergleichspreisen […] kann auch dazu führen, dass es zu Abweichungen

1 Dies sind zurzeit die DBA mit China (seit 2011), Taiwan (seit 2011), der Türkei (seit 2011), Südafrika (seit 2008) und den Philippinen (seit 2010); vgl. dazu auch Kahle/Kindich, IStR 2016, 89 ff. 2 Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 7 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG; s. zur Kritik daran Wassermeyer, IStR 2012, 277 (281); ebenso VWG BsGa, Rz. 13 ff.; Kahle/Kindich in H/K/G/R, § 1 Abs. 5–6 AStG Rz. 124. 3 Vgl. BMF, Referentenentwurf eines JStG 2013 v. 5.3.2012, 92. 4 Vgl. BMF, Referentenentwurf eines JStG 2013 v. 5.3.2012, 92; Wassermeyer, IStR 2012, 277 (281). 5 Vgl. BMF, Referentenentwurf eines JStG 2013 v. 5.3.2012, 91.

188

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.39 Kap. 4

der Summe der Einzelergebnisse verschiedener [gemeint wohl: aller; Anm. d. Verf.] Betriebsstätten vom Gesamtergebnis des Unternehmens kommt.“1 Nicht im Außenverhältnis realisierte Gewinne oder Verluste suggerieren jedoch eine Leistungsfähigkeit, die so gar nicht besteht. Entsprechend sind Zweifel daran angebracht, ob das vom Gesetzgeber formulierte Auslegungsergebnis des AOA von der Verfassung gedeckt ist. Ein nicht entstandener Gewinn oder Verlust darf keine Steuer auslösen oder zu einer Steuerreduzierung führen.2 Gleiches gilt für das Unionsrecht, in dem eine drohende Sofortbesteuerung aus der Annahme eines Gewinns, der im Außenverhältnis nicht realisiert ist, durch geeignete Maßnahmen zu verhindern wäre,3 damit die entsprechende Norm nicht gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, ohne dass ein Rechtfertigungsgrund dafür vorläge. Der insoweit weitere Rahmen des OECDBetriebsstättenbericht 2010 zeigt, dass man sich dort mit verfassungsrechtlichen, aufsichtsrechtlichen und unionsrechtlichen Fragen nur in sehr unzureichendem Maße beschäftigt hat. Entsprechend enthält § 1 Abs. 5 Satz 6 AStG den Hinweis, dass die Bildung eines Ausgleichspostens i.S.d. § 4g EStG4 durch § 1 Abs. 5 AStG nicht eingeschränkt wird. Wenn und soweit jedoch ein Gewinn der Besteuerung zugeführt wird – ggf. unter Anwendung der Ausgleichsposten-Regelung –, während tatsächlich ein Verlust erlitten worden ist, wäre die übermäßige Besteuerung zu korrigieren, ggf. im Billigkeitswege, wenn die Regelungen über die Festsetzung der Steuer eine Rücknahme der Besteuerung sonst nicht mehr zulassen. Einschränkung durch ein DBA ohne AOA (§ 1 Abs. 5 Satz 8 AStG). § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG sieht vor, dass die Regelungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 bis 7 AStG „nur“ dann nicht zur Anwendung kommen und somit keinen Vorrang vor einem DBA haben, wenn ein auf die Geschäftsbeziehung zwischen Unternehmen und Betriebsstätte anzuwendendes DBA abgeschlossen ist, dessen Regelungen den Sätzen 1 bis 7 des § 1 Abs. 5 AStG widersprechen und deshalb zu einer Doppelbesteuerung führen, und wenn der Steuerpflichtige zusätzlich die vom innerstaatlichen Recht Deutschlands abweichende Anwendung des Abkommens (Ausübung des Besteuerungsrechts entsprechend dem Abkommen) durch den anderen Staat nachweist. Auf diese Art und Weise möchte der Gesetzgeber offensichtlich sicherstellen, dass keine weißen Einkünfte entstehen, die mangels umfassender Subject-to-Tax-Klausel hinsichtlich Betriebsstätteneinkünften5 in keinem Staat besteuert werden. Ein DBA ist unmittelbar anwendbares Recht und begrenzt als solches das Besteuerungsrecht eines Staates. Ihm nur unter der Bedingung Vorrang einzuräumen, dass der Steuerpflichtige die abweichende Besteuerungspraxis hinsichtlich des AOA im anderen Staat durch Vorlage geeigneter Dokumente nachweist, dürfte wegen der Prohibitivwirkung des Nachweises ein materielles Treaty Override sein.6 Da Treaty Overrides durch das BVerfG7 als verfassungsgemäß erkannt worden sind, nimmt die Bedeu-

1 Vgl. BMF, Referentenentwurf eines JStG 2013 v. 5.3.2012, 91. 2 Vgl. dazu das äußerst instruktive Beispiel einer Fehlinterpretation des AOA: Andresen, DB 2012, 879 ff. 3 Vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, ECLI:EU:C:2011:785, 2. Leitsatz, 2. Spiegelstrich = FR 2012, 25 m. Anm. Musil = IStR 2012, 27. 4 Siehe zu dessen Unionsrechtskonformität EuGH v. 21.5.2015 – Rs. C-657/13 – Verder LabTec, ECLI:EU:C:2011:785 = FR 2015, 600 = ISR 2015, 259 = IStR 2015, 440 ff. m. Anm. Mitschke. 5 Vgl. zum Fehlen einer solchen Klausel im DBA-Kanada 1981: BFH v. 5.2.1992 – I R 158/90, BStBl. II 1992, 660; a.A. BFH v. 17.12.2003 – I R 14/02, BStBl. II 2004, 260 = FR 2004, 530; gl.A. (DBA-Italien) BFH v. 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008, 953 = FR 2008, 582. 6 Ebenso Gebhardt, BB 2012, 2353, 2354. 7 Vgl. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, FR 2016, 326 = ISR 2016, 125 m. Anm. Jochimsen = DStR 2016, 359 ff.

Andresen 189

4.39

Kap. 4 Rz. 4.40

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

tung der Frage nach der Qualität des Nachweises der Nichtanwendung des AOA durch den DBA-Partnerstaat zu. An diesen Nachweis sollten keine hohen Anforderungen gestellt werden, da es hier um die Beseitigung einer drohenden Doppelbesteuerung aus einer Regelung geht, die lediglich die OECD-Staaten unter sich vereinbart haben. Da Doppelbesteuerungen per se einen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip darstellen, sollten die Voraussetzungen für deren Vermeidung für den Steuerpflichtigen leicht erfüllbar sein. Daher ist zu fordern, dass die Vorlage der betreffenden Steuererklärung aus dem Ausland mit den dazugehörigen Steuerbescheiden1 als ausreichender Nachweis angesehen werden sollte.

4.40 Konzeption des AOA: Bepreisung von Innentransaktionen statt Aufteilung von Erträgen und Aufwendungen. Die Erfahrungen aus der Zeit vor dem AOA haben gezeigt, dass es schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, unter dem Fremdvergleich den Anteil von Erträgen bzw. Aufwendungen zu bestimmen – geschweige denn handels- oder steuerbilanziell zu buchen –, der einer bestimmten Betriebsstätte zuzuordnen ist. Es gibt schlechterdings keine öffentlich bekannten Prozentsätze, zu denen fremde Dritte Erträge bzw. Aufwendungen untereinander aufteilen. Daran scheitern in der Praxis auch regelmäßig der Profit Split oder andere Verfahren der Zuordnung von Wertschöpfungsbeiträgen, wie sie durch die OECD/G20 unter der BEPS-Agenda wieder in die Diskussion eingebracht werden. Im Gegensatz dazu gibt es langjährig erprobte Verfahren der Verprobung der Angemessenheit von Entgelten für jede Art von Leistungen zwischen voneinander abgegrenzten Einheiten, seien es Kapitalgesellschaften, natürliche Personen, Personengesellschaften oder Betriebsstätten. Der AOA löst das Problem des Findens von Aufteilungs-Prozentsätzen, indem er grundsätzlich eine Erstzuordnung von sämtlichen Erträgen und Aufwendungen aus einem Vermögenswert, Geschäftsvorfall etc. zu einer (einzelnen) Betriebsstätte vorsieht. Erst in einem zweiten Schritt wird unter dem AOA festgestellt, ob andere Betriebsstätten Leistungen an die Betriebsstätte erbracht haben, der ein Vermögenswert, Geschäftsvorfall etc. zugeordnet worden ist, die dann zu qualifizieren und zu bepreisen sind. Diese durch den AOA vorgegebene Vorgehensweise erschließt sich auch, wenn man sich auf die Essenz der Abgrenzung von Einkünften zwischen Betriebsstätten besinnt. Dort geht es primär um die Aufteilung von im Außenverhältnis realisierten Erträgen und Aufwendungen auf die Betriebsstätte in Land A und die Betriebsstätte in Land B, wie es die nachfolgende Grafik zeigt. Die durch den Kreis hervorgehobene Bifurkation bzw. Gabelung zeigt, dass Erträge und Aufwendungen häufig zwischen zwei Betriebsstätten aufzuteilen sind. Der AOA ersetzt dies durch die eindeutige Erstzuordnung von Erträgen und Aufwendungen zu einer (einzelnen) Betriebsstätte und die anschließende Bestimmung desjenigen Teils dieser Erträge und Aufwendungen, der für Leistungen von bzw. an andere Betriebsstätten an diese bzw. von diesen zu verrechnen sind. Die Zuordnung von Wirtschaftsgütern (Aktiva), Passiva und Eigenkapital ist dafür nur Hilfsmittel, so dass es letztlich für den Zweck des AOA – die angemessene Abgrenzung von Einkünften – nicht einmal auf die richtige Zuordnung von diesen Bilanzpositionen ankommt, wenn im zweiten Schritt die aus der Zuordnung resultierenden „dealings“ im Sinne des Fremdvergleichs zutreffend bepreist worden sind. Daraus folgt außerdem, dass die Aufforderung an den Steuerpflichtigen, eine sog. Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen und fortzuführen, entbehrlich erscheint, wenn ein Steuerpflichtiger auf anderem Wege die in- bzw. ausländischen Betriebsstätteneinkünfte in Übereinstimmung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz ermittelt bzw. abgegrenzt.

1 Ebenso VWG BsGa, Tz. 429, 433; Kahle/Kindich in H/K/G/R, § 1 Abs. 5–6 AStG Rz. 131 ff., 139.

190

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.42 Kap. 4

GuV Betriebsstätte A Betriebsstätte Land A

Ertrag

Unternehmen A

GuV Betriebsstätte B

Aufwand Betriebsstätte Land B

Da es manchmal schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, den Wertschöpfungsbeitrag einzelner Funktionen zu bestimmen, weil keine Informationen über Wertschöpfungsbeiträge entlang einer Supply Chain öffentlich zugänglich sind, erscheint es sinnvoll, das Aufteilungsverhältnis dadurch sicherer im Sinne des Fremdvergleichsgrundsatzes zu bestimmen, dass man eine schuldrechtliche Beziehung annimmt zwischen der Betriebsstätte in Land A und der Betriebsstätte in Land B und diese auf der Grundlage vorhandener Marktdaten sicher und zutreffend bepreist. 3. Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG als Anwendungsvoraussetzung des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Betriebsstätte. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG verlangen zunächst die Existenz von Geschäftsvorfällen zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte (anzunehmende schuldrechtliche Beziehung bzw. Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG).

4.41

Begriff des Geschäftsvorfalls. Der Begriff des Geschäftsvorfalls ist dem Handelsrecht entlehnt. Dort sind Geschäftsvorfälle definiert als „Ereignisse, die eine Veränderung des kfm Bruttovermögens in Höhe und/oder Struktur bewirken.“1 Einen Geschäftsvorfall zwischen Unternehmen und Betriebsstätte, so wie ihn der Wortlaut des § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG beschreibt, gibt es jedoch nicht, weil sich das, was zwischen Unternehmen und seiner Betriebsstätte geschäftlich passiert, nicht in einer Veränderung des Bruttovermögens des Unternehmens niederschlagen kann. Daraus kann man schließen, dass § 1 Abs. 1 und 5 AStG nicht auf Innentransaktionen zwischen Unternehmen und Betriebsstätte angewendet werden kann, weil diese sich nicht als Geschäftsbeziehungen qualifizieren. Da dies der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen würde, wird man davon ausgehen müssen, dass der Gesetzgeber hier einen eigenständigen Begriff für Zwe-

4.42

1 Winkeljohann/Henckel in BeckBilanzkomm10, § 238 HGB Rz. 95 unter Zitierung von Eisele/Knobloch, Technik des betrieblichen Rechnungswesens8, 15; Lehmann, Marktorientierte Betriebswirtschaftslehre, Berlin u.a. 1998, 79 ff.; Müller, Kriterien für den Ausweis von Ertrag und Aufwand, Ludwigsburg 1992, 9 ff.

Andresen 191

Kap. 4 Rz. 4.43

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

cke des Steuerrechts verwendet hat.1 Eine Auslegung anhand des Zwecks der Vorschrift legt dann nahe, den Begriff des Geschäftsvorfalls nicht nach Handelsrecht zu definieren, sondern als Ereignisse, die die Höhe und Struktur der Steuerbilanz der betroffenen Betriebsstätten verändern. Wenn man mithin den Begriff des Geschäftsvorfalls teleologisch reduziert auslegt, erhalten § 1 Abs. 1 und 5 AStG wieder einen Anwendungsbereich in der Einkünfteabgrenzung zwischen Betriebsstätten. 4. Einkünfteminderung als Tatbestandsvoraussetzung für den zweiten Schritt des Authorised OECD Approach?

4.43 Einkünfteminderung als weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG. Neben der Existenz eines Geschäftsvorfalls müssen die Bedingungen einschließlich der Verrechnungspreise, die der Einkünfteabgrenzung zwischen Unternehmen und Betriebsstätte zugrunde liegen, den Fremdvergleichsgrundsatz verletzen und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht haben.

4.44 Rechtsfolge des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG. Die Rechtsfolge des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG ist jedoch keine unmittelbare Einkünftekorrektur, sondern die Anwendung der §§ 1 Abs. 1, 3 und 4 AStG. § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG hat mithin nur einen mittelbaren Korrekturcharakter. Die Einkünftekorrektur für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen soll sich nach dem Willen des Gesetzgebers nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 AStG ggf. i.V.m. § 1 Abs. 3 AStG vollziehen. Ob dies nach Wortlaut des § 1 Abs. 1 AStG zwingend ist, wird in Rz. 4.46 ff. hinterfragt. Daher ist festzuhalten, dass § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG, d.h. der zweite Schritt des AOA, sich erst im Zusammenwirken mit § 1 Abs. 1 AStG als Korrekturnorm qualifiziert. Diese Korrektur vollzieht sich außerhalb der Bilanz.2

4.45 Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG verlangt, die Einkünfte des Steuerpflichtigen so anzusetzen, wie sie unter den zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären (Fremdvergleichsgrundsatz), wenn folgende Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind: Die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus einer Geschäftsbeziehung zum Ausland mit einer nahestehenden Person sind dadurch gemindert, dass er Bedingungen (Verrechnungspreise) vereinbart hat, die nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen. Bezogen auf eine inländische Betriebsstätte würde dies bedeuten, dass sie für eine Leistung an das Unternehmen (Geschäftsleitungsbetriebsstätte) ein – am Fremdvergleich gemessen – zu geringes Entgelt erhalten hat. Das Unternehmen ist zwar nach wie vor nicht nahestehende Person seiner eigenen Betriebsstätte, wie es § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG eigentlich fordert. Die Vorschrift sollte jedoch teleologisch reduziert dahingehend auszulegen sein, dass eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG auch eine nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG ist – ggf. unter Wegfall der zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzung der nahestehenden Person. Ob dies der BFH unter Rückbesinnung auf seine Urteile vom 28.4.20043 genauso sehen wird, bleibt abzuwarten. Festzuhalten ist jedoch, dass die Einkünftekorrektur für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Unternehmen und Betriebsstätte auf Basis des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG erfolgt. 1 Die Gesetzesbegründung schweigt zum Begriff des Geschäftsvorfalls: vgl. Referentenentwurf eines JStG 2013 v. 5.3.2012, 90 f. 2 Vgl. zuletzt Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.6, 2.151 f. m.w.N. 3 Vgl. BFH v. 28.4.2004 – I R 5/02 und I R 6/02, IStR 2004, 758.

192

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.47 Kap. 4

5. Einordnung des § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG (erster Schritt des AOA) in die zweistufige Gewinnermittlung Verortung des AOA in der Korrekturnorm § 1 AStG. Der Gesetzgeber hat sich entschlossen, die innerstaatliche Rechtsgrundlage für die Anwendung des AOA in § 1 AStG zu formulieren. § 1 AStG ist nach herrschender Meinung1 eine Korrekturnorm und deckt daher die Erfordernisse einer vollständigen Gewinnermittlung für in- bzw. ausländische Einkünfte i.S.d. §§ 49 und 34d EStG nur unzureichend ab. Es fehlt gewissermaßen das Fundament der Einkommensermittlung in Gestalt der Steuerbilanz, aus der sich der jeweils anteilige Unterschiedsbetrag für das Unternehmen (die Geschäftsleitungsbetriebsstätte) und die anderen Betriebsstätten des Unternehmens ergibt. Bilanzierungsregeln für die Teilbilanz der Betriebsstätte eines Betriebes oder Unternehmens kennt das innerstaatliche Recht bis heute nicht. Ausgangspunkt sämtlicher Überlegungen zur Ermittlung der Einkünfte einer in- und ausländischen Betriebsstätte wird daher in aller Regel die Handelsbilanz des Unternehmens ggf. ergänzt um steuerliche Vorschriften z.B. i.S.d. § 60 Abs. 2 EStDV (zusammen Steuerbilanz) und das jeweils nach in- oder – insoweit äquivalenten – ausländischem Recht sein, die für Gewinnermittlungszwecke des jeweiligen Ansässigkeitsstaates der Betriebsstätten ggf. an nationale Gewinnermittlungsvorschriften anzupassen ist. Eine separate Betriebsstättenbuchführung erleichtert insoweit die Arbeit, als hier zumindest Abgrenzungsfragen im Erstellungsprozess zu beantworten sind. Die Prüfung, ob die Beantwortung der hierzu zu stellenden Zuordnungsfragen immer zutreffend gewesen und ausreichend dokumentiert ist, obliegt der Finanzverwaltung, die für diese Prüfung auf die nationalen Entstrickungsregeln, § 1 AStG, die BsGaV als materiell-rechtliche Vorschriften und § 90 Abs. 3 AO und die durch das AmtshilfeRLUmsG2 geänderte GAufzV als Dokumentationsvorschriften abstellen wird. War der alleinige Maßstab für die bilanzielle Zuordnung von Wirtschaftsgütern der einzelnen Bilanzpositionen vor 2013 das Veranlassungsprinzip, tritt daneben jetzt die Zuordnung qua Personalfunktion, d.h. der Geschäftstätigkeit mit der größten Bedeutung für den betreffenden Zuordnungsgegenstand (s. dazu Rz. 4.65, 4.72).

4.46

Kritik an der Verortung in § 1 AStG. In der Literatur ist die Verortung des AOA in § 1 AStG nahezu ausnahmslos auf Kritik gestoßen,3 weil die Norm nach der dort vertretenen Ansicht nicht die Lücke zu schließen vermag, die das Einkommensteuerrecht in diesem Bereich seit seinem Bestehen aufweist. Dieses Manko lässt sich jedoch ggf. durch entsprechende Auslegung der Vorschrift zumindest ansatzweise korrigieren. Dazu ist es notwendig, die einzelnen Absätze des § 1 AStG und Sätze des § 1 Abs. 5 AStG einzeln abzuschichten und differenziert auf ihren Korrekturcharakter zu untersuchen. Fehlt der Korrekturcharakter, dürfte es sich insoweit nicht um eine Korrekturnorm handeln mit der Konsequenz, dass die Rechtsfolge sich nicht im außerbilanziellen Raum abspielt, sondern eine Korrektur in den Teilbilanzen der Betriebsstätten auslöst. Auf diese Weise wird die Kritik an der weiterhin bestehenden Lücke im Einkommensteuerrecht im Auslegungswege gewissermaßen auf die rechtstheoretische Ebene befördert, während für den praktischen Umgang mit dem AOA über die Rechtsfolgen im bilanziellen Bereich einerseits (Vermögensabgrenzung oder -zuordnung) und im außerbilanziellen Bereich andererseits (Einkünfteabgrenzung) diese Lücke faktisch geschlossen wird.

4.47

1 Vgl. Hofacker in Haase3, § 1 AStG Rz. 30; Nientimp in Fuhrmann, § 1 AStG Rz. 1; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.65. 2 Vgl. Art. 7 des AmtshilfeRLUmsG, BGBl. I 2013, 1809 (1829). 3 Vgl. Gemeinsame Stellungnahme des DIHK, BDI, ZDH, BDA, BdB, GDV, HDE und BGA zum Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2013, 3; Stellungnahme des IdW zum Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2013, abgedruckt in IdW-Fn. 2012, 305, 306 f.; Kußmaul/Ruiner, BB 2012, 2025 (2027 f.); Wassermeyer, IStR 2012, 277 (277).

Andresen 193

Kap. 4 Rz. 4.48

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.48 § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG ist Korrekturnorm mit außerbilanzieller Rechtsfolge. Für den zweiten Schritt des AOA, die Verrechnungspreisanalyse mit Einkünftekorrektur, wenn und soweit geboten, ist bereits festgestellt worden (Rz. 4.44), dass es sich hierbei um eine Korrekturnorm handelt, deren Rechtsfolgen (Einkünftekorrektur) außerhalb der Bilanz abzubilden sind. Die Kritik an der Verortung des AOA in § 1 AStG ist insoweit allerdings unberechtigt, als man den zweiten Schritt des AOA in Gestalt des § 1 Abs. 5 Satz 1 und 4 AStG betrachtet, denn diese Vorschrift wirkt zusammen mit § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG in gleicher Weise wie § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG bei Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG zwischen nahestehenden Personen.

4.49 Zuordnung i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG (Bilanzierungsnorm) setzt keine Einkünfteminderung als Tatbestandvoraussetzung voraus. Der erste Schritt des AOA, die Zuordnung von Personalfunktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken und des Dotationskapitals, ist in § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG geregelt. Die Vorschrift ist insofern nicht wie eine typische Rechtsnorm strukturiert, als Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolge nicht klar erkennbar sind. Wenn man jedoch ungeachtet dessen den Zuordnungsbefehl für Funktionen etc. als Tatbestandsvoraussetzung und die Annahme, dass damit die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen behandelt ist, als Rechtsfolge ansieht, wird zumindest eines deutlich: Die Zuordnung ist keine Rechtsfolge und kennt schon gar nicht eine Tatbestandsvoraussetzung, die da lautet: Einkünfteminderung. Selbst wenn man für Auslegungszwecke § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG hinzuzieht, wird man erkennen müssen, dass die Behandlung der Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen (Tatbestandsvoraussetzung), damit man den Fremdvergleichsgrundsatz anwenden kann (Rechtsfolge), nicht dazu führt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz hier unmittelbar1 zu Korrekturen führt. Das ist auch nicht notwendig, denn die Anwendung der Zuordnung setzt keine Einkünfteminderung als Tatbestandsvoraussetzung voraus. Folglich muss sich die Zuordnung von Personalfunktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken und des Dotationskapital vollkommen wertneutral in Richtung Unternehmen (Geschäftsleitungsbetriebsstätten) oder in Richtung Betriebsstätte(n) vollziehen, und zwar unabhängig davon, ob damit eine Einkommenserhöhung verbunden ist. Mit anderen Worten ist eine Zuordnung oder Zuordnungsänderung nicht nur dann durchzuführen, wenn es dadurch zu einer Einkommenserhöhung kommt. Der Steuerpflichtige oder später die Finanzverwaltung führt sie nach den in der BsGaV vorgesehenen Kriterien einfach durch. Erst in einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob durch die im ersten Schritt vorgenommene Zuordnung andere Besteuerungstatbestände ausgelöst sind, etwa eine Entstrickung, eine Funktionsverlagerung, eine Nutzungsüberlassung, eine Veräußerung, eine Dienstleistungserbringung etc., und ob dadurch etwa eine Einkünfteminderung vorgelegen hat, die der Korrektur bedarf.

4.50 Rechtsfolge der Zuordnung i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG ist keine Einkünftekorrektur. § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG verpflichtet den Steuerpflichtigen dazu, eine Zuordnung von diversen Dingen zum übrigen Unternehmen (Geschäftsleitungsbetriebsstätte) oder zu der (oder den) Betriebsstätte(n) vorzunehmen. Nach welchem Maßstab die Zuordnung erfolgen soll, lässt der Gesetzgeber offen. Insoweit ist der Rechtsanwender auf die in der entsprechenden Ermächtigungsnorm des § 1 Abs. 6 AStG genannte Rechtsverordnung angewiesen, in der u.a. auch die Zuordnungen i.S.d. Abs. 5 der Vorschrift und insbesondere die Bestimmung des Dotationskapitals i.S.d. Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG zu regeln sind (Zuordnungsregelungen). Die 1 Die wiederholte Bezugnahme auf den Fremdvergleichsgrundsatz für Zuordnungszwecke in der BsGaV ist dort wohl eher als eine Art Verhaltenstest zu werten und dürfte an dem hier gefundenen Auslegungsergebnis nichts ändern.

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D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.51 Kap. 4

entsprechenden Zuordnungsregelungen sind im Unterabschnitt 2 der BsGaV enthalten. Die Rechtsfolge jeder der Zuordnungsregelungen der BsGaV ist die Zuordnung der Zuordnungsgegenstände zu einer Betriebsstätte oder – im Ausnahmefall – zu mehreren Betriebsstätten.1 Eine Einkünftekorrektur ist als Rechtsfolge der Zuordnung weder in § 1 AStG noch in der BsGaV vorgesehen. Dies entspricht auch dem vom Wortlaut der BsGaV transportierten Verständnis über das, was zuzuordnen ist. Dort sind bspw. Vermögenswerte als materielle Wirtschaftsgüter, immaterielle Werte einschließlich immaterieller Wirtschaftsgüter, Beteiligungen und Finanzanlagen definiert (§ 2 Abs. 6 BsGaV). In § 3 Abs. 2 BsGaV wird weiter präzisiert, dass die in einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erfassenden Bestandteile u.a. Vermögenswerte sind, die von einem selbständigen Unternehmen in der steuerlichen Gewinnermittlung erfasst werden müssten. Die steuerliche Gewinnermittlung verlangt die Bilanzierung oder die Ermittlung des Gewinns im Wege einer Einnahmen-Überschussrechnung. Angesichts dieser Definition ist davon auszugehen, dass es sich bei den im ersten Schritt des AOA zuzuordnenden Vermögenswerten um sämtliche in der Steuerbilanz des Unternehmens erfassten Wirtschaftsgüter und Schulden handelt, nicht mehr und nicht weniger. Rechtsfolge des § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG ist die Zuordnung sämtlicher Steuerbilanzpositionen mit ihren dort bilanzierten Werten. Diese in der Steuerbilanz erfassten Wirtschaftsgüter und Schulden sind mit ihren Buchwerten zuzuordnen. Außerdem führt die Zuordnungsentscheidung nicht unmittelbar zur Realisierung eines Gewinns oder eines Verlustes. Dies ist auch konsequent: Ausgangspunkt der (Erst-)Zuordnung der Vermögenswerte und Schulden für Zwecke des AOA im ersten nach dem 31.12.2012 beginnenden Wirtschaftsjahr wird die Schlussbilanz (Steuerbilanz) des Vorjahres mit ihren zutreffenden Wertansätzen sein. Wenn und soweit die Bilanzansätze falsch sein sollten, sind diese unter Anwendung der maßgeblichen Vorschrift zu korrigieren. Diese Korrektur hat jedoch nichts mit der Einkünfteabgrenzung an sich zu tun, sondern spiegelt lediglich die Pflicht des Steuerpflichtigen zum richtigen Bilanzausweis wider (Bilanzwahrheit). Mit eben diesen zutreffenden Wertansätzen sind die Vermögenswerte ggf. nach Maßgabe der §§ 4 ff. BsGaV einer anderen Betriebsstätte zuzuordnen als der, in der sie bisher – z.B. nach dem Veranlassungsprinzip – zugeordnet gewesen sind. Erfolgt danach eine Änderung der Zuordnung zu einer anderen Betriebsstätte soll diese begrifflich als „Zuordnungsänderung“ bezeichnet werden. In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, welche Folgewirkungen eine solche Zuordnungsänderung auslöst. Der Gesetzgeber hat hier bedauerlicherweise eine Lücke hinterlassen, weil er keine Aussage dazu trifft, wie steuerlich bzw. steuerbilanziell mit solchen Zuordnungsänderungen umgegangen werden soll. Keiner der Zuordnungsregeln ist jedoch zu entnehmen, dass im Zuge der Zuordnung eine Wertveränderung stattfindet. Dies ist gesetzlich auch gar nicht vorgesehen, weil § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG erst in einem zweiten Schritt,2 und zwar auf „der Grundlage dieser Zuordnung“ im ersten Schritt die Bestimmung der „Art der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und seiner Betriebsstätte und die Verrechnungspreise für diese Geschäftsbeziehungen“ verlangt. Entsprechend sind die Zuordnungsgegenstände in der Bilanz mit ihren Buchwerten – ggf. einer anderen als der Ausgangsbetriebsstätte neu – zuzuordnen. Ist danach bspw. ein Wirtschaftsgut, z.B. eine Maschine, einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen gewesen, die sich in einem DBA-Partnerstaat befindet, mit dem die Freistellungsmethode vereinbart ist, könnte diese Zuordnung in einem zweiten Schritt eine Entstrickungs-Entnahme auslösen

1 Vgl. exemplarisch § 4 Abs. 1 Satz 1; § 5 Abs. 1 Satz 3; § 6 Abs. 1 Satz 3; § 7 Abs. 1 Satz 3 BsGaV. 2 Dieser „zweite Schritt“ (Definition von Dealings und Fremdvergleichsanalyse) ist begrifflich zu trennen von dem zweiten Schritt des AOA gemäß OECD Betriebsstätten-Diskussionspapier, in dem der zweite Schritt beschränkt ist auf die Fremdvergleichsanalyse.

Andresen 195

4.51

Kap. 4 Rz. 4.52

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

oder eine anzunehmende Veräußerung oder Überlassung nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG, für die ein gemeiner Wert oder Fremdvergleichspreis anzusetzen ist. Wenn in dieser Zuordnung lediglich Buchwerte eine Rolle spielen, erschließt sich nicht wirklich, weshalb die Zuordnung sich nicht in der Steuerbilanz abspielt, sondern sich in einer Hilfs- und Nebenrechnung vollziehen soll, die den Steuerpflichtigen zusätzlich belastet (s. dazu Rz. 4.56).

4.52 § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG ist keine Korrekturnorm. Die Einkünfteminderung als Tatbestandsvoraussetzung und die Einkünftekorrektur als Rechtsfolge sind wesentliche Elemente einer Korrekturnorm. Fehlen diese beiden, kann insoweit nicht mehr von einer Korrekturnorm gesprochen werden. Die Zuordnungsregeln in § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG i.V.m. den §§ 4 ff. BsGaV verlangen keine Einkünfteminderung als Tatbestandsvoraussetzung und dekretieren auch keine Einkünftekorrektur als Rechtsfolge. Folglich ist § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG (erster Schritt des AOA) im Gegensatz zu § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG keine Korrekturnorm und erfordert daher auch keine Einkünfteminderung als Tatbestandsvoraussetzung für dessen Anwendung.1

4.53 Einordnung der Hilfs- und Nebenrechnung i.S.d. § 3 BsGaV. § 3 Abs. 1 BsGaV verlangt die Aufstellung, die Fortschreibung und den Abschluss einer Hilfs- und Nebenrechnung zu Beginn, während und am Ende eines jeden Wirtschaftsjahres. Der Begriff der Hilfs- und Nebenrechnung wird in der BsGaV nicht definiert. Ausweislich des Wortlautes des § 3 Abs. 2 BsGaV enthält die Hilfs- und Nebenrechnung zum einen quantitative Angaben zu Bilanzund GuV-Positionen (quantitativer Teil) und zum anderen Aufzeichnungen über die Gründe von Zuordnungen von Wirtschaftsgütern, Schulden und Eigenkapitalpositionen zu Betriebsstätten (qualitativer oder Dokumentationsteil). Die einzige Ausnahme hinsichtlich der Bezugnahme auf Bilanzpositionen bildet insoweit die Verwendung des Begriffs „Vermögenswert“, der wohl ausdrücken soll,2 dass nicht nur bilanzierte Wirtschaftsgüter den Betriebsstätten zuzuordnen sind, sondern auch nicht bilanzierte Wirtschaftsgüter und Dinge, denen ein Wert beizumessen ist, der jedoch vom Einheitsunternehmen noch nicht durch ein Geschäft im Außenverhältnis realisiert worden ist. Dafür gibt es jedoch in diesem Zuordnungsschritt keine Rechtsgrundlage (s. oben Rz. 4.50–4.52). Entsprechend ist diese Ausnahme kein ausreichender Grund dafür, in einer Hilfs- und Nebenrechnung – wenn überhaupt – mehr als eine Ergänzung zur Bilanz zu sehen.3 Folglich ist auch der Inhalt der VWG BsGa, Rz. 59, äußerst zweifelhaft, da handelsrechtlich ein Wahlrecht zum Ansatz selbst geschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter besteht und ein fiktiver Erwerb im Innenverhältnis dies im Außenverhältnis nicht ändert. Aus dieser Hilfs- und Nebenrechnung soll sich „das Ergebnis der Betriebsstätte“ ergeben. Mit diesem untechnischen Ausdruck sind wohl die in- bzw. ausländischen Einkünfte einer Betriebsstätte gemeint. Nur so ist zu erklären, dass die Hilfs- und Nebenrechnung spätestens zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung zu erstellen ist. Dementsprechend wird im Folgenden davon ausgegangen, dass nach dem Willen des Verordnungs-Gesetzgebers die Bilanz des Unternehmens und die Hilfs- und Nebenrechnung der jeweiligen Betriebsstätte gemeinsam jeweils die „Quasi-Steuerbilanz“ bzw. steuerliche Gewinnermittlung dieser Betriebsstätte bilden, der die Einkünfte der inländischen Betriebsstätte i.S.d. § 49 EStG und die Einkünfte der ausländischen Betriebsstätte i.S.d. § 34d EStG zu entnehmen sind. Nach dem Willen des Verordnungs-Gesetzgebers bildet weiterhin wohl die Bilanz des Unternehmens zusammen mit der Hilfs- und Nebenrechnung der jeweiligen in- oder ausländischen Betriebs1 A.A., da nicht nach Satz 1 und 3 des § 1 Abs. 5 AStG differenzierend: Schnitger, IStR 2012, 633 (638); Schaumburg, ISR 2013, 197 (198); Ditz, ISR 2013, 261 (263). 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 49 f. (zu § 2 Abs. 6). 3 So auch VWG BsGa, Rz. 53, 55, 70; a.A. wohl Kahle/Kindich in H/K/G/R, § 1 Abs. 5–6 AStG Rz. 197.

196

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D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.53 Kap. 4

stätte(n) die Summe der Einkünfte aus den Einkunftsarten i.S.d. Nr. 1 der R 2 Abs. 1 Nr. 1 EStR 2012 bzw. den Gewinn/Verlust laut Steuerbilanz i.S.d. Nr. 1 der R 7.1 Abs. 1 Satz 2 KStR 2015 dieser Betriebsstätte ab. Die Summe der Einkünfte bzw. der Gewinn/Verlust laut Steuerbilanz ist im nächsten Schritt der Gewinnermittlung wiederum um Hinzurechnungen und Kürzungen zu korrigieren, damit das jeweilige zu versteuernde Einkommen des Steuerpflichtigen ermittelt werden kann. Diese Hinzurechnungen und Kürzungen dürften sich außerhalb der Hilfs- und Nebenrechnung vollziehen. Danach hat die Hilfs- und Nebenrechnung wohl nur einen bilanziellen Teil. Dies würde bedeuten, dass Wirtschaftsgüter bzw. Vermögenswerte, Schulden und Eigenkapitalpositionen im bilanziellen Teil der Einkommensermittlung in der Hilfs- und Nebenrechnung bis zur Bestimmung des Unterschiedsbetrages zuzuordnen sind, während die Korrektur der Einkünfte der Höhe nach durch den Steuerpflichtigen in seiner Steuererklärung oder durch die Veranlagungsstelle oder die steuerliche Außenprüfung in den Hinzurechnungen und Kürzungen, d.h. außerbilanziell, durchzuführen ist. Angesichts der Tatsache, dass in der Hilfs- und Nebenrechnung gem. § 3 Abs. 2 BsGaV die Vermögenswerte i.S.d. §§ 5 bis 8 der BsGaV, das Dotationskapital (§§ 12, 13 BsGaV), die übrigen Passivposten (§ 14 BsGaV) und die mit diesen Positionen zusammenhängenden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben erfasst werden sollen, handelt es sich bei der Hilfs- und Nebenrechnung wohl um eine Art Betriebsstättenbilanz und -GuV, d.h. ein Rechenwerk in oder neben der Handels- und Steuerbilanz. Die vom Verordnungsgeber vorgesehene Erfassung von fiktiven Betriebseinnahmen und -ausgaben aus anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen in der Hilfs- und Nebenrechnung kann insoweit inkonsequent sein, als diese fiktiven Einnahmen und Ausgaben eigentlich in den außerbilanziellen Teil der Gewinnermittlung gehören sollten. Der Gesetzgeber hat sich hier wohl ein Rechenwerk vorgestellt wie die Aufstellung des Gesamtoder Inlandsvermögens (Vermögensaufstellung) für die VSt und GewKSt, in der die abweichenden Wertansätze des BewG gegenüber der Steuerbilanz bezogen auf einige wenige Bilanzpositionen zur Anwendung gekommen sind. Der einzige Unterschied besteht darin, dass es hier nicht um unterschiedliche Wertansätze, sondern um die Zuordnung zu einer anderen als der Betriebsstätte geht, in der die jeweilige Bilanzposition handelsrechtlich gebucht worden ist. Die folgende Grafik gibt diese Vorstellung wieder: Hilfs- und Nebenrechnung – Ergänzung zur Bilanz/GuV • Vermögensabgrenzung Handelsbilanz Stammhaus

Berichtigung nach § 1 Abs. 5 AStG

Abw. HB/ Stb

Anlagevermögen Umlaufvermögen Rechnungsabgr.posten Aktive latente Steuern Aktiver Unterschiedsbetrag a. d. Verm.verr.

Betriebsstätte Anlagevermögen Umlaufvermögen Rechnungsabgr.posten Aktive latente Steuern Aktiver Unterschiedsbetrag a. d. Verm.verr.

Stammhaus Eigenkapital Rückstellungen Verbindlichkeiten Rechnungsabgr.posten Passive latente Steuern

Betriebsstätte Eigenkapital Rückstellungen Verbindlichkeiten Rechnungsabgr.posten Passive latente Steuern

Abw. HB/ Stb

Berichtigung nach § 1 Abs. 5 AStG

Andresen 197

Kap. 4 Rz. 4.54

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Diese vorstehenden Ausführungen werfen die Frage auf, ob eine Hilfs- und Nebenrechnung überhaupt benötigt wird, um die vom Gesetzgeber geregelte Einkünfteabgrenzung durchzuführen zu können. Die Verfasser beantworten diese Frage mit „Nein“, weil es der Existenz einer Hilfs- und Nebenrechnung nicht bedarf, um die Verselbständigung der Betriebsstätte i.S.d. AOA umzusetzen. Selbst die qualitativen bzw. Dokumentationsaspekte z.B. zu den Zuordnungsentscheidungen gehören in die Dokumentation i.S.d. § 90 Abs. 3 AO. Die Hilfsund Nebenrechnung ist folglich überflüssig, es sei denn, dass Steuerpflichtige keine separate Steuerbilanz führen, sondern Buchungen nur in der Handelsbilanz vornehmen und die dort vorgenommenen Zuordnungen nicht notwendigerweise den steuerlichen Anforderungen in der BsGaV genügen. Insoweit dürfte es unerheblich sein, dass die Belastung des grenzüberschreitend tätigen Steuerpflichtigen mit der Erstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung nicht auf unionsrechtlichen Bedenken stößt, da der BFH in seiner Entscheidung I R 45/111 hinsichtlich der Dokumentationsverpflichtung i.S.d. § 90 Abs. 3 AO bereits auf Unionsrechtskonformität erkannt hat.

4.54 Widerspruch. In der Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 2 Sätze 2 bis 3 BsGaV (BR-Drucks. 401/14) wird die Einbeziehung von Betriebseinnahmen und -ausgaben in die Hilfs- und Nebenrechnung damit begründet, dass das durch die Hilfs- und Nebenrechnung zu ermittelnde „Ergebnis“ der Betriebsstätte dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen soll. Es ist dort auch vom Ansatz von Wirtschaftsgütern mit „fiktiven Anschaffungskosten“ die Rede, obwohl es nur um die Ermittlung der Betriebsstätten“einkünfte“ gehen soll, also das Äquivalent des Unterschiedsbetrags i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG. Diese Wortwahl deutet darauf hin, dass der Verordnungs-Gesetzgeber die Zuordnungen i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG i.V.m. §§ 4 ff. BsGaV außerhalb der Bilanz vollziehen lassen wollte, obwohl die Zuordnungsregelungen keinen Korrekturcharakter haben, da es ihnen an der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzung und der entsprechenden Rechtsfolge fehlt (s. Rz. 4.50 ff.). In einer solchen vom Verordnungs-Gesetzgeber augenscheinlich intendierten außerbilanziellen Erfassung der Zuordnungen und Zuordnungsänderungen liegt insoweit ein Widerspruch, als der sonst in der Gesetzesbegründung verwendete Begriff der Einkünfte (gemeint wohl i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und § 34d Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) eher auf einen bilanziellen Charakter der Hilfs- und Nebenrechnung hindeutet.

4.55 Auflösung des Widerspruchs auf Ebene der Rechtsfolge. Die Analyse hat gezeigt, dass es sich bei § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG nicht um eine Korrekturnorm handelt. Die Rechtsfolgen der Korrekturnormen vollziehen sich auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung und erfolgen grundsätzlich außerhalb der Bilanz. Zwar ist § 1 AStG oberflächlich betrachtet eine Korrekturnorm. Die Einfügung des § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG, der keinen Korrekturcharakter hat, erfordert jedoch ein differenzierte Betrachtung, was die Einordnung einzelner Teilbereiche der Vorschrift anbetrifft. Fehlt es einzelnen Absätzen oder Sätzen der Vorschrift am Korrekturcharakter, kann insoweit nicht von der Existenz einer Korrekturnorm ausgegangen werden. Soweit jedoch keine Korrekturnorm vorliegt, kann die Rechtsfolge der Anwendung dieser Teil-Norm nicht eine außerbilanzielle Korrektur des Unterschiedsbetrags (1. Stufe) sein. Die Rechtsfolge der Anwendung der Zuordnungsregelungen i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG i.V.m. §§ 4 ff. BsGaV kann sich mithin nur in der Steuerbilanz vollziehen, weil die Zuordnung direkt auf das anteilige Betriebsvermögen der Betriebsstätten wirkt bzw. auf dessen jeweilige Bestandteile in den Betriebsstätten. Veränderungen auf der Aktivseite werden durch entsprechende Veränderungen auf der Passivseite, z.B. einem Verrechnungskonto, ausgeglichen (Auffüllung der Bilanz), was 1 Vgl. BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771 = FR 2013, 961 = ISR 2013, 347 m. Anm. Andresen.

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D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.56 Kap. 4

sich zunächst erfolgsneutral vollzieht. Ob sich auf der Passivseite die anderen Passiva oder das Eigenkapital – gleichbedeutend mit einer Verminderung oder Erhöhung des Unterschiedsbetrags – verändern, ist erst in einem zweiten Schritt zu ermitteln, wenn festzustellen ist, welche Art von Geschäftsvorfall durch die Erstzuordnung oder eine Zuordnungsänderung ausgelöst wird. Solche Geschäftsvorfälle können unter Umständen mehr als eine Rechtsfolge auslösen: So kann z.B. die Überführung eines Wirtschaftsgutes in eine ausländische Betriebsstätte als Entstrickung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG und als anzunehmende Veräußerung qualifizieren. Hat der Steuerpflichtige die Rechtsfolge der Zuordnung nicht abgebildet, wie es § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG wohl fordert, und hat er insoweit keine Änderung des Unterschiedsbetrages herbeigeführt, wäre dies unter Anwendung der einschlägigen Korrekturnorm(en) außerbilanziell nach Maßgabe des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG zu korrigieren. Da sich die Rechtsfolge des § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG also in der Steuerbilanz vollzieht, ist die Hilfs- und Nebenrechnung gewissermaßen obsolet, es sei denn, dass Steuerpflichtige keine von der Handelsbilanz separierte Steuerbilanz führen, in der sie von der Handelsbilanz abweichende Zuordnungen vornehmen können. Ziel jedes Steuerpflichtigen dürfte und sollte es jedoch sein, eine einheitliche Zuordnung der Zuordnungsgegenstände in Handels- und Steuerbilanz zu erzielen und die dafür notwendigen Argumente für die tatsächlich erfolgte Zuordnung in diesem Sinne zu dokumentieren. Hilfs- und Nebenrechnung fehlt die Rechtsgrundlage. Die Aufforderung an den Steuerpflichtigen, für eine jede Betriebsstätte für jedes Wirtschaftsjahr eine Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen, fortzuschreiben und abzuschließen, ist in der BsGaV enthalten. Für den Erlass einer Rechtsverordnung bedarf es einer ausdrücklichen Ermächtigung im Gesetz. Der Verordnungsgeber hat sich dabei an die Bestimmtheitsvorgaben des § 80 Abs. 1 Satz 2 GG zu halten.1 Die entsprechende Ermächtigung in § 1 Abs. 6 AStG erlaubt es dem BMF mit Zustimmung des Bundesrates, Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.d. Abs. 1, 3 und 5 des § 1 AStG und Einzelheiten zu dessen einheitlicher Anwendung zu regeln. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll diese Ermächtigung so weit gehen, dass es dem BMF erlaubt ist, „die Aufstellung einer steuerlichen Hilfs- und Nebenrechnung für die in einem anderen Staat gelegene Betriebsstätte eines Unternehmens („Betriebsstättenbilanz“) verbindlich zu regeln.“2 Regelungen zur Aufstellung einer Betriebsstättenbilanz sind jedoch keine „Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes“ oder „Einzelheiten zu dessen einheitlicher Anwendung“. Sie greifen in fundamentaler Weise in die Regelungen der Gewinnermittlung ein, die im EStG und KStG geregelt sind. Eine Ermächtigung in § 1 AStG kann jedoch – ungeachtet des Wortlauts der Gesetzesbegründung – nicht so ausgelegt werden, dass sie in den Wirkungsbereich eines anderen Steuergesetzes eingreift. Dies gilt ungeachtet der in diesem Punkt sehr expliziten Gesetzesbegründung, die einen erweiterten Ermächtigungsrahmen suggeriert und u.U. von dem Bewusstsein getragen ist, dass man mit der Verpflichtung zur Aufstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung in der im Entwurf schon formulierten BsGaV deutlich über das vom Gesetzgeber qua Ermächtigung erlaubte Ziel hinausgeschossen ist. Die gewählte Formulierung in der Gesetzesbegründung zu der Ermächtigungsnorm kann jedoch deren Wirkungsbereich nicht über diese spezielle Norm hinaus erweitern. Eine Verpflichtung zur Vorlage einer Hilfs- und Nebenrechnung sollte daher insbesondere dann nicht gerichtlich durchsetzbar sein, wenn sich die Zuordnung von Vermögenswerten bereits aus den Steuerbilanzen für das Stammhaus und die Betriebsstätte ergibt und die Zuordnungslogik nach § 90 Abs. 3 AO nachvollziehbar dokumentiert ist. 1 Vgl. IdW, Stellungnahme zum Entwurf der BsGaV v. 17.10.2013, Abschnitt I. 2 BMF, Referentenentwurf eines JStG 2013 v. 5.3.2012, 95.

Andresen 199

4.56

Kap. 4 Rz. 4.57

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.57 Konsequenz: Zuordnung der Vermögenswerte i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG zu Buchwerten in der Steuerbilanz bzw. Steuerteilbilanz der Betriebsstätten. Der AOA im innerstaatlichen Recht verlangt die Verselbständigung der Betriebsstätte für steuerliche Zwecke, der eine Zuordnung von Personalfunktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken des Unternehmen und des Dotationskapitals auf Unternehmen (Geschäftsleitungsbetriebsstätte) und Betriebsstätten folgt (Vermögensabgrenzung). Zwischen den dergestalt verselbständigten Unternehmensteilen vollzieht sich sodann die Einkünfteabgrenzung im engeren Sinne auf der Grundlage des Fremdvergleichsgrundsatzes durch § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG, soweit der Steuerpflichtige nicht schon die Art der Geschäftsbeziehungen und die Entgelte zutreffend in der Steuerbilanz erfasst haben sollte. Die Rechtsfolge des § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG ist die bloße Zuordnung der Vermögenswerte, (Chancen und Risiken) und des Dotationskapitals mit ihren sich aus der Steuerbilanz ergebenden Werten innerhalb der Steuerbilanz. Die Dokumentation der Zuordnungsentscheidungen kann in der normalen Verrechnungspreisdokumentation i.S.d. § 90 Abs. 3 AO i.V.m. § 7 GAufzV i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG erfolgen und dort dokumentiert sein. Ein Erfordernis für eine Hilfs- und Nebenrechnung dürfte daher in zahlreichen Fällen nicht mehr bestehen. Da ohnehin Zweifel an der wirksamen Ermächtigung zur gesetzlichen Verpflichtung zur Erstellung einer Hilfsund Nebenrechnung bestehen und daher auch nicht für deren Erstellung zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung, dürften dem Steuerpflichtigen auch keine negativen Konsequenzen erwachsen, wenn sich das „Ergebnis“ seiner Betriebsstätten aus anderen Unterlagen ergibt. Es steht dem Steuerpflichtigen natürlich frei, trotzdem eine Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. a) Zuordnungsregelungen – steuerbilanzielle Wirkungsebene (Rechtsfolge) des § 1 Abs. 5 AStG

4.58 Gegenstand der Zuordnungsregelungen. § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG verlangt die Zuordnung der vom Personal des Unternehmens ausgeübten Funktionen, der für die Ausübung der Funktionen benötigten Vermögenswerte des Unternehmens, der auf Grund der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Vermögenswerte übernommenen Chancen und Risiken des Unternehmens und eines angemessenen Eigenkapitals (Dotationskapitals) zu jeder Betriebsstätte. Die BsGaV konkretisiert, was in diesen vier Zuordnungsbereichen zuzuordnen ist und nach welchen Maßstäben oder Kriterien sich die Zuordnung zu einer Betriebsstätte vollziehen soll. Danach sind folgende Funktionen, Vermögenswerte, Passivposten, Geschäftsvorfälle mit ihren Erträgen und Aufwendungen, Sicherungsgeschäfte sowie Chancen und Risiken zuzuordnen: aa) Personalfunktionen (§ 4 BsGaV; s. Rz. 4.64 ff.) bb) Materielle Wirtschaftsgüter (§ 5 BsGaV; s. Rz. 4.79 ff.) cc) Immaterielle Werte (§ 6 BsGaV; s. Rz. 4.95 ff.) dd) Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnliche Vermögenswerte (§ 7 BsGaV; s. Rz. 4.105 ff.) ee) Sonstige Vermögenswerte (§ 8 BsGaV; s. Rz. 4.113 ff.) ff) Geschäftsvorfälle des Unternehmens (§ 9 BsGaV; s. Rz. 4.121 ff.) gg) Chancen und Risiken (§ 10 BsGaV; s. Rz. 4.128 ff.) hh) Sicherungsgeschäfte (§ 11 BsGaV; s. Rz. 4.136 ff.) ii) Dotationskapital inländischer Betriebsstätten (§ 12 BsGaV; s. Rz. 4.144 ff.)

200

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.60 Kap. 4

jj) Dotationskapital ausländischer Betriebsstätten (§ 13 BsGaV; s. Rz. 4.156 ff.) kk) Übrige Passivposten (§ 14 BsGaV; s. Rz. 4.167 ff.) ll) Finanzierungsaufwendungen (§ 15 BsGaV; s. Rz. 4.174 ff.) Diese Zuordnungsregelungen gelten grundsätzlich auch für die in den Abschnitten 2, 3, 4 und 5 der BsGaV besonders behandelten Betriebsstätten bestimmter Industriezweige. Die besonderen Zuordnungsregelungen dort beziehen sich meist nur auf ausgewählte Bilanzpositionen, Verträge oder Rechte und sind neben den – bzw. punktuell anstelle der – allgemeinen Zuordnungsregelungen anzuwenden. Das Ergebnis der Anwendung der gesamten Zuordnungsregelungen ist gewissermaßen eine Teilbilanz und -GuV je Betriebsstätte einschließlich der Geschäftsleitungsbetriebsstätte. Die bilanziellen Folgewirkungen von Zuordnungsänderungen bzw. Zuordnungen von Geschäftsvorfällen einschließlich deren Erträge und Aufwendungen, die sich in den Bilanz- und GuV-Konten niederschlagen müssen, sollten in dieser Teil-Bilanz und -GuV bereits reflektiert sein.1 Ist dies nicht der Fall, wäre der Unterschiedsbetrag der jeweiligen Betriebsstätte (1. Stufe der Gewinnermittlung) nach Maßgabe der jeweils einschlägigen Korrekturvorschrift (außerbilanziell) zu korrigieren. Die besonderen Zuordnungsregelungen für bestimmte Branchen (§§ 18 bis 38 BsGaV) finden sich in Kapitel 112 und die besonderen Regeln für Vertreterbetriebsstätten finden sich im Kapitel 11 in den Rz. 11.347 ff. Gruppierung der Zuordnungsgegenstände der §§ 4–11 BsGaV. Die Zuordnungsregelungen sprechen von den jeweiligen Zuordnungsgegenständen wie materiellen Wirtschaftsgütern, Beteiligungen und Geschäftsvorfällen meist im Singular. Da gem. § 3 Abs. 3 BsGaV die Anwendung der Zuordnungsregeln in der Hilfs- und Nebenrechnung im qualitativen Teil zu dokumentieren ist, stellt sich die Frage, wie detailliert diese Dokumentation sein muss, wenn sie verwertbar sein soll. § 2 Abs. 3 GAufzV erlaubt das Zusammenfassen von Geschäftsvorfällen zu Gruppen für Zwecke der Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO unter bestimmten Voraussetzungen. Diese Gruppenbildung ist dann zulässig, wenn Geschäftsvorfälle wirtschaftlich vergleichbar sind und die Gruppenbildung nach vorher festgelegten und nachvollziehbaren Regeln vorgenommen wurde und wenn die Geschäftsvorfälle gleichartig oder gleichwertig sind oder die Zusammenfassung auch bei Geschäften zwischen fremden Dritten üblich ist. Weiterhin ist eine Zusammenfassung auch bei ursächlich zusammenhängenden Geschäften und bei Teilleistungen im Rahmen eines Gesamtgeschäftes zulässig, wenn es für die Prüfung der Angemessenheit weniger auf den einzelnen Geschäftsvorfall, sondern mehr auf die Beurteilung des Gesamtgeschäftes ankommt. Nach dieser Regelung können Geschäftsvorfälle i.S.d. § 9 BsGaV für Dokumentationszwecke der Zuordnung zu Gruppen zusammengefasst werden. Wenn dies für Geschäftsvorfälle i.S.d. § 9 BsGaV gilt, muss dies auch für die Zuordnungsfälle der §§ 4 bis 11 BsGaV insgesamt gelten. Steuerpflichtige sollten in diesem Fall die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen für die Bildung von Gruppen für die einzelnen Zuordnungsgegenstände dokumentieren, z.B. die wirtschaftliche Vergleichbarkeit von Bilanzpositionen.

4.59

Geltungsbereich der Zuordnungsregeln in §§ 4–17 BsGaV für Typen von Betriebsstätten. Die in diesem Abschnitt kommentierten Zuordnungsregeln gelten grundsätzlich sowohl für

4.60

1 So auch Wassermeyer, IStR 2012, 277 (278 unter 2). 2 Die Zuordnungsregelungen für die in den Abschnitten 2, 3, 4 und 5 der BsGaV behandelten Bilanzpositionen der dort genannten Industriezweige sind in Kapitel 11 kommentiert: Rz. 11.49 ff. (Bankbetriebsstätten), Rz. 11.189 ff. (Versicherungsbetriebsstätten), Rz. 11.293 ff. (Bau- und Montagebetriebsstätten) und Rz. 11.402 ff. (Förderbetriebsstätten).

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Kap. 4 Rz. 4.61

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

jede Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO als auch für die in Kapitel 11 besprochenen Sonderfälle: die Geschäftsleitungsbetriebsstätten (Rz. 11.1 ff.), die Serverbetriebsstätte (Rz. 11.21 ff.), die Betriebsstätte einer freiberuflichen Sozietät (Rz. 11.421 ff.), die Betriebsstätten beim Einsatz von Seeschiffen, Binnenschiffen und Luftfahrzeugen (Rz. 11.431 ff.), Repräsentanzen, Hilfs- und Dienstleistungsbetriebsstätten (Rz. 11.438 ff.).

4.61 Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung. Die Zuordnungsgegenstände sind dem Unternehmen oder/und den Betriebsstätten zuzuordnen. Ob es sich bei dem Unternehmen für Zwecke der BsGaV um ein in- oder ausländisches Unternehmen handelt, bestimmt sich gem. § 2 Abs. 1 und 2 BsGaV nach dem Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung. Befindet sich diese im Inland, handelt es sich dabei um ein inländisches Unternehmen mit ausländischen Betriebsstätten. Liegt der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung im Ausland, handelt es sich um ein ausländisches Unternehmen mit einer Betriebsstätte im Inland, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 AO erfüllt sind und ein einschlägiges DBA die Existenz einer Betriebsstätte auch i.S.d. DBA bestätigt.

4.62 Verhältnis der Zuordnungsregelungen zur Bilanzberichtigung. Die Bilanzberichtigung i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG erlaubt dem Steuerpflichtigen die Änderung einer Bilanz auch nach ihrer Einreichung, soweit sie den GoB oder steuerrechtlichen Vorschriften1 nicht entspricht. Dies ist jedoch nur dann zulässig, wenn die entsprechende Steuerfestsetzung noch aufgehoben oder geändert werden kann. Tatbestandvoraussetzung für die Vornahme einer Bilanzberichtigung ist ein unrichtiger Bilanzansatz, d.h., wenn ein zwingender Verstoß gegen die GoB oder gegen handels- oder steuerbilanzielle Vorschriften vorgelegen hat und der Steuerpflichtige dies als ordentlicher Kaufmann erkennen konnte.2 Die Zuordnungsregelungen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers die Aufstellung oder Modifizierung einer Betriebsstättenbilanz und -GuV bewirken. Rechtsfolge der Anwendung der Zuordnungsregelungen kann dabei auch eine Veränderung von Bilanzpositionen sein. Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob in der Vornahme einer Zuordnung oder der Zuordnungsänderung eine Bilanzberichtigung zu sehen ist, die wiederum nicht vorgenommen werden dürfte, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt wären. Da die Zuordnungsregelungen bei der erstmaligen Erstellung der Teilbilanzen des Unternehmens anzuwenden sind, d.h. vor Einreichung der Steuerbilanz des Unternehmens und den Teil-Steuerbilanzen der Betriebsstätten, geht von der Bilanzberichtigung keine Beschränkungswirkung aus. Dies kann jedoch anders sein, wenn nach neuer Erkenntnis eine geänderte Zuordnung vorgenommen wird, die sich auch als Berichtigung der Bilanz niederschlägt. Hier ist zwischen unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen zu differenzieren. Ein unbeschränkt Steuerpflichtiger legt seiner steuerlichen Gewinnermittlung die ggf. um steuerliche Ansatz- und Bewertungsansätze korrigierte Handelsbilanz des Unternehmens zugrunde. Diese Bilanz erfährt keinerlei Änderungen im Zuge der steuerlichen Gewinnermittlung durch die Zuordnungsregelungen. Entsprechend entfaltet die Bilanzberichtigung insoweit keine beschränkende Wirkung auf die Zuordnungsregelungen. Die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte werden in der 2. Stufe der Gewinnermittlung ggf. freigestellt oder die darauf entfallende ausländische Steuer wird angerechnet oder abgezogen. Diese Einkünfte ermitteln sich unter dem AOA u.a. mit Hilfe der Anwendung der Zuordnungsregelungen, an deren Ende eine Teilbilanz der Betriebsstätte steht. Das Unternehmen, zu dem die ausländische Betriebsstätte gehört, ist Steuerpflichtiger i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG, so dass die Zuordnungsregelungen in diesem Fall unter den Vorbehalt 1 Vgl. bei Verstoß nur gegen steuerrechtliche Vorschriften BFH v. 14.3.2006 – I R 83/05, BStBl. II 2006, 799 = FR 2006, 932. 2 Vgl. Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 983.

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D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.65 Kap. 4

der Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG fallen, auch wenn dadurch nur die Teil-Steuerbilanz der ausländischen Betriebsstätte berichtigt wird. Dies stellt sicher, dass Sachverhalte bzw. anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen nicht in die Disposition des Steuerpflichtigen gestellt werden,1 genau wie es bei einem eigenständigen Unternehmen der Fall ist. Umso wichtiger ist es für Unternehmen, sich pro-aktiv Gedanken darüber zu machen, welchen Sachverhalt – sei es eine Veräußerung, sei es eine Nutzungsüberlassung – im Innenverhältnis der Besteuerung zugrunde gelegt werden soll, weil eine Korrektur sonst wohl nur im außerbilanziellen Bereich unter Anwendung einer Korrekturnorm möglich ist. Ein beschränkt Steuerpflichtiger, der mit seiner Steuererklärung eine Steuerbilanz für seine inländische Betriebsstätte eingereicht hat und diese unter Anwendung der Zuordnungsregelungen berichtigt, unterfällt ebenfalls den Anforderungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG und kann seine Bilanz nur ändern, wenn die Tatbestandvoraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind. Verhältnis der Zuordnungsregelungen zur Bilanzänderung. Eine Bilanzänderung i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG ist die Ersetzung eines zulässigen Bilanzansatzes durch einen anderen ebenfalls zulässigen Bilanzansatz und setzt die Vornahme einer Bilanzberichtigung voraus. Die Bilanzberichtigung bestimmt den (engen) zeitlichen und den betragsmäßigen Rahmen der Bilanzänderung. Wenn und soweit sich eine Zuordnungsänderung als zulässige Bilanzberichtigung qualifiziert, können andere Zuordnungsänderungen, die eine Bilanzänderung sind, nur dann vorgenommen werden, wenn sie in engem zeitlichen Zusammenhang zu der bilanzberichtigenden Zuordnungsänderung stehen und soweit sie betragsmäßig nicht über diese Berichtigung hinausgehen.

4.63

b) Die Vorstufe: Zuordnung von Personalfunktionen (§ 4 BsGaV) Funktions- und Risikoanalyse. Ausgangspunkt der Verselbständigung der Betriebsstätte für steuerliche Zwecke und die anschließende Zurechnung von Einkünften ist die Zuordnung der sog. Personalfunktionen (besser: Geschäftstätigkeiten) und der maßgeblichen Personalfunktionen zu der (oder den) Betriebsstätte(n) des Unternehmens. Voraussetzung dafür ist die Durchführung einer Funktions- und Risikoanalyse, die § 1 Abs. 1 Satz 1 BsGaV vom Steuerpflichtigen verlangt. Der Begriff der Funktionsanalyse bzw. Funktions- und Risikoanalyse ist im Gesetz nicht definiert. Lediglich die VG Verfahren enthalten in Tz. 3.4.11.4 Hinweise darauf, was der Steuerpflichtige bei einer Funktionsanalyse tun soll: Dort ist die Rede von der Aufzeichnung von Informationen über wesentliche eingesetzte Wirtschaftsgüter, über Vertragsbedingungen, über die gewählte Geschäftsstrategie und über die für Preisvereinbarungen bedeutsamen Markt- und Wettbewerbsverhältnisse.2 Der in diesem Kontext unter Buchst. a-d genannte Funktionskatalog unterscheidet sich mit einigen Ausnahmen signifikant von den (Personal-)Funktionen, die § 2 Abs. 3 BsGaV nennt. Da es sich dabei jedoch primär um Unternehmensfunktionen für Fremdvergleichszwecke und nicht Personalfunktionen für Zuordnungszwecke handelt, ist das Abweichen nachvollziehbar. Tz. 2.1.3 der VG 1983 enthält auch keine weiterführenden Hinweise auf den Inhalt der Funktionsanalyse. Letztlich geht es darum, dass der Steuerpflichtige ermittelt, was das eigene Personal an Tätigkeiten entfaltet und wo diese Tätigkeiten entfaltet werden.

4.64

Begriff der Personalfunktion. § 2 Abs. 3 Satz 1 BsGaV definiert den Begriff der Personalfunktion als Geschäftstätigkeit, die von dem eigenen Personal des Unternehmens für das Unterneh-

4.65

1 Vgl. Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 986 m.w.N. insbesondere zur Unzulässigkeit rückwirkender Sachverhaltsgestaltung. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 – S1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.11.4.

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Kap. 4 Rz. 4.66

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

men ausgeübt wird. Die folgende, nicht abschließende Aufzählung nennt eine Auswahl der Geschäftstätigkeiten (Personalfunktionen), die in den §§ 4 bis 17 BsGaV als Zuordnungskriterien genannt sind. Es ist davon auszugehen, dass auch die Geschäftstätigkeiten Personalfunktionen i.S.d. BsGaV sind, die in den §§ 18 bis 38 BsGaV genannt sind, z.B. das „Underwriting“. Darüber hinaus können auch andere als die explizit genannten Geschäftstätigkeiten Personalfunktion und maßgebliche Personalfunktion sein und damit Zuordnungskriterium für Vermögenswerte, Chancen und Risiken etc. Dies ist deshalb wichtig, weil die Zuordnungsregeln in den §§ 4 ff. BsGaV dem Steuerpflichtigen zwar eine maßgebliche Personalfunktion und damit den Zuordnungsort zunächst vorgeben, ihm jedoch ein Abweichen dann erlauben, wenn die Bedeutung einer anderen Personalfunktion gegenüber der als maßgeblich definierten Personalfunktion überwiegt. Die in den einzelnen Zuordnungsregelungen enthaltene Aufzählung der anderen Personalfunktionen ist jedoch nicht abschließend („insbesondere“),1 so dass der Steuerpflichtige die Flexibilität hat, andere Geschäftstätigkeiten (Personalfunktionen) als Zuordnungskriterium festzulegen und die Entscheidung für diese zu dokumentieren. Die Flexibilität endet jedoch dort, wo Geschäftstätigkeiten (Personalfunktionen) nicht mehr durch eigenes Personal ausgeübt werden. Daher kommt dem Begriff des eigenen Personals besondere Bedeutung zu.

4.66 Begriff des eigenen Personals. Eigenes Personal ist gem. § 2 Abs. 3 BsGaV jede natürliche Person, die auf Grund einer gesellschaftsvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit dem Unternehmen für das Unternehmen tätig ist. Dazu zählen zunächst die Arbeitnehmer des Unternehmens. AG-Vorstände sowie Mitglieder des Leitungs- oder Verwaltungsorgans einer SE sind auf Grund ihrer Bestellung durch die Hauptversammlung eigenes Personal i.S.d. Vorschrift. Daneben gehören auch Geschäftsführer einer GmbH zum eigenen Personal, soweit sie gem. § 6 Abs. 3 Satz 2 GmbHG im Gesellschaftsvertrag zu Geschäftsführern bestellt werden. GmbH-Geschäftsführer, die nicht durch Gesellschaftsvertrag, sondern gem. Abschnitt 3 des GmbHG bestellt sind, gehören damit nicht zum eigenen Personal, es sei denn, sie sind gleichzeitig Gesellschafter und als solche für das Unternehmen tätig. Gleiches gilt für die Geschäftsführer einer Unternehmergesellschaft i.S.d. § 5a GmbHG. Alle Gesellschafter einer OHG sowie die Komplementäre und die Kommanditisten einer KG sind ungeachtet jedweder Geschäftsführungsbefugnis eigenes Personal i.S.d. Vorschrift, wenn sie für das Unternehmen tätig werden. Auch ein (Einzel-)Unternehmer oder Gesellschafter, der nach der vorstehenden Definition ohne gesellschafts- oder arbeitsrechtliche Vereinbarung kein eigenes Personal wäre, ist wegen § 2 Abs. 4 Satz 3 BsGaV eigenes Personal. Dies gilt auch für natürliche Personen, die dem Unternehmen (gemeint wohl Unternehmer) oder den Gesellschaftern des Unternehmens i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG nahestehen. Dies können z.B. Verwandte des Unternehmers oder Gesellschafters sein. Sie sind jedoch nicht mehr eigenes Personal des Unternehmens, wenn deren Tätigkeit für das Unternehmen seine Grundlage in einem Arbeitsvertrag mit einem anderen Unternehmen oder in einem Dienstleistungs- oder Werkvertrag hat. Diese eingekaufte Dienstleistung ist im Zweifel der Personalfunktion zuzuordnen, die für das Zustandekommen dieser Tätigkeit für das Unternehmen oder dieses Vertrages mit dem Unternehmen gesorgt hat (§ 9 Abs. 1 BsGaV).

4.67 Überlassenes Personal ist eigenes Personal des Unternehmens. Natürliche Personen, die dem Unternehmen von einem anderen Unternehmen auf Grundlage einer vertraglichen Verpflichtung als Personal überlassen worden sind, gehören zum eigenen Personal des Unternehmens, wenn sich die Verpflichtung auf die Überlassung beschränkt (§ 2 Abs. 4 Satz 2 BsGaV). Diese Regelung trägt der Tatsache Rechnung, dass in der arbeitsteiligen Welt nicht sämtliche 1 Dies gilt jeweils für Abs. 2 Satz 2 der §§ 5, 6, 7, 8 und 9 sowie § 10 Abs. 3 Satz 2 BsGaV.

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D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.70 Kap. 4

Geschäftstätigkeiten eines Unternehmens mehr von Personen ausgeübt werden, die mit dem Unternehmen über einen Arbeitsvertrag, einen Gesellschaftsvertrag oder einer unternehmerische Tätigkeit verbunden sind. Das Ausklammern dieser Personen aus der Grundgesamtheit des eigenen Personals würde ein verzerrtes Bild der Wertschöpfung innerhalb eines Einheitsunternehmens entstehen lassen, das dann der Besteuerung zugrunde läge. Da ausweislich der Gesetzesbegründung einer Betriebsstätte, der keine Personalfunktion zuzuordnen ist, kein oder allenfalls ein geringer Gewinn zuzuordnen wäre, würde sich eine Besteuerung ergeben, die wohl nicht dem Leistungsfähigkeitsprinzip entspräche. Deshalb sind auch überlassene Arbeitnehmer eigenes Personal des Unternehmens. Dienstleistungen erbringendes Personal soll kein eigenes Personal des Unternehmens sein können. Personal, das kraft einer Dienstleistungsvereinbarung für das Unternehmen tätig wird, ist nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 4 BsGaV nicht eigenes Personal i.S.d. Vorschrift; der entsprechende Vertrag ist der Personalfunktion in der Betriebsstätte zuzuordnen, die für dessen Zustandekommen gesorgt hat. Die Prüfung, ob es sich bei dem in § 2 Abs. 4 Satz 2 BsGaV genannten Vertrag um eine Vereinbarung über Arbeitnehmerüberlassung oder über eine Dienstleistung handelt, ist nach dem wirtschaftlichen Gehalt der Vereinbarung zu beurteilen unter Zuhilfenahme der Tz. 2.1 und 2.2 der VG Arbeitnehmerentsendung, insbesondere zum wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff. Dies gilt insbesondere in regulierten Industrien wie der Bank- und Versicherungsbranche, in denen nicht zuletzt auch auf die wirtschaftliche und rechtliche Einstufung einer ausländischen Regulierungsbehörde abgestellt werden sollte (s. Rz. 11.70 und 11.212). Mit anderen Worten, wenn eine Regulierungsbehörde die Auslagerung von Aktivitäten anerkennt bspw. auf der Grundlage einer Gesetzesvorschrift, die § 25b KWG, § 20 ZAG (Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz) oder § 32 VAG ähnelt, und die dort geregelten Anforderungen erfüllt sind.

4.68

Kritik an der Differenzierung. Zunächst ist kein vernünftiger Grund erkennbar, weshalb Arbeitnehmerüberlassungen und Dienstleistungserbringungen unterschiedlich behandelt werden sollen, da nach ständiger BFH-Rechtsprechung1 die Ergebnisse von Dienstleistungen nach allgemeinen ertragsteuerlichen Grundsätzen dem Unternehmen zuzurechnen sind, das sie beauftragt und empfangen hat. Wenn und soweit sich die Personalfunktion, die für das Zustandekommen eines Dienstleistungsvertrages verantwortlich ist, am gleichen Ort befindet wie der Ausübungsort der Geschäftstätigkeiten des überlassenen Personals, dürfte sich hinsichtlich der folgenden Zuordnungsschritte und der späteren Ertragszuordnung kein signifikanter Unterschied ergeben. Lediglich die Aufwandsseite der Betriebsstätten-GuV weist gegenüber der Arbeitnehmerüberlassung im Fall der Dienstleistung eine um die Gewinnkomponente der Dienstleistungsvergütung höhere Belastung auf. Entsprechend spricht Vieles dafür, auch die Überlassung von Personal in einem Dienstleistungsvertrag für Zwecke des AOA anzuerkennen (s. zu einem speziellen Anwendungsfall, in dem dies aus aufsichtsrechtlichen Gründen sogar geboten ist, weil sonst der Regulator die Lizenz zur Ausübung von Bank- bzw. Versicherungsgeschäft entziehen müsste: Rz. 11.70 und Rz. 11.212).

4.69

Wortlaut des § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG deckt einschränkende Formulierung des § 2 Abs. 3 und 4 BsGaV nicht. Schließlich ist diese enge Sichtweise in der BsGaV nicht vom Wortlaut des § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG gedeckt. Dort heißt es: „… sind ihr [der Betriebsstätte] in einem ersten Schritt zuzuordnen: 1. die Funktionen des Unternehmens, die durch ihr Personal ausgeübt werden (Personalfunktionen).“ Der grammatikalische Bezug ist eindeutig

4.70

1 Vgl. BFH v. 1.7.1992 – I R 6/92, BStBl. II 1993, 222; v. 13.10.2010 – I R 61/09, BStBl. II 2011, 249 = FR 2011, 389 m. Anm. Müller.

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Kap. 4 Rz. 4.71

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

und stellt klar, dass Personalfunktionen vom Personal der Funktionen ausgeübt sein müssen. Das in einer Funktion tätige Personal muss jedoch keinen Arbeitsvertrag mit dem Unternehmen haben, sondern kann auch qua Arbeitnehmerüberlassungsvertrag oder qua Dienstleistungsvertrag in dieser Funktion tätig sein. Der Ausschluss von Dienstleistungsverträgen ist diskriminierend und entspricht auch nicht der in § 1 Abs. 5 Satz 3 Halbs. 1 AStG zum Ausdruck kommenden Intention des Gesetzgebers, die „Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln“. Ausdruck dieser Selbständigkeit ist doch gerade, dass Betriebsstätten eigenständig Verträge abschließen, um ihre Funktionen zu ergänzen, sei es in der Geschäftsleitungsbetriebsstätte (übriges Unternehmen) oder in einer anderen Betriebsstätte. Eine Nichtanerkennung vertraglicher Vereinbarungen für Zwecke der Einkünfteabgrenzung ist in einer sehr stark arbeitsteiligen Welt gerade im bedeutsamen Dienstleistungssektor ein Anachronismus par excellence und sollte zum Nachdenken über eine zeitnahe Gesetzesänderung des § 2 Abs. 3 und 4 BsGaV führen.

4.71 Ausnahmeregelung: Personal einer Vertreterbetriebsstätte. Ein ausländisches Unternehmen (Prinzipal) ist mit seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb im Inland beschränkt steuerpflichtig, wenn für diesen Gewerbebetrieb ein ständiger Vertreter i.S.d. § 13 AO im Inland bestellt ist. Gleichermaßen sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die durch einen in einem ausländischen Staat tätigen ständigen Vertreter erzielt werden, ausländische Einkünfte, die von denen des Prinzipals abzugrenzen sind. Erfolgt die für die Existenz eines ständigen Vertreters i.S.d. § 13 AO erforderliche Geschäftsbesorgung, die nachhaltige Vermittlung oder der nachhaltige Abschluss von Verträgen oder das nachhaltige Einholen von Aufträgen oder das nachhaltige Unterhalten eines Bestandes von Gütern und Waren zu Auslieferungszwecken durch eigenes Personal des Vertretenen, z.B. eigene Arbeitnehmer oder überlassenes Personal, folgt die Zuordnung den normalen Regeln der Zuordnung. Handelt es sich bei dem ständigen Vertreter jedoch um ein rechtlich selbständiges Unternehmen mit eigenem Personal, sieht § 39 Abs. 2 BsGaV vor, dass alle Personalfunktionen, die vom Personal des rechtlich selbständigen ständigen Vertreters für den Vertretenen (Prinzipal) ausgeübt werden, abweichend von § 2 Abs. 3 BsGaV als eigene Personalfunktion des Vertretenen zu behandeln. Der Gesetzgeber fingiert hier eine Verdopplung des Personals, dessen Wertschöpfung sich einerseits in angemessenen Erträgen für die Besorgungs- und Vermittlungsleistungen an den Prinzipal niedergeschlagen und einer entsprechenden Besteuerung unterlegen hat. Andererseits soll dasselbe Personal fiktiv (mit dem dazugehörigen Personalaufwand) also gewissermaßen im Wege einer Arbeitnehmerüberlassung der Vertreterbetriebsstätte zugeordnet werden und dort ein zweites Mal für die Zuordnung von Steuersubstrat zu einem Staat missbraucht werden, der die Wertschöpfungsbeiträge dieses Personals bereits einmal der Besteuerung zugeführt hat. Diese Regelung steht im krassen Widerspruch zu den in Rz. 4.66 beschriebenen Grundsätzen über das eigene Personal eines Unternehmens, ignoriert zivilrechtlich wirksame, vertragliche Vereinbarungen zwischen dem Unternehmen und seinem ständigen Vertreter und leistet in verfassungswidriger Art und Weise einer Besteuerung Vorschub, die nicht vom Leistungsfähigkeitsprinzip gedeckt ist. § 39 Abs. 2 BsGaV dürfte jedoch allein schon nicht vom Ermächtigungsrahmen des § 1 Abs. 6 AStG gedeckt sein, da die Unterstellung der Existenz einer Funktion an einem Ort bzw. in einem Steuerpflichtigen, wo sie tatsächlich nicht ausgeübt wird, mit dem Fremdvergleichsgrundsatz bzw. dessen Anwendung nichts zu tun hat. Der Fremdvergleichsgrundsatz beurteilt tatsächlich verwirklichte Sachverhalte darauf hin, ob diese zu einer angemessenen Ergebnisaufteilung oder Gewinnabgrenzung führen. Kapitel 11 Abschnitt F. Rz. 11.347 ff. zur Einkünfteabgrenzung bei der Vertreterbetriebsstätte setzt sich mit der steuerrechtlich gebotenen Auslegung der Regelungen zu Ver-

206

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D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.74 Kap. 4

treterbetriebsstätte auseinander. Angesichts des restriktiven Wortlauts bei Dienstleistungsverträgen setzt sich der Gesetzgeber in diesem inkonsistenten Punkt dem Vorwurf der Willkür aus, wenn er Personal eines Unternehmens „einfach so“ einem anderen Unternehmen zuordnet. Begriff der maßgeblichen Personalfunktion. Der zentrale Begriff für die Betriebsstättengewinnaufteilung unter dem AOA ist derjenige der maßgeblichen Personalfunktion (OECD: „significant people function“). Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BsGaV ist eine für die Zuordnungsregelungen relevante Personalfunktion maßgeblich, wenn der Ausübung dieser Personalfunktion im Verhältnis zu den in anderen Betriebsstätten des Unternehmens ausgeübten Personalfunktionen im üblichen Geschäftsbetrieb die größte Bedeutung für den jeweiligen Zuordnungsgegenstand zukommt (Positivabgrenzung). Personalfunktionen sind nicht maßgeblich, wenn sie lediglich unterstützenden Charakter haben oder ausschließlich die allgemeine Geschäftspolitik des Unternehmens betreffen (Negativabgrenzung). Die hier relevante wirtschaftliche Bedeutung soll sich ausweislich der Gesetzesbegründung jeweils im Einzelfall sowohl an quantitativen Gesichtspunkten, wie z.B. Kosten, als auch qualitativen Gesichtspunkten, wie etwa dem Wertschöpfungsbeitrag, messen lassen.1 Die Finanzverwaltung reduziert dies in den VWG BsGa auf qualitative Kriterien und will quantitative Kriterien nur ausnahmsweise zulassen,2 was zwar mehr Flexibilität für den Steuerpflichtigen, aber auch für die Finanzverwaltung bringt, den Nachweis aber unter Umständen deutlich erschwert. Diese Sichtweise steht nicht im Einklang mit der Gesetzesbegründung der BsGaV und ist deshalb abzulehnen. In der Bestimmung einer Personalfunktion als maßgeblich hat der Steuerpflichtige in Zweifelsfällen einen Beurteilungsspielraum. Angesichts der Tatsache, dass die maßgebliche Personalfunktion zunächst über die Zuordnung insbesondere der Vermögenswerte entscheidet, aber noch nicht über die Vergütung der sog. unterstützenden Personalfunktion(en), ist ein solcher Beurteilungsspielraum nicht sonderlich problematisch, da eine Ergebniskorrektur über die Vergütung für diverse anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen hin zu den angemessenen Einkünften für die Betriebsstätte möglich erscheint.

4.72

Beispiel: So kann zwar ein Darlehen, das eine Bank vergibt, dem Stammhaus als Finanzaktivum zuzuordnen sein, weil die Kreditannahmeentscheidung dort gefällt worden ist. Ein Großteil der Zinsund Provisionserträge kann jedoch trotzdem den Markt- und Vertriebsaktivitäten in der Niederlassung zugerechnet werden, solange eine ausreichende Marge für den Aufbau von Eigenkapital im Stammhaus verbleibt für den Fall, dass sich ein Ausfallrisiko materialisiert.

4.73

Die Maßgeblichkeit einer Personalfunktion hängt von dem konkreten Bezug dieser Personalfunktion zum Zuordnungsgegenstand ab. Es kommt nicht darauf an, auf welcher Hierarchiestufe formal eine Entscheidung getroffen wird. Zuordnungsregelung für Personalfunktionen. Eine Personalfunktion ist der Betriebsstätte zuzuordnen, in der diese Personalfunktion bzw. die dahinterstehende (Geschäfts-)Tätigkeit ausgeübt wird. Dies gilt ausweislich der Gesetzesbegründung unabhängig von der Dauer der Ausübung dieser Tätigkeit.3 Wird diese Tätigkeit (Personalfunktion) in einer Betriebsstätte an weniger als 30 Tagen ausgeübt und weist sie keinen sachlichen Bezug zur Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte auf, ist diese Personalfunktion nicht dieser Betriebsstätte zuzuordnen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 BsGaV). Wird eine Personalfunktion weder in der Betriebsstätte noch im

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 48. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 42. 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 55.

Andresen 207

4.74

Kap. 4 Rz. 4.74

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

übrigen Unternehmen ausgeübt oder liegt ein Fall des § 4 Abs. 1 Satz 2 BsGaV vor, dann ist die betreffende Personalfunktion der Betriebsstätte zuzuordnen, zu der sie den sachlich engsten Bezug aufweist (s. dazu das Beispiel in Rz. 4.78). Ist es anhand der beiden gesetzlichen Zuordnungskriterien nicht möglich, die betreffende Personalfunktion eindeutig einer Betriebsstätte zuzuordnen, hat der Steuerpflichtige einen Beurteilungsspielraum, bei dessen Nutzung er allerdings die Abs. 1 und 2 der Vorschrift zu beachten hat. So darf er etwa bei Zuordnungsschwierigkeiten zwischen zwei Betriebsstätten die in Rede stehende Personalfunktion nicht einer dritten Betriebsstätte zuordnen. Die Zuordnung sollte spätestens zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung nachvollziehbar dokumentiert erfolgt sein, weil ansonsten die Finanzverwaltung ihre eigenen Vorstellungen darüber entwickeln kann, wo Personalfunktionen ausgeübt werden, und könnte ggf. im Schätzungswege die Einkünfte einer in- oder ausländischen Betriebsstätte ermitteln und festsetzen.1 Bei dieser Analyse ist zu beachten, dass eine Person des eigenen Personals nacheinander mehrere Personalfunktionen, d.h. Geschäftstätigkeiten, ausüben kann, die ggf. auch unterschiedlichen Betriebsstätten des Unternehmens zuzuordnen sind.2 Aus Praktikabilitätsgründen erscheint es sachgerecht, wenn hinsichtlich der Personalfunktionen bei der Funktionsanalyse anstelle von einzelnen Personen auf ganze Abteilungen abgestellt wird, da in der betrieblichen Praxis häufig mehrere Personen mit einer (Art von) Geschäftstätigkeit betraut sind. Auf diese Weise wird diese zusätzliche Dokumentationsanforderung für Steuerpflichtige eher handhabbar und läuft nicht Gefahr, als übermäßig angesehen zu werden. Die Wirkungsweise der Zuordnungsregelung für die Personalfunktionen ist in dem nachfolgenden Flussdiagramm nochmals grafisch dargestellt: Zuordnung von Personalfunktionen Örtliche und sachliche Anknüpfungspunkte (§ 4 BsGaV) Grundsatz

Personalfunktion (PF) ist der BS zuzuordnen, in der die PF ausgeübt wird.

Die Personalfunktion (PF) wird in einer BS ausgeübt Örtlicher Bezug

Ja Die PF wird nicht nur kurzfristig ausgeübt Ja

Nein

Nein

PF hat sachlichen Bezug zur Geschäftstätigkeit der BS

Sachlicher Bezug

Nein

Ja

Zuordnung der PF zu der Betriebsstätte, in der sie ausgeübt wird

Zuordnung der PF zu der Betriebsstätte, zu deren Geschäftstätigkeit sie den engsten sachlichen Bezug auweist

Kann die PF nicht eindeutig einer BS zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die den grundsätzlichen Zuordnungsregeln nicht widerspricht.

1 So zumindest die Begründung des Gesetzgebers zu § 4 Abs. 3 BsGaV: BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 56. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 46.

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D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.77 Kap. 4

Zuordnungskriterium: „Ausübungsort“. Das primäre Zuordnungskriterium einer Personalfunktion ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BsGaV der Ausübungsort der Tätigkeit, die die Personalfunktion ausmacht. Dies ist der Ort, an dem kraft physischer Präsenz einer Tätigkeit nachgegangen wird. Tätigkeiten, die im sog. „Home Office“ oder auf Reisen erbracht werden, die inhaltlich jedoch zu einer Tätigkeit gehören, die unter normalen Umständen in einer Betriebsstätte ausgeübt wird, sind sinnvollerweise dieser Betriebsstätte zuzuordnen. Dies sollte auch dann gelten, wenn der Aufenthaltsort des Mitarbeiters dabei in das Ausland wechselt und er dort nicht eine eigene Betriebsstätte begründet. Ein tatsächliches Arbeiten in einer anderen bestehenden Betriebsstätte sollte unschädlich sein, solange die 30-Tage-Frist des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BsGaV nicht verletzt ist und (dadurch) kein sachlicher Bezug zu dieser Betriebsstätte aufgebaut wird.

4.75

Beispiel: Verwaltet bzw. managt ein Mitarbeiter M aus dem Beteiligungscontrolling an seinem Arbeitsplatz in der Betriebsstätte A im Staat A die drei in diesem Staat existierenden Tochtergesellschaften, so befindet sich die Personalfunktion „Beteiligungscontrolling“ insoweit in dieser Betriebsstätte A. Wird dieser Mitarbeiter M nun zum Leiter Beteiligungscontrolling befördert und verbringt in der Folge drei Tage pro Woche am Stammsitz des Unternehmens im Staat B und zwei Tage pro Woche weiterhin in der Betriebsstätte A mit der fortgesetzten operativen Controlling-Tätigkeit in der Betriebsstätte B, stellt sich die Frage, welchem Staat die nunmehr zwei Personalfunktionen Leitung und Ausführung Beteiligungscontrolling zuzuordnen sind. Vieles spricht hier für eine getrennte Zuordnung, deren Abgrenzung sich an dem engeren sachlichen Bezug der jeweiligen Tätigkeit zu der Betriebsstätte A bzw. dem Unternehmen in B festmachen ließe. Dieser sachliche Bezug kann seinen Ausdruck bspw. in den jeweiligen Arbeitsbeziehungen zu den anderen Mitarbeitern finden, mit denen der Mitarbeiter M seinen beiden Tätigkeiten mit verschiedenen Teams nachgeht.

4.76

Andere Personalfunktion (alternatives Zuordnungskriterium) „sachlich engster Bezug“ (§ 4 Abs. 2 und 3 BsGaV). In einem immer mobiler werdenden Arbeitsumfeld, das auch immer stärker von Dienstleistungsaktivitäten am Arbeitsort des Kunden und nicht mehr so stark von Produktion am eigenen Unternehmensstandort und Lieferung oder Leistung an den Kunden an einem anderen Ort geprägt ist, würde der Ausübungsort als alleiniges Kriterium dem Steuerpflichtigen bei der Beachtung der steuergesetzlichen Regelung zu stark beschränken. Insbesondere in regulierten Industrien wie der Bank-, Finanz- und Versicherungswirtschaft ist es übliche Geschäftspraxis, Tätigkeiten auf Dienstleister auszulagern, um auf diese Weise Spezialisierungsvorteile auch dann zu nutzen, wenn das eigene Geschäftsvolumen oder die Kundenbasis zu klein ist oder wäre, eine solche Spezialisierung selbst vorzuhalten (s. zu den Implikationen für die Zuordnung der Personalfunktion ohne eigenes Personal Rz. 11.49).1 Insofern ist es notwendig und insoweit begrüßenswert, dass mit dem sachlich engsten Bezug zur Geschäftstätigkeit in dieser anderen Betriebsstätte ein weiteres Zuordnungskriterium verwendet werden kann. Dieses andere Zuordnungskriterium kommt dann zur Anwendung, wenn die zuzuordnende Personalfunktion in keiner Betriebsstätte oder in einer Betriebsstätte nur an weniger als 30 Tagen innerhalb eines Wirtschaftsjahres ausgeübt wird und zusätzlich keinen sachlichen Bezug zur Geschäftstätigkeit in dieser Betriebsstätte aufweist. Der Zugang zu diesem alternativen Zuordnungskriterium erscheint restriktiv ausgestaltet zu sein, zumal die alternative Betriebsstätte in einem ersten Schritt überhaupt eine Geschäftstätigkeit ausüben muss, zu der eine andere Geschäftstätigkeit, d.h. Personalfunktion, einen engen sachlichen Bezug entwickeln bzw. aufweisen kann. Hier ist u.U. eine Tendenz erkennbar, bestimmten Betriebsstätten keinen oder nur einen sehr geringen Gewinn

4.77

1 Die VWG BsGa setzen in diesem Punkt den Gesetzesbefehl des § 4 Abs. 2 BsGaV nicht gesetzeskonform und konsequent um, indem sie dann andere Funktionen als unternehmerische Risikoübernahmefunktionen fingieren.

Andresen 209

Kap. 4 Rz. 4.78

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

zuzuordnen, weil es durch die restriktive Anwendung zu einer Sogwirkung von Personalfunktionen dorthin kommen kann, wo viele Personen beschäftigt sind. Personal ist jedoch nicht der einzige Wertschöpfungsfaktor, und auch innerhalb des Personals gibt es signifikante Unterschiede der Wertschöpfung, die stark mit dem Management von Risiken und dem gekonnten Einsatz von Kapital durch dieses qualifizierte Personal zusammenhängen. Ist selbst nach Abs. 2 keine Zuordnung möglich, enthält Abs. 3 eine Öffnungsklausel mit Beweispflicht des Steuerpflichtigen für die vorgenommene Zuordnung nach Maßgabe der Abs. 1 und 2. Problematisch ist die in den VWG BsGa eingeräumte Schätzungsbefugnis bei unklarer Nachweispflicht bei Inanspruchnahme der Öffnungsklausel.1

4.78 Beispielfall Unternehmensberatung. Eine Unternehmensberatung aus München hat mit einem Kunden aus Dubai einen Beratungsvertrag abgeschlossen. Das Beratungsprojekt findet über einen Zeitraum von vier Monaten in Dubai statt. An dem Projekt arbeiten Mitarbeiter des Unternehmens sowohl aus München als auch aus London, die zu diesem Zweck für vier Monate physisch in Dubai beratend tätig sind. Die Personalfunktion „Beratung“ kann danach – Kriterium des Ausübungsortes – weder dem Unternehmen in München noch der Betriebsstätte in London zugeordnet werden. Da in Dubai auch keine Betriebsstätte begründet wird, die Ausübungsort sein könnte, ist die Personalfunktion nach dem sachlich engsten Bezug zuzuordnen. Den sachlich engsten Bezug weist die Personalfunktion zu der Betriebsstätte auf, von der der Beratungsauftrag akquiriert und abgeschlossen worden ist. Entsprechend ist die Personalfunktion Beratung dem Unternehmen in München zuzuordnen. Dieser Zuordnung folgen dann später auch Vermögenswerte etc. Der Tatsache, dass die Betriebsstätte London in diesem Szenario Leistungen an München erbringt, ist durch anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen abzubilden. Dabei ist es für Abgrenzungszwecke wichtig festzulegen und zu dokumentieren, in welcher Form die Leistungen von London an München erbracht werden, z.B. als Mitarbeiterentsendung oder als Dienstleistung. Das Beispiel ist nachfolgend grafisch dargestellt. Zuordnung von Personalfunktionen Beispielfall Unternehmensberatung

Stammhaus (München)

Beratungsauftrag

Mitarbeiter Betriebsstätte (London)

Mitarbeiter Betriebsstätte (?) (Dubai)

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 75.

210

Andresen

Kunde

Zuordnungskriterien 1. Ausübung 2. Sachlicher Bezug

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.80 Kap. 4

c) Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern (§ 5 BsGaV) Begriff des materiellen Wirtschaftsguts. § 5 BsGaV regelt die Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern. Materielle Wirtschaftsgüter sind bewegliche oder unbewegliche körperliche Gegenstände, wie z.B. Sachen i.S.d. § 90 BGB, Teile von Sachen (z.B. Betriebsvorrichtungen), rechtliche Bestandteile von Sachen i.S.d. § 93 BGB und Zubehör i.S.d. § 97 BGB, aber auch Tiere. Dazu gehören u.a. Grund und Boden,1 Gebäude, Betriebs- und Geschäftsausstattung, Maschinen und maschinelle Anlagen, Fahrzeuge sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe. Für die Erfassung und den Ausweis eines Vermögensgegenstandes oder Wirtschaftsguts2 in der Bilanz genügt es, wenn dadurch für den Bilanzierenden eine rechtliche oder tatsächliche Position von wirtschaftlichem Wert entstanden ist im Sinne eines eigenen Wertes im Geschäftsverkehr. Auf das zivilrechtliche Eigentum kommt es dabei nicht an.3 Die Einführung des Prinzips der wirtschaftlichen Zurechnung durch das BilMoG in § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB schafft insoweit zusätzliche Klarheit. Bloße Möglichkeiten, wirtschaftlich vorteilhafte Chancen oder tatsächliche Vorteile führen jedoch nicht zur Annahme eines Vermögensgegenstandes oder Wirtschaftsgutes.4 Entsprechend ist für Zwecke der Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter i.S.d. § 5 BsGaV auf folgenden Bilanzpositionen aus dem Anlage- und Umlaufvermögen des § 266 HGB des Einzelabschlusses des Unternehmens abzustellen: Bezeichnung

4.79

§ 266 HGB

Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten einschließlich der Bauten Abs. 2 Buchst. A.II.1. auf fremden Grundstücken Technische Anlagen und Maschinen

Abs. 2 Buchst. A.II.2.

Andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung

Abs. 2 Buchst. A.II.3.

Geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau

Abs. 2 Buchst. A.II.4.

Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe

Abs. 2 Buchst. B.I.1.

Unfertige Erzeugnisse, unfertige Leistungen

Abs. 2 Buchst. B.I.2.

Fertige Erzeugnisse und Waren

Abs. 2 Buchst. B.I.3.

Geleistete Anzahlungen

Abs. 2 Buchst. B.I.4.

Definition des Begriffs Vermögenswert. § 2 Abs. 6 BsGaV definiert den Begriff des Vermögenswerts als Wirtschaftsgüter und Vorteile ergänzt um eine nicht abschließende Aufzählung von Wirtschaftsgütern und Finanzanlagen. Angesichts der Tatsache, dass Vorteile nicht bilanzierungsfähig sind (s. Rz. 4.77), muss der Begriff des Vermögenswertes für Zwecke der BsGaV jedoch auf Wirtschaftsgüter beschränkt bleiben. Der Ermächtigungsrahmen des § 1 Abs. 6 AStG ist nicht so weit gesteckt, dass er dem Verordnungs-Gesetzgeber erlaubte, die sich aus dem HGB i.V.m. dem EStG ergebende Nicht-Bilanzierungsfähigkeit von Vorteilen zu ändern. Dem entspricht es, dass ein Einheitsunternehmen nicht mehr Gewinn der Be1 Vgl. BFH v. 4.12.2006 – GrS 1/05, BStBl. II 2007, 508 (512) = FR 2007, 845. 2 In der Literatur wird von einer weitgehenden Deckungsgleichheit dieser handels- und steuerrechtlichen Begriffe ausgegangen; vgl. Schubert/Waubke in BeckBilanzkomm10, § 247 HGB Rz. 12; Wied in Blümich, § 5 EStG Rz. 303 ff. 3 Vgl. BFH v. 30.5.1984 – I R 146/81, BStBl. II 1984, 825 (826) = FR 1984, 566. 4 Vgl. Schubert/Waubke in BeckBilanzkomm10, § 247 HGB Rz. 10.

Andresen 211

4.80

Kap. 4 Rz. 4.81

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

steuerung zuführen darf, als es im Außenverhältnis realisiert hat (so auch Rz. 1.29) – zumindest in der Totalperiode. Dies gebietet das Leistungsfähigkeitsprinzip.

4.81 Zuordnungsregelung für materielle Wirtschaftsgüter. Die Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte richtet sich nach der maßgeblichen Personalfunktion. Die für materielle Wirtschaftsgüter maßgebliche Personalfunktion ist die Nutzung des materiellen Wirtschaftsgutes für die Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte (§ 5 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). § 5 Abs. 2 Satz 1 BsGaV enthält eine sog. Öffnungsklausel, die dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet, von der gesetzlichen Vermutung über die maßgebliche Personalfunktion abzuweichen und an deren Stelle unter bestimmten Voraussetzungen eine andere maßgebliche Personalfunktion für die Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter zu verwenden.

4.82 Besondere Zuordnungsregelung für unbewegliches Vermögen als Ausübungsort der Geschäftstätigkeit. § 5 Abs. 2 Satz 3 BsGaV sieht für unbewegliches Vermögen eine besondere Zuordnungsregel vor, wenn in ihm die Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte ausgeübt wird. Dieses unbewegliche Vermögen ist stets dieser Betriebsstätte zuzuordnen, die in dem unbeweglichen Vermögen ihre Geschäftstätigkeit ausübt. Bei dieser Art von Vermögen dürfte es sich hauptsächlich um Gebäude handeln, in denen die Geschäftstätigkeit ausgeübt wird. Denkbar ist jedoch auch, dass Pipelines und auch Server, wenn Letztere fest mit dem Boden verbunden sind, unbewegliches Vermögen i.S. dieser Vorschrift sein können. Diese Regelung soll nach Ansicht des Verordnungs-Gesetzgebers u.a. verhindern, dass dem abzugsfähigen Mietaufwand in der inländischen Betriebsstätte aus einer anzunehmenden schuldrechtlichen Mietvertragsbeziehung kein in Deutschland steuerpflichtiger Mietertrag gegenübersteht. Danach löst § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG in einer solchen Konstellation nach dem Verständnis des Gesetzgebers offensichtlich keine beschränkte Einkommen- oder Körperschaftsteuerpflicht der fiktiven Mietzahlungen aus.

4.83 Grundsatz der eindeutigen Zuordnung. Der Wortlaut des § 5 BsGaV deutet darauf hin, dass materielle Wirtschaftsgüter einer Betriebsstätte eindeutig zugeordnet werden müssen und nicht anteilig mehreren Betriebsstätten zugeordnet werden dürfen. Die Gesetzesbegründung bestätigt diese Auslegung, dass eine anteilige Zuordnung auf mehrere Betriebsstätten nicht zulässig ist.1

4.84 Rechtsfolgen bei falscher oder anteiliger Zuordnung. Ordnet ein Steuerpflichtiger entgegen dem Gesetzesbefehl ein nur einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnendes materielles Wirtschaftsgut auch anteilig einer ausländischen Betriebsstätte zu und teilt entsprechend die Erträge und Aufwendungen aus der Nutzung dieses Wirtschaftsgutes zwischen diesen Betriebsstätten auf, so ist die Zuordnung des materiellen Wirtschaftsgutes in der Hilfs- und Nebenrechnung steuerneutral zu korrigieren und die der ausländischen Betriebsstätte zugerechneten Erträge und Aufwendungen, z.B. Abschreibungen, sind außerbilanziell der inländischen Betriebsstätte zuzurechnen. Wenn und soweit ein DBA mit dem Belegenheitsstaat der ausländischen Betriebsstätte besteht, das den neuen Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2010 aufweist und nach 2010 ratifiziert worden ist, dürfte von diesem DBA jedoch nur insoweit eine Sperrwirkung ausgehen, als die anteilige Zuordnung nach Art. 7 OECD-MA 2010 zu einer abweichenden, nicht mehr dem Fremdvergleichsgrundsatz i.S.d. AOA genügenden Einkünfteabgrenzung zwischen den beiden Betriebsstätten führt. Dies wäre zunächst in einem außergerichtlichen oder ggf. später in einem gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren zu klären, da der 1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 60 (zu § 5 Abs. 4 BsGaV).

212

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.87 Kap. 4

Steuerpflichtige nicht notwendigerweise darauf vertrauen kann, dass die deutsche Finanzverwaltung in einem Verständigungsverfahren ihre Position der eindeutigen Zuordnung zugunsten der OECD-Sichtweise aufgibt. In einem Schiedsverfahren dürfte die Wahrscheinlichkeit dafür tendenziell etwas höher liegen, aber auch keine Rechtssicherheit bieten, weil ein dritter Staat in den Verhandlungsprozess einbezogen wird. Zuordnungskriterium: Personalfunktion der „Nutzung“. Die maßgebliche Personalfunktion (primäres Zuordnungskriterium) für die Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter ist die Nutzung dieser Wirtschaftsgüter (§ 5 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Nutzung bedeutet in diesem Kontext, dass das Personal der Betriebsstätte das (oder die) materielle(n) Wirtschaftsgut (bzw. -güter) im Leistungserstellungsprozess verwendet.1 Dies bezieht sich nicht nur auf die Kernaktivitäten dieses Prozesses wie Produktentwicklung, Produktion, Marketing und Vertrieb, sondern auch auf unterstützende Prozesse wie das Gebäudemanagement, die Finanzfunktion, die Rechtsabteilung etc.

4.85

Beispiel: Das Unternehmen A im Staat A hat eine Betriebsstätte im Staat B. In dieser Betriebsstätte wird auf zehn Maschinen ein Produkt des Unternehmens hergestellt. Die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe für die Produktion befinden sich in einem Zentrallager am Sitz des Unternehmens A, das nur 10 km von der Betriebsstätte im Staat B entfernt liegt. Die zehn Maschinen werden in der Produktion der Betriebsstätte genutzt und sind daher der Betriebsstätte zuzuordnen. Für die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe würde bei Anwendung des gleichen Zuordnungskriteriums grundsätzlich dieselbe Zuordnung erfolgen (s. jedoch das Beispiel in Rz. 4.91). Die fertigen Erzeugnisse werden nach der Qualitätskontrolle in das Zentrallager beim Unternehmen im Staat A überführt und von dort an fremde Dritte (Kunden) veräußert. Je nachdem, wo die Vertriebsfunktion angesiedelt ist, sei es im Unternehmen oder in der Betriebsstätte, würde die Nutzung der fertigen Erzeugnisse für den Vertrieb eine Zuordnung zum Unternehmen in A oder zur Betriebsstätte in B erlauben. Wird die Vertriebsfunktion in Unternehmen und Betriebsstätte ausgeübt, sind die fertigen Erzeugnisse dort zuzuordnen, wo sie für die Geschäftstätigkeit überwiegend genutzt werden. Unter der Annahme, dass es zwischen Unternehmen und Betriebsstätte eine geografische Aufteilung des Vertriebs gäbe, könnte es sein, dass nach diesem Kriterium manchmal alle Produkte dem Unternehmen und manchmal alle Produkte der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der eindeutigen Zuordnung (Rz. 4.83).

4.86

Nutzungsänderung bewirkt nicht zwingend eine Veräußerung. Wenn ein nach dieser Maßgabe zugeordnetes, materielles Wirtschaftsgut zu einem späteren Zeitpunkt auf Dauer in einer anderen Betriebsstätte genutzt wird, ist es ab dem Zeitpunkt der Nutzungsänderung der anderen Betriebsstätte zuzuordnen (Zuordnungsänderung), in der es fortan genutzt wird (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BsGaV). Die Gesetzesbegründung scheint für diese Situation eine Veräußerung annehmen zu wollen, weil „die maßgebliche Personalfunktion […] nicht mehr in der bisher nutzenden Betriebsstätte ausgeübt wird.“2 Eine solche unterstellte Veräußerung ist rechtswidrig und verkennt auch die Abfolge von § 1 Abs. 5 Satz 3 und Satz 4 AStG. In welcher Form sich die Zuordnungsänderung vollzieht, d.h. in Gestalt welcher anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung, hat letztlich der Steuerpflichtige zu entscheiden, daraus die richtigen steuerlichen Folgerungen zu ziehen, in der Gewinnermittlung umzusetzen und entsprechend zu dokumentieren. Dies hat folgenden Grund: Der Fremdvergleichsgrundsatz kennt keinen Eingriff in die Dispositionsfreiheit des Steuerpflichtigen, sondern hilft bei der Beurteilung, ob die bei der Wahrnehmung dieser Freiheit vereinbarten Bedingungen dem widersprechen, was fremde Dritte unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen vereinbart haben oder hätten. In

4.87

1 Ebenso Rasch/Wenzel, ISR 2015, 128 (130); Roeder/Friedrich, BB 2015, 1056; Kahle/Kindich in H/K/ G/R, § 1 Abs. 5–6 AStG Rz. 229 ff.; bestätigend VWG BsGa, Rz. 76. 2 BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 57.

Andresen 213

Kap. 4 Rz. 4.88

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

allen diesen Situationen ist denkbar, dass auch fremde Dritte ungeachtet der Dauer einer Nutzungsänderung verkaufen, vermieten, verleasen, verkaufen mit Rückkaufoption, vermieten mit Kaufoption etc. Alle diese Varianten müssen auch im AOA zulässig sein und würden darüber hinaus keine Einkünftekorrektur nach sich ziehen, wenn der (oder die) Verrechnungspreis(e) für das Vereinbarte angemessen ist (sind).

4.88 Vorübergehende Nutzung als Nutzungsüberlassung. Bei vorübergehender Nutzung in dieser anderen Betriebsstätte soll nach der Gesetzesbegründung auch eine anzunehmende Nutzungsüberlassung („Vermietung“) möglich sein. Ob dies davon abhängig ist, dass die bisher nutzende Betriebsstätte weiterhin Personalfunktionen hinsichtlich des materiellen Wirtschaftsgutes ausübt und eine zukünftige Nutzung durch die Betriebsstätte absehbar ist, wie die Gesetzesbegründung es formuliert, darf auch für die Fälle bezweifelt werden, in denen ein materielles Wirtschaftsgut nicht nur vorübergehend in einer anderen Betriebsstätte genutzt wird. Der Grund dafür liegt auch hier darin, dass der Fremdvergleichsgrundsatz insoweit die Dispositionsfreiheit nicht einschränkt (s. Rz. 4.87). Insoweit liegt jede Annahme über einen Regelsachverhalt außerhalb des Ermächtigungsrahmens des § 1 Abs. 6 AStG, nach dem lediglich Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes und zu dessen einheitlicher Anwendung in der BsGaV geregelt werden dürfen.

4.89 Nutzung in mehreren Betriebsstätten. Ein sich automatisch ergebender Zuordnungskonflikt in Fällen, in denen ein materielles Wirtschaftsgut in mehreren Betriebsstätten genutzt wird, löst § 5 Abs. 1. Satz 3 BsGaV dahingehend auf, dass das materielle Wirtschaftsgut der Betriebsstätte zuzuordnen ist, für deren Geschäftstätigkeit es überwiegend genutzt wird. Die überwiegende Nutzung kann anhand quantitativer Faktoren (Zeit der Nutzung) oder anhand qualitativer Faktoren (Wertschöpfungsanteil) belegt und dokumentiert werden.

4.90 Andere Personalfunktion (alternatives Zuordnungskriterium) „Anschaffung“, „Herstellung“, „Verwaltung“ oder „Veräußerung“. Die Öffnungsklausel in § 5 Abs. 2 Satz 1 BsGaV erlaubt die Zuordnung des materiellen Wirtschaftsgutes zu einer anderen Betriebsstätte als der, in der es (überwiegend) genutzt wird, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der Nutzung überwiegt. Diese andere Geschäftstätigkeit (= Personalfunktion) wird dann zu der für die Zuordnung maßgeblichen Personalfunktion und verdrängt insoweit die Nutzung als Zuordnungskriterium. Satz 2 der Öffnungsklausel enthält eine nicht abschließende Aufzählung anderer möglicher maßgeblicher Personalfunktionen für die Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter: Dies sind die Anschaffung, die Herstellung, die Verwaltung oder die Veräußerung des materiellen Wirtschaftsgutes. Weder Gesetzestext noch Begründung enthalten Hinweise darauf, wann davon ausgegangen werden kann, dass die Bedeutung der oben genannten anderen Personalfunktionen gegenüber der Nutzung überwiegt. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Personalfunktion der Verwaltung für sich genommen nicht als maßgebliche Personalfunktion ansieht. Entsprechend müssten also noch weitere Personalfunktionen in der gleichen Betriebsstätte neben der Verwaltung eines materiellen Wirtschaftsgutes ausgeübt werden, um eine Zuordnung an den Ort der Verwaltung (Betriebsstätte) abweichend vom Nutzungsort des materiellen Wirtschaftsguts auszulösen.

4.91 Beispiel: Abweichend vom Beispiel in Rz. 4.86 werden die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe für die Produktion, die sich in einem Zentrallager am Sitz des Unternehmens A befinden, von dem Unternehmen beschafft und der Betriebsstätte im Staat B für die Produktion beigestellt. In diesem Fall dürften die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe dem Unternehmen im Staat A und nicht der Betriebsstätte im Staat B zuzuordnen sein.

214

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.93 Kap. 4

Wenn diese andere(n) – auf Grund ihrer größeren Bedeutung als die Nutzung – maßgebliche(n) Personalfunktion(en) von Personal in mehreren anderen Betriebsstätten ausgeübt wird (werden), ist das materielle Wirtschaftsgut derjenigen Betriebsstätte zuzuordnen, in der die andere(n) Personalfunktion(en) ausgeübt wird (werden), die gegenüber der (denen) in anderen Betriebsstätten die größte Bedeutung hat (haben). Ist eine eindeutige Zuordnung nach den Abs. 1 bis 3 des § 5 BsGaV nicht möglich, hat der Steuerpflichtige einen Beurteilungsspielraum, den er für die Zuordnung in Übereinstimmung mit den Zuordnungskriterien in diesen drei Absätzen nutzen kann. Wahlrecht des Steuerpflichtigen. § 5 Abs. 4 Satz 1 BsGaV gibt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht für die Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter, wenn keine eindeutige Zuordnung möglich ist. Dieser Zuordnung hat die Finanzverwaltung zu folgen, wenn sie den Abs. 1 bis 3 des § 5 BsGaV nicht widerspricht. Dies ist dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige eine der explizit genannten anderen Personalfunktionen des § 5 Abs. 2 Satz 2 BsGaV oder eine andere von ihm gewählte für Zuordnungszwecke verwendet und er die größte Bedeutung dieser Funktion darlegen und dokumentieren kann. Problematisch ist die in den VWG BsGa eingeräumte Schätzungsbefugnis bei unklarer Nachweispflicht bei Inanspruchnahme der Öffnungsklausel.1

4.92

Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter im Flussdiagramm. Die Wirkungsweise der Zuordnungsregelung für materielle Wirtschaftsgüter ist in dem nachfolgenden Flussdiagramm nochmals grafisch dargestellt:

4.93

Zuordnung von Wirtschaftsgütern Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern (mWg) mWg wird für eine PF (PFA) der BS genutzt.

Nein

Ja Bedeutung aller anderen PF (Anschaffung, Herstellung, Verwaltung, Verkauf des mWg) in einer (oder mehreren) anderen BS überwiegt nicht ggü. Bedeutung von PFA

Nein

Zuordnung zu dieser anderen BS (oder zu derjenigen, deren anderer PF die größte Bedeutung für das mWg zukommt)

Zuordnung zu einer anderen BS

Ja Zuordnung zu der BS, in der mWg von PFA genutzt wird Ja mWg wird später von anderer PF in anderer BS genutzt.

Zuordnung zu anderer BS ab dem Zeitpunkt derNutzungsänderung Nein

Zuordnung zu der BS, für deren Geschäftstätigkeit mWg überwiegend genutzt wird

Ja, dauerhaft Ja, Nutzung wechselt häufig

Kann das mWg nicht eindeutig einer BS zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die § 5 Abs. 1 bis 3 BsGaV nicht widerspricht.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 84.

Andresen 215

Kap. 4 Rz. 4.94

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.94 Beispielfall: Zuordnung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen. Ein Unternehmen der Automobilbranche mit Sitz und Geschäftsleitung in Stuttgart hat u.a. eine Betriebsstätte in Bratislava. In dieser Betriebsstätte werden Komponenten für Autohersteller gefertigt. Die Beschaffung von 95 % des Wareneinsatzes für die Produktion dieser Komponenten wird durch das Stuttgarter Unternehmen koordiniert und gemanagt. Die Nutzung sämtlicher Komponenten vollzieht sich im Werk in Bratislava. Die Nutzung der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe als Wareneinsatz in der Produktion würde für eine Zuordnung zur Betriebsstätte sprechen, wodurch die Kostenbasis erhöht würde. Wenn und soweit dargelegt werden kann, dass die Beschaffung der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe eine größere Bedeutung als die Nutzung hat, wäre eine Zuordnung der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe zum Unternehmen in Stuttgart denkbar. Diese Zuordnungsentscheidung ginge einher mit der Überlegung, dass dadurch gewissermaßen eine Lohn- oder Auftragsfertigung begründet wird und eher keine Eigenproduktion. Die nachfolgende Grafik illustriert das Beispiel: Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter (§ 5 BsGaV) Beispielfall: Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe

Automobilzulieferer Stammhaus (Stuttgart)

Anschaffung Teile

Lieferant

Betriebsstätte (Bratislava)

Nutzung der Teile im Produktionsprozess

d) Zuordnung von immateriellen Werten (§ 6 BsGaV)

4.95 Begriff des immateriellen Wertes. § 6 BsGaV regelt die Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern [sic!]. Die Verwendung des Begriffs „Wert“ ist hier teleologisch reduziert auszulegen, weil zum einen die Änderung von Bilanzen durch den Ansatz von Vorteilen als Unterschiedsmerkmal der Begriffe „(Vermögens-)Wert“ und „Wirtschaftsgut“ in § 2 Abs. 6 BsGaV nicht von dem Ermächtigungsrahmen des § 1 Abs. 6 AStG gedeckt ist.1 Zum anderen zählt die Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 1 Satz 1 BsGaV ausnahmslos immaterielle Wirtschaftsgüter als Definiendum des Begriffs „Wert“ (Definiens) auf. Insoweit ist die Verwendung des Wortes „Wert“ ohne Bedeutung für die Zuordnung.2 Immaterielle Wirtschaftsgüter im bilanzrechtlichen Sinne sind grundsätzlich alle unkörperlichen, d.h. nicht aus Materie bestehenden Wirtschaftsgüter.3 Darüber hinaus müssen sie entgeltlich erworben worden sein, wenn sie in der Steuerbilanz erfasst sein sollen (§ 5 Abs. 2 EStG). Das durch das BilMoG eingeräumte Wahl-

1 A.A. wohl Kahle/Kindich in H/K/G/R, § 1 Abs. 5–6 AStG Rz. 242. 2 Unzutreffend insoweit die Gesetzesbegründung zu § 6 zu Abs. 1 Satz 1 BsGaV in BR-Drucks. 401/14, 60. 3 Vgl. Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 531 ff. mit zahlreichen Beispielen immaterieller Wirtschaftsgüter; BFH v. 30.10.2008 – III R 82/06, BStBl. II 2009, 421 (423) = FR 2009, 638.

216

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.97 Kap. 4

recht zur Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter in § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB – mit Ausnahme von Marken, Drucktiteln, Verlagsrechten, Kundenlisten oder vergleichbaren immateriellen Vermögensgegenständen und bei Ausschüttungssperre – hat das Steuerrecht nicht nachvollzogen und ist daher für Zuordnungszwecke ohne Bedeutung, da hierfür der Unterschiedsbetrag gemäß Steuerbilanz1 maßgeblich ist. Der Steuerpflichtige kann sich mithin auf die Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter konzentrieren, die bereits nach Maßgabe handels- und steuerrechtlicher Vorschriften zutreffend bilanziert sind. Etwaige Gewinnrealisierungen durch Entstrickung und Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter sind nach den Ent- und Verstrickungsregelungen des EStG ggf. ergänzt um § 1 AStG zu beurteilen – in den durch BFH-Entscheidungen, das Verfassungsrecht und das Unionsrecht gesetzten Grenzen für die (u.U. beabsichtigte sofortige) Besteuerung. Entsprechend ist für Zwecke der Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter i.S.d. § 7 BsGaV auf die folgenden Bilanzpositionen aus dem Anlagevermögen des § 266 HGB des Einzelabschlusses des Unternehmens abzustellen:2 Bezeichnung

§ 266 HGB

Entgeltlich erworbene Konzessionen, gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten

Abs. 2 Buchst. A.I.2.

Geschäfts- und Firmenwert

Abs. 2 Buchst. A.I.3.

Geleistete Anzahlungen

Abs. 2 Buchst. A.I.4.

Zuordnung i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG ist keine Rechtsgrundlage für eine Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter. § 5 Abs. 2 EStG enthält ein Aktivierungsverbot für unentgeltlich erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter. Der letzte Satz der Gesetzesbegründung zu § 6 Abs. 1 Satz 1 BsGaV suggeriert, dass nicht bilanzierte immaterielle Wirtschaftsgüter als „immaterielle Werte“ nach § 6 BsGaV zuzuordnen sind. Da der Ausgangspunkt der Zuordnung die Steuerbilanz des Unternehmens mit den dort erfassten Wirtschaftsgütern ist, kann ein solches Wirtschaftsgut nicht Gegenstand der Zuordnung nach § 6 BsGaV sein. § 1 Abs. 5 AStG führt nicht dazu, dass der Gesetzesbefehl des § 5 Abs. 2 EStG aufgehoben ist. § 5 Abs. 2 EStG verhindert gewissermaßen eine automatische Aktivierung qua (nicht zulässiger) Zuordnung auf der bilanzielle Wirkungsebene des AOA. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Ermächtigungsrahmen des § 1 Abs. 6 AStG sich nicht in die Steuerbilanzierung erstreckt (s. Rz. 4.56).

4.96

Stattdessen: Angemessen vergütete anzunehmende schuldrechtliche Beziehung. § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG verlangt vielmehr zunächst die Prüfung, ob aus einer Forschungs- oder Entwicklungstätigkeit ein Wirtschaftsgut erstarkt ist, dass jedoch nicht bilanziert werden darf. Dann ist festzustellen, ob dieses immaterielle Wirtschaftsgut in einem anderen Unternehmensteil als dem, in dem es geschaffenen worden ist, eine Bedeutung für die Geschäftstätigkeit entfaltet. Wenn dies der Fall ist, wäre zu überlegen, in welcher Form das immaterielle Wirtschaftsgut

4.97

1 Es sei hier unterstellt, dass Entnahmen und Einlagen nicht erfolgswirksam erfasst sind, so dass kein Unterschied zwischen dem Unterschiedsbetrag aus Betriebsvermögensvergleich und dem aus der Steuerbilanz besteht. 2 Wie oben dargelegt, sind selbst geschaffene gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte i.S.d. § 266 Abs. 2 Buchst. A.I.1. HGB nicht Teil der Steuerbilanz und daher nicht zuzuordnen.

Andresen 217

Kap. 4 Rz. 4.98

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

diesem anderen Unternehmensteil zur Verfügung gestellt wird. Denkbar wäre ein anzunehmender Veräußerungsvorgang, wobei der fiktive Veräußerungserlös ggf. nach Maßgabe der jeweils einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften (Drittland ohne DBA, DBA-Partnerstaat, EU-Mitgliedstaat) durch einen Ausgleichsposten (ggf. partiell und temporär) zu neutralisieren wäre. Denkbar wäre allerdings auch eine Nutzungsüberlassung gegen ein angemessenes, dem Fremdvergleich entsprechendes Entgelt.

4.98 Zuordnungsregelung für immaterielle Wirtschaftsgüter. Die Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte richtet sich nach der maßgeblichen Personalfunktion. Die für immaterielle Wirtschaftsgüter maßgebliche Personalfunktion ist die Schaffung oder der Erwerb des immateriellen Wirtschaftsgutes für die Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). § 6 Abs. 2 Satz 1 BsGaV enthält eine sog. Öffnungsklausel, die dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet, von der gesetzlichen Vermutung über die maßgebliche Personalfunktion abzuweichen und an deren Stelle unter bestimmten Voraussetzungen eine andere maßgebliche Personalfunktion für die Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter zu verwenden.

4.99 Zuordnungskriterium: Personalfunktion der „Schaffung“ oder des „Erwerbs“ des immateriellen Wirtschaftsgutes. Die maßgebliche Personalfunktion (primäres Zuordnungskriterium) für die Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter ist die Schaffung oder der Erwerb dieser Wirtschaftsgüter (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Die Nutzung soll nach Ansicht des Gesetzgebers deshalb nicht primäres Zuordnungskriterium sein, weil ein immaterielles Wirtschaftsgut zeitgleich an mehreren Orten genutzt werden kann. Angesichts der Tatsache, dass immaterielle Wirtschaftsgüter – anders als alle anderen Zuordnungsgegenstände – auch anteilig den auf Dauer bedeutsamsten Personalfunktionen in mehreren Betriebsstätten zugeordnet werden dürfen,1 ist diese Begründung nicht zwingend. Die Personalfunktion (Geschäftstätigkeit) kann aus verschiedenen Sub-Aktivitäten bestehen, die der Gesetzesbegründung entnommen werden können. Dabei handelt es sich u.a. (nicht abschließend) um folgende Aktivitäten bei der Schaffung und beim Erwerb: Schaffung – die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit, – die Gestaltung der Prüfanforderungen und Prüfverfahren, die den Rahmen der konkreten Forschungs- und Entwicklungstätigkeit bilden, – die Analyse der aus diesen Prüfungen stammenden Daten, – die Bestimmung der Entwicklungsphasen („Meilensteine“) für das jeweilige Projekt, – die Entscheidung, ob das konkrete Projekt weiterfinanziert oder aufgegeben wird, insbesondere wenn die jeweiligen Entwicklungsphasen abgeschlossen sind. Erwerb – die Durchführung des Erwerbs, – die Prüfung, ob Bedarf für ein solches immaterielles Wirtschaftsgut besteht, – der Entscheidungsprozess, ein immaterielles Wirtschaftsgut zu erwerben und nicht selbst zu entwickeln, 1 So § 6 Abs. 4 Satz 2 BsGaV.

218

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.100 Kap. 4

– die Prüfung des zu erwerbenden bzw. des erworbenen immateriellen Wirtschaftsgutes, – die Entscheidung über die Verwendung des immateriellen Wirtschaftsgutes. Wenn diese Aktivitäten in verschiedenen Betriebsstätten ausgeübt werden, ist für die Zuordnung entscheidend, in welcher Betriebsstätte die Personalfunktion, d.h. wohl Aktivität oder Aktivitäten, mit der größten Bedeutung für die Schaffung oder den Erwerb des immateriellen Wirtschaftsgutes ausgeübt wird (§ 6 Abs. 1 Satz 2 BsGaV). Beispiel: Das Unternehmen A im Staat A hat eine Betriebsstätte im Staat B. In dieser Betriebsstätte ist ein Team von zehn IT-Spezialisten mit der Entwicklung einer neuen Steuerungssoftware für eine Produktionsstraße beschäftigt. Das Team wird geführt von einem erfahrenen Mitarbeiter M, der seinen Dienstsitz im Staat A hat und dort auch überwiegend tätig ist. Der Mitarbeiter M ist promovierter Mathematiker und leitet seit zehn Jahren die IT-Entwicklung des Unternehmens und hat über diesen Zeitraum auch die Budgetverantwortung innegehabt. Außer der eigenständigen Entwicklungstätigkeit und der Gestaltung der Prüfanforderungen und -verfahren führt der Mitarbeiter M alle anderen Aktivitäten mit seinem kleinen Führungsteam im Staat A aus. Entsprechend ist die Software dem Unternehmen in Staat A zuzuordnen. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, welche anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen konsequenterweise der Besteuerung und Einkünfteabgrenzung zwischen Unternehmen und Betriebsstätte zugrunde zu legen sind.

Andere Personalfunktion (alternatives Zuordnungskriterium) „Nutzung“, „Verwaltung“, „Weiterentwicklung“, „Schutz“ oder „Veräußerung“ des immateriellen Wertes. Die Öffnungsklausel in § 6 Abs. 2 Satz 1 BsGaV erlaubt die Zuordnung des immateriellen Wirtschaftsguts zu einer anderen Betriebsstätte als der, in oder von der es (überwiegend) geschaffen oder erworben worden ist, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der Schaffung bzw. des Erwerbs überwiegt. Diese andere Geschäftstätigkeit (= Personalfunktion) wird dann zu der für die Zuordnung maßgeblichen Personalfunktion und verdrängt insoweit die Schaffung oder den Erwerb als Zuordnungskriterium. Satz 2 der Öffnungsklausel enthält eine nicht abschließende Aufzählung anderer möglicher maßgeblicher Personalfunktionen für die Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter: Dies sind die Nutzung, die Verwaltung, die Weiterentwicklung, der Schutz oder die Veräußerung des immateriellen Wirtschaftsgutes. Weder Gesetzestext noch Begründung enthalten Hinweise darauf, wann davon ausgegangen werden kann, dass die Bedeutung der oben genannten anderen Personalfunktionen gegenüber der Schaffung oder dem Erwerb überwiegt. Die lapidare Anforderung in der Gesetzesbegründung, dass das Betriebsstättenergebnis bei dieser abweichenden Zuordnung dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entsprechen muss,1 hilft dem Rechtsanwender nicht weiter. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Personalfunktion der Verwaltung für sich genommen nicht als maßgebliche Personalfunktion ansieht.2 Entsprechend müssten also noch weitere Personalfunktionen in derselben Betriebsstätte neben der Verwaltung eines immateriellen Wirtschaftsgutes ausgeübt werden, um eine Zuordnung abweichend vom Schaffungs- oder Erwerbsort des immateriellen Wirtschaftsgutes auszulösen. Die Gesetzesbegründung enthält zwei Beispiele, in denen von einer „Veräußerung“ ausgegangen wird. In Anbetracht der Tatsache, dass Gewinnrealisierungen im Innenverhältnis auch unter dem AOA gewissen rechtlichen Beschränkungen unterliegen, erscheint es geboten, sich mit diesen Beispielen kritisch auseinanderzusetzen: Beispiel 1: „Wird ein in einer Betriebsstätte selbst geschaffener immaterieller Wert, der ‚fertig‘ ist, d.h. der nicht mehr weiterentwickelt wird, ausschließlich von einer anderen Betriebsstätte genutzt, 1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 61 (zu § 6 Abs. 2 Satz 1 BsGaV). 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 62 (zu § 6 Abs. 2 Satz 2 BsGaV).

Andresen 219

4.100

Kap. 4 Rz. 4.101

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

ist der immaterielle Wert mit Beginn der Nutzung der nutzenden Betriebsstätte zuzuordnen. Deshalb liegt eine ‚Veräußerung‘ (anzunehmende schuldrechtliche Beziehung nach § 16) durch die Betriebsstätte, die den immateriellen Wert geschaffen hat, an die Betriebsstätte, die ihn ausschließlich nutzt, vor. Dies ist insbesondere der Fall, wenn in der nutzenden Betriebsstätte auch schon wichtige Personalfunktionen hinsichtlich der Entwicklung des immateriellen Werts ausgeübt wurden (s. auch OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I Tz. 90).“1

Dieses Beispiel ist nicht i.S.d. § 6 BsGaV gelöst. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung ist die maßgebliche Personalfunktion ohne Zweifel die Schaffung des immateriellen Wirtschaftsgutes [sic!] und entsprechend der Betriebsstätte zuzuordnen, in der es geschaffen worden ist. Die sich daran anschließende Nutzung hat für das immaterielle Wirtschaftsgut bzw. seinen Wert keine überwiegende Bedeutung. Eine Zuordnungsänderung ist also nicht geboten. Es ist vielmehr nach § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG zu prüfen, ob und was für eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung sich ergibt, wenn das immaterielle Wirtschaftsgut in einer anderen Betriebsstätte genutzt wird. Die Nutzung impliziert nicht automatisch eine Veräußerung, weil auch fremde Dritte nicht notwendigerweise ein immaterielles Wirtschaftsgut immer veräußern, sondern u.U. einen höheren Gewinn erzielen, wenn sie dieses Wirtschaftsgut an 100 Mio. Kunden weltweit lizenzieren und das Wirtschaftsgut selbst weiterentwickeln. Der Steuerpflichtige bestimmt hier, was für einen Sachverhalt er verwirklichen möchte. Eine Veräußerung kann eine Handlungsoption sein, die aber nicht notwendigerweise einen sofort steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn auslöst. Eine unentgeltliche Beistellung kann eine andere Option sein, wenn der entwickelnde Unternehmensteil einen angemessenen Gewinnanteil aus dem Wertschöpfungsprozess in der Betriebsstätte erhält, der das immaterielle Wirtschaftsgut beigestellt ist, sei es aus der Vollabnahme und Weiterveräußerung sämtlicher mit dem immateriellen Wirtschaftsgut hergestellten Produkte, sei es durch eine anteilige Lizenzzahlung aus der Weiterlizenzierung eines kombinierten immateriellen Wirtschaftsgutes aus der nutzenden Betriebsstätte. Beispiel 2: „Wird ein erworbener immaterieller Wert, der von der ‚erwerbenden‘ Betriebsstätte nicht weiterentwickelt wird, ausschließlich von einer anderen Betriebsstätte genutzt, ist der immaterielle Wert mit Beginn der Nutzung der nutzenden Betriebsstätte zuzuordnen. Deshalb liegt eine ‚Veräußerung‘ (anzunehmende schuldrechtliche Beziehung nach § 16) durch die Betriebsstätte, die den immateriellen Wert erworben hat, an die Betriebsstätte, die ihn ausschließlich nutzt, vor. In ähnlich gelagerten Fällen kann auch eine innerbetriebliche ‚Nutzungsüberlassung‘ (anzunehmende schuldrechtliche Beziehung nach § 16) des immateriellen Werts an die nutzende Betriebsstätte in Betracht kommen, wenn die Bedeutung der jeweils ausgeübten Personalfunktionen anders zu gewichten ist.“2

Eine Veräußerung vollzieht sich nicht durch immanente Unterstellungen im Gesetz bzw. in einer Verordnung, zu der diese gar nicht ermächtigt ist, sondern durch einen Willensakt des Steuerpflichtigen. Die Beimessung unterschiedlicher „Bedeutungen“ in Bezug auf Personalfunktionen vermag keine Gewinnrealisierung auszulösen.

4.101 Wahlrecht des Steuerpflichtigen. § 6 Abs. 4 Satz 1 BsGaV gibt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht für die Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter, wenn keine eindeutige Zuordnung möglich ist. Dieser Zuordnung hat die Finanzverwaltung zu folgen, wenn sie den Abs. 1 bis 3 des § 6 BsGaV nicht widerspricht. Dies ist dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige eine der explizit genannten anderen Personalfunktionen des § 6 Abs. 2 Satz 2 BsGaV oder eine an1 BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 62 (zu § 6 Abs. 2 Satz 2 BsGaV). 2 BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 62 (zu § 6 Abs. 2 Satz 2 BsGaV).

220

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D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.103 Kap. 4

dere von ihm gewählte für Zuordnungszwecke verwendet und er die größte Bedeutung dieser Funktion darlegen und dokumentieren kann. Weshalb die größte Bedeutung nur qualitativ gezeigt werden können soll, wie es die VWG BsGa, Rz. 93, verlangt, ist nicht nachvollziehbar und findet im Gesetz und dessen Begründung keine Grundlage. Problematisch ist vor diesem Hintergrund auch die in den VWG BsGa eingeräumte Schätzungsbefugnis bei unklarer Nachweispflicht bei Inanspruchnahme der Öffnungsklausel.1 Ausnahme: anteilige Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter. Für immaterielle Wirtschaftsgüter erlaubt § 6 Abs. 4 Satz 2 BsGaV die anteilige Zuordnung auf mehrere Betriebsstätten, wenn in ihnen auf Dauer die Personalfunktionen mit der größten Bedeutung ausgeübt werden. Auch wenn der Wortlaut („Personalfunktionen“) suggeriert, dass eine anteilige Zuordnung nur dann möglich sein soll, wenn es um die Frage der Zuordnung zwischen zwei unterschiedlichen Personalfunktionen geht, deutet der Wortlaut in § 6 Abs. 2 BsGaV darauf hin, dass ein immaterielles Wirtschaftsgut nur entweder einer Personalfunktion oder der anderen Personalfunktion zuzuordnen ist. Dies würde bedeuten, dass anteilige Zuordnungen nur innerhalb einer Personalfunktion zwischen mehreren Betriebsstätten möglich wären, in denen diese eine maßgebliche Personalfunktion parallel ausgeübt wird. Das Fehlen des Wortes „maßgeblich“ in § 6 Abs. 4 Satz 2 BsGaV spricht auch für diese Auslegung, auch wenn sie für den Steuerpflichtigen ein Weniger an Flexibilität bedeutet.

4.102

Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter im Flussdiagramm. Die Wirkungsweise der Zuordnungsregelung für immaterielle Wirtschaftsgüter ist in dem nachfolgenden Flussdiagramm nochmals grafisch dargestellt:

4.103

Zuordnung von Wirtschaftsgütern Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern (iWg) iWg wird aufgrund einer PF (PFA) in BS geschaffen oder erworben.

Nein

Ja Die PF wird nicht gleichzeitig in verschiedenen BS ausgeübt.

Nein

Zuordnung zu der BS, deren PF die größte Bedeutung für iWg zukommt

Ja Bedeutung aller anderen PF (Nutzung, Verwaltung, Weiterentwicklung, Schutz, Veräußerung des iWg) in einer oder mehreren anderen BS überwiegt ggü. Bedeutung von PFA nicht. Ja Zuordnung zu der BS, in der das iWg aufgrund von PFA geschaffen oder erworben wurde

Nein

Zuordnung zu dieser anderen BS (oder zu derjenigen, deren anderer PF die größte Bedeutung für das iWg zukommt)

Zuordnung erfolgt zu einer anderen BS.

Kann das iWg nicht eindeutig einer BS zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die § 6 Abs. 1 bis 3 BsGaV nicht widerspricht. Eine anteilige Zuordnung auf mehrere BS ist bei dauerhafter Ausübung der PF möglich.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 98.

Andresen 221

Kap. 4 Rz. 4.104

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.104 Beispielfall: Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern. Ein Pharmaunternehmen mit Sitz und Geschäftsleitung in Hannover verschmilzt seine österreichische Tochterkapitalgesellschaft auf sich, in deren Eigentum sich u.a. ein nicht bilanziertes selbst geschaffenes Patent und eine US-Zulassung für ein Alzheimer-Medikament befinden. Das Unternehmen in Hannover nutzt, schützt und entwickelt das Patent nach der Verschmelzung weiter. § 6 Abs. 2 Satz 1 BsGaV erlaubt eine abweichende Zuordnung von der Betriebsstätte, die ein immaterielles Wirtschaftsgut geschaffen hat, nur dann, wenn die Bedeutung einer anderen Personalfunktion, die im Zusammenhang mit der Nutzung, der Verwaltung, dem Schutz oder der Weiterentwicklung steht, überwiegt. Es ist nicht erkennbar, weshalb die Erwirkung eines Schutzes für ein Patent sowie seine Nutzung eine größere Bedeutung haben sollen als die Schaffung. Allein eine Betrachtung von Zeit und Kosten als quantitative Kriterien und die Betrachtung der Tatsache, dass das Personal in Österreich durch seine qualitativ hochwertige Arbeit das Patent entwickelt hat, wecken Zweifel an einer anderen Zuordnung. Daher stellt sich in erster Linie die Frage, wie die Nutzungseinräumung, die Dienstleistung um den Schutz des Patents und die Weiterentwicklung als anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zu vergüten sind. Hierzu muss sich der Steuerpflichtige pro-aktiv Gedanken machen und diese so gut wie möglich dokumentieren, damit nicht ein anderer als der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt zur Grundlage einer nachfolgenden Besteuerung gemacht wird. Die nachfolgende Grafik illustriert das Beispiel: Zuordnung von immateriellen Werten (§ 6 BsGaV) Beispielfall: Patente Pharmaunternehmen Stammhaus Hannover

Stammhaus nutzt, schützt und entwickelt Patent weiter. Verschmelzung zum 1.1.2015

Ges.m.b.H. Betriebsstätte Salzburg

Nicht bilanziertes Patent und US-Zulassung für Alzheimer-Medikament

e) Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten (§ 7 BsGaV)

4.105 Begriff der Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten. § 7 BsGaV regelt die Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten. Beteiligungen sind Finanzanlagen, die in Form verbriefter oder nicht verbriefter Anteile an anderen Unternehmen bestimmt sind, dem eigenen Geschäftsbetrieb durch Herstellung einer dauerhaften Verbindung zu dienen.1 Finanzanlagen sind die in § 266 Abs. 2 III. HGB genann-

1 Vgl. Grottel/Kreher in BeckBilanzkomm10, § 271 HGB Rz. 1.

222

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.107 Kap. 4

ten Anteile, Beteiligungen, Wertpapiere und Ausleihungen.1 Entsprechend sind die folgenden Positionen unter dieser Zuordnungsregelung zu beurteilen: Bezeichnung

§ 266 HGB

Anteile an verbundenen Unternehmen

Abs. 2 Buchst. A.III.1.

Ausleihungen an verbundene Unternehmen

Abs. 2 Buchst. A.III.2.

Beteiligungen

Abs. 2 Buchst. A.III.3.

Ausleihungen an Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht

Abs. 2 Buchst. A.III.4.

Wertpapiere des Anlagevermögens

Abs. 2 Buchst. A.III.1.

Sonstige Ausleihungen

Abs. 2 Buchst. A.III.2.

Der hier vom Verordnungs-Gesetzgeber verwendete Ausdruck „ähnliche Vermögenswerte“ ist weder im Gesetz definiert, noch enthält die Gesetzesbegründung – über den Verweis auf § 2 Abs. 6 BsGaV hinaus – Hinweise darauf, was unter Vermögenswerten verstanden werden soll, die Beteiligungen und Finanzanlagen ähnlich sind. Der Begriff des Vermögenswertes in § 2 Abs. 6 BsGaV wandelt „Vorteile“ abweichend von dessen Wortlaut mangels entsprechender Ermächtigung im Zuordnungsprozess der BsGaV nicht in zu bilanzierende Wirtschaftsgüter (s. Rz. 4.79). Entsprechend führt die Verwendung des unbestimmten Ausdrucks ähnliche Vermögenswerte nicht zur Erweiterung der Zuordnungsgegenstände in § 266 Abs. 2 Buchst. A.III. für Zwecke dieser Zuordnungsregel. Forderungen, Wertpapiere des Umlaufvermögens und der Kassenbestand sind keine ähnlichen Vermögenswerte. Dies ergibt sich aus der Logik der Verwendung der maßgeblichen Personalfunktionen, da eine sich darauf ergebende Zuordnung nach der maßgeblichen Personalfunktion „Nutzung“ im Sinne eines funktionalen Zusammenhangs in Bezug auf Forderungen oder Wertpapiere des Umlaufvermögens zu unzutreffenden Ergebnissen führen würde. Zuordnungsregelung für Beteiligungen und Finanzanlagen. Die Zuordnung von Beteiligungen und Finanzanlagen zu einer Betriebsstätte richtet sich nach der maßgeblichen Personalfunktion. Die für diese Kategorie maßgebliche Personalfunktion ist die Nutzung der Beteiligung oder Finanzanlage für die Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Dabei ist auf den funktionalen Zusammenhang zur Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte abzustellen (s. Rz. 4.108). § 7 Abs. 2 Satz 1 BsGaV enthält eine sog. Öffnungsklausel, die dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet, von der gesetzlichen Vermutung über die maßgebliche Personalfunktion abzuweichen und an deren Stelle unter bestimmten Voraussetzungen eine andere maßgebliche Personalfunktion für die Zuordnung von Beteiligungen und Finanzanlagen zu verwenden (s. Rz. 4.110).

4.106

Grundsatz der eindeutigen Zuordnung. Der Wortlaut des § 7 BsGaV deutet darauf hin, dass Beteiligungen und Finanzanlagen einer Betriebsstätte eindeutig zugeordnet werden müssen und nicht anteilig mehreren Betriebsstätten zugeordnet werden dürfen. Die Gesetzesbegründung bestätigt diese Auslegung, dass eine anteilige Zuordnung auf mehrere Betriebsstätten nicht zulässig ist.2 Die Rechtsfolgen bei falscher oder anteiliger Zuordnung sind exemplarisch in Rz. 4.84 beschrieben.

4.107

1 Vgl. Grottel/Kreher in BeckBilanzkomm10, § 266 HGB Rz. 69. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 66 (zu § 7Abs. 4 BsGaV); bestätigend VWG BsGa, Rz. 104, 107.

Andresen 223

Kap. 4 Rz. 4.108

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.108 Zuordnungskriterium: Personalfunktion der „Nutzung“ mit funktionalem Zusammenhang. Die maßgebliche Personalfunktion (primäres Zuordnungskriterium) für die Zuordnung von Beteiligungen etc. ist die Nutzung dieser Wirtschaftsgüter (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Nutzung bedeutet in diesem Kontext, dass die Beteiligung oder Finanzanlage in funktionalem Zusammenhang zu der Geschäftstätigkeit stehen muss, die das Personal der Betriebsstätte ausübt. Die Gesetzesbegründung spricht hier von einem mittelbaren Gebrauch, weil ein unmittelbarer Gebrauch einer Beteiligung oder einer Finanzanlage im Anlagevermögen nicht gegeben ist. Ein solcher funktionaler Zusammenhang kann zu den Kernaktivitäten des Leistungserstellungsprozesses wie Produktentwicklung, Produktion, Marketing und Vertrieb bestehen, etwa als Zulieferer, aber auch zu unterstützenden oder strategischen Funktionen wie dem Beteiligungscontrolling, der Finanzfunktion, der Rechtsabteilung etc. Besteht ein funktionaler Zusammenhang gleichzeitig zur Geschäftstätigkeit von zwei Betriebsstätten, ist die Beteiligung oder Finanzanlage derjenigen Betriebsstätte zuzuordnen, zu der der überwiegende funktionale Zusammenhang besteht. Die überwiegende Nutzung kann anhand quantitativer Faktoren (Zeit der Nutzung) oder anhand qualitativer Faktoren (Integration in den Produktionsprozess, strategische Bedeutung) belegt und dokumentiert werden. Beispiel 1: Das Unternehmen A im Staat A hat eine Betriebsstätte im Staat B. Eine Tochtergesellschaft des Unternehmens im Staat B stellt Vorprodukte her, die sowohl in den Produktionsprozess im Unternehmen als auch in den der Betriebsstätte in B einfließen. Ein funktionaler Zusammenhang besteht zum Unternehmen und zur Betriebsstätte. Das wertmäßige Verhältnis der Zulieferungen aus der Tochtergesellschaft zum Unternehmen und zur Betriebsstätte schwankt zum Teil erheblich über die Jahre. Eine Zuordnung ist in diesem Fall ggf. unter Hinzuziehung weiterer funktionaler Zusammenhänge oder unter Anwendung einer anderen Personalfunktion vorzunehmen. Beispiel 2: Das Unternehmen A erwirbt einen Hersteller von Vorprodukten, die aus äußerst innovativen Werkstoffen mit signifikanter Gewichtsersparnis entstehen und daher einen großen Wettbewerbsvorteil versprechen (vertikale Integration). Diese Vorprodukte werden nicht im Unternehmen A, sondern ausschließlich in zwei Betriebsstätten in den Staaten B und C in Endprodukte des Unternehmens eingebaut. Ein funktionaler Zusammenhang besteht somit zu beiden Betriebsstätten in B und C. Das Unternehmen ordnet die Beteiligung jedoch der Geschäftsleitungsbetriebsstätte im Staat A zu, weil es die strategische Bedeutung der Beteiligung in den Mittelpunkt seiner Akquisitionsentscheidung gestellt hat und daher eher einen funktionalen Zusammenhang zum Unternehmen (Geschäftsleitungsbetriebsstätte) sieht. Die Anwendung der anderen maßgeblichen Personalfunktion käme wohl zum selben Ergebnis.

Besondere Regelungen zur Nutzungsänderung enthält § 7 BsGaV nicht, so dass eine getroffene Zuordnungsentscheidung für Zwecke der Einkünfteabgrenzung für eine gewisse Dauer Bestand haben dürfte. Zuordnungsänderungen wegen vorübergehender Nutzungsänderungen dürften daher nicht vom Gesetz gedeckt sein. Entfällt ein funktionaler Zusammenhang für eine Dauer von mehr als zwölf Monaten, sollte der Steuerpflichtige dennoch überlegen, ob eine Zuordnungsänderung für steuerliche Zwecke vorzunehmen ist oder ob die Wahl eines anderen Zuordnungskriteriums eine Zuordnungsänderung vermeiden kann. Eine kurzfristige Zuordnungsänderung hin zu der Personalfunktion der Veräußerung ähnlich wie in dem Sachverhalt, der der Rechtssache Belgien/GIMLE SA des EuGH1 zugrunde gelegen hat, könnte von der Finanzverwaltung sehr kritisch geprüft werden, insbesondere dann, wenn damit steuerliche Vorteile einhergehen. Letztlich kann die Finanzverwaltung in Fällen wie

1 Vgl. EuGH v. 3.10.2013 – Rs. C-322/12 – Belgien/GIMLE SA, ECLI:EU:C:2013:632.

224

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.110 Kap. 4

diesen auch durch eine Korrektur des Entgelts die aus ihrer Sicht richtige steuerliche Wirkung wiederherstellen. Wertpapierdarlehensgeschäfte (vorübergehende Nutzungsänderung). Soweit Wertpapiere des Anlagevermögens aus dem Bestand des Unternehmens im Wege eines Wertpapierdarlehensgeschäftes an eine Betriebsstätte verliehen werden, müsste das Unternehmen das Wertpapier aus- und eine Forderung auf Rückübertragung in Höhe des Buchwertes der Wertpapiere einbuchen.1 Diese Forderung dürfte während der Laufzeit des Darlehens jedoch nicht anderen Zuordnungsregelungen unterliegen als das Wertpapier selbst. Der Darlehensnehmer, die Betriebsstätte, aktiviert die Wertpapiere im Umlaufvermögen mit ihren Kurswerten und passiviert eine Rückgabeverpflichtung in selber Höhe als sonstige Verbindlichkeit.2

4.109

Andere Personalfunktion (alternatives Zuordnungskriterium) „Anschaffung“, „Verwaltung“, „Risikosteuerung“ oder „Veräußerung“. Die Öffnungsklausel in § 7 Abs. 2 Satz 1 BsGaV erlaubt die Zuordnung von Beteiligungen und Finanzanlagen zu einer anderen Betriebsstätte als der, zu der der (überwiegende) funktionale Zusammenhang besteht, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der Nutzung im Sinne des funktionalen Zusammenhangs überwiegt. Diese andere Geschäftstätigkeit (= Personalfunktion) wird dann zu der für die Zuordnung maßgeblichen Personalfunktion und verdrängt insoweit die Nutzung als Zuordnungskriterium. Satz 2 der Öffnungsklausel enthält eine nicht abschließende Aufzählung anderer möglicher maßgeblicher Personalfunktionen für die Zuordnung von Beteiligungen und Finanzanlagen: Dies sind die Anschaffung, die Verwaltung, die Risikosteuerung oder die Veräußerung der Beteiligung oder Finanzanlage. Weder Gesetzestext noch Begründung enthalten Hinweise darauf, wann davon ausgegangen werden kann, dass die Bedeutung der oben genannten anderen Personalfunktionen gegenüber der Nutzung überwiegt. Der Gesetzesbegründung ist jedoch zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Personalfunktion der Anschaffung im Regelfall als Personalfunktion mit ausschlaggebender Bedeutung ansieht.3 Dies gilt insbesondere dann, wenn dort auch die Mittel für die Anschaffung zur Verfügung gestellt worden sind.4 Die Verwaltung der Beteiligung durch Personal in einer Betriebsstätte soll dagegen im Regelfall allein keine maßgebliche Personalfunktion sein,5 sondern es müssten weitere Tätigkeiten hinzutreten, damit die Verwaltung zur maßgeblichen Personalfunktion erstarken kann.

4.110

Beispiel: Abweichend vom Beispiel 1 in Rz. 4.108 wird der Tochtergesellschaft im Staat B die Betriebsstätte im Staat B zugeordnet, weil von dort die Personalfunktionen der Verwaltung und der Risikosteuerung mit Bezug auf die Tochtergesellschaft ausgeübt werden.

Wenn diese andere(n) – auf Grund ihrer größeren Bedeutung als die Nutzung – maßgebliche(n) Personalfunktion(en) von Personal in mehreren anderen Betriebsstätten ausgeübt wird (werden), ist die Beteiligung oder Finanzanlage derjenigen Betriebsstätte zuzuordnen, in der die andere(n) Personalfunktion(en) ausgeübt wird (werden), die gegenüber der (denen) in anderen Betriebsstätten die größte Bedeutung hat. Ist eine eindeutige Zuordnung

1 2 3 4 5

Vgl. Schmidt/Usinger in BeckBilanzkomm10, § 254 HGB Rz. 121. Vgl. Schmidt/Usinger in BeckBilanzkomm10, § 254 HGB Rz. 122. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 64 (zu § 7 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 64 f. (zu § 7 Abs. 1 Satz 1 und zu Abs. 2 Satz 2 BsGaV). Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 65 (§ 7 Abs. 2 Satz 2 BsGaV).

Andresen 225

Kap. 4 Rz. 4.111

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

nach den Abs. 1 bis 3 nicht möglich, hat der Steuerpflichtige einen Beurteilungsspielraum, den er für die Zuordnung in Übereinstimmung mit den Zuordnungskriterien in diesen drei Absätzen nutzen kann. Die in den VWG BsGa vorgesehene Präferenz der Wertung anhand qualitativer Kriterien bzw. „Gesichtspunkte“ (dort Rz. 104) ist vom Gesetz und dessen Begründung nicht gedeckt. Problematisch ist die in den VWG BsGa eingeräumte Schätzungsbefugnis bei unklarer Nachweispflicht bei Inanspruchnahme der Öffnungsklausel.1

4.111 Zuordnung von Beteiligungen und Finanzanlagen im Flussdiagramm. Die Wirkungsweise der Zuordnungsregelung für Beteiligungen und Finanzanlagen ist in dem nachfolgenden Flussdiagramm nochmals grafisch dargestellt: Zuordnung von Wirtschaftsgütern Zuordnung von Finanzanlagen, Beteiligungen und ähnlichen Vermögenswerten (FBäV) Nein

FBäV wird für die PF (PFA) einer BS genutzt (die Nutzung ergibt sich aus dem funktionalen Zusammenhang zur Geschäftstätigkeit der BS). Ja Nein Es besteht kein gleichzeitiger funktionaler Zshg. zur Geschäftstätigkeit einer anderen BS.

Zuordnung zu der BS, zu der der überwiegende funktionale Zusammenhang besteht

Ja Bedeutung aller anderen PF (Anschaffung, Verwaltung, Risikosteuerung, Veräußerung) des FBäV) in einer (oder mehreren) anderen BS überwiegt ggü. Bedeutung von PFA nicht.

Nein

Zuordnung zu dieser anderen BS (oder zu derjenigen, deren anderer PF die größte Bedeutung für das FBäV zukommt)

Zuordnung erfolgt zu einer anderen BS.

Ja Zuordnung zu der BS, in der FBäV für PFA genutzt wird

Kann FBäV nicht eindeutig einer BS zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die § 7 Abs. 1 bis 3 BsGaV nicht widerspricht.

4.112 Beispielfall: Zuordnung von Beteiligungen und Finanzanlagen. Ein Anlagenbauer mit Sitz und Geschäftsleitung in Mailand hat eine 100 %ige Tochterkapitalgesellschaft in Deutschland (Ulm). Diese Gesellschaft soll per 1.1.2015 grenzüberschreitend auf das Unternehmen des Anlagenbauers verschmolzen werden. Die Tochterkapitalgesellschaft ist ihrerseits zu je 100 % an vier Tochterkapitalgesellschaften beteiligt, die zusammen mit der Tochterkapitalgesellschaft einen Produktionsverbund bilden. Das Beteiligungscontrolling des Unternehmens wird in Mailand ausgeübt. Die Produktion in den fünf (nach Verschmelzung vier) nachgeordneten Gesellschaften plus Betriebsstätte ist so stark integriert, dass das Herauslösen einzelner Werke so hohe Kosten verursachen würde, dass ein fremder Dritter Käufer nur den gesamten Produktionsverbund erwerben wollen würde. Der Zuordnungskonflikt zwischen Beteiligungscontrolling und Produktionsverbund ist dahingehend aufzulösen, dass

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 107.

226

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.113 Kap. 4

die überwiegende Bedeutung des funktionalen Zusammenhangs innerhalb des Produktionsverbunds durch die Kosten der Trennung zum Ausdruck kommt. Entsprechend sind die Tochtergesellschaften der Betriebsstätte in Ulm zuzuordnen. Die nachfolgende Grafik illustriert das Beispiel: Zuordnung von Beteiligungen, etc. (§ 7 BsGaV) Beispielfall: Unternehmensbeteiligungen Anlagenbauer Stammhaus Mailand

Beteiligungscontrolling Verschmelzung zum 1.1.2015

GmbH Betriebsstätte Ulm Produktionsverbund CR

H

RO

PL

Bankbetriebsstättenbesteuerung •

f) Zuordnung von sonstigen Vermögenswerten (§ 8 BsGaV) Begriff des sonstigen Vermögenswertes. § 8 BsGaV regelt die Zuordnung von sonstigen Wirtschaftsgütern [sic!]. Die Verwendung des Begriffs „Vermögenswert“ ist hier teleologisch reduziert auszulegen, weil die Änderung von Bilanzen durch den Ansatz von Vorteilen als Unterschiedsmerkmal der Begriffe „(Vermögens-) Wert“ und „Wirtschaftsgut“ in § 2 Abs. 6 BsGaV nicht von dem Ermächtigungsrahmen des § 1 Abs. 6 AStG gedeckt ist. § 8 BsGaV ist ausweislich der Gesetzesbegründung einer Auffangregelung, die alle Vermögenswerte erfassen soll, die nicht bereits in den §§ 5 bis 7 BsGaV genannt sind. Wählt man die Handelsbilanz ggf. ergänzt um die Angaben gem. § 60 EStDV als Bezugsrahmen, sind die folgenden Bilanzpositionen aus dem Einzelabschlusses des Unternehmens von dieser Zuordnungsregelung erfasst: Bezeichnung

§ 266 HGB

Forderungen aus Lieferungen und Leistungen

Abs. 2 Buchst. B.II.1.

Forderungen gegen verbundene Unternehmen

Abs. 2 Buchst. B.II.2.

Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht

Abs. 2 Buchst. B.II.3.

Sonstige Vermögensgegenstände

Abs. 2 Buchst. B.II.4.

Anteile an verbundenen Unternehmen (Umlaufvermögen)

Abs. 2 Buchst. B.III.1.

Andresen 227

4.113

Kap. 4 Rz. 4.114

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Bezeichnung

§ 266 HGB

Sonstige Wertpapiere (Umlaufvermögen)

Abs. 2 Buchst. B.III.2.

Kassenbestand, Bundesbankguthaben, Guthaben bei Kreditinstituten und Schecks

Abs. 2 Buchst. B.IV.

Aktiver Rechnungsabgrenzungsposten

Abs. 2 Buchst. C.

4.114 Grundsatz der eindeutigen Zuordnung. Der Wortlaut des § 8 BsGaV deutet darauf hin, dass sonstige Wirtschaftsgüter einer Betriebsstätte eindeutig zugeordnet werden müssen und nicht anteilig mehreren Betriebsstätten zugeordnet werden dürfen. Die Gesetzesbegründung bestätigt diese Auslegung, dass eine anteilige Zuordnung auf mehrere Betriebsstätten nicht zulässig ist.1 Auf die in Rz. 4.84 dargestellten, möglichen Rechtsfolgen einer falschen oder anteiligen Zuordnung sei hier verwiesen.

4.115 Zuordnungsregelung für sonstige Wirtschaftsgüter. Die Zuordnung von sonstigen Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte richtet sich nach der maßgeblichen Personalfunktion. Die für sonstige Wirtschaftsgüter maßgebliche Personalfunktion ist die Schaffung oder der Erwerb des sonstigen Wirtschaftsgutes für die Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte (§ 8 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). § 8 Abs. 2 Satz 1 BsGaV enthält eine sog. Öffnungsklausel, die dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet, von der gesetzlichen Vermutung über die maßgebliche Personalfunktion abzuweichen und an deren Stelle unter bestimmten Voraussetzungen eine andere maßgebliche Personalfunktion für die Zuordnung sonstiger Wirtschaftsgüter zu verwenden.

4.116 Zuordnungskriterium: Personalfunktion der „Schaffung“ oder des „Erwerbs“ des sonstigen Wirtschaftsgutes. Die maßgebliche Personalfunktion (primäres Zuordnungskriterium) für die Zuordnung sonstiger Wirtschaftsgüter ist die Schaffung oder der Erwerb dieser sonstigen Wirtschaftsgüter (§ 8 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Während es bei den Forderungen primär um die Geschäftstätigkeiten hinter den Geschäftsvorfällen geht, die zum Einbuchen einer Forderung führen, und insoweit eine enge Abstimmung mit den Zuordnungskriterien in § 9 BsGaV erfolgen sollte, dürfte es bei den sonstigen Vermögensgegenständen, den Anteilen an verbundenen Unternehmen und den sonstigen Wertpapieren im Umlaufvermögen vor allem auf den Erwerb ankommen, d.h., ob das eigene Personal aus dem übrigen Unternehmen oder einer Betriebsstätte den Erwerb geplant, durchgeführt und verantwortet hat. Bei der Position „Kassenbestand etc.“ dürfte in erster Linie die Schaffung dieser Positionen relevant sein, da sie in aller Regel das Resultat von geschäftlichen Handlungen bzw. Anlageentscheidungen ist. Für den Rechnungsabgrenzungsposten dürften weder die Schaffung noch der Erwerb relevant sein, sondern eher die Bilanzposition, auf die er sich bezieht. Beispiel: Das Unternehmen A verkauft Produkte und stellt eine Rechnung an ihren Kunden. Sie bucht eine Forderung ein. Die Forderung ist beim Unternehmen zu zeigen und nicht in einer Betriebsstätte, weil die Forderung durch das Handeln des Personals des übrigen Unternehmens entstanden ist.

4.117 Andere Personalfunktion (alternatives Zuordnungskriterium) „Nutzung“, „Verwaltung“, „Risikosteuerung“ oder „Veräußerung“ des sonstigen Vermögenswertes. Die Öffnungsklausel in § 8 Abs. 2 Satz 1 BsGaV erlaubt die Zuordnung des sonstigen Wirtschaftsgutes zu einer anderen Betriebsstätte als der, in oder von der es (überwiegend) geschaffen oder er-

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 68 (zu § 8 Abs. 4 BsGaV).

228

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.119 Kap. 4

worben worden ist, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der Schaffung oder des Erwerbs überwiegt. Diese andere Geschäftstätigkeit (= Personalfunktion) wird dann zu der für die Zuordnung maßgeblichen Personalfunktion und verdrängt insoweit die Schaffung oder den Erwerb als Zuordnungskriterium. Satz 2 der Öffnungsklausel enthält eine nicht abschließende Aufzählung anderer möglicher maßgeblicher Personalfunktionen für die Zuordnung sonstiger Wirtschaftsgüter: Dies sind die Nutzung, die Verwaltung, die Risikosteuerung oder die Veräußerung des sonstigen Wirtschaftsgutes. Weder Gesetzestext noch Begründung enthalten Hinweise darauf, wann davon ausgegangen werden kann, dass die Bedeutung der oben genannten anderen Personalfunktionen gegenüber der Schaffung oder dem Erwerb überwiegt. Die lapidare Anforderung in der Gesetzesbegründung, dass das Betriebsstättenergebnis bei dieser abweichenden Zuordnung dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entsprechen muss,1 hilft dem Rechtsanwender nicht weiter. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Personalfunktion der Verwaltung für sich genommen nicht als maßgebliche Personalfunktion ansieht.2 Entsprechend müssten also noch weitere Personalfunktionen in derselben Betriebsstätte neben der Verwaltung eines sonstigen Wirtschaftsgutes ausgeübt werden, um eine Zuordnung abweichend vom Schaffungs- oder Erwerbsort des sonstigen Wirtschaftsgutes auszulösen. Das folgende Beispiel zeigt die Anwendung eines alternativen Zuordnungskriteriums: Beispiel: Die Betriebsstätte B im Staat B erwirbt Wertpapiere des Umlaufvermögens im November eines Jahres und hält diese über den Bilanzstichtag. Im Mai des Folgejahres veräußert sie die Wertpapiere wieder. Die Anweisung, welche Wertpapiere zu erwerben sind, erfolgt aus dem übrigen Unternehmen. Der tatsächliche Erwerb erfolgt durch das eigene Personal der Betriebsstätte, die danach die Zinsen vereinnahmt (Nutzung), die Wertpapiere verwaltet, den Kursverlauf verfolgt und auf Basis der Kursentwicklung eine Veräußerung durchführt. Der Rahmen für die Veräußerungsentscheidung ist vom übrigen Unternehmen vorgegeben. Die Wertpapiere sind der Betriebsstätte zuzuordnen, weil dort die Personalfunktionen mit der größten Bedeutung ausgeübt werden.

Wahlrecht des Steuerpflichtigen. § 8 Abs. 4 Satz 1 BsGaV gibt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht für die Zuordnung sonstiger Wirtschaftsgüter, wenn keine eindeutige Zuordnung möglich ist. Dieser Zuordnung hat die Finanzverwaltung zu folgen, wenn sie den Abs. 1 bis 3 des § 8 BsGaV nicht widerspricht. Dies ist dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige eine der explizit genannten anderen Personalfunktionen des § 8 Abs. 2 Satz 2 BsGaV oder eine andere von ihm gewählte für Zuordnungszwecke verwendet und er die größte Bedeutung dieser Funktion darlegen und dokumentieren kann. Problematisch ist die in den VWG BsGa eingeräumte Schätzungsbefugnis bei unklarer Nachweispflicht bei Inanspruchnahme der Öffnungsklausel.3

4.118

Zuordnung sonstiger Wirtschaftsgüter im Flussdiagramm. Die Wirkungsweise der Zuordnungsregelung für materielle Wirtschaftsgüter ist in dem nachfolgenden Flussdiagramm nochmals grafisch dargestellt:

4.119

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 61 (zu § 6 Abs. 2 Satz 1 BsGaV). 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 62 (zu § 6 Abs. 2 Satz 2 BsGaV). 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 111.

Andresen 229

Kap. 4 Rz. 4.120

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Zuordnung von Wirtschaftsgütern Zuordnung von anderen Vermögenswerten (aVw) aVw entsteht aufgrund einer PF (PFA) in einer BS oder wird aufgrund von PFA in dieser BS angeschafft.

Nein

Ja Die PF wird nicht gleichzeitig in verschiedenen BS ausgeübt.

Nein

Zuordnung zu der BS, deren PFA die größte Bedeutung für den aVw zukommt

Ja Bedeutung aller anderen PF (Nutzung, Verwaltung, Risikosteuerung, Veräußerung des aVw) in einer oder mehreren anderen BS überwiegt ggü. Bedeutung von PFA nicht.

Nein

Zuordnung zu dieser anderen BS oder zu derjenigen, deren anderer PF die größte Bedeutung für das aVw zukommt

Zuordnung erfolgt zu einer anderen BS.

Ja Zuordnung zu der BS, in der aVw aufgrund von PFA angeschafft oder erschaffen wurde

Kann der aVw nicht eindeutig einer BS zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die § 8 Abs. 1 bis 3 BsGaV nicht widerspricht.

4.120 Beispiel: Forderungsmanagement. Die Betriebsstätte in Paris veräußert Produkte, fakturiert diese und bucht Forderungen gegenüber ihren Kunden ein. Die Betriebsstätte hat keine eigene Abteilung für das Forderungsmanagement. Dieses wird im übrigen Unternehmen in Hamburg zentral für alle Betriebsstätten ausgeübt. Dort werden auch die Rechnungen gedruckt und der Zahlungseingang überwacht bzw. gemahnt bei Zahlungsverzug. Je nachdem, wie der Steuerpflichtige den Sachverhalt ausgestaltet, ist denkbar, dass die Forderungen dem übrigen Unternehmen und nicht der Betriebsstätte zuzuordnen sind, wenn sich das Risiko des Zahlungsausfalls auch dort materialisieren soll, wo das Forderungsmanagement stattfindet. Dann wäre ein adäquater Abschlag auf den Forderungswert beim Übergang der Forderung anzusetzen, wie ihn fremde Dritte vereinbaren würden. Andernfalls, d.h., wenn die Forderung in der Betriebsstätte bleibt, wäre ein fremdübliches Dienstleistungsentgelt für das Forderungsmanagement anzusetzen. Die nachfolgende Grafik illustriert das Beispiel: Zuordnung sonstiger Vermögenswerte (§ 8 BsGaV) Beispielfall: Forderungen

Konsumgüterindustrie Stammhaus (Hamburg)

Betriebsstätte (Paris)

230

Andresen

Forderungsmanagement für Großkunden

Forderung aus Lieferbeziehung

Kunde

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.124 Kap. 4

g) Zuordnung von Geschäftsvorfällen des Unternehmens (§ 9 BsGaV) Begriff des Geschäftsvorfalls. § 9 BsGaV regelt die Zuordnung von Geschäftsvorfällen des Unternehmens. Hinsichtlich des Begriffs des Geschäftsvorfalls verweist die Norm auf § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG, der den Begriff der Geschäftsbeziehung als einzelne oder mehrere Geschäftsvorfälle definiert, die Teil einer Tätigkeit sind, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG anzuwenden sind. Mit anderen Worten sind dies Geschäftsvorfälle, die zu Einkünften i.S. einer dieser Vorschriften führen und denen keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt. Durch die in § 9 Abs. 1 Satz 1 BsGaV gegenüber der Regelung in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG enthaltene Erweiterung auf Geschäftsvorfälle mit fremden Dritten ist dieses Tatbestandsmerkmal nunmehr nicht nur auf den nahestehenden Geschäftspartner des Steuerpflichtigen anzuwenden, sondern auch auf fremde Dritte. Hier geht es also um die Beziehungen des Steuerpflichtigen im Außenverhältnis, die auch schon vor dem AOA auf Stammhaus und Betriebsstätte aufzuteilen waren.

4.121

Zuordnungsregelung für Geschäftsvorfälle. Die Zuordnung von Geschäftsvorfällen zu einer Betriebsstätte richtet sich nach der maßgeblichen Personalfunktion. Die für Geschäftsvorfälle maßgebliche Personalfunktion ist die Personalfunktion, auf der das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls beruht (§ 9 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). § 9 Abs. 2 Satz 1 BsGaV enthält eine sog. Öffnungsklausel, die dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet, von der gesetzlichen Vermutung über die maßgebliche Personalfunktion abzuweichen und an deren Stelle unter bestimmten Voraussetzungen eine andere maßgebliche Personalfunktion für die Zuordnung von Geschäftsvorfällen zu verwenden.

4.122

Eindeutige Zuordnung nicht zwingend. Der Wortlaut des § 9 BsGaV könnte vermuten lassen, dass Geschäftsvorfälle einer Betriebsstätte eindeutig zugeordnet werden müssen und nicht anteilig mehreren Betriebsstätten zugeordnet werden dürfen. Anders als bei den anderen Zuordnungsgegenständen enthält die Gesetzesbegründung jedoch keinen expliziten Hinweis, dass eine anteilige Zuordnung auf mehrere Betriebsstätten nicht zulässig ist.1 Dies lässt den Schluss zu, dass der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit der anteiligen Zuordnung nicht verschließen wollte. Der Steuerpflichtige kann natürlich in der vertraglichen Gestaltung des Geschäftsvorfalls selbst dafür Sorge tragen, dass ein Teil eines Geschäftsvorfalls mit der Betriebsstätte und ein anderer Teil des Geschäftsvorfalls mit dem übrigen Unternehmen abgeschlossen werden, wobei beide dadurch zu eigenen Geschäftsvorfällen werden.

4.123

Zuordnungskriterium: Personalfunktion der „Bewirkung des Zustandekommens“ des Geschäftsvorfalls. Die maßgebliche Personalfunktion (primäres Zuordnungskriterium) für die Zuordnung von Geschäftsvorfällen ist die Personalfunktion, auf der das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls beruht (§ 9 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Beruht das Zustandekommen eines Geschäftsvorfalls auf den Geschäftstätigkeiten des Personals aus mehreren Betriebsstätten, so ist der Geschäftsvorfall der Betriebsstätte zuzuordnen, deren Personalfunktion die größte Bedeutung für den Geschäftsvorfall hat. Das hier verwendete Zuordnungskriterium weist große Parallelen zum Veranlassungsprinzip auf, das eine Zuordnung zu einer Betriebsstätte vorgesehen hat, wenn etwas durch die Handlungen der in einer Betriebsstätte tätigen Personen veranlasst gewesen ist. Angesichts dessen spricht einiges dafür, die Kriterien, die die Rechtsprechung für das Veranlassungsprinzip entwickelt hat, auf die Zuordnung von Geschäftsvorfällen anzuwenden.

4.124

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 69 ff. (zu § 9 BsGaV).

Andresen 231

Kap. 4 Rz. 4.125

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Beispiel: Die Geschäftsleitung des Unternehmens A verhandelt über Monate mit einer Unternehmensgruppe über den Verkauf eines Werkes im Staat B im Wege eines Asset Deals. Das Personal in der Betriebsstätte des Unternehmens im Staat B ist in die Verhandlungen nicht involviert. Der Erwerb ist dem Unternehmen A im Staat A zuzuordnen, der durch das Werk jedoch eine neue Betriebsstätte in Staat B begründet, der die erworbenen Wirtschaftsgüter und etwaige Schulden nach Maßgabe der §§ 4 ff. BsGaV zuzuordnen wären.

4.125 Andere Personalfunktion (alternatives Zuordnungskriterium) „Erfüllung von Verpflichtungen“, „Verwaltung“ oder „Risikosteuerung“ bezüglich des Geschäftsvorfalls. Die Öffnungsklausel in § 9 Abs. 2 Satz 1 BsGaVerlaubt die Zuordnung eines Geschäftsvorfalls oder einer Gruppe von Geschäftsvorfällen zu einer anderen Betriebsstätte als der, in der das für das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls verantwortliche Personal beschäftigt ist, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der Personalfunktion des Zustandekommens überwiegt. Diese andere Geschäftstätigkeit (= Personalfunktion) wird dann zu der für die Zuordnung maßgeblichen Personalfunktion und verdrängt insoweit das Zustandekommen als Zuordnungskriterium. Satz 2 der Öffnungsklausel enthält eine nicht abschließende Aufzählung anderer möglicher maßgeblicher Personalfunktionen für die Zuordnung von Geschäftsvorfällen: Dies sind Personalfunktionen, die mit der Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Geschäftsvorfall, mit dessen Verwaltung oder mit dessen Risikosteuerung im Zusammenhang stehen. Weder Gesetzestext noch Begründung enthalten Hinweise darauf, wann davon ausgegangen werden kann, dass die Bedeutung der oben genannten anderen Personalfunktionen gegenüber dem Zustandekommen überwiegt. Die lapidare Anforderung in der Gesetzesbegründung, dass das Betriebsstättenergebnis bei dieser abweichenden Zuordnung dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entsprechen muss,1 hilft dem Rechtsanwender nicht weiter. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Personalfunktion der Verwaltung für sich genommen nicht als maßgebliche Personalfunktion ansieht.2 Entsprechend müssten also noch weitere Personalfunktionen in derselben Betriebsstätte neben der Verwaltung eines Geschäftsvorfalls ausgeübt werden, um eine Zuordnung abweichend vom Zustandekommen des Geschäftsvorfalls auszulösen. Wird die andere Personalfunktion in mehreren Betriebsstätten ausgeübt, erfolgt die Zuordnung des Geschäftsvorfalls zu der Betriebsstätte mit der größten Bedeutung für den Geschäftsvorfall (§ 9 Abs. 3 BsGaV). Das folgende Beispiel zeigt die Anwendung eines alternativen Zuordnungskriteriums: Beispiel: Die Betriebsstätte B im Staat B erwirbt Wertpapiere des Umlaufvermögens im November eines Jahres und hält diese über den Bilanzstichtag. Die Verfolgung des Kursverlaufs und der Abgleich mit den Verkaufsregelungen mit Bezug auf dieses Wertpapier erfolgen vom Tag des Erwerbs im Unternehmen A im zentralen Risikomanagement, von wo auch der Verkauf ausgelöst wird. Unter diesen Umständen könnte der Kauf des Wertpapiers dem Unternehmen A im Staat A zuzuordnen sein.

4.126 Wahlrecht des Steuerpflichtigen. § 9 Abs. 4 Satz 1 BsGaV gibt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht für die Zuordnung von Geschäftsvorfällen, wenn keine eindeutige Zuordnung möglich ist. Dieser Zuordnung hat die Finanzverwaltung zu folgen, wenn sie den Abs. 1 bis 3 des § 9 BsGaV nicht widerspricht. Dies ist dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige eine der explizit genannten anderen Personalfunktionen des § 9 Abs. 2 Satz 2 BsGaV oder eine andere von ihm gewählte Personalfunktion für Zuordnungszwecke verwendet und er die größere oder größte Bedeutung dieser Funktion darlegen und dokumentieren kann. Proble-

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 61 (zu § 6 Abs. 2 Satz 1 BsGaV). 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 70 (zu § 9 Abs. 2 Satz 2 BsGaV).

232

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.128 Kap. 4

matisch ist die in den VWG BsGa eingeräumte Schätzungsbefugnis bei unklarer Nachweispflicht bei Inanspruchnahme der Öffnungsklausel.1 Zuordnung von Geschäftsvorfällen im Flussdiagramm. Die Wirkungsweise der Zuordnungsregelung für Geschäftsvorfälle ist in dem nachfolgenden Flussdiagramm nochmals grafisch dargestellt:

4.127

Zuordnung von Wirtschaftsgütern Zuordnung von Geschäftsvorfällen (GV) Zustandekommen eines GVs beruht auf einer PF (PFA), die in einer BS ausgeübt wird.

Nein

Ja Die PF wird nicht gleichzeitig in verschiedenen BS ausgeübt.

Nein

Zuordnung zu der BS, deren PFA die größte Bedeutung für den GV zukommt

Ja Bedeutung aller anderen PF (Erfüllung der Verpflichtungen, Risikosteuerung, Verwaltung) in einer oder mehreren anderen BS überwiegt ggü. Bedeutung von PFA nicht.

Nein

Zuordnung zu dieser anderen BS oder zu derjenigen, deren anderer PF die größte Bedeutung für den GV zukommt

Zuordnung erfolgt zu einer anderen BS.

Ja Zuordnung zu der BS, in der GV aufgrund von PFA zustande gekommen sind

Kann der GV nicht eindeutig einer BS zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die § 9 Abs. 1 bis 3 BsGaV nicht widerspricht.

h) Zuordnung von Chancen und Risiken (§ 10 BsGaV) Begriff der Chancen und Risiken. Der Begriff der Chancen und Risiken ist in § 2 der BsGaV nicht definiert und somit ein unbestimmter Rechtsbegriff. Der Ausdruck „Chancen und Risiken“ findet sich in § 289 Abs. 1 Satz 4 HGB zum Lagebericht, in dem über die voraussichtliche Entwicklung eines berichtspflichtigen Unternehmens zu berichten ist – eine Pflicht, mit der sich die Berichtspflicht über wesentliche Chancen und Risiken verbindet (Chancen- und Risikobericht).2 Eine Definition findet sich im HGB nicht. DRS 20.11 versteht unter Chancen und Risiken jedoch mögliche Entwicklungen oder Ereignisse, die zu einer für das Unternehmen positiven oder negativen Prognose- oder Zielabweichung führen können (Erfolgsmöglichkeiten und Verlustgefahren). Angesichts der Tatsache, dass es sich bei Chancen und Risiken um etwas handelt, das weder in einer Bilanz noch in einer GuV neben den bestehenden gesetzlich geregelten Bilanz- und GuV-Positionen zu erfassen ist, stellt sich die Frage, was der Steuerpflichtige hinsichtlich der Zuordnung zum jeweiligen Bilanzierungsstichtag tun soll.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 116. 2 Vgl. Grottel in BeckBilanzkomm10, § 289 HGB Rz. 60 unter Verweis auf § 315 HGB (Konzernlagebericht) Rz. 115 ff.

Andresen 233

4.128

Kap. 4 Rz. 4.129

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.129 Zuordnungsregelung bei „unmittelbarem Zusammenhang“ mit einem Vermögenswert oder Geschäftsvorfall. Chancen und Risiken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Wirtschaftsgut i.S.d. §§ 5 bis 8 oder einem Geschäftsvorfall i.S.d. § 9 BsGaV stehen, sind der Betriebsstätte zuzuordnen, der auch das Wirtschaftsgut oder der betreffende Geschäftsvorfall zuzuordnen ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Wirtschaftliches Eigentum und die damit zusammenhängenden Chancen und Risiken sollen in einer Betriebsstätte verbunden bleiben, wenn zwischen ihnen ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Ein unmittelbarer Zusammenhang ist dann gegeben, wenn die Chancen und Risiken nach ihrer Entstehung oder Zweckbindung mit den Wirtschaftsgütern oder Geschäftsvorfällen in unlösbarem Zusammenhang stehen, es sie ohne das Vorhandensein dieser nicht gegeben hätte.1 So sind mögliche Wechselkursgewinne und -verluste aus einem einer Betriebsstätte zugeordneten Wertpapier eine Chance bzw. ein Risiko, die bzw. das in unmittelbarem Zusammenhang mit den Einnahmen aus diesem Wirtschaftsgut im Jahr des Zuflusses steht.2 In Abgrenzung dazu stehen Gemeinkosten einer inländischen Gesellschaft, die über im Ausland belegenes, unbewegliches Vermögen verfügt, mit ausländischen Einnahmen nur in einem mittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang.3

4.130 Zuordnungsregel bei Chancen und Risiken ohne unmittelbaren Zusammenhang: Personalfunktion, auf der Chancen und Risiken beruhen. § 10 Abs. 2 Satz 1 BsGaV sieht eine abweichende Zuordnung dann vor, wenn die Chancen und Risiken nicht mit einem Wirtschaftsgut oder mit einem Geschäftsvorfall in unmittelbarem Zusammenhang stehen, sondern bspw. nur in einem bloßen Veranlassungszusammenhang. In diesen Fällen sind die Chancen und Risiken der Betriebsstätte zuzuordnen, in der die Personalfunktion ausgeübt wird, auf der diese Chancen und Risiken beruhen. „Beruhen“ bedeutet in diesem Kontext, dass die Ausübung der Personalfunktion zur Übernahme der betreffenden Chancen und Risiken durch das Unternehmen führt. Beispiel: In Banken ist es üblich, über ein Portfolio verschiedenster Wertpapiere Absicherungsgeschäfte abzuschließen (sog. „Macro Hedges“), ohne dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zu den einzelnen Finanzaktiva gibt, die aus den jeweiligen Grundgeschäften resultieren. Diese Absicherungsgeschäfte sind dementsprechend der Betriebsstätte zuzuordnen, in der sich die Personalfunktion befindet, die das Absicherungsgeschäft abgeschlossen hat. Eine (willkürliche) Zuordnung zu irgendeiner anderen Betriebsstätte scheidet demnach aus. Es stellt sich ggf. die Frage nach der Existenz eines Dealings, damit Aufwendungen für die Absicherung der Grundgeschäfte dort erfasst sind, wo auch die Erträge erfasst sind.

Beruhendie Chancen und Risiken auf einer Personalfunktion, die in mehreren Betriebsstäten ausgeübt wird, erfolgt die Zuordnung zu der Betriebsstätte, deren Personalfunktion die größte Bedeutung hat (§ 10 Abs. 2 Satz 2 BsGaV). Die größte Bedeutung hat der Steuerpflichtige zu dokumentieren, wobei die Anforderungen an die Dokumentation nicht zu hoch anzusetzen sind. Die Nennung eines Kriteriums, z.B. Anzahl der Personen in einer Personalfunktion ggf. bewertet mit Gehaltssummen oder Hierarchiestufen, und dessen quantitativer oder qualitativer Dimension je relevanter Betriebsstätte ist als ausreichend und damit verwertbar anzusehen. Die Wahl eines anderen Kriteriums durch die Finanzverwaltung ist im Zweifel sehr gut zu begründen. 1 Vgl. Erhard in Blümich, § 3c EStG Rz. 41 f. 2 Vgl. BFH v. 24.7.2007 – I R 93/03, BStBl. II 2008, 132 (134) m.w.N.; v. 27.7.2011 – I R 32/10, BFHE 234, 292 = FR 2012, 280 Rz. 24; vgl. zum zeitlichen Zusammenfallen von Refinanzierungskosten und Dividende BFH v. 29.5.1996 – I R 21/95, BStBl. II 1997, 63 = FR 1996, 596. 3 Vgl. BFH v. 18.8.1996 – I R 69/95, juris = DStRE 1997, 56.

234

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.133 Kap. 4

Andere Personalfunktion (alternatives Zuordnungskriterium), die im Zusammenhang steht mit der „Verwaltung“, „Risikosteuerung“, „Realisation“ oder der „Entscheidung über die Änderung“ der/von Chancen und Risiken. Die Öffnungsklausel in § 10 Abs. 3 Satz 1 BsGaV erlaubt die Zuordnung von Chancen und Risiken zu einer anderen Betriebsstätte als der, in der die Personalfunktion ausgeübt wird, auf der die Übernahme von Chancen und Risiken beruht. Das gilt jedoch nur dann, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der Personalfunktion des Beruhens überwiegt. Diese andere Geschäftstätigkeit (= Personalfunktion) wird dann zu der für die Zuordnung maßgeblichen Personalfunktion und verdrängt insoweit das Beruhen als Zuordnungskriterium. Satz 2 der Öffnungsklausel enthält eine nicht abschließende Aufzählung anderer möglicher maßgeblicher Personalfunktionen für die Zuordnung von Geschäftsvorfällen: Dies sind Personalfunktionen, die im Zusammenhang stehen mit der Verwaltung, der Risikosteuerung, der Realisation von Chancen und Risiken oder der Entscheidung, Änderungen hinsichtlich der Chancen und Risiken vorzunehmen. Weder Gesetzestext noch Begründung enthalten Hinweise darauf, wann davon ausgegangen werden kann, dass die Bedeutung der oben genannten anderen Personalfunktionen gegenüber dem Beruhen überwiegt. Die lapidare Anforderung in der Gesetzesbegründung, dass das Betriebsstättenergebnis bei dieser abweichenden Zuordnung dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entsprechen muss,1 hilft dem Rechtsanwender nicht weiter. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Personalfunktion der Verwaltung für sich genommen nicht als maßgebliche Personalfunktion ansieht.2 Entsprechend müssten also noch weitere Personalfunktionen in derselben Betriebsstätte neben der Verwaltung eines Geschäftsvorfalls ausgeübt werden, um eine Zuordnung abweichend vom Beruhen auf einer Personalfunktion auszulösen. Wird die andere Personalfunktion in mehreren Betriebsstätten ausgeübt, erfolgt die Zuordnung des Geschäftsvorfalls zu der Betriebsstätte mit der größten Bedeutung für den Geschäftsvorfall (§ 10 Abs. 4 BsGaV).

4.131

Wahlrecht des Steuerpflichtigen. § 10 Abs. 5 BsGaV gibt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht für die Zuordnung von Chancen und Risiken, wenn keine eindeutige Zuordnung möglich ist. Dieser Zuordnung hat die Finanzverwaltung zu folgen, wenn sie den Abs. 1 bis 4 des § 10 BsGaV nicht widerspricht. Dies ist dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige eine der explizit genannten anderen Personalfunktionen des § 10 Abs. 3 Satz 2 BsGaV oder eine andere von ihm gewählte für Zuordnungszwecke verwendet und er die größte Bedeutung dieser Funktion darlegen und dokumentieren kann. Problematisch ist die in den VWG BsGa eingeräumte Schätzungsbefugnis bei unklarer Nachweispflicht bei Inanspruchnahme der Öffnungsklausel.3

4.132

Zweifel an der Schätzungsbefugnis i.S.d. § 162 AO. Die Gesetzesbegründung zu § 10 Abs. 5 BsGaVerwähnt, dass eine Schätzung (der Besteuerungsgrundlagen; Erg. des Verf.) erforderlich werden kann, wenn der Steuerpflichtige die Zuordnung von Chancen und Risiken nicht spätestens mit Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung nachvollziehbar dokumentiert und begründet hat.4 Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den hier benannten Chancen und Risiken um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, deren fehlende Bilanzierbarkeit darüber hinaus große Unsicherheiten bezüglich möglicher Auswirkungen auf die steuerliche Bemessungsgrundlage sowohl in- als auch ausländischer Betriebsstätten mit sich bringt, sind große Zweifel daran angebracht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen einer Schätzung i.S.d. § 162 AO vor-

4.133

1 2 3 4

Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 61 (zu § 6 Abs. 2 Satz 1 BsGaV). Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 70 (zu § 9 Abs. 2 Satz 2 BsGaV). Vgl. VWG BsGa, Rz. 122. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 73 (zu § 10 Abs. 5 BsGaV).

Andresen 235

Kap. 4 Rz. 4.134

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

liegen bzw. die Schätzung in einer Art und Weise durchgeführt werden kann, die keine Ermessensfehler zulässt. Entsprechend sollten Steuerpflichtige Schätzungen auf dieser Grundlage im Rechtsbehelfsverfahren prüfen lassen.

4.134 Zuordnung von Chancen i.S.d. Geschäftschancentheorie des BFH. Der BFH hat in seiner Rechtsprechung zur vGA die sog. Geschäftschancentheorie entwickelt, mittels derer er eine vGA für Fälle abgeleitet hat, in denen ein Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft oder eine ihm nahestehende Person eine Geschäftschance, die in der Kapitalgesellschaft entwickelt worden ist, außerhalb der Kapitalgesellschaft wahrnimmt. Wenn eine solche Geschäftschance nicht mit einem Vermögenswert oder anderen Geschäftsvorfall in unmittelbarem Zusammenhang steht, was der Regelfall sein dürfte, ist diese Geschäftschance dem Unternehmensteil zuzuordnen, in dem das Personal des Unternehmens beschäftigt ist, das diese Geschäftschance entwickelt hat. Ist Personal in mehreren Betriebsstätten an der Entwicklung dieser Geschäftschance beteiligt, erscheint eine anteilige Zuordnung im Einklang mit dem AOA zu stehen, wenn es sich dabei um etwas handelt, das so weit erstarkt ist, dass es einen Anspruch des Unternehmens begründet, der bei Körperlichkeit wohl als immaterielles Wirtschaftsgut zu bilanzieren wäre, wenn dies steuerlich zulässig ist. Eine anteilige Zuordnung von Geschäftsvorfällen, die aus der Geschäftschance resultieren, scheidet wegen § 9 Abs. 1 Satz 2 BsGaV aus.

4.135 Zuordnung von Geschäftsvorfällen im Flussdiagramm. Die Wirkungsweise der Zuordnungsregelung für Chancen und Risiken ist in dem nachfolgenden Flussdiagramm nochmals grafisch dargestellt: Zuordnung von Wirtschaftsgütern Zuordnung von Chancen und Risiken Chancen und Risiken, die einem Vermögenswert oder einem Geschäftsvorfall nicht direkt zurechenbar sind, entstehen aufgrund einer PF (KERT), die in der BS ausgeübt wird.

Nein

Ja KERTs werden nicht gleichzeitig Nein in verschiedenen BS ausgeübt.

Zuordnung zu der BS, deren KERT die größte Bedeutung für die Chancen und Risiken zukommt

Ja Bedeutung aller anderen KERT (Verwaltung, Risikosteuerung, sowie Realisation, Entscheidungen und Änderungen von Chancen und Risiken) in einer oder mehreren anderen BS überwiegt ggü. Bedeutung von PFA nicht.

Nein

Zuordnung zu dieser anderen BS oder zu derjenigen, deren anderer PF die größte Bedeutung für die Chancen und Risiken zukommt

Zuordnung erfolgt zu einer anderen BS.

Ja Zuordnung zu der BS, in der Chancen und Risiken aufgrund von KERT entstehen

236

Andresen

Können Chancen und Risiken nicht eindeutig einer BS zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die § 10 Abs. 1 bis 4 BsGaV nicht widerspricht.

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.138 Kap. 4

i) Zuordnung von Sicherungsgeschäften (§ 11 BsGaV) Begriff des Sicherungsgeschäftes. Nach Handels- und Steuerrecht (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) sind Vermögensgegenstände und Schulden bzw. Wirtschaftsgüter grundsätzlich einzeln jeweils unter Beachtung des Realisations- und Imparitätsprinzips zu bewerten. Bilanzpositionen und Transaktionen unterliegen Risiken, die ein Unternehmen durch geeignete Instrumente (Sicherungsgeschäfte) absichern kann, damit sich negative Wertentwicklungen des Grundgeschäftes wirtschaftlich nicht niederschlagen bspw. durch eine Minderung des Gewinns. Sicherungsgeschäfte sind Geschäfte, die die Zins-, Währungs- und Ausfallrisiken oder gleichartige Risiken aus sog. Grundgeschäften absichern.1 Für die Bildung handelsrechtlicher Bewertungseinheiten erlaubt § 254 Satz 1 HGB nur die Nutzung von Finanzinstrumenten als Sicherungsgeschäft. Finanzinstrumente wiederum sind vertragliche Vereinbarungen, die „dem einen Vertragspartner entweder einen Anspruch auf Zahlungsmittel (oder Äquivalente) gewähren und bei dem anderen Handelspartner entweder eine Verpflichtung zur Hingabe von Zahlungsmitteln (oder -äquivalenten) auferlegen oder bei ihm zu einem EK-Instrument“2 führen. Dies sind vor allem Forderungen und Verbindlichkeiten auf Geldleistungen, Wertpapiere, Geldmarktinstrumente, Derivate,3 Warentermingeschäfte und Rechte auf Zeichnung von Wertpapieren sowie EK-Titel. Schließlich dürften zu den Finanzinstrumenten auch Bürgschaften, Bankgarantien, Patronatserklärungen und Versicherungsverträge, z.B. Finanzgarantien, gehören.

4.136

Bewertungseinheiten. § 254 Satz 1 HGB erlaubt die Bildung von Bewertungseinheiten aus Vermögensgegenständen, Schulden, schwebenden Geschäften oder mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarteten Transaktionen einerseits und Finanzinstrumenten andererseits. § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG verfügt die Maßgeblichkeit der Ergebnisse von Bewertungseinheiten für die steuerliche Gewinnermittlung. Eine Bewertungseinheit darf nur dann gebildet werden, wenn eine Sicherungsabsicht besteht und an dieser auch festgehalten wird (Durchhalteabsicht und -wahrscheinlichkeit). Auf den Zeitpunkt der Entscheidung zur Absicherung kommt es nicht an. Durch die Bildung einer Bewertungseinheit entsteht ein neues Bilanzierungsobjekt, für das jedoch keine konkreten gesetzlichen Ausweisvorschriften existieren. Entsprechend wird angeregt, „aus dem Grundgeschäft eingetretene Wertminderungen oder drohende Verluste mit den gegenläufigen Effekten aus dem Sicherungsgeschäft außerbilanziell zu verrechnen und lediglich verbleibende negative Saldoüberhänge zu erfassen (sog Einfrierungsmethode, auch Methode der kompensatorischen Bewertung oder Festbewertungsmethode…“4 Für die Zuordnung dieser Bewertungseinheiten zwischen Betriebsstätten ist daher auf die Zuordnungsregel für das Grundgeschäft abzustellen und der entsprechende Saldoüberhang in derselben Betriebsstätte wie das Grundgeschäft zu erfassen.

4.137

Zuordnung von Sicherungsgeschäften außerhalb von Bewertungseinheiten. In Rz. 4.137 ist gezeigt worden, dass Sicherungsgeschäfte im Bilanzausweis aufgehen in einer neuen Bilanzposition bestehend aus Grundgeschäft und Finanzinstrument sowie einem negativen Saldoüberhang. Für diese Bilanzpositionen gibt es bereits andere Zuordnungsregelungen. Entspre-

4.138

1 Vgl. Schmidt/Usinger in BeckBilanzkomm10, § 254 HGB Rz. 20, 25 (zur Definition der Risikoarten). 2 Schmidt/Usinger in BeckBilanzkomm10, § 254 HGB Rz. 21. 3 Das sind unbedingte und bedingte Termingeschäfte und daraus zusammengesetzte Geschäfte, wie z.B. Swaps. 4 Schmidt/Usinger in BeckBilanzkomm10, § 254 HGB Rz. 52.

Andresen 237

Kap. 4 Rz. 4.139

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

chend ist § 11 BsGaV nur auf Sicherungsgeschäfte anzuwenden, die nicht in einer Bewertungseinheit aufgegangen sind oder qua Gesetz erfasst sein sollten. Die Gleichsetzung von Bewertungseinheiten mit der Zuordnungssituation in § 11 Abs. 1 BsGaV ist insoweit verfehlt. Für die Zuordnung unterscheidet § 11 BsGaV zwischen Risiken, die einer Betriebsstätte zuzuordnen sind (§ 11 Abs. 1 BsGaV), und solchen, die mehreren Betriebsstätten zuzuordnen sind (§ 11 Abs. 2 BsGaV).

4.139 Zuordnungsregel für Risiken einer Betriebsstätte. Ein Sicherungsgeschäft, das das Unternehmen abschließt, um bestimmte Risiken einer Personalfunktion, eines Wirtschaftsgutes oder eines Geschäftsvorfalls abzusichern, die jeweils einer Betriebsstätte zuzuordnen sind, ist dieser Betriebsstätte mit den zu Sicherungszwecken dienenden Vermögenswerten zuzuordnen.

4.140 Zuordnungsregel für Risiken mehrerer Betriebsstätten bei mittelbarem Sicherungszusammenhang. Ein (oder mehrere) Sicherungsgeschäfte, das (oder die) das Unternehmen abschließt, um bestimmte Risiken von Personalfunktionen, von Wirtschaftsgütern oder Geschäftsvorfällen abzusichern, die verschiedenen Betriebsstätten zuzuordnen sind, sind diesen Betriebsstätten mit den zu Sicherungszwecken dienenden Vermögenswerten anteilig zuzuordnen. Der Anteil ist nach einem sachgerechten Schlüssel zu bestimmen. Eine solche anteilige Zuordnung ist an die weitere Voraussetzung geknüpft, dass eine direkte Zuordnung einzelner Vermögenswerte zu Sicherungszwecken nicht möglich oder mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden ist. Dies wird vom Verordnungsgesetzgeber als mittelbarer Sicherungszusammenhang bezeichnet. Die anteilige Zuordnung mittels eines Schlüssels kann bei der Wahl eines unangemessenen Schlüssels zu enormen Ergebnisverwerfungen führen. Daher erscheint es sinnvoll, einen Schlüssel zu wählen, der aus mehreren gewichteten Faktoren besteht und die Materialisierung von Risiken auf der Basis von Erfahrungswerten vergleichsweise gut antizipiert.

4.141 Öffnungsklausel. Die Öffnungsklausel in § 11 Abs. 3 BsGaV erlaubt eine abweichende Zuordnung von der in den Abs. 1 und 2, wenn dies im Einzelfall zu einem Ergebnis führt, dass dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Auch hier dürfte der Ermächtigungsrahmen überschritten und stattdessen zu überlegen sein, wie eine Verwendung eines Sicherungsgeschäftes in einer anderen Betriebsstätte in anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen abzubilden ist.

4.142 Sicherungsgeschäfte ohne konkreten Sicherungszweck. Sichern Wirtschaftsgüter aus Sicherungsgeschäften andere Bilanzposition zufällig ab, d.h., ohne dass die Absicherung der Zweck des Wirtschaftsgutes gewesen ist, gelten die Zuordnungsregeln in den §§ 5 bis 8 BsGaV für deren Zuordnung (s. dazu Rz. 4.79 ff.).

4.143 Zuordnung von Sicherungsgeschäften im Flussdiagramm. Die Wirkungsweise der Zuordnungsregelung für Sicherungsgeschäfte ist in dem nachfolgenden Flussdiagramm nochmals grafisch dargestellt:

238

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.144 Kap. 4

Zuordnung von Wirtschaftsgütern Zuordnung von Sicherungsgeschäften Das Sicherungsgeschäft (SG) hat den Zweck, die Risiken einer PF, eines Vermögenswertes oder eines Geschäftsvorfalles abzusichern.

Nein

Ja Die PF, der Vermögenswert oder der Geschäftsvorfall lassen sich nicht jeweils einer BS zuordnen.

Nein

(Anteilige) Zuordnung des SGs zur BS, der die PF, der Vermögenswert oder der Geschäftsvorfall zugeordnet ist

Ja Eine Aufteilung, die dieser Norm widerspricht, entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz besser. Nein

Sachgerechter Aufteilungsschlüssel ist zu bestimmen, um SG auf die BS zu verteilen.

Zuordnung erfolgt zu einer anderen BS.

Ja Einzelfallbezogene Aufteilungsmethode, die ein fremdübliches Ergebnis besser widerspiegelt

Sichern Vermögenswerte die Risiken anderer Vermögenswerte ab, ohne dass die Absicherung ihr Zweck ist, so gelten für die Zuordnung der Geschäfte und der zugehörigen Vermögenswerte die §§ 5 bis 8 BsGaV.

j) Zuordnung von Dotationskapital für buchführungspflichtige Unternehmen aa) Dotationskapital inländischer Betriebsstätten ausländischer Unternehmen (§ 12 BsGaV) Vorrangige Methode: Kapitalaufteilungsmethode. Der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen buchführungspflichtigen oder tatsächlich Bücher führenden Unternehmens ist nach § 12 Abs. 1 BsGaV zu Beginn eines (jeden) Wirtschaftsjahres derjenige Anteil am Eigenkapital des Unternehmens zuzuordnen, der dem Anteil dieser Betriebsstätte an den Vermögenswerten sowie an den Chancen und Risiken des gesamten Unternehmens entspricht. Angesichts der Tatsache, dass Chancen und Risiken in aller Regel nicht bilanzierungsfähig sind, ist in der Praxis wohl auf die Vermögenswerte bzw. die der inländischen Betriebsstätte zugeordneten Wirtschaftsgüter im Verhältnis zu den Wirtschaftsgütern (Aktivseite der Bilanz) des Gesamtunternehmens abzustellen. Dabei ist auf die Vermögenswerte zu Beginn des jeweiligen Wirtschaftsjahres abzustellen. Beispiel: Die UK Ltd. zeigt in ihrer Handelsbilanz zum 1.1.2015 (Eröffnungsbilanz) Aktiva von 1.000. In diesen Aktiva ist die Beteiligung an einer deutschen GmbH im Wert von 250 enthalten, die nach Maßgabe des § 7 BsGaV unzweifelhaft der inländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Das Eigenkapital der UK Ltd. beträgt 300. Die Passivposten von 700 bestehen aus zwei Darlehen von zwei Banken an die UK Ltd. Das der inländischen Betriebsstätte zuzuordnende, anteilige Eigenkapital (Dotationskapital) beträgt danach 75. Entsprechend kann in den Grenzen der Regeln über die Angemessenheit von Zinssätzen Zinsaufwand bezogen auf ein Fremdkapital von maximal 175 als Betriebsausgabe geltend gemacht werden.

Andresen 239

4.144

Kap. 4 Rz. 4.145

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.145 Begriff des Eigenkapitals des Unternehmens. Das zuzuordnende Eigenkapital des Unternehmens i.S.d. § 12 Abs. 1 BsGaV soll dabei grundsätzlich nach deutschem Steuerrecht bestimmt werden. Dies dürfte sich in der Praxis als sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich erweisen, da sich das Eigenkapital eines ausländischen Unternehmens in Höhe und Zusammensetzung aus Millionen von Buchungen nach Maßgabe ausländischer Rechnungslegungsstandards ergeben kann, die auf ihre Konformität bzw. ihr betragsmäßiges Abweichen von deutschen handels- und steuerlichen Bilanzierungsvorschriften zu prüfen und dann ggf. in einer Art Überleitungsrechnung anzupassen wären. Dies erscheint vor allem deshalb nicht sinnvoll, weil dann das Eigenkapital nach anderen Vorschriften ermittelt worden ist als nach dem Recht der inländischen Betriebsstätte, wodurch der implizit zugeordnete Finanzierungsaufwand systematisch voneinander abweicht und dadurch Doppelbesteuerung oder Besteuerungslücken erzeugt. Deshalb sollte in der Praxis mit gutem Grund auf den alternativen Begriff des Eigenkapitals in § 12 Abs. 2 Satz 2 BsGaV ausgewichen werden (s. Rz. 4.146).

4.146 Alternativer Begriff des Eigenkapitals. § 12 Abs. 2 Satz 2 BsGaV erlaubt aus Vereinfachungsgründen und unter bestimmten Bedingungen die Verwendung des Eigenkapitals aus der Bilanz des ausländischen Unternehmens, z.B. die Bilanz der UK Ltd nach UK GAAP (s. Bsp. in Rz. 4.144). Das Eigenkapital soll dann das eingezahlte Kapital zzgl. Rücklagen und Gewinnvorträgen und abzgl. der Verlustvorträge sein, die sich aus der Bilanz des Unternehmens ergeben.

4.147 Tatbestandsvoraussetzungen für die Wahl des alternativen Eigenkapitals. Das Eigenkapital der Bilanz des ausländischen Unternehmens darf nur dann der Kapitalaufteilungsmethode zugrunde gelegt werden, wenn das Unternehmen glaubhaft macht, dass a) dieses Eigenkapital nicht erheblich von dem nach deutschem Steuerrecht anzusetzenden Eigenkapital abweicht oder b) die Abweichungen durch Anpassungen so ausgeglichen werden können, dass das Ergebnis nicht erheblich von dem nach deutschem Steuerrecht ermittelten Eigenkapital abweicht. Von einer erheblichen Abweichung ist auszugehen, wenn eine Abweichung von mehr als 10 % gegeben ist. An die Glaubhaftmachung sind keine hohen Beweisanforderungen zu stellen, weil es zur Vermeidung der Doppelbesteuerung beiträgt, wenn gleiche Eigenkapitalbegriffe für Abgrenzungszwecke des Zinsaufwandes verwendet werden. Eine bloße Gegenüberstellung der Eigenkapitalien nach ausländischem Handels- und inländischem Steuerrecht, z.B. in Tabellenform, sollte ausreichen.

4.148 Begriff des Vermögenswerts. Nach § 12 Abs. 3 BsGaV sollen die für die Kapitalaufteilung maßgeblichen Vermögenswerte mit Werten angesetzt werden, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und die die Chancen und Risiken berücksichtigen. In den Abschnitten, die sich mit der Zuordnung der einzelnen Wirtschaftsgüter der Bilanz beschäftigen, ist bereits deutlich gemacht worden, dass es sich bei diesen Wirtschaftsgütern sinnvollerweise um die Wirtschaftsgüter handelt, die mit ihren Buchwerten in der Gesamtbilanz des Unternehmens angesetzt worden sind, sei es nach inländischem Handels- und Steuerbilanzrecht oder ausländischem Handelsbilanzrecht. Das inländische Steuerbilanzrecht sieht es nicht vor, dass vom Buchwert abweichende Werte und schon gar nicht Fremdvergleichswerte ohne Realisierungstatbestände zu anderen Wertansätzen in der Bilanz führen. Entsprechend erscheint es sinnvoll, hier auf die entsprechenden Buchwerte der Handelsbilanz des ausländischen Unternehmens abzustellen, wie es § 12 Abs. 3 Satz 2 BsGaV unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, weil eine solche ausländische Handelsbilanz für buchführungspflichtige Unternehmen ohnehin zu

240

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.150 Kap. 4

erstellen ist und aus ihr am einfachsten die der inländischen Betriebsstätte zuzuordnenden Vermögenswerte abgeleitet werden können. Ein Abstellen auf die Bilanzwerte der einzelnen Betriebsstätten nach jeweils lokalen Bilanzierungsregeln, die wahrscheinlich ohnehin im Wege einer Überleitungsrechnung aus der handelsrechtlichen Rechnungslegung des ausländischen Unternehmens abgeleitet worden sind, erscheint wenig sinnvoll, weil dadurch Doppelbesteuerungen oder Besteuerungslücken vorprogrammiert wären. Dies kann nicht im Sinne des AOA sein, dessen Ziel es ist, eine global weitgehend einheitliche Einkünfteabgrenzung für Betriebsstätten zu erwirken. Entsprechend sind für den Ansatz von Buchwerten der Vermögenswerte (Wirtschaftsgüter) an die Glaubhaftmachung i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 2 BsGaV keine hohen Anforderungen zu stellen. Eine Bewertung der relevanten Wirtschaftsgüter mit den Buchwerten aus der Bilanz des ausländischen Unternehmens führt allein schon deshalb zu einer Kapitalquote, die einer fremdvergleichskonformen Kapitalquote entspricht bzw. nicht erheblich von ihr abweicht, weil fremde dritte Unternehmen nicht willkürlich von geltenden Bilanzierungsgrundsätzen abweichen dürfen, wie es die BsGaV in vielen Bereichen suggerieren möchte. Alternative Methode: Anteil am konsolidierten Eigenkapital der Unternehmensgruppe (Unternehmensgruppen-Kapitalaufteilungsmethode). Die Kapitalaufteilungsmethode soll dann nicht angewendet werden, wenn das nach ihr ermittelte Dotationskapital dauerhaft zu Ergebnissen führt, die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter nicht akzeptiert hätte (§ 12 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 BsGaV). Ein denkbarer Anwendungsfall wäre z.B. eine Situation, die zu einem so hohen Zinsaufwand in der inländischen Betriebsstätte führen würde, der die Betriebsstätte dauerhaft in einer Verlustsituation ließe. In einem solchen Fall ist das Dotationskapital der inländischen Betriebsstätte dann, aber auch nur dann, mit dem Anteil am Eigenkapital der konsolidierten Unternehmensgruppe anzusetzen, der sich aus dem Verhältnis der Vermögenswerte der inländischen Betriebsstätte zu den Vermögenswerten der konsolidierten Unternehmensgruppe ergibt (ermittelt nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 bis 3 BsGaV), wenn das ausländische Unternehmen zu einer Unternehmensgruppe gehört, die einem Konzern i.S.d. § 18 AktG entspricht, d.h. unter einheitlicher Leitung eines beherrschenden Unternehmens steht. Ist das zweite Tatbestandsmerkmal der Zugehörigkeit des ausländischen Unternehmens zu einer Unternehmensgruppe nicht erfüllt, kommt diese alternative Methode des § 12 Abs. 4 BsGaV nicht zur Anwendung. Eine Korrektur wäre nur dann geboten, wenn das Dotationskapital der inländischen Betriebsstätte nach Maßgabe des § 12 Abs. 5 BsGaV (s. Rz. 4.150) gegenüber dem nach Kapitalaufteilungsmethode ermittelten Dotationskapital zu erhöhen wäre.

4.149

Mindestkapital: in der Handelsbilanz der inländischen Betriebsstätte tatsächlich ausgewiesenes Eigenkapital. § 12 Abs. 5 BsGaV definiert eine Untergrenze für das Dotationskapital der inländischen Betriebsstätte, indem er mindestens den Ansatz bzw. die Zuordnung des Eigenkapitals als steuerliches Dotationskapital fordert, das in der Handelsbilanz der inländischen Betriebsstätte tatsächlich ausgewiesen ist. Diese Untergrenze soll ausweislich des Wortlautes der Vorschrift „ungeachtet der Abs. 1 bis 4“ des § 12 BsGaV gelten. Mit anderen Worten ist immer das Dotationskapital nach § 12 Abs. 5 BsGaV für steuerliche Zwecke anzusetzen, wenn dieses höher ist als das Eigenkapital nach Kapitalaufteilungsmethode i.S.d. § 12 Abs. 1 bis 3 BsGaV oder nach der Unternehmensgruppen-Kapitalaufteilungsmethode nach § 12 Abs. 4 BsGaV. Entsprechend ist dem Steuerpflichtigen anzuempfehlen, in der Handelsbilanz den jeweils nach Kapitalaufteilungsmethode oder Unternehmensgruppen-Kapitalaufteilungsmethode bestimmten Wert des Dotationskapitals anzusetzen.

4.150

Andresen 241

Kap. 4 Rz. 4.151

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.151 Zeitpunkt der Bestimmung des Dotationskapitals: Beginn eines Wirtschaftsjahres. § 12 Abs. 1 Satz1 BsGaV verlangt, dass das Dotationskapital zum Beginn eines Wirtschaftsjahres bestimmt wird. Ist das tatsächliche Dotationskapital der inländischen Betriebsstätte gemessen am Sollwert des § 12 Abs. 1 bis 5 BsGaV niedriger und mithin der Finanzierungsaufwand höher als erlaubt, ist der überschießende Teil des Finanzierungsaufwandes bei der steuerlichen Gewinnermittlung insoweit nach § 1 Abs. 1 AStG einkommenserhöhend zu korrigieren bzw. als nicht abzugsfähig zu behandeln.

4.152 Unterjährige Anpassung des Dotationskapitals. Das Gleiche wie in Rz. 4.151 gilt dann, wenn sich das – nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 bis 5 BsGaV zu bestimmende – Mindest-Dotationskapital durch Veränderungen der Funktionen und entsprechend der zuzuordnenden Wirtschaftsgüter etc. erheblich erhöht (Wirkungsrichtung des § 1 Abs. 1 AStG). Dann ist ab dem Zeitpunkt des Erreichens der erheblichen Überschreitung des ursprünglich angemessenen Dotationskapitals eine Korrektur des Zinsaufwandes der inländischen Betriebsstätte auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 AStG vorzunehmen. In Ermangelung einer gesetzlichen Regelung zur Häufigkeit der Überprüfung der erheblichen Überschreitung des Mindest-Dotationskapitals ist es nicht zu beanstanden, wenn der Steuerpflichtige nach Ablauf von sechs Monaten des Wirtschaftsjahres das Überschreiten des Mindest-Dotationskapitals bezogen auf diesen Sechs-Monats-Zeitpunkt überprüft. Liegt zu diesem Zeitpunkt ein Überschreiten vor, empfiehlt es sich, monatsweise zurückgehend, den exakten Zeitpunkt der erheblichen Überschreitung festzustellen und die Einkünfte entsprechend zu korrigieren. Liegt kein Überschreiten vor, empfiehlt es sich, ggf. nach weiteren drei Monaten (Neun-Monats-Zeitpunkt) eine erneute Prüfung durchzuführen. Eine erhebliche Abweichung ist ausweislich der Gesetzesbegründung dann gegeben, wenn sich das Dotationskapital gegenüber dem Stand zu Beginn des Wirtschaftsjahres um mehr als 20 % nach oben verändert.1

4.153 Anwendung der Zinsschranke. Der nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 bis 6 BsGaV ermittelte abzugsfähige Zinsaufwand ist auch dann nicht weiter zu kürzen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Zinsschranke erfüllt sind, da die Zinsschranke auf Betriebsstätten keine Anwendung findet (s. Rz. 4.270).

4.154 Regelung für nicht buchführungspflichtige ausländische Unternehmen. Der nicht abzugsfähige Zinsaufwand für nicht buchführungspflichtige ausländische Unternehmen mit inländischer Betriebsstätte bestimmt sich nach § 15 Abs. 4 BsGaV (s. dazu Rz. 4.178 unten).

4.155 Zuordnung von Dotationskapital zu inländischen Betriebsstätten im Flussdiagramm. Die Wirkungsweise der Zuordnungsregelung für das Dotationskapital inländischer Betriebsstätten ist in dem nachfolgenden Flussdiagramm nochmals grafisch dargestellt:

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 79 f. (zu § 12 Abs. 6 BsGaV).

242

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.156 Kap. 4

Zuordnung von Wirtschaftsgütern Dotationskapital (DKap) inländischer BS ausländischer Unternehmen BS ist inländische BS eines ausländischen Unternehmens, das buchführungspflichtig ist oder tatsächlich Bücher führt.

Nein

Ja DKap führt dauerhaft zu Ergebnissen, die ein ordentlicher und gewissenhafter Kaufmann nicht hinnehmen würde, und das Unternehmen gehört zu einem Konzern gem. § 18 AktG.

Nein

Zuordnung eines DKap erfolgt nach der Kapitalaufteilungsmethode.

Kein DKap ist auf BS zu verteilen.

Ja Das EK des Konzerns muss ermittelt werden, um der BS auf konsolidierter Grundlage einen Anteil am konsolidierten EK zuzuordnen.

● DKap muss mindestens dem in der inländischen

Handelsbilanz ausgewiesenem EK entsprechen. ● Ändern sich die Umstände, die das DKap beein-

flussen, ist dieses innerhalb des Wirtschaftsjahres anzupassen.

bb) Dotationskapital ausländischer Betriebsstätten inländischer Unternehmen (§ 13 BsGaV) Vorrangige Methode: Mindestkapitalausstattungsmethode. Der ausländischen Betriebsstätte eines inländischen buchführungspflichtigen oder tatsächlich Bücher führenden Unternehmens ist nach § 13 Abs. 1 BsGaV zu Beginn eines (jeden) Wirtschaftsjahres Dotationskapital nur zuzuordnen, soweit das Unternehmen glaubhaft macht, dass Dotationskapital in dieser Höhe aus betriebswirtschaftlichen Gründen erforderlich ist. Dieses Dotationskapital darf jedoch nicht höher sein, als es sich bei Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode ergeben würde. Diese Obergrenze ergibt sich implizit aus § 13 Abs. 1 Satz 2 BsGaV. Betriebswirtschaftliche Gründe für die Höhe des Dotationskapitals sollten sich an dem Grundsatz der Fortführung der Unternehmenstätigkeit orientieren. Die sich aus diesem Grundsatz ergebende Untergrenze für das Dotationskapital sollte grundsätzlich mindestens bei null liegen. Ausnahmsweise sollte aber auch ein negatives Dotationskapital möglich sein, weil dies dem Selbständigkeitskonzept des AOA entspräche. In aller Regel sollte das Dotationskapital jedoch einen positiven Wert dergestalt aufweisen, dass es bei Berücksichtigung der Ergebnisschwankungen der letzten drei bis fünf Jahre den Erhalt von mindestens der Hälfte des Kapitals sicherstellt, weil ab diesem Wert von tatsächlichen Gegebenheiten ausgegangen werden muss, die der Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen.1 Andere finanzielle Umstände, die als betriebswirtschaftliche Gründe für die betragsmäßige Bemessung des Dotationskapitals einer ausländischen Betriebsstätte herangezogen werden können, sind in der Vergangenheit eingetretene oder für die Zukunft erwartete negative Zahlungssalden aus der laufenden Geschäftstätigkeit, das Übersteigen des Vermögens durch die Schulden oder des Umlaufvermögens durch die kurzfristigen Schulden, abzulösende Kredite, auslaufende Lieferantenkredite etc.2 Das Dotationskapital sollte danach eine Höhe aufweisen, die diese Situationen abzuwenden hilft. Die Bezugnahme auf einzelne drohende Situationen oder mehrere sich überlagernde Szenarien können als be1 Vgl. Winkeljohann/Büssow in BeckBilanzkomm10, § 252 HGB Rz. 15. 2 Vgl. Winkeljohann/Büssow in BeckBilanzkomm10, § 252 HGB Rz. 15.

Andresen 243

4.156

Kap. 4 Rz. 4.157

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

triebswirtschaftliche Gründe für den Ansatz des Dotationskapitals in der ausgewiesenen Höhe herangezogen werden.

4.157 Alternative Methode: Höheres Dotationskapital nach Fremdvergleichsgrundsatz. § 13 Abs. 2 Satz 1 BsGaV erlaubt den Ansatz eines höheren Dotationskapitals als nach Abs. 1 der Vorschrift, soweit diese höhere Dotation im Einzelfall zu einem Ergebnis der Betriebsstätte führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Anders als in dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010, in dem mit dem „Thin capitalisation approach“ und dem „Safe harbour approach – quasi thin capitalisation/regulatory minimum capital approach“ – zwei Ansätze vorgestellt werden,1 in denen sich der Fremdvergleich auf die Relation von Fremdzu Eigenkapital bezieht, scheint der deutsche Gesetzgeber den Fremdvergleichsgrundsatz auf das Ergebnis der ausländischen Betriebsstätte laut GuV anwenden zu wollen. Dies kann allerdings nur so verstanden werden, dass für Fremdvergleichszwecke das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und das Finanzergebnis der ausländischen Betriebsstäte zu einer Profitabilitätskennzahl zusammengefasst werden, deren Angemessenheit dann durch einen Vergleich mit der gleichen Profitabilitätskennzahl anderer vergleichbarer Unternehmen überprüft werden soll. Da sich die Kapitalstruktur von Unternehmen jedoch unterscheidet und darüber hinaus in die Entscheidungsfreiheit des Unternehmers fällt, ist das in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommende Verständnis des Fremdvergleichsgrundsatzes als problematisch anzusehen. Um diesen Konflikt zwischen Finanzierungsfreiheit und Fremdvergleichsgrundsatz aufzulösen, wäre die Verwendung einer Eigenkapitalrenditekennziffer als Profitabilitätskennzahl denkbar. Das Dotationskapital wäre danach so lange nach oben zu korrigieren mit entsprechend geringerem Zinsaufwand im Ausland, wie die Eigenkapitalrendite noch in der eingeschränkten Bandbreite liegt, die sich aus den entsprechenden Eigenkapitalrenditekennzahlen der Vergleichsunternehmen ergibt.

4.158 Kappung durch Dotationskapital nach Kapitalaufteilungsmethode. Das nach § 13 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BsGaV ermittelte Dotationskapital darf jedoch keinen höheren Betrag aufweisen, als derjenige, der sich ergeben würde, wenn die Kapitalaufteilungsmethode i.S.d. § 12 Abs. 1 bis 3 BsGaV analog auf das inländische Unternehmen und seine ausländische(n) Betriebsstätte(n) angewendet würde (s. zum Wertansatz der Vermögenswerte Rz. 4.148). Beispiel: Die D GmbH zeigt in ihrer Handels- und Steuerbilanz zum 1.1.2015 (Eröffnungsbilanz) Aktiva von 1.200. In diesen Aktiva sind unfertige Erzeugnisse und Forderungen einer französischen Betriebsstätte im Wert von 400 enthalten, die nach Maßgabe der §§ 5 und 8 BsGaV unzweifelhaft der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind. Das Eigenkapital der D GmbH beträgt 180. Die Passivposten von 1.020 bestehen aus mehreren Bankdarlehen. Das der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnende anteilige Eigenkapital (Dotationskapital) beträgt danach 60. Entsprechend kann in den Grenzen der Regeln über die Angemessenheit von Zinssätzen Zinsaufwand bezogen auf ein Fremdkapital von maximal 340 in der ausländischen Betriebsstätte als Betriebsausgabe geltend gemacht werden.

4.159 Begriff des Vermögenswertes. Nach § 13 Abs. 2 Satz 2 BsGaV sollen die für die Kapitalaufteilung maßgeblichen Vermögenswerte sowohl beim Gesamtunternehmen als auch bei der (den) ausländische(n) Betriebsstätte(n) mit den Bilanzwerten angesetzt werden, die für die Besteuerung des inländischen Unternehmens anzuwenden sind (Steuerbilanzwerte). Falls der Ansatz anderer Werte zu einem Ergebnis führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht, dürfen diese abweichenden Werte angesetzt werden, z.B. IFRS oder ggf. auch

1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 129 f., 135 f.

244

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.163 Kap. 4

US GAAP bei US-Konzernen mit inländischen Unternehmen, die im Ausland Betriebsstätten haben. Aufhebung der Kappung bei Vorliegen nichtsteuerlicher Vorschriften. Wenn und soweit nichtsteuerliche Vorschriften im Belegenheitsstaat einer ausländischen Betriebsstätte den Ansatz eines höheren Dotationskapitals fordern als nach Kapitalaufteilungsmethode i.S.d. § 13 Abs. 2 Satz 2 BsGaV, darf der ausländischen Betriebsstätte gem. § 13 Abs. 3 BsGaV dieses höhere Dotationskapital für steuerliche Zwecke zugeordnet und der Zinsaufwand im Ausland entsprechend vermindert werden.

4.160

Höchstkapital: in der Handelsbilanz der ausländischen Betriebsstätte tatsächlich ausgewiesenes Eigenkapital. § 12 Abs. 4 BsGaV definiert eine Obergrenze für das Dotationskapital der ausländischen Betriebsstätte, indem er höchstens den Ansatz bzw. die Zuordnung des Eigenkapitals des inländischen Unternehmens als steuerliches Dotationskapital zur ausländischen Betriebsstätte fordert, das in der Handelsbilanz der ausländischen Betriebsstätte tatsächlich ausgewiesen ist. Diese Obergrenze soll ausweislich des Wortlautes der Vorschrift „ungeachtet der Abs. 1 bis 3“ des § 13 BsGaV gelten. Für den Steuerpflichtigen bedeutet dies, dass er unter Anwendung der Mindestkapitalausstattungsmethode, der Kapitalaufteilungsmethode und ggf. nichtsteuerlicher Vorschriften den Rahmen ausfüllen muss, den ihm das tatsächlich ausgewiesene Dotationskapital laut Handelsbilanz gibt, weil ansonsten die Finanzverwaltung versucht sein könnte, die Höhe des Dotationskapitals der ausländischen Betriebsstätte unter Anwendung der Methoden des § 13 Abs. 1 bis 3 BsGaV klein(er) zu rechnen, um auf diese Weise mehr Zinsaufwand der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen mit der Wirkung geringerer freizustellender Einkünfte einer ausländischen DBA-Betriebsstätte oder mit der Wirkung geringerer anzurechnender ausländischer Steuern selbst dann, wenn nach ausländischem Recht ein höherer Betrag (d.h. mit weniger Zinsaufwand nach ausländischen Gewinnermittlungsvorschriften) tatsächlich besteuert worden ist.

4.161

Zeitpunkt der Bestimmung des Dotationskapitals: Beginn eines Wirtschaftsjahres. § 13 Abs. 1 Satz 1 BsGaV verlangt, dass das Dotationskapital zu Beginn eines Wirtschaftsjahrs bestimmt wird. Ist das tatsächliche Dotationskapital der ausländischen Betriebsstätte gemessen am Sollwert des § 13 Abs. 1 bis 4 BsGaV höher und mithin der Finanzierungsaufwand geringer als möglich, ist der überschießende Teil des Finanzierungsaufwandes bei der steuerlichen Gewinnermittlung beim inländischen Stammhaus insoweit nach § 1 Abs. 1 AStG einkommenserhöhend durch Zuordnung zur ausländischen Betriebsstätte zu korrigieren.

4.162

Unterjährige Anpassung des Dotationskapitals. Das Gleiche wie in Rz. 4.162 gilt dann, wenn sich das – nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 bis 4 BsGaV zu bestimmende – Mindest-Dotationskapital durch Veränderungen der Funktionen und entsprechend der zuzuordnenden Wirtschaftsgüter etc. erheblich vermindert (Wirkungsrichtung des § 1 Abs. 1 AStG). Dann ist ab dem Zeitpunkt des Erreichens der erheblichen Überschreitung des ursprünglich angemessenen Dotationskapitals eine Korrektur (Erhöhung) des Zinsaufwandes der ausländischen Betriebsstätte auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 AStG vorzunehmen. In Ermangelung einer gesetzlichen Regelung zur Häufigkeit der Überprüfung des Dotationskapitals einer ausländischen Betriebsstätte ist es nicht zu beanstanden, wenn der Steuerpflichtige nach Ablauf von sechs Monaten des Wirtschaftsjahres das Unterschreiten des zu Beginn des Jahres festgestellten Dotationskapitals bezogen auf diesen Sechs-Monats-Zeitpunkt überprüft. Liegt zu diesem Zeitpunkt ein Unterschreiten vor, empfiehlt es sich, monatsweise zurückgehend, den exakten Zeitpunkt der erheblichen Unterschreitung festzustellen und die Einkünfte entsprechend zu korrigieren. Liegt kein Unterschreiten vor, empfiehlt es sich, ggf. nach weiteren drei Monaten

4.163

Andresen 245

Kap. 4 Rz. 4.164

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

(Neun-Monats-Zeitpunkt) eine erneute Prüfung durchzuführen. Eine erhebliche Abweichung ist ausweislich der Gesetzesbegründung dann gegeben, wenn sich das Dotationskapital gegenüber dem Stand zu Beginn des Wirtschaftsjahres um mehr als 20 % nach unten verändert.1

4.164 Anwendung der Zinsschranke. Der nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 bis 5 BsGaV ermittelte abzugsfähige Zinsaufwand ist auch dann nicht weiter zu kürzen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Zinsschranke erfüllt sind, da die Zinsschranke auf Betriebsstätten keine Anwendung findet (s. Rz. 4.270).

4.165 Regelung für nicht buchführungspflichtige inländische Unternehmen. Der nicht abzugsfähige Zinsaufwand für nicht buchführungspflichtige inländische Unternehmen mit ausländischer Betriebsstätte bestimmt sich nach § 15 Abs. 5 BsGaV (s. dazu Rz. 4.180 unten).

4.166 Zuordnung von Dotationskapital zu ausländischen Betriebsstätten im Flussdiagramm. Die Wirkungsweise der Zuordnungsregelung für das Dotationskapital ausländischer Betriebsstätten ist in dem nachfolgenden Flussdiagramm nochmals grafisch dargestellt: Zuordnung von Wirtschaftsgütern Dotationskapital (DKap) ausländischer BS inländischer Unternehmen Inländisches Unternehmen ist verpflichtet, Bücher zu führen oder führt tatsächlich Bücher.

Nein

Ja Unternehmen macht glaubhaft, dass DKap in dieser Höhe aus betriebswirtschaftlichen Gründen erforderlich ist.

Nein

Ja

Der Ansatz von DKap, das den Mindestkapitalansatz übersteigt, entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz (FVG) besser.

Nein

Ja

Das DKap darf das DKap gem. Kapitalaufteilungsmethode nicht übersteigen. DKap, das den Betrag der Kapitalaufteilungsmethode übersteigt, ist anzusetzen, wenn Vorschriften des ausländischen Staates dies erfordern.

BS wird kein DK zugeordnet.

● Höchstens das in der Handelsbilanz ausgewie-

DKap gem. Mindestkapitalausstattungsmethode ist anzusetzen.

senes DKap ist anzusetzen. ● Bei Änderungen der Parameter sind Anpassungen

durchzuführen.

k) Zuordnung übriger Passivposten (§ 14 BsGaV)

4.167 Begriff der übrigen Passivposten. § 14 BsGaV regelt die Zuordnung der übrigen Passivposten. Die BsGaV enthält keine Definition des Begriffs übrige Passivposten. Angesichts der Tat1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 82 f. (zu § 13 Abs. 5 BsGaV).

246

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.169 Kap. 4

sache, dass es darum geht, durch das Zusammenwirken der Zuordnungsregelungen eine Bilanz für Abgrenzungszwecke zu erstellen, dürften die übrigen Passivposten i.S.d. Vorschrift sämtliche Passiva umfassen, die nicht Eigenkapital i.S.d. § 266 Abs. 3 Buchst. A HGB sind. Entsprechend ist für Zwecke der Zuordnung übriger Passivposten i.S.d. § 14 BsGaV auf folgenden Bilanzpositionen des § 266 HGB abzustellen: Bezeichnung

§ 266 HGB

Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen

Abs. 3 Buchst. B.1.

Steuerrückstellungen

Abs. 3 Buchst. B.2.

Sonstige Rückstellungen

Abs. 3 Buchst. B.3.

Anleihen, davon konvertibel

Abs. 3 Buchst. C.1.

Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten

Abs. 3 Buchst. C.2.

Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen

Abs. 3 Buchst. C.3.

Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen

Abs. 3 Buchst. C.4.

Verbindlichkeiten aus der Annahme gezogener Wechsel und der Ausstellung eigener Wechsel

Abs. 3 Buchst. C.5.

Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen

Abs. 3 Buchst. C.6.

Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis Abs. 3 Buchst. C.7. besteht Sonstige Verbindlichkeiten, davon aus Steuern, davon im Rahmen der sozialen Sicherheit

Abs. 3 Buchst. C.8.

Rechnungsabgrenzungsposten

Abs. 3 Buchst. D.

Direkte Zuordnung übriger Passivposten bei Vorliegen einer Buchführung. § 14 Abs. 1 BsGaV sieht die direkte Zuordnung der oben genannten übrigen Passivposten zu einer Betriebsstätte vor, wenn und soweit diese Passivposten in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den der Betriebsstätte zugeordneten Wirtschaftsgütern und den ihr zugeordneten Chancen und Risiken stehen. Da Chancen und Risiken nicht bilanzierungsfähig sind, reduziert sich die Prüfung eines unmittelbaren Zusammenhangs auf die nach Maßgabe der §§ 5 bis 8 BsGaV zugeordneten Wirtschaftsgüter und die übrigen Passivposten. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Aktiv- und Passivseite der Bilanz wird nicht immer leicht herzustellen sein. Je länger Wirtschaftsgüter in der Bilanz erfasst sind, umso schwerer wird es sein, eine direkte Zuordnung im Sinne der Vorschrift durchzuführen. Eine direkte Zuordnung wirft überdies die Frage nach den Regeln für die Auflösung eines solchen Zusammenhangs auf.

4.168

Anteilige Kürzung direkt zugeordneter übriger Passivposten. Die direkte Zuordnung übriger Passiva ist begrenzt auf den Betrag, der nach der Zuordnung des Dotationskapitals in der Steuerbilanz der Betriebsstätte verbleibt, d.h. nach Abzug des Dotationskapitals von der Bilanzsumme. Diese Auslegung geht davon aus, dass eine Hilfs- und Nebenrechnung mangels Rechtsgrundlage durch die Steuerbilanz der Betriebsstätte zu ersetzen ist, in der nicht passivierungsfähige Risiken auch keine Berücksichtigung finden können und daher den Zuordnungsbetrag nicht weiter mindern können. Ein überschießender Betrag ist anteilig zu kürzen und dem übrigen Unternehmen oder der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen.1

4.169

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 84 (zu § 14 Abs. 2 Satz 2 BsGaV).

Andresen 247

Kap. 4 Rz. 4.170

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.170 Keine anteilige Kürzung von Rückstellungen, Verbindlichkeiten i.S.d. § 266 Abs. 3 Buchst. C.8. HGB und Rechnungsabgrenzungsposten. Eine solche Kürzung erscheint jedoch nur bezogen auf die in § 266 Abs. 3 Buchst. C.1. bis 7. HGB erfassten Bilanzpositionen sinnvoll zu sein. Eine anteilige Kürzung von Rückstellungen, Verbindlichkeiten i.S.d. § 266 Abs. 3 Buchst. C.8. HGB und Rechnungsabgrenzungsposten, die jeweils klare und direkte Bezüge zu der wirtschaftlichen Situation der jeweiligen Betriebsstätte aufweisen und teilweise in unmittelbarem Zusammenhang zu anderen Bilanzpositionen stehen, würde zu einem unzutreffenden Bild der Betriebsstättenbilanz führen. Angesichts der Tatsache, dass es dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Dotationskapitals und der insoweit flankierenden Regelungen in der BsGaV zu den übrigen Passivposten primär um die Zuordnung von steuerlich abzugsfähigem Zins- und Provisionsaufwand geht, ist die in § 14 Abs. 2 BsGaV geregelte Kürzung auf die Bilanzpositionen in § 266 Abs. 3 Buchst. C.1. bis 7. HGB zu begrenzen.

4.171 Indirekte Zuordnung eines zusätzlichen übrigen Passivpostens (Verbindlichkeit ggü. dem übrigen Unternehmen [Stammhaus]). § 14 Abs. 3 BsGaV sieht eine weitere indirekte Zuordnung übriger Passivposten zu einer Betriebsstätte vor, wenn die Summe aus dem Dotationskapital und den direkt zugeordneten übrigen Passivposten dieser Betriebsstätte zusammen geringer ist als die Bilanzsumme. Die BsGaV spricht dann von einem Fehlbetrag, der „aufzufüllen“ ist, wenn nach der Bestimmung der in der Hilfs- und Nebenrechnung auszuweisenden Risiken und des Dotationskapitals und der direkten Zurechnung übriger Passivposten und deren Abzug von der Bilanzsumme eine positive Differenz zur Bilanzsumme verbleibt. Ungeachtet des Wortlautes des § 14 Abs. 3 BsGaV sind Risiken insoweit nicht zu beachten, als sie sich weder in der Handels-/Steuerbilanz noch in der Hilfs- und Nebenrechnung in der Bildung eines Passivpostens niedergeschlagen haben und insoweit auch nicht „auszuweisen“ sind. Mit anderen Worten führen nicht bilanzierungsfähige Passivposten nicht zu einer Bilanzverlängerung. Aus Dokumentationsüberlegungen erscheint es sinnvoll, diesen zusätzlichen Passivposten zum Ausgleich der Bilanz als Verbindlichkeit gegenüber dem Stammhaus auszuweisen. Dies bringt zum Ausdruck, dass der Betriebsstätte ein zusätzliches Darlehen zur Verfügung gestellt ist, damit sie ihre nach Maßgabe der § 5 bis 8 BsGaV zugeordneten Wirtschaftsgüter auf der Aktivseite der Bilanz aus Mitteln des Unternehmens als Ganzes finanziert hat. Diese Vorgehensweise entspricht der Vorstellung des Gesetzgebers in § 1 Abs. 5 Satz 3 und 4 AStG und § 1 Abs. 2 Nr. 6 BsGaV, dass nach den erfolgten Zuordnungen i.S.d. §§ 5 bis 9, 12 und 14 und 14 und 15 BsGaV die verwirklichten anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG zu bestimmen sind. Da in § 14 BsGaV anders als in den §§ 12, 13 und 15 BsGaV nicht ausdrücklich auf den Beginn des Wirtschaftsjahres abgestellt wird, gibt es keinen vernünftigen Grund gegen die Annahme einer schuldrechtlichen Beziehung.1 Ganz im Gegenteil: Die Zielsetzung der §§ 12 bis 15 BsGaV ist ausweislich der Gesetzesbegründung die richtige Bestimmung bzw. Zuordnung des angemessenen Finanzierungsaufwandes zur jeweiligen Betriebsstätte2 für die sich in den Bilanzpositionen der Aktivseite der Bilanz widerspiegelnde Geschäftstätigkeit.

4.172 Beispiel: Ein Anlagenbauer mit Sitz und Geschäftsleitung in Hannover („Unternehmen“) hat eine 100 %ige Tochterkapitalgesellschaft in Frankreich. Diese Gesellschaft soll per 1.1.2015 grenzüberschreitend auf das Unternehmen des Anlagenbauers verschmolzen werden. Die Tochterkapitalgesellschaft ist ihrerseits zu je 100 % an vier Tochterkapitalgesellschaften („Enkelgesellschaften“) beteiligt.

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 91 (zu § 15 Abs. 3 Satz 3 BsGaV). 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 76 (zu § 12 Abs. 1 BsGaV), 82 (zu § 13 Abs. 5 BsGaV), 83 (zu § 14 Abs. 2 Satz 1 BsGaV) und 85 (zu § 15 Abs. 3 Satz 2 BsGaV).

248

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.172 Kap. 4

Die Enkelgesellschaften sind der durch Verschmelzung zur Betriebsstätte gewordenen ehemaligen Tochterkapitalgesellschaft in Frankreich zuzuordnen. Die Finanzverwaltungen Deutschlands und Frankreichs bestätigen dem Unternehmen die Richtigkeit der Zuordnung der Beteiligungen zur französischen Betriebsstätte in verbindlichen Zusagen. Den Erwerb der Beteiligung an der französischen Tochterkapitalgesellschaft hat das Unternehmen zu 100 % mit Fremdkapital finanziert. Die Tochterkapitalgesellschaft hatte ihre Beteiligungen an den Produktionsunternehmen ausschließlich mit Eigenkapital finanziert, da sie über viele Jahre keine Dividenden ausgeschüttet hatte. In der steuerlichen Außenprüfung bei dem Unternehmen in Hannover beabsichtigt die Betriebsprüfung, die Fremdfinanzierung der französischen Betriebsstätte des Unternehmens zuzuordnen. Lösung Zwischen der Beteiligung an der Tochterkapitalgesellschaft in Frankreich und der aufgenommenen Fremdfinanzierung besteht ein unmittelbarer Finanzierungszusammenhang. Gleiches gilt für die Beteiligungen an den Produktionsgesellschaften und dem Eigenkapital in der (Verschmelzungs-)Bilanz der französischen Tochterkapitalgesellschaft. Durch die Verschmelzung wird in der Handelsbilanz des Unternehmens die Beteiligung an der französischen Gesellschaft durch die Beteiligungen an den vier Produktionsgesellschaften ersetzt. In der Steuerbilanz des Stammhauses erscheinen die Beteiligungen nicht, weil sie im Zeitpunkt der Verschmelzung der französischen Betriebsstätte zugeordnet werden. Eine direkte Zuordnung der vom Unternehmen aufgenommenen Fremdfinanzierung scheidet aus, da es an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Fremdkapital und den Beteiligungen an den Produktionsgesellschaften fehlt. Die Beteiligungen an den Produktionsgesellschaften verlassen Frankreich nicht und können daher auch keinen Finanzierungszusammenhang zum Fremdkapital im Stammhaus aufbauen. Danach könnte allenfalls eine indirekte Zuordnung dieser Fremdfinanzierung anteilig zur französischen Betriebsstätte erfolgen, es sei denn, die Fremdfinanzierung ist direkt einer anderen Betriebsstätte oder dem übrigen Unternehmen zuzuordnen, da ein neuer unmittelbarer Zusammenhang zu einem Wirtschaftsgut besteht. Dementsprechend ist der Finanzierungsaufwand aus dem Fremdkapital vollständig beim Stammhaus einkommensmindernd zu erfassen.

Die nachfolgende Grafik illustriert das Beispiel: Zuordnung von Verbindlichkeiten

Kapitalgesellschaft Inland

Handelsbilanz des Unternehmens Beteiligung TochterG Beteiligung EnkelG

Betriebsstätte EU-Ausland (vormals TochterG)

EK 1 FK

Steuerbilanz der Betriebsstätte Beteiligung EnkelG

2

EK

Enkelkapitalgesellschaft EU-Ausland (EnkelG) 1 Finanzierungszusammenhang 2 ... versus Finanzierungszusammenhang

Andresen 249

Kap. 4 Rz. 4.173

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.173 Zuordnung übriger Passivposten im Flussdiagramm. Die Wirkungsweise der Zuordnungsregelung für (übrige) Passivposten i.S.d. § 266 Abs. 3 Buchst. C HGB ist in dem nachfolgenden Flussdiagramm grafisch dargestellt: Zuordnung von Wirtschaftsgütern Zuordnung übriger Passivposten BS ist BS eines Unternehmens, das buchführungspflichtig ist oder tatsächlich Bücher führt.

Nein

Ja Übrige Passivposten stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit den dieser BS zuzuordnenden Vermögenswerten, Chancen und Risiken.

Ja

Anteilige Kürzungen der direkt zurechenbaren Passivposten, wenn diese den Betrag übersteigen, der zum Ausgleich der Bilanz bei gegebenem EK für den Ausgleich notwendig wäre

Ja

Vollständige und direkte Zuordnung dieser übrigen Passivposten erfolgt zu dieser BS (direkte Zuordnung).

Zuordnung übriger Passivposten ist nicht in der BsGaV geregelt.

Verbleibt nach der Bestimmung der in der Hilfs- und Nebenrechnung auszuweisenden Risiken und des Dotationskapitals und der direkten Zuordnung übriger Passivposten ein Fehlbetrag an Passivposten für die Betriebsstätte, so ist dieser Fehlbetrag mit übrigen Passivposten des Unternehmens aufzufüllen (indirekte Zuordnung).

l) Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen (§ 15 BsGaV)

4.174 Direkte Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen. § 15 Abs. 1 BsGaV sieht die Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen zu der Betriebsstätte vor, der die (übrigen) Passivposten nach Maßgabe des § 14 BsGaV direkt zugeordnet worden sind, wenn diese Finanzierungsaufwendungen mit diesen Passivposten zusammenhängen. Ein solcher Zusammenhang ist immer dann gegeben, wenn sich aus dem Vertrag mit einer anderen natürlichen oder juristischen Person, der zur Bildung eines Passivpostens führt, ein Entgelt (z.B. Zins- oder Provisionsaufwand) ergibt. Finanzierungsaufwendungen i.S.d. § 15 BsGaV sind solche Aufwendungen, die in der GuV-Position Zinsen und ähnlichen Aufwendungen i.S.d. § 275 Abs. 2 Nr. 13 oder Abs. 3 Nr. 12 HGB zu erfassen sind.

4.175 Anteilige Kürzung direkt zugeordneter Finanzierungsaufwendungen. Die direkte Zuordnung übriger Passiva ist begrenzt auf die positive Differenz aus Bilanzsumme und Dotationskapital zzgl. ggf. bilanzierungsfähiger Risiken in der Handels-/Steuerbilanz der Betriebsstätte, d.h. nach Abzug dieser Positionen von der Bilanzsumme. Daher sieht § 14 Abs. 2 BsGaV eine Kürzung der direkt zugeordneten übrigen Passivposten vor, wenn diese die Differenz übersteigen. Dementsprechend sieht § 15 Abs. 2 BsGaV eine entsprechende anteilige Kürzung der Finanzierungsaufwendungen vor, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den anteilig zu kürzenden, direkt zuordnungsfähigen übrigen Passivposten stehen. Eine Kürzung von Fi-

250

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.177 Kap. 4

nanzierungsaufwendungen, die im Zusammenhang mit den Bilanzpositionen in § 266 Abs. 3 Buchst. B. und C.8. HGB stehen, z.B. Zinsen i.S.d. §§ 233 ff. AO, sind nicht von der Kürzung i.S.d. § 15 Abs. 2 AO erfasst. Indirekte Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen als Alternative. Ist eine direkte Zurechnung von Finanzierungsaufwendungen des Unternehmens zu einer Betriebsstätte – wie es § 15 Abs. 1 BsGaV vorsieht – nicht möglich oder würde dadurch ein unverhältnismäßiger Aufwand verursacht, sind die Finanzierungsaufwendungen des gesamten Unternehmens der Betriebsstätte gem. § 15 Abs. 3 BsGaV entsprechend der indirekt zugeordneten Passivposten anteilig zuzuordnen. Der Anteil der Betriebsstätte bestimmt sich dabei nach dem zu Beginn des jeweiligen Wirtschaftsjahres1 gegebenen Verhältnis der übrigen Passivposten der Betriebsstätte zu den übrigen Passivposten des (gesamten) Unternehmens. Bei inländischen Unternehmen mit ausländischen Betriebstätten ist dabei auf die den jeweiligen Betriebsstätten nach Maßgabe des § 14 BsGaV zugeordneten Passivposten i.S.d. § 266 Abs. 3 Buchst. C1.–7. HGB abzustellen. Bei ausländischen Unternehmen mit inländischen Betriebsstätten ist in analoger Anwendung des § 12 Abs. 2 Satz 2 BsGaV auf ausgewählte Passivposten der ausländischen Bilanz abzustellen. An die dort geforderte Glaubhaftmachung einer geringen Abweichung der Höhe der Bilanzposition nach ausländischem Rechnungslegungsstandard sind keine hohen Anforderungen zu stellen, da bei einer u.U. drohenden Doppelbesteuerung und deren Beseitigung durch Gegenberichtigungen i.S.d. Art. 9 Abs. 2 OECDMA und (Vorab-)Verständigungsverfahren i.S.d. Art. 25 OECD-MA sinnvollverweise auf einen Rechnungslegungsstandard abzustellen ist, der in beiden betroffenen Staaten gilt, z.B. den Konzernrechnungslegungsstandard in Gestalt von IFRS oder US-GAAP. Indirekt zuzuordnende übrige Passivposten i.S.d. § 14 BsGaV in der Bilanzgliederung nach IFRS sind Finanzverbindlichkeiten und Andere Verbindlichkeiten i.S.d. IAS 39 sowie Schulden im Zusammenhang mit zur Veräußerung gehaltenen langfristigen Vermögenswerten i.S.d. IFRS 5. Rückstellungen i.S.d. IAS 19 und 37 gehören genauso wenig zu den zu kürzenden Passivposten wie tatsächliche oder latente Steuerverbindlichkeiten i.S.d. IAS 12.

4.176

Vorrang der indirekten Zuordnung bei dem Fremdvergleich besser entsprechendem Ergebnis. Die Öffnungsklausel in § 15 Abs. 3 Satz 3 BsGaV sieht vor, dass die indirekte Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen einen Vorrang hat vor der direkten Zuordnung mit Kürzung i.S.d. Abs. 1 und 2 der Vorschrift, wenn die indirekte Zuordnung im Einzelfall zu einem Ergebnis der Betriebsstätte führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes soll für eine angemessene Besteuerung von verbundenen Unternehmen sorgen, indem diese hinsichtlich der vereinbarten Konditionen in ihren Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen oder Betriebsstätten mit den Konditionen verglichen werden, die für gleiche oder ähnliche Geschäftsbeziehungen mit oder zwischen fremden Dritten vereinbart worden sind oder worden wären. Die hier zu beurteilende Fragestellung ist unter dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht leicht zu beurteilen, weil das letztendlich relevante Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital zwar durch einen Vergleich mit unabhängigen Unternehmen grundsätzlich bestimmt werden kann. In der Entscheidung über die Finanzierung ist der Unternehmer jedoch grundsätzlich frei, insbesondere dann, wenn er durch eine beschränkende Regelung gegenüber anderen Unternehmen im EU-Bin-

4.177

1 Das Abstellen auf die Bilanzpositionen zu Beginn des Wirtschaftsjahres entspricht der Vorgehensweise bei der Bestimmung des Dotationskapitals und sorgt ausweislich der Gesetzesbegründung dafür, dass die Werte von „Dealings“, also anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen, beeinflusst sind; vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 91 (zu § 15 Abs. 3 Satz 3 BsGaV).

Andresen 251

Kap. 4 Rz. 4.178

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

nenmarkt diskriminiert würde.1 Eine restriktive Handhabung des Fremdvergleichs durch Anwendung von den aus einem Drittvergleich gewonnenen Erkenntnissen über das Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital von nicht konzernverbundenen unabhängigen Unternehmen ist mit so großen Unsicherheiten hinsichtlich der Vergleichbarkeit dieser Unternehmen behaftet, dass eine belastbare Anwendung dieser Vorschrift aus Sicht der Finanzverwaltung schwer erscheint. Es steht dem Steuerpflichtigen jedoch frei, einen entsprechenden Beweis anzutreten und die Vergleichbarkeit der zum Vergleich herangezogenen Unternehmen zu dokumentieren. Es ist nicht zu beanstanden, wenn eigenständige Gesellschaften zum Vergleich herangezogen werden, da es Vergleichsdaten für Niederlassungen und deren Kapitalstruktur nicht geben dürfte.

4.178 Sonderregelung für inländische Betriebsstätten eines im Ausland nicht buchführungspflichtigen Unternehmens. Der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens, das nach seinem jeweils einschlägigen ausländischem Recht nicht buchführungspflichtig ist und tatsächlich auch keine Bücher führt, ist der Finanzierungsaufwand des Unternehmens gem. § 15 Abs. 4 Satz 1 BsGaV anteilig nur insoweit zuzuordnen, als dieser Finanzierungsaufwand in unmittelbarem Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte steht. Aus dem Wortlaut lässt sich schließen, dass eine Zuordnung von Finanzierungsaufwand zu inländischen Betriebsstätten nur dann erfolgen kann, wenn das Unternehmen im Außenverhältnis, d.h. gegenüber anderen natürlichen oder juristischen Personen, überhaupt einen Finanzierungsaufwand hat. Eine darlehensweise Weitergabe von Eigenkapital an die inländische Betriebsstätte erlaubt § 15 Abs. 4 Satz 1 BsGaV nicht trotz der durch den AOA eingeführten weitest gehenden Verselbständigung der Betriebsstätte. Beispiel: Eine englische Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer limited liability company (Ltd.) handelt als Vertriebsgesellschaft mit Computerspielen und hat für den Ankauf der Computerspiele aus Asien von ihrer Hausbank in England eine Kreditlinie über 300.000 Pfund erhalten. Die inländische Betriebsstätte hat über die letzten drei Jahre einen Anteil an der Handelstätigkeit von 30 %. Entsprechend ordnet das Unternehmen 30 % des Finanzierungsaufwandes für 90.000 Pfund umgerechnet in Euro als Finanzierungsaufwand der inländischen Betriebsstätte zu.

4.179 Begrenzung des abzugsfähigen Finanzierungsaufwandes durch § 15 Abs. 4 Satz 2 BsGaV. § 15 Abs. 4 Satz 2 BsGaV sieht vor, dass der nach § 15 Abs. 4 Satz 1 BsGaV zugeordnete Finanzierungsaufwand (nur dann) zugeordnet werden kann, wenn der inländischen Betriebsstätte ein Ergebnis aus ihrer Geschäftstätigkeit verbleibt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Diese Vorschrift ist auslegungsbedürftig, weil nicht erkennbar ist, mit welcher Begründung die unter dem Fremdvergleichsgrundsatz eigenständig zu beurteilende Angemessenheit der Vergütung für die Geschäftstätigkeit an sich, z.B. eine Dienstleistung, der Vertrieb oder die Produktion mit der wiederum eigenständig zu beurteilenden Angemessenheit der Vergütung für die gewählte Finanzierung verquickt werden soll. Wenn und soweit eine inländische Betriebsstätte für ihre Geschäftstätigkeit ein angemessenes Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erzielt, d.h. innerhalb der Bandbreite dessen, was fremde Dritte für gleiche oder ähnliche Tätigkeiten erzielen, ist nicht erkennbar, mit welcher Begründung eine ebenfalls angemessene Verzinsung der aufgenommenen Fremdmittel zu einer Einschränkung der zugeordneten Finanzierungsaufwendungen führen soll, selbst wenn die absolute Höhe dieser Finanzierungsaufwendungen das Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit mindert

1 Vgl. BFH v. 8.12.1997 – GrS 1-2/95, BStBl. II 1998, 193 = FR 1998, 147 m. Anm. Seer; so auch aus unionsrechtlichen Gründen der EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, ECLI:EU:C:2002:749 = FR 2003, 182 = DB 2002, 2690.

252

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.183 Kap. 4

oder sogar im Saldo negativ werden lässt. Eine Korrektur ist nach Maßgabe des § 4h EStG bzw. § 8a KStG scheidet ebenfalls aus (s. dazu Rz. 4.270). Sonderregelung für ausländische Betriebsstätten eines im Inland nicht buchführungspflichtigen Unternehmens. Der ausländischen Betriebsstätte eines im Inland nicht buchführungspflichtigen Unternehmens, das auch tatsächlich keine Bücher führt, ist der Finanzierungsaufwand des inländischen Unternehmens (anteilig) zuzuordnen, der in unmittelbarem Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der ausländischen Betriebsstätte steht, mindestens jedoch der Anteil, der dem Anteil der ausländischen Betriebsstätte an dem Außenumsatz des Gesamtunternehmens entspricht. Aus dem Wortlaut lässt sich schließen, dass eine Zuordnung von Finanzierungsaufwand zur ausländischen Betriebsstätten nur dann erfolgen kann, wenn das inländische Unternehmen im Außenverhältnis, d.h. gegenüber anderen natürlichen oder juristischen Personen, überhaupt einen Finanzierungsaufwand hat. Eine darlehensweise Weitergabe von Eigenkapital an die ausländische Betriebsstätte erlaubt § 15 Abs. 5 Satz 1 BsGaV nicht trotz der durch den AOA eingeführten weitest gehenden Verselbständigung der Betriebsstätte.

4.180

Kritik an der Mindestzuordnung von Finanzierungsaufwand zur ausländischen Betriebsstätte durch § 15 Abs. 5 Satz 2 BsGaV. § 15 Abs. 5 Satz 2 BsGaV sieht vor, dass der nach Abs. 5 Satz 1 der Vorschrift zugeordnete Finanzierungsaufwand prozentual mindestens dem Anteil der ausländischen Betriebsstätte am Außenumsatz entspricht. Das folgende Beispiel zeigt, dass dies nicht notwendigerweise in allen Fällen zu einem angemessenen Ergebnis i.S.d. Fremdvergleichsgrundsatzes führt und es insoweit unbedingt der in § 15 Abs. 5 Satz 3 BsGaV vorgesehen Korrekturmöglichkeit bedarf, die der inländische Steuerpflichtige anwenden sollte.

4.181

Beispiel: Eine GmbH betreibt im Inland eine sehr kapitalintensive Produktion, für deren Finanzierung sie hohe Darlehensbeträge bei den sie finanzierenden Banken aufgenommen hat. Die im Inland hergestellten Produkte werden zu 98 % im Ausland durch die dort begründeten Betriebsstätten vertrieben. Die durch § 15 Abs. 5 Satz 2 BsGaV angeordnete Zuordnung von 98 % des Finanzierungsaufwandes zu den ausländischen Betriebsstätten würde in jeder einzelnen Betriebsstätte negative Einkünfte nach sich ziehen, was die ausländischen Finanzverwaltungen voraussichtlich nicht akzeptieren. Dieses fremdvergleichswidrige Ergebnis muss zu einer Korrektur dieser umsatzbasierten Zuordnung des Finanzierungsaufwandes nach Maßgabe des § 15 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. § 15 Abs. 3 Satz 3 BsGaV führen.

Anwendung der Zinsschranke. Die Finanzierungsaufwendungen, die nach Maßgabe des § 15 BsGaV einer in- oder ausländischen Betriebsstätte zugeordnet worden sind, unterliegen hinsichtlich ihrer steuerlichen Abzugsfähigkeit nicht zusätzlich der Zinsschrankenregelung (s. Rz. 4.270).

4.182

Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen im Flussdiagramm. Die Wirkungsweise der Zuordnungsregelung für Finanzierungsaufwendungen ist in dem nachfolgenden Flussdiagramm nochmals grafisch dargestellt:

4.183

Andresen 253

Kap. 4 Rz. 4.184

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Zuordnung von Wirtschaftsgütern Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen Finanzierungsaufwendungen stehen im Zusammenhang mit Passivposten der Betriebsstätte.

Nein

Ja Die zugrunde zu legenden Passiv- Nein posten sind anteilig zu kürzen. Ja Anteilige Kürzungen der direkt zurechenbaren Finanzierungsaufwendungen

Eine direkte Zuordnung wäre nicht realisierbar oder zu aufwendig. Nein

Direkte und ungekürzte Zuordnung

Ja Indirekte Zuordnung

Zuordnung der Finanzierungsaufwendungen ist nicht in der BsGaV geregelt.

• Ist das Unternehmen (inländisch und ausländisch) nicht zur Buchführung verpflichtet und führt es auch tatsächlich keine Bücher ist eine Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen nur möglich, wenn diese im unmittelbaren Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte stehen. • Im Falle einer ausländischen Betriebsstätte ist ihr mindestens der Anteil, der ihrem Außenumsatz im Unternnehmen entspricht, zuzuordnen.

m) Besondere Zuordnungsregelungen für Banken (§§ 18–22 BsGaV)

4.184 Zuordnungsregeln für Banken. Die besonderen Zuordnungsregeln für Banken sind in Abschnitt 11.C. Rz. 11.49 ff. dargestellt. n) Besondere Zuordnungsregelungen für Versicherungen (§§ 23–29 BsGaV)

4.185 Zuordnungsregeln für Versicherungen. Die besonderen Zuordnungsregeln für Versicherungen sind in Abschnitt 11.D. Rz. 11.189 ff. dargestellt. o) Besondere Zuordnungsregelungen für Bau- und Montageaktivitäten (§§ 30–34 BsGaV)

4.186 Zuordnungsregeln für Bau- und Montageaktivitäten. Die besonderen Zuordnungsregeln für Bau- und Montageaktivitäten sind in Abschnitt 11.E. Rz. 11.293 ff. dargestellt. p) Besondere Zuordnungsregelungen für Vertreterbetriebsstätten (§ 39 BsGaV)

4.187 Besondere Regeln für Vertreterbetriebsstätten. Die besonderen Regeln für Vertreterbetriebsstätten sind in Abschnitt 11.F. Rz. 11.347 ff. dargestellt. q) Besondere Zuordnungsregelungen für Förderaktivitäten (§§ 35–38 BsGaV)

4.188 Zuordnungsregeln für Förderaktivitäten. Die besonderen Zuordnungsregeln für Förderaktivitäten sind in Abschnitt 11.G. Rz. 11.402 ff. dargestellt.

254

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.191 Kap. 4

6. Bestimmung der Art der Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Betriebsstätte (zweiter Schritt des AOA) und der Verrechnungspreise (Ebene der Gewinnermittlung) a) Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (§ 16 BsGaV) Gesetzeswortlaut. § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG verlangt, dass der Steuerpflichtige in einem zweiten Schritt auf der Grundlage der nach Maßgabe der §§ 4 bis 15 sowie der §§ 18 bis 38 BsGaV vorgenommenen Zuordnung der Personalfunktionen, Wirtschaftsgüter, Chancen und Risiken und Eigenkapitalien die Art der Geschäftsbeziehungen zwischen dem (übrigen) Unternehmen und seiner (seinen) Betriebsstätte(n) bestimmt (s. Rz. 4.196) und die Verrechnungspreise für diese Geschäftsbeziehungen festlegt (s. Rz. 4.198). Dies gilt nicht für Geschäftsbeziehungen zwischen einer Personengesellschaft und deren Gesellschafter und einer Mitunternehmerschaft und deren Mitunternehmer. Auf diese sind die Sätze 1 bis 4 des § 1 Abs. 5 AStG nicht anwendbar.

4.189

Fehlende Ermächtigung für § 16 Abs. 1 und 3 BsGaV durch § 1 Abs. 6 AStG. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 16 Abs. 1 BsGaV1 soll diese Vorschrift definieren, wann eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung vorliegt. § 16 Abs. 3 BsGaV enthält ebenfalls Regelungen zum Begriff der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung in Fällen der Nutzung von finanziellen Mitteln durch die Betriebsstätte, die dem übrigen Unternehmen gehören. Der Begriff der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung ist in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG definiert. § 1 Abs. 6 AStG ermächtigt das BMF jedoch lediglich, Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes und ergänzende Regelungen zu § 1 Abs. 1, 3 und 5 AStG durch Rechtsverordnung zu regeln bzw. festzulegen. Folglich sind die Regelungen in § 16 Abs. 1 und 3 BsGaV außerhalb des Ermächtigungsrahmens des § 1 Abs. 6 AStG und daher als Gesetzesnorm nicht rechtswirksam zustande gekommen. § 16 Abs. 1 und 3 BsGaV sind insoweit als Verlautbarungen einzustufen, die den Willen der Finanzverwaltung hinsichtlich der steuerlichen Behandlung bestimmter Sachverhalte kundtun, ähnlich wie BMF-Schreiben. Eine rechtliche Bindung für den Steuerpflichtigen zu deren Anwendung kann hieraus jedoch nicht abgeleitet werden.

4.190

Vorliegen einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen). § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG definiert den Begriff der Geschäftsbeziehung in Gestalt der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung als Geschäftsvorfälle zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte. Da der handelsrechtliche Begriff des Geschäftsvorfalls als Definiendum eine Veränderung des kaufmännischen Bruttovermögens in Höhe und/oder Struktur verlangt, dies für Vorgänge zwischen übrigem Unternehmen und Betriebsstätte aber gerade nicht der Fall ist, ist dieser Begriff vom Gesetzgeber etwas unglücklich gewählt und bedarf der Auslegung für Zwecke des Steuerrechts bzw. der Einkünfteabgrenzung. So spricht § 16 Abs. 1 BsGaV dann auch von wirtschaftlichen Vorgängen im Einheitsunternehmen, die dann eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung auslösen, wenn diese Vorgänge

4.191

1. eine Änderung der Zuordnung nach Maßgabe der §§ 5 bis 11 BsGaV erforderlich machen oder 2. zwischen unabhängigen Unternehmen durch schuldrechtliche Vereinbarungen geregelt oder zur Geltendmachung von Rechtspositionen führen würden.

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 87 (zu § 16 Abs. 1 BsGaV).

Andresen 255

Kap. 4 Rz. 4.192

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Die hier getroffene Regelung ist abschließend, d.h., wenn nicht einer der drei in den Nr. 1 und 2 beschriebenen Fälle durch einen Sachverhalt erfüllt ist, liegt keine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung vor. Eine Verrechnungspreiskorrektur nach Maßgabe des § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1, 3 und 4 AStG (s. Rz. 4.210 ff.) scheidet dann aus. Diese anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 16 Abs. 1 BsGaV1 in der Hilfs- und Nebenrechnung zu erfassen. Sollten sie bereits in der handelsrechtlichen Rechnungslegung oder der kombinierten Handels- und Steuerbilanz der Betriebsstätte erfasst sein, was bei Banken und Versicherungen fast ausnahmslos der Fall ist, entfällt die Notwendigkeit der quantitativen Erfassung in einem separaten Rechenwerk namens Hilfs- und Nebenrechnung. Die Hilfs- und Nebenrechnung besteht dann nur noch aus einem qualitativen Teil, der der Dokumentation i.S.d. § 90 Abs. 3 AO zuzuordnen sein dürfte, und in dem die Zuordnungsgründe und andere Dokumentationsanforderungen i.S.d. § 4 GAufzV zu erfassen sind.

4.192 Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG durch Änderung der Zuordnung nach Maßgabe der §§ 5–1 BsGaV. Wirtschaftliche Vorgänge, die eine Änderung der Zuordnung eines Wirtschaftsguts oder von Passivposten notwendig machen können, sind diejenigen, die zu einer geografischen Veränderung der maßgeblichen Personalfunktion und damit zur Zuordnung zu einer anderen Betriebsstätte führen. Auslöser dürfte hier immer die Veränderung des Ausübungsortes der maßgeblichen Personalfunktion i.S.d. § 4 Abs. 1 BsGaV sein. Dies gilt auch für den Fall der Veränderung des Ausübungsortes außerhalb des Unternehmens z.B. bei Outsourcing-Fällen, weil dann nicht der Ausübungsort der Personalfunktion, sondern der sachlich engste Bezug (§ 4 Abs. 2 BsGaV) dieser Personalfunktion zur Betriebsstätte oder zum übrigen Unternehmen das entscheidende Zuordnungskriterium wird und zu einer Zuordnungsänderung führen kann. Beispiel: In der angelsächsischen Versicherungswirtschaft ist es dem Personal eines Versicherungsunternehmens rechtlich nicht erlaubt, andere Tätigkeiten als das reine Versicherungsgeschäft auszuüben. Dies führt dazu, dass angelsächsische Versicherungsunternehmen selbst kein Personal einstellen, sondern der gesamte Betrieb des Versicherungsunternehmens durch eine Dienstleistungsgesellschaft über eine Art Betriebsführungsvertrag geführt wird.2 Wird danach die für Versicherungsunternehmen maßgebliche Personalfunktion/unternehmerische Risikoübernahmefunktion des ‚Underwriting‘ nicht von eigenem Personal ausgeübt, ist diese Personalfunktion der Betriebsstätte zuzuordnen, zu der diese den sachlich engsten Bezug aufweist. Da ein ausländisches Versicherungsunternehmen entweder primär oder – in der/dem EU/EWR – ausschließlich der ausländischen Versicherungsaufsicht unterstellt ist, die die Lizenz zur Ausübung des Versicherungsgeschäfts vergibt und daher insbesondere auf die angemessene Unterlegung der eingegangenen bzw. gezeichneten Risiken mit Kapital achten muss, besteht der sachliche engste Bezug der ‚Underwriting‘-Funktion immer zur Geschäftsleitungsbetriebsstätte, weil das Unternehmen dort der (allein) maßgeblichen Versicherungsaufsicht unterliegt.

Schließlich kann eine Zuordnungsänderung dadurch induziert sein, dass eine andere Personalfunktion als die ursprüngliche maßgeblich für die Zuordnung wird (Veränderung bzw. Wechsel der Maßgeblichkeit einer Personalfunktion).3 Letzteres dürfte vor allem dann infra1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 87 (zu § 16 Abs. 1 BsGaV). 2 Siehe bestätigend auch die Sachverhaltsbeschreibung zu einem deutschen Versicherungskonzern mit irischen Tochtergesellschaften in BFH v. 13.10.2010 – I R 61/09, BStBl. II 2011, 249 = FR 2011, 389 m. Anm. Müller unter I. 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 87 (zu § 16 Abs. 1 BsGaV: „… wenn sich Personalfunktionen im Hinblick auf Vermögenswerte verändern …“ oder „…wenn eine Personalfunktion im Hinblick auf Risiken (z.B. Überwachung, Management) von einer Betriebsstätte ausgeübt wird, die nicht die maßgebliche Personalfunktion für die betreffenden Zuordnungsgegenstände (§§ 5 ff.) ist.“

256

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.194 Kap. 4

ge kommen, wenn das Geschäftsmodell des Einheitsunternehmens an Marktveränderungen angepasst wird und sich damit die Bedeutung von Personalfunktionen verändert. Beispiel zu § 5 BsGaV: Wird bspw. eine Produktionsbetriebsstätte abgewickelt und der Maschinenpark veräußert, so ist denkbar, dass der Maschinenpark vor Veräußerung einer anderen Betriebsstätte zugeordnet wird, weil aus dieser anderen, z.B. der Geschäftsleitungsbetriebsstätte, die Veräußerung des Maschinenparks betrieben wird (Veräußerung als neue maßgebliche Personalfunktion). Dies geschieht deshalb, weil durch die dort vorhandene Erfahrung im Verkauf der Maschinen ein höherer Verkaufspreis erzielt werden kann. Diese Zuordnungsänderung kann der Verkauf der Maschinen zum Marktpreis (Warenlieferung, Handelsgeschäft) oder die Dienstleistung der Vermittlung eines Käufers im eigenen Namen der Geschäftsleistungsbetriebsstätte (Kommissionsgeschäft) oder im Namen der Produktionsbetriebsstätte (offene Vermittlung) sein.

Gleiches gilt für die Zuordnung von (wiederkehrenden) Geschäftsvorfällen i.S.d. § 9 BsGaV. Beispiel zu § 9 BsGaV: Das Personal einer Bau- und Montagebetriebsstätte ist erfolgreich in der Anwerbung eines global agierenden Lebensmittelkonzerns und dem anschließenden Abschluss eines Vertrages über die Errichtung einer Produktionsanlage im Belegenheitsstaat der Bau- und Montagebetriebsstätte. Der Lebensmittelkonzern legt nach Schwierigkeiten in der sechsmonatigen Anlaufphase des Projektes Wert darauf, dass das übrige Unternehmen die vertraglich vereinbarte Leistungserbringung durch Abgabe einer Garantieerklärung oder auf andere Weise sicherstellt. Mit dem Übergang der Verpflichtung zur Erfüllung auf das übrige Unternehmen geht die zunehmende bis ausschließliche Verwaltung und insbesondere Risikosteuerung des Projektes durch Personal der Geschäftsleitungsbetriebsstätte einher. Eine solche Zuordnungsänderung kann entweder durch Vereinbarung eines „Back-to-back Arrangements“, mittels dessen das übrige Unternehmen im Innenverhältnis in sämtliche Leistungsverpflichtungen der Bau- und Montagbetriebsstätte eintritt, oder – bei geringerem Leistungsumfang – durch Belastung einer angemessenen Garantiegebühr an die Bauund Montagebetriebsstätte abgebildet werden.

Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG durch Änderung der Zuordnung nach Maßgabe der §§ 18–38 BsGaV. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BsGaV sieht die Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung nur dann als verfüllt an, wenn wirtschaftliche Vorgänge eine Änderung der Zuordnung nach den §§ 5 bis 11 BsGaV notwendig machen. Zuordnungsänderungen können jedoch auch durch folgende Vorschriften induziert sein: §§ 19, 20, 21, 22, 24, 25, 26, 27, 29, 31, 32, 33, 36, 37 und 39 BsGaV. Es liegt nahe, den § 16 Abs. 1 BsGaV so auszulegen, dass auch Zuordnungsänderungen auf Grund der Anwendung der im vorstehenden Satz genannten Vorschriften das Vorliegen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung begründen, zumal viele der einer solchen Zuordnungsänderung zugrunde liegenden wirtschaftlichen Vorgänge zwischen unabhängigen Unternehmen ohnehin eine Regelung durch eine schuldrechtliche Vereinbarung oder die Geltendmachung von Rechtspositionen gegenüber dem anderen Unternehmensteil auslösen und somit von Nr. 2 der Vorschrift erfasst würden.

4.193

Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG durch Regelung in schuldrechtlichen Vereinbarungen. Durch die Anwendung der Zuordnungsregeln der §§ 4 bis 11 und der §§ 18 bis 38 BsGaV kann es dazu kommen, dass die einzelnen Bilanzpositionen des Einheitsunternehmens Betriebsstätten zugeordnet sind, die nicht alle Funktionen mit Bezug auf diese Bilanzpositionen ausüben und daher Leistungen von anderen Betriebsteilen bzw. Betriebsstätten empfangen. In diesen Fällen des Zusammenwirkens mehrerer Personalfunktionen aus mehreren Betriebsstätten ist die Leistungserbringung der leistenden Betriebsstätten an die leistungsempfangenden Betriebsstätten in Form von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen abzubilden. Beispiele dafür finden sich in § 2 Abs. 5 Satz 2, § 17 Abs. 2,

4.194

Andresen 257

Kap. 4 Rz. 4.195

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

§ 19 Abs. 5, § 22 Abs. 3, § 24 Abs. 7, § 32, § 33 und § 37 BsGaV. Die BsGaV hat für die in diesem Sinne leistenden Personalfunktionen den Begriff der Personalfunktion mit unterstützendem Charakter geprägt. Ein denkbarer Maßstab für das Verhalten von unabhängigen Unternehmen kann dabei die Figur des ordentlichen gewissenhaften Geschäftsleiters sein, wobei dessen Wirkung im Abkommenskontext auf Grund der Sperrwirkung des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA lediglich für die Annahme anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen heranzuziehen ist, jedoch keine Einkünftekorrektur erlaubt, wenn das Entgelt selbst gleichzeitig dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.

4.195 Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG durch Geltendmachung von Rechtspositionen. Die Überlegungen in Rz. 4.194 sind auch auf die Geltendmachung von Rechtspositionen übertragbar. Beispielhaft sei hier der ordentliche gewissenhafte Geschäftsleiter eines Handelsvertreters i.S.d. § 84 Abs. 1 HGB erwähnt, dessen Vertragsverhältnis mit dem Unternehmer beendet wird und der nach § 89b Abs. 1 HGB einen angemessenen Ausgleich für die von ihm mit neuen Kunden geschaffenen oder mit bestehenden Kunden wesentlich erweiterten Geschäftsverbindungen verlangen kann. Tut er dies nicht, kann in dem Verzicht auf diesen rechtlichen Anspruch die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung einer Einkünftekorrektur nach Maßgabe des § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AStG gesehen werden.

4.196 Bestimmung der Art der Geschäftsbeziehung. Der Gesetzesbegründung für § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG ist kein Hinweis zu entnehmen,1 welche Art von Geschäftsbeziehungen dem Gesetzgeber vorgeschwebt haben, die zwischen Betriebsstätte und übrigem Unternehmen festgestellt werden sollen. Nach ihr „können […] grundsätzlich schuldrechtliche Beziehungen jeder Art unterstellt werden.“2 Die gewählte Formulierung lässt auf ein weites Begriffsverständnis schließen, so dass neben Lieferungen und Überführungen von Gütern und Waren, der Übertragung von Unternehmensanteilen, der Überlassung von materiellen und immateriellen Vermögensgegenständen jeder Art, der Pacht, der Arbeitnehmerüberlassung, der Funktionsverlagerung grundsätzlich auch Finanzierungsleistungen (s. jedoch Rz. 4.200 f. zu § 16 Abs. 3 BsGaV) sowie jede zwischen unabhängigen Unternehmen denkbare Dienstleistung als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung in Frage kommen. Die Gesetzesbegründung für § 16 BsGaV weist exemplarisch auf folgende Vorgänge hin, die u.a. „zu einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung führen: 1. Eine Betriebsstätte übt unterstützende Personalfunktionen für Vermögenswerte oder Risiken aus, die einer anderen Betriebsstätte zuzuordnen sind, oder sie übt sonstige unterstützende Personalfunktionen aus (‚Dienstleistung‘). 2. Ein Vermögenswert, der einer Betriebsstätte zugeordnet ist, wird durch eine andere Betriebsstätte genutzt (‚Nutzungsüberlassung‘). 3. Ein Vermögenswert, der einer Betriebsstätte zugeordnet war, ist infolge einer tatsächlichen Veränderung der Personalfunktionen einer anderen Betriebsstätte zuzuordnen (‚Veräußerung‘, ‚Übertragung‘). 4. Warenbestände des Umlaufsvermögens, die einer Betriebsstätte zuzuordnen waren, werden in eine andere Betriebsstätte überführt und sind ihr wegen der Überführung zuzuordnen (‚Veräußerung‘).“3

1 Vgl. BT-Drucks. 17/13033, 86 (zu § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG). 2 BT-Drucks. 17/13033, 86 (zu § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG). 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 88 (zu § 16 Abs. 1 BsGaV).

258

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.197 Kap. 4

Risikoübernahme als zulässige Art der Geschäftsbeziehung.1 Der zweite wesentliche Aspekt bzw. die zweite wesentliche Neuerung des AOA ist die steuerliche Anerkennung von sog. „Dealings“ zwischen Betriebsstätten. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass es bei einer stärkeren Abgrenzung zwischen den einzelnen Teilen eines Einheitsunternehmens Leistungsbeziehungen zwischen diesen Unternehmensteilen mit steuerlicher Wirkung geben muss.2 Mit Wirkung ist hierbei eine Auswirkung auf das zu versteuernde Einkommen der jeweils betroffenen Betriebsstätten gemeint. Die Notwendigkeit zur Anerkennung von Leistungsbeziehungen ist insbesondere im Bereich der Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und Versicherungen geboten, weil gerade in diesen Industriesektoren durch die Zuordnungsregeln des AOA Wirtschaftsgüter in der Praxis fast ausnahmslos einem Unternehmensteil zugeordnet werden, während Personen in anderen Unternehmensteilen Leistungen im Entstehungsprozess dieser Wirtschaftsgüter erbracht haben oder fortlaufend Leistungen mit Bezug auf diese Wirtschaftsgüter an den anderen Unternehmensteil erbringen. Dieser Umstand verlangt nach einer Regelung, die für eine zutreffende Einkünfteabgrenzung sorgt. Die OECD sieht diese Notwendigkeit auch mit Bezug auf die Übertragung bzw. den Transfer von Risiken, wie der folgende Satz beweist: „The functional and factual analysis will initially attribute to the PE any risks inherent in, or created by, the PE’s own significant people functions relevant to the assumption of risks and take into account any subsequent dealings or transactions related to the subsequent transfer of risks or to the transfer of the management of those risks to different parts of the enterprise or to other enterprises. [Hervorhebungen durch Verfasser]“3 Diese Formulierung ist deshalb bedeutsam für die weitere Analyse des Themas, weil sie zwei Facetten des Risikotransfers anspricht, die der inländische Gesetzgeber nach Ansicht des Verfassers mangels ausreichenden Verständnisses der englischen Sprache miteinander vermischt. Die eine Facette behandelt den Transfer von Risiken, ohne dass sich die Personen in der Personalfunktion/der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion im Einheitsunternehmen geografisch, d.h. in eine andere (Bank-)Betriebsstätte, verändern, die das transferierte oder zu transferierende Risiko managt („transfer of risks“). Die andere Facette behandelt den Transfer von Risiken, bei dem auch die Personen/Personalfunktionen sich im Einheitsunternehmen geografisch verändern, die das transferierte oder zu transferierende Risiko managen („transfer of the management of those risks“). Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil in Deutschland die landläufige Auffassung vorherrscht, dass Risiken im Innenverhältnis zwischen Betriebsstätten nur dann übertragen werden dürfen, wenn sich das zuerst zuständige Personal geografisch in die (Bank-)Betriebsstätte verändert, in der in Zukunft, d.h. nach dem Transfer, die Risiken des transferierten Darlehensportfolios gemanagt werden. Dies ist ausweislich des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 jedoch nicht so. Der vorliegende Irrtum beruht auf der unzutreffenden Übersetzung des Wortes „transfer“ im OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Tz. 173 durch den inländischen Gesetzgeber. Dort heißt es: „Following the authorised OECD approach, any such transfer of risk would have to be accompanied by a transfer of the risk management function.“4

1 Die Formulierungen zu dieser Rz. entstammen im Wesentlichen einem Beitrag des Verfassers in der Zeitschrift Recht der Finanzinstrumente: Andresen, Steuerrechtliche Anforderungen an einen Risikotransfer als Dealing zwischen Betriebsstätten unter dem Authorised OECD Approach, RdF 2015, 303 ff. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 21. 3 OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I, Tz. 21. 4 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Tz. 173 vorletzter Satz, 100.

Andresen 259

4.197

Kap. 4 Rz. 4.197

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Gemeint ist hier jedoch mitnichten eine „Übertragung“ der Risikomanagementfunktion im Sinne einer geografischen Veränderung der handelnden Personen in eine andere Betriebsstätte (1. Übersetzungsmöglichkeit des Wortes „transfer“), sondern ein „Überwechseln“ der Verantwortung für das zu managende Risiko, z.B. Kreditrisiko, auf eine andere RisikomanagementAbteilung in einer anderen (Bank-)Betriebsstätte, in der diese Risikomanagementfunktion durch dort beschäftigtes Personal ebenfalls und in gleicher Qualität – was Ausbildung und Erfahrung der zuständigen Mitarbeiter anbetrifft – ausgeübt wird (2. Übersetzungsmöglichkeit des Wortes „transfer“). Dass die 2. Übersetzungsmöglichkeit die zutreffende ist, wird durch den folgenden Satz im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 belegt: „Where another part of the enterprise carries out the risk management function related to those assets, there would be a potential dealing to take into account.“1

Dieser Satz beschreibt exakt das zweite Szenario, das in der heutigen Zeit sogar recht häufig anzutreffen ist, in der große Portfolios notleidend gewordener Kreditengagements in speziellen Abteilungen gemanagt bzw. abgewickelt werden, sei es am Sitz der Spitzeneinheit (Stammhaus) oder in einer bestimmten Bankbetriebsstätte, die ein Team beschäftigt, dass sich auf die Themen „Sanierung“ und „Restrukturierung“ spezialisiert hat. Der Ort der Buchung und der Ort des Risikomanagements müssen gerade in diesen Fällen nicht übereinstimmen. Exkurs: Trennung von Vermögensgegenstand und dessen Risiken Für diese Fälle hat die OECD eine Abstufung von „Dealings“ entwickelt, für die nach dem Grad des Funktionsumfangs der vom Personal – einer anderen als der Buchungsbetriebsstätte – ausgeübten Risikomanagement-Funktion hinsichtlich der Art des „Dealings“ unterscheidet. Die erste Stufe ist die Erbringung einer Risikomanagement-Dienstleistung (OECD-Betriebsstättenbericht 2010 Teil II, Tz. 175–178), die zweite Stufe ist die Anerkennung eines „Dealings“, mit dem das inhärente Risiko auf die andere, die Risikomanagement-Betriebsstätte übertragen wird (OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II Tz. 179–183) und die dritte Stufe ist die Umbuchung des Vermögensgegenstandes in die Bilanz der anderen, der Risikomanagement-Betriebsstätte (OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Tz. 184–186). Die dritte Stufe ist bedauerlicherweise der einzige Sachverhalt dieses Teils des OECD-Betriebsstättenberichts 2010, der in Gestalt des § 19 Abs. 4 BsGaV eine Abbildung im deutschen Recht gefunden hat (Zuordnungsänderung des Vermögensgegenstandes). Ein mangelndes Verständnis der Kreditindustrie ist dem Gesetzgeber auch hinsichtlich der Begründung des § 19 Abs. 2 Satz 4 BsGaV zu attestieren, wobei es dort zunächst um die Erstzuordnung der Vermögensgegenstände aus Bankgeschäften geht, gleichzusetzen mit der „creation of a financial asset“ im OECD-Betriebsstättenbericht 2010. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Satz 4 stellt klar, dass die Ausübung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion über die Zuordnung sowohl der Vermögenswerte als auch der Chancen und Risiken entscheidet […]. Dies stellt sicher, dass eine Trennung des zugrunde liegenden Bankgeschäfts von den dazugehörigen Vermögenswerten sowie von den Chancen und Risiken vermieden wird.“2 Dabei geht es in der Kreditindustrie gar nicht um die Trennung des Bankgeschäftes auf der einen Seite von der Summe der Vermögenswerte und den ihnen innewohnenden Chancen und Risiken auf der anderen Seite. Die Verwahrung von Wertpapieren ist eine Art von Bankgeschäft, das Eingehen von Risiken aus Wertpapiergeschäften – auch ohne selbst notwendigerweise Eigentümer zu sein – ist eine andere Art von Bankgeschäft. Das Übersehen dieser sowohl rechtlich als auch in der Unternehmenspraxis weltweit vorhandenen Trennung von Vermögensgegenständen und Risiken und – daraus 1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Tz. 173 letzter Satz, 100. 2 BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 95 (zu § 19 Abs. 2 Satz 4 BsGaV).

260

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.197 Kap. 4

folgend – das Fehlen von klaren Regeln für diese Trennung und die sich vollziehenden Leistungsbeziehungen zwischen den Parteien ist für den Rechtsanwender unglücklich. Unzutreffend ist insoweit auch der folgende Satz aus der Gesetzesbegründung zu § 19 Abs. 1 Satz 1 BsGaV, soweit er die Unmöglichkeit der Trennung von Wirtschaftsgut und Risiko zum Ausdruck bringen sollte: „Nach Auffassung der OECD erfordert die Zuordnung eines Vermögenswerts im Bankenbereich (ebenso wie für Versicherungen) in jedem Fall – anders als für andere Betriebsstätten (s. § 10 Abs. 1 und 2) – die Zuordnung sämtlicher mit dem Vermögenswert zusammenhängender Chancen und Risiken […].“1

Weshalb es zu diesem sprachlichen Irrtum bzgl. der Bedeutung des Wortes „transfer“ gekommen ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Die Vermutung des Verfassers geht dahin, dass zu der Zeit, in der die OECD-Betriebsstättenberichte abgeschlossen worden sind, in Deutschland das Thema „Funktionsverlagerung“ im Fokus des Gesetzgebers stand. Dort ging es um die Verlagerung von Funktionen ggf. auch unter Verlagerung von Personal. Es mag sein, dass es da zu einer Vermengung unterschiedlicher Themen gekommen ist, die zu einem in der Fachöffentlichkeit so wahrgenommenen, unzutreffenden Verständnis bzgl. der Anforderungen an einen Risikotransfer geführt hat. Dieses Verständnis so zu korrigieren, dass auch inländische Betriebsstätten an Risikotransfers als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung rechtssicher teilnehmen können, sollte möglich sein, da weder Gesetz (§ 1 Abs. 4 und 5 AStG) noch Verordnung (BsGaV) einen Risikotransfer zwischen den Betriebsstätten eines Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstituts für die Phase des „on-going managements of a financial asset“ in der Terminologie des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 explizit ausschließen. Daran ändert auch nichts, dass nach den Formulierungen in der BsGaV und deren Gesetzesbegründung nur der Vermögenswert selbst2 (sinnvoller: Vermögensgegenstand oder Wirtschaftsgut)3 anders zugeordnet werden kann. Mit anderen Worten: Es wird vom Gesetzgeber in der BsGaV und deren Begründung lediglich die Frage behandelt, unter welchen Voraussetzungen der einer Betriebsstätte für steuerliche Zwecke – sei es in der abgeleiteten Steuerbilanz der jeweiligen Betriebsstätte oder in deren Hilfs- und Nebenrechnung – zugeordnete Vermögensgegenstand einer anderen Betriebsstätte zuzuordnen und dann auch buchhalterisch zu erfassen ist, z.B. in der Steuerbilanz dieser anderen Betriebsstätte oder in der Hilfsund Nebenrechnung für diese andere Betriebsstätte. Die BsGaV regelt insoweit lediglich den Fall (oben „dritte Stufe“ genannt), dass der Vermögensgegenstand nach Maßgabe des § 19 Abs. 4 BsGaV einer anderen Betriebsstätte zuzuordnen, d.h. in deren Teilbilanz umzubuchen, ist. Letztlich muss es auch deshalb möglich sein, die Risiken, die einem Vermögensgegenstand innewohnen, ungeachtet des Buchungsortes in die Betriebsstätte zu transferieren, in der diese gemanagt werden, weil sonst die Erträge und Aufwendungen aus diesem Vermögensgegenstand ganz oder teilweise der falschen Betriebsstätte zugeordnet wären, was zu einer nicht dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechenden Einkünfteabgrenzung und Besteuerung führt. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass der Buchungsort eines Finanzaktivums für steuerliche Gewinnabgrenzungszwecke gänzlich unerheblich ist – abgesehen von etwaigen 1 BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 95 (zu § 19 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). 2 BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 95. 3 Dem Versuch des Gesetzgebers, durch die Verwendung des Ausdrucks „Vermögenswert“ zu suggerieren, dass bei der Zuordnung von Vermögensgegenständen oder – steuerlich – Wirtschaftsgütern stille Reserven zu heben und der Besteuerung zuzuführen sind, ist eine klare Absage zu erteilen, da es hier letztlich nur um die Zuordnung aller in einer Bilanz bereits erfassten Vermögensgegenstände bzw. Wirtschaftsgüter gehen kann.

Andresen 261

Kap. 4 Rz. 4.197

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Quellensteuer-Folgewirkungen –, solange der Leistungsbeitrag jeder einzelnen der an der Wertschöpfung beteiligten Betriebsstätten durch eine dem Fremdvergleichsgrundsatz genügende Ertrags- und Aufwandszurechnung (einschließlich Abschreibungen oder anderen wertverändernden Buchungen) angemessen ausgewiesen ist und somit die Einkünfte i.S.d. §§ 49 bzw. 34d EStG zutreffend ermittelt bzw. abgrenzt worden sind. Im Ergebnis geht es daher gar nicht so sehr um die Anerkennung von Leistungsbeziehungen im Innenverhältnis, sondern um die Nutzbarmachung solcher Leistungsbeziehungen und den dazu bestehenden Überlegungen zu ähnlichen Beziehungen zwischen eigenständigen rechtlichen Einheiten und daher gewissermaßen als Katalysator, damit die Erträge und Aufwendungen aus dem Außenverhältnis des Einheitsunternehmens angemessen zwischen den Betriebsstätten aufgeteilt werden können. Daher stellt sich im ersten Schritt die Frage, welche Anforderungen der Gesetzgeber allgemein an die Existenz bzw. Anerkennung von „Dealings“ und anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen richtet. In diesem Kontext ist es wichtig zu verstehen, dass die Verselbständigung einer Betriebsstätte für steuerliche Zwecke für diese Betriebsstätte kein anderes Rating („credit rating“) zur Folge haben kann als das Rating des Einheitsunternehmens als Ganzes.1 Man ist gewissermaßen eine Schicksalsgemeinschaft bei der Aufnahme von Fremdkapital, wodurch primär die Passivseite der Bilanz angesprochen ist. Dies ist jedoch nicht zu verwechseln mit der Tatsache, dass sich das Eingehen von Risiken durch das Einheitsunternehmen durch Personen in verschiedenen Unternehmensteilen vollzieht und sich die Einschätzung und das Management dieser Risiken durch Personen im Zeitablauf ändern können, und zwar ohne dass sich die jeweiligen Personen geografisch verändern. Die Fähigkeit, Risiken einzugehen und zu managen, sei es durch Erfahrung und/ oder Kompetenz ist in Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Versicherungen ubiquitär. Dies betrifft in vielen Fällen primär die Aktivseite der Bilanz und ist daher von dem im vorigen Absatz erwähnten Aspekt zu unterscheiden. Ein weiterer Aspekt dieser Verselbständigung ist das Verbot der Abgabe einer Bürgschaftsoder Patronatserklärung des Einheitsunternehmens für einzelne Betriebsstätten. Diese Aussage ist trivial, weil von einer solchen Erklärung ceteris paribus keine zinsmindernde Wirkung für die Betriebsstätte bei der eigenständigen Aufnahme von Fremdkapital ausgeht, da das Rating aller Unternehmensteile dasselbe ist. Danach bleibt festzuhalten, dass ein Risikotransfer nach OECD-Kriterien anzuerkennen ist, wenn das Risiko durch die beabsichtigte Übertragung in die Betriebsstätte transferiert wird, in der das durch Ausbildung oder Erfahrung entsprechend qualifizierte Personal tatsächlich die zu übernehmenden Risiken managt, indem es bspw. die Entscheidung über An- und Verkauf oder über die Besicherung von risikobehafteten Wertpapieren vorbereitet und trifft. Dabei ist es unbeachtlich, ob in der Betriebsstätte, in der der Vermögensgegenstand und das Risiko ursprünglich erfasst gewesen sind, weiterhin Personal beschäftigt ist, dass auf Grund seiner eigenen Ausbildung und/oder Erfahrung dieses Risiko auch weiterhin managen kann.2 Das AmtshilfeRLUmsG führt den Begriff der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, mit dem Ziel in das AStG ein, auch wirtschaftliche Vorgänge zwischen Betriebsstätten als Geschäftsbeziehungen zu definieren, auf die § 1 Abs. 1, 3 und 5 AStG mit der möglichen Folge einer außerbilanziellen positi1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 33, 19. 2 Insoweit liegt hier ein Unterschied zu den restriktiven Voraussetzungen des § 19 Abs. 4 BsGaV, in dem es um die Umbuchung des Vermögensgegenstandes selbst in eine andere Betriebsstätte geht und nicht nur um die Weitergabe einzelner oder aller ihm innewohnenden Risiken.

262

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.198 Kap. 4

ven Einkünftekorrektur Anwendung finden sollen. Diese sind – ausweislich des Wortlautes des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG – „Geschäftsvorfälle zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte“. Orientiert man sich bei der Auslegung dieses Definiens an handelsrechtlichen Begriffen, kommt man unweigerlich zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Definiendum, den anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen, um ein definitorisches Nullum handelt. Der Begriff des „Geschäftsvorfalls“ ist definiert als jedes Ereignis, das eine Veränderung des kaufmännischen Bruttovermögens in Höhe und/oder in Struktur bewirkt.1 „Geschäftsvorfälle“ zwischen einem Unternehmen und dessen Betriebsstätte tun jedoch genau das nicht. Sie führen handelsrechtlich nicht zu einer Veränderung des kaufmännischen Bruttovermögens in Höhe oder Struktur. Die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG lässt den Steuerpflichtigen ebenfalls darüber im Unklaren, wann er von der Existenz einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung auszugehen hat. Dort steht lediglich, dass „wirtschaftliche Vorgänge“ zwischen Unternehmen und Betriebsstätte als „Geschäftsbeziehungen“ anzusehen sein sollen. Unter welchen Umständen oder Voraussetzungen dies der Fall ist, erfährt der Rechtsanwender nicht. Die unzutreffende Behauptung im 3. Satz des 3. Absatzes der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG ändert an diesem Zustand nichts. Dort heißt es: „Vorgänge zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte werden gesetzlich als ‚anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen‘ definiert (international wird von dealings gesprochen – OECD).“

In Ermangelung einer Definition im nationalen Recht einschließlich Begründung kann angesichts des expliziten Verweises in der obigen Gesetzesbegründung auf den Begriff des „Dealings“ und die OECD nach Ansicht des Verfasser für Zwecke der Auslegung des Begriffs der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung auf die Voraussetzungen zurückgegriffen werden, die die OECD in ihrem Betriebsstättenbericht 2010 formuliert hat. Entsprechend sind Risikotransfers als anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG anzuerkennen, wenn sie die oben aufgeführten Voraussetzungen erfüllen. Festlegung der Verrechnungspreise für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (§ 16 Abs. 2 BsGaV). In den Fällen des Zusammenwirkens mehrerer Personalfunktionen aus mehreren Betriebsstätten ist die Leistungserbringung der leistenden Betriebsstätten an die leistungsempfangenden Betriebsstätten in Gestalt von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen abzubilden. Für diese anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen verlangen Gesetz (§ 1 Abs. 5 Satz 4 AStG) und Verordnung (§ 16 Abs. 2 BsGaV) den Ansatz von Verrechnungspreisen. Gemäß Verordnung sollen diese dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen, also das Entgelt widerspiegeln, das mit oder zwischen fremden Dritten unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen vereinbart worden ist oder worden wäre. In Höhe dieses Entgelts entstehen nach dem Willen des Verordnungs-Gesetzgebers fiktive Betriebseinnahmen und -ausgaben in dem leistenden und dem empfanden Unternehmensteil (Betriebsstätte). Diese fiktiven Einnahmen und Ausgaben sind bei fehlender handels- und steuerrechtlicher Rechnungslegung (Steuerbilanz und -GuV) in einer bzw. der Hilfs- und Nebenrechnung zu erfassen und erhöhen oder vermindern die Einkünfte der in- oder ausländischen Betriebsstätte. Fehlt es an einem solchen Entgelt oder ist dieses unangemessen, ist die Korrektur des Entgelts eröffnet (s. dazu Rz. 4.210 ff.). Wie bei unabhängigen Unternehmen sind Leistungsverrechnungen mit und ohne Gewinnkomponente denkbar.

1 Vgl. Winkeljohann/Henckel in BeckBilanzkomm10, § 238 HGB Rz. 95.

Andresen 263

4.198

Kap. 4 Rz. 4.199

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.199 Keine Verrechnung von Gesellschafteraufwand (shareholder expenses). Ein Sonderfall der Verrechnung von Leistungen ist die Verrechnung von sog. Gesellschafteraufwand, d.h. Aufwand für Leistungen, die primär oder ausschließlich dem Gesellschafter einen Nutzen stiften. Unter dem Veranlassungsprinzip sind diese Aufwendungen auch gegenüber einer Betriebsstätte verrechenbar gewesen,1 weil Betriebsstätte(n) und übriges Unternehmen insoweit eine Gemeinschaft gebildet haben. Der AOA löst diese Gemeinschaft der eingeschränkten Selbständigkeitsfiktion zugunsten einer deutlich stärkeren Verselbständigung der Betriebsstätte auf. In diesem Kontext soll die Betriebsstätte wie ein unabhängiges Unternehmen behandelt werden. Bei Anwendung dieses Maßstabs ist der Gesellschafteraufwand in Zukunft von der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zu tragen und kann nicht mehr mit steuerlicher Wirkung mit den Betriebsstätten geteilt werden, wenn diese in ihren Staaten ebenfalls einer Einkünfteabgrenzung nach Maßgabe des AOA unterliegen. Eine doppelte Berücksichtigung des Gesellschafteraufwands im Verhältnis zu DBA-Staaten ohne AOA dürfte mangels Doppelbesteuerung auch nicht über die Öffnungsklausel in § 1 Abs. 5 Satz 7 AStG zurückgedreht werden können.

4.200 Keine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung bei Innenfinanzierung (§ 16 Abs. 3 BsGaV). § 16 Abs. 3 BsGaV enthält für die Nutzung von finanziellen Mitteln des übrigen Unternehmens durch eine Betriebsstätte eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass wirtschaftliche Vorgänge, die voneinander unabhängige Unternehmen durch schuldrechtliche Vereinbarungen regeln würden, als anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen einer Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen behandelt werden sollen. Die Zurverfügungstellung oder Überlassung von Geld, z.B. im Darlehenswege, ist ein wirtschaftlicher Vorgang, der nach § 16 Abs. 1 BsGaV als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anzusehen wäre. Dies soll für die Nutzung finanzieller Mittel zwischen Betriebsstätte und übrigem Unternehmen jedoch grundsätzlich nicht gelten. Mit der Bezeichnung „Nutzung finanzieller Mittel“ dürften in erster Linie Darlehensverhältnisse gemeint sein. Aber auch andere Formen der Überlassung von Geld sind als Nutzung finanzieller Mittel anzusehen. Der Grund für diese restriktive Sichtweise ist der, dass das Eigenkapital und die übrigen Passiva des Gesamtunternehmens bereits über die §§ 12 und 14 BsGaV im Wege einer Aufteilung zugeordnet worden sind.2 Durch das Anerkennen von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen würde der Grundsatz durchbrochen, dass das Eigenkapital und das Fremdkapital einschließlich der übrigen Passivposten, die das Gesamtunternehmen im Außenverhältnis aufgenommen bzw. durch eingegangene Verpflichtungen bilanziell geschaffen hat, im Wege einer Aufteilung zwischen Betriebsstätte(n) und übrigem Unternehmen zugeordnet werden (Poolgedanke). Durch diese Aufteilung entsteht grundsätzlich eine ausgeglichene Bilanz, ggf. allerdings erst durch die gesetzlich verordneten Korrekturen in § 14 Abs. 3 BsGaV. Ein nachträgliches Eingreifen trüge nach Ansicht des Gesetzgebers „zu einer erheblichen Verkomplizierung der Besteuerung“3 bei, zumal außerdem die vom Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung als primäre Motivation der Steuerpflichtigen unterstellten Effekte aus Zinsunterschieden wegen des einheitlichen Kreditratings nicht zum Tragen kommen können. Dem Grundsatz der Finanzierungsfreiheit auch bei gleichen Zinssätzen wird hier nicht ausreichend Rechnung getragen. Ein Verbot für Darlehen im Innenverhältnis erscheint übertrieben.

4.201 Rückausnahme in § 16 Abs. 3 BsGaV. Wohl angesichts dieser Kritik schon zur Entwurfsfassung der BsGaV hat der Verordnungs-Gesetzgeber eine Rückausnahme für Fälle zugelassen,

1 Vgl. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140 = FR 1988, 678. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 89 (zu § 16 Abs. 3 Satz 1 BsGaV). 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 89 (zu § 16 Abs. 3 Satz 1 BsGaV).

264

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.202 Kap. 4

in denen entweder (1) § 17 BsGaV anzuwenden ist (Finanzierung der bzw. Dienstleistungsverrechnung an die Betriebsstätte) oder (2) finanzielle Mittel auf Grund der Geschäftstätigkeit einer Betriebsstätte im laufenden Jahr entstehen, die nachweislich im übrigen Unternehmen genutzt werden (Finanzierung des übrigen Unternehmens). Faktisch erlaubt der VerordnungsGesetzgeber damit lediglich die Überlassung von in der Betriebsstätte erwirtschafteten Finanzmitteln an das übrige Unternehmen, während umgekehrt die Finanzierungsfunktion lediglich eine Dienstleistung erbringt, also letztlich keine anzunehmende schuldrechtliche Finanzierungsbeziehung geschaffen wird. In beiden Fällen endet eine solche zulässige anzunehmende schuldrechtliche Finanzierungsbeziehung gem. § 16 Abs. 3 Satz 3 BsGaV spätestens mit dem Ende des laufenden Wirtschaftsjahres oder mit einer Anpassung des Dotationskapitals. Diese Vorgehensweise der jährlichen Beendigung zwischenzeitlich tolerierter Finanzierungsbeziehungen ist vom Gesetzgeber konsequent, weil es die Einkünfteermittlung wieder auf das in den §§ 12 bis 14 BsGaV geregelte Aufteilungsmodell zurückführt und auf diese Weise zu ausgeglichenen Bilanzen führt.1 Dass der vom deutschen Gesetzgeber gewählte Aufteilungsansatz eigentlich im Widerspruch zur Idee des AOA steht, die Betriebsstätte zu verselbständigen und ihre Beziehungen zum übrigen Unternehmen zu analysieren, zu kategorisieren und angemessen zu bepreisen, sei hier nur am Rande erwähnt. Es erscheint jedoch nicht zwingend, insoweit in den Regelungen der BsGaV einen Verstoß gegen die Ermächtigung durch § 1 Abs. 6 AStG zu sehen. b) Gewinnabgrenzung für die Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens (§ 17 BsGaV) Begriff der Finanzierungsfunktion (§ 17 Abs. 1 BsGaV). In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird die Finanzierung meist als Aufbringung von finanziellen Mitteln oder die Beschaffung von Kapital definiert.2 Im weitesten Sinne ist davon die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die Durchführung der betrieblichen Leistungserstellung und -verwertung genauso erfasst wie die Vornahme finanztechnischer Vorgänge für die Gründung, Kapitalerhöhung, Fusion, Abspaltung, Umwandlung, Sanierung und die Liquidation, aber auch die Absicherung von Risiken im betrieblichen und Finanzbereich des Unternehmens. Insoweit hat sich die Finanzierungsfunktion sowohl mit dem Kapitalbereich des Unternehmens (Passivseite) als auch mit dem Zahlungsbereich des Unternehmens (Aktivseite) zu befassen. Der Definitionsansatz in § 17 Abs. 1 BsGaV greift mit der beispielhaften Nennung („umfasst“) der Liquiditätssteuerung, die von einer Betriebsstätte für eine oder mehrere andere Betriebsstätten durchgeführt wird, lediglich einen der beiden Aspekte auf. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nur die Liquiditätssteuerungs-Aktivitäten dieser Betriebsstätte, z.B. die Mittelbeschaffung, die Mittelzuweisung und die externe Anlage von Liquiditätsüberhängen, von der Regelung des § 17 BsGaV erfasst sind, sondern wohl sämtliche Mitarbeiter der Finanzierungsfunktion und ihre Tätigkeiten. Dies gilt auch dann, wenn ungeachtet des Wortlauts des § 17 Abs. 1 Satz 1 BsGaV die Liquiditätssteuerung neben den anderen Betriebsstätten auch für andere Unternehmen der Unternehmensgruppe ausgeübt wird, z.B. Tochtergesellschaft, Schwestergesellschaften, Muttergesellschaften. Dann wären diese anderen Unternehmen in die Verrechnung der Leistungen der Finanzierungsfunktion nach Maßgabe der § 17 Abs. 2 bis 7 BsGaV einzubeziehen.

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 90 (zu § 16 Abs. 3 Satz 3 BsGaV). 2 Vgl. Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre26, 466; Thommen/Achleitner, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre2, 407 ff.

Andresen 265

4.202

Kap. 4 Rz. 4.203

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.203 Vorrang der Spezialregelung des § 17 BsGaV ggü. §§ 1–16 BsGaV. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 17 Abs. 1 Satz 1 BsGaV1 ist § 17 BsGaV eine Spezialregelung, die anderen Regelungen des Abschnitts 1 vorgeht. Mit anderen Worten wird die Wirkungsweise insbesondere der Zuordnungsregelungen in den §§ 4 bis 11 BsGaV und der Regelungen zur Bestimmung des Dotationskapitals, der Passivposten und Finanzierungsaufwendungen in den §§ 12 bis 15 BsGaV durch § 17 BsGaV entweder eingeschränkt oder vollständig geändert. Beispiel: Denkbar wäre etwa, dass ein Unternehmen den Erwerb von Wertpapieren der Betriebsstätte zugeordnet hat, in der die Finanzierungsfunktion ausgeübt wird. Durch § 17 Abs. 4 BsGaV wäre ggf. eine andere Zuordnung geboten, wenn und soweit der Erwerb aus der Anlage überschüssiger Liquidität finanziert gewesen ist.

4.204 Fiktion der Finanzierungsdienstleistung in § 17 Abs. 2 BsGaV. § 17 Abs. 2 BsGaV fingiert für steuerliche Zwecke, dass die Ausübung der Finanzierungsfunktion in einer Betriebsstätte eine Dienstleistung an eine oder mehrere andere Betriebsstätten des Unternehmens ist und legt fest, dass diese Leistungserbringung unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode oder der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode wohl im Wege der direkten Leistungsverrechnung (in Abgrenzung zur indirekten Leistungsverrechnung oder gar Umlage) zu vergüten ist. Dabei soll die Kostenbasis keine Finanzierungsaufwendungen oder -erträge enthalten. Diese Fiktion wird mit der Begründung vorgenommen, dass die Annahme einer Darlehensbeziehung im Innenverhältnis die Bestimmung des Dotationskapitals verkompliziere.2 Da sich bei angenommener Darlehensbeziehung und Verrechnung des Aufwands der Tätigkeiten der Mitarbeiter der Finanzierungsfunktion über eine Marge auf den im Außenverhältnis vereinbarten fremdüblichen Zins dasselbe Ergebnis ergeben kann wie über eine separate Dienstleistungsverrechnung, ist nicht erkennbar, weshalb dem Steuerpflichtigen hier keine Wahlfreiheit gelassen wird bzw. diese (s. Öffnungsklausel in § 17 Abs. 7 BsGaV) an erhöhte Nachweispflichten geknüpft ist. Der Gesetzesbegründung ist weiterhin zu entnehmen, dass die Aufwendungen von Fehlmaßnahmen nicht in die Kostenbasis einfließen sollen und insoweit auch die Finanzierungsfunktion einen Verlust ausweisen können soll, obwohl ihre Tätigkeit vom Gesetzgeber als Routinetätigkeit eingestuft wird.3

4.205 Indirekte Verrechnung der Aufwendungen der Finanzierungsfunktion (§ 17 Abs. 3 BsGaV). § 17 Abs. 3 BsGaV erlaubt die indirekte Verrechnung der Aufwendungen der Finanzierungsfunktion zzgl. eines angemessenen Gewinnaufschlages mittels Aufteilung auf die Leistungsempfänger, wenn eine unmittelbare Zuordnung dieser Aufwendungen auf einzelne leistungsempfangende Betriebsstätten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich wäre. Der Aufteilungsschlüssel soll dabei die Inanspruchnahme der Finanzierungsbetriebsstätte reflektieren und nicht auf die Verteilung von Finanzierungsaufwendungen und -erträgen abstellen.4

4.206 Zuordnungsverbot von Vermögenswerten zur externen Anlage von Liquiditätsüberhängen zur Finanzierungsbetriebsstätte (§ 17 Abs. 4 BsGaV). § 17 Abs. 4 BsGaV verbietet die Zuordnung von Vermögenswerten zur Finanzierungsbetriebsstätte, wenn diese die Grundlage für die externe Anlage von Liquiditätsüberhängen sind. Ist eine direkte Zuordnung zu

1 2 3 4

Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 90 (zu § 17 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 91 (zu § 17 Abs. 2 Satz 1 BsGaV). Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 91 (zu § 17 Abs. 2 Satz 2 BsGaV). Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 92 (zu § 17 Abs. 3 BsGaV).

266

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D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.211 Kap. 4

den anderen Betriebsstätten nicht möglich, sieht § 17 Abs. 4 Satz 2 BsGaV eine anteilige Zuordnung nach der Herkunft der Liquiditätsüberhänge vor. Zuordnungsverbot von Passivposten zur Finanzierungsbetriebsstätte (§ 17 Abs. 5 BsGaV). Passivposten, die durch die Finanzierungsfunktion entstehen, und die damit zusammen hängenden Finanzierungsaufwendungen sind den anderen Betriebsstätten nach Maßgabe der § 15 Abs. 1 und 3 BsGaV zuzuordnen.

4.207

Verzinsungsverbot für positive Salden auf Verrechnungskonten (§ 17 Abs. 6 BsGaV). Positive Salden auf Verrechnungskosten, die durch das Wirken der Finanzierungsfunktion zwischen den Betriebsstätten entstehen, gelten nicht als Vermögenswerte i.S.d. §§ 7 oder 8 BsGaV und sind nicht zu verzinsen.

4.208

Öffnungsklausel § 17 Abs. 7 BsGaV. § 17 Abs. 7 BsGaV erlaubt ungeachtet der Abs. 1 bis 6 eine Zuordnung von Vermögenswerten zu Betriebsstätten mit der Finanzierungsfunktion, wenn wegen der wirtschaftlichen Substanz der ausgeübten Personalfunktionen in der Finanzierungsabteilung ein solche Zuordnung „sachgerecht“1 ist. Dies soll dann der Fall sein, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass voneinander unabhängige Dritte in vergleichbarer Situation die betreffenden Vermögenswerte übertragen hätten. Da insbesondere Banken regelmäßig neben dem Eigenhandel auch Wertpapiere ihrer Kunden in ihrem Namen handeln, dürfte dieser Nachweis für die Finanzierungsfunktion ggf. keine allzu hohe Hürde darstellen. An die Betriebsprüfung ist zu appellieren, diesen einfachen Nachweis anzuerkennen.

4.209

7. Einkünftekorrektur (dritter Schritt des AOA) – außerbilanzielle Wirkungsebene (Rechtsfolge) des § 1 Abs. 5 AStG a) Einkünftekorrektur nach dem AOA in § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG Einkünftekorrektur bei anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen. § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG sieht die Anwendung der Abs. 1 und 3 und auch 4 des § 1 AStG vor, wenn die Bedingungen von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dadurch entweder a) die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert werden oder b) die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden. Die Vorschrift gilt für jede Art von Betriebsstätte ungeachtet der Frage, ob neben einer Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO auch nach einem einschlägigen DBA eine Betriebsstätte besteht.2 Dieser Frage kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn der Betriebsstättenbegriff eines DBA – anders als es das FG Köln3 festgestellt hat – für die GewSt nicht gelten sollte (s. zu der dies bestätigenden BFH-Entscheidung I R 50/15 Rz. 11.443).

4.210

Vorliegen anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen. In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob entweder durch die Zuordnung von Wirtschaftsgütern oder durch die Erbringung von Leistungen oder durch Lieferungen eine Geschäftsbeziehung oder -präziser – eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung ausgelöst worden ist (Einkünftekorrektur dem Grunde nach) und ob für diese anzunehmende schuldrechtliche Beziehung ein angemessenes Verrechnungsentgelt für Zwecke der steuerlichen Einkünfteabgrenzung angesetzt worden ist (§ 1 Abs. 5 Satz 4 AStG). Eine solche anzunehmende schuldrechtliche Beziehung kann

4.211

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 94 (zu § 17 Abs. 7 BsGaV). 2 A.A. Kahle/Kindich in H/K/G/R, § 1 Abs. 5–6 AStG Rz. 112; gl.A. VWG BsGa, Rz. 22 ff. 3 Vgl. FG Köln v. 7.5.2015 – 10 K 73/13, EFG 2015, 1558 = IStR 2015, 794.

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Kap. 4 Rz. 4.212

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

die Überführung eines Wirtschaftsgutes z.B. einer Maschine sein, die bei Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen bspw. eine Entstrickungs-Entnahme auslösen kann, die mit dem gemeinen Wert anzusetzen gewesen wäre, und ggf. zusätzlich eine Verrechnungspreiskorrektur nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG. Ist dies nicht geschehen, wäre nach § 1 Abs. 4 Satz 3 EStG bzw. hilfsweise nach § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG eine außerbilanzielle Einkünftekorrektur vorzunehmen, ggf. unter Bildung eines Ausgleichspostens i.S.d. § 4g EStG (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 6 AStG).

4.212 Bedingungen entsprechen nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz. § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG sieht eine positive Einkünftekorrektur dann vor, wenn die Bedingungen, insbesondere die Verrechnungspreise, die der Steuerpflichtige bei der Aufteilung seiner Einkünfte zwischen seinem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder bei der Ermittlung der Einkünfte seiner inländischen Betriebsstätte (beschränkte Steuerpflicht) zugrunde gelegt hat, nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen. Die Verwendung der Begriffe „Bedingungen“ und „Fremdvergleichsgrundsatz“, die beide in § 1 Abs. 1 AStG ebenfalls Verwendung finden, legt neben dem Gesetzesbefehl in § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG, Stammhaus und Betriebsstätte wie unabhängige Unternehmen zu behandeln, nahe, diese Begriffe in § 1 Abs. 5 AStG so auszulegen wie in § 1 Abs. 1 ggf. unter Hinzuziehung von Abs. 3 (insbesondere bei Funktionsverlagerungen) AStG, soweit dies in Anerkenntnis der Besonderheiten des Einheitsunternehmens rechtlich möglich erscheint (s. § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG). Dadurch wird zumindest für diejenigen Arten von Geschäftsbeziehungen, die im Einheitsunternehmen denen zwischen nahestehenden Personen- oder Kapitalgesellschaften ähneln, die Anwendung der einschlägigen Rechtsprechung zu § 1 Abs. 1 und 3 AStG, zur vGA und zur verdeckten Einlage, die Anwendung der GAufzV (soweit materiell-rechtliche relevant) und FVerlV, die Anwendung der VWG 1983, die Anwendung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien und der entsprechenden Kommentarliteratur eröffnet. Zu diesen Arten von Geschäftsbeziehungen mit ihren Verrechnungspreisen zählen: Warenlieferungen (Verrechnungspreis), Dienstleistungen (Leistungsentgelt), Finanzierungsleistungen (Zins, Kommission, Provision), die Einräumung von Nutzungsrechten (Lizenzgebühr), die Personalentsendung (Kosten), Verkäufe von Unternehmensanteilen (Kaufpreis) und Funktionsverlagerungen (Entgelt), aber auch der Abschluss einer Unterbeteiligung an einem Kreditgeschäft, der Abschluss eines Geschäfts über die Übernahme von Risiken bspw. Ausfall-, Zinsänderungs- oder Währungsrisiken oder die Übernahme einer Garantie für die Eigenschaft eines übertragenen Gegenstandes oder die vertragsgemäße Erfüllung einer Leistung (nicht zu verwechseln mit einer Garantie- oder Bürgschaftserklärung gegenüber einem Dritten, die ein Anwendungsfall der Einschränkung in § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG ist). Der Steuerpflichtige hat beim Abschluss seiner Geschäfte zunächst unternehmerische Dispositionsfreiheit,1 d.h., er darf grundsätzlich Geschäfte zu den Bedingungen abschließen, die er aus kaufmännischer Sicht für richtig hält, ohne dass dies zu einer Einkünftekorrektur führen darf. Mit anderen Worten hat das Steuerrecht die unternehmerische Dispositionsfreiheit insoweit zu akzeptieren, als sie nicht durch Entgeltfestlegung dem widerspricht, was fremde Dritte unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen vereinbart hätten, mithin den Fremdvergleichsgrundsatz verletzt. Dabei trifft den Steuerpflichtigen eine Dokumentationspflicht, die umso höher ausfällt, als der verwirklichte Sachverhalt von dem abweicht, was fremde Dritte üblicherweise vereinbaren. Entsprechend ist auch das Abweichen der Be1 Ebenso Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 46. Die meisten anderen Kommentare setzen sich mit dem Begriff „Bedingungen“ nicht im Detail auseinander, sondern betrachten den Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab für das zu beurteilende Entgelt: Rupp in H/K/G/R, § 1 Rz. 118–232; Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, § 1 AStG Rz. 106 ff.; Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 83–149; Hofacker in Haase3, § 1 AStG Rz. 144 ff.

268

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.215 Kap. 4

dingungen vom Üblichen Anlass, sich kritisch mit der Geschäftsbeziehung und dem vereinbarten Entgelt auseinandersetzen. Eine hinreichende Grundlage für eine Einkünftekorrektur ist dies jedoch nicht. Minderung der inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen. Eine Einkünftekorrektur auf der Grundlage des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG ist dann rechtlich zulässig, wenn durch das vereinbarte unangemessene Entgelt aus der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung mit dem Stammhaus1 die Einkünfte der inländischen Betriebsstätte gemindert sind. Dies kann zum einen der Fall sein, wenn die inländische Betriebsstätte für eine erbrachte Leistung kein Entgelt oder ein gegenüber dem Fremdvergleichspreis unangemessen niedriges Entgelt als Ertrag in ihrer GuV oder Einnahmen-Überschussrechnung erfasst hat. Zum anderen wäre diese Tatbestandsvoraussetzung erfüllt, wenn die inländische Betriebsstätte für empfangende Leistungen ein – gemessen am Fremdvergleichspreis – unangemessen hohes Entgelt als Aufwand in ihrer GuV oder Einnahmen-Überschussrechnung erfasst hat.

4.213

Erhöhung der ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen. Bei der ausländischen Betriebsstätte ist eine Einkünftekorrektur vorzunehmen, wenn deren Einkünfte nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes zu hoch ausgewiesen worden sind und dadurch eine zu hoher Betrag im Inland entweder freigestellt oder die daraus resultierende zu hohe ausländische Steuer angerechnet worden ist. Auch hier muss diese Korrektur aus einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung mit dem inländischen Stammhaus resultieren, dessen Einkünfte dann wohl ebenfalls zu korrigieren wären, auch wenn das Stammhaus mit der aus der Erhöhung bei der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte korrespondierenden Minderung seiner Einkünfte vom Wortlaut des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG nicht erfasst ist, da es mit seiner inländischen Betriebsstätte nicht beschränkt steuerpflichtig ist. Der Gesetzgeber tut gut daran, hier den Wortlaut anzupassen. Exemplarische Fälle sind die, in denen die ausländische Betriebsstätte für eine erbrachte Leistung an das Stammhaus ein zu hohes Entgelt als Ertrag in seiner GuV oder Einnahmen-Überschussrechnung erfasst hat, m.a.W. das Stammhaus einen zu hohen Aufwand getragen hat. Zum anderen wäre diese Tatbestandsvoraussetzung erfüllt, wenn die ausländische Betriebsstätte für empfangende Leistungen ein – gemessen am Fremdvergleichspreis – zu niedriges oder kein Entgelt als Aufwand in ihrer GuV oder Einnahmen-Überschussrechnung erfasst hat.

4.214

Übertragung der BFH-Rechtsprechung zur Irrelevanz formaler Bedingungen im Abkommenskontext auf Betriebsstätten. In seinem Urteil vom 11.10.20122 hat der BFH die auf der verdeckten Gewinnausschüttung fußende Einkünftekorrektur einer sog. „Management Fee“ der Finanzverwaltung als nicht mit dem Art. 9 des einschlägigen DBA vereinbar angesehen, weil die Finanzverwaltung ihre Korrektur primär auf formale Aspekte gegründet hat, während Art. 9 OECD-MA allein auf die Angemessenheit des Entgelts abstellt. Die dadurch begründete Sperrwirkung dürfte auch Art. 7 OECD-MA mit Bezug auf § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 und 3 AStG entfalten, wenn eine Einkünftekorrektur allein durch formale Aspekte begründet wird.

4.215

1 Es geht in dieser Rechtsvorschrift ausschließlich um Einkünftekorrekturen aus anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen mit dem Stammhaus. Korrekturen der Entgelte aus Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Unternehmen oder fremden Dritten sind auf Basis der vGA, der verdeckten Einlage, den zahlreichen Entstrickungsnormen und des § 1 Abs. 1 AStG vorzunehmen. 2 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046 = ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = DB 2013, 266.

Andresen 269

Kap. 4 Rz. 4.216

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

b) Einschränkung durch DBA nach § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG

4.216 Inhalt der Vorschrift. § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG schränkt die Anwendung der Sätze 1 bis 7 der Vorschrift bei Vorliegen der folgenden vier Voraussetzungen ein, die wohl kumulativ erfüllt sein müssen: 1. Ein DBA ist auf den Einkünfteabgrenzungssachverhalt anzuwenden. 2. Der Steuerpflichtige macht geltend, dass die Regelungen des Abkommens § 1 Abs. 5 Satz 1 bis 7 AStG widersprechen. 3. Der Steuerpflichtige weist nach, dass der andere Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend dem Abkommen ausübt. 4. Die Anwendung der Sätze 1 bis 7 des § 1 Abs. 5 AStG würde wegen Nr. 3 zu einer Doppelbesteuerung führen. Die Rechtsfolge der Vorschrift ist die Bekräftigung des sich bereits aus § 2 Abs. 1 AO ergebenden Vorrangs des DBA gegenüber den Steuergesetzen. Da § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG offensichtlich den Vorrang eines ratifizierten Abkommens in Frage stellt („… nur Vorrang …“), begründet sie ein Treaty-Override, das der Steuerpflichtige jedoch abwenden kann, wenn er die Tatbestandsvoraussetzungen in Ziff. 3 und 4 erfüllt (Reverse Treaty-Override), d.h., wenn keine Keinmalbesteuerung, aber eine Doppelbesteuerung vorliegen würde.

4.217 Anwendung eines DBA. Ein DBA ist für einen Besteuerungszeitraum dann anzuwenden, wenn es durch Ratifikation in Kraft getreten ist. So ist das DBA-Großbritannien durch Inkrafttreten des Protokolls vom 17.3.2014 am 29.12.2015 für Zeiträume ab 1.1.2016 anzuwenden und damit auch der in dessen Art. 7 formulierte AOA nach dem neuen Wortlaut der Vorschrift.1 In Abgrenzung dazu enthält das am 18.12.2015 in Kraft getretene DBA-Philippinen nicht den neuen Wortlaut des Art. 7,2 so dass für Besteuerungszeiträume ab 1.1.2016 die Frage der Konkurrenz zwischen § 1 Abs. 5 Satz 1 bis 7 AStG und Art. 7 DBA-Philippinen der Klärung bedarf, bspw. wenn die inländische Finanzverwaltung die Belastung einer inländischen Betriebsstätte mit „shareholder expenses“ zum Anlass einer Einkünftekorrektur nimmt (s. Rz. 4.199), die nach dem Verständnis des philippinischen Steuerrechts u.U. weiterhin im gesamten Einheitsunternehmen zu tragen sind. Eine Übersicht über alle in Kraft befindlichen und verhandelten Abkommen im Steuerbereich wird jährlich im Januar im BStBl. veröffentlicht, woraus zu entnehmen ist, welche DBA anwendbar sind.3

4.218 Geltendmachung divergierender Vorschriften. Die Tatbestandsvoraussetzung unter Ziff. 2 sollte dann erfüllt sein, wenn der Steuerpflichtige schriftlich unter Anführung der Fundstelle des einschlägigen Abkommens im BStBl. auf den Umstand hinweist, dass das anwendbare DBA den AOA mangels neuen Wortlauts des Art. 7 OECD-MA 2010 nicht enthält. Neben dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2010 lassen die VWG BsGa auch DBA nicht in den Genuss des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG kommen, wenn das DBA erkennen lässt, dass der andere Staat die Grundsätze des AOA in seinem DBA mit Deutschland für anwendbar hält, wie es z.B. im DBA-USA der Fall ist. Für das DBA-Ungarn gilt dies wegen des alten Wortlautes in Art. 7 ungeachtet der in Nr. 3 des Protokolls zum DBA 2011 vereinbarten dynamischen Aus-

1 Vgl. BStBl. I 2016, 192 und 195. 2 Vgl. BStBl. I 2016, 252 ff. und 266. 3 Vgl. BMF v. 18.1.2017 – IV B 2 – S 1301/07/10017-08 – DOK 2017/0048668, BStBl. I 2017, 140 ff. nebst Berichtigung in BStBl. I 2017, 280.

270

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.221 Kap. 4

legung nur für die eingeschränkte Selbständigkeitsfiktion, wie sie in dem OECD-Betriebsstättenbericht 2008 Berücksichtigung findet.1 Nachweis einer abkommenskonformen Besteuerung im anderen Staat, d.h. Nichtanwendung des AOA. Das Abkommen soll eine Besteuerung des Steuerpflichtigen nach den Sätzen 1 bis 7 des § 1 Abs. 5 AStG dann einschränken können, wenn der andere Staat tatsächlich entsprechend den vom AOA abweichenden Regeln besteuert und der Steuerpflichtige dies nachweist. Zwei Szenarien sind denkbar. Der andere Staat hat den AOA nicht in sein innerstaatliches Recht übernommen, so dass insoweit Übereinstimmung mit dem Abkommen besteht (Variante A). Der andere Staat hat den AOA in sein innerstaatliches Recht übernommen und lediglich das Abkommen noch nicht im Verhandlungswege angepasst (Variante B). In der Variante A ist davon auszugehen, dass das philippinische Stammhaus seine „shareholder expenses“ anteilig an seine deutsche Betriebsstätte belastet. Der Ertrag aus der Weiterbelastung und dessen Ausweis in der GuV des Stammhauses beweisen die abkommenskonforme, dem AOA widersprechende steuerliche Behandlung. Wenn nach Variante B der Steuerpflichtige ungeachtet des Abkommens „shareholder expenses“ nicht ins Ausland belastet, wäre die abkommenskonforme Besteuerung nicht nachgewiesen bzw. nachweisbar. Als Nachweis sollte die Vorlage der folgenden – ggf. zu übersetzenden – Unterlagen ausreichen: der ausländische Steuerbescheid, die ausländische Steuererklärung2 einschließlich der Jahresabschlussunterlagen, aus denen sich die buchhalterische Erfassung des relevanten Vorgangs ergibt.

4.219

DBA mit altem Wortlaut in Gestalt des Art. 7 OECD-MA 2008. Die VWG BsGa sehen in Rz. 427 vor, dass die Anwendung des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG ausgeschlossen sein soll, wenn das einschlägige anzuwendende DBA den Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2008 enthält. Dies soll nur dann gelten, wenn es sich bei dem DBA-Partnerstaat um einen OECD-Mitgliedstaat handelt. Diese Auffassung ist abzulehnen, da der Besteuerung der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt zugrunde zu legen ist und dessen tatsächliche Behandlung im anderen Staat. Ob „der andere Staat den AOA mitgetragen hat“3 oder „davon auszugehen [ist], dass der andere Staat (OECD-Mitgliedsstaat) der Handhabung nach § 1 Abs. 5 AStG […] im konkreten DBA folgt“4 oder die Erklärung nach Maßgabe des § 1 Abs. 5 AStG im Inland „im Regelfall nicht zur Doppelbesteuerung“ führt, ist unerheblich, wenn die Finanzverwaltung des anderen Staates tatsächlich einen Betriebsstättensachverhalt dort anders behandelt, als das (doch etwas besondere) inländische Verständnis des AOA es vorsieht. Auf die Ausnahme in den VWG BsGa, Rz. 429 für die Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter gegen Kostenerstattung – und nicht gegen eine fiktive Lizenzgebühr – kommt es bei dem vorstehend dargestellten Verständnis nicht mehr an, weil eine Lizenzgebühr ohne drohende Doppelbesteuerung ohnehin nicht angesetzt werden kann, wenn der andere Staat ungeachtet der Auslegung des alten Wortlautes durch den OECD-Betriebsstättenbericht 2008 dies tatsächlich nicht akzeptiert. Im Umkehrschluss ist § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG auch im Verhältnis zu Nicht-OECD-Mitgliedstaaten nur dann anwendbar, wenn die tatsächliche Besteuerung des relevanten Sachverhaltes dort nicht dem AOA entspricht und es deshalb zu einer Doppelbesteuerung kommt.

4.220

Drohende Doppelbesteuerung. Wenn ein ausländisches Stammhaus aus einem Nicht-AOALand Gesellschafteraufwand an eine inländische Betriebsstätte weiterbelastet, würde eine die

4.221

1 2 3 4

Vgl. Nr. 3 zu Art. 5 und 7 des Protokolls zum DBA 2011; BGBl. II 2011, 920 ff. So auch VWG BsGa, Rz. 429, 430 und 433. VWG BsGa, Rz. 428. VWG BsGa, Rz. 427.

Andresen 271

Kap. 4 Rz. 4.222

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Einkünfte der inländischen Betriebsstätte um die „shareholder expenses“ erhöhende Korrektur eine Doppelbesteuerung auslösen, wenn und soweit im Stammhaus die Weiterbelastung der „shareholder expenses“ als Ertrag in der Bemessungsgrundlage des Stammhauses Berücksichtigung gefunden hat. In diesem Fall greift der Vorrang des Abkommens und die „shareholder expenses“ dürfen nicht Einkünfte erhöhend nach Maßgabe des § 1 Abs. 5 Satz 1 bis 7 AStG korrigiert werden. Gleiches dürfte gelten, wenn ein Wirtschaftsgut in das philippinische Stammhaus überführt wird und dort ein Kaufpreis nach § 1 Abs. 5 AStG und sei es über Abschreibungen nicht als Aufwand geltend gemacht werden kann. Sind gleichzeitig die Tatbestandsvoraussetzungen der Entstrickung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG/§ 12 Abs. 1 KStG erfüllt, dürfte an der Besteuerung in Deutschland jedoch nichts zu ändern sein, da der Reverse Treaty-Override nach seinem Wortlaut nur die steuerlichen Konsequenzen der Anwendung der Sätze 1 bis 7 des § 1 Abs. 5 AStG abmildern soll.

II. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA für vor dem 1.1.2015 beginnende Wirtschaftsjahre 4.222 Einschlägige Rechtsvorschriften. § 1 Abs. 5 AStG führt den AOA in deutsches Steuerrecht ein und verpflichtet insoweit den Steuerpflichtigen mit in- oder ausländischen Betriebsstätten, deren Einkünfte unter Anwendung des § 1 Abs. 4 und 5 AStG zu ermitteln. Während die Anwendung des § 1 AStG und anderer Korrekturvorschriften und deren Dokumentation wegen der vorhandenen BMF-Schreiben unproblematisch ist, soweit sie Geschäftsbeziehungen der Betriebsstätten eines Einheitsunternehmens mit anderen natürlichen oder juristischen Personen betreffen, gilt dies mangels entsprechender Hinweise des Gesetzgebers für die Zeiträume nach dem 31.12.2012 und vor dem 1.1.2015 (Geltung der BsGaV) nur in eingeschränkter Form für die sog. anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen, die man früher als Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bezeichnet hat. Die VWG BsGa helfen auch nicht wirklich weiter. Dass die VWG Betriebsstätten weiterhin Bedeutung entfalten für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.1.2013 beginnen (Rz. 436) ist genauso klar, wie das Vorkommen anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen in Wirtschaftsjahren, die nach dem 31.12.2012 beginnen (Rz. 435).

4.223 Materiell-rechtliche Implikationen für den Steuerpflichtigen in den VZ 2013 und 2014. § 1 Abs. 5 Satz 1 bis 7 AStG verfügt bereits für die genannten Veranlagungszeiträume 2013 und 2014 die Anwendung der Abs. 1, 3 und 4 der Vorschrift auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen, d.h. auf Geschäftsvorfälle zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte, und enthält den Gesetzesbefehl, Betriebsstätten wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln. Konkret kann dies in einer Einkünftekorrektur münden, wenn und soweit die Bedingungen, insbesondere Verrechnungspreise, für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz genügen. Gesetzestext und -begründung geben dem Steuerpflichtigen jedoch wenige Hinweise darauf, wie er die Einkünfte seiner inbzw. ausländischen Einkünfte von denen des übrigen Unternehmens unter Anwendung des AOA abgrenzen soll, insbesondere dazu, was zu tun ist, um eine Betriebsstätte als eigenständiges und unabhängiges Unternehmen i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 2 u. 3 AStG zu behandeln. Die VWG BsGa sehen in Rz. 434 und Rz. 441 vor, dass die BsGaV bereits für die Veranlagungszeiträume 2013 und 2014 zur Auslegung des § 1 Abs. 5 AStG herangezogen werden können. Mangels Wirksamkeit der BsGaV darf der Steuerpflichtige jedoch nicht mit Einkünftekorrekturen oder den Rechtsfolgen mangelnder Dokumentation konfrontiert werden, wenn er die BsGaV in diesen Veranlagungszeiträumen nicht angewendet hat. 272

Andresen

D. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA

Rz. 4.229 Kap. 4

Keine Zuordnung von Personalfunktionen. Mangels Definition des Begriffs ‚Personalfunktion‘ sollten Steuerpflichtige keine Einkünftekorrekturen oder die Rechtsfolgen einer fehlenden oder nicht verwertbaren Dokumentation gewärtigen müssen, wenn in den Jahren 2013 und 2014 Personalfunktionen nicht dem Stammhaus oder der Betriebsstätte nach Maßgabe der BsGaV zugeordnet worden sind.1

4.224

Zuordnung (bzw. Fortschreibung) der Positionen der Schlussbilanz zum 31.12.2012 auf (in) Stammhaus und Betriebsstätte(n) nach Maßgabe der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze. Die Zuordnung sämtlicher Vermögenswerte, Chancen und Risiken, des Dotationskapitals und aller sonst in den §§ 4 bis 11, 12 bis 15 und 16 bis 17 BsGaV aufgeführten Positionen in der Schlussbilanz und GuV auf den 31.12.2012 ist fortzuführen in den Jahren 2013 und 2014, ohne dass dies Anlass zu Einkünftekorrekturen oder der Festsetzung von Schätzungen oder Strafzuschlägen führt. Dies geschieht auf dem von der Finanzverwaltung in VWG BsGa, Rz. 439, formulierten Verständnis, dass die bestehenden Zuordnungen nach Maßgabe der VWG Betriebsstätten 1999/2009 auf einer ähnlichen Grundlage erfolgt sind wie unter dem AOA. Die VWG BsGa, Rz. 443–449, stellen für die Finanzverwaltung klar, dass die §§ 3–17 der BsGaV in 2013 und 2014 keine Anwendung finden.

4.225

Verrechnung von Haupttätigkeiten zu Marktpreisen. Die BS-Verwaltungsgrundsätze 1999/ 2009 sehen in Tz. 3.1.2. vor, dass Haupttätigkeiten einer Betriebsstätte als Dienstleistungen mit dem Fremdvergleichspreis anzusetzen sind. In den Veranlagungszeiträumen 2013 und 2014 ist es nicht zu beanstanden, wenn Steuerpflichtige weiter so verfahren. Nur dann, wenn unter den Regeln des AOA nur eine Verrechnung des für die Haupttätigkeit entstandenen Aufwands geboten wäre, wäre eine entsprechende Korrektur der Einkünfte durch die Finanzverwaltung zulässig, da bereits § 1 Abs. 5 AStG eine klare Anweisung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehung gibt.

4.226

Keine Verrechnung von Nebentätigkeiten nur mit dem Aufwand. Die BS-Verwaltungsgrundsätze 1999/2009 sehen in Tz. 3.1.2 vor, dass Nebentätigkeiten einer Betriebsstätte als Dienstleistungen nur mit dem für ihre Erbringung entstandenen Aufwand zu verrechnen sind. In den Veranlagungszeiträumen 2013 und 2014 ist es nur dann nicht zu beanstanden, wenn Steuerpflichtige weiter so verfahren, wenn unter den Regeln des AOA und bei entsprechender Dokumentation ebenfalls nur eine Verrechnung ohne Gewinnaufschlag geboten wäre, z.B. bei Personalentsendungen oder Kostenumlagen.

4.227

Keine Verrechnung von Gesellschafteraufwand an Betriebsstätten. Die BS-Verwaltungsgrundsätze sehen in Übereinstimmung mit höchstrichterlicher Rechtsprechung2 in Tz. 3.4.1 vor, dass Gesellschafteraufwand des Einheitsunternehmens zwischen Stammhaus und Betriebsstätte veranlassungsgerecht aufzuteilen ist. In den Veranlagungszeiträumen 2013 und 2014 ist es nicht zu beanstanden, wenn Steuerpflichtige entsprechend den Regeln des AOA Gesellschafteraufwand nicht mehr an die Betriebsstätten anteilig weiterverrechnen, sondern beim Stammhaus einkommensmindernd erfassen, weil der Fremdvergleichsgrundsatz in § 1 Abs. 5 Satz 1 bis 7 AStG dies impliziert.

4.228

Kein Abzugsverbot von Gesellschafteraufwand beim Stammhaus. Gesellschafteraufwand ist beim Stammhaus nicht vom Abzugsverbot des § 3c Abs. 1 EStG erfasst, da es insoweit an

4.229

1 So auch VWG BsGa, Rz. 442. 2 Vgl. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140 = FR 1988, 678.

Andresen 273

Kap. 4 Rz. 4.230

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den steuerfreien Betriebsstätteneinkünften fehlt.

4.230 Verrechnung von Finanzierungsleistungen. Die BS-Verwaltungsgrundsätze beschränken die Verrechnung von Zinsen für Finanzierungsleistungen in Tz. 3.3 nur insoweit, als die Betriebsstätte Eigenmittel des Unternehmens nutzt, für die das Gesamtunternehmen keinen Zinsoder Provisionsaufwand hat. Angesichts der Tatsache, dass die restriktive Auslegung des Fremdvergleichs dem Steuerpflichtigen erst durch §§ 16 und 17 BsGaV bekannt geworden ist, ist es nicht zu beanstanden, wenn in den Veranlagungszeiträumen 2013 und 2014 weiterhin Zinsen belastet werden.

4.231 Bestimmung des Dotationskapitals nach Maßgabe der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze und der Verwaltungsgrundsätze-Dotationskapital. Das Dotationskapital der in- und ausländischen Betriebsstätten ist in 2013 und 2014 noch nach Maßgabe der BetriebsstättenVerwaltungsgrundsätze und der Verwaltungsgrundsätze-Dotationskapital zu bestimmen.

4.232 Verfahrensrechtliche Implikationen. Der Steuerpflichtige hat für die Veranlagungszeiträume 2013 und 2014 gem. § 90 Abs. 3 Satz 4 AO i.V.m. § 7 GAufzV eine Verrechnungspreisdokumentation zu erstellen und auf Anforderung vorzulegen, die die Aufzeichnungen i.S.d. §§ 1 bis 6 GAufzV enthält. Angesichts der Tatsache, dass in diesen genannten Vorschriften keine Angaben zu der Art und Weise gemacht werden, wie eine Betriebsstätte durch Zuordnungen von Funktionen, Risiken und Kapital wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen behandelt werden muss, zieht das Fehlen der Dokumentation der Anwendung der Vorschriften der BsGaV einschließlich des Fehlens einer Hilfs- und Nebenrechnung (s. VWG BsGa, Rz. 443) in den VZ 2013 und 2014 nicht die Rechtsfolgen des § 162 Abs. 3 und 4 AO nach sich.

E. Regeln der Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip 4.233 Überblick über die einschlägigen Regeln je Zeitabschnitt. In dem nachfolgenden Unterabschnitten I. bis IV. sind die für die Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätten im entsprechenden Zeitabschnitt einschlägigen Rechtsvorschriften, auf Richterrecht beruhenden Grundsätze, BMF-Schreiben und sonstigen Auslegungshilfen dargestellt, unter Zuhilfenahme derer der Steuerpflichtige die Einkünfte seiner in- bzw. ausländischen Betriebsstätte zu ermitteln bzw. abzugrenzen hat(te).

I. Einkünfteabgrenzung vor dem Veranlagungszeitraum 2000 4.234 Betriebliche Veranlassung. Die gesamte Gewinnermittlung im innerstaatlichen Steuerrecht ist geprägt durch den Begriff der betrieblichen Veranlassung. Eine betriebliche Veranlassung von Einnahmen oder Ausgaben, von Erträgen oder Aufwendungen ist dann gegeben, wenn ein tatsächlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen diesen und dem Betrieb besteht (wirtschaftlicher Veranlassungszusammenhang),1 dessen Gewinne zu ermitteln sind. Hier geht es primär darum festzustellen, ob betriebliche oder außerbetriebliche Gründe –

1 Vgl. BFH v. 4.7.1990 – GrS 2/88, GrS 3/88, BStBl. II 1990, 817 = FR 1990, 708 unter C.II.2.b)bb); Crezelius in Kirchhof16, § 4 EStG Rz. 5.

274

Andresen

E. Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip

Rz. 4.235 Kap. 4

ggf. auch anteilig1 – das Handeln und den Handlungserfolg des Steuerpflichtigen bestimmt haben.2 Es geht darum, „ob das auslösende Moment im betrieblichen Bereich liegt.“3 Auf Parallelen zur Abgrenzung von der Privatsphäre des Gesellschafters bei verdeckten Gewinnausschüttungen sei an dieser Stelle hingewiesen.4 Veranlassungsprinzip. Das Konzept der betrieblichen Veranlassung ist von den FG in Ermangelung hinreichender gesetzlicher Vorschriften zur Bestimmung bzw. Abgrenzung der inländischen Einkünfte von Betriebsstätten i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG5 und der ausländischen Einkünfte von Betriebsstätten i.S.d. § 34d Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG6 übernommen worden. Die Veranlassung setzt einen objektiven und/oder subjektiven wirtschaftlichen Zusammenhang zu einer betrieblichen Tätigkeit voraus. Im Bereich der Betriebsstättengewinnermittlung ist zwischen dem wirtschaftlichen Zusammenhang zu der Tätigkeit des Stammhauses und dem zu der Tätigkeit einer Betriebsstätte zu unterscheiden. Für die Bejahung eines wirtschaftlichen Zusammenhanges ist auf das die Einnahmen oder Betriebsausgaben oder die Verwendung eines Wirtschaftsgutes auslösende Moment abzustellen.7 Entsprechend können Wirtschaftsgüter, Erträge und Aufwendungen unter Veranlassungsgesichtspunkten dem Stammhaus einerseits und der oder den Betriebsstätte(n) andererseits zuzuordnen sein. Es gibt auch sog. Mitveranlassungen, d.h., Erträge und Aufwendungen können sowohl durch das Stammhaus als auch durch eine bzw. durch mehrere Betriebsstätten veranlasst sein. Wirtschaftsgüter können den genannten Unternehmensteilen gleichzeitig dienen. In diesem Fall ist eine anteilige Zuordnung möglich, weil es im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte keine Nutzungsentnahmen geben kann. Die Abgrenzung kann deshalb nur durch anteilige Zuordnung vorgenommen werden. Währungskursumrechnungsgewinne und -verluste können durch die bloße Existenz von Betriebsstätten entstehen. Sie sind dann durch dieselben veranlasst und ihnen infolgedessen auch zuzurechnen.8 Eine Ausnahme bildet insoweit der Währungsverlust aus der Rückführung von Dotationskapital zum Stammhaus.9 Von Bedeutung ist ferner die begriffliche Unterscheidung zwischen dem Veranlassungsprinzip und dem Fremdvergleich. Das Veranlassungsprinzip ist dem deutschen innerstaatlichen Steuerrecht zuzuordnen. Der Fremdvergleich wird dort als Hilfskriterium zur Konkretisierung der maßgeblichen Veranlassung verwendet.10 Im Abkommensrecht hat der Fremdvergleich eine teilweise andere Bedeutung.11 Dort löst er einerseits das Problem der self-executing-Wirkung aus; andererseits ist er das Instrument für eine Angemessenheitsprüfung von vereinbarten Leistungen innerhalb von kaufmännischen und finanziellen Beziehungen zwischen naheste-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. Heinicke in Schmidt36, § 4 EStG Rz. 29, 489. Vgl. Heinicke in Schmidt36, § 4 EStG Rz. 27 f. Heinicke in Schmidt36, § 4 EStG Rz. 28. Vgl. BFH v. 15.5.2002 – I R 92/00, BFHE 199, 217 = FR 2002, 1175 m. Anm. Pezzer = DStR 2000, 1660. Vgl. BFH v. 29.1.1964 – I 153/61 S, BStBl. III 1965, 165 unter II.; v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140 = FR 1988, 678 unter II.B.2.a) und c). Vgl. BFH v. 28.3.1985 – IV R 80/82, BStBl. II 1985, 405 = FR 1985, 543 unter 2. BFH v. 4.7.1990 – GrS 2/88, GrS 3/88, BStBl. II 1990, 817 = FR 1990, 708 unter C.II.2.b)bb). A.A. Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung, 249. Vgl. dazu EuGH v. 28.2.2008 – Rs. C-293/06 – Deutsche Shell GmbH, ECLI:EU:C:2008:129, Tz. 45 und 53 = BStBl. II 2009, 976; BMF v. 23.11.2009 – IV B 5 – 2118-a/07/10011 – DOK 2009/0759198, BStBl. I 2009, 1332. Vgl. Wassermeyer, DB 2001, 2465. Vgl. Kumpf/Roth, DB 2000, 741 (744); Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 585.

Andresen 275

4.235

Kap. 4 Rz. 4.236

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

henden Unternehmen. Wenn im Schrifttum1 gefordert wird, zwecks Durchführung des Fremdvergleichs müsse die Betriebsstätte wie ein selbständiges Unternehmen behandelt werden, so hat diese These im innerstaatlichen deutschen Gewinnermittlungsrecht vor dem Jahr 2000 und bis zum Ablauf des Jahres 2012 keine Rechtsgrundlage. Innerhalb der Betriebsstättengewinnermittlung ist der Fremdvergleich rechtlich betrachtet insoweit widersinnig, als eine hypothetische Selbständigkeit der Betriebsstätte angenommen wird, die in Wirklichkeit nicht besteht und auch nicht bestehen kann.2 Selbst die OECD und der deutsche Steuergesetzgeber erkennen die nach wie vor bestehende Unselbständigkeit für den AOA in wenigen Ausnahmebereichen an, manchmal jedoch an der falschen Stelle, z.B. bei den Restriktionen zur internen Darlehensgewährung und dem nicht nachvollziehbaren Verbot der internen Rückversicherung, durch die im Ergebnis lediglich eine Aufteilung von Risiken auf Stammhaus und Betriebsstätte vollzogen wird.

4.236 Veranlassungsprinzip und Fremdvergleich. Mit dem Fremdvergleich arbeiten sowohl das deutsche innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht als auch das Abkommensrecht. Das innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht verwendet den Fremdvergleich bei der Prüfung der Frage, ob und inwieweit die zwischen einander nahestehenden Personen getroffenen Vereinbarungen betrieblich oder privat veranlasst sind und in diesem Sinne der Besteuerung zugrunde gelegt werden können. Zusätzlich dient der Fremdvergleich der Überprüfung der Angemessenheit des vereinbarten Entgelts. Ein in unangemessener Höhe vereinbartes Entgelt kann nach den Grundsätzen der Entnahme, der Einlage, der vGA und/oder des § 1 AStG korrigiert werden. Innerhalb des deutschen innerstaatlichen Gewinnermittlungsrechts löst der Fremdvergleich allerdings nur eine widerlegbare Vermutung aus. Es wird für ein dem Fremdvergleich nicht entsprechendes Verhalten vermutet, dass es privat oder durch ein Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Damit wird dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit des Nachweises eröffnet, dass sein Verhalten dennoch „good business practice“ entsprochen hat. Im innerstaatlichen Gewinnermittlungsrecht baut damit der Fremdvergleich nur auf einer Üblichkeitsprüfung auf („arm’s length behaviour“). Im Abkommensrecht wird der Fremdvergleich dagegen stärker als Aufteilungs- und Angemessenheitsmaßstab verwendet und schränkt insoweit auch das innerstaatliche Recht ein.3 Die Rechtsfolge ist absoluter, was auch der Wortlaut des § 1 AStG belegt („so sind seine Einkünfte so anzusetzen“).4 Im Abkommensrecht baut der Fremdvergleichsgrundsatz sowohl auf einer Üblichkeits- als auch auf einer Selbständigkeitsfiktion auf. Dies drückt sich auch in dem Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters aus.5 Dieser Maßstab wird bei der Prüfung von Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Unternehmen regelmäßig verwendet. Im Rahmen der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätten bzw. zwischen mehreren Betriebsstätten wird der Maßstab in den Jahren bis 2000 de facto nicht erwähnt. Dahinter mag die Erkenntnis stehen, dass sich Stammhaus und Betriebsstätte typischerweise nicht als selbständige Unternehmen, sondern als Teile eines Einheitsunternehmens gegenüberstehen, innerhalb dessen eine bestimmte Hierarchie besteht. Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (und umgekehrt) lassen sich nicht mit dem Leistungsverkehr zwischen nahestehenden Personen vergleichen. Sie begründen weder Forderungen noch Verbindlichkeiten. Es handelt

1 Vgl. Sieker, DB 1996, 110; Kramer, StuW 1991, 151 ff. 2 Vgl. Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 30 ff. 3 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = DB 2013, 266; Andresen/Immenkötter/Frohn, DB 2013, 534 ff. 4 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 68. 5 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 104 ff.

276

Andresen

E. Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip

Rz. 4.237 Kap. 4

sich vielmehr um Transaktionen zwischen unselbständigen Unternehmensteilen desselben Unternehmens. Dies bedeutet vor allem, dass zwischen Stammhaus und Betriebsstätte keine Risiken vertraglich übertragen werden können. Diese Übertragung wäre auf der Grundlage einer Selbständigkeitsfiktion denkbar, wie sie § 1 Abs. 5 AStG im Inland für Wirtschaftsjahre einführt, die nach dem 31.12.2012 beginnen (s. Rz. 4.197). Der entscheidende Unterschied zwischen dem deutschen innerstaatlichen Recht und dem Abkommensrecht besteht deshalb darin, dass die Gewinnabgrenzung nach dem deutschen innerstaatlichen Recht bis einschließlich 2012 stärker auf dem Poolgedanken aufbaut. Stammhaus und Betriebsstätte wirken bei der Erbringung eines Außenumsatzes poolartig zusammen, soweit beide Unternehmensteile Teilleistungen erbringen. Im Abkommensrecht steht dagegen die Selbständigkeitsfiktion im Vordergrund. Es können zwischen den unselbständigen Unternehmensteilen Risiken und Funktionen quasi vertraglich übernommen werden.1 Das Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte lässt sich deshalb nur aus der Sicht des Abkommensrechts, nicht jedoch aus der Sicht des deutschen innerstaatlichen Gewinnermittlungsrechts mit dem zwischen unabhängigen Unternehmen vergleichen. Dennoch geht es hier wie dort darum, eine bestimmte Gewinnabgrenzung aus der Simulation eines Preisbildungsprozesses abzuleiten, wie er unter Einbeziehung von Skalenvorteilen, Synergieeffekten und niedrigeren Transaktionskosten des Einheitsunternehmens zwischen sachgerecht handelnden Dritten im Zweifel durchgeführt worden wäre. Im Schrifttum2 wird jedoch die Auffassung vertreten, im Rahmen der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte sei kein Raum für die Denkfigur eines einfachen oder verdoppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Zwingend ist diese Auffassung allerdings nicht. Letztlich ist es eine Frage der tatsächlichen Selbständigkeit von Stammhaus und Betriebsstätte einerseits und der verbundenen Unternehmen andererseits, ob der Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu sachgerechten Ergebnissen führt. Eine Obergesellschaft kann jedoch die ihr nachgeschaltete Untergesellschaft in tatsächlicher Hinsicht ebenso selbständig wie unselbständig halten, wie dies zwischen Stammhaus und Betriebsstätte denkbar ist. Damit sollte der Rückgriff auf den Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auch im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung logisch nicht ausgeschlossen sein. Dennoch sind die bestehenden Unterschiede zu beachten. Veranlassungsprinzip in der zweistufigen Gewinnermittlung. Im Kontext der Gewinnermittlung stellt sich die Frage, auf welcher Stufe der Gewinnermittlung das Veranlassungsprinzip zur Anwendung kommt. Die Abgrenzung erfolgt zunächst dem Grunde nach, d.h., die zuzuordnenden Wirtschaftsgüter werden den einzelnen Betriebsteilen zugeordnet (Erstzuordnung). Im Rahmen der Erstzuordnung findet das Veranlassungsprinzip auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung dergestalt Anwendung, dass es für eine angemessene Zuordnung der Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens zu sorgen hat (Abgrenzung dem Grunde nach). Das Gleiche gilt für die Zuordnung von laufenden Geschäftsvorfällen, die Struktur und Höhe des Betriebsvermögens und dessen Aufteilung auf Stammhaus und Betriebsstätte am Ende des ersten und der darauf folgenden Wirtschaftsjahre. Die Anwendung des Veranlassungsprinzips als Abgrenzungsmaßstab führt also zunächst zu bilanziellen Folgen auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung. In einem zweiten Schritt wird ebenfalls auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung geprüft, ob das im Außenverhältnis erzielte Entgelt angemessen aufgeteilt wurde (Abgrenzung der Höhe nach). Gegebenenfalls ist dem einen Unternehmensteil zu Lasten des anderen ein höherer Anteil an dem erzielten Außenumsatz zuzuordnen. Dies gilt unabhän1 So auch Kroppen, IWB 2005, F. 10, Gr. 2, 1865 (1872). 2 Vgl. Kleineidam, IStR 2000, 577 ff.

Andresen 277

4.237

Kap. 4 Rz. 4.238

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

gig davon, ob der Gewinn für das Gesamtunternehmen oder nur für die Betriebsstätte ermittelt wird. Die Aufteilung von Korrekturbeträgen auf das Stammhaus und die Betriebsstätte(n) vollzieht sich auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung. Auch insoweit ist das Veranlassungsprinzip zu beachten. Es trägt dafür Sorge, dass die vorgenommene Korrektur dem richtigen Betriebsteil zugeordnet wird.

4.238 BMF-Schreiben vom 31.5.1979. Das BMF-Schreiben vom 31.5.19791 regelt u.a. die Gewinnabgrenzung inländischer Versicherungsbetriebsstätten. Danach ist bei bestehender Buchführungspflicht grundsätzlich die direkte Methode anzuwenden. Spezifische Regelungen zur Zurechnung von Rückversicherungsverträgen, Kapitalanlagen und sog. Generalunkosten ergänzen die Anweisungen zur steuerlichen Behandlung inländischer Versicherungsbetriebsstätten. Das Schreiben ist ab Veranlagungszeitraum 2000 nicht mehr anzuwenden.

4.239 BMF-Schreiben vom 24.8.1984. Das BMF-Schreiben vom 24.8.19842 regelt die Zuordnung von Anteilen an Tochtergesellschaften, Darlehen, Patenten oder sonstigen vergleichbaren Wirtschaftsgütern zur Konzernspitze und nicht zur inländischen Betriebsstätte, soweit eine solche im Inland überhaupt begründet worden ist. Der angemessene Gewinn einer solchen Koordinierungs-Betriebsstätte soll mittels Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden, wobei ein Gewinnaufschlag von 5 bis 10 % auf die Vollkosten nicht zu beanstanden sein soll. Das Schreiben ist ab Veranlagungszeitraum 2000 nicht mehr anzuwenden.

4.240 BMF-Schreiben vom 12.2.1990. Das BMF-Schreiben vom 12.2.19903 regelt die steuerliche Behandlung der Überführung und Rückführung von Wirtschaftsgütern in eine und von einer steuerbefreite(n) Betriebsstätte(n) im DBA-Ausland. Da das Wirtschaftsgut bei diesen Überführungen den betrieblichen Bereich nicht verlässt, kommt es nicht zur Realisierung eines Gewinnes oder Verlustes. Entsprechend ist der Gewinn (Verlust) von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens einschließlich immaterieller Wirtschaftsgüter durch einen passiven (aktiven) Ausgleichsposten in der Steuerbilanz zu neutralisieren. Der Ausgleichsposten ist spätestens bei Ausscheiden des Wirtschaftsgutes aus dem Betrieb erfolgswirksam aufzulösen, davor bei abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens zeitanteilig gemäß der jeweiligen Restnutzungsdauer. Ein Wahlrecht zur sofortigen Berücksichtigung des Gewinns (Verlustes) im Zeitpunkt der Überführung besteht. Gleiches gilt für Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens einschließlich immaterieller Wirtschaftsgüter. Diese Wahlrechte sind je Betriebsstätte einheitlich anzuwenden. Bei der Rückführung von Wirtschaftsgütern ins Inland sind der Fremdvergleichspreis anzusetzen und ein noch bestehender Ausgleichsposten erfolgsneutral aufzulösen. Das Schreiben ist ab Veranlagungszeitraum 2000 nicht mehr anzuwenden.

4.241 BMF-Schreiben vom 3.6.1992. Das BMF-Schreiben vom 3.6.19924 regelt die steuerliche Behandlung der Überführung von Wirtschaftsgütern aus einer beschränkt steuerpflichtigen inländischen Betriebsstätte in eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte im DBA-Ausland. Da sich

1 Vgl. BMF v. 31.5.1979 – IV B 7 - S 2775 – 9/79, BStBl. I 1979, 306 ff. (aufgehoben für VZ ab 2000 durch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076). 2 Vgl. BMF v. 24.8.1984 – IV C 5 - S 1300 – 244/84, BStBl. I 1984, 458 f. (aufgehoben für VZ ab 2000 durch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076). 3 Vgl. BMF v. 12.2.1990 – IV B 2 - S 2135 – 4/90, BStBl. I 1990, 72 f. (aufgehoben für VZ ab 2000 durch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076). 4 Vgl. BMF v. 3.6.1992 – IV B 2 - S 2135 – 4/92, FR 1992, 494 (aufgehoben für VZ ab 2000 durch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076).

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Andresen

E. Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip

Rz. 4.243 Kap. 4

das Besteuerungsrecht Deutschlands nicht auf die ausländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte erstreckt, sind die stillen Reserven in diesen Wirtschaftsgütern bereits im Zeitpunkt der Überführung ins Ausland aufzudecken und zu besteuern. Die Grundsätze des BMFSchreibens vom 12.2.1990 einschließlich derjenigen über Ausgleichsposten sind nicht anwendbar. Das Schreiben ist ab Veranlagungszeitraum 2000 nicht mehr anzuwenden. BMF-Schreiben vom 29.11.1996. Das BMF-Schreiben vom 29.11.19961 regelt die Höhe des Dotationskapitals von inländischen Betriebsstätten ausländischer Kreditinstitute für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.1995 enden. Danach haben inländische Betriebsstätten von EU-Kreditinstituten mindestens ein Dotationskapital anzusetzen, dass sich nach den Bilanzsummen in der folgenden Tabelle bestimmt: Bilanzsumme2 in DM

Dotationskapital

0–100 Mio.

2 Mio. DM

4.242

Ab 100 Mio. – 500 Mio. 2,0 % der Bilanzsumme Ab 500 Mio. – 1 Mrd.

10 Mio. DM

Ab 1 Mrd. – 2 Mrd.

1 % der Bilanzsumme

Ab 2 Mrd. – 5 Mrd.

1 % von 2 Mrd. DM zusätzlich [+] 0,5 % auf den erhöhten Betrag

Ab 5 Mrd.

1 % von 2 Mrd. DM zusätzlich 0,5 % von 3 Mrd. DM und zusätzlich 0,25 % auf den 5 Mrd. DM übersteigenden Betrag

Für Betriebsstätten von Kreditinstituten aus den USA (ab 4.5.1995) respektive Japan (ab 21.12.1995) gilt die Tabelle mit der Maßgabe, dass ein Mindestkapital von 5 Mio. ECU anzusetzen ist. Bei unterjähriger Aufnahme der Geschäftstätigkeit ist für alle Betriebsstätten ein Mindestkapital von lediglich 2 Mio. DM. vorzuhalten. Für Kreditinstitute aus allen anderen Staaten ist als Dotationskapital mindestens das Kapital auszuweisen, was nach dem KWG für ein äquivalentes inländisches Kreditinstitut auszuweisen wäre. Das Schreiben ist ab Veranlagungszeitraum 2000 nicht mehr anzuwenden. Entnahmen. Wenn und soweit der Steuerpflichtige Wirtschaftsgüter aus seinem Betriebsvermögen entnimmt, erhöht sich der Gewinn des Betriebes gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG um den Teilwert des entnommenen Wirtschaftsgutes.3 Soweit nicht gesetzliche Teilwertvermutungen bestehen, ist der Teilwert als der Betrag definiert, den ein Erwerber eines ganzen Unternehmens im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde unter der Maßgabe, dass das Unternehmen fortgeführt wird (§ 10 Satz 2 und 3 BewG).4 Nach h.M. bewegt sich die Höhe des Teilwertes zwischen dem Einzelveräußerungspreis des zu bewertenden Wirtschaftsgutes am Bilanzstichtag (Untergrenze)5 und den Wiederbeschaffungskosten bzw. Wiederherstellungskosten am Bewer1 Vgl. BMF v. 29.11.1996 – IV C 7 - S 1300 – 176/96, BStBl. I 1997, 136 f. (aufgehoben für VZ ab 2000 durch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076). 2 Bilanzsumme im Jahresabschluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs. 3 Vgl. Werndl in K/S/M, § 6 EStG Rz. E 32; Winkeljohann in H/H/R, § 6 EStG Anm. 1191, 1193. 4 Vgl. zum Vorschlag der Abschaffung des Teilwerts den Beitrag des Wissenschaftlichen Beirats des Fachbereichs Steuern der Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, BB 2004, Beilage Nr. 3 zu Heft 24. 5 Vgl. BFH v. 5.11.1981 – IV R 103/79, BFHE 135, 6 = BStBl. II 1982, 258 (260 – linke Spalte); v. 25.8.1983 – IV R 218/80, BFHE 139, 268 = BStBl. II 1984, 33 (34 – linke Spalte) = FR 1984, 72.

Andresen 279

4.243

Kap. 4 Rz. 4.243

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

tungsstichtag (Obergrenze)1 und wird in aller Regel im Wege einer Schätzung zu ermitteln sein. Im Rahmen der Gewinnabgrenzung ist eine Entnahme – ggf. anteilig2 – dem Unterschiedsbetrag des Stammhauses oder der (den) Betriebsstätte(n) zuzuordnen. Die Entnahme setzt voraus, dass etwas den Betrieb verlässt.3 Im Regelfall bedeutet dies, dass Betriebsvermögen in Privatvermögen umgeschichtet wird. Alternativ kann auch Vermögen eines Betriebes in Vermögen eines anderen Betriebes – oder bis 1999 zwischen Sonderbetriebsvermögen4 – umgeschichtet werden. Entscheidend ist also, dass das umgeschichtete Wirtschaftsgut entweder im Privatvermögen oder in einem anderen Betriebsvermögen ankommt. Deutlich wird dies bei einem Unfall mit einem Pkw des Betriebsvermögens auf einer privat veranlassten Fahrt.5 Es reicht nicht aus, wenn lediglich eine Überführung von einem Betriebsteil in einen anderen Betriebsteil stattfindet, z.B. eine ausländische Betriebsstätte.6 Entnahmen gehen einer Korrektur nach § 1 AStG grundsätzlich vor7 und schließen dessen Anwendung bis zur Änderung des Wortlauts des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG mit Wirkung ab dem VZ 2008 auch insoweit aus, als ein Korrekturbetrag den Teilwert übersteigt.8 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die keinen Hinweis darauf enthält, dass die Einkünfte „insoweit“ wie zwischen fremden Dritten anzusetzen sind, als nicht andere Korrekturvorschriften diese Einkünfte bereits korrigiert haben. Von einer insoweit wirksamen „klarstellenden“ Gesetzesänderung ist wegen des zu § 1 AStG ergangenen BFH-Urteils vom 27.8.20089 nicht auszugehen, so dass die neue Rechtslage erst ab dem VZ 2008 die für den Steuerpflichtigen nachteilige Wirkung entfaltet. Soweit jedoch Geschäftsbeziehungen von einer solchen Korrektur erfasst werden, die zwischen Personen in Mitgliedstaaten der EU stattfinden, bestehen Zweifel an der Vereinbarkeit des § 1 AStG mit der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV (vormals Art. 43 ff. EG bzw. Art. 52 ff. EGV a.F.) und der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV (vormals Art. 56 ff. EG bzw. Art. 73b ff. EGV a.F.).10 Diese Zweifel sind durch den EuGH in seinem Urteil vom 21.10.2010 in der Rechtssache SGI11 zu einer § 1 AStG ähnelnden Vorschrift im belgischen Steuerrecht bestätigt worden, wobei die konstatierte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit als gerechtfertigt angesehen worden ist, weil durch die angefochtene Vorschrift eine ausgewo1 Vgl. BFH v. 13.12.1979 – IV R 30/77, BFHE 130, 142 = BStBl. II 1980, 346 (348 – linke Spalte); BFH v. 5.11.1981 – IV R 103/79, BFHE 135, 6 = BStBl. II 1982, 258 (260 – linke Spalte). 2 Vgl. zur Ablehnung des Grundsatzes der einheitlichen Zuordnung von Wirtschaftsgütern Rz. 3.52. 3 Vgl. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., 275; s. jedoch den neuen Tatbestand der Entstrickungs-Entnahme in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG. 4 Vgl. BFH v. 20.5.2010 – IV R 42/08, BStBl. II 2010, 820 = FR 2010, 984 m. Anm. Kanzler. 5 Vgl. Vorlagebeschluss des BFH v. 23.1.2001 – VIII R 48/98, BFHE 194, 383 = BStBl. II 2001, 395 = FR 2001, 590; Rücknahmebeschluss v. 14.10.2003 – VIII R 48/98, BFH/NV 2004, 441; v. 16.3.2004 – VIII R 48/98, BFHE 205, 458 = FR 2001, 590 = BStBl. II 2004, 725; vgl. zum Streitstand Ismer, DB 2003, 2197; Beiser, DB 2003, 15; Beiser, DB 2003, 2000; Wassermeyer, DB 2003, 2616; Gschwendtner, DStR 2004, 1638. 6 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149; s. aber Nichtanwendungserlass: BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/1005, BStBl. I 2009, 671. 7 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97 BStBl. II 1998, 321 = FR 1998, 487 – unter II.5a; Rundshagen, IStR 1998, 241; FW, IStR 1998, 243; Kaminski, SteuStud 1998, 505; Wassermeyer, IStR 1997, 657. 8 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise, Rz. 95 m.w.N.; a.A. wohl BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321 = BFHE 185, 24 = FR 1998, 487 und die dort unter II.5a zitierte Literatur. 9 BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123. 10 Vgl. BFH v. 21.6.2001 – I B 141/00, DStR 2001, 1290 = IStR 2001, 509 = DB 2001, 1648; Köplin/ Sedemund, IStR 2002, 120; Scheuerle, IStR 2002, 798. 11 EuGH v. 21.10.2010 -Rs. C-311/08 – SGI, ECLI:EU:C:2010:26 = IStR 2010, 144.

280

Andresen

E. Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip

Rz. 4.245 Kap. 4

gene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten erreicht wird.1 Es bestehen jedoch nach wie vor Zweifel daran, dass es für jeden Fall der Besteuerung nach § 1 AStG eine Rechtfertigung gibt, die einen Verstoß gegen die Niederlassungs- bzw. Kapitalverkehrsfreiheit sanktioniert.2 Diese sehen ungeachtet des anders entschiedenen BFH-Urteils vom 25.6.2014 (I R 88/12) zu § 1 Abs. 1 AStG (i.d.F. bis 2002) sowohl das Sächsische FG3 als auch das FG Rheinland-Pfalz4 für die ab dem VZ 2003 geltende Fassung des § 1 AStG. Außerdem bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer sofortigen Festsetzung der Steuer bzw. Steuererstattung auf einen Gewinn oder Verlust, der im Außenverhältnis nicht realisiert ist.5 Theorie der finalen Entnahme bzw. Betriebsaufgabe. Beginnend mit dem Urteil vom 16.7.19696 hat der BFH die Überführung von Wirtschaftsgütern aus einem inländischen Betrieb in dessen ausländische Betriebsstätten als Entnahme behandelt, die mit dem Teilwert zu bewerten ist, wenn der Gewinn der ausländischen Betriebsstätten auf Grund eines DBA nicht der inländischen Besteuerung unterliegt. Er geht dabei davon aus, dass die bis zum Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsgutes in das Ausland entstandenen stillen Reserven zu den Einkünften der ausländischen Betriebsstätte gehören, an denen dem Belegenheitsstaat das alleinige Besteuerungsrecht zugewiesen ist. Für die Aufgabe eines Betriebes und den anschließenden Wegzug in einen DBA-Partnerstaat bzw. den Neuabschluss eines DBA7 hat der BFH in einer Reihe von Urteilen8 ähnlich entschieden und eine finale Betriebsaufgabe angenommen und die stillen Reserven als im Zeitpunkt der Aufgabe steuerpflichtig angesehen. Diese für die Wirtschaftsjahre bis 2000 noch relevante Rechtsprechung9 ist in der Zwischenzeit und auch mit Wirkung für diese Wirtschaftsjahre überholt (s. dazu Rz. 4.245 und 4.246).

4.244

Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme. Den Wendepunkt der Rechtsprechung markiert insoweit das Urteil vom 17.7.2008 (I R 77/06),10 in dem der BFH Gelegenheit erhalten hat, die lange beabsichtigte Aufgabe der sog. Theorie der finalen Entnahme am Beispiel eines geeigneten Sachverhalts zu erklären. Streitgegenstand war der Wert der Einlage sämtlicher Anteile an einer US-Kapitalgesellschaft durch eine inländische Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) in eine EU-ausländische Personengesellschaft, an der die GmbH & Co. KG als Kom-

4.245

1 Vgl. EuGH v. 21.10.2010 – Rs. C-311/08 – SGI, ECLI:EU:C:2010:26 = IStR 2011, 144, Tz. 56, 60–64; Englisch, IStR 2010, 139. 2 Vgl. Andresen, IStR 2010, 289. 3 Vgl. FG Sachsen v. 26.1.2016 – 3 K 653/11, EFG 2016, 1328 (Rev. BFH I R 14/16). 4 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 25.6.2016 – 1 K 1472/13, ISR 2016, 404 m. Anm. Glahe = EFG 2016, 1678 (Az. des EuGH C-382/16). 5 Vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, ECLI:EU:C:2011:785, 2. Leitsatz, 2. Spiegelstrich = FR 2012, 25 m. Anm. Musil = IStR 2012, 27; vgl. dazu auch Momsen, RIW 2012, 302 ff., zu den Schlussanträgen der GA Kokott v. 8.9.2011 (ECLI:EU:C:2011:563): Linn, IStR 2011, 817 ff.; kritisch Wassermeyer, IStR 2011, 813 ff. 6 Vgl. BFH v. 16.7.1969 – I 266/65, BStBl. II 1970, 175; zustimmend v. 30.5.1972 – VIII R 111/69, BStBl. II 1972, 760; v. 24.11.1982 – I R 123/78, BStBl. II 1983, 113 = FR 1983, 198. 7 Vgl. BFH v. 16.12.1975 – VIII R 3/74, BStBl. II 1976, 246, zur aktuellen Diskussion vgl. Reiter, IStR 2012, 357 ff.; Bron, IStR 2012, 904 ff.; Herbort/Sendke, IStR 2014, 499 ff. 8 Vgl. BFH v. 28.4.1971 – I R 55/66, BStBl. II 1971, 630; v. 30.5.1972 – VIII R 111/69, BStBl. II 1972, 760; v. 13.10.1976 – I R 261/70, BStBl. II 1977, 76; v. 19.2.1998 – IV R 38/97, BStBl. II 1998, 509. 9 Vgl. BFH v. 7.10.1974 – GrS 1/73, BStBl. II 1975, 168 = BFHE 114, 189; v. 9.2.1972 – I R 205/66, BStBl. II 1972, 455 = BFHE 105, 15; v. 16.12.1975 – VIII R 3/74, BStBl. II 1976, 246 = BFHE 117, 563; v. 14.6.1988 – VIII R 387/83, BStBl. II 1989, 187 = BFHE 154, 309 = FR 1988, 671. 10 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149; s. dazu den Nichtanwendungserlass BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 – S2134/07/10005 – 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671.

Andresen 281

Kap. 4 Rz. 4.246

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

manditistin beteiligt gewesen ist. Durch die Sacheinlage der Anteile erhöhte sich die Kommanditeinlage der GmbH & Co. KG (Klägerin) bei der EU-ausländischen Personengesellschaft. Die Klägerin hat die Sacheinlage in ihrer steuerlichen Gewinnermittlung als Entnahme zum Teilwert behandelt, gleichzeitig jedoch einen Ausgleichsposten in Höhe des Teilwerts gebildet und somit den Entnahmegewinn neutralisiert. Dieser Vorgehensweise hat die Auffassung zugrunde gelegen, dass der Entnahmegewinn mangels Realisierung im Außenverhältnis nicht im Zeitpunkt der Übertragung der Anteile auf die EU-ausländische Tochter-Personengesellschaft, sondern erst bei Realisierung der stillen Reserven der Beteiligung, z.B. durch Veräußerung, zu versteuern ist. Der BFH hat sich der Auffassung der Klägerin angeschlossen, weil es das Besteuerungsrecht Deutschlands an den im Inland entstandenen stillen Reserven nicht durch das einschlägige DBA eingeschränkt gesehen hat.1 Der Grund dafür hat darin gelegen, dass der BFH den Funktionszusammenhang zwischen dem Wirtschaftsgut und der inländischen Betriebsstätte als fortbestehend angesehen hat und Deutschland bei einer späteren Veräußerung seinen Anteil an dem Veräußerungsgewinn bzw. -verlust weiterhin als nachgelagerte inländische Betriebsstätteneinkünfte besteuern kann. Die entsprechende Besteuerungsgrundlage im innerstaatlichen Recht findet sich in der in § 24 Satz 1 Nr. 2 EStG normierten nachlaufenden Besteuerung von Einkünften aus ehemaligen Tätigkeiten und früheren Rechtsverhältnisses i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG. Das Urteil dürfte gleichwohl ein Fehlurteil sein, weil die österreichische Betriebsstätte nicht die Betriebsstätte der deutschen KG gewesen ist, sondern die der deutschen KG als Kommanditistin vermittelten Betriebsstätte der österreichischen KG, einem unterschiedlichen Rechtsträger. Der BFH hat sich also den falschen Sachverhalt für die Verabschiedung von der Theorie der finalen Entnahme ausgesucht. Der Steuerpflichtige und dessen Steuerberater haben insoweit Glück gehabt.

4.246 Aufgabe der Theorie der finalen Betriebsaufgabe. Mit seinen Urteilen v. 28.10.2009 – I R 99/082 und I R 28/083 beendet der BFH seine Rechtsprechung4 zur finalen Betriebsaufgabe und stützt sich dabei auf die gleiche Auslegung der DBA, die er schon dem Urteil vom 17.7.2008 (I R 77/06, FR 2008, 1149) zugrunde gelegt hat: Nach seiner Auffassung löst die Verlegung des inländischen Betriebs eines selbständigen Erfinders in das Ausland (nach Belgien) keine fiktive Betriebsaufgabe aus, wenn die zukünftigen Gewinne der im Ausland (neu) errichteten Betriebsstätte im Inland nicht steuerbar oder – bei Fortbestehen – einer (Geschäftsleitungs-)Betriebsstätte (Stammhaus) im Inland diese Gewinne auf Grund eines DBA von der Besteuerung im Inland freigestellt sind.5 Während das FG Düsseldorf6 die von der Finanzverwaltung angenommene Betriebsaufgabe i.S.d. § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG noch wegen Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit verworfen hat, geht der BFH weiter und verwirft die Besteuerung eines Aufgabegewinns auch im Verhältnis zu Nicht-EU-Mitgliedstaaten für die Fälle, in denen ein Betrieb in identischer Form im Ausland fortgeführt wird. Der Grund liegt darin, dass Deutschland gem. § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG das Recht zur Besteuerung desjenigen Gewinns sowohl aus der Veräußerung einschließlich Betriebsaufgabe als auch aus der Lizenzierung von Rechten weiterhin – und auch nicht beschränkt durch DBA-Normen – be1 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149 unter III.3.b)bb) m.w.N. 2 BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke; s. dazu den Nichtanwendungserlass: BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278. 3 BFH/NV 2010, 432, 6. Leitsatz. 4 Vgl. BFH v. 28.4.1971 – I R 55/66, BStBl. II 1971, 630; v. 13.10.1976 – I R 261/70, BStBl. II 1977, 76; v. 26.3.1984 – I R 191/79, BStBl. II 1984, 664. 5 Vgl. Andresen, ITPJ 2010, Vol. 17, No. 3, 188. 6 Vgl. FG Düsseldorf v. 18.3.2008 – 1 K 4110/04, EFG 2009, 259.

282

Andresen

E. Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip

Rz. 4.249 Kap. 4

sitzt, mit dem der Betriebsinhaber (beschränkt) steuerpflichtig (ist) bleibt. Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts sind folglich auch hier nicht gegeben, so dass eine Sofortbesteuerung der stillen Reserven unzulässig gewesen ist. Zu der Frage der Unionsrechtswidrigkeit äußert sich der BFH bewusst nicht.1 Gegenberichtigungen i.S.d. § 5 SchÜ. § 5 des EU-Schiedsübereinkommens sieht bei Vornahme einer Einkünftekorrektur durch einen Vertragsstaat vor, dass der andere Vertragsstaat und die betroffenen Unternehmen (einschließlich Betriebsstätten)2 der Berichtigung zustimmen und der andere Vertragsstaat wohl eine Gegenberichtigung vornehmen kann. Eine solche Gegenberichtigung ist seit dem Inkrafttreten des EU-Schiedsübereinkommens am 1.1.1995 im Verhältnis zu den Vertragsstaaten3 für alle offenen Veranlagungszeiträume möglich und das ungeachtet eines DBA, das u.U. keine Vorschrift zur Gegenberichtigung enthält. Diese war bis zur Neuformulierung des Wortlauts des Art. 7 OECD-MA 2010 für Betriebsstätten ohnehin nicht vorgesehen.

4.247

Verständigungsverfahren i.S.d. Art. 25 OECD-MA. Die im Wortlaut dem Art. 25 OECDMA entsprechenden Vorschriften der einschlägigen DBA, die Deutschland mit anderen Staaten wirksam abgeschlossen hat, ermöglichen den beiden Vertragsstaaten, Verständigungsverfahren zu führen, um Doppelbesteuerungen aus der Einkünfteabgrenzung zwischen Betriebsstätten in beiden Staaten im Verhandlungswege zu vermeiden. Daraus resultierende Verständigungsvereinbarungen haben bei erfolgter Zustimmung durch den Steuerpflichtigen Auswirkungen auf die Gewinnermittlung für die Wirtschaftsjahre bis 2000, indem sie den Artikel zu Unternehmensgewinnen des einschlägigen DBA und deren Abgrenzung in beiden Vertragsstaaten einheitlich umsetzen.

4.248

II. Einkünfteabgrenzung in den ab dem 1.1.2000 beginnenden bis in die vor dem 31.12.2005 endenden Wirtschaftsjahre Rechtsgrundlagen der Einkünfteabgrenzung in den Wirtschaftsjahren 2000–2005. In den Wirtschaftsjahren 2000 bis 2005 gilt das Veranlassungsprinzip fort (s. Rz. 4.234–4.237), sowohl was die Zurechnung von Einnahmen/Erträgen als auch, was die Zurechnung von Betriebsausgaben und Werbungskosten/Aufwendungen anbetrifft.4 Einnahmen sind in Anlehnung an § 8 Abs. 1 EStG ggf. i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG alle Zuflüsse in Geld oder Geldeswert, die durch den Betrieb oder den jeweiligen Betriebsteil veranlasst sind.5 Für die Veranlassung einer Betriebseinnahme muss ein objektiver wirtschaftlicher oder tatsächlicher Zusammenhang mit dem Betrieb oder dem jeweiligen Betriebsteil bestehen.6 Das Veranlassungsprinzip gilt nach § 4 Abs. 4 ggf. i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG gleichermaßen für die Be-

1 Siehe dazu Kessler/Spengel, DB 2016 Beilage Nr. 1 zu Heft 5 m.w.N. 2 Art. 1 Abs. 2 SchÜ. 3 Siehe zum Ratifikationsprozess bei der Verlängerung des Übereinkommens Krabbe in Wassermeyer, Vor Art. 1 EU-SchÜ Rz. 2 und 3. 4 Vgl. Roser in Gosch3, § 8 KStG Rz. 290–301a; Wagner in Blümich, § 34d EStG Rz. 30; s. zum Veranlassungsprinzip insbesondere auch Prinz, StuW 1996, 267 ff. 5 Vgl. Crezelius in Kirchhof16, § 4 EStG Rz. 153; Heinicke in Schmidt36, § 4 EStG Rz. 27 ff.; Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 522; BFH v. 21.11.1963 – IV 345/61 S, BStBl. III 1964, 183; v. 17.4.1986 – IV R 115/84, BStBl. II 1986, 607 = FR 1986, 414; v. 26.9.1995 – VIII R 35/93, BStBl. II 1996, 273 = FR 1996, 212; v. 14.3.2006 – VIII R 60/03, BStBl. II 2006, 650. 6 Vgl. Crezelius in Kirchhof16, § 4 EStG Rz. 153; Wagner in Blümich, § 34d EStG Rz. 30.

Andresen 283

4.249

Kap. 4 Rz. 4.250

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

triebsausgaben, unabhängig davon, wo die Ausgaben oder Aufwendungen zunächst angefallen und gebucht worden sind.1 Auch bei den Betriebsausgaben verlangt die Rechtsprechung2 einen objektiven Zusammenhang mit dem Betrieb oder Betriebsteil (Betriebsstätte). Die neuere bestätigende Rechtsprechung des Großen Senats zur Trennung von Aufwendungen in einen privat und einen betrieblich veranlassten Teil bestätigt wiederum, dass eine anteilige Zurechnung von Erträgen und Aufwendungen auf mehr als eine Betriebsstätte steuerlich zulässig sein muss.3 Die Finanzverwaltung wendet für die Prüfung der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung ab dem Veranlagungszeitraum 20004 die Betriebsstättenverwaltungsgrundsätze an, die die bis dahin veröffentlichten BMF-Schreiben vom 31.5.1979 (Versicherungsbetriebsstätten; Rz. 4.238),5 vom 24.8.1984 (Kontroll- und Koordinierungsstellen; Rz. 4.239), vom 12.2.1990 (Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte; Rz. 4.240), vom 3.6.1992 (Überführung von Wirtschaftsgütern aus einer inländischen Betriebsstätte in das ausländische Stammhaus; Rz. 4.241) und vom 29.6.1996 (Dotationskapital von inländischen Betriebsstätten ausländischer Kreditinstitute; Rz. 4.242) ab dem VZ 2000 ersetzen.6 Überführungen von Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätten und Betriebsverlagerungen ins Ausland dürften auch in dem hier behandelten Zeitraum nicht von der Theorie der finalen Entnahme bzw. Betriebsaufgabe erfasst sein (Rz. 4.245–4.246), wenn die einschlägigen Rechtsbehelfsverfahren verfolgt werden. Gegenberichtigungen i.S.d. § 5 SchÜ (Rz. 4.247) und Verständigungsvereinbarungen unter wirksamen DBA (Rz. 4.248) finden auch in dem hier behandelten Zeitraum Anwendung.

4.250 Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze 1999/2000.7 Die Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze enthalten die Regeln der Einkünfteabgrenzung aus Sicht der Finanzverwaltung für die Veranlagungszeiträume ab 2000. Danach soll einer Betriebsstätte der Teil des Gewinns des Gesamtunternehmens zugeordnet werden, den sie nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs erwirtschaftet hat (Erwirtschaftungsgrundsatz). Um dies zu erreichen, sind der Betriebsstätte die Wirtschaftsgüter nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit und die mit den Wirtschaftsgütern im Zusammenhang stehenden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nach dem Veranlassungsprinzip zuzuordnen.8 Gewinne aus Innentransaktionen dürfen wegen der rechtlichen und tatsächlichen Einheit von Stammhaus und Betriebsstätte und der Unmöglichkeit des Abschlusses schuldrechtlicher Vereinbarungen im Innenverhältnis nicht berücksichtigt werden. Darin liegt der entscheidende Unterschied zur Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen. Die Zuordnung von Wirtschaftsgütern folgt dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit, was bedeutet, dass diejenigen Wirtschaftsgüter einer Betriebsstätte zuzuordnen sind, die der Betriebsstättenfunktion dienen.9 Ist dies nicht eindeutig be-

1 Vgl. Wagner in Blümich, § 34d EStG Rz. 30. 2 Vgl. BFH v. 21.11.1983 – GrS 2/82, BStBl. II 1984, 160 = FR 1984, 177. 3 Vgl. BFH v. 4.7.1990 – GrS 2/88, GrS 3/88, BStBl. II 1990, 817 = FR 1990, 708; v. 21.9.2009 – GrS 1/06, BStBl. II 2010, 672 = FR 2010, 225 m. Anm. Kempermann; s. dazu Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 557–558. 4 Vgl. BS-VWG, Tz. 6.2. 5 Siehe zur Einkünfteabgrenzung bei Betriebsstätten von Versicherungsunternehmen, Pensionsfonds und Versicherungszweckgesellschaften Rz. 11.189 ff. 6 Vgl. BS-VWG, Tz. 6.3. 7 BS-VWG i.d.F. des BMF v. 20.11.2000 – IV B 4 - S 1300-222/00, BStBl. I 2000, 1509 ff. 8 Vgl. BS-VWG, Tz. 2.2 in der bis 31.12.2005 geltenden Fassung. 9 Vgl. BS-VWG, Tz. 2.4 in der bis 31.12.2005 geltenden Fassung unter Verweis auf BFH v. 29.7.1992 – II R 39/89, BStBl. II 1993, 63.

284

Andresen

E. Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip

Rz. 4.251 Kap. 4

stimmbar, kommt es auf den Willen der Geschäftsleitung1 oder – zumindest indiziell – auf den buchmäßigen Ausweis2 an. Schließlich ist nach Ansicht der Finanzverwaltung die Zentralfunktion des Stammhauses zu beachten, nach der dem Stammhaus in der Regel die dem Gesamtunternehmen dienenden Finanzmittel und die Beteiligungen zuzuordnen sind, soweit Letztere nicht einer in der Betriebsstätten ausgeübten Tätigkeit dienen. Hinsichtlich der Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlage- und des Umlaufvermögens in eine DBA-Betriebsstätte haben die BS-VWG die drohende Besteuerung stiller Reserven durch die Bildung eines Ausgleichsposten für maximal zehn Jahre (nur Anlagevermögen) aufgeschoben, soweit das überführte Wirtschaftsgut noch nicht aus dem Betrieb ausgeschieden ist.3 Die Rechtsprechung zur Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme und Betriebsaufgabe (s. Rz. 4.245–4.246) ist dabei jedoch zu beachten. Die Überführung von Wirtschaftsgütern in ein ausländisches Stammhaus oder ein ausländische Personengesellschaft soll eine sofortige Besteuerung der stillen Reserven auslösen, da die Wirtschaftsgüter nach Ansicht der Finanzverwaltung aus der deutschen Besteuerungshoheit ausscheiden.4 Für Kreditinstitute ersetzt das BMF-Schreiben vom 29.9.2004 (Verwaltungsgrundsätze – Dotationskapital)5 die Tz. 4.1.3 der BS-VWG für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2004 beginnen.6 Keine rückwirkende Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG in Wirtschaftsjahren, die vor dem 1.1.2006 enden. § 52 Abs. 8b Satz 2 EStG respektive § 34 Abs. 8 Satz 3 KStG jeweils i.d.F. des JStG 2010 sehen vor, dass die Entstrickungs-Entnahme in § 4 Abs. 1 Abs. 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG in Wirtschaftsjahren, die vor dem 1.1.2006 enden, für Fälle gelten soll, in denen ein Wirtschaftsgut, das bisher einer inländischen Betriebsstätten eines unbeschränkt Steuerpflichtigen zuzuordnen gewesen ist, nunmehr einer ausländischen Betriebsstätte dieses Steuerpflichtigen zuzuordnen ist, deren Einkünfte durch ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung freigestellt sind, oder in denen ein Wirtschaftsgut bei einem beschränkt Steuerpflichtigen nicht mehr einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Tz. 2.2 der BS-VWG in der durch das BMF-Schreiben v. 25.8.2009 angepassten Fassung verlangt entsprechend auch den Ansatz des gemeinen Werts bei Vorgängen i.S.d. §§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und 12 Abs. 1 Satz 1 KStG. Da diese geänderte Fassung ausweislich des letzten Absatzes des BMF-Schreibens vom 25.8.2009 jedoch erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2005 enden, müssen Steuerpflichtige keine rückwirkende Anwendung der Vorschriften fürchten und könnten sich gegebenenfalls auf die Selbstbindung der Finanzverwaltung berufen. Würde die Finanzverwaltung ungeachtet ihrer Selbstbindung § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG in den vor dem 1.1.2006 endenden Wirtschaftsjahren anwenden, wie der Gesetzgeber im JStG 2010 vorsieht, könnte ein Steuerpflichtiger die Finanzverwaltung für die Kosten in Amtshaftung nehmen, die für die

1 Vgl. BS-VWG, Tz. 2.4 in der bis 31.12.2005 geltenden Fassung unter Verweis auf BFH v. 1.4.1987 – II R 186/80, BStBl. II 1993, 63. 2 Vgl. BS-VWG, Tz. 2.4 in der bis 31.12.2005 geltenden Fassung unter Verweis auf BFH v. 29.7.1992 – II R 39/89, BStBl. II 1993, 63. 3 Vgl. BS-VWG, Tz. 2.6.1 in der bis 31.12.2005 geltenden Fassung. 4 Vgl. BS-VWG, Tz. 2.6.3 und 2.6.4 in der bis 31.12.2005 geltenden Fassung; a.A. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149; s. aber Nichtanwendungserlass: BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/1005, BStBl. I 2009, 671. 5 Vgl. BMF v. 29.9.2004 – IV B 4 - S 1300 – 296/04, BStBl. I 2004, 917 (Grundsätze der Verwaltung zur Bestimmung des Dotationskapitals bei Betriebsstätten international tätiger Kreditinstitute). 6 Siehe zur Einkünfteabgrenzung bei Betriebsstätten von Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten Rz. 11.49 ff.

Andresen 285

4.251

Kap. 4 Rz. 4.252

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Durchsetzung seines Rechts entstehen. Eine solche rückwirkende Anwendung trifft auch auf verfassungsrechtlichen Bedenken1 und ist daher als unzulässig einzustufen.2 Dass die Verstrickungseinlage nicht auch in Wirtschaftsjahren angewendet werden soll, die vor dem 1.1.2006 enden, macht den Nichtanwendungsgesetz-Charakter des JStG 2010 in diesem Punkt noch deutlicher.

4.252 Keine rückwirkende Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG in Wirtschaftsjahren, die vor dem 1.1.2006 enden. § 52 Abs. 6 Satz 1 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 25.7.20143 sieht vor, dass § 4 Abs. 1 Abs. 4 EStG in allen Fällen gelten sollen, in denen § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG anzuwenden ist. § 34 Abs. 8 Satz 3 KStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG sieht vor, dass § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG in Wirtschaftsjahren anzuwenden ist, die vor dem 1.1.2006 enden, wenn einer ausländischen DBA-Betriebsstätte ein Wirtschaftsgut zuzuordnen ist, das zuvor einer inländischen Betriebsstätte desselben Körperschaftsteuerpflichtigen zugeordnet gewesen ist oder es nicht mehr der inländischen Betriebsstätte eines beschränkt Körperschaftsteuerpflichtigen zuzuordnen ist. Die rückwirkende Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG ist wegen der Folgewirkung der Selbstbindung der Finanzverwaltung im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und verfassungsrechtlicher Bedenken abzulehnen. Dasselbe gilt für § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG allein wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die beabsichtigte Rückwirkung. Die Selbstbindung der Finanzverwaltung bezieht sich zwar auf beide Entstrickungsnormen, § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG bezieht sich jedoch hinsichtlich des eigenen Anwendungszeitraums nicht auf den des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG.

4.253 Kein Ansatz des gemeinen Werts im Rückwirkungszeitraum vor dem 1.1.2006. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG verlangt den Ansatz des gemeinen Werts bei Entnahmen i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG. Gemäß § 52 Abs. 16 Satz 1 EStG ist § 6 Abs. 1 EStG in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes vom 7.12.2006 (BGBl. I 2006, 2782) erstmals für nach dem 31.12.2005 endende Wirtschaftsjahre anzuwenden. Durch das JStG 2010 ist der zeitliche Anwendungsbereich für diese Vorschrift nicht auf Wirtschaftsjahre ausgedehnt worden, die vor dem 1.1.2006 enden.4 Entsprechend wäre selbst dann, wenn entgegen der Zweifel an der Anwendbarkeit der Entstrickungsnormen diese von der Finanzverwaltung zur Anwendung gebracht werden, die Rechtsfolge in diesen früheren Zeiträumen auf den Ansatz des Teilwerts beschränkt.

4.254 Keine rückwirkende Anwendung der Entstrickungs-Aufgabe des § 16 Abs. 3a ggf. i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG in Wirtschaftsjahren, die vor dem 1.1.2006 enden. Mit dem JStG 2010 hat der Gesetzgeber mit § 16 Abs. 3a ggf. i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG die Entstrickungs-Betriebsaufgabe gesetzlich normiert. Ziel dieser Regelung sollte wohl die faktische Nichtanwendung der BFH-Urteile v. 28.10.2009 – I R 99/085 und I R 28/086 in allen offenen 1 Vgl. BVerfG v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BStBl. II 2009, 685 = FR 2009, 873 m. Anm. Buciek. 2 So auch Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 486; Frotscher, § 4 EStG Rz. 362; Micker, IWB 2011, 714; Chuchra et al., DB 2010, Beilage Nr. 7, 8; a.A. BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278; Hörster, NWB 2010, 4164; Musil, FR 2011, 545; Mitschke, FR 2011, 706. 3 BGBl. I 2014, 1266 (Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften). 4 Vgl. JStG 2010, Art. 1 Nr. 38 Buchst. d und e. 5 BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke; s. dazu den Nichtanwendungserlass: BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278. 6 BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432, 6. Leitsatz.

286

Andresen

E. Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip

Rz. 4.256 Kap. 4

Fällen sein, wie es § 52 Abs. 34 Satz 5 EStG vorsieht. Eine solche rückwirkende Anwendung trifft auch auf verfassungsrechtlichen Bedenken1 und ist daher als unzulässig einzustufen.2 Dasselbe gilt für die Stundungsregelung in § 36 Abs. 5 EStG, die nach § 52 Abs. 50d Satz 2 EStG in allen Fällen gelten soll, in denen § 16 Abs. 3a EStG anzuwenden ist.

III. Einkünfteabgrenzung für nach dem 31.12.2005 und bis zum 31.12.2012 endende Wirtschaftsjahre 1. Änderungen durch das SEStEG Rechtsgrundlagen der Einkünfteabgrenzung in den Wirtschaftsjahren 2006 bis 2012. In den Wirtschaftsjahren 2006 bis 2012 gilt das Veranlassungsprinzip grundsätzlich fort (s. Rz. 4.234–4.237), so dass die existierenden Auslegungshilfen aus Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung grundsätzlich weiter für Auslegungszwecke herangezogen werden können.

4.255

Ergänzende Rechtsgrundlagen der Gewinnabgrenzung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2005 enden.3 Neben dem fortgeltenden Veranlassungsprinzip (s. dazu Rz. 4.255 oben) hat der Gesetzgeber mit dem SEStEG folgende ergänzende Vorschriften eingeführt, die sicherstellen sollen, dass der inländische Fiskus beim Ausschluss oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts an stillen Reserven, die Wirtschaftsgütern innewohnen, bei Ausscheiden dieser Wirtschaftsgüter aus der deutschen Besteuerungshoheit diese sofort besteuern kann:

4.256

a) § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG/§ 12 Abs. 1 Satz 1 KStG (Entstrickung zum gemeinen Wert, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG bei Überführung von Wirtschaftsgütern ins Ausland und gleichzeitigem Ausschluss oder gleichzeitiger Beschränkung der deutschen Besteuerungshoheit, ggf. gemildert durch Bildung eines sich über fünf Jahre reduzierenden Ausgleichspostens i.S.d. § 4g EStG); b) § 12 Abs. 3 KStG (Entstrickung zum gemeinen Wert bei Verlegung der Geschäftsleitung oder des Sitzes ins EU-Ausland oder DBA-Ausland bei gleichzeitigem Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht in einem EU/EWR-Staat); c) § 4 Abs. 1 Satz 7 (heute: 8) Halbs. 2 EStG (Verstrickung zum gemeinen Wert, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG jeweils ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG bei Überführung von Wirtschaftsgütern ins Inland); d) § 3 Abs. 1 Satz 1 UmwStG (Entstrickung zum gemeinen Wert bei der Verschmelzung einer Kapital- auf eine Personengesellschaft oder auf eine natürliche Person, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG nicht erfüllt sind), dies gilt i.V.m. § 9 UmwStG auch für den Formwechsel einer Kapital- in eine Personengesellschaft; e) § 11 Abs. 1 Satz 1 UmwStG (Entstrickung des übergehenden Betriebsvermögens zum gemeinen Wert bei der Verschmelzung einer Körperschaft auf eine andere Körperschaft,

1 Vgl. BVerfG v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BStBl. II 2009, 685 = FR 2009, 873 m. Anm. Buciek. 2 So auch Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 486; Frotscher, § 4 EStG Rz. 362; Micker, IWB 2011, 714; Chuchra et al., DB 2010, Beilage Nr. 7, 8; a.A. BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278; Hörster, NWB 2010, 4164; Musil, FR 2011, 545; Mitschke, FR 2011, 706. 3 Vgl. § 52 Abs. 8b EStG i.d.F. des SEStEG.

Andresen 287

Kap. 4 Rz. 4.256

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG nicht erfüllt sind); f) § 13 Abs. 1 UmwStG (Entstrickung der Anteile an der übertragenden Körperschaft zum gemeinen Wert bei der Verschmelzung einer Körperschaft auf eine andere Körperschaft, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des i.S.d. § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG nicht erfüllt sind); g) § 15 Abs. 1 UmwStG (Entstrickung des übergehenden Betriebsvermögens zum gemeinen Wert bei der Auf- und Abspaltung von Kapitalgesellschaften, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG nicht erfüllt sind); h) § 15 Abs. 1 UmwStG (Entstrickung der Anteile an der übertragenden Gesellschaft zum gemeinen Wert bei der Auf- und Abspaltung von Kapitalgesellschaften, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des i.S.d. § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG nicht erfüllt sind); i) § 16 UmwStG (Entstrickung des übergehenden Betriebsvermögens zum gemeinen Wert bei der Auf- und Abspaltung von Personengesellschaften, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des i.S.d. § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG nicht erfüllt sind); j) § 20 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 UmwStG (Entstrickung des übergehenden Betriebsvermögens zum gemeinen Wert bei der Einbringung von Unternehmensteilen in eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UmwStG nicht erfüllt sind);1 k) § 21 UmwStG (Entstrickung der eingebrachten Anteile zum gemeinen Wert beim Anteilstausch, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des i.S.d. § 21 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 UmwStG nicht erfüllt sind); l) § 24 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 UmwStG (Entstrickung zum gemeinen Wert bei der Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils in eine Personengesellschaft, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des i.S.d. § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG nicht erfüllt sind).2 Gemäß § 52 Abs. 8b EStG und § 34 Abs. 8 KStG jeweils i.d.F. des SEStEG sind die Änderungen in § 4 Abs. 1 EStG und § 12 Abs. 1 KStG auf einschlägige Sachverhalte in all jenen Wirtschaftsjahren anzuwenden, die nach dem 31.12.2005 enden. Die durch den Gesetzgeber mit Verabschiedung des JStG 2010 beabsichtigte rückwirkende Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 KStG auf Jahre vor 2005 durch den § 52 Abs. 8b Satz 2 EStG respektive § 34 Abs. 8 KStG jeweils i.d.F. des JStG 2010 ist verfassungswidrig3 und kann daher nicht zur wirksamen Anwendung dieser beiden Vorschriften auf Sachverhalte führen, die in Wirtschaftsjahren verwirklicht worden sind, die vor dem 1.1.2006 enden.

1 Siehe zur Vorgängernorm aus dem UmwStG 1995 die EuGH-Rechtsprechung in der Rs. DMC: EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, ECLI:EU:C:2014:20 = FR 2014, 466 m. Anm. Musil = IStR 2014, 106 m. Anm. Mitschke; vgl. dazu Linn, IStR 2014, 136 ff.; Mitschke, IStR 2014, 214 ff.; Nitzschke, IStR 2014, 367 ff.; Nitzschke, IStR 2014, 524 ff.; Müller, ISR 2014, 136 ff.; Lüdicke, IStR 2014, 537 ff.; Mitschke, IStR 2014, 668 f. 2 Vgl. auch Schnitger, Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 487, Berlin 2013, 31. 3 Vgl. BVerfG v. 10.10.2012 – 1 BvL 6/07, BStBl. II 2012, 932 unter C.; Frotscher, § 4 EStG Rz. 362; Micker, IWB 2011, 714; Chuchra et al., DB 2010, Beilage Nr. 7, 8; a.A. Finanzausschuss, BT-Drucks. 17/3549, 27 f.; BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278; Hörster, NWB 2010, 4164; Musil, FR 2011, 545; Mitschke, FR 2011, 706.

288

Andresen

E. Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip

Rz. 4.257 Kap. 4

Die geänderten Vorschriften des UmwStG sind erstmals auf Umwandlungen und Einbringungen anzuwenden, bei denen die Anmeldung zur Eintragung in das für die Wirksamkeit des jeweiligen Vorgangs maßgebende öffentliche Register nach dem 12.12.2006 erfolgt ist. Für Einbringungen, deren Wirksamkeit keine Eintragung in ein öffentliches Register voraussetzt, sind diese Vorschriften erstmals anzuwenden, wenn das wirtschaftliche Eigentum an den eingebrachten Wirtschaftsgütern nach dem 12.12.2006 übergegangen ist. Die Vorschriften des UmwStG wirken auf die Wertansätze in der Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers (Rechtsfolge) und sind daher nicht als Korrekturnormen einzustufen, auch wenn die Tatbestandsvoraussetzungen denen der Korrekturnormen zu Entstrickung ähneln. Entstrickungs-Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG/§ 12 Abs. 1 KStG. Mit dem SEStEG führt der Gesetzgeber in Gestalt des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG/§ 12 Abs. 1 KStG einen allgemeinen Entstrickungstatbestand ein, von dem nur die Anteile an einer Europäischen Gesellschaft (SE) oder einer Europäischen Genossenschaft (SCE) bei einer Sitzverlegung – nicht jedoch bei einer Veräußerung1 – ausgenommen sind. Dieser Entstrickungstatbestand sollte ursprünglich erstmals für Wirtschaftsjahre gelten, die nach dem 31.12.2005 enden (§ 52 Abs. 8b EStG i.d.F. des SEStEG). Durch das JStG 2010 wird die rückwirkende Anwendung auf alle noch offenen Fälle angeordnet, die jedoch nicht in verfassungskonformer Weise zustande gekommen ist, so dass eine Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG auf Wirtschaftsjahre beschränkt ist, die nach dem 31.12.2005 beginnen. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG/ § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG sehen vor, dass eine Entnahme fingiert wird, wenn das Besteuerungsrecht Deutschlands an dem Gewinn aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts durch dessen Überführung in einen anderen Unternehmensteil ausgeschlossen oder beschränkt wird. Ein Ausschluss des Besteuerungsrechts ist immer dann gegeben, wenn die Besteuerung von Wirtschaftsgütern (hier: eines Unternehmens) bzw. der entsprechenden Bemessungsgrundlage der Steuerhoheit Deutschlands entzogen ist. Entgegen Wied2 liegt eine Beschränkung des Besteuerungsrechts nicht schon dann vor, wenn auf eine inländische Steuer die auf einen Entstrickungsvorgang entfallende ausländische Steuer anzurechnen oder von der inländischen Steuer abzuziehen ist, was sowohl im Verhältnis zu DBAwie auch Nicht-DBA-Staaten der Fall sein kann.3 Hier ist trennscharf zwischen der Ermittlung der Einkünfte bzw. der Zuordnung der alleinigen oder der sich überschneidenden Besteuerungsrechte zweier DBA-Staaten (Art. 6–22 OECD-MA) einerseits und der Berechnung der darauf entfallenden Steuer andererseits zu unterscheiden. Die Einkünfte, die Deutschland der Besteuerung zugrunde legen kann und darf (insbesondere die während der Verweildauer im Inland entstandenen stillen Reserven), sind nicht in ihrer Höhe beschränkt. Folglich ist keine Beschränkung des Besteuerungsrechts an diesen Einkünften gegeben. Die Auflösung einer möglicherweise drohenden Doppelbesteuerung durch die Anrechnung oder den Abzug stellt insoweit keine Beschränkung dar. Angesichts der Tatsache, dass auch gegenüber DBA-Partnerstaaten mit Freistellungsmethode für Betriebsstätteneinkünfte der Besteuerungsanspruch Deutschlands an den bis zur Überführung eines Wirtschaftsguts entstandenen stillen Reserven nicht durch DBA eingeschränkt ist und mit § 24 Nr. 2 EStG eine innerstaatliche Anspruchsgrundlage für die Besteuerung dieser nachgelagerten Einkünfte vorliegt, fällt es schwer, für den § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und seine Parallelnorm § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG einen

1 Vgl. Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 487a. 2 Vgl. Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 486c m.w.N.; a.A. Wassermeyer, DB 2006, 2420; Schönfeld, IStR 2010, 133. 3 Vgl. Hruschka, StuB 2006, 584; Werra/Teiche, BB 2006, 1455; Stadler/Elser, BB 2006, Special 8, 18; Förster, DB 2007, 72.

Andresen 289

4.257

Kap. 4 Rz. 4.258

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Anwendungsbereich für die nach dem 1.1.2006 endenden Wirtschaftsjahre zu finden. Die notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen sind schlicht nicht erfüllt.

4.258 Ausschluss bzw. Beschränkung des inländischen Besteuerungsrechts qua Fiktion. Die Wiederherstellung des Anwendungsbereichs der Entstrickungs-Entnahme nach Ergehen des BFHUrteils vom 17.7.2008 (I R 77/06, FR 2008, 1149) hat der Gesetzgeber durch das Einfügen des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG1 und des § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG im JStG 2010 zu verwirklichen versucht. Dort wird „insbesondere“ für den Wechsel der Zuordnung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen zu einer ausländischen Betriebsstätte – und entgegen der Auslegung des BFH – fingiert, dass durch diesen Wechsel das Besteuerungsrecht Deutschlands an dem Gewinn aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt sei. Auch wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge nicht nur auf einen solchen Wechsel der Zuordnung begrenzen wollte („insbesondere“), dürfte einer über dieses konkretisierte Beispiel hinausgehenden Anwendung der Vorschrift die insoweit mangelnde Bestimmtheit der Vorschrift verfassungsrechtliche Grenzen setzen, so dass letztendlich nur das gesetzlich normierte Beispiel die Rechtsfolge der Entstrickungs-Entnahme zum gemeinen Wert auslöst – im Verhältnis zu EU-Mitgliedstaaten gemildert um den Ausgleichsposten i.S.d. § 4g EStG. Kessler/Philip haben Zweifel daran, dass dies auch der BFH so sehen wird.2 Konsequenterweise müsste der BFH die gesetzlich normierte Fiktion in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG wegen eines durch sie begründeten Verstoßes gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip verwerfen, wie er es mit anderen Fiktionen auch schon gemacht hat,3 weil ein Gewinn im Außenverhältnis nicht realisiert ist.4

4.259 Anwendung der Entstrickungs-Entnahme jedenfalls auf alle Entstrickungen nach dem 27.8.2010.5 § 52 Abs. 8b Satz 3 i.V.m. Satz 2 EStG und § 34 Abs. 8 Satz 3 KStG wollen die Fiktion des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG auf Wechsel der Zuordnung von Wirtschaftsgütern in Wirtschaftsjahren anwenden, die vor dem 1.1.2006 enden. Die dadurch bewirkte echte Rückwirkung ist verfassungswidrig. Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2005 enden, ist § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG so lange nicht anwendbar, wie es an einer rechtlich wirksamen Vorschrift fehlt, die den fehlenden Ausschluss bzw. die fehlende Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts an den Überführungen oder Nutzungen (sic!) von Wirtschaftsgütern ins Ausland heilt. Gosch spricht 2008 noch von einem Leerlaufen der Regelung.6 Dass § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG daran grundlegend etwas ändert, ist zu bezweifeln (s. Rz. 4.258). § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG sind entgegen § 52 Abs. 8b Satz 3 EStG und § 34 Abs. 8 Satz 3 KStG frühestens mit dem Zeitpunkt des endgültigen Gesetzbeschlusses über diese Vorschriften wirksam geworden.7 Dies gilt auch für § 6 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 EStG, der auf § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG verweist (§ 52 Abs. 12 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010). Dies bedeutet, dass ein Wechsel der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu ausländischen Betriebsstätten nur dann von der Entstrickungs-Entnahme 1 Siehe auch den entsprechenden Verweis in § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG. 2 So auch Kessler/Philipp, DStR 2012, 267 (272). 3 Vgl. das einschlägige Urteil zu § 50d Abs. 10 EStG: BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, FR 2011, 179 m. Anm. Mitschke = BFH/NV 2011, 138 unter III.2.b). 4 Vgl. dazu Gosch, IWB 2012, 779. 5 Der 27.8.2010 ist das Datum der erstmaligen Bekanntgabe der Norm in BT-Drucks. 17/2823. 6 Vgl. Gosch, BFH-PR 2008, 499 (500); Roser, DStR 2008, 2389 (2393 f.); Prinz, DB 2009, 807 (810); Ditz, IStR 2009, 115 (120 f.); Kahle/Franke, IStR 2009, 406 (408 ff.); a.A. Mitschke, DB 2009, 1376 ff.; Mitschke, FR 2009, 326 (329 f.). 7 Vgl. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht22, § 4 Rz. 175.

290

Andresen

E. Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip

Rz. 4.261 Kap. 4

zum gemeinen Wert erfasst sein kann, wenn dieser Wechsel nach dem 27.8.2010 in Übereinstimmung mit dem Veranlassungsprinzip zu Buchwerten oder zumindest einem geringeren als dem gemeinen Wert erfolgt ist. Entstrickungs-Entnahme zum gemeinen Wert. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG sieht – abweichend von der allgemeinen Entnahmevorschrift – für Entstrickungs-Entnahmen den Ansatz des gemeinen Werts vor. Durch den Ansatz des gemeinen Werts zum Zeitpunkt des Ausschlusses oder der Beschränkung des inländischen Besteuerungsrechts käme es zur Besteuerung eines Gewinns, den das Einheitsunternehmen noch nicht realisiert hat. Eine solche Gewinnrealisierung widerspricht dem Leistungsfähigkeitsprinzip und ist deshalb abzulehnen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit eine solche Regelung mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags vereinbar ist, wenn gleichzeitig die Verbringung eines Wirtschaftsguts von einer Betriebsstätte des Einheitsunternehmens an einem inländischen Ort in eine andere Betriebsstätte dieses Einheitsunternehmens an einem anderen inländischen Ort mangels Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland keine Entstrickungs-Entnahme auslöst, sondern nach § 6 Abs. 5 EStG zum Buchwert überführt werden kann. Durch eine solche Ungleichbehandlung sind die Niederlassungsfreiheit i.S.d. Art. 49 AEUV und die Kapitalverkehrsfreiheit i.S.d. Art. 63 AEUV verletzt. Diese Verletzung der Niederlassungsfreiheit ist nach Auffassung des EuGH jedoch zulässig, weil die verletzende Norm grundsätzlich für eine zutreffende Abgrenzung der Besteuerungsrechte zwischen den betroffenen Staaten sorgt.1 Diese Verletzung erfährt jedoch insoweit keine Rechtfertigung über die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache National Grid Indus, als sie eine Sofortbesteuerung auslöst. Dies wirft wiederum die Frage auf, ob die Stundungsregelungen des inländischen Gesetzgebers insoweit konform gehen mit EU-Recht, als sie die Niederlassungsfreiheit nicht verletzen. Diese Frage hat der EuGH in der Rechtssache Verder LabTec GmbH & Co. KG positiv beantwortet, mit der er die Stundungsregelung des § 4g EStG als übereinstimmend mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) erkannt hat.2

4.260

Ausgleichsposten i.S.d. § 4g EStG. Nachdem im Gesetzgebungsverfahren zunächst eine Sofortbesteuerung der entstrickten stillen Reserven vorgesehen gewesen ist, hat der Bundesrat die Initiative ergriffen und durch die Aufnahme eines Ausgleichspostens den drohenden Verstoß der Entstrickungsnormen gegen die Niederlassungsfreiheit abgewendet.3 § 4g Abs. 1 EStG erlaubt unbeschränkt Steuerpflichtigen auf Antrag die Bildung eines Ausgleichspostens in Form des Unterschiedsbetrags zwischen dem Buchwert und dem nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG anzusetzenden Wert eines Wirtschaftsguts des Anlagevermögens, soweit (bzw. wenn) dieses Wirtschaftsgut infolge seiner Zuordnung zu einer Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 als entnommen gilt. Der Ausgleichsposten ist für jedes Wirtschaftsgut getrennt auszuweisen. Das Antragsrecht kann für jedes Wirtschaftsjahr nur einheitlich für sämtliche

4.261

1 Vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, ECLI:EU:C:2011:785 = FR 2012, 25 m. Anm. Musil = DStR 2011, 2334; v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission/Portugal, ECLI:EU:C:2012:521 = ISR 2012, 60 m. Anm. Müller = IStR 2012, 763 m. Anm. Kippenberg = IWB 2012, 515 und 723 m. Anm. Thömmes; v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommission/Spanien, ECLI:EU:C:2013:264 = ISR 2013, 225 m. Anm. Müller; v. 18.7.2013 – Rs. C-261/11 – Kommission/ Dänemark, ECLI:EU:C:2013:480 = ISR 2013, 311 m. Anm. Müller; v. 31.1.2013 – Rs. C-301/11 – Kommission/Niederlande, ECLI:EU:C:2013:47 = ISR 2013, 225 m. Anm. Müller. 2 Vgl. EuGH v. 21.5.2015 – Rs. C-657/13 – Verder LabTec, ECLI:EU:C:2015:331 = FR 2015, 600 = ISR 2015, 259 = IStR 2015, 440 ff. m. Anm. Mitschke. 3 Vgl. Lange, StuB 2007, 259 ff.; Hruschka, StuB 2006, 584 ff.; Kahle, StuB 2011, 903 ff.

Andresen 291

Kap. 4 Rz. 4.262

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

Wirtschaftsgüter ausgeübt werden. Der Antrag ist unwiderruflich. Der Ausgleichsposten ist im Jahr der Bildung und in den vier folgenden Wirtschaftsjahren zu jeweils einem Fünftel gewinnerhöhend aufzulösen. Eine sofortige Auflösung ist gesetzlich vorgesehen, wenn das betreffende Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen ausscheidet, es aus der Besteuerungshoheit der Mitgliedstaaten der EU ausscheidet oder dessen stille Reserven im Ausland aufgedeckt werden oder nach inländischen Steuervorschriften hätten aufgedeckt werden müssen. Die günstigere Regelung in den BS-VWG1 ist gemäß BMF vom 25.8.2009 mit Wirkung für nach dem 31.12.2005 beginnende Wirtschaftsjahre aufgehoben. Der Ausgleichsposten ist als passive Bilanzierungshilfe in der Steuerbilanz zu erfassen.2

4.262 Verfassungswidrigkeit, aber keine fortgesetzte Europarechtswidrigkeit der Entstrickungs-Entnahme wegen § 4g EStG: Spätestens für Überführungen bzw. Nutzungen von Wirtschaftsgütern in ausländische(n) Betriebsstätten, die nach dem 13.12.2010 (Tag der Gesetzesverkündung) stattfinden,3 tritt grundsätzlich die Rechtsfolge der Entstrickungs-Entnahme zum gemeinen Wert und die Besteuerung der stillen Reserven zum Zeitpunkt der Überführung bzw. der Nutzung ein. Dies soll geschehen, weil § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG den Ausschluss des Besteuerungsrechts Deutschlands fingiert, wenn die Zuordnung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen zu einer ausländischen Betriebsstätte wechselt. Nach welchen Kriterien sich ein solcher Zuordnungswechsel vollzieht, ist gesetzlich nicht bestimmt. Diese Unbestimmtheit eines Tatbestands, der eine Besteuerung von im Außenverhältnis nicht realisierten Gewinnen auslösen soll, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG verstößt also gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Gesetzesbestimmtheit. Auch § 1 Abs. 5 AStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2013 vermag diese Unbestimmtheit nicht zu heilen, weil in dieser Vorschrift kein Bezug zu § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG hergestellt wird. Neben den bestehenden Zweifeln an der Verfassungskonformität der aus der Vorschrift resultierenden Besteuerung nicht realisierter Gewinne und deren Unbestimmtheit ist die Entstrickungs-Entnahme nach wie vor europarechtswidrig, weil sie grenzüberschreitende Sachverhalte anders besteuert als inländische und die Steuer nicht erst dann entstehen lässt, wenn ein Gewinn im Außenverhältnis realisiert ist, wie es der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache National Grid Indus4 fordert. Die Europarechtswidrigkeit wird jedoch durch die Existenz des § 4g EStG geheilt, dessen aufschiebende Besteuerung im Einklang mit Europarecht steht.5

4.263 Keine Europarechtswidrigkeit des § 4g EStG. § 4g EStG sieht die Bildung eines Ausgleichspostens bei Gewinnrealisierungen aus der Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens vom Inland in das EU-Ausland vor. Der Ausgleichsposten soll über einen Zeitraum von fünf Jahren mit steuerlicher Wirkung aufgelöst werden. Auch diese zeitliche Streckung

1 Die alte Regelung ist nicht auf Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens beschränkt gewesen, hat nicht nur für das EU-Ausland gegolten, hat eine Auflösung gemäß Nutzungsdauer bis maximal zehn Jahren vorgesehen und hat das Wahlrecht zur Sofortbesteuerung getrennt nach Wirtschaftsjahr und Betriebsstätte zugelassen. 2 Vgl. Lange, StuB, 2007, 259; Hoffmann, DB 2007, 652; Lange, PiR 2007, 88; Benecke/Schnitger, IStR 2007, 22 (23); a.A. Hruschka, StuB 2006, 584 (585); Looks in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 886, 340. 3 Frühestens mit der erstmaligen Bekanntgabe der Norm in BT-Drucks. 17/2823 am 27.8.2010. 4 Vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, ECLI:EU:C:2011:785 = FR 2012, 25 m. Anm. Musil = IStR 2012, 27, Tz. 65 ff. 5 Vgl. EuGH v. 21.5.2015 – Rs. C-657/13 – Verder LabTec, ECLI:EU:C:2015:331 = FR 2015, 600 = ISR 2015, 259 = IStR 2015, 440 ff. m. Anm. Mitschke; a.A. noch Kessler/Spengel, DB 2016, Beilage Nr. 1 zu Heft 5.

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E. Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip

Rz. 4.264 Kap. 4

der Besteuerung von im Außenverhältnis nicht realisierten Gewinnen verstößt potentiell gegen die Niederlassungsfreiheit, wenn das betreffende Wirtschaftsgut die Vermögenssphäre des Unternehmens nicht verlässt. Die Diskriminierung grenzüberschreitender Sachverhalte liegt darin, dass § 4g Abs. 2 EStG durch Auflösung des Ausgleichspostens über fünf Jahre einen grenzüberschreitenden Fall schlechter behandelt als einen innerstaatlichen, weil dort die Steuer erst dann entsteht und zu entrichten ist, wenn eine Gewinnrealisierung eintritt. Aus demselben Grund hat das FG Köln1 in einem Aussetzungsbeschluss zu Tz. 2.6.1 der BetriebsstättenVerwaltungsgrundsätze die Vollziehung eines Steuerbescheids ausgesetzt, mit dem die stillen Reserven aus Aktien unter Auflösung eines von dem Steuerpflichtigen gebildeten Ausgleichspostens einer sofortigen Besteuerung im Inland unterzogen worden sind. Der Beschluss wird mit ernsthaften europarechtlichen Bedenken begründet. Diese Bedenken bestehen gleichermaßen bezogen auf § 4g EStG, da selbst eine aufgeschobene Gewinnrealisierung durch das ratierliche Auflösen eines Ausgleichspostens die Überführung eines Wirtschaftsguts in das EUAusland anders besteuern würde als eine identische Überführung im Inland.2 Der EuGH hat letztlich jedoch anders erkannt, so dass von einem europarechtskonformen Zustand der Entstrickungs-Besteuerung ausgegangen werden muss, wenn eine Streckung der Zahlung der Steuer über fünf Jahre gesetzlich vorgesehen ist.3 Gleiches dürfte mit den gleichen Argumenten für die finale Betriebsaufgabe und den Ausgleichsposten gem. § 36 Abs. 5 EStG gelten. Ausnahmetatbestand der Verstrickungs-Einlage. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG sieht vor, dass ein Wirtschaftsgut bei der Überführung von einer ausländischen in eine inländische Betriebsstätte mit dem gemeinen Wert (Überführungswert) anzusetzen ist. Dies würde bedeuten, dass die inländische Betriebsstätte in Abhängigkeit des anzusetzenden Werts im Überführungszeitpunkt eine höhere Abschreibung steuerlich geltend machen kann, als zuvor die ausländische Betriebsstätte, wobei diesem Vorteil ggf. der Nachteil einer sofortigen Besteuerung noch nicht realisierter Gewinne im Ausland gegenübersteht. Diese steuerliche Behandlung gilt unabhängig davon, wie die Überführung des Wirtschaftsguts in der ausländischen Betriebsstätte steuerlich behandelt worden ist. Wenn der ausländische Staat keine Entstrickung vorsieht,4 entstehen in Höhe der ggf. erhöhten Abschreibungsbeträge im Inland potentiell und intertemporär weiße Einkünfte, die erst wieder zu dem Zeitpunkt neutralisiert werden, in dem das Wirtschaftsgut aus der Vermögensphäre des Einheitsunternehmens ausscheidet und der ausländischen Betriebsstätte ein Gewinn in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen Buchwert und Überführungswert zugerechnet und dort besteuert wird. Die Verstrickungs-Einlage ist anzuwenden in Wirtschaftsjahren, die nach dem 31.12.2005 enden.

1 Vgl. FG Köln v. 16.11.2011 – 10 V 2336/11, EFG 2012, 302 m. Anm. Neu = IStR 2012, 184. 2 Gl.A. Kessler/Philipp, DStR 2011, 1888; weiterhin skeptisch nach Ergehen der EuGH-Entscheidung in der Rs. National Grid Indus: Kessler/Philipp, DStR 2012, 267 (272); Kessler/Philipp/Eicke, PIStB 2012, 67 (72). 3 Vgl. EuGH v. 21.5.2015 – Rs. C-657/13 – Verder LabTec, ECLI:EU:C:2015:331 = FR 2015, 600 = ISR 2015, 259 = IStR 2015, 440 ff. m. Anm. Mitschke; Rz. 51 (unter Verweis auf das Urteil in der Rs. DMC C-164/12, IStR 2014, 106 m. Anm. Mitschke). 4 So z.B. in Großbritannien die Einführung des Authorised OECD Approach in Sections 20–22 Corporation Tax Act 2009 („CTA 2009“): vgl. International Tax Manual, INTM282040: „So, if the company disposes of the asset in a later accounting period, the gain taxable in the other State is taken into account at that point in determining whether and to what extent there is a chargeable gain or allowable loss.“

Andresen 293

4.264

Kap. 4 Rz. 4.265

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

4.265 Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze 1999/2009. Mit dem BMF v. 25.8.20091 wird der Wortlaut der Tz. 2.2, 2.4, 2.6.1, 2.6.2, 2.9.2 und 2.10 der BS-VWG geändert und damit an die durch das SEStEG geänderten Vorschriften des EStG, KStG und UmwStG angepasst. Danach geht das BMF unter Bezugnahme auf die neuen Rechtsvorschriften in Tz. 2.2 der BSVWG von einer sofortigen Gewinnrealisierung ausgehend vom gemeinen Wert aus, wenn Wirtschaftsgüter in eine ausländische Betriebsstätte überführt werden.2 Eine Überführung zum gemeinen Wert wird – unter Verweis auf § 4 Abs. 1 Satz 7 [8] EStG – auch bei der Überführung von Wirtschaftsgütern aus einer DBA-ausländischen Freistellungs-Betriebsstätte in das inländische Stammhaus angenommen.3 Die Änderungen durch dieses BMF gelten nach dessen Wortlaut für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2005 enden.4 Für den Steuerpflichtigen ist diese Entwicklung vor allem deshalb problematisch, weil die Finanzverwaltung eine überholte Rechtsposition einnimmt, die vom BFH für die betroffenen Zeiträume explizit abgelehnt wird.

4.266 Entstrickung zum gemeinen Wert in Umwandlungen. Im Umwandlungssteuerrecht knüpfen zahlreiche Vorschriften den Ansatz des Buchwerts oder Zwischenwerts daran, dass das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter beim übertragenden und/oder übernehmenden Rechtsträger nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG verlangt bei der Verschmelzung auf eine Personengesellschaft oder natürliche Person bzw. beim Formwechsel in eine Personengesellschaft eine Besteuerungsmöglichkeit bei den Gesellschaftern der übernehmenden Personengesellschaft oder bei der übernehmenden natürlichen Person. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG verlangt für die Verschmelzung auf eine andere Körperschaft eine Besteuerungsmöglichkeit bei der übernehmenden Körperschaft für den Gewinn aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter.5 § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG verlangt für den Buchwertansatz bei Verschmelzungen auf eine andere Körperschaft die fortgesetzte Besteuerungsmöglichkeit der Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an der übernehmenden Körperschaft.6 Bei der Einbringung von Unternehmensteilen in eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft ist der Buchwertansatz für das übernommene Betriebsvermögen bei der übernehmenden Gesellschaft möglich, wenn ihr Besteuerungsrecht an dem Gewinn einer späteren Veräußerung des eingebrachten Betriebsvermögens nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt ist (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG). Beim Anteilstausch gilt dies ebenso hinsichtlich der erhaltenen Anteile (§ 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG) wie bei der Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils in eine Personengesellschaft für den Wert des übernommenen Betriebsvermögens bei der übernehmenden Personengesellschaft (§ 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG).7 1 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888. 2 Vgl. BS-VWG, Tz. 2.6.1 i.d.F. des BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/ 0421117, BStBl. I 2009, 888. 3 Vgl. BS-VWG, Tz. 2.6.1 i.d.F. des BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/ 0421117, BStBl. I 2009, 888. 4 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888 (890). 5 Vgl. zu möglichen Entstrickungen wegen ungeklärter Zuordnungsfragen bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schönfeld, IStR 2011, 497 (500 f.); Köhler, IStR 2010, 337 ff.; Klingberg/ Nitzschke, Ubg 2011, 451 ff.; Girlich/Philipp, Ubg 2012, 150 ff. 6 Vgl. zur Kritik an der fehlenden Klarheit des UmwSt-Erlasses zu Fällen, in denen das deutsche Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt ist, Riedel, Ubg 2013, 30 (36). 7 Vgl. Brähler/Blankenmeyer, RIW 2012, 288 ff.; Viehbrock/Hagemann, FR 2009, 737 ff.; Voß, BB 2006, 411 (414 ff.); im Verhältnis zu Drittstaaten: Brähler/Blankenmeyer, StuW 2008, 249 ff.

294

Andresen

E. Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip

Rz. 4.270 Kap. 4

Verstrickung zum gemeinen Wert in Umwandlungen. Reziprok sieht das Umwandlungssteuerrecht den Ansatz des gemeinen Werts für das eingebrachte Betriebsvermögen vor, wenn das Besteuerungsrecht Deutschlands an dem Gewinn aus der Veräußerung des eingebrachten Betriebsvermögens bzw. der übernommenen Wirtschaftsgüter im Zeitpunkt der Einbringung ausgeschlossen ist und auch nicht durch die Einbringung begründet wird (§ 20 Abs. 3 Satz 2 UmwStG) und soweit für Deutschland kein Recht auf Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung eines von einer Körperschaft übertragenen Wirtschaftsguts bestanden hat (§ 4 Abs. 4 Satz 2 UmwStG).

4.267

Anwendungszeitpunkt der Entstrickungsregelungen im Umwandlungssteuergesetz. Die Entstrickungsregelungen im neu gefassten UmwStG sind erstmals auf Umwandlungen und Einbringungen anzuwenden, bei denen die Anmeldung zur Eintragung in das für die Wirksamkeit des jeweiligen Vorgangs maßgebende öffentliche Register nach dem 12.12.2006 erfolgt ist. Für Einbringungen, deren Wirksamkeit keine Eintragung in ein öffentliches Register voraussetzt, ist diese Fassung des Gesetzes erstmals anzuwenden, wenn das wirtschaftliche Eigentum an den eingebrachten Wirtschaftsgütern nach dem 12.12.2006 übergegangen ist.1

4.268

Keine Anwendung der Entstrickungs-Aufgabe des § 16 Abs. 3a ggf. i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG auf Entstrickungen vor dem 27.8.2010. Mit dem JStG 2010 hat der Gesetzgeber mit § 16 Abs. 3a ggf. i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG die Entstrickungs-Betriebsaufgabe gesetzlich normiert. Ziel dieser Regelung sollte wohl die faktische Nichtanwendung der BFH-Urteile vom 28.10.2009 (I R 99/08 und I R 28/08) in allen offenen Fällen sein, wie es § 52 Abs. 34 Satz 5 EStG vorsieht. Eine solche rückwirkende Anwendung trifft auf verfassungsrechtliche Bedenken und ist daher als unzulässig einzustufen. Dasselbe gilt für die Stundungsregelung in § 36 Abs. 5 EStG die nach § 52 Abs. 50d Satz 2 EStG in allen Fällen gelten soll, in denen § 16 Abs. 3a EStG anzuwenden ist. Entsprechend ist die Regelung nicht auf Entstrickungen anwendbar, die vor dem 27.8.2010 – dem erstmaligen Bekanntwerden der Norm in BT-Drucks. 17/2823 – stattgefunden haben.2 Die potentielle Europarechtswidrigkeit dürfte durch die fünfjährige Stundungsregelung des § 36 Abs. 5 EStG jedoch abgewendet sein (s. Rz. 4.263).

4.269

2. Einführung der Zinsschranke durch das UntStReformG 2008 Keine Anwendung der Zinsschranke auf Betriebsstätten. Das UntStReformG 2008 führt mit der Zinsschranke (§ 4h EStG/§ 8a KStG 2008) eine neue Zinsabzugsbeschränkung mit Wirkung für Wirtschaftsjahre ein, die nach dem 25.5.2007 beginnen, nachdem die Vorgängervorschrift § 8a KStG vom EuGH als EU-rechtswidrig angesehen worden war. Die Vorschrift verlangt die Existenz eines Betriebs. Ausweislich des BMF vom 4.7.2008 sind Betriebsstätten keine eigenständigen Betriebe,3 so dass § 4h EStG/§ 8a KStG auf in- wie ausländische Betriebsstätten keine Anwendung findet.4

1 Siehe beispielhaft Klingberg/Nitzschke, PIStB 2007, 38 ff. 2 Siehe aber das anderslautende Urteil des FG Düsseldorf v. 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, EFG 2016, 209 f. m. Anm. Damrau, Rev. eingelegt (Az. des BFH: I R 95/15). 3 Vgl. BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742-a/07/10001 – DOK 2008/0336202, BStBl. I 2008, 718, Tz. 9. 4 Vgl. Häuselmann, FR 2009, 401 (404); Dörfler, Ubg 2008, 694; Bron, IStR 2008, 14 (15); Heuermann in Blümich, § 4h EStG Rz. 29; Oellerich in Mössner/Seeger3, § 8a KStG Rz. 99; a.A. wohl Seiler in Kirchhof16, § 4h EStG Rz. 14; Förster in Gosch2, § 4h EStG Rz. 10.

Andresen 295

4.270

Kap. 4 Rz. 4.271

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

3. Ergänzende Vorschriften der Einkünfteabgrenzung durch das JStG 2010 mit Wirkung ab dem 27.8.2010 (BT-Drucks. 17/2823)

4.271 Ergänzung der Rechtsgrundlagen der Gewinnabgrenzung durch das JStG 2010. Das JStG 2010 bringt für den Steuerpflichtigen insofern eine weitere Verschärfung der Entstrickungsbesteuerung sowohl in § 4 Abs. 1 Satz 3 als auch in § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG, als es mit § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG eine Fiktion ins Einkommensteuergesetz schreibt, die den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts insbesondere dann als gegeben ansieht, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Dieselbe Ergänzung wird in § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG vorgenommen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der BFH in seiner Entscheidung zur Aufgabe der finalen Entnahmetheorie und der Theorie der finalen Betriebsaufgabe die zeitlich uneingeschränkte Fortgeltung des Besteuerungsrechts Deutschlands an im Inland entstandenen stillen Reserven festgestellt hat, auch wenn die entsprechenden Wirtschaftsgüter bei laufendem Betrieb oder bei einer Betriebsaufgabe in eine ausländische Betriebsstätte überführt werden. § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG soll in allen Fällen anwendbar sein, in denen § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG anzuwenden ist. Der zeitliche Anwendungsbereich von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG i.d.F. des JStG 2010 wiederum ist – und das nur für die Neuzuordnung von Wirtschaftsgütern aus einer inländischen Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen in dessen ausländische Betriebsstätte, deren Einkünfte qua DBA freigestellt sind [sic!] – durch § 52 Abs. 8b Satz 2 EStG und § 34 Abs. 8 Satz 3 KStG jeweils i.d.F. des JStG 2010 auf die Wirtschaftsjahre ausgedehnt worden, die vor dem 1.1.2006 enden. Der Gesetzgeber versucht eine ihm unliebsame Rechtsprechung des BFH zu „kassieren“, indem er punktuell und rückwirkend das Gesetz ändert. Mangels Rechtmäßigkeit dieser Rückwirkung dürfte dieses Ansinnen jedoch für die Zeit vor Veröffentlichung des Wortlauts des JStG 2010 zum Scheitern verurteilt sein. Der ebenfalls mit dem JStG 2010 ins EStG eingefügte § 16 Abs. 3a EStG sieht im Fall des Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland an dem Gewinn aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter eines Betriebs oder Teilbetriebs die Rechtsfolgen der Betriebsaufgabe vor, mithin die Besteuerung sämtlicher stiller Reserven. Gleiches gilt durch den Verweis in § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG für die Überführung von Wirtschaftsgütern aus inländischen Betriebsstätten, in denen einer selbständigen Tätigkeit nachgegangen wird. Durch den Verweis auf die Fiktion in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG in der Vorschrift soll auch hier die unliebsame Rechtsprechung des BFH zur Aufgabe der Theorie der finalen Betriebsaufgabe „kassiert“ werden. § 52 Abs. 34 EStG sieht die Anwendung des § 16 Abs. 3a EStG „in allen offenen Fällen“ vor. Diese Rückwirkung ist rechtswidrig. Die Regelung kann lediglich auf Sachverhalte angewandt werden, die nach Veröffentlichung des Wortlauts der Vorschrift als Drucksache des Bundestags oder Bundesrats verwirklicht worden sind (s. dazu Rz. 6.35 ff.).

4.272 Regelbeispiel in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG/§ 12 Abs. 1 Satz 2 KStG. Das JStG 2010 fügt ein Regelbeispiel für Fälle ein, in denen von einem Ausschluss oder einer Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands am Gewinn aus der Veräußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsguts auszugehen ist. Dies soll insbesondere dann der Fall sein, wenn ein Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist, das bisher einer inländischen Betriebsstätte eines Steuerpflichtigen zuzuordnen gewesen ist. Diese Regelung dürfte frühestens auf Neuzuordnungen von Wirtschaftsgütern zu einer ausländischen Betriebsstätte anzuwenden sein, die nach dem 27.8.2010 stattfinden. Wonach sich die hier entscheidende Zuordnung bestimmt, lässt das Gesetz offen. Insoweit ist wohl auf das Veranlassungsprinzip abzustellen bzw. auf Handlungen des Steuerpflichtigen, die zu einer veränderten Zuordnung führen, sei es die 296

Andresen

E. Einkünfteabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip

Rz. 4.275 Kap. 4

tatsächliche Überführung von Wirtschaftsgütern ins Ausland oder die Vornahme einer Umwandlung, in deren Zuge Wirtschaftsgüter grenzüberschreitend reallokiert werden. Entstrickungs-Aufgabe i.S.d. § 16 Abs. 3a ggf. i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG. Das JStG 2010 fügt die sog. Entstrickungs-Betriebsaufgabe in das EStG ein (s. dazu Rz. 6.99 ff.). Auslöser dafür sind die BFH-Urteile v. 28.10.2009 (I R 99/08 und I R 28/08) gewesen, die der sofortigen Besteuerung der stillen Reserven bei Betriebsaufgaben und einem Wegzug ins EUAusland einen Riegel vorgeschoben haben. Das JStG 2010 schafft mit § 16 Abs. 3a und § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG einen Entstrickungstatbestand für Betriebsverlagerungen ins Ausland, für die die Fiktion des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG ebenfalls gilt und die auf alle noch offenen Fälle angewendet werden soll.1 Wegen der dadurch sonst bewirkten echten Rückwirkung dürfte die zulässige Anwendung des § 16 Abs. 3a EStG grundsätzlich auf Verlagerungen nach der Verkündung des JStG 2010 am 13.12.2010 beschränkt bleiben, im äußersten Fall auf Verlagerungen, die nach der erstmaligen Bekanntgabe der Norm in BT-Drucks. 17/2823 am 27.8.2010 stattgefunden haben. Dies gilt über die Verknüpfung des § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG auch für Betriebsverlagerungen aus Betrieben, in denen Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt werden. Die Entstrickungs-Betriebsaufgabe führt dazu, dass bei Betriebsverlagerungen in das Ausland mit Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts an dem Veräußerungsgewinn sämtlicher Wirtschaftsgüter des Betriebs oder Teilbetriebs diese als Betriebsaufgabe einzustufen sind. Die Betriebsaufgabe wiederum löst einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 EStG zum Zeitpunkt der Betriebsverlagerung aus.

4.273

Stundungsregelung i.S.d. § 36 Abs. 5 EStG.2 Zur Milderung des Besteuerungseffekts aus der Anwendung des § 16 Abs. 3a EStG hat der Gesetzgeber in § 36 Abs. 5 EStG eine Stundungsregelung vorgesehen, nach der die festgesetzte Steuer auf den Aufgabegewinn auf Antrag in fünf gleichen Jahresraten zu entrichten ist, wenn die überführten Wirtschaftsgüter einem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen in einem Staat der EU oder des EWR zuzuordnen sind (s. dazu Rz. 6.113).3 Dies gilt jedoch nur dann, wenn dieser Staat Amtshilfe gemäß AmthilfeRL und gegenseitige Unterstützung nach BeitreibungsRL leistet. Ob diese zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung der Steuerstundung vom EuGH als notwendig für die Abgrenzung der Besteuerungshoheiten angesehen wird und somit einen möglichen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit heilt, dürfte durch den EuGH geklärt sein.4 Die gestundete Steuer ist binnen eines Monats zu entrichten, wenn und nachdem der verlagerte Betrieb oder Teilbetrieb während des Stundungszeitraums eingestellt, veräußert oder in andere als die in Satz 1 der Vorschrift genannten Staaten verlegt wird.

4.274

Keine Anwendung der Stundungsregelung auf Aufgabegewinne i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG. § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG ist in § 36 Abs. 5 EStG nicht explizit genannt und enthält selbst auch keinen Hinweis auf die Anwendung der Stundungsregelung für Betriebsaufgaben im Bereich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Das Fehlen einer Stundungsregelung für Aufgabegewinne i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG dürfte dazu führen, dass der Verstoß gegen

4.275

1 Vgl. § 52 Abs. 34 Satz 6 EStG. 2 Vgl. Lange, StuB 2007, 259 ff.; Hruschka, StuB 2006, 584 ff.; Kahle, StuB 2011, 903 ff. 3 Diese Regelung gilt nach § 52 Abs. 50d Abs. 3 a.F. EStG für alle VZ, in denen § 16 Abs. 3a EStG angewandt werden kann. 4 Vgl. EuGH v. 21.5.2015 – Rs. C-657/13 – Verder LabTec, ECLI:EU:C:2015:331 = FR 2015, 600 = ISR 2015, 259 = IStR 2015, 440 ff. m. Anm. Mitschke; a.A. noch Kessler/Spengel, DB 2016, Beilage Nr. 1 zu Heft 5.

Andresen 297

Kap. 4 Rz. 4.276

Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht

die Niederlassungsfreiheit nicht ausreichend abgemildert ist und insoweit zur EU-Rechtswidrigkeit der Vorschrift führen muss.

4.276 Europarechtswidrigkeit des § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG. Die Vorschrift setzt den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter des Betriebs oder Teilbetriebs mit der Aufgabe eines Gewerbebetriebs gleich, was die Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb in Höhe des Veräußerungsgewinns zur Folge hat, der stille Reserven in diesen Wirtschaftsgütern umfasst. § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG fingiert auch für Zwecke des § 16 Abs. 3a EStG den Ausschluss des Besteuerungsrechts Deutschlands an den Gewinnen aus Betriebsaufgaben bei dem Wechsel der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer ausländischen Betriebsstätte. Nach welchen Kriterien sich ein solcher Wechsel vollzieht, definiert das Gesetz nicht, und setzt sich dadurch dem Vorwurf der Unbestimmtheit aus, weil der Steuerpflichtige nicht weiß, wann er bzw. ein später prüfender Finanzbeamter von einem Wechsel auszugehen hat. Diese Unbestimmtheit ist ein Verstoß gegen das Prinzip der Gesetzesbestimmtheit und weckt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift.

4.277 Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze 1999/2010. Das BMF vom 16.4.20101 ersetzt die Tz. 1.1.5.1 und die Tz. 1.1.5.2 der BS-VWG (zur Beteiligung an einer Personengesellschaft und zur Einstufung einer ausländischen Gesellschaft) ab dem Veröffentlichungsdatum des BMF vom 16.4.2010. Unmittelbare Auswirkungen auf die Einkünfteabgrenzung ergeben sich daraus nicht.

F. Übersicht über die geltenden Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte(n) 4.278 Tabellarische Übersicht zu den Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung. Die detaillierte Darstellung der Rechtsentwicklung zeigt, dass der Gesetzgeber im Zeitablauf ein Gebilde von Regelungen aufgebaut hat, das sich durch ein Nebeneinander einer stetig zunehmenden Anzahl an Vorschriften auszeichnet, die häufig kumulativ anzuwenden sein werden. Die nachfolgende Übersicht fasst die jeweils anzuwendenden Rechtsgrundlagen der Betriebsstätten-Gewinnabgrenzung für die einzelnen Besteuerungsabschnitte ab 1999 zusammen: Rechtsnorm

Zeitraum Bis Ab 31.12.1999 1.1.2000 bis 31.12.2005

Veranlassungsprinzip X (§ 8 Abs. 1 u. § 4 Abs. 4 EStG BMF-Schreiben v. 12.2.1990; v. 3.6.1992; v. 31.5.1979; v. 24.8.1984 und v. 29.6.1996

X

Ab Ab 1.1.2006 1.1.2007 bis 31.12 2010

Ab Ab Ab 1.1.2010 1.1.2013 1.1.2015 bis 31.12.2012

X

X

X

X

1 Vgl. BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354.

298

Andresen

Rz. 4.278 Kap. 4

F. Rechtsgrundlagen der Gewinnermittlung Rechtsnorm

Zeitraum Bis Ab 31.12.1999 1.1.2000 bis 31.12.2005

BS-VerwGrds

Ab Ab 1.1.2006 1.1.2007 bis 31.12 2010

Ab Ab Ab 1.1.2010 1.1.2013 1.1.2015 bis 31.12.2012

X

X

X

X

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X

§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG

(X)

(X)

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§ 4 Abs. 1 Satz 4 EStG

(X)

(X)

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§ 12 Abs. 1 KStG

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(X)

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X

§ 4g EStG

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X

§ 4 Abs. 1 Satz 7 (heute: 8) Halbs. 2 EStG

(X)

(X)

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X

§ 3 Abs. 1 Satz 1 UmwStG

X

X

X

X

§ 11 Abs. 1 Satz 1 UmwStG

X

X

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X

§ 20 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 UmwStG

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X

X

X

§ 24 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 UmwStG

X

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X

§ 16 Abs. 3a EStG ggf. i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG

(X)

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§ 36 Abs. 5 EStG

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§ 1 Abs. 5 AStG BsGaV VWG BsGa

X

Andresen 299

Kapitel 5 Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht A. Entwicklung des Art. 7 OECD-MA

5.1

B. Betriebsstättenprinzip (Abs. 1) . . .

5.4

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2) I. Abgrenzung von Unternehmensgewinnen für nach dem 22.7.2010 ratifizierte DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2010 1. Fiktion funktionaler Selbständigkeit der Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . 2. OECD-Betriebsstättenbericht 2010 3. Hypothetische Verselbständigung der Betriebsstätte (Schritt 1 des AOA) a) Funktionsanalyse und Zuordnung von Personalfunktionen („significant people functions“). . . . . . . b) Zuordnung von Wirtschaftsgütern („assets“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuordnung von Risiken („risks“) d) Zuordnung von Geschäftsbeziehungen („rights and obligations“) e) Zuordnung von Eigenkapital („capital“). . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen („funding costs“) g) Bestimmung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen („dealings“) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gewinnzurechnung zur verselbständigten Betriebsstätte (Schritt 2 des AOA) . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung von Unternehmensgewinnen für nach dem 17.7.2008 ratifizierte DBA (Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2008)

300

Andresen

5.10 5.15

5.17 5.21 5.29 5.31 5.33 5.43 5.51 5.54

1. Geltung der erweiterten Selbständigkeitsfiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einkünfteabgrenzung nach dem OECD-Betriebsstättenbericht 2008

5.56 5.58

III. Abgrenzung von Unternehmensgewinnen für vor dem 17.7.2008 ratifizierte DBA (Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2008) 1. Eingeschränkte Selbständigkeitsfiktion („relevant business activity approach“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Gewinnrealisierung ohne Realisierung im Außenverhältnis . . .

5.69

IV. Tabellarische Übersicht zur Auslegung deutscher DBA . . . . . . . .

5.70

D. Gegenberichtigung (Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010) . . . . . . . . .

5.71

E. Aufwandszuordnung (Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2008) . . . . . . . . .

5.73

F. Zuordnung von Betriebsstätteneinkünften zu anderen Verteilungsnormen (Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2010 vormals Art. 7 Abs. 7 OECD-MA 2008) . . . . . . . . . . . . . . .

5.77

G. Aufteilung von Gesamtgewinnen (Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2008) . . .

5.78

H. Keine Gewinnzurechnung zu Einkaufsbetriebsstätten in vor dem 22.7.2010 ratifizierten DBA (Art. 7 Abs. 5 OECD-MA 2008) . . .

5.79

I. Grundsätzliche Fortführung einer gewählten Zurechnungsmethode (Art. 7 Abs. 6 OECD-MA 2008) . . .

5.80

5.68

A. Entwicklung des Art. 7 OECD-MA

Rz. 5.1 Kap. 5

A. Entwicklung des Art. 7 OECD-MA Vom OECD-MA 1963 bis zum OECD-MA 2008. Der 1956 konstituierte Steuerausschuss der Vorläuferorganisation der OECD hat in seinem Bericht des Jahres 1963, dem das Musterabkommen und offizielle Kommentare der Mitgliedstaaten beigefügt gewesen sind,1 den ursprünglichen Wortlaut der Vorschrift formuliert. Dieser Wortlaut hat im Wesentlichen die Prinzipien der rechtlichen Selbständigkeit und des Fremdvergleichs („separate entity and arm’s length principles“)2 enthalten, die bereits aus den Arbeiten des Völkerbunds und den vor und zwischen den Weltkriegen abgeschlossenen DBA bekannt gewesen sind, und ist mit wenigen geringfügigen Änderungen und Ergänzungen zu diesen Prinzipien in das Musterabkommen aufgenommen worden. So hat der Steuerausschuss auch in der Klarstellung dieser Prinzipien und deren Anwendung auf die Abgrenzung von Einkünften im Innenverhältnis eines Unternehmens den wesentlichen Zweck der Vorschrift gesehen.3 Praktische Schwierigkeiten in der Anwendung dieser abstrakten Prinzipien durch die große Variationsbreite in deren Auslegung haben jedoch schon in den Jahren nach 1963 und immer wieder zu Doppelbesteuerungen und Keinmalbesteuerungen geführt, so dass die Finanzverwaltungen der OECD-Mitgliedstaaten sich genötigt gesehen haben, immer wieder in Wortlaut und Musterkommentierung nachzubessern.4 So sind Wortlaut und insbesondere die Musterkommentierung des Art. 7 bereits im Zuge der Revision des OECD-MA 1977 geändert worden. In den Jahren danach hat sich die OECD zunächst mit der Frage der Anwendung des Art. 7 auf die Gewinnabgrenzung von Bankbetriebsstätten in Form eines 1984 erschienen Berichts5 beschäftigt. Von 1987 an hat sich der Steuerausschuss erneut mit Art. 7 beschäftigt; eine Beschäftigung die in der Veröffentlichung des Berichts über die „Attribution of Income to Permanent Establishments“6 in 1993 kulminiert ist und Änderungen des OECD-MK zu Art. 7 nach sich gezogen hat.7 Das Fortbestehen gravierender Unterschiede in Anwendung und Auslegung des Art. 7 OECD-MA 1977 durch OECD- und Nicht-OECD-Mitgliedstaaten und die daraus resultierende Doppelbesteuerung haben den Steuerausschuss jedoch veranlasst, über die Nutzbarmachung der Auslegung des Fremdvergleichs zwischen eigenständigen Unternehmen i.S.d. Art. 9 OECD-MA in Gestalt der OECD-Verrechnungspreisleitlinien für die Betriebsstätteneinkünfteabgrenzung nachzudenken. Dieses Nachdenken, das in Richtung einer stärkeren Verselbständigung der Betriebsstätte für steuerliche Zwecke und damit auf eine Angleichung an Kapitalgesellschaften abgezielt hat, hat nach vielen Jahren letztlich zur Veröffentlichung des Berichts über die „Attribution of Profits to Permanent Establishments“ vom 17.7.2008 geführt. Dieser Bericht (OECD-Betriebsstättenbericht 2008) enthält eine nach wie vor gültige, neue Auslegung des alten Wortlauts des Art. 7 OECD-MA zur Abgrenzung von Unternehmensgewinnen. Diese neue Auslegung ist nicht durch die ursprüngliche Absicht des „Gesetzgebers“ oder die historisch gewachsene Auslegungspraxis durch die anwendenden Staaten in Verständigungsverfahren oder durch deren Gerichte in gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren beeinflusst und ist überdies von einer überarbeiteten parallel veröffentlichten Fassung des

Vgl. Lehner in V/L6, Grundlagen Rz. 34. Art. 7 Tz. 3 OECD-MK 2010. So Art. 7 Tz. 3 OECD-MK 2010. Vgl. Art. 7 Tz. 4 OECD-MK 2010. Vgl. OECD, The Taxation of Multinational Banking Enterprises in Transfer Pricing and Multinational Enterprises: Three Taxation Issues, Paris, 1984. 6 Vgl. OECD, Attribution of Income to Permanent Establishments, Issues in International Taxation, Paris, 1994, Tz. 5. 7 Vgl. Art. 7 Tz. 4 OECD-MK 2010.

1 2 3 4 5

Andresen 301

5.1

Kap. 5 Rz. 5.2

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

OECD-MK flankiert worden.1 Zentrales Element von Bericht und Kommentierungsänderung ist eine zwar noch eingeschränkte,2 aber deutlich stärkere Selbständigkeitsfiktion mit Bezug auf die Betriebsstätte. Beide dienen als Auslegungshilfe für alle DBA mit Deutschland als Vertragspartner, die den alten Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2008 enthalten und die nach dem Veröffentlichungsdatum des Berichts am 17.7.2008 von Deutschland ratifiziert worden sind (s. dazu die tabellarische Übersicht in Rz. 5.70). Als Auslegungshilfe für davor ratifizierte Abkommen scheiden der OECD-Betriebsstättenbericht 2008 und die überarbeitete Musterkommentierung für die Verwendung in gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren aus, weil der BFH eine statische Auslegung von Gesetzen verlangt.3 Für außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren und insbesondere Verständigungsverfahren mag dies in der Praxis anders sein. Der Grund dafür ist, dass die Finanzverwaltung, namentlich die Abteilungen St III 1 und 2 des BZSt, bei Verständigungsverfahren und Advance Pricing Agreements Einkünfteabgrenzungen zwischen Betriebsstätten in aller Regel ungeachtet des Wortlauts des einschlägigen Art. 7 des jeweiligen Abkommens in dynamischer Auslegung der relevanten Gesetzesmaterie sogar auf der Grundlage des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 verhandelt und zum Abschluss bringt.

5.2 Neuer Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2010 und OECD-Betriebsstättenberichts 2010. Die durch die gedankliche Verselbständigung der Betriebsstätte erreichte höhere Rechtssicherheit im Umgang mit der schwierigen Abgrenzung von Betriebsstätteneinkünften ist anschließend für zukünftig zu verhandelnde DBA auf eine neue Grundlage gestellt worden,4 indem die OECD den Wortlaut des Art. 7 OECD-MA dahingehend verändert hat, dass die für Auslegungsunterschiede anfälligen Abs. 3–6 der Vorschrift gestrichen worden sind. Zusätzlich ist der in Art. 7 Abs. 2 enthaltene Fremdvergleichsgrundsatz um die Selbständigkeitsfiktion („functionally separate entity approach“ oder auch „Authorised OECD Approach“ [„AOA“]) ergänzt worden. Die bisher fehlende und nunmehr ergänzte Rechtsgrundlage für eine unilaterale Gegenberichtigung analog Art. 9 Abs. 2 OECD-MA findet sich in Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010. Der vormalige Art. 7 Abs. 7 OECD-MA 2008 ist wortgleich in Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2010 übernommen worden. Die nachfolgende Kommentierung behandelt beide Fassungen des Art. 7, den Wortlaut der OECD-MA 2008 und 2010. Sie geht jedoch auf die OECD-Musterkommentierung vor dem 17.7.2008 nicht mehr ein, weil deren praktische Relevanz auf die (wenigen) Fälle beschränkt sein dürfte, in denen ein Steuerpflichtiger im Wege eines gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens bezogen auf den alten Wortlaut des Art. 7 für ein vor dem 17.7.2008 ratifiziertes DBA die Abgrenzung der Einkünfte im Verhältnis zu seiner in- oder ausländischen Betriebsstätte gerichtlich klären lassen möchte.

5.3 Eingeschränkte Geltung des AOA innerhalb und außerhalb der OECD-Mitgliedstaaten. Der Abschluss der langjährigen Diskussionen zur Einkünfteabgrenzung bei Betriebsstätten bringt ein gewisses Maß an Rechtssicherheit zumindest in den Fällen mit sich, in denen die betroffenen Staaten beide den AOA in innerstaatliches Recht umgesetzt haben oder zumindest als grenzüberschreitend anwendbares Abgrenzungskonzept anwenden, z.B. in Verständigungsverfahren und APAs. Darauf kann jedoch im Verhältnis zu Staaten nicht vertraut werden, die nicht Mitglieder der OECD sind und/oder das UN-Musterabkommen zur Grundlage 1 Vgl. Art. 7 Tz. 7 OECD-MK 2010. 2 Siehe zur Reichweite der Selbständigkeitsfiktion Ziehr, Einkünftezurechnung im internationalen Einheitsunternehmen, Lohmar 2008, zugl. Diss. Univ. Bamberg 2007, 86 ff. 3 Vgl. zuletzt BFH v. 25.11.2015 – I R 50/14, FR 2016, 861 m. Anm. Wassermeyer = ISR 2016, 198 m. Anm. Richter/Kater m.w.N. 4 Vgl. Art. 7 Tz. 7 OECD-MK 2010.

302

Andresen

B. Betriebsstättenprinzip (Abs. 1)

Rz. 5.4 Kap. 5

ihrer Verhandlungen von DBA machen. So zeigen die Stellungnahmen der Nichtmitgliedstaaten zu Art. 7 im OECD-MA 2010 („OECD-NM“), dass der AOA in zahlreichen Staaten als Abgrenzungskonzept abgelehnt wird. Das UN-Musterabkommen 2011 enthält nicht nur nicht den AOA, sondern erlaubt in hohem Maße eine Liefer- und/oder Leistungsgewinnbesteuerung1 und trägt somit den Bedürfnissen von Quellenstaaten in höherem Maße Rechnung, die im Quellenstaat verorteten Teile der Gesamtwertschöpfung dort auch anteilig der Besteuerung zuzuführen. China, das bspw. vor der Zurechnung einer Funktionsvergütung zu einer chinesischen Gesellschaft oder Betriebsstätte – etwa für den Vertrieb von Produkten in China – dieser Gesellschaft oder Betriebsstätte einen Margenanteil vorab für die Nutzung des chinesischen Markts der Besteuerung zuführen möchte, ist nur ein Beispiel für eine weiter um sich greifende Tendenz, versteckt oder offen eine Art Liefergewinnbesteuerung im Bereich der direkten Steuern einzuführen. Diese Tendenz macht auch vor entwickelten Staaten nicht halt, wie die Diskussion zum Thema Base Erosion und Profit Shifting („BEPS“) belegt: Es zeigt sich dort, dass auch entwickelte Staaten überlegen, wie sie Konzerne wie Amazon, Apple, Google etc. zur Versteuerung von Gewinnen in ihrem Staat anhalten oder zwingen können, die mit Kunden in diesen Staaten erzielt werden, ohne dass die Unternehmen in diesen Staaten eine steuerlich relevante Präsenz haben oder eine funktional nur eingeschränkte Präsenz. Wobei der Begriff der Funktion hier primär i.S.v. Wirtschaftsgütern ausgelegt wird, weil die Unternehmen durchaus Personal und damit Geschäftstätigkeit und deshalb auch Funktionen in diesen Ländern ausüben. Hier zeigt sich auch, dass Geschäftsmodelle, die primär auf immateriellen Wirtschaftsgütern als Hauptproduktionsfaktor gründen, die gleiche Tendenz haben wie die Geschäftsmodelle der Industriestaaten aus den Zeiten der industriellen Produktion, wenn es um die Möglichkeit der Besteuerung geht. Industriestaaten ohne rechtliches und/oder wirtschaftliches Eigentum an immateriellen Wirtschaftsgütern sind – ungeachtet des Orts, an dem diese entwickelt worden sind – gewissermaßen im selben Boot wie Entwicklungsländer, da ihre Möglichkeit der Besteuerung der Gewinne aus diesen Geschäften zunehmend eingeschränkt ist (s. zur weiteren Diskussion bzgl. BEPS: Kapitel 14). Sie entwickeln unter der Bezeichnung BEPS daher auch die gleichen Tendenzen zur Liefergewinnbesteuerung im Quellenstaat wie Entwicklungsländer.

B. Betriebsstättenprinzip (Abs. 1) Alleiniges Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats als Abgrenzungskonzept zur Lieferund/oder Leistungsgewinnbesteuerung. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 OECD-MA ordnet das alleinige Besteuerungsrecht an Gewinnen eines Unternehmens dem Ansässigkeitsstaat dieses Unternehmens zu. Diese Grenzziehung ist zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen auch deshalb notwendig, weil neben vielen Nicht-Industriestaaten insbesondere auch Staaten mit Common Law Gewinne von Unternehmen schon dann besteuern möchten, wenn „Verträge, auf denen Unternehmensgewinne beruhen, im Inland geschlossen werden, wenn die Leistung im Inland erbracht wird […] oder der Geschäftspartner seinen Wohnsitz im Inland hat.“2 Es ist besonders ärgerlich, dass dies im Versicherungs- und Rückversicherungsbereich bis heute nicht unüblich ist und sogar in DBA-Vorschriften zum Ausdruck kommt (so z.B. in Protokoll Nr. 4 Buchst. b zu Art. 7 DBA-Australien 1972 bzw. ab 1.1.2017 Art. 7 Abs. 6 DBA-Australien 2017; Protokoll Nr. 7 Buchst. a zu Art. 7 DBA-Neuseeland 1978). Der Grund dafür ist, dass diese Besteuerung zur ineffizienten Nutzung des Haftungskapitals führt und zu steuerlich abenteuer1 So auch Kahle/Kindich in H/K/G/R, § 1 Abs. 5–6 AStG Rz. 22. 2 Hemmelrath in V/L6, Art. 7 OECD-MA Rz. 3.

Andresen 303

5.4

Kap. 5 Rz. 5.5

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

lichen Ergebnissen, die Zweifel an der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätten wecken. Dies kann an folgendem Beispiel gezeigt werden: Das Erdbeben im Februar 2011 in Christchurch, Neuseeland, hat bei den neuseeländischen Betriebsstätten großer Rückversicherer zum Eintreten großer Schadensfälle geführt. Die dabei entstandenen Verluste im zwei- oder dreistelligen Millionenbereich werden mit hoher Wahrscheinlichkeit das vorhandene Eigenkapital der lokalen Versicherungsbetriebsstätten überstiegen und Hilfe des Stammhauses erfordert haben, damit der Geschäftsbetrieb aus aufsichtsrechtlicher Sicht weiter aufrechterhalten werden konnte. Der dadurch entstandene Verlustvortrag wird über Jahrzehnte fortbestehen, weil diejenigen der 4,24 Mio. Einwohner Neuseelands (Zensus 2013), die fortgesetzt bei dem jeweiligen Versicherungsunternehmen versichert sind, mit ihren Prämien auch in Jahrzehnten den durch den Schaden entstandenen Verlust nicht kompensieren können. Hier sollten Staaten ihren Appetit zügeln und keine Aushöhlung des Betriebsstättenprinzips vornehmen, weil jede einzelne Betriebsstätte zu klein ist, Risiken dieser Dimension allein zu schultern. Neben Nicht-Industrie- und Common Law-Staaten sind auch die USA zu nennen, die mit ihren „Effectively Connected Income“ („ECI“)-Regeln in Section 864 (c) Internal Revenue Code eine Abweichung vom Betriebsstättenprinzip kennen und dem Steuerpflichtigen insoweit ein Wahlrecht zwischen der Anwendung des AOA und den ECI-Regeln auf Ebene der Bundessteuern („federal taxes“) lassen. Auf Ebene der Bundesstaaten und Gemeinden gelten jedoch die ECI-Regeln, was wegen der Ausklammerung der dort erhobenen Steuern aus dem Steuerbegriff des DBA-USA zu Doppelbesteuerungen führen kann.

5.5 Betriebsstätte als Voraussetzung für die Besteuerung von Unternehmensgewinnen im Quellenstaat. Das alleinige Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats des Unternehmens wird in Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 OECD-MA dann eingeschränkt, wenn das Unternehmen in dem anderen Staat seine Geschäftstätigkeit dort durch eine in diesem anderen Staat belegene Betriebsstätte ausübt. Maßgeblich ist hier der Betriebsstättenbegriff des Betriebsstättenartikels (Art. 5 OECD-MA). Satz 2 der Vorschrift präzisiert, dass das Besteuerungsrecht des Quellenstaats insoweit neben das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates tritt, als der Betriebsstätte Gewinne nach Maßgabe des Abs. 2 zuzurechnen sind. Die Wahl der Worte „nach Abs. 2 zuzurechnen sind“ ist der wesentliche Unterschied zum Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 OECD-MA 2008. In ihnen und dem darin enthaltenen Verweis kommt zum Ausdruck, dass die OECD-Mitgliedstaaten bei Anwendung des AOA von einer größeren Klarheit über die zuzurechnenden Gewinne ausgehen als unter dem alten Wortlaut ohne den Verweis auf Abs. 2 („zugerechnet werden können“). Materiell-rechtlich dürfte in dieser Formulierungsänderung zum Ausdruck kommen, dass der einer Betriebsstätte zuzurechnende Gewinn auch dann im Betriebsstättenstaat besteuert werden kann und soll, wenn „das Unternehmen als Ganzes niemals Gewinne gemacht hat“1 (s. dazu auch Rz. 5.7). Ditz und ihm folgend Kroppen sehen dagegen keine materielle Veränderung.2 Dies erstaunt, manifestiert sich in der geänderten Formulierung doch die Grundidee der beteiligten Finanzverwaltungen, die den AOA geboren hat: die Möglichkeit, einen Gewinn in der Betriebsstätte der Besteuerung zuzuführen, während das Unternehmen als Ganzes einen Verlust ausweist. Die Uneinigkeit der Staaten über diesen Aspekt und die daraus resultierende Doppelbesteuerung als Auslöser für die sich in diesem geänderten Wortlaut niederschlagende Veränderung ist klar eine materiell-rechtliche. Diese materiell-rechtliche Änderung wird in Abs. 2 der Vorschrift mit Leben gefüllt- entsprechend dem strukturellen Zusammenwirken der Abs. 1 und 2 der Rechtsnorm. Satz 2 des Art. 7 Abs. 1 OECD-MA schafft die Möglichkeit der konkurrierenden Besteuerung von Unternehmensgewinnen durch den Ansässigkeitsstaat des Unternehmens und den Belegenheitsstaat 1 Art. 7 Tz. 11 OECD-MK 2008. 2 Vgl. Ditz in S/D, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 16; Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 82.

304

Andresen

B. Betriebsstättenprinzip (Abs. 1)

Rz. 5.7 Kap. 5

der Betriebsstätte. Die Besteuerung im Quellenstaat erfordert jedoch das Überschreiten der Aufgriffsschwelle in Gestalt der Existenz einer Betriebsstätte. Ist eine Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 OECD-MA im Quellenstaat begründet, darf dieser den Anteil an den Unternehmensgewinnen besteuern, der seine Quelle im Belegenheitsstaat dieser Betriebsstätte hat und der dieser Betriebsstätte auch zuzurechnen ist. Die Betriebsstätte bildet insoweit in zweierlei Hinsicht eine Grenze für das Recht der Besteuerung von Unternehmensgewinnen außerhalb des Ansässigkeitsstaats des Unternehmens: durch die Notwendigkeit der Existenz einer Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 OECD-MA (1) und die Voraussetzung der tatsächlichen Zurechenbarkeit von Einkünften zu einer solchen Betriebsstätte (2).1 Eine Attraktivkraft einer Betriebsstätte für ausgewählte oder sämtliche Einkünfte, die aus einem Staat stammen, besteht aus abkommensrechtlicher Sicht zwischen OECD-Staaten grundsätzlich nicht (mehr).2 Das heißt, etwaige Besteuerungsansprüche auf Einkünfte, die auf der Annahme der Existenz einer Attraktivkraft der Betriebsstätte im innerstaatlichen Recht einzelner Staaten beruhen, sind von Art. 7 OECD-MA nicht gedeckt, soweit diese Einkünfte keiner Betriebsstätte in diesem Staat zugerechnet werden können.3 Auf die eingeschränkte Attraktivkraft von Art. 7 Abs. 1 Satz 2 UN-MA ist jedoch hinzuweisen.4 Gewinnbegriff. Weder die Deutsche Verhandlungsgrundlage noch das OECD-MA enthalten in Art. 3 oder 7 eine Definition des Begriffs Unternehmensgewinne. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA 2010 sieht für diesen Fall vor, dass der das DBA anwendende Vertragsstaat den im Abkommen verwendeten Ausdruck (hier: Gewinn oder Unternehmensgewinn) nach seinem innerstaatlichen Steuerrecht auslegt. Dies kann dazu führen, dass der im Betriebsstättenstaat besteuerte Gewinn von dem Gewinn abweicht, den der Ansässigkeitsstaat des Unternehmens bei der Ermittlung der anrechenbaren Steuern der ausländischen Betriebsstätte ansetzt (Art. 23B OECD-MA) oder freistellt (Art. 23B OECD-MA). Für eine ausländische Betriebsstätte ist dies das zu versteuernde Einkommen i.S.d. R 2 Abs. 1 Nr. 17 EStR 2012 bzw. R 7.1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 34 KStR 2015 i.V.m. § 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 34d Nr. 1–4 EStG ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG. Für inländische Betriebstätten sind dies die vorgenannten Vorschriften aus den Richtlinien i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 1–3 EStG ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG.

5.6

Keine Beschränkung des Betriebsstättengewinns auf den Gesamtgewinn des Unternehmens. Zur Bekräftigung der Selbständigkeitsfiktion, die spätestens ab 2008 die Einkünfteabgrenzung für Betriebsstätten bestimmt, und in Abkehr vom Wortlaut des Art. 7 Abs. 4 OECDMA in der Fassung vor 2010 stellt der OECD-MK5 klar, dass der nach Art. 7 Abs. 2 für Zwecke des Art. 7 Abs. 1 zu bestimmende, der Betriebsstätte zuzurechnende Gewinn nicht auf den Gesamtgewinn des Unternehmens beschränkt ist. Gleichermaßen kann der Betriebsstätte ein Verlust zuzurechnen sein, obwohl das Unternehmen als Ganzes einen Gewinn erzielt hat. Dies gilt sowohl für den Besteuerungszeitraum als auch für die Totalperiode, d.h. den Zeitraum, in dem Einkünfte für die jeweilige Betriebsstätte abzugrenzen sind. Gewinn und Ver-

5.7

1 Bestätigend Art. 7 Tz. 11 f. OECD-MK 2010. 2 Vgl. Art. 7 Tz. 10 OECD-MK 2008; so auch Strunk/Kaminski in S/K/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 4.3; Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 72; Kahle/Kindich in H/K/G/R, § 1 Abs. 5–6 AStG Rz. 22. 3 Siehe zur Diskussion zur Verdrängung des Prinzips der Attraktivkraft Art. 7 Tz. 12 OECD-MK 2010; Hemmelrath in V/L6, Art. 7 OECD-MA Rz. 42. 4 Siehe dazu auch Hemmelrath in V/L6, Art. 7 OECD-MA Rz. 46; Kahle/Kindich in H/K/G/R, § 1 Abs. 5–6 AStG Rz. 22. 5 Vgl. Art. 7 Tz. 17 OECD-MK 2010. So auch Kahle/Kindich in H/K/G/R, § 1 Abs. 5–6 AStG Rz. 34; Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 18.

Andresen 305

Kap. 5 Rz. 5.8

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

lust der jeweiligen Betriebsstätte und des übrigen Unternehmens, soweit diese bei Letzterem aus dem Zusammenwirken mit dieser Betriebsstätte entstanden sind, zusammengenommen dürfen in dem jeweiligen Besteuerungszeitraum1 und in der Totalperiode jedoch nicht höher ausfallen als die darin abgebildete Leistungsfähigkeit des Unternehmens als Ganzes. Dabei führen jedoch Besonderheiten in der Gewinnermittlung, wie z.B. nicht abzugsfähige Betriebsausgaben, faktisch immer zu einer Doppelbesteuerung oder einer Keinmalbesteuerung. Diese Doppelbesteuerung, die auf unterschiedliche Gewinnbegriffe der nationalen Steuerrechte zurückzuführen ist,2 ist genauso hinzunehmen und nicht im Wege von Verständigungsverfahren auflösbar oder vermeidbar wie eine daraus resultierende Keinmalbesteuerung. Dieser Zustand ist zwar beklagenswert. Ein Abstellen würde jedoch eine Angleichung der steuerlichen Gewinnermittlung über Staatengrenzen hinweg erforderlich machen. Ein grenzüberschreitend einheitlicher Gewinnbegriff ist jedoch selbst in der EU trotz Harmonisierungsbemühungen in Gestalt handelsrechtlicher Bilanzrichtlinien und konkreten Plänen zur Schaffung einer gemeinsamen körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage3 selbst mittelfristig wohl eher nicht zu erwarten.

5.8 Keine „self-executing“ Wirkung der Norm. Diskussionen4 über eine umfassende oder auch nur eingeschränkte „self-executing“-Wirkung insbesondere des Abs. 2 des Art. 7 OECD-MA sind schon deshalb verfehlt, weil sich die etwa durch § 1 AStG vollziehende Abgrenzung von Einkünften nicht von der Gewinnermittlung trennen lässt. Die Gewinnabgrenzung vollzieht sich innerhalb der Gewinnermittlung gewissermaßen zwischen dem Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 EStG und dem zu versteuernden Einkommen (s. dazu Rz. 4.2–4.18). Die Begrenzung dieser inzwischen auch für Betriebsstätten vorhandenen Abgrenzungsvorschriften in Gestalt der Entstrickungs-Entnahme, Verstrickungs-Einlage oder § 1 AStG geschieht durch die einschlägigen Normen des anzuwendenden DBA, etwa Art. 7 Abs. 2 oder auch Abs. 3 OECDMA. Das Fehlen dieser nationalen Abgrenzungsvorschriften in der Vergangenheit mag Grund für die Verwirrung in der Literatur über die Qualität des Art. 7 OECD-MA gewesen sein, zumal sich die höchstrichterliche Rechtsprechung in Ermangelung eines nationalen Rechtsrahmens vielfach beim Art. 7 OECD-MA und dessen Auslegungshilfen zur Lösung von Abgrenzungskonflikten bedient hat.

5.9 Unternehmen. Der Begriff des Unternehmens ist in Art. 3 Nr. 1 Buchst. c OECD-MA als Ausübung einer Geschäftstätigkeit definiert, wobei der Ausdruck Geschäftstätigkeit ausweislich des Buchst. h der Vorschrift nicht nur die gewerbliche unternehmerische Betätigung umfasst, sondern ausdrücklich auch die Ausübung einer freiberuflichen oder sonstigen selbständigen Tätigkeit. Durch diese begriffliche Erweiterung des Unternehmensbegriffs wird zum Ausdruck gebracht, dass die ursprünglich in Art. 14 OECD-MA geregelte Abgrenzung der Besteuerungsrechte für Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Art. 7 aufgegangen ist.5

1 Ausnahmen bestehen bei der sog. Entstrickung, wenn die Steuerbelastung in unionsrechtlich akzeptabler Weise in einzelnen Besteuerungszeiträumen höher ausfallen kann mit oder ohne zeitliche Streckung der Zahlung der zu entrichtenden Steuer. 2 Vgl. Art. 7 Tz. 15 OECD-MK 2008. 3 Siehe zuletzt EU-Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, abgedruckt in BR-Drucks. 641/16 v. 27.10.2016. 4 Siehe z.B. Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 11/1. 5 Vgl. Art. 3 Tz. 10.2 OECD-MK; Art. 7 Tz. 8 OECD-MK 2008; ausführlicher Niehaves in Haase3, Art. 7 Rz. 17 ff.

306

Andresen

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2)

Rz. 5.11 Kap. 5

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2) I. Abgrenzung von Unternehmensgewinnen für nach dem 22.7.2010 ratifizierte DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2010 1. Fiktion funktionaler Selbständigkeit der Betriebsstätte Fiktion der funktionalen Selbständigkeit („functionally separate entity approach“). Die OECD hat die Abgrenzungsvorschrift des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 zum einen dahingehend weiterentwickelt, dass sie die Selbständigkeit der Betriebsstätte für Zwecke der steuerlichen Einkünfteabgrenzung fingiert („… a mere fiction …“).1 Zum anderen hat sie die Betriebsstätte in stärkerem Maße vom übrigen Unternehmen abgrenzt, als es noch in dem OECD-Betriebsstättenbericht 2008 und der Neukommentierung zum alten Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2008 der Fall gewesen ist. Dort geht es noch um die Analyse der Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten der Betriebsstätte.2 Es wird also primär auf die Betriebsstätte abgestellt, und die Tätigkeiten sollen mittels einer funktionalen Analyse ermittelt werden. Bei der ab 2010 anzuwendenden Selbständigkeitsfiktion wird nicht mehr primär auf Tätigkeiten oder Verantwortlichkeiten abgestellt, sondern auf die Identifikation der Personalfunktionen („significant people functions“), die für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums von Wirtschaftsgütern („assets“) bedeutsam sind, und auf diejenigen Personalfunktionen, die für das Eingehen von Risiken relevant sind.3 Dieses Abgrenzungskonzept wird von der OECD als „Authorised OECD Approach“ oder „AOA“ bezeichnet.4 Die von Personen ausgeübten Funktionen rücken also in den Mittelpunkt der Einkünfteabgrenzung. Diese Fiktion der Selbständigkeit auf der Grundlage der Personalfunktionen findet auch im Wortlaut der Vorschrift ihren Ausdruck (dazu weiter Rz. 5.12). Das Ergebnis aus der Anwendung dieses Ansatzes für die Innentransaktionen und aus der zutreffenden Zuordnung und Bepreisung der Transaktionen mit fremden Dritten und mit verbundenen Unternehmen oder nahestehenden Personen in Übereinstimmung mit Art. 9 OECD-MA ergibt den angemessenen Gewinn der Betriebsstätte nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes.

5.10

Auslegung des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA nach Maßgabe des AOA verlangt Durchführung zweier Schritte. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 10 stellt klar, dass die Auslegung des (Fremdvergleichsgrundsatzes in) Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 unter dem AOA vom Rechtsanwender die Durchführung zweier Schritte verlangt.5 In einem ersten Schritt sind die wirtschaftlich bedeutsamen Aktivitäten und Verantwortlichkeiten (je)der Betriebsstätte mittels einer Funktions- und Sachverhaltsanalyse zu identifizieren. Dabei ist auf den Kontext dieser Aktivitäten und Verantwortlichkeiten zum übrigen oder Gesamtunternehmen dergestalt zu achten, dass insbesondere der Unternehmensbereich genau untersucht wird, der in geschäftlicher Verbindung oder Beziehung zu der (jeweiligen) Betriebsstätte steht („… that engage in dealings with the PE“).6 In einem zweiten Schritt sind für diese (anzunehmenden schuldrechtlichen) Beziehungen („dealings“) zwischen Betriebsstätte und dem übrigen Un-

5.11

1 2 3 4 5

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 11, 13. Vgl. Art. 7 Tz. 18 OECD-MK 2008. Vgl. Art. 7 Tz. 15 u. 21 OECD-MK 2010. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 8, 12. Ebenso Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016, Rz. 4.48; Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 18; Looks/Maier in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 710. 6 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 10, 13.

Andresen 307

Kap. 5 Rz. 5.12

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

ternehmen die angemessenen Vergütungen zu bestimmen in analoger Anwendung der Regelungen zu Art. 9 in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 (dazu weiter Rz. 5.17).

5.12 Wortlaut der Vorschrift. Danach ist der vom Belegenheitsstaat der Betriebsstätte zu besteuernde und vom Ansässigkeitsstaat des Unternehmens bei der Anwendung der Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Anrechnung oder Freistellung) anzusetzende Gewinn zwar nach wie vor derjenige, den die Betriebsstätte voraussichtlich erzielt hätte, wenn sie als selbständiges und unabhängiges Unternehmen unter den gleichen oder ähnlichen Bedingungen gleiche oder ähnliche Tätigkeiten ausgeübt hätte (Fremdvergleich). Nur verlangt Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 nunmehr, dass diese Abgrenzung unter Berücksichtigung der durch die Betriebsstätte und das übrige Unternehmen ausgeübten Funktionen, genutzten Vermögenswerte und übernommenen Risiken des Unternehmens erfolgen soll.1 Dabei soll insbesondere auf den Einfluss der Innenbeziehungen der Betriebsstätte mit den anderen Teilen des Unternehmens auf den Gewinn geachtet werden. Dem Rechtsanwender wird hier eine zweiseitige Betrachtung auferlegt, die eine Abgrenzung nicht nur der Betriebsstätte und deren Tätigkeiten verlangt, sondern eine Abgrenzung zwischen übrigem Unternehmen und Betriebsstätte gegeneinander unter vollständiger Information der ausgeübten Personalfunktionen, d.h. den Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten der in der Betriebsstätte und im übrigen Unternehmen beschäftigten Personen. Eine Aufteilung des Gesamtgewinns ist nach Art. 7 Tz. 17 OECD-MK 2010 ausgeschlossen, weil dies im Widerspruch zur Selbständigkeitsfiktion steht, die hier so zu verstehen ist, dass der Gewinn der Betriebsstätte nichts mit dem Gesamtgewinn oder -verlust des Unternehmens als Ganzes zu tun hat.

5.13 Gewinn i.S.d. Art. 7 Abs. 1 und des Art. 23A/B OECD-MA. Der Wortlaut der Vorschrift macht außerdem deutlich, dass der nach Maßgabe des Abs. 2 der Vorschrift abzugrenzende Gewinn sowohl für Zwecke des Art. 7 OECD-MA als auch für Zwecke des Methodenartikels zu bestimmen ist. Die zwei jeweils betroffenen Staaten sind also explizit aufgefordert, bei der Bestimmung des Gewinns einheitlich vorzugehen. Dies schlägt sich auch auf der Ebene unterhalb des Wortlauts der Vorschrift in der Musterkommentierung nieder, in der unter explizitem Verweis auf den OECD-Betriebsstättenbericht 2010 Vorgaben gemacht werden, wie die Gewinne zu bestimmen sind.2 An dieser Stelle verlieren die Äußerungen der OECD die Qualität einer Rechtsnorm, sondern lesen sich eher als Arbeitsanweisung, bei der sich die Frage stellt, an wen sich diese richtet. Denn am Ende kann es nur darum gehen, jeweils einen steuerlichen Jahresabschluss für die Betriebsstätte(n) und das übrige Unternehmen aufzustellen, wofür es jedoch einen anderen rechtlichen, einen bilanzrechtlichen Rahmen gibt. Ein Abweichen von den in Art. 7 Tz. 20 und 21 OECD-MK 2010 aufgeführten Analyseschritten durch den Steuerpflichtigen dürfte daher auch keine unmittelbaren Konsequenzen für den Steuerpflichtigen haben. Erst dann, wenn das Fehlen der Analyseschritte oder deren Dokumentation in die Informationssphäre der interessierten Finanzverwaltungen gelangt, kann dies zu steuerlich relevanten Folgewirkungen führen, etwa in Gestalt einer Anpassung des ermittelten und der Steuererklärung in zwei oder mehr Staaten zugrunde gelegten Gewinns oder in Gestalt von Strafzuschlägen wegen Nicht- oder unzulänglicher Beachtung von Dokumentationsvorschriften.

1 Bekräftigend Art. 7 Tz. 15 OECD-MK 2010. 2 Vgl. Art. 7 Tz. 19 OECD-MK 2010, worin der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 explizit als Quelle genannt wird, der die Vorgehensweise bei der Analyse der Personalfunktionen, Wirtschaftsgüter und Risiken zu entnehmen ist.

308

Andresen

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2)

Rz. 5.15 Kap. 5

Schrankenwirkung zum nationalen Recht. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA enthält in seinem Wortlaut weitergehende Einschränkungen für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes als § 1 Abs. 5 Satz 2 und 3 AStG. Neben das Element der Selb- oder Eigenständigkeit und der Unabhängigkeit der Betriebsstätte tritt bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Abkommensrecht die Gleichheit oder Ähnlichkeit sowohl der ausgeübten Tätigkeiten als auch der Bedingungen. Unter diesen Voraussetzungen erscheint es daher durchaus denkbar, dass eine unter § 1 Abs. 5 AStG beabsichtigte Korrektur daran scheitert, dass die Gleichheit oder Ähnlichkeit entweder der ausgeübten Tätigkeiten oder der Bedingungen einer Vergleichstransaktion oder eines Vergleichsunternehmens nicht gegeben ist, und Art. 7 Abs. 2 des einschlägigen DBA eine Gewinnkorrektur nicht erlaubt. Gleiches dürfte überdies auch für den Fall gelten, dass eine (inländische) Finanzverwaltung ihre Einkünftekorrektur auf einen im abkommensrechtlichen Sinne unangemessenen Gewinn mit formalen Argumenten begründet. Hier tritt, wie auch bei Kapitalgesellschaften1 die Sperrwirkung des Abkommens ein, dem es ausschließlich um die Angemessenheit des der Besteuerung zugrunde gelegten Entgelts geht. Dabei liegt die Beweislast grundsätzlich bei der Finanzverwaltung. Eine Ausnahme von der Sperrwirkung kann jedoch in den zwei in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 1.119 genannten Fällen gelten, in denen der Fremdvergleich über die reine Entgeltkorrektur hinaus die Nicht-Anerkennung der Geschäftsbeziehung als solche erlaubt. In diesen Fällen greift die Sperrwirkung nicht, weil der abkommensrechtliche Rahmen über die reine Entgeltkorrektur hinausgeht.

5.14

2. OECD-Betriebsstättenbericht 2010 Allgemeines zur begrenzten Schrankenwirkung des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 auf die BsGaV. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 dient als Auslegungshilfe für Art. 7 OECD-MA 2010. Als solche bietet der Bericht eine Hilfestellung für die Durchführung der Gewinnermittlung und -abgrenzung in- und ausländischer Betriebsstätten. Entsprechend entfaltet er nur insoweit im Zusammenspiel mit Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 eine Schrankenwirkung gegenüber nationalen Vorschriften der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung, als die danach ermittelten Einkünfte den Gewinn übersteigen, der nach Art. 7 Abs. 2 des einschlägigen DBA angemessen wäre. Er begrenzt keinesfalls die detaillierten Handlungsanweisungen etwa in der BsGaV, sondern würde nur etwaige daraus resultierende Einkünfteanpassungen einschränken, wenn diese im Widerspruch zum Fremdvergleichsgrundsatz im Sinne des Abkommens stehen bzw. wenn Besteuerungsrechte über das im Abkommen definierte Maß hinaus entstehen würden. Konkret bedeutet dies, dass eine Zuordnungsregel im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 etwa die Möglichkeit einer gleichzeitigen anteiligen Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern auf zwei Betriebsstätten die nach der BsGaV gebotene einheitliche Zuordnung dieses Wirtschaftsgutes auf eine Betriebsstätte nicht begrenzt. Nur dann, wenn durch die Zuordnung auf zwei Betriebsstätten ein anderer Gewinn in den Betriebsstätten ermittelt wird als durch die BsGaV, könnte das Besteuerungsrecht des Belegen1 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046 = ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer; s. dazu auch Andresen/Immenkötter/Frohn, DB 2013, 534 ff.; s. weiterhin BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261 = FR 2015, 954 = ISR 2015, 121 m. Anm. Ditz/ Quilitzsch (NA-Erlass BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455); vgl. zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Urteil der Vorinstanz Andresen, IStR 2014, 207; s. auch BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258 = FR 2016, 481 (NA-Erlass BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455); v. 8.5.2015 – I B 103/13, BFH/NV 2015, 1009 (abgewiesene Beschwerde über die Nicht-Zulassung der Revision durch das Finanzamt).

Andresen 309

5.15

Kap. 5 Rz. 5.16

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

heitsstaats einer Betriebsstätte auf einen ggf. niedrigeren Unternehmensgewinn nach DBA begrenzt sein. Der Steuerpflichtige hat ungeachtet des DBA nach Maßgabe der Vorschriften der BsGaV eine eindeutige Zuordnung der Wirtschaftsgüter zu einer Betriebsstätte vorzunehmen.

5.16 Aber Reverse Treaty Override nach § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG. Satz 8 des § 1 Abs. 5 AStG räumt einem DBA Vorrang gegenüber der Anwendung der Sätze 1 bis 7 der Vorschrift ein, soweit die Regelungen dieses Abkommens den Sätzen 1 bis 7 widersprechen, der Steuerpflichtige dies geltend macht und nachweist, dass der andere Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend diesem Abkommen ausübt und deshalb die Anwendung der Sätze 1 bis 7 zu einer Doppelbesteuerung führen würde. Anders als die klar definierte Schrankenwirkung von DBA kann die Formulierung dieser Vorschrift durchaus so verstanden werden, dass die Sätze 1 bis 7 und die diese auf der Grundlage des § 1 Abs. 6 AStG präzisierenden Vorschriften der BsGaV nicht zur Anwendung kommen, sondern die Vorschrift des DBA und ihre Auslegungshilfe, d.h. der OECD-Betriebsstättenbericht. Dies wird an dem folgenden Beispiel verdeutlicht: Beispiel: Ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem EU-Staat möchte das im Inland gezeichnete Versicherungsgeschäft in Übereinstimmung mit Teil IV des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 dem ausländischen Stammhaus zuordnen, weil dort die „Underwriting“-Funktion ausgeübt wird. Im Inland gibt es keine „Underwriter“. Nach Maßgabe des § 24 Abs. 5 BsGaV würde dieses Versicherungsgeschäft jedoch der inländischen Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnen sein, wenn nicht die obskuren Anforderungen des Satzes 2 Nr. 1 und 2 der Vorschrift kumulativ erfüllt sind. Der Steuerpflichtige sieht nicht ein, weshalb er die Versicherungsaufsichtsbehörde über diese Zuordnungsfrage für steuerliche Zwecke informieren soll, nachdem sich dort auf Nachfrage niemand für zuständig befunden hat. Er stellt sich nun die Frage, ob er auf der Grundlage des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG dem Abkommen mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2010 und dem zu dessen Auslegung dienenden OECD-Betriebsstättenbericht 2010 Vorrang einräumen kann.

Weil das Ignorieren des tatsächlichen Ausübungsorts der „Underwriting“-Funktion durch den deutschen Verordnungsgesetzgeber definitiv zu einer Doppelbesteuerung führt und der Steuerpflichtige nachweisen kann, dass der andere Staat einen Gewinn des Stammhauses der Besteuerung zuführt, der aus der Zuordnung der Versicherungsverträge zum Stammhaus des EU-Versicherers im Ausland resultiert, sind die Anwendungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG erfüllt. Es spricht vieles dafür, dass der Steuerpflichtige auf der Grundlage dieser Vorschrift die Zuordnungsregelungen des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 direkt anwenden kann. Diese Vorschrift schafft somit eine neue Dimension der Schrankenwirkung, die den Anwendungsbereich nationaler Vorschriften einschränkt, namentlich Vorschriften der BsGaV, wenn und soweit diese dem Art. 7 OECD-MA 2010 und dessen Auslegungshilfe, dem OECDBetriebsstättenbericht 2010, widersprechen und dadurch zur Doppelbesteuerung führen. Mit anderen Worten setzt die Schrankenwirkung des DBA ein, weil die Unternehmensgewinne, die der Betriebsstätte ohne Underwriting zuzurechnen sind, geringer sind als die nach § 24 Abs. 5 BsGaV fingierten. 3. Hypothetische Verselbständigung der Betriebsstätte (Schritt 1 des AOA) a) Funktionsanalyse und Zuordnung von Personalfunktionen („significant people functions“)

5.17 Notwendigkeit eines Allokationsmechanismus für Wirtschaftsgüter, andere Bilanzpositionen und Geschäftsvorfälle. Während Kapital- und – eingeschränkt – Personengesellschaften durch vertragliche Gestaltungen und faktische Handlungen, die ihren Niederschlag 310

Andresen

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2)

Rz. 5.18 Kap. 5

in der Buchführung jedes Steuersubjekts finden, Eigentum, Nutzungsrechte, Risiken und Verpflichtungen klar den einzelnen Steuersubjekten nachvollziehbar zuordnen können, ist dies im Innenverhältnis des Einheitsunternehmens nicht in gleichem Maße möglich. Selbst wenn Finanzverwaltungen die solchermaßen getroffene Zuordnung zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften ebenfalls infrage stellen können, so bildet diese Zuordnung doch zunächst den Rahmen für eine vorzunehmende Prüfung der darauf fußenden Einkünfteabgrenzung. Ein solcher Rahmen fehlt im Einheitsunternehmen, weshalb es eines Mechanismus bedarf, der eine Zuordnung von Wirtschaftsgütern etc. für steuerliche Zwecke vornimmt, auf dessen Grundlage sich anschließend die Prüfung der Angemessenheit der Einkünfteabgrenzung vollziehen kann.1 Personalfunktionen als Surrogat einer Vertragsanalyse. Der AOA als Abgrenzungskonzept zur Implementierung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Einheitsunternehmen, d.h. bei fehlenden Vertragsbeziehungen, soll sich nach den Vorstellungen der OECD in zwei Schritten vollziehen. In einem ersten Schritt sind die sog. „significant people functions“ zu identifizieren, die für das Eingehen von Risiken und für die Zuordnung von wirtschaftlichem Eigentum an Wirtschaftsgütern relevant sind. Dabei kommt es auf den Ausübungsort dieser Funktion an („… in the PE …“).2 Dies gilt gleichermaßen für alle anderen Personalfunktionen, die den Betriebsstätten zuzuordnen und später bei vorliegendem Leistungsaustausch für die durch sie erbrachte Tätigkeit zu entgelten sind („… performed by the PE …“).3 Diese anderen Funktionen weisen nicht notwendigerweise eine geringe Wertschöpfung auf4 und sind daher mit einem hohen Gewinnanteil zu verrechnen, wenn dies sich aus einem Vergleich mit anderen ähnlichen Tätigkeiten fremder Dritter so ergibt. Durch den Allokationsmechanismus der „significant people functions“ können Wirtschaftsgüter, Risiken, Eigenkapital, Rechte und Verpflichtungen den einzelnen Teilbereichen (Betriebsstätten) des Unternehmens für die Finanzverwaltung nachvollziehbar zugeordnet werden, wenn mangels vertraglicher Regelungen die Zuordnung dieser Dinge zu den einzelnen Betriebsstätten erschwert oder gar unmöglich ist bzw. das Nachvollziehen und Prüfen der Zuordnung durch die Finanzverwaltung erschwert ist. Diese Vorgehensweise trägt der Tatsache Rechnung, dass es keine handels- oder steuerbilanziellen Regelungen für die Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Teil eines Unternehmens gibt und Finanzverwaltungen letztlich auf die Buchführung des jeweiligen Unternehmens vertrauen müssten,5 das diese weitestgehend nach eigenem Ermessen durch Buchungsvorgänge und beliebige Zuordnung der Wirtschaftsgüter, Risiken, Verträge etc. gestalten kann. Da das Vertrauen der Finanzverwaltungen der OECD-Mitgliedstaaten in die Richtigkeit der Buchführung hinsichtlich der Zuordnung von Geschäften jedoch offensichtlich nicht (mehr) besteht, sind Steuerpflichtige nunmehr aufgefordert, die konstatierte Dokumentationslücke durch die Anwendung des AOA auf der Grundlage einer Sachverhalts- und Funktionsanalyse („functional and factual analysis“) zu schließen. Das heißt, der Steuerpflichtige muss seine Informationssphäre nicht nur gegenüber der Finanzverwaltung öffnen, sondern in ihr nach Anforderungen des Gesetzgebers den Sachverhalt aufbereiten. 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 14, 14. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 15, 14; so auch Kahle/Kindich in Lübbehüsen/ Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016, Rz. 4.51; Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 23. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 17, 15. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 17, 15. 5 Vgl. zu den Anforderungen bzw. den Voraussetzungen für die Anerkennung einer vorliegenden Buchführung als Ausgangspunkt einer steuerlichen Prüfung Art. 7 Tz. 14, 16 u. 19 OECD-MK 2008.

Andresen 311

5.18

Kap. 5 Rz. 5.19

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Finanzverwaltungen die Aufgabe der Dokumentation auf den Steuerpflichtigen auslagern, nachdem die vorhandenen Regeln zur Beweislastverteilung wohl als unzureichend dafür angesehen worden sind, die Einkünfteabgrenzung zwischen Betriebsstätten auf ihre Angemessenheit hin zu prüfen. Die dadurch stattfindende Verlagerung von Aufgaben des Staats hin zum Steuerpflichtigen ist per se problematisch, weil sie die Wirtschaft belastet.

5.19 Ausübungsort, Personalbegriff und personenlose Betriebsstätten. Eine für Zuordnungsentscheidungen maßgebliche Personalfunktion muss am Ort der Betriebsstätte ausgeübt werden, damit sie ihr zugerechnet werden kann.1 Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 enthält keine präzise Definition des Personalbegriffs für Zwecke der Bestimmung des Ausübungsorts der „significant people function“. Dort wird allgemein vom Personal des Unternehmens gesprochen („… functions performed by the personnel of the enterprise …“).2 Angesichts der Tatsache, dass es hier- wie im gesamten Bericht – offensichtlich auf eine wirtschaftliche Betrachtung ankommt, die für die Verhandlung von Verständigungsvereinbarungen und APAs einen weiten Rahmen schaffen muss, spricht vieles dafür, dass auch Personal, das im Wege eines Dienstleistungsvertrags seine Leistungen gegenüber der Betriebsstätte erbringt, Personal des Unternehmens und der betreffenden Betriebsstätte ist.3 Dies dürfte erst recht dann gelten, wenn die Entscheidung über den Abschluss des Dienstleistungsvertrages von Personal in der Betriebsstätte oder von der Geschäftsleitung für die Betriebsstätte getroffen worden ist. Insoweit erscheint es denkbar, dass die restriktive Haltung in § 2 Abs. 4 BsGaV über § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG eingeschränkt wird, wenn und soweit dessen Voraussetzungen erfüllt sind (Rz. 5.16). Den Fall einer personenlosen Betriebsstätte diskutiert die OECD am Beispiel einer Server-Betriebsstätte. Für diesen Fall entwickelt die OECD das Konzept der „automatisierten Funktion“ („automated function“), die der Server-Betriebsstätte zuzuordnen ist, aber mangels Eigenschaft als „significant people function“ nur zu einer geringen oder gar keiner Gewinnzurechnung zur Server-Betriebsstätte führt.4 Der AOA erkennt also die Existenz einer personenlosen Betriebsstätte an und trifft eine Aussage zu der Einkünfteabgrenzung mit Bezug auf diese personenlose Betriebsstätte. Es ist jedoch festzuhalten, dass auch personenlose Betriebsstätten Personalfunktionen haben können.

5.20 Vergleich zum nationalen Recht. Die OECD stellt ausschließlich auf den Ausübungsort ab. § 4 Abs. 1 Satz 2 BsGaV sieht jedoch Ausnahmen vor bei fehlendem sachlichen Bezug und bei auf 30 Tage begrenzter Ausübung einer Personalfunktion in einer Betriebsstätte während eines Wirtschaftsjahres. Darüber hinaus besteht wegen der engen, rechtlich geprägten Auslegung des Begriffs des eigenen Personals in § 2 Abs. 4 BsGaV die Gefahr, dass eine Betriebsstätte nicht als Ausübungsort einer Personalfunktion gesehen wird, was im Abkommensrecht bei einer weiten, wirtschaftlich geprägten Auslegung des Personalbegriffs tendenziell eher nicht passieren kann. Im nationalen Recht wird daher auch als zweites Zuordnungskriterium der sachlich engste Bezug notwendig (§ 4 Abs. 2 BsGaV), der im Abkommensrecht nicht benötigt wird. Die nationale Regelung erscheint im Ergebnis unnötig kompliziert und

1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 15, 14/15 und Tz. 60, 25 („ … at that fixed place…“). 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 62, 25. 3 So OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 65, 26; kritisch dazu Looks/Maier in Löwenstein/ Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 713. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 66, 26; s. dazu auch Looks/Maier in Löwenstein/ Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 714.

312

Andresen

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2)

Rz. 5.22 Kap. 5

dürfte ggf. über das Reverse Treaty Override des § 1 Abs. 5 Satz 8 BsGaV eingeschränkt werden können. Dies gilt auch dann, wenn das einschlägige DBA den neuen Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2010 enthält. b) Zuordnung von Wirtschaftsgütern („assets“) Funktionaler Gebrauch als Zuordnungsparameter für Wirtschaftsgüter. Wie auch bei den Risiken, denen aus rechtlicher Perspektive und im Außenverhältnis zunächst das Unternehmen als Ganzes ausgesetzt ist (Rz. 5.29 f.), stehen sämtliche Wirtschaftsgüter im Eigentum des Unternehmens als Ganzes. Für die Fingierung der Betriebsstätte als quasi-selbständige Einheit für steuerliche Zwecke bedarf es daher eines Parameters für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an den Wirtschaftsgütern, die im (rechtlichen) Eigentum des Unternehmens stehen oder aus anderen Gründen von ihm bilanziert sind,1 geht es ausweislich des Abschnitts D-2 (iii) doch um die Aufstellung der Steuerbilanz der Betriebsstätte. Dabei geht es in erster Linie um die Festlegung, welche Wirtschaftsgüter im wirtschaftlichen Eigentum der Betriebsstätte stehen und/oder von ihr genutzt werden und in welcher Eigenschaft. Letzteres bringt unterschiedliche mögliche Geschäftsmodelle zum Ausdruck, wie z.B. auf der Vertriebsseite die Möglichkeit, als Eigenhändler, Kommissionär oder offener Handelsvertreter Waren zu vertreiben. Die bloße Bestimmung durch den Steuerpflichtigen, welcher Unternehmensteil Eigentümer sein soll, ist von der OECD abgelehnt worden.2 Stattdessen sind sämtliche Arten von Wirtschaftsgütern nach Auffassung der OECD3 der Betriebsstätte zuzuordnen, die die Personalfunktion(en) ausübt, die für die Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums relevant sind. Die Relevanz soll sich dabei nach dem Gebrauch („use“) des Wirtschaftsguts durch die Personalfunktion in der Betriebsstätte bestimmen4 und den Bedingungen, unter denen diese Nutzung stattfindet, sei es als alleiniger oder Miteigentümer, als Lizenznehmer oder als Mitglied eines Kostenumlagevertrags.5

5.21

Zuordnung von „tangible assets“ (materielle Wirtschaftsgüter). Hinsichtlich der Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter haben innerhalb der OECD unterschiedliche Auffassungen bestanden. Die Auffassungen haben von einer Zuordnung nach „significant people functions“ am einen Ende des Spektrums bis zum Ort der tatsächlichen Nutzung („place of use“) am anderen Ende dieses Spektrums gereicht. Die OECD hat sich letztlich auf den Ort der Nutzung als Zuordnungsparameter geeinigt. Da die nationale Regelung in Deutschland in Gestalt des § 5 BsGaV ebenfalls auf die Nutzung als Zuordnungsparameter abstellt, dürfte insoweit wenig Konfliktpotential entstehen. Dies gilt gleichermaßen für den Sonder-Zuordnungsparameter in § 5 Abs. 2 Satz 3 BsGaV für unbewegliches Vermögen, in dem die Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte ausgeübt wird, wie z.B. Immobilien, Server, Pipelines, Kavernen etc. Anders könnte es sich allerdings dann verhalten, wenn der Steuerpflichtige oder die deutsche Finanzverwaltung einen der vier alternativen Zuordnungsparameter in § 5 Abs. 2 Satz 1 u. 2 BsGaV verwendet: Anschaffung, Herstellung, Verwaltung oder Veräußerung des zuzuordnenden materiellen Wirtschaftsguts. Das einschlägige DBA mit dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 als Auslegungshilfe dürfte zwar keine Schrankenwirkung hinsichtlich der Zu-

5.22

1 2 3 4

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 18, 16. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 18, 16. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 18, 16. So auch Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016, Rz. 4.54; Ditz in S/D, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 25–26; Niehaves in Haase3, Art. 7 OECD-MA Rz. 244. 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 72, 28.

Andresen 313

Kap. 5 Rz. 5.23

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

ordnungsparameter entfalten, weil die Begriffswelt des nationalen Rechts gilt.1 Es dürfte sich aber ein anderer abzugrenzender Gewinn i.S.d. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 ergeben, wenn ein materielles Wirtschaftsgut zur Personalfunktion der Anschaffung zugeordnet wird und nicht der Betriebsstätte der tatsächlichen Nutzung, wie der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 dies vorsieht. Die Betriebsstätte mit der Personalfunktion der Anschaffung würde das materielle Wirtschaftsgut im Wege der Vermietung der Betriebsstätte der tatsächlichen Nutzung überlassen, und selbst die Abschreibung, Reparaturaufwendungen, Finanzierungsaufwenden tragen müssen. Dadurch kann es zu einem abweichenden Gewinn zwischen der Anwendung des nationalen Rechts (BsGaV) und dem einschlägigen DBA kommen. In diesen Fällen könnte dem Satz in dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 höhere Bedeutung zukommen, der Flexibilität in Form des Abweichens von dem Ort der tatsächlichen Nutzung erlaubt „in […] circumstances in a particular case that warrant a different view“.2

5.23 Mittelbare Schrankenwirkung. Der abweichende Gewinn, der sich aus der Anwendung unterschiedlicher Zuordnungsparameter ergibt, hätte allerdings schon eine Schrankenwirkung. Im Falle einer inländischen Betriebsstätte, die nach OECD-Betriebsstättenbericht 2010 einen geringeren Gewinn ausweist, als er sich nach BsGaV ergäbe, würde § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG zunächst die Möglichkeit der Korrektur eröffnen, die allerdings wohl durch § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG oder Art. 7 Abs. 2 des einschlägigen DBA eingeschränkt würde. Im Falle einer ausländischen Betriebsstätte, die nach OECD-Betriebsstättenbericht 2010 einen höheren Gewinn ausweisen würde, als er sich nach BsGaVergäbe, würde wiederum § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG zunächst die Möglichkeit der Korrektur eröffnen, die allerdings wohl durch § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG oder Art. 7 Abs. 2 des einschlägigen DBA eingeschränkt würde. In diesem Fall liegt eine mittelbare Schrankenwirkung vor. Dieser Begriff der mittelbaren Schrankenwirkung eignet sich vor allem auch deshalb, weil der gesamte AOA mit der Personalfunktion als Zwischenschritt, der der Aufstellung einer Bilanz und GuV der Betriebsstätte dient und insoweit einen mittelbaren Einfluss auf den Gewinn hat, erst in Gestalt des Gewinns nach AOA i.S.d. DBA die Schrankenwirkung entfaltet.

5.24 Grundsatz der Anwendungspriorität für Zuordnungsparameter des OECD-Betriebsstättenberichts 2010. Das vorstehende Beispiel zeigt, dass die in der BsGaV entwickelten Zuordnungsparameter dann die Gefahr der Doppelbesteuerung und die Chance der Schrankenwirkung entfalten, wenn diese von dem Zuordnungsparameter des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 abweichen. Aus diesem Grund sind Steuerpflichtige gut beraten, in den meisten Fällen den Zuordnungsparameter des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 für die Anwendung des jeweils einschlägigen DBA anzuwenden, weil dadurch die Gefahr der Doppelbesteuerung vermieden wird. Wenn und soweit die Finanzverwaltung meint – gegen die dann (hoffentlich) vorliegende Dokumentation des Steuerpflichtigen –, einen anderen Zuordnungsparameter der Einkünfteabgrenzung zugrunde legen zu müssen als der Steuerpflichtige, sollte Letzterer in der Mehrzahl der Fälle die besser zu verteidigende Position haben. Diese gilt es in ein Verständigungsverfahren nach DBA oder nach der EU-Schiedskonvention zu bringen, wo es auf die Begriffswelt der BsGaV nicht mehr ankommt. 1 Vgl. zuletzt BFH v. 20.7.2016 – I R 50/15, ISR 2016, 424 m. Anm. Kahlenberg = DStR 2016, 2457 ff. = IStR 2016, 902 ff. sowie st. Rspr. seit den 1970er Jahren: BFH v. 5.6.1986 – IV R 268/82, BStBl. II 1986, 659 = FR 1986, 494; v. 26.11.1986 – I R 256/83, BFH/NV 1988, 82 unter 3.a), verweisend auf BFH v. 5.10.1977 – I R 90/75, BStBl. II 1978, 205 unter 2. Abs. 3, verweisend auf BFH v. 22.11.1974 – VI R 24/73, BStBl. II 1975, 350 unter 1.b) Abs. 3 = DB 1975, 1009; v. 7.3.1979 – I R 145/76, BStBl. II 1979, 527. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 75, 29.

314

Andresen

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2)

Rz. 5.27 Kap. 5

Anwendung auf Beteiligungen, Finanzanlagen, ähnliche Vermögenswerte und sonstige Vermögenswerte. Das Zuordnungskriterium für materielle Wirtschaftsgüter im Abkommensrecht erstreckt sich auch auf die in den §§ 7 und 8 BsGaV genannten Wirtschaftsgüter ggf. mit den in Rz. 5.22 und 5.23 skizzierten Konsequenzen.

5.25

Zuordnung von „intangible property“ (immaterielle Wirtschaftsgüter). Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 differenziert zwischen sog. „trade intangibles“ und „marketing intangibles“, ohne diese Begriffe zu definieren. Da für beide Gruppen der gleiche Zuordnungsparameter gelten soll, ist es nicht geboten, auf diese Differenzierung weiter einzugehen. Auf die bloße Zuordnung qua Entscheidung des Steuerpflichtigen soll dabei zugunsten der Expertise und der Fähigkeit verzichtet werden, diese Forschungs- und Entwicklungsrisiken einzugehen und zu managen.1 Während unter „marketing intangibles“ ausweislich des Wortlauts des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 wohl hauptsächlich, aber auch nicht ausschließlich Wort- und Bildmarken zusammengefasst werden, umfasst der Begriff der „trade intangibles“ als Auffangvorschrift alle anderen immateriellen Wirtschaftsgüter. Auf die Zuordnung hat dies jedoch keinen Einfluss, weil sämtliche immateriellen Wirtschaftsgüter der Betriebsstätte zugeordnet werden sollen, in der die „significant people function“ zu verorten ist, die über das Eingehen der mit der Entwicklung oder dem Erwerb und dem anschließenden Management im Zusammenhang stehenden individuellen Risiken des Entwicklungs- und Managementprozesses aktiv entscheidet.2 Diese aktive Entscheidung und das operative Management sind nicht gleichzusetzen mit der Entscheidung, ob entwickelt werden soll oder nicht, die nach Wahrnehmung der Finanzverwaltungen der OECD häufig zentral getroffen wird, aber nicht notwendigerweise den Involvierungsgrad auf der operativen Ebene aufweist, der der OECD vorschwebt.3 Gleichwohl muss auf dieser Entscheidungsebene das relevante Personal, genau wie die in der an dieser Stelle des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 häufiger zitierte Finanzindustrie, entweder aufgrund von Erfahrung oder Qualifikation befähigt und berechtigt sein, die Entscheidung über Entwicklung oder Erwerb von immateriellen Wirtschaftsgütern zu treffen. Je besser dies dokumentiert werden kann, umso robuster und verteidigungsfähiger dürfte die Zuordnung letztendlich sein. Dieser Entscheidungsort kann auch in marktnahen Unternehmensbereichen angesiedelt sein, in denen das Potential eines neuen oder veränderten Produkts erkannt und eine Entwicklung angestoßen wird.4 Die Betriebsstätte, die die finanzielle Kapazität hat, ein immaterielles Wirtschaftsgut zu entwickeln, soll nicht die Betriebsstätte sein, der das immaterielle Wirtschaftsgut zuzuordnen ist, wenn das Zuordnungskriterium der aktiven Entscheidung über das Eingehen des Risikos nicht hinzutritt. Dies ist dem Grundsatz des AOA geschuldet, wonach das Kapital der Funktion zu folgen hat und nicht umgekehrt.5

5.26

Anteilige Zuordnung grundsätzlich möglich. Wie auch die BsGaV erlaubt die OECD eine anteilige Zuordnung von Wirtschaftsgütern, so dass es insoweit wenig Konfliktpotential zwischen nationalem und Abkommensrecht geben dürfte. In der Praxis sollten sich Steuerpflichtige sehr gut überlegen, ob sie wirtschaftliches Eigentum mehreren Betriebsstätten zuordnen

5.27

1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 80, 30; ebenso Kahle/Kindich in Lübbehüsen/ Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016, Rz. 4.55; Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 25–26; Niehaves in Haase3, Art. 7 Rz. 244. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 85, 90, 94 und 97, 30–33. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 87, 31. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 90, 31. 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 91, 32.

Andresen 315

Kap. 5 Rz. 5.28

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

wollen. In aller Regel schafft dies mehr Abgrenzungs- und Dokumentationsprobleme, als dass es sie löst. Eindeutige Eigentumsverhältnisse und daraus abgeleitete Rechtsgeschäfte tragen zur Klarheit bei, die ein Faktor ist, der Zeit und Kosten sparen hilft. Aus diesem Grund sind auch Kostenumlageverträge in der Praxis sehr kritisch zu sehen.

5.28 Mittelbare Schrankenwirkung bei immateriellen Wirtschaftsgütern. Die nationale Regelung in Deutschland in Gestalt des § 6 BsGaV stellt auf die Schaffung oder den Erwerb als primären Zuordnungsparameter ab und nicht auf die aktive Entscheidung über das Eingehen des damit verbundenen Risikos. Letzteres findet sich auch nicht unter den vier alternativen Zuordnungsparametern in § 6 Abs. 2 Satz 2 BsGaV wieder: Nutzung, Verwaltung, Weiterentwicklung, Schutz oder Veräußerung des zuzuordnenden immateriellen Wirtschaftsguts. Auch in diesem Fall entfaltet das DBA mit dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 zwar keine Schrankenwirkung hinsichtlich der Zuordnungsparameter, weil auch hier die Begriffswelt des nationalen Rechts gilt.1 Eine abweichende Zuordnung erscheint aber durchaus möglich ggf. sogar wahrscheinlicher, wenn im Ausland die Entscheidung über die Entwicklung oder Anschaffung als maßgebliche Personalfunktion angesehen wird, und in Deutschland die Schaffung oder der Erwerb selbst. Hinsichtlich der Schaffung eines immateriellen Wirtschaftsguts helfen auch die VWG BsGa nicht weiter, weil diese in Rz. 86 auf die „Entstehung“ abstellen und nicht auf die Entscheidung darüber, was entstehen soll und wer an der Entstehung des zu entwickelnden immateriellen Wirtschaftsguts mitwirkt. Das Gleiche gilt für die Kontrolle dessen, was entwickelt werden soll und wer diese Kontrolle ausübt. Hinsichtlich des Erwerbs als Personalfunktion ist in VWG BsGa, Rz. 87 eine hohe Übereinstimmung mit dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 erkennbar. VWG BsGa, Rz. 88 und 89 drücken allerdings wieder eine Rückbesinnung auf das aus, was das BMF selbst in den OECD-Betriebsstättenbericht 2010 mit hineinformuliert hat. Dies sollte für den Steuerpflichtigen Anlass zur Hoffnung geben, dass die in der BsGaV im Wortlaut wahrnehmbaren Divergenzen in der praktischen Anwendung durch die Finanzverwaltung nicht zu signifikanten Konflikten über das bei immateriellen Wirtschaftsgütern normale Maß hinaus führen. VWG BsGa, Rz. 89 stellt im zweiten Beispiel allerdings primär auf das sich an die aktive Entscheidung über das Eingehen des Entwicklungsrisikos anschließende Management des Entwicklungsprozesses ab. Damit positioniert sich das BMF hier explizit anders als es der Gesetzgeber noch in der BsGaV bei Wirtschaftsgütern aus Bankgeschäften und aus Versicherungsverträgen getan hat, in denen es auf die Personalfunktionen ankommt, die bis zur Entstehung des Wirtschaftsguts erbracht werden. Wegen der im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 entwickelten Parallelität des Entscheidungsparameters „Entscheidung über die Annahme von Risiken“ aus Bank- und Versicherungsgeschäften auf der einen und aus Entwicklungen immaterieller Wirtschaftsgüter auf der anderen Seite erstaunt dies ein wenig. Dem kann sicherlich entgegengehalten werden, dass ein immaterielles Wirtschaftsgut erst nach Abschluss des aktiven Managements des Entwicklungsprozesses entsteht. Gleichzeitig wird dadurch ein anderer Konflikt geschürt, nämlich der über die Auseinandersetzung mit dem anderen Staat darüber, ob das sich an eine Entwicklungsentscheidung anschließende Management des Entwicklungsprozesses die größere Bedeutung hat als die Entscheidung über das Eingehen des Risikos. Fairerweise ist anzumerken, dass die OECD für diese Abgrenzung ebenfalls keine Lösungen anbietet. Das pri1 Vgl. zuletzt BFH v. 20.7.2016 – I R 50/15, ISR 2016, 424 m. Anm. Kahlenberg = DStR 2016, 2457 ff. = IStR 2016, 902 ff. sowie die ständige Rechtsprechung seit den 1970er Jahren: BFH v. 5.6.1986 – IV R 268/82, BStBl. II 1986, 659 = FR 1986, 494; v. 26.11.1986 – I R 256/83, BFH/NV 1988, 82 unter 3.a), verweisend auf das BFH v. 5.10.1977 – I R 90/75, BStBl. II 1978, 205 unter 2. Abs. 3, verweisend auf BFH v. 22.11.1974 – VI R 24/73, BStBl. II 1975, 350 = DB 1975, 1009 unter 1.b) Abs. 3; v. 7.3.1979 – I R 145/76, BStBl. II 1979, 527.

316

Andresen

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2)

Rz. 5.30 Kap. 5

märe Abstellen auf qualitative Kriterien, wie es die VWG BsGa an vielen Stellen1 für die Finanzverwaltung anordnen, ist jedoch nicht von der Gesetzesbegründung zum § 1 Abs. 5 AStG und zur BsGaV gedeckt, in denen quantitative und qualitative Kriterien gleichwertig nebeneinanderstehen. Der Steuerpflichtige sollte daher in seiner Dokumentation eine gute Argumentationsbasis für die von ihm gewählte Zuordnung und den dabei verwendeten Parametern erstellen, damit wenig Interpretationsmöglichkeit verbleibt. c) Zuordnung von Risiken („risks“) Entscheidung über die Risikoannahme als Zuordnungsparameter für Risiken. Risiken sind nach Auffassung der OECD derjenigen Betriebsstätte zuzuordnen, in der die „significant people functions“ bezüglich der Entscheidung zur Übernahme eines Risikos und des Managements des Risikos ausgeübt werden.2 Diese müssen vom Personal der Betriebsstätte in dieser Betriebsstätte ausgeübt werden.3 Entsprechend sind auch die Verbindlichkeiten oder Rückstellungen, die diese Risiken abbilden, dieser Betriebsstätte zuzuordnen. Wenn das jeweilige Risiko bzw. die dieses Risiko reflektierende Bilanzposition später von einer anderen Betriebsstätte durch deren Personal gemanagt wird, ist diese Dienstleistung von einer unterstützenden Personalfunktion oder „other function“ an die erstgenannte Betriebsstätte zu verrechnen. Gegebenenfalls kann die Bilanzposition zu transferieren sein (Risikotransfer), wenn entsprechende Personalfunktionen in einer anderen als der erstgenannten Betriebsstätte ausgeübt werden (s. dazu Rz. 4.197). Dies gilt allerdings nur, wenn es nicht zu einer Verletzung des Grundsatzes des AOA führt, wonach Risiken nicht von Personalfunktionen getrennt werden dürfen, die diese Risiken managen.4

5.29

Vergleich zum nationalen Recht. Die BsGaV enthält u.a. Zuordnungsregeln zu Chancen und Risiken (§ 10 BsGaV) und zu übrigen Passivposten (§ 14 BsGaV), auf die sich der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 gegebenenfalls beschränkend auswirken könnte. Die von der OECD in Tz. 68, Teil I aufgeführten Risiken können jedoch auch in anderen Bilanz- und GuV-Positionen enthalten sein, für die die BsGaV in anderen Vorschriften Zuordnungsregeln definiert. Für Letztere ordnet § 10 Abs. 1 BsGaV die in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Vermögenswert oder Geschäftsvorfall stehenden (Chancen und) Risiken der Betriebsstätte zu, der auch der Vermögenswert bzw. Geschäftsvorfall zuzuordnen ist. Es spricht vieles dafür, dass der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 daran nichts ändert. Weiterhin spricht vieles dafür, dass der Zuordnungsparameter im nationalen Recht (Beruhen auf einer Personalfunktion; § 10 Abs. 2 BsGaV) und der im Abkommensrecht (OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 70) sich nicht signifikant unterscheiden, so dass es kaum zu einer Einschränkung durch § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG kommen dürfte. Die Regelung in § 10 Abs. 3 BsGaV bzgl. eines alternativen Zuordnungsparameters lässt die Klarheit des Abkommensrechts vermissen, das einen Risikotransfer ausdrücklich vorsieht, wenn Funktion und Risiko dadurch an einem Ort sind. § 14 BsGaV scheint durch Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 in der Auslegung des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 ebenfalls keine Einschränkung zu erfahren.

5.30

1 Vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 90, 93 – VWG BsGa. 2 Vgl. Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016, Rz. 4.52; Niehaves in Haase3, Art. 7 Rz. 243; Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 104/3. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 68, 27. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 70, 27.

Andresen 317

Kap. 5 Rz. 5.31

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

d) Zuordnung von Geschäftsbeziehungen („rights and obligations“)

5.31 Zuordnung gemäß Personalfunktion des Zustandekommens. Geschäftsbeziehungen mit fremden Dritten und mit verbundenen Unternehmen bzw. nahestehenden Personen sind auf der Grundlage der Analyse der Personalfunktionen vorzunehmen, die zur Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken geführt haben.1 Auf diese Weise ist zu ermitteln, welche Geschäftsbeziehungen annahmegemäß der Betriebsstätte zuzuordnen sind in Abgrenzung zum übrigen Unternehmen.

5.32 Vergleich zum nationalen Recht. Es besteht kein signifikanter Unterschied zu der Zuordnungsregel in § 9 Abs. 1 BsGaV.2 Entsprechend ist dem Steuerpflichtigen zu raten, auf diesen Zuordnungsparameter abzustellen und nicht auf den des Abs. 2 der Vorschrift. Dort wird auf die Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Geschäftsvorfall, auf dessen Verwaltung oder auf dessen Risikosteuerung abgestellt. Eine Aufteilung erscheint ungeachtet der Möglichkeit nach dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 und den VWG BsGa (Rz. 42 i.V.m. Rz. 113) nicht angezeigt, weil die praktischen Probleme im Rechnungswesen etwaige Vorteile überwiegen dürften und weil VWG BsGa, Rz. 116 dies explizit ausschließt. Der Widerspruch zu VWG BsGa, Rz. 113 wird nicht aufgelöst, was die Frage aufwirft, ob das Aufteilungsverbot nur für § 9 Abs. 4 BsGaV gilt. e) Zuordnung von Eigenkapital („capital“)

5.33 Eigenkapital der Gesellschaft gemäß Rechnungslegungsstandard des Konzernabschlusses. Das Eigenkapital des Unternehmens gehört – genau wie Wirtschaftsgüter und Risiken – zunächst dem Unternehmen als Ganzes. Anders als beim Gewinn äußert sich die OECD jedoch nicht zu der Frage, ob es auch denkbar ist, das eine Betriebsstätte ihr Eigenkapital auf der Passivseite der Bilanz stehen hat, während das Gesamtunternehmen dieses auf der Aktivseite der Bilanz ausweist oder umgekehrt. Dieser Aspekt hängt in nicht ganz unerheblichem Maße davon ab, welcher Rechnungslegungsstandard für die hier zu klärenden Zuordnungsfragen herangezogen werden sollte. Angesichts der Tatsache, dass es hier um potentielle Doppelbesteuerungen und deren Vermeidung geht, spricht vieles dafür, die Rechnungslegungsgrundsätze anzuwenden, die für den Konzernabschluss Anwendung finden, z.B. IFRS oder US GAAP. Auch dies kann jedoch Doppelbesteuerung nicht immer vermeiden, etwa dann, wenn nationale Rechnungslegungsstandards die Bildung von Rückstellungen verlangen, die nach dem Konzernrechnungslegungsstandard nicht zu bilden sind. Doppelbesteuerungen, die aus diesen Abweichungen resultieren, ist auch ein Verständigungsverfahren nach DBA oder EU-Schiedskonvention grundsätzlich nicht eröffnet, weil diese aus unterschiedlichen nationalen Gewinnermittlungsvorschriften resultieren. In der Totalperiode sollten sich diese jedoch grundsätzlich ausgleichen, weil sie hauptsächlich mit dem Innenfinanzierungsgrad zu tun haben, der sich aus den unterschiedlichen Rechnungslegungszwecken ergibt: Kapitalmarktorientierung vs. Vorsichtsprinzip. Eigenkapital i.S.d. OECD-Betriebsstättenberichts 2010 ist dabei Kapital, das zu steuerlich abzugsfähigem Zinsaufwand führt.3 Dies ist konsequent, geht es dem jeweils inländischen Fiskus bei der Bestimmung des Dotationskapitals doch letztlich um die Begrenzung des Zinsaufwands entweder in der inländischen Betriebsstätte oder der Zuordnung eines höheren Zinsaufwands zur ausländischen Betriebsstätte.

1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 98, 33. 2 Siehe auch VWG BsGa, Rz. 112. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 105, 35.

318

Andresen

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2)

Rz. 5.35 Kap. 5

Einheitliche Kreditwürdigkeit. Ungeachtet der Selbständigkeitsfiktion geht der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 zutreffend davon aus, dass die Betriebsstätte(n) und das übrige Unternehmen die gleiche Kreditwürdigkeit bzw. das gleiche Kredit-Rating haben. Dies resultiert aus der nicht abänderbaren rechtlichen Einheit des Einheitsunternehmens und bildet ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu Kapitalgesellschaften und deren Einkünfteabgrenzung. So richtig diese Konvention ist, so falsch ist die von der OECD gezogene Schlussfolgerung in Bezug auf Garantieerklärungen im Innenverhältnis zwischen dem übrigen Unternehmen und Betriebsstätte(n) und umgekehrt (Rz. 5.35 f.). Dies liegt an dem unzutreffenden Verständnis von Innen- und Außenverhältnis, was Garantieerklärungen bzw. die Übernahme von Risiken anbetrifft. Während die Zuordnung des Ausfallrisikos oder eine Zuordnungsänderung sehr wohl im Einklang mit dem AOA steht, darf es im Einheitsunternehmen nicht zu einer Zinsdifferenz zwischen den einzelnen Betriebsstäten kommen, weil eine Zinsdifferenz grundsätzlich ein unterschiedliches Kredit-Rating voraussetzt. Das einheitliche Kredit-Rating bedeutet lediglich, dass kein Zins-Spread zwischen den Betriebsstätten verrechnet werden darf, sondern nur eine Dienstleistungsgebühr für die Organisation der Finanzierung oder der TreasuryFunktion („dealing“).

5.34

Einheitliche Kreditwürdigkeit vs. Zuordnung(sänderung) von Risiken mit anschließendem „Dealing“. Ein Kredit-Rating, das für ein Unternehmen einheitlich gilt, führt dazu, dass kein Zinsvorteil dadurch entsteht, dass ein Unternehmensteil für den anderen bürgt oder dessen Zahlung gegenüber einer anderen Person garantiert. Gleichzeitig ist nicht erkennbar, weshalb nicht ein Unternehmensteil im Innenverhältnis Risiken vom anderen Unternehmensteilen übernehmen sollte und dies für Zwecke der steuerlichen Einkünfteabgrenzung Wirkung entfalten sollte, wenn dies in Übereinstimmung mit der Verteilung der Funktionen und der Verteilung des Kapitals geschieht. Die OECD widerspricht sich in diesem Punkt selbst und vermag diesen Widerspruch auch nicht durch den Hinweis im OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 103 und 104 schlüssig aufzulösen. Die Erklärung einer Garantie oder Bürgschaft einer Betriebsstätte gegenüber einer anderen Person zugunsten des übrigen Unternehmens ist bei einem Kredit an das übrige Unternehmen wegen der Zinsgleichheit wirtschaftlich nicht sinnvoll. Dies liegt daran, dass ohnehin das Gesamtunternehmen haftet und dessen Kreditwürdigkeit als Ganzes das Entgelt für ein solches Darlehen bestimmt. Im Gegensatz dazu sollte die Übernahme eines Risikos des übrigen Unternehmens durch eine Betriebsstätte, sei es durch eine Garantie oder ein anderes Instrument des Risikotransfers sehr wohl anerkannt werden, wenn die funktionalen Voraussetzungen des Managements des Risikos durch den anderen Unternehmensteil in Übereinstimmung mit OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 68–71 erfüllt sind. Es gibt daher keinen vernünftigen Grund für die Aussage in OECDBetriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 103: „The authorised OECD approach does not recognise dealings in respect of guarantee fees between the PE and its head office or between the PE and another PE.“1 Die OECD widerspricht hier ihrem eigenen Zuordnungskonzept der Personalfunktion. Dies würde bedeuten, dass in diesen Fällen immer eine Zuordnungsänderung des Wirtschaftsguts, des Rechts oder der Verpflichtung notwendig ist, dem das Risiko innewohnt, das in einem anderen Unternehmensteil von dem dortigen Personal gemanagt wird. Dies muss sich konsequenterweise dann wohl im Wege einer Veräußerung vollziehen. Eine solche, sehr restriktive Sichtweise ist nicht vom Fremdvergleich gedeckt, der es durchaus erlaubt, dass Risiken transferiert werden, wenn der Stillhalter, d.h. die Gesellschaft, die die Risiken übernimmt, das entsprechende Personal hat und über das Eigenkapital verfügt, diese Risiken zu tragen. Hier ist für eine Angleichung an den Fremdvergleich zwischen Ka-

5.35

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 103, 34.

Andresen 319

Kap. 5 Rz. 5.36

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

pitalgesellschaften zu plädieren, weil die (inhaltlich schwache) Begründung der OECD ihre Auffassung nicht trägt. Der Hinweis darauf, dass das Eigenkapital nicht aufgeteilt sei zwischen übrigem Unternehmen und Betriebsstätten, ist auch kein hinreichender Grund, weil die OECD dieses Eigenkapital selbst nach der Zuordnung der Wirtschaftsgüter und Risiken zu bestimmten Personalfunktionen aufteilt, ja aufteilen muss, damit die Bilanz am Ende ausgeglichen ist („(v) Capital: drawing up a „tax balance sheet“ for the PE …“).1

5.36 Anerkennungsregeln für „Dealings“ gehen OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 103 vor; Plädoyer für die Anerkennung von Risikotransfers im Innenverhältnis in Übereinstimmung mit der Funktionsaufteilung. Vor dem Hintergrund dieses offensichtlichen Verständnisproblems seitens der OECD über diese Zusammenhänge ist für die Anerkennung eines Risikotransfers in Übereinstimmung mit OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 70 zu plädieren, wie ihn die OECD in Teil II in Tz. 173 bis 183 für Banken ohnehin vorsieht, die immer wieder in Teil I im Abschnitt Risiko und Kapital zitiert werden. Für diese Auslegung spricht auch OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 161, wo Risikotransfers in eine (andere) Betriebsstätte explizit erlaubt werden, wenn dort die Expertise für das Management der Risiken vorhanden ist und die maßgebliche Personalfunktion im Hinblick auf diese Risiken dort auch ausgeübt wird (s. dazu auch Rz. 4.197).

5.37 Zuordnung von Dotationskapital. Nachdem Wirtschaftsgüter und Risiken zugeordnet sind, wobei es im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 offenbleibt, ob und inwieweit sich diese Risiken in Bilanzpositionen niedergeschlagen haben müssen, ist das Eigenkapital des Unternehmens als Ganzes auf die Betriebsstätten aufzuteilen. Die Wortwahl der OECD deutet auf eine Aufteilung des Eigenkapitals mittels eines Schlüssels hin und nicht auf eine direkte Zuordnung einzelner Eigenkapitalanteile zu bestimmten Wirtschaftsgütern oder Gruppen von Wirtschaftsgütern („… relative to the functions, assets and risks of the enterprise as a whole …“).2 In Ermangelung schlüssiger Konzepte zur Bewertung von Risiken und angesichts der selbst von der OECD konstatierten Tatsache, dass Eigenkapital außerhalb der Finanzindustrie primär zur Finanzierung von Wirtschaftsgütern dient,3 dürfte es in der Praxis auf eine Allokation des Eigenkapitals auf der Grundlage der Anschaffungskosten oder/und der Buchwerte4 der bilanzierten Wirtschaftsgüter hinauslaufen („simply valuing the assets is enough“).5 Dies wäre auch überaus vernünftig. Bei den von der OECD erwähnten Geschäftsmodellen mit hohen Risiken wäre sowohl vom Steuerpflichtigen als auch von der Finanzverwaltung zu beweisen, wie die Bewertungsansätze für Risiken außerhalb der Bilanz zustande kommen, die für eine ggf. von der prozentualen Verteilung der tatsächlich bilanzierten Wirtschaftsgüter abweichende Verteilung des Eigenkapitals und damit des Zinsaufwands sorgen sollen. Jede der genannten Parteien wird sich mit Recht gegen eine Allokation oder Reallokation auf Basis nicht bilanzierter und daher wenig greifbarer Risiken wehren – ggf. auch mithilfe der zuständigen Gerichte. Die OECD diskutiert vier Zuordnungsansätze, von denen jedoch nur die ersten drei (i.e. Rz. 5.38 ff.) jeweils dem AOA zur Kapitalallokation entsprechen.6 1 2 3 4 5 6

OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, 33. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 117, 37. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 109, 35. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 109/110, 35. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 113; s. auch Tz. 127, 39. Siehe zur Übersicht über die Allokationsmethoden des Dotationskapitals auch Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 27; Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016, Rz. 4.56–4.59.

320

Andresen

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2)

Rz. 5.42 Kap. 5

„The capital allocation approach“ (Kapitalaufteilungsmethode). Der „capital allocation approach“ sieht eine prozentuale Verteilung des Eigenkapitals in Übereinstimmung mit der prozentualen Verteilung der Wirtschaftsgüter auf die Betriebsstätten vor.1 Eine Verminderung des zu verteilenden Eigenkapitals ist ausweislich des OECD-Betriebsstättenberichts 2010, Teil I, Tz. 126 dann zulässig, wenn bestimmte Beträge des Eigenkapitals reserviert sind, sei es für Akquisitionen, sei es für eine Dividendenausschüttung, oder wenn das Eigenkapital durch eine erfolgte Veräußerung unverhältnismäßig hoch ist. In diesen Fällen ist eine direkte Vorabzuordnung zulässig und in Übereinstimmung mit dem grundsätzlich auf eine Verteilung abzielenden „capital allocation approach“.

5.38

„Economic capital allocation approach“. Der „economic capital allocation approach“ funktioniert wie der „capital allocation approach“, wobei dieser auf einen wirtschaftlichen Eigenkapitalbegriff abstellt, der auf der Annahme gründet, dass es außerhalb der Finanzindustrie Bewertungsverfahren für Risiken gibt, die das Eigenkapital kalibrieren können. Angesichts der Tatsache, dass solche Verfahren in höchstem Maße angreifbar sind und nicht immer von allen Beteiligten verstanden werden, dürfte dieser Ansatz für die Praxis keine entscheidende Bedeutung entwickeln – und das ungeachtet der Tatsache, dass er von der OECD autorisiert ist.

5.39

„Thin capitalisation approach“. Dem „thin capitalisation approach“ dürfte hingegen eine höhere Praxisrelevanz zukommen. Er basiert auf einem tatsächlichen Fremdvergleich mit den Kapitalstrukturen von unabhängigen Gesellschaften,2 die in einem vergleichbaren wirtschaftlichen Umfeld ihre Geschäftstätigkeit ausüben, z.B. in derselben oder einer ähnlichen Branche. Dabei ist eher auf eine relative Größe wie das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital abzustellen3 als auf die absolute Höhe des Eigenkapitals des Vergleichsunternehmens.

5.40

„Safe harbour approach“ – „quasi thin capitalization approach/Regulatory minimum capital approach“. Der vierte Ansatz ist von der OECD ausdrücklich nicht sanktioniert. Er stellt auf das regulatorische Kapital als Vergleichsgröße ab und kommt daher nur für regulierte Industrien infrage.

5.41

Vergleich zum nationalen Recht. Die Angemessenheit des Dotationskapitals inländischer Betriebsstätten soll grundsätzlich nach der Kapitalaufteilungsmethode bestimmt werden. Solange dies erfolgt, dürfte wenig Konfliktpotential entstehen, es sei denn, der andere Staat folgt nicht dem auch von der OECD zuerst genannten „capital allocation approach“. Bei Anwendung der anderen Methoden in den Abs. 4 und 5 des § 12 BsGaV erhöht sich das Risiko von Doppelbesteuerungen. Die Angemessenheit des Dotationskapitals ausländischer Betriebsstätten ist zunächst nach der Mindestkapitalausstattungsmethode zu prüfen. Die Vagheit der vom Gesetzgeber geforderten Glaubhaftmachung eines bestimmten Dotationskapitals aus betriebswirtschaftlichen Gründen lässt es angezeigt erscheinen, auch in diesen Fällen die Kapitalaufteilungsmethode zu verwenden, die das geringste Konfliktpotential haben sollte. Sollte die Finanzverwaltung in einer Betriebsprüfung auf einer Obergrenze wie in § 13 Abs. 4 BsGaV beharren, soweit die ausländische Betriebsstätte überhaupt selbst eine Handelsbilanz aufstellen muss, sind Doppelbesteuerungen wahrscheinlich. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 stellt fest, dass es bezüglich der anzuwendenden Methode zur Bestimmung des Dotationskapitals zwischen den OECD Mitgliedstaaten keinen Konsens gibt. Deshalb appelliert die

5.42

1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 121, 38. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 129, 39. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 131, 39.

Andresen 321

Kap. 5 Rz. 5.43

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

OECD an die Mitgliedstaaten, die für die Bestimmung des Dotationskapitals entwickelten Prinzipien und die Leitlinien für deren Anwendung flexibel und pragmatisch anzuwenden, damit Doppelbesteuerungen vermieden werden. Vor diesem Hintergrund kann der Hinweis der OECD im OECD-Betriebsstättenbericht 2017, Tz. 157, das Verständigungsverfahren keine Schwäche des AOA offenbaren, sondern die Tatsache reflektieren, dass es sich bei der Bestimmung des Dotationskapitals und damit des steuerlich abzugsfähigen Zinsaufwands um ein schwieriges und komplexes Problem handelt, von den Steuerpflichtigen als Aufforderung aufgefasst werden, Verrechnungspreisanpassungen beim Dotationskapital immer in ein Verständigungsverfahren zu bringen. Nur auf diese Weise dürfte die sehr einseitige nationale Regelung in der BsGaV bei Anwendung ohne Augenmaß durch die Finanzverwaltung ein Korrektiv erfahren. f) Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen („funding costs“)

5.43 Zuordnungsmethoden. Ausweislich der Tz. 114 vollzieht sich der Aufbau der Passivseite der Bilanz der Betriebsstätte und die Abgrenzung des ihr zuzurechnenden Zinsaufwands in drei Schritten: (1) Bestimmung des Zinsaufwands der Betriebsstätte, (2) Klärung der Frage, ob der Liquiditätsfluss im Einheitsunternehmen als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung qualifiziert und (3) Klärung der Frage, wie der angemessene Zinsaufwand abzugrenzen ist.1 Die OECD setzt sich im ersten Schritt nicht detailliert mit den unterschiedlichen Arten von Passivposten in der Bilanz auseinander, sondern stellt auf zwei Ansätze ab, die helfen sollen, die zinstragenden Passiva der Betriebsstätte bzw. in erster Linie den Zinsaufwand zuzuordnen: den „tracing approach“ und den „fungibility approach“.2 Andere Passivposten wie z.B. Rückstellungen werden dabei vollständig ignoriert. Der „tracing approach“ verfolgt die aufgenommene Liquidität zurück zu dem externen Darlehensgeber und ordnet Zinssatz und -aufwand der Betriebsstätte zu, für die der Betrag aufgenommen worden ist. Wenn und soweit Darlehen von einem anderen Unternehmensteil, z.B. von der Geschäftsleitungsbetriebsstätte für eine Betriebsstätte, aufgenommen worden sind, darf die Zuordnung auch mittels Innentransaktion zu den gleichen Konditionen der Außentransaktion erfolgen.3 Eine solche direkte Zuordnung wird nicht immer möglich sein. Dieses Problem adressiert der „fungibility approach“, der allein oder neben dem „tracing approach“ zur Anwendung kommen kann. Nach ihm wird der tatsächliche Zinsaufwand des Einheitsunternehmens in einer Abrechnungsperiode nach einem Schlüssel aufgeteilt.4 Interne Darlehen („treasury dealings“) gibt es bei diesem Ansatz in Reinform nicht. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 nennt auch keine Beispiele für Verteilungsschlüssel. Es liegt jedoch nahe, einen Verteilungsschlüssel zu wählen, der dem bei Dotationskapital gleicht, damit sich nicht allein schon wegen unterschiedlicher Schlüssel eine unausgeglichene Bilanz der Betriebsstätte oder des übrigen Unternehmens ergibt.

5.44 Vergleich zum nationalen Recht. Die §§ 14 und 15 BsGaV enthalten Elemente des „tracing approachs“ und des „fungibility approachs“. Grundsätzlich sollten daher Doppelbesteuerungen zumindest nicht vorprogrammiert sein. Der Teufel steckt hier jedoch im Detail, weil der Nachweis über die Liquiditätsflüsse mitunter sehr schwierig sein kann. Eine gute Dokumen1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 114, 36; so auch Kahle/Kindich in Lübbehüsen/ Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016, Rz. 4.58; Niehaves in Haase3, Art. 7 OECD-MA Rz. 247; Ditz in S/D, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 28. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 154, 43. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 154, 43. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 154, 43.

322

Andresen

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2)

Rz. 5.48 Kap. 5

tation ist daher notwendig, weil sie Überzeugungskraft vermittelt. Detailliertere Regelungen wie die in § 15 Abs. 3 bis 5 BsGaV laufen jedoch Gefahr zu einem Gewinn der Betriebsstätte zu führen, der nicht mit dem Gewinn nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 ermittelten übereinstimmt, so dass es insoweit zum Einsetzen der Schrankenwirkung kommen kann. Verrechnung der Finanzierungsfunktion („treasury function“). Die OECD sieht die Finanzierungsfunktion als Dienstleistungsfunktion an, die über die Verrechnung von Kosten oder über eine Verrechnung ihres Personal- und Sachaufwands, d.h. ohne den Zinsaufwand, mittels Kostenaufschlagsmethode an die Leistungsempfänger im Unternehmen verrechnet.1 Die Verrechnung einer Marge ist nach AOA nur zulässig, wenn klare Nachweise dafür vorliegen, dass die Treasury-Abteilung Dienstleistungen erbringt, die über die reine Bündelung von Nachfrage nach Liquidität („conduit“) hinausgehen.2 Je mehr die Treasury-Abteilung Anlageentscheidungen trifft und in sehr komplexe Finanzierungsfragen involviert ist, ggf. unter Einbindung externer Berater wie Investment Banken, Corporate Finance Berater etc., desto eher kommt eine Verrechnung von Leistungen in der Gestalt einer Kommission ähnlich wie bei Asset-Managern oder Portfolio-Managern infrage (Rz. 11.113). Der Vergleichbarkeit ist hier jedoch eine große Bedeutung einzuräumen, weil bereits eine andere Klasse von Vermögenswerten die Rahmendaten der Verrechnung verändern kann. Auch die Kundengattung, industrielle vs. private Kunden, spielt eine große Rolle, weil sie die Gesamtvergütung bestimmt, aus der die Anlageentscheidung ggf. nur ein kleiner Ausschnitt ist.

5.45

Vergleich zum nationalen Recht. § 17 BsGaV enthält sehr ähnliche Regelungen wie der OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 159, so dass wenig Konfliktpotential zu erwarten ist, wenn der Steuerpflichtige nahe bei der erwarteten Kostenverrechnung ggf. mit Gewinnaufschlag bleibt. Ein Abweichen von der Vermutungsregelung über den verwirklichten Sachverhalt, wie ihn die Finanzverwaltung ausweislich der OECD-Veröffentlichungen und der BsGaV und VWG BsGa sieht, erfordert – wie überall im AOA und im Einheitsunternehmen – ein höheres Maß an Dokumentation in quantitativer, aber auch in qualitativer Hinsicht.

5.46

Anerkennung von internen Darlehen. Die OECD möchte zinstragende interne Darlehen („treasury dealings“3) nur dann anerkennen, wenn diese der Vergütung der Treasury-Abteilung dienen, der aufgrund der von ihr ausgeübten Funktionen das wirtschaftliche Eigentum an Geldvermögen bzw. Liquidität oder Finanzaktiva zuzuordnen ist. Wenn das Unternehmen als Ganzes wenig oder kein Fremdkapital aufgenommen hat, geht die OECD davon aus, dass keine Personalfunktion in dem Sinne ausgeübt wird, die die Anerkennung von „treasury dealings“ nach sich ziehen würde.4

5.47

Vergleich zum nationalen Recht. Die Regelung in § 16 Abs. 3 BsGaV ist zwar restriktiv, ob jedoch der von der OECD gesteckte Rahmen der Anerkennung von internen Darlehen weiter gesteckt ist, darf bezweifelt werden, es sei denn, der betreffende Einzelfall weist eine Vielzahl an Argumenten dafür auf, dass der Fremdvergleichsgrundsatz von einem längerfristigen Darlehen ausgegangen wäre.

5.48

1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 159, 44; so auch Niehaves in Haase3, Art. 7 Rz. 248. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 159, 44. 3 Siehe zum Begriff: OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 153, 43. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 157, 44.

Andresen 323

Kap. 5 Rz. 5.49

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

5.49 Abgrenzung des angemessenen Zinsaufwands. Die Abgrenzung des angemessenen Zinsaufwands vollzieht sich über die Festlegung der Höhe des Dotationskapitals bis maximal auf den Betrag, den der Fremdvergleich mit den Methoden zur Berechnung des angemessenen Dotationskapital bestimmt (Rz. 5.38 ff.). Dieser Wert bestimmt die Höhe des Besteuerungsanspruchs des Belegenheitsstaats der Betriebsstätte. In Höhe des Zinses auf das Fremdkapital, das danach in Eigenkapital umzuqualifizieren ist, kommt es zu einer Einkommensanpassung nach § 1 Abs. 1 AStG. Dies ist ungeachtet der Wortwahl der OECD („non-deductible interest“) nicht mit nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben zu verwechseln. Gleiches gilt im Outbound-Fall, in dem die Verminderung des Dotationskapital zur Zuordnung eines höheren Zinsaufwands nach § 1 Abs. 1 AStG zur ausländischen Betriebsstätte führt, wodurch sich die ausländischen Einkünfte vermindern, die freizustellen sind, oder deren verminderte anrechenbare Steuer ggf. mit einem niedrigeren Betrag anzurechnen wäre. g) Bestimmung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen („dealings“)

5.50 Anerkennung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen. Der erste Schritt des AOA, die Fingierung der Selbständigkeit der Betriebsstätte für steuerliche Zwecke, findet ihren Abschluss in der Festlegung, ob und welche Art von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen einer Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen bestehen. Dabei geht es um die Frage deren Existenz für steuerliche Zwecke und deren wirtschaftlicher Qualität. Bei diesen anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen wird es sich in der Mehrzahl der Fälle um eine Leistung i.S. einer Dienstleistung handeln, die das Personal einer Betriebsstätte für eine andere Betriebsstätte erbringt. In wenigen Fällen wird es zu sog. Zuordnungsänderungen kommen. Diese bezeichnen die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und anderen Bestandteilen i.S.d. § 2 Abs. 3 BsGaV, soweit diese bilanziert sind, zu einer anderen Betriebsstätte als der, der sie am vorangegangenen Bilanzstichtag zugeordnet worden sind. Für diese ist zu entscheiden bzw. festzustellen, ob diese veräußert oder lediglich zur Nutzung überlassen worden sind.

5.51 Kriterien für die steuerliche Anerkennung von Innentransaktionen. Die OECD vermutet, dass „dealings“ zwischen Betriebsstätten anfälliger dafür sind, für steuerliche Zwecke von den Finanzverwaltungen missachtet („disregarded“) oder in ihrem wirtschaftlichen Gehalt verändert zu werden („restructured“).1 Entsprechend haben Steuerpflichtige darauf zu achten, dass die von ihnen identifizierten anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen die Anerkennungsschwelle der OECD überschreiten. Diese Anerkennungsschwelle findet ihren Ausdruck in den folgenden Kriterien.2 Ausgangspunkt der Prüfung ist der Buchungsvorgang im Rechnungswesen und die dahinterstehende Dokumentation, die beweist, dass eine Innentransaktion abgebildet worden ist. Für die steuerliche Anerkennung muss jedoch zusätzlich ein „real and identifiable event“ vorliegen, d.h., die Geschäftsbeziehung im Innenverhältnis muss stattgefunden haben.3 Dieses Stattfinden hat der Steuerpflichtige zu beweisen, z.B. indem er den physischen Transfer von Wirtschaftsgütern bspw. über eine Grenze mithilfe von Zollpapieren nachweist oder indem er die tatsächliche Erbringung einer Dienstleistung anhand der Reisedokumente der leistungserbringenden Personen und des Arbeitsergebnisses dokumentiert. Konkret soll der Nachweis den Übergang von Risiken, Verantwortlichkeiten 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 176, 47. 2 Vgl. Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016, Rz. 4.60; Niehaves in Haase3, Art. 7 Rz. 249; Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 29. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 177, 48.

324

Andresen

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2)

Rz. 5.54 Kap. 5

und Vorteilen abbilden, was bei Kapitalgesellschaften in der Regel über schriftliche Verträge erfolgt. Das Verfassen schriftlicher Verträge oder Abreden ist auch für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen uneingeschränkt empfehlenswert, weil sie dazu disziplinieren, sich mit dem notwendigen Dokumentationsthema in dem gewöhnlich „luftleeren“ Raum des Einheitsunternehmens auseinanderzusetzen. Tut es der Steuerpflichtige nicht selbst, macht dies ein paar Jahre später die Finanzverwaltung und kommt dabei zu Ergebnissen, die sich von der Buchführung des Steuerpflichtigen fundamental unterscheiden können. Dies gilt es durch eine zeitnahe, schriftliche und vertragsbasierte Dokumentation sicherzustellen. Der OECD schwebt, dem Wortlaut nach zu urteilen, eine Art Substanztest vor. Sachverhalt bestimmt steuerliche Behandlung. Die OECD beschreibt anhand eines Sachverhalts, in dem ein materielles Wirtschaftsgut wegen eines Wechsels seines Nutzungsorts einer anderen Betriebsstätte zuzuordnen ist, drei verschiedene Varianten, wie sich die Zuordnungsänderung vollziehen kann. Neben einem Verkauf zu Marktpreisen sind daneben auch eine mietweise Überlassung oder – wenn das Wirtschaftsgut schon zuvor bereits in einem Kostenumlageverfahren gemeinschaftlich genutzt worden ist – eine Aufteilung der Aufwendungen denkbar. Lediglich im Falle des Verkaufs würde beim Erwerber eine zeitliche Streckung des Aufwands für die Nutzung durch Abschreibung über die Nutzungsdauer entstehen, während ein Veräußerungsgewinn beim Veräußerer sofort der Besteuerung unterfallen dürfte, wenn das einschlägige Steuerrecht keine Verteilungsmöglichkeit, wie etwa in § 4g EStG, vorsieht. In den anderen Fällen entstehen lediglich Aufwand und Ertrag, im Fall der Vermietung einschließlich einer Gewinnkomponente. Diese Variantenvielfalt zeigt, dass Steuerpflichtige sich proaktiv darüber Gedanken machen müssen, welchen dieser möglichen Sachverhalte sie verwirklichen möchten und wie sie dies dokumentieren.

5.52

Vergleich zum nationalen Recht. Die Anforderungen im nationalen Recht sind sehr weich formuliert und erwecken den Eindruck, dass die Hürden für eine Anerkennung einer Innentransaktion als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung im nationalen Recht deutlich niedriger liegen als im OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Das heißt, wenn und soweit Deutschland deutlich mehr anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen einer Betriebsstätte identifiziert als ein DBA-Partnerstaat unter Anwendung der oben erläuterten OECDKriterien, kann sich daraus ein höherer Gewinn dieser Betriebsstätte ergeben als nach dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Deutschland hätte dann nur insoweit ein Besteuerungsrecht, als der Gewinn nach dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 reicht. Ergäbe sich aus dieser größeren Anzahl von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen ein Verlust in der Betriebsstätte und damit ein niedrigeres zu versteuerndes Einkommen als vom Steuerpflichtigen erklärt, würde eine Korrektur nach § 1 Abs. 1 AStG ausscheiden, weil die Vorschrift eine vorhergehende Einkommensminderung als Tatbestandsvoraussetzung verlangt. Dies gilt für in- wie ausländische Betriebsstätten gleichermaßen, weil eine negative Veränderung der steuerlichen Bemessungsgrundlage einer ausländischen Betriebsstätte im DBA-Fall zu einer korrespondierenden Einkommensminderung durch inverse, d.h. negative, Freistellung im Inland führt. Bis zu einem Anrechnungsbetrag von Null gilt das gleiche bei der Anrechnungsmethode.

5.53

4. Gewinnzurechnung zur verselbständigten Betriebsstätte (Schritt 2 des AOA) Betriebsstätteneinkünfteabgrenzung mittels Verrechnungspreismethoden. In der Vergangenheit hat man unter Methoden der Einkünfteabgrenzung in aller Regel die direkte und die indirekte Methode verstanden, die entweder Erträge und Aufwendungen direkt den Betriebsstätten zugerechnet oder einen Nettogewinn mittels Schlüsselgrößen auf Betriebsstätten Andresen 325

5.54

Kap. 5 Rz. 5.55

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

aufgeteilt haben. Der AOA verlangt nunmehr, dass anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen einzeln oder als Gruppen mit Geschäftsbeziehungen zwischen Gesellschaften verglichen werden hinsichtlich ihrer je nach Methode unterschiedlichen Profitabilitätskennzahl.1 Für diesen Fremdvergleich sind die bekannten Methoden aus Teil II und III der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010 anzuwenden.2 Dabei kommen die fünf aus den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 bekannten Kriterien der Vergleichbarkeit von Geschäftsbeziehungen zu Anwendung: „characteristics of property or services“, „functional analysis“, „contractual terms“, „economic circumstances“ und „business strategies“, wobei das Kriterium der Vertragsbedingungen unter analoger Anwendung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Tz. 1.52–1.54 anzuwenden ist, wenn und soweit es an einer schriftlichen Abrede über die zu beurteilende anzunehmende schuldrechtliche Beziehung fehlt.3 Die fehlenden Vertragsklauseln sind durch den Willen der Vertragsparteien zu ersetzen, wie er in der Buchführung und dem tatsächliche gezeigten Verhalten zum Ausdruck kommt.4 Grundsätzlich ist bei dieser Vergleichsanalyse davon auszugehen, dass eine Betriebsstätte aus einer solchen Beziehung einen Gewinn erzielen möchte.5 Eine reine Verrechnung von Aufwendungen oder Kosten dürfte nur in Ausnahmefällen und unter Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen auch zwischen Kapitalgesellschaften zulässig sein, etwa bei Personalentsendungen oder Kostenumlagen. Die OECD geht beispielhaft auf vier Szenarien ein, in denen erläutert wird, wie die Methoden anzuwenden sind (s. dazu die folgenden Unterabschnitte).

5.55 Vergleich zum nationalen Recht. Die Regelungen zu den Verrechnungspreismethoden und deren Anwendung finden sich in § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1, 3 und 4 AStG. Grundsätzlich sind die hier insbesondere relevanten beschreibenden Regelungen des § 1 Abs. 3 AStG nicht signifikant weiter gefasst als die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, die hier analog zur Anwendung kommen. Soweit allerdings besondere Regelungen auch im Betriebsstättenkontext angewendet werden, wie z.B. die Regelungen zur Funktionsverlagerung und zum Transferpaket, dürfte der dabei einer Betriebsstätte zuzurechnende Gewinn tendenziell höher ausfallen, als es Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 vorsieht, so dass die Vorschrift einschränkend wirken kann.

II. Abgrenzung von Unternehmensgewinnen für nach dem 17.7.2008 ratifizierte DBA (Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2008) 1. Geltung der erweiterten Selbständigkeitsfiktion

5.56 Einführung des AOA für DBA ab 2008. Die OECD führt den AOA mit Veröffentlichung des OECD-Betriebsstättenberichts 2008 ein und regt die Anwendung des AOA in allen offenen Fällen der Einkünfteabgrenzung mit Doppelbesteuerungen an – ungeachtet des Wortlauts und des Ratifikationszeitpunktes des jeweiligen DBA. In DBA unter Beteiligung Deutschlands findet die neue Auslegung des Art. 7 OECD-MA im Sinne einer erweiterten Selbständigkeitsfiktion nur dann Anwendung, wenn das einschlägige DBA nach dem 17.7.2008 ratifiziert worden ist (Übersicht in Rz. 5.70). 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 183, 49. 2 Vgl. dazu eingehender Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016, Rz. 4.63 ff.; Niehaves in Haase3, Art. 7 Rz. 250 ff.; Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 30 ff. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 190, 51. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 195, 52. 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 191, 51.

326

Andresen

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2)

Rz. 5.66 Kap. 5

Materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Gründe für die Einführung des AOA. Als Grund für den Wunsch der OECD-Mitgliedstaaten, den AOA schnell einzuführen, wird aus materiell-rechtlicher Sicht angeführt, dass der „functionally separate entity approach“ den Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA besser reflektiert und dass die mit ihm verbundene Gewinnrealisierung im Innenverhältnis ohne notwendige Gewinnrealisierung im Außenverhältnis den Finanzverwaltungen die mühsame, ggf. Jahre später erst mögliche Feststellung in einem anderen Staat erlaubt, dass die dortige Betriebsstätte tatsächlich einen Gewinn oder Verlust realisiert hat. Eine Steuerfestsetzung ist dann jedoch nicht immer möglich. Der AOA dient letztendlich also auch der Sicherung von Besteuerungsansprüchen, eine Sichtweise, die der EuGH1 in der Zwischenzeit schon mehrfach bestätigt hat.

5.57

2. Einkünfteabgrenzung nach dem OECD-Betriebsstättenbericht 2008 Erweiterte Selbständigkeitsfiktion. Die Rz. 5.10–5.14 sind auf DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA anzuwenden, wenn diese nach dem 17.7.2008 ratifiziert worden sind (Rz. 5.70).

5.58

Schrankenwirkung und Reverse Treaty Override nach § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG. Die Rz. 5.15 und 5.16 sind auf DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA anzuwenden, wenn diese nach dem 17.7.2008 ratifiziert worden sind (Rz. 5.70).

5.59

Funktionsanalyse und Zuordnung von Personalfunktionen („significant people functions“). Die Rz. 5.17–5.20 sind auf DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA anzuwenden, wenn diese nach dem 17.7.2008 ratifiziert worden sind (Rz. 5.70).

5.60

Zuordnung von Wirtschaftsgütern. Die Rz. 5.21–5.28 sind auf DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA anzuwenden, wenn diese nach dem 17.7.2008 ratifiziert worden sind (Rz. 5.70).

5.61

Zuordnung von Risiken. Die Rz. 5.29–5.30 sind auf DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA anzuwenden, wenn diese nach dem 17.7.2008 ratifiziert worden sind (Rz. 5.70).

5.62

Zuordnung von Geschäftsbeziehungen. Die Rz. 5.31–5.32 sind auf DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA anzuwenden, wenn diese nach dem 17.7.2008 ratifiziert worden sind (Rz. 5.70).

5.63

Zuordnung von Eigenkapital. Die Rz. 5.33–5.42 sind auf DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA anzuwenden, wenn diese nach dem 17.7.2008 ratifiziert worden sind (Rz. 5.70).

5.64

Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen. Die Rz. 5.43–5.49 sind auf DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA anzuwenden, wenn diese nach dem 17.7.2008 ratifiziert worden sind (Rz. 5.70).

5.65

Bestimmung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen. Die Rz. 5.50–5.53 sind auf DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA anzuwenden, wenn diese nach dem 17.7.2008 ratifiziert worden sind (Rz. 5.70).

5.66

1 Vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, ECLI:EU:C:2011:785 = FR 2012, 25 m. Anm. Musil.

Andresen 327

Kap. 5 Rz. 5.67

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

5.67 Gewinnzurechnung zur verselbständigten Betriebsstätte (Schritt 2 des AOA). Die Rz. 5.54–5.56 sind auf DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA anzuwenden, wenn diese nach dem 17.7.2008 ratifiziert worden sind (Rz. 5.70).

III. Abgrenzung von Unternehmensgewinnen für vor dem 17.7.2008 ratifizierte DBA (Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2008) 1. Eingeschränkte Selbständigkeitsfiktion („relevant business activity approach“)

5.68 „Relevant business activity approach“. Der Gewinn eines Unternehmens wird unter dem „relevant business activity approach“ als auf den Gewinn begrenzt angesehen, den das gesamte Unternehmen aus der relevanten Geschäftstätigkeit erwirtschaftet und an dem die Betriebsstätte partizipiert.1 Wenn und soweit die relevante Geschäftstätigkeit weit gefasst wird, z.B. unter Einschluss von Forschung und Entwicklung, Produktion und Distribution, und aus ihr resultiert ein Verlust, so wäre es in dieser Auslegung des Gewinnbegriffs nicht möglich, der Betriebsstätte, die die Distribution verantwortet, einen Gewinn zuzuordnen.2 Bei einer engen Definition des Begriffs der relevanten Geschäftstätigkeit, z.B. auf den Vertrieb, könnte der Betriebsstätte ein Gewinn zugeordnet werden, obwohl Forschung- und Entwicklung und Produktion Verluste erwirtschaftet haben.3 Die OECD-Mitgliedstaaten haben die Notwendigkeit zur Anwendung des „relevant business activity approaches“ aus dem Wortlaut des Abs. 1 des Art. 7 OECD-MA abgeleitet, während gleichzeitig Abs. 2 der Vorschrift als zu unpräzise angesehen wurde, die Unklarheit des Art. 7 Abs. 1 OECD-MA zu lösen.4 2. Keine Gewinnrealisierung ohne Realisierung im Außenverhältnis

5.69 Leistungsfähigkeit des Gesamtunternehmens. Ein weiterer relevanter Aspekt resultiert aus der Betrachtung des Gesamtunternehmens. Für das Gesamtunternehmen ist eine Gewinnrealisierung im Innenverhältnis, etwas aus der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine Betriebsstätte in einen anderen Staat oder aus der Erbringung einer Dienstleistung, z.B. Montageleistung, an die ausländische Baubetriebsstätte, nur dann für Besteuerungszwecke zugrunde zu legen, wenn eine Gewinnrealisierung im Außenverhältnis stattgefunden hat.5 Angesichts der Tatsache, dass die Einkünfteabgrenzung nach dem alten Wortlaut des Art. 7 OECD-MA für vor dem 17.7.2008 ratifizierte DBA in hohem Maße den Regeln der nationalen Einkünfteabgrenzung entspricht, wird insoweit auf Kapitel 2 der Vorauflage verwiesen.

IV. Tabellarische Übersicht zur Auslegung deutscher DBA 5.70 Übersicht über deutsche DBA zur Auslegung des Art. 7 OECD-MA. Die nachfolgende Tabelle führt sämtliche DBA Deutschlands auf und kategorisiert diese nach dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA und dem Ratifikationszeitpunkt, so dass ersichtlich ist, welcher der OECD-Berichte zur Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung – aus 2008 oder aus 2010 – angesichts der Präferenz des BFH für eine statische Auslegung der relevanten Rechtsquellen in einem Rechtsbehelfsverfahren ggf. als Auslegungshilfe zur Anwendung kommt. 1 2 3 4 5

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 61 u. 62, 23. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 64, 24. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 65, 24. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 73, 26. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 70, 25.

328

Andresen

C. Zurechnung der Unternehmensgewinne (Abs. 2)

Rz. 5.70 Kap. 5

DBA mit AOA

DBA (Ratifikation nach 17.7.2008 ohne AOA)

Alt-DBA ohne AOA (Ratifikation vor 17.7.2008)

Australien

Albanien

Ägypten

Irland

Algerien

Argentinien

Japan

Bulgarien

Armenien

Liechtenstein

Costa Rica

Aserbeidschan

Luxemburg

Frankreich

Bangladesch

Niederlande

Georgien

Belarus/Weißrussland

Norwegen

Jersey

Belgien

Vereinigtes Königreich

Malaysia

Bolivien

Malta

Bosnien und Herzegowina

Mazedonien

China

Mexiko

Côte d’Ivoire

Mauritius

Dänemark

Österreich

Ecuador

Philippinen

Estland

Schweiz

Finnland

Slowenien

Ghana

Spanien

Griechenland

Syrien

Indien

Taiwan

Indonesien

Türkei

Iran

Ungarn

Island

Uruguay

Israel

Usbekistan

Italien

Vereinigte Arabische Emirate

Jamaika

USA

Kanada

Zypern

Kasachstan Kenia Kirgistan Korea, Republik Kosovo Kroatien Kuwait Lettland

Andresen 329

Kap. 5 Rz. 5.70 DBA mit AOA

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht DBA (Ratifikation nach 17.7.2008 ohne AOA)

Alt-DBA ohne AOA (Ratifikation vor 17.7.2008) Liberia Litauen Marokko Moldau, Republik Mongolei Montenegro Namibia Neuseeland Pakistan Polen Portugal Rumänien Russische Föderation Sambia Schweden Serbien Simbabwe Singapur Slowakei Sir Lanka Südafrika Tadschikistan Thailand Trinidad und Tobago Tschechien Tunesien Turkmenistan Ukraine Venezuela Vietnam

330

Andresen

E. Aufwandszuordnung (Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2008)

Rz. 5.74 Kap. 5

D. Gegenberichtigung (Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010) Gegenberichtigung auf den Gewinn des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010. Der neu in Art. 7 aufgenommene Abs. 3 OECD-MA ist Art. 9 Abs. 2 OECD-MA nachgebildet. Er zielt auf eine Gegenberichtigung der Steuer auf den unzutreffend hoch ausgewiesenen Gewinn des übrigen Unternehmens ab, wenn der Betriebsstättenstaat eine Einkünftekorrektur auf den Gewinn i.S.d. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 vorgenommen hat und dadurch Doppelbesteuerung entsteht. Dies setzt voraus, dass der andere Staat die Höhe des Gewinns anerkennt (Art. 7 Tz. 59 OECD-MK).

5.71

Verständigungsverfahren bei Meinungsdifferenzen über den Gewinn i.S.d. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010. Es ist nicht auszuschließen, dass trotz der in der Zwischenzeit sehr detaillierten Regelungen zum AOA und Hilfen für dessen Auslegung und Anwendung die betroffenen Staaten keine Einigung über die Höhe des angemessenen Gewinns i.S.d. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 erzielen können. Für diese Fälle sieht Art. 7 Tz. 56 und 64 OECD-MK 2010 die Einleitung eines Verständigungsverfahrens vor.

5.72

E. Aufwandszuordnung (Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2008) Aufwand für die Betriebsstätte vermindert Betriebsstättengewinn i.S.d. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA. Die Regelung des Art. 7 Abs. 3 OECD-MA präzisiert die Höhe des Gewinns i.S.d. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008,1 indem sie die Minderung dieses Betriebsstättengewinns durch Aufwendungen anordnet („zum Abzug zugelassen“), wenn und soweit diese Aufwendungen für die Betriebsstätte entstanden sind. Unter welchen Umständen Aufwendungen „für die Betriebsstätte entstanden sind“, ergibt sich weder aus dem Abkommenstext noch aus dem OECD-MK.2 In Anlehnung an das im nationalen Recht bekannte Veranlassungsprinzip sollten Aufwendungen immer dann für die Betriebsstätte entstanden sein, wenn sie durch deren Existenz oder deren Geschäftstätigkeit ausgelöst worden sind.3 Die Regelung gilt unabhängig davon, ob diese Aufwendungen buchhalterisch im Belegenheitsstaat dieser Betriebsstätte erfasst worden sind oder im Belegenheitsstaat einer anderen Betriebsstätte oder der Geschäftsleitungsbetriebsstätte. Beispielhaft führt die Vorschrift Geschäftsführungs- und allgemeine Verwaltungskosten auf, die dementsprechend anteilig auf die Betriebsstätte(n) zu verteilen sind, für die sie entstanden sind. Der Verteilungsschlüssel sollte dieses Nutzenverhältnis angemessen widerspiegeln.

5.73

Konflikt zu der Annahme von „dealings“ (ab 2008). Für Abkommen, die nach dem 17.7.2008 ratifiziert sind, entsteht die Frage, ob die Aufwendungen, die für die Betriebsstätte entstanden sind, dieser Betriebsstätte ohne ein Gewinnelement zuzuordnen sind oder ob von einem „dealing“, z.B. in Gestalt einer Dienstleistung, auszugehen ist, das zu einem angemessenen Preis zu verrechnen wäre. Art. 7 Tz. 31 f. OECD-MK 2008 lösen diesen Konflikt nicht vollständig auf, sondern bejahen ein „dealing“ nur dann, wenn die Betriebsstätte einen eigenen Gewinn aus der den Aufwand begründenden Tätigkeit an sich erzielen wollte, sei es aus dem Vertrieb eines Produkts, sei es aus der Erbringung einer Dienstleistung. Im Gegensatz dazu geht der OECD-MK 2008 von einer Aufwandszurechnung ohne Gewinnelement

5.74

1 So auch Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 331; ihm folgend Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 208. 2 Gl.A. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 331. 3 Gl.A. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 331.

Andresen 331

Kap. 5 Rz. 5.75

Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht

aus, wenn die Tätigkeit die Senkung der Gesamtkosten des Unternehmens oder die Umsatzsteigerung durch allgemeine Maßnahmen zum Ziel gehabt hat. Art. 7 Tz. 33–44 OECD-MK präzisieren diesen Grundsatz für ausgewählte Beispiele wie die Überführung von Gütern, immaterielle Wirtschaftsgüter, allgemeine Dienstleistungen, spezifische Dienstleistungen, Geschäftsführungsleistungen und Finanzierungsleistungen.

5.75 Verhältnis zum nationalen Recht. Der in Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2008 zu findende Zurechnungsgrundsatz entspricht dem im nationalen Recht anzuwendenden Veranlassungsprinzip, nach dem die durch die Betriebsstätte veranlassten Aufwendungen ihr zugerechnet werden sollen. Dieses Prinzip hat der BFH1 auch für die in der Vorschrift genannten Geschäftsführungs- und Verwaltungsaufwendungen für Zwecke des nationalen Rechts bestätigt, während er sich in dem Urteil nicht mit dem Gewinn i.S.d. Art. 7 des einschlägigen DBA auseinandersetzt,2 geschweige denn mit den unterschiedlichen Wirkungsebenen von Gewinnermittlung und dem Besteuerungsrecht an dem nach DBA abgegrenzten Gewinn. Wegen dieser Wirkungsebenen sind Spekulationen über den Gewinnermittlungscharakter3 der Vorschrift ebenso fehl am Platz wie Diskussionen über einen Widerspruch zwischen einer reinen Aufwandsverrechnung und dem Fremdvergleichspreis.4 Streng genommen stehen diese Diskussionen im Widerspruch zu der Tatsache, dass Abs. 3 des Art. 7 OECD-MA die Vorschriften zur Abgrenzung des Gewinns i.S.d. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA präzisiert. Mit Blick auf das Zurechnungskonzept im nationalen Recht kann man von einer Präzisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes durch einen dem Veranlassungsprinzip ähnelnden Ansatz sprechen, auch wenn das Veranlassungsprinzip des deutschen Steuerrechts den Urhebern des Art. 7 Abs. 3 OECD-MA in den Vorläufern des OECD-MA 2008 konkret nicht bekannt gewesen ist.

5.76 Implikationen des Wegfalls der Vorschrift auf Geschäftsführungs- und Verwaltungskosten („shareholder expenses“). Das Wegfallen dieser Vorschrift kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass Geschäftsführungs- und Verwaltungsaufwendungen, soweit sie als „shareholder expenses“ zu klassifizieren sind, in Zukunft nicht mehr als für die Betriebsstätte entstanden gewertet werden können. Diese Schlussfolgerung ist jedoch nicht zwingend. Dies sollte jedoch an dem Grundsatz nichts ändern, dass „shareholder expenses“ unter dem AOA der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzurechnen sind.

F. Zuordnung von Betriebsstätteneinkünften zu anderen Verteilungsnormen (Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2010 vormals Art. 7 Abs. 7 OECD-MA 2008) 5.77 Vorrang anderer DBA-Zuordnungsvorschriften vor Art. 7 OECD-MA. Die OECD geht in Art. 7 Tz. 59 OECD-MK 2008 von einem weiten Gewinnbegriff aus, der viele unterschiedliche Einkünfte als Gewinne des Unternehmens ansieht. Wenn und soweit solche Einkünfte, die Teile des Unternehmensgewinns sind, anderen Vorschriften des einschlägigen DBA als Art. 7 zuzuordnen sind, so regelt sich das Besteuerungsrecht nach diesem insoweit spezielleren Artikel (z.B. nach dem expliziten Vorrang in Art. 6 Abs. 4, Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 3 und Art. 21 Abs. 2 OECD-MA), was bei übereinstimmender Zuordnung des Besteuerungsrechts jedoch keine praktische Relevanz entfalten dürfte. 1 Vgl. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140 = FR 1988, 678. 2 A.A. wohl Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 209. 3 Vgl. Kroppen in G/K/G, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 206. So auch Art. 7 Tz. 27–30 OECD-MK 2008. 4 Vgl. Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 210.

332

Andresen

I. Fortführung Zurechnungsmethode (Art. 7 Abs. 6 OECD-MA 2008)

Rz. 5.80 Kap. 5

G. Aufteilung von Gesamtgewinnen (Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2008) Gewinnaufteilung. Die im OECD-MA 2010 gestrichene Vorschrift zur indirekten Methode zur Abgrenzung des Betriebsstättengewinns sieht die Aufteilung des Gesamtgewinns des Unternehmens mittels eines Verteilungsschlüssels vor, wenn zumindest einer der beiden Vertragsstaaten eine solche Aufteilung des Gewinns vorsieht. Es spricht vieles dafür, den Gewinn des Unternehmens auf der Basis des Rechnungslegungsstandards zu bestimmen, der für Konsolidierungszwecke verwendet wird. Hinsichtlich des Verteilungsschlüssels besteht grundsätzlich Flexibilität, wobei Art. 7 Tz. 54 OECD-MK 2008 mit Einnahmen, Aufwendungen und Vermögen drei Hauptgruppen von Schlüsselgrößen nennt, die bei unterschiedlichen Geschäftstätigkeiten den Beitrag der Betriebsstätte zu der Rentabilität des Einheitsunternehmens zutreffend ermitteln sollen. Während bei vertriebsbezogenen Geschäftsaktivitäten ein Einnahmen-Schlüssel als angemessen anzusehen ist, dürfte bei produktionsbezogenen Geschäftsaktivitäten ein Vermögens- oder Aufwands-Schlüssel zu zutreffenderen Ergebnissen führen.

5.78

H. Keine Gewinnzurechnung zu Einkaufsbetriebsstätten in vor dem 22.7.2010 ratifizierten DBA (Art. 7 Abs. 5 OECD-MA 2008) Einkaufsbetriebsstätte. Betriebsstätten, die neben der Einkaufstätigkeit für das eigene Unternehmen noch andere Tätigkeiten außerhalb des Katalogs an Hilfstätigkeiten i.S.d. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA ausüben, haben ihren Gewinn nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 2 abzugrenzen. Bei dieser Abgrenzung sind der Betriebsstätte für die Einkaufstätigkeit keine Gewinne zuzurechnen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Aufwendungen für diese Einkaufstätigkeit, die für die Betriebsstätte entstanden sind, nicht den Gewinn der Betriebsstätte nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA mindern.1 Sie sind dem Stammhaus zuzuordnen.

5.79

I. Grundsätzliche Fortführung einer gewählten Zurechnungsmethode (Art. 7 Abs. 6 OECD-MA 2008) Methodenkontinuität. Diese Vorschrift verlangt vom Steuerpflichtigen, dass er die von ihm angewandte direkte, indirekte oder gemischte Methode zur Abgrenzung des Gewinns der Betriebsstätte i.S.d. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 grundsätzlich beibehält, damit eine gleichmäßige Besteuerung erreicht werden kann. Ein Methodenwechsel mit angemessener Begründung ist durch diese Vorschrift jedoch nicht ausgeschlossen. Gegebenenfalls haben die beiden Staaten im Verständigungsverfahren zu klären, wie die Einkünfte bei entstehender Doppelbesteuerung abzugrenzen sind.

1 Vgl. Art. 7 Tz. 57 OECD-MK 2008.

Andresen 333

5.80

Kapitel 6 Entstrickung und Verstrickung von Wirtschaftsgütern, Vermögenswerten und Funktionsverlagerungen A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten I. Begriff und Rechtsgrundlagen der Entstrickung 1. Überblick und Begriffsabgrenzungen 2. Entwicklung der Rechtsgrundlagen im innerstaatlichen Recht a) Rechtsprechung des BFH zur finalen Entnahmetheorie . . . . . . . b) Einführung des § 6 Abs. 5 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 . . . . . . . . . . . . . . c) Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 KStG durch das SEStEG 2006 . . . . . . . . d) Einführung des § 16 Abs. 3a EStG durch das JStG 2010 . . . . . . e) Einführung des AOA in § 1 AStG 3. Entwicklung der Rechtsgrundlagen im Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . II. Entstrickung von Wirtschaftsgütern nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG 1. Inhalt und konzeptionelle Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen a) Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs auf ein Wirtschaftsgut . . . . . . . . . . . . . . . b) Besteuerungsrecht an einem Veräußerungsgewinn . . . . . . . . . . c) Ausschluss des Besteuerungsrechts an einem Veräußerungsgewinn . . d) Beschränkung des Besteuerungsrechts an einem Veräußerungsgewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts an der Nutzung eines Wirtschaftsguts . . 3. Rechtsfolgen a) Entstrickung zum gemeinen Wert b) Ausgleichsposten nach § 4g EStG 4. Vereinbarkeit mit Abkommensrecht

334

Ditz

6.1

6.10 6.19 6.21 6.25 6.26 6.30

6.35

6.43 6.49 6.52 6.69 6.75 6.80 6.87 6.98

III. Entstrickung von Betrieben und Teilbetrieben nach § 16 Abs. 3a EStG 1. Inhalt und konzeptionelle Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vereinbarkeit mit Abkommensrecht IV. Entstrickung von Vermögenswerten nach § 1 AStG und der BsGaV 1. Inhalt und konzeptionelle Grundlagen a) Umsetzung des AOA in Art. 7 OECD-MA 2010 . . . . . . . . . . . . . b) Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 4 und 5 AStG . . . . . . . . . . . . c) Konkretisierung des AOA in der BsGaV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen a) Anzunehmende schuldrechtliche Beziehung aa) Definition. . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestimmung der maßgeblichen Personalfunktionen als Ausgangspunkt . . . . . . . . . cc) Definition des Vermögenswerts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zuordnung von Vermögenswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Überführung und Nutzungsüberlassung von Vermögenswerten als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung . b) Nicht fremdvergleichskonforme Bedingungen (Verrechnungspreise) aa) Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes . . . . . . bb) Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes . . . . . . cc) Klassische Methoden der Verrechnungspreisermittlung (1) Rangfolge der klassischen Methoden. . . . . . . . . . . . . (2) Preisvergleichsmethode. .

6.99 6.103 6.111 6.114

6.115 6.123 6.141

6.145 6.153 6.157 6.166

6.171

6.175 6.179

6.187 6.189

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

(3) Wiederverkaufspreismethode . . . . . . . . . . . . . . (4) Kostenaufschlagsmethode dd) Gewinnorientierte Methoden (1) Anerkennung gewinnorientierter Methoden. . . (2) Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode . . . (3) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode . . . . . . . . . . . . . . c) Minderung der inländischen Einkünfte und Erhöhung der ausländischen Einkünfte . . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vereinbarkeit mit Abkommensrecht V. Typische Tatbestände einer Entstrickung 1. Überführung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten von einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte a) Materielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens . . . . . . . . . . . . . b) Immaterielle Wirtschaftsgüter und Vermögenswerte . . . . . . . . . . c) Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnliche Vermögenswerte . . 2. Überführung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten von einer inländischen Betriebsstätte in ein ausländisches Stammhaus . . . . . . . . 3. Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. 6.1 Kap. 6

B. Verstrickung von Wirtschaftsgütern 6.192 6.195

I. Inhalt und konzeptionelle Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.259

II. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . .

6.263

6.201

III. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.272

6.203

IV. Vereinbarkeit mit Abkommensrecht

6.277

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen 6.207 6.208 6.212 6.218

6.219 6.222 6.238 6.243

6.245 6.247 6.251

I. Inhalt und konzeptionelle Grundlagen 1. Gründe für Funktionsverlagerungen 2. Grundsatz der Anerkennung der tatsächlichen Funktionsaufteilung . . 3. Begründung einer Betriebsstätte im Rahmen von Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besteuerung von Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3. 4.

Tatbestandsvoraussetzungen Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlagerung der Funktion . . . . . . . . Übergang von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen . . . . . . . . . . 5. Ausnahmen zur Funktionsverlagerung a) Funktionsverlagerung auf eine Betriebsstätte mit Routinefunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reine Überführung oder Überlassung von Wirtschaftsgütern . . c) Personalentsendung . . . . . . . . . . . d) Keine Funktionsverlagerung unter Dritten . . . . . . . . . . . . . . . .

III. Rechtsfolgen 1. Gesamtbewertung eines Transferpakets. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter als Ausnahme . . . . IV. Vereinbarkeit mit Abkommensrecht

6.279 6.281 6.283 6.294 6.302 6.305 6.311 6.321

6.323 6.328 6.330 6.332

6.335 6.343 6.346

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten I. Begriff und Rechtsgrundlagen der Entstrickung 1. Überblick und Begriffsabgrenzungen Definition der Entstrickung. Was unter einer „Entstrickung“ zu verstehen ist, wird gesetzlich nicht definiert. Vielmehr wurde der Begriff – soweit ersichtlich – erstmalig in der Ent-

Ditz 335

6.1

Kap. 6 Rz. 6.2

Entstrickung und Verstrickung

scheidung des BFH vom 16.7.19691 verwendet, als im Zusammenhang mit der finalen Entnahmetheorie (Rz. 6.10) von einer „Gewinnverwirklichung durch Steuerentstrickung“ gesprochen wurde. Damit bezieht sich die „Entstrickung“ auf Vorgänge, in denen in Wirtschaftsgütern ruhende stille Reserven – trotz fehlender Realisation am Markt – besteuert werden, da sie einer inländischen Besteuerung entzogen werden.2 Im Rahmen einer Steuerentstrickung wird der (positive oder negative) Unterschiedsbetrag zwischen dem Markt- bzw. Fremdvergleichswert des Wirtschaftsguts und dessen Buchwert realisiert, da das inländische Besteuerungsrecht auf die aus diesem Wirtschaftsgut resultierenden Einkünfte verloren geht oder zumindest beschränkt wird.3 Da die Steuerentstrickung einen (fiktiven) Gewinnrealisationstatbestand auslöst, bezieht sie sich üblicherweise auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer (einschl. Solidaritätszuschlag) sowie die Gewerbesteuer. Sie kann sich auf ein Steuersubjekt oder ein Steuerobjekt beziehen.4 Eine subjektbezogene Steuerentstrickung kommt z.B. bei der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht (z.B. durch Wegzug), eine objektbezogene Steuerentstrickung z.B. im Zusammenhang mit der Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte in Betracht.

6.2 Notwendigkeit eines Ersatzrealisationstatbestands. Die Entstrickungsbesteuerung bezieht sich auf die Realisierung von in einem Wirtschaftsgut gebundenen stillen Reserven, ohne dass es zu einer Marktrealisation i.S. einer schuldrechtlichen Liefer- oder Leistungsbeziehung kommt. Damit stellt sich die Frage nach der Rechtsgrundlage einer solchen Gewinnrealisierung: Das Realisationsprinzip, das zu den tragenden handelsrechtlichen GoB gehört und über den Maßgeblichkeitsgrundsatz des § 5 Abs. 1 EStG zu einem integralen Bestandteil der steuerlichen Gewinnermittlung im Rahmen eines Betriebsvermögensvergleichs wird,5 kommt dazu nicht in Betracht.6 Denn nach dem Realisationsprinzip ist eine Gewinnrealisierung erst möglich, wenn das entsprechende Wirtschaftsgut an einen Dritten (oder ein verbundenes Unternehmen) veräußert wird und infolgedessen eine Marktrealisation eingetreten ist; die bloße Entwicklung stiller Reserven in einem Wirtschaftsgut (i.S. einer Wertsteigerung) führt hingegen noch nicht zu einer Realisierung. Dies ist Ausdruck des handelsbilanziellen Vorsichtsprinzips, wonach die Anschaffungs- und Herstellungskosten die Bewertungsobergrenze eines Wirtschaftsguts darstellen. Damit bedarf es einer – i.S. eines Ersatzrealisationstatbestands – anderen Rechtsgrundlage, welche die Realisierung stiller Reserven bei Überführungsvorgängen, z.B. bei der Überführung eines Wirtschaftsguts vom inländischen Stammhaus an die ausländische Betriebsstätte, anordnet. Eine solche wurde jedoch erstmalig – was durchaus überrascht – in 2006 in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG und später mit der Implementierung des AOA in innerstaatliches Recht in 2013 in § 1 AStG implementiert.7 1 Vgl. BFH v. 16.7.1969 – I 266/65, BStBl. II 1970, 175. 2 Vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.383; Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift 487, 2013, 11; Müller, Besteuerung stiller Reserven bei Auslandsbezug im Spannungsfeld zwischen Verfassung, Abkommens- und Europarecht, 2011, 26 f. 3 So auch das Verständnis der Finanzverwaltung, vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Tz. 2.6.2, Rz. 20 und 62 – im Folgenden VWG BsGa. 4 Vgl. Herbst, Die Entstrickung stiller Reserven, 2010, 11 f.; Lampert in Gosch, § 12 KStG Rz. 2. 5 Abgeleitet aus § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB. 6 Vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.385; Schaumburg, ISR 2013, 197 (199); Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 41; Müller, Besteuerung stiller Reserven bei Auslandsbezug im Spannungsfeld zwischen Verfassung, Abkommens- und Europarecht, 2011, 32. 7 Vgl. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782.

336

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.4 Kap. 6

Rechtfertigung durch das Äquivalenzprinzip. Die Entstrickungsbesteuerung findet ihre systematische Rechtfertigung im Äquivalenzprinzip.1 Dieses soll – im internationalen Kontext – zu einer Verteilungsgerechtigkeit zwischen den nationalen Staatshoheiten führen. So soll dem Staat ein Besteuerungsrecht auf Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA) zustehen, auf dessen Hoheitsgebiet der Gewinn unmittelbar oder mittelbar durch die von diesem Staat zur Verfügung gestellten öffentlichen Güter erwirtschaftet wurde. Zu solchen öffentlichen Gütern gehören insbesondere die staatlich zur Verfügung gestellte Infrastruktur (z.B. Verkehrswege, Telekommunikation, Bildungsinstitutionen) sowie die durch den Staat gewährten Rahmenbedingungen (z.B. Finanzwesen, innere und äußere Sicherheit). Folgt man dem Postulat einer gerechten Verteilung der steuerlichen Bemessungsgrundlage nach dem Äquivalenzprinzip, ist jeder betrieblichen Teileinheit (Stammhaus und Betriebsstätte) der Gewinn zuzuordnen, der durch die Nutzung von öffentlichen Gütern des entsprechenden Staats erwirtschaftet wurde. Dieser „Verteilungsgerechtigkeit“ unter den in eine unternehmerische Tätigkeit des Steuerpflichtigen einbezogenen Staaten kann nur auf Basis einer uneingeschränkten Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Rahmen der internationalen Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten Rechnung getragen werden.2 Dies liegt darin begründet, dass durch den uneingeschränkten Ansatz von Marktwerten für unternehmensinterne Liefer- und Leistungsbeziehungen dem Staat, in welchem die wirtschaftliche Wertschöpfung erbracht wurde, die daraus resultierenden Einkünfte zugeordnet werden.

6.3

Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht. Im Schrifttum wird kontrovers diskutiert, ob die Entstrickungsvorschriften – insbesondere in Form des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, des § 12 Abs. 1 KStG, des § 16 Abs. 3a EStG und des § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. der BsGaV – verfassungskonform sind. Die Frage geht insbesondere dahin, ob die Vorschriften dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Prinzip der Besteuerung der Leistungsfähigkeit genügen und ob den Freiheitsgrundrechten des Art. 14 GG (Schutz des Eigentums) und Art. 2 Abs. 1 GG (Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit) ausreichend Rechnung getragen wird. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass eine steuerliche Leistungsfähigkeit stets Liquidität für die Steuerzahlung voraussetzt. Daneben gebietet das Übermaßverbot3 eine vorsichtige Besteuerung, d.h. eine Besteuerung erst zu dem Zeitpunkt, zu dem die Leistung erbracht wird. Ob die Entstrickungsvorschriften diese Voraussetzungen erfüllen, ist umstritten.4 Nach Auffassung des FG Köln in seiner Entscheidung vom 16.2.2016 ist indessen ein Verstoß des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Leistungsfähigkeitsprinzip nicht erkennbar.5

6.4

1 Vgl. Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 487, 2013, 21. 2 Vgl. Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2004, 167 ff.; Mödinger, Internationale Erfolgs- und Vermögensabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebstätte nach der Neufassung des Art. 7 OECD-MA, 2012, 130; a.A. Ziehr, Einkünftezurechnung in internationalen Einheitsunternehmen, 2008, 31. 3 Das Übermaßverbot wird insbesondere aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG abgeleitet; vgl. dazu Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht22, § 3 Rz. 180. 4 Zu Einzelheiten einer verfassungsrechtlichen Analyse vgl. Schaumburg, ISR 2013, 197 (199 f.); Müller, Besteuerung stiller Reserven bei Auslandsbezug im Spannungsfeld zwischen Verfassung, Abkommens- und Europarecht, 2011, 123 ff.; Reiter, Besteuerung stiller Reserven nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, 2011, 133 ff.; Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 487, 2013, 97 ff. 5 Vgl. FG Köln v. 16.2.2016 – 10 K 2335/11, juris, rkr. und dazu Ditz/Tcherveniachki, ISR 2016, 417 (418).

Ditz 337

Kap. 6 Rz. 6.5

Entstrickung und Verstrickung

6.5 Vereinbarkeit mit Europarecht. Europarechtlich stellt sich die Frage, ob die Entstrickungsvorschriften – mithin § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG, § 16 Abs. 3a EStG und § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. der BsGaV – aufgrund ihres unmittelbaren Bezugs nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte gegen die Diskriminierungsverbote des AEUV verstoßen. Einzelheiten sind in Rz. 12.1 ff. dargestellt.

6.6 Nutzungsentstrickung. Mit der erstmaligen Einführung der Entstrickungsvorschriften des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 KStG durch das SEStEG vom 7.12.20061 hat sich ferner der Begriff der „Nutzungsentstrickung“ etabliert.2 Hintergrund ist, dass sich die beiden Entstrickungsvorschriften – so die Gesetzesbegründung3 – auch auf die Nutzungsentnahme und die fiktive Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts an eine ausländische Betriebsstätte beziehen sollen, wenn die Überlassung wie unter fremden Dritten aufgrund eines Miet-, Pacht- oder ähnlichen Rechtsverhältnisses erfolgt wäre (vgl. Rz. 6.75 ff. sowie Rz. 6.247 ff.).4 Eine vergleichbare Rechtsfolge kann sich auch aus § 1 Abs. 4 und 5 AStG ergeben, wenn die Voraussetzungen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung erfüllt sind (vgl. Rz. 6.173).5 Die Nutzungsentstrickung bezieht sich auf Fälle, in denen ein Wirtschaftsgut nicht dauerhaft, sondern nur vorübergehend einer in- oder ausländischen Betriebsstätte genutzt wird; es kommt daher nicht zu einem Wechsel der Zuordnung des Wirtschaftsguts, z.B. vom inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte. Die bloße Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts an eine ausländische Betriebsstätte hat daher nicht zur Folge, dass die in dem Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven vollständig zu realisieren sind;6 vielmehr bezieht sich die Rechtsfolge auf die Entnahme einer Nutzung bzw. eine fingierte Nutzungsüberlassung, d.h., es kommt zu einer „fiktiven“ Abrechnung eines Entgelts für eine Nutzungsüberlassung zum gemeinen Wert, d.h. dem Fremdvergleichspreis (vgl. Rz. 6.247 ff.).7

6.7 Funktionsverlagerung. Im Zusammenhang mit der Entstrickungsbesteuerung sind auch die Regelungen zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen gem. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und der FVerlV8 zu sehen.9 § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG, der für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, auch in Bezug auf die Betriebsstättengewinnabgrenzung zu beachten ist (vgl. Rz. 6.296), ordnet an, dass das im Rahmen der Funktionsverlagerung übergehende Transferpaket als Ganzes unter Berücksichtigung des mit der Funktion verbundenen Gewinnpotentials zu bewerten ist (zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.335 ff.). Im Ergebnis sind damit bei Funktionsverlagerungen ins Ausland die aus der Unternehmensbewertung bekannten Bewertungsverfahren (Ertragswert- oder Discounted-Cash-Flow-Verfahren) anzuwenden; eine Einzelbewertung der im Zuge der Funktionsverlagerung auf das ausländische Unternehmen übergehenden Wirtschaftsgüter findet nicht statt. Insoweit ist offensichtlich, dass die Regelungen 1 Vgl. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782. 2 Vgl. Beinert/Benecke, FR 2010, 1009 (1011); Kaeser in Lüdicke, Besteuerung von Unternehmen im Wandel?, 2007, 150; Körner, IStR 2009, 741 (745). 3 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 171. 6 Vgl. Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 (103 f.); Benecke/Schnitger, IStR 2006, 766; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 808. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20 und 78; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 808; Benecke/ Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 370; kritisch Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 (104). 8 Vgl. Funktionsverlagerungsverordnung v. 12.8.2018, BGBl. I 2008, 168. 9 Vgl. auch Kahle/Eichholz/Kindich, Ubg 2016, 132 (142 f.); VWG BsGa, Rz. 100.

338

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.9 Kap. 6

zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen ebenfalls auf die Sicherstellung der Besteuerung von im Inland entwickelten stillen Reserven gerichtet sind. Infolgedessen ist auch die Funktionsverlagerungsbesteuerung eine Vorschrift zur Steuerentstrickung.1 Verstrickung. Die Verstrickung bezieht sich auf die erstmalige Begründung des Besteuerungsrechts am Gewinn aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts und bildet folglich die „Kehrseite“ der Entstrickung (vgl. Rz. 6.259 ff.).2 Sie erfasst damit Vorgänge, durch die in einem Wirtschaftsgut gebundene stille Reserven erstmalig einer deutschen Besteuerung zugeführt werden. Typisches Beispiel ist die Überführung eines Wirtschaftsguts von einem ausländischen Stammhaus in seine inländische Betriebsstätte. Hier geht die Frage dahin, mit welchem Wert das Wirtschaftsgut nach seiner Überführung in die inländische Betriebsstätte (für Zwecke der beschränkten Steuerpflicht) zu bewerten ist. Dazu hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab 2006 die sog. Verstrickungsvorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG geschaffen, die in i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG die Bewertung des in die inländische Betriebsstätte überführten Wirtschaftsguts mit dem gemeinen Wert vorsieht. Voraussetzung ist dazu, dass im Rahmen einer fiktiven Einlage das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts „begründet“ wird. Einzelheiten dazu werden in Rz. 6.263 ff. dargestellt.

6.8

Fehlendes systematisches Konzept der Entstrickungsbesteuerung. Nach einem gesetzeslosen Zustand, der mit dem SEStEG vom 7.12.20063 beendet wurde, ist die Entstrickungsbesteuerung mittlerweile durch ein Nebeneinander von zahlreichen, nicht aufeinander abgestimmten Rechtsgrundlagen geprägt. Damit gibt es keine allgemeingültigen Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen einer Entstrickung wie die nachfolgende Auflistung zeigt:

6.9

– Entstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 3–5 EStG: Fiktive Entnahme, falls das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird. Die fiktive Entnahme ist gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG mit dem gemeinen Wert zu bewerten. – Entstrickung nach § 12 Abs. 1 KStG: Fiktive Veräußerung oder Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert, falls das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird. – Entstrickung nach § 16 Abs. 3a EStG: Fiktive Aufgabe eines Betriebs oder Teilbetriebs, falls das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter eines Betriebs oder Teilbetriebs ausgeschlossen oder beschränkt wird. Infolgedessen sind die Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert zu bewerten (§ 16 Abs. 3 Satz 7 EStG). – Entstrickung nach § 1 Abs. 1 und 5 AStG und der BsGaV: Es wird im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung eine Einkünftekorrektur angeordnet, wenn für die Aufteilung der Einkünfte zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder der Bestimmung von Einkünften einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens Bedingungen zugrunde gelegt werden, die nicht dem 1 Vgl. in diesem Sinne auch Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 487, 2013, 14. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. 3 Vgl. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782.

Ditz 339

Kap. 6 Rz. 6.10

Entstrickung und Verstrickung

Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden. – Funktionsverlagerungsbesteuerung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und Abs. 5 AStG: Wird eine Funktion eines inländischen Unternehmens bzw. einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken und der mitübertragenen oder überlassenen Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile verlagert (Funktionsverlagerung), ist dafür ein Transferpaket als Ganzes zu bewerten. – Umwandlungssteuerrecht: Das Umwandlungssteuergesetz macht die Steuerneutralität eines Umwandlungsvorgangs regelmäßig davon abhängig, dass das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland an dem eingebrachten Vermögen bzw. Anteil an einer Kapitalgesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Insoweit liegt eine Parallele zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. des § 12 Abs. 1 KStG vor, wie die folgenden Vorschriften zeigen: – § 3 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG für die Verschmelzung einer Kapital- auf eine Personengesellschaft bzw. natürliche Person; – § 9 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG bei einem Formwechsel einer Kapital- in eine Personengesellschaft; – § 11 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG und § 13 Abs. 2 Nr. 1 UmwStG bei einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften; – § 15 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG und § 15 Abs. 1 i.V.m. § 13 Abs. 2 UmwStG bei der Auf- und Abspaltung von Kapitalgesellschaften; – § 16 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG bei der Auf- und Abspaltung von Personengesellschaften; – § 20 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG bei der Einbringung von Unternehmensteilen in Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften; – § 21 Abs. 2 Satz 2 UmwStG bei einem Anteilstausch; – § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG bei der Einbringung von Unternehmensteilen in Personengesellschaften. Aus dem Nebeneinander der vorstehend dargestellten, auf eine Entstrickungsbesteuerung ausgerichteten Rechtsgrundlagen resultieren zahlreiche Abgrenzungsfragen und infolgedessen eine beklagenswerte Rechtsunsicherheit. Hinzu kommen verfassungsrechtliche (vgl. Rz. 6.4) sowie europarechtliche (vgl. Rz. 6.5) Problemfelder. 2. Entwicklung der Rechtsgrundlagen im innerstaatlichen Recht a) Rechtsprechung des BFH zur finalen Entnahmetheorie

6.10 Überführung von Wirtschaftsgütern im DBA-Fall. Nach der – durch die aktuelle Rechtsprechung des BFH überholten1 – finalen Entnahmetheorie war die Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens aus einem inländischen Stammhaus in eine ausländische 1 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149, belegt mit Nichtanwendungserlass, BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke, belegt

340

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.12 Kap. 6

Betriebsstätte als Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG zu behandeln, wenn der Gewinn der ausländischen Betriebsstätte nach einem DBA von der deutschen Besteuerung freigestellt war. Dies wurde durch den BFH damit begründet, dass die stillen Reserven mit Überführung des Wirtschaftsguts in die ausländische Betriebsstätte aufgrund der abkommensrechtlich angeordneten Freistellungsmethode einer inländischen Besteuerung entzogen werden.1 Damit definierte der BFH im Rahmen der finalen Entnahmetheorie einen Gewinnrealisationstatbestand, nach dem die in einem Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven bei der Überführung des Wirtschaftsguts in die ausländische Betriebsstätte durch den Ansatz des Teilwerts (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG) zu versteuern sind (sog. Gewinnverwirklichung durch Steuerentstrickung). Hingegen ist für den umgekehrten Fall einer Überführung von Wirtschaftsgütern von einer ausländischen Betriebsstätte in das inländische Stammhaus keine Entscheidung ergangen.2 Dies gilt darüber hinaus für die Frage, ob die finale Entnahmetheorie auch bei der Überführung von Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens Anwendung finden soll.3 Überführung von Wirtschaftsgütern im Nicht-DBA-Fall. Wird ein Wirtschaftsgut des Anlagevermögens in eine Nicht-DBA-Betriebsstätte überführt, liegt nach Auffassung des BFH kein Anwendungsfall der finalen Entnahmetheorie vor.4 Denn in diesem Fall sei die Besteuerung der stillen Reserven nach dem Welteinkommensprinzip unter Anwendung der Anrechnungsmethode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (§ 34c Abs. 1 EStG) sichergestellt.

6.11

Rechtsprechung zum finalen Betriebsaufgabebegriff. Die finale Entnahmetheorie galt nach Auffassung des BFH neben der Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens auch bei einer Überführung eines Betriebs oder Teilbetriebs aus dem Inland ins Ausland (vgl. dazu auch Rz. 6.99 ff.). In diesem Fall ging der BFH von einer Betriebsaufgabe oder Teilbetriebsaufgabe i.S.d. § 16 Abs. 3 EStG aus, wenn der Gewinn aus der ausländischen Betriebsstätte nach der Betriebs- bzw. Teilbetriebsüberführung nicht mehr der deutschen Besteuerung unterlag (sog. finaler Betriebsaufgabebegriff),5 weil das einschlägige DBA die Freistellung der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte (Freistellungsmethode) vorsieht.

6.12

1 2 3

4 5

mit Nichtanwendungserlass, BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432. Vgl. BFH v. 16.7.1969 – I 266/65, BStBl. II 1970, 175; v. 28.4.1971 – I R 55/66, BStBl. II 1971, 630; v. 30.5.1972 – VIII R 111/69, BStBl. II 1972, 760; v. 24.11.1982 – I R 123/78, BStBl. II 1983, 113 = FR 1983, 198; v. 14.6.1988 – VIII R 387/83, BStBl. II 1989, 187 = FR 1988, 671. In einer konsequenten Umsetzung der finalen Entnahmetheorie wäre darin eine mit dem Teilwert zu bewertende Einlage zu sehen. In den Entscheidungen des FG Hessen v. 12.7.1977 – IV 111/75, rkr., EFG 1977, 608, und des BFH v. 13.11.1990 – VIII R 152/86, BStBl. II 1991, 94 = FR 1991, 117, wurde explizit offengelassen, ob die finale Entnahmetheorie auch im Rahmen des Umlaufvermögens Anwendung finden soll. Im BFH-Urteil v. 21.1.1972 – III R 57/71, BStBl. II 1972, 374, hatte der BFH in Bezug auf Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens zu der vermögensteuerlichen Frage zu entscheiden, ob bei der Abgrenzung des Betriebsvermögens einer deutschen Betriebsstätte für vermögensteuerliche Zwecke ein Schuldposten für übertragene Waren gegenüber dem Stammhaus anzusetzen ist. Dies wurde durch den III. Senat des BFH bejaht. Die Entscheidung erging allerdings zu der vermögensteuerlichen Frage der Anerkennung eines Schuldpostens und nicht zum Ertragsteuerrecht. Dies gilt selbst dann, wenn zu einem späteren Zeitpunkt ein DBA abgeschlossen wird. Vgl. BFH v. 16.12.1975 – VIII R 3/74, BStBl. II 1976, 246. Vgl. BFH v. 28.4.1971 – I R 55/66, BStBl. II 1971, 630; v. 13.10.1976 – I R 261/70, BStBl. II 1977, 76.

Ditz 341

Kap. 6 Rz. 6.13

Entstrickung und Verstrickung

Rechtsfolge der – nach der neueren BFH-Rechtsprechung ebenfalls überholten1 – finalen Auslegung der Betriebsaufgabe war, dass zum Zeitpunkt der Überführung des Betriebs oder Teilbetriebs ins Ausland eine Aufgabebilanz zu erstellen war, in welcher sämtliche Wirtschaftsgüter mit ihrem gemeinen Wert (vgl. § 9 Abs. 2 BewG) anzusetzen sind. Infolgedessen kam es nach der nunmehr überholten Rechtsprechung im Zeitpunkt der Überführung des Betriebs oder Teilbetriebs zu einer Aufdeckung der in diesen ruhenden stillen Reserven (einschließlich Geschäfts- und Firmenwert).2

6.13 Begründung der finalen Entnahmetheorie. Der BFH begründete die finale Entnahmetheorie damit, dass bei Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische DBA-Betriebsstätte, deren Gewinn von der deutschen Besteuerung freigestellt ist, die in dem nämlichen Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven einer deutschen Besteuerung entzogen werden. Überraschend ist allerdings, dass der BFH in keiner seiner Entscheidungen zur finalen Entnahmetheorie auf die abkommensrechtliche Gewinnabgrenzungsnorm des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA Bezug nahm, obwohl in den entschiedenen Sachverhalten entsprechende abkommensrechtliche Vorschriften einschlägig waren.3 Insoweit ging der BFH über das Veranlassungsprinzip und den Grundsatz des Fremdvergleichs als Abgrenzungsmaßstab hinweg, der dem deutschen Fiskus das Besteuerungsrecht auf die im Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven durch eine Beteiligung des inländischen Stammhauses an den durch die ausländische Betriebsstätte aus der Verwertung oder Nutzung des Wirtschaftsguts realisierten Erträgen zusichert.4 Die abkommensrechtliche Freistellung der Betriebsstätteneinkünfte hat demnach grundsätzlich keinen Verlust des Besteuerungsrechts auf die in Deutschland vor der Überführung des Wirtschaftsguts gebildeten stillen Reserven zur Folge. Vor diesem Hintergrund beruhte die im Rahmen der finalen Entnahmetheorie vom BFH vertretene Auffassung auf einem „verfehlten Verständnis von Art. 7 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA“.5

6.14 Ablehnung der finalen Entnahmetheorie durch den BFH in seinem Urteil vom 17.7.2008. Den in der vorstehenden Rz. dargestellten systematischen Fehler der finalen Entnahmetheorie arbeitet der BFH in seinem Urteil vom 17.7.20086 heraus und stellt dabei zutreffend klar, dass nach neuerer Erkenntnis die spätere Besteuerung im Inland entstandener stiller Reserven durch die abkommensrechtliche Freistellung ausländischer Betriebsstättengewinne nicht beeinträchtigt wird. Vielmehr geht in Deutschland das Besteuerungsrecht in Bezug auf die aus dem Wirtschaftsgut resultierenden Einkünfte nur in einem solchen Umfang verloren, in dem die realisierten Einkünfte auch tatsächlich durch die Betriebsstätte erwirtschaftet wurden. Im Ergebnis erkennt der BFH in seinem Urteil vom 17.7.2008 die Aufteilung des zukünftigen Veräußerungsgewinns zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte nach Veranlassungsgesichtspunkten und unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes an. Das

1 Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke, belegt mit Nichtanwendungserlass, BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432. 2 Vgl. dazu auch Schaumburg in FS Wassermeyer, 429. 3 Dies gilt insbesondere für Art. 4 Abs. 2 DBA-Österreich in BFH v. 16.7.1969 – I 266/65, BStBl. II 1970, 175; v. 30.5.1972 – VIII R 111/69, BStBl. II 1972, 760. 4 Zu Einzelheiten vgl. Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch, 1. Aufl., Rz. 3.11; Wassermeyer, DB 2006, 1177; a.A. Hruschka/Lüdemann, IStR 2005, 76. 5 Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch, 1. Aufl., Rz. 3.11. 6 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149, belegt durch Nichtanwendungserlass, BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671.

342

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.16 Kap. 6

Besteuerungsrecht Deutschlands wird daher in Bezug auf die aus dem in die ausländische Betriebsstätte überführten Wirtschaftsgut resultierenden Einkünfte nicht eingeschränkt.1 Die Grundsätze des BFH-Urteil vom 17.7.2008 wurden in zwei weiteren Urteilen des I. Senats vom 28.10.2009 bestätigt.2 Fehlende Rechtsgrundlage für eine Steuerentstrickung bis 2005. Der I. Senat des BFH stellt in seinem Urteil vom 17.7.2008 zutreffend fest, dass es an einer Rechtsgrundlage für eine Steuerentstrickung des in die ausländische Betriebsstätte übertragenen Wirtschaftsguts nach damaligem Recht (d.h. im VZ 1995) fehlt. Denn einerseits ist das Realisationsprinzip als GoB zu beachten (vgl. Rz. 6.2). Dies bedeutet, dass ein Gewinn grundsätzlich erst dann ausgewiesen werden kann, wenn er durch einen Umsatz am Markt verwirklicht wurde. Darüber hinaus ist die Rechtsprechung zur finalen Entnahmetheorie nicht mit dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG in Einklang zu bringen. Denn die Gewinnrealisierung durch eine Entnahme setzt nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG voraus, dass der Steuerpflichtige das Entnahmeobjekt für „seinen Haushalt“, d.h. für private Zwecke oder für andere betriebsfremde Zwecke entnimmt. Die ausländische Betriebsstätte ist aber Teil des Gesamtunternehmens. Bei Überführungen zwischen verschiedenen Unternehmensteilen fehlt es folglich an der Zuführung zu außerbetrieblichen Zwecken.3 Dies gelte – so der BFH – auch für die Überführung aus einem Betrieb des steuerpflichtigen Mitunternehmers (im entschiedenen Sachverhalt: deutsche GmbH & Co. KG) in einen anderen Betrieb des Steuerpflichtigen (im entschiedenen Sachverhalt: österreichische KG).4 Dies ist indessen insofern nicht überzeugend, als es sich bei der im Sachverhalt in Österreich belegenen KG – trotz der transparenten Besteuerung – um ein eigenes Gewinnermittlungssubjekt handelt.

6.15

Bedeutung des Art. 7 OECD-MA. Wie der BFH in seinem Urteil vom 17.7.2008 zutreffend ausführt, folgt auch aus Art. 7 OECD-MA (bzw. im entschiedenen Sachverhalt die Art. 7 Abs. 2 OECD-MA nachgebildete Norm des Art. 4 Abs. 2 DBA-Österreich 1954) nichts anderes. Denn dieser Vorschrift kommt in Bezug auf die Gewinnermittlung, d.h. die konkrete Frage einer Gewinnrealisierung, keine Self-Executing-Wirkung zu.5 Insofern wird im allgemeinen Grundsatz der Qualifikation des Abkommensrechts als sog. Schrankenrecht6 Rechnung getragen, nachdem ein DBA keinen Steueranspruch begründen oder einen bereits nach innerstaatlichem Recht bestehenden Steueranspruch in seinem Umfang erweitern oder in seiner Art verändern kann.7 Vielmehr dienen Art. 7 Abs. 1 und 2 OECD-MA lediglich als „Besteuerungsschranke“, die den Steuerpflichtigen vor einer nicht fremdvergleichskonformen Gewinnzuordnung und somit vor einer überhöhten Besteuerung im Betriebsstättenstaat schützen sollen.8 Ob der Gesetzgeber dieses Besteuerungsrecht tatsächlich wahrnimmt und in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt dies geschieht, ergibt sich indes nicht aus den Regeln

6.16

1 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149 unter III.3.b)bb) und cc) der Entscheidungsgründe. 2 Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke, belegt mit Nichtanwendungserlass, BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432. 3 Vgl. auch Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch, 1. Aufl., Rz. 1.2; Kramer, StuW 1991, 156; Ditz, IStR 2005, 42. 4 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149. 5 Zu Einzelheiten vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 33. 6 Vgl. dazu Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.5; dagegen kritisch Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 9. 7 Vgl. auch BFH v. 12.3.1980 – I R 186/76, BStBl. II 1980, 531 = FR 1980, 360. 8 So auch die Finanzverwaltung, vgl. VWG BsGa, Rz. 21.

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Kap. 6 Rz. 6.17

Entstrickung und Verstrickung

des Abkommensrechts; vielmehr kann sich ein Gewinnrealisationstatbestand – wie sämtliche Gewinnermittlungsvorschriften – nur aus dem innerstaatlichen Recht ergeben. Eine solche Rechtsgrundlage fehlte indessen, wie der BFH in seinem Urteil vom 17.7.2008 zutreffend herausarbeitet – im VZ 1995, auf welches sich das Urteil bezog.1

6.17 Ablehnung der finalen Entnahmetheorie. Im Ergebnis hat der BFH in seinem – mit einem Nichtanwendungserlass belegten2 – Urteil vom 17.7.20083 seine bis dahin geltende, ständige Rechtsprechung zur finalen Entnahmetheorie aufgegeben.4 Stattdessen folgt der BFH dem Konzept der sog. aufgeschobenen Besteuerung, wonach der Entstrickungsgewinn nicht im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts zu erfassen ist, sondern erst im Zeitpunkt einer späteren tatsächlichen Realisierung des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsguts oder seiner Entnahme ins Privatvermögen oder zu sonstigen außerbetrieblichen Zwecken. Die sehr bedeutende Frage, wie der im Zeitpunkt der tatsächlichen Gewinnrealisierung entstehende (Veräußerungs-)Gewinn zwischen Stammhaus einerseits und Betriebsstätte andererseits aufzuteilen ist, lässt das BFH-Urteil vom 17.7.2008 allerdings offen.

6.18 Überholte Auffassung der Finanzverwaltung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung zur alten Rechtslage, d.h. vor Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, des § 12 Abs. 1 KStG, des § 16 Abs. 3a EStG und des § 1 Abs. 5 AStG, waren bei der Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische DBA-Betriebsstätte – der finalen Entnahmetheorie des BFH folgend – die in dem Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven als Differenz zwischen Fremdvergleichspreis (nicht Teilwert!) und Buchwert aufzudecken.5 Dies galt sowohl für die Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlage- und Umlaufvermögens als auch für selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter.6 Allerdings ließ es die Finanzverwaltung aus Billigkeit zu, von einer Gewinnrealisierung im Zeitpunkt der Überführung abzusehen. So konnte ein Gewinn im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts durch einen passiven Merkposten (Ausgleichsposten) in einer Nebenrechnung neutralisiert werden.7 Dies galt allerdings nicht bei der Überführung von Wirtschaftsgütern in ausländische Personengesellschaften. Hier waren die stillen Reserven nach Ansicht der Finanzverwaltung regelmäßig sofort zu realisieren.8 Eine Rechtsgrundlage für die vorstehend dargestellte Auffassung der Finanzverwaltung- keine rückwirkende Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 KStG unterstellt9 – war allerdings nicht ersichtlich. Letztlich fußte sie auf der fi1 Zur rückwirkenden Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG auf VZ vor 2006 vgl. auch FG Köln v. 16.2.2016 – 10 K 2335/11, juris, rkr.; FG Düsseldorf v. 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, IStR 2016, 118, Revision beim BFH, Az. I R 95/15; und dazu kritisch Ditz/Tcherveniachki, ISR 2016, 417 (418 ff.). 2 Vgl. BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671. 3 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149. 4 Siehe ferner BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke; v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432, belegt mit Nichtanwendungserlass, BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278. 5 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.1. 6 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.1 Buchst. a, d und c, Tz. 2.6.2 Abs. 1 und Tz. 2.6.3 Abs. 1. 7 Vgl. zur Ausübung des Wahlrechts BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.1 Buchst. d; s. auch FG Köln v. 16.2.2016 – 10 K 2335/11, rkr., juris, und dazu kritisch Ditz/Tcherveniachki, ISR 2016, 417 (418 ff.). 8 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.4. 9 Zur rückwirkenden Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG auf VZ vor 2006 vgl. auch FG Köln v. 16.2.2016 – 10 K 2335/11, rkr., juris; FG Düsseldorf v. 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, IStR 2016, 118, Revision beim BFH, Az. I R 95/15; und dazu kritisch Ditz/Tcherveniachki, ISR 2016, 417 (418 ff.).

344

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.20 Kap. 6

nalen Entnahmetheorie des BFH, wobei unklar blieb, wie der Ansatz des Fremdvergleichspreises (statt Teilwert) sowie die Billigkeitsregelung daraus abgeleitet werden konnten. b) Einführung des § 6 Abs. 5 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 Keine Entstrickung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG. Nach dem durch das StEntlG 1999/2000/ 20021 eingeführten § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG hat die Überführung eines Wirtschaftsguts von einem Betriebsvermögen in ein anderes Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen zum Buchwert zu erfolgen, „sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist.“ Nach der Gesetzesbegründung sollte von § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG durch den ausdrücklichen Hinweis auf die „Sicherstellung der stillen Reserven“ auch die Überführung von Wirtschaftsgütern eines inländischen Stammhauses in eine ausländische Betriebsstätte erfasst werden.2 Infolgedessen sollte – zumindest nach Ansicht der Finanzverwaltung – der Gedanke der finalen Entnahmetheorie des BFH gesetzlich kodifiziert werden.3 Allerdings ist dies durch den gewählten Wortlaut der Vorschrift nicht gelungen. Denn einerseits stellt die ausländische Betriebsstätte kein „anderes Betriebsvermögen“ dar; andererseits verliert Deutschland – wie das BFH-Urteil vom 17.7.2008 zeigt4 – im DBA-Fall nach Art. 7 Abs. 2 nach der Art. 7 Abs. 2 OECD-MA nachgebildeten Abkommensnorm nicht das Besteuerungsrecht hinsichtlich der bis zum Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts entstandenen stillen Reserven.5 § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG kann daher als Rechtsgrundlage für die Realisierung von Gewinnen im Zeitpunkt der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte nicht dienen.

6.19

Konsequenzen des BFH-Urteil vom 17.7.2008. Dieses Ergebnis wird durch das BFH-Urteil vom 17.7.20086 (vgl. Rz. 6.14) bestätigt. Denn nach Ansicht des I. Senats handelt es sich bei der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte um die Überführung aus einem Betrieb des Steuerpflichtigen in einen anderen Betrieb dieses Steuerpflichtigen. Darüber hinaus lässt die Überführung des Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte nach Ansicht des BFH „das Beteuerungsrecht des Stammhausstaates auf die dem Stammhaus zuzurechnenden Gewinnanteile unberührt.“7 Damit kann aus dem BFH-Urteil vom 17.7.2008 die Schlussfolgerung gezogen werden, dass bei der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Personengesellschaft mit DBA-Betriebsstätte (Freistellungsmethode) die Besteuerung der stillen Reserven an dem entsprechenden Wirtschaftsgut sichergestellt ist. Infolgedessen würde bei der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Personengesellschaft die Buchwert-Fortführungsklausel des § 6 Abs. 5 EStG greifen.

6.20

1 Vgl. Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999, BGBl. I 1999, 402 = BStBl. I 1999, 304. 2 Vgl. BT-Drucks. 14/265 v. 13.1.1999, 174, zur Gesetzesbegründung sowie BT-Drucks. 14/23 v. 9.11.1998, 176, zum Gesetzesentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen. 3 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 321 (326); Cattelaens, DB 1999, 1083. 4 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149, belegt mit Nichtanwendungserlass des BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671. 5 Vgl. auch Schaumburg in Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, 2000, 26; Buciek, DStZ 2000, 636 (637); Hoffmann, GmbHR 2002, 125 (127). 6 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149, belegt mit Nichtanwendungserlass des BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671. 7 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149, unter III. 3. b) bb) der Entscheidungsgründe.

Ditz 345

Kap. 6 Rz. 6.21

Entstrickung und Verstrickung

Dies entspricht indessen nicht der Auffassung der Finanzverwaltung,1 zumal § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG durch das JStG 20102 entsprechend angepasst wurde. Einzelheiten dazu sind in Rz. 6.251 dargestellt. c) Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 KStG durch das SEStEG 2006

6.21 Erstmalige Einführung von Entstrickungsvorschriften. Mit dem SEStEG vom 7.12.20063 wurden in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG Entstrickungsvorschriften (zum Begriff vgl. Rz. 6.1) in Bezug auf die Überführung von Wirtschaftsgütern in das Ausland aufgenommen. Voraussetzung für die Anwendung der beiden Vorschriften ist „der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung des Wirtschaftsguts“ (vgl. Rz. 6.52 ff.). Sind diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, ist als Rechtsfolge der fiktiven Entnahme bzw. der fiktiven Veräußerung der gemeine Wert des Wirtschaftsguts anzusetzen (vgl. Rz. 6.80 ff.).4 Nach der Gesetzesbegründung des SEStEG soll es sich um eine Klarstellung zum damals geltenden Recht handeln.5 Der bisher bereits bestehende, höchstrichterlich entwickelte6 und von der Finanzverwaltung angewandte Entstrickungstatbestand der Aufdeckung der stillen Reserven bei Wegfall des deutschen Besteuerungsrechts auf Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens solle – so die Gesetzesbegründung – nunmehr gesetzlich geregelt und in das bestehende Ertragssteuersystem eingepasst werden. Infolgedessen seien auch Wirtschaftsgüterüberführungen in eine Betriebsstätte ohne DBA-Freistellung (also Anrechnungs-Betriebsstätten) als realisierende Entstrickung anzusehen. Die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts zeige sich in diesen Fällen dadurch, dass Deutschland einen Besteuerungsgewinn nicht (mehr) zur Gänze, sondern aufgrund der Anrechnung ausländischer Steuern nur noch z.T. steuerlich belasten kann. Es war seit Beginn der Einführung der neuen Entstrickungsvorschriften umstritten, ob der ihnen zugedachte Sinn und Zweck einer Sofortbesteuerung von im Inland gebildeten stillen Reserven bei Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte durch den Wortlaut der Vorschriften tatsächlich erzielt wird.

6.22 Konsequenzen des BFH-Urteils vom 17.7.2008. Der BFH hat in seinem Urteil vom 17.7.20087 die Frage, inwieweit aus der Entscheidung Konsequenzen auf die neuen Entstri-

1 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.4.; v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671; v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278; v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888. 2 Vgl. Jahressteuergesetz 2010 v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. 3 Vgl. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782. 4 Vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG; § 12 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 KStG. 5 Vgl. BR-Drucks. 542/06 v. 11.8.2006; BT-Drucks. 16/2710; BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671 unter 3.; v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278. 6 Gemeint ist die finale Entnahmetheorie des BFH, vgl. dazu i.E. Rz. 6.10 ff. 7 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149, belegt durch Nichtanwendungserlass, BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671; s. ferner BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke, belegt mit Nichtanwendungserlass BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432.

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.24 Kap. 6

ckungsvorschriften zu ziehen sind, ausdrücklich offengelassen. Aus dem Urteil ist allerdings einerseits die Schlussfolgerung zu ziehen, dass es sich bei § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG – entgegen der Gesetzesbegründung des SEStEG – gerade nicht um eine Klarstellung des seinerzeit geltenden Rechts, sondern um eine deutliche Verschärfung handelt.1 Andererseits werden die bereits im Schrifttum zutreffend angebrachten Zweifel verschärft, dass die beiden Entstrickungsvorschriften „ins Leere laufen“.2 Denn der BFH hat in seinem Urteil vom 17.7.2008 deutlich herausgearbeitet, dass „das Besteuerungsrecht des Stammhausstaates auf die dem Stammhaus zuzurechnenden Gewinnanteile unberührt“ bleibt. Vor diesem Hintergrund ist es nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG nicht sichergestellt, dass der diesen Vorschriften zugedachte Sinn und Zweck einer Sicherstellung der Besteuerung in Deutschland entstandener stiller Reserven tatsächlich erfüllt wird.3 Ergänzung des § 4 Abs. 1 EStG und des § 12 Abs. 1 KStG durch das JStG 2010. Vor dem Hintergrund des unklaren und umstrittenen Wortlauts sowie der durch das BFH-Urteil vom 17.7.2008 verursachten Rechtsunsicherheiten wurden mit dem JStG 20104 die Entstrickungsvorschriften ergänzt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG n.F. bzw. § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG n.F. liegt eine fiktive Entnahme bzw. eine fiktive Veräußerung ausdrücklich dann vor, wenn ein Wirtschaftsgut, das bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zugeordnet wurde, künftig einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist.5 Dabei ist es unerheblich, ob die Betriebsstättengewinne der DBA-Freistellungs- oder Anrechnungsmethode unterliegen.6 Allerdings ist fraglich, ob das in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG eingefügte (klarstellende) Regelbeispiel ohne gesetzliche Fiktionswirkung die Auslegung der Entstrickungsvorschriften unter Beachtung der neueren BFH-Rechtsprechung7 tatsächlich überlagert. Einzelheiten dazu werden in Rz. 6.58 ff. dargestellt.

6.23

Anpassung der BS-VWG durch das BMF-Schreiben vom 25.8.2009. Die Finanzverwaltung hat auf die BFH-Urteil vom 17.7.20088 und vom 28.10.20099 mit zwei Nichtanwendungserlassen reagiert.10 Darin wird – aus Sicht der Finanzverwaltung – klargestellt, dass § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG eine gesetzliche Umsetzung der „höchstrichterlich

6.24

1 Vgl. auch Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1483. 2 Wassermeyer, DB 2006, 1176; Wassermeyer, IStR 2008, 176. 3 Vgl. auch Roser, DStR 2008, 2389 (2394); Schneider/Oepen, FR 2008, 22 (28); von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 12 Rz. 62; Prinz, DB 2009, 807 (810); Kahle/Franke, IStR 2009, 406 (408); a.A. BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671; v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278; FG Düsseldorf v. 19.11.2005 – 8 K 3664/11 F, EFG 2016, 209; Mitschke, DB 2009, 1376 (1378); Rupp in Preißer/Pung, Die Besteuerung der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2009, 1307. 4 Vgl. Jahressteuergesetz 2010 v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. 5 Zu Einzelheiten vgl. Musil, FR 2011, 545 (549); Lendewig/Jaschke, StuB 2011, 90 ff.; Wiss. Beirat Ernst & Young, DB 2010, 1776 ff. 6 Die neuen Regelungen gelten für alle Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2005 enden. 7 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149; v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke; v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432. 8 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149. 9 Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke. 10 Vgl. BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671; v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278.

Ditz 347

Kap. 6 Rz. 6.25

Entstrickung und Verstrickung

entwickelten und von der Finanzverwaltung angewandten Entstrickungstatbestände der Aufdeckung der stillen Reserven bei Wegfall des deutschen Besteuerungsrechts auf Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens“ darstellt.1 Diese Auslegung folge aus dem Abkommensrecht und entspreche sowohl den OECD-Grundsätzen als auch der „internationalen Verwaltungspraxis“. Darüber hinaus wurde mit dem BMF-Schreiben vom 25.8.2009 die BS-VWG an die durch das SEStEG eingeführten Steuerentstrickungs- und Verstrickungsvorschriften angepasst.2 Kernpunkt der Änderungen der BS-VWG sind die Ausführungen in Tz. 2.6.1 BS-VWG n.F. zu den Rechtsfolgen der Überführung von Wirtschaftsgütern aus einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte. Bemerkenswert ist, dass die Finanzverwaltung an keiner Stelle das zentrale Urteil des BFH vom 17.7.2008 erwähnt. d) Einführung des § 16 Abs. 3a EStG durch das JStG 2010

6.25 Gesetzliche Kodifizierung der finalen Betriebsaufgabe. Im Nachgang zur Aufgabe der finalen Entnahmetheorie durch das BFH-Urteil vom 17.7.20083 (zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.14) hat der BFH konsequenterweise seine Theorie der finalen Betriebsaufgabe (vgl. Rz. 6.10) aufgegeben.4 Dies hat den Gesetzgeber im Rahmen des JStG 20105 veranlasst, die finale Betriebsaufgabe gesetzlich in einem neuen § 16 Abs. 3a EStG zu kodifizieren.6 Nach dieser Vorschrift, die über § 8 Abs. 1 KStG auch bei Körperschaften Anwendung findet,7 wird bei einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter eines Betriebs oder Teilbetriebs eine Aufgabe des Gewerbebetriebs (Betriebsaufgabe) fingiert. § 16 Abs. 3a EStG regelt daher die Entstrickung von Betrieben und Teilbetrieben und geht infolgedessen als lex specialis § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG vor. Mithin sind die in einem Teilbetrieb oder Betrieb ruhenden stillen Reserven (einschließlich Geschäfts- und Firmenwert) zu realisieren, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter des Betriebs oder Teilbetriebs ausgeschlossen oder beschränkt wird (zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.99 ff.). Dabei ist bei einer Betriebsverlegung in einen anderen EU-/EWR-Staat auf den fiktiven Aufgabegewinn die festgesetzte Steuer auf Antrag des Steuerpflichtigen in fünf gleichen Jahresraten zinslos zu stunden (§ 36 Abs. 5 EStG). e) Einführung des AOA in § 1 AStG

6.26 Umsetzung des AOA in innerstaatliches Recht. Durch das AmtshilfeRLUmsG vom 26.6.20138 wird der AOA in innerstaatliches Recht transformiert und infolgedessen der An1 Mit Verweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 16/2710, 28. 2 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888 und dazu ausführlich Ditz/Schneider, DStR 2010, 81 ff. 3 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149. 4 Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke, belegt durch Nichtanwendungserlass, BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432. 5 Vgl. JStG 2010 v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. § 16 Abs. 3a EStG ist vom Finanzausschuss aufgrund einer Anregung des Bundesrats in die Beschlussempfehlung aufgenommen worden, vgl. BTDrucks. 17/3449, 16 und 17/3549, 21. 6 Vgl. Kahle/Beinert, FR 2015, 585 (587); Reiß in Kirchhof16, § 16 EStG Rz. 207. 7 Vgl. von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 12 Rz. 33. 8 Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809.

348

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.28 Kap. 6

wendungsbereich des § 1 AStG auf Betriebsstättenfälle ausgeweitet. Dazu hat der Gesetzgeber mit Einführung der Fiktion von Geschäftsbeziehungen zwischen Betriebsstätte in § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG („anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen“) die Grundlage für § 1 Abs. 5 AStG gelegt, welcher Einkünftekorrekturen vorsieht, wenn der Fremdvergleichsgrundsatz für unternehmensinterne Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht beachtet wird (vgl. Rz. 6.123 ff.). Dabei ist die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, es sei denn, die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen erfordert eine andere Behandlung.1 Diesbezügliche Einzelheiten werden in § 1 Abs. 5 Sätze 3 ff. AStG beschrieben. Darüber hinaus wird das BMF in § 1 Abs. 6 AStG ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrats weitere Einzelheiten der Anwendung des AOA in einer Rechtsverordnung zu regeln. Eine solche ist mittlerweile mit der BsGaV vom 13.10.2015 ergangen (vgl. Rz. 6.141 ff.). Im Übrigen wurden aus Sicht der Finanzverwaltung Einzelheiten zur Anwendung des AOA in den Verwaltungsgrundsätzen Betriebsstättengewinnaufteilung vom 22.12.20162 geregelt. Unzutreffende Platzierung des AOA in § 1 AStG. Wenngleich es nachvollziehbar ist, das der Gesetzgeber eine innerstaatliche Rechtsgrundlage schaffen wollte, welche das in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 vorgesehene Besteuerungsrecht auf Unternehmensgewinne nach dem AOA in innerstaatliches Recht transformiert,3 ist dessen Umsetzung in § 1 AStG und der BsGaV nicht sachgerecht (vgl. Rz. 6.125). Denn es handelt sich bei der Gewinnermittlung der Betriebsstätte um einen Tatbestand der Gewinn- bzw. Unterschiedsbetragsermittlung gem. § 4 Abs. 1 EStG (sowohl für in- als auch für ausländische Betriebsstätten), welcher im EStG hätte geregelt werden müssen. Dies gilt z.B. für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern in der Stammhaus- bzw. Betriebsstättenbilanz, deren Bewertung sowie die Bestimmung des Eigenund Fremdkapitals der in- oder ausländischen Betriebsstätte. Solche Regelungen können in § 1 AStG als reine Einkünftekorrekturvorschrift nicht normiert werden.4 Infolgedessen setzt der Gesetzgeber den AOA nur einseitig zugunsten der deutschen Finanzverwaltung um,5 was insbesondere im Rahmen der Gewinnermittlung bei im Inland beschränkt steuerpflichtigen Betriebsstätten nachteilig sein kann (z.B. fehlende Rechtsgrundlage des Abzugs fingierter Dienstleistungsentgelte oder Lizenzgebühren, vgl. Rz. 6.127).6

6.27

Verhältnis zu den Entstrickungsvorschriften. Nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 5 AStG i.V.m. § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV führt eine Änderung der Zuordnung eines Wirtschaftsguts oder Vermögenswerts (zum Begriff vgl. Rz. 6.157) zu einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung, die mit einem Verrechnungspreis, der aus dem Fremdvergleichsgrundsatz abgeleitet wird, zu bewerten ist.7 Die Überführung eines Wirtschaftsguts als Folge einer geänderten Zuordnung hat daher zur Folge, dass eine fiktive Veräußerung des Wirtschaftsguts unterstellt wird, die mit dem Fremdvergleichspreis zu bewerten ist (vgl. Rz. 6.212 ff.). Daher kommt es zu einer Steuerentstrickung, so dass sich zwangsläufig die Frage der Konkurrenz des § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV zu den Entstrickungsvorschriften des § 4 Abs. 1 Satz 3

6.28

1 2 3 4

Vgl. dazu Melhem/Dombrowski, IStR 2015, 912 ff. Vgl. VWG BsGa. Vgl. Eisgruber, ISR 2013, 229 (231). Kritisch auch Wassermeyer, IStR 2012, 277 (278 ff.); Schnitger, IStR 2012, 633 (634 f.); Ditz, ISR 2013, 261 (262 f.); Schaumburg, ISR 2013, 197 (198 f.). 5 Vgl. Schaumburg, ISR 2013, 197 (198); VWG BsGa, Rz. 20. 6 Vgl. auch Ditz, ISR 2013, 261 (263 f.). 7 Vgl. § 16 Abs. 2 BsGaV; VWG BsGa, Rz. 166 und 169 f.; Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (7).

Ditz 349

Kap. 6 Rz. 6.29

Entstrickung und Verstrickung

EStG, des § 12 Abs. 1 KStG und des § 16 Abs. 3a EStG stellt.1 Diese Gewinnermittlungsvorschriften stehen unabhängig neben der Einkünftekorrekturvorschrift des § 1 Abs. 5 AStG. Daran ändert auch der Verweis des § 1 Abs. 5 Satz 6 AStG auf § 4g EStG nichts.2 Da § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG seine Anwendung „unbeschadet anderer Vorschriften“ definiert, gehen die Entstrickungsvorschriften seiner Anwendung vor.3 Rechtsgrundlage für die Entstrickung stiller Reserven bei der Überführung eines Wirtschaftsguts von einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte sind damit zunächst – ihre Anwendbarkeit vorausgesetzt (vgl. Rz. 6.43 ff.)4 – § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG und § 16 Abs. 3a EStG.5 Nach § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG sind allerdings außerbilanzielle Einkünftekorrekturen neben den Rechtsfolgen der Entstrickungsvorschriften durchzuführen, wenn die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 AStG zu weitergehenden Berichtigungen führt.6 Dies kann z.B. bei Funktionsverlagerungen (vgl. Rz. 6.279 ff.) oder der Anwendung der sog. „Hellseher“Regelung gem. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG der Fall sein.

6.29 Zu weiter Anwendungsbereich. Problematisch ist schließlich die in § 1 Abs. 5 AStG vorgesehene undifferenzierte Anwendung der Vorschrift auf sämtliche DBA- und Nicht-DBA-Fälle. Infolgedessen greift die Vorschrift auch in Bezug auf DBA, die nicht dem AOA des Art. 7 OECD-MA 2010 folgen (dies ist derzeit noch die weite Mehrheit der deutschen DBA). Infolgedessen besteht das Risiko, dass in Bezug auf DBA, welche dem OECD-MA 2008 folgen, der andere Vertragsstaat die in § 1 Abs. 5 AStG vorgesehene Anwendung des AOA nicht anerkennt und infolgedessen eine internationale Doppelbesteuerung entsteht. Die Doppelbesteuerung kann dann nur über Verständigungs- oder Schiedsverfahren vermieden werden. Der Gesetzgeber hat diese Problematik erkannt und in § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG einen (eigentlich selbstverständlichen) Vorrang des Abkommensrechts definiert. Dieser enthält einen formalen „treaty override“, in dem die abkommensrechtliche Schrankenwirkung an einen Nachweis geknüpft ist, dass der andere Vertragsstaat sein Besteuerungsrecht entsprechend dem DBA ausübt und infolgedessen die Anwendung des AOA zu einer Doppelbesteuerung führt. Wie ein entsprechender Nachweis praktisch zu führen ist, bleibt – auch nach Ergehen der VWG BsGa – offen. 3. Entwicklung der Rechtsgrundlagen im Abkommensrecht

6.30 Besteuerungsrecht nach Art. 7 Abs. 1 und 2 OECD-MA. Während Art. 7 Abs. 1 OECDMA das Besteuerungsrecht des Betriebsstättenstaats an Unternehmensgewinnen dem Grunde nach bestimmt, regelt Art. 7 Abs. 2 OECD-MA mit dem Fremdvergleichsgrundsatz den Maßstab zur Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen mehreren Betriebsstätten der Höhe nach. Dabei wird der Fremdvergleichsgrundsatz („dealing at arm’s length“-Prinzip) als zentrales Abgrenzungsprinzip definiert, dessen Anwendung die Selbständigkeits- und Unabhängigkeitsfiktion der Betriebsstätte voraussetzt. Infolgedessen enthält 1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. Vgl. auch Ditz, ISR 2013, 261 (263 f.). Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. Der Anwendungsbereich der Entstrickungsvorschriften ist – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des BFH-Urteils v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149, umstritten. Zu Einzelheiten vgl. etwa Richter/Heydt, Ubg 2011, 172 (174 ff.); Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 47; BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671; v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278. 5 Vgl. Schaumburg, ISR 2013, 197 (198 f.); Gosch, IWB 2014, 779 (785 f.). 6 Vgl. auch Richter/Heydt, Ubg 2013, 418 (423).

350

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.32 Kap. 6

Art. 7 Abs. 2 OECD-MA zwei Fiktionen (Selbständigkeits- und Unabhängigkeitsfiktion der Betriebsstätte), um die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zur Abgrenzung des Gewinns der Betriebsstätte zu ermöglichen. Ansatz des Fremdvergleichspreises nach Art. 7 OECD-MA 2008. Auf Basis der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist gem. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 die Überführung eines Wirtschaftsguts – unabhängig davon, ob ein materielles oder immaterielles Wirtschaftsgut des Anlage- oder Umlaufvermögens vorliegt – als fiktive Lieferung (sog. „dealing“) zu bewerten, die mit dem Fremdvergleichspreis zu bewerten ist.1 Von der Überführung eines Wirtschaftsguts ist auszugehen, wenn sich seine Zuordnung verändert, z.B. indem das Wirtschaftsgut zunächst dem Stammhaus und dann der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Die OECD spricht insofern von einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an dem Wirtschaftsgut vom Stammhaus in die Betriebsstätte.2 Mit der Bewertung des Wirtschaftsguts mit dem Fremdvergleichspreis3 gewährt Art. 7 Abs. 2 OECD-MA den Vertragsstaaten das Recht, stille Reserven aus einem Wirtschaftsgut (d.h. die Differenz zwischen seinem Fremdvergleichspreis und dem Buchwert) im Zeitpunkt seiner Überführung zu besteuern. Ob der Vertragsstaat dieses Besteuerungsrecht in Anspruch nimmt und zu welchem Zeitpunkt, kann sich nur aus seinem innerstaatlichen Recht ergeben. Darüber hinaus folgt aus Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 die Verpflichtung des Vertragsstaats, in welchen das Wirtschaftsgut überführt wird (z.B. der Betriebsstättenstaat), den Fremdvergleichspreis des Wirtschaftsguts als dessen Anschaffungskosten anzuerkennen, d.h. für lokale Besteuerungszwecke das Wirtschaftsgut mit seinem Fremdvergleichspreis als Anschaffungskosten zu aktivieren und abzuschreiben (im Fall eines Wirtschaftsguts des Anlagevermögens) bzw. den Fremdvergleichspreis zur Bewertung des Wareneinsatzes (bei Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens) heranzuziehen. Insofern wirkt Art. 7 Abs. 2 OECD-MA auch auf die Steuerverstrickung (Rz. 6.277 f.).

6.31

Ansatz des Fremdvergleichspreises nach Art. 7 OECD-MA 2010. Nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 resultiert aus der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte das Besteuerungsrecht des Ansässigkeits- bzw. Stammhausstaates auf die Besteuerung der in dem Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven.4 Wenngleich die OECD in ihrem Betriebsstättenbericht 2010 die konkreten steuerlichen Konsequenzen des Ansatzes des Fremdvergleichspreises im Rahmen der Überführung von materiellen Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte nicht konkretisiert, ist davon auszugehen, dass sie insoweit dem Stammhausstaat ein Besteuerungsrecht auf die im Wirtschaftsgut enthaltenen stillen Reserven zugesteht. Im Übrigen bildet der Fremdvergleichspreis die Basis zur Bewertung von Abschreibungen, welche die Betriebsstätte im Hinblick auf das überführte Wirtschaftsgut zum Ansatz bringt. Dabei sind allerdings die innerstaatlichen Gewinnermittlungsvorschriften zu berücksichtigen.5 Neben der Überführung von Wirtschaftsgütern in die ausländische Betriebsstätte hält die OECD auch eine anteilige Zuordnung des Wirtschaftsguts zum Stammhaus und der Betriebsstätte – unter Berücksichtigung der Grundsätze für Kostenumlagen – für möglich. Diese Alternative kommt insbesondere in den Fällen zum Tragen, in welchen Wirtschaftsgüter gemeinsam von verschiedenen Unternehmensteilen entwickelt

6.32

1 Vgl. Art. 7 Tz. 21 OECD-MK 2008; OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 231; VWG BsGa, Rz. 427 und 172. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 229. 3 Zu Einzelheiten vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 156. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 195. 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 196.

Ditz 351

Kap. 6 Rz. 6.33

Entstrickung und Verstrickung

oder genutzt werden.1 Schließlich ist auch – korrespondierend zur sog. Nutzungsentstrickung (Rz. 6.6 und 6.75 ff.) – der Ansatz einer (fiktiven) Miet-, Pacht- oder Lizenzgebühr im Rahmen der Nutzung von materiellen Wirtschaftsgütern durch die ausländische Betriebsstätte denkbar. Dies setzt allerdings voraus, dass das wirtschaftliche Eigentum an dem entsprechenden Wirtschaftsgut nicht auf die Betriebsstätte übergeht.2

6.33 Besonderheiten bei immateriellen Wirtschaftsgütern. Nach Auffassung der OECD zu Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 ist der Fremdvergleichsgrundsatz auch in Bezug auf immaterielle Wirtschaftsgüter uneingeschränkt anzuwenden, d.h., die durch ein Unternehmensteil im Zusammenhang mit der Entwicklung oder dem Erwerb eines immateriellen Wirtschaftsguts wahrgenommenen Funktionen und Risiken sind im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung durch eine fremdvergleichskonforme Vergütung abzugelten (zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.222 ff.).3 Zu der Frage, wie die konkrete Ermittlung einer fremdvergleichskonformen Vergütung in Bezug auf immaterielle Wirtschaftsgüter zu bestimmen ist, enthält der OECDBetriebsstättenbericht 2010 indessen keine Vorgaben; vielmehr wird auf die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010 verwiesen. Damit sind nach Auffassung der OECD auch im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung – zumindest im Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 – die für verbundene Unternehmen geltenden Grundsätze anzuwenden.4 In diesem Zusammenhang weist die OECD zutreffend darauf hin, dass Verträge (insbesondere Lizenzverträge)5 zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht abgeschlossen werden können. Im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung ist infolgedessen von entscheidender Bedeutung, welchem Unternehmensteil das entsprechende immaterielle Wirtschaftsgut unter Berücksichtigung der wesentlichen Personalfunktionen zuzuordnen ist (vgl. Rz. 6.166 ff.).6 Dabei kann das wirtschaftliche Eigentum an dem immateriellen Wirtschaftsgut einem Unternehmensteil alleine oder mehreren Unternehmensteilen zusammen zugeordnet werden. Die OECD lässt es damit ausdrücklich zu, immaterielle Wirtschaftsgüter mehreren Unternehmensteilen zuzuordnen.7 Dem folgt auch die deutsche Finanzverwaltung.8 Daneben ist es möglich, dass ein immaterielles Wirtschaftsgut zum Fremdvergleichspreis („fair market value“) überführt wird und es infolgedessen zur Realisierung der stillen Reserven kommt.9 Darüber hinaus ist ein Lizenzverhältnis zwischen den Unternehmensteilen anzunehmen, wenn ein solches auch zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wäre.10 Damit kann es auch im Geltungsbereich des OECD-MA 2010 zu einer sog. Nutzungsentstrickung (vgl. Rz. 6.75 ff. und 6.171 ff.) kommen. Schließlich kann die Betriebsstätte auch als sog. Auftragsforscher oder -entwickler für das Stammhaus tätig werden, wobei die entsprechende Dienstleistung i.d.R. auf Basis der Kostenaufschlagsmethode zu bestimmen ist.11 Welches Konzept zur Anwendung kommt, steht im Ermessen des Steuerpflichten, ist aber auf Basis des Funktions- und Risikoprofils der Betriebsstätte zu begründen.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 197 ff. Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 169. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 200 ff. Vgl. VWG BsGa, Rz. 172. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 203. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 210. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 201. Vgl. VWG BsGa, Rz. 101. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 208. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 209. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 201; VWG BsGa, Rz. 90.

352

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.34 Kap. 6

Zeitpunkt der Gewinnrealisierung. Weder das OECD-MA 2008 noch das OECD-MA 2010 schreiben vor, zu welchem Zeitpunkt im Rahmen einer Entstrickung die Besteuerung der stillen Reserven zu erfolgen hat. Dies kann auch nicht Gegenstand des Abkommensrechts sein, da es lediglich die Besteuerungsrechte der Vertragsstaaten definiert und gegeneinander abgrenzt. Die Frage des Zeitpunkts der Gewinnrealisierung ist infolgedessen dem innerstaatlichen Recht vorenthalten; alleine dieses entscheidet darüber, ob im Zeitpunkt der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte die in dem Wirtschaftsgut gebundenen stillen Reserven sofort, über einen Ausgleichsposten oder erst mit ihrer tatsächlichen Realisierung (in der ausländischen Betriebsstätte) zu besteuern sind. Je nach Ausgestaltung der innerstaatlichen Gewinnermittlungsvorschriften bzw. den in diesen vorgesehenen Ersatzrealisationstatbeständen kann die Zurechnung von Gewinnen nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 OECDMA 2008/2010 zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgen. So ist einerseits denkbar, dass der nach innerstaatlichem Gewinnermittlungsrecht vorgesehene Ersatzrealisationstatbestand bereits im Zeitpunkt der unternehmensinternen Lieferungs- oder Leistungsbeziehung zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte verwirklicht wird (so etwa die Auffassung der Finanzverwaltung im Hinblick auf die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG).1 In diesem Fall gewährt Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008/ 2010 dem Vertragsstaat das Recht, die über den Ersatzrealisationstatbestand nach innerstaatlichem Recht vorgesehene Gewinnrealisierung im Zeitpunkt der unternehmensinternen Transaktion bis zur Höhe des Fremdvergleichspreises zu besteuern. Lässt das innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht indessen eine Besteuerung von im Inland gebildeten stillen Reserven erst im Zeitpunkt der Realisierung des späteren Außenumsatzes zu, ist Art. 7 Abs. 2 OECDMA 2008/2010 erst in diesem Zeitpunkt anwendbar. In diesem Sinne hat der BFH in seinem Urteil vom 17.7.20082 im Hinblick auf die Rechtslage vor Einführung der Entstrickungsvorschriften durch das SEStEG vom 7.12.20063 judiziert. Danach gehen die in einem Wirtschaftsgut in Deutschland gebildeten stillen Reserven bei seiner Überführung in eine ausländische DBA-Freistellungsbetriebsstätte nur in einem solchen Umfang verloren, wie die realisierten stillen Reserven tatsächlich durch die ausländische Betriebsstätte nach der Überführung des Wirtschaftsgutes erwirtschaftet werden. Im Ergebnis erkennt daher der BFH die Aufteilung von tatsächlich realisierten Einkünften zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes an. Als Anhaltspunkt einer Gewinnaufteilung bei einer tatsächlichen Realisierung der stillen Reserven kann der im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts bestimmte Fremdvergleichspreis herangezogen werden. Im Ergebnis lässt damit Art. 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 OECD-MA 2008/2010 eine Besteuerung in einem Vertragsstaat auch bei späterer Realisierung im anderen Vertragsstaat zu.

1 Vgl. Rz. 6.80 ff.; BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.6.1. 2 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149, belegt mit Nichtanwendungserlass, BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671; v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278. 3 Vgl. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782.

Ditz 353

6.34

Kap. 6 Rz. 6.35

Entstrickung und Verstrickung

II. Entstrickung von Wirtschaftsgütern nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG 1. Inhalt und konzeptionelle Grundlagen

6.35 Erstmalige gesetzliche Regelungen zur Entstrickung. Im Rahmen des SEStEG vom 7.12.20061 kam es zu einer umfassenden Neuregelung der Ent- und Verstrickungskonzeption im Einkommen-, Körperschaft- und Umwandlungssteuerrecht, um dadurch das Steueraufkommen der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausschluss oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts zu sichern. Wird demnach das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt, gilt dies nach § 4 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG als (fiktive) Entnahme bzw. nach § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG als (fiktive) Veräußerung oder Überlassung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert. Beide Entstrickungsvorschriften erfassen somit grundsätzlich zwei Sachverhaltsgruppen, die an jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft sind. Zum einen wird auf den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Veräußerungsgewinns an einem Wirtschaftsgut mit der Rechtsfolge einer fingierten Entnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) bzw. einer fingierten Veräußerung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 KStG), welche mit dem gemeinen Wert zu bewerten ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG), abgestellt. Der Ansatz des gemeinen Werts hat im Ergebnis zur Folge, dass die Entstrickung mit einem fiktiven Veräußerungspreis, verstanden als Fremdvergleichspreis (vgl. Rz. 6.80),2 zu erfassen ist.3 Infolgedessen kommt es zu einer Gewinnrealisierung („Steuerentstrickung“) in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem gemeinen Wert des Wirtschaftsgutes und seinem Buchwert. Dabei lässt es – für beide Vorschriften – § 4g Abs. 1 EStG zu, dass unbeschränkt Steuerpflichtige im Rahmen der Überführung von Wirtschaftsvermögen des Anlagevermögens einen sog. Ausgleichsposten (als Differenz zwischen dem gemeinen Wert und dem Buchwert des entsprechenden Wirtschaftsguts) bilden können, soweit das Wirtschaftsgut in eine Betriebsstätte in einem EU-Mitgliedstaat überführt wird (zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.87 ff.). Der Ausgleichsposten ist im Wirtschaftsjahr seiner Bildung und in den vier folgenden Wirtschaftsjahren zu jeweils 20 % gewinnerhöhend aufzulösen (§ 4g Abs. 2 EStG). Im Ergebnis wirkt der Ausgleichsposten damit wie eine Stundung der auf die entstrickten stillen Reserven entfallende Steuer.

6.36 Nutzungsentstrickung. Zum anderen erfassen § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG den Fall, dass das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Nutzung des Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird. Dies hat zur Rechtsfolge, dass die entsprechende (ebenfalls fingierte) Nutzungsentnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) bzw. Nutzungsüberlassung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 KStG) des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert zu bewerten ist (zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.75 ff.).4 Dies läuft – zumindest nach dem gesetzlichen Grundgedanken – darauf hinaus, dass die Nutzungsentnahme bzw. fiktive Nutzungsüberlassung des Wirtschaftsguts mit einer fremdüblichen Lizenzgebühr 1 Vgl. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782. 2 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.2 Abs. 4; Ditz/Schneider, DStR 2010, 81 (84). 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. 4 Vgl. Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481 (1484); Förster, DB 2007, 72 (74); Kahle, IStR 2007, 757 (763).

354

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.38 Kap. 6

oder Pacht zu bepreisen ist, die regelmäßig – soweit sie die laufenden Kosten des Wirtschaftsguts (insbesondere in Form der AfA) überschreitet – zu einer Gewinnrealisierung führt.1 Wann indessen die Voraussetzungen für eine solche fingierte Nutzungsüberlassung vorliegen, ist nicht klar (vgl. Rz. 6.75). Eindeutig ist nur, dass die Ausgleichspostenregelung des § 4g Abs. 1 EStG im Rahmen der Nutzungsentnahme bzw. fiktiven Nutzungsüberlassung nicht einschlägig ist (vgl. Rz. 6.87 ff.). Klarstellung zum geltenden Recht? Nach der Gesetzesbegründung soll es sich bei beiden Entstrickungsvorschriften um eine „Klarstellung“ zum damals geltenden Recht handeln.2 So sollte der bereits bestehende, höchstrichterlich entwickelte3 und von der Finanzverwaltung angewandte4 Entstrickungstatbestand der Aufdeckung stiller Reserven beim Wegfall des deutschen Besteuerungsrechts gesetzlich geregelt und in das bestehende Ertragsteuersystem implementiert werden. Inhaltlich neu – so die Gesetzesbegründung – sei lediglich der in § 4 Abs. 1 EStG eingefügte Satz 5, der den Sonderfall der Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts für Anteile an einer europäischen Gesellschaft regelt und für künftige Veräußerungen ein deutsches Besteuerungsrecht im Wege des „treaty override“ anordnen soll.5 Nach den neuen Entstrickungsvorschriften sollen nach der Gesetzesbegründung auch Wirtschaftsgüterüberführungen in eine Betriebsstätte ohne DBA-Freistellung (also Anrechnungs-Betriebsstätten) gewinnrealisierend behandelt werden.6 Die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts zeige sich in diesen Fällen dadurch, dass Deutschland den Betriebsstättengewinn nicht (mehr) zur Gänze, sondern wegen der Anrechnung ausländischer Steuern nur noch zum Teil besteuern kann. Nach dem BFH-Urteil vom 17.7.20087 ist indessen fraglich, ob die Tatbestandsvoraussetzungen (Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts) tatsächlich geeignet sind, das Ziel der Entstrickungsvorschriften einer Sofortrealisierung von im Inland gebildeten stillen Reserven tatsächlich umzusetzen. Denn es ist zweifelhaft, ob das Recht zur Besteuerung von stillen Reserven im Zusammenhang mit der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte oder ein ausländisches Stammhaus in Deutschland tatsächlich beschränkt oder ausgeschlossen wird (vgl. Rz. 6.58). Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Überführung von Wirtschaftsgütern in eine DBA-Betriebsstätte mit Freistellungsmethode als auch bei der Überführung von Wirtschaftsgütern in eine AnrechnungsBetriebsstätte.

6.37

Ergänzung der Entstrickungsvorschriften durch das JStG 2010. Um die bestehenden Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, wurden die Entstrickungsvorschriften mit dem JStG

6.38

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20 und 171. 2 Vgl. BR-Drucks. 542/06 v. 11.8.2006; BT-Drucks. 16/2710 v. 25.9.2006, 28; BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671; v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278. 3 Gemeint ist die finale Entnahmetheorie des BFH; zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.10 ff. 4 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.1 (vor Änderung durch das BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888). 5 Hintergrund ist, dass nach Art. 10d Abs. 1 FusionsRL eine Besteuerung der Gesellschafter aufgrund der Sitzverlegung einer europäischen Gesellschaft nicht zulässig ist. 6 So auch VWG BsGa, Rz. 8 und 20; BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888. 7 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149, belegt mit Nichtanwendungserlass des BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671.

Ditz 355

Kap. 6 Rz. 6.39

Entstrickung und Verstrickung

20101 um Regelbeispiele in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG ergänzt. Danach liegt ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung insbesondere vor, „wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist.“ Allerdings ändern diese Regelungsbeispiele nicht den unklaren Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG hinsichtlich der Interpretation des Ausschlusses oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts.2 Infolgedessen ist fraglich, ob die Regelbeispiele die Tatbestandsvoraussetzungen des Grundtatbestands (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG) erweitern können.3 Vielmehr hätte der Gesetzgeber auf eine gesetzliche Fiktion zurückgreifen müssen. Berücksichtigt man indessen den – auch in der Gesetzesbegründung zum JStG 2010 zum Ausdruck gebrachten4 – zugedachten Sinn des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 KStG, wird offensichtlich, dass der Gesetzgeber durch beide Entstrickungsvorschriften im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte eine sofortige Realisierung der in dem Wirtschaftsgut gebildeten stillen Reserven anordnen wollte. Vor diesem Hintergrund geht auch die Finanzverwaltung davon aus, dass die Entstrickungsvorschriften uneingeschränkt Anwendung finden (vgl. zu Einzelheiten Rz. 6.58).5

6.39 Persönlicher Anwendungsbereich der Entstrickungsvorschriften. In den persönlichen Anwendungsbereich fallen alle unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) und Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen (§ 12 Abs. 1 KStG). Darüber hinaus erfassen die beiden Entstrickungsvorschriften auch einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtige Steuersubjekte, die als Mitunternehmer über eine Personengesellschaft tätig werden. Die Entstrickungsvorschriften greifen daher auch, wenn bspw. ein Wirtschaftsgut aus dem im Gesamtheitseigentum einer gewerblich tätigen GmbH & Co. KG in eine ausländische Betriebsstätte der Personengesellschaft überführt wird.

6.40 Zeitlicher Anwendungsbereich. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG, jeweils in der Fassung des JStG 2010,6 sind erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2005 enden.7 Darüber hinaus sollen die durch das JStG 2010 in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG eingeführten Regelungsbeispiele rückwirkend auch auf Wirtschaftsjahre Anwendung finden, die vor dem 1.1.2006 enden, wenn ein Wirtschaftsgut in eine ausländische DBA-Freistellungsbetriebsstätte oder von einer inländischen Betriebsstätte in ihr ausländisches Stammhaus überführt wird.8 Die daraus resultierenden verfassungsrechtlichen Probleme einer echten Rückwirkung liegen auf der Hand.9 Allerdings ist nach

1 Vgl. Jahressteuergesetz 2010 v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. 2 Vgl. Girlich/Philipp, Ubg 2012, 150 (157); Richter/Heydt, Ubg 2011, 172 (174 ff.). 3 Vgl. Kessler/Philipp, DStR 2012, 267 (270); a.A. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 229 ff.; Frotscher in Frotscher, § 4 EStG Rz. 375 Buchst. g. 4 Vgl. BT-Drucks. 17/3549 v. 28.10.2010, 15. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20; BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888; Mitschke, Ubg 2011, 328 (330 ff.). 6 Vgl. Jahressteuergesetz 2010 v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. 7 Vgl. § 52 Abs. 8b Satz 1 EStG; § 34 Abs. 8 Satz 2 KStG jeweils i.d.F. v. 18.12.2013. 8 Vgl. § 52 Abs. 8b Satz 1 EStG; § 34 Abs. 8 Satz 3 KStG jeweils i.d.F. v. 18.12.2013. 9 Vgl. Kessens in Schnitger/Fehrenbacher, § 12 KStG Rz. 6.; Kolbe in H/H/R, § 12 KStG Rz. 9; a.A. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 36.

356

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.42 Kap. 6

Auffassung des FG Düsseldorf vom 19.11.20151 und des FG Köln vom 16.2.20162 die rückwirkende Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG auf VZ vor 2006 verfassungsrechtlich unbedenklich. Dem ist nicht zuzustimmen. Denn bei der rückwirkenden Anwendung der Vorschrift handelt es sich um eine echte Rückwirkung, die verfassungsrechtlich unzulässig ist.3 Eine zulässige Rückwirkung des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG kann auch nicht aufgrund des Vertrauensschutzes des Steuerpflichtigen, aufgrund einer unklaren Rechtslage, aufgrund der Nichtanwendung einer geänderten Rechtsprechung oder aufgrund zwingender Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden.4 Verhältnis der Entstrickungsvorschriften zueinander. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG stehen zueinander in keinem Konkurrenzverhältnis: Während § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG sich auf natürliche Personen bezieht, werden durch § 12 Abs. 1 KStG sämtliche in § 1 Abs. 1 Nr. 1–6 KStG beschriebenen Körperschaftsteuersubjekte erfasst. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG kann nicht für Körperschaftsteuersubjekte einschlägig sein, da diese keine Privatsphäre haben. Darüber hinaus kommt die Anwendung des § 12 Abs. 1 KStG bei natürlichen Personen nicht in Betracht, da sie nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift fallen. Sind natürliche Personen und Körperschaftsteuersubjekte gleichzeitig an einer Mitunternehmerschaft (z.B. OHG, KG, GmbH & Co. KG oder atypisch stille Beteiligung) beteiligt, kann es zu einem Nebeneinander des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG (soweit natürliche Personen beteiligt sind) und § 12 Abs. 1 KStG (soweit Körperschaftsteuersubjekte beteiligt sind) kommen.

6.41

Anwendungsbereich und Konkurrenzen. § 4 Abs. 1 Sätze 3 f. EStG ist als Teil des § 4 EStG zu verstehen. Deshalb setzt die Vorschrift eine Gewinnermittlung nach §§ 4 oder 5 EStG voraus, wobei eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG genügt. § 4 Abs. 1 Sätze 3 f. EStG fingiert eine Entnahme, weshalb die Vorschrift nur dann Anwendung findet, wenn innerhalb der maßgebenden Gewinnermittlung eine Entnahme erfolgswirksam anzusetzen ist. Folglich ist die Anwendung des § 4 Abs. 1 Sätze 3 f. EStG bei Gewinnermittlungen nach §§ 5a, 13a, 17 Abs. 2 EStG und § 6 AStG ausgeschlossen. § 12 Abs. 1 KStG fingiert dagegen eine Veräußerung. Die Anwendung der Vorschrift ist deshalb auch bei einer Gewinnermittlung nach § 17 Abs. 2 EStG denkbar.5 Fraglich ist dabei, ob § 12 Abs. 1 KStG eine Veräußerung fingieren kann, die den Tatbestand des § 17 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG auslöst.

6.42

Beispiel: Eine in Hongkong ansässige Kapitalgesellschaft (M KapG) hält 100 % der Anteile an einer deutschen GmbH (T GmbH). Der Sitz und der Ort der Geschäftsleitung der M KapG werden identitätswahrend in die Schweiz verlegt.6 Nach der Verlegung des Sitzes und des Orts der Geschäftsleitung der M KapG in die Schweiz verliert Deutschland das Besteuerungsrecht an dem Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an der T GmbH.7 Insoweit stellt sich die Frage, ob mit der Verlegung des Sitzes und des Orts der Geschäftsleitung der M KapG von Hongkong in die Schweiz § 12 Abs. 1 KStG greift und folglich ein „fiktiver Veräußerungsgewinn“ gem. § 17 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG zu versteuern ist. Aufgrund von § 8b Abs. 2 KStG würde es jedoch zu einer Freistellung des „fiktiven Veräußerungsgewinns“ kommen. § 8 Abs. 3 KStG ist aufgrund einer fehlenden inländischen Betriebsstätte der M KapG nicht anwendbar.8 1 Vgl. FG Düsseldorf v. 19.11.2015 – 8/K 3664/11/F, IStR 2016, 118, Rev. beim BFH, Az. I R 95/15. 2 Vgl. FG Köln v. 16.2.2016 – 10/K 2335/11, IStR 2016, 384, rkr. 3 Zur rückwirkenden Anwendung vgl. § 52 Abs. 8b Satz 2 f. EStG 2010. 4 Vgl. zu Einzelheiten Ditz/Tcherveniachki, ISR 2016, 417 (418 ff.). 5 Vgl. Wassermeyer, DB 2008, 430 (431), Beispiel unter II.2. 6 Es wird unterstellt, dass dies gesellschaftsrechtlich möglich ist. 7 Vgl. Art. 13 Abs. 3 und 4 DBA-Schweiz. 8 Vgl. Wassermeyer, DB 2008, 430 (431), Beispiel unter II.2.

Ditz 357

Kap. 6 Rz. 6.43

Entstrickung und Verstrickung

§ 6 AStG findet in den Fällen des § 12 Abs. 1 KStG keine Anwendung, weil § 6 AStG nur für natürliche Personen gilt. Im Übrigen ergeben sich Konkurrenzprobleme zwischen § 4 Abs. 1 Sätze 3 f. EStG und § 12 Abs. 1 KStG einerseits (vgl. Rz. 6.41) und den Vorschriften des UmwStG und § 6 Abs. 5 EStG andererseits. Die Vorschriften des UmwStG, insbesondere die §§ 3 Abs. 2, 11 Abs. 2, 20 Abs. 2 und 21 Abs. 2 UmwStG sind gegenüber § 12 Abs. 1 KStG vorrangig anzuwenden. Problematisch ist dagegen die Konkurrenz zu § 6 Abs. 5 EStG, weil die Vorschrift nur die Sicherstellung der Besteuerung der stillen Reserven des überführten Wirtschaftsguts im Inland voraussetzt (vgl. Rz. 6.20 und 6.251 ff.). 2. Tatbestandsvoraussetzungen a) Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs auf ein Wirtschaftsgut

6.43 Bezug zu einem Wirtschaftsgut. Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG sind beide Vorschriften nur einschlägig, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung „eines Wirtschaftsguts“ eingeschränkt oder ausgeschlossen wird. Infolgedessen sind die in „einem Wirtschaftsgut“ ruhenden stillen Reserven das Bezugsobjekt. Was dabei unter einem Wirtschaftsgut zu verstehen ist, ist gesetzlich nicht vorgegeben. Allerdings hat sich in der ständigen Rechtsprechung des BFH eine klare Begriffsdefinition des Wirtschaftsguts herausgebildet. Danach ist der steuerliche Begriff des Wirtschaftsguts weit auszulegen; er umfasst damit alle als Vermögenswerte realisierbaren Gegenstände, bloße vermögenswerte Vorteile (vgl. § 266 Abs. 2 HGB „Rechte und Werte“) einschließlich tatsächlicher Zustände und konkreter Möglichkeiten und Chancen, sofern sie einen greifbaren Vorteil besitzen, den sich der Kaufmann etwas kosten lässt, einen Nutzen über mehrere Wirtschaftsjahre erbringen, selbständig bewertbar und zumindest zusammen mit dem Betrieb übertragbar sind.1 Wenn diese Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts erfüllt sind, ist zwischen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern zu unterscheiden.2 Die Entstrickungsvorschriften beziehen sich auf beide Arten von Wirtschaftsgütern, unabhängig davon, ob sie erworben oder selbst erstellt bzw. entwickelt wurden, und unabhängig davon, ob es ich um ein abnutzbares oder um ein nicht abnutzbares Wirtschaftsgut handelt.3

6.44 Keine Erfassung mehrerer Wirtschaftsgüter und eines Geschäfts- und Firmenwerts. Es ist fraglich, ob durch § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG neben einzelnen Wirtschaftsgütern auch mehrere Wirtschaftsgüter in Form von Sachgesamtheiten (z.B. Betrieb oder Teilbetrieb) erfasst werden. Nach der Gesetzesbegründung zum SEStEG4 sollen die Entstrickungsvorschriften auch auf die Verlagerung eines Betriebs oder Teilbetriebs und infolgedessen auch auf die Realisierung eines Geschäfts- oder Firmenwerts anwendbar sein.5 Eine solche Auslegung ist indessen mit dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG nicht vereinbar.6 Denn der Wortlaut beider Vorschriften spricht ein1 Vgl. Crezelius in Kirchhof16, § 5 EStG Rz. 57 f. m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung; BFH v. 7.8.2000 – GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632 = FR 2000, 1126 m. Anm. Kempermann m.w.N. 2 Vgl. Weber-Grellet in Schmidt36, § 5 EStG Rz. 111. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 62. 4 Vgl. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782. 5 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28. 6 Gl.A. Frotscher in Frotscher/Maas, § 12 KStG Rz. 51; a.A. Benneke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 320; von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 12 Rz. 59; Lampert in Gosch3, KStG, § 12 Rz. 95.

358

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.47 Kap. 6

deutig von „eines Wirtschaftsguts“. Wenngleich der Geschäfts- und Firmenwert – zumindest nach der BFH-Rechtsprechung1 – als Wirtschaftsgut qualifiziert,2 kann er – weil er mit dem Betrieb verwoben ist3 – nicht eigenständig überführt, übertragen oder veräußert werden. Ein Geschäfts- und Firmenwert kann daher nur entstrickt werden, wenn ein Betrieb oder Teilbetrieb ins Ausland überführt wird. Dies setzt indessen die Überführung einer Sachgesamtheit mit mehreren Wirtschaftsgütern voraus, die weder von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG noch von § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG erfasst wird; vielmehr ist in diesen Fällen § 16 Abs. 3a EStG einschlägig (vgl. Rz. 6.99 ff.). Dies gilt gem. § 8 Abs. 1 KStG auch für Körperschaftsteuersubjekte. Darüber hinaus ist für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Satz 9 AStG zu beachten (vgl. Rz. 6.279 ff.). Abgrenzung zu § 16 Abs. 3a EStG. Die Unterscheidung der Entstrickung von einzelnen Wirtschaftsgütern nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG von der fingierten Betriebsaufgabe gem. § 16 Abs. 3a EStG ist für die Bewertung bedeutsam. Denn bei einer Betriebsverlegung ins Ausland ist der gemeine Wert des Betriebs als Sachgesamtheit zu bewerten,4 während der gemeine Wert eines Wirtschaftsguts – verstanden als Fremdvergleichspreis – nach den üblichen Verrechnungspreismethoden zu bestimmen ist (vgl. Rz. 6.80 und 6.175 ff.). Darüber hinaus ist § 4g EStG nur in Bezug auf § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG einschlägig, während im Zusammenhang mit § 16 Abs. 3a EStG die Stundungsregelung des § 36 Abs. 5 EStG greift.

6.45

Keine Anwendung bei Funktionsverlagerungen. Kommt es im Rahmen einer Funktionsverlagerung zur Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte oder ein ausländisches Stammhaus, beziehen sich § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG lediglich auf die in diesem Zusammenhang überführten oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter. Die Entstrickungsvorschriften beziehen sich hingegen nicht auf ein Transferpaket i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und § 1 Abs. 3 FVerlV, da es sich bei diesem gerade nicht um ein einzelnes Wirtschaftsgut, sondern um eine Vielzahl von Wirtschaftsgütern einschließlich eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts handelt (vgl. Rz. 6.279 ff.).

6.46

Keine Anwendung bei unternehmensinternen Dienstleistungen. Mit dem eindeutigen Bezug auf ein „Wirtschaftsgut“ wird deutlich, dass weder § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG noch § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG auf unternehmensinterne Dienstleistungen anzuwenden ist. Erbringt damit ein inländisches Stammhaus einer ausländischen Betriebsstätte Leistungen (z.B. im Bereich des Rechnungswesens, der IT, des Marketings) können beide Vorschriften keine Rechtsgrundlage bilden, für diese Leistungen einen Fremdvergleichspreis abzurechnen. Eine solche existiert lediglich in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG i.V.m. Abs. 5 AStG und der BsGaV, da sich diese auf eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte beziehen (vgl. Rz. 6.145 ff.).5

6.47

1 Vgl. BFH v. 25.11.1981 – I R 54/77, FR 1982, 99 = BStBl. I 1982, 189. 2 Aber: Nach § 246 Abs. 1 Satz 4 HGB wird der entgeltlich erworbene Geschäfts- oder Firmenwert im Wege einer Fiktion („gilt“) zum zeitlich begrenzt nutzbaren Vermögensgegenstand qualifiziert. Dies spricht dafür, den Geschäfts- und Firmenwert nicht mehr als Vermögensgegenstand und somit als Wirtschaftsgut einzuordnen. Vgl. auch Kaminski/Strunk, DB 2008, 2501 (2505). 3 Vgl. BFH v. 24.11.1982 – I R 123/78, BStBl. II 1983, 113 = FR 1983, 198; v. 14.1.1998 – X R 57/93, FR 1998, 560 m. Anm. Weber-Grellet = BFH/NV 1998, 1160. 4 Dies wird immer auf die Anwendung eines Ertragswert- oder Discounted-Cash-Flow-Verfahrens hinauslaufen. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20 und 171.

Ditz 359

Kap. 6 Rz. 6.48

Entstrickung und Verstrickung

6.48 Sonstige Aktiva. Rechnungsabgrenzungsposten, geleistete Anzahlungen und Bilanzierungshilfen stellen keine Wirtschaftsgüter dar. Sie können daher genauso wenig Gegenstand einer Entstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG sein wie organschaftliche Ausgleichsposten i.S.d. § 14 Abs. 4 KStG.1 b) Besteuerungsrecht an einem Veräußerungsgewinn

6.49 Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG setzen voraus, dass das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung (vgl. dazu Rz. 6.75) eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird. Dies setzt im Umkehrschluss voraus, dass vor dem Ausschluss oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ein solches bestand. Dies ist der Fall, wenn Deutschland – unterstellt, das Wirtschaftsgut würde tatsächlich veräußert werden – einen Veräußerungsgewinn mit Einkommen- oder Körperschaftsteuer besteuern würde.2 Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Veräußerungsgewinn der unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht unterliegen würde.3 Ferner ist nicht entscheidend, ob im Zusammenhang mit einer tatsächlichen Veräußerung des Wirtschaftsguts ein Gewinn oder Verlust entstehen würde. Mit anderen Worten: Die Anwendung der Entstrickungsvorschriften ist unabhängig davon, ob in dem entsprechenden Wirtschaftsgut stille Reserven oder stille Lasten enthalten sind.

6.50 Konsequenzen eines steuerbefreiten Veräußerungsgewinns. Ein bestehendes deutsches Besteuerungsrecht setzt voraus, dass ein hypothetischer Veräußerungsgewinn aus dem Wirtschaftsgut tatsächlich besteuert wird. Dies ist nicht gegeben, wenn der Veräußerungsgewinn aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift vollständig steuerfrei wäre. Infolgedessen besteht für den Gewinn aus der Veräußerung einer Beteiligung i.S.d. § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG ein deutsches Besteuerungsrecht, da unter Berücksichtigung des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG letztlich nur 95 % des Veräußerungsgewinns steuerfrei gestellt sind.4

6.51 Kein Besteuerungsrecht auf zukünftig gebildete stille Reserven. Aus dem Bezug auf ein bestehendes Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland folgt, dass die Entstrickungsvorschriften sich nicht auf erst nach dem Ausschluss oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts gebildete stille Reserven beziehen können. Infolgedessen werden von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG keine stillen Reserven erfasst, die erst nach der Überführung eines Wirtschaftsguts in einer ausländischen Betriebsstätte oder einem ausländischen Stammhaus gebildet werden.5 c) Ausschluss des Besteuerungsrechts an einem Veräußerungsgewinn

6.52 Allgemeine Definition. Die erste Tatbestandsalternative des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bezieht sich auf den Ausschluss des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsicht1 Vgl. von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 12 Rz. 59. 2 Vgl. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 324; von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 12 KStG Rz. 60. 3 Vgl. Pfirrmann in Blümich, § 12 KStG Rz. 32. 4 Vgl. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 316; Hölscher, Die grenzüberschreitende Verlegung der Geschäftsleitung, 2005, 125; a.A. von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 12 KStG Rz. 60. 5 Vgl. von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 12 KStG Rz. 60.

360

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.54 Kap. 6

lich des Veräußerungsgewinns aus einem Wirtschaftsgut. Das deutsche Besteuerungsrecht wird ausgeschlossen, wenn ein solches bestanden hat (vgl. Rz. 6.49) und dieses entfällt, d.h. beendet wird (Wegfall des Besteuerungsrechts).1 Nach der Gesetzesbegründung zum SEStEG2 soll dies der Fall sein, wenn ein Wirtschaftsgut von einem inländischen Betrieb (Stammhaus) in eine ausländische DBA-Freistellungsbetriebsstätte überführt wird.3 Nach dem durch das JStG 20104 in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG aufgenommenen Regelungsbeispiel (vgl. Rz. 6.23 und 6.75) soll von einem Ausschluss oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Veräußerungsgewinns aus einem Wirtschaftsgut insbesondere auszugehen sein, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Infolgedessen würde – zumindest nach der gesetzlichen Intention – die veränderte Zuordnung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen Betriebsstätte (Stammhaus) zu einer ausländischen Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen der Tatbestand des Ausschlusses bzw. der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts und damit die Entstrickungsbesteuerung auslösen. Damit geht zunächst die Frage dahin, nach welchen Kriterien die Zuordnung eines Wirtschaftsguts zum Stammhaus oder der Betriebsstätte zu treffen ist (vgl. nachfolgende Rz. 6.53 ff.). Ferner ist fraglich, ob durch den Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 f. KStG die gesetzliche Intention einer Entstrickungsbesteuerung tatsächlich umgesetzt wird (vgl. Rz. 6.21 ff. und 6.75). Kriterien der Zuordnung eines Wirtschaftsguts. Der Frage der Zuordnung eines Wirtschaftsguts zu einer Betriebsstätte kommt im Rahmen der internationalen Betriebsstättengewinnabgrenzung eine ganz wesentliche Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang werden nicht nur das Betriebsvermögen der Betriebsstätte und infolgedessen mögliche Entstrickungstatbestände definiert, sondern es wird auch über die Zuordnung der von dem Wirtschaftsgut ausgehenden Erträgen und Aufwendungen entschieden. Darüber hinaus kann die Zuordnung von Wirtschaftsgütern – insbesondere bei Personengesellschaften – Auswirkungen auf die Qualifikation der Einkunftsart haben.5 Im Rahmen der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte ist zu berücksichtigen, dass das zivilrechtliche Eigentum als Kriterium ausscheidet, da die Betriebsstätte ein rechtlich unselbständiger Teil des Gesamtunternehmens ist. Maßgeblich ist vielmehr das wirtschaftliche Eigentum.

6.53

Zuordnung von Wirtschaftsgütern in der Rechtsprechung und nach Auffassung der Finanzverwaltung. Hinsichtlich der Zuordnung von Wirtschaftsgütern folgt die Finanzverwaltung6 der ständigen Rechtsprechung des BFH, nach der unter Berücksichtigung des Veranlassungsprinzips (i.S. einer tatsächlichen Zugehörigkeit) und seiner Konkretisierung durch den Fremdvergleichsgrundsatz7 der Betriebsstätte die Wirtschaftsgüter zuzuordnen sind, die ihr in Bezug auf die von ihr ausgeübten Funktionen dienen.8 Zuordnungskriterium ist folglich die

6.54

1 Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 322. 2 Vgl. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782. 3 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 27. 4 Vgl. Jahressteuergesetz 2010 v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. 5 Z.B. im Rahmen der Anwendung des § 50d Abs. 10 EStG; zu Einzelheiten vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 82. 6 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.4. 7 Vgl. BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356 = FR 2008, 729. 8 Vgl. BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563 = FR 1996, 151; v. 29.11.2000 – I R 84/99, HFR 2001, 1053.

Ditz 361

Kap. 6 Rz. 6.55

Entstrickung und Verstrickung

Notwendigkeit eines Wirtschaftsguts für die von der Betriebsstätte ausgeübten Funktionen. Unter Berücksichtigung der funktionalen Betrachtungsweise sind nach Auffassung des BFH der Betriebsstätte insbesondere solche Wirtschaftsgüter zuzuordnen, die ein selbständiger Gewerbebetrieb am gleichen Ort und unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen zur Erzielung eines vergleichbaren Geschäftserfolgs benötigt.1 Dies sind diejenigen Wirtschaftsgüter, die der Betriebsstätte tatsächlich dienen;2 mit anderen Worten: mit deren Hilfe der Betriebsstättengewinn erwirtschaftet wird.3 Unter Berücksichtigung dieser von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze ist nach Auffassung der Finanzverwaltung von einem funktionalen Zusammenhang mit der Betriebsstätte insbesondere für Wirtschaftsgüter auszugehen, die zur „ausschließlichen Verwertung und Nutzung durch die Betriebsstätte bestimmt sind.“4 Die Zuordnung eines Wirtschaftsguts zu der ausländischen Betriebsstätte hat daher im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 f. KStG nach dem Veranlassungsprinzip zu erfolgen; das Kriterium der maßgeblichen Personalfunktionen, wie es in § 2 Abs. 3 und 5 sowie §§ 5 ff. BsGaV definiert wird, gilt hier nicht.5 Dies kann von Bedeutung sein, weil die Kriterien der „Verwertung und Nutzung“ einerseits und „wesentliche Personalfunktionen“ andererseits zu unterschiedlichen Zuordnungsentscheidungen kommen können. Infolgedessen ist – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung, die wie selbstverständlich unterstellt, dass die Zuordnungsregeln der §§ 5 ff. BsGaV auch im Anwendungsbereich der Entstrickungsvorschriften gelten6 – nicht sichergestellt, dass die Zuordnungskriterien nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 f. KStG einerseits und § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. §§ 5 ff. BsGaV andererseits zu demselben Zuordnungsergebnis führen.7

6.55 Gewillkürtes Vermögen der Betriebsstätte. Ist unter Berücksichtigung des funktionalen Zusammenhangs keine unmittelbare Zuordnung eines Wirtschaftsguts zum Stammhaus bzw. der Betriebsstätte möglich, ist – in Folge der prinzipiellen Dispositionsfreiheit des Steuerpflichtigen bei der Bestimmung der Funktionsaufteilung seines Unternehmens (Rz. 6.281 f.)8 – auf die Zuordnungsentscheidung des Steuerpflichtigen abzustellen (sog. gewillkürtes Vermögen der Betriebsstätte). Dies setzt eine Dokumentation der Zuordnungsentscheidung des Steuerpflichtigen – insbesondere in der Buchführung – voraus. Eine solche Zuordnungsfreiheit sieht auch die Rechtsprechung vor, soweit sie nicht im Widerspruch zu kaufmännischen und wirtschaftlichen Erfordernissen steht.9 Damit liegt es grundsätzlich im erkennbaren Willen des Steuerpflichtigen, den Funktionsumfang der Betriebsstätte zu bestimmen. Ist eine solche Zuordnungsentscheidung des Steuerpflichtigen nicht feststellbar und bestehen auch 1 Vgl. BFH v. 21.1.1972 – III R 57/71, BStBl. II 1972, 374; v. 29.7.1992 – II R 39/89, BStBl. II 1993, 63. 2 Vgl. BFH v. 1.4.1987 – II R 186/80, BStBl. II 1987, 550; v. 18.12.2002 – I R 92/01, FR 2003, 842 = BFH/NV 2003, 964. 3 Vgl. BFH v. 29.7.1992 – II R 39/89, BStBl. II 1993, 63. 4 BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.4. 5 Vgl. Kaeser, ISR 2012, 63 (67); Ditz, ISR 2013, 261 (264). 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. 7 Die Finanzverwaltung vertritt allerdings in BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, die Auffassung, dass „im Grundsatz“ die Vorschriften des § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. §§ 5–8 BsGaV mit der Zuordnung nach einem funktionalen Zusammenhang übereinstimmen; vgl. dazu auch Hruschka, DStR 2014, 2421 (2425); Hruschka, IStR 2014, 785 (789 f.). 8 Soweit die Finanzverwaltung die Dispositionsfreiheit des Steuerpflichtigen einschränken möchte, ist dies nicht sachgerecht. Vgl. VWG BsGa, Rz. 167. 9 Vgl. BFH v. 1.4.1987 – II R 186/80, BStBl. II 1987, 550; v. 29.7.1992 – II R 38/89, BStBl. II 1993, 63.

362

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.56 Kap. 6

sonst keine Anhaltspunkte für die Zuordnung eines Wirtschaftsguts zu den betrieblichen Teileinheiten, ist im Zweifel eine Zuordnung des Wirtschaftsguts zu dem Stammhaus (im Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen) vorzunehmen. Denn soweit Zweifel hinsichtlich der Gewinnzuordnung bestehen, bleibt es bei einem ausschließlichen Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats.1 Beispiele für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach dem Veranlassungsprinzip. Unter Berücksichtigung des Veranlassungsprinzips ergeben sich für die nachfolgend dargestellten Wirtschaftsgüter folgende Kriterien: – Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter. Materielle Wirtschaftsgüter (z.B. Anlagevermögen, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, unfertige Erzeugnisse und fertige Erzeugnisse) können i.d.R. auf der Grundlage eines funktionalen Zusammenhangs dem Stammhaus oder der Betriebsstätte zugeordnet werden. Damit sind materielle Wirtschaftsgüter i.d.R. dem Unternehmensteil zuzuordnen, in dem sie sich befinden und von dem sie genutzt werden.2 Dies entspricht der Auffassung der OECD im OECD-Betriebsstättenbericht 2008.3 Es ist aber auch eine anteilige Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter denkbar, z.B. wenn ein Wirtschaftsgut des Anlagevermögens (z.B. eine Maschine) in mehreren Unternehmensteilen regelmäßig genutzt wird. – Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter. Während die Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern i.d.R. wenig Probleme aufwirft, ist die Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern häufig nicht unproblematisch. Dies betrifft insbesondere selbst erstellte immaterielle Wirtschaftsgüter (zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.222), die dem Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 EStG unterliegen (z.B. Patente, Marken, Know-how, Kundenstamm). Unter Berücksichtigung einer Zurechnung nach funktionalen Gesichtspunkten hat der BFH in seinem Urteil vom 8.9.20104 entschieden, dass für die Zuordnung von Markenrechten allein entscheidend ist, „wo und von wo aus die Lizenzrechte verwaltet und vermarktet“ werden. Damit stellt der BFH nicht auf die Nutzung der entsprechenden Markenrechte ab, sondern orientiert sich an markenrechtlichen („verwalten“) sowie marketingspezifischen („vermarkten“) Gesichtspunkten.5 Insoweit kann eine Parallele zur Auffassung der OECD gesehen werden, wonach immaterielle Wirtschaftsgüter auf Basis der „wesentlichen Personalfunktionen“ zuzuordnen sind (hier: verwaltungs- und vermarktungsspezifische Entscheidungen). Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die Rspr. des BFH zur Konkretisierung eines Veranlassungszusammenhangs bzw. einer „tatsächlichen Zugehörigkeit“ bislang in keiner Entscheidung auf „wesentliche Personalfunktionen“ abgestellt hat. Lässt sich ein funktionaler Zusammenhang des immateriellen Wirtschaftsguts mit der Tätigkeit der Betriebsstätte nicht rechtfertigen, ist der Zuordnungsentscheidung des Steuerpflichtigen zu folgen, soweit diese nicht willkürlich bzw. nicht missbräuchlich ist (vgl. Rz. 6.55). Werden immaterielle Wirtschaftsgüter von mehreren betrieblichen Teileinheiten gemeinsam entwickelt bzw. wurde ein immaterielles Wirtschaftsgut zur Nutzung durch mehrere Unternehmensteile entgeltlich erworben, kann dieses anteilig auch mehreren Unternehmensteilen zugeordnet werden (vgl. Rz. 6.225).6 In diesem Fall sind die aus dem immateriellen

1 2 3 4 5 6

Zu Einzelheiten vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 66 und 88. Vgl. VWG BsGa, Rz. 76. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 104. Vgl. BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, FR 2011, 179 m. Anm. Mitschke = BFH/NV 2011, 138. Vgl. VWG BsGa, Rz. 93. Vgl. VWG BsGa, Rz. 101.

Ditz 363

6.56

Kap. 6 Rz. 6.56

Entstrickung und Verstrickung

Wirtschaftsgut resultierenden Aufwendungen den betroffenen Unternehmensteilen anteilig zuzuordnen. – Zuordnung von unbeweglichem Vermögen. Unbewegliches Vermögen (insbesondere Grundstücke) ist regelmäßig dem Unternehmensteil zuzuordnen, der in dem Staat der Belegenheit des unbeweglichen Vermögens liegt.1 Dies auch deswegen, weil Art. 6 OECD-MA – anders als Art. 10, 11, 12, 13 und 21 OECD-MA – keine Rückverweisungsklausel auf Art. 7 OECD-MA enthält. – Zuordnung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften. Die Zuordnung einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft zu einer Betriebsstätte setzt voraus, dass die Beteiligung in einem funktionalen Zusammenhang bzw. wirtschaftlich mit der Tätigkeit der Betriebsstätte in Verbindung steht.2 Infolgedessen ist die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft der Betriebsstätte zuzuordnen, wenn die Beteiligung von der Betriebsstätte tatsächlich genutzt wird und zu ihrem Betriebsergebnis beiträgt.3 Die daraus resultierenden Einkünfte sollen nach der Verkehrsauffassung nur Nebenerträge der in der Betriebsstätte ausgeübten unternehmerischen Tätigkeiten darstellen.4 Bloße Hilfstätigkeiten einer Betriebsstätte reichen nicht aus, um ihre Beteiligungen funktional zuzuordnen.5 Diese Grundsätze werden auch von der Finanzverwaltung anerkannt, wobei sie von einem funktionalen Zusammenhang dann ausgeht, wenn die Wirtschaftsgüter zur „ausschließlichen Verwertung und Nutzung durch die Betriebsstätte bestimmt sind.“6 Ferner sei – so die Finanzverwaltung – von einem tatsächlich-funktionalen Zusammenhang dann auszugehen, wenn die betreffenden Wirtschaftsgüter der Betriebsstätte nach § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 2 und § 7 Abs. 1 BsGaV zuzuordnen sind.7 Die BsGaV soll damit – so die Finanzverwaltung – grundsätzlich im Gleichklang zu der vom BFH entwickelten funktionalen Zuordnung stehen.8 Einzelheiten werden in Rz. 6.244 dargestellt.9 – Zuordnung von Finanzmitteln. Finanzmittel, welche für den Geschäftsbetrieb einer Betriebsstätte notwendig sind und tatsächlich durch sie verwendet werden (bzw. verwendet werden sollen), sind regelmäßig der Betriebsstätte unter funktionalen Gesichtspunkten zuzuordnen. Finanzmittel, welche von einer Finanzierungs-Betriebsstätte verwaltet werden, sind dieser Betriebsstätte ebenfalls zuzuordnen.10 Lässt sich ein funktionaler Zusammenhang mit der Tätigkeit einer Betriebsstätte dem Grunde oder der Höhe nach nicht rechtfertigen, ist der Zuordnungsentscheidung des Steuerpflichtigen zu folgen, wenn die1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 82. 2 Vgl. BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563 = FR 1996, 151; v. 29.11.2000 – I R 84/99, DStRE 2001, 600; v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414 = FR 2008, 1053; zu Einzelheiten s. auch Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 132; Häck, ISR 2015, 115. 3 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510 = FR 2008, 724 m. Anm. Lohmann/Rengier. 4 Vgl. BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563 = FR 1996, 151; v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510 = FR 2008, 724 m. Anm. Lohmann/Rengier; v. 24.8.2011 – I R 46/10, BFHE 234, 339 = FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl. 5 Vgl. BFH v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771. 6 BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.4.1. 7 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.4.1. 8 Zu einem Anwendungsfall vgl. Ditz/Tcherveniachki, DB 2015, 2897 (2901). 9 Vgl. VWG BsGa, Rz. 103. 10 A.A. VWG BsGa, Rz. 188.

364

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.58 Kap. 6

se nicht willkürlich oder missbräuchlich ist (vgl. Rz. 6.55). Forderungen sind einer Betriebsstätte zuzuordnen, wenn sie aus Sicht der Betriebsstätte „einen Aktivposten“ bilden.1 Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach der funktionalen Betrachtungsweise seitens maßgeblicher Personalfunktion. Nicht beantwortet ist die Frage, ob die vorstehend dargestellten Kriterien einer veranlassungsgerechten Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach der funktionalen Betrachtungsweise einer Zuordnung nach den maßgeblichen Personalfunktionen i.S.d. § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. §§ 5–8 BsGaV entsprechen. So ist nicht sichergestellt, dass die Zuordnung eines Vermögenswerts nach den Vorgaben des § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. den §§ 5–8 BsGaV nicht zu einem anderen Ergebnis führt, als dies durch die Entstrickungsregeln des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG der Fall ist.2 Daraus resultiert die Gefahr einer doppelten Besteuerung der stillen Reserven. Allerdings vertritt die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 26.9.20143 die Auffassung, dass „im Grundsatz“ die Vorschriften des § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. §§ 5–8 BsGaV mit der Zuordnung nach einem funktionalen Zusammenhang übereinstimmen.4 Darüber hinaus geht die Finanzverwaltung in den VWG BsGa wie selbstverständlich davon aus, dass die Zuordnungsgrundsätze der §§ 5-8 BsGaV auch im Zusammenhang mit den Entstrickungsregeln gelten.5 Damit sollten die Zuordnungsgrundsätze der Entstrickungsnormen (Veranlassungsprinzip) und der BsGaV (Personalfunktionen) – zumindest aus Sicht der Finanzverwaltung – nicht zu unterschiedlichen Zuordnungsentscheidungen führen. Dies kann man indessen auch anders sehen (vgl. Rz. 6.134).6

6.57

Zuordnung eines Wirtschaftsguts zu einer DBA-Freistellungsbetriebsstätte. Ist ein Wirtschaftsgut nach den vorstehend dargestellten Grundsätzen einer DBA-Freistellungsbetriebsstätte zuzuordnen, löst dies eine Überführung des Wirtschaftsguts vom inländischen Stammhaus in diese Betriebsstätte aus.7 Die Frage geht dahin, ob durch die Überführung des Wirtschaftsguts ins DBA-Ausland das deutsche Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Dies ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BFH, in welcher sowohl die finale Entnahmetheorie als auch die Theorie der finalen Betriebsaufgabe ausdrücklich aufgegeben wurde,8 zu verneinen (zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.14). So führt der BFH in einem obiter dictum9 in seinem Urteil vom 17.7.2008 aus:

6.58

„[…] Der inländische Besteuerungszugriff auf Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Vermögens, das Betriebsvermögen einer Betriebsstätte ist, die ein Unternehmen eines Vertragsstaates im anderen Vertragsstaat hat, [geht] bei Vereinbarung der Freistellungsmethode nur in jenem Umfang verloren, 1 Zu Einzelheiten vgl. BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356 = FR 2008, 729 m.w.N. 2 Vgl. Ditz, ISR 2013, 261 (264); Kahle/Eichholz/Kindich, Ubg 2016, 132 (142). 3 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258; Hruschka, DStR 2014, 2421 (2425); Hruschka, IStR 2014, 785 (789 f.); Ditz/Tcherveniachki, DB 2015, 2897. 4 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.4.1. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. 6 Vgl. zu Einzelheiten Ditz, ISR 2013, 261 (264). 7 § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG qualifiziert diese Überführung als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung (vgl. zu Einzelheiten Rz. 6.171 ff.); vgl. VWG BsGa, Rz. 77, 81 und 171 für materielle und VWG BsGa, Rz. 94 f. und 171 für immaterielle Vermögenswerte. 8 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149; v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke; v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432. 9 Vgl. Gosch, BFH-PR 2008, 499 (500).

Ditz 365

Kap. 6 Rz. 6.58

Entstrickung und Verstrickung

in dem das Vermögen der Betriebsstätte auch tatsächlich zuzuordnen und in dem die realisierten Gewinne durch jene Betriebsstätte erwirtschaftet wurden […] Dieser Grundsatz ermöglicht abkommensrechtlich eine Aufteilung des künftigen Veräußerungsgewinns zwischen Stammhaus und Betriebsstätte […] und lässt damit das Besteuerungsrecht des Stammhausstaates auf die dem Stammhaus zuzurechnenden Gewinnanteile unberührt.“1

Im Schrifttum wird infolgedessen zutreffend die Auffassung vertreten, dass die Entstrickungsnormen „ins Leere“ laufen2 bzw. einen „fiskalpolitischen Irrtum“3 des Gesetzgebers darstellen. Dem kann allerdings entgegengehalten werden, dass – ausweislich der Gesetzesbegründung – § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG dazu dienen, die „Aufdeckung und die Besteuerung der in der Bundesrepublik Deutschland entstandenen stillen Reserven von zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern“ sicherzustellen.4 Infolgedessen ist der Telos der Entstrickungsvorschriften eindeutig, er wird jedoch durch den Wortlaut der Vorschriften nicht erfasst. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob die durch das JStG 20105 in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG eingeführten Regelungsbeispiele daran etwas ändern.6 Unterstellt man in diesem Zusammenhang, dass das Besteuerungsrecht auf die im Inland gebildeten stillen Reserven auch nach der Überführung des Wirtschaftsguts in die ausländische DBA-Freistellungsbetriebsstätte (weiterhin) Deutschland zusteht (vgl. Rz. 6.35 ff.), ist fraglich, ob die beiden Regelungsbeispiele ihre Wirkung über den Grundtatbestand der Entstrickungsvorschriften „Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts“ hinaus entfalten können. Dieser am Wortlaut der Entstrickungsvorschriften ausgerichteten Auslegung steht hingegen die historische Entwicklung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 KStG sowie der diesen Vorschriften zugedachte Sinn und Zweck entgegen, im Zeitpunkt der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte die in diesem Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven zu besteuern. Dieser Sinn und Zweck wird auch in der Gesetzesbegründung zum JStG 20107 nochmals zum Ausdruck gebracht. Danach soll der neue Satz 4 in § 4 Abs. 1 EStG und der neue Satz 2 in § 12 Abs. 1 KStG klarstellend den Anwendungsfall der beiden Vorschriften mittels eines Regelbeispiels erläutern.8 Darüber hinaus spricht auch die Ausgleichspostenmethode des § 4g EStG für eine solche Interpretation; denn die Vorschrift macht nur Sinn, wenn es zu einer sofortigen Besteuerung stiller Reserven im Zeitpunkt der Überführung eines Wirtschaftsguts in die ausländische Betriebsstätte kommt. Im Ergebnis spricht daher – trotz des missglückten Wortlauts – der Sinn und Zweck der Entstrickungsvorschriften dafür, dass im Zeitpunkt der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische DBA-Freistellungsbetriebsstätte die stillen Reserven (als 1 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149 unter 3.b)bb) und cc) der Entscheidungsgründe. 2 Vgl. Wassermeyer, DB 2006, 1176 ff.; Wassermeyer, IStR 2008, 176 ff.; Gosch, BFH-PR 2008, 500; Gosch, IStR 2015, 709 (715); Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481 (1483); Roser, DStR 2008, 2389 (2394); Schneider/Oepen, FR 2009, 22 (28); Ditz/Scheider, DStR 2010, 81 (84); a.A. BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671; v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278; FG Düsseldorf v. 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, EFG 2016, 2009, Rev. beim BFH, Az. I R 95/15; Mitschke, DB 2009, 1376 (1378); Mitschke, IStR 2016, 126 (128). 3 Vgl. Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 1162; a.A. Mitschke, FR 2009, 326 (329). 4 BT-Drucks. 16/2710, 28. 5 Vgl. Jahressteuergesetz 2010 v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. 6 Vgl. Pfirrmann in Blümich, § 12 KStG Rz. 31; Ritzer in R/H/vL2, Anh. 7 Rz. 33d. Gl.A. von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 12 KStG Rz. 62; Girlich/Philipp, Ubg 2012, 150 (157 f.); Richter/Heydt, Ubg 2011, 172 (174 ff.); a.A. Musil, FR 2011, 545 (549). 7 Vgl. Jahressteuergesetz 2010 v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. 8 Vgl. BT-Drucks. 17/3549 v. 28.10.2010, 15, 25.

366

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.60 Kap. 6

Differenz zwischen gemeinem Wert und Buchwert, vgl. Rz. 6.80 ff.) realisiert werden. Infolgedessen überrascht es auch nicht, dass die Finanzverwaltung von einer uneingeschränkten Anwendung des § 4 Abs. 4 Sätze 3 f. EStG, des § 12 Abs. 1 KStG und des § 16 Abs. 3a EStG ausgeht.1 Dies auch deswegen, weil nicht sichergestellt ist, dass der DBA-Betriebsstättenstaat das Besteuerungsrecht Deutschlands bei der tatsächlichen Realisierung des Veräußerungsgewinns anerkennt. Allerdings ist in einem solchen Fall der internationalen Doppelbesteuerung davon auszugehen, dass im Rahmen eines Verständigungsverfahrens gem. Art. 25 OECD-MA aufgrund der klaren Regelung des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA (Besteuerungsrecht des Stammhausstaates in Bezug auf die bei ihm gebildeten stillen Reserven vor der Überführung des Wirtschaftsguts) Deutschland sein Besteuerungsrecht durchsetzen kann.2 Überführung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen Mitunternehmerschaft in ihre ausländische DBA-Freistellungsbetriebsstätte. Soweit an einer inländischen Personengesellschaft/Mitunternehmerschaft natürliche Personen beteiligt sind, ist § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG in Bezug auf Wirtschaftsgüter, die im Eigentum der Gesamthand stehen, einschlägig; in Bezug auf Körperschaftsteuersubjekte als Mitunternehmer greift § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG. Damit können die allgemeinen Entstrickungsvorschriften auch auf Ebene der Gesellschafter und nicht nur auf Ebene des Gesellschafters Anwendung finden. Wird infolgedessen ein Wirtschaftsgut, das im Eigentum der Gesamthand steht, auf eine ausländische DBA-Freistellungsbetriebsstätte übertragen,3 gelten die in Rz. 6.58 dargestellten Grundsätze (vgl. auch Rz. 6.251 ff.).

6.59

Abschluss oder Änderung eines DBA. Der Abschluss oder die Änderung eines DBA kann zur Folge haben, dass aus einer im ausländischen Vertragsstaat belegenen Anrechnungsbetriebsstätte eine Freistellungsbetriebsstätte wird. Infolgedessen stellt sich die Frage, ob eine Entstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG oder § 12 Abs. 1 KStG auch ohne eine Handlung des Steuerpflichtigen eintreten kann. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass die beiden Entstrickungsvorschriften nur bei einer „aktiven Handlung“ des Steuerpflichtigen Anwendung finden können.4 Diese Interpretation ist indessen nicht mit dem Wortlaut der Entstrickungsvorschriften vereinbar. Denn in diesen wird eine Entnahme bzw. Veräußerung des Wirtschaftsguts fingiert, so dass es ausdrücklich nicht einer Entnahmehandlung bedarf. Die Entstrickung setzt infolgedessen weder eine Entstrickungsabsicht noch eine Entstrickungshandlung voraus. Insoweit besteht ein Unterschied zur finalen Entnahmetheorie, wonach der Abschluss eines DBA – nach damaliger Rechtsauffassung des BFH – nicht als Entnahme durch Rechtsakt qualifizierte (vgl. Rz. 6.10 ff.).5 Die zur Rechtsprechung des BFH unterschiedliche Interpretation ergibt sich indessen aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG, der grundsätzlich nicht auf eine Entstrickungshandlung oder den Entstrickungswillen des Steuerpflichtigen abstellt. Im Ergebnis kann es daher bei Abschluss eines DBA mit Freistellungsmethode zu einem Ausschluss oder einer Be-

6.60

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20; BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888; v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005, BStBl. I 2009, 671; v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278. 2 Vgl. zu der Thematik auch Frotscher in Frotscher, § 4 EStG Rz. 375. 3 Dies setzt freilich eine Anwendbarkeit des einschlägigen DBA voraus, d.h., die Gesellschafter müssen in Deutschland ansässig sein. 4 Vgl. Förster, DB 2007, 72 (73); von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 12 KStG Rz. 63; Dörfler/Adrian/Oblau, RIW 2007, 266 (267). 5 Vgl. BFH v. 16.12.1975 – VIII R 3/74, BFHE 117, 563; Förster, DB 2007, 72 (73).

Ditz 367

Kap. 6 Rz. 6.61

Entstrickung und Verstrickung

schränkung des deutschen Besteuerungsrechts kommen.1 Allerdings stellt sich hier die Frage, ob eine solche Auslegung der Entstrickungsvorschriften mit dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsgebot in Einklang steht (vgl. Rz. 6.40).2 Eine Entstrickung aufgrund einer Rechtsänderung (z.B. durch den Abschluss oder die Änderung eines DBA) nach § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 AStG scheidet hingegen aus, da es in diesem Fall an einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV fehlt.3 Auch dieses Beispiel zeigt, dass hinsichtlich der Entstrickung stiller Reserven zwischen den Rechtsgrundlagen und ihren Tatbestandsvoraussetzungen zwingend zu unterscheiden ist.

6.61 Überführung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen Betriebsstätte in das ausländische Stammhaus. Bei im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen, die im Inland über eine Betriebsstätte der beschränkten Steuerpflicht unterliegen (vgl. § 1 Abs. 4 EStG und § 2 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2a EStG), kommt im Inland die Anrechnungs- bzw. Freistellungsmethode nicht zur Anwendung, so dass es auch nicht zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts kommen kann. In diesem Fall verliert der deutsche Fiskus allerdings einen steuerlichen Anknüpfungspunkt für die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns, so dass es zu einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts kommen kann.4 Dies ist indessen nach dem BFH-Urteil vom 28.10.2009 nicht der Fall. Danach unterliegen auch nachträgliche Einkünfte der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 EStG, so dass es der Besteuerung im Inland nicht entgegensteht, dass die feste Einrichtung, in der die stillen Reserven gebildet wurden, zum Zeitpunkt ihrer Realisierung nicht mehr besteht.5 Damit gelten auch im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht für Zwecke der Entstrickungsvorschriften die gleichen Überlegungen wie bei der unbeschränkten Steuerpflicht (vgl. Rz. 6.58 sowie Rz. 6.245 f.). Dies gilt sowohl für den DBA- als auch den Nicht-DBAFall. Inwieweit diese Rechtsauffassung indessen nach Implementierung des AOA in § 1 AStG aufrechterhalten bleibt, ist zweifelhaft. Denn nach § 3 Abs. 4 Satz 2 BsGaV ist im Zeitpunkt der Beendung der Betriebsstätte die Hilfs- und Nebenrechnung abzuschließen, wobei der zu diesem Zeitpunkt anzunehmende Übergang von Vermögenswerten im Rahmen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung i.S.d. § 16 BsGaV zu erfassen ist. Kommt es daher zu einer Beendigung der Betriebsstätte im Inland, wird dies zu einer Entstrickung nach § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG führen.6

6.62 Übertragung von Wirtschaftsgütern auf eine ausländische Personengesellschaft. Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist bei der Übertragung eines Wirtschaftsguts aus einem inländischen Betriebsvermögen in eine ausländische Personengesellschaft (einschließlich des Sonderbetriebsvermögens) der Fremdvergleichspreis anzusetzen.7 Wenngleich in diesen Fällen der 1 So auch Müller-Gatermann in FS Schaumburg, 939 (943); Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 335. 2 Vgl. Wassermeyer, DB 2006, 2420 (2420); Müller, Besteuerung stiller Reserven bei Auslandsbezug im Spannungsfeld zwischen Verfassung, Abkommens- und Europarecht, 2011, 106 f.; Ditz/Tcherveniachki, ISR 2016, 417 (418 ff.). 3 So auch VWG BsGa, Rz. 452. 4 Vgl. auch Wassermeyer, DB 2006, 1176 (1180). 5 Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke, belegt mit Nichtanwendungserlass, BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 68. 7 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.4. Diese Regelung wurde durch BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, nicht angepasst. Vgl. dazu Ditz/Schneider, DStR 2010, 81 (85).

368

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.67 Kap. 6

Ansatz des Fremdvergleichspreises aus Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008/2010 abkommensrechtlich abgeleitet werden kann (i.S. eines Besteuerungsrechts), ist die Rechtsgrundlage für diese Auffassung im innerstaatlichen Recht zweifelhaft. Einzelheiten werden in Rz. 6.251 ff. dargestellt. Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht. Kommt es nach Beendigung einer unbeschränkten Steuerpflicht zu einem Wechsel zur beschränkten Steuerpflicht, bleiben die der inländischen Betriebsstätte zugeordneten Wirtschaftsgüter weiterhin in Deutschland steuerlich verhaftet. Zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts kann es infolgedessen nicht kommen.1 Wird die unbeschränkte Steuerpflicht beendet, ohne dass anschließend eine beschränkte Steuerpflicht im Inland besteht, gelten die Ausführungen in Rz. 6.58.

6.63

Überführung eines Wirtschaftsguts von einer Anrechnungs- in eine Freistellungsbetriebsstätte. Unterhält ein im Inland ansässiger Steuerpflichtiger (Stammhaus) zwei Betriebsstätten im Ausland und wird ein Wirtschaftsgut von der Anrechnungsbetriebsstätte in die DBA-Freistellungsbetriebsstätte überführt,2 kommt es weder zu einem Ausschluss noch zu einer Beschränkung des inländischen Besteuerungsrechts. Der Vorgang spielt sich allein im Ausland ab, so dass keine Notwendigkeit zur Besteuerung der im Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven im Inland besteht. Im Übrigen: Wurde das entsprechende Wirtschaftsgut zunächst aus dem inländischen Stammhaus in die ausländische Anrechnungsbetriebsstätte überführt, wurde insoweit das deutsche Besteuerungsrecht zumindest beschränkt, so dass es zu einer Realisierung stiller Reserven gekommen sein sollte. Eine nochmalige Besteuerung stiller Reserven im Inland scheidet damit aus.

6.64

Wegfall der Hinzurechnungsbesteuerung. Die Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG ist nur in Bezug auf im Ausland unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaftsteuersubjekte anwendbar. Die Entstrickungsvorschriften sind infolgedessen nicht einschlägig; vielmehr kommen die verdeckte Gewinnausschüttung, die verdeckte Einlage oder § 1 AStG zur Anwendung.

6.65

Wegfall passiver Betriebsstätteneinkünfte. Sowohl abkommensrechtlich als auch im innerstaatlichen Recht wird die Freistellungsmethode häufig von einem Aktivitätsvorbehalt abhängig gemacht.3 Führt ein solcher Aktivitätsvorbehalt dazu, dass statt der Freistellungs- die Anrechnungsmethode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in Bezug auf die Einkünfte der ausländischen DBA-Betriebsstätte anzuwenden ist und wird anschließend der Aktivitätsvorbehalt bzw. die Voraussetzungen der Rückfallklausel zugunsten des Steuerpflichtigen (erstmalig oder wieder) erfüllt, löst dies keinen Entstrickungstatbestand aus.4

6.66

Ausschluss und Beschränkung des Besteuerungsrechts in Bezug auf die Gewerbesteuer. Nach § 9 Nr. 3 GewStG ist der Teil des Gewerbeertrags, der auf eine ausländische Betriebs-

6.67

1 Vgl. § 1 Abs. 4 EStG bzw. § 2 Nr. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; Art. 7 Abs. 1 Satz 2 und Art. 13 Abs. 2 OECD-MA. Soweit inländische Grundstücke betroffen sind, sind § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG und § 6 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 OECD-MA einschlägig. 2 D.h., das Wirtschaftsgut ist zunächst der Anrechnungs- und anschließend der DBA-Freistellungsmethode zuzuordnen (vgl. Rz. 6.53 ff.). 3 Vgl. etwa Art. 22 Abs. 1 Buchst. d Deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen; § 20 Abs. 2 AStG. 4 Gl.A. Schönfeld, IStR 2010, 133 (138); Benecke, NWB, Fach 3, 14733 (14739); Kessens, Die Besteuerung der grenzüberschreitenden Überführung von Wirtschaftsgütern, 2009, 56.

Ditz 369

Kap. 6 Rz. 6.68

Entstrickung und Verstrickung

stätte entfällt, zu kürzen. Infolgedessen können in der ausländischen Betriebsstätte realisierte stille Reserven nie der Gewerbesteuer unterliegen, so dass es offensichtlich zu einem Ausschluss des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschlands in Bezug auf die Gewerbesteuer kommt. Dies ist indessen in Bezug auf die Auslegung der „Beschränkung oder des Ausschlusses des Besteuerungsrechts“ i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG ohne Bedeutung. Denn die Anwendung der einkommensteuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften der §§ 4 ff. EStG (und infolgedessen auch § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG sowie § 12 Abs. 1 KStG) gehen der Bestimmung des Gewerbeertrags nach § 7 Satz 1 GewStG vor. Sie können sich daher nur auf den Ausschluss und die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich der Einkommen- und Körperschaftsteuer beziehen.1 Die Bestimmung des Gewerbeertrags gem. § 7 Satz 1 GewStG ist insoweit nachgelagert, als ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts in Bezug auf die Gewerbesteuer keine Bedeutung für die Anwendung der Entstrickungsvorschriften hat.

6.68 Konkurrenz zu § 50i EStG. Wurden Wirtschaftsgüter oder Anteile i.S.d. § 17 EStG vor dem 29.6.2013 erfolgsneutral in das Betriebsvermögen einer gewerblich geprägten oder gewerblich infizierten Personengesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 3 EStG oder in das Betriebsvermögen eines Besitzunternehmens im Rahmen einer Betriebsaufspaltung übertragen, steht Deutschland – i.S. eines treaty override – nach § 50i Abs. 1 EStG das Besteuerungsrecht zu, unabhängig von den Regelungen des einschlägigen DBA. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50i Abs. 1 EStG erfüllt, ist die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. des § 12 Abs. 1 KStG gesperrt.2 d) Beschränkung des Besteuerungsrechts an einem Veräußerungsgewinn

6.69 Definition der Beschränkung des Besteuerungsrechts. Neben dem Ausschluss des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland sehen § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG einen Entstrickungstatbestand auch vor, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts beschränkt wird. Diese zweite Tatbestandsalternative zeigt, dass es sich bei beiden Vorschriften – entgegen der Gesetzesbegründung3 – nicht um eine Klarstellung des damals geltenden Rechts handelt; vielmehr wurde mit der Tatbestandsalternative „Beschränkung“ ein neuer Entstrickungstatbestand geschaffen.4 Von einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ist auszugehen, wenn die auf den Gewinn aus einer fiktiv angenommenen Veräußerung des Wirtschaftsguts im Ausland erhobene Steuer auf die deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer anzurechnen ist. Rechtsgrundlagen für die Beschränkung sind infolgedessen § 34c EStG und § 26 Abs. 1 KStG einerseits und die Anrechnungsvorschriften des einschlägigen DBA (vgl. Art. 23B OECD-MA) andererseits. Insofern besteht im Schrifttum Einigkeit.5

6.70 Abstrakte vs. konkrete Beschränkung des Besteuerungsrechts. Uneinigkeit besteht hinsichtlich der Frage, ob eine tatsächliche, konkrete Beschränkung des Besteuerungsrechts vorliegen 1 Vgl. Förster, DB 2007, 72 (73); Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481 (1484); Kahle, IStR 2007, 757 (762); Benecke/Schnitger, IStR 2006, 765 (766). 2 Vgl. von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 12 KStG Rz. 63. 3 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28. 4 Vgl. Stadler/Elser, BB 2006, Spezial 8/2006, 18 (19); Müller-Gatermann in FS Schaumburg, 943. 5 Vgl. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 341; von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 12 KStG Rz. 64; Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481 (1482); Lampert in Gosch, § 12 KStG Rz. 100.

370

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.71 Kap. 6

muss oder ob eine abstrakte Gefährdung des Besteuerungsrechts ausreicht.1 Das Abstellen auf eine konkrete Betrachtungsweise bedeutet, dass eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts erst dann vorliegt, wenn der ausländische Staat tatsächlich eine Steuer erhebt, die in Deutschland angerechnet werden muss. Dies hätte zur Folge, dass keine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts vorliegen würde, wenn der ausländische Staat tatsächlich keine Steuer erhebt oder eine Anrechnung tatsächlich nicht stattfindet. In diesem Zusammenhang setzt § 34c EStG eine Zahlung und Festsetzung der ausländischen Steuer voraus. Unterstellt man, dass die Überführung und die tatsächliche Veräußerung in unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen stattfinden, führt die Entstrickung zu einer Festsetzung der inländischen Steuer in einem früheren Veranlagungszeitraum, als die ausländische Steuer festgesetzt wird. Eine Anrechnung nach § 34c Abs. 1 EStG bzw. § 26 Abs. 1 KStG käme daher nicht mehr in Frage. Die abstrakt rechtliche Betrachtungsweise stellt dagegen darauf ab, ob eine fiktiv unterstellte Besteuerung des Veräußerungs- oder Nutzungsüberlassungsgewinns im Ausland geeignet ist, einen Anrechnungstatbestand im Inland auszulösen.2 Dies wird mit einer teleologischen Auslegung begründet, wonach die Beschränkung bzw. der Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts bereits dann gegeben sei, wenn die Durchsetzung des deutschen Besteuerungsrechts erschwert wird.3 Dem wird indessen der Wortlaut der beiden Entstrickungsvorschriften entgegengehalten, wonach nicht jede Überführung eines Wirtschaftsguts ins Ausland zur Realisierung der stillen Reserven führt, sondern nur solche, bei denen tatsächlich das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird.4 Darüber hinaus hätte der Gesetzgeber, wollte er einen Gefährdungstatbestand schaffen wollen, dies explizit regeln müssen.5 Eigene Auffassung. Nach der hier vertretenen Auffassung reicht für die Beschränkung des Besteuerungsrechts dessen abstrakte Gefährdung aus. Weder der Wortlaut noch die Begründung zum SEStEG6 lassen einen eindeutigen Rückschluss darauf zu, ob es auf eine konkrete oder abstrakte Beschränkung des Besteuerungsrechts ankommen soll. Insoweit liegt es nahe, nach dem Telos der Entstrickungsbesteuerung eine abstrakte Gefährdung des Steueraufkommens zur Annahme einer Beschränkung des Besteuerungsrechts ausreichen zu lassen. Dies zeigt – in einer systematischen Interpretation – auch § 4g EStG, dessen Anwendung (Bildung eines Ausgleichspostens und dessen gewinnerhöhende Auflösung) unabhängig von einer konkreten Anrechnung ausländischer Steuern ist. Würde man hingegen von einer konkreten Beschränkung des Besteuerungsrechts ausgehen, wäre zunächst die Entstehung der ausländischen Steuer durch eine dortige Gewinnrealisierung abzuwarten. Dies hätte zur Folge, dass der Ausgleichsposten gem. § 4g Abs. 2 EStG erst aufzulösen wäre, wenn die stillen Reserven im Ausland realisiert werden. Damit wäre die Bildung eines Ausgleichspostens nicht mehr sinnvoll, was auch § 4g EStG seinen Anwendungsbereich nehmen würde.7 1 Vgl. zur Diskussion Wassermeyer, DB 2006, 2420 (2421); Wissenschaftlicher Beirat von Ernst & Young, DB 2010, 1776 (1787); Stadler/Elser, BB 2006, Spezial 8/2006, 18 (20); Förster, DB 2007, 72 (73); Kahle, IStR 2007, 757 (762). 2 Vgl. Förster, DB 2007, 72 (73); Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481 (1484); Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 342; Mutscher, IStR 2007, 799 (802). 3 Vgl. Frotscher in Frotscher, § 4 EStG Rz. 375. 4 Vgl. Wassermeyer, DB 2006, 1176 (1176). 5 Vgl. Schönfeld, IStR 2010, 133 (134). 6 Vgl. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782. 7 Vgl. zur Argumentation über § 4g EStG auch Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 486c; Müller, Besteuerung stiller Reserven bei Auslandsbezug im Spannungsfeld zwischen Verfassung, Abkommens-

Ditz 371

6.71

Kap. 6 Rz. 6.72

Entstrickung und Verstrickung

6.72 Erfassung künftiger Wertsteigerungen. Uneinigkeit besteht im Schrifttum ferner darüber, auf welche denkbaren Gewinne sich der Ausschluss bzw. die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts beziehen muss. Während das nicht der Finanzverwaltung zuzuordnende Schrifttum1 die Fragestellung nur auf die potentielle Realisierung der im Zeitpunkt der Entstrickung vorhandenen stillen Reserven bezogen wissen will, sind Vertreter der Finanzverwaltung2 der Auffassung, dass die Vorschriften auch alle nach einer Entstrickung anwachsenden stillen Reserven erfassen. Letztere Auffassung bedeutet, dass die Anwendung von § 4 Abs. 1 Sätze 3 f. EStG und § 12 Abs. 1 KStG für jedes Wirtschaftsjahr nach der eigentlichen Entstrickung permanent zu prüfen ist, wobei allerdings die Annahme einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ausgeschlossen ist, wenn ein DBA die Steuerbefreiung der Betriebsstättengewinne im Inland vorschreibt. Unklarheiten bestehen in diesem Zusammenhang nicht nur dann, wenn Wirtschaftsgüter von einer Anrechnungsbetriebsstätte im ausländischen Staat A in eine Freistellungs-, Anrechnungs- oder Nicht-DBA-Betriebsstätte im ausländischen Staat B überführt werden (vgl. Rz. 6.64),3 sondern auch dann, wenn dem nur in eine Anrechnungsbetriebsstätte des ausländischen Staats A überführten Wirtschaftsgut stille Reserven zuwachsen. Ungelöst ist ferner die Frage, ob Änderungen in einem ausländischen Steuerrecht, die zu einer höheren anrechnungsfähigen ausländischen Steuer führen, zu einer weiteren Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts führen können. Besonders fragwürdig ist insoweit die theoretische Möglichkeit, dass ein Staat (wie z.B. die Vereinigten Arabischen Emirate) der bisher auf Betriebsstätteneinkünfte keine Steuern erhebt, künftig einmal eine Steuer erheben könnte. In einem solchen Fall stellt sich die Frage, ob bereits die Überführung des Wirtschaftsguts in eine Betriebsstätte in einen solchen Staat die Besteuerung nach § 4 Abs. 1 Sätze 3 f. EStG und § 12 Abs. 1 KStG auslöst oder ob dies erst die künftige Folge einer Steuerrechtsänderung in diesem Staat sein kann. Diskutiert wird auch darüber, ob der mit der Aufgabe des Wohnsitzes verbundene Wegfall des Progressionsvorbehalts eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts darstellt.4 Die Beispiele machen deutlich, dass die nicht zu Ende gedachten Regelungen des § 4 Abs. 1 Sätze 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 KStG an eine Willkürgrenze stoßen. Darüber hinaus muss man die verfassungsrechtlichen (Rz. 6.4 und Rz. 6.40) und EU-rechtlichen (Rz. 6.5) Problemkreise sehen.

6.73 Überführung eines Wirtschaftsguts in eine Anrechnungs-Betriebsstätte. Wird ein Wirtschaftsgut in eine ausländische Anrechnungs-Betriebsstätte überführt, d.h. in eine Betriebsstätte, die in einem Nicht-DBA-Staat oder einem DBA-Staat belegen ist, wobei die Anrechnungsmethode (abkommensrechtlich oder nach § 20 Abs. 2 AStG) Anwendung findet, sind die später im ausländischen Staat realisierten stillen Reserven aus dem Wirtschaftsgut nach dem Welteinkommensprinzip im Rahmen der deutschen Besteuerung zu erfassen.5 Infolge-

1 2 3 4 5

und Europarecht, 2011, 92; Reiter, Besteuerung stiller Reserven nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, 2011, 106 f. Vgl. Wassermeyer, DB 2006, 2420; Schneider/Oepen, FR 2009, 22. Vgl. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 343; Mitschke, FR 2008, 1144; Mitschke, FR 2009, 326. Vgl. dazu auch BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.6.1 Buchst. d. Vgl. Kolbe in H/H/R, § 12 KStG Anm. 35. Vgl. § 2 Abs. 1 EStG und § 1 Abs. 2 KStG. Gewerbesteuerlich kommt § 9 Nr. 3 GewStG zur Anwendung, wobei von dieser Vorschrift keine Konsequenz auf die Anwendung der Entstrickungsvorschriften ausgeht (vgl. Rz. 6.67).

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.75 Kap. 6

dessen kann es nicht zu einem Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts, sondern allenfalls zu dessen Beschränkung kommen. Dies ist letztlich davon abhängig, ob hinsichtlich der Auslegung der Tatbestandsvoraussetzung der „Beschränkung“ auf die abstrakt rechtliche oder konkrete Betrachtungsweise abgestellt wird (vgl. Rz. 6.70). Folgt man der abstrakten Betrachtungsweise (vgl. Rz. 6.71), ist davon auszugehen, dass im Rahmen der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Anrechnungs-Betriebsstätte das deutsche Besteuerungsrecht beschränkt wird. Dies entspricht sowohl der Auffassung des Gesetzgebers1 als auch der Finanzverwaltung.2 Überführung eines Wirtschaftsguts von einer Anrechnungs-Betriebsstätte in eine andere Anrechnungs-Betriebsstätte. Im Rahmen der Überführung eines Wirtschaftsguts zwischen zwei ausländischen Anrechnungs-Betriebsstätten (in unterschiedlichen Staaten) kommt es – auch bei einer höheren Steuerbelastung im Staat, in welchen das Wirtschaftsgut überführt wird – zu keiner Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts. Denn über das Welteinkommensprinzip besteht – wie bisher im ersten Staat – dem Grunde nach weiterhin ein uneingeschränktes Besteuerungsrecht.

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e) Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts an der Nutzung eines Wirtschaftsguts Abgrenzung der Überführung von der Nutzungsüberlassung. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG fingieren eine Entnahme bzw. Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts auch, wenn das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird. Damit stellt sich die Frage, in welchen Fällen ein Wirtschaftsgut in die Betriebsstätte überführt und in welchen es lediglich zur Nutzung überlassen wird. Dies ist letztlich eine Frage der Zuordnung des Wirtschaftsguts. Wird dieses der ausländischen Betriebsstätte zugeordnet, kommt es zu einer Überführung des Wirtschaftsguts. Dabei wird – für Zwecke der Entstrickungsvorschriften – auf den funktionalen Zusammenhang mit der Betriebsstätte abgestellt, der insbesondere dann gegeben ist, wenn das Wirtschaftsgut zur ausschließlichen Verwertung und Nutzung durch die Betriebsstätte bestimmt ist (vgl. Rz. 6.53 ff.). Damit führt eine dauerhafte Nutzung zu einer Überführung des betreffenden Wirtschaftsguts vom inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte.3 Hingegen soll – nach der Gesetzesbegründung zur Einführung der Entstrickungsvorschriften4 – von einer (fiktiven) Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts an die ausländische Betriebsstätte auszugehen sein, wenn die Überlassung wie unter fremden Dritten aufgrund eines Miet-, Pacht- oder ähnlichen Rechtsverhältnisses erfolgt wäre. Damit ist aus Sicht des Gesetzgebers hinsichtlich der Frage der Abgrenzung zwischen Nutzungsüberlassung und Übertragung auf das wirtschaftliche Eigentum abzustellen.5 Vor diesem Hintergrund kann nur – auf den Einzelfall bezogen – aus den tatsächlichen Verhältnissen der Überlassung von Wirtschaftsgütern abgeleitet werden, ob eine Übertragung oder eine

1 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28. Deutlich wird dies darüber hinaus durch die Einführung des Regelbeispiels in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20; BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.6.1. 3 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 278; Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 327. 4 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28. 5 So auch Looks in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung, 2011, Rz. 897.

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Kap. 6 Rz. 6.75

Entstrickung und Verstrickung

Nutzungsüberlassung an die ausländische Betriebsstätte anzunehmen ist.1 Anhaltspunkte einer Unterscheidung zwischen Übertragung und Nutzungsüberlassung können dabei aus der Rechtsprechung zur Unterscheidung zwischen der Veräußerung und der Lizenzierung von Rechten zwischen rechtlich selbständigen Personen abgeleitet werden. Danach ist darauf abzustellen, ob die Rechte und Pflichten aus dem Wirtschaftsgut in das Vermögen des Nutzungsberechtigten übergehen.2 Als maßgebliches Differenzierungsmerkmal gilt die Dauer der Überlassung des Wirtschaftsguts.3 Demnach ist eine Rechtsübertragung insbesondere dann anzunehmen, wenn das Nutzungsrecht der Nutzungsberechtigten zeitlich unbefristet überlassen wird, d.h. bei ihm endgültig verbleibt, oder sich das überlassene Recht während der Dauer seiner Nutzung in seinem wirtschaftlichen Wert erschöpft.4 Vor allem das temporäre Moment sowie die Ausschließlichkeit der Überlassung können daher als Kriterium einer Unterscheidung zwischen Übertragung eines Wirtschaftsguts und dessen Nutzungsüberlassung an die ausländische Betriebsstätte herangezogen werden. So spricht die langfristige sowie ausschließliche Nutzung eines Wirtschaftsguts in der Betriebsstätte für dessen Übertragung (dauerhafter Nutzungswechsel).5 Ist dagegen nur eine vorübergehende Nutzung des Wirtschaftsguts durch die Betriebsstätte vorgesehen (vorübergehender Nutzungswechsel)6 bzw. ist bei der Übertragung des Wirtschaftsguts noch nicht abzusehen, wie lange es in der Betriebsstätte zum Einsatz kommt, sollte von einer Nutzungsüberlassung ausgegangen werden (vgl. auch Rz. 6.173). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass auch unter fremden Dritten Miet-, Pacht- oder Lizenzverträge mit sehr langen Laufzeiten abgeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund besteht hier seitens des Steuerpflichtigen ein gewisser Ermessensspielraum; die Finanzverwaltung geht in Zweifelsfällen von einer Zuordnung aus, die nicht zu einer Aufdeckung von stillen Reserven führt, solange die Zuordnung den Regelungen der BsGaV nicht widerspricht.7 In jedem Fall ist die entsprechende Entscheidung zu dokumentieren. Dies gilt auch bei einem häufigen Nutzungswechsel (z.B. wenn ein Wirtschaftsgut abwechselnd in verschiedenen Betriebsstätten genutzt wird).8 Beispiel 1: Die A GmbH mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Düsseldorf, ist auf dem Gebiet des Design, der Herstellung und des Vertriebs von hochpreisigen Textilien tätig. Die Textilien werden im Stammhaus der A GmbH in Düsseldorf entworfen, durch Lohnfertiger in Asien hergestellt und unter der Marke „AB“ über Boutiquen der A GmbH im In- und Ausland vertrieben. Im Zusammenhang mit der Marke „AB“ investiert die A GmbH jährlich Millionenbeträge in Marketing, Werbung und zahlreiche „Events“, um die Marke in den in- und ausländischen Verbraucherkreisen bekannt zu machen. Die entsprechende Marketingabteilung ist dabei im Düsseldorfer Stammhaus angesiedelt. Die A GmbH verfügt u.a. über mehrere Boutiquen in Österreich. Die Boutiquen, die nach österreichischem Recht und auf Basis des Art. 5 DBA-Österreich als Betriebsstätten behandelt werden, wurden in 2008 gegründet und haben in den ersten drei Jahren, d.h. bis einschließlich 2010, Verluste erwirtschaftet. Erst in 2011 konnten die Boutiquen Gewinne erzielen. Die österreichischen Boutiquen verfügen jeweils über eine eigene Buchführung, auf deren Basis die Einkünfte der jeweiligen Boutique ermittelt werden. Die Boutiquen bestellen bei den vom Stammhaus vorgegebenen Lohnfertigern regelmäßig selbst die Ware. Darüber hinaus betreiben die Boutiquen Werbung (z.B. in einschlägigen 1 Zum Grundsatz der tatsächlichen Zugehörigkeit vgl. auch BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; v. 27.2.1991 – I R 96/89, BFH/NV 1992, 385. 2 Vgl. BFH v. 27.7.1988 – I R 130/84, BStBl. II 1989, 101 = FR 1988, 650. 3 Vgl. BFH v. 1.12.1982 – I B 11/82, BStBl. II 1983, 367 = FR 1983, 202 m.w.N. 4 Vgl. BFH v. 27.2.1996 – III R 64/74, BStBl. II 1976, 529. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 77. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 78. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 99. 8 Vgl. VWG BsGa, Rz. 79.

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.75 Kap. 6

österreichischen Zeitschriften) und organisieren Modeschauen in Wien. Sie verfügen über speziell ausgebildetes Personal, welches die qualitativ hochwertigen Textilien an – in der Regel sehr wohlhabende – Kunden in Österreich vertreibt. Die Marke „AB“ ist als sog. EU-Marke markenrechtlich auf den Namen der A GmbH in sämtlichen EU-Mitgliedstaaten geschützt. Die Markenverwaltung erfolgt alleine durch das Düsseldorfer Stammhaus. Die Marke „AB“ wird sowohl durch das Stammhaus der A GmbH als auch durch deren inländischen und ausländischen Betriebsstätten genutzt. Damit wird die Marke „AB“ nicht ausschließlich durch eine österreichische Betriebsstätte genutzt. Daher ist nach den vorstehenden Grundsätzen davon auszugehen, dass die Überlassung der Marke „AB“ unter fremden Dritten auf Grundlage eines Lizenzvertrags erfolgt wäre.1 Im Ergebnis kommt damit eine Überführung der Marke „AB“ in die österreichischen Betriebsstätten nicht in Betracht. Vielmehr liegt eine „Nutzungsüberlassung“ vor. Dafür spricht auch das BFH-Urteil vom 8.9.2010.2 Danach ist es für die Zuordnung von den Lizenzvergütungen gehörenden Lizenzrechten ausschlaggebend, wo und von wo aus die Lizenzrechte verwaltet und vermarktet werden. Im vorliegenden Betriebsprüfungsfall wird die Marke „AB“ von der Marketingabteilung der A GmbH in Düsseldorf verwaltet und vermarktet. Dieses Ergebnis sollte auch nach den Regelungen des § 6 BsGaV gelten, wobei als maßgebliche Personalfunktionen für die Zuordnung von immateriellen Vermögenswerten deren Schaffung oder der Erwerb gelten.3 Beispiel 2: Ein in Deutschland ansässiges Speditionsunternehmen hat seinen Fuhrpark teilweise von Deutschland in eine Zweigniederlassung in den Niederlanden verlagert. Von der Zweigniederlassung werden neben der Erbringung von Speditions- und Frachtleistungen auch Transportcontainer an Endkunden vermietet. Aufgrund eines Lieferengpasses des (externen) Containerlieferanten konnte die niederländische Zweigniederlassung erst verspätet eigene Transportcontainer anschaffen. Daher stellt das deutsche Stammhaus der Zweigniederlassung 100 Container für einen befristeten Zeitraum von sieben Monaten zur Vermietung an die Endkunden zur Verfügung. In diesem Fall liegt eine bloße Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens des deutschen Stammhauses an die niederländische Zweigniederlassung vor.4 Der Fremdvergleichspreis der Nutzungsüberlassung (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG oder § 12 Abs. 1 KStG) kann auf Basis der Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195 ff.) bestimmt werden (AfA und Instandhaltungskosten der Container zzgl. 5 % Gewinnaufschlag). Beispiel 3: Ein Pkw wird nicht auf Dauer, sondern nur für vier Monate für betriebliche Zwecke der ausländischen Betriebsstätte verwendet. Danach wird der Pkw wieder im Inland durch das Stammhaus genutzt. Da die Nutzung des Pkw nur vorübergehend in die Betriebsstätte wechselt und absehbar ist, dass der Pkw in Zukunft wieder durch das Stammhaus genutzt wird, ist keine Änderung der Zuordnung vorzunehmen. Es ist von einer fiktiven Nutzungsüberlassung an die Betriebsstätte auszugehen, die mit einem Fremdvergleichspreis zu vergüten ist.5 Beispiel 4: Der Pkw wird über das Jahr abwechselnd in verschiedenen Betriebsstätten genutzt, auf Dauer jedoch überwiegend durch das inländische Stammhaus. In diesem Fall liegt ein häufiger Nutzungswechsel vor, d.h., mehr als zweimal innerhalb eines Kalenderjahres wird ein Wirtschaftsgut von verschiedenen Betriebsstätten genutzt, wobei eine überwiegende Nutzung durch das Stammhaus erfolgt. In diesen Fällen ist nach Auffassung der Finanzverwaltung anhand einer Prognose zu entscheiden, welchem Unternehmensteil das Wirtschaftsgut zuzuordnen ist. Dabei ist die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts zu berücksichtigen.6 Dadurch wird vermieden, dass dauerhaft fiktive Veräußerungen anzunehmen sind, die dazu führen, dass die vorhandenen stillen Reserven jeweils 1 2 3 4 5 6

Vgl. VWG BsGa, Rz. 29. Vgl. BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, FR 2011, 127 m. Anm. Prinz = BFH/NV 2011, 138. Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 85 ff. Vgl. VWG BsGa, Rz. 78. Vgl. VWG BsGa, Rz. 78. Vgl. VWG BsGa, Rz. 79 und 44.

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Kap. 6 Rz. 6.76

Entstrickung und Verstrickung

festgestellt und versteuert werden müssten. In diesen Fällen ist seitens des Stammhauses eine fiktive Nutzungsvergütung, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, abzurechnen.1

6.76 Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts. Die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG setzt voraus, dass das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Nutzung eines Wirtschaftsgutes ausgeschlossen oder beschränkt wird. Der Sinn und Zweck der Vorschrift besteht darin, dem inländischen Stammhaus bei der Nutzung ihm zuzuordnender (materieller oder immaterieller) Wirtschaftsgüter durch eine ausländische Betriebsstätte Nutzungsentgelte in Form von fiktiven Miet-, Pacht- oder Lizenzeinnahmen zuzuordnen. Diese den Entstrickungsvorschriften angedachte Zielsetzung wird indessen durch dessen Wortlaut nicht erfüllt.2 Denn der Ansatz von Erträgen bzw. Einnahmen aus der fingierten Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern an eine ausländische Betriebsstätte hat mit der Frage des Ausschlusses oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts nichts zu tun. Vielmehr geht es um die Frage, ob überhaupt Einnahmen entstanden sind, hinsichtlich derer das deutsche Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt werden kann. Dies würde indessen in Bezug auf den Beispielsfall der Rz. 6.75 voraussetzen, dass entsprechende Lizenz- oder Mieteinnahmen des inländischen Stammhauses der A GmbH vorliegen. Dies ist indessen nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund kann auch das Recht der Bundesrepublik Deutschland, einen Gewinn aus der Nutzungsüberlassung zu besteuern, weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. Dies auch deswegen, weil bereits abkommensrechtlich Deutschland das Besteuerungsrecht für Lizenzvergütungen zusteht (im Beispielsfall gem. Art. 15 Abs. 1 DBA-Österreich). Im Ergebnis machen damit die Begriffe „Ausschluss“ oder „Beschränkung“ des deutschen Besteuerungsrechts im Hinblick auf ein fingiertes Nutzungsverhältnis keinen Sinn. Denn den Ausschluss oder die Beschränkung eines Besteuerungsrechts würde voraussetzen, dass bereits nach innerstaatlichem Recht die Möglichkeit besteht, entsprechende Nutzungsentgelte zu versteuern. Nach dem Wortlaut geht damit im Beispielsfall der Rz. 6.75 die Anwendung des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG ins Leere.3 Daran ändert auch die Ergänzung der Vorschrift um das Regelbeispiel in Satz 2 im Rahmen des JStG 2010 nichts, da das Regelbeispiel nur den Fall einer Zuordnung des Wirtschaftsguts zur ausländischen Betriebsstätte erfasst. Bei einer (fiktiven) Nutzungsüberlassung ist diese Voraussetzung indessen nicht erfüllt. Betrachtet man hingegen neben dem missglückten Wortlaut den Telos des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG (bzw. des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG), wird man von einer fiktiven Nutzungsüberlassung des Wirtschaftsguts ausgehen müssen. Dies ist auch die Position der Finanzverwaltung.4 Im Übrigen: Selbst wenn man die Auffassung der Finanzverwaltung nicht teilt, wird man im Beispielsfall der Rz. 6.75 auch bei einer Nichtanwendung des § 12 Abs. 1 KStG zu einer fiktiven Nutzungsüberlassung der Marke kommen. Denn dann greift § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. der BsGaV (vgl. Rz. 6.171 ff. und 6.247).5

6.77 Keine Anwendung in Bezug auf unternehmensinterne Dienstleistungen. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG erfassen nicht die unternehmensinterne Erbringung von Dienstleistungen (z.B. eines inländischen Stammhauses an seine ausländische Betriebsstät1 Vgl. auch § 16 Abs. 2 BsGaV. 2 Vgl. Wassermeyer, IStR 2008, 176 (179); Wassermeyer in FS Krawitz, 502. 3 So auch Wassermeyer, IStR 2008, 176 (179); Kolbe in H/H/R, § 12 KStG Rz. 30; a.A. Looks in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung, 2011, Rz. 906; Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 326 ff. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 94 und 171.

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.79 Kap. 6

te). Denn Dienstleistungen erfüllen nicht die Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts (vgl. Rz. 6.43 ff.). Dem steht auch nicht die Aufzählung in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG („Leistungen“) entgegen, da diese Aufzählung lediglich Beispiele einer „normalen“ Entnahme benennt, ohne die Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts zu erfüllen.1 Unternehmensinterne Dienstleistungen können jedoch von § 1 Abs. 4 und 5 AStG und der BsGaV erfasst werden (vgl. Rz. 6.145 ff.).2 Rechtsfolgen einer Nutzungsüberlassung. Die Anwendung des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG hat eine fiktive Nutzungsüberlassung, die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG eine fiktive Nutzungsentnahme zur Folge, die mit dem „gemeinen Wert“ zu bewerten ist. In diesem Zusammenhang wird auf Basis des Wortlauts des § 12 Abs. 1 KStG diskutiert, dass die Nutzungsüberlassung in ihren Rechtsfolgen mit der Überführung eines Wirtschaftsguts gleichzustellen sei. Damit wäre der gemeine Wert der (fiktiven) Nutzungsüberlassung mit dem kapitalisierten Barwert der zukünftigen Nutzungsvergütungen bezogen auf die voraussichtliche Nutzungsdauer als Einmalbetrag anzusetzen.3 Eine solche (sehr weitgehende) Rechtsfolge ist gesetzgeberisch jedoch nicht beabsichtigt. Der Gesetzgeber wollte vielmehr durch die Einbeziehung der Nutzungsüberlassung verhindern, dass die Rechtsfolgen der Fiktion einer Veräußerung durch die (fiktive) Vereinbarung eines Miet-, Pacht- oder ähnlichen Verhältnisses vermieden werden können, weil eine Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer ausländischen Betriebsstätte in diesen Fällen unterbleibt.4 Daher kann die bloße Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts an eine ausländische Betriebsstätte nicht zur (sofortigen) Aufdeckung der stillen Reserven führen, die sonst nur dann stattfinden würde, wenn das Wirtschaftsgut vom Stammhaus in die Betriebsstätte überführt wird. Vor diesem Hintergrund erfolgt nach zutreffender h.M. bei einer fiktiven Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts an eine Betriebsstätte keine sofortige Realisierung der stillen Reserven.5

6.78

Abkommensrechtliches Besteuerungsrecht. Abkommensrechtlich geht die Frage dahin, ob im Fall einer (fingierten) Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts Deutschland als Ansässigkeitsstaat (Stammhausstaat) ein Besteuerungsrecht auf eine fiktive Nutzungsentnahme oder eine fiktive Nutzungs- oder Lizenzgebühr zusteht. Dies ist unter Berücksichtigung von Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 zu bejahen; denn unter Berücksichtigung des AOA sind der Fremdvergleichsgrundsatz und die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte uneingeschränkt anzuwenden, d.h., dass die durch einen Unternehmensteil (z.B. Stammhaus) für die Entwicklung oder den Erwerb eines immateriellen Wirtschaftsguts wahrgenommenen Funktionen und Risiken im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung durch eine fremdvergleichskonforme Vergütung (z.B. Lizenzgebühr) abzugelten sind.6 In diesem Zusammenhang weist die OECD zutreffend darauf hin, dass Verträge (insbesondere Lizenzverträge)7 zwischen

6.79

1 Vgl. Meurer in Lademann/Söffing, § 4 EStG Rz. 349d; Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 329. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20 und 171. 3 Vgl. Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise4, L Rz. 121; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG, § 12 Rz. 47; Werra/Teiche, DB 2006, 1455 (1456). 4 Vgl. BR-Drucks. 542/06, 43. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20 und 171; Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481 (1484); Benecke/Schnitger, IStR 2006, 765 (766); Strahl, FR 2007, 665 (668); Kahle, IStR 2007, 757 (763); Rupp in Preißer/ Pung, Die Besteuerung der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2009, 1425 Rz. 48. 6 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 200 ff.; VWG BsGa, Rz. 171. 7 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 203.

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Kap. 6 Rz. 6.80

Entstrickung und Verstrickung

Stammhaus und Betriebsstätte nicht abgeschlossen werden können.1 Infolgedessen ist von entscheidender Bedeutung, welchem Unternehmensteil das immaterielle Wirtschaftsgut unter Berücksichtigung der wesentlichen Personalfunktionen zuzuordnen ist.2 Dabei sei – so die OECD – von einem Lizenzverhältnis auszugehen, wenn ein solches auch zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wäre.3 Folgt das einschlägige DBA indessen dem Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008, ist umstritten, ob aus dieser abkommensrechtlichen Norm ein Besteuerungsrecht auf fingierte Nutzungsentgelte zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte besteht. Dies ist nur dann der Fall, wenn der uneingeschränkten Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte4 gefolgt wird. Wird hingegen die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte nur eingeschränkt interpretiert, ergibt sich kein Besteuerungsrecht.5 3. Rechtsfolgen a) Entstrickung zum gemeinen Wert

6.80 Bewertung zum gemeinen Wert. Als Rechtsfolge des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG ist die fingierte Entnahme bzw. die fingierte Veräußerung des Wirtschaftsguts mit dem gemeinen Wert zu bewerten.6 Der gemeine Wert wird nach § 9 Abs. 2 BewG durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen, wobei ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse außer Betracht bleiben. Infolgedessen versteht sich der gemeine Wert als Verkehrswert, der im Verkaufsfall des Wirtschaftsguts üblicherweise erzielbar ist. Infolgedessen handelt es sich bei dem gemeinen Wert um einen Einzelveräußerungspreis des Wirtschaftsguts, der vom Teilwert i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG abweichen kann. So ist auch nach der Gesetzesbegründung des SEStEG7 ein Gewinnaufschlag zu berücksichtigen.8 Daraus leitet die Finanzverwaltung ab, dass der gemeine Wert „regelmäßig dem Fremdvergleichspreis“ entspricht.9 Dies ist sachgerecht, da zwischen gemeinem Wert und Fremdvergleichspreis allenfalls theoretische Unterschiede bestehen können,10 die jedoch praktisch ohne Bedeutung sind. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der gemeine Wert – verstanden als Fremdvergleichspreis – auf Basis der klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung (Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode) sowie der transaktionsbezogenen Gewinnmethoden (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode sowie geschäftsvorfallbezogene Gewinn-

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. VWG BsGa, Rz. 3 und 99. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 210. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 209; VWG BsGa, Rz. 61 und 427. Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 110 ff. und 167. Vgl. auch Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.77 m.w.N. Vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Halbs. 2 EStG sowie § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG. Vgl. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782. 8 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28. 9 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.2 Abs. 4; s. ferner VWG BsGa, Rz. 20. 10 Dies deswegen, weil zur Bestimmung des gemeinen Werts alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen sind, jedoch ungewöhnliche und persönliche Umstände unberücksichtigt bleiben. Solche außergewöhnlichen und persönlichen Umstände sind jedoch im Rahmen der Bestimmung des Fremdvergleichspreises zu berücksichtigen.

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.81 Kap. 6

aufteilungsmethode)1 zu bestimmen ist (vgl. dazu Rz. 6.175 ff.).2 Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist der gemeine Wert bzw. Fremdvergleichspreis im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts maßgeblich, so dass sich die Entstrickung auf den Unterschiedsbetrag zwischen dem Fremdvergleichspreis des Wirtschaftsguts und seinem Buchwert ergibt, den das Wirtschaftsgut nach § 6 EStG im Zeitpunkt seiner Überführung hat. Diese Grundsätze sollen – so die Finanzverwaltung – sowohl bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens,3 bei Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens4 sowie bei selbstgeschaffenen immateriellen Wirtschaftsgütern5 gelten.6 Sofortbesteuerung der stillen Reserven nach Auffassung der Finanzverwaltung. Die fiktive Entnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) und die fiktive Veräußerung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 KStG), beide bewertet mit dem gemeinen Wert, haben zur Folge, dass es im Zeitpunkt des Ausschlusses bzw. der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts zu einer Gewinnrealisierung und infolgedessen zu einer Sofortbesteuerung der stillen Reserven mit Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer kommt.7 Die Entstrickungsvorschriften greifen dabei auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung, d.h. innerhalb der Unterschiedsbetragsermittlung gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG. Die fiktive Entnahme bzw. fiktive Veräußerung führt allerdings nicht dazu, dass das entsprechende Wirtschaftsgut nicht mehr in der Steuerbilanz des Unternehmens zu erfassen ist. Vielmehr ist das Wirtschaftsgut nach seiner Überführung in die ausländische Betriebsstätte dieser – unter funktionalen Gesichtspunkten (vgl. Rz. 6.53 ff.) – zuzuordnen und daher weiter in der Steuerbilanz des Unternehmens auszuweisen.8 Dies ist insofern sachgerecht, als das Unternehmen bzw. das Körperschaftsteuersubjekt – trotz Überführung des Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte – Eigentümer des Wirtschaftsguts bleibt, so dass es weiterhin in der Steuerbilanz auszuweisen ist. Als Bewertungsmaßstab sind allerdings nicht mehr die fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten (Buchwert) heranzuziehen, sondern der gemeine Wert i.S.d. Fremdvergleichspreises (vgl. Rz. 6.80). Denn die Entstrickungsvorschriften fingieren, dass das Wirtschaftsgut zum gemeinen Wert entnommen bzw. veräußert und mit diesem Wert angeschafft wurde. Infolgedessen handelt es sich bei den Entstrickungsvorschriften um innerbilanzielle Bewertungsvorschriften.9 1 Vgl. dazu BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.3; Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 5.82 ff. 2 Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 172; Werra/Teiche, DB 2006, 1457; Ditz/Schneider, DStR 2010, 81 (84). 3 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.6.1 Buchst. a. 4 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.6.1 Buchst. b. 5 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.6.1 Buchst. c. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20 und 62. 7 Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 376, vertreten die Auffassung, dass der fingierte Veräußerungsgewinn oder -verlust eine juristische Sekunde vor dem Zeitpunkt des Ausschlusses bzw. der Beschränkung des Besteuerungsrechts kommen soll. Nach anderer Auffassung von Wassermeyer, DB 2006, 1176 (1177), soll indessen der Steueranspruch erst nach dem Ausschluss oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts entstehen. 8 Gl.A. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 361; von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 12 KStG Rz. 72 m.w.N.; Kolbe in H/H/R, § 12 KStG Rz. 36. 9 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20 und 62; Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 361; Dötsch/Pung, DB 2006, 2648; Wassermeyer, IStR 2008, 176; Wassermeyer, DB 2008, 430.

Ditz 379

6.81

Kap. 6 Rz. 6.82

Entstrickung und Verstrickung

6.82 Reichweite der fiktiven Entnahme und Veräußerungsfiktion. Soweit sich die fiktive Entnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. die fiktive Veräußerung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG auf die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft bezieht, sind § 3 Nr. 41b EStG und § 8b Abs. 2 KStG einschlägig (vgl. auch Rz. 6.216). Zwar beziehen sich diese Vorschriften nach ihrem Wortlaut auf einen „tatsächlichen“ Veräußerungsgewinn an einem Anteil; allerdings kann bereits aus systematischen Zwecken für die fiktive Veräußerung nichts anderes gelten. Infolgedessen kann auch nicht die fiktive Veräußerung von sperrfristbehafteten Anteilen zur Versteuerung eines Einbringungsgewinns nach § 22 Abs. 1 und 2 UmwStG führen, wenn der Rechtsträger des Wirtschaftsguts identisch bleibt.1 Dies ist allerdings umstritten.2 Im Übrigen soll nach Auffassung der Finanzverwaltung eine fiktive Veräußerung die Verletzung der Sperrfrist nach § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG auslösen.3 Dies ist indessen insofern nicht sachgerecht, als das Wirtschaftsgut weiterhin demselben Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen zuzurechnen ist.4 Schließlich stellt sich in Bezug auf die Entstrickungsvorschriften auch die Frage, ob bei einer fiktiven Entnahme bzw. einem fiktiven Veräußerungsgewinn eine Rücklage nach § 6b EStG gebildet werden kann.5 Dies sollte nach dem Telos des § 6b EStG zu bejahen sein, da es – vergleichbar zu § 8b Abs. 2 KStG – keinen Sinn macht, ob die Gewinnrealisierung auf Basis einer tatsächlichen Veräußerung oder einer fingierten Entnahme oder Veräußerung erfolgt (vgl. auch Rz. 6.216).

6.83 Folgen des BFH-Urteils vom 17.7.2008. Der Position der Finanzverwaltung, wonach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG zu einer Sofortbesteuerung der in einem Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven führt,6 kann entgegengehalten werden, dass nach der neueren Rechtsprechung7 die Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte (DBA- und Nicht-DBA-Fall) nicht zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts führt (vgl. Rz. 6.37 ff. und 6.58 ff.). Für eine Gewinnrealisierung im Zusammenhang mit unternehmensinternen Innentransaktionen – verstanden als fiktive Entnahme, fiktive Veräußerung oder fiktive Nutzungsüberlassung – würde dann nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG kein Raum bleiben. Beispiel: Die in Deutschland ansässige M GmbH ist im Bereich der Entwicklung, Herstellung und dem Vertrieb von Baumaschinen tätig. Zum Vertrieb der Baumaschinen in Frankreich hat sie eine Vertriebsniederlassung in Paris gegründet, welche mit eigenem Personal die in Deutschland hergestellten Baumaschinen vertreibt. Die Vertriebsniederlassung in Paris verfügt über ein Lager sowie einen Showroom, in dem die Baumaschinen ausgestellt werden. Im Oktober 2008 wurden drei in Deutschland hergestellte Baumaschinen von der M GmbH in das Lager der französischen Vertriebsniederlassung überführt. Der Buchwert der Baumaschinen betrug zu diesem Zeitpunkt jeweils 50.000 Euro und der auf Basis der Wiederverkaufspreismethode ermittelte Fremdvergleichspreis jeweils 60.000 Euro. Eine der Baumaschinen wurde im Februar 2009 von der Vertriebsniederlassung für 80.000 Euro an einen 1 Vgl. von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 12 KStG Rz. 72 m.w.N. 2 Vgl. Käshammer/Schümmer, IStR 2012, 362 (366); Patt in D/P/M, § 22 UmwStG Rz. 28; Pung, GmbHR 2012, 158 (161). 3 Vgl. BMF v. 8.12.2011 – IV C 6 - S 2241/10/10002 – DOK 2011/0973858, BStBl. I 2011, 1279, Tz. 23. 4 Vgl. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 362; von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 12 KStG Rz. 72 m.w.N. 5 Vgl. Förster/Hölscher, Ubg 2012, 729 (737). 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. 7 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149; v. 28.10.2009 – I R 99/08, FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke = BStBl. I 2011, 1019; v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432; a.A. BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671; v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278.

380

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.84 Kap. 6

französischen Kunden verkauft (und ein entsprechender Ertrag realisiert). Die zwei weiteren Baumaschinen wurden durch einen Lagerbrand im Mai 2009 zerstört. Da das Lager nicht versichert war, gab es keine Entschädigungszahlung durch eine Versicherung. Nach Ansicht der Finanzverwaltung1 sind im Zeitpunkt der Überführung der drei Baumaschinen gem. § 12 Abs. 1 KStG bei der M GmbH 30.000 Euro (Fremdvergleichspreis i.H.v. 60.000 Euro abzgl. Buchwert i.H.v. 50.000 Euro für drei Baumaschinen) als Gewinn zu realisieren und unterliegen hier der KSt, dem SolZ und der GewSt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Baumaschinen in Frankreich verkauft werden oder untergegangen sind. Eine Anwendung des § 4g EStG scheidet – mangels Anlagevermögen – aus. Folgt man indessen der Auffassung des Schrifttums, wonach nach dem BFH-Urteil vom 17.7.20082 die Entstrickungsvorschriften bei der Überführung von Wirtschaftsgütern von einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte nicht greifen, ergeben sich aus der Überführung der Baumaschinen im Oktober 2008 keine ertragsteuerlichen Folgen. Vielmehr ist das Stammhaus erst im Februar 2009 i.H.d. Fremdvergleichspreises (hier: 60.000 Euro) an den durch die französische Vertriebsniederlassung realisierten Erträgen zu beteiligen. Im Ergebnis ergibt sich damit ein bei der M GmbH in Deutschland zu besteuernder Gewinn i.H.v. 10.000 Euro im Zeitpunkt der tatsächlichen Ertragsrealisierung. Hinsichtlich der zwei zerstörten Baumaschinen ergibt sich hingegen – mangels tatsächlicher Ertragsrealisierung – keine Gewinnrealisierung in Deutschland. Vielmehr ist der Buchwert der untergegangenen Baumaschinen auszubuchen, wobei der insoweit realisierte Verlust der französischen Betriebsstätte zuzuordnen ist.

Bilanzielle Behandlung der Entstrickung. Die bilanzielle Behandlung der Entstrickung ist gesetzlich nicht geregelt. Daher gilt es zunächst zwischen der fiktiven Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und der fiktiven Veräußerung i.S.d. § 12 Abs. 1 KStG und § 16 Abs. 3a EStG zu unterscheiden. Hinsichtlich der fiktiven Entnahme verweist § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG auf die allgemeine Entnahmevorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG. Im Rahmen der zweistufigen Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG i.V.m. § 5 EStG ist der sich auf der ersten Stufe durch den Betriebsvermögensvergleich ergebene Unterschiedsbetrag auf der zweiten Stufe außerbilanziell um Entnahmen und Einlagen zu korrigieren.3 Der Gesetzgeber hat jedoch die damit zusammenhängenden Rechtsfolgen nicht zu Ende gedacht. In der Literatur ist es umstritten, ob die fiktive Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und der damit zusammenhängende Entstrickungsgewinn innerhalb der Steuerbilanz oder nur außerhalb in den Gewinnabgrenzungsbilanzen der Betriebsstätten zu berücksichtigen sind. Dabei hängt ein Ansatz davon ab, ob § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG als eine Gewinnermittlungs- oder Gewinnabgrenzungsnorm verstanden wird.4 § 4 EStG handelt vom „Gewinnbegriff im Allgemeinen“ und dient damit grundsätzlich der Gewinnermittlung.5 Die Verortung der fiktiven Entnahme in § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG spricht dafür, sie ebenfalls der Ebene der Gewinnermittlung zuzuordnen.6 Diese Auffassung wird von dem Sinn und Zweck der Vorschrift unterstrichen, da der Gesetzgeber mit der fiktiven Entnahme eine fiktive Gewinnrealisierung verbindet,

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20; BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.6.1 Buchst. b. 2 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149. 3 Vgl. nur Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 175 u. 218; Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 489. 4 Vgl. Wassermeyer, DB 2008, 430 f.; Kupsch/Schulte-Krumpen in FS Djanani, 481; Reiter, Besteuerung stiller Reserven nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, 127 ff. 5 Vgl. Wassermeyer, DB 2008, 430 f.; Reiter, Besteuerung stiller Reserven nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, 128. 6 Vgl. Wassermeyer, DB 2008, 430 f.; Atilgan, NWB 2016, 936 (946); Kahle/Eichholz, StuB 2014, 867 (871); Kupsch/Schulte-Krumpen in FS Djanani, 481; Reiter, Besteuerung stiller Reserven nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, 127 ff.; Srebne, StB 2008, 317 (318); a.A. Kramer, DB 2007, 2338 ff.; Kramer, DB 2008, 433.

Ditz 381

6.84

Kap. 6 Rz. 6.84

Entstrickung und Verstrickung

was zugleich auch eine fiktive Betriebsvermögenswertveränderung bedeuten muss.1 Diese fiktive Gewinnrealisierung sollte daher durch eine innerbilanzielle Höherbewertung des Wirtschaftsguts auf den gemeinen Wert erfolgen.2 Somit wirkt die Entstrickungsvorschrift gewinnerhöhend3 und ist an die Bewertungsvorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG, die einen Ansatz zum gemeinen Wert vorsieht (vgl. Rz. 6.80), gebunden.4 Das fiktiv entnommene Wirtschaftsgut verbleibt nämlich im Betriebsvermögen und muss folglich in der Steuerbilanz des Unternehmens und – aufgrund der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gem. § 16 BsGaV – ebenfalls in der Hilfs- und Nebenrechnung auf Ebene der Betriebsstätte buchhalterisch erfasst werden.5 Es wird im Überführungszeitpunkt innerhalb der Steuerbilanz auf den gemeinen Wert aufgestockt und mit diesem Wert, der zugleich die fiktiven Anschaffungskosten der Betriebsstätte darstellt, in deren Hilfs- und Nebenrechnung aktiviert. Dementsprechend ergibt sich auch ein erhöhtes Abschreibungspotential in Höhe der aufgedeckten stillen Reserven für das überführte Wirtschaftsgut in der Steuerbilanz des Unternehmens.6 Dies gilt im Übrigen nicht nur für die lineare Abschreibung über die Nutzungsdauer eines Wirtschaftsguts, sondern muss dementsprechend auch für die Teilwertabschreibung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 f. EStG gelten. Die fiktive Entnahme und die damit zusammenhängende Höherbewertung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert erfolgt somit auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung im Rahmen des Betriebsvermögensvergleichs innerhalb der Steuerbilanz.7 Da Kapitalgesellschaften über keine außerbetriebliche Sphäre verfügen und somit der Entnahmeansatz ins Leere läuft,8 fingieren § 12 Abs. 1 KStG und § 16 Abs. 3a EStG eine Veräußerung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert, soweit das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen oder beschränkt wird. Die bilanzielle Umsetzung der Rechtsfolgen der fiktiven Veräußerung erfolgt wie bei der fiktiven Entnahme innerbilanziell. Der fingierte Veräußerungsgewinn ist bei der steuerbilanziellen Gewinnermittlung auf der ersten Stufe – also im Rahmen des Betriebsvermögensvergleichs innerhalb der Steuerbilanz – zu berücksichtigen.9 Das Wirtschaftsgut ist in der Steuerbilanz im Rahmen der Höherbewertung mit dem gemeinen Wert zu aktivieren. Im Ergebnis ist die bilanzielle Behandlung von Entstrickungsgewinnen gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG, § 12 Abs. 1 KStG und § 16 Abs. 3a EStG als deckungsgleich anzusehen.10 Durch die Aufdeckung der stillen Reserven wird es gem. § 5 Abs. 6 EStG zu einem Auseinanderfallen der Ansätze in der Steuer- und der Handelsbilanz kommen, da in dieser der Entstrickungsgewinn aufgrund des Realisationsprinzips nicht unmittelbar berücksichtigt wird. Es kommt jedoch mittelbar zu dem Ausweis einer Steuerlatenz in der Handelsbilanz, soweit temporäre Differenzen vorliegen, die sich im Zeitablauf über erhöhte

1 Vgl. Wassermeyer, DB 2008, 430 (431). 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20 und 62. 3 Vgl. Wassermeyer, DB 2008, 430 (431); Atilgan, NWB 2016, 936 (946); Berner, IStR 2015, 274 (276); Kolbe in H/H/R, § 4g EStG Rz. 21; Kupsch/Schulte-Krumpen in FS Djanani, 481; NeumannTomm, IStR 2015, 907 (911); a.A. Kramer, DB 2007, 2338 ff.; Kramer, DB 2008, 433. 4 Vgl. Kupsch/Schulte-Krumpen in FS Djanani, 481. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 62; Wassermeyer, DB 2008, 430. 6 Vgl. Wassermeyer, DB 2008, 430 (431). 7 Vgl. Ditz, ISR 2013, 361 (264). 8 Vgl. BFH v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123 = FR 1997, 311, s. ferner Atilgan, NWB 2016, 936 (938). 9 Vgl. Wassermeyer, DB 2008, 430 (431); Ditz, ISR 2013, 361 (264); Kolbe in H/H/R, § 12 KStG Rz. 36; Pfirrmann in Blümich, § 12 KStG Rz. 65; a.A. Srebne, StB 2008, 317 (318). 10 Vgl. Wassermeyer, DB 2008, 430 (431); Ditz, ISR 2013, 361 (264).

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Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.86 Kap. 6

Abschreibungen ausgleichen.1 Es bleibt festzuhalten, dass die bilanzielle Behandlung der Entstrickung in praxi Anwendungsschwierigkeiten bereitet. Die Regelungslücke sollte vom Gesetzgeber geschlossen werden. VWG BsGa, Rz. 20 und 62 stellen einen Schritt in die richtige Richtung dar. Beispiel: Die Pharma GmbH mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Bonn überführt eine Maschine zur Herstellung von Medikamenten in ihre US-amerikanische Betriebsstätte (AOA wird in dem DBAUSA umgesetzt). Der Buchwert der Maschine beträgt 100.000 Euro, der gemeine Wert 120.000 Euro. Die Maschine verbleibt weiterhin in dem Betriebsvermögen der Pharma GmbH, lediglich die funktionale Zuordnung im Unternehmen ändert sich. Da jedoch das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Nutzung oder Veräußerung der Maschine aufgrund der Überführung ins Ausland ausgeschlossen wird, ist gem. § 12 Abs. 1 KStG eine fiktive Veräußerung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert anzunehmen. Daher wird der Buchwert im Zeitpunkt der Überführung in der Steuerbilanz der Pharma GmbH von 100.000 Euro auf den gemeinen Wert i.H.v. 120.000 Euro aufgestockt (sog. Step up).2 Infolgedessen entsteht in der Steuerbilanz der Pharma GmbH im Jahr der Überführung im Rahmen des Betriebsvermögensvergleich auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung ein fiktiver Veräußerungsgewinn i.H.v. 20.000 Euro. Der Buchungssatz lautet: Per Maschine (20.000 Euro) an außerordentlichen Ertrag (20.000 Euro). Aufgrund der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung zwischen der US-amerikanischen Betriebsstätte und dem Stammhaus (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV) stellt der gemeine Wert im Rahmen der fiktiven Veräußerung ebenfalls die fiktiven Anschaffungskosten in der Hilfs- und Nebenrechnung der Betriebsstätte dar. Die Abschreibung des Wirtschaftsguts erfolgt nun auf Basis des gemeinen Werts (120.000 Euro) innerhalb der Steuerbilanz und wird im Rahmen der Gewinnabgrenzung der ausländischen Betriebsstätte zugeordnet. Soweit die Finanzverwaltung in VWG BsGa, Rz. 62 davon ausgeht, dass die Entstrickungsvorschriften „in der Hilfs- und Nebenrechnung der betreffenden ausländischen Betriebsstätte“ nachzuvollziehen sind, ist dies nicht überzeugend, da die Entstrickungsvorschriften – wie vorstehend dargestellt – innerhalb der Steuerbilanz Anwendung finden. Infolgedessen gibt es eine Abweichung der Steuerbilanz (Ansatz des gemeinen Werts) von der Handelsbilanz (Fortführung der Buchwerte).

Rechtsfolgen der Nutzungsentnahme bzw. fiktiven Nutzungsüberlassung. Hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Nutzungsentnahme gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und einer fingierten Nutzungsüberlassung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG wird auf die Rz. 6.78 und 6.247 ff. verwiesen.

6.85

Ausnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG. § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG, der nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 KStG auch bei Körperschaftsteuersubjekten zu beachten ist, sieht eine Ausnahme zum allgemeinen Entstrickungstatbestand vor, wenn der Sitz einer europäischen Gesellschaft (SE) oder einer europäischen Genossenschaft (SCE) in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlagert wird. Dies ist sachgerecht; denn Art. 10d Abs. 1 FusionsRL schließt eine sofortige Besteuerung der in den Anteilen einer SE oder SCE gebundenen stillen Reserven im Zeitpunkt der Sitzverlegung aus. Allerdings ist in diesem Fall der Gewinn aus einer späteren Veräußerung der Anteile aufgrund des § 15 Abs. 1a EStG unabhängig von den Regelungen des einschlägigen DBA zu besteuern. Insofern handelt es sich um ein treaty override, das grundsätzlich verfassungsgemäß ist.3 Nach § 15 Abs. 1a EStG bleiben demnach die Anteile im Inland steuerverstrickt, indem sie bei ihrer späteren Veräußerung einer Besteuerung unterzogen werden. Dabei

6.86

1 Vgl. Atilgan, NWB 2016, 936 (946 f.); Hoffmann, DB 2007, 652. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 62. 3 Vgl. BVerfG v. 15.12.2005 – 2 BvL 1/12, FR 2016, 326 = ISR 2016, 125 m. Anm. Jochimsen = IStR 2016, 191; Vorlage des BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, FR 2012, 819 m. Anm. Hagena/Wagner = IStR 2012, 426.

Ditz 383

Kap. 6 Rz. 6.87

Entstrickung und Verstrickung

sollen – so die Literatur – auch erst nach der Sitzverlegung entstandene stille Reserven in den Anteilen der SE bzw. SCE erfasst werden.1 b) Ausgleichsposten nach § 4g EStG

6.87 Ausgleichsposten als passive Bilanzierungshilfe. Aufgrund der bereits im Gesetzgebungsverfahren zum SEStEG2 erkannten europarechtlichen Bedenken gegenüber den Entstrickungsvorschriften3 hat der Gesetzgeber in § 4g EStG dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet, auf Antrag die im Rahmen der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG oder § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG realisierten stillen Reserven zu strecken. Demnach können unbeschränkt Steuerpflichtige Entstrickungsgewinne aus der Überführung eines Wirtschaftsguts des Anlagevermögens in eine Betriebsstätte in einem EU-Mitgliedstaat auf Antrag in einen Ausgleichsposten einstellen. Der Ausgleichsposten ist dann im Jahr seiner Bildung und in den folgenden vier Wirtschaftsjahren zu je einem Fünftel gewinnerhöhend aufzulösen.4 Bilanztechnisch wird dies durch einen passiven Ausgleichsposten in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem gemeinen Wert des überführten Wirtschaftsguts und seinem steuerlichen Buchwert in der Steuerbilanz erreicht. Der Ausgleichsposten ist damit eine passive Bilanzierungshilfe.5 Eine solche (i.S.d. Ausgleichspostenmethode) hatten bereits die BS-VWG a.F. vorgesehen, allerdings mit einem Auflösungszeitraum des Ausgleichspostens von zehn, statt nunmehr in § 4g Abs. 2 EStG fünf Jahren. Es kam infolgedessen gegenüber den bisherigen Regelungen der BS-VWG zu einer deutlichen Verschärfung der Rechtslage.6 Neben der Verkürzung des Auflösungszeitraums beschränkt sich die Bildung eines Ausgleichspostens auf Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die in eine in einem EU-Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte überführt werden.7

6.88 Persönlicher Anwendungsbereich. Der persönliche Anwendungsbereich des § 4g EStG erstreckt sich auf unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen und unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaftsteuersubjekte.8 Infolgedessen ist die Anwendung der Ausgleichspostenmethode im Zusammenhang mit der Überführung von Wirtschaftsgütern eines beschränkt Steuerpflichtigen in dessen ausländisches Stammhaus oder dessen ausländische Betriebsstätte grundsätzlich9 ausgeschlossen. Dies gilt auch für die Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Personengesellschaft.10 Hinsichtlich der Anwendung des § 4g EStG bei inländischen Personengesellschaften ist zu beachten, dass diese keine der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkommen- oder Körperschaftsteuersubjekte sein können; infolge-

1 Vgl. Heinicke in Schmidt36, § 4 EStG Rz. 333; Stöcker in Korn, EStG, § 4 Rz. 297.17. 2 Vgl. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782. 3 Vgl. BR-Drucks. 542/06 (Beschluss), 2; Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481 (1485); Stadler/Elser, BB 2006, Spezial 8/2006, 18 (22). 4 Vgl. § 4g Abs. 1 Satz 1 EStG. 5 Vgl. Kahle, IStR 2007, 757 (762); Hoffmann, DB 2007, 652; Benecke/Schnitger, IStR 2007, 22 (23). 6 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 176, Tz. 2.6.1. 7 § 36 Abs. 5 EStG (vgl. dazu Rz. 6.113) erfasst hingegen auch EWR-Staaten. 8 Vgl. § 4g Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1Halbs. 2 KStG. 9 Eine Ausnahme besteht insoweit, als die Finanzverwaltung die Bildung eines Ausgleichspostens aus Billigkeitsgründen zulässt, wenn es wegen des Inkrafttretens der BsGaV zu einer Zuordnungsänderung kommt. Vgl. VWG BsGa, Rz. 457. 10 Vgl. BT-Drucks. 16/3369, 5; Ditz/Schneider, DStR 2010, 81 (85).

384

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.91 Kap. 6

dessen werden inländische Personengesellschaften vom Wortlaut des § 4g Abs. 1 Satz 1 EStG nicht erfasst. Die Vorschrift ist indessen bei den an der Personengesellschaft beteiligten Mitunternehmer anzuwenden, soweit diese im Inland der unbeschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 1 EStG und § 1 Abs. 1 KStG) unterliegen. Damit ist für jeden einzelnen Mitunternehmer in einer Ergänzungsbilanz der Ausgleichsposten – verstanden als passive Bilanzierungshilfe – zu bilden. Beschränkung auf Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens. Ein Ausgleichsposten kann nach § 4g Abs. 1 EStG nur gebildet werden, wenn eine Gewinnrealisierung aufgrund einer fiktiven Entnahme gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG oder § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG vorliegt. Darüber hinaus ist die Vorschrift nur in Bezug auf materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens – unabhängig von ihrer Bilanzierungsfähigkeit, ihrer Abnutzbarkeit und der Restnutzungsdauer – einschlägig. Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens sind – im Gegensatz zur mittlerweile überholten Regelung in den BS-VWG1 – nicht von § 4g Abs. 1 EStG erfasst. Wenngleich sich insofern Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Unionsrecht ergeben (vgl. Rz. 12.27 ff.), ist zu berücksichtigen, dass die Gewinnrealisierung bei Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens (z.B. Warenvorräte) in der Regel kurz- oder mittelfristig erfolgt, so dass die Nachteile einer Sofortbesteuerung (vorgezogene Liquiditätsbelastung aus einer Steuerbelastung) weniger problematisch sind als bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens.2

6.89

Überführung eines Wirtschaftsguts in eine Betriebsstätte in einem EU-Mitgliedstaat. Der sachliche Anwendungsbereich des § 4g Abs. 1 EStG ist schließlich auf die Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens in eine Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen in einem anderen EU-Mitgliedstaat beschränkt. Ein Ausgleichsposten kann infolgedessen z.B. nicht gebildet werden, wenn Wirtschaftsgüter aus einer inländischen Betriebsstätte in ein ausländisches Stammhaus oder eine andere ausländische Betriebsstätte überführt oder aus einem inländischen Betriebsvermögen in das Gesamthandsvermögen einer ausländischen Personengesellschaft übertragen werden. Allerdings lässt die Finanzverwaltung in diesem Fall die Bildung eines Ausgleichspostens aus Billigkeitsgründen zu, wenn es wegen des Inkrafttretens der BsGaV erstmals zu einer Zuordnungsänderung gekommen ist.3 Nicht erfasst werden von der Vorschrift auch die fiktive Nutzungsentnahme und die fiktive Nutzungsüberlassung (vgl. Rz. 6.75 ff.); denn insofern kommt es nicht zu einer Überführung eines Wirtschaftsguts in die ausländische Betriebsstätte verbunden mit einer (gesamten) Realisierung der in dem Wirtschaftsgut gebundenen stillen Reserven. Schließlich bestimmt § 4g Abs. 1 Satz 5 EStG, dass die Vorschriften des UmwStG unberührt bleiben und damit die Vorschrift keine Anwendung auf Gewinnrealisierungen nach dem UmwStG findet.

6.90

Unwiderruflicher Antrag. Um einen Ausgleichsposten bilden zu können, muss der Steuerpflichtige nach § 4g Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG einen unwiderruflichen Antrag stellen. Der Antrag ist an keine besondere Form gebunden, so dass der einfache Ausweis des Ausgleichspostens in der Steuerbilanz ausreichend ist.4 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Ausgleichsposten gem. § 4g Abs. 1 Satz 2 EStG für jedes überführte Wirtschaftsgut getrennt aus-

6.91

1 2 3 4

Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.1 Buchst. b. Vgl. Kessler/Winterhalter/Huck, DStR 2007, 133 (134). Vgl. VWG BsGa, Rz. 456. Gl.A. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 616; von Freeden in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 12 KStG Rz. 77.

Ditz 385

Kap. 6 Rz. 6.92

Entstrickung und Verstrickung

zuweisen ist. Ferner kann das Wahlrecht für die Bildung eines Ausgleichspostens nur einheitlich für sämtliche Wirtschaftsgüter ausgeübt werden, wobei – entgegen dem Wortlaut – eine Ausübung des Wahlrechts in Bezug auf jede Betriebsstätte zulässig sein sollte.1

6.92 Reguläre Auflösung des Ausgleichspostens. Der als passive Bilanzierungshilfe (vgl. Rz. 6.87) erfasste Ausgleichsposten ist im Jahr seiner Bildung und in den folgenden vier Jahren gem. § 4g Abs. 2 Satz 1 EStG zu je einem Fünftel gewinnerhöhend aufzulösen. Dies führt zu einer zeitlich gestreckten Besteuerung der im Überführungszeitpunkt des Wirtschaftsguts ruhenden stillen Reserven. Der Auflösungszeitraum von fünf Jahren ist dabei unabhängig von der tatsächlichen Abnutzbarkeit des Wirtschaftsgutes oder seiner tatsächlichen Restnutzungsdauer. Infolgedessen kommt es bei einer Nutzungsdauer von mehr als fünf Jahren zu einer schnelleren Besteuerung der stillen Reserven, während bei einer tatsächlichen Nutzungsdauer von weniger als fünf Jahren die Besteuerung der stillen Reserven – entgegen der früheren Verwaltungspraxis in den BS-VWG a.F. – weiter hinausgeschoben wird.

6.93 Außerplanmäßige Auflösung des Ausgleichspostens. In § 4g Abs. 2 Satz 2 EStG werden Tatbestände definiert, die eine außerplanmäßige (gewinnwirksame) Auflösung des Ausgleichspostens zur Folge haben, so dass die stillen Reserven bereits vor Ablauf der Fünf-Jahres-Frist besteuert werden. Dabei wird zwischen den folgenden drei Fällen unterschieden: – Nach § 4g Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG ist der Ausgleichsposten vollumfänglich gewinnerhöhend aufzulösen, wenn das als entnommen bzw. als fiktiv veräußert geltende Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen ausscheidet. Davon werden sämtliche Realisations- und Ersatzrealisationstatbestände erfasst, wie z.B. die Veräußerung, der Tausch, die Entnahme, die Einbringung gegen Gesellschaftsrechte oder die verdeckte Einlage des Wirtschaftsguts durch die ausländische Betriebsstätte. Da es in diesen Fällen zu einer Gewinnrealisierung kommt, ist es sachgerecht, keinen weiteren Besteuerungsaufschub zu gewähren. Dies ist indessen nicht der Fall, wenn das Wirtschaftsgut durch Untergang (z.B. Verschrottung, Verfall, Zerstörung) aus dem Betriebsvermögen ausscheidet.2 Die Regelung führt in diesen Fällen zu dem unsachgerechten Ergebnis, dass trotz Vermögensverlusts ein steuerpflichtiger Gewinn im Inland entsteht. – § 4g Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG ordnet die vollständige erfolgswirksame Auflösung des Ausgleichspostens an, wenn das Wirtschaftsgut aus der Besteuerungshoheit der EU-Mitgliedstaaten ausscheidet. Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber die Begünstigung des § 4g EStG auf diejenigen Fälle beschränken möchte, in denen Wirtschaftsgüter in Betriebsstätten in EU-Mitgliedstaaten überführt werden und dort während der Fünf-Jahres-Frist verbleiben. Dies ist so lange sichergestellt, wie das Wirtschaftsgut einer EU-Betriebsstätte zugeordnet wird.3 Allerdings ist davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung aus Billigkeitsgründen die Beibehaltung des Ausgleichspostens nicht beanstanden wird, wenn der Grund für die Zuordnungsänderung auf die erstmalige Anwendung der BsGaV zurückzuführen ist (vgl. auch Rz. 6.90).4 – Der Ausgleichsposten ist schließlich auch aufzulösen, wenn die stillen Reserven des als entnommen oder fiktiv veräußert geltenden Wirtschaftsguts im Ausland aufgedeckt werden 1 Vgl. BT-Drucks. 16/3369, 5: „einheitlich für alle in eine Betriebsstätte überführten Wirtschaftsgüter“; s. ferner Hoffmann, DB 2007, 652 (653); Förster, DB 2007, 72 (75). 2 Vgl. Hoffmann, DB 2007, 652 (654). 3 Vgl. Hoffmann, DB 2007, 652 (655). 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 456.

386

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.95 Kap. 6

oder in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts hätten aufgedeckt werden müssen. Die erste Alternative betrifft Vorgänge, in denen ausländische Entstrickungsvorschriften zu einer Gewinnrealisierung führen.1 Die zweite Alternative meint Fälle, in denen das ausländische Steuerrecht keine Entstrickungsvorschriften kennt, aber die Voraussetzungen einer Entstrickung nach deutschem Steuerrecht vorliegen würden.2 Was dies konkret bedeutet, bleibt unklar. So stellt sich z.B. die Frage, ob die (Weiter-)Überführung des Wirtschaftsguts innerhalb der EU zu einer außerplanmäßigen Auflösung des Ausgleichspostens führt. Hier wäre nämlich § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG hypothetisch auch in Bezug auf eine ausländische Betriebsstätte in einem EU-Mitgliedstaat anwendbar, wobei allerdings ein passiver Ausgleichsposten nach § 4g EStG gebildet werden könnte. Erfassung von Sachgesamtheiten. Der Wortlaut des § 4g Abs. 1 Satz 1 EStG bezieht sich – wie die Entstrickungsvorschriften (vgl. Rz. 6.43 ff.) – auf ein Wirtschaftsgut („eines“ bzw. „des“ Wirtschaftsguts). Infolgedessen kann ein Ausgleichsposten nicht für eine Sachgesamtheit (z.B. Betrieb, Teilbetrieb oder Transferpaket im Rahmen einer Funktionsverlagerung), sondern nur für ein einzelnes Wirtschaftsgut gebildet werden. Kommt es daher – z.B. im Rahmen einer Funktionsverlagerung (Rz. 6.279) – zur gleichzeitigen Überführung mehrerer Wirtschaftsgüter, ist der Ausgleichsposten für jedes einzelne Wirtschaftsgut zu bilden. Der im Rahmen einer Funktionsverlagerung realisierte funktionsbezogene Geschäfts- oder Firmenwert (als Differenz zwischen Wert des Transferpakets und der Summe der gemeinen Werte der überführten Wirtschaftsgüter) ist kein Wirtschaftsgut und infolgedessen § 4g EStG insoweit nicht anwendbar.

6.94

Rücküberführung von Wirtschaftsgütern. Werden Wirtschaftsgüter, für die ein Ausgleichsposten gebildet wurde, nach Ablauf des Fünf-Jahres-Zeitraums ins Inland zurücküberführt, liegt eine Verstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG vor (vgl. Rz. 6.259 ff.). Infolgedessen wird das Wirtschaftsgut nach § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG im Zeitpunkt der Verstrickung mit seinem gemeinen Wert bewertet. Erfolgt die Rückführung des Wirtschaftsguts demgegenüber innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums des § 4g Abs. 2 Satz 1 EStG, regelt § 4g Abs. 3 Satz 1, dass der für dieses Wirtschaftsgut gebildete Ausgleichsposten ohne Auswirkungen auf den Gewinn aufzulösen und das Wirtschaftsgut mit den fortgeführten Anschaffungskosten, erhöht um zwischenzeitlich gewinnerhöhend berücksichtigte Auflösungsbeträge i.S.d. § 4g Abs. 2 und 5 Satz 2 EStG und um den Unterschiedsbetrag zwischen dem Rückführungswert und dem Buchwert im Zeitpunkt der Rückführung, höchstens jedoch mit dem gemeinen Wert anzusetzen ist. Der Wertansatz wird damit wie folgt bestimmt: Fortgeführte Anschaffungskosten + zwischenzeitlich erfolgswirksam aufgelöster Ausgleichsposten + Unterschiedsbetrag zwischen Rückführungswert und Buchwert bei Rückführung = Wertansatz nach § 4g Abs. 3 Satz 1 EStG (Höchstwert: gemeiner Wert des Wirtschaftsguts) Der sich nach vorstehendem Bewertungsschema ergebende Verstrickungswert dient der Berücksichtigung der bisher im Inland bereits versteuerten stillen Reserven durch eine Neutralisierung im Wege einer erhöhten Absetzung für Abschreibung.3 Dabei wird mit dem Rück-

6.95

1 Aus österreichischer Sicht z.B. § 6 Ziff. 6 öEStG. 2 Vgl. Kolbe in H/H/R, § 4g EStG Anm. 31. 3 Vgl. Kessler/Winterhalter/Huck, DStR 2007, 133 (135 f.).

Ditz 387

Kap. 6 Rz. 6.96

Entstrickung und Verstrickung

führungswert und dem Buchwert bei Rückführung auf Wertkategorien des ausländischen Steuerrechts abgestellt.1 Damit sollen eine im Inland und/oder im Ausland erfolgte Entstrickungsbesteuerung durch einen höheren Wertansatz und damit eine höhere Bewertung nach der Rückführung ausgeglichen werden. Dieses Ziel wird allerdings dann nicht erreicht, wenn der als Höchstwert vorgeschriebene gemeine Wert angesetzt werden muss. Hier kann eine Definitivbesteuerung von stillen Reserven eintreten, ohne dass eine entsprechende spätere Aufwandsverrechnung erfolgt. Beispiel: Die A GmbH mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Bonn überführt am 1.1.2015 eine Produktionsanlage in ihre österreichische Betriebsstätte. Die Anschaffungskosten am 1.1.2013 beliefen sich auf 1.200.000 Euro und die Nutzungsdauer der Produktionsanlage beträgt zwölf Jahre wobei die Abschreibung linear erfolgt. Am 1.1.2015 beläuft sich der gemeine Wert der Anlage auf 1.100.000 Euro. Ein Jahr später am 1.1.2016 wird die Anlage in das Stammhaus in Bonn rücküberführt. Der gemeine Wert bei Rücküberführung beträgt 990.000 Euro. Während der Zugehörigkeit der Produktionsanlage zum Stammhaus der A GmbH belaufen sich die fortgeführten Anschaffungskosten auf 1.000.000 Euro. Die Differenz zwischen dem Buchwert und dem gemeinen Wert i.H.v. 100.000 Euro stellen die stillen Reserven dar, um die das Wirtschaftsgut im Überführungszeitpunkt auf der Aktivseite der Steuerbilanz aufzustocken ist (sog. Step-up).2 Der korrespondierende Entstrickungsertrag wird in einem Ausgleichsposten gem. § 4g EStG auf der Passivseite der Steuerbilanz erfasst. Dieser ist in den folgenden vier Jahren gewinnerhöhend zu jeweils einem Fünftel aufzulösen, was 20.000 Euro p.a. entspricht. Im Anschluss an die Höherbewertung der Produktionsanlage erfolgt die Abschreibung auf Basis des gemeinen Werts über die verbleibende Nutzungsdauer, die sich jährlich auf 110.000 Euro beläuft. Ein Jahr später – am 1.1.2016 – beträgt der Buchwert der Anlage 890.000 Euro. Der Verstrickungswert bei Rücküberführung ermittelt sich aus den ursprünglich fortgeführten Anschaffungskosten i.H.v. 900.000 Euro, zzgl. 20.000 Euro aus der Auflösung des Ausgleichpostens über ein Jahr und der in Österreich versteuerten Differenz zwischen dem Buchwert (890.000 Euro) und dem gemeinen Wert (990.000 Euro) im Rückführungszeitraum i.H.v. 100.000 Euro. Der Verstrickungswert beläuft sich somit auf 1.020.000 Euro. Der sich daraus ergebene jährliche Abschreibungsbetrag der Produktionsanlage über die Restnutzungsdauer von sieben Jahren beträgt 125.500 Euro. Gemäß § 4g Abs. 3 Satz 2 EStG i.V.m. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO ist die Zuordnung des Wirtschaftsguts zur Betriebsstätte rückwirkend aufzuheben.

6.96 Anzeige- und Mitwirkungspflichten. Nach § 4g Abs. 5 Satz 1 EStG ist der Steuerpflichtige verpflichtet, der zuständigen Finanzbehörde die Entnahme, fiktive Veräußerung oder ein Ereignis gem. § 4g Abs. 2 EStG „unverzüglich anzuzeigen.“ Dies bedeutet, dass der Vorgang „ohne schuldhaftes Zögern“3 zu melden ist. Die in der Literatur erwähnte Frist von zwei Wochen nach Eintritt des Ereignisses4 ist dabei zu kurzfristig. Vielmehr erscheint – unter Berücksichtigung der üblichen Abläufe innerhalb eines Unternehmens – eine Frist von vier bis sechs Wochen angemessen zu sein. Darüber hinaus hat der Steuerpflichtige Wirtschaftsgüter, für die ein Ausgleichsposten nach § 4g Abs. 1 EStG gebildet wurde, in ein laufend zu führendes Verzeichnis aufzunehmen. Diese Aufzeichnungen müssen auch die Bildung und Auflösung des Ausgleichspostens dokumentieren. Sie sind nach § 4g Abs. 4 Satz 4 EStG der Steuererklärung beizufügen. Kommt der Steuerpflichtige seinen vorstehend dargestellten Anzeige-, Aufzeichnungs- und sonstigen Mitwirkungspflichten nach § 90 AO nicht nach, ist der Ausgleichsposten für die betreffenden Wirtschaftsgüter nach § 4g Abs. 5 Satz 2 EStG gewinnerhöhend aufzulösen. 1 Vgl. Benecke/Schnitger, IStR 2007, 22 (23); Kessler/Winterhalter/Huck, DStR 2007, 133 (136); Hoffmann, DB 2007, 652 (656); a.A. Kramer, DB 2007, 2338 (2342). 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 62. 3 § 121 Abs. 1 BGB. 4 Vgl. Kolbe in H/H/R, § 4g EStG Anm. J 06–13 m.w.N.

388

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.100 Kap. 6

Ausgleichsposten bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG. § 4g Abs. 4 Satz 1 EStG sieht ausdrücklich vor, dass die Bildung und Auflösung eines Ausgleichspostens auch bei der Gewinnermittlung gem. § 4 Abs. 3 EStG möglich ist. Dies setzt allerdings voraus, dass der Steuerpflichtige die entsprechenden Wirtschaftsgüter in ein laufend zu führendes Verzeichnis aufnimmt und damit den Ausgleichsposten getrennt ausweist. Darüber hinaus muss der Steuerpflichtige die Bildung und Auflösung des Ausgleichspostens aufzeichnen.1

6.97

4. Vereinbarkeit mit Abkommensrecht Abkommensrechtliches Besteuerungsrecht auf stille Reserven. Sowohl Art. 7 Abs. 2 OECDMA 2008 als auch Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 gewähren den Vertragsstaaten das Recht, in einem Wirtschaftsgut gebildete stille Reserven im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts zu besteuern (vgl. zu Einzelheiten Rz. 6.30 ff.). Dies gilt im Übrigen auch für die Besteuerung von unternehmensinternen Gebühren für die Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern (z.B. fiktive Lizenzgebühren), wobei sich unterschiedliche Rechtsfolgen aus dem OECD-MA 2008 und dem OECD-MA 2010 ergeben können (Rz. 6.79). Infolgedessen ist die in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG angeordnete Besteuerung stiller Reserven abkommensrechtlich möglich. Das Abkommensrecht lässt es dabei offen, in welchem Zeitpunkt die stillen Reserven besteuert werden; dies ist alleine Regelungsgegenstand des innerstaatlichen Rechts. Nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008/2010 ist infolgedessen eine sofortige Gewinnrealisierung genauso möglich wie eine aufgeschobene Besteuerung (Ausgleichspostenmethode) oder eine Besteuerung im Zeitpunkt der tatsächlichen Realisierung der stillen Reserven (vgl. Rz. 6.34).

6.98

III. Entstrickung von Betrieben und Teilbetrieben nach § 16 Abs. 3a EStG 1. Inhalt und konzeptionelle Grundlagen Finale Betriebsaufgabetheorie. Es entsprach der langjährigen Rechtsprechung2 des BFH, in analoger Anwendung des § 16 Abs. 3 EStG eine Betriebsaufgabe für die Fälle zu bejahen, in denen der Gewinn aus der Veräußerung eines Gewerbebetriebs nach Verlegung des Gewerbebetriebs aus dem Inland in das Ausland aufgrund eines DBA nicht mehr der deutschen Besteuerung unterliegt.3 Dies sollte dann der Fall sein, wenn das betreffende DBA eine Freistellung der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte vorsieht.

6.99

Kritik an der finalen Betriebsaufgabetheorie. Die Rechtsprechung des BFH wurde in der Literatur – vergleichbar zur finalen Entnahmetheorie (vgl. Rz. 6.10 ff.) – stark kritisiert. Diese stützte sich u.a. auf die ungerechtfertigt erweiternde Auslegung des Aufgabebegriffs. Denn bei einer Verlegung ins Ausland will der Unternehmer seine unternehmerische Tätigkeit tatsächlich nicht aufgeben.4 Vielmehr wird im Rahmen einer Betriebs- oder Teilbetriebsverlegung der Betrieb im Ausland in der Regel unverändert fortgeführt. Insoweit ist die bloße „Verlegung“ eines Betriebs von der „Aufgabe“ eines Betriebs streng zu unterscheiden. Dies

6.100

1 Vgl. § 4g Abs. 4 Satz 3 EStG. 2 Vgl. BFH v. 28.4.1971 – I R 55/66, BStBl. II 1971, 630; v. 13.10.1976 – I R 261/70, BStBl. II 1977, 76; v. 28.3.1984 – I R 191/79, BStBl. II 1984, 664 = FR 1984, 448. 3 Vgl. nur Wacker in Schmidt36, § 16 EStG Rz. 175; Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz. 490; Rapp in Littmann/Bitz/Pust, § 16 EStG Rz. 70; Sieker in Lademann, § 16 EStG Rz. 544. 4 Vgl. Kauffmann in Frotscher, § 16 EStG Rz. 144.

Ditz 389

Kap. 6 Rz. 6.101

Entstrickung und Verstrickung

wird im reinen Inlandsfall sowohl von der Rechtsprechung des BFH1 als auch von der Finanzverwaltung2 anerkannt und darf auch bei der Betriebsverlegung ins Ausland nicht anders gesehen werden. Im Ergebnis fehlte es hinsichtlich der Überführung eines Betriebs oder Teilbetriebs ins Ausland daher an einer Rechtsgrundlage zur Realisierung (und Besteuerung) der im Betrieb oder Teilbetrieb gebundenen stillen Reserven im Überführungszeitpunkt.

6.101 Aufgabe der finalen Betriebsaufgabetheorie. Mit seinen Urteilen vom 17.7.20083 sowie vom 28.10.20094 hat der BFH – mangels Rechtsgrundlage und Notwendigkeit einer Sofortbesteuerung – seine Rechtsprechung zur finalen Betriebsaufgabetheorie geändert.5 Denn bei einer Überführung von Wirtschaftsgütern bzw. Verlegung eines Betriebs vom Inland in das Ausland geht das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der zu diesem Zeitpunkt bestehenden stillen Reserven nicht endgültig verloren. Vielmehr kann es bei einer späteren Veräußerung insoweit ausgeübt werden. So unterliegen die vor Wegzug ins Ausland entstandenen stillen Reserven jedenfalls der beschränkten Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2a und Nr. 3 EStG und führen bei späterer Veräußerung zu nachträglichen Einkünften.6 Insoweit steht Deutschland gem. Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA auch das Besteuerungsrecht an den entsprechenden stillen Reserven zu.7 Dem steht aus abkommensrechtlicher Sicht nicht entgegen, dass die feste Einrichtung, in der die stillen Reserven erwirtschaftet worden sind, zum Zeitpunkt der Realisierung nicht mehr besteht. Allein die faktischen Schwierigkeiten beim Vollzug des späteren Besteuerungszugriffs sind – so der BFH – nicht geeignet, eine Rechtsgrundlage für eine Sofortbesteuerung zu schaffen.8

6.102 Reaktion der Finanzverwaltung und des Gesetzgebers. Das BMF hat die vorstehend dargestellte Rechtsprechungsänderung mit einem Nichtanwendungserlass belegt.9 Der Gesetzgeber reagierte zudem mit Einführung des § 16 Abs. 3a EStG im Rahmen des JStG 201010 auf die Aufgabe der finalen Betriebsaufgabetheorie durch den BFH. Nach dieser Vorschrift steht eine Aufgabe des Gewerbebetriebs dem Ausschluss oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter des Betriebs oder Teilbetriebs gleich. § 16 Abs. 3a EStG bezieht sich damit ausdrücklich auf die Sachgesamtheit eines Betriebs oder Teilbetriebs und den diesem zugeordneten „sämtlichen Wirtschaftsgütern“. Mit dem Verweis in § 16 Abs. 3a Halbs. 2 EStG auf § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG möchte der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen, dass die Vorschrift beispielhaft dann anzuwenden ist, wenn sämtliche Wirtschaftsgüter eines Betriebs oder Teilbetriebs nach seiner Aufgabe einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind.11

1 Vgl. BFH v. 28.6.2010 – IV R 23/00, BStBl. II 2003, 124 = FR 2001, 1115 m. Anm. Kanzler m.w.N. 2 Vgl. H 16 Abs. 2 EStH, „Betriebsverlegung“. 3 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149. 4 BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke. 5 Vgl. Stahl in Korn, § 16 EStG Rz. 384.2. 6 Vgl. Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz. 491. 7 Vgl. Reiß in Kirchhof, EStG16, § 16 Rz. 209a. 8 Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 unter B.I.7.b)bb)bbb) und ee); v. 18.11.2009, BStBl. II 2011, 1278 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke. 9 Vgl. BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671. 10 Vgl. JStG 2010 v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. § 16 Abs. 3a EStG ist vom Finanzausschuss aufgrund einer Anregung des Bundesrates in die Beschlussempfehlung aufgenommen worden. Vgl. BT-Drucks. 17/3449, 16 und 17/3549, 21. 11 Vgl. Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz. 494.

390

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.104 Kap. 6

2. Tatbestandsvoraussetzungen Fingierter Realisationstatbestand. Wird das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter eines Betriebs oder Teilbetriebs ausgeschlossen oder beschränkt, so fingiert § 16 Abs. 3a Halbs. 1 EStG eine Betriebsaufgabe. Mithin wird die fiktive Betriebsaufgabe von der Rechtsfolge her, dem Ausschluss oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts, definiert. Nach § 16 Abs. 3a Halbs. 2 EStG ist § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG entsprechend anzuwenden. Demnach ist das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts insbesondere dann ausgeschlossen oder beschränkt, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Unter den Anwendungsbereich § 16 Abs. 3a EStG fällt nach dem ausdrücklichen Wortlaut nur die Entstrickung sämtlicher Wirtschaftsgüter eines Betriebs oder Teilbetriebs, d.h., erforderlich ist zum einen die „Totalentnahme“ eines (Teil-)Betriebs. Zum anderen muss vor der Betriebsverlegung das Besteuerungsrecht an sämtlichen Wirtschaftsgütern des (Teil-)Betriebs bestanden haben. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass bereits einzelne Wirtschaftsgüter des (Teil-)Betriebs, die vor der Betriebsverlegung nicht steuerverstrickt waren oder danach steuerverstrickt bleiben, der Anwendung des § 16 Abs. 3a EStG entgegenstehen.1

6.103

Definition des Teilbetriebs. Bei dem gesetzlich nicht definierten Begriff des Teilbetriebs handelt es sich um einen Typusbegriff, der lediglich umschrieben, jedoch nicht abschließend definiert werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Teilbetrieb ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter, organisatorisch bzw. organisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebs, der für sich allein lebensfähig ist.2 Einen solchen können nur mehrere Wirtschaftsgüter zusammen bilden. Denn bei einem einzelnen Wirtschaftsgut handelt es sich um ein Betriebsmittel und nicht um einen Teilbetrieb. Von der Rechtsprechung wird dem Tatbestandsmerkmal des „organisch geschlossenen Teils eines Gesamtbetriebs“ keine hinreichend konkrete und von den anderen Kriterien des Teilbetriebs („gewisse Selbständigkeit“ und „Lebensfähigkeit“) abgrenzbare Bedeutung beigemessen. Damit sind im Ergebnis die Tatbestandsmerkmale „gewisse Selbständigkeit“ und „Lebensfähigkeit“ für das Vorliegen eines Teilbetriebs entscheidend. Bejaht man diese beiden Merkmale, ist regelmäßig auch ein organisch geschlossener Teil anzunehmen. „Lebensfähig“ ist ein Teil des Gesamtbetriebs dann, wenn er so strukturiert und – insbesondere mit Personal und Wirtschaftsgütern – ausgestattet ist, dass mit diesem eine eigenständige betriebliche Tätigkeit ausgeübt werden kann.3 Dazu ist in der Regel ein eigener Abnehmerkreis für die betrieblichen Leistungen erforderlich. Innerbetriebliche Organisationseinheiten, die nicht selbständig Leistungen am Markt anbieten, sind damit in der Regel nicht als Teilbetrieb zu qualifizieren.4 Das Kriterium der „gewissen Selbständigkeit“ erfordert, dass die dem (möglichen) Teilbetrieb zugeordneten Wirtschaftsgüter zusammen einer Betätigung dienen, die sich von der übrigen gewerblichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen deutlich abhebt.5 Eine völlige Selbständigkeit ist dabei nicht

6.104

1 Vgl. Hölscher, Die grenzüberschreitende Verlegung der Geschäftsleitung, 2012, 121 f. Ähnlich auch die Gesetzesbegründung, die von einer „Betriebsverlegung“ spricht, vgl. BT-Drucks. 17/3549 v. 28.10.2010, 17. 2 Vgl. BFH v. 18.10.1999 – GrS 2/98, BStBl. II 2000, 123 = FR 2000, 143 m. Anm. Kempermann; v. 13.2.1996 – VIII R 39/92, BStBl. II 1996, 409 = FR 1996, 529; v. 27.10.1994 – I R 107/93, BStBl. II 1995, 403 = FR 1995, 416; R 16 Abs. 3 Satz 1 EStR. 3 Vgl. BFH v. 19.2.1976 – IV R 179/72, BStBl. II 1976, 415 m.w.N. 4 Vgl. BFH v. 22.12.1993 – I R 62/93, BStBl. II 1994, 352 = FR 1994, 296. 5 Vgl. BFH v. 26.4.1979 – IV R 119/76, BStBl. II 1979, 557.

Ditz 391

Kap. 6 Rz. 6.105

Entstrickung und Verstrickung

erforderlich, denn dies würde schon einen eigenständigen Gesamtbetrieb kennzeichnen.1 Als Indizien für eine „gewisse Selbständigkeit“ gelten dabei z.B.:2 – Verwendung eigener Betriebsmittel, insbesondere eigenes Anlagevermögen;3 – Einsatz eigenen Personals;4 – gesonderte Buchführung bzw. Kostenrechnung;5 – eigener Kundenstamm; – eigene Vertragsverhandlung mit selbständiger Preisgestaltung gegenüber Kunden;6 – örtliche Trennung. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob ein Teilbetrieb vorliegt, sind die Verhältnisse beim inländischen Stammhaus vor der Betriebs- oder Teilbetriebsverlagerung.7 Dabei müssen für die Qualifikation eines Teilbetriebs die genannten Voraussetzungen nicht vollständig vorliegen; entscheidend ist vielmehr das Gesamtbild der Verhältnisse.8 Ferner muss der Teilbetrieb nicht bereits in jeder Hinsicht voll ausgebildet sein. Ausreichend ist auch ein sog. „Teilbetrieb im Aufbau“, der seine werbende Tätigkeit noch nicht aufgenommen hat. Ein solcher im Aufbau befindlicher Teilbetrieb liegt vor, wenn die wesentlichen Betriebsgrundlagen bereits vorhanden sind und bei zielgerechter Weiterverfolgung des Aufbauplans ein selbständig lebensfähiger Organismus zu erwarten ist.9

6.105 Doppeltes „Alles-oder-nichts-Prinzip“. Die fiktive Realisation des § 16 Abs. 3a EStG setzt den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter (wenigstens) eines Teilbetriebs voraus. Dies impliziert drei kumulativ zu erfüllende Bedingungen: Es muss zunächst ein solches deutsches Besteuerungsrecht bestehen; das Besteuerungsrecht muss im Zuge der Betriebsverlegung ausgeschlossen oder beschränkt werden; beides, d.h., das ursprüngliche Besteuerungsrecht und der Ausschluss/die Beschränkung, muss sich auf den Gewinn aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter des (Teil-)Betriebs erstrecken. Insoweit handelt es sich um ein doppeltes „Alles-oder-nichts-Prinzip“.10

6.106 Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Ein deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter eines (Teil-)Betriebs besteht, wenn dieser Gewinn der Einkommen- oder Körperschaftsteuer unterliegen würde (vgl. Rz. 6.49 ff.). Dies ist zum einen dann der Fall, wenn der (Teil-)Betrieb im Inland belegen ist bzw. von einem im Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen im Nicht-DBA-Ausland oder im DBA-Ausland mit Anrechnungsmethode unterhalten wird. Denn in diesen Fällen steht dem 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. BFH v. 15.3.1984 – IV R 189/81, BStBl. II 1984, 486 = FR 1984, 425. Vgl. Reiß in Kirchhof16, § 16 EStG Rz. 56; Wacker in Schmidt36, § 16 EStG Rz. 148. Vgl. BFH v. 23.11.1988 – X R 1/86, BStBl. II 1989, 376 = FR 1989, 278. Vgl. BFH v. 12.4.1989 – I R 105/85, BStBl. II 1983, 113. Vgl. BFH v. 12.9.1979 – I R 146/76, BStBl. II 1980, 51 = FR 1980, 23. Vgl. BFH v. 23.11.1988 – X R 1/86, BStBl. II 1989, 376 = FR 1989, 278. Vgl. BFH v. 18.10.1999 – GrS 2/98, BStBl. II 2000, 123 = FR 2000, 143 m. Anm. Kempermann. Vgl. BFH v. 13.7.1998 – VIII B 82/97, BFH/NV 1999, 38. Vgl. BFH v. 1.2.1989 – VIII R 33/85, BStBl. II 1989, 458 = FR 1989, 334; v. 3.4.2014 – IV R 12/10, BStBl. II 2014, 1000 = FR 2014, 1023 m. Anm. Wendt; H 16 Abs. 3 EStH „Teilbetriebe im Aufbau“. 10 Vgl. Hölscher, Die grenzüberschreitende Verlegung der Geschäftsleitung, 2012, 122.

392

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.107 Kap. 6

Welteinkommensprinzip des § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG bzw. § 1 Abs. 2 KStG keine Verpflichtung zur Freistellung solcher Einkünfte gem. DBA entgegen. So besteht ein Besteuerungsrecht auch, wenn der (Teil-)Betrieb im DBA-Ausland mit Anrechnungsmethode belegen ist, wonach die ausländischen Steuern gem. § 34c EStG bzw. § 26 Abs. 1 KStG anzurechnen sind. Denn die Anrechnung ausländischer Steuern impliziert ja das grundsätzliche Bestehen eines deutschen Besteuerungsrechts. Auch in den Fällen beschränkter Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 4 EStG bzw. § 2 Nr. 1 KStG i.V.m. § 49 EStG besteht ein deutsches Besteuerungsrecht an inländischen Einkünften, wenn der (Teil-)Betrieb im Inland belegen ist. Hingegen besteht für den Fall eines (Teil-)Betriebs im DBA-Ausland mit Freistellungsmethode grundsätzlich kein deutsches Besteuerungsrecht am Gewinn aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter dieses (Teil-)Betriebs. Denn gem. Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art 23A Abs. 1 OECD-MA steht dann das Besteuerungsrecht dem anderen Staat zu. Ein solches Besteuerungsrecht kann sich in diesem Fall allerdings aus § 50d Ab. 9 EStG ergeben, wenn der Veräußerungsgewinn im DBA-Ausland von der Besteuerung ausgenommen oder nur mit einem begrenzten Steuersatz besteuert wird oder dort nicht steuerpflichtig ist, weil er von einer dort nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Person bezogen wird.1 Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts. Fraglich ist, ob die Tatbestandsvoraussetzung des Ausschlusses oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des „Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter eines (Teil-)Betriebs“ im Ergebnis geeignet sind, die Entstrickung eines Betriebs oder Teilbetriebs anzuordnen.2 Folgt man der in den Urteilen des BFH vom 17.7.20083 sowie vom 28.10.20094 geäußerten Rechtsauffassung, so besteht das deutsche Besteuerungsrecht an den bis zum Zeitpunkt der Betriebsverlegung entstandenen stillen Reserven des (Teil-)Betriebs weiter fort bzw. kann auch bei einer späteren Veräußerung ausgeübt werden. Hingegen besteht an den künftig noch entstehenden stillen Reserven im Zeitpunkt der Betriebsverlegung kein deutsches Besteuerungsrecht, das ausgeschlossen oder eingeschränkt werden könnte.5 Nur diese künftig erst entstehenden stillen Reserven können aber nach einer Betriebsverlegung vom Inland in das Ausland nicht mehr durch die Bundesrepublik Deutschland besteuert werden.6 Zwar bestehen hinsichtlich der vergangenheitsbezogenen Zuordnung stiller Reserven praktische Schwierigkeiten; denn je länger die Zuordnung zeitlich zurückliegt, desto schwieriger ist es, diese festzustellen. Zudem können sich die (im Zeitpunkt der Betriebsverlegung) bestehenden stillen Reserven im Laufe der Zeit verflüchtigen und anschließend neu bilden.7 Diese praktischen Erwägungen können indes dahinstehen.8 Denn obige Rechtsauffassung verkennt, dass der Gesetzgeber ausdrücklich auch solche Konstellationen durch § 16 Abs. 3a i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG erfassen will, die entsprechend der (neuen) Argumentationslinien des BFH nicht als gewinnrealisierende Betriebsaufgabe qualifizieren. So entspricht es der ausdrücklich durch den Gesetzgeber geäußerten Zielsetzung, die „bisherige […] jahrzehntelang praktizierte […] BFH-Rechtsprechung“ umzusetzen und eine „Besteuerung der im Inland entstandenen stillen Reserven sicher[zu]stell[en]“, wenn „ein Unternehmer […] seinen bisher im Inland an1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Hölscher, Die grenzüberschreitende Verlegung der Geschäftsleitung, 2012, 129. Vgl. Gosch, IStR 2015, 715; Reiß in Kirchhof16, § 16 EStG Rz. 209b m.w.N. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke. Vgl. Hölscher, Die grenzüberschreitende Verlegung der Geschäftsleitung, 2012, 126 f. m.w.N. Vgl. Reiß in Kirchhof16, § 16 EStG Rz. 209a. Vgl. Wassermeyer, IStR 2010, 465. Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke unter B.I.7.b)ee).

Ditz 393

6.107

Kap. 6 Rz. 6.108

Entstrickung und Verstrickung

sässigen Betrieb vollständig in einen ausländischen Staat verlegt […] (Totalentnahme im Inland)“.1 Der dem § 16 Abs. 3a EStG durch den Gesetzgeber zugedachte Sinn und Zweck ist somit eindeutig, so dass die Vorschrift grundsätzlich anwendbar ist.2 Gleichwohl ist zu beachten, dass zwar der Wortlaut des § 16 Abs. 3a EStG – unter Berücksichtigung der (neuen) Rechtsprechung des BFH – die „Totalentnahme im Inland“ nicht erfasst (vgl. Rz. 6.101).3 Durch den Verweis des § 16 Abs. 3a Halbs. 2 EStG auf § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG bringt der Gesetzgeber aber unmissverständlich zum Ausdruck, wann von einer gewinnrealisierenden Betriebsaufgabe auszugehen ist.4 Denn dieser Verweis ist als Klarstellung des Hauptanwendungsfalls des § 16 Abs. 3a EStG zu verstehen. Liefe § 16 Abs. 3a EStG indes leer, so läge eine solche klarstellende Wirkung nicht vor.5 Mithin ist von einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts auszugehen, wenn sämtliche Wirtschaftsgüter eines (Teil-)Betriebs vom Inland in das Ausland verlegt werden.6 Insoweit ist auch unbeachtlich, ob die Besteuerung der bis zum Entstrickungsvorgang gebildeten stillen Reserven durch Freistellung oder Anrechnung ausgeschlossen oder beschränkt wird.7

6.108 Ausschluss des Besteuerungsrechts. Ein bestehendes Besteuerungsrecht wird ausgeschlossen, wenn es durch den Vorgang der Betriebsverlegung gänzlich entfällt.8 Dabei führt die Verlegung eines (Teil-)Betriebs vom Inland in das Ausland tatsächlich nicht zu einem Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts. Denn ungeachtet der Frage, ob mit dem ausländischen „Zielstaat“ der Betriebsverlegung ein DBA abgeschlossen wurde bzw. welche Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung darin vereinbart ist, besteht das deutsche Besteuerungsrecht an den bis zum Zeitpunkt der Betriebsverlegung entstandenen stillen Reserven – trotz praktischer Schwierigkeiten bei der Zuordnung stiller Reserven und der Durchsetzung des Besteuerungsrechts – weiter fort.9 Das Gleiche gilt für den Fall, dass ein in einem ausländischen Staat belegener (Teil-)Betrieb in einen anderen ausländischen Staat verlegt wird. Denn hier hat entweder von vornherein kein deutsches Besteuerungsrecht bestanden (DBA mit Freistellungsmethode) oder ein bestehendes deutsches Besteuerungsrecht an den bis zur Verlegung entstandenen stillen Reserven existiert weiterhin. Dies gilt auch für einen (Teil-)Betrieb eines im Inland Steuerpflichtigen, der in einem ausländischen Staat belegen ist, mit welchem erstmalig ein DBA mit Freistellungsmethode abgeschlossen bzw. ein bestehendes DBA entsprechend geändert wird (vgl. Rz. 6.60). Denn es bleibt auch hier ein Besteuerungsrecht an den bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des DBA entstandenen stillen Reserven bestehen.10 So hat auch der BFH – zur Rechtslage vor Einführung des § 16 Abs. 3a EStG – eine Realisierung der in den Wirtschaftsgütern einer ausländischen Betriebsstätte enthaltenen stillen Reserven für den Fall abgelehnt, dass nach Betriebsverlegung ins Ausland mit dem betreffenden Staat ein DBA mit Freistellungsmethode abschlossen wird.11 Gleichwohl ist aufgrund der durch den Gesetzgeber unmissverständlich geäußerten Zielsetzung von einem Aus1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. BT-Drucks. 17/3549, 17. A.A. Gosch, IStR 2015, 709 (715) m.w.N. Vgl. Rapp in Littmann/Bitz/Pust, § 16 EStG Rz. 70a. Vgl. Reiß in Kirchhof16, § 16 EStG Rz. 209b f. m.w.N. Siehe auch Lampert in Gosch, § 12 KStG Rz. 12 f. m.V.a. BT-Drucks. 17/3549, 25 f. Vgl. Sieker in Lademann, § 16 EStG Rz. 544b. Vgl. Reiß in Kirchhof16, § 16 EStG Rz. 209b f. m.w.N. Vgl. Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961 m.w.N. Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke; Gosch, IStR 2015, 715 m.w.N.; Kulosa in H/H/R, § 16 EStG Rz. 625. 10 Vgl. Reiß in Kirchhof16, § 16 EStG Rz. 209a. 11 Vgl. BFH v. 16.12.1975 – VIII R 3/74, BStBl. II 1976, 246.

394

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.111 Kap. 6

schluss des deutschen Besteuerungsrechts i.S.d. § 16 Abs. 3a EStG auszugehen, wenn sämtliche Wirtschaftsgüter eines (Teil-)Betriebs ins DBA-Ausland mit Freistellungsmethode verlegt werden.1 Die Tatbestandsvoraussetzung „Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts“ läuft somit nicht ins Leere. Beschränkung des Besteuerungsrechts. Unter die Voraussetzung einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ist nach der hier vertretenen Auffassung sowohl die konkrete Beschränkung als auch die abstrakte Gefährdung des Besteuerungsrechts zu fassen (vgl. Rz. 6.70 f.). Im Zusammenhang mit dem Besteuerungsrecht an dem Gewinn aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter eines (Teil-)Betriebs ist von einer Beschränkung somit auszugehen, wenn sämtliche Wirtschaftsgüter eines (Teil-)Betriebs ins DBA-Ausland mit Anrechnungsmethode bzw. ins Nicht-DBA-Ausland verlegt werden.2

6.109

Rückwirkende Anwendung. Gemäß § 52 Abs. 34 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2010 ist § 16 Abs. 3a EStG in allen offenen Fällen, d.h. auch auf Veranlagungszeiträume vor 2010 und somit rückwirkend anzuwenden. Diese Rückwirkung ist verfassungsrechtlich bedenklich, führt sie doch zu einer echten Rückwirkung, für die keine Rechtfertigung3 ersichtlich ist.4 Eine Anwendung des § 16 Abs. 3a EStG kommt daher aus verfassungsrechtlichen Gründen erst ab dem Veranlagungszeitraum 2010 in Betracht.

6.110

3. Rechtsfolgen Besteuerung stiller Reserven. Die fiktive Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3a EStG führt im Zeitpunkt der Verlegung sämtlicher Wirtschaftsgüter eines (Teil-)Betriebs ins Ausland zu einer Gewinnrealisierung. Infolgedessen kommt es zu einer sofortigen Aufdeckung und Versteuerung sämtlicher im Inland entstandenen und im (Teil-)Betrieb angesammelten stillen Reserven.5 Da der (Teil-)Betrieb nicht tatsächlich aufgegeben bzw. veräußert wird, ist er als Ganzes mit seinem gemeinen Wert6 anzusetzen.7 Da die Bestimmung des gemeinen Werts eines (Teil-)Betriebs regelmäßig ertragswertorientiert zu erfolgen hat, kommt es infolgedessen – zumindest nach Auffassung der Finanzverwaltung – auch zur Aufdeckung eines Geschäftsoder Firmenwerts. Der sofortigen Aufdeckung und Versteuerung der im (Teil-)Betrieb ruhenden stillen Reserven kann indessen die Rechtsprechung des BFH entgegengehalten werden.8 Folgt man dieser Auffassung, kann durch den Wortlaut des § 16 Abs. 3a EStG sein eigentlicher Sinn und Zweck nicht umgesetzt werden. Dies hätte zur Folge, dass die Realisierung stiller Reserven aus einem ins Ausland übertragenen Betrieb bzw. Teilbetrieb erst erfolgen kann, wenn die stillen Reserven im Ausland tatsächlich realisiert werden. Dies ist typischerweise erst im Zeitpunkt des Verkaufs des Betriebs/Teilbetriebs oder seiner tatsächlichen Aufgabe der Fall. 1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28; Wacker in Schmidt36, § 16 EStG Rz. 175. Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28; Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht22, § 9 Rz. 471. Vgl. Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht22, § 3 Rz. 269. So auch Sieker in Lademann, § 16 EStG Rz. 545d ff.; Rapp in Littmann/Bitz/Pust, § 16 EStG Rz. 70 m.w.N.; a.A. Reiß in Kirchhof16, § 16 EStG Rz. 208c. Vgl. Stahl in Korn, § 16 EStG Rz. 384.2; BT-Drucks. 17/3549, 17; BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671; v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278. Vgl. § 16 Abs. 3a i.V.m. Abs. 3 Satz 7 EStG. Vgl. Kulosa in H/H/R, § 16 EStG Rz. 630. Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke.

Ditz 395

6.111

Kap. 6 Rz. 6.112

Entstrickung und Verstrickung

6.112 Steuerliche Begünstigung. Der aufgrund der fingierten Betriebsaufgabe zu versteuernde Gewinn i.S.d. § 16 Abs. 2 EStG ist unter den Voraussetzungen der §§ 16 Abs. 4, 34 EStG – für natürliche Personen – begünstigt. Nach § 16 Abs. 4 EStG wird auf Antrag ein abschmelzender Freibetrag i.H.v. 45.000 Euro gewährt, wenn der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder dauernd berufsunfähig ist. Zudem kommt auf die außerordentlichen Einkünfte gem. § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 EStG die sog. Fünftelregelung oder, wenn der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder dauernd berufsunfähig ist, auf Antrag einmalig insoweit der ermäßigte Steuersatz gem. § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 EStG zur Anwendung.

6.113 Stundung der Steuer. Da § 16 Abs. 3a EStG die Betriebsaufgabe bzw. -veräußerung lediglich fingiert,1 d.h., es nicht zu einer tatsächlichen Realisation kommt, sieht § 36 Abs. 5 EStG eine Entlastung des Steuerpflichtigen vor. Demnach kann auf Antrag die festgesetzte Steuer, die auf den Aufgabegewinn entfällt, in fünf gleichen, unverzinslichen Jahresraten entrichtet werden, wenn die Entstrickung auf eine Verlegung des Betriebs oder Teilbetriebs in einen EU/ EWR-Mitgliedstaat zurückzuführen ist und durch diesen Staat Amtshilfe geleistet wird. Zu den daraus resultierenden unionsrechtlichen Implikationen vgl. Rz. 12.28. 4. Vereinbarkeit mit Abkommensrecht

6.114 Abkommensrechtliches Besteuerungsrecht auf die stillen Reserven eines Betriebs/Teilbetriebs. Sowohl Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 als auch Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 gewähren den Vertragsstaaten das Recht, in einem Betrieb/Teilbetrieb gebildete stille Reserven im Zeitpunkt seiner Überführung in den anderen Vertragsstaat zu realisieren und zu besteuern. Infolgedessen ist die in § 16 Abs. 3a EStG angeordnete Besteuerung stiller Reserven abkommensrechtlich „gedeckt“. Dies gilt im Übrigen auch für die steuerliche Begünstigung gem. §§ 16 Abs. 4, 34 EStG (vgl. Rz. 6.112) sowie für die Steuerstundungsregelung in § 36 Abs. 5 EStG (vgl. Rz. 6.113).

IV. Entstrickung von Vermögenswerten nach § 1 AStG und der BsGaV 1. Inhalt und konzeptionelle Grundlagen a) Umsetzung des AOA in Art. 7 OECD-MA 2010

6.115 Eingeschränkte Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte im OECD-MK 1994 zu Art. 7 OECD-MA. Der OECD-MK wurde 1994 aufgrund eines Sonderberichts der OECD unter dem Titel „Attribution of Income to Permanent Establishments“ vom 26.11.19932 grundlegend überarbeitet und in dieser Fassung bis 2008 nicht wieder angepasst. Der Bericht beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Reichweite der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte. In diesem Zusammenhang wird zunächst ein „Methodendualismus“ der OECDMitgliedstaaten konstatiert,3 wobei im Kern die Frage erörtert wird, inwieweit ein marktori1 Vgl. Sieker in Lademann, § 16 EStG Rz. 544b. 2 Vgl. OECD, Attribution of Income to Permanent Establishments, Paris 1993. Dieser Bericht wird im Schrifttum – trotz seiner Verabschiedung in 1993 – stets als OECD-Betriebsstättenbericht 1994 zitiert. 3 Zu einer Zusammenfassung des OECD-Betriebsstättenberichts 1994 vgl. Menck, IStR 1994, Beihefter 5, 1; Loukota in Lang/Loukota/Lüthi, Die Weiterentwicklung des OECD-Musterabkommens, 53 (59 ff.); zur Kritik s. Romyn, Intertax 1994, 470 ff.; Sieker, DB 1996, 110 (111 ff.).

396

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.115 Kap. 6

entierter Preis bzw. bloße Aufwendungen für Leistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zu verrechnen sind. Die OECD stellt dazu grundlegend fest, dass das in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA kodifizierte Fremdvergleichsprinzip mit dem des Art. 9 OECD-MA für verbundene Unternehmen übereinstimmt.1 Eine solche Interpretation der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte wird durch Art. 7 Tz. 12.1 OECD-MK 1994 unterstützt, nach der zwar unternehmensinternen Vereinbarungen keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt, jedoch derartige „Agreements“ steuerlich zu beachten sind, wenn sie den betrieblichen Funktionen Rechnung tragen und bei der Betriebsstätte und dem Stammhaus „spiegelbildlich“ angewandt werden. Hinsichtlich der Behandlung einzelner unternehmensinterner Lieferungs- und Leistungsbeziehungen schränkt der OECD-MK 1994 die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes jedoch erheblich ein:2 – Grundsätzlich sind Lieferungs- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte mit einem „Verkaufspreis“, d.h. mit einem angemessenen Gewinnaufschlag, zu verrechnen, wenn das „Unternehmen im normalen Gang seiner Geschäftsführung“3 auch gegenüber einem Dritten einen solchen in Rechnung stellen würde.4 – Vor diesem Hintergrund ist nach dem OECD-MK 1994 zu Art. 7 OECD-MA die Überführung von Waren in Form von Fertigprodukten, Rohmaterialien oder Halbfertigfabrikaten in eine im anderen Vertragsstaat belegene Betriebsstätte grundsätzlich mit dem Fremdvergleichspreis zu verrechnen, wobei „ein nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs zu bemessender Gewinn“5 zu berücksichtigen ist. Analog sei auch bei der Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens vorzugehen, wobei zutreffend (vgl. Rz. 6.34) darauf hingewiesen wird, dass sich der Zeitpunkt der Gewinnrealisierung nach innerstaatlichen Gewinnermittlungsvorschriften bestimmt.6 – Im Rahmen der Nutzungsüberlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern sind dagegen die tatsächlich entstandenen Kosten „ohne jeden Gewinn- oder Lizenzaufschlag“7 aufzuteilen. Eine unternehmensinterne Verrechnung von Lizenzgebühren ist daher im OECDMK 1994 nicht vorgesehen. – Auch im Hinblick auf die zeitlich befristete Überlassung von materiellen Wirtschaftsgütern8 sowie für die Überlassung von Finanzmitteln bzw. die Erbringung von Finanzdienstleistungen9 ist eine bloße Kostenverrechnung (ohne Gewinnaufschlag) vorgesehen. Eine Ausnahme zu dieser Grundregel besteht lediglich für geld- und kreditwirtschaftliche Unternehmen, „weil die Gewährung und Entgegennahme von Krediten in engem Zusammenhang mit der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit dieser Unternehmen steht.“10

1 Vgl. Art. 7 Tz. 11 OECD-MK 1994. 2 Zu Einzelheiten vgl. Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 116 ff.; Plansky, Die Gewinnzurechnung zu Betriebsstätten im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 165 ff. 3 Art. 7 Tz. 17.1 OECD-MK 1994 und Art. 7 Tz. 31 OECD-MK 2008. 4 Vgl. ferner Art. 7 Tz. 17.2 OECD-MK 1994 und Art. 7 Tz. 32 OECD-MK 2008. 5 Art. 7 Tz. 17.3 OECD-MK 1994 und Art. 7 Tz. 33 OECD-MK 2008. 6 Vgl. Art. 7 Tz. 15 OECD-MK 1994 und Art. 7 Tz. 21 f. OECD-MK 2008. Ein derartiger Hinweis war in Art. 7 Tz. 17 OECD-MK 1977 noch nicht enthalten. 7 Art. 7 Tz. 17.4 OECD-MK 1994 und Art. 7 Tz. 34 OECD-MK 2008. 8 Vgl. Art. 7 Tz. 17.3 OECD-MK 1994 und Art. 7 Tz. 33 OECD-MK 2008. 9 Vgl. Art. 7 Tz. 18 ff. OECD-MK 1994 und Art. 7 Tz. 41 ff. OECD-MK 2008. 10 Art. 7 Tz. 19 OECD-MK 1994 und Art. 7 Tz. 49 OECD-MK 2008.

Ditz 397

Kap. 6 Rz. 6.116

Entstrickung und Verstrickung

– Erbringt ein Unternehmensteil Dienstleistungen, die „ganz oder teilweise Gegenstand des Unternehmens“ sind und existieren für deren Erbringung „standardisierte Entgelte“,1 soll ein Fremdvergleichspreis verrechnet werden. Im Weiteren sind die zu verrechnenden Kosten ebenfalls um einen Gewinnaufschlag zu erhöhen, wenn eine von der Betriebsstätte an das Stammhaus und/oder an andere Betriebsstätten erbrachte Dienstleistungen deren „Haupttätigkeit“ darstellt und die entsprechenden Kosten einen „bedeutsamen Teil des Unternehmensaufwands“2 ausmachen. – Leistungen der Geschäftsführung sind nach Maßgabe des OECD-MK 1994 ebenfalls lediglich in Höhe der angefallenen Aufwendungen zu verrechnen.3 Die vorstehende Betrachtung macht offensichtlich, dass die OECD im OECD-MK 1994 von einer nur eingeschränkten Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung ausgeht.

6.116 Uneingeschränkte Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte im OECD-Betriebsstättenbericht 2008. Nachdem auch der auf Basis des OECD-Betriebsstättenberichts 1994 angepasste OECD-MK nicht zu einer einheitlichen Auslegung der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte führte, hat die OECD das Thema der Betriebsstättengewinnabgrenzung bereits im Jahr 2001 erneut aufgegriffen und einen ersten Entwurf im Hinblick auf eine uneingeschränkte Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung veröffentlicht.4 Die Arbeiten des OECD-Steuerausschusses mündeten – nach weiteren Berichtsentwürfen im Dezember 20065 und August 20076 – in einem konsolidierten OECD-Betriebsstättenbericht „Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments“, welcher am 17.7.2008 veröffentlicht wurde (kurz: OECD-Betriebsstättenbericht 2008).7 In diesem Bericht wurde der „Functionally Separate Entity Approach“ als „Authorised OECD Approach“ definiert.8 Mit dem AOA hat der Steuerausschuss der OECD erstmals ein ganzheitliches Konzept zur Auslegung der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für Zwecke der Gewinnabgrenzung definiert, welcher weit über die Analyse der Betriebsstättengewinnabgrenzung i.S.d. Art. 7 im OECD-Betriebsstättenbericht 1994 (vgl. Rz. 6.115) hinausgeht. Kernthese ist dabei eine uneingeschränkte Umsetzung der Selbständigkeitsfiktion der

1 2 3 4 5 6 7 8

Art. 7 Tz. 17.5 OECD-MK 1994 (beide Zitate) und Art. 7 Tz. 35 OECD-MK 2008. Art. 7 Tz. 17.6 OECD-MK 1994 (beide Zitate) und Art. 7 Tz. 36 OECD-MK 2008. Vgl. Art. 7 Tz. 21 f. OECD-MK 1994 und Art. 7 Tz. 38 OECD-MK 2008. Vgl. OECD, Discussion Draft on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Paris Februar 2001 und dazu Ditz, IStR 2005, 37 ff. Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments – Part I (General Considerations), II (Banks) and III (Global Trading), Paris Dezember 2006; vgl. dazu Förster, IStR 2007, 398 ff.; Bennett/Russo, ITPJ, September/October 2007, 279 ff. Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments – Part IV (Insurance) – revised Public Discussion Draft, Paris August 2007; vgl. dazu Förster, IStR 2008, 800. Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 17.7.2008, Paris 2008. Vgl. dazu auch Kroppen in FS Herzig, 1072 ff.; Kosch, IStR 2010, 42 ff.; Bennett, ET 2008, 467 ff. Zur Entwicklung des AOA vgl. auch Ditz, IStR 2002, 210 ff.; Förster/Naumann, IWB 2004, Fach 10, Gruppe 2, 1777 ff.; Russo, BIFD 2004, 479 ff.; Bennett/Dunahou, Intertax 2005, 51 ff.; Ditz, IStR 2005, 37 ff.; Russo, ITPJ 2005, 7 (10 ff.); Förster, IWB 2007, Fach 10, Gruppe 2, 1929 ff.; Förster, IWB 2007, Fach 10, Gruppe 2, 1939 ff.; Förster, IWB 2007, Fach 10, Gruppe 2, 1947 ff.; Bennett/ Russo, ITPJ 2007, 279 ff.; Kroppen in FS Herzig, 1071 ff.; Konrad, IStR 2003, 786 ff.; Ditz, ISR 2012, 48 ff.

398

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.117 Kap. 6

Betriebsstätte gem. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA, wobei die Betriebsstättengewinnabgrenzung in zwei Stufen vorzunehmen ist.1 Stufe 1 des AOA. Im Rahmen der ersten Stufe der Betriebsstättengewinnabgrenzung ist – unter Berücksichtigung der Betriebsstätte als fiktiv eigen- und selbständiges Unternehmen – eine detaillierte Funktionsanalyse durchzuführen (vgl. Rz. 5.17 ff.).2 Im Rahmen dieser Funktionsanalyse, welche sich an die Vorgaben der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 20103 anlehnt, werden die von den einzelnen Unternehmensteilen ausgeübten Funktionen, von ihnen wahrgenommenen Risiken und von ihnen eingesetzten Wirtschaftsgüter sowie die daraus resultierenden unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen im Einzelnen analysiert.4 Den konkreten Maßstab für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken bilden dabei die wesentlichen Personalfunktionen („Significant People Functions“), welche Grundlage der Zuordnung von Wirtschaftsgütern (vgl. Rz. 5.21 ff.) und Risiken (vgl. Rz. 5.29 ff.) zu den unternehmerischen Teileinheiten bilden. Ferner wird in der ersten Stufe der Betriebsstättengewinnabgrenzung die Frage analysiert, in welcher Art und Weise Funktionen von der Betriebsstätte ausgeübt werden, z.B. als eigenständige Funktion der Betriebsstätte oder als Dienstleistung für einen anderen Unternehmensteil.5 Im Rahmen der Funktionsanalyse ist auch zu analysieren, welche Auswirkungen von der Funktionsausübung der Betriebsstätte auf die Erwirtschaftung von Gewinnen ausgehen, d.h., ob es sich bei der entsprechenden Funktion um eine Neben- oder Unterstützungsfunktion (Routinefunktion) oder um eine Hauptfunktion (strategische Funktion) handelt. Im Einzelnen:6 – Zuordnung von Risiken: Während zwischen verbundenen Unternehmen Risiken über entsprechende vertragliche Vereinbarungen zugeordnet werden können, ist dies – aufgrund der zivilrechtlichen Einheit zwischen Stammhaus und Betriebsstätte – im internationalen Einheitsunternehmen nicht möglich. Für Zwecke der Gewinnabgrenzung sind daher die Risiken des Gesamtunternehmens (z.B. Absatz-, Markt-, Preis-, Lager-, Kredit-, Währungs- und Gewährleistungsrisiko) den betrieblichen Teileinheiten unter Berücksichtigung der wesentlichen Personalfunktionen zuzuordnen.7 – Zuordnung von Wirtschaftsgütern: Die Zuordnung von Wirtschaftsgütern (vgl. Rz. 6.53 ff.) erfolgt auf Basis eines funktionalen Zusammenhangs.8 Während in Bezug auf materielle Wirtschaftsgüter i.d.R. der Ort der Nutzung entscheidend ist,9 ist die Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter davon abhängig, in welchem Unternehmensteil die wesentlichen Personalfunktionen im Hinblick auf das entsprechende immaterielle Wirtschaftsgut ausgeübt werden.10 Maßgeblich sind dabei die Entscheidung über das Entwicklungsrisiko und dessen Verwaltung.11 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 85 ff.; Ditz/Schneider, DStR 2010, 81 (82 f.). Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 86 ff.; VWG BsGa, Rz. 26. Vgl. dazu Ditz in S/D, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 52 f. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 86 ff. Siehe ferner Ditz, ISR 2012, 48 ff.; Kahle/ Mödinger, IStR 2010, 757 (759); Förster, IWB 2007, Fach 10, Gruppe 2, 1929 (1930); Förster/Naumann/Rosenberg, IStR 2005, 617 (621 f.); Ditz, IStR 2005, 37 (38 f.). Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 89. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 91; Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 104/1 ff.; Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 23 ff. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 97 und 99 f.; VWG BsGa, Rz. 117 ff. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 101. Vgl. VWG BsGa, Rz. 76 ff. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 104 ff. und 114 ff.; VWG BsGa, Rz. 85 ff. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 116.

Ditz 399

6.117

Kap. 6 Rz. 6.118

Entstrickung und Verstrickung

– Zuordnung von Dotationskapital: Der Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken zur Betriebsstätte ist ihre Dotation mit „freiem“ Kapital nachgelagert (vgl. Rz. 5.33 ff.).1 Die Zuordnung wesentlicher Personalfunktionen zur Betriebsstätte hat damit unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe ihres Dotationskapitals. In diesem Zusammenhang beschreibt der OECD-Betriebsstättenbericht 2008 mehrere Methoden (einschließlich ihrer Vor- und Nachteile), auf Basis welcher das Dotationskapital der Betriebsstätte ermittelt werden kann.2 Dabei gilt der Grundsatz, dass die Betriebsstätte über ausreichend Eigenkapital verfügen muss, um die ihr wahrgenommenen Funktionen, die ihr zugeordneten Wirtschaftsgüter und die von ihr übernommenen Risiken finanzieren zu können.3

6.118 Stufe 2 des AOA. Der AOA erkennt Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte an.4 Dies gilt nicht nur in Bezug auf unternehmensinterne Warenlieferungen, sondern bezieht sich auf sämtliche, zwischen unabhängigen Dritten denkbaren Leistungsbeziehungen (wie z.B. Dienstleistungen sowie die Nutzungsüberlassung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern).5 Zur konkreten Bepreisung der unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen (sog. „Dealings“) kommen dabei die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze, d.h. die Preisvergleichs-, die Wiederverkaufspreis- und die Kostenaufschlagsmethode sowie die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden, zur Anwendung.6 Dies gilt sowohl für die Überführung von materiellen7 und immateriellen8 Wirtschaftsgütern als auch für die Erbringung unternehmensinterner Dienstleistungen.9 Die noch im OECD-Betriebsstättenbericht 1994 bzw. im OECD-MK 1994 vorgesehene Beschränkung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die Überführung von Wirtschaftsgütern wird damit im OECD-Betriebsstättenbericht 2008 abgelehnt. Insofern kommt es zu einer uneingeschränkten Anwendung der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für Zwecke ihrer Gewinnabgrenzung, wobei die reine Belastung von Kosten nur noch in Ausnahmefällen vorgesehen ist.10

6.119 Bedeutung des OECD-Betriebsstättenberichts 2008. Der im OECD-Betriebsstättenbericht 2008 dargestellte AOA beschreibt Einzelheiten der bevorzugten Interpretation des Art. 7 durch die OECD-Mitgliedstaaten.11 In diesem Zusammenhang wird insbesondere festgestellt, dass der AOA gegenüber der bisherigen Interpretation der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte durch die OECD den deutlich besseren Interpretationsansatz darstellt. Diese Aussagen belegen die zentrale Rolle des AOA. Daher hat die OECD am 17.7.2008 beschlossen, den im Rahmen des AOA definierten „Functionally Separate Entity Approach“ in den OECD-MK 2008 aufzunehmen. In einem zweiten Schritt wurde Art. 7 und der OECD-MK durch das „Update 2010“ völlig neu gefasst. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit der im OECD-Betriebsstättenbericht 2008 niedergelegte Interpretationsansatz auch im Hinblick auf bereits abgeschlossene DBA anzuwenden ist.12 Hierzu ist einerseits zu berücksichtigen, dass 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 31. Vgl. VWG BsGa, Rz. 129 ff. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 136 und 141. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 207 ff. Vgl. VWG BsGa, Rz. 27. Vgl. VWG BsGa, Rz. 172. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 229 ff. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 235 ff. und 241 ff. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 251 ff. sowie die Nutzungsüberlassung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern. 10 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 232 ff. und 246 ff. 11 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 6 und 9. 12 VWG BsGa, Rz. 427.

400

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.120 Kap. 6

der OECD-MK 2008 (vgl. Rz. 6.116) an zahlreichen Stellen auf den OECD-Betriebsstättenbericht 2008 verweist. Dies spricht für eine Berücksichtigung des OECD-Betriebsstättenberichts 2008 im Hinblick auf die Auslegung bereits bestehender DBA. Andererseits kannten die Vertragsstaaten im (damaligen) Zeitpunkt des DBA-Abschlusses den OECD-Betriebsstättenbericht 2008 nicht und konnten daher seinen Interpretationsansatz nicht dem konkreten DBA zugrunde legen. Da der OECD-Betriebsstättenbericht 2008 mit dem AOA erheblich von dem bis dahin bestehenden OECD-MK abweicht, kann er zur Auslegung bereits bestehender DBA folglich allenfalls insoweit herangezogen werden, als die dort beschriebenen Grundsätze klarstellender Natur sind.1 Dies ist indessen nur im Hinblick auf einige wenige Passagen der Fall. Infolgedessen ist davon auszugehen, dass der OECD-Betriebsstättenbericht 2008 nur sehr bedingt im Hinblick auf die Auslegung bereits in 2008 bestehender DBA Anwendung finden kann. Dies zeigt auch die Tatsache, dass die Erkenntnisse des OECD-Betriebsstättenberichts 2008 (insbesondere in Form des AOA) nur sehr bedingt Eingang in das „Update 2008“ des OECD-MK gefunden haben (vgl. nachfolgende Rz. 6.120). In Bezug auf DBA, welche auf Basis des Art. 7 OECD-MA 2010 abgeschlossen werden, ist indessen der OECD-Betriebsstättenbericht 2008 als „Auslegungshilfe“ uneingeschränkt heranzuziehen. Dies wird durch die Tatsache unterstützt, dass der OECD-MK 2010 in Bezug auf Detailfragen der Betriebsstättengewinnabgrenzung keine Einzelheiten regelt, sondern häufig auf den OECD-Betriebsstättenbericht 2008 verweist. OECD-MK 2008 zu Art. 7 OECD-MA. Zur Umsetzung des AOA hat die OECD einen zweistufigen Plan (sog. „Implementation Package“) verfolgt. So wurde neben der Entwicklung eines neu konzipierten Art. 7 OECD-MA 2010 parallel an einer Revision des OECD-MK gearbeitet. Die Arbeiten des OECD-Steuerausschusses mündeten in einem „Update 2008“ des OECD-MK, wobei lediglich solche Änderungen im Hinblick auf die Umsetzung des AOA aufgenommen wurden, welche mit dem existierenden OECD-MK (in der Fassung von 1994) in keinem Konflikt stehen.2 In den OECD-MK 2008 wurden folglich nur einige Aussagen des AOA aufgenommen, wobei im Ergebnis an einer nur eingeschränkten Anwendung der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte festgehalten wird. Im Einzelnen wurden im OECD-MK 2008 gegenüber der Version aus 1994 (vgl. Rz. 6.115) folgende wesentliche Änderungen vorgenommen: – Art. 7 Tz. 11 OECD-MK 2008 stellt nunmehr ausdrücklich klar, dass es zu einer inkongruenten Ergebniszurechnung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte kommen kann. Infolgedessen kann der Betriebsstätte auch dann ein Gewinn (Verlust) zugeordnet werden, wenn das Gesamtunternehmen einen Verlust (Gewinn) erwirtschaftet. Insoweit handelt es sich um eine Klarstellung des OECD-MK. – In Art. 7 Tz. 16, 19 und 20 OECD-MK 2008 wurden konkrete Anforderungen im Hinblick auf die Betriebsstättenbuchführung und die Dokumentation der Betriebsstättengewinnabgrenzung aufgenommen.3 In diesem Zusammenhang wird klargestellt, dass die Dokumentation des Unternehmens von den Vertragsstaaten anzuerkennen ist, wenn sie den wirtschaftlichen Gehalt der unternehmensinternen Aktivität zutreffend abbildet und die Dokumentation nicht gegen die Prinzipien des AOA verstößt. Mithin ist damit auch nach dem OECD-MK 2008 die Funktionsanalyse Grundlage der Betriebsstättengewinnabgrenzung. 1 A.A. Kosch, IStR 2010, 42 (45). 2 Vgl. OECD, The 2008 Update to the Model Tax Convention v. 18.7.2008, Paris 2008. Vgl. dazu z.B. Bendlinger, SWI 2008, 545 ff.; Russo, ET 2008, 459 ff.; Panayi, ET 2007, 452 ff. 3 Vgl. auch OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 39.

Ditz 401

6.120

Kap. 6 Rz. 6.121

Entstrickung und Verstrickung

– Art. 7 Tz. 17 f. OECD-MK 2008 betont die Bedeutung der Selbständigkeits- und Unabhängigkeitsfiktion der Betriebsstätte für Zwecke der Gewinnabgrenzung und verweist auf das zweistufige Verfahren des AOA des OECD-Betriebsstättenberichts.1 Im Übrigen knüpft Art. 7 Tz. 17 und 18 OECD-MK 2008 unmittelbar an die Vorgaben der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010 zur Funktionsanalyse (Stufe 1) und der Bewertung interner Liefer- und Leistungsbeziehungen (Stufe 2) an. – Wenngleich die OECD im Hinblick auf die Anpassung des OECD-MK 2008 die Zielsetzung verfolgt, den AOA soweit als möglich umzusetzen, sind wesentliche Ausführungen des OECD-MK 1994 in Bezug auf die eingeschränkte Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes (vgl. Rz. 6.115) beibehalten worden. Eine Streichung dieser Beschränkungen hätte – so die OECD – eine völlige Abkehr von ihrer bisherigen Sichtweise bedeutet und wurde aus diesem Grund unterlassen. Infolgedessen bleiben die Ausführungen des OECDMK 2008 weit hinter den Grundsätzen des AOA zurück, so dass in Bezug auf den OECDMK 2008 nicht von einer Umsetzung des AOA ausgegangen werden kann. Die Bedeutung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010 beschränkt sich vielmehr auf den Bereich der Funktionsanalyse. Im Hinblick auf die Ermittlung der für unternehmensinterne Lieferund Leistungsbeziehungen anzusetzenden „Vergütung“ kommt den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010 (weiterhin) lediglich eine sehr untergeordnete Bedeutung zu. – In den OECD-MK 2008 wurden erstmalig konkrete Regelungen zur Bau- und Montagebetriebsstätte2 und zur Vertreterbetriebsstätte3 aufgenommen. – Die wohl umfangreichsten Änderungen des OECD-MK 2008 beziehen sich auf den Bereich der Verrechnung von Zinsaufwendungen.4 Dabei hält die OECD an dem Verbot der Verrechnung von Zinsen für interne Kapitalüberlassungen fest.5 Auch insoweit bleibt der OECD-MK 2008 hinter dem AOA zurück, der in Bezug auf Finanzierungsbetriebsstätten (sog. „Treasury Functions“) die Berücksichtigung von internen Zinsaufwendungen zulässt. Im Ergebnis ist auch der OECD-MK 2008 von einer nur eingeschränkten Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte geprägt; der AOA wurde nicht stringent umgesetzt. Vor diesem Hintergrund ist es überraschend, wenn die Finanzverwaltung davon ausgeht, dass bei Anwendung eines DBA, das Art. 7 OECD-MA 2008 (alte Abkommen) beinhaltet, der andere Staat bei Auslegung des Art. 7 von einer Anwendung des AOA ausgeht.6 Vielmehr wird es bei Anwendung des AOA gem. § 1 Abs. 5 AStG aus deutscher Sicht in diesen Fällen häufig zu einer Doppelbesteuerung kommen, die nur über ein Verständigungsverfahren vermieden werden kann.7

6.121 Implementierung des AOA in Art. 7 OECD-MA 2010. Art. 7 OECD-MA wurde in der Fassung des „Update 2010“ völlig neu gefasst. Hintergrund der Änderungen war eine Umsetzung des AOA, wodurch eine uneingeschränkte Anwendung der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für Zwecke der Gewinnabgrenzung umgesetzt wird. Der im OECD-Betriebs1 Vgl. Art. 7 Tz. 17 OECD-MK 2008 i.V.m. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Tz. 86 ff. und 218 ff. 2 Vgl. Art. 7 Tz. 23–25 OECD-MK 2008. 3 Vgl. Art. 7 Tz. 26 OECD-MK 2008. 4 Vgl. Art. 7 Tz. 41–50 OECD-MK 2008. 5 Vgl. Art. 7 Tz. 41 f. OECD-MK 2008. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 427. 7 So auch VWG BsGa, Rz. 428.

402

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.121 Kap. 6

stättenbericht 2008 im Detail dargestellte „Functionally Separate Entity Approach“ wird im OECD-MK 2010 uneingeschränkt angewendet, wobei seine Grundsätze in einen neuerlichen OECD-Betriebsstättenbericht vom 22.7.2010 – nach einer redaktionellen Überarbeitung und einer Anpassung an die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010 – übernommen wurden. Seit 2010 basieren somit sowohl Art. 7 OECD-MA als auch der OECD-MK auf einer uneingeschränkten Anwendung der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte nach dem AOA. Dazu wurde Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 wie folgt im Rahmen des „Update 2010“ angepasst: – Die erste Änderung des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 bezieht sich auf dessen Einleitungssatz. Darin heißt es: „Für Zwecke dieses Artikels und Art. 23A und 23B […].“ Durch diese Ergänzung soll sichergestellt werden, dass die Grundsätze der Gewinnabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht nur für den Betriebsstättenstaat zum Zweck der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage der beschränkten Steuerpflicht, sondern auch für den Ansässigkeitsstaat zum Zweck der Vermeidung der Doppelbesteuerung Anwendung finden.1 Andererseits wird klargestellt, dass sich der Anwendungsbereich des Art. 7 OECD-MA 2010 nicht auf die weiteren Verteilungsnormen erstreckt. Dies gilt insbesondere für die Abgrenzung zur Quellenbesteuerung von Zinsen gem. Art. 11 und Lizenzgebühren gem. Art. 12 OECD-MA 2010, über die man im Hinblick auf die uneingeschränkte Interpretation der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte im Rahmen des „Functionally Separate Entity Approach“ und der damit verbundenen Abrechnung interner Leistungsbeziehungen zumindest nachdenken kann. Eine solche Quellenbesteuerung auf Entgelte für zwischen den betrieblichen Teileinheiten fingierte Leistungsbeziehungen ist durch die Klarstellung einer alleinigen Anwendung der Vorschrift für Zwecke der Abgrenzung der Besteuerungsrechte gem. Art. 7 OECD-MA 2010 und der Anwendung des Art. 23A und 23B OECD-MA ausgeschlossen.2 – Eine weitere wesentliche Änderung des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 bezieht sich auf dessen Ergänzung um „einer in Abs. 1 genannten Betriebsstätte zuzurechnen sind.“ Durch diese Formulierung wird klargestellt, dass die Gewinne, die der Betriebsstätte nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA 2010 zuzurechnen sind, nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 zu bestimmen sind. Insoweit handelt es sich um eine Ergänzung zur Neufassung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA 2010, welcher seinerseits auf Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 verweist. – Die dritte Änderung bezieht sich auf die Formulierung in der englischen Originalfassung des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 „distinct and separate enterprise“, welche in „separate and independent enterprise“ geändert wurde. Diese Änderung wird sich wohl nicht auf den Wortlaut der deutschen Vorschrift niederschlagen, da insoweit bereits bisher lediglich von „selbständiges Unternehmen“ gesprochen wurde. Nach dem Arbeitspapier des OECD-Sekretariats sollte die vorgenommene Änderung der Klarstellung der Umsetzung des „Functionally Separate Entity Approach“ dienen.3 Im Übrigen spricht Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 unmittelbar von der Betriebsstätte als „selbständiges und unabhängiges Unternehmen“, während Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 am Ende noch folgenden Wortlaut hatte: „[…] im 1 Vgl. Art. 7 Tz. 18 und 27 OECD-MK 2010. 2 Vgl. Art. 7 Tz. 28 OECD-MK 2010. In Art. 7 Tz. 29 OECD-MK 2010 wird allerdings erwähnt, dass manche Staaten die Anwendung des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA nicht auf Art. 7 und 23A/B OECDMA beschränken wollen. In diesem Fall seien Quellensteuerregelungen auf fingierte Lieferungsund Leistungsbeziehungen denkbar, wobei in diesen Fällen eine gesonderte Regelung in das DBA aufzunehmen ist. 3 Vgl. OECD Secretariat, ADV (07) 10, Rz. 10.

Ditz 403

Kap. 6 Rz. 6.122

Entstrickung und Verstrickung

Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre.“ Gemeint ist damit die Unabhängigkeitsfiktion der Betriebsstätte als Basis einer Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. – Schließlich wurde in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 die Formulierung „insbesondere mit anderen Teilen des Unternehmens“ aufgenommen. Damit wird klargestellt, dass die in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 niedergelegten Grundsätze der Betriebsstättengewinnabgrenzung auch auf (interne) Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen den betrieblichen Teileinheiten (Stammhaus und Betriebsstätte) Anwendung finden sollen.1 Durch die Formulierung „insbesondere“ kommt allerdings auch zum Ausdruck, dass die „internen Leistungsbeziehungen“ nur einen (bislang umstrittenen) Anwendungsfall im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung darstellen. – Die letzte Ergänzung besteht schließlich in der Einfügung der Formulierung „unter Berücksichtigung der vom Unternehmen durch die Betriebsstätte und die anderen Teile des Unternehmens ausgeübten Funktionen, genutzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken“. Mit dieser Formulierung wird explizit auf die gewinndeterminierenden Faktoren, welche im ersten Schritt des AOA zu analysieren sind, verwiesen. – Die Neufassung des Art. 7 Abs. 2 im Rahmen des „Update 2010“ ist indessen international nicht unumstritten. So haben bereits fünf Mitgliedstaaten der OECD einen Vorbehalt gegen die Anwendung des Art. 7 OECD-MA 2010 im Rahmen ihrer Abkommenspolitik geäußert (Neuseeland, Chile, Griechenland, Mexiko und die Türkei). Darüber hinaus stehen auch die Vereinten Nationen, die Art. 7 OECD-MA nicht in das UN-MA übernommen haben, dem AOA genauso kritisch gegenüber wie zahlreiche Nicht-OECD-Mitgliedstaaten (z.B. Brasilien, China und Indien).

6.122 Zeitliche Anwendung des OECD-MK. Hinsichtlich der Frage, welche Fassung des OECDMK für die Auslegung eines DBA heranzuziehen ist, verfolgt die OECD eine dynamische Auslegung: Danach soll auch ein neugefasster OECD-MK zur Auslegung bereits bestehender DBA herangezogen werden, da er den übereinstimmenden Willen der OECD-Mitgliedstaaten widerspiegelt. Auch die deutsche Finanzverwaltung scheint dieser Auffassung zu folgen.2 Wenngleich eine solche Heranziehung der jeweils aktuellsten Version des OECD-MK zur Auslegung eines DBA aus praktischen Gesichtspunkten durchaus sinnvoll ist, folgt der BFH dieser Auffassung nicht. Die Rspr. geht vielmehr davon aus, dass zur Auslegung eines DBA immer die Fassung des OECD-MK heranzuziehen ist, welche im Zeitpunkt des Abschlusses des DBA gültig war.3 Diese Sichtweise lässt sich mit völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätzen begründen, wobei lediglich Art. 31 Abs. 3 WVK für die Berücksichtigung von neueren Versionen des OECD-MK sprechen könnte. Art. 31 Abs. 3 Buchst. a WVK setzt hingegen eine „spätere Übereinkunft“ zwischen den Vertragsstaaten voraus. Gerade eine solche liegt indessen beim OECD-MK nicht vor, da dieser nicht von den Vertragsstaaten selbst, sondern von den Finanzbehörden der Vertragsstaaten entwickelt wird.4 Art. 31 Abs. 3 Buchst. a WVK ist folglich kein taugliches Mittel zur Berücksichtigung späterer Kommentarversionen bei der Auslegung 1 Vgl. dazu auch Art. 7 Tz. 24 OECD-MK 2010. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 427; Wichmann, IStR 2012, 711 (711 f.); Wichmann in Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht?, 2009, 103 (104 f.); Wichmann, FR 2011, 1082 (1083); vgl. im Übrigen auch Lampert, IStR 2012, 513 ff. 3 Vgl. etwa BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, FR 2011, 127; v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602 m.w.N.; a.A. Wichmann, IStR 2012, 711 (712); s. ferner Schnitger, IStR 2002, 407; Pohl, RIW 2012, 677 (678 f.). 4 A.A. Wichmann, FR 2011, 1082 (1083).

404

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.123 Kap. 6

von bereits bestehenden DBA. Im Übrigen scheint auch Art. 31 Abs. 3 Buchst. b WVK nicht geeignet, eine dynamische Auslegung des OECD-MK zu rechtfertigen.1 Damit ist der Auffassung des BFH zu folgen, wonach die Version des OECD-MK als Hilfe für die Auslegung eines konkreten DBA heranzuziehen ist, welche beim Abschluss des entsprechenden DBA galt.2 Neueren Versionen des OECD-MK kann nur dann eine Bedeutung zukommen, wenn sie zur Klarstellung dienen oder weitergehende Erläuterungen enthalten. Vor diesem Hintergrund gilt in Bezug auf den OECD-MK 2008 Folgendes:3 – DBA, die nach Veröffentlichung des „Update 2008“ des OECD-MK (d.h. nach dem 18.7.2008) abgeschlossen oder revidiert wurden und auf Basis des Art. 7 OECD-MA 2008 basieren, sind unter Berücksichtigung des OECD-MK 2008 auszulegen.4 – Bereits abgeschlossene DBA sind auf Basis derjenigen Version des OECD-MK auszulegen, welcher bei Abschluss des DBA vorlag. Änderungen des OECD-MK 2008 sind allerdings zu berücksichtigen, wenn sie klarstellend sind bzw. zur weitergehenden Erläuterung dienen. – DBA, welche auf Basis des Art. 7 OECD-MA 2010 abgeschlossen wurden, sind auf Basis des OECD-MK 2010 auszulegen.5 b) Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 4 und 5 AStG Fiktion von Geschäftsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Nach zahlreichen (vergeblichen) Anläufen, die bis in den März 2012 zurückreichen, wurde mit dem AmtshilfeRLUmsG6 der AOA in innerstaatliches Recht übernommen. Bereits zu Beginn der gesetzgeberischen Bemühungen7 war damit das Ziel verbunden, den Anwendungsbereich des § 1 AStG auch auf die Betriebsstättengewinnabgrenzung auszuweiten.8 Dazu wurde mit Wirkung ab dem VZ 2013 mit der Fiktion von Geschäftsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG (sog. anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen) die Grundlage für § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG gelegt. § 1 Abs. 5 AStG sieht eine Einkünftekorrektur vor,9 wenn der Fremdvergleichsgrundsatz für unternehmensinterne Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht beachtet wird. Dabei ist die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, es sei denn, die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen erfordert eine andere Behandlung.10 § 1 Abs. 5 AStG betrifft nur rechtlich unselbständige Betriebsstätten un1 Kritisch auch Lang, IStR 2001, 536 (537) m.w.N. 2 A.A. Lampert, IStR 2012, 513 ff. 3 Vgl. auch Plansky, Die Gewinnzurechnung zu Betriebsstätten im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 214 f. 4 A.A. die Finanzverwaltung in VWG BsGa, Rz. 427. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 425. 6 Vgl. Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (AmtshilfeRLUmsG) v. 5.6.2013, BTDrucks. 17/13722. 7 Vgl. Referentenentwurf des BMF, Entwurf eines JStG 2013, BR-Drucks. 302/12 v. 25.5.2012 und BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012. 8 Vgl. dazu auch Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 42 ff.; von Goldacker, BB 2013, 87 ff.; Schnitger, IStR 2012, 633 ff.; Andresen/Busch, Ubg 2012, 451 ff.; Kahle, DStZ 2012, 691 (697 ff.); Wassermeyer, IStR 2012, 277 ff. 9 Vgl. VWG BsGa, Rz. 10. 10 Vgl. VWG BsGa, Rz. 6.

Ditz 405

6.123

Kap. 6 Rz. 6.124

Entstrickung und Verstrickung

abhängig von der Rechtsform des Unternehmens.1 Die Betriebsstättengewinnabgrenzung folgt dabei den von der OECD vorgegebenen zwei Stufen (vgl. Rz. 6.117 ff.).2

6.124 Gesetzesbegründung. Der Gesetzgeber begründet die Einführung des AOA in § 1 Abs. 4 und 5 AStG mit den Entwicklungen auf Ebene der OECD und der in 2010 erfolgten Anpassung des Art. 7 OECD-MA (vgl. Rz. 6.121).3 Infolgedessen ist der international anerkannte Fremdvergleichsgrundsatz seit 2013 auch im Hinblick auf die Gewinnabgrenzung bei inund ausländischen Betriebsstätten zu beachten. Dabei ist es möglich, dass die Betriebsstätte einen Gewinn erzielt, obwohl das Gesamtunternehmen einen Verlust generiert oder umgekehrt die Betriebsstätte einen Verlust hinnehmen muss, obwohl das Unternehmen insgesamt Gewinne erzielt. Da es mit Ansatz des Fremdvergleichspreises zur Aufdeckung stiller Reserven kommen kann, soll dies nach Ansicht des Gesetzgebers durch Beibehaltung der Anwendbarkeit des § 4g EStG abgemildert werden. Darüber hinaus geht der Gesetzgeber davon aus, dass sich Differenzen zwischen der Summe der Einzelergebnisse verschiedener Betriebsstätten und dem Gesamtergebnis des Unternehmens im Laufe der Zeit wieder ausgleichen. Als Nachweis für die fehlenden schuldrechtlichen Vereinbarungen werden Aufzeichnungen über die wirtschaftlichen Vorgänge und Protokolle als Ersatz anerkannt.4 Ebenfalls legt der Gesetzgeber fest, dass § 1 Abs. 5 AStG Vorrang vor DBA hat, die dem bisherigen Art. 7 OECD-MA oder dem Art. 7 UN-MA entsprechen.5 Damit soll das deutsche Steueraufkommen gewahrt werden und gleichzeitig sollen unbesteuerte Einkünfte vermieden werden, da ältere DBA noch nicht den AOA enthalten. Mit § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG werden die Fälle völkerrechtskonform gelöst, in denen es zu internationalen Besteuerungskonflikten kommt. Hierbei treten die Regelungen des § 1 Abs. 5 Sätze 1 bis 7 AStG zurück, wenn der andere Staat sein Besteuerungsrecht ausübt. Somit bleiben die Besteuerungsrechte des anderen Staats gewahrt und eine Doppelbesteuerung wird vermieden.

6.125 Unzutreffende Platzierung in § 1 AStG als Einkünftekorrekturvorschrift. Die Begründung zum Entwurf des dem AmtshilfeRLUmsG vorausgegangenen JStG 20136 beschreibt zutreffend die Tatsache, dass die OECD mit dem AOA die Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten seit 2010 stringent (vgl. Rz. 6.121) an dem Fremdvergleichsgrundsatz ausrichtet. Das insoweit durch Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 bzw. in den darauf aufbauenden deutschen DBA vorgesehene Besteuerungsrecht auf Unternehmensgewinne wird indessen durch innerstaatliches Recht bis zum VZ 2012 nicht vollständig ausgeschöpft. Daher ist es – auch aus fiskalischen Gründen – nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber eine innerstaatliche Rechtsgrundlage zu schaffen wünschte, welche das in Art. 7 OECD-MA 2010 vorgesehene Besteuerungsrecht in innerstaatliches Recht transformiert. Die Umsetzung (allein) in § 1 AStG ist jedoch nicht sachgerecht; vielmehr handelt es sich bei der Gewinnermittlung der Betriebsstätte um einen Tatbestand der Gewinn- bzw. Unterschiedsbetragsermittlung (sowohl für in- als auch ausländische Betriebsstätten), welcher im EStG hätte geregelt werden müssen (vgl. Rz. 6.27).7 1 Vgl. Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zum AmtshilfeRLUmsG v. 5.6.2013, BTDrucks. 17/13722. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 26 f. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 1. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 63. 5 Vgl. zu Einzelheiten aus Sicht der Finanzverwaltung VWG BsGa, Rz. 424 ff. 6 Vgl. BT-Drucks. 17/13033 v. 10.4.2013, 164. 7 Vgl. Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917 (1919); Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 132/3; Wassermeyer, IStR 2012, 277; Schnitger, IStR 2012, 633 (634); Kußmaul/Ruiner, BB 2012, 2025 (2028); Froitzheim, Steuerliche Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und deren Auswirkung auf die Gewinnabgrenzung, 2015, 276 f.; Richter/Heyd, Ubg 2013, 418 (423).

406

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.126 Kap. 6

Auch die Finanzverwaltung spricht im Zusammenhang mit § 1 Abs. 5 AStG von der Betriebsstättengewinnermittlung,1 qualifiziert hingegen § 1 AStG ausdrücklich als Einkünftekorrekturvorschrift „nur zugunsten des deutschen Steueraufkommens“.2 Beispielsweise hätte die Frage, ob Wirtschaftsgüter in der Gesamtunternehmensbilanz der Höhe nach anders als in der Stammhaus- bzw. Betriebsstättenbilanz bewertet werden können, im EStG geregelt werden müssen. § 1 AStG ist eine Einkünftekorrekturvorschrift,3 welche nur dann greift, wenn die deutsche Finanzverwaltung einkünfteerhöhende Korrekturen vornimmt. Folgende Fragen hätten mit Rücksicht auf ihre Bedeutung für die Gewinnermittlung durch Bilanzierung im EStG geregelt werden müssen: – Definition eines Ersatzrealisationstatbestands im Hinblick auf die „Abrechnung“ unternehmensinterner Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte; – Regelungen zur bilanziellen Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Stammhaus bzw. zur Betriebsstätte; – Regelungen zur bilanziellen Ermittlung des Dotationskapitals der Betriebsstätte; – Anerkennung eines Betriebsausgabenabzugs fiktiver Leistungsentgelte bei in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen Betriebsstätten. Einseitige Umsetzung des AOA zugunsten der Finanzverwaltung. Mit seiner Transformation in § 1 AStG setzt der deutsche Gesetzgeber den AOA nur einseitig zugunsten der deutschen Finanzverwaltung um.4 Denn § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG ist mit seinem Verweis auf § 1 Abs. 1 AStG unzweifelhaft als Einkünftekorrekturvorschrift konzipiert.5 Diese findet – entgegen der Entstrickungsvorschriften des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 KStG (vgl. Rz. 6.84)6 – auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung Anwendung, d.h. außerhalb der Bilanz. Die Anwendung dieser Einkünftekorrekturvorschrift setzt freilich voraus, dass Einkünfte überhaupt erwirtschaftet werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG zu sehen, dass inländische Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder ausländische Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden. Jedoch fallen bei unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen tatsächlich keine Einkünfte an; vielmehr werden solche fingiert. So spricht auch die BsGaV von fiktiven Betriebseinnahmen und fiktiven Betriebsausgaben.7 Infolgedessen können erst aufgrund dieser Fiktion von Einkünften Einkünfte bestimmt und dem Stammhaus oder der Betriebsstätte zugeordnet und dann – soweit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht Rechnung getragen wird – nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG korrigiert werden.8

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Vgl. VWG BsGa, Rz. 8. Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. So auch die Idee des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG; VWG BsGa, Rz. 10 und 20. Vgl. VWG BsGa, Rz. 10 und 20; Schnitger, IStR 2012, 633 (634 f.); Wassermeyer, IStR 2012, 277 (278 ff.); Schaumburg, ISR 2013, 197 (198); Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 132/3; Richter/Heyd, Ubg 2013, 418 (423); Kußmaul/Ruiner, BB 2012, 2025 (2027 f.). Vgl. VWG BsGa, Rz. 10. Vgl. VWG BsGa, Rz. 62. Vgl. § 3 Abs. 2 BsGaV; VWG BsGa, Rz. 61. Vgl. auch Schaumburg, ISR 2013, 197 (198); Schnitger, IStR 2012, 633 (634 f.); Wassermeyer, IStR 2012, 277 (278 ff.).

Ditz 407

6.126

Kap. 6 Rz. 6.127

Entstrickung und Verstrickung

6.127 Konsequenzen für den Steuerpflichtigen. Während die OECD von einer einheitlichen Anwendung des AOA sowohl im Stammhaus- als auch im Betriebsstättenstaat ausgeht,1 wird der AOA in § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 AStG nur zu Ungunsten des Steuerpflichtigen umgesetzt.2 Die einseitige Stoßrichtung des § 1 AStG wird bspw. im Rahmen der Gewinnermittlung bei im Inland beschränkt steuerpflichtigen Betriebsstätten3 offensichtlich. Dies zeigt das nachfolgende Beispiel: Beispiel: Die in Frankreich ansässige Jeans S.A. ist auf dem Gebiet des Designs, der Herstellung und des Vertriebs von hochpreisigen Jeans tätig. Die Jeans werden im Stammhaus der Jeans S.A. in Paris entworfen, durch Lohnfertiger in Asien hergestellt und unter der Marke „TOP Jeans“ über Boutiquen der Jeans S.A. in Frankreich und im europäischen Ausland vertrieben. Im Zusammenhang mit der Marke „TOP Jeans“ investiert die Jeans S.A. jährlich Millionenbeträge in Marketing, Werbung und zahlreiche „Events“, um die Marke in den in- und ausländischen Verbraucherkreisen bekannt zu machen. Die Jeans S.A. betreibt auch in Deutschland mehrere Boutiquen. Die Boutiquen, die nach § 12 AO und auf Basis des Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 DBA-Frankreich als Betriebsstätten behandelt werden, nutzen intensiv die Marke „TOP Jeans“ zur Vermarktung der Jeans in Deutschland. Da die Marke „TOP Jeans“ in den maßgeblichen Verbraucherkreisen in Deutschland überaus bekannt ist und eine herausragende absatzfördernde Wirkung entfaltet, verrechnet die Jeans S.A. eine fiktive Lizenzgebühr für die Marke i.H.v. 5 % an die inländischen Betriebsstätten. Damit stellt sich die Frage, ob die (fiktive) Lizenzgebühr i.H.v. 5 % gem. § 1 Abs. 5 AStG als Betriebsausgabe im Rahmen der Gewinnermittlung für Zwecke der beschränkten Steuerpflicht der Jeans S.A. in Deutschland geltend gemacht werden kann. Dazu Folgendes: Bei § 1 AStG handelt es sich um eine Einkünftekorrekturvorschrift, welche zugunsten der Finanzverwaltung eine Einkünftekorrektur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. § 1 AStG setzt dabei außerbilanziell an, d.h., mögliche Einkünftekorrekturen durch die Finanzverwaltung sind außerbilanziell hinzuzurechnen.4 Die Qualifikation des § 1 AStG als Einkünftekorrekturvorschrift geht auch aus § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG eindeutig hervor. Dort heißt es, dass § 1 Abs. 1, 3 und 4 AStG entsprechend anzuwenden sind, wenn für fingierte Geschäftsbeziehungen zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens Verrechnungspreise zum Ansatz gebracht wurden, die nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht wurden. Die Anwendung der Vorschrift setzt demnach eine Einkünfteminderung im Inland voraus.5 Im Ergebnis kann auf Basis des § 1 Abs. 5 AStG nicht gewährleistet werden, dass die vom französischen Stammhaus der Jeans S.A. an die inländischen Betriebsstätten verrechneten Lizenzgebühren im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht der Jeans S.A. in Deutschland als Betriebsausgaben abgezogen werden können (vgl. auch Rz. 6.131).

6.128 Bedeutung des § 50 EStG. Im Übrigen kommt § 50 EStG als Rechtsgrundlage für einen Betriebsausgabenabzug infrage. Bei § 50 EStG handelt es sich um eine Sondervorschrift für beschränkt Steuerpflichtige. Im Hinblick auf die Bestimmung der Einkünfte beschränkt Steuerpflichtiger sieht in diesem Zusammenhang § 50 Abs. 1 EStG vor, dass beschränkt Steuerpflichtige Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4–8 EStG nur insoweit abziehen dürfen, als sie mit inländischen Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Nach § 4 Abs. 4 EStG sind Betriebsausgaben Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind. Betriebsausgaben setzen damit „Aufwendungen“ voraus, die durch einen Wertabfluss i.S.v. „gezahlten 1 2 3 4

Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 12. Vgl. VWG BsGa, Rz. 10 und 20. Vgl. § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2a EStG; § 2 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2a EStG. Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 5; Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 811 f. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 10 und 20.

408

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.131 Kap. 6

Ausgaben“ oder einem „Wertabgang ohne Zahlungen“ gekennzeichnet sind.1 Der Abzug „fingierter“ Lizenzgebühren wird damit vom Aufwandsbegriff des § 4 Abs. 4 EStG nicht erfasst, so dass § 50 Abs. 1 EStG als Rechtsgrundlage zum Abzug der fingierten Lizenzgebühren, welche von der Jeans S.A. an die inländischen Betriebsstätten verrechnet werden, nicht geeignet ist.2 Sollten die inländischen Betriebsstätten allerdings über ein eigenes Bankkonto verfügen, welchem die entsprechenden Lizenzgebühren belastet werden, könnte argumentiert werden, dass insoweit eine „gezahlte Ausgabe“ in Geld vorliegt und demnach Betriebsausgaben i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG vorliegen. Keine Verstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 7 EStG. Schließlich stellt auch § 4 Abs. 1 Satz 7 Halbs. 2 EStG lediglich auf die Begründung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns „aus der Veräußerung“, nicht aber des Gewinns „aus der Nutzung“ eines Wirtschaftsguts ab (vgl. Rz. 6.270).3 Vor diesem Hintergrund kann auch § 4 Abs. 1 Satz 7 Halbs. 2 EStG nicht als Rechtsgrundlage für den Betriebsausgabenabzug eines fiktiven Lizenzentgelts von der inländischen Betriebsstätte an die Jeans S.A. herangezogen werden.4 Der Gesetzgeber wollte es wohl nicht zulassen, dass durch die Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern an eine inländische Betriebsstätte Aufwand durch den Ansatz eines fingierten Nutzungsentgelts generiert werden kann.

6.129

Bedeutung der BsGaV. Nach § 3 Abs. 2 Satz 3 BsGaV beinhaltet die Hilfs- und Nebenrechnung auch fiktive Betriebseinnahmen und fiktive Betriebsausgaben, die aufgrund anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen5 entstehen.6 Infolgedessen liegt es nahe, diese Vorschrift als Rechtsgrundlage eines Betriebsausgabenabzugs – im Beispielsfall von fiktiven Lizenzgebühren – heranzuziehen. Dabei muss man allerdings sehen, dass es sich bei der BsGaV um eine Regelung zur Konkretisierung des § 1 Abs. 1 und 5 AStG7 handelt; infolgedessen können in der Rechtsverordnung keine Regelungen geschaffen werden, die über den Wortlaut des § 1 Abs. 5 und 1 AStG hinausgehen. Im Ergebnis ist es daher fraglich, ob die Regelungen der BsGaV eine hinreichende Rechtsgrundlage im innerstaatlichen Recht zum Abzug fiktiver Liefer- und Leistungsentgelte qualifiziert.8

6.130

Beschränkung des Besteuerungsrechts nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA. Es stellt sich die Frage, ob das Abkommensrecht als Rechtsgrundlage für den Betriebsausgabenabzug fingierter Liefer- und Leistungsentgelte (im Beispielsfall das fingierte Lizenzentgelt) herangezogen werden kann.9 Denn nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA besteht ein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland nur im Hinblick auf den Unternehmensgewinn, wie er durch das Stammhaus bzw. die Betriebsstätte als selbständiges und unabhängiges Unternehmen erwirtschaftet worden wäre.10 Wäre die Betriebsstätte indessen ein selbständiges und unabhängiges Unternehmen gewesen, wäre ihr ein entsprechender Aufwand aus der Nutzung der Marke „TOP Jeans“ entstanden, welcher den Gewinn gemindert hätte. Infolgedessen kann abkom-

6.131

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Vgl. Heinicke in Schmidt36, § 4 EStG Rz. 472 f.; Bode in Kirchhof16, § 4 EStG Rz. 168 f. Vgl. auch Schnitger, IStR 2012, 633 (635). So jedoch § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG. Vgl. auch Benecke/Schnitger, IStR 2006, 765 (767). Vgl. §§ 16 und 17 BsGaV. Vgl. VWG BsGa, Rz. 61. So ausdrücklich § 1 Abs. 6 AStG. Dies verneinend VWG BsGa, Rz. 21. Gl.A. Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 132/3. Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 171.

Ditz 409

Kap. 6 Rz. 6.132

Entstrickung und Verstrickung

mensrechtlich argumentiert werden, dass sich das Besteuerungsrecht Deutschlands auf den inländischen Betriebsstättengewinn nur insoweit beziehen kann, als hier (fingierte) Lizenzentgelte für die Überlassung der Marke „TOP Jeans“ zum Abzug zugelassen wurden.1 Diese Argumentation ist indessen systematisch insofern nicht ganz korrekt, als sich die Definition der Betriebsausgaben eigentlich aus dem innerstaatlichen Gewinnermittlungsrecht ergeben sollte. Im Übrigen würde insoweit der DBA-Fall anders behandelt werden als der Nicht-DBA-Fall.

6.132 Öffnungsklausel des § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG. § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AStG enthält eine Öffnungsklausel, wonach eine Betriebsstätte dann nicht wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln ist, wenn die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen eine andere Behandlung erfordert.2 Aus diesem weiten Wortlaut könnte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Anwendung des AOA in bestimmten, weder durch das Gesetz noch die BsGaV definierten Fällen, in seiner Anwendung beschränkt wird.3 Eine solche weitgehende Interpretation der Vorschrift ist indessen nicht sachgerecht. Denn bereits die Gesetzesbegründung verweist ausdrücklich auf die bereits von der OECD definierten Grenzen einer uneingeschränkten Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung. Diese betreffen insbesondere die Abrechnung unternehmensinterner Darlehensbeziehungen sowie Garantien, Bürgschaften und Patronate.4 Infolgedessen kann – nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift – § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AStG nicht als allgemeine Öffnungsklausel für eine Abweichung zum AOA qualifizieren; vielmehr kann dies nur für von der OECD anerkannte Ausnahmen gelten.

6.133 Verhältnis zu den Entstrickungsvorschriften. Es stellt sich die Frage des Verhältnisses des § 1 Abs. 5 AStG zu § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG und § 16 Abs. 3a EStG. Diese Einkommensermittlungsvorschriften stehen unabhängig neben der Einkünftekorrekturvorschrift des § 1 Abs. 5 AStG. Daran ändert auch der Verweis des § 1 Abs. 5 Satz 6 AStG auf § 4g EStG nichts.5 Damit ergibt sich hinsichtlich der Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG Folgendes: Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG gilt seine Anwendung „unbeschadet anderer Vorschriften“. Dies hat zur Folge, dass der Anwendung der Vorschrift § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG und § 16 Abs. 3a EStG vorgehen.6 Dies wird auch von der Finanzverwaltung anerkannt.7 Rechtsgrundlage für die Entstrickung stiller Reserven bei der Überführung eines Wirtschaftsguts von einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte sind damit zunächst – ihre Anwendbarkeit vorausgesetzt – die allgemeinen Entstrickungsvorschriften.8 Erfolgt damit eine Entstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG oder § 16 Abs. 3a EStG auf der ersten Stufe der Unterschiedsbetragsermittlung, ist § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG nicht mehr anwendbar. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG (bzw. § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG) sind allerdings (außerbilanzielle) Einkünftekorrekturen neben den Rechtsfolgen der Entstrickungsvorschriften

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7 8

So auch die Finanzverwaltung in VWG BsGa, Rz. 11 und 21. Vgl. VWG BsGa, Rz. 6. Vgl. Melhem/Dombrowski, IStR 2015, 912 ff.; Froitzheim, Ubg 2015, 354 (357). Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 100 und 103 f.; BT-Drucks. 17/13033, 85; § 16 Abs. 3 BsGaV. Vgl. auch Gosch, IWB 2012, 779 (785). Vgl. Schnitger, IStR 2012, 633 (638); Baldamus, IStR 2012, 317 (319); Kahle/Eichholz, StuB 2014, 867 (868); Schaumburg, ISR 2013, 197 (198); Richter/Heyd, Ubg 2013, 418 (423); Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917 (1919); Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 132/5; Neumann-Tomm, IStR 2015, 907 (911). Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. Vgl. VWG BsGa, Rz. 20 und 62.

410

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.134 Kap. 6

durchzuführen, wenn die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes gem. § 1 AStG zu weiter gehenden Berichtigungen führt. Dieser Fall kann z.B. bei Funktionsverlagerungen eintreten, welche i.S.d. Besteuerung eines Transferpakets von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG nicht erfasst werden. Ein anderer Fall kann sich ergeben, wenn die speziellen Bestimmungen des § 1 Abs. 1 und 3 AStG eine vom gemeinen Wert abweichende Verrechnungspreisermittlung anordnen (z.B. „Hellseher“-Regelung gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG a.F.). Darüber hinaus muss man sehen, dass im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und § 16 Abs. 3 Buchst. a EStG noch § 12 Abs. 1 KStG aufgrund ihres „missglückten“ Wortlauts fraglich ist, ob sie zur Realisierung stiller Reserven im Zusammenhang mit der Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte oder ein ausländisches Stammhaus geeignet sind (vgl. Rz. 6.69 ff.). Infolgedessen kommt § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. der BsGaV eine wesentliche Bedeutung im Hinblick auf die Entstrickung stiller Reserven zu. Denn § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG stellt in seinen Tatbestandsvoraussetzungen gerade nicht auf den Ausschluss oder die Beschränkung eines deutschen Besteuerungsrechts ab. Vielmehr setzt die Vorschrift eine Einkünfteminderung im Inland aufgrund nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechender Verrechnungspreise in Bezug auf anzugnehmende schuldrechtlichen Beziehungen ab. § 1 Abs. 5 AStG ist damit geeignet, als Auffangvorschrift für eine nicht durch die Entstrickungsvorschriften erfassten Fälle zu fungieren. Zuordnung von Wirtschafsgütern. Nicht klar ist in diesem Zusammenhang auch die Frage der Kriterien einer Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu dem Stammhaus bzw. der Betriebsstätte. So ist nicht sichergestellt, dass nach den Entstrickungsvorschriften einerseits und § 1 Abs. 5 AStG andererseits Wirtschaftsgüter nach denselben Kriterien dem Stammhaus und/ oder der Betriebsstätte zuzuordnen sind (vgl. Rz. 6.57). Denn die Entstrickungsvorschriften kennen eine Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach „Personalfunktionen“ nicht (so aber § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG). Allerdings geht die Finanzverwaltung davon aus, dass die Zuordnung nach den maßgeblichen Personalfunktionen i.S.d. § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. §§ 5–8 BsGaV grundsätzlich der Zuordnung nach einem funktionalen Zusammenhang entsprechen.1 Dies zeigen auch die VWG BsGa, die wie selbstverständlich davon ausgehen, dass die in der BsGaV vorgesehenen Zuordnungsregeln auch für die Anwendung der Entstrickungsregeln gelten.2 Daher sollte man in der Praxis davon ausgehen, dass die Zuordnung eines Wirtschaftsguts für Zwecke der Entstrickungsregeln gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG der Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach den maßgeblichen Personalfunktionen i.S.d. § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV entspricht. Rechtsdogmatisch muss dies indessen nicht immer der Fall sein. Vor diesem Hintergrund kann (theoretisch) der Fall eintreten, dass in Anwendung der allgemeinen Entstrickungsregelungen ein Wirtschaftsgut weiterhin dem inländischen Stammhaus, nach § 1 Abs. 5 AStG allerdings der Betriebsstätte zuzuordnen ist. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die stillen Reserven aus der Überführung eines Wirtschaftsguts zunächst nach § 1 Abs. 5 AStG und zu einem späteren Zeitpunkt nach den Entstrickungsvorschriften aufzudecken sind (oder umgekehrt). Beispiel: Im VZ 2013 wird ein zuvor dem Stammhaus zuzuordnendes Wirtschaftsgut aufgrund des Kriteriums der „Personalfunktionen“ nach § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG der ausländischen Betriebsstätte zugeordnet. § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und § 12 Abs. 1 KStG kennen indessen keine Zuordnung nach dem Kriterium der „Personalfunktionen“. Vielmehr erfolgt hier nach h.M. eine Zuordnung nach dem Kriterium der „funktionalen Zugehörigkeit“ (vgl. Rz. 6.53 ff.). Ist dieses Wirtschaftsgut nach die1 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.4.1. 2 Vgl. etwa VWG BsGa, Rz. 20 und 62.

Ditz 411

6.134

Kap. 6 Rz. 6.135

Entstrickung und Verstrickung

sem Kriterium erst in 2014 der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen, erfolgt – zumindest nach dem Wortlaut der Vorschriften – eine erneute Realisierung der stillen Reserven, dann allerdings auf Basis der Entstrickungsvorschriften. Dieses Ergebnis ist die Konsequenz der fehlenden Abstimmung des § 1 Abs. 5 AStG mit den Entstrickungsvorschriften, kann allerdings nicht sachgerecht und auch nicht vom Gesetzgeber gewünscht sein. Infolgedessen sieht auch die Finanzverwaltung vor, dass die Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG einerseits sowie nach den maßgeblichen Personalfunktionen gem. § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. §§ 5–8 BsGaV grundsätzlich übereinstimmen.1

6.135 Anwendungsvorrang der DBA. Der AOA wurde durch die OECD im Rahmen des „Update 2010“ in Art. 7 OECD-MA 2010 aufgenommen. Wenngleich der AOA als „Standard“ in der deutschen Grundlage für DBA-Verhandlungen genannt wird,2 existieren nur wenige deutsche DBA, welche Art. 7 OECD-MA 2010 entsprechen (das DBA-Liechtenstein sowie die neuen DBA mit den Niederlanden und Luxemburg).3 Die übrigen deutschen DBA enthalten hinsichtlich der Auslegung ihrer Art. 7 OECD-MA 2008 nachgebildeten Abkommensnorm sehr unterschiedliche Regelungen: – So gibt es zahlreiche DBA, die dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2008 entsprechen und im Protokoll keine (wesentlichen) Aussagen zur Interpretation der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte enthalten (z.B. die DBA mit Großbritannien, Frankreich, Japan, Italien, Spanien, Österreich, Belgien und Russland). – Darüber hinaus existieren DBA, die dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2008 entsprechen und im Protokoll eine Einschränkung der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte enthalten (z.B. die DBA mit China, Indien sowie die bisherigen DBA mit Luxemburg und den Niederlanden). – Schließlich existiert mit den USA ein DBA, welches dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2008 entspricht, im Protokoll ist jedoch eine uneingeschränkte Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und damit der AOA enthalten.

6.136 Risiko der internationalen Doppelbesteuerung. § 1 Abs. 5 AStG differenziert hinsichtlich der Anwendung des AOA nicht zwischen den vorstehend dargestellten Abkommenstypen, sondern ist in allen DBA- und Nicht-DBA-Fällen anzuwenden. Damit greift die Vorschrift auch in Bezug auf DBA, die nicht dem OECD-MA 2008 folgen. Die Finanzverwaltung differenziert in diesem Zusammenhang nach den OECD-Mitgliedstaaten und den Nichtmitgliedstaaten der OECD. Soweit mit OECD-Mitgliedstaaten ein Art. 7 OECD-MA 2008 folgendes DBA besteht, sei davon auszugehen, dass der andere OECD-Mitgliedstaat, der in § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV vorgesehenen Anwendung des AOA folgt.4 Eine Rechtsgrundlage für eine solche Annahme ist indessen nicht ersichtlich, weicht doch der Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 von demjenigen des OECD-MA 2010 deutlich ab (vgl. Rz. 6.120). Bei Nichtmitgliedstaaten der OECD geht die Finanzverwaltung demgegenüber davon aus, dass „im Regelfall“ der andere Staat der Anwendung des AOA gem. § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV nicht folgt. Dann seien die Grundsätze der (alten) VWG Bs anzuwenden, und der Steuerpflichtige könne seine Steuererklärung unter Berücksichtigung des damaligen deutschen Ab1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20, 28 und 62; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.4.1. 2 Vgl. dazu Ditz/Bärsch/Quilitzsch, ISR 2013, 156 (157 f.). 3 Das neue DBA-Niederlande entspricht nicht der offiziellen deutschen Übersetzung des Art. 7 OECD-MA 2010. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 427.

412

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.136 Kap. 6

kommensverständnisses erstellen und beim Finanzamt einreichen.1 Auch insofern ist eine Rechtsgrundlage nicht erkennbar; sie könnte allenfalls in § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG gesehen werden, der jedoch einen entsprechenden Nachweis aus dem Ausland voraussetzt. In beiden Fällen besteht das Risiko, dass eine internationale Doppelbesteuerung entsteht, da die Grundsätze der Gewinnermittlung aus deutscher Sicht nicht mit der ausländischen Sichtweise harmonieren. Die Doppelbesteuerung kann dann nur über ein (oft zeitaufwendiges) Verständigungsverfahren vermieden werden.2 Der Gesetzgeber hat dieses Spannungsfeld wohl gesehen und infolgedessen in § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG einen (eigentlich selbstverständlichen) Vorrang des Abkommensrechts definiert. Danach ist eine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 5 AStG nur möglich, wenn – ein DBA anzuwenden ist und – der Steuerpflichtige geltend macht, – dass dessen Regelungen den Grundsätzen des § 1 Abs. 5 Sätze 1–7 AStG widersprechen, – und der Steuerpflichtige nachweist, – dass der andere Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend dem DBA ausübt und deshalb die Anwendung der Sätze 1–7 zu einer Doppelbesteuerung führen würde. Im Ergebnis enthält § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG ein treaty override,3 in dem die Schrankenwirkung des einschlägigen DBA an einen Nachweis geknüpft ist, dass der andere Vertragsstaat sein Besteuerungsrecht entsprechend dem DBA ausübt und infolgedessen die Anwendung des AOA gem. § 1 Abs. 5 AStG zu einer Doppelbesteuerung führt. Was die Anwendung des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG betrifft, differenziert die Finanzverwaltung wie folgt: – In Bezug auf DBA mit OECD-Mitgliedstaaten geht die Finanzverwaltung davon aus, dass der andere Staat der Anwendung des AOA gem. § 1 Abs. 5 AStG, der BsGaV und den VWG BsGa folgt.4 Infolgedessen hat der Steuerpflichtige seine Betriebsstätteneinkünfte gem. § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV zu erklären. Eine Anwendung des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG bedarf es i.d.R. nicht, Ausnahmen können allerdings in Bezug auf die Abrechnung eines Gewinnaufschlags bei Dienstleistungen5 oder bei fiktiven Lizenzgebühren6 bestehen. – Bei Nichtmitgliedstaaten der OECD ist im Anwendungsbereich des Art. 7 OECD-MA 2008 und des Art. 7 UN-MA im Regelfall davon auszugehen, dass der andere Staat einer Anwendung des AOA gem. § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV nicht folgt. Infolgedessen kann das Unternehmen in diesen Fällen die Betriebsstätteneinkünfte nach dem damaligen Abkommensverständnis und den VWG Bs erklären.7 Mit der Abgabe der Steuererklärung sind auch die Steuererklärung und der entsprechende Steuerbescheid des anderen Staates vorzulegen. Liegen weder die ausländische Steuererklärung noch der ausländische Steuerbescheid vor, sind beide Unterlagen unverzüglich nachzureichen. Ferner soll der Steuerpflichtige in diesem Fall bei Abgabe seiner Steuererklärung auf die Anwendung des Art. 7 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 430. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 428 und 432. 3 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines solchen treaty override vgl. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, FR 2016, 326 = ISR 2016, 125 m. Anm. Jochimsen = DStR 2016, 359. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 427. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 427. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 429. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 430.

Ditz 413

Kap. 6 Rz. 6.137

Entstrickung und Verstrickung

OECD-MA 2008 bzw. Art. 7 UN-MA hinweisen und die Höhe der Abweichung quantifizieren. Das Finanzamt soll dann klären, ob der andere Staat eine Besteuerung entsprechend dem OECD-Betriebsstättenbericht vorsieht oder es stellt eine entsprechende Anfrage an das BZSt.1 Die Regelungen der VWG BsGa sind hinsichtlich ihrer Rechtsgrundlage äußerst fraglich. Einerseits ist – aus praktischer Sicht – positiv zu sehen, dass die Finanzverwaltung das Abkommensverständnis des anderen Staates in die Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV „hineininterpretiert“. Andererseits führt dies zu einer in der Praxis kaum noch nachvollziehbaren Komplexität sowie zum Risiko einer internationalen Doppelbesteuerung und zwar dann, wenn das Unternehmen aufgrund einer Vielzahl von Betriebsstättenfällen nicht auf einzelne Abkommensinterpretationen eingehen kann.

6.137 Europarechtliche Bedenken. § 1 Abs. 5 AStG sieht keine allgemeine Stundungsregelung im Hinblick auf die Gewinnrealisierung bei unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte vor. Damit stellt sich die Frage, ob § 1 Abs. 5 AStG, der nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte Anwendung findet, gegen die Diskriminierungsverbote des AEUV verstößt. Einzelheiten dazu sind in Rz. 12.28 dargestellt.

6.138 Verkomplizierung der internationalen Betriebsstättengewinnabgrenzung. Die Implementierung des AOA in § 1 Abs. 4 und 5 AStG hat zu einer Verkomplizierung der internationalen Betriebsstättengewinnabgrenzung geführt (vgl. auch Rz. 6.136).2 Dies liegt einerseits daran, dass der AOA im Wesentlichen auf der Fiktion eines selbständigen und unabhängigen Unternehmens aufbaut, welche Grundlage der Abrechnung von unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ist. Neben der Frage, welche „schuldrechtliche Beziehung“ zu fingieren ist (z.B. Veräußerung, Nutzungsüberlassung, Aufwandsumlage, Dienstleistung), stellt sich die weitere Frage der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Da auch insoweit eine Zuordnungsentscheidung nach rechtlichen Kriterien ausscheidet, verbleibt nur die Anwendung rein wirtschaftlicher Kriterien, welche der AOA in den „wesentlichen Personalfunktionen“ konkretisiert. Auch insoweit bestehen erhebliche Unsicherheiten.3 Andererseits verwendet § 1 Abs. 5 AStG unklare bzw. inkonsistente Begrifflichkeiten, die seine praktische Anwendung äußerst problematisch machen: – Während Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 von der Fiktion eines „selbständigen“ Unternehmens spricht, wird in § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG der Begriff des „eigenständigen“ Unternehmens verwandt. Worin der Unterschied liegt, bleibt unklar. – § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG spricht nur von „Personalfunktionen“, während die OECD von „wesentlichen Personalfunktionen“ („significant people functions“) ausgeht. – § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG verwendet den Begriff „Vermögenswerte“. Dies ist für das deutsche Ertragsteuerrecht ein völlig neuer Begriff, welcher die Anwendung und Auslegung der Vorschrift unnötig verkompliziert. – § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG regelt eine Selbstverständlichkeit, wonach der Vorrang eines DBA zu beachten ist. Dieser Abkommensvorrang wird allerdings an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, so dass es sich bei § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG im Ergebnis um ein sog. treaty 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 431. 2 Vgl. Wassermeyer, IStR 2012, 277 (281); Kahle, DStZ 2012, 691 (699). 3 Vgl. im Einzelnen Kaeser, ISR 2012, 63 (67 ff.); Ditz, ISR 2012, 48 (53).

414

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.141 Kap. 6

override handelt. Ein solches ist verfassungsrechtlich problematisch.1 Im Übrigen erfolgt durch die Nachweispflicht des Steuerpflichtigen eine Beweislastumkehr zu seinen Lasten. – Es ist in der praktischen Anwendung des AOA gem. § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV nach dem einschlägigen DBA zu differenzieren. So ist die Anwendung des AOA bei Altabkommen, die dem OECD-MA 2008 oder dem UN-MA folgen, sehr fraglich. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist dabei zwischen DBA mit OECD-Mitgliedstaaten2 und DBA mit Nichtmitgliedstaaten der OECD3 zu differenzieren (vgl. Rz. 6.136). Keine uneingeschränkte internationale Anerkennung des AOA. Vor dem Hintergrund der praktischen Anwendungsprobleme des AOA kann es nicht überraschen, dass seine Anwendung international nicht unumstritten ist. So haben zahlreiche OECD-Staaten (Griechenland, Türkei, Chile, Neuseeland und Mexiko) einen ausdrücklichen Vorbehalt gegen eine Umsetzung des AOA (bzw. des Art. 7 OECD-MA 2010) in ihrer Abkommenspolitik abgegeben. Darüber hinaus wurde der AOA vollends von der UN abgelehnt. Infolgedessen kann von einem etablierten, international anerkannten Standard keine Rede sein.4 Dies wird auch Auswirkungen auf die deutsche Abkommenspolitik haben, so dass – wie das neue DBA-Türkei zeigt – auch Deutschland weiterhin DBA auf Basis des (alten) Art. 7 OECD-MA 2008 abschließen wird. Diese Uneinheitlichkeit wird ebenfalls nicht zu einer Vereinfachung der internationalen Betriebsstättenbesteuerung führen (vgl. auch Rz. 6.136).

6.139

Dienstleistungsbetriebsstätten und Betriebsstätten ohne Personal. Schließlich ist auf die fortschreitende Tendenz der OECD zur „Aufweichung“ des Betriebsstättenbegriffs hinzuweisen.5 Diese bezieht sich insbesondere auf eine Etablierung der sog. Dienstleistungsbetriebsstätte,6 welche die Fiktion einer Betriebsstätte als alternativen und subsidiären Ersatztatbestand zu Art. 5 Abs. 1 OECD-MA definiert. Wird insoweit abkommensrechtlich eine Betriebsstätte „fingiert“, welche gerade nicht hinsichtlich ihres Wertschöpfungs- bzw. Tätigkeitsumfangs ein „eigenständiges und unabhängiges“ Unternehmen darstellen kann, wird im Hinblick auf die Gewinnabgrenzung nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA von diesem ausgegangen. Dies führt im Ergebnis dazu, dass sowohl hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen der Betriebsstätte als auch hinsichtlich ihrer Gewinnabgrenzung mit Fiktionen gearbeitet wird. Dass dies zu praktischen Anwendungsschwierigkeiten führt, liegt auf der Hand. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie der Gewinn einer Betriebsstätte, die über kein Personal verfügt (z.B. Server, Pipeline oder Automat) nach dem AOA bestimmt werden soll.7

6.140

c) Konkretisierung des AOA in der BsGaV Konkretisierung des AOA in der BsGaV. Im Anschluss an die Implementierung des AOA in § 1 AStG (vgl. Rz. 6.123 ff.) hat das BMF von der Ermächtigung – mit Zustimmung des Bundesrats – in § 1 Abs. 6 AStG Gebrauch gemacht und die BsGaV vom 13.10.2014 ver1 Vgl. Vorlagebeschluss des BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, FR 2012, 819 m. Anm. Hagena/Wagner = DStR 2012, 949. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 427. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 430. 4 Vgl. Kahle, DStZ 2012, 691 (699). 5 Vgl. zu Einzelheiten Ditz/Quilitzsch, FR 2012, 493 ff.; Reiser/Cortez, IStR 2013, 6 ff.; Hoor, IStR 2012, 17 ff.; Bendlinger, SWI 2011, 531 ff. 6 Vgl. auch Art. 5 Tz. 42.23 OECD-MK. 7 Vgl. dazu auch Melhem/Dombrowski, IStR 2015, 912 (916 ff.); Kraft/Dombrowski, FR 2014, 1105 (1109); Nientimp/Ludwig/Stein, IWB 2014, 815 (817).

Ditz 415

6.141

Kap. 6 Rz. 6.142

Entstrickung und Verstrickung

abschiedet. Die BsGaV stellt die Gewinnermittlung bei Betriebsstätten im internationalen Kontext – und damit auch die Entstrickungsbesteuerung – auf ein völlig neues Fundament. Dazu wird der AOA im Rahmen der Gewinnermittlung in- und ausländischer Betriebsstätten nach der BsGaV in zwei Stufen umgesetzt.1 Die Stufe 1 bezieht sich auf eine detaillierte Funktions- und Risikoanalyse der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte als Teil der Gesamttätigkeit des Unternehmens (vgl. Rz. 6.117).2 Im Zentrum steht die Bestimmung und Zuordnung der maßgeblichen Personalfunktionen, auf Basis derer – ebenfalls in Stufe 1 – die Vermögenswerte, Chancen und Risiken und die Geschäftsvorfälle des Unternehmens der Betriebsstätte zugeordnet und darauf aufbauend deren Dotationskapital und Passivposten zu bestimmen sind.3 Dazu enthält die BsGaV detaillierte Regelungen in ihrem „allgemeinen Teil“.4 In Stufe 2 der Betriebsstättengewinnermittlung werden dann – aufbauend auf der Funktionsund Risikoanalyse – die identifizierten unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes und unter Anwendung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien bewertet und „abgerechnet“ (vgl. Rz. 6.118).5 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es vertragliche i.S.v. schuldrechtlichen Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht geben kann; vielmehr ist von einer Fiktion eines Leistungsaustauschs für steuerliche Zwecke auszugehen („anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen“ gem. § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG, vgl. Rz. 6.145).6 Darüber hinaus enthält die BsGaV detaillierte Sonderregelungen für Bankbetriebsstätten,7 Versicherungsbetriebsstätten,8 Bau- und Montagebetriebsstätten,9 Explorationsbetriebsstätten10 sowie Vertreterbetriebsstätten.11

6.142 Weiterentwicklung des § 1 AStG zu einer Gewinnermittlungsnorm? Die BsGaV enthält detaillierte Regelungen zur Bestimmung des Gewinns einer ausländischen Betriebsstätte eines im Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen sowie einer inländischen Betriebsstätte eines im Inland beschränkt Steuerpflichtigen. Damit regelt sie faktisch für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen,12 ein neues Gewinnermittlungsrecht für Betriebsstätten. Dies ist indessen systematisch insofern nicht sachgerecht, als es sich bei § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 AStG, der durch die BsGaV konkretisiert werden soll, um eine Einkünftekorrekturvorschrift zugunsten der Finanzverwaltung handelt.13 Hier wird nochmals mehr als deutlich, dass die Implementierung des AOA im EStG hätte verortet werden müssen. Umso mehr verwundert es, dass das BMF nach der Gesetzesbegründung durch § 1 Abs. 6 AStG eine sehr weitreichende Befugnis erhalten soll, die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes vorzugeben. Ziel soll es sogar sein, eine sog. „Betriebsstättenbilanz“ aufzustellen; die Finanzverwaltung spricht entsprechend von einer Betriebsstättengewinnermittlung nach § 1 Abs. 5 AStG.14 Wenngleich bereits der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, in der BsGaV Einzelheiten der Betriebsstättengewinnermittlung zu regeln, stellt sich die Frage, ob dies durch eine Rechtsverordnung zu einer Ein1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Vgl. VWG BsGa, Rz. 26 f. Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 BsGaV; VWG BsGa, Rz. 26. Vgl. § 1 Abs. 2 BsGaV. Vgl. § 1–15 BsGaV. Vgl. VWG BsGa, Rz. 27. Vgl. VWG BsGa, Rz. 3 ff. Vgl. §§ 18 ff. BsGaV. Vgl. §§ 23 ff. BsGaV. Vgl. §§ 30 ff. BsGaV. Vgl. §§ 35 ff. BsGaV. Vgl. § 39 BsGaV und dazu Rasch/Müller, ISR 2014, 418 ff. Vgl. § 40 BsGaV. Vgl. VWG BsGa, Rz. 10 und 20. So BT-Drucks. 17/10000, 66; BT-Drucks. 17/13033, 87.

416

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.144 Kap. 6

künftekorrekturvorschrift rechtlich möglich ist. Denn im Ergebnis geht die BsGaV in ihrem Regelungsinhalt und -umfang weit über das hinaus, was für die Durchführung einer Einkünftekorrektur notwendig ist. Vielmehr regelt sie Details der Betriebsstättengewinnermittlung,1 die unabhängig davon anzuwenden sind, ob ein DBA einschlägig ist oder nicht.2 Darüber hinaus finden die Betriebsstättengewinnermittlungsregeln der BsGaV auch in den Fällen Anwendung, in denen das einschlägige DBA Art. 7 OECD-MA 2008 folgt, d.h. den AOA noch nicht umsetzt (vgl. Rz. 6.135).3 Eine Schranke bildet insoweit nur § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG, der indessen mit weitreichenden Nachweispflichten, die in der BsGaV nicht weiter konkretisiert werden, ausgestattet ist (vgl. Rz. 6.136). Ferner findet die BsGaV auch im Hinblick auf die Ermittlung des für gewerbesteuerliche Zwecke zu kürzenden Gewinns ausländischer Betriebsstätten nach § 9 Nr. 3 GewStG Anwendung.4 Infolgedessen wird faktisch durch die BsGaV eine eigene Gewinnermittlungspflicht für in- und ausländische Betriebsstätten eingeführt, die im Grunde der eines rechtlich selbständigen Unternehmens entspricht. Infolgedessen gehen die Regelungen der BsGaV deutlich über den Wortlaut und den Sinn und Zweck des § 1 AStG als Einkünftekorrekturvorschrift5 hinaus. Denn es ergeben sich durch die BsGaV unmittelbare Folgen für die unternehmerische Gesamtbilanz. Wird z.B. ein Wirtschaftsgut in eine ausländische Betriebsstätte eines beschränkt steuerpflichtigen, im Ausland ansässigen Unternehmens überführt, sind auf den fiktiven Anschaffungspreis des Wirtschaftsguts in der inländischen Betriebsstätte die allgemeinen Abschreibungsregeln der §§ 7 ff. EStG anzuwenden.6 Dies macht deutlich, dass die Regelung der BsGaV nicht nur alleine in einer Hilfs- und Nebenrechnung,7 sondern praktisch gesprochen in einer eigenen Buchführung der Betriebsstätte umgesetzt werden können. Eine solche Buchführungspflicht kann allerdings nicht im Rahmen einer Rechtsverordnung zu § 1 AStG geregelt werden, sondern müsste sich aus §§ 140 ff. AO ergeben. So ist mehr als fraglich, ob die Vorgaben der BsGaV zur Gewinnermittlung der Betriebsstätte durch § 1 Abs. 6 AStG tatsächlich gedeckt sind. Ermittlung des Betriebsstättenergebnisses mittels einer Hilfs- und Nebenrechnung. Gemäß § 3 BsGaV ist das Ergebnis einer Betriebsstätte mittels einer Hilfs- und Nebenrechnung zu ermitteln.8 Dazu ist gem. § 3 Abs. 1 BsGaV zu Beginn eines Wirtschaftsjahrs eine Hilfsund Nebenrechnung aufzustellen, während des Wirtschaftsjahrs fortzuschreiben und zum Ende des Wirtschaftsjahrs abzuschließen. Dies gilt gem. § 3 Abs. 5 BsGaV nicht für Betriebsstätten eines Unternehmens, das weder nach inländischem noch nach ausländischem Recht buchführungspflichtig ist und das tatsächlich keine Bücher führt (z.B. Freiberufler). In diesem Fall ist das Ergebnis der Betriebsstätte anhand einer Einnahmenüberschussrechnung i.S.d. § 4 Abs. 3 EStG zu ermitteln.9

6.143

Bestandteile der Hilfs- und Nebenrechnung. Die Hilfs- und Nebenrechnung beinhaltet gem. § 3 Abs. 2 BsGaV alle Bestandteile, die der Betriebsstätte aufgrund ihrer Personalfunk-

6.144

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 8. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 8. 3 So auch die Finanzverwaltung in Bezug auf OECD-Mitgliedstaaten in VWG BsGa, Rz. 427, jedoch einschränkend in Bezug auf DBA mit Nichtmitgliedstaaten der OECD in VWG BsGa, Rz. 430. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 25. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 10. 6 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 50; VWG BsGa, Rz. 54. 7 Vgl. § 3 Abs. 1 BsGaV. 8 Vgl. VWG BsGa, Rz. 51. 9 Vgl. VWG BsGa, Rz. 70.

Ditz 417

Kap. 6 Rz. 6.145

Entstrickung und Verstrickung

tionen zuzuordnen sind.1 Allerdings gilt dies für Vermögenswerte nur, wenn sie von einem rechtlich selbständigen Unternehmen in der steuerlichen Gewinnermittlung erfasst würden. Die Einschränkung betrifft damit u.a. die Bilanzierungsverbote des § 5 Abs. 2–5 EStG. Beispielsweise können immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens aufgrund des Bilanzierungsverbots des § 5 Abs. 2 EStG in der Hilfs- und Nebenrechnung der Betriebsstätte nur erfasst werden, wenn diese entgeltlich erworben wurden. Als entgeltlicher Erwerb gilt auch eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung.2 Infolgedessen wird die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte letztlich auch für bilanzielle Zwecke umgesetzt. Neben den Vermögenswerten beinhaltet die Hilfs- und Nebenrechnung der Betriebsstätte gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2–4 BsGaV das Dotationskapital, die übrigen Passivposten, die damit zusammenhängenden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben sowie die fiktiven Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben.3 Nach den VWG BsGa ist die Hilfs- und Nebenrechnung nach inländischen Bilanzregeln laufend fortzuschreiben.4 2. Tatbestandsvoraussetzungen a) Anzunehmende schuldrechtliche Beziehung aa) Definition

6.145 Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG. § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG sieht – zugunsten der Finanzverwaltung – eine Einkünftekorrektur vor, wenn für eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG Bedingungen, insbesondere Verrechnungspreise, zugrunde gelegt werden, die einem Fremdvergleich nicht standhalten, und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden; dabei ist die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, es sei denn, die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen erfordert eine andere Behandlung.5 Infolgedessen ist die Geschäftsbeziehung – verstanden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung – eine zentrale Tatbestandsvoraussetzung für eine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG.

6.146 Geschäftsvorfälle und einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG definiert die Geschäftsbeziehung bzw. die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung als „Geschäftsvorfälle zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte“. Was unter „Geschäftsvorfällen“ zu verstehen ist, ergibt sich aus § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG, der damit „einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge“ meint. Infolgedessen wird der für eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung notwendige Geschäftsvorfall als wirtschaftlicher Vorgang definiert,6 wobei unklar bleibt, was darunter konkret zu verstehen ist.7 Ein „wirtschaftlicher Vorgang“ kann jeder in einem internationalen Einheitsunternehmen tatsächlich realisierter Prozess oder jedes in einem solchen tatsächlich entstandene Ereignis 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. VWG BsGa, Rz. 58 bis 62. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 52; VWG BsGa, Rz. 59. Vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 BsGaV, Rz. 60 f. Vgl. VWG BsGa, Rz. 52. Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG; VWG BsGa, Rz. 6. Vgl. VWG BsGa, Rz. 165. Vgl. Richter/Heyd, Ubg 2013, 418 (419); Schnitger, IStR 2012, 633 (637 f.); Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917 (1918).

418

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.147 Kap. 6

oder Geschehnis sein. Infolgedessen ist die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung sehr weit gefasst; sie kann jeden Vorgang, Prozess, jedes Ereignis, jeden Hergang oder jedes Geschehnis zwischen einem Stammhaus und seiner Betriebsstätte betreffen. Durch diese weite Definition stellt der Gesetzgeber sicher, dass sämtliche nur denkbaren Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte im internationalen Kontext von § 1 Abs. 5 AStG erfasst werden. Dies ist insofern nicht sachgerecht, als jeglicher Bezug des „Geschäftsvorfalls“ bzw. des „wirtschaftlichen Vorgangs“ zum Fremdvergleichsgrundsatz fehlt. Zwar hat der Gesetzgeber versucht, durch § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG einen solchen Bezug über den Verweis auf das Verhalten unabhängiger ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter herzustellen. Aber: Die Vorschrift ist „unverständlich formuliert“1 und infolgedessen nicht geeignet, für die Praxis taugliche Hinweise einer Anwendung des Fremdvergleichs auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zu geben. Im Übrigen ist § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG auch in sich unlogisch: So ist nicht verständlich, warum voneinander unabhängige, ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter schuldrechtliche Vereinbarungen treffen würden, wenn sie einer Geschäftsbeziehung gar nicht zugrunde liegen. Schließlich ist die (nicht verständliche) Vorschrift mit einer Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen verbunden und verstößt damit gegen den allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz, dass die Finanzverwaltung die Beweislast für Einkünftekorrekturen trägt. Konkretisierung in § 16 Abs. 1 BsGaV. Sucht man in § 1 AStG vergeblich eine Antwort darauf, was konkret unter einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung, einem Geschäftsvorfall oder einem wirtschaftlichen Vorgang zu verstehen ist, enthält § 16 Abs. 1 BsGaV dazu eine konkrete Definition. Dies überrascht insofern, als die Ermächtigung des BMF (mit Zustimmung des Bundesrats) eine Rechtsverordnung zu erlassen, sich gerade nicht auf § 1 Abs. 4 AStG und damit die Definition der Geschäftsbeziehung bezieht. Nach § 16 Abs. 1 BsGaV und nach den VWG BsGa, Rz. 166 liegt eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung vor, wenn wirtschaftliche Vorgänge festgestellt werden, die – zu einer Änderung der Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern, immateriellen Werten, Beteiligungen, Finanzanlagen oder ähnlichen Vermögenswerten, sonstigen Vermögenswerten, Geschäftsvorfällen des Unternehmens, Chancen und Risiken oder Sicherungsgeschäften führen (z.B. fiktiver Verkauf oder fiktive Nutzungsüberlassung) oder – durch schuldrechtliche Vereinbarungen zwischen unabhängigen Unternehmen geregelt würden (z.B. fiktive Dienstleistungen) oder – zur Geltendmachung von Rechtspositionen zwischen unabhängigen Unternehmen führen würden.2 Eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ist infolgedessen Ersatz für eine tatsächliche schuldrechtliche Beziehung, die auf Basis der Funktions- und Risikoanalyse vorliegen würde, wenn das Stammhaus und die Betriebsstätte selbständige und unabhängige Unternehmen wären.3 Infolgedessen kommen sämtliche zwischen selbständigen und unabhängigen Unternehmen denkbaren schuldrechtlichen Beziehungen nach dem Verständnis des § 16 Abs. 1 BsGaV auch als anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in Betracht. Dazu gehören beispielsweise:4

1 2 3 4

Richter/Heyd, Ubg 2013, 418 (419). Vgl. VWG BsGa, Rz. 166. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 87; VWG BsGa, Rz. 164. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 87; VWG BsGa, Rz. 168.

Ditz 419

6.147

Kap. 6 Rz. 6.148

Entstrickung und Verstrickung

– unternehmensinterne Erbringung von Dienstleistungen (das Stammhaus übt unterstützende Personalfunktionen für die Betriebsstätte aus);1 – unternehmensinterne Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern oder Vermögenswerten (ein dem Stammhaus zugeordneter Vermögenswert wird auch durch eine ausländische Betriebsstätte genutzt);2 – unternehmensinterne Überführung bzw. fiktive Veräußerung von Vermögenswerten (ein dem Stammhaus zugeordneter Vermögenswert wird infolge einer tatsächlichen Veränderung der Personalfunktion einer ausländischen Betriebsstätte zugeordnet);3 – unternehmensinterne Überführung von Warenbeständen des Umlaufvermögens (Warenbestände des Umlaufvermögens, die zunächst dem Stammhaus zuzuordnen waren, werden in eine ausländische Betriebsstätte überführt). Die in der Begründung zu § 16 Abs. 1 BsGaV und in den VWG BsGa, Rz. 166 und Rz. 168 genannten typischen Tatbestände einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung machen offensichtlich, dass sich § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 AStG und die BsGaV insbesondere auch auf die Entstrickung von stillen Reserven beziehen. Insoweit wird offensichtlich, dass es sich bei den Vorschriften um Entstrickungsvorschriften handelt, wobei sich die Frage des Konkurrenzverhältnisses zu § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 16 Abs. 3 Buchst. a EStG und § 12 Abs. 1 KStG stellt (vgl. Rz. 6.26 ff. und 6.133).4

6.148 Definition unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes. § 1 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG und § 16 BsGaV sehen – i.S.d. AOA (vgl. Rz. 6.116 ff.) – zutreffend vor, dass unternehmensinterne Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte im Rahmen der Funktionsanalyse zu identifizieren und nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs „abzurechnen“ sind. Dies betrifft insbesondere die (fingierte) Veräußerung von Wirtschaftsgütern an eine ausländische Betriebsstätte (Überführung von Wirtschaftsgütern) sowie deren (fingierte) Nutzungsüberlassung an die ausländische Betriebsstätte. Die Abrechnung von „Verrechnungspreisen“ für diese unternehmensinternen Transaktionen bedeutet allerdings nicht, dass es zu einem tatsächlichen Zahlungsmittelfluss kommen muss. Vielmehr werden die auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes ermittelten Verrechnungspreise5 im Rahmen der Kostenstellenrechnung, im Rahmen von getrennten Buchführungskreisen der Unternehmensteile (Stammhaus und Betriebsstätte) oder der Hilfsund Nebenrechnung ohne Zahlungsmittelfluss verrechnet.6 Prinzipiell ist jedoch auch denkbar, dass für das Stammhaus und die Betriebsstätte separate Bankkonten existieren und der unternehmensinterne Leistungsaustausch entgeltlich vergütet wird.7 Dabei kann es allerdings nie zu schuldrechtlichen Verpflichtungen kommen, da Stammhaus und Betriebsstätte eine rechtliche Einheit bilden.

6.149 Konsequenzen des Fremdvergleichsgrundsatzes. Der Begriff der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung kann nur unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. VWG BsGa, Rz. 171. Vgl. VWG BsGa, Rz. 171. Vgl. VWG BsGa, Rz. 169 f. Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. Vgl. § 16 Abs. 2 BsGaV. Vgl. VWG BsGa, Rz. 173. Zu den möglichen Organisationsformen der Betriebsstättenbuchführung vgl. Kleineidam, IStR 1993, 141 (144).

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.150 Kap. 6

und der damit im Zusammenhang stehenden Selbständigkeits- und Unabhängigkeitsfiktion der Betriebsstätte ausgelegt werden. Die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung ist damit zunächst eng mit dem Begriff der Funktion verbunden. Vor diesem Hintergrund sieht sowohl der AOA der OECD (vgl. Rz. 6.178) als auch die BsGaV1 zutreffend eine detaillierte Funktions- und Risikoanalyse vor.2 Dabei ist davon auszugehen, dass eine betriebliche Teileinheit (Stammhaus oder Betriebsstätte) im Innen- oder Außenverhältnis keine Leistung erbringen kann, wenn sie keine Funktion (zum Begriff vgl. Rz. 6.305 ff.) ausübt. Infolgedessen ist die Ausübung einer (Personal-)Funktion eine notwendige Voraussetzung für eine (fingierte) Lieferung oder Leistung und somit für eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung. Daher lässt sich i.d.R. von den durch eine Betriebsstätte ausgeübten Funktionen auf die von ihr an andere Unternehmensteile erbrachten Lieferungen oder Leistungen schließen. Darüber hinaus setzt eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung eine „Beziehung“ zwischen den beteiligten Parteien bzw. Unternehmensteilen (i.S.v. fiktiv gegenüberstehenden Vertragsparteien) voraus. Diese Beziehung konkretisiert sich zwischen fremden Dritten in einer auf einen Leistungsaustausch gerichteten, schuldrechtlichen Vereinbarung. Dabei wird – dem Fremdvergleichsgrundsatz folgend – der Lieferant bzw. Leistungserbringer im Rahmen einer eigenen erwerbswirtschaftlichen Motivation tätig. Demgegenüber erwartet der Leistungsempfänger für seine unternehmerische Tätigkeit einen wirtschaftlichen Vorteil, z.B. in der Form einer Bedarfsdeckung. Vor diesem Hintergrund stellt auch – trotz missglückten Wortlauts (vgl. Rz. 6.146) – § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG zutreffend auf das Verhalten zweier unabhängiger ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter ab. Es ist nur sachgerecht, dass für die erbrachte Leistung eines Unternehmensteils der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter regelmäßig eine Gegenleistung des Leistungsempfängers erwartet, die i.d.R. in der Zahlung des vereinbarten Entgelts besteht. Insoweit stehen sich bei einer Leistungsbeziehung (und damit bei einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung) eine Leistung des Leistungserbringers und eine Gegenleistung des Leistungsempfängers korrespondierend gegenüber. Infolgedessen kann unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nur angenommen werden, wenn diese auch unter fremden Dritten denkbar wäre und somit einem – tatsächlichen oder hypothetischen – Fremdvergleich zugänglich ist.3 Die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung muss dabei hinreichend konkretisiert und greifbar sein, denn ansonsten würde sie auch unter fremden Dritten nicht vergütet.4 Keine Auswirkungen auf die Quellenbesteuerung. Die Anerkennung und Abrechnung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen beschränkt sich auf die Ebene der Gewinnabgrenzung und infolgedessen auf die Bestimmung des in- oder ausländischen Betriebsstättengewinns. Abkommensrechtlich betroffen sind daher Art. 7 sowie Art. 23A/B OECD-MA. Da Liefer- und Leistungsbeziehungen fingiert werden, können die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen nicht Gegenstand einer Quellenbesteuerung sein.5 Dies wird auch von der OECD so gesehen.6 1 2 3 4

Vgl. § 1 Abs. 1 und 2 BsGaV. Vgl. VWG BsGa, Rz. 26. Vgl. VWG BsGa, Rz. 165. Vgl. VWG BsGa, Rz. 165: „Es muss eine Schwelle überschritten werden, die es rechtfertigt, für dieses Ereignis anzunehmen, dass rechtlich selbständige, unabhängige Unternehmen in einer vergleichbaren Situation eine schuldrechtliche Vereinbarung abgeschlossen oder eine bestehende Rechtsposition geltend gemacht hätten.“ 5 Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 29; VWG BsGa, Rz. 24. 6 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 203.

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6.150

Kap. 6 Rz. 6.151

Entstrickung und Verstrickung

6.151 Dokumentation. Während eine schuldrechtliche Beziehung zwischen rechtlich selbständigen, unabhängigen Unternehmen bzw. zwischen verbundenen Unternehmen durch einen schriftlichen Vertrag, durch schriftliche Korrespondenz (z.B. Auftragserteilung oder Leistungsabrechnung) oder durch sonstige Unterlagen belegbar ist, sind derartige Nachweise im internationalen Einheitsunternehmen nicht vorhanden. Infolgedessen stellt sich die Frage, wie anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zu dokumentieren sind. In diesem Zusammenhang muss man zunächst sehen, dass nach § 3 Abs. 2 Satz 3 BsGaV anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen in der Hilfs- und Nebenrechnung zu erfassen sind.1 Sie führen dort zu fiktiven Betriebseinnahmen und fiktiven Betriebsausgaben. Eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Erstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung, der dortigen Erfassung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen und dem Ausweis (einschließlich entsprechender Besteuerungsfolgen) der fiktiven Betriebseinnahmen und fiktiven Betriebsausgaben hätte nicht in der BsGaV, sondern im einkommensteuerlichen Gewinnermittlungsrecht bzw. der Abgabenordnung verortet werden müssen (vgl. Rz. 6.125). Hier wird offensichtlich, dass die BsGaV deutlich über den eigentlichen Ermächtigungsrahmen des § 1 Abs. 6 AStG (§ 1 AStG als Einkünftekorrektur- und nicht Gewinnermittlungsvorschrift) hinausgeht. Dies gilt ferner für die Erweiterung der Dokumentationspflichten i.S.d. § 90 Abs. 3 AO in § 3 Abs. 3 BsGaV.

6.152 Hinreichende Konkretisierung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung. Aufgrund der Tatsache, dass anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen nicht in Verträgen dokumentiert werden können und im Übrigen die Finanzverwaltung im Hinblick auf Einkünftekorrekturen nach § 1 Abs. 1 und 5 AStG die Beweislast trägt, müssen für das Vorliegen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung erhöhte Anforderungen gestellt werden. So müssen im Rahmen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung wirtschaftlich wesentliche Risiken, Verantwortlichkeiten oder Vorteile überführt oder überlassen werden.2 Dies hat auch Auswirkungen auf die Definition des Vermögenswerts (vgl. Rz. 6.157 ff.). Darüber hinaus sind – trotz fehlender unklarer Rechtsgrundlage – anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in der Hilfs- und Nebenrechnung zu erfassen und durch die Funktionsanalyse und die in diesem Zusammenhang identifizierten Personalfunktionen zu begründen. Daher muss die Finanzverwaltung die Abrechnung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen anerkennen, wenn ihre Dokumentation mit den Ergebnissen der Funktionsanalyse im Einklang steht, die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen nicht von dem abweichen, was zwei ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter in einer vergleichbaren Situation vernünftigerweise vereinbart hätten und die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung nicht die Grundsätze des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 verletzt, indem z.B. ein Risiko unabhängig von der zugrunde liegenden Funktion übertragen wird.3 bb) Bestimmung der maßgeblichen Personalfunktionen als Ausgangspunkt

6.153 Bedeutung der Personalfunktionen. Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 BsGaV sind der Betriebsstätte ausgehend von der Funktions- und Risikoanalyse Personalfunktionen zuzuordnen. Der Begriff der Personalfunktion ist von zentraler Bedeutung, entscheidet er doch darüber, welche 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 63. 2 Vgl. auch OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 178; VWG BsGa, Rz. 165. 3 Vgl. Art. 7 Tz. 26 OECD-MK 2010. Gemäß OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 181 sollten dabei die Tz. 1.48–1.54 sowie 1.64–1.69 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010 zur Anwendung kommen.

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.154 Kap. 6

Wirtschaftsgüter, Vermögenswerte, Chancen und Risiken,1 welches Dotationskapital,2 welche Passivposten3 und welche Geschäftsvorfälle4 der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Die Veränderung von Personalfunktionen im internationalen Einheitsunternehmen kann daher – neben Funktionsverlagerungen5 – z.B. die Überführung von Vermögenswerten (z.B. immaterielle Wirtschaftsgüter und Geschäftschancen) verbunden mit entsprechenden Gewinnrealisierungen nach sich ziehen.6 Definition der Personalfunktion. § 2 Abs. 3 Satz 1 BsGaV definiert eine Personalfunktion als „eine Geschäftstätigkeit, die von eigenem Personal des Unternehmens für das Unternehmen ausgeübt wird.“ Diese Definition der Personalfunktion ist insoweit unbefriedigend, als sie den unbestimmten Rechtsbegriff „Personalfunktion“ durch einen anderen unbestimmten Begriff „Geschäftstätigkeit“ erläutert.7 § 2 Abs. 3 Satz 2 BsGaV enthält zwar eine beispielhafte Aufzählung von Geschäftstätigkeiten, jedoch ist diese nicht abschließend.8 Dazu gehören die Nutzung, die Anschaffung, die Herstellung, die Verwaltung, die Veräußerung, die Weiterentwicklung, der Schutz, die Risikosteuerung und die Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen. Auch der Rückgriff auf die FVerlV9 hilft hinsichtlich der Definition nur bedingt weiter. § 1 Abs. 1 FVerlV beschreibt eine Funktion als eine Geschäftstätigkeit, „die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden.“ Was konkret eine Geschäftstätigkeit ausmacht, lässt jedoch auch die FVerlV offen (vgl. Rz. 6.305).10 Die VWG Funktionsverlagerung11 enthalten in Tz. 2.1.1 Abs. 3 auch nur eine beispielhafte Aufzählung. Danach kommen als Funktionen Geschäftstätigkeiten in Betracht, die „zur Geschäftsleitung, Forschung und Entwicklung, Materialbeschaffung, Lagerhaltung, Produktion, Verpackung, Vertrieb, Montage, Bearbeitung oder Veredelung von Produkten, Qualitätskontrolle, Finanzierung, Transport, Organisation, Verwaltung, Marketing, Kundendienst usw. gehören.“ Im Gegensatz zu einer Funktion muss es sich jedoch bei einer Geschäftstätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 3 BsGaV nicht zwangsläufig um eine Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben handeln, so dass auch einzelne betriebliche Aufgaben – wie die Nutzung eines Vermögenswerts – eine Geschäftstätigkeit und damit eine Personalfunktion i.S.d. § 2 Abs. 3 BsGaV darstellen können. Ferner muss es sich im Hinblick auf den Reglungszweck der BsGaV bei einer Geschäftstätigkeit nicht um eine erwerbsmäßige Tätigkeit handeln, die Markt- und Gewinnpotentiale schafft, wie dies bei einer Funktionsverlagerungsbesteuerung der Fall ist.12 Denn einer Geschäftstätigkeit i.S.d. BsGaV müssen nicht direkt Gewinne zugeordnet werden können. Dementsprechend können auch reine Hilfstätigkeiten eine Geschäftstätigkeit i.S.d. der BsGaV darstellen. Für dieses Verständnis spricht auch § 2 Abs. 5 BsGaV, wonach Personalfunktionen lediglich unterstützenden Charakter haben können. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. §§ 4 ff. BsGaV. Vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. §§ 12 f. BsGaV. Vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 14 BsGaV. Vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 9 BsGaV. Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG. Vgl. VWG BsGa, Rz. 166 und 169 f. Vgl. VWG BsGa, Rz. 34. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 46. Vgl. FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. Vgl. Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.23. 11 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774. 12 Vgl. Frischmuth, StuB 2008, 864 (865), Frischmuth in FS Schaumburg, 2009, 674, (676).

Ditz 423

6.154

Kap. 6 Rz. 6.155

Entstrickung und Verstrickung

6.155 Zuordnung einer Personalfunktion. § 4 BsGaV und die VWG BsGa, Rz. 71–75 regeln die Zuordnung von Personalfunktionen. Die Vorschrift entscheidet daher darüber, welchem Unternehmerteil materielle Wirtschaftsgüter,1 immaterielle Werte,2 Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnliche Vermögenswerte,3 sonstige Vermögenswerte4 sowie Geschäftsvorfälle5 zuzuordnen sind.6 Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BsGaV kommt es für die Zuordnung der Personalfunktion auf den Ort der Ausübung der Personalfunktion an. § 4 BsGaV regelt damit die in § 1 Abs. 5 AStG offene Frage nach dem maßgeblichen Zuordnungskriterium von Personalfunktionen. Der Verordnungsbegründung ist insoweit zuzustimmen, als mit dem örtlichen Bezug ein relativ einfaches Zuordnungskriterium für Personalfunktionen festgelegt wurde. Dabei kann eine Personalfunktion sowohl vom Stammhaus als auch von der Betriebsstätte ausgeübt werden, was dazu führen kann, dass sowohl dem Stammhaus als auch der Betriebsstätte dieselben Personalfunktionen zuzuordnen sind. Für die Möglichkeit der Ausübung von Personalfunktionen durch das Stammhaus oder die Betriebsstätte bzw. verschiedene Betriebsstätten desselben Stammhauses spricht auch § 6 Abs. 4 Satz 2 BsGaV, der explizit eine anteilige Zuordnung von immateriellen Werten zulässt. Eine anteilige Zuordnung von immateriellen Werten kann – entgegen der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung7 – nur erfolgen, wenn sowohl vom Stammhaus als auch von der Betriebsstätte dieselbe Personalfunktion ausgeübt wird.8 Beispiel: Die in Deutschland ansässige Autoglas GmbH produziert Windschutzscheiben. Im Ausland unterhält sie eine Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 OECD-MA. Um die Stoßfestigkeit der produzierten Scheiben zu verbessern, soll ein neues Fertigungsverfahren entwickelt werden. Die Entwicklung dieses Verfahrens soll durch erfahrene Mitarbeiter der F&E-Abteilung erfolgen, die vollständig in der ausländischen Betriebsstätte angesiedelt sind. Das Entwicklungsteam wird durch einen Abteilungsleiter in der Betriebsstätte geführt, wobei die Gesamtverantwortung für F&E bei dem deutschen Geschäftsführer der Autoglas GmbH liegt. Die Personalfunktion „F&E“ wird sowohl von der ausländischen Betriebsstätte (Mitarbeiter der F&E-Abteilung und Abteilungsleiter) als auch vom Stammhaus (Geschäftsführer) der Autoglas GmbH ausgeführt. Die Personalfunktion kann damit der ausländischen Betriebsstätte sowie dem Stammhaus der Autoglas GmbH zugeordnet werden.

Nach der Verordnungsbegründung kommt es für die Zuordnung einer Personalfunktion auf die Dauer der Ausübung grundsätzlich nicht an.9 Die Zuordnungsregel des § 4 Abs. 1 Satz 1 BsGaV erfährt jedoch insoweit eine Einschränkung, als eine Personalfunktion einer Betriebsstätte nicht zugeordnet kann, wenn diese 1. keinen sachlichen Bezug zur Betriebsstätte aufweist und 2. an weniger als 30 Tagen innerhalb eines Wirtschaftsjahrs in dieser Betriebsstätte ausgeübt wird.10

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

§ 5 BsGaV. § 6 BsGaV. § 7 BsGaV. § 8 BsGaV. § 9 BsGaV. Zu den Sonderproblemen bei „personallosen“ Betriebsstätten vgl. Kraft/Dombrowski, FR 2014, 1105 (1109); Nientimp/Ludwig/Stein, IWB 2014, 815 (817). Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.4 Abs. 1. Vgl. VWG BsGa, Rz. 101. Vgl. BR-Drucks. v. 28.8.2014, 55; VWG BsGa, Rz. 71. Vgl. VWG BsGa, Rz. 72 mit Beispielen.

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Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.157 Kap. 6

In diesem Zusammenhang ist positiv hervorzuheben, dass die feste 30-Tage-Regel Rechtssicherheit für die Steuerpflichtigen schafft.1 Allerdings sollte sich die Regel nicht auf ein Wirtschaftsjahr beziehen. Denn auch wenn eine Funktion zukünftig auf Dauer durch eigenes Personal der ausländischen Betriebsstätte ausgeübt werden soll, verhindert dies zum Ende eines jeden Wirtschaftsjahrs eine entsprechende Zuordnung. Deswegen sollte aufgrund tatsächlicher Gegebenheiten eine Prognose über den Zeitraum der Ausübung der Personalfunktion zugelassen werden, so dass eine Zuordnung von Personalfunktionen auch am Ende eines Wirtschaftsjahrs möglich ist. Nur so kann der Periodenerfolg des Stammhauses und der Betriebsstätte i.S.d. BsGaV richtig ermittelt werden. Eigenes Personal. Wer zum „eigenen Personal“ des Unternehmens gehört, wird in § 2 Abs. 4 BsGaV und den VWG BsGa, Rz. 37 f. erläutert. Während im Entwurf der BsGaV vom 5.8.2013 eigenes Personal als natürliche Personen, „die aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung mit dem Unternehmen für das Unternehmen tätig werden“, definiert wurde, sieht der neue § 2 Abs. 4 BsGaV eine umfangreichere Definition vor: Es wird nicht nur auf arbeitsvertragliche, sondern auch auf gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen mit dem Unternehmen abgestellt. Dies führt z.B. dazu, dass auch Unternehmer oder Gesellschafter zum eigenen Personal des Unternehmens zählen, wenn sie für das Unternehmen tätig werden. Zudem soll auch von einem anderen Unternehmen überlassenes Personal als eigenes Personal des Unternehmens angesehen werden. Dies setzt jedoch voraus, dass das Personal auf Weisung des anderen Unternehmens im Rahmen der arbeitsvertraglichen Pflichten für das Unternehmen tätig wird und sich die Verpflichtung des anderen Unternehmens auf die Überlassung des Personals beschränkt. Das Unternehmen hat in diesen Fällen nur die Arbeitskraft durch die Einschaltung des anderen Unternehmens beschafft, anstatt selbst eine arbeitsvertragliche Vereinbarung mit den Personen abzuschließen.2 Gemeint ist damit wohl die Leiharbeit bzw. die Personalüberlassung.3

6.156

cc) Definition des Vermögenswerts Definition. Ausgehend von den der Betriebsstätte zugeordneten Personalfunktionen sind der Betriebsstätte gem. § 1 Abs. 2 Nr. 2 BsGaV Vermögenswerte zuzuordnen. § 2 Abs. 6 Satz 1 BsGaV definiert Vermögenswerte als Wirtschaftsgüter (vgl. Rz. 6.43) und Vorteile. Dazu gehören gem. § 2 Abs. 6 Satz 2 BsGaV insbesondere materielle Wirtschaftsgüter, immaterielle Werte einschließlich immaterielle Wirtschaftsgüter – wobei die Unterscheidung zwischen immateriellen Werten und immateriellen Wirtschaftsgütern nicht verständlich ist –, Beteiligungen und Finanzanlagen.4 Für die Definition von Vermögenswerten soll es nach der Verordnungsbegründung weder auf nationale noch internationale Bilanzierungsstandards ankommen. Auch die tatsächliche Bilanzierung und Bilanzierbarkeit von Wirtschaftsgütern soll für Zwecke der Betriebsstättengewinnaufteilung nicht relevant sein.5 Es ist damit unklar, was konkret unter dem Begriff „Vermögenswert“ i.S.d. BsGaV zu verstehen ist.6 Die Verordnungsbegründung und die VWG BsGa enthalten nur wenige Anhaltspunkte. Danach stellen auch selbst erstellte immaterielle Wirtschaftsgüter, die aufgrund des § 5 Abs. 2 EStG nicht bilanziert werden dürfen, Vermögenswerte i.S.d. BsGaV dar. Auch die nach § 248 HGB 1 2 3 4 5 6

Vgl. VWG BsGa, Rz. 72. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 47. Vgl. VWG BsGa, Rz. 37. Vgl. VWG BsGa, Rz. 49. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 49; VWG BsGa, Rz. 49. Vgl. Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 466 (469).

Ditz 425

6.157

Kap. 6 Rz. 6.158

Entstrickung und Verstrickung

explizit nicht zu bilanzierenden immateriellen Vermögenswerte können nach der Verordnungsbegründung Vermögenswerte i.S.d. BsGaV darstellen.1

6.158 Abgrenzung zu Chancen und Risiken. Ein wesentliches Problem liegt darin, immaterielle Vermögenswerte und insbesondere Vorteile von Chancen und Risiken abzugrenzen.2 Chancen und Risiken sind nach der Verordnungsbegründung nicht geeignet, Gegenstand einer Geschäftsbeziehung zu sein, sondern sind allein Ausfluss der unternehmerischen Tätigkeit, die unmittelbar oder mittelbar mit Vermögenswerten verbunden ist. Demnach muss der Vermögenswert als „eigener Wert“ abgegrenzt werden können. Zumindest stellt die Verordnungsbegründung klar, dass der Begriff „Vorteile“ dem Verständnis von Vorteilen in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG entspricht.3 Allerdings bleibt der Begriff auch in dieser Vorschrift unklar. Unter dem Begriff „Vorteile“ werden singuläre Geschäftschancen zu subsumieren sein, d.h. die konkrete Möglichkeit, aus einzelnen bereits konkretisierten Geschäften Gewinne zu erzielen.4 Mit dem Abstellen auf Vermögenswerte statt auf Wirtschaftsgüter wird die Betriebsstättengewinnermittlung – abweichend von den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften gem. §§ 4 ff. EStG – auf ein völlig neues Fundament gestellt. Es mag nicht überraschen, dass daraus zahlreiche grundlegende Fragen resultieren. Um nur einige zu nennen: – Gilt auch bei Betriebsstätten der allgemeine Grundsatz des Betriebsvermögensvergleichs (d.h. Einbeziehung von Vermögenswerten in den Betriebsvermögensvergleich)? – Sind die Vorschriften zur Bilanzierung dem Grunde nach (z.B. §§ 5 Abs. 2, 5 Abs. 4a und 5 Abs. 5 EStG) auch in Bezug auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen anzuwenden? – Gelten die Bewertungsregeln der §§ 6 und 7 EStG auch bei Vermögenswerten? – Gelten die neuen Vorschriften auch zur Bestimmung des ausländischen Betriebsstättengewinns für gewerbesteuerliche Kürzungszwecke gem. § 9 Nr. 3 GewStG (auch im NichtDBA-Fall)?

6.159 Assets im Rahmen des AOA. Die OECD spricht im OECD-Betriebsstättenbericht von dem Begriff des „Asset“.5 Dieser kann mit den Begriffen Vermögenswert, Vermögensgegenstand oder Wirtschaftsgut übersetzt werden, je nachdem, ob man sich an dem Sprachgebrauch der internationalen Rechnungslegung (IAS/IFRS),6 der handelsbilanziellen Rechnungslegung oder der steuerlichen Gewinnermittlung (EStG/KStG) orientiert.7 Da der AOA zur Ermittlung des Betriebsstättengewinns für steuerliche Zwecke dient, liegt es zunächst nahe, den Begriff des Asset mit „Wirtschaftsgut“ zu übersetzen. Dies auch deswegen, weil der steuerlichen Gewinnermittlung – außerhalb der Einnahmen-/Überschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 1 2 3 4

Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 50. Vgl. VWG BsGa, Rz. 117. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 50. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1945 (1946); Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1285 (1288). 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 9, 14, 18 ff. und 72 ff. 6 Vgl. zur Übersetzung von Asset aus Sicht der IAS/IFRS als Vermögenswert IAS 1, IAS 38, IDW, IAS/IFRS Englisch-Deutsch, 2013, 164 f. (IAS 1.9), 180 ff. (IAS 1.54), 930 f. (IAS 38.2) und 934 f. (IAS 38.8). 7 Vgl. auch Schreiber, DStR 2005, 1351 (1353 f.), der die Begriffe Vermögenswert (IAS/IFRS), Vermögensgegenstand (HGB) und Wirtschaftsgut (steuerliche Gewinnermittlung) verwendet. Vgl. zur Übersetzung von Asset auch Woywode, Wörterbuch Rechnungslegung und Steuern, 2000, 351, als Vermögensgegenstand, Wert oder Wirtschaftsgut.

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.160 Kap. 6

EStG – regelmäßig ein Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG zugrunde liegt, welcher ganz wesentlich auf der Erfassung und Bewertung von Wirtschaftsgütern fußt.1 Der in § 1 AStG und der BsGaV umgesetzte AOA folgt indessen nicht den allgemeinen Regeln der steuerlichen Gewinnermittlung, wie sie im EStG und KStG niedergelegt sind. Vielmehr wurde in § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG der neue Begriff des Vermögenswerts eingeführt.2 Infolgedessen werden im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung nach § 2 Abs. 6 BsGaV sowohl Wirtschaftsgüter als auch Vorteile (zum Begriff Rz. 6.164) und immaterielle Werte (zum Begriff Rz. 6.163) erfasst. Der Vermögenswert erfasst damit Wirtschaftsgüter, Vorteile und immaterielle Werte.3 Der Gesetzgeber wollte wohl für Zwecke der Betriebsstättengewinnabgrenzung ein sehr weites Verständnis dessen etablieren, was Gegenstand einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung und infolgedessen Gegenstand einer Gewinnrealisierung sein kann; auf die Frage der abstrakten oder konkreten Bilanzierungsfähigkeit soll es nicht ankommen.4 Diese Interpretation findet ihre Parallele in der derzeitigen Entwicklung bei der OECD, den Begriff der „Intangibles“ für Zwecke der Einkünfteabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zwischen verbundenen Unternehmen sehr weit auszulegen. So ist geplant, in Kapitel VI. OECD-Verrechnungspreisleitlinien die bisherige Formulierung „Intangible Property“ (immaterielle Wirtschaftsgüter) durch den Begriff „Intangibles“ zu ersetzen.5 Eine solche Interpretation kann zwar im Rahmen einer Einkünftekorrekturvorschrift installiert werden; sie harmoniert indessen nicht mit dem allgemeinen Grundsatz der steuerlichen Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, so dass Abweichungen nicht steuerbilanziell, sondern nur im Rahmen einer Hilfs- und Nebenrechnung erfasst werden können.6 Darüber hinaus findet die weite Auslegung des Vermögenswerts – wie auch die Interpretation der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung (vgl. Rz. 6.148) – ihre Grenze im Fremdvergleichsgrundsatz. Implikationen des Fremdvergleichsgrundsatzes. Der AOA findet seine Basis in seiner uneingeschränkten Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes für Zwecke der internationalen Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (vgl. Rz. 6.116 ff.). Infolgedessen muss die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV am Fremdvergleichsgrundsatz i.S.d. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 gemessen werden. Nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs setzt eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung voraus, dass für diese auch zwischen zwei ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitern ein Entgelt vereinbart werden würde (sog. Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters).7, 8 Demnach genügt es für eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung nicht, dass der ordentliche GeVgl. nur Bode in Kirchhof16, § 4 EStG Rz. 32. Vgl. Andresen, ISR 2013, 320 (323); Ditz, ISR 2013, 261 (266). Vgl. § 2 Abs. 6 BsGaV. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 50. Vgl. OECD, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8-10 – 2015 Final Reports, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, Paris 2015, 63 ff.; Krüger, DStZ 2016, 64 ff.; Engelen, IStR 2016, 146 (148); Koch, IStR 2015, 199 ff.; Bärsch/Quilitzsch/Schulz, ISR 2013, 358 (358 f.). 6 Vgl. insoweit § 3 Abs. 1 BsGaV. 7 Die Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters wurde durch den BFH im Zusammenhang mit der vGA entwickelt; vgl. dazu BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann; v. 6.12.1995 – I R 88/94, BStBl. II 1996, 383 = FR 1996, 393; v. 19.5.1998 – I R 36/97, BStBl. II 1998, 689 = FR 1998, 902; v. 27.3.2001 – I R 27/99, BStBl. II 2002, 111 = FR 2001, 784 m. Anm. Pezzer; v. 24.4.2002 – I R 18/01, BStBl. II 2002, 670 = FR 2002, 1178. 8 Vgl. auch § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG und dazu Rz. 6.149.

1 2 3 4 5

Ditz 427

6.160

Kap. 6 Rz. 6.161

Entstrickung und Verstrickung

schäftsleiter der liefernden oder leistungserbringenden Unternehmenseinheit für die Lieferung oder Leistung ein Entgelt verlangen würde; vielmehr ist es auch erforderlich, dass der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter der die Lieferung oder Leistung empfangenden Unternehmenseinheit bereit ist, dafür ein gesondertes Entgelt zu entrichten.1 Eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung setzt damit voraus, dass ihr Liefer- oder Leistungsgegenstand selbständig bewertbar und damit greifbar und hinreichend konkretisierbar ist. Darüber hinaus wird ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter für einen Vermögenswert ein Entgelt nur entrichten, wenn der Vermögenswert für ihn eine objektiv werthaltige Position i.S. eines greifbaren wirtschaftlichen Vorteils verkörpert. Im Ergebnis kann damit – aufgrund der Objektivierungs- und Konkretisierungserfordernisse2 – ein Vermögenswert nur vorliegen, wenn er die Voraussetzungen eines (immateriellen) Wirtschaftsguts erfüllt. Es ist bemerkenswert, dass der BFH in seiner ständigen Rechtsprechung zur Definition des Wirtschaftsguts nicht nur Sachen und Rechte, sondern auch „sonstige vermögenswerte Vorteile einschließlich tatsächlicher Zustände und konkreter Möglichkeiten“3 erfasst. Infolgedessen ist fraglich, was durch „Vorteile“ i.S.d. § 2 Abs. 6 BsGaV konkret gemeint wird, werden diese doch bereits durch den Begriff des Wirtschaftsguts erfasst. Daher wären eine solche Differenzierung zwischen Wirtschaftsgütern und Vorteilen und die Etablierung eines neuen Begriffs „Vermögenswert“ gar nicht notwendig gewesen. Sollte durch die Differenzierung hingegen das Ziel verfolgt werden, die Maßstäbe an eine Greifbarkeit und Konkretisierung des Vorteils geringer vorzusehen, als dies für ein Wirtschaftsgut notwendig ist, stünde dies nicht im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz. Denn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter wird nach dem Fremdvergleichsgrundsatz nur bereit sein, für einen Vermögenswert ein Entgelt zu entrichten, wenn dieser derart konkret ist, dass er einer Bewertung zugänglich ist. Darüber hinaus setzt der Grundsatz des Fremdvergleichs voraus, dass der Vermögenswert zwischen fremden Dritten einzeln – oder im Rahmen einer Funktionsverlagerung im Transferpaket – übertragbar ist. Dies setzt – mit Ausnahme der Funktionsverlagerung (vgl. Rz. 6.279 ff.) – die einzelne Veräußerbarkeit und Bewertbarkeit des Vermögenswerts voraus. Mithin gehen damit die Anforderungen des Fremdvergleichsgrundsatzes an die Berücksichtigung von Vermögenswerten im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung sogar über diejenigen des Wirtschaftsgutsbegriffs hinaus.

6.161 Materielle Wirtschaftsgüter. Nach § 2 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 BsGaV erfassen Vermögenswerte insbesondere materielle Wirtschaftsgüter. Materielle Wirtschaftsgüter (zum Begriff des Wirtschaftsguts vgl. Rz. 6.43) sind durch ihre physische Existenz gekennzeichnet.4 Sie sind damit körperlich und können angeschafft oder selbst hergestellt sein. Darüber hinaus wird bei materiellen Wirtschaftsgütern zwischen beweglichen und unbeweglichen Wirtschaftsgütern unterschieden. Im Einzelnen können im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung folgende materielle Wirtschaftsgüter erfasst werden: – Grundstücke, – grundstücksgleiche Rechte und Bauten einschließlich Bauten auf fremden Grundstücken,

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 165. 2 Zur Notwendigkeit der Objektivierung der Einkünfteabgrenzung vgl. Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2004, 102 ff.; Mödinger, Internationale Erfolgs- und Vermögensabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nach der Neufassung des Art. 7 OECD-MA, 2012, 199 ff. 3 Vgl. z.B. BFH v. 29.11.2012 – IV R 47/09, BStBl. II 2013, 324. 4 Vgl. etwa Weber-Grellet in Schmidt36, § 5 EStG Rz. 112; Crezelius in Kirchhof16, § 5 EStG Rz. 63.

428

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.163 Kap. 6

– technische Anlagen und Maschinen, – andere Anlagen, – Betriebs- und Geschäftsausstattung, – geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau, – Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, – unfertige Erzeugnisse, – fertige Erzeugnisse und Waren, – geleistete Anzahlungen. Immaterielle Wirtschaftsgüter. Auch bei einem immateriellen Wirtschaftsgut müssen die in Rz. 6.43 dargestellten Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts erfüllt sein. Sie zeichnen sich allerdings dadurch aus, dass sie „körperlos“ sind, was ihre Identifikation in praxi häufig sehr schwierig macht.1 Immaterielle Wirtschaftsgüter können in den folgenden Fällen vorliegen:2

6.162

– Konzessionen, – gewerbliche Schutzrechte, – Urheberrechte, – Know-how, – ungeschützte Erfindungen, – Software, – Rechte aus vertraglichen Wettbewerbsverboten, – Belieferungsrechte, – Nutzungsrechte, – Geschäftschancen, – Kundenstamm, – Lieferantenkartei. Einzelheiten werden in den Rz. 6.222 dargestellt. Immaterielle Werte. Nach § 2 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 BsGaV werden von einem Vermögenswert auch immaterielle Werte erfasst. Da zu den immateriellen Werten auch („einschließlich“) immaterielle Wirtschaftsgüter gehören, umfasst der immaterielle Wert nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 BsGaV mehr Tatbestände als der Begriff des Wirtschaftsguts. Welche „Werte“ dies genau sein sollen, bleibt allerdings unklar. In diesem Zusammenhang muss man sehen, dass der Begriff „immaterielle Werte“ in der Literatur als Synonym für „immaterielle Wirtschaftsgüter“ verwendet wird.3 Dies lässt – entgegen des Wortlauts des § 2 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 BsGaV – den Rückschluss zu, dass immaterielle Werte letztlich immaterielle Wirt1 Vgl. Weber-Grellet in Schmidt36, § 5 EStG Rz. 113. 2 Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 85. 3 Vgl. Crezelius in Kirchhof16, § 5 EStG Rz. 64; Anzinger in H/H/R, § 5 EStG Rz. 1780; Schiffers/ Strahl/Tormöhlen/Fuhrmann/Veith in Korn, § 5 EStG Rz. 502.

Ditz 429

6.163

Kap. 6 Rz. 6.164

Entstrickung und Verstrickung

schaftsgüter sind. Dieselbe Schlussfolgerung ergibt sich, wenn auf Grundlage des Fremdvergleichsgrundsatzes der Begriff des Vermögenswerts ausgelegt wird (vgl. Rz. 6.160). Infolgedessen kann ein Vermögenswert nur vorliegen, wenn die Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts erfüllt sind. Dies gilt insbesondere für die dem Wirtschaftsgut immanenten Objektivierungskriterien eines „greifbaren Nutzens“ bzw. „greifbaren Vorteils“, der einer selbständigen Bewertung zugänglich ist und zwischen fremden Dritten übertragen werden kann.

6.164 Vorteile. Auch der Begriff des Vorteils1 in § 2 Abs. 6 Satz 1 BsGaV bleibt unklar. Durch den Verweis in der Begründung der BsGaV auf § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG kann vermutet werden, dass durch Vermögenswerte auch Transferpakete im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen erfasst werden. Eine so verstandene Auslegung des „Vorteils“ hätte zur Folge, dass ein funktionsbezogener Geschäfts- oder Firmenwert auch durch den Vermögenswert erfasst werden soll (zur Funktionsverlagerung vgl. Rz. 6.279 ff.). Dabei muss man allerdings sehen, dass nach der Rechtsprechung des BFH ein Geschäfts- oder Firmenwert nur im Zusammenhang mit einem selbständig lebensfähigen Betriebsteil übertragen werden kann.2 Damit ist fraglich, ob einer Funktion ein (anteiliger) Geschäfts- oder Firmenwert und damit ein Vorteil immanent sein kann. Zwar hat der BFH entschieden, dass der Geschäfts- oder Firmenwert eines Betriebs grundsätzlich spaltbar ist.3 Ferner geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Geschäfts- oder Firmenwert den übergehenden Geschäftswert bildenden Faktoren folgt.4 Kann daher aufgrund dieser Rechtsprechung des BFH argumentiert werden, dass auch einer Funktion ein anteiliger Geschäfts- oder Firmenwert (Vorteil) zugeordnet werden kann, ist dafür freilich Voraussetzung, dass mit der Funktion tatsächlich Geschäftswert bildende Faktoren übergehen. Ob dies der Fall ist, ist in Bezug auf den jeweiligen Einzelfall zu prüfen.5 Darüber hinaus erwähnt die Begründung zu § 2 Abs. 6 Satz 1 BsGaV, dass auch Know-how einen „Vorteil“ darstellen und infolgedessen Gegenstand einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung sein kann. Auch insofern ist allerdings zu fordern, dass ein verrechnungspflichtiges Know-how nur dann vorliegen kann, wenn es die Voraussetzungen eines immateriellen Wirtschaftsguts (Greifbarkeit, selbständige Bewertbarkeit und Übertragbarkeit im Rahmen eines Betriebs oder Teilbetriebs) erfüllt (vgl. Rz. 6.234). Schließlich können – so die Begründung zu § 2 Abs. 6 Satz 1 BsGaV – auch Finanzinstrumente i.S.d. § 254 HGB als „Vorteile“ qualifizieren, wenn sie keine Wirtschaftsgüter sind, aber der Sicherung von Vermögenswerten i.S.v. § 11 BsGaV dienen.

6.165 Beteiligungen und Finanzanlagen. § 2 Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 und 4 BsGaV nennt ferner die Beteiligungen und Finanzanlagen als Beispiel für einen Vermögenswert. Was konkret unter einer Beteiligung bzw. einer Finanzanlage zu verstehen ist, wird im Rahmen der BsGaV nicht weiter erläutert. Da steuerrechtlich der Begriff „Beteiligung“ nicht definiert wird, ist nach dem Maßgeblichkeitsgrundsatz i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auf die handelsrechtliche Definition des § 271 Abs. 1 HGB abzustellen.6 Nach § 271 Abs. 1 Satz 1 HGB sind Betei1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 50 ohne eine nähere Definition. 2 Vgl. BFH v. 28.6.1989 – II R 25/88, BStBl. II 1989, 982; v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 577; v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 772; v. 2.9.2008 – X R 32/05, FR 2009, 954. 3 Vgl. BFH v. 7.10.1970 – I R 1/68, BStBl. II 1971, 69; v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 577 = FR 1996, 760. 4 Vgl. BFH v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 577; v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 772; v. 2.9.2008 – X R 32/05, FR 2009, 954. 5 Vgl. dazu kritisch auch Kroppen in Kroppen, Handbuch internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 131; Haas, Ubg 2009, 519; Kroppen/Rasch, IWB 2009, Fach 3, Gruppe 1, 2454. 6 Vgl. BFH v. 20.12.1995 – VIII B 83/95, BFH/NV 1996, 468; Richter in H/H/R, § 6 EStG Rz. 515; Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 804.

430

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.166 Kap. 6

ligungen Anteile an anderen Unternehmen, die bestimmt sind, dem eigenen Geschäftsbetrieb durch Herstellung einer dauerhaften Verbindung zu jenen Unternehmen zu dienen. Anteile an anderen Unternehmen sind dabei insb. Anteile an Kapitalgesellschaften (z.B. durch Aktien und GmbH-Gesellschaftsanteile);1 die Rechtsform des Unternehmens ist jedoch grundsätzlich handelsrechtlich unerheblich.2 Demnach sind auch Personengesellschaften als ein Beteiligungsunternehmen i.S.d. § 271 Abs. 1 HGB anzusehen.3 Steuerbilanziell findet indessen auf Beteiligungen an Personengesellschaften das Transparenzprinzip Anwendung, weswegen eine Beteiligung an einer Personengesellschaft kein Wirtschaftsgut darstellt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist steuerlich Gegenstand der Anschaffung eines Anteils an einer Personengesellschaft (Mitunternehmeranteil) oder eines Bruchteils eines solchen Anteils nicht der Gesellschaftsanteil, vielmehr sind die Anteile an den einzelnen materiellen und immateriellen, bilanzierten und nicht bilanzierten Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens Gegenstand der Anschaffung.4 Auch vor dem Hintergrund der Gewinnermittlung bei Betriebsstätten kann ein Anteil an einer Personengesellschaft daher nicht als Beteiligung i.S.v. § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 4 BsGaV qualifizieren. Darüber hinaus erfassen Beteiligungen gem. § 266 Abs. 2 HGB die Finanzanlagen. Konzeptionell weicht somit die BsGaV von den handelsbilanziellen Vorschriften ab. Nach der Bilanzgliederung gem. § 266 Abs. 2 HGB stellen Finanzanlagen einen Bestandteil des Anlagevermögens dar. Beteiligungen sind dabei handelsbilanziell als Unterkategorie der Finanzanlagen auszuweisen, zu denen – neben den Beteiligungen – auch Anteile an verbundenen Unternehmen, Ausleihungen an verbundene Unternehmen, Ausleihungen an Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, Wertpapiere des Anlagevermögens sowie sonstige Ausleihungen zählen. Wertpapiere können handelsrechtlich sowohl dem Anlagevermögen als auch dem Umlaufvermögen zuzuordnen sein. Für deren Bilanzierung kommt es auf die Zweckbestimmung an, ob sie dem Unternehmen dauernd dienen (Anlagevermögen), oder ob sie kurzfristig als Liquiditätsreserve gehalten werden (Umlaufvermögen).5 dd) Zuordnung von Vermögenswerten Zuordnung nach der maßgeblichen Personalfunktion. Die Zuordnung von Vermögenswerten i.S.d. § 2 Abs. 6 BsGaV (vgl. Rz. 6.157 ff.) erfolgt für alle Wirtschaftsgüter und Vorteile nach den maßgeblichen Personalfunktionen.6 Je nach Art des Vermögenswerts wird dabei die für die Zuordnung maßgebliche Personalfunktion durch die BsGaV bestimmt. Die jeweilige Zuordnungsregel (vgl. Rz. 6.167 ff.) wird allerdings durch Öffnungsklauseln eingeschränkt: Von der Zuordnung der Vermögenswerte mittels der grundsätzlich maßgeblichen Personalfunktion ist danach abzuweichen, wenn eine andere als die grundsätzlich maßgebliche Personalfunktion hinsichtlich ihrer Bedeutung eindeutig überwiegt. Aus der Begründung zu § 2 Abs. 5 BsGaV ergibt sich, dass mit „Bedeutung“ in erster Linie die wirtschaftliche Bedeu1 Vgl. Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 804. 2 Vgl. Reiner in MünchKomm/HGB3, § 271 Rz. 5. 3 Vgl. Richter in H/H/R, § 6 EStG Rz. 515; Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 804; Grottel/Kreher in Beck-BilKomm.9, § 271 HGB Rz. 9.; Reiner in MünchKomm/HGB3, § 271 Rz. 5. 4 Vgl. BFH v. 19.2.1981 – IV R 41/78, BStBl. II 1981, 730 = FR 1981, 492; v. 7.11.1985 – IV R 7/83, BStBl. II 1986, 176 = FR 1986, 236; v. 18.2.1993 – IV R 40/92, BStBl. II 1994, 224 = FR 1993, 839; v. 6.7.1995 – IV R 30/93, BStBl. II 1995, 831 = FR 1996, 23; v. 6.5.2010 – IV R 52/08, BStBl. II 2011, 261 = FR 2010, 941 m. Anm. Kempermann; v. 26.7.2011 – X B 208/10, BFH/NV 2011, 1868 sowie Richter in H/H/R, § 6 EStG Rz. 518 m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung. 5 Vgl. Reiner/Haußer in MünchKomm/HGB3, § 266 Rz. 76; Heß in Beck-St.- u. Bilanzrechtslex, Finanzanlagen, Rz. 8. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 39.

Ditz 431

6.166

Kap. 6 Rz. 6.167

Entstrickung und Verstrickung

tung gemeint ist. Die „Größe“ der wirtschaftlichen Bedeutung kann sowohl anhand von quantitativen als auch qualitativen Gesichtspunkten gemessen werden. Die konkrete Vorgehensweise soll vom jeweiligen Sachverhalt abhängig sein.

6.167 Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern. Die Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern i.S.d. § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 BsGaV richtet sich nach deren Nutzung als maßgebliche Personalfunktion.1 Bei materiellen Wirtschaftsgütern stellt deren Nutzung – laut der Begründung zu § 5 Abs. 1 Satz 1 BsGaV – einen besonders engen Zusammenhang zu der Betriebsstätte dar, was i.d.R. eine eindeutige Zuordnung ermöglicht. Nach der Öffnungsklausel des § 5 Abs. 2 BsGaV ist das materielle Wirtschaftsgut einer anderen Personalfunktion und damit ggf. auch einer anderen Betriebsstätte zuzuordnen, wenn deren Personalfunktion überwiegt und das Ergebnis dem Fremdvergleichsgrundsatz im Einzelfall betriebswirtschaftlich auch aus Sicht des übrigen Unternehmens besser entspricht.2 Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 BsGaV sind andere Personalfunktion insbesondere solche, die mit der Anschaffung, Herstellung, Verwaltung oder Veräußerung des materiellen Wirtschaftsgut im Zusammenhang stehen.3 Die Eindeutigkeit der Zuordnungsregeln wird durch diese Öffnungsklausel allerdings eingeschränkt.4 Für den Fall, dass andere Personalfunktionen gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten ausgeübt werden, ist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 BsGaV diejenige Betriebsstätte als maßgeblich anzusehen, in der die ausgeübte Personalfunktion überwiegt. Ist keine eindeutige Zuordnung des materiellen Wirtschaftsguts möglich, sieht § 5 Abs. 4 BsGaV ein Wahlrecht vor, eine Zuordnung vorzunehmen, sofern diese nicht den Abs. 1 bis 3 widerspricht, wodurch dem Steuerpflichte ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt wird.5 Eine anteilige Zuordnung ist folglich nicht möglich.6 Beispiel: Die in Deutschland ansässige A GmbH hat in der Schweiz eine Produktionsbetriebsstätte, die ausschließlich Erzeugnisse für das deutsche Stammhaus der A GmbH herstellt. Im Stammhaus der A GmbH werden sämtliche wesentlichen Entscheidungen im Hinblick auf die Produktion der Schweizer Betriebsstätte getroffen. Dies betrifft u.a. auch die Frage, wann und welche Maschinen für die Produktion in der Schweiz angeschafft werden, wie und wann sie von wem gewartet werden, wie sie weiterverwertet oder ob sie verschrottet werden. Das Personal der A GmbH in Deutschland gibt ferner vor, welche Rohstoffe von der Schweizer Produktionsstätte verwendet werden. Die von der Schweizer Produktionsbetriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen (Nutzung) sind für die Zuordnung der in der Produktionsbetriebsstätte eingesetzten Maschinen, des Produktionsmaterials und der hergestellten Produkte nicht maßgeblich, da in der Schweiz keine Entscheidungen im Hinblick auf diese Zuordnungsgegenstände getroffen werden. Daher tritt nach Auffassung der Finanzverwaltung die Bedeutung der Nutzung der Vermutungsregelung des § 5 Abs. 1 BsGaV nach qualitativen Gesichtspunkten7 eindeutig hinter die Bedeutung der Personalfunktionen, die im deutschen Stammhaus der A GmbH ausgeübt werden, zurück. Die Maschinen sind daher – so die Finanzverwaltung – gem. § 5 Abs. 2 BsGaV dem übrigen Unternehmen zuzuordnen. Die von der Schweizer Produktionsbetriebsstätte ausgeübten (Lohnfertigungs-)Funktionen sind anhand der Kostenaufschlagsmethode oder einen kostenorientierten transaktionsbezogenen Nettomargenmethode zu vergüten.8

1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. VWG BsGa, Rz. 76. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 58; VWG BsGa, Rz. 80. Vgl. VWG BsGa, Rz. 80 und 81 mit Beispielen. Vgl. Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (5). Vgl. Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (6); Kraft/Dombrowski, FR 2014, 1105 (1109). Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 59 f.; VWG BsGa, Rz. 83. Vgl. dazu VWG BsGA, Rz. 43. Vgl. VWG BsGA, Rz. 80.

432

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.169 Kap. 6

Zuordnung von immateriellen Werten. Die maßgebliche Personalfunktion bei der Zuordnung eines immateriellen Werts i.S.d. § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 6 BsGaV ist dessen Schaffung oder Erwerb.1 Aus der Begründung des § 6 Abs. 2 BsGaV ergibt sich, dass bei der Festlegung der maßgeblichen Personalfunktion nicht nur auf Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten abzustellen ist, sondern auch sekundierende Tätigkeiten – z.B. die Gestaltung von Prüfanforderungen und Prüfverfahren, Datenanalysen, die Bestimmung von Entwicklungsphasen – mit in die Beurteilung einzufließen haben.2 In praxi wird wohl nur in Ausnahmefällen eine solche sekundierende Tätigkeit bedeutender als Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen zur Bestimmung der maßgeblichen Personalfunktion sein.3 Im Rahmen von immateriellen Werten lässt § 6 Abs. 4 BsGaV – im Gegensatz zu der Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern – auch eine anteilige Zuordnung zu verschiedenen Betriebsstätten zu.4 Eine anteilige Zuordnung kommt immer dann infrage, wenn ein immaterieller Wert nicht eindeutig zugeordnet werden kann, da verschiedene Personalfunktionen in mehreren Betriebsstätten auf Dauer ausgeübt werden und jeweils die größte Bedeutung für den immateriellen Wert aufweisen.5 Damit gibt die Finanzverwaltung ihre bisherige Auffassung, dass Wirtschaftsgüter entweder dem Stammhaus oder der Betriebsstätte zugeordnet werden müssen, hinsichtlich immaterieller Werte auf.6 Offenbleibt, anhand welcher Kriterien eine anteilige Zuordnung erfolgen soll.7 Auch VWG BsGa, Rz. 101 gibt dazu keine Auskunft. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie zu verfahren ist, wenn sich aufgrund einer Veränderung der Nutzungsverhältnisse während eines Wirtschaftsjahrs der „Schlüssel“ für die Zuordnung des immateriellen Werts zum Stammhaus und der Betriebsstätte verändert. Kommt es dann zu anteiligen Entstrickungen? Vor diesem Hintergrund ist die anteilige Zuordnung von immateriellen Werten eher der Ausnahmefall. Denn alternativ kann der immaterielle Wert voll dem Stammhaus oder der Betriebsstätte zugeordnet und eine Nutzungsüberlassung verrechnet werden.8

6.168

Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten. Das Kriterium für die Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten ist – wie bei materiellen Wirtschaftsgütern (vgl. Rz. 6.167) – gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 BsGaV deren Nutzung.9 Da die eigentliche Nutzung dieser Vermögenswerte regelmäßig nicht festgestellt werden kann, kommt nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BsGaV der funktionale Zusammenhang zu einer Betriebsstätte zur Anwendung, der im Fall einer Beteiligung z.B. dann vorliegt, wenn die Beteiligung für die Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte von Nutzen ist.10 Die BsGaV steht damit grds. im Gleichklang zu der vom BFH entwickelten funktionalen Zuordnung (vgl.

6.169

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Vgl. VWG BsGa, Rz. 85. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 60 f. Vgl. Kraft/Dombrowski, FR 2014, 1105 (1110). Vgl. Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (6); Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 466 (470). Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 63; VWG BsGa, Rz. 101; Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (6). Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.4 Abs. 1; bereits zum bisherigen Recht a.A. Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch, 1. Aufl., Rz. 2.79. Für eine Aufteilung entsprechend dem Umfang der Nutzung vgl. Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch, 1. Aufl., Rz. 2.79. Vgl. Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (6). Vgl. VWG BsGa, Rz. 102. Vgl. Ditz/Tcherveniachki, DB 2015, 2897 (2901); Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (5); kritisch ggü. einer nutzungsbezogenen Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten Kraft/Dombrowski, FR 2014, 1105 (1110).

Ditz 433

Kap. 6 Rz. 6.170

Entstrickung und Verstrickung

Rz. 6.57).1 Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnliche Vermögenswerte sind einer anderen Betriebsstätte als derjenigen, in der ein solcher Vermögenswert genutzt wird, zuzuordnen, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen der Nutzung überwiegt. Hierbei kommen als weitere Personalfunktionen die Anschaffung, Verwaltung, Risikostreuung oder die Veräußerung des Vermögenswerts in Betracht.2

6.170 Zuordnung von sonstigen Vermögenswerten. Die Zuordnung von sonstigen Vermögenswerten gem. § 8 BsGaV stellt eine Auffangnorm für diejenigen Vermögenswerte dar, die nicht unter §§ 5–7 BsGaV fallen.3 Die Zuordnung solcher Vermögenswerte zu einer Betriebsstätte richtet sich – wie auch die Zuordnung von immateriellen Vermögenswerten – nach deren Schaffung oder Erwerb als maßgebliche Personalfunktion. Es werden auch Vermögenswerte erfasst, die zum Umlaufvermögen gehören, soweit diese nicht schon nach §§ 5–7 BsGaV zu erfassen sind.4 Dies betrifft z.B. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. ee) Überführung und Nutzungsüberlassung von Vermögenswerten als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung

6.171 Änderung der Zuordnung eines Vermögenswerts. Wenn sich die Zuordnung eines Vermögenswerts ändert, indem der Vermögenswert z.B. zunächst dem Stammhaus und dann der ausländischen Betriebsstätte nach den maßgeblichen Personalfunktionen zuzuordnen ist, wird der Vermögenswert überführt. Infolgedessen liegt eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG vor.5 Damit werden durch die Zuordnungsänderung eine Überführung des Vermögenswerts und – dem AOA folgend – eine fiktive Veräußerung des Vermögenswerts angenommen, die mit dem Fremdvergleichspreis (vgl. Rz. 6.214) zu bewerten ist. Von einer Zuordnungsänderung und infolgedessen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung ist bei einem materiellen Wirtschaftsgut z.B. dann auszugehen, wenn dieses auf Dauer in einer anderen Betriebsstätte genutzt wird (vgl. Rz. 6.167).6 Ab dem Zeitpunkt der örtlichen Nutzungsänderung ist das materielle Wirtschaftsgut der anderen Betriebsstätte zuzuordnen,7 so dass es in diesem Zeitpunkt zu einer Steuerentstrickung der in dem Vermögenswert ruhenden stillen Reserven kommt. Die Überführung eines Vermögenswerts (bzw. von Wirtschaftsgütern) von einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte oder von einer inländischen Betriebsstätte in ihr ausländisches Stammhaus sind damit typische Anwendungsfälle einer schuldrechtlichen Beziehung.8 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Entstrickungsvorschriften des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 KStG einer Anwendung des § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 103; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563 = FR 1996, 151; v. 29.11.2000 – I R 84/99, DStRE 2001, 600; v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414 = FR 2008, 1053; vgl. auch Häck, ISR 2015, 115 ff. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 105. Für die Zuordnung von Beteiligungen an KapGes. zur Betriebsstätte einer Holding-PersGes. vgl. Ditz/Tcherveniachki, DB 2015, 2897 ff.; Hruschka, IStR 2016, 437 ff. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 108. 4 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 67. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 77, 99, 166 und169 f. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 77. 7 Vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 BsGaV. 8 Vgl. VWG BsGa, Rz. 166 und 169 f.; Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (8); Froitzheim, Steuerliche Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und deren Auswirkung auf die Gewinnabgrenzung, 2014, 240 f.; Kahle/Eichholz/Kindich, Ubg 2016, 132 (136).

434

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.173 Kap. 6

AStG vorgehen (vgl. Rz. 6.133).1 Im Übrigen kann die Merkpostenmethode nach § 4g EStG zur Anwendung kommen (vgl. zu Einzelheiten Rz. 6.87 ff.). Änderung der maßgeblichen Personalfunktion. Eine Zuordnungsänderung und damit eine fiktive Veräußerung kommen auch in Betracht, wenn sich die für die Zuordnung maßgebliche Personalfunktion ändert.2 Dazu muss z.B. bei immateriellen Werten gem. § 6 Abs. 2 BsGaV eine andere Personalfunktion als seine Schaffung oder seinen Erwerb eindeutig überwiegen. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn ein immaterieller Wert im Anschluss an seine Schaffung oder seinen Erwerb ausschließlich von einer anderen Betriebsstätte genutzt wird. In diesem Fall überwiegt die Bedeutung der Personalfunktion „Nutzung“ gegenüber der Personalfunktion „Schaffung“ oder „Erwerb“, und es kommt zu einer fiktiven Veräußerung. Die Verordnungsbegründung führt aus, dass die Verwaltung alleine jedoch keine maßgebliche Personalfunktion sein kann.3 Damit kommt es nicht zu einer Zuordnungsänderung, wenn der immaterielle Wert von einer Betriebsstätte entwickelt wurde und im Anschluss die Rechte aus dem immateriellen Wert vom Stammhaus verwaltet werden.

6.172

Beispiel: Die in Deutschland ansässige Autoglas GmbH produziert Windschutzscheiben. Im Ausland unterhält sie eine Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 OECD-MA, in welcher sie Windschutzscheiben entwickelt, produziert und vertreibt. Um die Stoßfestigkeit der produzierten Scheiben zu verbessern, soll ein neues Fertigungsverfahren entwickelt werden. Die Entwicklung dieses Verfahrens erfolgt ausschließlich von Mitarbeitern der F&E-Abteilung, die vollständig in der ausländischen Betriebsstätte angesiedelt sind. Die Patentabteilung ist bei der Autoglas GmbH in Deutschland angesiedelt. Diese kümmert sich um die Registrierung und Verwaltung des Patents. Lösung: Nach § 6 Abs. 1 BsGaV ist das Patent der ausländischen Betriebsstätte der Autoglas GmbH zuzuordnen. Die Registrierung und die Verwaltung des Patents durch die Autoglas GmbH alleine führen nicht zu dessen Überführung aus der ausländischen Betriebsstätte in das inländische Stammhaus der Autoglas GmbH. Allerdings sind die durch das Stammhaus erbrachten Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Registrierung und der Verwaltung der Patente als anzunehmende schuldrechtliche Leistungsbeziehungen gegenüber der ausländischen Betriebsstätte fremdüblich abzurechnen.

Nutzungsüberlassung eines Vermögenswerts. Neben der Überführung eines Vermögenswerts (fiktive Veräußerung) kann sich eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung auch auf die Nutzungsüberlassung von Vermögenswerten (i.S. einer fiktiven Lizenzierung, Vermietung oder Verpachtung) beziehen.4 Fraglich ist in diesem Zusammenhang, wann eine Überführung (fiktive Veräußerung) anzunehmen oder von einer Nutzungsüberlassung (fiktive Lizenzierung, Vermietung oder Verpachtung) auszugehen ist. Hierzu wird weder in der BsGaV noch in ihrer Begründung eine Aussage getroffen. Naheliegend ist es jedoch, wie bei den Entstrickungsvorschriften (vgl. Rz. 6.75) und in den VWG BsGa vorgesehen auf eine fiktive Änderung des wirtschaftlichen Eigentums abzustellen. Infolgedessen kann nur eine einzelfallbezogene, aus den tatsächlichen Verhältnissen der Überlassung der Vermögenswerte abgeleitete Entscheidung darüber getroffen werden, ob eine Überführung oder eine Nut-

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 166 und 169. 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 62; a.A. BFH v. 18.9.2010 – I R 74/09, FR 2011, 179 m. Anm. Mitschke = BFH/NV 2011, 138, wonach für die Zuordnung von Markenrechten allein entscheidend ist, „wo und von wo aus die Lizenzrechte verwaltet und vermarktet“ werden (vgl. auch Rz. 6.56). 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 78, 99 und 171.

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6.173

Kap. 6 Rz. 6.174

Entstrickung und Verstrickung

zungsüberlassung anzunehmen ist.1 Anhaltspunkte für die Unterscheidung zwischen Überführung und Nutzungsüberlassung geben die Dauer der Nutzung des Vermögenswerts in der Betriebsstätte2 sowie die Ausschließlichkeit seiner Nutzung durch die Betriebsstätte3 (vgl. zu Einzelheiten Rz. 6.75). Infolgedessen spricht eine langfristige und ausschließliche Nutzung eines Vermögenswerts in einer Betriebsstätte für dessen Überführung. Allerdings muss man sehen, dass auch unter fremden Dritten Miet- oder Pachtverträge mit sehr langen Laufzeiten abgeschlossen werden. Infolgedessen schließt auch eine längerfristige Nutzung eines Wirtschaftsguts durch die Betriebsstätte die Annahme einer fiktiven Nutzungsüberlassung nicht aus. Ist hingegen nur eine vorübergehende Nutzung in einer Betriebsstätte vorgesehen, spricht dies für eine Nutzungsüberlassung. Eine vorübergehende Nutzung sollte auch angenommen werden, wenn noch nicht abzusehen ist, wie lange ein Wirtschaftsgut in einer Betriebsstätte zum Einsatz kommt. Eine Nutzungsüberlassung ist jedoch auszuschließen, wenn die Personalfunktion, die für die Zuordnung des Vermögenswerts maßgeblich ist, in der überlassenden bzw. dann überführenden Betriebsstätte nicht mehr ausgeübt wird.4 Zu Einzelheiten mit Beispielen wird auf die Rz. 6.75 verwiesen.

6.174 In Zweifelsfällen keine Aufdeckung von stillen Reserven. In Bezug auf immaterielle Vermögenswerte erkennt die Finanzverwaltung an, dass deren fiktive Veräußerung bzw. Entstrickung zu erheblichen steuerlichen Liquiditätsbelastungen führen kann. Dies vor allem auch deswegen, weil solche Vermögenswerte in der Regel nach einem hypothetischen Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 8 f. AStG zu bewerten sind, wobei auch die Gewinnaussichten eines Geschäftsvorfalls zu berücksichtigen sind. Um solche, die Existenz eines Unternehmens ggf. gefährdenden Realisierungsvorgänge nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV zu vermeiden, soll – so die Finanzverwaltung unter Verweis auf § 6 Abs. 4 BsGaV5 – der Steuerpflichtige „in Zweifelsfällen“ eine Zuordnung des immateriellen Vermögenswerts vornehmen, die zu keiner Aufdeckung von stillen Reserven führt, solange die Zuordnung § 6 Abs. 1-3 BsGaV nicht widerspricht. Dies gilt insbesondere auch bei Funktionsverlagerungen (vgl. dazu Rz. 6.279 ff.), bei denen die widerlegbare Vermutung besteht, dass von einer Lizenzierung auszugehen ist.6 b) Nicht fremdvergleichskonforme Bedingungen (Verrechnungspreise) aa) Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes

6.175 Ansatz eines nicht fremdvergleichskonformen Verrechnungspreises. Eine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG setzt voraus, dass für eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung (vgl. Rz. 6.145 ff.) nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Bedingungen (insbesondere Verrechnungspreise) zugrunde gelegt werden und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden. Eine Einkünftekorrektur kommt infolgedessen nur in Betracht, wenn die unternehmensinterne anzunehmende schuldrechtliche Beziehung nicht mit einem fremdvergleichskonformen Verrechnungspreis abgerechnet wurde. Die Frage, was als „dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechend“ anzusehen ist, ergibt sich insbesondere in Anwendung des § 1 Abs. 3 AStG, der den Fremdvergleichsgrund1 2 3 4 5 6

Vgl. auch Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 (103). Vgl. VWG BsGa, Rz. 78. Vgl. VWG BsGa, Rz. 77 f. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 57; VWG BsGa, Rz. 29, 78 und 79. Vgl. VWG BsGa, Rz. 99. Vgl. VWG BsGa, Rz. 100 mit Verweis auf Tz. 2.4.2 VWG Funktionsverlagerung.

436

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.178 Kap. 6

satz im Hinblick auf die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise konkretisiert.1 Dies läuft im Ergebnis auf die Anwendung der klassischen Verrechnungspreismethoden (Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode) sowie der gewinnorientierten Methoden (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode sowie geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode) hinaus (vgl. Rz. 6.187 ff.). Dies ist insofern sachgerecht, als nach dem AOA die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze, wie sie zwischen verbundenen Unternehmen gelten, auch im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung Anwendung finden sollen. Konsequenzen für die fiktive Veräußerung bzw. Nutzungsüberlassung von Vermögenswerten. In Bezug auf die Entstrickung von stillen Reserven im Zusammenhang mit der Überführung bzw. Nutzungsüberlassung von Vermögenswerten in eine in- oder ausländische Betriebsstätte bedeutet der Verweis auf den Fremdvergleichsgrundsatz in § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG, dass die Finanzverwaltung immer dann zu ihren Gunsten eine Einkünftekorrektur durchführen kann,2 wenn für die entsprechende anzunehmende schuldrechtliche Beziehung ein Verrechnungspreis zum Ansatz gebracht wurde, der nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Das gleiche gilt, wenn überhaupt kein Verrechnungspreis für eine solche Beziehung zum Ansatz gebracht wurde.

6.176

Beispiel: Das im inländischen Stammhaus der in Deutschland ansässigen A GmbH entwickelte Patent wird über zwei Jahre auch in der ausländischen Produktionsbetriebsstätte der A GmbH genutzt. Für die Nutzung des Patents durch die ausländische Betriebsstätte wird kein umsatzbezogenes Lizenzentgelt abgerechnet, obwohl die A GmbH das Patent an fremde Dritte zu einem Lizenzsatz von 2 % lizenziert. Infolgedessen sind die Voraussetzungen einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG grundsätzlich erfüllt. Allerdings gehen in diesem Fall die Entstrickungsvorschriften vor, so dass § 12 Abs. 1 KStG zur Anwendung kommt (vgl. Rz. 6.133).

Bedingungen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht entsprechen. Soweit § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG auf „Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise)“ verweist, bleibt unklar, was mit „Bedingungen“ außerhalb der Verrechnungspreise konkret gemeint ist. Denn entsprechende „Bedingungen“ können (vertraglich) zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht vereinbart werden.3 Infolgedessen kann sich die Fremdunüblichkeit in Bezug auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen nur auf die zum Ansatz kommenden Verrechnungspreise und nicht auf weitere Vertragsbedingungen (z.B. Zahlungsbedingungen, Sicherheiten) beziehen. Soweit die Finanzverwaltung in Bezug auf verbundene Unternehmen in diesem Zusammenhang eine andere Auffassung vertritt, ist diese im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung nicht anwendbar.4 Darüber hinaus hat auch der BFH in Bezug auf Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entschieden, dass die Frage der Fremdvergleichskonformität sich nach dieser Vorschrift allein auf den Verrechnungspreis und nicht etwa auf weitere Bedingungen der Geschäftsbeziehung beziehen kann.5

6.177

Bedeutung des § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AStG. Im Hinblick auf die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG ist die Betriebsstätte – nach dem AOA – wie

6.178

1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Rz. 172. Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. Vgl. VWG BsGa, Rz. 3. Vgl. BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455. Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261 = FR 2015, 954 = ISR 2015, 121 m. Anm. Ditz/Quilitzsch; v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258 = FR 2016, 481; a.A. BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455.

Ditz 437

Kap. 6 Rz. 6.179

Entstrickung und Verstrickung

ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln (vgl. Rz. 6.116 ff.).1 Dies ist insofern sachgerecht, als die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Hinblick auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gerade eine (uneingeschränkte) Selbständigkeits- und Unabhängigkeitsfiktion der Betriebsstätte voraussetzt. Diese wird in § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AStG beschränkt, wenn die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen eine andere Behandlung erfordert. Diese Einschränkung des AOA hat im Hinblick auf die Entstrickung stiller Reserven nach dem AOA im Zusammenhang mit der fiktiven Veräußerung und Nutzungsüberlassung von Vermögenswerten keine Bedeutung. Vielmehr betrifft diese Regelung im Wesentlichen die Zuordnung von Dotationskapital und Passiva sowie Betriebsstätten ohne Personal.2 Im Ergebnis wird daher die Anwendung des AOA im Bereich der unternehmensinternen Überführung und Nutzungsüberlassung von Vermögenswerten durch § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AStG nicht beschränkt.3 bb) Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes

6.179 Maßstab des Fremdvergleichs. § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AStG sieht eine Einkünftekorrektur zugunsten der Finanzverwaltung vor, wenn im Hinblick auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen Bedingungen (verstanden als Verrechnungspreise, vgl. Rz. 6.177) abgerechnet werden, die einem Fremdvergleich nicht standhalten.4 Damit bildet der Fremdvergleichsgrundsatz den zentralen Maßstab, an welchem sich eine Korrektur von Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen und zwischen Stammhaus und Betriebsstätte auszurichten hat. Der Fremdvergleichsgrundsatz dient einerseits als Tatbestandsvoraussetzung, andererseits ist er auch Korrekturmaßstab der Höhe nach (vgl. Rz. 6.214).

6.180 Kriterien der Vergleichbarkeit. Die Durchführung eines Fremdvergleichs hat ihren Ausgangspunkt in einem Vergleich der unternehmensinternen Lieferungs- oder Leistungsbeziehungen mit den Vereinbarungen voneinander unabhängiger Unternehmen5 unter vergleichbaren Bedingungen. Neben der Unabhängigkeit der Geschäftspartner ist damit die Vergleichbarkeit der Verhältnisse das zentrale Merkmal eines Fremdvergleichs. Nach Auffassung der Rechtsprechung,6 der Finanzverwaltung7 und der OECD8 ist eine Vergleichbarkeit der Verhältnisse gegeben, wenn sich die Vergleichstatbestände nach ihrer Art, ihren Merkmalen, ihrem Umfang und den maßgeblichen Markt- bzw. Branchenverhältnissen entsprechen. Dabei sind insbesondere folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: – Art, Ausgestaltung, Qualität und Umfang der Lieferungen und Leistungen; – allgemeine Marktverhältnisse, in denen die Lieferungen und Leistungen erstellt, genutzt, verbraucht oder veräußert werden; 1 Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 AStG. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 6; Melhem/Dombrowski, IStR 2015, 912 ff. 3 Insoweit unklar VWG BsGa, Rz. 6 mit dem Verweis auf die Zuordnungsregeln gem. §§ 5-11 BsGaV. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 10 und 20. 5 Unabhängige Unternehmen sind solche, welche nicht miteinander verbunden sind. Vgl. dazu Ditz in S/D, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 35 ff. 6 Vgl. BFH v. 1.2.1967 – I 220/64, BStBl. III 1967, 497; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 7 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 3.1.2; v. 12.4.2005 – IV B 4 S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.7. 8 Vgl. Rz. 1.38–1.63 OECD-Verrechnungspreisleitlinien.

438

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.181 Kap. 6

– Funktionen, die von den involvierten Unternehmen wahrgenommen werden, sowie die übernommenen Risiken und eingesetzten Mittel; – Marktstufe, auf der die Lieferungen und Leistungen ausgetauscht werden; – vereinbarte Vertrags- und Lieferbeziehungen; – Fristigkeit der Liefer- und Leistungsbeziehungen; – unternehmerische Zielvorstellungen sowie betriebswirtschaftliche Rahmenbedingungen der involvierten Unternehmen. Uneingeschränkte vs. eingeschränkte Vergleichbarkeit. Eine Vergleichbarkeit der Verhältnisse setzt – im Unterschied zur Identität – nicht voraus, dass die zu vergleichenden Transaktionen absolut deckungsgleich sind. Insbesondere ist im Hinblick auf die Verrechnungspreispraxis festzustellen, dass an das Kriterium der Vergleichbarkeit der Verhältnisse keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen. Dies zeigt bspw. die Durchführung von sog. Datenbankanalysen,1 bei welchen häufig nur schwerlich geeignete Vergleichsunternehmen und -transaktionen ausfindig gemacht werden können. Vor diesem Hintergrund hat es sich in der Praxis als sinnvoll erwiesen, die Vergleichsfaktoren auf die wesentlichen preisund gewinndeterminierenden Faktoren zu reduzieren.2 Dazu gehören neben den von den Unternehmensteilen (Stammhaus und Betriebsstätte) ausgeübten Funktionen die von ihnen getragenen Risiken sowie die von ihnen eingesetzten Produktionsmittel, welche im Rahmen einer Funktions- und Risikoanalyse im Einzelnen zu ermitteln sind. Im Hinblick auf den Grad der Vergleichbarkeit unterscheidet § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 AStG zwischen „uneingeschränkter“ und „eingeschränkter“ Vergleichbarkeit. Was unter „uneingeschränkter“ und „eingeschränkter“ Vergleichbarkeit zu verstehen ist, wird indessen gesetzlich nicht konkretisiert. Dies ist umso beachtlicher, als die Auswahl des Verrechnungspreises bei Vorliegen einer Preisbandbreite von dieser Unterscheidung erheblich beeinflusst wird. Während bei uneingeschränkt vergleichbaren Werten jeder Wert innerhalb der durch die Vergleichswerte gebildeten Preisbandbreite gewählt werden kann,3 ist bei eingeschränkt vergleichbaren Werten die Preisbandbreite gem. § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG einzuengen. Im Gegensatz zum innerstaatlichen Recht weist die OECD ausdrücklich darauf hin, dass die wirtschaftlich relevanten Gegebenheiten lediglich „ausreichend vergleichbar“ sein müssen.4 Dabei werden die Kategorien „uneingeschränkt vergleichbar“ und „eingeschränkt vergleichbar“ nicht verwendet. Die OECD unterscheidet vielmehr zwischen „relativ gleichem“5 und einem „geringeren“6 Vergleichbarkeitsgrad. Der Vergleichbarkeitsgrad ist dabei – im Gegensatz zu § 1 Abs. 3 AStG – bezogen auf die jeweilige Verrechnungspreismethode zu bestimmen.7

1 Vgl. dazu Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 134 ff.; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34 ff.; krit. Kolb, IWB, Fach 3, Gruppe 1, 2391 ff.; Fischer/Looks/im Schlaa, BB 2010, 157 (160). 2 So zutreffend auch Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937 (1939); Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 134 (136). 3 Dies steht nicht im Einklang mit der Rspr. des BFH, wonach der für den Steuerpflichtigen günstigste Wert der Preisbandbreite angesetzt werden kann; vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 (1554); Kaminski, RIW 2007, 594 (596). 4 Vgl. Rz. 1.33 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 5 Rz. 3.56 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 6 Rz. 3.2 und 3.56 f. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 7 Vgl. Rz. 1.37 OECD-Verrechnungspreisleitlinien.

Ditz 439

6.181

Kap. 6 Rz. 6.182

Entstrickung und Verstrickung

6.182 Funktions- und Risikoanalyse. Die Sicherstellung einer Vergleichbarkeit der Verhältnisse setzt im Rahmen der sog. Funktions- und Risikoanalyse (Stufe 1 des AOA) eine detaillierte Untersuchung der von den Unternehmensteilen ausgeübten Funktionen (maßgeblichen Personalfunktionen),1 der von diesen wahrgenommenen Risiken sowie die Feststellung der jeweils eingesetzten Produktionsmittel voraus.2 Zu Einzelheiten wird auf Rz. 5.17 ff. verwiesen.

6.183 Bandbreitenbetrachtung. In seinem Grundsatzurteil zu Verrechnungspreisen vom 17.10.20013 kommt der BFH zum Ergebnis, dass es den „einen“, richtigen Fremdvergleichspreis nicht gibt, sondern es nur eine Bandbreite von Preisen geben kann.4 Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung ergibt sich bei der Ermittlung von Fremdvergleichspreisen „regelmäßig eine Reihe möglicher Werte“.5 Sowohl die Rspr. des BFH als auch die Finanzverwaltung erkennen folglich an, dass die Ermittlung von Verrechnungspreisen nur innerhalb von Bandbreiten erfolgen kann. Dieser Grundsatz gilt über den Fremdvergleich und den Verweis des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG auf Abs. 3 der Vorschrift auch für die Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV.

6.184 Tatsächlicher Fremdvergleich. Der tatsächliche Fremdvergleich, der allgemein als der „klassische Fall“ des Fremdvergleichs angesehen wird, orientiert sich zur Ermittlung von Verrechnungspreisen an tatsächlich am Markt feststellbaren Preisen, die zwischen nicht verbundenen Unternehmen unter vergleichbaren oder ähnlichen Verhältnissen getroffen wurden. Der tatsächliche Fremdvergleich, der von der OECD als „die direkteste und verlässlichste Methode für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes“6 bezeichnet wird, lässt sich in Form eines innerbetrieblichen (internen) oder eines zwischenbetrieblichen (externen) Vergleichs durchführen. Ein innerbetrieblicher Vergleich ist immer dann möglich, wenn eine Betriebsstätte oder das Stammhaus die gleiche Lieferung bzw. Leistung sowohl unternehmensintern als auch mit unverbundenen Geschäftspartnern austauscht. Liefert beispielsweise eine Produktionsbetriebsstätte die von ihr hergestellten Produkte sowohl an externe Händler als auch an das Stammhaus, kann der mit den externen Händlern vereinbarte Preis als Verrechnungspreis für die Lieferungen an das Stammhaus herangezogen werden. Dies allerdings nur dann, wenn vergleichbare Verhältnisse vorliegen. Sind die Voraussetzungen für einen innerbetrieblichen Vergleich erfüllt, stellt diese Art des tatsächlichen Fremdvergleichs die theoretisch exaktere und in der Durchführung zweckmäßigste Verfahrensweise zur Ermittlung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise dar. Darüber hinaus können als Vergleichstatbestände des zwischenbetrieblichen Vergleichs auch Vereinbarungen dienen, die zwischen zwei nicht unabhängigen Unternehmen am Markt für vergleichbare Lieferungen oder Leistungen unter vergleichbaren Bedingungen festgelegt wurden. Der Unterschied zum innerbetrieblichen Vergleich liegt darin, dass der Ursprung der zugrunde zu legenden Vereinbarungen außerhalb des Einflussbereichs der involvierten Unternehmensteile (Stammhaus und Betriebsstätte) liegt.

1 Zum Begriff der Funktion im Einzelnen vgl. Rz. 6.305. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 26. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154 und dazu im Einzelnen Wassermeyer, DB 2001, 2465 ff.; Baumhoff, IStR 2003, 2; Kuckhoff/Schreiber, IWB, Fach 3, Gruppe 1, 863 ff. 4 Vgl. auch Rz. 1.13 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 5 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.5 Buchst. a und dazu im Einzelnen Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1554. 6 Rz. 2.14 OECD-Verrechnungspreisleitlinien.

440

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.186 Kap. 6

Bedeutung von Datenbankanalysen. Der praktischen Anwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs sind häufig enge Grenzen gesetzt. Das wesentliche Problem besteht in der Identifikation geeigneter „unabhängiger“ Vergleichstransaktionen bzw. Vergleichsunternehmen, die das Kriterium der Vergleichbarkeit der Verhältnisse erfüllen. Dies gestaltet sich oftmals äußerst problematisch, da einerseits nicht alle die Vergleichbarkeit bestimmenden Einflussfaktoren übereinstimmen bzw. ähnlich sind und andererseits vergleichbare Transaktionen entweder nur in der betrachteten oder nur innerhalb einer anderen Unternehmensgruppe, aber nicht zwischen unverbundenen Unternehmen ausgetauscht werden. Die Probleme des tatsächlichen Fremdvergleichs werden insbesondere bei Datenbankanalysen offensichtlich, die grundsätzlich auch bei Betriebsstätten Anwendung finden können. Bei diesen werden die den Verrechnungspreis determinierenden Parameter (z.B. Gewinnmargen, Renditekennziffern, Profitabilitätskennziffern) aus einer Datenbank, in welcher wirtschaftliche Kennziffern von privaten und börsennotierten Unternehmen enthalten sind, abgeleitet.1 Problematisch ist hier vor allem die Ermittlung von unabhängigen Unternehmen, die hinreichend mit dem zu beurteilenden Unternehmensteil (Stammhaus oder Betriebsstätte) vergleichbar sind. Folglich kann häufig nur eine relativ geringe Anzahl von Vergleichsunternehmen identifiziert werden, so dass es in der Praxis sinnvoll ist, die Vergleichsfaktoren auf die wesentlichen preis- und gewinndeterminierenden Faktoren zu reduzieren. Dazu gehören die von den Unternehmensteilen ausgeübten Funktionen (maßgebliche Personalfunktionen), die von ihnen getragenen Risiken sowie die von ihnen eingesetzten Produktionsmittel (insbesondere in Form von immateriellen Wirtschaftsgütern). Ein weiteres Problem der Datenbankanalysen besteht darin, dass häufig eine Vergleichbarkeit der Markt- und Branchenverhältnisse nicht gewährleistet ist. So wird bei Datenbankanalysen ein Beobachtungszeitraum von drei bis fünf Jahren zugrunde gelegt. Sind die in diesem Zeitraum vorherrschenden Markt- und Wettbewerbsverhältnisse nicht mit denen vergleichbar, die der zu bepreisenden unternehmensinternen Transaktion zugrunde liegen (z.B. in Zeiten der Finanzmarktkrise und der ihr nachfolgenden Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009), sind die gewonnenen Daten nicht bzw. nur eingeschränkt verwertbar, weil die ermittelten Vergleichsdaten nicht auf vergleichbaren Verhältnissen beruhen.2 Dieser Umstand schränkt die Anwendung von Datenbankanalysen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zunehmenden Volatilität der Wirtschaftsentwicklung – erheblich ein. Möglicherweise kann dieses Defizit über die Ausdehnung des Beobachtungszeitraums gelöst werden (z.B. um Rezessions- bzw. Wachstumsphasen mitzuberücksichtigen).3

6.185

Hypothetischer Fremdvergleich. Unumstritten ist, dass einem tatsächlichen Fremdvergleich grundsätzlich Vorrang vor anderen Vergleichsverfahren einzuräumen ist.4 Ein tatsächlicher Fremdvergleich erweist sich allerdings immer dann als nicht durchführbar, wenn es an einer effektiven Vergleichsmöglichkeit am Markt zwischen unabhängigen Vertragspartnern fehlt. In diesem Fall besteht – auch im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung gem. § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV – die Notwendigkeit, die Verrechnungspreisermittlung auf Basis eines

6.186

1 Zu den üblicherweise angewandten Datenbanken und deren Merkmalen vgl. auch Vögele/Crüger in V/B/E, Verrechnungspreise4, H Rz. 19 ff.; Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937 ff.; Oestreicher, StuW 2006, 243 ff.; Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 134 ff. 2 Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 21 (38); Ditz in Raupach/Pohl/Ditz, Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, 5 f.; s. ferner Engler, IStR 2009, 685 ff. 3 Vgl. auch Fischer/Looks/im Schlaa, BB 2010, 157 (160). 4 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG; Rz. 2.14 OECD-Verrechnungspreisleitlinien; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.304; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1464); differenzierend Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 190 ff.

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Kap. 6 Rz. 6.187

Entstrickung und Verstrickung

hypothetischen Fremdvergleichs durchzuführen.1 Dem hypothetischen Fremdvergleich, dessen Ursprung in der Rspr. des BFH zur vGA2 liegt und durch den Gesetzgeber im Rahmen des UntStRefG 20083 in § 1 Abs. 1 und 3 AStG übernommen wurde, liegt die sog. „Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters“ zugrunde. Danach ist ein Verrechnungspreis als angemessen anzusehen, wenn er für eine bestimmte Lieferungs- oder Leistungsbeziehung auch zwischen zwei ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitern vereinbart worden wäre. Der Verrechnungspreisermittlung wird damit das Normverhalten zweier ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter zugrunde gelegt. Auch im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs ist eine Bandbreitenbetrachtung in Form der Ermittlung eines sog. Einigungsbereichs durchzuführen. Der Einigungsbereich findet seine Untergrenze in dem Mindestpreis des liefernden oder leistenden Unternehmens und dem Höchstpreis des Lieferungs- oder Leistungsempfängers. Demnach müssen zur Bestimmung des Einigungsbereichs im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs die individuellen Preisgrenzen sowohl des leistenden als auch des empfangenden Unternehmens ermittelt werden. Zu der Frage, wie ein derart ermittelter Einigungsbereich zwischen den Vertragsparteien aufzuteilen ist, ordnet § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG an, dass der Preis zugrunde zu legen ist, der dem Fremdvergleichsgrundsatz „mit der höchsten Wahrscheinlichkeit“ entspricht. Wird kein anderer Wert glaubhaft gemacht, ist der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen. Kann also ein Wert mit der höchsten Wahrscheinlichkeit nicht ermittelt werden, ist – widerlegbar – auf den Mittelwert abzustellen. cc) Klassische Methoden der Verrechnungspreisermittlung (1) Rangfolge der klassischen Methoden

6.187 Auffassung der OECD. Zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise kommen grundsätzlich die drei klassischen Methoden in Form der Preisvergleichs-, der Wiederverkaufspreis- und der Kostenaufschlagsmethode in Betracht. Diese drei Methoden werden sowohl von der Finanzverwaltung4 und der Rechtsprechung5 als auch der OECD6 als die gängigen Ermittlungsmethoden zur Ermittlung angemessener Verrechnungspreise angesehen. Nach den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 1995/96 waren noch diese klassischen Methoden vorrangig anzuwenden, wobei die Preisvergleichsmethode über die anderen klassischen Methoden dominierte7 und die Wiederverkaufspreis- sowie die Kostenaufschlagsmethode in keinem hierarchischen Über- bzw. Unterordnungsverhältnis gesehen wurden.8 Die transaktionsbezogenen Gewinnmethoden wurden lediglich als nachrangig anwendbare Hilfsmethoden anerkannt. In den revidierten OECD-Verrechnungspreisleitlinien wurde dieses strenge Hie1 Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 99. 2 Vgl. nur BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann; v. 6.12.1995 – I R 88/94, BStBl. II 1996, 383; v. 19.5.1998 – I R 36/97, BStBl. II 1998, 689 = FR 1998, 902; v. 24.4.2002 – I R 18/01, FR 2002, 1178 = DStR 2002, 1614; v. 17.2.2010 – I R 97/08, FR 2010, 611 m. Anm. Schell = BFH/NV 2010, 1307. 3 Vgl. Unternehmensteuerreformgesetz v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.; v. 12.4.2005 – IV B 4 S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.3 Buchst. a. 5 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030; Wassermeyer, WPg 2002, 10 (14). 6 Vgl. Rz. 2.12 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 7 Vgl. Rz. 2.5 und 2.7 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 1995/96. 8 Nach Rz. 2.7, 2.16 und 2.34 f. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 1995/96 war die Methodenrangfolge vielmehr am Referenzmaßstab des Fremdvergleichs zu messen und die Methode zur Anwendung zu bringen, die diesem am ehesten entspricht.

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Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.188 Kap. 6

rarchieverhältnis in der Methodenrangfolge aufgegeben.1 Damit wird durch die OECD den transaktionsbezogenen Gewinnmethoden (TNMM; vgl. Rz. 6.203 ff.) und Profit Split (vgl. Rz. 6.207 ff.) anstelle ihres Ausnahmecharakters als „Method of last Resort“ ein ihrer zunehmenden praktischen Relevanz entsprechender Status zugebilligt. Statt einer strengen Methodenhierarchie kommt nunmehr – bezogen auf die einzelne Liefer- oder Leistungsbeziehung – die „geeignetste Methode“ („most appropriate method“) zum Tragen.2 Dies erfordert eine Abwägung der Stärken und Schwächen der jeweiligen Verrechnungspreismethode in Bezug auf die zu bewertende Lieferungs- oder Leistungsbeziehung, wobei folgende Kriterien zu berücksichtigen sind:3 – Die Eignung der Methode im Hinblick auf den wirtschaftlichen Gehalt der Transaktion, wie er sich insbesondere nach der Funktions- und Risikoanalyse darstellt, – die Verfügbarkeit hinreichend verlässlicher Daten (insbesondere Fremdvergleichsdaten) und – der Grad der Vergleichbarkeit von gruppeninternen Transaktionen und Vergleichstransaktionen (nach etwaigen Anpassungsrechnungen). Sind nach der Vergleichbarkeitsanalyse und nach der Informationsverfügbarkeit die klassischen Verrechnungspreismethoden und die Gewinnmethoden nebeneinander gleich zuverlässig anwendbar, gebührt nach Auffassung der OECD den klassischen Methoden der Vorrang.4 Auffassung der Finanzverwaltung. Ein Rangfolgeverhältnis der Verrechnungspreismethoden ist im innerstaatlichen Recht nicht geregelt. Zwar stellt § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG ein gesetzliches Stufenverhältnis zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich auf;5 dieses regelt allerdings nur das Verhältnis zwischen tatsächlichem Fremdvergleich (unter Berücksichtigung uneingeschränkt und eingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte) und hypothetischem Fremdvergleich. Eine Rangfolge der klassischen Verrechnungspreismethoden untereinander bzw. zwischen den klassischen Methoden einerseits und den Gewinnmethoden andererseits wird insofern nicht geregelt. Auch die Finanzverwaltung schreibt grundsätzlich keine bestimmte Rangfolge der Anwendung der Methoden vor;6 vielmehr sind die klassischen Methoden – wie im Übrigen vom BFH vorgesehen7 – als untereinander gleichrangig zu betrachten. Infolgedessen ist die Methodenwahl des Unternehmens von der Finanzverwaltung immer dann anzuerkennen, wenn diese nach Art und Anwendung in Bezug auf den betreffenden Sachverhalt sachgerecht ist.8 Sofern die Methodenwahl des Unternehmens zulässig ist, kann die Finanzverwaltung dieser nicht ihre eigene, davon abweichende Methodenwahl entgegensetzen. Dabei ist zu beachten, dass die Finanzverwaltung von einem grund-

1 Zur Revision der OECD-Verrechnungspreisleitlinien vgl. Förster, IStR 2009, 720 ff.; Förster, IStR 2011, 20 ff.; Rasch/Feistle, IWB 2009, 982 ff.; Kurzewitz, IWB 2010, 95 ff.; Luckhaupt, Ubg 2010, 646 ff. 2 Vgl. Rz. 2.3 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 3 Vgl. Rz. 2.3 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 4 Vgl. Rz. 2.4 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 5 Zu Einzelheiten vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1462). 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.4.1. 7 Nach der BFH-Rspr. stehen die klassischen Methoden „gleichberechtigt nebeneinander“, vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030; Wassermeyer, WPg 2002, 10 (14). 8 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.4.1 Satz 2.

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6.188

Kap. 6 Rz. 6.189

Entstrickung und Verstrickung

sätzlichen Vorrang der klassischen Methoden vor den transaktionsbezogenen Gewinnmethoden ausgeht. (2) Preisvergleichsmethode

6.189 Anwendungsform des tatsächlichen Fremdvergleichs. Die Preisvergleichsmethode orientiert sich zur Bestimmung von Verrechnungspreisen an Entgelten, die bei vergleichbaren Geschäften zwischen unabhängigen Dritten am Markt vereinbart werden (sog. Marktpreise).1 Damit ist die Preisvergleichsmethode methodisch dem tatsächlichen Fremdvergleich (vgl. Rz. 6.184) zuzuordnen. Entsprechend der Unterteilung des tatsächlichen Fremdvergleichs in einen innerbetrieblichen und einen zwischenbetrieblichen Vergleich ist auch im Rahmen der Anwendung der Preisvergleichsmethode zwischen einem inneren Preisvergleich (betriebsindividuelle Preise) und einem äußeren Preisvergleich (markt- oder branchenübliche Preise) zu unterscheiden. Wichtigste Voraussetzung für die Anwendung der Preisvergleichsmethode ist dabei die Vergleichbarkeit der Verhältnisse (vgl. Rz. 6.180). So fordert auch der BFH, dass die Preise „auf zumindest im Wesentlichen identischen Leistungsbeziehungen beruhen.“2 Mit dieser Forderung nach einer Identität der Leistungsbeziehungen werden allerdings zu hohe Anforderungen an die Vergleichbarkeit der Verhältnisse gestellt. Vergleichbarkeit bedeutet nämlich keine Identität, also Deckungsgleichheit der Verhältnisse. Vielmehr ist eine Vergleichbarkeit der Verhältnisse bereits dann gewährleistet, wenn die Vergleichsobjekte ähnlich in Bezug auf ihre wesentlichen Merkmale sind.3

6.190 Innerer und äußerer Preisvergleich. Ein innerer Preisvergleich setzt voraus, dass ein verbundenes Unternehmen die gleiche Lieferung oder Leistung unter vergleichbaren Verhältnissen sowohl gegenüber seiner Betriebsstätte als auch gegenüber unverbundenen Unternehmen erbringt bzw. sowohl von seiner Betriebsstätte als auch unverbundenen Unternehmen erhält. Damit erweist sich der innere Preisvergleich immer dann als besonders geeignet, wenn ein Unternehmen die entsprechende Lieferungs- oder Leistungsbeziehung sowohl zu seiner Betriebsstätte als auch unverbundenen Unternehmen unterhält. Der äußere Preisvergleich stellt demgegenüber im Rahmen eines zwischenbetrieblichen Vergleichs auf den Lieferund Leistungsverkehr zwischen fremden Unternehmen (z.B. derselben Branche) ab. Als Vergleichstatbestände dienen dabei Vereinbarungen, die zwischen zwei unabhängigen Geschäftspartnern, wobei keiner dem betrachteten Unternehmensverbund angehört, für vergleichbare Leistungen unter vergleichbaren Bedingungen festgelegt werden. Der äußere Preisvergleich kommt insbesondere für solche Marktpreise in Betracht, die anhand von Börsennotierungen, branchenüblichen Preisen oder Verträgen zwischen unabhängigen Dritten festgestellt werden können. Ferner kann ein äußerer Preisvergleich auch auf Basis einer Datenbankanalyse, wie z.B. der Lizenzkartei des Bundeszentralamtes für Steuern, durchgeführt werden. So ist auch nach Auffassung des BFH die Verwertung von anonymisierten Vergleichsdaten („secret comparables“) zur Durchführung eines äußeren Preisvergleichs grundsätzlich zulässig.4

1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.2; Rz. 2.13 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 2 BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 1307 = FR 2005, 1030, und dazu Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 592 ff. 3 Vgl. auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.7; Baumhoff/ Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 (1555 f.). 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; Kuckhoff/Schreiber, IWB, Fach 3, Gruppe 1, 1871 ff.

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.193 Kap. 6

Der Beweiswert solcher anonymisierten Vergleichsdaten ist allerdings davon abhängig, ob die verwendete Datenbank qualitativen Mindestanforderungen genügt.1 Anwendungsbereiche. Die Anwendung der Preisvergleichsmethode, die allgemein als das ideale Verfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen angesehen wird (vgl. Rz. 6.184), ist in der Praxis häufig problematisch. Denn trotz der Existenz von markt- oder branchenüblichen Preisen scheitert ein konkreter Preisvergleich häufig an der Tatsache, dass eine Vergleichbarkeit der Verhältnisse aufgrund der Unvollkommenheit der Märkte im konkreten Einzelfall nicht nachgewiesen werden kann. Ein weiteres Anwendungsproblem der Preisvergleichsmethode besteht darin, dass vergleichbare Geschäftsbeziehungen zwischen fremden Dritten vielfach nicht identifiziert werden können, weil insbesondere konzernspezifische Lieferungen und Leistungen am Markt nicht erhältlich sind. Dies gilt insbesondere für Management-Dienstleistungen, Leistungen und Lizenzgebühren im Bereich der Forschung und Entwicklung sowie für konzernspezifische Finanzierungsleistungen. In der Praxis hat sich daher bei Anwendung der Preisvergleichsmethode durchgesetzt, das Vergleichbarkeitskriterium auf die wesentlichen preisdeterminierenden Parameter zu beschränken. Ferner ist die Preisvergleichsmethode anwendbar, wenn der Steuerpflichtige den Marktpreis über verbindliche Angebote von fremden Dritten nachweisen kann (z.B. im Zusammenhang mit marktüblichen Dienstleistungen).2

6.191

(3) Wiederverkaufspreismethode Retrograde Verrechnungspreisermittlung. Die Wiederverkaufspreismethode ist anwendbar, wenn eine Betriebsstätte an eine andere Betriebsstätte Lieferungen oder Leistungen erbringt und diese Lieferungen oder Leistungen danach an unabhängige Dritte weiterveräußert werden.3 Dies setzt allerdings voraus, dass die entsprechende Ware (Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens) der Betriebsstätte zuzuordnen ist (vgl. Rz. 6.238 ff.). Der Marktpreis bei Wiederverkauf der Lieferung oder Leistung an unabhängige Dritte bildet damit die Ausgangsbasis der Wiederverkaufspreismethode. Er wird üblicherweise ex ante auf Planbasis ermittelt (z.B. als „strategischer Marktpreis“), was nicht ausschließt, dass der Wiederverkaufspreis auch auf Basis von Ist-Werten bestimmt werden kann. Der angemessene Verrechnungspreis wird damit ausgehend vom Wiederverkaufspreis auf retrogradem Weg durch Subtraktion bestimmt. ./. =

6.192

Marktpreis bei Wiederverkauf an Fremde (Wiederverkaufspreis) marktübliche Handelsspanne des Wiederverkäufers Verrechnungspreis

Ermittlung Handelsspanne. Die marktübliche Handelsspanne4 kann anhand eines tatsächlichen (vgl. Rz. 6.184) oder – subsidiär hierzu – eines hypothetischen Fremdvergleichs (vgl. Rz. 6.186) bestimmt werden. Nach dem tatsächlichen Fremdvergleich ist die Handelsspanne aus Handelsspannen, wie sie bei Geschäften zwischen unabhängigen Dritten Anwendung finden, zu berechnen. Die Verrechnungspreispraxis zeigt allerdings, dass sowohl ein externer als auch ein interner Betriebsvergleich zur Ermittlung der angemessenen Handelsspanne in 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.4; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Verf. Anm. 2012 ff.; Kolb, IWB, Fach 3, Gruppe 1, 2391 ff. 2 Vgl. auch BMF v. 15.12.1994 – IV B 7 - S 2742a - 63/94, BStBl. I 1995, 25, Tz. 61. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.3; Rz. 2.20 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 4 Vgl. Rz. 2.28 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien.

Ditz 445

6.193

Kap. 6 Rz. 6.194

Entstrickung und Verstrickung

der Regel an fehlenden Vergleichsunternehmen scheitert. Vor diesem Hintergrund kommt zur Ermittlung der Handelsspanne dem hypothetischen Fremdvergleich eine zentrale Bedeutung zu. Dabei wird die Handelsspanne aus den Kosten des Vertreibers zzgl. einer angemessenen Umsatzrendite abgeleitet. Insoweit ist es zur Ermittlung der angemessenen Handelsspanne erforderlich, die Kosten – insbesondere in Form der Vertriebs- und allgemeinen Verwaltungskosten – des Vertreibers zu bestimmen und diese um einen angemessenen Gewinnaufschlag bzw. angemessene Umsatzrendite1 zu erhöhen. Eine solche Kombination der Wiederverkaufspreis- und der Kostenaufschlagsmethode ist zulässig.2 Die OECD spricht insoweit allerdings nicht mehr von der Wiederverkaufspreismethode, sondern von der TNMM (vgl. Rz. 6.203 ff.).3

6.194 Anwendungsbereiche. Der Hauptanwendungsbereich der Wiederverkaufspreismethode liegt in der Verrechnungspreisermittlung für Lieferungen an Vertriebsbetriebsstätten. So sieht auch der BFH bei Lieferungen an eine als Eigenhändler zu qualifizierende Vertriebsgesellschaft „regelmäßig“ die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode vor.4 Dies entspricht der Auffassung sowohl der deutschen Finanzverwaltung5 als auch der OECD.6 Wird das durch die entsprechende Vertriebsbetriebsstätte veräußerte Produkt vor seinem Weiterverkauf durch die Betriebsstätte bearbeitet, weiterentwickelt oder in anderer Weise verändert, muss diese zusätzliche Wertschöpfung im Rahmen der Handelsspanne erfasst werden. Solche Tätigkeiten der Vertriebsbetriebsstätten dürfen allerdings nicht so weit reichen, dass dadurch ein neues Produkt entsteht. Ist dies der Fall, sind die Voraussetzungen der Wiederverkaufspreismethode nicht erfüllt. (4) Kostenaufschlagsmethode

6.195 Kostenaufschlagsmethode als „ultima ratio“. Bei der Kostenaufschlagsmethode wird der Verrechnungspreis dadurch bestimmt, dass zunächst die Selbstkosten des liefernden oder leistenden Unternehmens ermittelt und anschließend um einen angemessenen Gewinnaufschlag erhöht werden.7 Die Kostenaufschlagsmethode findet insbesondere in solchen Fällen Anwendung, in denen für die konzerninterne Lieferung oder Leistung keine Marktpreise ermittelt, und folglich weder die Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 6.189 ff.) noch die Wiederverkaufspreismethode (vgl. Rz. 6.192 ff.) angewendet werden können. Sie findet dabei häufig im Bereich der Routinefunktion8 sowie bei Dienstleistungen und der Lieferung von Halbfertigprodukten Anwendung.

6.196 Kostenbasis. Nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs ist die Kostenbasis anhand von Kalkulationsmethoden zu ermitteln, die der Liefernde oder Leistende auch bei seiner Preispolitik gegenüber Fremden zugrunde legt bzw. die den betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ent-

1 Diese wird üblicherweise auf Basis einer Datenbankanalyse ermittelt. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.4.2; Rz. 2.31 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 3 Vgl. OECD, Transfer Pricing Methods, Paris Juli 2010, Rz. 14 ff. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 3.1.3 Beispiel 1. 6 Vgl. Rz. 2.20 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 7 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.4; Rz. 2.39 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 8 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 2.2.2.1; v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.2 Buchst. a.

446

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.198 Kap. 6

sprechen.1 Ausgangspunkt der Ermittlung der Kostenbasis sind damit die Vollkosten (Einzelund Gemeinkosten), die durch die Herstellung und Lieferung des Produkts bzw. die Erbringung der Dienstleistung verursacht sind. Denn der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter wird immer bestrebt sein, die Kosten seiner Lieferung oder Leistung in vollem Umfang zu decken und darüber hinaus einen Gewinn zu erwirtschaften. In bestimmten Ausnahmefällen kann die Kostenbasis allerdings auch auf Basis von Teilkosten – z.B. auf Grundlage einer Deckungsbeitragsrechnung – ermittelt werden, wenn dies betriebswirtschaftlich sinnvoll ist und auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter unter vergleichbaren Umständen lediglich Teilkosten verrechnet hätte. So widerspricht es z.B. nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Geschäftsführung, wenn zur Erschließung neuer bzw. Erweiterung bestehender Märkte oder bei vorübergehender Unterbeschäftigung zur Ausnutzung freier Kapazitäten Teilkosten zur Maximierung des Deckungsbeitrags verrechnet werden.2 Sowohl im Rahmen der Vollkosten- als auch im Rahmen der Teilkostenrechnung steht es dem Steuerpflichtigen frei, ob er die Vollkosten auf Plan-, Ist- oder Normalkostenbasis ermittelt.3 Aufgrund des Nachteils der Verrechnung von Ist-Kosten, dass Unwirtschaftlichkeiten bzw. Kosteneinsparungen des liefernden oder leistenden Unternehmens uneingeschränkt auf den Leistungsempfänger übertragen werden,4 wird die Kostenaufschlagsmethode in der Verrechnungspreispraxis häufig auf Plan- bzw. Budgetkostenbasis umgesetzt.5 Gewinnaufschlag. Hinsichtlich der Ermittlung des Gewinnaufschlags ist zu berücksichtigen, dass es den einen „richtigen“ Gewinnaufschlag nicht gibt. Vielmehr ist die Höhe des Gewinnaufschlags – bezogen auf den Einzelfall – an den durch das liefernde oder leistende Unternehmen wahrgenommenen Funktionen und Risiken und den dabei eingesetzten (insbesondere immateriellen) Wirtschaftsgütern bzw. Vermögenswerten auszurichten. Zur Bestimmung eines angemessenen Gewinnaufschlags existieren im Schrifttum und seitens der Rspr. mehrere methodische Ansätze. Diese betreffen im Wesentlichen

6.197

– einen inneren Betriebsvergleich (sog. betriebsübliche Gewinnaufschläge), – einen äußeren Betriebsvergleich (sog. branchenübliche Gewinnaufschläge), – die angemessene Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals sowie – pauschale, in Prozentsätzen festgelegte Aufschlagssätze. Betriebsvergleich. Betriebsübliche Gewinnaufschläge, die über einen internen Betriebsvergleich (vgl. Rz. 6.184) ermittelt werden, orientieren sich an Gewinnspannen, die von den Unternehmen in Bezug auf vergleichbare Lieferungen oder Leistungen mit unabhängigen Dritten erzielt werden. Stehen solche vergleichbaren Gewinnspannen nicht zur Verfügung, weil das Unternehmen keine oder keine vergleichbaren Geschäftsbeziehungen zu unabhängigen Dritten unterhält, so ist auf branchenübliche Gewinnaufschläge abzustellen, die sich durch einen äußeren Betriebsvergleich bestimmen lassen. Dabei wird auf Gewinnspannen Bezug genommen, die zwischen Unternehmen derselben Branche bei vergleichbaren Geschäften erzielt werden. Zu deren Ermittlung kann z.B. auf Datenbanken (vgl. Rz. 6.185) zurückgegriffen werden. Allerdings zeigt die Verrechnungspreispraxis, dass die Ermittlung angemessener 1 2 3 4 5

Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.4. Vgl. Rz. 2.51 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Vgl. Rz. 2.49 OECD-Verrechnungspreisleitlinien; Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 486 ff. Vgl. auch Rz. 2.42 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Vgl. auch Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 316; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 573 f.

Ditz 447

6.198

Kap. 6 Rz. 6.199

Entstrickung und Verstrickung

Gewinnaufschläge auf Basis von Datenbankanalysen nicht unproblematisch ist.1 Lässt sich auch auf Basis einer Datenbankanalyse kein angemessener Gewinnaufschlag ermitteln, besteht die Möglichkeit, einen normalisierten Gewinnaufschlag anhand der durchschnittlichen Branchenrendite heranzuziehen.

6.199 Angemessene Eigenkapitalrendite. Ein anderer Vorschlag geht dahin, den Gewinnaufschlag so zu bemessen, dass – einschließlich kalkulatorischer Zinsen – mindestens eine Eigenkapitalrendite in Höhe der Kapitalmarktrendite erwirtschaftet wird.2 Die Ableitung eines angemessenen Gewinnaufschlags aus der Eigenkapitalrendite beruht auf der Überlegung, dass unabhängige Dritte eine unternehmerische Funktion nur dann ausüben würden, wenn die erzielbaren Erträge langfristig eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals gewährleisten. Somit kommt die Kapitalmarktrendite nur als Untergrenze der Eigenkapitalrendite infrage, da eine Kapitalmarktanlage (z.B. Anleihe oder Festgeld) gegenüber einer Geldanlage in einem Unternehmen ein wesentlich geringeres Kapitalausfallrisiko hervorruft.

6.200 Pauschale Gewinnaufschläge. Im Zusammenhang mit pauschalen, in Prozentpunkten angegebenen Gewinnaufschlägen beurteilt die Rspr. einen Gewinnaufschlag von 10 bis 15 % „nicht als unangemessen“, ohne allerdings näher zu begründen, worauf diese Feststellung gestützt wird.3 Im Übrigen hat das FG Saarl. in seinem rechtskräftigen Urteil vom 18.12.1996 entschieden, dass ein Reingewinnzuschlag i.H.v. 5 % auf keine Bedenken stoße.4 Diese Quantifizierung des Gewinnaufschlags steht auch im Einklang mit dem BFH-Urteil vom 12.3.1980, nach dem ein Reingewinn von 3 bis 5 % des wirtschaftlichen Umsatzes die Annahme einer vGA nicht rechtfertige.5 Das FG Baden-Württemberg führt aus, dass neben der Deckung der Kosten auch ein „bescheidener Rohgewinn“ verbleiben müsse, ohne diesen zu quantifizieren.6 Das FG Münster hat schließlich in seinem rechtskräftigen Urteil vom 16.3.2006 entschieden, dass sich ein Kostenaufschlag von 30 bis 70 % auf die reinen Lohnkosten in einem Bereich bewegt, der im Hinblick auf Lohnfertigungsverhältnisse „betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entspricht“.7 In der Verrechnungspreispraxis hat sich indessen ein Gewinnaufschlag i.H.v. 5 bis 10 % als in der Regel zweckmäßig erwiesen. Dieser Wert wird – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – auch von der deutschen Finanzverwaltung akzeptiert8 und ist auch als international üblich anzusehen. Gleichwohl darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass es sich bei dieser Richtgröße um einen rein pragmatischen Ansatz handelt, der sich einer betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung entzieht. Insofern ist bei der Festlegung des Gewinnaufschlags immer den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen, d.h., es sind insbesondere die von dem entsprechenden Unternehmensteil (Stammhaus oder Betriebsstätte) ausgeübten Funktionen, wahrgenommenen Risiken und eingesetzten Produktionsmittel zu berücksichti-

1 Vgl. auch Kolb, IWB, Fach 3, Gruppe 1, 2391 ff.; Fischer/Looks/im Schlaa, BB 2010, 157 (160); Baumhoff in FS Krawitz, 21 (37 ff.). 2 Vgl. § 1 Abs. 4 AStG; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 - 12/04, BStBl. I 2004, 270; Scholz, IStR 2004, 209 ff.; Taetzner, IStR 2004, 726 ff. 3 Vgl. BFH v. 2.2.1960 – I 194/59, BB 1960, 731. 4 Vgl. FG Saarland v. 18.12.1996 – 1 K 257/94, EFG 1997, 485. 5 Vgl. BFH v. 12.3.1980 – I R 186/76, BStBl. II 1980, 531 = FR 1980, 360. 6 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 22.5.2003 – 3 K 143/98, DStRE 2004, 965. 7 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562. 8 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 3.1.2; v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 - 14/99, BStBl. I 1999, 1122, Tz. 1.7; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150.

448

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.203 Kap. 6

gen. Vor diesem Hintergrund können freilich auch Gewinnaufschläge unter 5 % bzw. über 10 % im Einzelfall als angemessen angesehen werden. dd) Gewinnorientierte Methoden (1) Anerkennung gewinnorientierter Methoden Auffassung der OECD. Die OECD hat sich bereits in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 1995/96 intensiv mit gewinnorientierten Methoden als Alternative zur Anwendung der klassischen Methoden auseinandergesetzt. Hierbei wird zwischen der

6.201

– geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode („Transactional Net Margin Method“, kurz „TNMM“), – der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode („Profit Split“) und – der globalen Gewinnaufteilungsmethode unterschieden.1 Während die globale Gewinnaufteilungsmethode mit dem Fremdvergleichsgrundsatz als nicht vereinbar angesehen wird,2 sollten nach bisheriger Auffassung der OECD die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode subsidiär Anwendung finden, wenn die klassischen Verrechnungspreismethoden nicht anwendbar sind. Beide gewinnorientierten Methoden waren damit bisher als Methoden „des letzten Auswegs“ bezeichnet worden. Mit den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010 wurde dieses strenge Hierarchieverhältnis aufgegeben. Dies hat insbesondere zur Folge, dass den transaktionsbezogenen Gewinnmethoden anstelle eines Ausnahmecharakters nunmehr ein mit den klassischen Methoden ebenbürtiger Status zugebilligt wird. So kommt nunmehr nach Auffassung der OECD anstatt einer strengen Methodenhierarchie die im Einzelfall geeignetste Methode zum Tragen.3 Auffassung der Finanzverwaltung. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG regelt ausdrücklich nur die klassischen Methoden, so dass bereits der Gesetzgeber von einem Vorrang dieser Methoden gegenüber den transaktionsbezogenen Gewinnmethoden ausgeht. Im Übrigen erkennt die Finanzverwaltung die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode sowie die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode zwar grundsätzlich an, sie sollen allerdings nur subsidiär zu den Standardmethoden Anwendung finden.4 Damit gehen aus Sicht der Finanzverwaltung die klassischen Methoden (vgl. Rz. 6.187 ff.) den transaktionsbezogenen Gewinnmethoden vor. Der Anwendungsbereich der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wird sogar auf Unternehmen mit Routinefunktionen beschränkt. Zusätzlich wird ihre Anwendung davon abhängig gemacht, dass der Nachweis über die Vergleichbarkeit der Vergleichsunternehmen geführt werden kann.

6.202

(2) Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen. Bei der TNMM5 werden Nettomargen gruppeninterner Lieferungs- und Leistungsbeziehungen – z.B. im Rahmen der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode oder der Wiederverkaufspreismethode – aus den Nettomargen, 1 2 3 4 5

Vgl. Rz. 2.56 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Vgl. Rz. 1.19 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Vgl. Rz. 2.2 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.3 Buchst. b und c. Vgl. Rz. 2.58 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.3 Buchst. b.

Ditz 449

6.203

Kap. 6 Rz. 6.204

Entstrickung und Verstrickung

die die Betriebsstätte bei vergleichbaren Geschäften mit fremden Dritten erzielt bzw. die von unabhängigen Unternehmen bei vergleichbaren Geschäften erwirtschaftet werden, abgeleitet. Die Nettomargen beziehen sich üblicherweise auf das Verhältnis einer Gewinngröße (in der Regel Betriebsergebnis, Rohergebnis oder EBIT) zum Umsatz,1 zu den Voll- oder Teilkosten2 oder zum betriebsnotwendigen Kapital.3 Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass nur auf die Nettomarge aus einem Geschäftsvorfall bzw. verwandten und wirtschaftlich zusammenhängenden Geschäftsvorfällen („Basket-Ansatz“4 bzw. „Palettenbetrachtung“)5 abgestellt werden darf und nicht auf die Summe verschiedener Geschäftsvorfälle oder gar auf sämtliche Geschäftsvorfälle einer Periode. Ausdrücklich unzulässig ist es daher, eine Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen nur deswegen vorzunehmen, weil über einzelne Lieferungs- und Leistungsbeziehungen keine Daten zur Ermittlung von Verrechnungspreisen nach den klassischen Methoden bzw. Ableitung von Renditekennziffern vorliegen. Mithin würde dies zur Zuordnung von Pauschalgewinnen und folglich zu einer Sollbesteuerung führen.

6.204 Datenbankanalyse. Die TNMM ist nur anwendbar, wenn Nettomargen vergleichbarer Transaktionen zwischen unabhängigen Unternehmen identifiziert werden können. Insoweit kann ein innerer Betriebsvergleich durchgeführt werden, d.h., die Nettomarge wird aus vergleichbaren Geschäften, die das Unternehmen mit fremden Dritten ausführt, abgeleitet. Ferner ist ein äußerer Betriebsvergleich denkbar, bei dem sich die Nettomarge aus vergleichbaren Geschäften zwischen unabhängigen Dritten ermittelt. Im Rahmen des äußeren Betriebsvergleichs wird in der Verrechnungspreispraxis häufig auf Datenbanken (vgl. Rz. 6.185) zurückgegriffen. Der Steuerpflichtige ist allerdings im Rahmen der Anwendung der TNMM nicht verpflichtet, eine Datenbankanalyse durchzuführen.6

6.205 Praktische Umsetzung. Häufig wird die TNMM in der Praxis auf Basis einer Datenbankanalyse umgesetzt. Auf Basis der sich aus der Datenbankanalyse ergebenden Bandbreite von Renditemargen werden dann zu Jahresbeginn vorläufige Verrechnungspreise festgesetzt. Sofern die tatsächliche Rendite der entsprechenden Betriebsstätte am Ende des Jahres außerhalb des Zielkorridors liegt, erfolgt eine nachträgliche Korrektur der Verrechnungspreise. Die Korrektur kann dabei sowohl zugunsten der Betriebsstätte (tatsächliche Rendite liegt unterhalb des Zielkorridors) als auch zu Lasten der Betriebsstätte (tatsächliche Rendite liegt oberhalb des Zielkorridors) durchgeführt werden.7 In der Verrechnungspreispraxis läuft die Anwendung der TNMM damit häufig auf eine modifizierte Anwendung der Kostenaufschlagsmethode oder der Wiederverkaufspreismethode hinaus. Der besondere Vorteil der TNMM besteht darin, dass diese Methode auf eine Nettomarge abstellt, die sich in der Regel relativ einfach aus einer Datenbankanalyse (vgl. Rz. 6.185) ableiten lässt. Ein weiterer Vorteil der TNMM liegt darin, dass bei ihrer Anwendung eine Zusammenfassung einzelner Transaktionen erfol1 Sog. Umsatzrendite bzw. „Sales Margin“. 2 Sog. Kosten- oder Gewinnaufschlag bzw. „Profit Margin“ oder „Berry Ratio“ im Bereich der Vertriebsunternehmen. Die „Berry Ratio“ setzt den Rohgewinn in das Verhältnis zu den Vertriebsund Verwaltungskosten und den sonstigen betrieblichen Aufwendungen. Vgl. Berry, Journal of Global Transfer Pricing June/July 1999, 45 ff.; Oestreicher/Vormoor, IStR 2004, 95 (103); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 579. 3 Sog. „Return on Assets“ oder „Return on Net Assets“. 4 Vgl. hierzu Werra, IStR 1995, 457 (463). 5 Vgl. § 2 Abs. 3 GAufzV; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.13; Baumhoff, IStR 1994, 593 (593). 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12 Abs. 2. 7 Zu einem Anwendungsbeispiel vgl. Ditz in Raupach/Pohl/Ditz, Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, 1 ff.

450

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.207 Kap. 6

gen kann. Dies setzt indessen voraus, dass die einzelnen Geschäftsvorfälle wirtschaftlich vergleichbar sind und dass in Bezug auf die betrachteten Transaktionen gleichartige Funktionen ausgeübt werden.1 Anwendungsvoraussetzungen. Die Finanzverwaltung schränkt – im Gegensatz zur OECD – die Anwendung der TNMM auf Unternehmen mit sog. „Routinefunktionen“ ein.2 Betriebsstätten mit Routinefunktionen sind dadurch gekennzeichnet, dass die von ihnen ausgeübten Funktionen für die unternehmerische Gesamtwertschöpfung von untergeordneter Bedeutung sind, sie nur geringe (Markt-)Risiken tragen und über keine zur Leistungserbringung notwendigen wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter verfügen. Die von ihnen wahrgenommenen Funktionen und die von ihnen eingesetzten immateriellen Wirtschaftsgüter sind nicht erfolgskritisch und könnten auch von einem externen Dienstleister im Wege des Outsourcing erbracht werden. Zu den Routinefunktionen gehören vor diesem Hintergrund insbesondere verwaltungsbezogene Dienstleistungen (EDV, Rechnungswesen, Marketing), technische Dienstleistungen (Montage, Reparaturen), Aus- und Fortbildungen, Lohnfertigung, Auftragsforschung und -entwicklung sowie die Leistungen der funktionsschwachen Vertriebsbetriebsstätte (vgl. Rz. 6.240).

6.206

(3) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode Geschäftsvorfallbezogene Aufteilung von Gewinnen. Nach der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode („Profit Split Method“, kurz „PSM“) wird der aus einem Geschäftsvorfall für die involvierten Unternehmensteile erzielte Gesamtgewinn auf die an der Geschäftsbeziehung beteiligten Unternehmensteile aufgeteilt.3 Dabei ist im Rahmen einer „ex-ante“-Betrachtung auf den aus dem einzelnen Geschäft erwarteten Gewinn abzustellen; auf den später tatsächlich realisierten Gewinn kommt es hingegen nicht an.4 Als Aufteilungsmaßstab der PSM fungieren die von dem Stammhaus oder der Betriebsstätte ausgeübten Funktionen, die getragenen Risiken und die eingesetzten (immateriellen) Wirtschaftsgüter, die mittels einer Funktionsanalyse zu erfassen sind. Insoweit soll im Rahmen der PSM in Bezug auf eine bestimmte Lieferungs- oder Leistungsbeziehung eine Gewinnaufteilung erreicht werden, wie sie zwischen unabhängigen Unternehmen bei vergleichbaren Funktionen und Risiken entstanden wäre. Für die Gewinnaufteilung kommen dabei die vier folgenden Ansätze in Betracht:5 – Beitragsmethode („Contribution Analysis“): Nach der Beitragsmethode wird der erwartete Gesamtgewinn aus einem Geschäftsvorfall ermittelt und zwischen den Unternehmensteilen im Verhältnis ihrer Leistungsbeiträge aufgeteilt. Der Umfang der Leistungsbeiträge wird mit Hilfe der Funktionsanalyse festgelegt, wobei nach Auffassung der OECD der Wert einer Leistung möglichst anhand von tatsächlichen Marktwerten bestimmt werden soll.6 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.13; Rz. 3.9 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.3. Buchst. b Abs. 2. 3 Vgl. Rz. 2.108 und 2.116 OECD-Verrechnungspreisleitlinien; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.3 Buchst. c. 4 Wohl a.A. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 582, nach dem auf den „realisierten Nettoerfolg“ abzustellen ist. 5 Vgl. Rz. 2.128 OECD-Verrechnungspreisleitlinien; Eimermann, IStR 1994, 537 (541); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 583 f. 6 Vgl. Rz. 2.119 f. OECD-Verrechnungspreisleitlinien; Dawid/Dworaczek in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Rz. 3.16 Anm. 67 ff.

Ditz 451

6.207

Kap. 6 Rz. 6.208

Entstrickung und Verstrickung

– Restgewinnmethode („Residual Profit Split Method“): Die Restgewinnmethode sieht eine zweistufige Vorgehensweise vor. Auf der ersten Stufe wird jedem involvierten Unternehmensteil eine „Grundrendite“ zugestanden, die sich an Fremdrenditen für entsprechende Leistungsbeiträge orientiert und in der Regel über eine Datenbankanalyse ermittelt wird. Der verbleibende Gewinn (oder Verlust) wird dann auf einer zweiten Stufe unter Berücksichtigung der individuellen Beiträge der Unternehmensteile (z.B. auf Basis des Anfalls strategischer Aufwendungen ermittelt) verteilt.1 – Methode des eingesetzten Kapitals („Capital Employed Method“): Nach der Methode des eingesetzten Kapitals wird der Gewinn in der Weise aufgeteilt, dass jeder in die Transaktion einbezogene Unternehmensteil dieselbe Rendite aus dem im Rahmen der Transaktion eingesetzten Kapital erzielt. Insoweit wird unterstellt, dass jeder involvierte Unternehmensteil einem ähnlichen Risiko unterliegt und infolgedessen eine gleiche Rendite gerechtfertigt ist.2 – Methode der vergleichbaren Gewinnaufteilung („Comparable Profit Split Method“): Nach der Methode der vergleichbaren Gewinnaufteilung werden die Gewinnanteile der einzelnen Unternehmensteile aus den Gewinnen abgeleitet, die unabhängige Unternehmen mit vergleichbaren Funktionen, Risiken, Wirtschaftsgütern und Vertragsbedingungen erwirtschaftet. Der insoweit aus den relativen Anteilen am Gesamtgewinn ermittelte Aufteilungsschlüssel wird dann auf die Gewinnaufteilung zwischen den Unternehmensteilen übertragen. c) Minderung der inländischen Einkünfte und Erhöhung der ausländischen Einkünfte

6.208 Minderung der inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen. Eine weitere Tatbestandsvoraussetzung für die Korrektur von Einkünften nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG ist, dass die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden.3 Die erste Alternative einer Einkünfteminderung im Zusammenhang mit einer beschränkten Steuerpflicht im Inland ist erfüllt, wenn der (vorläufige) Einkünftebetrag ohne Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG geringer ausfällt, als wenn die Einkünfte unter Berücksichtigung des in § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1, 3 und 4 AStG niedergelegten Fremdvergleichsgrundsatzes bestimmt worden wären. Insofern besteht eine Parallele zur Auslegung der Einkünfteminderung im Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG.4

6.209 Geschäftsvorfallbezogene Einkünfteminderung. Es stellt sich die Frage, ob sich die Einkünfteminderung bei einem im Inland beschränkt Steuerpflichtigen auf dessen gesamte Einkünfte oder nur auf die aus einer einzelnen (oder mehreren zusammenhängenden) anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG) bezieht. Würde ein solcher konkreter Bezug zu einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung nicht bestehen, könnten die aus einer nicht fremdvergleichskonformen Abrechnung von unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen resultierenden Einkünfteminderungen durch Einkünfteerhöhungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden (z.B. im Rahmen eines erweiterten Vorteilsausgleichs). Eine solche Interpretation würde indessen nicht dem Sinn und Zweck des § 1 Abs. 5 AStG entsprechen, die aus einer nicht fremdvergleichskonformen 1 2 3 4

Vgl. Rz. 2.121 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Vgl. Rz. 2.145 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Vgl. VWG BsGa, Rz. 10. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 49.

452

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.211 Kap. 6

Abrechnung einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung resultierenden Einkünfteminderungen zu korrigieren. Insoweit besteht eine Parallele zur Rechtsprechung des BFH zur vGA, wonach eine Einkünftekorrektur nach dem Fremdvergleichsgrundsatz geschäftsvorfallbezogen erfolgen soll.1 Es besteht insoweit kein Grund dafür, den im Rahmen der Rechtsprechung zur vGA konkretisierten Fremdvergleichsgrundsatz (i.S.d. doppelten ordentlichen Geschäftsleiters)2 für Zwecke des § 1 AStG anders auszulegen, zumal die Vorschrift seit dem Unternehmensteuerreformgesetz 20083 ebenfalls auf das Denkmodell des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters aufsetzt. Im Übrigen: Auch der in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA vorgesehene Korrekturmaßstab des Fremdvergleichs bezieht sich hier auf „kaufmännische oder finanzielle Beziehungen“, so dass sich auf Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gestützte Gewinnkorrekturen auf eine konkrete Geschäftsbeziehung beziehen müssen.4 Einkünfteminderung im Zusammenhang mit der Überführung eines Wirtschaftsguts. Wird die aus der Überführung eines Wirtschaftsguts von der inländischen Betriebsstätte eines beschränkt Steuerpflichtigen in das ausländische Stammhaus resultierende anzunehmende schuldrechtliche Beziehung nicht unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes bepreist, hat dies grundsätzlich eine Einkünfteminderung i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 1 letzter Halbs. AStG zur Folge. Von einer Minderung der inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen ist auszugehen, wenn ein Wirtschaftsgut zu einem unangemessen geringen Preis von einer inländischen Betriebsstätte in ihr ausländisches Stammhaus überführt wird. Denn in diesem Fall sind die Einkünfte der inländischen Betriebsstätte geringer als sie unter Beachtung des in § 1 Abs. 5 AStG vorgeschriebenen Fremdvergleichs gewesen wären. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Entstrickungsvorschriften des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 KStG einer Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 AStG vorgehen (vgl. Rz. 6.133). Infolgedessen ist der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 AStG in Bezug auf die Überführung von Wirtschaftsgütern eingeschränkt.

6.210

Erhöhung der ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen. Die zweite Alternative des § 1 Abs. 5 Satz 1 letzter Halbs. AStG betrifft die Erhöhung der Einkünfte einer ausländischen Betriebsstätte eines im Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen, so dass die Steuerbegünstigung aus der Freistellung der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte im DBAFall zu hoch ausfällt bzw. bei einer Anrechnungs-Betriebsstätte die ausländischen Steuern auf die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte überhöht angerechnet werden. Auch insoweit bildet der Fremdvergleichsgrundsatz den Vergleichsmaßstab; denn aufgrund dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht entsprechender Verrechnungspreise werden die Einkünfte der ausländischen Betriebsstätte höher ausgewiesen, als dies auf der Grundlage des in § 1 Abs. 5 AStG der Fall wäre. Auch insoweit ist nicht auf die Einkünfte der ausländischen Betriebsstätte insgesamt, sondern nur auf die aus einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung resultierenden Einkünfte abzustellen (vgl. Rz. 6.209). § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AStG kommt allerdings auch in diesem Zusammenhang nur zur Anwendung, wenn die Entstrickungsvorschriften nicht greifen (vgl. Rz. 6.210 und 6.133).

6.211

1 Vgl. BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBl. II 1993, 801 unter II.4.a); v. 6.7.2000 – I B 34/00, BStBl. II 2002, 490 = FR 2000, 1135 m. Anm. Kempermann; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 2 Vgl. BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann; v. 6.12.1995 – I R 88/94, BStBl. II 1996, 383; v. 19.5.1998 – I R 36/97, BStBl. II 1998, 689 = FR 1998, 902; Wassermeyer, StbJb. 1997/98, 88. 3 Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 4 Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 43.

Ditz 453

Kap. 6 Rz. 6.212

Entstrickung und Verstrickung

Beispiel: Die in Deutschland ansässige A GmbH stellt Produkte im Bereich der Medizintechnik her. Die im Stammhaus in Bonn hergestellten Produkte werden in die US-amerikanische Vertriebsniederlassung (Betriebsstätte gem. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA) überführt, dort eingelagert und dann in den USA durch dortiges Vertriebspersonal vertrieben. Werden die medizintechnischen Produkte zu einem unter dem Fremdvergleichspreis liegenden und infolgedessen unangemessenen Preis in die USBetriebsstätte überführt, werden die Einkünfte der US-amerikanischen Betriebsstätte der A GmbH zu hoch ausgewiesen. Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass die Produkte in den USA tatsächlich verkauft und infolgedessen der Wareneinsatz in der US-amerikanischen Betriebsstätte zu gering ausgewiesen wird. Werden hingegen die Produkte (Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens) in den USA eingelagert und nicht verkauft, wirken sich die unangemessen geringen Verrechnungspreise für die Überführung der Produkte am Ende auf die Einkünfte der Betriebsstätte nicht aus. Damit kann es auch nicht zu einer Erhöhung der Einkünfte der Betriebsstätte aufgrund unangemessener Verrechnungspreise kommen. Das Beispiel zeigt daher, dass es zu einer Einkünfteerhöhung i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 1 letzter Halbs. AStG in einer ausländischen Betriebsstätte nur dann kommen kann, wenn sich die unangemessenen Verrechnungspreise unmittelbar auf die Einkünfte der Betriebsstätte ausgewirkt haben. Dies ist regelmäßig nicht der Fall, wenn die Wirtschaftsgüter in der ausländischen Betriebsstätte aktiviert und nicht abgeschrieben werden. Unabhängig davon ist allerdings eine Entstrickung nach § 12 Abs. 1 KStG vorzunehmen, da diese Vorschrift einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AStG vorgeht (vgl. Rz. 6.133).

3. Rechtsfolgen

6.212 Einkünfteerhöhung als Rechtsfolge. § 1 Abs. 5 AStG regelt nicht unmittelbar die Rechtsfolge einer nicht fremdvergleichskonformen Abrechnung von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Vielmehr verweist § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG insoweit auf Abs. 1 dieser Vorschrift. Sind demnach die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG (vgl. Rz. 6.145 ff.) erfüllt, sind die Einkünfte des Steuerpflichtigen „unbeschadet anderer Vorschriften“ so anzusetzen, wie sie unter den zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären. Infolgedessen besteht die Rechtsfolge des § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AStG in der steuerlichen Korrektur des in Bezug auf eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte abgerechneten Verrechnungspreises. Den Korrekturmaßstab bildet der Fremdvergleichspreis, d.h. der Preis, der zwischen voneinander unabhängigen Dritten unter vergleichbaren Verhältnissen in Bezug auf die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung vereinbart worden wäre. Dies ist in Bezug auf die Entstrickung materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter bzw. Vermögenswerte regelmäßig der zwischen fremden Dritten zum Ansatz gebrachte Kaufpreis für das entsprechende Wirtschaftsgut. Die Rechtsfolge kann indessen nicht darin bestehen, dass aus der zwischen Stammhaus und Betriebsstätte identifizierten anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung, wie sie von dem Steuerpflichtigen dokumentiert wurde, in eine andere Beziehung umgedeutet wird. Dies ist allenfalls in Fällen denkbar, in denen die durch den Steuerpflichtigen dokumentierten anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen an der wirtschaftlichen Realität vorbeigehen.

6.213 Hinzurechnung außerhalb der Handels- und Steuerbilanz. Durch den Verweis in § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG auf Abs. 1 der Vorschrift wird deutlich, dass der AOA i.S. einer Einkünftekorrekturvorschrift zugunsten der Finanzverwaltung in innerstaatliches Recht implementiert wurde (vgl. Rz. 6.125).1 Die Rechtsfolge bezieht sich daher auf eine Einkünfteerhöhung durch den Austausch des unangemessenen Verrechnungspreises durch einen angemessenen, dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Verrechnungspreis für eine anzunehmende schuldrecht1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 10 und 20.

454

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.215 Kap. 6

liche Beziehung. Die Einkünftekorrektur kann sich daher nur auf eine konkrete anzunehmende schuldrechtliche Beziehung i.S. eines Geschäftsvorfalls1 beziehen (vgl. Rz. 6.209 und 6.211). Die Korrektur vollzieht sich außerhalb der Handels- und Steuerbilanz, so dass es im Ergebnis zur Besteuerung eines „Sollgewinns“ kommt.2 Die Berichtigung der Einkünfte außerhalb der Handels- und Steuerbilanz gilt durch den Verweis des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG auf Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift auch für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes in Bezug auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Insoweit kann nichts anderes gelten als für Einkünftekorrekturen, die gem. § 1 Abs. 1 AStG im Zusammenhang mit unangemessenen Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen (nahestehenden Personen) vorgenommen werden. Hierzu ist im Schrifttum, der Rechtsprechung sowie nach Verwaltungsauffassung weitgehend unstrittig, dass § 1 Abs. 1 AStG außerhalb der Handels- und Steuerbilanz ansetzt.3 Fremdvergleichspreis als Korrekturmaßstab. Die Einkünftekorrektur erfolgt in Bezug auf die jeweilige anzunehmende schuldrechtliche Beziehung in Höhe des Fremdvergleichspreises. Insoweit ist der Fremdvergleichsgrundsatz sowohl eine Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 5 AStG (vgl. Rz. 6.175 ff.) als auch der Maßstab der Einkünftekorrektur als Rechtsfolge. Die Einkünftekorrektur erfolgt in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlich zum Ansatz gebrachten Verrechnungspreis für die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung und dem Fremdvergleichspreis. Zur Bestimmung des Fremdvergleichspreises kann auf die allgemein anerkannten klassischen Methoden der Verrechnungspreisbestimmung (Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode) und die gewinnorientierten Methoden (geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode und geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode) zurückgegriffen werden (vgl. Rz. 6.187 ff.). Dabei gilt das Konzept des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters, d.h., der angemessene Verrechnungspreis muss unter der Prämisse des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters sowohl auf Seiten der liefernden bzw. leistungserbringenden Unternehmenseinheit als auch auf der leistungsempfangenden Unternehmenseinheit bestimmt werden.4 Es ist davon auszugehen, dass ein unter diesen Prämissen bestimmter Fremdvergleichspreis dem gemeinen Wert i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG entspricht (vgl. Rz. 6.80).5

6.214

Unbeschadet anderer Vorschriften. Die Anwendung des AOA und eine damit verbundene Entstrickung gilt gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AStG nur „unbeschadet anderer Vorschriften“. Daraus folgt, dass § 1 AStG die Rechtsfolge anderer Entstrickungsvorschriften – insbesondere § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG und § 16 Abs. 3a EStG – nicht ausschließt. Aber: Die Rechtsfolge des § 1 AStG tritt insofern hinter diejenige der vorstehend genannten Entstrickungsvorschriften zurück.6 Mithin gehen diese Vorschriften dem AOA nach § 1 Abs. 5 AStG vor (vgl. Rz. 6.133).7 In diesem Zusammenhang ist § 1 Abs. 1 Satz 4

6.215

1 Vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 406. 3 Vgl. nur BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 5.3.3; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.178; Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 408. 4 Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 AStG; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2004, 199. 5 So auch die Finanzverwaltung, vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.2 Abs. 4. 6 Vgl. insoweit auch Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 383. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20.

Ditz 455

Kap. 6 Rz. 6.216

Entstrickung und Verstrickung

AStG zu sehen, der über den Verweis in § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG auch im Bereich der Betriebsstättengewinnabgrenzung zu beachten ist. Danach sind die weitergehenden Berichtigungen des § 1 AStG neben den Rechtsfolgen der anderen Entstrickungsvorschriften durchzuführen, wenn die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.d. § 1 AStG zu weitergehenden Berichtigungen als die Entstrickungsregelungen führen. § 1 Abs. 1 Satz 4 regelt daher eine Meistbegünstigung zugunsten der Finanzverwaltung, die immer dann eingreift, wenn die eigentlich vorgehenden Entstrickungsregelungen in ihrer Rechtsfolge hinter der Einkünftekorrektur nach § 1 AStG bleiben. Dies betrifft insbesondere die folgenden Fälle: – Anwendung des Transparenzprinzips gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG; – Korrektur des Verrechnungspreises gem. § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG auf den Median der ermittelten Bandbreite; – Aufteilung des Einigungsbereichs gem. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG auf den Mittelpunkt; – Besteuerung und Bewertung von Funktionsverlagerungen auf Basis eines Transferpakets gem. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG; – Anwendung der Preisanpassungsklausel in § 1 Abs. 3 Sätze 11 f. AStG.

6.216 Reichweite der Veräußerungsfiktion. Vergleichbar zu den Folgen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG sind auch in Bezug auf eine aus § 1 Abs. 5 AStG resultierende Veräußerungsfiktion im Zusammenhang mit der Überführung einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft in eine ausländische Betriebsstätte § 3 Nr. 41b EStG und § 8b Abs. 2 KStG anzuwenden (vgl. Rz. 6.82). Dies erfolgt aus systematischen Gründen, da für eine fingierte Veräußerung nichts anderes gelten kann als in Bezug auf einen tatsächlich realisierten Gewinn aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen. Im Übrigen sollte durch die Fiktion eines Veräußerungsgewinns auch § 6b EStG einschlägig sein, wenn seine Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Auch insoweit kann es keinen Unterschied machen, ob der Gewinn aufgrund einer tatsächlichen oder einer fiktiven Veräußerung realisiert wird (vgl. Rz. 6.82).

6.217 Bildung eines Ausgleichspostens gem. § 4g EStG. Nach § 1 Abs. 5 Satz 6 AStG wird die Möglichkeit, einen Ausgleichsposten nach § 4g EStG zu bilden, durch die Implementierung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG und die BsGaV nicht eingeschränkt. Kommt es infolgedessen zu einer fiktiven Veräußerung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte, kann ein Ausgleichsposten nach § 4g EStG auch im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 AStG gebildet werden. In diesem Zusammenhang muss man allerdings sehen, dass die Entstrickungsregelungen des EStG und KStG der Anwendung des § 1 AStG vorgehen (vgl. Rz. 6.133), so dass der Anwendungsbereich des § 4g EStG im Zusammenhang mit § 1 Abs. 5 AStG eingeschränkt ist. Darüber hinaus bezieht sich § 4g EStG ausdrücklich auf ein „Wirtschaftsgut des Anlagevermögens“, so dass ein Ausgleichsposten im Zusammenhang mit der Überführung eines Vermögenswerts, der nicht die Kriterien eines Wirtschaftsguts erfüllt,1 nicht gebildet werden kann. Dies ist insofern nicht sachgerecht, als es keine systematischen Gründe gibt, die Überführung von Vermögenswerten im Zusammenhang mit der Bildung eines Ausgleichspostens anders zu behandeln als die Überführung von Wirtschaftsgütern. Dies gilt auch für Funktionsverlagerungen, die gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 9 AStG – unabhängig von 1 Da sich der Begriff des Vermögenswerts allerdings sehr stark an den Kriterien eines Wirtschaftsguts ausrichtet, sollte dies der absolute Ausnahmefall sein. Vgl. Rz. 6.157 ff. und insbesondere Rz. 6.160.

456

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.219 Kap. 6

der Art der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen (z.B. Überführung von Wirtschaftsgütern, Nutzungsüberlassung von Vermögenswerten, Erbringung von Dienstleistungen) – mit einem Transferpaket zu bewerten sind. Da das Transferpaket „als Ganzes“ in der Regel nicht die Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts erfüllt, findet § 4g EStG im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen in Bezug auf jedes einzelne überführte Wirtschaftsgut Anwendung.1 Werden hingegen Wirtschaftsgüter – auch im Rahmen einer Funktionsverlagerung – zur Nutzung überlassen, ist § 4g EStG nicht einschlägig.2 4. Vereinbarkeit mit Abkommensrecht Abkommensrechtliches Besteuerungsrecht auf stille Reserven. Wie bereits in Rz. 6.30 ff. und 6.98 im Einzelnen dargestellt, gewährt Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 und 2010 den Vertragsstaaten das Recht, in einem Wirtschaftsgut ruhende stille Reserven im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts zu besteuern. Infolgedessen ist die in § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. der BsGaV angeordnete Besteuerung stiller Reserven in Bezug auf die Überführung (fiktive Veräußerung) von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte möglich. Dies gilt im Übrigen auch für die Besteuerung von unternehmensinternen (fiktiven) Entgelten für die Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern (z.B. fiktive Lizenzgebühren), jedoch nicht für die unternehmensinterne Erbringung von Dienstleistungen, die nur auf Basis des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 „abrechnungsfähig“ ist.

6.218

V. Typische Tatbestände einer Entstrickung 1. Überführung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten von einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte a) Materielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens Anwendung der Entstrickungsvorschriften im DBA- und Nicht-DBA-Fall. Wird ein Wirtschaftsgut des Anlagevermögens von einem inländischen Stammhaus in seine ausländische Betriebsstätte überführt, führt dies nach Auffassung der Finanzverwaltung zu einer Entstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und § 12 Abs. 1 KStG (vgl. Rz. 6.81).3 Wenngleich diese Auffassung der Finanzverwaltung aufgrund des unklaren Wortlauts der beiden Vorschriften umstritten ist, spricht auch der Telos der beiden Vorschriften für eine Realisierung der in dem Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven im Zeitpunkt seiner Überführung (vgl. Rz. 6.70 ff. und 6.83). Dies gilt sowohl für die Überführung eines Wirtschaftsguts in eine DBA-Freistellungsbetriebsstätte als auch in eine Anrechnungsbetriebsstätte. Voraussetzung für die Steuerentstrickung ist freilich, dass das Wirtschaftsgut zunächst dem inländischen Stammhaus und dann der ausländischen Betriebsstätte unter funktionalen Gesichtspunkten zuzuordnen ist (vgl. Rz. 6.53 ff.). Die Frage der funktionalen Zuordnung ist dabei auf Basis des Veranlassungsprinzips und einer daraus abgeleiteten funktionalen Betrachtungsweise abzuleiten, wobei hilfsweise – so auch die Vorgehensweise der Finanzverwaltung in den VWG BsGa4 – auch für Zwecke der Anwendung der Entstrickungsvorschriften auf die Grundsätze der Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach dem Kriterium der maßgeblichen Personalfunktion

1 2 3 4

Vgl. aber Kahle/Eichholz/Kindich, Ubg 2016, 132 (142); Kahle/Eichholz, FR 2015, 7 (11). Vgl. Kahle/Eichholz, FR 2015, 7 (10). Vgl. VWG BsGa, Rz. 20. Vgl. VWG BsGa, Rz. 20 und 76 ff.

Ditz 457

6.219

Kap. 6 Rz. 6.220

Entstrickung und Verstrickung

(vgl. Rz. 6.166 ff.) abgestellt werden kann (vgl. Rz. 6.57).1 Infolgedessen kommt eine „gewinnrealisierende“ Überführung eines Wirtschaftsguts des Anlagevermögens in die ausländische Betriebsstätte nicht in Betracht, wenn das Wirtschaftsgut der ausländischen Betriebsstätte lediglich (fiktiv) zur Nutzung überlassen wird oder wenn das Wirtschaftsgut der ausländischen Betriebsstätte zur Erbringung von Leistungen an das inländische Stammhaus beigestellt wird.2 Beispiel: Die in Deutschland ansässige A GmbH ist im Bereich der Entwicklung, der Herstellung und des Vertriebs von Elektromotoren tätig. Die A GmbH hat aus Kostengründen die Produktion von Komponenten zur Herstellung der Elektromotoren in eine Produktionsbetriebsstätte in Polen ausgelagert. Die polnische Produktionsbetriebsstätte ist ausschließlich für das deutsche Stammhaus der A GmbH tätig. Die von der Betriebsstätte hergestellten Komponenten werden vollumfänglich vom deutschen Stammhaus abgenommen und von diesem im Rahmen seiner eigenen Produktion verwendet. Infolgedessen besteht ein starkes wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis der polnischen Betriebsstätte zum deutschen Stammhaus, denn die Betriebsstätte ist auf die Nachfrage des Stammhauses angewiesen und – mangels eigener Vertriebsabteilung – selbst nicht in der Lage, eigene Marktchancen wahrzunehmen. Infolgedessen ist die Produktionsstätte als abhängige Produktionsbetriebsstätte (i.S. eines Lohnfertigers) zu qualifizieren.3 Sie erbringt an ihr Stammhaus Produktionsdienstleistungen, die nach der Preisvergleichsmethode (vorrangig) oder der Kostenaufschlagsmethode (nachrangig, aber die Regel) zu vergüten sind (vgl. Rz. 6.189 ff. und 6.195 ff.). Werden vom inländischen Stammhaus in die polnische Betriebsstätte Maschinen oder sonstige Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens überführt und von dieser im Rahmen ihrer Produktionsfunktion genutzt, sind die in den Maschinen ruhenden stillen Reserven nicht zu realisieren. Denn die Maschinen und sonstigen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens sind – entgegen der Vermutungsregel des § 5 Abs. 1 BsGaV – nach § 5 Abs. 2 BsGaV weiterhin dem inländischen Stammhaus zuzuordnen.

6.220 Entstrickung zum gemeinen Wert. Die fiktive Entnahme des Wirtschaftsguts des Anlagevermögens (§ 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG) bzw. seine fiktive Veräußerung (§ 12 Abs. 1 KStG) ist mit dem gemeinen Wert zu bewerten.4 Der gemeine Wert entspricht regelmäßig dem Fremdvergleichspreis des Wirtschaftsguts (vgl. Rz. 6.80),5 so dass für dessen Bestimmung auf die allgemein anerkannten Methoden zur Bestimmung von Verrechnungspreisen zurückgegriffen werden kann (vgl. Rz. 6.175 ff.). Der Fremdvergleichspreis für das überführte Wirtschaftsgut ist im Zeitpunkt seiner Überführung zu bestimmen, wobei in der Regel die Preisvergleichsmethode oder die Kostenaufschlagsmethode Anwendung finden werden. Die Differenz aus dem so bestimmten gemeinen Wert/Fremdvergleichspreis und dem Buchwert des Wirtschaftsguts ist im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts in die ausländische Betriebsstätte zu realisieren und zu besteuern. Die Rechtsgrundlage der Gewinnrealisierung ist § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG oder § 12 Abs. 1 KStG; § 1 Abs. 5 AStG findet hingegen keine Anwendung, da die Entstrickungsvorschriften § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 AStG vorgehen (vgl. Rz. 6.133).6 1 So auch die Finanzverwaltung in BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.4.1: „Wirtschaftsgüter einer Personengesellschaft sind Betriebsvermögen der im anderen Staat gelegenen Betriebsstätte der Personengesellschaft bzw. gehören tatsächlich zu der Betriebsstätte, wenn sie nach § 1 Abs. 5 AStG der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Die Grundzüge dieser Vorschrift stimmen in Grundzügen mit der Rechtsprechung zum funktionalen Zusammenhang überein […].“ 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 80 mit einem Beispiel zur Lohnfertigung. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 80; Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 189. 4 Vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG. 5 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.2 Abs. 4. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20.

458

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.222 Kap. 6

Beispiel: Die in Deutschland ansässige A GmbH überführt eine Maschine in ihre österreichische Betriebsstätte. Die österreichische Betriebsstätte agiert als unabhängige Produktionsbetriebsstätte i.S. eines Eigenproduzenten1 und benötigt die Maschine zum Ausbau ihrer Kapazitäten. Die bereits im Stammhaus der A GmbH eingesetzte Maschine hat im Zeitpunkt ihrer Überführung einen fortgeführten Buchwert i.H.v. 100.000 Euro. Da der Fremdvergleichspreis der Maschine im Zeitpunkt ihrer Überführung nicht anhand der Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 6.189 ff.) bestimmt werden kann, kommt die Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195 ff.) zur Anwendung. Infolgedessen ergibt sich der Fremdvergleichspreis der Maschine aus ihrem Restbuchwert zzgl. eines Gewinnaufschlags i.H.v. 5 % (ggf. sind auch die Transportkosten zur Überführung der Maschine in die österreichische Betriebsstätte zu berücksichtigen). Der relativ geringe Gewinnaufschlag liegt darin begründet, dass in der Maschine – wie häufig bei Produktionsmitteln – keine wesentlichen stillen Reserven enthalten sind. Der gemeine Wert bzw. Fremdvergleichspreis der Maschine beträgt damit 105.000 Euro, so dass es im Zeitpunkt der Überführung der Maschine zu einer Gewinnrealisierung in der Steuerbilanz (vgl. Rz. 6.84) der A GmbH gem. § 12 Abs. 1 KStG i.H.v. 5.000 Euro kommt. Dieser Gewinn kann durch einen passiven Ausgleichsposten gem. § 4g Abs. 1 EStG neutralisiert und im Wirtschaftsjahr der Überführung und in den folgenden vier Jahren zu jeweils 20 % (d.h. jährlich mit 1.000 Euro) aufgelöst werden (vgl. Rz. 6.87 ff.). Infolgedessen erhöht sich der steuerpflichtige Gewinn der A GmbH im Inland durch die Auflösung des Ausgleichspostens um 1.000 Euro p.a. In der österreichischen Betriebsstätte ist die Maschine mit 105.000 Euro Anschaffungskosten zu aktivieren und über die Restnutzungsdauer abzuschreiben. Unterstellt man hierbei eine Restnutzungsdauer von fünf Jahren und eine lineare Abschreibung analog § 7 Abs. 1 EStG in Österreich, steht der Besteuerung eines Gewinns von 1.000 Euro im inländischen Stammhaus ein korrespondierender Aufwand von 1.000 Euro in der österreichischen Betriebsstätte gegenüber.

Steueraufschub durch einen Ausgleichsposten gem. § 4g EStG. § 4g Abs. 1 EStG lässt die Bildung eines Ausgleichspostens auf Antrag zu, wenn durch einen unbeschränkt Steuerpflichtigen ein Wirtschaftsgut des Anlagevermögens in eine Betriebsstätte in einem EU-Mitgliedstaat überführt und ein entsprechender Antrag gestellt wird. Der Ausgleichsposten ist dann im Jahr seiner Bildung und in den folgenden vier Wirtschaftsjahren zu je einem Fünftel gewinnerhöhend aufzulösen. Einzelheiten dazu sind in Rz. 6.87 ff. dargestellt.

6.221

b) Immaterielle Wirtschaftsgüter und Vermögenswerte Entstrickung zum gemeinen Wert/Fremdvergleichspreis. Wird ein immaterielles Wirtschaftsgut durch ein inländisches Stammhaus in seine ausländische Betriebsstätte überführt, sind die Entstrickungsvorschriften einschlägig, so dass es gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG zu einer fiktiven Entnahme bzw. gem. § 12 Abs. 1 KStG zu einer fiktiven Veräußerung kommt, die mit dem gemeinen Wert zu bewerten ist.2 § 1 Abs. 5 AStG ist indessen nicht einschlägig, da die Entstrickungsvorschriften in ihrer Anwendung vorgehen (vgl. Rz. 6.133). Ob das immaterielle Wirtschaftsgut in der Steuerbilanz des Stammhauses bilanziell erfasst ist oder nicht (§ 5 Abs. 2 EStG), ist ohne Bedeutung.3 Im Übrigen kann auch bei immateriellen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens ein Ausgleichsposten gem. § 4g EStG gebildet werden. Im Ergebnis entsprechen daher die Rechtsfolgen der Überführung eines immateriellen Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte denjenigen, die sich bei der Überführung eines Wirtschaftsguts des Anlagevermögens ergeben. Insofern kann zu Einzelheiten auf die Rz. 6.219 ff. verwiesen werden.

1 Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 189. 2 Vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG und § 12 Abs. 1 KStG; BsGa Rz. 20. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 59.

Ditz 459

6.222

Kap. 6 Rz. 6.223

Entstrickung und Verstrickung

Beispiel: Die in Deutschland ansässige A GmbH entwickelt Chemikalien und vertreibt diese im Inund Ausland. Die A GmbH unterhält in ihrem Stammhaus eine F&E-Abteilung, die nach mehr als dreijähriger Forschung ein neues Patent entwickelt hat. Das Patent wird durch Patentanwälte, die durch Mitarbeiter der deutschen F&E-Abteilung beauftragt werden, weltweit geschützt. Nach der Eintragung des Patents entschließt die Geschäftsführung der A GmbH, dass die Chemikalien unter Nutzung des Patents ausschließlich in der französischen Produktionsbetriebsstätte hergestellt werden. Die französische Produktionsbetriebsstätte stellt völlig unabhängig von ihrem Stammhaus die Chemikalien her (Eigenproduzent) und vertreibt diese in Frankreich, Südeuropa und Asien. Das Patent ist nach seiner Fertigstellung und Eintragung der französischen Betriebsstätte zuzuordnen. Damit kommt es zu einer Zuordnungsänderung, da das Patent im deutschen Stammhaus entwickelt, d.h. geschaffen, wurde (§ 6 Abs. 1 BsGaV). Infolgedessen kommt es zu einer Überführung des Patents aus dem inländischen Stammhaus in die französische Betriebsstätte mit der Folge einer Bewertung des Patents zum gemeinen Wert bzw. Fremdvergleichspreis (vgl. Rz. 6.80). Dieser Wert wird nach dem hypothetischen Fremdvergleich ertragswertorientiert bestimmt (§ 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG).1 Da das Patent aufgrund des § 5 Abs. 2 EStG in der Steuerbilanz der A GmbH nicht erfasst war, kommt es zu einer Gewinnrealisierung gem. § 12 Abs. 1 KStG, wobei ein Ausgleichsposten auf Antrag nach § 4g EStG in der Steuerbilanz gebildet werden kann. Das Patent ist in der Buchführung bzw. Hilfs- und Nebenrechnung der französischen Betriebsstätte zu aktivieren2 und nach französischen Gewinnermittlungsregelungen abzuschreiben.

6.223 Keine Entstrickung bei einer Nutzungsüberlassung des immateriellen Wirtschaftsguts. Voraussetzung für eine Entstrickung der stillen Reserven unter Zugrundelegung des gemeinen Werts/Fremdvergleichspreises eines immateriellen Wirtschaftsguts ist, dass dieses zunächst dem inländischen Stammhaus und der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 KStG ist die Frage der Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern nach dem Veranlassungsprinzip und der daraus abgeleiteten funktionalen Betrachtungsweise vorzunehmen (vgl. Rz. 6.53 ff.). Es ist (theoretisch) nicht sichergestellt, dass die Zuordnung eines immateriellen Wirtschaftsguts nach diesen Prinzipien nicht zu einem anderen Ergebnis führt, als dies nach den Vorgaben des § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. § 6 BsGaV der Fall ist.3 Allerdings vertritt die Finanzverwaltung die Auffassung, dass „im Grundsatz“ die Vorschriften des § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. §§ 5-8 BsGaV mit der Zuordnung nach einem funktionalen Zusammenhang übereinstimmen (vgl. Rz. 6.57).4 Damit sollten die Zuordnungsgrundsätze der Entstrickungsnormen (Veranlassungsprinzip) und der BsGaV (Personalfunktionen) nicht zu unterschiedlichen Zuordnungsentscheidungen führen. Infolgedessen kann auch im Anwendungsbereich der Entstrickungsvorschriften aus Vereinfachungsgründen auf das Kriterium der maßgeblichen Personalfunktionen zurückgegriffen werden (vgl. Rz. 6.57). Ist danach nicht von einer Veränderung der Zuordnung des immateriellen Wirtschaftsguts auszugehen, kann es auch nicht zu einer Überführung des Wirtschaftsguts kommen. Vielmehr ist in diesen Fällen von einer bloßen (fiktiven) Nutzungsüberlassung des immateriellen Wirtschaftsguts auszugehen. Die Finanzverwaltung geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass in Zweifelsfällen eine Zuordnung eines immateriellen Vermögenswerts so vorzunehmen ist, die zu keiner Aufdeckung von stillen Reserven führt. Insofern sollen aus einer fiktiven Veräußerung von immateriellen Wirtschaftsgütern

1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 99. Vgl. VWG BsGa, Rz. 62. Vgl. Ditz, ISR 2013, 261 (264); Kahle/Eichholz/Kindich, Ubg 2016, 132 (142). Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 128, Tz. 2.2.4.1.

460

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.224 Kap. 6

resultierende erhebliche steuerliche Liquiditätsbelastungen vermieden werden (vgl. zu Einzelheiten Rz. 6.174).1 Beispiel: Die in den USA ansässige Automobil Inc. entwickelt, produziert und vermarktet Windschutzscheiben. In Deutschland unterhält sie eine Produktionsbetriebsstätte, die völlig unabhängig von ihrem Stammhaus in den USA agiert (Eigenproduzent). Um die Stoßfestigkeit der Windschutzschreiben zu verbessern, wurde ein neues Fertigungsverfahren entwickelt. Die Entwicklung dieses Verfahrens erfolgte durch erfahrene Mitarbeiter der F&E-Abteilung der deutschen Betriebsstätte. Das Entwicklungsteam wurde durch den Abteilungsleiter der Betriebsstätte geführt, wobei die Gesamtverantwortung für F&E bei dem US-amerikanischen Geschäftsführer der Automobil Inc. liegt. Die Patentierung des Fertigungsverfahrens wurde durch Mitarbeiter der Patentabteilung der Automobil Inc. in den USA beantragt. Das Patent wird hauptsächlich von der deutschen Produktionsbetriebsstätte genutzt. Daneben nutzt auch das Stammhaus in den USA das Patent. Bei dem Patent handelt es sich um ein immaterielles Wirtschaftsgut i.S.d. § 2 Abs. 6 BsGaV, das von der deutschen Produktionsbetriebsstätte der Automobil Inc. geschaffen wurde und damit gem. § 6 Abs. 1 BsGaV dieser zuzuordnen ist.2 Die Nutzung des Patents durch die Automobil Inc. ist von untergeordneter Bedeutung, so dass eine Zuordnung gem. § 6 Abs. 2 BsGaV oder eine anteilige Zuordnung gem. § 6 Abs. 4 BsGaV zum Vermögen der Automobil Inc. auszuschließen ist. Ein bilanzieller Ansatz des Patents scheidet jedoch gem. § 5 Abs. 2 EStG in der Bilanz der deutschen Betriebsstätte aus. Infolgedessen sind die Aufwendungen für die Entwicklung des Fertigungsverfahrens gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 BsGaV als Betriebsausgabe in der Betriebsstättenbuchführung zu erfassen. Die Nutzung des Patents durch das US-amerikanische Stammhaus stellt eine fiktive Nutzungsüberlassung des Patents dar, die gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG über eine angemessene Lizenzgebühr zu erfassen ist. Dies führt bei der deutschen Produktionsstätte zu Betriebseinnahmen, die in ihrer Buchführung gem. § 12 Abs. 1 KStG und im Stammhaus der Automobil Inc. als Betriebsausgabe zu erfassen sind. Darüber hinaus sind die Leistungen der Patentabteilung der Automobil Inc. in den USA als anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen abzurechnen. Sie führen gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG und § 16 Abs. 1 Nr. 2 BsGaV in der deutschen Betriebsstätte zu fiktiven Betriebsausgaben. Denn mit der Durchführung der Patentierung des Fertigungsverfahrens erbringt das US-amerikanische Stammhaus eine Dienstleistung an ihre deutsche Betriebsstätte. Die Höhe des Entgelts kann gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 AStG anhand der Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195 ff.) bestimmt werden.

Keine Entstrickung bei einer Beistellung eines immateriellen Wirtschaftsguts. Nach § 6 Abs. 1 BsGaV sind immaterielle Wirtschaftsgüter nach der maßgeblichen Personalfunktion ihrer Schaffung oder ihres Erwerbs dem Stammhaus bzw. der Betriebsstätte zuzuordnen. Infolgedessen sind immaterielle Wirtschaftsgüter ausländischen Betriebsstätten, die Routinefunktionen gegenüber dem Stammhaus ausüben, die mit der Kostenaufschlagsmethode abgerechnet werden, in der Regel nicht zuzuordnen. Infolgedessen kann es daher in diesen Fällen – trotz Nutzung des immateriellen Wirtschaftsguts durch die ausländische Betriebsstätte – weder zu einer Überführung noch zu einer Nutzungsüberlassung des immateriellen Wirtschaftsguts vom inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte kommen (vgl. auch und Rz. 6.219).3 Beispiel: Die polnische Produktionsbetriebsstätte der in Deutschland ansässigen Motoren GmbH stellt Komponenten für Elektromotoren her (Fortführung des Beispiels der Rz. 6.219). Die polnische Betriebsstätte agiert als abhängige Produktionsbetriebsstätte (Lohnfertiger) und übt infolgedessen Routineproduktionsfunktionen aus.4 Die zur Herstellung der Komponenten notwendigen Patente wurden durch das inländische Stammhaus der Motoren GmbH entwickelt und sind daher gem. § 6 1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 99. Vgl. VWG BsGa, Rz. 86. Vgl. VWG BsGa, Rz. 80. Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 189.

Ditz 461

6.224

Kap. 6 Rz. 6.225

Entstrickung und Verstrickung

Abs. 1 BsGaV dem inländischen Stammhaus zuzuordnen. Trotz der Nutzung der Patente durch die polnische Betriebsstätte kommt es weder zu deren Überführung noch zu deren Nutzungsüberlassung in die Betriebsstätte. Die Produktionsleistungen der Betriebsstätte sind anhand der Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 6.189 ff.) oder der Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195 ff.) gegenüber dem Stammhaus abzurechnen.1

6.225 Anteilige Nutzung von immateriellen Wirtschaftsgütern. Die Überführung eines immateriellen Wirtschaftsguts und die damit einhergehende Aufdeckung stiller Reserven kann auch vermieden werden, wenn das immaterielle Wirtschaftsgut gem. § 6 Abs. 4 Satz 2 BsGaV anteilig dem Stammhaus und der Betriebsstätte zugeordnet wird. Dies ist indessen nur möglich, wenn das immaterielle Wirtschaftsgut nicht eindeutig einem Unternehmensteil zugeordnet werden kann.2 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn nicht festgestellt werden kann, ob die Personalfunktion des Stammhauses oder der Betriebsstätte hinsichtlich des Erwerbs oder der Schaffung des immateriellen Wirtschaftsguts überwiegen. Beispiel: Im deutschen Stammhaus der A GmbH wird ein neues Fertigungsverfahren entwickelt, das sowohl in der deutschen Produktionsstätte der A GmbH als auch in der niederländischen Produktionsbetriebsstätte (Eigenproduzent) genutzt werden soll. In die Entwicklung des neuen Fertigungsverfahrens ist Personal des deutschen Stammhauses und der niederländischen Betriebsstätte involviert. Die entsprechenden Kosten werden nach einem sachgerechten Schlüssel (erwarteter Umsatz aus der Nutzung des neuen Fertigungsverfahrens) seit Beginn der Entwicklungstätigkeiten zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufgeteilt. Infolgedessen ist das Fertigungsverfahren mit seiner Fertigstellung anteilig dem deutschen Stammhaus und der niederländischen Betriebsstätte zuzuordnen (§ 6 Abs. 4 Satz 2 BsGaV und VWG BsGa, Rz. 101). Zu einer Überführung oder Nutzungsüberlassung des Fertigungsverfahrens vom deutschen Stammhaus in die niederländische Betriebsstätte kommt es nicht.

6.226 Besonderheiten bei immateriellen Werten. Während sich § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG ausdrücklich auf ein „Wirtschaftsgut“ beziehen, stellt § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. der BsGaV3 auf „Vermögenswerte“ bzw. „immaterielle Werte“ ab. Infolgedessen stellt sich die Frage, ob durch § 1 Abs. 5 AStG „mehr“ erfasst wird, als Wirtschaftsgüter, die den Entstrickungsvorschriften unterliegen. Wie bereits in Rz. 6.160 ausführlich dargelegt, folgt aus dem Fremdvergleichsgrundsatz, dass es nur dann zu einer abrechnungspflichtigen Überführung bzw. Nutzungsüberlassung eines Vermögenswerts (anzunehmende schuldrechtliche Beziehung) kommen kann, wenn die Voraussetzungen eines (immateriellen) Wirtschaftsguts erfüllt sind. Infolgedessen kann es nicht zu einer Überführung bzw. Nutzungsüberlassung eines Vermögenswerts nach § 1 Abs. 5 AStG kommen, der nicht bereits nach § 1 Abs. 4 Satz 3 EStG oder § 12 Abs. 1 KStG zu entstricken ist. § 1 Abs. 5 AStG und die BsGaV sind daher im Hinblick auf die Entstrickung von stillen Reserven im Zusammenhang mit der Überführung bzw. Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern zwischen Stammhaus und Betriebsstätte weitgehend ohne Bedeutung (vgl. Rz. 6.215). Nachfolgend werden zahlreiche immaterielle Wirtschaftsgüter hinsichtlich ihrer „Verrechnungspflicht“ zwischen Stammhaus und Betriebsstätte im Einzelnen dargestellt.

6.227 Beschaffungsrabatte. Nach dem BFH-Urteil vom 6.12.19954 ist „die Chance, aus dem Einkauf und Verkauf von Waren einen Vermögensvorteil zu erzielen“ als Geschäftschance5 (vgl. 1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 80. Vgl. § 6 Abs. 4 Satz 1 BsGaV; VWG BsGa, Rz. 101. Vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 2 Abs. 6 und § 6 BsGaV. Vgl. BFH v. 6.12.1995 – I R 40/95, BStBl. II 1997, 119; s. auch BFH v. 3.11.1998 – I B 6/98, BFH/ NV 1999, 673. 5 Der BFH spricht von einer Marktchance.

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Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.228 Kap. 6

Rz. 6.230) zu qualifizieren. Der Vermögensvorteil bezog sich in dem Urteil zugrunde liegendem Sachverhalt auf die Möglichkeit, Beschaffungsbeziehungen und -rabatte zu nutzen. Werden diese unentgeltlich oder zu einem zu geringen Entgelt von einer Kapitalgesellschaft an ihren Gesellschafter1 übertragen, liegt nach Auffassung des BFH eine vGA vor. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Sachverhalt des BFH-Urteil vom 6.12.1995 durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet ist. So verfügt die in der Schweiz ansässige Einkaufsgesellschaft des Urteilsfalls über kein eigenes Personal und keine Räumlichkeiten. Darüber hinaus führte sie selbst die Einkaufsfunktion nicht aus, sondern übertrug diese auf ein anderes verbundenes Unternehmen. Letztlich wurde die Schweizer Gesellschaft damit nur zu einer Verlagerung von Einkünften genutzt. Vor diesem Hintergrund ist zweifelhaft, ob auf Grundlage des zitierten Urteils die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass die Möglichkeit, Beschaffungsbeziehungen und -rabatte zu nutzen, generell als Geschäftschance qualifiziert werden kann. Dem stehen auch betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte entgegen. Denn es ist davon auszugehen, dass Lieferanten die entsprechenden Beschaffungsrabatte grundsätzlich gegenüber jedem Abnehmer, der Waren gleicher (Art und) Menge abnimmt, einräumen.2 Die Rabatte und sonstigen Einkaufsvorteile können damit nicht dem Unternehmensteil zugeordnet werden, der bislang die Beschaffungsfunktion ausgeübt hat. Auch ein fremder Dritter würde damit für die Möglichkeit der Nutzung der Rabatte kein separates Entgelt entrichten.3 Darüber hinaus ist fraglich, ob solche Beschaffungsvorteile einer selbständigen Bewertung zugänglich sind, denn diese werden regelmäßig von den zukünftigen Einkaufsmengen abhängen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Stammhaus nach der Verlagerung der Beschaffungsfunktion von den auf die ausländische Betriebsstätte übergehenden Einkaufsvorteilen4 in Form von günstigeren Einstandspreisen der entsprechenden Waren profitiert. Voraussetzung ist freilich, dass die ausländische Betriebsstätte die Waren auch für das Stammhaus einkauft. In diesem Fall werden die von der Betriebsstätte realisierten Einkaufsvorteile über die laufende Einkünfteabgrenzung an das Stammhaus weitergegeben. Einkaufsbeziehungen. Im Rahmen der Verlagerung der Beschaffungsfunktion gehen häufig bestehende Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten sowie Informationen über diese Lieferanten (z.B. in Form einer Lieferantenkartei) auf die ausländische Betriebsstätte über.5 Im Hinblick auf die Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten ist zu unterscheiden, ob mit diesen bereits ein konkretes Vertragsverhältnis besteht oder nicht. Ist dies nicht der Fall, z.B. weil die Vertragsverhandlungen mit dem Lieferanten noch nicht abgeschlossen sind, liegt i.d.R. keine Geschäftschance (vgl. Rz. 6.230) vor; ein Rahmenvertrag, der offenlässt, in welchem Umfang Lieferungen oder Leistungen erbracht werden und dafür ein Entgelt zu erwarten ist, stellt keine konkrete Gewinnchance und mithin kein Wirtschaftsgut dar.6 Denn der insoweit ggf. entstehende Vorteil ist i.d.R. nicht selbständig bewertbar und enthält noch keine objektiv

1 Im Urteilsfall wurde der Vermögensvorteil nicht dem Gesellschafter der Kapitalgesellschaft, sondern einer Schwestergesellschaft der Kapitalgesellschaft zugewendet. 2 Zudem ist zu berücksichtigen, dass von einer konkreten, singulären Geschäftschance nur auszugehen ist, wenn diese dem Steuerpflichtigen gehört, d.h. von diesem kreiert wurde, vgl. Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch internationale Verrechnungspreise, OECD-Verrechnungspreisgrundsätze, Kap. IX, Anm. 314. 3 Vgl. Ditz, DStR 2006, 1627. 4 Z.B. Rabatte oder günstige Rahmenverträge. 5 Vgl. Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 2003, 215. 6 Vgl. Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 533 m.V.a. BFH v. 7.11.1985 – IV R 7/83, BStBl. II 1986, 176 = FR 1986, 236; a.A. BFH v. 16.9.1970 – I R 196/67, BStBl. II 1971, 175.

Ditz 463

6.228

Kap. 6 Rz. 6.229

Entstrickung und Verstrickung

werthaltige Position, die zu einem greifbaren wirtschaftlichen Vorteil führt (vgl. Rz. 6.160). Sind dem Stammhaus allerdings für die Vertragsverhandlungen Aufwendungen entstanden, ist deren Zuordnung zur Betriebsstätte oder die Abrechnung einer unternehmensinternen Dienstleistung (anzunehmende schuldrechtliche Beziehung) zu prüfen. Im Gegensatz zu den vertraglich nicht konkretisierten Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten können abgeschlossene Beschaffungsverträge prinzipiell eine Geschäftschance und damit ein Wirtschaftsgut darstellen.1 Dies allerdings nur insofern, als ihnen ein wirtschaftlicher Vorteil zukommt und dieser einer selbständigen Bewertung zugänglich ist. Dies ist dann der Fall, wenn ein unabhängiger Dritter für die aus den Beschaffungsverträgen resultierenden wirtschaftlichen Vorteile ein separates Entgelt entrichten würde. Davon ist auszugehen, wenn die Beschaffungsverträge den Einkauf von Waren oder sonstigen Produkten (in der Regel über einen bestimmten Zeitraum) unter ihrem Marktpreis erlauben. Gehen demnach – z.B. im Rahmen der Verlagerung der Beschaffungsfunktion – vom inländischen Stammhaus auf die ausländische Betriebsstätte Beschaffungsverträge über, kann eine Überführung von Geschäftschancen (vgl. Rz. 6.230) anzunehmen sein. Dies lässt die Rechtsfolgen des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG oder des § 12 Abs. 1 KStG aus, die dem § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV prinzipiell vorgehen. Nimmt die ausländische Betriebsstätte indessen nur die Beschaffungsfunktion für das Stammhaus wahr, indem sie nur für das Stammhaus Waren und sonstige Güter einkauft, kommen die aus den auf die Betriebsstätte übertragenen Beschaffungsverträgen resultierenden Vorteile in Form von geringeren Einkaufspreisen weiterhin dem Stammhaus zugute. Infolgedessen kann eine Überführung einer Geschäftschance nicht angenommen werden.

6.229 Lieferantenkartei. Die Einordnung einer Lieferantenkartei als (materielles oder immaterielles) Wirtschaftsgut blieb bislang in der Rechtsprechung ungeklärt.2 Es ist jedoch davon auszugehen, dass eine Lieferantenkartei ein Wirtschaftsgut darstellen kann, wenn sie im Einzelfall einer selbständigen Bewertung zugänglich und als Einzelheit greifbar und auch übertragbar ist.3 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wird auch ein unabhängiger Dritter für die Überlassung einer Lieferantenkartei bereit sein, eine Vergütung zu leisten. Dies insbesondere dann, wenn bestimmte Lieferanten in der entsprechenden Branche nur schwer zu finden oder Kenntnisse über die vorhandenen Lieferanten4 nur schwer zugänglich sind. Ist dies im Einzelfall gegeben, kann mit der Überführung einer Lieferantenkartei in eine ausländische Betriebsstätte die Überführung eines Wirtschaftsguts mit den damit verbundenen Folgen der Entstrickungsvorschriften (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 f. EStG und § 12 Abs. 1 KStG) verbunden sein.

6.230 Geschäftschancen. Weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum hat sich bislang eine allgemeingültige Definition der Geschäftschance herausgebildet. Auch hinsichtlich der Frage, ob eine Geschäftschance als (immaterielles) Wirtschaftsgut qualifiziert, besteht im Schrifttum

1 Vgl. auch BFH v. 6.12.1978 – I R 35/78, BStBl. II 1979, 262; v. 9.7.1986 – I R 218/82, BStBl. II 1987, 14 = FR 1986, 624. 2 Zur Einordnung eines Computerprogramms mit Datenbeständen als materielles Wirtschaftsgut vgl. BFH v. 5.2.1988 – III R 49/83, BStBl. II 1988, 738. Der BFH hatte insoweit offengelassen, ob eine Kundenkartei ein immaterielles Wirtschaftsgut darstellt. In seinem Urteil vom 2.9.1988 – III R 38/84, BStBl. II 1989, 160 = FR 1989, 149, hat der BFH einen Datenträger, auf dem Adressen gespeichert sind, als immaterielles Wirtschaftsgut eingeordnet. 3 Vgl. BFH v. 26.10.2009 – III R 40/07, BStBl. II 2010, 609, der hinsichtlich „Kundenstamm […] und Know-how im Hinblick auf Lieferanten“ das Vorliegen von immateriellen Wirtschaftsgütern, aber auch geschäftswertbildende Faktoren in Betracht zieht. Vgl. auch Carlé, KommRe 2010, 12. 4 Z.B. hinsichtlich Pünktlichkeit der Lieferung, Qualität, Verlässlichkeit, eingeräumter Zahlungsund Lieferkonditionen.

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Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.230 Kap. 6

keine klare Linie.1 Unter einer Geschäftschance kann die konkretisierte Aussicht verstanden werden, aus einem Geschäft zukünftig Gewinne zu erzielen, soweit sich diese nicht bereits aus einem anderen Wirtschaftsgut ergeben.2 Hinsichtlich des Objektivierungs- und Konkretisierungsgrads muss im Rahmen einer Geschäftschance die Aussicht auf eine vergleichsweise risikolose zukünftige Gewinnerzielung sichergestellt sein. Besteht demnach ein identifizierbares Verlustrisiko, liegt keine Geschäftschance im steuerlichen Sinne vor. Insofern ist die Geschäftschance von der bloßen Marktchance, d.h. die Möglichkeit durch Teilnahme an einem bestimmten abgrenzbaren Markt Gewinne zu erzielen, streng zu trennen. Denn mit jeder Marktteilnahme sind unmittelbar Risiken verbunden, die zu Verlusten führen können. Beispiel: Die im Inland unbeschränkt steuerpflichtige A GmbH hat im Jahr 2002 in Polen eine Zweigniederlassung für den Vertrieb medizintechnischer Produkte begründet. Vor Gründung der Zweigniederlassung sind der A GmbH Aufwendungen für die Beobachtung des polnischen Markts, die Einholung der erforderlichen Genehmigungen und die Durchführung von Werbemaßnahmen entstanden. Die bloße Chance der Zweigniederlassung auf dem polnischen Markt, aus dem Vertrieb der medizintechnischen Produkte Gewinne zu erzielen, stellt keine Geschäftschance dar. Vielmehr liegt eine bloße Marktchance vor. Denn mit dem Vertrieb der medizintechnischen Produkte ist ein nicht unerhebliches Verlustrisiko verbunden. Im Ergebnis ist keine Überführung einer Geschäftschance der A GmbH in die polnische Zweigniederlassung gegeben. Stattdessen sind die Aufwendungen der A GmbH als vorweggenommene Gründungsaufwendungen der Betriebsstätte zu behandeln (vgl. dazu Rz. 7.1 ff.).3 Etwas anderes ergibt sich nur, wenn die Werbemaßnahmen in Polen zur Begründung eines Kundenstamms geführt haben. In diesem Fall käme es mit Gründung der Zweigniederlassung in Polen zu einer Überführung des immateriellen Wirtschaftsguts „Kundenstamm“.

Die Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts können bei einer Geschäftschance erfüllt sein:4 – Bei Geschäftschancen handelt es sich um vermögenswerte Vorteile in Form tatsächlicher Zustände oder konkreter Möglichkeiten. – Einer Geschäftschance kann ein greifbarer Vorteil zugrunde liegen, für den ein Kaufmann bereit ist, Aufwendungen zu tragen. Dies setzt allerdings einen greifbaren Nutzen voraus (z.B. Eintritt in ein laufendes Vertragsverhältnis), der nicht mit wesentlichen Verlustrisiken verbunden ist. – Eine Geschäftschance kann nur dann ein Wirtschaftsgut darstellen, wenn sie selbständig bewertbar ist. Bei einer rein theoretisch bestehenden Aussicht, aus einer Funktion einen Gewinn zu erzielen, ist dies in der Regel indessen nicht erfüllt. – Eine Geschäftschance kann – z.B. im Zusammenhang mit einem konkret akquirierten Auftrag oder Vertragsverhältnis – selbständig übertragbar und infolgedessen einzeln veräußerbar sein. Im Ergebnis können sich die Entstrickungsvorschriften (§ 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und § 12 Abs. 1 KStG) auch auf Geschäftschancen erstrecken, aber nur dann, wenn sie die Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts erfüllen. Dies setzt einen hinreichenden Konkretisierungs- und 1 Bejahend Borstell, StbJb. 2001/02, 201 (208); Wassermeyer, DStR 1997, 681 (685); Serg, DStR 2005, 1916 (1917 f.); verneinend Rödder, StbJb. 1997/98, 115 (124); Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 307; Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 302. 2 Vgl. Ditz, DStR 2006, 1625 (1626 f.). 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 66 f. 4 Gl.A. Borstell, StbJb. 2001/02, 201 (209 f.); Serg, DStR 2005, 196 (197); a.A. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 321.

Ditz 465

Kap. 6 Rz. 6.230

Entstrickung und Verstrickung

Objektivierungsgrad voraus, der durch Angebote, Vertragsverhandlungen, daraus resultierende Kosten etc. zu dokumentieren ist. Wurden damit vom Stammhaus wesentliche Anstrengungen zur Wahrnehmung eines Geschäfts vorgenommen und wird dieses Geschäft durch eine ausländische Betriebsstätte tatsächlich wahrgenommen, kann eine als Wirtschaftsgut zu qualifizierende Geschäftschance vorliegen. Diese beruhen in der Regel auf Verträgen mit Unternehmensexternen (z.B. Erwerb, Herstellung oder Verkauf eines Wirtschaftsguts sowie die Erbringung oder den Empfang von Dienstleistungen oder Nutzungsüberlassungen).1 Die Geschäftschance muss sich dabei allerdings als „eigener Wert“ von anderen Wirtschaftsgütern (z.B. Kundenstamm, Know-how, Geschäfts- und Firmenwert, Patente, Marken) abgrenzen lassen. Sie darf nicht als Konglomerat verschiedenster immaterieller Wirtschaftsgüter verstanden werden, die i.S. eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts gerade nicht Gegenstand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG sein können (vgl. Rz. 6.44).2 In diesen Fällen ist allerdings zu prüfen, ob eine Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 9 AStG vorliegt (vgl. Rz. 6.279 ff.). Beispiel: Die im Inland unbeschränkt steuerpflichtige A GmbH ist in der Glasindustrie tätig. Die A GmbH produziert an ihrem Firmensitz im Mannheim u.a. ein spezielles Wärmeschutzglas, dessen Produktion hohe Gewinne abwirft. Die Geschäftsleitung der A GmbH entscheidet, den Schichtstoff, der auf das Wärmeschutzglas in einem letzten Produktionsschritt aufgetragen wird, in Zukunft nicht mehr im Mannheimer Stammhaus, sondern in einer Betriebsstätte in der Slowakei herzustellen. Der Schichtstoff wird ab dem Jahr 05 in der Slowakei in einer eigenen Produktionsstätte hergestellt und nach Fertigstellung nach Deutschland transportiert, um im Stammhaus auf die Wärmeschutzgläser aufgetragen zu werden. Die slowakische Produktionsstätte liefert den Schichtstoff nicht an unternehmensfremde Dritte, sondern nur an das deutsche Stammhaus. Folglich ist die Betriebsstätte als abhängige Produktionsbetriebsstätte (Lohnfertiger) zu qualifizieren.3 Geschäftschancen gehen im Rahmen der Verlagerung der Produktion des Schichtstoffs auf die Betriebsstätte in der Slowakei nicht über, denn das deutsche Stammhaus kann auch nach der Produktionsverlagerung die Gewinnchance aus dem Verkauf der Wärmeschutzgläser verwerten. Beispiel: Die im Inland unbeschränkt steuerpflichtige A GmbH ist in der Glasindustrie tätig. Die A GmbH produziert an ihrem Firmensitz im Mannheim u.a. ein spezielles Wärmeschutzglas, dessen Produktion hohe Gewinne abwirft. Die Geschäftsleitung der A GmbH entscheidet, die gesamte Produktion des Wärmeschutzglases auf eine neu gegründete Produktionsbetriebsstätte in die Slowakei zu verlagern. Die slowakische Betriebsstätte wird ab dem Jahr 04 nicht nur die Wärmeschutzgläser herstellen, sondern auch an unternehmensfremde Dritte verkaufen. Aufgrund des eigenen Marktauftritts der slowakischen Betriebsstätte ist diese im Rahmen der Funktionsanalyse als unabhängige Produktionsbetriebsstätte (Eigenproduzent) zu qualifizieren;4 die Überführung von Geschäftschancen ist damit grundsätzlich möglich. Es stellt sich allerdings nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs die Frage, ob auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter des Stammhauses der A GmbH auf die entsprechenden Produktionsgewinne verzichtet und die Produktion der Wärmeschutzgläser an einen fremden Dritten unentgeltlich abgegeben hätte. In diesem Zusammenhang unterstellt der BFH, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter jede sich ihm auch zufällig bietende Geschäftschance für Rechnung der Gesellschaft nutzt.5 Andererseits ist auch die Sichtweise des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters der slowakischen Betriebsstätte zu berücksichtigen. Dieser würde für eine Gewinnchance nur dann etwas zahlen, wenn er aus dieser einen vergleichsweise risikolosen Gewinn erwarten kann. Im vorliegenden Beispiel wurde dem deutschen Stammhaus der A GmbH mit der Verlagerung der Produktion des Wärmeschutzglases eine konkret existente Chance zur Erzielung 1 2 3 4 5

Vgl. auch Wassermeyer, DStR 1997, 681 (684). A.A. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 321. Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 189. Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 189. Vgl. BFH v. 11.6.1996 – I R 97/95, FR 1996, 834 = DStR 1996, 1769.

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Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.231 Kap. 6

von Gewinnen entzogen. Ob in diesem Zusammenhang von der Überführung eines Wirtschaftsguts „Geschäftschance“ auszugehen ist, ist zweifelhaft. Vielmehr spricht vieles dafür, dass die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllt sind (vgl. Rz. 6.302 ff.).

Bewertung der Geschäftschance. Da für Geschäftschancen regelmäßig ein tatsächlicher Fremdvergleich aufgrund mangelnder Vergleichstransaktionen zwischen unabhängigen Dritten nicht geführt werden kann, ist für deren Bewertung ein hypothetischer Fremdvergleich durchzuführen.1 Dem hypothetischen Fremdvergleich liegt die sog. Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters zugrunde. Danach wird – für Zwecke der Bestimmung eines Verrechnungspreises, der dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht – ein Interessengegensatz geschaffen, wie er zwischen unabhängigen Unternehmen am Markt besteht. Dabei stehen sich zwei ordentliche Geschäftsleiter aufseiten der leistungserbringenden und der leistungsempfangenden Unternehmenseinheit gegenüber, die beide (als rational handelnde Kaufleute) ihre Zielfunktion, die Maximierung des eigenen Gewinns, verfolgen.2 Auf Basis der Konzeption des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters ist die Geschäftschance mit dem Betrag zu bewerten, der – nach den Umständen des Einzelfalls – zwischen einem ordentlichen Geschäftsleiter der die Geschäftschance abgebenden Unternehmenseinheit und einem ordentlichen Geschäftsleiter der die Geschäftschance aufnehmenden Unternehmenseinheit für die Überführung der Geschäftschance vereinbart worden wäre.3 Infolgedessen ist ein Einigungsbereich gem. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG zu bestimmen, der seine Randwerte in der Preisuntergrenze aus Sicht des abgebenden Unternehmensteils und der Preisobergrenze aus Sicht des aufnehmenden Unternehmensteils findet: – Die Untergrenze ergibt sich aus dem Gewinn, den der Unternehmensteil, der die Geschäftschance abgibt, aus der eigenen Verwertung der Geschäftschance erwartet. Dabei wird unterstellt, dass der Unternehmensteil die Geschäftschance nicht verlagert. – Die Preisobergrenze ergibt sich aus dem Gewinn, den der Unternehmensteil, der die Geschäftschance aufnimmt, aus der Verwertung der Geschäftschance erwartet. Darüber hinaus wird der ordentliche Geschäftsleiter dieses Unternehmensteils maximal den Betrag für die Geschäftschance bereit sein zu entrichten, der als Kosten bei einer eigenen „Erstellung“ der Geschäftschance bzw. deren Erwerb von einem fremden Dritten entstehen würde. – Im Rahmen der Ermittlung des Einigungsbereichs ist auf die zukünftigen, kapitalisierten Gewinnauswirkungen der Geschäftschance abzustellen.4 Dabei ist lediglich der Beitrag der Geschäftschance zum Gesamtergebnis heranzuziehen. Der maßgebliche Diskontierungszeitraum hat sich an dem Zeitraum, in welchem die Geschäftschance verwertet wird, zu orientieren. Dies betrifft regelmäßig einen endlichen Zeitraum, z.B. in Anlehnung an den Lebenszyklus der produzierten oder vertriebenen Produkte oder die Restlaufzeit bestehender Verträge. Die Anwendung der ewigen Rentenformel ist im Zusammenhang mit der Bewertung von Geschäftschancen nicht sachgerecht.

1 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 5 f. AStG sowie Rz. 6.186. 2 Vgl. Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2004, 185 ff. 3 Vgl. Baumhoff in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 2003, 87; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 2004, 322 f.; Borstell, StbJb. 2001/02, 201 (217). 4 Nach § 1 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 AStG ist der Einigungsbereich unter Berücksichtigung der jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotentiale) zu bestimmen.

Ditz 467

6.231

Kap. 6 Rz. 6.232

Entstrickung und Verstrickung

6.232 Überführung vs. Überlassung von Geschäftschancen. Wird eine Geschäftschance des inländischen Stammhauses von der ausländischen Betriebsstätte verwertet, stellt sich die Frage, ob insoweit eine Überführung oder eine Nutzungsüberlassung der Geschäftschance anzunehmen ist (vgl. grundlegend Rz. 6.75). Als Abgrenzungskriterium für die Unterscheidung zwischen Überführung und Nutzungsüberlassung sind die Dauer sowie die Ausschließlichkeit der Nutzung des Wirtschaftsguts durch die ausländische Betriebsstätte heranzuziehen. Bezieht man diese Kriterien auf die Überlassung von Geschäftschancen, wird in der Regel von einer Überführung der Geschäftschance in die ausländische Betriebsstätte auszugehen sein. Denn die Geschäftschance wird nach ihrer Verwertung durch die ausländische Betriebsstätte nicht mehr existieren und folglich untergehen. Vor diesem Hintergrund bleibt für die Annahme einer (kurzfristigen) Nutzungsüberlassung bei Geschäftschancen in der Regel kein Raum. Die Finanzverwaltung geht allerdings davon aus, dass bei immateriellen Werten in Zweifelsfällen nicht von einer Aufdeckung von stillen Reserven auszugehen ist (vgl. Rz. 6.174).1

6.233 Patente. Ein Patent an einer Erfindung gewährt dem Erfinder nach deutschem Recht für eine maximale Dauer von zwanzig Jahren2 eine positive Nutzungsberechtigung an der Erfindung, das ihm die ausschließliche gewerbliche Verwertung der Erfindung für bestimmte Zeit sichert und ihm erlaubt, Dritte von der Nutzung dieser Erfindung bzw. von einer späteren inhaltsgleichen Erfindung auszuschließen.3 Inhaber eines Patents kann nur die hinter dem internationalen Einheitsunternehmen stehende (natürliche oder juristische) Person, nicht jedoch die rechtlich unselbständige Teileinheit Stammhaus oder Betriebsstätte sein. Es ist allerdings für Zwecke der Einkünfteabgrenzung unter funktionalen Gesichtspunkten (wirtschaftliches Eigentum) bzw. den maßgeblichen Personalfunktionen nach § 6 BsGaV dem Stammhaus, der Betriebsstätte oder beiden Unternehmensteilen (anteilig) zuzuordnen (vgl. Rz. 6.53 ff. und 6.166 ff.). Ist ein Patent der ausländischen Betriebsstätte (ausschließlich und dauerhaft) zuzuordnen, liegt eine Überführung des Patents vor.4 Rechtsfolge ist, dass der gemeine Wert (verstanden als Fremdvergleichspreis (vgl. Rz. 6.80) gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG oder § 12 Abs. 1 KStG zu entstricken ist. Dazu muss das Patent mit seinem Fremdvergleichspreis unter Berücksichtigung der Konzeption des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters bewertet werden. Dies geschieht in der Verrechnungspreispraxis mithilfe ertragswertorientierter Verfahren, da die Anwendung der Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 6.189 ff.) bei immateriellen Wirtschaftsgütern regelmäßig an fehlenden Vergleichstransaktionen zwischen fremden Dritten scheitert und im Übrigen die Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.200 ff.) und die Wiederverkaufspreismethode (vgl. Rz. 6.195 ff.) für die Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter nur in Ausnahmefällen einschlägig sind. In der Praxis wird häufig die Lizenzpreisanalogie zur Patentbewertung angewendet.5 Danach bestimmt sich der Wert eines Patents aus dem Barwert der künftig mit diesem erzielbaren Einkünften.6 Dies entspricht auch dem betriebswirtschaftlichen Verständnis des Werts eines Guts, nach dem diesem derjenige Wert beizumessen ist, der 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 99. 2 Vgl. § 16 PatentG. 3 Vgl. § 9 PatentG. Vgl. auch OECD, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8–10: Final Reports v. 5.10.2015, Kap. VI., Rz. 6.19. 4 Wird das Patent nur kurzfristig in der ausländischen Betriebsstätte genutzt, kann auch dessen bloße Nutzungsüberlassung vorliegen (vgl. dazu Rz. 6.75). Ferner ist auch eine gleichzeitige Nutzung des Patents durch das Stammhaus und die Betriebsstätte denkbar (vgl. dazu Rz. 6.225). 5 Vgl. Kasperzak/Witte, DStR 2009, 1551 ff.; Reichl, Verrechnung immaterieller Wirtschaftsgüter im internationalen Konzern, 2012, 141 f. 6 Dazu ausführlich vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 2004, 197 ff.

468

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.234 Kap. 6

mit den Einkünften aus seiner Verwendung korrespondiert. Die Finanzverwaltung geht in Zweifelsfällen davon aus, dass es nicht zu einer Überführung des Patents, sondern zu dessen Nutzungsüberlassung kommt.1 Know-how. Im Gegensatz zur Definition des Patents im PatentG existiert für den Begriff des Know-how im Steuerrecht keine Legaldefinition.2 Die OECD versteht unter Know-how vertrauliche Informationen gewerblicher, kaufmännischer oder wissenschaftlicher Natur, die eine praktische Anwendung im Betrieb eines Unternehmens haben. Kennzeichnend für Knowhow ist zudem, dass dieses Wissen geheim gehalten, d.h. nicht offengelegt wird.3 Know-how kann damit von einfachem Erfahrungswissen bis hin zu nicht geschützten Erfindungen4 als Ergebnis umfangreicher Forschungs- und Entwicklungsleistungen reichen und dabei entweder in physikalischen Gegenständen (z.B. Formeln, Materiallisten, Arbeitsanweisungen, Fertigungsmuster) oder in Humankapital (z.B. Wissen von Spezialisten) verkörpert sein.5 Vor diesem Hintergrund ist es häufig nicht unproblematisch festzustellen, in welchen Fällen Know-how des inländischen Stammhauses auf die ausländische Betriebsstätte übergeht und infolgedessen die Entstrickungsvorschriften Anwendung finden. Hiervon ist – in Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes – immer dann auszugehen, wenn fremde Dritte für eine vergleichbare Know-how-Überlassung ein Entgelt vereinbaren würden. Dies setzt zunächst voraus, dass der Betriebsstätte aus dem Know-how ein betrieblicher Nutzen (insbesondere in Form von Zeit- oder Kostenersparnis)6 entsteht.7 Eine Überführung von Know-how scheidet damit aus, wenn das Wissen der ausländischen Betriebsstätte bereits bekannt ist (z.B. weil dieses bereits öffentlich zugänglich ist) oder ihr ohnehin bekannt werden würde. Zudem ist davon auszugehen, dass ein Geschäftsführer Know-how in seinem Wissensschatz seiner Gesellschaft unentgeltlich zur Verfügung stellt.8 Ferner kann die Überführung von Know-how im Rahmen der Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nur eine Rolle spielen, wenn es einen gewissen Konkretisierungsgrad überschreitet und damit die Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts erfüllt (vgl. Rz. 6.160).9 Dies ist gegeben, wenn sich das Know-how in körperlichen Gegenständen (z.B. Zeichnungen, Versuchsergebnissen, Tabellen, Berechnungsergebnissen, Formeln, Rezepten, Angaben von Materialqualitäten, Fertigungsvorschriften)10 materialisiert. Dagegen kann von einer Überführung des Wirtschaftsguts „Know-how“ nicht ausgegangen werden, wenn Mitarbeiter des Stammhauses ihr Wissen z.B. durch Schulungsveranstaltungen, Vorträge, Seminare etc. an Mitarbeiter der ausländischen Betriebsstätte weitergeben oder diese in bestimmte Produktions- oder Fertigungsprozesse ein1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 99. 2 Vgl. BFH v. 16.12.1970 – I R 44/67, BStBl. II 1971, 235. 3 Vgl. OECD, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8–10: Final Reports v. 5.10.2015, Kap. VI., Rz. 6.20; Art. 12 Tz. 12 OECD-MK 2014. Siehe zur Definition des Know-how auch BFH v. 16.12.1970 – I R 44/67, BStBl. II 1971, 235. 4 Vgl. Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 740 „Erfindungen“. 5 Vgl. auch BFH v. 23.11.1988 – II R 209/82, BStBl. II 1989, 82; FG Hessen v. 17.2.1998 – 13 K 3372/94, EFG 1998, 1080 = GmbHR 1998, 903. 6 Vgl. BFH v. 23.11.1988 – II R 209/82, BStBl. II 1989, 82. 7 Vgl. Zech, IStR 2009, 419; Ditz, IStR 2009, 422 f. 8 Vgl. Gosch in Gosch, § 8 KStG, Rz. 930. 9 Zur Einordnung von Know-how als Wirtschaftsgut vgl. BFH v. 23.11.1988 – II R 209/82, BStBl. II 1989, 83; v. 15.7.1987 – II R 249/83, BStBl. II 1987, 809; v. 13.2.1970 – III R 43/68, BStBl. II 1970, 374. Nach Auffassung der OECD handelt es sich bei Know-how um ein sog. „intangible“, vgl. OECD, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8–10: Final Reports v. 5.10.2015, Kap. VI, Rz. 6.20. 10 Vgl. BFH v. 23.11.1988 – II R 209/82, BStBl. II 1989, 82.

Ditz 469

6.234

Kap. 6 Rz. 6.235

Entstrickung und Verstrickung

arbeiten.1 In diesen Fällen liegt eine unternehmensinterne Dienstleistung des Stammhauses an die Betriebsstätte (anzunehmende schuldrechtliche Beziehung) vor.2 Ist das Know-how weiterhin bei dem inländischen Stammhaus vorhanden, fehlt es an einer Überführung des Know-how.3 Kommt es zu einer Überführung des Know-how, ist dessen Bewertung4 mit seinem Fremdvergleichspreis notwendig. Dabei kommen wie bei der Bewertung von Patenten (vgl. Rz. 6.233) die ertragswertorientierte Verfahren zur Anwendung.5 Ein weiterer Anhaltspunkt der Bewertung kann überdies in den denkbaren Eigenkosten gesehen werden, die entstünden, würde sich die ausländische Betriebsstätte das Know-how selbst beschaffen.6 Die Finanzverwaltung geht im Zweifelsfall von einer Nutzungsüberlassung des Know-hows und nicht von seiner Überführung aus (vgl. Rz. 6.174).7

6.235 Auftragsbestand. Im Zusammenhang mit der Vertriebsfunktion beziehen sich Geschäftschancen (vgl. Rz. 6.230) häufig auf durch das Stammhaus akquirierte und vertraglich bereits fixierte Aufträge (sog. Auftragsbestand), die durch die Betriebsstätte verwertet werden.8 Ferner kann die Überführung von Geschäftschancen bei dauerhaften Lieferverträgen, die vom Stammhaus abgeschlossen wurden und durch die ausländische Betriebsstätte weitergeführt und von dieser verwertet werden, vorliegen. Entsprechendes gilt für Belieferungsrechte (vgl. Rz. 6.228).9 Erforderlich für das Vorliegen einer Geschäftschance ist, dass diese so weit konkretisiert ist, dass sie einer Bewertung zugänglich ist (vgl. Rz. 6.230).10 Sowohl bei Auftragsbeständen als auch bei dauerhaften Lieferverträgen ergibt sich der Wert der Geschäftschance aus den Gewinnen (als Saldo aus den Erträgen und Aufwendungen), die aus der Verwertung der Geschäftschance erwartet werden.11 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der insoweit ermittelte Wert allenfalls als Preisobergrenze einer Bandbreite angemessener Werte fungieren kann, da der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter der Betriebsstätte die Geschäftschance nur übernehmen wird, wenn sie es ihm ermöglicht, selbst daraus einen Gewinn zu erzielen (vgl. Rz. 6.231). 1 Hierbei verwendet das inländische Stammhaus vielmehr sein Know-how zur Erbringung der Dienstleistung, vgl. Art. 12 Tz. 11.2 OECD-MK 2014; Reichl, Verrechnung immaterieller Wirtschaftsgüter im internationalen Konzern, 2012, 114. 2 Vgl. Ditz, IStR 2009, 423. 3 Vgl. Gosch in Gosch, § 8 KStG Rz. 930 m.V.a. BFH v. 23.3.1995 – IV R 94/93, FR 1995, 694 = BStBl. II 1995, 637. 4 Vgl. auch Greil, IStR 2009, 203 m.w.N. 5 Gl.A. Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 329; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 2004, 287 f. 6 Vgl. Gosch in Gosch, § 8 KStG, Rz. 930. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 99. 8 Zur Einordnung eines Auftragsbestands als immaterielles Wirtschaftsgut vgl. BFH v. 1.2.1989 – VIII R 361/83, BFH/NV 1989, 779; FG Düsseldorf v. 20.3.2003 – 15 K 7704/00 F, EFG 2003, 1290 mit Anm. Hoffmann. Vgl. auch FG Münster v. 1.2.2008 – 9 K 2367/03, EFG 2008, 1449 zur Einordnung eines Exklusivbelieferungsrechts als immaterielles Wirtschaftsgut. Siehe auch Bernhard/ van der Ham/Kluge, IStR 2008, 5. 9 Vgl. Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 740 „Belieferungsrechte“. Beispiele umfassen Bier-, Zuckerrüben-, Milch-, Zeitschriften-, Strom- und Gaslieferungsrechte, vgl. BFH v. 17.3.1959 – I 207/58 U, BStBl. III 1959, 59; v. 24.6.1999 – IV R 33/98, BStBl. II 2003, 58 = FR 1999, 1002 m. Anm. Wendt; v. 16.10.2008 – IV R 1/06, BStBl. II 2010, 28; v. 17.3.2010 – IV R 3/08, DStRE 2010, 917; v. 29.4.2009 – IX R 33/08, FR 2010, 134 = BFH/NV 2009, 1866. 10 Vgl. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 367. 11 Zur Bewertung des Auftragsbestands im Einzelnen vgl. Köhler, DStR 1997, 301 f.; Klostermann, Der Auftragsbestand als Wirtschaftsgut, 2000, 16, 98; Erb/v. Oertzen, IRZ 2007, 156 ff.

470

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.236 Kap. 6

Absatzmarkt. Unter einem Absatzmarkt sind die Absatzmöglichkeiten bestimmter Produkte oder Dienstleistungen in einem geografisch abgegrenzten Gebiet oder in einem unter demografischen oder sonstigen Kriterien abgegrenzten Kreis von Abnehmern zu verstehen, die sich durch Geschäftsabschlüsse in der Vergangenheit konkretisiert haben und die mit hinreichender Sicherheit auch in der Zukunft Geschäftsabschlüsse erwarten lassen.1 Folglich kann ein Unternehmen grundsätzlich über mehrere Absatzmärkte verfügen, wenn es mehrere Produkte vertreibt oder wenn es mehrere abgrenzbare Kundenkreise bedient. Die Überführung eines Absatzmarkts ist nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs im Rahmen der Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte dem Grunde nach zu berücksichtigen, wenn der Absatzmarkt als (immaterielles) Wirtschaftsgut2 qualifiziert und fremde Dritte (konkretisiert durch zwei ordentliche Geschäftsleiter) für die Überführung des Absatzmarkts ein Entgelt vereinbaren würden (vgl. Rz. 6.160). Davon ist immer dann auszugehen, wenn sich der Erwerber aus dem Absatzmarkt einen betriebswirtschaftlichen Vorteil verspricht, welcher in der Regel aus zukünftigen Mehrergebnissen in Form zusätzlicher Erträge oder ersparter Aufwendungen resultiert. Dies ist bei einem nicht erschlossenen Absatzmarkt nicht der Fall.3 Beispiel: Die im Inland unbeschränkt steuerpflichtige A GmbH hat in Polen eine Zweigniederlassung für den Vertrieb medizintechnischer Produkte gegründet. Vor Gründung der Zweigniederlassung sind der A GmbH Aufwendungen für die Beobachtung des polnischen Markts, die Einholung der erforderlichen Genehmigungen und die Durchführung von Werbemaßnahmen entstanden. Die bloße Chance der Zweigniederlassung, auf dem polnischen Markt aus dem Vertrieb der medizintechnischen Produkte Gewinne zu erzielen, stellt keine Geschäftschance dar. Vielmehr liegt eine bloße Marktchance vor. Denn mit dem Vertrieb der medizintechnischen Produkte ist ein nicht unerhebliches Verlustrisiko verbunden. Im Ergebnis ist damit keine Übertragung einer Geschäftschance der A GmbH in die polnische Zweigniederlassung gegeben. Stattdessen sind die Aufwendungen der A GmbH als vorweggenommene Gründungsaufwendungen zu behandeln. Etwas anderes ergibt sich indessen, wenn die Werbemaßnahmen in Polen zur Begründung eines Kundenstamms geführt haben. In diesem Fall käme es mit Gründung der Zweigniederlassung in Polen zu einer Überführung des immateriellen Wirtschaftsguts „Kundenstamm“ und den damit einhergehenden Folgen für die Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte.

Ist ein Absatzmarkt (ausnahmsweise) als Wirtschaftsgut einzuordnen, kann dieser in eine ausländische Betriebsstätte überführt und dann Gegenstand der Entstrickungsvorschriften (§ 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und § 12 Abs. 1 KStG) sein. Ist dies der Fall, ist der Absatzmarkt mit seinem Fremdvergleichspreis zu bewerten. Dieser ist idealtypischerweise aus den Preisen abzuleiten, wie sie zwischen unabhängigen Dritten für den Verkauf des entsprechenden Absatzmarkts vereinbart werden. Die Anwendung der Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 6.189) scheitert jedoch im Hinblick auf die Bewertung eines Absatzmarkts regelmäßig an der Tatsache, dass vergleichbare Transaktionen zwischen unabhängigen Dritten nicht identifiziert werden können und damit ein Vergleichsobjekt zur Bewertung des Absatzmarkts nicht zur Verfügung steht. Da ferner die Wiederverkaufspreismethode (vgl. Rz. 6.192 ff.) und die Kos-

1 Vgl. Isensee, IStR 1999, 528; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 2004, 265 f.; Borstell, StbJb. 2001/2002, 223; Greil, IStR 2009, 205, Bernhard/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 5 m.w.N. 2 Zur Einordnung eines Absatzmarkts als immaterielles Wirtschaftsgut vgl. BFH v. 16.9.1970 – I R 196/67, BStBl. II 1971, 175; v. 17.3.1977 – IV R 218/72, BStBl. II 1977, 595; FG Berlin v. 22.5.1989 – VIII 35/87, EFG 1990, 264; Gosch in Gosch, § 8 KStG Rz. 850a; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 2004, 278. 3 Vgl. Bernhardt/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 5.

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6.236

Kap. 6 Rz. 6.237

Entstrickung und Verstrickung

tenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195 ff.) zur Ermittlung des Fremdvergleichspreises des Absatzmarkts nicht anwendbar sind bzw. nicht zu angemessenen Ergebnissen führen, ist letztlich eine ertragswertorientierte Bewertung durchzuführen.1 Der Wert des immateriellen Wirtschaftsguts „Absatzmarkt“ ergibt sich insofern aus den über die voraussichtliche Nutzungsdauer des Absatzmarkts diskontierten Gewinnerwartungen (als Zahlungsüberschüsse) aus der Nutzung des Absatzmarkts. Die Anwendung der Methoden der Unternehmensbewertung darf jedoch keinesfalls so verstanden werden, dass der Wert des Absatzmarkts in Anlehnung an die Ermittlung eines Geschäfts- oder Firmenwerts zu berechnen ist.2 Denn der Geschäfts- oder Firmenwert eines Betriebs oder Teilbetriebs ist regelmäßig auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen, wobei die auf einen Absatzmarkt bezogenen Kundenbeziehungen nur eine von mehreren den Geschäfts- oder Firmenwert beeinflussenden Determinanten bilden. Vielmehr dürfen bei der ertragswertorientierten Bewertung des Absatzmarkts die künftig erwarteten Gewinne nur insoweit berücksichtigt werden, als sie dem immateriellen Wirtschaftsgut „Absatzmarkt“ unmittelbar zuzuordnen sind. Folglich sind die im Rahmen der Unternehmensbewertung berücksichtigten Gewinne zur Bewertung des Absatzmarkts um die auf die ausgeübten Funktionen und um die auf die neben dem Absatzmarkt weiter eingesetzten Wirtschaftsgüter entfallenden Gewinne zu kürzen. Für den verbleibenden Residualgewinn kann dann unterstellt werden, dass er dem immateriellen Wirtschaftsgut „Absatzmarkt“ zuzuordnen ist.3 Im Rahmen der Bewertung des Absatzmarkts ist ferner nach der Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters die Sichtweise des ordentlichen Geschäftsleiters des den Absatzmarkt aufnehmenden Unternehmensteils zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 1 Satz 3 AStG). Danach ist gem. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen der Mindestpreis aus Sicht des Stammhauses und der Höchstpreis aus Sicht der ausländischen Betriebsstätte unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssätze zu ermitteln und dann der Preis im Einigungsbereich zu wählen, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht. Kann ein solcher Wert nicht glaubhaft bestimmt werden, ist der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen (vgl. Rz. 6.186).

6.237 Kundenstamm. Im Zuge der Vertriebsverlagerung bzw. der Überführung eines Absatzmarkts stellt sich häufig die Frage, ob in diesem Zusammenhang ein vom inländischen Stammhaus geschaffener Kundenstamm auf die ausländische Betriebsstätte übergeht. Der Kundenstamm besteht aus vertraglich nicht konkretisierten Kontakten zu Kunden des Unternehmens, aus denen in der Regel zukünftige Aufträge erwachsen. Die insoweit aus dem Kundenstamm resultierenden Ertragschancen sind in der Regel unsicher, da – aufgrund nicht bestehender Vertragsbeziehungen, wie z.B. beim Auftragsbestand (vgl. Rz. 6.235), – nicht sicher ist, ob überhaupt und in welchem Umfang die im Kundenstamm erfassten Kunden zukünftig Leistungen des Unternehmens in Anspruch nehmen werden oder nicht. In der Unternehmenspraxis wird der Kundenstamm häufig in einer Kundenkartei konkretisiert, die als vermögenswerter Vorteil ein (immaterielles) Wirtschaftsgut darstellen kann, soweit sie vom allgemeinen

1 Gl.A. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 2004, 279 f.; vgl. auch Borstell/Wehnert, in V/B/E, R Rz. 980 ff. 2 So jedoch Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, 1997, Rz. 177; s. auch Bernhardt/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 5. 3 Die Residualgewinnmethode hat international jedoch mittlerweile eine herausgehobene Stellung erlangt. Sie kommt insb. zur Anwendung, wenn der Ergebnisbeitrag einzigartiger und sehr wertvoller immaterieller Wirtschaftsgüter zu isolieren ist; vgl. dazu Greinert, DB 2004, 2116 m.w.N.

472

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A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.237 Kap. 6

Geschäfts- oder Firmenwert abgrenzbar ist.1 Wird ein als Wirtschaftsgut zu qualifizierender Kundenstamm vom inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte überführt, sind die Entstrickungsvorschriften (§ 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und § 12 Abs. 1 KStG) einschlägig. Die Finanzverwaltung geht im Zweifelsfall von einer Nutzungsüberlassung aus.2 Beispiel: Die im Inland unbeschränkt steuerpflichtige A GmbH hat bislang die im deutschen Stammhaus produzierten Waren in die USA exportiert, ohne dort eine Betriebsstätte zu unterhalten. Im Zuge der Reorganisation des Vertriebs wird der US-amerikanische Markt nunmehr durch eine in New York gegründete Zweigniederlassung, die neben ihrer Administration auch über ein Lager und einen Außendienst verfügt, bedient. Die in der Vergangenheit vom Stammhaus in den USA aufgebauten Kundenbeziehungen, die vom Stammhaus in einer Kundenkartei geführt wurden, werden nach der Verlagerung des Vertriebs von der US-Zweigniederlassung genutzt. Folglich ist der Kundenstamm nach den maßgeblichen Personalfunktionen gem. § 6 Abs. 2 BsGaV (Nutzung) nunmehr der Zweigniederlassung in den USA zuzuordnen. Mithin liegt damit eine Überführung des immateriellen Wirtschaftsguts „Kundenstamm“ in die US-Zweigniederlassung vor (§ 12 Abs. 1 KStG). Eine Anwendung des § 4g EStG ist – mangels EU-Fall – nicht möglich.

Fließt der ausländischen Betriebsstätte mit der Übernahme des Kundenstamms indessen kein zusätzlicher Vermögensvorteil zu, würde der ordentliche Geschäftsleiter der Betriebsstätte hierfür keine Gegenleistung entrichten. Dies betrifft insbesondere die folgenden Fälle: – „Sogwirkung“ einer Marke: Werden von der Vertriebsbetriebsstätte Markenprodukte vertrieben, die vom inländischen Stammhaus produziert werden, und wird die Nachfrage nach diesen Produkten maßgeblich von der „Sogwirkung“ dieser Marke bestimmt, ist der Kundenstamm für die Vertriebstätigkeit der Betriebsstätte weitgehend bedeutungslos.3 Von einer Überführung des Kundenstamms kann daher nicht ausgegangen werden. – Monopolstellung: Eine vergleichbare Situation wie bei der „Sogwirkung“ einer Marke besteht, wenn das Produktions-Stammhaus über eine Monopolstellung verfügt und infolgedessen der Kundenstamm des Stammhauses im Zuge der Vertriebsverlagerung „automatisch“ auf die ausländische Vertriebsbetriebsstätte übergeht. – Konzerninterner Kundenstamm: Mit Urteil vom 20.8.19864 hat der BFH judiziert, dass eine unentgeltliche Überführung eines Kundenstamms im Konzern als angemessen anzusehen ist, wenn der Kundenstamm nur aus zwei konzernzugehörigen Abnehmern besteht. In diesem Fall sei davon auszugehen, dass die Konzern-Vertriebsgesellschaft den Kundenstamm nicht mit eigenen Anstrengungen geschaffen hat. Besteht folglich der vom inländischen Stammhaus im Zuge der Vertriebsverlagerung in die ausländische Betriebsstätte überführte Kundenstamm ausschließlich aus mit dem Stammhaus verbundenen,

1 Vgl. BFH v. 26.7.1989 – I R 49/85, BFH/NV 1990, 443; v. 2.9.1988 – III R 38/84, BStBl. II 1989, 160 = FR 1989, 149; v. 20.8.1986 – I R 151/82, BFH/NV 1987, 469; FG Münster v. 1.2.2008 – 9 K 2367/03, EFG 2008, 1449; BFH v. 26.11.2009 – III R 40/07, BStBl. II 2010, 609 = FR 2010, 480 m. Anm. Kanzler; sowie zu einem Mandantenstamm BFH v. 30.3.1994 – I R 52/93, BStBl. II 1994, 905 = FR 1994, 684 m. Anm. Kempermann; Weber-Grellet in Schmidt36, § 5 EStG Rz. 223; Bernhard/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 5. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 99. 3 Vgl. BFH v. 20.8.1986 – I R 152/82, BFH/NV 1987, 471; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerlV, § 8 Anm. 220; Rödder, StbJb. 1997/98, 137; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 355; s. ferner BGH v. 16.2.1961 – VII ZR 239/59, NJW 1961, 662. 4 Vgl. BFH v. 20.8.1986 – I R 152/82, BFH/NV 1987, 471. Vgl. auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerlV, § 8 Anm. 220.

Ditz 473

Kap. 6 Rz. 6.238

Entstrickung und Verstrickung

rechtlich selbständigen Unternehmen, kann nicht von einer Überführung eines Kundenstamms ausgegangen werden.1 Kommt es zu einer Überführung des Kundenstamms, ist der Kundenstamm zur Bestimmung seines gemeinen Werts bzw. Fremdvergleichspreises (vgl. Rz. 6.80) unter Berücksichtigung der Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters (vgl. Rz. 6.186) nach der Ertragswertmethode zu bewerten.2 Der maßgebliche Diskontierungszeitraum ergibt sich dabei aus der voraussichtlichen Nutzungsdauer des Kundenstamms (häufig drei bis fünf Jahre).3 Beispiel: Ein Kundenstamm der im Inland ansässigen A GmbH wird in die neu gegründete Vertriebsbetriebsstätte in Österreich überführt. Die Bandbreite von Fremdvergleichspreisen des Kundenstamms beträgt 2–4 Mio. Euro (der Bewertung wurde eine Nutzungsdauer des Kundenstamms von fünf Jahren zugrunde gelegt), wobei dem Kundenstamm ein Wert i.H.v. 3 Mio. Euro zugrunde gelegt wird. In Höhe von 3 Mio. Euro kommt es zu einer Gewinnrealisierung nach § 12 Abs. 1 KStG, wobei ein Ausgleichsposten nach § 4g EStG gebildet werden kann. In „Zweifelsfällen“ ist zu prüfen, ob eine Nutzungsüberlassung des Kundenstamms vorliegt (vgl. Rz. 6.174).4

c) Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens

6.238 Entstrickung zum gemeinen Wert. Werden Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens (z.B. Rohstoffe, Halb- und Fertigerzeugnisse) vom inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte überführt, sind die stillen Reserven als Unterschiedsbetrag zwischen dem gemeinen Wert bzw. Fremdvergleichspreis (vgl. Rz. 6.80) und dem Buchwert der Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG zu entstricken. Dies gilt unabhängig davon, ob die Überführung der Wirtschaftsgüter in eine ausländische Freistellungs- oder eine Anrechnungsbetriebsstätte erfolgt.5 Die Bildung eines Ausgleichspostens nach § 4g Abs. 1 EStG kommt nicht in Betracht, da ein solcher nur bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens gebildet werden kann. Der Gewinnrealisierung im inländischen Stammhaus steht ein korrespondierender Aufwand in der ausländischen Betriebsstätte beim Verbrauch der Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens gegenüber (z.B. beim Verkauf der Waren als Wareneinsatz). Die Gewinnrealisierung im inländischen Stammhaus nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG ist unabhängig davon, wann in der ausländischen Betriebsstätte der korrespondierende Aufwand ausgewiesen wird. Beispiel: Der im Inland ansässige Einzelunternehmer A überführt die im Inland hergestellten Fertigerzeugnisse in seine spanische Vertriebsbetriebsstätte. Die Waren entwickeln sich in Spanien als „Ladenhüter“ und können erst nach zwei bis drei Jahren unter Gewährung erhöhter Kundenrabatte durch die spanische Betriebsstätte verkauft werden. Dies ist für die Anwendung der Entstrickungsvorschrift irrelevant, d.h., der Fremdvergleichspreis der Waren ist im Zeitpunkt ihrer Überführung zu realisieren unabhängig davon, wann und zu welchem Preis die Waren in der spanischen Vertriebsbetriebsstätte veräußert werden können. Es kommt auch dann zu einer Realisierung des Fremdvergleichspreises, wenn die Waren in der ausländischen Betriebsstätte untergehen (z.B. durch Brand oder Diebstahl). So kann es aufgrund der Entstrickungsvorschriften zu einer Gewinnrealisierung im 1 Vgl. auch Schreiber/Bubeck, DB 2014, 985. 2 Zur Bewertung eines Kundenstamms vgl. ferner Isensee, IStR 1999, 528 ff.; Hollenbach, IStR 2003, 605 ff. 3 Nach der Rechtsprechung unterliegt ein Kundenstamm der Abnutzung, wenn „der Unternehmer ständig mit einer Beendigung der Geschäftsbeziehungen zu den einzelnen Wiederverkäufern rechnen“ muss; vgl. BFH v. 28.5.1998 – IV R 48/97, BStBl. II 1998, 775 = FR 1998, 882 m.w.N. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 99. 5 Zu den rechtlichen Zweifeln, die aus dem unklaren Wortlaut der Entstrickungsvorschriften resultieren, vgl. Rz. 6.83.

474

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.240 Kap. 6

Zeitpunkt der Überführung der Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens kommen, obwohl für das Gesamtunternehmen kein Gewinn realisiert wird. Dies ist Folge einer Gewinnabgrenzung nach der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und daher hinzunehmen. Beispiel: Die in die spanische Vertriebsbetriebsstätte vom inländischen Stammhaus überführten Waren werden aufgrund eines Brands in der spanischen Vertriebsbetriebsstätte zerstört. Da die Ware nicht brandversichert war, kommt es nicht zu einer Erstattung durch die Versicherung. Die aus dem Brand verursachten Kosten (einschließlich der zerstörten Waren) sind der Vertriebsbetriebsstätte zuzuordnen. Die Zerstörung der Waren hat keine Auswirkung auf die Anwendung der Entstrickungsvorschriften im Rahmen der Überführung der Waren in die spanische Vertriebsbetriebsstätte.

Bestimmung des gemeinen Werts. Kommt es zu einer Überführung von Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens vom inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte ist der gemeine Wert, d.h. der Fremdvergleichspreis (vgl. Rz. 6.80), auf Basis der allgemein anerkannten Verrechnungspreismethode zu bestimmen (vgl. Rz. 6.187 ff.). Zur Bestimmung des Fremdvergleichspreises für die Überführung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie Halbfertigerzeugnissen kommt häufig die Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 6.189 ff.) oder die Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195 ff.) zur Anwendung. Im Zusammenhang mit der Überführung von Fertigerzeugnissen (Waren) vom inländischen Stammhaus in eine ausländische Vertriebsbetriebsstätte ist danach zu differenzieren, ob eine funktionsschwache oder eine funktionsstarke Vertriebsbetriebsstätte vorliegt.

6.239

Funktionsanalyse bei Vertriebsbetriebsstätten. Im Rahmen der Funktionsanalyse werden bei verbundenen Unternehmen mit dem Vertrags- bzw. Eigenhändler, dem Kommissionär und dem Handelsvertreter drei rechtliche Gestaltungsalternativen diskutiert.1 In Bezug auf das Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ist diese Unterscheidung aufgrund der zivilrechtlichen Einheitlichkeit nicht möglich. Infolgedessen kann im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte keine Unterscheidung zwischen Handlungen im eigenen oder fremden Namen bzw. auf eigene oder fremde Rechnung vorgenommen werden.2 Hinsichtlich der Einordnung einer im Vertrieb tätigen Betriebsstätte ist im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse und der Bestimmung der maßgeblichen Personalfunktionen vielmehr zwischen einer funktionsschwachen und einer funktionsstarken Vertriebsbetriebsstätte zu unterscheiden. Beiden Ausprägungsformen einer Vertriebsfunktion liegen (idealtypisch) die folgenden Funktionen und Risiken zugrunde:

6.240

Funktionsschwache Vertriebsbetriebsstätte

Funktionsstarke Vertriebsbetriebsstätte



+

Ausstellung von Waren

+/–

+

Werbung und Kontaktpflege

+/–

+

Pre-Sales Services

+/–

+



+

Vertriebsvorbereitende Funktionen Marktforschung und -beobachtung

Preispolitik

1 Vgl. Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 6.49 ff. 2 Vgl. auch Kroppen in FS Herzig, 1071 (1088).

Ditz 475

Kap. 6 Rz. 6.241

Entstrickung und Verstrickung Funktionsschwache Vertriebsbetriebsstätte

Funktionsstarke Vertriebsbetriebsstätte

+

+

Vertrags- und Preisverhandlungen

+/–

+

Vertragsabschluss

+/–

+

Auftragsbearbeitung

+

+

Lagerhaltung/Vorratsrisiko



+

Logistik/Transport



+

Gewährleistung/Gewährleistungsrisiko



+

After Sales Services



+

Forderungsausfallrisiko



+

Fakturierung

+

+

Sonstige verwaltungsbezogene Funktionen (Controlling, Personal, Rechnungswesen etc.)

+

+

Vertriebsfunktionen Kundenakquisition

Nachgelagerte Funktionen

Administrative Funktionen

6.241 Gewinnabgrenzung bei funktionsschwachen Vertriebsbetriebsstätten. Vertriebsbetriebsstätten, die hinsichtlich ihrer Vertriebspolitik, ihrer Organisation und ihres Handlungsspielraums gegenüber dem Kunden sehr eng an das Stammhaus angebunden sind, üben Routinefunktionen aus.1 Routinefunktionen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nur mit geringen Entscheidungsbefugnissen verbunden sind, nur in geringem Umfang immaterielle Wirtschaftsgüter eingesetzt und nur geringe Risiken wahrgenommen werden. Gewöhnlicherweise werden ihnen keine Verluste, sondern regelmäßig nur geringe, dafür aber stabile Gewinne zugeordnet. Ist eine Vertriebsbetriebsstätte daher als funktionsschwach und damit – wäre sie rechtlich selbständig und unabhängig – als Routineunternehmen einzuordnen, ist ihre Vergütung in der Regel auf Basis der Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195) oder der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode (vgl. Rz. 6.203 ff.) zu ermitteln. Im Ergebnis wird in diesen Fällen der Gewinn der Vertriebsbetriebsstätte über den Gewinnaufschlag auf ihre Kosten oder eine angemessene Nettorendite auf den durch sie erwirtschafteten Umsatz bestimmt. Der Ermittlung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise für die Überführung von Waren in die Vertriebsbetriebsstätte kommt daher untergeordnete Bedeutung zu.

6.242 Gewinnabgrenzung bei funktionsstarken Vertriebsbetriebsstätten. Bei der funktionsstarken Vertriebsbetriebsstätte ist davon auszugehen, dass sie das wirtschaftliche Eigentum an den von ihr vertriebenen Waren erhält. Infolgedessen sind auch die aus der Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an den Waren resultierenden Lager- und Absatzrisiken sowie das Risiko des zufälligen Untergangs der Ware zuzuordnen. Ferner verfügt die funktionsstarke Vertriebsbetriebsstätte in der Regel über weitgehende Dispositionsbefugnisse hinsichtlich

1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.2 Buchst. a.

476

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.244 Kap. 6

der Ausgestaltung ihrer Vertriebspolitik. Diese betreffen bspw. die Bestimmung der Preispolitik, die Auswahl von lokalen Vertriebspartnern sowie die Durchführung eigener Werbekampagnen bzw. eigener Marktforschung. Die der Vertriebsbetriebsstätte zugeordneten Risiken korrespondieren dabei in der Regel mit den durch sie ausgeübten Funktionen.1 Infolgedessen ist davon auszugehen, dass ihr neben den Vorrats-, Gewährleistungs- und Auslastungsrisiken des Vertriebs auch das Forderungsausfallrisiko zuzuordnen ist. Ein wesentliches Risiko ist das Risiko zurückgehender Umsätze, die bei gleichbleibenden Fixkosten zu Verlusten führen können. Werden Waren des inländischen Stammhauses in die funktionsstarke Vertriebsbetriebsstätte ins Ausland überführt, können die Fremdvergleichspreise auf Basis der Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 6.189 ff.), der Wiederverkaufspreismethode (vgl. Rz. 6.192 ff.) oder der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode (vgl. Rz. 6.203 ff.) bestimmt werden. Die Höhe der angemessenen Gewinnmarge der Vertriebsbetriebsstätte ist dabei vom Umfang der von ihr wahrgenommenen Funktionen und Risiken sowie von weiteren Faktoren (z.B. der Existenz von Hersteller- oder Handelsmarken, Marktverhältnissen im lokalen Markt, Kostensituation der Vertriebsbetriebsstätte) abhängig. Im Ergebnis sind daher die zu Vertriebsgesellschaften (Eigenhändler) entwickelten Grundsätze der Verrechnungspreisbestimmung auch bei Vertriebsbetriebsstätten anwendbar.2 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine unabhängige Vertriebsgesellschaft auf Dauer keine Produkte vertreiben wird, mit denen sie nur Verluste erzielt. Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung bei Vertriebsbetriebsstätten sicherzustellen, dass sie auf Dauer Gewinne erwirtschaften. Die Verlustphase einer Vertriebsbetriebsstätte sollte – abgesehen von besonderen Umständen des Einzelfalls – einen Zeitraum von drei Jahren nicht überschreiten.3 d) Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnliche Vermögenswerte Entstrickung zum gemeinen Wert. Werden Beteiligungen, Finanzanlagen oder ähnliche Vermögenswerte, die als Wirtschaftsgüter qualifizieren, durch das inländische Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte überführt, sind die Entstrickungsvorschriften (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG) einschlägig. Insofern kann auf die Ausführungen zu den materiellen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens verwiesen werden (vgl. Rz. 6.219 ff.).

6.243

Zuordnung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften. Unter Berücksichtigung der funktionalen Betrachtungsweise ist nach Auffassung der Finanzverwaltung die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft der Betriebsstätte zuzuordnen, wenn die Beteiligung zur ausschließlichen Verwertung und Nutzung durch die Betriebsstätte bestimmt ist.4 Dies entspricht der Auffassung des BFH, wonach die Zuordnung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften nach Maßgabe des Kriteriums des funktionalen Zusammenhangs bzw. der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zu erfolgen habe. Im Einzelnen:5

6.244

1 Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 123. 2 Vgl. dazu Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 6.55 ff. 3 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 4 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.4.1. mit Verweis auf BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.4. 5 Vgl. auch Girlich/Philipp, Ubg 2012, 150 (153 f.); Kaeser, ISR 2012, 63 (64 ff.); Ditz/Tcherveniachki, DB 2015, 2897 ff.; Hruschka, IStR 2016, 437 ff.

Ditz 477

Kap. 6 Rz. 6.244

Entstrickung und Verstrickung

– Im BFH-Urteil vom 26.2.19921 ging es im Kern um die Frage, ob die KomplementärGmbH einer inländischen GmbH & Co. KG dem (inländischen) Betriebsstättenvermögen des zugleich als Kommanditisten beteiligten Schweizer Gesellschafters für Zwecke des DBA-Schweiz zuzuordnen ist. Diese Frage wurde durch den BFH bejaht. Denn die Komplementär-GmbH übte fast ausschließlich die Geschäftsleitung der Personengesellschaft aus, so dass das Kriterium der tatsächlichen Zugehörigkeit erfüllt sei. – Im Urteil vom 17.12.20032 hat der BFH dagegen die Zuordnung von Beteiligungen an luxemburgischen Kapitalgesellschaften (in Form von Grundstücksbesitz- und Tankstellenbetriebsgesellschaften) zu einer luxemburgischen Betriebsstätte einer geschäftsleitenden Holding-GbR verneint. Denn der Holding-GbR kam im Urteilsfall lediglich die Funktion zu, die einzelnen Arbeitsabläufe zu kontrollieren und zu koordinieren und dadurch Synergieeffekte – insbesondere beim Wareneinkauf – zu nutzen. Ihre Aufgaben waren darüber hinaus die Wahrnehmung von Personalangelegenheiten, Fragen der Preispolitik, der Werbung, der Öffentlichkeitsarbeit, des Vertriebs sowie der Unternehmensstrategie. Darin sah der BFH lediglich eine unterstützende Tätigkeit für die Kapitalgesellschaften, was für eine Zuordnung zur luxemburgischen Holding-Betriebsstätte nicht ausreiche, da hierfür die Beteiligungen tatsächlich von der Betriebsstätte hätten genutzt werden und zu deren Ergebnis hätten beitragen müssen. Auch insoweit wurde die funktionale und tätigkeitsbezogene Betrachtungsweise bestätigt. Die Entscheidung zeigt, dass bloße Hilfstätigkeiten einer Betriebsstätte nicht genügen, um ihr Beteiligungen funktional zuzuordnen. Die Schlussfolgerung, dass Beteiligungen einer Holding-Betriebsstätte grundsätzlich nicht zugeordnet werden können, kann indessen aus der Entscheidung nicht abgeleitet werden.3 Bestätigt wurde hingegen der Grundsatz, dass rechtliche Zuordnungskriterien letztlich keine Rolle spielen. – In seiner Entscheidung vom 19.12.20074 hat der BFH eine Zuordnung von Vertriebskapitalgesellschaften zu einer ausländischen (Personengesellschafts-)Betriebsstätte abgelehnt, da diese in keiner Weise eine positive Auswirkung auf die von der niederländischen Personengesellschaft (rein für die Niederlande) ausgeübten Vertriebstätigkeiten hätten und die Beteiligungserträge deshalb auch nicht als Nebenerträge zu dem Gewinn aus der Betriebsstättentätigkeit anzusehen wären. Weiterhin ging der BFH davon aus, dass die niederländische Personengesellschaft keine geschäftsleitenden Holdingfunktionen ausübe und daher die Beteiligungen auch nicht unter Veranlassungsgesichtspunkten und ihrem Funktionszusammenhang der niederländischen Personengesellschaft hätten zugeordnet werden können. Während der BFH in seinem Urteil vom 17.12.20035 in einem obiter dictum noch generelle Zweifel geäußert hat, inwieweit Beteiligungen an Kapitalgesellschaften für abkommensrechtliche Zwecke einer geschäftsleitenden Holding-Betriebsstätte zugeordnet werden können, kann aus der Entscheidung vom 19.12.20076 die Schlussfolgerung gezogen werden, dass unter Veranlassungsgesichtspunkten Kapitalgesellschaftsbeteiligungen sehr wohl einer Betriebsstätte (auch in Form einer Personengesellschaft) funktional zu-

1 2 3 4

Vgl. BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937. Vgl. BFH v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771. Vgl. dazu auch Blumers, DB 2007, 312 (314); Blumers, DB 2008, 1765 (1769). Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510 = FR 2008, 724 m. Anm. Lohmann/Rengier. 5 Vgl. BFH v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771. 6 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510 = FR 2008, 724 m. Anm. Lohmann/Rengier.

478

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.244 Kap. 6

zuordnen sind, wenn diese eine geschäftsleitende Funktion wahrnimmt und dabei eine aktive Vermögensverwaltung ausübt.1 Die vorstehenden Rechtsprechungsgrundsätze werden von der Finanzverwaltung grundsätzlich anerkannt und auf die Zuordnung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften angewendet.2 Dabei ist nach Auffassung der Finanzverwaltung ein tatsächlicher funktionaler Zusammenhang insbesondere dann anzunehmen, wenn die betreffenden Wirtschaftsgüter der Betriebsstätte nach § 1 Abs. 5 AStG und – in Bezug auf Beteiligungen an Kapitalgesellschaften – nach § 7 BsGaV der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Dazu ist auf die maßgeblichen Personalfunktionen3 abzustellen. Dies ist bei Beteiligungen an Kapitalgesellschaften gem. § 7 Abs. 1 BsGaV deren Nutzung durch die Betriebsstätte.4 Da die eigentliche Nutzung einer Beteiligung i.S. eines unmittelbaren Gebrauchs einer Beteiligung regelmäßig nicht festgestellt werden kann, gilt nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BsGaV der funktionale Zusammenhang der Beteiligung zur Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte als Nutzung. Infolgedessen stehen die Grundsätze der BsGaV im Gleichklang zu der vom BFH entwickelten funktionalen Zuordnung (vgl. Rz. 6.57). Dies entspricht auch der Auffassung der Finanzverwaltung, die davon ausgeht, dass die Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV „in Grundzügen mit der Rechtsprechung zum funktionalen Zusammenhang übereinstimmt.“5 Beispiel: Die L GmbH ist in der Entwicklung, Herstellung und dem Vertrieb von Energiesparlampen tätig. Nach der stufenweisen Abschaffung der Glühbirne erfreut sich die L GmbH einer erheblichen Nachfrage. Um diese zu decken, wurde bereits in 2009 eine Produktionsbetriebsstätte für Energiesparlampen in Ungarn gegründet. Die Produktionsbetriebsstätte agiert durch ihr lokales Management sehr selbständig und autonom. Dies gilt sowohl hinsichtlich der (Weiter-)Entwicklung der Energiesparlampen als auch im Hinblick auf die Produktpolitik sowie die Produktionssteuerung. Mithin werden die wesentlichen produktionsbezogenen Entscheidungen in der Produktionsbetriebsstätte in Ungarn getroffen. Neben der Produktionsbetriebsstätte verfügt die L GmbH seit mehr als 15 Jahren über eine Beteiligung an der ebenfalls in Ungarn ansässigen A Kft. Die A Kft. stellt Elektrokomponenten her, welche im Rahmen der Produktion der Energiesparlampen in Ungarn benötigt und eingesetzt werden. Darüber hinaus ist die A Kft. für den Vertrieb der Energiesparlampen in Osteuropa verantwortlich. Aufgrund der auch hier erheblich gestiegenen Nachfrage hat sich der Umsatz der A Kft. in den vergangenen fünf Jahren vervielfacht. Die Beteiligung der L GmbH an der A. Kft. war bisher dem inländischen Stammhaus der L GmbH zugeordnet. Hintergrund war die sog. Zentralfunktion des Stammhauses.6 Die Zuordnung der Beteiligung an der A Kft. zum inländischen Stammhaus der L GmbH wurde daher von der deutschen Finanzverwaltung im Rahmen der regelmäßig stattgefundenen Betriebsprüfungen der L GmbH nicht problematisiert. Im Rahmen der Betriebsprüfung für den VZ 2014 geht der Betriebsprüfer allerdings davon aus, dass die Beteiligung der L GmbH an der A Kft. nicht mehr dem inländischen Stammhaus, sondern der ungarischen Betriebsstätte zuzuordnen sei. Der Betriebsprüfer begründet seine Auffassung mit § 1 Abs. 5 AStG und § 7 Abs. 1 BsGaV, wonach die Beteiligung an der A Kft. nach der maßgeblichen Personalfunktion „Nutzung“ zuzuordnen ist. Die Nutzung ergebe sich dabei aus dem funktionalen Zusammenhang der Geschäftstätigkeit der A Kft. mit den in der ungarischen Produktionsbetriebsstätte ausgeübten Funktionen. Dies erscheint sachgerecht, da die Beteiligung an der A Kft. von der Produktionsbetriebsstätte in Ungarn tatsächlich genutzt wird und zu ihrem Betriebsergebnis 1 Vgl. auch Schönfeld, IStR 2008, 370 ff. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 103; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.4.1. 3 Vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 BsGaV. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 102 f. 5 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.4.1; s. auch ferner VWG BsGa, Rz. 103. 6 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. 1999, 1076, Tz. 2.4.

Ditz 479

Kap. 6 Rz. 6.245

Entstrickung und Verstrickung

beiträgt.1 Darüber hinaus werden in der Produktionsbetriebsstätte nicht nur reine Hilfstätigkeiten, sondern eine wertschöpfungsstarke Produktionstätigkeit ausgeübt.2 Im Ergebnis kommt es daher in 2014 zu einer Veränderung der Zuordnung an der A Kft. vom inländischen Stammhaus zur ungarischen Produktionsbetriebsstätte. Dies führt zu einer Überführung der Beteiligung an der A Kft., wobei der daraus resultierende fiktive Veräußerungsgewinn (§ 12 Abs. 1 KStG) nach § 8b Abs. 2 KStG zu 95 % steuerbefreit ist (vgl. Rz. 6.82 und 6.216).

2. Überführung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten von einer inländischen Betriebsstätte in ein ausländisches Stammhaus

6.245 Rechtsfolgen wie bei der Überführung von Wirtschaftsgütern vom inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte. Die Entstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG differenziert nicht zwischen unbeschränkter oder beschränkter Steuerpflicht einer natürlichen Person oder eines Körperschaftsteuersubjekts in Deutschland. Infolgedessen ist auch die Überführung eines Wirtschaftsguts aus der inländischen Betriebsstätte in das ausländische Stammhaus eines Unternehmens mit dem gemeinen Wert, d.h. dem Fremdvergleichspreis (vgl. Rz. 6.80), zu bewerten, so dass es zu einer Aufdeckung und Besteuerung der im Überführungszeitpunkt im entsprechenden Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven kommt. Diesen Rechtsfolgen kann das BFH-Urteil vom 28.10.2009 entgegengehalten werden, wonach auch nachträgliche Einkünfte der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 EStG unterliegen.3 Diese Auffassung wird von der Finanzverwaltung abgelehnt,4 so dass praktisch gesprochen von einer Entstrickung der stillen Reserven bei Überführung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen Betriebsstätte in ihr ausländisches Stammhaus auszugehen ist. Dies gilt umso mehr, als ab 2013 mit der Implementierung des AOA in § 1 AStG eine weitere Rechtsgrundlage für die Besteuerung von stillen Reserven in diesen Fällen geschaffen wurde. Im Ergebnis kann daher, was die steuerlichen Folgen der Überführung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen Betriebsstätte in ihr ausländisches Stammhaus betrifft, auf die Ausführungen zur Überführung von Wirtschaftsgütern aus einem inländischen Stammhaus in seine ausländische Betriebsstätte verwiesen werden (vgl. Rz. 6.219 ff.).

6.246 Keine Anwendung des § 4g EStG. Da der Anwendungsbereich des § 4g EStG auf unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen und Körperschaftsteuersubjekte beschränkt ist (vgl. Rz. 6.88), kommt die Bildung eines Ausgleichspostens im Zusammenhang mit der Überführung von Wirtschaftsgütern aus einer inländischen Betriebsstätte in das ausländische Stammhaus nicht in Betracht. Diese Differenzierung der Anwendung der Vorschrift danach, in welche „Richtung“ ein Wirtschaftsgut zwischen Stammhaus und Betriebsstätte überführt wird, ist unionsrechtlich problematisch (vgl. Rz. 12.26 ff.).5 3. Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

6.247 Ansatz einer fremdüblichen Pacht- oder Lizenzgebühr. Eine Überführung und infolgedessen eine Entstrickung der in einem Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven scheidet aus, wenn das Wirtschaftsgut weiterhin dem Stammhaus zuzuordnen ist, weil es durch die Be1 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510 = FR 2008, 724 m. Anm. Lohmann/Rengier. 2 Vgl. BFH v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771. 3 Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke. 4 Vgl. BMF v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278. 5 Vgl. auch Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 807.

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Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.248 Kap. 6

triebsstätte nur kurzfristig oder durch mehrere Betriebsstätten gleichzeitig genutzt wird. Einzelheiten der Abgrenzung einer Überführung von der Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts werden in Rz. 6.75 ff. und 6.171 ff. dargestellt. Nach dem Fremdvergleichsgrundsatz ist in diesen Fällen gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG zwischen Stammhaus und Betriebsstätte eine fiktive Nutzungsüberlassung und bei Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG eine fiktive Nutzungsentnahme anzunehmen, die mit dem gemeinen Wert zu bewerten ist. Im Ergebnis kommt es damit nach den Entstrickungsvorschriften zum Einsatz einer fremdüblichen Pachtoder Lizenzgebühr, die zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte bzw. inländischer Betriebsstätte und ausländischem Stammhaus zu verrechnen ist. Neben den Entstrickungsvorschriften kommt auch § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. der BsGaV zum Ansatz einer fremdüblichen Pacht- oder Lizenzgebühr, wenn eine unternehmensinterne Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern oder Vermögenswerten als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung qualifiziert (vgl. Rz. 6.172). Die Entstrickungsvorschriften führen daher zum gleichen Ergebnis wie § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. der BsGaV, wobei sie den Vorschriften des AStG vorgehen (vgl. Rz. 6.133). Beispiel: Die A GmbH hat in den Niederlanden eine Betriebsstätte. Ein Pkw des inländischen Stammhauses wird für drei Monate in der niederländischen Betriebsstätte der A GmbH und anschließend wieder im inländischen Stammhaus genutzt. Aufgrund der nur vorübergehenden Nutzung des Pkws in der niederländischen Betriebsstätte kommt es nicht zu einer Überführung des Pkws; vielmehr wird der Pkw vom inländischen Stammhaus in die niederländische Betriebsstätte zur Nutzung überlassen. Entsprechend ist eine fremdübliche Miet- oder Pachtgebühr für den Pkw zum Ansatz zu bringen, die auf Basis der Kostenaufschlagsmethode bestimmt werden kann.1 Beispiel: Ein im inländischen Stammhaus entwickeltes Patent wird sowohl durch das inländische Stammhaus als auch durch die italienische Betriebsstätte genutzt. Aufgrund der gleichzeitigen Nutzung des Patents sowohl im inländischen Stammhaus als auch in der italienischen Betriebsstätte kommt es nicht zu einer Zuordnung des Patents zur italienischen Betriebsstätte (§ 6 Abs. 1 BsGaV). Vielmehr ist das Patent weiterhin dem inländischen Stammhaus zuzuordnen und der italienischen Betriebsstätte (fiktiv) zu lizenzieren. Die fremdübliche Lizenzgebühr für die Nutzungsüberlassung des Patents kann auf Basis der Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 6.189 ff.) oder gewinnorientiert (vgl. Rz. 6.207 ff.) bestimmt werden.

Bestimmung der Lizenzgebühr nach der Preisvergleichsmethode. Zur Ermittlung einer angemessenen Lizenzgebühr ist nach dem Stufenverhältnis des § 1 Abs. 3 AStG zunächst die Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 6.187 ff.) zu prüfen.2 Der Anwendung der Preisvergleichsmethode sind im Rahmen der Ermittlung angemessener Lizenzgebühren aufgrund der Individualität und Einzigartigkeit der immateriellen Wirtschaftsgüter jedoch enge Grenzen gesetzt. Wird ein immaterielles Wirtschaftsgut sowohl unternehmensintern als auch unabhängigen Unternehmen zur Nutzung überlassen, lässt sich die Lizenzgebühr mithilfe eines inneren Preisvergleichs bestimmen. Dies ist die einfachste und zuverlässigste Art der Ermittlung angemessener Lizenzgebühren. Ein äußerer Preisvergleich orientiert sich demgegenüber an Preisen oder Vereinbarungen, die zwischen voneinander unabhängigen Dritten festgelegt werden. Ein äußerer Preisvergleich kann bspw. auf Basis einer Datenbankanalyse durchgeführt werden. Ferner gibt es zahlreiche Literaturquellen, welche branchenspezifische Lizenzsätze zusammenfassen.3 Schließlich führt das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) die sog. Lizenz1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 78. 2 Vgl. auch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 5.2.3. 3 Vgl. Böcker, StBp 1991, 79 ff.; Gross, BB 1998, 1321 ff.; Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 6.577; Engler/Gotsis in V/B/E, Verrechnungspreise4, O Rz. 574 ff.

Ditz 481

6.248

Kap. 6 Rz. 6.249

Entstrickung und Verstrickung

kartei, in welcher die von der Finanzverwaltung geprüften Lizenzverträge registriert sind. Einzellizenzsätze werden dabei dem Betriebsprüfer auf Anfrage für bestimmte Branchen mitgeteilt.1 Allerdings können die Daten der Lizenzkartei allenfalls grobe Anhaltspunkte für eine angemessene Lizenzgebühr bieten. Bindend sind sie jedenfalls für den Steuerpflichtigen nicht.2

6.249 Bestimmung der Lizenzgebühr anhand gewinnorientierter Methoden. Da sich die Preisvergleichsmethode zur Bestimmung angemessener Lizenzgebühren als wenig praktikabel erwiesen hat und ferner auch die Wiederverkaufspreismethode (vgl. Rz. 6.192 ff.) und die Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195 ff.) zur Bestimmung von Lizenzgebühren nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, ist es in der Regel erforderlich, in diesem Zusammenhang auf gewinnorientierte Methoden zurückzugreifen.3 Bei der gewinnorientierten Betrachtung steht folglich die Renditeerwartung des Lizenznehmers im Vordergrund, so dass methodisch zur Ableitung angemessener Lizenzgebühren auf die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (vgl. Rz. 6.207 ff.) abzustellen ist. Diese Methode wird in der Verrechnungspreispraxis häufig über die sog. „Knoppe-Formel“ umgesetzt.4 Danach steht dem Lizenzgeber für die zur Nutzung überlassenen immateriellen Wirtschaftsgüter ein Anteil i.H.v. 25 bis 33 1/3 % des vorkalkulierten Gewinns des Lizenznehmers aus den Lizenzprodukten ohne Berücksichtigung der Lizenzgebühr zu.5 Diese sehr pauschale Bestimmung der Lizenzgebühr nimmt keine Rücksicht auf die spezifische Funktions- und Risikoallokation zwischen Stammhaus und Betriebsstätte im Einzelfall. Vor diesem Hintergrund kann die Formel wirtschaftlich nicht gerechtfertigt werden.6 Allerdings bestätigen mittlerweile umfangreiche Studien den Gehalt der Analyse von Knoppe.7 In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Studien von Goldscheider erwähnenswert, der bereits vor Jahrzehnten die sog. „25 %-Rule“ auf Basis empirischer Untersuchungen abgeleitet hatte.8 Danach bestimmt sich eine angemessene Lizenzgebühr aus 25 % des mit dem lizenzierten immateriellen Wirtschaftsgut generierten erwarteten Gewinns. Diese Regel wurde durch eine weitere Studie bestätigt.9 Insofern ist für Verprobungszwecke einer Lizenzgebühr eine Orientierung an 25 % des Gewinns des Lizenznehmers möglich.

6.250 Betriebsausgabenabzug einer von einem ausländischen Stammhaus in die inländische Betriebsstätte abgerechneten fiktiven Lizenzgebühr. Es ist fraglich, aufgrund welcher Rechtsgrundlage der Betriebsausgabenabzug einer von einem ausländischen Stammhaus in eine inländische Betriebsstätte fiktiv abgerechneten Lizenzgebühr im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht zu erfolgen hat. Einzelheiten sind in Rz. 6.127 dargestellt.

1 Zur Zulässigkeit der Verwendung solcher anonymisierter Vergleichsdaten vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 2 Vgl. nur BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, FR 2002, 154 = BStBl. 2004, 171. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 5.2.3. 4 Vgl. Böcker, StBp 1991, 79 (80); Böcker in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 155 (169 ff.); Zech, IStR 2009, 418 (419); Ditz, IStR 2009, 421 (423). 5 Vgl. Knoppe, Die Besteuerung der Lizenz und Know-how-Verträge, 102; Knoppe, BB 1967, 1117. 6 Ebenfalls kritisch Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 733. 7 Vgl. Baumhoff/Greinert, Ubg 2009, 544 (547); Baumhoff in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 149 (158 f.); Ditz, IStR 2011, 125 (130). 8 Vgl. Goldscheider/Jaroß/Mulheren in Parr, Royalty Rates for Licencing Intellectual Property, 31; Granstrand, Les Nouvelles, 2006, 179. 9 Vgl. im Einzelnen Baumhoff/Greinert, Ubg 2009, 544 (547 f.).

482

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.252 Kap. 6

4. Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Personengesellschaft Unentgeltliche Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Personengesellschaft. Werden Wirtschaftsgüter eines im Inland ansässigen Mitunternehmers in seine ausländische Personengesellschaft unentgeltlich überführt, ist fraglich, ob die Buchwertverknüpfung des § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 i.V.m. Satz 1 EStG greift. Voraussetzung für die in dieser Norm zwingend vorgesehene Buchwertfortführung ist, dass die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist.1 In diesem Zusammenhang vertritt der BFH2 die Auffassung, dass bei einer Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Personengesellschaft (DBA-Betriebsstätte mit Freistellungsmethode) die Besteuerung der stillen Reserven an dem entsprechenden Wirtschaftsgut sichergestellt ist. Dies spricht dafür, dass die unentgeltliche Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Personengesellschaft – auf Basis des BFH-Urteil vom 17.7.2008 – grundsätzlich erfolgsneutral erfolgen kann. Allerdings wurde durch das JStG 20103 in § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG ein zweiter Halbs. eingefügt, welcher auf § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG verweist. Diese Vorschrift besagt (beispielhaft), dass ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts dann vorliegt, wenn das Wirtschaftsgut bisher einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnen war und zukünftig einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Dies ist indessen gerade bei der Überführung eines Wirtschaftsguts von einem im Inland ansässigen Mitunternehmer in seine ausländische Personengesellschaft der Fall. Gleichwohl ist der Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG umstritten (vgl. Rz. 6.58).4 Unabhängig von den bestehenden Rechtsunsicherheiten geht die Finanzverwaltung davon aus, dass bei einer Überführung eines Wirtschaftsguts aus einem inländischen Betriebsvermögen in das Gesamthandsvermögen einer ausländischen Personengesellschaft der Fremdvergleichspreis anzusetzen ist.5 Diese Vorgehensweise lässt sich dadurch rechtfertigen, dass bei einer Überführung eines Wirtschaftsguts in das Gesamthandsvermögen der ausländischen Personengesellschaft ein Rechtsträgerwechsel vorliegt. Darüber hinaus kann sich die Finanzverwaltung auf § 1 Abs. 1 AStG berufen, wenn im jeweiligen Einzelfall die Voraussetzungen einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG und einer Einkünfteminderung im Inland vorliegen. Beide Voraussetzungen sollten im Rahmen der Überführung eines Wirtschaftsguts eines im Inland ansässigen Mitunternehmers in seine ausländische Personengesellschaft i.d.R. erfüllt sein.

6.251

Überführung in das ausländische Betriebsvermögen des Gesellschafters. Wird ein Wirtschaftsgut aus dem Gesamthandsvermögen oder dem Sonderbetriebsvermögen einer inländischen Personengesellschaft unentgeltlich in das ausländische Betriebsvermögen des Gesellschafters überführt, gelten die in der vorstehenden Rz. 6.251 dargestellten Grundsätze korrespondierend. Die Finanzverwaltung weist ausdrücklich darauf hin, dass die Zuordnung

6.252

1 2 3 4

Vgl. § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG. Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149. Vgl. JStG v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. Vgl. Girlich/Philipp, Ubg 2012, 150 (157); Richter/Heydt, Ubg 2011, 172 (174 ff.); Musil, FR 2011, 545 (550) sowie Micker, IWB 2011, 714 ff.; Mitschke, FR 2011, 706; FG Köln v. 16.2.2016 – 10 K 2335/11, Juris, zu der Frage der verfassungsrechtlichen Rückwirkung des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und des § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG. 5 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.4; v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005 – DOK 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671 und v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578, BStBl. I 2011, 1278; v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888.

Ditz 483

Kap. 6 Rz. 6.253

Entstrickung und Verstrickung

von Wirtschaftsgütern in das Sonderbetriebsvermögen einer Personengesellschaft nicht Gegenstand des § 1 Abs. 5 AStG ist.1

6.253 Überführung in eine inländische Personengesellschaft. Im Zusammenhang mit der Überführung von Wirtschaftsgütern aus dem Betriebsvermögen eines im Ausland ansässigen Mitunternehmers in das Gesamthands- bzw. Sonderbetriebsvermögen einer inländischen Personengesellschaft ist die Frage der Gewinnrealisierung nach ausländischem Recht zu beantworten. Hinsichtlich der Frage des Wertansatzes bei der inländischen Personengesellschaft ist § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG einschlägig. Danach ist das entsprechende Wirtschaftsgut mit dem gemeinen Wert (Fremdvergleichspreis)2 zu bewerten, wenn durch die Überführung das Besteuerungsrecht Deutschlands an dem entsprechenden Wirtschaftsgut begründet wird. Dies ist dann der Fall, wenn das Wirtschaftsgut von einem in einem DBA-Staat ansässigen Gesellschafter in die inländische Personengesellschaft überführt wird. Ist der Gesellschafter hingegen in einem Nicht-DBA-Staat ansässig, greift § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG nicht, so dass bei der inländischen Personengesellschaft der Buchwert des entsprechenden Wirtschaftsguts fortzuführen ist. Allerdings kann im letztgenannten Fall auch von einer Einlage gem. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 1 EStG ausgegangen werden, wenn man die inländische Personengesellschaft als eigenständigen Betrieb ansieht.

6.254 Überführung von Wirtschaftsgütern gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten. Eine Überführung eines Wirtschaftsguts gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten liegt vor, wenn die durch die Überführung des Wirtschaftsguts veranlasste Vermögensmehrung der Personengesellschaft ausschließlich dem Kapitalkonto des einbringenden Gesellschafters zugeschrieben wird. Dabei muss es sich um das Kapitalkonto handeln, das für die Beteiligung des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen maßgebend ist. Bei einer solchen Einbringung von Wirtschaftsgütern gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten handelt es sich grundsätzlich um einen tauschähnlichen und damit entgeltlichen Vorgang,3 für den jedoch gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zwingend eine Buchwertfortführung vorgesehen ist. Die Frage geht allerdings dahin, ob bei einer Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Personengesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten „die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt“ ist.4 Hierzu kann auf die Ausführungen in Rz. 6.251 verwiesen werden. § 1 Abs. 1 AStG ist hingegen nicht einschlägig. Dies deswegen, weil die Beteiligung am Eigenkapital der Personengesellschaft nicht unter den Begriff der Geschäftsbeziehung fällt.

6.255 Veräußerung an eine ausländische Personengesellschaft. Soweit Wirtschaftsgüter von einem Gesellschafter an seine Personengesellschaft entgeltlich überführt (d.h. verkauft) werden, ist nach der Rspr. des BFH zu beachten, dass die Personengesellschaft als Gemeinschaft zur gesamten Hand (§ 719 BGB) mit eigener Rechtszuständigkeit ausgestattet ist und die Personengesellschaft die Fähigkeit hat, nach Außen als Einheit aufzutreten (§§ 124, 161 Abs. 2 HGB).5 Die Veräußerung eines Wirtschaftsguts von dem Gesellschafter an die Gesellschaft stellt damit zivilrechtlich einen Wechsel der Rechtszuständigkeit dar, so dass diese als Veräußerung zu behandeln ist. Die daraus resultierende Leistungsaustauschbeziehung führt folglich im Zeitpunkt der Veräußerung des Wirtschaftsguts zu einem Gewinn bzw. Verlust in Höhe der Dif1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Rz. 18. Vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG. Vgl. BMF v. 7.6.2001 – IV A 6 - S 2241-52/01, BStBl. I 2001, 367. Vgl. § 6 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. Satz 1 EStG. Vgl. BFH v. 28.1.1976 – I R 84/74, BStBl. II 1976, 744; v. 25.11.1980 – VIII R 32/77, BStBl. II 1981, 419 = FR 1981, 244.

484

Ditz

A. Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Vermögenswerten

Rz. 6.257 Kap. 6

ferenz zwischen dem Veräußerungspreis und dem Buchwert des Wirtschaftsguts. Auf Ebene des veräußernden Gesellschafters liegt daher ein Veräußerungs- und auf Ebene der erwerbenden Personengesellschaft ein Anschaffungsvorgang vor. Dies gilt sowohl für den Bereich des Anlage- wie auch für den Bereich des Umlaufvermögens.1 Werden im Rahmen des Veräußerungsgeschäfts zwischen dem Gesellschafter und der ausländischen Personengesellschaft unangemessene (Verrechnungs-)Preise vereinbart, kommt eine Korrektur des entsprechenden Verrechnungspreises gem. § 1 AStG in Betracht. Dies setzt allerdings voraus, dass die unangemessene Preisgestaltung zu einer Einkunftsminderung im Inland führt und darüber hinaus eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG zur ausländischen Personengesellschaft vorliegt. Der AOA gem. § 1 Abs. 5 AStG ist insoweit nicht anwendbar. Veräußerung an einen im Ausland ansässigen Gesellschafter. § 1 Abs. 1 AStG ist ferner einschlägig, wenn eine inländische Personengesellschaft Wirtschaftsgüter zu einem unangemessen niedrigen (Verrechnungs-)Preis an ihren im Ausland ansässigen Gesellschafter veräußert. Mangels Einkünfteminderung im Inland ist § 1 Abs. 1 AStG dagegen nicht anwendbar, wenn ein Wirtschaftsgut zu einem unangemessen hohen (Verrechnungs-)Preis von der inländischen Personengesellschaft an ihren ausländischen Gesellschafter veräußert wird.

6.256

Nutzungsüberlassung an eine ausländische Personengesellschaft. Wird ein (materielles oder immaterielles) Wirtschaftsgut eines inländischen Gesellschafters an seine ausländische Personengesellschaft zur Nutzung überlassen, ist das entsprechende Wirtschaftsgut dem Sonderbetriebsvermögen gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zuzuordnen. Erfolgt die Nutzungsüberlassung unentgeltlich bzw. zu einem unangemessen geringen Nutzungsentgelt, sind die Entstrickungsregelungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 KStG anzuwenden. Beide Vorschriften sehen prinzipiell eine Entstrickung bei dem Ausschluss oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Nutzung eines Wirtschaftsguts vor;2 allerdings ist fraglich, ob nach dem Wortlaut der Vorschriften in Bezug auf die Nutzungsüberlassung das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland weder ausgeschlossen noch eingeschränkt werden kann (vgl. zu Einzelheiten Rz. 6.75 ff.). Neben den Entstrickungsvorschriften ist im Zusammenhang mit einer unentgeltlichen Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern bzw. deren verbilligten Nutzungsüberlassung § 1 Abs. 1 AStG zu beachten. Eine Einkünftekorrektur kommt nach dieser Vorschrift allerdings nur dann in Betracht, wenn zwischen dem inländischen Gesellschafter und der ausländischen Personengesellschaft eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG vorliegt. Dies setzt voraus, dass die Nutzungsüberlassung schuldrechtlich vereinbart wurde und damit nicht auf gesellschaftsvertraglichen Regelungen basiert. Darüber hinaus kommt eine Anwendung des § 1 AStG nur in Betracht, wenn die inländischen Einkünfte des Gesellschafters gemindert wurden. Liegt das Besteuerungsrecht an dem als Sonderbetriebseinnahme zu qualifizierenden Nutzungsentgelt hingegen beim Ausland, kann – trotz Vereinbarung eines unangemessenen Nutzungsentgelts – keine Einkünfteminderung im Inland vorliegen. § 1 AStG ist folglich in diesem Fall nicht einschlägig auch nicht § 1 Abs. 5 AStG). Zu diesem Ergebnis kann insbesondere die Anwendung des § 50d Abs. 10 EStG führen: Diese Vorschrift gilt grundsätzlich auch für den OutboundFall, d.h. für Sondervergütungen, die von einer ausländischen Personengesellschaft an den inländischen Mitunternehmer geleistet und folglich als Unternehmensgewinne umqualifiziert werden. Stellt das einschlägige DBA Betriebsstättengewinne steuerfrei, hätte Deutschland – jedenfalls nach der am Gesetzeszweck orientierten Auslegung durch die Finanzverwaltung – kein Besteuerungsrecht. Mit der Zuordnung der Sondervergütungen zum Ausland kann es

6.257

1 Vgl. BFH v. 9.2.1978 – IV R 85/77, BStBl. II 1979, 111. 2 Vgl. zu Einzelheiten Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101; Wassermeyer, IStR 2008, 176 (178 f.).

Ditz 485

Kap. 6 Rz. 6.258

Entstrickung und Verstrickung

in diesem Fall dann auch nicht zu einer Einkünfteminderung i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG im Inland kommen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 50d Abs. 9 EStG.

6.258 Nutzungsüberlassung an eine inländische Personengesellschaft. Einkünftekorrekturen aufgrund einer unentgeltlichen Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts eines im Ausland ansässigen Gesellschafters an seine inländische Personengesellschaft ergeben sich grundsätzlich nach ausländischem Recht. Das Gleiche gilt für die Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts zu einem unangemessen geringen Entgelt. In beiden Fällen kommt eine Berücksichtigung eines „fiktiven Aufwands“ (verstanden als fiktive Nutzungseinlage) bei der inländischen Personengesellschaft nicht in Betracht. Denn § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG stellt explizit nur auf den Gewinn „aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts“ ab. Im Übrigen ist auch § 1 Abs. 1 AStG nicht einschlägig, da es an einer „Einkünfteminderung“ aufgrund unangemessener Verrechnungspreise bei der inländischen Personengesellschaft fehlt. Allerdings kann sich eine entsprechende Rechtsgrundlage aus dem Abkommensrecht ergeben (vgl. Rz. 6.131).

B. Verstrickung von Wirtschaftsgütern I. Inhalt und konzeptionelle Grundlagen 6.259 Finale Einlagelehre. In Analogie zur finalen Entnahmetheorie entsprach es der bisherigen Auffassung des BFH, bei Überführung eines Wirtschaftsguts aus einer ausländischen Betriebsstätte in das inländische Stammhaus von einer Einlage auszugehen. Die finale Entnahmetheorie hat der BFH inzwischen aufgegeben (vgl. Rz. 6.14), was auch den spiegelbildlichen finalen Einlagebegriff obsolet macht.1 Die Finanzverwaltung hatte bislang nur dann eine Einlage angenommen, wenn nach dem DBA der beteiligten Staaten für diese (ausländische) Betriebsstätte die Freistellungsmethode anzuwenden ist.2 Mit dem SEStEG vom 13.12.2006 hat der Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG eine allgemeine Verstrickungsregelung kodifiziert. Diese korrespondiert grundsätzlich mit dem allgemeinen Entstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. der spezialgesetzlichen Regelung des § 12 Abs. 1 KStG.3

6.260 Allgemeiner Verstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2. Nach § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG steht die Begründung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts einer Einlage gleich, d.h., dass die Begründung des deutschen Besteuerungsrechts zu einer Verstrickung der dem Wirtschaftsgut innewohnenden stillen Reserven führt.4 Dieser allgemeine Verstrickungstatbestand rekurriert auf die Einlage nach § 4 Abs. 1 Satz 8. Halbs. 1 EStG. Demnach sind Einlagen alle Wirtschaftsgüter (Bareinzahlungen und sonstige Wirtschaftsgüter), die der Steuerpflichtige dem Betrieb zugeführt hat. Die Bewertung der fiktiven Einlage erfolgt – unabhängig von der Bewertung des Wirtschaftsguts im Ausland – mit dem gemeinen Wert,5 d.h. dem Fremdver1 Vgl. nur Musil in H/H/R, § 4 EStG Anm. 295 f., 321; Ehmke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1055. 2 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 2076, Tz. 2.6.2. 3 Vgl. Herbst, Die Entstrickung stiller Reserven, 2010, 168; Hölscher, Die grenzüberschreitende Verlegung der Geschäftsleitung, 2012, 167; Nöcker in Bordewin/Brandt, § 4 EStG Rz. 480; Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 513; Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 321; Körner, IStR 2009, 741. 4 Vgl. Herbst, Die Entstrickung stiller Reserven, 2010, 168. 5 Vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG. Die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers, im Rahmen der neuen Verstrickungsregeln eine Anknüpfung an den Wertansatz im Ausland vorzuschreiben, wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens fallen gelassen.

486

Ditz

B. Verstrickung von Wirtschaftsgütern

Rz. 6.264 Kap. 6

gleichspreis (vgl. Rz. 6.80).1 Nach Auffassung des Gesetzgebers liegt eine „Begründung“ des deutschen Besteuerungsrechts vor, wenn ein Wirtschaftsgut aus einer Freistellungsbetriebsstätte in das deutsche Stammhaus überführt wird.2 Anwendbarkeit für Körperschaften. Das KStG kennt keine körperschaftsteuerliche Spezialregelung, die an Stelle des § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG gelten würde, d.h., anders als bei § 12 Abs. 1 KStG, der für Fälle der Entstrickung § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG vorgeht, existiert für Fälle der Verstrickung keine Regelung, die § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG überlagern würde. Mithin gilt die Verstrickungsregelung des § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG über § 8 Abs. 1 KStG auch für Körperschaften.3

6.261

Zeitliche Anwendung. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG ist – wie die im Rahmen des SEStEG eingeführten Entstrickungsregeln – erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2005 enden.4

6.262

II. Tatbestandsvoraussetzungen Fingierte Einlage. Wird das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland an dem Gewinn aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts begründet, so fingiert § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2. EStG eine Einlage dieses Wirtschaftsguts. Die fiktive Einlage wird also von der Rechtsfolge, der Begründung des deutschen Besteuerungsrechts, her definiert. Dies impliziert zwei gemeinsam zu erfüllende Tatbestandsvoraussetzungen: Es darf zunächst kein deutsches Besteuerungsrecht an dem betreffenden Wirtschaftsgut bestanden haben. Ein solches Besteuerungsrecht muss erstmals entstehen.5 Konkret kommt es demnach zu einer Verstrickung, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger Wirtschaftsgüter aus einer ausländischen Freistellungsbetriebsstätte oder wenn ein beschränkt Steuerpflichtiger Wirtschaftsgüter aus seiner ausländischen (Anrechnungs- oder Freistellungs-) Betriebsstätte bzw. dem ausländischen Stammhaus in eine inländische Betriebsstätte überführt. Zudem kann es zu einer Verstrickung kommen, wenn bei Zuzug eines Steuerpflichtigen Wirtschaftsgüter dem inländischen Stammhaus zuzuordnen sind.6 Der Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG erstreckt sich neben einzelnen Wirtschaftsgütern auch auf Sachgesamtheiten.7

6.263

Keine Verstrickung bei Erstarken des deutschen Besteuerungsrechts. Während § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG wie auch § 12 Abs. 1 KStG nicht nur bei Ausschluss, sondern auch bei Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts von einer Entstrickung ausgehen (vgl. Rz. 6.69 ff.), hat der Gesetzgeber im § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG darauf verzichtet, bei einem Erstar-

6.264

1 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.2. 2 Zu weiteren denkbaren Fällen vgl. Frotscher, § 4 EStG Rz. 426; Förster, DB 2007, 72 (76). 3 Vgl. nur Rengers in Blümich, § 8 KStG Rz. 46; Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, § 4 EStG Rz. 293; s. auch R 32 Abs. 1 Nr. 1 KStR. 4 Vgl. auch Ehmke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1055. 5 Vgl. nur Musil in H/H/R, § 4 EStG Anm. 322. 6 Vgl. Herbst, Die Entstrickung stiller Reserven, 2010, 168 f.; Förster, DB 2007, 76 m.w.N.; Stöcker in Korn, § 4 EStG Rz. 313; Meurer in Lademann, § 4 EStG Rz. 410a; Hallerbach in Kanzler/Kraft/ Bäuml, § 4 EStG Rz. 326. 7 Vgl. Bode in Kirchhof16, § 4 EStG Rz. 111; Körner, IStR 2009, 745 f.; Dötsch/Pung, DB 2006, 2651.

Ditz 487

Kap. 6 Rz. 6.265

Entstrickung und Verstrickung

ken des deutschen Besteuerungsrechts ebenfalls von einer Verstrickung auszugehen.1 Laut Gesetzesbegründung ist „der Wechsel von einem eingeschränkten zu einem uneingeschränkten Besteuerungsrecht (z.B. ein bisher der DBA-Anrechnungsmethode unterliegendes Wirtschaftsgut wird in die unbeschränkte Steuerpflicht überführt) nicht als Einlage zu behandeln, da das Wirtschaftsgut bereits steuerverstrickt war.“2 In diesen Fällen ist daher der Buchwert des Wirtschaftsguts fortzuführen; es kommt nicht zu einem „Step-up“ auf den Fremdvergleichspreis. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG betrifft somit nur die erstmalige steuerliche Erfassung eines Wirtschaftsguts.3 Die Vorschrift ist somit enger als die korrespondierenden Entstrickungsvorschriften des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 KStG ausgestaltet, was einen insoweit systemischen Bruch darstellt.4

6.265 Zuordnung eines Wirtschaftsguts als Voraussetzung. Voraussetzung einer Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG ist, dass das Wirtschaftsgut dem inländischen Stammhaus unter funktionalen Gesichtspunkten zuzuordnen ist. Dabei ist – wie bei § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG – auf das Prinzip der funktionalen Zugehörigkeit abzustellen, wobei hilfsweise auf die Regelungen der BsGaV (Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach den maßgeblichen Personalfunktionen) abgestellt werden kann.5 Einzelheiten sind in Rz. 6.53 ff. dargestellt.

6.266 Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG bei Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG findet bei Wirtschaftsgütern des Anlage- und des Umlaufvermögens Anwendung. Die Vorschrift kann allerdings nur dann einschlägig sein, wenn das Wirtschaftsgut des Anlage- oder Umlaufvermögens dem inländischen Stammhaus zuzuordnen ist. Beispiel: Die im Inland ansässige A GmbH unterhält in Italien eine Produktionsbetriebsstätte, die völlig selbständig Holzbearbeitungsmaschinen herstellt. Das inländische Stammhaus ist im Rahmen des Vertriebs der Holzbearbeitungsmaschinen in Deutschland lediglich als funktionsschwache Vertriebsbetriebsstätte (vgl. Rz. 6.240) involviert. Die Holzbearbeitungsmaschinen werden in der italienischen Betriebsstätte produziert und dann unmittelbar an die deutschen Kunden (Schreinereien und Maschinenhändler) ausgeliefert. Infolgedessen können die aus der italienischen Produktionsbetriebsstätte nach Deutschland gelieferten Maschinen nicht dem deutschen Stammhaus zugeordnet werden; es kommt nicht zu einer Verstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG, da die Holzbearbeitungsmaschinen (Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens) dem Stammhaus nicht zuzuordnen sind. Vielmehr agiert das Stammhaus als reiner Vertriebsdienstleister, so dass ihm lediglich eine für die erbrachten vertriebsunterstützenden Leistungen Vergütung zusteht. Diese ist als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 AStG (Dienstleistungserbringung) nach der Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195 ff.) abzurechnen.

6.267 Verstrickung eines Wirtschaftsguts. Ausdrückliche Tatbestandsvoraussetzung des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG ist die Begründung des inländischen Besteuerungsrechts am Gewinn aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts. Gegenstand der Überführung muss somit (mindes1 Vgl. Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1486; Musil in H/H/R, § 4 EStG Anm. 321; Herbst, Die Entstrickung stiller Reserven, 2010, 169 m.w.N.; Heinicke in Schmidt36, § 4 EStG Rz. 334; Meurer in Lademann, § 4 EStG Rz. 410b. 2 BT-Drucks. 16/2710, 28. 3 Vgl. Stöcker in Korn, § 4 EStG Rz. 314. 4 Vgl. Musil in H/H/R, § 4 EStG Anm. 321 f.; Benecke/Schnitger, IStR 2006, 767; Bode in Kirchhof16, § 4 EStG Rz. 110; Stöcker in Korn, § 4 EStG Rz. 314; a.A. Meurer in Lademann, § 4 EStG Rz. 410b. 5 So wohl auch VWG BsGa, Rz. 20 Fall (4).

488

Ditz

B. Verstrickung von Wirtschaftsgütern

Rz. 6.269 Kap. 6

tens) ein Wirtschaftsgut sein. Ob dieses Wirtschaftsgut hingegen bislang bilanziert worden ist, ist für Zwecke des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG ohne Belang. In diesem Zusammenhang ist fraglich, wie bei der Überführung von selbstgeschaffenen immateriellen Wirtschaftsgütern aus einer ausländischen Freistellungsbetriebsstätte in das Inland zu verfahren ist. § 5 Abs. 2 EStG könnte in diesen Fällen eine Aktivierung im Inland entgegenstehen. Allerdings bedient sich der Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG der Fiktion einer Einlage. Daher gilt konsequenterweise der für die Einlage von selbstgeschaffenen immateriellen Wirtschaftsgütern entwickelte Grundsatz, dass die Einlagevorschriften dem Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 EStG vorgehen.1 Infolgedessen ist z.B. ein von einer ausländischen Betriebsstätte entwickeltes Patent, das in das inländische Stammhaus überführt wird, bei diesem mit dem Fremdvergleichspreis zu aktivieren und abzuschreiben. Die Aktivierung zum Fremdvergleichspreis ist unabhängig von der Besteuerung (oder Nichtbesteuerung) der stillen Reserven im Ausland. Keine Verstrickung von Vermögenswerten. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG bezieht sich ausdrücklich auf die Verstrickung eines Wirtschaftsguts. Erforderlich ist, dass die Tatbestandsvoraussetzungen eines Wirtschaftsguts erfüllt sind, d.h., die betreffende Position muss einzeln bewertbar sein und entweder einzeln oder zusammen mit dem Betrieb übertragen werden können.2 Vermögenswerte i.S.d. § 2 Abs. 6 Satz 1 BsGaV umfassen indes neben Wirtschaftsgütern auch sog. Vorteile (vgl. Rz. 6.157 ff.). Zudem bestimmt § 2 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 BsGaV, dass zu den Vermögenswerten u.a. immaterielle Werte einschließlich immaterieller Wirtschaftsgüter gehören. Schließlich soll es ausweislich der Verordnungsbegründung für die Definition von Vermögenswerten i.S.d. BsGaV ausdrücklich nicht auf deren Bilanzierbarkeit ankommen (Rz. 6.157).3 Vor diesem Hintergrund erfüllt ein Vermögenswert in diesem Sinne nicht (zwingend) die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG. Vielmehr kommt die Einlagefiktion des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG nur bei Wirtschaftsgütern zum Tragen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach dem Fremdvergleichsgrundsatz Vermögenswerte regelmäßig die Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts erfüllen müssen. Vor diesem Hintergrund sind keine Vermögenswerte denkbar, die nicht die Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts erfüllen (vgl. Rz. 6.160).

6.268

Verstrickung von Betrieben und Teilbetrieben. Während das EStG mit § 16 Abs. 3a EStG eine Entstrickungsnorm kennt, die unter Verweis auf § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG Rechtsfolgen an die Entstrickung von Betrieben oder Teilbetrieben knüpft (vgl. Rz. 6.99 ff.), existiert keine solche Regelung für die Verstrickung von Betrieben oder Teilbetrieben. Aber auch die Begründung des inländischen Besteuerungsrechts am Gewinn aus der Veräußerung einer Sachgesamtheit (i.S. einer Mehrzahl von Wirtschaftsgütern) fällt unter den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG.4 Unklar ist, ob es hierbei auch zur Verstrickung des Geschäfts- oder Firmenwerts kommen kann;5 da dieser nicht einzeln veräußerbar ist, könne er keinen gemeinen Wert haben.6 Ungeachtet der Frage, ob der Geschäfts- oder Firmenwert aber einen gemeinen Wert haben kann, stellt er nach der hier vertretenen Auffassung ein – zumindest im Rahmen einer Sachgesamtheit – verstrickungsfähiges Wirtschaftsgut dar.7 Zudem lässt sich der gemeine Wert des Geschäfts- und Firmenwerts – indirekt – aus der Diffe-

6.269

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = FR 1988, 160. Vgl. nur Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 304 ff. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 49. Vgl. Körner, IStR 2009, 745 f. Zustimmend Körner, IStR 2009, 746; zweifelnd Korn/Stahl in Korn, § 6 EStG Rz. 427.3. Vgl. Korn/Stahl in Korn, § 6 EStG Rz. 410.5. Vgl. auch Förster, DB 2007, 74.

Ditz 489

Kap. 6 Rz. 6.270

Entstrickung und Verstrickung

renz des gemeinen Werts aller Wirtschaftsgüter eines (Teil-)Betriebs und der Summe der gemeinen Werte aller seiner Wirtschaftsgüter ermitteln.1

6.270 Keine Nutzungsverstrickungen. Die fingierte Einlage des § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG ist nicht vollkommen parallel zum Entstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG ausgestaltet. Während dort als Entnahme neben „Barentnahmen, Waren, Erzeugnisse“ auch „Nutzungen und Leistungen“ definiert werden, versteht § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 1 EStG unter einer Einlage lediglich „Bareinzahlungen und sonstige Wirtschaftsgüter“. Eine Aufnahme von Nutzungen und Leistungen in § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG ist bewusst unterblieben, d.h., Nutzungen und Leistungen sind nicht „verstrickungseinlagefähig“.2 Eine Verstrickung liegt daher nicht vor, wenn ein Wirtschaftsgut zur Nutzung im Inland überlassen wird bzw. wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Nutzung eines Wirtschaftsguts begründet wird. Es handelt sich insoweit um einen weiteren systematischen Bruch, der wohl aus der Sorge vor diesbezüglichem Missbrauch zu erklären ist.3 Der gewinnmindernde Abzug einer (fiktiven) Nutzungsvergütung scheidet daher nach § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG aus; er ergibt sich indessen aus der Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 oder 2010 nachgebildeten Abkommensnorm (vgl. Rz. 6.131).4

6.271 Verstrickung bei Funktionsverlagerungen. Zu einer Verstrickung von Wirtschaftsgütern kann es auch im Rahmen von Funktionsverlagerungen aus einer ausländischen Betriebsstätte in ihr inländisches Stammhaus oder aus dem ausländischen Stammhaus in seine inländische Betriebsstätte kommen. Einzelheiten dazu sind in Rz. 6.291 dargestellt.

III. Rechtsfolgen 6.272 Erfassung als Einlage zum gemeinen Wert. Die fiktive Einlage ist – korrespondierend zu den Entstrickungsvorschriften (vgl. Rz. 6.80) – gem. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG mit dem gemeinen Wert, d.h. dem Fremdvergleichspreis – zu bewerten.5 Die Bewertung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG hat Vorrang vor § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG, wonach Einlagen grundsätzlich mit dem Teilwert zu bewerten sind.6 Der Fremdvergleichspreis ist auch für Zwecke der fiktiven Einlage nach den klassischen und gewinnorientierten Methoden der Verrechnungspreisermittlung zu bestimmen (vgl. Rz. 6.187 ff.).

6.273 Kein Anknüpfen an ausländischen Entstrickungswert. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG sind Wirtschaftsgüter im Fall der Verstrickung gem. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG zwingend mit dem gemeinen Wert einzulegen. Ausweislich der Gesetzesbegründung sind „die Wirtschaftsgüter […] unabhängig von der steuerlichen Behandlung im abgebenden Staat mit dem gemeinen Wert anzusetzen“,7 d.h., die steuerliche Behandlung im Herkunftsstaat bzw. der dort ggf. anzusetzende „Entstrickungswert“ ist insoweit unbeachtlich.8 Dies soll nach Auffassung des Gesetzgebers geeignet sein, einen Anreiz zu schaffen, „Wirtschaftsgüter nach Deutschland zu ver1 2 3 4 5

Vgl. Körner, IStR 2009, 746, 748. Vgl. Hruschka, StuB 2006, 590. Vgl. Benecke/Schnitger, IStR 2006, 767; Förster, DB 2007, 76; Dötsch/Pung, DB 2006, 2651. Vgl. VWG BsGa, Rz. 21; Herbst, Die Entstrickung stiller Reserven, 2010, 169 m.w.N. A.A. Hruschka, StuB 2006, 588, der von einem Vorrang des § 6 Abs. 5 EStG und mithin bei dessen Anwendbarkeit von einem zwingenden Buchwertansatz ausgeht. 6 Vgl. Ehmke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1055. 7 BT-Drucks. 16/2710, 28. 8 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20 Fall (4); Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1486; Förster, DB 2006, 76; Stöcker in Korn, § 4 EStG Rz. 316; Körner, IStR 2009, 745; s. auch Benecke/Schnitger, IStR 2006, 766 Fn. 23, zum Vorentwurf, der noch ein Anknüpfen an den Entstrickungswert vorsah.

490

Ditz

B. Verstrickung von Wirtschaftsgütern

Rz. 6.275 Kap. 6

lagern und hier produktiv einzusetzen“.1 Aus dem Ansatz mit dem gemeinen Wert können sich – abhängig von der steuerlichen Behandlung im abgebenden Staat – Verwerfungen ergeben.2 So kann es bei einer fehlenden Entstrickung im ausländischen Staat zu einem steuerfreien – potentiell abschreibungsfähigen – „Step-up“ kommen. Liegt der ausländische Entstrickungswert indes über dem gemeinen Wert, resultiert daraus eine Doppelbesteuerung.3 Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist in Zweifelsfällen der ausländische Staat über den Vorgang und seine steuerlichen Auswirkungen zu informieren, damit im Ausland ggf. die erforderlichen Konsequenzen gezogen werden können.4 Bilanzielle Behandlung. Nach § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG soll die Verstrickung durch Begründung des deutschen Besteuerungsrechts der Einlage gem. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 1 EStG gleichstehen. Mithin gelten – soweit für die Verstrickung keine spezialgesetzlichen Regelungen existieren – die Rechtsfolgen der Einlage gem. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 1 EStG entsprechend. Dies hat zur Folge, dass im Wege der Verstrickung mit dem gemeinen Wert zu bilanzierende Einlagen gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich auszuscheiden sind.5 Zudem unterliegt die Folgebewertung der nunmehr im Inland steuerverstrickten Wirtschaftsgüter den allgemeinen Grundsätzen.6 Mithin sind Wirtschaftsgüter des abnutzbaren Anlagevermögens mit ihren fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG, andere Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusetzen.

6.274

Beispiel: Die in Deutschland ansässige XY AG unterhält in den Niederlanden (Freistellungs-DBA) eine Produktionsbetriebsstätte. Dieser Betriebsstätte ist u.a. eine Verpackungsmaschine (Wirtschaftsgut des Anlagevermögens) zugeordnet. Die XY AG beabsichtigt, die Verpackungsmaschine künftig dauerhaft in ihrem deutschen Stammhaus einzusetzen und überführt diese ins Inland. Der gemeine Wert der Verpackungsmaschine beträgt im Überführungszeitpunkt – wie sich unzweifelhaft aus den Marktpreisen vergleichbarer gebrauchter Verpackungsmaschinen ableiten lässt – 500.000 Euro. Die XY AG schätzt die Restnutzungsdauer der Verpackungsmaschine auf acht Jahre. Lösung: Bei der Verpackungsmaschine handelt es sich um ein Wirtschaftsgut. Durch die Überführung der Verpackungsmaschine aus der niederländischen Betriebsstätte in das deutsche Stammhaus der XY AG wird das inländische Besteuerungsrecht an diesem Wirtschaftsgut begründet. Mithin sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG erfüllt. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG ist die Verpackungsmaschine im Überführungszeitpunkt mit ihrem gemeinen Wert i.H.v. 500.000 Euro zu bewerten. Die Folgebewertung der Verpackungsmaschine erfolgt nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Zu diesem Zweck ist die jährliche AfA nach § 7 Abs. 1 Satz 1, 2 EStG zu bestimmen; diese beträgt 500.000 Euro/acht Jahre betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer, also 62.500 Euro p.a.

Sofortabschreibung und Teilwertabschreibung. Die Sofortabschreibung für geringwertige Wirtschaftsgüter gem. § 6 Abs. 2 EStG ist grundsätzlich auch im Fall der Verstrickung gem. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG anwendbar.7 Sofern die Voraus1 BT-Drucks. 16/2710, 27. 2 Vgl. Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, § 6 EStG Rz. 777. 3 Vgl. Dötsch/Pung, DB 2006, 2651; Bode in Kirchhof16, § 4 EStG Rz. 111; Hölscher, Die grenzüberschreitende Verlegung der Geschäftsleitung, 2012, 168. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20 Fall (4). 5 Vgl. nur Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 20; s. auch Prinz, FR 2010, 919 ff. 6 Vgl. Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, § 6 EStG Rz. 777; Nöcker in Bordewin/Brandt, § 6 EStG Rz. 1/793. 7 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28; Förster, DB 2007, 76; Herbst, Die Entstrickung stiller Reserven, 2010, 170; Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, § 6 EStG Rz. 777.

Ditz 491

6.275

Kap. 6 Rz. 6.276

Entstrickung und Verstrickung

setzungen hierfür erfüllt sind, d.h., sofern der Teilwert des nach § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG im Inland steuerverstrickten Wirtschaftsguts dauerhaft unter dem gemeinen Wert liegt, ist gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 Satz 2 EStG eine Teilwertabschreibung vorzunehmen.1 Fortführung des Beispiels: Zwei Jahre nach Überführung der Verpackungsmaschine in das inländische Stammhaus stellt die XY AG die Produktion der Produktgruppe, für welche die Verpackungsmaschine genutzt wird, ein. Für eine alternative Nutzung (z.B. Verpackung anderer Produktgruppen) kommt die Verpackungsmaschine nicht in Betracht; eine Veräußerung an fremde Dritte ist nicht möglich. Lösung: Zum Bilanzstichtag ist die Verpackungsmaschine nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, 3 EStG auf ihren Teilwert abzuschreiben. Dieser entspricht im vorliegenden Beispiel dem Schrottwert.

6.276 Auflösung des Ausgleichspostens bei Rückführung. Wird ein Wirtschaftsgut, das zuvor aus dem Inland ins Ausland überführt worden ist und für das gem. § 4g Abs. 1 EStG ein Ausgleichsposten gebildet wurde, innerhalb des Fünfjahreszeitraums ins Inland zurückgeführt, so ist der Ausgleichsposten gem. § 4g Abs. 3 EStG in vollem Umfang gewinnneutral aufzulösen. Das Wirtschaftsgut ist mit den fortgeführten Anschaffungskosten, erhöht um zwischenzeitlich gewinnerhöhend berücksichtigte Auflösungsbeträge und um den Unterschiedsbetrag zwischen dem Rückführungswert und dem Buchwert im Zeitpunkt der Rückführung, höchstens jedoch mit dem gemeinen Wert anzusetzen (§ 4g Abs. 3 Satz 1 EStG).2 Das heißt, dass die zwischenzeitlich erfolgte gewinnerhöhende Auflösung des Ausgleichspostens oder die ursprüngliche Versteuerung des Entstrickungsgewinns nicht rückgängig gemacht wird (vgl. Rz. 6.95).3

IV. Vereinbarkeit mit Abkommensrecht 6.277 Verstrickung von Wirtschaftsgütern entspricht Art. 7 Abs. 2 OECD-MA. Die fiktive Einlage nach § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG führt nach den Vorgaben des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 und 2010 dazu, dass Wirtschaftsgüter, die in ein in Deutschland belegenes Stammhaus bzw. in eine deutsche Betriebsstätte vom Ausland überführt werden, mit dem Fremdvergleichspreis zu aktivieren sind. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist die Verstrickungsregelung indessen nicht bei der Überführung aus einer Anrechnungsbetriebsstätte (z.B. aus einem Nicht-DBA-Staat oder einem DBA-Staat bei Anwendung der Anrechnungsmethode) anzuwenden.4 Diese Tatsache wird im Schrifttum zutreffend als Systembruch kritisiert (vgl. Rz. 6.264).5 Denn die Verstrickungsvorschrift stellt lediglich die „Begründung“, nicht aber die „Erstarkung“ des Besteuerungsrechts einer Einlage gleich. Dies führt dazu, dass Wirtschaftsgüter, welche aus Anrechnungsbetriebsstätten überführt werden, mit dem Buchwert anzusetzen sind (vgl. Rz. 6.264).

6.278 Fehlende Rechtsgrundlage für eine Nutzungsverstrickung im innerstaatlichen Recht. Da § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG lediglich auf die Begründung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns „aus der Veräußerung“, nicht aber des Gewinns „aus der Nutzung“6 ei1 Vgl. Stöcker in Korn, § 4 EStG Rz. 316; Förster, DB 2007, 76; Herbst, Die Entstrickung stiller Reserven, 2010, 170. 2 Vgl. auch Kolbe in H/H/R, § 4g EStG Rz. 35 ff.; Korn/Strahl in Korn, § 6 EStG Rz. 427.2. 3 Vgl. Förster, DB 2007, 76; Stöcker in Korn, § 4 EStG Rz. 315. 4 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.6.2; Ehlermann/Müller, ISR 2013, 47 (48). 5 Vgl. Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481 (1486). 6 So jedoch § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG.

492

Ditz

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.279 Kap. 6

nes Wirtschaftsguts abstellt, kann für die Überlassung von Wirtschaftsgütern von einem ausländischen Stammhaus an seine inländische Betriebsstätte bzw. von einer ausländischen Betriebsstätte an das inländische Stammhaus kein fiktives Nutzungsentgelt abgezogen werden.1 Der Gesetzgeber wollte es wohl nicht zulassen, dass durch die Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern an das inländische Stammhaus oder eine inländische Betriebsstätte Aufwand durch den Ansatz eines fiktiven Nutzungsentgelts generiert wird. Diese Vorgehensweise ist indessen abkommensrechtlich nicht gedeckt. Denn nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA besteht ein Besteuerungsrecht Deutschlands nur im Hinblick auf den Unternehmensgewinn, wie er durch das Stammhaus bzw. die Betriebsstätte als selbständiges und unabhängiges Unternehmen erwirtschaftet worden wäre. In diesem Fall wäre indessen ein entsprechender Aufwand aus der Nutzung der entsprechenden Wirtschaftsgüter entstanden, welcher den Gewinn gemindert hätte. Infolgedessen sind aus abkommensrechtlichen Gründen (fingierte) Nutzungsentgelte für die Überlassung von Wirtschaftsgütern abzuziehen (vgl. Rz. 6.131).2 Im Nicht-DBA-Fall existiert indessen eine solche Rechtsgrundlage zum Abzug fiktiver Nutzungsentgelte nicht.

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen I. Inhalt und konzeptionelle Grundlagen 1. Gründe für Funktionsverlagerungen Beweggründe für Funktionsverlagerungen ins Ausland. Die Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft hat dazu geführt, dass international agierende Unternehmen ihre organisatorischen Strukturen ständig überprüfen und an aktuelle Entwicklungen anpassen müssen. Die internationale Ausrichtung von Unternehmen löst damit häufig organisatorische Umstrukturierungsprozesse aus, im Rahmen derer betriebliche Funktionen (zum Begriff Rz. 6.305 ff.) vom Inland an andere (ggf. neue) Standorte im Ausland verlagert werden. Dies betrifft selbst solche Funktionen, die bislang als nicht standortelastisch angesehen wurden, wie z.B. die Produktions- sowie die Forschungs- und Entwicklungsfunktion.3 Die im Rahmen solcher Funktionsverlagerungen verfolgten unternehmerischen Zielsetzungen sind insbesondere die Folgenden:4 – Vorteile durch größere Marktnähe: Eine größere Marktnähe kann sowohl in Bezug auf die Beschaffungs- und Produktionsfunktion als auch im Hinblick auf Vertriebsfunktionen mit betriebswirtschaftlichen Vorteilen verbunden sein. Im Beschaffungs- und Produktionsbereich betrifft dies vor allem die Reduktion von Kosten, z.B. durch die Wahl eines Standorts mit einem großen Angebot an Rohstoffen, Energieträgern oder Arbeitskräften. Im Bereich des Vertriebs werden Funktionsverlagerungen zur Erschließung neuer Absatzmärkte, Erzielung einer größeren Kundennähe, Erreichung eines höheren Bekanntheitsgrads bzw. eines positiven Images sowie zur (länder-)spezifischen Bearbeitung des Absatzmarkts (z.B. im Rahmen einer Produktdifferenzierung) genutzt.

1 Vgl. auch Benecke/Schnitger, IStR 2006, 765 (767). 2 So auch die Finanzverwaltung in Bezug auf den Abzug fiktiver Dienstleistungsentgelte, vgl. VWG BsGa, Rz. 21. 3 Vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 1 f. 4 Vgl. dazu auch Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 57 ff.; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 322; Ebke, REW 2004, 241 ff.; Umfrage des DIHK, Produktionsverlagerung als Element der Globalisierungsstrategie von Unternehmen, Ergebnis einer Unternehmensbefragung, Mai 2003.

Ditz 493

6.279

Kap. 6 Rz. 6.280

Entstrickung und Verstrickung

– Nutzung von standortbedingten Kostenvorteilen: Standortbezogene Kostenvorteile betreffen z.B. die Reduktion der Arbeitskosten durch Nutzung des internationalen Lohnund Gehaltsgefälles, die Senkung der Logistikkosten durch die Verkürzung von Transportwegen sowie die Verschlankung der Verwaltung und des Managements. – Nutzung von Skalen- und Synergieeffekten: Die Verlagerung betrieblicher Funktionen geht häufig – insbesondere im Anschluss an Unternehmensakquisitionen und Restrukturierungsprozesse in einem Konzern – mit einer Zentralisierung von Funktionen in einer ausländischen Konzerngesellschaft oder Betriebsstätte einher. Diese betrifft vor allem die Zentralisierung von Verwaltungsfunktionen (z.B. im Bereich des Rechnungswesens, des Einkaufs, der EDV, des Personalwesens) sowie die Bereiche der Forschung, der Entwicklung, der Logistik und der Produktion. Betriebswirtschaftlicher Hintergrund der Zentralisierung von Teilen der Wertschöpfungskette ist die Erzielung von Synergieeffekten1 durch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und somit die Steigerung der Produktivität und Effizienz. Außerdem können durch die Zentralisierung betrieblicher Funktionen im Ausland Skaleneffekte im Rahmen sog. „Economies of Scale“ (z.B. Produktionssteigerungen durch zunehmende Lerneffekte und sinkende Rüstkosten) sowie sog. „Economies of Scope“ (z.B. Produktivitätssteigerungen durch höhere Auslastungsgrade und geringere Leer- und Stillstandszeiten) realisiert werden.2 – Minderung des unternehmerischen Risikos: Durch die Verteilung betrieblicher Funktionen auf mehrere Standorte kann das unternehmerische Gesamtrisiko gemindert werden. – Nutzung von Vorteilen des ausländischen Rechtssystems: Nach der Funktionsverlagerung unterliegt das ausländische verbundene Unternehmen bzw. die ausländische Betriebsstätte dem dortigen Rechtssystem. Insoweit können Regelungen des Herkunftslands (z.B. Deutschland) umgangen und ggf. bestehende günstigere Regelungen des Ziellands genutzt werden.3 Diese können z.B. das Wettbewerbsrecht (Preisgestaltung, Vertriebssysteme, Werbung), das Patent- und Markenrecht, das Arbeits-, Mitbestimmungs- und Betriebsverfassungsrecht, die Unternehmenspublizität bzw. die Rechnungslegungspflichten, Regelungen der Produkt- und Umwelthaftung, die Gestaltung von Allgemeinen Geschäftsbeziehungen (AGB), öffentlich-rechtliche Auflagen (z.B. Genehmigungsverfahren, Umwelt- und Sicherheitsvorschriften) sowie staatliche Fördermaßnahmen betreffen.

6.280 Steuerliche Beweggründe. Neben den vorstehend genannten betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Beweggründen spielen im Rahmen der Verlagerung von betrieblichen Funktionen ins Ausland häufig auch steuerliche Motive eine Rolle.4 Die Unternehmen streben diejenige Allokation betrieblicher Funktionen im In- und Ausland an, die zu einer Minimierung der unternehmerischen Gesamtsteuerbelastung führt.5 Steuerplanerisch werden insoweit 1 Zum Begriff, den Arten und den Ursachen von Synergieeffekten im Einzelnen vgl. Eisenführ, ZfbF 1971, 467 ff.; Küting, BFuP 1981, 175 ff.; Frese, ZfbF 1995, 945 ff. 2 Vgl. dazu auch Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 385 ff.; Kleineidam in FS Flick, 859 f.; Kleineidam in FS Fischer, 706 f. 3 Zu einem Überblick über relevante Rechtsgebiete, welche die Standortwahl des Vertriebs beeinflussen, vgl. Herring/Frank/Stangl, Absatzwirtschaft 1999, 81. 4 Sogar bei einer Umfrage des DIHK gaben 38 % der befragten Unternehmen die Steuerbelastung als Beweggrund für eine Produktionsverlagerung ins Ausland an, wobei bei kleineren und mittleren Unternehmen die Steuerbelastung sogar als Hauptmotiv genannt wurde; vgl. DIHK, Produktionsverlagerung als Element der Globalisierungsstrategie von Unternehmen, Ergebnis einer Unternehmensbefragung, Mai 2003. 5 Vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 3.

494

Ditz

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.281 Kap. 6

solche Organisationsstrukturen bevorzugt, bei denen Funktionen mit hohem Gewinnpotential – i.d.R. erfolgsstrategische Funktionen – an steuerlich günstigen Standorten angesiedelt werden, während Funktionen mit geringem Gewinnpotential – i.d.R. sog. „Routinefunktionen“1 – an steuerlich weniger günstigen Standorten unterhalten werden. Die maßgeblichen steuerlichen Entscheidungskriterien im Hinblick auf die Standortwahl sind vor allem: – Steuerbelastung der Gewinne (unter Berücksichtigung des Steuertarifs und der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage), – Regelungen zur Verlustberücksichtigung (z.B. Verlustrücktrag und -vortrag), – Abschreibungsmöglichkeiten von Neuinvestitionen, – umfassendes Netz von DBA, – enge Betriebsstättendefinition,2 – Expatriate-Besteuerung, – Regelung zur Vorzugsbesteuerung (sog. „Tax-Holidays“), – steuerliche Sonderregelungen in Form von sog. „Rulings“ und – Stetigkeiten und Voraussehbarkeit des Steuerrechts. 2. Grundsatz der Anerkennung der tatsächlichen Funktionsaufteilung Unternehmerische Dispositionsfreiheit. Jede Unternehmensleitung ist darin frei, den organisatorischen Aufbau und die funktionale Untergliederung des Unternehmens nach freiem Ermessen zu gestalten. Entscheidet man sich bspw. für eine Produktionsbetriebsstätte in Irland oder eine funktionsschwache Vertriebsbetriebsstätte in den USA, so muss die Finanzverwaltung diese unternehmerische Entscheidung akzeptieren. Dieser Grundsatz der unternehmerischen Dispositionsfreiheit wird – im Zusammenhang mit einer Kapitalgesellschaft – auch von der Rspr. des BFH betont. Danach ist es „Sache der Gesellschafter, die Aufgaben einer Kapitalgesellschaft zu bestimmen. Sie können den Aufgabenkreis nach eigenem Ermessen weit oder eng ziehen. Das Steuerrecht muss die Aufgabenzuweisung durch die Gesellschafter im Grundsatz akzeptieren.“3 Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung sind folgerichtig Entscheidungen darüber, ob Funktionen selbst wahrgenommen, bei einem anderen (Konzern-)Unternehmen konzentriert, auf mehrere Unternehmen aufgeteilt werden oder ob ein Subunternehmer beauftragt wird, Gegenstand der unternehmerischen Dispositionsfreiheit.4 Die Finanzbehörde hat diese Entscheidungen regelmäßig anzuerkennen, da bei der internationalen Einkünfteabgrenzung der tatsächlich durch den Steuerpflichtigen verwirklichte Sachverhalt5 und nicht ein von der Finanzverwaltung „konstruierter“, d.h. hypothetischer Sachverhalt, der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Mit anderen Worten: Die Finanzverwaltung muss die Entscheidung der 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.2. Buchst. a. 2 Zur weiten Auslegung der Definition der Betriebsstätte durch die OECD vgl. allerdings Ditz/Quilitzsch, FR 2012, 493 ff. 3 BFH v. 18.12.1996 – I R 26/95, FR 1997, 386; s. ferner BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, FR 2002, 1077: „Es obliegt der Entscheidung des Gesellschafters, den Umfang des unternehmerischen Tuns abzustecken.“ 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 145. 5 Vgl. auch Tz. 1.48 ff. und 9.163 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010.

Ditz 495

6.281

Kap. 6 Rz. 6.282

Entstrickung und Verstrickung

Unternehmensleitung über die Funktionsverteilung im Gesamtunternehmen als gegeben ansehen. Sie steht außerhalb des Anwendungsbereichs des Fremdvergleichsgrundsatzes und ist steuerlich als organisatorischer Akt, der in der Dispositionsfreiheit des Unternehmers steht, zwingend anzuerkennen.1 Vielmehr kann der Steuerpflichtige den Funktionsumfang des Stammhauses und der Betriebsstätte frei bestimmen. Soweit die Finanzverwaltung im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung die Dispositionsfreiheit des Unternehmers nur eingeschränkt beachten möchte, ist dies nicht sachgerecht.2 Im Schrifttum wird zu Recht darauf hingewiesen, dass es z.B. keinen betriebswirtschaftlichen Grundsatz gibt, nach dem bestimmte betriebliche Funktionen – seien es erfolgskritische Funktionen oder Standard- und Routinefunktionen – organisatorisch dem Stammhaus zuzuordnen sind.3 Wenngleich in praxi bestimmte Funktionen der Unternehmensleitung, wie etwa das Management, Controlling oder die Verwaltung von Beteiligungen, häufig vom Stammhaus ausgeübt werden, kann eine solche Funktionsaufteilung weder als allgemeine Regel noch als betriebswirtschaftlich zwingend angenommen werden.4

6.282 Fremdübliche Funktionsallokation. Auch die Tatsache, dass die von Steuerpflichtigen gewählte Funktionsallokation im Unternehmen oder die daraus resultierenden unternehmensinternen Lieferungen und Leistungen zwischen unabhängigen Dritten nicht vorkommen bzw. unüblich sind, kann nicht dazu führen, dass die daraus resultierenden anzunehmenden schuldrechtlichen Geschäftsbeziehungen von den Finanzbehörden nicht anerkannt werden.5 Nicht sachgerecht ist in diesem Zusammenhang die Forderung der Finanzverwaltung, von der gewählten Gestaltung des Steuerpflichtigen dann abzuweichen, wenn fremde Dritte in wirtschaftlich vernünftiger Weise die Vereinbarungen anders getroffen hätten und die tatsächlich gewählte Gestaltung der Finanzbehörde im Ergebnis die Möglichkeit nimmt, einen angemessenen Verrechnungspreis zu bestimmen.6 3. Begründung einer Betriebsstätte im Rahmen von Funktionsverlagerungen

6.283 Begründung einer Betriebsstätte bei Funktionsverlagerungen. Soweit Funktionen in einem internationalen Einheitsunternehmen vom Inland ins Ausland verlagert werden, kann dies einerseits auf eine bereits im Ausland vorhandene Betriebsstätte erfolgen. In diesen Fällen kommt der Frage der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Betriebsstätte im Zuge der Funktionsverlagerung keine Bedeutung zu, da eine solche bereits im Ausland existiert. Andererseits kann die Funktionsverlagerung aber auch zur erstmaligen Begründung einer Betriebsstätte im Ausland führen. Hinsichtlich der steuerlichen Konsequenzen einer Funktionsverlagerung kommt in diesen Fällen der Begriffsabgrenzung der Betriebsstätte eine zentrale Bedeutung zu. Die Frage, ab wann eine Betriebsstätte im Ausland anzunehmen ist, ist dabei nicht immer unproblematisch. Dies gilt insbesondere für Verlagerungsprozesse, in denen, ausgehend von einem Auslandsengagement ohne feste Geschäftseinrichtung im Ausland (z.B.

1 Vgl. Werra, IStR 1994, 483 (484); Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 321 (324); Borstell, StbJb. 2001/2002, 201 (221). 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 167. 3 Vgl. Kraft, StbJb. 2000/2001, 205 (217); a.A. Scheffler, ZbfF 1991, 471 (476). 4 Einschränkend jedoch VWG BsGa, Rz. 167. 5 So zutreffend BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 147. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 148.

496

Ditz

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.285 Kap. 6

in Form des Warenexports), es erst sukzessiv zu Direktinvestitionen im Ausland kommt. Dies zeigt die folgende Abbildung beispielhaft für die Vertriebsfunktion:1 Intensivierung des Auslandsengagements durch Verlagerung von Funktionen

Export

Auslieferungslager ohne Mitarbeiter

Auslieferungslager mit selbstständigem Handelsvertreter

Auslieferungslager mit eigenen Angestellten

Volle Vertriebseinheit mit Lager, Angestellten, Auftragsabwicklung etc.

Betriebsstätte?

Bedeutung der Betriebsstättendefinition nach innerstaatlichem Recht. Die Frage, ob die Funktionsverlagerung im Einheitsunternehmen zu einer beschränkten Steuerpflicht des in Deutschland ansässigen Steuerpflichtigen im Ausland führt, ist allein nach den Vorschriften des ausländischen Steuerrechts zu prüfen. Eine beschränkte Steuerpflicht ergibt sich dabei u.a. dann, wenn im Ausland eine Betriebsstätte begründet wird.2 Dazu müssen die Tatbestandsvoraussetzungen der Betriebsstätte, wie sie im ausländischen (innerstaatlichen) Steuerrecht definiert sind, erfüllt sein.3 Im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen ins Ausland ist jedoch auch die Betriebsstättendefinition nach deutschem (innerstaatlichen) Steuerrecht von Bedeutung. Dies betrifft die Anwendbarkeit der Anrechnungsmethode zur unilateralen Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb i.S.d. §§ 15 und 16 EStG,4 die Freistellung ausländischer Gewinne bei der Gewerbesteuer nach § 9 Nr. 3 GewStG sowie die Beschränkung der Verlustverrechnung gem. § 2a EStG. Diese Vorschriften finden jeweils nur Anwendung, wenn im Ausland eine Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO vorliegt.5

6.284

Abhängigkeit der Betriebsstättendefinition von den ausgeübten Funktionen. Nach § 12 Satz 1 AO setzt eine Betriebsstätte das Vorhandensein einer festen Geschäftseinrichtung oder Anlage voraus, über die der Steuerpflichtige eine gewisse Verfügungsmacht hat und die der Tätigkeit des Unternehmens dient. Auf Einzelheiten dieser Betriebsstättendefinition wird an

6.285

1 In Anlehnung an Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, Herne/Berlin 2003, 130. 2 Analog § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2a EStG, § 2 Nr. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2a EStG. 3 Die meisten Industriestaaten verfügen über eine gesetzliche Definition der Betriebsstätte, die sich prinzipiell an der Betriebsstättendefinition des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA orientiert. Zur Ausweitung der Betriebsstättendefinition vgl. aber Ditz/Quilitzsch, FR 2012, 556. 4 Vgl. § 34c Abs. 1 i.V.m. § 34d Nr. 2a EStG, § 26 Abs. 1 KStG i.V.m. § 34d Nr. 2a EStG. 5 A.A. in Bezug auf § 9 Nr. 3 GewStG allerdings FG Köln v. 7.5.2015 – 10 K 73/13, EFG 2015, 1558 = IStR 2015, 794 und dazu kritisch Lüdicke, IStR 2015, 770 ff.

Ditz 497

Kap. 6 Rz. 6.286

Entstrickung und Verstrickung

dieser Stelle verzichtet und stattdessen auf das Kapitel 2 verwiesen. In Bezug auf Funktionsverlagerungen im internationalen Einheitsunternehmen ist jedoch von besonderem Interesse, inwieweit die durch die funktionsaufnehmende Unternehmenseinheit ausgeübten Funktionen die Erfüllung der Betriebsstättenmerkmale gem. § 12 Satz 1 AO beeinflussen. Besondere Bedeutung kommt hierbei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „der Tätigkeit des Unternehmens dienend“ zu. Dieses ist erfüllt, wenn die Geschäftseinrichtung oder Anlage dazu bestimmt ist, den Unternehmenszweck zu fördern1 bzw. wenn der Unternehmer diese zu unternehmerischen Zwecken benutzt.2 Dabei ist es nach § 12 Satz 1 AO grundsätzlich unerheblich, ob Haupt- oder Nebentätigkeiten bzw. wesentliche oder unwesentliche Tätigkeiten ausgeübt werden.3 Entscheidend ist vielmehr, dass die Geschäftseinrichtung oder Anlage dem Gewerbebetrieb „unmittelbar“4 dient. Vor diesem Hintergrund können auch Geschäftseinrichtungen bzw. Anlagen, die der Ausübung von Standard- und Hilfsfunktionen dienen bzw. in denen für die unternehmerische Gesamtwertschöpfung unwesentliche Funktionen ausgeübt werden, die Betriebsstätten-Definition des § 12 Satz 1 AO erfüllen.5 Zur Begründung einer Betriebsstätte nach innerstaatlichem Recht genügt es dagegen nicht, dass die Geschäftseinrichtung oder Anlage nur „mittelbar“ dem (Gesamt-)Unternehmenszweck dient.

6.286 Bedeutung der Betriebsstättendefinition nach Abkommensrecht. Der abkommensrechtliche Begriff der Betriebsstätte ist von dem des innerstaatlichen Rechts streng zu trennen (vgl. Rz. 2.9 ff.).6 Während das innerstaatliche Recht die Betriebsstätte zur Bestimmung der Steuerpflicht bzw. zur Anwendung der unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung heranzieht, dient sie in DBA zur Abgrenzung von Besteuerungsrechten zwischen den beteiligten Vertragsstaaten sowie als Tatbestandsvoraussetzung zur Anwendung der Freistellungsmethode im Rahmen der Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung. Aufgrund der bestehenden Parallelen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA zu denjenigen des § 12 Satz 1 AO ist nach h.M. davon auszugehen, dass die abkommensrechtliche Definition der Betriebsstätte im Wesentlichen derjenigen des innerstaatlichen Rechts entspricht (vgl. Rz. 2.11).7 Entgegen § 12 Satz 1 AO reicht es allerdings nach Art. 5 Abs. 1 OECD-MA nicht aus, wenn die feste Geschäftseinrichtung der Tätigkeit des Unternehmens nur „dient“. Vielmehr ist es erforderlich, dass die Tätigkeit des Unternehmens in der festen Geschäftseinrichtung „ganz oder teilweise ausgeübt wird“.8 Bereits die wörtliche Auslegung der Begriffe „dienen“ und „ausüben“ deutet darauf hin, dass beiden Betriebsstättendefinitionen eine unterschiedliche Tätigkeitsqualität immanent ist.9 Darüber hinaus zeigt der Ausnahmekatalog des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA, dass abkommensrechtlich eine Betriebsstätte nur vorliegen kann, wenn von ihr qualitativ und quantitativ bedeutsame Tätigkeiten ausgeübt werden. Insoweit wird die Begründung einer Betriebsstätte auf Abkommensebene von den in einer Geschäftseinrichtung ausgeübten Funktionen maßgeblich mitbestimmt. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. dazu Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 19 m.w.N. Vgl. BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12. Vgl. BFH v. 30.8.1960 – I B 148/59 U, BStBl. III 1960, 468. BFH v. 10.2.1988 – VIII R 159/84, BStBl. II 1988, 653 = FR 1988, 398. Dies betrifft z.B. Geschäftseinrichtungen bzw. Anlagen, in denen Forschungs- und Entwicklungsfunktionen, Informationsbeschaffungstätigkeiten, Koordinationsleistungen oder administrative und technische Dienstleistungen ausgeübt werden. Vgl. Debatin, DB 1989, 1692 (1694). Vgl. BS-VWG, Tz. 1.2.1.1; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 4. Vgl. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA; Art. 5 Tz. 7 und 21 OECD-MK. Vgl. Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004, 30 f.

498

Ditz

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.287 Kap. 6

Abhängigkeit der Betriebsstättendefinition von den ausgeübten Funktionen gem. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA. Die Bedeutung der vom inländischen Stammhaus ins Ausland verlagerten Funktion im Hinblick auf die Begründung einer ausländischen Betriebsstätte (präziser: der Art. 5 OECD-MA nachgebildeten einschlägigen Norm des jeweils anzuwendenden DBA) ergibt sich unmittelbar aus dem Katalog von Betriebsstättenausnahmen gem. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA. Dieser sog. Negativkatalog hat die Funktion, feste Geschäftseinrichtungen, die nach Art. 5 Abs. 1 oder 2 OECD-MA grundsätzlich eine Betriebsstätte begründen, aus dem Betriebsstättenbegriff generell auszuschließen. Insoweit hat die Art. 5 Abs. 4 OECD-MA nachgebildete Abkommensnorm einen (negativen) konstitutiven Charakter.1 Dies betrifft namentlich vorbereitende Tätigkeiten und Hilfstätigkeiten, die im Beispielskatalog des Art. 5 Abs. 4 Buchst. a bis d OECD-MA näher definiert werden (vgl. Rz. 2.109 ff.): – Tätigkeiten im Rahmen der Lagerung, Ausstellung oder Auslieferung unternehmenseigener Güter und Waren (Art. 5 Abs. 4 Buchst. a bis c OECD-MA) sowie – Einkaufstätigkeiten und Informationsbeschaffung (Art. 5 Abs. 4 Buchst. d OECD-MA). Der Negativkatalog einzelner Tätigkeitsbereiche, die grundsätzlich nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen, wird durch die Generalklausel des Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECDMA ergänzt.2 Danach führen vorbereitende und unterstützende Tätigkeiten nicht zur Annahme einer Betriebsstätte. Dies gilt auch dann, wenn in der festen Geschäftseinrichtung mehrerer dieser Tätigkeiten gleichzeitig ausgeübt werden.3 Die Zielsetzung der Definition von Betriebsstättenausnahmen durch Art. 5 Abs. 4 OECD-MA besteht nach Auffassung des OECD-Steuerausschusses darin, dass es in diesen Fällen „schwierig ist, der betreffenden festen Geschäftseinrichtung irgendeinen Gewinn zuzurechnen.“4 Damit dient der Negativkatalog der Vereinfachung der Besteuerung und – in Bezug auf Einkaufs- und Verkaufsstellen – der Erleichterung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs.5 Aus deutscher Sicht ist jedoch zu beachten, dass trotz Negierung einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte unter Verweis auf Art. 5 Abs. 4 OECD-MA in der Regel eine Einkünfteabgrenzung für gewerbesteuerliche Zwecke notwendig ist. Insoweit wird die Art. 5 Abs. 4 OECD-MA zugedachte Vereinfachungsfunktion durch innerstaatliches Recht ausgehebelt. Denn der Teil des Gewerbeertrags, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfällt, unterliegt nicht der Gewerbesteuer und ist gem. § 9 Nr. 3 GewStG aus dem Gewerbeertrag zu kürzen. Für die Anwendung des § 9 Nr. 3 GewSt ist die innerstaatliche Betriebsstättendefinition gem. § 12 AO maßgeblich.6 Diese kennt jedoch keine Ausnahmeregelungen für Hilfs- und Vorbereitungstätigkeiten, wie sie in Art. 5 Abs. 4 OECD-MA definiert sind; vielmehr wirken nach § 12 AO auch Haupt- oder Nebentätigkeiten bzw. wesentliche oder unwesentliche Tätigkeiten betriebsstättenbegründend. Vor diesem Hintergrund ist für (deutsche) gewerbesteuerliche Zwecke in der Regel auch bei in den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA fallenden Geschäftseinrichtungen eine Einkünfteabgrenzung durchzuführen. 1 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 151. Der BFH spricht von einem Lex-specialis-Charakter; vgl. BFH v. 23.1.1985 – I R 292/81, BStBl. II 1985, 417 = FR 1985, 389. 2 Die Auffangvorschrift des Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA zeigt, dass die in Art. 5 Abs. 4 OECDMA enthaltene Aufzählung nicht abschließend ist, vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECDMA Rz. 153. 3 Vgl. Art. 5 Abs. 4 Buchst. f OECD-MA. 4 Art. 5 Tz. 23 OECD-MK. 5 Dazu kritisch Lang in Gassner/Lang/Lechner, Die Betriebsstätte im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 1998, 80 ff. 6 A.A. FG Köln v. 7.5.2015 – 10 K 73/13, EFG 2015, 1558 = IStR 2015, 794 und dazu kritisch Lüdicke, IStR 2015, 770 ff.

Ditz 499

6.287

Kap. 6 Rz. 6.288

Entstrickung und Verstrickung

6.288 Bedeutung der Betriebsstättenausnahmen bei Funktionsverlagerungen. Im Rahmen der Verlagerung von Funktionen im internationalen Einheitsunternehmen können die Ausnahmetatbestände des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA von erheblicher Bedeutung sein. Dies vor allem deswegen, weil die Funktionsverlagerung häufig mit einer Zentralisierung und damit Isolierung einzelner betrieblicher Funktionen in örtlich getrennten Geschäftseinrichtungen einhergeht.1 Denn innerhalb einer Gesamtunternehmung besteht in der Regel ein besonderer Bedarf an Leistungen, die zweckmäßigerweise nicht von jeder betrieblichen Teileinheit für sich selbst, sondern von zentralisierter Stelle aus an die partizipierenden Unternehmensteile erbracht werden. Die betroffenen Leistungskategorien betreffen häufig betriebliche Routineund Standardfunktionen,2 die in den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA fallen können. Betriebswirtschaftlicher Hintergrund der Zentralisierung von Teilen der Wertschöpfungskette in einer Geschäftseinrichtung ist die Erzielung von Synergieeffekten durch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und somit die Steigerung der Produktivität und Effizienz (vgl. Rz. 6.279). Außerdem können durch die Zentralisierung betrieblicher Funktionen im Ausland dortige Standortvorteile (z.B. in Form von Kostenvorteilen) ausgenutzt und verschiedenen Unternehmensteilen zugänglich gemacht werden. Dies gilt insbesondere für betriebliche Funktionsbereiche mit geringer Standortabhängigkeit.

6.289 Erfüllung einzelner Tätigkeitsmerkmale des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA. Infolge der Abhängigkeit der abkommensrechtlichen Betriebsstättendefinition von den ausgeübten Funktionen kann durch Funktionsverlagerungen in eine ausländische Geschäftseinrichtung in einen DBA-Staat die Begründung einer Betriebsstätte (und damit das daraus folgende Besteuerungsrecht des Quellenstaats) gezielt beeinflusst werden.3 Steuerplanerisch sollte im Hinblick auf die Minimierung der unternehmerischen Gesamtsteuerbelastung das Ziel verfolgt werden, in Staaten mit geringer Steuerbelastung die Betriebsstättenvoraussetzungen zu erfüllen bzw. in Staaten mit hoher Steuerbelastung deren Erfüllung zu vermeiden. Während die Begründung einer Betriebsstätte – z.B. durch eine Geschäftsverdichtung mit Haupttätigkeiten – regelmäßig unproblematisch ist, bedarf die gezielte Vermeidung einer Betriebsstätte organisatorischer Vorkehrungen im Hinblick auf die Allokation betrieblicher Funktionen im Ausland. Diese können darin bestehen, in Hochsteuerstaaten Geschäftseinrichtungen anzusiedeln, die nur die im Rahmen des Negativkatalogs des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA genannten Tätigkeiten ausüben. Dies hat zur Folge, dass nach dem jeweils anzuwendenden DBA dem Staat, in dem die Geschäftseinrichtung liegt, kein Besteuerungsrecht zusteht und folglich eine Quellenbesteuerung vermieden wird. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang jedoch auch die gewerbesteuerlichen Folgen: Sind bei der ausländischen Geschäftseinrichtung zwar nicht die abkommensrechtlichen Voraussetzungen der Betriebsstätte, jedoch diejenigen des nationalen Rechts gem. § 12 AO erfüllt, ist der der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnende (positive oder negative) Gewerbeertrag aus dem Gewerbeertrag des inländischen Stammhauses auszuscheiden.4 Ergibt sich aufgrund der Buchführung der ausländischen Betriebsstätte ein Verlust, wirkt sich dieser folglich im Inland nicht gewerbesteuermindernd aus.

1 Vgl. Kleineidam in FS Fischer, 705 ff.; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 2003, 161. 2 Z.B. Lagerhaltung (in einem Zentrallager), Logistik, Marktbeobachtung, Werbung, administrative Dienstleistungen, Einkauf sowie Forschung und Entwicklung, wobei der Bereich der Forschung und Entwicklung nicht immer dem Bereich der Hilfstätigkeiten zugeordnet werden kann. 3 Vgl. Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 2003, 165. 4 Vgl. § 9 Nr. 3 GewStG; a.A. FG Köln v. 7.5.2015 – 10 K 73/13, EFG 2015, 1558 = IStR 2015, 794 und dazu kritisch Lüdicke, IStR 2015, 770 ff.

500

Ditz

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.291 Kap. 6

Aufteilung von Funktionen in örtlich getrennte Geschäftseinrichtungen. Sollen Funktionen, die sich nicht nur auf vorbereitende Tätigkeiten und Hilfstätigkeiten i.S.d. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA erstrecken, ins Ausland verlagert werden, besteht die Möglichkeit, durch die gezielte Aufteilung dieser Funktionen und deren Zuordnung zu verschiedenen Geschäftseinrichtungen – zumindest in Teilbereichen – die Begründung einer Betriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinne zu vermeiden.1 Denn nach h.M. sind die Betriebsstättenvoraussetzungen bezogen auf jede einzelne Geschäftseinrichtung zu prüfen.2 Es sind aber die durch die OECD im Bereich des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA geplanten Anpassungen zu beachten (vgl. Rz. 2.108).

6.290

Beispiel: Ein inländisches Stammhaus verlagert die Vertriebsfunktion ins Ausland. Im Ausland sollen Waren, die im inländischen Stammhaus hergestellt werden, gelagert und ausgestellt sowie an externe Kunden verkauft und ausgeliefert werden. Um dem ausländischen Staat (mit hoher Steuerbelastung) möglichst wenig Gewinnsubstrat zuzuordnen, werden die Funktionen, die in den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA fallen (Lagerung, Ausstellung und Auslieferung) in eine separate Geschäftseinrichtung verlagert, während der eigentliche Verkauf der Ware von einer anderen, räumlich getrennten Geschäftseinrichtung durchgeführt wird.

Der Möglichkeit, durch die Aufteilung von Funktionen in räumlich getrennte Geschäftseinrichtungen die Begründung einer Betriebsstätte – zumindest in Teilbereichen – zu vermeiden, sind allerdings insoweit Grenzen gesetzt, als ausnahmsweise eine zusammenfassende Betrachtung mehrerer Geschäftseinrichtungen durchzuführen ist, wenn die jeweils ausgeübten Tätigkeiten in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und ferner eine räumliche Nähe der Geschäftseinrichtungen zueinander besteht.3 Dies entspricht der Rechtsprechung zur Zusammenfassung von Bau- und Montagestellen, die nur dann möglich ist, wenn eine „wirtschaftliche und geographische Einheit“ von den einzelnen Baustellen gebildet wird. Dabei reicht es nicht aus, dass nur eine der beiden Voraussetzungen erfüllt ist.4 Betriebsstätte bei Verlagerung der Beschaffungsfunktion. Wird die Beschaffungsfunktion in eine ausländische Geschäftseinrichtung verlagert, ist die Vermeidung einer Betriebsstätte relativ problemlos möglich. Voraussetzung ist allerdings, dass die Beschaffungsfunktion in einen Staat verlagert wird, mit dem ein DBA besteht. In diesem Fall greift die Art. 5 Abs. 4 Buchst. d OECD-MA nachgebildete Abkommensnorm, nach welcher die Funktion des Einkaufs von Gütern und Waren grundsätzlich keine Betriebsstätte begründen kann. Folglich unterliegt die Beschaffungsfunktion ausschließlich der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat des Stammhauses. Dies gilt selbst dann, wenn die Beschaffungsfunktion für die unternehmerische Gesamttätigkeit von wesentlicher Bedeutung ist (z.B. im Versandhandel, Rohstoffhandel oder dem Ein-

1 Vgl. auch Lüthi in Gassner/Lang/Lechner, Die Betriebsstätte im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 1998, 21. 2 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 26; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, Köln 1982, 31; Storck, Ausländische Betriebsstätten im Ertragsund Vermögenssteuerrecht, 1980, 134 f. und 164. 3 Vgl. Kruse in T/K, AO/FGO, § 12 AO Rz. 39; Schröder, StBp 1971, 228 (231); Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, Köln 1982, 31; Storck, Ausländische Betriebsstätten im Ertrags- und Vermögenssteuerrecht, Frankfurt/M./Deventer 1980, 134 f. und 164; a.A. Züger in Gassner/Lang/Lechner, Die Betriebsstätte im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 1998, 37, der eine zusammengefasste Beurteilung mehrerer Geschäftseinrichtungen grundsätzlich ablehnt. 4 Vgl. BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann; v. 16.5.2001 – I R 47/00, BStBl. II 2002, 846 = FR 2001, 1067; v. 19.11.2003 – I R 3/02, BStBl. II 2004, 932.

Ditz 501

6.291

Kap. 6 Rz. 6.292

Entstrickung und Verstrickung

zelhandel z.B. mit Modeartikeln).1 Anwendungsvoraussetzung des Art. 5 Abs. 4 Buchst. d OECD-MA ist allerdings, dass die Güter und Waren „für das Unternehmen“ eingekauft werden. Daher werden durch diese Ausnahmeregelung nur die Beschaffung von Wirtschaftsgütern für das Stammhaus oder andere Betriebsstätten erfasst. Der Einkauf von Wirtschaftsgütern und deren Verkauf an (rechtlich selbständige) verbundene Unternehmen oder an externe Kunden ist dagegen schädlich2 und führt in der Regel zur Begründung einer (Verkaufs-)Betriebsstätte.3

6.292 Betriebsstätte bei Verlagerung der Produktionsfunktion. Die Verlagerung der Produktionsfunktion in eine im Ausland belegene Geschäftseinrichtung wird regelmäßig sowohl nach innerstaatlichem Recht des ausländischen Staats4 als auch nach Abkommensrecht eine Betriebsstätte begründen. In diesem Zusammenhang nennt Art. 5 Abs. 2 Buchst. d und e OECD-MA Fabrikationsstätten und Werkstätten, in welchen regelmäßig Produktionsfunktionen ausgeübt werden, als Regelbeispiele für die Entstehung einer Betriebsstätte. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass eine Geschäftseinrichtung, in welcher eine Produktionsfunktion ausgeübt wird, abkommensrechtlich eine Betriebsstätte begründet. Die Qualifikation einer Geschäftseinrichtung als Betriebsstätte kann im Rahmen der Produktionsfunktion nur in (äußerst seltenen) Ausnahmefällen durch den Negativkatalog des Art. 5 Abs. 4 OECD verhindert werden. Denn die Produktionsfunktion wird weder durch die einzelnen Ausnahmetatbestände des Art. 5 Abs. 4 Buchst. a bis d OECD-MA noch durch die Generalklausel des Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA erfasst. Dies gilt selbst dann, wenn in der Geschäftseinrichtung – bezogen auf die Produktionsfunktion – nur ein eingeschränkter Funktionsumfang (z.B. begrenzt auf bestimmte Fertigungsschritte, keine Produktionsplanung, keine Qualitätskontrolle, enge Anbindung an das Stammhaus) ausgeübt wird. Ausnahmen können sich allenfalls im Bereich der Herstellung sog. Prototypen ergeben. Hier wird nämlich keine Produktion im eigentlichen Sinne sondern vielmehr eine Forschungsund Entwicklungsfunktion ausgeübt, die ggf. als Vorbereitungs- oder Hilfstätigkeit anzusehen ist. Darüber hinaus können auch auf andere Geschäftseinrichtungen ausgelagerte Teilbzw. Hilfsfunktionen der Produktion (z.B. Einkauf, Lagerhaltung, Produktionsplanung, Produktionsüberwachung, Qualitätskontrolle) unter den Negativkatalog fallen. Dies jedoch nur, wenn sie nicht mit der Geschäftseinrichtung, in der die eigentlichen Produktionsleistungen erbracht werden, in einem wirtschaftlichen und räumlichen Zusammenhang stehen.5

6.293 Betriebsstätte bei Verlagerung der Vertriebsfunktion. Bei der Verlagerung von Vertriebsfunktionen ist eine Betriebsstätte grundsätzlich immer dann anzunehmen, wenn die ausländische Geschäftseinrichtung unmittelbar für externe Kunden und/oder (rechtlich selbständige) verbundene Unternehmen tätig wird und in diesem Zusammenhang Bestellungen annimmt, Vertragsabschlüsse vorbereitet und solche abschließt. Dies betrifft nicht nur den Verkauf von Waren (sog. Verkaufs-Betriebsstätte), sondern auch den Kundendienst und die

1 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 171. 2 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 172. 3 Dagegen sind Veräußerungsvorgänge bei Auflösung der Geschäftseinrichtung unschädlich; vgl. Art. 5 Tz. 29 OECD-MK. 4 Aus Sicht des deutsch-nationalen Rechts vgl. nur § 12 Satz 2 Nr. 4 AO. 5 Indessen wird bei solchen „Hilfsfunktionen“ der Produktion in der Regel von einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der eigentlichen Produktion auszugehen sein. Insoweit kann nur über eine örtliche Trennung der Geschäftseinrichtungen eine Zurechnung dieser Hilfsfunktionen zur betriebsstättenbegründenden Hauptfunktion der Produktion vermieden werden.

502

Ditz

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.294 Kap. 6

Erbringung von Reparaturleistungen.1 Denn Voraussetzung für die Anwendung des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA ist immer, dass die entsprechenden Tätigkeiten für das Unternehmen (das Stammhaus oder eine andere Betriebsstätte) und nicht für externe Dritte ausgeübt werden. Im Bereich des Vertriebs existieren aber auch zahlreiche Funktionen, die in der Regel den Rahmen bloßer Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten i.S.d. Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA nicht übersteigen. Dazu gehören insbesondere – das Sondieren von Vertriebsmöglichkeiten, – Repräsentationstätigkeiten,2 – die allgemeine Pflege von Kundenkontakten, – das Betreiben von Werbung,3 – die Zurverfügungstellung von Kundeninformationen und – der Unterhalt eines Vertriebslagers, die Ausstellung sowie die Auslieferung von Waren (einschließlich damit zusammenhängender Funktionen, wie z.B. sortieren, verpacken und versenden).4 Werden solche Funktionen in eine eigene Geschäftseinrichtung im Ausland verlagert, kann die Begründung einer Betriebsstätte und damit ein Quellenbesteuerungsrecht des ausländischen Staats vermieden werden. Voraussetzung ist allerdings, dass mit dem Staat, in den die Vertriebsfunktion (oder Teile davon) übertragen wird, ein DBA abgeschlossen wurde und dieses eine Art. 5 Abs. 4 OECD-MA nachgebildete Vorschrift enthält. In diesem Zusammenhang sind allerdings die geplanten Anpassungen des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA im Rahmen des BEPS-Projekts zu beachten. Einzelheiten sind in Rz. 2.108 dargestellt. 4. Besteuerung von Funktionsverlagerungen Gesamtbewertung eines Transferpakets im Fall von Funktionsverlagerungen. Im Zuge des UntStRefG 2008 vom 14.8.20075 hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG erstmals eine Regelung zur Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen getroffen. Konkretisiert wird die Regelung durch die FVerlV vom 12.8.20086 und die VWGFunktionsverlagerung vom 13.10.2010.7 Eine Funktionsverlagerung liegt demnach vor, wenn ein Unternehmen einem anderen nahestehenden Unternehmen Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird.8 Ist der Tatbestand einer Funktionsverlagerung erfüllt, ist nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG eine Gesamtbewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzu1 Vgl. öBMF v. 25.7.2000 – EAS 1696, SWI 2000, 478; Bendlinger, SWI 1991, 347 (350). 2 Vgl. dazu Prinz, FR 1996, 479 (481); Baranowski, IWB 1994, Fach 3, Gruppe 2, 619 (621); Kaligin, RIW 1995, 398 ff. 3 Vgl. dazu Skaar in Betten/Burgers/Ostaszewska, The Taxation of Permanent Establishments, Art. 5 OECD-MA, 31 f.; Skaar, Permanent Establishment, 1991, 309 f. 4 Vgl. Art. 5 Abs. 4 Buchst. a OECD-MA. 5 Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 6 Vgl. FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. 7 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774. 8 Vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV.

Ditz 503

6.294

Kap. 6 Rz. 6.295

Entstrickung und Verstrickung

nehmen. Eine Einzelbewertung der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, aus denen sich das Transferpaket zusammensetzt, ist nur in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG, § 1 Abs. 6 und 7 FVerlV und § 2 Abs. 2 FVerlV zulässig. Die Ausnahmetatbestände, die eine Einzelbewertung erlauben, wurden im Rahmen des StEUVUmsG1 vom 8.4.2010 um eine zusätzliche Ausnahmeregelung erweitert, ohne dass eine Anpassung der FVerlV erfolgt wäre. Der Gesetzgeber begründet die aus der Transferpaketbewertung folgende Abweichung vom handels- und steuerrechtlichen Grundsatz der Einzelbewertung damit, dass der Preis der einzelnen übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter den Wert der Funktion als Ganzes regelmäßig nicht adäquat widerspiegle.2 Ziel des Gesetzgebers ist es also, im Rahmen der Gesamtbewertung eines Transferpakets einen Mehrwert der Besteuerung zu unterwerfen, der bei einer Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter unbesteuert bliebe.3 Bei diesem Mehrwert kann es sich nur um einen Teil des Geschäftsoder Firmenwerts handeln, der nach Auffassung des Gesetzgebers bei einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung übergeht. Im Ergebnis behandelt der Gesetzgeber eine Funktionsverlagerung damit wie die Veräußerung oder Überführung eines Betriebs oder Teilbetriebs (vgl. Rz. 6.99 ff.), bei der es nach der höchstrichterlichen Rspr.4 zu einem Übergang des Geschäfts- oder Firmenwerts kommen kann. Ob diese Besteuerung von Funktionsverlagerungen unions- und abkommensrechtlichen Anforderungen genügt, wird im Schrifttum bezweifelt.5

6.295 Umstrittene Regelung. Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen gem. § 1 Abs. 3 Sätze 9 ff. AStG und der FVerlV war von Anfang an heftig umstritten. Hauptkritikpunkte der Vorschriften zur Verlagerung von Funktionsverlagerungen sind insbesondere – die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe und die daraus resultierenden Rechtsunsicherheiten, – das praktisch sehr aufwendige Modell für die Bewertung des Transferpakets, – die vorzeitige Besteuerung von im Ausland erst zukünftig entstehenden Gewinnpotentialen, – die Zuordnung eines (anteiligen) Geschäfts- oder Firmenwertes zu einer Funktion, – die impraktikablen Escape-Klauseln des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG, – die unionsrechtlichen Probleme der Funktionsverlagerungsbesteuerung,6 – die fehlende Übereinstimmung mit dem in Art. 7 und 9 OECD-MA niedergelegten Fremdvergleichsgrundsatz7 sowie – die fehlende internationale Abstimmung der deutschen Regelungen für Funktionsverlagerungsbesteuerungen und das daraus resultierende Risiko einer internationalen Doppelbesteuerung.8 1 2 3 4 5 6

Vgl. StEUVUmsG v. 8.4.2010, BGBl. I 2010, 386. Vgl. BR-Drucks. 220/07, 144. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 568. Vgl. BFH v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108. Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 17 und 23 m.w.N. Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 178; Ditz in S/D, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 17 m.w.N. 7 Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 23. 8 Zu einem Überblick vgl. Wehnert/Sano, IStR 2010, 53 ff.

504

Ditz

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.298 Kap. 6

Im Ergebnis führte die Einführung der Funktionsverlagerungsbesteuerung gem. § 1 Abs. 3 Sätze 9 ff. AStG und der FVerlV zu einem Paradigmenwechsel im Hinblick auf die Aufdeckung und Besteuerung stiller Reserven. Da der Ansatz gänzlich neu und ohne vergleichbare Vorgängerregelung konzipiert wurde, gehört er heute zu den am meisten diskutierten und am heftigsten umstrittenen Regelungen des deutschen Internationalen Steuerrechts.1 Aufgrund des international nicht abgestimmten Alleingangs des deutschen Gesetzgebers bei der Besteuerungsfunktionsverlagerung ist eine verlässliche Steuerplanung in der Praxis schwierig und das Risiko einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung sehr hoch. Anwendbarkeit der Funktionsverlagerungsbesteuerung bei Betriebsstätten. Mit der Implementierung des AOA in § 1 AStG (vgl. Rz. 6.123 ff.) sind die vorstehend dargestellten Regelungen zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen,2 auch für Betriebsstätten anwendbar.3 Denn § 1 Abs. 5 Satz 1 EStG verweist ausdrücklich auf eine entsprechende Anwendung der Abs. 1, 3 und 4 der Vorschrift, so dass auch die in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und der FVerlV geregelte Funktionsverlagerung erfasst wird. Werden daher die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung zwischen einem inländischen Stammhaus und seiner ausländischen Betriebsstätte oder einer inländischen Betriebsstätte und ihrem ausländischen Stammhaus erfüllt, ist die Funktion als Ganzes (Transferpaket) zu bewerten. Infolgedessen kommt es zu einer Gewinnreduzierung aufgrund einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung. Wann die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllt sind, ergibt sich nicht nur aus § 1 Abs. 3 AStG, sondern auch aus der FVerlV, die auch im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung nach dem AOA Anwendung findet. Dies gilt indessen nicht, soweit die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen eine andere Behandlung erfordert.4 Infolgedessen kann z.B. die Preisanpassungsklausel des § 1 Abs. 3 Sätze 11 und 12 AStG im internationalen Einheitsunternehmen (Stammhaus und Betriebsstätte) keine Anwendung finden, da die Vereinbarung entsprechender Preisanpassungsklauseln zivilrechtlich zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht möglich ist.

6.296

Verhältnis zu den Entstrickungsvorschriften. Soweit die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte erfüllt sind, gehen deren Rechtsfolgen (Bewertung der Funktion als Ganzes i.S. eines Transferpakets) über die Rechtsfolgen des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 KStG hinaus, so dass deren Anwendung durch § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 9 i.V.m. Abs. 1 Satz 4 AStG verdrängt wird. Sind daher die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllt, bedarf es keiner Anwendung der Entstrickungsvorschriften des EStG und des KStG; vielmehr ist hier ausschließlich § 1 AStG einschlägig.

6.297

Keine Anwendung der Funktionsverlagerungsbesteuerung bis 2012. Hinsichtlich der Frage, ob die Grundsätze der Funktionsverlagerungsbesteuerung des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und der FVerlV bei Betriebsstätten auch für Wirtschaftsjahre anzuwenden sind, die vor dem 31.12.2012 beginnen,5 verweist die Finanzverwaltung allgemein auf die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach Art. 7 OECD-MA und den dazu ergangenen OECD-Mus-

6.298

1 Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1309. 2 Vgl. § 21 Abs. 20 Satz 3 AStG. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 100; Kahle/Eichholz/Kindich, Ubg 2016, 132 (142); Schnitger, IStR 2012, 638; Baldamus, IStR 2012, 319. 4 Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG. 5 Vgl. § 21 Abs. 20 Satz 3 AStG.

Ditz 505

Kap. 6 Rz. 6.299

Entstrickung und Verstrickung

terkommentar.1 Was dies bedeutet, bleibt offen. Vor Einführung des AOA in § 1 AStG bestand keine Rechtsgrundlage zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG. Denn § 1 AStG war vor der Implementierung des AOA in diese Vorschrift nicht im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte anwendbar.2 Wurden daher vor Anwendung des neuen Rechts im Rahmen einer Funktionsverlagerung Wirtschaftsgüter in eine ausländische Betriebsstätte oder ein ausländisches Stammhaus überführt bzw. zur Nutzung überlassen, konnten allenfalls die allgemeinen Entstrickungsvorschriften (§ 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG, § 16 Abs. 3a EStG und § 12 Abs. 1 KStG) Anwendung finden.3 Für die Realisierung eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts im Rahmen einer Transferpaketbewertung fehlte die Rechtsgrundlage. Eine solche ergibt sich mit § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 9 AStG erst für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen.4

6.299 Keine Anwendung der Preisanpassungsklausel gem. § 1 Abs. 3 Sätze 11 und 12 AStG. Die Preisanpassungsklausel des § 1 Abs. 3 Sätze 11 und 12 AStG kann im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung nach dem AOA keine Anwendung finden, da solche Preisanpassungsklauseln zivilrechtlich zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht vereinbart werden können. Es liegt daher ein Fall des § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG vor, wonach die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen einer anderen Behandlung bedarf, als dies zwischen rechtlich selbständigen Unternehmen der Fall wäre (vgl. Rz. 6.296).

6.300 Anwendung des § 4g EStG. § 4g Abs. 1 EStG ist nach § 1 Abs. 5 Satz 6 AStG auch im Rahmen einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV möglich. Die Vorschrift bezieht sich allerdings ausdrücklich auf ein „Wirtschaftsgut des Anlagevermögens“ (vgl. Rz. 6.89), das in eine Betriebsstätte in einem EU-Mitgliedstaat überführt wird (vgl. Rz. 6.90). Werden infolgedessen im Rahmen einer Funktionsverlagerung Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens in eine EU-Betriebsstätte überführt, ist der Anwendungsbereich des § 4g Abs. 1 EStG eröffnet (vgl. Rz. 6.217). Die Bildung eines Ausgleichspostens nach § 4g EStG auf das Transferpaket „als Ganzes“ ist indessen nicht möglich, da dieses (insgesamt) nicht die Voraussetzungen eines Wirtschaftsguts erfüllt. Vielmehr ist die Bildung eines Ausgleichspostens nur in Bezug auf jedes einzelne überführte Wirtschaftsgut des Anlagevermögens möglich.

6.301 Funktionsverlagerungen ins Inland. Nach Auffassung der Finanzverwaltung gelten die Grundsätze des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und der FVerlV auch für Funktionsverlagerungen ins Inland.5 Werden daher Funktionen von einer ausländischen Betriebsstätte in ihr inländisches Stammhaus oder von einem ausländischen Stammhaus in seine inländische Betriebsstätte verlagert, ist ebenfalls ein Transferpaket zu bewerten und im Rahmen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG abzurechnen. Das Transferpaket ist dann allerdings – vergleichbar einer Kaufpreisallokation („Purchase Price Allocation“) – den ins Inland überführten Wirtschaftsgütern und sonstigen Vermögenswerten zuzuordnen. Soweit Wirtschaftsgüter im Transferpaket enthalten sind, kommt es zu einer fingierten Einlage gem. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG, soweit die entsprechenden Vo-

1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 178. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 894; Kaminski/Strunk, DB 2008, 2501 (2502); Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 178; Kahle/Franke, IStR 2009, 411. 3 A.A. Kahle/Eichholz/Kindich, Ubg 2016, 132 (142). 4 Vgl. § 21 Abs. 20 Satz 3 AStG. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774.

506

Ditz

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.304 Kap. 6

raussetzungen erfüllt sind (vgl. Rz. 6.263 ff.). Soweit das Transferpaket Vermögenswerte enthält (insbesondere in Bezug auf den funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwert) ist § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG mangels Wirtschaftsgut nicht einschlägig, so dass der auf diesen Teil des Transferpakets entfallende Betrag eine fiktive Betriebsausgabe darstellt.

II. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Überblick Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG. Nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG liegt eine Funktionsverlagerung vor, wenn „eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken und den mitübertragenen und überlassenen Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteile verlagert“ wird. Die vermeintliche Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG erschöpft sich allerdings in einer tautologischen Aussage, da der Begriff „Funktionsverlagerung“ als „Verlagerung einer Funktion“ umschrieben wird.1 § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG ist infolgedessen zur Ableitung einer Definition der „Funktionsverlagerung“ nur bedingt geeignet; eine solche ergibt sich vielmehr aus § 1 Abs. 2 FVerlV.2

6.302

Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 2 FVerlV. Entgegen § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG enthält § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV eine konkrete Definition der Funktionsverlagerung. Danach ist von einer solchen auszugehen, „wenn ein Unternehmen (verlagerndes Unternehmen) einem anderen, nahestehenden Unternehmen (übernehmendes Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird.“3 Eine Funktionsverlagerung setzt folglich voraus, dass

6.303

– eine Funktion als Verlagerungsgegenstand vorliegt (Rz. 6.305), – diese Funktion bei dem im Inland ansässigen Unternehmen eingestellt oder zumindest eingeschränkt wird (sog. Verlagerung der Funktion, Rz. 6.311) und – Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile, die der Funktionsausübung zugrunde liegen, sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken übertragen bzw. zur Nutzung überlassen werden (Rz. 6.321). Allgemeine Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG. Neben einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV setzt eine Einkünftekorrektur auf Basis des § 1 Abs. 1 AStG im Zusammenhang von Funktionsverlagerungen auch die Erfüllung der allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift voraus. Infolgedessen ist der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 AStG und der FVerlV im Rahmen der Besteuerung einer Funktionsverlagerung auf eine ausländische Betriebsstätte oder ein ausländisches Stammhaus nur eröffnet, wenn eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG besteht und es aufgrund einer Verletzung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu einer Minderung der inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen oder zu einer Erhöhung der ausländischen Ein1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650; Wassermeyer, FR 2008, 67. 2 Kritisch auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 45, der zutreffend von „verwirrenden Regelungen“ spricht. 3 § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV.

Ditz 507

6.304

Kap. 6 Rz. 6.305

Entstrickung und Verstrickung

künfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen kommt (Einzelheiten dazu sind in Rz. 6.145 ff. dargestellt). Auch im Rahmen einer Funktionsverlagerung ist daher immer konkret zu prüfen, ob eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung besteht und es darüber hinaus zu einer Minderung der inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen bzw. zu einer Erhöhung der ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen gekommen ist (vgl. Rz. 6.208).1 2. Funktion

6.305 Definition nach § 1 Abs. 1 FVerlV. Gegenstand der Verlagerung muss eine Funktion sein. Diese wird nicht in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG, sondern in § 1 Abs. 1 FVerlV definiert. So ist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV eine Funktion „eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden.“ Die steuerliche Definition der Funktion steht damit – zumindest im Wesentlichen – im Einklang mit ihrem Verständnis in der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie.2 Für die Praxis ist die Definition allerdings nur bedingt hilfreich, da sie keine „Untergrenze“ für das Vorliegen einer Funktion definiert und infolgedessen – zumindest nach Auffassung der Finanzverwaltung – auch beliebig kleine und „atomisierte“ Tätigkeitsbereiche erfasst werden.3 Im Allgemeinen kommen als Funktionen, welche Gegenstand einer Funktionsverlagerungsbesteuerung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG sein können, folgende in Betracht:4 – Geschäftsleitung, – Forschung und Entwicklung, – Materialbeschaffung, – Lagerhaltung, – Produktion, – Verpackung, – Vertrieb, – Montage, – Bearbeitung oder Veredelung von Produkten, – Qualitätskontrolle, – Finanzierung, – Transport, – Organisation, 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 10. 2 Vgl. Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.18 ff. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 16; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 44; Wolter/Pitzal, IStR 2008, 793. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 15.

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C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.307 Kap. 6

– Verwaltung, – Marketing, – Kundendienst.1 Definition der Funktion durch eine Geschäftstätigkeit. § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV beschreibt die Funktion als „Geschäftstätigkeit“. Was konkret eine Geschäftstätigkeit und damit eine Funktion ausmacht, lässt die FVerlV offen. Vom Gegenstand des Unternehmens „unternehmerische Gesamtaufgabe“ grenzt sich eine Funktion dadurch ab, dass sie nur einen Bestandteil dieser ausmacht, deshalb nicht sämtliche zur Erwirtschaftung der Gesamtwertschöpfung notwendigen Elemente umfasst und dementsprechend durch eingeschränkte Entscheidungs-, Weisungs- und Ausführungsbefugnisse gekennzeichnet ist.2 Von der einzelnen Tätigkeit fehlt demgegenüber jedwede Abgrenzung, so dass die Finanzverwaltung von einer tätigkeits- und objektbezogenen „Atomisierung“ des Funktionsbegriffs ausgeht.3 Die VWG-Funktionsverlagerung führen zur Konkretisierung der Geschäftstätigkeit lediglich aus, dass diese auch dann vorliegt, wenn sie nur konzernintern ausgeübt wird.4 Infolgedessen bedarf es – nach Auffassung der Finanzverwaltung – zum Vorliegen einer Funktion keiner Marktteilnahme gegenüber unabhängigen Dritten. Ferner wird die Notwendigkeit der Abgrenzung gegenüber übrigen Geschäftstätigkeiten herausgestrichen, ohne dass eine inhaltliche Konkretisierung gegenüber einzelnen Tätigkeiten vorgenommen wird.5

6.306

Ablehnung der Auffassung der Finanzverwaltung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist der Begriff der Funktion „tätigkeitsbezogen und objektbezogen“6 zu definieren. Infolgedessen ist nach den VWG-Funktionsverlagerung – entgegen der h.M. der Literatur7 – auch die „Produktion eines bestimmten Produkts oder einer bestimmten Produktgruppe“ als Funktion i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG anzusehen. Diese weite Interpretation der Funktion (i.S. einer „Atomisierung“ der Funktion) steht weder im Einklang mit dem Wortlaut und dem Telos des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG, noch ist sie durch die Definition der Funktion in § 1 Abs. 1 FVerlV gedeckt. Denn nach § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV wird für eine Funktionsverlagerung vorausgesetzt, dass ein „organisatorischer Teil eines Unternehmens“ übergeht (Rz. 6.308). Dieser organisatorische Teil muss zwar nicht zwingend einen Teilbetrieb begründen, dem aber sehr nahe kommen.8 Das Kriterium eines „organisatorischen Teils des Unternehmens“ schließt in-

6.307

1 Vgl. auch Rz. 1.43 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, welche beispielhaft Design, Herstellung, Montage, Forschung und Entwicklung, Service, Einkauf, Vertrieb, Marketing, Werbung, Transport, Finanzierung und Management zur Konkretisierung der Funktionen nennen. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 14. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 16; Kroppen/Rasch, IWB, Fach 3, Gruppe 1, 2444; Kroppen/Rasch, IWB 2010, 825 f.; Frischmuth in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 86 f.; Blumers, DStR 2010, 20. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 17. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 16. 6 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 16. 7 Vgl. Ditz in Raupach/Pohl/Ditz, Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, 15; Pohl, JbFSt 2007/08, 433 ff.; Frotscher, FR 2008, 49 f.; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 275. 8 So auch Vertreter der Finanzverwaltung; vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 43.

Ditz 509

Kap. 6 Rz. 6.308

Entstrickung und Verstrickung

dessen unzweifelhaft eine „Atomisierung“ der Funktionsdefinition aus. Ferner ist zu beachten, dass § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV eine Funktion als „Geschäftstätigkeit“ definiert (Rz. 6.306).1 In diesem Zusammenhang sieht die Begr. zu § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV ausdrücklich vor, dass mit der Funktion eine gewisse Eigenständigkeit einhergeht, die es erlaubt, der Funktion bestimmte Erträge und Aufwendungen zuzuordnen. Dadurch – so die Begr. zur FVerlV – soll auch eine „ausufernde Anwendung“ der Funktionsverlagerungsbesteuerung vermieden werden.2 Genau dieses geschieht aber bei der von der Finanzverwaltung vorgesehenen produktbezogenen Definition der Funktion. Im Übrigen kann auch die Substitution der Herstellung eines Produkts durch ein Nachfolgeprodukt – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung3 – nicht zu einer Funktionsverlagerung führen. Denn in diesem Fall ändert das inländische Unternehmen seine Geschäftstätigkeit in keiner Weise, sondern führt diese mit anderen Produkten fort.

6.308 Organisatorischer Teil eines Unternehmens. In Ergänzung zur allgemeinen Definition der Funktion in § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV stellt Satz 2 der Vorschrift klar, dass die Funktion ein „organisatorischer Teil eines Unternehmens“ ist. Die Beschreibung der Funktion als organisatorischer Teil eines Unternehmens konkretisiert die Stellung einer Funktion im Unternehmen. So wird einerseits die Funktion von einer zusammenhanglosen Gruppe von Wirtschaftsgütern abgegrenzt, denn im Rahmen einer Funktion werden in einem organisatorischen Unternehmensteil (d.h. im Rahmen von Stellen oder Abteilungen) Aufgaben gebündelt, die in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.4 Darüber hinaus wird durch die Beschreibung der Funktion als „organisatorischer Teil eines Unternehmens“ klargestellt, dass die Funktion von anderen Funktionen des Unternehmens abgrenzbar sein muss.5 Eine Funktion kann – so die Begr. der FVerlV – nur dann als organisatorischer Teil eines Unternehmens angesehen werden, wenn sie über eine gewisse Eigenständigkeit verfügt, die es erlaubt, der Funktion bestimmte Aufwendungen und Erträge sachgerecht zuzuordnen.6 Zwingende Voraussetzung für eine Funktion ist somit, dass sie gegenüber anderen Funktionen des Unternehmens eindeutig abgegrenzt werden kann. Denn nur dann kann ein Wert für das im Rahmen der Funktionsverlagerung übergehende Transferpaket – auf Basis der Diskontierung zukünftig erwarteter Reingewinne nach Steuern – bestimmt werden. Eine Funktion, welche im Rahmen der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach dem Transferpaket zu bewerten ist, kann infolgedessen nur vorliegen, wenn ihr Erträge und Aufwendungen konkret zugeordnet werden können. Denn nur in diesem Fall würden auch unabhängige Dritte die Übertragung einer Funktion vergüten. Dabei sind der Funktion als organisatorischem Teil des Unternehmens auch die zur Aufgabenerfüllung notwendigen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter zuzuordnen.7 Sie sind es letztlich, die Gegenstand der Verlagerung sind und nach außen hin die Funktion erkennbar gegenüber den anderen Funktionen des Unternehmens abgrenzen. 1 Vgl. dazu auch Frischmuth in FS Schaumburg, 675 ff. 2 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 10. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 23. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 18; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 279 f. 5 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 61. 6 Vgl. BT-Drucks. 220/07, 10; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 18; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1286; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 43. 7 Vgl. auch Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 280; Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise4, Q Rz. 33.

510

Ditz

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.312 Kap. 6

Zudem muss die letztlich tätigkeitsbezogen dargestellte Aufgabenerfüllung in gewissen Zeitabständen wiederholt werden (können) und darf nicht auf eine einmalige Erledigung ohne Wiederholungsabsicht angelegt sein.1 Eigenständigkeit der Funktion. § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV konkretisiert mit der Forderung nach einem „organisatorische[n] Teil eines Unternehmens“ das Erfordernis einer betriebswirtschaftlichen Eigenständigkeit der Funktion, die es ermöglicht, ihr bestimmte Aufwendungen und Erträge sowie Chancen und Risiken zuzuordnen.2 Diese Einschränkung des Funktionsbegriffs ist sachgerecht, denn unter Fremdvergleichsgesichtspunkten ist eine Vergütung der Übertragung einer Funktion nur dann vorstellbar, wenn diese eindeutig abgrenzbar, insbesondere aber bewertbar ist.3

6.309

Abgrenzung der Funktion vom Teilbetrieb. § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV grenzt den Begriff der Funktion von demjenigen des Teilbetriebs ab, indem klargestellt wird, dass eine Funktion zwar ein „organisatorischer Teil eines Unternehmens“ darstelle, jedoch nicht die Voraussetzungen eines Teilbetriebs erfüllen müsse. Die Rspr. definiert den Teilbetrieb als „einen mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten, organisch geschlossenen Teil des Gesamtbetriebs, der für sich lebensfähig ist.“4 Der Begriff des Teilbetriebs (vgl. Rz. 6.104) ist damit „enger“ als derjenige der Funktion. Mithin umfasst er regelmäßig mehrere betriebliche Funktionen, wobei darüber hinaus eine gewisse Selbständigkeit und vor allem eine selbständige Lebensfähigkeit den Teilbetrieb auszeichnen. Insbesondere das Kriterium der selbständigen Lebensfähigkeit (z.B. nach Auffassung des BFH in Form eines eigenen Kundenkreises, eigene Einkaufsbeziehungen oder einem eigenen Personalbestand)5 ist für eine Funktion nicht erforderlich.6

6.310

3. Verlagerung der Funktion Definition der „Verlagerung“ gem. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG. Der in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG verwandte Begriff der „Verlagerung“ wird in der Vorschrift nicht definiert. Klar ist insoweit nur, dass der Gesetzeswortlaut weder Funktionsverdoppelungen noch Funktionsvervielfältigungen erfassen will.7 Denn das Gesetz spricht ausdrücklich von „verlagert“.

6.311

Definition der „Verlagerung“ gem. § 1 Abs. 2 FVerlV. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV konkretisiert die Tatbestandsvoraussetzung der „Verlagerung“ dahin gehend, dass „damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das

6.312

1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 280. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 18. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1286. 4 BFH v. 17.3.1977 – IV R 218/72, BStBl. II 1977, 596; v. 5.6.2003 – IV R 18/02, BStBl. II 2003, 839 m.w.N.; v. 21.3.2010 – IV R 41/07, FR 2010, 667 m. Anm. Wendt = DStR 2010, 924 m.w.N. 5 Vgl. zu einem Kundenstamm BFH v. 26.6.1975 – VIII R 39/74, BStBl. II 1975, 833; v. 15.3.1984 – IV R 189/81, BStBl. II 1984, 486 = FR 1984, 425; hinsichtlich eigener Einkaufsbeziehungen bei Einzelhandelsfilialen vgl. BFH v. 12.9.1979 – I R 146/76, BStBl. II 1980, 51 = FR 1980, 23; v. 12.2.1992 – XI R 21/90, BFH/NV 1992, 516; hinsichtlich eines eigenen Personalbestands vgl. BFH v. 1.2.1989 – VIII R 33/85, BStBl. II 1989, 458 = FR 1989, 334. 6 Zu Einzelheiten vgl. auch von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 63 ff. 7 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 561.

Ditz 511

Kap. 6 Rz. 6.313

Entstrickung und Verstrickung

verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird.“ Damit muss die in das Ausland „verlagerte“ Funktion beim inländischen Unternehmen eingestellt oder zumindest eingeschränkt werden.1 Während der Begriff des „Einstellens“ insofern eindeutig ist, als damit die Aufgabe der entsprechenden Funktion im Inland gemeint ist, ist die Auslegung des Begriffs „einschränken“ problematisch. Insbesondere stellt sich die Frage, ob der Begriff der Einschränkung einer Funktion tätigkeitsbezogen oder produktbezogen auszulegen ist. Die Finanzverwaltung geht von einem rein produktbezogenen Begriffsverständnis aus. Diese Auffassung ist abzulehnen, da sie durch die gesetzliche Definition der Funktionsverlagerung nicht gedeckt ist. Soweit § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV eine „Verlagerung“ bereits mit einer Einschränkung der Funktion beim inländischen Unternehmen annimmt, während § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG von einer Einstellung der Funktion im Inland ausgeht, verlässt die FVerlV ihren Ermächtigungsrahmen und ist insoweit ohne Rechtsgrundlage.

6.313 Qualitative Auslegung der Einschränkung einer Funktion. Was konkret unter einer „Einschränkung“ der Funktionen beim inländischen Unternehmen zu verstehen ist, lässt § 1 FVerlV offen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll es indessen im Hinblick auf eine Funktionseinschränkung im Inland qualitativ darauf ankommen, ob das übernehmende Unternehmen mit den übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgütern die Funktion in gleicher Weise wie das verlagernde Unternehmen ausübt.2 Diese Aussage ist insofern nicht sachgerecht, als dann eine ggf. im Ausland neu entstehende Funktion bzw. eine Neukonfiguration der Funktion in den Bewertungsbereich des Transferpakets eingehen könnte, welche im Inland vor der Funktionsverlagerung nicht bestand.3 Darüber hinaus ist selbstverständlich, dass Funktionen, die bislang von einem unabhängigen Dritten für den funktionsabgebende Unternehmensteil erbracht und nach der Funktionsverlagerung durch die ausländische Betriebsstätte ausgeübt werden, nicht von einer Funktionsverlagerungsbesteuerung erfasst werden können.

6.314 Quantitative Auslegung der Einschränkung der Funktion. Was den quantitativen Maßstab für die Einschränkung einer Funktion im Inland anbelangt, geht die Finanzverwaltung von dem mit der entsprechenden Funktion erzielten Umsatz aus.4 So könne eine Funktionseinschränkung erst bei Umsatzeinbußen von mehr als 1 Mio. Euro (Bagatellgrenze) vorliegen.5 Dies hat bspw. zur Folge, dass die Finanzverwaltung für den Fall, dass im Ausland eine Vertriebsfunktion neu aufgenommen wird und es dadurch beim inländischen Unternehmen zu Umsatzrückgängen kommt, eine Funktionsverlagerung annimmt.6 Eine solche Auslegung der „Einschränkung einer Funktion“ entbehrt indessen jeglicher Rechtsgrundlage und ist durch die Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 2 FVerlV nicht gedeckt. Vielmehr kann ein Umsatzrückgang allenfalls ein Indiz dafür sein, dass betriebliche Funktionen ins Ausland

1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 22. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 24, s. ferner BR-Drucks. 352/08, 11. 3 Kritisch hierzu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Kroppen/Rasch, IWB, Fach 1, Gruppe 3, 2342. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 23. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 48 f. und 58. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 43.

512

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C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.316 Kap. 6

übertragen wurden.1 Selbstverständlich setzt eine Funktionsverlagerung nach ihrer allgemeinen Definition in § 1 Abs. 2 FVerlV voraus, dass neben dem Umsatzrückgang auch tatsächlich Funktionen i.S.v. Geschäftstätigkeiten in das Ausland verlagert werden. Ein bloßer Umsatzrückgang im Inland verbunden mit einem korrespondierenden Umsatzanstieg im Ausland reicht hingegen für die Annahme einer Funktionsverlagerung unzweifelhaft nicht aus. So anerkennt im Übrigen auch die Finanzverwaltung, dass der Tatbestand einer Funktionsverlagerung nicht darauf abstellt, ob durch den entsprechenden Vorgang die Gewinnerwartungen des inländischen Unternehmens steigen oder gemindert werden.2 Damit kann ein reiner Gewinnrückgang im Inland verbunden mit einem korrespondierenden (oder übersteigenden) Gewinnanstieg in der ausländischen Betriebsstätte oder im ausländischen Stammhaus keine Funktionsverlagerung auslösen. Vielmehr ist im Einzelfall immer zu prüfen, ob tatsächlich Funktionen in die ausländische Betriebsstätte oder das ausländische Stammhaus verlagert wurden und ob unabhängige Dritte für eine solche Funktionsverlagerung ein Entgelt zum Ansatz gebracht hätten. Vergleichbare Schwächen wie die Umsatz- oder Gewinnentwicklung weisen auch andere in Betracht kommende Kriterien (wie z.B. Stückzahlen, Volumen der Produktion, Mitarbeiteranzahl, Kapitalbindung oder Materialeinsatz) auf.3 Auch bei diesen Kriterien kann es sich letztlich nur um Indikatoren einer Funktionsverlagerung handeln. Ausprägungsformen von Funktionsverlagerungen. Im Rahmen einer Funktionsverlagerung wird ein wirtschaftlich separater bzw. organisatorischer Bereich eines Unternehmens übertragen, ohne dass die Voraussetzungen eines Teilbetriebs erfüllt sein müssen. Unter Berücksichtigung des Telos des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG können in diesem Zusammenhang folgende Ausprägungsformen einer „Verlagerung“ einer betrieblichen Funktion unterschieden werden:4

6.315

– Funktionsausgliederung, d.h. die vollständige Übertragung einer Funktion (Rz. 6.316), – Funktionsabschmelzung, d.h. die Übertragung eines Teils einer Funktion (Rz. 6.317), – Funktionsabspaltung, d.h. die Übertragung eines Teils einer Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken im Inland (Rz. 6.318), – Funktionsverdoppelung bzw. Funktionsvervielfältigung, d.h. die Verdoppelung bzw. Vervielfältigung einer im Inland weiterhin ausgeübten Funktion (Rz. 6.319). Funktionsausgliederung. Im Rahmen einer Funktionsausgliederung wird eine Funktion einschließlich des mit ihr in Zusammenhang stehenden Gewinnpotentials vollständig vom Inland auf eine ausländische Betriebsstätte oder ein ausländisches Stammhaus übertragen und die entsprechende Funktion im Inland eingestellt. Infolgedessen geht die entsprechende Funktion einschließlich der Entscheidungskompetenzen sowie der Gewinnchancen und Risiken auf die ausländische Betriebsstätte oder das ausländische Stammhaus über.5 Mit der Funktion 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 160. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 20. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 160. 4 Vgl. auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 52; Frischmuth, StuB 2007, 387; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650. 5 Vgl. Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise4, R Rz. 75; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 52.

Ditz 513

6.316

Kap. 6 Rz. 6.317

Entstrickung und Verstrickung

kommt es dann auch zu einer Übertragung oder Nutzungsüberlassung der der Funktion zugeordneten materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter. Mithin ist es dem inländischen Unternehmen im Anschluss an die Funktionsausgliederung nicht mehr möglich, die entsprechende Funktion selbst auszuüben.

6.317 Funktionsabschmelzung. Im Rahmen der Funktionsabschmelzung werden Teile einer Funktion auf eine ausländische Betriebsstätte oder ein ausländisches Stammhaus verlagert, so dass das inländische Stammhaus oder die inländische Betriebsstätte nach der Funktionsabschmelzung über ein geringeres Funktions- und/oder Risikoprofil verfügt.1 Infolgedessen liegt keine Funktionsausgliederung vor, denn die eigentliche Funktion verbleibt weiterhin im Inland, allerdings wird sie hier beschränkt. Das Funktions- und Risikoprofil kann im Inland – im Extremfall – auf die Erbringung reiner Dienstleistungen beschränkt werden.2 Typische Anwendungsfälle einer Funktionsabschmelzung sind die Abschmelzungen einer inländischen unabhängigen Produktionsbetriebsstätte (Eigenproduzent) zu einem abhängigen Produzenten (Lohnfertiger) oder die Abschmelzung einer inländischen unabhängigen Vertriebsbetriebsstätte zu einer abhängigen Vertriebsbetriebsstätte. Da nach der Funktionsabschmelzung der inländischen Betriebsstätte eine geringere Gewinnmarge zuzuordnen ist, geht die Finanzverwaltung in diesen Fällen von einer Funktionsverlagerungsbesteuerung aus.3 Dies ist indessen nur sachgerecht, wenn die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung sowie des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG erfüllt sind. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die reine Verlagerung von Risiken keine Funktionsverlagerung auslösen kann.4

6.318 Funktionsabspaltung. Bei einer Funktionsabspaltung wird ein Teil einer Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken im Inland auf eine ausländische Betriebsstätte oder ein ausländisches Stammhaus übertragen. Teile der Funktion, die damit verbundenen Entscheidungskompetenzen sowie die zur Ausübung der Funktion notwendigen wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter verbleiben bei einer Funktionsabspaltung im Inland beim Stammhaus oder der Betriebsstätte. Infolgedessen sind diesen auch nach der Funktionsverlagerung weiterhin die aus der Funktion resultierenden Chancen und Risiken zuzuordnen. Mithin bleibt damit das inländische Stammhaus oder die inländische Betriebsstätte Teil der Liefer- und Leistungskette.5 Infolgedessen werden im Rahmen der Funktionsabspaltungen zwar Funktionen verlagert, es kommt allerdings nicht zu einer Funktionsverlagerungsbesteuerung, denn es wird kein Gewinnpotential ins Ausland verlagert. Beispiele für eine Funktionsabspaltung sind das „Outsourcing“ von bestimmten Produktionsschritten auf eine abhängige Produktionsbetriebsstätte oder des Vertriebs auf eine abhängige Vertriebsbetriebsstätte.

6.319 Funktionsverdoppelung bzw. Funktionsvervielfältigung. Insbesondere in Fällen der Funktionsverdoppelung kommt dem Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzung „Einschränkung einer Funktion“ eine entscheidende Bedeutung zu. Unter einer Funktionsver-

1 Vgl. Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise4, R Rz. 79; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 52. 2 Vgl. auch Oestreicher, Ubg 2009, 83. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 21. 4 Gl.A. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerlV Anm. 47. 5 Vgl. Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise4, R Rz. 76; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 52.

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C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.321 Kap. 6

doppelung bzw. -vervielfältigung versteht man die Verdoppelung bzw. Vervielfältigung einer durch den bisherigen (alleinigen) Funktionsträger weiterhin ausgeübten Funktion.1 Begrifflich ist die Funktionsverdoppelung nicht als Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und des § 2 Abs. 1 Satz 1 FVerlV zu qualifizieren, da es an der Einstellung oder Einschränkung der Funktionsausübung durch den bisherigen Funktionsträger fehlt. Eine Funktionsverlagerung liegt demnach nicht vor, wenn die Aufnahme einer Funktion durch ein Unternehmen zu keiner Einschränkung dieser Funktion beim inländischen Unternehmen führt. Dies gilt auch dann, wenn alle übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 FVerlV erfüllt sind.2 Gleichwohl geht § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV bei der Funktionsverdoppelung offenkundig von einem Unterfall der Funktionsverlagerung aus.3 Hiernach soll eine Funktionsverlagerung erst dann nicht gegeben sein, „wenn es trotz Vorliegens der übrigen Voraussetzungen […] innerhalb von fünf Jahren nach Aufnahme der Funktion […] zu keiner Einschränkung der Ausübung der betreffenden Funktion […] kommt (Funktionsverdoppelung).“ Begrifflich soll eine Funktionsverdoppelung damit erst dann vorliegen, wenn keine Funktionseinschränkung bei der „verlagernden“ Betriebsstätte innerhalb einer Fünfjahresfrist zu verzeichnen ist. Diese Regelung ist offenkundig als Missbrauchsvermeidungsnorm zur Vermeidung sukzessiver Verlagerungen konzipiert.4 Neuaufnahme einer Funktion. In Tz. 57 VWG-Funktionsverlagerung wird zutreffend klargestellt, dass die Neuaufnahme einer Funktion, die bisher durch das inländische Unternehmen noch nicht ausgeübt wurde, zu keiner Funktionsverlagerung führen kann. Dies ist bspw. der Fall, wenn eine neue Technologie durch ein inländisches Unternehmen entwickelt wurde und sowohl die Produktion als auch der Vertrieb der entsprechenden Produkte durch eine ausländische Betriebsstätte erfolgen. Die Feststellung des BMF, dass in diesem Zusammenhang keine Funktionsverlagerung vorliegt, ist grundsätzlich zutreffend, letztlich aber auch selbstverständlich. Denn in diesem Fall kommt es nicht zu einer Einschränkung einer Funktion im Inland. Vielmehr wird die Funktion neu im Ausland geschaffen. Die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 2 FVerlV sind damit nicht erfüllt. Dies gilt im Übrigen auch, wenn die ausländische Betriebsstätte eine bislang von einem fremden Dritten wahrgenommene Funktion übernimmt. Auch in diesem Fall kommt keine Funktionsverlagerungsbesteuerung in Betracht, da die Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung „Einschränkung einer Funktion im Inland“ nicht erfüllt sind.

6.320

4. Übergang von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen Kumulativer Übergang von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen. Weitere Tatbestandsvoraussetzung einer Funktionsverlagerung ist, dass mit der Funktion auf die ausländische Betriebsstätte oder das ausländische Stammhaus Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile übergehen. Auch insoweit handelt es sich um eine konstitutive Tatbestandsvoraussetzung, d.h., ohne Überführung und/oder Überlassung von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen kann keine Funktionsverlagerung vorliegen.5 Infolgedessen kann allein die Übertragung einer Funktion (Rz. 6.305 ff.) nicht zu einer gewinnrealisierenden Funktionsverlagerung füh-

1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 42. 3 Gl.A. Borstell in FS Herzig, 1005 f. 4 Vgl. auch Kroppen/Rasch, IWB 2010, 828. 5 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1288.

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6.321

Kap. 6 Rz. 6.322

Entstrickung und Verstrickung

ren.1 Durch die Verwendung einer „und“-Verknüpfung in § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV wird ferner deutlich, dass die Übertragung oder Nutzungsüberlassung sowohl von Wirtschaftsgütern als auch von sonstigen Vorteilen notwendig ist, um eine Funktionsverlagerungsbesteuerung auszulösen. Umgekehrt gesprochen reicht es nicht aus, dass nur Wirtschaftsgüter, nicht aber sonstige Vorteile übertragen werden.2 Ferner ist die bloße Übertragung oder Nutzungsüberlassung von sonstigen Vorteilen (ohne Wirtschaftsgüter) für eine Funktionsverlagerung nicht ausreichend.

6.322 Begriffe des Wirtschaftsguts und des sonstigen Vorteils. Hinsichtlich des Begriffs des Wirtschaftsguts ist auf Rz. 6.43 ff. und hinsichtlich des Begriffs des sonstigen Vorteils auf Rz. 6.164 zu verweisen. 5. Ausnahmen zur Funktionsverlagerung a) Funktionsverlagerung auf eine Betriebsstätte mit Routinefunktionen

6.323 Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 FVerlV. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV werden von der Funktionsverlagerung solche Sachverhalte ausgeschlossen, in denen die Funktion von der übernehmenden Betriebsstätte nur gegenüber dem verlagernden Stammhaus oder der verlagernden Betriebsstätte ausgeübt und der Verrechnungspreis für die entsprechenden anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen (vgl. Rz. 6.145 ff.) auf Basis der Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195) ermittelt wird. Diese Regelung ist insofern zutreffend, als in diesen Fällen keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter auf die ausländische Betriebsstätte oder das ausländische Stammhaus übergehen und es sich bei dem von dem übernehmenden Unternehmen erwirtschafteten Gewinn ausschließlich um einen angemessenen Funktionsgewinn handelt. Der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV erstreckt sich insbesondere auf den Bereich der Funktionsabspaltungen. Eine Funktionsabspaltung liegt vor, wenn eine Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken beim inländischen Unternehmensteil übertragen wird (vgl. Rz. 6.318). Nach zutreffender Auffassung der Finanzverwaltung ist die Ausnahmeregelung insbesondere bei Funktionsabspaltungen anzuwenden, wenn auf die ausländische Betriebsstätte sog. „Routinefunktionen“3 übertragen werden.4 Typischer Anwendungsfall ist die Übertragung (eines Teils) der Produktion auf eine abhängige Produktionsbetriebsstätte oder des Vertriebs auf eine abhängige Vertriebsbetriebsstätte. Mit der Übertragung einer Funktion auf ein Routineunternehmen werden mit dem übergehenden Transferpaket keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen, so dass der Anwendungsbereich der Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Alt. 1 AStG eröffnet ist.

6.324 Definition der Routinefunktion. Die Finanzverwaltung definiert das Routineunternehmen als ein Unternehmen, das lediglich Routinefunktionen ausübt, geringe Risiken trägt und nur in geringem Umfang Wirtschaftsgüter einsetzt.5 Als Routinefunktionen werden beispielhaft die Erbringung konzern- oder unternehmensinterner, marktgängiger Dienstleistungen und einfache Vertriebsfunktionen genannt. Infolgedessen sind – bezogen auf Betriebsstätten – die abhängige Produktionsbetriebsstätte (Lohn- und Auftragsfertiger), die abhängige Ver1 2 3 4

Vgl. auch Oestreicher, Ubg 2009, 83. A.A. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 48. Vgl. dazu BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 66; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.2 Buchst. a.

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C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.327 Kap. 6

triebsbetriebsstätte sowie Auftragsforscher und -entwickler als Routinefunktionen zu qualifizieren. Das Funktionsprofil eines Routineunternehmens beschränkt sich regelmäßig auf die (konkrete) Funktions- bzw. Tätigkeitsausübung. Eigene Marktchancen und Risiken nimmt es nicht oder nur geringfügig wahr.1 Die für die Geschäftsbeziehung wesentlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter werden nicht der Betriebsstätte zugeordnet, sondern durch das Stammhaus unentgeltlich beigestellt. Insofern kennzeichnen das Risikoprofil eines Routineunternehmens lediglich die mit der Funktionsausübung verbundenen Risiken. Die eingeschränkte Funktionsausübung des Routineunternehmens ist grundsätzlich als Dienstleistung der Betriebsstätte anzusehen. Für diese wird in der Verrechnungspreispraxis i.d.R. ein nach der Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195 ff.) oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (vgl. Rz. 6.203 ff.) ermitteltes kostenorientiertes Entgelt vergütet. Vor diesem Hintergrund vertritt die Finanzverwaltung zutreffend die Auffassung, dass Routineunternehmen „bei üblichem Geschäftsablauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“ erzielen.2 Keine Verlagerung eines Gewinnpotentials. Wird lediglich die Funktionsausübung auf eine ausländische Betriebsstätte mit Routinefunktionen übertragen, ist der Tatbestand der Funktionsverlagerung nicht erfüllt.3 Sowohl die Funktion selbst als auch die mit ihr verbundenen Chancen und Risiken verbleiben in diesen Fällen beim verlagernden inländischen Unternehmensteil und gehen nicht auf die ausländische Betriebsstätte über. Ebenso wenig gehen auf die Betriebsstätte mit Routinefunktionen ein Gewinnpotential ausmachende immaterielle Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile über. Vielmehr wird sie (lediglich) in die Lage versetzt, eine nur die Tätigkeitsausübung betreffende fremdvergleichskonforme Vergütung zu erzielen. Insofern rechtfertigt sich auch unter Fremdvergleichsgesichtspunkten keine Vergütung für ein übergehendes Transferpaket.4

6.325

Funktionsausübung nur gegenüber dem abgebenden Unternehmensteil. § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV beschränkt sich auf Fälle, in denen die ausländische Betriebsstätte die übergehende Funktion ausschließlich gegenüber dem verlagernden Stammhaus ausübt. Agiert die aufnehmende ausländische Betriebsstätte etwa als (abhängige) Produktionsbetriebsstätte auch für andere Unternehmensteile oder verbundene oder externe Unternehmen, ist grundsätzlich fraglich, ob die tatbestandlich geforderte Exklusivität noch gegeben ist.5

6.326

Anwendung der Kostenaufschlagsmethode oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Ferner ist der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV darauf beschränkt, dass für die Verrechnungspreisermittlung nach der Funktionsaufnahme durch die ausländische Betriebsstätte oder das ausländische Stammhaus die Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195 ff.) zur Anwendung kommt. Die VWG-Funktionsverlagerung dehnen in diesem Zusammenhang zutreffend den Anwendungsbereich auf die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (vgl. Rz. 6.203 ff.) und die Vergütung mittels einer das niedrigere Risiko berücksichtigenden Provision aus.6

6.327

1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 3 So auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650; Ditz, IStR 2011, 126; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1287; Rasch/Schmidtke, IStR 2009, 93 f.; Zech, IStR 2011, 133. 4 Vgl. auch Rasch/Schmidtke, IStR 2009, 93 f. 5 Vgl. zu Einzelheiten Ditz/Greinert in W/B, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.67. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 67.

Ditz 517

Kap. 6 Rz. 6.328

Entstrickung und Verstrickung

b) Reine Überführung oder Überlassung von Wirtschaftsgütern

6.328 Negativabgrenzung gem. § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV. In Ergänzung zur allgemeinen Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 2 FVerlV (vgl. Rz. 6.305 ff.) grenzt § 1 Abs. 7 FVerlV den Begriff der Funktionsverlagerung negativ ab. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV liegt eine Funktionsverlagerung nicht vor, wenn ausschließlich Wirtschaftsgüter überführt oder zur Nutzung überlassen oder wenn nur Dienstleistungen erbracht werden. Dies soll allerdings nur für solche Fälle gelten, in denen die Wirtschaftsgüter oder Dienstleistungen nicht Teil einer Funktionsverlagerung sind.1 Die entscheidende Frage, in welchen Fällen ausschließlich Wirtschaftsgüter übergehen bzw. nur Dienstleistungen erbracht werden und in welchen Fällen eine Funktionsverlagerung tatsächlich vorliegt, lässt die FVerlV offen. Der Hinweis in der Begr. zu § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV, dass durch die Ausnahmeregelung „eine zu weitgehende Erfassung von Geschäftsvorfällen als Funktionsverlagerungen“ vermieden werden soll, lässt allerdings den Rückschluss zu, dass nur dann von einer Funktionsverlagerung auszugehen ist, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 FVerlV erfüllt sind. Dies setzt wiederum voraus, dass eine Funktion eindeutig sowohl beim verlagernden als auch beim aufnehmenden Unternehmensteil identifiziert und dergestalt abgegrenzt werden kann, dass dieser Funktion entsprechende Wirtschaftsgüter, sonstige Vorteile und Dienstleistungen zugeordnet werden können.2 Dies ergibt sich allerdings auch bereits aus § 1 Abs. 2 FVerlV, so dass § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV lediglich klarstellender Natur ist.

6.329 Regelungen der VWG-Funktionsverlagerung. Auch in den VWG-Funktionsverlagerung wird die Frage der Abgrenzung einer ausschließlichen Übertragung bzw. Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern bzw. einer reinen Dienstleistungserbringung einerseits und einer Funktionsverlagerung andererseits nicht beantwortet. Es wird lediglich klargestellt, dass solche Geschäftsvorfälle Teil einer Funktionsverlagerung sein können und folglich als Teil des Transferpakets im Rahmen einer Gesamtbetrachtung abzurechnen sind.3 c) Personalentsendung

6.330 Einschränkung nach § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV. Als weitere Ausnahme im Rahmen einer Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung schränkt § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV den Anwendungsbereich der Funktionsverlagerungsbesteuerung bei Personalentsendungen ein. Nicht sachgerecht ist allerdings die weitere Einschränkung der Vorschrift in der Begr. zur FVerlV („Ausnahme von der Ausnahme“), wonach auch bei Personalentsendungen eine Funktionsverlagerung vorliegen kann, wenn das entsandte Personal seinen bisherigen Zuständigkeitsbereich aus dem entsandten Unternehmensteil mitnimmt und nach der Entsendung im aufnehmenden Unternehmensteil die gleiche Tätigkeit ausübt und infolgedessen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen oder zur Nutzung überlassen werden bzw. Chancen und Risiken übergehen.4 Diese Rückausnahme steht im Widerspruch zu § 1 Abs. 7 FVerlV und ist damit obsolet.5 Vielmehr ist auch in Personalentsendungsfällen zu prüfen, ob eine Funktion i.S. eines organischen Teils des Unternehmens (vgl. Rz. 6.305 ff.) übergeht. Dies ist

1 Vgl. § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV. 2 Vgl. auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 48. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 51 f. 4 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 14. 5 Kritisch auch Frotscher, FR 2008, 56.

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C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.334 Kap. 6

bei üblichen Personalentsendungsfällen im Konzern bzw. im Unternehmen regelmäßig nicht der Fall.1 Reine Aufwandsverrechnung. Bei Personalentsendungen sind – vorausgesetzt die Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung sind erfüllt – lediglich die für den entsandten Arbeitnehmer angefallenen Kosten zu verrechnen. Liegen die Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung hingegen nicht vor, weil die Arbeitnehmer in Erfüllung einer Dienstleistungsverpflichtung des entsendenden Unternehmens tätig werden, ist diese Dienstleistung fremdüblich, d.h. in der Regel nach der Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.195 ff.), zu verrechnen.2

6.331

d) Keine Funktionsverlagerung unter Dritten Vorgang zwischen voneinander unabhängigen Dritten. Nach § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV liegt eine Funktionsverlagerung nicht vor, „wenn der Vorgang zwischen voneinander unabhängigen Dritten nicht als Veräußerung oder Erwerb einer Funktion angesehen würde.“ Diese Regelung ist insofern sachgerecht, als auch bei Funktionsverlagerungen nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs zu prüfen ist, ob diese zwischen unabhängigen Dritten (d.h. nach dem Modell des hypothetischen Fremdvergleichs zwischen zwei ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitern) vergütet worden wären. Dies ist nach der Begr. der FVerlV insbesondere bei Funktionsverlagerungen ohne relevante Gewinnauswirkungen (sog. Bagatellfälle, vgl. Rz. 6.314) sowie bei Vorgängen, die formal den Tatbestand einer Funktionsverlagerung erfüllen, aber entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz tatsächlich anders abgewickelt werden, der Fall.

6.332

Zeitlich befristete und geringfügige Verlagerungen (Bagatellfälle). Nach der Begr. zu § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV bezieht sich diese Vorschrift in ihrer ersten Fallgruppe auf zeitlich befristete und geringfügige Verlagerungen (sog. Bagatellfälle), die mangels relevanter Gewinnauswirkungen aus der Funktionsverlagerungsbesteuerung ausgenommen werden sollen, obgleich die Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllt sind.3 Im Hinblick auf die konkrete Abgrenzung der Geringfügigkeits- bzw. Wesentlichkeitsgrenze verweisen die VWG-Funktionsverlagerung auf die Bagatellregelung, die in Fällen der Funktionsverdoppelung für die Feststellung einer nicht nur geringfügigen Funktionseinschränkung zum Tragen kommt.4 Demnach führen Umsatzrückgänge von weniger als 1 Mio. Euro nicht zu einer Funktionsverlagerungsbesteuerung (vgl. Rz. 6.314). Darüber hinaus führen die VWG-Funktionsverlagerung exemplarisch die Verlagerung eines einzelnen Auftrags als Beispielsfall für § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV an. Dies ist allerdings insofern nicht sachgerecht, als bei der Verlagerung eines einzelnen Auftrags die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung regelmäßig nicht erfüllt sind.

6.333

Fristgerechte Kündigung von Verträgen und Auslaufen von Vertragsbeziehungen. Die zweite Fallgruppe des § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV erfasst Vorgänge, die formal als Funktionsver-

6.334

1 Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung ist das durch Personalentsendungen ins Ausland „vermittelte“ Know-how nicht gesondert zu vergüten; vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341-20/01, BStBl. I 2001, 796, Tz. 4.2. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341-20/01, BStBl. I 2001, 796, Tz. 2.1 Abs. 2. 3 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 15. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 58.

Ditz 519

Kap. 6 Rz. 6.335

Entstrickung und Verstrickung

lagerung zu qualifizieren sind, aber entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz tatsächlich anders abgewickelt werden. Dies gilt insbesondere für die fristgerechte Kündigung von Verträgen (z.B. von Lizenz-, Vertriebs-, Kommissionärs- oder Handelsvertreterverträgen) oder das Auslaufen von Vertragsbeziehungen.1 Da zwischen Stammhaus und seiner Betriebsstätte keine Verträge abgeschlossen werden können, ist der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV ohne Bedeutung.

III. Rechtsfolgen 1. Gesamtbewertung eines Transferpakets

6.335 Gesamtbewertung des Transferpakets nach den allgemeinen Grundsätzen. Wie sich aus § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG ergibt, ist bei einer Funktionsverlagerung grundsätzlich eine Gesamtbewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzunehmen. Eine Einzelbewertung der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, aus denen sich das Transferpaket zusammensetzt, ist in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG zulässig. Die Gesamtbewertung des Transferpakets hat dabei nach den allgemeinen Grundsätzen des § 1 Abs. 3 AStG zu erfolgen, was in § 2 Abs. 1 FVerlV und Rz. 61 der VWG-Funktionsverlagerung2 nochmals ausdrücklich klargestellt wird. Liegen für das Transferpaket danach uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte vor, ist ein tatsächlicher Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG durchzuführen. Andernfalls hat die Bestimmung des angemessenen Verrechnungspreises für das Transferpaket auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG zu erfolgen.

6.336 Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs nur in Ausnahmefällen. Liegen für das Transferpaket uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte vor, ist gemäß dem Stufenverhältnis der Verrechnungspreisermittlung ein tatsächlicher Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG durchzuführen.3 Der Vorrang des tatsächlichen vor dem hypothetischen Fremdvergleich auch für Funktionsverlagerungen wird ausdrücklich durch § 2 Abs. 1 Satz 1 FVerlV anerkannt. Wegen der dominierenden Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen dürfte ein tatsächlicher Fremdvergleich jedoch die Ausnahme sein. Im Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern ergeben sich bei einem tatsächlichen Fremdvergleich stets die Probleme der Vergleichbarkeit und der Beobachtbarkeit. Immaterielle Wirtschaftsgüter haben häufig einen einzigartigen Charakter, durch den eine Monopolstellung geschaffen werden soll und der die Suche nach Vergleichswerten erschwert.4 Hinzu kommt, dass für die meisten immateriellen Wirtschaftsgüter kein aktiver Markt besteht, auf dem eine Preisbildung beobachtet werden könnte. Vielmehr vereinbaren die Parteien häufig sogar Stillschweigen über den vereinbarten Preis. Aus diesem Grund können selbst im Fall einer gegebenen Vergleichbarkeit Fremdvergleichswerte häufig kaum ermittelt werden.5 Vor diesem Hintergrund dürfte die Ermittlung uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbarer Vergleichspreise bei Funktionsverlagerungen nur im Ausnahmefall gelingen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an die Verlagerung von Routinefunktionen, bei denen keine wesentlichen 1 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 15. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 2.2.1.1. 3 Vgl. Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB 2007, 309 f. 4 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 102. 5 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 102.

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Ditz

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.339 Kap. 6

immateriellen Wirtschaftsgüter übertragen werden, z.B. die Verlagerung der Datenverarbeitung auf ein spezialisiertes Softwarehaus, die Übertragung der Buchhaltung auf einen Steuerberater oder die Verlagerung des Liquiditätsmanagements auf eine Bank.1 Anwendung der allgemeinen Grundsätze des tatsächlichen Fremdvergleichs. Kommt es im Fall einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung zu einem tatsächlichen Fremdvergleich, gelten die allgemeinen Grundsätze des § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG.2 Abgesehen von der Tatsache, dass Gegenstand des Fremdvergleichs das Transferpaket ist, ergeben sich für Funktionsverlagerungen insofern keine Besonderheiten. Wurden durch den tatsächlichen Fremdvergleich mehrere uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte festgestellt, bilden diese nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG eine Bandbreite.3 Bei uneingeschränkt vergleichbaren Werten kann der Steuerpflichtige als Verrechnungspreis für das Transferpaket nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG jeden Wert innerhalb der Bandbreite ansetzen. Sind die ermittelten Werte nur eingeschränkt vergleichbar, ist die Bandbreite nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG einzuengen und ein Verrechnungspreis aus dem eingeengten Bereich zu wählen.

6.337

Hypothetischer Fremdvergleich als Regelfall bei Funktionsverlagerungen. Sofern für das Transferpaket keine uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte vorliegen, ist ein hypothetischer Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG durchzuführen.4 In Anbetracht der dominierenden Bedeutung von immateriellen Wirtschaftsgütern bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen und der bei ihrer Bewertung auftretenden Schwierigkeiten dürfte der hypothetische Fremdvergleich den Regelfall darstellen. Kommt es im Fall einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung zu einem hypothetischen Fremdvergleich, gelten die allgemeinen Grundsätze des § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG. Abgesehen von der Tatsache, dass Gegenstand des Fremdvergleichs das Transferpaket ist, ergeben sich für grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen insofern keine Besonderheiten. Zur Bewertung des Transferpakets ist daher nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG ein Einigungsbereich zu ermitteln, der durch die Gewinne bestimmt wird, die das übertragende und das übernehmende Unternehmen aus dem Transferpaket erwarten. Innerhalb des Einigungsbereichs ist nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG der Mittelwert anzusetzen, sofern der Steuerpflichtige nicht glaubhaft machen kann, dass ein anderer Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz mit einer höheren Wahrscheinlichkeit entspricht. Erweist sich der Einigungsbereich im Nachhinein als unzutreffend, kann der angesetzte Wert von der Finanzverwaltung korrigiert werden. Auf eine Korrektur kann nach § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG jedoch verzichtet werden, wenn der angesetzte Wert innerhalb des zutreffenden Einigungsbereichs liegt.

6.338

Notwendigkeit der Ermittlung eines Einigungsbereichs für das Transferpaket. Erfolgt die Bewertung des Transferpakets auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs, muss im ersten Schritt ein Einigungsbereich ermittelt werden. Hierzu bestimmt § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG: „Können keine eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte festgestellt werden, hat der Steuerpflichtige für seine Einkünfteermittlung einen hypothetischen Fremdvergleich unter Beachtung des Abs. 1 Satz 3 durchzuführen.“ Diese Bestimmung wird durch § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG wie folgt ergänzt: „Dazu hat er auf Grund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen den Mindestpreis des Leistenden und den Höchstpreis des Leistungsempfängers

6.339

1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166. 2 Zur Anwendung eines tatsächlichen Fremdvergleichs im Rahmen der Bewertung des Transferpakets vgl. auch Schilling/Kandels, DB 2012, 1065 mit Anm. Ditz/Liebchen, DB 2012, 1469 ff. 3 Zu den Ursachen für die Entstehung einer Bandbreite vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 348 ff. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 99.

Ditz 521

Kap. 6 Rz. 6.340

Entstrickung und Verstrickung

unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssätze zu ermitteln (Einigungsbereich); der Einigungsbereich wird von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotentialen) bestimmt.“ Hieraus folgt, dass es für die Ermittlung des Einigungsbereichs entscheidend auf die Gewinne ankommt, die das übertragende und das übernehmende Unternehmen zukünftig aus dem Transferpaket erwarten. Diese Vorgehensweise entspricht dem finanzwirtschaftlichen Verständnis von Wert, nach dem ein Gut nur so viel wert ist, wie Ergebnisse durch seine Verwendung erwirtschaftet werden können.1 Die Gewinnerwartungen des übertragenden Unternehmens bestimmen die Untergrenze des Einigungsbereichs, während die Gewinnerwartungen des übernehmenden Unternehmens die Obergrenze bestimmen. Aus der Regelung folgt außerdem, dass die jeweils zu erwartenden Gewinnpotentiale mithilfe eines kapitalwertorientierten Verfahrens zu ermitteln sind,2 was in Tz. 87 der VWGFunktionsverlagerung3 nochmals ausdrücklich klargestellt wird. Angesprochen sind damit insbesondere das Ertragswertverfahren und das Discounted-Cashflow-Verfahren,4 die nach Tz. 88 der VWG-Funktionsverlagerung5 gleichberechtigt nebeneinander stehen. Bei der Anwendung eines kapitalwertorientierten Verfahrens zur Bewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets sind nach § 3 Abs. 2 Satz 3 FVerlV und Tz. 84 der VWGFunktionsverlagerung6 insbesondere die nachfolgend aufgeführten Fragen zu klären,7 wobei maßgeblicher Bewertungszeitpunkt nach § 3 Abs. 1 FVerlV der Zeitpunkt der Übertragung der Funktion ist. Bei den nachfolgend aufgeführten Fragen handelt es sich um typische Fragen im Zusammenhang mit der Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter,8 was sich aus der dominierenden Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen erklärt: – Bestimmung der Gewinnpotentiale für das Transferpaket, – Ermittlung eines sachgerechten Kapitalisierungszeitraums, – Ableitung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes.9

6.340 Korrektur der Bewertung des Transferpakets nach den allgemeinen Grundsätzen. Erweist sich der nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelte Einigungsbereich als unzutreffend und entspricht daher auch die Bewertung des Transferpakets nicht den gesetzlichen Anforderungen, kann der vom Steuerpflichtigen angesetzte Wert von der Finanzverwaltung korrigiert werden. Die Korrektur des angesetzten Verrechnungspreises richtet sich auch bei grenz1 Vgl. Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung7, 77 ff.; Kruschwitz, Investitionsrechnung9, 45 ff. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 2.3.2.1. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 2.3.2.1. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 2.3.2. 7 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1652. 8 Vgl. Greinert, Ubg 2011, 102. 9 Eine umfassende Darstellung dieser Bewertungsparameter anhand von Beispielen findet sich in Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.91 ff.; Kroppen in Kroppen, Handbuch internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 146 ff.; Vögele/Vögele in V/B/E, Verrechnungspreise4, H Rz. 310 ff.; Oestreicher/Hundeshagen, DB 2008, 1637 (1693).

522

Ditz

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.342 Kap. 6

überschreitenden Funktionsverlagerungen nach den allgemeinen Grundsätzen des § 1 Abs. 5 AStG. Für den hypothetischen Fremdvergleich finden sich die entsprechenden Regelungen in § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG. Ist der vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte Einigungsbereich danach unzutreffend und muss deshalb von einem anderen Einigungsbereich ausgegangen werden, kann von der Finanzverwaltung auf eine Einkünfteberichtigung verzichtet werden, wenn der vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte Wert innerhalb des zutreffenden Einigungsbereichs liegt. Ob eine Korrektur vorgenommen wird, liegt damit im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzverwaltung.1 Nach Tz. 130 der VWG-Funktionsverlagerung2 soll es für die Ermessensausübung unter anderen darauf ankommen, ob die Abweichung vom Mittelwert im zutreffenden Einigungsbereich erheblich ist und ob dem Steuerpflichtigen die Fehlerhaftigkeit der Ermittlung des Einigungsbereichs bekannt war oder bekannt sein musste, etwa wegen einer entsprechenden Beanstandung bei einer vorhergehenden Prüfung. Überführung vs. Überlassung eines Transferpakets. Auch im Rahmen einer Funktionsverlagerung ist zu klären, ob das Transferpaket vom inländischen Stammhaus auf die ausländische Betriebsstätte oder von der inländischen Betriebsstätte auf das ausländische Stammhaus überführt oder zur Nutzung überlassen wird. Als Abgrenzungskriterium für die Unterscheidung zwischen Überführung und Nutzungsüberlassung sind die Dauer sowie die Ausschließlichkeit der Nutzung des Transferpakets durch die ausländische Betriebsstätte bzw. das ausländische Stammhaus heranzuziehen (zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.75 ff. und 6.171 ff.). Nach Auffassung der Finanzverwaltung besteht die widerlegbare Vermutung, dass von der Lizenzierung eines Transferpakets bzw. eines immateriellen Wertes als Teil einer Funktionsverlagerung auszugehen ist, wenn der Steuerpflichtige zustimmt.3 Dies ist insofern sachgerecht, als auch § 4 Abs. 2 FVerlV auf Antrag des Steuerpflichtigen von einer Nutzungsüberlassung auszugehen ist, wenn Zweifel bestehen, ob hinsichtlich des Transferpakets eine Überführung oder eine Nutzungsüberlassung vorliegt. Von dieser Vermutung einer (fiktiven) Lizenzierung ist nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BsGaV auch in Betriebsstättenfällen auszugehen. Dies gilt – so die Finanzverwaltung in den VWG BsGa, Rz. 100 – insbesondere, wenn sich aus der Hilfs- und Nebenrechnung keine anderen eindeutigen Hinweise ergeben, die Substanzerfordernisse (Personalfunktionen) beim fiktiv Überlassenden so ausgeprägt sind, dass die Anerkennung der Lizenzierung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz berechtigt erscheint und die Zuordnungsentscheidung auch im anderen Staat der Besteuerung zugrunde gelegt wird.4 Im Kern geht es damit im Rahmen der Funktionsverlagerung hinsichtlich der Überlassung eines Transferpakets um die Frage, ob das wirtschaftliche Eigentum an den im Rahmen der Funktionsverlagerung überführten Wirtschaftsgütern tatsächlich übergeht und ob es die maßgeblichen Funktionsverlagerungen im inländischen Unternehmensteil rechtfertigen, die Zuordnung der entsprechenden Vermögenswerte weiterhin im Inland zu rechtfertigen.

6.341

Anwendung des § 4g EStG. Zur Anwendung des § 4g EStG wird auf die Rz. 6.305 verwiesen.

6.342

1 Vgl. § 5 AO. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 2.7.6.2. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 100. 4 Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 63.

Ditz 523

Kap. 6 Rz. 6.343

Entstrickung und Verstrickung

2. Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter als Ausnahme

6.343 Einzelbewertung der Wirtschaftsgüter nach den allgemeinen Grundsätzen. Wie sich aus § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG ergibt, ist bei einer Funktionsverlagerung grundsätzlich eine Gesamtbewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzunehmen. Eine Einzelbewertung der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, aus denen sich das Transferpaket zusammensetzt, ist in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG zulässig. Kommt es zu einer Einzelbewertung, hat diese nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen, was in Tz. 69 der VWG-Funktionsverlagerung1 nochmals ausdrücklich klargestellt wird. Liegen für die Wirtschaftsgüter des Transferpakets danach uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte vor, ist ein tatsächlicher Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG durchzuführen. Andernfalls hat die Bestimmung der angemessenen Verrechnungspreise für die übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG zu erfolgen. Die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG ist nicht abschließend.2 Weitere Fälle, in denen eine Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter erfolgt, finden sich in § 1 Abs. 6 und 7 FVerlV und § 2 Abs. 2 FVerlV.

6.344 Zulässigkeit einer Einzelbewertung in den gesetzlich geregelten Fällen. § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG unterscheidet drei eigenständige Konstellationen, in denen eine Einzelbewertung zulässig ist und deren Voraussetzungen stets unabhängig voneinander zu prüfen sind. Zu beachten ist, dass in diesen Fällen gleichwohl eine Funktionsverlagerung vorliegt und daher insbesondere die gesetzlichen Dokumentationspflichten zu erfüllen sind. Dies wird in Tz. 70 der VWG-Funktionsverlagerung3 ausdrücklich klargestellt. In folgenden Fällen ist eine Einzelbewertung zulässig:4 – Gegenstand der Funktionsverlagerung sind keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG); – Die Summe der angesetzten Einzelverrechnungspreise entspricht, gemessen an der Bewertung des Transferpakets, dem Fremdvergleichsgrundsatz (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG); – Zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut ist Gegenstand der Funktionsverlagerung (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG).

6.345 Grundsatz der Gesamtbewertung führt zu unzulässiger Beweislastumkehr. Macht man sich die dominierende Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei Funktionsverlagerungen klar, wird deutlich, dass in der Mehrzahl der Fälle die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG vorliegen dürften. In den noch verbleibenden Fällen dürften dann regelmäßig die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG gegeben sein. Anders als die gesetzliche Regelung auf den ersten Blick nahelegt, ist die Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG daher eher die Ausnahme, während die Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 2.2.3. 2 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 840. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774, Tz. 2.2.3. 4 Zu Einzelheiten vgl. Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 982 ff.; Kroppen in Kroppen, Handbuch internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 112 ff.; Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise4, R Rz. 661 ff.

524

Ditz

C. Entstrickung von Funktionsverlagerungen

Rz. 6.347 Kap. 6

Satz 10 AStG die Regel sein dürfte.1 Die Vorschriften zur Ermittlung des Verrechnungspreises bei Funktionsverlagerungen in § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG bewirken damit im Ergebnis nichts anderes als eine Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen, da dieser die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG glaubhaft machen muss.2 Hiergegen bestehen erhebliche Bedenken, da im Rahmen der Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG ein Mehrwert besteuert werden soll. Dabei handelt es sich um eine steuererhöhende Tatsache, so dass die Beweislast an sich bei der Finanzverwaltung läge.3 IV. Vereinbarkeit mit Abkommensrecht Keine Regelungen zu Funktionsverlagerungen. Weder im OECD-MK 2008 bzw. 2010 zu Art. 7 OECD-MA noch im OECD-Betriebsstättenbericht 2008 sind Regelungen zur Besteuerung der Verlagerung von Funktionen in eine Betriebsstätte im anderen Vertragsstaat dargestellt. Vor diesem Hintergrund sind nach Auffassung der OECD im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen die allgemeinen Grundsätze zu beachten, d.h., auch bei Funktionsverlagerungen ist – im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse und unter Berücksichtigung der maßgeblichen Personalfunktionen – zu prüfen, welche Wirtschaftsgüter in die Betriebsstätte überführt bzw. ihr zur Nutzung überlassen bzw. welche Dienstleistungen an die Betriebsstätte erbracht werden. Sind die entsprechenden unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen) identifiziert, sind sie einzeln unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze zu bewerten und abzurechnen. Infolgedessen fehlt eine abkommensrechtliche Grundlage zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach dem Transferpaket.

6.346

Fehlende Vereinbarkeit mit den OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Im Übrigen ist die Funktionsverlagerungsbesteuerung gem. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und der FVerlV auch nicht durch die Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes der OECD nach Art. 9 Abs. 1 OECDMA gedeckt. So führt der Übergang einer Funktion nach den OECD-Verrechnungspreisleitlinien nicht zu einer Gesamtbewertung im Rahmen von Restrukturierungsmaßnahmen. Vielmehr setzt eine solche die Übertragung einer „Business Unit“ voraus. Eine solche entspricht allerdings dem deutschen Begriff des Teilbetriebs, so dass eine Gesamtbewertung im Rahmen einer Funktionsverlagerung, in deren Rahmen ein Teilbetrieb (und damit keine „Business Unit“) übertragen wird, von den OECD-Verrechnungspreisleitlinien nicht vorgesehen ist.4

6.347

1 Vgl. Eigelshoven/Nientimp, Ubg 2010, 234; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1311; Looks, StB 2010, 351. 2 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 568. 3 Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 538; Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB 2007, 311 f. 4 Vgl. Rz. 9.93 OECD-Verrechnungspreisleitlinien und dazu ausführlich Ditz in S/D, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 118; s. ferner Schreiber in Kroppen, Handbuch internationale Verrechnungspreise, FVerl Anm. 31.1.

Ditz 525

Kapitel 7 Besteuerung vor Gründung und nach Beendigung einer Betriebsstätte A. Einordnung des Problems . . . . . . .

7.1

B. Gründungsaufwand einer Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III. Umwandlung der Betriebsstätte in eine Tochterkapitalgesellschaft . . . . .

7.17

7.7

IV. Betriebsstättenaufgabebesteuerung

7.18

C. Veräußerungs-, Aufgabe- und Umwandlungstatbestände I. Veräußerung der Betriebsstätte im Ganzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.15

II. Zerschlagung der Betriebsstätte . . . .

7.16

V. Betriebsverlegung . . . . . . . . . . . . . . .

7.20

D. Erträge und Aufwand nach Auflösung einer Betriebsstätte . . . .

7.23

A. Einordnung des Problems 7.1 Kosten vor Gründung einer Betriebsstätte. Es soll vorweg der Anwendungsbereich erörtert werden, innerhalb dessen sich die hier zu besprechenden Fragen stellen können. Vorbereitungskosten können schon dann anfallen, wenn mit einer betrieblichen Tätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG noch gar nicht begonnen wurde, d.h., wenn weder ein Betrieb noch eine Betriebsstätte besteht. Sie können ebenso anfallen, wenn innerhalb einer bereits ausgeübten betrieblichen Tätigkeit die Gründung einer Betriebsstätte im In- oder Ausland erwogen bzw. in Angriff genommen wird. Das Stadium der Vorbereitung kann sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Es ist denkbar, dass die Betriebsstättengründung nur eine von mehreren in Betracht gezogenen Möglichkeiten ist. Die Vorbereitungskosten können aber auch zu einem Zeitpunkt anfallen, in dem die Gründung der Betriebsstätte eine beschlossene Sache ist. Der Veranlassungszusammenhang kann ein objektiver oder nur ein subjektiver sein. Vorbereitende Aufwendungen können sich auch auf den Erwerb eines Unternehmens bzw. auf den Erwerb der Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft beziehen, die ihrerseits über eine bereits bestehende Betriebsstätte im In- oder Ausland verfügen. Vorbereitungskosten können in dem Sinne erfolgreich sein, dass mit ihrer Hilfe das angestrebte Ziel erreicht wird. Das angestrebte Ziel kann aber auch entweder gar nicht erreicht werden oder sich als Fehlmaßnahme erweisen, die aufgegeben wird und rückgängig zu machen ist.

7.2 Kosten nach Beendigung einer Betriebsstätte. Nachträgliche Einkünfte können aus Betriebseinnahmen und oder Betriebsausgaben bestehen, wobei auch die Art der Gewinnermittlung (Bilanzierung oder Zu- und Abflussprinzip) von besonderer Bedeutung sein kann. Es gibt nachträgliche Einkünfte im engeren und im weiteren Sinn. Nachträgliche Einkünfte im engeren Sinn sind solche gem. § 24 Satz 1 Nr. 2 EStG. Sie setzen voraus, dass der sie auslösende Betrieb entweder nicht mehr besteht oder dem Steuerpflichtigen nicht mehr (anteilig) zuzuordnen ist. Nachträgliche Einkünfte im weiteren Sinn sind immer dann anzunehmen, wenn zwischen der ausgeübten Tätigkeit und der steuerrechtlichen Erfassung der durch sie ausgelösten Betriebseinnahmen und/oder Betriebsausgaben eine gewisse Zeit verstreicht, in der tatsächliche Veränderungen eintreten. Dabei kann es sich alternativ entweder um wenige

526

Wassermeyer

A. Einordnung des Problems

Rz. 7.3 Kap. 7

Tage oder aber auch um einen längeren Zeitraum handeln. Die tatsächlichen Veränderungen können aus der Auflösung bzw. Aufgabe eines Betriebs oder einer Betriebsstätte, aus dem Wechsel in der Steuerpflicht, aus Gesamtrechtsnachfolgen u.a.m. bestehen. Bei Personengesellschaften können zusätzlich Mitunternehmer austreten bzw. eintreten. Immer ist die Frage zu beantworten, in welchem Umfang bei der Besteuerung der „nachträglichen Einkünfte“ auf die früher bestehenden tatsächlichen Verhältnisse zurückgegriffen werden kann bzw. muss. Dabei ist es auf der Grundlage des § 16 Abs. 3a EStG denkbar, die Beendigung der Betriebsstätte mit einer Betriebsaufgabe gleichzustellen. Schließlich ist daran zu denken, dass sich die hier erörterte Problematik ebenso im Rahmen der unbeschränkten wie der beschränkten Steuerpflicht stellen kann. Es liegt auf der Hand, dass eine systematisch einheitliche Lösung praktiziert werden muss. Ferner muss zwischen der Anwendung des innerstaatl. Rechts und des Abkommensrechts differenziert werden. Die sich aus § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG, § 16 Abs. 3a EStG und § 12 Abs. 1 KStG ergebenden Rechtsfolgen müssen dabei gesondert betrachtet werden (vgl. Rz. 4.257), weil sie nur durchgreifen, wenn ein dt. Besteuerungsrecht zumindest beschränkt wird. Zunächst gilt es jedoch, die allg. Grundsätze für die Besteuerung von Vorbereitungskosten und nachträgliche Einkünfte zu erarbeiten. Generelle Behandlung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht. Bevor man speziell über die steuerrechtliche Behandlung von Gründungsaufwand einer Betriebsstätte bzw. von nach Beendigung einer Betriebsstätte erzielten Erlösen und Aufwendungen nachdenkt, muss man sich vor Augen führen, wie vorbereitende Aufwendungen bzw. nachträgliche Erlöse oder Aufwendungen generell im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht behandelt werden. Das Problem stellt sich als solches innerhalb jeder Einkunftsart. Deshalb sind die unterschiedlichen Formulierungen zu beachten. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG begründet nur eine im Inland betriebene Land- und Forstwirtschaft inländische Einkünfte. Die Formulierung schließt die Berücksichtigung von Vorbereitungskosten und nachträglichen Betriebseinnahmen/Betriebsausgaben aus. Beim Anfall der Vorbereitungskosten besteht noch keine beschränkte Steuerpflicht. Beim Anfall nachträglicher Betriebseinnahmen/Betriebsausgaben besteht keine beschränkte Steuerpflicht mehr. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG setzen inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb das Unterhalten einer Betriebsstätte bzw. die Bestellung eines ständigen Vertreters im Inland voraus. Auch dies schließt die Berücksichtigung von Vorbereitungskosten und nachträglichen Betriebseinnahmen/Betriebsausgaben aus. Für § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b bis e EStG gilt im Grundsatz Entsprechendes. Hinzuweisen ist allerdings auf § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG, weil dort von Einkünften die Rede ist, die durch bestimmte im Inland ausgeübte oder verwertete Darbietungen erzielt werden. Aus der Formulierung ergibt sich, dass die Ausübung von Tätigkeiten und der Zufluss von dadurch veranlassten Einnahmen bzw. Ausgaben zeitlich auseinanderfallen können. In diesem Sinne unterliegen der beschränkten Steuerpflicht auch Einnahmen und Aufwendungen, die vor oder nach Ausübung der maßgeblichen Tätigkeit anfallen. Hinzuweisen ist ferner auf § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG. Die Vorschrift findet keine Anwendung auf Beteiligungsveräußerungsgewinne, die nach Verlegung von Sitz und Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft ins Ausland anfallen. Noch deutlicher ist die Regelung in § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG, weil dort gefordert wird, dass die selbständige Arbeit im Inland ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist oder für die im Inland eine feste Einrichtung oder eine Betriebsstätte unterhalten wird. Anders ausgedrückt genügt in diesem Bereich sowohl ein Gegenwarts- als auch ein Vergangenheitsbezug der erzielten Einkünfte zu der selbständigen Arbeit. Ein bloßer Zukunftsbezug reicht jedoch nicht aus. Das zeitliche Auseinanderfallen des Ausübens einer Tätigkeit und des Zuflusses von Einnahmen schließt deren Erfassung im Bereich der beschränkten Steuerpflicht nicht aus. Entsprechendes gilt für die Formulierung von § 49 Wassermeyer 527

7.3

Kap. 7 Rz. 7.4

Besteuerung vor Gründung und nach Beendigung einer Betriebsstätte

Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG („Entschädigung für die zuvor ausgeübte Tätigkeit“). Die Wortlaute von § 49 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG schließen es nicht aus, z.B. vorab entstehende Einnahmen der beschränkten Steuerpflicht zu unterwerfen, wenn die maßgebende Tätigkeit erst in einem Folgejahr ausgeübt wird. Grundsätzlich reicht es deshalb aus, dass die Einnahmen bzw. der Aufwand in einem Veranlassungszusammenhang zu einem Sachverhalt stehen, der ein in § 49 EStG genanntes Anknüpfungsmerkmal an das Inland erfüllt. An den Zeitbezug werden keine weitergehenden Anforderungen gestellt, d.h., das Anknüpfungsmerkmal kann zeitgleich mit dem Zufluss, früher oder später erfüllt werden. Dies spricht an sich dafür, dass es auch vorbereitende und nachträgliche Betriebsstätteneinkünfte geben muss. Für diese Auffassung spricht auch, dass andernfalls aktivierungspflichtige und sofort abziehbare Gründungskosten unterschiedlich zuzuordnen wären (vgl. Rz. 5.5). Dennoch ergibt sich das Problem im Falle von Gründungsaufwand einer Betriebsstätte daraus, dass immer auch eine Veranlassung zwischen Aufwand und Stammhaus besteht. Solange die Betriebsstätte noch nicht oder nicht mehr existent ist, wird der Betriebsstättenstaat nicht nur den Veranlassungszusammenhang zur Betriebsstätte, sondern regelmäßig sogar die beschränkte Steuerpflicht im Betriebsstättenstaat verneinen. Das Unterhalten einer festen Einrichtung oder einer Betriebsstätte ist dagegen nur bei einem Gegenwartsbezug relevant. In allen Alternativen begründet ein bloßer Zukunftsbezug dagegen keine inländischen Einkünfte. Hinzuweisen ist auch auf § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG, wonach inländische Einkünfte das Nutzen von Rechten und Erfahrungen im Inland voraussetzen. § 34d EStG enthält spiegelbildliche Regelungen bezüglich der ausländischen Einkünfte. Es ist deshalb zwischen dem Bezug von Einnahmen und Aufwendungen zu einer bestimmten Tätigkeit und dem Bezug zu einer Betriebsstätte/festen Einrichtung zu differenzieren. Der bloße Zukunftsbezug zu einer Betriebsstätte/festen Einrichtung ist im Rahmen der §§ 34d und 49 EStG steuerrechtlich irrelevant. Man muss die hier angesprochenen Formulierungen vor dem Hintergrund beurteilen, dass die beschränkte Steuerpflicht einen Inlandsbezug von einem gewissen Gewicht und einer gewissen Nachhaltigkeit voraussetzt. Auch soll eine gewisse Besteuerungskorrespondenz im Ansässigkeitsstaat einerseits und im Quellenstaat andererseits hergestellt werden. Diese Zielsetzungen beinhalten eine Einschränkung bloßer Veranlassungsüberlegungen.

7.4 Bedeutung der Entstrickungsregeln und des § 1 Abs. 5 AStG. Man muss die Problematik auch aus der Sicht des § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG, des § 16 Abs. 3a EStG, des § 12 Abs. 1 KStG und des § 1 Abs. 5 AStG sehen. Bekanntlich hat der Gesetzgeber mit dem SEStEG1 eine Aufdeckung stiller Reserven angeordnet, wenn das deutsche Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird. § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG wurde durch das JStG 20102 und § 1 Abs. 5 AStG durch das AmtshilfeRLUmsG3 eingefügt. Auch wenn es sich um gesetzliche Neuregelungen handelt, so vermitteln sie die Vorstellung des Gesetzgebers, dass jedenfalls ab dem Veranlagungszeitraum 2006 die Betriebsstätte/feste Einrichtung fiktiv wie ein eigenständiger Betrieb zu behandeln ist. Grenzüberschreitende Überführungen zwischen Betriebsstätten/festen Einrichtungen desselben Unternehmens sollen steuerlich wie fiktive Veräußerungen behandelt werden. Dies macht Sinn, wenn man bedenkt, dass die mit einer zukunftsbezogenen Gründung einer ausländischen Betriebstätte verbundenen Aufwendungen kaum fassbar sind. Es kommt hinzu, dass bei der Aufgabe einer Betriebsstätte/festen Einrichtung die Wirtschaftsgüter nicht selten in eine andere Betriebsstätte/feste Einrichtung überführt werden. Werden sie später veräußert, so lässt sich der Gewinn kaum auf die Betriebsstätten aufteilen. Deutlich wird dies bei überführten Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, wenn deren gemeiner 1 SEStEG v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782 = BStBl. I 2007, 4. 2 JStG 2010 v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768 = BStBl. I 2010, 1394. 3 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 = BStBl. I 2013, 802.

528

Wassermeyer

A. Einordnung des Problems

Rz. 7.6 Kap. 7

Wert erheblichen Veränderungen nach unten und oben unterliegt und für die Vergangenheit entsprechende Schwankungen festzustellen sind. Auch insoweit entspricht es dem Grundgedanken der §§ 34d und 49 EStG, inländische bzw. ausländische Einkünfte erst dann anzunehmen, wenn ein „nachhaltiger“ Bezug zum In- bzw. Ausland besteht. Das ist der Grund, weshalb §§ 34d und 49 EStG jeden Zukunftsbezug zu einer Betriebsstätte/festen Einrichtung als steuerrechtlich irrelevant behandeln. Dieser im EStG niedergelegte Grundsatz bindet auch die Rechtsprechung. Es kommt hinzu, dass die §§ 34d und 49 EStG die Besteuerung von Einkünften und die Berücksichtigung von Betriebsausgaben/Werbungskosten mindestens in einem Staat sicherstellen wollen. Es macht deshalb keinen Sinn, Einkünfte als ausländische/ inländische zu qualifizieren, wenn sie im Ausland/Inland gar nicht besteuert werden können. Unter rechtssystematischen Gesichtspunkten gilt zwar auch das Veranlassungsprinzip. Die §§ 34d und 49 EStG enthalten jedoch Tatbestandsvoraussetzungen, die das Veranlassungsprinzip einschränken bzw. demselben vorgehen. Abkommensrecht. Abkommensrechtlich ist zwischen der Ansässigkeit des Steuerpflichtigen und der Herkunft von Einkünften aus einem anderen Staat zu differenzieren. Die Ansässigkeit stellt auf den Zeitpunkt ab, in dem der Steuerpflichtige die Einkünfte erzielt. Auch dies ist Ausdruck eines gewissen Gegenwartsbezugs. Im Übrigen belegt die Formulierung des Art. 7 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA, dass bei Unternehmensgewinnen auf die Ausübung einer Geschäftstätigkeit durch eine dort belegene Betriebsstätte abzustellen ist. Dies schließt die Berücksichtigung von Vorbereitungskosten aus, wenn die Gründung einer Betriebsstätte scheitert. Entsprechendes folgt aus Art. 8 Abs. 1 OECD-MA. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA können nur die für eine ausgeübte unselbständige Arbeit gezahlten Vergütungen im Tätigkeitsstaat besteuert werden. Dies schließt eine Berücksichtigung von Vorbereitungskosten aus, wenn es zu keiner Arbeitsausübung im Tätigkeitsstaat kommt. Zusätzlich belegen Art. 16–18 OECD-MA, dass das Abkommensrecht auf die Ansässigkeit von Gesellschaften und Ruhegehaltsempfängern bzw. auf den Ort abstellt, an dem Künstler und Sportler ihre Tätigkeit persönlich ausüben. Auch dies belegt, dass das Abkommensrecht sich keineswegs vorrangig am Veranlassungsprinzip orientiert.

7.5

Abweichende BFH-Rechtsprechung. Abweichend von der hier vertretenen Rechtsauffassung entscheidet der BFH in ständiger Rechtsprechung zu der bis 2004 geltenden Steuerrechtslage, dass die veranlassungsbezogene Zuordnung von Einnahmen und Aufwendungen keinen konkreten Objektbezug im Sinne einer gegenwärtigen oder zukünftigen Existenz einer Betriebsstätte/festen Einrichtung voraussetzt.1 Der BFH stützt sich nicht zuletzt auf die Auffassung der Finanzverwaltung.2 Der Verfasser hält sowohl diese BFH-Rechtsprechung als auch die Auffassung der Finanzverwaltung für unzutreffend. Es geht sowohl im Bereich der §§ 34d und 49 EStG als auch im Bereich der DBA darum, Aufwendungen nur dann als ausländische bzw. inländische zu qualifizieren, wenn sie dem Grunde nach unter eine im Ausland bzw. im Inland bestehende Steuerpflicht fallen. Sowohl die „inländischen“ als auch die „ausländischen“ Einkünfte setzen einen nachhaltigen Bezug zum In- bzw. Ausland voraus, der nach dem insoweit klaren Gesetzeswortlaut erst mit der Existenz einer Betriebsstätte begründet wird. Bezogen auf Gegenwart und Zukunft wird die entscheidende Frage jedoch sein, ob die Rechtsprechung auch innerhalb des inzwischen geänderten Steuerrechts Geltung hat. Insoweit räumt Gosch

7.6

1 Vgl. BFH v. 28.4.1983 – IV R 122/79, BStBl. II 1983, 566 = FR 1983, 438; v. 1.12.1987 – IX R 104/83, BFH/NV 1989, 99; v. 17.12.1998 – I B 80/98, BStBl. II 1999, 293 = FR 1999, 296; v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703 = FR 2014, 855 = ISR 2014, 273 m. Anm. Haase; v. 20.5.2015 – I R 75/14, ISR 2015, 416 m. Anm. Böhmer = BFH/NV 2015, 1687. 2 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.9.1 – BS-VWG.

Wassermeyer 529

Kap. 7 Rz. 7.7

Besteuerung vor Gründung und nach Beendigung einer Betriebsstätte

ein, dass die Rechtsprechung wohl den Absichten des Verordnungsgebers z.B. zu § 31 Abs. 4 Satz 1 BsGaV widerspricht.1 Dieser Auffassung sollte man sich anschließen.2 Die Problematik der BFH-Rechtsprechung wird anhand des Urteils des FG Düsseldorf vom 19.11.20153 deutlich. Dort überführte eine GmbH & Co. KG mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland eigene Patent-, Marken- und Gebrauchsmusterrechte in eine in den Niederlanden gegründete Betriebsstätte. Die stillen Reserven der überführten Rechte betrugen im Überführungszeitpunkt 4,7 Mio. Euro. Das FG Düsseldorf bejahte im Widerspruch zu der BFH-Rechtsprechung eine durch die Überführung eingetretene Entstrickungsbesteuerung in Dtl., wobei hier nicht auf die verfassungsrechtliche Problematik eingegangen werden soll. Unterstellt man, dass die Rechte fünf Jahre nach ihrer Überführung in die Betriebsstätte in den Niederlanden tatsächlich veräußert werden, was wegen rückläufiger Werte zu einer Realisierung von stillen Reserven nur i.H.v. 4 Mio. Euro führen soll, so stellt sich auf der Grundlage der BFH-Rechtsprechung die Frage der Aufteilung dieses Veräußerungsgewinns. Dabei ist zu betonen, dass der BFH in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht von der Besteuerung eines Entstrickungsgewinns (= 4,7 Mio. Euro), sondern nur von der eines tatsächlich realisierten Veräußerungsgewinns (= 4 Mio. Euro) ausgeht. Es fehlt jedoch an jeder Rechtsgrundlage dafür, den Veräußerungsgewinn i.H.v. 4 Mio. Euro in einen in Dtl. steuerpflichtigen „Entstrickungsgewinn“ i.H.v. 4,7 Mio. Euro und in einen in den Niederlanden zu berücksichtigenden Veräußerungsverlust von 0,7 Mio. Euro aufzuteilen. Das Beispiel sollte deutlich machen, dass der BFH den systematischen Ansatz der §§ 34c und 49 EStG grundlegend verkannt hat. Es bleibt abzuwarten, wie der BFH über die vermutlich eingelegte Revision entscheiden wird.

B. Gründungsaufwand einer Betriebsstätte 7.7 Problemstellung. Unter Gründungsaufwand einer Betriebsstätte soll hier Aufwand jeder Art (Betriebsausgabe, AfA, Rückstellungen usw.) verstanden werden, der in einem Veranlassungszusammenhang mit der künftigen Gründung einer Betriebsstätte steht, jedoch nach allgemeinen Gewinnermittlungsgrundsätzen zeitlich vor deren Gründung erfolgswirksam anzusetzen ist. Insoweit reicht es aus, dass der Gründungsaufwand in dem Wirtschaftsjahr anfällt, in dem die Betriebsstätte gegründet wird, wenn er sich nur auf die Ermittlung des vor der Gründung erzielten Gewinns auswirkt.4 Als Beispiel soll davon ausgegangen werden, dass ein inländisches Unternehmen einen leitenden Angestellten im Jahr 01 ins Ausland entsendet, um dort die Möglichkeiten der Gründung einer Betriebsstätte ab dem Jahr 02 zu erforschen. Die Reisekosten und das zeitanteilige Gehalt stellen Gründungsaufwand für die Betriebsstätte dar. Der Gründungsaufwand kann dann, wenn es an einem zu aktivierenden Wirtschaftsgut fehlt, nicht aktiviert werden.5 Er muss auch steuerlich als Betriebsausgabe des Jahres 01 behandelt werden. Im Jahr 01 besteht indes die Betriebsstätte noch nicht (vgl. Rz. 5.5). Der Gründungsaufwand kann deshalb auch unter Veranlassungsgesichtspunkten 1 Vgl. Gosch, IStR 2015, 709 (713). 2 Vgl. Wassermeyer, IStR 2015, 37; Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 185; Kroppen in G/K/G, OECD-MA (2015) Rz. 190; Schnorberger/Dust, BB 2015, 608; Heinsen/Wendland, GmbHR 2014, 1033; Girlich/Philipp, DB 2015, 459; Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (9). 3 FG Düsseldorf v. 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, IStR 2016, 118 mit Anm. Nitschke. 4 Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2000, 145, will dagegen Betriebsausgaben, die zwar vor Gründung der Betriebsstätte, jedoch innerhalb des Wirtschaftsjahrs anfallen, in dem die Gründung vorgenommen wird, der Betriebsstätte zuordnen. Dieser Auffassung ist nicht zuzustimmen. 5 Vgl. Strunk in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.127.

530

Wassermeyer

B. Gründungsaufwand einer Betriebsstätte

Rz. 7.8 Kap. 7

nicht der Betriebsstätte als vorab entstandene Betriebsausgaben zugeordnet werden. Er ist beim Stammhaus anzusetzen. Mit der Gründung der Betriebsstätte erbringt das Stammhaus eine Leistung an die Betriebsstätte, die nach § 1 Abs. 5 AStG erfolgswirksam zu erfassen ist. Grundlage sollten die Gründungskosten zzgl. eines angemessenen Gewinnaufschlags sein. In Überführungsfällen ist der gemeine Wert des überführten Wirtschaftsguts anzusetzen. Sehr deutlich wird das Problem, wenn man sich vorstellt, dass die Betriebsstättengründung letztlich scheitert. Dann verbleibt es bei dem Ansatz im Stammhaus. Bei Bauausführungen und Montagen kommt es regelmäßig innerhalb einer Vor-Projekt-Phase zu Aufwand (z.B. Kosten der Erstellung eines Angebots). Für den Vor-Projekt-Phasen-Aufwand ist von Fall zu Fall zu entscheiden, ob er unter halbfertige Arbeiten zu aktivieren ist. Soweit der Aufwand zunächst im Stammhausvermögen zu aktivieren ist, wird das Wirtschaftsgut im Zeitpunkt der Betriebsstättenbegründung mit seinem gemeinen Wert erfolgswirksam in die Betriebsstätte überführt. Kann der Aufwand nicht aktiviert werden, so gelten die folgenden Ausführungen. Veranlassungsprinzip vs. Betriebsstättenzuordnung. Nach deutschem Steuerrecht entsteht das Problem des Gründungsaufwands von Betriebsstätten dadurch, dass zwei seiner Prinzipien zu gegenläufigen Ergebnissen führen. Zum einen gilt im deutschen Steuerrecht das sog. Veranlassungsprinzip. Unter Veranlassungsgesichtspunkten wird der Gründungsaufwand unbeschadet der Mitveranlassung durch das Stammhaus1 vorrangig durch die noch zu gründende Betriebsstätte ausgelöst, was dafür spricht, von vorab entstandenen Betriebsausgaben auszugehen.2 Insoweit sind die häufig zitierten BFH, Urt. v. 20.7.19733 und vom 6.10.19934 nicht einschlägig, weil sie Aufwendungen betreffen, die tatsächlich nur durch eine künftig im Ausland ausgeübte nichtselbständige Arbeit veranlasst sind, während in den hier interessierenden Fällen zwangsläufig eine Mitveranlassung durch das inländische Stammhaus gegeben ist. Zum anderen enthält das deutsche Steuerrecht auch das in § 34d und § 49 EStG verankerte Prinzip, wonach aus- bzw. inländische Einkünfte u.a. erst dann angenommen werden können, wenn ein Betriebsstättenbezug zum Ausland bzw. zum Inland besteht. Dies entspricht der Überlegung, dass der Bezug zu einem bestimmten Staat eine gewisse Intensität haben muss, um die Einkünfte als aus diesem Staat stammend ansehen zu können. Solange dieser Bezug noch nicht oder nicht mehr besteht, ordnen § 34c und § 49 EStG Aufwendungen und Erträge selbst dann dem Stammhaus zu, wenn sie durch eine künftige oder frühere Betriebsstätte mitveranlasst sind.5 Das zuletzt genannte Prinzip ist das gegenüber dem Veranlassungsprinzip speziellere, weshalb es vorrangige Anwendung findet. Dies erklärt auch, weshalb die steuerliche Behandlung von Gründungsaufwand einer Betriebsstätte unabhängig davon sein muss, ob es letztlich zur Gründung der Betriebsstätte kommt oder ob dieselbe scheitert. Im Grundsatz ist deshalb jeder Aufwand, der sich nach den allgemeinen Gewinnermittlungsgrundsätzen vor Gründung der Betriebsstätte erfolgsmäßig auswirkt, dem Stammhaus zuzuordnen. § 3c EStG findet keine Anwendung.6 Dies gilt auch dann, wenn die Betriebsstättengründung in dasselbe Wirtschaftsjahr fällt, in dem vor der Gründung der Aufwand erfolgswirksam angefallen ist.7 Der Vorrang des in § 34d und § 49 EStG verankerten Prinzips vor dem Veranlassungsprinzip macht auch Sinn, weil andernfalls die Berücksichtigung von Gründungsauf-

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Wassermeyer, IStR 1997, 395 (396). Vgl. BFH v. 28.4.1983 – IV R 122/79, BStBl. II 1983, 566 = FR 1983, 438. Vgl. BFH v. 20.7.1973 – VI R 198/69, BStBl. II 1973, 732. Vgl. BFH v. 6.10.1993 – I R 32/93, BStBl. II 1994, 113 = FR 1994, 95 m. Anm. Meyer. Wie hier Ritter, JbFSt 1976/77, 308. Strunk in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.127. A.A. Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht, 2000, 145.

Wassermeyer 531

7.8

Kap. 7 Rz. 7.9

Besteuerung vor Gründung und nach Beendigung einer Betriebsstätte

wand einerseits und von nachträglichen Verlusten andererseits von den im Betriebsstättenstaat geltenden Verlustvor- bzw. -rücktragsmöglichkeiten abhinge. Es wäre nicht ausgeschlossen, dass nachträgliche Betriebsstätteneinkünfte einem Betriebsstättenstaat zuzuordnen wären, der sie jedoch in Ermangelung einer Betriebsstätte gar nicht mehr besteuern kann. Im Bereich des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gilt also das nicht, was im Bereich des § 49 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG gilt. Ausnahmsweise kann allerdings der Gründungsaufwand einer (anderen) Betriebsstätte zuzuordnen sein, wenn die Gründung der künftigen Betriebsstätte deren Aufgabe sein sollte. Für die Anwendung von Art. 7 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA kann nichts anderes gelten, weil die Vorschrift ausdrücklich eine in dem anderen Vertragsstaat existente Betriebsstätte voraussetzt und insoweit dem in § 34d und § 49 EStG verankerten Prinzip folgt.

7.9 Akquisitionskosten. Die Finanzverwaltung stimmt der hier vertretenen Auffassung insoweit zu, als sie sog. Akquisitionskosten stets dem Stammhaus zuordnet.1 Unter Akquisitionskosten will sie die Kosten vor Auftragserteilung verstehen. Die Kosten nach Auftragserteilung und vor Gründung der Betriebsstätte sollen mit Gründung der Betriebsstätte derselben zugeordnet werden. Liegt also die Akquisitionsphase im Jahr 01 und wird der Auftrag am 1.1.2002 erteilt, die Betriebsstätte jedoch erst im Jahr 03 begründet, so sollen die Kosten des Jahres 02 den Betriebsstättengewinn des Jahres 03 mindern. Das soll für in- und ausländische Betriebsstätten gleichermaßen gelten. Außerdem soll von den durch die Betriebsstätten erzielten Erlösen ein den Akquisitionskosten entsprechender Betrag dem Stammhaus zugeordnet werden. Erzielt also die Betriebsstätte Erlöse erst im Jahr 04, so wird das Stammhaus im Jahr 04 an diesen Erlösen bis zur Höhe der Akquisitionskosten des Jahres 02 entsprechend den Überlegungen in Rz. 5.5 beteiligt. Dieser Auffassung ist so nicht zuzustimmen. Die Lösung ist sehr viel differenzierter.2

7.10 Erfolgswirksame Ergebniskorrektur im Stammhaus. Im Grundsatz gilt, dass der Gründungsaufwand einer Betriebsstätte immer aufwandsmäßig zu Lasten des Stammhauses geht.3 Allerdings ist zu differenzieren zwischen aktivierungspflichtigem und sofort abzugsfähigem Aufwand. Der aktivierungspflichtige Aufwand (z.B. halbfertige Arbeiten) geht mit Gründung der Betriebsstätte auf dieselbe erfolgswirksam über. Rechtsgrundlage ist § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 1 Abs. 5 AStG. Innerhalb des Betriebsstättenvermögens sind fiktive Anschaffungskosten mit ihrem gemeinen Wert anzusetzen. Im Übrigen erbringt das Stammhaus mit Gründung der Betriebsstätte eine Leistung gegenüber derselben, die gem. § 1 Abs. 5 AStG erfolgswirksam zu erfassen ist und in der Betriebsstätte Aufwand auslöst. Das Problem besteht allerdings darin, dass § 1 Abs. 5 AStG eine Minderung der im Inland steuerpflichtigen Einkünfte voraussetzt. Daran kann es fehlen, wenn z.B. eine ausländische Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens die Gründungskosten einer anderen ausländischen Betriebsstätte trägt. In solchen Fällen ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 GG und des Art. 49 AEUV eine analoge Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG in Erwägung zu ziehen. Soweit anschließend im Betriebsstättenvermögen AfA in Anspruch genommen werden kann, ist von dem gemeinen Wert als Bemessungsgrundlage auszugehen. Die AfA mindert den Betriebsstättengewinn. Kommt es später zu einer Gewinnrealisierung im Betriebsstättenvermögen, ist der realisierte Gewinn der Betriebsstätte zuzuordnen.

1 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.9.1. 2 Vgl. Münche, StBp 1995, 54; Münche, DB 2000, 2140; Baranowski, IWB 2000, Fach 3, Gruppe 2, 813 (828). 3 Vgl. Schnorberger/Dust, BB 2015, 608; Heinsen/Wendland, GmbHR 2014, 1033; Girlich/Philipp, DB 2015, 459; Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (9); Wassermeyer, IStR 2015, 37.

532

Wassermeyer

B. Gründungsaufwand einer Betriebsstätte

Rz. 7.11 Kap. 7

Beispiel 1: Die im Inland ansässige Kapitalgesellschaft A betreibt ein Bauunternehmen. Sie beteiligt sich im Jahr 01 an einer Ausschreibung für einen Kraftwerkbau. Es fallen im Jahr 01 nicht zu aktivierende Aufwendungen von 400 000 Euro an. A erhält im Jahr 02 den Auftrag. Die Bauausführung beginnt erst im Jahr 03. Im Jahr 02 fallen nach Auftragserteilung Aufwendungen i.H.v. 1,5 Mio. Euro an. Die Bauausführung dauert mehr als zwölf Monate. In den Jahren 03 und 04 fallen zu aktivierende Aufwendungen i.H.v. 12 Mio. Euro an. Im Jahr 04 wird das Kraftwerk übergeben. Es werden 20 Mio. Euro gezahlt. – In diesem Fall sind die Aufwendungen der Jahre 01 und 02 als Betriebsausgaben des Stammhauses zu behandeln, soweit sie nicht zu aktivieren sind. Die Aufwendungen der Jahre 03 und 04 sind der Betriebsstätte zuzuordnen. Das Stammhaus erbringt im Jahr 2003 eine Leistung gegenüber der Betriebsstätte, die im Stammhaus mit dem für 2003 zu ermittelnden gemeinen Wert erfolgswirksam zu erfassen ist. In der Betriebsstätte sind entsprechende Aufwendungen anzusetzen, die zu aktivieren sein können. Die Übergabe des Kraftwerks im Jahr 04 löst einen Betriebsstättengewinn aus. Beispiel 2: Die im Inland ansässige Kapitalgesellschaft A betreibt ein Bauunternehmen. Sie begründet im Staat B eine Bauausführungsbetriebsstätte für die Dauer von zwei Jahren. In die Bauausführungsbetriebsstätte überführt sie einen Kran, dessen voraussichtliche Nutzungsdauer noch zwei Jahre und dessen Buchwert 100 beträgt. In dem Kran bestehen stille Reserven von 20. Auch in diesem Fall geht der Kran mit der Überführung erfolgswirksam in das Betriebsstättenvermögen über. Im Stammhaus tritt Gewinnrealisierung ein. Der Kran ist im Betriebsstättenvermögen mit seinem gemeinen Wert zu aktivieren. Die AfA geht zu Lasten der Betriebsstätteneinkünfte. Beispiel 3: Die im Inland ansässige Kapitalgesellschaft A ist seit Jahren Eigentümerin eines Grundstücks im Staat B. Sie gründet im Staat B eine Betriebsstätte. Zur Ausübung der Betriebsstättentätigkeit verwendet sie das Grundstück. Das Grundstück (Grund und Boden sowie Gebäude) weist stille Reserven aus. Es war in der Stammhausbilanz mit seinen ursprünglichen Anschaffungskosten zu aktivieren. Im Zeitpunkt der Betriebsstättengründung geht das Grundstück erfolgswirksam in das Betriebsstättenvermögen unter der Voraussetzung über, dass das deutsche Besteuerungsrecht beschränkt wird. Künftig entstehende stille Reserven sind dem Betriebsstättenvermögen zuzuordnen. Tritt mit der Gründung der Betriebsstätte keine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ein, so ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 GG und des Art. 49 AEUVeine analoge Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG in Erwägung zu ziehen.

Methode der aufgeschobenen Gewinnrealisierung (abgemilderte Betriebsstättenzurechnung). Die hier vertretene Auffassung steht im Gegensatz zu der Methode der aufgeschobenen Gewinnrealisierung (abgemilderte Betriebsstättenzurechnung).1 Diese von der Finanzverwaltung früher vertretene Meinung nahm innerhalb der Steuerbilanz des Stammhauses im Zeitpunkt der Betriebsstättengründung eine den Gewinn realisierende Veräußerung an (Forderung gegenüber der Betriebsstätte auf Abführung des Fremdvergleichspreises). Zugleich sollte außerhalb der Steuerbilanz des Stammhauses ein passiver Ausgleichsposten gebildet werden, der den Gewinn des Stammhauses wieder neutralisierte. Der passive Ausgleichsposten wurde im Zeitpunkt des Außenumsatzes aufgelöst, wodurch sich erst dann eine gewinnerhöhende Wirkung ergab. Innerhalb der Betriebsstättenbilanz wurde das überführte Wirtschaftsgut mit seinem Fremdvergleichspreis aktiviert. Gleichzeitig wurde bei der Betriebsstätte außerhalb der Betriebsstättenbilanz ein passiver Ausgleichsposten im Sinne einer Verbindlichkeit auf Abführung künftiger Erlöse gebildet, weshalb sich die Überführung erfolgsneutral vollzog. Die Betriebsstätte konnte ggf. AfA von den erhöhten Anschaffungskosten vornehmen. Diese Behandlung steht im Widerspruch zu § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4

1 Vgl. Schröder, StBp 1988, 218; Strunk in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.125 ff.; Borstell in Vögele, Handbuch der Verrechnungspreise, 2004, Rz. C 33; Halfar, IWB 1993, Fach 3, Gruppe 1, 1393 ff. (1408); Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht, 2000, 145 ff.; Ritter, JbFSt 1976/77, 288 ff.

Wassermeyer 533

7.11

Kap. 7 Rz. 7.12

Besteuerung vor Gründung und nach Beendigung einer Betriebsstätte

EStG, § 12 Abs. 1 KStG und § 1 Abs. 5 AStG. Sie kann deshalb heute nicht mehr angewendet werden.

7.12 Steuerbefreiung unter aufschiebender Wirkung. Gelegentlich wird die Auffassung vertreten, die Gründungskosten für eine ausländische Betriebsstätte seien im inländischen Stammhaus solange abzusetzen, als es noch nicht zur Betriebsstättengründung gekommen sei. Komme es jedoch später zur Betriebsstättengründung, müsse der Betriebsausgabenabzug rückwirkend korrigiert werden. Als Rechtsgrundlage für die Korrektur des Betriebsausgabenabzugs wird auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO verwiesen. Jedoch muss diese Auffassung auch aus der Sicht des Betriebsstättenstaats beleuchtet werden. Verweigert der Stammhausstaat den Betriebsausgabenabzug von Gründungskosten mit Rücksicht auf die später vorgenommene Betriebsstättengründung, müsste der Betriebsstättenstaat dieselben nach den Regeln eines Verlustvortrags absetzen. Jedoch wird der Betriebsstättenstaat im Zweifel die Auffassung vertreten, dass die (beschränkte) Steuerpflicht dort überhaupt erst mit der Begründung der Betriebsstätte beginnt, weshalb kein Grund besteht, Aufwendungen zu berücksichtigen, die vor Begründung der Steuerpflicht angefallen sind. Man muss diese Auffassung zum einen aus der Sicht einer Betriebsstätte in einem Nicht-DBA-Staat und zum anderen aus der Sicht der deutschen Gewerbesteuer betrachten. Liegt die Betriebsstätte in Dtl., müssten die vor Gründung der Betriebsstätte angefallenen Aufwendungen eigentlich nach § 10a GewStG vorgetragen werden können. Es ist indes sehr zweifelhaft, ob die Finanzverwaltung einer solchen Behandlung zustimmen wird. Dann aber fehlt dieser Auffassung die Rechtsgrundlage. Das deutsche Steuerrecht kennt keine aufschiebend bedingt zu gewährenden Steuerbefreiungen.

7.13 Deutschland als Betriebsstättenstaat. Ist Dtl. der Betriebsstättenstaat, so richtet sich die Betriebsstättengewinnermittlung nach deutschem innerstaatlichen Steuerrecht: In der Regel ist § 4 Abs. 1 EStG i.V.m. §§ 140 ff. AO oder § 5 Abs. 1 EStG i.V.m. §§ 238 ff. HGB anzuwenden (vgl. Rz. 3.3). Der Beginn der Verpflichtung zur Betriebsstättengewinnermittlung setzt die Existenz einer inländischen Betriebsstätte und die Ausübung einer steuerbaren Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht mithilfe der Betriebsstätte voraus. Auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG, des § 12 Abs. 1 KStG und des § 1 Abs. 5 AStG kann ein Aufwand, der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsgrundsätzen vor Betriebsstättengründung anfällt, nicht der Betriebsstätte zugeordnet werden. Der Aufwand wird nicht von der beschränkten Steuerpflicht des Betriebsstättengründers erfasst.1 Dies gilt unbeschadet des § 50 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG auch für Aufwendungen, die im Wirtschaftsjahr der Betriebsstättengründung anfallen, sich jedoch vor der Betriebsstättengründung steuerlich auswirken.2 Es fehlt an der Steuerbarkeit des Aufwands. Er kann deshalb auch nicht nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG als Verlust gesondert festgestellt werden. Im Zeitpunkt der Betriebsstättengründung kann der zuvor angefallene Aufwand nicht „nachträglich“ abgesetzt werden. Vielmehr ist von einer fiktiven Einlage in das Betriebsstättenvermögen auszugehen, die aus Gründen des § 4 Abs. 1 Satz 8 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG mit ihrem gemeinen Wert zu bewerten ist.

7.14 Deutschland als Stammhausstaat. Gründet ein dt. Unternehmen im Ausland eine Betriebsstätte, so ist der gesamte Gewinn des Unternehmens einschließlich des Gründungsaufwands 1 Wie hier Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 296; Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht, 2000, 156; a.A. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.9.1 Sätze 1–3; Strunk in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.76 ff.; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, Köln 1982, 205 ff. 2 A.A. Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2000, 157.

534

Wassermeyer

C. Veräußerungs-, Aufgabe- und Umwandlungstatbestände

Rz. 7.15 Kap. 7

der Betriebsstätte zunächst nach deutschem Gewinnermittlungsrecht zu ermitteln. In der Regel beginnt die Steuerpflicht im Betriebsstättenstaat erst ab Gründung der Betriebsstätte. Außerdem findet das einschlägige DBA Anwendung. Dieses verpflichtet Dtl. zur Freistellung der Betriebsstätteneinkünfte frühestens ab Gründung der Betriebsstätte. Dtl. darf deshalb die Berücksichtigung der vor Gründung anfallenden Aufwendungen nicht mit der Begründung ablehnen, die Betriebsstätteneinkünfte seien im Inland steuerfrei.1 Ebenso wenig findet § 3c EStG Anwendung. Einerseits steht der Gründungsaufwand in einem Veranlassungszusammenhang auch mit dem Stammhaus. Er ist deshalb diesem zuzuordnen. Andererseits fällt in Dtl. eine Besteuerung nach § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG, nach § 16 Abs. 3a EStG, nach § 12 Abs. 1 KStG und nach § 1 Abs. 5 AStG an. Sehr deutlich wird das Problem für den Fall, dass die geplante Betriebsstättengründung scheitert. In diesem Fall greift weder die Steuerbefreiung nach dem DBA noch eine Besteuerung nach § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG, § 16 Abs. 3a EStG, § 12 Abs. 1 KStG oder § 1 Abs. 5 AStG ein. Der Methodenartikel des DBA regelt die Steuerbefreiung im Ansässigkeitsstaat bezogen auf den Betriebsstättengewinn als einen Nettobetrag. § 3c Abs. 1 EStG setzt jedoch die Steuerbefreiung von Einnahmen, d.h. die eines Bruttobetrags, voraus. § 3c Abs. 1 EStG findet deshalb nie Anwendung, wenn das DBA einen Nettobetrag von der Besteuerung freistellt. In diesem Fall richtet sich die „Nichtabziehbarkeit“ von Aufwendungen nach ihrer abkommensrechtlichen Zuordnung zur Betriebsstätte. Auch § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG findet auf den Gründungsaufwand keine Anwendung, weil die Vorschrift eine im Ausland belegene Betriebsstätte voraussetzt.2

C. Veräußerungs-, Aufgabe- und Umwandlungstatbestände I. Veräußerung der Betriebsstätte im Ganzen Rechtsgrundlagen. Wird eine Betriebsstätte dadurch beendet, dass sie im Ganzen veräußert wird, so entsteht ein Veräußerungsgewinn, für den nach den Steuerrechten der beteiligten Staaten einerseits und nach dem einschlägigen DBA andererseits zu entscheiden ist, ob er sowohl im Betriebsstättenstaat als auch im Stammhausstaat zu versteuern ist3 und wie ggf. eine Doppelbesteuerung zu vermeiden ist. Es wird also die Betriebsstättenveräußerung im Ganzen als ein Geschäftsvorfall behandelt, der grundsätzlich die Eignung hat, der Betriebsstätte noch zugeordnet werden zu können. Dem Betriebsstättenstaat wird nach Art. 13 Abs. 2 OECD-MA das Recht zu einer Schlussbesteuerung eingeräumt. Dabei entscheidet sich auch die Abgrenzung zwischen Veräußerungs- und laufendem Gewinn nach dem innerstaatl. Steuerrecht der beteiligten Vertragsstaaten. Ist Dtl. der Betriebsstättenstaat, so wird § 16 Abs. 3a EStG bzw. § 12 Abs. 2 KStG analog angewendet, d.h., die inländische Betriebsstätte wird wie ein „Betrieb“ und die Betriebsstättenveräußerung wie eine Betriebsveräußerung behandelt. Ist allerdings Betriebsinhaber eine ausländische Personengesellschaft, an der auch unbeschränkt steuerpflichtige Personen beteiligt sind, so findet § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG nur unter den dort genannten „Teilbetriebs-“Voraussetzungen Anwendung. Sind diese nicht erfüllt, wird der Betriebsstättenveräußerungsgewinn als laufender Gewinn versteuert. Ist Dtl. der Ansässigkeitsstaat, so findet § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG ebenfalls nur unter den in der Vorschrift genann-

1 A.A. Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2000, 159. 2 A.A. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.9.1; wie hier Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2000, 167. 3 Vgl. Art. 13 Abs. 1 und 2 OECD-MA; Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 334.

Wassermeyer 535

7.15

Kap. 7 Rz. 7.16

Besteuerung vor Gründung und nach Beendigung einer Betriebsstätte

ten „Teilbetriebs-“Voraussetzungen Anwendung. Im Übrigen entscheidet sich nach dem Methodenartikel des DBA bzw. nach einer DBA-Aktivitätsklausel und nach § 20 Abs. 2 AStG, ob der Betriebsstättenveräußerungsgewinn in Dtl. steuerfrei zu stellen ist. Dabei ist es heute nicht mehr denkbar, dass der Betriebsstättenveräußerungsgewinn teilweise als „inländischer“ erfasst wird, weil er die Realisierung stiller Reserven umfasst, die steuerlich gesehen noch im Stammhaus entstanden und deshalb diesem zuzurechnen sind. Mit der Gründung der Betriebsstätte ist das gesamte Betriebsstättenvermögen dieser zuzuordnen, was eine Gewinnrealisierung im Überführungszeitraum einschließt. Die Abgrenzungsfrage richtet sich nach den für die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte allgemein geltenden Kriterien (vgl. Rz. 4.30 ff.). Zu beachten ist, dass ein an sich steuerfreier, ausländischer Teilbetriebsveräußerungsgewinn nur zu 1/5 in den Progressionsvorbehalt eingeht (§ 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG).

II. Zerschlagung der Betriebsstätte 7.16 Gewinnabgrenzung. Wird eine Betriebsstätte dadurch beendet, dass die ihr zuzuordnenden Wirtschaftsgüter einzeln veräußert und die in der Betriebsstätte ausgeübten Tätigkeiten anschließend eingestellt werden, so beurteilen wiederum die beteiligten Staaten nach ihrem innerstaatl. Steuerrecht, wie der Vorgang zu besteuern ist. Auch insoweit stellt die Zerschlagung der Betriebsstätte einen Vorgang dar, der die Eignung hat, der Betriebsstätte erfolgsmäßig noch zugeordnet werden zu können. Dem Betriebsstättenstaat wird nach Art. 13 Abs. 2 OECD-MA das Recht zu einer Schlussbesteuerung eingeräumt. Dabei entscheidet sich nach dem einschlägigen DBA, ob auch der Ansässigkeitsstaat den Vorgang besteuern darf. Aus der Sicht des dt. Steuerrechts entsteht durch den Vorgang ein Veräußerungsgewinn i.S.d. § 16 Abs. 3a EStG, der nach dem einschlägigen DBA nur der Betriebsstätte zuzuordnen ist. Für die Gewinnermittlung gelten die allg. Grundsätze. Werden einzelne Wirtschaftsgüter, die bisher der Betriebsstätte zuzuordnen waren, in das Stammhaus eines inländischen Unternehmens überführt, so kommt es zu keiner Gewinnrealisierung. § 6 Abs. 1 Nr. 5a und Abs. 5 EStG finden Anwendung (vgl. Rz. 4.260). Die Wirtschaftsgüter sind ggf. im Stammhausvermögen mit ihrem Buchwert aus der nach dt. Steuerrecht ermittelten Betriebsstättenbilanz anzusetzen.1 Gibt eine nur im Ausland ansässige natürliche Person ihre inländische Betriebsstätte auf, so besteht eine Besteuerungsgrundlage des Aufgabegewinns nur unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3a EStG.

III. Umwandlung der Betriebsstätte in eine Tochterkapitalgesellschaft 7.17 Gewinnrealisation. Wird eine Betriebsstätte in eine Tochterkapitalgesellschaft eingebracht (vgl. Rz. 10.14 ff.), so entscheidet sich nach dem jeweiligen innerstaatlichen Steuerrecht der beteiligten Staaten, ob die Einbringung als ein gewinnrealisierender Vorgang zu behandeln ist. Bejahendenfalls darf der betreffende Staat nur den Gewinn besteuern, dessen Besteuerung das einschlägige DBA ihm gestattet. Dem Betriebsstättenstaat wird auch insoweit nach Art. 13 Abs. 2 OECD-MA das Recht zu einer Schlussbesteuerung eingeräumt. Es ist allerdings durchaus denkbar, dass ein und derselbe Umwandlungsvorgang von dem einen Vertragsstaat als gewinnrealisierend behandelt wird, während der andere Vertragsstaat eine Vorschrift nach der Art des § 20 UmwStG anwendet. Aus der Sicht des deutschen Steuerrechts 1 A.A. Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 337, der den Fremdvergleichspreis angesetzt wissen will. Dafür fehlt es jedoch an der erforderlichen Rechtsgrundlage.

536

Wassermeyer

C. Veräußerungs-, Aufgabe- und Umwandlungstatbestände

Rz. 7.18 Kap. 7

wird die Einbringung als tauschähnlicher Vorgang (gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten) im Grundsatz gewinnrealisierend behandelt (vgl. Rz. 3.8 und 3.36). Wird eine in einem ausländischen EU-Staat bestehende Betriebsstätte eingebracht, so kann § 23 Abs. 3 UmwStG anzuwenden sein. Der Veräußerungsgewinn ist vorbehaltlich einer DBA-Aktivitätsklausel und der Anwendung des § 20 Abs. 2 AStG im Inland regelmäßig steuerfrei. Er kann jedoch im Betriebsstättenstaat zu versteuern sein.1

IV. Betriebsstättenaufgabebesteuerung Steuerinländer mit ausländischer Betriebsstätte. Gibt ein Steuerinländer eine ausländische Betriebsstätte auf, so ist auch die Betriebsstättenaufgabe als ein Vorgang zu behandeln, der grundsätzlich die Eignung hat, noch der Betriebsstätte zugeordnet werden zu können. Auch für diese Alternative räumt Art. 13 Abs. 2 OECD-MA dem Betriebsstättenstaat das Recht zu einer Schlussbesteuerung ein. Nach deutschem Steuerrecht findet § 16 Abs. 3a EStG keine Anwendung, weil ein Ausschluss oder eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts nicht denkbar ist. Die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte sind einschließlich eines evtl. nach ausländischem Steuerrecht anfallenden Aufgabegewinns bis zum Zeitpunkt der Aufgabe der Betriebsstätte dieser zuzuordnen. Dies erfordert das Aufstellen einer Schlussbilanz für die Betriebsstätte. Mit der Betriebsstättenaufgabe gehen nach deutschem Steuerrecht die bisher in der Betriebsstätte gehaltenen Wirtschaftsgüter ohne Gewinnrealisierung in das Vermögen des Stammhauses (oder einer anderen Betriebsstätte) über. Insoweit ist von einer Innentransaktion und nicht von einer Entnahme aus dem Betriebsstättenvermögen und einer Einlage in das Stammhausvermögen auszugehen (vgl. Rz. 1.3, 1.11, 1.16, 1.24, 4.13 ff.). Im Einzelfall ist allerdings die Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 8 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG denkbar, wenn die Betriebsstätteneinkünfte nach einem DBA im Inland steuerfrei zu stellen waren. Die so überführten Wirtschaftsgüter sind in der Stammhausbilanz ggf. mit ihrem gemeinen Wert und in den Fällen außerhalb des § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG mit ihren fortgeschriebenen Anschaffungsoder Herstellungskosten anzusetzen. Etwas anderes gilt dann, wenn bisher in der Betriebsstätte gehaltene Wirtschaftsgüter im Zeitpunkt der Aufgabe veräußert oder entnommen werden. Mit der Aufgabe der Betriebsstätte im Ausland endet die beschränkte Steuerpflicht des Steuerinländers in dem betreffenden Ausland, es sei denn, er erzielt noch andere aus diesem ausländischen Staat stammende Einkünfte. Mit der Aufgabe der Betriebsstätte endet zeitlich gesehen auch die Möglichkeit, ausländische Betriebsstätteneinkünfte zu erzielen bzw. anzunehmen. Begrifflich gibt es keine nachträglichen Betriebsstätteneinkünfte. Im Inland wird deshalb jedoch weder eine Betriebsaufgabe angenommen, noch eine Betriebsaufgabebesteuerung durchgeführt. Es kann das ausländische Steuerrecht des Betriebsstättenstaats das Aufstellen einer Schlussbilanz auf den Zeitpunkt der Aufgabe der Betriebsstätte fordern. Ebenso kann das ausländische Steuerrecht die Betriebsstättenaufgabe analog § 16 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 EStG bzw. § 12 Abs. 2 KStG wie eine Betriebsaufgabe besteuern. Eine entsprechende Besteuerung wirkt sich jedoch nicht auf den Ansatz in der inländischen Steuerbilanz aus. Im Inland kann nur ein außerbilanzieller Erinnerungsposten in Höhe der im Betriebsstättenstaat bereits versteuerten stillen Reserven angesetzt werden, um im Falle einer künftigen Gewinnrealisierung im Inland eine Doppelbesteuerung dieser stillen Reserven zu vermeiden. In diesen Fällen ist ein Teil des später anfallenden Veräußerungs- oder Entnahmegewinns als in Dtl. steuerfrei zu behandeln. Dies gilt jedoch nur dann, wenn ein DBA die entsprechende Steuerbefreiung im Inland gebietet. Enthält das DBA eine Aktivitätsklausel, deren Voraussetzungen nicht erfüllt sind, kommt auch eine Anrechnung ausländischer Steuern im Inland in Betracht. In diesem 1 Vgl. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA.

Wassermeyer 537

7.18

Kap. 7 Rz. 7.19

Besteuerung vor Gründung und nach Beendigung einer Betriebsstätte

Jahr kann eine für das Jahr der Betriebsstättenaufgabe im Ausland erhobene Steuer auf eine inländische anzurechnen sein, die für das spätere Jahr der Veräußerung oder Entnahme im Inland erhoben wird.

7.19 Steuerausländer mit inländischer Betriebsstätte. Es kann auch ein sog. Steuerausländer seine inländische Betriebsstätte aufgeben. In diesem Fall wird die dt. Finanzverwaltung § 12 Abs. 2 KStG anwenden, wenn der Steuerausländer unter § 2 Nr. 1 KStG fällt. Möglicherweise will die dt. Finanzverwaltung auch den Rechtsgedanken des § 16 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 EStG anwenden, wenn der Steuerausländer eine natürliche Person ist. Aus der Sicht des dt. Steuerrechts soll der Betrieb des Steuerausländers nur aus der inländischen Betriebsstätte bestehen.1 Richtigerweise sind jedoch § 12 Abs. 2 KStG und § 16 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 EStG nicht aufeinander abgestimmt. Es besteht eine Gesetzeslücke. Der Tatbestand des § 12 Abs. 2 KStG hätte auch im EStG verankert werden müssen. Man kann nicht die Aufgabe einer ausländischen Betriebsstätte als Nullum und die einer inländischen Betriebsstätte als Betriebsaufgabe behandeln. Das Problem wird deutlich, wenn man an einen Steuerausländer denkt, der an einer Personengesellschaft beteiligt ist, an der auch Steuerinländer beteiligt sind. Gibt die Personengesellschaft ihre inländische Betriebsstätte auf und überführt sie die Wirtschaftsgüter der Betriebsstätte in ein ausländisches Stammhaus- oder Betriebsstättenvermögen, so stellt sich die Frage, ob eine Betriebsaufgabe nur anteilig für den Steuerausländer bejaht werden kann oder ob der Tatbestand der Betriebsaufgabe für die gesamte Personengesellschaft einheitlich gegeben sein muss. Richtigerwiese folgt aus der Anerkennung der Personengesellschaft als selbständiges Gewinnermittlungssubjekt, dass eine einheitliche Beurteilung geboten ist. Dies hat dann allerdings die Annahme einer Gesetzeslücke zur Folge, weil die stillen Reserven mangels beschränkter Steuerpflicht des Steuerausländers im Inland später nicht mehr besteuert werden können. Soweit nach dt. Steuerrecht ausnahmsweise eine Betriebsaufgabe anzunehmen ist, muss dies keine unmittelbare Auswirkung auf die Bilanzierung nach ausländischem Steuerrecht haben. Allerdings ist der ausländische Vertragsstaat gehalten, eine spätere Doppelbesteuerung nach Maßgabe des von ihm anzuwendenden Methodenartikels zu vermeiden.

V. Betriebsverlegung 7.20 Betriebsverlegung ins Ausland. Wird ein bisher im Inland unterhaltener Betrieb ins Ausland verlegt, so stellt sich die Frage, ob darin eine Betriebsaufgabe i.S.d. § 12 Abs. 1 KStG oder des § 16 Abs. 3 EStG gesehen werden kann. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 KStG werden regelmäßig erfüllt sein, wobei sich die Frage nach einer teleologisch reduzierten Auslegung der Vorschrift in dem Sinne stellt, dass die im Inland verbleibenden stillen Reserven von der Schlussbesteuerung ausgenommen werden. Ob die Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 EStG erfüllt sind, ist eine zunächst im Tatsächlichen liegende Frage. Bei ihrer Beantwortung ist darauf abzustellen, ob der künftig im Ausland geführte Betrieb mit dem bisher im Inland geführten identisch ist. Ist dies der Fall, wird der Betrieb nicht aufgegeben. Es liegt eine Gesetzeslücke vor. Soweit die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 KStG bzw. des § 16 Abs. 3 EStG erfüllt sein sollten, stellt sich ggf. unionsrechtlich die Frage, ob die Besteuerung mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags in Einklang steht. Dies dürfte nach dem EuGH-Urt. v. 11.3.20042 wohl eher zu verneinen sein. 1 BFH v. 17.12.1997 – I R 95/96, BStBl. II 1998, 260 = FR 1998, 474. 2 Vgl. EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – de Lasteyrie du Saillant, ECLI:EU:C:2004:138 = FR 2004, 659 = IStR 2004, 236.

538

Wassermeyer

D. Erträge und Aufwand nach Auflösung einer Betriebsstätte

Rz. 7.23 Kap. 7

Einbringung. Wird ein inländischer Betrieb in eine ausländische Personengesellschaft eingebracht, so geschieht dies i.d.R. gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten, weshalb von einer Veräußerung auszugehen ist. Der entsprechenden Gewinnrealisierung steht nicht entgegen, wenn das Besteuerungsrecht auf die stillen Reserven in Dtl. verbleibt. Die ausländische Personengesellschaft muss das erworbene Betriebsvermögen mit seinen Anschaffungskosten aktivieren. § 6 Abs. 3 EStG findet in Ermangelung einer unentgeltlichen Übertragung keine Anwendung. § 24 UmwStG könnte Anwendung finden, wenn die ausländische Personengesellschaft das Wahlrecht zur Buchwertfortführung in Anspruch nehmen kann. Soweit die Einbringung eine Entstrickung nach sich zieht, stellt sich wiederum die Frage nach der Anwendung der Entstrickungsrechtsprechung1 einerseits und deren Konformität mit dem Unionsrecht andererseits.

7.21

Betriebsverlegung ins Inland. Wird ein ausländischer Betrieb ins Inland verlegt, so stellt sich aus der Sicht des dt. Steuerrechts die Frage, ob das inländische Betriebsstättenvermögen mit seinem Teilwert bewertet werden kann.2 Auf der Basis des geltenden Rechts ist dies zu verneinen. Allerdings ist § 6 Abs. 5 EStG zu beachten.

7.22

D. Erträge und Aufwand nach Auflösung einer Betriebsstätte Problemstellung. Die Ermittlung des bis zur Aufgabe der Betriebsstätte erzielten Gewinns schließt nicht aus, dass nach Betriebsstättenaufgabe noch Einnahmen und Aufwendungen anfallen, die in der laufenden Betriebsstättengewinnermittlung nicht berücksichtigt werden können und dennoch durch die Betriebsstätte mitveranlasst sind. Als typische Sachverhalte sind z.B. die Kosten zu nennen, die durch die Archivierung sämtlicher Belege und Unterlagen der Betriebsstätte für Zwecke einer späteren Betriebsprüfung im In- oder Ausland anfallen. Ebenso kann die Verwaltung von Forderungen der Betriebsstätte das Führen von Rechtsstreitigkeiten erforderlich machen; die entsprechenden Aufwendungen können in der Schlussbilanz der Betriebsstätte nicht angesetzt werden. Auf der Einnahmeseite ist es denkbar, dass eine Forderung, die im Zeitpunkt der Aufgabe der Betriebsstätte teilwertberichtigt ausgewiesen werden musste, sich später doch als vollwertig erweist. Ebenso kann sich ein Gewinn aus der Auflösung von Rückstellungen ergeben, die im Zeitpunkt der Aufgabe der Betriebsstätte gebildet werden mussten. Wiederum streiten zwei Grundsätze des dt. Steuerrechts mit unterschiedlichen Ergebnissen gegeneinander (vgl. Rz. 7.8). Zum einen gilt auch hier das sog. Veranlassungsprinzip, was dafür spricht, die Einnahmen und Aufwendungen noch nachträglich der Betriebsstätte zuzuordnen. Dem folgt die sog. h.M., die sich auch auf § 24 Nr. 2 EStG stützen kann. Zum anderen gilt jedoch das in § 34d Nr. 2 und in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verankerte Prinzip, wonach Einkünfte u.a. nur solange als in- bzw. ausländische qualifiziert werden können, als eine in- bzw. ausländische Betriebsstätte existent ist. Dieser Grundsatz zwingt dazu, Betriebseinnahmen und -ausgaben, die nach Beendigung einer Betriebsstätte anfallen, stets dem Stammhaus zuzurechnen.3 Der letztgenannte Grundsatz wiegt umso schwerer, als er sich auch auf die Steuerpflicht auswirkt. Fällt nämlich die Betriebsstätte weg, so besteht in Bezug auf dieselbe keine (beschränkte) Steuerpflicht im Betriebsstättenstaat mehr. Daraus folgt zugleich, dass der Betriebsstättenstaat die nachträglichen Einnahmen und Aufwendungen schon mangels Steuerpflicht nicht mehr besteuern kann. Die vom BFH (vgl. Rz. 7.6) und von der Finanzverwaltung insoweit vertretene andere 1 Vgl. BFH v. 29.10.1981 – IV R 138/78, BStBl. II 1982, 381 = FR 1982, 176. 2 Bejahend Beinert/Werder, DB 2005, 1480. 3 Vgl. Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht, 2000, 238.

Wassermeyer 539

7.23

Kap. 7 Rz. 7.23

Besteuerung vor Gründung und nach Beendigung einer Betriebsstätte

Rechtsauffassung ist unklar. Während im BMF, Schr. v. 27.9.19821 nachträgliche Einkünfte einer Betriebsstätte sowohl im Rahmen des § 34d Nr. 2 EStG als auch in dem des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG dann anerkannt wurden, wenn die für die Einkünfte ursächliche Leistung während der Zeit des Bestehens der Betriebsstätte erbracht wurde, sieht Tz. 2.9.2 BS-VWG2 das Aufstellen einer Liquidationsbilanz zum Ende des Wirtschaftsjahrs vor, das auf das Jahr der Betriebsstättenauflösung folgt. Alle Einkünfte, die in der Liquidationsbilanz ihren gewinnrealisierenden Ansatz finden, sollen noch der Betriebsstätte zugeordnet werden. Alle später anfallenden Einkünfte sind dagegen dem Stammhaus zuzuordnen. Allerdings ist eine Rechtsgrundlage für diese Auffassung nicht zu erkennen. Es fehlt zum einen an einer Vorschrift, die überhaupt dazu zwingt, eine Betriebsstättenliquidationsbilanz aufzustellen. Die Beendigung einer Betriebsstätte ist keine Betriebsaufgabe. Außerdem fehlt es an einer Gesetzesgrundlage dafür, eine Betriebsstättenliquidationsbilanz auf das Ende des Wirtschaftsjahrs aufzustellen, das auf das Jahr der Betriebsstättenauflösung folgt. Die Betriebsstätteneinkünfte können nur für die Zeit ab Begründung der Betriebsstätte bis zu deren Auflösung zu ermitteln sein. Außerdem ist der Bilanzstichtag letztlich willkürlich gewählt. Es ist nicht zu erkennen, weshalb dieser am Ende eines Wirtschaftsjahrs liegen muss und weshalb es sich um das erste und nicht das zweite oder das dritte Folgejahr handeln soll. Die Finanzverwaltung geriert sich hier als Gesetzgeber. Immerhin anerkennt auch sie zutreffend, dass nicht alles, was durch die ursprünglich existente Betriebsstätte mitveranlasst ist, deshalb schon zu den nachträglichen Betriebsstätteneinkünften gehören muss. Wegen der potentiellen Unionsrechtswidrigkeit von Tz. 2.9.2 BS-VWG (vgl. Rz. 12.26 ff.).

1 BMF v. 27.9.1982 – IV C 6 - S 2293 – 31/82, BStBl. I 1982, 771. 2 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.9.2.

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Wassermeyer

Kapitel 8 Währungs- und Umrechnungsprobleme A. Fragen der Gewinnermittlung . . . . .

8.1

B. Methodenprobleme . . . . . . . . . . . . .

8.8

C. Zuordnung von Währungsgewinnen und -verlusten . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.9

A. Fragen der Gewinnermittlung Inländisches Unternehmen mit ausländischer Betriebsstätte. Verfügt ein inländisches Unternehmen über eine ausländische Betriebsstätte, so finden zwei Gewinnermittlungen nebeneinander statt (Rz. 1.13). Im Inland wird der Gewinn für das gesamte Unternehmen nach inländischem Gewinnermittlungsrecht auf der Basis der inländischen Währung ermittelt und anschließend auf Stammhaus und Betriebsstätte aufgeteilt. Im Ausland wird zumindest der Betriebsstättengewinn nach ausländischem Recht auf der Basis der ausländischen Währung ermittelt. Ist das Unternehmen in Deutschland ansässig, so folgt die Verpflichtung, den Jahresabschluss in „Euro“ zu erstellen, aus § 244 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1 EStG. Dies bedeutet, dass jeder einzelne Geschäftsvorfall, der in fremder Währung abgewickelt wurde, in Euro umzurechnen ist. Dabei wird üblicherweise der sog. Mittelkurs und nicht der Brief- bzw. der Geldkurs zugrunde gelegt. Dies gilt gleichermaßen für die Anschaffung oder Herstellung von Wirtschaftsgütern als auch für sonstige Aufwandstatbestände. Richtigerweise muss die Umrechnung auf den Zeitpunkt zu dem dann maßgebenden Umrechnungskurs vorgenommen werden, zu dem der Geschäftsvorfall buchmäßig zu erfassen ist (Grundsatz der geschäftsvorfallbezogenen Umrechnung). Eventuelle Teilwertabschreibungen sind auf EuroBasis zu ermitteln. AfA ist von dem auf den Zeitpunkt der Anschaffung bzw. Herstellung umgerechneten Euro-Buchwert in Anspruch zu nehmen. Ergeben sich bei der Umrechnung Gewinne oder Verluste aufgrund der Änderung der Wechselkurse, so erhöhen oder mindern sie den laufenden Gewinn in dem Staat, der die Umrechnung vornimmt. Betrifft die Umrechnung die Grundlagen für den Betriebsstättengewinn, so erhöht oder vermindert sich dieser. Soweit ein Gewinn gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 ff. EStG, gem. § 12 Abs. 1 KStG oder gem. § 1 Abs. 5 AStG realisiert wird, ist er auf Euro-Basis zu ermitteln. Die ausländische Währung des Betriebsstättenstaats ist maßgebend, soweit nach dortigem Recht eine Entstrickung anzunehmen ist.

8.1

Ausländisches Unternehmen mit inländischer Betriebsstätte. Verfügt ein ausländisches Unternehmen im Inland über eine Betriebsstätte, so ist es denkbar, dass die inländische Betriebsstätte Geschäftsvorfälle im Ausland tätigt, für die ihr ein Entgelt in ausländischer Währung in Rechnung gestellt wird. Ebenso kann Aufwand im ausländischen Stammhaus anfallen, der jedoch aus Gründen des Veranlassungsprinzips oder aus Gründen von Innentransaktionen auch für die Besteuerung im Inland von Bedeutung ist. In diesen Fällen ist der Geschäftsvorfall zu dem Zeitpunkt in Euro umzurechnen, zu dem er buchmäßig zu erfassen ist. Maßgebend ist der Kurswert, der sich für den nach deutschem Steuerrecht geltenden Realisationszeitpunkt ergibt. Für die Gewinnermittlung der Folgejahre ist dieser Euro-Wert ggf. fortzuführen. Weitergehende Umrechnungsprobleme können sich dann nicht ergeben. Für Entstrickungstatbestände gelten die Ausführungen zu Rz. 8.1 ff. entsprechend.

8.2

Wassermeyer 541

Kap. 8 Rz. 8.3

Währungs- und Umrechnungsprobleme

8.3 Geschäfte in Landes- oder Fremdwährung. Unterhält ein inländisches Unternehmen eine ausländische Betriebsstätte, so kann auch die ausländische Betriebsstätte Geschäfte entweder in der ausländischen Landeswährung oder in Euro bzw. in der Währung eines Drittstaats abschließen. Schließt die Betriebsstätte Geschäfte nicht in der eigenen Landeswährung ab, so ergeben sich bei der Betriebsstättengewinnermittlung die bereits in Rz. 8.2 angesprochenen Umrechnungsprobleme. Sie sind entsprechend den dortigen Ausführungen zu lösen.

8.4 Fremdwährungsforderungen. Aus Fremdwährungsgeschäften resultierende Fremdwährungsforderungen sind grundsätzlich einzeln zu bewerten. Wertminderungen und Wertsteigerungen aus Währungsschwankungen können nicht saldiert werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die Fremdwährungsforderung dem Anlage- oder dem Umlaufvermögen zuzuordnen ist. Fremdwährungsforderungen sind zum jeweiligen Bilanzstichtag in Euro umzurechnen. Gewinne oder Verluste aus der Veränderung der Währungsparitäten sind als laufende Gewinne oder Verluste dem Unternehmensteil zuzuordnen, dem auch die Forderung zuzuordnen ist. Geht die Forderung auf einem in ausländischer Währung geführten Konto ein, so ist der zufließende Betrag zum Zuflusszeitpunkt in inländische Währung umzurechnen.

8.5 Fremdwährungsverbindlichkeiten. Aus Fremdwährungsgeschäften resultierende Fremdwährungsverbindlichkeiten sind ebenfalls einzeln zu bewerten. Bei einer Teilwertermittlung ist auf die Verhältnisse am Bilanzstichtag abzustellen. Liegt der Fremdwährungsverbindlichkeit eine Anschaffung zugrunde, so ist als Anschaffungskosten der Euro-Wert der Verbindlichkeit im Zeitpunkt des Erwerbs des angeschafften Wirtschaftsguts anzusetzen. Ändert sich der Wechselkurs vor dem Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung, so wirkt sich die Änderung nicht auf die Höhe der Anschaffungskosten aus. Es verändert sich nur der Wert der Verbindlichkeit mit der Folge, dass die Differenz erfolgswirksam auszuweisen ist. Ist die Kaufpreiszahlung infolge der geänderten Währungsparität höher als die Anschaffungskosten, so ist der Differenzbetrag als Betriebsausgabe zu behandeln. Ist die Kaufpreiszahlung niedriger, so geht der Differenzbetrag in den Gewinn ein. Fließt die Verbindlichkeit von einem in ausländischer Währung geführten Konto ab, so ist der abfließende Betrag zum Abflusszeitpunkt in inländische Währung umzurechnen.

8.6 Kurssicherungsgeschäfte. Kurssicherungsgeschäfte sind grundsätzlich isoliert vom Grundgeschäft zu bewerten. Dabei finden die Regeln über die Bewertung von Fremdwährungsforderungen und -verbindlichkeiten grundsätzlich entsprechende Anwendung. Jedoch besteht ein Unterschied beim Umrechnungskurs. Sicherungsgeschäfte sind stets mit dem vertraglich vereinbarten Terminkurs zu bewerten. Etwas anderes gilt für sog. geschlossene Positionen, wenn zwischen Grundgeschäft und Sicherungsgeschäft eine enge Verbindung besteht. In diesem Fall sind Forderungen und Verbindlichkeiten einheitlich mit dem Terminkurswert zu bewerten.

8.7 EuGH-Rechtsprechung. Durch Urteil vom 28.2.2008 hat der EuGH1 auf Vorlage des FG Hamburg2 entschieden, dass ein Abzugsverbot für einen Währungsverlust, der bei der Liquidation einer ausländischen Betriebsstätte in einem anderen EU-Mitgliedstaat bezogen auf das an sich angemessene Dotationskapital entsteht, die sog. Niederlassungsfreiheit verletzt. Der EuGH ist insoweit sowohl von der Rechtsprechung des BFH3 als auch von der 1 EuGH v. 28.2.2008 – Rs. C-293/06 – Deutsche Shell, ECLI:EU:C:2008:129 = IStR 2008, 224 m. Anm. Gosch; de Weerth, IStR 2008, 226; Ditz/Schönfeld, DB 2008, 1458. 2 FG Hamburg v. 8.6.2006 – 6 K 274/03, EFG 2007, 43 = IStR 2007, 34. 3 Vgl. BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128 = FR 1996, 600; v. 18.9.1996 – I R 69/95, BFH/ NV 1997, 408; v. 7.11.2001 – I R 3/01, BStBl. II 2002, 865 = FR 2002, 414 m. Anm. Kempermann.

542

Wassermeyer

B. Methodenprobleme

Rz. 8.8 Kap. 8

Praxis der Finanzverwaltung1 abgewichen. Angesichts der Euro-Währung und dem Bezug nur auf das Dotationskapital und die Fälle der Betriebsstättenliquidation hat die Entscheidung nur eingeschränkte Bedeutung. Dennoch stellt sich die Frage, ob die Entscheidung des EuGH folgerichtig ist. Für die Lösung des Problems muss man auf den Grundfall zurückgreifen, dass ein im Inland Ansässiger im Ausland entweder ein Einzelunternehmen betreibt oder an einer dortigen Mitunternehmerschaft beteiligt ist, die keinen grenzüberschreitenden Tätigkeiten nachgehen. Auch in diesen Fällen sind umrechnungsbedingte Währungsverluste im Eigenkapital denkbar. Dennoch stellt sich für den Wohnsitzstaat die Frage, weshalb ihn die Niederlassungsfreiheit zwingen soll, die Verluste zu berücksichtigen, wenn das anzuwendende DBA insoweit eine Steuerbefreiung vorsieht. Das Problem wird besonders deutlich, wenn man unterstellt, dass der im Inland Ansässige das Einzelunternehmen bzw. die Beteiligung an der ausländischen Mitunternehmerschaft geerbt hat und das Eigenkapital ursprünglich von einem im Ausland ansässigen Erblasser aufgebracht wurde. Speziell im Fall von Mitunternehmerschaften sollte man zusätzlich bedenken, dass ein Wechsel im Gesellschafterbestand eintreten kann, ohne dass sich dies auf das Eigenkapital auswirken muss. Auch können Einzel- und Mitunternehmer ihre Ansässigkeit mit der Folge verändern, dass im neuen Wohnsitzstaat eine andere Währung gilt. Dies hat der EuGH alles nicht bedacht, weshalb seine Entscheidung nach der hier vertretenen Auffassung unrichtig ist. Sie sollte insbesondere nicht auf die laufende Gewinnermittlung übertragen werden. Man muss auch bedenken, dass es nicht nur Währungsumrechnungsverluste, sondern ebenso Währungsumrechnungsgewinne geben kann. Was für das Einzelunternehmen und die Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft gilt, muss letztlich für das Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte entsprechend gelten.2 Umrechnungsgewinne und -verluste sind im Kern nur ein Problem des Ansässigkeitsstaats, der das Welteinkommensprinzip anwendet. Besteht aber im Ansässigkeitsstaat weder ein Betrieb noch ein Betriebsstätte, so kann der im Ausland anfallende Währungsgewinn bzw. -verlust nicht dem Inland zugeordnet werden. Dieser Gedankengang zwingt dazu, auch innerhalb einer Betriebsstätte anfallende Währungsgewinne und -verluste im Stammhausstaat steuerfrei zu stellen, wenn dort die Freistellungsmethode anzuwenden ist.

B. Methodenprobleme Allgemeiner Grundsatz und Notwendigkeit von Vereinfachungsmaßnahmen. § 146 Abs. 2 Satz 1 AO gebietet als Grundsatz, im Inland Bücher und Aufzeichnungen über alle Geschäftsvorfälle zu führen, wenn und soweit im Inland eine Steuerpflicht besteht. Dazu gehören auch die Geschäftsvorfälle, die in ausländischen Betriebsstätten eines inländischen Unternehmens anfallen. Die laufende Buchhaltung muss nicht in Euro geführt werden. Allerdings muss der gem. § 244 HGB aufzustellende Jahresabschluss in Euro ausgewiesen werden. Gegebenenfalls müssen in ausländischer Währung ausgewiesene Werte in Euro umgerechnet werden.3 Weder die GoB noch das Steuerrecht regeln, nach welchem Verfahren die Werte aus einem ausländischen Jahresabschluss für Zwecke einer nach deutschem Steuerrecht aufzustellenden Steuerbilanz umzurechnen sind. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass jedes Umrechnungsverfahren zulässig ist, soweit es nicht im Einzelfall mit den materiellen GoB kollidiert. Entsprechend kommt alternativ insbesondere eine Umrechnung nach dem Zeitbezugsverfahren, nach dem 1 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.8.1 – BS-VWG. 2 Vgl. Gosch in Kirchhof16, § 2a EStG Rz. 18. 3 Vgl. BFH v. 16.12.2008 – I B 44/08, BFH/NV 2009, 940.

Wassermeyer 543

8.8

Kap. 8 Rz. 8.8

Währungs- und Umrechnungsprobleme

Stichtagskursverfahren, nach dem Fristigkeitsverfahren oder nach dem Nominal-Sachwertverfahren in Betracht. Allerdings hat der BFH zu §§ 17 und 22, 23 EStG entschieden, dass zur Berechnung des Gewinns aus einer in ausländischer Währung angeschafften und veräußerten Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft sowohl die Anschaffungskosten als auch der Veräußerungspreis zum Zeitpunkt ihrer jeweiligen Entstehung in Euro umzurechnen sind.1 Die an sich gebotene geschäftsvorfallbezogene Umrechnung schafft dann praktische Probleme, wenn es sich um eine Vielzahl einzelner Geschäftsvorfälle handelt und die in- bzw. ausländischen Gewinnermittlungsvorschriften wesentlich voneinander abweichen. Deshalb besteht aus Praktikabilitätsgründen ein Interesse, die Umrechnung zu vereinfachen. Ziel ist es, sich von der geschäftsvorfallbezogenen Umrechnung zu lösen und stattdessen in ein Endergebnis umzurechnen, ohne deshalb wesentliche Gewinnermittlungsgrundsätze zu verletzen. Für eine entsprechende Vereinfachung spricht der Wortlaut von § 146 Abs. 2 Satz 3 AO. Insoweit kommen im Sinne eines Wahlrechts des Steuerpflichtigen mehrere Überlegungen zum Tragen. Wird z.B. das Risiko einer Wechselkursänderung durch ein Sicherungsgeschäft abgedeckt, so geht man handelsrechtlich von einer geschlossenen Position2 aus, die im Sinne eines Wahlrechts einheitlich bewertet werden darf. Im Ergebnis bedeutet dies, dass Umrechnungsgewinne und -verluste mit den Verlusten oder Gewinnen aus dem Sicherungsgeschäft verrechnet werden können.3 Erwogen wird zudem die Umrechnung des ausländischen Betriebsstättenergebnisses. Dies setzt allerdings voraus, dass das Betriebsstättenergebnis nach dem Steuerrecht des Ansässigkeitsstaats des Unternehmens ermittelt wurde bzw. dass die Gewinnermittlungsvorschriften des Betriebsstättenstaats und des Ansässigkeitsstaats nicht wesentlich voneinander abweichen. Auch muss das umgerechnete Ergebnis Korrekturen zwecks Berücksichtigung der historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten zum Kurswert bei Anschaffung oder Herstellung unterworfen werden. Es muss sichergestellt sein, dass Wechselkursgewinne und -verluste in verschiedenen Wirtschaftsgütern nicht miteinander saldiert werden. Außerdem muss das korrigierte Betriebsstättenergebnis zu einem „durchschnittlichen“ Jahreskurswert umgerechnet werden. Der Ansatz des Währungskurses zum Bilanzstichtag ist nur zulässig, wenn er dem Jahresdurchschnittskurs in etwa entspricht. Aus diesen Kriterien ergibt sich letztlich die sog. Zeitbezugsmethode, die für den Bereich der Konzernrechnungslegung entwickelt wurde. Nach ihr sind die Anschaffungs- und Herstellungskosten sowie die aus ihnen abzuleitenden Absetzungen zum Umrechnungskurs am historischen Anschaffungs- oder Herstellungstag umzurechnen. Im Übrigen sind Korrekturen bei abweichenden Gewinnermittlungsvorschriften anzubringen. Das so korrigierte Betriebsstättenergebnis ist zum Kurs am Bilanzstichtag umzurechnen. Alternativ kann ein Jahresdurchschnittskurs verwendet werden. Unter diesen Voraussetzungen anerkennen auch Rechtsprechung4 und Finanzverwaltung5 die Anwendung der Zeitbezugsmethode. Unklar ist allerdings die vom BMF vertretene Auffassung, ein Verlust, der sich nach Umrechnung der Buchwerte zu verschiedenen Stichtagen ergebe, rechtfertige für sich allein keine Teilwertabschreibung, weil dem scheinbaren Wertverlust regelmäßig ein entsprechend gestiegener Teilwert im Betriebsstättenstaat gegenüberstehe. Richtigerweise darf die Umrechnung nur einmal mit den historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten und dem damals maßgebenden Umrechnungskurs erfolgen.

1 Vgl. BFH v. 21.1.2014 – IX R 11/13, BStBl. II 2014, 385 = FR 2014, 656. 2 Vgl. HFA, WPg 1986, 664 (665); Burkhardt, Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung für Fremdwährungsgeschäfte, 147 ff.; Grottel/Leistner in BeckBilanzkomm10, § 256a HGB Rz. 1 ff. 3 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 224. 4 Vgl. BFH v. 13.9.1989 – I R 117/87, BStBl. II 1990, 57 = FR 1990, 58; v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128 = FR 1996, 600; v. 9.8.1989 – I B 118/88, BStBl. II 1990, 175 = FR 1990, 57. 5 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.8.1 Buchst. a.

544

Wassermeyer

C. Zuordnung von Währungsgewinnen und -verlusten

Rz. 8.10 Kap. 8

C. Zuordnung von Währungsgewinnen und -verlusten Anrechnungsmethode. Von der Bewertung der einzelnen Geschäftsvorfälle und der rechnerischen Ermittlung von Währungsgewinnen oder -verlusten ist die andere Frage zu trennen, welchem Unternehmensteil die ermittelten Währungsgewinne oder -verluste zuzuordnen sind. Dies beurteilt sich nach allgemeinen Veranlassungsgrundsätzen. Insoweit gilt, dass immer dann, wenn der sog. Ansässigkeitsstaat des Unternehmers die Anrechnungsmethode praktiziert, es letztlich keine besonderen Probleme geben kann. Der Ansässigkeitsstaat wendet das Welteinkommensprinzip einerseits und seine eigenen Gewinnermittlungsvorschriften andererseits an. Im Rahmen der Gewinnermittlung ergeben sich die Umrechnungsprobleme. Für die Anwendung des Welteinkommensprinzips ist es jedoch ohne Bedeutung, ob der Währungsgewinn oder -verlust dem Inland oder dem Ausland zuzuordnen ist. Soweit die Frage für die Höchstbetragsberechnung der inländischen Steuer, auf die anzurechnen ist, von Bedeutung sein kann, wird der Ansässigkeitsstaat den Währungsgewinn oder -verlust nach Maßgabe der folgenden Überlegungen als durch die ausländische Betriebsstätte veranlasst und deshalb als dieser zuzurechnen behandeln.

8.9

Freistellungsmethode. Das eigentliche Zuordnungsproblem ergibt sich, wenn der Ansässigkeitsstaat des Unternehmers die Freistellungsmethode praktiziert.

8.10

Beispiel: Die inländische A-GmbH verfügt über eine Betriebsstätte in den USA, deren Eigenkapital zum 31.12.2001 unter Berücksichtigung der Zeitbezugsmethode 100 000 USD betrug. Zum 31.12.2001 soll 1 USD 1 Euro wert gewesen sein. Im Jahr 02 erzielte die Betriebsstätte wiederum unter Berücksichtigung der Zeitbezugsmethode einen Gewinn von 10 000 USD, der im Betriebsstättenvermögen verblieben ist. Jedoch soll zum 31.12.2002 1 USD nur noch 0,80 Euro wert gewesen sein. Das Betriebsstättenvermögen i.H.v. 110 000 USD hat deshalb nur noch einen Wert von 88 000 Euro. Die Frage geht dahin, welchem Unternehmensteil der Verlust von (100 000 ./. 88 000 Euro =) 12 000 Euro zuzurechnen ist.

Für dieses Beispiel gilt, dass sich ein Währungsverlust nur aus inländischer Sicht, d.h. aus der Sicht des Ansässigkeitsstaats des Unternehmers ergibt. Aus US-Sicht wird der Gewinn in USDollar ermittelt. Es bedarf insoweit keiner Umrechnung, weshalb nach dem US-Gewinnermittlungsrecht auch kein Umrechnungsgewinn oder -verlust entstehen kann.1 Andererseits muss der Währungsverlust nicht mit Leistungen der Betriebsstätte in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Er kann auch auf der Umrechnung des sog. Dotationskapitals und in diesem Sinne auf der Existenz der Betriebsstätte beruhen. Deutschland stellt zwar den US-Betriebsstättengewinn nach dem DBA-USA steuerfrei. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, ob der Umrechnungsverlust i.H.v. 12 000 Euro dem Stammhaus oder der Betriebsstätte zuzuordnen ist. Häufig wird aus der Tatsache, dass der Betriebsstättenstaat wegen der dort fehlenden Umrechnung einen Währungsgewinn überhaupt nicht erfassen kann, abgeleitet, er müsse schon deshalb dem Stammhaus zugeordnet werden.2 Dies ist jedoch nicht folgerichtig, was nicht zuletzt der in Rz. 1.19 gebildete 1. Grundfall belegt. Erbt z.B. ein im Inland unbeschränkt Steuerpflichtiger ein Einzelunternehmen in den USA, das über keine Betriebsstätten 1 Vgl. Haiß, Gewinnabgrenzung, 351. 2 Vgl. Haiß, Gewinnabgrenzung, 359; Uhrmann, DB 1990, 2037; Uhrmann, DB 1992, 1791; Uhrmann, StBp 1996, 243 ff.; Pering, DB 1986, 2299 (2300); Finne, Bilanzierung von Fremdwährungsgeschäften und internationale Doppelbesteuerung, 265; Greif in Haarmann (Hrsg.), Unternehmensstrukturen, Köln 1996, 102; Djanani/Posch/Steckel, SWI 1994, 48; Strunk in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.51 ff.; Grau in Fischer (Hrsg.), Besteuerung internationaler Konzerne, Köln 1993, 56; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung, 249.

Wassermeyer 545

Kap. 8 Rz. 8.11

Währungs- und Umrechnungsprobleme

im Ausland verfügt, so unterliegen die in den USA erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb wegen des Welteinkommensprinzips zwar der inländischen unbeschränkten Steuerpflicht. Sind diese Einkünfte jedoch im Inland steuerfrei gestellt, so fehlt es auch für einen angenommenen Währungsumrechnungsgewinn oder -verlust an jedem inländischen Bezugspunkt (Stammhaus, Betriebsstätte). Ähnliches gilt für die Beteiligung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen an einer ausländischen Personengesellschaft, die keine inländischen Einkünfte erzielt. Die Beispiele zeigen, dass Umrechnungsgewinne und -verluste im Kern nur ein Problem eines Ansässigkeitsstaats sind, der das Welteinkommensprinzip anwendet. Besteht aber im Ansässigkeitsstaat weder ein Betrieb noch eine Betriebsstätte, so kann der im Ausland angefallene Währungsgewinn bzw. -verlust nicht dem Inland zugeordnet werden.1 Etwas anderes würde allerdings gelten, wenn der Ansässigkeitsstaat nur ausländische Betriebsstättengewinne, jedoch nicht ausländische Betriebsstättenverluste von seiner Besteuerung freistellt. Nur dann müsste er einen der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnenden Umrechnungsverlust nach dem Welteinkommensprinzip im Inland berücksichtigen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Umrechnungsgewinne und -verluste aus dem ausländischen Staat stammen, in dem die Betriebsstätte gelegen ist, der das Vermögen zuzuordnen ist, das die Umrechnungsgewinne oder -verluste ausgelöst hat. Sie sind ausschließlich durch die ausländische Betriebsstätte veranlasst.2 Dem steht nicht entgegen, dass ein fiktiv selbständiges und unabhängiges Unternehmen gar nicht in der Lage wäre, Umrechnungsgewinne oder -verluste zu erzielen. Dies zeigt nur, dass die Selbständigkeitsfiktion innerhalb des Veranlassungsprinzips keinen Platz hat. Zweifelsfrei werden Umrechnungsgewinne oder -verluste durch die Existenz der Betriebsstätte ausgelöst. Dies reicht aus, um sie unter Veranlassungsgesichtspunkten der Betriebsstätte zuzuordnen.

8.11 Verrechnungskonten. Betriebsstätten müssen mit einem Dotationskapital ausgestattet werden. Solange das Stammhaus seiner Dotationskapitalverschaffungspflicht gegenüber der Betriebsstätte noch nicht nachgekommen ist, besteht eine Quasi-Einlageverbindlichkeit des Stammhauses und eine quasi-ausstehende Einlageforderung der Betriebsstätte auf das Dotationskapital, die häufig auch in den Bilanzen entsprechend ausgewiesen werden. Unterliegen Stammhaus und Betriebsstätte unterschiedlichen Währungen, so ist es denkbar, dass sich die Bilanzpositionen wegen sich verändernder Währungsparitäten erhöhen oder mindern. Solche Veränderungen sind ohne Einfluss auf die Höhe des Stammhaus- und des Betriebsstättengewinns. Entscheidend ist, dass die Positionen Eigenkapital des Gesamtunternehmens darstellen. Das Dotationskapital hat „Beteiligungscharakter“ des Stammhauses an der Betriebsstätte. In diesem Sinne ist das Zurverfügungstellen von Dotationskapital sowohl für die Stammhaus- als auch für die Betriebsstättengewinnermittlung grundsätzlich erfolgsneutral.3

8.12 Devisengeschäfte ausländischer Betriebsstätten. Denkbar ist, dass eine in- oder ausländische Betriebsstätte Devisengeschäfte durchführt und dadurch Umrechnungsgewinne oder 1 Vgl. BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128 = FR 1996, 600; v. 18.9.1996 – I R 69/95, BFH/NV 1997, 408. 2 Wie hier BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128 = FR 1996, 600; Baranowski2, Rz. 392; Ritter, JbFSt 1976/77, 308; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 638 ff.; Malinski in Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung im Internationalen Steuerrecht, Forum der internationalen Besteuerung Bd. 9, Köln 1995, 91. 3 Vgl. BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128 = FR 1996, 600; FG Münster v. 6.11.2000 – 9 K 8595/98 K, EFG 2001, 235; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.8.1.

546

Wassermeyer

C. Zuordnung von Währungsgewinnen und -verlusten

Rz. 8.12 Kap. 8

-verluste erzielt. In einem solchen Fall geht die Frage dahin, ob der Umrechnungsgewinn oder -verlust nicht immer dem Stammhaus zuzuordnen ist, weil dieses das Risiko trägt (Risikotheorie1). Richtigerweise kann es für die Zuordnung zum Stammhaus oder zur Betriebsstätte nicht darauf ankommen, ob das Stammhaus für die Risiken der Betriebsstätte einstehen muss. Entscheidend kommt es vielmehr darauf an, wo die Erlöse erwirtschaftet worden oder die Aufwendungen angefallen sind. Die Erlöse oder Aufwendungen aus Devisengeschäften fallen aber in der Betriebsstätte an, wenn die Devisen unter Veranlassungsgesichtspunkten der Betriebsstätte zuzuordnen sein sollten. Der Erwerb der Devisen muss allerdings durch die in der Betriebsstätte ausgeübte Tätigkeit veranlasst sein. Abkommensrechtlich muss in Anwendung von Art. 10 Abs. 4 und Art. 11 Abs. 4 OECD-MA hinzukommen, dass die Devisen auch tatsächlich der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Ist dies zu verneinen, steht das Besteuerungsrecht abkommensrechtlich gesehen auch dem Ansässigkeitsstaat zu.

1 Vgl. Uhrmann, DB 1990, 2037 (2040).

Wassermeyer 547

Kapitel 9 Besonderheiten bei Personengesellschaften A. Begriff und Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . .

9.1

B. Gewinnermittlung I. Abhängigkeit der Gewinnermittlung von der unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht der Mitunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . .

9.10

II. Mitunternehmerkonzept . . . . . . . . .

9.11

III. Sondervergütungen . . . . . . . . . . . . .

9.12

IV. Sonderbetriebsvermögen . . . . . . . . .

9.16

V. Abkommensrechtliche Behandlung

9.17

VI. Dotationskapital . . . . . . . . . . . . . . . .

9.18

C. Denkbare Aus- und Inlandsbezüge einer Personengesellschaft I. Inländischer Gesellschafter, inländische Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte. . . . II. Inländischer Gesellschafter, ausländische Personengesellschaft mit inländischer Betriebsstätte. . . . . III. Inländischer Gesellschafter, ausländische Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte. . . .

9.21

9.24

9.27

IV. Ausländischer Gesellschafter, inländische Personengesellschaft mit inländischer Betriebsstätte. . . . .

9.30

V. Ausländischer Gesellschafter, ausländische Personengesellschaft mit inländischer Betriebsstätte. . . . .

9.33

VI. Ausländischer Gesellschafter, inländische Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte. . . .

9.36

VII. Personengesellschaften mit Betriebsstätten in einem Drittstaat . . . . . . . . . . .

9.39

D. Besonderheiten bei der Anwendung von § 2a und § 15a EStG . . . .

9.41

E. Betriebsveräußerung, Teilbetriebsveräußerung, Betriebsaufgabe, Teilbetriebsaufgabe . . . . . . . . . . . . .

9.48

F. Veräußerung oder Aufgabe eines Mitunternehmeranteils. . . . . . . . . .

9.49

G. Mehrstöckige Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.50

H. Atypisch stille Gesellschaften . . . . .

9.51

I. Betriebsaufspaltung. . . . . . . . . . . . .

9.52

J. Personengesellschaft als Organträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.57

A. Begriff und Tatbestandsvoraussetzungen 9.1 Personengesellschaft. Unter Personengesellschaften in dem hier zu besprechenden Sinn sind gleichermaßen Außen- wie Innengesellschaften, personalistisch wie körperschaftlich strukturierte sowie Gelegenheits- und Dauergesellschaften zu verstehen. Bei den Gelegenheitsgesellschaften ist allerdings stets zu prüfen, ob auch eine Mitunternehmerschaft besteht. Nur dann sind die folgenden Überlegungen einschlägig. In der Regel wird es bei sog. Konsortialverträgen an einer Mitunternehmerschaft fehlen, weil jeder Konsorte nur das Risiko für seinen Wertschöpfungsbeitrag übernimmt. Auf die Zahl der Gesellschafter einer Personengesellschaft kommt es ebenso wenig wie auf das in- oder ausländische Gründungsstatut bzw. den Sitz oder die Geschäftsleitung der Gesellschaft an. Die Gesellschafter können ihrerseits natürliche Personen, Personengesellschaften oder juristische Personen sein. Die zu besprechenden Grundsätze finden auf eine gewerblich tätige Erbengemeinschaft entsprechende Anwendung. 548

Wassermeyer

A. Begriff und Tatbestandsvoraussetzungen

Rz. 9.3 Kap. 9

Inländische oder ausländische Personengesellschaft. In der Praxis unterscheidet man zwischen in- und ausländischen Personengesellschaften.1 Der Bezug zum In- oder Ausland wird dabei durch das Recht hergestellt, aufgrund dessen die Personengesellschaft gegründet wurde. In der Regel ist dies der Sitzstaat der Personengesellschaft. Eine Personengesellschaft kann indes ihren Sitz in einen anderen Staat verlegen. Erkennt der andere Staat die Sitzverlegung an, so wird die Personengesellschaft ab der Sitzverlegung diesem Staat zugeordnet. Denkbar ist auch, dass die Personengesellschaft nur ihre Geschäftsleitung in einen anderen Staat verlegt. Auch dann wird sie dem anderen Staat unter der Voraussetzung zugeordnet, dass er die Verlegung der Geschäftsleitung steuerlich anerkennt. Für die Besteuerung nach deutschem Steuerrecht ist die Qualifikation einer Personengesellschaft als in- oder ausländische allenfalls aus der Sicht der §§ 34d und 49 EStG von Bedeutung. Die Personengesellschaft ist als solche weder einkommen- noch körperschaftsteuerpflichtig. Ihr Gewinn wird anteilig ihren Mitunternehmern zugerechnet. Wegen dieses Transparenzprinzips kommt es nur auf die unbeschränkte oder beschränkte Steuerpflicht der Mitunternehmer an. An jeder Personengesellschaft können sowohl unbeschränkt als auch beschränkt steuerpflichtige Personen beteiligt sein. Nach der persönlichen Steuerpflicht der Mitunternehmer entscheidet sich, ob der von der Personengesellschaft weltweit erzielte oder aber nur der aus dem Inland stammende Gewinn der deutschen Besteuerung unterworfen ist. Soweit die Personengesellschaft als solche gewerbesteuerpflichtig ist, beschränkt sich ihre Steuerpflicht wegen § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG auf inländische Betriebsstättengewinne.

9.2

Gewerblich tätige Personengesellschaft. Einen Gewinn i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG können nur Personengesellschaften erzielen, die ein Gewerbe bzw. einen freien Beruf bzw. eine Landund Forstwirtschaft betreiben. Personengesellschaften, die Einkünfte aus Vermögensverwaltung erzielen, erwirtschaften dagegen im Grundsatz keinen Gewinn i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG, sondern einen Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Wegen des Wortlauts von § 12 Satz 1 AO schlägt dies auf die Existenz von Betriebsstätten durch. Eine Betriebsstätte kann nur von einem „Unternehmen“ unterhalten werden. Ein Unternehmen setzt die Erzielung von Einkünften i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG voraus. Zusätzlich ist § 15 Abs. 3 Nr. 1 und 2 EStG zu beachten. Nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG gilt die Tätigkeit einer Personengesellschaft immer dann als Gewerbebetrieb (= Unternehmen), wenn persönlich haftende(r) Gesellschafter ausschließlich eine oder mehrere Kapitalgesellschaft(en) ist (sind) und nur er oder sie zur Geschäftsführung berufen ist/sind. Daraus folgt, dass die ausschließlich vermögensverwaltende GmbH & Co. KG nach deutschem Steuerrecht als Gewerbebetrieb zu behandeln ist. Wegen § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG gilt Entsprechendes, wenn eine an sich gewerblich tätige Personengesellschaft zusätzlich Einkünfte aus Vermögensverwaltung erzielt. Ferner gelten Einkünfte im Rahmen einer Betriebsaufspaltung als solche aus Gewerbebetrieb. In diesen Fällen wird eine an sich vermögensverwaltende Tätigkeit als unternehmerische behandelt. Die Folge ist, dass in diesen Fällen auch eine Betriebsstätte i.S.d. § 12 Satz 1 AO unterhalten werden kann.2 Dies gilt für in- und ausländische Personengesellschaften gleichermaßen.3 Die Frage, ob auch eine Vermietungstätigkeit i.S.d. §§ 21, 22 EStG eine unternehmerische sein kann, ist letztlich ohne Bedeutung, weil §§ 34d und 49 EStG insoweit nicht die Existenz einer Betriebsstätte voraussetzen. Es stellt sich allerdings abkommensrechtlich die Frage nach der Anwendung des Art. 7 OECDMA oder eines die Einkünfte aus Vermögensverwaltung regelnden Artikels.4 Das Abkom-

9.3

1 2 3 4

Vgl. Pyszka/Brauer, Ausländische Personengesellschaften im Unternehmenssteuerrecht, 25 ff. Vgl. Maier in Löwenstein/Looks/Heinsen2, Rz. 114, 115. A.A. Maier in Löwenstein/Looks/Heinsen2, Rz. 118–120. Vgl. Art. 6, 10–12 und 21 OECD-MA.

Wassermeyer 549

Kap. 9 Rz. 9.4

Besonderheiten bei Personengesellschaften

mensrecht1 baut insoweit auf dem vom dt. innerstaatl. Recht abweichenden Grundsatz auf, dass der speziellere Artikel dem allgemeineren vorgeht. Entsprechend finden die Art. 6, 10–12, 14 a.F., 15 und 21 OECD-MA vorrangige Anwendung.2 Lediglich unter den Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 3 und Art. 21 Abs. 2 OECD-MA ist Art. 7 OECD-MA vorrangig anzuwenden. Eine vermögensverwaltende GmbH & Co. KG erzielt deshalb abkommensrechtlich Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren i.S.d. Art. 10–12 OECDMA und insoweit keinen Unternehmensgewinn i.S.d. Art. 7 OECD-MA.3 Der Verweis in Art. 3 Abs. 2 OECD-MA auf das innerstaatl. Recht des Anwenderstaats bedeutet nicht, dass bereits die gesetzliche Fiktion der Gewerblichkeit bestimmter Einkünfte dieselben dem Art. 7 OECD-MA unterwirft. Dafür spricht auch die neu gefasste Formulierung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c OECD-MA.4 Dies gilt gleichermaßen für in- wie für ausländische Personengesellschaften5 und unabhängig davon, ob das Ausland die Personengesellschaft als transparenten oder als intransparenten Rechtsträger behandelt. Entsprechendes gilt für eine gemischt tätige OHG, die u.a. liquide Mittel bei einer Bank vermögensverwaltend anlegt. Einkünfte aus einer Betriebsaufspaltung fallen vorrangig z.B. unter Art. 6 OECD-MA. Dies gilt auch für Einkünfte aus einer Betriebsverpachtung. Lediglich im Verhältnis zur Schweiz und zu Österreich gilt wegen Art. 7 Abs. 7 DBA-Schweiz und Art. 7 Abs. 7 DBA-Österreich teilweise etwas anderes. Die Finanzverwaltung teilt die hier vertretene Rechtsauffassung jedenfalls in Bezug auf ausländische Personengesellschaften.6 Dagegen sollen nach dem BMF, Schr. v. 16.4.20107 für inländische Personengesellschaften andere Grundsätze gelten. Wird eine Tätigkeit abkommensrechtlich als Vermögensverwaltung qualifiziert, so kommt es auf die Existenz einer (abkommensrechtlichen) Betriebsstätte nicht mehr an (s. aber Rz. 9.9).

9.4 Betriebsstätte. Nach dt. innerstaatl. Recht ist die Personengesellschaft als Person zu behandeln, die weder einkommen- noch körperschaftsteuerpflichtig ist, jedoch gewerbesteuerpflichtig sein kann. Als Person kann sie selbst ein Unternehmen (Gewerbebetrieb) betreiben und damit auch eine Betriebsstätte i.S.d. § 12 Satz 1 AO unterhalten. Das von einer Personengesellschaft betriebene Unternehmen kann eine oder mehrere in- oder ausländische Betriebsstätten haben. Das in- und/oder ausländische Recht kann es gebieten, den Gewinn einer Betriebsstätte gesondert zu ermitteln bzw. von dem Gewinn des übrigen Unternehmens abzugrenzen. Insoweit finden die allgemein für die Ermittlung von Betriebsstättengewinnen geltenden Grundsätze Anwendung (Rz. 4.1 ff., 4.30 ff.). Allerdings werden die Gewinne einer Personengesellschaft anteilig den Mitunternehmern zugerechnet (Transparenzprinzip8). Die Mitunternehmer sind mit den ihnen zugerechneten Gewinnanteilen einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtig. Entsprechend werden die Betriebsstätten einer Personengesell-

1 Vgl. Art. 7 Abs. 7 OECD-MA 2000. 2 Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, BStBl. II 2011, 156. 3 Vgl. FG Hamburg v. 12.6.2003 – VI 6/01, EFG 2004, 548 = IStR 2004, 205 m. Anm. Lüdicke; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 (2000) OECD-MA Rz. 85; Hemmelrath, IStR 1995, 570 (572); Pyszka/Brauer, Ausländische Personengesellschaften im Unternehmenssteuerrecht, Rz. 67; a.A. Schmidt/Blöchle, IStR 2003, 685; Schmidt/Dendorfer, IStR 2000, 46; Krabbe, IWB, Fach 3, Gruppe 2, 683 (685). 4 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 20. 5 Vgl. BFH v. 14.3.2007 – XI R 15/05, BStBl. II 2007, 924 = FR 2007, 885 m. Anm. Wachter. 6 Vgl. BMF v. 24.9.1999 – IV D 3 - S 1301 Ung – 5/99, IStR 2000, 627 – zur Beteiligung an einer ungarischen vermögensverwaltenden GmbH & Co. KG. 7 Vgl. BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354, Tz. 2.2. 8 Vgl. Reiß in Kirchhof16, § 15 EStG Rz. 162 ff.

550

Wassermeyer

A. Begriff und Tatbestandsvoraussetzungen

Rz. 9.5 Kap. 9

schaft nach dt. innerstaatl. Steuerrecht fiktiv anteilig den Mitunternehmern zugerechnet.1 Abkommensrechtlich zwingt Art. 3 Abs. 1 Buchst. d OECD-MA dazu, das Unternehmen einer Personengesellschaft anteilig als ein solches aller Mitunternehmer zu behandeln. Daraus ergibt sich ein Zuordnungsproblem. Unbeschadet des Wortlauts von Art. 5 Abs. 1 OECD-MA sollte man streng zwischen Betriebsstätten unterscheiden, die von den Mitunternehmern gemeinsam, d.h. de facto von der Personengesellschaft unterhalten werden, und solchen, in denen ein Mitunternehmer sein Sonderbetriebsvermögen bzw. seine Sonderbetriebseinnahmen und -aufwendungen verwaltet. Die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte setzt deren Existenz im Zuordnungszeitpunkt voraus.2 Entgegen der vom BFH im Urteil v. 17.7.20083 vertretenen Rechtsauffassung können Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens einschließlich der in ihnen enthaltenen stillen Reserven nur einer Betriebsstätte der Personengesellschaft und nicht einer Betriebsstätte nur eines einzelnen Mitunternehmers zugerechnet werden.4 Entsprechendes gilt für den im Gesamthandsvermögen erzielten Gewinn. Ist eine Personenobergesellschaft an einer Personenuntergesellschaft beteiligt, so wird der Gewinn der Personenuntergesellschaft unmittelbar den Mitunternehmern der Personenobergesellschaft anteilig zugerechnet (Rz. 1.9 a.E.). Speziell: Mitunternehmerbetriebsstätte. Werden die de facto von einer gewerblich tätigen Personengesellschaft unterhaltenen Betriebsstätten anteilig ihren Mitunternehmern zugerechnet, so besagt dies nichts darüber, ob daneben Betriebsstätten der einzelnen Mitunternehmer bestehen können, welche Anforderungen an sie stellen sind und welche Betriebseinnahmen und -ausgaben ihnen zuzuordnen sind. Dazu gilt als Grundsatz, dass die Existenz von Mitunternehmerbetriebsstätten, d.h. von Betriebsstätten, die nur ein einzelner Mitunternehmer für Zwecke der Erzielung von Sondervergütungen und/oder zur Verwaltung des eigenen Sonderbetriebsvermögens unterhält,5 zumindest denkbar ist.6 Sie setzt allerdings eine feste Geschäftseinrichtung des Mitunternehmers voraus, von der aus er seine Mitunternehmertätigkeit mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Nachhaltigkeit ausübt.7 Dazu reicht die Nutzung des Sonderbetriebsvermögens in einer Betriebsstätte der Mitunternehmerschaft nicht aus, weil im Rahmen von Nutzungsüberlassungen die Betriebsstätte des Nutzenden nicht gleichzeitig Betriebsstätte des die Nutzung Überlassenden ist. Es gilt ferner der Grundsatz, dass die im Gesamthandsvermögen erzielten Einkünfte nur einer Betriebsstätte der Mitunternehmerschaft zugeordnet werden können. Die „reine Mitunternehmerbetriebsstätte“ hat dagegen nur für Sondervergütungen i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG einschließlich Sonderbetriebsausgaben sowie für das Sonderbetriebsvermögen Bedeutung. Beschränkt sich die Mitunternehmertätigkeit auf die Geltendmachung der Gesellschafterrechte des Mitunternehmers, so ist diese Tätigkeit i.d.R. der Geschäftsleitungsbetriebsstätte der Personengesellschaft zuzuordnen. 1 BFH v. 18.12.2002 – I R 92/01, FR 2003, 842 = BFH/NV 2003, 964; v. 29.1.1964 – I 153/61 S, BStBl. III 1964, 165; v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663 = FR 1988, 392; v. 17.10.1990 – I R 16/89, BStBl. II 1991, 211; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA (2000) Rz. 68 und 105. 2 A.A. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke = IStR 2010, 103; v. 20.5.2015 – I R 75/14, ISR 2015, 416 m. Anm. Böhmer = BFH/NV 2015, 1687. 3 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149. 4 Vgl. Frotscher in F/D, § 12 KStG Rz. 24c. 5 Haase/Dorn, DB 2011, 2115, verstehen dagegen unter einer Mitunternehmerbetriebsstätte eine solche der Personengesellschaft, die den Mitunternehmern anteilig zugerechnet wird. 6 Vgl. Wassermeyer, IStR 2006, 273; Loukota, IStR 2006, 274. 7 Vgl. BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414 = FR 2008, 1053; v. 19.5.2010 – I B 191/09, BStBl. II 2011, 156.

Wassermeyer 551

9.5

Kap. 9 Rz. 9.6

Besonderheiten bei Personengesellschaften

Übernimmt dagegen ein einzelner Mitunternehmer Tätigkeiten der Personengesellschaft mit deren Zustimmung, so kann eine entsprechend genutzte „Mitunternehmerbetriebsstätte“ gleichzeitig Betriebsstätte der Personengesellschaft sein. Tritt ein einzelner Mitunternehmer in Leistungsbeziehungen zu seiner Personengesellschaft und verwendet er für diese Zwecke eine eigene feste Geschäftseinrichtung, so stellt sich das Problem der Mitunternehmerbetriebsstätte dann, wenn ein Entgelt als Sondervergütung gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gezahlt wird bzw. wenn aufseiten des Mitunternehmers Sonderbetriebsausgaben anfallen. Hält der Mitunternehmer Sonderbetriebsvermögen, muss dasselbe einer Mitunternehmerbetriebsstätte zugeordnet werden, die allerdings auch in einer festen Geschäftseinrichtung der Personengesellschaft unterhalten werden kann.1 Nimmt dagegen der im Inland ansässige Mitunternehmer lediglich Einfluss auf die Geschäftsleitung der an sich im Ausland „ansässigen“ Mitunternehmerschaft, so stellt sich nicht das Problem der „Mitunternehmerbetriebsstätte im engeren Sinne“, sondern nur die Frage, ob die „Mitunternehmerbetriebsstätte“ gleichzeitig Betriebsstätte der Mitunternehmerschaft ist.

9.6 Abkommensrecht. Im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA versteht man als „Gesellschaft“ nur juristische Personen bzw. Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden. Da Personengesellschaften nach dt. Steuerrecht weder einkommen- noch körperschaftsteuerpflichtig sind, werden sie hier nicht als „Gesellschaften“, sondern nur als „andere Personenvereinigungen“ behandelt. Davon abweichend subsumiert z.B. Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 DBA-Belgien eine nach dt. Recht gegründete OHG, KG und/oder Partenreederei ausdrücklich unter den Begriff „Gesellschaft“.2 Vor allem ältere DBA3 kennen dagegen den Begriff der „anderen Personenvereinigung“ nicht, was nicht ausschließt, dass sie dennoch auch abkommensrechtlich unter diesen Begriff zu fassen sind. Art. 3 Abs. 1 Buchst. d OECDMA behandelt als Unternehmer nur solche Personen, die in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig sind. Die Ansässigkeit einer Person setzt nach Art. 4 Abs. 1 OECD-MA deren unbeschränkte Einkommen- oder Körperschaftsteuerpflicht in einem der beiden Vertragsstaaten voraus. Nach dt. Rechtsauffassung wird das Abkommensrecht hier so angewendet, als ob jeder Mitunternehmer der Personengesellschaft der Unternehmer ist. Entsprechend wird das Unternehmen einer gewerblich tätigen Personengesellschaft von so vielen Personen (gemeinsam) betrieben, wie sie Mitunternehmer hat. Für die Anwendung der DBA wird auf die Ansässigkeit jedes einzelnen Mitunternehmers bezogen auf den ihm zuzurechnenden Gewinnanteil abgestellt. Es wird jeder einzelne Gewinnanteil eines Mitunternehmers für sich genommen nur dann unter das DBA subsumiert, wenn der Mitunternehmer abkommensberechtigt, d.h. in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig ist. Dennoch besteht nur ein Unternehmen, das von den Mitunternehmern gemeinsam betrieben wird. Ist ein Mitunternehmer an mehreren Personengesellschaften beteiligt, so bestehen entsprechend viele Unternehmen, die von den jeweiligen Mitunternehmern gemeinsam betrieben werden. Verschiedene Mitunternehmeranteile eines Mitunternehmers an mehreren Personengesellschaften werden also nicht zu „einem Betrieb“ zusammengeführt. Auch abkommensrechtlich werden die Betriebsstätten einer Personengesellschaft allen Mitunternehmern zugerechnet. Mitunternehmerbetriebsstätten können dagegen nur Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens eines Mitunternehmers bzw. die Sondervergütungen i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG und die sie betreffenden Sonderbetriebsausgaben zugeordnet werden. 1 Vgl. Kramer, DB 2011, 1882; Kramer, BB 2011, 2467. 2 Vgl. Wassermeyer, IStR 2010, 683. 3 Vgl. Art. 3 Abs. 1 Buchst. d DBA-Indien; Art. 3 Abs. 1 Buchst. d i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. h DBA-Schweiz und Art. 7 Abs. 7 DBA-Schweiz sowie dem Verhandlungsprotokoll v. 18.6.1971 zu Art. 10–12 DBA-Schweiz.

552

Wassermeyer

A. Begriff und Tatbestandsvoraussetzungen

Rz. 9.8 Kap. 9

Typenvergleich. Erzielt ein nach ausländischem Recht gegründeter Rechtsträger sog. inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG, so stellt sich aus der Sicht des dt. Steuerrechts die Frage, ob der Rechtsträger als Personengesellschaft oder als Körperschaft zu behandeln ist. Insoweit bedarf es eines sog. Typenvergleichs1 zwischen dem ausländischen Rechtsträger einerseits und den Gesellschaftsformen nach dt. Gesellschaftsrecht andererseits. Abgestellt wird darauf, ob der ausländische Rechtsträger nach seinem rechtlichen Aufbau eher mit einer dt. Körperschaft oder mit einer dt. Personengesellschaft vergleichbar ist.2 Entspricht die Personenvereinigung in ihrer vom ausländischen Gesellschaftsrecht vorgegebenen Struktur einer Personengesellschaft dt. Rechts (Hauptkennzeichen: unbeschränkte Haftung mindestens eines Gesellschafters, keine freie Übertragbarkeit der Beteiligung, Selbstorganschaft), so behandelt Dtl. als Anwenderstaat den Rechtsträger als eine transparente Personengesellschaft und zwar auch dann, wenn die Personenvereinigung in dem anderen oder einem dritten Staat juristische Person i.S.d. dortigen Zivilrechts oder eigenständiges Steuersubjekt ist. Entspricht dagegen der ausländische Rechtsträger nach seiner vom ausländischen Recht vorgegebenen Struktur einer Körperschaft (Kapitalgesellschaft) dt. Rechts (Hauptkennzeichen: beschränkte Haftung der Gesellschafter, freie Anteilsübertragung, Fremdorganschaft), so nimmt Dtl. als Anwenderstaat eine Körperschaft an.3 Auf die Behandlung als zivilrechtliche Personengesellschaft oder transparentes Steuergebilde in dem ausländischen Staat kommt es insoweit nicht an.4 Allerdings zeigt das Beispiel der US-amerikanischen Limited Liability Company,5 dass es bei bestehenden Wahlmöglichkeiten im Einzelfall auf die konkret gewählten Satzungsbestimmungen ankommen kann.

9.7

Behandlung der Personengesellschaft im Abkommensrecht. Das nach dt. innerstaatl. Recht anzuwendende Transparenzprinzip schließt es nicht aus, dass dieselbe Personengesellschaft im Ausland als eigenes Steuersubjekt der ESt oder KSt unterworfen ist. Dies kann gleichermaßen für in- wie auch für ausländische Personengesellschaften der Fall sein. Die entsprechende Behandlung im Ausland schlägt auf die Abkommensanwendung im Inland insoweit nicht durch, als sich die Abkommensberechtigung stets auf die Person bezieht, die nach dem innerstaatl. Recht des Anwenderstaats die Einkünfte zu versteuern hat. Jeder der Vertragsstaaten wendet insoweit das DBA aufbauend auf dem eigenen innerstaatl. Recht an. Allerdings stellt sich im Inland die Frage, ob nicht die Mitunternehmer Steuerbefreiungen und -ermäßigungen für sich in Anspruch nehmen können, die das DBA zugunsten der im anderen Vertragsstaat intransparent besteuerten Personengesellschaft vorsieht.6 Sehr deutlich wird die Problematik bei der Zurechnung des Einkommens einer Organgesellschaft gegenüber dem Organträger, wenn in dem Einkommen ausländische Einkünfte enthalten sind. Dazu gehört auch die Frage, ob die von der im Ausland intransparent besteuerten Personengesellschaft entrichteten Steuern nicht im Inland anteilig wie solche zu behandeln sind, die von den Mitunternehmern entrichtet wurden. Diese Frage ist unter dem Gesichtspunkt zu bejahen, dass Dtl. das DBA seinem

9.8

1 BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, BStBl. II 1992, 972; einen Überblick über die Einordnung ausländischer Gesellschaftsformen gewährt BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Anhang Tabellen 1 u. 2 (BS-VWG). 2 Vgl. BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437 = FR 1999, 756 m. Anm. Kempermann; v. 19.3.1996 – VIII R 15/94, BStBl. II 1996, 312. 3 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 (2000) OECD-MA Rz. 77. 4 Vgl. OFD Berlin v. 21.1.2003, IStR 2003, 138 – S-Corporation. 5 Vgl. BMF v. 19.3.2004 – IV B 4 - S 1301 USA – 22/04, BStBl. I 2004, 411 = IStR 2004, 351 m. Anm. Krabbe. 6 Vgl. Wassermeyer, IStR 2011, 85.

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Kap. 9 Rz. 9.9

Besonderheiten bei Personengesellschaften

Geist entsprechend anwenden muss.1 Dann darf aber den Steuerpflichtigen kein Nachteil daraus entstehen, dass die beteiligten Vertragsstaaten die Personengesellschaft nach ihrem jeweiligen innerstaatl. Recht unterschiedlich qualifizieren. Die andere Qualifikation der Personengesellschaft durch den anderen Vertragsstaat kann dazu führen, dass die Personengesellschaft eine in dem anderen Vertragsstaat ansässige Person i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Buchst. d OECD-MA ist, der das Unternehmen der Personengesellschaft zugerechnet werden könnte. Im Urteil vom 25.5.20112 hat der BFH es abgelehnt, daraus für die Besteuerung im Inland weitergehende Konsequenzen zu ziehen. Tatsächlich hat er solche Konsequenzen jedoch im Urteil vom 19.5.20103 selbst gezogen. Danach soll das Schachtelprivileg nach dem DBA-Frankreich sogar für persönlich haftende Gesellschafter einer inländischen KGaA gelten, selbst wenn die Gesellschafter weder in Dtl. noch in Frankreich ansässig sind.

9.9 Abkommensrechtliche Einkünftezuordnung bei Mitunternehmerschaften. § 15 Abs. 3 Nr. 1 und 2 EStG belegt, dass Mitunternehmerschaften entweder teilweise oder unter bestimmten Voraussetzungen auch ausschließlich Einkünfte aus Vermögensverwaltung erzielen können, die nach innerstaatl. Recht als Gewinne i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG behandelt werden. Abkommensrechtlich gilt insoweit Art. 7 Abs. 4 MA, d.h. auf die unter Art. 6 und 8 bis 21 MA fallenden Einkünfte findet Art. 7 Abs. 1 MA im Grundsatz keine Anwendung. Der Grundsatz erfährt jedoch in Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 3 MA Ausnahmen. Danach werden Dividenden, Lizenzgebühren und Zinsen rechtsfolgemäßig doch dem Art. 7 Abs. 1 MA zugeordnet, wenn der in einem Vertragsstaat ansässige Empfänger der Einnahmen in dem anderen Vertragsstaat, aus dem die Einnahmen stammen, eine Geschäftstätigkeit durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausübt und die Forderung, für die die Einnahmen gezahlt werden, tatsächlich zu dieser Betriebsstätte gehört. Der Anwendungsbereich der Vorschriften war Gegenstand des Urteils des FG Münster vom 15.12.2014.4 Es betrifft eine im Inland ansässige KG, die zu 100 % an einer inländischen GmbH beteiligt ist. Es bestand im Streitjahr eine Organschaft. Die GmbH war zu 99,5 % an einer niederländischen Personengesellschaft (X-CV) beteiligt, die wiederum alle Anteile an einer niederländischen Kapitalgesellschaft (X-BV) hielt. Die X-BV hielt Beteiligungen an Vertriebsgesellschaften in mehreren europäischen und außereuropäischen Staaten. Die X-BV schüttete im Jahr 2007 eine Dividende an die X-CV aus. Die im Inland ansässigen Mitunternehmer behandelten die ihnen aufgrund der Organschaft zugerechnete Dividende gem. Art. 13 Abs. 5 DBA-Niederlande a.F. (= Art. 10 Abs. 4 MA) als in Dtl. steuerfrei. Das FG Münster schloss sich dieser Auffassung aus Gründen des Art. 13 Abs. 1 DBA-Niederlande a.F. (= Art. 10 Abs. 1 MA) nicht an. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt.5 Der Sachverhalt erfordert zunächst die Einordnung einer Organschaft in das Abkommensrecht (Rz. 9.57 ff.). Insoweit ist darauf abzustellen, dass die Organschaft zu einer Einkommenszurechnung führt. Die dem zuzurechnenden Einkommen zugrunde liegenden Einkünfte werden von der Organgesellschaft erzielt. Sind diese Einkünfte steuerfrei, so unterbleibt die Zurechnung. Deshalb ist abkommensrechtlich auf die Organgesellschaft abzustellen. Sie muss in einem Vertragsstaat ansässig sein und ggf. die Vorausset1 Vgl. Art. 1 Tz. 25 und 26 OECD-MK; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 58, Art. 3 OECD-MA Rz. 84. 2 Vgl. BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760 = FR 2011, 1175 m. Anm. Kempermann = IStR 2011, 688. 3 Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I R 62/09, BFHE 230, 18 = FR 2010, 809 m. Anm. Wassermeyer = IStR 2010, 61. 4 Vgl. FG Münster v. 15.12.2014 – 13 K 624/11 F, ISR 2015, 124 m. Anm. Jochimsen = EFG 2015, 704. 5 Az. beim BFH: I R 10/15.

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Wassermeyer

B. Gewinnermittlung

Rz. 9.10 Kap. 9

zungen der Art. 10 Abs. 4, 11 Abs. 4 und 12 Abs. 3 MA erfüllen. Insoweit kommt es auf die von der GmbH aus ihrer mitunternehmerischen Beteiligung von der X-CV erzielten Einkünfte an. Es geht um die Frage, wann die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft i.S.d. Art. 10 Abs. 4 MA (X-BV) „tatsächlich“ zu einer Betriebsstätte der X-CV gehört bzw. ob – so die Formulierung in Art. 13 Abs. 5 DBA-Niederlande a.F. – die Mitunternehmer „die Dividende durch die Betriebsstätte (der X-CV) erzielen“. Insoweit ist nach der hier vertretenen Auffassung zu beachten, dass die X-CV bei Fassung des Gewinnverteilungsbeschlusses Gesellschafterin der X-BV war. Gesellschaftsrechtlich stand deshalb nur der X-CV der Anspruch auf die Dividende zu. Der Anspruch stand nicht den Mitunternehmern zu. Das Erzielen der Dividende durch die Mitunternehmer beruhte auf der Zurechnung eines von der X-CV realisierten Sachverhalts gegenüber den Mitunternehmern. Die X-CV verfügte nur über eine einzige Stammhausbetriebsstätte. Das Ausüben ihrer Gesellschafterrechte war steuerrechtlich dieser Stammhausbetriebsstätte zuzuordnen. In diesem Sinne erzielte die X-CV die Dividende durch das Unterhalten der Stammhausbetriebsstätte. Dies entspricht einerseits dem BFH, Urt. v. 26.2.1992.1 Es entspricht aber auch der Überlegung, dass es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kein betriebsstättenloses Betriebsvermögen gibt.2 So gesehen kann auch kein Zweifel an der tatsächlichen Zugehörigkeit der Beteiligung an der X-BV zum Stammhausbetriebsstättenvermögen der X-CV bestehen. Dies gilt auch dann, wenn man die tatsächliche Zugehörigkeit i.S. eines funktionalen Zusammenhangs verstehen will.3 Ein anderes Ergebnis kann nur dann erwogen werden, wenn die Beteiligung an der X-BV tatsächlich nur „zum Schein“ über das Betriebsvermögen der X-CV gehalten wird, um eine Steuerbefreiung in Dtl. zu erreichen. Es bleibt abzuwarten, wie der BFH über die Revision entscheiden wird.

B. Gewinnermittlung I. Abhängigkeit der Gewinnermittlung von der unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht der Mitunternehmer Steuerpflicht der Mitunternehmer. Die Frage, ob der Gewinn für den gesamten Betrieb der Personengesellschaft oder nur für eine Betriebsstätte der Personengesellschaft zu ermitteln ist, ist regelmäßig abhängig von der unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht der Mitunternehmer. Die Staaten verbinden mit der unbeschränkten Steuerpflicht eines Mitunternehmers i.d.R. die Besteuerung des Welteinkommens. Ein in Dtl. unbeschränkt Steuerpflichtiger muss hier grundsätzlich sein Welteinkommen erklären und auch nach dt. Steuerrecht ermitteln. Dazu gehören ggf. auch die anteiligen ausländischen Einkünfte einer inoder ausländischen Personengesellschaft, soweit sie in den Gewinnanteil des unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigners eingehen. Die Ermittlung der anteiligen ausländischen Einkünfte des an einer Personengesellschaft beteiligten unbeschränkt steuerpflichtigen Mitunternehmers setzt letztlich die Ermittlung der gesamten Einkünfte der Personengesellschaft voraus. Sind deshalb an einer inländischen Personengesellschaft einerseits ein Steuerinländer und andererseits ein Steuerausländer beteiligt, so muss die inländische Personengesellschaft dennoch ihren gesamten Gewinn nach deutschem Steuerrecht ermitteln, obwohl der Steuerausländer in Deutschland nur mit seinen inländischen Einkünften steuerpflichtig ist. Ist umgekehrt ein Steuerinländer an einer ausländischen Personengesellschaft beteiligt, so muss 1 Vgl. BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937. 2 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, FR 2008, 920 = BFH/NV 2008, 672. 3 A.A. Schulz-Trieglaff, IStR 2015, 717.

Wassermeyer 555

9.10

Kap. 9 Rz. 9.11

Besonderheiten bei Personengesellschaften

zumindest der Steuerinländer den gesamten Gewinn der ausländischen Personengesellschaft nach deutschem Steuerrecht ermitteln. Dies kann große praktische Probleme nach sich ziehen.

II. Mitunternehmerkonzept 9.11 Zurechnung von Einkünften. Auf der Grundlage des Transparenzprinzips1 ist den Mitunternehmern der Gewinn der Personengesellschaft anteilig zuzurechnen. Zusätzlich werden den Mitunternehmern Vergütungen für Tätigkeiten im Dienste der Gesellschaft, für die Überlassung von Wirtschaftsgütern oder die Hingabe von Darlehen als Einkünfte (Sondervergütungen) aus der Zugehörigkeit der Personengesellschaft zugerechnet (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Dies gilt gleichermaßen für das von Sondervergütungen betroffene Vermögen (Sonderbetriebsvermögen). Mit dieser Zurechnung berücksichtigt das Steuerrecht die zivilrechtliche Teilrechtsfähigkeit der Gesellschaft (§ 14 Abs. 2 BGB, § 161 Abs. 2, § 124 Abs. 1 HGB; § 7 Abs. 2 PartGG),2 aufgrund der sie im eigenen Namen Rechte erwerben und Verpflichtungen eingehen kann. Sie hat zur Folge, dass die Gesellschaft auch mit ihren Gesellschaftern Rechtsgeschäfte abschließen kann, aus denen sich steuerrechtliche Folgen für die Beteiligten ableiten. Das steuerrechtliche Ziel der Gleichbehandlung von Einzelunternehmen und Personengesellschaften wird dadurch annähernd erreicht, dass die zivilrechtlichen Leistungsbeziehungen zwischen der Personengesellschaft und ihren Mitunternehmern auf Gesellschaftsebene voll berücksichtigt werden. Auf der Mitunternehmerebene werden jedoch die Sondervergütungen zugerechnet und die Sonderbetriebsausgaben vom Gewinnanteil des Mitunternehmers für Besteuerungszwecke abgesetzt (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG). Damit vollzieht sich die Gewinn- und Vermögensermittlung bei Personengesellschaften mit Gewinneinkünften auf zwei Ebenen. Im Ergebnis beeinflussen zivilrechtlich wirksame Rechtsbeziehungen die Ermittlung der den Gesellschaftern steuerlich zuzurechnenden Einkünfte sowie des zuzurechnenden Betriebsvermögens nicht. Bei der Gewinnermittlung gelten dabei für den Gesamthands- sowie für den Sonderbetriebsvermögensbereich einheitliche Prinzipien.3 Nach § 50d Abs. 10 EStG sollen die in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG geregelten Grundsätze auch auf die Anwendung von DBA durchschlagen.

III. Sondervergütungen 9.12 Begriff. Sondervergütungen sind Entgelte für Dienstleistungen, Darlehen oder die Überlassung von Wirtschaftsgütern, die die Personengesellschaft aufgrund eines besonderen Schuldverhältnisses an einen oder mehrere Mitunternehmer zahlt. Die Sondervergütungen können auch auf dem Gesellschaftsvertrag beruhen, wenn sie nach der Abrede der Gesellschafter Aufwand der Personengesellschaft sein und auch dann gezahlt werden sollen, falls die Personengesellschaft keinen Gewinn erzielt.4 Die Sondervergütungen sind von einem Gewinnvorab abzugrenzen. Der Gewinnvorab ist Teil des Unternehmensgewinns.5 Er ist auch bilan1 Vgl. Prokisch in V/L6, Art. 1 OECD-MA Rz. 17; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, N 301, N 303 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 507 ff.; Pyszka/Brauer, Ausländische Personengesellschaften im Unternehmenssteuerrecht, Rz. 14, 17. 2 Vgl. Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht22, § 10 Rz. 50 ff. 3 Vgl. Reiß in Kirchhof16, § 15 EStG Rz. 235. 4 Vgl. BFH v. 23.1.2001 – VIII R 30/99, BStBl. II 2001, 621. 5 Vgl. BFH v. 23.1.2001 – VIII R 30/99, BStBl. II 2001, 621 = FR 2001, 580; v. 5.6.2002 – I R 81/00, FR 2002, 1055 m. Anm. Kempermann = BFH/NV 2002, 1383.

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Wassermeyer

B. Gewinnermittlung

Rz. 9.13 Kap. 9

ziell als solcher auszuweisen. Die Sondervergütungen mindern dagegen den Steuerbilanzgewinn der Personengesellschaft. Sie sind jedoch gem. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG sowohl dem Gewinn als auch dem Gewinnanteil des sie erzielenden Mitunternehmers wieder hinzuzurechnen, weshalb der Gesamtgewinn der Mitunternehmerschaft nicht gemindert wird. Für die Sondervergütungen ist abkommensrechtlich darüber zu entscheiden, ob sie einnahmemäßig als Unternehmensgewinn oder aber als Einnahmen aus Vermögensverwaltung bzw. aus Dienstleistungen zu behandeln sind. Dabei ist § 50d Abs. 10 EStG zu beachten. Aufwandsmäßig sind die Sondervergütungen nach den allgemeinen Veranlassungsgrundsätzen dem Stammhaus und/oder einer bzw. mehreren Betriebsstätte(n) zuzuordnen. Entsprechendes gilt, wenn ein Leistungsverkehr zwischen einer Personenober- und einer Personenuntergesellschaft vollzogen wird. In diesem Fall müssen sowohl die Betriebseinnahmen als auch die Betriebsausgaben getrennt voneinander einer Betriebsstätte zugeordnet werden. Sondervergütungen werden grundsätzlich in einer Betriebsstätte des jeweils angesprochenen Mitunternehmers (= Mitunternehmerbetriebsstätte) erzielt. Im Einzelfall kann der Mitunternehmer allerdings seine Mitunternehmerbetriebsstätte in einer Geschäftseinrichtung der Mitunternehmerschaft unterhalten. Einnahmemäßige Zuordnung von Sondervergütungen. Bei der einnahmemäßigen Zuordnung von Sondervergütungen ist zwischen der Beurteilung nach innerstaatlichem Steuerrecht und der nach Abkommensrecht zu unterscheiden. Nach innerstaatlichem Recht ist die Sondervergütung einerseits dem Gesamtgewinn des sie zahlenden Unternehmens und andererseits dem Gewinnanteil des sie erzielenden Mitunternehmers zuzurechnen. Daraus folgt, dass innerstaatlich gesehen die Sondervergütung stets als Einkünfte aus Gewerbebetrieb bzw. aus selbständiger Arbeit bzw. aus Land- und Forstwirtschaft zu qualifizieren ist. Sie ist als Einnahme einer Betriebsstätte zuzurechnen. Dies bedeutet nicht, dass sie abkommensrechtlich stets der Betriebsstätte zuzurechnen ist, zu deren Lasten sie aufwandsmäßig abgesetzt wurde. Zu beachten ist allerdings der in allen noch offenen Fällen anzuwendende § 50d Abs. 10 Satz 3 EStG (§ 52 Abs. 59a Satz 10 EStG in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung1). Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob dem Betriebsstättenstaat auch abkommensrechtlich das Besteuerungsrecht zusteht. Insoweit besteht Streit. Ungeachtet dieses Streits ist zwischen der Behandlung im Quellenstaat und der im Ansässigkeitsstaat des Empfängers der Sondervergütung zu differenzieren. Einnahmemäßig hat ein potentieller Quellenstaat die Sondervergütungen grundsätzlich autonom und isoliert unter die Vorschriften des DBA zu subsumieren. Dabei ist vorrangig darauf zu achten, ob das DBA ausnahmsweise eine Sonderregelung für Sondervergütungen enthält.2 Ist dies der Fall, so ist sie anzuwenden. Ist dies nicht der Fall, so sind die Sondervergütungen unter die übrigen Vorschriften des DBA zu subsumieren. Handelt es sich bei der Sondervergütung einnahmemäßig z.B. um den Mietzins für die Überlassung von Grundvermögen, so ist Art. 6 bzw. Art. 21 OECD-MA anzuwenden. Handelt es sich um eine Tätigkeitsvergütung, so ist Art. 14 a.F., 153 oder 21 OECD-MA anzuwenden. Handelt es sich um Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren, so finden die Art. 10–12 oder 21 OECDMA Anwendung. Nur dann, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 4, des Art. 11 Abs. 4, des Art. 12 Abs. 3 und/oder des Art. 21 Abs. 2 OECD-MA erfüllt sind, ist anstelle der Art. 10–12 oder 21 OECD-MA die Rechtsfolge aus Art. 7 OECD-MA anzuwenden. Art. 7 OECD-MA ist jedoch im Übrigen subsidiär.4 In der Regel hat deshalb der Quellenstaat nur ein eingeschränktes oder kein Besteuerungsrecht. Ein uneingeschränktes Besteuerungs1 2 3 4

Vgl. EUBeitrHRV-StRAnpG v. 25.7.2014, BGBl. I 2014, 1266. Vgl. Art. 7 Abs. 7 Satz 2 DBA-Österreich; Art. 7 Abs. 7 Satz 2 DBA-Schweiz. BFH v. 21.7.1999 – I R 71/98, BStBl. II 2000, 336 = FR 2000, 323 = IStR 2000, 151 m. Anm. KB. Vgl. Pyszka/Bauer, Ausländische Personengesellschaften im Unternehmenssteuerrecht, Rz. 102.

Wassermeyer 557

9.13

Kap. 9 Rz. 9.14

Besonderheiten bei Personengesellschaften

recht hat er nur unter den Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 4, des Art. 11 Abs. 4, des Art. 12 Abs. 3 und/oder des Art. 21 Abs. 2 OECD-MA bzw. dann, wenn die Voraussetzungen der Art. 6, 14 a.F. oder 15 OECD-MA zu seinen Gunsten erfüllt sind. Das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates beurteilt sich für die Sondervergütungen nach dem sog. Methodenartikel. Insoweit besteht Streit darüber, ob der Ansässigkeitsstaat an die Subsumtion der Sondervergütungen unter die Art. 6–21 OECD-MA durch den Quellenstaat gebunden ist oder ob er sie seinerseits autonom unter Methodenartikel subsumieren darf.1 Anders ausgedrückt geht es um die Frage, ob der Ansässigkeitsstaat die unter Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 3 und/oder Art. 21 Abs. 2 OECD-MA fallenden Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren stets als Unternehmensgewinne behandeln muss oder ob er sie seinerseits als Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren unter den Methodenartikel subsumieren darf. Zu dieser Frage gilt, dass der Ansässigkeitsstaat an die Qualifikation durch den Quellenstaat nicht gebunden ist. Es kommt daher nicht darauf an, ob der Quellenstaat die Sondervergütung bei seiner Betriebsstättengewinnermittlung als Betriebsausgabe abgesetzt oder ähnlich dem § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG dem Betriebsstättengewinn wieder hinzugerechnet hat. Außerdem entscheidet der Ansässigkeitsstaat unter Anwendung des Methodenartikels, ob Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 3 und/oder Art. 21 Abs. 2 OECD-MA die Sondervergütung begrifflich in einen Teil des Unternehmensgewinn umwandeln oder ob Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 3 und/oder Art. 21 Abs. 2 OECD-MA nur im Quellenstaat anwendbar sind und die Behandlung der Sondervergütung als Dividende, Zinsen oder Lizenzgebühren durch den Ansässigkeitsstaat nicht tangiert. Im Schrifttum ist erstere Auffassung die herrschende.2 Indes ist die zweite Auffassung durchaus in sich schlüssig.3 Vor allem ist nicht einzusehen, weshalb der Ansässigkeitsstaat Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren unterschiedlich besteuern darf, je nachdem, ob sie im Quellensteuerstaat als Unternehmensgewinne oder als Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren besteuert wurden. Die Rechtsprechung hat bisher über diese Frage noch nicht entschieden. Behandelt der Ansässigkeitsstaat die Sondervergütung einnahmemäßig als Teil des Unternehmensgewinns, so beurteilt sich nach den allgemeinen Veranlassungskriterien, welcher Betriebsstätte die Sondervergütung zuzuordnen ist. Dies muss abkommensrechtlich gesehen nicht die Betriebsstätte sein, zu deren Lasten die Sondervergütung aufwandsmäßig abgesetzt wird. Dies wird besonders deutlich, wenn eine Personenuntergesellschaft eine Sondervergütung an einer Personenobergesellschaft zahlt. In der Regel ist die Sondervergütung als Einnahme der Betriebsstätte der Personenobergesellschaft zuzuordnen.4

9.14 Aufwandsmäßige Zuordnung von Sondervergütungen. Von der Besteuerung der Sondervergütungen bei dem einzelnen Mitunternehmer ist die aufwandsmäßige Behandlung bei 1 Vgl. BFH v. 5.6.2002 – I R 86/01, BStBl. II 2002, 848 = FR 2002, 1188 = IStR 2002, 638 m. Anm. KB; v. 7.8.2002 – I R 10/01, BStBl. II 2002, 848 = FR 2003, 151 m. Anm. Kempermann; Strunk/Kaminski, IStR 2003, 181; Lang, SWI 2003, 319; Mössner, RIW 2003, 294 (299); Wassermeyer in Haarmann (Hrsg.), Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, 111; Lüdicke/ Wassermeyer in Lüdicke (Hrsg.), Besteuerungspraxis bei grenzüberschreitender Tätigkeit, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 24, 2003, 207 ff.; Gündisch, Personengesellschaften im DBARecht, 123; Wolff, Auslegungsfragen zu DBA-Regelungen über Unternehmensgewinne, in FS Wassermeyer, 647; Kluge, Betriebsstättenvorbehalt und Methodenartikel, in FS Wassermeyer, 663. 2 Vgl. Strunk/Kaminski, IStR 2003, 181; Lang, SWI 2003, 319; Wagner, IWB 2003, Fach 3, Gruppe 2, 1067. 3 Vgl. Wassermeyer in Lüdicke (Hrsg.), Besteuerungspraxis bei grenzüberschreitender Tätigkeit, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 24, 2003, 209; Fischer in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Veräußerungsgewinne im Internationalen Steuerrecht, 42 ff.; Schmidt/Blöchle, IStR 2003, 685 (691); Pyszka/Bauer, Ausländische Personengesellschaften im Unternehmenssteuerrecht, Rz. 74. 4 Vgl. Wassermeyer, IStR 2006, 273; Loukota, IStR 2006, 274.

558

Wassermeyer

B. Gewinnermittlung

Rz. 9.16 Kap. 9

der Mitunternehmerschaft strikt zu trennen. Aufwandsmäßig werden die Sondervergütungen zu Lasten der Mitunternehmerschaft gezahlt. Sie mindern den für die Mitunternehmerschaft zu ermittelnden Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (vgl. Rz. 4.13 ff.). Innerhalb der Einkunftsarten Gewerbebetrieb und selbständige Arbeit ist der Aufwand einer Betriebsstätte ggf. anteilig zuzuordnen (vgl. Rz. 4.229 ff.). Er mindert insoweit den Betriebsstättengewinn. Sondervergütungen können allerdings auch nicht abziehbare Betriebsausgaben i.S.d. § 3c EStG darstellen. Die einnahme- und die aufwandsmäßige Zuordnung der Sondervergütungen können verschiedene Betriebsstätten betreffen. Vorbehaltlich der Anwendung des § 50d Abs. 10 Satz 3 EStG besteht kein Grundsatz dahingehend, dass die Sondervergütung aufwandsmäßig der Betriebsstätte zuzuordnen ist, der sie auch einnahmemäßig zuzuordnen ist. Betreibt die Mitunternehmerschaft eine Land- und Forstwirtschaft, richtet sich die aufwandsmäßige Behandlung der Sondervergütung nach Art. 6 OECD-MA. Korrektur unangemessener Sondervergütungen. Vereinbaren Personengesellschaft und Gesellschafter unangemessen hohe Sondervergütungen, so können die Sondervergütungen nach den Rechtsinstituten der Entnahme, der Einlage und des § 1 AStG steuerlichen Korrekturen unterliegen. Die steuerlichen Korrekturen können dazu führen, dass ein Teil der Sondervergütungen nicht als Betriebsausgabe absetzbar ist. Im Bereich des § 1 AStG können fiktive Gewinnerhöhungen anzusetzen sein.

9.15

Beispiel 1: Der in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige A ist an der spanischen Sociedad en Comandita (KG) zu 99 % beteiligt. Er vermietet der KG ein ihm gehörendes und in Spanien belegenes bebautes Grundstück zu einem Mietpreis von 100. Die unter fremden Dritten übliche Miete hätte 150 betragen. Die KG ist in Spanien gewerblich tätig und erzielt einen Gewinn aus Handelstätigkeit von 1.000. Deutschland muss den Gewinn aus Handelstätigkeit gem. Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBASpanien steuerfrei stellen. Deutschland darf allerdings Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen gem. Art. 23 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. ee DBA-Spanien besteuern, soweit das unbewegliche Vermögen nicht tatsächlich zu einer in Spanien gelegenen Betriebsstätte gehört. Unterstellt, dass diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, darf Deutschland die Einkünfte des A aus unbeweglichem Vermögen auf der Grundlage des § 1 AStG auf 150 erhöhen. Die Erhöhung führt allerdings wahrscheinlich zu einer Verletzung der Diskriminierungsverbote nach dem EU-Vertrag, weil bei einer entsprechenden Vermietung von inländischem Grundvermögen keine Korrekturmöglichkeit bestünde. Beispiel 2: Der in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige A ist an einer deutschen KG zu 99 % und an einer schweizerischen AG zu 100 % beteiligt. A veranlasst die KG, der AG Dienstleistungen zu einem Entgelt von 50 zu erbringen. Die Selbstkosten der KG für die Dienstleistungen liegen bei 30 und der Fremdvergleichspreis bei 100. Die Geschäftsbeziehung der beiden Schwestergesellschaften untereinander ist für A eine solche zum Ausland i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG. Entsprechend wird Deutschland den Gewinn der KG gem. § 1 AStG um 50 erhöhen.

IV. Sonderbetriebsvermögen Zuordnung von Sonderbetriebsvermögen zu einer Betriebsstätte. Verfügt ein Personengesellschafter über sog. Sonderbetriebsvermögen, das die Personengesellschaft im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit nutzt, so stellt sich jedenfalls dann, wenn auf die Einkünfte aus dem Sonderbetriebsvermögen die Rechtsfolge des Art. 7 OECD-MA anzuwenden ist, die Frage, welcher Betriebsstätte das Sonderbetriebsvermögen zuzuordnen ist. Diese Frage ist in ihrer Beantwortung unproblematisch, wenn der Personengesellschafter außerhalb des Stammhauses über keine Betriebsstätte verfügt, in der er selbst eine aktive gewerbliche Tätigkeit ausübt. In diesem Fall spricht eine Vermutung dafür, dass der Mitunternehmer die Betriebsstätte der Personengesellschaft auch als eigene nutzt. Die Frage wird jedoch insbesondere dann probleWassermeyer 559

9.16

Kap. 9 Rz. 9.17

Besonderheiten bei Personengesellschaften

matisch, wenn Personenober- und -untergesellschaften unmittelbar oder mittelbar aneinander beteiligt sein sollten und sich Leistungen erbringen, die nach dt. innerstaatl. Recht unter § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu subsumieren sind. Hinzuweisen ist einmal auf das BFH, Urt. v. 10.7.2002.1 Hier ging es um eine inländische KG, an der u.a. eine ausländische L-Ltd. beteiligt war. Die L-Ltd. war außerdem an einer schweizerischen I-AG beteiligt, die Führungs- und Managementleistungen innerhalb des Konzerns mithilfe des K erbrachte, der seinerseits als Kommanditist unmittelbar an der KG beteiligt war. Die I-AG leitete den wesentlichen Teil des Entgelts, das die KG an sie zahlte, an K weiter. Der BFH hat es für denkbar gehalten, dass K für seine mittelbare Dienstleistungstätigkeit gegenüber der KG in den Räumen der schweizerischen I-AG eine Betriebsstätte unterhalte. Ebenso könne die Sondervergütung des K der inländischen Stammhausbetriebsstätte der KG zuzuordnen sein. Hinzuweisen ist ferner auf das BFH, Urt. v. 16.10.2002.2 Hier hat der BFH es speziell für das DBA-USA 1954/65 abgelehnt, einen Büroraum im Ausland, in dem nur Vermögensverwaltung betrieben wurde, als Betriebsstätte zu behandeln. Er hat es außerdem für denkbar gehalten, dass der Refinanzierungsaufwand, den eine inländische Personenobergesellschaft für den Erwerb der Beteiligung an einer ausländischen Personenuntergesellschaft zahlte, der Stammhausbetriebsstätte der Personenobergesellschaft zuzuordnen sei. Hinzuweisen ist allerdings auch auf das BFH, Urt. v. 13.2.20083 und den BFH, Beschl. v. 19.5.2010,4 in denen der BFH Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens einer Betriebsstätte der Mitunternehmerschaft zugeordnet hat.

V. Abkommensrechtliche Behandlung 9.17 Tatsächliche Zugehörigkeit von Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte. Soweit im Einzelfall eine Anwendung von Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 3 und/oder Art. 21 Abs. 2 OECD-MA durch den Quellenstaat zur Diskussion steht, stellt sich die Frage, wann die dort geforderte tatsächliche Zugehörigkeit eines Wirtschaftsguts zu einer im Quellenstaat belegenen Betriebsstätte anzunehmen ist. Insoweit ist die Unterscheidung in eine tatsächliche und eine rechtliche Zugehörigkeit von Bedeutung. Die Vorschriften fordern keine rechtliche, sondern eine tatsächliche Zugehörigkeit. Deshalb reicht es nicht aus, dass sich das in den Vorschriften angesprochene Wirtschaftsgut im Gesamthandsvermögen einer gewerblich tätigen Personengesellschaft befindet. Es muss auch tatsächlich der aktiv ausgeübten gewerblichen Tätigkeit dienen. Dazu hat der BFH speziell für entgeltliche und unentgeltliche Darlehensüberlassungen durch den Gesellschafter einer gewerblich tätigen Personengesellschaft an dieselbe entschieden, dass der Darlehensbetrag nie tatsächlich dem Betrieb diene.5 Der BFH hat sich insoweit von der Freiheit jedes Gesellschafters leiten lassen, seiner Gesellschaft Eigenoder Fremdkapital zuzuführen. Diese Freiheit soll auch auf die tatsächliche Zugehörigkeit des Kapitals zur Betriebsstätte durchschlagen. Eine tatsächliche Zugehörigkeit ist insoweit nur bei Eigenkapital anzunehmen. Möglicherweise wird man den Grundsatz für den Fall einschränken müssen, dass das Darlehen die Funktion von „verdecktem Dotationskapital“ hat. Dies setzt allerdings eine unentgeltliche Darlehensgewährung voraus. Umgekehrt dürfte der 1 2 3 4 5

Vgl. BFH v. 10.7.2002 – I R 71/01, BStBl. II 2003, 191 = FR 2003, 236. Vgl. BFH v. 16.10.2002 – I R 17/01, BStBl. II 2003, 631 = FR 2003, 362. Vgl. BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414 = FR 2008, 1053. Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, BStBl. II 2011, 156. Vgl. BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; v. 31.5.1995 – I R 74/93, BStBl. II 1995, 683 = FR 1995, 791; v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563 = FR 1996, 151; v. 23.10.1996 – I R 10/96, BStBl. II 1997, 313 = FR 1997, 352; v. 21.7.1999 – I R 110/98, BStBl. II 1999, 812 = FR 1999, 1361 m. Anm. Lieber.

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Wassermeyer

B. Gewinnermittlung

Rz. 9.19 Kap. 9

BFH eine tatsächliche Zugehörigkeit bejahen, wenn der Gesellschafter seiner Gesellschaft sog. wesentliche Betriebsgrundlagen zur Nutzung überlässt. Das zur Nutzung überlassene Wirtschaftsgut muss für die Personengesellschaft wesentliche Betriebsgrundlage sein. Insoweit kann auf die Rechtsprechung zur Betriebsaufspaltung zurückgegriffen werden.1 Stellt die Beteiligung bzw. das Recht bzw. der Darlehensbetrag keine wesentliche Betriebsgrundlage dar, so sind nicht die Rechtsfolgen aus Art. 7 OECD-MA, sondern nur diejenigen aus Art. 10–12 und 21 OECD-MA anzuwenden. Dies gilt gleichermaßen für den Quellen- als auch für den Ansässigkeitsstaat. Sind dagegen die Voraussetzungen der Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4 und/ oder Art. 12 Abs. 3 OECD-MA erfüllt, so wendet der Quellenstaat die Rechtsfolge aus Art. 7 OECD-MA an. Der Ansässigkeitsstaat muss aus der Perspektive des Methodenartikels entscheiden, ob er die Einkünfte als Teil eines Unternehmensgewinns oder aber als Dividende, Lizenzgebühr oder Zinsen besteuert. Davon kann in Deutschland die Anwendung der Freistellungs- oder der Anrechnungsmethode abhängen.

VI. Dotationskapital Begriff. Unter dem Dotationskapital ist das Eigenkapital zu verstehen, mit dem die Personengesellschaft ihre Betriebsstätte(n) auszustatten hat. Die Annahme entsprechenden Dotationskapitals verhindert den Abzug von Zinsen für tatsächlich aufgenommenes Fremdkapital. Anders ausgedrückt betrifft die Frage nach der Höhe des Dotationskapitals auch die, welchem Unternehmensteil aufgenommene Schulden zuzurechnen sind. Das Problem des Dotationskapitals ist in der Praxis kaum lösbar. Zwar ist es möglich, die im Stammhaus und der Betriebsstätte ausgeübten Funktionen zu gewichten. Auch lässt sich mithilfe der direkten Methode der Kapitalbedarf für das Stammhaus und die Betriebsstätte bestimmen.2 Daraus kann jedoch keine Aussage darüber getroffen werden, welche Funktion fremd- und welche eigenfinanziert ausgeübt werden soll oder muss bzw. wie das Eigen- und Fremdkapital auf Stammhaus und Betriebsstätte aufgeteilt werden soll. Diese Aufteilung ist letztlich der freien Entscheidung des Unternehmers vorbehalten. Insoweit bleibt als Ausgangspunkt nur die These, dass der Unternehmer im Zweifel seine Aktiva im Verhältnis des vorhandenen Eigen- und Fremdkapitals anteilig finanziert (Kapitalspiegelmethode3). Weicht er im Einzelfall von diesem Grundsatz ab, so muss er dies darlegen. Die Finanzverwaltung muss eine schlüssig begründete Entscheidung des Steuerpflichtigen unter dem Gesichtspunkt der unternehmerischen Finanzierungsfreiheit hinnehmen.

9.18

Tz. 2.5.2 BS-VWG. Nach Tz. 2.5.2 BS-VWG4 darf bei einer inländischen Personengesellschaft der Gesellschafterwechsel nicht zu einer willkürlichen Verringerung des Dotationskapitals führen. Vielmehr müsse die bisherige Dotation durch die Altgesellschafter als Vergleichsmaßstab herangezogen werden. Die Rechtsgrundlage für diese Verwaltungsauffassung ist unklar. Im Regelfall sind die Gesellschafter einer Personengesellschaft frei in der Entscheidung, in

9.19

1 Vgl. BFH v. 17.11.1992 – VIII R 36/91, BStBl. II 1993, 233 = FR 1993, 126; v. 26.5.1993 – X R 78/91, BStBl. II 1993, 530. 2 Vgl. BFH v. 21.1.1972 – III R 57/71, BStBl. II 1972, 374; v. 29.7.1992 – II R 39/89, BStBl. II 1993, 63; v. 9.11.1999 – II R 107/97, BFH/NV 2000, 688. 3 Vgl. BFH v. 27.7.1965 – I 110/63, BStBl. III 1965, 24; v. 25.6.1986 – II 213/83, BStBl. II 1986, 785; v. 20.3.2002 – II R 84/99, BFH/NV 2002, 1017; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 292; Wassermeyer, StbJb. 1997/98, 493 (500); Maier in Löwenstein/Looks/Heinsen2, Rz. 798; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, P 30; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.50. 4 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.5.2.

Wassermeyer 561

Kap. 9 Rz. 9.20

Besonderheiten bei Personengesellschaften

welchem Umfang sie ihre Personengesellschaft mit Eigen- oder Fremdkapital ausstatten. Verschiedene Gesellschafter können deshalb vergleichbare Personengesellschaften unterschiedlich finanzieren. Tz. 2.5.2 BS-VWG kann deshalb allenfalls ein erstes Indiz für die Prüfung der Frage sein, ob die Verteilung des Eigenkapitals unangemessen ist.

9.20 Gesellschafterfremdkapital. Speziell im Verhältnis zwischen einer Personengesellschaft und ihrem Gesellschafter ist es denkbar, dass Letzterer seiner Personengesellschaft statt Eigenkapital (verzinsliches) Fremdkapital zuführt. Geschieht dies grenzüberschreitend, so stellt sich die Frage, ob das Fremdkapital gem. Tz. 2.5.1 BS-VWG1 in „Dotationskapital“ der Personengesellschaft umgedeutet werden kann oder muss. Dies kommt natürlich nur dann in Betracht, wenn das Gesellschafterfremdkapital eigenkapitalersetzenden Charakter hat. Indiz dafür kann eine Überschuldung der Personengesellschaft sein, die Zinszahlungen wirtschaftlich nicht zulässt. Alternativ kann man daran denken, die Grundsätze der BFH, Urt. v. 5.2.19922 entsprechend anzuwenden. Dies bedeutet, dass der Gesellschafter grundsätzlich frei in der Entscheidung ist, seine Personengesellschaft mit Eigen- oder Fremdkapital auszustatten. Die getroffene Entscheidung ist steuerrechtlich zu beachten. Sie kann nur mit Ex-nunc-Wirkung geändert werden. Gegebenenfalls stellt sich die Frage, ob eine Darlehensforderung vermögensmäßig der Stammhausbetriebsstätte der Personengesellschaft oder aber einer Betriebsstätte des Gesellschafters, der auch Kapital- oder Personengesellschaft sein kann, zuzurechnen ist. Im Regelfall ist die Darlehensforderung einer Mitunternehmerbetriebsstätte des Gesellschafters zuzurechnen (Rz. 9.5). Etwas anderes gilt wiederum dann, wenn die Darlehensforderung eigenkapitalersetzenden Charakter hat.

C. Denkbare Aus- und Inlandsbezüge einer Personengesellschaft I. Inländischer Gesellschafter, inländische Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte 9.21 Laufende Besteuerung. Sind inländische Gesellschafter an einer inländischen Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte beteiligt, so sind die Gesellschafter unbeschränkt steuerpflichtig, weshalb die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte wegen des Welteinkommensprinzips der inländischen Besteuerung unterliegen. Normalerweise besteht im Ausland bezogen auf die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte beschränkte Steuerpflicht. Das einschlägige DBA kann im Inland eine Steuerbefreiung für die laufenden Einkünfte unter Progressionsvorbehalt vorsehen. Die Steuerbefreiung kann nach dem einschlägigen DBA davon abhängen, ob in der ausländischen Betriebsstätte überwiegend Einkünfte aus aktiven Tätigkeiten erzielt werden. Zusätzlich ist § 20 Abs. 2 AStG zu beachten. Soweit im Inland keine Steuerbefreiung gewährt wird, ist die ausländische Steuer auf die Betriebsstättengewinne nach § 34c EStG bzw. § 26 Abs. 1 KStG auf die inländische Einkommen- oder Körperschaftsteuer anzurechnen. Gewerbesteuerlich gesehen werden die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte gem. § 9 Nr. 3 GewStG aus der Bemessungsgrundlage für die deutsche Gewerbesteuer ausgeklammert.

9.22 Betriebsstättenverluste. Erzielt die ausländische Betriebsstätte einen Verlust, so geht der Verlustanteil jedes unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters vorbehaltlich der Anwen1 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076. 2 BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = FR 1992, 525; v. 5.2.1992 – I R 79/89, BFH/NV 1992, 629.

562

Wassermeyer

C. Denkbare Aus- und Inlandsbezüge einer Personengesellschaft

Rz. 9.24 Kap. 9

dung von § 2a bzw. § 15b EStG (vgl. Rz. 9.41) in die Bemessungsgrundlage für die deutsche ESt und KSt ein. Bei der Beteiligung eines Kommanditisten an einer inländischen KG ist § 15a EStG (vgl. Rz. 9.42 ff.) zusätzlich zu beachten. Sieht allerdings das einschlägige DBA im Inland die Steuerbefreiung für ausländische Betriebsstättengewinne vor, so behandelt die Rechtsprechung den Verlust als im Inland nicht abziehbar.1 Dies setzt voraus, dass weder § 2a noch § 15a oder § 15b EStG der Verlustberücksichtigung entgegenstehen. Veräußerungsgewinne. Veräußert die inländische Personengesellschaft ihr gesamtes Unternehmen, so ist der Veräußerungsgewinn auf einen solchen aus der Veräußerung des Stammhaus- und des ausländischen Betriebsstättenvermögens aufzuteilen. Nach der Auffassung des BFH,2 deren Richtigkeit allerdings infrage gestellt werden muss, kann ein Teil des Veräußerungsgewinns auch auf stille Reserven entfallen, die in einer ehemaligen Betriebsstätte entstanden und deshalb dieser zuzurechnen sind. Der auf die ausländische Betriebsstätte entfallende Teil des Veräußerungsgewinns unterliegt nach Art. 13 Abs. 2 OECD-MA der Besteuerung im ausländischen Betriebsstättenstaat. Ob der Gewinn auch im Inland zu besteuern ist, richtet sich nach dem Methodenartikel des einschlägigen DBA. Dtl. vermeidet die Doppelbesteuerung entweder durch Gewährung einer Steuerbefreiung oder durch Anrechnung der ausländischen Steuern. Der auf das inländische Stammhausvermögen entfallende Teil des Veräußerungsgewinns darf nur im Inland besteuert werden. §§ 16, 34 EStG finden Anwendung. Entsprechendes gilt, wenn entweder die Personengesellschaft ihren Betrieb unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 EStG aufgibt oder wenn der oder die Gesellschafter ihre Mitunternehmeranteile veräußern. Die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils wird wie eine anteilige Betriebsveräußerung mit der Folge behandelt, dass der auf die ausländische Betriebsstätte entfallende Teil des Anteilsveräußerungsgewinns unter Art. 13 Abs. 2 OECD-MA zu subsumieren ist. Der Gewinn aus der Veräußerung eines Teils des Mitunternehmeranteils wird abkommensrechtlich wie der Gewinn aus der Veräußerung des Mitunternehmeranteils behandelt.3

9.23

II. Inländischer Gesellschafter, ausländische Personengesellschaft mit inländischer Betriebsstätte Laufende Besteuerung. Sind inländische Gesellschafter an einer ausländischen Personengesellschaft mit inländischer Betriebsstätte beteiligt, so sind die Gesellschafter unbeschränkt steuerpflichtig, weshalb die ausländischen Stammhaus- und die inländischen Betriebsstätteneinkünfte wegen des Welteinkommensprinzips der inländischen Besteuerung unterliegen. Normalerweise besteht im Ausland bezogen auf die ausländischen Stammhauseinkünfte beschränkte Steuerpflicht. Das einschlägige DBA kann im Inland eine Steuerbefreiung für die laufenden Stammhauseinkünfte unter Progressionsvorbehalt vorsehen. Die Steuerbefreiung kann nach dem einschlägigen DBA davon abhängen, ob in dem ausländischen Stammhaus 1 Vgl. RFH v. 25.1.1933 – VI A 199/32, RStBl. 1933, 478; v. 26.6.1935 – VI A 414/35, RStBl. 1935, 1358; v. 10.3.1937 – VI A 71/37, RStBl. 1937, 486; BFH v. 11.3.1970 – I B 50/68, BStBl. II 1970, 569; v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 948; v. 28.3.1973 – I R 59/71, BStBl. II 1973, 531; v. 20.11.1974 – I R 1/73, BFHE 114, 530; v. 25.2.1976 – I R 150/73, BStBl. II 1976, 454; v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 381 = FR 1983, 284; v. 18.7.2001 – I R 70/00, BStBl. II 2003, 48 = FR 2002, 169; v. 13.11.2002 – I R 13/02, BStBl. II 2003, 795. 2 Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 = FR 2010, 183 m. Anm. Mitschke = IStR 2010, 103. 3 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 79; Wolff in Wassermeyer, Art. 23 DBAUSA Rz. 237; Krabbe in Wassermeyer, Art. 13 DBA-Italien Rz. 15.

Wassermeyer 563

9.24

Kap. 9 Rz. 9.25

Besonderheiten bei Personengesellschaften

überwiegend Einkünfte aus aktiven Tätigkeiten erzielt werden. Auch insoweit ist § 20 Abs. 2 AStG zu beachten. Soweit im Inland keine Steuerbefreiung gewährt wird, ist die ausländische Steuer auf die Stammhausgewinne nach § 34c EStG bzw. § 26 Abs. 1 KStG auf die inländische ESt oder KSt anzurechnen. Die inländischen Betriebsstätteneinkünfte unterliegen uneingeschränkt der ESt bzw. KSt und der GewSt. Sie sind i.d.R. nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln. Gewerbesteuerpflichtig ist allerdings die ausländische Personengesellschaft. Gewerbesteuerlich gesehen werden die ausländischen Stammhauseinkünfte aus der Bemessungsgrundlage ausgeklammert (§ 2 Abs. 1 Satz 3 und § 9 Nr. 3 GewStG). Besondere Probleme können sich ergeben, wenn die ausländische Personengesellschaft im Ausland wie eine juristische Person besteuert wird. Dann stellt sich die Frage, ob das DBA nicht die Personengesellschaft als eine in dem anderen Vertragsstaat ansässige Person behandelt und deshalb der inländische Mitunternehmer sich auf die Rechtsfolgen berufen kann, die das DBA zugunsten der im anderen Vertragsstaat ansässigen Personengesellschaft vorsieht.1 Dann muss Dtl. die von der ausländischen Gesellschaft gezahlten Steuern für Anrechnungszwecke so behandeln, als seien sie anteilig von den Mitunternehmern entrichtet worden (vgl. Rz. 9.7).

9.25 Betriebsstättenverluste. Erzielt die inländische Betriebsstätte einen Verlust, so gelten die Ausführungen zu Rz. 9.22 entsprechend.

9.26 Veräußerungsgewinne. Veräußert die ausländische Personengesellschaft ihr gesamtes Unternehmen, so gelten die Ausführungen zu Rz. 9.23 entsprechend.

III. Inländischer Gesellschafter, ausländische Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte 9.27 Laufende Besteuerung. Sind inländische Gesellschafter an einer ausländischen Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte beteiligt, so stellt sich vorrangig die Frage, ob die ausländische Personengesellschaft auch aus der Sicht des deutschen Steuerrechts als Mitunternehmerschaft anzuerkennen ist. Dies wird für die folgenden Ausführungen unterstellt. Entsprechend ist von der unbeschränkten Steuerpflicht der Gesellschafter im Inland auszugehen, weshalb die ausländischen Stammhaus- und Betriebsstätteneinkünfte wegen des Welteinkommensprinzips der inländischen Besteuerung unterliegen. Normalerweise besteht im Ausland bezogen auf die ausländischen Stammhaus- und Betriebsstätteneinkünfte beschränkte Steuerpflicht. Das einschlägige DBA kann im Inland eine Steuerbefreiung für die laufenden Einkünfte unter Progressionsvorbehalt vorsehen. Die Steuerbefreiung kann nach dem einschlägigen DBA davon abhängen, ob in dem ausländischen Stammhaus und/oder in der Betriebsstätte überwiegend Einkünfte aus aktiven Tätigkeiten erzielt werden. § 20 Abs. 2 AStG ist zusätzlich zu beachten. Soweit im Inland keine Steuerbefreiung gewährt wird, ist die ausländische Steuer auf die Stammhaus- und Betriebsstättengewinne nach § 34c EStG bzw. § 26 Abs. 1 KStG auf die inländische Einkommen- oder Körperschaftsteuer anzurechnen. In Deutschland wird in Ermangelung einer inländischen Betriebsstätte keine Gewerbesteuer erhoben.

9.28 Betriebsstättenverluste. Erzielen das ausländische Stammhaus und/oder die ausländische Betriebsstätte Verluste, so geht der Verlustanteil jedes unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters vorbehaltlich der Anwendung von § 2a EStG in die Bemessungsgrundlage für die 1 Vgl. Wassermeyer, IStR 2011, 85 (87) und BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760 = FR 2011, 1175 m. Anm. Kempermann = IStR 2011, 688.

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Wassermeyer

C. Denkbare Aus- und Inlandsbezüge einer Personengesellschaft

Rz. 9.29 Kap. 9

deutsche Einkommen- und Körperschaftsteuer ein. Bei der Beteiligung eines Kommanditisten an einer ausländischen KG ist § 15a EStG zusätzlich zu beachten. Sieht allerdings das einschlägige DBA im Inland die Steuerbefreiung für ausländische Betriebsstättengewinne vor, so behandelt die Rechtsprechung den Verlust als im Inland nicht abziehbar.1 Der BFH hatte Zweifel an der Vereinbarkeit des Abzugsverbots für Verluste innerhalb der EU geäußert und den EuGH um eine Vorabentscheidung gebeten.2 Der EuGH hat durch Urteil vom 21.2.20063 entschieden, dass § 2a EStG unionsrechtswidrig sei. Zu beachten sind ferner die EuGH, Urt. v. 29.3.20074 und vom 15.10.2009.5 Der Gesetzgeber hat § 2a EStG durch das JStG 20096 mit Wirkung ab 2008 geändert. Verluste können im Rahmen des negativen Progressionsvorbehaltes von Bedeutung sein. Dies setzt allerdings voraus, dass weder § 2a noch § 15a EStG der Verlustberücksichtigung entgegenstehen. Veräußerungsgewinne. Veräußert die ausländische Personengesellschaft ihr gesamtes Unternehmen, so unterliegt der Gewinn gem. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA der Besteuerung im Ausland. Ob der Gewinn auch im Inland zu besteuern ist, richtet sich nach dem Methodenartikel des einschlägigen DBA. Auch insoweit interessiert, ob Dtl. von der Beteiligung an einer Personen- oder an einer Kapitalgesellschaft ausgeht (vgl. Rz. 9.7 f.). Deutschland vermeidet die Doppelbesteuerung entweder durch Gewährung einer Steuerbefreiung oder durch Anrechnung der ausländischen Steuern. Gegebenenfalls finden §§ 16, 34 EStG Anwendung. Entsprechendes gilt, wenn entweder die ausländische Personengesellschaft ihren Betrieb unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 EStG aufgibt oder wenn der oder die Gesellschafter ihre Mitunternehmeranteile veräußern. Die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils wird wie eine anteilige Betriebsveräußerung mit der Folge behandelt, dass der Anteilsveräußerungsgewinn unter Art. 13 Abs. 2 OECD-MA zu subsumieren ist. Der Gewinn aus der Veräußerung eines Teils des Mitunternehmeranteils wird abkommensrechtlich wie der Gewinn aus der Veräußerung des Mitunternehmeranteils behandelt. Im Fall eines Veräußerungsverlusts sind §§ 2a und 15a EStG zu beachten. Ist die Personengesellschaft ihrerseits an einer Personenuntergesellschaft im In- oder Ausland beteiligt, so wird die Veräußerung als solche sowohl als Beteiligung an der Personenobergesellschaft als auch an der Personenuntergesellschaft verstanden. Der Veräußerungserlös ist entsprechend aufzuteilen. Es ist denkbar, dass verschiedene DBA Anwendung finden und dass die Besteuerungsrechte mehreren Staaten anteilig zustehen.7

1 Vgl. RFH v. 25.1.1933 – VI A 199/32, RStBl. 1933, 478; v. 26.6.1935 – VI A 414/35, RStBl. 1935, 1358; v. 10.3.1937 – VI A 71/37, RStBl. 1937, 486; BFH v. 11.3.1970 – I B 50/68, BStBl. II 1970, 569; v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 948; v. 28.3.1973 – I R 59/71, BStBl. II 1973, 531; v. 20.11.1974 – I R 1/73, BFHE 114, 530; v. 25.2.1976 – I R 150/73, BStBl. II 1976, 454; v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 381 = FR 1983, 284; v. 18.7.2001 – I R 70/00, BStBl. II 2003, 48 = FR 2002, 169 = DB 2001, 2696. 2 Vgl. BFH v. 13.11.2002 – I R 13/02, BStBl. II 2003, 795 = IStR 2003, 314. 3 Vgl. EuGH v. 21.2.2006 – Rs. C-152/03 – Ritter-Coulais, ECLI:EU:C:2006:123 = FR 2006, 466 = DB 2006, 479. 4 EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-347/04 – Rewe Zentralfinanz, ECLI:EU:C:2007:194 = BStBl. II 2007, 492. 5 EuGH v. 15.10.2009 – Rs. C-35/08 – Grundstücksgemeinschaft Busley und Cibrian Fernandez, ECLI:EU:C:2009:625 = DStR 2009, 2186. 6 JStG 2009 v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794 = BStBl. I 2009, 74. 7 Vgl. EAS 2464 v. 21.5.2004, SWI 2004, 408.

Wassermeyer 565

9.29

Kap. 9 Rz. 9.30

Besonderheiten bei Personengesellschaften

IV. Ausländischer Gesellschafter, inländische Personengesellschaft mit inländischer Betriebsstätte 9.30 Laufende Besteuerung. Sind ausländische Gesellschafter an einer inländischen Personengesellschaft mit inländischer Betriebsstätte beteiligt, so sind die Gesellschafter nur beschränkt steuerpflichtig, weshalb sich das deutsche Besteuerungsinteresse nur auf die inländischen Einkünfte bezieht. Die Steuerpflicht im Inland erfasst auch Sondervergütungen, Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben. Gewinnanteile, die ein beschränkt steuerpflichtiger Kommanditist aus der Beteiligung an einer inländischen Komplementär-GmbH erzielt, zählen ebenfalls zu den inländischen Einkünften. Fraglich ist allerdings, ob Dtl. das uneingeschränkte Besteuerungsrecht für diese Dividenden zusteht. Dies hängt von den Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 4 OECD-MA ab. Das einschlägige DBA sieht für die inländischen Stammhaus- und Betriebsstätteneinkünfte i.d.R. ein uneingeschränktes dt. Besteuerungsrecht vor. Die Doppelbesteuerung zu vermeiden, ist die Sache des ausländischen Wohnsitzstaats. Ob dieser Steuerbefreiung oder Steueranrechnung gewährt, entscheidet sich nach dem Methodenartikel des einschlägigen DBA. Die inländischen Einkünfte unterliegen zusätzlich der dt. GewSt.

9.31 Verluste. Erzielen das inländische Stammhaus und/oder die inländische Betriebsstätte Verluste, so geht der Verlustanteil jedes beschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters in die Bemessungsgrundlage für die dt. ESt und KSt ein. Bei der Beteiligung eines beschränkt steuerpflichtigen Kommanditisten an einer inländischen KG ist § 15a EStG zusätzlich zu beachten. Bei einem Verlustvor- oder -rücktrag ist § 50 Abs. 1 Satz 2 EStG zu beachten.

9.32 Veräußerungsgewinne. Veräußert die inländische Personengesellschaft ihr gesamtes Unternehmen, so ist der Veräußerungsgewinn unter Art. 13 Abs. 2 OECD-MA mit der Folge zu subsumieren, dass Dtl. ein Besteuerungsrecht zusteht. Ob der Gewinn auch im ausländischen Wohnsitzstaat zu besteuern ist, richtet sich nach dem Methodenartikel des einschlägigen DBA. Die Doppelbesteuerung zu vermeiden, ist Sache des ausländischen Wohnsitzstaats. Im Inland finden §§ 16, 34 EStG Anwendung (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG). Entsprechendes gilt, wenn entweder die Personengesellschaft ihren Betrieb unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 EStG aufgibt oder wenn der oder die Gesellschafter seinen (ihre) Mitunternehmeranteil(e) veräußern. Die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils wird wie eine anteilige Betriebsveräußerung mit der Folge behandelt, dass der Gewinn unter Art. 13 Abs. 2 OECD-MA zu subsumieren ist. Der Gewinn aus der Veräußerung eines Teils des Mitunternehmeranteils wird abkommensrechtlich wie der Gewinn aus der Veräußerung des Mitunternehmeranteils behandelt. Handelt es sich bei der inländischen Personengesellschaft um eine Personenuntergesellschaft, so wird der Anteilsveräußerungsgewinn den Mitunternehmern der Personenobergesellschaft anteilig zugerechnet. Dabei kann es sich auch um eine ausländische Personenobergesellschaft handeln.

V. Ausländischer Gesellschafter, ausländische Personengesellschaft mit inländischer Betriebsstätte 9.33 Laufende Besteuerung. Sind ausländische Gesellschafter an einer ausländischen Personengesellschaft mit inländischer Betriebsstätte beteiligt, so sind die Gesellschafter nur beschränkt steuerpflichtig, weshalb sich das dt. Besteuerungsinteresse nur auf die inländischen Betriebsstätteneinkünfte bezieht. Die Steuerpflicht im Inland erfasst auch Sondervergütungen, Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben, soweit sie der inländischen Mitunternehmerbetriebsstätte zuzuordnen sein sollten. Gewinnanteile, die ein beschränkt steuerpflichtiger Kom566

Wassermeyer

C. Denkbare Aus- und Inlandsbezüge einer Personengesellschaft

Rz. 9.36 Kap. 9

manditist aus der Beteiligung an einer ausländischen Komplementär-GmbH erzielt, zählen i.d.R. nicht zu den inländischen Einkünften, wenn sie nicht der inländischen Betriebsstätte tatsächlich zuzuordnen sind (Art. 10 Abs. 4 OECD-MA). Das einschlägige DBA sieht für die inländischen Betriebsstätteneinkünfte i.d.R. ein uneingeschränktes dt. Besteuerungsrecht vor. Die Doppelbesteuerung zu vermeiden, ist die Sache des ausländischen Wohnsitzstaates. Ob dieser Steuerbefreiung oder Steueranrechnung gewährt, entscheidet sich nach dem Methodenartikel des einschlägigen DBA. Die inländischen Einkünfte unterliegen zusätzlich der dt. GewSt. Verluste. Erzielt die inländische Betriebsstätte Verluste, so geht der Verlustanteil jedes beschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters in die Bemessungsgrundlage für die deutsche Einkommen- und Körperschaftsteuer ein. Bei der Beteiligung eines beschränkt steuerpflichtigen Kommanditisten an einer ausländischen KG ist § 15a EStG zusätzlich zu beachten. Bei einem Verlustvor- oder -rücktrag ist § 50 Abs. 1 Satz 2 EStG zu beachten.

9.34

Veräußerungsgewinne. Veräußert die ausländische Personengesellschaft ihr gesamtes Unternehmen, so ist der Veräußerungsgewinn unter Art. 13 Abs. 2 OECD-MA mit der Folge zu subsumieren, dass Dtl. ein Besteuerungsrecht nur für den Teil des Gewinns zusteht, der auf die Veräußerung der inländischen Betriebsstätte entfällt. Ob der Gewinn auch im ausländischen Wohnsitzstaat zu besteuern ist, richtet sich nach dem Methodenartikel des einschlägigen DBA. Die Doppelbesteuerung zu vermeiden, ist die Sache des ausländischen Wohnsitzstaates. Im Inland finden §§ 16, 34 EStG Anwendung (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG). Entsprechendes gilt, wenn entweder die Personengesellschaft ihren Betrieb unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 EStG aufgibt oder wenn der oder die Gesellschafter seinen (ihre) Mitunternehmeranteil(e) veräußern. Die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils wird wie eine anteilige Betriebsveräußerung mit der Folge behandelt, dass er unter Art. 13 Abs. 2 OECD-MA zu subsumieren ist. Daraus ergibt sich ein inländisches Besteuerungsrecht insoweit, als die Anteilsveräußerung das anteilige Betriebsstättenvermögen betrifft. Der Gewinn aus der Veräußerung eines Teils des Mitunternehmeranteils wird abkommensrechtlich wie der Gewinn aus der Veräußerung des Mitunternehmeranteils behandelt. Handelt es sich bei der ausländischen Personengesellschaft um eine Personenuntergesellschaft, so wird der Anteilsveräußerungsgewinn den Mitunternehmern der Personenobergesellschaft anteilig zugerechnet.1 Dabei kann es sich auch um eine ausländische Personenobergesellschaft handeln.

9.35

VI. Ausländischer Gesellschafter, inländische Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte Laufende Besteuerung. Sind ausländische Gesellschafter an einer inländischen Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte beteiligt, so sind die Gesellschafter nur beschränkt steuerpflichtig, weshalb sich das dt. Besteuerungsinteresse nur auf die inländischen Stammhauseinkünfte bezieht. Die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte sind im Inland nicht steuerbar. Dies gilt auch unter dem Gesichtspunkt einer sog. Unterbetriebsstätte (vgl. Rz. 1.9). Die Betriebsstätteneinkünfte müssen deshalb nicht nach deutschem Steuerrecht ermittelt werden. Die Steuerpflicht im Inland erfasst auch Sondervergütungen, Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben, soweit sie dem Stammhausgewinn zuzuordnen sind. Insoweit ist zwischen § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG und dem Abkommensrecht zu unterscheiden. Gewinnanteile, die ein be-

1 Vgl. BFH v. 16.10.2002 – I R 17/01, BStBl. II 2003, 631 = FR 2003, 362.

Wassermeyer 567

9.36

Kap. 9 Rz. 9.37

Besonderheiten bei Personengesellschaften

schränkt steuerpflichtiger Kommanditist aus der Beteiligung an einer inländischen Komplementär-GmbH erzielt, zählen ebenfalls zu den inländischen Einkünften. Fraglich ist allerdings, ob Dtl. das uneingeschränkte Besteuerungsrecht für diese Dividenden zusteht. Das einschlägige DBA sieht für die inländischen Stammhauseinkünfte regelmäßig ein uneingeschränktes dt. Besteuerungsrecht vor. Die Doppelbesteuerung zu vermeiden, ist die Sache des ausländischen Wohnsitzstaates. Ob dieser Steuerbefreiung oder Steueranrechnung gewährt, entscheidet sich nach dem Methodenartikel des einschlägigen DBA. Die inländischen Stammhauseinkünfte unterliegen zusätzlich der dt. GewSt.

9.37 Verluste. Erzielt das inländische Stammhaus Verluste, so geht der Verlustanteil jedes beschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters in die Bemessungsgrundlage für die dt. ESt und KSt ein. Bei der Beteiligung eines beschränkt steuerpflichtigen Kommanditisten an einer inländischen KG ist § 15a EStG zusätzlich zu beachten. Bei einem Verlustvor- oder -rücktrag ist § 50 Abs. 1 Satz 2 EStG zu beachten.

9.38 Veräußerungsgewinne. Veräußert die inländische Personengesellschaft ihr gesamtes Unternehmen, so ist der Veräußerungsgewinn unter Art. 13 Abs. 2 OECD-MA mit der Folge zu subsumieren, dass Dtl. ein Besteuerungsrecht für den das Stammhausvermögen betreffenden Teil des Veräußerungsgewinns zusteht. Ob der Gewinn auch im ausländischen Wohnsitzstaat zu besteuern ist, richtet sich nach dem Methodenartikel des einschlägigen DBA. Die Doppelbesteuerung zu vermeiden, ist die Sache des ausländischen Wohnsitzstaates. Im Inland finden §§ 16, 34 EStG Anwendung (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG). Entsprechendes gilt, wenn entweder die Personengesellschaft ihren Betrieb unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 EStG aufgibt oder wenn der oder die Gesellschafter seinen (ihre) Mitunternehmeranteil(e) veräußern. Die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils wird wie eine anteilige Betriebsveräußerung mit der Folge behandelt, dass sie unter Art. 13 Abs. 2 OECD-MA zu subsumieren ist. Der Gewinn aus der Veräußerung eines Teils des Mitunternehmeranteils wird abkommensrechtlich wie der Gewinn aus der Veräußerung des Mitunternehmeranteils behandelt. Handelt es sich bei der inländischen Personengesellschaft um eine Personenuntergesellschaft, so wird der Anteilsveräußerungsgewinn den Mitunternehmern der Personenobergesellschaft anteilig zugerechnet. Dabei kann es sich auch um eine ausländische Personenobergesellschaft handeln.

VII. Personengesellschaften mit Betriebsstätten in einem Drittstaat 9.39 Inländischer Gesellschafter, ausländische Gesellschaft. Ist an einer ausländischen Personengesellschaft ein unbeschränkt Steuerpflichtiger beteiligt und verfügt die ausländische Personengesellschaft über eine Betriebsstätte in einem Drittstaat, so ergibt sich die Besonderheit der Anwendung verschiedener DBA. Die Besteuerung des unbeschränkt Steuerpflichtigen mit den anteiligen Stammhauseinkünften richtet sich nach dem DBA, das zwischen dem Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters und dem Sitzstaat der Personengesellschaft abgeschlossen wurde. Die Besteuerung des unbeschränkt Steuerpflichtigen mit den anteiligen Betriebsstätteneinkünften richtet sich dagegen nach dem DBA, das zwischen dem Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters und dem Betriebsstättenstaat abgeschlossen wurde. Daran ändert sich nichts, wenn an der Personengesellschaft weitere Personen beteiligt sind, die in den verschiedensten Staaten ansässig sein können. Die Anwendung der DBA ist für jeden Gesellschafter und den auf ihn entfallenden Gewinnanteil gesondert und isoliert zu prüfen. Unerheblich ist auch, ob der Stammhaus- und/oder der Betriebsstättenstaat die Personengesellschaft als intransparentes Steuersubjekt behandeln. Entscheidend ist allein die Sichtweise des innerstaatlichen dt. Rechts. 568

Wassermeyer

D. Anwendung von § 2a und § 15a EStG

Rz. 9.42 Kap. 9

Ausländischer Gesellschafter, inländische Gesellschaft. Ist an einer inländischen Personengesellschaft ein beschränkt Steuerpflichtiger beteiligt und verfügt die inländische Personengesellschaft über eine Betriebsstätte in einem Drittstaat, so ergeben sich keine Besonderheiten, weil der beschränkt Steuerpflichtige im Inland nur mit den inländischen Einkünften steuerpflichtig ist. Die in einem Drittstaat anfallenden Betriebsstätteneinkünfte sind im Inland nicht steuerbar. Dies gilt auch für entsprechende Verluste.

9.40

Beispiel: An der A-GmbH & Co. KG mit Sitz und Geschäftsleitung in Dtl. sind der unbeschränkt steuerpflichtige A und der nur in Belgien wohnende B zu je 50 % als Kommanditisten beteiligt. Die A-GmbH & Co. KG hat eine Betriebsstätte in Luxemburg, in der die von der A-GmbH & Co. KG im Inland hergestellten Produkte vertrieben werden. – A ist mit seinem Gewinnanteil an der A-GmbH & Co. KG im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Allerdings ist der auf die Betriebsstätte in Luxemburg entfallende Gewinnanteil wegen Art. 5 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 DBA-Luxemburg in Dtl. steuerfrei. Der entsprechende Gewinnanteil unterliegt allerdings der beschränkten Steuerpflicht in Luxemburg. B ist in Dtl. nur mit seinen inländischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig. Inländische Einkünfte sind nur die von der A-GmbH & Co. KG in der deutschen Geschäftsleitungsbetriebsstätte (ohne Betriebsstätte in Luxemburg) zuzuordnenden Einkünfte. In Belgien sind diese Einkünfte steuerfrei (Art. 23 Abs. 2 Nr. 1 DBA-Belgien). Nach dem DBA Belgien-Luxemburg entscheidet sich, in welchem Staat der B die anteiligen Einkünfte aus der Betriebsstätte in Luxemburg zu versteuern hat.

D. Besonderheiten bei der Anwendung von § 2a und § 15a EStG § 2a EStG. Erstreckt sich die Steuerpflicht auf die negativen Einkünfte einer Personengesellschaft aus einer außerhalb der EU-/EWR-Staaten belegenen ausländischen Betriebsstätte, dann dürfen die negativen Einkünfte gem. § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nur mit positiven Einkünften derselben Art und aus demselben Staat ausgeglichen werden. Sie gehen auch nicht in einen Verlustvor- oder -rücktrag gem. § 10d EStG ein. Allerdings ist § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass die negativen Einkünfte aus einer gewerblichen Betriebsstätte stammen, die im Ausland belegen ist und ausschließlich oder fast ausschließlich die Herstellung oder Lieferung von Waren, außer Waffen, die Gewinnung von Bodenschätzen und/oder die Bewirkung gewerblicher Leistungen zum Gegenstand hat, soweit diese nicht in der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen, die dem Fremdenverkehr dienen, oder in der Vermietung oder Verpachtung von Wirtschaftsgütern einschließlich der Überlassung von Rechten, Plänen, Mustern, Verfahren, Erfahrungen und Kenntnissen bestehen. Das unmittelbare Halten einer Beteiligung von mindestens einem Viertel am Nennkapital einer Kapitalgesellschaft, die ausschließlich oder fast ausschließlich die vorgenannten Tätigkeiten zum Gegenstand hat, sowie die mit dem Halten der Beteiligung im Zusammenhang stehende Finanzierung gelten als Bewirkung gewerblicher Leistungen, wenn die Kapitalgesellschaft weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland hat (§ 2a Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG). Soweit die negativen Einkünfte nicht ausgeglichen werden können, mindern sie die positiven Einkünfte derselben Art, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus demselben Staat erzielt (§ 2a Abs. 1 Satz 3 EStG). Eine Minderung ist nur insoweit möglich, als die negativen Einkünfte in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen noch nicht berücksichtigt werden konnten (verbleibende negative Einkünfte; § 2a Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG).

9.41

§ 15a EStG: allgemeine Grundsätze. Haftet ein Gesellschafter für Verluste einer Personengesellschaft nur beschränkt, so wirkt sich dies unter den Voraussetzungen des § 15a EStG auf die Einkünfteermittlung des Gesellschafters aus. Dies gilt gleichermaßen für unbeschränkt wie für beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter. Auf den zivilrechtlichen Rechtsgrund der

9.42

Wassermeyer 569

Kap. 9 Rz. 9.43

Besonderheiten bei Personengesellschaften

Haftungsbeschränkung kommt es nicht an. § 15a EStG findet sowohl auf einen Kommanditisten (§ 15a Abs. 1–3 EStG) als auch auf atypisch still Beteiligte (§ 15a Abs. 5 Nr. 1 EStG), den beschränkt haftenden Gesellschafter einer GbR (§ 15a Abs. 5 Nr. 2 EStG) und vergleichbare Gesellschafter ausländischer Personengesellschaften (§ 15a Abs. 5 Nr. 3 EStG) Anwendung. Vorbehaltlich einer erweiterten Außenhaftung (§ 15a Abs. 1 Satz 2 EStG) und einer daran anknüpfenden Haftungsbeschränkung (§ 15a Abs. 3 Satz 3 EStG) können die beschränkt haftenden Gesellschafter Verluste nur bis zur Höhe ihres Kapitalkontos steuerlich absetzen. Tätigt der beschränkt haftende Gesellschafter Entnahmen und führen diese zu einem negativen Kapitalkonto, findet eine Nachversteuerung der Einlagenminderung statt (§ 15a Abs. 3 Satz 2 EStG). Die Einlageminderung gilt als Gewinn (§ 15a Abs. 3 Satz 1 EStG). Soweit ein Verlust nach § 15a Abs. 1 EStG nicht ausgeglichen oder abgezogen werden darf, mindert er die positiven Gewinne, die dem Gesellschafter in späteren Wirtschaftsjahren aus seiner Beteiligung an der Personengesellschaft zuzurechnen sind (§ 15a Abs. 2 EStG). Nach § 15a Abs. 4 EStG ist der am Ende des Wirtschaftsjahrs verbleibende und nicht ausgleichs- oder abzugsfähige Verlust, vermindert um spätere Gewinne i.S.d. § 15a Abs. 2 EStG und erhöht um Einlageminderungen i.S.d. § 15a Abs. 3 EStG (verrechenbarer Verlust) gesondert festzustellen. § 15a EStG findet auch im Bereich des Progressionsvorbehalts Anwendung.

9.43 Wirkung des § 15a EStG auf im Inland steuerfreie Einkünfte. § 15a EStG findet auch auf im Inland steuerfreie Verluste Anwendung. Die sich aus einem DBA einerseits und aus § 15a EStG andererseits ergebenden Verlustabzugsverbote überlagern sich rechtsfolgemäßig. Allerdings erfasst die Steuerfreistellung aufgrund eines DBA regelmäßig auch den Besteuerungstatbestand des § 15a Abs. 3 Satz 1 EStG, soweit die Einlageminderung den steuerfreien Betriebsstätteneinkünften zuzuordnen ist. Das Verlustabzugsverbot schlägt auf den Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG) durch.1 Die steuerfreien ausländischen Einkünfte sind bei der Entwicklung des Kapitalkontos mit zu berücksichtigen.2 Der Ermittlung des Kapitalkontos ist dt. Steuerrecht zugrunde zu legen. Beispiel: A ist an der A-GmbH & Co. KG beteiligt. Die A-GmbH & Co. KG hat ihr Stammhaus im Inland und eine Betriebsstätte in einem DBA-Staat. Dtl. stellt die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte im Inland steuerfrei. Das Kapitalkonto des A ist zu Beginn des Wirtschaftsjahrs 01 positiv (100). Im Wirtschaftsjahr 01 erwirtschaftet die A-GmbH & Co. KG im Inland einen Verlust i.H.v. 120 (Alternative: Gewinn von 10) und im Ausland einen Betriebsstättengewinn von 10 (Alternative: Verlust von 120). Das Kapitalkonto des A entwickelt sich wie folgt: Kapitalkonto Anfang Wirtschaftsjahr 01 Verlust/Gewinn im Inland Gewinn/Verlust im Ausland Kapitalkonto Ende Wirtschaftsjahr 01

Ausgangsfall 100 –120 + 10 – 10

Alternative 100 + 10 –120 – 10

Im Ausgangsfall ist der ausländische Betriebsstättengewinn im Inland steuerfrei. Der Besteuerung unterliegt nur der inländische Verlust von –120. Dieser Verlust ist nur i.H.v. –10 nicht berücksichtigungsfähig. Berücksichtigungsfähig sind 110. In Höhe von –10 besteht ein nach § 15a Abs. 2 EStG verrechenbarer Verlust, der nach § 15a Abs. 4 EStG gesondert festzustellen ist. In der Alternative ist der inländische Gewinn im Inland der Besteuerung zu unterwerfen. Der ausländische Verlust ist im Inland steuerfrei. Er schlägt jedoch auf den Progressionsvorbehalt in dem Sinne durch, dass für Zwecke seiner Berechnung ein Verlust von 110 (vorbehaltlich der Anwendung von 1 Vgl. BFH v. 26.11.1997 – I R 63/97, BFH/NV 1998, 680; v. 19.5.1987 – VIII B 104/85, FR 1987, 591 = BFH/NV 1987, 640; R 15a Abs. 5 Satz 1 EStR 2012. 2 Vgl. Maier in Löwenstein/Looks/Heinsen2, Rz. 620; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECDMA Rz. 140.

570

Wassermeyer

D. Anwendung von § 2a und § 15a EStG

Rz. 9.45 Kap. 9

§ 2a EStG) zu berücksichtigen ist. Der Betrag von -10 stellt einen verrechenbaren Verlust i.S.d. § 15a Abs. 2 EStG dar.

Für inländische Betriebsstätten einerseits und ausländische andererseits müssen keine getrennten Kapitalkonten geführt werden, weil die Rechtsfolgen der DBA sich nicht auf die Führung von Kapitalkonten erstrecken. Die DBA nehmen keinen Einfluss auf die Ausgleichsbeschränkung des § 15a EStG. § 15a EStG stellt darauf ab, ob ein anteiliger Verlust von dem maßgebenden Gesellschafter wirtschaftlich getragen wurde. Der einzelne Gesellschafter trägt den Verlust wirtschaftlich gesehen unabhängig davon, ob er im Inland abziehbar ist oder nicht. Damit beeinflussen ausländische und inländische Gewinne/Verluste gleichermaßen das Kapitalkonto. Eine andere Frage ist die, inwieweit Verluste nach § 15a Abs. 4 EStG gesondert festzustellen sind. Insoweit genügt es, die Verlustfeststellung auf noch verrechenbare zu begrenzen. § 15a EStG und Anrechnung ausländischer Steuern. Werden die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte im Inland nicht steuerfrei gestellt, sondern wird lediglich die Anrechnung ausländischer Steuern gewährt, so gehen die unter Berücksichtigung von § 15a EStG ermittelten ausländischen Einkünfte in den Gesamtbetrag der Einkünfte sowie in das zu versteuernde Einkommen ein. Die Anwendung des § 15a EStG auf die aus dem Ausland stammenden Einkünfte (Alternative: Rz. 9.43) führt insoweit zu einer Erhöhung des Gesamtbetrags der Einkünfte und gleichzeitig zu einer Erhöhung der ausländischen Einkünfte mit der Folge, dass im Inland höhere ausländische Steuern, soweit sie tatsächlich gezahlt wurden, anrechenbar sind. Es erhöht sich der Höchstbetrag der anrechenbaren ausländischen Steuern. Werden die ausländischen Verluste in einem späteren Jahr gem. § 15a Abs. 2 EStG mit ausländischen Gewinnen verrechnet, so tritt ein umgekehrter Effekt ein. Die ausländischen Einkünfte mindern sich mit der Folge, dass auch der Höchstbetrag der anrechenbaren ausländischen Steuern gemindert wird.1 Verfahrensrechtlich stellt sich die Frage, ob der „per-country-limitation“-Grundsatz des § 34c EStG nicht eine länderbezogene Feststellung der verrechenbaren Verluste verlangt. Dem § 15a Abs. 4 EStG ist eine solche Forderung nicht zu entnehmen. Andererseits schließt § 15a Abs. 4 EStG es nicht aus, dass die FÄ in dem Feststellungsbescheid einen Länderbezug aufnehmen. Die Frage geht deshalb dahin, was gilt, wenn der Feststellungsbescheid keinen Länderbezug enthält. In diesem Fall sollte der Verlust uneingeschränkt verrechenbar sein.

9.44

Feststellung der verrechenbaren Verluste. Aus dem Beispiel zu Rz. 9.43 folgt, dass das Kapitalkonto des A zum Ende des Wirtschaftsjahrs 01 jeweils -10 beträgt. Trotz des einheitlichen Betrags sind die Rechtsfolgen in dem Ausgangs- und in dem Alternativsachverhalt zu Rz. 9.43 andere. Im Ausgangsfall wirkt der berücksichtigungsfähige Verlust (110) sowohl auf die Bemessungsgrundlage als auch auf den Tarif ein. In der Alternative wirkt er nur auf den Tarif. Die Frage geht dahin, ob die unterschiedlichen Rechtsfolgen in irgendeiner Weise in dem nach § 15a Abs. 4 EStG zu erlassenden Feststellungsbescheid zum Ausdruck gebracht werden müssen bzw. was gilt, wenn der Feststellungsbescheid die unterschiedlichen Rechtsfolgen nicht zum Ausdruck bringt. Vernünftigerweise sollte der Feststellungsbescheid zum Ausdruck bringen, wenn ein verrechenbarer Verlust nur ausländische Einkünfte betrifft, die im Inland steuerfrei und nur für Zwecke des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen sind. Fehlt es an einer entsprechenden Einschränkung, so löst der als verrechenbar festgestellte Verlust die „normalen“ Steuerrechtsfolgen aus. Es ist deshalb nicht erforderlich, den verrechenbaren Verlust in einen steuerpflichtigen und einen steuerfreien Teil aufzuteilen oder gar zwei ver-

9.45

1 Vgl. Lüdemann in H/H/R, § 15a EStG Anm. 44.

Wassermeyer 571

Kap. 9 Rz. 9.46

Besonderheiten bei Personengesellschaften

rechenbare Verluste festzustellen. Es reicht aus, wenn der Feststellungsbescheid unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass ein bestimmter Teilbetrag des verrechenbaren Verlusts auf steuerfreie ausländische Einkünfte entfällt.

9.46 Aufteilung des verrechenbaren Verlusts. Auch dann, wenn man sich zu einem Prinzip der Aufteilung des verrechenbaren Verlusts bekennt, stellt sich noch das Problem, wie die Aufteilung im Einzelfall vorzunehmen ist. Beispiel: A ist an der A-GmbH & Co. KG beteiligt. Die A-GmbH & Co. KG hat ihr Stammhaus im Inland und eine Betriebsstätte in einem DBA-Staat. Dtl. stellt die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte im Inland steuerfrei. Das Kapitalkonto des A ist zu Beginn des Wirtschaftsjahrs 01 positiv (100). Im Wirtschaftsjahr 01 erwirtschaftet die A-GmbH & Co. KG im Inland einen Verlust i.H.v. 100 und im Ausland einen Betriebsstättenverlust von 100. Das Kapitalkonto des A entwickelt sich wie folgt: Kapitalkonto Anfang Wirtschaftsjahr 01 Verlust im Inland Verlust im Ausland Kapitalkonto Ende Wirtschaftsjahr 01

100 –100 –100 –100

Dennoch stellt sich die Frage, ob das Kapitalkonto per 1.1.2001 vorrangig mit den inländischen Verlusten verrechnet werden kann oder vorrangig mit den ausländischen Verlusten verrechnet werden muss oder anteilig mit den in- und ausländischen Verlusten zu verrechnen ist. Das Veranlassungsprinzip hilft insoweit nicht weiter, weil weder das Kapitalkonto per 1.1.2001 durch die in- oder ausländischen Verluste des Wirtschaftsjahrs 01 noch die in- oder ausländischen Verluste des Wirtschaftsjahrs 01 durch das Kapitalkonto per 1.1.2001 veranlasst sind. § 15a Abs. 4 EStG hilft nicht weiter, weil der Fall gesetzlich nicht geregelt ist. Deshalb muss der Grundsatz gelten, dass das Steuerrecht Eingriffsrecht und jeder Eingriff nur insoweit rechtens ist, als er eine Rechtsgrundlage hat. Folglich findet die jeweils für den Steuerpflichtigen günstigste Lösung Anwendung. Diese wird i.d.R. darin bestehen, das Kapitalkonto per 1.1.2001 mit den inländischen Verlusten zu verrechnen. Das Beispiel sollte das Problem einer periodenübergreifenden und quellenbezogenen Feststellung von verrechenbaren Verlusten deutlich machen.

9.47 Konkurrenz zwischen § 2a und § 15a EStG. Ist ein unbeschränkt steuerpflichtiger Kommanditist an einer inländischen Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte oder an einer ausländischen Personengesellschaft mit inländischer Betriebsstätte beteiligt, so sind Fallkonstellationen denkbar, in denen die Rechtsfolgen der §§ 2a und 15a EStG gleichzeitig zur Anwendung kommen. Zu denken ist an die Fälle, in denen die ausländischen Einkünfte nicht die Aktivitätsvoraussetzungen des § 2a Abs. 2 EStG erfüllen bzw. der entsprechende Nachweis nicht erbracht wird. In einem solchen Fall gilt als Grundsatz, dass stets auf die weitergehende Verlustausgleichsbeschränkung abzustellen ist. Solange sich aufseiten des Kommanditisten kein negatives Kapitalkonto ergibt, findet nur die Rechtsfolge des § 2a EStG Anwendung. Die Rechtsfolge des § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG hat die Eignung, auch einen Verlustausgleich nach § 15a Abs. 1 Satz 1 EStG auszuschließen. Auch in dieser Fallkonstellation ist es denkbar, dass die Personengesellschaft Verluste aus verschiedenen Staaten erzielt. Es kollidiert dann die gesellschafterbezogene Ausgleichsbeschränkung des § 15a EStG mit der quellenbezogenen Ausgleichsbeschränkung des § 2a EStG. Auch insoweit sind die Rechtsfolgen beider Vorschriften getrennt voneinander anzuwenden.

572

Wassermeyer

G. Mehrstöckige Personengesellschaften

Rz. 9.50 Kap. 9

E. Betriebsveräußerung, Teilbetriebsveräußerung, Betriebsaufgabe, Teilbetriebsaufgabe Betriebs- oder Teilbetriebsveräußerung einer gewerblich tätigen Personengesellschaft. Veräußert eine gewerbliche tätige in- oder ausländische Personengesellschaft ihren Betrieb oder einen Teilbetrieb, so erzielt sie einen Gewinn oder Verlust i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG, für den zu prüfen ist, ob er bei den Mitunternehmern anteilig steuerpflichtig ist. Dies ist grundsätzlich der Fall, soweit die Mitunternehmer im Inland unbeschränkt steuerpflichtig sind. Sind die Mitunternehmer unbeschränkt steuerpflichtig, so kann der angesprochene Gewinn im Inland aufgrund eines DBA ganz oder teilweise steuerfrei zu stellen sein. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn der Betrieb (Teilbetrieb) aus einer ausländischen Betriebsstätte besteht bzw. wenn und soweit zu dem Betrieb (Teilbetrieb) eine ausländische Betriebsstätte gehört. In diesem Fall ergibt sich das Besteuerungsrecht des Betriebsstättenstaats i.d.R. aus Art. 13 Abs. 2 OECD-MA. Ob und inwieweit Deutschland als Ansässigkeitsstaat zur Besteuerung des Gewinns berechtigt ist, entscheidet sich regelmäßig nach dem sog. Methodenartikel. Gehört zu dem Betrieb (Teilbetrieb) auch unbewegliches Vermögen, so bestimmt sich das Besteuerungsrecht für den entsprechenden Veräußerungsgewinn i.d.R. nach Art. 13 Abs. 1 OECD-MA. Ist ein Mitunternehmer nur beschränkt steuerpflichtig, so ist das dt. Besteuerungsrecht auf inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG beschränkt. Im Regelfall ist im Inland nur der Gewinn zu besteuern, der auf inländisches Betriebsstättenvermögen entfällt. Entsprechendes gilt, wenn die Personengesellschaft ihren ganzen Betrieb oder einen Teilbetrieb i.S.d. § 16 Abs. 3 EStG aufgibt. Der Veräußerungs- oder Aufgabegewinn unterliegt nicht der Gewerbesteuer. Eine Ausnahme gilt für Veräußerungs- und Aufgabegewinne, soweit sie auf Körperschaften oder auf mittelbare Beteiligungen natürlicher Personen entfallen. Auf die Regelung in § 7 Satz 2 GewStG wird hingewiesen.

9.48

F. Veräußerung oder Aufgabe eines Mitunternehmeranteils Anteilsveräußerung des Mitunternehmers. Veräußert der Mitunternehmer einer in- oder ausländischen Mitunternehmerschaft seinen Mitunternehmeranteil, so gelten für die Besteuerung des Gewinns die Überlegungen in Rz. 9.48 entsprechend. Die Veräußerung (Aufgabe) des Mitunternehmeranteils wird steuerlich wie die anteilige Veräußerung (Aufgabe) des Unternehmens behandelt. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO findet sinngemäße Anwendung. Abkommensrechtlich ist der Veräußerungs- oder Aufgabegewinn unter Art. 13 Abs. 2 OECD-MA zu subsumieren, es sei denn, er entfällt anteilig auf unbewegliches Vermögen; in diesem Fall ist Art. 13 Abs. 1 OECD-MA vorrangig zu beachten.

9.49

G. Mehrstöckige Personengesellschaften Besonderheiten. Von einer mehrstöckigen Personengesellschaft spricht man dann, wenn zumindest eine Personenobergesellschaft an einer Personenuntergesellschaft beteiligt ist. Die Beteiligungskette kann beliebig verlängert werden. Der Gewinn der Personenuntergesellschaft ist nach dt. innerstaatl. Steuerrecht zunächst der Personenobergesellschaft und von dort deren Mitunternehmern zuzurechnen. Häufig ist die Personenobergesellschaft gewerblich geprägt i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG. Abkommensrechtlich kann dies bedeuten, dass die Einkünfte der gewerblich geprägten Personengesellschaft nicht unter Art. 7 OECD-MA, sondern unter Art. 10–12 oder Art. 21 OECD-MA zu subsumieren sind (vgl. Rz. 9.17). Auch für mehrstöWassermeyer 573

9.50

Kap. 9 Rz. 9.51

Besonderheiten bei Personengesellschaften

ckige Personengesellschaften gilt, dass die Betriebsstätten jeder Personengesellschaft zugleich als Betriebsstätten ihrer ggf. nur mittelbar beteiligten Mitunternehmer gelten. Beteiligungsveräußerungsgewinne sind unter Art. 13 Abs. 2 OECD-MA zu subsumieren und den ggf. mittelbar beteiligten Mitunternehmern zuzurechnen. Zwischen den mehrstöckigen Personengesellschaften können schuldrechtliche Beziehungen bestehen, die abkommensrechtlich auch dann den jeweiligen Gläubigern bzw. Schuldnern zuzuordnen sind, wenn nach innerstaatl. Recht § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG Anwendung finden sollte. Für die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d OECD-MA ist auf die Ansässigkeit des ggf. mittelbar beteiligten Mitunternehmers abzustellen. Unterhalten mehrstöckige Personengesellschaften untereinander Geschäftsbeziehungen, so kann nach innerstaatl. Recht § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu beachten sein. Abkommensrechtlich muss dies nicht bedeuten, dass die Sondervergütungen einer Betriebsstätte der sie zahlenden Personenuntergesellschaft zuzuordnen sind. IdR sind die Sondervergütungen einer Betriebsstätte der Personengesellschaft zuzuordnen, die die Sondervergütung erzielt.

H. Atypisch stille Gesellschaften 9.51 Einkünftequalifizierung eines atypisch still Beteiligten. Beteiligt sich ein unbeschränkt Steuerpflichtiger atypisch still an einem in- oder ausländischen Unternehmen (Einzelunternehmen, Personengesellschaft, Kapitalgesellschaft) bzw. ein beschränkt Steuerpflichtiger atypisch still an einem in- oder ausländischen Unternehmen (Einzelunternehmen, Personengesellschaft, Kapitalgesellschaft) mit inländischer Betriebsstätte, so entsteht eine Mitunternehmerschaft zwischen dem oder den Inhabern des Unternehmens und dem atypisch still Beteiligten. Folge der Mitunternehmerschaft ist, dass auch der atypisch stille Beteiligte Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG erzielt. Eine von dem Unternehmen unterhaltene in- oder ausländische Betriebsstätte wird anteilig dem atypisch still Beteiligten zugerechnet. Lange Zeit war streitig, ob die Beurteilung nach dem dt. innerstaatl. Recht auf das Abkommensrecht durchschlägt.1 Seit dem BFH, Urt. v. 21.7.19992 ist die Rechtslage in dem Sinne geklärt, dass auch der atypisch still Beteiligte Unternehmensgewinne i.S.d. Art. 7 OECD-MA und keine Zinsen i.S.d. Art. 11 OECD-MA erzielt. Das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats beurteilt sich nach dem sog. Methodenartikel. Dabei ist ein evtl. Aktivitätsvorbehalt sowie eine evtl. Anwendung von § 20 Abs. 2 AStG zu beachten. Nach den BS-VWG3 soll etwas anderes gelten, wenn der Quellenstaat die Einkünfte des atypisch still Beteiligten als Dividenden, Zinsen oder andere Einkünfte qualifiziert. Diese Auffassung steht mit dem BFH, Urt. v. 21.7.19994 nicht in Einklang. Nach dem BFH-Urteil subsumiert der Ansässigkeitsstaat die Einkünfte unabhängig von dem Quellenstaat unter die Vorschriften des DBA. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dies im DBA ausdrücklich vorgesehen ist.5

1 Vgl. Wassermeyer, IStR 1995, 49 (51); Schmidt, IStR 1996, 213. 2 Vgl. BFH v. 21.7.1999 – I R 110/98, BStBl. II 1999, 812 = FR 1999, 1361 m. Anm. Lieber; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 88; Maier in Löwenstein/Looks/Heinsen2, Rz. 687. 3 Vgl. BMF v. 28.12.1999 – IV D 3 - S 1300 – 25/99, BStBl. I 1999, 1121, Tz. 3; Krabbe, IStR 2000, 196 (200). 4 Vgl. BFH v. 21.7.1999 – I R 110/98, BStBl. II 1999, 812 = FR 1999, 1361 m. Anm. Lieber; Maier in Löwenstein/Looks/Heinsen2, Betriebsstättenbesteuerung, Rz. 543. 5 Vgl. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a DBA-Schweiz; Schlussprotokoll Nr. 11 DBA-Luxemburg; Schlussprotokoll Nr. 9 DBA-Niederlande; Protokoll Nr. 3 DBA-Österreich v. 26.3.2002; Art. 7 Abs. 6 DBA-Tunesien.

574

Wassermeyer

I. Betriebsaufspaltung

Rz. 9.54 Kap. 9

I. Betriebsaufspaltung Inländisches Besitzunternehmen – inländische Betriebsgesellschaft. Stellt man sich einen reinen Inlandsfall (Besitzunternehmen und Betriebs-GmbH jeweils im Inland) der Betriebsaufspaltung vor, so kann das überlassene Vermögen dennoch im Ausland belegen sein. Bei dem überlassenen Vermögen kann es sich um eine ausländische Betriebsstätte, um ausländischen Grundbesitz oder um sonstiges Auslandsvermögen handeln. Stets ist zwischen der Anwendung von innerstaatl. und Abkommensrecht zu unterscheiden. Nach innerstaatl. Recht gilt, dass das im Ausland belegene Vermögen die Annahme einer Betriebsaufspaltung nicht hindert. Es finden die allg. Grundsätze Anwendung. Danach ist die verpachtete Auslandsbetriebsstätte nur Betriebsstätte der Betriebs-GmbH und nicht gleichzeitig Betriebsstätte des Besitzunternehmens.1 Das Besitzunternehmen hat i.d.R. seine Geschäftsleitungsbetriebsstätte im Inland. Ausnahmsweise kann sie sich allerdings auch im Ausland befinden. Abkommensrechtlich fällt die Verpachtungstätigkeit unter Art. 6 OECD-MA, soweit Grundvermögen verpachtet wird. Die Verpachtung von sonstigem Betriebsvermögen fällt unter Art. 21 OECDMA. Soweit Art. 6 OECD-MA Anwendung findet, ist es denkbar, dass die Pachteinnahmen nur im ausländischen Belegenheitsstaat zu versteuern sind.

9.52

Ausländisches Besitzunternehmen – ausländische Betriebsgesellschaft. Stellt man sich einen reinen Auslandsfall (Besitzunternehmen und Betriebs-GmbH jeweils im Ausland) der Betriebsaufspaltung vor, so ist dt. Steuerrecht nur angesprochen, wenn und soweit das verpachtete Vermögen im Inland belegen ist bzw. das ausländische Besitzunternehmen ausnahmsweise über eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte verfügt. Dabei kann es sich um eine inländische Betriebsstätte, um inländisches Grundvermögen oder um sonstiges Inlandsvermögen handeln. Das verpachtete Unternehmen kann seine Geschäftsleitung im Inland haben. Die h.M.2 geht davon aus, dass es eine Betriebsaufspaltung über die Grenze nicht gibt. Das Besitzunternehmen muss seine Geschäftsleitungsbetriebsstätte im Inland haben. Nur unter dieser Voraussetzung könnte in dem hier besprochenen Sachverhalt eine Betriebsaufspaltung in Betracht gezogen werden. Geht man von einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte des Besitzunternehmens im Ausland aus, so kann Dtl. ein Besteuerungsrecht nur beanspruchen, wenn entweder inländischer Grundbesitz Gegenstand der Nutzungsüberlassung ist oder aber die inländische Betriebsstätte einen „Sachinbegriff“ i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG bildet. Allerdings weist das Abkommensrecht das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus der Vermietung von Sachinbegriffen dem Wohnsitzstaat des Vermieters zu. Dies ist in den hier besprochenen Fällen der ausländische Staat. Die verpachtete inländische Betriebsstätte wird als eine solche der Betriebs-GmbH behandelt. Das verpachtete Grundvermögen bildet für den Besitzunternehmer kein Betriebs-, sondern Privatvermögen.

9.53

Inländisches Besitzunternehmen – ausländische Betriebsgesellschaft. Stellt man sich vor, dass der Inhaber des Besitzunternehmens seinen Wohnsitz im Inland hat und ein ausländisches Unternehmen Gegenstand der „Betriebsaufspaltung“ ist, so lehnt die h.M. wiederum

9.54

1 Vgl. BFH v. 19.3.1981 – IV R 49/77, BStBl. II 1981, 538 (540) = FR 1981, 468; v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760 = FR 2011, 1175 m. Anm. Kempermann; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.2.1.1; Hruschka in S/D, DBA, Art. 5 Rz. 157. 2 Vgl. BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.2.1.1; v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/1003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.3.3.4; Wacker in Schmidt36, § 15 EStG Rz. 862; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 34; a.A. Günkel, StbJb. 1998/99, 143; Becker/Günkel in FS L. Schmidt, 483 (489).

Wassermeyer 575

Kap. 9 Rz. 9.55

Besonderheiten bei Personengesellschaften

die Annahme einer grenzüberschreitenden Betriebsaufspaltung ab.1 Der im Ausland belegene Betrieb soll die inländische Vermietungstätigkeit nicht prägen können. Dennoch verfügt das inländische Besitzunternehmen i.d.R. über eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte. IÜ unterscheidet sich die grenzüberschreitende Verpachtungstätigkeit nicht von der rein inländischen. Unionsrechtlich ist die Auffassung der h.M. eher bedenklich. Jedoch wird ausnahmsweise der reine Inlandssachverhalt steuerlich schlechter als der grenzüberschreitende behandelt. In diesen Fällen wird Dtl. die Einkünfte als solche aus einer privaten Vermietungstätigkeit behandeln. Da der Besitzunternehmer seinen Wohnsitz im Inland hat, sind die Einkünfte grundsätzlich im Inland steuerpflichtig. Soweit allerdings auch ausländischer Grundbesitz vermietet wird, kann das einschlägige DBA ein ausschließliches Besteuerungsrecht des Belegenheitsstaats vorsehen.

9.55 Ausländisches Besitzunternehmen – inländische Betriebsgesellschaft. Stellt man sich vor, dass der Inhaber des Besitzunternehmens seinen Wohnsitz im Ausland hat und ein inländisches Unternehmen Gegenstand der „Betriebsaufspaltung“ ist, so ist der Besitzunternehmer nur beschränkt steuerpflichtig. IdR wird er inländische Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG (Grundvermögen, Sachinbegriffe) erzielen. Die inländischen Einkünfte sind zugleich als gewerbliche i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG zu qualifizieren,2 für die es jedoch an einer inländischen Betriebsstätte fehlt, weshalb § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht zur Anwendung kommt. Abkommensrechtlich steht Dtl. deshalb nur das Besteuerungsrecht für die Überlassung von inländischem Grundvermögen zu (Art. 6 OECD-MA). Im Einzelfall kann das ausländische Besitzunternehmen über eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte verfügen. Dann ist die Bejahung inländischer Einkünfte aus Gewerbebetrieb denkbar.3 Die inländische Betriebsgesellschaft ist jedoch i.d.R. keine Betriebsstätte des ausländischen Besitzunternehmens.4

9.56 Wohnsitzverlegung des Besitzunternehmers. Stellt man sich zunächst wiederum einen reinen Inlandsfall (Besitzunternehmen und Betriebs-GmbH jeweils im Inland) der Betriebsaufspaltung vor, so ist es denkbar, dass der Inhaber des Besitzunternehmens seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt. In diesem Fall stellt sich die Frage einer Betriebsaufgabe des Besitzunternehmens. Die Frage ist aus der Sicht von § 16 Abs. 3 EStG zu beantworten. Bei ihrer Beantwortung zeigen sich die Schwächen der Betriebsaufspaltung. Obwohl die Nutzungsüberlassung trotz Wohnsitzwechsels unverändert fortgeführt wird, unterstellt die h.M. eine Überführung des Besitzunternehmens in das Privatvermögen. Dies dürfte mit dem Urteil des EuGH vom 11.3.20045 kaum in Einklang stehen und sollte dafür sprechen, dass die Betriebsaufspaltung im reinen Inlandsfall und im grenzüberschreitenden Fall grundsätzlich gleichbehandelt werden muss.

1 Wacker in Schmidt36, § 15 EStG Rz. 862; Söffing, Die Betriebsaufspaltung, 1999, 197; a.A. Ruf, IStR 2006, 232. 2 Vgl. BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77 = FR 1983, 23; BFH v. 17.7.1991 – I R 98/88, BStBl. II 1992, 246 = FR 1991, 747; FG Düsseldorf v. 22.5.1979 – IX 694/77 G, EFG 1980, 34; FG Baden-Württemberg v. 21.4.2004 – 12 K 252/00, IStR 2005, 172; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.2.1.1 (BS-VWG). 3 Vgl. Wacker in Schmidt36, § 15 EStG Rz. 862. 4 Vgl. BFH v. 17.7.1991 – I R 98/88, BStBl. II 1992, 246 = FR 1991, 747. 5 Vgl. EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – de Lasteyrie du Saillant, ECLI:EU:C:2004:138 = FR 2004, 659 = GmbHR 2004, 504.

576

Wassermeyer

J. Personengesellschaft als Organträger

Rz. 9.57 Kap. 9

J. Personengesellschaft als Organträger Einkommenszurechnung und DBA-Anwendung. Anlass für die folgenden Ausführungen sind die o.g. Überlegungen von Ehlermann/Petersen. Dazu stelle man sich eine inländische Personengesellschaft vor, die als Organträger gegenüber einer inländischen Organgesellschaft (= Kapitalgesellschaft) fungiert. Mitunternehmer des Organträgers sollen in einem ausländischen DBA-Staat ansässige Kapitalgesellschaften sein. Die Organgesellschaft soll über keine ausländische Betriebsstätte verfügen. Sie erzielt jedoch Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren aus einem anderen DBA-Vertragsstaat, für die sich die Frage stellt, ob sie abkommensrechtlich dem Art. 7 DBA oder den Art. 10–12 DBA zuzuordnen sind und welche Rechtsfolgen sich aus den alternativen Zuordnungen ergeben. Ehlermann/Petersen vertreten dazu die Auffassung, im Fall der Anwendung der Art. 10–12 DBA auf die genannten Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren ergebe sich abkommensrechtlich nur ein Besteuerungsrecht der Staaten, die als Ansässigkeitsstaat der Mitunternehmer des Organträgers fungieren. Diese Auffassung ist jedoch offensichtlich unzutreffend. Entscheidend ist, dass im Rahmen einer Organschaft nach §§ 14 und 17 KStG nur das „Einkommen“ einer Organgesellschaft dem Organträger zugerechnet wird. In dem zuzurechnenden Einkommen ist ein „Gewinn“ enthalten, der jedoch i.S.d. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG von der Organgesellschaft erzielt wurde. Diese aus dem dt. innerstaatl. Steuerrecht abgeleitete Zuordnung ist für die Beurteilung der Frage maßgebend, aus der Sicht welcher Person das einschlägige DBA anzuwenden ist. Falsch ist deshalb die These der Autoren, seit dem BFH-Urteil v. 27.2.19911 werde für die abkommensrechtliche Zuordnung nicht mehr auf die innerstaatl. Zuordnungsvorschriften zurückgegriffen. Tatsächlich hat der BFH noch in seinen Urteilen vom 14.1.20092 und 19.5.20103 anders entschieden. Allerdings stehen die Entscheidungen in einem offenen Widerspruch zu dem BFH, Urt. v. 9.2.2011.4 Letzteres Urteil wird im Schrifttum eher kritisch gesehen.5 Die von Ehlermann/Petersen vertretene Auffassung ist nur eingeschränkt für die Frage der Abgrenzung zwischen Unternehmensgewinnen und Einkünften aus Vermögensverwaltung zutreffend. Sie gilt jedoch nicht für die Bestimmung der Person, die die Einkünfte erzielt. Diese Frage wird nicht im DBA, sondern ausschließlich im innerstaatl. Steuerrecht des sog. Anwenderstaats geregelt. Bezogen auf diese Frage greift das DBA auf das innerstaatl. Recht des Anwenderstaats zurück. Das DBA ist deshalb bezogen auf die Organgesellschaft als die Person anzuwenden, die die Einkünfte erzielt.6 Dies macht auch die Einführung der sog. Bruttomethode in § 15 Satz 2 KStG deutlich. Vor der entsprechenden Gesetzesänderung gingen nämlich die steuerfreien Einkünfte einer Organgesellschaft nicht in das zuzurechnende Einkommen ein. Sie unterlagen nicht der Zurechnung und damit auch nicht der Besteuerung auf der Ebene des Organträgers. Das wollte der Gesetzgeber mit § 15 Satz 2 KStG ändern. Die Vorschrift enthält deshalb ein „treaty override“, weil sie abweichend von einem an sich geltenden allg. Grundsatz zusätzlich auf die „Abkommensberechtigung“ des Organträgers abstellt. Diese Ausnahme gilt jedoch nur für „Gewinnanteile aus der Beteiligung an ei1 Vgl. BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444. 2 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 47/08, BStBl. II 2011, 131 = FR 2009, 825. 3 Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I R 62/09, FR 2010, 809 m. Anm. Wassermeyer = BFH/NV 2010, 1919 = IStR 2010, 661. 4 Vgl. BFH v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, BFH/NV 2011, 920 = DB 2011, 853 = IStR 2011, 345. 5 Vgl. Rödder/Schönfeld, DStR 2011, 886; Dötsch, Der Konzern, 2011, 267; Buciek, FR 2011, 588; Gosch, BFH/PR 2011, 266; Kotyrba, BB 2011, 1382; Lendewig, NWB 2011, 2539; Mitschke, IStR 2011, 537; Mössner, IStR 2011, 349; Stöber, BB 2011, 1943. 6 So auch Lüdicke, IStR 2011, 740 unter Hinweis auf weitere denkbare Fallkonstellationen auf der Ebene des Organträgers.

Wassermeyer 577

9.57

Kap. 9 Rz. 9.58

Besonderheiten bei Personengesellschaften

ner ausländischen Gesellschaft“. Nach den in Dtl. anzuwendenden DBA gibt es für im Ausland ansässige Mitunternehmer eines Organträgers keine Steuerbefreiung für Gewinne aus der Beteiligung einer Organgesellschaft an einer ausländischen Gesellschaft. Damit unterliegen die genannten Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren der Besteuerung im Inland auf der Ebene des Organträgers bzw. seiner Mitunternehmer. Die Richtigkeit der hier angestellten Überlegungen wird auch durch die in § 32b Abs. 1a EStG enthaltene Fiktion bestätigt.1

9.58 Zum BFH-Urteil vom 9.2.2011 – I R 54, 55/10.2 Das Urteil betrifft die gewerbesteuerliche Organschaft und eine vermeintliche Organgesellschaft, für die per 31.12.1999 ein vortragsfähiger Verlust i.H.v. rd. 71 Mio. DM festgestellt wurde. Die Klägerin begehrte vorrangig, den Verlust einem vermeintlichen inländischen Organträger zuzuordnen und hilfsweise von der Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen abzusehen. Die Klage der Klägerin wurde vom FG abgewiesen.3 Der BFH hielt die Revision für begründet und hob den angefochtenen Verlustfeststellungsbescheid auf. Er vertrat die Auffassung, der Verlust sei gegenüber einem ausländischen Organträger festzustellen. Damit erhielt die Klägerin „Steine statt Brot“. Da der ausländische Organträger im Inland gar nicht gewerbesteuerpflichtig war, wurden die Verluste de facto im Inland für nicht ausgleichfähig erklärt. Nach der vom BFH (ebenda) vertretenen Auffassung gebietet das DBA-Diskriminierungsverbot, die gewerbesteuerliche Organschaft auch gegenüber nur im Ausland steuerpflichtigen Organträgern in dem Sinne auszudehnen, dass das Inlandseinkommen einer inländischen Organgesellschaft einem ausländischen Organträgers zuzurechnen sein soll. Die inländische Betriebsstätte der Organgesellschaft soll abkommensrechtlich nicht als Betriebsstätte des ausländischen Organträgers gewertet werden können. Die Auswirkungen dieser Entscheidung sind verheerend. Sie lädt dazu ein, eine ausländische Muttergesellschaft zwischenzuschalten, mit der ein Ergebnisabführungsvertrag abgeschlossen wird, der alle positiven inländischen Gewinne ins Ausland verlagert, wo sie weder nach dortigem noch nach dt. Steuerrecht steuerbar sind. Demgegenüber ist festzuhalten, dass die Organschaft weder die Konzeption des § 1 EStG bzw. der §§ 1 und 2 KStG (Besteuerung unbeschränkt Steuerpflichtiger mit ihrem Welteinkommen und Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger nur mit ihren inländischen Einkünften) noch die des § 2 GewStG (gewerbesteuerpflichtig sind nur Unternehmen mit ihren inländischen Betriebsstättengewinnen) verändert. Die genannten Konzeptionen mögen zwar nicht verfassungsrechtlich zwingend vorgegeben sein.4 Die Entstehungsgeschichte belegt jedoch die Richtigkeit der These. Die Organschaft wurde nämlich von der Rechtsprechung entwickelt.5 Deshalb konnte und wollte jedoch nicht die sich aus der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht ergebenden staatlichen Besteuerungsrechte dem Grunde nach ändern. Der Gesetzgeber hat später das Gesetz angepasst. Daran ist die Rechtsprechung heute gebunden. Damit fehlt der Organschaft die Eignung, ausländische Betriebsstättengewinne oder -verluste eines ausländischen (!) Organträgers und/oder einer ausländischen (!) Organgesellschaft in eine Inlandsbesteuerung einzubeziehen. Ebenso fehlt es an einer inländischen Steuerpflicht eines ausländischen Organträgers, falls ihm das Einkommen einer inländischen Organgesellschaft zugerechnet würde. Die fehlende Steuerbarkeit ist der eigentliche Grund, weshalb die Organschaft nicht zugunsten von Rechtsträgern vereinbart werden kann, die im Inland weder unbeschränkt steuerpflichtig sind, noch hier eine Betriebsstätte unterhalten. Dies gilt in besonderem Maße für die GewSt, weil sie sich als eine Steuer darstellt, die nur auf Gewinne und Verluste eines im Inland betrie1 2 3 4 5

Vgl. BT-Drucks. 14/23, 181. Vgl. BFH v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, BFH/NV 2011, 920 = DB 2011, 853 = IStR 2011, 345. Vgl. FG Hessen v. 18.5.2010 – 8 K 1160/10, EFG 2010, 2026. Vgl. Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. A 783; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. B 1. Vgl. Kolbe in H/H/R, § 14 KStG Anm. 2.

578

Wassermeyer

J. Personengesellschaft als Organträger

Rz. 9.59 Kap. 9

benen Gewerbebetriebs erhoben wird (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG). So gesehen kann die Frage nur dahin gehen, ob der Gewerbeertrag einer inländischen Organgesellschaft einem ausländischen Organträger dann zugerechnet werden kann, wenn er im Inland eine Betriebsstätte unterhält und ein zuzurechnendes Einkommen als Teil der inländischen Betriebsstätteneinkünfte behandelt werden kann. Man muss die vermeintliche Verletzung des abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbots auch vor dem Hintergrund des § 73 AO sehen, der klarstellt, dass die Organgesellschaft für eine vom Organträger geschuldete Gewerbesteuer haftet. Entsprechend handelt es sich ggf. nur um den formalen Austausch der Person des Steuerschuldners, die letztlich wenig Sinn macht. Es bestehen jedenfalls Bedenken, aus dieser „Formalie“ eine Verletzung des Diskriminierungsverbots abzuleiten. DBA-Diskriminierungsverbot. Es kommt hinzu, dass der BFH seine Entscheidung auf Art. XX Abs. 4 DBA-Großbritannien a.F. stützt. Bei einer Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist dort aber nur davon die Rede, dass ein dt. Unternehmen nicht allein deshalb einer belastenderen Besteuerung unterworfen werden darf, weil ihr Kapital ganz oder teilweise, unmittelbar oder mittelbar einer in dem anderen Vertragsstaat (hier: Großbritannien) ansässigen Person gehört oder ihrer Kontrolle unterliegt.1 Der BFH hält dagegen den Text des Art. 24 Abs. 5 OECD-MA in dem Sinne für „sonnenklar“,2 dass es bei der Andersbehandlung nur auf die ausländerbeherrschte Inlandsgesellschaft ankomme. Der BFH hat nicht bedacht, dass die Nichtanerkennung der gewerbesteuerlichen Organschaft nicht allein auf der Ansässigkeit des vermeintlichen Organträgers in Großbritannien, sondern ebenso auf der Tatsache beruht, dass der Organträger selbst keine nach der Grundkonzeption des § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG im Inland gewerbesteuerpflichtigen Einkünfte erzielt bzw. keine Betriebsstätte im Inland unterhält, was Voraussetzung für die Gewerbesteuerpflicht im Inland ist. Gerade weil die Organschaft weder die Konzeption des § 1 EStG bzw. der §§ 1 und 2 KStG noch die des § 2 GewStG verändert, kann nicht nur auf die Beherrschung der Inlandsgesellschaft durch eine Auslandsgesellschaft abgestellt werden. Richtigerweise waren die Voraussetzungen des Art. XX Abs. 4 DBA-Großbritannien a.F. schon deshalb nicht erfüllt, weil der vermeintliche ausländische Organträger im Inland gar nicht steuerpflichtig war. Das vorerwähnte BFH, Urt. v. 9.2.2011 irritiert auch deshalb, weil der BFH davon ausgeht, dass es bei einer unterstellten Organschaft darauf ankomme, ob das Einkommen der Organgesellschaft einer inländischen Betriebsstätte des Organträgers zugerechnet werden könne, was er im konkreten Urteilsfall verneint. Der BFH will die Organgesellschaft wegen Art. II Abs. 1 Buchst. l vi DBA-Großbritannien a.F. nicht als Betriebsstätte des Organträgers behandeln. Darauf kommt es aber gar nicht an. Es entspricht vielmehr der ganz h.M.,3 dass der Unternehmensgewinn im abkommensrechtlichen Sinn von der Organgesellschaft erzielt wird, weil eben „nur“ das Einkommen (bzw. im Fall der bis 2002 geltenden gewerbesteuerlichen Organschaft nur deren Gewerbeertrag) und nicht deren Gewinn zugerechnet wird. Folglich betreibt die Organgesellschaft das Unternehmen, das den Gewinn erzielt. Deshalb kommt es auch nur auf die Betriebsstätte der Organgesellschaft an. Dies gilt auch abkommensrechtlich, was die Grundlage für die Einführung der sog. Bruttomethode in § 15 KStG war. So hat der BFH selbst noch im Urteil vom 14.1.20094 entschieden. Zwar fingiert § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG die Organgesellschaft als Betriebsstätte des Organträgers. Die Fiktion gilt aber nur für den Fall, 1 So auch Frotscher, IStR 2011, 697. 2 Vgl. Gosch, BFH/PR 2011, 266 (268) (zu BFH v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, BStBl. II 2012, 106). 3 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 47/08, BStBl. II 2011, 131 = FR 2009, 825; FG Düsseldorf v. 6.3.2008 – 15 K 713/07 F, EFG 2008, 981 und Neumann in Gosch3, § 15 KStG Rz. 30, jeweils m.w.N.; Lüdicke, IStR 2011, 740; Schnitger/Berliner, IStR 2011, 753. 4 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 47/08, BStBl. II 2011, 131 = FR 2009, 825.

Wassermeyer 579

9.59

Kap. 9 Rz. 9.59

Besonderheiten bei Personengesellschaften

dass die Organgesellschaft eine solche i.S.d. §§ 14, 15 und 17 KStG (= körperschaftsteuerliche Organschaft) ist. Diese Voraussetzung war in dem Sachverhalt, über den der BFH am 9.2.2011 entschieden hat, jedoch nicht erfüllt. Man kann im Übrigen die Auffassung vertreten, dass die Regelung überflüssig ist, weil der „Gewinn“ von der Organgesellschaft erzielt wird und es deshalb ohnehin nur auf deren Betriebsstätte ankommt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist jedenfalls das Urteil vom 9.2.2011 offensichtlich fehlerhaft.

580

Wassermeyer

Kapitel 10 Umwandlungen A. Internationale Aspekte des deutschen Umwandlungssteuerrechts I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . .

10.1

II. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich des UmwStG. .

10.3

III. Abkommensrecht und Umwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.5

B. Einbringungsvorgänge mit inländischen Betriebsstätten I. Einbringung einer inländischen Betriebsstätte in eine inländische Kapitalgesellschaft. . . . . . . . . . . . . . .

10.14

II. Einbringung einer inländischen Betriebsstätte in eine ausländische Kapitalgesellschaft. . . . . . . . . . . . . . .

10.17

III. Einbringung einer inländischen Betriebsstätte in eine inländische Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . .

10.19

IV. Einbringung einer inländischen Betriebsstätte in eine ausländische Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . V. Einbringung einer inländischen Betriebsstätte in ein anderes inländisches Einzelunternehmen desselben Steuerpflichtigen . . . . . . .

10.21

10.22

C. Einbringungsvorgänge mit ausländischen Betriebsstätten I. Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in eine inländische Kapitalgesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . II. Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in eine ausländische Kapitalgesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . III. Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in eine inländische Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . .

10.23

10.24

10.25

IV. Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in eine ausländische Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . .

10.26

V. Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in ein anderes Einzelunternehmen desselben Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . .

10.27

D. Umwandlungsvorgänge mit inländischen Betriebsstätten I. Umwandlung einer inländischen Kapitalgesellschaft in eine inländische Betriebsstätte bzw. Personengesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.28

II. Verschmelzung einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit inländischer Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.29

III. Formwechsel einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit inländischer Betriebsstätte in eine ausländische Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . .

10.32

IV. Verschmelzung einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit inländischer Betriebsstätte auf eine andere ausländische Kapitalgesellschaft. . . .

10.35

E. Umwandlungsvorgänge mit ausländischen Betriebsstätten I. Verschmelzung von inländischen Kapitalgesellschaften mit ausländischen Betriebsstätten . . . . . . . . . . .

10.36

II. Spaltung von inländischen Kapitalgesellschaften mit ausländischen Betriebsstätten. . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.37

F. Speziell: gewerblich tätige Personen- und Kapitalgesellschaften I. Personengesellschaft als Einbringungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . .

10.38

II. Kapitalgesellschaft als übertragene Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.44

Weidmann 581

Kap. 10 Rz. 10.1

Umwandlungen

A. Internationale Aspekte des deutschen Umwandlungssteuerrechts I. Vorbemerkungen 10.1 Grundsätze. Vermögensübertragungen auf einen anderen Rechtsträger können sich als Einlagen (unentgeltlich) oder als Einbringungen (entgeltliche Veräußerungs- bzw. Anschaffungsvorgänge) darstellen. Vermögensübertragungen können Gewinnrealisierungen gem. § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG, § 12 Abs. 1 KStG, § 6 Abs. 1 AStG sowie nachträgliche Anschaffungskosten auslösen. Veräußerungsvorgänge haben die Eignung, Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1–3 und 5 – EStG auszulösen. In diesem Sinne lösen Umwandlungen im Grundsatz eine Realisierung der stillen Reserven zum gemeinen Wert aus, die gleichermaßen in dem zu übertragenden Vermögen als auch in unter- oder übergehenden Beteiligungen enthalten sind. Die Auflösung einer Kapitalgesellschaft löst nach deutschem Steuerrecht (ohne UmwStG) vorbehaltlich der Anwendung eines DBA einerseits eine Besteuerung des zu liquidierenden Rechtsträgers nach § 11 KStG und andererseits eine solche des Gesellschafters nach § 17 Abs. 4 i.V.m. § 3 Nr. 40 Buchst. c Satz 2 EStG aus. Wird das ausgekehrte Vermögen in eine andere Kapitalgesellschaft eingelegt, so ist § 6 Abs. 6 Satz 1 EStG zu beachten. Die Umwandlung zwischen Körperschaften ist aus der Sicht des Anteilseigners der übertragenden Körperschaft ebenfalls als ein Veräußerungs- und Anschaffungsvorgang zu behandeln. Dies gilt auch für Auf- und Abwärtsverschmelzungen. Bei Auflösung einer gewerblich tätigen Personengesellschaft findet § 16 EStG Anwendung. Wird das Vermögen der aufgelösten Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft eingelegt, so findet § 6 Abs. 6 Satz 1 EStG Anwendung. Umwandlungen vollziehen sich in der Regel gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten. Die Gewährung der Gesellschaftsrechte wird steuerrechtlich als Entgelt behandelt. Deshalb ist von einer Veräußerung des zu übertragenden Vermögens und von einer Anschaffung der neu erworbenen Gesellschaftsrechte auszugehen.1 In Fällen des Formwechsels nehmen §§ 9 und 25 UmwStG abweichend von der zivilrechtlichen Wertung im UmwG einen fiktiven Veräußerungs- und Anschaffungsvorgang an.2 Das UmwStG beinhaltet Ausnahmen zu den hier angesprochenen Grundsätzen, die nur dann Anwendung finden, wenn die Voraussetzungen des UmwStG erfüllt sind. Im Grundsatz greifen die Ausnahmeregelungen des UmwStG nicht, wenn das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter bei dem übernehmenden Rechtsträger ausgeschlossen oder beschränkt wird.

10.2 Anzuwendendes Recht. Man muss zwischen verschiedenen Sachverhaltskonstellationen differenzieren. Ausgangspunkt ist das Recht, aufgrund dessen die Umwandlung vollzogen wird. Es kann sich um eine Umwandlung nach deutschem oder ausländischem Recht handeln. Bei einer Umwandlung nach deutschem Recht können dennoch sowohl ausländisches Vermögen als auch im Ausland steuerpflichtige Personen (Gesellschafter) betroffen sein. § 122a UmwG ermöglicht die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften nach deutschem Recht, wenn mindestens eine der beteiligten Gesellschaften dem Recht eines EU/ 1 BFH v. 15.10.1997 – I R 22/96, BStBl. II 1998, 168 = FR 1998, 192; v. 16.5.2002 – III R 45/98, BStBl. II 2003, 10 = FR 2002, 1356 m. Anm. Kempermann; v. 17.9.2003 – I R 97/02, BStBl. II 2004, 686. = FR 2004, 272 Die Finanzverwaltung sieht Umwandlungen und Einbringungen auf der Ebene des übertragenen und der Ebene des übernehmenden Rechtsträgers generell als Veräußerungsund Anschaffungsvorgänge, BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Tz. 00.02, im Folgenden zitiert als „UmwStE“. Zur Kritik an dieser Sichtweise Hageböke, Ubg 2011, 689 ff.; Bogenschütz, Ubg 2011, 393 ff. 2 BFH v. 19.10.2005 – I R 38/04, BStBl. II 2006, 568 = FR 2006, 474 m. Anm. Kempermann.

582

Weidmann

A. Internationale Aspekte des deutschen Umwandlungssteuerrechts

Rz. 10.4 Kap. 10

EWR-Staats unterliegt. Dies gilt jedoch nicht für die grenzüberschreitende Spaltung (§ 125 UmwG) und/oder die Verschmelzung von Kapital- auf Personengesellschaften. Wird nach einem ausländischen Recht umgewandelt, so können davon in vergleichbarer Weise sowohl in Deutschland belegenes Vermögen als auch hier steuerpflichtige Personen (Gesellschafter) betroffen sein. Bei einer Umwandlung nach ausländischem Recht kann internationales Gesellschaftsrecht anzuwenden sein, das seinerseits in das Kollisionsrecht und in das Sachenrecht unterteilt werden sollte. Es kann ein an der Umwandlung beteiligter Rechtsträger in einem EU/EWR-Staat ansässig sein, was die Anwendung primären oder sekundären Gemeinschaftsrechts (Fusionsrichtlinie oder FusionsRL, Mutter-Tochter-Richtlinie oder MTR) auslösen kann.

II. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich des UmwStG Persönlicher Anwendungsbereich.1 Das UmwStG findet im Grundsatz Anwendung auf natürliche Personen, die in einem EU/EWR-Staat unbeschränkt steuerpflichtig sind, sowie auf Rechtsträger, die nach der Rechtsordnung eines EU/EWR-Staats gegründet wurden und Sitz und Geschäftsleitung innerhalb eines EU/EWR-Staats haben. Bei Personengesellschaften wird auf die Anwendungskriterien des einzelnen Mitunternehmers abgestellt. Sonderregelungen gelten, wenn das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter durch die Umwandlung ausgeschlossen oder beschränkt wird. Weitere Besonderheiten gelten gem. § 21 UmwStG im Fall des qualifizierten Anteilstauschs gem. § 24 UmwStG bei der Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils (Unternehmensteile) in eine Personengesellschaft und gem. § 20 UmwStG bei der Einbringung von Unternehmensteilen in eine Kapitalgesellschaft. Zu beachten ist, dass § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG eine entsprechende Anwendung von § 13 UmwStG vorsieht, wenn das Vermögen einer Körperschaft durch einen Vorgang, der mit einer Verschmelzung i.S.d. § 2 UmwG vergleichbar ist, auf eine andere Körperschaft desselben ausländischen Staats übertragen wird.

10.3

Sachlicher Anwendungsbereich.2 Das UmwStG findet Anwendung auf Umwandlungen i.S.d. UmwG, d.h. auf entsprechende Verschmelzungen, Spaltungen, Vermögensübertragungen und Formwechsel. Außerhalb des UmwG ist das UmwStG auf den Anteilstausch, auf die Einbringung von Unternehmensteilen in eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft sowie auf die Einbringung von Unternehmensteilen in eine Personengesellschaft anzuwenden. Das UmwStG findet zusätzliche Anwendung auf vergleichbare Vorgänge, die nach einem ausländischen Recht durchgeführt wurden. Die Vergleichbarkeitsprüfung setzt sich aus zwei Komponenten zusammen. Zum einen muss die Umwandlungsfähigkeit der beteiligten Rechtsträger mit derjenigen nach nationalem Recht vergleichbar sein. Zum anderen muss der Umwandlungsvorgang selbst mit einem solchen nach nationalem Recht vergleichbar sein (sog. Strukturmerkmale der jeweiligen Umwandlungsart). Folglich ist u.a. die zivilrechtliche Wirksamkeit des Umwandlungsvorgangs zu prüfen, ein Typenvergleich der beteiligten Rechtsträger mit deutschem Umwandlungsrecht durchzuführen, die Vergleichbarkeit der eingetretenen Rechtsfolgen mit deutschem Umwandlungsrecht zu begutachten3 und eine Höchstgrenze (vgl. § 54 Abs. 4 UmwG) von Barzuzahlungen zu prüfen.

10.4

1 Vgl. Tz. 01.49–01.52 UmwStE. 2 Vgl. Tz. 01.03–01.42 UmwStE. 3 Auflösung ohne Abwicklung, Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolge.

Weidmann 583

Kap. 10 Rz. 10.5

Umwandlungen

III. Abkommensrecht und Umwandlungen 10.5 Übertragende Umwandlung. Was die Anwendung des Abkommensrechts auf Umwandlungsvorgänge anbelangt, so ist im Ausgangspunkt festzuhalten, dass die DBA keine umwandlungsspezifischen Vorschriften enthalten. Bei der Anwendung von DBA auf Umwandlungsvorgänge muss deshalb auf die allgemeine ertragsteuerliche Beurteilung durch den Anwenderstaat zurückgegriffen werden.1 Dies schließt nicht aus, dass der Anwenderstaat zunächst die zivilrechtlichen Grundlagen auf der Basis des anzuwendenden Kollisionsrechts und des maßgeblichen Umwandlungsrechts ermitteln muss. Die entsprechende ertragsteuerliche Beurteilung wird in Tz. 00.02 UmwStE bezogen auf die Gesellschaftsebene und in Tz. 00.03 UmwStE bezogen auf die Gesellschafterebene bei Umwandlungen zwischen Körperschaften bzw. in Tz. 00.04 UmwStE ebenfalls bezogen auf die Gesellschafterebene bei Umwandlungen einer Kapitalgesellschaft in oder auf eine Personengesellschaft erläutert. Dabei werden nach der Auffassung der Finanzverwaltung unter Berufung auf einschlägige BFH-Rechtsprechung sowohl die übertragende Umwandlung2 als auch der identitätswahrende Formwechsel3 auf der Gesellschaftsebene als Veräußerungs- und Anschaffungsvorgänge verstanden. Der BFH hat allerdings die Auffassung vertreten, dass die Abspaltung auf eine Kapitalgesellschaft als vGA an die Gesellschafter der abspaltenden Gesellschaft mit anschließender Einlage der Gesellschafter der abspaltenden Gesellschaft in die abgespaltene Gesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten zu behandeln sei, wenn der Buchwertansatz des § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG nicht gewählt werden kann.4 Bei einer übertragenden Umwandlung unterfällt der Übertragungsgewinn/-verlust auf Gesellschaftsebene dem Art. 13 Abs. 1 OECD-MA, soweit unbewegliches Betriebsvermögen betroffen ist, und dem Art. 13 Abs. 2 oder 3 OECD-MA, soweit bewegliches Betriebsvermögen betroffen ist. Zählt ein Wirtschaftsgut nur aus Gründen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG bzw. des § 8 Abs. 2 KStG zum Betriebsvermögen, so konnte nach früherer Auffassung der Finanzverwaltung5 Art. 13 Abs. 2 (Besteuerungsrecht im Betriebsstättenstaat) oder Art. 7 OECDMA (Besteuerungsrecht im Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters) anwendbar sein. Im Zuge der BFH, Urt. v. 4.5.2011, 9.12.2010, 19.5.2010 sowie 28.4.20106 vertritt allerdings nunmehr auch die Finanzverwaltung, dass für Einkünfte nicht originär gewerblich tätiger, sondern lediglich gewerblich geprägter Personengesellschaften (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) auf Abkommensebene die gleichen Grundsätze wie für vermögensverwaltende Personengesellschaften gelten.7 Das gilt im Übrigen auch für Einkünfte einer Besitzpersonengesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung8 und für die Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, die ebenfalls auf Abkommensebene nicht gelten. Somit kommen in solchen Fällen die Art. 7 und 13 Abs. 2 1 Vgl. Art. 13 Abs. 2 und 5 OECD-MA 2010. 2 BFH v. 15.10.1997 – I R 22/96, BStBl. II 1998, 168 = FR 1998, 192; v. 16.5.2002 – III R 45/98, BStBl. II 2003, 10 = FR 2002, 1356 m. Anm. Kempermann; v. 17.9.2003 – I R 97/02, BStBl. II 2004, 686 = FR 2004, 272. 3 BFH v. 19.10.2005 – I R 38/04, BStBl. II 2006, 568 = FR 2006, 474 m. Anm. Kempermann; v. 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008, 953 = FR 2008, 582. 4 BFH v. 7.4.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467 = FR 2010, 890 m. Anm. Benecke/Staats. 5 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2-S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354, Tz. 2.2.1. 6 BFH v. 4.5.2011 – II R 51/09, BFH/NV 2011, 1637; v. 19.5.2010 – I B 191/09, BStBl. II 2011, 156; v. 28.4.2010 – I R 81/09, FR 2010, 903 m. Anm. Buciek = BFH/NV 2010, 1550; v. 9.12.2010 – I R 49/09, FR 2011, 683 = BFH/NV 2011, 698: Gewerbliche Prägung hat keine Auswirkung auf Abkommensebene. 7 BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.1, das das BMF v. 16.4.2010 – IV B 2-S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354 ersetzt hat. 8 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760 = FR 2011, 1175 m. Anm. Kempermann.

584

Weidmann

A. Internationale Aspekte des deutschen Umwandlungssteuerrechts

Rz. 10.6 Kap. 10

OECD-MA grundsätzlich nicht mehr in Betracht. Ein Übertragungsgewinn auf Gesellschafterebene fällt unter Art. 13 Abs. 5 OECD-MA (Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters hat das Besteuerungsrecht), soweit eine im Privatvermögen gehaltene Beteiligung Gegenstand der Übertragung ist und insbesondere Art. 13 Abs. 4 OECD-MA (Wert der Beteiligung besteht zu mehr als 50 % aus Grundvermögen) nicht vorliegt. Identitätswahrende Umwandlung. Bei einer identitätswahrenden Umwandlung soll nach Gosch die Veräußerungsfiktion der §§ 9, 25 UmwStG auf das Abkommensrecht durchschlagen.1 Dem steht allerdings das Wesen der Fiktion entgegen, die nur im deutschen innerstaatlichen Recht gilt. Deshalb vertritt Wassermeyer die Auffassung, es handele sich um Einkünfte i.S.d. Art 21 OECD-MA („Andere Einkünfte“).2 Man kann den Meinungsstreit dadurch entschärfen, dass man von einer Betriebsaufgabe i.S.d. § 16 Abs. 3 EStG bzw. von einer Entstrickung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG ausgeht.3 Dies kann allerdings die Anwendung des EuGH-Urteils vom 29.11.2011 (National Grid Indus)4 nach sich ziehen. Auch aus Sicht der Gesellschafterebene ist die ertragsteuerrechtliche Beurteilung einer Umwandlung von Körperschaften durch die Rechtsprechung uneinheitlich. Der IX. Senat des BFH nimmt im Urteil vom 19.8.20085 einen Veräußerungs- und Anschaffungsvorgang an. Bei der Verschmelzung zweier Körperschaften handele es sich um einen Tausch der Anteile an der übertragenden Körperschaft gegen die Anteile an der übernehmenden Körperschaft und damit um einen entgeltlichen Erwerb aus Sicht des Gesellschafters.6 Der I. Senat des BFH wendet dagegen bei der Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft § 17 Abs. 4 EStG i.S. eines Ersatztatbestands an. Im Urteil vom 7.4.20107 geht er bei einer Abspaltung auf eine Kapitalgesellschaft von einer vGA an die Gesellschafter der abspaltenden Gesellschaft i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus. Ungeklärt ist, wie die Ausschüttungsfiktion i.S.d. § 7 UmwStG abkommensrechtlich einzuordnen ist. Art. 10 Abs. 3 OECD-MA erlaubt es, bezüglich der Definition von Dividenden auf das Recht des jeweiligen Quellenstaats abzustellen. Dies entspricht auch der in Tz. 04.23 UmwStE und in Art. 13 Tz. 31 i.V.m. Art. 10 Tz. 28 OECD-MK vertretenen Auffassung. Allerdings geht Art. 10 Abs. 1 OECD-MA davon aus, dass Dividenden „gezahlt“ werden, was bei fiktiven Dividenden nicht der Fall ist. Auch fehlt es an einem „Schuldner der Bezüge“.8 Die Rechtsfrage wird bei der Erhebung von Kapitalertragsteuer auf die offenen Rücklagen relevant.9 Entfallen die Bezüge auf eine Muttergesellschaft i.S.d. MTR, so gilt nach § 43b Abs. 1 Satz 4 EStG die Befreiung von der Kapitalertragsteuer nicht. Es greift allerdings § 8b Abs. 1 KStG ein, soweit die Erhebung der Kapitalertragsteuer keine abgeltende Wirkung i.S.d. § 50 Abs. 5 EStG i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG hat.10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Gosch in G/K/G, Art. 13 OECD-MA Rz. 17. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 30; Wassermeyer in FS Widmann, S. 623. Benecke/Schnittker, FR 2010, 555 ff. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10, FR 2012, 25 m. Anm. Musil – National Grid Indus, ECLI:EU:C:2011:785. BFH v. 19.8.2008 – IX R 71/07, BStBl. II 2009, 13. BFH v. 2.5.2000 – IX R 74/96, BStBl. II 2000, 469 = FR 2000, 944. BFH v. 7.4.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467 = FR 2010, 890 m. Anm. Benecke/Staats. Pung/Werner in D/P/M, § 7 UmwStG Rz. 18; Schnitter in Frotscher/Drüen, § 7 UmwStG Rz. 23; Stöber in Lademann2, § 7 UmwStG Rz. 31; Benecke/Schnitger, Ubg 2011, 1, 3; Benecke/Beinert, FR 2010, 1120, 1121; Widmann in W/M, § 7 UmwStG Rz. 39. Vgl. Widmann in W/M, § 7 UmwStG Rz. 39 ff.; Birkemeier in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 7 UmwStG Rz. 25; Schmidt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 7 UmwStG Rz. 15; Börst in Haritz/ Menner, § 7 UmwStG Rz. 66. Vgl. EuGH v. 20.10.2011 – Rs. C-284/09, FR 2011, 1112 – Komm./Deutschland, ECLI:EU:C: 2011:670.

Weidmann 585

10.6

Kap. 10 Rz. 10.7

Umwandlungen

10.7 Formwechsel im Inland mit ausländischem Vermögen. Wird eine inländische GmbH mit ausländischer Betriebsstätte in einem Nicht-DBA-Staat bzw. in einem DBA-Staat auf eine inländische KG formgewechselt, so finden grundsätzlich die §§ 3 ff. UmwStG wegen § 9 Satz 1 UmwStG Anwendung. Soweit Deutschland die Anrechnungsmethode bezogen auf den Betriebsstättengewinn anwendet und die Gesellschafter der GmbH in Deutschland ansässig sind, so können die Wirtschaftsgüter der ausländischen Betriebsstätte nach § 3 Abs. 2 Satz 1 UmwStG mit dem Buchwert oder mit einem Zwischenwert bewertet werden. Insbesondere entfällt das deutsche Besteuerungsrecht insoweit nicht; es wird auch nicht beschränkt. Sind die Gesellschafter der GmbH allerdings im Ausland ansässig, so kann durch den Formwechsel ausländisches Betriebsstättenvermögen eines Steuerausländers entstehen, das nicht unter § 49 EStG subsumiert werden kann.1 Die stillen Reserven der ausländischen Anrechnungsbetriebsstätte müssen aufgedeckt und in Deutschland versteuert werden. Soweit der Formwechsel auch im Ausland zu einer Gewinnrealisation führt, ist die Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche Körperschaftsteuer möglich. Die stillen Reserven erhöhen gem. § 7 UmwStG auch die von den ausländischen Gesellschaftern der GmbH zu versteuernde Rücklage. Wendet Deutschland allerdings gegenüber dem Betriebsstättenstaat die Freistellungsmethode an, so führt der Formwechsel weder zu einem Ausschluss noch zu einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechtes, da ein solches gar nicht bestanden hat. Ein Buchwertansatz ist in diesem Fall bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen möglich.

10.8 Verschmelzung im Inland mit ausländischem Vermögen. Wird eine inländische Körperschaft mit ausländischer Betriebsstätte auf eine andere inländische Körperschaft verschmolzen, so vollzieht sich die Verschmelzung gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 UmwStG grundsätzlich zum gemeinen Wert und nur auf Antrag zum Buchwert oder zu einem Zwischenwert. Voraussetzung für den Wertansatz unterhalb des gemeinen Wertes ist nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG u.a., dass weder ein Ausschluss noch eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechtes hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenden Wirtschaftsgüter eintritt. Aus der Sicht der DBA richtet sich das deutsche Besteuerungsrecht an den ausländischen Betriebsstätteneinkünften entweder nach der Freistellungs- oder nach der Anrechnungsmethode. Daran ändert sich durch die Verschmelzung nichts, weshalb das deutsche Besteuerungsrecht bei Anwendung der Freistellungsmethode unverändert nicht besteht und bei Anwendung der Anrechnungsmethode unverändert fortbesteht. Für die Besteuerung im Inland ist es ohne Bedeutung, wie der ausländische Betriebsstättenstaat die Vermögensübertragung besteuert. Probleme können sich allerdings dadurch ergeben, dass das Ausland die Vermögensübertragung durch Gesamtrechtsnachfolge nicht anerkennt. Daraus kann sich eine Verstrickung bei verschiedenen Rechtsträgern ergeben.

10.9 Entstrickung durch Hinausverschmelzung. Wird eine inländische GmbH auf eine in einem anderen EU/EWR-Staat ansässige Kapitalgesellschaft verschmolzen und verfügt die inländische GmbH vor der Verschmelzung über je eine Betriebsstätte im Inland, in dem anderen EU/EWR-Staat sowie in einem Drittstaat, so gilt als Grundsatz, dass die Verschmelzung nicht die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte verändert, es sei denn, dass nach der Verschmelzung Überführungen vorgenommen werden. Soweit mit dem jeweiligen Betriebsstättenstaat ein DBA besteht, ist zu prüfen, ob Deutschland die Freistellungsoder die Anrechnungsmethode anwendet. Wendet Deutschland die Freistellungsmethode an, so ist ein etwaiger Betriebsstättenveräußerungsgewinn im Inland steuerfrei. Wendet Deutsch1 Henkel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 10.164.

586

Weidmann

A. Internationale Aspekte des deutschen Umwandlungssteuerrechts

Rz. 10.9 Kap. 10

land die Anrechnungsmethode an, so entfällt das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, weil der künftige Unternehmensträger im Inland nur noch mit seinen inländischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig ist. Entsprechend sind die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG insoweit nicht erfüllt. Die stillen Reserven müssten wohl realisiert werden.1 Kommt es später im ausländischen Betriebsstättenstaat zu einer weiteren Realisation, sollte die dann erhobene ausländische Steuer nachträglich auf die inländische angerechnet werden können, trotz des Umstands, dass Veräußerung und Anrechnung in zwei unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen liegen. Werden einzelne Wirtschaftsgüter in die künftige ausländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte überführt, so greift insoweit die Rechtsfolge des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. des § 12 Abs. 1 KStG. Zu beachten ist eine etwaige Zentralfunktion des Stammhauses,2 die ebenfalls eine Entstrickung gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG auslösen kann. Nach dieser Theorie könnten Wirtschaftsgüter des übertragenden Rechtsträgers nicht der neuen deutschen Betriebsstätte des übernehmenden ausländischen Rechtsträgers, sondern dem ausländischen Stammhaus zuzuordnen sein. Allerdings ist fraglich, ob die Theorie der Zentralfunktion des Stammhauses unter Geltung des Authorised OECD Approach („AOA“) noch Bestand haben kann.3 Nach dem AOA sind im Grundsatz Stammhaus und Betriebsstätte in ihrem Verhältnis zueinander wie fremde Dritte zu behandeln. Damit kommt es nun nicht mehr zu einer Aufteilung des Ergebnisses des Einheitsunternehmens auf Stammhaus und Betriebsstätte. Durch die Selbstständigkeitsfiktion ist das Betriebsstättenergebnis nicht mehr durch das Ergebnis des Gesamtunternehmens begrenzt. Gleiches gilt umgekehrt für das Stammhaus.4 Die Umsetzung des AOA in nationales Recht erfolgte durch § 1 Abs. 4 und 5 AStG im Rahmen des Amtshilferichtlinienumsetzungsgesetzes (AHiRiLiUmsG) vom 26.6.2013 (BGBl. I 2013, 1809).5 Damit vollzieht sich zum 1.1.2013 in dem zuvor geltenden Recht der Betriebsstättengewinnermittlung ein „Bruch“.6 Bisher gab es im deutschen Steuerrecht nur wenige spezielle Vorschriften, die die Betriebsstättengewinnermittlung regelten. Leitend für die Abgrenzung des Gesamtgewinns eines Unternehmens zwischen Stammhaus und Betriebsstätte war das sog. Veranlassungsprinzip. Ab dem Jahr 2015 werden die Vorgaben der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) vom 13.10.2014 (BStBl. I 2014, 1603) zu beachten sein. Das Bundesministerium der Finanzen hat sich mit der auf § 1 Abs. 6 AStG gestütz-

1 Zweifelnd Henkel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 10.128 zweiter Spiegelstrich Fn. 1, der argumentiert, dass das inländische Besteuerungsrecht in diesem Fall nicht nach Abkommensrecht entfällt, sondern weil die inländische beschränkte Steuerpflicht gem. § 49 EStG die ausländische Betriebsstätte nicht erfasst. Somit spräche einiges dafür, dass kein Ausschluss des Besteuerungsrechts i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG vorliegt. 2 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.4 (BS-VWG). Die Sicht der Finanzverwaltung sorgt für Unsicherheit, vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 11 UmwStG Rz. 28 f.; Breuninger in FS Schaumburg, S. 587 ff.; Girlich-Philipp, Ubg 2012, 150 ff. 3 Wassermeyer, IStR 2012, 277 (280); ähnlich Schönfeld, IStR 2011, 497 (501). 4 Burwitz, NZG 2013, 1300 (1301). 5 Zur Frage, ob § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG ein Treaty Override darstellt, vgl. Gebhardt, BB 2012, 2353. Die Literatur erwägt wegen der Rückausnahme in § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG den Begriff eines sog. Reverse Treaty Override, vgl. Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 2891 (Stand: April 2017); zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Treaty Overrides vgl. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 = FR 2016, 326 = ISR 2016, 125 m. Anm. Jochimsen sowie Jansen/ Weidmann, IStR 2010, 596 ff. 6 Wassermeyer, IStR 2015, 37.

Weidmann 587

Kap. 10 Rz. 10.10

Umwandlungen

ten Verordnung zur Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes positioniert. Entscheidende Bedeutung für die Betriebsstättengewinnermittlung soll damit die in der Betriebsstätte ausgeübte Personalfunktion erhalten (§ 1 Abs. 2 BsGaV i.V.m. § 2 Abs. 3 BsGaV).1 Allerdings ist das Verhältnis der Personalfunktion zum Erfordernis der Verfügungsmacht unklar.2 Wünschenswert wäre sicherlich, dass auch die OECD dem Erfordernis der Verfügungsmacht weniger Bedeutung beimisst als der Ausübung von Personalfunktionen in einer festen Geschäftseinrichtung.3 Insbesondere für immaterielle Wirtschaftsgüter ist bislang unklar, wann und in welchem Umfang der Firmenwert oder firmenwertbildende Faktoren umwandlungsbedingt entstrickt werden sollten.4 Streubesitzbeteiligungen können unter Geltung des AOA funktional weiterhin auch nach der Umwandlung einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnen sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Beteiligung im funktionalen Zusammenhang zur Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte steht (§ 7 Abs. 1 Satz 2 BsGaV). Leider legt sich die Finanzverwaltung zu der praxisrelevanten Frage, wie eine Holding-Funktion einer Betriebsstätte ausgestaltet sein muss, damit der Betriebsstätte (weiterhin) Beteiligungen zugeordnet werden können, nicht fest. Hier wäre ein klarstellendes praxisnahes Beispiel in Tz. 102 ff. der VWG BsGa5 dienlich. Wird jedoch eine Entstrickung infolge der Hinausverschmelzung angenommen, kann der Steuerpflichtige u.U. unter Hinweis auf das EuGH-Urteil vom 29.11.2011 (National Grid Indus) zumindest einen Besteuerungsaufschub geltend machen.6 Eine Sofortbesteuerung stiller Reserven ist nämlich im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit unionsrechtlich bedenklich. Nach dem EuGH-Urteil National Grid Indus wäre es grundsätzlich erforderlich, dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht zwischen der sofortigen Versteuerung (Liquiditätsnachteil, aber Befreiung vom späteren Verwaltungsaufwand) und der Aufschiebung der Zahlung dieses Steuerbetrags bis zur tatsächlichen Realisierung der stillen Reserven mit jährlicher Erklärung zur Nachverfolgung des Vermögens einzuräumen. Allerdings scheint der EuGH auch eine pauschale zeitliche Verteilung der Steuerzahlung durch Stundung über fünf Jahre für zulässig zu erachten.7

10.10 Verstrickung durch Hereinverschmelzung. Wird eine EU/EWR-ausländische Kapitalgesellschaft (nach ausländischem Recht errichtet sowie Verwaltungssitz und Geschäftsleitung im EU/EWR-Ausland) auf eine deutsche GmbH verschmolzen und verfügte die EU/EWR-ausländische Kapitalgesellschaft vor der Verschmelzung über je eine Betriebsstätte im Inland, in dem

1 2 3 4 5

Hruschka, DStR 2014, 2421 (2425). Wassermeyer, IStR 2015, 37 (39). Wassermeyer, IStR 2015, 37 (39). Baldamus, IStR 2012, 317 (321). BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 (VWG BsGa). 6 Rautenstrauch/Seitz, Ubg 2012, 14 (21); ob ein Besteuerungsaufschub auch für eine Entstrickung aufgrund umwandlungssteuerrechtlicher Vorschriften möglich ist, erscheint fraglich, vgl. nur den Streit zwischen Körner, IStR 2012, 1 ff. und Mitschke, IStR 2012, 6 ff. 7 Vgl. EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, ECLI:EU:C:2014:20 = FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller = ISR 2014, 96 m. Anm. Zwirner; v. 21.5.2015 – Rs. C-657/13 – Verder LabTec, ECLI:EU:C:2015:331, FR 2015, 600 = ISR 2015, 259.

588

Weidmann

A. Internationale Aspekte des deutschen Umwandlungssteuerrechts

Rz. 10.11 Kap. 10

anderen EU/EWR-Staat sowie in einem Drittstaat, so gilt auch insoweit als Grundsatz, dass die Verschmelzung nicht die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte verändert, es sei denn, dass nach der Verschmelzung Überführungen vorgenommen werden. Allerdings war die EU/EWR-ausländische Kapitalgesellschaft nur mit ihren inländischen Einkünften in Deutschland steuerpflichtig. Bezüglich des ausländischen Betriebsstättenvermögens tritt deshalb im Inland eine Verstrickung ein. Soweit § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG auf die Verstrickung Anwendung findet, bezieht sich der Ansatz des gemeinen Werts gem. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG auf die einzelnen Wirtschaftsgüter, ohne dass ein Wahlrecht besteht. Es ergibt sich allerdings ein Konkurrenzproblem zwischen §§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2, 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG und § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG. §§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2, 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG regelt die Bewertung jedes einzelnen Wirtschaftsguts, ohne dass ein Wahlrecht besteht. § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG baut dagegen auf einem Bewertungswahlrecht auf, das nur einheitlich für das gesamte übertragene Vermögen ausgeübt werden kann. Die Anwendung von § 11 UmwStG würde deshalb dazu führen, dass auch das übertragene inländische Betriebsvermögen mit dem gemeinen Wert bewertet werden muss. Sollte der Antrag nach § 11 Abs. 2 UmwStG für das gesamte Betriebsvermögen gestellt werden, würden Deutschland Besteuerungsrechte zuwachsen, die im Widerspruch zu §§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2, 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG stehen. Es muss deshalb möglich sein, den Antrag nach § 11 Abs. 2 UmwStG für das inländische Betriebsvermögen zu stellen und dennoch das übertragene ausländische Betriebsstättenvermögen nach §§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2, 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG zu bewerten.1 Bezüglich der Zentralfunktion des Stammhauses gelten die Ausführungen in Rz. 10.9 sinnentsprechend. Abwärtsverschmelzung. Eine nur im Ausland ansässige Mutterkapitalgesellschaft soll an einer inländischen Tochterkapitalgesellschaft zu 100 % beteiligt sein, die wiederum an einer inländischen Enkelkapitalgesellschaft zu 100 % beteiligt ist. Die inländische Tochterkapitalgesellschaft soll auf ihre inländische Enkelkapitalgesellschaft mit der Folge verschmolzen werden, dass die Anteile an der inländischen Tochterkapitalgesellschaft künftig von der im Ausland ansässigen Mutterkapitalgesellschaft gehalten werden. Dies bedeutet, dass das künftige Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der stillen Reserven in den Anteilen an der Enkelkapitalgesellschaft ausgeschlossen ist, wenn im Verhältnis zu der ausländischen Mutterkapitalgesellschaft ein DBA Anwendung findet, das das Besteuerungsrecht für Beteiligungsveräußerungsgewinne dem Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter zuspricht. Jedoch handelt es sich bei diesen Anteilen nicht um „übergehende Wirtschaftsgüter“ i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG.2 Deshalb soll nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung eine Antragstellung nach § 11 Abs. 2 UmwStG möglich sein.3 Die Finanzverwaltung vertritt allerdings in Tz. 11.19 UmwStE eine andere Auffassung. Danach soll auf der Ebene der inländischen Tochterkapitalgesellschaft eine Gewinnrealisierung hinsichtlich der stillen Reserven in der Beteiligung an der Enkelkapitalgesellschaft eintreten, auf die jedoch § 8b Abs. 2 Sätze 4 und 5 KStG Anwendung finden müsste. Hinsichtlich des eingebrachten Vermögens soll die Buchwertfortführung bei der Enkelkapitalgesellschaft an den Vorausset-

1 Ähnlich Henkel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 10.139, der vertritt, dass §§ 4 Abs. 1 Satz 7, 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG hinsichtlich der erstmals verstrickten Wirtschaftsgüter als leges speciales dem § 12 Abs. 1 UmwStG vorgehen. 2 Vgl. Rödder in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 11 UmwStG Rz. 133 ff.; i.E. Dötsch in Dötsch/ Pung/Möhlenbrock, § 11 UmwStG Rz. 18. 3 Vgl. Schießl in W/M, § 11 UmwStG Rz. 159; Benecke/Beinert, FR 2010, 1120 (1125); Schmitt/ Schlossmacher, DStR 2010, 673 (677); Schell, FR 2012, 101 (102).

Weidmann 589

10.11

Kap. 10 Rz. 10.12

Umwandlungen

zungen des § 13 Abs. 2 Nr. 1 UmwStG scheitern. Dies entspricht zwar dem Sinn, nicht jedoch dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 UmwStG.1

10.12 Anteiliger Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts. Eine inländische Kapitalgesellschaft wird durch Formwechsel in eine inländische Personengesellschaft umgewandelt. Anteilseigner (Mitunternehmer) sollen zwei natürliche Personen zu je 50 % sein, von denen eine im Ausland und eine im Inland ansässig ist. Die Kapitalgesellschaft soll über eine Betriebsstätte in einem Nicht-DBA-Staat verfügen. Die der Betriebsstätte zuzuordnenden Wirtschaftsgüter enthalten erhebliche stille Reserven. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG sind bei den Gesellschaftern der übernehmenden Personengesellschaft subjekt- und objektbezogen zu prüfen. Insoweit besteht eine Parallele zu § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG. Der Antrag auf Fortführung der Buchwerte kann indes nur einheitlich für alle Wirtschaftsgüter gestellt werden. Dem Antrag steht nicht entgegen, dass Wirtschaftsgüter in der steuerrechtlichen Schlussbilanz zum Teil mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind, weil die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 oder 2 UmwStG nicht erfüllt sind.2 Soweit das ausländische Betriebsstättenvermögen einem im Ausland ansässigen Mitunternehmer zuzurechnen ist, wird das deutsche Besteuerungsrecht in Ermangelung inländischer Einkünfte i.S.d. § 49 EStG ausgeschlossen, was die Buchwertfortführung nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG ausschließt. Dies steht jedoch einer Buchwertfortführung bezüglich des auf den im Inland ansässigen Mitunternehmer entfallenden ausländischen Betriebsstättenvermögens nicht entgegen. In der steuerrechtlichen Schlussbilanz der untergehenden Kapitalgesellschaft sind die Wirtschaftsgüter des ausländischen Betriebsstättenvermögens deshalb nur bezüglich des auf den ausländischen Anteilseigner entfallenden Teils aufzustocken. Die Buchwertaufstockung ist in einer negativen Ergänzungsbilanz für den im Inland ansässigen Mitunternehmer abzubilden. Die Buchwertaufstockung löst allerdings auch eine Erhöhung des Ausschüttungsvolumens i.S.d. § 7 UmwStG aus. Es spricht vieles dafür, die Erhöhung des steuerbilanziellen Eigenkapitals ausschließlich, d.h. disquotal, dem nur beschränkt steuerpflichtigen Mitunternehmer zuzurechnen.

10.13 Buchwertaufstockung von Auslandsvermögen. Eine inländische Kapitalgesellschaft soll durch Formwechsel in eine inländische Personengesellschaft umgewandelt werden. Anteilseigner (Mitunternehmer) sollen zwei natürliche Personen zu je 50 % sein, die beide im Inland ansässig sind. Die Kapitalgesellschaft soll über eine Betriebsstätte in einem DBA-Staat verfügen. Das einschlägige DBA sieht eine Steuerbefreiung der Betriebsstätteneinkünfte im Inland vor. Die der Betriebsstätte zuzuordnenden Wirtschaftsgüter enthalten erhebliche stille Reserven. Die Anwendung des § 3 Abs. 2 i.V.m. § 9 Satz 1 UmwStG wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die übertragende Körperschaft im Inland nur körperschaftsteuerpflichtig und die übernehmenden natürlichen Personen einkommensteuerpflichtig sind. Unschädlich ist auch, dass die DBA-Steuerbefreiung vor dem Formwechsel einer Körperschaft und nach dem Formwechsel natürlichen Personen zusteht. Ist die Kapitalgesellschaft in einem ausländischen EU/EWRStaat ansässig, verfügt sie jedoch über eine inländische Betriebsstätte, so findet das UmwStG wegen § 1 Abs. 1 Nr. 2 UmwStG Anwendung. Die Fiktion der Gewinnrealisierung nach §§ 9 i.V.m. 3 UmwStG greift auch im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht der ausländischen Gesellschaft. Ist die Kapitalgesellschaft allerdings in keinem EU-/EWR Staat, sondern in einem Drittstaat ansässig, so ist das UmwStG nicht anzuwenden. Hier ist aufgrund mangelnder Ent-

1 Ebenso zweifelnd Schönfeld, IStR 2011, 497 (501). 2 Vgl. Tz. 3.13 Satz 2 UmwStE.

590

Weidmann

B. Einbringungsvorgänge mit inländischen Betriebsstätten

Rz. 10.16 Kap. 10

geltlichkeit eines Formwechsels strittig, ob der Formwechsel ertragsteuerliche Folgen im Inland auslöst1 oder nicht.2

B. Einbringungsvorgänge mit inländischen Betriebsstätten I. Einbringung einer inländischen Betriebsstätte in eine inländische Kapitalgesellschaft Einbringung des Betriebsstättenvermögens gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten. Bringt ein Steuerausländer seine inländische Betriebsstätte in eine in- oder ausländische Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten ein, so ist von einem tauschähnlichen Vorgang auszugehen, der steuerlich als Veräußerung und damit Gewinn realisierend zu behandeln ist. Es ist ein Übertragungsgewinn zu ermitteln, der noch der inländischen Betriebsstätte zuzuordnen und als inländische Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu versteuern ist. Dies gilt wegen Art. 13 Abs. 2 OECD-MA auch abkommensrechtlich. § 20 UmwStG findet nur dann Anwendung, wenn die inländische Betriebsstätte sich zugleich als Betrieb oder Teilbetrieb darstellt. Ist diese Voraussetzung erfüllt, bestehen gegen die Anwendung von § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG keine grundsätzlichen Bedenken. Die aufnehmende Kapitalgesellschaft kann auf Antrag das Betriebsstättenvermögen mit seinem Teilwert, seinem Buchwert oder mit einem Zwischenwert bewerten, insbesondere wenn das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des eingebrachten Betriebsvermögens bei der übernehmenden Gesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird.3 Der angesetzte Wert gilt für den einbringenden Steuerausländer als Veräußerungserlös einerseits und als Anschaffungskosten für die neu erworbenen Geschäftsanteile andererseits. In der Regel (Beteiligung bis maximal 50 %) wird das Recht, den Gewinn aus der Veräußerung der dem Einbringenden gewährten Geschäftsanteile zu besteuern, gem. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA dem Wohnsitzstaat/Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters (hier: Steuerausländer) zustehen. Bei der Buchwert- und bei der Zwischenwerteinbringung ist die siebenjährige Sperrfrist des § 22 Abs. 1 UmwStG zu beachten. Sie stellt auf die Veräußerung der neu ausgegebenen Geschäftsanteile durch die einbringende Person innerhalb von sieben Jahren nach der Einbringung ab. Da Einbringungsgegenstand das Betriebsstättenvermögen und keine Anteile sind, kommt § 22 Abs. 2 UmwStG nicht zur Anwendung.

10.14

Einlage des Betriebsstättenvermögens ohne Gewährung von Gesellschaftsrechten. Legt ein Steuerausländer das Betriebsvermögen seiner inländischen Betriebsstätte ohne Gewährung von Gesellschaftsrechten in eine inländische Kapitalgesellschaft ein, so ist von einer Entnahme auszugehen, die gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Alt. 1 EStG mit dem Teilwert zu bewerten ist und zu einer Gewinnrealisierung führt. § 20 Abs. 1 UmwStG findet auch dann keine Anwendung, wenn die Betriebsstätte zugleich Teilbetrieb sein sollte, da insbesondere keine Gesellschaftsrechte gewährt werden. Die Kapitalgesellschaft muss das eingelegte Betriebsstättenvermögen mit seinem Teilwert bewerten (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG).

10.15

Verluste. Hat die inländische Betriebsstätte in der Zeit vor der Einbringung in eine inländische Kapitalgesellschaft Verluste erlitten, so kann die übernehmende Kapitalgesellschaft den Verlust nicht absetzen. Dies folgt aus § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG i.V.m. § 10d EStG bzw. § 10a

10.16

1 Siehe Vorauflage Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 17.212. 2 Henkel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 10.93. 3 Vgl. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG.

Weidmann 591

Kap. 10 Rz. 10.17

Umwandlungen

GewStG (fehlende Unternehmeridentität) und gilt sowohl körperschaftsteuer- als auch gewerbesteuerlich.

II. Einbringung einer inländischen Betriebsstätte in eine ausländische Kapitalgesellschaft 10.17 Einbringung des Betriebsstättenvermögens gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten. Bringt ein Steuerinländer oder ein Steuerausländer seine inländische Betriebsstätte in eine ausländische Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten ein, so ist ebenfalls von einem tauschähnlichen Vorgang auszugehen, der Gewinnrealisierung auslöst. Der Veräußerungsgewinn ist noch der Betriebsstätte zuzuordnen. Das Besteuerungsrecht liegt regelmäßig beim Betriebsstättenstaat (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA). § 20 UmwStG findet Anwendung, wenn es sich bei dem Betriebsstättenvermögen um einen Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil handelt. Übernehmender Rechtsträger kann jede in- oder ausländische Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft sein, soweit diese die Ansässigkeitserfordernisse des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG erfüllt.1 Die aufnehmende Kapitalgesellschaft kann auf Antrag das Betriebsstättenvermögen mit seinem Teilwert, seinem Buchwert oder mit einem Zwischenwert bewerten, u.a. wenn das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des eingebrachten Betriebsvermögens bei der übernehmenden Gesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG). Das Besteuerungsrecht bleibt erhalten, wenn das inländische Betriebsvermögen, das in die ausländische Kapitalgesellschaft eingebracht wird, vor und nach der Einbringung einer inländischen Betriebsstätte der übernehmenden Kapitalgesellschaft zuzuordnen ist. Es wird jedoch ausgeschlossen oder beschränkt, wenn es zu einer Zuordnungsänderung kommt.2 Ob und wenn ja inwieweit das Betriebsvermögen der inländischen Betriebsstätte weiterhin zuzuordnen ist, kann anhand der auf § 1 Abs. 6 AStG gestützten Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes (Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV) vom 13.10.2014 (BGBl. I 2014, 1603) ermittelt werden (Rz. 10.9).

10.18 Einlage des Betriebsstättenvermögens ohne Gewährung von Gesellschaftsrechten. § 20 UmwStG ist nicht anwendbar. Die Einbringung löst eine Gewinnrealisierung aus. Die übernehmende ausländische Kapitalgesellschaft muss das eingebrachte Vermögen mit seinem Teilwert bewerten.

III. Einbringung einer inländischen Betriebsstätte in eine inländische Personengesellschaft 10.19 Regelfall: Keine Gewinnrealisierung. Bringt ein Steuerausländer unentgeltlich oder gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten seine inländische Betriebsstätte in eine inländische Personengesellschaft ein und stellt das Betriebsstättenvermögen keinen Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil dar, so gilt grundsätzlich § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG, d.h., der Vorgang vollzieht sich ohne Gewinnrealisierung. Die Personengesellschaft muss den Buchwert für die einzelnen Wirtschaftsgüter fortführen. Ist allerdings an der Personengesellschaft eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. § 1 Abs. 1 KStG beteiligt, so 1 Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 20 UmwStG Rz. 172. 2 Henkel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 10.202.

592

Weidmann

B. Einbringungsvorgänge mit inländischen Betriebsstätten

Rz. 10.22 Kap. 10

ist § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG mit der Folge zu beachten, dass insoweit das Betriebsstättenvermögen bzw. die einzelnen Wirtschaftsgüter mit seinem bzw. ihren Teilwert anzusetzen ist bzw. sind. Die siebenjährige Sperrfrist des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG ist zu beachten. Die Anwendung von § 6 Abs. 5 EStG kommt vor allem dann in Betracht, wenn das unentgeltlich eingebrachte Betriebsstättenvermögen nicht die Voraussetzungen eines Betriebs oder Teilbetriebes erfüllt. § 6 Abs. 3 EStG ist dagegen einschlägig, wenn ein Betrieb, ein Teilbetrieb oder der (Teil-)Mitunternehmeranteil an einem Betrieb unentgeltlich übertragen wird. Rechtsfolge des § 6 Abs. 3 EStG ist die Buchwertfortführung für das Betriebsstättenvermögen. Zu beachten ist die fünfjährige Behaltefrist des § 6 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbs. EStG. § 24 UmwStG ist lex specialis gegenüber § 6 Abs. 3 und 5 EStG. Die Vorschrift sieht ein Bewertungswahlrecht der aufnehmenden Personengesellschaft vor. Sie gilt nur für die Einbringung von Betrieben, Teilbetrieben und/oder Mitunternehmeranteilen gegen die Gewährung von Gesellschaftsrechten. Die Einbringung kann sich durch Einzelübertragung oder durch Umwandlung vollziehen. § 24 UmwStG setzt an sich nicht voraus, dass zu dem eingebrachten Betrieb oder Teilbetrieb eine inländische Betriebsstätte gehört. Soweit jedoch das Besteuerungsrecht für eingebrachte und im Ausland belegene Unternehmensteile ausschließlich dem Ausland zusteht, läuft § 24 UmwStG leer. Verluste. Verlustvorträge aus der Zeit vor der Einbringung verbleiben einkommen- und körperschaftsteuerlich bei dem einbringenden Steuerausländer. Gewerbesteuerlich verbleibt ein Verlustvortrag ebenfalls bei dem einbringenden Steuerausländer. Er kann nur mit dessen Gewinnanteil verrechnet werden und geht wegen fehlender Unternehmensidentität nicht auf die Personengesellschaft über.

10.20

IV. Einbringung einer inländischen Betriebsstätte in eine ausländische Personengesellschaft Keine Unterscheidung. § 6 Abs. 5 EStG sowie § 24 UmwStG unterscheiden nicht zwischen in- und ausländischen Personengesellschaften. Deshalb finden die Vorschriften auch auf die Einbringung in ausländische Personengesellschaften Anwendung. Dies gilt insbesondere, wenn der Einbringende im Inland unbeschränkt steuerpflichtig ist und eine inländische Betriebsstätte zu dem eingebrachten Vermögen zählt. Soweit allerdings das Besteuerungsrecht für im Ausland belegene Unternehmensteile ausschließlich dem Ausland zusteht, laufen § 6 Abs. 5 EStG und § 24 UmwStG leer.

10.21

V. Einbringung einer inländischen Betriebsstätte in ein anderes inländisches Einzelunternehmen desselben Steuerpflichtigen Einbringender ist Steuerausländer. Einschlägig ist § 6 Abs. 5 EStG, wenn es sich bei dem zu übertragenden Betriebsstättenvermögen um einzelne Wirtschaftsgüter handelt. Die Vorschrift unterscheidet nicht danach, ob der Einbringende unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist. Es ist jeweils Buchwertfortführung zwingend vorgeschrieben.

Weidmann 593

10.22

Kap. 10 Rz. 10.23

Umwandlungen

C. Einbringungsvorgänge mit ausländischen Betriebsstätten I. Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in eine inländische Kapitalgesellschaft 10.23 Einbringender ist Steuerinländer. Die Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in eine inländische Kapitalgesellschaft ist steuerrechtlich nur dann von Bedeutung, wenn der Einbringende im Inland unbeschränkt steuerpflichtig ist. Unter diesem Gesichtspunkt kann der Einbringende natürliche Person, Körperschaft oder Mitunternehmer einer Personengesellschaft sein. Grundsätzlich ist die Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in eine inländische Kapitalgesellschaft ein tauschähnlicher Vorgang, der eine Gewinnrealisierung beim Einbringenden nach sich zieht. Für den so entstehenden Gewinn ist nach dem einschlägigen DBA zu entscheiden, welchem Staat das Besteuerungsrecht zusteht. Etwas anderes gilt, wenn § 20 Abs. 1 UmwStG Anwendung findet.1 Die Vorschrift setzt die Einbringung eines Betriebes, Teilbetriebs oder des Mitunternehmeranteils in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten voraus. Sie ist grundsätzlich auch auf die Einbringung ausländischer Betriebe oder Teilbetriebe anwendbar. Ebenso kann der Mitunternehmeranteil an einer ausländischen Mitunternehmerschaft bestehen. Ferner kann die ausländische Betriebsstätte Teil eines in- oder ausländischen (Teil-)Betriebs sein.

II. Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in eine ausländische Kapitalgesellschaft 10.24 Einbringender ist Steuerinländer. Bringt ein im Inland unbeschränkt Steuerpflichtiger seine ausländische Betriebsstätte in eine ausländische Kapitalgesellschaft ein, so ist grundsätzlich von einem tauschähnlichen Vorgang auszugehen, der steuerrechtlich wie eine Veräußerung zu behandeln ist. Bei dem einbringenden Steuerpflichtigen werden grundsätzlich stille Reserven aufgedeckt, für die zu entscheiden ist, ob sie in Deutschland besteuert werden können. Dies ist bei ausländischem Betriebsvermögen in der Regel nicht der Fall (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA i.V.m. dem Methodenartikel). Besteht allerdings kein DBA mit dem Betriebsstättenstaat oder greift die Aktivitätsklausel eines DBA, so werden die aufgedeckten stillen Reserven vom Welteinkommensprinzip erfasst, dessen Anwendung die Folge der unbeschränkten Steuerpflicht ist. Wenn die Betriebsstätte einen Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil darstellt, kann die Einbringung allerdings auch nach § 20 UmwStG zu Buchwerten erfolgen.

III. Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in eine inländische Personengesellschaft 10.25 Keine Unterscheidung. §§ 6 Abs. 3, 6 Abs. 5 EStG sowie § 24 UmwStG unterscheiden nicht zwischen in- und ausländischen Personengesellschaften. Deshalb finden die Vorschriften auch auf die Einbringung ausländischer Betriebsstätten in inländische Personengesellschaften unabhängig davon Anwendung, ob der Einbringende im Inland unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist.2 Dabei ist zu beachten, ob die ausländische Betriebsstätte selbst einen Be1 Zur Anwendbarkeit des § 20 UmwStG vgl. Rödder in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG2, Einführung, Rz. 110 ff. 2 Für beschränkt Steuerpflichtige sind §§ 6 Abs. 3 und 6 Abs. 5 EStG anwendbar, soweit ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit inländischen Einkünften gegeben ist (§ 50 Abs. 1 EStG), vgl.

594

Weidmann

D. Umwandlungsvorgänge mit inländischen Betriebsstätten

Rz. 10.28 Kap. 10

trieb oder Teilbetrieb darstellt oder als Teil eines Betriebs bzw. Teilbetriebs eingebracht wird. Der Betrieb oder Teilbetrieb kann gleichermaßen ein inländischer oder ausländischer sein. Soweit allerdings das Besteuerungsrecht für die im Ausland belegene Betriebsstätte ausschließlich dem Ausland zusteht, laufen §§ 6 Abs. 3, 6 Abs. 5 EStG und § 24 UmwStG leer.

IV. Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in eine ausländische Personengesellschaft Keine Unterscheidung. §§ 6 Abs. 3 bzw. 6 Abs. 5 EStG sowie § 24 UmwStG unterscheiden nicht zwischen in- und ausländischen Personengesellschaften. Deshalb finden die Vorschriften auch auf die Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in ausländische Personengesellschaften Anwendung. Im Übrigen gilt das zu Rz. 10.25 Geschriebene entsprechend.

10.26

V. Einbringung einer ausländischen Betriebsstätte in ein anderes Einzelunternehmen desselben Steuerpflichtigen Einbringender ist Steuerinländer. Einschlägig ist § 6 Abs. 5 EStG, insbesondere wenn es sich bei dem zu übertragenden Betriebsstättenvermögen um einzelne Wirtschaftsgüter handelt. Die Vorschrift unterscheidet nicht danach, ob der Einbringende unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist.1 Es ist jeweils Buchwertfortführung zwingend vorgeschrieben. Ist der Einbringende allerdings eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse, so ist § 8 Abs. 2 KStG zu beachten. In ähnlicher Weise gilt bei einer gewerblich tätigen Personengesellschaft die gesamte Tätigkeit wegen § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG als gewerblich und bildet einen Betrieb.

10.27

D. Umwandlungsvorgänge mit inländischen Betriebsstätten I. Umwandlung einer inländischen Kapitalgesellschaft in eine inländische Betriebsstätte bzw. Personengesellschaft Beteiligung eines Steuerausländers. Ist ein Steuerausländer an einer inländischen Kapitalgesellschaft beteiligt, die er in eine inländische Betriebsstätte „umwandeln“ will, so kann dies durch Liquidation vollzogen werden. Dies führt allerdings zu einer Gewinnrealisierung gem. § 11 KStG. Alternativ kann auch eine formwechselnde Umwandlung in eine Personengesellschaft gem. §§ 9 i.V.m. 3 ff. UmwStG erwogen werden. In diesem Fall kann das Betriebsvermögen in der Schlussbilanz der Kapitalgesellschaft mit seinem Buchwert, seinem Teilwert oder einem Zwischenwert angesetzt werden, wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 UmwStG erfüllt sind. Die übernehmende Personengesellschaft muss einen Übernahmegewinn bzw. -verlust nach § 4 Abs. 4 und 5 UmwStG ermitteln. Dabei sind die Buchwerte des übernommenen Vermögens dem Buchwert der Beteiligung an der untergehenden Kapitalgesellschaft gegenüberzustellen. Besteht das Übernahmeergebnis aus einem Verlust, so bleibt dieser außer Ansatz, soweit er auf eine Körperschaft, Personenvereinigung oder VermögensEhmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1213 i.V.m. Rz. 23. § 24 UmwStG ist ebenfalls auf unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtige anwendbar, Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 24 UmwStG Rz. 104. 1 Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1213 i.V.m. Rz. 23.

Weidmann 595

10.28

Kap. 10 Rz. 10.29

Umwandlungen

masse als Mitunternehmerin der Personengesellschaft entfällt (§ 4 Abs. 6 Satz 1 UmwStG). Entfällt er auf natürliche Personen, ist er i.H.v. 60 % zu berücksichtigen (Teileinkünfteverfahren). Ein danach verbleibender Übernahmeverlust bleibt außer Ansatz (§ 4 Abs. 6 Satz 4 UmwStG). Besteht das Übernahmeergebnis aus einem Gewinn, ist § 8b KStG anzuwenden, soweit der Übernahmegewinn auf eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse als Mitunternehmerin der Personengesellschaft entfällt. In den übrigen Fällen finden § 3 Nr. 40 EStG sowie § 3c EStG Anwendung. Im Falle eines Übernahmegewinns ist aus der Sicht des beteiligten Steuerausländers zu prüfen, ob derselbe in Deutschland sachlich steuerpflichtig ist. § 49 EStG führt den Übernahmegewinn nicht ausdrücklich auf. Die Anwendung von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG scheidet auch dann aus, wenn die übernehmende Personengesellschaft eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte im Inland haben sollte: Der Übernahmegewinn entsteht erst mit der Umwandlung und nicht durch die inländische Betriebsstätte. Es ist allerdings die Anwendung von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG denkbar, wenn man unter die Vorschrift alle Einkünfte fasst, die unter den Voraussetzungen des § 17 EStG erzielt werden und den Übernahmegewinn i.S.d. § 4 Abs. 4 UmwStG wegen § 5 Abs. 2 UmwStG dazu zählt.1 In diesem Fall ist zu prüfen, ob der Übernahmegewinn in Deutschland steuerbefreit ist. Dies wird die Regel sein, wenn Deutschland mit dem Ansässigkeitsstaat des ausländischen Gesellschafters ein DBA abgeschlossen hat, das eine dem Art. 13 Abs. 5 OECD-MA entsprechende Vorschrift enthält.

II. Verschmelzung einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit inländischer Betriebsstätte 10.29 Verschmelzung auf ausländische Personengesellschaft. Wird eine ausländische Kapitalgesellschaft auf eine ausländische Personengesellschaft verschmolzen, so beurteilen sich die Rechtsfolgen dieser Umwandlung nach dem einschlägigen ausländischen Gesellschaftsrecht. Soweit die ausländische Kapitalgesellschaft im Inland eine Betriebsstätte unterhält, ist allerdings inländisches Steuerrecht berührt. Die im inländischen Betriebsstättenvermögen enthaltenen stillen Reserven müssen grundsätzlich aufgedeckt werden, da die Auslandsverschmelzung zu einem Rechtsträgerwechsel führt, der nach allgemeinen Grundsätzen eine Realisierung der stillen Reserven und somit inländische Besteuerung nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 a EStG nach sich zieht.2 Aus der Sicht der Gesellschafter der ausländischen Kapitalgesellschaft wird der Tatbestand des § 17 Abs. 4 EStG realisiert. Im Inland steuerpflichtig sind insoweit allerdings nur inländische Gesellschafter, es sei denn, es hält ein ausländischer Gesellschafter die Anteile in einem inländischen Betriebsvermögen. Ist ein inländischer Gesellschafter körperschaftsteuerpflichtig, so ist § 8b Abs. 2 und 5 KStG anzuwenden.

10.30 Verschmelzung innerhalb des EU/EWR-Raums. Handelt es sich um eine Verschmelzung innerhalb der EU, sind §§ 3 ff. UmwStG anzuwenden, wenn die ausländische Verschmelzung mit einer Verschmelzung in Deutschland vergleichbar im oben definierten Sinne ist. In der Regel werden die Voraussetzungen für eine Buchwertfortführung, also insbesondere § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG, erfüllt sein, unabhängig davon, ob ein DBA eingreift oder nicht.3

10.31 Verschmelzung innerhalb eines Drittstaats. Vollzieht sich die Verschmelzung in einem Drittstaat, können die Vorschriften des deutschen UmwStG nicht angewendet werden. Eine 1 Widmann in FS Wassermeyer, S. 581 ff. 2 Henkel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 10.93 i.V.m. 10.8. 3 Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.149.

596

Weidmann

D. Umwandlungsvorgänge mit inländischen Betriebsstätten

Rz. 10.35 Kap. 10

Ausnahme von der Besteuerung könnte nach § 12 KStG eingreifen. Wortlaut und systematische Stellung des § 12 Abs. 2 KStG lassen eine Anwendung schwierig erscheinen.1

III. Formwechsel einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit inländischer Betriebsstätte in eine ausländische Personengesellschaft Unklare Rechtslage. Zunächst geht es um die Frage, ob der Formwechsel eine identitätswahrende Umwandlung ist. Dies beurteilt sich nach dem ausländischen Umwandlungsrecht. Ist die Frage zu verneinen, so ist von einem Vermögensübergang und damit von einer Veräußerung im Sinne des deutschen Steuerrechts auszugehen. Ist die Frage zu bejahen, so liegt ein mit einer Umwandlung nach § 190 ff. UmwG vergleichbarer Vorgang vor.2 Abweichend von den zivilrechtlichen Wertungen im UmwG ist für deutschertragsteuerliche Zwecke auch für den Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft und umgekehrt aus Sicht der Finanzverwaltung von einer Veräußerung auszugehen.3 Grundsätzlich sind die steuerlichen Vorschriften des ausländischen Staats relevant. Da vorliegend eine inländische Betriebsstätte unterstellt wurde, ist deutsches Steuerrecht anwendbar. Fraglich ist die Rechtsgrundlage für eine Gewinnrealisierung auf der Ebene der umzuwandelnden ausländischen Kapitalgesellschaft.

10.32

Formwechsel innerhalb des EU/EWR-Raums. Wird eine EU/EWR-Kapitalgesellschaft umgewandelt, findet die Fiktion der Gewinnrealisierung zum gemeinen Wert Anwendung (§§ 1 Abs. 1 Nr. 2 UmwStG, 3 UmwStG und 9 UmwStG). Eine Rechtsgrundlage für die Aufdeckung der stillen Reserven ist somit vorhanden.

10.33

Formwechsel innerhalb eines Drittstaats. Handelt es sich hingegen um eine Kapitalgesellschaft in einem Drittstaat, ist das UmwStG nicht anzuwenden. Die Gewinnrealisierung kann sich nur aus den allgemeinen Regeln ergeben. Da beim Formwechsel aufgrund der Kontinuität der Rechtsträger kein entgeltlicher Rechtsträgerwechsel vorliegt, wird vertreten, dass keine Gewinnrealisierung vorliege.4 Andererseits wird auch die gegenteilige Auffassung vertreten.5

10.34

IV. Verschmelzung einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit inländischer Betriebsstätte auf eine andere ausländische Kapitalgesellschaft § 12 Abs. 2 Satz 1 KStG. Werden zwei ausländische Kapitalgesellschaften miteinander oder aufeinander verschmolzen, so beurteilt sich der Verschmelzungsvorgang grundsätzlich nach ausländischem Umwandlungsrecht. Übertragungs- und Übernahmegewinn fallen im Ausland an. Nur dann, wenn eine übertragende Gesellschaft über eine inländische Betriebsstätte verfügt und der ausländische Verschmelzungsvorgang mit einem solchen nach § 2 UmwG vergleichbar ist (u.a. Vermögensübertragung als Ganzes), kommt die Anwendung des § 12 Abs. 2 Satz 1 KStG in Betracht, wenn sich die Körperschaften im selben ausländischen Staat befinden. Ist sichergestellt, dass die übergehenden Wirtschaftsgüter später bei der übernehmenden 1 Henkel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 10.95. 2 Tz. 01.39 UmwStE. 3 Tz. 00.02 UmwStE unter Verweis auf BFH v. 19.10.2005 – I R 38/04, BStBl. II 2006, 568 = FR 2006, 474 m. Anm. Kempermann. 4 Henkel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 10.168. 5 Siehe Vorauflage Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 17.212 m.w.N.

Weidmann 597

10.35

Kap. 10 Rz. 10.36

Umwandlungen

Körperschaft der Besteuerung mit Körperschaftsteuer unterliegen, dass das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung der übertragenen Wirtschaftsgüter bei der übernehmenden Körperschaft nicht beschränkt wird, dass eine Gegenleistung nicht gewährt wird oder in Gesellschaftsrechten besteht und dass der übernehmende und der übertragende Rechtsträger nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 und 2 des UmwStG vom 7.12.2006 (BGBl. I 2006, 2782, 2791) in der jeweils geltenden Fassung erfüllen, so kann abweichend von § 12 Abs. 1 KStG gem. § 12 Abs. 2 Satz 1 KStG der Buchwert angesetzt werden.

E. Umwandlungsvorgänge mit ausländischen Betriebsstätten I. Verschmelzung von inländischen Kapitalgesellschaften mit ausländischen Betriebsstätten 10.36 Verschmelzungen zweier unbeschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaften. Verschmelzungen von zwei inländischen Kapitalgesellschaften sind unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG steuerneutral möglich. Danach muss sichergestellt sein, dass die übergehenden Wirtschaftsgüter später bei der übernehmenden Körperschaft der Besteuerung mit Körperschaftsteuer unterliegen, das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter bei der übernehmenden Körperschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird und eine Gegenleistung nicht gewährt wird oder in Gesellschaftsrechten besteht. Ein Ausschluss liegt vor, wenn das Besteuerungsrecht z.B. durch Anwendung der Freistellungsmethode vollständig entfällt. Eine Beschränkung ist gegeben, wenn ein vor der Verschmelzung gegebenes Besteuerungsrecht mit der Verschmelzung eingeschränkt wird, also z.B. durch Anwendung der Anrechnungsmethode.1 Befindet sich die ausländische Betriebsstätte in einem DBA-Staat mit Freistellungsmethode, hatte Deutschland vor der Verschmelzung ohnehin schon kein Besteuerungsrecht. Es kann mithin nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden.2 Befindet sich die ausländische Betriebsstätte in einem Nicht-DBA-Staat oder einem DBA-Staat mit Anrechnungsmethode, besteht zwar vor der Verschmelzung ein Besteuerungsrecht. Wird das Vermögen aber keinem anderen Betriebsstättenregime zugewiesen, so entsteht mit der Verschmelzung jedenfalls keine zusätzliche Beschränkung.3 Soweit bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft ein Gewinn (oder ein Verlust) entsteht, bleibt dieser regelmäßig im Inland außer Ansatz (§ 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG).4

II. Spaltung von inländischen Kapitalgesellschaften mit ausländischen Betriebsstätten 10.37 Teilbetriebsvoraussetzung bei Abspaltung. Wird eine inländische Kapitalgesellschaft, die über eine ausländische Betriebsstätte verfügt, gespalten, so setzt die Möglichkeit zur Buchwertfortführung voraus, dass auf die Übernehmerinnen ein Teilbetrieb übertragen wird und im Fall der Abspaltung oder Teilübertragung bei der übertragenden Körperschaft ein Teilbetrieb verbleibt (§ 15 Abs. 1 Satz 2 UmwStG). Als Teilbetrieb gilt auch ein Mitunternehmeranteil oder die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, die das gesamte Nennkapital der Gesellschaft um1 2 3 4

Henkel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 10.104. Tz. 11.09 i.V.m. Tz. 03.19 UmwStE. Henkel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 10.106. Zur Ebene der Anteilseigner vgl. Henkel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 10.110 f.

598

Weidmann

F. Speziell: gewerblich tätige Personen- und Kapitalgesellschaften

Rz. 10.40 Kap. 10

fasst (§ 15 Abs. 1 Satz 3 UmwStG). In diesem Zusammenhang ist auf das neue (europäisch geprägte) Teilbetriebsverständnis des UmwStE hinzuweisen. Teilbetrieb i.S.d. § 15 UmwStG ist nach der Auffassung der Finanzverwaltung die Gesamtheit der in einem Unternehmensteil einer Gesellschaft vorhandenen aktiven und passiven Wirtschaftsgüter, die in organisatorischer Hinsicht einen selbstständigen Betrieb, d.h. eine aus eigenen Mitteln funktionsfähige Einheit darstellen (Art. 2 Buchst. j Richtlinie 2009/133/EG).1 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so steht einer steuerneutralen Abspaltung nicht entgegen, dass zu dem Teilbetrieb auch eine ausländische Betriebsstätte gehört bzw. dass der Teilbetrieb aus einer ausländischen Betriebsstätte besteht. Auch insoweit gilt, dass sich die Sicherstellung der späteren Besteuerung vorhandener stiller Reserven nur auf diejenigen bezieht, die zum steuerlichen Übertragungsstichtag einem deutschen Besteuerungsanspruch unterworfen sind. Ist an der zu spaltenden Kapitalgesellschaft ein Steuerausländer beteiligt, so ist dies nur insoweit steuerrechtlich von Bedeutung, als eine steuerliche Verhaftung der Anteile mit der Spaltung wegfallen sollte. Nachdem jedoch die Beteiligungsgrenze des § 17 Abs. 1 EStG auf 1 % abgesenkt wurde, sollte dieser Fall keine praktische Bedeutung haben, zumal im Regelfall das Besteuerungsrecht ohnehin ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat des ausländischen Gesellschafters zusteht (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA).

F. Speziell: gewerblich tätige Personen- und Kapitalgesellschaften I. Personengesellschaft als Einbringungsobjekt Einbringung einer inländischen Personengesellschaft mit in- oder ausländischer Betriebsstätte in eine inländische Kapitalgesellschaft. Wird das gesamte Vermögen einer inländischen Personengesellschaft nach § 20 UmwStG in eine inländische Kapitalgesellschaft eingebracht, so findet die Vorschrift auch auf das gesamte ausländische Betriebsstättenvermögen Anwendung. Die aufnehmende Kapitalgesellschaft hat das eingebrachte Vermögen zwingend mit seinem Teilwert anzusetzen, es sei denn, § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG greift. Unbeschadet dessen ist bei einem einbringenden ausländischen Gesellschafter allerdings zu prüfen, ob nicht der ausländische Wohnsitzstaat hinsichtlich des inländischen Betriebsvermögens eine die stillen Reserven realisierende tauschähnliche Veräußerung annimmt und welchem Staat das Besteuerungsrecht hierfür zusteht.

10.38

Einbringung einer ausländischen Personengesellschaft mit in- oder ausländischer Betriebsstätte in eine inländische Kapitalgesellschaft. Wird eine ausländische Personengesellschaft nach § 20 UmwStG in eine inländische Kapitalgesellschaft eingebracht, so findet die Vorschrift auf das gesamte Betriebsvermögen einschließlich des inländischen Betriebsstättenvermögens Anwendung. Besteht ein DBA, so liegt das Besteuerungsrecht für das ausländische Betriebsstättenvermögen regelmäßig bei dem ausländischen Quellenstaat. Bei einem einbringenden ausländischen Gesellschafter ist zu prüfen, ob der ausländische Wohnsitzstaat hinsichtlich des inländischen Betriebsstättenvermögens eine die stillen Reserven realisierende tauschähnliche Veräußerung annimmt und welchem Staat das Besteuerungsrecht hierfür zusteht.

10.39

Einbringung einer ausländischen Personengesellschaft mit inländischer und ausländischer Betriebsstätte in eine ausländische Kapitalgesellschaft. Grundsätzlich löst die Einbringung einer ausländischen Personengesellschaft mit inländischer Betriebsstätte in eine ausländische Kapitalgesellschaft einen Veräußerungsgewinn aus, für den zu prüfen ist, ob er

10.40

1 Tz. 15.02 UmwStE.

Weidmann 599

Kap. 10 Rz. 10.41

Umwandlungen

im Inland steuerpflichtig ist. Ist der einbringende Gesellschafter unbeschränkt steuerpflichtig, so ist der Einbringungsgewinn unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung des Welteinkommens im Inland steuerpflichtig. Möglicherweise ist nach einem DBA im Inland eine Steuerbefreiung zu gewähren, soweit der Einbringungsgewinn auf ausländisches Betriebsstättenvermögen entfällt. Der auf die inländische Betriebsstätte entfallende Einbringungsgewinn bleibt im Inland steuerpflichtig.

10.41 Formwechsel/Abspaltung einer inländischen Personengesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte in eine inländische Kapitalgesellschaft. Wird die inländische Personengesellschaft in eine inländische Kapitalgesellschaft formgewechselt, so findet wegen § 25 Satz 1 UmwStG § 20 UmwStG entsprechende Anwendung. Der Vorgang wird so behandelt, als brächten die Gesellschafter der Personengesellschaft ihre Mitunternehmeranteile in die Kapitalgesellschaft ein. Die den Mitunternehmeranteil übernehmende Kapitalgesellschaft kann denselben mit seinem Teilwert, seinem Buchwert oder einem Zwischenwert bewerten, wenn die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG erfüllt sind. Der Wertansatz gilt für den einbringenden Steuerausländer als Veräußerungspreis und als Anschaffungskosten der Gesellschaftsanteile (§ 20 Abs. 3 Satz 1 UmwStG). Bei der Buchwert- und bei der Zwischenwerteinbringung ist die siebenjährige Sperrfrist des § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG zu beachten. Sie stellt auf die Veräußerung der neu ausgegebenen Gesellschaftsrechte durch die einbringende Person innerhalb von sieben Jahren nach der Einbringung ab. Zu beachten sind § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und e EStG einerseits und die Vorschriften des jeweils einschlägigen DBA andererseits.

10.42 Einbringung von Anteilen an einer Personengesellschaft in eine Personengesellschaft. Es kommt die Anwendung von § 6 Abs. 3 EStG und § 24 UmwStG in Betracht. Beide Vorschriften sind gleichermaßen auf ausländische Personengesellschaften sowie auf Anteile an ausländischen Personengesellschaften anwendbar. Allerdings ist stets nach dem einschlägigen DBA zu prüfen, welchem Vertragsstaat das Besteuerungsrecht zusteht. Insbesondere bezüglich der Zuordnung sog. Sondervergütungen bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen der Rechtsprechung einerseits und der Finanzverwaltung andererseits. Die Finanzverwaltung geht prinzipiell davon aus, dass § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch auf das Abkommensrecht durchschlägt.1 Der BFH verneint dies jedoch grundsätzlich.2 Eine Auflösung dieses Widerspruchs scheint bislang noch nicht in Sicht.3

10.43 Umwandlung ausländischer Personengesellschaften. Wird eine ausländische Personengesellschaft nach ausländischem Recht umgewandelt, so prüft Deutschland, ob es einen 1 Die Auffassung der Finanzverwaltung ergibt sich im Wesentlichen aus dem BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354, geändert durch das BMF v. 26.9.2014 – IV B 5-S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258 und dem sog. Rückfallklauselschreiben BMF v. 20.6.2013 – IV B 2-S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980. 2 Die Auffassung des BFH lässt sich im Wesentlichen den BFH-Entscheidungen v. 28.4.2010 – I R 81/09, FR 2010, 903 m. Anm. Buciek = BFH/NV 2010, 1550; v. 19.5.2010 – I B 191/09, BFH/NV 2010, 1554; v. 8.9.2010 – I R 74/09, FR 2011, 179 m. Anm. Mitschke = BFH/NV 2011, 138; v. 8.9.2010 – I R 74/09, BStBl. II 2014, 788 = FR 2011, 179 m. Anm. Mitschke; v. 27.8.1997 – I R 127/95, BStBl. II 1998, 58 = FR 1998, 169; v. 19.12.2013 – I B 109/13, ISR 2014, 124 m. Anm. Kempermann = FR 2014, 575 = BFH/NV 2014, 623; v. 20.8.2014 – I R 86/13, BStBl. II 2015, 18 = FR 2015, 86 m. Anm. Mitschke = ISR 2014, 377 m. Anm. Quilitzsch entnehmen. 3 Wolff in FS Wassermeyer, S. 647 ff.; Kluge in FS Wassermeyer, S. 663 ff.; Schmidt, DStR 2010, 2436 ff.; Schmidt, IStR 2008, 290 ff.; Wassermeyer, IStR 2010, 37 ff.

600

Weidmann

F. Speziell: gewerblich tätige Personen- und Kapitalgesellschaften

Rz. 10.45 Kap. 10

tauschähnlichen Veräußerungsvorgang annimmt. Bejahendenfalls ist außerdem zu prüfen, ob Deutschland nach dem einschlägigen DBA ein Besteuerungsrecht auf den Gewinn aus dem tauschähnlichen Veräußerungsvorgang zusteht. Dies ist eine Frage der Anwendung des Methodenartikels. Ein Besteuerungsrecht Deutschlands kann sich insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer Aktivitätsklausel in dem einschlägigen DBA ergeben. Wird eine ausländische Personengesellschaft nach ausländischem Recht unter Beibehaltung einer inländischen Betriebsstätte umgewandelt, so findet § 20 UmwStG auf diesen Vorgang Anwendung, wenn die Übernehmerin eine Kapitalgesellschaft ist, die Umwandlung sich im EU/EWRRaum vollzieht und nach § 1 Abs. 4 UmwStG insbesondere das deutsche Besteuerungsrecht bezogen auf die nach der Umwandlung vorliegenden Geschäftsanteile an der GmbH weder ausgeschlossen noch beschränkt ist. Die Vorschrift findet auch auf das im Ausland belegene Stammhausvermögen Anwendung. Unbeschadet dessen ist zu prüfen, ob nicht das Ausland hinsichtlich des ausländischen Stammhausvermögens eine die stillen Reserven realisierende tauschähnliche Veräußerung annimmt. Nach § 22 Abs. 1 Sätze 1 und 6 UmwStG ist weiter zu beachten, dass es innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist nicht zu einer Veräußerung oder einer anderen schädlichen Verfügung die Geschäftsanteile der GmbH betreffend kommt.1

II. Kapitalgesellschaft als übertragene Gesellschaft Verschmelzung inländischer Kapitalgesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte auf inländische Personengesellschaft. Wird eine inländische Kapitalgesellschaft auf eine inländische Personengesellschaft verschmolzen, so kommt im Inland die Buchwertverküpfung gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 UmwStG auch bezogen auf das ausländische Betriebsstättenvermögen in Betracht. In diesem Fall ist zu prüfen, ob nicht der ausländische Betriebsstättenstaat eine Realisierung der dortigen stillen Reserven annimmt. Wird zu Buchwerten verschmolzen, so kann bei der übertragenden Kapitalgesellschaft kein Übertragungsgewinn entstehen. Das zu übertragende Vermögen kann ebenso zu seinem Teilwert oder zu einem Zwischenwert bewertet werden. In diesem Fall kann ein Übertragungsgewinn entstehen, der körperschaft- und gewerbesteuerpflichtig ist, soweit keine Befreiungsvorschrift eingreift. Bei der Personengesellschaft kann ein Übernahmegewinn oder -verlust entstehen. Übernahmegewinn und auch -verlust bleiben außer Ansatz (§ 4 Abs. 6 UmwStG). Die Besteuerung des ausländischen Gesellschafters hängt davon ab, ob seine Beteiligung eine solche i.S.d. § 17 EStG ist und ob er sie in einem ausländischen Betriebsvermögen hält. Sind die Voraussetzungen des § 17 EStG nicht erfüllt oder hält der ausländische Gesellschafter die Beteiligung in einem ausländischen Betriebsvermögen, so hat Deutschland kein Besteuerungsrecht. Hält der ausländische Gesellschafter die Beteiligung in einem inländischen Betriebsvermögen, so hat Deutschland ein Besteuerungsrecht gem. Art. 10 Abs. 4 OECD-MA. § 5 Abs. 3 UmwStG findet Anwendung. Hält der ausländische Gesellschafter die Beteiligung in seinem Privatvermögen, so greift § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.V.m. § 5 Abs. 2 UmwStG ein. Für diesen Fall sollte Art. 13 Abs. 5 OECD-MA die Anwendung von § 5 Abs. 2 und 3 UmwStG verdrängen.

10.44

Formwechsel/Abspaltung der inländischen Kapitalgesellschaft in eine inländische Personengesellschaft. Bei der Umwandlung einer inländischen Kapitalgesellschaft in eine inländische Personengesellschaft finden die §§ 3 bis 8 UmwStG Anwendung. Der Fall ist wie die Verschmelzung einer inländischen Kapitalgesellschaft auf eine inländische Personengesellschaft zu beurteilen.

10.45

1 Sterner in Prinz, Umwandlungen im internationalen Steuerrecht, Rz. 7.265.

Weidmann 601

Kapitel 11 Sonderfälle A. Gewinn einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte I. Begriffliches. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.1

V. Zuordnung von Wirtschaftsgütern

11.19

VI. Gewinnlose Geschäftsleitungsbetriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.20

II. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . .

11.5

III. Zuordnung von Aufwendungen . . .

11.10

IV. Zuordnung der Erlöse . . . . . . . . . . .

11.14

I. Begriffliches 11.1 Zu behandelnde Fragen. Die Geschäftsleitung ist ein zentraler steuerrechtlicher Begriff, der in § 10 AO als „Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung“ definiert wird. Der Begriff kann Auswirkungen auf die persönliche Steuerpflicht (§§ 1 und 2 KStG), auf die Existenz inländischer Einkünfte (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und Nr. 3 EStG), auf die Zerlegung der KSt und GewSt, auf die Anerkennung eines Unternehmens als Organträger und auf die Finanzamtszuständigkeit (§§ 18 ff. AO) haben. Wegen der Abgrenzung der Geschäftsleitungsbetriebsstätte von anderen Betriebsstätten wird auf die Ausführungen im Kapitel 2 verwiesen. Hier wird lediglich erörtert, wann und unter welchen Voraussetzungen einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte ein anteiliger Erfolgsbeitrag zugeordnet werden kann, wie die innerhalb einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte anfallenden Aufwendungen zuzuordnen sind und welchen Einfluss die Zentralfunktion einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte auf die Zuordnung bestimmter Wirtschaftsgüter haben kann. Die Begriffe „Geschäftsführungs-“ und „Geschäftsleitungsbetriebsstätte“ werden hier synonym verwendet. Es wird angenommen, dass „Geschäftsführungs-“ und „Geschäftsleitungsbetriebsstätten“ sowohl Stätten der Geschäftsleitung i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 1 AO als auch Orte der Leitung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA sind.

11.2 Abgrenzungsfragen. Begründet ein körperschaftsteuerpflichtiges Unternehmen im Inland eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte, so löst dies in der Regel die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht des Unternehmens im Inland aus. Begründet dagegen ein ausländisches körperschaftsteuerpflichtiges Unternehmen im Inland nur eine „normale“ Betriebsstätte, so hat dies lediglich die beschränkte Körperschaftsteuerpflicht des Unternehmens zur Folge. Insoweit kann die Abgrenzung große Bedeutung haben. Für Mitunternehmerschaften muss die Abgrenzung zwar auch vorgenommen werden. Sie wirkt sich aber nicht auf die persönliche Steuerpflicht der Mitunternehmer aus. Dies gilt auch dann, wenn der Mitunternehmer eine körperschaftsteuerpflichtige Person ist. Was die Abgrenzung zwischen der Wahrnehmung von Gesellschafterrechten und der Ausübung der Geschäftsleitung anbelangt, so wird keine Betriebsstätte dadurch begründet, dass ein (beherrschender) Gesellschafter seine im Gesellschaftsvertrag bzw. im Gesetz verankerten Rechte wahrnimmt. Es ist auch unschädlich, wenn der (beherrschende) Gesellschafter über seine Beteiligung hinaus finanzielle Mittel in Form von Darlehen oder Kapitalrücklagen gewährt. Kritisch wird es, wenn der (beherrschende) Gesellschafter in den gewöhnlichen Geschäftsverkehr nicht nur hineinredet, sondern die Abwicklung der laufenden Geschäfte maßgeblich beeinflusst. Als Abgrenzungskriterium kann man 602

Wassermeyer

A. Gewinn einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte

Rz. 11.4 Kap. 11

die Frage heranziehen, ob der (beherrschende) Gesellschafter wie ein Aufsichtsrat (= unschädlich) oder wie ein Vorstand (= schädlich) tätig wird. Die schädliche Tätigkeit wie ein Vorstand muss eine dauerhafte sein. Sie muss nachhaltig an einem bestimmten Ort ausgeübt werden und sich auf alle Tätigkeitsgebiete des Unternehmens von Gewicht beziehen. Nur gelegentlich ausgeübte Tätigkeiten begründen keine Geschäftsleistungsbetriebsstätte. „Dienstreisen“ zu anderen Betriebsstätten sind idR der Betriebsstätte zuzuordnen, von der aus der Dienstreisende regelmäßig tätig wird. Feste Einrichtung und Geschäftsleitung. Der BFH vertritt in ständiger und zutreffender Rechtsprechung1 die Auffassung, dass jedem Betrieb eine sog. Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen ist. Dabei kann es sich um eine feste Geschäftseinrichtung i.S.d. § 12 Satz 1 AO handeln. Das Beispiel eines hauptberuflichen Tennisspielers, der im Jahr viele Wochen lang von Turnier zu Turnier reist und sich nur in den restlichen Wochen in seiner Wohnung aufhält, um von dort aus alle mit seiner hauptberuflichen Tätigkeit zusammenhängenden Aufgaben zu erledigen, zeigt vor dem Hintergrund des Beschlusses des BFH vom 27.7.2015,2 dass Geschäftsleitung und eine als Betriebsvermögen zu qualifizierende feste Einrichtung zweierlei sein können. Der BFH versteht deshalb § 12 Satz 2 Nr. 1 AO als eine definitorische Erweiterung des § 12 Satz 1 AO.3 Gleiches gilt für die Regelung in § 12 Satz 2 Nr. 8 AO. Man muss die Rechtsprechung vor dem Hintergrund sehen, dass andernfalls die Zuordnung von gewerblichen Einkünften zu einer Betriebsstätte fragwürdig ist, was auch das Tennisspielerbeispiel belegt. Gewinnermittlungsmäßig bedeutet dies, dass die Wohnungseinrichtung des Tennisspielers idR nicht als Betriebsvermögen zu qualifizieren ist, selbst wenn sie auch zur Erzielung von Einkünften genutzt wird. Es ist also denkbar, dass in der Geschäftsleitungsbetriebsstätte abgestellte Wirtschaftsgüter kein Betriebsvermögen bilden. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die auf Turnieren im Ausland aufgrund der dort ausgeübten Tätigkeiten erzielten Einkünfte des Tennisspielers seiner inländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte zugeordnet und der Gewerbesteuer unterworfen werden. Der im Inland ansässige Tennisspieler könnte natürlich auch die Geschäftsleitung auf einen im Ausland ansässigen „Berater“ mit der Folge übertragen, dass es an einer inländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte fehlt. Sollte der Tennisspieler im Ausland ansässig sein und Einkünfte aus einem Turnier im Inland erzielen, so wären die Einkünfte ggf. seiner ausländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen, was die Qualifizierung als inländische Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG nicht ausschließt.

11.3

Besonderheiten im Konzern. Es gibt Betriebsstätten, die ausschließlich die Geschäftsleitung betreiben. Es gibt ebenso Betriebsstätten, die die Geschäftsleitung neben einer sonstigen betrieblichen Tätigkeit erledigen. Es gibt Betriebsstätten, in denen die Geschäftsleitung für einen bestimmten sachlichen oder geografischen Teilbereich des Unternehmens ausgeübt wird. Außerdem gibt es Kontroll- und Koordinationsstellen bzw. Repräsentanz- und Verbindungsbüros, in denen vielfach sachlich eingeschränkte Geschäftsleitungsaufgaben wahrgenommen werden. In der Regel reicht beides zur Begründung einer Geschäftsleitung nicht aus. Speziell

11.4

1 BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356 = FR 2008, 729; v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398 = FR 2008, 920; v. 14.5.2014 – VIII R 18/11, BStBl. II 2015, 128 = FR 2015, 374 m. Anm. Kanzler. 2 BFH v. 27.7.2015 – GrS 1/14, BStBl. II 2016, 265 = BFHE 251, 408 = FR 2016, 314 m. Anm. Kempermann. 3 Zustimmend Wassermeyer in FS Kruse, Köln 2001, 589; Wassermeyer, IStR 2004, 676; Wassermeyer, IStR 2011, 85, FG Münster v. 20.7.2011 – 7 K 77/11 StB, DStR 2011, 2115 m. Anm. Haase/Dorn; a.A. Kramer, IStR 2004, 672; Kramer, IStR 2014, 21; Kramer, IStR 2016, 499; Kramer, DB 2011, 1882.

Wassermeyer 603

Kap. 11 Rz. 11.5

Sonderfälle

im Konzern besteht die Möglichkeit, dass ein Unternehmen die Aufgaben eines anderen Unternehmens an sich zieht und de facto ausübt. Nach der Auffassung des BFH1 kann eine nur vertraglich eingeschaltete Managementgesellschaft eine Betriebsstätte des Auftraggebers begründen. Die Betriebsstätte kann auch als Geschäftsleitung mit Konsequenzen bei der unbeschränkten Steuerpflicht des Auftraggebers zu behandeln sein. Insbesondere Kontrollund Koordinationsstellen bzw. Repräsentanz- und Verbindungsbüros sind idR nur einfache Betriebsstätten, die allenfalls eine beschränkte Steuerpflicht im Betriebsstättenstaat zu begründen geeignet sind. Im Einzelfall kann eine entsprechende Betriebsstätte auch von einem Vertreter betrieben werden. Geschäftsleitungsbetriebsstätten können auch durch Umstrukturierungen (Verschmelzungen, joint ventures) entstehen.2 Der Beitrag, den die Geschäftsleitung zu dem Unternehmensgewinn beistellt, kann positiv oder negativ sein. Insbesondere können Unternehmensverluste auf Fehler in der Geschäftsleitung zurückzuführen sein. Schließlich kann die Managemententlohnung ein Sonderproblem darstellen, wenn sie zwar erfolgsabhängig, jedoch ohne Bezug auf einzelne Geschäftsvorfälle durchgeführt wird. Dies gilt z.B. für Gewinntantiemen und andere erfolgsabhängige Vergütungen. Auszugehen ist im Übrigen von dem Grundsatz, dass der Geschäftsleitungsbetriebsstätte der gesamte Unternehmensgewinn zuzuordnen ist, falls das Unternehmen über keine weitere Betriebsstätte verfügen sollte.

II. Allgemeine Grundsätze 11.5 Bedeutung des § 1 Abs. 1 und 5 AStG. Nach § 1 Abs. 1 AStG muss ein Steuerpflichtiger, der Geschäftsbeziehungen zum Ausland mit einer ihm nahestehenden Person unterhält, seine Leistungen steuerrechtlich zum Fremdvergleichspreis abrechnen. Bei grenzüberschreitenden Leistungen im Konzern bedeutet dies auch, dass die Leistungen zwischen den Konzernunternehmen immer als solche der Person anzusehen sind, die sie erbringt. Die Leistung begründet keine Betriebsstätte des Leistungsempfängers im Inland. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann nur dann gelten, wenn ein Steuerinländer die Geschäftsleitung eines ausländischen Unternehmens übernimmt und die entsprechende Tätigkeit im Inland ausübt. § 1 Abs. 5 AStG regelt die Grundsätze, nach denen der Gewinn zwischen einem inländischen Unternehmen und seinen ausländischen Betriebsstätten bzw. einem ausländischen Unternehmen und seinen inländischen Betriebsstätten abzugrenzen ist (vgl. Rz. 11.9). Die Vorschrift ist unabhängig davon anwendbar, ob ein DBA Anwendung findet. Allerdings kann die Anwendung des § 1 Abs. 5 Sätze 1–7 AStG unter den Voraussetzungen des Satzes 8 eingeschränkt sein. Die Vorschrift findet auch keine Anwendung, wenn bestimmte Einrichtungen z.B. aus Gründen des Art. 5 Abs. 3 oder 4 MA nicht als Betriebsstätte zu behandeln sind. § 1 Abs. 5 AStG wird durch die BsGaV3 ergänzt. In der BsGaV werden die Vorschläge im Authorised OECD Approach (AOA) in innerstaatliches Recht umgesetzt (vgl. Rz. 4.30 ff. und 6.115 ff.).

11.6 Betriebsstätte einer Mitunternehmerschaft. Jede einen Gewinn erzielende Mitunternehmerschaft besitzt zwangsläufig eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte, die allen Mitunternehmern anteilig zugerechnet wird. Unterhält eine Mitunternehmerschaft außerdem grenzüberschreitend eine Betriebsstätte, so wird dieselbe ebenfalls allen Mitunternehmern anteilig zugerechnet. Die Existenz einer entsprechenden Betriebsstätte beurteilt sich nach allgemei1 Vgl. BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, BStBl. II 2014, 764 = FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl. 2 Vgl. Sieker, Geschäftsleitungsbetriebsstätten bei internationalen Konzernen, 85 ff. (87 f.). 3 Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) v. 13.10.2014, BStBl. I 2014, 1378, zuletzt geändert durch Art. 5 Verordnung v. 12.7.2017, BGBl. I 2017, 2360.

604

Wassermeyer

A. Gewinn einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte

Rz. 11.7 Kap. 11

nen Kriterien, wobei auf die von der Mitunternehmerschaft ausgeübten Funktionen abzustellen ist. Ohne Bedeutung ist dabei die Frage, ob Mitunternehmer im Betriebsstättenstaat der Mitunternehmerschaft unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig sind. Es ist das gesamte Vermögen der Mitunternehmerschaft zwischen den Betriebsstätten aufzuteilen. Dies schließt Vermögen i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 und/oder 2 EStG ein. Nach der hier vertretenen Auffassung gilt dies auch für Sonderbetriebsvermögen eines Mitunternehmers. Insoweit stellt sich nur die Frage, ob das Sonderbetriebsvermögen einer Betriebsstätte der Mitunternehmerschaft oder aber einer Betriebsstätte des Mitunternehmers zuzuordnen ist. Diese Frage wird in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht gesetzlich geregelt. Sie ist deshalb nach allgemeinen Grundsätzen zu beantworten. Danach hängt die Zuordnung von den Umständen des Einzelfalls ab. Es kommt darauf an, ob der Mitunternehmer selbst unternehmerisch tätig wird und ob das Sonderbetriebsvermögen dieser Tätigkeit untergeordnet ist. Insbesondere dann, wenn der Mitunternehmer eine Körperschaft i.S.d. § 1 KStG ist, liegt es nahe, deren Sonderbetriebsvermögen einer Betriebsstätte der Körperschaft zuzuordnen. Die Finanzverwaltung ist in dieser Frage anderer Auffassung.1 Sie geht davon aus, dass sich die Zurechnung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unabhängig von § 1 Abs. 5 AStG vollzieht. Das Sonderbetriebsvermögen eines Mitunternehmers soll keiner Betriebsstätte der Mitunternehmerschaft zuzurechnen sein. Wäre diese Auffassung richtig, so könnten Sondervergütungen, die ein nur im Ausland ansässiger Mitunternehmer von seiner inländischen Mitunternehmerschaft erhält, keine inländischen Einkünfte begründen. Es würde dann an einer Erzielung der Sondervergütung durch eine inländische Betriebsstätte fehlen. Die Rechtsfrage muss auch unter dem Gesichtspunkt des „floating income“ gesehen werden (vgl. Rz. 11.7). Kein „floating income“. Der BFH geht in ständiger Rechtsprechung2 davon aus, dass es prinzipiell keine „betriebsstättenlosen“ gewerblichen Einkünfte („floating income“) gibt. Diese Aussage ist allerdings dahin einzuschränken, dass es im Bereich des § 15 Abs. 1 Nr. 3 und des § 17 EStG sehr wohl ausnahmsweise „betriebsstättenlose“ gewerbliche Einkünfte gibt. Außerdem gibt es nachträgliche gewerbliche Einkünfte i.S.d. § 24 Nr. 2 EStG, für die allenfalls ein Veranlassungszusammenhang zu einer ehemaligen Betriebsstätte festzustellen ist. Ähnlich kann es sich bei Aufwendungen verhalten, die in Vorbereitung auf den Beginn einer gewerblichen Tätigkeit anfallen. Der BFH rechnet auch Hinzurechnungsbeträge gem. § 10 Abs. 1 AStG keiner Betriebsstätte zu.3 Die Finanzbehörden der Länder haben darauf mit Nichtanwendungserlassen reagiert.4 Es ist eine Gesetzesänderung beabsichtigt.5 Im Übrigen ist jedoch der Rechtsprechung des BFH vorbehaltlos zuzustimmen. Dazu stelle man sich einen im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Handelsvertreter vor, der an seinem inländischen Wohnsitz ein Büro unterhält, jedoch im Übrigen seine Einkünfte als Folge einer umfangreichen Reisetätigkeit im In- und Ausland erzielt. Für diesen Handelsvertreter stellt sich die Frage, ob die Einkünfte aus der Reisetätigkeit dem Büro am Wohnsitz als Geschäftsleitungs1 Vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Tz. 1.2.1. 2 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398 = FR 2008, 920; v. 27.5.2009 – I R 86/07, BStBl. II 2010, 120; v. 8.9.2010 – I R 74/09, BFH/NV 2011, 138 = FR 2011, 179 m. Anm. Mitschke; v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; FG München v. 13.12.2010 – 7 K 1593/09, EFG 2011, 708; FG Düsseldorf v. 9.2.2006 – 14 K 7144/02, EFG 2006, 1065. 3 Vgl. BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BFH/NV 2015, 921 = FR 2015, 719 m. Anm. Klein = ISR 2015, 276 m. Anm. Quilitzsch. 4 Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 14.12.2015 – G 1425 - 65 - V B 4, IStR 2016, 215. 5 Vgl. Wassermeyer, IStR 2016, 517.

Wassermeyer 605

11.7

Kap. 11 Rz. 11.8

Sonderfälle

betriebsstätte zugeordnet werden können bzw. müssen. Wollte man diese Frage verneinen, so würden die entsprechenden Einkünfte nicht i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG durch einen im Inland betriebenen Gewerbebetrieb erzielt. Die Systematik des GewStG ging nicht mehr auf, weil § 9 Nr. 3 GewStG nur die Kürzung der Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um ausländische Betriebsstätteneinkünfte vorsieht. Das sog. „floating income“ lässt sich aber nicht unter § 9 Nr. 3 GewStG subsumieren, wenn man es nicht zumindest der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuordnet. Das Problem ist nicht nur ein gewerbesteuerrechtliches. Es taucht in gleicher Weise bei der Ermittlung der in- und ausländischen Einkünfte i.S.d. §§ 34d und 49 EStG auf und berührt außerdem den Bereich der Entstrickungsbesteuerung. Es betrifft damit nicht nur den Umfang der beschränkten Steuerpflicht, sondern ebenso die Bemessungsgrundlage für die Anrechnung ausländischer Steuern und den Progressionsvorbehalt sowie Fragen der fiktiven Gewinnrealisierung. Man muss ferner deutlich sehen, dass sich das „floating income“ von den ggf. verbleibenden Betriebsstätteneinkünften betragsmäßig kaum abgrenzen lässt. Vor allem in größeren Unternehmen gibt es viele Arten von Einkünften, die nicht unmittelbar auf die Tätigkeit innerhalb einer Betriebsstätte, sondern mehr z.B. auf das Halten von Vermögensanlagen zurückzuführen sind, was keine Tätigkeit in einer Betriebsstätte erfordert. Sollten diese Einkünfte alle aus der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer auszuscheiden sein, so ergäben sich hohe Steuerausfälle. Die Abgrenzung der inländischen Betriebsstätteneinkünfte von den übrigen wäre immer eine grobe Schätzung, die auf willkürlichen Unterstellungen beruht. Gerade deshalb ist die Erkenntnis von Bedeutung, dass allein Kramer1 nachhaltig die Existenz eines sog. „floating income“ befürwortet, ohne genau die Konsequenzen seiner Auffassung zu bedenken. Allerdings hat das BMF für bestimmte Inboundfälle in den sog. BS-VWG und anderen BMF-Schreiben2 eine ähnliche Rechtsauffassung vertreten. Dennoch wurde die o.g. BFH-Rechtsprechung im BStBl. II veröffentlicht. Damit sollte die entsprechende Verwaltungsauffassung überholt sein, die ohnehin nur auf einer fiskalischen Betrachtungsweise aufbaute und das Problem nicht als grundsätzliches behandelte. Im Übrigen wird auf die Ausführungen von Haase/Dorn3 und des Verfassers verwiesen, der die Auffassung Kramers schon immer verworfen hat.4

11.8 Zuordnung von Bruttobeträgen. Als Grundsatz gilt, dass nicht der Gewinn als Nettobetrag, sondern die Aufwendungen einerseits und die Erlöse (Vermögensmehrungen) andererseits als Bruttobeträge den Betriebsstätten zuzuordnen sind. Aufwendungen und Erlöse sind grundsätzlich getrennt voneinander zuzuordnen. Die Zuordnung hat sich am Veranlassungsprinzip zu orientieren. Die in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA enthaltene Fiktion der Selbständigkeit von Stammhaus und Betriebsstätte fand im deutschen innerstaatlichen Gewinnermittlungsrecht bis zum Inkrafttreten des AmtshilfeRLUmsG5 keine Rechtsgrundlage (vgl. Rz. 1.29, 1.32). Das deutsche innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht schöpfte die ihm durch das Abkommensrecht eröffneten Möglichkeiten bis 2012 einschließlich insoweit nicht aus. Das en-

1 Vgl. Kramer, IStR 2004, 672, IStR 2010, 239, DB 2011, 1882; Kramer in Lippross/Seibel (Hrsg.), Basiskommentar, § 2 AStG Rz. 14 ff. 2 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.2.3 (im Folgenden BS-VWG); v. 2.12.1994 – IV C 7 - S 1340 – 20/94, BStBl. I 1995, Sondernr. 1; v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernr. 1, 3. 3 Haase/Dorn, DB 2011, 2115. 4 Vgl. Wassermeyer, IStR 2004, 676; Wassermeyer, IStR 2010, 241. 5 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 (1826).

606

Wassermeyer

A. Gewinn einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte

Rz. 11.9 Kap. 11

gere innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht war vorrangig maßgebend.1 Entsprechend lösten „Dienstleistungen“ der Geschäftsleitungsbetriebsstätte an andere Betriebsstätten desselben Unternehmens keine Erlöse (Forderungen, Gewinnrealisierungen) des Stammhauses und keinen Aufwand der Betriebsstätte aus. Sie konnten auch nicht als Dienstleistungsentnahmen oder -einlagen behandelt werden. Sie konnten weder nach dem Fremdvergleichsgrundsatz noch nach einem anderen Bewertungsmaßstab verrechnet werden.2 Dies galt auch dann, wenn die Dienstleistung Gegenstand der ordentlichen Geschäftstätigkeit der leistenden Unternehmenseinheit (Stammhaus) war.3 Es ging immer nur um die Frage, ob ein in der Geschäftsleitungsbetriebsstätte tatsächlich angefallener Aufwand steuerlich – ggf. anteilig – der Betriebsstätte zuzuordnen oder ob die Geschäftsleitungsbetriebsstätte an einem tatsächlich von der Betriebsstätte erzielten Erlös zu beteiligen war. Dabei war zwischen der direkten und der indirekten Zuordnung zu unterscheiden. Insbesondere die von Ditz4 aufgezeigten Schwierigkeiten, bei einem Bündel von Leistungen einzelne zu isolieren und einem bestimmten Leistungsempfänger zuzuordnen, ließen sich durch die Anwendung der indirekten Methode lösen. Unter Berücksichtigung der Gruppierungsregeln i.S.d. § 2 Abs. 2 GAufzV konnten auch Erlöse bzw. Aufwendungen aus einer Gruppe von Leistungen zusammengefasst unter Anwendung der indirekten Methode zugeordnet werden. Dazu war stets vorab die Frage zu beantworten, ob die Tätigkeit der Geschäftsleitungsbetriebsstätte mit einem Außenumsatz in einem Veranlassungszusammenhang stand. War ein solcher zu bejahen, so war entweder der Aufwand (ggf. anteilig) der den Außenumsatz erbringenden Betriebsstätte oder der Erlös (ggf. anteilig) der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen. Für Aufwand und Erlöse, die in keinem Veranlassungszusammenhang mit einem bestimmten Außenumsatz standen, war zu prüfen, ob sie aus einem bestimmten Wirtschaftsgut oder aus einer Gruppe von Wirtschaftsgütern stammten. Gegebenenfalls konnte sich die Zuordnung von Aufwand und Erlösen nach der Zuordnung des Wirtschaftsguts richten (z.B. außerordentliche AfA; Teilwertabschreibung). Griff auch dieser Gesichtspunkt nicht, so waren der Aufwand und die Erlöse nach den Grundsätzen der indirekten Gewinnermittlungsmethode auf die Betriebsstätten aufzuteilen. Insoweit bedurfte es eines geeigneten Aufteilungsschlüssels. Als solcher kamen u.a. die Umsätze der verschiedenen Unternehmensteile in Betracht. Neue Rechtslage ab 2013. Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen (§ 21 Abs. 20 Satz 3 AStG), gilt eine neue Rechtslage. Durch das AmtshilfeRLUmsG5 wurde § 1 Abs. 5 AStG eingeführt. Nach dieser Vorschrift werden sämtliche Innentransaktionen, die eine inländische Betriebsstätte gegenüber einer ausländischen Betriebsstätte desselben Unternehmens erbringt, gewinnrealisierend erfasst. Kritisch anzumerken ist, dass dies nur für Leistungen vom Inland ins Ausland gelten soll. Der Gesetzgeber stützt die Neuregelung auf eine Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes, obwohl Innentransaktionen, die zwischen inländischen Betriebsstätten erbracht werden, belegen, dass Innen- und Außentransaktionen 1 A.A. BS-VWG, Tz. 2.2 letzter Satz, wonach für die Erfolgs- und Vermögenszuordnung im internationalen Einheitsunternehmen nach Abkommensrecht und innerstaatlichem Recht die gleichen Regeln gelten sollen; vgl. auch Sieker, Geschäftsleitungsbetriebsstätten bei internationalen Konzernen, 85 ff. (97). 2 A.A. Sieker, Geschäftsleitungsbetriebsstätten bei internationalen Konzernen, 85 ff. (100); Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 225; vgl. aber auch Kroppen, IStR 2005, 74. 3 Entgegen BS-VWG, Tz. 2.2 Abs. 3 Satz 2. Für die in den Sätzen 1 und 2 vorgenommene Unterscheidung ist eine Rechtsgrundlage im deutschen innerstaatlichen Gewinnermittlungsrecht nicht zu erkennen. 4 Vgl. Ditz, Gewinnabgrenzung, 313. 5 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 (1826).

Wassermeyer 607

11.9

Kap. 11 Rz. 11.10

Sonderfälle

zweierlei sind. Auch haben z.B. Konzernunternehmen die freie Wahl, ob sie ein Wirtschaftsgut einem anderen Konzernunternehmen mit Gewinnrealisierung übereignen oder ohne Gewinnrealisierung entgeltlich nur zur Nutzung überlassen. Diese Entscheidungsfreiheit soll nur bei grenzüberschreitenden Innentransaktionen zum Ausland im Verhältnis von Betriebsstätten desselben Unternehmens nicht mehr gelten. Dies bedeutet auch das tendenzielle Ende der indirekten Gewinnermittlungsmethode. Diese kann nur bei Leistungen vom Ausland ins Inland bzw. zwischen inländischen Betriebsstätten und im Übrigen allenfalls in Schätzungsfällen Bedeutung haben.

III. Zuordnung von Aufwendungen 11.10 Bedeutung des Außenumsatzes. Als Grundsatz gilt, dass jeglicher Aufwand auf Bruttobetragsbasis unter Veranlassungsgesichtspunkten auf Stammhaus und Betriebsstätten aufzuteilen ist. Dabei kommt auch eine anteilige Aufteilung in Betracht. Vorrangig ist die Frage eines Veranlassungszusammenhangs zwischen dem Aufwand und einem bestimmten Außenumsatz zu beantworten. Führt z.B. die Geschäftsleitungsbetriebsstätte für eine Vertriebsbetriebsstätte die Verhandlungen über den Abschluss des Verkaufs eines Produkts, so ist von einem selbständigen Erfolgsbeitrag der Geschäftsleitungsbetriebsstätte gegenüber der Vertriebsbetriebsstätte mit der Folge auszugehen, dass der entsprechende Aufwand in der Geschäftsleitungsbetriebsstätte verbleibt, allerdings die Geschäftsleitungsbetriebsstätte einen fiktiven Anspruch auf ein angemessenes Entgelt hat. Das Entgelt kann sich an dem von der Vertriebsbetriebsstätte erzielten Erlös orientieren. Es ist jedoch im Zeitpunkt der Erfüllung des Erfolgsbeitrags und unabhängig davon anzusetzen, ob die Vertreterbetriebsstätte den Erlös vereinnahmt oder nicht. Erstellt die Geschäftsleitungsbetriebsstätte die Steuererklärung für die Vertriebsbetriebsstätte, so führt dies zu einem Aufwand, der in keinen Außenumsatz eingeht. Die Folge ist, dass der Aufwand der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen und gleichzeitig ein fiktiver Anspruch auf ein angemessenes Entgelt der Geschäftsleitungsbetriebsstätte gegenüber der Vertreterbetriebsstätte anzusetzen ist.

11.11 Fehlender Veranlassungszusammenhang. Besteht kein Veranlassungszusammenhang zwischen dem Aufwand und einem Außenumsatz, so ist zu prüfen, ob der Aufwand in einem Veranlassungszusammenhang zu einem bestimmten Wirtschaftsgut steht, dessen bilanzielle Zuordnung für die Dauer des gesamten Wirtschaftsjahrs dann gleichzeitig über die Zuordnung des Aufwands entscheidet. Dies gilt vor allem für den Bereich der AfA, der AfS (§ 7 Abs. 6 EStG), der außergewöhnlichen AfA (§ 7 Abs. 1 Satz 7 EStG) und der Teilwertabschreibung. Zu denken ist insbesondere an Wirtschaftsgüter, die nur in einer Betriebsstätte genutzt werden. Wird ein Wirtschaftsgut in mehreren Betriebsstätten gleichzeitig genutzt, so ist eine anteilige Bilanzierung mit der Folge denkbar, dass die AfA anteilig mehreren Betriebsstätten zuzuordnen ist. Die Zuordnung muss in der Summe immer 100 % der AfA erreichen; sie darf die 100 %-Grenze weder über- noch unterschreiten (vgl. Rz. 1.9). Probleme können entstehen, wenn sich der Umfang der Nutzung eines Wirtschaftsguts in den verschiedenen Betriebsstätten ständig verändert. Dann stehen nach der Auffassung der Finanzverwaltung Sachentnahmen und Sacheinlagen zur Diskussion. Nach der hier vertretenen Auffassung sollten auch Nutzungsüberlassungen denkbar sein.

11.12 Indirekte Zuordnung. Übt die Geschäftsleitungsbetriebsstätte zentrale Funktionen für alle oder mehrere Betriebsstätten aus (z.B. Steuer- und Rechtsberatung, Buchführung, Erstellung von Steuererklärungen, Werbung, Forschung und Entwicklung), so ist für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, der diesbezügliche Aufwand nicht mehr nach den Grund608

Wassermeyer

A. Gewinn einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte

Rz. 11.14 Kap. 11

sätzen der indirekten Methode auf die betroffenen Betriebsstätten aufzuteilen. Vielmehr muss jede erbrachte Leistung erfolgsmäßig abgerechnet werden. Dabei kann die Wahrnehmung von „Gesellschafterrechten“ allerdings nicht erfolgsmäßig erfasst werden. Insoweit verbleibt es bei einem Aufwand der Geschäftsleitungsbetriebsstätte. Die Abgrenzung kann große Schwierigkeiten bereiten. Gegebenenfalls muss eine Aufteilung im Schätzungswege in Betracht gezogen werden. Verluste. Geht man davon aus, dass das Gesamtunternehmen einen Verlust erzielt und dass der Verlust allein auf Fehler des Managements in der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zurückzuführen ist, so stellt sich die Frage, ob dieselben nur der Geschäftsleitungsbetriebsstätte oder allen betroffenen Betriebsstätten anteilig zuzuordnen sind. Die Frage ist differenziert zu beantworten. Entscheidend kommt es darauf an, worin der Verlust besteht. Besteht der Verlust darin, dass ein bestimmter Unternehmensteil die ihm übertragende Funktion nicht sachgerecht ausgeübt hat, so ist der Verlust ihm zuzuordnen. Besteht der Verlust darin, dass bestimmte in einer Betriebsstätte hergestellte Produkte nicht verkauft werden können, so trägt die Produktionsbetriebsstätte das Risiko, die Produktion vermarkten zu können. Die Vertriebsbetriebsstätte trägt das Risiko, ihre Vertriebstätigkeit vermarkten zu können. Eine Dienstleistungsbetriebsstätte trägt das Risiko der Vermarktung ihrer Personalkosten. Besteht der Verlust in Regressansprüchen, die ein Dritter geltend macht, so ist auf das den Regressanspruch auslösende Moment abzustellen. Dieses Moment ist in der Regel der Betriebsstätte zuzuordnen, die ihre Funktion nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat. Kommen mehrere auslösende Momente in Betracht, ist auch eine anteilige Zuordnung denkbar. Ist der Verlust durch Managementkosten verursacht, die nicht in ausreichendem Maß in Erlöse umgesetzt werden konnten, so sind die erfolglosen Managementkosten idR der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen. Besteht der Verlust aus dem Untergang einzelner Wirtschaftsgüter, so entscheidet deren bilanzielle Zuordnung zugleich über die Verlustzuordnung, wobei stille Reserven besonders zu beachten sein können. Betrifft dagegen der Verlust nicht einzelne Unternehmensteile, sondern das Unternehmen als Ganzes, so kann er anteilig auf alle Unternehmensteile aufzuteilen sein.

11.13

IV. Zuordnung der Erlöse Grundsatz. Die (ggf. anteilige) Zuordnung von Erlösen einer anderen Betriebsstätte gegenüber der Geschäftsleitungsbetriebsstätte kommt nur in Betracht, wenn ein entsprechender Veranlassungszusammenhang zwischen einer Tätigkeit der Geschäftsleitungsbetriebsstätte und einem bestimmten Außenumsatz feststellbar ist. Abgrenzungskriterium ist, welchem Unternehmensteil der Außenumsatz zuzuordnen ist. In der Regel kommt eine anteilige Zuordnung des Außenumsatzes jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn § 1 Abs. 5 AStG Anwendung findet. Stattdessen ist der Leistungsbeitrag der Geschäftsleitungsbetriebsstätte einzeln abzurechnen. Fehlerhaft ist die Vorstellung, der Geschäftsleitungsbetriebsstätte (Stammhaus) sei schon deshalb ein gesondertes Entgelt zuzuordnen, weil sie für die Schulden der anderen Betriebsstätten hafte.1 Die Haftung als solche begründet keine Gewinnrealisierung. Es kommt hinzu, dass auch die Betriebsstätten mit ihrem Vermögen für die Verbindlichkeiten der Geschäftsleitungsbetriebsstätte haften, zumal gerade die Haftung bzw. die größere Kapitalbasis der Grund dafür ist, dass bei Banken und Versicherungen das Einheitsunternehmen als Organisationsform gewählt wird. Für Geschäftsleitungsbetriebsstätten ist es häufig typisch, dass zwar ein allgemeiner Zusammenhang zwischen der Geschäftsleitungstätigkeit und den erzielten Erlösen vermutet wird, jedoch bezogen auf bestimmte Außenumsätze nur unzurei1 So Sieker, Geschäftsleitungsbetriebsstätten bei internationalen Konzernen, 85 ff. (105).

Wassermeyer 609

11.14

Kap. 11 Rz. 11.15

Sonderfälle

chend festgestellt werden kann. In diesen Fällen werden üblicherweise der Geschäftsleitungsbetriebsstätte anteilige Erlöse nach der Kostenaufschlagsmethode vorab zugeordnet.

11.15 Haupttätigkeit. Nach Tz. 2.2 Abs. 3 Satz 2 BS-VWG1 soll eine Aufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs vorzunehmen sein, wenn eine Innentransaktion Leistungen betrifft, die Gegenstand der ordentlichen Geschäftstätigkeit der leistenden Unternehmenseinheit sind und auf der Grundlage der Funktionsaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte eine sachgerechte Einkommensabgrenzung dokumentieren. Nach Tz. 3.1.2 Satz 2 BS-VWG soll der Gewinn der Geschäftsleitungsbetriebsstätte nach der Kostenaufschlagsmethode unter Ansatz eines Gewinnzuschlags von 5 bis 10 % der Kosten zu ermitteln sein. Die Verwaltungsanweisung hat erst seit dem Inkrafttreten des § 1 Abs. 5 AStG eine Rechtsgrundlage. Die Innentransaktion löst neuerdings eine Ersatzgewinnrealisation aus. Sie ist wie eine Dienstleistungsentnahme zu behandeln. Problematisch ist allerdings der Vergleich mit unter fremden Dritten durchaus üblichen Situationen. Behandelt z.B. ein freiberuflicher Arzt eine ihm nahestehende Person unentgeltlich, so löst dies keine Besteuerung nach Fremdvergleichsgrundsätzen aus. Die Dienstleistungsentnahme kann nicht nach dem Fremdvergleichspreis bewertet werden, wenn sie sich zwischen inländischen Betriebsstätten oder einer ausländischen Betriebsstätte im Verhältnis zu einer inländischen Betriebsstätte desselben Unternehmens vollzieht.

11.16 Kontroll- und Koordinierungsstellen. Nach der Tz. 4.4.4 BS-VWG soll Kontroll- und Koordinierungsstellen ein Gewinn nach den Grundsätzen der Kostenaufschlagsmethode unter Einschluss eines Gewinnzuschlags zugeordnet werden. Tz. 3.1.2 Satz 2 BS-VWG soll offenbar entsprechend angewendet werden. Auch insoweit gilt indes, dass nur die Erlöse aus Außenumsätzen aufgeteilt werden können. Innentransaktionen können als solche erst nach dem seit 2013 geltenden Recht verrechnet werden. Für die Höhe des anzusetzenden Entgelts kann von Bedeutung sein, ob die Tätigkeit einer Kontroll- oder Koordinierungsstelle unmittelbar in einen Außenumsatz eingehen und der Empfänger des Außenumsatzes üblicherweise die Tätigkeit der Kontroll- oder Koordinierungsstelle mit dem zu zahlenden Entgelt abgelten will. Ist diese Voraussetzung erfüllt, errechnet sich das von der Kontroll- oder Koordinierungsstelle zu erfassende Entgelt als ein Teil des Außenumsatzes.

11.17 Überlassung von Wirtschaftsgütern. Wird ein Wirtschaftsgut des Anlagevermögens von der Geschäftsleitungsbetriebsstätte in eine andere Betriebsstätte überführt, wo es künftig zu Erzielung von Außenumsätzen eingesetzt wird, so ist darauf abzustellen, ob die Überführung sich vom Inland ins Ausland oder im Inland oder im Ausland vollzieht. Vollzieht sich die Überführung nur im Inland oder nur im Ausland, so ist sie erfolgsneutral auf der Basis des Buchwerts zum Überführungszeitpunkt anzusetzen. Allerdings muss die Geschäftsleitungsbetriebsstätte an den Erlösen der anderen Betriebsstätten mit Rücksicht auf das von dieser eingesetzte und genutzte Wirtschaftsgut beteiligt werden. Die anteiligen Erlöse errechnen sich nach AfA-Grundsätzen bezogen auf stille Reserven des Wirtschaftsguts im Überführungszeitpunkt als Bemessungsgrundlage. Sollte das Wirtschaftsgut im Zeitraum nach der Überführung, jedoch vor dem Ende der voraussichtlichen Nutzungsdauer Werteinbußen erfahren, sind diese innerhalb der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt, wenn das Wirtschaftsgut später werthaltiger wird. Vollzieht sich die Überführung vom Inland ins Ausland, so tritt eine fiktive Gewinnrealisierung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. nach § 12 Abs. 2 KStG ein. Vollzieht sich die Überführung vom Ausland ins Inland, so ist

1 Vgl. auch BS-VWG, Tz. 3.1.2.

610

Wassermeyer

A. Gewinn einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte

Rz. 11.19 Kap. 11

§ 4 Abs. 1 Satz 8 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG unter den dort genannten Voraussetzungen zu beachten. Vorbereitungshandlungen. Aufwand, den die Geschäftsleitungsbetriebsstätte im Interesse der Gründung einer anderen Betriebsstätte tätigt, kann zur anteiligen Beteiligung der Geschäftsleitungsbetriebsstätte an den Erlösen der anderen Betriebsstätte führen. Es handelt sich insoweit um Vorleistungen der Geschäftsleitungsbetriebsstätte, die von der anderen Betriebsstätte in der Form der Beteiligung an den Erlösen zu erstatten sind. Obergrenze der „Erstattung“ ist die Summe der tatsächlich in der Geschäftsleitungsbetriebsstäte und der durch die Gründung der anderen Betriebsstätte entstandenen Aufwendungen. Die „Erstattung“ setzt voraus, dass es zur Gründung der anderen Betriebsstätte kommt und dass die andere Betriebsstätte Erlöse zumindest in Höhe des vorab entstandenen Aufwands erzielt. Allerdings vertritt der BFH in dieser Frage eine andere Rechtsauffassung,1 die jedoch offensichtlich fehlerhaft ist. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Rz. 7.1 ff. verwiesen.

11.18

V. Zuordnung von Wirtschaftsgütern Grundsatz. Jeder Betriebsstätte sind die Wirtschaftsgüter zuzuordnen, die einer Funktion dienen, die von der Betriebsstätte übernommen und ausgeübt wurde.2 Dient ein Wirtschaftsgut verschiedenen Funktionen gleichzeitig, die von verschiedenen Betriebsstätten ausgeübt werden, so ist eine anteilige Zuordnung denkbar. Das deutsche innerstaatliche Steuerrecht kennt auch insoweit keine fiktive Selbständigkeit von Stammhaus bzw. Betriebsstätte. Die Frage geht dahin, ob einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte eine gewisse Zentralfunktion zuzubilligen ist und ob als Ausfluss dieser Zentralfunktion Wirtschaftsgüter wie Beteiligungen, Patente, Darlehen u.Ä. mehr vorrangig der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen sind.3 Richtigerweise muss in jedem Einzelfall festgestellt werden, ob und welche Zentralfunktion eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte hat und welcher Veranlassungszusammenhang zwischen der Zentralfunktion und einem bestimmten Wirtschaftsgut besteht. Negativ kann geprüft werden, ob das Wirtschaftsgut nicht in einem Veranlassungszusammenhang zu einer Funktion steht, die von einer anderen Betriebsstätte ausgeübt wird und die Zuordnung zu jener Betriebsstätte rechtfertigt. Insoweit ist auf die Funktion jeder Betriebsstätte abzustellen. Zum Beispiel ist die Aufgabe einer Kontroll- und Koordinierungsstelle (= Betriebsstätte) die Überwachung und die Koordination der Tätigkeiten von Konzerngesellschaften. Die Beteiligungen an Konzerngesellschaften können deshalb dem Betriebsstättenvermögen einer Kontroll- und Koordinierungsstelle nur dann zugeordnet werden, wenn diese Stelle die Funktionen einer geschäftsleitenden Holding wahrnimmt.4 Dies setzt die einheitliche Leitung in einer äußerlich erkennbaren Form voraus.5 Unterhalten die Konzerngesellschaften Geschäftsbeziehungen auch zu anderen Unternehmensteilen, so ist eine anteilige Zuordnung der Beteiligung denkbar.6 1 Vgl. BFH v. 28.4.1983 – IV R 122/79, BStBl. II 1983, 566 = FR 1983, 438; v. 1.12.1987 – IX R 104/83, BFH/NV 1989, 99; v. 17.12.1998 – I B 80/98, BStBl. II 1999, 293 = FR 1999, 296; v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703 = FR 2014, 855 = ISR 2014, 273 m. Anm. Haase; v. 20.5.2015 – I R 75/14, BFH/NV 2015, 1687 = ISR 2015, 416 m. Anm. Böhmer. 2 Vgl. BFH v. 29.7.1992 – II R 39/89, BStBl. II 1993, 63; BS-VWG, Tz. 2.4; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 240; Stockmann in V/L6, Art. 22 OECD-MA Rz. 37. 3 Vgl. BS-VWG, Tz. 4.4.3. 4 Vgl. BS-VWG, Tz. 4.4.1. 5 Vgl. R 50 Abs. 2 Nr. 2 KStR. 6 A.A. BS-VWG, Tz. 2.4; vgl. BFH v. 1.4.1987 – II R 186/80, BStBl. II 1987, 550.

Wassermeyer 611

11.19

Kap. 11 Rz. 11.20

Sonderfälle

VI. Gewinnlose Geschäftsleitungsbetriebsstätte 11.20 Problem. Stellt man sich vor, dass eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte weder selbst Außenumsätze tätigt, noch an den Außenumsätzen anderer Betriebsstätten erfolgsmäßig beteiligt ist, so stellt sich die Frage, ob sämtliche in der Geschäftsleitungsbetriebsstätte angefallenen Aufwendungen unter Veranlassungsgesichtspunkten den anderen Betriebsstätten zuzuordnen sind. Im Ergebnis hätte dies zur Folge, dass der Geschäftsleitungsbetriebsstätte weder Erlöse noch Aufwendungen zuzuordnen wären. Der Gewinn der Geschäftsleitungsbetriebsstätte wäre stets 0 Euro. Begrifflich wäre dies kein Widerspruch in sich. Die Tatsache, dass die Geschäftsleitungsbetriebsstätte alle Voraussetzungen einer Betriebsstätte erfüllt, zwingt nicht dazu, ihr auch Erlöse und/oder Aufwendungen zuzuordnen. So sind z.B. Betriebsstätten denkbar, die die Forschung und Entwicklung für das Gesamtunternehmen betreiben, weshalb die Kosten der Forschungsbetriebsstätte nach der Art eines Pools allen anderen Betriebsstätten anteilig zuzuordnen sind. In tatsächlicher Hinsicht wird das hier als möglich angedeutete Ergebnis häufig dadurch vermieden, dass eine Zentralfunktion der Geschäftsleitungsbetriebsstätte steuerlich anerkannt wird und die damit verbundenen Erlöse insbesondere aus Vermögensanlagen der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zugeordnet werden. Entsprechend sind auch Refinanzierungsaufwendungen und Teilwertabschreibung auf Vermögensanlagen zu behandeln, die der Zentralfunktion zuzuordnen sind. Erwägenswert ist ferner die Überlegung, ob nicht außergewöhnliche Aufwendungen (z.B. Veruntreuungen durch die Geschäftsleitung), soweit sie durch die Zentralfunktion der Geschäftsleitungsbetriebsstätte veranlasst sind, dieser zuzuordnen sind. Diese Fragen sind indes bisher wenig erörtert und letztlich ungeklärt.

B. Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten I. Netzwerkstrukturen als betriebsstättenbegründendes Phänomen . . .

11.21

II. Betriebsstätteneigenschaft . . . . . . . .

11.22

III. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einkünfteabgrenzung unter dem AOA 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermittlung des angemessenen Gewinns einer Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte

11.30

11.38

a) Ermittlung des angemessenen Ertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ermittlung des angemessenen Aufwands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Besteuerung der einer Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte zuzurechnenden Einkünfte 1. Inländische Betriebsstätte. . . . . . . . . 2. Ausländische Betriebsstätte . . . . . . .

11.39 11.43

11.45 11.46

I. Netzwerkstrukturen als betriebsstättenbegründendes Phänomen 11.21 Abgrenzung. Das steuerlich relevante Phänomen, das traditionelle Geschäfte wie die Versorgung mit Energie mit den vielfältigen geschäftlichen Betätigungsmöglichkeiten des E-Commerce und der digitalisierten Wirtschaft und modernen Formen der Kommunikation verbindet, ist die Netzwerkinfrastruktur, die die verschiedenen Anbieter von Produkten und Leistungen mit den Zwischenhändlern und (End-)Kunden unmittelbar oder mittelbar verbindet und deren Versorgung mit diesen sicherstellt. Produkte und Leistungen sind bspw. die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser, aber auch der Zugang zum Internet, das „Streamen“ von Unterhaltungsinhalten und der Zugang zu Wissen in der Form elektronischer 612

Wassermeyer/Andresen

B. Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten

Rz. 11.22 Kap. 11

Kommentare oder Bücher auf entsprechenden Wissensplattformen.1 Diese Strukturen zeichnen sich in der Regel durch ein hohes Maß an Arbeitsteilung aus, die es für jeden Teilnehmer erforderlich machen zu prüfen, ob durch das Vorhalten oder die Nutzung der Netzwerkinfrastruktur eine Betriebsstätte begründet wird und welche Einkünfte dieser Betriebsstätte zuzurechnen sind. Teilnehmer sind neben den Eigentümern der Leitungsnetze (Telekommunikationsunternehmen, Stromnetzbetreiber, Kabelnetzbetreiber oder Betreiber von Öl- und/ oder Gaspipelines) die Eigentümer der Knotenpunkte der Leitungsnetze, die Eigentümer von Servern oder anderen Lagerstätten (z.B. Kavernen), die Mieter von Leitungsnetzen, Knotenpunkten und Servern oder Lagerstätten etc., während die Anbieter (Kraftwerke, Erdöloder Erdgasproduzenten etc.), „Content Provider“ (e-Commerce-Händler, Unternehmen der Unterhaltungsbranche, Verlage etc.) oder Nutzer (Hochfrequenz-(Wertpapier-)Händler etc.) in aller Regel nur dann eine Betriebsstätte begründen, wenn sie entweder Eigentümer oder Mieter einzelner Bestandteile der Netzwerkinfrastruktur sind. Daran hat auch die Diskussion der OECD zum BEPS-Aktionspunkt 1 „Tax Challenges of the Digital Economy“2 nichts geändert, weil der zwischenzeitliche Vorschlag zur Schaffung einer digitalen Präsenz als Anknüpfungspunkt der Besteuerung nicht aufrechterhalten worden ist.3 Entsprechend sind hier nur diejenigen Aktivitäten Gegenstand der Betrachtung, bei denen Netze, Netzknotenpunkte oder Server bzw. Lagerstätten eine Betriebsstätte begründen, in denen die jeweilige geschäftliche Tätigkeit ausgeübt wird. Fälle, in denen der Server lediglich ein Wirtschaftsgut ist, das einer festen Geschäftseinrichtung zuzuordnen ist, werden in diesem Abschnitt nicht behandelt, weil sie nach den allgemeinen Regeln der Einkünfteabgrenzung zu beurteilen sind.4 Dies trifft insbesondere auf Unternehmen zu, die Host-Computer bzw. deren Rechen- und Speicherkapazität mietweise zur Verfügung stellen, auf denen andere Anbieter ihre Geschäfte durchführen.5

II. Betriebsstätteneigenschaft Betriebsstätte nach innerstaatlichem Recht. Leitungs- und Kabelnetze bilden mit ihren Knotenpunkten und „Lagerstätten“ (einschließlich Servern) die Infrastruktur6 für die Abwicklung eines Großteils des leitungsgebundenen Geschäftsverkehrs. Aus steuerlicher Sicht sind sie vor allem deshalb bedeutsam, weil sie die Tatbestandsvoraussetzungen des Betriebsstättenbegriffs erfüllen und somit einen Anknüpfungspunkt für die Besteuerung darstellen

1 Ähnliche Phänomene und die daraus resultierenden Abgrenzungsthemen finden sich bspw. auch in der Luft- und Schifffahrt, in der Logistikindustrie, aber auch bei grenzüberschreitenden Schienen- und Busverkehren. Die Zugehörigkeit zu einem Konzern und die daraus resultierenden Netzwerkeffekte in sich immer weiter integrierenden Geschäftsmodellen, die auch unter der Überschrift „Konzernrückhalt“ oder „Netzwerkeffekt“ diskutiert werden, sei hier nur am Rande erwähnt, erfordert aber im Zweifel ähnliche Lösungsansätze, was die Verteilung des Gewinns oder Verlusts auf die beteiligten Unternehmen anbetrifft. 2 Vgl. OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Discussion Draft as of 24.3.2014 and Preliminary Report as of 16.9.2014, Paris 2014. 3 Vgl. OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Final Deliverable, Paris 2015. 4 Vgl. zur Einkünfteabgrenzung bei Betriebsstätten mit Servern OECD, Attribution of Profit to a Permanent Establishment Involved in Electronic Commerce Transactions, Draft Report, February 2001, No. 117–138. 5 Vgl. Tappe, IStR 2011, 870 (871 f.). 6 Siehe zu den Akteuren im Internet die Grafiken bei Kessler in StbJb. 1998/99, 333, 337; Kowallik, DStR 1999, 223 (224).

Andresen 613

11.22

Kap. 11 Rz. 11.22

Sonderfälle

können.1 Nach innerstaatlichem Recht ist jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient, eine Betriebsstätte i.S. des § 12 Satz 1 AO. „Geschäftseinrichtung“ ist jeder körperliche Gegenstand, der geeignet ist, Grundlage einer Unternehmenstätigkeit zu sein.2 Ein Server ist ein Computer oder eine Hardware und somit körperlicher Gegenstand im Sinne der vorgenannten Definition. Gleiches gilt für Kabelnetze.3 In Servern und Kabelnetzen können Geschäftsprozesse des Unternehmens stattfinden. Finden tatsächlich Geschäftsprozesse in diesen statt, ist davon auszugehen, dass sie eine Grundlage für die Unternehmenstätigkeit bilden und insofern eine Geschäftseinrichtung i.S. des § 12 Satz 1 AO sein können.4 Eine Geschäftseinrichtung ist dann als „fest“ anzusehen, wenn sie eine feste Verbindung zur Erdoberfläche5 hat und diese Verbindung von einer gewissen Dauer6 ist. Die Frage der Dauer des Bestehens einer Geschäftseinrichtung muss bisher als ungeklärt gelten. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass eine Mindestdauer von mehr als sechs Monaten gegeben sein muss (s. auch Rz. 2.44–2.48), weil dieser Zeitraum auch bei anderen Arten von Geschäftseinrichtungen zur Begründung einer Betriebsstätte führt. Für diese Auslegung spricht außerdem, dass sie wegen ihrer Klarheit weniger interpretationsanfällig ist und somit eine belastbare Planungsgrundlage bietet. Weiterhin muss das Unternehmen „nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht“ über diese feste Geschäftseinrichtung haben, wenn sie sich als Betriebsstätte qualifizieren soll.7 Die Verfügungsmacht kann entweder durch rechtliches Eigentum oder durch nicht nur vorübergehende Nutzung, z.B. durch Anmietung des Netzes etc., – und nicht nur die Nutzung von deren Kapazität8 – bestehen. Während die Nutzung der eigenen oder angemieteten Netzwerkstruktur qua Verfügungsmacht über das Netz, dessen Knotenpunkte oder/und über Server oder andere Lagerstätten zur Begründung einer Betriebsstätte führen kann, ist dies bei der Nutzung von Kapazität in einem Netz oder auf einem Server einer anderen Person (hier: Netzbetreiber oder Serverbetreiber) nicht der Fall,9 da der Nutzer nicht die Verfügungsmacht über die feste Geschäftseinrichtung hat. Anders verhält es sich, wenn der Nutzer den gesamten Server oder ein Kabelnetz oder einen Teil davon anmietet. Dabei ist davon auszugehen, dass der Mieter des Servers oder Kabelnetzes nach innerstaatlichem Recht eine Betriebsstätte im Belegenheitsstaat des Servers oder Kabeloder Leitungsnetzes begründet, wenn er diese Netzwerkinfrastruktur für mehr als sechs Mo-

1 Vgl. Bernütz, IStR 1997, 353 (355); Holler/Heerspink, BB 1998, 771 (773); Endriss/Käbisch/Labermeier, BB 1999, 2276 (2281). 2 Vgl. BFH v. 3.2.1993 – I R 80/91, 81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336 m. Anm. Kempermann – unter II.C.3.a). 3 Vgl. FG Köln v. 27.11.2006 – 2 K 6440/03, rkr., EFG 2007, 372, unter 2.a)aa) und bb). 4 Vgl. zur vergleichbaren Situation bei einem Erdgasspeicher FG Hamburg v. 1.10.2004 – VI 181/02, EFG 2005, 804 – Nichtzulassungsbeschwerde abgelehnt durch BFH v. 26.6.2006 – VIII B 296/04, BFH/NV 2006, 1861. 5 Vgl. BFH v. 3.2.1993 – I R 80/91, 81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336 m. Anm. Kempermann – unter II.C.3.b). 6 Vgl. BFH v. 28.8.1986 – V R 20/79, BStBl. II 1987, 162; v. 3.2.1993 – I R 80/91, 81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336 m. Anm. Kempermann – unter II.C.3.c). 7 Vgl. BFH v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166 = FR 1990, 230 – unter II.3.a); v. 3.2.1993 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336 m. Anm. Kempermann – unter II.C.3.e); BS-VWG, Tz. 1.1.1.1. 8 Das Anmieten von Kapazitäten ist gleichzusetzen mit dem Empfang einer technischen Dienstleistung, wenn zusätzlich zu der Einräumung des Nutzungsrechts weitere Leistungen erbracht werden; so BFH v. 17.2.2000 – I R 130/97, IStR 2000, 438 = HFR 2000, 815; vgl. dazu Kessler/Maywald/Peter, IStR 2000, 425 ff.; Portner, StbJb. 1998/99, 351 (367); Strunk, IStR 1998, 428. 9 Ebenso Schwarz, FR 2003, 280 (284).

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B. Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten

Rz. 11.23 Kap. 11

nate mietet.1 Für diese Mindestanmietungsdauer spricht § 12 Satz 2 Nr. 8 AO, in dem für Bauausführungen und Montagen dieselbe Frist verlangt wird. Es ist kein vernünftiger Grund erkennbar, weshalb für Betriebsstätten in Kommunikationsanlagen andere Tatbestandsvoraussetzungen gelten sollten als für Bauausführungen und Montagen. Schließlich hat die Kommunikationseinrichtung „der Tätigkeit des Unternehmens zu dienen“.2 Ähnlich wie in dem Sachverhalt, der dem BFH-Urteil v. 3.2.19933 zugrunde gelegen hat, führt die Nutzung einer eigenen oder angemieteten Kommunikationseinrichtung durch das Unternehmen für eigene Geschäftszwecke zur Begründung einer Betriebsstätte, wenn alle anderen Tatbestandsvoraussetzungen ebenfalls erfüllt sind. Ob diese erfüllt sind, ist eine Tatsachenfrage, die sich aus der Analyse dessen beantworten lassen sollte, was in einer Netzwerkeinrichtung für Tätigkeiten entfaltet werden. Der „Host“-Computer des Betreibers einer Serverfarm kann bei Vorliegen aller Merkmale für ihn im Belegenheitsstaat des „Host“-Computers eine Betriebsstätte begründen. Gleiches gilt für das Kabelnetz eines Kabelnetzbetreibers. Beachtenswert ist in diesem Kontext, dass der BFH in einer Entscheidung zu § 3 Zonenrandförderungsgesetz (ZRFG) die Existenz einer Betriebsstätte verneint hat, wenn neben der Vermietung oder Verpachtung einer festen Geschäftseinrichtung keine weiteren Leistungen erbracht werden.4 In einer anderen Entscheidung, die in der vorgenannten zitiert wird, hat er entschieden, dass dies selbst dann gilt, wenn der „Vermieter“ die feste Geschäftseinrichtung zurückmietet und darin vorübergehend mit eigenem Personal produziert, wobei die Betriebsstätteneigenschaft letztlich an der nur vorübergehenden Produktionstätigkeit gescheitert ist.5 Überträgt man diese Entscheidung in das E-Commerce-Umfeld dürfte jedoch dann ein anderes Ergebnis zu erwarten sein, wenn die mit dem zurückgemieteten Server betriebene Unternehmenstätigkeit nicht nur von vorübergehender Dauer ist, sondern auf dem zurückgemieteten Server die Unternehmenstätigkeit, z.B. mit den von eigenem Personal entwickelten Programmen,6 nicht nur vorübergehend ausgeübt wird. Letzteres dürfte im elektronischen Geschäftsverkehr die Regel sein. Unter der Annahme, dass zusätzliche Leistungen erbracht werden, die für den Betreiber einer Kommunikationseinrichtung zur Begründung einer Betriebsstätte führen, ist die Kommunikationseinrichtung jedoch zunächst eine Betriebsstätte ihres Betreibers und nicht des Nutzers ihrer Kapazität. Die Kommunikationseinrichtung kann daneben auch für den Nutzer eine Betriebsstätte begründen, wenn dieser die entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen selbst ebenfalls erfüllt, z.B. durch Anmietung eines „Host“-Computers. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein Unternehmen aus einem Staat nach der vorstehenden Definition nur durch das Betreiben eines eigenen „Host“-Computers oder Kabelnetzes in einem anderen Staat oder dessen dauerhafte Anmietung, z.B. von einem Betreiber, eine Betriebsstätte in diesem anderen Staat begründet, wenn gleichzeitig sämtliche der vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind. Betriebsstätte nach Abkommensrecht. Nach mehrjährigen Diskussionen hat das Committee of Fiscal Affairs der OECD im Dezember 2000 Änderungen des OECD-MK zur Betriebs1 So auch Strunk/Wichmann, IWB 2001, Fach 3, Gr. 3, 1339 (1343). 2 Vgl. BFH v. 3.2.1993 –I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336 m. Anm. Kempermann – unter II.C.3.d). 3 Vgl. BFH v. 3.2.1993 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336 m. Anm. Kempermann. 4 Vgl. BFH v. 10.2.1988 – VIII R 159/84, BStBl. II 1988, 653 = FR 1988, 398 – unter 4. 5 Vgl. BFH v. 28.8.1986 – V R 20/79, BStBl. II 1987, 162 – unter II.1.b). 6 Dies könnte der Fall sein, wenn die tatsächlich benötigte Serverkapazität zur eigenen Nutzung schneller gewachsen ist, als der Geschäftsplan angenommen hat, und die zwischenzeitlich an Dritte vermieteten Serverkapazitäten selbst benötigt werden.

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11.23

Kap. 11 Rz. 11.23

Sonderfälle

stättendefinition in Art. 5 OECD-MA verabschiedet,1 die auf Beschluss des OECD-Ministerrats mit der Revision des OECD-MA im Jahr 2002 Eingang in den Musterkommentar gefunden haben. Danach kann ein Server eine Betriebsstätte i.S. des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA für das Unternehmen begründen, das den Server betreibt,2 wenn der Server eine „feste“ Geschäftseinrichtung ist, durch die die Tätigkeit des Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Das Betreiben eines Servers bedeutet, dass der Server dem betreibenden Unternehmen gehört oder von ihm gemietet ist.3 Eine „feste“ Geschäftseinrichtung liegt vor, wenn der Server tatsächlich für eine hinreichend lange Zeit an einem bestimmten Ort steht.4 Aus Gründen der Konsistenz der Anwendung des Art. 5 OECD-MA erscheint es geboten, hinsichtlich der Bestimmung der notwendigen Zeitdauer für die Begründung einer Serverbetriebsstätte nach Abkommensrecht auf die für Bauausführungen und Montagen festgelegte Zeitdauer des jeweiligen DBA abzustellen. Diese Auffassung wird von der OECD in der Zwischenzeit zumindest insoweit geteilt, als eine feste Zeitdauer von mindestens sechs Monaten zur Betriebsstättenbegründung notwendig sein sollte. Der Entwurf von Art. 5 Tz. 6 OECD-MK aus dem Jahr 2011 enthält eine entsprechende Empfehlung zur Änderung des Musterkommentars.5 Im Fall des Art. 5 Abs. 3 OECD-MA liegt diese bei zwölf Monaten. Soweit demnach ein einschlägiges DBA für die Annahme einer Betriebsstättenbegründung einen längeren Zeitraum erfordert als § 12 Satz 2 AO, wäre das innerstaatliche Recht in seiner Reichweite begrenzt und das Besteuerungsrecht an den Einkünften, die nach nationalem Recht einer Serverbetriebsstätte zuzurechnen wären, stünde dem Belegenheitsstaat des Stammhauses des Unternehmens zu. Die Tatsache, dass Art. 5 Tz. 6 OECD-MK in der aktuellen Fassung diese Änderung noch nicht zeigt, sollte nicht als Anzeichen dafür gesehen werden, dass die OECD-Staaten ihre Auffassung geändert hätten. Sie dürfte der umfangreichen Agenda der OECD seitdem geschuldet sein. Das weitere Merkmal der „Ausübung einer Geschäftstätigkeit durch die feste Geschäftseinrichtung“ (den Server) ist als erfüllt anzusehen, wenn durch den Server tatsächlich alle oder ein Teil der geschäftlichen Funktionen des Unternehmens ausgeübt werden bzw. wird.6 Im Schrifttum7 wird die Frage diskutiert, ob zwischen dem für die Begründung einer Betriebsstätte nach innerstaatlichem Recht notwendigen „Dienen der Geschäftstätigkeit“ und der für die Begründung einer Betriebsstätte nach Abkommensrecht notwendigen „Ausübung einer Geschäftstätigkeit“ ein Unterschied besteht, aufgrund dessen bei einer nach § 12 AO anzunehmenden Betriebsstätte deren Existenz für Abkommenszwecke zu verneinen ist. Nach der hier vertretenen Auffassung besteht zwischen den beiden Wortlauten inhaltlich kein Unterschied, da das „Dienen“ i.S. des § 12 Satz 1 AO nach dem BFH-Urteil v. 10.2.19888 voraussetzt, dass in der Geschäftseinrichtung betriebliche Handlungen vorgenommen werden,9 was dem „Ausüben“ faktisch gleichzusetzen ist. Die reine Vermietung und Verpachtung von körperlichen Gegenständen, die eine feste Geschäftseinrichtung sind, durch ein Unternehmen führt nicht dazu, dass dieses Unternehmen in dem Belegenheitsstaat der Gegenstände eine Betriebsstätte

1 Vgl. OECD, Clarification on the Application of the Permanent Establishment Definition in E-commerce: Changes to the Commentary on Article 5, www.oecd.org. 2 Vgl. Art. 5 Tz. 42.2 OECD-MK. 3 Vgl. Art. 5 Tz. 42.3 OECD-MK. 4 Vgl. Art. 5 Tz. 42.4 OECD-MK. 5 Vgl. Interpretation and Application of Article 5 (Permanent Establishment) of the OECD Model Tax Convention v. 12.10.2011, No. 33 f. 6 Vgl. Art. 5 Tz. 42.5 OECD-MK. 7 Vgl. Strunk, BB 1998, 1824 (1825); Portner, IStR 1999, 641 (643). 8 Vgl. BFH v. 10.2.1988 – VIII R 159/84, BStBl. II 1988, 653 = FR 1988, 398 – unter 4. 9 Vgl. Schwarz, FR 2003, 280 (284).

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B. Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten

Rz. 11.23 Kap. 11

begründet.1 Das Doppelbesteuerungsrecht folgt hier dem innerstaatlichen Recht. Unter der Annahme, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA erfüllt sind, stellt sich die Frage, ob sich die durch den Server ausgeübte Geschäftstätigkeit als vorbereitende oder Hilfstätigkeit i.S. des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA qualifiziert.2 Nach Art. 5 Abs. 4 OECDMA wird eine Betriebsstätte dann nicht begründet, wenn die in ihr ausgeübten Tätigkeiten vorbereitender Art sind oder Hilfstätigkeiten darstellen. Als Beispiele für Aktivitäten, die im Allgemeinen als vorbereitende oder Hilfstätigkeiten angesehen werden, nennt Art. 5 Tz. 42.7 OECD-MK die Herstellung einer Kommunikationsverbindung zwischen Lieferanten und Kunden, die Werbung für Güter oder Dienstleistungen, die Übertragung von Informationen durch einen Spiegelserver aus Gründen der Sicherheit und Effektivität, die Erhebung von Marktdaten und die Erteilung von Auskünften. Während die Qualifikation der im vorhergehenden Satz genannten Aktivitäten als Hilfstätigkeiten mit dem Zweck des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA in Einklang steht, ist die Aktivität eines Spiegelservers zumindest dann nicht mehr als Hilfstätigkeit anzusehen, wenn er die gleichen Leistungen erbringt wie der Hauptserver und somit der Kapazitätserweiterung dient. Nach Ansicht der OECD ist die Frage, ob vorbereitende oder Hilfstätigkeiten ausgeübt werden, nur unter Berücksichtigung der Funktionen zu klären, die das Einheitsunternehmen insgesamt ausübt.3 Zur Qualifikation der in einer Serverbetriebsstätte ausgeübten Tätigkeiten prägen Art. 5 Tz. 42.8 und Tz. 42.9 OECD-MK den Begriff der „Kernfunktion“. Danach können auch die vorgenannten Tätigkeiten bei gleichzeitiger Existenz einer festen Geschäftseinrichtung die Begründung einer Betriebsstätte nicht verhindern, wenn sie ein wesentlicher4 oder bedeutsamer5 Teil der Geschäftstätigkeit des Unternehmens sind. Das Gleiche gilt, wenn andere Kernfunktionen des Unternehmens parallel zu den vorbereitenden oder Hilfstätigkeiten durch den Server ausgeübt werden, die die ansonsten als vorbereitende oder Hilfstätigkeiten zu qualifizierenden Aktivitäten gewissermaßen „infizieren“. Der OECD-Diskussionsentwurf zur Revision des Kommentars zu Art. 5 OECD-MK sieht vor, dass digitale Produkte und Waren nicht Güter oder Waren i.S. des Art. 5 Abs. 4 Buchst. a bis c OECD-MA sein sollen.6 Dies würde bedeuten, dass es Unternehmen im digitalen Geschäftsverkehr schwerer hätten wegen Hilfstätigkeiten gegen die Begründung einer Betriebsstätte zu argumentieren. Die vorstehend beschriebenen Kriterien für die Annahme einer Betriebsstätte gelten gleichermaßen für Kabelnetze und andere Kommunikationseinrichtungen. Beispiel: Wenn ein Internet Service Provider (ISP) aus dem Staat A auf einem Server im Staat B Werbung für das eigene Unternehmen betreibt und dieser Server gleichzeitig neben anderen Servern von diesem ISP betrieben wird, um die Websites von Kunden zu unterhalten, auf denen diese Werbung für ihre Güter und Dienstleistungen machen und eine Suchfunktion anbieten (Stichwort: Erteilung von Auskünften), begründet dieser Server eine Betriebsstätte des ISP im Staat B, weil neben der Eigenwerbung auf diesem Server die eigentliche Geschäftstätigkeit des ISP abgewickelt wird. Beispiel: Wenn ein Unternehmen aus dem Staat C einen Server im Staat D unterhält, auf dem es seine (physischen) Produkte und Informationen zu diesen Produkten anbietet (sog. E-Tailing), der 1 Art. 5 Tz. 8 OECD-MK; ebenso Görl in V/L6, Art. 5 OECD-MA Rz. 23 m.w.N. 2 So noch OFD Karlsruhe v. 11.11.1998 – S 1301 A – St 332, IStR 1999, 439 m. Anm. Kessler/Maywald/Peter. 3 Vgl. Art. 5 Tz. 42.9 OECD-MK. 4 Quantitativer Maßstab. 5 Qualitativer Maßstab. 6 Vgl. Interpretation and Application of Article 5 (Permanent Establishment) of the OECD Model Tax Convention v. 12.10.2011, No. 89 f.; s. dazu Hoor, IStR 2012, 17 (20); Hoor, TNI v. 16.1.2012, 207 (211).

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Kap. 11 Rz. 11.24

Sonderfälle

zwar in der Lage ist, den Abschluss von Kaufverträgen über diese Produkte abzuwickeln, jedoch weder die Bearbeitung des Zahlungsvorgangs noch die Lieferung der Produkte bewirken kann, begründet dieser Server für das Unternehmen im Staat D keine Betriebsstätte.1 Beispiel: Wenn abweichend von dem vorhergehenden Beispiel über den Server keine physischen, sondern digitale Produkte vertrieben werden und der Server sowohl die Abwicklung des Zahlungsvorgangs als auch die Lieferung der digitalen Produkte bewirkt, ist von der Existenz einer Betriebsstätte des Unternehmens im Staat D auszugehen.2

Sowohl nach innerstaatlichem als auch nach Abkommensrecht dürfte ein Unternehmen, das eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht über einen Server hat, in dem Belegenheitsstaat des Servers eine Betriebsstätte begründen, wenn sich die durch den Server ausgeübte Tätigkeit als Kernfunktion des Unternehmens erweist, was bei sog. Online-Geschäften die Regel ist.3 Eine Mindermeinung,4 die durch enge Auslegung des Betriebsstättenbegriffs einem Server die Betriebsstätteneigenschaft absprechen wollte, hat sich nicht durchgesetzt. Von der Frage der Betriebsstättenbegründung zu trennen ist jedoch die Frage, ob und – wenn ja – in welcher Höhe dem Server Einkünfte zuzurechnen sind, und wem das Besteuerungsrecht an diesen Einkünften zusteht.

11.24 Leitungsnetzbetriebsstätte (einschließlich Peripherie). Neben den Servern können auch Leitungsnetze und die zu deren Nutzung und Verbindung existierenden Peripherie-Einrichtungen nach innerstaatlichem Recht eine Betriebsstätte begründen, wenn die unter Rz. 2.15 ff. diskutierten Voraussetzungen gegeben sind.5 Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass sich in diesen Betriebsstätten Personal in aller Regel weder aufhalten noch einer Tätigkeit nachgehen kann. Diese weite Auslegung des Betriebsstättenbegriffs nach innerstaatlichem Recht erfährt im Abkommensrecht insoweit eine Einschränkung, als durch das Leitungsnetz ausschließlich eigene Güter des Unternehmens ausgeliefert bzw. befördert werden dürfen, wenn die Begründung einer Betriebsstätte über das Argument der vorbereitenden oder Hilfstätigkeit verhindert werden soll.6 Art. 5 Abs. 4 Buchst. a OECD-MA behandelt die Beförderung eigener Güter als Hilfstätigkeit, die nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Obwohl sich die digitalen Produkte bzw. elektronischen Informationen, die in den Leitungsnetzen des Internets befördert werden, mangels Eigenschaft eines Wirtschaftsguts7 nicht als „Güter“ oder „Waren“ qualifizieren dürften, sollte die Beförderung dieser eigenen Produkte genauso wenig zu einer Betriebsstätte führen wie die Beförderung der Produkte von Dritten. Es ist kein vernünftiger Grund erkennbar, weshalb der Inhalt dessen, was in Leitungsnetzen befördert wird, einen Ausschlag dafür geben sollte, ob eine Betriebsstätte begründet wird oder nicht. Dies wird jedoch von der OECD in der Zwischenzeit anders gesehen, die eine Änderung von Art. 5 Tz. 6 OECDMK vorschlägt, in der digitale Daten nicht unter den Begriff Güter und Waren i.S. des Art. 5 1 Das Beispiel ist Art. 5 Tz. 42.9 OECD-MK nachempfunden. 2 Das Vereinigte Königreich bemerkt zu Art. 5 Tz. 42.9 OECD-MK, dass der Server eines E-Tailers nach seiner Auffassung keine Betriebsstätte begründet; vgl. Art. 5 Tz. 45.5 OECD-MK. 3 So auch Watrin, IStR 2001, 425 (429); kritisch zu diesem Ergebnis, was die OECD anbetrifft, Steimel, IStR 2000, 490 ff. 4 Vgl. Baranowski, IWB 1997, 265 – Editorial; Forst, TNI 1997, 1455 (1468); Holler/Heerspink, BB 1998, 771; Portner, TPI Nr. 4/1998, 19; Portner, IStR 1998, 553; Portner, StbJb. 1998/99, 351 (367); Wiater/Bosch, IStR 1998, 757. 5 Vgl. BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12; § 12 Nr. 2 EGAO; BS-VWG, Tz. 1.1.1.1; Riemenschneider, IStR 2002, 561 (562). 6 Vgl. Art. 5 Tz. 26.1 OECD-MK. 7 Ergibt sich aus dem Verweis auf die Bilanzierungsfähigkeit in Görl in V/L6, Art. 5 OECD-MA Rz. 87; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 157.

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B. Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten

Rz. 11.25 Kap. 11

Abs. 4 Buchst. a bis c OECD-MA subsumiert werden sollen.1 In der Praxis ist es häufig so, dass Netzwerke oder Lagerstätten im Eigentum mehrere Personen oder Personengesellschaften stehen, die dann jeweils für die Durchleitung oder Lagerung der Waren anderer Unternehmen insoweit eine Betriebsstätte begründen bzw. anteilig eine Betriebsstätte zugerechnet bekommen.2 Anwesenheit von Personal kein notwendiges Merkmal einer Betriebsstätte. Die sog. „Pipeline“-Entscheidung des BFH3 hat die Diskussion um die Anwesenheit von Personal in einer festen Geschäftseinrichtung als notwendige Voraussetzung für die Begründung einer Betriebsstätte vorläufig zu einem Abschluss gebracht.4 Die h.M.5 geht in der Zwischenzeit davon aus, dass es für die Begründung einer Betriebsstätte der Existenz von Personal in einer Geschäftseinrichtung nicht bedarf. Dies gilt sowohl für das innerstaatliche6 als auch für das Abkommensrecht,7 wobei Art. 5 Tz. 42.6 OECD-MK das Fehlen von Personal nur dann als entbehrliches Merkmal für die Betriebsstättenbegründung ansieht, wenn für die Ausübung der Geschäftstätigkeit kein Personal benötigt wird. Diese Argumentation ist konsequent, da es in einem solchen Fall ohne Personal keine Geschäftstätigkeit geben würde und mithin auch keine Betriebsstätte. Man mag es als unglücklichen Umstand ansehen, dass der II. Senat des BFH in seiner sog. „Pipeline“-Entscheidung der Anwesenheit von Personal in einer Betriebsstätte als ein Merkmal für dessen Begründung keine Bedeutung beimisst. Bedauerlich ist weiterhin, dass dieses Urteil im weiteren Zeitablauf insofern international „Karriere gemacht“ hat, als das Fehlen von Personal in der Zwischenzeit auch von der OECD nicht als Hinderungsgrund für die Annahme einer Betriebsstätte angesehen wird. In der Tat spricht vieles dafür, die Anwesenheit von Personal in einer festen Geschäftseinrichtung zur Bedingung für die Annahme einer Betriebsstätte zu machen. Dies würde dem Wesensmerkmal der „Tätigkeit“ der Betriebsstätte eher entsprechen (siehe dazu Rz. 2.20 f.). Der u.a. von Portner8 nachgewiesene Widerspruch zu diversen anderen Urteilen verschiedener Gerichte9 nährt Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des II. Senats. In Anbetracht der Tatsache, dass das Beharren auf der Anwesenheit von Personal für die Annahme einer Betriebsstätte im zwischenstaatlichen Kontext mittlerweile zu erheblichen Verzerrungen führen würde, spricht jedoch einiges dafür, das Rad der Zeit in diesem Punkt nicht zurückzudrehen. Dies hätte zu einem Zeitpunkt geschehen müssen, als international noch kein Konsens über die Tatbestandsvoraussetzungen für das Bestehen einer Server- oder Leitungsnetzbetriebsstätte gefunden war. Was die Zuordnung von Besteuerungsrechten anbetrifft, ist durch die jetzt gefestigte Definition 1 Vgl. Interpretation and Application of Article 5 (Permanent Establishment) of the OECD Model Tax Convention v. 12.10.2011, No. 33 f. 2 Vgl. Löwenstein in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 1421, 1427; 520–523. 3 Vgl. BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12. 4 Vgl. zur Kritik an diesem Aspekt des Urteils insbesondere Portner, IStR 1999, 641 (643). 5 Vgl. Bernütz, IStR 1997, 353 (355); Holler/Heerspink, BB 1998, 771 (773); Endriss/Käbisch/Labermeier, BB 1999, 2276 (2281). 6 Vgl. BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12. 7 Vgl. OECD, Clarification on the Application of the Permanent Establishment Definition in E-commerce: Changes to the Commentary on Article 5, www.oecd.org – Tz. 8–13; das Ergebnis begrüßend Watrin, IStR 2001, 425 (430); eher kritisch hinsichtlich der steuerpolitischen Implikationen Kessler/Peter, IStR 2001, 238 (242). 8 Vgl. Portner, IStR 1999, 641 (643). 9 So BFH v. 12.10.1977 – I R 226/75, BStBl. II 1978, 111; FG Saarland v. 26.6.1997 – 1 K 99/66, IStR 1997, 600 (601); EuGH v. 4.7.1985 – Rs. C-168/84 – Bergholz, ECLI:EU:C:1985:299; v. 17.7.1997 – Rs. C-190/95 – ARO Lease, ECLI:EU:C:1997:374.

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11.25

Kap. 11 Rz. 11.26

Sonderfälle

aus inländischer Sicht ohnehin nicht viel verloren.1 Dies belegt zum einen die einhellige, zutreffende Meinung, dass einer Serverbetriebsstätte kein hoher Anteil an dem Gewinn des Einheitsunternehmens zuzurechnen ist,2 und zum anderen die Begründung des Urteils v. 5.6.20023 durch den BFH, der – genauso wie § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG für die nach dem 31.12.2002 beginnenden Wirtschaftsjahre – sein Augenmerk auf den Inhalt der durch eine Serverbetriebsstätte ausgeübten Tätigkeit richtet. Eine solche Tätigkeit wird für die Begründung einer Abschirmwirkung in vielen Fällen nicht ausreichen. Durch die Einführung des AOA erfährt diese Diskussion jedoch neue Nahrung, da in einer personenlosen Betriebsstätte das Konzept der „significant people functions“ für die Einkünfteabgrenzung an eine natürliche Grenze stößt, auch wenn eine Personalfunktion einer Betriebsstätte wohl auch dann zugeordnet werden kann, wenn diese nicht durch eigenes Personal in der Betriebsstätte physisch ausgeübt wird (Personalfunktion versus Personal). Der dadurch ausgelöste Konflikt ist letztendlich nur durch Auslegung zu lösen (s. dazu Rz. 11.32).

11.26 Keine Betriebsstätte bei Anmietung von Serverkapazität bzw. Schaltung von Websites. Einer Website, die letztlich aus einer Kombination von Software und elektronischen Daten besteht, fehlt die Eigenschaft eines körperlichen Gegenstands. Sie kann deshalb keine Betriebsstätte begründen.4 Gleichermaßen führt das Anmieten von Serverkapazität (nicht eines ganzen Servers!),5 z.B. zum Unterhalten von Websites, nicht zur Begründung einer eigenen Betriebsstätte in einem anderen Staat und zieht folglich auch keine Fragen der Einkünfteabgrenzung nach sich.

11.27 Vertreterbetriebsstätte. Eine Vertreterbetriebsstätte kann nach innerstaatlichem Recht nur dann entstehen, wenn eine Person nachhaltig die Geschäfte eines Unternehmens besorgt und dabei dessen Sachanweisungen unterliegt. Ständiger Vertreter kann dabei insbesondere eine Person sein, die für das Unternehmen nachhaltig Verträge abschließt oder vermittelt oder Aufträge einholt oder einen Bestand von Gütern und Waren unterhält und davon Auslieferungen vornimmt.6 Wegen der fehlenden Personeneigenschaft kann ein Server oder auch eine Website nach innerstaatlichem Recht kein ständiger Vertreter sein. Gleiches gilt nach Abkommensrecht, da auch Art. 5 Abs. 5 OECD-MA an die Tätigkeit einer Person anknüpft.7 Lediglich der Serverbetreiber oder andere Personen, die die Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 AO und/oder Art. 5 Abs. 5 OECD-MA erfüllen, z.B. ein ISP, der die Waren seiner Kunden lagert und ausliefert oder in deren Namen Verträge abschließt (Abschlussvollmacht), können eine Vertreterbetriebsstätte begründen: Beispiel: Eine nahestehende Person der D-GmbH oder ein fremder Dritter, die/der im Staat B ansässig ist, stellt der D-GmbH einen Server zur Verfügung, über den die D-GmbH ihre Produkte bewirbt und Bestellungen annimmt. Neben der Zurverfügungstellung des Servers oder eines Teils desselben wird die nahestehende Person (der fremde Dritte) dergestalt für die D-GmbH tätig, dass sie/er sowohl die Verträge über Warenlieferungen für die D-GmbH abschließt, als auch die Waren aus einem im Staat B unterhaltenen Lager an die Kunden ausliefert.

1 A.A. wohl Kessler/Peter, IStR 2001, 238 (242). 2 So Kessler/Peter, IStR 2001, 238 (242). 3 Vgl. BFH v. 5.6.2002 – I R 86/01, BStBl. II 2002, 683 = FR 2002, 1188 = IStR 2002, 638 m. Anm. KB. 4 Vgl. Art. 5 OECD-MK Tz. 42.2. 5 So auch Kessler/Maywald/Peter, IStR 2000, 425 (432); vgl. Rz. 11.22. 6 Vgl. § 13 Satz 1 und 2 AO. 7 Vgl. Art. 5 OECD-MK Tz. 42.10.

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B. Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten

Rz. 11.29 Kap. 11

Die nahestehende Person (der fremde Dritte) wird dadurch zum ständigen Vertreter der D-GmbH i.S. des § 13 AO und Art. 5 Abs. 5 OECD-MA (Art. 5 Tz. 42.10 OECD-MK).

Angesichts der Tatsache, dass für Personen, die sich als ständiger bzw. abhängiger Vertreter qualifizieren, hinsichtlich der Einkünfteabgrenzung keine E-Commerce-spezifischen Besonderheiten zu beachten sind, sei insoweit auf Rz. 11.347 ff. (Vertreterbetriebsstätte) verwiesen. Leitungsnetz- oder Serverbetriebsstätte vs. Betriebsstätte mit Server. Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Frage der zwischenstaatlichen Einkünfteabgrenzung insbesondere in zwei Fällen zu klären ist. Zum einen stellt sich die Frage, nach welcher Methode und in welcher Höhe der Serverbetriebsstätte eines Inhaltsanbieters Einkünfte zuzurechnen sind (Serverbetriebsstätte). Zum anderen stellt sich die Frage, nach welcher Methode und in welcher Höhe der Betriebsstätte eines Betreibers von Leitungsnetzen oder Servern Einkünfte zuzurechnen sind (Netzwerk- oder Serverbetreiberbetriebsstätte). Wenn und soweit ein Server und die zu dessen Nutzung notwendige Software Teil einer festen Geschäftseinrichtung sind, z.B. eines Büroraums, in der neben dem Dienen als Serverstandort weitere Aktivitäten ausgeübt werden, finden die allgemeinen Regeln der Einkünfteabgrenzung auf die gesamte dort ausgeübte Tätigkeit Anwendung, wobei derjenige Anteil an den Einkünften, der einer Serverbetriebsstätte zuzurechnen ist, nach den nachfolgend beschriebenen Regeln zu bestimmen und den anderen Betriebsstätteneinkünften hinzuzurechnen bzw. von diesen abzusetzen ist. Tendenziell ist diesen „konventionellen“ Betriebsstätten ein höherer Gewinn zuzurechnen als einer reinen Server- oder Leitungsnetzbetriebsstätte,1 weil die in diesen Betriebsstätten ausgeübten Funktionen in der Regel zahlreicher und wertschöpfender sind als die Bereitstellung eines Servers mit der dazugehörigen Abwicklungssoftware. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Software, die dem Server die Ausübung der ihm zugedachten Funktion ermöglicht, von Personen entwickelt worden ist, die in der Betriebsstätte tätig geworden sind.

11.28

Betriebsstätte eines Hochfrequenzhändlers. Hochfrequenzhändler mieten Server und lassen auf diesen Servern Programme laufen, die automatisch bei Eintreten bestimmter Ereignisse Kauf- oder Verkaufsorders über Wertpapiere an eine geografisch nahe gelegene Börse oder Handelsplattform für Wertpapiere schicken und durch den Zeitvorteil des Servers und seiner geografischen Position Arbitragegewinne erzielen.2 Ein Hochfrequenzhändler begründet durch das Anmieten ganzer Server oder Servergruppen eine Betriebsstätte am Standort des Serverfarmbetreibers,3 z.B. am Standort einer Börse oder Handelsplattform für Wertpapiere. Dies wird von der deutschen Finanzverwaltung (BZSt) grundsätzlich ebenfalls so gesehen.

11.29

1 Vgl. OECD, Attribution of Profit to a Permanent Establishment Involved in Electronic Commerce Transactions, Draft Report, February 2001, Nr. 140; Steimel, IStR 2001, 522 (525); ebenso die niederländische Finanzverwaltung in einem Vortrag von Janssen am 29.11.2001, zitiert nach Leclaire, IStR 2002, Heft 8, IV. 2 Vgl. eingehend Lewis, Flash Boys: A Wall Street Revolt, New York 2014. 3 Vgl. Pinkernell, ifst-Schrift Nr. 494 (2014), 13; Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016, 110.

Andresen 621

Kap. 11 Rz. 11.30

Sonderfälle

III. Einkünfteabgrenzung nach dem AOA 11.30 Zuordnungsmaßstab. Die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Stammhaus bzw. zu der (den) Betriebsstätte(n) bestimmt sich sowohl bei dem Betreiber als auch bei dem alleinigen Nutzer eines Servers oder eines Leitungsnetzes bis zum 31.12.2012 nach dem Veranlassungsprinzip (vgl. dazu Rz. 4.233 ff., 4.235 ff., 4.250 ff.). Nach dem 31.12.2012 ist § 1 Abs. 5 AStG i.d.F. des JStG 2013 zu beachten. Ausgangspunkt für die Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte sollte daher in beiden Fällen eine Funktionsanalyse des Einheitsunternehmens mit Server bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte sein, weil der Umfang der ausgeübten (Personal-)Funktionen maßgeblich die anzuwendende Verrechnungspreismethode und die Höhe des zuzurechnenden Anteiles am Unternehmensgewinn bestimmt.

11.31 Funktionsumfang einer Serverbetriebsstätte. Im Schrifttum haben sich zwei konträre Auffassungen hinsichtlich des Funktionsumfangs einer Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte herausgebildet, die als technische und wirtschaftliche Funktionsbetrachtung bezeichnet werden.1 Die von der Finanzverwaltung favorisierte technische Funktionsbetrachtung sieht den Server als Speichermedium und Kommunikationsinstrument, das eine technische Dienstleistung in Form einer Abwicklung von vordefinierten Geschäftsprozessen erbringt.2 Das Hauptargument für diese Sichtweise ist die Tatsache, dass es der Betriebsstätte selbst – mangels Personals oder anderer Ressourcen – nicht möglich gewesen ist, die für die Abwicklung der o.g. Geschäftsprozesse notwendige Software zu kreieren. Sie ist insoweit auf die wertschöpfende Tätigkeit des Stammhauses oder anderer Personen angewiesen. Der Ansatz der wirtschaftlichen Funktionsbetrachtung sieht in einer Server- bzw. einer Leitungsnetzbetriebsstätte eine feste Geschäftseinrichtung, die eine vollumfängliche Vertriebsfunktion mit den dazugehörigen Risiken ausübt.3 Die technische Funktionsbetrachtung, die dem Server lediglich eine Dienstleistungsfunktion zugesteht, ist letztlich die überzeugendere Auslegung, weil sie der Tatsache Rechnung trägt, dass ein Server jede Funktion mit einem höheren Wertschöpfungsgrad ohne menschliche Hilfe nicht ausfüllen kann. Unter den wenigen Kritikern dieser Auslegung finden sich u.a. Strunk und Kaminski.4 Sie begründen ihre Ablehnung der technischen Funktionsbetrachtung in erster Linie damit, dass die Finanzverwaltung den von ihr favorisierten Ansatz angeblich nicht begründet und dass die wertschöpfende Software häufig von fremden Dritten erworben wird. Diese Begründung ist jedoch nicht überzeugend, weil sie letztlich auf der Annahme fußt, dass ein anderer Sachverhalt als der eigentlich zu beurteilende die Regel ist. Der zu beurteilende Sachverhalt beschränkt sich auf einen Server, der mit Software ausgestattet wird und anschließend seine Funktionstätigkeit aufnimmt. Der von Strunk/Kaminski als Regelfall unterstellte Sachverhalt ist ein anderer, weil dort von der Annahme ausgegangen wird, dass die auf einem Server zum Einsatz kommende wert1 Vgl. Strunk/Wichmann, IWB 2001, Fach 3, Gr. 3, 1339 (1357). 2 So OECD, Attribution of Profit to a Permanent Establishment Involved in Electronic Commerce Transactions, Draft Report, February 2001, No. 64, 70 und 140; Wichmann, Bestimmung der Funktionsvergütung für den Betrieb eines Internet Servers, in Oestreicher (Hrsg.), Konzernbesteuerung, Herne/Berlin 2005, 131 (155–156); zustimmend Ditz, IStR 2002, 210 (214). 3 Vgl. OECD, Attribution of Profit to a Permanent Establishment Involved in Electronic Commerce Transactions, Draft Report, February 2001, No. 74–82; Wichmann in Oestreicher (Hrsg.), Konzernbesteuerung, Herne/Berlin 2005, 131 (156–157). 4 Vgl. Strunk/Kaminski, IStR 2001, 161 (162); Strunk, IWB 2001, Fach 10, Gr. 2, 1532 f.; zweifelnd KB, IStR 2002, 640 – in einer Anmerkung zu BFH v. 5.6.2002 – I R 86/01, BStBl. II 2002, 683 = FR 2002, 1188.

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B. Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten

Rz. 11.32 Kap. 11

schöpfende Software nicht aus dem Unternehmen (sprich Stammhaus) stammt, sondern von anderen Personen erworben wird. Selbst wenn dies so wäre, dürfte dem Stammhaus ein Residualgewinn nach Abzug einer angemessenen Dienstleistungsvergütung zuzurechnen sein, weil die Entscheidung über den Erwerb dieser Software nicht durch einen Server, sondern von Personen getroffen wird, die im Stammhaus ihrer Tätigkeit nachgehen. Das Ersetzen eines Sachverhalts durch einen unterstellten kann letztlich jedoch nicht als Begründung dafür dienen, dass der zu beurteilende Sachverhalt durch einen Auslegungsansatz unzutreffend gelöst wäre. Der Sinn dieser Argumentation lässt sich auch deshalb nicht erkennen, weil der Ansatz der wirtschaftlichen Funktionsbetrachtung bei sachgerechter Anwendung zu keinem anderen wirtschaftlichen Ergebnis hinsichtlich der Einkünfteabgrenzung kommen kann als der Ansatz der technischen Funktionsbetrachtung. Der Grund dafür liegt darin, dass einer Serverbetriebsstätte unter der wirtschaftlichen Funktionsbetrachtung zwar höhere Erträge in Anerkennung ihres erweiterten Funktionsumfangs zuzurechnen wären, ihr aber gleichzeitig auch die Aufwendungen für den Erwerb der Software bzw. des Nutzungsrechts an einer solchen Software zuzurechnen sind, so dass der Gewinn bei wirtschaftlicher Funktionsbetrachtung nicht signifikant von dem Gewinn bei technischer Funktionsbetrachtung abweichen dürfte. Eine immanente Funktionsänderung durch fiktive Zuordnung von Personal und Kosten zur Serverbetriebsstätte im Innenverhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte – wie sie Strunk/Kaminski1 wohl vorschwebt – ist hingegen nicht akzeptabel, weil dadurch die tatsächliche Wertschöpfung – z.B. durch die Entwicklung von Software durch das Personal des Stammhauses – missachtet würde. Diese Auslegung ändert sich auch unter dem AOA nicht; im Gegenteil: § 1 Abs. 5 AStG sieht für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten eine Zuordnung von Funktionen vor. Dabei wird auf die sog. Personalfunktionen abgestellt, d.h. Funktionen, die durch das Personal der Betriebsstätte ausgeübt werden. Da der Server kein Personal hat, ist schwer vorstellbar, dass er die für dessen Nutzung für geschäftliche Zwecke notwendige Software erworben hat bzw. die Entscheidung darüber getroffen hat. Hier würde mehr in den Server hineininterpretiert als er leisten kann, was einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zuwiderläuft, die sich letztendlich auch an dem tatsächlich verwirklichten Sachverhalt orientieren muss. Zuordnung von Personalfunktionen. Wenn die Server- oder Leitungsnetzbetriebsstätte Personal beschäftigt, sind Personalfunktionen ermittelbar und eine sich daran anschließende Zuordnung von Wirtschaftsgütern, Risiken und Kapital lässt sich durchführen. Die Serveroder Leitungsnetzbetriebsstätte wird jedoch nur dann Personal haben, wenn sie sich in eigenen Räumen befindet (Betriebsstätte mit Server).2 Die Regeln der Einkünfteabgrenzung für eine solche Betriebsstätte finden sich in Kapitel 4. Eine reine Netzwerk- oder Serverbetriebsstätte hat jedoch kein eigenes Personal. Unter dem AOA provoziert dies die Frage, ob einer personenlosen Betriebsstätten überhaupt Wirtschaftsgüter, Risiken und Kapital zugeordnet werden können. Angesichts der Tatsache, dass nach h.M. eine Betriebsstätte ohne Personal begründet werden kann, wäre es inkonsequent, ihr in Ermangelung von Personal unter dem AOA nichts zuzuordnen. Dieses Dilemma ist dadurch zu lösen, dass der Netzwerk- oder Serverbetriebsstätte Personalfunktionen auch dann zugeordnet werden und ihr zuzuordnen sind, wenn in dieser Betriebsstätte kein eigenes Personal tätig wird. Mit anderen Worten verlangt der AOA, dass einer Leitungsbetriebsstätte Personalfunktionen zuzuordnen sind. Ob dies auch dann so sein sollte, wenn diese Personen sich physisch nicht im Belegenheitsstaat der Betriebsstätte befinden, weckt Zweifel, weil dann der Betriebsstätte eine Wertschöpfung zugewiesen werden könnte, die sie gar nicht leistet. Um dieses Dilemma wiederum zu lösen, 1 Vgl. Strunk/Kaminski, IStR 2001, 161 (162). 2 Vgl. Scheffler, Internationale betriebswirtschaftliche Steuerlehre3, 273.

Andresen 623

11.32

Kap. 11 Rz. 11.32

Sonderfälle

bietet es sich an, nur die Rohrleitung, das Kabelnetz, die Netzknotenpunkte und/oder Server der Betriebsstätte als materielle Wirtschaftsgüter zuzuordnen und diese dann an den Unternehmensteil zu vermieten – sei es gegen ein angemessenes Mietentgelt oder gegen eine angemessene Kapitalverzinsung –, in dem die Wertschöpfung entsteht, d.h. in dem das Personal tätig wird, das das Netzwerk betreibt oder die Inhalte kreiert (sog. „IP-Owner“), die auf den Servern von Kunden nachgefragt werden. Dem entspricht es, bei deren physischer Anwesenheit im Stammhaus oder einem anderen Staat Personen nicht fiktiv der Betriebsstätte zuzuordnen. Diese Auslegung ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn der Betriebsstätte trotz fehlender Personalfunktionen in einem zweiten Schritt Wirtschaftsgüter, Risiken und Kapital zugeordnet werden können. Andernfalls wäre die h.M. ad absurdum geführt, die eine Betriebsstätte auch ohne Anwesenheit von Personal annehmen möchte, ihr aber unter dem AOA mangels Personals weder Wirtschaftsgüter noch Risiken oder Kapital zuordnen könnte. § 4 Abs. 2 BsGaV regelt die Zuordnung von Personalfunktionen für die Fälle, in denen diese Funktionen „weder in der Betriebsstätte noch im übrigen Unternehmen [durch eigenes Personal; Erg. des Verf.] ausgeübt“ werden. Danach ist eine Personalfunktion der Betriebsstätte zuzuordnen, zu der die Personalfunktion sachlich den engsten Bezug aufweist. Wenn und soweit in dem Betriebsstättenstaat ansonsten kein eigenes Personal des Einheitsunternehmens für dieses tätig wird, ist die einzige der Leitungsnetz- oder Serverbetriebsstätte zuzuordnende Personalfunktion die Personalfunktion der ‚Anschaffung‘ oder ‚Herstellung‘. Nur dann, wenn noch andere (laufende) Tätigkeiten in dem Belegenheitsstaat der Leistungsnetz- oder Serverbetriebsstätte durch eigenes Personal i.S. des § 2 Abs. 4 BsGaV ausgeübt werden, gäbe es Anlass, über die Zuordnung weiterer Personalfunktionen nachzudenken. Streit könnte dann entstehen, wenn Personal des Stammhauses die Server- oder Leitungsnetzbetriebsstätte steuert. Der Streit dürfte darüber ausbrechen, ob diese Personalfunktion wegen des sachlich engsten Bezugs der Betriebsstätte zuzuordnen ist, woran der Belegenheitsstaat der Betriebsstätte ein Interesse haben könnte. Ein solcher Streit sollte dadurch vermieden werden können, dass der Steuerpflichtige, wenn er dies möchte, den Server oder das Leitungsnetz an das Stammhaus mit entsprechender vertraglicher1 Dokumentation vermietet und dadurch zeigt, dass das Stammhaus die Steuerungsfunktion innehat. Ansonsten geht es lediglich um die Nutzung des Leitungsnetzes oder Servers, für die ein angemessenes Nutzungsentgelt zu ermitteln ist (s. Rz. 11.35). Diese reinen Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten ohne eigenes Personal haben daher lediglich die Zuordnungsregeln für materielle Wirtschaftsgüter (§ 5 BsGaV) und ggf. sonstige Vermögenswerte (§ 8 BsGaV) z.B. in Gestalt von Forderungen anzuwenden. Immaterielle Wirtschaftsgüter (§ 6 BsGaV) sind dieser Art von Betriebsstätte mangels eigenen Personals, das immaterielle Werte hätte schaffen können, nicht zuzuordnen. Das Gleiche gilt mangels eigenen Personals für Beteiligungen et al. (§ 7 BsGaV) und Geschäftsvorfälle (§ 9 BsGaV). Im letzteren Fall geschieht dies unter der Annahme, dass externe Kunden, i.e. fremde Dritte oder nahestehende Personen, neben dem bloßen Leitungsnetz bzw. der Betriebsstätte noch Dienstleistungen des übrigen Unternehmens erhalten, so dass die Geschäftsbeziehungen zu diesen Kunden immer dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) zuzuordnen sind. Von den verbleibenden Zuordnungsregeln der BsGaV sind diejenige für Sicherungsgeschäfte mit Bezug auf das Leitungsnetz oder den Server selbst (§ 11 Abs. 1 und 2 jeweils Nr. 2 BsGaV), diejenige für übrige Passivposten (§ 14 BsGaV) und diejenige für Finanzierungsaufwendungen (§ 15 BsGaV) grundsätzlich auf Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten anwendbar.

1 Mangels Personeneigenschaft der Betriebsstätte ist hier nicht ein Vertrag im rechtlichen Sinne, sondern eine schriftlich fixierte Abrede gemeint.

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B. Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten

Rz. 11.33 Kap. 11

Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern und sonstigen Vermögenswerten i.S. des § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG. Bei einer Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte beschränkt sich die Frage der Zuordnung neben dem Server und dem Leitungsnetz hauptsächlich auf Einrichtungen, wie z.B. Schalter, Sende- und Empfangsstationen oder ähnliche Einrichtungen, und die Software, die zum Betrieb und zur Nutzung der Server-Infrastruktur erforderlich ist. Diese Wirtschaftsgüter bzw. Vermögenswerte sind unter dem Veranlassungsprinzip einer Server- oder Leitungsnetzbetriebsstätte dann zuzuordnen gewesen, wenn sie der in dieser Betriebsstätte ausgeübten Unternehmensfunktion dienen. Angesichts der Tatsache, dass der Server bzw. das Leitungsnetz notwendige Voraussetzung für die Begründung einer Betriebsstätte ist, sind diese Wirtschaftsgüter bzw. Vermögenswerte ausnahmslos der Betriebsstätte zuzuordnen.1 Entgegen Pinkernell/Ditz2 scheidet eine Zuordnung eines Servers zum Stammhaus unter Anwendung der in Tz. 2.4 Abs. 6 Buchst. a BS-VWG aufgestellten Grundsätze aus, da eine nur vorübergehende Nutzung des Servers in der Serverbetriebsstätte deren Begründung ausschließt (vgl. Rz. 2.40 ff. und 11.22). Gleiches gilt für die Leitungsnetzbetriebsstätte. Etwas anderes kann jedoch dann, aber auch nur dann gelten, wenn zusätzlich zu dem Server eine feste Geschäftseinrichtung z.B. in Form eines Raums existiert, in dem der Server steht. Das Wirtschaftsgut „Server“ wäre dann dem Raum als fester Geschäftseinrichtung zuzuordnen, kann aus dem Raum jedoch auch vorübergehend entfernt werden, ohne dass dieser die Betriebsstätteneigenschaft verliert. § 5 Abs. 2 Satz 3 BsGaV enthält eine Zuordnungsregel für unbewegliches Vermögen, die dieses Vermögen einer Betriebsstätte zuordnet, wenn die Geschäftstätigkeit dieser Betriebsstätte in diesem unbeweglichen Vermögen ausgeübt wird (vgl. Rz. 4.82). Da Leitungsnetze unbewegliches Vermögen dieser Art sind, sind diese immer der durch sie begründeten Betriebsstätte zuzuordnen. Auf die Zuordnungskriterien des § 5 Abs. 1 (Personalfunktion der Nutzung) und Abs. 2 BsGaV (andere Personalfunktion der Anschaffung, Herstellung, Verwaltung oder Veräußerung) kommt es daher bei Leitungsnetzbetriebsstätten nicht an. Wenn und soweit Server ebenfalls unbewegliches Vermögen in diesem Sinne sind, gilt die gleiche Zuordnungsregel. Ansonsten wäre ein Server nach dem Zuordnungskriterium der „Nutzung“ der Betriebsstätte zuzuordnen, für deren Geschäftstätigkeit der Server überwiegend genutzt wird. Ein Server wird sowohl bei Eigen- als auch bei Fremdnutzung lediglich zur Nutzung zur Verfügung gestellt (siehe auch Rz. 11.32). Die Geschäftstätigkeit ist somit die Zurverfügungstellung des Servers gegen ein Nutzungsentgelt (Vermietung). Dieser reinen Leitungsnetz- oder Serverbetriebsstätte sind keine weiteren Wirtschaftsgüter zuzuordnen. Wenn neben der reinen Zurverfügungstellung noch weitere Leistungen von eigenem oder fremdem Personal angeboten werden, wird dies entweder im Rahmen einer Betriebsstätte mit Server geschehen, für die die Abgrenzungsregeln des Kapitels 4 anzuwenden sind (Alternative 1). Oder diese Leistungen werden von Personalfunktionen aus dem übrigen Unternehmen organisiert, dem diese Leistungsbeziehungen dann auch nach Maßgabe des § 9 BsGaV zuzuordnen sind (Alternative 2). In der Alternative 1 können neben der Hardware auch die Einrichtungen und die Software der Betriebsstätte mit Leitungsnetz oder Server zuzuordnen sein, die gemeinsam den Betrieb bzw. die Nutzung der Hardware-Infrastruktur für Unternehmenszwecke überhaupt erst ermöglichen. Während die physischen Einrichtungen zur Nutzung eines Servers, wie z.B. Telekommunikationshardware, wegen ihrer physischen und funktionalen Verbundenheit zum Server bzw. Leitungsnetz für eine Zuordnung zu der durch sie begründeten Betriebsstätte sprechen, ist eine Zuordnungsentscheidung hinsichtlich der Software abhängig davon, wer diese Soft1 Vgl. OECD, Attribution of Profit to a Permanent Establishment Involved in Electronic Commerce Transactions, Draft Report, February 2001, No. 49; Pinkernell/Ditz, FR 2001, 1271 (1275). 2 Vgl. Pinkernell/Ditz, FR 2001, 1271 (1275).

Andresen 625

11.33

Kap. 11 Rz. 11.34

Sonderfälle

ware in welcher Betriebsstätte entwickelt oder erworben hat (§ 6 Abs. 1 BsGaV). Dies gilt für das Betriebssystem genauso wie für die zur Anwendung kommende Telekommunikationssoftware und die Funktionssoftware, d.h. diejenige Software, die dem Server seine Eigenschaft als elektronischer Musikladen, elektronische Buchhandlung, elektronisches Abrechnungszentrum, elektronischer Bankschalter, elektronische Wertpapierhandelsabwicklung, elektronisches Reisebüro, elektronische Fotogalerie, elektronische Datenbank für wirtschaftliche, wissenschaftliche oder ähnliche Informationen verleiht bzw. vermittelt. Diese sind dem Stammhaus zuzuordnen, wenn diese Software vom Stammhaus entwickelt oder die Entscheidung über deren Erwerb von Stammhauspersonal getroffen worden ist.1 Der in der vorstehend beschriebenen Zuordnung zum Ausdruck kommende Funktionsumfang reflektiert die oben beschriebene, eher technisch orientierte und dadurch enge Auslegung des Betriebsstättenbegriffs. Sie orientiert sich an dem, was ein Server oder Leitungsnetz ohne den Einsatz von Personal und ohne dessen Entscheidungen autonom zu leisten vermag. Danach ist die Funktion eines Servers bzw. eines Leitungsnetzes auf die reine Datenverarbeitung bzw. den Datentransport reduziert. Entsprechend dürfte die Leitungsnetz- oder Serverbetriebsstätte im Wesentlichen eine oder zwei anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen i.S. des § 16 BsGaV zum übrigen Unternehmen haben: eine Nutzungsüberlassung des Leitungsnetzes oder Servers und ggf. weitergeleitete Finanzierungsaufwendungen für die Fremdfinanzierung der Herstellung oder Anschaffung des Leitungsnetzes bzw. Servers. Im Kontext dieser Überlegungen fällt es schwer, sich die Überlassung von Software an den Server als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung vorzustellen, um auf diese Weise den Gewinnanteil der Server- oder Leitungsnetzbetriebsstätte zu erhöhen.

11.34 Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern bzw. Vermögenswerten. Der AOA in § 1 Abs. 5 AStG n.F. knüpft die Zuordnung von Vermögenswerten an die sog. Personalfunktionen. Bei Betriebsstätten ohne Personal im Belegenheitsstaat stellt sich die Frage, ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen Vermögenswerte der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Während die Zuordnung von Personen zur Betriebsstätte, die deren physisches Funktionieren sicherstellen, nachvollziehbar ist und zur Zuordnung der für den Betrieb der Betriebsstätte notwendigen materiellen Wirtschaftsgüter bzw. Vermögenswerte führt, stellt sich die Frage, wo Wirtschaftsgüter bzw. Vermögenswerte zuzuordnen sind, die immateriell sind. Wenn und soweit diese immateriellen Wirtschaftsgüter durch das Personal des Einheitsunternehmens geschaffen worden sind, sind sie grundsätzlich dem Unternehmensteil zuzuordnen, in dem das Personal im Zeitraum der Erschaffung beschäftigt gewesen ist. Ausnahmen sind bei Auftragsentwicklungen jedoch denkbar. Bei Beschäftigung in mehreren Unternehmensteilen ist das Wirtschaftsgut/der Vermögenswert bzw. dessen Erträge entweder zwischen den Unternehmensteile aufzuteilen oder – wenn im Vorfeld entsprechende Vereinbarungen über Eigentumsverhältnisse getroffen worden sind – dem wirtschaftlichen Eigentümer zuzuordnen. Wenn und soweit diese immateriellen Wirtschaftsgüter nicht selbst geschaffen, sondern erworben worden sind, richtet sich die Frage der Zuordnung danach, welche Person(-alfunktion) die Entscheidung zum Erwerb des immateriellen Wirtschaftsguts bzw. Vermögenswerts getroffen hat. Eine solche Zuordnungsentscheidung sollte nur dann in Zweifel gezogen werden können, wenn die entscheidende Person die Ausbildung oder die Erfahrung für eine solche Entscheidung fehlt und im anderen Unternehmensteil eine solche qualifizierte Person beschäftigt ist. Gegebenenfalls ist eine Aufteilung vorzunehmen, wenn in mehreren Unternehmensteilen gleichermaßen zur Entscheidung befähigte Personen tätig sind und deren Betei1 Vgl. Wichmann in Oestreicher (Hrsg.), Konzernbesteuerung, Herne/Berlin 2005, 131 (147–148) – Bestimmung der Funktionsvergütung für den Betrieb eines Internetservers; vgl. Pinkernell/Ditz, FR 2001, 1271 (1277).

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B. Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten

Rz. 11.36 Kap. 11

ligung an der Entscheidung nicht eindeutig nachgewiesen werden kann. Entsprechend ist aus Sicht des Steuerpflichtigen zu beachten, dass eine entsprechende Dokumentation des Entscheidungsprozesses erstellt wird, die die Zuordnung des immateriellen Wirtschaftsguts bzw. Vermögenswerts stützt. Zuordnung von Chancen und Risiken. Dem in Rz. 11.31 f. beschriebenen Funktionsumfang entspricht es, dass die von der Betriebsstätte wahrgenommenen Chancen und übernommenen Risiken sich auf das technische Funktionsrisiko beschränken bzw. hinsichtlich der Chancen dieses reflektieren.1 Das technische Funktionsrisiko ist auf das Ausfallrisiko des Servers und das Kapazitätsrisiko beschränkt, d.h. wenn der Server bzw. das Leitungsnetz nicht in vollem Umfang, sondern nur mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit oder auch gar nicht zur Verfügung steht. Entgegen der Auffassung der OECD2 ist dem Server darüber hinaus nicht das Risiko aus dem Missbrauch der auf dem Server geschalteten Websites zuzurechnen, da der Server nicht selbst über die entsprechenden Schutzmaßnahmen entscheiden kann. Diese Entscheidung trifft das Stammhaus und hat deshalb auch die durch einen solchen Missbrauch entstehenden Kosten bzw. die Kosten der Versicherung solcher Risiken zu tragen. Neben dem technischen Risiko werden im Kontext der Serverbetriebsstätte das Forderungsausfallrisiko und das Marktrisiko diskutiert. Diese beiden über das technische Risiko hinausgehenden Risiken bestehen in erster Linie darin, dass diejenigen Kosten, die die Unternehmensteile in Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit getragen haben, von den erwirtschafteten Erträgen aus dieser Tätigkeit nicht gedeckt werden. Angesichts der Tatsache, dass der Server- oder Leitungsbetriebsstätte in erster Linie die Kosten der Anschaffung von Hard- und Software zuzuordnen sind, beschränkt sich deren Risiko auf diese Kosten, soweit diese nicht ohnehin im Wege des Nutzungsentgelts für das Leitungsnetz bzw. den Server abgedeckt sind. Eine Zuordnung von anderen, darüber hinaus gehenden Risiken zu einer Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte ist nicht mit den eingeschränkten Personalfunktionen vereinbar, die sich einer solchen Betriebsstätte zuordnen lassen. Auch wenn es grundsätzlich denkbar ist, einer Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte bei physischer Anwesenheit von eigenem Personal mehr Personalfunktionen zuzuordnen, als sie nur für den technischen Betrieb notwendig sind, sollten die Hürden dafür vergleichsweise hoch sein. Die Chancen der Betriebsstätte sind auf das Erzielen einer Nutzungsgebühr beschränkt, die jedoch den Kapitaleinsatz und die damit verbundenen Finanzierungskosten berücksichtigen muss.

11.35

Zuordnung übriger Passivposten und Finanzierungsaufwendungen. Der Leitungsnetzoder Serverbetriebsstätte ist auf der Aktivseite der Bilanz das Leitungsnetz bzw. der Server als Wirtschaftsgut zuzuordnen mit den Herstellungs- oder Anschaffungskosten, die über die Nutzungsdauer abzuschreiben sind. Wenn und soweit für die Herstellung oder den Erwerb Fremdkapital aufgenommen worden ist, ist dieses Fremdkapital der Betriebsstätte als übriger Passivposten über das Zuordnungskriterium des „unmittelbaren Zusammenhangs“ mit dem Leitungsnetz bzw. dem Server zuzuordnen (§ 14 Abs. 1 BsGaV). Gleiches gilt wegen § 15 Abs. 1 BsGaV auch für die Finanzierungsaufwendungen für dieses Fremdkapital. Selbst bei vollständiger Fremdfinanzierung ist dieser Passivposten nach Maßgabe des § 14 Abs. 2

11.36

1 Vgl. Wichmann in Oestreicher (Hrsg.), Konzernbesteuerung, Herne/Berlin 2005, 131 (148) – Bestimmung der Funktionsvergütung für den Betrieb eines Internetservers; OECD, Attribution of Profit to a Permanent Establishment Involved in Electronic Commerce Transactions, Draft Report, February 2001, No. 60–61. 2 OECD, Attribution of Profit to a Permanent Establishment Involved in Electronic Commerce Transactions, Draft Report, February 2001, No. 60.

Andresen 627

Kap. 11 Rz. 11.37

Sonderfälle

BsGaV ggf. zu kürzen, damit die Betriebsstättenbilanz unter Berücksichtigung eines angemessenen Dotationskapitals (s. dazu Rz. 11.37) ausgeglichen ist.

11.37 Dotationskapital der Server- oder der Leitungsnetzbetriebsstätte. Die Bestimmung des Dotationskapitals der Server- oder Leitungsnetzbetriebsstätte ist in den §§ 12 und 13 BsGaV für inländische und ausländische Betriebsstätten geregelt. Danach ist einer inländischen Serveroder Leitungsnetzbetriebsstätte der Anteil am Eigenkapital des Gesamtunternehmens zuzuordnen, der deren Anteil an der Aktivseite der Bilanz entspricht (Kapitalaufteilungsmethode i.S. des § 12 Abs. 1 BsGaV; siehe Rz. 4.144 ff.). Das heißt, wenn das Leitungsnetz bzw. der Server 10 % der Aktivseite der Steuerbilanz beträgt, ist der Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte 10 % des Eigenkapitals des Gesamtunternehmens als Dotationskapital zuzuordnen. Das für die Finanzierung des Server- oder Leitungsnetzes aufgenommene Fremdkapital ist der Betriebsstätte nur insoweit zurechenbar, als es gemeinsam mit dem nach Kapitalaufteilungsmethode zugerechneten Eigenkapital den Wertansatz des Servers bzw. des Leitungsnetzes in der Steuerbilanz nicht übersteigt. Im Ergebnis kann es dadurch zur Zuordnung von Verbindlichkeiten und Finanzierungsaufwendungen für den Server bzw. das Leitungsnetz zum übrigen Unternehmen kommen (s. dazu auch Rz. 4.174 ff.). Die inländische Finanzverwaltung kann veranlasst sein, ein höheres Dotationskapital nach Maßgabe von § 12 Abs. 2 oder 3 BsGaV ansetzen zu wollen, damit der der Betriebsstätte nach den §§ 14 Abs. 1 und 15 Abs. 1 BsGaV zuzuordnende Finanzierungsaufwand gemindert und das zu versteuernde Einkommen der Betriebsstätte erhöht wird. Die Anforderungen sind in den Rz. 4.144 bis 4.183 ausführlich dargestellt. Einer ausländischen Server- oder Leitungsnetzbetriebsstätte ist nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers in § 13 Abs. 1 BsGaV grundsätzlich zunächst kein Dotationskapital zuzuordnen (siehe Rz. 4.156 ff.). Nur dann, wenn aus betriebswirtschaftlichen Gründen ein Dotationskapital in bestimmter Höhe geboten erscheint (Mindestkapitalausstattungsmethode), ist ihr dieses notwendige Kapital zuzuordnen und reduziert dadurch den Finanzierungsaufwand, der dem Ausland zuzuordnen ist. Die Zuordnung eines höheren Dotationskapitals entsprechend dem Anteil der Aktiva der ausländischen Server- oder Leitungsnetzbetriebsstätte an den Aktiva gemäß inländischer Steuerbilanz des Gesamtunternehmens (Kapitalaufteilungsmethode) erlaubt § 13 Abs. 2 BsGaV dann, wenn das Ergebnis der Betriebsstätte dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Der Nachweis dafür kann durch vergleichbare Investitionen und deren Finanzierungsstruktur geführt werden. Die Obergrenze soll jedoch das in der Handelsbilanz der ausländischen Betriebsstätte (sic!) tatsächlich ausgewiesene Eigenkapital bilden (§ 13 Abs. 4 BsGaV).

IV. Einkünfteabgrenzung unter dem AOA 1. Rechtsgrundlagen

11.38 Innerstaatliches und Abkommensrecht. Für die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte gelten grundsätzlich die in Kapital 4 dargestellten allgemeinen Grundsätze des innerstaatlichen und die in Kapitel 5 dargestellten Grundsätze des Abkommensrechts.

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Andresen

B. Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten

Rz. 11.40 Kap. 11

2. Ermittlung des angemessenen Gewinns einer Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte a) Ermittlung des angemessenen Ertrags Ertragskomponenten. Das Einheitsunternehmen erwirtschaftet mit seiner Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte Erträge, die in der Regel lediglich aus der Vermietung des Servers bzw. Leitungsnetzes (Regelfall) resultieren und die ggf. – wenn in der Betriebsstätte eigenes Personal beschäftigt ist (Betriebsstätte mit Server oder Leitungsnetz) – zu ergänzen sind um ein Entgelt für die Überlassung von Software sowie weitere Dienstleistungsentgelte. Diese Vermietungs- und Dienstleistungserträge sind der Betriebsstätte zuzurechnen. Eine Zurechnung von sämtlichen erwirtschafteten Erträgen aus einer über den Server abgewickelten Geschäftstätigkeit unabhängig davon, dass die wertschöpfende Tätigkeit nicht durch den Server erbracht sein kann, wie sie dem FG Schleswig-Holstein1 offenbar vorschwebte, entspricht hingegen weder dem AOA noch dem Veranlassungsprinzip.2 Der AOA führt insoweit zu keiner Veränderung, da er nicht bewirkt, dass der Funktionsumfang einer Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte wesentlich über den bisherigen technischen Funktionsumfang hinauswächst. Ein weitergehender Funktionsumfang mit den damit einhergehenden Ertragskomponenten löst für den Steuerpflichtigen umfangreiche Argumentations- und Dokumentationspflichten aus, die vor der Abgabe einer Steuererklärung zu beachten sind, weil der AOA der Finanzverwaltung in sehr viel stärkerem Maße erlaubt, Innentransaktionen zu fingieren bzw. Annahmen darüber zu treffen, was der Steuerpflichtige im Innenverhältnis als Sachverhalt verwirklichen wollte. Das Nutzungsentgelt (Miete) für das Leitungsnetz sollte so bemessen sein, dass die Abschreibungen und Finanzierungsaufwendungen für das materielle Wirtschaftsgut „Leitungsnetz“ bzw. „Server“ gedeckt werden können und eine angemessene Verzinsung des Kapitals erreicht wird. Die Angemessenheit des Letzteren gilt es im Fremdvergleich zu belegen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass bei degressiver Abschreibung für steuerliche Zwecke im In- oder Ausland die Leitungsnetzbetriebsstätte oder Serverbetriebsstätte keinen Verlust erzielen darf. Maßgeblich für die Bestimmung des Entgelts und dessen Angemessenheit sind handelsrechtliche Werte, weil diese nicht von steuerrechtlichen Sonderregelungen verzerrt sind und außerdem den Vergleich zu fremden Dritten überhaupt erst erlauben, weil deren öffentlich zugänglichen Profitabilitätskennzahlen für den Fremdvergleich in den einzelnen Verrechnungspreismethoden immer handelsrechtliche Finanzkennzahlen sein dürften.

11.39

Abgrenzungsmethode. Grundsätzlich genießt die direkte Methode Priorität vor der indirekten Methode.3 Dies gilt auch für die Ertragszurechnung zum Stammhaus und dessen Serverbzw. Leitungsnetzbetriebsstätte, da es grundsätzlich möglich sein dürfte, die einzelnen Ertragskomponenten zu identifizieren und dem Stammhaus bzw. der Betriebsstätte zuzurechnen. Das FG Schleswig-Holstein hat in seinem Urteil v. 6.9.20014 auch die Anwendung der gemischten Methode als akzeptabel angesehen. Unter dem AOA kommt in erster Linie eine der bekannten Verrechnungspreismethoden zur Anwendung, da in Art. 7 OECD-MA 2010 nicht mehr zwischen direkter und indirekter Methode differenziert wird. Dies heißt jedoch nicht, dass etwa die Profit-Split-Methode oder Kostenumlagen unter dem AOA nicht mehr angewendet werden können. Das Gegenteil ist der Fall.

11.40

1 Vgl. FG Schleswig-Holstein v. 6.9.2001 – II 1224/97, EFG 2001, 1535 m. Anm. Herlinghaus. 2 Ebenso KB, IStR 2002, 640. 3 Differenzierend für den Bereich E-Commerce Sprague/Boyle, CDFI LXXXVIa 2001, Generalbericht, 115, 153; OECD, Discussion Draft, Are the current treaty rules for taxing business profits appropriate for E-Commerce?, No. 293–318. 4 Vgl. FG Schleswig-Holstein v. 6.9.2001 – II 1224/97, EFG 2001, 1535 m. Anm. Herlinghaus.

Andresen 629

Kap. 11 Rz. 11.41

Sonderfälle

11.41 Verrechnungspreismethode. Für die Bestimmung des angemessenen Ertragsanteils, der der Betriebsstätte zuzuordnen ist, kommt bei der Betriebsstätte des Server- oder Leitungsnetzbetreibers die Preisvergleichsmethode infrage, wenn hinreichend vergleichbare Daten unabhängiger Unternehmen über die Ver- bzw. Anmietung oder die Zurverfügungstellung ganzer Server oder Leitungsnetze oder deren Kapazität verfügbar sind. Unter der Annahme, dass dem Steuerpflichtigen Informationen über eine hinreichend vergleichbare Vermietung oder Verpachtung an einen, von einem oder zwischen fremden Dritten vorliegen, wird das dort vereinbarte Entgelt den Anteil des Ertrags des Einheitsunternehmens aus der durch den Server ausgeübten Tätigkeit bestimmen, der diesem Server zuzurechnen ist. Gegebenenfalls sind in Übereinstimmung mit § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG Anpassungen vorzunehmen, um die verglichenen Vermietungen, Verpachtungen oder Dienstleistungen vergleichbar zu machen. Wenn die Anwendungsvoraussetzungen der Preisvergleichsmethode nicht erfüllt sind, lässt sich der Ertragsanteil der Serverbetriebsstätte durch Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bestimmen,1 indem ein angemessener Gewinnaufschlag auf die Kosten ermittelt wird, die zur Errichtung und zum laufenden Betrieb notwendig und der Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte deshalb zuzurechnen sind (Vollkosten). Der angemessene Gewinnaufschlag kann dabei als Kapitalverzinsung auf die Summe aus Abschreibungen und Finanzierungsaufwand bestimmt werden. Dabei ist auf handelsrechtliche Werte abzustellen (siehe zur Begründung Rz. 11.39).

11.42 Kapitalverzinsung als sonstige Methode. Neben den vorstehend beschriebenen Standardmethoden ist auch die Bestimmung einer angemessenen Verzinsung des in der Server- oder Leitungsnetzbetriebsstätte eingesetzten Kapitals eine akzeptable Methode, den der Serverbzw. Leitungsbetriebsstätte zuzurechnenden Ertragsanteil zu bestimmen, da diese Betriebsstätten starke Ähnlichkeiten mit einem Investitionsprojekt aufweisen. Dabei ist der individuellen Risikoposition des Einheitsunternehmens in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen, indem für die Verzinsung des Dotationskapitals ein adäquater Eigenkapitalzins und für die Verzinsung des Fremdkapitals ein angemessener Fremdkapitalzins ermittelt werden, soweit der anzusetzende Fremdkapitalzins nicht bereits durch das von anderen Personen aufgenommene und an die Betriebsstätte weitergeleitete Fremdkapital bestimmt ist. b) Ermittlung des angemessenen Aufwands

11.43 Aufwandskomponenten. Neben den – ggf. über die Nutzungsdauer des Servers bzw. des Leitungsnetzes zu verteilenden – Anschaffungskosten oder den Kosten für die Anmietung der Hardware und der Software sind lediglich die laufenden Kosten des Betriebs zuzurechnen. Zu diesen laufenden Kosten gehören die Mietkosten des Standplatzes des Servers, Stromkosten, Telekommunikationskosten, Wartungs- und Reparaturkosten, Versicherungskosten und bei einer Betriebsstätte mit Server ggf. Entwicklungskosten für die auf dem Server eingesetzte Software und die Kosten für andere Dienstleistungen, die neben der Vermietung an den Kunden erbracht werden. Gleiches gilt für die Kosten der Leitungsnetzbetriebsstätte.

11.44 Zurechnung von Aufwendungen. Während alle Aufwendungen, die dem technischen Betrieb des Servers bzw. Leitungsnetzes zuzuordnen sind, wie z.B. Abschreibungen, Miet-, Strom-, Telekommunikations-, Wartungs- und Reparaturkosten, vollständig der Serverbetriebsstätte zuzurechnen sind, ist eine Zurechnung der Versicherungskosten nur insoweit nicht zu beanstanden, als diese Kosten für die Deckung des Ausfall- und Kapazitätsrisikos ent1 Vgl. OECD, Attribution of Profit to a Permanent Establishment Involved in Electronic Commerce Transactions, Draft Report, February 2001, No. 93; Steimel, IStR 2001, 522 (526); Ditz, IStR 2002, 210 (213).

630

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B. Leitungsnetz- und Serverbetriebsstätten

Rz. 11.47 Kap. 11

standen sind. Aufwendungen für das Einheitsunternehmen, die aus dem Missbrauch des Servers und dessen Infrastruktur oder anderen wirtschaftlichen Risiken resultieren, sind dem Stammhaus zuzurechnen, weil die dafür verantwortlichen Entscheidungen vom Stammhauspersonal getroffen oder – bei Entscheidung durch andere Personen – zumindest von ihm akzeptiert werden.1 Solche Entscheidungen werden wegen der mangelnden Zuordnung von nicht-technischem Personal zur Betriebsstätte in aller Regel nicht von dieser getroffen, so dass eine Zurechnung der aus dieser Entscheidung resultierenden Aufwendungen nicht dem Veranlassungsprinzip und dem AOA entspricht.

V. Besteuerung der einer Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte zuzurechnenden Einkünfte 1. Inländische Betriebsstätte Beschränkte Steuerpflicht. Die Einkünfte einer inländischen Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte unterliegen grundsätzlich der Einkommen- bzw. Körperschaft- und – bei Vorliegen eines stehenden Gewerbebetriebs im Inland – der Gewerbesteuer (siehe grundlegend Rz. 3.1 ff. und 3.20 ff.). Kabelnetze lösen nur dann eine Steuerpflicht aus, wenn und soweit sie im deutschen Küstenmeer oder auf dem Festland verlegt sind. Auf dem Festlandssockel lösen sie nur dann eine Steuerpflicht aus, wenn sie mit der Forschung oder Ausbeutung von Ressourcen auf dem deutschen Festlandsockel im Zusammenhang stehen.2

11.45

2. Ausländische Betriebsstätte Innerstaatliches Recht. Die Einkünfte einer ausländischen Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte unterliegen nach dem Welteinkommensprinzip der unbeschränkten Einkommen- und Körperschafsteuerpflicht im Inland (siehe grundlegend Rz. 3.32 ff.). Die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage ist um die ausländischen Einkünfte aus der Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte nach § 9 Nr. 2 oder 3 GewStG zu kürzen (siehe grundlegend Rz. 3.59 ff.).

11.46

Abkommensrecht – Bedeutung des Aktivitätsvorbehalts. Ist die ausländische Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte in einem DBA-Partnerstaat belegen, hat der Belegenheitsstaat das Besteuerungsrecht. Beim inländischen Stammhaus sind die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte gemäß Freistellungsmethode grundsätzlich aus deren inländischer Bemessungsgrundlage herauszurechnen. In vielen DBA ist die Anwendung der Freistellungsmethode jedoch an die Erfüllung eines Aktivitätsvorbehalts i.S. des Art. 23 Abs. 2 des jeweiligen DBA3 oder eine dem Art. 23 Abs. 4 OECD-MA4 nachgebildete Vorschrift zur Vermeidung einer Doppelfreistellung geknüpft. Sind deren Voraussetzungen erfüllt, tritt die Anrechnungsmethode unter Einbeziehung der ausländischen Einkünfte aus der Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte in die steuerliche Bemessungsgrundlage des Unternehmens an die Stelle der Freistellungsmethode, wenn in der Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte nicht überwie-

11.47

1 Widerspricht dieses Akzeptieren dem Verhalten eines ordentlichen gewissenhaften Geschäftsleiters, wäre insoweit eine Korrektur der mit der Entscheidung verbundenen Kosten geboten. 2 Vgl. Riemenschneider in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 1426, 522 f. 3 Eine Übersicht über Aktivitätsvorbehalte in deutschen DBA findet sich bei Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 23A/B OECD-MA Anlage (nach Rz. 74); Vogel in V/L6, Art. 23 OECD-MA Rz. 19–20, 67 ff. 4 Diese Vorschrift ist nicht als „subject-to-tax-clause“ zu verstehen; so Art. 23 Tz. 56.2 und 56.3 OECD-MK; Vogel in V/L6, Art. 23 OECD-MA Rz. 250.

Andresen 631

Kap. 11 Rz. 11.48

Sonderfälle

gend Einkünfte aus aktiven Tätigkeiten erzielt werden. Die Vermietung eines Servers bzw. Leitungsnetzes ist nicht als aktive Tätigkeit anzusehen und schließt somit – bei Bestehen eines Aktivitätsvorbehalts – die Anwendung der Freistellungsmethode aus,1 wie das nachfolgende Beispiel zeigt: Beispiel: Eine inländische GmbH ist Eigentümerin eines Servers im DBA-Ausland und vermietet diesen mit der für dessen Betrieb notwendigen Software zu angemessenem Entgelt an die I-KG, eine nahestehende Person mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland, und erbringt außerdem Wartungs- und Reparaturarbeiten an dem Server. Die I-KG spielt ihre zum Teil von Dritten gelieferten Inhalte mittels Standleitung auf den Server und vertreibt diese Inhalte über diesen Server, der auch die gesamte Geschäftsabwicklung übernimmt. Die Ideen für die Inhalte stammen aus der Entwicklungsabteilung der I-KG im Inland bzw. fremden Dritten. Die Entgelte für die überlassenen bzw. übertragenen Inhalte werden von einer ausländischen Telefongesellschaft abgerechnet und unter Einbehalt einer Inkassogebühr an die I-KG abgeführt. Die inländische GmbH hat wegen der erbrachten Dienstleistungen zusätzlich zur Vermietung eine Serverbetriebsstätte im Ausland, der neben den Abschreibungen aus der Investition in den Server die von der I-KG gezahlten Mieterträge und Dienstleistungsentgelte zuzurechnen sind. Die I-KG hat ebenfalls eine Serverbetriebsstätte im Ausland. Dieser Serverbetriebsstätte sind neben den Mietaufwendungen gegenüber der GmbH, den Inkassogebühren der Telefongesellschaft und den Entgelten für die von Dritten gelieferten Inhalte weitere Aufwendungen zuzurechnen, soweit diese mit dem Betrieb des Servers in Zusammenhang stehen. Die Erträge aus dem Vertrieb der Inhalte sind der Serverbetriebsstätte lediglich insoweit zuzurechnen, als sie eine Nutzungsgebühr für den Server widerspiegeln. Der verbleibende Residualgewinn ist dem Stammhaus der I-KG als Vergütung für die Entwicklung der vertriebenen Inhalte zuzurechnen, da diese im Stammhaus der I-KG geschaffen worden sind. Dies gilt auch insoweit, als die I-KG die Inhalte nicht selbst entwickelt, sondern von anderen Personen bezogen hat. Der Grund dafür liegt darin, dass die Entscheidung über den Bezug dieser Inhalte vom Personal der I-KG getroffen worden ist.

11.48 Hinzurechnung von Zwischeneinkünften. Sind die Voraussetzungen des jeweiligen DBA für die Anwendung der Freistellungsmethode erfüllt, hat der Betriebsstättenstaat das Besteuerungsrecht an den Einkünften einer ausländischen Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte. Der Staat, in dem das Stammhaus liegt, darf die ausländischen Einkünfte aus der Server- bzw. Leitungsnetzbetriebsstätte ggf. lediglich im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigen. Ungeachtet eines DBA sind die Einkünfte der ausländischen Serverbetriebsstätte in Wirtschaftsjahren, die nach dem 31.12.2002 beginnen, den Einkünften des inländischen Stammhauses nach § 20 Abs. 2 i.V. mit § 8 AStG hinzuzurechnen, wenn und soweit sich diese Einkünfte als Zwischeneinkünfte qualifizieren. Da ein Treaty Override etwa in Gestalt des § 20 Abs. 2 AStG nach Ansicht des BVerfG2 nicht verfassungswidrig ist, gilt dies uneingeschränkt.3 Lediglich innerhalb der Europäischen Union begrenzt das Schlussurteil des BFH in der Rechtssache Columbus Container Services die Anwendung des § 20 Abs. 2 und 3 i.V. mit § 7 ff. AStG auch für Veranlagungszeiträume, auf die § 20 Abs. 2 AStG i.d.F. des JStG 2008 anzuwenden ist.4 1 Vgl. BFH v. 5.6.2002 – I R 86/01, BStBl. II 2002, 683 = FR 2002, 1188; vgl. dazu Kaminski/Strunk, IWB 2002, Fach 3, Gr. 2, 1037 ff.; Kubaile, PIStB 2002, 280 ff. 2 Vgl. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 = FR 2016, 326 = ISR 2016, 125 m. Anm. Jochimsen = IStR 2016, 191. 3 Vgl. BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, BFHE 236, 304 = FR 2012, 819 m. Anm. Hagena/Wagner = IStR 2012, 426; Weigell, IStR 2009, 636. 4 Vgl. BFH v. 21.10.2009 – I R 114/08, BStBl. II 2010, 774 = FR 2010, 393 m. Anm. Buciek = IStR 2010, 149; Lieber, IStR 2010, 142; a.A. Sydow, IStR 2010, 174; s. auch EuGH v. 6.12.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container Services, ECLI:EU:C:2007:754 = IStR 2008, 63.

632

Andresen

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.48 Kap. 11

C. Bankbetriebsstätte I. Bankbetriebliche und bankaufsichtsrechtliche Grundlagen. . . . . . .

11.49

II. Betriebsstätteneigenschaft 1. Innerstaatliches Recht. . . . . . . . . . . . 2. Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . .

11.54 11.60

III. Bankspezifische Rechnungslegungspflicht und allgemeine Buchführungspflicht. . . . . . . . . . . . .

11.62

IV. Einkünfteabgrenzung bei Bankbetriebsstätten nach innerstaatlichem Recht 1. Einkünfteabgrenzung nach dem Authorised OECD Approach für nach dem 31.12.2012 beginnende Wirtschaftsjahre . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erster Schritt des AOA: Fiktive Verselbständigung der Bankbetriebsstätte aa) Die Vorstufe – Zuordnung von Personalfunktionen . . . . bb) Besondere Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten . . . . . cc) Zuordnung von Forderungen im Kreditgeschäft . . . . . . . . . dd) Zuordnung weiterer finanzieller Vermögenswerte . . . . . ee) Zuordnung von Sicherungsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zuordnung von Dotationskapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Inländische Bankbetriebsstätten ausländischer Kreditinstitute . . . . (2) Ausländische Bankbetriebsstätten inländischer Kreditinstitute. . . gg) Zuordnung übriger Passivposten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Zuordnung von global gehandelten Finanzinstrumenten . . . . . . . . . . . . . ii) Zuordnung von Geschäftsvorfällen und korrespondierenden Einkünften . . . . . . jj) Erfolgsabgrenzung im traditionellen Bankgeschäft (1) Zurechnung von Erträgen (2) Zurechnung von Aufwendungen . . . . . . . . . . .

11.65

11.70 11.74 11.76 11.80 11.82 11.84 11.87 11.94 11.99 11.104 11.109 11.111 11.115

kk) Die Bankenabgabe als Gegenstand der Erfolgsabgrenzung ll) Erfolgsabgrenzung im globalen Handel mit Finanzinstrumenten . . . . . . . . . . . . . b) Zweiter Schritt des AOA: Bestimmung und Vergütung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen . . . . . . . 2. Regeln der Einkünfteabgrenzung für vor dem 31.12.2012 endende Wirtschaftsjahre . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vermögensabgrenzung. . . . . . . . . b) Bestimmung des Dotationskapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dotationskapital inländischer Bankbetriebsstätten bb) Dotationskapital ausländischer Bankbetriebsstätten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erfolgsabgrenzung aa) Veranlassungsorientierte Abgrenzung von Erträgen und Aufwendungen. . . . . . . . bb) Zurechnung von Erträgen. . . cc) Zurechnung von Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Regelungen der Einkünfteabgrenzung bei Bankbetriebsstätten im Abkommensrecht 1. OECD-MA „vor 2008“ . . . . . . . . . . . 2. OECD-MA 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . 3. OECD-MA 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erster Schritt des AOA: Fiktive Verselbständigung der Bankbetriebsstätte aa) Functional and Factual Analysis . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zuordnung von Finanzwirtschaftsgütern (financial assets) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zuordnung von Dotationskapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zuordnung von Fremdkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweiter Schritt des AOA: Vergütung der Dealings . . . . . . . . c) Besonderheiten im „Global Trading“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.120 11.124

11.126 11.134 11.136 11.140 11.143 11.150

11.151 11.154 11.157

11.165 11.166 11.167

11.168 11.170 11.175 11.180 11.182 11.184

Andresen/Buchholz 633

Kap. 11 Rz. 11.49

Sonderfälle

I. Bankbetriebliche und bankaufsichtsrechtliche Grundlagen 11.49 Bankbetriebliche Leistungserstellung. Unternehmen der Kredit- und Finanzwirtschaft kennzeichnet der Leistungsfaktor „Geld“, der gleichzeitig Zahlungsmittel und haftendes Eigenkapital ist.1 Kerngeschäft von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten ist die Durchführung des Zahlungs- und Verrechnungsverkehrs, das Eröffnen von Finanzierungsmöglichkeiten sowie das Anbieten von Geld- und Kapitalanlagemöglichkeiten.2 Dazu tritt das Geschäft mit derivativen Finanzinstrumenten und sonstigen Finanzdienstleistungen. Das Bankgeschäft ist ein Dienstleistungsgeschäft, das gekennzeichnet ist durch dessen Immaterialität, seine mangelnde Lagerfähigkeit und Abstraktheit.3 Die Simultanität von Vertrieb und Produktion4 schlägt sich in bankorganisatorischer Hinsicht in einer besonderen Ausgestaltung der Wertschöpfungskette nieder, die ihre Folgewirkungen auf die Einkünfteabgrenzung insbesondere nach dem AOA hat. Multinationale Banken übertragen inhaltlich und technisch komplexe Teilprozesse auf institutsweit agierende Spezialstellen innerhalb der Bank und besetzen diese mit entsprechend geschultem Personal. Die daraus resultierenden Innenleistungsbeziehungen erhöhen nicht nur die Komplexität der betriebswirtschaftlichen Leistungsverrechnung nach dem Profit-Center-Konzept, sondern gleichermaßen die steuerliche Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Bankbetriebsstätte. Daneben werden Teilprozesse der Dienstleistungserstellung an fremde Dritte ausgelagert, die sowohl Ansatzpunkte für die Anwendung des Fremdvergleichs bieten, als auch Besonderheiten aufzeigen, wenn es um die Zuordnung dieser Geschäftsbeziehungen zu den einzelnen Betriebsstätten und ggf. sogar der dort ausgeübten Personalfunktion geht.

11.50 Bankaufsichtsrechtlicher Rahmen. Unternehmen des Bank- und Finanzsektors unterliegen weitreichender staatlicher Aufsicht. Der aufsichtsrechtliche Regelungsrahmen beeinflusst die unternehmerische Tätigkeit in vielfältiger Weise und bestimmt insoweit auch die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes, weil er die möglichen Handlungsoptionen determiniert. Das aus innerstaatlicher Sicht in §§ 25, 25a KWG und den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk)5 verankerte qualitative Aufsichtsrecht prägt die bankorganisatorische Ausrichtung. Die quantitativen Eigenmittelvorschriften bestimmen über den Abschluss von Neugeschäft. Eine zentrale Errungenschaft der Errichtung des EU-Binnenmarkts zum 1.1.1993 für Unternehmen des Bank- und Finanzsektors ist der sog. „Europäische Pass“ als Ausdruck des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung der Beaufsichtigung durch die staatliche Regulierungsbehörde.6 Kreditinstituten mit Sitz in einem anderen Staat des EWR7 ist es gestattet, durch inländische Zweigniederlassungen Bankgeschäfte zu betreiben und Finanzdienstleistungen zu erbringen,8 ohne eine gesonderte Erlaubnis der inländischen Auf-

1 Zu den Besonderheiten der Bankleistungserstellung Büschgen, Bankbetriebslehre5, 307–324. 2 Eilenberger, Bankbetriebswirtschaftslehre8, 11. 3 Von Stein in Obst/Hintner, Geld-, Bank- und Börsenwesen40, 556; Diehl, Zweigniederlassung ausländischer Banken, 34. 4 Büschgen, Bankbetriebslehre5, 311 ff. 5 BaFin Rundschreiben 10/2012 „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ (MaRisk) v. 14.12.2012. 6 Vgl. Erwägungsgrund 7 und 10 Bankenrichtlinie (RL 2006/48/EG, ABl. Nr. L 177/1 v. 30.6.2006). 7 Der EWR umfasst die Mitgliedstaaten der EU sowie die anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (§ 1 Abs. 5a KWG). 8 Ausgenommen ist das Investmentgeschäft.

634

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.51 Kap. 11

sichtsbehörde zu benötigen („single licence principle“).1 Diese in § 53b KWG verankerte Regelung wurde durch Rechtsverordnungen auf amerikanische,2 japanische3 und australische4 Kreditinstitute ausgedehnt. Für EU/EWR-Institute und diesen gleichgestellten Instituten bietet die grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit durch rechtlich unselbständige Zweigniederlassungen – neben allgemeinen Aspekten betriebswirtschaftlicher Effizienz5 – den Vorteil, dass für Zweigniederlassungen im Inland weder die Pflicht zum Ausweis aufsichtsrechtlicher Eigenmittel i.S. des Art. 92 i.V. mit Art. 25 ff. CRR6 noch zu gesonderter Jahresabschlussprüfung7 besteht.8 Mit Inkrafttreten des einheitlichen europäischen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) zum 4.11.2014 wurde die Aufsicht über bestimmte Kreditinstitute auf eine neue unionsrechtliche Grundlage gestellt und die Zuständigkeit der EZB begründet.9 Auch im Hinblick auf das „Passporting-Regime“ ändern sich die Zuständigkeitsregeln.10 Das Anzeigeverfahren und die Unterrichtung der EZB im Zuge der Tätigkeitsaufnahme einer Zweigstelle eines EWR-Instituts in einem SSM-Mitgliedstaat regeln die CRD IV11 und die SSM-VO,12 wenn es sich nach der Verordnung um ein als bedeutend eingestuftes Institut handelt.13 Begriff des Kreditinstituts und des Finanzdienstleistungsinstituts. Kreditinstitute im aufsichtsrechtlichen Sinn sind Unternehmen, die Bankgeschäfte i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 2 KWG gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreiben, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert (§ 1 Abs. 1 Satz 1 KWG). Finanzdienstleistungsinstitute sind Unternehmen, die Finanzdienstleistungen i.S. des § 1 Abs. 1a Satz 2 KWG gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreiben, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, und die keine Kreditinstitute sind (§ 1 Abs. 1a Satz 1 KWG). Inländische Zweigstellen von Unternehmen mit Sitz in einem anderen Staat gelten als Kreditbzw. Finanzdienstleistungsinstitute, wenn sie Bankgeschäfte betreiben bzw. Finanzdienstleistungen erbringen (§ 53 Abs. 1 Satz 1 KWG). Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute werden unter dem Oberbegriff „Institute“ zusammengefasst (§ 1 Abs. 1b KWG).

1 RL 89/646/EWG (ABl. Nr. L 386/1 v. 30.12.1989). In Deutschland umgesetzt durch das Vierte KWG-Änderungsgesetz v. 21.12.1992 (BGBl. I 1992, 2211), fortgeführt in Art. 16 Bankenrichtlinie (RL 2006/48/EG). 2 VO v. 21.4.1994, BGBl. I 1994, 887. 3 VO v. 13.12.1995, BGBl. I 1995, 1703. 4 VO v. 2.6.1999, BGBl. I 1999, 1247. 5 Dazu Büschgen, Bankbetriebslehre5, 603 ff. 6 VO (EU) Nr. 575/2013 v. 26.6.2013, ABl. Nr. L 176 v. 27.6.2013, 1, berichtigte Fassung ABl. Nr. L 321 v. 30.11.2013, 6. 7 § 53b Abs. 1 Satz 1 i.V. mit Abs. 3 Satz 1 KWG und § 53c Nr. 2 KWG. Drittstaaten-Institute sind nach § 53 Abs. 2 Nr. 2 und 3 zu gesonderter Buchführung und Abschlussprüfung verpflichtet. 8 § 53b Abs. 1 Satz 1 i.V. mit Abs. 3 Satz 1 KWG und § 53c Nr. 2 KWG. 9 Art. 4 i.V. mit Art. 6 VO (EU) Nr. 1024/2013 v. 15.10.2013, ABl. Nr. L 287 v. 29.10.2013, 63 (SSM-VO); s. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Oktober 2014, 45 (46 f.) und EZB, Leitfaden zur Bankenaufsicht, Sept. 2014, Rz. 9 ff. 10 Dazu Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Oktober 2014, 45 (61). 11 RL 2013/36/EU (CRD IV) v. 26.6.2013, ABl. Nr. L 176 v. 27.6.2013, 338. 12 Art. 6 Abs. 4, Art. 11–17 VO (EU) Nr. 1024/2013; dazu Brocker in Schwennicke/Auerbach, KWG3, § 53b KWG Rz. 27 ff. Siehe auch Art. 35 f. RL 2013/36/EU (CRD IV). 13 Die Formalia der Notifizierung regelt die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 926/2014 v. 27.8.2014, ABl. Nr. L 254 v. 28.8.2014, 2.

Andresen/Buchholz 635

11.51

Kap. 11 Rz. 11.52

Sonderfälle

11.52 Bankgeschäfte. Der aufsichtsrechtliche „Kunstbegriff“1 Kreditinstitut ist Oberbegriff für Unternehmen, die Bankgeschäfte i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–12 KWG betreiben. Für die Begründung des Status als Kreditinstitut reicht es aus, wenn ein Unternehmen nur ein Bankgeschäft aus dem abschließenden Katalog gewerbsmäßig betreibt.2 Klassische Bankgeschäfte sind das Einlagengeschäft (Nr. 1) und das Kreditgeschäft (Nr. 2). Dazu treten u.a. das Diskontgeschäft (Nr. 3), das Finanzkommissionsgeschäft (Nr. 4), das Depotgeschäft (Nr. 5), das Garantiegeschäft (Nr. 8), das Emissionsgeschäft (Nr. 10) und die Tätigkeit als zentrale Gegenpartei (Nr. 12), z.B. als Clearing-Stelle für OTC-Derivate.

11.53 Finanzdienstleistungen. § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1–12 KWG definiert in einem abschließenden Katalog Finanzdienstleistungen, deren Durchführung ein Unternehmen als Finanzdienstleistungsinstitut qualifiziert. Der Begriff des Finanzdienstleistungsinstituts ist subsidiär gegenüber dem des Kreditinstituts (vgl. § 1 Abs. 1a Satz 1 Halbs. 2 KWG), d.h., erbringt ein Finanzdienstleistungsinstitut auch Bankgeschäfte, ist es Kreditinstitut im aufsichtsrechtlichen Sinn. Erlaubnispflichtige Finanzdienstleistungen sind insbesondere alle Formen des Handels in Wertpapieren und anderen Finanzinstrumenten (Nr. 1–4).3 Finanzdienstleistung nach § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 4 KWG ist der Eigenhandel als Dienstleistung. Der Tatbestand des Eigenhandels erfasst in Buchst. a–d vier Varianten. Bei den Tätigkeiten nach Nr. 4a, 4b und 4c handelt es sich um sog. Eigenhandel „für andere“, der voraussetzt, dass das Geschäft objektiv eine Dienstleistung für andere darstellt. Nr. 4d4 erfasst mit Wirkung ab dem 15.5.2013 den Hochfrequenzhandel mit Finanzinstrumenten. Nach § 1 Abs. 1a Satz 3 KWG wird das gewerbsmäßig in bestimmten Umfang betriebene Eigengeschäft „ohne Kundenauftrag“5 und damit ohne Dienstleistungscharakter qua Fiktion als Finanzdienstleistung behandelt. Weitere Finanzdienstleistungen sind das Factoring (Nr. 9), das Finanzierungsleasing (Nr. 10), die Anlageverwaltung (Nr. 11) und das eingeschränkte Verwahrgeschäft (Nr. 12).

II. Betriebsstätteneigenschaft 1. Innerstaatliches Recht

11.54 Repräsentanz. Die grenzüberschreitende Tätigkeit durch eine Repräsentanz d.h. eine Präsenz, die lediglich der Kontaktpflege und Anbahnung neuer Geschäftsbeziehungen dient, stellt die schwächste und unverbindlichste Form der Erschließung ausländischer Bankmärkte dar.6 Eine Repräsentanz verfügt über keine aufsichtsrechtliche Erlaubnis, eigenständig Bankgeschäfte i.S. des § 1 Abs. 1 KWG im Aufnahmestaat zu erbringen bzw. diese in einer lokalen Bilanz zu buchen. Bedeutung gewinnt die Tätigkeit durch eine Repräsentanz besonders im Fall von Marktzugangsbeschränkungen.7 Eine Repräsentanz eines Instituts mit Sitz im Ausland (§ 53a KWG) erfüllt zwar regelmäßig die Tatbestandsvoraussetzungen einer Betriebsstätte i.S. des § 12 AO.8 Die innerstaatliche Besteuerungskompetenz wird indes grundsätzlich durch den

1 2 3 4 5 6 7 8

Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, KWG3, § 1 KWG Rz. 1. Siehe Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/CRR-VO5, § 1 KWG Rz. 29. Eingehend Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/CRR-VO5, § 1 KWG Rz. 132. Eingefügt durch das Hochfrequenzhandelsgesetz v. 7.5.2013, BGBl. I 2013, 1162. Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, KWG3, § 1 KWG Rz. 160e. Büschgen, Bankbetriebslehre5, 599 und 618. Schaus in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 1210. Hidien in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 49 Rz. D 3433 (Stand: Mai 2007).

636

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.57 Kap. 11

enger gefassten autonomen Abkommensbegriff der Betriebsstätte beschränkt.1 Dies gilt indes – ungeachtet der von den deutschen DBA erfassten Steuerarten – nicht für den Betriebsstättenbegriff i.S. der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung nach § 9 Nr. 3 GewStG2 (s. dazu ausführlich Rz. 11.438 ff.). Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA bzw. der entsprechende Norm des jeweiligen DBA privilegiert vorbereitende Tätigkeiten oder reine Hilfstätigkeiten. Insoweit überschreitet die Tätigkeit durch eine Repräsentanz nach den völkervertraglichen Vereinbarungen regelmäßig nicht die Betriebsstättenschwelle, es sei denn, die Anbahnung von Geschäften entfaltet einen vollständigen Vertriebscharakter.3 Die Grundsätze des Art. 5 OECD-MA sollten gleichsam auch für Zwecke der GewSt gelten, die in den sachlichen Anwendungsbereich der DBA fällt.4 Inländische Betriebsstätte. Inländische Zweigstellen ausländischer Institute begründen im Inland eine Zweigniederlassung i.S. der §§ 13d ff. HGB und somit auch eine Betriebsstätte nach § 12 Satz 2 Nr. 2 AO.5 Mit Eintragung im Handelsregister spricht eine widerlegbare Vermutung für das Bestehen einer Betriebsstätte im Inland (s. zu der Diskussion Rz. 11.438).6

11.55

Inländische Institute mit ausländischen Betriebsstätten. Ob ein inländisches Institut eine Betriebsstätte im Ausland begründet, richtet sich – soweit innerstaatliches Recht maßgeblich ist – ebenfalls nach § 12 AO. Im Übrigen finden die im Aufnahmestaat zur Errichtung von Zweigniederlassungen geltenden Rechtsvorschriften Anwendung.7 Auch insoweit gilt einschränkend grundsätzlich für die KSt und GewSt hinsichtlich der Zuordnung des Besteuerungsrechts an den Unternehmensgewinnen der begrifflich enger gefasste abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff des Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA (s. Rz. 11.54).8

11.56

Bankbetriebsstätte. Die BsGaV enthält erstmals eine gesetzliche Definition des Begriffs der Bankbetriebsstätte für Zwecke der steuerlichen Einkünfteabgrenzung (§ 18 BsGaV). Bankbetriebsstätte ist danach eine Betriebsstätte, die Teil eines Kreditinstituts i.S. des § 1 Abs. 1 KWG oder Teil eines Finanzdienstleistungsinstituts i.S. des § 1 Abs. 1a KWG ist, oder die Teil eines vergleichbaren Unternehmens im Sinne des ausländischen Bankenaufsichtsrechts ist und die gewerbsmäßig Bankgeschäfte betreibt. Die BsGaV knüpft damit an den bankaufsichtsrechtlich fundierten Begriff des Bankgeschäfts i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–12 KWG an. Nach den VWG BsGa ist der Begriff des Bankgeschäfts i.S. des § 18 Nr. 2 BsGaV weit zu verstehen und soll auch solche Geschäfte einer Bankbetriebsstätte erfassen, die mit Bankge-

11.57

1 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 12 AO Tz. 25 (Stand: Januar 2016); Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA Rz. 9 (Stand: Juli 2009); Henkes-Wabro, Gewinnabgrenzung bei Bankbetriebstätten, 102 ff. 2 BFH v. 20.7.2016 – I R 50/15, BFH/NV 2016, 1769 = ISR 2016, 424 m. Anm. Kahlenberg (abweichend die Vorinstanz FG Köln v. 7.5.2015 – 10 K 73/13, EFG 2015, 1558 = IStR 2015, 794; dazu Lüdicke, IStR 2015, 770 ff.); siehe auch Andresen, IWB 2017, 90. 3 Vgl. dazu das aktuelle Beispiel einer missglückten Repräsentanz in Frankreich in: Andresen, IStR 2017, 104 ff. 4 Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 2 MA Rz. 31 (Stand: Mai 2006); Ismer in Vogel/Lehner, DBA6, Art. 2 Rz. 74 f. 5 Ebenso BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.1.1 (im Folgenden auch BS-VWG). 6 BFH v. 30.1.1981 – III R 116/79, BStBl. II 1981, 560. 7 Die BS-VWG enthalten keinen zusätzlichen Hinweis darauf, unter welchen Voraussetzungen von der Begründung einer ausländischen Betriebsstätte aus zugehen ist. 8 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 12 AO Tz. 40 f. (Stand: Januar 2016).

Andresen/Buchholz 637

Kap. 11 Rz. 11.58

Sonderfälle

schäften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, obgleich isoliert betrachtet keine Bankgeschäfte i.S. des § 1 Abs. 1 KWG vorliegen.1 Dies gilt insbesondere für von einem Kreditinstitut erbrachte Finanzdienstleistungen i.S. des § 1 Abs. 1a KWG sowie für die Anlage von Vermögen in Wertpapieren, Beteiligungen und anderen Vermögenswerten durch ein Kreditinstitut. Voraussetzung ist eine bankübliche Kapitalanlage unter Beachtung des Grundsatzes der Risikostreuung. Werden Finanzdienstleistungsinstitute in einem anderen Staat durch eine Betriebsstätte tätig, die keine Bankgeschäfte im aufsichtsrechtlichen Sinn tätigt, ist diese nicht als Bankbetriebsstätte zu qualifizieren. Die besonderen Vorschriften des zweiten Abschnitts der BsGaV finden insoweit keine Anwendung. Zu beachten ist schließlich die Geltung der Begriffe der CRR.2 Nach § 1a Abs. 1 KWG müssen grundsätzlich3 alle4 Unternehmen, die dem gegenüber der CRR weit gefassten Begriff des Kreditinstituts i.S. des KWG unterfallen, auch die Vorgaben der CRR einhalten.5 Entsprechend gelten nach § 1a Abs. 2 KWG für Finanzdienstleistungsinstitute, die keine CRR-Wertpapierfirmen sind, die Regelungen der CRR für Wertpapierfirmen. Bezogen auf die steuerrechtliche Definition der Bankbetriebsstätte in § 18 BsGaV bewirkt die Anknüpfung an die Begriffe Kreditinstitut und Finanzdienstleistungsinstitut i.S. des KWG, dass die Vorgaben der CRR auf die steuerliche Gewinnaufteilung nach der BsGaV ausstrahlen.

11.58 Serverbetriebsstätte im Hochfrequenzhandel. Für Unternehmen der Finanzindustrie stellt sich die Frage der Begründung einer Betriebsstätte in der Ausprägung der sog. Serverbetriebsstätte (s. Rz. 11.29) unter dem besonderen Aspekt der Durchführung des Hochfrequenzhandels (High-Frequency Trading). Der Begriff beschreibt eine Handelstechnik, bei der Wertpapiertransaktionen von eigenständig handelnden, extrem schnellen Hochleistungscomputern ausgeführt werden. Diese Form des Handels mit Wertpapieren und Finanzinstrumenten wurde durch das Hochfrequenzhandelsgesetz der Aufsicht unterstellt (s. Rz. 11.53). Stellt ein ausländisches Finanzunternehmen einen eigenen Server in fremden Räumlichkeiten im Inland auf, z.B. im Serverraum einer inländischen Wertpapierbörse,6 und besteht eine gewisse Zugangs- und Einflussmöglichkeit, wird grundsätzlich eine Betriebsstätte i.S. des § 12 AO begründet.7 Da es sich bei der Handelstätigkeit regelmäßig nicht um eine bloß vorbereitende Tätigkeit oder Hilfstätigkeit i.S. des Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA handeln wird, fehlt es einer abkommensrechtlichen Beschränkung des Betriebsstättenbegriffs. Es gelten damit die allgemeinen Grundsätze der Einkünfteabgrenzung nach dem AOA i.S. des § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV. Ob die besonderen Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§§ 18 ff. BsGaV) Anwendung finden, richtet sich danach, ob das ausländische Unternehmen als Kreditinstitut oder als Finanzdienstleistungsinstitut i.S. des KWG zu qualifizieren ist und Bankgeschäfte betreibt. Daran wird es mit Blick auf das reine Hochfrequenz-Handeln grundsätzlich fehlen, denn der Handel in Finanzinstrumenten stellt (originär oder qua Fiktion) eine Finanzdienstleistung dar. Die Qualifikation als Bankbetriebsstätte hängt damit letztlich von der Auslegung des Begriffs Bankgeschäfte i.S. des § 18 Nr. 2 BsGaV ab (s. Rz. 11.57). Das BMF vertritt in den VWG BsGa ein weites Verständnis, wonach auch solche Geschäfte umfasst sein sollen, die mit Bankgeschäften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen („Annex-

1 2 3 4 5 6 7

VWG BsGa, Tz. 193. BMF, Monatsbericht 2013, 14. Ausnahmen gelten nach § 2 KWG. Nicht nur CRR-Kreditinstitute und CRR-Wertpapierfirmen i.S. des § 1 Abs. 3d KWG. Siehe Auerbach in Schwennicke/Auerbach, KWG3, § 1a KWG Rz. 2 und 4. Pinkernell, ifst-Schrift Nr. 494 (2014), 31. Ebenso Kahle/Baschnagel/Kindich, FR 2016, 193 (196).

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.62 Kap. 11

geschäfte“).1 Dies soll bspw. für von einem Kreditinstitut erbrachte Finanzdienstleistungen i.S. des § 1 Abs. 1a KWG gelten. Dies hat zur Folge, dass ein ausländisches Kreditinstitut, das im Inland (Hochfrequenz-)Wertpapierhandel über einen eigenen Server betreibt, grundsätzlich eine Bankbetriebsstätte i.S. des § 18 BsGaV begründet. Im Fall eines ausländischen Finanzdienstleitungsinstituts wäre die inländische Betriebsstätte hingegen typischerweise nicht als Bankbetriebsstätte zu qualifizieren. Die Annahme einer Bankbetriebsstätte ist insoweit kritisch zu sehen, als dies zur Anwendung der besonderen Zuordnungsregeln des § 19 BsGaV führt. Das Konzept der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion i.S. des § 19 Abs. 1 BsGaV ist indes nur bedingt vereinbar mit der Tätigkeit einer mitarbeiterlosen Serverbetriebsstätte im weitgehend autonom ablaufenden Wertpapierhandel.2 Ständiger Vertreter. Hinsichtlich der Betriebsstätteneigenschaft eines ständigen Vertreters von Instituten im In- und Ausland wird auf die Erläuterungen der Besonderheiten von Vertreterbetriebsstätten in Kapitel 11 F. verwiesen (s. Rz. 11.347 ff.).3

11.59

2. Abkommensrecht Betriebsstätte nach Abkommensrecht. Die von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen DBA enthalten keinen bankspezifischen Betriebsstättentatbestand. Die Existenz einer Betriebsstätte richtet sich nach der Art. 5 OECD-MA entsprechenden Regelung des jeweils einschlägigen DBA (s. Rz. 2.9 ff.). Banken, die im Ausland lediglich durch eine Repräsentanz tätig werden, profitieren grundsätzlich von dem Ausnahmentatbestand des Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA (s. Rz. 11.54).

11.60

Abhängiger Vertreter. Die abkommensrechtlichen Anknüpfungspunkte der Vertreterbetriebsstätte werden in Rz. 11.347 ff. erläutert.

11.61

III. Bankspezifische Rechnungslegungspflicht und allgemeine Buchführungspflicht Ergänzende Rechnungslegungsvorschriften für Institute mit Sitz außerhalb der EU, des EWR, der USA, Japans und Australiens. Für Zweigstellen von Instituten, die nicht in der EU, dem EWR, den USA, Japan und Australien ansässig sind, gelten im Inland grundsätzlich die ergänzenden Rechnungslegungsvorschriften für Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute.4 Im Mittelpunkt der bankspezifischen Regelungen steht die Erstellung eines Jahresabschlusses sowie eines Lageberichts nach den für große Kapitalgesellschaften geltenden Vorschriften des HGB.5 Dabei sind einzelne allgemeine Vorschriften auf Kreditinstitute nicht anzuwenden oder werden durch die durch Rechtsverordnung erlassenen Formblätter und andere Vorschriften ersetzt.6 Von zentraler Bedeutung ist die Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute (RechKredV).7 Das darin ge1 2 3 4

VWG BsGa, Tz. 193. Kritisch auch Kahle/Baschnagel/Kindich, FR 2016, 193 (201). Siehe auch Schaus in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 1213 ff. § 53 Abs. 2 Nr. 2–4 KWG; s. auch BS-VWG, Tz. 4.1.1 unter der Überschrift „Buchführungs- und Bilanzierungspflicht“. 5 § 53 Abs. 2 Nr. 2 KWG i.V. mit § 340 Abs. 1 und 4 HGB. 6 § 340a Abs. 2 HGB. 7 RechKredV v. 10.2.1992 (BGBl. I 1992, 203) i.d.F. der Bekanntmachung v. 11.12.1998, BGBl. I 1998, 3658.

Andresen/Buchholz 639

11.62

Kap. 11 Rz. 11.63

Sonderfälle

regelte handelsrechtliche Bilanzgliederungsschema ist Ausgangs- und Orientierungspunkt der steuerlichen Zuordnung von Wirtschaftsgütern im grenzüberschreitenden Einheitsunternehmen (s. allgemein Rz. 4.51, 4.55), das als Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut Bankgeschäfte betreibt.

11.63 Keine bankspezifische Rechnungslegungspflicht für Institute mit Sitz innerhalb der EU, des EWR, der USA, Japans und Australiens. Für CRR-Kreditinstitute1 und Wertpapierhandelsunternehmen2 mit Sitz in einem EU- oder EWR-Staat, den USA, Japan oder Australien und deren inländische Zweigniederlassungen gelten die ergänzenden Rechnungslegungsvorschriften grundsätzlich nicht.3 Eine Ausnahme bilden Wertpapierhandelsbanken,4 die den in Rz. 11.62 beschriebenen bankspezifischen Regelungen unterliegen.

11.64 Allgemeine Buchführungspflicht. Zweigniederlassungen sind bei ihrer Errichtung in das Handelsregister einzutragen5 und als Kaufmann zu qualifizieren. Inländische Niederlassungen von Instituten mit Sitz in einem EU- oder EWR-Staat, den USA, Japan oder Australien, für die die ergänzenden Regelungen der § 53b und § 53c KWG nicht gelten, unterliegen kraft ihrer Kaufmannseigenschaft der allgemeinen Buchführungspflicht nach § 238 Abs. 1 HGB und haben diese Pflicht nach § 140 AO auch für Zwecke der Besteuerung zu erfüllen (dazu Rz. 13.8).

IV. Einkünfteabgrenzung bei Bankbetriebsstätten nach innerstaatlichem Recht 1. Einkünfteabgrenzung nach dem Authorised OECD Approach für nach dem 31.12.2012 beginnende Wirtschaftsjahre

11.65 § 1 Abs. 4 und 5 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG. Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem AmtshilfeRLUmsG6 in § 1 Abs. 4 und 5 AStG die innerstaatliche Rechtsgrundlage für die verrechnungspreisbasierte Einkünfteabgrenzung bei Betriebsstätten nach Maßgabe des AOA geschaffen (dazu Rz. 4.1). Das in § 1 Abs. 5 AStG geregelte Abgrenzungskonzept gilt branchenübergreifend. Obgleich spezielle Regelungen für Bankbetriebsstätten fehlen, ist der AOA auf besondere Weise auf Unternehmen des Bank- und Finanzsektors „programmiert“. Unternehmen der Finanzwirtschaft haben dem OECD-Steuerausschuss Modell gestanden bei der Entwicklung des AOA.7 Die besondere Bedeutung des „Produktionsfaktors“ Risiko für Unternehmen des Finanzsektors – Risiken sind zugleich Gegenstand und Resultat der Bankleistungserstellung – ist primäre Triebfeder der Entwicklung eines international harmonisierten Konzepts der Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten gewesen. Ausdruck findet dies in dem in § 1 Abs. 5 Nr. 3 AStG fixierten Erfordernis, der Betriebsstätte die Chancen und

1 Ab dem 1.1.2014 ersetzt der Begriff CRR-Kreditinstitut (§ 1 Abs. 3d Satz 1 KWG i.d.F. des CRD IV-UmsG v. 28.8.2013, BGBl. I 2013, 3395) den bis dahin geltenden Begriff Einlagenkreditinstitut. 2 Vgl. zur Definition § 1 Abs. 3d Satz 4 KWG. 3 § 53b Abs. 1 und 3 und § 53c KWG. 4 Vgl. zur Definition § 1 Abs. 3d Satz 5 KWG. 5 §§ 13d ff. i.V. mit § 13 Abs. 1 Satz 1 HGB. 6 BGBl. I 2013, 1809. 7 Siehe auch Schön in Lüdicke, Besteuerung im Wandel, 71 (97).

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.68 Kap. 11

Risiken des Unternehmens zuzuordnen, die sie aufgrund der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Vermögenswerte übernimmt.1 Regelungen der BsGaV für nach dem 31.12.2014 beginnende Wirtschaftsjahre. Grundlage für die Umsetzung des AOA in innerstaatliches Recht sind die in § 1 Abs. 5 AStG verankerten unbestimmten Rechtsbegriffe „Personalfunktion“, „Vermögenswerte“ sowie „Chancen und Risiken des Unternehmens“. Mit der BsGaV2 zielt der Verordnungsgeber darauf, „noch konkreter als im Gesetz“3 sicherzustellen, dass bei der Anwendung des AOA wettbewerbsneutrale und im internationalen Kontext akzeptable Lösungen gefunden werden. Anzuwenden ist die BsGaV erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen.4 Dies gilt sowohl für die allgemeinen Vorschriften als auch für die Spezialregelungen für Bankbetriebsstätten.5

11.66

Sonderregelungen der BsGaV für Bankbetriebsstätten. Aufbauend auf den Definitionen und Zuordnungsregeln des Allgemeinen Teils regelt der zweite Abschnitt der BsGaV „Besonderheiten für Bankbetriebsstätten“. Sachlich erfasst sind Betriebsstätten, die Teil eines Kreditinstituts (§ 1 Abs. 1 KWG), eines Finanzdienstleistungsinstituts (§ 1 Abs. 1a KWG) oder eines vergleichbaren Unternehmens im Sinn des ausländischen Bankenaufsichtsrechts sind und Bankgeschäfte betreiben. Bei Bankbetriebsstätten in diesem Sinn gelten besondere Regeln für die Zuordnung von Vermögenswerten, die durch den Abschluss von Bankgeschäften entstehen (§ 19 BsGaV) sowie für die angemessene Ausstattung mit Dotationskapital (§§ 20 und 21 BsGaV). Abweichend von der dem Allgemeinen Teil zugrunde liegenden Figur der maßgeblichen Personalfunktion richtet sich der Blick bei Bankbetriebsstätten auf die Ausübung der „unternehmerischen Risikoübernahmefunktion“.6 Maßgeblich für die Zuordnung eines Vermögenswerts zu einer Bankbetriebsstätte ist die Personalfunktion, die dazu führt, dass die mit dem Vermögenswert verbundenen Chancen und Risiken des Unternehmens entstehen.7 Aufgrund der „engen Verzahnung“8 der Vermögenswerte von Unternehmen des Bankensektors mit sämtlichen diesen anhaftenden Chancen und Risiken (d.h. sowohl den Chancen und Risiken des Vermögenswerts selbst als auch den Chancen und Risiken der unternehmerischen Verwendung des Vermögenswerts9) hat die Zuordnung einheitlich zu erfolgen. Eine Trennung von Vermögenswert und diesem anhaftenden Chancen und Risiken ist zu vermeiden.10 Im Allgemeinen Teil der BsGaV werden die Risikosteuerung und die „Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen“ branchenübergreifend als typische Personalfunktionen benannt (§ 2 Abs. 3 Nr. 8 und 9 BsGaV). Auf die besondere Bedeutung dieser Aktivitäten für die Wertschöpfung grenzüberschreitender Banken sowie die bankorganisatorische Ausgestaltung geht der Verordnungsgeber im zweiten Abschnitt der BsGaV nicht näher ein.

11.67

Konkretisierung durch die VWG BsGa. Die am 22.12.2016 veröffentlichten „Grundsätze für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die Aufteilung der Einkünfte zwischen

11.68

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 AStG. Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) v. 13.10.2014, BGBl. I 2014, 1603. Siehe Verordnungsentwurf des BMF v. 5.8.2013, 2. § 40 BsGaV. Übergangsregelung gelten lediglich für Förderbetriebsstätten (§ 38 BsGaV). Zu dem abkommensrechtlichen Äquivalent der „key entrepreneurial risk-taking functions“ OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 16 und Teil II, Nr. 8; s. auch unten Rz. 11.169. § 19 Abs. 1 Satz 2 BsGaV. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 49 (zu § 2 Zu Abs. 5 Satz 1 BsGaV-E). VWG BsGa, Tz. 198; BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 95 (zu § 19 Zu Abs. 1 Satz 1 BsGaV-E). Siehe BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 97 (zu § 19 Abs. 2 Satz 4 BsGaV-E).

Andresen/Buchholz 641

Kap. 11 Rz. 11.69

Sonderfälle

einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte und auf die Ermittlung der Einkünfte der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes (AStG) und der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) (Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung – VWG BsGa)“1 enthalten konkretisierende Hinweise und Fallbeispiele für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Rahmen der Einkünfteabgrenzung bei Betriebsstätten. Spezifische Hinweise für Bankbetriebsstätten finden sich in Tz. 2.18–2.22 VWG BsGa.

11.69 Zeitlicher Anwendungsbereich. § 1 Abs. 4 und 5 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG ist erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2012 beginnen (§ 21 Abs. 20 Satz 3 AStG).2 Da die BsGaV erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2014 beginnen, fehlt es für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 aber vor dem 1.1.2015 beginnen, an inhaltlicher Präzisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe in § 1 Abs. 5 AStG. Die VWG BsGa sehen diesbezüglich vor, dass es nicht zu beanstanden sein soll, die Regelungen der BsGaV auch schon auf vorhergehende Wirtschaftsjahre anzuwenden (dazu auch Rz. 4.222 ff.).3 Diese auf den ersten Blick zugunsten des Steuerpflichtigen wirkende Regelung birgt erhebliche Unsicherheit, weil die VWG BsGa ausdrücklich auch den OECD-Betriebsstättenbericht 2010 als Auslegungshilfe in Bezug nehmen. Die BsGaV und dieser folgend die VWG BsGa weichen jedoch an einigen wesentlichen – im Folgenden aufzuzeigenden – Punkten gerade von den OECD-Empfehlungen ab. Dies könnte für den Steuerpflichtigen zwar in der „Übergangsphase“ unter Umständen Vorteile bedeuten. Es bleibt jedoch offen, ob die Finanzverwaltung letztendlich der Auslegung des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 durch den Steuerpflichtigen folgt. a) Erster Schritt des AOA: Fiktive Verselbständigung der Bankbetriebsstätte aa) Die Vorstufe – Zuordnung von Personalfunktionen

11.70 Funktions- und Risikoanalyse. Ausgangspunkt der Einkünfteabgrenzung unter der Ägide des AOA ist die fiktive Verselbständigung der Bankbetriebsstätte mittels einer Funktionsund Risikoanalyse (Rz. 4.64). Dabei ist die Bankbetriebsstätte nicht isoliert, sondern als Teil der Geschäftstätigkeit des Unternehmens zu betrachten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Der Blick richtet sich auf die gesamte Wertschöpfungskette, d.h. sämtliche (Einzel-)Tätigkeiten im Vorfeld sowie im Anschluss an die initiale Leistungserstellung. Auf dieser Grundlage sind die von der Bankbetriebsstätte ausgeübten Geschäftstätigkeiten zu identifizieren und zu analysieren. Im Kreditgeschäft dienen die den Mitarbeitern der einzelnen Institutssteile übertragenen (Teil-)Prozesse als Anknüpfungspunkt.4 Letztlich geht es darum, dass der Steuerpflichtige ermittelt, welche Tätigkeiten das eigene Personal ausübt und wo diese entfaltet werden (Rz. 4.65 ff.). Typische Personalfunktionen i.S. der BsGaV benennt die in § 2 Abs. 3 Satz 2 BsGaV enthaltene beispielhafte Aufzählung. Für die Einkünfteabgrenzung bei Bankbetriebsstätten gewinnen die Risikosteuerung (Nr. 8) sowie die „Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen“ (Nr. 9) besondere Bedeutung. Fehlt es an Mitarbeitern, die Funktionen ausüben, ist die betreffende Personalfunktion dort zuzuordnen, wo der 1 BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 – VWG BsGa. 2 § 21 Abs. 20 Satz 3 AStG. 3 VWG BsGa, Tz. 441. 4 Vgl. Hannemann/Schneider/Weigl, Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk)4, 636.

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.71 Kap. 11

sachliche engste Bezug besteht. Dieser zweite Parameter für die Zuordnung von Personalfunktionen dürfte insbesondere bei der Auslagerung von Geschäftsaktivitäten auf externe Dienstleister Bedeutung entfalten. Ein solcher sachlicher Bezug wird häufig durch die aufsichtsrechtliche Regulierung begründet sein und daher tendenziell auf eine Zuordnung der betreffenden Personalfunktion zu der Geschäftsleitungsbetriebsstätte hindeuten. Dies gilt zumindest dann, wenn es an einer zweiten Aufsichtsbehörde fehlt, z.B. bei Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitute mit Satzungssitz in einem Drittstaat, nicht notwendigerweise jedoch für Institute aus Japan, den USA und Australien. Unternehmerische Risikoübernahmefunktion. Nukleus der Einkünfteabgrenzung bei Bankbetriebsstätten sind die unternehmerische Risikoübernahmefunktion und deren Ausübungsort. Der Verordnungsgeber folgt dem Regelungsverständnis der OECD und richtet die Einkünfteabgrenzung bei Bankbetriebsstätten an Personalfunktionen besonderer Qualität aus. Die Verordnungsbegründung enthält – in Anlehnung an den OECD-Betriebsstättenbericht 20101 – zwar den Hinweis, dass keine Personalfunktion von vornherein als geringwertig oder unerheblich anzusehen sei.2 Bei Bankbetriebsstätten ist auf Grundlage der Funktions- und Risikoanalyse jedoch eine sog. unternehmerische Risikoübernahmefunktion zu identifizieren, die bestimmenden Einfluss auf die Einkünfteabgrenzung nimmt. Die übrigen Personalfunktionen haben den Status unterstützender Hilfsfunktionen. Insoweit besteht eine klarer Unterschied zu den BS-VWG aus 1999, weil dort alle Funktionen in die Betrachtung miteinbezogen worden sind. Die daraus resultierenden Scoring-Modelle dürften damit obsolet sein, weil der AOA einzig auf die unternehmerische Risikoübernahmefunktion abstellt. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 BsGaV ist die unternehmerische Risikoübernahmefunktion bei Kreditinstituten diejenige Personalfunktion, deren Ausübung dazu führt, dass die mit dem (finanziellen) Vermögenswert verbundenen Chancen und Risiken des Unternehmens entstehen. Die Aufnahme des rechtlich unzureichend ausdifferenzierten Ausdrucks „Chancen“ ist unglücklich, weil dies die Frage aufwirft, ob die Tätigkeiten einer Personalfunktion, die Chancen entstehen lassen, auch unternehmerische Risikoübernahmefunktion sein können. Denkbar wäre unter dieser Annahme, dass sämtliche Kundengespräche, von denen eine Vielzahl gar nicht in einen bankrechtlich relevanten Entscheidungsprozess mündet, die unternehmerische Risikoübernahmefunktion am Ort des Führens dieser Gespräche begründen. Dies war von der OECD definitiv nicht beabsichtigt, die lediglich den Begriff des Risikos verwendet. Dies entspricht der „Eigenart“ des Bankgeschäfts, das weitgehend aus dem Eingehen von Risiken und Dienstleistungen in deren Kontext besteht (s. Rz. 11.65). Bei der Qualifikation der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion ist – entsprechend den Empfehlungen des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 – darauf abzustellen, welche Personalfunktion aktiv darüber entscheidet, das einem finanziellen Vermögenswert anhaftende Risiko für das Kreditinstitut zu übernehmen und anschließend zu tragen.3 Wegen der gesetzgeberisch gewollten engen Anbindung an die Arbeiten der OECD spricht vieles dafür, bei der Auslegung des § 19 Abs. 1 Satz 2 BsGaV ausschließlich oder nahezu ausschließlich auf die Tätigkeiten abzustellen, die Risiken entstehen lassen. Die steuerliche Anknüpfung an die bankbetrieblichen Prozesse „aktiver Entscheidungsfindung“ innerhalb der grenzüberschreitenden Wertschöpfungskette ist durch die Vorgaben des Bankaufsichtsrechts beeinflusst.4 Grund dafür ist, dass die unternehmerische Entscheidung über die Annahme und damit die Entstehung einer (Kredit-)Risikoposition in starkem Maße durch die Regelungen des nationalen und internationa1 2 3 4

Siehe OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 17. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 45 (zu § 2 Abs. 3 Satz 1 BsGaV-E). VWG BsGa, Tz. 205. Siehe auch Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR-Beih 4/2014, 19.

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11.71

Kap. 11 Rz. 11.71

Sonderfälle

len Bankaufsichtsrechts geprägt ist. Das qualitative Aufsichtsrecht verpflichtet Institute zur Gewährleistung einer „ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation“ (§ 25a Abs. 1 Satz 1 KWG) und dabei insbesondere zu einer aufbauorganisatorischen Trennung der Bereiche Markt (Initiierung von Kreditgeschäften) und Markfolge im Kredit- und Handelsgeschäft. Die aufbauund ablauforganisatorische Trennung bildet das Kernstück der seit 2005 geltenden und wiederholt aktualisierten MaRisk1 und ist mit Wirkung ab Januar 2014 in § 25c Abs. 4a Nr. 3 Buchst. b KWG gesetzlich festgeschrieben worden.2 Ausdruck findet die Funktionstrennung darin, dass bei Kreditentscheidungen beide Bereiche, d.h. Markt und Marktfolge über ein Votum verfügen. Eine positive Kreditentscheidung bedingt zwei zustimmende Voten (MaRisk, Modul BTO 1.1, Tz. 2).3 In der Praxis richten grenzüberschreitend tätige Kreditinstitute spezialisierte Komitees ein. Neben strategischen Gremien, die allgemeine unternehmensweit geltende (Kredit-)Risikostrategien und Risikorichtlinien entwerfen, bestehen besondere Kreditkomitees (z.B. Gesamtvorstand, Kreditkomitee, Sub-Kreditkomitees), die über Genehmigungskompetenzen gegenüber den dezentralen Institutsteilen verfügen. Dies ist nicht zu verwechseln mit der „Nicht-KERT-Funktion“ (key entrepreneurial risk-taking) des Setzens von Limits für die Höhe des Geschäfts, das ein Institut bspw. mit einem Kunden, in einem Land oder mit einem Produkt eingehen darf.4 Abhängig von Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt des Kreditengagements setzt die Kreditvergabe die Gegenzeichnung durch das – regelmäßig zentral angesiedelte – Entscheidungsgremium voraus. Entsprechend der Funktionstrennung nach MaRisk gehören Kreditkomitees zu dem Bereich Marktfolge. Soweit die Entscheidungen von einem Ausschuss getroffen werden,5 sind die Mehrheitsverhältnisse innerhalb eines Ausschusses so festzulegen, dass der Bereich Marktfolge nicht überstimmt werden kann.6 Die VWG BsGa enthalten den Hinweis, dass die Festsetzung von Entscheidungsparametern durch das höhere Management, z.B. die Festlegung von Limits und die Überprüfung dieser Entscheidungsparameter durch Kreditkomitees oder andere Komitees, mangels aktiver Entscheidung über die Risikoübernahme im Einzelfall keine unternehmerische Risikoübernahmefunktion hinsichtlich konkreter finanzieller Vermögenswerte sei.7 Die VWG BsGa verkennen, dass die Aktivitäten der Marktfolge keine rein strategischen Tätigkeiten allgemeiner Geschäftspolitik darstellen. Das (Zweit-)Votum der Marktfolge ist notwendige Voraussetzung für das Eingehen der jeweiligen Risikoposition. Es hat „Entscheidungscharakter“8 und ist nicht bloß strategischer Natur.9 Die geografische Verortung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion innerhalb des grenzüberschreitenden Einheitsunternehmens ist insoweit aufsichtsrechtlich determiniert. Abhängig von der Ausgestaltung der Wertschöpfungskette führt dies dazu, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in mehr als einer operativen Einheit des Instituts ausgeübt wird. Das Risiko entsteht für eine Bank durch das Zusammenwirken von Person(alfunktion)en in den Bereichen Markt und Marktfolge, deren Bedeutung 1 MaRisk, Modul BTO. 2 „Gesetz zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen“ v. 7.8.2013, BGBl. I 2013, 3090. 3 Dazu Hannemann/Schneider/Weigl, Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk)4, 634. 4 Siehe OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 10. 5 Siehe Hannemann/Schneider/Weigl, Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk)4, 646. 6 MaRisk, BTO 1.1, Tz. 2. 7 VWG BsGa, Tz. 208 und 40. 8 Hannemann/Schneider/Weigl, Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk)4, 641. 9 Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR-Beih 4/2014, 20.

644

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.73 Kap. 11

es jeweils zu eruieren gilt. Dabei ist angesichts unterschiedlicher Geschäftsmodelle und bei verschiedenen Produkten eine hohe Variationsbreite möglich. Beim Lesen der VWG BsGa gewinnt der bankaufsichtsrechtlich vorgeprägte Leser jedoch den Eindruck, dass dieser materiell-rechtliche Rahmen, in dem sich der Fremdvergleich vollzieht und für steuerrechtliche Zwecke zu vollziehen hat, vom BMF nicht vollständig wahrgenommen worden ist. Bei Kreditvergaben an nachgeordnete Konzerntochtergesellschaften kann es überdies zur Verdopplung des Kreditgenehmigungsprozesses kommen, weil neben der Genehmigung des jeweiligen Kredits für das betreffende Konzernunternehmen ggf. die Erweiterung der Kreditlinie für den Gesamtkonzern einer Genehmigung durch Markt und Marktfolge bedarf. Fehlt es in diesen Konstellationen an einer Marktfolgeeinheit in den Betriebsstätten, kann es schnell zu einer Situation kommen, in der wegen der Ansiedelung der Markt- und Marktfolge-Entscheider im Stammhaus vieles für die Zuordnung des Kreditgeschäfts zum Stammhaus spricht, es sei denn, es greift § 19 Abs. 3 Satz 1 BsGaV. Zuordnung von Wirtschaftsgütern. Mit der Umsetzung des AOA in nationales Recht wurde erstmals gesetzlich geregelt, dass Wirtschaftsgüter für Zwecke der Einkünfteabgrenzung den einzelnen operativen Unternehmensteilen zuzuordnen sind. Nach § 1 Abs. 5 Nr. 2 AStG sind der Betriebsstätte die Vermögenswerte des Unternehmens zuzuordnen, die sie „zur Ausübung der ihr zugeordneten Funktionen benötigt“. Zuzuordnen sind diejenigen Vermögenswerte, die die Betriebsstätte und deren Personal befähigen, die zuzuordnenden Personalfunktion(en) auszuüben. Dabei wird es sich insbesondere um materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter der Betriebs- und Geschäftsausstattung handeln. Von der Zuordnung der unternehmerischen Initialausstattung1 ist die Allokation der im laufenden Geschäftsbetrieb produzierten Wirtschaftsgüter zu unterscheiden. Insoweit fehlt eine gesetzliche Regelung. Die Zuordnung der Wirtschaftsgüter bzw. Vermögenswerte, die aus dem Wertschöpfungsprozess hervorgehen, regelt die BsGaV.

11.72

Zuordnung von Chancen und Risiken. Chancen und Risiken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Wirtschaftsgut i.S. der §§ 5–8 oder einem Geschäftsvorfall i.S. des § 9 BsGaV stehen, sind der Betriebsstätte zuzuordnen, der auch der Vermögenswert oder der betreffende Geschäftsvorfall zuzuordnen ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 BsGaV; dazu Rz. 4.129). Für finanzielle Vermögenswerte gilt die Besonderheit, dass die Zuordnung des Vermögenswerts zugleich über die Zuordnung sämtlicher mit diesem zusammenhängenden Chancen und Risiken entscheidet, d.h. sowohl den Chancen und Risiken des finanziellen Vermögenswerts selbst als auch den Chancen und Risiken der unternehmerischen Verwendung des Vermögenswerts.2 Im Unterschied zu der Regelung des § 10 Abs. 1 BsGaV wird damit für finanzielle Vermögenswerte, die aus Bankgeschäften resultieren, das Bestehen des tatbestandlich erforderlichen unmittelbaren Zusammenhangs vermutet. Finanziellen Vermögenswerten anhaftende Risiken sind namentlich Kreditrisiken bzw. Adressenausfallrisiken, Währungsrisiken, Zinsrisiken, Marktpreisrisiken sowie regulatorische Risiken. Diese Risiken sind nach § 19 Abs. 1 BsGaV der Bankbetriebsstätte zuzuordnen, wenn diese die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausübt und ihr damit die finanziellen Vermögenswerte zuzuordnen sind.3

11.73

1 Siehe auch Schön in Lüdicke, Besteuerung im Wandel, 71 (94 f.). 2 VWG BsGa, Tz. 199. 3 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 95 (zu § 19 Abs. 1 Satz 1 BsGaV-E).

Andresen/Buchholz 645

Kap. 11 Rz. 11.74

Sonderfälle

bb) Besondere Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten

11.74 Gegenstand der Zuordnung nach Abschnitt 2 der BsGaV. Die BsGaV statuiert in § 19 BsGaV besondere Zuordnungsregelungen für die Einkünfteabgrenzung bei Bankbetriebsstätten. § 19 BsGaV ist lex specialis zu den allgemeinen Zuordnungsregelungen in Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 BsGaV (§§ 4–11).1 Die Regelung gilt für Vermögenswerte, die Gegenstand von Bankgeschäften i.S. des § 1 Abs. 1 KWG oder von Finanzdienstleistungen i.S. des § 1 Abs. 1a KWG sind – „finanzielle Vermögenswerte“. Der sachliche Anwendungsbereich des zweiten Abschnitts der BsGaV ist damit für sämtliche Vermögenswerte eröffnet, die durch das Betreiben von Bankgeschäften (s. Rz. 11.52) entstehen. Umfasst ist das Aktiv- und Passivgeschäft von Kreditinstituten. Darüber hinaus soll tatbestandlich auch die Zuordnung von Vermögenswerten, die durch das Erbringen von Finanzdienstleistungen (s. Rz. 11.53) entstehen, unter § 19 Abs. 1 BsGaV zu fassen sein. Da es sich bei dem Finanzdienstleistungsgeschäft vorwiegend um Provisionsgeschäft handelt, steht insoweit weniger die Zuordnung von („hergestellten“) finanziellen Vermögenswerten als vielmehr die Zuordnung von Geschäftsvorfällen des Unternehmens mit unabhängigen Dritten (§ 9 BsGaV) und den korrespondierenden Einkünften im Vordergrund. Entsprechend sind Vermögenswerte nach § 19 BsGaV zuzuordnen, die unter den folgenden Bilanzpositionsnummern (Aktivposten Nr.) des Formblatts 1 der RechKredV in der nachfolgenden Tabelle zu buchen sind, soweit sie aus Bankgeschäften stammen. Lfd. Nr. Bezeichnung lt. Formblatt 1 RechKredV

lt. Formblatt 1 RechKredV

Barreserve

Nr. 12

Schuldtitel öffentlicher Stellen und Wechsel, die zur Refinanzierung bei Zentralnotenbanken zugelassen sind

Nr. 2

Forderungen an Kreditinstitute

Nr. 3

Forderungen an Kunden

Nr. 4

Schuldverschreibungen und andere festverzinsliche Wertpapiere

Nr. 5

Aktien und andere nicht festverzinsliche Wertpapiere

Nr. 6

Handelsbestand

Nr. 6a

Treuhandvermögen

Nr. 93

Ausgleichsforderungen gegen die öffentliche Hand einschließlich Schuldverschreibungen aus deren Umtausch

Nr. 10

11.75 Ausübung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion. Finanzielle Vermögenswerte sind einer Bankbetriebsstätte zuzuordnen, wenn die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in dieser Betriebsstätte ausgeübt wird (§ 19 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Dieses der BsGaV zugrunde liegende Verständnis hat weitreichende Konsequenzen. Werden hinsichtlich eines

1 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 108 (zu § 22 Abs. 1 Satz 1 BsGaV-E). 2 Soweit aus Bankgeschäften. 3 Soweit aus Bankgeschäften.

646

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.75 Kap. 11

Vermögenswerts Personalfunktionen gleichzeitig in mehreren Unternehmensteilen ausgeübt (sog. Funktionsaufteilung),1 hat die Zuordnung an den Unternehmensteil zu erfolgen, dessen Personalfunktion die „größte Bedeutung“ beizumessen ist (§ 19 Abs. 2 Satz 1 BsGaV). Die Umsetzung des AOA in das innerstaatliche Recht erfolgt damit unter der Prämisse, dass es nur eine unternehmerische Risikoübernahmefunktion geben kann, die grundsätzlich unteilbar ist. Die BsGaV schränkt die einzelfallbezogene Gewichtung der Einzeltätigkeiten insoweit ein, als die „größte Bedeutung“ begrifflich nur einer Personalfunktion zukommen kann. Seine Grundentscheidung sichert der Verordnungsgeber mittels einer Fiktion ab. Die Personalfunktion, der die größte Bedeutung zukommt, gilt als unternehmerische Risikoübernahmefunktion (§ 19 Abs. 2 Satz 2 BsGaV).2 Eine „Konkurrenz“ unternehmerischer Risikoübernahmefunktionen in zwei oder mehr Bankbetriebsstätten sollen nach den VWG BsGa dergestalt bewältigt werden, dass vorrangig anhand qualitativer3 Kriterien festzustellen ist, welchem Teil dieser Personalfunktion für den finanziellen Vermögenswert die größte Bedeutung zukommt.4 Nähere Hinweise zu den relevanten „qualitativen, d.h. an den jeweiligen Erfolgsbeiträgen orientierten, Gesichtspunkten“5 enthalten die VWG BsGa nicht. Liefern diese Zuordnungsgrundsätze kein eindeutiges Ergebnis, soll der finanzielle Vermögenswert hilfsweise der Bankbetriebsstätte zuzuordnen sein, der auch die Kundenbeziehung zuzuordnen ist (§ 19 Abs. 3 Satz 1 BsGaV). Dieser Ansatz findet im Gesetz keine Stütze. Die Selbständigkeits- und Unabhängigkeitsfiktion der Betriebsstätte nach dem AOA ist im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise auszugestalten. Der Gesetzgeber hat mit dem AmtshilfeRLUmsG die Grundentscheidung getroffen, die steuerliche Fiktion unter Rekurs auf die – ökonomisch determinierten – „Personalfunktionen“ sowie „Chancen und Risiken“ zu konkretisieren. Die hilfsweise Zuordnung eines Vermögenswertes anhand der Kundenbeziehung entfernt sich nicht nur von den Zuordnungsgrundsätzen nach § 19 Abs. 1 und 2 BsGaV. Sie widerspricht auch der Verordnungsbegründung, die einer „willkürlichen oder zufälligen“ Zuordnung ausdrücklich entgegentritt.6 Die VWG BsGa illustrieren die Schwierigkeiten der Zuordnung entsprechend der Kundenbeziehung, weil dies wiederum die steuerliche Zuordnung der Kundenbeziehung erfordert. Eine Kundenbeziehung soll (nur dann) zu einer Bankbetriebsstätte gehören, wenn die maßgeblichen Personalfunktionen im Zusammenhang mit der Betreuung des Kunden, der Pflege der Kundenbeziehung, der Akquisition von Neukunden („Sales/Marketing“) in dieser Bankbetriebsstätte ausgeübt werden.7 Letztlich relativiert der Verordnungsgeber seine Hilfslösung,8 indem er in § 19 Abs. 3 Satz 2 BsGaV eine Öffnungsklausel aufnimmt, die eine abweichende Zuordnung gestattet, die dem Fremdvergleichsgrundsatz im Einzelfall betriebswirtschaftlich besser entspricht oder sich aus bankaufsichtsrechtlichen Gründen ergibt. Die Nachweis- und

1 Siehe VWG BsGa, Tz. 42. 2 Der Verordnungsgeber begründet die getroffene Regelung damit, dass dadurch „willkürliche oder zufällige Entscheidungen und Unsicherheiten“ vermieden würden; BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 96 (zu § 19 Abs. 2 Satz 2 BsGaV-E). 3 Die Beschränkung auf „qualitative“ Kriterien ist abzulehnen, da dies im Widerspruch zu der Gesetzesbegründung der BsGaV steht. Darin ist nicht erkennbar, dass für die Sachverhaltsanalyse vorrangig qualitative Aspekte ausschlaggebend sein sollen; s. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 48 (zu § 2 Abs. 5 Satz 2 BsGaV-E). 4 VWG BsGa, Tz. 213. 5 VWG BsGa, Tz. 42. 6 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 96 (zu § 19 Abs. 2 Satz 2 BsGaV-E). 7 VWG BsGa, Tz. 218. 8 Kritisch auch Kahle/Nast in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Rz. 5.51.

Andresen/Buchholz 647

Kap. 11 Rz. 11.76

Sonderfälle

Dokumentationspflicht obliegt auch in diesem Fall dem Steuerpflichtigen. Der Gesetzgeber und das BMF müssen sich hier den Vorwurf der Beliebigkeit gefallen lassen in einer Rechtsmaterie, deren Ausgangspunkt es ursprünglich gewesen ist, insbesondere für die Kreditwirtschaft klare Regelungen für den Buchungsort von Finanzaktiva zu schaffen. In der Praxis ist die Frage, wo Finanzaktiva gebucht werden, letztlich weitgehend von untergeordneter Bedeutung, solange die Wertbeiträge durch anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen angemessen auf die beteiligten Betriebsstätten aufgeteilt werden; es sei denn, dass sich Ausfallrisiken materialisieren und die betroffenen Finanzverwaltungen ex post darüber streiten, wer die Verluste für steuerliche Zwecke zu berücksichtigten hat. In diesen Fällen ist der Steuerpflichtige auf die Effektivität der Streitbeilegungsmechanismen wie Verständigungs- und Schiedsverfahren angewiesen. Daneben können steuerliche Folgewirkungen wie die Freistellung nach § 8b KStG oder die Anrechnung von Quellenabzugssteuern von der wirtschaftlichen Zuordnung der betroffenen Finanzaktiva zu einer bestimmten Betriebsstätte abhängig sein. cc) Zuordnung von Forderungen im Kreditgeschäft

11.76 Forderungen an Kunden aus dem Kreditgeschäft. In ihrer traditionellen Funktion als Finanzintermediäre koordinieren CRR-Kreditinstitute die Kapitalanlage- und Kapitalaufnahmebedürfnisse von Wirtschaftssubjekten und legen die eingeworbenen Mittel als Darlehen an Kapitalnachfrager heraus (Aktivposten Nr. 4 RechKredV). Über den unternehmerischen Erfolg im Kreditgeschäft als Zinsmargengeschäft entscheiden im Wesentlichen drei Faktoren: der vereinbarte Darlehenszins, die Kosten der Refinanzierung sowie die Aktivitäten des (passiven und aktiven) Risikomanagements. Besonderes Augenmerk gilt dabei den der Kreditausreichung nachgelagerten Tätigkeiten des aktiven Risikomanagements, die auf eine Absicherung der Risikopositionen über die Finanz- und Kapitalmärkte zielen. Diese Tätigkeiten beeinflussen die Höhe der aufsichtsrechtlich vorzuhaltenden Eigenmittel und bestimmen über die Fähigkeit, Neugeschäfte abzuschließen. Für die steuerliche Zuordnung einer Kreditforderung zu Stammhaus oder Betriebsstätte blendet die BsGaV die dem Abschluss eines Darlehens nachfolgenden Aktivitäten aus.1 Als unternehmerische Risikoübernahmefunktion bei Kreditinstituten soll lediglich eine Personalfunktion zu qualifizieren sein, deren Ausübung dazu führt, dass die mit dem Vermögenswert verbundenen Chancen und Risiken des Unternehmens „entstehen“.2 Zu berücksichtigen sind demnach nur solche Personalfunktionen, die bis zum Zeitpunkt der Entstehung des jeweiligen Vermögenswerts ausgeübt werden.3 Die VWG BsGa weisen darauf hin, dass für die Zuordnung von finanziellen Vermögenswerten des Kreditgeschäfts zwischen den Personalfunktionen, die der Schaffung eines neuen finanziellen Vermögenswerts (Kredit) dienen, und Personalfunktionen, die der Verwaltung eines existierenden finanziellen Vermögenswerts dienen zu unterscheiden ist.4 Als Grundannahme gilt dabei, dass die Verwaltung allein im Regelfall kaum die Zuordnung eines Vermögenswerts rechtfertigt.5 Darauf aufbauend enthalten die VWG BsGa – in Anlehnung an die in dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 dargestellten Funktionsgruppen (Rz. 11.171) – eine Darstellung der im Regelfall im Kreditgeschäft für die Schaffung und die Verwaltung eines Kredits bedeutsamen Personalfunktionen:

1 2 3 4 5

Siehe auch VWG BsGa, Tz. 198 und 200. § 19 Abs. 1 Satz 2 BsGaV. § 19 Abs. 2 Satz 3 BsGaV. VWG BsGa, Tz. 202. VWG BsGa, Tz. 200 und 80.

648

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.76 Kap. 11

„Schaffung eines neuen finanziellen Vermögenswerts“

„Verwaltung eines existierenden finanziellen Vermögenswerts“

Sales/Marketing: Akquisition von Neukunden, Betreuung von bestehenden Kundenbeziehungen, Erörterung des Finanzierungsbedarfs des Kunden und der Finanzierungsprodukte der Bank

Loan Support: Kreditverwaltung, Überwachung von Zins- und Tilgungszahlungen

Sales/Trading: Aushandeln der Vertragsbedingungen, Bewertung der Risiken (Kreditausfall-, Währungs-, Markt- und andere Risiken), Entscheidung über die Kreditvergabe und über deren Bedingungen (z.B. Preisbestimmung)

Monitoring Risk: Bonitätsüberwachung, Kontrolle der Risiko- und Zinspositionen

Treasury: Beschaffung von Refinanzierungsmitteln, Liquiditätssteuerung

Managing Risk: Entscheidung über die Absicherung bestehender Risiken (z.B. Hedging), über den Verkauf, über die Verbriefung von Krediten bzw. von Kreditausfallrisiken

Sales/Support: Überprüfung von Vertragsentwürfen und der vom Kunden angebotenen Sicherheiten, formeller Abschluss des Vertrags, Auszahlung des Kredits und seine Verbuchung

Treasury: Liquiditätssteuerung für das Kreditinstitut

Sales/Trading: Entscheidung über Prolongation von Krediten, Durchführung von Verbriefungsprozessen

Die VWG BsGa gehen davon aus, dass im Zuge der initialen Schaffung eines finanziellen Vermögenswerts die „Sales/Trading“-Funktion im Regelfall die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ist,1 weil in Ausübung dieser Funktion die aktive Entscheidung fällt, das Risiko für das Kreditinstitut zu übernehmen und anschließend zu tragen. Zeitlich nachgelagerte Funktionen, wie z.B. die Verwaltung von Risiken des Kreditinstituts, können danach im Zeitpunkt der Schaffung keine unternehmerischen Risikoübernahmefunktionen sein. Eine Besonderheit gilt für standardisierte Kreditangebote mit automatisierter Kreditzusage, weil hier an die Stelle der individuellen Entscheidung über die Kreditvergabe die aktive Entscheidung tritt, einen Kredit faktisch verbindlich durch die jeweilige Bankbetriebsstätte anzubieten, wenn der Kunde die Bedingungen erfüllt. Das Angebot ist in diesen Fällen die einzige, feststellbare Personalfunktion, die zur Übernahme der Chancen und Risiken des Kredits führt.2 Weiterhin würdigen die VWG BsGa den praktisch relevanten Fall einer geografischen Funktionsaufteilung. Werden Teile der „Sales/Trading“-Funktion in verschiedenen Bankbetriebsstätten ausgeübt, soll danach im Regelfall diejenige Personalfunktion als unternehmerische Risikoübernahmefunktion zu qualifizieren sein, die die Vertragsbedingungen mit den Kunden aushandelt.3 Diese Sichtweise ist zu eng, da die Marktfolge in aller Regel nicht mit dem Kunden verhandelt, aber eine bedeutsame Rolle in der Entscheidung über die Annahme des Kreditrisikos innehat. Risiken „entstehen“ in Banken durch Entscheidungen der in der Bank nach Aufsichtsrecht und internen Regelungen (wie des Kredithandbuchs) befugten Personen in den Bereichen Markt und Marktfolge. Die Personen, die die Vertragsbedingungen mit den Kunden aushandeln sind insoweit „Sprachrohr“ der Bank gegenüber dem Kunden. Einzelne dieser Per1 VWG BsGa, Tz. 205; s. auch OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 9. 2 VWG BsGa, Tz. 210. 3 VWG BsGa, Tz. 215.

Andresen/Buchholz 649

Kap. 11 Rz. 11.76

Sonderfälle

sonen mögen auch entscheidungsbefugt sein. Sie sind dies jedoch in aller Regel nicht allein, sondern an die von den MaRisk vorgegebenen Prozessen gebunden, die einer Entscheidung und der Bindung des Instituts durch Vertragsabschluss vorgelagert sind. Tätigkeiten, die dem Abschluss eines Kreditvertrags nachgelagert sind, haben richtigerweise grundsätzlich nicht die Qualität einer zuordnungserheblichen unternehmerischen Risikoübernahmefunktion, sondern lediglich die einer unterstützenden Personalfunktion.1 Nur unter besonderen – nicht näher erläuterten – Umständen erkennen die VWG BsGa an, dass die Verwaltung von Risiken ab einem bestimmten (nachgelagerten) Zeitpunkt ausnahmsweise die unternehmerische Risikoübernahmefunktion für einen existierende Kreditforderung sein kann.2 Bedeutung soll dies lediglich im Rahmen der Prüfung der besonderen Voraussetzungen für eine nachträgliche Zuordnungsänderung i.S. des § 19 Abs. 4 BsGaV erlangen (dazu Rz. 11.77). Dies ändert nichts an der Tatsache, dass der „eindimensionale“ Blick der VWG BsGa auf die Wertschöpfungskette die besondere Bedeutung der Tätigkeitsbündel „Managing Risk“ und „Sales/Trading“ in der Funktionsgruppe Verwaltung übergeht3 und die Besonderheiten der bankbetrieblichen Aufbau- und Ablauforganisation grenzüberschreitender Kreditinstitute ausblendet.4 Die Ausgestaltung dieser Tätigkeiten ist indes ihrerseits nicht Ausdruck freier unternehmerischer Disposition, sondern in erheblichem Maße durch die gesetzlichen Anforderungen des qualitativen Bankaufsichtsrechts bestimmt (s. Rz. 11.71). Die betrieblich-organisatorischen Rahmenbedingungen schlagen sich auf den Abschluss eines Kreditengagements als Resultat des grenzüberschreitenden Zusammenwirkens der verschiedenen Unternehmensteile nieder. Das Aufsichtsrecht misst der Verantwortung der Marktfolge, d.h. den Experten, die sich mit der Abwicklung sowie der Steuerung der Risikoposition befassen, bereits zum Zeitpunkt der initialen Kreditentscheidung das gleiche Gewicht zu wie dem Bereich Markt. Der Verordnungsgeber stellt für die Zuordnung von Kreditaktiva zwar auf die Entscheidung über die Eingehung der mit dem Vermögenswert verbundenen Chancen und Risiken ab, übergeht jedoch, dass die nachgelagerten Aktivitäten der aktiven Risikosteuerung in praxi Einfluss auf die initiale Kreditentscheidung nehmen können. Ist bereits vor Vertragsschluss gewährleistet, dass eine Kreditrisikoposition vollumfänglich durch Risikotransferinstrumente abgesichert und damit eigenkapitalschonend in die Bilanz genommen werden kann, beeinflusst dies die Entscheidung zum Abschluss des Geschäfts. Die BsGaV blendet die im Aufsichtsrecht angelegte Interdependenz zwischen Markt und Marktfolge aus. Die VWG BsGa gehen grundsätzlich davon aus, dass im Fall der Erforderlichkeit einer Zustimmung durch Personalfunktionen einer anderen Bankbetriebsstätte einer solchen Zustimmung nicht die größte Bedeutung für den finanziellen Vermögenswert zukommt.5 Nur ausnahmsweise kann die Zustimmung der anderen Personalfunktion die unternehmerische Risikoübernahmefunktion sein. Dies soll (nur) dann der Fall sein, wenn eine erneute eigene Kreditprüfung, eine Weisung für die weitere Verhandlung und inhaltlich die abschließende Kreditentscheidung durch die andere Betriebsstätte erfolgt.6 Letztlich nehmen die VWG BsGa damit nur eine „Verschiebung“ des Blickwinkels auf die im 1 Vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 8 i.V. mit Abs. 5 Satz 2 BsGaV. 2 VWG BsGa, Tz. 204. 3 Diese „Verwaltungsfunktionen“ dürften jedoch in erster Linie dann im Erstzuordnungsprozess relevant werden, wenn keine „buy-and-hold“-Strategie verfolgt wird, sondern z.B. nachgelagerte Verbriefungsprozesse bereits konkret mit Bezug auf das einzugehende Kreditengagement. An der grundsätzlichen Richtigkeit des Abstellens auf die Personalfunktionen, die vor der Entstehung eines Finanzaktivums ausgeübt werden, ändert dies nichts. Die BsGaV hat insoweit die Überlegungen der OECD präzise umgesetzt. So auch Andresen, RdF 2015, 303 ff. 4 Den typischen Kreditprozess illustrieren Greier/Persch, BB 2012, 1318 (1322). 5 VWG BsGa, Tz. 215. 6 VWG BsGa, Tz. 215.

650

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.77 Kap. 11

anderen Institutsteil ausgeübte Personalfunktion vor. Eine inhaltliche Bewältigung der durch das Bankaufsichtsrecht geprägten Realität der institutsinternen Interdependenzen der Personalfunktionen unterbleibt. Da aus bankaufsichtsrechtlicher Sicht der „Verhandlung“ grundsätzlich keine Relevanz für die Entscheidung über die Annahme eines Kredits zukommt, ist die Bezugnahme auf eine „Weisung für die weitere Verhandlung“ in den VWG BsGa insoweit aussagelos. Maßgeblich bleibt damit die Würdigung im konkreten Einzelfall. Nachträgliche Änderung der Zuordnung. Nach dem Regelungsverständnis der BsGaV ist die Änderung einer einmal erfolgten sachgerechten Zuordnung eines finanziellen Vermögenswerts regelmäßig ausgeschlossen. Die Zuordnung ist auch nach Entstehung des Vermögenswerts beizubehalten.1 Der Verordnungsgeber bleibt damit auf der Linie der bereits in den BSVWG 1999 vertretenen Auffassung.2 Für den Übertritt in die Ära des AOA am 1.1.2013 ist dies zu begrüßen, weil dadurch sonst ggf. eintretende Steuerentstrickungen verhindert werden.3 Die Regelungen der BsGaV haben jedoch erhebliche praktische Auswirkungen, denn die Zuordnung darf nur in engen Grenzen unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 4 BsGaV geändert werden. Dies soll bspw. gelten, soweit der jeweilige finanzielle Vermögenswert fortan der Bankbetriebsstätte zugeordnet wird, zu der die betreffende Kundenbeziehung besteht, und in der Bankbetriebsstätte, der der Vermögenswert bislang zugeordnet war, keine Personalfunktionen im Hinblick auf den Vermögenswert mehr ausgeübt werden (§ 19 Abs. 4 Nr. 1 BsGaV). Ein solches Verständnis der Zuordnung von Vermögenswerten ist im Wortlaut des § 1 Abs. 4 und 5 AStG nicht angelegt. Prüfungsmaßstab für die Anerkennung einer nachträglichen Änderung der Zuordnung ist – ausgehend von der umfassenden Selbständigkeits- und Unabhängigkeitsfiktion des AOA – der Grundsatz des Fremdvergleichs. Dieser Leitidee folgend, ist ein institutsinterner Transfer von finanziellen Vermögenswerten dem Grunde nach anzuerkennen, wenn ein solcher Vorgang im konkreten Fall als fremdüblich zu qualifizieren ist. Zu unterscheiden sind dabei zwei Fallgruppen: die subsequente Zuordnungsänderung infolge eines unternehmerisch gewillkürten Transfers von Wirtschaftsgütern sowie Änderungen der Zuordnung infolge eines „Funktionswandels“. Diese letztgenannte Kategorie erfasst Fallkonstellationen, in denen Eingriffe der Geschäftsleitung in das Organisationsgefüge zu strukturellen Änderungen in der geografischen Verteilung der Wertschöpfungstätigkeiten führen. Die geänderte Zuordnung der Wirtschaftsgüter ist Folge der Neuausrichtung der unternehmerischen Wertschöpfungskette. Demgegenüber fehlt es im Fall des gewillkürten Transfers von Kreditaktiva an einer Veränderung der unternehmerischen Zuweisung der Personalfunktionen. Beide Vorgänge sind am Fremdvergleichsgrundsatz zu messen und grundsätzlich steuerlich anzuerkennen. Mit Blick auf den gewillkürten Transfer von Kreditaktiva im Einheitsunternehmen ist zunächst zu fragen, ob auch zwischen fremden Dritten Wirtschaftsgüter der jeweiligen Art und Qualität übertragen werden. Angesichts der Marktentwicklungen seit der Jahrtausendwende wird dies regelmäßig zu bejahen sein. Der Verkauf großvolumiger Einzelkreditforderungen oder aggregierter Kreditportfolios („non-performing loans“ wie auch „performing loans“) stellt einen zwischen selbständigen und unabhängigen Marktteilnehmern üblichen Vorgang dar.4 Die aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalvorschriften schaffen Anreize, Risiken zu reduzieren oder zu diversifizieren, um auf diese Weise regulatorisch 1 2 3 4

VWG BsGa, Tz. 200 („anschließend“). BS-VWG, Tz. 4.1.2. Siehe auch die Billigkeitsregelung in VWG BsGa, Tz. 459. Zum Kreditverkauf (Loan Sale) Horsch/Fiedler in Burghof/Rudolph/Schäfer/Schönbucher/Sommer, Kreditderivate3, 107 (114 ff.); Rudolph/Hofmann/Schaber/Schäfer, Kreditrisikotransfer2, 21 f. Insbesondere im Markt mit „non-perfoming loans“ (NPL) etablieren sich zunehmend internetbasierte Handelsplattformen, wie z.B. The Debt Exchange (DebtX) oder Debitos.

Andresen/Buchholz 651

11.77

Kap. 11 Rz. 11.78

Sonderfälle

gebundenes Eigenkapital freizusetzen.1 Die Marktüblichkeit von Forderungsveräußerungen aktiviert den Fremdvergleichsgrundsatz als Prüfmaßstab dem Grunde nach. Es ist zu fragen, ob der den finanziellen Vermögenswert übernehmende Unternehmensteil über hinreichend unternehmerische Substanz (personelle und technische Ausstattung) verfügt, um die dem Vermögenswert anhaftenden Risiken angemessen kontrollieren zu können. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass ein fremder Dritter eine Risikoposition nur eingeht, wenn er in der Lage ist, das Risiko zu beherrschen. Damit verknüpft ist die Einschätzung, aus dem Geschäft innerhalb eines überschaubaren Zeitraums einen angemessenen Gesamtgewinn erwarten zu können.2 Ist dies zu bejahen, verlagert sich die steuerliche Berücksichtigung des Risikotransfers unter dem AOA hin zu der Bemessung eines der Höhe nach marktüblichen Entgelts (Kaufpreis). Die BsGaV setzt diese Grundentscheidung des AOA, den der deutsche Gesetzgeber in das nationale Recht übernommen hat, nicht konsequent um. Der Verordnungsgeber hat den in der ersten Entwurfsfassung der BsGaV vom 5.8.2013 vorgesehenen faktischen Ausschluss einer Zuordnungsänderung zwar abgemildert und in § 19 Abs. 4 Nr. 2 BsGaV eine Öffnungsklausel aufgenommen, um im Einzelfall dem Fremdvergleichsgrundsatz Rechnung tragen zu können. Diese Regelung steht jedoch nicht im Einklang mit der in § 1 Abs. 5 AStG verankerten umfassenden Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte nach Maßgabe des AOA. Die Verordnungsbegründung beschreibt Fälle, in denen das Risikomanagement ab einem bestimmten Zeitpunkt – nach der erstmaligen Zuordnung – ausschließlich von einer anderen Bankbetriebsstätte durchgeführt wird und das Risikomanagement die Bedeutung der Personalfunktion, die zur ursprünglichen Zuordnung geführt hat, eindeutig überwiegt.3 Der Verordnungsgeber begründet die Einschränkung der Selbständigkeitsfiktion damit, dass bei der Zuordnung der finanziellen Vermögenswerte „Stabilität sichergestellt werden soll“.4 Dies vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil die im ersten Schritt des AOA identifizierten anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen lediglich Grundlage für die anschließende Verrechnung fremdüblicher Entgelte im zweiten Schritt sind. Unter dem AOA verlagert sich die steuerliche Anerkennung interner Leistungsbeziehungen hin zu der Bemessung fremdüblicher Verrechnungspreise. Die seitens des Verordnungsgebers angeführte „Stabilität“ folgt gerade aus dem Zusammenwirken zwischen dem ersten und dem zweiten Schritt des AOA – nicht hingegen aus einer systemwidrigen Restriktion des ersten Schritts.

11.78 Anteilige Zuordnung. Die BsGaV erkennt eine anteilige Zuordnung durch Aufteilung von Wirtschaftsgütern nicht an. Für materielle Wirtschaftsgüter folgt dies aus dem Wortlaut des § 5 BsGaV (s. Rz. 4.83). Dieser Grundsatz soll auch für die Zuordnung von Vermögenswerten zu Bankbetriebsstätten gelten. Der Verordnungsgeber sichert diese Entscheidung (regelungstechnisch) durch das Tatbestandsmerkmal „größte Bedeutung“ in § 19 Abs. 2 Satz 1 BsGaV ab. Die Zuordnung zu der Personalfunktion mit der größten Bedeutung führt zu einer Entweder-oder-Entscheidung. Die BsGaV hält damit an dem Grundsatz der BS-VWG fest. Wirtschaftsgüter sind nur einheitlich einem Unternehmensteil zuzuordnen.5 Der Verordnungsgeber stellt sich gegen die Empfehlungen des OECD-Betriebsstättenberichts 2010, der als Konsequenz aus der Anerkennung mehrerer KERT-Funktionen auch die anteilige

1 Dazu auch Buchholz, Grenzüberschreitendes Kreditgeschäft durch Bankbetriebsstätten, 156. 2 BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann. 3 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 98 (zu § 19 Abs. 4 BsGaV-E). 4 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 97 (zu § 19 Abs. 4 BsGaV-E). 5 BS-VWG, Tz. 2.4.

652

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.79 Kap. 11

Zuordnung der finanzieller Vermögenswerte anerkennt (s. Rz. 11.172).1 Im Wortlaut des § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG findet sich ein solcher Grundsatz der einheitlichen Zuordnung nicht angelegt. Ausdrücklich regelt die Norm lediglich die Zuordnung der zur Ausübung der Funktionen eingesetzten Wirtschaftsgüter. Dem Gesetzeswortlaut ist insbesondere nicht zu entnehmen, dass eine anteilige Zuordnung grundsätzlich ausscheidet, aber für immaterielle Werte i.S. des § 2 Abs. 6 Nr. 2 BsGaV in bestimmten Fällen ausnahmsweise doch zulässig sein soll (§ 6 Abs. 4 BsGaV). Diese Auslegung anhand des „inneren Systems“ des AOAKonzepts ist von administrativen „Hürden“ einer anteiligen Zuordnung zu trennen, auf die Vertreter aus der Bankpraxis – nicht ohne Grund – hinweisen.2 Im Ergebnis wird die Tragweite des Streits über die anteilige Zuordnung von Kreditaktiva indes insoweit relativiert, als die steuerliche Anerkennung unternehmensinterner Leistungsbeziehungen – bei konsequenter Umsetzung der umfassenden Selbständigkeitsfiktion – als Korrektiv der einheitlichen Zuordnung dient. (Praktische) Bedeutung erlangt eine anteilige Zuordnung nicht zuletzt im Hinblick auf die Bestimmung eines angemessenen Dotationskapitals der Bankbetriebsstätte. Wird das Eigenkapital des Einheitsunternehmens nach der funktions- und risikobezogenen Kapitalaufteilungsmethode zugeordnet, vermag eine anteilige Zuordnung von Kreditaktiva eine trennschärfere Betriebsstättendotation zu gewährleisten. Man darf darauf gespannt sein, wie die Betriebsprüfungspraxis und die Verhandlungsführer des BZSt mit dieser restriktiven Haltung umgehen, wenn sich Ausfallrisiken zuungunsten des deutschen Staats im Inland materialisiert haben und der Sachverhalt auch eine zumindest anteilige Zuordnung des Vermögenswerts und/oder Risikos in das Ausland erlaubt hätte. Eine klare Prinzipienorientierung wäre insoweit hilfreich. Trennung von Kreditaktivum und Risiko. Die steuerliche Anerkennung unternehmensinterner Leistungsbeziehungen wurde mit dem AmtshilfeRLUmsG3 auf eine neue Grundlage gestellt. Mit Blick auf die Einkünfteabgrenzung bei Bankbetriebsstätten rückt die Frage nach der Anerkennung des institutsinternen Transfers von (Kredit-)Risiken in den Mittelpunkt. Nach den BS-VWG darf das Kreditrisiko einem anderen Unternehmensteil als dem, dem die Forderung zugeordnet worden ist, (nur) zugeordnet werden, wenn dies im Vorhinein, d.h. vor Geschäftsabschluss, vereinbart ist und gegen fremdübliche Vergütung erfolgt.4 Demgegenüber zielt die umfassende Selbständigkeit der Betriebsstätte nach dem AOA gerade darauf, unternehmensinternen Leistungsbeziehungen unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 BsGaV als anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen im Rahmen der Einkünfteabgrenzung zu berücksichtigen. Dies steht auch im Einklang mit dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 (s. Rz. 11.173).5 Bezogen auf die Geschäftstätigkeit von Kreditinstituten bereitet der AOA den Weg für die Übertragung von Risiken innerhalb des Einheitsunternehmens. In der Bankpraxis dienen interne Geschäfte u.a. der zentralen Risikosteuerung bestimmter Marktpreisrisiken und haben dort entsprechend eine weite Verbreitung, weshalb sich die OECD aus gutem Grund mit dem Thema Risikotransfer und dessen Bedingungen für die steuerliche

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II Nr. 75 („… the asset can be considered as owned jointly“); Teil II Nr. 77 („… might be treated as jointly owned …“); Teil II, Nr. 137: „… might exceptionally be treated as being ‚owned‘ jointly …“. 2 Nachweise bei Buchholz, Grenzüberschreitendes Kreditgeschäft durch Bankbetriebsstätten, 149; s. auch Hilsebein/Kröner in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 613 (Stand: Oktober 2015). 3 BGBl. I 2013, 1809. 4 BS-VWG, Tz. 4.1.2; s. Rz. 10.64 der Vorauflage. 5 Siehe OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil. II, Nr. 173 ff.

Andresen/Buchholz 653

11.79

Kap. 11 Rz. 11.79

Sonderfälle

Anerkennung im Detail auseinandergesetzt hat.1 Die Risikosteuerung in einer zentralen Stelle ermöglicht es, die externe Absicherung kostengünstig durch die im jeweiligen Produktsegment spezialisierten Handelsabteilungen abzuwickeln und auf diese Weise den externen Absicherungsaufwand zu verringern. Die Risikosteuerung erfolgt durch marktübliche Risikotransferinstrumente, namentlich Credit Default Swaps (CDS), Unterbeteiligungen oder andere Sicherungsabreden.2 Interne Geschäfte sind notwendig, wenn und soweit der Handelsbereich allein berechtigt ist, am Markt aufzutreten.3 Für die Frage der steuerlichen Abbildung derartiger Risikovereinbarungen sind – ebenso wie bei der nachträglichen Änderung der Zuordnung von Kreditaktiva – zwei Facetten des Risikotransfers zu unterscheiden.4 Gegenstand der einen Facette ist der „gewillkürte“ Transfer von Risiken, ohne dass sich die Personen in der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion innerhalb des Einheitsunternehmens geografisch verändern. Wenn und soweit in der Risiko übernehmenden Lokation entsprechend geschultes und berechtigtes Personal tätig ist, entspricht dieser Transfer vollumfänglich dem Fremdvergleichsgrundsatz dem Grunde nach. Die andere Facette behandelt den Transfer von Risiken im Zuge einer Verlagerung von Personalfunktionen in eine andere Bankbetriebsstätte. Der zweite Abschnitt der BsGaV statuiert keine bankenspezifischen Anforderungen an die Anerkennung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen, die insbesondere den institutsinternen Transfer von Risiken zum Gegenstand haben. Die BsGaV folgt für die Zuordnung von Adressausfallrisiken aus dem Kreditgeschäft dem Grundsatz, dass das einzelne Aktivum und die mit diesem zusammenhängenden Chancen und Risiken nur einheitlich dem Unternehmensteil zugeordnet werden können, der die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausübt.5 Eine Trennung zwischen Vermögenswert und den verbundenen Risiken soll vermieden werden.6 Dieses restriktive Verständnis des AOA widerspricht dem Leitgedanken des AOA, wie er auch in § 16 BsGaV hinsichtlich der Anerkennung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen zum Ausdruck kommt. Wären Betriebsstätte und das übrige Institut voneinander unabhängige Unternehmen, würde der Transfer von Kreditrisiken durch schuldrechtliche Vereinbarung in Gestalt von Kreditderivaten erfolgen. Der synthetische Transfer von Kreditrisiken über die Finanzmärkte stellt einen marktüblichen Vorgang dar, der dem Grunde auch steuerlich zwischen Teilen eines Unternehmens zu berücksichtigen ist.7 Triebfeder sind Kreditderivate, deren Marktvolumen in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist. Der Oberbegriff Kreditderivat erfasst insbesondere CDS und Kreditoptionen8 (z.B. Credit Default Option, Credit Spread Option).9 Im Kern gestatten diese Instrumente den Aufbau einer synthetischen Risikoposition bei einem Marktpartner (Sicherungsgeber/Stillhalter). Dieser verpflichtet sich, bei Eintritt eines vertraglich definier-

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Siehe Altvater, DB 2012, 939. Dazu allgemein Rudolph/Hofmann/Schaber/Schäfer, Kreditrisikotransfer2, 73 f. Scharpf/Schaber, Handbuch Bankbilanz6, 317. Dazu Andresen, RdF 2015, 303 (304). § 19 Abs. 2 Satz 4 BsGaV. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 97 (zu § 19 Abs. 2 Satz 4 BsGaV-E); einschränkend auch die Erläuterungen in Tz. 177 der VWG BsGa zum Allgemeinen Teil der BsGaV. 7 Dies gilt umso mehr, als eine Versicherungsbetriebsstätte mit einer anderen Person ein Sicherungsgeschäft abschließen kann, die dann wiederum mit der erstgenannten Betriebsstätte ein korrespondierendes Sicherungsgeschäft abschließen kann. 8 Kreditoptionen kennzeichnet die einmalige Fälligkeit der Prämienenzahlung bei Vertragsschluss. Bei CDS erfolgen hingegen regelmäßige Zahlungen (quartalsweise, halbjährlich, jährlich) an den Verkäufer der Absicherung. 9 Rudolph/Hofmann/Schaber/Schäfer, Kreditrisikotransfer2, 74 ff.

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C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.79 Kap. 11

ten Kreditereignisses eine Kompensation (physische Lieferung oder Barausgleich) an den Sicherungsnehmer zu leisten. Im Gegenzug erhält der Sicherungsgeber eine Prämie für die Übernahme des jeweiligen Risikos. CDS gestatten die isolierte Weitergabe von Kreditrisiken, ohne das zivilrechtliche Darlehensverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger zu berühren. Basisinstrument von CDS können sowohl Einzelpositionen (Single-Seller-Swaps) als auch Forderungsmehrheiten (Portfolio-Swaps) sein. Bei fiktionsfolgerichtiger Umsetzung des AOA sind institutsinterne Vereinbarungen eines synthetischen Risikotransfers durch anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen in Gestalt von anzunehmenden Credit Default Swaps („Quasi-CDS“) steuerlich zu berücksichtigen. Soweit der Verordnungsgeber die Untrennbarkeit von Finanzaktivum und Risiko betont, übergeht er, dass ein solches Verständnis gerade nicht im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 angelegt ist. Nach dem Betriebsstättenbericht ist ein der initialen Zuordnung des Kreditaktivums nachgelagerter institutsinterner Transfer von Kreditrisiken mittels eines (Quasi-)Kreditderivats steuerlich zu berücksichtigen, wenn der das „synthetisch“ isolierte Risiko übernehmende Unternehmensteil über die sachliche und fachliche Kapazität verfügt, das Risiko zu bewerten, zu überwachen und zu steuern (dazu Rz. 11.174).1 Davon ausgehend gründet der Verordnungsgeber seinen Regelungsansatz auf ein unzutreffendes Verständnis des englischsprachigen Texts des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 (s. auch Rz. 4.197).2 Zu demselben Ergebnis, d.h. der Anerkennung des internen Risikotransfers, muss letztlich auch die konsequente Anwendung der allgemeinen Regelungen der BsGaV führen. Werden die Personalfunktionen „Risikosteuerung“ und „Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen“ (§ 2 Abs. 3 Nr. 8 und 9 BsGaV) als unterstützende Personalfunktionen begriffen und werden diese Funktionen in praxi einem anderen Unternehmensteil zugeordnet als demjenigen, der die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausübt, sind die resultierenden Innenleistungsbeziehungen durch anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen i.S. des § 16 Abs. 1 BsGaV abzubilden. Dies widerspricht nicht der in § 19 Abs. 2 Satz 4 BsGaV angelegten „Akzessorietät“ von Wirtschaftsgut und anhaftendem Risiko. Dieses Verständnis betrifft die Erstzuordnung des Aktivums und sagt für sich genommen nichts über die Zulässigkeit des gewillkürten nachträglichen Risikotransfers durch eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung aus. Die besonderen Regelungen im zweiten Abschnitt der BsGaV stehen der Anerkennung eines synthetischen Risikotransfers nicht entgegen. Auch ist gegen einen internen Risikotransfer nicht die im OECD-Betriebsstättenbericht 20103 und der Verordnungsbegründung4 betonte einheitliche Bonität des Einheitsunternehmens einzuwenden. Denn der Abschluss von CDS setzt im Gegensatz zu echten Garantievereinbarungen gerade kein besseres Rating des Risikoübernehmers voraus. Es geht hier um das ggf. GuV-wirksame Tragen des Ausfallrisikos und nicht um die Erlangung günstigerer Finanzierungskonditionen aus einem besseren Credit Rating übergeordneter Konzerneinheiten. Maßgeblich ist das Rating des externen Schuldners (Kreditnehmer) und nicht das des Gläubigers, i.e. der Bank. Da der Abschluss eines CDS als schwebendes Geschäft beim Sicherungsgeber nicht zu einem Bilanzeintrag führt, kommt es auch nicht zu einer Verzerrung der Bilanz, die nicht durch eine ohnehin in der BsGaV angelegte Anpassung auf der Passivseite der Betriebsstättenbilanz ausgeglichen werden könnte. Die Dokumentation der Auswirkungen von Risikotransfers auf die Bestimmung des Dotationskapitals sollte jedoch nicht unterschätzt werden.

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 179; deutlich auch Weitbrecht in FS für Wilhelm Haarmann, 991 (1004 f.). 2 Eingehend Andresen, RdF 2015, 303 (304 f.). 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 30 und 99. 4 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 43 (zu § 1 Abs. 1 Satz 1 BsGaV-E); VWG BsGa, Tz. 7.

Andresen/Buchholz 655

Kap. 11 Rz. 11.80

Sonderfälle

dd) Zuordnung weiterer finanzieller Vermögenswerte

11.80 Forderungen aus Wertpapierleihgeschäften. Unter dem Aktivposten Nr. 3 der RechKredV „Forderungen gegenüber Kreditinstituten“ (§ 14 RechKredV) sind u.a. Forderungen aus Wertpapierleihgeschäften zu erfassen, wenn neben dem zivilrechtlichen Eigentum an den übertragenen Wertpapieren auch das wirtschaftliche Eigentum auf den Darlehensnehmer übergeht.1 Die Darlehenspapiere (Aktien, Anleihen) werden zum vereinbarten Verleihkurs (Buchwert) aus der Bilanz des Darlehensgebers (Verleiher) ausgebucht und eine Forderung in selber Höhe mit entsprechender fristgemäßer Zuordnung eingebucht. Im Gegenzug werden die Papiere aufseiten des Darlehensnehmers (Entleiher) mit ihrem Marktwert (Teilwert) im Zeitpunkt des Zugangs aktiviert und eine gleich hohe Rückgabeverbindlichkeit passiviert.2 Im Betriebsstättensachverhalt ist zwischen dem Außengeschäft der Betriebsstätte und dem (vorausgehenden) internen Geschäft zu trennen. Ein von der Betriebsstätte im Außenverkehr abgeschlossenes Wertpapierleihgeschäft wirft keine besonderen Probleme auf. Es gelten die Zuordnungsgrundsätze des § 9 BsGaV. Unter der Ägide des AOA rückt die steuerliche Anerkennung institutsinterner Wertpapierleihgeschäfte („Nutzungsüberlassungsverhältnisse“) in den Mittelpunkt. Beispiel: Eine Betriebsstätte schließt zu Refinanzierungszwecken mit einem fremden Dritten3 zu marktüblichen Konditionen ein Wertpapierleihgeschäft über Aktien ab, die steuerlich zutreffend dem Stammhaus zugeordnet sind. Das Stammhaus überträgt die Wertpapiere im Wege eines internen Wertpapierleihgeschäfts auf die Betriebsstätte. Vertragliche Grundlage ist das Muster eines Rahmenvertrags für Wertpapierdarlehen des Bankenverbands.

Die Vereinbarung eines solchen Wertpapierleihgeschäfts ist z.B. im Rahmen einer Teilnahme der Betriebsstätte an einer Refinanzierungsfazilität der Zentralbank im Betriebsstättenstaat in Landeswährung denkbar. Die Wertpapiere dienen dabei als Sicherheit („collateral“). Ein solches internes Wertpapierdarlehen ist infolge der Umsetzung des AOA in nationales Recht für nach dem 1.1.2013 beginnende Wirtschaftsjahre steuerlich dem Grunde nach berücksichtigungsfähig.4 Es kann insoweit nichts anderes gelten, als wenn die Wertpapiere an die Betriebsstätte veräußert worden wären. In beiden Fällen ist der Vorgang als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung i.S. des § 16 Abs. 1 BsGaV zu berücksichtigen, weil unabhängige Dritte den angestrebten wirtschaftlichen Vorgang durch Abschluss eines Wertpapierleihgeschäfts geregelt hätten. Die Verwendung eines marktüblichen Vertragsmusters („Global Master Securities Lending Agreement“ der International Securities Lending Association oder dem Rahmenvertrag für Wertpapierdarlehen des Bundesverbands deutscher Banken) ist Indiz für eine marktübliche Ausgestaltung der Innenvereinbarung.

11.81 Beteiligungen und Finanzanlagen. Für die Zuordnung von Beteiligungen (Aktivposten Nr. 7 RechKredV), Anteilen an verbundenen Unternehmen (Aktivposten Nr. 8 RechKredV) und Finanzanlagen gelten mangels Spezialregelungen im zweiten Abschnitt der BsGaV die allgemeinen Vorschriften (vgl. § 18 i.V. mit § 7 Abs. 1 BsGaV). Danach richtet sich die Zuordnung einer Beteiligung oder Finanzanlage nach deren Nutzung (dazu Rz. 4.105 ff.). Eine Zu1 Scharpf/Schaber, Handbuch Bankbilanz6, 628 f.; BayLfSt, Vfg. v. 20.7.2010 – S 2134.1.1-5/2 St32, DB 2010, 1672; OFD Frankfurt/M., Vfg. v. 17.2.2016 – S 2134 A - 15 - St 210, BeckVerw 324437. 2 Dazu Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 1084 f. (Stand: August 2015); Haisch in H/H/R, § 5 EStG Rz. 1555 (Stand: Januar 2015); a.A. Scharpf/Schaber, Handbuch Bankbilanz6, 400 f. 3 Der Dritte erwirbt Aktien zur Erfüllung aus Lieferverpflichtungen aus einem Leerverkauf. 4 Siehe bereits Häuselmann, IStR 2003, 139 (141).

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.83 Kap. 11

ordnung zu der Betriebsstätte setzt das Bestehen eines funktionalen Zusammenhangs zu deren Geschäftstätigkeit voraus (§ 7 Abs. 1 Satz 2 BsGaV). Für Kredit- und Finanzdienstleitungsinstitute erweisen sich Beteiligungen und Finanzanlagen unter dem Gesichtspunkt der Nutzung regelmäßig als „neutrale“ Wirtschaftsgüter in dem Sinne, dass diese Wirtschaftsgüter nicht zu strategischen Zwecken, sondern in erster Linie zu Anlage- bzw. Gewinnerzielungszwecken erworben werden. Unter diesen Umständen ist ein spezifischer Bezug zu der Geschäftstätigkeit einer Betriebsstätte regelmäßig nur eingeschränkt feststellbar. Die Zuordnung richtet sich danach, zu welcher Personalfunktion der überwiegende funktionale Zusammenhang besteht. Die resultierende Unsicherheit führt dazu, dass die in § 7 Abs. 4 BsGaV vorgesehene Öffnungsklausel bei Bankbetriebsstätten den Ausnahmecharakter verlieren dürfte. ee) Zuordnung von Sicherungsgeschäften Aufsichtsrechtlicher Rahmen. Für Kreditinstitute ist der Abschluss von Absicherungsgeschäften aufsichtsrechtliche Pflicht. § 25a Abs. 1 KWG und konkretisierend die MaRisk1 enthalten dezidierte Vorgaben bezüglich der Sicherstellung der laufenden Risikoabdeckung (Risikotragfähigkeit). Dabei dienen Sicherungsgeschäfte, die als Risikominderungstechniken anerkannt sind, insbesondere zur Steuerung der Eigenkapitalausstattung der Institute (Art. 193 ff. CRR). Die Umsetzung der Absicherungsstrategie erfolgt durch operative Einheiten, die an zentraler Stelle angesiedelt werden. Dies gilt namentlich für institutsweit agierende Risikomanagement- und Risikosteuerungseinheiten. Diese Zentralstellen betreiben im Zusammenwirken mit der typischerweise ebenfalls zentralen Handelseinheit sog. aktives Risikomanagement regelmäßig nicht in Bezug auf Einzelpositionen, sondern auf Portfolioebene. So werden bspw. bezogen auf die Steuerung von Adressenausfallrisiken Absicherungsgeschäfte – unabhängig von der Buchung der Aktiva – für aggregierte Forderungsmehrheiten abgeschlossen. Dies ist Ausdruck des aufsichtsrechtlichen Regelungsrahmens. Die Risikoeinstufung erfolgt bei Anwendung des „auf internen Beurteilungen basierenden Ansatzes“ (Art. 7 i.V. mit Art. 142 ff. CRR; engl.: „Internal Ratings Based Approach“)2 zwar primär durch Bewertung der einzelnen Risikoaktiva. Die Höhe des vorzuhaltenden Eigenkapitals wird allerdings um eine Analyse auf Portfolioebene ergänzt. Abhängig von der Granularität (hinsichtlich der enthaltenen Kreditadressen, Regionen und Branchen) der einzelnen Portfolios können Eigenkapitalentlastungen erzielt werden.3 Aufgrund der Risikosteuerung auf Portfolioebene richten sich auch die getätigten Absicherungsgeschäfte regelmäßig auf Forderungsmehrheiten (sog. Makro-Hedges). Auf einzelgeschäftsbezogener Ebene werden („direkte“) Absicherungsgeschäfte (sog. Mikro-Hedges) vornehmlich bei großen Einzelengagements erfolgen.

11.82

Zuordnung von Sicherungsgeschäften. Mangels besonderer Regelungen im zweiten Abschnitt der BsGaV gelten für die Zuordnung von Sicherungsgeschäften zu Bankbetriebsstätten die allgemeinen Grundsätze des § 11 BsGaV. Begrifflich sind als Sicherungsgeschäfte solche Geschäfte zu verstehen, die Marktrisiken, insbesondere Zins- und Währungsrisiken, sowie Adressenausfallrisiken aus sog. Grundgeschäften absichern (s. Rz. 4.136). § 11 Abs. 1

11.83

1 Modul AT 4.1. 2 Grundlage die „Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen“ (Basel II) des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht, Juni 2006. 3 Zu der Portfoliobetrachtung Hannemann/Schneider/Weigl, Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk)4, 837.

Andresen/Buchholz 657

Kap. 11 Rz. 11.84

Sonderfälle

BsGaV enthält für Sicherungsgeschäfte die Grundregelung, dass ein konkretes Sicherungsgeschäft zusammen mit dem zugehörigen Vermögenswert der Betriebsstätte zuzuordnen sei, der das abgesicherte Risiko zuzuordnen ist.1 Nach der Zuordnungssystematik der BsGaV, die darauf zielt, ein Auseinanderfallen von Grundgeschäft und Sicherungsgeschäft zu vermeiden,2 folgt bei einem Mikro-Hedge die Zuordnung des aus dem gegenläufigen Sicherungsgeschäft resultierenden Vermögenswerts der Zuordnung des zu sichernden Vermögenswerts des jeweiligen Grundgeschäfts (bspw. der Kreditforderung).3 Eine solche 1:1-Absicherung wird infolge der voranstehend beschriebenen Besonderheiten der bankbetrieblichen Steuerung von Markt- und Kreditrisiken indes die Ausnahme sein.4 Im Fall eines auf mehrere selbständige Grundgeschäfte bezogenen Makro-Hedge kann das Absicherungsgeschäft grundsätzlich nicht den einzelnen Grundgeschäften zugeordnet werden. Die Zusammenfassung in einem Portfolio und die Absicherung mit einer einzigen Absicherungstransaktion erfolgt unabhängig davon, dass die einzelnen Risikopositionen verschiedenen operativen Einheiten zuzuordnen sind. In diesem praktisch relevanten Fall eines „mittelbaren Sicherungszusammenhangs“ (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BsGaV) sind die Sicherungsgeschäfte einschließlich der zugehörigen Vermögenswerte anteilig den Betriebsstätten zuzuordnen, denen die Vermögenswerte oder Geschäftsvorfälle zuzuordnen sind, deren Risiken abgesichert werden (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BsGaV). Der Anteil ist nach einem sachgerechten Aufteilungsschlüssel zu bestimmen (dazu Rz. 4.140). Ein solcher Aufteilungsschlüssel sollte ein Parameter sein, der das anteilige, abgesicherte Risiko gut abbildet. ff) Zuordnung von Dotationskapital

11.84 Grundlagen und Anknüpfung an die Normen des Bankaufsichtsrechts. Eigenkapital ist eine insbesondere für Kreditinstitute knappe Ressource. Im Zusammenspiel mit den Eigenmittelvorschriften des quantitativen Bankaufsichtsrechts (insb. Verordnung [EU] Nr. 575/2013 – „CRR“) bestimmt die Eigenkapitalbasis die Fähigkeit zum Abschluss von Neugeschäft und damit letztlich die Profitabilität des Instituts. Die Bankbetriebsstätte partizipiert als rechtlich unselbständiger Teil des Einheitsunternehmens an dessen Eigenkapital.5 Mit dem AmtshilfeRLUmsG wurde das aus der steuerlichen Selbständigkeitsfiktion resultierende Erfordernis, der Betriebsstätte ein angemessenes Eigenkapital (Dotationskapital) zuzuordnen, in § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG erstmals durch ein formelles Gesetz geregelt. Der zweite Abschnitt der BsGaV enthält in §§ 20 und 21 zwar besondere Regelungen für die Dotation von Bankbetriebsstätten. Inhaltlich und konzeptionell gehen diese indes von den Vorschriften über die steuerliche Kapitalisierung von Betriebsstätten von Industrieunternehmen in §§ 12 und 13 BsGaV aus (dazu Rz. 4.144 ff.) und modifizieren diese bereichsspezifisch. Die Besonderheit bei Bankbetriebsstätten besteht darin, dass die Normen des quantitativen Bankaufsichtsrechts einen gesetzlichen Rahmen vermitteln, der als Anknüpfungspunkt für die Risikogewichtung der Vermögenswerte von Kreditinstituten dient. Ausweislich der Verordnungsbegründung ist für die Zuordnung des steuerlichen Dotationskapitals „aus Gründen des Fremdvergleichsgrundsatzes sowie aus Vereinfachungs-, Transparenz- und Gleichbehandlungsgründen“6 so weit wie möglich auf das Bankaufsichtsrecht zurückzugreifen. Grundlage

1 2 3 4 5 6

BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 73 (zu § 11 Abs. 1 BsGaV-E). BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 73 (zu § 11 Abs. 1 BsGaV-E). Siehe auch VWG BsGa-E v. 18.3.2016, Tz. 123. Kritisch auch Schaus/Persch, IWB 2013, 789 (797). Debatin, DB 1989, 1739 (1740). BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 99 (zu § 20 Abs. 1 Satz 1 BsGaV-E).

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.88 Kap. 11

der Zuordnung von Dotationskapital sind damit die der Bankbetriebsstätte mittels der Funktions- und Risikoanalyse zugeordneten Risikoaktiva. In diesem Ansatz spiegelt sich das dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 zugrunde liegende Axiom „Kapital folgt Risiko“ („capital follows risk“) wider. Da die deutsche Finanzverwaltung dieses Verständnis bereits im Jahr 2004 in den VWG-Dotationskapital (VWG-DK)1 rezipierte, bringt die BsGaV in methodischer Hinsicht keine tiefgreifenden Änderungen gegenüber den vor dem 1.1.2015 endenden Wirtschaftsjahren mit sich. Regelungssystematik der BsGaV. Die BsGaV unterscheidet zwischen Inlands- und Auslandsbetriebsstätten. Die in den VWG-DK enthaltenen Sonderregelungen für Nicht-EWRInstitute (s. Rz. 11.148 f.) entfallen. Für Betriebsstätten von EU/EWR-Instituten gelten im Hinblick auf die aufsichtsrechtliche „Waiver-Regelung“ besondere Vorschriften. Erhalten bleibt der „Dualismus“ zwischen funktions- und risikogewichteter Kapitalaufteilungsmethode und Mindestkapitalausstattungsmethode. Ein echter Fremdvergleich („thin capitalization approach“) ist nur im Rahmen einer „Öffnungsklausel“ vorgesehen. Ausweislich der Verordnungsbegründung sollen die Regelungen der BsGaV vermeiden, dass zulasten der deutschen Besteuerung Inlandsbankbetriebsstätten ein zu geringes und Auslandsbankbetriebsstätten (spiegelbildlich) ein zu hohes Dotationskapital ausweisen.2

11.85

Übergangsweise Fortgeltung der VWG-DK 2004. Da § 1 Abs. 5 AStG keine ausdrückliche Rechtsgrundlage dafür enthält, wie Bankbetriebsstätten ein angemessenes Dotationskapital zuzuordnen ist, sehen die VWG BsGa vor, dass bis zum Inkrafttreten der BsGaV die Regelungen der VWG-DK 2004 (s. auch Rz. 11.135) anwendbar bleiben. Die VWG-DK sind (erst) für nach dem 31.12.2014 beginnende Wirtschaftsjahre nicht mehr anzuwenden.3

11.86

(1) Inländische Bankbetriebsstätten ausländischer Kreditinstitute Grundlagen und Regelungsbereich. § 20 BsGaV adressiert inländische Bankbetriebsstätten ausländischer Kreditinstitute, die im Ausland bankaufsichtsrechtlichen Kapitalvorschriften unterliegen. Dies ist Grundlage für die in § 20 Abs. 1 bis 5 BsGaV geregelte Anknüpfung an die Vorschriften des ausländischen Bankaufsichtsrechts. Vom Anwendungsbereich der Norm nicht erfasst sind aus diesem Grund inländische Betriebsstätten ausländischer Finanzdienstleistungsinstitute, die keinen bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen unterliegen (§ 20 Abs. 6 BsGaV). Für Inlandsbetriebsstätten ausländischer Finanzdienstleistungsinstitute richtet sich die Zuordnung von Dotationskapital somit nach § 12 BsGaV (s. Rz. 4.144 ff.).

11.87

Kapitalaufteilungsmethode als Regelmethode. Nach der funktions- und risikobezogenen Kapitalaufteilungsmethode erfolgt die Zuordnung eines angemessenen Dotationskapitals zu einer Inlandsbankbetriebsstätte durch Aufteilung des Gesamteigenkapitals des Einheitsunternehmens anhand eines „inneren Fremdvergleichs“4 (s. Rz. 11.144). Es handelt sich um eine indirekte Methode, bei der das Verhältnis der bankaufsichtsrechtlich gewichteten Risikopositionen der einzelnen Institutsteile als Aufteilungsschlüssel dient. Maßgeblich für die

11.88

1 BMF v. 29.9.2004 – IV B 4 - S 1300 - 296/04, BStBl. I 2004, 917 – Grundsätze der Verwaltung zur Bestimmung des Dotationskapitals bei Betriebsstätten international tätiger Kreditinstitute (Verwaltungsgrundsätze – Dotationskapital = VWG-DK), zur zeitlichen Anwendbarkeit der VWG-DK siehe Rz. 11.86. 2 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 99 (zu § 20 Abs. 1 Satz 1 BsGaV-E) und 103 (zu § 21 Abs. 1 Satz 1 BsGaV-E). 3 VWG BsGa, Tz. 464. 4 VWG-DK, Tz. 2.1.2.

Andresen/Buchholz 659

Kap. 11 Rz. 11.89

Sonderfälle

Dotation der inländischen Bankbetriebsstätte ist deren Anteil an der Summe der risikogewichteten Positionsbeträge des ausländischen Kreditinstituts. Während die Summe nach den Vorschriften des ausländischen Bankenaufsichtsrechts zu ermitteln ist, erfolgt die Zuordnung der risikogewichteten Positionsbeträge zu der (inländischen) Bankbetriebsstätte entsprechend der dieser nach § 19 BsGaV zuzuordnenden Vermögenswerte.1 Ausgangsgröße für die Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode ist das Eigenkapital des ausländischen Kreditinstituts. Die VWG BsGa gehen dabei davon aus, dass das Eigenkapital in der Regel dem aufsichtsrechtlichen Kernkapital entspricht.2 Zu erfassen ist auch ein nach ausländischem Recht gebildeter Fonds für allgemeine Bankrisiken (vgl. § 26 Abs. 1 Buchst. f CRR).3 Ausgenommen bleiben – ebenso wie nach den VWG-DK4 – „interne Positionsbeträge“ aus anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen, weil insoweit kein wirtschaftliches Risiko des Kreditinstituts besteht.5 Außer Ansatz bleiben damit in erster Linie Finanzierungsgeschäfte in Gestalt von internen Darlehensbeziehungen zwischen den operativen Institutsteilen, die als Ausdruck der fiktiven Selbständigkeit der Betriebsstätte steuerlich als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zu berücksichtigen sind.

11.89 Mindestkapitalausstattungsmethode. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 BsGaV kommt die Zuordnung eines geringeren Dotationskapitals nur in Betracht, wenn dies dem Fremdvergleichsgrundsatz betriebswirtschaftlich im Einzelfall besser entspricht. Die VWG BsGa nennen beispielhaft den Aufbau eines temporär erhöhten Kapitalpolsters („Kriegskasse“) im Zusammenhang mit der Übernahme eines Konkurrenzunternehmens, in die die Inlandsbankbetriebsstätte nicht involviert ist.6 Die Nachweis- und Begründungspflicht einer geringeren Betriebsstättendotation obliegt dem Steuerpflichtigen. Betragsmäßig wird diese Öffnungsklausel durch das bankaufsichtsrechtlich mindestens vorzuhaltende Kernkapital nach unten begrenzt. Diesbezüglich stellt die Verordnungsbegründung auf die Geschäftstätigkeit der inländischen Bankbetriebsstätte im Inland ab.7 Maßgeblich sollen die nach inländischem Bankaufsichtsrecht geltenden Eigenmittelvorschriften sein. Die BsGaV nennt keine Mindestkapitalvorgabe in Prozentpunkten, sondern enthält einen dynamischen Verweis auf die aufsichtsrechtliche Eigenkapitalkategorie „Kernkapital“. Unter dem Basel III-Regime setzt sich das aufsichtsrechtliche Eigenkapital aus mehreren Bestandteilen zusammen.8 Die BsGaV rekurriert auf das Kernkapital, das sich aus dem harten Kernkapital (Tier 1a) und dem zusätzlichen Kernkapital (Tier 1b) zusammensetzt (Art. 25 CRR).9 Die vom Baseler Ausschuss fixierten Kapitalquoten wurden für EU/EWR-Institute mit unmittelbarer rechtlicher Wirkung in der CRR umgesetzt (Art. 92 Abs. 1 CRR). Nach Art. 25 CRR besteht das Kernkapital eines Instituts aus der Summe des harten Kernkapitals und des zusätzlichen Kernkapitals. Die harte Kernkapitalquote soll ab dem Jahr 2014 wenigstens 4,5 % und die Kernkapitalquote (einschließlich zusätzlichem Kernkapital) mindestens 6 % der risikogewichteten Forderungsbeträge (Gesamtforderungsbetrag) betragen (Art. 92 Abs. 1 CRR10). Auf dieser Grund1 2 3 4 5 6 7 8 9

VWG BsGa, Tz. 233. VWG BsGa, Tz. 234. VWG BsGa, Tz. 234. VWG-DK, Tz. 2.1.2 Buchst. b. VWG BsGa, Tz. 235; BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 100 (zu § 20 Abs. 1 Satz 2 BsGaV-E). VWG BsGa, Tz. 237. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 100 (zu § 20 Abs. 2 Satz 2 BsGaV-E). Eine Übersicht enthält Bundesbank, Monatsbericht Juni 2013, 62. Siehe Basel Committee on Banking Supervision, Basel III: A global regulatory framework for more resilient banks and banking systems, June 2011, Nr. 49. 10 VO (EU) Nr. 575/2013.

660

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.91 Kap. 11

lage ergibt sich für Inlandsbankbetriebsstätten für Jahre ab 2014 ein steuerliches Mindesteigenkapital von 6 % der Summe der risikogewichteten Positionsbeträge der inländischen Betriebsstätte. In Anknüpfung an die VWG-DK ist die Kapitalquote um 0,5 Prozentpunkte zu erhöhen. Dieser Zuschlag wird damit begründet, dass die Bankbetriebsstätte, wäre sie ein selbständiges Kreditinstitut, ansonsten keine weiteren Geschäfte tätigen könnte.1 „Waiver-Regelung“ für inländische Bankbetriebsstätten von EU/EWR-Kreditinstituten. Wendet ein ausländisches EU/EWR-Kreditinstitut im Sitzstaat eine Regelung an, die § 2a KWG entspricht, wird die funktions- und risikoorientierte Kapitalaufteilungsmethode inhaltlich modifiziert (§ 20 Abs. 4 BsGaV). Nach § 2a KWG i.V. mit Art. 7 Abs. 1 CRR können Kreditinstitute, die Teil einer Institutsgruppe sind, unter Anzeige an die BaFin und die Deutsche Bundesbank von der Anwendung bestimmter bankaufsichtsrechtlicher Regelungen, namentlich der Eigenmittelvorschriften (Teil 2 und 3 CRR), auf Einzelinstitutsebene freigestellt werden.2 Nutzt ein ausländisches Institut die Waiver-Regelung und meldet die Eigenmittelausstattung lediglich auf Gruppenebene, bedarf es für die Zuordnung des steuerlichen Dotationskapitals nach der Kapitalaufteilungsmethode eines modifizierten Aufteilungsmaßstabs, weil es an einer für Steuerzwecke erforderlichen Zahlen-/Datenbasis auf Einzelinstitutsebene fehlt. Aus diesem Grund ist nach § 20 Abs. 4 Satz 2 BsGaV für Zwecke der Kapitalaufteilung ein „Perspektivwechsel“ vorzunehmen. Die Summe der risikogewichteten Positionsbeträge der Bankbetriebsstätte ist in das Verhältnis zu der Summe der risikogewichteten Positionsbeträge auf Ebene der Kreditinstitutsgruppe zu setzen. Gruppeninterne risikogewichtete Positionsbeträge bleiben auch in diesem Fall unberücksichtigt. Das Ausweichen auf die „Gruppenperspektive“ illustriert die praktischen Grenzen des AOA und zugleich die Divergenz zwischen dem auf die Unternehmensgesamtheit gerichteten aufsichtsrechtlichen Gefahrenabwehrzweck3 und der fiktiven Selbständigkeit der Betriebsstätte.

11.90

Unterjährige Änderungen. Stichtag für die Zuordnung eines angemessenen Dotationskapitals ist der Beginn eines jeden Wirtschaftsjahrs (vgl. § 12 Abs. 1 BsGaV). Nach dem Verständnis des Verordnungsgebers besteht insoweit kein „Bilanzzusammenhang“.4 Ergeben sich im Laufe des Wirtschaftsjahrs Änderungen bezüglich der Zuordnung von Personalfunktionen, Wirtschaftsgütern oder Chancen und Risiken und führt dies zu einer erheblichen Veränderung der Verhältnisse, sind unterjährig Anpassungen des Dotationskapitals vorzunehmen (§ 20 Abs. 5 i.V. mit § 12 Abs. 6 BsGaV).5 Die Erheblichkeitsschwelle wird durch die VWG BsGa sowohl relativ („Abweichung von mehr als 30 % im Verhältnis zum Beginn des Wirtschaftsjahres“) als auch absolut (mindestens 2 Mio. Euro) umgrenzt.6 Die Regelung des § 12 Abs. 6 BsGaV wird für Bankbetriebsstätten dahingehend erweitert, dass Auslöser einer unterjährigen Kapitalanpassung auch die Regelungen des inländischen Bankaufsichtsrechts sein können. Eine Änderungsmöglichkeit kommt ausweislich der Verordnungsbegründung nur seitens der Finanzverwaltung in Betracht.7 Dieses Verständnis basiert auf dem Charakter von § 1 Abs. 5 AStG als (mittelbarer) Korrekturnorm (dazu Rz. 4.48 und 4.52), ist im Geset-

11.91

1 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 101 (zu § 20 Zu Abs. 2 Satz 3 BsGaV-E). 2 Dazu Auerbach/Kempers in Schwennicke/Auerbach, KWG3, § 2a KWG Rz. 2 f. und 7. 3 Nachweise bei Buchholz, Grenzüberschreitendes Kreditgeschäft durch Bankbetriebsstätten, 201 f. 4 VWG BsGa, Tz. 51. 5 Nach der finalen Fassung der VWG BsGa ist sowohl „nach unten“ als auch „nach oben“ anzupassen; VWG BsGa, Tz. 143. 6 VWG BsGa, Tz. 253. 7 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 102 f. (zu § 20 Abs. 5 Satz 1 BsGaV-E).

Andresen/Buchholz 661

Kap. 11 Rz. 11.92

Sonderfälle

zeswortlaut jedoch nicht angelegt. § 20 Abs. 5 BsGaV wirkt damit – entsprechend dem Fiskalzweck der Norm – grundsätzlich nur in eine Richtung: auf die unterjährige Erhöhung des Dotationskapitals der inländischen Betriebsstätte. Schließlich gilt bezüglich der zeitpunktbezogenen Bestimmung des Dotationskapitals auf den Beginn des Wirtschaftsjahrs über den Verweis in § 20 Abs. 5 Satz 2 BsGaV auf § 12 BsGaV eine Nichtbeanstandungsregelung, nach der eine zum Ende des Wirtschaftsjahrs entstehende Unterdotierung unter Vorbehalt unverzüglicher Korrektur nicht aufgegriffen werden soll.1

11.92 Untergrenze. Ungeachtet der Regelungen in § 20 Abs. 1–4 BsGaV ist der inländischen Bankbetriebsstätte mindestens das in einer inländischen Handelsbilanz tatsächlich ausgewiesene Kapital als Dotationskapital zuzuordnen.2

11.93 Vereinfachungsregelung für kleine Bankbetriebsstätten. Nach § 20 Abs. 3 BsGaV gilt für Inlandsbankbetriebsstätten ausländischer Kreditinstitute, deren Bilanzsumme (Summe der zuzuordnenden Aktivposten in der Hilfs- und Nebenrechnung) weniger als 1 Mrd. Euro beträgt, eine Nichtbeanstandungsgrenze von 3 % der Summe der Aktiva. Mindestens muss ein Dotationskapital von 5 Mio. t berücksichtigt werden. Die Vereinfachungsregelung adressiert „kleine“ Bankbetriebsstätten sowie die Neuaufnahme der Tätigkeit durch eine Inlandsbetriebsstätte. Hintergrund für die Erhöhung des Schwellenwerts der Bilanzsumme auf 1 Mrd. Euro – gegenüber 500 Mio. Euro nach den VWG-DK (Rz. 11.147) – ist, dass seit dem Jahr 2004 die durchschnittlichen Bilanzsummen der Bankbetriebsstätten in Deutschland deutlich (auf das 2,6fache3) angestiegen sind. Die Fixierung der Untergrenze i.H.v. 3 % der Summe der Aktiva stellt eine „gegriffene“ Größe ohne konkreten Bezug zu den geltenden bankaufsichtsrechtlichen Vorgaben dar. Dies zeigt auch die Verordnungsbegründung, die schlicht darauf hinweist, dass sich die Grenze für inländische Bankbetriebsstätten in der Vergangenheit „bewährt“ habe.4 Diese Begründung vermag nicht zu überzeugen. Es sprechen daher gute Gründe dafür, die in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a–g KWG niedergelegten aufsichtsrechtlichen Mindestkapitalanforderungen für unterschiedliche Bankgeschäfte für steuerliche Zwecke zu akzeptieren, denn der Mindestbetrag von 5 Mio. Euro gilt lediglich für CRR-Kreditinstitute, die insbesondere das Einlagengeschäft betreiben. (2) Ausländische Bankbetriebsstätten inländischer Kreditinstitute

11.94 Grundlagen und Regelungsbereich. Die BsGaV zielt – wie bereits die VWG-DK5 – bei der Dotation der Auslandsbetriebsstätten inländischer Institute darauf ab, Höchstgrenzen zu fixieren und damit zu verhindern, dass ein unangemessen hohes Dotationskapital berücksichtigt wird, mittels dessen ein hoher Anteil an den Refinanzierungsaufwendungen für Fremdkapital dem inländischen Stammhaus zugeordnet würde.6 § 21 BsGaV adressiert ausländische Bankbetriebsstätten inländischer Kreditinstitute, die im Betriebsstättenstaat zwingenden bankaufsichtsrechtlichen Mindestkapitalvorschriften unterliegen. Vom Anwendungsbereich des § 21 BsGaV ausgenommen sind ausländische Betriebsstätten inländischer Finanzdienstleistungs1 2 3 4 5

VWG BsGa, Tz. 130. § 12 Abs. 5 BsGaV; VWG BsGa, Tz. 255. Verband der Auslandsbanken (VAB), Stellungnahme v. 19.9.2013, 8. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 101 (zu § 20 Abs. 3 BsGaV). Siehe bereits Runge, IStR 2002, 825 (827); zu Recht kritisch zu der „bewusst herbeigeführten Schlechterstellung“ von ausländischen Bankbetriebsstätten Kraft/Hentschel/Borchert, Ubg 2016, 469 (480). 6 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 103 (zu § 21 Abs. 1 Satz 1 BsGaV) und 104 (zu § 21 Abs. 2 Satz 1 BsGaV).

662

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.96 Kap. 11

institute, die nicht der Bankenaufsicht unterliegen und damit keine spezifischen Eigenkapitalanforderungen erfüllen müssen (§ 21 Abs. 6 BsGaV). In diesem Fall richtet sich die Zuordnung von Dotationskapital nach der allgemeinen Regelung des § 13 BsGaV (s. Rz. 4.156 ff.). Mindestkapitalausstattungsmethode. Regelmethode für die Zuordnung des Dotationskapitals im Outbound-Fall ist die für Bankbetriebsstätten modifizierte Mindestkapitalausstattungsmethode i.S. des § 13 Abs. 1 BsGaV (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Im Grundsatz ist der ausländischen Bankbetriebsstätte Dotationskapital nur zuzuordnen, soweit dies aus bankbetriebswirtschaftlichen Gründen erforderlich ist. Bestehen indes im Betriebsstättenstaat zwingende Regelungen zur Mindestkapitalausstattung der Betriebsstätte, ist dieses Kapital anzusetzen. Die Notwendigkeit des – aufsichtsrechtlich bedingt – höheren Kapitalansatzes ist seitens des Steuerpflichtigen im Einzelfall nachzuweisen.1 Nach dem Verständnis des Verordnungsgebers bildet die aufsichtsrechtlich determinierte Untergrenze der Kapitalausstattung im Betriebsstättenstaat grundsätzlich die steuerliche Obergrenze der Kapitalzuweisung. Ein übersteigendes Dotationskapital kommt nur unter den besonderen Voraussetzungen der Öffnungsklausel in § 21 Abs. 2 BsGaV in Betracht. Voraussetzung ist, dass der Steuerpflichtige aufgrund der der Betriebsstätte zugeordneten Vermögenswerte sowie Chancen und Risiken nachweist, dass der Fremdvergleichsgrundsatz ein erhöhtes Dotationskapital erfordert. Begrenzt wird dieser Ansatz durch die Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode. Sollte das ausländische Aufsichtsrecht zwingend ein Mindestkapital verlangen, das auch eine auf Grundlage der Öffnungsklausel in Abs. 2 erhöhte Dotation übersteigt, darf dieser Wert ausnahmsweise angesetzt werden, wenn auf diese Weise ein „internationaler Steuerkonflikt“2 vermieden wird. Sichtbar wird die § 21 BsGaV zugrunde liegende mehrstufige Ausnahmekonzeption, die auf jeder „Stufe“ nur in engen Grenzen und unter Vorbehalt der Erfüllung von Nachweispflichten einen höheren Kapitalausweis gestattet.

11.95

„Waiver-Regelung“. § 21 Abs. 4 BsGaV formuliert eine Unterkapitalisierungsregelung für den Fall, dass ein inländisches Kreditinstitut, das Teil einer inländischen Institutsgruppe ist, die die aufsichtsrechtliche Waiver-Regelung (§ 2a KWG oder Art. 7 CRR) anwendet, eine ausländische Betriebsstätte unterhält. Der Verordnungsgeber zielt auf Fälle, in denen für die Betriebsstätte nach ausländischem Aufsichtsrecht ein bestimmtes Mindesteigenkapital vorzuhalten ist, das den Ansatz nach § 21 Abs. 1–3 BsGaV übersteigt. In einem solchen Fall ist im Sinne einer „isolierten Betrachtungsweise“ der Blick auf den inländischen Teil des Kreditinstituts zu richten. Die BsGaV „instrumentalisiert“ das Szenario einer fiktiven aufsichtsrechtlichen Unterkapitalisierung des Stammhauses dazu, der Auslandsbetriebsstätte – fiskalisch erwünscht3 – ein vermindertes Dotationskapital zuzuweisen. Zu diesem Zweck betont der Verordnungsgeber die „Wechselbezüglichkeit“ der steuerlichen Kapitalausstattung der verschiedenen Institutsteile. Nach § 21 Abs. 4 BsGaV soll vermieden werden, dass das inländische Kreditinstitut im Verhältnis zu der ausländischen Betriebsstätte eine „Unterkapitalisierung“ aufweist, die möglicherweise zu schwer lösbaren internationalen Besteuerungskonflikten führen könnte.4 Dass ein Besteuerungskonflikt nicht auszuschließen ist, resultiert indes aus der – bereits erwähnten – Divergenz zwischen Aufsichts- und Steuerrecht. Das Bankaufsichtsrecht toleriert unter bestimmten Voraussetzungen der sog. Waiver-Regelung eine Unterkapitalisierung auf Ebene des (inländischen) Einzelinstituts. Die aufsichtsrechtliche Grundentscheidung ist nach der hier vertretenen Auffassung steuerrechtlich hinzuneh-

11.96

1 2 3 4

§ 21 Abs. 1 Satz 2 BsGaV. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 105 (zu § 21 Abs. 3 Satz 1 BsGaV). Kraft/Hentschel/Borchert, Ubg 2016, 469 (480) sprechen von einer „beggar thy neighbor policy“. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 106 (zu § 21 Abs. 4 BsGaV).

Andresen/Buchholz 663

Kap. 11 Rz. 11.97

Sonderfälle

men und bei dem inländischen Institutsteil zu berücksichtigen. Dies entspricht der Leitidee des AOA, die Betriebsstätte als selbständiges und unabhängiges Unternehmen fiktiv aus dem Einheitsunternehmen zu isolieren.

11.97 Unterjährige Änderungen. § 21 Abs. 5 BsGaV regelt unter Verweis auf § 13 Abs. 5 BsGaV die unterjährige Pflicht zur Anpassung des Dotationskapitals, wenn sich innerhalb eines Wirtschaftsjahrs im Hinblick auf die Zuordnung von Personalfunktionen, Vermögenswerten oder Chancen und Risiken eine erhebliche Veränderung der Verhältnisse ergibt oder soweit dies das ausländische Bankenaufsichtsrecht erfordert. Erhebliche Veränderungen in diesem Sinne sind bei einer Abweichung von mehr als 50 % im Verhältnis zum Beginn des Wirtschaftsjahrs oder mindestens 2 Mio. Euro gegeben.1 Eine Änderungsmöglichkeit soll ausweislich der Verordnungsbegründung – ebenso wie bei § 20 Abs. 5 BsGaV – nur seitens der Finanzverwaltung in Betracht kommen.2 § 21 Abs. 5 BsGaV führt damit – entsprechend dem Fiskalzweck der Norm3 – regelmäßig nur zu einer unterjährigen Verringerung des Dotationskapitals der Auslandsbetriebsstätte. Mit Blick auf die zeitpunktbezogene Zuordnung des Dotationskapitals gilt bei einer Überdotierung zum Ende des Wirtschaftsjahrs eine Nichtbeanstandungsregelung im Fall unverzüglicher Korrektur des Ansatzes.4

11.98 Obergrenze. Über den in § 21 Abs. 5 Satz 2 BsGaV enthaltenen Verweis auf § 13 BsGaV gilt auch für eine Bankbetriebsstätte, dass dieser höchstens das in einer ausländischen Handelsbilanz der Betriebsstätte tatsächlich ausgewiesene Kapital zuzuordnen ist (§ 13 Abs. 4 BsGaV). Die VWG BsGa führen an, dass das inländische Unternehmen mit der Kapitalzuweisung deutlich mache, dass es dieses Dotationskapital für ausreichend halte, um auf dem ausländischen Markt wirtschaftlich tätig zu sein.5 gg) Zuordnung übriger Passivposten

11.99 Zuordnung von Verbindlichkeiten. Die Einkünfteabgrenzung nach der BsGaV basiert auf dem Grundgedanken, dass das der Betriebsstätte zuzuordnende Dotationskapital anhand der zugeordneten Vermögenswerte sowie Chancen und Risiken positiv zu bestimmen ist. Diesem Verständnis folgend ergibt sich die Höhe des der Betriebsstätte zuzuordnenden Fremdkapitals durch Abzug des Dotationskapitals von der Bilanzsumme. Als Teil der „übrigen Passivposten“ i.S. des § 14 BsGaV stellt das Fremdkapital eine – der Höhe nach begrenzte – „Residualgröße“ dar.6 Dem durch das zugeordnete Dotationskapital determinierten Finanzierungsbedarf der (Bank-)Betriebsstätte sollen im Wege direkter Zuordnung Passivposten entgegengesetzt werden. Für die direkte Zuordnung „übriger Passiva“ enthält der Abschnitt 2 der BsGaV keine speziellen Vorschriften. Es gelten demnach die in § 14 BsGaV niedergelegten allgemeinen Grundsätze (Rz. 4.167 ff.) Der Bankbetriebsstätte sind übrige Passivposten des Unternehmens zuzuordnen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den der Betriebsstätte zugeordneten Vermögenswerten sowie Chancen und Risiken stehen. Gegenstand der Zuordnung sind namentlich Verbindlichkeiten gegenüber in- und ausländischen Kreditinstituten (Passivpos-

1 Vgl. VWG BsGa-E v. 18.3.2016, Tz. 269. 2 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 107 (zu § 21 Abs. 5 Satz 1 BsGaV); VWG BsGa, Tz. 267. 3 Vermeidung, dass Auslandsbankbetriebsstätten zulasten der deutschen Besteuerung ein zu hohes Dotationskapital zugewiesen wird. 4 VWG BsGa, Tz. 270. 5 VWG BsGa, Tz. 150. 6 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 790; Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 496 (Stand: Oktober 2013).

664

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.101 Kap. 11

ten Nr. 1 RechKredV) sowie Verbindlichkeiten gegenüber Kunden (Passivposten Nr. 2 RechKredV). Steuerliche Zuordnung von Fremdkapital. Im Passivposten Nr. 1 RechKredV sind alle Arten von Verbindlichkeiten aus Bankgeschäften gegenüber in- und ausländischen Kreditinstituten auszuweisen (§ 21 Abs. 1 RechKredV), namentlich bei Banken aufgenommene Darlehen, unter Banken gehandelte Termingelder, Verbindlichkeiten gegenüber der EZB aus Offenmarktkrediten, Übernachtkredite im Rahmen der Spitzenrefinanzierungsfazilität sowie Zinsverpflichtungen aus Swapgeschäften mit anderen Kreditinstituten.1 Aus derartigen Bankgeschäften resultierende Verbindlichkeiten sind der Bankbetriebsstätte direkt zuzuordnen, wenn sie in unmittelbaren Zusammenhang zu den ihr zugeordneten Vermögenswerten (Aktiva) stehen (§ 14 Abs. 1 BsGaV). Dies setzt voraus, dass die Refinanzierung der Bankbetriebsstätte direkt, d.h. bezogen auf bestimmte Aktivgeschäfte erfolgt. (Nur) soweit dies der Fall ist und ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Refinanzierungsgeschäft am Markt und dem jeweiligen Aktivgeschäft dokumentiert werden kann, sind die Passiva der Bankbetriebsstätte zuzuordnen. Übt eine Bankbetriebsstätte bspw. die unternehmerische Risikoübernahmefunktion im Kreditgeschäft aus und sind ihr damit die Kreditaktiva zuzuordnen (dazu Rz. 11.76), ist davon ausgehend das Vorliegen eines direkten Finanzierungszusammenhangs zu prüfen. Weiterhin können der Betriebsstätte unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 BsGaV Verbindlichkeiten aus Refinanzierungsgeschäften mit anderen Unternehmensteilen, insbesondere dem Stammhaus, zuzuordnen sein. Ist eine interne Darlehensbeziehung zwischen der Betriebsstätte als „Kreditnehmerin“ und dem Stammhaus nach Maßgabe von § 19 Abs. 6 BsGaV steuerlich anzuerkennen (dazu Rz. 11.128), ist die resultierende (Innen-)Verbindlichkeit bei Nachweis eines direkten Finanzierungszusammenhangs der Betriebsstätte zuzuordnen. In praxi wird für die von der Betriebsstätte erhaltenen Refinanzierungsmittel indes nur ausnahmsweise eine kongruente Refinanzierung einzelner Aktiv- durch bestimmte Passivgeschäfte („direkt zuordnungsfähige Passivposten“) festzustellen sein.2 Grund dafür sind die Spezifika der bankpraktischen Ausgestaltung der Liquiditätssteuerung multinationaler Kreditinstitute.

11.100

Bankbetriebliche Liquiditätssteuerung (Treasury). Grundvoraussetzung für die Sicherung des Bankbetriebs ist die dauerhafte Aufrechterhaltung einer jederzeit ausreichenden Zahlungsbereitschaft (Liquidität).3 Das Liquiditätsmanagement ist aufsichtsrechtlich determiniert (Art. 411 CRR, § 11 KWG i.V. mit LiqV4). Die regulatorischen Anforderungen an die Steuerung und das Management von Liquiditätsrisiken, insbesondere durch möglichst fristenkongruente Refinanzierung über langfristig stabile Finanzierungsquellen,5 sind auf Einzelbasis einzuhalten (Art. 6 Abs. 4 CRR). Der aufsichtsrechtliche Regelungsrahmen sowie allgemeine Erwägungen bankbetriebswirtschaftlicher Effizienz veranlassen grenzüberschreitend tätige Kreditinstitute dazu, Zentralabteilungen einzurichten, die die Refinanzierung der Geschäftstätigkeit des Gesamtinstituts steuern („Aktiv-/Passiv-Steuerung“6) und insbeson-

11.101

1 Scharpf/Schaber, Handbuch Bankbilanz6, 830 f. 2 Treffend bereits Diehl, Zweigniederlassung ausländischer Banken, 53. 3 Eilenberger, Bankbetriebswirtschaftslehre, 161; Auerbach/Adelt in Schwennicke/Auerbach, KWG3, § 11 KWG Rz. 17 f. und 69. 4 Verordnung über die Liquidität der Institute (Liquiditätsverordnung – LiqV) v. 14.12.2006, BGBl. I 2006, 3117. 5 Eingehend Auerbach/Adelt in Schwennicke/Auerbach, KWG3, § 11 KWG Rz. 7 und 11. 6 Siehe Hannemann/Schneider/Weigl, Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk)4, 616 f.

Andresen/Buchholz 665

Kap. 11 Rz. 11.102

Sonderfälle

dere die Finanzierungsquelle bestimmen – im Wesentlichen Interbankenbeziehungen, Zentralbanken und Einlagengeschäft. Die zentrale Treasury-Einheit steuert die Refinanzierung planmäßig auf Basis des institutsweiten Einnahmen und Ausgabenstroms und agiert dabei als nach dem betriebswirtschaftlichen Profit-Center-Konzept verselbständigte „Bank in der Bank“.1 In diesem Steuerungsansatz ist die Refinanzierung typischerweise nicht Aufgabe der Betriebsstätte. Auch nimmt diese keinen Einfluss auf die Refinanzierungskonditionen. Die Geldversorgung der operativen Institutsteile erfolgt zu Verrechnungssätzen, die sich an den Zinssätzen am Markt orientieren.2 Der Verordnungsgeber erkennt diese bankbetrieblichen Besonderheiten im Hinblick auf die Anerkennung unternehmensinterner Darlehensbeziehungen in § 19 Abs. 6 BsGaV an (dazu Rz. 11.128).

11.102 Verbindlichkeiten aus dem Einlagengeschäft (Passivposten Nr. 2). In ihrer Funktion als Finanzintermediäre betreiben Kreditinstitute Fristentransformation. Sie führen Kapitalanbieter und -nachfrager zusammen und koordinieren abweichende Zeithorizonte.3 Grundlage ist das Einlagengeschäft als klassisches Bankgeschäft. Kreditinstitute nehmen fremde Gelder als Einlagen oder andere unbedingt rückzahlbare Gelder herein.4 Handelsbilanziell sind die im Einlagengeschäft angenommenen Spar-, Sicht- und Termineinlagen unter dem Passivposten „Verbindlichkeiten gegenüber Kunden“ (§ 21 Abs. 4 RechKredV) bzw. dem Unterposten „andere Verbindlichkeiten“ auszuweisen.5 Für Zwecke der steuerlichen Vermögensabgrenzung stellt sich die Frage, ob und wie Publikumseinlagen einer Bankbetriebsstätte zuzuordnen sind.6 Ausgangspunkt ist dabei der Begriff des Vermögenswerts i.S. des § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG. Der Verordnungsgeber versteht diesen weder handels- noch steuerbilanzrechtlich fundierten Begriff als Oberbegriff für Wirtschaftsgüter und Vorteile (§ 2 Abs. 6 BsGaV).7 Wirtschaftsgüter sind nicht nur Gegenstände im Sinne des bürgerlichen Rechts (§§ 90, 90a BGB), sondern auch tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten und sämtliche Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten lässt und die einen wesentlichen und über die Dauer des einzelnen Steuerabschnitts hinausreichenden Wert für das Unternehmen haben und gesondert bewertbar sind.8 Deshalb ist nicht jeder Vermögenswert ein Wirtschaftsgut.9 Publikumseinlagen sind – entsprechend ihrer handelsrechtlichen Qualifikation als Verbindlichkeiten – nicht unter den steuerlichen Begriff des Vermögenswerts i.S. des § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG zu fassen und damit auch nicht unmittelbarer Gegenstand der Zuordnungsregeln für Aktivposten in §§ 4–11 und § 19 BsGaV.10 Nach der der Verordnung zugrunde liegenden Zuordnungssystematik sind Einlagen als besondere Form von Fremdkapital („übrige Passivposten“) zu qualifizieren und nach § 18 i.V. mit § 14 Abs. 1 BsGaV in Abhängigkeit von der vorgelagert getroffenen Zuordnung der korrespondierenden Kreditaktiva zuzuordnen. Infolge der spezifischen Verknüpfung von Einlagen- und Kreditgeschäft erfolgt die Zuordnung regelmäßig zu dem Un-

1 Siehe auch Schaus in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 1271; Greier/ Persch, BB 2012, 1318 (1324 f.). 2 Duttweiler in Obst/Hintner, Geld-, Bank- und Börsenwesen40, 1071. 3 Büschgen/Börner, Bankbetriebslehre4, 22. 4 § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG. 5 Scharpf/Schaber, Handbuch Bankbilanz6, 845. 6 Eingehend Andresen, ISR 2013, 320 (322 ff.). 7 VWG BsGa-E v. 18.3.2016, Tz. 49. 8 St. Rspr. BFH v. 9.7.1986 – I R 218/82, BStBl. II 1987, 14 = FR 1986, 624. 9 BFH v. 7.8.2000 – GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632 = FR 2000, 1126 m. Anm. Kempermann. 10 Siehe auch Andresen, ISR 2013, 320 (323).

666

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.104 Kap. 11

ternehmensteil, der die unternehmerische Risikoübernahmefunktion i.S. des § 19 Abs. 1 BsGaV bezogen auf die Finanzaktiva ausübt.1 Korrektur der Ergebnisse der direkten Zuordnung. Verbleibt nach der direkten Zuordnung der übrigen Passiva ein Fehlbetrag, ist dieser durch indirekte Zuordnung von Passivposten aufzufüllen (§ 14 Abs. 3 BsGaV). Spiegelbildlich ist nach § 14 Abs. 2 BsGaV im Fall eines übersteigenden Betrags eine anteilige Kürzung der direkt zugeordneten übrigen Passivposten vorzunehmen. Der überschießende Betrag ist dem übrigen Unternehmen oder der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen (s. Rz. 4.169).

11.103

hh) Zuordnung von global gehandelten Finanzinstrumenten Grundlagen. Der Eigenhandel stellt für grenzüberschreitend tätige Kreditinstitute neben dem Kredit- und Einlagegeschäft und dem Provisionsgeschäft einen wesentlichen Geschäftsbereich dar. Die dem (Eigen-)Handel zuzurechnenden Geschäfte sind vielfältig. § 22 BsGaV enthält als lex specialis zu § 19 BsGaV2 besondere Zuordnungsregelungen für den globalen Handel mit Finanzinstrumenten. Inhaltlich beschränkt sich die Zuordnungsregelung des § 22 Abs. 1 BsGaV im Wesentlichen auf die Anordnung der entsprechenden Anwendung der Vorschrift für finanzielle Vermögenswerte in § 19 BsGaV. Der sachliche Anwendungsbereich des § 22 BsGaV – nach dem Verständnis des Verordnungsgebers – tritt in den VWG BsGa deutlicher hervor. Das BMF-Schreiben enthält in den Erläuterungen zu § 19 BsGaV den Hinweis, dass bei der Zuordnung eines finanziellen Vermögenswerts zwischen dem Kreditgeschäft und dem Handelsgeschäft zu unterscheiden ist.3 Die VWG BsGa konkretisieren den Begriff des Handelsgeschäfts unter Hinweis auf Teil III des OECD-Betriebsstättenberichts4 sowie auf den Eigenhandel (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 4 KWG) und das Eigengeschäft (§ 1 Abs. 1a Satz 3 KWG) im aufsichtsrechtlichen Sinne. Der Tatbestand des Eigenhandels nach § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 4 KWG erfasst in Buchst. a–d vier Varianten.5 Bei den Tätigkeiten nach Nr. 4a, 4b und 4c handelt es sich um sog. Eigenhandel „für andere“, der voraussetzt, dass das Geschäft objektiv eine Dienstleistung für andere darstellt.6 Demgegenüber erfolgt das Eigengeschäft „ohne Kundenauftrag“.7 Aufsichtsrechtlich handelt es sich bei dem gewerbsmäßig in bestimmtem Umfang betriebenen Eigengeschäft auf eigene Rechnung ungeachtet des fehlenden Dienstleistungscharakters um eine erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung (§ 1 Abs. 1a Satz 3–5 KWG). Schließlich verweisen die VWG BsGa auch auf die MaRisk und die darin enthaltene Definition des Handelsgeschäfts (Modul AT 2.3, Tz. 3). Begrifflich erfasst werden danach Geschäfte, mit denen ein Kreditinstitut im eigenen Namen und für eigene Rechnung finanzielle Vermögenswerte erwirbt oder veräußert. Wird eine Bank lediglich für Kunden tätig, so soll nach den VWG BsGa kein Handelsgeschäft vorliegen.8 Diese Geschäfte begründen eine Geschäftsbeziehung zu einem Kunden, die nach Maßgabe des § 9 BsGaV zuzuordnen ist (s. Rz. 4.121 ff.).

1 2 3 4 5 6 7 8

In diesem Sinne auch VWG BsGa, Tz. 231 (Fall – Einlagensammelstelle). Siehe auch VWG BsGa, Tz. 272. VWG BsGa, Tz. 201. „Special Considerations For Applying The AOA To Permanent Establishments of Enterprises Carrying On The Global Trading Of Financial Instruments“. Siehe BaFin, Merkblatt – Hinweise zu den Tatbeständen des Eigenhandels und des Eigengeschäfts v. 22.3.2011, zuletzt geändert am 24.10.2014. Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, KWG3, § 1 KWG Rz. 124. Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, KWG3, § 1 KWG Rz. 160e. VWG BsGa, Tz. 201.

Andresen/Buchholz 667

11.104

Kap. 11 Rz. 11.105

Sonderfälle

11.105 Begriffliche Unschärfen. § 22 Abs. 1 Satz 1 BsGaV enthält ausweislich der VWG BsGa die allgemeine Definition des globalen Handels mit Finanzinstrumenten („Global Trading“).1 Der Verordnungsgeber zielt dabei auf Finanzinstrumente i.S. des § 1 Abs. 11 Satz 1 KWG, mit denen durch Finanzinstitute auf Märkten der ganzen Welt rund um die Uhr gehandelt wird, und bildet den Rechtsbegriff „globaler Handel mit Finanzinstrumenten“. Der in Bezug genommene aufsichtsrechtliche Begriff Finanzinstrumente ist Oberbegriff für handelbare Wertpapiere, Geldmarktinstrumente, Devisen, Rechnungseinheiten und Derivate.2 Zu den Derivaten zählen insbesondere auch Kreditderivate, wie CDS, zum Transfer von Kreditrisiken bestimmter Darlehen oder Kreditportfolios.3 In den persönlichen Anwendungsbereich der Norm fällt der globale Handel durch Finanzinstitute. Der Verordnungsgeber verwendet den Begriff des Finanzinstituts ausschließlich in § 22 Abs. 1 Satz 1 BsGaV ohne diesen – in den Verordnungsmaterialien – näher zu erläutern. Im aufsichtsrechtlich-technischen Sinne steht der Begriff „Finanzinstitut“ i.S. des Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 CRR4 selbständig neben dem Begriff des Instituts i.S. des Art. 4 Abs. 1 Nr. 3 CRR, der Kreditinstitute und Wertpapierhandelsunternehmen umschließt. Ausgehend von der Definition der Bankbetriebsstätte in § 18 BsGaV (dazu Rz. 11.57) ist Finanzinstitut i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 BsGaV in einem steuerrechtlichen Sinne als Oberbegriff für Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute zu verstehen. Inhaltlich zielt die Vorschrift auf den Handel mit Finanzinstrumenten auf der ganzen Welt rund um die Uhr. Diese Beschreibung sagt als solche noch nichts darüber aus, ob Regelungsgegenstand allein echtes Eigengeschäft sein soll oder ob auch die Ausführung von Kundenaufträgen (kundeninduzierter Handel) erfasst ist. § 22 Abs. 1 Satz 2 BsGaV enthält eine beispielhafte Aufzählung von Geschäftsaktivitäten im Bereich „Global Trading“. Erfasst werden (1.) die globale Emission und der globale Vertrieb von Finanzinstrumenten, (2.) die Tätigkeit als Market Maker i.S. des § 23 Abs. 4 WpHG für physische Wertpapiere, (3.) die Tätigkeit an den Aktien- und Rohstoffbörsen und (4.) die Entwicklung neuer Finanzinstrumente. Es handelt sich dabei sowohl um Tätigkeiten, die den aufsichtsrechtlichen Tatbestand des Eigenhandels als auch des Eigengeschäfts erfüllen können. Dass der Begriff des globalen Handels mit Finanzinstrumenten i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 BsGaV weit zu verstehen ist, verdeutlicht auch der Verweis auf den OECD-Betriebsstättenbericht 2010 Teil III.5 Darin beschreibt der OECD-Steuerausschuss „Global Trading“ als „(…) the capacity of financial institutions to execute customers’ orders in financial products in markets around the world and/or around the clock“.6 Der OECD Report bezieht damit ausdrücklich den Handel im Kundenauftrag ein.7 Nach diesem Verständnis, das auch den in den VWG BsGa beispielhaft beschriebenen Sachverhalten entspricht,8 erfasst § 22 BsGaV sowohl echtes Eigengeschäft (z.B. im Hochfrequenzhandel) als auch im Kundenauftrag getätigte Geschäfte.

11.106 Entsprechende Anwendung des § 19 BsGaV. Die in § 22 Abs. 1 Satz 1 BsGaV angeordnete Zuordnung global gehandelter Finanzinstrumente entsprechend § 19 BsGaV wirft die Frage auf, welcher operative Unternehmensteil die unternehmerische Risikoübernahmefunktion 1 VWG BsGa, Tz. 272. 2 Siehe Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/CRR-VO5, § 1 KWG Rz. 278. 3 Mit weiteren Nachweisen Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/CRR-VO5, § 1 KWG Rz. 293; BT-Drucks. 16/4028, 55. 4 VO (EU) Nr. 575/2013. 5 Siehe VWG BsGa, Tz. 272. 6 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 7. 7 Siehe auch Stocker, Internationale Erfolgsabgrenzung beim Global Trading mit Finanzinstrumenten, 16 f. 8 Siehe VWG BsGa, Tz. 274.

668

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.108 Kap. 11

ausübt. Dies ist im Zuge der vorzunehmenden Funktion- und Risikoanalyse zu klären (dazu Rz. 11.70). Die VWG BsGa benennen – unter Bezugnahme auf den OECD-Betriebsstättenbericht 20101 – einzelne Personalfunktionen, die im Regelfall für die Übernahme und das Management von Risiken aus Handelsgeschäften mit finanziellen Vermögenswerten von Bedeutung sind.2 Funktion

Beschreibung der Tätigkeiten

Sales/Marketing

Akquisition von Neukunden, Betreuung von bestehenden Kundenbeziehungen, Erörterung des Bedarfs an Finanzmarktprodukten und entsprechende Angebote des Kreditinstituts, Preisbestimmung in Abstimmung mit dem verantwortlichen Händler

Trading & Day-to-day Risk Management Bewertung von Markt-, Währungs- und anderen Risiken, Entscheidung über den Abschluss von Handelstransaktionen und über deren Bedingungen Treasury

Effiziente Beschaffung von Refinanzierungsmitteln, Liquiditätssteuerung für das Kreditinstitut

Support, back office, middle office

Überprüfung, Verbuchung und Abwicklung von Handelsgeschäften

Die VWG BsGa gehen davon aus, dass im Handelsgeschäft im Regelfall die als „Trading & Day-to-day Risk Management“ beschriebenen Tätigkeiten als unternehmerische Risikoübernahmefunktion zu qualifizieren sind, weil durch die Käufe und Verkäufe die aktive Entscheidung getroffen wird, das Risiko zu tragen.3 Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BsGaV sind im Kundenauftrag oder Eigeninteresse gehandelte Finanzinstrumente somit einer in die Handelstätigkeiten involvierten Bankbetriebsstätte zuzuordnen, wenn die dieser zugeordneten Personalfunktionen die mit einem Geschäft verbundenen Marktrisiken bewerten und letztlich auch über den Abschluss der jeweiligen Handelsgeschäfte entscheiden. Anteilige Vermögenszuordnung. § 22 Abs. 2 Satz 1 BsGaV regelt ausdrücklich nur die Möglichkeit der anteiligen Zurechnung steuerlich realisierter und nichtrealisierter Ergebnisse nach einem sachgerechten Aufteilungsschlüssel. Die VWG BsGa gehen in dem in Tz. 274 beschriebenen Beispielssachverhalt (Bestehen globaler Handelsbücher für bestimmte Finanzprodukte und uneingeschränkte Handelserlaubnis zugunsten mehrerer Händler in verschiedenen Bankbetriebsstätten) jedoch davon aus, dass (auch) die Vermögenswerte nach einem sachgerechten Schlüssel auf die beteiligten Bankbetriebsstätten aufzuteilen sind. Dem ist aus Vereinfachungsgründen zuzustimmen. Eine solche Aufteilung der Vermögenswerte ist indes dem Wortlaut von § 22 Abs. 2 Satz 1 BsGaV nicht ausdrücklich zu entnehmen und kann daher nur optional, nicht hingegen verpflichtend sein.

11.107

Abweichende Vermögenszuordnung. § 22 Abs. 2 Satz 2 BsGaV gestattet ausnahmsweise eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass die Zurechnung der Erfolgswirkungen der Vermögenszuordnung folgt. Konkret soll aus Vereinfachungsgründen eine von der anteiligen Aufteilung der Einkünfte abweichende Buchung der Finanzinstrumente des Global Tradings

11.108

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 39–85. 2 VWG BsGa, Tz. 206. 3 VWG BsGa, Tz. 207.

Andresen/Buchholz 669

Kap. 11 Rz. 11.109

Sonderfälle

zulässig sein, wenn die (korrespondierende) anteilige Zuordnung der Chancen und Risiken bei der Zuordnung des Dotationskapitals berücksichtigt und das Ergebnis der jeweiligen Bankbetriebsstätten nicht beeinflusst wird.1 Hintergrund dieser Sonderregelung ist, dass Kreditinstitute in praxi häufig eine Bankbetriebsstätte bestimmen, in der zentral die Buchungen für das Global Trading durchgeführt werden.2 Die Anwendung der Vereinfachungsregelung steht unter dem Vorbehalt „transparenter und konsistenter“ Dokumentation in der Hilfs- und Nebenrechnung.3 Wenn und soweit es sich bei den zu beurteilenden Transaktionen um schwebende Geschäfte handelt, wäre die handels- und damit steuerrechtliche Ergebnisauswirkung erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erwarten. ii) Zuordnung von Geschäftsvorfällen und korrespondierenden Einkünften

11.109 Außengeschäftsvorfälle vs. Innenleistungsbeziehungen. In der Eigenschaft als (mittelbare) Korrekturvorschrift zielt § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG auf die Berichtigung fremdunüblich „bepreister“ Leistungsbeziehungen zwischen den rechtlich unselbständigen operativen Einheiten eines Einheitsunternehmens (s. Rz. 4.48 und 4.52). Gegenstand der Einkünfteabgrenzung ist insoweit die fremdvergleichskonforme Vergütung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen i.S. des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG. Davon zu unterscheiden ist die Zuordnung von Betriebseinnahmen und -ausgaben aus Vertragsbeziehungen mit außenstehenden Dritten. Geschäftsvorfälle des Unternehmens sind nach § 9 Abs. 1 BsGaV dem Unternehmensteil zuzuordnen, der die maßgebliche Personalfunktion ausübt (Rz. 4.122 ff.). Die Zuordnung richtet sich nach der Personalfunktion, die dafür maßgeblich ist, dass das Unternehmen den betreffenden Geschäftsvorfall abgeschlossen und die damit verbundenen Risiken übernommen hat.4 Als Zuordnungskriterium gilt das „Zustandekommen des Geschäftsvorfalls“. Die Zuordnung des Geschäftsvorfalls schließt die damit in Zusammenhang stehenden Ergebniswirkungen (Betriebseinnahmen und -ausgaben) ein.5 Mangels spezieller Regelungen gelten die allgemeinen Grundsätze des § 9 BsGaV auch bei Bankbetriebsstätten.6 Dies gilt auch, soweit Kreditinstitute im Handelsgeschäft lediglich im Kundenauftrag tätig werden und damit kein Handelsgeschäft in Form von Eigenhandel (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 4 KWG) oder Eigengeschäft (§ 1 Abs. 1a Satz 3 KWG) vorliegt.7

11.110 Betriebseinnahmen und -ausgaben aus Geschäftsvorfällen des Unternehmens. Die Zurechnung der im Außenverhältnis entstandenen Betriebseinnahmen und -ausgaben ist nicht unmittelbarer Regelungsgegenstand von § 1 Abs. 4 und 5 AStG. Insoweit ist das Veranlassungsprinzip durch die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG nicht außer Kraft gesetzt.8 Abhängig davon, welchem Unternehmensteil ein Außenumsatz zuzuordnen ist, werden auch korrespondierende Einkünfte aus dieser Transaktion bei dem jeweiligen Unternehmensteil direkt erfasst.9 Die Erfolgsabgrenzung folgt somit der internen Zuordnung der Geschäftsvorfälle des Unternehmens im Außenverhältnis.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

VWG BsGa, Tz. 275. Siehe OECD-Betriebsstättenbericht, Teil III, Nr. 201 und Nr. 215. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 109 (zu § 22 Abs. 2 Satz 2 BsGaV-E). Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 69 (zu § 9 Abs. 1 Satz 1 BsGaV-E). VWG BsGa, Tz. 112. § 18 BsGaV. MaRisk, Modul AT 2.3, Tz. 3; VWG BsGa, Tz. 201. Siehe nur Gosch, IStR 2015, 709 (713). Siehe auch Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 490 (Stand: Oktober 2013).

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.115 Kap. 11

jj) Erfolgsabgrenzung im traditionellen Bankgeschäft (1) Zurechnung von Erträgen Zinserträge. Kreditinstitute weisen im Posten Zinserträge i.S. des § 28 RechKredV die Zinserträge und ähnlichen Erträge aus dem Bankgeschäft aus, Finanzdienstleistungsinstitute alle Zinserträge und ähnlichen Erträge.1 Für Zwecke der steuerlichen Einkünfteabgrenzung sind Zinserträge aus dem Kreditgeschäft dem Unternehmensteil zuzurechnen, dem der finanzielle Vermögenswert zuzuordnen ist. Die Erfolgsabgrenzung richtet sich grundsätzlich nach den besonderen Zuordnungsregeln für finanzielle Vermögenswerte, namentlich Kreditaktiva, in § 19 Abs. 1 BsGaV. Die Zuordnung der Zinserträge zu einer Bankbetriebsstätte hängt damit von der Verortung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion ab. Da es nach dem Regelungskonzept der BsGaV nur eine derartige Personalfunktion geben kann (Rz. 11.71), ist eine anteilige Zuordnung der vereinnahmten Zinserträge grundsätzlich ausgeschlossen. Kompensiert wird die einheitliche Erfolgszurechnung durch – im zweiten Schritt des AOA – fremdüblich zu vergütende anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen im Hinblick auf unterstützende Hilfsfunktionen, die andere Unternehmensteile im Rahmen der arbeitsteiligen Leistungserstellung im Kreditgeschäft erbracht haben. Dies gilt insbesondere für Personalfunktionen, die nach dem Zeitpunkt der Entstehung des jeweiligen finanziellen Vermögenswerts ausgeübt werden (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 3 BsGaV).

11.111

Laufende Erträge. Zuzurechnen sind weiterhin laufende Erträge aus Aktien und anderen nicht festverzinslichen Wertpapieren, aus Beteiligungen und Anteilen an verbundenen Unternehmen (Formblatt 3 RechKredV). Die Zurechnung der Beteiligungserträge folgt der im Rahmen der Vermögensabgrenzung nach den anwendbaren Zuordnungsregelungen vorgenommenen Allokation der (finanziellen) Vermögenswerte.

11.112

Provisionserträge. Provisionen und ähnliche Erträge aus Dienstleistungsgeschäften i.S. des § 30 Abs. 1 RechKredV sind dem Unternehmensteil zuzurechnen, dem nach den Grundsätzen des § 9 BsGaV der einzelne Geschäftsvorfall – ggf. anteilig – zugeordnet wurde (Rz. 11.109).

11.113

Zuschreibungen. Erträge aus Zuschreibungen zu Forderungen im Kreditgeschäft sowie zu Beteiligungen und wie Anlagevermögen behandelten Wertpapieren (vgl. § 33 RechKredV)2 sind der Bankbetriebsstätte zuzurechnen, wenn dieser nach den Zuordnungsregelungen in § 18 i.V. mit § 7 Abs. 1 und § 19 BsGaV auch die korrespondierenden finanziellen Vermögenswerte zuzuordnen sind.

11.114

(2) Zurechnung von Aufwendungen Zinsaufwendungen. Der Posten Zinsaufwendungen i.S. des § 29 RechKredV umfasst Zinsaufwendungen und ähnliche Aufwendungen aus dem Bankgeschäft, insbesondere Aufwendungen im Zusammenhang mit den Posten Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten (Passivposten Nr. 1) und Verbindlichkeiten gegenüber Kunden (Passivposten Nr. 2). Zu erfassen sind auch „negative Zinsen“ aus Passivgeschäft, bspw. aus kurzfristigen Einlagegeschäften bei der EZB.3 Bezogen auf die steuerliche Einkünfteabgrenzung bedarf es der Zurechnung der im Außenverhältnis entstandenen Fremdkapitalzinsen aus Refinanzierungsgeschäften sowie

1 Scharpf/Schaber, Handbuch Bankbilanz6, 1032. 2 Formblatt 2 Spalte Erträge Nr. 7, Formblatt 3 Nr. 15 und 16. 3 Scharpf/Schaber, Handbuch Bankbilanz6, 1049 f.; Löw, WPg 2015, 66 (67 f.).

Andresen/Buchholz 671

11.115

Kap. 11 Rz. 11.116

Sonderfälle

aus Publikumseinlagen. Da die BsGaV keine speziellen Regelungen vorsieht, die die bankbetrieblichen Besonderheiten der Liquiditätssteuerung (dazu Rz. 11.101) abbilden, gelten die allgemeinen Grundsätze. Die Zurechnung im Außenverhältnis entstandener Zinsaufwendungen zu der Bankbetriebsstätte folgt dem Zusammenspiel von direkter und indirekter Zuordnung der korrespondierenden Passivposten (Rz. 11.102. Ist ein Passivposten einer Betriebsstätte direkt zuzuordnen, weil bei dieser auch das korrespondierende Aktivgeschäft zu erfassen ist, sind auch die Finanzierungsaufwendungen der Betriebsstätte zuzuordnen (§ 15 Abs. 1 BsGaV). Die Anwendung dieser sog. Tracing-Methode1 betrifft nur die im Außenverhältnis entstandenen Zinsaufwendungen. Davon zu unterscheiden sind Finanzierungsaufwendungen der Bankbetriebsstätte aus institutsinternen Darlehensbeziehungen mit anderen operativen Institutsteilen, insbesondere dem Stammhaus (vgl. 19 Abs. 6 BsGaV). Insoweit steht die fremdübliche Bepreisung der Innendarlehen im Vordergrund (Rz. 11.128). Eine direkte Zuordnung von Refinanzierungsaufwendungen bedingt – vorausgehend – die direkte Zuordnung der Passivposten. Angesichts der bankpraktischen Ausgestaltung in der Liquiditätssteuerung wird die abschließende direkte Zuordnung die Ausnahme bleiben.2 Soweit eine direkte Zuordnung der Passiva ausscheidet und keine anzunehmenden internen Darlehensbeziehungen bestehen, ist ein verbleibender Fehlbetrag durch indirekte Zuordnung von Passivposten aufzufüllen (§ 14 Abs. 3 BsGaV). In diesem Fall sind der Bankbetriebsstätte Finanzierungsaufwendungen entsprechend der indirekten Zuordnung der Passivposten anteilig zuzuordnen (§ 15 Abs. 3 Satz 1 BsGaV). Die praktische Umsetzung der anteiligen Zuordnung wird in Satz 2 der Norm näher ausgestaltet. Danach soll im Fall mehrerer nicht direkt zuordnungsfähiger übriger Passivposten zur Ermittlung der anteiligen Finanzierungsaufwendungen eine auf den Beginn des Wirtschaftsjahrs bezogene Quote ermittelt werden.3 Dieser Ansatz zielt auf produzierende Industrieunternehmen mit verschiedenen Finanzierungsdarlehen, eignet sich jedoch nicht für die vielschichtigen Refinanzierungsaktivitäten der zentralen Treasury eines multinationalen Kreditinstituts. Dies führt dazu, dass die Anwendung der in § 15 Abs. 3 Satz 3 BsGaV vorgesehenen Öffnungsklausel für die Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen zu Bankbetriebsstätten zum Regelfall wird.

11.116 Provisionsaufwendungen. Provisionsaufwendungen aus Dienstleistungsgeschäften (vgl. § 30 Abs. 2 RechKredV) sind der Bankbetriebsstätte zuzurechnen, wenn dieser nach den Grundsätzen des § 9 BsGaV auch der jeweilige Geschäftsvorfall – ggf. anteilig – zugeordnet wurde.

11.117 Verwaltungsaufwendungen. Im Posten Personalaufwand und andere Verwaltungsaufwendungen (vgl. § 31 Abs. 2 RechKredV) sind insbesondere Personalkosten sowie Aufwendungen für IT-Infrastruktur auszuweisen. Der auf die Analyse der Personalfunktionen der Bankbetriebsstätte sowie der übrigen Unternehmensteile gerichtete AOA stellt die Zurechnung der Personalkosten auf eine neue Grundlage. Als Ergebnis der Durchführung der Funktionsanalyse im ersten Schritt des AOA ist das Personal des Unternehmens (Rz. 4.66), das in der Betriebsstätte tätig wird, grundsätzlich bekannt. Diese Informationen über die personelle Ausstattung schaffen die Grundlage für die Zurechnung des Personalaufwands zu der (Bank-) Betriebsstätte. Sonstiger Verwaltungsaufwand, insbesondere für IT-Infrastruktur, ist der Betriebsstätte zuzurechnen, wenn dieser aus Geschäftsvorfällen der Betriebsstätte (vgl. § 9 BsGaV) resultiert. Im Übrigen ist die Nutzung institutsweit zur Verfügung stehender IT-An-

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 154; Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 521 (Stand: Oktober 2013). 2 Greier/Persch, BB 2012, 1318 (1324 f.). 3 VWG BsGa, Tz. 158.

672

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.120 Kap. 11

wendungen im Geltungsbereich des AOA im Wege fremdüblich zu vergütender Innenleistungsbeziehungen abzubilden. Entwickelt und unterhält bspw. ein Unternehmensteil eine spezielle IT-Plattform, die institutsweit von verschiedenen operativen Einheiten genutzt wird, ist diese steuerlich durch anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (Nutzungsüberlassung, Miete etc.) zu berücksichtigen, für die fremdübliche Verrechnungspreise anzusetzen sind. Zu einer Aktivierung eines Wirtschaftsguts, das nicht bereits in der Handelsbilanz nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften aktiviert worden ist, darf es jedoch durch die Anwendung der BsGaV nicht kommen. Hedging-Kosten. Betriebsausgaben im Zusammenhang mit dem Abschluss von Absicherungsgeschäften sind entsprechend der Zuordnung der Sicherungsgeschäfte und der zugehörigen Vermögenswerte zu erfassen.1 Im Fall einer 1:1-Absicherung einzelner Risikopositionen (Mikro-Hedge) folgt die Zurechnung korrespondierender Betriebsausgaben, einschließlich etwaiger Veräußerungsgewinne und -verluste der Zuordnung des abgesicherten Grundgeschäfts. Erfolgt die Absicherung auf Portfolioebene (Makro-Hedge), scheidet eine direkte Zurechnung der Hedging-Kosten regelmäßig aus. Der Absicherungsaufwand ist in diesem Fall sachgerecht zu verteilen. Erfolgt im Einzelfall bereits eine anteilige Zuordnung der Vermögenswerte der Sicherungsgeschäfte (Rz. 11.83), ist auch der Aufwand entsprechend anteilig zuzurechnen.

11.118

Abschreibungen und Wertberichtigungen. Aufwendungen aus Abschreibungen und Wertberichtigungen auf Forderungen im Kreditgeschäft (§ 32 RechKredV) sowie auf Beteiligungen und wie Anlagevermögen behandelten Wertpapieren (vgl. § 33 RechKredV)2 sind der Bankbetriebsstätte zuzurechnen, wenn dieser nach den Zuordnungsregelungen in § 19 BsGaV bzw. § 18 i.V. mit § 7 Abs. 1 BsGaV auch die korrespondierenden (finanziellen) Vermögenswerte zuzuordnen sind, es sei denn, ein Risikotransfer sorgt für die tatsächliche Tragung des Aufwands beim Sicherungsgeber.

11.119

kk) Die Bankenabgabe als Gegenstand der Erfolgsabgrenzung Bankenabgabe und steuerliche Einkünfteabgrenzung. Ein Baustein des Maßnahmenpakets des deutschen Gesetzgebers in Reaktion auf die im Jahr 2008 ausgebrochene Finanzkrise ist die durch das Gesetz zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute (RStruktFG)3 eingeführte Bankenabgabe. Die nationalen Regelungen der ab dem 31.12.2010 zu entrichtenden zweckgebundenen „nichtsteuerlichen Sonderabgabe“4 werden seit dem 1.1.2015 durch das Unionsrecht „überformt“.5 Die sog. BRRD-Richtlinie vom 15.5.2014 (Bank Recovery and Resolution Directive)6 verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Einführung nationaler Abwicklungsfinanzierungsmechanismen. Darüber hinaus wurde zum 1.1.2016 durch

1 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 73 f. (zu § 11 Abs. 1 BsGaV-E). 2 Formblatt 2 Spalte Erträge Nr. 7 und Formblatt 3 Nr. 15 und 16. 3 Art. 3 des Gesetzes zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung (RStruktG) v. 9.12.2010, BGBl. I 2010, 1900, zuletzt geändert durch das FMSA-Neuordnungsgesetz v. 23.12.2016, BGBl. I 2016, 3171. 4 BT-Drucks. 17/3024, 72. 5 Plastisch Kube, DStR 2016, 572. 6 Art. 100 ff. RL 2014/59/EU, ABl. Nr. L 173 v. 12.6.2014, 190; ergänzt durch die Delegierte VO (EU) 2015/63 v. 21.10.2014, ABl. Nr. L 11 v. 17.1.2015, 44.

Andresen/Buchholz 673

11.120

Kap. 11 Rz. 11.121

Sonderfälle

die sog. SRM-Verordnung vom 15.7.2014 (SRM-VO)1 ein für die SSM-Staaten2 einheitlicher Abwicklungsfonds errichtet.3 Der Fonds wird durch eine EU-Bankenabgabe gespeist, die von den „signifikanten“ Kreditinstituten unter SSM-Aufsicht4 zu leisten ist. Für die steuerliche Einkünfteabgrenzung bei Bankbetriebsstätten ist die Verpflichtung der betroffenen Kreditinstitute, (jährliche) Zahlungen in einen Abwicklungsfonds zu leisten, in zweifacher Weise relevant: im Rahmen der Erfolgsabgrenzung sowie mit Blick auf die Vermeidung von Doppelbelastungen. Derartige Doppel- oder Mehrfachbelastungen können entstehen, wenn ein grenzüberschreitend tätiges Institut als Ganzes oder für einzelne Unternehmensteile in zwei oder mehr Staaten zur Zahlung einer Bankenabgabe herangezogen wird.5

11.121 Beitragspflichtige Institute. Der persönliche Anwendungsbereich der ursprünglich im nationalen Recht geregelten und seit 2016 unionsrechtlich fundierten Bankenabgabe ist aufsichtsrechtlich vorgeprägt. Abgabepflichtig ist grundsätzlich das (Gesamt-)Institut als zivilrechtliche Einheit. Dies ist Ausdruck des gefahrenabwehrrechtlichen Charakters des Aufsichtsrechts. Das deutsche Bankaufsichtsrecht (KWG) gewährleistet „allgemeine Ordnung im Kreditwesen“ durch staatliche Abwehr drohender Gefahren für das „reibungslose Arbeiten des Kreditapparates“.6 Diesem Grundgedanken folgend erfasst das RStruktFG als „beitragspflichtige Unternehmen“ alle nicht von der Körperschaftsteuer befreiten CRR-Kreditinstitute i.S. des § 1 Abs. 3d Satz 1 KWG mit deutscher Bankerlaubnis,7 einschließlich rechtlich unselbständiger Auslandsniederlassungen. Mit Inkrafttreten des BRRD-UmsG trifft die Abgabepflicht ab dem 1.1.2015 auch Inlandszweigstellen von Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat, die nach § 53 Abs. 1 KWG als ein Institut gelten.8 Entsprechendes gilt auch mit Blick auf das unionsrechtliche Regelungswerk. Die BRRD sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Beiträge bei den in ihrem Hoheitsgebiet zugelassenen Instituten erheben.9 Abgabepflichtig sind darüber hinaus Unionszweigstellen, d.h. in einem Mitgliedstaat befindliche Zweigstellen eines Drittlandinstituts.10 Die SRM-VO lässt diese Grundsätze unberührt und knüpft an die in Art. 100 BRRD geregelte Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Finanzierungsmechanismen an. 1 VO (EU) Nr. 806/2014 v. 15.7.2014, ABl. Nr. L 225 v. 30.7.2014, 1; ergänzt durch die Durchführungsverordnung (EU) 2015/81 v. 19.12.2014, ABl. Nr. L 15 v. 22.1.2015, 1. 2 Staaten, die am Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) der EZB teilnehmen: Staaten des Eurosystems sowie Mitgliedstaaten, die dem SSM freiwillig beitreten („opt in“). 3 Art. 67 ff. SRM-VO. 4 VO (EU) Nr. 1024/2013 v. 15.10.2013, ABl. Nr. L 287 v. 29.10.2013, 63. Eine Übersicht der Institute unter EZB-Aufsicht ist abrufbar unter: www.bankingsupervision.europa.eu/banking/list/ who/html/index.en.html. 5 Dazu Schmid, DB 14/2011, S31. Siehe auch Rz. 11.50. 6 Reg-E eines Gesetzes über das Kreditwesen, BT-Drucks. 3/114, 19; s. auch Reiter/Geerlings, DÖV 2002, 562 (563). Zu der ordnungsrechtlichen Funktion der Bankenaufsicht BGH v. 15.2.1979 – III ZR 108/76, BGHZ 74, 144; Fischer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/CRR-VO5, Einf. KWG Rz. 166 f. 7 § 2 Satz 1 Nr. 1 RStruktFG. 8 Ungeachtet der Regelung durch das BRRD-UmsG sollten Zweigniederlassungen von DrittstaatenInstituten bereits in den Beitragsjahren 2011–2014 abgabepflichtig sein; s. Skuratovski, RdF 2012, 103 (104); Helios/Birker, DB 2012, 477 (478). 9 Art. 103 BRRD. 10 Art. 103 i.V. mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 89 BRRD; s. auch Erwägungsgrund 1 und 2 der Delegierten VO (EU) 2015/63 v. 21.10.2014. Siehe auch § 2 Satz 1 Nr. 3 RStruktFG i.d.F. des BRRD-UmsG v. 10.12.2014, BGBl. I 2014, 2091.

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.122 Kap. 11

Erfolgsabgrenzung. Der aufsichtsrechtliche Fokus auf das Gesamtinstitut steht im Gegensatz zu der steuerlichen Selbständigkeitsfiktion nach dem AOA. Die als Gesamtbetrag (Jahresbeitrag) im Ansässigkeitsstaat des Instituts erhobene Bankenabgabe stellt eine besondere Aufwandsposition dar, die im Posten Allgemeine Verwaltungsaufwendungen, Unterposten b) andere Verwaltungsaufwendungen (§ 31 Abs. 2 Satz 1 RechKredV),1 auszuweisen und die Gegenstand der steuerlichen Erfolgsabgrenzung ist. Konkret stellt sich die Frage, ob die erhobene Abgabe vollständig dem inländischen Stammhaus oder den Institutsteilen im Inland und Ausland anteilig zuzuordnen ist. Relevant ist dies insbesondere, sofern die Bankenabgabe nach dem Recht des Ansässigkeitsstaats steuerlich nicht abzugsfähig ist. Das deutsche innerstaatliche Recht statuiert in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 13 EStG ein solches Abzugsverbot für Jahresbeiträge nach § 12 Abs. 2 RStruktFG.2 Tatbestandlich erfasst sollten indes auch die ab dem Beitragsjahr 2016 nach Art. 70 SRM-VO erhobenen Beiträge an den einheitlichen Abwicklungsfonds sein.3 Die BsGaV enthält im Abschnitt 2 über Bankbetriebsstätten keine besonderen Regelungen zur steuerlichen Behandlung bankspezifischer Sonderabgaben. Auch spricht die rein (HGB-)bilanzbasierte Konzeption der Bankenabgabe gegen die Erfassung einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung i.S. des § 16 Abs. 1 BsGaV (s. Rz. 4.191). Für die Zuordnung des Aufwandspostens (Jahres- und ggf. Sonderbeitrag) gelten daher die allgemeinen Regelungen, d.h. durch Zurechnung der Aufwendungen entsprechend den korrespondierenden Passivposten. Da mit der Bankenabgabe keine bestimmten Geschäftsvorfälle oder Personalfunktionen korrespondieren, erfolgt die Aufteilung in Ableitung von den der Betriebsstätte zuzuordnenden Passivposten. Die Frage nach einem geeigneten Maßstab für die (anteilige) Zurechnung der Jahresbeiträge lenkt den Blick daher auf die Berechnungsmethodik der Bankenabgabe. Die unionsrechtliche Abgabe geht von der Summe der Verbindlichkeiten i.S.v. Art. 3 Nr. 11 der Delegierten VO (EU) 2015/63 aus und bringt davon die Eigenmittel und die gedeckten Einlagen in Abzug.4 Um Doppelzählungen von Verbindlichkeiten zu vermeiden, erfolgt die Berechnung unter Ausschluss gruppeninterner Verbindlichkeiten.5 Der jährliche Grundbeitrag ist mittels eines – anhand teilweise komplexer „Risikofelder und Risikoindikatoren“6 zu bestimmenden – Risikoanpassungsmultiplikators7 dem Risikoprofil des Instituts anzupassen. Als Risikoindikatoren sind u.a. außerbilanzielle Risiken und Derivate zu berücksichtigen (Art. 6 Abs. 5 und 6 VO (EU) 2015/63).8 Für Zwecke der steuerlichen Erfolgsabgrenzung sollte aus Vereinfachungsgründen lediglich der im ersten Schritt zu bestimmende jährliche Grundbeitrag in Bezug genommen werden. Eine entspre1 Formblatt 2 Spalte Aufwendungen Nr. 4, Formblatt 3 Nr. 10; s. Löw/Künzel/Brixner, WPg 2012, 40 (48); Scharpf/Schaber, Handbuch Bankbilanz6, 1096. 2 Die britische Bankenabgabe wird als Steuer behandelt und ist damit nicht abzugsfähig. Die französische Bankenabgabe darf bei Ermittlung der KSt abgezogen werden; s. Schmid, DB 14/2011, S31, DB0412584. 3 Eingehend Kube, DStR 2016, 572 (573), der jedoch mit guten Argumenten die Verfassungswidrigkeit des Abzugsverbots aufzeigt. 4 § 12b Abs. 1 Satz 2 RStruktFG sowie Restrukturierungsfonds-Verordnung (RStruktFV) v. 14.7.2015, BGBl. I 2015, 1268. 5 Art. 5 Abs. 1 Buchst. a Delegierte VO (EU) 2015/63. 6 Art. 103 Abs. 2 und 7 BRRD i.V. mit Art. 6 Delegierte VO (EU) 2015/63. 7 Art. 9 Abs. 3 Delegierte VO (EU) 2015/63. 8 Demgegenüber bildete nach dem RStruktFG in der ursprünglichen Fassung vom 9.12.2010 (BGBl. I 2010, 1900) der „Umfang der noch nicht abgewickelten Termingeschäfte“ einen selbständigen Bestanteil der Bemessungsgrundlage des Jahresbeitrags (§ 12 Abs. 10 Satz 7 Halbs. 2 RStruktFG). Maßgeblich ist danach das Nominalvolumen der nach § 36 RechKredV im Anhang des HGB-Einzelabschlusses anzugebenden Derivate; dazu Göbel/Henkel/Lantzius-Beninga, WPg 2012, 27 (31); Ammelung/Frank in Brogl, Handbuch Banken-Restrukturierung, 217 (228).

Andresen/Buchholz 675

11.122

Kap. 11 Rz. 11.123

Sonderfälle

chende Anwendung der individuellen Risikoanpassungskriterien auf die Betriebsstätte ist weder praktisch durchführbar noch erforderlich. Stattdessen dienen die in der Hilfs- und Nebenrechnung der Betriebsstätte (Rz. 4.53) auszuweisenden Verbindlichkeiten sowie das angemessene Dotationskapital als Grundlage einer sachgerechten Aufteilung des erhobenen Jahres- und ggf. Sonderbeitrags.1 Bei Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode spiegelt das von den Verbindlichkeiten in Abzug zu bringende Dotationskapital der Betriebsstätte deren (steuerliches) „Risikoprofil“2 wider.

11.123 Vermeidung der Mehrfachbelastung. Bestehen im Ansässigkeitsstaat und im Betriebsstättenstaat eigenständige, nicht harmonisierte „Abgabenregime“ kann dies zu Doppelbelastungen eines grenzüberschreitenden Instituts führen, wenn die Betriebsstätte als solche im Aufnahmestaat vom persönlichen Anwendungsbereich der Bankenabgabe erfasst wird.3 Beispielhaft gilt dies für inländische CRR-Institute mit einer Betriebsstätte im Vereinigten Königreich (UK):4 das CRR-Institut ist beitragspflichtig nach § 2 RStruktFG bzw. Art. 70 SRM-VO, die Betriebsstätte als solche ist Subjekt der britischen „bank levy“.5 Auf die Vermeidung von Doppelbelastungen bei der Bankenabgabe zielt das ab dem 1.1.2011 anzuwendende Abkommen zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich vom 7.12.2011.6 Nach Art. 6 Abs. 1 des Abkommens steht dem Betriebsstättenstaat ein Belastungsrecht für diese Betriebsstätte zu („Betriebsstättenprinzip“). Von diesem Belastungsrecht macht Deutschland indes keinen Gebrauch, da Betriebsstätten im Ausland ansässiger Institute, die für ihre Tätigkeit im Inland den „Europäischen Pass“ nutzen (Rz. 11.50), generell nicht vom persönlichen Anwendungsbereich der deutschen Bankenabgabe erfasst werden (Rz. 11.121). Die in Art. 7 des Abkommens geregelte Beseitigung der Doppelbelastung wird im Betriebsstättensachverhalt daher nur für ein in Deutschland ansässiges Institut mit UK-Betriebsstätte relevant (Art. 7 Abs. 2 Buchst. b des Abkommens).7 In diesem Outbound-Fall ist der in Deutschland erhobene Jahresbeitrag auf die britische Bankenabgabe anzurechnen. Anrechnungsfähig ist (nur) die Bankenabgabe, die anhand der der Betriebsstätte zuzurechnenden relevanten Passiva und Derivate zu ermitteln ist. Die Vertragsstaaten haben sich diesbezüglich im Protokoll zu Art. 7 des Abkommens verpflichtet, bei der Zurechnung von Eigenkapital, Passiva und Derivaten zu einer Betriebsstätte die Grundsätze des OECD-Betriebsstättenberichts 2008 anzuwenden. Für die Ermittlung des Anrechnungsbetrags anhand der relevanten Verbindlichkeiten und relevanten Derivate verweist das Protokoll zu Art. 7 auf das RStruktFG.8 Fällt die britische Bankenabgabe im Ergebnis niedriger aus als der deutsche Jahresbeitrag, kommt die Anrechnung einer Freistellung der Zweigniederlassung von der britischen Bankenabgabe gleich.9

1 Ähnlich Ammelung/Frank in Brogl, Handbuch Banken-Restrukturierung, 217 (255; dort Rz. 120 f.). 2 Art. 4 Abs. 1 Delegierte VO (EU) 2015/63. 3 Im Anwendungsbereich der SRM-VO, d.h. im Fall der Errichtung einer Betriebsstätte eines SSMInstituts in einem anderen SSM-Staat, scheidet eine Doppelbelastung grundsätzlich aus. 4 Das Vereinigte Königreich zählt nicht zu den SSM-Staaten. 5 UK Finance Act 2011, Section 73, Schedule 19 („The bank levy“), para. 78 („Relevant foreign bank“). 6 BGBl. II 2012, 1235. 7 Die „Beseitigungsregelung“ für den Inbound-Fall in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b des Abkommens läuft insoweit – nach geltendem Recht – grundsätzlich leer; s. auch Skuratovski, RdF 2012, 103 (109). 8 § 12 Abs. 10 RStruktFG i.d.F. des RStruktG v. 9.12.2010, BGBl. I 2010, 1900. 9 Skuratovski, RdF 2012, 103 (110) sieht dies als Regelfall.

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.126 Kap. 11

ll) Erfolgsabgrenzung im globalen Handel mit Finanzinstrumenten Ergebnis des Handelsbestands. Welche Beträge in dem Posten „Ertrag und Aufwand des Handelsbestands“ (Formblatt 3 RechKredV) auszuweisen sind, bestimmt § 340c Abs. 1 HGB. Der ausgewiesene Betrag ist bei Kreditinstituten grundsätzlich eine Saldogröße, d.h. der Unterschiedsbetrag aller Erträge und Aufwendungen aus Geschäften mit Finanzinstrumenten des Handelsbestands und dem Handel mit Edelmetallen sowie der zugehörigen Erträge aus Zuschreibungen und Aufwendungen aus Abschreibungen. Im Fall eines positiven Unterschiedsbetrags ist der Posten als Nettoertrag, im Fall eines negativen Ergebnisses als Nettoaufwand des Handelsbestands zu bezeichnen.1 Im Grundsatz folgt die Zurechnung des Handelsergebnisses der Zuordnung der finanziellen Vermögenswerte in Gestalt der gehandelten Finanzinstrumente i.S. des § 1 Abs. 11 KWG. Diese sind ihrerseits dem operativen Unternehmensteil zuzuordnen, der die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausübt (Rz. 11.106).

11.124

Indirekte Methode. Für den Bereich des globalen Handels mit Finanzinstrumenten eröffnet § 22 Abs. 2 Satz 1 BsGaV im Lichte der tatsächlichen Handels- und Abwicklungspraxis und den daraus resultierende Schwierigkeiten einer abschließenden direkten Erfolgszurechnung zugunsten des Steuerpflichtigen die Möglichkeit, die aus den Finanzinstrumenten steuerlich realisierten und nichtrealisierten Ergebnisse auf die am globalen Handel beteiligten Bankbetriebsstätten nach einem sachgerechten Aufteilungsschlüssel aufzuteilen. Voraussetzung ist, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in verschiedenen Bankbetriebsstätten ausgeübt wird und sich eine eindeutige Zuordnung von einzelnen Finanzinstrumenten nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand durchführen lässt. Eine indirekte Ergebnisaufteilung wird regelmäßig in Fällen erfolgen, in denen ein „globales Buch“ eingerichtet wird, über das mehrere Bankbetriebsstätten Handel mit Finanzinstrumenten betreiben.2 Die Besonderheit besteht darin, dass in verschiedenen Ländern und Zeitzonen tätige Händler abwechselnd oder gleichzeitig Zugriff auf dasselbe Buch haben und mit denselben Finanzinstrumenten handeln.3 Zu einzelnen Parametern eines sachgerechten Aufteilungsschlüssels enthalten auch die VWG BsGa keine näheren Hinweise.4

11.125

b) Zweiter Schritt des AOA: Bestimmung und Vergütung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen Grundlagen. Im zweiten Schritt des AOA erfolgt die „Bepreisung“ der identifizierten Innenleistungsbeziehungen auf Grundlage der für verbundene Unternehmen entwickelten Verrechnungspreisgrundsätze (§ 16 Abs. 2 Satz 1 BsGaV). Insoweit bestehen im Ausgangspunkt keine Besonderheiten für Bankbetriebsstätten. Die anzusetzenden Verrechnungspreise führen bei der Betriebsstätte zu Betriebseinnahmen bzw. -ausgaben. Ein Verrechnungspreis, wie er zwischen unabhängigen Unternehmen angesetzt worden wäre, ist dabei insbesondere auch in Fällen geografisch aufgeteilter Personalfunktionen und „Personalfunktionskonkurrenz“5 an1 Scharpf/Schaber, Handbuch Bankbilanz6, 1027 f. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 108 (zu § 22 Abs. 2 Satz 1 BsGaV-E). 3 Siehe auch Stocker, Internationale Erfolgsabgrenzung beim Global Trading mit Finanzinstrumenten, 19. 4 Siehe VWG BsGa, Tz. 274. 5 D.h., verschiedene Personalfunktionen hinsichtlich eines Zuordnungsgegenstands werden gleichzeitig von eigenem Personal des Unternehmens, das in verschiedenen Betriebsstätten arbeitet, ausgeübt; s. VWG BsGa, Tz. 43.

Andresen/Buchholz 677

11.126

Kap. 11 Rz. 11.127

Sonderfälle

zusetzen (§ 19 Abs. 5 Satz 1 BsGaV).1 So ist bspw. die Ausübung unterstützender Personalfunktionen einer Bankbetriebsstätte gegenüber derjenigen operativen Einheit, die die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausübt, durch eine fremdüblich zu vergütende anzunehmende schuldrechtliche Beziehung abzubilden (§ 19 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BsGaV). Nach dem der BsGaV zugrunde liegenden Regelungsverständnis ist darüber hinaus ein Verrechnungspreis regelmäßig für die Tätigkeitsbeiträge nachgelagerter Personalfunktionen der Funktionsgruppe „Verwaltung eines existierenden finanziellen Vermögenswerts“ (Rz. 11.76) anzusetzen (vgl. § 19 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BsGaV).

11.127 Keine Verrechnung von Kontrollkosten („shareholder expenses“). Anders als noch unter dem Veranlassungsprinzip2 sind diejenigen Aufwendungen nicht mehr an Betriebsstätten verrechenbar bzw. beim Stammhaus zuzuordnen, die in den Betriebsstätten keinen Nutzen stiften. Dies entspricht der Vorgehensweise in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien,3 die nach Maßgabe des AOA4 auf die Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte analog Anwendung finden sollen.

11.128 Bankinterne Darlehensverhältnisse. Der zweite Abschnitt der BsGaV statuiert besondere Regelungen für die Anerkennung „bankinterner Darlehensverhältnisse“. § 19 Abs. 6 BsGaV erweitert für Bankbetriebsstätten die Möglichkeiten des § 16 Abs. 3 BsGaV (dazu Rz. 4.200 f.), „unternehmensinterne Darlehen“ steuerlich zu berücksichtigen. Die Regelung war in der Entwurfsfassung der BsGaV vom 5.8.2013 nicht enthalten und wurde erst nachträglich aufgenommen.5 Damit folgt der Verordnungsgeber etablierten Grundsätzen der Einkünfteabgrenzung bei Bankbetriebsstätten. Die Anerkennung bankinterner Darlehensbeziehungen bildet eine Kernaussage der Empfehlungen des OECD-Steuerausschusses (s. bereits OECD-Bericht 1984, „Die Besteuerung multinational tätiger Banken“6) und ist auch nach den BS-VWG 1999 anzuerkennen.7 Zudem ist die umfassende Anerkennung konsequente Folge der uneingeschränkten Steuerselbständigkeit im Sinne des AOA. Der Verordnungsgeber begründet die Anerkennung letztlich damit, dass die Gewährung und Entgegennahme finanzieller Mittel in engem Zusammenhang mit der üblichen Geschäftstätigkeit eines Kreditinstituts (Universalbank) steht.8 Die tatbestandliche Erweiterung des § 19 Abs. 6 BsGaV besteht insbesondere darin, dass bei Bankbetriebsstätten fiktive Darlehensverhältnisse mit einer längeren Laufzeit, als § 16 Abs. 3 Satz 3 BsGaV dies vorsieht (Beendigung „mit dem Ende des laufenden Wirtschaftsjahres“), berücksichtigt werden können. Der Verordnungsgeber erkennt § 19 Abs. 6 BsGaV jedoch ausdrücklich als „Ausnahmeregelung“.9 Dies wird nicht zuletzt darin deutlich, dass eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung, die als Zurverfügungstellung finanzieller Mittel gilt, nur unter Vorbehalt besonderer Nachweispflichten anerkannt werden soll. Das Kreditinstitut muss nachweisen, dass die über § 16 Abs. 3 Satz 3 BsGaV hinausgehende Lauf-

1 2 3 4 5 6

VWG BsGa, Tz. 228. Vgl. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140 = FR 1988, 678. Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 7.9 f. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 42 (Allgemeiner Teil). Zu der Entwurfsfassung der BsGaV Schaus/Persch, IWB 2013, 789 (798 f.). „The Taxation of Multinational Banking Enterprises“, veröffentlicht in „Transfer Pricing and Multinational Enterprises – Three Taxation Issues“, OECD, Paris 1984. 7 BS-VWG, Tz. 4.1.4. 8 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 98 (zu § 19 Abs. 6 BsGaV-E); Art. 7 Tz. 49 OECD-MK 2008; Art. 7 Tz. 29 OECD-MK 2010. 9 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 98 (zu § 19 Abs. 6 BsGaV-E); zu Recht kritisch Weitbrecht in FS Haarmann, 991 (1003).

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.129 Kap. 11

zeit im Zusammenhang mit der Geschäftspolitik des Kreditinstituts und aufgrund der betroffenen Personalfunktionen (Treasury) sachgerecht ist und die längere Laufzeit im Einzelfall zu einem Ergebnis führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. § 19 Abs. 6 BsGaV beschränkt sich insoweit auf Vorgaben bezüglich der Anerkennung fiktiver Darlehen dem Grunde nach. Äußerungen zu der – im zweiten Schritt des AOA – zentralen Frage der Vergütung interner Darlehen der Höhe nach finden sich lediglich in den VWG BsGa. Danach soll für fiktive bankinterne Darlehensverhältnisse ein Zins zu verrechnen sein, der dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Die in der Entwurfsfassung der VWG BsGa vom 18.3.2016 enthaltene praxistaugliche Typisierung einer „Zinsuntergrenze“ in Höhe der durchschnittlichen Refinanzierungskosten des Kreditinstituts zzgl. eines Gewinnaufschlags ist in der finalen Fassung des BMF-Schreibens vom 22.12.2016 nicht mehr enthalten. Stattdessen sollen bei der Ermittlung fremdüblicher Zinsen für interne Darlehensverhältnisse die Kreditwürdigkeit des Kreditinstituts sowie die Währung und die Laufzeit der Mittelüberlassung zu beachten sein. Die Laufzeit für das kreditinstitutsinterne Darlehen muss mit der kreditinstitutsexternen Mittelverwendung übereinstimmen.1 Dieser Ansatz ist unter mehreren Gesichtspunkten zu kritisieren und abzulehnen. Die Laufzeit der Mittelüberlassung ist zwar neben der Bonität des Schuldners der zentrale preisbildende Faktor der Geldleihe. Eine starre Verknüpfung zwischen den Laufzeiten der Innenfinanzierung und der externen Mittelverwendung widerspricht indes nicht nur dem AOA, sondern auch der bankpraktischen Realität der (Profit-Center-)Steuerung der Refinanzierung grenzüberschreitender Kreditinstitute durch zentrale Treasury-Einheiten. Diese betreiben regelmäßig unter bewusster Abweichung von der sog. Goldenen Bankregel2 eine fristeninkongruente Refinanzierung der Auslandsbetriebsstätten, um auf diese Weise Zinsvorteile zu erwirtschaften.3 Die Treasury entscheidet – nach Maßgabe der strategischen Vorgaben der Geschäftsleitung – über den Zeithorizont der internen Liquiditätsausstattung, ohne diese dabei mit der Mittelverwendung im Außenverhältnis zu synchronisieren (Rz. 11.101). Das Erfordernis einer starren Verknüpfung der Laufzeiten zwischen Mittelhereinnahme und Mittelverwendung der fiktiv verselbständigten Bankbetriebsstätte führt im Ergebnis zu einer Einschränkung der Anerkennung von Innendarlehen dem Grunde nach. Die Erläuterungen der VWG BsGa finden keine Stütze im Wortlaut des § 19 Abs. 6 BsGaV, stehen im Kontrast der gerade als Ausnahmetatbestand geschaffen Regelung und entfernen sich nicht zuletzt auch von den Vorgaben des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 (Rz. 11.180). Unerwähnt lassen die VWG BsGa den von der OECD verfolgten Ansatz, die Zinssätze von Geldleihgeschäften auf dem Interbankenmarkt als taugliche Referenzwerte für die Vergütung der „Innendarlehen“ heranzuziehen.4 Der OECD-Steuerausschuss führt an, dass auf dem Interbankenmarkt Bonitätsunterschiede gerade ausgeblendet würden und sich insoweit eine mit den Innenleistungsbeziehungen im Einheitsunternehmen vergleichbare Situation biete.5 „Dauerhafter Liquiditätsüberhang“. Resultiert aus dem spezifischen Geschäftsmodell eines im Inland durch eine Bankbetriebsstätte tätigen Auslandsinstituts ein dauerhafter Liquiditätsüberhang, d.h., wirbt die Bankbetriebsstätte beständig mehr Publikumseinlagen ein, als sie als Kredite herauslegt oder anderweitig zur Finanzierung der Geschäftstätigkeit verwendet, soll dieser Überhang dem Stammhaus zuzuordnen sein.6 In der Konsequenz sollen in1 2 3 4

VWG BsGa, Tz. 230. Siehe Büschgen, Bankbetriebslehre5, 970. Dazu Schaus in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 1271. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 169; s. auch Diehl, Zweigniederlassungen ausländischer Banken, 53; Henkes-Wabro, Gewinnabgrenzung bei Bankbetriebstätten, 186 f. 5 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 167. 6 VWG BsGa, Tz. 232.

Andresen/Buchholz 679

11.129

Kap. 11 Rz. 11.130

Sonderfälle

terne Darlehensbeziehungen ausscheiden und lediglich Dienstleistungsentgelte für die in der Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen zu verrechnen sein. Eine solche verallgemeinernde Annahme widerspricht der Selbständigkeit der Betriebsstätte als Leitidee des AOA und der Regelung des § 19 Abs. 6 BsGaV. Von entscheidender Bedeutung ist die Zuordnung der Publikumseinlagen im ersten Schritt des AOA (Rz. 11.102). Die VWG BsGa eröffnen dem Steuerpflichtigen (jedenfalls) die Möglichkeit nachzuweisen, dass der Liquiditätsüberhang der eigenen Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte dienen soll.1

11.130 Interne Risikotransfervereinbarungen. Dem Grunde nach anzuerkennende interne Kreditrisikotransfers, bspw. in Form anzunehmender CDS (Rz. 11.79), sind im zweiten Schritt des AOA marktüblich zu vergüten. Die CDS-Prämie richtet sich dabei nach dem Kreditrisiko des Referenzaktivums und somit nach der Ausfallwahrscheinlichkeit des Referenzschuldners. Für die Bewertung von Kreditderivaten existieren einerseits komplexe Modelle.2 Andererseits bestehen Referenzwerte für besonders liquide Adressen und für Referenzschuldner vergleichbarer Bonitätsstufen sowie branchenbezogene Referenzindizes (namentlich iTraxx Europe-Index und CDX NA IG-Index),3 die als Anknüpfungspunkt für eine Ableitung marktüblicher Spreads dienen können.

11.131 Interne IT-Dienstleistungen. Die Nutzung institutsweit zur Verfügung stehender IT-Anwendungen ist unter der Ägide des AOA steuerlich im Wege fremdüblich zu vergütender Innenleistungsbeziehungen abzubilden. Beispielsweise führt die Nutzung eines automatisierten Prüfungssystems durch eine Bankbetriebsstätte, das von einer im Stammhaus angesiedelten Spezialeinheit entwickelt wurde, zu einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung, die entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz von der Bankbetriebsstätte zu vergüten ist, der der finanzielle Vermögenswert zugeordnet wird, der unter Zuhilfenahme des automatisierten Prüfungssystems entsteht.4

11.132 Sonstige Innenleistungsbeziehungen. Innenleistungsbeziehungen sind ebenso vielfältig wie das individuelle Tätigkeitsspektrum und der Grad der aufbauorganisatorischen Zentralisierung5 des jeweiligen grenzüberschreitend tätigen Instituts. Beispielhaft sind Dienstleistungsfunktionen und Abwicklungsfunktionen im Einlagegeschäft zu nennen.6 Das Werben von Einlagenkunden sowie die Abwicklung und Buchung der mit dem Betreiben des Einlagengeschäfts einhergehenden Rechtsgeschäfte durch Mitarbeiter einer Bankbetriebsstätte stellen anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen gegenüber dem Stammhaus dar, denen unter fremden Dritten übliche Entgelte beizulegen sind. Innenleistungsbeziehungen können auch dann entstehen, wenn eine Bankbetriebsstätte einen finanziellen Vermögenswert, der einer anderen Bankbetriebsstätte zuzuordnen ist, an einen Dritten veräußert. Nach den VWG BsGa soll daraus keine Zuordnungsänderung resultieren, sondern eine fiktive interne Dienstleistung i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 2 BsGaV der nach außen tätigen Betriebsstätte.7 1 Nach den VWG BsGa, Tz. 232, kann der Nachweis z.B. dann geführt werden, wenn in der Bankbetriebsstätte Personal vorhanden ist, das die Fremdmittel in der aufgenommenen Höhe dauerhaft für die Funktionalität einer Universalbank verwenden kann. 2 Beispielhaft Schönbucher in Burghof/Rudolph/Schäfer/Schönbucher/Sommer, Kreditderivate3, 593 (601); Rudolph/Hofmann/Schaber/Schäfer, Kreditrisikotransfer2, 135 ff. 3 Siehe Rudolph/Hofmann/Schaber/Schäfer, Kreditrisikotransfer2, 103 f.; Franzen in Burghof/Rudolph/Schäfer/Schönbucher/Sommer, Kreditderivate3, 67 (70 ff.); s. auch unten Rz. 11.153. 4 VWG BsGa, Tz. 212. 5 Siehe Bürkner/Krause, in Obst/Hintner, Geld-, Bank- und Börsenwesen40, 1146. 6 Zu den Personalfunktionen im Einlagengeschäft Andresen, ISR 320 (323). 7 VWG BsGa, Tz. 226.

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.136 Kap. 11

Verrechnungspreismethode für das „Global Trading“. Für die Vergütung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen, die die unternehmerische Risikoübernahmefunktion im globalen Handel mit Finanzinstrumenten betreffen, ist nach Auffassung des Verordnungsgebers vorrangig die geschäftsvorfallbezogene Restgewinnaufteilungsmethode anzuwenden (§ 22 Abs. 3 BsGaV).1 Innenleistungsbeziehungen kommen bspw. in Betracht, wenn eine ausländische Bankbetriebsstätte Handelsaktivitäten in bestimmten Produkten zugunsten einer inländischen Einheit des Instituts ausführt. Für die Vergütung interner Eigenhandelsaktivitäten gilt nach § 22 Abs. 3 BsGaV die widerlegbare Vermutung, dass die Anwendung der Restgewinnaufteilungsmethode den funktionalen Verhältnissen im globalen Handel am besten gerecht wird.2

11.133

2. Regeln der Einkünfteabgrenzung für vor dem 31.12.2012 endende Wirtschaftsjahre Veranlassungsprinzip. Für die Einkünfteabgrenzung im grenzüberschreitenden Einheitsunternehmen durch Vermögens- und Erfolgsabgrenzung zu Bankbetriebsstätten galten vor Inkrafttreten der Regelungen des AmtshilfeRLUmsG für nach dem 31.12.2012 beginnende Wirtschaftsjahre keine gesetzlichen Regelungen. Anhaltspunkte für die Konkretisierung des allgemeinen Veranlassungsprinzips lieferten lediglich die in Tz. 4.1 BS-VWG unter der Überschrift „Betriebsstätten in Sonderfällen“ enthaltenen Verwaltungsanweisungen für Bankbetriebsstätten. Im Mittelpunkt der Einkünfteabgrenzung steht die Zuordnung von Wirtschaftsgütern sowie die veranlassungsorientierte Zurechnung der korrespondierenden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben.

11.134

Übergangsweise Fortgeltung der BS-VWG 1999/2009 und VWG-DK 2004. Die Regeln der Einkünfteabgrenzung für vor dem 31.12.2012 endende Wirtschaftsjahre können auch für nach dem 31.12.2012 beginnende Wirtschaftsjahre weiterhin Bedeutung erlangen. Die VWG BsGa sehen vor, dass die BS-VWG auch nach Inkrafttreten des § 1 Abs. 5 AStG und vor Inkrafttreten der BsGaV anzuwenden sind, soweit eine Anwendung der BS-VWG nicht im Widerspruch zu § 1 Abs. 5 AStG steht.3 Da § 1 Abs. 5 AStG keine ausdrückliche Rechtsgrundlage dafür enthält, wie (Bank-)Betriebsstätten Dotationskapital zuzuordnen ist, bleibt es bis zur Wirksamkeit der BsGaV bei den Regelungen in Tz. 2.5.1 BS-VWG4 bzw. den Regelungen der VWG-DK 2004. Die VWG-DK sind (erst) für nach dem 31.12.2014 beginnende Wirtschaftsjahre nicht mehr anzuwenden.5

11.135

a) Vermögensabgrenzung Funktionale Zuordnung von Kreditforderungen. Ausgangspunkt der Vermögensabgrenzung, d.h. der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu dem Stammhaus und/oder einer Betriebsstätte, ist die Durchführung einer Funktionsanalyse.6 Der Funktionsumfang einer Bank-

1 VWG BsGa, Tz. 276; s. auch Stocker, Internationale Erfolgsabgrenzung beim Global Trading mit Finanzinstrumenten, 119 f. 2 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 109 (zu § 22 Abs. 3 BsGaV-E). 3 VWG BsGa, Tz. 462. 4 VWG BsGa, Tz. 446. 5 VWG BsGa, Tz. 464. 6 Siehe Rz. 2.64–2.77 der Vorauflage zur Ableitung des Zuordnungsmaßstabs aus dem Veranlassungsprinzip vor Inkrafttreten des AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013.

Andresen/Buchholz 681

11.136

Kap. 11 Rz. 11.137

Sonderfälle

betriebsstätte ist durch die Tätigkeiten bestimmt, die die Betriebsstätte tatsächlich ausübt. Für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern des Kreditgeschäfts enthalten die BS-VWG Regeln aus Sicht der Finanzverwaltung für Veranlagungszeiträume ab 2000. Die Betriebsstätte-VWG unterscheiden für die Zuordnung von Forderungen und Margenanteilen zwischen sieben wesentlichen Haupttätigkeiten: Akquisition, Bewertung des Kreditnehmers und des Kreditrisikos, Tragen des Kreditrisikos, Übernahme der Refinanzierung, Entscheidung über die Kreditvergabe, Abschluss des Vertrags sowie Kreditverwaltung, -überwachung und -abwicklung.1 Die Zuordnung zu einer Betriebsstätte setzt voraus, dass die vorgenannten wesentlichen Stufen der Kredithingabe von der Betriebsstätte erbracht werden. Diesem Ansatz ist nur insoweit zuzustimmen, als die Vermögensabgrenzung auf einer Analyse und Bewertung sämtlicher in den Wertschöpfungsprozess eingebunden Funktionen beruhen muss. Wie auch die BS-VWG herausstellen,2 hängt die Bedeutung der einzelnen Funktionen vom jeweiligen Geschäftsvorfall und der Organisationsstruktur des Unternehmens ab. Dass die BS-VWG die Bedeutung der aufgeführten Haupttätigkeiten nicht in Relation setzen, erscheint dennoch nur auf den ersten Blick sachgerecht. Denn die Verwaltungsgrundsätze verzichten nicht nur auf eine weitergehende Gewichtung der sieben Haupttätigkeiten,3 sondern enthalten auch keine Anhaltspunkte dafür, welche Tätigkeiten in der Betriebsstätte ausgeübt werden müssen, um eine Zuordnung zu begründen. Der zweite Satz der Tz. 4.2 BS-VWG verweist für die Zuordnung lediglich insgesamt auf die „vorgenannten“ wesentlichen Stufen der Kredithingabe. Wird dieser Verweis auf alle sieben vorgenannten Haupttätigkeiten bezogen, bedeutete dies eine bevorzugte Zuordnung der Kreditaktiva zum Stammhaus. Die inhaltliche Unbestimmtheit der BS-VWG führt in praxi zu vielfältigen Zweifelsfragen und Rechtsunsicherheit. In der Literatur werden unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Gewichtung der einzelnen (Haupt-)Tätigkeiten vertreten.4 Die Zuordnungsentscheidung erfolgt in praxi auf Grundlage eines Bewertungsmodells der einzelnen Unternehmensfunktionen (sog. „Scoring-Tabellen“).5 Unterschiede ergeben sich dabei abhängig davon, ob es sich um die Zuordnung von Kreditforderungen im Firmenkundengeschäft („Wholesale“-Geschäft) oder im Geschäft mit Privatkunden (Verbraucherkreditgeschäft) handelt, soweit Letzteres überhaupt im Zusammenwirken von Personen in zwei Staaten zum Abschluss gebracht wird.

11.137 Nachträgliche Zuordnungsänderung. Die BS-VWG sehen in Tz. 4.1.2 vor, dass die Zuordnung eines Wirtschaftsguts im Zeitablauf grundsätzlich nicht mehr geändert werden darf. Eine Ausnahme soll nur in Betracht kommen, wenn sich die Wertschöpfungsbeiträge der einzelnen Unternehmensteile wegen einer Veränderung der Unternehmensfunktionen im Zeitablauf ändern. Eine Zuordnungsänderung aus rein steuerlichen Motiven ist entsprechend den Vorgaben des Musterkommentars zu Art. 7 OECD-MA6 zutreffend ausgeschlossen. Abzulehnen ist indes die in Tz. 4.1.2 zum Ausdruck kommende Vermutung, dass im Fall einer Zuordnungsänderung sämtliche mit der jeweiligen Forderung verbundenen Haupt- und Nebenleistungsfunktionen auf den empfangenden Unternehmensteil übergehen (müssen).7 Ein solcher

1 2 3 4

BS-VWG, Tz. 4.1.2. BS-VWG, Tz. 2.1 und 2.4. Kritisch auch Schaus in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 1229. Zum Meinungsstand Buchholz, Grenzüberschreitendes Kreditgeschäft durch Bankbetriebsstätten, 69 f. 5 Eingehend dazu Rz. 10.66 der Vorauflage. 6 Art. 7 Tz. 15.2 OECD-MK 2005. 7 Einschränkend auch Schaus in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 1236.

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C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.138 Kap. 11

Ansatz stellt einen Eingriff in die unternehmerische Organisationsfreiheit als Ausdruck der grundrechtlich verbürgten allgemeinen Unternehmerfreiheit dar. Als Ausdruck dessen ist auf Ebene der steuerlichen Einkünfteabgrenzung das Erfordernis einer geänderten Vermögensabgrenzung zu prüfen, wenn infolge freier unternehmerischer Entscheidung tatsächlich ein „Übergang“ von Funktionen gegeben ist. Das Steuerrecht knüpft an das Wie der unternehmerischen Entscheidung an. Andernfalls drohte der Besteuerung ein fiktiver Sachverhalt zugrunde gelegt zu werden. Da der Verkauf einer Forderung eine im Finanz- und Bankensektor marktübliche Transaktion darstellt, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob es sich bei derartigen Transaktionen um eine „Haupttätigkeit“ der Betriebsstätte handelt. Nur soweit dies der Fall ist, kommt eine fremdübliche Vergütung des Übergangs der Forderung in Betracht. Im Übrigen ist unter dem „vor 2013“ geltenden Regime der eingeschränkten Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte der Ansatz eines Marktpreises bei institutsinterner Überführung von Forderungen abzulehnen. Die gegenteilige Verwaltungsauffassung in Tz. 4.1.2 BSVWG verstößt mangels Realisierung eines Gewinns bzw. Verlusts im Außenverhältnis gegen das Veranlassungsprinzip.1 Im Fall einer Zuordnungsänderung ist sicherzustellen, dass die Zurechnung der Margenanteile die tatsächliche Funktionsaufteilung widerspiegelt.2 Eine Zuordnungsänderung kommt schließlich auch dann in Betracht, wenn es sich um eine ausfallbedrohte Forderung oder ein Forderungsportfolio handelt. Soweit eine solche Innentransaktion zu marktüblichen Konditionen erfolgt, ist diese steuerlich anzuerkennen. In der Konsequenz sind etwaige Wertberichtigungen im empfangenden Unternehmensteil ergebniswirksam zu berücksichtigen. Trennung des Kreditrisikos von der zugrunde liegenden Forderung. Grundsätzlich hat der Unternehmensteil, dem eine Forderung zuzuordnen ist, das dieser anhaftende Kreditrisiko und damit auch etwaigen Wertberichtigungsaufwand zu tragen. Die BS-VWG sehen vor, dass das Kreditrisiko einem anderen Unternehmensteil zugeordnet werden kann als dem, dem die Forderung zugeordnet worden ist,3 wenn dies im Vorhinein vereinbart ist und gegen fremdübliche Vergütung erfolgt. Dem ist zuzustimmen, wenn gewährleistet ist, dass die für die Risikokontrolle und das Risikomanagement verantwortlichen Personen und damit Funktionen bei dem Unternehmensteil angesiedelt sind, der das Kreditrisiko tragen soll. Eine Beschränkung interner Risikovereinbarungen „in zeitlicher Hinsicht“ (Übernahme des Kreditrisikos durch eine andere Bankstelle „vor Kreditvergabe“4) ist entgegen dem restriktiven Verständnis der BS-VWG nicht zwingend. Die Mobilisierung von Risikopositionen über die Finanzmarkte durch den Einsatz von Risikotransferinstrumenten ist ein marktüblicher Vorgang (Rz. 11.79). Im Lichte der fiktiven Selbständigkeit der Betriebsstätte und des Fremdvergleichsgrundsatzes sind derartige Risikotransfers zum Zwecke der synthetischen Risikoabsicherung durch Kreditoptionen oder CDS dem Grunde nach steuerlich auch innerhalb des Einheitsunternehmens berücksichtigungsfähig. Dies gilt nicht nur unter dem AOA, sondern für Bankbetriebsstätten auch unter dem „vor 2013“ geltenden Regime der eingeschränkten Selbständigkeitsfiktion. Dafür spricht der im Kontext der fremdüblichen Vergütung unternehmensinterner Dienstleistungen spezieller Dienstleistungsbetriebsstätten geprägte Argumentationstopos der „Haupttätigkeit der Betriebsstätte“,5 der gleichsam Grundlage der

1 Siehe jedoch die in Rz. 4.255 ff. dargestellte Entwicklung durch das SEStEG, die Grundlage für die Anpassung der BS-VWG am 25.9.2009 (Rz. 4.265) war. 2 Zu der Zurechnung von Margenanteilen Rz. 11.154. 3 Vgl. BS-VWG, Tz. 4.1.2. 4 BS-VWG, Tz. 4.1.2. 5 BS-VWG, Tz. 3.1.2; s. auch Art. 7 Tz. 17.6 OECD-MK 2005.

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11.138

Kap. 11 Rz. 11.139

Sonderfälle

fremdüblichen Vergütung von Darlehensverhältnissen bei Bankbetriebsstätten ist. Bei konsequenter Anwendung auf Bankbetriebsstätten reicht dieser Leitgedanke indes noch weiter und ist auch auf den institutsinternen Risikotransfer anzuwenden. Der Transfer von Kreditrisiken durch derivative Finanzinstrumente hat sich – angefacht durch die bankaufsichtsrechtlichen Eigenmittelvorschriften – seit Mitte der 1990er Jahre zu einem marktüblichen Vorgang entwickelt.1 Die Anerkennung der institutsinternen Trennung von Kreditrisiko und Forderung im Rahmen der steuerlichen Einkünfteabgrenzung steht im Einklang mit Tz. 4.1.2 BS-VWG. Danach ist die Zurechnung eines Wertberichtigungsaufwands zu einem Unternehmensteil, der den notleidenden Kredit nicht gebucht hat, anzuerkennen, wenn das Kreditrisiko vor Kreditvergabe durch interne Vereinbarung und gegen fremdvergleichskonforme Vergütung einem anderen Unternehmensteil zugeordnet worden ist (Aufteilung der Wertberichtigung oder Abschreibung). Die steuerliche Anerkennung des institutsinternen Risikotransfers ist am Grundsatz des Fremdvergleichs zu messen. Interne „Risikovereinbarungen“ sind danach steuerlich nur dann zu berücksichtigen, wenn und soweit der das Risiko empfangende Unternehmensteil (Sicherungsgeber) das notwendige Personal beschäftigt und die relevanten Funktionen ausübt, um die übernommenen Kredit- bzw. Bonitätsrisiken zu beurteilen, zu überwachen und zu steuern. Nur soweit dies gewährleistet ist, wäre ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer bereit, die jeweilige Risikoposition einzugehen.2 Die steuerliche Anerkennung setzt dementsprechend voraus, dass wirtschaftliche Gründe für die konkrete Transaktion dargelegt werden und diese wie zwischen fremden Dritten abgewickelt wird. Indiz für eine fremdübliche Abwicklung ist die inhaltliche Ausgestaltung der Vereinbarung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte entsprechend dem Rahmenvertrag der International Swaps and Derivatives Association (ISDA), der üblicherweise zwischen unverbundenen Marktteilnehmern zur Anwendung kommt.

11.139 Anteilige Zuordnung von Kreditforderungen. Der Grundsatz der anteiligen Zuordnung von Wirtschaftsgütern3 ist auf Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen übertragbar. Die in Tz. 4.1.2 BS-VWG zum Ausdruck gebrachte Verwaltungsauffassung, eine Darlehensforderung sei nur vollständig einem Unternehmensteil zuzuordnen, ist abzulehnen. Die in den BS-VWG stattdessen vorgesehene Aufteilung der Marge aus dem Geschäft, das der zuzuordnenden Forderung zugrunde liegt, ist zwar abgrenzungstechnisch zutreffend.4 Der Verweis auf eine Margenteilung beseitigt jedoch nicht die Notwendigkeit einer abschließenden Gewichtung der einzelnen Leistungsbeiträge, insbesondere in Zweifelfällen. Das Problem wird damit lediglich von der Ebene der Vermögensabgrenzung auf die der Erfolgsabgrenzung verlagert. Die anteilige Zuordnung bietet sich indes gerade für Wirtschaftsgüter an, die aus abstrakten bzw. immateriellen Bankgeschäften hervorgehen, weil diese – im Gegensatz zu gegenständlichen Wirtschaftsgütern – gerade nicht aufgrund „der normativen Kraft des Faktischen“5 unteilbar sind.6 Gleichwohl sollte der Grundsatz anteiliger Vermögensabgrenzung nicht verpflichtend sein, weil er die Institute insbesondere in Massenverfahren wie der Bearbeitung standardisierter Kreditverträge vor erhebliche praktische Probleme stellen würde, wenn für steuerliche Zwecke – abweichend von der handelsrechtlichen Rechnungslegung –

1 Zu den Volumina der Märkte für derivative Finanzinstrumente Rudolph/Hofmann/Schaber/Schäfer, Kreditrisikotransfer2, 67 f. 2 BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375 („Aquavit-Urteil“). 3 Dazu eingehend Rz. 2.46 ff. und Rz. 10.64 der Vorauflage. 4 Vgl. BS-VWG, Tz. 4.1.2. 5 So Hruschka/Lüdemann, IStR 2005, 76 (80). 6 Vgl. auch BFH v. 20.3.2002 – II R 84/99, BFH/NV 2002, 1017 (1018).

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.141 Kap. 11

ein Korrekturposten in Höhe des anteilig der Betriebsstätte zuzuordnenden Teils einer Kreditforderung zu bilden wäre. In solchen Fällen wäre zu überlegen, ob Kreditverträge, die hinsichtlich ihrer Konditionen identisch sind, zu Gruppen zusammengefasst werden können, um dann für eine solche Gruppe einen Korrekturposten zu bilden. Bei anteiliger Zuordnung ist überdies zu bestimmen, wie der dem jeweiligen Unternehmensteil zuzurechnende Anteil des Geschäftes zu ermitteln ist. Eine anteilige Zuordnung von Forderungen „entschärft“ die Auseinandersetzung darüber, welches die „wesentlichen Stufen der Kredithingabe“ sind, an deren Ausübung die Finanzverwaltung die Zuordnungsentscheidung knüpft. Insbesondere bei komplexeren Finanztransaktionen, Groß- oder Millionenkrediten (§§ 13, 13a und 14 KWG a.F.) ist zu erwägen, eine Forderung zwischen den Unternehmensteilen mit den für die Wertschöpfung wesentlichen Funktionen aufzuteilen. Dagegen mögen jedoch praktische Erwägungen stehen, die die Buchung einer Forderung in zwei Buchführungskreisen nicht sinnvoll erscheinen lassen. b) Bestimmung des Dotationskapitals Bestandsaufnahme. Aus der fiktiven Selbständigkeit der Betriebsstätte resultiert das Erfordernis, diese mit einem fremdüblichen Eigenkapital auszustatten. Über die angemessene Ausstattung inländischer Betriebsstätten ausländischer Institute und ausländischer Betriebsstätten inländischer Institute mit Dotationskapital für Zwecke der steuerlichen Einkünfteabgrenzung besteht seit langem Streit.1 Einen ersten Regelungsansatz lieferte die sog. „Hessische Tabelle“.2 Die zwischen den Bundesländern zunächst umstrittene Hessische Lösung erlangte für nach dem 31.12.1995 endende Wirtschaftsjahre durch das BMF-Schreiben „Dotationskapital von inländischen Betriebsstätten ausländischer Kreditinstitute“3 (Rz. 4.242) bundesweit Geltung und ist schließlich in die BS-VWG überführt worden. In den am 29.9.2004 veröffentlichten Verwaltungsgrundsätzen-Dotationskapital (VWG-DK)4 hat sich die Finanzverwaltung von dem Konzept fester Nichtbeanstandungsgrenzen für Inlandsbetriebsstätten gelöst und der Bestimmung des Dotationskapitals für nach dem 31.12.2004 beginnende Wirtschaftsjahre die zu diesem Zeitpunkt erst als Diskussionsentwurf vorliegenden Arbeitsergebnisse des OECD-Steuerausschusses zugrunde gelegt.

11.140

Anknüpfung an das Bankaufsichtsrecht. Die VWG-DK knüpfen für Zwecke der angemessenen Ausstattung von Bankbetriebsstätten mit Dotationskapital an die Vorschriften des Bankaufsichtsrechts an („dynamischer Verweis“). Im Rahmen der funktions- und risikobezogenen Kapitalaufteilungsmethode erfolgt dies durch Verweis auf die „jeweils geltenden bankaufsichtsrechtlichen Grundsätze“.5 Die alternativ anzuwendende Mindestkapitalausstattungsmethode verweist auf das der Bankbetriebsstätte „gemäß dem Aufsichtsrecht“6 mindestens zuzuordnende Dotationskapital. Die Bestimmung des steuerlichen Dotationskapitals richtet sich dabei nach den „gewichteten Risikoaktiva“ und „Marktrisikopositionen“ der Betriebsstätte im aufsichtsrechtlichen Sinne. Bei Veröffentlichung der VWG-DK im Septem-

11.141

1 Siehe Pachmann/Pilny, DB 1997, 546 (547). 2 OFD Frankfurt/M., Vfg. v. 17.3.1993; s. auch Rz. 10.80 der Vorauflage und Erb, IStR 2005, 328 (330). 3 BMF v. 29.11.1996, BStBl. I 1997, 136, aufgehoben für VZ ab 2000 durch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076. 4 BMF v. 29.9.2004 – IV B 4-S 1300-296/04, BStBl. I 2004, 917 (nicht mehr anzuwenden für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen; siehe VWG BsGa, Tz. 464). 5 VWG-DK, Tz. 2.1.2. 6 VWG-DK, Tz. 2.1.3.

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Kap. 11 Rz. 11.142

Sonderfälle

ber 2004 wurden die aufsichtsrechtlichen Begriffe durch den Grundsatz I über die Eigenmittel der Institute konkretisiert.1 Dieser wurde zum 1.1.2007 durch die Solvabilitätsverordnung (SolvV)2 abgelöst,3 die in ihrer ursprünglichen Fassung vom 14.12.2006 der Umsetzung der Bankenrichtlinie (2006/48/EG)4 und der Kapitaladäquanzrichtlinie (2006/49/EG)5 diente. Grundlage beider Richtlinien ist die überarbeitete Baseler Eigenkapitalvereinbarung (Basel II).6 Die bankaufsichtsrechtlich geprägten Rechtsbegriffe der VWG-DK sind damit für nach dem 31.12.2006 beginnende Wirtschaftsjahre nach Maßgabe der SolvV-alt7 zu interpretieren.

11.142 Persönlicher Anwendungsbereich der VWG-DK. Fraglich ist, ob Finanzdienstleistungsinstitute vom Anwendungsbereich der VWG-DK erfasst sind. Dagegen spricht, dass Tz. 1 VWGDK ausdrücklich nur von „Kreditinstituten i.S. des § 1 Abs. 1 Kreditwesengesetz (KWG)“ spricht. Der Grundsatz I und diesem folgend auch die SolvV-alt gelten indes auch für Finanzdienstleistungsinstitute, die Eigenhandel betreiben und als Anlagevermittler, Abschlussvermittler oder Finanzportfolioverwalter befugt sind, sich Eigentum oder Besitz an Geldern oder Wertpapieren von Kunden zu verschaffen oder die auf eigene Rechnung mit Finanzinstrumenten handeln.8 Mangels einer ausdrücklichen Regelung in den VWG-DK und der darin zum Ausdruck gebrachten „Aufsichtsakzessorietät“ sprechen gute Gründe dafür, dass zumindest Finanzdienstleistungsinstitute i.S. des Grundsatzes I bzw. der SolvV-alt ihr Dotationskapital nach Maßgabe der VWG-DK verproben können. Für sonstige Finanzdienstleistungsinstitute sollte zumindest dann keine Berichtigung erfolgen, wenn das für das jeweils ausgeübte Bankgeschäft benötigte Anfangskapital nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a–g KWG zu dem Bilanzstichtag vorgehalten wird, der dem zu beurteilenden Veranlagungszeitraum vorausgeht. aa) Dotationskapital inländischer Bankbetriebsstätten

11.143 Inländische Betriebsstätten von EWR-Instituten. Inländische Betriebsstätten von EWR-Instituten sind nach § 53b KWG vom Ausweis von Eigenmitteln i.S. des § 53 Abs. 2 Nr. 4 KWG befreit. Für diese Betriebsstätten verlangt Tz. 2.1.1 VWG-DK die Bestimmung des Dotationskapitals nach der funktions- und risikobezogenen Kapitalaufteilungsmethode. Ausnahmsweise kann die Höhe des angemessenen Dotationskapitals im Einzelfall auch im Wege eines äußeren Fremdvergleichs bestimmt werden. Ein solcher Fremdvergleich soll anhand von

1 Grundsatz I über die Eigenmittel der Institute (Grundsatz I) i.d.F. der Bekanntmachung v. 29.10.1997 (BAnz. Nr. 210 v. 11.11.1997, 13555), zuletzt geändert durch die Bekanntmachung v. 20.7.2000 (BAnz. Nr. 160 v. 25.8.2000, 17077); dazu Büschgen, Bankbetriebslehre5, 1106 ff. 2 Verordnung über die angemessene Eigenmittelausstattung von Instituten, Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen v. 14.12.2006, BGBl. I 2006, 2926. 3 Siehe auch BaFin, Rundschreiben 5/2014 (BA) v. 10.7.2014 zur Anwendung von Aussagen zum Grundsatz I, zur Solvabilitätsverordnung (SolvV-alt) und zur Großkredit- und Millionenkreditverordnung (GroMiKV-alt) auf die RL 2013/36/EU (CRD IV) und die VO (EU) Nr. 575/2013 (CRR). 4 RL 2006/48/EG v. 14.6.2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (Neufassung), ABl. Nr. L 177, 1. 5 RL 2006/49/EG v. 14.6.2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten (Neufassung), ABl. Nr. L 177, 201. 6 Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht, Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen (Basel II), Juni 2006. 7 SolvV i.d.F. v. 14.12.2006, BGBl. I 2006, 2926. 8 § 1 Abs. 2 Grundsatz I und § 1 SolvV 2006.

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.144 Kap. 11

Daten unabhängiger Unternehmen mit vergleichbaren Marktchancen und -risiken erfolgen. Abzustellen ist dabei jeweils auf den Bilanzstichtag des dem betreffenden Wirtschaftsjahr vorangehenden Wirtschaftsjahrs. Zu der entscheidenden Frage, unter welchen Voraussetzungen Marktchancen und -risiken unabhängiger Unternehmen als vergleichbar angesehen werden können, äußern sich die VWG-DK nicht. Funktions- und risikobezogene Kapitalaufteilungsmethode. Nach der Kapitalaufteilungsmethode (Tz. 2.1.2 VWG-DK) ist einer Betriebsstätte der Anteil am steuerlichen Eigenkapital des Gesamtunternehmens zuzurechnen, der ihrem nach den jeweils geltenden bankaufsichtsrechtlichen Grundsätzen ermittelten Anteil an den gewichteten Risikoaktiva1 zzgl. des 12,5-fachen der Anrechnungsbeträge für Marktrisikopositionen2 im Verhältnis zu denen des Gesamtunternehmens entspricht („innerer Fremdvergleich“). Für nach dem 31.12.2004 beginnende Wirtschaftsjahre sind die gewichteten Risikoaktiva und die Anrechnungsbeträge für Marktrisikopositionen nach §§ 4 und 5 Grundsatz I zu ermitteln. Für nach dem 31.12.2006 beginnende Wirtschaftsjahre richtet sich die Ermittlung der Adressenausfallrisikopositionen und der Marktrisikopositionen nach den Regelungen der SolvV (§§ 8 und 9 SolvV-alt sowie §§ 294 ff. SolvV-alt). Genutzte Drittrangmittel3 können beim Ansatz der Marktrisikopositionen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Aufsichtsrechts berücksichtigt werden. Für die Ermittlung des Kapitalanteils sehen die VWG-DK eine bestimmte Schrittfolge vor.4 Dabei sind zunächst die Risikoaktiva und Marktrisikopositionen der inländischen Betriebsstätte unter funktionalen Gesichtspunkten zuzuordnen, wobei Forderungen gegenüber anderen Unternehmensteilen unberücksichtigt bleiben. Eine indirekte Aufteilung der Risikoaktiva und Marktrisikopositionen, z.B. nach dem Verhältnis der in den beteiligten Staaten tätigen Händler, wird als zulässig erachtet, wenn einer direkten Zuordnung praktische Schwierigkeiten entgegenstehen.5 Zu begrüßen ist, dass die VWG-DK eine Risikobewertung nach dem Aufsichtsrecht des Auslands anerkennen. Dies bedeutet, dass bei Ermittlung der Risikoaktiva und Marktrisikopositionen eigene Risikomodelle der Kreditinstitute verwendet werden dürfen, wenn die ausländische Aufsichtsbehörde diese Modelle anerkannt hat. Der Grundsatz I regelt die Anerkennung eigener Risikomodelle im Siebten Abschnitt (§§ 32–37 Grundsatz I). Im Anwendungsbereich der SolvV gilt der „auf internen Ratings basierende Ansatz“ (IRBA) nach § 8 i.V. mit §§ 55 ff. SolvV-alt.6 Die VWG-DK sehen vor, dass die Finanzverwaltung die Summe der gewichteten Risikoaktiva und Marktrisikopositionen für das laufende Wirtschaftsjahr angemessen erhöhen kann, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese im Durchschnitt des laufenden Wirtschaftsjahrs um mehr als 20 % über dem Wert zum vorangegangenen Bilanzstichtag liegen.7 Die Beweislast trägt die Finanzbehörde. Wie das steuerliche Eigenkapital des Einheitsunternehmens ermittelt werden soll, erläutern die VWG-DK nicht. Der Hinweis auf die weitgehende Übereinstimmung mit dem aufsichtsrechtlichen Kernkapital ist insbesondere deshalb nicht ausreichend, weil diese Vorschrift sich auf Bilanzpositionen nach inländischen Rechnungslegungsvorschriften bezieht, die sich jedoch von den im Aus-

1 § 4 Satz 2 Grundsatz I (Bilanzaktiva, außerbilanzielle Geschäfte, Swapgeschäfte, Termingeschäfte und Optionsrechte) bzw. § 2 Abs. 2 i.V. mit § 9 Abs. 1 SolvV-alt. 2 § 5 Grundsatz I bzw. § 2 Abs. 3 SolvV-alt. 3 § 10 Abs. 2c KWG a.F. (bis zum 4.9.2013). 4 VWG-DK, Tz. 2.1.2 Buchst. a–e. 5 VWG-DK, Tz. 2.1.2. Buchst. b. 6 I.d.F. v. 14.12.2006, BGBl. I 2006, 2926. 7 VWG-DK, Tz. 2.1.2. Buchst. c.

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11.144

Kap. 11 Rz. 11.145

Sonderfälle

land geltenden Vorschriften unterscheiden können. Abzulehnen ist die Forderung, dass als Eigenkapital des Gesamtunternehmens grundsätzlich das Eigenkapital nach deutschem Bilanzsteuerrecht anzusetzen ist.1 Dies würde bedeuten, dass ein ausländisches Kreditinstitut zusätzlich zu anderen Bilanzierungspflichten lediglich für die Ermittlung des Dotationskapitals eine deutsche Steuerbilanz für das Gesamtunternehmen erstellen müsste.2 Um zu verhindern, dass die praktische Anwendung der – unter Fremdvergleichsgesichtspunkten vorzugswürdigen – funktions- und risikobezogenen Kapitalaufteilungsmethode als Verprobungsmethode des Dotationskapitals erheblich eingeschränkt wird, bedarf es einer entsprechenden Lockerung der Anforderungen, z.B. der Anerkennung ausländischer Bilanzierungsstandards ohne umfängliche Anpassungen. Weist ein Kreditinstitut für ein Wirtschaftsjahr nach, dass die Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode zu wirtschaftlich unangemessenen Ergebnissen führt, kann es ein geringeres Dotationskapital ansetzen. Anzusetzen ist jedoch mindestens das Kapital, das sich nach der Mindestkapitalausstattungsmethode ergibt.3 Soweit die Ermittlung der steuerlich anzuerkennenden Eigenkapitalausstattung für Institute ab dem 1.1.2007 nicht mehr auf dem Grundsatz I, sondern auf der SolvV aufbaut, ist das Dotationskapital einer inländischen Betriebsstätte als steuerlich angemessen zu akzeptieren, wenn sich nach Maßgabe der SolvV ein niedrigerer Wert als nach dem Grundsatz I ergibt. Da die SolvV interne Modelle der Risikogewichtung im „auf internen Ratings basierenden Ansatz“ (IRBA) ausdrücklich sanktioniert,4 sind diese Modelle auch für steuerrechtliche Zwecke anzuerkennen.

11.145 Mindestkapitalausstattungsmethode. Die Mindestkapitalausstattungsmethode ordnet der inländischen Betriebsstätte den Anteil am Eigenkapital des Einheitsunternehmens zu, den ein eigenständiges Kreditinstitut unter gleichen oder ähnlichen Voraussetzungen aufsichtsrechtlich mindestens vorhalten müsste, wenn es im Inland tätig wird. Das Mindest-Dotationskapital soll 8 % („Sockelbetrag“) zzgl. eines Zuschlags von 0,5 % jeweils bezogen auf die Summe der – entsprechend Tz. 2.1.2 VWG-DK zu ermittelnden – gewichteten Risikoaktiva und Marktrisikopositionen der inländischen Betriebsstätte betragen.5 Weist der Steuerpflichtige eine abweichende Zusammensetzung der Eigenmittel des Gesamtunternehmens nach, kann sich eine Verringerung des Prozentsatzes ergeben. Der Sockelbetrag muss jedoch mindestens 4 % betragen. Hinzu kommt der Zuschlag von 0,5 %. Zur Begründung verweisen die VWG-DK darauf, dass es in der Branche üblich sei, ein höheres Eigenkapital vorzuhalten, um neue Geschäfte abschließen zu können. Ein solcher Zuschlag ist abzulehnen,6 weil der Besteuerung stets der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt zugrunde zu legen ist. Ein fester Zuschlag führt zu einer Besteuerung fiktiver Einkünfte. Folglich sollte es auch dann nicht notwendig zu einer Berichtigung der Einkünfte kommen, wenn das Dotationskapital nach der Mindestkapitalausstattungsmethode zwischen 4 und 8 % beträgt. Die von der Finanzverwaltung akzeptierten Basis-Prozentsätze 8 % und 4 % entsprechen den Rahmenvereinbarungen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht. Danach soll das Gesamtkapital mindestens 8 % und das sog. „Tier-1“-Kapital (Kernkapital) mindestens 4 % der risikogewichteten Aktiva be-

1 2 3 4 5 6

So VWG-DK, Tz. 2.1.2 Buchst. e. Kritisch auch Erb, IStR 2008, 608 (613); s. auch Rz. 10.71 der Vorauflage. VWG-DK, Tz. 2.1.1 und 2.1.2. §§ 55–153 SolvV-alt. VWG-DK, Tz. 2.1.3 Buchst. b. Kritisch auch Bakker/van Hoey Smith, ITPJ 2004, 20 (25).

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C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.149 Kap. 11

tragen.1 Für steuerliche Zwecke sollte daher unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Dotationskapital unterhalb der Sockelbeträge nicht zur Berichtigung der Einkünfte führen.2 Dotationskapital bei Neuaufnahme der Geschäftstätigkeit. Die VWG-DK verlangen für den Veranlagungszeitraum, in dem eine Geschäftstätigkeit im Inland durch eine Betriebsstätte erstmals aufgenommen wird, den Ansatz eines Dotationskapitals von mindestens 5 Mio. Euro.3 Begründet wird dieser Betrag damit, dass auch bei Einlagekreditinstituten4 nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d KWG ein Anfangskapital von 5 Mio. Euro zur Verfügung stehen muss. Aus steuerlicher Sicht ist kein vernünftiger Grund erkennbar, weshalb ein solch hohes Anfangskapital angesetzt werden soll, wenn das nach dem Grundsatz I bzw. der SolvV-alt bewertete Geschäftsvolumen der inländischen Betriebsstätte deutlich geringere Eigenmittel verlangen würde.5 Wenn und soweit andere Bankgeschäfte ausgeführt werden, ist auch das entsprechend geringer bemessene Kapital in § 33 Abs. 1 Nr. 1 KWG als steuerlich ausreichend anzusehen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb für steuerrechtliche Zwecke ein höheres Kapital vorgehalten werden soll als für bankaufsichtsrechtliche Zwecke. Dies entspräche nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz bzw. dem Veranlassungsprinzip.

11.146

Vereinfachungsregelung für kleine Betriebsstätten. Für inländische Betriebsstätten, bei denen die Summe der zuzuordnenden Aktiva („Bilanzsumme“) zum Ende des Wirtschaftsjahrs nicht mehr als 500 Mio. Euro beträgt, sehen die VWG-DK ein Dotationskapital von 3 % dieser Aktiva vor, mindestens jedoch 5 Mio. Euro.6

11.147

Inländische Betriebsstätten von Drittstaaten-Instituten. Inländische Betriebsstätten von Drittstaaten-Instituten i.S. des § 53c Nr. 2 KWG sind nach § 53b KWG vom Ausweis von Eigenmitteln i.S. des § 53 Abs. 2 Nr. 4 KWG befreit. Für diese Betriebsstätten gelten die in den Rz. 11.143–11.146 dargestellten Grundsätze mit der Einschränkung, dass mindestens ein Dotationskapital von 5 Mio. Euro anzusetzen ist.7 Auch hier ist kein vernünftiger Grund für ein der Besteuerung zugrunde zu legendes Mindestdotationskapital von 5 Mio. Euro erkennbar, wenn sich bei Anwendung der funktions- und risikobezogenen Kapitalaufteilungsmethode ein geringeres Dotationskapital ergibt.

11.148

Inländische Betriebsstätten von Drittstaaten-Instituten, für die § 53c Nr. 2 KWG nicht einschlägig ist. Für inländische Betriebsstätten von Kreditinstituten, die ihren Sitz nicht in einem EWR-Staat, den USA, Japan oder Australien haben, sehen die VWG-DK den Ansatz des tatsächlichen Dotationskapitals auch für steuerliche Zwecke vor. Das Dotationskapital muss jedoch mindestens 8 % zzgl. eines Zuschlags von 0,5 % der Summe der gewichteten Risikoaktiva und Marktrisikopositionen der Betriebsstätte betragen.8 Ein niedrigerer Betrag

11.149

1 Nach dem Basel I-Akkord aus dem Jahr 1988 ist die Summe der gewichteten Risikoaktiva entsprechend dem Solvabilitätskoeffizienten von 8 % mit Eigenkapital zu unterlegen. Wenigstens die Hälfte (4 %) der Eigenkapitalbasis muss aus Kernkapital bestehen. Die Höhe der Eigenkapitalforderung wurde erst durch das Basel III-Rahmenwerk vom 16.12.2010 modifiziert. 2 Siehe dazu Rz. 10.72 der Vorauflage. 3 VWG-DK, Tz. 2.1.4. 4 Der bis zum 31.12.2013 geltende Begriff Einlagenkreditinstitut wurde durch den Begriff CRR-Kreditinstitut (§ 1 Abs. 3d KWG i.d.F. des CRD IV-UmsG v. 28.8.2013, BGBl. I 2013, 3395) ersetzt. 5 Siehe die Ausführungen in Rz. 10.73 der Vorauflage. 6 VWG-DK, Tz. 2.1.5. 7 VWG-DK, Tz. 2.2. 8 VWG-DK, Tz. 2.3.

Andresen/Buchholz 689

Kap. 11 Rz. 11.150

Sonderfälle

ist zulässig, wenn sich dieser bei Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode ergibt und – auf Anforderung – nach § 90 Abs. 3 AO dokumentiert wird. Die Untergrenze bildet jedoch die aufsichtsrechtlich gebotene Mindestkapitalausstattung nach KWG. Kritisch zu vermerken ist wiederum die Bezugnahme auf Positionen nach inländischem Bilanzrecht bzw. Bilanzsteuerrecht, die regelmäßig Anpassungsrechnungen notwendig machen. bb) Dotationskapital ausländischer Bankbetriebsstätten

11.150 Inländische Institute mit ausländischen Betriebsstätten. Inländische Institute mit ausländischen Betriebsstätten unterliegen dem KWG und damit den allgemeinen Regelungen über den Ausweis von Eigenmitteln nach §§ 10, 10a KWG. Die VWG-DK zielen bei der Dotation der Auslandsbetriebsstätten inländischer Institute darauf, Höchstgrenzen für das steuerliche „Eigenkapital“ zu fixieren. Deutlich wird dies in der Vorgabe, dass die Auslandsbetriebsstätte (lediglich) ein Dotationskapital benötigt, das der Eigenart der ausgeführten Geschäfte Rechnung trägt.1 Maßstab ist grundsätzlich die Mindestkapitalausstattungsmethode. Nach Tz. 3.1 VWG-DK ist das Dotationskapital der ausländischen Betriebsstätte eines inländischen Kreditinstituts anzuerkennen, soweit es die gesetzlich gebotene anteilige Mindestkapitalausstattung (Tz. 2.1.3 VWG-DK) nach innerstaatlichem Aufsichtsrecht nicht übersteigt und dieses Dotationskapital der Besteuerung im Ausland zugrunde gelegt wird.2 Die Angemessenheit eines höheren Kapitalausweises muss im Einzelfall anhand der Kapitalaufteilungsmethode dargelegt werden.3 Die Bestimmung des angemessenen Dotationskapitals im Wege eines äußeren Fremdvergleichs sehen die VWG-DK – abweichend von der Bestimmung des Dotationskapitals für inländische Betriebsstätten – für ausländische Betriebsstätten nicht vor. Im Lichte des Gebots der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist ein äußerer Fremdvergleich indes auch im Outbound-Sachverhalt zu akzeptieren.4 Die Vereinfachungsregelung für kleine Betriebsstätten mit einer Bilanzsumme von nicht mehr als 500 Mio. Euro (Dotationskapital beträgt 5 Mio. Euro oder 3 % der Bilanzsumme) gilt für ausländische Betriebsstätten gleichermaßen.5 Die Ausführungen in Rz. 11.144 zur Anwendung der SolvV ab dem 1.1.2007 bzw. den entsprechenden Regelungen im ausländischen Recht gelten für ausländische Betriebsstätten entsprechend. Danach ist das Dotationskapital einer ausländischen Betriebsstätte auch insoweit als steuerlich angemessen zu akzeptieren, als sich nach Maßgabe der SolvV ein höherer Wert als nach dem Grundsatz I ergibt. c) Erfolgsabgrenzung aa) Veranlassungsorientierte Abgrenzung von Erträgen und Aufwendungen

11.151 Vorrang der direkten Methode. Die direkte Methode genießt Priorität vor der indirekten Methode.6 Dies gilt auch für die Erfolgsabgrenzung bei Bankbetriebsstätten, weil diese einer gesonderten Rechnungslegungspflicht unterliegen und somit grundsätzlich die notwendigen Voraussetzungen für die Anwendung der direkten Methode erfüllen. Ausgangspunkt der steuerlichen Abgrenzung der Erfolgsposten ist die (anteilige) Vermögensabgrenzung. Soweit Erträge und Aufwendungen mit einzelnen Wirtschaftsgütern verbundenen sind, zeichnet die

1 2 3 4 5 6

VWG-DK, Tz. 3. Eine kritische Würdigung dieser Regelung enthält Rz. 10.78 der Vorauflage. VWG-DK, Tz. 3.2. Vgl. auch Rz. 11.143. VWG-DK, Tz. 3.3. BS-VWG, Tz. 2.3.

690

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.154 Kap. 11

(anteilige) Zuordnung der Wirtschaftsgüter die Zurechnung der Erfolgsposten zu den einzelnen Unternehmensteilen vor. Anteilige Verrechnung von Erträgen und Aufwendungen. Grundlage der Erfolgsabgrenzung ist – wie für die Vermögensabgrenzung – eine Funktions- und Risikoanalyse der Geschäftstätigkeit der Unternehmensteile, die an einer Geschäftsbeziehung mit anderen Personen beteiligt sind. Die Funktions- und Risikoanalyse entscheidet über die Zurechnung von Ertrags- und Aufwandsanteilen zu Stammhaus und Betriebsstätte(n), wobei die Art und Weise der Verrechnung im Innenverhältnis in starkem Maße von dem betrieblichen System der Leistungsverrechnung des Einheitsunternehmens abhängt. Der arbeitsteilige Leistungserstellungsprozess führt in der Praxis zu differenzierten Systemen der Kosten- und Leistungsrechnung,1 nach denen die einzelnen Unternehmensbereiche ihre Kosten gegenseitig verrechnen. Diese Systeme sind häufig so angelegt, dass ein Unternehmensbereich sämtliche Erträge verbucht, während diejenigen Unternehmensbereiche, die zwar am Prozess der Leistungserstellung beteiligt sind, aber keine Erträge im Außenverhältnis realisieren, die ihnen entstandenen Aufwendungen an die Unternehmensbereiche belasten. Erfolgt in praxi keine anteilige Vermögenszuordnung und damit auch keine anteilige Zurechnung direkt und indirekt resultierender Erträge und Aufwendungen, haben die einzelnen Unternehmensteile sicherzustellen, dass der angemessene Ergebnisbeitrag der Betriebsstätte über die Verrechnung interner Leistungen so korrigiert wird, dass das Betriebsstättenergebnis dem Funktionsumfang entspricht.

11.152

Institutsinterner Transfer von Kreditrisiken. Liegen die in Rz. 11.138 aufgezeigten Voraussetzungen für eine steuerlich dem Grunde nach anzuerkennende Trennung des Kreditrisikos von der zugrunde liegenden Forderung vor, führt dies zu der Frage der „Anerkennung der Höhe nach“ durch Ermittlung eines angemessenen Entgelts für die institutsinterne Übernahme des Kreditrisikos. Schwierigkeiten ergeben sich diesbezüglich daraus, dass Bewertungsmodelle für CDS für Einzelkredite (z.B. „Modified Hull White“-Modell) wie auch für Portfolio-Swaps (z.B. „Gaussian Copula“-Modell) sehr komplex sind und CDS-Transaktionen überwiegend im außerbörslichen Direkthandel (OTC-Geschäft) abgewickelt werden. Aus diesem Grunde ist für Zwecke der Bestimmung des angemessenen Entgelts für die Übernahme des Ausfallrisikos mittels Kreditderivaten in erster Linie auf öffentlich zugängliche Methoden und Marktdaten (z.B. Bloomberg-Datenbank) zur Bewertung von Kreditportfolien mit ähnlicher Risikostruktur zurückzugreifen (Rz. 11.130). Der interne Risikotransfer durch QuasiKreditderivate ist von (abstrakten) internen Garantien eines Unternehmensteils abzugrenzen, die steuerlich nicht zu berücksichtigen ist. Dahinter steht der Gedanke, dass für operative Einheiten eines zivilrechtlich einheitlichen Unternehmens keine eigenständige Kreditwürdigkeit bestimmt werden kann; die Betriebsstätte teilt die Bonität des Einheitsunternehmens.

11.153

bb) Zurechnung von Erträgen Zurechnung von Margenanteilen. Haben sowohl das Stammhaus als auch die Betriebsstätte(n) an der Kreditvergabe mitgewirkt, ist den Unternehmensteilen entsprechend ihrer Wertschöpfungsbeiträge ein Anteil an der aus dem einzelnen Geschäft erwirtschafteten (Zins-) Marge zuzurechnen. Die anteilige Zurechnung der (Zins-)Erträge kompensiert die nach dem Leitbild der BS-VWG einheitliche Zuordnung der Wirtschaftsgüter. Im Fall anteiliger Vermögensabgrenzung zeichnet die Zuordnung der Aktiva die Erfolgsabgrenzung vor. Soweit es

1 Beispielhaft Büschgen, Bankbetriebslehre5, 703–772.

Andresen/Buchholz 691

11.154

Kap. 11 Rz. 11.155

Sonderfälle

möglich ist, für einzelne Funktionen bzw. Tätigkeiten (z.B. Vertrieb, Kreditverwaltung, Kreditüberwachung etc.) Margenanteile aus dem Vergleich mit gleichen oder ähnlichen Geschäftsbeziehungen mit oder zwischen fremden Dritten zu ermitteln, bilden die dort vereinbarten Preise bzw. Margen einen sachgerechten Anhaltspunkt für die Bestimmung der angemessenen Vergütung bzw. des angemessenen Wertschöpfungsanteils der Unternehmensteile. Die Verprobung der Vergütung kann sowohl anhand der Preisvergleichsmethode als auch der Kostenaufschlagsmethode erfolgen. Vertreiben Kreditinstitute über sog. offene Vertriebsplattformen sowohl Unternehmens- als auch Fremdprodukte, liefern diese Plattformen Vergleichstransaktionen für die Anwendung der Preisvergleichsmethode. Hilfsweise kann ein angemessener Margenanteil mittels Kostenaufschlagsmethode bestimmt werden.1

11.155 Zinserträge aus dem Geld- oder Kreditleihegeschäft. Zinserträge i.S. des § 28 RechKredV2 sind demjenigen Unternehmensteil zuzurechnen, dem die zugrunde liegenden Bankgeschäfte zugeordnet worden sind. Sind diese mehreren Unternehmensteilen anteilig zugeordnet worden (Rz. 11.139), ist die Zurechnung der Zinserträge insoweit vorgezeichnet. Sind die Geschäfte hingegen einheitlich nur einem Unternehmensteil, z.B. dem Stammhaus, zugeordnet worden und ist Personal einer ausländischen Betriebsstätte in den Prozess der Leistungserstellung eingebunden, so sind dieser Betriebsstätte angemessene Anteile an den Zinserträgen zuzurechnen. Technisch kann eine solche Zurechnung – der handelsrechtlich regelmäßig bei einem Unternehmensteil gebuchten Erträge – durch die Verrechnung von Leistungen der Betriebsstätte an das Stammhaus mithilfe der Kostenaufschlagsmethode erfolgen. Soweit es möglich ist, für einzelne Innenleistungen, die in das im Außenverhältnis abgeschlossene Bankgeschäft eingeflossen sind, hinreichend vergleichbare Marktpreise zu ermitteln, können diese als Anhaltspunkt für die Verprobung der Einkünfteabgrenzung dienen.

11.156 Erträge aus Kapitalanlagen. Erträge aus Kapitalanlagen (Aktien, andere nicht verzinsliche Wertpapiere, Beteiligungen und Anteile an verbundenen Unternehmen3) sind dem Unternehmensteil – ggf. anteilig – zuzuordnen, dem das zugrunde liegende Wirtschaftsgut (Ertragsquelle) funktional zuzuordnen ist.4 cc) Zurechnung von Aufwendungen

11.157 Institutsinterne Zinsverrechnungen. Die BS-VWG erkennen die Verrechnung von Zinsen für zwischen den Teilen eines grenzüberschreitenden Einheitsunternehmens bestehende Darlehensbeziehungen insoweit an, als die als institutsinterne Darlehen zur Verfügung gestellten Gelder vom Stammhaus oder anderen Betriebsstätten stammen und das Dotationskapital übersteigen.5 Soweit inländische Betriebsstätten durch institutsinterne Darlehen finanziert werden, sollen Vorteile aus einer – im Gegensatz zum Inland – mindestreservefreien Mittelaufnahme im Ausland nach Auffassung der Finanzverwaltung vollständig an die inländische Betriebsstätte weiterzureichen sein.6 Dies ist abzulehnen. Selbst wenn ein unabhängiges Unternehmen im Ausland die Mindestreservefreiheit nutzen würde, um der inländischen Betriebsstätte eine Refinanzierung am Markt günstiger anzubieten als inländische Unterneh-

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Vgl. BS-VWG, Tz. 3.1.2. Formblatt 3 RechKredV, Nr. 1 Buchst. a und b. Formblatt 3 RechKredV, Nr. 3. Siehe Rz. 10.93 und 10.66 der Vorauflage. BS-VWG, Tz. 4.1.4 unter Verweis auf BFH v. 27.7.1965 – I 110/63 S, BStBl. II 1996, 24. BS-VWG, Tz. 4.1.4.

692

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.163 Kap. 11

men, wäre eine vollständige Zurechnung des erzielten Vorteils zur inländischen Betriebsstätte steuerlich nur dann anzuerkennen, wenn auch ein unabhängiges Unternehmen diesen Mindestreservevorteil an die inländische Betriebsstätte vollständig weitergeben würde. Dies muss schon deshalb gelten, weil die BS-VWG im spiegelbildlichen Fall der Finanzierung eines ausländischen Unternehmensteils durch eine inländische Betriebsstätte auf inländische Marktgegebenheiten abstellen und einen höheren, ausländischen Zins nur dann anerkennen, wenn der Zinsvorteil zwischen Stammhaus und Betriebsstätte(n) aufgeteilt wird.1 Externe Zinsaufwendungen. Soweit Refinanzierungen und die damit verbundenen Zinsen einzelnen Aktiva in Stammhaus oder Betriebsstätte direkt zugerechnet werden können, sind die entsprechenden Zinsaufwendungen bei dem Unternehmensteil zu berücksichtigen, dem auch das mit diesen Mitteln geschaffene Wirtschaftsgut zugeordnet ist.

11.158

Provisionsaufwendungen. Provisionsaufwendungen sind bei dem Unternehmensteil zu erfassen, dem das zugrunde liegende Geschäft zugeordnet worden ist.

11.159

Personalaufwand. Die Zurechnung von Personalaufwand richtet sich grundsätzlich danach, ob eine ausdrückliche arbeitsvertragliche Regelung zum Einsatzort des jeweiligen Mitarbeiters innerhalb des Einheitsunternehmens getroffen wurde. Besteht keine derartige Regelung, erfolgt die Zurechnung zu dem Unternehmensteil, in dem Mitarbeiter Ihrer Tätigkeit tatsächlich nachgehen. Soweit das Personal nicht in dem Unternehmensteil tatsächlich tätig ist, dem der Aufwand zugeordnet wird, hat das Unternehmen in analoger Anwendung der VWG-Arbeitnehmerentsendung2 den Aufwand dem/den anderen Unternehmensteil(en) zu belasten, um eine veranlassungsgerechte Gewinnermittlung zu ermöglichen. Die Verrechnung eines Gewinnaufschlags ist steuerlich insoweit nicht anzuerkennen.

11.160

Allgemeine Verwaltungsaufwendungen. Allgemeiner Verwaltungsaufwand ist nach Tz. 3.4.1 BS-VWG den Betriebsstätten eines Einheitsunternehmens anteilig oder nach Durchschnittswerten zuzurechnen.3 Sind Aufwendungen in einem Unternehmensteil angefallen, jedoch auch durch andere Unternehmensteile veranlasst, hat der Steuerpflichtige diese Aufwendungen mittels eines sachgerechten Verteilungsschlüssel aufzuteilen, soweit eine direkte Zurechnung zu einzelnen Unternehmensteilen ausscheidet.

11.161

Bankenabgabe. Die nach den Regelungen des RStruktFG erhobene Bankenabgabe (Jahresund ggf. Sonderbeitrag) stellt eine besondere Aufwandsposition dar, die nach Maßgabe des Veranlassungsprinzips zwischen dem inländischen Stammhaus als Subjekt der Bankenabgabe und der Auslandsbetriebsstätte (anteilig) abzugrenzen ist. Maßstabsbildend für die anteilige Zuordnung des Aufwands zu der Betriebsstätte sind die der Betriebsstätte zuzuordnenden Verbindlichkeiten abzgl. des angemessenen Dotationskapitals (s. Rz. 11.122).

11.162

IT-Aufwendungen. Die Entwicklung, Anschaffung und Unterhaltung von IT-Systemen stellt für Kreditinstitute regelmäßig einen der größten Aufwandsposten dar. Sachaufwendungen sind steuerlich grundsätzlich dem Unternehmensteil zuzurechnen, der bei der Leistungserstellung auf das jeweilige Wirtschaftsgut angewiesen ist. Hinsichtlich der Verrechnung von

11.163

1 BS-VWG, Tz. 4.1.4. 2 BMF v. 9.11.2001 – IV B 4-S 1341-20/01, BStBl. I 2001, 796. 3 Ebenso BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140 = FR 1988, 678; s. Rz. 10.107 der Vorauflage.

Andresen/Buchholz 693

Kap. 11 Rz. 11.164

Sonderfälle

IT-Leistungen ist es sinnvoll, zwischen Bereitstellung und laufendem Support bestehender IT-Systeme sowie der Entwicklung von Systemen für die künftige Verwendung zu unterscheiden. Die Zurechnung von Aufwendungen für die Bereitstellung und die laufende Unterstützung bestehender Systeme sollte entweder über die Definition eines Leistungskatalogs oder über eine Schlüsselung erfolgen.1

11.164 Abschreibungen und Wertberichtigungen. Abschreibungen und Wertberichtigungen sind bei dem Unternehmensteil zu erfassen, dem nach den Grundsätzen der Rz. 11.136 die betreffenden Wirtschaftsgüter – ggf. anteilig – zugeordnet sind.

V. Regelungen der Einkünfteabgrenzung bei Bankbetriebsstätten im Abkommensrecht 1. OECD-MA „vor 2008“

11.165 Unklarheiten bezüglich der Reichweite der Selbständigkeitsfiktion. Die Reichweite der in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2003 beschriebenen Fiktion der Betriebsstätte als selbständiges und unabhängiges Unternehmen ist infolge des Zusammenwirkens von Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 OECD-MA 2003 mit rechtlicher Unsicherheit behaftet.2 Ungeachtet des eingeschränkten Verständnisses der Selbständigkeitsfiktion gelten branchenspezifische Besonderheiten für die Gewinnabgrenzung bei grenzüberschreitend durch Betriebsstätten tätigen Banken. Diesbezügliche Äußerungen finden sich im OECD-MK zu Art. 7 OECD-MA. In den Fassungen der Jahre 1992 bis 2005 nimmt der OECD-MK an einzelnen Stellen Bezug auf die Gewinnabgrenzung bei Bankbetriebsstätten. Im Fokus steht der institutsinterne Transfer risikobehafteter Forderungen.3 Darüber hinaus enthält der Musterkommentar Erläuterungen zu der Verrechnung von Zinsen für institutsinterne Darlehensbeziehungen4 und bekräftigt die Erkenntnisse des OECD-Berichts 1984 „Die Besteuerung multinational tätiger Banken“.5 Darin hat der OECD-Steuerausschuss die Möglichkeit der steuerwirksamen Verrechnung von Zinsen für „Innendarlehen“ zwischen Bankbetriebsstätte und Stammhaus betont.6 Mitchell B. Carroll entwickelte dieses Grundverständnis bereits in seiner umfassenden Auftragsuntersuchung für den Völkerbund aus dem Jahre 1933.7 2. OECD-MA 2008

11.166 Einleitung der Umsetzung des AOA. In der im Jahr 2008 verabschiedeten revidierten Fassung des OECD-MK zu Art. 7 hat der OECD-Steuerausschuss die Weichen für die Implemen-

1 Dazu eingehend Rz. 10.110 der Vorauflage. 2 Zum Meinungsstand Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 7 (2008) Rz. 95 ff.; Hemmelrath, in Vogel/ Lehner, DBA6, Art. 7 Rz. 77 ff. 3 Art. 7 Tz. 15.2–15.4 OECD-MK 2005. 4 Art. 7 Tz. 19 OECD-MK 2005. 5 „The Taxation of Multinational Banking Enterprises“, veröffentlicht in „Transfer Pricing and Multinational Enterprises – Three Taxation Issues“, OECD, Paris 1984; siehe dazu Buchholz, Grenzüberschreitendes Kreditgeschäft durch Bankbetriebsstätten, 71 ff. 6 OECD, Bericht 1984, Teil 2, Tz. 45 ff. 7 M. B. Carroll, Taxation of National and Foreign Enterprises: Volume 4 Methods of Allocating Taxable Income, League of Nations 1933, Tz. 737.

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Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.168 Kap. 11

tierung des AOA gestellt. Der OECD-MK 2008 zu Art. 7 MA führt die Gewinnabgrenzung an den AOA heran und nimmt im Wege eines Verweises ausdrücklich den am 17.7.2008 veröffentlichten Betriebsstättenbericht in Bezug.1 Im Mittelpunkt der Änderungen des Musterkommentars steht der Hinweis, dass eine inkongruente Ergebniszurechnung möglich ist, d.h., der Betriebsstätte kann auch dann ein Gewinn/Verlust zugeordnet werden, wenn das Gesamtunternehmen im betreffenden Veranlagungszeitraum einen Verlust/Gewinn erwirtschaftet.2 Für die Gewinnabgrenzung bei Bankbetriebsstätten verweist der OECD-MK 2008 bereits auf den Teil II des OECD-Betriebsstättenberichts 2008.3 Der OECD-MK 2008 hält an dem Verbot der Zinsverrechnung für interne Kapitalüberlassungen fest, bekräftigt jedoch die Ausnahme für Unternehmen des Banksektors.4 3. OECD-MA 2010 Verankerung des AOA im Abkommenstext. In der am 22.7.2010 verabschiedeten Fassung des OECD-MA implementiert der OECD-Steuerausschuss den im OECD-Betriebsstättenbericht 2008 entwickelten AOA in den neugefassten Art. 7 Abs. 2 OECD-MA.5 Zeitgleich mit dem OECD-MA 2010 erfolgte die Veröffentlichung der finalen Fassung des – an die revidierte Abkommensvorschrift angepassten6 – OECD-Betriebsstättenberichts 2010. Dieser erlangt über den Verweis im OECD-MK zu Art. 7 den Status einer offiziellen Auslegungshilfe („detailed guide“) der überarbeitenden Verteilungsnorm für Unternehmensgewinne.7 Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 regelt die steuerliche Gewinnabgrenzung unter der Ägide des AOA branchenübergreifend. Branchenspezifische Erläuterungen für Unternehmen, die klassisches Bankgeschäft in Gestalt des Hereinnehmens und Herauslegens von Buchgeld („borrowing and on-lending of money“) durch Auslandsbetriebsstätten betreiben, enthält Teil II des OECD-Betriebsstättenberichts 2010.8 Gegenstand des Teil III ist die Bewältigung der operativen Besonderheiten im Bereich des Global Tradings im Rahmen der steuerlichen Gewinnabgrenzung. Die Ausführungen in Teil II und III sind der Anwendung und Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 im Rahmen der Gewinnabgrenzung bei Bankbetriebsstätten zugrunde zu legen.

11.167

a) Erster Schritt des AOA: Fiktive Verselbständigung der Bankbetriebsstätte aa) Functional and Factual Analysis Die Vorstufe. Unter dem AOA ist die Durchführung einer eingehenden Funktions- und Risikoanalyse („functional and factual analysis“) Grundlage für die Zuordnung der eingesetzten Wirtschaftsgüter („assets used“) und übernommenen Risiken („risks assumed“).9 Der Begriff „functional and factual analysis“ verdeutlicht die besondere betriebliche Programmierung des AOA. Um die Betriebsstätte als selbständiges und unabhängiges Unternehmen konstruieren zu können, ist der konkrete „Unternehmenssachverhalt“ detailliert zu unter1 2 3 4 5 6 7 8 9

Siehe Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 7 (2008) Rz. 11 und 102 f. Art. 7 Tz. 11 OECD-MK 2008. Art. 7 Tz. 7 OECD-MK 2008. Art. 7 Tz. 41 und 49 OECD-MK 2008. Dazu Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 7 (2008) Rz. 6 und 8. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Vorwort, Nr. 7 f. Art. 7 Tz. 19 OECD-MK 2010. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 3. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 48 f.

Andresen/Buchholz 695

11.168

Kap. 11 Rz. 11.169

Sonderfälle

suchen. Mit dem Ziel, die ökonomisch bedeutsamen Aktivitäten der Betriebsstätte zu identifizieren,1 richtet sich der Blick in erster Linie auf die (bank-)betriebliche Organisationsstruktur in ihrer Ausprägung der Aufbau- und Ablauforganisation. Diese prägen das Zusammenwirken der in die grenzüberschreitende Wertschöpfungskette eingebundenen Personalfunktionen. Der AOA schafft damit die Notwendigkeit, das globale Geschäftsmodell gegenüber den Finanzbehörden weitreichend transparent zu machen.2 Bezogen auf die Leistungserstellung in Unternehmen der Finanzindustrie besteht dabei die Besonderheit der divisionalen Ausrichtung, d.h. der Einrichtung auf Kunden- und/oder Produktgruppen spezialisierter Unternehmenseinheiten. Die Divisionen werden komplementiert durch Spezialeinheiten – namentlich Handel, Treasury und Risikomanagement –, die typischerweise als Zentralstellen institutsweit tätig sind.3

11.169 Key entrepreneurial risk-taking (KERT) functions. Im Mittelpunkt der Funktions- und Risikoanalyse steht die Qualifikation und geografische Verortung der „significant people functions“. Mit diesem Begriff beschreibt der OECD-Betriebsstättenbericht Personalfunktionen, die aktive Entscheidungen bezüglich der Risikoübernahme oder des späteren Risikomanagements treffen („active decision-making“).4 Für Unternehmen der Finanzindustrie modifiziert der OECD-Steuerausschuss die Rechtsfigur der „significant people functions“. Hintergrund ist die besondere Bedeutung des Faktors Risiko im Bank- und Finanzsektor. Prägendes Merkmal von Finanzwirtschaftsgütern sind diesen in vielfältiger Gestalt anhaftende Risiken. Der OECDBetriebsstättenbericht betont die spezifische Verbindung zwischen Risiko und Finanzwirtschaftsgut und folgert daraus, dass sich die für die Risikoübernahme und die Zuordnung des Finanzwirtschaftsguts relevanten Personalfunktionen „überschneiden“.5 Diese Besonderheit bringt der Bericht durch den Begriff der „key entrepreneurial risk-taking functions“ zum Ausdruck. Den besonderen Status einer KERT-Funktion erhalten nur solche Personalfunktionen, die aktiv Entscheidungen („active decision-making“) bezüglich der Übernahme und/oder des späteren Managements der Risikopositionen auf Einzelgeschäfts- oder Portfolioebene treffen.6 Steht bzw. stehen die KERT-Funktion(en) fest, ist zu prüfen, ob diese von Personen ausgeübt werden, die in der Bankbetriebsstätte tätig sind.7 Eine wesentliche Erkenntnis des OECD-Betriebsstätten-Berichts besteht darin, dass im konkreten Einzelfall mehrere – typischerweise zwei – KERT-Funktionen vorliegen können, die jedoch zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihre Wirkung entfalten.8 Diesem Verständnis ist der deutsche Verordnungsgeber in § 19 Abs. 2 Satz 1 BsGaV mit höherer sprachlicher Präzision, als die OECD es zu formulieren vermocht hat, gefolgt (Rz. 11.75), indem er für die erstmalige Zuordnung zutreffend auf die Funktionen abstellt, die bis zum Entstehen des Risikos durch Abschluss eines Geschäfts ausgeübt werden. Das danach einsetzende Risikomanagement soll zu Recht nicht in die Frage über die Erstzuordnung einbezogen werden. Statt der Annahme mehrerer KERT-Funktionen kann die

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 10: „economically significant activities and responsibilities undertaken by the PE“. 2 Treffend Wilmanns/van der Ham, RdF 2013, 152 (153). 3 Dazu mit weiteren Nachweisen Buchholz, Grenzüberschreitendes Kreditgeschäft durch Bankbetriebsstätten, 54 f. 4 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 16. 5 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 16. 6 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 8. 7 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 64. 8 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 8.

696

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.171 Kap. 11

Funktionsanalyse auch ergeben, dass eine KERT-Funktion auf mehrere operative Unternehmenseinheiten aufgeteilt ist („split function business“).1 bb) Zuordnung von Finanzwirtschaftsgütern (financial assets) Zuordnung der eingesetzten Wirtschaftsgüter (assets used). Im Ersten Schritt des AOA sind auf Grundlage der Funktions- und Risikoanalyse der Bankbetriebsstätte die Wirtschaftsgüter zuzuordnen, die von ihr bei der Leistungserstellung, namentlich der Schaffung der Finanzwirtschaftsgüter im Kreditgeschäft, genutzt werden. Dies gilt für materielle (z.B. Grundstücke und Anlagen) wie auch für immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Name, Logo/ Trademark, institutseigene Systemplattformen2). Das Erfordernis, die genutzten Wirtschaftsgüter zuzuordnen, wird in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 erstmals ausdrücklich im Abkommenstext geregelt. Ausführungen zu dem praktisch besonders relevanten Ausschnitt der Vermögensabgrenzung, der Zuordnung der geschaffenen Finanzwirtschaftsgüter („financial assets“), namentlich Kreditforderungen, enthält Teil II des OECD-Betriebsstättenberichts 2010.3

11.170

Zuordnung von Forderungen aus dem traditionellen Kreditgeschäft. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 unterscheidet zwischen Funktionen bei der Schaffung eines Finanzwirtschaftsguts, z.B. eines Darlehens (Funktionsgruppe 1), und den Funktionen, die dem – zeitlich nachgelagerten - Management des Finanzwirtschaftsguts dienen (Funktionsgruppe 2). Im Kreditgeschäft untergliedert der OECD-Betriebsstättenbericht die beiden Funktionsgruppen beispielhaft in folgende Tätigkeitsbündel:4

11.171

Funktionsgruppe 1: „creating a loan“

Funktionsgruppe 2: „subsequently managing a loan“

Sales/Marketing: Betreuung potentieller Kunden, Loan Support: Verwaltung des Darlehens, VereinAufbau von Kundenbeziehungen und Anbahnung nahmung von Zinsen und Zahlung von Refinanzierungszinsen und anderer Vergütungsbestandvon Gesprächen über Kreditgeschäfte teile, Überwachung der Tilgungszahlungen und Überprüfung der Wertentwicklung der Kreditsicherheit Sales/Trading: Verhandlung von Vertragsbedingungen, Entscheidung über den Abschluss des Kreditgeschäfts und dessen Konditionen, Bewertung des Adressenausfall-, Währungs- und Marktrisikos, Beurteilung der Kreditfähigkeit und Kreditwürdigkeit des Kunden und Entscheidung über die Notwendigkeit von Kreditsicherheiten

Monitoring Risk: Fortlaufende Überprüfung der Bonität des Kreditnehmers, Überwachung des Gesamtkreditvolumens des Kreditnehmers bei der Bank (Klumpenrisiko), Überwachung der Zinssätze und des Zinspositionsrisikos, Analyse der Profitabilität des Darlehens und Überprüfung des effizientes Einsatzes von regulatorischem Eigenkapital

Trading/Treasury: Sicherstellung der Refinanzierung des Darlehens zu bestmöglichen Konditionen und Bereitstellung der Darlehensvaluta

Managing Risk: Entscheidung, ob oder in welchem Umfang Risiken weiterhin von der Bank getragen oder vermindert werden sollen, etwa durch Veräußerung des Kreditaktivums an Dritte, Abschluss von Kreditderivaten oder Absicherung von Zinsänderungsrisiken

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OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 67. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 15. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 13. Dazu auch Andresen, ISR 2013, 320 (326 f.); Greier/Persch, BB 2012, 1318 (1320).

Andresen/Buchholz 697

Kap. 11 Rz. 11.172

Sonderfälle

Sales/Support: Vorbereitung und Prüfung des Kreditvertrags, Klärung von Rechtsfragen, Prüfung von Kreditsicherheiten, Buchung der Darlehensforderung und Überwachung der Auszahlung des Darlehensbetrags

Treasury: Management der Refinanzierung der Bank als Ganzes einschließlich des Managements von Zinsänderungs- und Liquiditätsrisiken, Allokation der Refinanzierungsaufwendungen auf Niederlassungen und/oder Geschäftsbereiche, Herstellung der Fristenkongruenz zwischen Mittelaufnahme und Mittelverwendung und effiziente Nutzung regulatorischen Eigenkapitals Sales/Trading: Refinanzierung des Darlehens, Entscheidung über dessen Verbriefung und das damit verbundene Marketing, Preisfindung und Verhandlung der Verbriefungskonditionen, vertragliche Umsetzung der Verbriefung sowie Entscheidung über eine Verlängerung des Darlehens

Der OECD-Betriebsstättenbericht betont, dass die Qualifikation der KERT-Funktion stets der Würdigung der Geschäftsstrategie und des Geschäftsmodells des Instituts im konkreten Einzelfall bedarf. Nach Auffassung des OECD-Steuerausschusses wird der KERT-Status im gewerblichen Großkundengeschäft („wholesale commercial lending business“) jedoch regelmäßig der „Sales/Trading“-Funktion zukommen.1 Demgegenüber liegt im Privatkundengeschäft (Verbraucherkreditgeschäft) der Schwerpunkt i.S. des KERT typischerweise auf den Tätigkeiten der „Sales/Marketing“-Funktion.2 Die im OECD-Betriebsstättenbericht grundsätzlich gleichgewichtete Berücksichtigung der Tätigkeiten bis zum Abschluss des Kreditgeschäfts auf der einen Seite sowie der simultan ablaufenden bzw. nachgelagerten Tätigkeiten der Risikobewirtschaftung auf der anderen Seite stellt einen im Ausgangspunkt sachgerechten Ansatz zur Berücksichtigung der Wertschöpfung im grenzüberschreitenden Kreditgeschäft dar. Dieser Rahmen bedarf jedoch der konkretisierenden Ausfüllung anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls („on a case-by-case basis“).3 Der deutsche Verordnungsgeber misst den nachgelagerten aktiven Tätigkeiten der Risikobewältigung nur untergeordnete Bedeutung zu (Rz. 11.76). Dies wird auch sprachlich durch die Verwendung des eher passiv konnotierten Begriffs „Verwaltung“ des Wirtschaftsguts deutlich. Der englischsprachige Management-Begriff bringt hingegen die aktiven Tätigkeiten der Risikosteuerung besser zur Ausdruck. Eine echte Verwaltungstätigkeit kann lediglich den Tätigkeitsbündeln „Loan Support“ und „Monitoring Risk“ zugewiesen werden. Dennoch ist aus dem OECDBetriebsstättenbericht letztlich herauszulesen, dass es zunächst hinsichtlich der Zuordnung von Finanzaktiva auf die KERT-Funktionen in der Funktionsgruppe 1 ankommt. Die BsGaV übersetzt dies mit höherer sprachlicher Präzision zutreffend und nach der hier vertretenen Auffassung auch im Sinne der OECD.

11.172 Anteilige Zuordnung von Finanzwirtschaftsgütern. Das dem OECD-Betriebsstättenbericht zugrunde liegende Konzept der „economic ownership“4 ermöglicht im Fall der Identifizierung mehrerer KERT-Funktionen oder im Fall einer geografischen Aufteilung der KERTFunktion (split KERT functions) eine anteilige Zuordnung der aus dem Leistungserstellungs-

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OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 9. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 11. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 8 und 50. Dazu Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 467 (Stand: Oktober 2013).

698

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.173 Kap. 11

prozess hervorgehenden Bankgeschäfte, namentlich von Kreditforderungen („joint ownership“).1 Beispielhaft nennt der OECD-Betriebsstättenbericht den Fall, dass ein Kredit in einer operativen Einheit ausgereicht wird und/aber das nachfolgende (Kredit-)Management in einer anderen Einheit erfolgt („split function business“).2 In solchen Fällen ist im Wege der detaillierten Funktions- und Risikoanalyse zu prüfen, ob dem jeweiligen Institutsteil, bspw. der Betriebsstätte, die Kreditforderung vollständig oder nur teilweise zuzuordnen ist („joint or sole owner“).3 Eine anteilige Zuordnung kommt dabei sowohl im Fall des Bestehens mehrerer KERT-Funktionen als auch im Fall der geografischen Zergliederung einer KERT-Funktion in Betracht. Zeigt die Funktionsanalyse zwei im Wesentlichen gleichwertige KERT-Funktionen, ist die Aufteilung der Kreditforderung entsprechend dem jeweiligen Leistungsbeitrag („relative value“) vorzunehmen.4 Die Aufteilung einer Kreditforderung auf mehr als eine Betriebsstätte und eine entsprechende anteilige Verbuchung wird in der Praxis kaum anzutreffen sein, weil sie den Umgang mit der Forderung unnötig verkompliziert. Daher wird in aller Regel die zweite KERT-Funktion durch ein angemessenes Entgelt für ihren Beitrag entgolten werden. Trennung von Forderung und Risiko. Ausgehend von der initialen Zuordnung der Wirtschaftsgüter des Kreditgeschäfts greift der OECD-Betriebsstättenbericht zwei miteinander verknüpfte Problembereiche der Gewinnabgrenzung bei Bankbetriebsstätten auf: den institutsinternen Transfer von (wirtschaftsgutbezogenen) Risiken sowie den nachträglichen Transfer von Finanzwirtschaftsgütern (Rz. 11.174). Vorbild und Grundlage des institutsinternen „synthetischen“ Transfers der einem Finanzwirtschaftsgut anhaftenden Risiken (z.B. Adressenausfallrisiko, Zinsrisiko, Marktpreisrisiko) sind zwischen selbständigen und unabhängigen Marktteilnehmern im gewöhnlichen Geschäftsgang eingesetzte Risikotransferinstrumente, insbesondere CDS.5 Auf Grundlage der initialen Risikoallokation entsprechend der Zuordnung der einzelnen Finanzwirtschaftsgüter („risks follow functions“6) stellt der OECD-Betriebsstättenbericht heraus, dass sich die Risikozuordnung nachträglich im Zuge eines Dealings ändern kann. Einem solchen Risikotransfer muss eine Änderung in der betrieblich-funktionalen Zuweisung der Risikobewirtschaftung einhergehen („any such transfer of risk would have to be accompanied by a transfer of the risk management function“).7 Ein Dealing in Gestalt eines internen Transfers wirtschaftsgutbezogener Risiken kommt nach dem OECD-Betriebsstättenbericht insbesondere in Betracht, wenn ein anderer operativer Unternehmensteil die Risikomanagementfunktion bezüglich dieser Risikopositionen ausübt.8 Steuerliche Berücksichtigung kann ein interner Risikotransfer nur finden, soweit 1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II Nr. 75 („… the asset can be considered as owned jointly“); Teil II Nr. 77 („… might be treated as jointly owned …“); Teil II, Nr. 137: „… might exceptionally be treated as being ‚owned‘ jointly …“. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 67. Siehe auch Buchholz, Grenzüberschreitendes Kreditgeschäft durch Bankbetriebsstätten, 147 f. 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 67 („… whether that part of the enterprise is the sole or part ‚economic owner‘ of the asset …“); s. auch Teil I, Nr. 72. 4 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 75; s. auch Hilsebein/Kröner in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 609 (Stand: Oktober 2015). 5 Andresen, RdF 2015, 303 (308 f.); allgemein Franzen/Schäfer in Burghof/Rudolph/Schäfer/Schönbucher/Sommer, Kreditderivate3, 49 (53 ff.); Rudolph/Hofmann/Schaber/Schäfer, Kreditrisikotransfer2, 74 ff. 6 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 44. 7 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 173; allgemein Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 458 (Stand: Oktober 2013). 8 Siehe OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 139 („Where another part of the enterprise carries out the risk management function related to those assets.“).

Andresen/Buchholz 699

11.173

Kap. 11 Rz. 11.174

Sonderfälle

die übernehmende Unternehmenseinheit über die personelle und sachliche Kapazität verfügt, die übertragenen Risiken zu bewerten, zu überwachen und zu steuern.1 Danach kommt es jedoch gerade nicht darauf an, dass die primäre Risikomanagementfunktion als solche (mit-)übergeht.2 Dies ist auch nicht notwendig, wenn Personen mit Risikomanagement-Erfahrung in verschiedenen Teilen einer Bank beschäftigt sind. Erforderlich ist lediglich ein Überwechseln der innerbetrieblichen Zuständigkeit für die Risikobewirtschaftung auf den empfangenden und dafür auch aufsichtsrechtlich kompetenten Institutsteil. Dieses Verständnis des OECD-Steuerausschusses stellt eine konsequente Ausformung der Leitidee der umfassenden Selbständigkeit der (Bank-)Betriebsstätte unter dem AOA dar. Der Fremdvergleichsgrundsatz lenkt – in seiner Ausprägung als Prüfmaßstab dem Grunde nach – den Blick auf die Frage, ob ein fremder Dritter das jeweilige Risiko mit den ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen übernehmen würde (Rz. 11.79). Dem Leitsatz „capital follows risk“ folgend, ist ein interner Risikotransfer im Rahmen der Zuordnung des Dotationskapitals zu berücksichtigen.3

11.174 Änderung der initialen Zuordnung von Finanzwirtschaftsgütern. Die Empfehlungen des OECD-Steuerausschusses im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 bezüglich einer nachträglichen Änderung der initialen Zuordnung eines Finanzwirtschaftsguts stehen im Gegensatz zu der restriktiven Haltung der deutschen Finanzverwaltung (Rz. 11.77). Auf den ersten Blick beschränkt der OECD-Betriebsstättenbericht die Änderung der Zuordnung durch interne Übertragung von Wirtschaftsgütern dahingehend, dass einem solchen Vorgang zugleich der Übergang/Transfer der KERT-Funktion einhergehen muss.4 Der Fall eines derartigen „Funktionswandels“ stellt zwar ein typisches Beispiel für die Änderung der Zuordnung von Wirtschaftsgütern dar. Der OECD-Betriebsstättenbericht erkennt eine Veränderung der betrieblichen Funktionen indes ausdrücklich nur als ein praktisches Beispiel.5 Die Formulierung „transfer“ der (KERT-)Funktion ist – ebenso wie im Fall eines bloßen Risikotransfers (Rz. 11.173) – nicht in dem Sinne zu verstehen, dass dieselbe Funktion das Finanzwirtschaftsgut weiterhin bewirtschaften muss und insoweit zusammen mit diesem (räumlich) übergehen muss. Der Begriff „Transfer“ ist vielmehr so zu verstehen, dass im Zuge des Übergangs der Kreditforderung eine Veränderung in der Bewirtschaftung der Kreditforderung im Sinne eines Überwechselns der internen Zuständigkeit eintritt. Für die steuerliche Anerkennung des Wirtschaftsgutstransfers ist sicherzustellen, dass der übernehmende Unternehmensteil über die notwendige sachliche und personelle Kapazität verfügt, das übertragene Finanzwirtschaftsgut und die diesem anhaftenden Risiken zu bewerten, zu überwachen und zu steuern.6 Dieses Grundverständnis entspricht nicht nur der Feststellung des OECDSteuerausschusses, dass es im klassischen Bankgeschäft mehrere KERT-Funktionen geben kann, sondern wird auch darin deutlich, dass der OECD-Betriebsstättenbericht bezüglich des Transfers bestehender Finanzwirtschaftsgüter ausdrücklich auf die Ausführungen zu dem internen Transfer von Risiken verweist.7 Voraussetzung für den Transfer eines Wirtschaftsguts ist ein tatsächliches und identifizierbares Ereignis („real and identifiable event“).

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 179. 2 Insoweit missverständlich Hilsebein/Kröner in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 623 (Stand: Oktober 2015). 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 183. 4 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 77, 138, 185. 5 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 185 („such as“). 6 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 185 i.V. mit 179. 7 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 185.

700

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.176 Kap. 11

Dies bedeutet nicht notwendig eine Änderung in der betrieblichen Organisations- bzw. Funktionsstruktur, sondern lediglich ein tatsächliches Handeln, aus dem der Wille des Unternehmens hervorgeht, z.B. in Gestalt einer Umbuchung dieses Wirtschaftsguts in eine andere Betriebsstätte.1 Im Ergebnis bleibt ein interner Transfer von Wirtschaftsgütern insoweit unberücksichtigt, als dieser nicht zu Bedingungen erfolgt, die zwischen selbständigen und unabhängigen Dritten vereinbart worden wären.2 cc) Zuordnung von Dotationskapital Grundidee des AOA. Unter dem AOA muss die als selbständiges und unabhängiges Unternehmen zu konstruierende Betriebsstätte über ausreichendes steuerliches „Eigenkapital“ – der OECD-Betriebsstättenbericht prägt den Begriff „free capital“3 – verfügen, um die ausgeübten Funktionen und die eingesetzten Wirtschaftsgüter zu finanzieren und die übernommenen Risiken abzusichern.4 Der OECD-Steuerausschuss illustriert dies in dem Leitsatz, dass Kapital und Risiko im Einheitsunternehmen untrennbar verknüpft sind („capital follows risks“).5 Das „free capital“ ist in einem zweistufigen Ansatz zu ermitteln.6 Die Bewertung der der Bankbetriebsstätte zuzuordnenden Risiken („stage 1“)7 erfolgt unter Bezugnahme auf die in den Rahmenvereinbarungen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht (BCBS) entwickelten Methoden der Risikogewichtung.8 Grundsätzlich soll die Risikobemessung der Risikoaktiva der Bankbetriebsstätte nach dem sog. Standardansatz der Basel IIRahmenvereinbarung erfolgen. Aufgrund der Komplexität der Risikobewertung erkennt der OECD-Betriebsstättenbericht letztlich jedoch verschiedene aufsichtsrechtliche Bemessungsansätze an.9 Auch für die auf Grundlage der gewichteten Risiken/Risikoaktiva vorzunehmende Zuordnung des steuerlichen Dotationskapitals („stage 2“) stehen unterschiedliche Ansätze zur Verfügung.10 Diese Methoden waren bei Veröffentlichung des OECD-Betriebsstättenberichts am 22.7.2010 nicht neu, sondern bereits in der Entwurfsfassung des Reports aus dem Jahr 2001 soweit umrissen, dass die deutsche Finanzverwaltung diese den VWGDK vom 29.9.2004 zugrunde gelegt hat.

11.175

Capital allocation approaches. Die sog. „capital allocation approaches“ gehen von dem bei dem Einheitsunternehmen tatsächlich vorhandenen Eigenkapital aus und weisen der Betriebsstätte ein ihrer fiktiven Risikostruktur entsprechendes Dotationskapital zu.11 Bei Bankbetriebsstätten soll die Kapitalaufteilung grundsätzlich entsprechend dem Verhältnis der nach den Empfehlungen des BCBS gewichteten Risikoaktiva der Bankbetriebsstätte zu der Gesamtrisikoposition des Einheitsunternehmens erfolgen. Die aufsichtsrechtliche Programmierung des sog. „BIS ratio approach“ liefert nur auf den ersten Blick einen eindeutigen Aufteilungsmaßstab. Tatsächlich erweist sich der Ansatz als ebenso inhaltsoffen wie die viel-

11.176

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 34–36 und 175–181. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 138. 3 Weil für das Dotationskapital keine internen Zinsen verrechnet werden dürfen (vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 15). 4 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 28, 107 f. und Teil II, Nr. 84. 5 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 26, 29, Teil II, Nr. 66. 6 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 107. 7 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 89. 8 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 91. 9 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 94 f. 10 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 108 und Teil II, Nr. 97. 11 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 121 und Teil II, Nr. 98.

Andresen/Buchholz 701

Kap. 11 Rz. 11.177

Sonderfälle

fältigen Parameter der Eigenmittelausstattung nach den Baseler Empfehlungen.1 So ist für Steuerzwecke bspw. zu klären, welche Kapitalbestandteile Gegenstand der Aufteilung sind: das vorhandene Kern- und Ergänzungskapital oder nur das Kernkapital („‚pure‘ approach“).2 In Betracht kommt überdies, aus dem Gesamteigenkapital sog. hybride Kapitalbestandteile auszuscheiden („‚cleansed‘ approach“).3 Eine weitere Spielart der Kapitalaufteilungsmethode ist der sog. „economic capital allocation approach“. Als Anknüpfungspunkt für die Ermittlung der institutsinternen Kapitalrelation dienen hiernach unternehmenseigene ökonomische Risikomodelle. Der OECD-Betriebsstättenbericht erachtet bankeigene Risikoprojektionen zwar als grundsätzlich geeignete Bezugspunkte der Kapitalaufteilung, hält diese jedoch „momentan“4 für noch nicht hinreichend entwickelt.

11.177 Thin capitalisation approach. Nach dem sog. „thin capitalisation approach“ erfolgt die Betriebsstättendotation durch einen tatsächlichen äußeren Fremdvergleich. Referenzobjekt soll ein im Aufnahmestaat der Bankbetriebsstätte tätiges, rechtlich selbständiges Bankunternehmen sein, das gleiche oder ähnliche Tätigkeiten unter vergleichbaren Bedingungen ausführt.5 Ein solcher Ansatz ist erheblichen praktischen Schwierigkeiten ausgesetzt.6 Die deutschen Umsetzungsvorschriften der BsGaV berücksichtigen einen äußeren Fremdvergleich lediglich punktuell im Rahmen subsidiär anwendbarer Öffnungsklauseln (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 3 und § 21 Abs. 2 Satz 1 BsGaV).7

11.178 Quasi thin capitalisation approach/Regulatory minimum capital approach. Ausnahmsweise soll es zulässig sein, der Bankbetriebsstätte ein betragsmäßig dem aufsichtsrechtlichen Mindesteigenkapital eines selbständigen Bankunternehmens im Betriebsstättenstaat entsprechendes Dotationskapital zuzuordnen.8 Dieser sog. „regulatory minimum capital approach“ stellt keine von der OECD autorisierte Methode dar, weil er die tatsächliche Kapitalstruktur des Unternehmens ignoriert.9 Das Mindestaufsichtskapital soll daher lediglich als Nichtbeanstandungsgrenze („safe harbour“) dienen. Die deutsche Finanzverwaltung setzt diesen Ansatz in der Gestalt der Mindestkapitalausstattungsmethode um (Rz. 11.89 und Rz. 11.145).

11.179 Keine Präferenz einer Methode. In der Kritik stehen die Ausführungen des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 zu der Dotation von (Bank-)Betriebsstätten vor allem deshalb, weil der OECD-Steuerausschuss keine Präferenz zugunsten einer bestimmten Methode ausspricht.10 Die im Diskussionsentwurf des Reports aus dem Jahr 2001 erfolgte Empfehlung des „BIS ratio approachs“ wird nicht aufrechterhalten. Dies ist dem Ziel der Vermeidung der Doppelbesteuerung abträglich und zwingt Unternehmen regelmäßig in gerichtliche Auseinandersetzungen über die unterstellte Unangemessenheit der Dotation, wie es die jüngere

1 Dazu Buchholz, Grenzüberschreitendes Kreditgeschäft durch Bankbetriebsstätten, 187. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Annex – BIS ratio approaches, Nr. 1. Dem „‚pure‘ approach“ folgt die BsGaV (siehe Rz. 11.88 f.). 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Annex – BIS ratio approaches, Nr. 4 f. 4 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 106. 5 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 107. 6 Dazu Buchholz, Grenzüberschreitendes Kreditgeschäft durch Bankbetriebsstätten, 188 f. m.w.N. 7 Vgl. § 20 Abs. 2 Satz 3 und § 21 Abs. 2 Satz 1 BsGaV. 8 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 112. 9 Siehe auch Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 515 (Stand: Oktober 2013). 10 Vgl. Erb, IStR 2005, 328 (332); Hilsebein/Kröner in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 630 (Stand: Oktober 2015).

702

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.180 Kap. 11

einschlägige Rechtsprechung in Italien und Frankreich1 zeigt. Im Übrigen liefern die Erläuterungen des OECD-Betriebsstättenberichts lediglich einen sehr allgemein gehaltenen Rahmen für das methodische Vorgehen bei der Dotation von Bankbetriebsstätten.2 Dies steht im Widerspruch zu der mit dem OECD-Betriebsstättenbericht angestrebten Harmonisierung der Gewinnabgrenzung. dd) Zuordnung von Fremdkapital Fremdkapital/Funding. Nach dem Grundverständnis des OECD-Betriebsstättenberichts stellt sich die Höhe des übrigen „verzinslichen“ Fremdkapitals („not free capital“) als Restgröße („balance“) des Finanzierungsbedarfs der Betriebsstätte und dem erforderlichen Dotationskapital dar.3 Der AOA zielt darauf, der (Bank-)Betriebsstätte für das zuzuordnende Fremdkapital einen fremdüblichen Zinsaufwand zuzurechnen.4 Ist das Fremdkapital der Höhe nach bekannt, ist indes noch nicht gesagt, welcher Zinssatz auf das so ermittelte Fremdkapital angewandt werden soll und ob der Betriebsstätte das Fremdkapital über ein internes Dealing zur Verfügung gestellt wird.5 Methodisch enthält der Teil II des OECD-Betriebsstättenberichts insoweit keine Besonderheiten für Bankbetriebsstätten, sondern verweist6 auf die in Teil I beschriebene Rückverfolgungsmethode („tracing approach“) sowie die Fungibilitätsmethode („fungibility approach“7).8 In der Theorie zielt der „tracing approach“ darauf, die Finanzierungsmodalitäten (externe vs. interne Finanzierung) der einzelnen Fremdkapitalposten sichtbar zu machen und den maßgeblichen Zinsaufwand festzustellen. Angewandt auf ein grenzüberschreitend tätiges Kreditinstitut erweist sich die Idee eines solchen Zurückverfolgens der Finanzierungsströme jedoch im Wesentlichen als untauglich. Grund dafür ist die Liquiditätssteuerung durch eine nach der Profit-Center-Steuerung bankbetrieblich verselbständigte zentrale Treasury-Einheit (Rz. 11.101).9 Die institutsweite Steuerung der internen Geldströme schließt es grundsätzlich aus, den tatsächlich entstandenen Zinsaufwand in direkten Bezug zu einzelnen Aktivposten (namentlich Kreditaktiva) zu setzen.10 Der Finanzierungsaufwand der Bankbetriebsstätte wird regelmäßig nur bezüglich einzelner Großkredite („big-ticket items“) direkt zu ermitteln sein.11 Der OECD-Betriebsstättenbericht weist darauf im branchenübergreifenden Teil I hin.12 Für Bankbetriebsstätten ergibt sich jedoch weiterhin das Problem, dass die alternativ anzuwendenden Fungibilitätsmethode interne Finanzierungs-Dealings ausblen-

1 Vgl. Conseil d’Etat v. 11.4.2014 No. 344990 (Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG); v. 11.4.2014 No. 36687 (Banca di Roma SpA); Cours Administratif d’Appel de Versailles, v. 26.6.2014, No. 12VE04097 (Deutsche Pfandbriefbank AG). 2 Kritisch auch Henkes-Wabro, Gewinnabgrenzung bei Bankbetriebstätten, 156. 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 150. 4 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 152; Teil II, Nr. 121. 5 Treffend Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 520 (Stand: Oktober 2013). 6 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 116 i.V. mit Teil I, Nr. 105–171. 7 Vorbild ist die US-amerikanische Regelung in Treas. Temp. Reg. § 1.861-9T(a); dazu Wolff in Wassermeyer, DBA, Art. 7 USA Rz. 225 (Stand: Mai 2009); Kobetsky, International Taxation of Permanent Establishments, 262 und 264. 8 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 154; s. auch Buchner, IStR 2013, 228 (232); Wilmanns/van der Ham, RdF 2013, 152 (156). 9 Siehe auch Greier/Persch, BB 2012, 1318 (1325). 10 Deutlich Kobetsky, BIFD 2005, 48 (56): „Tracing funds in an international bank is as meaningless as attempting to trace the flow of water into a pound …“. 11 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 156. 12 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 156.

Andresen/Buchholz 703

11.180

Kap. 11 Rz. 11.181

Sonderfälle

det, weil dieser Ansatz gerade nicht danach unterscheidet, wo und für welchen Zweck Fremdkapital aufgenommen wird.1 Die Anerkennung von Zinsverrechnungen auf interne Darlehensverhältnisse bei Bankbetriebsstätten ist indes eine grundlegende, tradierte Position des OECD-Steuerausschusses (Rz. 11.165 f.). Da unter der Ägide des AOA institutsinterne Darlehensbeziehungen dem Grunde nach nicht mehr infrage stehen, ist die Fungibilitätsmethode bei Bankbetriebsstätten nur ergänzend anzuwenden.

11.181 Zurechnung von Finanzierungsaufwand. Für die Zurechnung von Finanzierungsaufwand zu der Bankbetriebsstätte gilt folgende – gedankliche – „Prüfungsfolge“: In einem ersten Schritt ist ein direktes Rückverfolgen einzelner Fremdkapitalposten der Bankbetriebsstätte zu prüfen. Anschließend ist zu fragen, ob und in welchem Umfang institutsinterne Darlehensbeziehungen vorliegen. Für die Anerkennung gelten die allgemeinen Grundsätze zur Berücksichtigung von Dealings.2 Schließlich ist nachrangig eine indirekte Zurechnung von Zinsaufwand nach der Fungibilitätsmethode vorzunehmen. b) Zweiter Schritt des AOA: Vergütung der Dealings

11.182 Grundlagen. Gegenstand des zweiten Schritts des AOA ist die Gewinnabgrenzung durch fremdübliche Vergütung der im Innenverhältnis zwischen den operativen Einheiten des grenzüberschreitenden Instituts identifizierten Dealings durch entsprechende Anwendung der OECD-Verrechnungsrichtlinien 2010. Bei Bankbetriebsstätten kommt der Vergütung der vielfältigen institutsinternen Leistungsbeziehungen besondere Bedeutung zu. Grund dafür ist das Konzept der KERT-Funktionen.3 Dies führt dazu, dass sämtliche einem Finanzwirtschaftsgut korrespondierenden Ertragswirkungen – im ersten Schritts des AOA4 – dem Institutsteil zuzurechnen sind, der die KERT-Funktion ausübt. Die einheitliche Zurechnung wird im zweiten Schritt des AOA durch die fremdübliche Vergütung der identifizierten Dealings kompensiert. Da die Leistungserstellung bei grenzüberschreitenden Kreditinstituten gerade deren räumliche Aufteilung kennzeichnet, kommt der Vergütung interner Leistungsbeziehungen infolge sog. „split (KERT) functions“ besondere Bedeutung zu.5 Dies gilt vor allem dann, wenn eine anteilige vermögensmäßige Zuordnung unterbleibt.

11.183 Verrechnungspreismethoden. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 betont, dass unter dem AOA sämtliche für den Konzernsachverhalt etablierten Verrechnungspreismethoden Anwendung finden können.6 Die entsprechende Anwendung der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 2010 hat jedoch unter Würdigung der Besonderheiten der Unternehmensgesamtheit zu erfolgen.7 Die fiktive Steuerselbständigkeit der Bankbetriebsstätte ändert nichts an der zivilrechtlichen und tatsächlichen Einheit des Unternehmens. Besonderheiten bei der entsprechenden Anwendung der Verrechnungspreisrichtlinien ergeben sich insbesondere daraus, dass im Einheitsunternehmen Personalfunktionen auf besondere individuelle Art und Weise zwi1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 154; Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 520 (Stand: Oktober 2013). 2 Siehe OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 34–36 und 175–181. 3 Zu der „Wirkungsdimension“ des KERT-Konzepts Buchholz, Grenzüberschreitendes Kreditgeschäft durch Bankbetriebsstätten, 116 ff. 4 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, 142; allgemein Kaeser, in Wassermeyer, DBA, Art. 7 MA Rz. 547 (Stand: Oktober 2013). 5 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 159. 6 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 146. 7 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 145 ff.

704

Andresen/Buchholz

C. Bankbetriebsstätte

Rz. 11.185 Kap. 11

schen den operativen Einheiten aufgeteilt sein können. Einfluss auf die Bepreisung können auch besondere aufsichtsrechtliche Regelungen nehmen.1 Prägender Faktor bei der Ermittlung fremdüblicher Zinsen für interne Darlehensbeziehungen („internal ‚interest‘ dealings“) ist die einheitliche Kreditwürdigkeit der Unternehmensteile.2 Marktübliche Entgelte sind weiterhin zu ermitteln für interne Risikotransfer-Dealings3 sowie die interne Übertragung von Kreditforderungen und/oder Forderungsportfolios.4 c) Besonderheiten im „Global Trading“ Allgemeines. Die Diskussion des mit dem Begriff Global Trading beschriebenen Handels mit Finanzprodukten im Kundenauftrag bzw. Eigenhandel zu jeder Zeit weltweit an verschiedenen Orten reicht bis in die Mitte der 1990er Jahre zurück.5 In Teil III des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 würdigt der OECD-Steuerausschuss die Besonderheiten dieses Geschäftsbereichs und formuliert Empfehlungen für deren steuerliche Bewältigung unter dem AOA. Die Vielschichtigkeit des Global Tradings beruht auf dessen – durch den Einsatz moderner Informationstechnologie – räumlicher Ungebundenheit, der großen Produktbandbreite6 sowie den betrieblich-organisatorischen Besonderheiten der Ausgestaltung der Handelstätigkeit.

11.184

Functional and factual analysis. Grundlage der Zuordnung der Finanzwirtschaftsgüter des Handelsgeschäfts ist eine eingehende Funktions- und Risikoanalyse des Geschäftsmodells des jeweiligen Finanzunternehmens. Dabei überträgt der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 das für das traditionelle Bankgeschäft entwickelte Konzept der KERT-Funktionen (Rz. 11.169) auf den Handelsbereich von Kreditinstituten oder speziellen Handelsunternehmen. Grundlage für die Identifizierung der KERT-Funktion(en) ist eine eingehende Funktions- und Risikoanalyse des jeweils etablierten bankbetrieblichen Steuerungsmodells der Handelsaktivitäten. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 unterscheidet – den Entwurfsfassungen des Berichts folgend – drei Modelle der Geschäftsabwicklung und -ausgestaltung im Global Trading:7 Integrierter Handel („integrated trading model“),8 Handel mit zentralisiertem Produkt-Management („centralised product management model“)9 und Handel durch eigenständige Profit-Center („separate enterprise trading model“).10 In praxi werden die genannten Organisationsansätze typischerweise nicht in Reinform, sondern als Kombinationsmodelle verwirklicht sein.11 Der OECD-Betriebsstättenbericht beschreibt die folgenden typischen Personalfunktionen („people functions“) im Global Trading:

11.185

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 152. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 161. Siehe OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 175 und 178. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 185. Siehe Rz. 10.97 der Vorauflage; Stocker, Internationale Erfolgsabgrenzung beim Global Trading mit Finanzinstrumenten, 14; zur „Entwicklungsgeschichte“ der OECD-Arbeiten Häuselmann, RIW 1997, 857. Aus der u.a. Zinsen, Dividenden, Veräußerungsgewinne und Prämienzahlungen resultieren. Siehe auch Selling, IStR 1998, 417 (418); Wilmanns/van der Ham, RdF 2013, 152 (157). OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 27; s. auch Rz. 10.100 der Vorauflage. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 29; s. auch Rz. 10.99 der Vorauflage. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 32; s. auch Rz. 10.98 der Vorauflage. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Nr. 35 f.

Andresen/Buchholz 705

Kap. 11 Rz. 11.186

Sonderfälle

Funktion

Beschreibung der Tätigkeiten

Sales and marketing

Zuständig für Anbahnung und Pflege der Kundenkontakte; Spezialisierung nach Kunden- und Produktgruppen; keine Befugnis zu Preisfixierung und Abschluss von Handelsgeschäften; Letztverantwortung grundsätzlich beim Händler des Geschäfts; bei komplexen Produkten Einbindung der Verkaufsund Marketingfunktion in Produktstrukturierung1

Trading and day-today risk management

Verantwortlich für die Übernahme von (Markt-)Risiken und für das anschließende Risikomanagement (hedging).2 Die Händler entscheiden fortlaufend, ob übernommene Marktrisiken in den Büchern gehalten oder abgesichert werden.

Treasury

Fortlauende Gewährleistung der erforderlichen Liquiditätsausstattung; Anlage überschüssiger Liquidität3

Support, back office, middle office

Management-Funktionen und typische unterstützende Tätigkeitsbereiche, wie z.B. Systementwicklung, Kreditabteilung, (strategisches) Risikomanagement und Controlling4

Besonderes Augenmerk richtet der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 darauf, dass in der Praxis vielfach Fälle eines sog. „split function business“ vorliegen werden, die besonders eingehender Betrachtung bedürfen.5

11.186 Zuordnung der financial assets. Gegenstand der Zuordnung sind regelmäßig nicht einzelne Finanzwirtschaftsgüter, sondern ein in Handelsbüchern zusammengefasster Bestand an Wertpapieren und Finanzinstrumenten. Die Zuordnung erfolgt zu dem Unternehmensteil, der die KERT-Funktion ausübt.6 Den Status der „key entrepreneurial risk-taking functions“ erkennt der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 grundsätzlich den Tätigkeiten zu, die über den initialen Erwerb der Finanzinstrumente und das nachfolgende Risikomanagement des Portfolios entscheiden (marketing/dealing and trading/risk management).7 Insoweit besteht im Handelsbereich die Besonderheit, dass die Entscheidung über den Aufbau einer Position, d.h. das Eingehen des korrespondierenden Marktpreisrisikos und dessen Absicherung, dem jeweiligen Händler („trader“) obliegt. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 betont, dass der Funktion des Marktrisikomanagements im Global Trading besondere Bedeutung zukommt.8 Demgegenüber stellt das strategische Risikomanagement in Gestalt des Setzens institutsweit geltender Limits als solche keine KERT-Funktion dar.9

11.187 Zuordnung von Dotationskapital. Die von der Betriebsstätte übernommenen Kredit- und/ oder Marktpreisrisiken sind nach den allgemeinen Grundsätzen des Teil I des OECD-Betriebsstättenberichts und im Fall von Betriebsstätten von Kreditinstituten nach den aufsichtsrechtlich modifizierten Methoden in Teil II (Rz. 11.176 ff.) mit Dotationskapital zu unterlegen.10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 40 ff. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 49 und 55. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 60. Siehe Wilmanns/van der Ham, RdF 2013, 152 (158). OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 206. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 220. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 224 und 248. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 201. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 76. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 232 ff. und 239.

706

Andresen/Buchholz

D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.188 Kap. 11

Zweiter Schritt des AOA. Im zweiten Schritt des AOA erfolgt ausgehend von der Zuordnung der im Global Trading gehandelten Finanzinstrumente (Portfolios) zu der KERT-Funktion1 und der Zurechnung der korrespondierenden Erträge und Aufwendungen die Vergütung der vielfältigen internen Dealings. Für die – die einheitliche Erfolgszurechnung zu der KERT-Funktion kompensierende – „Bepreisung“ der Dealings präferiert der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 grundsätzlich die geschäftsvorfallbezogenen Standardmethoden.2 Im Fall des „centralised product management models“ soll aufgrund der organisatorischen Besonderheiten bevorzugt die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode, insbesondere die Profit-Split-Methode bzw. Residual-Profit-Split-Methode, Anwendung finden.3 Insgesamt wird deutlich, dass aufgrund der praktischen Gestaltungsvielfalt des Global Tradings die Funktions- und Risikoanalyse die sachgerechte Gewinnaufteilung im zweiten Schritt des AOA maßgeblich prägt.

D. Versicherungsbetriebsstätten I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.189 II. Betriebsstätteneigenschaft 1. Innerstaatliches Recht. . . . . . . . . . . . 11.191 2. Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . . 11.202 III. Versicherungsspezifische Rechnungslegungspflicht . . . . . . . . . . . . . 11.204 IV. Regeln der Einkünfteabgrenzung bei Versicherungsbetriebsstätten nach innerstaatlichem Recht 1. Einkünfteabgrenzung nach dem Authorised OECD Approach für nach dem 31.12.2012 beginnende Wirtschaftsjahre . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erster Schritt des AOA: Fiktive Verselbständigung der Versicherungsbetriebsstätte a) Die Vorstufe – Zuordnung von Personalfunktion . . . . . . . . . . . . . b) Besondere Zuordnungsregeln für Versicherungsbetriebsstätten c) Besonderheiten im Rückversicherungsgeschäft . . . . . . . . . . . . d) Sonderregelungen für inländische Versicherungsbetriebsstätten ausländischer Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . .

11.208

11.212 11.216 11.230

11.233

e) Sonderregelungen für ausländische Versicherungsbetriebsstätten inländischer Versicherungsunternehmen. . . . . . . . . . . . f) Sonderregelung für unterstützende Personalfunktion . . . . . g) Zuordnung von Aktiva . . . . . . . . h) Zuordnung von Passiva . . . . . . . . i) Zuordnung von Dotationskapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Inländische Versicherungsbetriebsstätte ausländischer Versicherungsunternehmen. . . . . k) Ausländische Versicherungsbetriebsstätten inländischer Versicherungsunternehmen. . . . . 3. Zweiter Schritt des AOA: Bestimmung und Vergütung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen a) Zuordnung von Geschäftsvorfällen und korrespondierenden Einkünften . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erfolgsabgrenzung im Versicherungsbereich aa) Zurechnung von Erträgen. . . bb) Zurechnung von Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.239 11.241 11.243 11.250 11.257 11.264 11.273

11.278 11.281 11.286

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 220. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Nr. 251 ff. 3 Wilmanns/van der Ham, RdF 2013, 152 (158).

Andresen/Buchholz/Andresen/Tenberge 707

11.188

Kap. 11 Rz. 11.189

Sonderfälle

I. Allgemeines 11.189 Versicherungswirtschaftliche Grundlagen. Die Versicherungsbranche ist wie der Bankensektor ein Industriezweig, der in starkem Maße der staatlichen Regulierung unterliegt. Sie ist gleichzeitig mehr als andere Wirtschaftszweige dadurch geprägt, dass Versicherungsunternehmen ihre grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit im Ausland über Niederlassungen ausüben. Der Grund hierfür ist wie bei Banken in der Verstärkung und flexiblen Anwendung des Kapitalstocks zu sehen, der notwendige Voraussetzung dafür ist, dass insbesondere Großrisiken in Deckung genommen werden können.1 Die Ausweitung der Zeichnungskapazität ist bei einer Zersplitterung des Kapitalstocks auf mehrere rechtlichen Einheiten nicht ohne weiteres möglich. Die staatliche Regulierung durch das Aufsichtsrecht in den jeweiligen Belegenheitsstaaten erfasst grundsätzlich die in- und ausländischen Niederlassungen eines Versicherungsunternehmens und entfaltet bei diesen für die handelsrechtliche und steuerrechtliche Gewinnermittlung ihre Wirkung. Dies gilt insbesondere für die Bestimmung des Dotationskapitals einer Versicherungsbetriebsstätte, zu der sich bereits der RFH in den 1930er Jahren unter Verweis auf das damals geltende Aufsichtsrecht in mehreren Urteilen geäußert hat.2 Das Geschäft von Versicherungsunternehmen besteht im Kern aus der Produktion von Versicherungsschutz und Übernahme von Versicherungsrisiken nebst flankierender Dienstleistungen und der Anlage der vereinnahmten Prämien (Asset Management).3 Die Aufteilung der im Produktionsprozess eingesetzten Faktoren zwischen dem übrigen Unternehmen und seiner Betriebsstätte(n) bestimmt dabei die Aufteilung des gemeinsam erwirtschafteten Ergebnisses. Eine Vielzahl von Versicherungsunternehmen betreibt das Versicherungsgeschäft im Verbund mit dem Kapitalanlagegeschäft.4

11.190 Begriff des Versicherungsunternehmens. Versicherungsunternehmen i.S. des § 1 Abs. 1 i.V. mit § 7 Nr. 33 u. 34 VAG und § 341 Abs. 1 HGB sind Unternehmen, die den Betrieb von Versicherungsgeschäften zum Gegenstand haben und nicht Träger der Sozialversicherung sind. Dazu zählen auch Versicherungsunternehmen, die ihren Sitz in einem anderen Staat haben, wenn sie eine Zweigniederlassung im Inland unterhalten und wenn sie zum Betrieb des Direktversicherungsgeschäfts der Erlaubnis durch die deutsche Versicherungsaufsicht bedürfen. Dies sind nach § 67 Abs. 1 VAG Versicherungsunternehmen, die ihren Sitz außerhalb der Mitgliedstaaten der EU oder des EWR haben. Von der Begriffsdefinition in § 341 Abs. 1 HGB sind auch Rückversicherungen und öffentlich-rechtliche Versicherungsunternehmen erfasst.5 Der Begriff des Versicherungsunternehmens ist deshalb bedeutsam, weil er für die handelsrechtliche und steuerrechtliche Gewinnermittlung entscheidende Rechtsfolgen nach sich zieht.

II. Betriebsstätteneigenschaft 1. Innerstaatliches Recht

11.191 Betriebsstätteneigenschaft nach BsGaV. Die BsGaV enthält in § 23 Nr. 1 BsGaV erstmals eine gesetzliche Definition des Begriffs der Versicherungsbetriebsstätte für Zwecke der steuer1 Vgl. Raab/Wolf in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 1196. 2 Vgl. RFH v. 25.4.1933 – I A 123/31, RStBl. 1933, 1017; v. 28.11.1933 – I A 456/31, RStBl. 1934, 620. 3 Vgl. Farny, Versicherungsbetriebslehre5, 21. 4 Vgl. Farny, Versicherungsbetriebslehre5, 593 ff. 5 Vgl. von Treuberg/Angermayer, Jahresabschluss von Versicherungsunternehmen, 9.

708

Andresen/Tenberge

D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.194 Kap. 11

lichen Einkünfteabgrenzung. Versicherungsbetriebsstätte ist demnach eine Betriebsstätte, die Teil eines Versicherungsunternehmens i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 VAG oder Teil eines Versicherungsunternehmens i.S. eines ausländischen Versicherungsaufsichtsrechts ist und die Versicherungsgeschäfte betreibt. Letzteres ist zu betonen, da Versicherungsunternehmen auch Betriebsstätten haben können, die kein Versicherungsgeschäft betreiben. Letztere haben die §§ 23 ff. BsGaV nicht anzuwenden. Versicherungsgeschäft. Der Begriff des Versicherungsgeschäfts i.S. des § 23 Nr. 2 BsGaV ist gesetzlich nicht definiert. Nach Rz. 280 der VWG BsGa werden darunter Geschäfte verstanden, bei denen gegen Prämienzahlung für den Fall eines ungewissen Ereignisses bestimmte Leistungen finanzieller Art versprochen werden, wobei das übernommene Risiko auf eine Vielzahl von Personen verteilt wird, gemeinhin die Gemeinschaft der Versicherungsnehmer. Hinweise zu verschiedenen Versicherungsgeschäften finden sich in Anlage 1 des VAG. Weitere Anknüpfungspunkte finden sich im Versicherungssteuergesetz. Nach § 2 Abs. 1 VerStG ist ein Versicherungsvertrag und entsprechend ein Versicherungsgeschäft eine Vereinbarung zwischen mehreren Personen oder Personenvereinigungen, Verluste oder Schäden gemeinsam zu tragen. Klarstellend gilt nach § 2 Abs. 2 VerStG als Versicherungsvertrag nicht ein Vertrag, durch den der Versicherer sich verpflichtet, für den Versicherungsnehmer Bürgschaft oder sonstige Sicherheiten zu leisten. Wesentliches Merkmal für ein Versicherungsgeschäft ist demnach das Vorhandensein eines vom Versicherer gegen Entgelt übernommenen Wagnisses.1

11.192

Gemischte Tätigkeit einer Versicherungsbetriebsstätte. Wird ein Versicherungsunternehmen durch eine Betriebsstätte tätig, die auch andere Geschäftstätigkeiten als das eigentliche Versicherungsgeschäft ausübt, oder sind für Versicherungsbetriebsstätten im speziellen Teil der BsGaV (§§ 23–28 BsGaV) keine besonderen Regelungen getroffen worden, so gelten die allgemeinen Regelungen der §§ 1–11 und der §§ 14–17 BsGaV. Das Dotationskapital einer Versicherungsbetriebsstätte ist allerdings auch in den Fällen einer gemischten Tätigkeit nach den §§ 25 und 26 BsGaV zu bestimmen. Die Betriebsstätte ist somit als Versicherungsbetriebsstätte i.S. des § 23 Nr. 1 BsGaV zu qualifizieren. Hat dagegen ein Versicherungsunternehmen eine Betriebsstätte, die keine Versicherungsgeschäfte betreibt, so gelten für diese Betriebsstätte insgesamt nur die allgemeinen Vorschriften der §§ 1–17 BsGaV und die Betriebstätte ist nicht als Versicherungsbetriebstätte i. S. des § 23 Nr. 1 BsGaV zu qualifizieren.2

11.193

Grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit über Niederlassungen. Versicherungsunternehmen dürfen nach Maßgabe der §§ 58 und 59 VAG das Versicherungsgeschäft in anderen EUMitglied- oder EWR-Vertragsstaaten über Niederlassungen oder im Dienstleistungsverkehr betreiben. Als Niederlassung gilt nach § 57 Abs. 2 VAG eine Agentur oder Zweigniederlassung eines Versicherungsunternehmens im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglied- oder Vertragsstaats. Um eine Niederlassung handelt es sich auch, wenn das Versicherungsgeschäft durch eine zwar selbständige, aber ständig damit betraute Person betrieben wird, die von einer Betriebsstätte in dem anderen EU-Mitglied- oder EWR-Vertragsstaat aus tätig wird. Eine solche Zweigniederlassung qualifiziert sich als Betriebsstätte i.S. des § 12 Satz 1 AO. Ausländische Erstversicherungsunternehmen aus der EU oder dem EWR dürfen gem. § 61 VAG im Inland durch eine Niederlassung oder im Dienstleistungsverkehr Versicherungsgeschäft be-

11.194

1 BFH v. 19.6.2013 – II R 26/11, BStBl. II 2013, 1060; v. 16.12.2009 – II R 44/07, BFH/NV 2010, 784 m.w.N.; v. 30.8.1961 – II 234/58 U, BStBl. III 1961, 494. 2 BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 281 f. – VWG BsGa.

Andresen/Tenberge 709

Kap. 11 Rz. 11.195

Sonderfälle

treiben. Dies gilt im Inbound-Fall nach § 169 Abs. 1 VAG gleichermaßen für Rückversicherungsunternehmen mit Sitz in einem anderen Mitglied- oder Vertragsstaat der EU.

11.195 Grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit im Dienstleistungsverkehr. Dienstleistungsverkehr i.S. des § 57 Abs. 3 VAG liegt vor, wenn das Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem EU-Mitglied- oder EWR-Vertragsstaat von seinem Sitz oder einer Niederlassung in einem Mitglied- oder Vertragsstaat aus Versicherungsrisiken in Deckung nimmt, die in einem anderen EU-Mitglied- oder EWR-Vertragsstaat belegen sind, ohne dass das Unternehmen dort von einer Niederlassung Gebrauch macht. Versicherungsunternehmen, die ihre Tätigkeit ausschließlich im Wege des Dienstleistungsverkehrs betreiben, begründen regelmäßig keine Betriebsstätte i.S. des § 12 Satz 1 AO.1 Hinzuweisen ist auf Rz. 11.192, da in diesen Fällen Versicherungsunternehmen im Inland von einer dritten oder nahestehenden Person vertreten werden.

11.196 Ausländische Versicherungsunternehmen unter inländischer Versicherungsaufsicht. Versicherungsunternehmen mit Sitz außerhalb des EWR, d.h. den EU-Staaten, Norwegen, Island oder Liechtenstein, die im Inland das Erst- oder Rückversicherungsgeschäft betreiben, haben nach § 67 Abs. 1 VAG eine entsprechende Erlaubnis beim Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen zu beantragen.2 Diese Unternehmen sind durch § 68 Abs. 1 VAG außerdem verpflichtet, im Inland eine Zweigniederlassung i.S. des § 13d HGB zu errichten und in das Handelsregister eintragen zu lassen.3 Eine solche Zweigniederlassung qualifiziert sich als Betriebsstätte i.S. des § 12 Satz 1 AO. Zusätzlich ist für eine solche Niederlassung ein Hauptbevollmächtigter zu bestellen, der seinen Wohnsitz und ständigen Aufenthalt im Inland haben muss. Dieser hat die Pflichten und persönlichen Voraussetzungen zu erfüllen, die dieses Gesetz dem Vorstand eines Unternehmens mit Sitz im Inland auferlegt. Er gilt als ermächtigt, das Unternehmen Dritten gegenüber zu verpflichten, insbesondere Versicherungsverträge mit Versicherungsnehmern im Inland und über dort gelegene Grundstücke abzuschließen, sowie das Unternehmen bei Verwaltungsbehörden und vor Gerichten zu vertreten. Der Hauptbevollmächtigte ist zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Der Hauptbevollmächtigte kann nach internen Richtlinien operativ vom Zeichnungsprozess ausgeschlossen sein.

11.197 Ausländische Versicherungsunternehmen außerhalb der inländischen Versicherungsaufsicht. Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem der Mitgliedstaaten der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens, d.h. Norwegen, Island oder Liechtenstein, die in ihrem Sitzstaat den Richtlinien des Rats der EG auf dem Gebiet des Versicherungswesens unterliegen (EU-/EWR-Versicherungsunternehmen) bedürfen keiner Erlaubnis für das Betreiben des Direktversicherungsgeschäfts im Inland und unterliegen auch nicht der inländischen Versicherungsaufsicht. Für Rückversicherungsunternehmen besteht unabhängig vom Sitzstaat keine

1 Zur Unterscheidung zwischen der Ausübung des Versicherungsgeschäfts im Dienstleistungsverkehr oder durch eine Niederlassung wird auf die Mitteilung der Kommission 2000/C 43/03 vom 16.2.2000 zu Abgrenzungsfragen zwischen Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsrecht in den Versicherungsrichtlinien hingewiesen. 2 Das Gleiche gilt für Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem der Mitgliedstaaten der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens, die nicht den Richtlinien des Rats der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet des Versicherungswesens unterliegen und das Direktversicherungsgeschäft durch eine Niederlassung im Inland betreiben wollen. 3 Vgl. Seibert, DB 1993, 1705 ff.; Plesse, DStR 1993, 133 ff.; Seibert, GmbHR 1992, 738 ff.; Hahnefeld, DStR 1993, 1596 ff.

710

Andresen/Tenberge

D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.200 Kap. 11

Erlaubnispflicht. Dieser Umstand wird auch als Herkunftslandprinzip oder Heimatlandkontrollprinzip bezeichnet. Auch diese EU-/EWR-Versicherungsunternehmen sind jedoch verpflichtet, im Inland eine Zweigniederlassung zu errichten und diese eintragen zu lassen, und begründen somit eine Betriebsstätte im Inland. Die Regelungen des § 67 Abs. 2 VAG über den Hauptbevollmächtigter gelten wegen der Regulierung durch das Herkunftsland nur eingeschränkt und er gilt insbesondere nicht nach § 67 Abs. 2 S. 3 VAG ermächtigt, das Unternehmen Dritten gegenüber zu verpflichten. Rückversicherungsunternehmen aus Drittstaaten. Versicherungsunternehmen eines Drittstaats, die in Deutschland das Erst- oder Rückversicherungsgeschäft betreiben wollen, bedürfen gem. § 67 Abs. 1 VAG zum Geschäftsbetrieb der Erlaubnis der BaFin. Dies gilt nicht für Versicherungsunternehmen eines Drittstaats, die von ihrem Sitz aus in Deutschland ausschließlich das Rückversicherungsgeschäft betreiben, wenn die Europäische Kommission gem. Art. 172 Abs. 2 oder 4 der Richtlinie 2009/138/EG entschieden hat, dass die Solvabilitätssysteme für Rückversicherungstätigkeiten von Unternehmen in diesem Drittstaat dem in dieser Richtlinie beschriebenen System gleichwertig sind; in diesem Fall werden Rückversicherungsverträge mit diesen Unternehmen genauso behandelt wie Rückversicherungsverträge mit Unternehmen, die in einem Mitglied- oder Vertragsstaat zugelassen sind. Diese Versicherungsunternehmen haben im Inland eine Niederlassung zu errichten und dort alle die Niederlassung betreffenden Geschäftsunterlagen zur Verfügung zu halten. Die Vorschriften der §§ 13d bis 13f HGB über die Zweigniederlassung sind entsprechend anzuwenden. Für die Geschäftstätigkeit der Niederlassung ist gesondert Rechnung zu legen (§ 341 Abs. 2 HGB). Eine solche Zweigniederlassung qualifiziert sich als Betriebsstätte i.S. des § 12 Satz 1 AO.

11.198

Inländische Versicherungsunternehmen mit ausländischen Betriebsstätten. Ob ein inländisches Versicherungsunternehmen eine Betriebsstätte im Ausland begründet, richtet sich nach §§ 12 und 13 AO, soweit innerstaatliches Recht maßgeblich ist, bzw. i.V. mit den ausländischen Rechtsvorschriften insbesondere zur Errichtung von Zweigniederlassungen ggf. unter Berücksichtigung einschränkender Regelung eines einschlägigen DBA.

11.199

Ständiger Vertreter. Hinsichtlich der Betriebsstätteneigenschaft eines Versicherungsvertreters im In- und Ausland wird auf die Kommentierung zur Vertreterbetriebsstätte in den Rz. 2.204 ff. verwiesen. Ein Versicherungsunternehmen, das in einem Staat nicht über eigenes Personal i.S. des § 2 Abs. 4 BsGaV verfügt, kann durch Personal einer dritten oder nahestehenden Person, die in diesem Staat ansässig ist, vertreten werden. Sofern der ständige Vertreter i.S. des § 13 AO Vermittlungstätigkeiten erbringt und etwa die Versicherungsverträge im Namen und für Rechnung des vertretenen Versicherungsunternehmens abschließt bzw. nach dem neuen Wortlaut des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA in der Fassung des BEPS Action Point 7 in die Vertragsverhandlungen in nicht unerheblichem Umfang involviert ist, z.B. nach dem neuen Wortlaut des DBA-Australien 2017, begründet er für das Versicherungsunternehmen eine Versicherungsbetriebsstätte. Dieser wären ggf. nach den allgemeinen Zuordnungsgrundsätzen Vermögenswerte, Chancen und Risiken sowie Dotationskapital zuzuordnen. Ist der ständige Vertreter auch der Underwriter, könnten Staaten versucht sein, der Vertreterbetriebsstätte auch die unternehmerische Risikoübernahmefunktion zuzuordnen mit der Folge der Vertragszuordnung. Eine solch weitgehende Auslegung erscheint vor dem Hintergrund des Geschäftsmodells problematisch. Dem sollte durch entsprechende Dokumentation begegnet werden, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in Übereinstimmung mit aufsichtsrechtlichen Vorgaben im übrigen Unternehmen ausgeübt wird. Die vom ständigen

11.200

Andresen/Tenberge 711

Kap. 11 Rz. 11.201

Sonderfälle

Vertreter ausgeübten Personalfunktionen sind insoweit als eigene Personalfunktionen der Versicherungsbetriebsstätte (Vertreterbetriebsstätte) anzusehen und als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung („dealing“) in Form einer Dienstleistung an das übrige Unternehmen zu verrechnen.

11.201 Pensionsfonds und Versicherungs-Zweckgesellschaften. Auf Betriebsstätten von Versicherungs-Zweckgesellschaften i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 3 VAG, von Sicherungsfonds i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 VAG sowie von Pensionsfonds i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 5 VAG sind die Regelungen des Abschnitts 3 der BsGaV ebenfalls anzuwenden, wenn und soweit diese über Betriebsstätten im In- und/oder Ausland verfügen.1 2. Abkommensrecht

11.202 Betriebsstätte nach Abkommensrecht. Neben den allgemeinen Anforderungen an die Begründung einer Betriebsstätte nach Abkommensrecht, weist Art. 5 Tz. 39 OECD-MK darauf hin, dass einige Mitgliedstaaten der OECD über die Anknüpfungspunkte des Art. 5 Abs. 1 und Abs. 5 OECD-MA hinaus dann von der Existenz der Betriebsstätte eines Versicherungsunternehmens in einem Staat ausgehen, wenn dort durch einen für dieses Versicherungsunternehmen agierenden Vertreter Prämien eingezogen oder in diesem Gebiet gelegene Risiken versichert werden. Eine entsprechende Regelung findet sich in den DBA mit Ägypten*, Argentinien, Belgien, Brasilien, Elfenbeinküste, Frankreich, Indonesien*, Jamaika*, Kenia*, Luxemburg, Mexiko*, Philippinen, Rumänien* (E) und Tunesien. Mit Ausnahme der mit „*“ gekennzeichneten DBA gilt diese Ausweitung des Betriebsstättentatbestands auch für Rückversicherungsunternehmen.2

11.203 Abhängiger Vertreter. Hinsichtlich der Anknüpfungspunkte der Vertreterbetriebsstätte nach Abkommensrecht wird auf Rz. 2.204 ff. verwiesen.

III. Versicherungsspezifische Rechnungslegungspflicht 11.204 Versicherungsspezifische Rechnungslegungspflicht für Versicherungsunternehmen mit Sitz außerhalb der EU bzw. des EWR. Niederlassungen von Versicherungsunternehmen mit Sitz in Staaten außerhalb der EU und des EWR fallen grundsätzlich unter die versicherungsspezifischen Rechnungslegungsvorschriften im Inland.3 Sie unterliegen einer gesonderten Rechnungslegungspflicht gem. § 74 Abs. 1 VAG i.V. mit § 341 Abs. 1 und 2 HGB (Solvabilitätsübersicht). Die versicherungsspezifische Rechnungslegungspflicht umfasst u.a. die Erstellung eines Jahresabschlusses und eines Lageberichts nach den für große Kapitalgesellschaften geltenden Vorschriften des HGB, wobei nach § 341a Abs. 2 HGB einzelne dieser Vorschriften auf Versicherungsunternehmen nicht anzuwenden sind oder durch die durch Rechtsverordnung erlassenen Formblätter und andere Vorschriften ersetzt werden, z.B. §§ 341a Abs. 3 bis 5 und 341b bis 341h HGB.4 Insoweit erscheint es sinnvoll, sich bei der Frage der Zuordnung von Wirtschaftsgütern ähnlich wie bei normalen Unternehmen an dem handelsrechtlichen Bilanzgliederungsschema zu orientieren, das für Versicherungsunternehmen in der

1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 340; § 29 BsGaV. Vgl. Görl in Vogel/Lehner, DBA6, Art. 5 Rz. 140. Vgl. von Treuberg/Angermayer, Jahresabschluss von Versicherungsunternehmen, 12. Vgl. von Treuberg/Angermayer, Jahresabschluss von Versicherungsunternehmen, 16.

712

Andresen/Tenberge

D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.209 Kap. 11

Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen (RechVersV)1 geregelt ist: Versicherungsspezifische Rechnungslegungspflicht auch für Versicherungsunternehmen mit Sitz innerhalb der EU/des EWR. Für Versicherungsunternehmen mit Sitz in EU- oder EWR-Staaten und deren inländische Zweigniederlassungen gilt § 341 Abs. 2 HGB gleichermaßen.

11.205

Allgemeine Buchführungspflicht. Zweigniederlassungen haben sich bei ihrer Errichtung in das Handelsregister eintragen zu lassen und qualifizieren sich dadurch als Kaufmann. Inländische Niederlassungen von Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR unterliegen häufig auch schon wegen ihrer Kaufmannseigenschaft der allgemeinen Buchführungspflicht nach § 238 Abs. 1 HGB und deshalb auch § 140 AO (vgl. Rz. 13.8). Soweit sie nach den allgemeinen Vorschriften Rechnung legen und nicht freiwillig von den Formblättern der RechVersV Gebrauch machen, gelten die allgemeinen Zuordnungsgrundsätze der Rz. 4.58 ff. Mit anderen Worten sind die allgemeinen Zuordnungsregeln auf all jene Bilanzpositionen insbesondere im Formblatt 1 RechVersV anzuwenden, die in der Bilanzgliederung des § 266 Abs. 2 und 3 HGB identisch bezeichnet sind, während die Zuordnungsregeln in §§ 23 ff. BsGaV auf die versicherungsspezifischen Bilanzpositionen Anwendung finden.

11.206

Besonderheiten bei der Gewinnermittlung. Zusätzlich zu den auch für Nicht-Versicherungsunternehmen geltenden handels- und steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften haben Versicherungsunternehmen die §§ 20, 21 KStG und – für Veranlagungszeiträume ab 2002 – § 21a KStG zu beachten.

11.207

IV. Regeln der Einkünfteabgrenzung bei Versicherungsbetriebsstätten nach innerstaatlichem Recht 1. Einkünfteabgrenzung nach dem Authorised OECD Approach für nach dem 31.12.2012 beginnende Wirtschaftsjahre § 1 Abs. 4 und 5 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG. In Bezug auf die allgemeine Anwendung des AOA und dessen Einführung in das deutsche Steuerrecht ist auf Rz. 4.30 ff. verwiesen.

11.208

Sonderregelungen der BsGaV für Versicherungsbetriebsstätten. Aufbauend auf den Definitionen und Zuordnungsregeln des Allgemeinen Teils regelt der dritte Abschnitt der BsGaV Besonderheiten für Versicherungsbetriebsstätten. Sachlich erfasst sind Betriebsstätten, die Teil eines Versicherungsunternehmens oder eines vergleichbaren Unternehmens i.S. des ausländischen Versicherungsaufsichtsrechts sind und Versicherungsgeschäfte i.S. des Rz. 11.192 betreiben. Bei Versicherungsbetriebsstätten in diesem Sinne gelten besondere Regeln für die Zuordnung von Vermögenswerten, die durch den Abschluss von Versicherungsverträgen entstehen, sowie für die angemessene Ausstattung mit Dotationskapital. Abweichend von der dem Allgemeinen Teil zugrunde liegenden Figur der maßgeblichen Personalfunktion richtet sich der Blick bei Versicherungsbetriebsstätten auf die Ausübung der unternehmerischen Risi-

11.209

1 Versicherungsunternehmens-Rechnungslegungsverordnung v. 8.11.1994 (BGBl. I 1994, 3378), die zuletzt durch Art. 8 Abs. 14 des Gesetzes v. 17.7.2015 (BGBl. I 2015, 1245) geändert worden ist.

Andresen/Tenberge 713

Kap. 11 Rz. 11.210

Sonderfälle

koübernahmefunktion. Maßgeblich für die Zuordnung eines Vermögenswerts zu einer Versicherungsbetriebsstätte ist nach § 24 Abs. 1 BsGaV die Personalfunktion des Zeichnungsprozesses, deren Ausübung dazu führt, dass die mit dem Versicherungsvertrag verbundenen Chancen und Risiken, insbesondere das versicherungstechnische Risiko aus dem Versicherungsvertrag von dem Versicherungsunternehmen übernommen werden. Die Zuordnung sämtlicher mit dem Vermögenswert zusammenhängender Chancen und Risiken, d.h. sowohl der Chancen und Risiken des Vermögenswerts selbst als auch der Chancen und Risiken der unternehmerischen Verwendung dieses Vermögenswerts ist ebenfalls erforderlich.1 Andere Vermögenswerte und Geschäftsvorfälle sowie Chancen und Risiken sind entsprechend der allgemeinen Regeln der §§ 5 bis 11 BsGaV zuzuordnen:

11.210 Konkretisierung durch die VWG BsGa. Wie für Bankbetriebsstätten enthalten die VWG BsGa konkretisierende Hinweise und Fallbeispiele für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die grenzüberschreitende Ermittlung der Einkünfte einer Versicherungsbetriebsstätte. Spezifische Hinweise für Versicherungsbetriebsstätten finden sich in den Abschnitten 2.23–2.29 der VWG BsGa.

11.211 Zeitlicher Anwendungsrahmen. In Bezug auf den zeitlichen Anwendungsrahmen ist auf Rz. 4.30–4.33 verwiesen. 2. Erster Schritt des AOA: Fiktive Verselbständigung der Versicherungsbetriebsstätte a) Die Vorstufe – Zuordnung von Personalfunktion

11.212 Zuzuordnende Vermögenswerte. Das Versicherungsgeschäft ist definiert als die Produktion von Versicherungsschutz und die Übernahme von Versicherungsrisiken, dessen Einräumung bzw. deren Übernahme ein zuzuordnendes Risiko darstellt. Dies ist dem übrigen Unternehmen und/oder dessen Betriebsstätte(n) für Zwecke der steuerlichen Vermögensabgrenzung – in Gestalt von Versicherungsverträgen – zuzuordnen. Der Natur des Versicherungsgeschäfts entsprechend ist die Zuordnung der Erst- bzw. Rückversicherungsverträge (beim Rückversicherer) zum übrigen Unternehmen und/oder dessen Betriebsstätte(n) die vordringlich zu klärende Zuordnungsfrage. Die Zuordnung von Rückversicherungsverträgen des Zedenten (Erstversicherers), von verschiedenen Arten versicherungstechnischer Rückstellungen und von Kapitalanlagen, die aus Prämienaufkommen finanziert sind, ergibt sich zu einem hohen Grad aus der Zuordnungsentscheidung hinsichtlich der Erstversicherungsverträge bzw. – beim Rückversicherer – der Rückversicherungsverträge. Dies gilt unabhängig davon, ob es bei der Tätigkeit des Versicherungsunternehmens um Schadens- oder Unfallversicherungsgeschäft, Krankenversicherungsgeschäft oder Lebensversicherungsgeschäft geht und ob es sich um die Gewinnermittlung einer inländischen Betriebsstätte oder die Gewinnaufteilung zwischen einem inländischen Unternehmen und dessen ausländischer Betriebsstätte handelt. Neben der Zuordnung von Versicherungsgeschäften sind auch Kapitalanlagegeschäfte dem übrigen Unternehmen und/oder dessen Betriebsstätte(n) zuzuordnen. Dies gilt gleichermaßen für sonstige Geschäfte von Versicherungsunternehmen, wie z.B. Finanzdienstleistungen, Management- und Betriebsführungsleistungen, Beratungsdienstleistungen und Datenverarbeitungsleistungen.2 Allen Geschäften gleich ist letztlich der Umstand, dass der Leistungserstellungsprozess im Wesentlichen von Personen geprägt ist, deren Tätigkeitsart, -umfang

1 BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 49 (zu § 24 Abs. 1 Satz 1). 2 Vgl. Farny, Versicherungsbetriebslehre3, 95.

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D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.214 Kap. 11

und -ort einen großen Einfluss auf die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und den damit verbundenen Risiken haben. Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach funktionalen Gesichtspunkten. Ausgangspunkt der Vermögensabgrenzung, d.h. der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum übrigen Unternehmen und/oder dessen Betriebsstätte(n), ist die Durchführung einer Funktionsanalyse. Der Funktionsumfang einer Versicherungsbetriebsstätte ist durch die Tätigkeiten bestimmt, die die Betriebsstätte tatsächlich ausübt. Farny unterscheidet bei einem Versicherungsgeschäft zwischen Risiko-, Spar-/Entspar- und Dienstleistungsgeschäft1 und untersucht die im Versicherungsgesamtgeschäft eingesetzten Produktionsfaktoren,2 die im Wesentlichen aus Arbeitsleistungen, Dienst- und Werkleistungen Dritter, Betriebsmitteln,3 Hilfs- und Betriebsstoffen,4 Geld für Versicherungsleistungen, Rückversicherungsschutz und Kapitalnutzungen bestehen. Er unterscheidet folgende Betriebswirtschaftliche Funktionen in Versicherungsunternehmen: Beschaffung, Leistungserstellung (Erstbearbeitung des Antrags, Folgebearbeitung, Schlussbearbeitung, Schadenbearbeitung, Rückversicherungsbearbeitungen), Absatz, Finanzierung und Verwaltung.5 Da das von Farny entwickelte betriebswirtschaftliche Funktionssystem einen Differenzierungsgrad aufweist, der für Zwecke der steuerlichen Einkünfteabgrenzung ungeeignet erscheint, soll für Abgrenzungszwecke auf das von der OECD vorgeschlagene Funktionssystem zurückgegriffen werden.6 Die OECD unterscheidet sieben Unternehmensfunktionen, die sie als für Zwecke der Betriebsstättengewinnabgrenzung relevant einstuft: (1) Produktmanagement/Produktentwicklung, (2) Verkauf und Marketing, (3) Zeichnung von versicherten Risiken, (4) Risikomanagement/Rückversicherung, (5) Vertrags- und Schadensbearbeitung, (6) Vermögensverwaltung und (7) unterstützende Prozesse.7 In Abhängigkeit davon, welche Aufgaben die Betriebsstätte eines Versicherungsunternehmens tatsächlich wahrnimmt, wird diese Betriebsstätte eine oder mehrere der vorgenannten Unternehmensfunktionen ausüben. Diese können sich in Art, Inhalt und Umfang zum Teil deutlich von den Unternehmensfunktionen unterscheiden, die das Stammhaus ausübt.8

11.213

Keine anteilige Zuordnung von Versicherungsgeschäften. Der in Rz. 4.102 dargestellte Grundsatz der anteiligen Zuordnung von Wirtschaftsgütern ist nicht auf Vermögenswerte i.S. des § 24 Abs. 1 Satz 1 BsGaV übertragbar. Daran ändert auch die grundsätzliche Möglichkeit der anteiligen Zuordnung im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 nichts.9 In der Praxis wird eine anteilige Zuordnung von den Steuerpflichtigen ohnehin nicht angewandt werden, weil in Massenverfahren wie der Bearbeitung von standardisierten Versicherungsverträgen das Versicherungsunternehmen vor praktische Probleme gestellt würde, wenn – abweichend von der handelsrechtlichen Rechnungslegung – für steuerliche Zwecke ein Korrekturposten in Höhe des anteilig der Betriebsstätte zuzuordnenden Teils eines Versicherungsvertrags zu bilden wäre. In solchen Fällen sind Versicherungsverträge, die hinsichtlich ihrer Konditionen identisch

11.214

Vgl. Farny, Versicherungsbetriebslehre3, 21–23. Vgl. Farny, Versicherungsbetriebslehre3, 536 ff. Insbesondere Räume und Informations- und Computertechnik. Hauptsächlich Energie und Verbrauchsmittel zum Unterhalt bzw. Betrieb der Betriebsmittel. Vgl. Farny, Versicherungsbetriebslehre3, 603 ff. Es spricht jedoch nichts dagegen, das OECD-Funktionssystem für Versicherungsunternehmen um Elemente des Systems von Farny zu ergänzen. 7 Vgl. OECD, Bericht über die Zurechnung von Gewinnen zu Betriebsstätten von 2010, Teil IV (Versicherungsunternehmen), Paris 22.7.2010, Tz. 23–48. 8 Vgl. Maser, VW 1998, 439 unter 3.; Maser, VW 2000, 437, 442. 9 Zustimmend auch OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 194. 1 2 3 4 5 6

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Kap. 11 Rz. 11.215

Sonderfälle

sind, zu Gruppen zusammenzufassen, so dass für eine solche Gruppe ein Korrekturposten gebildet werden kann. In der Praxis spricht entsprechend vieles für die eindeutige Zuordnung eines Versicherungsvertrags oder einer Gruppe von gleichen Versicherungsverträgen zu einer Betriebsstätte, wenn in ihr die unternehmerische Risikoübernahmefunktion überwiegend ausgeübt worden ist.

11.215 Funktionsanalyse als Ausgangspunkt. Wenn man davon ausgeht, dass die unter Rz. 11.213 f. genannten Unternehmensfunktionen das gesamte für steuerliche Zuordnungszwecke relevante Spektrum an Tätigkeiten eines Versicherungsunternehmens hinsichtlich eines Versicherungsgeschäfts widerspiegeln, muss sich die Zuordnung aus der Analyse und Bewertung dieser Funktionen ergeben. Dabei ist eine Bewertung auf der Grundlage des vorliegenden Einzelfalls oder ggf. Gruppen vergleichbarer Fälle vorzunehmen, da die Bedeutung einzelner Funktionen in verschiedenen Unternehmen sehr unterschiedlich ausfallen kann.1 Die nachfolgenden Ausführungen geben daher lediglich beispielhaft einen Bewertungsprozess wieder. Unter der Annahme, dass es sich bei den Funktionen Risikomanagement/Rückversicherung2/Vertrags- und Schadensfall-Management3 und unterstützende Prozesse4 eher um administrative Tätigkeiten ohne einen hohen Wertschöpfungsanteil handelt, die tendenziell als Cost Center geführt werden dürften, scheidet eine überwiegende Zuordnung eines Versicherungsgeschäfts zu demjenigen Unternehmensteil aus, der ausschließlich diese administrativen Tätigkeiten ausübt. Dies gilt bei Standard-Versicherungsverträgen und bei Rückversicherungsunternehmen hinsichtlich des Bereichs Risikomanagement/Rückversicherung jedoch nur beschränkt. Dort kommt dieser Funktion eine höhere Bedeutung zu.5 Dies gilt für die Funktion Produktmanagement/Produktentwicklung6 gleichermaßen, soweit es sich bei den zu beurteilenden Versicherungsgeschäften um Standardgeschäfte bzw. Massengeschäfte handelt. Die Unternehmensfunktion Vermögensverwaltung7 ist eine Dienstleistungsfunktion, der normalerweise ein hoher Wertschöpfungsanteil beizumessen ist. Gleichwohl besitzt diese Funktion für die Zuordnung des Versicherungsgeschäfts nicht das gleiche Gewicht wie die Funktionen Verkauf und Marketing8 und Zeichnung von versicherten Risiken9 weil durch diese beiden Funktionen – im Gegensatz zur Vermögensverwaltung – das Versicherungsgeschäft an sich akquiriert und dessen Risiken bewertet werden, während die Vermögensverwaltung die aus diesem originären Geschäft resultierenden Mittel anlegt. Die Zeichnungsfunktion verliert jedoch an Bedeutung bei standardisierten Produkten,10 während dessen Bedeutung die Funktion Verkauf und Marketing bei komplexen Produkten verdrängen kann, weil es primär auf die richtige Einschätzung des Risikos im Verhältnis zur Prämie ankommt.11

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 47. Vgl. zur Beschreibung der Funktion OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 36–39. Vgl. zur Beschreibung der Funktion OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 40–41. Vgl. zur Beschreibung der Funktion OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 45–48. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 32. Vgl. zur Beschreibung der Funktion OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 24–26. Vgl. zur Beschreibung der Funktion OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 42–44. Vgl. zur Beschreibung der Funktion OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 27–1, 94. Vgl. zur Beschreibung der Funktion OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 32–35, 94. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 32, 94, 101. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 95, 101.

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D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.218 Kap. 11

b) Besondere Zuordnungsregeln für Versicherungsbetriebsstätten Gegenstand der Zuordnung nach Abschnitt 3 der BsGaV. Für Versicherungsbetriebsstätten gelten nach Einführung des AOA in innerstaatliches Recht und erstmals konkretisiert durch die BsGaV für Wirtschaftsjahre die nach dem 31.12.2014 begonnen haben besondere Zuordnungsregeln. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 BsGaV ist nach Abschluss eines Versicherungsvertrags das versicherte Risiko, i.S. einer sich eventuell realisierenden Verbindlichkeit zuzuordnen. Für diese Verbindlichkeit hat das Versicherungsunternehmen Rückstellungen zu bilden und diese Rückstellungen entsprechend des Ausübungsorts der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion zwischen dem übrigen Unternehmen und dessen Versicherungsbetriebsstätte(n) zuzuteilen. Die Zuordnungsgrundsätze des AOA und der BsGaV beziehen sich hierdurch auf eine Position der Kapitalseite einer möglichen Betriebsstättenbilanz. Der Verordnungsgeber hätte, ohne eine eigene Vorschrift schaffen zu müssen, sich auch der §§ 9 und 10 der BsGaV bedienen können. Der Abschluss eines Versicherungsvertrags ist nichts anderes als ein Geschäftsvorfall i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 BsGaV, mit dem Chancen und Risiken in unmittelbarem Zusammenhang stehen, und der entsprechend dem naheliegenden sachlichen Zusammenhang zwischen Betriebsstätte(n) und dem übrigen Unternehmen zuzuordnen ist. Damit hätte er sich allerdings u.U. in Widerspruch zu dem OECD-Betriebsstättenbericht gesetzt, in dem in Teil IV für die Versicherungen das „Underwriting“ als „Key Entrepreneurial Risk-taking Function“ identifiziert worden ist, die die Zuordnung bestimmt.

11.216

Unternehmerische Risikoübernahmefunktion bei Versicherungsbetriebsstätten. Anknüpfungspunkt für die Zuordnungsentscheidung ist die unternehmerische Risikoübernahmefunktion im Versicherungsgeschäft. Als unternehmerischer Risikoübernahmefunktion gilt nach § 24 Abs. 1 Satz 2 BsGaV bei Versicherungsbetriebsstätten die Personalfunktion des Zeichnungsprozesses. Ziel des Zeichnungsprozesses ist, die versicherten Risiken im Verhältnis zur Preisgestaltung der entsprechenden Versicherungsverträge sachgerecht einzustufen.1 Die Zeichnung von versicherten Risiken führt dazu, dass die mit dem Versicherungsvertrag zusammenhängenden Chancen (z.B. kein Eintritt von versicherten Risiken) und Risiken (z.B. Leistung bei Eintritt des versicherten Risikos) von dem Versicherungsunternehmen übernommen werden. Der Zeichnungsprozess besteht nach § 24 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1– 5 BsGaV aus (1) der Festlegung der Zeichnungsstrategie, (2) der Risikoklassifizierung und Risikoauswahl, (3) der Preisgestaltung, (4) der Analyse der Risikoweitergabe und (5) der Annahme der versicherten Risiken.2 Die VWG BsGa beschreiben die einzelnen Schritte des Zeichnungsprozesses in Tz. 285. Diese sind in den folgenden Rz. 11.218–11.222 dargestellt. Personalfunktionen, die zeitlich nach dem Abschluss des Versicherungsvertrags ausgeübt werden, haben keinen Einfluss auf die Zuordnung, sind aber gleichwohl fremdüblich zu vergüten.

11.217

Festlegung der Zeichnungsstrategie. Die Festlegung der Zeichnungsstrategie ist ein Teil des Risikomanagements. Sie muss auf das Personal des Versicherungsunternehmens und dessen fachliche Fähigkeiten sowie Kompetenzen zugeschnitten sein und ist von dem zuständigen Personal einzuhalten.3 Die Zeichnungsstrategie definiert die Parameter für die Höhe des zu versichernden Risikos. Sie bestimmt Art und Umfang der Geschäftstätigkeit des Versicherungsunternehmens und ist nach den Umständen des Einzelfalls ein wichtiger Faktor für die Rentabilität des Versicherungsgeschäfts. Für die Bedeutung der Festlegung der Zeichnungsstrategie kommt es entscheidend darauf an, in welchem Ausmaß diese aktiv zum Zeich-

11.218

1 Vgl. zur Beschreibung der Funktion OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 35. 2 Vgl. zur Beschreibung der Unter-Funktionen OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 34. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 285 Buchst. a.

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Kap. 11 Rz. 11.219

Sonderfälle

nungsprozess beiträgt.1 Versicherungsunternehmen legen mit ihrer Zeichnungsstrategie fest, welche Art von Versicherungsrisiken sie eingehen möchten und bis zu welcher Höhe diese Risiken eingegangen werden. Die Festlegung der Zeichnungsstrategie ist in besonderer Weise mit der aufsichtsrechtlichen Kontrolle durch die Aufsichtsbehörde im Ansässigkeitsstaat des Versicherungsunternehmens verknüpft, weil durch sie die Höhe des zur Deckung von Risiken vorhandenen Kapitals beeinflusst wird. Beginnend mit der Auswahl der Organe des Versicherungsunternehmens sorgt die zuständige Aufsicht zum Schutz der Versicherten dafür, dass die Kapitaldecke so groß wie möglich ist.

11.219 Risikoklassifizierung und Risikoauswahl. Der Prozess der Klassifizierung und Auswahl des versicherten Risikos ist der Zeichnungsprozess im engeren Sinne. Dieser Prozess umfasst die Analyse des spezifischen Risikos und der diesbezüglichen Risikokategorie. Die Klassifizierung der versicherten Risiken erfolgt im Regelfall auf der Basis ausgewählter Kriterien und unter Verwendung einschlägiger Statistiken.2 Je nach Risiko, Kosten und Marktbedingungen bestimmt dieser Prozess die Prämie eines Versicherungsvertrages, ggf. unter Anwendung entsprechender Prämientabellen. Der Prozess der Risikoklassifizierung und Risikoauswahl kann darüber hinaus die Aufgabe umfassen, das Versicherungsrisiko auszuwählen und die Kapazitätsgrenzen für Versicherungslinien zu überprüfen. Bei standardisierten Produkten im Massengeschäft (z.B. Reisegepäckversicherung, Auslandsreisekrankenversicherung) kann dieses Verfahren weitgehend automatisiert sein. Bei komplexen bzw. individuell gestalteten Versicherungsverträgen (z.B. Produkthaftpflichtversicherung, Betriebsunterbrechungsversicherung, Rückversicherung) erfordert der Prozess eine aktuarische Prüfung der versicherten Risiken sowie eine ausgeprägte Fachkompetenz, insbesondere in den Bereichen Risikostrukturierung sowie der rechtlichen, medizinischen und physischen Implikationen.3

11.220 Preisgestaltung. Die Preis- und Konditionengestaltung der Prämien für einen Vertrag kann ein wesentlicher Bestandteil des Zeichnungsprozesses sein. Handelt es sich um ein standardisiertes Produkt und werden die Prämien mit Bezugnahme auf anwendbare Prämientabellen festgelegt (vgl. Rz. 11.219), hat die Preisgestaltung des Vertrages – wenn die Klassifizierung des Risikos abgeschlossen ist – für den Zeichnungsprozess keine Bedeutung. Der Risikoklassifizierung und Risikoauswahl kommt insoweit eine größere Bedeutung zu und die Zuordnungsentscheidung des Zeichnungsprozesses richtet sich nach dem Ort der Risikoklassifizierung und Risikoauswahl. Im Lebensversicherungsgeschäft wird die Preisgestaltung des versicherten Risikos von Aktuaren i.S. des § 141 VAG vorgenommen, auch hier hat die Preisgestaltung für den Zeichnungsprozess keine Bedeutung.4

11.221 Analyse der Risikoweitergabe. Im Rahmen des Zeichnungsprozesses kann auch entschieden werden, welcher Teil des versicherten Risikos (durch das Versicherungsunternehmen) selbst getragen werden sollte und welcher Teil an einen Rückversicherer abgegeben wird und zu welchen Bedingungen.5

11.222 Annahme der versicherten Risiken. Die Entscheidung, einen Versicherungsvertrag abzuschließen, ist der Teil des Zeichnungsprozesses, der das Versicherungsunternehmen dem Versicherungsrisiko aussetzt. Für die Gewichtung dieses Teils des Zeichnungsprozesses ist der 1 2 3 4 5

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 70 und Nr. 94. Vgl. zur Beschreibung der Funktion OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 36. Vgl. VWG BsGa, Rz. 285 Buchst. b u. Tz. 286. Vgl. VWG BsGa, Rz. 285 Buchst. c. Vgl. VWG BsGa, Rz. 285 Buchst. d.

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D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.223 Kap. 11

Entscheidungsspielraum des dafür zuständigen Personals entscheidend und ob dieses tatsächlich in den Zeichnungsprozess involviert ist oder nicht. Das Personal kann einerseits über ein erhebliches Maß an Unabhängigkeit und Kompetenzen verfügen oder andererseits nach detaillierten Vorgaben – ohne wesentliche eigene Entscheidungsbefugnisse – arbeiten.1 Wichtig für die Beurteilung dieses Schrittes im Rahmen des Zeichnungsprozesses ist, ob es sich um einen weiteren versicherungstechnischen Analyseschritt handelt oder um eine formale Aktivität. Die reine rechtsförmliche Unterschrift unter einem Versicherungsbeitrag stellt alleine keine Personalfunktion des Zeichnungsprozesses dar, und kann nicht eine Zuordnungsentscheidung eines Versicherungsvertrags zu diesem Ort auslösen.2 Die rechtsförmliche Unterschrift wird in vielen Fällen von dem Niederlassungsleiter der Versicherungsbetriebsstätte oder von dem in Deutschland insbesondere für Drittlandsversicherer bestellten Hauptbevollmächtigen geleistet bzw. als Faksimile-Unterschrift unter den Vertrag gedruckt. Sofern dieser Leiter oder Hauptbevollmächtigte nicht in weitere Tätigkeiten i.S. der Rz. 11.218–11.221 operativ eingebunden ist, übt er keine Personalfunktionen i. R. des Zeichnungsprozesses aus. Dies gilt grundsätzlich und insbesondere für Hauptbevollmächtigte der inländischen Zweigniederlassungen von Versicherungsunternehmen mit Sitz in EU- und EWR-Staaten, weil diese nicht der deutschen Aufsicht unterliegen. Der inländische Hauptbevollmächtigte dieser EU- und EWR-Versicherungen hat eher eine Verbraucherschutzfunktion und -bedeutung.3 Gewichtung der Schritte innerhalb des Zeichnungsprozesses. Üben aufgrund einer Funktionsaufteilung zwei oder mehr Versicherungsbetriebsstätten Teile des Zeichnungsprozesses aus, ist nach § 24 Abs. 3 BsGaV für die Zuordnung entscheidend, welcher Personalfunktion des Zeichnungsprozesses bis zum Abschluss des Versicherungsvertrags, die in einer Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt wird, die größte Bedeutung zukommt. Hierzu ist es von besonderer Bedeutung, die Personalfunktionen zu identifizieren, die eine aktive unternehmerische Entscheidung für die Übernahme des Versicherungsrisikos erfordern.4 Die VWG BsGa beachten folgende Faktoren bei der qualitativen Gewichtung der fünf Schritte des Zeichnungsprozesses: die Finanzkraft des Versicherungsunternehmens, die versicherungsaufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf die maximale Risikokapazität, die fachlichen Kompetenzen und Fähigkeiten des Personals, die Verfügbarkeit und die Kosten einer Rückversicherung durch unverbundene Dritte sowie die strategischen Geschäftsziele des Versicherungsunternehmens.5 Bei der Gewichtung ist zu unterscheiden, in welchem Versicherungsbereich die zu beurteilenden Tätigkeiten liegen. So ist der Zeichnungsprozess für komplexe Risiken, wie z.B. Lebensversicherungsrisiken oder Erdbebenversicherungsrisiken, schwieriger als für standardisierte Versicherungsprodukte, die z.B. einfach online vertrieben werden können. Eine Gewichtung hat diesbezüglich zu differenzieren. Um zu ermitteln, welche Personalfunktion im Zeichnungsprozess überwiegt, können sog. Scoring-Modelle herangezogen werden. Diese gewichten die einzelnen Personalfunktionen des Zeichnungsprozesses zueinander und teilen die Gewichte nach qualitativen Kriterien auf verschiedene Orte des Unternehmens auf. Dort, wo der überwiegende, gewichtete Teil des Zeichnungsprozesses durchgeführt wird, erfolgt die Zuordnung der Vermögenswerte. Sollten die Gewichte nach qualitativen Gesichtspunkten gleichverteilt sein, so können nach Auffassung der Finanzverwaltung ausnahmsweise quantitative Gesichtspunkte, wie z.B. Personalkosten, herangezogen werden, um die Zuordnung zu entscheiden. Die Personalkosten müssen auf ein vergleichbares Lohn1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Rz. 285 Buchst. d. Vgl. VWG BsGa, Rz. 310. Vgl. Wrabetz, NVersZ 2011, 385 (386). Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 94. Vgl. VWG BsGa, Rz. 286.

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11.223

Kap. 11 Rz. 11.224

Sonderfälle

niveau angepasst werden, um eine sinnvolle Gewichtung zu ermöglichen. Diese Fokussierung oder Beschränkung auf qualitative Gesichtspunkte in den VWG BsGa ist nicht von der Gesetzesbegründung zur BsGaV gedeckt, in der qualitative und quantitative Aspekte gleichwertig genannt werden. Dabei spricht der höhere Objektivierungsgrad quantitativer Gesichtspunkte eigentlich eher für eine stärkere Fokussierung auf quantitative Aspekte. Qualitative Gesichtspunkte tragen die Gefahr in sich, in einer Betriebsprüfung schnell in eine nur ergebnisorientierte Diskussion abzugleiten. Dies sollte eigentlich nicht das Ziel der Finanzverwaltung sein, wird aber durch das Abstellen primär auf schlecht objektivierbare qualitative Gesichtspunkte begünstigt. Steuerpflichtige sollten sich dadurch nicht irreführen lassen, sondern ihre guten – da objektivierbaren – quantitativen Gesichtspunkte in der Verrechnungspreisdokumentation darstellen. Sie dürften immer die stärkeren Argumente liefern als eine meist auf subjektiven Einschätzungen basierende Darstellung qualitativer Kriterien.

11.224 Funktionsaufteilung. Wenn Personalfunktionen des Zeichnungsprozesses in verschiedenen Versicherungsbetriebsstätten ausgeübt werden, so sind die versicherungstechnischen Rückstellungen in der Versicherungsbetriebsstätte zu bilden, deren Personalfunktion bis zum Abschluss des Versicherungsvertrags die größte Bedeutung zukommt und die eine aktive unternehmerische Entscheidung zum Eingehen von um Versicherungsrisiken trifft. Diese Personalfunktion gilt als unternehmerische Risikoübernahmefunktion. Eine solche aktive unternehmerische Entscheidung kann auch in der Entscheidung bestehen, bestimmte Funktionen auszugliedern und anschließend zu kontrollieren. Die Beurteilung, welcher Personalfunktion die größte Bedeutung zukommt, erfolgt nach den in Rz. 11.223 diskutierten Kriterien.

11.225 Ausübung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion durch eigenes Personal. Nach den VWG BsGa sind für die Bestimmung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion nur die Schritte der Personalfunktion des Zeichnungsprozesses heranzuziehen, die durch eigenes Personal des Versicherungsunternehmens i.S. des § 2 Abs. 4 BsGaV ausgeübt werden (s. Rz. 4.66 ff.). Ausgegliederte Schritte der Personalfunktion des Zeichnungsprozesses, die aufgrund eines Funktionsausgliederungsvertrags i.S. des § 32 VAG durch unabhängige Dritte oder durch nahestehende Unternehmen erbracht werden, sind nach Rz. 288 der VWG BsGa für die Bestimmung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion nicht heranzuziehen, obwohl das Versicherungsunternehmen für die Erfüllung aller aufsichtsrechtlichen Vorschriften und Anforderungen verantwortlich bleibt. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen, weil sie im Widerspruch zum Fremdvergleichsgrundsatz und zur BFH-Rechtsprechung1 zu Versicherungen steht, die die wirtschaftliche Zurechnung von Dienstleistungen zum Dienstleistungsempfänger als allgemeinen steuerrechtlichen Grundsatz auch für die Versicherungsindustrie explizit anerkennt (s. dazu insbesondere auch die Kritik an dieser zu restriktiven und nicht vom Gesetz gedeckten Haltung Rz. 4.69 ff.; Rz. 5.19).

11.226 Ausübung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion durch fremdes Personal. Übt ein Versicherungsunternehmen das Versicherungsgeschäft in einem anderen Staat durch eine Versicherungsbetriebsstätte aus, die nicht über eigenes Personal verfügt, so kann ein Fall des ständigen Vertreters vorliegen, vgl. Rz. 11.200. Der von ihm begründeten Betriebsstätte ist jedoch in keinem Fall der Versicherungsvertrag etc. zuzuordnen, weil in ihr die Funktionen des Zeichnungsprozesses in aller Regel nicht ausgeübt werden.

1 Vgl. BFH v. 13.10.2010 – I R 61/09, BStBl. II 2011, 249 = FR 2011, 389 m. Anm. Müller unter Verweis auf BFH v. 1.7.1992 – I R 6/92, BStBl. II 1993, 222.

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D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.228 Kap. 11

Kritische Würdigung der Personalfrage bei Versicherungsbetriebsstätten. Die Besteuerung von Versicherungsbetriebsstätten hat die wirtschaftlichen Verhältnisse angemessen widerzuspiegeln und vorherrschende Organisationsformen, die im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung zur Erledigung von Aufgaben im Versicherungsgeschäft üblich sind, zu berücksichtigen. Folglich sollte als eigenes Personal auch Personal behandelt werden, das auf Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung (Outsourcing oder Ausgliederung) für die Betriebsstätte oder das übrige Unternehmen tätig ist. Dies gilt umso mehr in regulierten Industrien, in denen diese Auslagerung einer für alle Beteiligten – einschließlich fremder dritter Dienstleistungserbringer – einer strengen aufsichtsrechtlichen Kontrolle unterworfen ist. Die Einschränkung der Rz. 289 der VWG BsGa steht diametral im Widerspruch zur Regelung der Rz. 291 der VWG BsGa, wonach die Auslagerung bestimmter Personalfunktionen als relevante Unternehmensentscheidung qualifiziert wird. Gemäß der VWG BsGa sind insbesondere die Personalfunktionen zu identifizieren, die eine aktive unternehmerische Entscheidung für die Übernahme des Versicherungsrisikos erfordern. Eine solche aktive unternehmerische Entscheidung kann auch in der Entscheidung bestehen, bestimmte Funktionen auszugliedern und anschließend zu kontrollieren. Der Wortlaut bringt einen entscheidenden logischen Fehler bei der Umsetzung der AOA-Regeln in nationale Bestimmungen durch den Verordnungsgeber und die Finanzverwaltung zum Vorschein. Nach diesen Verlautbarungen ist der Begriff der Personalfunktion nicht gleichzusetzen mit Personal. Der Begriff der Personalfunktion wird indes definiert als eine Geschäftstätigkeit, die von eigenem Personal des Unternehmens ausgeübt wird. Der strittige Bestandteil dieser Definition ist das Wort „eigenem“, da es zu Widersprüchen gegenüber geschäftlichen Realitäten und insbesondere bei regulierten Märkten zu Trugschlüssen führt. Es ist festzuhalten, dass die Personalfunktion des Zeichnungsprozesses i.S. des § 24 Abs. 1 BsGaV in der nicht abschließenden Aufzählung des § 2 Abs. 3 BsGaV fehlen. In regulierten Industrien herrscht gleichwohl der Umstand, dass Entscheidungen über die Annahme von Risiken aus aufsichtsrechtlichen Gründen nicht einmal denklogisch außerhalb des regulierten Unternehmens getroffen werden können. „Getroffen werden“ meint in diesem Zusammenhang jedoch nicht die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit, die das Aufsichtsrecht – meist unter strengen Auflagen – in zahlreichen Fällen außerhalb des Risikoträgers erlaubt. Es bedeutet jedoch, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion und die Personalfunktion des Zeichnungsprozesses immer im Unternehmen als ausgeübt gelten müssen und zwar unabhängig davon, ob diese Tätigkeit von Personal ausgeübt wird, das eigenes Personal des Unternehmens ist. Auch Personal anderer Unternehmen kann vertraglich diese Aufgaben übernehmen und ist vielmehr gemäß der in Rz. 289 der VWG BsGa genannten Regelungen des VAG ausdrücklich dazu befugt. Dies müsste dann dementsprechend für die grenzüberschreitende Einkünfteabgrenzung gelten, da es strittig erscheint, dass der Besteuerung ein anderer Lebenssachverhalt zugrunde gelegt wird, als er in der Realität vorliegen kann. Die NichtBerücksichtigung dieser vertraglichen Regelungen würde zu einem Verstoß der Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip führen, da ein Lebenssachverhalt zugrunde gelegt wird, der so in der geschäftlichen Realität nicht vorkommt.

11.227

Einordnung des Zeichnungsprozesses. Im Kontext der Versicherungswirtschaft ist der Zeichnungsprozess eng mit der Verwaltung des aufsichtsrechtlichen Kapitals verbunden, welches für Schadensfälle vorgehalten werden muss. Insbesondere für die Zeichnungsfunktion hat somit die Aufsichtsbehörde im Sitzstaat die Aufgabe, durch die Begleitung des Auswahlprozesses für geeignetes Personal den Schutz des Kapitals zu fördern. Entsprechend dürfte die Zeichnungsfunktion dem Hauptsitz der Versicherung zuzuordnen sein, da es zu ihm aufgrund der aufsichtsrechtlichen Verpflichtungen den sachlich engsten Bezug aufweist. § 4 Abs. 2 BsGaV sieht bei nicht gegebener Ausübung einer Personalfunktion (z.B. wegen fehlenden eigenen

11.228

Andresen/Tenberge 721

Kap. 11 Rz. 11.229

Sonderfälle

Personals) explizit den sachlich engsten Bezug als alternatives Zuordnungskriterium für die zuzuordnende Personalfunktion (des Zeichnungsprozesses) vor. Dies gilt zumindest für alle Versicherungen, die in der EU ihren Sitz haben. Als Ausnahme der Allokation der Zeichnungsfunktion zum Sitzstaat des Versicherungsunternehmens wäre es im Fall von Versicherungen mit Sitz in Drittstaaten denkbar, dass – neben die Aufsicht durch die ausländische Behörde – die versicherungsrechtliche Aufsicht durch die BaFin hinzutritt. Im Übrigen wäre dies deckungsgleich mit der Tatsache, dass der Hauptbevollmächtigte i.S. des § 68 Abs. 2 VAG „unmittelbar zunächst nur für Drittlandsunternehmen gilt“.1 Für Versicherungen, die ihren Sitz in der EU haben, gilt ausschließlich eine rein deklaratorische Pflicht der Anmeldung des Hauptbevollmächtigten zur Eintragung in das Handelsregister. Es erscheint merkwürdig, für steuerliche Zwecke eine unternehmerische Risikoübernahmefunktion an eine Anmeldungspflicht zu knüpfen. Wäre die Zeichnungsfunktion aus aufsichtsrechtlichen Gründen immer dem Sitz des EU-Versicherungsunternehmens im Ausland zuzuordnen, dann wären ihm auch in Einklang mit der ständigen BFH-Rechtsprechung zur steuerlichen Anerkennung der wirtschaftlichen Wirkung von Dienstleistungsverträgen die entsprechenden Verträge mit externen Dienstleistern zuzuordnen,2 denn die neuere BFH-Rechtsprechung hat die Voraussetzungen zur steuerlichen Anerkennung derartiger Konstellationen aufgrund der EuGH-Rechtsprechung signifikant reduziert.3 Dementsprechend ist eine „Tätigkeit… auch abkommensrechtlich der Person zuzurechnen, für deren Rechnung sie ausgeübt wird“.4 Die Widersprüchlichkeit der Regelung der Rz. 288 der VWG BsGa im Hinblick auf externes Personal spiegelt sich auch in der Lösung zum Beispielfall (Rz. 289 der VWG BsGa) wider. Für den Fall einer Betriebsstätte, die nicht über eigenes Personal verfügt, wird die Auslagerung der Risikoübernahmefunktion explizit akzeptiert und die Personalfunktion unter Verweis auf die Regelungen des „Ständigen Vertreters“ i.S. des § 13 AO dem Auftraggeber der Outsourcing-Maßnahme zugeordnet. Das Beispiel erscheint allein aufgrund der Tatsache fehlerhaft, dass die Versicherung durch Personal des Dienstleisters im eigenen Namen und für eigene Rechnung agiert. Vielmehr scheint hier eine Verwechselung mit einer ausgelagerten Vertriebsfunktion vorzuliegen, die in eigenem Namen, aber für Rechnung des Versicherungsunternehmens handeln kann. In diesen Fällen dürfte die Zeichnungsfunktion des Versicherungsunternehmens eben nicht auf den Versicherungsvertreter i.S. des § 92 HGB „ausgelagert“, sondern im Versicherungsunternehmen selbst ausgeübt worden sein. Allein das Beispiel zeigt schon, dass das BMF das Versicherungsgeschäft nicht versteht, zu dem es sich hier äußert.

11.229 Zuordnung von Vermögenswerten, die mit dem Versicherungsvertrag zusammenhängen. Der Ort der ausgeübten unternehmerischen Risikoübernahmefunktion bestimmt gem. § 24 Abs. 2 BsGaV den Ort der Zuordnung der mit dem Versicherungsvertrag zusammenhängenden Vermögenswerte, der damit in Zusammenhang stehenden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben sowie der auch damit in Zusammenhang stehenden Chancen und Risiken.5 Dies bedeutet in erster Linie die Zuordnung der Prämieneinnahmen aus dem Versicherungsvertrag zu der Versicherungsbetriebsstätte, der auch der Versicherungsvertrag zuzuordnen ist und die die entsprechenden versicherungstechnischen Rückstellungen zu bilden hat. Gleichermaßen sind dieser Versicherungsbetriebsstätte aber auch dann die Aufwendungen aus einem 1 Wrabetz, NVersZ 2011, 385, 386. 2 Vgl. u.a. BFH v. 13.10.2010 – I R 61/09, BStBl. II 2011, 249; v. 1.7.1992 – I R 6/92, BStBl. II 1993, 222. 3 Vgl. Rengers in Blümich, § 1 KStG Rz. 157. 4 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 3 MA Rz. 24. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 290.

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D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.232 Kap. 11

Schadensfall zuzuordnen, der aus einem ihr zugeordneten Versicherungsvertrag resultiert. Laufende Aufwendungen aus diesem Versicherungsvertrag sind der Betriebsstätte ebenfalls zuzuordnen, da sie nur in sachlichem Zusammenhang mit diesem Versicherungsvertrag stehen. Dazu gehören auch Aufwendungen aus dem Abschluss von Rückversicherungen, die entweder in der Versicherungsbetriebsstätte direkt zu buchen waren oder ihr indirekt zuzuordnen sind. c) Besonderheiten im Rückversicherungsgeschäft Rückversicherungsgeschäft. Der Begriff Rückversicherungsgeschäft ist wie der Begriff Versicherungsgeschäft nicht im deutschen Recht definiert. Üblicherweise versteht man unter Rückversicherungsgeschäft die Versicherung der von einem Versicherungsunternehmen übernommenen Risiken, d.h. Rückversicherungsgeschäfte sind Versicherungsgeschäfte, mit denen versicherte Risiken von einem Versicherungsunternehmen auf ein anderes Versicherungsunternehmen übertragen werden.1

11.230

Zuordnung von Kapitalanlagen und Forderungen. Kapitalanlagen und Forderungen i.S. der Positionen C.I. bis IV.D. und E. der Aktivseite des Formblatts 1 RechVersV können auf der Ebene unterhalb der Zuordnung der sich aus einem Versicherungsgeschäft ergebenden Rückstellungen im Wege der direkten Methode einzeln oder in Gruppen einzelnen Betriebsstätten zugeordnet werden. Angesichts der Tatsache, dass eine eindeutige Zuordnung dieser Kapitalanlagen und Forderungen zu einzelnen abgeschlossenen Versicherungsverträgen - ähnlich wie bei der Refinanzierung von Banken – mangels entsprechender Markierung unmöglich sein dürfte, weil die Anlage von Prämieneinnahmen aus verschiedenen Versicherungsgeschäften in einem Sammelprozess pro Zeitabschnitt stattfindet, ist es mangels gesetzlicher Regelung in § 24 Abs. 2 i.V. mit Abs. 1, 5 oder 6 BsGaV zulässig, diese der Bedeckung der Rückstellungen in Stammhaus und Betriebsstätte(n) dienenden Kapitalanlagen und Forderungen im Wege der direkten Zurechnungsmethode nach betriebswirtschaftlich sinnvollen Kriterien zuzuordnen. Die Zuordnung von Kapitalanlagen i.S. des Buchst. C.I. (Grundstücke etc.) zum Belegenheitsstaat des Grundstücks erscheint dabei ebenso vernünftig zu sein wie die Zuordnung von Wertpapieren zu dem Staat, von oder in dem diese Wertpapiere ausgegeben worden sind. Die steuerlichen Folgewirkungen, wie etwa eine Steuerfreistellung i.S. des § 8b KStG oder eine äquivalente Vorschrift anderer Staaten, sind dann in der jeweiligen Betriebsstätte in Übereinstimmung mit den jeweils geltenden Gewinnermittlungsvorschriften zu vollziehen.

11.231

Personalfunktion im Rückversicherungsgeschäft. Der Verordnungsgeber vermutet für das Rückversicherungsgeschäft, dass im Zeichnungsprozess die Risikoklassifizierung und Risikoauswahl die Personalfunktion mit der größten Bedeutung sind, und ordnet daher die unternehmerische Risikoübernahmefunktion für den Abschluss eines Rückversicherungsvertrags der Betriebsstätte zu, in der diese Funktion ausgeübt wird. Diese Vermutung kann durch den Steuerpflichtigen gem. § 24 Abs. 4 BsGaV widerlegt werden. Eine Funktionsanalyse und die Entscheidung, welcher Personalfunktion innerhalb des Zeichnungsprozesses von Rückversicherungsverträgen die größte Bedeutung zukommt, kann nach den Kriterien der Rz. 11.218–11.228 erfolgen. Da es sich aber bei Rückversicherungsverträgen im Regelfall um individuelle Deckungszusagen handelt, erfordern die Risikoklassifizierung und die Risikoauswahl in der Rückversicherung bestimmte zentrale Funktionen, wie z.B. Grundlagen-

11.232

1 Zu den Formen des Rückversicherungsgeschäfts s. auch OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 21.

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Kap. 11 Rz. 11.233

Sonderfälle

forschung bezüglich bestimmter Risiken (z.B. für Elementarrisiken, für bestimmte Branchenrisiken im Industriegeschäft, etc.), Führung langjähriger Statistiken, die eine umfangreiche Geschäftsausstattung – sowohl materiell als auch personell – erfordern. Auch verfügt das für die Risikoklassifizierung und die Risikoauswahl in der Rückversicherung zuständige Personal über eine für diese Aufgabe erforderliche Qualifikation. Für die qualitative Beurteilung der Personalfunktion der Risikoklassifizierung und der Risikoauswahl sind die Ausübung dieser zentralen Funktionen und die Qualifikation des zuständigen Personals einzubeziehen und einer analogen Gewichtung wie in Rz. 11.223 zu unterziehen. Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen, d.h. Leistungsbeziehungen zwischen der Versicherungsbetriebsstätte und dem übrigen Unternehmen, können einen Hinweis darauf geben, wo die Personalfunktion der Risikoklassifizierung und Risikoauswahl ausgeübt wird.1 Das heißt, erfolgt z.B. eine Verrechnung von Aktuarsdienstleistungen vom übrigen Unternehmen an die Betriebsstätte und geht hieraus hervor, dass Risiken auf Basis ausgewählter Kriterien und unter Verwendung einschlägiger Statistiken analysiert werden, so gibt dies einen Hinweis darauf, wo die Risikoklassifizierung und Risikoauswahl ausgeführt werden. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich über die Verrechnung von Aufwand für Aktuare die unternehmerische Risikoübernahmefunktion nicht an den Ort des Leistungsempfängers verlagert werden kann. Es kommt grundsätzlich auf den Ausübungsort an. Da ein Versicherungsunternehmen aus regulatorischen Gründen immer Aktuare zu beschäftigen hat, sind diese dort zuzuordnen, wo deren Tätigkeit ausgeübt wird oder wo diese durch die entsprechende Funktion in der Geschäftsleitung beaufsichtigt und verantwortet wird, ungeachtet der vertraglichen Gestaltung bezogen auf diese Aktuarsdienstleistungen. Eine abweichende Auffassung würde die regulatorischen Anforderungen für Versicherungsunternehmen grob missachten und insoweit den Fremdvergleichsgrundsatz verletzen, weil dieser nur in einem rechtlich möglichen Sachverhalt seine ihm zukommende steuerliche Wirkung zutreffend entfalten kann. d) Sonderregelungen für inländische Versicherungsbetriebsstätten ausländischer Versicherungsunternehmen

11.233 Ausübung der Personalfunktion durch einen bestellten Hauptbevollmächtigen im Inland (§ 24 Abs. 5 BsGaV). Hat ein ausländisches Versicherungsunternehmen eine Niederlassung i.S. der §§ 106, 110a, 121h oder 121i VAG2 (VAG 2017: §§ 68 [für Erst- und Rückversicherungsunternehmen], 61, 169 VAG) begründet, die eine inländische Versicherungsbetriebsstätte ist, so vermutet der deutsche Gesetzgeber, dass hinsichtlich eines Versicherungsvertrags, zu dessen Abschluss der für die Niederlassung bestellte Hauptbevollmächtigte nach § 106 Abs. 3 S. 3 VAG (heute: § 68 Abs. 2 Satz 3 VAG) als ermächtigt gilt, die unternehmerische Risikoübernahmefunktion i.S. der Rz. 11.218–11.222 in der Niederlassung ausgeübt wird. Der Hauptbevollmächtigte ist gewissermaßen die unternehmerische Risikoübernahmefunktion.

11.234 Beschränkte Anwendung des § 24 Abs. 5 BsGaV auf Drittlandsversicherer. § 106 Abs. 3 Satz 3 VAG (heute: § 68 Abs. 2 Satz 3 VAG) und die dort geregelte Ermächtigung zu Ver1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 299, 300. 2 Der in § 24 Abs. 5 BsGaV enthaltene Verweis auf das VAG ist veraltet und ist auch nicht an die geänderte Gesetzesmaterie im VAG angepasst worden, was die oben vertretene These unterstreicht, dass das BMF bzw. der Gesetzgeber hier eine sehr punktuelle Regelung schaffen wollte und sich danach nicht mehr in der für den Gesetzgeber eigentlich gebotenen Tiefe mit den Realitäten des Versicherungsgeschäfts auseinandergesetzt hat, geschweige denn, gesetzliche Vorschriften an die neuen gesetzlichen Gegebenheiten des VAG anzupassen.

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D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.235 Kap. 11

pflichtungsgeschäften und zu Geschäftsabschlüssen gilt nur für Hauptbevollmächtigte von Drittlandsversicherern. Angesichts der Tatsache, dass § 24 Abs. 5 BsGaV ausschließlich auf Vorschriften im VAG verweist, die für Drittlandsversicherer gelten, ist die in § 24 Abs. 5 BsGaV zum Ausdruck kommende Sichtweise bzw. dessen Anwendung, die im Übrigen dem internationalen oder sogar weltweiten Konsens zur Einkünfteabgrenzung bei Versicherungsbetriebsstätten widerspricht, auf inländische Zweigniederlassungen von Versicherungsunternehmen aus Drittstaaten begrenzt. Zweigniederlassungen von Versicherungsunternehmen aus EU-Mitgliedstaaten und EWR-Vertragsstaaten sind von dieser Regelung nicht erfasst. Eine andere Auffassung würde zu einem geradezu abenteuerlichen Ergebnis führen, weil der Hauptbevollmächtigte einer inländischen Zweigniederlassung eines EU- oder EWR-Versicherungsunternehmens aus regulatorischer Sicht keine Bedeutung hat. Diese kann ihm daher auch nicht im Steuerrecht angedichtet werden; insbesondere dann nicht, wenn er keine Aktuarsqualifikation oder Zeichnungskompetenz besitzt, die im Zweifel ohnehin nur für das Zuarbeiten zur Hauptniederlassung Wirkung entfalten kann, wo das regulatorische Kapital zur Deckung der eingegangenen Risiken von der dortigen Aufsicht einer Prüfung unterzogen wird. Widerlegbare Vermutung. Diese in § 24 Abs. 5 BsGaV zum Ausdruck kommende Vermutung kann widerlegt werden, wenn das ausländische Versicherungsunternehmen nachweist, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion nicht in der inländischen Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt wird, und der Sachverhalt übereinstimmend der BaFin als inländische Versicherungsaufsichtsbehörde und der für das ausländische Versicherungsunternehmen zuständigen Versicherungsaufsichtsbehörde mitgeteilt wird.1 Gleichermaßen sollte es auch möglich sein, dass das ausländische Versicherungsunternehmen nachweist, dass der Hauptbevollmächtiget nicht in den Zeichnungsprozess eingebunden ist, und falls doch, allenfalls die rechtsverbindliche Unterschrift leistet, aber nicht in die versicherungstechnische Beurteilung der jeweiligen Geschäftsbeziehungen eingebunden ist (vgl. Rz. 11.219). Versicherungsunternehmen gestalten ihre Zeichnungsprozesse entlang der Qualifikation der Mitarbeiter. Dies ist vergleichbar mit der Front-Office-Back-Office-Trennung im Bankenbereich (vgl. Rz. 11.71). Der Hauptbevollmächtigte ist oftmals, insbesondere bei nicht vorhandener Aktuarsqualifikation, nicht involviert in die Risikoklassifizierung, sondern fungiert als Aufsichts- und Leitungsperson ggf. auch als Vertriebsperson der Niederlassung. Dies mag insbesondere für Niederlassungen von EU- und EWR-Versicherungsunternehmen gelten, weil bei Drittlandsversicherern dem Hauptbevollmächtigten aus aufsichtsrechtlichen Gründen eine andere Verantwortung insbesondere auch ggü. der BaFin zukommt. In dieser Funktion setzt der Hauptbevollmächtige eines EU- bzw. EWR-Versicherungsunternehmens in aller Regel nicht die Ziele und beurteilt nicht die wirtschaftliche Leistung der Mitarbeiter im Zeichnungsprozess. Aus nachvollziehbaren Gründen entscheiden Versicherungsunternehmen sich dafür, den Hauptbevollmächtigten nicht in diese Zielerreichung einzubinden, sondern lassen ihn aktiv außen vor. In solchen Fällen kann der Hauptbevollmächtige keine unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausüben, auch nicht qua Vermutung. Die unternehmerische Risikoübernahmefunktion wird in diesen Fällen dort ausgeübt, wo sie aus regulatorischer Sicht auch sein sollte: im Belegenheitsstaat des Stammhauses, d.h. dort, wo die Versicherungsaufsicht dafür Sorge trägt, dass die Kapitaldeckung ausreichend ist für die eingegangenen Versicherungsrisiken, damit die Versicherten auf die vertragliche vereinbarte Versicherung vertrauen können.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 307.

Andresen/Tenberge 725

11.235

Kap. 11 Rz. 11.236

Sonderfälle

11.236 Nachweispflichten. Der Verordnungsgeber knüpft die Widerlegung der Vermutung an umfängliche Nachweispflichten für ausländische Versicherungsunternehmen (nur Drittstaaten). Die Vermutung des § 24 Abs. 5 Satz 1 BsGaV kann widerlegt werden, wenn das ausländische Versicherungsunternehmen nachweist, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion für den unter Beteiligung der inländischen Versicherungsbetriebsstätte erfolgten Abschluss eines Versicherungsvertrags tatsächlich nicht in der inländischen Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt wird.1 Die VWG BsGa führen sehr konkret aus, was sich der Gesetzgeber unter einem ausreichenden Nachweis vorstellt. Die Ausübung des Versicherungsgeschäfts mittels einer Niederlassung erfordert das Vorhandensein eines Mittelpunkts der geschäftlichen Tätigkeit. Der Gesetzgeber verlangt, dass der Steuerpflichtige nachweist, welche Personalfunktionen des Zeichnungsprozesses mit Bezug zum Versicherungsvertrag einerseits in der inländischen Versicherungsbetriebsstätte und welche andererseits im übrigen Versicherungsunternehmen ausgeübt werden.2 Dies kommt einer umfänglichen Sachverhaltsdokumentation gleich. Weiterhin hat das ausländische Versicherungsunternehmen nachzuweisen, dass den in der Versicherungsbetriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen des Zeichnungsprozesses nicht die größte Bedeutung für den Abschluss des Versicherungsvertrags zukommt, dass die Ausgliederung einer Personalfunktion des Zeichnungsprozesses aus der Versicherungsbetriebsstätte ohne Beteiligung des Hauptbevollmächtigten im Inland aufgrund einer aktiven unternehmerischen Entscheidung erfolgt ist, die im übrigen Unternehmen ausgeübt und im Folgenden auch im übrigen Unternehmen kontrolliert wurde, und wo stattdessen und von wem die entsprechende unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausgeübt worden ist.3 Mit Erlass der VWG BsGa hat die Finanzverwaltung ihre Vorstellung über weitere Nachweise in diskriminierender Weise noch ausgebaut. Ein ausländisches Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat hat demnach den Geschäftsplan i.S. des § 69 VAG bzw. die nach § 9 Abs. 2 bis 4 VAG geforderten Angaben zu machen und Unterlagen beizufügen. Ausländische Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat haben den nach ausländischem Versicherungsaufsichtsrecht einzureichenden Tätigkeitsbericht, ggf. ergänzt um Änderungsanzeigen beizufügen.4 Außerdem hat das ausländische Versicherungsunternehmen nachzuweisen, dass es den Sachverhalt, der der Finanzbehörde vorgetragen wird, übereinstimmend sowohl der inländischen als auch der ausländischen Versicherungsaufsichtsbehörde mitgeteilt hat. Der Nachweis soll nur durch Vorlage einer schriftlichen Mitteilung mit Nachweis des Zugangs bei den beteiligten Versicherungsaufsichtsbehörden erbracht werden können.5 Zu den notwendigen Angaben in der Mitteilung an die beteiligten Versicherungsaufsichtsbehörden gehören die Darlegung der in der Niederlassung, insbesondere vom Hauptbevollmächtigten, tatsächlich ausgeübten Funktionen. Ferner gehört dazu die Darlegung, wo und von wem die unternehmerische Risikoübernahmefunktion, d.h. die Personalfunktion des Zeichnungsprozesses, ausgeübt wird. Dies soll um die Begründung ergänzt werden, dass die Versicherungsverträge die durch die Niederlassung abgeschlossen wurden, dem übrigen Unternehmen zuzuordnen sind und entsprechend § 1 Abs. 1 Nr. 1 VVG-InfoV das übrige Unternehmen im Versicherungsvertrag als die Versicherung aus-

1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Rz. 305. Vgl. VWG BsGa, Rz. 305. Vgl. VWG BsGa, Rz. 306. Vgl. VWG BsGa, Rz. 306. Vgl. VWG BsGa, Rz. 307.

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D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.239 Kap. 11

gewiesen wird, über die der Versicherungsvertrag abgeschlossen wurde.1 Die Erfahrung aus der Übermittlung solcher Mitteilungen für EU-Versicherer an die BaFin und auch an ausländische Versicherungsaufsichtsbehörden zeigt, dass die vom Steuergesetzgeber ins Boot geholte BaFin und auch die ausländische Versicherungsaufsichtsbehörde die in der BsGaV geforderten Mitteilungen bestenfalls ignoriert. Deutlicher kann nicht dokumentiert werden, dass der Verordnungsgeber nicht verstanden hat, wie europäisches Versicherungsaufsichtsrecht funktioniert und wie es sinnvoll mit den Vorschriften des AOA zusammenspielen sollte. § 24 Abs. 5 BsGaV und die vollkommen überzogenen Regelungen in den VWG BsGa entbehren jeder vernünftigen Grundlage und sollten ersatzlos gestrichen werden. Sie dokumentieren eine für einen Industriestaat vollkommen inakzeptable Form einer punktuellen Gesetzgebung, die übermäßig ist, das Leistungsfähigkeitsprinzip verletzt und Doppelbesteuerungen provoziert, weil sie sich vom Konsens der OECD komplett abwendet. Der Regelungsgehalt des § 24 Abs. 1 bis 4 BsGaV reicht zur Lösung aller Abgrenzungsfälle von Versicherungsbetriebsstätten im In- und Ausland vollkommen aus. Kommentierung der Sonderregelung für inländische Versicherungsbetriebsstätten. Grundlage der Besteuerung sollte immer der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt sein, da sich aus ihm die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ableitet. Die Durchbrechung dieses Grundsatzes durch Vermutungsregelungen zugunsten des deutschen Fiskus ist sehr problematisch. Der Steuerpflichtige wird zusätzlich damit belastet, gesetzlich formulierte Vermutungen zu widerlegen. Die Sinnhaftigkeit eines deutschen Sonderwegs ist nicht nachvollziehbar, wenn auf internationaler Ebene generell der tatsächliche Ort des Zeichnungsprozesses maßgeblich ist. Der deutsche Gesetzgeber und die deutsche Finanzverwaltung sollten sich dem internationalen Konsens anschließen und diesen Grundsatz ebenfalls anerkennen. Daher sollten § 24 Abs. 5 und Abs. 6 BsGaV ersatzlos gestrichen werden, um ungerechtfertigte Korrekturen und daraus resultierende Doppelbesteuerungen zu vermeiden, die dann schlussendlich in Schiedsverfahren zwischen den Staaten wieder aufzulösen sind. Zumal in umgekehrten Fällen die Rolle eines Hauptbevollmächtigen nicht als entscheidend gesehen wird.

11.237

Kommentierung der Nachweispflichten. Auch die mit den Sonderregeln einhergehenden Nachweispflichten sind kritisch zu sehen. Die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätten ist zu unterscheiden vom öffentlichen Informationsinteresse. Angaben im Versicherungsvertrag dienen der Information von Kunden, Geschäftspartnern und dem Verbraucherschutz. Die Mitteilung eines Unternehmensteils als Vertragspartner und Versicherungsträger im Außenverhältnis ist ausreichend. Eine Notwendigkeit der Information der Öffentlichkeit über die Gewinnzuordnung im Innenverhältnis des Unternehmens ist nicht ersichtlich. Für inländische Betriebsstätten ausländischer Versicherungsgesellschaften könnte sich eine solche Angabe zudem negativ auf den Geschäftserfolg auswirken. Damit ist diese Mitteilung als unverhältnismäßige Maßnahme abzulehnen.

11.238

e) Sonderregelungen für ausländische Versicherungsbetriebsstätten inländischer Versicherungsunternehmen Keine Ausübung der Personalfunktion durch einen bestellten Hauptbevollmächtigen im Ausland (§ 24 Abs. 6 BsGaV). Ein Versicherungsvertrag kann einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte eines inländischen Versicherungsunternehmens nur zugeordnet werden, wenn das Versicherungsunternehmen nachweist, dass die unternehmerische Risikoübernah-

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 308.

Andresen/Tenberge 727

11.239

Kap. 11 Rz. 11.240

Sonderfälle

mefunktion tatsächlich in der ausländischen Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt wird.1 Entgegen der vom Verordnungsgeber aufgestellten Vermutung im Inlandssachverhalt, kommt es auf die Bestellung eines ausländischen Hauptbevollmächtigten oder eines sonstigen ausländischen Bevollmächtigten, der einem Hauptbevollmächtigten i.S. des § 68 Abs. 2 VAG vergleichbar ist, nicht an.2 Daher ist unbeachtlich, dass – ein inländisches Versicherungsunternehmen, das in einem EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat das Versicherungsgeschäft durch eine Niederlassung betreibt, nach § 58 VAG für die ausländische Niederlassung einen Hauptbevollmächtigten zu bestellen hat, und – es auch für eine Niederlassung in einem Drittstaat auf Grund dortiger versicherungsaufsichtsrechtlicher Vorgaben notwendig sein kann, einen Bevollmächtigten zu bestellen, der einem Hauptbevollmächtigten i.S. des § 68 Abs. 2 VAG vergleichbar ist. Für die Zuordnung von Versicherungsverträgen muss es daher in allen inländischen und ausländischen Sachverhalten darauf ankommen, wo tatsächlich die aktive unternehmerische Risikoübernahmeentscheidung getroffen wird.

11.240 Zuordnung zur ausländischen Versicherungsbetriebsstätte. Für die Zuordnung eines Versicherungsvertrags zu einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte reicht es nicht aus, dass dort lediglich die Personalfunktionen ausgeübt werden, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Annahme des versicherten Risikos i.S. des § 24 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BsGaV stehen, da dies eine bloß formale Aktivität sein kann, z.B. lediglich eine rechtsförmliche Unterschrift, vgl. Rz. 11.222. Werden über eine bloß formale Aktivität hinaus keine weiteren Personalfunktionen des Zeichnungsprozesses in der ausländischen Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt, muss für eine Zuordnung zusätzlich eine der folgenden Personalfunktionen, die nicht zum Zeichnungsprozess gehören, in der ausländischen Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt werden: Produktmanagement und Produktentwicklung (s. auch OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Tz. 26–28), Verkauf und Marketing (s. auch OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Tz. 29–33) oder Risikomanagement und Rückversicherung, d.h. Entscheidung über die Weitergabe eines Teilrisikos (Zession) (s. auch OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Tz. 38–41).3 Kommt der Ausübung der Personalfunktion in einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Annahme des versicherten Risikos i.S. des § 24 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BsGaV steht, ggf. zusammen mit anderen Personalfunktionen die überwiegende Bedeutung zu (vgl. Rz. 11.223), folgt daraus, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion für den Versicherungsvertrag insgesamt in dieser ausländischen Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt wird.4 Auch diese Regelung ist zu kritisieren, da sie vom internationalen Konsens abweicht und bei Einhalten der OECD-Zuordnungsregeln im Ausland und gleichzeitiger Tendenz zur Zuordnung im Inland nach Maßgabe des § 24 Abs. 6 BsGaV Doppelbesteuerungen vorprogrammiert sind. f) Sonderregelung für unterstützende Personalfunktion

11.241 Unterstützende Personalfunktion. In Fällen von unterstützenden Personalfunktionen ist entsprechend für die Ausübung der Personalfunktionen durch eine andere Versicherungsbetriebsstätte gegenüber der Versicherungsbetriebsstätte, der der Versicherungsbeitrag zuzuordnen ist, für die erbrachte Leistung ein fremdüblicher Preis anzusetzen. So kann z.B. die Zeichnungsstrategie im übrigen Unternehmen festgelegt werden, während die unterneh-

1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 309. Vgl. VWG BsGa, Rz. 309. Vgl. VWG BsGa, Rz. 310. Vgl. VWG BsGa, Rz. 311.

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D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.245 Kap. 11

merische Risikoübernahmefunktion von der Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt wird. Der wirtschaftliche Vorgang der Festlegung der Zeichnungsstrategie stellt eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BsGaV dar, die entsprechend § 16 Abs. 2 BsGaV zu vergüten ist. Der Verrechnungspreis wird im Regelfall und bei Fehlen von Vergleichspreisen für gleiche oder ähnliche Dienstleistungen von oder zwischen fremden Dritten unter Verwendung einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode zu bestimmen sein.1 Tätigkeiten einer unterstützenden Personalfunktion. Zu den unterstützenden Personalfunktionen gehören Personalfunktionen, die der Sache nach zur unternehmerischen Risikoübernahmefunktion gehören können, aber im übrigen Unternehmen ausgeübt werden, dem die unternehmerische Risikoübernahmefunktion nicht zuzuordnen ist, Personalfunktionen, die der Verwaltung des Versicherungsvertrags nach dessen Abschluss dienen, sowie andere unterstützende Personalfunktionen, insbesondere die Vertragsverwaltung und die Schadensbearbeitung.2

11.242

g) Zuordnung von Aktiva Zuordnungsgrundsätze für inländische Versicherungsbetriebsstätten. Grundsätzlich ist bei Versicherungsunternehmen zwischen einem versicherungstechnischen und nicht-versicherungstechnischen Teil der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung zu unterscheiden. Die Zuordnungsentscheidungen im nicht-versicherungstechnischen Teil richten sich nach den allgemeinen Vorschriften der BsGaV, während die Zuordnungsentscheidungen nach den Sonderregelungen des Abschnitt 3 der BsGaV für Versicherungsbetriebsstätten zu treffen sind. Die Zuordnung von Aktiva erfolgt im versicherungstechnischen Bereich insbesondere aus dem Grund, dass die übernommenen Versicherungsrisiken durch Kapitalanlagen gedeckt werden müssen. Im Ergebnis ist einer inländischen Versicherungsbetriebsstätte ein Anteil an den Vermögenswerten des ausländischen Versicherungsunternehmens zuzuordnen, denn diese Vermögenswerte dienen insgesamt der Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen und des Eigenkapitals des ausländischen Versicherungsunternehmens (einschließlich der inländischen Versicherungsbetriebsstätte). Die Berechnung des Anteils der inländischen Versicherungsbetriebsstätte erfolgt auf Basis der in der handelsrechtlichen Bilanz des ausländischen Versicherungsunternehmens ausgewiesenen Vermögenswerte. Aus der Bilanz zum Ende eines Wirtschaftsjahrs ergibt sich der Wert für den Beginn des folgenden Wirtschaftsjahrs.

11.243

Immaterielle Vermögensgegenstände. Unter dem Aktivposten Immaterielle Vermögensgegenstände i.S. des § 6 RechVersV sind selbst geschaffene gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte, entgeltlich erworbene Konzessionen, gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten, Geschäfts- oder Firmenwert und geleistete Anzahlungen zu erfassen. Hinsichtlich der Zuordnungsgrundsätze immaterieller Vermögensgegenstände gelten die Rz. 4.95 ff. in Bezug auf die allgemeinen Zuordnungsregeln und insbesondere § 6 BsGaV.

11.244

Kapitalanlagen. Soweit zu den Kapitalanlagen Vermögensgegenstände gehören, die in gleicher Form auch in der Bilanzgliederung nach § 266 Abs. 2 und 3 HGB erfasst sind, gelten die in den Rz. 4.58 ff. dargelegten allgemeinen Zuordnungsgrundsätze für die einzelnen Bi-

11.245

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 312, s. auch OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I, Nr. 219. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 313, s. auch OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 42 f.

Andresen/Tenberge 729

Kap. 11 Rz. 11.246

Sonderfälle

lanzpositionen. Unter Kapitalanlage im engeren Sinne sind Wirtschaftsgüter anzusehen, die den Vermögenswerten entsprechen, die nach Formblatt I der RechVersV auf der Aktivseite der Bilanz unter den Buchstaben C (Kapitalanlagen), D (Kapitalanlagen für Rechnung und Risiko von Inhabern von Lebensversicherungspolicen) und E I. (Forderungen aus dem selbst abgeschlossenen Versicherungsgeschäft) auszuweisen sind.1 Die Zuordnung von Kapitalanlagen hat sich in erster Linie daran zu orientieren, welchem Unternehmensteil das Versicherungsgeschäft oder der Versicherungsvertrag zuzuordnen ist, dessen Prämieneinnahmen das Versicherungsunternehmen in die Lage versetzen, in Kapitalanlagen zu investieren. Insoweit hat die Zuordnung von Kapitalanlagen der ggf. anteiligen Zuordnung des originären Versicherungsgeschäfts bzw. der Gruppe von Versicherungsgeschäften zu folgen. In aller Regel wird bei den Kapitalanlagen nicht mehr nachzuvollziehen sein, aus welchen Mitteln der Erwerb dieser Kapitalanlagen finanziert worden ist. In diesen Fällen sollte es zulässig sein, die in einem Wirtschaftsjahr erworbenen Kapitalanlagen nach Maßgabe des aktuellen Neugeschäfts und des Wertschöpfungsanteils der einzelnen Unternehmensteile an diesem Neugeschäft auf das übrige Unternehmen und dessen Betriebsstätten aufzuteilen. Unter Umständen kann es geboten sein, bestimmte Kapitalanlagen in dafür einzeln vorgesehen Depots oder Portfolien zu halten, um damit z.B. in einem bestimmten Land eingegangene Versicherungsrisiken zu decken, sofern dies aufsichtsrechtlich geboten ist. Dies kann bspw. für Immobilien als Kapitalanlagen sinnvoll sein. Daraus leitet sich aber keine Pflicht des Versicherungsunternehmens ab, für seine Betriebsstätten und diesen zuzuordnenden Kapitalanlagen Einzeldepots oder -portfolios anzulegen oder diese in getrennten Registern zu verwalten. Vielmehr ist es betriebswirtschaftlich sinnvoll, dass Versicherungsunternehmen sämtliche Kapitalanlagen in einem Portfolio verwalten und eine anteilige Zuordnung an den gesamten Kapitalanlagen vornehmen und nur bei gegebenem Anlass einzelne Kapitalanlagen direkt zuordnen.2 Angesichts der Tatsache, dass eine eindeutige Zuordnung dieser Kapitalanlagen und Forderungen zu einzelnen abgeschlossenen Versicherungsverträgen – ähnlich wie bei der Refinanzierung von Banken – mangels entsprechender Markierung unmöglich sein dürfte, weil die Anlage von Prämieneinnahmen aus verschiedenen Versicherungsgeschäften in einem Sammelprozess pro Zeitabschnitt stattfindet, ist es mangels gesetzlicher Regelung in § 24 Abs. 2 i.V. mit Abs. 1, 5 oder 6 BsGaV zulässig, diese der Bedeckung der Rückstellungen in Stammhaus und Betriebsstätte(n) dienenden Kapitalanlagen und Forderungen im Wege der direkten Zurechnungsmethode nach betriebswirtschaftlich sinnvollen Kriterien einzelnen Betriebsstätten direkt zuzuordnen. Die Zuordnung von Kapitalanlagen i.S. des Buchst. C.I. (Grundstücke etc.) zum Belegenheitsstaat des Grundstücks erscheint dabei ebenso vernünftig zu sein wie die Zuordnung von Wertpapieren zu dem Staat, von oder in dem diese Wertpapiere ausgegeben worden sind. Die steuerlichen Folgewirkungen, wie etwa eine Steuerfreistellung i.S. des § 8b KStG oder eine äquivalente Vorschrift anderer Staaten, sind dann in der jeweiligen Betriebsstätte in Übereinstimmung mit den jeweils geltenden Gewinnermittlungsvorschriften zu vollziehen.

11.246 Forderungen. Unter den Aktivposten Forderungen i.S. des §§ 15 bis 17 RechVersV sind die noch nicht fälligen Ansprüche der Versicherungsunternehmen auf Beiträge der Versicherungsnehmer auszuweisen, soweit diese geleistete, rechnungsmäßig gedeckte Abschlussaufwendungen betreffen. Daneben sind Abrechnungsforderungen aus dem Rückversicherungsgeschäft und Sonstige Forderungen unter dieser Position auszuweisen. Hinsichtlich der Forderungen gelten die Ausführungen in Rz. 4.113 ff. in Bezug auf die allgemeinen Zuordnungsregeln, ins1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 315. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 332.

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Andresen/Tenberge

D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.252 Kap. 11

besondere zu § 7 BsGaV. Abrechnungsforderungen aus dem Rückversicherungsgeschäft gem. § 16 RechVersV sind dem Unternehmensteil zuzuordnen, dem der Erstversicherungsvertrag zugeordnet ist, dessen Risiken einem Rückversicherer (anteilig) in Deckung gegeben worden sind. Sonstige Vermögensgegenstände. Unter den Aktivposten Sonstige Vermögensgegenstände i.S. des §§ 17 bis 18 RechVersV sind Sonstige Forderungen auszuweisen, die einem anderen Posten nicht zugeordnet werden können, sowie Sachanlagen wie technische Anlagen und Maschinen, andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung sowie hierauf geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau und andere Vermögensgegenstände. Die Zuordnung richtet sich nach den allgemeinen Zuordnungsregeln der §§ 5 bis 11 der BsGaV. Soweit zu den sonstigen Vermögensgegenständen Vermögensgegenstände gehören, die in gleicher Form auch in der Bilanzgliederung nach § 266 Abs. 2 und 3 HGB erfasst sind, gelten die in den Rz. 4.113 ff. dargelegten allgemeinen Zuordnungsgrundsätze.

11.247

Aktive Rechnungsabgrenzungsposten. Unter den Aktivposten Rechnungsabgrenzungsposten i.S. des § 20 RechVersV sind die Zins- und Mieterträge auszuweisen, die auf die Zeit bis zum Abschlussstichtag entfallen, aber noch nicht fällig sind. Die Zuordnung richtet sich nach den allgemeinen Zuordnungsregeln der §§ 5 bis 11 der BsGaV. Hinsichtlich des aktiven Rechnungsabgrenzungspostens gelten die in den Rz. 4.113 ff. dargelegten allgemeinen Zuordnungsgrundsätze.

11.248

Kapitalanlagen für Rechnung und Risiko von Inhabern von Lebensversicherungspolicen. Die Zuordnungsgrundsätze für Kapitalanlagen nach Rz. 11.245 sind auf Kapitalanlagen für Rechnung und Risiko von Inhabern von Lebensversicherungspolicen entsprechend anzuwenden.

11.249

h) Zuordnung von Passiva Versicherungstechnische Rückstellungen. Die Zuordnungsgrundsätze nach den Rz. 11.218 und 11.233 sind auf versicherungstechnische Rückstellungen entsprechend anzuwenden, da es sich um den Auftaktpunkt der Betriebsstättengewinnaufteilung bei Versicherungsbetriebsstätten handelt. Versicherungstechnische Rückstellungen sind dort zu bilden, wo der Versicherungsvertrag aufgrund der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion zuzuordnen ist. Für versicherungstechnische Rückstellungen ist somit eine positive Zuordnungsentscheidung zu treffen, wie dies auch für andere Vermögenswerte gilt.

11.250

Schwankungsrückstellungen. Versicherungsbetriebsstätten, die der inländischen Bilanzierungspflicht unterliegen, haben zum Ausgleich der Schwankungen im Schadenverlauf künftiger Jahre Schwankungsrückstellungen zu bilden. Auf die Bildung von Schwankungsrückstellungen nach § 341h Abs. 1 HGB sind die in der Anlage zu § 29 der RechVersV enthaltenen Vorschriften anzuwenden. Hierbei handelt sich um eine rein nationale Sonderregelung für inländische Versicherungsunternehmen und inländische Versicherungsbetriebsstätten, die keinen Einfluss auf den Aufteilungsmaßstab für die Kapitalanlagen ausländischer Versicherungsunternehmen haben. Vergleiche hierzu Rz. 11.268.

11.251

Versicherungstechnische Rückstellungen im Bereich der Lebensversicherung, wenn das Anlagerisiko von den Versicherungsunternehmen getragen wird. Entsprechend § 31 Abs. 1 RechVersV sind unter diesem Posten die versicherungstechnischen Rückstellungen für Ver-

11.252

Andresen/Tenberge 731

Kap. 11 Rz. 11.253

Sonderfälle

pflichtungen des Versicherungsunternehmens aus Lebensversicherungsverträgen auszuweisen, deren Wert oder Ertrag sich nach Kapitalanlagen bestimmt, für die der Versicherungsnehmer das Risiko trägt oder bei denen die Leistung indexgebunden ist. Die Zuordnungsgrundsätze nach den Rz. 11.218 und 11.233 sind auf diese Art versicherungstechnischer Rückstellungen entsprechend anzuwenden.

11.253 Andere Rückstellungen. Hinsichtlich anderer Rückstellungen gelten die in den Rz. 4.167 ff. dargelegten allgemeinen Zuordnungsgrundsätze.

11.254 Depotverbindlichkeiten aus dem in Rückdeckung gegebenen Versicherungsgeschäft. Entsprechend § 33 Abs. 1 RechVersV sind in dem Passivposition Depotverbindlichkeiten aus dem in Rückdeckung gegebenen Versicherungsgeschäftes die Verbindlichkeiten gegenüber Rückversicherern in Höhe der Beträge auszuweisen, die vom bilanzierenden Versicherungsunternehmen als Sicherheit einbehalten oder ihm vom Rückversicherer zu diesem Zweck belassen worden sind. Die Zuordnungsgrundsätze nach den Rz. 4.167 ff. sind auf Depotverbindlichkeiten entsprechend anzuwenden.

11.255 Andere Verbindlichkeiten. Hinsichtlich der anderen Verbindlichkeiten gelten die in den Rz. 4.167 ff. dargelegten allgemeinen Zuordnungsgrundsätze.

11.256 Passiver Rechnungsabgrenzungsposten. Hinsichtlich des passiven Rechnungsabgrenzungspostens gelten die in den Rz. 4.167 ff. dargelegten allgemeinen Zuordnungsgrundsätze. i) Zuordnung von Dotationskapital

11.257 Zuordnungsgrundsätze. Eigenkapital ist eine insbesondere für Versicherungsunternehmen knappe Ressource. Im Zusammenspiel mit den Solvabilitätsanforderungen bestimmt die Eigenkapitalbasis die Fähigkeit, neues Versicherungsgeschäft zu zeichnen und damit letztlich die Profitabilität des Versicherungsunternehmens. Die Versicherungsbetriebsstätte partizipiert als rechtlich unselbständiger Teil des Einheitsunternehmens an dessen Eigenkapital.1 Mit dem AmtshilfeRLUmsG wurde das aus der steuerlichen Selbständigkeitsfiktion resultierende Erfordernis, der Betriebsstätte ein angemessenes Eigenkapital (Dotationskapital) zuzuordnen, in § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG erstmals gesetzlich geregelt. Der dritte Abschnitt der BsGaV enthält in §§ 25 und 26 besondere Regelungen für die Dotierung von Versicherungsbetriebsstätten mit (Eigen-) Kapital. Im Grundsatz entspricht die Berechnung der funktionsund risikobezogenen Kapitalaufteilungsmethode für Bankbetriebsstätten i.S. des § 20 BsGaV und für Betriebsstätten allgemein den Regelungen i.S. des § 12 BsGaV.2 Aufgrund der abweichenden Struktur des Berechnungsverfahrens für Versicherungsbetriebsstätten wird die Methode als modifizierte Kapitalaufteilungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten bezeichnet (vgl. § 25 Abs. 2 Satz 2 BsGaV).

11.258 Regelungssystematik der BsGaV. Die BsGaV unterscheidet zwischen Inlands- und Auslandsbetriebsstätten. Erhalten bleibt der Dualismus zwischen funktions- und risikogewichteter Kapitalaufteilungsmethode und Mindestkapitalausstattungsmethode. Ein echter Fremdvergleich („thin capitalization approach“) ist nur im Rahmen einer Öffnungsklausel vorgesehen. Ausweislich der Verordnungsbegründung sollen die Regelungen der BsGaV vermeiden, dass zu Lasten der deutschen Besteuerung Inlandsbetriebsstätten ein zu geringes und Auslandsbe1 Debatin, DB 1989, 1739 (1740). 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 318.

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Andresen/Tenberge

D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.261 Kap. 11

triebsstätten spiegelbildlich ein zu hohes Dotationskapital ausweisen.1 Der geneigte Leser wird jedoch feststellen, dass der deutsche Gesetzgeber tatsächlich inländische Besteuerungsansprüche über einen vernünftigen Rahmen hinaus schaffen möchte. Die Regelungen zum Dotationskapital sind daher auch bei Anwendung ohne Augenmaß ein Garant für Doppelbesteuerungen und belasten den Steuerpflichtigen und das BZSt als Verhandlungsführer der zu erwartenden Verständigungs- und Schiedsverfahren über ein vernünftiges Maß hinaus. Da Anpassungen beim Dotationskapital grundsätzlich alle Betriebsstätten betreffen, sind Doppelbesteuerungen nur über Verständigungs- und Schiedsverfahren mit allen Belegenheitsstaaten zu vermeiden. Insoweit spielt es kaum eine Rolle, dass das BMF ausweichlich seiner Kommentierungen im Entstehungsprozess der BsGaV und der VWG BsGa die Mindestkapitalausstattungsmethode und die Kapitalaufteilungsmethode als Unter- bzw. Obergrenze versteht, wozwischen jede Kapitalausstattung gewählt werden kann, sofern sie dem Fremdvergleich besser entspricht. Versicherungsunternehmen mit Sitz außerhalb der Mitgliedstaaten der EU und des EWR. Nach Ansicht des BFH und der Finanzverwaltung sind der inländischen Betriebsstätte die Eigenkapitalien zuzurechnen, die als aufsichtsrechtlich gebotene Mindesteigenkapitalausstattung anzusehen sind.2 Der BFH hat mit seinem Urteil die damals geltende Verwaltungspraxis3 anerkannt, die später ihren Weg in die alten Betriebsstättengrundsätze gefunden hat. Die Solvabilitätsregeln gelten in Deutschland nicht für reine Rückversicherungsunternehmen, so dass diese ihr Dotationskapital mithilfe eines risikogewichteten Ansatzes ermitteln können, wie ihn die OECD vorschlägt. Die OECD kritisiert an der Orientierung an dem aufsichtsrechtlichen Mindestkapital, dass deren Arbeitshypothese missachtet werde, die die Betriebsstätte als eigenständig betrachtet.

11.259

Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem der Mitgliedstaaten der EU und des EWR. In Entsprechung der in Rz. 11.270 wiedergegebenen Auffassung fordert die Finanzverwaltung die aufsichtsrechtlich gebotene Mindesteigenkapitalausstattung auch für inländische Betriebsstätten EU-/EWR-ausländischer Versicherungsunternehmen, wobei hier das Aufsichtsrecht des Sitzstaats des Stammhauses maßgeblich ist. Dieses Konzept der Eigenkapitalzurechnung verstößt allein schon deshalb gegen den AOA und das Veranlassungsprinzip, weil ein ordentlicher gewissenhafter Geschäftsleiter einer Betriebsstätte nicht ein höheres Kapital zur Verfügung stellen würde, als diese betriebswirtschaftlich benötigt.4 Der Nachweis über die Mindestkapitalausstattung kann auch über eine Solvabilitätsbescheinigung der ausländischen Aufsichtsbehörde erfolgen.5 Soweit Rückversicherungsunternehmen von den in ihrem Sitzstaat geltenden Solvabilitätsregeln erfasst sind, ist die Regelung auf diese ebenfalls anwendbar.

11.260

Inländische Versicherungsunternehmen mit ausländischen Betriebsstätten. In den VWG BsGa wird die Auffassung vertreten, dass die Dotierung der ausländischen Betriebsstätte ei-

11.261

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 10.10.2014, 99 (zu § 20 Abs. 1 Satz 1) und 103 (zu § 21 Abs. 1 Satz 1). 2 Vgl. BFH v. 18.9.1996 – I R 59/95, BFHE 181, 419 = FR 1997, 236 = IStR 1997, 145; BS-VWG, Tz. 4.2.2.; ähnlich bereits RFH v. 28.11.1933 – I A 456/31, RStBl. 1934, 620, 621. 3 Vgl. BMF v. 31.5.1979 – IV B 7 - S 2775 - 9/79, BStBl. I 1979, 306 (aufgehoben durch BMF v. 6.7.2005, BStBl. I 2005, 717). 4 Zur Kritik an dieser dem Fremdvergleich widersprechenden Dotierung vgl. Maser, VW 2000, 437 unter „Dotationskapital“. 5 So der BFH v. 18.9.1996 – I R 59/95, BFHE 181, 419 = FR 1997, 236 = IStR 1997, 145 in Leitsatz 3.

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Kap. 11 Rz. 11.262

Sonderfälle

nes inländischen Versicherungsunternehmens anzuerkennen ist, wenn sie nach den aufsichtsoder steuerrechtlichen Vorschriften gefordert wird, es sei denn, dem inländischen Stammhaus wird dadurch das erforderliche Eigenkapital entzogen. Es soll mit diesem Ansatz verhindert werden, dass das inländische Stammhaus unterkapitalisiert ist, während bei inländischen Betriebsstätten eher eine Überkapitalisierung herbeigeführt wird. Die unterschiedliche Behandlung von in- und ausländischen Betriebsstätten wird in der Literatur1 zu Recht kritisiert. Ob diese Kritik auch Rückversicherungsunternehmen einschließt, richtet sich danach, ob Rückversicherungsunternehmen in ihrem Sitzstaat den dort geltenden Solvabilitätsregeln unterliegen.

11.262 Kritik an der Anknüpfung an das aufsichtsrechtliche Mindestkapital. Die in den sog. Solvabilitätsregeln beschriebene Vorgehensweise zur Bestimmung des aufsichtsrechtlichen Mindestkapitals wird von Farny bereits aus betriebswirtschaftlicher Sicht und vor allem deshalb kritisiert, weil das Konzept, das ihr zugrunde liegt, die Dimension des Risikos nur unzureichend berücksichtigt.2 So sind bspw. „die numerischen Vorgaben in den Formeln für die SollSolvabilität […] risikotheoretisch nicht begründbar und nur aus dem politischen Entscheidungsablauf bei Einführung des Systems erklärbar“.3 Darüber hinaus sei die begrenzte Anrechnung der Rückversicherung sachfremd.4 Bedenken meldet Farny auch hinsichtlich der Verwendung von Durchschnittswerten bei der Ermittlung der Rechengrößen, weil sie den zum Teil stark schwankenden Zyklen im Versicherungsgeschäft nur unzureichend Rechnung trägt. Schließlich ist die Tatsache zu kritisieren, dass die Risikolage des Unternehmens im Volumen der Prämieneinnahmen ausgedrückt wird. Dies stellt die tatsächliche Risikoposition geradezu auf den Kopf, da in den höheren Prämieneinnahmen bereits höhere Risikozuschläge enthalten sind und sich versicherungstechnische Risiken und Prämieneinnahmen gerade nicht linearproportional zueinander verhalten. Angesicht dieser Kritik ist der von der Finanzverwaltung vertretene Ansatz zur Bestimmung des Dotationskapitals als nicht mit dem Veranlassungsprinzip vereinbar abzulehnen.

11.263 OECD-Betriebsstättenbericht. Die OECD schlägt in ihrem Bericht zur Einkünfteabgrenzung bei Versicherungsbetriebsstätten einen risikogewichteten Ansatz in Gestalt des sog. „capital allocation approach“ vor,5 der jedoch noch nicht hinreichend genau konkretisiert ist. Die Schwierigkeit, vor die sich die OECD gestellt gesehen hat, ist der Umstand, dass es keine international abgestimmten Modelle zur Bewertung von Risiken gibt, wie es sie für Banken existieren.6 Dies hat sich durch Solvency II allerdings grundlegend geändert, auch wenn dies in Teil IV des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 natürlich noch keinen Niederschlag gefunden hat. Die OECD geht davon aus, dass alle Unternehmensteile grundsätzlich die gleiche Bonität aufweisen und dass maximal das tatsächlich vorhandene Kapital zugeordnet werden kann.7 Neben dem „capital allocation approach“ werden der „thin capitalisation approach“8 und der „safe harbour – quasi-thin capitalisation approach/regulatory minimum requirement approach“9 genannt. Während Ersterer einen Vergleich mit der Kapitalstruktur 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. Maser, VW 2000, 439 unter „Ausländische Betriebsstätten inländischer VU“. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 141–149. Farny, Versicherungsbetriebslehre3, 761. Vgl. Farny, Versicherungsbetriebslehre3, 761. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 141–149 (155). Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 149. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 125 (einschließlich Ausnahmen), 141. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 156. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 157–164.

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Andresen/Tenberge

D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.266 Kap. 11

vergleichbarer unabhängiger Versicherungsunternehmen vorschlägt, verlangt der zweite Ansatz mindestens die Zuordnung des aufsichtsrechtlich geforderten Kapitals, dass auch unabhängige Versicherungsunternehmen vorweisen können müssen. Der an das aufsichtsrechtliche Kapital anknüpfende Ansatz wird von der OECD jedoch nur dann als akzeptabel angesehen, wenn er nicht zu einer Gewinnabgrenzung führt, die der Betriebsstätte mehr Gewinn zuordnet als die anderen Lösungsansätze.1 In Anbetracht der Tatsache, dass die Vorschriften zur Bestimmung des aufsichtsrechtlichen Mindestkapitals in Deutschland genau diese Gefahr der Überallokation in sich bergen, sollte das unter deren Anwendung ermittelte Ergebnis mit einer der anderen Ansätze („capital allocation approach“ oder „thin capitalisation approach“) verprobt und ggf. in einer Betriebsprüfung unter Verweis auf den OECDDiskussionsentwurf verteidigt werden. j) Inländische Versicherungsbetriebsstätte ausländischer Versicherungsunternehmen Kapitalaufteilung. Das Dotationskapital einer inländischen Versicherungsbetriebsstätte bestimmt sich nach der Höhe der ihr zuzuordnenden Vermögenswerte. Für die Berechnung sind für die Versicherungsverträge, die der Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnen sind, die versicherungstechnischen Rückstellungen und die aus Versicherungsverhältnissen entstandenen Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten wie für ein selbständiges Versicherungsunternehmen nach deutschem Handelsrecht (§§ 341 ff. HGB und RechVersV) zu bestimmen. Das der Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnende Dotationskapital errechnet sich dadurch, dass von den nach § 25 Abs. 1 BsGaV zuzuordnenden Vermögenswerten die versicherungstechnischen Rückstellungen und die aus Versicherungsverhältnissen entstandenen Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten abgezogen werden. Im Grundsatz entspricht diese Berechnung der funktions- und risikobezogenen Kapitalaufteilungsmethode für Bankbetriebsstätten nach § 20 BsGaV und für Betriebsstätten allgemein nach § 12 BsGaV. Aufgrund der abweichenden Struktur des Berechnungsverfahrens für Versicherungsbetriebsstätten wird diese Methode als modifizierte Kapitalaufteilungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten bezeichnet (vgl. § 25 Abs. 2 Satz 2 BsGaV).2

11.264

Erster Schritt der Kapitalaufteilung. In einem ersten Schritt sind für die inländische Versicherungsbetriebsstätte die versicherungstechnischen Rückstellungen (inländische versicherungstechnische Rückstellungen ‚iVR‘) nach ausländischem Recht zu ermitteln und in ein Verhältnis zu den versicherungstechnischen Rückstellungen (versicherungstechnische Rückstellungen des Gesamtunternehmens ‚gVR‘) des gesamten Unternehmens zu setzen. Dieses Verhältnis (iVR/gVR) wird dann mit den Kapitalanlagen (‚KA‘) des Unternehmens multipliziert und ergibt so den Anteil an den Kapitalanlagen, der der inländischen Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnen ist (iVR/gVR × KA).3 Es ist zu beachten, dass der Aufteilungsschlüssel nach ausländischem Recht, d.h. nach dem Rechnungslegungswerk des Gesamtunternehmens ermittelt wird.

11.265

Kapitalanlagen. Als Kapitalanlage sind Vermögenswerte des Versicherungsunternehmens anzusehen, die nach Art. 6 der Richtlinie des Rats vom 19.12.1991 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen (91/674/EWG) auf der Aktivseite der Bilanz unter den Buchstaben C (Kapitalanlagen), D (Kapitalanlagen für Rechnung und Risiko von Inhabern von Lebensversicherungspolicen) und E I. (Forderungen aus dem

11.266

1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 162. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 318. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 317 und OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 147.

Andresen/Tenberge 735

Kap. 11 Rz. 11.267

Sonderfälle

selbst abgeschlossenen Versicherungsgeschäft) auszuweisen sind. Für Versicherungsunternehmen aus Drittstatten gelten entsprechend nach den aufsichtsrechtlichen Vorschriften des Sitzstaats solche Vermögenswerte als Kapitalanlagen, die als bedeckungsfähig angesehen werden. Sollten im Sitzstaat keine entsprechenden Regelungen existieren, gilt die Regelung für EUoder EWR-Staaten.1

11.267 Versicherungstechnische Rückstellungen. Unter den versicherungstechnischen Rückstellungen i.S. der Rz. 11.250, die für den Aufteilungsschlüssel heranzuziehen sind, werden Beitragsüberträge i.S. des § 341e Abs. 2 Nr. 1 HGB, Deckungsrückstellungen i.S. des § 341f HGB, Schadenrückstellungen i.S. des § 341g HGB und Rückstellungen für Beitragsrückerstattung i.S. des § 341e Abs. 2 Nr. 2 HGB zusammengefasst. Nicht hiervon erfasst sind Schwankungsrückstellungen i.S. des § 341h HGB, die ausschließlich nach deutschem Handelsrecht ermittelt werden, und in ausländischen Bilanzierungsregeln zwar bekannt, aber nicht in Gänze zugelassen sind. Sie können somit nicht Teil eines gleichmäßigen und angemessenen Kapitalaufteilungsschlüssels sein.

11.268 Schwankungsrückstellungen. Inländische Versicherungsunternehmen haben nach § 341h HGB zum Ausgleich der Schwankungen im Schadenverlauf künftiger Jahre Rückstellungen zu bilden, wenn insbesondere nach den Erfahrungen in dem betreffenden Versicherungszweig mit erheblichen Schwankungen der jährlichen Aufwendungen für Versicherungsfälle zu rechnen ist, die Schwankungen nicht jeweils durch Beiträge ausgeglichen werden und die Schwankungen nicht durch Rückversicherungen gedeckt sind. Jedoch ist es einem Unternehmen nach IFRS 4.14 (a)2 nicht erlaubt, Rückstellungen für eventuelle künftige Schäden aus Versicherungsverträgen zu bilden, die am Stichtag nicht bestehen. Da zum Abschlussstichtag Schwankungen im Schadenverlauf künftiger Jahre noch nicht bekannt sind, dürfen hierfür nach IFRS keine Rückstellungen gebildet werden. Es kommt somit zu einem Auseinanderfallen beider Rechnungslegungsstandards. Da ausländische Versicherungsunternehmen größtenteils nach IFRS bilanzieren und in aller Regel auch für die regulatorische Rechnungslegung keine Schwankungsrückstellung bilden müssen, erfassen ihre versicherungstechnischen Rückstellungen keine Schwankungsrückstellungen. Für Zwecke der Kapitalaufteilung für die Dotierung einer inländischen Versicherungsbetriebsstätte können somit Schwankungsrückstellungen nicht Teil der versicherungstechnischen Rückstellungen sein, da andernfalls eine nicht-fremdübliche Überdotierung der inländischen Versicherungsbetriebsstäte zu Lasten des übrigen Unternehmens droht.

11.269 Zweiter Schritt der Kapitalaufteilung. Das der inländischen Versicherungsbetriebstätte zuzuordnende Dotationskapital errechnet sich dadurch, dass von den Kapitalanlagen i.S. der Rz. 11.266 f. die versicherungstechnischen Rückstellungen i.S. der Rz. 11.267 und die Schwankungsrückstellungen i.S. der Rz. 11.268, die beide nun nach inländischem Recht zu ermitteln sind, abgezogen werden. Es ist zu beachten, dass im zweiten Schritt die versicherungstechnischen Rückstellungen erst nach inländischem Handelsrecht ermittelt werden. Sie werden ergänzt um die Schwankungsrückstellungen und dann von den Kapitalanlagen abgezogen, um das Dotationskapital der inländischen Versicherungsbetriebsstätte zu ermitteln.

11.270 Öffnungsklausel für inländische Versicherungsbetriebsstätten. § 25 Abs. 3 Satz 1 BsGaV lässt den Ansatz eines – im Verhältnis zur modifizierten Kapitalaufteilungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten – niedrigeren Dotationskapitals zu, wenn und soweit nachgewie1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 315 und gleichlautend Formblatt I der RechVersV. 2 IFRS 4, Insurance Contracts, No. 14 (a).

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Andresen/Tenberge

D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.272 Kap. 11

sen wird, dass aufgrund der Funktions- und Risikostruktur ein geringeres Dotationskapital zu einem Ergebnis der inländischen Versicherungsbetriebsstätte führt, das im Verhältnis zum übrigen Unternehmen dem Fremdvergleichsgrundsatz im Einzelfall besser entspricht.1 Steuerpflichtige dürfen somit eine alternative Methode zur Bestimmung des Dotationskapitals anwenden. Dies erlaubt ihnen bspw. die Anwendung der Fremdvergleichsmethode oder die Nutzung eines alternativen Allokationsschlüssels, wenn dies zu einem sachgerechten Ergebnis führt.2 Dies entspricht auch dem Verständnis, dass die Mindestkapitalausstattungsmethode und die Kapitalaufteilungsmethode als Unter- bzw. Obergrenze zu verstehen sind, wozwischen jede Kapitalausstattung gewählt werden kann, sofern sie dem Fremdvergleich besser entspricht (vgl. Rz. 11.258). Der Ausschluss anderer Aufteilungsschlüssel in Rz. 318 der VWG BsGa ist sachlich nicht begründet. Auch die genannte Quelle (OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Tz. 149) schließt andere Aufteilungsschlüssel nicht aus, sondern stellt lediglich klar, dass nicht jeder Aufteilungsschlüssel, z.B. die Versicherungsprämie, geeignet ist, eine Kapitalaufteilung zu erzeugen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Mindestkapital inländischer Versicherungsbetriebsstätten. Eine inländische Versicherungsbetriebsstätte eines ausländischen Versicherungsunternehmens darf nach § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV das Mindesteigenkapital nicht unterschreiten, das ein selbständiges Versicherungsunternehmen in der Situation der Versicherungsbetriebsstätte im Inland versicherungsaufsichtsrechtlich nachweisen muss. Dieses Kapital bildet insoweit die Untergrenze. Dies wird dadurch begründet, dass ohne ein solches Mindesteigenkapital in Deutschland kein Versicherungsgeschäft betrieben werden darf.3 Bei dem auch von der OECD autorisierten Ansatz wird die Zuordnung der Kapitalanlagen zu einer Versicherungsbetriebsstätte unter Bezugnahme auf den Kapitalanlagebestand eines unabhängigen Versicherungsunternehmens erfolgen, das unter den gleichen oder ähnlichen Bedingungen die gleichen oder ähnliche Tätigkeiten ausübt und die gleichen oder ähnliche Risiken übernimmt.4

11.271

Änderungen des Dotationskapitals. Die Systematik für die Bestimmung des Dotationskapitals für inländische Versicherungsbetriebsstätten erfordert, dass jede davon abweichende Zuordnung von Dotationskapital auch eine Anpassung der zuzuordnenden Vermögenswerte erfordert.5 Für inländische Versicherungsbetriebsstätten ist § 12 Abs. 6 BsGaV entsprechend anzuwenden. Dies bedeutet, dass das Dotationskapital einer inländischen Versicherungsbetriebsstätte innerhalb eines Wirtschaftsjahrs anzupassen ist, wenn sich die Zuordnung von Personalfunktionen, von Vermögenswerten oder von Chancen und Risiken zu einem bestimmten Zeitpunkt gegenüber den Verhältnissen zu Beginn des Wirtschaftsjahrs ändert und dies zu einer erheblichen6 Veränderung des zuzuordnenden Dotationskapitals führt.7 Daneben ist eine Änderung des inländischen Dotationskapitals erforderlich, sofern das inländische Versicherungsaufsichtsrecht dies bedingt.8 Einer inländischen Versicherungsbetriebs-

11.272

1 2 3 4 5 6

VWG BsGa, Rz. 319. Vgl. Busch, IStR 2014, 757–762. Vgl. VWG BsGa, Rz. 320. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 153. Vgl. VWG BsGa, Rz. 321. Die Erheblichkeitsgrenze ist wie bei anderen Betriebsstätten erreicht bei Abweichungen von 30 % vom Dotationskapital zu Beginn des Wirtschaftsjahrs, aber nur dann, wenn die Abweichung mindestens 2 Mio. Euro beträgt; VWG BsGa, Rz. 143. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 143. 8 Vgl. VWG BsGa, Rz. 322.

Andresen/Tenberge 737

Kap. 11 Rz. 11.273

Sonderfälle

stätte ist ungeachtet dessen mindestens das in der inländischen Handelsbilanz tatsächlich ausgewiesene Kapital als Dotationskapital zuzuordnen.1 k) Ausländische Versicherungsbetriebsstätten inländischer Versicherungsunternehmen

11.273 Mindestkapitalausstattung. Einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte ist nur ein Dotationskapital zuzuordnen, soweit dies nach § 26 Abs. 1 BsGaV i.V. mit § 13 Abs. 1 Satz 1 BsGaV notwendig ist. Versicherungsunternehmen müssen demnach glaubhaft machen, dass ein Dotationskapital in jener Höhe für ihre ausländischen Versicherungsbetriebsstätten aus betriebswirtschaftlichen Gründen mindestens notwendig ist. Da in den meisten Staaten Versicherungsgeschäfte nur betrieben werden dürfen, wenn eine hinreichende Ausstattung mit Eigenkapital, insbesondere mit Sicherungsvermögen, gegeben ist, liegen allein in den aufsichtsrechtlichen Anforderungen hinreichende betriebswirtschaftliche Gründe vor, die ausländische Versicherungsbetriebsstätte mit einem Mindesteigenkapital auszustatten.2 Das inländische Versicherungsunternehmen hat nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BsGaV nachzuweisen, in welcher Höhe Dotationskapital für die ausländische Versicherungsbetriebsstätte anzusetzen ist. Der Nachweis ist anhand der Höhe des Eigenkapitals eines vergleichbaren ausländischen Versicherungsunternehmens durchzuführen.3 Die Nachweispflicht erstreckt sich auch auf das tatsächlich angesetzte Dotationskapital. Dies bedeutet, das inländische Versicherungsunternehmen mit ausländischen Versicherungsbetriebsstätten für diese in Deutschland nachweisen müssen, welches Dotationskapital im Ausland tatsächlich angesetzt wurde und mit welcher Begründung damit in Deutschland eine Akzeptanz für Gewinnabgrenzung erlangt werden kann.

11.274 Höheres Dotationskapital einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte. Einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte darf ein höheres Dotationskapital als das Mindesteigenkapital zugeordnet werden, wenn nach § 26 Abs. 2 BsGaV zwingende Regelungen zur Mindestkapitalausstattung nach ausländischem Versicherungsaufsichtsrecht bestehen und befolgt werden, die für die ausländische Versicherungsbetriebsstätte anzuwenden wären, wenn sie ein selbständiges Versicherungsunternehmen wäre. Das höhere Dotationskapital muss zu einem Ergebnis der ausländischen Versicherungsbetriebsstätte führen, das den von ihr ausgeübten Personalfunktionen, den ihr zuzuordnenden Vermögenswerten sowie den ihr zuzuordnenden Chancen und Risiken im Verhältnis zum übrigen Unternehmen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz betriebswirtschaftlich besser entspricht.4 Das Versicherungsunternehmen muss einen höheren Ansatz des Dotationskapitals begründen.

11.275 Obergrenze für ausländische Versicherungsbetriebstätten. Die Obergrenze für das Dotationskapital einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte bildet das Dotationskapital, dass sich bei Anwendung der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten (§ 25 Abs. 1 und 2 BsGaV) ergäbe,5 oder höchstens das Kapital, dass in der ausländischen Handelsbilanz tatsächlich ausgewiesen ist.6 Zwar schließt der Wortlaut der VWG BsGa die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode als eine für ausländische Versicherungs1 2 3 4 5 6

Vgl. VWG BsGa, Rz. 323. Vgl. VWG BsGa, Rz. 324. Vgl. VWG BsGa, Rz. 325. Vgl. VWG BsGa, Rz. 326. Vgl. VWG BsGa, Rz. 327. Vgl. VWG BsGa, Rz. 331.

738

Andresen/Tenberge

D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.278 Kap. 11

betriebsstätte anzuwendende Methode aus, dies steht aber in Konflikt zu dem avisierten Regelungsziel einer fremdüblichen Kapitalaufteilung zwischen einer Versicherungsbetriebsstätte und dem übrigen Unternehmen (vgl. Rz. 11.268). Die unterschiedliche Behandlung von inländischen und ausländischen Versicherungsbetriebsstätten führt dazu, dass Finanzierungsaufwendungen immer so weit wie möglich dem ausländischen Unternehmensteil zugewiesen werden und in Deutschland nicht zum Abzug zugelassen werden. Daneben steht die unterschiedliche Behandlung von inländischen und ausländischen Betriebsstäten nicht im Einklang mit dem OECD-Betriebsstättenbericht. Grundsätzlich werden von der OECD beide Methoden anerkannt, es erfolgt aber keine diskriminierende Unterscheidung in inländische und ausländische Versicherungsbetriebsstätten. Es ist insoweit zu akzeptieren, dass das Dotationskapital einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte nach einer Methode ermittelt wird, die dem Fremdvergleichsgrundsatz am besten entspricht und deren Ergebnis zwischen den Ergebnissen der Mindestkapitalausstattungsmethode und der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode liegt. Erfordernisse des ausländischen Versicherungsaufsichtsgesetzes. In Fällen, in denen das ausländische Aufsichtsrecht ein höheres Dotationskapital fordert, als dies maximal nach der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode zuzuweisen wäre, ist nach § 26 Abs. 3 BsGaV wie folgt vorzugehen: Es ist die Summe des Dotationskapitals und der versicherungstechnischen Rückstellungen nach ausländischem Versicherungsaufsichtsrecht zu ermitteln. Sofern diese Summe die Summe nach inländischem Versicherungsaufsichtsrecht übersteigt, ist das höhere Dotationskapital für die Versicherungsbetriebsstätte anzusetzen.1 Maßgeblich sind somit die ausländischen versicherungsaufsichtsrechtlichen Vorschriften, die für alle Versicherungsunternehmen in einem Land den Fremdvergleichsgrundsatz festschreiben. Sie sind eine der generellen Voraussetzungen dafür, dass die ausländische Versicherungsbetriebsstätte auf dem ausländischen Markt tätig werden kann und gelten für alle dortigen Versicherungsbetriebstätten gleichermaßen. Dennoch darf eine höhere Dotierung im Ausland nicht dazu führen, dass dem übrigen Unternehmen im Inland eine Kapitalausstattung verbleibt, die unterhalb einer Mindestkapitalausstattung notiert. Andernfalls entspräche die Kapitalausstattung für das übrige Unternehmen, wäre es ein selbständiges Versicherungsunternehmen, nicht den im Inland geltenden, versicherungsaufsichtsrechtlichen Vorgaben. Aus der Konkurrenz möglicher Mindestkapitalanforderungen können sich Besteuerungskonflikte ergeben, die letztlich nur über eine Verständigung beider Staaten behoben werden können.

11.276

Änderungen des Dotationskapitals. Die Regelungen zur Änderung des Dotationskapitals für inländische Versicherungsbetriebsstätten gelten analog für ausländische Versicherungsbetriebsstätten (vgl. Rz. 11.272).2

11.277

3. Zweiter Schritt des AOA: Bestimmung und Vergütung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen a) Zuordnung von Geschäftsvorfällen und korrespondierenden Einkünften Außengeschäftsvorfälle vs. Innenleistungsbeziehungen. In der Eigenschaft als (mittelbare) Korrekturvorschrift zielt § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG auf die Berichtigung fremdunüblich „bepreister“ Leistungsbeziehungen zwischen den rechtlich unselbständigen operativen Einhei-

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 328. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 330.

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11.278

Kap. 11 Rz. 11.279

Sonderfälle

ten eines Einheitsunternehmens. Gegenstand der Einkünfteabgrenzung ist insoweit die fremdvergleichskonforme Vergütung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen i.S. des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG. Davon zu unterscheiden ist die Zuordnung von Betriebseinnahmen und -ausgaben aus Vertragsbeziehungen mit außenstehenden Dritten und auch mit nahestehenden Personen.

11.279 Zuordnung von Geschäftsvorfällen. Geschäftsvorfälle des Unternehmens sind nach § 9 Abs. 1 BsGaV dem Unternehmensteil zuzuordnen, der die maßgebliche Personalfunktion ausübt (vgl. Rz. 4.121). Die Zuordnung richtet sich nach der Personalfunktion, die dafür maßgeblich ist, dass das Unternehmen den betreffenden Geschäftsvorfall abgeschlossen und die damit verbundenen Risiken übernommen hat. Als Zuordnungskriterium gilt das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls. Die Zuordnung des Geschäftsvorfalls schließt die damit in Zusammenhang stehenden Ergebniswirkungen (Betriebseinnahmen und -ausgaben) ein. Mangels spezieller Regelungen gelten die allgemeinen Grundsätze des § 9 BsGaV grundsätzlich auch bei Versicherungsbetriebsstätten.

11.280 Korrespondierende Betriebseinnahmen und -ausgaben. Die Zurechnung der im Außenverhältnis entstandenen Betriebseinnahmen und -ausgaben ist nicht unmittelbarer Regelungsgegenstand von § 1 Abs. 4 und 5 AStG. Abhängig davon, welchem Unternehmensteil ein Außenumsatz zuzuordnen ist, werden auch korrespondierende Einkünfte aus dieser Transaktion bei dem jeweiligen Unternehmensteil direkt erfasst. Die Erfolgsabgrenzung folgt somit der internen Zuordnung der Geschäftsvorfälle des Unternehmens im Außenverhältnis. b) Erfolgsabgrenzung im Versicherungsbereich aa) Zurechnung von Erträgen

11.281 Gebuchte Bruttobeiträge (Prämieneinnahmen). Die in § 36 Abs. 1 RechVersV definierten gebuchten Bruttobeträge sind auf das übrige Unternehmen und die Betriebsstätte(n) nach Maßgabe der getroffenen Zuordnungsentscheidung aufzuteilen. Die gebuchten Bruttobeiträge sind dort zuzurechnen, wo bereits die zugrunde liegenden Versicherungsgeschäfte zugeordnet worden sind (vgl. Rz. 11.279). Hinsichtlich der in § 36 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 RechVersV aufgeführten Versicherungssteuer – sei es inländische oder ausländische – und den aufgeführten Aufwandspositionen ist entsprechend zu verfahren. Das Gleiche gilt für die in § 36 Abs. 3 RechVersV genannten Positionen des in Rückdeckung übernommenen Versicherungsgeschäfts. Soweit Versicherungsverträge nicht anteilig auf das übrige Unternehmen und dessen Betriebsstätte(n) aufgeteilt worden, sondern einheitlich einem Unternehmensteil zugeordnet worden sind, sind diesem Unternehmensteil sämtliche für dieses Geschäft gebuchten Bruttobeiträge zuzuordnen.

11.282 Anteil der Rückversicherer an Zahlungen für Versicherungsfälle. Die Zurechnung des Anteils der Rückversicherer an Zahlungen für Schadensfälle richtet sich zunächst danach, welchem Unternehmensteil der zu Zahlungen führende Versicherungsvertrag zuzuordnen ist. Wenn er auf das übrige Unternehmen und dessen Betriebsstätte(n) anteilig zugeordnet ist, sind auch diese Zahlungen aufzuteilen.

11.283 Direkte Zuordnung von Kapitalerträgen. Grundsätzlich sind Erträge aus Kapitalanlagen dem Unternehmensteil zuzuordnen, dem die Ertragsquelle gemäß Rz. 11.245 zuzuordnen ist, z.B. ein Wertpapier, eine Immobilie, eine Abteilung, die Dienstleistungen erbringt und dafür Honorar bezieht. Dienen Kapitalanlagen entweder der Bedeckung der versicherungstech740

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D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.285 Kap. 11

nischen Rückstellungen der Versicherungsbetriebsstätte, der Bedeckung der aus Versicherungsverhältnissen entstandenen Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten der Versicherungsbetriebsstätte oder der Bedeckung des Dotationskapitals der Versicherungsbetriebsstätte, sind der Versicherungsbetriebsstätte die Einkünfte aus diesen Kapitalanlagen direkt zuzuordnen.1 Einkünfte, d.h. Einnahmen abzgl. der im wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Ausgaben, aus identifizierbaren Kapitalanlagen können einer Versicherungsbetriebsstätte direkt zugeordnet werden, wenn sie der Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen, der aus Versicherungsverhältnissen entstandenen Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten oder des Dotationskapitals dienen, die dieser Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnen sind. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn die Vermögenswerte (Kapitalanlagen) in einer aus handelsrechtlichen oder aufsichtsrechtlichen Gründen für die Versicherungsbetriebsstätte erstellten Bilanz ausgewiesen sind. Insofern besteht ein unmittelbarer Bezug der Einkünfte zur Geschäftstätigkeit der Versicherungsbetriebsstätte.2 Indirekte Zuordnung von Kapitalerträgen. Sollte eine direkte Zuordnung von Kapitalerträgen, ggf. auch nur in Teilen, nicht möglich sein, sind der Versicherungsbetriebsstätte die Einkünfte aus Kapitalanlagen indirekt mittels einer durchschnittlichen Kapitalrendite des Versicherungsunternehmens zuzuordnen.3 Eine indirekte Zuordnung ist erforderlich, wenn z.B. von der Versicherungsbetriebstätte direkt keine bzw. keine ausreichenden Vermögenswerte gehalten werden. Dies gilt insbesondere, wenn für die Versicherungsbetriebsstätte weder aus handelsrechtlichen noch aus versicherungsaufsichtsrechtlichen Gründen eine Bilanz erstellt wird oder in einer tatsächlich erstellten Bilanz keine bzw. keine ausreichenden Vermögenswerte ausgewiesen werden.4 Dies kann z.B. der Fall sein, wenn das Versicherungsgeschäft über einen ständigen Vertreter i.S. der Rz. 11.200 ausgeübt wird.5 Für die indirekte Zuordnung von Kapitaleinkünften ist auf die durchschnittliche Kapitalanlagerendite des Versicherungsunternehmens abzustellen. Die durchschnittliche Kapitalanlagerendite ist ein Prozentwert, der im Jahresabschluss jedes Versicherungsunternehmens ausgewiesen wird. Der Wert ist ein Nettowert, der die Erträge und Aufwendungen aus Kapitalanlagen berücksichtigt, einschließlich der direkten und indirekten Kosten der Kapitalanlageverwaltung. Insoweit sind keine weiteren Aufwendungen mehr bei der indirekten Zuordnung von Kapitalerträgen zu berücksichtigen. Die durchschnittliche Kapitalanlagerendite führt zu einer sachgerechten, pauschalen Zuordnung der Einkünfte aus Vermögenswerten zur Versicherungsbetriebsstätte, ohne dass es einer aufwendigen Untergliederung (z.B. in Zinsen, Dividenden, Mieten) bedarf.6 Einer Versicherungsbetriebsstätte direkt zuzuordnende und in der Bilanz ausgewiesene Vermögenswerte sind nicht an die Kapitalstruktur des Versicherungsunternehmens anzupassen, zu der die Versicherungsbetriebsstätte gehört.7

11.284

Anrechnung von Steuern. Die Zuordnung von Kapitalerträgen und Einkünften aus den zugeordneten Vermögenswerten ist ausschließlich für die Gewinnermittlung einer Versicherungsbetriebsstätte durchzuführen. Es entstehen keine weiteren steuerlichen Folgen, wie z.B.

11.285

1 2 3 4 5

§ 27 Abs. 1 BsGaV. VWG BsGa, Rz. 333. § 27 Abs. 2 BsGaV. VWG BsGa, Rz. 335. Ob diesem dann jedoch Teile des Versicherungsgeschäfts zuzuordnen sind, ist separat zu klären, da durch ihn eigentlich nur Vermittlungsleistungen erbracht werden. 6 VWG BsGa, Rz. 336. 7 VWG BsGa, Rz. 337.

Andresen/Tenberge 741

Kap. 11 Rz. 11.286

Sonderfälle

die Anrechnung von Quellensteuern.1 Steuerliche Folgen haben sich bei der Gewinnermittlung nach Maßgabe der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zu vollziehen. Eine Freistellung i.S. des § 8b KStG kann dabei genauso eine Folge sein wie die Anrechnung von Quellensteuern. bb) Zurechnung von Aufwendungen

11.286 Abgegebene Rückversicherungsbeiträge. Soweit für Versicherungsgeschäfte Rückversicherungen abgeschlossen worden sind, gelten für die in § 37 RechVersV genannten abgegebenen Rückversicherungsbeiträge die dargestellten Zuordnungsgrundsätze gleichermaßen. Daraus folgt, dass sich die Zuordnung in zwei Schritten vollzieht. In einem ersten Schritt ist zu ermitteln, ob für ein Erstversicherungsgeschäft oder eine Gruppe von Erstversicherungsgeschäften ein Rückversicherungsgeschäft abgeschlossen worden ist. Wenn diese Frage zu bejahen ist, sind die daraus resultierenden abzugebenden Rückversicherungsbeiträge im gleichen Verhältnis auf das übrige Unternehmen und dessen Betriebsstätte(n) zu verteilen, wie die gebuchten Bruttobeiträge aus dem dazugehörigen Erstversicherungsgeschäft.

11.287 Zahlungen für Versicherungsfälle einschließlich der Veränderung der Rückstellung für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle. Aufwendungen für Versicherungsfälle für eigene Rechnung sind dem übrigen Unternehmen und dessen Betriebsstätte(n) in zwei Schritten zuzuordnen. Zunächst ist festzustellen, wem der Versicherungsvertrag zuzuordnen ist, der die Aufwendungen ausgelöst hat. Bei anteiliger Zuordnung sind die Aufwendungen entsprechend dem Zuordnungsverhältnis des Versicherungsvertrages zuzurechnen. Bei einheitlicher Zuordnung zu einem Unternehmensteil hat dieser sämtliche Aufwendungen zu tragen.

11.288 Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb (Verwaltungskosten). Die laufenden Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb in Gestalt von Verwaltungskosten (ohne „shareholder expenses“) sind demjenigen Unternehmensteil zuzuordnen, für den sie entstanden sind. So sind Personal- und Sachaufwendungen dem Unternehmensteil zuzurechnen, in dem das Personal seiner Tätigkeit nachgeht bzw. in dem die Vermögensgegenstände sich befinden, für die Sachaufwendungen angefallen sind. Soweit einzelne Tätigkeiten für andere Unternehmensteile erbracht werden, z.B. Leistungen der Vermögensverwaltung, die zentral an einem Ort gebündelt sind, sind diese Aufwendungen anteilig dem nutznießenden Unternehmensteil in dem Maße zuzurechnen, in dem dieser Unternehmensteil diese Leistungen im Verhältnis zu anderen Unternehmensteilen in Anspruch nimmt. Ein Aufteilungsmaßstab kann dabei das für Vermögensverwaltungszwecke von den einzelnen Unternehmensteilen zur Verfügung gestellte Kapital sein. Soweit diese Aufwendungen bereits den Zinssatz der durchschnittlichen Kapitalrendite gemindert haben, scheidet eine insoweit dann eine doppelte Zurechnung zur Versicherungsbetriebsstätte aus.

11.289 Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb („shareholder expenses“). Die sog. „shareholder expenses“ sind Aufwendungen, die beim Empfänger keinen Nutzen stiften. Sie sind deshalb grundsätzlich der Spitzeneinheit einer Unternehmensgruppe zuzurechnen. Ist die Spitzeneinheit ein Einheitsunternehmen, sind die sog. „shareholder expenses“ zumindest bis zum 31.12.2012 in Übereinstimmung mit dem BFH-Urt. v. 20.7.19882 auf alle Unterneh-

1 VWG BsGa, Rz. 338. 2 Vgl. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140 = FR 1988, 678.

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Andresen/Tenberge

D. Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 11.291 Kap. 11

mensteile aufzuteilen.1 Der Aufteilungsmaßstab muss dafür sorgen, dass die Unternehmensteile mit den sog. „shareholder expenses“ gleichmäßig belastet werden. Gleichmäßig bedeutet in diesem Fall, dass die relative Auswirkung auf das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit in den belasteten Unternehmensteilen gleich sein muss. Folglich sind die sog. „shareholder expenses“ im Verhältnis sämtlicher Erträge aus dem Versicherungs- und dem Nicht-Versicherungsgeschäft aufzuteilen, die den einzelnen Unternehmensteilen insgesamt zuzurechnenden sind. Nach dem AOA sind die „shareholder expenses“ spätestens ab dem 1.1.2015 der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen. Aufwendungen für Kapitalanlagen und sonstige Aufwendungen. Die Zurechnung von Aufwendungen für Kapitalanlagen und sonstige Aufwendungen vollzieht sich nach den in Rz. 11.286 ff. dargestellten Aufteilungsgrundsätzen.

11.290

Keine Verrechnung von Rückversicherungsleistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Angesichts der Tatsache, dass es in einem Einheitsunternehmen keine Innentransaktionen mit Gewinnrealisierung geben kann, erkennen die VWG BsGa Rückversicherungsgeschäfte zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht an.2 Der OECD Betriebsstättenbericht teilt diese Ansicht mit der Einschränkung, dass Innentransaktionen anzuerkennen seien und zur Gewinnrealisierung führen können, wenn der rückversichernde Unternehmensteil die für dieses Geschäft notwendigen Funktionen ausübt.3 Da bereits die Feststellung, ob es zu einem Risikotransfer gekommen ist, von der OECD als schwierig angesehen wird,4 ist der OECD-Ansatz, der einen Risikotransfer zwischen Stammhaus und Betriebsstätte annehmen möchte, grundsätzlich infrage zu stellen. Stattdessen sollte überlegt werden, ob nicht die anteilige Aufteilung von Wirtschaftsgütern und der damit verbundenen Erträge und Aufwendungen der Natur des Einheitsunternehmens als Risikogemeinschaft besser Rechnung trägt.5 Eine Rückversicherung innerhalb eines Unternehmens, d.h. eine Rückversicherung zwischen einer Versicherungsbetriebsstätte und dem übrigen Unternehmen, ist gem. § 28 BsGaV nicht als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anzuerkennen. Dagegen schließt § 28 BsGaV die Zuordnung eines Rückversicherungsvertrags nach § 9 BsGaV, den das Versicherungsunternehmen mit einem nahestehenden Versicherungsunternehmen oder mit einem unverbundenen Versicherungsunternehmen abschließt, zu einer Versicherungsbetriebsstätte nicht aus.6 Angesichts dieser einfachen Umgehungsmöglichkeit hat die grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit des Ausschlusses der internen Rückversicherung schon eine gewisse Berechtigung. Wirtschaftlich führt die Zuordnung eines Rückversicherungsvertrags zu der Möglichkeit, weniger versicherungstechnische Rückstellungen bilden zu müssen und entsprechend freigewordenes Kapital für Neugeschäft zu nutzen. Sofern kein Neugeschäft gezeichnet wird, reduziert sich die Rückstellungsbildung auch mit Wirkung auf die in einer Betriebsstätte zugeordneten Rückstellungen und Kapitalanlagen. Eine Berechnung des Dotationskapitals kann hierdurch ebenfalls notwendig werden. Allein die o.g. einfache Umgehungsmöglichkeit zeigt, dass die restriktive Haltung zur internen Rückversicherung überdacht werden sollte. Der von der OECD entwickelte Grundsatz des AOA, der u.a. eine Trennung von Funktion und Risiko verbieten möchte, sollte hier stärker beachtet werden. Wenn und soweit Personalfunktionen in der Betriebsstätte ausgeübt werden, die die zu übertragenden Risiken mana-

11.291

1 2 3 4 5 6

Vgl. BS-VWG, Tz. 4.2.2 und 4.2.3 für inländische und Tz. 4.2.4 für ausländische Betriebsstätten. Vgl. VWG BsGa, Rz. 339, zur Kritik an der vorherigen Regelung Vgl. Maser, VW 2000, 439. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 189. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 192. So wohl auch die OECD-Betriebsstättenbericht, Teil IV, Nr. 194. Vgl. VWG BsGa, Rz. 339.

Andresen/Tenberge 743

Kap. 11 Rz. 11.292

Sonderfälle

gen, und die diese Funktionen ausübenden Personen von der Aufsichtsbehörde als hinreichend erfahren und/oder ausgebildet angesehen werden, spricht aus der Perspektive des AOA nichts gegen einen Risikotransfer. Ein Risikotransfer ist ein aufsichtsrechtlich probates Mittel sich betriebswirtschaftlich so effizient wie möglich aufzustellen, indem man die Bilanz entlastet und ertragreicheres Neugeschäft abschließt. Nichts stimmt mehr mit dem Fremdvergleichsgrundsatz und seiner deutschen Ausprägung in Gestalt des ordentlichen gewissenhaften Geschäftsleiters überein, als nach dieser Maxime zu handeln. Einen internen Risikotransfer bei der zwischenstaatlichen Einkünfteabgrenzung nicht zuzulassen, entspricht nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz (siehe ausführlich auch Rz. 4.197).1

11.292 Gruppeninterne Versicherungsgesellschaften (Captives) als Niederlassung. Neben anderen Methoden der alternativen Risikofinanzierung bietet eine gruppeninterne Versicherungsgesellschaft (Captive) die Möglichkeit, ausgewählte Risiken zu versichern, wobei eine Captive meist die Rückversicherung des bei einem Erstversicherer in Deckung gegebenen Risikos übernimmt.2 Gehriger3 stellt in seinem Beitrag verschiedene Gestaltungsformen einer Captive in Form einer Schweizer Niederlassung einer ausländischen Captive vor. Einer solchen CaptiveBetriebsstätte wären die Versicherungsverträge zuzuordnen, deren Risiken durch das in ihr beschäftigte Personal beurteilt und gezeichnet werden („Underwriting“ durch das Personal der Captive-Betriebsstätte). Entsprechend wären ihr die Prämieneinnahmen sowie als Aufwendungen Rückversicherungsprämien, Aufwendungen für Schäden bzw. Rückstellungen etc. zuzurechnen.4 Neben das Problem der Einkünfteabgrenzung kann hier das Problem der Hinzurechnungsbesteuerung treten, wenn deren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Eine doppelte Belastung aus Einkünftekorrektur nach § 1 AStG und Hinzurechnung nach §§ 7 ff. AStG löst das BFH-Urteil v. 19.3.20025 durch Gegenberichtigung der § 1 AStG-Korrektur in den hinzuzurechnenden Einkünften hingegen auf.

E. Bauausführungen und Montage I. Besonderheiten bei Bau- und Montagebetriebsstätten . . . . . . . . . . 11.293

IV. Zuordnung von Vermögenswerten und des Bau- und Montagevertrages 11.304

II. Grundsätze der Gewinnermittlung bei Bau- und Montagebetriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.295

V. Abrechnung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen 1. Anwendung kostenorientierter Verrechnungspreismethoden a) Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.312 b) Bestimmung der Kostenbasis . . . 11.320

III. Funktions- und Risikoanalyse als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.301

1 Vgl. Andresen, RdF 2015, 303 ff. 2 Vgl. zu entsprechenden Gestaltungsmodellen Gehriger, StRev 1999, 3–8; Gehriger, StRev 1999, 93–99; Gehriger, StRev 2001, 642, 644. Ob die Captive das mit der Rückversicherung verbundene Risiko im Wege der Retrozession an einen Retrozessionar weitergibt und damit nicht im Konzern hält, ist für die Zuordnung des Rückversicherungsgeschäfts nicht von Bedeutung. 3 Gehriger, StRev 2001, 642 (644). 4 Vgl. zu der ertragsteuerlichen Behandlung ausländischer Captives in Niedrigsteuerländern N.N., IStR 2002, 560 ff.; wobei in Betriebsstättenfällen § 20 Abs. 2 AStG zu beachten ist, der jedoch lediglich auf ausländische Betriebsstätten unbeschränkt Steuerpflichtiger und nicht auf Betriebsstätten ausländischer Steuerpflichtiger, z.B. ein luxemburgisches Einheitsunternehmen mit Schweizer Captive-Betriebsstätte, anzuwenden ist. 5 Vgl. BFH v. 19.3.2002 – I R 4/01, BStBl. II 2002, 644.

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Andresen/Tenberge/Ditz

E. Bauausführungen und Montage

c) Bestimmung des Gewinnaufschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.328 2. Anwendung gewinnorientierter Methoden a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.331 b) Bestimmung des Projektergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.335

Rz. 11.293 Kap. 11

c) Bestimmung des Aufteilungsschlüssels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.337 3. Wechsel zwischen den Verrechnungspreismethoden . . . . . . . . . . . . 11.340 VI. Hilfs- und Nebenrechnung. . . . . . . . 11.343

I. Besonderheiten bei Bau- und Montagebetriebsstätten Temporäre und projektbezogene Betriebsstätte. Bau- und Montagebetriebsstätten i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO und Art. 5 Abs. 3 OECD-MA sind als sog. temporäre Betriebsstätten – im Gegensatz zu Dauerbetriebsstätten i.S.d. § 12 Satz 1 AO und Art. 5 Abs. 1 OECD-MA – dadurch gekennzeichnet, dass in ihnen keine dauerhafte gewerbliche Tätigkeit ausgeübt wird; vielmehr erstreckt sich deren Geschäftstätigkeit regelmäßig auf ein konkretes Projekt und infolgedessen auf eine zeitlich begrenzte Dauer.1 Bauausführungen umfassen sämtliche denkbaren Hoch- und Tiefbautätigkeiten, wie z.B. den Bau von Gebäuden, Straßen, Brücken und Kanälen sowie das Verlegen von Pipelines.2 Dabei muss es sich nicht um die komplette Erstellung eines neuen Bauwerks handeln, sondern es genügen auch Baunebentätigkeiten, wie z.B. der Einbau von Heizungsanlagen, Fenstern und Türen sowie Gerüstarbeiten.3 Ferner fallen i.d.R. auch bauüberwachende und bauleitende Tätigkeiten unter den Begriff der Bauausführung.4 Nach der Rechtsprechung gilt als „Montage“5 das Zusammenfügen von Einzelheiten oder deren Ein- oder Umbau zu einer einheitlichen Sache6 (z.B. in Form einer technischen Anlage).7 Unter den Montagebegriff fällt damit insbesondere der sog. Anlagenbau;8 hingegen werden reine Wartungs-, Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten durch den Montagebegriff nicht erfasst.9 Grundsätzlich sind die Begriffe der Bauausführung und der

1 Vgl. nur BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 341– im Folgenden VWG BsGa; Bendlinger, SWI 2016, 188 (193 f.). 2 Vgl. Art. 5 Tz. 17 OECD-MK 2014; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.1 – im Folgenden BS-VWG. 3 Vgl. BFH v. 22.9.1977 – IV R 51/72, BStBl. II 1978, 140; v. 21.10.1981 – I R 21/78, BStBl. II 1982, 241 = FR 1982, 126. 4 Siehe dazu im Einzelnen BS-VWG, Tz. 4.3.2; Art. 5 Tz. 17 OECD-MK 2014; BFH v. 13.11.1962 – I B 224/61 U, BStBl. III 1963, 71; FG München v. 18.3.1975 – II 43/72, EFG 1975, 489; Tillmann, FR 1971, 306 ff.; Bendlinger, SWI 2005, 109 (114); Hruschka in S/D, Art. 5 OECD-MA (2010) Rz. 95; Görl in Vogel/Lehner6, DBA, Art. 5 Rz. 61; Reiser/Glöggler/Mödinger, Ubg 2011, 344 (347). 5 Dem Montagebegriff gem. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO kommt neben dem Begriff der Bauausführung eine selbständige Bedeutung zu, vgl. BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 983 = FR 1990, 752. 6 Sachen sind körperliche Gegenstände i.S.d. § 90 BGB. 7 Vgl. BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 983 = FR 1990, 752; v. 13.11.1990 – VIII R 152/86, BStBl. II 1991, 94 = FR 1991, 117; v. 20.1.1993 – I B 106/92, BFH/NV 1993, 404; s. ferner BS-VWG, Tz. 4.3.1. 8 Vgl. dazu Bendlinger/Remberg/Kuckhoff, IStR 2002, 40 ff.; Bendlinger, SWI 2005, 109 ff.; Remberg, IStR 2006, 545; Kahle/Kindich, DStZ 2015, 751 (753). 9 Vgl. BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 983 = FR 1990, 752; v. 19.11.2003 – I R 3/02, BStBl. II 2004, 932 m.w.N.

Ditz 745

11.293

Kap. 11 Rz. 11.294

Sonderfälle

Montage jedoch weit auszulegen.1 Folglich sind neben der eigentlichen Kerntätigkeit auch solche im Rahmen einer Bauausführung oder Montage vertraglich geschuldeten Teilleistungen der Bau- und Montagebetriebsstätte zuzuordnen, die in einem unmittelbaren sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Errichtung des Bauwerks bzw. der Montageleistung stehen. Dazu gehören z.B. – Überwachung der Bauausführung und Montage, – Inbetriebsetzung, – Probeläufe und Abnahme des Bauwerks bzw. der Anlage, – Personalschulung, soweit diese begleitend zur Errichtung des Bauwerks bzw. der Anlage erfolgt und vor dessen Abnahme endet.2

11.294 Leistungsverflechtung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Bei Bauausführungen und Montagen erfolgt die Leistungserbringung gegenüber dem (unternehmensexternen) Auftraggeber i.d.R. gleichermaßen durch das Stammhaus und die Betriebsstätte. Die Leistungsbeiträge der beiden Unternehmensteile sind häufig so eng miteinander verflochten, dass eine Zuordnung einzelner Teilleistungen zum Stammhaus bzw. zu der Bau- und Montagebetriebsstätte nur schwerlich oder gar nicht möglich ist. Dies hat Auswirkungen auf die Betriebsstättengewinnermittlung, insbesondere im Bereich des internationalen Anlagenbaus. Häufig werden im internationalen Anlagenbau durch das auftragnehmende internationale Einheitsunternehmen gegen einen Festpreis schlüsselfertige Anlagen, Bauwerke oder Infrastrukturprojekte für einen Auftraggeber errichtet. Diese sog. „Turnkey“-Projekte sind dadurch gekennzeichnet, dass der Auftragnehmer als Generalunternehmer („General Contractor“) gegenüber dem Auftraggeber ein Sammelsurium einzelner (Teil-)Leistungen erbringt, die mit einem Pauschalpreis entgolten werden. Der Auftragnehmer erbringt damit ein ganzes Leistungsbündel,3 das neben der eigentlichen Bau- bzw. Montagetätigkeit weitere Zusatzleistungen (z.B. Projektfinanzierung, kaufmännische und technische Projektplanung, Bereitstellung von Know-how, Aufbau einer Baustellen-Infrastruktur, Beauftragung von Subunternehmern, Bauüberwachung, Inbetriebnahme und Probebetrieb der Anlage, Schulung und Training von Personal, Wartung und Instandhaltung) umfasst.4 Die Teilleistungen werden i.d.R. im Rahmen eines kontinuierlichen Herstellungsprozesses – zeitlich und sachlich ineinander verzahnt – sowohl vom Stammhaus als auch von der Bau- und Montagebetriebsstätte erbracht.5 Dabei verlagern sich regelmäßig die zu Beginn überwiegend im Stammahaus ausgeübten Funktionen (z.B. Fertigung der Anlagenteile, Baustellenplanung etc.) im zeitlichen Ablauf auf die ausländische Bau- und Montagebetriebsstätte bzw. gehen ineinander über (z.B. durch Montage der vom Stammhaus gelieferten Teile). Zudem sind oftmals Unternehmen aus verschiedensten Branchen und Nationen in Bau- und Montageprojekte involviert, was eine Zuordnung der aus dem Projekt erwirtschafteten Gewinne oder Verluste zusätzlich erschwert.6

1 So auch Bendlinger, Die Betriebsstätte3, 161 f. 2 Vgl. Löwenstein in Löwenstein/Looks/Heinsen2, Rz. 1308; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 317 f. 3 Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 363. 4 Zur Veranschaulichung vgl. das Beispiel von Bendlinger, Die Betriebsstätte3, 157 f. 5 Vgl. Remberg in Piltz/Schaumburg, 115 f.; Bendlinger in FS Loukota, 50; Remberg, IStR 2006, 545. 6 Vgl. Bendlinger, Die Betriebsstätte3, 370 ff.

746

Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.297 Kap. 11

II. Grundsätze der Gewinnermittlung bei Bau- und Montagebetriebsstätten Sonderregelungen der §§ 30–34 BsGaV. Der Gesetzgeber hat durch die Implementierung des AOA die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte („separate entity approach“) für Zwecke der Einkünfteabgrenzung in § 1 Abs. 5 AStG umgesetzt.1 Konkretisierende Vorschriften hinsichtlich der Einkünfteabgrenzung sind in der BsGaV sowie den VWG BsGa erlassen worden. Grundsätzlich sind auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte die allgemeinen Grundsätze der §§ 1–17 BsGaV anzuwenden.2 Allerdings weisen Bau- und Montagebetriebsstätten die Besonderheiten auf, dass einerseits ihre Dauer i.d.R. eine relativ kurzfristige, d.h. vorübergehende, ist (vgl. Rz. 11.1); andererseits besteht eine sehr starke wirtschaftliche Verzahnung mit dem Stammhaus (vgl. Rz. 11.2). Diese Besonderheiten wirken sich unmittelbar auf die Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Bau- und Montagebetriebsstätte aus (vgl. z.B. Rz. 11.14). Infolgedessen sehen die BsGaV in §§ 30–34 BsGaV und die VWG BsGa in Tz. 341 ff. zu Recht Sonderregelungen für die Ermittlung des Gewinns bei Bau- und Montagebetriebsstätten vor, wenngleich die OECD in ihrem Betriebsstättenbericht 2010 solche Sonderregelungen nicht vorgesehen hat. Infolgedessen muss man sehen, dass den Regelungen der BsGaV und der VWG BsGa ein mit der OECD international abgestimmtes „Gerüst“ fehlt.3

11.295

Definition der Bau- und Montagebetriebsstätte. Die Sonderregelungen der §§ 30–34 BsGaV gelten grundsätzlich für Bau- und Montagebetriebsstätten. Was eine solche Bau- und Montagebetriebsstätte ist, wird indessen in § 30 BsGaV nicht konkretisiert. Vielmehr wird hier ausgeführt, dass eine Betriebsstätte, die Bau- oder Montagearbeiten durchführt und nach Abschluss der Bau- oder Montagearbeiten endet, als Bau- und Montagebetriebsstätte qualifiziert. Diese Regelung ist allerdings nicht so zu verstehen, als ob sie eine eigenständige Definition der Bau- und Montagebetriebsstätte regelt. Vielmehr ergibt sich der Begriff der Bau- und Montagebetriebsstätte aus § 12 Satz 2 Nr. 8 AO und – abkommensrechtlich – aus Art. 5 Abs. 3 OECD-MA bzw. der konkreten, die Bau- und Montagebetriebsstätte definierenden Abkommensklausel. Ob eine Bau- und Montagebetriebsstätte i.S.d. § 30 Satz 1 BsGaV entsteht, kann sich daher nur aus diesen Vorschriften ergeben.4 Übt eine Bau- und Montagebetriebsstätte auch eine andere Geschäftstätigkeit aus, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erledigung des Bau- und Montagevertrags steht, sind diese Einkünfte aus der anderen Geschäftstätigkeit nach den allgemeinen Regeln der §§ 1–17 BsGaV zu bestimmen. Auf Betriebsstätten gem. § 12 Satz 1 AO und Art. 5 Abs. 1 OECD-MA finden die Sonderregelungen der §§ 30–34 BsGaV keine Anwendung.5

11.296

Bau- und Montageunternehmen. Ein Unternehmen, zu dem eine Bau- und Montagebetriebsstätte gehört, wird in § 30 BsGaV als Bau- und Montageunternehmen definiert. Dies gilt unabhängig davon, welchen Anteil die Bau- und Montagetätigkeit an der Geschäftstätigkeit des Unternehmens ausmacht.6

11.297

Beispiel: Ein inländisches Unternehmen X produziert und vertreibt Baumaschinen. Im Jahr 2015 betreibt es mit eigenem Personal einmal eine Bau- und Montagebetriebsstätte im Staat A. Auch wenn

1 2 3 4 5 6

Vgl. zur Umsetzung des AOA in deutsches Recht nur Bendlinger, SWI 2016, 188 (190 ff.). Vgl. § 30 BsGaV. Zum deutschen „Alleingang“ vgl. auch Bendlinger, TPI 2017, 58 (65 f.). So zutreffend auch VWG BsGa, Rz. 348. A.A. Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (598). Vgl. VWG BsGa, Rz. 349.

Ditz 747

Kap. 11 Rz. 11.298

Sonderfälle

X nur einmalig eine Bau- und Montagebetriebsstätte hat, ist X für die Gewinnaufteilung zwischen A und dem übrigen Unternehmen ein Bau- und Montageunternehmen i.S.d. § 30 Satz 2 BsGaV. Sollte eine Bau- und Montagebetriebsstätte auch eine andere Geschäftstätigkeit ausüben, die nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Erledigung des Bau- und Montagevertrags steht, sind ihre Einkünfte aus der anderen Geschäftstätigkeit nach den allgemeinen Regeln der §§ 1–17 BsGaV zu bestimmen.

11.298 Besonderheiten bei Arbeitsgemeinschaften. Die Arbeitsgemeinschaft (sog. „ARGE“) wird im Allgemeinen als Zusammenschluss von Unternehmen zur Ausführung eines gemeinsamen Auftrags definiert.1 Sie zeichnet sich durch einen nach außen eigenständigen Auftritt als Organisationseinheit aus.2 Die ARGE-Partner arbeiten infolgedessen über die ARGE auf gemeinsame Rechnung. Das Ergebnis aus der gemeinsamen Erfüllung eines Auftrags wird gepoolt und anhand eines vereinbarten Schlüssels zwischen den ARGE-Partnern aufgeteilt.3 Insbesondere in der Baubranche ist der Zusammenschluss von Bau- und Montageunternehmen in Form der ARGE zur gemeinsamen Ausführung von Bau- und Montagevorhaben weit verbreitet.4 Um einen Bauauftrag zu erfüllen, überlassen die Partner der ARGE oftmals Personal und zur Erfüllung des Bauauftrags benötigte Mittel (z.B. Maschinen) oder bringen diese in die ARGE ein.5 I.d.R. ist die ARGE – vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen – eine Mitunternehmerschaft i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG, sofern die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 EStG erfüllt werden.6 Besteht der Zweck der ARGE in der Erfüllung eines einzigen Werk- oder Werklieferungsvertrags, sind die Erleichterungen des § 180 Abs. 4 AO und des § 2a GewStG zu beachten. Da der Zweck der ARGE in der gemeinsamen Erfüllung von Aufträgen besteht, sind Bau- und Montageverträge regelmäßig der ARGE zuzuordnen. Die ARGE wird durch ihre Partnerunternehmen (Gesellschafter) tätig, so dass die einzelnen Partner unter den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 OECD-MA bzw. § 12 Satz 3 Nr. 8 AO eine eigenständige Bau- und Montagebetriebsstätte begründen können, auf die die Vorschriften der §§ 30 ff. BsGaV anzuwenden sind. Die Tätigkeiten der Partner sind mit denen eines Subunternehmers vergleichbar, der im Auftrag der ARGE Bauausführungen und Montagen ausführt. Insoweit ist es denkbar, dass neben der Bau- und Montagebetriebsstätte der ARGE weitere Bau- und Montagebetriebsstätten des jeweiligen Partners begründet werden. Aus Vereinfachungsgründen ist es möglich, den Bau- und Montagevertrag nicht der ARGE, sondern ihren Partnern zuzuordnen. Bei Anwendung der Vereinfachungsregeln ist davon auszugehen, dass jeder Partner eine Bau- und Montagebetriebsstätte i.S.d. § 30 BsGaV betreibt. Übt die ARGE bspw. die Verwaltung und Koordination der Bauprojekte durch und begründet infolgedessen eine Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA bzw. § 12 Satz 1 AO, ist der Gewinn nach §§ 1–17 BsGaV zu ermitteln und gem. des im ARGE-Vertrag vereinbarten Gewinnaufteilungsschlüssels aufzuteilen.7 Es wäre falsch, in diesen Fällen von der Anwendung kostenorientierter Verrechnungspreismethoden auszugehen (vgl. dazu Rz. 11.317 ff.).

11.299 Besonderheiten bei Konsortien. Die Kooperationsform des Konsortiums ist eine Gelegenheitsgesellschaft bei der sich zwei oder mehrere Unternehmen zur Erreichung eines gemein1 Vgl. nur Drüen in Blümich, § 2a GewStG Rz. 15. 2 Vgl. Schaub, Der Konsortialvertrag unter besonderer Berücksichtigung des Industrieanlagenbaus, Heidelberg 1990, 41; Messerschmidt/Thierau, NZBau 2007, 679. 3 Vgl. Bendlinger, Die Betriebsstätte3, 198 f. 4 Bendlinger, TPI 2017, 58 (60). 5 Vgl. Schaub, Der Konsortialvertrag unter besonderer Berücksichtigung des Industrieanlagenbaus, Heidelberg 1990, 41; Bendlinger, Die Betriebsstätte3, 201. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 345. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 345.

748

Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.300 Kap. 11

samen Ziels zusammenschließen. I.d.R. treten die einzelnen beteiligten Unternehmen (sog. Konsortil-Partner) ggü. dem Auftraggeber selbständig auf. Gleichwohl schließt der Auftraggeber die Verträge mit dem Konsortium ab.1 Für die fristgerechte und auftragsgerechte Durchführung des Auftragsgegenstands haften die Konsortial-Partner i.d.R. einzeln und gemeinsam (gesamtschuldnerische Haftung).2 Die Abgrenzung zwischen Konsortium und ARGE erfolgt oft nur rein begrifflich.3 Unterschiede ergeben sich aus den Vereinbarungen im Innenverhältnis. In Abgrenzung zur ARGE agieren die Konsortial-Partner als hätten sie über den Leistungsumfang und die Vergütung einen separaten Vertrag mit dem Auftraggeber geschlossen. Die Konsortial-Partner arbeiten zudem auf eigene Rechnung.4 Das Konsortium ist i.d.R. ertraglos und besitzt kein Gesamthandsvermögen. Infolgedessen besteht auf Ebene des Konsortiums keine Gewinnerzielungsabsicht, so dass es sich um keine Mitunternehmerschaft i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG handelt.5 Die Gewinne aus dem Konsortialvertrag entstehen bei den einzelnen Konsortial-Partnern, denen die Bau- und Montageverträge (anteilig) zuzuordnen sind. Ob eine Bau- und Montagebetriebsstätte begründet wird und inwieweit dieser ein Gewinn zuzuordnen ist, ist gesondert für jeden Konsortial-Partner zu prüfen.6 Zeitlicher Anwendungsbereich. § 34 BsGaV enthält besondere Übergangsregelungen für die Anwendung der BsGaV auf Bau- und Montagebetriebsstätten i.S.d. § 30 BsGaV. So können Bau- und Montagebetriebsstätten, die vor dem 1.1.2013 bestanden haben, bis zu ihrer Beendigung die bisher von der Finanzverwaltung anerkannten Grundsätze zur Betriebsstättengewinnermittlung anwenden.7 Eine kostenintensive Umstellung der Betriebsstättengewinnermittlung wird in diesen Fällen vermieden, da die ursprüngliche Kalkulation der Bauausführung und Montage die sich aus der BsGaV ergebenden Änderungen nicht berücksichtigt.8 Beispiel: Die in Deutschland ansässige Bau GmbH wird am 31.10.2012 mit dem Aushub einer Baugrube in Mailand/Italien beauftragt. Es wird eine Bau- und Montagebetriebsstätte i.S.d. § 30 BsGaV begründet. Im Februar 2013 wird die Bau GmbH mit der Errichtung eines Rohbaus auf dem zuvor bearbeiteten Grundstück beauftragt. Aufgrund des wirtschaftlichen und örtlichen Zusammenhangs zwischen dem Vertrag über den Rohbau und dem Aushub der Baugrube ist von einer einheitlichen Bau- und Montagebetriebsstätte auszugehen (Gesamtprojekt). Infolgedessen entstand die Betriebsstätte vor dem 1.1.2013, so dass die bisher von der Finanzverwaltung anerkannten Grundsätze zur Betriebsstättengewinnermittlung9 angewendet werden können. Zudem ist eine Anwendung der neuen Grundsätze für Bau- und Montagebetriebsstätten, die in den Jahren 2013 und 2014 begründet wurden, ungeachtet des § 1 Abs. 5 AStG möglich. Dies setzt nach Auffassung der Finanzverwaltung voraus, dass das Unternehmen nachweisen kann, dass die Kostenkalkulation auf Grundlage der bisher von der Finanzverwaltung anerkannten Grundsätze zur Betriebsstättengewinnermittlung erfolgt ist. Ansonsten würde die Anwendung der Vorschriften der BsGaV der

1 Vgl. Bendlinger, Die Betriebsstätte3, 196. 2 Vgl. Messerschmidt/Thierau, NZBau 2007, 679; Bendlinger, Die Betriebsstätte3, 196. 3 Vgl. Schaub, Der Konsortialvertrag unter besonderer Berücksichtigung des Industrieanlagenbaus, Heidelberg 1990, 41; Messerschmidt/Thierau, NZBau 2007, 679. 4 Vgl. Bendlinger, Die Betriebsstätte3, 196 f.; Messerschmidt/Thierau, NZBau 2007, 679. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 346; Bendlinger, Die Betriebsstätte3, 198. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 346. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 383. 8 Vgl. § 34 Abs. 1 BsGaV i.V.m. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 132. 9 Vgl. BS-VWG, Rz. 4.3.

Ditz 749

11.300

Kap. 11 Rz. 11.301

Sonderfälle

vorgenommenen Kalkulation die Grundlage entziehen.1 Unter Beachtung des § 34 Abs. 2 BsGaV können Bau- und Montagebetriebsstätten, die nach dem 31.12.2014 aber vor dem Ablauf eines abweichenden Wirtschaftsjahrs 2014/2015 begründet wurden, die bisher von der Finanzverwaltung anerkannten Grundsätze zur Betriebsstättengewinnermittlung anwenden. Indessen ist ungeklärt, in welcher Art und Weise der Nachweis durch das Unternehmen zu erbringen ist.2 Schließlich ändern die neuen Vorschriften zur Betriebsstättengewinnermittlung nichts an den tatsächlichen Kosten, die durch eine Bauausführung oder Montage entstehen. Gleichwohl kann es zu einer Änderung der Kosten- und Gewinnzuordnung kommen, mit der Folge, dass sich die Steuerbelastung aus der Bauausführung oder Montage ändert. Infolgedessen hat eine schlüssige Begründung gegenüber der Finanzverwaltung bspw. interne Dokumente der Angebotskalkulation zu beinhalten, die belegen, dass steuerliche Zuordnungsentscheidungen unter Anwendung der bisherigen Vorschriften zur Betriebsstättengewinnermittlung in der Kalkulation berücksichtigt wurden und eine Anwendung der Vorschriften der BsGaV mit einer Änderung der getroffenen Zuordnungsentscheidungen einhergeht, die der Kalkulation die Grundlage entzieht. Beispiel: Die Bau GmbH hat ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1.4. bis zum 31.3. Im Februar 2015 begründet die Bau GmbH eine Bau- und Montagebetriebsstätte i.S.d. § 30 BsGaV in Spanien. Unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 BsGaV kann die Bau GmbH die bisher von der Finanzverwaltung anerkannten Grundsätze zur Betriebsstättengewinnermittlung anwenden. Maßgeblich ist der Beginn des Wirtschaftsjahres der Bau GmbH, so dass im vorliegenden Beispielsfall § 34 Abs. 2 BsGaV für alle Bau- und Montagebetriebsstätten anwendbar ist, die vor dem 31.3.2015 begründet wurden.

III. Funktions- und Risikoanalyse als Ausgangspunkt 11.301 Anwendung der allgemeinen Grundsätze des AOA. Die Ermittlung des Gewinns einer Bauund Montagebetriebsstätte hat – nach den allgemeinen Regeln – auf Basis einer Funktionsund Risikoanalyse der Betriebsstätte zu erfolgen. In einem ersten Schritt sind die Funktionen der Betriebsstätte zuzuordnen, die durch ihr Personal ausgeübt werden (sog. Personalfunktionen). Auf Basis der Analyse der von der Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen sind ihr die Vermögenswerte zuzuordnen, die für die Ausübung der ihr zugeordneten Personalfunktionen notwendig sind. Anschließend sind die mit den zugeordneten Personalfunktionen und Vermögenswerten verbundenen Chancen und Risiken zu identifizieren und ein angemessenes Eigenkapital (Dotationskapital) zu bemessen.3 In einem zweiten Schritt sind auf Basis der Funktions- und Risikoanalyse anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (sog. „Dealings“) zu identifizieren und unter Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu bewerten.4 Infolgedessen ergeben sich hinsichtlich der methodischen Anwendung des AOA bei Bau- und Montagebetriebsstätten gegenüber „normalen“ Betriebsstätten keine Unterschiede.

11.302 Konkretisierung der Personalfunktionen bei Bau- und Montagebetriebsstätten. Der Begriff der Personalfunktion ist auch im Zusammenhang mit der Gewinnermittlung bei Bauund Montagebetriebsstätten von zentraler Bedeutung, entscheidet er doch darüber, welche Vermögenswerte, Chancen und Risiken (insbesondere in Form des Bau- und Montagevertrages),5 welches Dotationskapital, welche Passivposten und welche Geschäftsvorfälle der 1 2 3 4 5

Vgl. § 34 Abs. 2 BsGaV. Vgl. dazu auch Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (599). Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG i.V.m. §§ 1–17 BsGaV. Vgl. nur § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG. Vgl. § 31 Abs. 4 BsGaV; VWG BsGa, Rz. 353 ff.

750

Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.302 Kap. 11

Betriebsstätte zuzuordnen sind. Die Veränderung von Personalfunktionen zwischen der Bauund Montagebetriebsstätte und dem Stammhaus (übriges Bau- und Montageunternehmen) kann daher z.B. die Überführung von Vermögenswerten verbunden mit entsprechenden Gewinnrealisierungen nach sich ziehen. § 2 Abs. 3 BsGaV definiert eine Personalfunktion als eine Geschäftstätigkeit, die von eigenem Personal des Unternehmens für das Unternehmen ausgeübt wird. Im Hinblick auf die im Rahmen von Bauausführungen und Montagen ausgeübten Geschäftstätigkeiten können dabei folgende Personalfunktionen identifiziert werden.1 Auftragsgewinnung: – Angebotserstellung; – Führen der Vertragsverhandlungen. Baufinanzierung und -versicherung: – Organisation der Finanzierung des Projekts (eigene Finanzierung sowie Entwicklung von Finanzierungsgestaltungen für den Auftraggeber); – Versicherung des Projekts (einschließlich der Besorgung von Exportkreditversicherungen, wie z.B. Hermes-Versicherungen). Bauplanung/Engineering: – Zurverfügungstellung von Prozesstechnologie; – Projektplanung (Erstellung eines technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Konzepts für die Auftragsdurchführung); – Erstellung eines Plans für die Auftragsdurchführung (sog. „Engineering“);2 – Auswahl geeigneter Subunternehmer, Lieferanten und sonstiger Projektpartner im Betriebsstättenstaat. Materialbeschaffung/Anschaffung: – Erwerb oder eigene Entwicklung des notwendigen Know-hows zur Auftragsdurchführung; – eigene Herstellung oder externer Einkauf der für das Projekt notwendigen Materialien; – Lagerung; – Transport. Bauausführung und Montage: – Bauausführung und Montage im engeren Sinne (einschließlich Inbetriebnahme des Bauwerks oder der Anlage); – Einbau des sog. „local content“, d.h. von Teilen, die unmittelbar im Betriebsstättenstaat eingekauft, gefertigt oder vom Auftraggeber beigestellt werden; – Bau- oder Montageüberwachung (ggf. auch von Subunternehmern); – kaufmännische und technische Koordination des Projekts; 1 Vgl. auch Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159 (161 ff.); Hentschel/Kraft, IStR 2015, 193 f. 2 Zur steuerlichen Behandlung des „Engineering“ im Einzelnen vgl. Sonntag, IStR 1996, 463 ff.; Dubberke, IStR 1998, 662 ff.

Ditz 751

Kap. 11 Rz. 11.303

Sonderfälle

– technische, rechtliche oder steuerliche Beratung vor Ort; – Lieferung spezifischer Software; – Gewährung von Lizenzen; – Probebetrieb des Bauwerks oder der Anlage; – Nachbesserung von Mängeln, die bei Abnahme des Bauwerks oder der Anlage identifiziert wurden; – Schulung und Training von Personal des Auftraggebers im Betriebsstättenstaat. After Sales Management: – Entwicklung von Schulungs- und Trainingsunterlagen; – Bearbeitung von Mängelrügen nach Abnahme des Bauwerks oder der Anlage; – Technische Assistenz zur Optimierung des Produktionsprozesses.

11.303 Dauer der Zuordnung. Im Grundsatz sind einer Betriebsstätte so lange Personalfunktionen zuzuordnen, wie diese die Personalfunktionen ausübt, d.h., dass die Zuordnung unabhängig von der Ausübungsdauer erfolgt.1 Für die Zuordnungsentscheidung ist auf den Ort der Ausübung der Personalfunktion abzustellen.2 Davon abweichend ist eine Personalfunktion nicht der Betriebsstätte zuzuordnen, wenn die ausgeübte Personalfunktion keinen sachlichen Bezug zur Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte aufweist und die Ausübung an weniger als 30 Tagen innerhalb eines Wirtschaftsjahres erfolgt.3 Beispiel: Der Projektleiter A der Bau GmbH reist für drei Wochen nach Luxemburg, wo die Bau GmbH eine Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA betreibt. Dort bereitet sich A für seinen Einsatz in der Bau- und Montagebetriebsstätte der Bau GmbH in Brasilien vor. Es besteht kein Zusammenhang zwischen der vorbereitenden Tätigkeit des A und der Tätigkeit der luxemburgischen Betriebsstätte. Die Tätigkeit des A in der luxemburgischen Betriebsstätte ist keine Personalfunktion dieser Betriebsstätte gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 BsGaV. Vielmehr handelt es sich um eine Personalfunktion der brasilianischen Bau- und Montagebetriebsstätte gem. § 30 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 BsGaV. Die etwaige Nutzung der Infrastruktur der luxemburgischen Betriebsstätte durch A ist, mittelbar über das Stammhaus, der Bau- und Montagebetriebsstätte fremdüblich gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BsGaV zu berechnen.

IV. Zuordnung von Vermögenswerten und des Bau- und Montagevertrages 11.304 Ergänzung der allgemeinen Zuordnungsregeln. Nach den allgemeinen Regeln sind ausgehend von der Betriebsstätte zugeordneten Personalfunktionen der Betriebsstätte gem. § 1 Abs. 2 Nr. 2 BsGaV Vermögenswerte zuzuordnen. § 2 Abs. 6 Satz 1 BsGaV definiert den Vermögenswert als Wirtschaftsgüter und Vorteile, zu denen gem. § 2 Abs. 6 Satz 2 BsGaV ins1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 71; Bendlinger vertritt die Auffassung, dass bei genauer Betrachtung im Bereich des Anlagenbaus ausschließlich dem Stammhaus die Personalfunktionen zuzuordnen sind; vgl. Bendlinger, Die Betriebsstätte3, 374. 2 Vgl. Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159 (162). 3 Vgl. dazu die allgemeinen Vorschriften zur Zuordnung von Personalfunktionen gem. § 30 i.V.m. § 4 Abs. 1 BsGaV sowie VWG BsGa, Rz. 73.

752

Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.305 Kap. 11

besondere materielle Wirtschaftsgüter, immaterielle Werte einschließlich immaterieller Wirtschaftsgüter, Beteiligungen und Finanzanlagen sowie sonstige Vermögenswerte gehören. Diese allgemeinen Zuordnungsregeln gelten auch bei Bau- und Montagebetriebsstätten, so dass auch hier die Vermögenswerte den Personalfunktionen „folgen“. Allerdings erfordert die Zuordnung von Vermögenswerten zu einer Bau- und Montagebetriebsstätte neben deren in §§ 4–8 BsGaV definierten maßgeblichen Personalfunktionen eine „zusätzliche“ Personalfunktion hinsichtlich der Anschaffung, Herstellung, Veräußerung oder Verwertung.1 Infolgedessen wird die Zuordnung von Vermögenswerten zur Bau- und Montagegesellschaft nach Auffassung der Finanzverwaltung auf Ausnahmefälle begrenzt. Es kommt i.d.R. zu keiner Anschaffung von Vermögenswerten durch die Bau- und Montagebetriebsstätte, sondern nur zu einer Nutzung der vom übrigen Unternehmen (Stammhaus) angeschafften oder hergestellten Vermögenswerte über einen begrenzten Zeitraum.2 Wenngleich die Rechtsgrundlage und wirtschaftliche Begründung einer zusätzlichen Personalfunktion aus der BsGaV nicht deutlich wird, führt diese Annahme dazu, dass Vermögenswerte fast regelmäßig dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) zuzuordnen sind und es infolgedessen bei einer Nutzung des entsprechenden Vermögenswertes durch die Bau- und Montagebetriebsstätte nicht zu Entstrickungs- oder Verstrickungsthemen kommt. Dies ist einerseits aus praktischer Sicht zu begrüßen, führt es doch zu einer Erleichterung der Gewinnermittlung bei Bau- und Montagebetriebsstätten, da sich das Ent- und Verstrickungsthema nicht stellt. Ob die ausländischen Finanzbehörden diesen Ansatz, der letztlich zu einer Minderung der Kostenbasis führt (vgl. Rz. 11.306), akzeptieren, ist mehr als fraglich. Dass daraus das Risiko einer internationalen Doppelbesteuerung erwächst, ist offensichtlich.3 Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BsGaV ist ein materielles Wirtschaftsgut, das in einer Bau- und Montagebetriebsstätte genutzt wird, dieser nur zuzuordnen, wenn dort neben der Nutzung zusätzlich auch Personalfunktionen ausgeübt werden, die im Zusammenhang mit der Anschaffung, der Herstellung, der Veräußerung oder der Verwertung des materiellen Wirtschaftsguts stehen. Infolgedessen ist die reine Nutzung eines materiellen Wirtschaftsguts in der Bau- und Montagebetriebsstätte noch nicht ausreichend dafür, dieses der Bau- und Montagebetriebsstätte für Zwecke der Gewinnermittlung zuzuordnen. Vielmehr verbleibt das materielle Wirtschaftsgut i.d.R. beim übrigen Unternehmen (Stammhaus), so dass es der Bau- und Montagebetriebsstätte für Zwecke der Gewinnermittlung unentgeltlich beigestellt wird.4 In praxi kann bspw. eine Zuordnung von materiellen Vermögenswerten zur Bau- und Montagebetriebsstätte erfolgen, wenn Baumaschinen u.Ä. nach der Nutzung im Betriebsstättenstaat verschrottet oder verkauft werden.5 Beispiel: Die inländische Bau GmbH wurde mit der Errichtung eines Businesscenters in Breslau/Polen beauftragt. Für die Durchführung des Auftrags werden diverse Baumaschinen der Bau GmbH auf der polnischen Baustelle eingesetzt, die nach der Beendigung des Projekts wieder in Deutschland genutzt werden. Die Baumaschinen sind materielle Vermögenswerte i.S.d. § 5 Abs. 1 BsGaV, deren maßgebliche Personalfunktion die Nutzung ist. Da die Nutzung auf der polnischen Baustelle erfolgt, wären die Baumaschinen nach den allgemeinen Vorschriften der BsGaV der Bau- und Montagebetriebsstätte zuzuordnen. § 31 Abs. 1 BsGaV setzt allerdings voraus, dass die Bau- und Montagebetriebsstätte neben

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Vgl. § 31 Abs. 1 und 3 BsGaV. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 125 ff. Kritisch auch Bendlinger, TPI 2017, 58 (65). So ausdrücklich auch § 31 Abs. 2 BsGaV. Vgl. Bendlinger, SWI 2016, 194.

Ditz 753

11.305

Kap. 11 Rz. 11.306

Sonderfälle

der Personalfunktion Nutzung eine weitere hinsichtlich Anschaffung, Herstellung, Veräußerung oder Verwertung ausübt. Diese „zusätzlichen“ Personalfunktionen werden hingegen vom Stammhaus in Deutschland ausgeübt, so dass eine Zuordnung der Baumaschinen zur polnischen Bau- und Montagebetriebsstätte ausscheidet. Dadurch wird das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich der Baumaschinen nicht eingeschränkt, so dass keine Entstrickung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG sowie § 12 Abs. 1 KStG erfolgt. Zudem ist für die Zuordnung eines Vermögenswertes zu einer Bau- und Montagebetriebsstätte erforderlich, dass die Bedeutung der von der Bau- und Montagebetriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen i.S.d. § 31 Abs. 1 Satz 1 BsGaV gegenüber dem Stammhaus qualitativ eindeutig überwiegen.1 Im Ergebnis erfolgt eine Zuordnung der Vermögenswerte bei Bau- und Montagebetriebsstätten im Regelfall zum Stammhaus, da insbesondere dort die Personalfunktionen der Anschaffung, Herstellung, Veräußerung oder Verwertung ausgeübt werden.2 Demzufolge wird eine Entstrickung von Vermögenswerten i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG sowie § 12 Abs. 1 KStG vermieden (zur ausführlichen Darstellung der Entstrickung vgl. Rz. 6.35 ff.).

11.306 Unentgeltliche Beistellung von Vermögenswerten. Übt die Bau- und Montagebetriebsstätte keine zusätzlichen Personalfunktionen i.S.d. § 31 Abs. 1 Satz 1 BsGaV aus, sind die Vermögenswerte dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) zuzuordnen und gelten als der Betriebsstätte beigestellt.3 Unter Beachtung der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte wäre eine Nutzungsüberlassung indessen als schuldrechtliche Beziehung i.S.d. § 16 Abs. 1 BsGaV zu qualifizieren, die fremdvergleichskonform zu vergüten wäre.4 Infolgedessen wäre bei ausländischen Bau- und Montagebetriebsstätten eine Nutzungsentstrickung gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG oder § 12 Abs. 1 KStG anzunehmen. § 31 Abs. 2 BsGaV sieht jedoch ausdrücklich eine unentgeltliche Beistellung der Vermögenswerte vor.5 Dies deshalb, weil das Stammhaus ein eigenes betriebliches Interesse an der Beistellung habe, um den i.d.R. ihr zuzuordnenden Bau- und Montagevertrag zu erfüllen bzw. zu fördern.6 Diese Rechtfertigung ist indessen nur dann sachgerecht, wenn der Bau- und Montagevertrag dem Stammhaus zuzuordnen ist. Etwas anderes muss freilich gelten, wenn der Bau- und Montagevertrag der Bau- und Montagebetriebsstätte zugeordnet wird. In diesen Fällen kann von keinem eigenbetrieblichen Interesse des Stammhauses ausgegangen werden, so dass eine entgeltliche Nutzungsüberlassung der Vermögenswerte des übrigen Unternehmens (Stammhaus) an die Betriebsstätte sachgerecht ist.7 Die Annahme einer unentgeltlichen Beistellung von Vermögenswerten (z.B. materielle Wirtschaftsgüter oder immaterielle Vermögenswerte) macht daher nur Sinn, wenn der Bau- und Montagevertrag dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) zuzuordnen ist und die Bau- und Montagebetriebsstätte an das übrige Unternehmen eine (Routine-)Dienstleistung erbringt, die anhand der Kostenaufschlagsmethode zu vergüten ist (vgl. zu Einzelheiten Rz. 11.315 ff.). In diesem Fall liegt das Interesse der deutschen Finanzverwaltung auf der Hand, keine entgeltliche Nutzungsüberlassung durch fiktive Miet- oder Pachtzahlungen zu fingieren; denn in diesem Fall würde bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode die zu verrechnende Kostenbasis zzgl. eines Gewinnaufschlags über die Leistungsverrechnung an das in Deutschland belegene übrige Unternehmen (Stammhaus) zurückberechnet werden. 1 2 3 4 5 6

Vgl. § 31 Abs. 1 Satz 2 BsGaV; VWG BsGa, Rz. 350. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 125 f.; Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (168). Vgl. dazu § 31 Abs. 2 BsGaV. Vgl. dazu § 16 BsGaV. So auch klarstellend VWG BsGa, Rz. 351. Vgl. dazu nur die Verordnungsbegründung BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 126; a.A. NeumannTomm, IWB 2015, 166 (168), der einen Widerspruch zu den Grundsätzen des AOA sieht und deshalb eine Nutzungsentstrickung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG befürwortet. 7 So auch Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (599 f.).

754

Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.308 Kap. 11

Im Ergebnis hätte daher die Abrechnung fiktiver Nutzungsüberlassungsgebühren eine Verbreiterung der Kostenbasis und infolgedessen eine Erhöhung des Gewinns der ausländischen Bau- und Montagebetriebsstätte zur Folge, die es aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung gerade zu vermeiden gilt.1 Gleiches gilt auch für die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode, deren Aufteilungsschlüssel sich – so § 33 Abs. 2 BsGaV – regelmäßig an den Kosten bemisst (vgl. dazu ausführlich Rz. 11.337).2 Eine solche Begrenzung der Kostenbasis (Bemessungsgrundlage für den Gewinnaufschlag) im Rahmen der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode wird sicherlich zu Auseinandersetzungen mit ausländischen Finanzbehörden führen, ist sie doch explizit von der OECD so nicht vorgesehen.3 Zuordnung anderer Vermögenswerte (insbesondere immaterieller Vermögenswerte). Der Regelungsinhalt des § 31 Abs. 1 und 2 BsGaV, wonach alleine die Nutzung als Personalfunktion für die Zuordnung eines Vermögenswerts zur Bau- und Montagebetriebsstätte nicht ausreichend ist, gilt neben materiellen Wirtschaftsgütern (vgl. Rz. 11.13) auch für alle sonstigen Vermögenswerte, insbesondere damit auch für immaterielle Vermögenswerte.4 Werden daher immaterielle Vermögenswerte des Bau- und Montageunternehmens durch die Bau- und Montagebetriebsstätte genutzt (z.B. in Form von Patenten, Know-how oder Marken), gelten diese im Regelfall als der Bau- und Montagebetriebsstätte unentgeltlich beigestellt.

11.307

Beispiel: Das ausländische Bau- und Montageunternehmen A hat im Inland eine Bau- und Montagebetriebsstätte B. Von B wird ein Patent, welches vom übrigen Unternehmen selbst geschaffen wurde und bei verschiedenen Projekten eingesetzt wird, zur Durchführung des Projekts genutzt. Die Bau- und Montagebetriebsstätte übt selbst keine Personalfunktionen hinsichtlich der Schaffung, Veräußerung oder Verwertung des Patents aus, sondern nutzt dieses lediglich für den im Inland durchzuführenden Bauauftrag. Infolgedessen ist das Patent als immaterieller Vermögenswert i.S.d. § 6 BsGaV nach § 31 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BsGaV dem übrigen (ausländischen) Unternehmen zuzuordnen. Es gilt der inländischen Bau- und Montagebetriebsstätte nach § 31 Abs. 2 BsGaV als unentgeltlich beigestellt; es erfolgt keine fiktive Lizenzierung.

Zuordnung des Bau- und Montagevertrags. Ein Bau- und Montagevertrag kann sowohl als Werkvertrag als auch als Projektvertrag ausgestaltet sein und verschiedene Leistungselemente wie Planung, Konstruktion, Materiallieferung, Bau- bzw. Montageüberwachung oder Schulungen beinhalten.5 Die Zuordnung des Bau- und Montagevertrags ist für die Gewinnabgrenzung bedeutsam, da eine Vielzahl der Geschäftsvorfälle in einem direkten Zusammenhang mit dem Vertrag steht. Bei dem Bau- und Montagevertrag handelt es sich um einen Geschäftsvorfall mit einem fremden Dritten, dessen Zuordnung grundsätzlich nach § 9 BsGaV erfolgt, wonach das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls als maßgebliche Personalfunktion gilt.6 Davon abweichend wird der Bau- oder Montagevertrag gem. § 31 Abs. 4 Satz 1 BsGaV grundsätzlich dem Stammhaus zugeordnet. Dies ist insofern sachgerecht, als Bau- und Montagebetriebsstätten regelmäßig zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht bestanden haben und daher eine Zuordnung bei der Bau- und Montagebetriebsstätte ausscheidet. Vielmehr ist es in praxi häufig so, dass das Management des übrigen Unternehmens (Stammhaus) den Vertrag aushandelt. Dies kann im Einzelfall jedoch auch anders sein. 1 2 3 4 5 6

Vgl. dazu auch das Rechenbeispiel von Neumann-Tomm, IStR 2014, 806 (808). Vgl. auch Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (600). Vgl. Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (600). Vgl. VWG BsGa, Rz. 352. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 127. Vgl. § 31 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 BsGaV.

Ditz 755

11.308

Kap. 11 Rz. 11.309

Sonderfälle

Beispiel: Die inländische Bau GmbH besitzt eine Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA in Brasilien. Von dort aus werden verschiedene Bauausführungen und Montagen in Lateinamerika akquiriert und die laufenden Bauarbeiten koordiniert, ohne selbst an den Bauausführungen und Montagen mitzuwirken. Die brasilianische Betriebsstätte ist keine Bau- und Montagebetriebsstätte i.S.d. § 30 BsGaV, da sie selber keine einzelnen Bau- und Montageaufträge ausführt. Es sind die allgemeinen Vorschriften der §§ 1–17 BsGaV anzuwenden. Die Bau- und Montageverträge werden durch die Betriebsstätte akquiriert, so dass diese die maßgebliche Personalfunktion hinsichtlich des Zustandekommens des Geschäftsvorfalls ausübt. Infolgedessen ist der Bau- und Montagevertrag gem. § 9 BsGaV der Betriebsstätte zuzuordnen.

11.309 Sonderfall: Folge- und Anschlussverträge. In praxi sind insbesondere bei langfristigen Bauund Montagebetriebsstätten Fälle denkbar, in denen aus einem bestehenden Bau- und Montagevertrag weitere Verträge resultieren.1 Es ist zwischen Folge- und Anschlussverträgen zu unterscheiden. Als Folgeverträge gelten Verträge, die weder einen wirtschaftlichen noch einen örtlichen Zusammenhang zu der bestehenden Bauausführung oder Montage aufweisen. Bei Folgeverträgen sind die Voraussetzungen der Bau- und Montagebetriebsstätte eigenständig zu prüfen, so dass der Folgevertrag eine eigene Bau- und Montagebetriebsstätte begründen kann. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass der Folgevertrag dem Stammhaus zuzuordnen ist. Eine abweichende Zuordnung ist nur unter den Voraussetzungen des § 31 Abs. 4 BsGaV vorzunehmen.2 Beispiel – Folgevertrag: Im Anschluss an den Bau des Einkaufszentrums in Breslau/Polen (Voraussetzungen einer Bau- und Montagebetriebsstätte i.S.d. § 30 BsGaV sind erfüllt) erhält die inländische Bau GmbH den Auftrag einen Businesspark in Danzig/Polen zu errichten. Zwischen dem Bau des Einkaufszentrums und des Businessparks besteht kein örtlicher und sachlicher Zusammenhang, so dass für den Bau des Businessparks die Voraussetzungen der Bau- und Montagebetriebsstätte eigenständig zu prüfen sind. Davon abzugrenzen sind Anschlussverträge, die in einem örtlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Bauausführung oder Montage stehen. Die Anschlussverträge sind als Teil eines Gesamtprojekts zu qualifizieren, so dass keine neue, eigenständige Bau- und Montagebetriebsstätte begründet wird. Es handelt sich vielmehr um einen Teil der bestehenden Bau- und Montagebetriebsstätte. Der Anschlussvertrag ist regelmäßig dem Stammhaus zuzuordnen.3 Beispiel – Anschlussvertrag: Die inländische Bau GmbH wird im Anschluss an den Aushub einer Baugrube (Voraussetzungen einer Bau- und Montagebetriebsstätte i.S.d. § 30 BsGaV erfüllt) in Mailand/Italien mit der Errichtung des Rohbaus auf dem zuvor bearbeiteten Grundstück beauftragt. Insoweit besteht sowohl ein örtlicher als auch ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Aushub der Baugrube und der Errichtung des Rohbaus. Infolgedessen wird durch die Errichtung des Rohbaus keine neue Betriebsstätte begründet, sondern lediglich als Bestandteil der bestehenden Bauund Montagebetriebsstätte qualifiziert. Werden Folge- oder Anschlussverträge durch die Bau- und Montagebetriebsstätte akquiriert, kalkuliert und geplant, wären sie dieser unter Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 9 Abs. 1 BsGaV direkt zuzuordnen.4 Dagegen sind nach Auffassung der Finanzverwaltung Folge- und Anschlussverträge als Bau- und Montageverträge zu qualifizieren, die gem. § 31 Abs. 4 BsGaV prinzipiell dem Stammhaus zuzuordnen sind, d.h., dass keine direkte Zuordnung eines Vertrags (inkl. Folge- und Anschlussverträge) zur Bau- und Montagebetriebsstätte möglich ist. Diese Regelung ist für Anschlussverträge 1 2 3 4

Vgl. Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (601). Vgl. VWG BsGa, Rz. 342. Vgl. VWG BsGa, Rz. 343. Vgl. auch Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159 (164); Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (601).

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Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.311 Kap. 11

nicht sachgerecht, sofern die Bau- und Montagebetriebsstätte am Zustandekommen des Vertrags mitwirkt und wesentliche Personalfunktionen hinsichtlich der Erfüllung des Anschlussvertrags ausübt. Dies erkennt auch § 31 Abs. 4 BsGaV an, wonach der Bau- oder Montagevertrag der Bau- und Montagebetriebsstätte zuzuordnen ist, wenn die dort ausgeübten Personalfunktionen im Zusammenhang mit dem Vertrag „eindeutig die größte Bedeutung“ haben, wobei insbesondere die Vorbereitung und der Abschluss des Vertrags, die Bereitstellung der dafür erforderlichen Vermögenswerte und die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vertrag zu berücksichtigen sind oder aus funktionalen Gründen davon auszugehen ist, dass die Bau- und Montagebetriebsstätte – wäre sie ein unabhängiger Dritter – den Bau- oder Montagevertrag mit dem Auftraggeber vom übrigen Unternehmen übernommen hätte. Was der Gesetzgeber mit dieser Regelung bezweckt, ist offensichtlich: Der (lukrative) Bauoder Montagevertrag soll nur in absoluten Ausnahmefällen der Bau- und Montagebetriebsstätte zugeordnet werden, wobei den Steuerpflichtigen die Beweislast trifft, die „eindeutig größte Bedeutung“ der Personalfunktionen in der Bau- und Montagebetriebsstätte nachzuweisen. Allerdings: Die regelmäßige Zuordnung des Bau- und Montagevertrags zum übrigen Unternehmen (Stammhaus) gilt selbstverständlich auch, wenn es sich nicht um lukrative, sondern um verlustträchtige Aufträge handelt. Das heißt, auch in Verlustfällen muss die deutsche Finanzverwaltung die Grundregel gegen sich gelten lassen, dass der Vertrag dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) zugewendet wird und die Bau- und Montagebetriebsstätte kostenorientiert (vgl. Rz. 11.315 ff.) vergütet wird.

Zuordnungsänderungen von Bau- und Montageverträgen. Eine Änderung der Zuordnung des Bau- und Montagevertrags vom Stammhaus zur Bau- und Montagebetriebsstätte ist gem. § 31 Abs. 4 Satz 2 BsGaV in zwei Fällen möglich. Zum einen, wenn die Bau- und Montagebetriebsstätte Personalfunktionen ausübt, die in Zusammenhang mit der Vorbereitung und dem Abschluss des Vertrags, Bereitstellung der dafür benötigten Vermögenswerte und der Erfüllung des Vertrags stehen. Zu Recht wird im Schrifttum1 darauf hingewiesen, dass die Ausübung der Personalfunktion hinsichtlich der Vorbereitung des Vertrags nicht durch die Bau- und Montagebetriebsstätte selber erfolgen kann, da diese regelmäßig zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden hat. Daher wäre die Zuordnung von Bau- und Montageverträgen (insbesondere in Bezug auf Folgeaufträge) zu einer Bau- und Montagebetriebsstätte nicht zulässig. Gleichwohl ist zu beachten, dass die Betriebsstättendefinition gem. § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. b AO ausdrücklich mehrere Bauausführungen und Montagen zeitgleich berücksichtigt. Zum anderen ist eine Zuordnungsänderung gem. § 31 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 BsGaV möglich, wenn funktionale Gründe dafür sprechen, dass die Bau- und Montagebetriebsstätte, wäre sie ein unabhängiger Dritter, den Bau- und Montagevertrag vom Stammhaus übernommen hätte. Funktionale Gründe liegen insbesondere dann vor, wenn der Schwerpunkt des gesamten Auftrags auf der Bauausführung bzw. Montage liegt.2 Die Änderung der Zuordnung des Bau- und Montagevertrags i.S.d. § 31 Abs. 4 BsGaV gilt als Überführung und infolgedessen als fiktive Veräußerung des Bau- und Montagevertrags und ist infolgedessen gem. § 16 Abs. 2 BsGaV fremdüblich zu vergüten.3

11.310

Zuordnung von Subunternehmerverträgen. Um Verpflichtungen aus Bau- und Montageverträgen zu erfüllen, werden in praxi häufig Subunternehmer eingesetzt. Die Zuordnung von Subunternehmerverträgen erfolgt nach den Grundsätzen des § 9 Abs. 1 Satz 2 BsGaV. Als maßgebliche Personalfunktion gilt das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls bzw. der Abschluss des Vertrags. Diese Personalfunktion wird häufig vom Stammhaus ausgeübt, so dass grundsätzlich eine Zuordnung des Subunternehmervertrags beim Stammhaus erfolgt4

11.311

1 2 3 4

Vgl. Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (601 f.); Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (168 f.). Vgl. Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (169). Vgl. VWG BsGa, Rz. 355. Vgl. Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159 (164).

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Kap. 11 Rz. 11.312

Sonderfälle

und damit in Zusammenhang stehende Kosten auch dort berücksichtigt werden. Gleichwohl sind hinsichtlich Subunternehmerverträgen weitere Personalfunktionen zu identifizieren (z.B. Koordinierung und Überwachung der Tätigkeiten des Subunternehmers), die einen wesentlichen Beitrag zur Vertragserfüllung darstellen und somit eine abweichende Zuordnung i.S.d. § 9 Abs. 2 BsGaV rechtfertigen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Bau- und Montagebetriebsstätte über ein ausgeprägtes Funktionsprofil verfügt und dementsprechend die wesentlichen Personalfunktionen in Zusammenhang mit dem Subunternehmervertrag ausübt.1 Beispielsweise kann dies bei einer starken Verflechtung der Tätigkeit des Subunternehmers mit der Leistungserbringung der Bau- und Montagebetriebsstätte gegenüber dem Stammhaus vorliegen.2 Die Zuordnungsentscheidung ist stets einzelfallbezogen zu treffen und zu dokumentieren.

V. Abrechnung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen 1. Anwendung kostenorientierter Verrechnungspreismethoden a) Grundlagen

11.312 Abrechnung von Dienstleistungen als Grundsatz. Aufbauend auf der Funktions- und Risikoanalyse (vgl. Rz. 11.301) werden in Stufe 2 der Betriebsstättengewinnermittlung nach dem AOA die identifizierten unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen der Bau- und Montagebetriebsstätte und dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes bewertet und „abgerechnet“. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es vertragliche i.S.v. schuldrechtlichen Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht geben kann, sondern von einer Fiktion eines Leistungsaustauschs für steuerliche Gewinnermittlungszwecke auszugehen ist (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen gem. § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG).3 In diesem Zusammenhang gilt nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BsGaV die Mitwirkung einer Bau- und Montagebetriebsstätte an der Erfüllung des vom Bau- und Montageunternehmen abgeschlossenen Bau- und Montagevertrags im Regelfall4 als fiktive Dienstleistung5 gegenüber dem übrigen Unternehmen (Stammhaus). Es wird widerlegbar vermutet, dass die Bau- und Montagebetriebsstätte als fiktive Dienstleistung einer Routinetätigkeit durch Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zu vergüten ist.6 Infolgedessen gilt bei Bau- und Montagebetriebsstätten nach den Vorgaben der BsGaV der Grundsatz einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode.7

11.313 Erbringung von reinen Routinetätigkeiten durch die Bau- und Montagebetriebsstätte. § 32 Abs. 1 BsGaV geht (widerlegbar) davon aus, dass eine Bau- und Montagebetriebsstätte grundsätzlich Routinetätigkeiten (Dienstleistungen) an das übrige Unternehmen (Stammhaus) erbringt.8 Von einer Routinetätigkeit ist nach Auffassung der Finanzverwaltung auszugehen, wenn die Bau- und Montagebetriebsstätte lediglich die eigentlichen Bau- und Montagearbei1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Kaeser in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 489. Vgl. Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159 (164 f.). Vgl. auch § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG i.V.m. §§ 32, 33, 16 BsGaV. Zur Ausnahme vgl. § 33 BsGaV. Vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 2 BsGaV. Vgl. VWG BsGa, Rz. 356. Vgl. § 32 Abs. 1 Satz 2 BsGaV; Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (169). Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 129. Zur Definition der Routinefunktion s. auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.2.10.2 – Im Folgenden VWG-Verfahren.

758

Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.313 Kap. 11

ten erbringt, auch wenn diese technisch schwierig und anspruchsvoll sind, während die eigentliche Wertschöpfung im übrigen Unternehmen (Stammhaus) erfolgt. Eine solche kategorische Einordung der Bau- und Montagebetriebsstätte als (fiktives) Routineunternehmen kann indessen nicht überzeugen. Vielmehr ist in Bezug auf jede Bau- und Montagebetriebsstätte zu prüfen, ob sie die Voraussetzungen einer Routinefunktion erfüllt oder nicht. Für eine Routinefunktion ist charakteristisch, dass Funktionen bzw. Tätigkeiten ausgeübt werden, ohne eigene Marktchancen und Risiken zu übernehmen.1 Die für die Geschäftsbeziehung wesentlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter dürfen daher nicht der Bauund Montagebetriebsstätte, sondern den übrigen Bau- und Montageunternehmen zugeordnet werden. Infolgedessen kennzeichnen das Risikoprofil einer Routinefunktion lediglich die mit der Funktionsausübung verbundenen Risiken. Die eingeschränkte Funktionsausübung des Routineunternehmens ist grundsätzlich als Dienstleistung an den Auftraggeber (hier: Stammhaus bzw. übriges Unternehmen) anzusehen.2 Dabei ist für eine Routinefunktion charakteristisch, dass ihre Tätigkeiten üblicherweise auch am Markt gegen einen Marktpreis eingekauft werden können (sog. Outsourcing). Werden jedoch von einer Bau- und Montagebetriebsstätte komplexe Bau- und Montagetätigkeiten ausgeführt, spricht dies nicht für eine Routinefunktion. Darüber hinaus unterliegt das Baugewerbe häufig hohen Risiken (z.B. vertraglicher, betriebswirtschaftlicher, technischer oder planerischer Art), die im Ergebnis dazu führen können, dass keine Routinetätigkeit vorliegt.3 Die Frage geht allerdings dahin, ob die Komplexität der Tätigkeiten der Bau- und Montagebetriebsstätte dazu führen kann, dass die kostenorientierte Vergütung der Bau- und Montagebetriebsstätte keine Anwendung mehr finden kann. Ist dies zu verneinen, d.h. die Kostenaufschlagsmethode findet Anwendung, kann das umfassendere Funktions- und Risikoprofil der Bau- und Montagebetriebsstätte auch über einen entsprechend höheren Gewinnaufschlag (z.B. höher als 10 %) abgebildet werden. Beispiel: Routinefunktion: Die inländische Bau GmbH wurde mit dem Bau eines Tunnels in der Schweiz beauftragt, der technisch sehr anspruchsvoll ist. Im Rahmen des Bauprojekts wurde in der Schweiz eine Bau- und Montagebetriebsstätte i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO und des Art. 5 Abs. 3 OECDMA begründet, so dass §§ 30 ff. BsGaV einschlägig sind. Aufgrund erheblicher technischer Schwierigkeiten erarbeiten ganz überwiegend inländische Spezialisten Problemlösungen, die vor Ort umgesetzt werden. Obgleich die Umsetzung der im Inland erarbeiteten Problemlösungen technisch anspruchsvoll ist, rechtfertigt dies gem. § 32 Abs. 1 BsGaV kein Abweichen von der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode. Unschädlich ist eine untergeordnete Mitarbeit des Betriebsstättenpersonals an Problemlösungen.4 Anderes kann nur dann gelten, wenn die eigentliche Wertschöpfung bei der Bau- und Montagebetriebsstätte erfolgt. Die wertschöpfungsstärkere Tätigkeit der Bau- und Montagebetriebsstätte kann allerdings auch bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode durch einen höheren Gewinnaufschlag (d.h. in Einzelfällen sogar über 10 %) abgebildet werden. Beispiel: Keine Routinefunktion: Die inländische Bau GmbH wird mit der schüsselfertigen Errichtung eines Kraftwerks in Frankreich beauftragt. Die Bauarbeiten führen zur Begründung einer Bauund Montagebetriebsstätte i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO und Art. 5 Abs. 3 OECD-MA. Entgegen der bisherigen Planung werden inländische Spezialisten zur Bau- und Montagebetriebsstätte entsandt, die vor Ort die Planung, Koordinierung und Überwachung des Projekts übernehmen. Die Wertschöpfung wird im Wesentlichen durch die Spezialisten geschaffen, die auf der Bau- und Montagebetriebsstätte tätig sind. Insoweit ist es nicht sachgerecht, die Bau- und Montagebetriebs-

1 2 3 4

Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950. Vgl. auch Sennewald/Geberth, DB 2017, 31 (33). So auch Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159 (166). Vgl. VWG BsGa, Rz. 356.

Ditz 759

Kap. 11 Rz. 11.314

Sonderfälle

stätte als Routineunternehmen mit geringer Risikotragung zu qualifizieren. Daher ist die Bau- und Montagebetriebsstätte entweder mit einem höheren Gewinnaufschlag unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zu vergüten oder die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode i.S.d. § 33 BsGaV anzuwenden.1

11.314 Analoge Anwendung auf andere Betriebsstätten. Die Grundsätze des § 32 Abs. 1 BsGaV sind nach Auffassung der Finanzverwaltung auf Betriebsstätten übertragbar, die keine Bauund Montagebetriebsstätten sind, allerdings ausschließlich Routinetätigkeiten ausüben und infolgedessen fiktive (Routine-) Leistungen an das übrige Unternehmen (Stammhaus) erbringen.2 Beispiel: Die inländische Instandhaltungsgesellschaft mbH betreibt in der Schweiz eine Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA und schließt einen dreijährigen Wartungsvertrag mit einem Schweizer Unternehmen ab. Vor Ort in der Schweiz wird die Wartung durch einen Mitarbeiter der Schweizer Betriebsstätte durchgeführt. Die Schweizer Betriebsstätte ist keine Bau- und Montagebetriebsstätte, sondern eine Betriebsstätte i.S.d. § 12 Satz 1 AO bzw. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA. Das Funktions- und Risikoprofil der Schweizer Betriebsstätte entspricht dem eines Routineunternehmens, so dass unter Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes eine Anwendung kostenorientierter Verrechnungspreismethoden sachgerecht ist.

11.315 Anwendung kostenorientierter Verrechnungspreismethoden. Zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises für die fiktiven Dienstleistungen der Bau- und Montagebetriebsstätte sieht die Finanzverwaltung die Kostenaufschlagsmethode und die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode vor.3 Die der Bau- und Montagebetriebsstätte zuzuordnenden Gewinne erhöhen sich folglich proportional zu den zugeordneten Kosten. Dementsprechend schafft die Finanzverwaltung Regeln, die die Zuordnung von Kosten zur Bau- und Montagebetriebsstätte möglichst gering halten.4

11.316 Anwendung kostenorientierter Verrechnungspreismethoden im Regelfall. Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 ist die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zwischen der Bau- und Montagebetriebsstätte und dem Stammhaus „im Regelfall“ nach einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode zu bestimmen. Daraus folgt, dass die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNNM) nicht zwingend ist. Vielmehr folgt aus dem Fremdvergleichsgrundsatz, dass auch andere Verrechnungspreismethoden Anwendung finden können, wenn sie zwischen unabhängigen Dritten üblich sind. Dies gilt in Bezug auf die Bestimmung des fremdüblichen Leistungsentgelts der Bau- und Montagebetriebsstätte insbesondere für die Preisvergleichsmethode. So ist etwa die Preisvergleichsmethode i.S. eines internen Preisvergleichs in Betracht zu ziehen, wenn die Bau- und Montagebetriebsstätte neben ihrem Stammhaus die entsprechenden Leistungen auch an unabhängige Abnehmer erbringt. Daneben ist ein externer Preisvergleich anwendbar, wenn die Bau- und Montageleistungen auch am Markt von unabhängigen Unternehmen erbracht werden. Ist dies der Fall, können gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG die insoweit festzustellenden Marktpreise für die Leistungserbringung der Bau- und Montagebetriebsstätte abgerechnet werden.

11.317 Zusammenfassung von Leistungsbündeln. Typischerweise erbringt die Bau- und Montagebetriebsstätte keine einzelne Dienstleistung, sondern ein ganzes Leistungsbündel an das übrige 1 2 3 4

Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 356. Vgl. VWG BsGa, Rz. 357. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 128. Vgl. Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (602).

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Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.319 Kap. 11

Unternehmen (Stammhaus). Nach § 32 Abs. 2 BsGaV sind diese Leistungsbündel (z.B. unterschiedliche Gewerke, Bauüberwachung, Projektsteuerung) als einheitliche, fiktive Dienstleistung zu verrechnen. Eine getrennte Verrechnung einzelner Dienstleistungsbestandteile hat nur zu erfolgen, wenn sich die entsprechenden Einzelvergütungen oder Vergütungsteile hinsichtlich ihrer Bemessung erheblich voneinander unterscheiden und die gesonderte Verrechnung zu einem Ergebnis führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht, weil besondere Schwierigkeiten entstehen, einen einheitlichen Kostenaufschlagsatz zu bestimmen.1 Eine solche Beschränkung des Einzelverrechnungsgrundsatzes ist indessen nicht sachgerecht; vielmehr sind einzelne Leistungsbestandteile auch nach dem Fremdvergleichsgrundsatz und dem ihm immanenten Einzelbewertungsgrundsatz einzeln abzurechnen. Dem Steuerpflichtigen kommt daher ein Ermessen zu, ob er das Leistungsbündel als Ganzes oder die einzelnen Leistungsbestandteile abrechnet.2 Zeitpunkt der Leistungsabrechnung. Die Dienstleistungen, die die Bau- und Montagebetriebsstätte gegenüber dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) erbringt, sind nach § 32 Abs. 3 BsGaV unabhängig davon abzurechnen, ob das Bau- und Montageunternehmen einen Zahlungsanspruch gegen den Auftraggeber erst bei Abnahme oder Teilabnahme der geschuldeten Leistung hat. Mithin ist damit die Gewinnrealisierung aus der Kostenaufschlagsmethode in Höhe des Gewinnaufschlags unabhängig davon, wann, d.h. in welchem Veranlagungszeitraum, für das Gesamtunternehmen der Gewinn realisiert wird. Dies ist insofern sachgerecht, als der AOA gerade von der Gewinnrealisierung im Außenverhältnis für das Gesamtunternehmen abstrahiert. Allerdings lässt § 32 Abs. 3 Satz 2 BsGaV eine andere Abrechnung zu, wenn dies im Einzelfall zu einem Ergebnis führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Infolgedessen kann in begründeten Fällen von einer laufenden Leistungsabrechnung im Ermessen des Steuerpflichtigen abgewichen werden.

11.318

Risiko der internationalen Doppelbesteuerung. Mit der (widerlegbaren) Grundregel einer Einordnung der Bau- und Montagebetriebsstätte als Routinefunktion geht der deutsche Gesetzgeber einen nicht mit der OECD abgestimmten Weg.3 Zwar kann nach dem AOA unter Berücksichtigung eines entsprechenden Funktions- und Risikoprofils der Bau- und Montagebetriebsstätte durchaus eine Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bei Ausübung reiner Routinefunktionen sachgerecht sein. Dies allerdings als festinstallierte Grundregel vorzusehen, ist sehr weitgehend und international nicht abgestimmt. Die Erfahrung in der Praxis zeigt daher, dass es in diesem Zusammenhang häufig zu einer internationalen Doppelbesteuerung kommt, da der ausländische Staat – entgegen der Regelungen der BsGaV – die Bau- und Montagebetriebsstätte gerade nicht als fiktiver „Subunternehmer“ qualifiziert, sondern ihren Gewinn unter Berücksichtigung der ihr zugeordneten Aufwendungen und Erträge bestimmt.4 Ferner wird die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode häufig hinterfragt, wenn aus dem Gesamtprojekt Verluste entstehen und der Bau- und Montagebetriebsstätte dennoch ein Gewinn über die Kostenaufschlagsmethode zugeordnet wird. Eine daraus resultierende Doppelbesteuerung kann i.d.R. nur über internationale Verständigungs- und/ oder Schiedsverfahren vermieden werden.

11.319

1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 363. A.A. VWG BsGa, Rz. 363. Vgl. auch Bendlinger, TPI 2017, 58 (65). Vgl. auch Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159 (165).

Ditz 761

Kap. 11 Rz. 11.320

Sonderfälle

b) Bestimmung der Kostenbasis

11.320 Bedeutung der Kostenbasis. In Zusammenhang mit der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zur Bestimmung der Leistungsvergütung einer Bau- und Montagebetriebsstätte kommt der Bestimmung der Kostenbasis – neben dem Gewinnaufschlag – eine zentrale Bedeutung zu. Die Finanzverwaltung hat dabei ein Interesse, die Kostenbasis als Bemessungsgrundlage für den Gewinnaufschlag der Bau- und Montagebetriebsstätte möglichst gering zu halten. Infolgedessen sehen sowohl die BsGaV1 als auch die VWG BsGa zahlreiche Regeln vor, die Kostenbasis der Bau- und Montagebetriebsstätte bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zu begrenzen. Dies geht sogar so weit, dass in bestimmten Fällen offensichtlich gegen den Fremdvergleichsgrundsatz verstoßen wird. Dies gilt bspw. für die Erbringung von Dienstleistungen des übrigen Unternehmens (Stammhaus) an die Bau- und Montagebetriebsstätte, die nicht gesondert zu vergüten sind.2

11.321 Berücksichtigung von Personalkosten. Die (originären) Personalkosten der Bau- und Montagebetriebsstätte aus der eigenen Ausübung von Personalfunktionen sind selbstverständlich in der Kostenbasis zu berücksichtigen. Darunter fallen sämtliche Löhne und Gehälter des Personals der Bau- und Montagebetriebsstätte, das die eigentlichen Montage- oder Bautätigkeit, Bauüberwachung, Integration von Subunternehmern etc. ausübt. Lohnnebenkosten sind ebenfalls in der Kostenbasis zu berücksichtigen.3 Zu den Personalkosten, die unmittelbar durch die Erbringung von Personalfunktionen in der Bau- und Montagebetriebsstätte verursacht sind, gehören insbesondere Kosten für das Personal, das tatsächlich auf der Baustelle tätig ist.4 Dabei sind neben den Personaleinzelkosten auch Personalgemeinkosten und sonstige Gemeinkosten (z.B. der Personalabteilung) zu berücksichtigen.5 Eine solche Einbeziehung von Personalgemeinkosten in die Kostenbasis ist sachgerecht und entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz. Denn auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter würde bei der Ausübung von Personalfunktionen nach dem Vollkostenprinzip die Personalgemeinkosten in sein Dienstleistungsentgelt mit einkalkulieren.6 Beispiel: Die inländische Bau GmbH beschäftigt auf ihrer polnischen Bau- und Montagebetriebsstätte 30 Bauarbeiter, die für die Ausübung der Bau- und Montagetätigkeiten verantwortlich sind, sowie zwei Bauvorsteher, die eine Überwachungsfunktion innehaben. Während der Bau- und Montagetätigkeit entstehen der Bau GmbH bezüglich der in der ausländischen Bau- und Montagebetriebsstätte tätigen Mitarbeiter Kosten i.H.v. 1.800.000 Euro. Die auf der Bau- und Montagebetriebsstätte tätigen Mitarbeiter der Bau GmbH üben vor Ort in Polen Personalfunktionen aus, die der Bau- und Montagebetriebsstätte zuzuordnen sind. Daher erfolgt eine Einbeziehung der Kosten i.H.v. 1.800.000 Euro in die Kostenbasis der Bau- und Montagebetriebsstätte.

11.322 Berücksichtigung weiterer Kosten. Kosten, die von der Bau- und Montagebetriebsstätte verursacht werden und nicht direkt auf der Ausübung von Personalfunktionen beruhen, z.B. die eigene Materialbeschaffung oder die eigenständige Einschaltung von Subunternehmern,

1 2 3 4 5 6

Vgl. etwa § 32 Abs. 4 BsGaV. Vgl. VWG BsGa, Rz. 366. Vgl. § 32 Abs. 1 Satz 3 BsGaV. Vgl. Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (169 f.). Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 129; Bendlinger, SWI 2016, 188 (196). Zum Grundsatz der Vollkostenrechnung vgl. auch Baumhoff in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.64.

762

Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.324 Kap. 11

sind ebenfalls in der Kostenbasis zu berücksichtigen (zu den Besonderheiten bei Subunternehmerverträgen vgl. Rz. 11.327).1 Beispiel: Die Bau GmbH liefert an ihre polnische Bau- und Montagebetriebsstätte die wesentlichen Anlagenkomponenten. Daneben werden Hilfsstoffe, wie z.B. Zement u.Ä., vor Ort durch die Bauund Montagebetriebsstätte erworben, die zu Kosten i.H.v. 20.000 Euro führen. Die Kosten, die unmittelbar durch die Bau- und Montagebetriebsstätte verursacht werden – hier der Erwerb von Hilfsstoffen –, sind dieser in voller Höhe (20.000 Euro) zuzuordnen und in der Kostenbasis zu berücksichtigen.

Kosten im Zusammenhang mit Wirtschaftsgütern. Übt eine Bau- und Montagebetriebsstätte lediglich Routinetätigkeiten aus und sind ihr infolgedessen nach Auffassung der Finanzverwaltung keine Vermögenswerte zuzuordnen (vgl. dazu Rz. 11.12), wird – unter Durchbrechung der Systematik des AOA – keine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung fingiert, sondern eine unentgeltliche Beistellung der Vermögenswerte an die Bau- und Montagebetriebsstätte durch das Stammhaus angenommen (vgl. dazu ausführlich Rz. 11.14). Daher sind Kosten, die in Zusammenhang mit Vermögenswerten stehen (z.B. Abschreibungen, Abnutzung, Instandhaltung, Wartung), nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht in die Kostenbasis einzubeziehen.2 Vielmehr hat – nach Einschätzung der Finanzverwaltung – das übrige Unternehmen (Stammhaus) diese Kosten zu tragen, da auch die entsprechenden Vermögenswerte dem übrigen Unternehmen zuzuordnen sind. Ob die ausländische Finanzverwaltung dies genauso sieht, ist mehr als fraglich (vgl. Rz. 11.319).

11.323

Beispiel: Die Bau GmbH setzt zur Bau- und Montageausführung diverse Baumaschinen auf ihrer polnischen Bau- und Montagebetriebsstätte ein. Die Baumaschinen sind gem. § 31 Abs. 1 BsGaV dem Stammhaus zuzuordnen. Im Zusammenhang mit den Baumaschinen entstehen Kosten für Instandhaltung i.H.v. 10.000 Euro. Obgleich die Bau- und Montagebetriebsstätte die Baumaschinen vor Ort nutzt, sind ihr die aus den Baumaschinen resultierenden Kosten nicht zuzuordnen. Denn durch die Zuordnung der Baumaschinen zum Stammhaus ist eine Berücksichtigung der Instandhaltungskosten (10.000 Euro) in der Kostenbasis nicht möglich.

Leistungen des Stammhauses. Werden Leistungsbeiträge im Stammhaus zur Erfüllung des Bau- und Montagevertrags erbracht, sind die entsprechenden Leistungen des Stammhauses gem. § 32 Abs. 4 BsGaV nicht an die Bau- und Montagebetriebsstätte als Leistungsempfänger abzurechnen. Denn solche Leistungsbeiträge werden nach Auffassung der Finanzverwaltung regelmäßig im Interesse des Stammhauses zur Erfüllung des Bau- und Montagevertrags geleistet und sind dementsprechend diesem zuzuordnen. Damit erfolgt – analog zu der Zuordnung von Vermögenswerten – (vgl. Rz. 11.12) eine unentgeltliche Beistellung der Leistungsbeiträge an die Bau- und Montagebetriebsstätte.3 Diese Argumentation ist indessen nur dann schlüssig, sofern der Bau- und Montagevertrag dem Stammhaus zugeordnet werden kann. Bei einer davon abweichenden Zuordnungsentscheidung ist es sachgerecht, eine Leistungsverrechnung vorzunehmen und damit verbundene Kosten in der Kostenbasis der Bau- und Montagebetriebsstätte zu berücksichtigen. Beispiel: Die inländische Bau GmbH verwendet in ihrer polnischen Bau- und Montagebetriebsstätte die Software, die eine 3D-Darstellung des zu errichtenden Gebäudes ermöglicht. Die Software wurde durch das Personal des Stammhauses Bau GmbH eingekauft. 1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 129; VWG BsGa, Rz. 359. 2 So auch Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159 (166). 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 130.

Ditz 763

11.324

Kap. 11 Rz. 11.325

Sonderfälle

Die Nutzung der Software basiert auf einem Vertrag, den Personal des Stammhauses der Bau GmbH abgeschlossen hat. Mangels ausgeübter Personalfunktionen hinsichtlich des Zustandekommens des Vertrags i.S.d. § 9 BsGaV kann der Vertrag nicht de Bau- und Montagebetriebsstätte zugeordnet werden. Die tatsächliche Nutzung durch die Bau- und Montagebetriebsstätte gilt als von der Bau GmbH unentgeltlich beigestellte Leistung (§ 32 Abs. 4 BsGaV).

11.325 Nicht zu berücksichtigende Kosten. Kosten für Fehlmaßnahmen bzw. die Beseitigung von Fehlern, die durch die Ausübung von Personalfunktionen seitens der Bau- und Montagebetriebsstätte verursacht wurden, sind nicht in die Kostenbasis aufzunehmen.1 Dies ist sachgerecht und entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz. Denn auch ein fremder Dritter müsste die Kosten für die Beseitigung eigener Fehler selber tragen. Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, dass eine Bau- und Montagebetriebsstätte mit Routinetätigkeit Verluste erzielt, wenn die von der Bau- und Montagebetriebsstätte zu tragenden Kosten aus der Fehlerbeseitigung deren Erträge (Gewinnaufschlag auf Kostenbasis bzw. Nettomarge) übersteigen.2 Gleichwohl muss dieses zusätzliche Risiko durch entsprechende Wagnis- oder kalkulatorische Kosten und einen höheren Gewinnaufschlag berücksichtigt werden. Zudem sind nach Auffassung der Finanzverwaltung Kosten, die – nur mittelbar im Hinblick auf den Bau- und Montagevertrag – durch Personalfunktionen entstehen und im Stammhaus ausgeübt werden, nicht in die Kostenbasis der Bau- und Montagebetriebsstätte einzubeziehen.3 Zu den mittelbaren Kosten gehören bspw. allgemeine Verwaltungs- oder Geschäftskosten, die durch Personalfunktionen des Stammhauses entstehen.4 Darüber hinaus sind grundsätzlich Vorlaufkosten in Zusammenhang mit dem Bau- und Montagevertrag (z.B. Kosten für die Ausschreibung, Planungskosten, Kosten der Auftragskalkulation) nicht in der Kostenbasis der Bau- und Montagebetriebsstätte zu berücksichtigen.5 Denn die Bau- und Montagebetriebsstätte entsteht regelmäßig erst ex-post, nämlich nach Abschluss des Bau- und Montagevertrags.6 Insgesamt ist über die Kostenbasis und den Gewinnaufschlag sicherzustellen, dass der Bau- und Montagebetriebsstätte als Routineunternehmen ermöglicht wird, einen steuerlichen Gewinn zu erwirtschaften.7

11.326 Zeitbezug der Kosten. Die Kostenbasis zur Bestimmung der Leistungsvergütung der Bauund Montagebetriebsstätte kann grundsätzlich auf Basis vergangenheitsbezogener Ist- oder Normalkosten oder mithilfe von Plankosten ermittelt werden. Für welche Kalkulationsmethodik sich der Steuerpflichtige entscheidet, steht dabei in seinem freien Ermessen. Denn auch nach Auffassung der Finanzverwaltung ist der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter in seinem Ermessen nicht eingeschränkt, im Rahmen von Kalkulationsmethoden, die der Liefernde und Leistende auch bei seiner Preispolitik gegenüber Fremden zugrunde legt oder die den betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entsprechen, Ist-, Normal- oder Plankosten zu verrechnen.8 Dabei ist die Verwendung von Plankosten besonders geeignet, da sie es erlaubt, 1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 129; VWG BsGa, Rz. 360. So auch Kaeser in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 457. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 360. 3 So auch ausdrücklich der Verordnungsgeber in BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 129. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 362. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 367. 6 Davon abweichend kann eine Bau- und Montagebetriebsstätte schon im Zeitpunkt des Abschlusses des Bau- und Montagevertrags vorgelegen haben; vgl. dazu die Ausführungen zum Anschlussvertrag Rz. 11.309. 7 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.2. 8 Vgl. auch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5-S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.4, 2.4.3 und 2.1.6 Buchst. c. – VWG 1983.

764

Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.328 Kap. 11

eine gewisse Wirtschaftlichkeit bei der Leistungserbringung durch die Bau- und Montagebetriebsstätte zu unterstellen, was dazu führt, dass – wie beim Leistungsaustausch zwischen unabhängigen Geschäftspartnern üblich – Unwirtschaftlichkeiten sowie Kostenvorteile zu Lasten oder zugunsten des Unternehmens gehen, das sie verursacht. Darüber hinaus berücksichtigt allein die Plankostenrechnung den Grundsatz der ex-ante-Betrachtung, wonach einem Fremdvergleich nur die Verhältnisse und Informationen zugrunde zu legen sind, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bekannt waren bzw. sich abzeichneten.1 Der Ansatz von Plankosten ermöglicht auch die Aufteilung der i.d.R. bei der ausländischen Bau- und Montagebetriebsstätte entstehenden Standortvorteile (insbesondere in Form von Kostenvorteilen oder Subventionen). Diese können über die Verwendung von Plankosten zumindest anteilig der Bau- und Montagebetriebsstätte zugeordnet werden.2 Subunternehmerverträge. Die Zuordnung von Subunternehmerverträgen erfolgt nach den Grundsätzen des § 9 Abs. 1 Satz 1 BsGaV und bestimmt das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls als maßgebliche Personalfunktion (vgl. dazu Rz. 11.311). Kosten aus Subunternehmerverträgen sind nur dann in der Kostenbasis der Bau- und Montagebetriebsstätte zu berücksichtigen, wenn die Einschaltung des Subunternehmers eigenständig durch die Bau- und Montagebetriebsstätte erfolgt.3 Infolgedessen ist eine Zuordnung der Kosten aus Subunternehmerverträgen zu einer Bau- und Montagebetriebsstätte zu Recht ausgeschlossen, wenn diese keine damit in Verbindung stehenden Personalfunktionen ausübt.4 Hingegen ist eine Zuordnung dieser Kosten gerechtfertigt, wenn die Bau- und Montagebetriebsstätte zwar nicht eigenständig für den Vertragsabschluss zuständig ist, allerdings die wesentlichen Personalfunktionen im Zusammenhang mit dem Subunternehmervertrag ausübt.5

11.327

c) Bestimmung des Gewinnaufschlags Methoden zur Ermittlung des Gewinnaufschlags. Während die Bestimmung der Kostenbasis in der BsGaV und den VWG BsGa sehr detailliert geregelt ist, lässt die Finanzverwaltung die Bestimmung des Gewinnaufschlags offen. Zur Ermittlung des Gewinnaufschlags der Bau- und Montagebetriebsstätte kann daher auf die allgemeinen Grundsätze der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zurückgegriffen werden.6 Dabei ist zu berücksichtigen, dass es den einen „richtigen“ Gewinnaufschlag nicht gibt. Vielmehr kann allenfalls – bezogen auf den Einzelfall einer Bau- und Montagebetriebsstätte – eine Bandbreite angemessener Gewinnauf-

1 Vgl. auch Baumhoff in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.59. 2 Vgl. auch Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 6.36 f. 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 129. 4 A.A. Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (602); Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (170 f.), der eine extensive Auslegung des § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG vorsieht, was eine Zurechnung des Subunternehmerpersonals zu dem eigenen Betriebsstättenpersonal ermöglichen soll, mit der Folge, dass stets Personalfunktionen hinsichtlich des Subunternehmervertrags durch die Bau- und Montagebetriebsstätte ausgeübt werden; unabhängig davon, ob die Bauausführung und die Montage durch eigenes Personal erfolgt. 5 Kaeser in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 489, weist zutreffend darauf hin, dass eine Berücksichtigung von Kosten aus Subunternehmerverträgen zugleich zu einer Zuordnung von Verzögerungsrisiken u.a. führt. 6 Vgl. dazu auch Baumhoff in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.39 ff.

Ditz 765

11.328

Kap. 11 Rz. 11.329

Sonderfälle

schläge ermittelt werden, die sich an den von der Bau- und Montagebetriebsstätte ausgeübten (Personal-)Funktionen, den wahrgenommenen Risiken und den eingesetzten Vermögenswerten ausrichtet. Zur Festlegung eines angemessenen Gewinnaufschlags existieren mehrere methodische Ansätze. Diese betreffen im Wesentlichen: – einen inneren Betriebsvergleich (sog. betriebsübliche Gewinnaufschläge), – einen äußeren Betriebsvergleich (sog. branchenübliche Gewinnaufschläge) sowie – pauschale, in Prozentsätzen festgelegte Aufschlagsätze.

11.329 Innerer und äußerer Betriebsvergleich. Die Ermittlung betriebsüblicher Gewinnaufschläge mittels eines inneren Betriebsvergleichs orientiert sich an Gewinnspannen, die für vergleichbare Bau- und Montagetätigkeiten vom Bau- und Montageunternehmen mit fremden Dritten vereinbart oder erzielt werden. Als Vergleichsmaßstab sollen möglichst Transaktionen herangezogen werden, die unter vergleichbaren Umständen vorgenommen werden. Dabei kann z.B. auf interne Gewinnmargen aus vorherigen Projekten des Bau- und Montageunternehmens zurückgegriffen werden.1 Stehen solche internen Gewinnspannen nicht zur Verfügung, kann auf branchenübliche Gewinnaufschläge abgestellt werden. Diese lassen sich durch einen äußeren Betriebsvergleich bestimmen, d.h. es wird auf Gewinnspannen Bezug genommen, die Bau- und Montageunternehmen bei vergleichbaren Geschäften untereinander erzielen. Zu deren Ermittlung wird häufig auf Datenbanken zurückgegriffen. Solche Datenbankstudien können im Bereich der Bau- und Montagetätigkeit allerdings lediglich als Orientierungshilfe dienen, da sich i.d.R. keine Vergleichsunternehmen für Bau- und Montagebetriebsstätten finden. In praxi haben Unternehmen typischerweise ein Funktions- und Risikoprofil, das über das einer reinen Bau- und Montagetätigkeit, wie sie üblicherweise von Bau- und Montagebetriebsstätten ausgeübt werden, hinausgeht.2 Daher ist ein interner Betriebsvergleich auf der Grundlage vergangener Projekte grundsätzlich zu präferieren.

11.330 Pauschale Gewinnaufschläge. In der Verrechnungspreispraxis akzeptiert die deutsche Finanzverwaltung im Rahmen der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode im Bereich von Routinefunktionen häufig Gewinnaufschläge i.H.v. 5–10 % auf die Selbstkosten (d.h. die nach den Grundsätzen der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung ermittelten Vollkosten).3 Diese Bandbreite von Gewinnaufschlägen ist indessen angesichts der möglichen Ausprägungsformen von Bau- und Montagetätigkeiten zu unflexibel und zu eng bemessen. Je mehr Funktionen und Risiken von einer Bau- und Montagebetriebsstätte wahrgenommen werden, desto höher muss auch ihre Gewinnmarge sein. Ihre Wertschöpfungsquote muss sich letztlich in dem ihr unter Fremdvergleichsgesichtspunkten zuzugestehenden Gewinn widerspiegeln. Vor diesem Hintergrund können selbstverständlich auch Gewinnaufschläge von mehr als 10 % bei Bau- und Montagebetriebsstätten Anwendung finden. Dies gilt insbesondere für sehr komplexe Bau- und Montageprojekte, die in der Betriebsstätte ausgeübt werden, sowie bei hoch profitablen Projekten, die es rechtfertigen, der Bau- und Montagebetriebsstätte für ihre Wertschöpfung höhere Margen zuzuordnen. Infolgedessen kann es sich bei der von der Finanzverwaltung vorgesehenen Richtgröße eines Gewinnaufschlags i.H.v. 5–10 % allenfalls

1 Vgl. auch Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (171). 2 Vgl. Bendlinger, Die Betriebsstätte3, 374. 3 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 327; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150; BS-VWG, Tz. 3.1.2; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4-S 1341-14/99, BStBl. I 1999, 1122, Tz. 1.7 – VWG-Umlageverträge.

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Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.331 Kap. 11

um einen rein pragmatischen Ansatz handeln, der sich einer betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung entzieht. Insofern ist bei der Festlegung des Gewinnaufschlags immer den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen, d.h. es sind insbesondere die von der Bau- und Montagebetriebsstätte ausgeübten Funktionen, wahrgenommenen Risiken sowie eingesetzten Vermögenswerte zu berücksichtigen. Ferner ist das Ergebnis aus dem Gesamtprojekt zu berücksichtigen: So rechtfertigen sehr gewinnträchtige Projekte eher höhere und weniger gewinnträchtige oder Verlust-Projekte eher geringe Gewinnaufschläge. Schließlich ist zu prüfen, ob über den Gewinnaufschlag der Bau- und Montagebetriebsstätte Anteile an den Standortvorteilen zuzuordnen sind. 2. Anwendung gewinnorientierter Methoden a) Grundlagen Voraussetzungen für die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode. Nach § 33 Abs. 1 BsGaV sind unter bestimmten Voraussetzungen die Verrechnungspreise für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen der Bau- und Montagebetriebsstätte und ihrem Stammhaus (übriges Unternehmen) nicht nach einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode, sondern nach der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode zu bestimmen. Voraussetzung ist, dass die Personalfunktionen, die jeweils sowohl von der Bau- und Montagebetriebsstätte als auch dem übrigen Unternehmen im Hinblick auf die Erfüllung des Bau- oder Montagevertrags ausgeübt werden, keine Routinetätigkeit darstellen und dazu führen, dass jeweils vergleichbare Chancen und Risiken zuzuordnen sind (erste Alternative), oder für die Erfüllung des Bau- oder Montagevertrags sowohl von der Bau- und Montagebetriebsstätte als auch vom übrigen Unternehmen einzigartige immaterielle Werte selbst entwickelt oder erworben werden (zweite Alternative). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode anzuwenden, d.h., es besteht kein Wahlrecht, sondern eine Pflicht zur Anwendung dieser Methodik. Dies ist insofern sachgerecht, als die Bau- und Montagebetriebsstätte in diesen Fällen keine Routinetätigkeiten, sondern wertschöpfungsstarke Tätigkeiten ausübt. Soweit die Finanzverwaltung zusätzlich fordert, dass neben den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 BsGaV auch die Voraussetzungen der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode nach den OECD-Verrechnungspreisleitlinien1 erfüllt sein müssen, geht diese Forderung fehl.2 Denn nach Auffassung der OECD ist die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode nur anwendbar, wenn zwei verbundene Unternehmen hochintegrierte Tätigkeiten ausüben oder über wertvolle immaterielle Werte verfügen und diese im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit einsetzen.3 Damit ist der Anwendungsbereich der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode nach OECD-Auffassung weiter gefasst als in § 33 Abs. 1 BsGaV. Denn über die Anforderungen der OECD hinausgehend wird eine vergleichbare (paritätische) Zuordnung von Chancen und Risiken aus Personalfunktionen zwischen Stammhaus und Bau- und Montagebetriebsstätte verlangt,4 so dass das Stammhaus und die Bauund Montagebetriebsstätte als Strategieträger qualifiziert werden müssen. Weshalb eine derartige Einschränkung des Anwendungsbereichs der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode abweichend von den Anwendungsvoraussetzungen nach den OECD-Verrech1 2 3 4

Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 2.114. Vgl. VWG BsGa, Rz. 370. Vgl. OECD-Verrechnungspeisleitlinien 2017, Tz. 2.115. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 130; VWG BsGa, Rz. 371; Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (604).

Ditz 767

11.331

Kap. 11 Rz. 11.332

Sonderfälle

nungspreisleitlinien von der Finanzverwaltung vorgesehen ist, bleibt offen.1 Infolgedessen ist sie abzulehnen.

11.332 Zuordnung wesentlicher Personalfunktionen zur Bau- und Montagebetriebsstätte (1. Alternative). Nach § 33 Abs. 1 Alt. 1 BsGaV ist die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode zur Bestimmung des Gewinns der Bau- und Montagebetriebsstätte anzuwenden, wenn die Personalfunktionen, die jeweils sowohl von der Bau- und Montagebetriebsstätte als auch vom übrigen Unternehmen im Hinblick auf die Erfüllung des Bau- und Montagevertrags ausgeübt werden, keine Routinetätigkeiten darstellen und dazu führen, dass jeweils vergleichbare Chancen und Risiken zuzuordnen sind. Das Funktionsprofil der Bau- und Montagebetriebsstätte muss infolgedessen über eine Routinetätigkeit hinausgehen, so dass ihr zum Stammhaus vergleichbare Chancen und Risiken zuzuordnen sind. Soweit die Finanzverwaltung daraus die Schlussfolgerung zieht, dass sowohl das Stammhaus als auch die Bauund Montagebetriebsstätte einen „Entrepreneur-Status“ (Strategieträger) erreichen müssen,2 ist diese Forderung zu weitgehend. § 33 Abs. 1 Alt. 1 BsGaV spricht davon, dass „keine Routinetätigkeiten“ in der Bau- oder Montagebetriebsstätte ausgeübt werden dürfen. Daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass diese wie ein Strategieträger funktional ausgestattet sein muss, ist nicht sachgerecht. Vielmehr reicht es aus, wenn beide Unternehmensteile als „Mittelunternehmen“ qualifizieren.3 Beispiel: Die im Inland ansässige X GmbH ist im Anlagenbau tätig. Sie erhält den Auftrag, eine sehr komplexe Stahlproduktionsanlage mit konkret spezifizierten Leistungsanforderungen in Staat A zu erstellen. Hierdurch entsteht in Staat A eine Bau- und Montagebetriebsstätte. Die Ausschreibung, das Basis-Engineering und ein Teil des Detail-Engineerings werden im Inland erbracht. Die Betriebsstätte im Staat A übernimmt sämtliche restlichen Tätigkeiten im Bereich des Detail-Engineerings, der Überwachung, der Koordination und der Inbetriebnahme der Anlage. Außerdem stellt die Bauund Montagebetriebsstätte die Funktionsfähigkeit der Anlage her und sicher. Aufgrund der Übernahme sehr wertschöpfungsstarker Funktionen durch die Bau- und Montagebetriebsstätte und dort angestelltes Personal ist davon auszugehen, dass die Bau- und Montagebetriebsstätte in Staat A keine Routinetätigkeiten ausübt. Vielmehr ist die Wertschöpfung der Betriebsstätte hinsichtlich ihrer Komplexität und Qualität mit der Wertschöpfung des Stammhauses vergleichbar. Infolgedessen sind die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Alt. 1 BsGaV erfüllt. Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode ist anzuwenden.

11.333 Entwicklung oder Erwerbe einzigartiger immaterieller Werte in der Bau- und Montagebetriebsstätte (2. Alternative). Nach der Alt. 2 des § 33 Abs. 1 BsGaV müssen sowohl von der Bau- und Montagebetriebsstätte als auch vom Stammhaus (übriges Unternehmen) einzigartige immaterielle Werte verwendet werden, die jeweils für das konkrete Projekt selbst entwickelt oder erworben wurden. Dies ist – so Rz. 372 VWG BsGa – nur der Fall, wenn das betreffende Know-how von der Bau- und Montagebetriebsstätte speziell für das konkrete Bau- und Montageprojekt geschaffen oder erworben wurde. Beispiel: Das inländische Bau- und Montageunternehmen X unterhält in Staat A eine Bau- und Montagebetriebsstätte, in welcher der Auftrag für die Errichtung einer neuartigen Fertigungsanlage abgewickelt wird. Die Fertigungsanlage ist ganz spezifisch auf die geografischen und klimatischen Verhältnisse in Staat A auszurichten. Infolgedessen wird die Fertigungsanlage vor Ort durch eine intensive Zusammenarbeit von Spezialisten und Mitarbeitern des Auftraggebers entwickelt.

1 Vgl. auch Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159 (167 f.). 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 371. 3 Vgl. zum Mittelunternehmen VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.2 Buchst. c.

768

Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.335 Kap. 11

Bei der Entwicklung der neuartigen Technologie in Staat A durch die Bau- und Montagebetriebsstätte handelt es sich um einen einzigartigen immateriellen Wert. Infolgedessen ist die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode nach § 33 Abs. 1 Alt. 2 BsGaV sachgerecht. Die Anforderungen an einen einzigartigen immateriellen Wert sind – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung1 – nicht zu eng zu definieren. Ein einzigartiger immaterieller Wert i.S.d. § 33 Abs. 1 Alt. 2 BsGaV setzt keinen Patent- oder Markenschutz voraus; vielmehr ist es ausreichend, wenn ein individuelles, projektbezogenes Know-how im Betriebsstättenstaat entwickelt oder von der Betriebsstätte erworben wird. Dies setzt freilich entsprechende Personalfunktionen in der Bau- und Montagebetriebsstätte voraus.

Methodisches Vorgehen. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode wird zunächst der Gewinn (Projektergebnis) aus einem Bau- oder Montagevertrag ermittelt, an dem sowohl das Stammhaus als auch die Bau- und Montagebetriebsstätte beteiligt sind. Dieser Gewinn wird dann in einer wirtschaftlich begründeten Weise aufgeteilt und den beteiligten Unternehmensteilen zugeordnet.2 Die Transaktionsbezogenheit dieser Methode wird dadurch deutlich, dass nur der gemeinsam erzielte Gewinn aus einem einzelnen, ganz bestimmten Geschäftsvorfall (hier: Bau- und Montageauftrag) Gegenstand der Gewinnaufteilung ist. Dabei ist es möglich, gleichartige Projekte in einem Staat zu einem Gesamtgeschäft zu gruppieren und zusammenzufassen.

11.334

b) Bestimmung des Projektergebnisses Ermittlung des Projektergebnisses. Im Rahmen der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode ist der aus einem Bau- oder Montageprojekt für das Gesamtunternehmen resultierende Gewinn oder Verlust zwischen Stammhaus und Bau- und Montagebetriebsstätte aufzuteilen. Dies setzt in einem ersten Schritt die Ermittlung des aus dem Auftrag/ Projekt für das Bau- und Montageunternehmen realisierten Ergebnisses (sog. Projektergebnis) voraus. Dabei ist nach Auffassung der Finanzverwaltung auf den tatsächlich erzielten, d.h. im Sinne der deutschen steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften3 in einem Veranlagungszeitraum realisierten Gewinn oder Verlust abzustellen.4 Das Projektergebnis kann i.d.R. über das Rechnungswesen bzw. die Kostenrechnung (Kostenträgerrechnung) der Unternehmung als Differenz zwischen den durch den Auftrag realisierten Erträgen und den durch den Auftrag verursachten Aufwendungen (Einzel- und Gemeinkosten) ermittelt werden.5 Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind die Akquisitionskosten, Ausschreibungskosten sowie Forschungs- und Entwicklungskosten – unabhängig davon, wann sie entstanden sind – zu berücksichtigen.6 Eine zeitliche Begrenzung ist nicht vorgesehen, so dass Kosten so lange anzusetzen sind, wie nachgewiesen werden kann, dass sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bau- und Montagebetriebsstätte stehen.7 Mit Zugrundelegung der nationalen Gewinnermittlungsvorschriften zur Ermittlung des Projektergebnisses sind auch die jeweiligen Regelungen zum Zeitpunkt der Gewinnrealisierung bei langfristiger Fertigung 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 372. 2 Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 2.114. 3 Für das deutsche Stammhaus ist damit der aus dem Projekt realisierte Gesamtgewinn nach deutschen Gewinnermittlungsvorschriften zu ermitteln; vgl. VWG BsGa, Rz. 374. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 374. 5 Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 373. 6 Vgl. § 33 Abs. 2 Satz 3 BsGaV; VWG BsGa, Rz. 373. 7 So auch Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (605). A.A. Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (172), der eine faktische Höchstgrenze von zehn Jahren in Anlehnung an die Aufbewahrungsfrist des § 147 Abs. 3 AO nennt.

Ditz 769

11.335

Kap. 11 Rz. 11.336

Sonderfälle

zu beachten. Gemeinhin wird in diesem Zusammenhang zwischen der „Percentage of Completion“-Methode (PoC-Methode) und der „Completed Contract“-Methode (CC-Methode) unterschieden. Während die PoC-Methode, die z.B. nach IFRS unter bestimmten Voraussetzungen zwingend ist,1 die Gewinnrealisierung entsprechend dem Grad der Fertigstellung des Projekts zulässt, sieht die CC-Methode eine Gewinnrealisierung erst mit Abschluss des Projekts (insbesondere Abnahme des Projekts durch den Auftraggeber) vor. Das deutsche Steuerrecht folgt im Wesentlichen der CC-Methode2 und lässt nur unter engen Voraussetzungen (z.B. bei selbständigen Teilleistungen, die separat abgerechnet werden) eine Teilgewinnrealisierung zu.3 Weichen die innerstaatlichen Gewinnermittlungsvorschriften des Betriebsstättenstaats von den deutschen Gewinnermittlungsvorschriften ab, indem z.B. das innerstaatliche Steuerrecht des Betriebsstättenstaates die PoC-Methode zwingend vorschreibt, kann sich – aufgrund unterschiedlicher steuerlicher Bemessungsgrundlagen – eine internationale Doppelbesteuerung ergeben. Beispiel: Zu der inländischen Bau GmbH gehört eine in der Schweiz belegene Bau- und Montagebetriebsstätte, die die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 BsGaV erfüllt. Die Kostenrechnung des Projekts beinhaltet u.a. Kosten für die Beseitigung von Fehlmaßnahmen. Die Kosten für die Beseitigung von Fehlmaßnahmen sind in die Ermittlung des Projektgewinns einzubeziehen und nach dem allgemeinen Aufteilungsschlüssel zwischen Stammhaus und Bau- und Montagebetriebsstätte aufzuteilen, sofern nicht eindeutig festgestellt werden kann, durch welche Personalfunktion es zu der Fehlmaßnahme gekommen ist.4 Ist eine eindeutige Zuordnung der Fehlmaßnahme zu einer Personalfunktion möglich, sind die Kosten für die Beseitigung derjenigen Partei vorab zuzurechnen, der die entsprechende Personalfunktion zuzuordnen ist. Die Gewinnminderung durch die Beseitigung der Fehlmaßnahme wird in diesem Fall nicht zwischen den Unternehmensteilen aufgeteilt.

11.336 Kritik an der Auffassung der Finanzverwaltung. Soweit die Finanzverwaltung eine Bestimmung des Projektergebnisses nach den Grundsätzen über die „steuerliche Gewinnermittlung in Deutschland“5 vorsieht, ist dies nicht sachgerecht. Statt auf steuerliche Gewinnermittlungsvorschriften abzustellen, sollte das Projektergebnis im Anwendungsbereich der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode nach rein betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen der Kostenrechnung (Kostenträgerrechnung) bestimmt werden.6 Entscheidend ist die Aufteilung des nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen bestimmten (operativen) Gewinns aus einem Projekt, verstanden als EBIT (Earnings Before Interest and Taxes), und nicht ein steuerlich bestimmter Gewinn. Auch die OECD lässt es bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode zu, den aufzuteilenden Gewinn (hier: Projektergeb-

1 Vgl. IAS 11.22 ff. 2 Vgl. Weber-Grellet in Schmidt36, § 5 EStG Rz. 270, „Langfristige Fertigung“; BFH v. 8.9.2005 – IV R 40/04, BStBl. II 2006, 26 = FR 2006, 181; v. 29.11.19207 – IV R 62/05, BStBl. II 2008, 557; v. 14.5.2014 – VIII R 25/11, BStBl. II 2014, 968 = FR 2014, 1136 m. Anm. Weber-Grellet; so auch BSVWG, Tz. 4.3.6: „Nach den allgemeinen Grundsätzen über die steuerliche Gewinnermittlung wird der Gewinn aus der Bau- und Montagebetriebsstätte i.d.R. erst mit der Abnahme des Bauvorhabens realisiert.“ 3 Vgl. dazu BFH v. 5.5.1976 – I R 121/74, BStBl. II 1976, 541; FG Berlin v. 29.4.1991 – VIII 32/89, v. 29.4.1991 – VIII 332/89, EFG 1992, 62 (rkr.); Schubert/Pastor in BeckBilanzkomm10, § 255 Rz. 461; Krawitz, DStR 1997, 886 ff. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 373. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 374. 6 In diesem Sinne auch VWG BsGa, Rz. 369, wo explizit im Rahmen der Hilfs- und Nebenrechnung auf die Kosten- und Leistungsrechnung abgestellt wird.

770

Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.337 Kap. 11

nis) auf Plan- oder Ist-Basis zu bestimmen.1 Dies ist insofern sachgerecht, als sich für die Verwendung sowohl der Plan- als auch der Ist-Gewinne überzeugende Gründe mit Bezug auf den Grundsatz des Fremdvergleichs anführen lassen.2 In Anwendung des AOA sind keine Gründe ersichtlich, warum die Bestimmung des Projektergebnisses bei Bau- und Montagebetriebsstätten alleine auf steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften fußen soll. Vielmehr handelt es sich auch bei dieser Verrechnungspreismethode um eine Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes, der hinsichtlich der Bestimmung von Ertrags-, Kosten- und Gewinngrößen gerade nicht auf steuerliche Vorschriften abstellt. Infolgedessen kann das Projektergebnis unter Anwendung betriebswirtschaftlicher Grundsätze der Kostenrechnung und unter Beachtung auch z.B. von internationalen Rechnungslegungsvorschriften auf Planoder Istbasis bestimmt werden. c) Bestimmung des Aufteilungsschlüssels Anwendung eines Kostenschlüssels als Grundsatz. In einem zweiten Schritt ist die Schlüsselgröße zu bestimmen, mit dem das Projektergebnis zwischen der Bau- und Montagebetriebsstätte und dem Stammhaus (übriges Unternehmen) aufgeteilt wird. Wenngleich allgemein anerkannt ist, dass es den einen „richtigen“ Aufteilungsschlüssel – korrespondierend zur Ermittlung eines Aufteilungsschlüssels bei Gemeinkosten oder Konzernumlagen3 – nicht geben kann, sieht § 33 Abs. 2 Satz 2 BsGaV die Anwendung eines Kostenschlüssels vor. Die Verwendung eines Kostenschlüssels ist insoweit betriebswirtschaftlich gerechtfertigt, als die von den betrieblichen Teileinheiten im Zusammenhang mit den durch sie ausgeübten Funktionen entstehenden Kosten mit den jeweils erbrachten Wertschöpfungsbeiträgen korrelieren: Je höher der entsprechende Wertschöpfungsbeitrag der Bau- und Montagebetriebsstätte oder des Stammhauses ist, desto mehr Kosten werden hierfür entstehen. Vor diesem Hintergrund führt der Kostenschlüssel zu einer betriebswirtschaftlich angemessenen Ergebnisaufteilung und ist daher steuerlich sachgerecht. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind die Kosten der maßgeblichen Personalfunktionen, die jeweils von der Bau- und Montagebetriebsstätte und vom übrigen Unternehmen für den Bau- und Montagevertrag ausgeübt werden, zu bestimmen. Zu berücksichtigen ist auch ein angemessener Anteil an den Forschungs- und Entwicklungskosten der eingesetzten immateriellen Werte sowie an vergeblichen Akquisitionskosten für nicht zustande gekommene Bau- und Montageverträge.4 Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind Kosten für Personalfunktionen, die nicht maßgeblich sind (Hilfstätigkeiten wie z.B. Werksschutz, Kantine, Fahrdienste), die aber für die Ermittlung des Projektergebnisses zu berücksichtigen sind, nicht zu berücksichtigen.5 Damit stellt sich die Frage, was mit „maßgeblichen“ Personalfunktionen und die diesen zuzuordnenden Kosten konkret zu verstehen ist. Abgrenzungsfragen in der Praxis sind vorgezeichnet. Daher würde es – i.S. einer Vollkostenrechnung – mehr Sinn ergeben, den Kostenschlüssel unter Berücksichtigung sämtlicher Kosten, die bei der Bestimmung des Projektergebnisses Berücksichtigung fanden, zu bestimmen. Soweit die Finanzverwaltung hingegen Kosten vor Entstehung der Bau- und Montagebetriebsstätte als Leistungsbeitrag (Kosten) des übrigen Unternehmens qualifiziert, ist dies zutreffend.6 1 Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 2.133. 2 Vgl. die detaillierten Ausführungen in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien Tz. 2.134–136. 3 Vgl. Ditz, DB 2004, 1949 (1950 f.). 4 Vgl. § 33 Abs. 2 Satz 3 BsGaV. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 376. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 375.

2017,

Ditz 771

11.337

Kap. 11 Rz. 11.338

Sonderfälle

Beispiel: Die inländische Bau GmbH, die im Anlagenbau tätig ist, erhält den Auftrag für die Errichtung einer neuartigen Fertigungsanlage in Staat A. In der Bau- und Montagebetriebsstätte in Staat A fallen Kosten für die Ausschreibung, für Basis- und Detail-Engineering, Montage, Überwachung und die Inbetriebnahme der Fertigungsanlage an. Darüber hinaus entstehen sowohl der Bau- und Montagebetriebsstätte als auch dem übrigen Unternehmen Kosten für Hilfstätigkeiten. Für die Berechnung des Aufteilungsschlüssels nach § 33 Abs. 2 Satz 2 BsGaV sind die Kosten für die maßgeblichen Personalfunktionen relevant (Teilnahme an der Ausschreibung, Basis- und Detail-Engineering, Montage, Überwachung und Inbetriebnahme). Daneben ist noch der angemessene Anteil der in § 33 Abs. 2 Satz 3 BsGaV genannten Kosten (Forschung und Entwicklung, vergebliche Akquisition) zu berücksichtigen. Die Kosten für Personalfunktionen, die nicht maßgeblich sind (Hilfstätigkeiten), sind im Rahmen der Bestimmung des Aufteilungsschlüssels nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht aufzunehmen.

11.338 Berücksichtigung von Forschungs- und Entwicklungskosten. Nach § 33 Abs. 2 Satz 3 BsGaV ist im Rahmen der Bestimmung des Aufteilungsschlüssels ein angemessener Anteil an den Forschungs- und Entwicklungskosten der eingesetzten immateriellen Werte zu berücksichtigen. Dazu gehören nach Auffassung der Finanzverwaltung insbesondere Kosten für in Vorjahren geschaffene immaterielle Werte, die anteilig und pauschaliert zu bestimmen sind.1 Daneben ist nach Rz. 377 VWG BsGa für den Aufteilungsschlüssel ein angemessener Anteil der vergeblichen Akquisitionskosten anderer gescheiterter Bau- und Montageaufträge zu berücksichtigen. Dies ist insofern nicht sachgerecht, als derartige Akquisitionskosten nicht realisierter Projekte nach dem Kostenverursachungsprinzip nicht dem tatsächlich abgeschlossenen Bau- und Montagevertrag zugeordnet werden können. Auch nach dem Grundsatz der Kostenzuordnung nach den maßgeblichen Personalfunktionen ist eine solche Kostenzuordnung nicht sachgerecht. Beispiel: Die inländische Bau GmbH begründet im Rahmen einer Bauausführung in Österreich eine Bau- und Montagebetriebsstätte, die die Voraussetzung des § 33 Abs. 1 BsGaV erfüllt. Das Projektergebnis beträgt 100. Für die Ermittlung des Aufteilungsschlüssels ist Folgendes maßgeblich: – Der Aufschlag für vergebliche Akquisitionskosten beträgt 5 %. – Der Aufschlag für Forschungs- und Entwicklungskosten beträgt 10 %. – Die Personalkosten des Projekts betragen 100 (übriges Unternehmen: 70, hierin sind Akquisitionskosten von 10 enthalten; Bau- und Montagebetriebsstätte: 30). – Von den Personalkosten entfallen 15 auf nicht maßgebliche Personalfunktionen (übriges Unternehmen: 10; Bau- und Montagebetriebsstätte: 5). – Die Materialkosten betragen 40 (übriges Unternehmen: 30; Bau- und Montagebetriebsstätte: 10). – Die Kosten für Subunternehmer betragen 30 (übriges Unternehmen: 10; Bau- und Montagebetriebsstätte: 20). Der Aufteilungsschlüssel bestimmt sich nach § 33 Abs. 2 BsGaV wie folgt: Kosten

Übriges Unternehmen

Bau- und Montagebetriebsstätte A

Personal inkl. Akquisition ./. nicht maßgebliche Personalfunktionen

70 10

30 5

= maßgebliche Personalfunktionen + Anteil vergebliche Akquisition (5 %)

60 3

25

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 377.

772

Ditz

E. Bauausführungen und Montage Kosten + Anteil F&E (10 %) = Kostenanteil Aufteilungsschlüssel

Übriges Unternehmen

Rz. 11.340 Kap. 11

Bau- und Montagebetriebsstätte A

6 69 73 % (69/94)

25 27 % (25/94)

Anwendung alternativer Aufteilungsschlüssel. Nach § 33 Abs. 2 Satz 4 BsGaV ist ein anderer Aufteilungsschlüssel in Einzelfall anzuwenden, wenn dieser zu einem Ergebnis der Bauund Montagebetriebsstätte führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Infolgedessen kann auch ein Aufteilungsschlüssel unter Berücksichtigung der Vollkosten, des eingesetzten Vermögens oder des Umsatzes sachgerecht sein. Dies ist indessen jeweils zu dokumentieren. Die Finanzverwaltung sieht in Rz. 378 VWG BsGa allerdings die Anwendung alternativer Aufteilungsschlüssel nur vor, wenn sie

11.339

– dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entsprechen als eine Aufteilung nach Kosten für die jeweils ausgeübten maßgeblichen Personalfunktionen (z.B. Aufteilung unter Berücksichtigung aller Kosten oder Aufteilung nach Wertschöpfungsbeiträgen),1 – rechnerisch nachvollziehbar sind und – entsprechend der Systematik der zweiseitigen geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode betriebswirtschaftlich konsistente Ergebnisse erbringen. Eine solche restriktive Anwendung alternativer Aufteilungsschlüssel ist nicht sachgerecht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie diese Voraussetzungen überhaupt nachgewiesen werden können. Sie sind nicht praktikabel und daher abzulehnen. Allerdings muss man auch sehen, dass es in der Praxis wenige alternative Aufteilungsschlüssel zu einer kostenorientierten Gewinnaufteilung gibt. Die Risikoschlüsselmethode, die auf Feuerbaum zurückgeht,2 nimmt eine Aufteilung des Auftragsergebnisses auf Basis der dem Stammhaus bzw. der Bau- und Montagebetriebsstätte zugeordneten Risiken vor. Es stellt sich die Frage, wie Risiken operationalisiert und quantifiziert werden können. Dies wird i.d.R. nur über die mit den Risiken verbunden Kosten (Wagniskosten) möglich sein, so dass die Risikoschlüsselung letztlich in einer Kostenschlüsselung mündet. Darüber hinaus scheitert in der Unternehmenspraxis häufig eine (an sich sachgerechte) Anwendung eines Umsatzschlüssels, da einzelne Umsätze der Bau- und Montagebetriebsstätte nicht zugeordnet werden können. Vielmehr wird im Rahmen von Bauund Montageprojekten regelmäßig ein Projektpreis definiert, der sich nicht oder nur sehr schwerlich dem Stammhaus bzw. der Bau- und Montagebetriebsstätte zuordnen lässt. 3. Wechsel zwischen den Verrechnungspreismethoden Wechsel von einer kostenorientierten zu einer gewinnorientierten Verrechnungspreismethode. Ändert sich im Verlauf eines mehrjährigen Projekts das Funktions- und Risikoprofil der Bau- und Montagebetriebsstätte, ist die angewandte Verrechnungspreismethode anzupassen. Entwickelt sich das Funktions- und Risikoprofil der Bau- und Montagebetriebsstätte etwa von der Ausübung von Routinefunktionen hin zur Ausübung von wertschöpfungsstarken Funktionen (und entsprechenden Risiken) ist von der zunächst anzuwendenden kostenorien1 Vgl. OECD-Verrechnungspeisleitlinien 2017, Tz. 2.141. 2 Vgl. Feuerbaum, DB 1968, 1501 (1505); Feuerbaum, Internationale Besteuerung des Industrieanlagebaus2, 96 f.

Ditz 773

11.340

Kap. 11 Rz. 11.341

Sonderfälle

tierten zu einer gewinnorientierten Verrechnungspreismethode zu wechseln. Nach Auffassung der Finanzverwaltung gilt die gewinnorientierte Verrechnungspreismethode (geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode) für den gesamten Zeitraum, in dem die Bauund Montagebetriebsstätte besteht.1 Beispiel: Die inländische Bau GmbH betreibt im DBA-Ausland (Anwendung der Freistellungsmethode) eine Bau- und Montagebetriebsstätte. Der Gewinn dieser Bau- und Montagebetriebsstätte ist in den Jahren 01 bis 03 anhand der Kostenaufschlagsmethode bestimmt worden, da die Bau- und Montagebetriebsstätte Routinefunktionen ausgeübt hat. Bei der Erstellung der Steuererklärung für das Jahr 03 im Jahr 05 stellt sich nachträglich heraus, dass sich das Funktions- und Risikoprofil der Bau- und Montagebetriebsstätte in 03 so verändert hat, dass gem. § 33 Abs. 1 BsGaV die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode anzuwenden ist. Infolgedessen ist der Gewinn (Projektergebnis) aus dem Auftrag von 100 zu je 50 % auf die Bau- und Montagebetriebsstätte und das Stammhaus (übrige Unternehmen) aufzuteilen. Nach den Grundsätzen des § 33 BsGaV ist in Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode der Gewinn erst im Jahr 03 (Ende des Projekts) auszuweisen. Da sich das Funktions- und Risikoprofil der Bau- und Montagebetriebsstätte erst im Jahr 03 zu einem Mittelunternehmen/Strategieträger (vgl. Rz. 11.331 f.) entwickelt hat, ist das Ergebnis aus den Jahren 01 und 02 (Anwendung der Kostenaufschlagsmethode) zwar zunächst anzuerkennen, es ist aber im Jahr 03 nach der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode richtigzustellen.

Steuerlicher Gewinn der GmbH Freistellung Betriebsstätte (cost plus)

01

02

0

0

+5

+5

03

Summe 01–03

100

100

Freistellung Betriebsstätte (profit split)

+50

./. bereits in 01/02 freigestellt

–10

Verbleibende Freistellung 03

+40

Summe Freistellung Betriebsstätte Einkünfte übriges Unternehmen

50 –5

–5

+60

50

11.341 Behandlung eines nachträglichen Verlusts. Ergibt sich bei der Umstellung von der Kostenaufschlagsmethode auf die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode aus dem Gesamtprojekt nachträglich ein Verlust und kann dieser Verlust nachweislich im Ausland nicht rückwirkend geltend gemacht werden, kann nach Auffassung der Finanzverwaltung die Kostenaufschlagsmethode fortgeführt werden, um die entstehende Doppelbesteuerung aus Billigkeitsgründen zu vermeiden.2

11.342 Wechsel von einer gewinnorientierten zu einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode. Verändert sich das Funktions- und Risikoprofil einer Bau- und Montagebetriebsstätte von einem Mittelunternehmen/Strategieträger hin zu einem Routineunternehmen, ist von der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode auf die kostenorientierte Verrechnungspreismethode zu wechseln. Die kostenorientierte Verrechnungspreismethode ist in diesem Fall für den gesamten Zeitraum, in dem die Bau- und Montagebetriebsstätte besteht, anzuwenden.3 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 380. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 380. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 381.

774

Ditz

E. Bauausführungen und Montage

Rz. 11.345 Kap. 11

VI. Hilfs- und Nebenrechnung Anwendung der allgemeinen Grundsätze. Was die Erstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung betrifft, gelten auch bei Bau- und Montagebetriebsstätten die allgemeinen, in § 3 BsGaV beschriebenen Grundsätze. Danach ist das Ergebnis der Bau- und Montagebetriebsstätte anhand einer Hilfs- und Nebenrechnung zu ermitteln. Dazu ist gem. § 3 Abs. 1 BsGaV „zum Beginn eines Wirtschaftsjahres eine Hilfs- und Nebenrechnung aufzustellen, während des Wirtschaftsjahres fortzuführen und zum Ende des Wirtschaftsjahres abzuschießen“. Die Hilfs- und Nebenrechnung beinhaltet gem. § 3 Abs. 2 BsGaV alle Bestandteile, die der Betriebsstätte aufgrund ihrer Personalfunktionen zuzuordnen sind. Infolgedessen sind in der Hilfs- und Nebenrechnung der Bau- und Montagebetriebsstätte die Vermögenswerte auszuweisen, die ihr nach ihren Personalfunktionen zuzuordnen sind. Neben den Vermögenswerten beinhaltet die Hilfs- und Nebenrechnung der Bau- und Montagebetriebsstätte auch ihr Dotationskapital, die übrigen Passivposten, die damit zusammenhängenden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben sowie gem. § 3 Abs. 2 Satz 3 BsGaV die fiktiven Betriebseinnahmen und -ausgaben. Nach der Verordnungsbegründung ist die Hilfs- und Nebenrechnung nach inländischen Bilanzregeln laufend fortzuschreiben.1

11.343

Inhalt der Hilfs- und Nebenrechnung. Wird die Bau- und Montagebetriebsstätte gem. § 32 Abs. 1BsGaVals Routineunternehmen qualifiziertund infolgedessen eine kostenorientierte Verrechnungspreismethode angewendet, sind die Vermögenswerte des Bau- und Montageunternehmens i.d.R. dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) zuzuordnen (vgl. Rz. 11.305). Infolgedessen sind in der Hilfs- und Nebenrechnung der Bau- und Montagebetriebsstätte i.d.R. nur Geldpositionen enthalten, insbesondere Forderungen gegenüber dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) für die erbrachten Leistungen, Verbindlichkeiten gegenüber externen Lieferanten und den der Bau- und Montagebetriebsstätte zugeordneten Mitarbeitern etc.2 Darüber hinaus hat die Bau- und Montagebetriebsstätte Rückstellungen für Gewährleistungen zu bilden, da sie die Kosten für Mängel, die aus ihren ausgeübten Personalfunktionen resultieren, selber tragen muss. Übt die Bau- und Montagebetriebsstätte nur Routinefunktionen aus, kann für Zwecke der Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung der Bau- und Montagebetriebsstätte auf die Kostenund Leistungsrechnung für das Bau- und Montageprojekt zurückgegriffen werden.3 Daraus ergibt sich i.d.R. die für die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode notwendige Kostenbasis (zurErmittlungvgl.Rz. 11.320 ff.).InfolgedessenreichtindiesenFällenhäufigeinereineKostenstellenrechnung aus. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode wird dies jedoch regelmäßig nicht ausreichen. Denn hierzu ist neben einer separaten Kostenerfassung auch eine konkrete Bestimmung der dem Projekt zugeordneten Umsätze notwendig. Dies kann über eine Kostenträgerrechnung erfolgen, die üblicherweise die wesentlichen Informationen für die Hilfs- und Nebenrechnung enthält.

11.344

Bestimmung des Dotationskapitals. Während für ausländische Bau- und Montagebetriebsstätten grundsätzlich die Mindestkapitalmethode nach § 13 BsGaV Anwendung findet, kann diese Methode nach Ansicht der Finanzverwaltung auch zur Bestimmung des Dotationskapitals bei inländischen Bau- und Montagebetriebsstätten herangezogen werden.4 Voraussetzung hierfür ist, dass

11.345

1 2 3 4

Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 51 f. Vgl. auch Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (172). Vgl. VWG BsGa, Rz. 369. Vgl. VWG BsGa, Rz. 368.

Ditz 775

Kap. 11 Rz. 11.346

Sonderfälle

– einer inländischen Bau- und Montagebetriebsstätte keine Vermögenswerte und keine Geschäftsvorfälle (§ 9 BsGaV) des Bau- und Montageunternehmens zuzuordnen sind, – einer inländischen Bau- und Montagebetriebsstätte nur Risiken zuzuordnen sind, die denen eines Routineunternehmens mit geringen Risiken entsprechen, und – in der Hilfs- und Nebenrechnung für eine inländische Bau- und Montagebetriebsstätte keine Verbindlichkeiten ausgewiesen werden, die zu einer Zuordnung von Zinsaufwand des Bau- und Montageunternehmens zur Bau- und Montagebetriebsstätte führen.1

11.346 Abrechnungszeitraum. Die Bau- und Montagebetriebsstätte hat gem. § 32 Abs. 3 BsGaV ihre erbrachten Dienstleistungen gegenüber dem Stammhaus bei Anwendung kostenorientierter Verrechnungspreismethoden laufend abzurechnen. Aufgrund der Selbständigkeitsfiktion der Bau- und Montagebetriebsstätte ist es sachgerecht, wenn die erbrachten Dienstleistungen einmal im Wirtschaftsjahr abgerechnet werden.2 Beispiel: Die inländische Bau GmbH ist mit der Errichtung eines Einkaufszentrums in Polen (DBA mit Freistellung) beauftragt worden. Aufgrund der dreijährigen Bauzeit wird eine Bau- und Montagebetriebsstätte i.S.d. § 30 BsGaV begründet. Die fiktiven Leistungen der polnischen Betriebsstätte werden dem inländischen Stammhaus gem. § 32 Abs. 3 Satz 1 BsGaV jährlich in Rechnung gestellt. Der Gewinn aus dem Auftrag beläuft sich bei der Bau GmbH auf 100. Der polnischen Betriebsstätte entstehen jährliche Kosten i.H.v. 100, die mit einem Gewinnaufschlag i.H.v. 5 % vergütet werden. 2016

2017

2018

Summe

0

0

100

100

Freigestellter Gewinn der polnischen BS

+5

+5

+5

15

Einkünfte des Stammhauses

–5

–5

+95

85

Einkünfte der Betriebsstätte

+5

+5

+5

15

Steuerlicher Gewinn der Bau GmbH

Im Ergebnis wird der polnischen Bau- und Montagebetriebsstätte in den Jahren 2016 bis 2018 ein kumulierter Gewinn i.H.v. 15 und dem inländischen Stammhaus ein kumulierter Gewinn i.H.v. 85 zugeordnet. Von der laufenden Abrechnung der Dienstleistungen der Bau- und Montagebetriebsstätte kann nur abgewichen werden, wenn dies zu Ergebnissen führt, die besser dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen (z.B. Annahme einer fiktiven Teilabnahme, wie bei der Beauftragung von unabhängigen Subunternehmern üblich).3 Beispiel: Die ägyptische Bau- und Montagebetriebsstätte der inländischen Bau GmbH ist mit dem Bau eines Kraftwerks betraut. Es wurde mit dem Auftraggeber/Kunden des Bau- und Montageunternehmens eine Abrechnung der Kosten nach Baufortschritt (ohne Gewinnaufschlag) vereinbart. Erst mit Abschluss des Bauprojekts erfolgt eine Endabrechnung gegenüber dem Auftraggeber/Kunden mit Ansatz eines Gewinnaufschlags. Die Tätigkeiten der ägyptischen Bau- und Montagebetriebsstätte können – abweichend von den allgemeinen Grundsätzen des § 32 Abs. 3 Satz 2 BsGaV – erst bei Abschluss des Bauprojekts abgerechnet werden.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 368. 2 So auch Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (173). 3 Vgl. § 32 Abs. 3 Satz 2 BsGaV; VWG BsGa, Rz. 365.

776

Ditz

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.347 Kap. 11

F. Vertreterbetriebsstätte I. Konfliktfall Vertreterbetriebsstätte – Divergierende Trends zwischen zunehmenden Anwendungsfällen und Abschaffungswunsch. . . . . . . . . 11.347 II. Allgemeines – Steuerpflicht und Möglichkeit der Freistellung durch ständigen Vertreter. . . . . . . . . 11.350

2. 3.

III. Begriff des Vertreters . . . . . . . . . . . . 11.354

4.

IV. Einkünfteabgrenzung der Vertreterbetriebsstätte nach innerstaatlichem Recht 1. Einkünfteabgrenzung unter dem AOA ab 1.1.2015 a) Verselbständigung der Vertreterbetriebsstätte . . . . . . . . . . . . 11.363 b) Zuordnung von Personalfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.364 c) Zuordnung von Vermögenswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.370

5.

d) Zuordnung von Chancen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zuordnung von Dotationskapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung der Art der Geschäftsbeziehungen (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen) . . . . Fremdvergleich a) Dienstleistungen des ständigen Vertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerliche Behandlung der Nutzung von Vermögenswerten c) Vergütung für die Übernahme oder das Management von Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einkünfteabgrenzung bis 31.12.2014

11.375 11.378 11.380 11.381 11.383 11.395 11.396 11.397

V. Einkünfteabgrenzung der Vertreterbetriebsstätte im Doppelbesteuerungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.399

I. Konfliktfall Vertreterbetriebsstätte – Divergierende Trends zwischen zunehmenden Anwendungsfällen und Abschaffungswunsch Vom Streit über die Nullsummentheorie zum In-Frage-Stellen des Anknüpfungsmerkmals. Erschöpften sich die Divergenzen über die Vertreterbetriebsstätte in der Vergangenheit meist in der Diskussion über den Gewinn oder Verlust, der einer solchen Vertreterbetriebsstätte im Rahmen der Einkünfteabgrenzung zuzurechnen ist,1 geht es heute in der Unternehmenspraxis um die Auseinandersetzung mit zahlreichen Finanzverwaltungen weltweit, die in nie dagewesener Zahl die Existenz von (Vertreter-) oder gar Dienstleistungs-Betriebsstätten unterstellen (s. zu Dienstleistungsbetriebsstätten Rz. 11.438 ff.), während gleichzeitig Unternehmensvertreter und Wissenschaft für die Abschaffung des Tatbestands der Vertreterbetriebsstätte plädieren.2 Diese Entwicklungen zeigen, dass die Unsicherheit in Bezug auf die steuerliche Behandlung des Phänomens „Betriebsstätte“ zunimmt, die in einem Zeitalter zusammenwachsender Märkte und vernetzter integrierter Unternehmensstrukturen eine überlegene oder geradezu ideale Organisationsform des Wirtschaftens sein könnte, obwohl das vergangene Jahrzehnt wie kein anderes Jahrzehnt zuvor – zumindest von den Finanzverwaltungen – zur einvernehmlichen Klärung steuerlicher Fragen der Begründung von Betriebsstätten und – insbesondere – der Abgrenzung der Einkünfte zwischen Stammhaus und Betriebsstätte genutzt worden ist. Ihren vorläufigen Abschluss hat die Diskussion um die (Begründung einer) Vertreterbetriebsstätte in dem Bericht der OECD/G20-Gruppe zu Action Item 7 gefunden, auf dessen Grundlage die teilnehmenden Staaten den Begriff der Betriebsstätte und insbesondere der Vertreterbetriebsstätte in Art. 5 OECD-MA (Entwurf) sehr viel weiter definieren und auslegen, als es in der Vergangenheit der Fall war, damit die wahr-

1 Vgl. Niehaves, IStR 2011, 373 m.w.N. 2 Vgl. Bendlinger, ÖStZ 2010, 140 ff.; Görl in GS Krüger, 113 ff.; Wassermeyer, SWI 2010, 505 ff.

Andresen 777

11.347

Kap. 11 Rz. 11.348

Sonderfälle

genommene Steuervermeidung durch die vermeintlich „künstliche“ Vermeidung von Betriebsstätten ein Ende findet.1 Die Public Discussion Drafts vom 4.7.20162 und vom 22.6.20173 zur Einkünfteabgrenzung bei Vertreterbetriebsstätten, deren Grundsätze letztlich auch auf Dienstleistungs- und Hilfsbetriebsstätten angewendet werden können, runden diese Überlegungen ab.

11.348 Wachsende Zahl angenommener Vertreterbetriebsstätten durch die Finanzverwaltungen. Unternehmen haben ihre Strukturen der globalisierten Weltwirtschaft angepasst, u.a. um Kostendegressionseffekte zu erzielen oder Risiken zu reduzieren. Damit einhergehende Phänomene, die für die zwischenstaatliche Einkünfteabgrenzung Relevanz entfalten, sind das Entstehen von Prinzipalstrukturen, das Wachsen der internationalen Arbeitsteilung über Konzerngrenzen hinaus und des damit einhergehenden konzerninternen Koordinierungsaufwandes, der grenzüberschreitende Verantwortungsbereiche und Entscheidungskompetenzen und eine zunehmende Zahl von Mitarbeiterentsendungen zur Folge hat. Diese Entwicklungen schaffen in zunehmendem Maße mögliche Anknüpfungspunkte für die Besteuerung von Konzerngesellschaften, die von den Finanzverwaltungen insbesondere auch deshalb vermehrt erkannt und genutzt werden, um der wahrgenommenen Erosion der Steuerbasis aus grenzüberschreitend tätigen Unternehmensgruppen entgegenzuwirken. So hat die italienische Finanzverwaltung in der Rechtssache Philipp Morris multiple Betriebsstätten verschiedener ausländischer Konzerngesellschaften bei einem italienischen Unternehmen des Konzerns gesehen (siehe dazu auch Rz. 2.230) und hat diese Ansicht vom höchsten italienischen Steuergericht bestätigt bekommen.4 Die französische Finanzverwaltung hat die Zimmer SAS als Betriebsstätte der Zimmer Ltd. angesehen, einem verbundenen Unternehmen, für das die Zimmer SAS als Kommissionär tätig geworden ist. Auch wenn der Conseil d’Etat,5 das höchste französische Steuergericht unter Bezugnahme auf Art. L132-1 des Code de Commerce die Existenz einer Betriebsstätte verneint hat,6 weil ein Kommissionär im eigenen Namen und nicht, wie bei einem abhängigen Vertreter notwendig, in fremdem Namen handelt, so vermag dies nicht zu kaschieren, dass Finanzverwaltungen weitere Anknüpfungspunkte der Besteuerung suchen.7 Ein ähnlich gelagerter Fall in Norwegen betreffend das Unternehmen Dell, ist vom Oslo District Court8 erstinstanzlich i.S. der Finanzverwaltung entschieden worden. Dort war eine irische Gesellschaft durch einen Kommissionär oder „undisclosed agent“ in Norwegen tätig, was von der Finanzverwaltung als Vertreterbetriebsstätte angesehen worden ist. Die abwei-

1 Vgl. OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7: 2015 Final Report, Paris 2015. 2 Vgl. OECD, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), Public Discussion Draft, BEPS Action 7, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 4 July–5 September 2016, Paris 2016. 3 Vgl. OECD, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), Public Discussion Draft, BEPS Action 7, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 22 June–15 September 2017, Paris 2017. 4 Vgl. Urteil v. 25.5.2002 – Nr. 7682; Galli, ITPJ 2011, Vol. 18 No. 1, 28 (29, 31) insbesondere Fn. 12. 5 Vgl. Conseil d’Etat v. 31.3.2010 – Nr. 304715; s. dazu auch Rasch, IStR 2011, 6 ff. 6 Vgl. Douvier/Lordkipanidze, ITPJ 2010, 266 (267). So bereits der Conseil d’Etat in der „Interhome“-Entscheidung v. 20.6.2003 – Nr. 224407. 7 Eine rechtsvergleichende Übersicht der steuerlichen Behandlung eines ähnlichen Falls in Belgien, Dänemark, Deutschland, Kanada und Portugal findet sich in ITPJ 2010 Vol. 17, No. 5 und für Italien und die USA in ITPJ 2011 Vol. 18, No. 1; für Deutschland vgl. Andresen, ITPJ 2010, 365 ff. 8 Vgl. Oslo District Court v. 16.12.2009.

778

Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.349 Kap. 11

chende Entscheidung des norwegischen Supreme Court1 dürfte einer der Auslöser für die Aktivitäten der OECD/G20-Gruppe in Action Item 7 gewesen sein. Die Entscheidung des höchsten spanischen Steuergerichts in der Rechtssache Roche Vitaminas S.A. vom 12.1.2012 zeigt, dass das Gericht bei direkter Stellvertretung selbst ohne explizite Abschlussvollmacht von der Existenz eines abhängigen Vertreters ausgeht, während die spanische Finanzverwaltung in Verlautbarungen2 zu Kommissionären, also bei indirekter Stellvertretung, keine Vertreterbetriebsstätten annimmt.3 Auch die österreichische Finanzverwaltung scheint in Fällen, in denen Konzerne ihre Vertriebsstrukturen auf Handelsvertreter oder Kommissionärsstrukturen umstellen, eine Vertreterbetriebsstätte annehmen zu wollen, ohne auf die Frage einzugehen, in wessen Namen Geschäfte abgeschlossen werden.4 Gleiches kann aus dem Kreisschreiben Nr. 85 der eidgenössischen Finanzverwaltung entnommen werden, das nicht zwischen direkter und indirekter Stellvertretung differenziert, wobei es in diesem Kreisschreiben darum geht, auf Schweizer Besteuerungsansprüche zu verzichten, indem fiktiven Vertreterbetriebsstätten ein Teil des Residualgewinns einer Schweizer Prinzipalgesellschaft zugeordnet und dadurch nicht in der Schweiz besteuert wird. Nach dieser vergleichsweise alten Verlautbarung darf der der Vertreter-Betriebsstätte zu zumessende Anteil des Handelsgewinns des Vertretenen überdies auf höchstens (sic!) 50 % geschätzt werden. Auch die deutsche Finanzverwaltung sieht die Möglichkeit über das Institut der Vertreterbetriebsstätte, verlorenes Steuersubstrat aus sog. Funktionsabschmelzungen wieder zu repatriieren.6 Beruhigend dürfte in diesem Kontext jedoch wirken, dass die deutsche Finanzverwaltung die Optionen im Multilateralen Instrument (BEPS-Aktionspunkt 15) nicht ausgewählt hat, die die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte unter sehr viel weniger restriktiven Voraussetzungen als dem tatsächlichen Vorliegen einer Abschlussvollmacht vorsehen und die für Konzerngesellschaften die Rückausnahme des unabhängigen Vertreters sehr umfassend eingeschränkt bzw. unmöglich gemacht haben (siehe dazu Rz. 2.209 ff. bzw. 2.219–2.225). Wunsch nach Abschaffung der Vertreterbetriebsstätte in Wissenschaft und Praxis. In der jüngeren Vergangenheit wird in der Literatur gefordert, die Vertreterbetriebsstätten als Anknüpfungspunkt der Besteuerung aufzugeben.7 Dieser Forderung ist vorbehaltlos zuzustimmen. Wesentliche Argumente für diese Forderung sind die vielfältigen Unsicherheiten um die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Begründung einer Vertreterbetriebsstätte und die sich anschließende, nach wie vor kontrovers diskutierte Frage nach der Höhe des Gewinns oder Verlusts, der einer Vertreterbetriebsstätte zuzurechnen ist. Eine Steuerwelt, in der jede Person durch ihr individuelles Verhalten zu einem ständigen Vertreter einer anderen Person werden und dadurch oder durch die Erbringung einer Dienstleistung diese Person in die Steuerpflicht eines Staats oder gar mehrerer Staaten führen kann, stellt eine Belastung für die Wirtschaft dar, weil sie immense Kosten verursacht. Wohin dies führen kann, zeigen Diskussionen über die Unwägbarkeiten des indischen Steuerrechts, die potentielle In-

1 2 3 4

Vgl. dazu Bendlinger, SWI 2011, 101 ff. General Tax Directorate, Verbindliche Auskünfte v. 20.11.2008, V2192-08 und V2191-08. Vgl. Carreno/Rodriguez, ITPJ July/August 2012, 257–260. Vgl. EAS-Auskünfte 2681 des BMF – GZ BMF-010221/0767-IV/4/5 und 2304 des BMF, GZ K 1/21-IV/4/03 v. 23.6.2003, SWI 2003, 440; eine Ausnahme bildet wegen des speziellen Abkommenstextes Deutschland: EAS-Auskunft 3116 des BMF – GZ BMF-010221/3361-IV/4/2009 v. 17.12.2009. 5 Vgl. Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV, Kreisschreiben Nr. 8 v. 18.12.2001, Tz. 1. 6 Vgl. Naumann/Förster, IStR 2004, 246 ff. 7 Vgl. Bendlinger, ÖStZ 2010, 140 ff.; Görl in GS Krüger, 113 ff.; Wassermeyer, SWI 2010, 505 ff.

Andresen 779

11.349

Kap. 11 Rz. 11.349

Sonderfälle

vestoren eher nach anderen Standorten Ausschau halten lassen, weil die Kosten der Befolgung des nationalen indischen Steuerrechts zu hoch sind.1 Das Verhalten zig- oder hunderttausender Mitarbeiter lässt sich zwar durch die Vorgabe von Regelungen und Anweisungen und den Einsatz von Technologie2 dahingehend beeinflussen, dass ein Anknüpfungspunkt der Besteuerung in der Mehrzahl der Fälle vermieden werden kann. Da letztendlich jedoch das tatsächliche Verhalten maßgeblich ist, hängt die steuerliche Behandlung in hohem Maße vom Zufall ab, nämlich davon, ob ein Mitarbeiter sich zufällig nicht regelkonform verhalten hat, und davon, ob die betroffene Finanzverwaltung zufällig das Fehlverhalten wahrnimmt und die richtigen steuerlichen Konsequenzen daraus zieht. Ein vom Zufall abhängiges, uneinheitliches Verwaltungshandeln und der darin begründete mögliche Verstoß gegen das Durchsetzungsgebot3 treffen entsprechend auf verfassungsrechtliche Bedenken. Wassermeyer moniert, dass es beim ständigen Vertreter anders als sonst nicht auf territoriale Bezugspunkte, sondern letztlich auf die Tätigkeit einzelner Personen und insbesondere deren Ausgestaltung ankommt.4 Die mangelnde Klarheit der Tatbestandsmerkmale des ständigen oder abhängigen Vertreters mit Bezug auf diese Ausgestaltung steht der rechtlichen Beherrschbarkeit dieses Anknüpfungspunktes im Wege. Deshalb liegt es nahe, die Streichung des ständigen und abhängigen Vertreters als Anknüpfungspunkt der Besteuerung zu fordern, weil dadurch – ähnlich wie bei Luftfahrt- und Schifffahrtsunternehmen – die Unternehmensgewinne bei der Geschäftsleitungsbetriebsstätte besteuert würden (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA), es sei denn, es gibt mit einer festen Geschäftseinrichtung einen territorialen Anknüpfungspunkt in dem anderen Vertragsstaat (Belegenheitsstaat der Betriebsstätte). Wassermeyer5 verweist zu Recht auf Art. 8 OECDMA, in dem für ein ähnliches Phänomen die potentielle Steuerverhaftung eines Luftfahrtoder Schifffahrtsunternehmens in einer Vielzahl von Staaten durch dessen hunderte Flugzeuge oder Schiffe eine pragmatische Lösung gefunden worden ist, indem das alleinige Besteuerungsrecht dem Staat der Geschäftsleitung zugeordnet worden ist. Einige Jahrzehnte nach Formulierung des Art. 8 OECD-MA und in einer Welt, in der nicht mehr nur Luft- und Schifffahrtsunternehmen, sondern hunderttausende Unternehmen durch hunderttausende von Mitarbeitern – ggf. multiple – Berührungspunkte mit einer Vielzahl von Ländern haben, ist es an der Zeit, auf Ebene der OECD über eine Reduzierung der Anknüpfungspunkte der Besteuerung nachzudenken, ein Denkprozess, den bspw. das Business and Industry Advisory Committee (BIAC) bei der OECD anstoßen könnte. Die tatsächliche Entwicklung des Doppelbesteuerungsrechts und des Internationalen Steuerrechts geht durch das BEPSProjekt der OECD/G20-Staaten jedoch tendenziell eher in eine andere Richtung, so dass es sinnvoll erscheinen kann, Betriebsstätten pro-aktiver zu erklären, statt darauf zu hoffen, keine Betriebsstätte begründet zu haben. Der Grund für diese taktische Vorgehensweise liegt auf der Hand: Der Aufwand der späteren Verteidigung einer vermuteten Nicht-Begründung einer Betriebsstätte ist erfahrungsgemäß um ein Vielfaches höher als der Aufwand der Erstellung einer Steuererklärung und der Hinnahme der Besteuerung eines kleinen Gewinns

1 Siehe zum Rolls Royce-Betriebsstätten-Urteil des Delhi Income Tax Appellate Tribunal: Ditz, IStR 2010, 553, 555; Ruh/Beyer, IWB 2009, F. 6, Gr. 2 Indien, 104 ff. 2 So lassen manche Konzerne die Bewegungen ihrer Mitarbeiter über entsprechende Anwendungen auf Smartphones dokumentieren, um der Begründung einer Steuerpflicht in mehreren Ländern entgegenzuwirken bzw. bei Vorliegen einer Steuerpflicht dieser durch entsprechende Erklärung nachzukommen. 3 Vgl. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht22, § 1 Rz. 13, § 2 Rz. 15, 16. 4 Vgl. Wassermeyer, SWI 2010, 140 ff. 5 Vgl. Wassermeyer, SWI 2010, 140 ff.

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F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.352 Kap. 11

dieser Betriebsstätte in Übereinstimmung mit dessen in der Regel doch recht eingeschränktem Funktionsprofil.1

II. Allgemeines – Steuerpflicht und Möglichkeit der Freistellung durch ständigen Vertreter Ständiger Vertreter als Anknüpfungspunkt der Besteuerung mit Einkommen- oder Körperschaftsteuer im Inland. Eine im Ausland ansässige Person ist gem. § 1 Abs. 4 i.V. mit § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG mit ihren inländischen Einkünften aus Gewerbebetrieb beschränkt einkommen- bzw. körperschaftsteuerpflichtig (§ 2 Nr. 1 KStG), wenn und soweit für diesen Gewerbebetrieb ein ständiger Vertreter i.S. des § 13 AO im Inland bestellt ist. Wenn der ständige Vertreter im Inland nach einem einschlägigen DBA auch als abhängiger Vertreter anzusehen ist, hat Deutschland das Besteuerungsrecht an den Einkünften, die dem ständigen Vertreter zuzurechnen sind.

11.350

Besonderheiten der Gewerbesteuer bei einem inländischen ständigen Vertreter. Anders als die Einkommen- und die Körperschaftsteuer ist die Gewerbesteuer eine Objektsteuer. Gewerbesteuerpflichtig ist der stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG). Dies ist gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG insoweit gegeben, als für diesen (ausländischen) Gewerbebetrieb eine Betriebsstätte im Inland betrieben wird (siehe zur Gewerbesteuerpflicht von Schifffahrtsunternehmen Rz. 11.433). Dabei ist der Begriff der Betriebsstätte i.S. des § 12 AO maßgeblich. Ständige Vertreter sind grundsätzlich keine Betriebsstätten i.S. des § 12 AO und begründen deshalb auch keine Gewerbesteuerpflicht. Eine Gewerbesteuerpflicht des Vertretenen ist nur dann denkbar, wenn der Vertretene neben dem ständigen Vertreter noch die Verfügungsmacht über eine feste Geschäftseinrichtung im Inland hat, z.B. über Geschäftsräume in den Geschäftsgebäuden des ständigen Vertreters.2 Fehlt es an einer solchen Geschäftseinrichtung, kann es keine Gewerbesteuerpflicht des Vertretenen im Inland geben. Das zu einem anderen Ergebnis kommende, unverständlicherweise3 rechtskräftig gewordene Urteil des FG Baden-Württemberg4 ist mit Piltz5 als unzutreffend abzulehnen, weil die in der Schweiz ansässige Besitzgesellschaft in dem zu beurteilenden Sachverhalt keine feste Geschäftseinrichtung im Inland unterhielt und somit keine Betriebsstätte i.S. des § 12 AO im Inland hatte.

11.351

Abhängiger Vertreter als notwendige Tatbestandsvoraussetzung der Anrechnung ausländischer Steuern und der Freistellung ausländischer Betriebsstätteneinkünfte. Im umgekehrten Fall einer im Inland ansässigen Person bestimmt sich bei Anwendung der Anrechnungsmethode der Umfang der Steuerermäßigung für ausländische Einkünfte (§ 34c Abs. 1 EStG) nach der Höhe dieser ausländischen Einkünfte. Wenn die Einkünfte aus einem Staat stammen, mit dem ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht,6 gilt

11.352

1 Siehe exemplarisch zum Fall einer missglückten Repräsentanz: Andresen/Liche, IStR 2017, 104 ff. 2 Vgl. H 2.9 (4) GewStR 2009. 3 Der Kläger hatte die zugelassene Revision zurückgenommen. 4 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 21.4.2004 – 12 K 252/00, EFG 2004, 1384–1386 = IStR 2005, 172 m. Anm. Piltz. 5 Siehe Piltz, IStR 2005, 173 (180). 6 Die Anwendung der Freistellungsmethode (Art. 23A Abs. 1, 3 und 4 OECD-MA 2014) kann jedoch von einem Aktivitätsvorbehalt abhängen; vgl. dazu z.B. BFH v. 5.6.2002 – I R 86/01, BStBl. II 2002, 683 = FR 2002, 1188.

Andresen 781

Kap. 11 Rz. 11.353

Sonderfälle

dies nur soweit, als darin die Anrechnungsmethode vereinbart ist und zur Anwendung kommt.1 Ausländische Einkünfte i.S. des § 34c Abs. 1 EStG sind u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die durch einen in einem ausländischen Staat tätigen ständigen Vertreter erzielt werden (§ 34d Nr. 2 Buchst. a EStG) sowie Einkünfte – aus selbständiger Arbeit i.S. des § 34d Nr. 3 EStG, – aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens oder Anteilen an Kapitalgesellschaften i.S. des § 34d Nr. 4 EStG, – aus Kapitalvermögen i.S. des § 34d Nr. 6 EStG, – aus Vermietung und Verpachtung i.S. des § 34d Nr. 7 EStG und – aus sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG, wenn bei Einkünften aus Leistungen einschließlich der Einkünfte aus Leistungen i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG der zur Vergütung der Leistung Verpflichtete Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz in einem ausländischen Staat hat (§ 34d Nr. 8 Buchst. c EStG), soweit sie zu den Einkünften aus (diesem) Gewerbebetrieb gehören. Die Ermittlung der ausländischen Einkünfte ist wegen § 26 Abs. 1 und 6 KStG auch für unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften relevant, wobei der deutschen Steuer, die auf die ausländischen Einkünfte entfällt (Anrechnungshöchstbetrag), die Körperschaftsteuer zugrunde zu legen ist, die sich ohne Anwendung der Vorschriften zum Körperschaftsteuerguthaben und zur Körperschaftsteuerminderung (§§ 37 und 38 KStG) ergäbe.2 Auch für beschränkt Steuerpflichtige ist die Ermittlung der ausländischen Einkünfte einer Vertreterbetriebsstätte relevant, weil die Möglichkeit der Anrechnung nach § 50 Abs. 6 EStG ggf. i.V. mit § 26 Abs. 2 KStG auch für beschränkt Steuerpflichtige besteht, soweit diese Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit aus einem im Inland unterhaltenen Betrieb erzielen. Davon ausgenommen sind lediglich ausländische Einkünfte, mit denen der beschränkt Steuerpflichtige im Ausland in einem der unbeschränkten Steuerpflicht ähnlichen Umfang zu einer Steuer vom Einkommen herangezogen wird.3 Ist zwischen dem Ansässigkeitsstaat eines Prinzipals und dem Ansässigkeitsstaat seines ständigen Vertreters ein DBA abgeschlossen und begründet der Prinzipal durch die Tätigkeit seines ständigen Vertreters im anderen Vertragsstaat eine Betriebsstätte, ergibt sich auch hier die Notwendigkeit, die Einkünfte der Vertreterbetriebsstätte abzugrenzen, wenn diese im Ansässigkeitsstaat ggf. unter Aktivitätsvorbehalt freigestellt sind.

11.353 Besonderheiten der Gewerbesteuer bei einem ausländischen ständigen Vertreter. Anders als die Einkommen- und die Körperschaftsteuer ist die Gewerbesteuer eine Objektsteuer. Gewerbesteuerpflichtig ist der stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG). Dies ist gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG insoweit gegeben, als für diesen Gewerbebetrieb eine Betriebsstätte im Inland betrieben wird. Dabei ist der Begriff der Betriebsstätten i.S. des § 12 AO maßgeblich, der im Verhältnis zu einem DBA-Partnerstaat durch den Betriebsstätten-Artikel des einschlägigen DBA beschränkt sein kann (siehe Rz. 2.104 ff. und Rz. 11.438 ff.). Unterhält der ständige Vertreter im Ausland keine Betriebsstätte i.S. des § 12 AO, sind sämtliche Einkünfte für gewerbesteuerliche Zwecke dem Gewerbebetrieb im Inland zuzurechnen und können – im Gewinnfall – somit doppelt besteu1 So § 34c Abs. 6 Sätze 2–5 EStG. 2 Bis zum 1.1.2006 hat diese Vorschrift wegen des in § 37 Abs. 2a Nr. 1 KStG geregelten Moratoriums keine Wirkung entfaltet. 3 Vgl. § 50 Abs. 6 Halbs. 3 EStG.

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F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.355 Kap. 11

ert sein mit im Vergleich zum Inland (15 %) höherer ausländischer Einkommen- oder Körperschaftsteuer und inländischer Gewerbesteuer. In diesen Situationen empfiehlt es sich, den ständigen Vertreter im Ausland auch eine Betriebsstätte i.S. des § 12 AO/Art. 5 Abs. 1 OECD-MA 2014 begründen zu lassen, um im Gewinnfall ggf. von der gewerbesteuerlichen Kürzung in § 9 Satz 1 Nr. 3 GewStG zu profitieren. Erwirtschaftet der ausländische ständige Vertreter einen Verlust, kann eine solche doppelte Erfassung allerdings vorteilhaft sein, weil eine positive inländische Bemessungsgrundlage durch die ausländischen Verluste wieder gemindert wird.

III. Begriff des Vertreters Nationales Recht. Der Begriff des ständigen Vertreters ist in § 13 AO definiert. Danach ist der ständige Vertreter eine Person, die nachhaltig die Geschäfte eines Unternehmens besorgt und dabei dessen Sachweisungen unterliegt. Neben dieser allgemeinen Definition ist von der Existenz eines ständigen Vertreters insbesondere dann auszugehen, wenn eine Person für ein Unternehmen nachhaltig

11.354

– Verträge abschließt oder vermittelt oder Aufträge einholt oder – einen Bestand von Gütern oder Waren unterhält und davon Auslieferungen vornimmt.1 Von der Existenz eines ständigen Vertreters ist danach dann auszugehen, wenn folgende Tatbestandsmerkmale erfüllt sind: die Geschäftsbesorgung für den Vertretenen, die Weisungsgebundenheit gegenüber dem Vertretenen und die Nachhaltigkeit der Geschäftsbesorgungshandlungen.2 Die Besorgung von Geschäften nach den Anweisungen des Prinzipals ist eine Tatbestandsvoraussetzung, die sehr leicht zu erfüllen ist. Diese weite Auslegung des Vertreterbegriffs ist von der Rechtsprechung mehrfach für Fälle bestätigt worden, in denen entweder Mitarbeiter des ausländischen Unternehmens oder selbständige Gewerbetreibende nicht nur gelegentlich, sondern dauerhaft eine Tätigkeit für das ausländische Unternehmen ausgeübt haben.3 Ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis ist jedoch nicht erforderlich.4 So kommt es in der Praxis in erster Linie darauf an, ob die Besorgungsleistung nachhaltig im Sinne einer nicht nur gelegentlichen, sondern dauerhaften bzw. fortgesetzten Tätigkeit ausgeübt wird. Lediglich bei einer nur gelegentlich ausgeübten Tätigkeit ist nicht von der Existenz eines ständigen Vertreters i.S. des § 13 AO auszugehen.5 Die Tatbestandsvoraussetzungen scheinen hinreichend ausdifferenziert zu sein. Doppelbesteuerungsrecht. Wenn und soweit mit dem Staat ein DBA besteht, in dem entweder der Prinzipal oder der ständige Vertreter ansässig ist, erfährt die weite Definition des ständigen Vertreters nach nationalem Recht eine Einschränkung. In Art. 5 Abs. 5 OECDMA 2014 ist der (abhängige) Vertreter als Person definiert, – die für ein Unternehmen tätig wird und in einem Vertragsstaat eine Vollmacht besitzt, im Namen des Unternehmens Verträge abzuschließen, 1 Vgl. § 13 Satz 2 AO. 2 Vgl. Musil in H/H/Sp, § 13 AO Rz. 6 ff. 3 Vgl. zum ständigen Vertreter im Inland RFH v. 15.11.1935 – IV B 25/35, RStBl. 1935, 1533; BFH v. 27.11.1963 – I 335/60 U, BStBl. III 1964, 76; v. 28.6.1972 – I R 35/70, BStBl. II 1972, 785; v. 12.4.1978 – I R 136/77, BStBl. II 1978, 494; v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238 = FR 1995, 238 m. Anm. Kempermann – unter II.3. zum ständigen Vertreter im Ausland. 4 BFH v. 28.6.1972 – I R 35/70, BStBl. II 1972, 785 – unter I.2.b); gl.A. BS-VWG, Tz. 1.2.2. 5 Vgl. RFH v. 29.6.1934 – I A 56/33, RStBl. 1934, 1125.

Andresen 783

11.355

Kap. 11 Rz. 11.355

Sonderfälle

– die diese Vollmacht dort gewöhnlich ausübt, – die nicht als unabhängiger Vertreter i.S. des Art. 5 Abs. 6 OECD-MA 2014 anzusehen ist und – deren Tätigkeiten nicht auf die in Art. 5 Abs. 4 OECD-MA 2014 genannten Hilfstätigkeiten beschränkt sind.1 Unter der Annahme, dass der Vertreter nicht unabhängig i.S. des Art. 5 Abs. 6 OECD-MA 2014 ist und dessen Tätigkeiten über den Rahmen von Hilfstätigkeiten hinausgehen, hat ein Prinzipal im Ansässigkeitsstaat seines Vertreters folglich nur dann eine Betriebsstätte, wenn er diesem Vertreter eine Abschlussvollmacht eingeräumt hat, die dieser Vertreter dort auch gewöhnlich ausübt. Anders als die Finanzverwaltung vertritt Piltz die Auffassung, dass nur eine zivilrechtliche, nicht jedoch bereits eine wirtschaftliche Abschlussvollmacht eine Vertreterbetriebsstätte begründen kann.2 Auch wenn wegen der grundlegenden Zweifel an der Notwendigkeit des Tatbestands der Vertreterbetriebsstätte einiges für diese enge Auslegung des Begriffs der Abschlussvollmacht für Abkommenszwecke spricht, ist mit der h.M. weniger auf die zivilrechtliche Abschlussvollmacht, denn auf das tatsächliche Verhalten abzustellen.3 Notwendige Voraussetzung für die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte ist jedoch, dass der Vertreter für das Unternehmen tätig wird und Verträge im Namen des Unternehmens abschließt. Das Tätigwerden „für“ ein Unternehmen setzt voraus, dass sich der Vertreter vom Unternehmen unterscheidet. Dies ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn der Unternehmer4 selbst, die geschäftsführenden Gesellschafter einer Personengesellschaft oder die Organe5 einer Kapitalgesellschaft für ihr Unternehmen tätig werden.6 Dies gilt entgegen der Ansicht des Sächsischen FG7 auch dann nicht, wenn dem Organ parallel Prokura eingeräumt wird. In diesen Fällen handelt das Unternehmen selbst. Im Hinblick auf die Organe einer Kapitalgesellschaft spricht dafür auch, dass das Tatbestandsmerkmal der Weisungsgebundenheit des Vertreters nur schwer darzustellen ist, wenn die Weisungen vom Organ selbst kommen. Denkbar wäre ein Tätigwerden eines einzelnen Geschäftsführers oder Vorstandsmitglieds für ein Unternehmen i.S. dieser Vorschrift mit betriebsstättenbegründender Wirkung nur dann, wenn er auf Beschluss bzw. Sachanweisung des Gesamtvorstands handelt. Letztlich erscheint dies jedoch insgesamt eher eine theoretische Frage zu sein, weil Organe die Tatbestandsvoraussetzung der Nachhaltigkeit mangels hinreichend dauerhafter Präsenz in einem (Aus-)Land in aller 1 Vgl. zu den Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelnen Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 201–215; Görl in V/L6, Art. 5 OECD-MA Rz. 111–124, 130–142. 2 Vgl. Piltz, IStR 2004, 181 (184). Eine wirtschaftliche Vollmacht liegt seiner Ansicht nach vor, wenn das Unternehmen (der Prinzipal) die von einer zivilrechtlich nicht bevollmächtigten Person ausgehandelten Verträge „automatisch akzeptiert“. A.A. BS-VWG, Tz. 1.2.2; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 202 unter Verweis auf BFH v. 12.4.1978 – I R 136/77, BStBl. II 1978, 494. 3 Vgl. Görl in V/L6, Art. 5 OECD-MA Rz. 118; Musil in H/H/Sp, § 13 AO Rz. 3; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 204. 4 Vgl. BFH v. 18.12.1990 – X R 82/89, BStBl. II 1991, 395 = FR 1991, 244. 5 Vgl. Gersch in Klein13, § 13 AO Rz. 2; Kruse in T/K, § 13 AO Rz. 3; FG Düsseldorf v. 16.1.2003 – 15 K 8624/99 K, EFG 2003, 1125; a.A. FG München v. 28.5.1998 – 7 V 1/98, EFG 1998, 1491; Heußner, IStR 2004, 161; Buciek in Beermann/Gosch, § 13 AO Rz. 7.1; Buciek in FS Wassermeyer, 289; Musil in H/H/Sp, § 13 AO Rz. 5a. 6 Vgl. Görl in V/L6, Art. 5 OECD-MA Rz. 114, 115; Eckl, IStR 2010, 510 (513); Frotscher in Schwarz, § 13 AO Rz. 5a; a.A. bzgl. der Organe einer Kapitalgesellschaft: Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 201; BFH v. 18.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437 = FR 1999, 756 m. Anm. Kempermann = IStR 1999, 405. 7 Vgl. FG Sachsen v. 26.2.2009 – 8 K 428/06, BeckRS 2009, 26030220.

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Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.356 Kap. 11

Regel nicht erfüllen, wie der Sachverhalt zeigt, der dem BFH-Urteil vom 3.8.20051 zum DBA-Portugal zugrunde gelegen hat. Der BFH hat sich dort bewusst nicht zu der Frage der Vertretung durch Organe geäußert.2 Dies erscheint auch nicht notwendig, da Organe in vielen Fällen entweder nicht dauerhaft in anderen Ländern tätig sind (s. der Fall zum DBAPortugal) oder – bei entsprechender zeitlicher Gewichtung der Tätigkeit des Organs oder der Organe in einem anderen Land – dort gleich die unbeschränkte Steuerpflicht auslösen. Es besteht eigentlich keine Notwendigkeit, diese dazwischen bestehende Lücke noch auszufüllen. Der BFH dürfte jedoch u.U. demnächst Gelegenheit erhalten, sich mit der Frage der Vertretereigenschaft von Organen zu befassen, wenn er sich auf Grundlage der zugelassenen Revision mit dem Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 15.6.2016 beschäftigen wird, in dem das Gericht einen Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft nicht als deren ständigen Vertreter angesehen hat.3 Angestellte eines Unternehmens können demgegenüber jedoch ständiger bzw. abhängiger Vertreter sein, wenn diese eine Abschlussvollmacht i.S. des Vorschrift haben und nachhaltig ausüben. Kommissionäre können zwar für ein (anderes) Unternehmen tätig werden, sie schließen ihre Verträge jedoch nicht im Namen des Unternehmens, sondern in eigenem Namen, so dass sie keine abhängige Vertreter i.S. des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA 2014 sein können.4 Die Entscheidung des französischen Conseil d’Etat sollte insoweit Klarheit für Staaten gebracht haben, die in aller Regel – anders als Länder mit „Common Law“ – das Konzept der indirekten Stellvertretung in ihrem Zivilrecht verankert haben. Für die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte ist weiterhin notwendig, dass die Tätigkeiten des Vertreters für das Unternehmen über Hilfstätigkeiten hinausgehen. Das FG Nürnberg5 hat dies bei einer Grundstücksverpachtung einer natürlichen Person an eine Kapitalgesellschaft in der Schweiz nicht als erfüllt angesehen, weil die Tätigkeiten des unterstellten Vertreters – der Schweizer Kapitalgesellschaft – nicht in den betrieblichen Bereich des Vertretenen gefallen6 und darüber hinaus lediglich Hilfstätigkeiten gewesen sind, während die relevanten Entscheidungen und vertraglichen Bindungen von der natürlichen Person (dem Unternehmer) im Inland getroffen worden sind. Entwicklungen innerhalb der OECD. Einige OECD-Mitgliedstaaten sind bestrebt, ihre Besteuerungsrechte durch eine erweiterte Betriebsstättendefinition auszudehnen. Diese Bestrebungen haben zum Teil schon ihren Niederschlag in der überarbeiteten Kommentierung der OECD zum OECD-MA gefunden.7 Dort wird davon ausgegangen, dass auch ein Vertreter eine Betriebsstätte i.S. des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA 2014 begründen kann, der im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung tätig wird.8 Diese Auffassung ist mit Piltz abzulehnen, weil der Abkommenstext eine Vollmacht dafür voraussetzt, „im Namen des Unternehmens“

1 Vgl. BFH v. 3.8.2005 – I R 87/04 BStBl. II 2006, 220. 2 Vgl. BFH v. 3.8.2005 – I R 87/04 BStBl. II 2006, 220 unter II.4.a). 3 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 15.6.2016 – 1 K 1685/14, EFG 2016, 1324 = IStR 2016, 818 m. Anm. Leidel; kritisch dazu Weber, IStR 2017, 165 ff. 4 Vgl. Andresen, ITPJ 2010, Vol. 17, No. 5, 365 (366); Rasch, IStR 2011, 6 (11); Frotscher in Schwarz, § 13 AO Rz. 12; Gersch in Klein13, § 13 AO Rz. 3. 5 Vgl. FG Nürnberg v. 28.9.2011 – 3 K 959/2008, juris, rkr. trotz NZB unter Az. BFH: I B 173/11, DStRE 2012, 1063. 6 Ebenso Scholtz in Koch/Scholtz5, § 13 AO Rz. 6; Gersch in Klein13, § 13 AO Rz. 2 unter Verweis auf BFH v. 14.7.1971 – I R 127/68, BStBl. II 1971, 776 und v. 30.4.1975 – I R 152/73, BStBl. II 1975, 626. 7 Vgl. zur Kritik dazu Piltz, IStR 2004, 181; Bendlinger/Görl/Paaßen/Remberg, IStR 2004, 145 (148). 8 Vgl. Art. 5 Tz. 32.1 OECD-MK.

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11.356

Kap. 11 Rz. 11.357

Sonderfälle

und nicht im eigenen Namen Verträge abzuschließen.1 Eine enge Auslegung ist hier in Anlehnung an die „Zimmer“-Entscheidung geboten, um einer überbordenden Anwendung eines in der heutigen Zeit fragwürdigen Besteuerungskonzeptes Einhalt zu gebieten.2 Die OECD hat entsprechende Kritik an einem zu weiten Betriebsstättenbegriff aufgenommen und in ihrem Bericht zur Auslegung und Anwendung des Art. 5 OECD-MA Lösungen für Zweifelsfragen vorgeschlagen.3 So wird dort im Beispiel Nr. 19 eine Ergänzung des Paragraphen 32.1 OECDMK vorgeschlagen, in dem auf die zivilrechtliche Tatsache hingewiesen wird, dass in manchen Ländern rechtlich keine Bindung stattfindet. Daraus ist abzuleiten, dass Kommissionäre das Unternehmen nicht binden in Ländern, in denen eine indirekte Stellvertretung gesetzlich vorgesehen ist.4 Weiterhin wird in Beispiel Nr. 7 für einen Hotelmanager, der bei einer Dienstleistungsgesellschaft im Staat B angestellt ist und in einem Hotel im Staat A tätig wird und für den die Dienstleistungsgesellschaft ein angemessenes Dienstleistungsentgelt erhält trotz divergierender Ansichten empfohlen, keine Vertreter- oder Dienstleistungsbetriebsstätte anzunehmen.5

11.357 Unabhängiger Vertreter. Ungeachtet dessen dürften die meisten Vertreter, die im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung Geschäfte besorgen, sich ohnehin als unabhängige Vertreter i.S. des Art. 5 Abs. 6 OECD-MA 2014 qualifizieren.6 Nach dieser Ausnahmevorschrift begründet ein Unternehmen dann keine Betriebsstätte in einem Vertragsstaat, wenn es dort durch einen Makler, Kommissionär oder einen anderen unabhängigen Vertreter tätig wird und diese im Rahmen ihrer ordentlichen Geschäftstätigkeit handeln.7 Neben der rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit8 kommt es insbesondere darauf an, dass der Vertreter im Rahmen seiner ordentlichen Geschäftstätigkeit handelt. Dies ist nach Auffassung des BFH dann der Fall, wenn das Tätigkeitsbild des Vertreters im Einzelfall als verkehrsüblich in dem Sinne anzusehen ist, dass zumindest einige Unternehmen der gleichen Branche gleiche oder ähnliche Tätigkeiten ausüben.9

11.358 Ausnahmetatbestand nach DBA-Österreich. In dem Protokoll zu Art. 5 DBA-Österreich vom 24.8.200010 bekunden die Vertragsparteien ihr Einverständnis, dass im Fall verbundener Unternehmen keines dieser Unternehmen als Vertreterbetriebsstätte eines anderen ver1 Vgl. Piltz, IStR 2004, 181 (185) – s. insbesondere Fn. 19 dort; gl.A. BS-VWG, Tz. 1.1.2.; a.A. Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 201a. 2 Der Generalbericht zum I.F.A.-Kongress 2009 zeigt jedoch, dass international wenig Übereinstimmung besteht: vgl. Sasseville/Skaar, in I.F.A. CDFI 2009, Vol. 94a, General Report, 17, 51. 3 Vgl. OECD, Interpretation and Application of Article 5 (Permanent Establishment) of the OECD Model Tax Convention, 12 October 2011 to 10 February 2012. 4 Vgl. OECD, Interpretation and Application of Article 5 (Permanent Establishment) of the OECD Model Tax Convention, 12 October 2011 to 10 February 2012, 35 (36). 5 Vgl. OECD, Interpretation and Application of Article 5 (Permanent Establishment) of the OECD Model Tax Convention, 12 October 2011 to 10 February 2012, 19 (20). 6 Vgl. Zimmer-Entscheidung des Conseil d’État v. 31.3.2010 – Nr. 304715, ITLR 2010, 739; s. auch Goebel/Schmidt, PIStB 2012, 147 (152). 7 Gleiches gilt auch für den Nicht-DBA Fall; vgl. R 49.1 Abs. 1 Satz 2 EStR 2012. 8 Vgl. zu diesen Anforderungskriterien Art. 5 Tz. 37–38 OECD-MK; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 225–228. 9 BFH v. 30.4.1975 – I R 152/73, BStBl. II 1975, 626; v. 23.9.1983 – III R 76/81, BStBl. II 1984, 94; v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238; vgl. zur Kritik an diesem Urteil FW, IStR 1995, 134; Kempermann, FR 1995, 240. 10 Abgedruckt in BStBl. I 2002, 584 (596). Vgl. dazu Andresen in Ackerman et al., TNI 2002, 553 (559).

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F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.358 Kap. 11

bundenen Unternehmens behandelt wird, wenn die jeweiligen Funktionen durch Ansatz angemessener Verrechnungspreise, einschließlich eines diesem anderen Unternehmen verbleibenden Gewinns, abgegolten werden.1 Die Vertragsstaaten sind also bereit, ein inländisches Unternehmen nicht als Vertreterbetriebsstätte eines ausländischen Prinzipals zu behandeln und damit auf ihr Besteuerungsrecht zu verzichten, wenn der Prinzipal ein verbundenes Unternehmen ist und er die Funktionen des inländischen Unternehmens angemessen entlohnt. Die beiden Vertragsstaaten folgen damit einer Praxis, die in Staaten üblich ist, in denen „common law“ gilt.2 Anders als das in Kontinentaleuropa praktizierte „civil law“3 kennt das „common law“ das Rechtsinstitut der indirekten Stellvertretung nicht, was dazu führt, dass auch unabhängige Vertreter quasi automatisch eine Betriebsstätte begründen. Unter den „common law rules of agency“ bindet der Vertrag, den ein „undisclosed agent“ in seinem Namen, aber für Rechnung des Prinzipals mit einem Kunden abschließt, sowohl den „undisclosed agent“ selbst als auch automatisch den Prinzipal.4 Grundsätzlich können verbundene Unternehmen die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte vermeiden, wenn der Vertreter unabhängig i.S. des Art. 5 Abs. 6 OECD-MA 2014 ist. Dazu muss er sowohl wirtschaftlich als auch rechtlich von dem Prinzipal unabhängig sein und zusätzlich im Rahmen seiner ordentlichen Geschäftstätigkeit u.a. für den Prinzipal handeln. Beide Merkmale der Unabhängigkeit sind kumulativ zu erfüllen. Bei der Beurteilung kommt es zwar in erster Linie auf den jeweiligen Sachverhalt und die tatsächliche Ausgestaltung der Beziehungen zwischen dem Prinzipal und dem Vertreter an. Bei der Tochtergesellschaft eines Prinzipals müssen jedoch besondere Umstände vorliegen, damit diese sich als unabhängiger Vertreter qualifiziert. Folglich dürfte es für einen Vertreter in Gestalt einer Tochtergesellschaft schwierig sein, den Nachweis der rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit i.S. des Art. 5 Abs. 6 OECD-MA 2014 zu erbringen, wenn deren Anteilseigner seinen Willen jederzeit durchsetzen kann. Anders verhält es sich jedoch, wenn eine Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft vertritt. Von einem Abhängigkeitsverhältnis wird in diesen Fällen selbst dann nicht auszugehen sein, wenn die einzige Tätigkeit der Muttergesellschaft die Vermittlung von Kunden an die Tochtergesellschaft ist, weil davon auszugehen ist, dass die Muttergesellschaft gegenüber ihrer Tochtergesellschaft bei Mehrheitsbeteiligung ihren Willen durchsetzen kann. Zwischen Schwestergesellschaften kommt es hinsichtlich der Unabhängigkeit auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei allein auf das Verhältnis zwischen den Schwestergesellschaften und nicht auf einen Einfluss der Muttergesellschaft abzustellen ist. Eine Abhängigkeit kann z.B. dadurch entstehen, dass die eine Schwestergesellschaft nur eine Vertretertätigkeit und diese wiederum ausschließlich für die andere Schwestergesellschaft ausübt. Art. 5 Tz. 38 OECD-MK verneint die rechtliche Abhängigkeit, wenn lediglich eine direkte oder indirekte Beteiligung (des Prinzipals) am Kapital einer Tochtergesellschaft besteht und nicht noch weitere Indizien für eine Abhängigkeit hinzutreten. Dies erscheint in Anbetracht des Zwecks des Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA 2014 zunächst inkonsequent, weil gerade für Unternehmen, die durch Kapitalbeteiligung rechtlich verbunden sind, eher die Möglichkeit besteht, ein vom Fremdvergleichspreis abweichendes Entgelt, z.B. eine Kommission, zu vereinbaren. Das Gegenargument, dass bei einer solchen Konstellation mit Kapitalbeteiligung eine Überprüfung bereits in den Grenzen des

1 So auch EAS-Auskunft 3116 des BMF – GZ BMF-010221/3361-IV/4/2009 v. 17.12.2009. 2 Vgl. z.B. die australische Betriebsstättendefinition in Subsection 6 (1) Income Tax Assessment Act 1936, nach der u.a. dann nicht von der Existenz einer Betriebsstätte auszugehen ist, wenn der Vertreter ein angemessenes Entgelt erhält. 3 Vgl. dazu Roberts, Intertax 1993, 396 ff.; Roberts, Intertax 1993, 488 ff.; Pleijsier, Intertax 2001, 167 ff.; Pleijsier, Intertax 2001, 218 ff. 4 Vgl. Avery Jones/Ward, BTR 1993, 343–344.

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Kap. 11 Rz. 11.359

Sonderfälle

Art. 9 Abs. 1 OECD-MA erfolgen kann, ist gleichzeitig die Begründung dafür, dass ein angemessenes Entgelt für die von dem verbundenen Unternehmen ausgeübte Vertretertätigkeit die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte ausschließt. Dies gilt nicht nur für das „common law“, sondern auch für das „civil law“. Der Grund dafür liegt darin, dass die Vertreterbetriebsstätte als zusätzlicher Anknüpfungspunkt der Besteuerung einzig und allein dem Zweck dient,1 den nunmehr Steuerpflichtigen zur Abgabe einer Steuererklärung zu verpflichten, die die Finanzverwaltung in die Lage versetzt, die Angemessenheit des Entgelts für die Vertretertätigkeit zu überprüfen. Dies ist auch der Grund dafür, dass Art. 5 Abs. 5 OECD-MA 2014 unabhängige Vertreter von der Begründung einer Vertreterbetriebsstätte ausschließt, da für sie die Annahme gilt, dass die an sie gezahlte Kommission ohnehin dem Fremdvergleich standhält. Wenn ein als abhängig einzustufender Vertreter in Gestalt eines verbundenen Unternehmens des Prinzipals also zeigen kann, dass das mit dem Prinzipal vereinbarte Entgelt angemessen ist, braucht der Ansässigkeitsstaat des Vertreters keinen Anknüpfungspunkt der Besteuerung, um sein Recht zur Überprüfung der Höhe der empfangenen Entgelte durchsetzen zu können. Diese über das OECD-MA hinausgehende Regelung ist begrüßenswert,2 ist darin doch eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen Zweck des im nationalen Recht verankerten Anknüpfungspunkts der Vertreterbetriebsstätte zu sehen. Ungeachtet des unpräzisen Wortlauts der Protokollnotiz zu Art. 5 DBA-Österreich ist davon auszugehen, dass der Terminus des verbundenen Unternehmens und die Angemessenheit der Verrechnungspreise nach Art. 9 Abs. 1 DBA-Österreich und den OECD-Verrechnungspreisleitlinien3 auszulegen sind. Dies bedeutet, dass neben reinen Kapitalgesellschaftskonzernen auch natürliche Personen und Personengesellschaften von der Regelung erfasst sind, soweit sie mit Kapitalgesellschaften in Geschäftsbeziehung treten.4 Rechtsbeziehungen zwischen zwei Betrieben eines Einzelunternehmers oder zwischen zwei Personengesellschaften mit teilweiser Gesellschafteridentität sind von Art. 9 OECD-MA nicht erfasst.

11.359 Ausweitung auf andere EU-Mitgliedstaaten. Die Protokollnotiz zu Art. 5 DBA-Österreich n.F. enthält einen Ausnahmetatbestand, der in keinem anderen DBA Deutschlands enthalten ist (Stand: Juni 2017). Dieser Umstand provoziert die Frage, ob nicht Personen, die in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässig sind, sich unter Berufung auf das Abkommen zwischen Deutschland und Österreich die in dem Ausnahmetatbestand bestehende steuerliche Vergünstigung für sich wirksam beanspruchen können. Beispiel: Die österreichische A-AG vertreibt ihre Produkte direkt an Kunden im Inland. Die Kunden sind ihr durch ihre inländische Tochterkapitalgesellschaft A-GmbH vermittelt worden, die eine Abschlussvollmacht besitzt und ausübt und für diese Tätigkeit eine Provision i.H.v. 5 % der getätigten Umsätze erhält. Neben der A-GmbH lässt sich die A-AG Umsätze mit inländischen Kunden auch durch einen unabhängigen Handelsvertreter V vermitteln, der ihr nicht i.S. des § 1 Abs. 2 AStG nahesteht. V übt die gleiche Tätigkeit wie die A-GmbH aus und erhält ebenfalls eine Provision i.H.v. 5 % der getätigten Umsätze.

1 Vgl. zur Begründung der Existenz des Art. 5 Abs. 6 OECD-MA: Carroll, Méthodes de ventilation des revenues imposables, in Société des Nations (Hrsg.), L’imposition des entreprises étrangères et nationales, Vol. IV, Genf 1933, 193; Avery Jones/Ward, BTR 1993, 354 = ET 1993, 154. 2 Die Übernahme in den OECD-MK regen an Bendlinger/Görl/Paaßen/Remberg, IStR 2004, 145 (149). 3 Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017. 4 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 21, 23; Eigelshoven in V/L6, Art. 9 OECDMA Rz. 33, 34 unter Verweis auf die Kommentierung zu Art. 3 und Art. 7.

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Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.361 Kap. 11

Die L-AG, eine luxemburgische Kapitalgesellschaft, die ihre Produkte im Inland unter der gleichen Konstellation vertreibt, würde – im Gegensatz zur A-AG – im Inland grundsätzlich eine Vertreterbetriebsstätte begründen und damit beschränkt steuerpflichtig werden können.

Unter der Annahme, dass die A-AG trotz fehlender Betriebsstätte nach Abkommensrecht der Steuererklärungspflicht unterliegt und dass die L-AG in ihrer Steuererklärung ein zu versteuerndes Einkommen von Null erklären würde, fällt es schwer, in dem Fehlen des Ausnahmetatbestands im DBA-Luxemburg eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit zu sehen, die eine Klage rechtfertigen würde.1 Keine Ausweitung auf DBA-Partnerstaaten (Meistbegünstigung). Daneben könnten auch Personen versuchen, sich auf das Abkommen zwischen Deutschland und Österreich zu berufen, die in DBA-Partnerstaaten ansässig sind, die nicht der EU angehören. Diesem Ansinnen, das auf dem Gedanken der Meistbegünstigung bzw. der Nicht-Diskriminierung beruht, hat der BFH jedoch eine Absage erteilt.2 Wegen der o.a. Gründe fehlt es darüber hinaus auch für diese Fälle an einer Grundlage für das Verlangen nach der Anwendung des Ausnahmetatbestandes des DBA-Österreich in Nicht-EU-DBA-Fällen.

11.360

Zukünftiges Doppelbesteuerungsrecht (Action Item 7 des BEPS-Projekts der OECD). Angesichts zahlreicher Urteile, in denen die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte bei Prinzipalstrukturen von den höchsten Steuergerichten verschiedener Staaten mit Hinweis auf den Wortlaut und die Auslegung des Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA abgelehnt worden ist, haben die OECD/G20-Staaten eine Empfehlung über die Änderung des Wortlauts des Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA erarbeitet. Wenn und soweit diese Formulierungsänderung Eingang in die DBA findet, ist in Zukunft bereits dann von der Begründung einer Vertreterbetriebsstätte i.S. eines abhängigen Vertreters nach Abs. 5 auszugehen, wenn eine Person in einem DBA-Staat für ein Unternehmen tätig wird und dabei entweder nachhaltig Verträge abschließt oder nachhaltig die bedeutsamste Rolle beim Abschluss dieser Verträge spielt. Letzteres soll jedoch nur dann eine Vertreterbetriebsstätte begründen, wenn die solchermaßen vorverhandelten Verträge ohne wesentliche Änderungen abgeschlossen werden und sie im Namen des Unternehmens oder über die Veräußerung oder Nutzungsüberlassung von Vermögensgegenständen in der Nutzung durch das (oder im Eigentum des) Unternehmen(s) oder über die Erbringung von Dienstleistungen des Unternehmens abgeschlossen werden. Art. 5 Abs. 6 OECD-MA schränkt dies nach beabsichtigtem neuen Wortlaut insbesondere dann nicht mehr ein, wenn der Vertreter „in the ordinary course“ seines Geschäfts als Handelsvertreter unabhängig agiert. Davon ist nicht mehr auszugehen, wenn der Vertreter ein oder mehrere Unternehmen vertritt, zu dem bzw. denen es nahestehend ist. Nahestehen („closely related“) bedeutet, dass eine Person Kontrolle über die andere Person hat oder eine Person Kontrolle über zwei dann nahestehende andere Personen hat. Davon ist immer auszugehen, wenn eine direkte oder indirekte Beteiligung („beneficial interest“) von mehr als 50 % an der Person oder an der Person und dem Unternehmen besteht. Bei Kapitalgesellschaften bedeutet „beneficial interest“ ein Anteil von mehr als 50 % an den Stimmrechten oder an den Unternehmensanteilen. Dies wird es für Unternehmensgruppen und Konzerne außerordentlich schwierig machen, die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte durch eine als Kommissionär agierende Tochtergesellschaft zu vermeiden. Für Deutschland gilt dies jedoch nur

11.361

1 Bestätigend BFH v. 29.11.2005 – I R 27/03, BStBl. II 2006, 564 = DStR 2006, 560; im Anschluss an EuGH v. 5.7.2005 – Rs. C-376/03 – D., ECLI:EU:C:2005:424. 2 Vgl. BFH v. 19.11.2003 – I R 22/02, BStBl. II 2004, 560 = FR 2004, 770 m. Anm. Schnitger.

Andresen 789

Kap. 11 Rz. 11.362

Sonderfälle

eingeschränkt, da Deutschland die entsprechende Option zumindest im Multilateralen Instrument nicht gewählt hat.

11.362 Steuererklärungs- und Buchführungspflicht im Inland. Besteht kein DBA mit dem ausländischen Ansässigkeitsstaat des Prinzipals, unterliegt der Prinzipal hinsichtlich der inländischen Einkünfte seines ständigen Vertreters sowohl der Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung als auch der Buchführungspflicht, wenn deren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Besteht ein DBA, das jedoch der Annahme eines ständigen Vertreters im Inland entgegensteht und somit § 13 AO einschränkt, so stellt sich die Frage, ob daraus auch der Schluss gezogen werden kann, dass der Prinzipal im Inland keiner Pflicht zur Abgabe seiner Einkommen- oder Körperschaftsteuererklärung1 unterliegt und daher keinen Betriebsstättengewinn nach inländischem Steuerrecht zu ermitteln hat. Das BFH-Urt. v. 29.1.20032 weckt daran Zweifel, obwohl es nicht zu den §§ 149, 150 oder 151 AO i.V. mit § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG, § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG und § 14a GewStG, sondern zu § 169 AO ergangen ist. Darin wird die Auffassung vertreten, dass DBA die Anwendung des inländischen Verfahrensrechts nicht ausschließen. Bei Übertragung dieser Grundsätze auf einen ständigen Vertreter i.S. des § 13 AO, der jedoch kein abhängiger Vertreter i.S. des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA 2014, sondern unabhängiger Vertreter i.S. des Art. 5 Abs. 6 OECD-MA ist, würde dies bedeuten, dass der Prinzipal im Inland Steuererklärungen abzugeben hätte.3 Dies ergibt sich allein schon daraus, dass im inländischen Steuerrecht der Betriebsstättenbegriff i.S. des § 12 AO gilt. Der abkommensrechtliche Begriff dient der Abgrenzung der Besteuerungsrechte in den entsprechenden Artikeln des DBA, insbesondere Art. 7. Da die inländische Finanzverwaltung mangels Betriebsstätte im Inland aufgrund des bestehenden DBA jedoch kein Besteuerungsrecht hätte, wäre in der jeweiligen Steuererklärung die steuerliche Bemessungsgrundlage mit Null anzugeben. Wenn also aus dem vorgenannten Urteil geschlossen werden kann, dass eine Steuererklärungspflicht ungeachtet des Besteuerungsrechts besteht, sollte die Finanzverwaltung in diesen Fällen dem ausländischen Prinzipal die Erstellung und Abgabe einer Steuererklärung auf dem Billigkeitswege erlassen. Hinsichtlich der Buchführungspflicht, die für eine im Ausland ansässige Person nach inländischem Recht u.U. besteht, hat der BFH in seinem Urteil vom 14.9.1994 hingegen die Auffassung vertreten, dass diese entfällt, wenn die im Ausland ansässige Person von der inländischen Besteuerung freigestellt ist.4 Sollte auf Grundlage der neueren Rechtsprechung davon auszugehen sein, dass eine bestehende Buchführungspflicht trotz fehlenden Besteuerungsrechts im Inland nicht entfällt, sollte die Finanzverwaltung analog zur Steuererklärungspflicht im Billigkeitswege Abhilfe schaffen. Wenn der im Inland tätige ständige Vertreter sich hingegen als abhängiger Vertreter i.S. des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA qualifiziert, besteht für den ausländischen Prinzipal die Pflicht, eine Steuererklärung abzugeben und mithin auch die Einkünfte der Betriebsstätte im Wege einer Vermögens- und Einkünfteabgrenzung zu ermitteln.

1 Gewerbesteuerpflicht besteht mangels Betriebsstätte i.S. des § 12 AO nicht. 2 Vgl. BFH v. 29.1.2003 – I R 10/02, BStBl. II 2003, 687 = IStR 2003, 534. 3 In den USA wird die Abgabe einer solchen Steuererklärung als „protective return“ bezeichnet, dessen Abgabe die Abzugsfähigkeit der Betriebsausgaben auch für den Fall sichert, in dem später – durch die Finanzverwaltung/den IRS – von der Existenz einer Betriebsstätte ausgegangen wird. Vgl. Moses, Role of Capital, Dependent Agents Discussed in Light of Limited U.S. Global Dealing Guidance, TMTP Report 2007, Vol. 16 No. 4, 103 (104). 4 Vgl. BFH v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238 = FR 1995, 238 m. Anm. Kempermann – unter II.3.

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Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.364 Kap. 11

IV. Einkünfteabgrenzung der Vertreterbetriebsstätte nach innerstaatlichem Recht 1. Einkünfteabgrenzung unter dem AOA ab 1.1.2015 a) Verselbständigung der Vertreterbetriebsstätte Rechtsgrundlagen für die Anwendung des AOA auf Vertreterbetriebsstätten. § 1 Abs. 5 Satz 5 AStG verlangt die analoge Anwendung der Sätze 1 bis 4 der Vorschrift auf Vertreterbetriebsstätten. § 39 Abs. 1 BsGaV greift dies auf und verlangt die Anwendung der BsGaV auf ständige Vertreter i.S. des § 13 AO. Die Verwaltungsgrundsätze – Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa)1 enthalten diesbezüglich keine wesentlichen zusätzlichen Erläuterungen. Eine Einschränkung durch den Betriebsstättenbegriff eines einschlägigen DBA findet sich in der Vorschrift nicht. Dies kann vor allem dann problematisch werden, wenn ein Steuerpflichtiger davon ausgeht, dass er keine Vertreterbetriebsstätte im Inland hatte wegen des einschränkenden DBA, und später feststellen muss, dass er keine Gewinnabgrenzung nach den einschlägigen Vorschriften der BsGaV vorgenommen hat, wodurch gewissermaßen automatisch Schätzungsmöglichkeiten und die Festsetzung von Strafzuschlägen nach § 163 AO eröffnet sind. Hier ist an die Finanzverwaltung zu appellieren, die einschlägigen Vorschriften mit Augenmaß anzuwenden und im Festsetzungsverfahren dem Steuerpflichtigen ausreichende Möglichkeiten zu eröffnen, das Versäumte nachzuholen. Durch § 39 Abs. 1 BsGaV wird die Vertreterbetriebsstäte gewissermaßen dazu verpflichtet, sämtliche Vorschriften der BsGaV im Rahmen der Gewinnermittlung anzuwenden, soweit diese einschlägig sein können. Wegen der aufsichtsrechtlichen Besonderheiten in der Bank- und Versicherungswirtschaft dürfte es jedoch nahezu ausgeschlossen sein, dass insbesondere Kredite und andere Wertpapiere aus Bankgeschäften sowie Versicherungsverträge einer Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen sind, weil es hier allein schon an der Verortung der KERT-Funktion mangelt, die an Personen geknüpft sind, die wiederum aufsichtsrechtliche Kriterien erfüllen müssen. Daher ist von einer eingeschränkten Anwendung der §§ 18 bis 22 und der §§ 23 bis 29 BsGaV auf Vertreterbetriebsstätten auszugehen. Aus ähnlichen Gründen dürften die §§ 30 bis 34 zu Bau- und Montagebetriebsstätten und die §§ 35 bis 38 zu Förderbetriebsstätten bei Vertreterbetriebsstäten nicht oder nur sehr eingeschränkt zu Anwendung kommen.

11.363

b) Zuordnung von Personalfunktionen Personal der Betriebsstätte. Die Zuordnung von Unternehmensfunktionen zur Vertreterbetriebsstätte sollte auf Tatsachen beruhen, nämlich der tatsächlichen Tätigkeit des Personals des ständigen Vertreters für das vertretene Unternehmen. Es geht dabei um die Zuordnung von Funktionen zur Vertreterbetriebsstätte, die von dieser für das Unternehmen ausgeübt werden.2 § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG verlangt die Zuordnung von Funktionen, die durch das Personal der Betriebsstätte ausgeübt werden („ihr Personal“). Personal i. S. dieser Vorschrift kann mithin nur Personal sein, das entweder einen Arbeitsvertrag (mündlich oder schriftlich) mit der Person hat, die sich als ständiger Vertreter qualifiziert, oder für das der ständige Vertreter wirtschaftlicher Arbeitgeber ist.3 Wirtschaftlicher Arbeitgeber des Per1 Vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 ff. 2 Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 AStG; so auch der OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 60 („undertaken“). 3 So auch BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341-20/01, BStBl. I 2001, 796, Tz. 2.1 und 2.2 – im Folgenden VWG – Arbeitnehmerentsendung.

Andresen 791

11.364

Kap. 11 Rz. 11.365

Sonderfälle

sonals ist der ständige Vertreter dann, wenn das Personal in seinen Geschäftsbetrieb integriert ist, an die Weisungen des ständigen Vertreters gebunden ist und der ständige Vertreter die Vergütungen des Personals trägt.1 Bei einer Anwesenheit des Personals von mehr als drei Monaten im Betrieb des ständigen Vertreters ist dieser als wirtschaftlicher Arbeitgeber anzusehen.2 Fehlt es an einem schriftlichen Arbeitsvertrag und an Beweisen für die wirtschaftliche Arbeitgeberstellung des ständigen Vertreters, wie z.B. tatsächliche schriftlichen Anweisungen oder Gehaltsbuchungen, sind Personen im Zweifel nicht dem ständigen Vertreter zuzuordnen. Eine Zuordnung ihrer Tätigkeit zum ständigen Vertreter und damit der Unternehmensfunktion zum Vertreter scheidet in diesem Fall aus. Es obliegt der Finanzverwaltung nachzuweisen, dass bestimmte Personen Personal des ständigen Vertreters sind. Gelingt ihr das nicht, ist eine Unternehmensfunktion nicht dem ständigen Vertreter zuzuweisen. Gleiches gilt für den Steuerpflichtigen, wenn dieser qua personeller Zuordnung Unternehmensfunktionen einem ständigen Vertreter bzw. der durch ihn begründeten Vertreterbetriebsstätte zuordnen möchte. Die alleinige Zurechnung von Gehalt zum ständigen Vertreter, ggf. erst im Zeitpunkt der Durchführung der steuerlichen Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte, führt nicht zur Zuordnung einer Unternehmensfunktion zum ständigen Vertreter, wenn nicht gleichzeitig die Integration und Weisungsgebundenheit beim ständigen Vertreter gegeben ist. Gleiches gilt für die Zuordnung von Personal zum Stammhaus. Die Definition des Begriffs „Personalfunktion“ und des Begriffs „eigenes Personal“ in § 2 Abs. 3 und 4 BsGaV unterstreicht dieses grundsätzliche Verständnis. Dort ist von eigenem Personal des Unternehmens die Rede, das eine Personalfunktion durch seine Geschäftstätigkeit am Ausübungsort dieser Tätigkeit begründet. Neben Personen, die eine arbeitsvertragliche oder gesellschaftsvertragliche Vereinbarung mit dem Unternehmen geschlossen haben, zählen zu diesem eigenen Personal auch Personen, die dem Unternehmen als Personal von einem anderen Unternehmen, z.B. einer anderen Konzerngesellschaft, überlassen worden sind und sich die vertragliche Verpflichtung auf die Überlassung beschränkt. Jede Form eines Besorgungsvertrags oder Handelsvertretervertrags dürfte diese Anforderung der ausschließlichen Personalüberlassung nicht erfüllen. Angesichts der Tatsache, dass das Steuerrecht grundsätzlich die wirtschaftliche Zurechnung von Tätigkeiten zum Leistungsempfänger für steuerliche Zwecke anerkennt,3 ist nicht erkennbar, weshalb der Gesetzgeber hier eine derart restriktive Haltung annimmt.

11.365 Fingierte Personalüberlassung an die Vertreterbetriebsstätte für Zwecke des AOA. Umso mehr überrascht dann die Fiktion in § 39 Abs. 2 BsGaV, mit der sich der Gesetzgeber dem Vorwurf des „cherry-picking“ aussetzt in seinem Bemühen, die Bemessungsgrundlage im Inland zu erhöhen. Dort heißt es, dass abweichend von § 2 Abs. 3 BsGaV alle Personalfunktionen, die vom Personal des ständigen Vertreters für den Vertretenen ausgeübt werden, als eigene Personalfunktionen des Vertretenen zu behandeln sind (Fiktion). Dies soll jedoch nur dann gelten, wenn es sich bei dem ständigen Vertreter um ein rechtlich selbständiges Unternehmen mit eigenem Personal handelt. Angesichts der Tatsache, dass § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG auf das Personal des Unternehmens abstellt, könnte es sein, dass § 39 Abs. 2 BsGaV über den Ermächtigungsrahmen des § 1 Abs. 6 AStG hinausgeht, indem er Personal einer Betriebsstätte zuordnet, das nicht im Unternehmen beschäftigt ist. Außerdem setzt sich § 39 Abs. 2 BsGaV in Widerspruch zu der Zuordnung von Geschäftsvorfällen wie dem Abschluss eines Handelsvertretervertrags, der nach § 9 Abs. 1 BsGaV dort zuzuordnen ist, 1 Vgl. VWG – Arbeitnehmerentsendung, Tz. 2.2. 2 Vgl. VWG – Arbeitnehmerentsendung, Tz. 2.2. 3 Vgl. BFH v. 13.10.2010 – I R 61/09, BStBl. II 2011, 249 ff. = FR 2011, 389 m. Anm. Müller unter Verweis auf BFH v. 1.7.1992 – I R 6/92, BStBl. II 1993, 222 ff. („allgemeine ertragsteuerliche Grundsätze“).

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Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.365 Kap. 11

wo die Personalfunktion ausgeübt worden ist, die für das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls verantwortlich ist. Dies kann jedoch niemals die Vertreterbetriebsstätte sein, da sie zu dem maßgeblichen Zeitpunkt weder Personal noch Personalfunktion gehabt haben kann. Da die Fiktion wegen der für sie notwendigen Bepreisung zum Fremdvergleichspreis ggf. unter Einschluss einer Risikokomponente nicht zu dem vom Gesetzgeber wohl erwünschten Ergebnis führen kann, weil nur bei eigenem Personal auf der Aufwandsseite ein geringerer Betrag als auf der Ertragsseite der Vertreterbetriebsstätte stehen kann, hätte der Gesetzgeber auf diese Fiktion guten Gewissens verzichten können. Die VWG BsGa, Tz. 421, weist als Begründung für die Fiktion darauf hin, dass der Vertreterbetriebsstätte ohne die Zuordnung des Personals des rechtlich selbständigen Unternehmens (lt. OECD: „dependent agent enterprise“, „DAE“) mangels einer Personalfunktion in der logischen Schrittfolge des AOA auch keine Wirtschaftsgüter, Risiken und Eigenkapital zugeordnet werden können. Dies ist so nicht notwendigerweise zutreffend, zumal § 4 Abs. 2 BsGaV neben dem Ausübungsort mit dem sachlich engsten Bezug ein zweites Zuordnungskriterium wohl für den Fall enthält, dass sich in der (Vertreter-)Betriebsstätte kein Personal befindet. Man denke bspw. an das Pipeline-Urteil des BFH, das eine Betriebsstätte ohne eigenes Personal in dieser Betriebsstätte als steuerlich möglich ansieht. In diesem Fall könnte der Pipeline-Betriebsstätte unabhängig vom Ausübungsort der Tätigkeiten des eigenen Personals die Personalfunktion der Betätigung dieser Pipeline nach dem sachlich engsten Zusammenhang i.S. des § 4 Abs. 2 BsGaV zuzuordnen sein. Mehr spricht jedoch für ein reines Nutzungsentgelt für die Pipeline. Wahrscheinlich ist es auch in aller Regel zutreffend, dass einer Vertreterbetriebsstätte dann kein zusätzliches Steuersubstrat zugeordnet werden sollte, wenn in dessen Ansässigkeitsstaat von dem Unternehmen kein eigenes Personal beschäftigt wird (Beispiele: Pipelines, Rohrleitungen oder Leitungsnetze, Server etc., also mit dem Grund und Boden verbundenen Bauwerken oder Installationen, bei denen gewissermaßen das Belegenheitsprinzip in Gestalt des sachlich engsten Zusammenhangs wieder auflebt). Diesem Verständnis entspricht es auch, dass die VWG BsGa, Tz. 419, in erster Linie dann einen Gewinn oder Verlust einer Vertreterbetriebsstätte zuzurechnen möchte, wenn der Vertreter ein Arbeitnehmer ist. Entsprechend irrt auch die OECD im OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 230–239, wenn sie glaubt, der Vertreterbetriebsstätte Risiken zuordnen zu können, die vom Personal der KommissionärsKonzerngesellschaft gemanagt werden. Das in Tz. 235 dort genannte „sales agency agreement“ wird immer eine explizite oder auszulegende Regelung darüber enthalten müssen, wer von den beiden Vertragspartnern, „the non-resident enterprise“ (Prinzipal-Konzerngesellschaft) oder „the dependent agent enterprise“ (Kommissionärs-Konzerngesellschaft), bspw. Lagerhaltungsrisiken oder Forderungsausfallrisiken, tragen soll. Wenn die Kommissionärs-Konzerngesellschaft diese Risiken tragen soll, ist ihr unter Art. 9 OECD-MA ein fremdvergleichskonformes Entgelt zuzurechnen, das eine Vergütung für die übernommenen Risiken mit abdeckt.1 Diese darin enthaltene Gewinnkomponente einschließlich der Aufwendungen aus Abschreibungen von Warenbeständen und Forderungen steht dann jedoch gar nicht mehr in der Prinzipal-Konzerngesellschaft zur Verteilung zwischen dem übrigen Unternehmen und der Vertreterbetriebsstätte unter Art. 7 OECD-MA zur Verfügung (s. dazu auch das Beispiel in Tz. 44 und 55 des Public Discussion Draft in Fn. 84 unten). Hier liegt ein entscheidender gedanklicher Fehler der OECD, die offensichtlich unterstellt, dass die Kommissionärs-Konzerngesellschaft für die Übernahme von Risiken nicht angemessen entgolten wird. Wenn das der Fall wäre, ist nach innerstaatlichem Recht in den Grenzen des Art. 9 OECD-MA eine Verrech1 So auch VWG BsGa, Tz. 422; OECD, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), Public Discussion Draft, BEPS Action 7, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Paris 2016, No. 38, 55.

Andresen 793

Kap. 11 Rz. 11.366

Sonderfälle

nungspreiskorrektur vorzunehmen, damit der Ansässigkeitsstaat der Kommissionärs-Konzerngesellschaft den ihr zustehenden angemessenen Anteil am Gesamtgewinn erhält. Eine Korrektur unter Art. 7 OECD-MA ist jedoch nicht angezeigt. Oder aber, die OECD geht davon aus, dass eine Prinzipal-Konzerngesellschaft eine Kommissionärs-Konzerngesellschaft zwar mit der Verwaltung (VWG BsGa, Tz. 423) oder der Kontrolle von Lagerhaltungsrisiken und/ oder Forderungsausfallrisiken beauftragt, die sich materialisierenden Risiken jedoch weiterhin selbst trägt (VWG BsGa, Tz. 423) oder zumindest partiell trägt (s. Example 4 im Public Discussion Draft in Fn. 84 unten). Dies wäre eine unter fremden Dritten äußerst ungewöhnliche Konstellation, dass man jemandem ein Entgelt für eine Leistung bezahlt, aber die wirtschaftlichen Folgewirkungen im Fall der Schlechtleistung trotzdem vollständig oder in Übereinstimmung mit dem geschlossenen Vertrag anteilig trägt. In den Augen des Verfassers hat sich die in der OECD zusammengefassten Finanzverwaltungen in dem Wunsch verrannt, dort zusätzliches Steuersubstrat zu schaffen, wo es nicht vorhanden sein kann, und versucht jetzt, eine Rechtfertigung für die Äußerungen im OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 230 ff., zu formulieren. Für den Steuerpflichtigen ist festzuhalten, dass dieser in der Dokumentation herausarbeitet, dass der hier von den Finanzverwaltungen wohl gemeinte Anwendungsfall durch den jeweiligen Sachverhalt nicht verwirklicht ist.

11.366 Fiktive Zuordnung dieser Personalfunktion zum Fremdvergleichspreis. Ein rechtlich selbständiges Unternehmen hat für seine Leistungen einen Fremdvergleichspreis zu verlangen.1 Entsprechend ist die vom Gesetzgeber fingierte Zurverfügungstellung der Personalfunktion „Handelsvertreter“ mit oder ohne Risikotragung immer mit dem dafür anzusetzenden Fremdvergleichspreis ggf. unter Einschluss einer Vergütung für etwaig getragene Risiken in der Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte als Aufwand respektive Betriebsausgabe und somit einkünftemindernd anzusetzen.2 Auf der Ertragsseite ist eine Einkünftekorrektur dann und nur dann denkbar, wenn fremdvergleichswidrig ein vom Vertreter übernommenes und gemanagtes Risiko nicht angemessen entgolten worden wäre. Jede Konzerngesellschaft, die als Handelsvertreter oder Kommissionär Risiken trägt, wird dafür ein (erhöhtes) Entgelt verlangen. Tut sie es nicht, ist das bei ihr empfangene Entgelt nach innerstaatlichem Recht in den Grenzen des Art. 9 OECD-MA zu korrigieren. Einer Korrekturvorschrift bei der Vertreterbetriebsstätte bedarf es insoweit nicht. Entscheidend ist, dass der Staat, in dem diese Vertretertätigkeit erbracht wird, einen angemessenen Gewinn für diese Tätigkeit versteuert. Eine fiktive Zuordnung von Liefergewinnen mit der unausweichlichen Konsequenz der Doppelbesteuerung kann und darf davon nicht abgedeckt sein. Insoweit ist begrüßenswert, dass die OECD dies in ihren Public Discussion Drafts zu BEPS-Aktionspunkt 7 vom 4.7.2016 und vom 22.6.2017 grundsätzlich genauso sieht.3 Zu kritisieren ist daran jedoch, dass die Zahlenbeispiele in dem Public Discussion Draft vom 4.7.2016 im Hinblick auf die Vertreterbetriebsstätte ein angelsächsisches GuV-Verständnis reflektieren, in dem die Umsätze des Prinzipals der Vertreterbetriebsstätte zugeordnet werden, obwohl diese funktional gar nicht die Umsätze verantwortet, sondern nur deren Vermittlung. Die OECD hätte gut daran getan, bei dem hier zu beurteilenden Konzept des Kommissionärs mit indirekter Stellvertretung auf die nach „Ci-

1 Vgl. BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBl. II 1993, 801 ff. 2 So auch Tz. 422 BsGa; OECD, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), Public Discussion Draft, BEPS Action 7, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Paris 2016, No. 36. 3 Vgl. OECD, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), Public Discussion Draft, BEPS Action 7, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Paris 2016, No. 17 through 34, No. 35 through 39 and No. 52 through 55.

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F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.368 Kap. 11

vil Law“ zutreffende Abbildung in der Rechnungslegung zurückzugreifen. Dies hätte wahrscheinlich auch verhindert, dass im Example 3 zwischen den Beteiligten weniger als der Gesamtgewinn von 132 Geldeinheiten verteilt wird, obwohl unter Einschaltung eigener Mitarbeiter nicht erkennbar ist, weshalb nur ein Gewinn von 120 verteilt werden kann. Die künstliche und – bei Verwendung der richtigen rechnungslegungstechnischen Abbildung – unnötige Ableitung von „Cost of Goods Sold“ der Vertreterbetriebsstätte für eigentlich nicht von der Prinzipal-Konzerngesellschaft bezogene Waren sollte von der OECD daher noch einmal gründlich überdacht werden. Der überarbeitete Discussion Draft vom 22.6.2017 enthält die kritisierten Zahlenbeispiele nicht mehr. Physische Anwesenheit des Personals im Staat der Vertreterbetriebsstätte. § 13 AO verlangt nicht, dass das Personal des ständigen Vertreters im Inland für das Unternehmen geschäftsbesorgend tätig ist. Der zwingende Inlandsbezug ergibt sich jedoch aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ggf. i.V. mit §§ 2 und 8 KStG, so dass nur eine physische Anwesenheit des Personals des ständigen Vertreters in einem Land eine Zuordnung dort ausgeübter Unternehmensfunktionen zu diesem Land auslösen kann. Für den Auslandsfall ergibt sich dies aus dem Wortlaut des § 34d Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.V. mit § 8 KStG, der ein Tätigwerden des ständigen Vertreters im Ausland, d.h. einem bestimmten ausländischen Staat, verlangt. Diese Auslegung ergibt sich auch im Verhältnis zu DBA-Partnerstaaten, da Art. 5 Abs. 5 OECD-MA 2014 verlangt, dass die erforderliche Vollmacht, in einem Vertragsstaat für das vertretene Unternehmen tätig zu sein, dort auch gewöhnlich ausgeübt wird, wenn in diesem Staat die Existenz einer Betriebsstätte angenommen wird. Diese Voraussetzung begrenzt die Zuordnung von Unternehmensfunktionen zum ständigen Vertreter. Eine Anwesenheit von Personal des ständigen Vertreters in einem Drittstaat löst ggf. dort eine Vertreterbetriebsstätte des vertretenen Unternehmens aus, nach den dort dafür geltenden Kriterien.

11.367

Ausübung der Funktion. Die Ausübung einer Funktion erfordert aktives Handeln und setzt ein gewisses Maß an Qualifikation für die ausgeübte Tätigkeit voraus. Wenn und soweit ein ständiger Vertreter über das entsprechende Personal verfügt, kann dessen Funktionsspektrum weit gefächert sein. Neben der klassischen Handelsvertretertätigkeit, die die Kontaktanbahnung zu potentiellen Kunden in seinem Markt, die Generierung von Nachfrage durch Erläuterung des Nutzens der Produkte oder Dienstleistungen und die Vermittlung von Aufträgen der interessierten Kunden an das Unternehmen umfasst, kann das Aufgabenspektrum deutlich weiter gefasst sein und z.B. folgende ausgewählte Tätigkeiten umfassen: Betreiben eines Warenlagers, Erbringung von Logistik-Dienstleistungen oder deren Beaufsichtigung, Import und Zollabfertigung, Beaufsichtigung des Imports und der Zollabfertigung durch Dritte, Auslieferung von Produkten, Rechnungsstellung, Inkasso, Kundenservice, Reparaturdienstleistungen, Anwendungsentwicklung beim Kunden, Marktforschung etc. Wenn und soweit für die ausgeübten Tätigkeiten eine vertragliche Grundlage besteht und der vorliegende Vertrag das tatsächliche Aufgabenspektrum zutreffend erfasst, sollte die vertragliche Grundlage das Funktionsspektrum des ständigen Vertreters für Zwecke der Einkünfteabgrenzung definieren. Fehlt es an einem schriftlichen Vertrag oder beschreibt dieser Vertrag das tatsächliche Tätigkeitsspektrum des ständigen Vertreters für das vertretene Unternehmen nur unvollständig, ist die Verrechnungspreisdokumentation heranzuziehen, aus der sich die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten ergeben sollten. Steuerpflichtiger und Finanzverwaltung sind jeweils für die von ihnen reklamierten Funktionen beweispflichtig, wobei die jeweilige Interessenlage davon abhängt, ob es sich um eine in- oder ausländische Vertreterbetriebsstätte handelt und ob diese im relevanten Veranlagungszeitraum Gewinn oder Verlust erwirtschaftet hat. Die Tätigkeit des ständigen Vertreters ist jedoch immer eine Dienstleistung. Dies wird auch

11.368

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Kap. 11 Rz. 11.369

Sonderfälle

von der OECD so gesehen: „The dependent agent enterprise will be rewarded for the service it provides to the non-resident enterprise.“1 Dies ändert sich auch nicht dadurch, dass der Vertreterbetriebsstätte Vermögenswerte und Risiken des vertretenen Unternehmens zugeordnet werden sollen, soweit sie zu der Funktion gehören, die der ständige Vertreter für das vertretene Unternehmen mit seinem Personal ausübt.2 Diese Funktion ist jedoch eine Dienstleistungsfunktion, die gewisse Grenzen zieht hinsichtlich dessen, was der Vertreterbetriebsstätte an Vermögenswerten und Risiken zuzuordnen ist, weil nur das im Inland tätige Personal Zuordnungen auslösen kann. Eine Zuordnung von Marktforschungsaktivitäten, die vom Personal des vertretenen Unternehmens im Ausland entfaltet werden, sich jedoch auf den Markt des ständigen Vertreters beziehen, sind nicht der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen, weil es an der gesetzlich geforderten Personalfunktion im Inland fehlt (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG i.d.F. des JStG 2013).3

11.369 Abgrenzung der Tätigkeiten füreinander. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 65, suggeriert, dass Tätigkeiten des Stammhauses und anderer Betriebsstätten für die Vertreterbetriebsstätte erbracht werden können und umgekehrt.4 Während dies für die Ermittlung des zweiten Schritts, der Analyse der Art der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen, nachvollziehbar ist, erscheint die in dem Wortlaut zum Ausdruck kommende Möglichkeit, dass das Personal des Stammhauses Tätigkeiten ausüben kann, die dem ständigen Vertreter zugeordnet werden können, und vice versa, an der Stelle im Report, wo dies steht, nicht zielführend zu sein, weil sowohl der Steuerpflichtige als auch die Finanzverwaltung unabhängig von der physischen Präsenz der im Stammhaus und der Vertreterbetriebsstätte ihrer jeweiligen Tätigkeit nachgehenden Personen eine Tätigkeit willkürlich zuordnen könnten. Entsprechend ist auch für Abkommenszwecke darauf abzustellen, wer wirtschaftlicher Arbeitgeber einer Person ist, und diesem wirtschaftlichen Arbeitgeber die von der jeweiligen Person ausgeübte Tätigkeit zuzuordnen. Wenn und soweit es zwischen Unternehmen und ständigem Vertreter Leistungsaustausche neben der Vertretungsleistung gibt, muss entschieden werden, ob diese Teil der Vertretungsleistung sind, wie diese entgolten werden und was für eine Auswirkung dies auf das Ergebnis der Vertreterbetriebsstätte hat. Leistungen im Innenverhältnis sind unter dem AOA grundsätzlich mit Marktpreisen zu entgelten.5 c) Zuordnung von Vermögenswerten

11.370 Erstzuordnung von Vermögenswerten als Ausgangspunkt. Die Zuordnung von Vermögenswerten i.S. des § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG i.d.F. des JStG 2013,6 d.h. für Zwecke der Einkünfteabgrenzung, basiert auf der für bilanzsteuerliche Zwecke bereits erfolgten Zuordnung der Wirtschaftsgüter beim Unternehmen und beim ständigen Vertreter. In einem zweiten Schritt ist festzustellen, ob und wenn ja, welche Vermögenswerte aus der Bilanz oder Ver-

1 2 3 4 5 6

OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 47, s. auch Tz. 232. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 47. A.A. Looks in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 1044, 394. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 65. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 185. Das AmtshilfeRLUmsG v. 26.3.2013 (BGBl. I 2013, 809 = BStBl. I 2013, 802) geht in erheblichem Umfang auf die Beratungen zum JStG 2013 zurück. In den Gesetzesmaterialien zum AmtshilfeRLUmsG finden sich daher keine Ausführungen zur Begründung solcher Vorschriften, die bereits mit dem JStG 2013 vorgeschlagen worden waren. Aus diesem Grund ist hier inhaltlich von der Fassung des JStG 2013 die Rede.

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F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.371 Kap. 11

mögensaufstellung des vertretenen Unternehmens ggf. der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen sind. Dabei kommt es nicht so sehr auf die Funktion des ständigen Vertreters im laufenden Geschäftsverkehr mit dem vertretenen Unternehmen an, sondern auf diejenigen Funktionen, die sich auf den Erwerb und die Schaffung von Vermögenswerten oder das Eingehen von Verpflichtungen beziehen. Bei materiellen Gütern kommt es auf die Frage an, welche Person einen Vermögensgegenstand bzw. ein Wirtschaftsgut angeschafft hat. Bei immateriellen Gütern geht es entweder um die Anschaffung eines solchen Guts oder, wenn ein immaterieller Vermögensgegenstand selbst entwickelt worden ist, welche Personen daran einen Anteil gehabt haben. Neben laufenden Funktionen wie „Vermittlung von Kunden“ oder „Lagerhaltung“ oder „Transport und Logistik“ ist daher für Zwecke der Einkünfteabgrenzung zu prüfen, welche Personen an dem Aufbau eines Kundenstamms mitgewirkt, eine Software entwickelt oder eine Marke geschaffen haben. Eine Veränderung der solchermaßen zustande gekommenen Zuordnung ist anschließend daraufhin zu prüfen, ob dadurch eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung ausgelöst wird, die ebenfalls auf ihre steuerliche Anerkennung und ihre angemessene Vergütung zu untersuchen ist. Im Einzelnen gelten die Regelungen der §§ 4–17 BsGaV, die in den Rz. 4.58–4.209 kommentiert sind. Zuordnung von Vermögenswerten für Zwecke der Einkünfteabgrenzung. § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG i.d.F. des JStG 2013 verlangt, dass der Vertreterbetriebsstätte diejenigen Vermögenswerte des Unternehmens zuzuordnen sind, die sie zur Ausübung der ihr nach § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG zugeordneten Funktion benötigt. Der Gesetzgeber geht offensichtlich davon aus, dass der ständige Vertreter für die Ausübung der ihm kraft eigenen Personals zugeordneten Unternehmensfunktionen „Vermögenswerte“ benötigt, die dem Unternehmen (Prinzipal) gehören. Angesichts der Tatsache, dass es hinsichtlich der Zuordnung der hier wiederum als Zuordnungsmaßstab gewählten Personalfunktionen der Vertreterbetriebsstätte auf die persönliche Anwesenheit des Personal im Ansässigkeitsstaat des ständigen Vertreters bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten für das Unternehmen ankommt, erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass eine große Anzahl der beim Unternehmen erfassten Vermögensgegenstände für die Ausübung der Tätigkeit der Vertreterbetriebsstätte dort benötigt werden. Dies deckt sich mit der Tatsache, dass ein Vertreter eine Dienstleistung erbringt und insbesondere keine eigene Handelstätigkeit entfaltet. Denkbar erscheint primär eine Zuordnung nicht bilanzierter Vermögenswerte, wobei das Benötigen dieser Vermögenswerte für die Ausübung der Tätigkeit der Vertreterbetriebsstätte plausibel begründet werden muss. Eine solche Zuordnung kann jedoch bereits eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung auslösen, wie das folgende Beispiel zeigt: Beispiel 1: Zuordnung eines Kundenstamms: Das im Staat A ansässige Unternehmen A hat mit den bei ihm beschäftigen Vertriebsmitarbeitern in den Jahren 01–06 einen Kundenstamm aufgebaut. Im Jahr 07 überträgt das Unternehmen A die Vertriebsstätigkeit im Staat B auf einen ständigen Vertreter, der im Namen und für Rechnung des Unternehmens A im Staat B mit diesen und neu gewonnenen Kunden Verträge schließt und dazu auch bevollmächtigt ist. Es stellt sich die Frage, ob der Kundenstamm der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen ist.

Hier ist zu differenzieren zwischen der Funktion „Aufbau eines Kundenstamms“ und der Funktion „Geschäftsbesorgung“. Die Funktion „Aufbau eines Kundenstamms“ ist vom vertretenen Unternehmen ausgeübt worden und ihr deshalb auch zuzurechnen (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG i.d.F. des JStG 2013). Für die Ausübung dieser Funktion hat A Betriebs- und Geschäftsausstattung, Fahrzeuge für Vertriebsmitarbeiter etc. benötigt (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG i.d.F. des JStG 2013). Diese sind mithin dem vertretenen Unternehmen (dem Stammhaus) zuzuordnen. Unter der Annahme, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine VertreterAndresen 797

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Kap. 11 Rz. 11.372

Sonderfälle

betriebsstätte bestand, ist der durch die Funktion aufgebaute Kundenstamm dem Stammhaus zuzuordnen. Dies muss auch dann gelten, wenn es zwar eine Vertreterbetriebsstätte gegeben hat, diese jedoch mit ihrem Personal nicht am Aufbau des Kundenstamms beteiligt gewesen ist. Davon zu trennen ist die Zuordnung von Vermögenswerten zur Funktion „Geschäftsbesorgung“. Die Geschäftsbesorgung wird vom Personal des ständigen Vertreters ausgeübt und ist daher der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG i.d.F. des JStG 2013). Für die Ausübung dieser Funktion benötigt die Vertreterbetriebsstätte u.a. den Kundenstamm. Dieses Benötigen führt jedoch nicht automatisch zur Zuordnung dieses Vermögenswerts zur Vertreterbetriebsstätte, sondern es ist zu prüfen, ob durch diese Zuordnung(sänderung) nicht eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung ausgelöst wird. Dies kann der Steuerpflichtige dahingehend beeinflussen, dass er bspw. im Innenverhältnis vereinbart, dass die Vertreterbetriebsstätte den Kundenstamm unentgeltlich oder entgeltlich nutzen kann. Letztlich handelt es sich bei der Tätigkeit des ständigen Vertreters wohl immer um eine Dienstleistung, für die vermutet werden kann, dass sich die für die Ausübung einer solchen Dienstleistung notwendigen Gegenstände in Reichweite des dienstleistenden Personals befinden und somit gerade nicht dem Unternehmen, sondern dem ständigen Vertreter gehören. Soweit es sich bei diesen Vermögenswerten um Wissen handelt, das das dienstleistende Personal für die Ausübung seiner Tätigkeit benötigt, stellt sich die Frage, ob es Wissen für die Ausübung der Dienstleistungen des ständigen Vertreters geben kann, das er nicht in seiner Organisation hat und es deshalb vom Unternehmen zu Verfügung gestellt bekommen muss. Selbst wenn dies so wäre, stellte sich immer noch die Frage, ob die Vergütung des ständigen Vertreters die Zurverfügungstellung von Wissen seitens des Unternehmens nicht ohnehin berücksichtigt und das Unternehmen nur die Dienstleistung um das Wissen herum entgilt. Eine solche Regelung zwischen Unternehmen und ständigem Vertreter wäre fremdvergleichskonform und ist im Bereich der materiellen Wirtschaftsgüter durchaus üblich. So trägt ein Prinzipal in einer Lohnfertigungs-Geschäftsbeziehung üblicherweise Kostenbestandteile aus Dienstleistungen an den Lohnfertiger selbst und verrechnet sie nicht an den Lohnfertiger, weil der Lohnfertiger diese Kosten sonst mit Gewinnaufschlag wieder an den Prinzipal zurückverrechnen müsste. Diese Hin- und Her-Verrechnung ist unsinnig. In der Praxis ist dies jedoch ein für die Finanzverwaltung willkommenes Diskussionsthema, wenn sich Steuerpflichtige nicht genau überlegt haben, wie das Leistungsspektrum exakt definiert ist. Im Kern geht es bei der Gewinnabgrenzung der Vertreterbetriebsstätte in vielen Fällen genau um diese Frage der Einbeziehung von Kostenstandteilen in die GuV der Vertreterbetriebsstätte und die Entlastung mit Gewinnaufschlag. Es entginge auch dem Ansässigkeitsstaat des ständigen Vertreters nichts, was ihm zustünde. Andersherum würde die Zuordnung des Vermögenswerts „Wissen“ des Unternehmens und dessen Besteuerung im Ansässigkeitsstaat des ständigen Vertreters durch Zurechnung eines Gewinns zu einer Vertreterbetriebsstätte einer Liefergewinnbesteuerung gleichkommen, die im Widerspruch zum OECD-MA steht. Das kann nicht richtig sein. Entsprechend kann aus der Vorschrift keine Attraktivkraft des ständigen Vertreters hinsichtlich der Vermögenswerte des Unternehmens herausgelesen werden.

11.372 Terminus des Vermögenswerts. Zum besseren Verständnis ist es zunächst notwendig, sich mit dem Terminus des Vermögenswerts auseinanderzusetzen. Dieser Terminus ist neu und insoweit nicht definiert. Während das Handelsrecht auf Vermögensgegenstände abstellt und das Steuerrecht den Begriff des Wirtschaftsguts für bilanzielle Zwecke entwickelt hat, wird für die Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung ein neuer Ausdruck gewählt. Damit möchte der Gesetzgeber wohl zum Ausdruck bringen, dass dem ständigen Vertreter materielle oder immate798

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F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.373 Kap. 11

rielle Vermögensgegenstände auch dann zugeordnet werden können, wenn sie nicht bilanziert oder bilanzierungsfähig sind. Dieser Auffassung ist eine klare Absage zu erteilen und eine Auslegung dahingehend vorzunehmen, dass es beim AOA um die Zuordnung bilanzierter Wirtschaftsgüter geht (Rz. 4.79 f. und 4.95). Allgemeine Überlegungen zur Zuordnung von Wirtschaftsgütern unter dem Veranlassungsprinzip. Unter dem bis 31.12.2012 geltenden Veranlassungsprinzip können Wirtschaftsgüter einer Vertreterbetriebsstätte nur insoweit zugeordnet werden, als sie rechtliches oder wirtschaftliches Eigentum des vertretenen Unternehmens sind. Der Grund dafür liegt darin, dass ein Unternehmen mit seinem ständigen Vertreter nur insoweit der Steuerpflicht unterliegt, als es Einkünfte aus der Tätigkeit als Vertreter erzielt.1 Wirtschaftsgüter, die dem ständigen Vertreter gehören, sind der Vertreterbetriebsstätte nicht zuzuordnen, weil sie für die Abgrenzung im Innenverhältnis zwischen einem Unternehmen und dessen fiktiver Vertreterbetriebsstätte keine Bedeutung entfalten. Bedeutung haben diese Wirtschaftsgüter allenfalls mittelbar, weil sie die Höhe der Vergütung des ständigen Vertreters beeinflussen. Diese Vergütung ist der Vertreterbetriebsstätte als Aufwand bzw. Schuld zuzuordnen und beeinflusst den Gewinn der Vertreterbetriebsstätte somit lediglich mittelbar. Soweit die Vertreterbetriebsstätte neben der Tätigkeit als ständiger Vertreter keine Tätigkeiten ausübt, ist ihr als Wirtschaftsgut lediglich der im Innenverhältnis zuzurechnende Anspruch auf die Vertreterprovision und als Schuld der Vergütungsanspruch des Vertreters zu bilanzieren.2 Dies gilt bei allen Vertretern, die lediglich Verträge abschließen oder vermitteln oder Aufträge einholen, unabhängig davon, ob die Geschäfte, die der Vertreter durch seine Tätigkeit besorgt, Lieferungen3 oder Leistungen4 sind. Der Grund dafür liegt darin, dass das Besorgen von Geschäften eine Dienstleistung ist. Soweit die Vertreterbetriebsstätte durch den Abschluss von Verträgen oder die Vermittlung von Aufträgen begründet wird, sind in der Bilanz der Vertreterbetriebsstätte grundsätzlich keine Warenbestände zu erfassen. Anderslautende Auffassungen im Schrifttum sind verfehlt,5 weil sie verkennen, dass die Vertreterbetriebsstätte lediglich eine Vermittlungstätigkeit ausübt und sich dies auch in deren Bilanz widerspiegeln muss. Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass durch Handelsvertreter vermittelte Waren und Kommissionswaren, Letztere unabhängig vom juristischen Eigentum, beim Prinzipal bzw. Kommittenten zu bilanzieren sind.6 So führt weder die Übernahme des Debitorenmanagements noch die Verwaltung eines Konsignationslagers durch die Vertreterbetriebsstätte dazu, dass diese in ihrer Bilanz die Debitoren oder den Warenbestand des Konsignationslagers auszuweisen hat.7 Der Vertreterbetriebsstätte wäre lediglich ein höherer Anteil an den Erlösen der Vertreiberbetriebsstätte für diejenigen Dienstleistungen zuzurechnen, die sie zusätzlich zur reinen Vertretertätigkeit erbringt. Darüber hinaus steht ihr jedoch kein Entgelt und schon gar keine 1 Vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; ebenso im Kontext von DBA: Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 216. 2 Soweit zwischen beiden Positionen ein Unterschied besteht, hätte der Bilanzgewinn einen von null abweichenden Wert. 3 Vgl. zum Kommissionsgeschäft bei Waren und Wertpapieren außerhalb des Rahmens der ordentlichen Geschäftstätigkeit § 383 HGB. 4 Vgl. zum Kommissionsgeschäft bei anderen Leistungen außerhalb des Rahmens der ordentlichen Geschäftstätigkeit § 406 HGB. 5 Vgl. Looks in Löwenstein/Looks, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 925 – „… Überführung …“, Rz. 926 – „… Einstandspreise …“, Rz. 930 – „… Umsatzerlöse aus […] Warenverkäufen …“, Rz. 931 – „… Einstandskosten für die vom Prinzipal bezogenen Waren …“. 6 Vgl. Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse24, 79. 7 Vgl. Looks in Löwenstein/Looks/Heinsen (Hrsg.), Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 937.

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Kap. 11 Rz. 11.374

Sonderfälle

Beteiligung am Liefererlös zu. Eine davon abweichende Auffassung suggeriert eine Liefergewinnbesteuerung, die schon deshalb nicht haltbar ist, weil sie die Funktionsaufteilung und die Eigentumsverhältnisse zwischen vertretenem Unternehmen und dessen Vertreterbetriebsstätte nicht in ausreichendem Maße beachtet. Nach dem Veranlassungsprinzip sind der fiktiven Vertreterbetriebsstätte gedanklich lediglich die Tätigkeiten des ständigen Vertreters und die damit verbundenen Funktionen zuzuordnen. Da der Vertreter lediglich eine Dienstleistung erbringt, weil er eben nicht als Eigenhändler fungiert, steht ihm nur ein angemessenes Entgelt für die Erbringung dieser Dienstleistung zu. Insofern ist die Zuordnung eines anteiligen Liefergewinns über ein angemessenes Entgelt für die erbrachte Dienstleistung hinaus nicht haltbar. Sie würde dem Veranlassungsprinzip widersprechen, das eine funktionsgerechte Zuordnung des Gewinns verlangt. Unter dem AOA, der auf eine noch stärkere Verselbständigung der Betriebsstätte abzielt, gilt dies noch umso mehr. Auch in den Fällen, in denen eine Vertreterbetriebsstätte durch das Unterhalten eines Bestands von Gütern und Waren und die Vornahme von Auslieferungen begründet wird (z.B. wegen Fehlen eines DBA1 oder – bei Bestehen eines DBA – wegen Fremdeigentums an diesen Gütern und Waren),2 hat die Vertreterbetriebsstätte diese Güter und Waren nicht in ihrer Bilanz auszuweisen. Dies gilt selbst dann, wenn diese Güter und Waren im Eigentum des vertretenen Unternehmens stehen (Nicht-DBA-Fall), wenn der ständige Vertreter in Bezug auf diese Waren keine andere als eine Dienstleistungsfunktion übernimmt.

11.374 Zuordnung von Vermögenswerten unter dem AOA anhand von Beispielen. Der für das Veranlassungsprinzip von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz der funktionalen Zuordnung (siehe dazu Rz. 4.235 und 4.237) findet sich in nahezu identischer Form in § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG i.d.F. des JStG 2013 wieder. Insoweit besitzen die wesentlichen Aussagen in Rz. 11.373 auch unter dem AOA fortgesetzt Gültigkeit. Da die Zuordnung von Vermögenswerten des Unternehmens (Prinzipals) zu einer durch den ständigen Vertreter begründeten Vertreterbetriebsstätte untrennbar mit den von dessen Personal tatsächlich ausgeübten Funktionen verbunden ist, soll anhand der nachfolgenden Beispiele gezeigt werden, welche Vermögenswerte für eine solche Zuordnung infrage kommen. Beispiel 1: Vermittlung von Aufträgen an selbstgeschaffenen Kundenstamm: Die Mutterkapitalgesellschaft A (MG A) aus dem Staat A hat im Staat B ihrer Tochterkapitalgesellschaft (TG B) die Vollmacht eingeräumt, Lieferverträge mit Kunden im Staat B im Namen der MG A abzuschließen, die TG B dort seit mehreren Jahren ausübt. TG B hat ihren Kundenstamm während dieser Zeit selbst aufgebaut. Er wird weder bei der MG A noch bei der TG B bilanziert. Während TG B für diese Vermittlungstätigkeit außer der eigenen Betriebs- und Geschäftsausstattung keine weiteren eigenen Vermögensgegenstände oder Wirtschaftsgüter benötigt, ganz zu schweigen von Vermögensgegenständen der MG A, stellt sich die Frage, wie mit dem selbstentwickelten Kundenstamm umzugehen ist. Der Kundenstamm wird für die Ausübung der Vermittlungstätigkeit benötigt und wäre demnach wohl der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen. Gleichzeitig kann ein Ausweis in der Betriebsstättenbilanz des Vertreters nicht infrage kommen, da der Kundenstamm in der Bilanz des Einheitsunternehmens nicht aktiviert ist. Konsequenterweise kann es daher auch dann nicht zu einer Verrechnungspreisanpassung nach § 1 Abs. 1 i.V. mit Abs. 5 Satz 1 und 2 AStG i.d.F. des JStG 2013 kommen, wenn der ständige Vertreter (TG B) eine marktgerechte Vergütung für seine Vermittlungstätigkeit von MG A erhält. Wie zwischen fremden Dritten ist TG B erst dann eine Ausgleichszahlung für den Verlust des aufgebauten Kundenstammes zu zahlen, wenn die Vermittlungstätigkeit endet und der Kundenstamm auf den Prinzipal übergeht (analog § 89b HGB). Erhält TG B zum Zeitpunkt der Beendigung der Vermittlungstätigkeit keinen angemessenen Ausgleich für den Verlust des Kundenstamms, wäre eine Kor-

1 Vgl. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA 2014. 2 Vgl. BFH v. 23.7.2003 – I R 62/02, BFH/NV 2004, 317.

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F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.374 Kap. 11

rektur zulässig. Eine solche Korrektur kann Staat B jedoch bereits bei dem ständigen Vertreter selbst vornehmen. Es bedarf keiner Vertreterbetriebsstätte.

Da ein fremder Dritter für die Vermittlungstätigkeit ebenfalls eine Provision bekäme und erst dann eine Vergütung für den selbst aufgebauten Kundenstamm erhält, wenn dieser an den Prinzipal fällt, entspricht dieses Ergebnis vollumfänglich dem AOA. Beispiel 2: Vermittlung von Aufträgen an Kundenstamm des Stammhauses: Der Sachverhalt gleicht dem im Beispiel 1, wobei MG A der TG B den von der MG A aufgebauten Kundenstamm unentgeltlich zur Nutzung zur Verfügung stellt. Wie im Beispiel 1 wird der Kundenstamm von TG B für die Ausübung der Vermittlungstätigkeit benötigt und wäre demnach wohl der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen. Gleichzeitig kann ein Ausweis in der Betriebsstättenbilanz des Vertreters nicht infrage kommen, da der Kundenstamm in der Bilanz des Einheitsunternehmens nicht aktiviert ist. Es wäre jedoch denkbar, dass die Überlassung des Kundenstamms an den ständigen Vertreter als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zwischen dem Unternehmen und seiner Vertreterbetriebsstätte zu deuten ist, wenn alle dafür notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind. Dann wäre MG A ein angemessenes Entgelt für die Überlassung des Kundenstamms zu gewähren, während TG B wegen dieses zusätzlichen Aufwands für die Nutzung des Kundenstamms eine höhere Provision für ihre Vermittlungstätigkeit verlangen müsste. Ist diese höhere Vermittlungsprovision tatsächlich nicht an den ständigen Vertreter gezahlt worden, könnte es zu einer Verrechnungspreisanpassung nach § 1 Abs. 1 i.V. mit Abs. 5 Satz 1 und 2 AStG i.d.F. des JStG 2013 kommen, die der Vertreterbetriebsstätte eine zusätzliche Provisionskomponente zuweist zur Deckung des fiktiven Lizenzaufwands zzgl. einer Marge. Dies würde jedoch zur Zuordnung eines Kundenstamms zu einem Unternehmensteil führen, der den Kundenstamm nicht mit eigenem Personal aufgebaut hat. Das kann nicht richtig sein. Gegebenenfalls ist hier bei der Vermögenszuordnung zunächst auf die Funktion „Aufbau eines Kundenstamms“ abzustellen, wodurch eine widersinnige Zuordnung vermieden wäre, oder es ist in der Dokumentation festzuhalten, dass MG A für die Überlassung des Kundenstamms als Entrepreneur durch die Marge aus den Produktverkäufen abzgl. Wareneinsatz und Vermittlungsprovision für den Kundenstamm entgolten wird. Dann wäre auch keine Provision zu verlangen, sondern der Kundenstamm unentgeltlich zur Nutzung zu überlassen. Für diese Auslegung spricht, dass bspw. auch bei Lohnfertigern für die Bemessung ihres Entgelts vom Prinzipal auf die Einbeziehung von Kosten in die Bemessungsgrundlage für die Ermittlung eines Gewinnaufschlags verzichtet wird, wenn der Prinzipal diese getragen hat. Ein fremder Dritter würde diese Kosten nicht verrechnen, wenn er diese mit einem Gewinnaufschlag direkt zurückbelastet bekäme.

Aus diesen Gründen darf bezweifelt werden, dass der Ansässigkeitsstaat der MG A diese wundersame Gewinnvermehrung im Ansässigkeitsstaat der TG B akzeptiert, die letztendlich durch Zuordnung eines fiktiven Provisionsaufwands zu einer fiktiven Vertreterbetriebsstätte der MG A in B herrührt, der dann durch eine höhere Provision kompensiert werden muss (vgl. Rz. 11.365 und 11.369). Am Ende würde der Unternehmensteil Steuersubstrat verlieren, der den Kundenstamm geschaffen hat. Das kann nicht richtig sein. Ein steuerlich noch dramatischeres Ergebnis könnte entstehen, wenn mangels entsprechender Dokumentation ein Verkauf des Kundenstamms von der MG A an deren Vertreterbetriebsstätte angenommen würde, der zur Gewinnrealisierung im Stammhaus und zur Aktivierung des Kundenstamms in der Vertreterbetriebsstätte und zur anschließenden Abschreibung über einen Zeitraum von 15 Jahren führen würde. Dieses Beispiel zeigt, dass die Bedeutung der zeitnahen, proaktiven Dokumentation dessen, was im Innenverhältnis gewollt ist, nicht unterschätzt werden darf. Beispiel 3: Vermittlung von Aufträgen und Auslieferung aus eigenem Lager: Die Mutterkapitalgesellschaft A (MG A) aus dem Staat A hat im Staat B ihrer Tochterkapitalgesellschaft (TG B) die Vollmacht eingeräumt, Lieferverträge mit Kunden im Staat B im Namen der MG A abzuschließen, die

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TG B dort seit mehreren Jahren ausübt. TG B hat im Staat B ein eigenes Lager, in dem die Waren der MG A gelagert werden. Die Vermittlungsprovision enthält marktgerechte Vergütungskomponenten für TG Bs Tätigkeit als Lagerunternehmen. Das Lagergebäude mit Betriebsvorrichtungen ist beim ständigen Vertreter selbst bilanziert. Die Waren des Unternehmens, die sich im Lagergebäude zur Auslieferung an die Kunden der MG A befinden, sind nicht der Vertreterbetriebsstätte der MG A in B zuzuordnen, weil das Personal des ständigen Vertreters sie nicht zur Ausübung ihrer Lagertätigkeit benötigt. Das Personal benötigt zwar das Lagergebäude und dessen Infrastruktur. Die Waren selbst benötigt das Personal jedoch nicht, sie sind das Objekt der Dienstleistung und sind der Vertreterbetriebsstätte nicht zuzuordnen. Beispiel 4: Vermittlung von Aufträgen und Auslieferung mit geleaster Lkw-Flotte: Die Mutterkapitalgesellschaft A (MG A) aus dem Staat A hat im Staat B ihrer Tochterkapitalgesellschaft (TG B) die Vollmacht eingeräumt, Lieferverträge mit Kunden im Staat B im Namen der MG A abzuschließen, die TG B dort seit mehreren Jahren ausübt. TG B hat im Staat B eine Lkw-Flotte, mit der sie die Waren der MG A aus dem Lager eines fremden Dritten an die Kunden der MG A ausliefert. Die Vermittlungsprovision enthält marktgerechte Vergütungskomponenten für TG Bs Tätigkeit als Transportunternehmen einschließlich der Finanzierung der Lkw-Flotte. Die Lkw-Flotte ist beim ständigen Vertreter als Leasingverpflichtung nach § 285 Nr. 3a HGB ausgewiesen. Leasinggeber ist MG A, die die Lkw-Flotte auch bilanziert. Das Personal des ständigen Vertreters benötigt zur Ausübung der Transportfunktion die Lkw-Flotte. Nach Maßgabe des § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG i.d.F. des JStG 2013 führt dies zur Zuordnung der Lkw-Flotte zur Vertreterbetriebsstätte, was wiederum eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung auslöst, weil die Lkw-Flotte durch das Personal des vertretenen Unternehmens erworben worden ist. Sinnvollerweise würde man den Leasingvertrag zwischen vertretenem Unternehmen und ständigem Vertreter in die Vertreterbetriebsstätte spiegeln. Stammhaus und Betriebsstätte sollten zur Sicherheit eine Abrede treffen, dass die Vertreterbetriebsstätte die Lkw-Flotte vom Stammhaus least. Mangels einer solchen Abrede ist nicht auszuschließen, dass eine Veräußerung der Lkw-Flotte vom Stammhaus an die Vertreterbetriebsstätte unterstellt wird.

Der Vertreterbetriebsstätte wären dann nicht nur die Erträge aus der Zahlung der Leasingraten des ständigen Vertreters an das vertretene Unternehmen zuzuordnen, sondern auch die Abschreibungen und sonstigen Aufwendungen aus dem Betreiben der Lkw-Flotte als Leasinggeber einschließlich der dazugehörigen Finanzierung. Dies könnte über die Dauer des Leasinggeschäfts zum Ausweis eines Gewinns oder Verlusts führen in Abhängigkeit der Entwicklung der ihr zugeordneten Ertrags- und Aufwandspositionen über den Zeitraum des Leasinggeschäfts. Das Beispiel zeigt, dass zusätzliche vertragliche Verbindungen zwischen Unternehmen und ständigem Vertreter zusätzliche Anknüpfungspunkte der Besteuerung schaffen und dadurch Steuersubstrat zur Vertreterbetriebsstätte verlagern können. Dies kann durch entsprechende Gestaltung verhindert werden, z.B. indem ein anderes Konzernunternehmen und nicht das vertretene Unternehmen als Leasinggeber fungiert oder vertragliche Regelungen zwischen vertretenem Unternehmen und ständigem Vertreter in das fiktive Einheitsunternehmen gespiegelt werden. Beispiel 5: Ständiger Vertreter übernimmt die Rechnungstellung und das Inkasso: Die Mutterkapitalgesellschaft A (MG A) aus dem Staat A hat im Staat B ihrer Tochterkapitalgesellschaft (TG B) die Vollmacht eingeräumt, Lieferverträge mit Kunden im Staat B im Namen der MG A abzuschließen, die TG B dort seit mehreren Jahren ausübt. Neben der Vermittlungstätigkeit übernimmt TG B die Erstellung und Versendung der Rechnungen und das Inkasso der Kunden der MG A im Staat B. Zur Ausübung ihrer Funktionen benötigt die TG B lediglich ihre Büro- und Geschäftsausstattung und bedient sich bei säumigen Kunden einer Anwaltskanzlei für Mahnungen etc. Eine Zuordnung der Forderungen zur Vertreterbetriebsstätte ist nicht angezeigt, weil die Forderungen der MG A nicht für die Ausübung der Dienstleistungs-Tätigkeit der TG B benötigt werden, die im Wesentlichen das Ausdrucken und Versenden von Rechnungen und Mahnungen umfasst. Entsprechend ist der Vertreterbetriebsstätte auch kein Forderungsausfallrisiko zuzuordnen.

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F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.374 Kap. 11

Beispiel 6: Ständiger Vertreter übernimmt die Forderungen aus den von ihm vermittelten Aufträgen: Die Mutterkapitalgesellschaft A (MG A) aus dem Staat A hat im Staat B ihrer Tochterkapitalgesellschaft (TG B) die Vollmacht eingeräumt, Lieferverträge mit Kunden im Staat B im Namen der MG A abzuschließen, die TG B dort seit mehreren Jahren ausübt. In einer Nebenabrede vereinbaren MG A und TG B, dass TG B neben der Inkasso-Dienstleistung die Forderungen der MG A gegenüber den von TG B vermittelten Kunden im Staat B gegen ein marktgerechtes Entgelt in Übereinstimmung mit § 87 Abs. 4 HGB übernimmt. Die Forderungen sind gleichwohl nicht der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen, weil diese nicht mehr im Unternehmen bilanziert sind, sondern in der Bilanz des ständigen Vertreters. Das Forderungsausfallrisiko wird von ihm getragen und die Gewinn- oder Verlustchance auch realisiert. Es kommt nicht zu einer Zuordnung zur Vertreterbetriebsstätte. Beispiel 7: Ständiger Vertreter installiert Hard- und Software und betreut Kunden nach Verkauf der Hard- und Softwareprodukte durch die MG A: Die Mutterkapitalgesellschaft A (MG A) aus dem Staat A hat im Staat B ihrer Tochterkapitalgesellschaft (TG B) die Vollmacht eingeräumt, Lieferverträge über Software mit Kunden im Staat B im Namen der MG A abzuschließen, die TG B dort seit mehreren Jahren ausübt. Neben der reinen Vermittlungstätigkeit hat sich die TG B gegenüber der MG A verpflichtet, die von der MG A auf Vermittlung der TG B verkaufte Hard- und Software durch ihre Techniker und Ingenieure installieren zu lassen und erhält dafür eine angemessene Vergütungskomponente in Ergänzung zu der ebenfalls marktgerechten Vermittlungskommission. Darüber hinaus hat sich die TG B gegenüber der MG A verpflichtet, die Kunden der MG A im Staat B nach dem Verkauf und der Installation der Produkte zu betreuen und Reparaturen durchzuführen („maintenance service“). Neben der eigenen Betriebs- und Geschäftsausstattung benötigt das Personal der TG B für die Installation und die Kundenbetreuung die von der MG A erstellten Montageanleitungen und „Service Manuals“, die als selbsterstellte immaterielle Wirtschaftsgüter nicht bilanziert sind. Die Zuordnung dieses Wissens zur Vertreterbetriebsstätte erscheint nicht geboten, weil die Zuordnung durch die Erschaffung des Gegenstands durch das Personal des vertretenen Unternehmens vorgegeben ist.

Auch hier käme es zur künstlichen Zuordnung eines Aufwands zur Vertreterbetriebsstätte und Zurückverrechnung an das Stammhaus, die auch zwischen fremden dritten Prinzipalen und Lohnfertigern nicht durchgeführt wird, weil es zu einer nicht gebotenen Inflationierung des Gewinnaufschlags käme. Beispiel 8: Einkaufsbetriebsstätte: Die im Staat B ansässige TG B ist eine Tochtergesellschaft der im Staat A ansässigen MG A und kümmert sich um die Beschaffung von Halbfertigprodukten und Dienstleistungen im Staat B und schließt dort im Namen und für Rechnung der MG A Verträge mit Lieferanten und Dienstleistern ab. Staat B behandelt TG B als Vertreterbetriebsstätte, da sie nicht nur Güter und Waren einkauft. Bei der Auswahl der Lieferanten sind die Mitarbeiter der TG B in hohem Maße an interne Richtlinien und Qualitätsmaßstäbe gebunden, die maßgeblich in der Zentrale des Unternehmens in A entwickelt worden und weltweit gültig sind. An diesen Qualitätsmaßstäben haben auch Personen mitgearbeitet, die bei der TG B beschäftigt sind. Die schriftlich dokumentierten Qualitätsmaßstäbe werden von den Mitarbeitern der TG B bei der Ausübung ihrer Beschaffungstätigkeit benötigt und sind insoweit wohl der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen. Da diese Maßstäbe zuvor jedoch maßgeblich von Mitarbeitern der MG A entwickelt worden sind, stellt sich die Frage, ob eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung dergestalt vorliegt, dass eine Nutzungsgebühr für die Qualitätsmaßstäbe zu erheben ist, die wiederum mit einer Gewinnkomponente in das Entgelt für die Vermittlungstätigkeit auf dem Beschaffungsmarkt im Staat B einzubeziehen ist. Für eine Vergütung spricht einiges. Hinsichtlich der Umsetzung sind jedoch mehrere Alternativen denkbar, die von der separaten Vergütung für die Mitentwicklung der Maßstäbe, über eine erhöhte Einkaufsprovision, die die Einbringung von Ideen in die Entwicklung der Qualitätsmaßstäbe entgilt, bis zur Zurechnung einer solchen Vergütungskomponente zu einer angenommenen Vertreterbetriebsstätte reichen.

Andresen 803

Kap. 11 Rz. 11.375

Sonderfälle

d) Zuordnung von Chancen und Risiken

11.375 Zuordnung von Chancen und Risiken. § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 AStG i.d.F. des JStG 2013 verlangt die Zuordnung von Chancen und Risiken zur Vertreterbetriebsstätte, die diese aufgrund der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Vermögenswerte übernimmt. Der Begriff der Chance ist in Steuergesetzen nicht definiert. Hilfsweise kann hier jedoch auf den vom BFH1 entwickelten Begriff der Geschäftschance abgestellt werden. Der Begriff des Risikos ist für Zwecke des § 289 Abs. 1 HGB definiert als alle wesentlichen Verlustmöglichkeiten und Gefahren, die nicht bereits im Jahresabschluss z.B. durch Abschreibungen, Wertberichtigungen oder Rückstellungen abgebildet sind. Der Zuordnungsmaßstab für Chancen und Risiken ist im Gesetz nicht eindeutig bestimmt. Deren Übernahme soll „auf Grund der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Vermögenswerte“ geschehen. § 10 BsGaV sieht entsprechend eine Zuordnung zu dem unmittelbar mit der Chance oder dem Risiko zusammenhängenden Vermögenswert oder Geschäftsvorfall vor (s. Rz. 4.128 ff.). Hinsichtlich der zugeordneten Vermögenswerte ist davon auszugehen, dass Nachfrageänderungsrisiken, Preisänderungsrisiken oder auch Verlustrisiken für die bereits zugeordneten Vermögenswerte wegen deren Zuordnung zur Vertreterbetriebsstätte dort auch zu tragen sind, z.B. wenn Produkte2 nicht mehr oder nur mit einem Preisabschlag absetzbar sind oder wenn ein Kundenstamm dem Unternehmen verloren geht und dieser Kundenstamm nach Maßgabe des § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG i.d.F. des JStG 2013 der Vertreterbetriebsstätte zugeordnet worden ist. Soweit es sich nicht um diese Art von Risiken im Zusammenhang mit Vermögenswerten handelt, ist als Zuordnungsmaßstab auf die ausgeübte Funktion abzustellen, also das Personal des ständigen Vertreters oder des vertretenen Unternehmens. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010, auf den hier mangels anderer gesetzlicher Hinweise im innerstaatlichen Recht zurückgegriffen werden kann, verlangt die Analyse des tatsächlichen Verhaltens der Personen in Stammhaus und Vertreterbetriebsstätte.3 Wenn und soweit Risiken des vertretenen Unternehmens tatsächlich vom Personal des ständigen Vertreters gemanagt und kontrolliert werden, sieht die OECD die Zuordnung dieser Risiken zur Vertreterbetriebsstätte vor.4 Wenn und soweit dieses Management und die Kontrolle von Risiken jedoch ebenfalls Gegenstand des Dienstleistungsvertrags zwischen dem vertretenen Unternehmen und dem ständigen Vertreter sind, das Personal des vertretenen Unternehmens nach Ausbildung und Erfahrung in der Lage ist, diese Dienstleistung zu vergeben und deren Qualität zu kontrollieren,5 und die Dienstleistung angemessen entgolten ist, kann eine Zuordnung von derartigen Risiken zur Vertreterbetriebsstätte nicht vorgenommen werden. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 weist an zahlreichen Textstellen6 darauf hin, dass der Steuerpflichtige in seiner Gestaltung der Innentransaktionen weitgehend frei ist, dies jedoch dokumentieren und die Existenz dieser gewollten Innentransaktionen auch zwischen fremden Dritten denkbar sein muss. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich erfüllbar und können dazu führen, dass einer Vertreterbetriebsstätte insbeson-

1 Vgl. BFH v. 12.10.1995 – I R 127/94, BFHE 179, 258 = FR 1996, 252 = DB 1996, 507; v. 7.8.2002 – I R 64/01, BFH/NV 2003, 205; v. 9.7.2003 – I R 100/02, BFH/NV 2003, 1666 = FR 2004, 33; v. 17.12.2003 – I R 25/03, BFH/NV 2004, 819. 2 Bei Produkten setzt dies jedoch voraus, dass diese überhaupt einer Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen sind, was unwahrscheinlich erscheint. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 242–245. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 243. 5 Dies bezieht sich auf die Substanzanforderungen bei Auftragsverhältnissen, wie z.B. Auftragsfertigung. 6 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 200–220.

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Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.376 Kap. 11

dere dann keine Risiken zuzuordnen sind, wenn für deren Management und Tragung der ständige Vertreter verantwortlich gewesen und bereits angemessen entgolten worden ist.1 Die folgenden Beispiele illustrieren, unter welchen Voraussetzungen überhaupt von einer Zuordnung von Chancen und Risiken zu einer Vertreterbetriebsstätte auszugehen ist. Zuordnung von Chancen. Geschäftschancen sind vom BFH definiert worden als geschäftliche Möglichkeiten oder mögliche Vertragsbeziehungen zu Kunden, auf deren Abschluss eine Gesellschaft zugunsten ihres Gesellschafters verzichtet, ohne für diesen Verzicht angemessen entgolten worden zu sein.2 Im Kontext der Vertreterbetriebsstätte ist unter Geschäftschance in aller Regel die Möglichkeit des Verkaufens oder Einkaufens bei einem Kunden oder Lieferanten zu sehen. Die Zuordnung dieser Geschäftschance ist danach zu beurteilen, welche Personen an der Erarbeitung der zuzuordnenden Geschäftschance beteiligt gewesen sind und in welchem vertraglichen Verhältnis die beteiligten Personen oder ihre Arbeitgeber dabei gestanden haben. Beispiel 1: Aufbau einer Kundenbeziehung: Die Mitarbeiter A und B der in Staat X ansässigen Kapitalgesellschaft X arbeiten zwei Jahre an dem Aufbau einer Kundenbeziehung zum Kunden K im Staat K. Nachdem diese Bemühungen im November des Jahres 02 von Erfolg gekrönt sind, beauftragt X im Staat K einen ständigen Vertreter damit, den Kunden K zu betreuen und Verträge im Namen und für Rechnung der X abzuschließen. Die ersten Verträge werden im Jahr 02 geschlossen, die ersten Umsätze werden im April 03 getätigt. Am Ende des Geschäftsjahrs 02 stellt sich die Frage, ob die Geschäftschance, Umsatz mit dem Kunden K zu machen, dem Unternehmen X oder dessen bereits in 02 begründeter Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen ist. Die Chance mit dem Kunden K Geschäftsabschlüsse zu tätigen, ist von den Mitarbeitern der X erarbeitet worden. Der Sachverhalt gibt keinerlei Hinweis darauf, dass auch Mitarbeiter des ständigen Vertreters in den Aufbau des Kontakts involviert gewesen sind. Insofern ist die Geschäftschance dem Unternehmen X (Stammhaus) zuzuordnen. Beispiel 2: Aufbau einer Lieferantenbeziehung: Das im Staat X ansässige Unternehmen X hat das Unternehmen S im Staat S damit beauftragt, Lieferanten für seltene Erden ausfindig zu machen und mit diesen Lieferanten langfristige Lieferverträge auszuhandeln und im Namen der X abzuschließen. S erhält für diese Tätigkeit bereits eine marktgerechte Vergütung dergestalt, dass S sämtliche (Such-)Kosten erstattet werden und eine Erfolgsprovision von 50.000 Euro je Lieferanten gezahlt wird, der seltene Erden für einen Zeitraum von zwölf Monaten unterhalb eines vorab definierten Maximalpreises an X liefert. Auch für die laufende Pflege der Lieferantenbeziehung wird S vereinbarungsgemäß von X eine marktgerechte Provision von 2 % des Einkaufsvolumens gezahlt. Die Lieferantenbeziehung oder Chance auf deren Anbahnung sind dem Stammhaus zuzuordnen. Zwar sind die Mitarbeiter der S mit der Erarbeitung der Lieferantenbeziehung beschäftigt, was eine Zuordnung zur Vertreterbetriebsstätte nahelegen könnte. Dies kommt jedoch deshalb nicht infrage, weil X den ständigen Vertreter wie zwischen fremden Dritten vertraglich mit einer Dienstleistung beauftragt und ihn dafür angemessen entgilt. Eine Zuordnung zur Vertreterbetriebsstätte kommt somit nicht infrage, weil die Lieferantenbeziehung in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des OECD-Betriebsstättenberichts („economic ownership“)3 dem vertretenen Unternehmen zuzuordnen ist. Fehlt es jedoch an einer Dienstleistungsvereinbarung oder an einer angemessenen Vergütung für die Bemühungen (der Mitarbeiter) des ständigen Vertreters, dann könnte die Geschäftschance unter Umständen der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen sein, es sei denn, der ständige Vertreter wird bei

1 Ebenso OECD, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), Public Discussion Draft, BEPS Action 7, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Paris 2016, No. 17 through 34, No. 35–39 and No. 52–55. 2 Vgl. BFH v. 12.10.1995 – I R 127/94, BFHE 179, 258 = FR 1996, 252 = DB 1996, 507. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 243, 244.

Andresen 805

11.376

Kap. 11 Rz. 11.377

Sonderfälle

Beendigung der Vermittlungstätigkeit für den Aufbau des Kundenstamms mit einer angemessenen Ausgleichszahlung analog § 89b HGB entgolten.

11.377 Zuordnung von Risiken. Risiken können nach ihrem möglichen Auftreten entlang der Wertschöpfungskette systematisiert werden. So gibt es Beschaffungsrisiken, Risiken aus dem laufenden operativen Geschäft und Absatzrisiken. Beschaffungsrisiken können Risiken der (mangelnden) Verfügbarkeit (Rohstoff oder Liquidität), Einkaufspreisrisiken, Zins- oder Währungsrisiken sein. Risiken des laufenden operativen Geschäfts können Kapazitätsrisiken, Personalrisiken, IT-Risiken, rechtliche Risiken, Lagerrisiken oder Verlustrisiken bezogen auf die im Produktionsprozess eingesetzten Wirtschaftsgüter sein. Auf der Absatzseite sind Risiken aus Absatzpreisänderungen, aus Absatzmengenänderungen, aus Nachfrageveränderungen, aus der Abhängigkeit vom Großkundengeschäft, aus Forderungsausfällen und aus Zinsoder Wechselkursschwankungen zu nennen. Beispiel 1: Beschaffungsrisiko (Verfügbarkeit von Rohstoffen): Die im Staat B ansässige TG B ist eine Tochtergesellschaft der im Staat A ansässigen MG A und kümmert sich um die Beschaffung von seltenen Erden im Staat B und schließt dort im Namen und für Rechnung der MG A Verträge mit Lieferanten über die Lieferung von seltenen Erden, wie z.B. Neodym, ab. In dem Vertrag über die Vermittlungstätigkeit vereinbaren MG A und TG B, das TG B schadenersatzpflichtig wird für die Kosten des Produktionsausfalls im Werk A der MG A, falls es zu Lieferengpässen beim Rohstoff Neodym kommt. Der Funktionsumfang der TG B ist durch diese Nebenabrede erweitert um das Risikomanagement bei der Beschaffung von Neodym. Wenn und soweit die TG B von ihrer Substanz in der Lage ist, das damit verbundene Risiko einzugehen, ist diese vertragliche Vereinbarung anzuerkennen, führt zur Zuordnung dieses Risikos zur Vertreterbetriebsstätte und muss ihren Niederschlag bei der Vergütung der TG B finden. Entsprechend ist das Dotationskapital einer angenommenen Vertreterbetriebsstätte zu erhöhen, wenn nicht bereits das Eigenkapital der TG B ausreichend ist für die Tragung des unerwarteten Teils des Verlusts (sog. „unexpected loss“), es sei denn, das Risiko ist versichert. Der Annahme einer Vertreterbetriebsstätte bedürfte es jedoch nicht, weil das Entgelt für die TG B bereits auf die Angemessenheit hinsichtlich der Übernahme des Risikos geprüft werden kann. Beispiel 2: Einkaufspreisrisiken bei Rohstoffen: MG A schaltet für die Beschaffung von Rohstoffen in den Staaten X, Y und Z einen konzernfremden ständigen Vertreter ein, der im Namen und für Rechnung der MG A Verträge mit Rohstofflieferanten abschließt. In dem Handelsvertretervertrag ist vereinbart, dass der ständige Vertreter eine Kürzung seiner Vermittlungsprovision um 10 % akzeptiert, wenn und soweit die Lieferpreise für die Rohstoffe umgerechnet in Euro innerhalb eines Jahres um 30 % steigen und es dem ständigen Vertreter nicht gelingt, innerhalb von drei Monaten nach Erreichen der 30 %-Steigerungsgrenze einen um 10 % günstigeren Lieferanten zu finden. Wenn und soweit der ständige Vertreter für die Übernahme dieses kombinierten Preis- und Wechselkursänderungsrisikos nicht angemessen entgolten wird, was zwischen fremden Dritten ungewöhnlich wäre, ist dieses Änderungsrisiko einer angenommenen Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen, das Dotationskapital entsprechend zu bemessen und eine adäquate Vergütung für die Übernahme dieses Risikos der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen. Beispiel 3: Lagerrisiko für Fertigwaren: MG A schaltet für den Absatz von Fertigwaren im Staat B den konzernfremden ständigen Vertreter B ein, der im Namen und für Rechnung von MG A Verträge über die Lieferung von Fertigwaren abschließt. Wegen der großen geografischen Entfernung zwischen den Staaten A und B wird zusätzlich vereinbart, dass der ständige Vertreter ein Warenlager unterhält, von dem er Auslieferungen vornehmen lässt. Im dritten Jahr der gemeinsamen Geschäftstätigkeit brennt das Lager ab und es entsteht ein Schaden von 3 Mio. Euro. Das Verlustrisiko trägt das vertretene Unternehmen. Das Betreiben des Lagers ist eine Dienstleistung, die nicht dazu führt, dass das Lagerrisiko für Produkte im Eigentum des vertretenen Unternehmens dem ständigen Vertreter bzw. der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen ist. Gegebenenfalls tritt jedoch die Feuerversicherung des ständigen Vertreters für das Warenlager ein.

806

Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.377 Kap. 11

Beispiel 4: Kredit- und Ausfallrisiko: MG A schaltet für den Absatz von Fertigwaren im Staat B den konzernfremden ständigen Vertreter B ein, der im Namen und für Rechnung von MG A Verträge über die Lieferung von Fertigwaren abschließt. Der Handelsvertretervertrag sieht vor, dass der ständige Vertreter 50 % der von ihm erhaltenen Vermittlungsprovision an das vertretene Unternehmen zurückzahlen muss, wenn die Forderung gegenüber einem vermittelten Kunden uneinbringlich geworden ist. Das Ausfallrisiko tragen sowohl das vertretene Unternehmen als auch der ständige Vertreter. Soweit die Vertreterprovision das Tragen des Kredit- bzw. Ausfallrisikos nicht reflektiert, kann die Existenz einer Vertreterbetriebsstätte angenommen und der fehlende Entgeltanteil (Risikoprämie) dieser zugeordnet werden. Beispiel 5: Währungsrisiko: MG A schaltet für den Absatz von Bankkrediten im Staat B die konzerneigene Tochtergesellschaft TG B ein, die als ständiger Vertreter im Namen und für Rechnung von MG A Kreditverträge abschließt. Der Handelsvertretervertrag sieht vor, dass der ständige Vertreter die Kredite auch in der Währung des Staats C verhandeln und abschließen kann. Die Refinanzierung in der Währung des Staats C und das Hedging für das Wechselkursrisiko in den Zins- und Tilgungszahlungen wird von den Mitarbeitern der Treasury-Abteilung der MG A im Staat A organisiert und durchgeführt. Das Währungsrisiko ist dem Stammhaus zuzuordnen, weil es dort gemanagt wird. Beispiel 6: IT-Risiken: Die im Staat A ansässige Shared Services Gesellschaft SS A ist für das Management der gesamten IT-Infrastruktur eines Finanzkonzerns zuständig. Im Staat B hat die SS A ihre Schwestergesellschaft SG B im Jahr 01 damit beauftragt, für die Wartung eines Zahlungsverkehrssystems im Namen und für Rechnung der SS A Verträge mit externen Dienstleistern abzuschließen. Bei einer Wartung im Jahr 03 bricht für mehrere Tage das Zahlungsverkehrssystem des Finanzkonzerns im Staat B zusammen, so dass keine Überweisungen mehr gebucht werden können. Ist das ITRisiko der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen? Der rechtliche Vertragspartner der externen Dienstleister ist SS A. Die Auswahl des Dienstleisters hat jedoch das Personal der SG B übernommen, so dass wirtschaftlich eine Zuordnung des Risikos zur Vertreterbetriebsstätte in Betracht käme, es sei denn, die Auswahl des Dienstleisters ist tatsächlich bei der SS A erfolgt.

Risiken können der Vertreterbetriebsstätte nur dann zugeordnet werden, wenn der ständige Vertreter entweder aufgrund des Vertrags mit dem vertretenen Unternehmen oder faktisch Risiken übernimmt und diese auch durch geeignetes Personal tatsächlich managt, kontrolliert und diese Risiken sich bei ihm materialisieren (können), sei es durch Schadenersatzpflicht, Verlust etc. Wenn und soweit der ständige Vertreter nicht für die vertragliche oder faktische Übernahme dieser Risiken angemessen entgolten wird, ist ggf. eine Korrektur vorzunehmen. Soweit es für eine Korrektur beim ständigen Vertreter an einer Rechtsgrundlage fehlt, z.B. weil der ständige Vertreter keine nahestehende Person des vertretenen Unternehmens ist, besteht die Möglichkeit, eine entsprechende Einkommenskorrektur bei der Vertreterbetriebsstätte vorzunehmen. Der Anwendungsbereich dieser Korrekturmöglichkeit erscheint jedoch denkbar gering, weil ein konzernunabhängiger ständiger Vertreter sich in der Praxis für übernommene Risiken marktgerecht vergüten lassen wird. Bei einem konzernabhängigen ständigen Vertreter besteht die Möglichkeit der direkten Korrektur des vereinbarten Entgelts beim ständigen Vertreter, so dass es der Annahme einer fiktiven Vertreterbetriebsstätte nicht bedarf. Die einzige Ausnahme dürfte eine Vertreterbetriebsstätte sein, die durch Angestellte des vertretenen Unternehmens (i.d.R. durch Unachtsamkeit) begründet wird, wobei die Zuordnung von Vermögenswerten, Chancen und Risiken davon abhängt, welche Tätigkeiten die Angestellten des vertretenen Unternehmens im anderen Staat tatsächlich ausgeübt haben.

Andresen 807

Kap. 11 Rz. 11.378

Sonderfälle

e) Zuordnung von Dotationskapital

11.378 Zuordnung von Fremdkapital zur Vertreterbetriebsstätte. Die Vertreterbetriebsstätte hat kein eigenes Personal, so dass eine direkte Zuordnung von Fremdkapital zur Vertreterbetriebsstätte nur schwer durchführbar ist. Wenn und soweit jedoch das Personal des ständigen Vertreters die Aufgabe der Refinanzierung im Namen und für Rechnung des vertretenen Unternehmens ausübt und Kredite an das vertretene Unternehmen vermittelt, wäre das aufgenommene Fremdkapital nach den Grundsätzen des AOA zunächst der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen, wenn Fremdkapital als Vermögenswert anzusehen ist. Es spricht jedoch vieles dafür, dass diese aufgenommenen Mittel anschließend als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zu den im Außenverhältnis vereinbarten Konditionen an das Stammhaus weiterzureichen sind. Der Zinssaldo bei der Vertreterbetriebsstätte wäre Null, und der ständige Vertreter würde eine angemessene Vermittlungsprovision erhalten.

11.379 Zuordnung eines angemessenen Anteils am Eigenkapital. Bei der Zuordnung von Eigenbzw. Dotationskapital ergibt sich die Schwierigkeit, dass der Vertreterbetriebsstätte nur äußerst selten Vermögensgegenstände oder Wirtschaftsgüter zuzuordnen sein dürften, die bilanziell erfasst sind, weil davon auszugehen ist, dass sich die vom Personal des ständigen Vertreters in ihrer Funktionsausübung gebrauchten Gegenstände in der Mehrzahl in der Bilanz des ständigen Vertreters wiederfinden. Wenn der Vertreterbetriebsstätte jedoch Vermögenswerte – dann des vertretenen Unternehmens – zugeordnet werden, die beim vertretenen Unternehmen nicht bilanziell erfasst sind, reicht die Passivseite der Bilanz des vertretenen Unternehmens nicht aus. Hier könnte sich anbieten, für den nicht bilanzierten Vermögenswert das Kapital des vertretenen Unternehmens in die Vertreterbetriebsstätte zu spiegeln. Wenn und soweit jedoch ausschließlich oder zusätzlich zu Vermögenswerten Risiken der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen sind, dürfte eine Spiegelung des Kapitals nicht mehr infrage kommen, sondern es müsste eine risikogewichtete Allokation des Kapitals erfolgen. Die OECD gibt keinerlei Hinweise, wie sich die Kapitalallokation speziell bei abhängigen Vertretern vollziehen soll. 2. Zusammenfassung

11.380 Systematisierung der Funktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken. Die vorstehende Analyse hat gezeigt, dass der ständige Vertreter in der überwiegenden Zahl der Fälle Dienstleistungen an das vertretene Unternehmen erbringt, deren Umfang variieren und sich bspw. auf das Betreiben eines Warenlagers, die Erbringung von Logistik-Dienstleistungen oder deren Beaufsichtigung, den Import und die Zollabfertigung oder deren Beaufsichtigung, die Auslieferung von Produkten, die Rechnungsstellung und das Inkasso, den Kundenservice, die Erbringung von Reparaturdienstleistungen, die Anwendungsentwicklung beim Kunden oder auch Marktforschung erstrecken kann. Allen Erweiterungen des Dienstleistungsspektrums ist gemeinsam, dass nur in den seltensten Fällen eine Zuordnung von Vermögenswerten und Risiken zu einer Vertreterbetriebsstätte vorzunehmen ist. Die Kreuze in der nachfolgenden Tabelle indizieren, bei welchen Dienstleistungen eine Zuordnung von Vermögenswerten und/oder Risiken zur Vertreterbetriebsstätte am ehesten zu vermuten wäre.

808

Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte Vermögenswerte, Chancen und Risiken des Unternehmens

Rz. 11.380 Kap. 11

Tätigkeiten für das vertretene Unternehmen1 (= Funktion des ständigen Vertreters im Innenverhältnis)2 Vermitt- Betreiben Erbringung lung von eines von Kunden WarenLogistiklagers Dienstleistungen

Import und Zollabfertigung

Auslieferung von Produkten

Rechnungsstellung und Inkasso

Kundenbetreuung (After sales service)

Erbringung von ReparaturDienstleistungen

X

X

Erbringung von Einkaufsleistungen

Vermögenswerte Selbstgeschaf- X fener Kundenstamm Kundenstamm des Vertretenen Waren des Unternehmens Geleaste Lkw-Flotte

(X)

Know-how/ Wissen Chancen Zukünftige Kunden-/ Lieferantenbeziehung Risiken Beschaffungsrisiko Einkaufspreisänderungsrisiko (Rohstoffe)

X

Lagerrisiko Kredit-/ Ausfallrisiko

X

Währungsrisiko

X

IT-Risiko

X

1 Eigenhandel kann nicht zu den hier erfassten Tätigkeiten eines ständigen Vertreters gehören, weil dies im Widerspruch zu den von einem Handelsvertreter oder Kommissionär ausgeübten Tätigkeiten stünde. Ausgelieferte Waren müssen sich entsprechend im rechtlichen Eigentum des Unternehmens (Prinzipals) befinden. Bei Eigenhandel ist überdies die Tatbestandsvoraussetzung des TätigWerdens „für das Unternehmen“ nicht mehr erfüllt, weil der ständige Vertreter dann für sein eigenes Unternehmen handelt und das Ergebnis dieser Aktivitäten über dessen unbeschränkte Steuerpflicht in dessen Ansässigkeitsstaat der Besteuerung zugeführt wird. Ebenso Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.103. 2 Hiervon sind zu unterscheiden Tätigkeiten des ständigen Vertreters für das eigene Unternehmen, für die der ständige Vertreter eine eigene Vergütung von dem Empfänger der von ihm erbrachten Leistung erhält. Dies kann dann der Fall sein, wenn der ständige Vertreter an den Kunden des Unternehmens (Prinzipals) auch direkt Reparaturleistungen erbringt und diese zu Marktpreisen abrechnet.

Andresen 809

Kap. 11 Rz. 11.381

Sonderfälle

3. Bestimmung der Art der Geschäftsbeziehungen (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen)

11.381 Definition der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Vertretenem und ständigem Vertreter. § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG i.d.F. des JStG 2013 verlangt im zweiten Schritt der Einkünfteabgrenzung nach dem AOA die Bestimmung der Art der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und seiner Betriebsstätte und die Bestimmung der Verrechnungspreise für diese Geschäftsbeziehungen. Diese Vorschrift liest sich eher wie eine Handlungsanweisung für einen Betriebsprüfer als eine Rechtsvorschrift mit Tatbestand und Rechtsfolge. Tatbestand und Rechtsfolge finden sich in Satz 1 des § 1 Abs. 5 i.V. mit Abs. 1 AStG i.d.F. des JStG 2013, der eine Korrektur der Einkünfte des vertretenen Unternehmens oder der Vertreterbetriebsstätte verlangt, wenn die Einkünfte des Steuerpflichtigen dadurch gemindert sind, dass andere Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise), der Einkünfteermittlung zugrunde gelegen haben, als sie voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten. Sind die vorstehenden Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, sind die Einkünfte des Steuerpflichtigen so anzusetzen, wie sie zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbart worden wären. Sollte es bei der Anwendung dieser Vorschrift im Verhältnis zu einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR zu einer Entstrickungsentnahme i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bei einem Wirtschaftsgut des Anlagevermögens kommen, die gleichzeitig eine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 5 i.V. mit Abs. 1 AStG i.d.F. des JStG 2013 auslöst, eine Vorschrift, deren Rechtsfolge grundsätzlich „unbeschadet anderer Vorschriften“ gilt, wäre in diesem Fall die Besteuerung durch Bildung eines Ausgleichspostens i.S. des § 4g EStG und dessen ratierliche Auflösung über fünf Jahre zu mildern (§ 1 Abs. 5 Satz 6 AStG i.d.F. des JStG 2013). Eine Einkünftekorrektur ist jedoch nicht durchzuführen, wenn ein DBA anzuwenden ist, das § 1 Abs. 5 Satz 1 bis 7 AStG i.d.F. des JStG 2013 entgegensteht. In einem solchen Fall hat das DBA Vorrang und erlaubt keinen oder einen geringeren Berichtigungsbedarf als die Vorschrift, wenn der Steuerpflichtige diesen Umstand geltend macht und den Nachweis erbringt, dass der andere Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend dem DBA ausübt. Da der ständige Vertreter gegenüber dem vertretenen Unternehmen in aller Regel eine Dienstleistung erbringt, wird die Anzahl der Fälle begrenzt sein, in denen zusätzlich eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung vorliegt. Die Annahme einer solchen fiktiven Innentransaktion wird vor allem dann notwendig sein, wenn einzelne Leistungselemente der Dienstleistung des ständigen Vertreters an das Unternehmen nicht fremdvergleichskonform entgolten worden sind oder die Vergütung für die Übernahme von Risiken seitens der Vertreterbetriebsstätte nicht angemessen ist. Eine wie auch immer begründete Zuordnung eines Teils des Liefergewinns zur Vertreterbetriebsstätte scheidet in Ländern mit „Civil Law“ allein schon deshalb aus, weil ein Vertreter zivilrechtlich kein Eigenhändler ist und auch nicht für steuerrechtliche Zwecke dazu gemacht werden kann. Wenn und soweit nahezu sämtliche Funktionen und Risiken eines vertretenen Unternehmens durch Personen des ständigen Vertreters ausgeübt werden und ggf. sogar vertraglich dem ständigen Vertreter zugewiesen sind, ist es theoretisch denkbar, dass die Vergütung für diese Summe an Funktionen und die Übernahme signifikanter Risiken einen Großteil des realisierten Umsatzes des vertretenen Unternehmens aus der Lieferung eines Produkts oder der Erbringung einer Dienstleistung ausmacht. Dieser zuzuordnende Ertrag bleibt jedoch das Entgelt für die Erbringung einer Dienstleistung und die Übernahme von Risiken, wenn und soweit solche Risiken überhaupt nachweisbar vertraglich oder tatsächlich übernommen worden sind und die entsprechenden Risikomanagement-Funktionen in Übereinstimmung mit den BEPS-Aktionspunkten 8–10 vom ständigen Vertreter übernommen werden konnten.

810

Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.383 Kap. 11

Typische anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Stammhaus und Vertreterbetriebsstätte. Die Beispiele oben haben gezeigt, dass anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen vor allem dann vorliegen, wenn Vermögenswerte wie Know-how, Wissen, Erfahrungen, Kundenstämme oder materielle Wirtschaftsgüter, wie z.B. Fahrzeuge vom vertretenen Unternehmen, angeschafft oder selbstgeschaffen worden sind und vom ständigen Vertreter in Ausübung seiner Dienstleistungsfunktion genutzt werden. Für solche Fälle der Nutzung muss festgestellt werden, ob eine unentgeltliche oder entgeltliche Nutzung oder eine Veräußerung der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Eine unzutreffende steuerliche Behandlung löst dann eine Korrektur im In- oder Ausland aus, so z.B. die Einbeziehung eines fiktiven Nutzungsentgelts für den vom inländischen Stammhaus aufgebauten Kundenstamm in die Provision des ständigen Vertreters im Ausland, der diesem Kundenstamm Umsätze vermittelt. Ein weiterer Anwendungsbereich sind Fälle, in denen das Personal des ständigen Vertreters im Inland tatsächlich Leistungen an das vertretene Unternehmen im Ausland erbringt, die jedoch nicht oder nur unangemessen entgolten werden oder im umgekehrten Fall unangemessen hoch entgolten werden. Schließlich sind noch Fälle zu nennen, in denen das Personal einer inländischen Vertreterbetriebsstätte tatsächlich Risiken managt, aber dafür kein oder ein unangemessen niedriges Entgelt erhält, oder eine ausländische Vertreterbetriebsstätte ein (unangemessen hohes) Entgelt für das vorgegebene Management von Risiken verrechnet, ohne dass diese Leistung tatsächlich erbracht worden ist.

11.382

4. Fremdvergleich a) Dienstleistungen des ständigen Vertreters Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei Vermittlungsdienstleistungen. Angesichts der Tatsache, dass der ständige Vertreter in aller Regel eine Dienstleistung erbringt, ist die Angemessenheit der dafür vereinbarten Vergütung mit den Verrechnungspreismethoden zu verproben, die für Dienstleistungen sinnvolle Vergleiche mit gleichen oder ähnlichen Leistungen oder Funktionen ermöglichen, die unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen erbracht oder ausgeübt haben. § 1 Abs. 3 AStG verlangt nach dem Wortlaut die „Bestimmung“ der Verrechnungspreise vorranging nach der Preisvergleichsmethode, der Wiederverkaufspreismethode oder der Kostenaufschlagsmethode. Soweit der Gesetzgeber mit dem Wort „bestimmen“ die Verprobung der Angemessenheit durch die Finanzverwaltung gemeint hat, ist dem grundsätzlich zuzustimmen (sog. „Outcome Testing Approach“ der OECD). Die Vorschrift kann jedoch nicht so verstanden werden, dass sie dem Steuerpflichtigen vorschreibt, wie er seine Verrechnungspreise zu ermitteln hat. Der von der OECD an anderer Stelle propagierte „Price Setting Approach“ ist mit einem Steuerrecht unvereinbar, das eine Veranlagung durch die Finanzverwaltung vorsieht und keine Selbstveranlagung kennt. Der Steuerpflichtige ist in der Wahl der Methode zur Ermittlung der Verrechnungspreise frei. Das dabei erzielte Ergebnis, der Verrechnungspreis, muss sich hinsichtlich der Angemessenheit jedoch daran messen lassen, ob er in die – ggf. eingeengte – Bandbreite der unter Anwendung der genannten Methoden ermittelten Vergleichspreise, -margen oder -gewinnaufschläge fällt. Die Verwaltungsgrundsätze aus dem Jahr 1983 und die OECD-Verrechnungspreisleitlinien sehen für die Verprobung der Vergütung für Dienstleistungen die Preisvergleichsmethode1 oder, wenn erstere Methode wegen fehlender Vergleichstransaktio-

1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 3.2.3.1 – im Folgenden VWG 1983; v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 3.1.2 – im Folgenden BS-VWG; OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 7.31.

Andresen 811

11.383

Kap. 11 Rz. 11.384

Sonderfälle

nen nicht zur Anwendung kommen kann, die Kostenaufschlagsmethode1 vor. Denkbar ist auch die Anwendung der Transactional Net Margin Method, was aus Sicht der inländischen Finanzverwaltung jedoch nur infrage kommt, wenn keine der Standardmethoden anwendbar ist und es sich bei der zu verprobenden Tätigkeit um eine Routinefunktion handelt.2 Die Wiederverkaufspreismethode dürfte für die Bestimmung der Vertreterprovision nicht infrage kommen, weil die zu bewertende Dienstleistung nur an das vertretene Unternehmen erbracht wird und es somit an einer für die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode notwendigen mehrstufigen Vertriebsstruktur fehlt.3

11.384 Preisvergleichsmethode. Die Vertreterprovision kann verschiedene Formen annehmen. Am gebräuchlichsten dürften Provisionssätze sein, die an den vermittelten Umsatz anknüpfen. In diesen Fällen geht es darum, im Wege eines tatsächlichen oder hypothetischen Preisvergleichs eine Bandbreite von Provisionssätzen zu ermitteln, die mit oder zwischen unabhängigen Dritten unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen vereinbart worden sind oder wären. Wenn also das vertretene Unternehmen auch unabhängige Handelsvertreter unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen wie ihre ständigen Vertreter mit der Vermittlung von Aufträgen betraut, spricht nichts dagegen, die dort vereinbarten Provisionssätze zu Vergleichszwecken im Rahmen des Fremdvergleichs zu nutzen. Ein solcher Vergleich kann auch in Form eines Vergleichs der Verträge durchgeführt werden, die den verglichenen Transaktionen zugrunde liegen. Dabei ist jedoch sicherzustellen, dass die Verträge auch tatsächlich durchgeführt werden, weil sonst der Beweiswert dieses Vertragsvergleichs eingeschränkt wäre. Soweit Unterschiede in den Konditionen bestehen, sind die Provisionssätze der zum Vergleich herangezogenen Verträge oder Transaktionen anzupassen.4 Dies gilt für Unterschiede in den Transaktionsvolumina, bei den übernommenen Funktionen und bei anderen Vergleichsfaktoren gleichermaßen. An diese Anpassungsrechnungen sind keine hohen Anforderungen zu stellen, weil es letztlich darum geht, den Fremdvergleich in der Praxis anwenden zu können. Die Anpassungsrechnungen sollen wirtschaftlich begründbar und nachvollziehbar sein. Neben dem tatsächlichen Preisvergleich besteht die Möglichkeit, einen hypothetischen Preisvergleich durchzuführen. Dieser kann zum einen abstrakt erfolgen, indem dargelegt wird, unter welchen Voraussetzungen ein ordentlicher gewissenhafter Geschäftsleiter des vertretenen Unternehmens bereit gewesen wäre, den vereinbarten Provisionssatz zu akzeptieren. Dabei kommt es in erster Linie auf die Würdigung von Indizien an, die für die Angemessenheit der vereinbarten Provisionssätze sprechen. Indizien können u.a. sein: ein verbleibender Gewinn oder Verlust bei der Vertreterbetriebsstätte nach Abzug der zuzuordnenden Aufwendungen, eine Margendifferenz zwischen Eigenumsätzen ohne Einschaltung von Vertretern und den vermittelten Umsätzen etc. Zum anderen kann der hypothetische Fremdvergleich konkret in Form einer Analyse von Datenbanken oder anderen öffentlich zugänglichen Quellen durchgeführt werden. So lässt sich ein angemessener Provisionssatz für die Einkaufsfunktion unter Umständen aus öffentlich zugänglichen Vertragsregistern oder Verzeichnissen ermitteln. In Industrien, in denen der ständige Vertreter keinen Einfluss auf die Preissetzung hat, z.B. weil diese

1 Vgl. VWG 1983, Tz. 3.2.3.2; BS-VWG, Tz. 3.1.2; OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 7.31, 7.35 und 7.36 (agency fee). So auch BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBl. II 1993, 801 – unter II.1., 2. und 4. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.3 Buchst. b – VWG-Verfahren. 3 So auch VWG 1983, Tz. 3.2.3.2; a.A. offenbar Prinz, FR 1996, 479 (483) = JbFfStR 1996/97, 425 (432). 4 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 AStG.

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Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.386 Kap. 11

in starkem Maße von Rohstoffpreisen und damit von den Weltmärkten beeinflusst ist, werden Provisionen auch in Abhängigkeit von der vermittelten Menge festgelegt. In diesen Fällen dürfte es schwierig sein, Vergleichswerte zu finden, wenn nicht gegenüber fremden Dritten in ähnlicher Weise verfahren wird. Wenn und soweit jedoch entsprechende Werte von Mengen und dafür vereinbarten Provisionssätzen vorliegen, kann mittels Regressionsanalyse bei ausreichend hoher statistischer Konfidenz eine fremdvergleichskonforme Provision für eine bekannte vermittelte Menge ermittelt werden. Kappung der Provisionssätze. Soweit die Tätigkeit der Vertreterbetriebsstätte keinen Einsatz von immateriellen Wirtschaftsgütern mit sich bringt, spricht nichts dagegen, in Abhängigkeit von den vermittelten Umsätzen oder Absatzmengen die Provisionssätze zu kappen. Dies kann bspw. erfolgen, indem eine stufendegressive Minderung der Provisionssätze für definierte Bandbreiten von Umsätzen oder Absatzmengen vereinbart wird. Auf diese Weise wird der Gewinn der Vertreterbetriebsstätte auf das Niveau begrenzt, das den von ihr übernommenen Unternehmensfunktionen entspricht. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Vertreterbetriebsstätte keine Neukunden gewinnt und die zusätzlichen Umsätze nicht oder nicht primär durch die Vertriebstätigkeit der Vertreterbetriebsstätte hervorgerufen worden sind, sondern primär aus Rahmenverträgen mit Großkunden resultieren, die beim Vertreter lediglich die benötigten Mengen abrufen.

11.385

Kostenaufschlagsmethode. Die Kostenaufschlagsmethode dient als Hilfsmethode in den Fällen, in denen die Preisvergleichsmethode mangels vergleichbarer Transaktionen oder Informationen über solche Transaktionen nicht angewendet werden kann. Danach ist die Provision der Vertreterbetriebsstätte zu bestimmen, indem auf die Kosten der Vertreterbetriebsstätte ein angemessener Gewinn aufgeschlagen wird. Die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 verlangen, dass dabei auf die Kosten der Vertreterfunktion und nicht nur auf die Kosten der Erbringung der Dienstleistung abgestellt wird.1 Die Kostenaufschlagsmethode verlangt, dass die gesamten tatsächlichen Kosten in die Ermittlung der Provision einbezogen werden, weil die Provision die Möglichkeit der Gewinnerzielung geben muss. Soweit kalkulatorische Kosten in die Kostenbasis einbezogen werden, ist der Gewinnaufschlag entsprechend zu vermindern. Der angemessene Gewinnaufschlag ist wiederum im Wege des tatsächlichen oder hypothetischen Fremdvergleichs zu ermitteln. Soweit das vertretene Unternehmen auch in Verträgen oder in der praktischen Ausübung gegenüber fremden Dritten einen Gewinnaufschlag auf die Kosten der Dienstleistungserbringung vereinbart, ist dieser Gewinnaufschlag auch gegenüber der Vertreterbetriebsstätte anzusetzen, wenn die mit der Vertreterbetriebsstätte vereinbarten Bedingungen denen gleichen oder ähneln, die das vertretene Unternehmen mit unabhängigen Dritten vereinbart hat. Hat das vertretene Unternehmen keine vergleichbaren Transaktionen mit unabhängigen Dritten verwirklicht, kann es die Angemessenheit des mit der Vertreterbetriebsstätte vereinbarten Gewinnaufschlags im Wege eines hypothetischen Fremdvergleichs durch Datenbankabfragen zu belegen versuchen. Auch wenn in Datenbanken in aller Regel nur aggregierte Finanzdaten zu finden sind, spricht einiges dafür, diese Daten zumindest für Zwecke der Angemessenheitsdokumentation als verwertbar anzuerkennen. Die Finanzverwaltung hat in den VWG-Verfahren ihre Vorstellungen darüber artikuliert, unter welchen Voraussetzungen sie Datenbankanalysen als verwertbar ansieht.2 Eine Einkünftekorrektur können solche Analysen nur dann verhindern, wenn es der Finanzverwaltung nicht gelingt, ihrer Verpflichtung nachzukommen, die Angemessenheit ihrer Einkünftekorrektur ihrerseits

11.386

1 Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 7.36. 2 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.12.4 und Tz. 3.4.12.5 i.V.m. Tz. 3.4.19.

Andresen 813

Kap. 11 Rz. 11.387

Sonderfälle

durch Fremdvergleichsdaten zu belegen. Auffassungen im Schrifttum,1 die in der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ein Argument dafür sehen, dass der solchermaßen entgoltene Vertreter ein abhängiger Vertreter i.S. des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA 2014 ist, weil diese Methode dem Berufsbild eines unabhängigen Vertreters i.S. des Art. 5 Abs. 6 OECD-MA 2014 nicht entspricht, sind für Zwecke der Einkünfteabgrenzung irrelevant, weil hier bereits vom Bestehen einer Vertreterbetriebsstätte ausgegangen wird. Soweit jedoch nach der Kostenaufschlagsmethode ein Entgelt ermittelt wird, dass dem Fremdvergleich entspricht, ist auch dieser Vertreterbetriebsstätte kein Gewinn zuzuordnen, wenn der ihr zuzuordnende Aufwand in seiner Höhe diesem Entgelt entspricht. Diese Auffassung wird durch Nr. 2 des Protokolls zu Art. 5 DBA-Österreich vom 24.8.2000 bestätigt,2 wonach die Angemessenheit der Vertreterprovision zwischen zwei verbundenen Unternehmen die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte ausschließt.

11.387 Transaktionsbezogene Gewinnaufteilungsmethode („Profit Split“). Die Anwendung der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, auch wenn bereits die funktionalen Unterschiede zwischen dem vertretenen Unternehmen und der Vertreterbetriebsstätte die Anwendung einer solchen indirekten Methode faktisch als sehr schwierig begründbar erscheinen lassen, weil meist nicht beide „KERT-“ oder „significant people functions“ ausüben oder beide immaterielle Wirtschaftsgüter besitzen. In der Finanzindustrie findet man es häufiger, dass Finanzverwaltungen einen „Profit Split“ in der Form einer prozentualen Aufteilung eines „Gross Profit“ in Gestalt der Nettozinsmarge, d.h. der Zins- und Provisionserträge abzgl. der Refinanzierungsaufwendungen, für Verrechnungspreisanpassungen anwenden. Dies ist jedoch auch problematisch, weil die Betriebsstätten meist keinen Einfluss auf die Refinanzierungsaufwendungen haben und insoweit von positiven Ergebniseffekten profitieren, die sie funktional nicht verantworten. Vor diesem Hintergrund kann diese Methode eher als eine Methode angesehen werden, die in der Regel nur als Kompromissformel in Verhandlungssituationen zur Anwendung kommen kann und dann auch nur unter Anwendung einer Hilfsmethode, die das gefundene Ergebnis verprobt, z.B. der Kostenaufschlagsmethode.

11.388 Transaktionsbezogene Nettomargenmethode. Bereits der RFH hat festgestellt, dass „der Gewinn gleicher oder gleichartiger inländischer selbständiger Unternehmen ähnlicher Größe“ ein Anhaltspunkt für einen gerechten Verteilungsmaßstab sein kann.3 Im Kontext der Vertreterbetriebsstätte geht es darum, dass dem tatsächlichen Steuersubjekt (ständiger Vertreter) und dem fiktiven Steuersubjekt (der durch ihn begründeten Vertreterbetriebsstätte) bei zusammenfassender Betrachtung ein angemessener Gewinn aus der Vermittlungstätigkeit zugerechnet wird. Weist der tatsächliche Vertreter – am Maßstab des Fremdvergleichs gemessen – ein zu geringes Entgelt aus, ist durch die Zuordnung des angemessenen Dienstleistungsentgelts sicherzustellen, dass die Differenz zwischen dem angemessenen und dem tatsächlich vereinbarten Entgelt bei der Besteuerung des fiktiven Steuersubjekts, der Vertreterbetriebsstätte, der Besteuerung zugeführt wird. Für die Anwendung der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode folgt daraus, dass der Fremdvergleich erfüllt ist, wenn die Summe aus dem fiktiven Gewinn der Vertreterbetriebsstätte und dem tatsächlichen Gewinn des ständigen Vertreters (gemeinsame Nettomarge) der Nettomarge entspricht, die unabhängige Dritte unter vergleichbaren Bedingungen erwirtschaften. Soweit in Datenbanken Unternehmen gefunden 1 Vgl. FW, IStR 1995, 134 – Anmerkungen zu BFH v. 14.9.1994 – I R 116/93; Kempermann, FR 1995, 240; Endres, IStR 1996, 1 (5). 2 Siehe BStBl. I 2002, 584; zum Inkrafttreten s. BStBl. I 2002, 956. 3 RFH v. 13.7.1938 – I 369/36, RStBl. 1938, 863 (863).

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Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.390 Kap. 11

werden, deren einzige Tätigkeit die Vermittlung ist, sind deren Nettomargen als Vergleichswert für Fremdvergleichszwecke anzuerkennen. Der Grund dafür liegt darin, dass Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen für Dokumentationszwecke ggf. auf hohem Aggregationsniveau zu gruppieren sind, weil eine geschäftsvorfallbezogene Dokumentation im Zweifel unzumutbar sein dürfte. Wenn ein Unternehmen ausschließlich als Handelsvertreter tätig ist, spiegelt die Nettomarge die angemessene Vergütung für diese Tätigkeit wider. Ob der gefundene Vergleichswert allerdings eine Einkünftekorrektur verhindert, hängt davon ab, ob die Finanzverwaltung einen eigenen Fremdvergleich durchgeführt hat, dem ein höherer Beweiswert beizumessen ist. Kopplung der Provisionszahlung an den Erhalt der Zahlung des Kunden. Soweit Vereinbarungen vorsehen, dass der ständige Vertreter sein Honorar erst zu dem Zeitpunkt erhält, zu dem feststeht, dass der vermittelte Kunde seine Schuld gegenüber dem vertretenen Unternehmen tatsächlich beglichen hat analog § 87a Abs. 1 und 2 HGB, ist diesem erhöhten Risiko für den ständigen Vertreter durch einen entsprechend höheren Provisionssatz Rechnung zu tragen. Einen Anhaltspunkt für die Bestimmung eines angemessenen Aufschlags dürfte der Preisabschlag vom Nennwert der Provisionsforderung sein, den ein unabhängiges Unternehmen bei deren Ankauf vom ständigen Vertreter verlangen würde. Für Versicherungsvertreter entsteht der Anspruch auf Provision nach § 92 Abs. 4 HGB erst dann, wenn der Versicherungsnehmer die Versicherungsprämie gezahlt hat.

11.389

Fallunterscheidung. Während der einer Vertreterbetriebsstätte fiktiv zuzurechnende Ertrag gewissermaßen auf den Wert fixiert ist, der die abzugeltenden Funktionen bei Anwendung des Veranlassungsprinzips bzw. des ab 2013 auch im Inland geltenden AOA – in DBA-Fällen in den Grenzen des Fremdvergleichsgrundsatzes in seinen unterschiedlichen Interpretationen1 – angemessen vergütet, ist die Höhe der tatsächlich gezahlten Vertreterprovision und damit des Aufwands der Vertreterbetriebsstätte in erster Linie durch das Verhältnis beeinflusst, in dem das vertretene Unternehmen zu dem ständigen Vertreter steht.2 Dies bedeutet, dass die Höhe des Gewinns, der einer Vertreterbetriebsstätte (über das Entgelt an den ständigen Vertreter hinaus) zuzurechnen ist, in erster Linie durch das Entgelt bestimmt wird, das das vertretene Unternehmen mit dem ständigen Vertreter vereinbart (Vertreterprovision). Das folgende Beispiel verdeutlicht dies:

11.390

Beispiel: Die im Staat S ansässige Kapitalgesellschaft S ist als Handelsvertreterin für ihre im Staat D ansässige Muttergesellschaft MG D tätig und vermittelt dieser Umsätze im europäischen Ausland. Für diese Tätigkeit erhält sie ein Entgelt, das geringer ist als die Vertreterprovision, die unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen erhalten hätten. Das zu niedrige Entgelt für die Dienstleistung der S kann entweder über eine normale Verrechnungspreiskorrektur in den Grenzen von Art. 9 OECD-MA erfolgen oder durch Festsetzung eines Gewinns der Vertreterbetriebsstätte.

Das vorstehende Beispiel zeigt, dass es sinnvoll ist, für Zwecke der Einkünfteabgrenzung bei Vertreterbetriebsstätten danach zu differenzieren, in welchem Verhältnis der ständige Vertreter zu dem vertretenen Unternehmen steht. Auch wenn das Verhältnis zwischen dem vertretenen Unternehmen und dem ständigen Vertreter nicht in allen Fällen mit der Annahme über das vereinbarte Entgelt übereinstimmt, soll für die nachfolgende Untersuchung danach unterschieden werden, ob der ständige Vertreter keine nahestehende Person (1. Fallgruppe),

1 Siehe zu den einzelnen Phasen vor 2008, nach 2008 und nach 2010 Rz. 5.10 ff., 5.56 ff. und 5.68 ff. 2 Ebenso Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.102.

Andresen 815

Kap. 11 Rz. 11.391

Sonderfälle

eine nahestehende Person (2. Fallgruppe) oder Angestellter (3. Fallgruppe) ist. Eine Betriebsstätte i.S. des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA (feste Geschäftseinrichtung) kann nicht Vertreter sein, weil sie keine Person ist.1

11.391 Vertreter ist nicht nahestehende Person. Ist der ständige Vertreter eine Person, die dem vertretenen Unternehmen nicht nahesteht, gibt es Grund zu der Annahme, dass das zwischen ihnen gezahlte Entgelt dem entspricht, was unabhängige Dritte unter den gleichen oder ähnlichen Bedingungen vereinbaren. Ein unabhängiger ständiger Vertreter wird darauf achten, dass er für sämtliche von ihm erbrachten Leistungen, die von ihm eingesetzten Wirtschaftsgüter und die von ihm übernommenen Risiken eine angemessene Vergütung vom Prinzipal erhält. Eine Verrechnungspreiskorrektur scheidet in diesen Fällen meist ohnehin aus, weil die genannten Personen weder verbundene Unternehmen noch nahestehende Personen sind. Trifft diese Annahme zu, so weist die Vertreterbetriebstätte weder einen Gewinn noch einen Verlust aus, weil der Saldo aus dem ihr zuzurechnenden Ertrag und dem tatsächlich an den ständigen Vertreter gezahlten Entgelt, das ihr zuzurechnen ist, Null beträgt.2 Ist das tatsächlich an den ständigen Vertreter gezahlte Entgelt für die Vermittlungs- und ggf. andere Leistungen unangemessen niedrig,3 kann der Vertreterbetriebsstätte ein Gewinn oder Verlust zuzurechnen sein. Ob eine Korrektur des tatsächlich gezahlten Entgelts vorzunehmen ist, hängt davon ab, ob der Steuerpflichtige die Voraussetzungen eines Vorteilsausgleichs erfüllt und insoweit von einer Einkünftekorrektur bei der Vertreterbetriebsstätte abzusehen ist.

11.392 Vertreter ist nahestehende Person. Ist der ständige Vertreter eine nahestehende Person des vertretenen Unternehmens, z.B. eine Tochtergesellschaft, besteht die Möglichkeit, dass die Finanzverwaltung das dem ständigen Vertreter (hier: der Tochtergesellschaft) gezahlte Entgelt als nicht angemessen beurteilt. Trifft diese Annahme zu, so weist die Vertreterbetriebstätte entweder einen Gewinn oder einen Verlust aus, weil der Saldo aus dem ihr zuzurechnenden Ertrag und dem tatsächlich an den ständigen Vertreter gezahlten Entgelt, das ihr zuzurechnen ist, ungleich Null ist. Ob und inwieweit jedoch bei der Vertreterbetriebsstätte eine Einkünftekorrektur vorzunehmen ist, hängt davon ab, ob das tatsächlich von dem vertretenen Unternehmen an dessen ständigen Vertreter (die Tochtergesellschaft) gezahlte Entgelt nach Maßgabe der einschlägigen nationalen Vorschriften ggf. eingeschränkt durch ein DBA korrigiert wird. Ist das tatsächlich vereinbarte Entgelt niedriger als eine Provision mit oder zwischen fremden Dritten (Verlust bei der Vertreterbetriebsstätte), erhöht der Ansässigkeitsstaat des ständigen Vertreters nach Maßgabe seiner nationalen Vorschriften die Einkünfte des ständigen Vertreters (der Tochtergesellschaft). Gleichzeitig hätte er dieses erhöhte Entgelt bei der Besteuerung der Betriebsstätte als Aufwand zu berücksichtigen, so dass es bei der Vertreterbetriebsstätte nicht mehr zu einer Einkünftekorrektur kommt.4 Ist das tatsächlich vereinbarte Entgelt höher als eine Provision mit oder zwischen fremden Dritten (Gewinn bei der Vertreterbetriebsstätte), hätte der Ansässigkeitsstaat des vertretenen Unterneh1 Vgl. Piltz, IStR 2004, 181 (182). 2 Gl.A. Sieker, BB 1996, 981 (984); Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.100 m.w.N.; Görl in GS Krüger, 113 (121); Loukota, SWI 1996, 101 (104 f.); Hey, RIW 1994, 889 (891); a.A. Baranowski, IWB 1997, Fach 3 Deutschland, Gr. 2, 719 (724); Endres, IStR 1996, 1 (4); Niehaves in Haase, DBA3, Art. 7 OECD-MA Rz. 115 ff. 3 Denkbar wäre eine solche Situation, wenn der ständige Vertreter aus anderen Geschäften mit dem vertretenen Unternehmen oder diesem nahestehenden Personen eine Kompensation erhält. 4 Gl.A. Sieker, BB 1996, 981 (985); Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.102.

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Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.393 Kap. 11

mens nach Maßgabe seiner nationalen Vorschriften die Einkünfte des vertretenen Unternehmens zu erhöhen, indem er als Aufwand die niedrigere angemessene Provision ansetzt. Versäumt es der Ansässigkeitsstaat des ständigen Vertreters eine Gegenberichtigung dergestalt vorzunehmen, dass er den Provisionsertrag des ständigen Vertreters korrespondierend mindert, bleibt es zwar bei der Doppelbesteuerung der tatsächlich gezahlten Provisionssätze. Die Vertreterbetriebsstätte würde jedoch nach wie vor einen Verlust ausweisen, weil sich der zugeordnete Provisionsaufwand ebenfalls nicht ändert. Nimmt hingegen der Ansässigkeitsstaat des ständigen Vertreters eine Gegenberichtigung vor, würde diese auf die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte durchschlagen. Dies hätte zur Konsequenz, dass die Vertreterbetriebsstätte einen Gewinn von Null hätte. Dies gilt auch dann, wenn die ursprüngliche Annahme eines nicht dem Fremdvergleich entsprechenden Entgelts nicht zutrifft, sondern das tatsächlich von dem vertretenen Unternehmen an den ständigen Vertreter (hier: die Tochtergesellschaft) gezahlte Entgelt dem Fremdvergleich entspricht. Beispiel: Die Mutterkapitalgesellschaft im Staat B (MG B) vertreibt ihre Produkte direkt an Kunden im Staat D und bedient sich dabei der Vermittlungsleistungen ihrer Tochterpersonengesellschaft in diesem Staat (TG D), die diese in Handlungsvollmacht der MG B in D dauerhaft ausübt. TG D erhält für ihre Vermittlungsleistungen ihre Kosten ersetzt zzgl. eines Gewinnaufschlags von 5 %. Staat D erhöht die Vergütung der TG D auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 AStG durch eine Anpassung des Gewinnaufschlags um 2 auf 7 %. Darüber hinaus erkennt das Finanzamt eine beschränkte Steuerpflicht der MG B in D und erlässt einen Schätzungsbescheid auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 AStG, in dem das beschränkt steuerpflichtige Einkommen der MG B – ohne Ansatz von Betriebsausgaben – mit 15 % der vermittelten Umsätze der MG B in D angesetzt wird.

In dieser Sachverhaltskonstellation wird § 1 Abs. 1 AStG zweimal angewandt und bildet die Rechtsgrundlage für die Verrechnungspreiskorrektur bei der MG B und bei der TG D. Die daraus resultierende Doppelbesteuerung aus der Überschneidung der Bemessungsgrundlagen der unbeschränkt besteuerten TG D und der beschränkt besteuerten MG B ist nur mithilfe des einschlägigen DBA auflösbar. Dies liegt daran, dass § 1 AStG unbeschadet anderer Vorschriften anwendbar ist, wobei es darauf in dieser Konstellation wohl nicht ankommt, weil die Vorschrift einmal im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht der TG D und einmal im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht der MG A im Staat D zur Anwendung kommt. Wenn ein Gewinnaufschlag von 7 % angemessen ist i.S. des Fremdvergleichsgrundsatzes in Art. 9 des einschlägigen DBA, wäre die Verrechnungspreiskorrektur bei der TG D durchzuführen. Wenn und soweit die Aktivitäten des ständigen Vertreters für das vertretene Unternehmen dadurch angemessen entgolten wären, einschließlich etwaiger zuzuordnender Vermögenswerte des Unternehmens und Risiken, wäre die Einkünftekorrektur bei der MG B durch Art. 7 des einschlägigen DBA auf Null zu begrenzen. Vertreter ist Angestellter des Unternehmens. Ist der ständige Vertreter Angestellter des vertretenen Unternehmens, gibt es Grund zu der Annahme, dass der anteilige Aufwand, der der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen ist, niedriger als der angemessene Erlösanteil für deren Tätigkeit ist. In dieser Konstellation ist darüber hinaus eher denkbar, dass der Vertreterbetriebstätte auch Vermögenswerte des Unternehmens zuzuordnen sind, insbesondere auch immaterielle, wenn diese von den für das Unternehmen tätigen Angestellten entwickelt, erarbeitet oder aufgebaut worden sind. Das Gleiche kann für Risiken gelten, wenn und soweit diese von den Angestellten gemanagt werden. Dies hat zur Folge, dass die Vertreterbetriebsstätte einen Gewinn ausweist.1 Da weder der fiktive Provisionsertrag noch der Aufwand für 1 Gl.A. Sieker, BB 1996, 981 (985); Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.102.

Andresen 817

11.393

Kap. 11 Rz. 11.394

Sonderfälle

die als ständiger Vertreter fungierenden Personen eine Einkünftekorrektur nach sich ziehen, wenn und soweit diese angemessen sind, bildet der solchermaßen ermittelte Gewinn oder Verlust der Vertreterbetriebsstätte die Grundlage für deren Besteuerung. Dies gilt für inund ausländische Betriebsstätten gleichermaßen. Fraglich ist jedoch, ob dieses Szenario viele Anwendungsfälle hat. Die Zuordnung von Personenfunktionen zu einer Vertreterbetriebsstätte erfordert die körperliche Anwesenheit dieser beim vertretenen Unternehmen mit Arbeitsvertrag angestellten Personen im Staat der Vertreterbetriebsstätte. Eine solche Anwesenheit ist mit der für eine Vertreterbetriebsstätte erforderlichen Dauerhaftigkeit nur dann vorstellbar, wenn Räume existieren, die das Personal nutzt. Von der Nutzung zur Verfügungsmacht ist es nicht weit, so dass Angestellte in der überwiegenden Zahl der Fälle ohnehin eine feste Geschäftseinrichtung und damit eine normale Betriebsstätte begründen. Weil dem so ist und weil in den beiden anderen Alternativen entweder eine andere Korrekturvorschrift greift bzw. ein fremder Dritter (ständiger Vertreter) auf eine marktgerechte Vergütung achten wird, erscheint die Vertreterbetriebsstätte als Anknüpfungsmerkmal der Besteuerung aus objektiver Perspektive obsolet.

11.394 Single Taxpayer Approach. Die OECD grenzt den AOA bei der Vertreterbetriebsstätte zum sog. „single taxpayer approach“ ab. Unter dem „single taxpayer approach“ versteht die OECD die Auffassung, dass einer Vertreterbetriebsstätte kein Gewinn oder Verlust zuzurechnen ist, wenn das Unternehmen des ständigen Vertreters eine angemessene Vergütung für seine Dienstleistungen erhält.1 Einer der wesentlichen Unterschiede soll darin liegen, dass bspw. Lagerrisiken und Kredit- oder Ausfallrisiken unter dem „single taxpayer approach“ aus zivilrechtlichen Gründen nicht dem Vertreter, sondern immer dem Vertretenen zuzuordnen sind.2 Der AOA will diese Risiken ungeachtet zivilrechtlicher Zuordnungen dann der Vertreterbetriebsstätte zuordnen, wenn deren Personal bzw. das des ständigen Vertreters diese Risiken auch managt. Die OECD übersieht dabei, dass ein ständiger Vertreter sich die Dienste seines Personals immer marktgerecht vergüten lassen wird, sei es für die Erbringung der Dienstleistung des Risikomanagements, sei es für die tatsächliche Übernahme eines Risikos. Fehlt es an einer solchen Vergütung oder ist sie unangemessen niedrig, verlangt die OECD richtigerweise eine Korrektur. Wie die Fallunterscheidung oben zeigt, sind solche Korrekturen jedoch entweder bei dem ständigen Vertreter selbst durchzuführen, es sei denn, er ist ein fremder Dritter und verzichtet aus unerfindlichen Gründen auf eine marktgerechte Vergütung, was sehr unwahrscheinlich ist, oder bei einer Vertreterbetriebsstätte, deren einziger Anwendungsfall die durch Angestellte des Unternehmens begründete Vertreterbetriebsstätte ist, wenn diese nicht ohnehin bereits eine Betriebsstätte i.S. einer festen Geschäftseinrichtung ist. Die vage Möglichkeit, dass dem Ansässigkeitsstaat des ständigen Vertreters Steuersubstrat entgeht, das durch die dort tätigen Personen erwirtschaftet worden ist, findet im Tatsächlichen wenige mögliche Anwendungsfälle. b) Steuerliche Behandlung der Nutzung von Vermögenswerten

11.395 Keine Einbeziehung von Nutzungsentgelten für Vermögenswerte des Unternehmens in die Vergütung für die Dienstleistung des ständigen Vertreters. Wenn und soweit die Erbringung der Dienstleistung des ständigen Vertreters an das vertretene Unternehmen erforderlich macht, dass der ständige Vertreter durch sein Personal Vermögenswerte des vertretenen Unternehmens nutzt, ist für Fremdvergleichszwecke von einer unentgeltlichen Nutzung 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 235. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Nr. 235.

818

Andresen

F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.397 Kap. 11

auszugehen. Derjenige, der einen Vermögenswert besitzt und diesen dem Leistenden für dessen Leistungserstellungsprozess zur Verfügung stellt, möchte für die daraus empfangene Leistung insoweit kein Entgelt entrichten, als dieses auf die zur Verfügung gestellten Vermögenswerte entfällt bzw. noch eine Gewinnkomponente enthält. Ein durch Hin- und Her-Verrechnung inflationierter Verrechnungspreis entspricht nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz und darf deshalb auch nicht unter dem Deckmantel des AOA Eingang in die Einkünfteabgrenzung von Betriebsstätten finden. c) Vergütung für die Übernahme oder das Management von Risiken Verprobung der Vergütung für die Übernahme von Risiken durch die Vertreterbetriebsstätte. Wenn und soweit es tatsächlich dazu kommt, dass Risiken durch Personen gemanagt werden, die in der Vertreterbetriebsstätte beschäftigt sind (beim ständigen Vertreter oder als Angestellte in der Vertreterbetriebsstätte), sind zwei verschiedene Szenarien denkbar. Zum einen kann das Personal das Management des Risikos als Dienstleitung ausüben und dafür ein angemessenes Entgelt verlangen. Ein aktuelles Beispiel für eine solche Konstellation ist die Übernahme des Risikomanagements von Kreditportfolien, die auf Bad Banks übertragen worden sind, die jedoch noch nicht über das Personal verfügen, die Kreditrisiken zu managen, indem Desinvestitionsentscheidungen getroffen werden, Risiken durch Neuabschluss von Sicherungsgeschäften begrenzt werden etc. Zum anderen kann der Vertreterbetriebsstätte tatsächlich das Risiko zuzuordnen sein. Dann ist der Vertreterbetriebsstätte aus dem Zahlungsstrom, der für die Übernahme des Risikos vereinnahmt wird, das Äquivalent einer Prämie für den erwarteten Verlust,1 den (statistisch) unerwarteten Verlust2 und für anfallende Verwaltungsleistungen3 zuzurechnen. Es kommt also darauf an, welche Art von Geschäftsbeziehung vorliegt. Erbringt die Vertreterbetriebsstätte eine Dienstleistung, muss sie ein Dienstleistungsentgelt erhalten, bei Übernahme eines Risikos ein Entgelt, das sich aus den Komponenten erwarteter Verlust („expected loss“), Dienstleistungsgebühr („administration fee“) und unerwarteter Verlust bzw. eine Verzinsung des für den unerwarteten Verlust vorgehaltenen Eigenkapitals („unexpected loss“) zusammensetzen muss und entweder über einen tatsächlichen oder einen hypothetischen Fremdvergleich zu verproben ist.

11.396

5. Einkünfteabgrenzung bis 31.12.2014 Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.1.2013 beginnen. In Ermangelung eines allgemeinen Abgrenzungsmaßstabs im Einkommensteuerrecht oder anderen Steuergesetzen, hat sich die Ermittlung der Höhe der Einkünfte einer Vertreterbetriebsstätte für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.1.2013 beginnen, am Veranlassungsprinzip zu orientieren. Andere Auffassungen im Schrifttum,4 die eine Rechtsgrundlage für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes

1 Der erwartete Verlust („expected loss“) ist das Produkt aus der Ausfallwahrscheinlichkeit („probability of default“) und dem erwarteten prozentualen Anteil des tatsächlichen Ausfallbetrags am maximalen Ausfallbetrag („loss given default“). 2 Da der statistisch unerwartete Verlust nicht durch Rückstellungen, sondern durch Eigenkapital zu kompensieren ist, muss die Übernahme des unerwarteten Verlusts durch die marktgerechte Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals entgolten werden. 3 Die dritte Komponente ist die Vergütung der Personalkosten dieses Bereichs ausgedrückt als Prozentsatz auf den im Risiko stehenden Betrag. 4 Vgl. Mitschke, IStR 2010, 95; Mitschke, IStR 2010, 211; Mitschke, IStR 2011, 294; dagegen Körner, IStR 2009, 741; Körner, IStR 2010, 208; Körner, IStR 2011, 527.

Andresen 819

11.397

Kap. 11 Rz. 11.397

Sonderfälle

mit impliziter Gewinnrealisierung im Innenverhältnis sehen, sind als unzutreffend abzulehnen. Nach dem Veranlassungsprinzip sind der Vertreterbetriebsstätte nur die Erträge und Aufwendungen zuzuordnen, die durch deren Tätigkeit veranlasst sind.1 Daraus folgt, dass die Umsatzerlöse aus den für Rechnung des Prinzipals vorgenommenen Warenverkäufen der Betriebsstätte genauso wenig zuzuordnen sind wie die Einstandskosten für die vom Prinzipal bezogenen Waren. Dies wird durch das BFH-Urteil vom 13.11.1990 für ausländische Montagebetriebsstätten bestätigt. Das BFH-Urteil vom 30.6.2005 bestätigt dies mit folgendem Wortlaut für Tankstellenverwalter für Mineralölunternehmen: „Überlässt ein Mineralölunternehmen […] Tankstellenverwaltern als selbständigen Handelsvertretern [Tankstellen] zum Betrieb, sind die Tankstellen nicht – auch nicht teilweise – (Vertriebs-)Betriebsstätten des Mineralölunternehmens, sondern ausschließlich (Handels-)Betriebsstätten der Tankstellenverwalter.“2

Danach sind Liefergewinn und Montagegewinn bzw. Gewinn aus der Vertreter- bzw. Kommissionärstätigkeit getrennt zu beurteilen.3 Das Entgelt einer Vertreterbetriebsstätte kann nur dann über eine Vermittlungsprovision hinausgehen, wenn der ständige Vertreter im Rahmen seiner Geschäftsbesorgung über die Kontaktanbahnung zu Kunden hinaus zusätzliche Tätigkeiten für den Vertretenen ausübt (Funktionen übernimmt) oder zusätzliche Risiken eingeht. Dies gilt sowohl für den Handelsvertreter als auch für den Kommissionär. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich der ständige Vertreter als Unternehmer für zusätzliche Tätigkeiten und die Übernahme zusätzlicher Risiken vom Vertretenen marktgerecht entgelten lassen wird. Dieses Entgelt (Umsatzerlöse bzw. sonstige betriebliche Erträge) ist der Prüfung der Buchhaltungspflicht nach § 141 Abs. 1 Satz 1 AO zugrunde zu legen. Der Vertreterbetriebsstätte ist daher lediglich ein Entgelt für die Erbringung ihrer Vermittlungstätigkeit zuzurechnen, ggf. ergänzt um Entgeltkomponenten für andere darüber hinausgehende Dienstleistungen und/oder für die Übernahme zusätzlicher Risiken. Für die durch Reiseleiter im Ausland begründeten Betriebsstätten hat der BFH entschieden, dass ihnen als Erlös das Entgelt zuzuordnen ist, das eine ausländische Reiseagentur für eine gleichartige Tätigkeit erhalten hätte.4 Für die inländische Betriebsstätte eines ausländischen Generalagenten hat der BFH Zweifel an der Zulässigkeit der indirekten Methode geäußert.5 Deren Anwendung sei vor allem deshalb kritisch zu betrachten, weil sie den Anschein einer anteiligen Liefergewinnbesteuerung erweckt, auch wenn ihre Ergebnisse nach Abkommensrecht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz i.S. des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA übereinstimmen müssen.6 Die an den Vertreter zu leistende Vergütung ist nach h.M. bei der Vertreterbetriebsstätte als Aufwand abzusetzen.7 Der Vertreterbetriebsstätte ist somit ein Anteil an den Erträgen und Aufwendungen des Gesamtunternehmens aus dem von der Vertreterbetriebsstätte besorgten Geschäft zuzuordnen. Dieser Anteil darf jedoch nicht den Gewinn unterschreiten, der sich ergibt, wenn die Vertreter-

1 Vgl. für inländische Betriebsstätten BFH v. 18.12.2002 – I R 92/01 = BFH/NV 2003, 964 = FR 2003, 842 = IStR 2003, 388 m. Anm. Wassermeyer – unter II.2.d); für ausländische Betriebsstätten BFH v. 21.4.1971 – I R 200/67, BStBl. II 1971, 743 – unter II.5.; v. 28.3.1985 – IV R 80/82, BStBl. II 1985, 405 = FR 1985, 543 – unter 2. 2 BFH v. 30.6.2005 – III R 47/03, BStBl. II 2006, 78 = FR 2006, 95 (1. Leitsatz). 3 Vgl. BFH v. 13.11.1990 – VIII R 152/86, BStBl. II 1991, 94 (96) = FR 1991, 117. 4 Vgl. BFH v. 28.3.1985 – IV R 80/82, BStBl. II 1985, 405 = FR 1985, 543 – unter 2. 5 Vgl. BFH v. 28.6.1972 – I R 35/70, BStBl. II 1972, 785 – unter II.3. 6 Vgl. Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2014. 7 Vgl. Sieker, BB 1996, 981 (983) m.w.N.; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 216.

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F. Vertreterbetriebsstätte

Rz. 11.398 Kap. 11

betriebsstätte fiktiv eine angemessene Vergütung für ihre Vermittlungstätigkeit1 erhält und davon die tatsächlich an den ständigen Vertreter gezahlte Vermittlungsprovision abgezogen wird. Die Angemessenheit der Vergütung im Innenverhältnis zwischen Unternehmen und seiner Vertreterbetriebsstätte hat sich nach einschlägiger Rechtsprechung an den Tätigkeiten2 und damit an den übernommenen Funktionen3 zu orientieren. Mit Einführung des AOA bedeutet dies, dass auf die Tätigkeiten bzw. Funktionen abzustellen ist, die durch die Personen tatsächlich ausgeübt werden, die jeweils qua Arbeitsvertrag oder wirtschaftlicher Arbeitnehmerstellung beim ständigen Vertreter oder dem vertretenen Unternehmen angestellt sind (s. dazu Rz. 11.364 ff.). Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen. Auch nach dem 1.1.2013 stellt sich die Situation hinsichtlich des Abstellens auf Funktionen und Risiken nicht wesentlich anders dar. Für diese Zeiträume sind § 1 Abs. 4 und 5 AStG i.d.F. des JStG 2013 anzuwenden.4 Danach sind Geschäftsvorfälle zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und einem für sein Unternehmen im anderen Staat handelnden ständigen Vertreter Geschäftsbeziehungen i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG (sog. anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen). Wenn und soweit die Bedingungen, insbesondere die Verrechnungspreise in diesen anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen, die der Aufteilung der Einkünfte zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder der Ermittlung der Einkünfte der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens zugrunde gelegt werden, nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden, sind § 1 Abs. 1, 3 und 4 AStG entsprechend anzuwenden.5 Dabei ist der ständige Vertreter wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln. Eine andere Behandlung ständiger Vertreter nach § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG i.d.F. des JStG 2013 ist nicht geboten, weil ein ständiger Vertreter dem Unternehmen des Vertretenen nicht tatsächlich zugehörig ist. Die Behandlung des ständigen Vertreters als eigenständiges und unabhängiges Unternehmen erfordert nach § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG i.d.F. des JStG 2013 zunächst die Zuordnung 1. der Funktionen des vertretenen Unternehmens, die durch das Personal des ständigen Vertreters ausgeübt werden (s. Rz. 11.364 ff.), 2. der Vermögenswerte des vertretenen Unternehmens, die der ständige Vertreter zur Ausübung seiner Vertretungsfunktion benötigt (s. Rz. 11.370 ff.), 3. der Chancen und Risiken des vertretenen Unternehmens, die der ständige Vertreter aufgrund der von ihm ausgeübten Funktionen und der ihm zugeordneten Vermögenswerte übernimmt (s. Rz. 11.375), und 4. angemessenen Eigenkapitals (Dotationskapital) des Unternehmens (s. Rz. 11.378 f.) zum ständigen Vertreter. 1 Ggf. ergänzt um ein Entgelt für weitere Dienstleistungen oder die Übernahme zusätzlicher Risiken. 2 Vgl. BFH v. 18.12.2002 – I R 92/01, BFH/NV 2003, 964 = FR 2003, 842 = IStR 2003, 388 m. Anm. Wassermeyer – unter II.2.d). 3 Vgl. zur Bedeutung des funktionalen Zusammenhangs bei Betriebsstätten BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563 = FR 1996, 151 – unter II.5. 4 Vgl. § 21 Abs. 20 Satz 3 AStG i.d.F. des JStG 2013 bzw. den danach jeweils geltenden Gesetzesfassungen unter Einschluss des AOA. 5 Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG i.d.F. des JStG 2013.

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11.398

Kap. 11 Rz. 11.399

Sonderfälle

Das Ergebnis dieses Zuordnungsprozesses ist jeweils eine Vermögensaufstellung (Bilanz) des ständigen Vertreters und des Vertretenen. Auf der Grundlage dieser Vermögensaufstellungen soll in einem zweiten Schritt bestimmt werden, ob und wenn ja, welche Art von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Stammhaus und Vertreterbetriebsstätte im jeweiligen Veranlagungszeitraum stattgefunden haben (§ 1 Abs. Abs. 5 Satz 4 AStG i.d.F. des JStG 2013). Darüber hinaus ist die jeweilige Vergütung für diese anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zu bestimmen und ihre Angemessenheit zu verproben bzw. zu belegen durch einen geeigneten Fremdvergleich. Diese Vorschrift, die in einer Vielzahl von Fällen eine Gewinnrealisierung im Innenverhältnis zur Folge haben dürfte, wird im Verhältnis zu DBA-Partnerstaaten in ihrer Wirkung von diesen DBA begrenzt. Die Reichweite der Begrenzung hängt in starkem Maße davon ab, wann das einschlägige DBA abgeschlossen worden ist und welchen Wortlaut es enthält, da zumindest die deutsche Finanzrechtsprechung von einer statischen Auslegung von DBA ausgeht.1

V. Einkünfteabgrenzung der Vertreterbetriebsstätte im Doppelbesteuerungsrecht 11.399 Vor 2008 abgeschlossene DBA mit eingeschränkter Selbständigkeitsfiktion. DBA, die vor dem 17.7.2008 von Deutschland abgeschlossen worden sind, sind einer Auslegung nach dem OECD-MK zu Art. 7 und dem OECD-Betriebsstättenbericht 2008 in der Fassung vom 17.7.2008 noch nicht zugänglich. Für sie gilt die Altkommentierung zum OECD-MA 2003. Gemäß Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2003 ist eine Einkünftekorrektur auf der Grundlage nationalen Rechts insoweit vom Abkommen gedeckt,2 als sie den Gewinn einer Vertreterbetriebsstätte nicht unter den Gewinn sinken lässt, den sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre. Die DBA enthalten keine Definition des Terminus Gewinn, so dass für dessen Ermittlung auf das jeweilige nationale Recht zurückzugreifen ist.3 Aus den unterschiedlichen Gewinnermittlungsvorschriften resultiert die latente Gefahr von Doppelbesteuerungen, weil der für Zwecke der Anwendung nationalen Steuerrechts ermittelte Gewinn nicht mit demjenigen des DBA-Partnerstaats übereinstimmen muss.4 Vernachlässigt man die Einnahmen-Überschussrechnung und Sondervorschriften wie § 5a und § 13a EStG, so ist der Gewinn der Unterschiedsbetrag i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, der sich im Wesentlichen aus Vermögensmehrungen (Erträge) und Vermögensminderungen (Aufwendungen) zusammensetzt. Erträge und Aufwendungen sind der Vertreterbetriebsstätte dem Grunde nach zuzurechnen, wenn sie von dieser erwirtschaftet worden sind. Obwohl Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2014 die Zuordnung von Geschäftsführungs- und allgemeinen Verwaltungskosten 1 Vgl. BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, FR 2011, 1175 m. Anm. Kempermann = DStR 2011, 1553 (1555); v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, IStR 2011, 345 (349); v. 8.12.2010 – I R 92/09, FR 2011, 723 = IStR 2011, 269 (270); v. 19.5.2010 – I B 191/09, BStBl. II 2011, 156; dagegen Lampert, IStR 2012, 513 (518); a.A. OFD-Verfg. Frankfurt/M. v. 18.4.2017 – S 1300 A-123-St 517, in Beck Verw 342129. 2 Siehe zur rechtlichen Qualität von DBA BFH v. 12.3.1980 – I R 186/76, BStBl. II 1980, 531 = FR 1980, 360 – unter 4. m.w.N. 3 Vgl. Hemmelrath in V/L6, Art. 7 OECD-MA Rz. 21. 4 Vgl. zu den Bemühungen um eine einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage in der EU Spengel, IStR 2003, 29; Spengel, IStR 2003, 67; die OECD sieht diese Gefahr insbesondere auch für Vertreterbetriebsstätten: vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 228.

822

Andresen

G. Förder- und Explorationsbetriebsstätten

Rz. 11.401 Kap. 11

zu Betriebsstätten erlaubt, wäre vor deren anteiliger Zuordnung zu einer Vertreterbetriebsstätte zu prüfen, ob diese Kosten tatsächlich für diese entstanden sind. Letztlich wäre bei anteiliger Zuordnung sicherzustellen, dass über die Zuordnung eines entsprechend höheren Anteils an den Erträgen eine Bruttomarge bei der Vertreterbetriebsstätte verbleibt, der nach Abzug aller Aufwendungen – auch der u.U. nicht zu verantwortenden allgemeinen Verwaltungskosten – ein angemessener Nettoertrag verbleibt. Was die Höhe der zuzurechnenden Erträge und Aufwendungen betrifft, so gilt der Fremdvergleichsgrundsatz für Innentransaktionen lediglich insoweit, als das Gesamtunternehmen einen Gewinn oder Verlust realisiert hat. Dies ergibt sich aus der Formulierung des Art. 7 Abs. 1 OECD-MA 2014 („Gewinn des Unternehmens“).1 Die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2014 erfährt insoweit eine Einschränkung, weil eine weite Auslegung der Selbständigkeitsfiktion dem Prinzip der rechtlichen Einheit von Stammhaus und Betriebsstätte widersprechen würde. Für die Erträge der Vertreterbetriebsstätte bedeutet dies, dass ihr diese dann zuzurechnen sind, wenn der Außenumsatz verwirklicht ist. Das Gleiche gilt für den davon abzusetzenden Aufwand der Vertreterbetriebsstätte. Manche Vereinbarungen sehen vor, dass der ständige Vertreter sein Honorar erst zu dem Zeitpunkt erhält, zu dem feststeht, dass der vermittelte Kunde seine Schuld gegenüber dem vertretenen Unternehmen tatsächlich beglichen hat. Auch in diesen Fällen ist der Aufwand der Vertreterbetriebsstätte im Zeitpunkt der Buchung und nicht erst im Zeitpunkt der Zahlung durch den Kunden zuzuordnen. Dies muss dann auch für die Zuordnung des Provisionsertrags zur Vertreterbetriebsstätte gelten, weil für deren Risikoposition nichts anderes als im Verhältnis zwischen dem vertretenen Unternehmen und dessen ständigem Vertreter gelten darf.2 Nach 2008 abgeschlossene DBA mit erweiterter Selbständigkeitsfiktion. DBA, die von Deutschland nach dem 17.7.2008 abgeschlossen worden sind, sind nach dem OECD-MK zu Art. 7 von 2008 und dem OECD-Betriebsstättenbericht 2008 auszulegen, der eine erweiterte Selbständigkeitsfiktion für Betriebsstätten vorsieht.

11.400

Nach 2010 abgeschlossene DBA mit Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2014. DBA mit dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2014, die nach dem 22.7.2010 abgeschlossen worden sind, sind nach Maßgabe des OECD-MK 2010 zu Art. 7 OECD-MA und des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 auszulegen. Daneben ist jedoch auch zu prüfen, ob und inwieweit die innerstaatlichen Korrekturvorschriften auf den zu beurteilenden Sachverhalt Anwendung finden und ob diese Anwendung nicht auf rechtliche Grenzen stößt, weil z.B. der andere Staat den AOA nicht anwendet.

11.401

G. Förder- und Explorationsbetriebsstätten I. Besonderheiten bei Explorationen und Förderungen . . . . . . . . . . . . . . . 11.402

III. Betriebsstätten im Rahmen der Prospektion und der Exploration . . 11.409

II. Betriebsstätten im Rahmen der Projektverfolgung und der Akquisition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.407

IV. Betriebsstätten im Rahmen der Entwicklung und Förderung . . . . . . 11.411

1 So Hemmelrath in V/L6, Art. 7 OECD-MA Rz. 69–71. 2 Vgl. zur handelsbilanziellen Behandlung Clemm/Scherer in BeckBilanzkomm8, § 247 HGB Rz. 80, 82 ff. i.V. mit Rz. 89 – Waren, Kommissionsgeschäft, Rz. 95 ff. – Werkverträge, Rz. 99 ff. – Dienstleistungen; anders ist dies bei Versicherungen, bei denen es gem. § 92 Abs. 4 HGB auf die Zahlung ankommt: BFH v. 17.3.2010 – X R 28/08, BFH/NV 2010, 2033.

Andresen/Ditz 823

Kap. 11 Rz. 11.402

Sonderfälle

I. Besonderheiten bei Explorationen und Förderungen 11.402 Phasen der Suche und Förderung von Bodenschätzen. Das Geschäft der Aufsuchung und Förderung von Bodenschätzen lässt sich in drei wesentliche Phasen unterteilen:1

11.403 Projektverfolgung und Akquisition (Phase 1). In der ersten Phase der Projektverfolgung oder der Akquisition werden Länder oder bestimmte Gebiete hinsichtlich geologischer, wirtschaftlicher und politischer Grundlagen analysiert. Ergebnis dieser grundlegenden Analysen ist die Identifikation potentiell aussichtsreicher Rohstoffvorkommen. Im positiven Fall endet diese Phase mit dem Entschluss, konkrete Explorationen durchzuführen.

11.404 Prospektion und Exploration (Phase 2). Die zweite Phase der Prospektion und der Exploration konzentriert sich auf die Untersuchung eines konkreten Gebiets, das im Rahmen der Projektverfolgung als aussichtsreich identifiziert worden ist (sog. Höffigkeit).2 Hierfür ist es in der Regel erforderlich, bei den zuständigen Behörden Genehmigungen einzuholen bzw. entsprechende Rechte zu erwerben und/oder mit den Eigentümern der interessierenden Gebiete Verträge über die Exploration und ggf. auch bereits die Produktion/Förderung abzuschließen. In diesem Zusammenhang wird häufig ein Production Sharing Agreement (auch als Production Sharing Contract oder Exploration and Production Sharing Agreement bezeichnet) abgeschlossen.3 Dabei handelt es sich um einen zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vertrag, in dem in der Regel folgende Rechte und Pflichten vereinbart werden: – Ein Staat mit Bodenschätzen erteilt einem oder mehreren Erdöl- oder Erdgasunternehmen eine oder mehrere Erdöl- oder Ergaskonzessionen. – Im Erfolgsfall verpflichtet sich das Erdöl- oder Ergasunternehmen, die Erdöl- bzw. Erdgasproduktion nach einem festgelegten Schlüssel mit dem Förderstaat zu teilen. Im Rahmen der Prospektion findet zunächst eine Vorerkundung statt. So wird bspw. nach Gesteinsformationen gesucht, die solchen gleichen, in denen bereits erfolgreich Bodenschätze gefördert worden sind. Hierfür werden u.a. geologische, geophysische, petrophysische, paleontologische und geochemische Erkenntnisse gebündelt.4 Darauf folgt die eigentliche Exploration des Gebiets, um ein lokalisiertes Rohstoffvorkommen abzugrenzen. Dies beinhaltet etwa seismische Messungen und Explorationsbohrungen. Hierdurch soll das Vorhandensein der vermuteten Bodenschätze weiter validiert werden. Darüber hinaus wird der Umfang des Vorkommens abgeschätzt und bestimmt, wie diese Rohstoffe am effizientesten ausgebeutet werden können. Schließlich wird geprüft, ob die gefundenen Reserven auch wirtschaftlich rentabel gefördert und transportiert werden können. Die Explorationsphase endet mit Eintritt der wirtschaftlichen Fündigkeit, d.h., wenn das Vorkommen wirtschaftlich ausgebeutet werden kann.

11.405 Entwicklung und Förderung (Phase 3). Die dritte Phase (Entwicklung und Produktion bzw. Förderung) besteht aus dem Aufbau der Förder-, Aufbereitungs- und Transportanlagen. Daran anschließend werden die Rohstoffe gefördert und abgebaut. Beispielsweise umfasst dies bei der Erschließung von Ölvorkommen die Verrohrung fündiger Bohrungen, das Bohren 1 Vgl. grundsätzlich BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.7; Schlumberger Oilfield Glossary, http://www.glossary.oilfield.slb.com/. 2 Vgl. auch Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 574. 3 Vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Tz. 2.6.2, Rz. 387 – im Folgenden VWG BsGa. 4 Vgl. Schlumberger Oilfield Review 2011, 59.

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Ditz

G. Förder- und Explorationsbetriebsstätten

Rz. 11.408 Kap. 11

weiterer Löcher sowie die Förderung des Öls durch Pumpen oder Einpressen von Wasser oder Gas.1 Spätestens zu Beginn dieser Phase müssen die für die Förderung benötigten Genehmigungen erteilt bzw. Abbaurechte erworben worden sein. Begründung von Betriebsstätten bei Exploration und Förderung. Für die Frage nach der Begründung einer Betriebsstätte durch Explorationen und Förderungen ist zum einen nach den oben dargestellten Phasen zu differenzieren. Zum anderen können sich Unterschiede daraus ergeben, ob die Aufsuchung und Förderung von Bodenschätzen von den Unternehmen (Bergbauunternehmen, Erdöl-/Erdgasunternehmen) selbst bzw. von Zusammenschlüssen derartiger Unternehmen oder in deren Auftrag von spezialisierten Unternehmen ausgeführt werden.

11.406

II. Betriebsstätten im Rahmen der Projektverfolgung und der Akquisition Keine Begründung von Betriebsstätten in Phase 1 (Projektverfolgung und Akquisition). Die erste Phase, d.h. die Projektverfolgung und Akquisition, führt weder nach innerstaatlichem Recht noch nach Abkommensrecht zur Begründung einer Betriebsstätte.2 In dieser Phase besteht in der Regel weder eine feste Geschäftseinrichtung i.S.d. § 12 Satz 1 AO, noch liegt eine Betriebsstätte gem. § 12 Satz 2 Nr. 7, 8 AO vor. Denn durch die Projektverfolgung und Akquisition wird mangels tatsächlicher Förderung weder eine Stätte zur Gewinnung von Bodenschätzen begründet, noch werden Bautätigkeiten oder Montageleistungen erbracht, die eine Bau- und Montagebetriebsstätte begründen könnten.3 Darüber hinaus fordert auch Art. 5 Abs. 1 OECD-MA das Vorliegen einer festen Geschäftseinrichtung, die im Rahmen der Projektverfolgung und Akquisition im Quellenstaat regelmäßig nicht begründet wird. Zudem sind die Projektverfolgung und Akquisition in der Regel als Tätigkeiten vorbereitender Art oder Hilfstätigkeit zu charakterisieren, weshalb Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA einer Betriebsstätte entgegensteht.4

11.407

Keine Gewinnabgrenzung bzw. gesonderte Gewinnermittlung in Phase 1 (Projektverfolgung und Akquisition). Da im Rahmen der Phase 1 in der Regel keine Betriebsstätte begründet wird, sind alle Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Projektverfolgung und Akquisition entstehen, beim inländischen Stammhaus als steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben zu behandeln.5 Kommt es im Rahmen der Phase 1 zu der Entwicklung bzw. Anschaffung von Wirtschaftsgütern oder sonstigen Vorteilen (Vermögenswerten), so sind diese dem Stammhaus zuzuordnen.

11.408

Beispiel: Die niederländische Aardgas B.V. erwägt die Förderung von Erdgas im sog. „Entenschnabel“, der ausschließlichen Wirtschaftszone6 der Bundesrepublik Deutschland in der Nordsee. Zu diesem Zweck holt die Aardgas B.V. Erkundigungen über die dortigen rechtlichen Rahmenbedingungen (z.B. den Genehmigungsprozess und die damit verbundenen Auflagen) in Deutschland ein. Zudem beschafft sich die Gesellschaft Informationen über die bekannten Förderungen in diesem Gebiet, de-

1 2 3 4 5 6

Vgl. Schlumberger Oilfield Glossary, http://www.glossary.oilfield.slb.com/. Vgl. VWG BsGa, Rz. 389. Vgl. Musil in H/H/Sp, § 12 AO Rz. 25, 32 ff., 35 ff. Vgl. Hruschka in S/D, Art. 5 OECD-MA Rz. 32, 118 ff. Vgl. Schoss in FS Krawitz, 411 (419). Vgl. die Bekanntmachung der Proklamation der Bundesrepublik Deutschland über die Errichtung einer ausschließlichen Wirtschaftszone der Bundesrepublik Deutschland in der Nordsee und in der Ostsee vom 25.11.1994, BGBl. II 1994, 3769.

Ditz 825

Kap. 11 Rz. 11.409

Sonderfälle

ren Ergiebigkeit sowie möglicherweise noch auszubeutende Gebiete. Ergebnis dieser Bemühungen ist der Entschluss der Aardgas B.V., Explorationstätigkeiten in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone aufzunehmen. Lösung: Mit ihren Tätigkeiten verfolgt die Aardgas B.V. lediglich ein Projekt, ohne dass bereits konkrete Tätigkeiten im potentiellen Fördergebiet aufgenommen werden. Eine Betriebsstätte begründet die Gesellschaft hierdurch in Deutschland nicht. Denn die Voraussetzungen des § 12 AO werden durch die Tätigkeiten der Gesellschaft nicht erfüllt. Ungeachtet dessen würde auch Art. 5 Abs. 1 DBADeutschland/Niederlande der Begründung einer Betriebsstätte entgegenstehen, da vorliegend keine feste Geschäftseinrichtung der Aardgas B.V. im deutschen Hoheitsgebiet existiert. Nichts anderes gilt auch für Sonderregelung des Art. 5 Abs. 4 DBA-Deutschland/Niederlande, wonach eine „Tätigkeit vor der Küste“, die mindestens 30 Tage innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten ausgeübt wird, eine Betriebsstätte begründet. Dann tatsächlich wird die Aardgas B.V. nicht vor der deutschen Küste tätig. Schließlich steht Art. 5 Abs. 7 DBA-Deutschland/Niederlande der Begründung einer Betriebsstätte entgegen, da die Projektverfolgung durch die Aardgas B.V. lediglich eine Tätigkeit vorbereitender Art darstellt.

III. Betriebsstätten im Rahmen der Prospektion und der Exploration 11.409 Grundsätzlich keine Begründung von Betriebsstätten durch Exploration. Auch die zweite Phase, d.h. die Explorationstätigkeit, führt in der Regel nicht zur Begründung einer Betriebsstätte.1 Denn hierfür ist nach innerstaatlichem Recht grundsätzlich eine feste Geschäftseinrichtung erforderlich (§ 12 Satz 1 AO). Eine solche liegt typischerweise aber nicht vor, wenn das Unternehmen lediglich Vorerkundungen, seismische Messungen oder Probebohrungen durchführt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Explorationstätigkeit die Voraussetzungen der Bau- und Montagebetriebsstätte nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO erfüllt, d.h., – die einzelne Exploration oder – eine von mehreren zeitlich nebeneinander durchgeführten Explorationen oder – mehrere ohne Unterbrechung aufeinander folgende Explorationen länger als sechs Monate dauern.2 Darüber hinaus muss nach Art. 5 Abs. 3 OECD-MA die Dauer einer Bau- und Montagebetriebsstätte zwölf Monate überschreiten.3 Zudem kann abkommensrechtlich der Negativkatalog des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA – insbesondere Buchst. e bei Tätigkeiten vorbereitender Art oder Hilfstätigkeiten – der Begründung einer Betriebsstätte entgegenstehen. Vor diesem Hintergrund ist abkommensrechtlich bei Explorationstätigkeiten wie folgt zu differenzieren: Führt ein Unternehmen, das eine spätere Förderung der Bodenschätze beabsichtigt, in einem DBA-Staat selbst Explorationstätigkeiten durch, so wird hierdurch in der Regel auch dann keine Betriebsstätte begründet, wenn die Dauer dieser Tätigkeit zwölf Monate überschreitet. Denn die Explorationstätigkeit ist als Tätigkeit vorbereitender Art bzw. Hilfstätigkeit zu qualifizieren, die nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-

1 Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 389. 2 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.7.1.1; Anwendungserlass zur Abgabenordnung v. 31.1.2014, BStBl. I 2014, 290, zu § 12, Tz. 2; Buciek in Beermann/Gosch, § 12 AO Rz. 37 ff.; Drüen in Tipke/Kruse, § 12 AO Rz. 30; Musil in H/H/Sp, § 12 AO Rz. 33; Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 573 m.w.N. Siehe auch Gersch in Klein, § 12 AO Rz. 16, zur Begründung einer Betriebsstätte nach § 12 Satz 1 AO, wenn die Exploration Hauptaufgabe des Unternehmens ist. 3 Vgl. Hruschka in S/D, Art. 5 OECD-MA Rz. 72; Rehfeld in G/K/G, Art. 5 OECD-MA Rz. 69.

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Ditz

G. Förder- und Explorationsbetriebsstätten

Rz. 11.410 Kap. 11

MA nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führt.1 Steht das Abkommensrecht einer Betriebsstätte entgegen, so besitzt Deutschland in Outbound-Fällen das uneingeschränkte Besteuerungsrecht auf die entsprechenden Unternehmensgewinne. Aufwendungen im Zusammenhang mit der Explorationstätigkeit sind in Deutschland voll abzugsfähig. Dies gilt auch für gewerbesteuerliche Zwecke, da § 9 Nr. 3 GewStG mangels Betriebsstätte nach § 12 AO nicht einschlägig ist. (Immaterielle) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile, z.B. ein durch Genehmigungen o.Ä. erworbenes Explorationsrecht, sind dem deutschen Stammhaus zuzuordnen. Begründung von Betriebsstätten durch „Auftragsexploration“. Auch im Rahmen von Explorationstätigkeiten kann eine Betriebsstätte begründet werden, wenn ein Unternehmen diese für Dritte ausführt und in dieser Tätigkeit der Hauptunternehmenszweck (d.h., es handelt sich um ein spezialisiertes „Explorationsunternehmen“) zu sehen ist. Denn in diesen Fällen handelt es sich nicht um eine Tätigkeit vorbereitender Art oder eine Hilfstätigkeit.2 Beispiel: Die Bergbau AG mit Sitz in Deutschland hat sich auf die Erbringung von Explorationstätigkeiten gegenüber fremden Dritten spezialisiert. Im Auftrag der Gold Rush Ltd. soll sie neue Goldfördergebiete in Australien ausfindig machen. Nach ersten wirtschaftlichen und politischen Analysen beantragt und erhält die Bergbau AG das Explorationsrecht für das von ihr ins Auge genommene Gebiet. Die Gesellschaft entsendet Spezialisten mit den notwendigen Spezialgeräten in das Gebiet, die dort geologische Analysen und u.a. Probebohrungen durchführen; hierfür wird ein Zeitraum von 14 Monaten veranschlagt und tatsächlich benötigt.3 Lösung: Die Tätigkeiten der Bergbau AG begründen in Australien sowohl nach § 12 Nr. 8 AO als auch nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. h DBA-Deutschland/Australien eine Bau- und Montagebetriebsstätte. Daher steht Australien nach Art. 7 Abs. 2 DBA-Deutschland/Australien das Besteuerungsrecht an den Gewinnen der australischen Betriebsstätte zu. Infolgedessen bedarf es einer Gewinnermittlung für die australische Betriebsstätte der Bergbau AG. Hierfür ist zunächst eine Funktions- und Risikoanalyse sowie Zuordnung der ausgeübten Personalfunktionen erforderlich. Daraus geht hervor, dass das inländische Stammhaus als funktionsstarker Entrepreneur, die Betriebsstätte hingegen als Routineunternehmen anzusehen ist. Da es sich bei der Betriebsstätte um eine Bau- und Montagebetriebsstätte handelt, sind vorrangig vor den Zuordnungsregeln der §§ 5 ff. BsGaV die Sonderregeln der §§ 30 ff. BsGaV anzuwenden. Demnach sind die Spezialgeräte, obwohl sie vor Ort genutzt werden, dem inländischen Stammhaus zuzuordnen. Denn nach § 31 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 BsGaV ist ein materielles Wirtschaftsgut, das in einer Bau- und Montagebetriebsstätte genutzt wird, dieser nur dann zuzuordnen, wenn dort neben der Nutzung zusätzlich auch Personalfunktionen, die im Zusammenhang mit der Anschaffung, Herstellung, Veräußerung oder Verwertung des materiellen Wirtschaftsguts stehen, ausgeübt werden. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall, da die Spezialgeräte vom deutschen Stammhaus angeschafft wurden. Die Geräte gelten daher nach § 31 Abs. 2 BsGaV der Betriebsstätte als unentgeltlich beigestellt. Entsprechendes gilt nach § 31 Abs. 3 BsGaV auch für das Explorationsrecht, welches einen Vermögenswert nach § 2 Abs. 6 BsGaV darstellt. Die Tätigkeit der Bau- und Montagebetriebsstätte führt nach § 32 Abs. 1 BsGaV zu einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung mit dem Stammhaus, die als Dienstleistungen gegenüber dem Stammhaus abzurechnen ist. Der Verrechnungspreis hierfür ist in der Regel nach der Kostenaufschlagsmethode zu

1 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 85; Schoss in FS Krawitz, 419; VWG BsGa, Rz. 389. 2 Vgl. Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 573 (574) m.V.a. Görl in V/L6, Art. 5 OECD-MA Rz. 69; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 85; Heinsen in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, 64; Rehfeld in G/K/G, Art. 5 OECD-MA Rz. 79. 3 Vgl. Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 573 (577 ff.).

Ditz 827

11.410

Kap. 11 Rz. 11.411

Sonderfälle

bestimmen; die Kostenbasis der Betriebsstätte besteht insbesondere aus allen für die Erbringung ihrer Tätigkeit (Personalfunktionen) erforderlichen Personalkosten. Da die Tätigkeit der Betriebsstätte der eines Routineunternehmens entspricht, steht ihr hieraus ein dementsprechend geringer, aber stabiler Gewinn zu.1

IV. Betriebsstätten im Rahmen der Entwicklung und Förderung 11.411 Begründung von Betriebsstätten durch Fördertätigkeit. Mit Beginn der Förderung, d.h. der Gewinnung von Bodenschätzen, wird eine Betriebsstätte nach § 12 Satz 2 Nr. 7 AO begründet.2 Dies entspricht dem Begriff der Förderbetriebsstätte des § 35 Abs. 1 Satz 1 BsGaV. Die Betriebsstätte endet mit Abschluss der Fördertätigkeit.3 Abweichend von der allgemeinen Betriebsstättendefinition des § 12 Satz 1 AO ist die „Festigkeit“ der Geschäftseinrichtung für die Begründung einer Betriebsstätte nach § 12 Satz 2 Nr. 7 AO unerheblich. Infolgedessen werden auch Bohrinseln, Bohrschiffe, Saugbagger sowie sonstige mobile Einrichtungen erfasst.4 Voraussetzung ist allerdings immer, dass eine Verbindung zur Erdoberfläche besteht, wovon bei Fördertätigkeiten regelmäßig ausgegangen werden kann. Abkommensrechtlich führt der Beginn der Förderung von Bodenschätzen zur Begründung einer Betriebsstätte nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. f OECD-MA.5 Auch hier sind – entsprechend dem inländischen Betriebsstättenbegriff des § 12 Satz 2 Nr. 7 AO – u.a. mobile bzw. schwimmende Stätten (z.B. Bohrinseln) einzubeziehen,6 soweit deren Verbindung mit der Erdoberfläche durch die auszubeutenden Rohstoffe besteht.7 Der Begriff der Bodenschätze und Rohstoffe ist jeweils weit auszulegen.8 Im Outbound-Fall, d.h. bei Begründung einer Förderbetriebsstätte im Ausland durch ein in Deutschland ansässiges Unternehmen, verliert Deutschland insoweit das Besteuerungsrecht. Umgekehrt ist eine Förderbetriebsstätte im Inland beschränkt steuerpflichtig.

11.412 Besonderheiten bei Konsortien. Für den Fall, dass sich zwei oder mehrere Bergbau- oder Erdöl-/Erdgasunternehmen gemeinsam an einem Explorationsrecht beteiligen, bilden sie häufig ein Konsortium (vgl. auch Rz. 11.298 zu den Konsortien bei Bau- und Montagebetriebsstätten). Bei einem solchen Konsortium ist in der Regel davon auszugehen, dass das Konsortium selbst keine Förderbetriebsstätte bildet, sondern dass es sich um jeweils antei-

1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.2.a). 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 386 und 388: Die Fördertätigkeit wird mit Beginn des Aufbaus der Förderanlagen aufgenommen. 3 Vgl. auch BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 132 f.; VWG BsGa, Rz. 386. 4 Siehe auch Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 81. 5 Vgl. Görl in V/L6, Art. 5 OECD-MA Rz. 45. Hat das nunmehr den Bergbau- bzw. Förderbetrieb aufnehmende Unternehmen die Exploration selbst ausgeführt, so entfällt der vorbereitende Charakter i.S.d. Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA mit dem Beginn des Abbaus, vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 85; Rehfeld in G/K/G, Art. 5 OECD-MA Rz. 79. 6 Fraglich ist hier, wie bzw. inwieweit die Voraussetzung einer festen Geschäftseinrichtung erfüllt sein muss. 7 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 81, 83; so spricht auch der Kommentar zum OECD-MA davon, den Begriff „eine andere Stätte der Ausbeutung von Bodenschätzen“ weit auszulegen, siehe Art. 5 Tz. 14 OECD-MK 2014. Kritisch zur Begründung einer Betriebsstätte z.B. durch Ausübung von Tätigkeiten von einem Schiff Heinsen in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, 64; Hruschka in S/D, Art. 5 OECD-MA Rz. 159. 8 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 81 f.; Rehfeld in G/K/G, Art. 5 OECD-MA Rz. 77, der hilfsweise die Legaldefinition von Bodenschätzen des Bundesberggesetzes bemüht.

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Ditz

G. Förder- und Explorationsbetriebsstätten

Rz. 11.414 Kap. 11

lige Förderbetriebsstätten eines jeden Konsorten handelt.1 Von einer Mitunternehmerschaft ist nur dann auszugehen, wenn die Konsorten die geförderten Rohstoffe gemeinsam vermarkten. Beispiel: Die beiden inländischen Erdölunternehmen X und Y schließen einen Explorationsvertrag mit Großbritannien (= DBA-Fall) über ein dortiges Explorationsgebiet. Mit Abschluss dieses Vertrags gründen X und Y ein Konsortium. X übernimmt die Betriebsführerschaft (sog. Operator, der die Explorations- und Förderarbeiten durchführt), und Y leistet finanzielle Beiträge im Sinne einer Kostenbeteiligung. Den jeweiligen Anteil an den geförderten Rohstoffen vermarkten X und Y selbständig. Nach mehr als zwei Jahren Explorationstätigkeit (zum Begriff vgl. Rz. 11.404) beginnt X mit der Aufstellung der Förderanlagen. Lösung: Da die geförderten Rohstoffe nicht gemeinsam vermarktet werden, begründet das Konsortium X/Y keine Mitunternehmerschaft. Die entstandenen Kosten sind entsprechend dem Konsortialvertrag zwischen X und Y aufzuteilen und stellen bei beiden Erdölunternehmen abzugsfähige Betriebsausgaben dar. Erst mit Beginn der Aufstellung der Förderanlagen wird eine Förderbetriebsstätte begründet, wobei steuerlich zwei Förderbetriebsstätten des jeweiligen Erdölunternehmens entstehen.2 Derjenige, der das Explorationsrecht gewährt (z.B. der ausländische Staat), gehört weder zum Konsortium, noch bildet er mit den involvierten Unternehmen eine Mitunternehmerschaft.3

Gewinnermittlung bei Förderbetriebsstätten. Für die Ermittlung des Gewinns einer Förderbetriebsstätte ist nach dem AOA gem. § 1 Abs. 1 BsGaV zunächst eine Funktions- und Risikoanalyse erforderlich. Auf deren Basis sind die Personalfunktionen, die Vermögenswerte, das Dotationskapital, die Passivposten, die Geschäftsvorfälle mit fremden Dritten und anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen mit dem Stammhaus zuzuordnen bzw. zu bestimmen (§ 1 Abs. 2 BsGaV). Dabei werden durch §§ 35 ff. BsGaV Spezialregeln für Förderbetriebsstätten bestimmt, die vorrangig vor den grundsätzlichen Bestimmungen der §§ 1 bis 17 BsGaV anzuwenden sind.4 Im Einzelnen:

11.413

Zuordnung des Explorationsrechts bei Förderbetriebsstätten. Die besonderen Zuordnungsregeln für Förderbetriebsstätten betreffen in erster Linie das sog. Explorationsrecht; darunter ist das Recht zu verstehen, Bodenschätze zu suchen und zu fördern,5 bzw. die Berechtigung zur Gewinnung von bergfreien oder grundeigenen Bodenschätzen (§ 4 Abs. 6 BBergG). Dabei stehen nach § 3 Abs. 2 BBergG die sog. grundeigenen Bodenschätze (z.B. Sand, Kies, Gips, Ton, Dachschiefer, vgl. § 4 BBergG) im Eigentum des Grundeigentümers. Die sog. bergfreien Bodenschätze (u.a. Metalle, Erdöl, Erdgas, Kohle, Fluss- und Schwerspat, vgl. § 4 Abs. 3 BBergG) dürfen nur mit Erlaubnis bzw. Bewilligung der zuständigen Behörde aufgesucht bzw. gewonnen werden (§ 6 ff. BBergG). Im Grundsatz bestimmt § 36 Abs. 2 BsGaV, dass ein Explorationsrecht dem Stammhaus zuzuordnen ist und der Förderbetriebsstätte als unentgeltlich beigestellt gilt.6 Es kommt daher nicht zu einer Entstrickung.7 Nur wenn das Explorationsrecht für die Ausübung der Personalfunktionen der Förderbetriebsstätte genutzt wird und in der Förderbetriebsstätte außerdem die Personalfunktionen im Zusammenhang mit der Anschaffung oder Herstellung (Entwicklung) des Explorationsrechts ausgeübt werden, oder wenn

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Vgl. VWG BsGa, Rz. 392. Zu weiteren Erläuterungen und Beispielen vgl. VWG BsGa, Rz. 392. Vgl. VWG BsGa, Rz. 393. Vgl. VWG BsGa, Rz. 391. Vgl. § 35 Abs. 2 BsGaV; BR-Drucks. 401/14, 133; VWG BsGa, Rz. 394. Vgl. VWG BsGa, Rz. 399. Vgl. VWG BsGa, Rz. 399.

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Kap. 11 Rz. 11.414

Sonderfälle

dort der Vertrieb oder die Verwertung der gewonnenen Bodenschätze erfolgt, ist das Explorationsrecht nach § 36 Abs. 1 BsGaV der Förderbetriebsstätte zuzuordnen.1 Erforderlich ist jeweils, dass die Personalfunktionen der Förderbetriebsstätte gegenüber denen des Stammhauses „überwiegen“.2 Die Nutzung des Explorationsrechts allein stellt also nicht die maßgebliche Personalfunktion für dessen Zuordnung dar.3 Hintergrund dieser Zuordnungsregel ist die Annahme, dass ein Explorationsrecht in der Regel zu einem Zeitpunkt angeschafft wird, zu dem die (mit Beginn der Förderung entstehende) Förderbetriebsstätte noch nicht existiert.4 Darüber hinaus kann das Explorationsrecht der Förderbetriebsstätte ab dem Zeitpunkt der Aufnahme der Fördertätigkeit zugeordnet werden, ab dem nachgewiesen wird, dass der Belegenheitsstaat der Förderbetriebsstätte von einer solchen Zuordnung des Explorationsrechts ausgeht (§ 36 Abs. 3 BsGaV).5 Solches kann sich etwa aus einem mit dem Belegenheitsstaat abgeschlossenen Vertrag6 über das Explorationsrecht ergeben. § 36 Abs. 3 BsGaV ist als Öffnungsklausel zu verstehen, die der Vermeidung internationaler Besteuerungskonflikte Rechnung trägt, Rechtssicherheit für den Steuerpflichtigen schaffen soll und es der deutschen Finanzverwaltung erlaubt, der Zuordnungsentscheidung eines anderen Staats zu folgen.7 Beispiel: Die Baryte sp.z.o.o. mit Sitz in Polen hat nach grundlegenden Untersuchungen und Vorerkundungen im deutschen Erzgebirge Probebohrungen unternommen. Hierfür hat sie von den zuständigen Behörden ein Recht für Exploration und Förderung von Fluss- und Schwerspat (Fluorit und Baryt) erworben. Nach kurzer, dreimonatiger Explorationsphase beginnt die Baryte sp.z.o.o. mit der Förderung von Fluss- und Schwerspat. Diese Bodenschätze werden nach ihrer Förderung unverarbeitet zum Sitz der Gesellschaft in Polen befördert. Aus der Explorations- und Fördergenehmigung ergibt sich kein Hinweis auf eine Zuordnung der entsprechenden Rechte. Lösung: Die grundlegenden Untersuchungen, Vorerkundungen und die Exploration der Baryte sp.z.o.o. führen nicht zur Begründung einer Betriebsstätte in Deutschland. Denn die Gesellschaft hat in Deutschland hierdurch keine feste Geschäftseinrichtung unterhalten und aufgrund der kurzen Dauer der Exploration dort auch keine Bau- und Montagebetriebsstätte begründet (Art. 5 Abs. 1, Abs. 3 DBA-Deutschland/Polen). Zudem steht Art. 4 Buchst. e DBA-Deutschland/Polen einer Betriebsstätte entgegen, da die Baryte sp.z.o.o. insoweit Tätigkeiten vorbereitender Art bzw. Hilfstätigkeiten ausgeübt hat.8 Mit Aufnahme der Förderung von Fluss- und Schwerspat entsteht hingegen eine Förderbetriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 2 Buchst. f DBA-Deutschland/Polen (sowie nach § 12 Satz 2 Nr. 7 AO).9 Das noch vor Beginn der Fördertätigkeit und somit vor Begründung der Förderbetriebsstätte in Deutschland erworbene Explorationsrecht ist nach § 36 Abs. 1, 2 BsGaV dem polnischen Stammhaus zuzuordnen. Denn das Explorationsrecht wird zwar für die Ausübung von Personalfunktionen in der in Deutschland belegenen Förderbetriebsstätte genutzt.10 In dieser Betriebsstätte werden aber nicht zusätzlich auch die Personalfunktionen im Zusammenhang mit der Anschaffung des Explorationsrechts ausgeübt, da das Explorationsrecht bereits vor Bestehen der Förderbetriebsstätte angeschafft wurde. Zudem werden in der Förderbetriebsstätte die Bodenschätze nicht verwertet

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Vgl. VWG BsGa, Rz. 397. Vgl. VWG BsGa, Rz. 398. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 134; VWG BsGa, Rz. 396. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 133 f.; VWG BsGa, Rz. 396. Vgl. VWG BsGa, Rz. 400 f. Dies kann z.B. ein sog. Production Sharing Agreement sein, bei dem sich das Förderunternehmen und der Staat, in dem die Förderung stattfindet, die geförderten Bodenschätze nach einem vordefinierten Schlüssel teilen. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 135. Vgl. VWG BsGa, Rz. 389. Vgl. VWG BsGa, Rz. 388. Vgl. VWG BsGa, Rz. 399.

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G. Förder- und Explorationsbetriebsstätten

Rz. 11.415 Kap. 11

oder vertrieben, da diese unmittelbar nach ihrer Förderung zum Sitz der Gesellschaft in Polen befördert werden.

Die Zuordnung von (sonstigen) Vermögenswerten bei Förderbetriebsstätten. Die Zuordnungsregel für (sonstige) Vermögenswerte wird bei Förderbetriebsstätten grundsätzlich durch die Zuordnung des Explorationsrechts bestimmt.1 Solche Vermögenswerte können bspw. das für Exploration und Förderung notwendige Know-how, aber auch die in der Förderbetriebsstätte genutzten Maschinen darstellen. Ist nach § 36 Abs. 2 BsGaV das Explorationsrecht dem Stammhaus zuzuordnen, so ist § 31 Abs. 1 bis 3 BsGaV entsprechend anzuwenden.2 Dies kann als Grundfall der Zuordnung von Vermögenswerten zu Förderbetriebsstätten angesehen werden. Demnach sind Vermögenswerte einer Förderbetriebsstätte nur zuzuordnen, wenn dort die Personalfunktionen ausgeübt werden bzw. überwiegen, die im Zusammenhang mit der Nutzung dieser Vermögenswerte sowie deren Anschaffung oder Herstellung bzw. Veräußerung oder Verwertung stehen. Für die Zuordnung von Vermögenswerten zu einer Förderbetriebsstätte nach § 36 Abs. 4 Satz 1 BsGaV sind also hohe Hürden zu nehmen (neben überwiegender Nutzung des jeweiligen Vermögenswerts auch die Ausübung der Personalfunktionen hinsichtlich dessen Anschaffung/Herstellung und Veräußerung/Verwertung durch die Förderbetriebsstätte). Wird ein Vermögenswert nicht der Förderbetriebsstätte zugeordnet, d.h., ist er dem Stammhaus zuzuordnen, so gilt er nach § 36 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 31 Abs. 2 BsGaV der Förderbetriebsstätte als unentgeltlich beigestellt.3 Eine alternative Zuordnungsregel von Vermögenswerten ergibt sich aus § 36 Abs. 4 Satz 2 BsGaV für den Fall des § 36 Abs. 3 BsGaV, d.h., wenn das Explorationsrecht durch den Belegenheitsstaat der Förderbetriebsstätte zugeordnet wird (Ausnahmefall). Dann bestimmt sich die Zuordnung von Vermögenswerten nach den allgemeinen Zuordnungsregeln der §§ 5 bis 8 BsGaV. Für materielle Wirtschaftsgüter sowie Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnliche Vermögenswerte orientiert sich die Zuordnung daher in erster Linie an deren Nutzung (§ 5 Abs. 1 BsGaV, § 7 Abs. 1 BsGaV); immaterielle Werte werden grundsätzlich entsprechend ihrer Schaffung bzw. ihres Erwerbs zugeordnet (§ 6 Abs. 1 BsGaV). Die Zuordnung von Vermögenswerten zur Förderbetriebsstätte ist mithin an niedrigere Hürden geknüpft (Nutzung oder Schaffung/Erwerb). Beispiel 1: Es wird auf die Ausführungen zur Baryte sp.z.o.o. verwiesen (Rz. 11.414). Die Geschäftsleitung der Baryte sp.z.o.o. in Polen hat ein Unternehmen mit der Errichtung von Förderanlagen beauftragt; nach Beendigung der Fördertätigkeit veräußert die Geschäftsleitung diese Anlagen zum Schrottwert an ein Recycling-Unternehmen. Lösung: Da das Explorationsrecht dem Stammhaus und nicht der Förderbetriebsstätte zuzuordnen ist, bestimmt sich die Zuordnung der (sonstigen) Vermögenswerte nach § 36 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 bis 3 BsGaV. Demnach sind Vermögenswerte der Förderbetriebsstätte nur zuzuordnen, wenn sie dort (überwiegend) genutzt werden und darüber hinaus dort auch die im Zusammenhang mit Anschaffung/Herstellung sowie Veräußerung/Verwertung stehenden Personalfunktionen ausgeübt werden. Vorliegend werden die Personalfunktionen hinsichtlich Anschaffung und Veräußerung der Förderanlagen, d.h. die von eigenem Personal des Unternehmens ausgeübten Geschäftstätigkeiten i.S.d. § 2 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 1 BsGaV im Stammhaus der Baryte sp.z.o.o. vollzogen. Infolgedessen sind die Förderanlagen dem polnischen Stammhaus zuzuordnen und gelten der Förderbetriebsstätte nach § 36 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 31 Abs. 2 BsGaV als unentgeltlich beigestellt. Beispiel 2: Vgl. die Ausführungen zur Baryte sp.z.o.o. oben. Abweichend von obigem Beispiel sei das Explorationsrecht unzweifelhaft der Förderbetriebsstätte zuzuordnen (z.B. weil sich dies aus einem 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 402. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 402. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 402.

Ditz 831

11.415

Kap. 11 Rz. 11.416

Sonderfälle

Production Sharing Agreement der Baryte sp.z.o.o. ergibt). Auch hier beauftragt die Geschäftsführung der Baryte sp.z.o.o. in Polen ein Unternehmen mit der Errichtung von Förderanlagen und veräußert diese nach Beendigung der Fördertätigkeit. Lösung: Da das Explorationsrecht der Förderbetriebsstätte zuzuordnen ist, richtet sich die Zuordnung der (sonstigen) Vermögenswerte nach § 36 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. §§ 5 bis 8 BsGaV. Die Förderanlagen sind nach § 5 Abs. 1 BsGaV zuvorderst entsprechend ihrer Nutzung zuzuordnen. Da die Anlagen ausschließlich von der Förderbetriebsstätte genutzt werden und auch keine andere Personalfunktion i.S.v. § 5 Abs. 2 BsGaV gegenüber der Nutzung überwiegt und eine andere Zuordnung anzeigt, sind die Förderanlagen der Förderbetriebsstätte zuzuordnen.

11.416 Implikationen der Zuordnung von Explorationsrecht und (sonstigen) Vermögenswerten bei Förderbetriebsstätten. Im Grundfall des § 36 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 bis 3 BsGaV wird das Explorationsrecht nicht der Förderbetriebsstätte zugeordnet (vgl. Rz. 11.12). Zudem bestehen hohe Hürden für eine Zuordnung von weiteren Vermögenswerten zur Förderbetriebsstätte. Das Explorationsrecht sowie alle weiteren, dem Stammhaus zugeordneten Vermögenswerte gelten der Förderbetriebsstätte als unentgeltlich beigestellt. Mithin ist im Grundfall eine Förderbetriebsstätte im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse als Routineunternehmen zu charakterisieren, da sie lediglich Routinefunktionen ausübt und nur in geringem Umfang (immaterielle) Wirtschaftsgüter einsetzt und nur geringe Risiken trägt.1 Diese Einordnung ist sachgerecht. Denn in der Regel wird bei Explorationen und Förderungen die Wertschöpfung weniger an Ort und Stelle generiert, sondern wird vielmehr durch Vorüberlegungen, Investitionsentscheidung und operative Planungen, d.h. durch Personalfunktionen des Stammhauses geschaffen; dieses trifft regelmäßig auch die weiteren wesentlichen Entscheidungen. Demgegenüber beschränkt sich die Tätigkeit der Förderbetriebsstätte oftmals auf die eigentliche Förderung (auch wenn diese technisch anspruchsvoll sein kann). Eine Zuordnung des Explorationsrechts zur Förderbetriebsstätte und eine damit verbundene Entstrickung gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG/§ 12 Abs. 1 KStG2 ist dementsprechend auch als Ausnahmefall anzusehen. In diesem Fall richtet sich die Zuordnung von weiteren Vermögenswerten zur Betriebsstätte in erster Linie nach deren Nutzung. Sind der Förderbetriebsstätte das Explorationsrecht sowie weitere Vermögenswerte zuzuordnen, so ist diese im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse nicht als Routineunternehmen zu charakterisieren. Denn sie besitzt werthaltige Vermögenswerte und es ist davon auszugehen, dass sie eigene erhebliche Risiken trägt.3

11.417 Zurechnung von Einkünften zu Förderbetriebsstätten im Grundfall. Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 BsGaV erfolgt die Tätigkeit einer Förderbetriebsstätte unter Nutzung eines Explorationsrechts, das von einem Bergbau-/Erdöl-/Erdgasunternehmen erworben wurde, auf Grundlage einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung. Hierfür ist widerlegbar zu vermuten, dass die Förderbetriebsstätte gegenüber dem übrigen Unternehmen eine Dienstleistung erbringt.4 Hintergrund dieses Ansatzes ist die Vorstellung der Förderbetriebsstätte als Routineunternehmen, d.h. der o.g. Grundfall, bei dem alle werthaltigen immateriellen Vermögenswer1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 404; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.10.2.a); Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR-Beih. 2014, 28. So auch BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 135, wonach die Geschäftstätigkeit einer Förderbetriebsstätte als risikoarme Dienstleistung für das übrige Unternehmen anzusehen ist, wenn dieser wegen der Beistellung des Explorationsrechts keine besonders werthaltigen Vermögenswerte zuzuordnen sind. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 399 und 410. 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 136. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 404.

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G. Förder- und Explorationsbetriebsstätten

Rz. 11.417 Kap. 11

te (inkl. Explorationsrecht) dem Stammhaus zuzuordnen sind. Dies ergibt sich auch aus der Verordnungsbegründung, wonach die Aktivitäten von Förderbetriebsstätten sich in der Regel auf die Gewinnung der Bodenschätze beschränken, wohingegen alle übrigen Geschäftstätigkeiten im Stammhaus ausgeübt werden.1 Der Verrechnungspreis für die fingierte Dienstleistung der Förderbetriebsstätte an das Stammhaus soll gem. § 37 Abs. 1 Satz 2, 3 BsGaV nach einer kostenorientierten Methode zu bestimmen sein. Hierfür kommen die Kostenaufschlagsmethode und die kostenorientierte geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode infrage.2 Bei Bestimmung der Kostenbasis sind insbesondere die Personalkosten der Förderbetriebsstätte zu berücksichtigen;3 die Kosten der Materialbeschaffung o.Ä. können aber ebenfalls Bestandteil der Kostenbasis sein.4 Laut Verordnungsbegründung sollen aber Kosten, die „dadurch entstehen, dass es auf Grund von eigenen Personalfunktionen [der Förderbetriebsstätte] zu Fehlmaßnahmen kommt“, nicht zur Kostenbasis gehören.5 In diesen Fällen soll die Förderbetriebsstätte – ungeachtet ihrer Routinetätigkeiten – auch Verluste erzielen können.6 Diese Auffassung ist nicht sachgerecht. Denn das Erzielen von Verlusten widerspricht – so auch die Finanzverwaltung7 – der Vorstellung eines Routineunternehmens; vielmehr erzielen diese im gewöhnlichen Geschäftsverlauf geringe, aber relativ stabile Gewinne. Zudem ist zweifelhaft, ob – im Outbound-Fall – der Belegenheitsstaat der Förderbetriebsstätte solche Verluste anerkennen würde. Mithin droht insoweit das Risiko einer Doppelbesteuerung. Hinweise auf die Bestimmung des Kostenaufschlags bzw. einer (angemessenen) Nettomarge liefert die BsGaV nicht. Hierfür kann z.B. auf Datenbankstudien zurückgegriffen werden, um eine Bandbreite fremdüblicher Verrechnungspreise (Kostenaufschlag, Nettomarge) zu ermitteln (insoweit kann auf die Ausführungen zur Bestimmung eines Gewinnaufschlags im Rahmen der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bei Bau- und Montagebetriebsstätten in Rz. 11.327 verwiesen werden). Beispiel: Die deutsche Marmor GmbH unterhält im italienischen Carrara einen Steinbruch. Dieser stellt nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. f DBA-Deutschland/Italien (und § 12 AO) eine Betriebsstätte dar. Das hierfür erforderliche Explorationsrecht hat die Marmor GmbH vor Begründung der Betriebsstätte erworben; es ist unzweifelhaft dem deutschen Stammhaus zuzuordnen. Gleiches gilt für die Förderanlagen und Maschinen. Diese werden zwar in der Betriebsstätte genutzt; dort werden aber nicht die für deren Anschaffung oder Herstellung sowie Veräußerung oder Verwertung maßgeblichen Personalfunktionen ausgeübt. Lösung: Explorationsrecht und sonstige Vermögenswerte gelten der Förderbetriebsstätte als durch das deutsche Stammhaus unentgeltlich beigestellt. Die Tätigkeit der Betriebsstätte erfolgt auf Grundlage einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung. Dabei ist davon auszugehen, dass die Förderbetriebsstätte ein Routineunternehmen ist, das gegenüber dem Stammhaus eine Dienstleistung erbringt. Diese Dienstleistung ist auf Basis der Kostenaufschlagsmethode zu bestimmen. Die Kostenbasis stellen vorliegend insbesondere die Personalkosten der italienischen etriebsstätte dar, d.h. die (anteiligen) Löhne und Sozialabgaben der dort tätigen Mitarbeiter. Hierauf ist ein angemessener Gewinnaufschlag anzuwenden. 1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 136 f.; VWG BsGa, Rz. 404. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 136 m.V.a. die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Tz. 2.39 ff., 2.92 ff. Die Regelungen in Kap. II OECD-Verrechnungspreisleitlinien gelten auch nach der Neufassung des Kapitels II inhaltlich noch unverändert (siehe OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 2.45 und Tz. 2.98). 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 405. 4 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 137; VWG BsGa, Rz. 406. 5 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 137; VWG BsGa, Rz. 407. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 407. 7 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.10.2.a).

Ditz 833

Kap. 11 Rz. 11.418

Sonderfälle

11.418 Zurechnung von Einkünften zu Förderbetriebsstätten im Ausnahmefall. Anders als bei den Sonderregelungen zu Bau- und Montagebetriebsstätten (§ 33 BsGaV) erstrecken sich die Bestimmungen der BsGaV zur Zurechnung von Einkünften zu Förderbetriebsstätten nur auf den Fall einer Routinetätigkeit. Gleichwohl können der Förderbetriebsstätte nach § 36 Abs. 1, 3 BsGaV das Explorationsrecht sowie nach § 36 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. §§ 5 bis 8 BsGaV weitere Vermögenswerte (z.B. Know-how, Sachanlagevermögen) zugeordnet werden. In diesen Fällen ist davon auszugehen, dass die Förderbetriebsstätte keine Routinetätigkeit ausübt. Denn sie verfügt über werthaltige Vermögenswerte (z.B. Explorationsrecht), übt wesentliche Personalfunktionen (z.B. Vertrieb/Verwertung der geförderten Bodenschätze) und trägt eigene erhebliche Risiken (z.B. Förderrisiko).1 Dies ergibt sich auch aus § 37 Abs. 4 BsGaV, wonach in Fällen, in denen das Explorationsrecht nachweislich durch den anderen Staat der Förderbetriebsstätte zugeordnet wird, dies auch in der Funktions- und Risikoanalyse für die Bestimmung der Einkünfte der Förderbetriebsstätte zu beachten ist. Im Ergebnis steht der Förderbetriebsstätte daher eine höhere Vergütung als die eines reinen Routineunternehmens zu.2 Mangels ausdrücklicher Sonderregelung scheint hier vertretbar, die Regelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten entsprechend anzuwenden. Danach ist der Verrechnungspreis für die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung nach einer Gewinnaufteilungsmethode zu bestimmen (vgl. Rz. 11.330 ff.). Beispiel: Der Förderbetriebsstätte der deutsche Marmor GmbH im italienischen Carrara sind unzweifelhaft neben dem Explorationsrecht auch weitere Vermögenswerte (Förderanlagen, Maschinen, Baufahrzeuge) zuzuordnen. Der Vertrieb des geförderten Marmors erfolgt direkt durch die Betriebsstätte. Lösung: Die Förderbetriebsstätte übt keine reine Routinetätigkeit aus. Vielmehr verfügt sie mit dem Explorationsrecht sowie wesentlichem Sachanlagevermögen über werthaltige Vermögenswerte. Sie übt auch wesentliche Personalfunktionen, wie z.B. die Nutzung der Vermögenswerte, die Förderung des Marmors, der Vertrieb des Marmors, die eigene Verwaltung, aus. Schließlich trägt die Förderbetriebsstätte u.a. mit dem Risiko des Untergangs von Vermögenswerten, dem Förderrisiko sowie dem Mengen- und Preisrisiko aus dem Vertrieb eigene erhebliche Risiken. Daher steht der Förderbetriebsstätte eine höhere als eine Routinevergütung zu. Die Gewinnermittlung der Förderbetriebsstätte bzw. die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte kann bspw. auf Basis der Gewinnaufteilungsmethode bestimmt werden. Hierzu ist in entsprechender Anwendung von § 33 BsGaV der insgesamt aus der Fördertätigkeit resultierende Gewinn zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufzuteilen. Der Aufteilungsschlüssel kann sich dabei am Umfang der von Stammhaus bzw. Betriebsstätte geleisteten Beiträge orientieren. Ein Indiz hierfür können die jeweils angefallenen Kosten sein.

11.419 Änderung der Zuordnung des Explorationsrechts. Im Grundfall ist das Explorationsrecht (sowie etwaige weitere Vermögenswerte) dem Stammhaus zuzuordnen und gilt der Förderbetriebsstätte als unentgeltlich beigestellt (vgl. Rz. 11.12). Gleichwohl kann das Explorationsrecht aber nach § 36 Abs. 1, 3, BsGaV auch der Förderbetriebsstätte zugeordnet werden. Da die Förderbetriebsstätte aber erst mit Aufnahme der Fördertätigkeit entsteht (§ 35 Abs. 1 Satz 1 BsGaV), ein Explorationsrecht in der Regel aber bereits vor diesem Zeitpunkt erworben worden ist, kommt es insoweit zu einer Zuordnungsänderung. Für diese Fälle bestimmt § 37 Abs. 2 BsGaV, dass von einer fiktiven Veräußerung des Explorationsrechts zur Förderbetriebsstätte auszugehen ist.3 Hierfür ist ein fremdüblicher Verrechnungspreis zu bestimmen, wofür regelmäßig der hypothetische Fremdvergleich i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG unter Be1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 136. 2 Vgl. Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR-Beih. 2014, 28 f. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 410.

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H. Gewinnermittlung bei Betriebsstätten von Freiberuflern

Rz. 11.420 Kap. 11

rücksichtigung der Ertragsaussichten aus Ausbeutung des Explorationsrechts heranzuziehen ist.1 Abweichend hiervon erlaubt § 37 Abs. 3 Satz 1 BsGaV, einen geringeren Verrechnungspreis für das Explorationsrecht anzusetzen. Voraussetzung hierfür ist, dass das Unternehmen nachweist, dass dadurch eine Doppelbesteuerung vermieden wird; zudem müssen mindestens die dem Unternehmen bislang im Zusammenhang mit dem Explorationsrecht entstandenen Aufwendungen angesetzt werden.2 Hintergrund dieser Sonderregel ist die Gefahr, dass der Belegenheitsstaat der Förderbetriebsstätte dieser zwar das Explorationsrecht zuordnet, gleichzeitig aber nicht bereit ist, einen Fremdvergleichspreis auf Basis der Gewinnaussichten der fündigen Exploration zu berücksichtigen.3 Wie der Nachweis zu führen ist, dass durch den Ansatz eines niedrigeren Preises eine Doppelbesteuerung vermieden wird, geht aus der BsGaV nicht hervor. Ausweislich der Verordnungsbegründung ist der Beleg der entsprechenden Besteuerung bzw. Belastung im Belegenheitsstaat der Förderbetriebsstätte beizubringen. Konkret kommt hierfür ggf. der Vertrag4 über das Explorationsrecht zwischen dem Unternehmen und dem Belegenheitsstaat der Förderbetriebsstätte infrage.5 Übergangsregeln bei Förderbetriebsstätten. § 38 Abs. 1 BsGaV erlaubt einem Unternehmen mit Förderbetriebsstätte ungeachtet der §§ 35 ff. BsGaV, die bisherigen steuerlichen Grundsätze zur Ermittlung der Einkünfte der Förderbetriebsstätte weiter anzuwenden, wenn diese vor dem 1.1.2013 begründet worden ist. Dies dient dem Zweck etwaige Umstellungsschwierigkeiten zu vermeiden.6 Darüber hinaus können die bisherigen Grundsätze auch in solchen Fällen weiter angewendet werden, in denen das für die betreffende Förderbetriebsstätte relevante Explorationsrecht in den Jahren 2013 oder 2014 angeschafft oder hergestellt wurde (§ 38 Abs. 2 BsGaV).7 Hierfür sind zudem zwei kumulative Voraussetzungen zu erfüllen. So muss das Unternehmen nachweisen, dass es in seinen Kalkulationen von der Anwendung der bisherigen Grundsätze ausgegangen ist. Darüber hinaus muss glaubhaft gemacht werden, dass die Anwendung der neuen Regelungen (d.h. der §§ 35 ff. BsGaV) seinen bisherigen Kalkulationen die Grundlage entzieht. Wie dieser Nachweis konkret erbracht werden kann, ist nicht ersichtlich. Denn durch Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. der BsGaV kommt es gegenüber den bisherigen Grundsätzen bei gemeinsamer Betrachtung von Stammhaus und Betriebsstätte lediglich zu einer anderen Aufteilung des Gesamtgewinns z.B. aus einer Explorations- und Fördertätigkeit. Der Gesamtgewinn selbst wird dadurch aber nicht beeinflusst. Zudem ist in der Regel nicht davon auszugehen, dass die internen Planungen und Kalkulationen eines Unternehmens auf Regeln der steuerlichen Gewinnabgrenzung basieren.

H. Gewinnermittlung bei Betriebsstätten von Freiberuflern I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.421 II. Zuordnungsproblematik . . . . . . . . . 11.422

IV. Erfordernis einer Verfügungsmacht über die Betriebsstätte . . . . . . . . . . . 11.429

III. Zurechnungssubjekt . . . . . . . . . . . . . 11.426

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 138; VWG BsGa, Rz. 410. Vgl. VWG BsGa, Rz. 412. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 138. Sog. Production Sharing Agreement. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 139; VWG BsGa, Rz. 414. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 140; VWG BsGa, Rz. 416. Vgl. VWG BsGa, Rz. 417.

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11.420

Kap. 11 Rz. 11.421

Sonderfälle

I. Allgemeines 11.421 Arten möglicher Zusammenschlüsse. Eine freiberufliche Tätigkeit kann gleichermaßen in einer Einzelpraxis als auch in einer Sozietät ausgeübt werden. Dies gilt im Grundsatz für alle Freiberufler. Es kann ein im Inland ansässiger Berater eine Sozietät mit einem im Ausland ansässigen Berater eingehen. Es kann auch eine im Inland ansässige Sozietät eine Kanzlei im Ausland bzw. eine im Ausland ansässige Sozietät eine Kanzlei im Inland gründen. Die Sozien können ihre Zulassung jeweils nach dem Recht ihres Ansässigkeitsstaats oder eines anderen Staats erworben haben. Es kann sich auch eine inländische Sozietät an einer ausländischen bzw. eine ausländische Sozietät an einer inländischen beteiligen. Die Sozietäten können sich als Mitunternehmerschaft, als Körperschaft oder als Partnergesellschaft darstellen. Die Internationalisierung und Globalisierung der Wirtschaft hat zu einer zunehmenden Gründung international tätiger Sozietäten vor allem im Bereich der Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer geführt. Kennzeichen dieser Entwicklung ist der Betrieb mehrerer Kanzleien durch eine „Sozietät“ in verschiedenen Staaten. In den Kanzleien sind entweder mindestens ein Mitglied der Sozietät oder Berufsangehörige tätig, der bzw. die entweder von der Sozietät angestellt oder für sie als freier Mitarbeiter tätig ist bzw. sind. Die einzelne Kanzlei bildet regelmäßig eine feste Einrichtung bzw. eine Betriebsstätte der Sozietät. Die einzelnen Berater werden jedoch auch grenzüberschreitend tätig. Sie kooperieren mit Berufskollegen aus anderen Staaten. Die Sozietät erzielt mithilfe der festen Einrichtung (Betriebsstätte) Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit bzw. gewerbliche Einkünfte, soweit die Sozietät von einer Kapitalgesellschaft betrieben wird. Die Einkünfte können sich als Gewinn oder Verlust darstellen. Im Mittelpunkt der Problematik internationaler Sozietäten stehen regelmäßig zwei Fragen, nämlich erstens die, welche Einkünfte welcher festen Einrichtung (Betriebsstätte) zuzuordnen sind, und zweitens die, wer die einer bestimmten festen Einrichtung (Betriebsstätte) zuzuordnenden Einkünfte zu versteuern hat.

II. Zuordnungsproblematik 11.422 Erstes Grundproblem. Die Zuordnungsproblematik mag an dem folgenden Beispiel verdeutlicht werden. Beispiel: A und B haben sich zu einer freiberuflichen Sozietät bei einer Gewinnverteilung von 50:50 zusammengeschlossen. Die Sozietät unterhält je eine Kanzlei in X (Deutschland) und Y (Belgien). A, der in X wohnt, wird regelmäßig von der dortigen Kanzlei aus tätig. B wohnt in Y und wird regelmäßig von der dortigen Kanzlei aus tätig. Y berät u.a. die belgische S-S.A., die größere Investitionen in Deutschland beabsichtigt. Um die S.-S.A. in diesen Fragen beraten zu können, bittet B den A, nach Belgien zu kommen. Dort beraten A und B die S-S.A. während zweier Tage umfassend bezüglich der geplanten Investition. Die Beratung findet alternativ in der Kanzlei in Y oder in den Geschäftsräumen der S-S.A. statt. Von dem der S-S.A. dafür in Rechnung gestellten Honorar von 100 sollen unter Anwendung von Fremdvergleichsgesichtspunkten 75 % auf die Tätigkeit des A entfallen. Welcher Kanzlei ist das anteilige Honorar von 75 steuerlich zuzuordnen? Welche Kanzlei hat die Reisekosten des A zu tragen?

11.423 Bedeutung des Ausübungsorts. In dem Beispiel ist davon auszugehen, dass die Sozietät die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit erzielt. Die Sozietät ist Gewinnerzielungssubjekt. Sie besitzt insoweit Teilrechtsfähigkeit. Für die Zuordnung zu den ausländischen Einkünften kommt es gem. § 34d Nr. 3 EStG nur darauf an, ob die Tätigkeit in einem ausländischen Staat ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist. Insoweit ist entscheidend, dass die Beratungstätigkeit in Belgien ausgeübt wird. Deshalb erzielt die Sozietät ausländische Einkünf836

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H. Gewinnermittlung bei Betriebsstätten von Freiberuflern

Rz. 11.424 Kap. 11

te i.S.d. § 34d Nr. 3 EStG. A ist mit seinem Anteil an den ausländischen Einkünften im Inland steuerpflichtig. Insoweit kommt es nicht darauf an, welcher Kanzlei die Einkünfte zuzuordnen sind. Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG sind jedoch inländische Einkünfte des B alternativ anzunehmen, soweit die Tätigkeit im Inland ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist oder soweit die Einkünfte einer im Inland unterhaltenen Betriebsstätte oder festen Einrichtung zuzuordnen sind. Aus der Sicht des B wurde die Beratungstätigkeit in Belgien ausgeübt. In dieser Alternative liegen deshalb keine inländischen Einkünfte vor. Die Frage geht jedoch dahin, ob die von A ausgeübte Beratungstätigkeit der in Deutschland von der Sozietät unterhaltenen Kanzlei zuzuordnen ist, weshalb insoweit inländische Einkünfte anzunehmen sind, die anteilig von B als inländische zu versteuern sind. Abzustellen ist jeweils darauf, welcher Kanzlei der von der Sozietät erzielte Gewinn ggf. anteilig zuzuordnen ist. Es kommt insoweit nicht darauf an, wo der den Gewinnanteil erzielende Sozius ansässig ist und in der Regel tätig wird. Damit ist allerdings noch nichts darüber gesagt, ob abkommensrechtlich das Besteuerungsrecht für die inländischen Einkünfte des B Deutschland oder Belgien zusteht. Stellt man sich das in Rz. 11.422 gebildete Beispiel spiegelbildlich mit einer im Inland ausgeübten Beratungstätigkeit des belgischen Beraters vor, dann löst dessen Tätigkeit im Inland die hiesige beschränkte Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG aus, ohne dass deshalb Deutschland das Besteuerungsrecht zustehen müsste. Abweichend vom innerstaatlichen Recht knüpft Art. 14 Abs. 1 DBA-Belgien das Besteuerungsrecht an die Existenz einer sog. festen Einrichtung in dem Ausübungsstaat. Über die feste Einrichtung muss der Freiberufler (= die Sozietät) „regelmäßig“ verfügen. Art. 14 OECD-MA a.F. sprach davon, dass die feste Einrichtung dem Freiberufler (= der Sozietät) „gewöhnlich“ für die Ausübung seiner Tätigkeit zur Verfügung stehen muss. In diesem Sinn müssen die freiberuflichen Einkünfte der festen Einrichtung zuzurechnen sein. Die genannten Verteilungsnormen sind i.S.d. des § 49 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 EStG auszulegen. Die Frage geht allerdings dahin, ob die Sozien abweichende Vereinbarungen mit dem Ziel treffen können, dass der inländische Berater seine freiberufliche Tätigkeit gegenüber dem ausländischen Berater ausübt und der ausländische Berater dem Mandanten eine Gesamtrechnung nur im eigenen Namen ausstellt. In diesem Fall ergibt sich eine Gewinnrealisierung in der Person des inländischen Beraters zumindest nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG. Im Einzelfall kann die Anwendung von § 42 AO zur Diskussion stehen. In einigen DBA ist das Besteuerungsrecht des Ausübungsstaats davon abhängig, dass die Tätigkeit eine bestimmte Dauer (häufig: 183 Tage) überschreitet.1 Problematisch bleiben die Fälle, in denen der einzelne Sozius in mehreren festen Einrichtungen regelmäßig tätig wird. In diesem Sinn sind die Einnahmen und Aufwendungen den Kanzleien nach allgemeinen Grundsätzen der Betriebsstättengewinnermittlung zuzuordnen. Ausübungsort und Ort der festen Einrichtung. Abkommensrechtlich sieht z.B. Art. 15 Abs. 1 OECD-MA ein Besteuerungsrecht des Ausübungsstaats nur für solche Vergütungen vor, die für eine nichtselbständige Arbeit gezahlt wird, die im anderen Vertragsstaat ausgeübt wurde. Ähnlich knüpfte § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG früher die beschränkte Steuerpflicht nur an die im Inland ausgeübte oder verwertete selbständige Arbeit. Ab dem Veranlagungszeitraum 2004 sind inländische Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit (§ 18 EStG) schon dann anzunehmen, wenn für sie im Inland eine feste Einrichtung oder eine Betriebsstätte unterhalten wird. Auf die nicht mehr spiegelbildliche Regelung in § 34d Nr. 3 EStG wurde 1 Vgl. DBA-Ägypten, DBA-Aserbaidschan, DBA-Bangladesch, DBA-China, DBA-Estland, DBA-Indien, DBA-Indonesien, DBA-Jamaika, DBA-Jugoslawien, DBA-Kasachstan, DBA-Kenia, DBA-Korea, DBA-Lettland, DBA-Litauen, DBA-Malaysia, DBA-Malta, DBA-Mexiko, DBA-Mongolei, DBA-Namibia, DBA-Pakistan, DBA-Philippinen, DBA-Portugal, DBA-Sambia, DBA-Singapur, DBA-Thailand, DBA-Türkei, DBA-Tunesien, DBA-Uruguay.

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Kap. 11 Rz. 11.425

Sonderfälle

bereits hingewiesen (vgl. Rz. 11.423). Im Bereich des Art. 14 OECD-MA a.F. ist es durchaus denkbar, dass eine im Inland oder in einem Drittstaat ausgeübte freiberufliche Tätigkeit einer in dem anderen Vertragsstaat belegenen festen Einrichtung zuzuordnen ist. Es kommt insoweit nicht darauf an, wo die Tätigkeit ausgeübt wird. Ebenso kann umgekehrt eine im Ausland ausgeübte Tätigkeit einer festen Einrichtung im Inland zuzuordnen sein. Berät z.B. ein Berater, der über eine Kanzlei nur im Inland verfügt, einen Mandanten ausnahmsweise im Ausland, so sind die Einkünfte regelmäßig der inländischen Kanzlei zuzuordnen. Berät umgekehrt ein Berater, der über eine Kanzlei nur in dem anderen Vertragsstaat verfügt, einen Mandanten ausnahmsweise im Inland, so sind die Einkünfte aus dieser Tätigkeit zwar inländische i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG, jedoch abkommensrechtlich regelmäßig der in dem anderen Vertragsstaat belegenen Betriebsstätte zuzuordnen. Auch das Beispiel von Telefon- und Videokonferenzen belegt, dass die Bedeutung der physischen Präsenz des Freiberuflers in einem bestimmten Staat abkommensrechtlich abnimmt. Entscheidend kommt es darauf an, von welcher Kanzlei aus der konkrete Berater seine Tätigkeit regelmäßig ausübt. Übt er seine Beratungstätigkeit regelmäßig von mehreren Kanzleien aus, ist darauf abzustellen, welcher Kanzlei die konkrete Beratungstätigkeit nach ihrem Sachzusammenhang zuzuordnen ist. Ist eine entsprechende Zuordnung nicht möglich, ist das Entgelt den Kanzleien ggf. anteilig zuzuordnen. Hemmelrath und Töben1 vertreten unter Hinweis auf die Rechtslage in den USA die Auffassung, Art. 14 OECD-MA a.F. verlange ein „engeres“ Verhältnis der Tätigkeit zu einer festen Einrichtung als bei einer Betriebsstätte. Insbesondere sollen feste Einrichtungen von Personengesellschaften nur den dort tätigen Mitunternehmern zuzurechnen sein. Die Richtigkeit dieser Auffassung ist sehr zweifelhaft.2 Die Tatsache, dass Art. 14 OECD-MA a.F. in Art 7 OECD-MA n.F. übergeleitet wurde, spricht für das Gegenteil. Anzuerkennen ist allerdings, dass eine Beratungstätigkeit von Natur aus etwas anderes als eine produzierende oder vertreibende Tätigkeit ist. Jedoch schließt die freiberufliche Tätigkeit es nicht aus, dass ein Freiberufler nur kapitalmäßig beteiligt ist. Deshalb vertreten die deutsche und die österreichische Finanzverwaltung eine andere Auffassung.3

11.425 Zuordnungskriterien. Aus Art. 14 Abs. 1 OECD-MA folgt zunächst, dass freiberufliche Einkünfte, die ein inländischer Berater durch eine im Ausland ausgeübte Beratungstätigkeit erzielt, im Regelfall der im Inland bestehenden festen Einrichtung zuzuordnen sind, wenn der Berater über keine feste Einrichtung im Ausland verfügt. Verfügt er im Ausland über eine feste Einrichtung, so sind dieser nicht alle Einkünfte aus einer in diesem Ausland oder anderswo ausgeübten Tätigkeit zuzuordnen. Vielmehr bedarf es eines weiteren Zuordnungskriteriums. Insoweit stellt sich die Frage, ob das bloße Ausüben der Tätigkeit in der festen Einrichtung als Zuordnungskriterium ausreicht. Bejahendenfalls müsste in dem Beispielsfall in Rz. 11.422 darauf abgestellt werden, ob die Beratung in der Kanzlei in Y oder aber in den Geschäftsräumen der S-S.A. stattfindet. Hier läge großes Gestaltungspotential. Die Ergebnisse wären willkürlich. Deshalb kann es nicht allein darauf ankommen, in welchen Räumen die Beratungstätigkeit ausgeübt wird. Entscheidend ist auch nicht, welcher festen Einrich1 Hemmelrath in V/L6, Art. 14 OECD-MA Rz. 30; Töben, IWB 1997, Fach 10 Int., Gr. 2, 1253. 2 Wie hier: Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECD-MA Rz. 50; Richter in W/R/S, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht2, Rz. 7.35; Erhard in F/W/K, DBA DeutschlandSchweiz, Art. 14 Rz. 76; Gosch in Kirchhof16, § 49 EStG Rz. 55; Haiß in H/H/R, § 49 EStG Rz. 691; Wied in Blümich, § 49 EStG Rz. 147; Strunk/zur Heide in S/K/K, AStG/DBA, Art. 14 OECD-MA Rz. 63; Tcherveniachki in S/D, DBA, Art. 14 a.F. Rz. 44; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.416; Krabbe, FR 1995, 692; Krüger, IStR 1998, 104 (107). 3 BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 6.1; öBMF v. 30.4.1996, SWI 1996, 290; EAS 1362 v. 16.11.1998, SWI 1999, 3.

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H. Gewinnermittlung bei Betriebsstätten von Freiberuflern

Rz. 11.426 Kap. 11

tung das Mandat „S-S.A.“ als Vermögenswert zugeordnet werden kann. Zuzuordnen ist vielmehr die Beratungstätigkeit einmal des A und zum anderen des B. Dabei ist sehr wohl denkbar, die Beratungstätigkeit des B der Kanzlei in Y und die des A der Kanzlei in X zuzuordnen. Entscheidend ist darauf abzustellen, welcher festen Geschäftseinrichtung die Tätigkeiten von A und B zuzuordnen sind. Dies hängt zum einen davon ab, in welcher festen Einrichtung A und B Räume zur Ausübung ihrer Tätigkeit zur Verfügung stehen und von welcher festen Einrichtung aus sie ihre Beratungstätigkeit regelmäßig ausüben. In dem gebildeten Beispielsfall ist dies für A die feste Einrichtung in X und für B die feste Einrichtung in Y, weshalb Einkünfte i.H.v. 75 im Inland und solche i.H.v. 25 in Belgien zu versteuern sind. Die Problematik wird deutlich, wenn man den Sachverhalt geringfügig ändert und unterstellt, dass A regelmäßig monatlich für vier Tage nach Belgien kommt, um in Y Beratungstätigkeit auszuüben. Sollte die Beratung der S-S.A. zu den Tätigkeiten gehören, die A üblicherweise in Y ausübt, so wären die Einkünfte ausschließlich in Belgien zu versteuern. Das Beispiel zeigt deshalb, dass im Bereich freiberuflicher Tätigkeiten ein erhebliches Gestaltungspotential steckt. Eine Beratungstätigkeit lässt sich nur schwer einer bestimmten Kanzlei zuordnen. Auch ist bei einer Beratung durch mehrere Personen nur schwer feststellbar, welche von ihnen eine Haupt- und welche eine Nebenleistung erbracht hat. Dieses Ergebnis ist wenig befriedigend.

III. Zurechnungssubjekt Zweites Grundproblem: Betriebsstätten- oder Arbeitsortprinzip. Steht fest, durch welche Kanzlei welche Einkünfte erzielt worden sind, so stellt sich die weitere Frage, welchen Mitunternehmern die Einkünfte als Steuersubjekt anteilig zuzurechnen sind. Dazu werden zwei verschiedene Auffassungen vertreten. Die herrschende Auffassung baut auf einem Betriebsstättenprinzip auf.1 Nach ihr gibt es keinen Unterschied zwischen der Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb und Einkünften aus selbständiger Arbeit durch eine Mitunternehmerschaft. Die Einkünfte werden jeweils durch die Sozietät erzielt und steuerlich den Sozien anteilig zugerechnet. Die Auffassung führt dazu, dass alle Sozien in allen Staaten, in denen die Sozietät Kanzleien unterhält, steuerpflichtig sind. Der einzelne Sozius ist in dem Staat, in dem er wohnt, unbeschränkt steuerpflichtig. In den anderen Staaten ist er regelmäßig beschränkt steuerpflichtig. Werden in einer Kanzlei Verluste erzielt, so können diese Verluste mit den Gewinnen, die in anderen Kanzleien anfallen, häufig nicht ausgeglichen werden, sei es, weil nach dem maßgebenden DBA die Freistellungsmethode anzuwenden ist, oder sei es, weil die beschränkte Steuerpflicht einen Verlustausgleich nicht erlaubt. Die entsprechende Rechtsauffassung ist sehr arbeitsaufwendig, weil alle Sozien in allen Staaten Steuererklärungen einreichen müssen. Angesichts der Vielzahl der beteiligten Staaten sind Doppelbesteuerungen kaum auszuschließen. Die andere Auffassung baut auf einem Arbeitsortsprinzip auf. Sie betont die Unterschiede zwischen einem Gewerbebetrieb und einer freiberuflichen Beratungstätigkeit und möchte die in einer bestimmten Kanzlei erzielten Einkünfte vorrangig den dort tätigen Sozien zuordnen. Im Ergebnis führt diese Auffassung dazu, dass jeder Sozius nur in dem Staat steuerpflichtig ist, in dem er einerseits tätig ist und in dem die Sozietät andererseits eine feste Einrichtung unterhält. Problematisch wird die Anwendung des Arbeitsortsprinzips jedoch, wenn in einer festen Einrichtung ein Verlust erzielt wird und die dort tätigen Sozien einen Ausgleich aus dem Gewinn anderer fester Einrichtungen erhalten. Problematisch ist die Auffassung zusätzlich deshalb, weil zwischenzeitlich Art. 14 OECDMA aufgehoben und durch Art. 7 OECD-MA ersetzt wurde. Die OECD bekräftigt damit ih1 Vgl. Rademacher-Gottwald in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Steuerplanung3, 1683 (1691).

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Kap. 11 Rz. 11.427

Sonderfälle

re Auffassung, dass auch im Bereich freiberuflicher Einkünfte das sog. Betriebsstättenprinzip Anwendung finden soll. Man muss die Möglichkeit bedenken, dass der Gewinn nicht nach dem jeweiligen persönlichen Arbeitseinsatz, sondern nach Köpfen bzw. nach einem Lockstep-Verfahren auf die Sozien verteilt wird.

11.427 Anwendung von Art. 14 Abs. 1 OECD-MA a.F. auf Personengesellschaften. Bisher war es mehr oder weniger unstreitig,1 dass die durch international tätige Sozietäten erzielten Einkünfte nach Art. 14 Abs. 1 OECD-MA a.F. zu beurteilen sind. Dabei wurde Art. 14 Abs. 1 OECD-MA aus der Sicht des einzelnen Sozius angewendet. Es kommt auf dessen Abkommensberechtigung an. Neuerdings bestreitet Rapp2 die Anwendbarkeit von Art. 14 OECDMA a.F. auf Personengesellschaften, weil diese nicht abkommensberechtigt seien. Der Rückgriff auf die innerstaatliche Qualifikation von Personengesellschaften zur Bestimmung ihrer Eigenschaft als Person i.S.d. Art. 4 Abs. 1 OECD-MA sei unzulässig. Im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c OECD-MA werde die internationale Sozietät von der Personengesellschaft und nicht von den Sozien betrieben. Diese Auffassung verkennt Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. 1 Buchst. d OECD-MA. Zunächst stellt Art. 3 Abs. 1 Buchst. c OECD-MA klar, dass sich der abkommensrechtliche Unternehmensbegriff auf eine Geschäftstätigkeit bezieht. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. h OECD-MA umfasst der Begriff der Geschäftstätigkeit auch die Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit. Es ist kein vernünftiger Grund zu erkennen, weshalb die von einer internationalen Sozietät ausgeübte freiberufliche Tätigkeit nicht darunter fallen sollte. Anerkennt man aber, dass die von einer Sozietät erzielten Einkünfte gleichermaßen Schutz vor Doppelbesteuerung verdienen, so ist Art. 3 Abs. 1 Buchst. d OECD-MA zu beachten. Die Vorschrift ordnet in einem abkommensrechtlichen Sinn die Unternehmen den in einem Vertragsstaat ansässigen Personen zu. Da die transparent besteuerte Personengesellschaft in keinem Vertragsstaat ansässig sein kann, stellt Art. 3 Abs. 1 Buchst. d OECDMA auf die ansässigen Sozien ab. Dies kann nur insoweit gelten, als dem einzelnen Sozius die Einkünfte der Sozietät zuzurechnen sind. Entsprechend wird dem einzelnen Sozius das Unternehmen der Sozietät anteilig als eigenes Unternehmen zugerechnet. Hierin liegt eine Abweichung des Abkommensrechts vom innerstaatlichen Recht. Entscheidend ist letztlich, dass der einzelne Sozius am Gewinn der Sozietät und nicht nur an dem Entgelt für die von ihm persönlich ausgeübte Tätigkeit beteiligt ist.

11.428 Verteilung der Gewinne pro rata temporis nach dem Arbeitsortprinzip. Thulfaut3 möchte das steuerliche Problem international tätiger Sozietäten lösen, indem er zwar bei dem Betriebsstättenprinzip ansetzt und alle Sozien als Träger des Unternehmens versteht. Der einzelne Sozius bekommt jedoch seinen Gewinnanteil für die von ihm ausgeübte Tätigkeit. Diese Tätigkeit kann idR einer oder mehreren festen Einrichtungen (Betriebsstätten) zugeordnet werden. Entsprechend soll der Gewinn einer festen Einrichtung nach der Summe der Gewinnanteile ermittelt werden, die den dort tätigen Sozien (ggf. anteilig) zuzurechnen sind. Der entsprechende Betriebsstättengewinn soll nur den dort tätigen Sozien zugerechnet werden, die ihn entsprechend ihrer persönlichen Steuerpflicht im Staat der festen Einrichtung (Betriebsstätte) zu besteuern haben. Diese Auffassung birgt allerdings die Gefahr in sich, dass der Ort der Besteuerung durch die Gewinnverteilung verändert werden kann. Es ist insbesondere denkbar, dass eine Sozietät ein Büro an bestimmten Orten nur aus Repräsentationsgründen unterhält. Werden durch das Büro tatsächlich Verluste erwirtschaftet, die 1 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECD-MA Rz. 50; Bödefeld in G/K/G, DBA, Art. 14 OECD-MA Rz. 85; Hemmelrath in V/L6, Art. 14 OECD-MA Rz. 30 ff. 2 Rapp, Freiberufliche Tätigkeit im internationalen Steuerrecht, 213 ff. 3 Thulfaut, Die Besteuerung international tätiger Anwaltssozietäten, Frankfurt 2005.

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H. Gewinnermittlung bei Betriebsstätten von Freiberuflern

Rz. 11.430 Kap. 11

durch die Gewinne anderer fester Einrichtungen ausgeglichen werden, so muss der eine Staat zugunsten eines anderen auf Besteuerungsrechte verzichten. Dem Staat, in dem Verluste erzielt werden, werden dennoch Besteuerungsrechte zugeordnet. Probleme sollten sich auch einstellen, wenn Mitunternehmeranteile veräußert oder erworben werden bzw. wenn ein Altsozius an Einkünften beteiligt wird, ohne dafür eine Tätigkeit ausüben zu müssen. Letztlich wird das Problem nur de lege ferenda zu lösen sein. Die Lösung setzt internationales Einvernehmen voraus. Deshalb ist die ersatzlose Aufhebung von Art. 14 OECD-MA genau genommen ein Schritt in die falsche Richtung. Solange eine Lösung de lege ferenda nicht gefunden ist, wird es bei der Anwendung des sog. Betriebsstättenprinzips verbleiben müssen.

IV. Erfordernis einer Verfügungsmacht über die Betriebsstätte Allgemeines. Die sog. h.M.1 geht davon aus, dass der Inhaber einer Betriebsstätte eine gewisse Verfügungsmacht über die feste Geschäftseinrichtung haben müsse. Die h.M. ist insoweit zweifelhaft, als sich das Erfordernis einer Verfügungsmacht jedenfalls aus dem Gesetzeswortlaut weder des § 12 AO noch des Art. 5 OECD-MA ableiten lässt. Der Wortteil „Betrieb“ sagt nur etwas über die steuerliche Zuordnung der festen Geschäftseinrichtung zu einem Betrieb, d.h. zu einer bestimmten Einkunftsart aus. Der Wortteil „Stätte“ drückt das Erfordernis einer festen Geschäftseinrichtung aus. Er kann mit dem Wort „Arbeitsstätte“ verglichen werden, bei der auch keine Verfügungsmacht gefordert wird.2 Innerhalb der OECD wird deshalb intensiv darüber diskutiert, ob nicht der Betriebsstättenbegriff ausgeweitet werden muss. Es soll Tätigkeitsbetriebsstätten geben. Vom Grundsatz her ist gegen diese Tendenz nichts einzuwenden. Allerdings kann nicht jede Tätigkeit eine Betriebsstätte begründen. Vielmehr sind nur nachhaltig ausgeübte Tätigkeiten geeignet, eine Betriebsstätte zu begründen. Erforderlich ist deshalb, dass die Tätigkeit über eine gewisse Dauer an einem bestimmten Ort ausgeübt wird. Die maßgebende Dauer sollte sich an der Sechsmonatsgrenze des § 9 Satz 2 AO, des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO und des Art. 15 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA orientieren. Die geänderte Auffassung der OECD findet inzwischen im sog. OECD-MK ihren Niederschlag.

11.429

Langfristige Tätigkeit in fremden Räumen. Die in Rz. 11.429 wiedergegebene Rechtsauffassung bedeutet für bestimmte Berufe die Gefahr der Begründung einer Vielzahl von inoder ausländischen Betriebsstätten. Speziell im Wirtschaftsprüferberuf werden nicht selten langfristige Tätigkeiten in den Räumen des zu prüfenden Unternehmens ausgeübt. Übersteigt diese Tätigkeit die Dauer von sechs Monaten, so besteht die Gefahr der Begründung einer sog. Tätigkeitsbetriebsstätte. Bisher wurde eine solche verneint, wenn der Prüfer keine Verfügungsmacht über die von ihm genutzten Räume hatte bzw. wenn er in ständig wechselnden Räumen arbeitete. Zumindest für künftig abzuschließende DBA stellt sich die Frage, ob an dieser Handhabung festgehalten werden kann.

11.430

1 Vgl. BFH v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166 = FR 1990, 230; v. 3.2.1993 – I R 80–81/91 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462 (466) = FR 1993, 336 m. Anm. Kempermann; v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12 (14); Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 11 ff.; Koenig in Koenig3, § 12 AO Rz. 11 ff.; Musil in H/H/Sp, § 12 AO Rz. 16 ff.; Buciek in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 12 AO Rz. 12 ff. 2 Vgl. Wassermeyer in Drenseck/Seer (Hrsg.), FS Kruse, 589 ff. (594).

Wassermeyer 841

Kap. 11 Rz. 11.431

Sonderfälle

I. Gewinnermittlung bei Betriebsstätten durch Einsatz von Seeschiffen, Binnenschiffen und Luftfahrzeugen I. Allgemeines 11.431 Übliche Rechtsformen. In Deutschland wird die Seeschifffahrt traditionell in der Rechtsform von Personengesellschaften oder den ihnen steuerlich gleichzustellenden Partenreedereien1 betrieben. Der Grund dafür liegt in den steuerlichen Vergünstigungen, denen die Seeschifffahrt in der Vergangenheit zuteil wurde und die die beteiligten natürlichen Personen persönlich in Anspruch nehmen wollten. Die steuerlichen Vergünstigungen resultieren heute aus der sog. Tonnagegewinnermittlung gem. § 5a EStG. Früher gewährte § 34c Abs. 4 EStG a.F. auf Einkünfte aus dem internationalen Verkehr von Handelsschiffen einen begünstigten Steuersatz, wenn das Schiff im Wirtschaftsjahr überwiegend in einem inländischen Seeschiffsregister eingetragen war und die deutsche Flagge führte. § 34 EStG gewährte zusätzlich für Betriebsveräußerungsgewinne den halben Steuersatz. Dies und das Interesse, die Haftung zu begrenzen, führten dazu, dass jedes Seeschiff als selbständiges Unternehmen betrieben wurde. „Die“ Reederei besteht also in der Wirklichkeit aus vielen kleinen Einzelgesellschaften, die jeweils ein Schiff halten und betreiben. Die Vorteile aus der Tonnagebesteuerung werden allerdings heute durch § 15a EStG einerseits und seit dem StEntlG 1999/ 2000/20022 auch durch § 2b EStG eingeschränkt. Ausländische Seeschifffahrtsunternehmen werden dagegen üblicherweise in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft mit geringer Eigenkapitalausstattung betrieben. Dies hat haftungsrechtliche Hintergründe. Sie sind häufig in Staaten ansässig, die der Seeschifffahrt besondere Vergünstigungen gewähren (z.B. Liberia). Vor allem Seeschiffe können auch gechartert werden. Wer gecharterte Seeschiffe betreibt, wird ebenfalls wie ein Reeder besteuert. Die verschiedenen Formen der Vercharterung haben vor allem Einfluss auf die Besteuerung des Vercharterers.

11.432 Binnenschiffe und Luftfahrzeuge. Der Betrieb eines Binnenschiffs ist in jeder Rechtsform denkbar. Luftfahrzeuge werden regelmäßig in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft betrieben.

11.433 Maßgebliche Einkunftsart. Aus der Sicht des deutschen innerstaatlichen Steuerrechts ist zwischen der Bereederung eigener Schiffe bzw. Luftfahrzeuge und der Bereederung gecharterter Schiffe bzw. Luftfahrzeuge zu differenzieren. Der Betreiber von Schiffen bzw. Luftfahrzeugen erzielt regelmäßig Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Es werden Dienstleistungen erbracht. Deshalb muss der Betreiber aber nicht wirtschaftlicher Eigentümer des von ihm betriebenen Schiffs bzw. Luftfahrzeugs sein. Verchartert jemand ein Schiff bzw. ein Luftfahrzeug, so ist zwischen dem Time-Charter und dem Bareboat-Charter zu differenzieren (vgl. Rz. 11.434). Im Fall einer Time-Vercharterung erzielt der Vercharterer regelmäßig Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Fall der Bareboat-Vercharterung werden dagegen nur Einkünfte des Vercharterers aus Vermietung und Verpachtung angenommen. Speziell bei der Seeschifffahrt wird danach unterschieden, ob das vercharterte Schiff in einem inländischen Seeschiffsregister eingetragen ist. Bejahendenfalls werden Einkünfte i.S.d. § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG angenommen. Bei der Vercharterung nicht registrierter Schiffe findet dagegen § 22 Nr. 3 EStG Anwendung. Zu unterscheiden ist auch zwischen Fällen der unbeschränkten und der beschränkten

1 Vgl. §§ 489–509 HGB; Wacker in Schmidt36, § 15 EStG Rz. 374. 2 Vgl. Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999, BGBl. I 1999, 402 = BStBl. I 1999, 304.

842

Wassermeyer

I. Gewinnermittlung bei Seeschiffen, Binnenschiffen und Luftfahrzeugen

Rz. 11.435 Kap. 11

Steuerpflicht. Insoweit finden grundsätzlich die in § 1 EStG und §§ 1 und 2 KStG geregelten Grundsätze Anwendung. Im Bereich der beschränkten Steuerpflicht ist einerseits § 49 Abs. 1 Nr. 2a EStG und andererseits § 49 Abs. 1 Nr. 2b EStG zu beachten. Das Anlaufen inländischer Häfen und das Starten und Landen auf inländischen Flughäfen begründet für sich betrachtet keine Betriebsstätte (vgl. Rz. 11.435). Der Betrieb von Seeschiffen und/oder Luftfahrzeugen löst ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d Nr. 2 Buchst. c EStG aus, wenn und soweit sie aus Beförderungen zwischen ausländischen oder von ausländischen zu inländischen Häfen stammen. Spiegelbildlich dazu lösen Beförderungen mit einem Seeschiff und/oder Luftfahrzeug zwischen inländischen und von inländischen zu ausländischen Häfen inländische Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG aus. Dies gilt unabhängig davon, ob im In- oder Ausland eine Betriebsstätte besteht. Besteht eine solche, so können auch durch sie in- bzw. ausländische Einkünfte begründet werden. Zu den ausländischen bzw. inländischen Einkünften gehören jeweils auch solche, die mit den genannten Beförderungen in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Beim Betrieb von Binnenschiffen fallen in- bzw. ausländische Einkünfte unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bzw. des § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG an. Die erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb unterliegen nur dann der deutschen Gewerbesteuer, wenn im Inland eine Betriebsstätte existiert und die Einkünfte dieser Betriebsstätte zuzurechnen sind. Time-Charter und Bareboat-Charter. Unter „Time-Charter“ (Zeitcharter) versteht man die Nutzungsüberlassung eines voll ausgerüsteten Schiffs. Beim „Time-Charter“ stellt der Vercharterer auch die Mannschaft. Zivilrechtlich handelt es sich um einen gemischten Vertrag, der Züge eines Miet-, Werk- und Dienstleistungsvertrags enthält. Der Zeitcharterer und der Zeitvercharterer erzielen steuerlich gesehen jeweils Einkünfte aus dem Betrieb eines Seeschiffs. Der Bareboat-Charter hat dagegen die Nutzungsüberlassung nur des nackten Schiffs zum Gegenstand. Der Bareboat-Vercharterer erzielt deshalb ggf. gewerbliche Einkünfte aus der Vermietung des Schiffs, die steuerlich nicht als solche aus dem Betrieb aktiver Seeschifffahrt angesehen werden. Dies wirkt sich z.B. auf die Anwendung des Art. 8 OECD-MA und auch auf die Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG aus. Der Bareboat-Charterer betreibt dagegen die Seeschifffahrt, soweit er das gecharterte Schiff entsprechend einsetzt. Beim Bareboat-Charterer lösen die Mietzinsen die Hinzurechnung nach § 9 Nr. 3 Satz 3 GewStG aus. Die entsprechende Hinzurechnung entfällt beim Timecharter.

11.434

II. Begründung einer Betriebsstätte Grundsätze. Das fahrende Schiff bildet keine feste Geschäftseinrichtung i.S.d. § 12 Satz 1 AO und somit keine Betriebsstätte.1 Allerdings gilt ein in einem inländischen Seeschifffahrtsregister eingetragenes Schiff, das unter deutscher Flagge fährt, als Inland, soweit und solange das Schiff sich in internationalen Gewässern aufhält. Insoweit gilt die auf dem Schiff ausgeübte Tätigkeit als im Inland ausgeübt.2 Daraus folgt jedoch allein noch nicht die Steuerpflicht der Einkünfte aus dem Betrieb der Seeschifffahrt im Inland. Vielmehr entscheidet darüber zum einen die Ansässigkeit der Person(en), die die Seeschifffahrt betreibt/betreiben, und zum anderen die Existenz anderweitiger Betriebsstätten, insbesondere der Ort der Geschäftsleitungsbetriebsstätte. Dazu kann vermutet werden, dass ein Seeschifffahrtsunterneh-

1 Vgl. BFH v. 3.2.1974 – I R 219/71, BStBl. II 1974, 361; v. 9.10.1974 – I R 128/73, BStBl. II 1975, 203. 2 Vgl. BFH v. 13.2.1974 – I R 218/71, BFHE 111, 416.

Wassermeyer 843

11.435

Kap. 11 Rz. 11.436

Sonderfälle

men, dessen Schiffe in einem inländischen Seeschifffahrtsregister eingetragen sind, im Inland auch eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte unterhält.1 Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Entscheidend kommt es auf den Ort an, von dem das Schiff tatsächlich betrieben wird. Es ist denkbar, dass sich dieser Ort auf dem Schiff selbst befindet.2 Häufig wird der Wohnsitz bzw. der gewöhnliche Aufenthalt der Person, die das Schiff betreibt, auf den Ort der Geschäftsleitung indiziell hinweisen. Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte kann sich auch in den Geschäftsräumen eines ausländischen Managers, Korrespondenten oder leitenden Angestellten befinden.3

11.436 Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung. Art. 8 OECD-MA enthält eine Sonderregelung für Betriebe, die die Seeschifffahrt, die Binnenschifffahrt oder die Luftfahrt betreiben. Danach steht das Besteuerungsrecht ausschließlich dem Vertragsstaat zu, in dem sich der Ort der Geschäftsleitung befindet. Die Vorschrift geht also davon aus, dass die genannten Betriebe immer nur einen Ort der Geschäftsleitung haben, was indes nicht zwingend ist. Abkommensrechtlich findet das Betriebsstättenbesteuerungsprinzip in diesem Bereich keine Anwendung. Es kommt also nicht darauf an, wo der Reeder seinen Wohnsitz oder die Reederei ihren Sitz hat. Der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung ist für das Unternehmen zu bestimmen. Insoweit hat Art. 8 OECD-MA einen geringfügig anderen Bezug als Art. 4 Abs. 3 OECD-MA, der nur für andere als natürliche Personen gilt. Aus tatsächlichen Gründen stimmt der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung i.S.d. Art. 8 OECD-MA weitgehend mit dem Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung i.S.d. § 10 AO überein.

11.437 Hilfsbetriebsstätten. Ist der Ort der Geschäftsleitungsbetriebsstätte festgestellt, so schließt dies die Existenz noch anderer Betriebsstätten nicht aus. Insbesondere können Werkstätten, Warenlager, Tanklager, Stückgutlager und/oder Verkaufsstellen für den Seeschifffahrtsbetrieb unterhalten werden. Jede dieser anderen Betriebsstätten ist geeignet, im Betriebsstättenstaat die beschränkte Steuerpflicht der Personen zu begründen, die das Seeschifffahrtsunternehmen betreiben. Dies gilt nicht für Kommissions- und Konsignationslager, bei denen dem Seeschifffahrtsunternehmer regelmäßig die erforderliche Verfügungsmacht fehlt. Für jede andere Betriebsstätte ist zu prüfen, ob es sich um eine Hilfsbetriebsstätte handelt. § 9 Nr. 3 GewStG findet auch auf den Teil des Gewerbeertrags eines inländischen Unternehmens Anwendung, der auf eine nicht im Inland belegene Hilfsbetriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA entfällt. Die vom FG Köln4 vertretene andere Rechtsauffassung ist offensichtlich fehlerhaft.

J. Repräsentanzen, Hilfs- und Dienstleistungsbetriebsstätten I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.438 II. Notwendigkeit der Einkünfteermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.442 III. Vermögensabgrenzung . . . . . . . . . . . 11.446 IV. Einkünfteabgrenzung

1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 11.447 2. Ermittlung des angemessenen Gewinns der Hilfsbetriebsstätte . . . . 11.448 V. Steuerliche Behandlung des Gewinns einer Hilfsbetriebsstätte . . 11.451

1 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.5.1 – BS-VWG. 2 Vgl. FG Köln v. 22.6.2001 – 2 K 92/99, EFG 2001, 1332; aufgehoben durch BFH v. 22.1.2004 – V R 71/01, BStBl. II 2004, 630. 3 Vgl. BFH v. 3.7.1997 – IV R 58/95, BStBl. II 1998, 86 = FR 1998, 212. 4 Vgl. FG Köln v. 7.5.2015 – 10 K 73/13, EFG 2015, 1558 (Rev.: BFH v. 20.7.2016 – I R 50/15, DB 2016, 2452).

844

Wassermeyer/Andresen

J. Repräsentanzen, Hilfs- und Dienstleistungsbetriebsstätten

Rz. 11.439 Kap. 11

I. Allgemeines Begriff der Repräsentanz. Die Repräsentanz (Engl. „rep(resentative) office“) ist eine Organisationsform, die sich insbesondere bei Banken einer hohen Beliebtheit erfreut. Der Begriff der Repräsentanz beschreibt in der Kreditindustrie eine geschäftliche Aktivität in einem anderen Land, für deren Ausübung es keiner Banklizenz bedarf und die dementsprechend auch nicht zur Buchung von Bankgeschäften in den Handelsbüchern einer solchen Repräsentanz führt, falls denn Bücher überhaupt geführt werden. So grenzt denn auch § 53a KWG die Repräsentanz dahingehend von der Zweigstelle i.S. des § 53 KWG ab, dass Erstere nicht dem KWG unterliegt, weil sie keine Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen erbringt.1 Steuerlich verbindet sich für viele Steuerpflichtige mit dem Begriff der Repräsentanz die Vermutung, dass es sich dabei nicht um eine Betriebsstätte handelt und es insoweit auch nicht zu einer (beschränkten) Steuerpflicht im Belegenheitsstaat einer solchen Repräsentanz kommt. Diese Vermutung ist zumindest hinsichtlich der Gewerbesteuer unzutreffend, da der BFH in seinem aktuellen Urteil vom 20.7.2016 für die Gewerbesteuer ausschließlich auf den Betriebsstättenbegriff i.S. des § 12 AO abstellt.2 Der Betriebsstättenbegriff in den DBA ist hingegen maßgeblich für die Abgrenzung der Besteuerungsansprüche der Staaten gegeneinander für die einzelnen Einkunftsarten nach DBA. Dort ist der Begriff der Repräsentanz unbekannt. Abgesehen von der Gewerbesteuer ist die Vermutung, dass eine Repräsentanz sich nicht als Betriebsstätte qualifiziert, auch für Einkommen- oder Körperschaftsteuerzwecke (im In- und Ausland) nicht immer durch den Sachverhalt getragen3 – auch dann nicht, wenn in einem Land z.B. eine Banklizenz zurückgegeben wird – und führt in der Folge zu ggf. langwierigen Auseinandersetzungen über den Zeitpunkt der erstmaligen Begründung einer Betriebsstätte und den ihr zuzurechnenden Einkünften. Diese Auseinandersetzungen können von Steuerfahndungsprüfungen, Steuerstrafverfahren und Schätzungsbescheiden flankiert sein. Sollte ungeachtet der vorgetragenen Argumente für die Nicht-Existenz einer steuerlichen Betriebsstätte doch eine Steuerpflicht der einer Betriebsstätte zuzurechnenden Einkünfte bestehen, die nicht durch DBA eingeschränkt ist, und sei es z.B. für Gewerbesteuer, stellt sich ggf. auch auf dieser Ebene die Frage der angemessenen Einkünfteabgrenzung. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Betriebsstätte vorliegt, kommt es entscheidend darauf an, ob die Repräsentanz (im Fall einer ausländischen Betriebsstätte), die in aller Regel aus einer festen Geschäftseinrichtung heraus operiert, (oder das Stammhaus im Fall einer inländischen Betriebsstätte) sich in einem DBA-Partnerstaat befindet und ob die Repräsentanz sich für die Ausnahmetatbestände des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA nach dem jeweils einschlägigen DBA qualifiziert.

11.438

Begriff der Hilfsbetriebsstätte i.S. des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA 2014. Eine Hilfsbetriebsstätte ist dadurch gekennzeichnet, dass in ihr entweder Tätigkeiten vorbereitender Art und Hilfstätigkeiten i.S. des Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA 2014 oder speziell genannte Tätigkeiten in der entsprechenden Vorschrift der von Deutschland abgeschlossenen DBA oder eine Kombination aus beiden Tätigkeiten ausgeführt werden (Hilfstätigkeiten im engeren Sinne, d.h. i.S. des Art. 5 Abs. 4 Buchst. a bis d OECD-MA 2014). Werden in einer festen Geschäftseinrichtung oder einer Vertreterbetriebsstätte lediglich die vorgenannten Tätigkeiten ausge-

11.439

1 Vgl. Papenthin in Luz et al.3, § 53a KWG Rz. 3 (Stand: Dezember 2007) unter Verweis auf Deutsche Bundesbank, Merkblatt über die Erteilung einer Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften gem. § 32. Abs. 1 KWG, geändert am 3.9.2012. 2 Vgl. BFH v. 20.7.2016 – I R 50/15, ISR 2016, 424 m. Anm. Kahlenberg = DStR 2016, 2457 ff. = IStR 2016, 902 ff. 3 Vgl. Kaligin, RIW 1995, 398 ff.

Andresen 845

Kap. 11 Rz. 11.440

Sonderfälle

führt, gilt diese für Abkommenszwecke nicht als Betriebsstätte. Von einer Hilfsbetriebsstätte kann auch dann gesprochen werden, wenn die Hilfstätigkeiten in einer festen Geschäftseinrichtung im In- oder Ausland ausgeübt werden und mit dem betreffenden ausländischen Staat kein DBA abgeschlossen ist. Die steuerliche Folge ist, dass das alleinige Besteuerungsrecht für die Gewinne (oder Verluste) des Unternehmens aus dieser geschäftlichen Betätigung im Staat des Stammhauses liegt.

11.440 Begriff der Hilfsbetriebsstätte i.S. des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA gemäß Aktionspunkt 7 des OECD-BEPS-Projekts. Die Veränderung der Geschäftsmodelle internationaler Konzerne z.B. im Online-Handel hat die Finanzverwaltungen der OECD-Staaten und zahlreicher weiterer Staaten dazu veranlasst, die aus deren Sicht „künstliche“ Vermeidung der Begründung einer Betriebsstätte durch eine Änderung des Wortlauts des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA einzudämmen.1 Eine entscheidende Änderung gegenüber der ursprünglichen Auslegung des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA ist, dass sich jeder einzelne Ausnahmetatbestand der Buchst. a bis d zusätzlich als vorbereitende oder Hilfstätigkeit i.S. des Buchst. e der Vorschrift qualifizieren muss, wenn eine Betriebsstätte vermieden werden soll. Dies ist im Kontext des jeweiligen Geschäftsmodells zu prüfen.2 Da nicht alle Staaten diese Auffassung geteilt haben, sieht der Final Report 2015 für Aktionspunkt 7 des BEPS-Projekts der OECD/G20 alternativ die Einführung einer sog. „anti fragmentation rule“ vor. Diese Regel ist im Entwurf eines neuen Art. 5 Abs. 4.1 OECD-MA enthalten, der die Anwendung des Abs. 4 auf eine feste Geschäftseinrichtung ausschließt, wenn das Unternehmen oder ein nahestehendes Unternehmen an diesem oder einem anderen Ort in diesem Vertragsstaat eine weitere geschäftliche Aktivität ausübt und dieser Ort eine Betriebsstätte begründet oder die ursprüngliche und weitere geschäftliche Aktivität gemeinsam nicht mehr nur einen vorbereitenden oder Hilfscharakter haben. Dies soll jedoch nur dann gelten, wenn diese geschäftlichen Aktivitäten sich ergänzende Funktionen haben und Teil eines zusammenhängenden Geschäfts („business operation“) sind.3 Tendenziell wird die weniger starke Einschränkung innerstaatlicher Betriebsstättendefinitionen durch den neuen Art. 5 Abs. 4 OECD-MA zu einer größeren Anzahl von Betriebsstätten führen, in denen Tätigkeiten ausgeübt werden, die primär einen Dienstleistungscharakter haben. Für diese Dienstleistungen wird festzustellen sein, ob und in welchem Maße eine Vergütung über ein angemessenes Dienstleistungsentgelt unter Anwendung der Preisvergleichs- oder Kostenaufschlagsmethode hinaus einer solchen Hilfsbetriebsstätte zuzurechnen ist. Dies gilt umso mehr, als der Grund für die Einschränkung des Betriebsstättenbegriffs in der Vergangenheit Zweifel an der Zurechnung eines Gewinns mangels wertschöpfender Tätigkeit gewesen ist,4 während gleichzeitig die Geschäftsidee oder das intellektuelle Kapital hinter dem geänderten Geschäftsmodell in der Regel dem Stammhaus zuzurechnen ist, was eine Vergütung über ein Dienstleistungsentgelt hinaus nahezu ausschließt. Entsprechend ist schwer vorstellbar, wie etwa die Anwendung der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode bei Hilfsbetriebsstätten erfolgreich begründet werden kann. Ob und inwie-

1 Vgl. OECD/G20, Base Erosion and Profit Shifting Project, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7: Final Report 2015, Paris 2015, 9. 2 Siehe Art. 5 Abs. 4 Tz. 22 OECD-MK (Entwurf), in der am Beispiel eines Online-Handelsunternehmens dem Betreiben eines Warenlagers der vorbereitende oder Hilfscharakter dieser Tätigkeit abgesprochen wird. 3 Vgl. OECD/G20, Base Erosion and Profit Shifting Project, Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7: Final Report 2015, Paris 2015, 39. 4 Vgl. Reimer in Reimer/Urban/Schmid, Permanent Establishments, 85; Looks in Löwenstein/Looks, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 919.

846

Andresen

J. Repräsentanzen, Hilfs- und Dienstleistungsbetriebsstätten

Rz. 11.442 Kap. 11

weit die Überlegungen in dem Final Report der OECD/G20 zu Action Items 8 bis 101 zu einer Änderung führen, bleibt abzuwarten. Begriff der Dienstleistungsbetriebsstätte. Das innerstaatliche Recht in Gestalt des § 12 Abs. 1 AO setzt für die Begründung einer Betriebsstätte nach wie vor die Existenz einer festen Geschäftseinrichtung voraus. Fehlt es an dieser, kann die Erbringung von Dienstleistungen in Deutschland, z.B. in Form von Beratungsleistungen, nicht zur Annahme einer inländischen Betriebsstätte führen. Anders kann es sich nach dem innerstaatlichen Recht eines ausländischen Staats verhalten, so dass es insoweit auf den Ermächtigungsrahmen des einschlägigen DBA ankommt, wenn ein solches abgeschlossen worden ist. Eine Dienstleistungsbetriebsstätte i.S. des Art. 5 Tz. 42.23 OECD-MK ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Unternehmen eines Vertragsstaats in dem anderen Staat Dienstleistungen an Dritte2 durch eine oder mehrere natürliche Personen erbringt, die sich mehr als 183 Tage innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten im anderen Staat aufhalten, und dieses Unternehmen mehr als 50 % der Bruttoeinnahmen aus diesen Dienstleistungen in dem anderen Staat bezieht. Diese Bruttoeinnahmen müssen der aktiven Geschäftstätigkeit des Unternehmens während des Aufenthalts zuzurechnen sein. Gleiches gilt ungeachtet der Höhe und Veranlassung der Bruttoeinnahmen, wenn die Dienstleistungen für dasselbe Projekt oder zusammenhängende Projekte erbracht werden. Die Vorschrift hat Fiktionscharakter und führt selbst dann zu einer Betriebsstätte in den einschränkenden Grenzen des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA, wenn nach Art. 5 Abs. 3 OECD-MA keine Bau- und/oder Montagebetriebsstätte begründet würde. Die DBA mit China, Liberia, Norwegen, Philippinen, Südafrika, Taiwan und der Türkei enthalten üblicherweise in Art. 5 Abs. 3 Buchst. b eine Formulierung, die die Annahme einer Dienstleistungsbetriebsstätte erlaubt. Die Rechtsfolge sollte sich auf die Besteuerung der Gewinne beschränken und nicht etwa die Bruttoeinnahmen der Besteuerung unterwerfen ohne Abzugsmöglichkeit der für die Erzielung der Bruttoeinnahmen aufgewendeten Beträge.3

11.441

II. Notwendigkeit der Einkünfteermittlung Notwendigkeit der Abgrenzung der Einkünfte der Repräsentanz, Hilfs- und Dienstleistungsbetriebsstätte für Zwecke der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Wenn zwischen dem Ansässigkeitsstaat des Einheitsunternehmens und dem Betriebsstättenstaat kein DBA besteht und gleichzeitig von der Existenz einer Betriebsstätte gem. § 12 AO auszugehen ist, erfordert dies die Ermittlung der Einkünfte, die dieser Betriebsstätte zuzurechnen sind. Für eine inländische Betriebsstätte ergibt sich die Notwendigkeit, weil die im Ausland ansässige Person gem. § 1 Abs. 4 i.V. mit § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG mit ihren inländischen Einkünften aus Gewebebetrieb beschränkt einkommen- bzw. körperschaftsteuerpflichtig (§ 2 Nr. 1 KStG) ist, wenn und soweit für diesen Gewerbebetrieb im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird. Dies gilt nach innerstaatlichem Recht auch insoweit, als in dieser Betriebsstätte lediglich Hilfstätigkeiten ausgeübt werden.4 Selbst wenn mit dem Ansässigkeitsstaat dieser Person ein DBA abgeschlossen worden ist, kann die Abgrenzung der Betriebsstätten-

1 Vgl. OECD/G20, Base Erosion and Profit Shifting Project, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8–10: 2015 Final Reports, Paris 2015. 2 Vgl. Art. 5 Tz. 42.30 OECD-MK. 3 Vgl. Art. 5 Tz. 42.19 OECD-MK. 4 Zwar ist der Begriff „Hilfstätigkeit“ im nationalen Steuerrecht nicht definiert, dessen Inhalt kann jedoch aus der Negativabgrenzung in Art. 5 Abs. 4 OECD-MA abgeleitet werden.

Andresen 847

11.442

Kap. 11 Rz. 11.443

Sonderfälle

einkünfte notwendig werden.1 Ein Grund dafür liegt darin, dass ein DBA die Anwendung inländischen Verfahrensrechts nicht ausschließt und daher ungeachtet der nicht bestehenden Steuerpflicht mangels Existenz einer Betriebsstätte ein Unternehmen eine Einkommenbzw. Körperschaftsteuererklärung abzugeben hat (zur Gewerbesteuer s. Rz. 11.438).2 Angesichts der Tatsache, dass bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Art. 5 Abs. 4 OECDMA 2014 nicht von der Existenz einer Betriebsstätte ausgegangen werden kann, der nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2014 ein Gewinn zuzurechnen wäre, besteht im DBAFall nach innerstaatlichem Recht jedoch keine Notwendigkeit zur Einkünfteermittlung bei Hilfsbetriebsstätten. Es besteht zwar Steuerpflicht und damit Steuererklärungspflicht. Der zu erklärende Gewinn (oder Verlust) ist jedoch Null, weil dem Inland mangels Betriebsstätte kein Besteuerungsrecht eingeräumt ist. Für eine ausländische Nicht-DBA-Betriebsstätte ergibt sich die Notwendigkeit zur Abgrenzung deren ausländischer Einkünfte, da sich der Anrechnungshöchstbetrag der im Ausland gezahlten Steuern in § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG bzw. § 26 Abs. 2 Satz 1 KStG aus ihnen ergibt. Die Notwendigkeit der Einkünfteermittlung für eine Hilfsbetriebsstätte stellt sich auch bei Bestehen eines DBA ungeachtet der Frage, ob eine Betriebsstätte nach Abkommensrecht begründet wird oder nicht. In den Fällen, in denen eine Geschäftseinrichtung ihre Hilfstätigkeiten nicht (nur) für das eigene Unternehmen, sondern (auch) für ein anderes (Konzern-)Unternehmen erbringt, liegt auch nach Abkommensrecht eine Betriebsstätte vor,3 die eine Einkünfteermittlung für diese Betriebsstätte erforderlich macht. Zwar ist es zutreffend, dass Art. 5 Tz. 23 OECD-MK den Tätigkeiten vorbereitender Art oder Hilfstätigkeiten eine gewisse Entfernung zur tatsächlichen Gewinnerzielung des Gesamtunternehmens attestiert. Gleichzeitig ist anzuerkennen, dass auch diese Tätigkeiten zur Produktivität des Unternehmens beitragen können und ihnen somit auch ein Teil der Einkünfte des Einheitsunternehmens zuzurechnen ist. Ein weiterer Grund dafür, dass die Abgrenzung von Einkünften einer Repräsentanz, Hilfs- oder Dienstleistungsbetriebsstätte selbst im DBA-Fall notwendig ist, liefert das BFH-Urteil vom 20.7.2016,4 das für gewerbesteuerliche Zwecke den Betriebsstättenbegriff i.S. des § 12 AO anwendet (s. dazu Rz. 11.443).

11.443 Notwendigkeit der Abgrenzung der Einkünfte einer Repräsentanz und einer Hilfs- und Dienstleistungsbetriebsstätte für Zwecke der Gewerbesteuer. Wenn zwischen dem Ansässigkeitsstaat des Einheitsunternehmens und dem Betriebsstättenstaat kein DBA besteht und gleichzeitig von der Existenz einer inländischen Betriebsstätte i.S. des § 12 AO auszugehen ist, unterliegt ein stehender Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird, d.h. mit dem Gewerbeertrag seiner inländischen Betriebsstätte, der GewSt (§§ 2 Abs. 1 und 3 i.V. mit Abs. 6 GewStG). Außerdem unterliegen diejenigen Gewinne, die einer ausländischen Personengesellschaft oder Betriebsstätte zuzurechnen sind, gem. § 9 Nr. 2 bzw. 3 GewStG im Inland nicht der Gewerbesteuer. Dabei soll § 9 Nr. 2 bzw. 3 GewStG deklaratorische Bedeutung zukommen, während Gegenstand der Besteuerung nur der stehende Gewerbebetrieb ist, soweit er im Inland betrieben wird. Besteht ein DBA, hängt die Notwendigkeit der Einkünfteabgrenzung zum einen davon ab, welcher Betriebsstättenbegriff für die GewSt gilt, der innerstaatliche oder der abkommensrechtliche. Zum anderen könnte die Notwendigkeit

1 Eine Liste der abgeschlossenen DBA findet sich im BMF v. 18.1.2017 – IV B 2 - S 1301/07/10017-08 – DOK 2017/0048668, BStBl. I 2017, 140 nebst Berichtigung in BStBl. I 2017, 280. 2 Vgl. BFH v. 29.1.2003 – I R 10/02, BStBl. II 2003, 687. 3 Vgl. insoweit BFH v. 23.7.2003 – I R 62/02, BFH/NV 2004, 317 – Leitsatz 1. 4 Vgl. BFH v. 20.7.2016 – I R 50/15, ISR 2016, 424 m. Anm. Kahlenberg = DStR 2016, 2457 ff. = IStR 2016, 902 ff.

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Andresen

J. Repräsentanzen, Hilfs- und Dienstleistungsbetriebsstätten

Rz. 11.443 Kap. 11

der Einkünfteabgrenzung mit Bezug auf ausländische Betriebsstätten davon abhängen, ob es für den Ausschluss von der Gewerbesteuerpflicht der Existenz einer ausländischen Betriebsstätte überhaupt bedarf oder ob auch wirtschaftliche Aktivitäten unterhalb der Betriebsstättenschwelle ein Betreiben eines Gewerbebetriebs außerhalb des Inlands qualifizieren und insoweit keiner Gewerbesteuerpflicht unterliegen. Wird mit diesen wirtschaftlichen Aktivitäten ein Gewinn erwirtschaftet, würde sich der Gewerbeertrag vermindern; wenn sich aus diesen ein Verlust ergibt, würde sich der Gewerbeertrag erhöhen. Dies soll am Beispiel der „Nur-Aufwands-Repräsentanz“ verdeutlicht werden, wie sie das BZSt nach Aussage einiger ihrer Vertreter in den Außenprüfungen inländischer Banken mit Auslandsrepräsentanzen standardmäßig der Besteuerung zugrunde zu legen pflegte: Beispiel: Das BZSt erhöht den Gewerbeertrag eines inländischen Kreditinstitutes, indem es einen negativen (sic!) Kürzungsbetrag i.S. des § 9 Nr. 3 GewStG festsetzt, der durch die Zuordnung von Aufwendungen des Stammhauses auf ausländische Repräsentanzen in DBA-Staaten ermittelt wird, ohne dass diesen Repräsentanzen – unter Missachtung des § 88 Abs. 2 AO – ein Ertrag für die von ihnen erbrachten Leistungen an das Stammhaus zugeordnet wird. Da es sich bei diesem Phänomen nicht um einen Einzelfall handelt, stellt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens.

Der Gewerbesteuer unterliegt gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Im Inland betrieben wird ein Gewerbebetrieb, soweit für ihn im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird (Satz 3 der Vorschrift). Ausweislich der GewStR1 und der einschlägigen Kommentarliteratur2 soll für die – vor dem Hintergrund des § 2 Abs. 1 GewStG deklaratorische – Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 3 GewStG der Betriebsstättenbegriff des § 12 AO gelten und nicht der jeweilige Betriebsstättenbegriff eines ggf. einschlägigen DBA. Diese Auffassung wird häufig etwas ungelenk formuliert3 und in aller Regel letztlich aus dem obiter dictum des BFH-Urteils vom 7.3.19794 begründet. Dieses Urteil ist zur Vorgängervorschrift des § 12 AO ergangen, dem § 16 StAnpG, und überzeugt nicht vollständig als Quelle der geäußerten Auffassung. Der Grund dafür liegt in der schlichten Tatsache, dass sich der BFH zu dieser Frage gar nicht äußern musste bzw. gar nicht konnte, da Deutschland zu dem zu beurteilenden Zeitpunkt mit keinem der im Sachverhalt betroffenen Staaten ein DBA abgeschlossen hatte. Entsprechend erlaubt das – zu Unrecht – vielzitierte BFH-Urteil

1 Vgl. Abschnitt 24 Abs. 1 Satz 1 GewStR 1974 für die inländische Betriebsstätte i.S. des § 2 Abs. 1 GewStG (§ 16 StAnpG), für die es für die ausländische Betriebsstätte in Abschnitt 62c. Abs. 1 GewStR 1974 und bis zu den GewStR 1984 (Verweis auf Abschnitt 24) keine Entsprechung gibt; dann unter Verweis auf § 12 AO: Abschnitt 24 Abs. 1 Satz 1 GewStR 1978, 1984, und 1990; Abschnitt 22 Abs. 1 Satz 1 GewStR 1998; R 2.9 GewStR 2009. 2 Vgl. Güroff in Glanegger/Güroff9, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 2a (unter Verweis auf § 2 Rz. 610); Gosch in Blümich, § 9 EStG Rz. 218; Ziehr in Deloitte, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 4 (unter Verweis auf Rz. 462 ff. zu § 2); Wingler in Bergemann/Wingler, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 169; Roser in Lenski/ Steinberg, § 9 Nr. 3 GewStG Anm. 6 (unter Verweis auf Rz. 2500 ff. zu § 2); Meyer-Scharenberg in Meyer-Scharenberg/Popp/Woring2, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 3. 3 So Güroff in Glanegger/Güroff9, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 2a (unter Verweis auf § 2 Rz. 610): „Letzterer [DBA-Begriff; Anm. d. Verf.] gilt nur im Verhältnis zu dem jeweiligen Vertragsstaat“; Gosch in Blümich, § 9 EStG Rz. 218: „Denn die Abkommensdefinition gilt nur im Verhältnis zu dem jeweiligen Vertragsstaat“ und Roser in Lenski/Steinberg, § 9 Nr. 3 GewStG Anm. 6 (unter Verweis auf Rz. 2500 ff. zu § 2): „Die Begriffsbestimmungen der DBA sind dagegen aufgrund ihres zwischenstaatlichen Charakters nicht anzuwenden“; dem ist nur zu entgegnen, dass jeder Betriebsstättensachverhalt im Verhältnis zu dem jeweiligen Vertragsstaat zu beurteilen ist und dass jedes DBA, das Deutschland abgeschlossen hat, die GewSt als unter das Abkommen fallende Steuer definiert. 4 BFH v. 7.3.1979 – I R 145/79, BStBl. II 1979, 527.

Andresen 849

Kap. 11 Rz. 11.444

Sonderfälle

vom 7.3.1979 keine Aussage zu der Frage, welcher Betriebsstättenbegriff im Gewerbesteuergesetz anzuwenden ist. In dem dort zu beurteilenden Sachverhalt ging es um die Frage der Begründung je einer Betriebsstätte durch das Aufstellen einer Maschinenanlage in Rumänien in 1967/68, in Mexiko in 1968 und in Brasilien (1968). Deutschland hat die entsprechenden DBA jedoch erst 1973 (Rumänien), 1975 (Brasilien) und 1993 (Mexiko) abgeschlossen. In dem Beispielsfall ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Maßgabe des innerstaatlichen Betriebsstättenbegriffs zwar eine Betriebsstätte im Ausland begründet worden ist, der Aufwand hätte zugerechnet werden können. In einem zweiten Schritt stellt sich jedoch die Frage nach dem Besteuerungsrecht an den Unternehmensgewinnen. Ist die Repräsentanz wegen des Hilfscharakters der in ihr ausgeübten Tätigkeiten keine Betriebsstätte i.S. des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA, hat Deutschland das alleinige Besteuerungsrecht an den Unternehmensgewinnen unter Einschluss dessen, was die Repräsentanz erwirtschaftet. Entsprechend sind die Aufwendungen im Inland zu berücksichtigen und können nicht aus der inländischen Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer ausgeschieden werden. Sollte dies trotzdem geschehen, ist der Repräsentanz für Gewerbesteuerzwecke ein fremdüblicher Ertrag für die für das Stammhaus erbrachte Dienstleistung zu ermitteln. Deutschland hat zwar das alleinige Besteuerungsrecht, nimmt dieses jedoch wegen des Objektsteuercharakters bei Vorliegen einer ausländischen Betriebsstätte i.S. des § 12 AO für gewerbesteuerliche Zwecke nicht wahr. Eine reine Aufwandszurechnung zur Erhöhung der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage des inländischen Stammhauses ist jedoch in keinem Fall zulässig, da jede Repräsentanz gegenüber dem Stammhaus eine Leistung erbringt, die unter dem Veranlassungsprinzip, dem Fremdvergleichsgrundsatz und dem AOA immer zu einer Kostenerstattung oder – bei angemessener Bepreisung dieser Dienstleistung - sogar zu einem Gewinn führt.

11.444 Notwendigkeit der Einkünfteabgrenzung ungeachtet Rz. 9 VWG BsGa. Gemäß Rz. 9 VWG BsGa sollen § 1 Abs. 5 AStG, die BsGaV und die VWG BsGa nur dann zur Anwendung kommen, wenn neben einer Betriebsstätte i.S. des § 12 AO auch eine Betriebsstätte nach DBA besteht. Diese einschränkende Sichtweise lässt sich aus § 1 Abs. 5 AStG und dessen Gesetzesbegründung nicht ablesen. Nach dem Ergehen des BFH-Urteils vom 20.7.2016 ist diese Formulierung schon gar nicht mehr haltbar, weil unter Umständen für eine größere Zahl von nunmehr wohl auch in der Vergangenheit begründeten Betriebsstätten für gewerbesteuerliche Zwecke eine Einkünfteabgrenzung vorzunehmen ist, die sich wohl kaum an anderen Kriterien als denen in § 1 Abs. 5 AStG orientieren sollte. Der AOA ist zwar für Zwecke des Art. 7 OECD-MA entwickelt worden. Dessen Umsetzung in innerstaatliches Recht unterscheidet jedoch nicht zwischen unterschiedlichen Betriebsstätten. Dort ist der Betriebsstättenbegriff des § 12 AO maßgeblich. Folglich ist der AOA immer auch in Fällen anzuwenden, in denen mit dem Staat, in dem das Stammhaus oder eine Betriebsstätte eines grenzüberschreitend tätigen Einheitsunternehmens liegt, kein DBA abgeschlossen ist. Mit anderen Worten ist der AOA in allen grenzüberschreitenden Fällen der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung anzuwenden. Eine Einkünfteabgrenzung nach dem AOA innerhalb Deutschlands, etwa in Konkurrenz zur Zerlegung i.S. der §§ 28 ff. GewStG, dürfte hingegen ausgeschlossen sein.

11.445 Umfang der Einkünfte bei gemischten Geschäftseinrichtungen. Eine feste Geschäftseinrichtung, die neben den Hilfstätigkeiten auch andere Tätigkeiten ausübt, die nicht unter Art. 5 Abs. 4 OECD-MA 2014 fallen und deshalb die Begründung einer Betriebsstätte nach sich ziehen können, wird in Art. 5 Tz. 30 OECD-MK als „gemischte Geschäftseinrichtung“ bezeichnet. Gemäß Art. 5 Tz. 30 OECD-MK gilt eine solche Geschäftseinrichtung als eine einzige Betriebsstätte. Art. 5 Tz. 30 OECD-MK führt weiter aus, dass die einzige Betriebs-

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Andresen

J. Repräsentanzen, Hilfs- und Dienstleistungsbetriebsstätten

Rz. 11.445 Kap. 11

stätte einer „gemischten Geschäftseinrichtung“ für beide Arten von Tätigkeiten besteuert werden kann. Die gewählte Formulierung legt nahe, dass der Betriebsstättenstaat das Recht hat, nicht nur die Gewinne aus der betriebsstättenbegründenden, sondern auch aus der Hilfstätigkeit zu besteuern. Die Gewinne aus der betriebsstättenbegründenden Tätigkeit infizieren also die Gewinne aus den Hilfstätigkeiten im engeren Sinne hinsichtlich deren Behandlung unter dem einschlägigen DBA.1 Wassermeyer vertritt die Auffassung, dass von der Existenz einer einzigen Betriebsstätte und einer einheitlichen Besteuerung für beide Arten von Tätigkeiten nur dann auszugehen ist, wenn die Hilfstätigkeit im engeren Sinne mit der betriebsstättenbegründenden Tätigkeit in einem wirtschaftlichen Zusammenhang steht.2 Unter der Annahme, dass kein solcher wirtschaftlicher Zusammenhang besteht, hat der Steuerpflichtige in seiner gemischten Geschäftseinrichtung zwei Gewinnermittlungen bzw. -abgrenzungen durchzuführen: eine für die betriebsstättenbegründende Tätigkeit und eine für die Hilfstätigkeit. Eine Betriebsstätte hätte dann zwei Gewinne mit unterschiedlichen Besteuerungsschicksalen. Dies kann nicht Sinn und Zweck eines DBA sein, zumal auch Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2014 von der Ausübung einer einzigen Geschäftstätigkeit ausgeht. Die Tatsache, dass das Wort „Gewinn“ im Plural verwendet wird, steht dem nicht entgegen, weil Gewinne aus einer einheitlich zu beurteilenden Geschäftstätigkeit gemeint sind. Es ist deshalb davon auszugehen, dass eine gemischte Geschäftseinrichtung lediglich eine einzige Gewinnabgrenzung durchführt, in der die Hilfstätigkeiten im engeren Sinne das Besteuerungsschicksal der betriebsstättenbegründenden Tätigkeiten teilen. Diese Auffassung entspricht auch dem Zweck des Negativkatalogs. Der Grund für diese Ausnahmeregelung wird darin gesehen, dass die genannten Hilfstätigkeiten im engeren Sinne nicht unmittelbar der Gewinnerzielung dienen.3 Außerdem sei es (deshalb) schwierig, den anteiligen Unternehmensgewinn zu ermitteln, der auf solche Hilfstätigkeiten entfällt.4 Der Steuerpflichtige sollte also überlegen, welche Tätigkeiten er in seiner Betriebsstätte ausübt, weil die Infizierung der Hilfstätigkeiten sowohl positive als auch negative Steuerfolgen auslösen kann. Für Zweck der Einkünfteermittlung der Betriebsstätte bedeutet dies, dass die Einkünfte aus Hilfstätigkeiten auf die gleiche Weise ermittelt werden, d.h. ggf. mit derselben Verrechnungspreismethode wie die Einkünfte, die aus der betriebsstättenbegründenden Tätigkeit resultieren. Beispiel: Die inländische D-GmbH vertreibt ihre Produkte direkt an Kunden im DBA-Ausland. Die Kunden sind ihr durch einen ihrer Angestellten vermittelt worden, der im DBA-Ausland zwar keine Abschlussvollmacht besitzt und ausübt, aber aus einem von der D-GmbH im DBA-Ausland angemieteten Warenlager Auslieferungen vornimmt. Der Lagerungs- und Auslieferungsumfang bewegt sich jährlich zwischen 100 und 500 Mio. Euro in Warenwerten mit dem entsprechenden Miet- und Personalaufwand. In dem von der D-GmbH angemieteten Lager werden außerdem Produkte von deren Schwestergesellschaften D-S.à.r.l. und D Ltd. ausgestellt und vereinzelt auch ausgeliefert. Der jährliche Auslieferungsumfang liegt regelmäßig unter 500 000 Euro in Warenwerten mit der entsprechenden Miet- und Personalbindung. Durch die Ausübung der anderen Hilfstätigkeiten für die D-S.à.r.l. und D Ltd. begründet die D-GmbH im DBA-Ausland eine Betriebsstätte, der sämtliche Gewinne aus den betriebsstättenbegründenden und den Hilfstätigkeiten im engeren Sinne zuzurechnen sind.

1 Ebenso Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 183. Im Schrifttum findet sich in diesem Zusammenhang irreführenderweise häufig der Ausdruck „Haupttätigkeit“, der jedoch in seiner Ursprungsquelle, den BS-VWG, lediglich im Kontext der Gewinnabgrenzung bei Dienstleistungen und nicht im Kontext der Betriebsstättenbegründung verwendet wird. 2 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 153. 3 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 152, 183. 4 Vgl. Art. 5 Tz. 42.43 OECD-MK; Rehfeld in G/K/G, Art. 5 OECD-MA Rz. 163.

Andresen 851

Kap. 11 Rz. 11.446

Sonderfälle

In Repräsentanzen und Hilfsbetriebsstätten werden häufig Geschäfte angebahnt, die zur Erfassung von Umsatz oder sonstigen betrieblichen Erträgen bei dem vertretenen Unternehmen im Inland führen. Entsprechend sind den Repräsentanzen und Hilfsbetriebsstätten genauso wie Dienstleistungsbetriebsstätten in erster Linie Erträge aus der Erbringung von Dienstleistungen gegenüber dem Stammhaus oder anderen Personen zuzurechnen. Eine Zuordnung von Wirtschaftsgütern unter dem AOA dürfte auf diejenigen Wirtschaftsgüter beschränkt sein, die zur Erbringung der jeweiligen Dienstleistung benötigt werden. Eine Zuordnung der angebahnten Geschäfte selbst zur Repräsentanz, Hilfs- oder Dienstleistungsbetriebsstätte scheidet regelmäßig aus. Insoweit ähnelt sich die Einkünfteabgrenzung von Vertreterbetriebsstätten auf der einen und Repräsentanzen, Hilfs- und Dienstleistungsbetriebsstätten auf der anderen Seite.

III. Vermögensabgrenzung 11.446 Zuordnung von Personalfunktionen, Wirtschaftsgütern und Kapital. Einer Repräsentanz, Hilfs- oder Dienstleistungsbetriebsstätte, für die im Nicht-DBA-Fall oder für Zwecke der Gewerbesteuer Einkünfte abzugrenzen sind, sind ungeachtet Rz. 9 VWG BsGa die Personalfunktionen, Wirtschaftsgüter, Chancen und Risiken und das Kapital zuzuordnen, die für deren Geschäftstätigkeit benötigt werden (s. dazu Rz. 4.64–4.184 ggf. unter Verweis auf die Rz. in diesem Kapitel). Dies vollzieht sich in analoger Anwendung der §§ 4–17 BsGaV, bei Bankbetriebsstätten ggf. zzgl. der §§ 18–22, bei Versicherungsbetriebsstätten ggf. zzgl. der §§ 23–29 und bei Bau- und Montagebetriebsstätten ggf. zzgl. der §§ 30–34, bei Explorationsunternehmen ggf. zzgl. der §§ 35–38 und bei Vertreterbetriebsstätten ggf. zzgl. des § 39 BsGaV auf die Personalfunktionen, Wirtschaftsgüter etc., die in einem Unternehmen und dessen Repräsentanz, Hilfs- oder Dienstleistungsbetriebsstätte vorhanden sind. Insoweit gelten die in Kapitel 4 beschriebenen Grundsätze uneingeschränkt (s. Rz. 4.58 ff.).

IV. Einkünfteabgrenzung 1. Rechtsgrundlagen

11.447 Rechtsgrundlagen. Einkünfte einer Repräsentanz, Hilfs- oder Dienstleistungsbetriebsstätte resultieren im Wesentlichen aus dem Abschluss von Geschäften mit dem Stammhaus oder nahestehenden oder fremden dritten Personen. Die Zuordnungsvorschrift für die Geschäftsvorfälle des Unternehmens findet sich in § 9 BsGaV (s. Rz. 4.117 ff.). Eine Hilfsbetriebsstätte erbringt Leistungen, die nicht in den Ausnahmekatalog des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA 2014 fallen. Die mit diesen Leistungen verbundenen Geschäftsvorfälle sind der Betriebsstätte zuzuordnen, die für das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls verantwortlich ist. 2. Ermittlung des angemessenen Gewinns der Hilfsbetriebsstätte

11.448 Abgrenzungsmethode. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Entgelt für die Tätigkeit einer Hilfsbetriebsstätte nach der direkten Methode zu bestimmen. Dies ändert sich auch unter dem AOA nicht, dessen Umsetzung in Art. 7 OECD-MA 2010 zur Streichung des Abs. 3 geführt hat, der die Anwendung der indirekte Methode sanktioniert hat. Die Anwendung der indirekten Methode bspw. in der Form eines Profit Split dürfte in aller Regel ausscheiden, da die Funktionen von Stammhaus und Hilfsbetriebsstätte zu unterschiedlich sind, als dass die Vo-

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Andresen

J. Repräsentanzen, Hilfs- und Dienstleistungsbetriebsstätten

Rz. 11.451 Kap. 11

raussetzung für die Anwendung einer indirekten Methode oder der Profit-Split-Methode1 erfüllt sein könnte. Verrechnungspreismethode für die Ermittlung des angemessenen Gewinns. Sämtliche in Art. 5 Abs. 4 OECD-MA 2003 aufgeführten Tätigkeiten sind als Dienstleistungen anzusehen. Sowohl die einschlägige Rechtsprechung als auch die Finanzverwaltung sehen für die Bestimmung eines Dienstleistungsentgelts die Anwendung der Preisvergleichsmethode und hilfsweise der Kostenaufschlagsmethode vor. Dem Steuerpflichtigen steht es jedoch frei, andere Methoden zur Bestimmung eines angemessenen Entgelts für die Hilfstätigkeit anzuwenden, z.B. die transaktionsbezogene Nettomargenmethode oder die transaktionsbezogene Gewinnaufteilungsmethode. Dies gilt insbesondere dann, wenn es für die Anwendung der Preisvergleichsmethode oder der Kostenaufschlagsmethode keine Vergleichswerte gibt oder diese nur unter großem Aufwand zu beschaffen sind. Am praktikabelsten dürfte die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zur Berechnung des Teils des Entgelts aus den Außentransaktionen sein, der der Hilfsbetriebsstätte zuzurechnen ist. Dabei ist der Hilfsbetriebsstätte grundsätzlich ein deren Aufwendungen übersteigender Anteil an den Erlösen des Unternehmens zuzurechnen unabhängig davon, ob die Hilfsleistung unmittelbar in den Außenumsatz einfließt oder nicht. Der dabei entstehende Gewinn dürfte dem Funktionsprofil entsprechend eher niedrig anzusetzen sein, wobei die jeweilige Branche bei der Höhe zu berücksichtigen ist. Die Tatsache, dass einer Hilfsbetriebsstätte wegen ihres geringen Funktionsumfangs lediglich ein geringer Teil an einem erwirtschafteten Gewinn zusteht, bedeutet jedoch nicht, dass sie – gewissermaßen im Umkehrschluss – in keinem Besteuerungszeitraum einen Verlust erleiden darf.

11.449

Aufwandszuordnung. Der Hilfsbetriebsstätte sind diejenigen Aufwendungen zuzurechnen, die durch die Hilfstätigkeiten veranlasst sind, wie z.B. Mieten oder Abschreibungen für Lagereinrichtungen bzw. Ausstellungsräume, Personalaufwendungen, Versicherungsprämien (z.B. für Warenbestände) etc.

11.450

V. Steuerliche Behandlung des Gewinns einer Hilfsbetriebsstätte In- und ausländische Betriebsstätte. Der Gewinn einer inländischen festen Geschäftseinrichtung, deren Tätigkeiten ausschließlich unter Art. 5 Abs. 4 OECD-MA 2010 fallen, unterliegt in Deutschland nicht der Besteuerung mit Einkommen- oder Körperschaftsteuer, weil Deutschland mangels Vorliegens einer Betriebsstätte nach Abkommensrecht kein Besteuerungsrecht besitzt. Dieser Gewinn unterliegt jedoch im DBA und im Nicht-DBA-Fall immer der GewSt. Das ausländische Einheitsunternehmen hat daher neben der Gewerbesteuererklärung grundsätzlich auch eine Einkommen- oder Körperschaftsteuererklärung für die feste Geschäftseinrichtung abzugeben, weil die Behandlung nach Doppelbesteuerungsrecht nicht insoweit auf das inländische Verfahrensrecht durchschlägt, als dass es die Nichtabgabe einer Steuererklärung erzwingen könnte. Dass eine zuständige Finanzbehörde – ggf. auf Antrag – auf die Abgabe einer Einkommen- oder Körperschaftsteuererklärung auf dem Billigkeitswege verzichtet, wenn Deutschland nach Abkommensrecht mangels Betriebsstätte kein Besteue-

1 Siehe zu den Anwendungsvoraussetzungen der Profit-Split-Methode: OECD, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), Public Discussion Draft, BEPS Action 10, Revised Guidance on Profit Splits, Paris 2017.

Andresen 853

11.451

Kap. 11 Rz. 11.451

Sonderfälle

rungsrecht hat, darf bezweifelt werden. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass die Gewinnermittlung für Gewerbesteuerzwecke in § 7 GewStG auf die Gewinnermittlung im Einkommensteuerrecht aufsetzt. Vor diesem Hintergrund erscheint es für das durchzuführende Besteuerungsverfahren aus Sicht der Verwaltung wahrscheinlich sinnvoll zu sein, sämtliche Steuererklärungen anzufordern. Der Gewinn einer ausländischen festen Geschäftseinrichtung, deren Tätigkeiten ausschließlich unter Art. 5 Abs. 4 OECD-MA 2010 fallen, unterliegt im Inland der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Obwohl Deutschland mangels ausländischer Betriebsstätte das alleinige Besteuerungsrecht hat, nimmt es dieses insoweit nicht wahr, als die Gewerbesteuer betroffen ist, da § 9 Nr. 2 und 3 GewStG die Gewinne einer ausländischen Personengesellschaft und Betriebsstätte aus der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage kürzen, weil insoweit der Betriebsstättenbegriff i.S. des § 12 AO zur Anwendung kommt – im Nicht-DBA-Fall genauso wie im DBA-Fall.

854

Andresen

A. Unionsrechtlicher Rahmen

Rz. 12.1 Kap. 12

Kapitel 12 Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht A. Unionsrechtlicher Rahmen der internationalen Betriebsstättenbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12.1

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten I. Gewinnermittlung . . . . . . . . . . . . . . II. Verlustberücksichtigung 1. DBA-Freistellung und Symmetriethese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verlustausgleichsbeschränkung gem. § 2a EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Negativer Progressionsvorbehalt gem. § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Frustrierte Gründungsaufwendungen III. Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte. .

12.7

IV. Hinzurechnungsbesteuerung gem. § 20 Abs. 2 AStG . . . . . . . . . . .

12.32

V. Anrechnungsmethode gem. § 34c EStG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12.35

C. Besteuerung inländischer Betriebsstätten I. Gewinnermittlung . . . . . . . . . . . . . .

12.42

12.11

II. Überführung von Wirtschaftsgütern in ein ausländisches Stammhaus . . .

12.43

12.19

III. Besonderheiten im Rahmen von § 50 EStG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12.44

D. Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . .

12.47

12.22 12.24 12.26

A. Unionsrechtlicher Rahmen der internationalen Betriebsstättenbesteuerung Allgemeines – Betriebsstätte im Unionsrecht. Mit der Unterzeichnung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft haben die Mitgliedstaaten die (klassisch-)neoklassische Vorstellung1 von einer Wirtschaftsordnung in verbindliche Rechtssätze gegossen, über eine liberale Öffnung der nationalen Faktor- und Gütermärkte den Wohlstand der Nationen zu sichern und zu mehren.2 Konsequent fordert Art. 26 Abs. 2 AEUV3 daher die Schaffung eines Binnenmarkts, in welchem „der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital […] gewährleistet ist“. Dieses Vertragsziel tritt – wie bspw. Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV im Kontext der Niederlassungsfreiheit deutlich macht – auch dann in

1 Zu den theoretischen Grundlagen der (klassisch-)neoklassischen Theorie s. etwa Hume, Of the Balance of Trade, in Hume, Essays Moral, Political, and Literary, Vol. I, London 1875, 330 ff.; Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Vol. II, London 1776, 36 ff., 80 ff., 191 ff.; Ricardo, Principles of Political Economy and Taxation, London 1821, 113 ff. 2 Zu dieser ökonomischen Fundierung des Unionsrechts s. Schön in FS Wassermeyer, 502 f.; Schön, Der „Wettbewerb“ der europäischen Steuerordnungen als Rechtsproblem, in DStJG Bd. 23, Europa- und verfassungsrechtliche Grenzen der Unternehmensbesteuerung, Köln 2000, 191 ff.; Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2005, 16 ff. m.w.N.; Schönfeld, StuW 2005, 158; Lehner in FS Wassermeyer, 249 ff.; Hansen, European Economic History, Kopenhagen 2001, 379; Molle, The Economics of European Integration, 5. Aufl., Aldershot 2006, 333. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union v. 13.12.2007, ABl. EU 2008 Nr. C 115, 65.

Schönfeld/Quilitzsch

855

12.1

Kap. 12 Rz. 12.2

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

Erscheinung, wenn sich Angehörige eines Vertragsstaats innerhalb der Europäischen Union durch die Gründung von Zweigniederlassungen wirtschaftlich betätigen. Vor diesem Hintergrund kommt der Betriebsstätte – als steuerliches Pendant zum handelsrechtlichen Begriff der Zweigniederlassung – eine herausgehobene Bedeutung zu. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass sich mit ihr eine grenzüberschreitende Wertschöpfung vergleichsweise einfach vollziehen lässt. Es überrascht deshalb wenig, dass mit Art. 2 Abs. 2 Mutter-TochterRichtlinie (MTR)1 eine eigenständige Legaldefinition des Betriebsstättenbegriffs vorgenommen wird. Danach handelt es sich bei einer Betriebsstätte um „eine feste Geschäftseinrichtung in einem Mitgliedstaat, durch die die Tätigkeit eines Gesellschafters in einem anderen Mitgliedstaat ganz oder teilweise ausgeübt wird […]“.2 Diese Begriffsdefinition lehnt sich erkennbar an die Bestimmung zum Betriebsstättenbegriff an, wie sie Art. 5 OECD-MA und § 12 Satz 1 AO vornehmen. Blendet man demnach die Besonderheiten aus, die die Definition dem Gegenstand der Richtlinie schuldet, so stimmt das unionsrechtliche Verständnis der Betriebsstätte weitgehend mit diesen Vorstellungen überein.3 Entsprechend kann für die Auslegung des unionsrechtlichen Betriebsstättenbegriffs auf die einschlägigen Erläuterungen zum OECD-MA4 sowie zur Abgabenordnung5 verwiesen werden.

12.2 Einschlägige Grundfreiheiten. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH fällt der Bereich der direkten Steuern in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten. Diese sind jedoch angehalten, ihre Besteuerungsbefugnisse unter Wahrung der Vorgaben des Unionsrechts auszuüben.6 Daraus erwächst ein Gebot an die Mitgliedstaaten, die Grundfreiheiten auch in Bezug auf steuerrechtliche Vorschriften nicht beschränken zu dürfen.7 Die Grundfreiheiten sichern in diesem Sinne das Konzept von einem einheitlichen Binnenmarkt, indem sie den Mitgliedstaaten den Erlass solcher diskriminierenden oder beschränkenden Maßnahmen verwehren, die Marktteilnehmer an einer grenzüberschreitenden Wertschöpfung hindern. Im Hinblick auf die Anknüpfung des Betriebsstättenbegriffs an eine – in einem anderen Mitgliedstaat gelegene – feste Geschäftseinrichtung liegt es auf der Hand, dass für die Frage der Vereinbarkeit der geltenden Betriebsstättenbesteuerung mit unionsrechtlichen Vorgaben der

1 Richtlinie 90/435/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG Nr. L 225, 6. 2 ABl. EG Nr. L 7/2004, 41; dazu Bendlinger, SWI 2004, 277 (280 ff.); Zanotti, ET 2004, 493 ff.; Thömmes/Eicker, EC Law Aspects of Permanent Establishments, in IBFD (Hrsg.), The Taxation of Permanent Establishments, 14 f. 3 Allerdings ergänzt um eine „Subject-to-Tax-Klausel“: „[…] sofern die Gewinne dieser Geschäftseinrichtung in dem Mitgliedstaat, in dem sie gelegen ist, nach […] innerstaatlichem Recht steuerpflichtig sind“. 4 Insbesondere Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA; Hruschka in S/D, DBA, Art. 5 OECD-MA. 5 Exemplarisch statt vieler Drüen in T/K, § 12 AO. 6 Vgl. EuGH v. 11.8.1995 – Rs. C-80/94 – Wielockx, ECLI:EU:C:1995:271, Tz. 16 = FR 1995, 647; v. 14.12.1995 – Rs. C-279/93 – Schumacker, ECLI:EU:C:1995:31, Tz. 21; v. 16.7.1998 – Rs. C-294/96 – ICI, ECLI:EU:C:1998:370, Tz. 19; v. 19.4.1999 – Rs. C-311/97 – Royal Bank of Scotland, ECLI: EU:C:1999:216, Tz. 19 = FR 1999, 822 m. Anm. Dautzenberg; v. 28.10.1999 – Rs. C-55/98 – Vestergaard, ECLI:EU:C:1999:533, Tz. 15 = FR 1999, 1386; v. 26.6.2003 – Rs. C-422/01 – Skandia und Ramstedt, ECLI:EU:C:2003:380, Tz. 25; v. 13.11.2003 – Rs. C-42/02 – Lindman, ECLI:EU: C:2003:613, Tz. 18; v. 15.7.2004 – Rs. C-315/02 – Lenz, ECLI:EU:C:2004:446, Tz. 19; v. 7.9.2004 – Rs. C-319/02 – Manninen, ECLI:EU:C:2004:484, Tz. 19; v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, ECLI:EU:C:2005:763, Tz. 29; v. 17.9.2009 – Rs. C-182/08 – Glaxo Wellcome, ECLI:EU:C:2009:559, Tz. 34. 7 Vgl. Ungemach, Ubg 2011, 251 (252).

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Schönfeld/Quilitzsch

A. Unionsrechtlicher Rahmen

Rz. 12.3 Kap. 12

Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV eine besondere Rolle zuwächst.1 Denn hinter ihr verbirgt sich das Recht natürlicher und juristischer Personen, sich im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaats niederzulassen (sog. primäre Niederlassungsfreiheit) und durch die Gründung von Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat tätig zu werden (sog. sekundäre Niederlassungsfreiheit).2 Sie schützt in diesem Zusammenhang aber nicht nur die freie Niederlassung im Aufnahmemitgliedstaat, sondern verbietet außerdem auch dem Herkunftsmitgliedstaat, eine solche mit steuerlichen Hindernissen zu versehen.3 Weil die Gründung und Unterhaltung einer Betriebsstätte aber regelmäßig mit grenzüberschreitenden Kapitalbewegungen verbunden ist, erlangt daneben die Freiheit des Kapitalverkehres gem. Art. 63 AEUV eine entsprechende Relevanz. Soweit der Steuerpflichtige ferner eine Betriebsstätte etabliert, um in einem anderen Mitgliedstaat eine – möglicherweise auch nur vorübergehende – Dienstleistung anzubieten (oder in Anspruch zu nehmen), kann auch die Dienstleistungsverkehrsfreiheit gem. Art. 56 AEUV betroffen sein. Dies gilt insbesondere auch für solche Leistungsbeziehungen mit Dienstleistungscharakter, die von der Betriebsstätte gegenüber nahestehenden Personen des Stammhauses erbracht werden, mithin in grenzüberschreitenden Konzernstrukturen. Demgegenüber erscheint es mit Blick auf die fehlende Rechtssubjektivität der Betriebsstätte zweifelhaft, inwieweit diejenige Leistungsbeziehung zwischen Betriebsstätte und Stammhaus, die das Ergebnis einer grenzüberschreitenden Ausgliederung einer betrieblichen Teilfunktion vom Stammhaus auf die Betriebsstätte ist, eine von Art. 56 AEUV erfasste interne Dienstleistung (dealing) darstellt.4 Diese Frage bedarf jedoch keiner Vertiefung,5 weil der EuGH im Fall des Vorliegens mehrerer Grundfreiheiten ohnehin dazu neigt, auf die sachnächste Grundfreiheit abzustellen.6 Und dies bedeutet für das Auslagern betrieblicher Teilfunktionen auf eine Betriebsstätte, dass darin in erster Linie die Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit zu sehen ist.7 Diskriminierungsverbot. Der Gewährleistungsgehalt der Grundfreiheiten schützt zunächst vor Diskriminierungen. In Outbound-Fällen greift der EuGH in seiner ertragsteuerlichen

1 So Thömmes/Eicker, EC Law Aspects of Permanent Establishments, in IBFD (Hrsg.), The Taxation of Permanent Establishments, 15 f. 2 Vgl. EuGH v. 28.1.1986 – Rs. C-270/83 – Kommission/Frankreich, ECLI:EU:C:1986:37, Tz. 18; v. 13.7.1993 – Rs. C-330/91 – Commerzbank, ECLI:EU:C:1993:303, Tz. 13; v. 12.4.1994 – Rs. C-1/93 – Halliburton, ECLI:EU:C:1994:127, Tz. 14. Ausführlich zu dieser Differenzierung Tietje in Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl., 383, Rz. 34 ff.; Hahn, DStZ 2005, 469 (472 f.). 3 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, ECLI:EU:C:2006:544, Tz. 42 = FR 2006, 987 m. Anm. Lieber; v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, ECLI:EU:C:2011: 785, Tz. 35 = FR 2012, 25 m. Anm. Musil. 4 Zur Personenverschiedenheit von Leistungserbringer und Leistungsempfänger im Rahmen der Dienstleistungsverkehrsfreiheit s. Tiedje in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., Bd. 1, Art. 56 AEUV Rz. 5 ff.; Hakenberg in Lenz/Borchardt, EU-Verträge, 6. Aufl., Art. 56/57 AEUV Rz. 2 ff. 5 Mit Blick auf die im Schrifttum aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Saint-Gobain“ gezogene Schlussfolgerung, eine Betriebsstätte sei aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben einer Person gleichzustellen, ließe sich möglicherweise auch die gegenteilige Auffassung vertreten; vgl. de Weerth, IStR 1999, 628; Eilers/Schmidt, DStR 1999, 1977 (1979); Lang in FS Rädler, 432. 6 Vgl. Loose, Das Steuerrecht als Schranke der Freiheit des Kapitalverkehrs, Sternenfels 2001, 49 ff. 7 Vgl. EuGH v. 21.9.1999 – Rs. C-307/97 – Saint-Gobain, ECLI:EU:C:1999:438, Tz. 35; v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, ECLI:EU:C:2005:763, Tz. 30; v. 17.7.2014 – Rs. C-48/13 – Nordea Bank Danmark, ECLI:EU:C:2014:2087, Tz. 17 = ISR 2014, 139 m. Anm. Henze.

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12.3

Kap. 12 Rz. 12.4

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

Judikatur allerdings nicht auf die Terminologie „Diskriminierung“ zurück, sondern spricht stattdessen von einer Ungleichbehandlung des ausländischen Sachverhalts gegenüber dem vergleichbaren inländischen Sachverhalt, und zwar als Beschränkung des Gewährleistungsgehalts der jeweiligen Grundfreiheit.1 Für die Rechtsanwendung ist diese Differenzierung letztlich ohne Bedeutung; ihre Begründung findet sie aber vermutlich darin, dass in Outbound-Fällen die Träger der Grundfreiheiten über dieselbe Staatszugehörigkeit mit der Folge verfügen, dass eine offene oder versteckte Diskriminierung nach der Staatszugehörigkeit – wie sie von Art. 18 Abs. 1 AEUV als allgemeines Diskriminierungsverbot in den Blick genommen und in Art. 49 AEUV konkretisiert wird – durch den Marktaustrittsstaat nicht möglich ist.2 Zur Wahrung einer – der Judikatur des EuGH entsprechenden – einheitlichen Terminologie soll diese Differenzierung in der Folge beibehalten werden, was insbesondere für den Fall einer ausländischen Betriebsstätte eines inländischen Stammhauses (OutboundFall) von Bedeutung ist.

12.4 Beschränkungsverbot. Der Gewährleistungsgehalt der Grundfreiheiten erschöpft sich nicht in der Diskriminierung oder Ungleichbehandlung; die Grundfreiheiten schützen auch vor weitergehenden Beschränkungen. Für den steuerlichen Berater, der mit unionsrechtlichen Fragestellungen in Berührung kommt, ist es jedoch vielfach schwierig, die Reichweite eines solchen Beschränkungsverbots zu bestimmen. In weiten Teilen des Schrifttums findet sich die Empfehlung, den Grundfreiheiten nicht nur einen gleichheitsrechtlichen, sondern freiheitsrechtlichen Gewährleistungsgehalt beizumessen.3 Weil damit aber fast jede steuerliche Norm auf den Prüfstand des Unionsrechts geführt würde,4 erscheint diese Empfehlung schon aus haftungsrechtlicher Perspektive wenig hilfreich. Bei näherem Hinsehen besteht auch keine Notwendigkeit für eine derart weitgehende Auslegung. Denn zur Bestimmung der Reichweite des Beschränkungsverbots lässt sich ein für die Schaffung des Binnenmarkts tragendes Rechtsprinzip aufzeigen: das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Der EuGH entwickelte dieses Prinzip in der Rechtssache „Cassis de Dijon“5 in der Erkenntnis, dass eine Beschrän-

1 Vgl. EuGH v. 14.12.2000 – Rs. C-141/99 – AMID, ECLI:EU:C:2000:696, Tz. 23, 27 = FR 2001, 157; v. 6.6.2000 – Rs. C-35/98 – Verkooijen, ECLI:EU:C:2000:294, Tz. 34 f. = FR 2000, 720 m. Anm. Dautzenberg; v. 13.4.2000 – Rs. C-251/98 – Baars, ECLI:EU:C:2000:205, Tz. 30 = FR 2000, 573; v. 18.11.1999 – Rs. C-200/98 – X et Y, ECLI:EU:C:1999:566, Tz. 28 = FR 2000, 62; v. 28.10.1999 – Rs. C-55/98 – Vestergaard, ECLI:EU:C:1999:533, Tz. 22 = FR 1999, 1386; v. 26.10.1999 – Rs. C-294/97 – Eurowings, ECLI:EU:C:1999:524, Tz. 40 = FR 1999, 1327 m. Anm. Dautzenberg; v. 16.7.1998 – Rs. C-264/96 – ICI, ECLI:EU:C:1998:370, Tz. 23; zu dieser Entwicklung der Grundfreiheiten von Diskriminierungs- zu Beschränkungsverboten statt vieler Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, Köln 2002, 104 ff.; Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2005, 57 ff. 2 Näher Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2005, 64 f. 3 Statt vieler Musil, IStR 2001, 482 (487 f.); Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechtes, Berlin 1999, 38 ff.; Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht, Wien 2007, 330. 4 So kritisch Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, Köln 2002, 289; Lang, Kapitalverkehrsfreiheit und Doppelbesteuerungsabkommen in Lechner/Staringer/Tumpel (Hrsg.), Kapitalverkehrsfreiheit und Steuerrecht, Wien 2000, 190; Matzka, Das österreichische Steuerrecht im Lichte der Freiheit des Kapitalverkehrs, Wien 1998, 69; Toifl, Die EU-Grundfreiheiten und die Diskriminierungsverbote der Doppelbesteuerungsabkommen, in Gassner/Lang/Lechner (Hrsg.), Doppelbesteuerungsabkommen und EU-Recht, Wien 1996, 161. 5 EuGH v. 10.2.1979 – Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon, ECLI:EU:C:1979:42.

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A. Unionsrechtlicher Rahmen

Rz. 12.5 Kap. 12

kung der Warenverkehrsfreiheit auch dann gegeben ist, wenn der importierende Staat für die Verkehrsfähigkeit eines Produkts die (zusätzliche) Einhaltung der in seinem Hoheitsgebiet geltenden rechtlichen Anforderungen verlangt, obwohl dieses Produkt denjenigen des Herkunftsmitgliedstaats bereits genügte. Dies bedeutet nichts anderes, als dass der Zielstaat die Rechtsordnung des Herkunftsstaats zu akzeptieren hat. Mittlerweile hat das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auch Eingang in das Europäische Steuerrecht gefunden.1 So hat der EuGH in ständiger Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass den Mitgliedstaaten die Pflicht zukommt, die Ausnutzung von Besteuerungsunterschieden und daraus möglicherweise resultierende Steuermindereinnahmen nicht zum Anlass von beschränkenden Maßnahmen zu nehmen.2 Zwischenstaatliche Divergenzen im Steuerrecht sind also grundsätzlich hinzunehmen. Die von den Befürwortern eines absoluten Beschränkungsverbots herangezogene Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Sandoz“ liegt ganz auf dieser Linie: Das Gericht befand in dieser Sache, dass eine Beurkundungsgebühr für im Ausland abgeschlossene Darlehensverträge eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit darstellt, obwohl diese Gebühr auch für inländische Darlehensverträge zur Anwendung gelangte. Der EuGH begründete die Annahme einer Beschränkung damit, dass „eine Regelung wie diejenige, um die es im Ausgangsverfahren geht, den Gebietsansässigen eines Mitgliedstaates die Möglichkeit [nimmt], in den Genuss einer Gebührenfreiheit zu gelangen, die für außerhalb des Staatsgebiets geschlossene Darlehensverträge gelten könnte“.3 Indem der EuGH aber dem Ansässigkeitsstaat die Möglichkeit versagt, einem Akteur einen steuerlichen Vorteil im Quellenstaat zu vereiteln, bringt er nichts anderes als die Forderung zum Ausdruck, die Steuerrechtsordnung des Quellenstaats anzuerkennen. Drittstaatenproblematik. Die grenzüberschreitende Gründung und Unterhaltung einer Betriebsstätte kann mit solchen Kapitalbewegungen verbunden sein, die den Schutz der Kapitalverkehrsfreiheit beanspruchen können. Dies ist deshalb von besonderem Interesse, weil die Kapitalverkehrsfreiheit anders als die daneben möglicherweise einschlägigen Freiheiten der Niederlassung oder des Dienstleistungsverkehres auch Schutzwirkung gegenüber Drittstaaten entfaltet.4 Dabei handelt es sich um solche Staaten, die weder selbst Mitglied der Union sind noch über ein Assoziierungsabkommen dergestalt mit der Union verwoben sind,

1 Ebenso Dautzenberg, Unternehmensbesteuerung im EG-Binnenmarkt, Köln 1997, 695; ausführlich dazu Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2005, 74 ff.; Schönfeld, StuW 2005, 158 (160 f.); Schönfeld, ET 2004, 441 (443 ff.). 2 EuGH v. 10.4.2014 – Rs. C-190/12 – Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company, ECLI:EU:C:2014:249, Rz. 2 = juris = ISR 2014, 165 m. Anm. Kammeter; v. 10.2.2011 – Rs. C-436-437/08 – Haribo Lakritzen, ECLI:EU:C:2011:61, Tz. 126; v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – Lasteyrie du Saillant, ECLI:EU:C:2004:138, Tz. 59 f. = FR 2004, 659; v. 26.6.2003 – Rs. C-422/01 – Skandia et Ramstedt, ECLI:EU:C:2003:380, Tz. 52 f.; v. 12.12.2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, ECLI:EU:C:2002:749, Tz. 36 = FR 2003, 182; v. 3.10.2002 – Rs. C-136/00 – Danner, ECLI:EU:C:2002:558, Tz. 56 = FR 2003, 33; v. 8.3.2001 – Rs. C-397/98, C-410/98 – Metallgesellschaft und Hoechst, ECLI:EU:C:2001:134; v. 6.6.2000 – Rs. C-35/98 – Verkooijen, ECLI:EU:C: 2000:294, Tz. 59 = FR 2000, 720 m. Anm. Dautzenberg; v. 26.10.1999 – Rs. C-294/97 – Eurowings, ECLI:EU:C:1999:524, Tz. 44 = FR 1999, 1327 m. Anm. Dautzenberg; v. 21.9.1999 – Rs. C-307/97 – Saint-Gobain, ECLI:EU:C:1999:438, Tz. 49 f.; v. 16.7.1998 – Rs. C-264/96 – ICI, ECLI:EU:C: 1998:370, Tz. 28. 3 EuGH v. 14.10.1999 – Rs. C-439/97 – Sandoz, ECLI:EU:C:1999:499, Tz. 19 f. 4 Zur Drittstaatenproblematik vgl. Gosch/Schönfeld, IStR 2015, 755; Schön in FS Wassermeyer, 489; Schnitger, IStR 2005, 493 ff.; Kessler/Eicker/Obser, IStR 2005, 658; Schönfeld/Lieber, FR 2005, 927 ff.; Schönfeld in F/W/B/S, Vor § 34c EStG Anm. 12 ff.

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Kap. 12 Rz. 12.6

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

dass die Grundfreiheiten in ihren wesentlichen Zügen unmittelbare Geltung erlangen.1 Mit der Erga-omnes-Wirkung der Kapitalverkehrsfreiheit gegenüber diesen Staaten ist das Problem verbunden, einerseits die positiven ökonomischen Wirkungen der Marktfreiheiten im Verhältnis zu EU-/EWR-Drittstaaten zuzulassen, andererseits aber keinen unmittelbaren Einfluss auf negative Maßnahmen dieser Staaten zu haben. Im Schrifttum wird deshalb vorgeschlagen, die Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit jedenfalls auf der Rechtfertigungsebene im Rahmen der Bestimmung der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses zu begrenzen.2

12.6 Fortbestandsgarantie. Daneben sieht Art. 64 Abs. 1 AEUV eine Fortbestandsgarantie für solche Vorschriften vor, die zum 31.12.1993 aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften für den Kapitalverkehr bestanden haben. Für die Mehrzahl der Normen des deutschen Ertragsteuerrechts, die für die Betriebsstättenbesteuerung wesentlich sind, scheint die Fortbestandsgarantie aufgrund des Erlassdatums dieser Regeln unmittelbar zu greifen. Allerdings fällt einem bei genauerer Betrachtung ins Auge, dass Art. 64 Abs. 1 AEUV neben der zeitlichen Beschränkung auch über eine inhaltliche Dimension verfügt. So gilt die Fortbestandsgarantie nur für beschränkende Vorschriften im Zusammenhang mit „Direktinvestitionen […], mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten“. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil die geltenden Vorschriften des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts in aller Regel nicht nur an die in diesem Katalog genannten Kapitalbewegungen eine Besteuerung knüpfen, sondern ganz allgemein gelten. Mit Blick auf die Tatsache, dass der Ausnahmecharakter des Art. 64 Abs. 1 AEUV zu einer engen Auslegung zwingt,3 stimmt es jedoch bedenklich, eine Vorschrift partiell (für die Katalogvorgänge) unionsrechtlich legitimieren zu wollen, die mit dem Unionsrecht im Übrigen nicht im Einklang steht.4 Entsprechend hat der EuGH in der Rechtssache „Sanz de Lera“ entschieden, dass eine mitgliedstaatliche Rechtsvorschrift nicht unter Art. 64 Abs. 1 AEUV fällt, die „allgemein für alle Ausfuhren von Hartgeld, Banknoten oder Inhaberschecks einschließlich derjenigen [gilt], die in den dritten Ländern nicht in Zusammenhang mit Direktinvestitionen […], der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten stehen“.5

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten I. Gewinnermittlung 12.7 Primat deutschen Steuerrechts und gegenseitige Anerkennung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist der Gewinn einer ausländischen Betriebsstätte nach den Grundsätzen 1 Zur Konvergenz der Freiheiten des EWR-Abkommens mit den Grundfreiheiten des EU-Vertrags vgl. Cordewener, FR 2005, 236 ff.; ferner die Entscheidung des EFTA-Gerichtshofs v. 23.11.2004 – Rs. E-1/04 – Fokus Bank ASA, IStR 2005, 55 ff. 2 Schön in FS Wassermeyer, 491 ff., 513 ff.; Schnitger, IStR 2005, 493 (501 f.); Rust, EWS 2004, 450 (451 f.); dagegen ausdrücklich; Schönfeld/Lieber, FR 2005, 927 (932); Schönfeld in F/W/B/S, Vor § 34c EStG Anm. 12 ff. 3 Vgl. Bröhmer in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 64 AEUV Rz. 3; ebenso für Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EG (jetzt Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV) EuGH v. 7.9.2004 – Rs. C-319/02 – Manninen, ECLI:EU:C:2004:484, Tz. 28. 4 Vgl. Schön in FS Wassermeyer, 493 ff.; Schönfeld, IStR 2005, 410 (413); Matzka, Das österreichische Steuerrecht im Lichte der Freiheit des Kapitalverkehrs, Wien 1998, 70 f. 5 EuGH v. 14.12.1995 – Rs. C-163/94 – Sanz de Lera u.a., ECLI:EU:C:1995:451, Tz. 35 f.

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B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.8 Kap. 12

des deutschen Steuerrechts zu ermitteln.1 Des Weiteren ist der Steuerpflichtige nach § 3 BsGaV2 verpflichtet, eine sog. Hilfs- und Nebenrechnung für seine Betriebsstätte anzufertigen.3 Aus unionsrechtlicher Sicht ist dies bedenklich, weil dem inländischen Steuerpflichtigen mitunter die zusätzliche Pflicht auferlegt wird, neben der Gewinnermittlung nach ausländischem Recht eine solche nach deutschem Steuerrecht vorzunehmen.4 Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass dem Inländer ein steuerlicher Vorteil im Bereich der Steuerbemessungsgrundlage vereitelt wird, der ihm für seine ausländischen Betriebsstätteneinkünfte in diesem Staat gewährt wird. Beispiel: Das inländische Stammhaus erzielt in der ausländischen Betriebsstätte einen – nach inund ausländischen Gewinnermittlungsregeln identischen – Rohertrag von 200 000 Euro. Für die Anmietung von Geschäftsräumen gewährt das Steuerrecht des Betriebsstättenstaats die Möglichkeit des doppelten Abzugs von eigentlichen Mietaufwendungen i.H.v. 50 000 Euro (sog. „double rent allowances“). Bei einem ausländischen Steuersatz von 25 % ergibt sich danach eine ausländische Steuerlast i.H.v. 25 000 Euro.5 Das inländische Stammhaus hat demgegenüber bei Anwendung deutschen Steuerrechts für die Gewinnermittlung, einem identischen Tarif von 25 % und unter (vollständiger) Anrechnung der ausländischen Steuer eine Steuerlast von 37 500 Euro zu tragen.6

Die Pflicht zur Gewinnermittlung anhand des deutschen Steuerrechts begründet insoweit eine Beschränkung der einschlägigen Grundfreiheiten. Denn mit gegenseitiger Anerkennung hat es nichts zu tun, wenn das deutsche Steuerrecht die von einer ausländischen Rechtsordnung aufgestellten Gewinnermittlungsregeln ignoriert. Mit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Sandoz“ ließe sich auch formulieren, dass eine (zusätzliche) Gewinnermittlung nach deutschem Steuerrecht dem Steuerpflichtigen mitunter die Möglichkeit nimmt, in den Genuss einer steuerlichen Vergünstigung im Staat der Betriebsstätte zu kommen. Das unilaterale Neutralisieren von steuerlichen Vorteilen stellt indes eine offene Verletzung von Unionsrecht dar.7 Übernahme des nach ausländischem Recht ermittelten Gewinns. An dieser Wertung ändert auch die an sich zu begrüßende und ganz auf der Linie gegenseitiger Anerkennung liegende Vorschrift des § 146 Abs. 2 Satz 3 AO nichts, die die Übernahme des nach ausländischem Recht ermittelten Gewinns ermöglicht. Denn § 146 Abs. 2 Satz 4 AO verlangt sogleich die Transformation des so übernommenen Ergebnisses nach deutschem Steuerrecht. Zur Rechtfertigung lässt sich einwenden, dass es einem Steuerpflichtigen offensteht, welcher Rechtsordnung er sich mit der im Ergebnis freien Wahl seiner steuerlichen Ansässigkeit unterwirft, insbesondere im von Freizügigkeit geprägten Unionsraum. Auf den ersten Blick scheint dieser 1 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.1. 2 Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes (Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV), BGBl. I 2014, 1603. 3 Nach Auffassung der Finanzverwaltung können die Buchführungsunterlagen Ausgangspunkt für die Hilfs- und Nebenrechnung sein. Nur im Einzelfall sollen sie jedoch ohne weitere Anpassungen der Hilfs- und Nebenrechnung entsprechen, vgl. BMF v. 20.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 53 f. – VWG BsGa. 4 Ebenso kritisch Frotscher, Internationales Steuerrecht4, Rz. 449. 5 (200 000 – 2 * 50 000) * 25 % = 25 000. 6 (200 000 – 50 000) * 25 % = 37 500. 7 Vgl. Blumenberg, Steuervergünstigungen als staatliche Beihilfen im Sinne des Europäischen Gemeinschaftsrechts, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 2153 ff.; Kellersmann in Kellersmann/Treisch, Europäische Unternehmensbesteuerung, 313; Koschyk, Steuervergünstigungen als Beihilfen nach Art. 92 EG-Vertrag, Baden-Baden 1999, 266; Lausterer, IStR 1997, 486 (489); Rädler/Lausterer/Blumenberg, DB 1996, Beilage 3, 6 ff.

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12.8

Kap. 12 Rz. 12.9

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

Argumentation kaum etwas entgegengehalten werden zu können. Bei genauer Betrachtung muss man jedoch feststellen, dass sich dieser Einwand nicht mit der aufgezeigten Funktion der Grundfreiheiten in Übereinstimmung bringen lässt, für eine effiziente Allokation der Produktionsfaktoren im Binnenmarkt zu sorgen. Denn die Allokation von Produktionsfaktoren hängt nicht zwingend von der steuerlichen Ansässigkeit der diese Faktoren innehabenden Wirtschaftssubjekte ab. Insbesondere Kapital ist aufgrund seiner hohen Mobilität von der Lokalisierung seines Inhabers unabhängig. Auch kann nicht ernsthaft von Effizienz gesprochen werden, wenn die Verlagerung von Produktionsfaktoren stets die Verlagerung der steuerlichen Ansässigkeit voraussetzen würde. Bei der Anwendung deutschen Steuerrechts müssten natürliche Personen dazu immerhin ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt und juristische Personen den Ort ihrer Geschäftsleitung oder ihren Sitz aufgeben – eine Forderung, die, wenn man dem von freiem Wirtschaftsverkehr geprägten Binnenmarktkonzept eine realistische Chance geben will, als nur wenig realitätsnahe Prämisse erscheint.1 Insoweit ist es auch nur folgerichtig, dass der EuGH mit der Fortentwicklung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung vom Herkunfts- zum Zielstaatsprinzip in Outbound-Fällen nicht die Jurisdiktion des Herkunftsstaats für maßgeblich erklärt, sondern die Anerkennung der Rechtsordnung des Zielstaats fordert. Lediglich über diese Anerkennung wird gewährleistet, dass die an einer grenzüberschreitenden Allokation interessierten Produktionsfaktoren auf dem mitgliedstaatlichen Teilmarkt des Zielstaats in den Genuss identischer Wettbewerbsbedingungen kommen. Und vorliegend bedeutet dies, dass der Stammhausstaat die Gewinnermittlungsregeln des Zielstaats anzuerkennen hat, ohne auf die Möglichkeit der Verlegung der steuerlichen Ansässigkeit verweisen zu können.

12.9 EuGH-Urteil in der Rechtssache „Saint-Gobain“. Die aufgezeigte unionsrechtliche Problematik der Ermittlung des ausländischen Betriebsstättengewinns nach deutschem Steuerrecht findet auch eine Bestätigung in einer weiteren Überlegung: Folgt man nämlich der im ganz überwiegenden Schrifttum aus der Rechtssache „Saint-Gobain“2 gezogenen Schlussfolgerung, dass die freie Wahl zwischen Betriebsstätte und Tochtergesellschaft nicht durch divergierende Besteuerungsregeln eingeschränkt werden darf,3 dann wird man kaum an einer Transformation des nach ausländischem Recht ermittelten Betriebsstättengewinns festhalten können. Denn würde das inländische Stammhaus anstelle einer ausländischen Betriebsstätte eine ausländische Tochtergesellschaft unterhalten, würde das deutsche Steuerrecht auch keine Transformation der Steuerbemessungsgrundlage der ausländischen Tochtergesellschaft fordern.4 Sind die Grundfreiheiten danach berührt, so ließe sich zur Rechtfertigung der aufgezeigten Beschränkung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Futura“5 argumentieren, dass es angesichts der fehlenden Harmonisierung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen innerhalb der Europäischen Union eine legitime Maßnahme eines jeden 1 Vgl. Klapdor, Effiziente Steuerordnung durch ein europäisches Musterabkommen?, Bielefeld 2000, 92. 2 EuGH v. 21.9.1999 – Rs. C-307/97 – Saint-Gobain, ECLI:EU:C:1999:438, Tz. 42. 3 Vgl. Kristen, Equal Treatment of Permanent Establishments and Subsidiaries, in Lang u.a. (Hrsg.), Permanent Establishments in International Tax Law, Wien 2003, 332 f.; Kamptner, Non-Discrimination of a Permanent Establishment under EC Law, in Lang u.a. (Hrsg.), Permanent Establishments in International Tax Law, Wien 2003, 297 ff.; Schön, EWS 2000, 281 ff.; de Weerth, IStR 1999, 628; Eilers/Schmidt, DStR 1999, 1977 (1979); Lang in FS Rädler, 432. 4 Eine solche Pflicht zur Ermittlung der Einkünfte der ausländischen Gesellschaft nach deutschem Steuerrecht ist nur ausnahmsweise vorgesehen, etwa gem. § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG, vgl. Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2005, 480 ff. 5 EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura, ECLI:EU:C:1997:239.

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B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.10 Kap. 12

Mitgliedstaats sei, seine nationalen Vorschriften über die Ermittlung der Einkünfte auch bei Betriebsstätten autonom zur Geltung zu bringen.1 Und in der Tat stimmte das Gericht der luxemburgischen Regierung darin zu, dass es aus Gründen der Steueraufsicht gerechtfertigt sei, der luxemburgischen Zweigniederlassung eines französischen Stammhauses die Pflicht nach luxemburgischem Steuerrecht aufzuerlegen, zur „klaren und eindeutigen Feststellung der Höhe […] der in diesem Staat steuerbaren Einkünfte“ die auf sie entfallenden Einkünfte zumindest zu belegen.2 Gleichwohl stützen die Erwägungen des Gerichts eine Rechtfertigung der Gewinnermittlung nach deutschem Steuerrecht nicht. Denn anders als in der Rechtssache „Futura“ geht es vorliegend nicht darum, den Gewinn einer ausländischen Betriebsstätte überhaupt ermitteln zu können; es geht vielmehr darum, eine zusätzliche Gewinnermittlungspflicht nach inländischem Recht aufzustellen. Darüber hinaus betrifft die Rechtssache „Futura“ einen Inbound-Fall, für den andere Grundsätze als für den Outbound-Fall gelten. Primat deutschen Steuerrechts und Übermaßverbot. Das Primat deutschen Steuerrechts erscheint auch unter einem weiteren Gesichtspunkt unionsrechtlich bedenklich: Die Ermittlung des ausländischen Betriebsstättengewinns nach deutschem Steuerrecht wird nämlich mitunter gefordert, obwohl das inländische Stammhaus dazu aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen überhaupt nicht in der Lage ist. Man stelle sich einen unbeschränkt Steuerpflichtigen vor, der an einer ausländischen Personengesellschaft beteiligt ist, die eine Betriebsstätte im Ausland unterhält (zur Betriebsstättengewinnermittlung und den Besteuerungsfolgen in dieser Konstellation ausführlich Rz. 9.10 ff. und 9.21 ff.). Der unbeschränkt Steuerpflichtige ist hier verpflichtet, den gesamten Gewinn der ausländischen Personengesellschaft nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln. Diese Forderung stößt auf die Grenzen des tatsächlich und rechtlich Möglichen, soweit der unbeschränkt Steuerpflichtige lediglich in geringfügigem Umfang an der ausländischen Personengesellschaft beteiligt ist. Besonders heikel wird diese Problematik, wenn die ausländische Personengesellschaft nach ausländischem Zivilrecht als Körperschaft qualifiziert wird, das deutsche Steuerrecht im Rahmen des Typenvergleiches aber zur Annahme einer Personengesellschaft gelangt. Die körperschaftliche Verfasstheit solcher Gesellschaften dürfte es einem Minderheitsgesellschafter noch schwerer machen, auf das Buchführungswerk der Gesellschaft zuzugreifen. Genau dieser Zugriff ist aber notwendig, um den Gewinn der ausländischen Gesellschaft nach deutschem Recht ermitteln zu können.3 Für die rechtliche Beurteilung dieser Forderung mag daher dahinstehen, dass es unmittelbarer Ausfluss der Menschenwürde und deshalb jeder freiheitlich verfassten Rechtsordnung immanent sein dürfte, einem Steuersubjekt nur Verhaltenspflichten aufzuerlegen, die tatsächlich erfüllt werden können.4 Denn der EuGH dürfte die Unmöglichkeit einer Verhaltenspflicht jedenfalls zum Anlass nehmen, das auch im Unionsrecht geltende Verhältnismäßigkeitsgebot als verletzt anzusehen.5 1 So ausdrücklich Frotscher, Internationales Steuerrecht4, Rz. 449 unter Verweis auf die Entscheidung des EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura, ECLI:EU:C:1997:239. 2 EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura, ECLI:EU:C:1997:239, Tz. 31 ff. 3 Zur vergleichbaren Problematik der Ermittlung der Zwischeneinkünfte einer ausländischen Gesellschaft im Rahmen der §§ 7–14 AStG vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.167; Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2005, 481. 4 Zum rechtsstaatlichen Gebot der Erfüllbarkeit einer Mitwirkungspflicht s. nur Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl., Köln 2012, 1420. 5 Zur Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgebots durch den EuGH vgl. EuGH v. 15.7.2004 – Rs. C-315/02 – Lenz, ECLI:EU:C:2004:446, Tz. 27; v. 7.9.2004 – Rs. C-319/02 – Manninen, ECLI:EU: C:2004:484, Tz. 29; aus dem Schrifttum vgl. nur Kischel, EuR 2000, 380 ff.

Schönfeld/Quilitzsch

863

12.10

Kap. 12 Rz. 12.11

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

II. Verlustberücksichtigung 1. DBA-Freistellung und Symmetriethese

12.11 Marks & Spencer-Doktrin und Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Besteht mit dem ausländischen Betriebsstättenstaat ein DBA, nach welchem die Betriebsstätteneinkünfte von der Besteuerung im inländischen Stammhausstaat ausgenommen sind, dann entspricht es der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung1 und Schrifttum,2 dass die in den DBA vereinbarte Freistellungsmethode sowohl positive als auch negative Einkünfte erfasst. Für das inländische Stammhaus hat die Anwendung dieser „Symmetriethese“ die nachteilige Folge, dass die fehlende Berücksichtigung der ausländischen Betriebsstättenverluste im Rahmen der inländischen Veranlagung eine steuerliche Benachteiligung des ausländischen gegenüber dem vergleichbaren inländischen Engagement bewirken kann. Folgt man der Auffassung des EuGH, so sollte von einem Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV im Ergebnis aber nur dann auszugehen sein, wenn sog. endgültige bzw. finale Verluste vorliegen. Im Zusammenhang mit der Betriebsstättenbesteuerung erstmals zum Ausdruck brachte der EuGH diesen Grundsatz in der Rechtssache „Lidl Belgium“,3 in deren Rahmen er seine vormals in der Rechtssache „Marks & Spencer“4 in Bezug auf Verluste ausländischer Tochtergesellschaften aufgestellte Dogmatik nahezu unterschiedslos auf Betriebsstättenfälle übertrug.5 Danach ist in der Anwendung der Symmetriethese zwar grundsätzlich ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit zu sehen, der nach Auffassung des EuGH aber – um einer willkürlichen Verlagerung von Besteuerungsgrundlagen und zur Vermeidung einer doppelten Verlustnutzung entgegenzuwirken – durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann. So soll allein dann ein unverhältnismäßiger und somit keiner Rechtfertigung zugänglicher Eingriff in die Niederlassungsfreiheit vorliegen, wenn die Verluste im Betriebsstättenstaat endgültig nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden können. Dazu müssten – so der EuGH – im Ausland sämtliche Möglichkeiten der Verlustnutzung ausgeschöpft worden und auch jede Möglichkeit, die Verluste in der Vergangenheit oder Zukunft sowie ggf. bei einem Dritten geltend machen zu können, ausgeschlossen sein. Nur in diesem Fall gebiete das Unionsrecht zur Sicherstellung einer steuerlichen Einmalerfassung eine Verpflichtung zur Ver1 Vgl. RFH v. 25.1.1933 – VI A 199/32, RStBl. 1933, 478; v. 26.5.1935 – VI A 414/35, RStBl. 1935, 1358; v. 10.3.1937 – VI A 71/37, RStBl. 1937, 486; BFH v. 11.3.1970 – I B 50/68, I B 3/69, BStBl. II 1970, 569 (571); v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 948; v. 28.3.1973 – I R 59/71, BStBl. II 1973, 531 (532); v. 20.11.1974 – I R 1/73, BFHE 114, 530; v. 25.2.1976 – I R 150/73, BStBl. II 1976, 454; v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 382 = FR 1983, 284; v. 6.10.1993 – I R 32/93, BStBl. II 1994, 113 f. = FR 1994, 95 m. Anm. Meyer; v. 18.1.2001 – I R 70/00, FR 2002, 169 = DB 2001, 2696; v. 13.11.2002 – I R 13/02, IStR 2003, 314; v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. II 2009, 630 = FR 2007, 86 m. Anm. Pezzer; v. 22.2.2017 – I R 2/15, juris. 2 Vgl. zur Diskussion mit zahlreichen Nachweisen aus dem Schrifttum den umfassenden Beitrag von Cordewener, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Europäischen Recht, in DStJG Bd. 28, Köln 2005, 255 (282 ff.); ferner Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 57; Schönfeld/Häck in S/D, DBA, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 31; Schuch, Europarechtliche und abkommensrechtliche Vorgaben für die Verlustbehandlung, in Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und internationalen Steuerrecht, München 2004, 74 ff.; Kessler, Ausländische Betriebsstättenverluste, in Lehner (Hrsg.), Verluste im nationalen und internationalen Steuerrecht, München 2004, 85 ff. 3 Vgl. EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-414/06 – Lidl Belgium, ECLI:EU:C:2008:278 = FR 2008, 831. 4 Vgl. EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, ECLI:EU:C:2005:763. 5 Dazu kritisch Pohl/Burwitz, FR 2016, 561 (562). Zur Rechtsentwicklung vgl. Brandis in Festgabe Wassermeyer, 433 ff.; Hey in FS Gosch, 161 ff.; Schnitger in FS Endres, 361 ff.

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Schönfeld/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.12 Kap. 12

lustnutzung auf Ebene des Stammhauses und damit einen grenzüberschreitenden Verlustimport in den Ansässigkeitsstaat. Im Kern fußt dies auf der These, dass Inlands- und nach einem DBA freigestellte Auslandsbetriebsstätten in objektiver Hinsicht miteinander vergleichbar sind. EuGH-Urteil in der Rechtssache „Timac Agro“. Möglicherweise getrieben von der insoweit im Schrifttum1 vorgetragenen Kritik sah sich das FG Köln in seinem Vorlagebeschluss v. 19.2.2014 aber dazu veranlasst, diese These in Zweifel zu ziehen.2 Es warf – entgegen der vorzitierten EuGH-Judikatur – die Grundsatzfrage auf, ob generell eine Verpflichtung des Stammhausstaats ausgemacht werden kann, Verluste einer ausländischen Betriebsstätte zu importieren, wenngleich die ausländischen Einkünfte durch ein DBA von der Besteuerung in Deutschland freizustellen sind. Hierzu stellte der EuGH in seiner sich anschließenden Entscheidung in der Rechtssache „Timac Agro“3 fest, dass – wie bereits in den Urteilen „Nordea Bank Danmark“4 und „Kommission/UK“5 angedeutet – ausländische Betriebsstätten, deren Einkünfte aufgrund der im DBA vereinbarten Freistellungsmethode von der inländischen Besteuerung auszunehmen sind, grundsätzlich nicht mit gebietsansässigen Betriebsstätten vergleichbar sind und somit eine Verletzung der Grundfreiheiten schon dem Grunde nach ausgeschlossen sei. Der EuGH hat der Symmetriethese so gewissermaßen die Eignung zugesprochen, eine Beschränkung der Grundfreiheiten von vornherein auszuschließen.6 Anders als noch in der Rechtssache „Lidl Belgium“ erübrigte sich in der Folge auch eine Prüfung möglicher Rechtfertigungsgründe sowie der Verhältnismäßigkeit.7 Vor diesem Hintergrund liegt es gewiss nicht ganz fern, die Entscheidung „Timac Agro“ als eine Einschränkung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH im Kontext finaler Betriebsstättenverluste zu interpretieren.8 Insbesondere kann eine sich abzeichnende Tendenz, dass die Ausfallbürgschaft des Stammhausstaats in Bezug auf finale Verluste jedenfalls für Freistellungsbetriebsstätten der Vergangenheit angehören und sich die Diskussion künftig um die Einbeziehung finaler Verluste auf Anrechnungsbetriebsstätten und die Anwendung der Nachversteuerungsregelung gem. § 2a Abs. 3 und Abs. 4 EStG a.F. beschränken könnte, nicht ganz von der Hand gewiesen werden.9 1 Bspw. Mitschke, IStR 2014, 565. 2 Vgl. FG Köln v. 19.2.2014 – 13 K 3906/09, EFG 2014, 1901 = ISR 2014, 341 m. Anm. Müller; vgl. hierzu Lang, ET 2014, 530 (539 f.); Mitschke, IStR 2014, 739; Cloer/Leich, IWB 2014, 923; SchulzTrieglaff, StuB 2014, 879. 3 Vgl. EuGH v. 17.12.2015 – Rs. C-388/14 – Timac Agro, ECLI:EU:C:2015:829, Tz. 27 u. 64 ff. = FR 2016, 126 m. Anm. Schlücke = ISR 2016, 54 m. Anm. Müller = GmbHR 2016, 170. 4 EuGH v. 17.7.2014 – Rs. C-48/13 – Nordea Bank Danmark, ECLI:EU:C:2014:2087, Tz. 24 = ISR 2014, 139 m. Anm. Henze = IStR 2014, 563. 5 EuGH v. 3.2.2015 – Rs. C-172/13 – Kommission/UK, ECLI:EU:C:2015:50, Tz. 24 = IStR 2015, 137. Vgl. dazu auch Englisch, IStR 2014, 561; Henze, ISR 2014, 311. 6 Vgl. Benecke/Staats, IStR 2016, 80; Mitschke, FR 2016, 132; Dobratz, IStR 2017, 116; FG München v. 31.5.2016 – 7 V 3044/15, EFG 2016, 1232 sowie dazu Schulz-Trieglaff, StuB 2016, 225; ablehnend hingegen Schön in Schön/Heber, Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, Berlin/Heidelberg 2015, 109 (137 ff.). 7 Vgl. Benecke/Staats, IStR 2016, 74. 8 Vgl. Wilke, PIStB 2016, 119 (120); Schiefer, IStR 2016, 79 (80); Lang in Schön/Heber, Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, Berlin/Heidelberg 2015, 63 (84). 9 Vgl. Müller, ISR 2016, 54 (58); Mitschke, FR 2016, 132 (133); Benecke/Staats, IStR 2016, 74 (80); Ackermann/Höft, EuZW 2016, 258 (261) sowie wohl Pohl/Burwitz, FR 2016, 561 (563); Cloer/Sejdija/Vogel, SWI 2016, 81 (84); a.A. Schlücke, FR 2016, 130; Niemann/Dodos, DStR 2016, 1057 (1063) sowie kritisch Schnitger, IStR 2016, 72 ff.

Schönfeld/Quilitzsch

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12.12

Kap. 12 Rz. 12.13

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

In diese Richtung hat sich jüngst auch der BFH positioniert, indem er die Vergleichbarkeit jedenfalls dann verneint sehen will, wenn „aufgrund eines DBA die ausschließliche Befugnis zur Besteuerung der Ergebnisse dieser [der ausländischen] Betriebsstätte dem Mitgliedstaat zusteht, in dem sie belegen ist.“1 Hierauf aufbauend dürfte aber weiterhin von einer Vergleichbarkeit inländischer und ausländischer Betriebsstätten und somit von einer Fortgeltung der EuGH-Doktrin zur Behandlung finaler Verluste auszugehen sein, wenn der Stammhausstaat aufgrund abkommensrechtlicher Sonderbestimmungen nicht vollends auf die Besteuerung des in der ausländischen Betriebsstätte erzielten Ergebnisses verzichten will. Mit Blick auf die deutsche Abkommenspolitik sind hierbei insbesondere abkommensrechtliche switch overKlauseln hervorzuheben, die unter bestimmten Voraussetzungen einen Wechsel von der Freistellungs- hin zur Anrechnungsmethode anordnen.2 Gleiches dürfte aber auch dann gelten, wenn es sich der Stammhausstaat vorbehält, die in der Betriebsstätte erzielten Einkünfte mittels der Anwendung des Progressionsvorbehaltes in die Bestimmung des im Inland zur Anwendung kommenden Steuersatzes einzubeziehen.3 Denn hier wie dort wird das Besteuerungsrecht für die Betriebsstätteneinkünfte eben nicht „ausschließlich“, sondern nur mit Einschränkungen dem Belegenheitsstaat zugeordnet, so dass insoweit Vieles für eine objektive Vergleichbarkeit spricht und demnach weiterhin die Ausfallbürgschaft des Stammhausstaates für finale Verluste greifen dürfte.4

12.13 Begriff der finalen Verluste – rechtliche Gründe. Konkrete Aussagen im Hinblick auf die Frage, wann von finalen Verlusten ausgegangen werden kann, blieb der EuGH in der Rechtssache „Lidl Belgium“ ebenso wie in den zu ähnlich gelagerten Sachverhaltskonstellationen ergangenen Entscheidungen „Nordea Bank Danmark“5 sowie „Kommission/UK“6 schuldig. Indessen machte der EuGH in der Rechtssache „Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt“7 unmissverständlich deutlich, dass rechtliche Verlustabzugsbeschränkungen im Quellenstaat den Ansässigkeitsstaat nicht zur Verlustberücksichtigung verpflichten.8 Die fehlende rechtliche Möglichkeit zur Verlustnutzung im Betriebsstättenstaat hat also nicht zur Konsequenz, dass – wie es Gosch treffend ausdrückt – der Stammhausstaat unionsrechtlich dazu verpflichtet wird, „zum Wohle des Auslandsfiskus in die Steuerbresche zu springen“9 und für die fehlenden Verlustnutzungsmöglichkeiten im Betriebsstättenstaat einzuspringen. Dem hat sich auch der BFH angeschlossen. Denn auch nach dessen Denke fehlt es an einer Verlustfinalität, wenn der Betriebsstättenstaat bspw. nur einen zeitlich begrenzten Vortrag von Verlusten 1 BFH v. 20.2.2017 – I R 2/15, juris, Tz. 37. 2 Vgl. Schnitger, IStR 2016, 72; Schnitger, Finale Verluste, in JbFStR 2016/2017, Herne 2016, 9 ff.; Kögel, IWB 2017, 7 (14) 3 Vgl. Schnitger, IStR 2016, 72 (73 f.); Schnitger, Finale Verluste, in JbFStR 2016/2017, Herne 2016, 9 ff.; Schnitger in FS Endres, 361 (370); Müller, ISR 2016, 54 (57); Kögel, IWB 2017, 7 (14). 4 So im Ergebnis auch Gosch in Kirchhof16, § 2a EStG Rz. 5aa. 5 Vgl. EuGH v. 17.7.2014 – Rs. C-48/13– Nordea Bank Danmark, ECLI:EU:C:2014:2087, Tz. 24 = ISR 2014, 139 m. Anm. Henze = IStR 2014, 563. 6 Vgl. EuGH v. 3.2.2015 – Rs. C-172/13 – Kommission/UK, ECLI:EU:C:2015:50 = IStR 2015, 137. Ausführlich hierzu Cordewener, EuZW 2015, 295 ff.; Benecke/Staats, IStR 2015, 137; Linn/Oumar, IWB 2015, 259; Möller, BB 2015, 616; Müller, ISR 2015, 140; Hackethal, EWS 2015, 32. 7 Vgl. EuGH v. 23.10.2008 – Rs. C-157/07 – Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, ECLI:EU:C:2008:588. Ebenso im Ergebnis EuGH v. 28.2.2008 – Rs. C-293/06 – Deutsche Shell, ECLI:EU:C:2008:129; vgl. dazu ausführlich Ditz/Schönfeld, DB 2008, 1455. Hiergegen aber BFH v. 2.12.2015 – I R 13/14, BFH/NV 2016, 961 = FR 2016, 856 m. Anm. Kempermann = ISR 2016, 209 m. Anm. Schlücke. 8 Vgl. Lamprecht, IStR 2008, 766. 9 Vgl. Gosch, BFH/PR 2010, 273.

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Schönfeld/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.14 Kap. 12

zulässt oder eine Verlustnutzung aus anderen Rechtsgründen eingeschränkt wird.1 Verlusten fehlt es somit an der für die ausnahmsweise Erfassung beim Stammhaus notwendigen Finalität jedenfalls dann, wenn der Verlustuntergang bzw. die mangelnde Verwertbarkeit auf zeitliche Restriktionen im Betriebsstättenstaat zurückzuführen ist. Die davon ausgehende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist in diesem Fall ausschließlich dem letztgenannten Staat zuzurechnen.2 Begriff der finalen Verluste – tatsächliche Gründe. Hingegen sollen Verluste nach Auffassung des BFH endgültig und damit beim Stammhaus steuerlich abzugsfähig sein, wenn sie im Betriebsstättenstaat aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden können. Unter Anlehnung an § 2a Abs. 4 EStG a.F. wurden vom BFH in diesem Zusammenhang die Umwandlung der ausländischen Betriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft, deren entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung sowie deren endgültige Aufgabe angeführt.3 Doch Vorsicht ist geboten. Denn dies setzt wohl voraus, dass derlei Maßnahmen noch vor Ablauf eines zeitlich begrenzten Verlustvortragszeitraums im Ausland ergriffen werden, andernfalls wirke wiederum die rechtliche Beschränkung in Gestalt des ausgelaufenen Verlustvortragszeitraums „überholend kausal“ und schließt in der Folge einen grenzüberschreitenden Verlusttransfer (doch) aus.4 Ferner sollen Verluste dann final sein, wenn ein Verlustabzug im Ausland zwar theoretisch noch möglich, tatsächlich aber so gut wie ausgeschlossen ist, und ein wider Erwarten dennoch erfolgter späterer Abzug im Inland verfahrensrechtlich noch rückwirkend korrigiert werden kann.5 Nur dann – so der BFH – sei es unter Verhältnismäßigkeitsaspekten geboten, die unionsrechtlich anerkannte Symmetriewirkung der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode ausnahmsweise zu durchbrechen und eine Verlustnutzung beim Stammhaus zuzulassen.6 Im Grundsatz bestätigt sehen dürfte sich der BFH insoweit durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „A Oy“, der es zur Annahme finaler Verluste für erforderlich hielt, dass der Betriebsstätte keine Einnahmen mehr zufließen, was regelmäßig und unzweifelhaft dann der Fall ist, wenn die Betriebsstätte endgültig aufgegeben wird.7 Dem 1 BFH v. 9.6.2010 – I R 100/09, BStBl. II 2010, 1065 = FR 2010, 901 = DB 2010, 1731; v. 3.2.2010 – I R 23/09, BStBl. II 2010, 599 = FR 2010, 858 = DStR 2010, 918. Vgl. hierzu Kessler/Philipp, IStR 2010, 865 sowie kritisch von Brocke, DStR 2008, 2201. 2 Vgl. BFH v. 22.9.2015 – I B 83/14, BFH/NV 2016, 375. 3 Vgl. BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, juris; v. 9.6.2010 – I R 107/09, FR 2010, 896 m. Anm. Buciek = DB 2010, 1733. Ebenso FG Köln v. 13.3.2013 – 10 K 2067/12, EFG 2013, 1430 = ISR 2013, 246 m. Anm. Müller; FG Niedersachsen v. 16.6.2011 – 6 K 445/09, EFG 2011, 2088; FG Düsseldorf v. 28.10.2014 – 6 K 50/10 K, EFG 2015, 313 (Revision anhängig unter Az. I R 18/16); FG Hamburg v. 23.9.2014 – 6 K 224/13, EFG 2015, 156; FG Nürnberg v. 27.11.2014 – 6 K 866/12, EFG 2015, 537. Deutlich kritischer in dieser Hinsicht jedoch EuGH v. 21.2.2013 – Rs. C-123/11– A Oy, ECLI:EU:C:2013:84 = ISR 2013, 103 m. Anm. Müller = FR 2013, 370 m. Anm. Musil = IStR 2013, 103; v. 7.11.2013 – Rs. C-322/11 – K, ECLI:EU:C:2013:716 = ISR 2013, 425 m. Anm. Müller = DStR 2013, 2441; v. 3.2.2015 – Rs. C-172/13 – Kommission/UK, ECLI:EU:C:2015:50 = IStR 2015, 137. Dazu Schulz-Trieglaff, ISR 2013, 216; Musil, FR 2013, 374; Blum/Huisman, SWI 2014, 433 ff. 4 Vgl. BFH v. 9.6.2009 – I R 100/09, BStBl. II 2010, 1065. 5 Vgl. BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFHE 244, 371 = ISR 2014, 204 m. Anm. Müller = FR 2014, 714 = GmbHR 2014, 607. 6 Vgl. Ditz in S/D, DBA, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 503; Pohl, IWB 2010, 626; Quilitzsch, DB 2010, 2757; Kessler/Philipp, IStR 2010, 865; Spengel/Matenaer, IStR 2010, 817; Richter, DB 2010, 2743; Schwenke, IStR 2011, 368; Heurung/Engel, GmbHR 2010, 1065. 7 Vgl. EuGH v. 21.2.2013 – Rs. C-123/11 – A Oy, ECLI:EU:C:2013:84 = ISR 2013, 103 m. Anm. Müller = FR 2013, 370 m. Anm. Musil = IStR 2013, 239 m. Anm. Ditz/Quilitzsch.

Schönfeld/Quilitzsch

867

12.14

Kap. 12 Rz. 12.15

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

Steuerpflichtigen in diesem Zusammenhang – so wie insbesondere von Vertretern der Finanzverwaltung gefordert – aber die Realisierung von stillen Reserven abzuverlangen, um lediglich im Hinblick auf danach eventuell noch verbleibende Verluste deren Finalität geltend machen zu können, geht jedoch zu weit und entbehrt – jedenfalls bislang – jeder Grundlage in der EuGH-Judikatur.1

12.15 Auslegungsprobleme. Die vom BFH vorgenommene Differenzierung zwischen rechtlichen und tatsächlichen Gründen einer Verlustfinalität dürfte in der steuerlichen Beratungspraxis indessen Zweifel aufwerfen.2 Denn wird bspw. eine Betriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt und tritt im Zuge dessen ein Untergang der in der Betriebsstätte aufgelaufenen Verluste ein, so sollen es nach der Denke des BFH die tatsächliche Gründe – nämlich die Entscheidung des Steuerpflichtigen, die Betriebsstätte umwandeln zu wollen – rechtfertigen, zu einer Berücksichtigung der im Betriebsstättenstaat nicht nutzbaren Verluste im Stammhausstaat zu gelangen. Letztlich muss man aber sehen, dass es in diesem Zusammenhang (auch) die rechtlichen Maßgaben des anwendbaren (ausländischen) Umwandlungssteuerrechts sind, in deren Folge eine Verlustübertragung auf die Kapitalgesellschaft ausscheidet, infolgedessen aber eine grenzüberschreitende Verlustverrechnung gerade ausscheiden soll. Ferner laufen die vom BFH formulierten Grundsätze Gefahr, dem Steuerpflichtigen faktisch ein Wahlrecht im Hinblick auf die Frage einzuräumen, in welchem Mitgliedsstaat er seine Verluste steuerlich geltend gemacht sehen will. So könnte bspw. vor Ablauf eines zeitlich begrenzten Verlustvortragszeitraums die (steuerlich getriebene und damit bewusste) Entscheidung zur Einstellung seiner Betriebsstätte getroffen werden, um so finale und über die Grenze verrechenbare Verluste zu generieren (sog. Beliebigkeitsgrenze).3 In Bezug darauf steht bislang lediglich fest, dass auf die Erzielung finaler Verluste gerichtete Gestaltungen des Steuerpflichtigen zwar hinzunehmen seien, jedoch an den Kriterien des allgemeinen Missbrauchstatbestands gem. § 42 AO zu messen sind.4 Gleichwohl ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass es einer Missbrauchsvermutung zunächst einmal entbehrt, wenn eine Betriebsstätte willentlich eingestellt wird. Denn letztlich ist dies im Grundsatz als Ausfluss der dem Steuerpflichtigen eingeräumten (unternehmerischen) Freiheit zu werten, seine Verhältnisse steuerlich möglichst günstig zu gestalten.5 Allerdings dürfte es dem Gesetzgeber unbenommen bleiben, in Fällen missbrauchsverdächtiger Gestaltungen entsprechende Nachweiserfordernisse gegenüber dem Steuerpflichtigen geltend sowie Regelungen zur Beweislastumkehr fruchtbar zu machen.6

12.16 Auswirkungen finaler Verluste auf die GewSt. Folgt man dem BFH, so soll die Berücksichtigung finaler Verluste für die Einkommen- und Körperschaftsteuer ebenso wie für die Ge-

1 Vgl. Gosch in Kirchhof16, § 2a EStG Rz. 5b; a.A. Benecke/Staats, IStR 2010, 668 (669); Heinicke in Schmidt36, § 2a EStG Rz. 13. 2 Vgl. Hruschka, DStR 2013, 396; Schiefer/Quinten, IStR 2013, 261; van Lishaut, FR 2009, 1036; Mayr, BB 2008, 1816. 3 Vgl. insbesondere Benecke/Staats, IStR 2010, 668 ff.; Mitschke, FR 2011, 24 (25). 4 Vgl. BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFHE 244, 371 = ISR 2014, 204 m. Anm. Müller = FR 2014, 714 = GmbHR 2014, 607; Gosch, BFH/PR 2010, 405. 5 Vgl. Gosch in Kirchhof16, § 2a EStG Rz. 5b; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Köln 2015, Rz. 8.104. 6 Vgl. von Brocke in Mössner/Seeger, KStG, Europäischer Binnenmarkt, Herne 2013, Rz. 361; Gosch in Kirchhof16, § 2a EStG Rz. 5b; Eisenbarth, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung als Kerngebiet des Europäischen Steuerrechts, Baden-Baden 2011, 237 ff.

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B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.17 Kap. 12

werbesteuer (vgl. § 7 Satz 1 GewStG) gelten.1 In Bezug auf Letztere muss man den BFH wohl so verstehen, dass er finale Verluste dogmatisch Verlusten einer Inlandsbetriebsstätte gleichsetzt. Nur so lässt sich der Hinweis verstehen, dass der strukturelle Inlandsbezug einem Einbezug finaler Verluste in den Gewerbeertrag ebenso wenig entgegensteht wie die Kürzungsvorschrift gem. § 9 Nr. 3 GewStG.2 Zeitpunkt der Verlustverrechnung und Verlustermittlung. Der BFH hat klargestellt, dass eine Verlustnutzung erst im Finalitätsjahr erfolgen kann.3 Es ist entsprechend der Veranlagungszeitraum abzuwarten, in dem sich die Finalität der Verluste materialisiert und sodann der nach deutschem Steuerrecht ermittelte Verlust4 als aufsummierte Betrag abzuziehen.5 Dem steht wohl nicht entgegen, dass sich ein freigestellter Verlust im Jahr seiner Entstehung möglicherwiese im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts auswirkt (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG) und es im Finalitätsjahr insoweit zu dessen nochmaliger und somit – in gewisser Hinsicht – doppelten Nutzung kommt.6 Hingegen kommt eine Verrechnung im Verlustentstehungsjahr – eine sog. phasengleiche Verlustnutzung – nicht in Betracht.7 Daraus folgt auch, dass die Verlustfinalität kein rückwirkendes Ereignis darstellt, welches nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu berücksichtigen wäre. Aus praktischer Sicht bringt dies den großen Vorteil mit sich, dass die Verrechnung finaler Verluste nicht dazu zwingt, mitunter weit zurückliegende Veranlagungen ändern zu müssen. Indessen ist eine nachträgliche und auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützte Änderung vorstellbar, sofern sich im Nachgang herausstellt, dass die Annahme finaler Verluste in der Weise fehl ging, als die Verluste im Ausland wider Erwarten doch einer steuerlichen Geltendmachung zugeführt werden konnten.8 Dies kann bspw. der Fall sein, wenn die Geschäftstätigkeit einer Betriebsstätte im Ausland beendet, in späteren Jahren jedoch eine neue Betriebsstätte im gleichen Mitgliedstaat wieder aufgenommen wird. Können im Zuge dessen die (zunächst final gewordenen) Verluste der alten Betriebsstätte im Rahmen der neuen Betriebsstätte steuerlich geltend gemacht werden, so wird das den rückwirkenden Entfall der Verlustfinalität mit der Folge nach sich ziehen, dass die Steuerfestsetzung des inländischen Stammhauses gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern ist. Gerade dieses aufseiten der Finanzbehörden bestehende Korrekturinstrument hat denn aber auch zur Folge, dass allein die theoretische Möglichkeit, in späteren Jahren eine neue Betriebsstätte eröffnen zu kön-

1 Vgl. BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, BFHE 230, 35 = FR 2010, 896 m. Anm. Buciek = DB 2010, 1733. 2 Vgl. Gosch in Kirchhof16, § 2a EStG Rz. 5 f.; Roser, Ubg 2010, 30 (38 f.); Richter, BB 2010, 2734. Kritisch zur GewSt Gebhardt/Quilitzsch, FR 2011, 359; BFH v. 9.6.2010 – I R 100/09, BStBl. II 2010, 1065 = GmbHR 2010, 1001 (1003) m. Anm. Rehm/Nagler; Pohl, IWB 2010, 626 (628); Kußmaul/ Delarber, Ubg 2010, 900 (903 f.); Wangler/Gühne, FR 2010, 1113 (1119); Benecke/Staats, IStR 2010, 668 (669); Mitschke, FR 2011, 24 (25). 3 Vgl. BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, BFHE 230, 35 = FR 2010, 896 m. Anm. Buciek = DB 2010, 1733; v. 9.11.2010 – I R 16/10, BFH/NV 2011, 524 = FR 2011, 489. Kritisch Pohl/Burwitz, FR 2016, 561 (563); Ditz/Plansky, DB 2009, 1669 (1672). 4 Vgl. Gosch in Kirchhof16, § 2a EStG Rz. 5e. 5 Vgl. Rehm in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 1134. 6 Vgl. Gosch, BFH/PR 2010, 405. 7 Vgl. FG Düsseldorf v. 25.10.2011 – 13 K 2775/06 E, F, EFG 2012, 1123; FG Hamburg v. 2.11.2011 – 1 K 208/10, EFG 2012, 434; v. 6.8.2014 – 2 K 355/12, EFG 2014, 2084 (Rev. anhängig unter Az. I R 17/16); FG Düsseldorf v. 28.10.2014 – 6 K 50/10 K, EFG 2015, 313 (Rev. anhängig unter Az. I R 18/16); FG Baden-Württemberg v. 8.7.2014 – 4 K 1134/12, juris. 8 Vgl. Heinicke in Schmidt36, § 2a EStG Rz. 13.

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12.17

Kap. 12 Rz. 12.18

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

nen, der Geltendmachung von Verlusten einer aufgegebenen Betriebsstätte im Finalitätsjahr nicht entgegenstehen kann.1

12.18 Nachweispflichten. Die Beweislast für das Vorliegen finaler Verluste soll nach der Auffassung des BFH sowie des EuGH dem Steuerpflichtigen obliegen.2 In dieser Hinsicht wurde vom FG Düsseldorf betont, dass der Steuerpflichtige anhand einer Bescheinigung der Steuerverwaltung des Betriebsstättenstaats darzulegen habe, dass die in der Betriebsstätte erzielten Verluste unter den steuerrechtlichen Voraussetzungen des Betriebsstättenstaats zeitlich begrenzt vorgetragen werden können und wegen der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls einer steuerlichen Nutzbarmachung definitiv nicht mehr zur Verfügung stünden.3 2. Verlustausgleichsbeschränkung gem. § 2a EStG

12.19 Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit. Nachdem der EuGH4 der in Nicht- und Anrechnungs-DBA-Konstellationen einschlägigen Verlustausgleichsbeschränkung des § 2a EStG a.F. ihre Unvereinbarkeit mit den unionsrechtlichen Vorgaben bescheinigt hatte, reagierte der Gesetzgeber im Rahmen des JStG 2009 mit einer Anpassung der Norm.5 Seither begrenzt § 2a Abs. 1 EStG die Berücksichtigung von „negativen Einkünften“ einer in einem Drittstaat belegenen Betriebsstätte. Danach dürfen die in der Betriebsstätte erwirtschafteten negativen Einkünfte nur mit positiven Einkünften der jeweils selben Art und mit solchen aus demselben Staat zum Ausgleich gebracht werden. Eine periodenübergreifende Verlustberücksichtigung ist nach § 2a Abs. 1 Sätze 3 bis 5 EStG nur im Wege des Vortrags in zukünftige Jahre unter Beachtung der vorbezeichneten „per-item-“ und „per-country-limitation“ erlaubt. Wegen ihrer territorialen Einengung auf Drittstaatensachverhalte könnte die Vorschrift aber allenfalls mit der Kapitalverkehrsfreiheit i.S.v. Art. 63 AEUV in Konflikt geraten. Hierzu muss man aber sehen, dass sowohl der EuGH als auch der BFH im Hinblick auf die Nichtberücksichtigung ausländischer Betriebsstättenverluste von einem Eingriff in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV ausgehen.6 Anders als die Kapitalverkehrsfreiheit vermittelt die Niederlassungsfreiheit dem Steuerpflichtigen aber keinerlei Schutz in Bezug auf in Drittstaaten unternommene Tätigkeiten. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass § 2a EStG in seiner gültigen Ausgestaltung aus unionsrechtlicher

1 Vgl. FG Köln v. 13.3.2013 – 10 K 2067/12, EFG 2013, 1430 = ISR 2013, 246. 2 Vgl. EuGH v. 17.12.2015 – Rs. C-388/14 – Timac Agro, ECLI:EU:C:2015:829 = ISR 2015, 364 m. Anm. Müller = FR 2016, 126; BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFHE 244, 371 = ISR 2014, 204 m. Anm. Müller = FR 2014, 714 = GmbHR 2014, 607. Vom FG Hamburg wurden in diesem Zusammenhang die besonderen Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 2 AO in den Vordergrund gestellt, vgl. FG Hamburg v. 23.9.2014 – 6 K 224/13, EFG 2015, 158. 3 Vgl. FG Düsseldorf v. 28.10.2014 – 6 K 50/10 K, EFG 2015, 313 (Rev. anhängig unter Az. I R 18/16). 4 Vgl. EuGH v. 21.2.2006 – Rs. C-152/03 – Ritter-Coulais, ECLI:EU:C:2006:123 = FR 2006, 466 = IStR 2006, 196; v. 29.3.2007 – Rs. C-347/04 – Rewe Zentralfinanz, ECLI:EU:C:2007:194 = BStBl. II 2007, 492; v. 15.10.2009 – Rs. C-35/08 – Busley/Ciberian, ECLI:EU:C:2009:625 = DStR 2009, 2186. Ebenso BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671 = FR 2008, 927 = DStR 2008, 917. 5 Vgl. Gesetz v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794. Bereits vorab hatte die Finanzverwaltung davon abgesehen, § 2a EStG auf Verluste einer EU-Betriebsstätte anzuwenden, vgl. BMF v. 30.7.2008 – IV C 3 - InvZ 1015/07/0001 – DOK 2009/0468708, BStBl. I 2008, 810. 6 Vgl. BFH v. 11.3.2008 – I R 116/04, BFH/NV 2008, 710 = FR 2007, 84; EuGH v. 6.11.2007 – Rs. C-415/06 – Stahlwerk Ergste Westig, ECLI:EU:C:2007:651.

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B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.20 Kap. 12

Sicht als unbedenklich eingestuft werden kann.1 Zu beachten ist jedoch die Tatsache, dass die Altregelung des § 2a EStG auf Verluste, die vor dem 24.12.2008 – dem Tag des Inkrafttretens der Neuregelung – bestandskräftig festgestellt worden sind, weiterhin Anwendung findet (§ 52 Abs. 3 Satz 3 EStG). Diese Fortgeltungsregelung muss vor dem Hintergrund der zu § 2a EStG a.F. ergangenen EuGH-Rechtsprechung2 als unionsrechtswidrig bezeichnet werden.3 Vereinbarkeit mit der Kapitalverkehrsfreiheit. Aber selbst wenn man im Zusammenhang mit § 2a EStG eine Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit im Kern bejahen würde, wäre zu untersuchen, inwieweit sich der deutsche Gesetzgeber auf die Fortbestandsgarantie des Art. 64 Abs. 1 AEUV stützen kann. Denn sollte dies zu bejahen sein, wäre die aus dieser Regelung resultierende Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit dem Schutzbereich von Art. 63 Abs. 1 AEUV entzogen. In zeitlicher Hinsicht bereitet es keine Schwierigkeiten, den durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 eingefügten und deshalb vor dem 31.12.1993 bestandenen § 2a Abs. 1 EStG unter Art. 64 Abs. 1 AEUV zu subsumieren.4 Anders liegt es mit der inhaltlichen Dimension der Fortbestandsgarantie.5 Danach umfasst Art. 64 Abs. 1 AEUV nur solche Beschränkungen, die aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften im Zusammenhang „mit Direktinvestitionen […], mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestehen“. Dieser Umstand führt zunächst zu der Frage, inwieweit § 2a Abs. 1 EStG einen dieser Katalogvorgänge überhaupt für sich beanspruchen kann. Den Mitgliedstaaten kommt nach der Rechtsprechung des EuGH kein Ermessensspielraum hinsichtlich der Bestimmung derjenigen Kapitalbewegungen zu, die Gegenstand von Beschränkungen i.S.v. Art. 64 Abs. 1 AEUV sein können; die genannten Kapitalverkehrsvorgänge sind vielmehr autonom unionsrechtlich zu bestimmen.6 Für die inhaltliche Bestimmung des Begriffs „Direktinvestitionen“ kann insoweit auf die sekundärrechtliche Definition in der Kapitalverkehrsrichtlinie7 zurückgegriffen werden.8 Danach umfasst eine Direktinvestition „jede Art von Investitionen […] zur Schaffung und Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen denjenigen, die die Mittel bereitstellen, und den Unternehmern oder Unternehmen, für die die Mittel zum Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sind. Der Begriff Direktinvestition ist also im weitesten Sinne gemeint“.9 Auf diesem Hintergrund wird man es kaum von der Hand weisen können, dass § 2a Abs. 1 EStG den Katalogvorgang der „Direktinvestitionen“ insoweit beschränkt, als diese Vorschrift gem. § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG für die negativen Einkünfte aus einer gewerblichen Betriebsstätte gilt. Allerdings nimmt § 2a Abs. 1 EStG in den übrigen Nummern auch Kapitalvorgänge in den Blick, die nicht unter den Katalog des Art. 64 Abs. 1 AEUV fallen. So

1 Vgl. Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht, Köln 2015, Rz. 8.107; Frotscher in F/G, § 2a EStG Rz. 14a u. 62; Probst in F/W/B/S, § 2a EStG Anm. 51; Herkenroth in H/H/R, § 2a EStG Anm. 10; Kraft in Kanzler/Kraft/Bäuml2, § 2a EStG Rz. 5. 2 Jüngst bestätigt in EuGH v. 17.7.2014 – Rs. C-48/13 – Nordea Bank Danmark, ECLI:EU:C:2014:2087 = ISR 2014, 139 m. Anm. Henze = IStR 2014, 563. 3 Vgl. Frotscher in F/G, § 2a EStG Rz. 14b; de Weerth, IStR 2008, 405; a.A. Wagner in Blümich, § 2a EStG Rz. 25; FG Rh.-Pf. v. 31.8.2010 – 3 K 1314/07, EFG 2010, 2099. 4 Vgl. nur Dautzenberg, FR 2001, 809 (812). 5 Vgl. Schön in FS Wassermeyer, 493 ff.; Schönfeld, IStR 2005, 410 (411 ff.). 6 EuGH v. 14.12.1995 – Rs. C-163/94 – Sanz de Lera u.a., ECLI:EU:C:1995:451, Tz. 44. 7 ABl. EG Nr. L 178/1988, 8. 8 Vgl. Ress/Ukrow in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 64 AEUV Rz. 13. 9 Vgl. ABl. EG Nr. L 178/1988, 11.

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12.20

Kap. 12 Rz. 12.21

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

wird etwa ein stiller Gesellschafter i.S.v. § 2a Abs. 1 Nr. 5 EStG in aller Regel keine Möglichkeit haben, sich an der – für eine Direktinvestition nötigen1 – Verwaltung und Kontrolle der ausländischen Gesellschaft beteiligen zu können. Gleiches gilt für § 2a Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a EStG, der die Berücksichtigung von negativen Einkünften aus Teilwertabschreibungen auch für solche Beteiligungen ausschließt, die als Portfoliobeteiligungen keine Teilhabe an der Kontrolle und Verwaltung der ausländischen Gesellschaft ermöglichen. Daraus ließe sich – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH in „Sanz de Lera“ die Schlussfolgerung ziehen, dass es der Regelung des § 2a Abs. 1 EStG nicht nur teilweise, sondern insgesamt verwehrt ist, sich auf die Fortbestandsgarantie des Art. 64 Abs. 1 AEUV zu berufen.2 Dagegen spricht jedoch, dass sich die Schöpfer des § 2a Abs. 1 EStG die Mühe gemacht haben, im Rahmen der tatbestandlichen Anknüpfung anhand einzelner Nummern genau zu differenzieren. Insoweit hebt sich die Vorschrift bspw. positiv von der Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7–14 AStG ab. Anders als etwa § 7 Abs. 1 AStG, der jede Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft in den Blick nimmt, erfasst § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG zielgenau Direktinvestitionen in ausländische Betriebsstätten.

12.21 Anwendbarkeit der Fortbestandsgarantie. Jede Nummer des § 2a Abs. 1 EStG wird man insoweit als eigenständige Vorschrift zu begreifen haben. Und dies lässt § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG als eine der wenigen Vorschriften des deutschen Einkommensteuerrechtes erscheinen, die unter die Fortbestandsgarantie des Art. 64 Abs. 1 AEUV fallen. Zu einem anderen Ergebnis kann man nur gelangen, wenn der Anwendungsbereich des Art. 64 Abs. 1 AEUV mit Blick auf dessen Telos begrenzt wird.3 Diese Überlegung beruht auf dem Gedanken, dass mit der Aufnahme der Fortbestandsgarantie lediglich bestehende Beschränkungen gegenüber EU-/EWR-Drittstaaten aufrechterhalten werden sollten, die sich auf solche wirtschaftlich besonders bedeutsamen Kapitalverkehrsvorgänge beziehen, bei deren Liberalisierung grundlegende Ziele des Allgemeininteresses eine besondere Beachtung finden müssen.4 Will aber Art. 64 Abs. 1 AEUV in erster Linie unionsrechtliche Interessen schützen, dann erscheint es zweifelhaft, inwieweit der ausweislich seiner Gesetzesbegründung dem Schutz der inländischen Steuerbemessungsgrundlage dienende § 2a Abs. 1 EStG unter Art. 64 Abs. 1 AEUV subsumiert werden kann. Schließlich entspricht es der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass die aus einem allgemeinen Steuergefälle resultierende Gefahr von Steuermindereinnahmen nicht zu den – eine beschränkende Maßnahme rechtfertigenden – zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehört. Den Mitgliedstaaten kommt vielmehr die Pflicht zu, die Ausnutzung von Besteuerungsunterschieden und daraus möglicherweise resultierende Steuermindereinnahmen hinzunehmen.5 Gleichwohl lässt sich aus der Unterscheidung, die Art. 64 AEUV in seinen beiden 1 Zu der Voraussetzung der Teilhabe an der Verwaltung und Kontrolle einer ausländischen Gesellschaft vgl. die Begriffsbestimmung in Anhang I der Kapitalverkehrsrichtlinie ABl. EG Nr. L 178/1988, 11; Ress/Ukrow in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 64 AEUV, Rz. 14; Schönfeld, IStR 2005, 410 (411 ff., 414). 2 Ausführlich Schönfeld, IStR 2005, 410 (413). 3 Vgl. Schönfeld, IStR 2005, 410 ff. 4 Vgl. Ohler, Europäische Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, Berlin 2002, Art. 57 EG Rz. 1; Honrath, Umfang und Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit des Kapitalverkehrs, Baden-Baden 1998, 244; Bakker, The Liberalization of Capital Movement in Europe, Dordrecht 1996, 233. 5 EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – Lasteyrie du Saillant, ECLI:EU:C:2004:138, Tz. 59 f. = FR 2004, 659; v. 26.6.2003 – Rs. C-422/01 – Skandia et Ramstedt, ECLI:EU:C:2003:380, Tz. 52 f.; v. 12.12.2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, ECLI:EU:C:2002:749, Tz. 36 = FR 2003, 182; v. 3.10.2002 – Rs. C-136/00 – Danner, ECLI:EU:C:2002:558, Tz. 56 = FR 2003, 33; v. 8.3.2001 – Rs. C-397/98, C-410/98 – Metallgesellschaft und Hoechst, ECLI:EU:C:2001:134; v. 6.6.2000 – Rs. C-35/98 – Verkooijen, ECLI:EU:C:2000:294, Tz. 59 = FR 2000, 720 m. Anm. Dautzenberg; v. 26.10.1999 – Rs.

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Schönfeld/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.23 Kap. 12

Absätzen im Hinblick auf mitgliedstaatliche und unionsrechtliche Maßnahmen trifft, durchaus auch die gegenteilige Schlussfolgerung ziehen, dass die Fortbestandsgarantie auch für solche Beschränkungen von Direktinvestitionen greift, die aus rein nationalen Interessen erlassen wurden.1 Es spricht insoweit einiges dafür, dass die Regelung des § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG der Fortbestandsgarantie des Art. 64 Abs. 1 AEUV unterfällt und deshalb die betroffenen Kapitalverkehrsvorgänge nicht den Schutz von Art. 63 Abs. 1 AEUV genießen. 3. Negativer Progressionsvorbehalt gem. § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG Verweis des § 32b EStG auf § 2a Abs. 2 EStG. Wenngleich sich der Anwendungsbereich des § 2a EStG de lege lata auf Drittstaatenfälle begrenzt und die Vorschrift somit – wie oben gezeigt – im Hinblick auf eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit im Grundsatz frei von unionsrechtlichen Bedenken zu sein scheint, dürfen dessen Wechselwirkungen mit den Regelungen zum Progressionsvorbehalt in § 32b EStG nicht übersehen werden. Denn im Zuge des JStG 20092 hatte sich der Gesetzgeber nicht allein auf die unionsrechtlich gebotene Entschärfung von § 2a EStG beschränkt, indem er dessen räumlichen Anwendungsbereich auf in Drittstaaten erzielte Einkünfte einengte. Vielmehr wurde zusätzlich § 32b Abs. 1 EStG, der in Nr. 3 den Progressionsvorbehalt der durch DBA freigestellten Einkünfte vorsieht, um einen Satz 2 ergänzt. Diese sieht in Nr. 2 vor, dass die Berücksichtigung von Verlusten im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts ausscheidet, sofern Einkünfte in einer EU-/EWR-Betriebsstätte erzielt werden, die nicht die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 EStG (Aktivitätsvorbehalt) erfüllt.3 Auch nach Lesart mehrerer Gerichte4 war es dem Gesetzgeber offensichtlich ein Anliegen, die Anwendung des Progressionsvorbehalts für gewerbliche, jedoch passiv tätige EU/EWR-Betriebsstätte auszuschließen.

12.22

Unvereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit. In diesem Zusammenhang muss man aber sehen, dass die unionsrechtliche Unverträglichkeit der von § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG in Bezug genommenen Klausel in § 2a Abs. 2 EStG sowohl vom EuGH5 als auch vom BFH6 festgestellt wurde, weil – so die Gerichte – die dort getroffene, typisierende Unterscheidung in aktive und passive Einkunftsquellen über das hinausgeht, was zur Bekämpfung missbräuchlicher Konstruktionen erforderlich ist. Wenn dem aber so ist, dann spricht vieles dafür, dass auch für § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG nichts anderes gelten kann. Denn unzweifelhaft knüpft die Gewährung oder Versagung des Progressionsvorbehalts an die unionsrechtswidrige Klassifikation in § 2a Abs. 2 EStG an. Mithin dürfte § 2a Abs. 2 EStG infizierend auf die

12.23

1 2 3

4 5 6

C-294/97 – Eurowings, ECLI:EU:C:1999:524, Tz. 44 = FR 1999, 1327 m. Anm. Dautzenberg; v. 21.9.1999 – Rs. C-307/97 – Saint-Gobain, ECLI:EU:C:1999:438, Tz. 49 f.; v. 16.7.1998 – Rs. C-264/96 – ICI, ECLI:EU:C:1998:370, Tz. 28. Vgl. dazu Schönfeld, IStR 2005, 410 (411 f.). Vgl. Gesetz v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794. Für diese Lesart Gebhardt/Quilitzsch, IStR 2010, 390 (391); Heinicke in Schmidt36, § 32b EStG Rz. 34; Kuhn/Kühner in H/H/R, § 32b EStG Anm. 129; Schmidt/Heinz, IStR 2009, 43 (45); Wittkowski/Lindscheid, IStR 2009, 225 (227); Wagner in Blümich, § 32b EStG Rz. 67; Mössner in Lüdicke/Kempf/Brink (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht, Baden-Baden 2010, 128; Egner/Quinten in Kanzler/Kraft/Bäuml2, § 32b EStG Rz. 34; FG Münster v. 21.3.2014 – 4 K 2292/11 F, EFG 2014, 1003; FG Köln v. 1.7.2015 – 1 K 555/13, EFG 2015, 2067 (2071) m. Anm. Wendt; BFH v. 26.1.2017, I R 66/15, juris. Vgl. FG Münster v. 21.3.2014 – 4 K 2292/11 F, EFG 2014, 1003; FG Köln v. 1.7.2015 – 1 K 555/13, EFG 2015, 2067 m. Anm. Wendt. Vgl. EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-347/04 – Rewe Zentralfinanz, ECLI:EU:C:2007:194. Vgl. BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671 = FR 2008, 927 = IStR 2008, 447.

Schönfeld/Quilitzsch

873

Kap. 12 Rz. 12.24

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

Regelung über den Progressionsvorbehalt bei EU-/EWR-Betriebsstätten mit der Folge wirken, dass auch die in § 32b Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG getroffene und innerhalb der EU bzw. des EWR anwendbare Regelung eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt.1 4. Frustrierte Gründungsaufwendungen

12.24 Auffassung der Finanzverwaltung. Der vorweggenommene Aufwand für die Gründung einer ausländischen Betriebsstätte soll aufgrund der Geltung des Veranlassungsprinzips nach Auffassung der Finanzverwaltung2 sowie nach der Rechtsprechung des BFH der (künftigen) Betriebsstätte zuzuordnen sein (vgl. Rz. 7.1 ff.).3 Dies soll selbst dann gelten, wenn die Gründung endgültig scheitert.4 Im Fall der Freistellung des (künftigen) Betriebsstättengewinns durch ein DBA begründet dies die Gefahr, dass die Gründungsaufwendungen und vorbereitenden Aufwendungen weder im Inland noch im Ausland geltend gemacht werden können.5 An das Scheitern der Gründung einer inländischen Betriebsstätte eines inländischen Stammhauses wird diese negative Konsequenz indes nicht geknüpft. Diese Ungleichbehandlung begründet deshalb eine Beschränkung der einschlägigen Grundfreiheiten. Dagegen könnte man einwenden, die Ungleichbehandlung beruhe auf einem sachlichen Grund. Denn schließlich seien die künftigen Gewinne einer ausländischen DBA-Betriebsstätte aufgrund der vereinbarten Freistellungsmethode von der inländischen Besteuerung ausgenommen. Und dies rechtfertige es, auch künftige Aufwendungen der Betriebsstätte vom Abzug der inländischen Steuerbemessungsgrundlage des inländischen Stammhauses auszunehmen.

12.25 Konflikt mit der Niederlassungsfreiheit. Bei genauer Betrachtung überzeugt dies jedoch nicht. Dabei kann es dahinstehen, inwieweit hier die „Symmetriethese“ trägt. Denn anders als im Fall von tatsächlich bei der ausländischen Betriebsstätte angefallenen Verlusten ist der Anknüpfungstatbestand, der die auf das Gebiet der Bundesrepublik begrenzte Besteuerung via Freistellung bewirkt, in der Konstellation des endgültigen Scheiterns der Gründung einer ausländischen Betriebsstätte tatsächlich noch gar nicht verwirklicht. Ein nicht verwirklichter Tatbestand kann aber keine Rechtswirkungen hervorrufen, weshalb sich der inländische Fiskus zur Rechtfertigung auch nicht auf diese Rechtswirkungen berufen kann. Die Nichtberücksichtigung frustrierter Gründungsaufwendungen ist im Übrigen auch unter einem weiteren Aspekt unionsrechtlich problematisch. In der Rechtssache „Saint-Gobain“ betonte der EuGH „die freie Wahl der für die Ausübung einer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat geeigneten Rechtsform, die Art. 49 Abs. 2 Satz 1 AEUV den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich einräumt“.6 Vom ganz überwiegenden Schrifttum wurde daraus die Schlussfolgerung ge1 Vgl. Gebhardt/Quilitzsch, IStR 2010, 390 (392) sowie im Ergebnis ebenso Holthaus, DStZ 2009, 188 (192). 2 BMF v. 20.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 66. 3 BFH v. 28.4.1983 – IV R 122/79, BStBl. II 1983, 566 = FR 1983, 438. 4 BMF v. 20.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 67; BFH v. 28.4.1983 – IV R 122/79, BStBl. II 1983, 566 = FR 1983, 438; a.A. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 489 m.w.N.; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., München 2015, Rz. 489; Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht, 2000, 158 sowie kritisch zur Auffassung der Finanzverwaltung Heinsen, DB 2017, 85 (86); Kahle/Kindich, GmbHR 2017, 341 (345). 5 Auf diese Gefahr treffend hinweisend Frotscher, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., München 2015, Rz. 492. 6 EuGH v. 21.9.1999 – Rs. C-307/97 – Saint-Gobain, ECLI:EU:C:1999:438, Tz. 42.

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Schönfeld/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.26 Kap. 12

zogen, dass es die Niederlassungsfreiheit verbiete, die freie Wahl zwischen Betriebsstätte und Tochtergesellschaft durch divergierende Besteuerungsregeln einzuschränken.1 Angewendet auf die vorliegende Problematik bedeutet dies, dass einem inländischen Stammhaus nicht der Abzug frustrierter Gründungsaufwendungen für eine ausländische Betriebsstätte versagt werden darf, wenn dieser Aufwand – wie nach geltendem Recht – im Rahmen der (gescheiterten) Gründung einer ausländischen Tochtergesellschaft angefallen und deshalb beim inländischen Stammhaus abzugsfähig gewesen wäre.2 Letztlich sprechen aber auch die von EuGH und BFH vorgetragenen Argumente im Hinblick auf im Quellenstaat nicht nutzbare und damit finale Verluste dafür, frustrierte Gründungsaufwendungen beim inländischen Stammhaus einer steuerlichen Berücksichtigung zuzuführen (vgl. Rz. 7.6 und 7.8).3

III. Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte Entstrickungsbesteuerung und Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Im Zuge des SEStEG4 entschied sich der Gesetzgeber zur Normierung einer allgemeinen Entstrickungsregelung in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und führte damit die sog. und durch den BFH5 im Vorfeld aufgegebene Theorie der finalen Entnahme einer gesetzlichen Regelung zu. Danach werden Vorgänge, die zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsguts des Anlage- oder Umlaufvermögens führen, einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke gleichgestellt, die gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG mit dem gemeinen Wert anzusetzen ist. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, der sich nahezu wortgleich auch in § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG wiederfindet, zieht somit eine Aufdeckung und steuerliche Sofortrealisation der in dem betreffenden Wirtschaftsgut enthaltenen stillen Reserven nach sich. Relevanz für die Betriebsstättenbesteuerung entfaltet die Vorschrift durch ihr Zusammenspiel mit dem im Zuge des JStG 20106 in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG aufgenommenen Regelbeispiel. Darin wird klargestellt, dass von einem Ausschluss oder einer Beschränkung deutschen Besteuerungsrechts insbesondere dann auszugehen ist, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Der Regelung liegt die von äquivalenztheoretischen Vorstellungen getragene Erwägung zugrunde, dass etwaige Wertsteigerungen durch eine öffentliche Güter verzehrende Geschäftstätigkeit des Stammhauses im Inland entstanden seien und deshalb das darauf entfallende Steuersubstrat allein dem Inland zustehe. Darüber hinaus mehren diese Wertsteigerungen diejenige Leistungsfähigkeit des Stammhauses, die bis zum Grenzübertritt der Wirtschaftsgüter der Besteuerung im Inland 1 Vgl. Kristen, Equal Treatment of Permanent Establishments and Subsidiaries, in Lang u.a. (Hrsg.), Permanent Establishments in International Tax Law, Wien 2003, 332 f.; Kamptner, Non-Discrimination of a Permanent Establishment under EC Law, in Lang u.a. (Hrsg.), Permanent Establishments in International Tax Law, Wien 2003, 297 ff.; Schön, EWS 2000, 281 ff.; de Weerth, IStR 1999, 628; Eilers/Schmidt, DStR 1999, 1977 (1979); Lang in FS Rädler, 429 (432). 2 Zur Behandlung von frustrierten Gründungsaufwendungen für Kapitalgesellschaften vgl. Piltz, Besteuerungsvergleich Tochtergesellschaft vs. Betriebsstätte – Altes und neues Recht, in Piltz/ Schaumburg (Hrsg.), Internationale Betriebsstättenbesteuerung (Forum der Internationalen Besteuerung Bd. 20), Köln 2001, 7 f. 3 So auch Heinsen/Wendland, GmbHR 2014, 1033 (1036 f.). Dagegen aber BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703 = FR 2014, 855 = ISR 2014, 273 m. Anm. Haase; zur Kritik Wassermeyer, IStR 2015, 37 (38). 4 Gesetz v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782. 5 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149. 6 Gesetz v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768.

Schönfeld/Quilitzsch

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12.26

Kap. 12 Rz. 12.27

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

unterliege, aufgrund der DBA-Freistellung im Ausland dieser aber entzogen sei.1 Aus unionsrechtlicher Sicht ist diese Vorgehensweise aus mehreren Gründen bedenklich.2 Zum einen steht derjenigen Steuerlast, die durch die Besteuerung der Wertsteigerungen zum Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts entsteht, keine tatsächliche Mehrung der Leistungsfähigkeit – etwa in der Form von Forderungen oder Zahlungsströmen – gegenüber; es ist vielmehr völlig ungewiss, wann und ob es zu einer solchen Gewinnrealisation kommt.3 Zum andern hat die vergleichbare Überführung von Wirtschaftsgütern von einem inländischen Stammhaus in eine inländische Betriebsstätte keine solche Gewinnrealisation zur Folge. Diese Ungleichbehandlung führt deshalb dazu, dass ein inländisches Stammhaus davon abgehalten werden könnte, über das Etablieren einer ausländischen Betriebsstätte an einer grenzüberschreitenden Wertschöpfung teilzunehmen; sie bewirkt eine Beschränkung der einschlägigen Grundfreiheiten – namentlich der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV.4 Diesem Verständnis haben sich auch Vertreter der deutschen Finanzverwaltung angeschlossen.5

12.27 Gestaffelte Steuererhebung gem. § 4g EStG. Der Gesetzgeber war sich der unionsrechtlichen Problematik einer Sofortrealisation stiller Reserven im Überführungszeitpunkt offenkundig bewusst und flankierte die Einführung der allgemeinen Entstrickungsregelungen in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG durch Schaffung von § 4g EStG.6 Dieser sieht vor, dass in Fällen der Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens in eine Betriebsstätte in einem EU-Staat auf Antrag keine sofortige, sondern eine über fünf Jahre gestreckte Besteuerung der darin enthaltenen stillen Reserven zum Tragen kommen soll. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen „de Lasteyrie du Saillant“7 und „N“8 war jedoch zu bezweifeln, ob es dem Gesetzgeber mit der Technik einer über fünf Jahre gestaffelten Gewinnrealisierung und Steuererhebung wirklich gelungen war, den unionsrechtlichen Anforderungen Genüge getan zu haben.9 Bestätigt wurden diese Bedenken durch die Ausführungen des Gerichts in der Rechtssache „National Grid Indus“.10 1 So in etwa die Argumentation der deutschen Regierung zur französischen Wegzugsbesteuerung in der Rechtssache „Lasteyrie“; vgl. EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – Lasteyrie du Saillant, ECLI:EU:C:2004:138, Tz. 32 = FR 2004, 659. 2 Ausführlich Schnitger, Die Entstrickung im Steuerecht, IFSt-Schrift Nr. 487, Berlin 2013, 65 ff. 3 Darauf wird mit entsprechenden Beispielen zutreffend hingewiesen von Wassermeyer, IStR 2004, 733 ff.; ferner Körner, IStR 2012, 1 (3); Kessler/Philipp, DStR 2012, 267 (269 f.). 4 So kritisch statt vieler Wassermeyer, IStR 2004, 733 f.; Wassermeyer, GmbHR 2004, 613 (616); Schön, IStR 2004, 289 (295 ff.); Rödder, DStR 2004, 1629 (1633); Schnitger, BB 2004, 804 (811 f.); Körner, IStR 2004, 424 (429); Kramer, IStR 2000, 449 (450 f.); Rödder/Schumacher, DStR 2007, 369 (372); Förster, DB 2007, 72 (75); Hahn, IStR 2006, 797 (803); Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.41; a.A. Musil, FR 2011, 545 (548 f.); Mitschke, IStR 2011, 294 ff.; Hruschka, DStR 2011, 2343 ff. 5 Vgl. Mitschke, FR 2008, 1144; Mitschke, FR 2009, 326. 6 Vgl. aus den einschlägigen Gesetzesmaterialien BR-Drucks. 542/06, Beschluss 1-3; BT-Drucks. 16/3369, 5; BT-Drucks. 16/3315, 6. 7 Vgl. EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – Lasteyrie du Saillant, ECLI:EU:C:2004:138 = FR 2004, 659. 8 Vgl. EuGH v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04 – N, ECLI:EU:C:2006:525 = FR 2006, 1128. 9 Vgl. Kessler/Winterhalter/Huck, DStR 2007, 133; Förster, DB 2007, 72; Körner, IStR 2010, 208 (209 f.); Richter/Heyd, Ubg 2011, 172 (176); a.A. Mitschke, Ubg 2011, 328 (334 ff.); Bösing/Sejdija, Ubg 2013, 636 (636 f.). 10 Vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, ECLI:EU:C:2011:785 = FR 2012, 25 m. Anm. Musil; bestätigt durch EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission/Portugal, ECLI:EU:C:2012:521 = BFH/NV 2012, 1757 = ISR 2012, 60 m. Anm. Müller.

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Schönfeld/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.28 Kap. 12

Dort hatte der EuGH entschieden, dass die Wahrung der Aufteilung von Besteuerungsrechten zwischen den Mitgliedstaaten grundsätzlich als Rechtfertigung dienen kann, um im Fall des Wegzugs einer Gesellschaft eine Schlussbesteuerung auf nicht realisierte Wertzuwächse in den überführten Wirtschaftsgütern herbeizuführen. Seither galt es demnach als unionsrechtlich gerechtfertigt, wenn ein Mitgliedstaat einen Besteuerungsanspruch für die auf seinem Hoheitsgebiet entstandenen stillen Reserven beansprucht. Gleichwohl machte der EuGH deutlich, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu differenzieren sei zwischen der Feststellung der Steuerlast auf der einen sowie der Einziehung der entsprechenden Steuer auf der anderen Seite. Während eine Festsetzung der fälligen Steuer im Entstrickungszeitpunkt gerechtfertigt und deshalb unionsrechtlich statthaft sei, bedürfe es bei der Einziehung der Steuer neben der Sofortversteuerung einer Stundungsmöglichkeit. Weiter führte das Gericht aus, dass die Stundung grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Realisation des überführten Wirtschaftsguts – mithin also bis zu dessen Verkauf an einen fremden Dritten – ermöglicht werden müsse.1 EuGH-Urteile in den Rechtssachen „DMC“ und „Verder LabTec“. Da § 4g EStG in seiner Konzeption den vom EuGH geforderten Besteuerungsaufschub nicht vorsieht, sondern im Ergebnis lediglich eine auf fünf Jahre verteilte und von einer tatsächlichen Realisation stiller Reserven losgelöste Steuererhebung bewirkt, konnte in der Vergangenheit demnach mit guten Gründen davon ausgegangen werden, dass die deutschen Entstrickungsvorschriften den unionsrechtlichen Anforderungen zuwiderlaufen.2 Im Rahmen von zwei jüngeren Entscheidungen hat der EuGH den Aspekt der Steuererhebung jedoch weiter ausdifferenziert. So hielt er in der Entscheidung „DMC“3 die dem Steuerpflichtigen in § 20 Abs. 6 UmwStG 1995 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 3 bis 5 UmwStG 1995 eingeräumte Möglichkeit, eine auf nicht realisierte Wertzuwächse entfallende Steuer in fünf Jahresraten zu begleichen, unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten für ausreichend, um einen Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 AEUV zu rechtfertigen.4 In ähnlicher Weise gelangte der EuGH in der Rechtssache „Verder LabTec“5 im Zusammenhang mit der seinerzeit durch die deutsche Finanzverwaltung im Billigkeitswege eingeräumten Möglichkeit zur Bildung eines linear über zehn Jahre aufzulösenden Merkpostens zu dem Ergebnis, dass neben der Gewährung eines zeitlich unbegrenzten Besteuerungsaufschubs auch eine solche gestaffelte Steuererhebung als verhältnismäßig und damit unionsrechtskonform angesehen werden könne. Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, dass § 4g EStG – jedenfalls in zeitlicher Hinsicht – den unionsrechtlichen Ansprüchen gerecht wird.6 Dies gilt entsprechend für § 36 Abs. 5 EStG, der § 16 Abs. 3a EStG und die 1 Vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, ECLI:EU:C:2011:785, Tz. 65 = FR 2012, 25 m. Anm. Musil. 2 Vgl. Prinz, GmbH 2012, 195; Rautenstrauch/Seitz, Ubg 2012, 14 f.; Beutel/Rehberg, IStR 2012, 94 f.; Hahn, BB 2012, 681 (686); a.A. Mitschke, IStR 2012, 6 (8); Schwenke, DStZ 2007, 235 (244 f.). 3 Vgl. EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, ECLI:EU:C:2014:20 = FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller = ISR 2014, 96 m. Anm. Zwirner = DStR 2014, 193. Ähnlich auch EuGH v. 18.7.2013 – Rs. C-261/11 – Kommission/Dänemark, ECLI:EU:C:2013:480 = ISR 2013, 311. 4 Zustimmend hierzu Musil, FR 2014, 470; Mitschke, IStR 2014, 111; Sydow, DB 2014, 265. 5 Vgl. EuGH v. 21.5.2015 – Rs. C-657/13 – Verder LabTec, ECLI:EU:C:2015:331 = FR 2015, 600 = ISR 2015, 259 = DStR 2015, 1166 sowie Schlussurteil des FG Düsseldorf v. 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, juris = IStR 2016, 118. 6 Vgl. Gosch, IWB 2014, 183 (188); Kahle/Beinert, FR 2015, 585 (589); Gosch, BFH/PR 2015, 297; Sydow, DB 2014, 265; Faller/Schröder, DStZ 2015, 890 (893); Crezelius in Kirchhof16, § 4g EStG Rz. 9; Cloer/Sejdija, SWI 2016, 265 (269); Hallerbach in Kanzler/Kraft/Bäuml2, § 4g EStG Rz. 8; Musil in H/H/R, § 4g EStG Anm. 211; Endert in F/G, § 4g EStG Rz. 5; Holzhäuser in K/S/M, § 4g EStG

Schönfeld/Quilitzsch

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12.28

Kap. 12 Rz. 12.29

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

dort normierte finale Betriebsaufgabe in einer § 4g EStG vergleichbaren Weise flankiert, sowie die durch Anwendung von § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. § 16 Abs. 1 BsGaV1 denkbaren Entstrickungskonstellationen (vgl. Rz. 6.147). Denn auch insoweit ist eine Anwendung von § 4g EStG ausdrücklich vorgesehen (§ 1 Abs. 5 Satz 6 AStG).2

12.29 Aufteilung von Besteuerungsbefugnissen als Rechtfertigung? Als einschränkend muss man indessen sehen, dass der EuGH in den Entscheidungen „DMC“ und „Verder LabTec“ die durch eine Entstrickungsbesteuerung hervorgerufene Beschränkung der Grundfreiheiten stets mit dem Argument als gerechtfertigt angesehen hat, derlei Regelungen würden der Wahrung einer gerechten Aufteilung von Besteuerungsbefugnissen zwischen den Mitgliedstaaten dienen. Daraus kann mit guten Argumenten geschlossen werden, dass der EuGH die unionsrechtliche Zulässigkeit einer Entstrickungsbesteuerung auf Fälle eingeengt sehen will, in denen ein Verlust des Besteuerungsrechts eines Mitgliedstaats droht.3 Er will von einer Steuererhebung im Realisationszeitpunkt ferner nur dann zugunsten eines früheren Zeitpunkts absehen, wenn die Besteuerungsbefugnis des Herkunftsstaats im Realisationszeitpunkt nicht sichergestellt ist. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des BFH vom 17.7.20084 zur Aufgabe der finalen Entnahmetheorie kann man deshalb jedenfalls im Abkommensfall durchaus anzweifeln, ob die deutschen Entstrickungsregelungen tatsächlich im Einklang mit Unionsrecht stehen. Denn nach dem Verständnis des BFH steht dem Herkunftsstaat nach Art. 7 Abs. 2 OECDMA die Besteuerungsbefugnis für die auf seinem Territorium gebildeten stillen Reserven bis zum tatsächlichen Realisationszeitpunkt ohne Weiteres zu, so dass von einem Verlust oder einer Einschränkung des Besteuerungsrechts im Entstrickungszeitpunkt schlechterdings keine Rede sein kann. Der EuGH ist dieser Frage in der Rechtssache „Verder LabTec“ aber in keiner Weise nachgegangen. Hätte er dies getan und hätte er sich intensiver mit der Prüfung des relevanten rechtlichen Rahmens auseinandergesetzt, wäre er möglicherweise zu der Erkenntnis gelangt, dass Deutschland nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA sehr wohl ein nachlaufendes Besteuerungsrecht auf die in überführten Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven zusteht.5 Dann wäre es aber in der Folge nur richtig gewesen, die Wahrung der Aufteilung von Besteuerungsbefugnissen als Rechtfertigungsgrund für gerade nicht einschlägig zu deklarieren.6 Vor diesem Hintergrund ist denn auch die Entscheidung des FG Hamburg zu begrüßen, das in seinem Schlussurteil in der Rechtssache „DMC“ die Unionsrechtswidrigkeit

1 2 3 4 5 6

Rz. A 21; Wied in Blümich, § 4g EStG Rz. 2; Prinz, GmbHR 2007, 966 (971); Wassermeyer, EuZW 2012, 921 (922). Vgl. jüngst auch FG Köln v. 16.2.2016 – 10 K 2335/11, EFG 2016, 793 = IStR 2016, 384, das unionsrechtliche Bedenken ebenfalls abgewiesen hat. Zweifelnd hingegen Rasch/ Wenzel, IWB 2015, 579 (583); Rasch/Wenzel, ISR 2015, 128 (132 ff.); Ditz/Tcherveniachki, ISR 2016, 417. Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes (Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV), BGBl. I 2014, 1603. Im Rahmen von Zuordnungsänderungen lässt die Finanzverwaltung die Anwendung von § 4g EStG auch auf beschränkt steuerpflichtige Personen im Billigkeitswege zu, vgl. BMF v. 20.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 453 und 457. Vgl. Cloer/Sejdija, SWI 2016, 265 (266); Endert in F/G, § 4g EStG Rz. 5; Holzhäuser in K/S/M, § 4g EStG Rz. A 21; Wied in Blümich, § 4g EStG Rz. 2; Prinz, GmbHR 2007, 966 (971); Wassermeyer, EuZW 2012, 921 (922). Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149. So auch kritisch Gosch, IWB 2014, 183 (186). So auch Faller/Schröder, DStZ 2015, 890 (895); Müller, ISR 2015, 147.

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Schönfeld/Quilitzsch

B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.31 Kap. 12

der dort streitig gestellten Regelungen des UmwStG 1995 feststellte, weil sie zur Anwendung gelangen, obwohl im Ergebnis kein Ausschluss oder eine Beschränkung deutschen Besteuerungsrechts drohte.1 Ferner muss man für den Fall der Überführung eines Wirtschaftsguts aus dem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte sehen, dass sich jede Art der Realisation des Wirtschaftsguts im Ausland unmittelbar in der inländischen Buchführung des Stammhauses niederschlägt. Vor diesem Hintergrund weiß auch das vom EuGH angeführte Argument, im Zeitablauf würde das Risiko der Nichteinbringbarkeit von Steuerforderungen zunehmen, nicht vollends zu überzeugen. Ebenso wenig nachvollziehbar ist der von der Finanzverwaltung bemühte Problembereich einer mühsamen und administrativ zu aufwendigen Nachverfolgung des Wirtschaftsguts in der ausländischen Betriebsstätte als Argument gegen einen Aufschub der Besteuerung bis zur tatsächlichen Realisation der stillen Reserven.2 Denn mit den erhöhten Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO sowie der EU-Amtshilferichtlinie3 stehen der Finanzverwaltung wirksame Instrumente zur Steueraufsicht zur Verfügung. Keine Anwendung von § 4g EStG im Verhältnis zu EWR-Staaten. Unionsrechtlich bedenklich stimmt ferner die tatbestandliche Einengung des § 4g EStG auf EU-Sachverhalte, während die Überführung von Wirtschaftsgütern in eine im EWR-Raum befindliche Betriebsstätte von dessen Anwendungsbereich ausgenommen ist. Die Grundfreiheiten finden indessen nicht nur innerhalb der EU Anwendung, sondern gelten in gleicher Weise auch für den Europäischen Wirtschaftsraum.4 Explizit ergibt sich dies aus Art. 31 des EWR-Abkommens.5 Es ist deshalb als unverständlich und unionsrechtlich unverträglich zu bezeichnen, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Norm nicht auf EWR-Fälle ausgedehnt hat.6

12.30

Beschränkung von § 4g EStG auf Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens. Weiterhin kann eine Sofortversteuerung allein im Hinblick auf Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens vermieden werden, da § 4g EStG explizit keinen Bezug auf Umlaufvermögen nimmt. Dem mag entgegengehalten werden, dass Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens in der Regel ohnehin nicht im selben Umfang stille Reserven bündeln wie dies im Anlagevermögen der Fall ist. Denn regelmäßig sind solche Wirtschaftsgüter Gegenstand tatsächlicher Außentransaktionen, so dass eine fiktive Realisation stiller Reserven im Rahmen von deren Überführung in eine ausländische Betriebsstätte allenfalls kurzfristige Liquiditätsnachteile nach sich zieht, welche die im Rahmen von § 4g EStG erforderlichen Aufzeichnungs- und Dokumentationserfordernisse kaum zu rechtfertigen im Stande wären.7 Dennoch ändert dies nichts an dem Befund einer unionsrechtswidrigen Ungleichbehandlung zwischen rein nationalen und vergleichbaren grenzüberschreitenden Vorgängen, die unter Bezugnahmen auf die Entscheidungen des EuGH in den Rs. „National Grid Indus“, „DMC“ und „Verder LabTec“ als eine zwar ge-

12.31

1 2 3 4

Vgl. FG Hamburg v. 15.4.2015 – 2 K 66/14, IStR 2014, 521. Vgl. insbesondere Mitschke, IStR 2010, 95 (97). Richtlinie 2011/16/EU v. 15.2.2011, ABl. EU L64/1. Vgl. Crezelius in Kirchhof16, § 4g EStG Rz. 9; Frotscher in F/G, § 4g EStG Rz. 4; Kahle/Eichholz/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016, Rz. 6.146; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Köln 2015, Rz. 8.92. 5 ABl.-EU v. 3.1.1994 L1/5, L1/13, ratifiziert durch Beschluss des Rates und der Kommission v. 13.12.1993, ABl.-EU v. 3.1.1994 L1/1. 6 Vgl. Endert in F/G, § 4g EStG Rz. 4. 7 Vgl. Mitschke, DStR 2012, 629; Bösing/Sejdija, Ubg 2013, 638; Kessler/Winterhalter/Huck, DStR 2007, 134; Schwenke, DStZ 2007, 235.

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Kap. 12 Rz. 12.32

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

rechtfertigte, jedoch unverhältnismäßige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit eingestuft werden muss.1

IV. Hinzurechnungsbesteuerung gem. § 20 Abs. 2 AStG 12.32 Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen „Cadbury Schweppes“ und „Columbus Container Services“. Als unilaterales Treaty Override sieht § 20 Abs. 2 AStG in Bezug auf Einkünfte einer im Ausland belegenen Betriebsstätte den Wechsel von der in einem DBA vereinbarten Freistellungs- zur Anrechnungsmethode vor, sofern diese Einkünfte als sog. Zwischeneinkünfte qualifizieren und infolgedessen – würden sie von einer ausländischen Kapitalgesellschaft erzielt werden – unter die Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung gem. der §§ 7–14 AStG fallen. Der Zweck der Regelung besteht mithin in einer außensteuerlichen Gleichstellung ausländischer Betriebsstätten mit ausländischen Kapitalgesellschaften. Sie will verhindern, dass die Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung, welche grundsätzlich auf die Sanktionierung von in einem Niedrigsteuerland ansässigen und sog. Zwischeneinkünfte erzielenden Kapitalgesellschaften abzielen, durch die Zwischenschaltung einer ausländischen Betriebsstätte umgangen werden. Denn im Ergebnis gleichen sich die Wirkungen der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode und der von einer Kapitalgesellschaft ausgehenden steuerlichen Abschirmwirkung. Mit Blick auf die ratio legis ist der Vorschrift ihre Sinnhaftigkeit somit nicht abzusprechen. Zweifel mag allerdings deren Herauslösung aus dem Anwendungsbereich des § 8 Abs. 2 AStG hervorrufen. Denn nach Auffassung des EuGH in der Rechtssache „Cadbury Schweppes“ waren die Regelungen der §§ 7 ff. AStG mangels einer dem Steuerpflichtigen eingeräumten Nachweismöglichkeit dahingehend, dass die ausländische Zwischengesellschaft einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht, als nicht im Einklang mit der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV eingestuft worden.2 Auf Vorlage des FG Münster3 gelangte der EuGH aber wenig später in der Rechtssache „Columbus Container Services“4 zu dem Ergebnis, dass der in § 20 Abs. 2 AStG angeordnete switch over weder mit der Niederlassungs- noch mit der Kapitalverkehrsfreiheit kollidiert, weil nach seiner Auffassung dadurch eine ausländische Betriebsstätte steuerlich lediglich wie eine inländische Betriebsstätte behandelt wird.

12.33 Einführung von § 8 Abs. 2 AStG. Aufgrund der Entscheidung „Cadbury Schweppes“ sah sich der Gesetzgeber im Rahmen des JStG 20085 dazu veranlasst, die Regelungen um einen § 8 Abs. 2 AStG zu ergänzen, wonach – vereinfacht formuliert – die Konsequenzen der Hinzurechnungsbesteuerung trotz der Erzielung von Zwischeneinkünften nicht zum Tragen kommen sollen, wenn dem Steuerpflichtigen der Nachweis gelingt, dass die ausländische Gesellschaft in einem EU/EWR-Mitgliedstaat ansässig ist und dort einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Seinem eindeutigen Wortlaut nach beschränkt sich der Wirkungsbereich des § 8 Abs. 2 AStG auf den Bereich der originären Hinzurechnungsbesteue1 Vgl. Kahle/Eichholz/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016, Rz. 6.148; Prinz, GmbHR 2012, 195 (198); Brinkmann/Reiter, DB 2012, 16 (20); Endert in F/G, § 4g EStG Rz. 6; Crezelius in Kirchhof16, § 4g EStG Rz. 9. 2 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, ECLI:EU:C:2006:544 = FR 2006, 987 m. Anm. Lieber. 3 FG Münster v. 5.7.2005 – 15 K 1114/99, IStR 2005, 631. 4 EuGH v. 6.12.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container Services, ECLI:EU:C:2007:754 = GmbHR 2008, 111. 5 Gesetz v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150.

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B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

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rung gem. der §§ 7–14 AStG. Hingegen erstreckt er sich ausdrücklich nicht auf die Regelung des § 20 Abs. 2 AStG und klammert darüber hinaus – was mit erheblichen unionsrechtlichen Zweifeln behaftet ist1 – den Bereich der Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter (§ 7 Abs. 6 und 6a AStG) in Drittstaatensachverhalten vollständig aus. In der Sache ist dies schon deshalb merkwürdig, weil § 20 Abs. 2 AStG – wie oben ausgeführt – als Annexvorschrift zu den §§ 7–14 AStG mit dem Ziel eingefügt wurde, deren Umgehung durch Einschaltung einer ausländischen Betriebsstätte oder Personengesellschaft zu verhindern. De lege lata ist es nunmehr so, dass der Umgehungsvermeidungstatbestand schlechter behandelt wird als der Grundtatbestand.2 Denn dem Steuerpflichtigen, der im Ausland eine Zwischeneinkünfte erzielende Betriebsstätte unterhält, soll es nicht gestattet sein, den der Hinzurechnungsbesteuerung typisierend innewohnenden Missbrauchsvorwurf im Wege des Gegenbeweises zu entkräften, während sich der an einer ausländischen Kapitalgesellschaft Beteiligte exkulpieren kann. Eine Ausnahme hiervon besteht seit Inkrafttreten des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes3 jedoch im Bereich der Gewerbesteuer. Denn gem. § 7 Satz 9 GewStG wird von der Gewerbesteuerpflicht ausländischer Betriebsstätteneinkünfte ausnahmsweise abgesehen, wenn diese Einkünfte durch eine ausländische Zwischengesellschaft erzielt worden wären, auf die § 8 Abs. 2 AStG Anwendung gefunden hätte. Ist die Betriebsstätte also in der EU/EWR belegen und verfügt sie über einen Umfang an wirtschaftlicher Substanz, der sie für die in § 8 Abs. 2 AStG normierte „Cadbury Schweppes-Ausnahme“ qualifiziert, so bleiben ihre Einkünfte – obwohl § 20 Abs. 2 AStG den Motivtest gem. § 8 Abs. 2 AStG nicht in Bezug nimmt – vom inländischen Gewerbeertrag ausgenommen.4 Schlussurteil des BFH in der Rechtssache „Columbus Container Services“. Dies wird möglicherweise auch einer der Gründe dafür gewesen sein, warum der BFH in seiner Schlussentscheidung in der Rechtssache „Columbus Container Services“5 zu dem Ergebnis gelangte, dass der Versuch des Gesetzgebers, den Gegenbeweis gem. § 8 Abs. 2 AStG im Rahmen des JStG 2008 innerhalb von § 20 Abs. 2 AStG zu verhindern, nicht erfolgreich war. Der BFH begründet dies damit, dass aufgrund der vom Gesetzgeber in § 20 Abs. 2 AStG gewählten Verweisungstechnik die Unionsrechtswidrigkeit der §§ 7–14 AStG auf in der EU/EWR belegene Betriebsstätten durchschlägt.6 Dies soll nach Auffassung des BFH aber nicht die gänzliche Unanwendbarkeit der Regelung nach sich ziehen. Vielmehr sei der Motivtest, wie er in § 8 Abs. 2 AStG als Reaktion auf die Entscheidung „Cadbury Schweppes“ Einzug gehalten hat, zur Herstellung einer unionsrechtskonformen Anwendung im Wege der geltungserhaltenden Reduktion als ungeschriebener Gegenbeweis auch in § 20 Abs. 2 AStG hineinzulesen.7 Leistet man dem Folge, so wird man die Unionsrechtskonformität des dort angeord1 Vgl. hierzu zuletzt Vorlagebeschluss des BFH v. 12.10.2016, I R 80/14, IStR 2017, 316 m. Anm. Kraft. 2 Vgl. Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 20 AStG Anm. 58. 3 Gesetz zur Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen, BGBl. I 2016, 3000. 4 Vgl. hierzu Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 281 (287). 5 BFH v. 21.10.2009 – I R 114/08, BStBl. II 2010, 774, vgl. dazu Buciek, FR 2010, 397; Gebhardt/Quilitzsch, IWB 2010, 473; Gosch, BFH/PR 2010, 113; Jungbluth/Lohmann, EWiR 2010, 271; Lieber, IStR 2010, 142; Prinz, FR 2010, 378 ff.; Sydow, IStR 2010, 174; Sedemund, BB 2010, 618 (619); von Brocke/Hackemann, DStR 2010, 368 (370); Rehfeld, IWB 2010, 80 (85); Brombach/Krüger, BB 2009, 924 (924); Goebel/Jacobs/Schmidt, DStZ 2009, 185 (196). 6 Kritisch Rupp in Haase3, § 20 AStG Rz. 71; Sydow, IStR 2010, 174. 7 Vgl. BFH v. 21.10.2009 – I R 114/08, BB 2010, 618 (619) m. Anm. Sedemund; von Brocke/Hackemann, DStR 2010, 368 (370); von Brocke, SteuK 2010, 83 (83); Prinz, FR 2010, 378 ff.; Buciek, FR 2010, 397 (397); Gebhardt/Quilitzsch, IStR 2011, 169 (172); Schön, § 20 Abs. 2 AStG, in JbFStR

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12.34

Kap. 12 Rz. 12.35

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

neten switch over bejahen können. Indessen darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass der in § 8 Abs. 2 AStG verwendete Wortlaut – nämlich der fehlende Einbezug von § 20 Abs. 2 AStG – einen anderen Schluss nahelegt.

V. Anrechnungsmethode gem. § 34c EStG 12.35 Unionsrechtliche Zulässigkeit der Anrechnungsmethode. Soweit der ausländische Betriebsstättengewinn nicht aufgrund eines DBA von der inländischen Besteuerung ausgenommen ist, soll eine drohende Doppelbesteuerung über die Anrechnung ausländischer Steuern vermieden werden (§ 34c Abs. 1 EStG und § 26 Abs. 1 KStG). An sich stellt die Anrechnungsmethode den unionsrechtlichen Mindeststandard zur Vermeidung einer drohenden (juristischen) Doppelbesteuerung dar.1 Berücksichtigt man jedoch, dass die Rechtsprechung des EuGH solchen Maßnahmen entgegensteht, die das Ausnutzen eines zwischenstaatlichen Steuergefälles vereiteln, dann kommt die Anrechnungsmethode in den Verdacht, mit unionsrechtlichen Vorgaben nicht in Einklang zu stehen.2 Als Konsequenz wird deshalb auch von Teilen des Schrifttums eine Ausrichtung an der Freistellungsmethode eingefordert.3 Ungeachtet dessen geht der ganz überwiegende Teil des Schrifttums davon aus, dass insbesondere mit Blick auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Gilly“ und das Wahlrecht des Art. 4 Abs. 1 MTR keine unionsrechtliche Präferenz für die eine oder andere Methode existiert.4 Dem steht jedoch entgegen, dass der EuGH in der Rechtssache „Gilly“ der Anrechnungsmethode zu keinerlei unionsrechtlicher Akzeptanz verholfen hat. Denn indem er das Begehren der Klägerin zurückwies, den französischen Fiskus zur unbegrenzten Anrechnung deutscher Steuern zu zwingen, war diese Frage nicht entscheidungserheblich.5 Ferner ist in Bezug auf das vermeintliche Wahlrecht der MTR darauf hinzuweisen, dass dieses die Mitgliedstaaten nicht davon entbindet, die sich aus den Grundfreiheiten ergebenden primärrechtlichen Vorgaben zu be-

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2010/2011, Herne 2011, 31 (47); Kraft, Aktueller Überblick über Praxisfragen des Außensteuergesetzes, in Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im DAV, Steueranwalt 2011/2012, 17 (35 ff.). Kritisch Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Köln 2015, Rz. 8.146 und 8.151. Ausführlich Schönfeld in F/W/B/S, Vor § 34c EStG Anm. 2 ff., 21. In diesem Sinne eine kapitalimportneutrale Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Ertragsteuersysteme präferierend Dautzenberg, Unternehmensbesteuerung im EG-Binnenmarkt, Köln 1997, 693 ff.; Randelzhofer/Forsthoff in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 45 AEUV Rz. 219; Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2005, 74 ff., 86 f., 196 ff.; Schönfeld, StuW 2005, 158 (160 ff.); aus der Perspektive des Binnenmarkts ebenfalls die Freistellungsmethode präferierend Lehner in FS Wassermeyer, 241 (261); Vogel, IBFD-Bulletin 2002, 4 ff.; Schön, DB 2001, 941 (945 f.); Terra/Wattel, European Tax Law, 6. Aufl., Alphen an den Rijn 2012, 24 ff. Vgl. Lehner in FS Wassermeyer, 241 ff.; Schönfeld, StuW 2005, 158 (160 f.); Schönfeld, ET 2004, 441 (443 ff.); Wattel, Legal Issues of Economic Integration 2/2004, 81 (89 f.); Vogel, IBFD-Bulletin 2002, 4 ff.; Terra/Wattel, European Tax Law, 6. Aufl., Alphen an den Rijn 2012, 159 f.; Rädler, StuW 1960, 729 (731 ff.). Vgl. Schön, Unternehmensbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in StbJb. 2003/2004, Köln 2004, 44; Pinto, Tax Competition and EU Law, The Hague/New York 2003, 335; Lehner, IStR 2001, 329 (336); Lehner, Begrenzung der nationalen Besteuerungsgewalt durch die Grundfreiheiten und Diskriminierungsverbote des EG-Vertrages, in DStJG Bd. 23, Köln 2000, 282; Jiménez, Towards Corporate Tax Harmonization in the European Community, London/The Hague/Boston 1999, 243 ff.; Eden, EC Tax Journal 1999, 11 (38); Borgsmidt, EC Tax Journal 1999, 55 (66). Vgl. Randelzhofer/Forsthoff in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 45 AEUV, Rz. 219; ausführlich Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2005, 187 ff.; Schönfeld, StuW 2005, 158 (162).

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B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.36 Kap. 12

achten. Im Einzelnen bedeutet dies nicht nur, dass die Ausübung des Wahlrechts diskriminierungsfrei zu erfolgen hat, also die gewählte Methode insbesondere für in- und ausländische Einkünfte gleichermaßen zur Anwendung gelangt.1 Die Mitgliedstaaten haben vielmehr nachzuweisen, dass der von der kapitalexportneutralen Besteuerung bewirkte Eingriff in die Grundfreiheiten auf einen unionsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund gestützt werden kann. Das Schwergewicht der Frage, inwieweit die Anrechnungsmethode im Widerspruch zu den Grundfreiheiten steht, verlagert sich damit von der Eingriffs- auf die Rechtfertigungsebene. Einen wichtigen Anhaltspunkt gibt auch hier die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Sandoz“. Denn gestützt auf Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV hielt der Gerichtshof dort die Gewährleistung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung für einen tragfähigen Rechtfertigungsgrund.2 Dies ist vorliegend deshalb von Bedeutung, weil die Anrechnungsmethode überwiegend damit gerechtfertigt wird, über eine Erfassung des Welteinkommens für eine gleichmäßige Verteilung der Steuerlasten zu sorgen.3 Allerdings hat der EuGH für die Berufung auf die Gewährleistung einer gleichmäßigen Besteuerung eine geschlossene Anwendung der beschränkenden Vorschrift verlangt.4 Diese Forderung ist auch konsequent, weil es ziemlich widersprüchlich anmuten würde, einerseits auf die Notwendigkeit der Erfassung des Welteinkommens zu verweisen, andererseits aber für bestimmte Bereiche der grenzüberschreitenden Wertschöpfung die Freistellung in DBA zu vereinbaren oder bereits unilateral festzulegen.5 Die Anforderungen an die Rechtfertigung der Anrechnungsmethode steigen damit, wenn diese aufgrund ihrer Einbettung in die übrige Steuerrechtsordnung als Sonderrecht erscheint.6 Für die Anrechnung ausländischer Steuern im Rahmen von § 34c EStG wird man deshalb in jedem Einzelfall prüfen müssen, ob sich diese Rechtsfolge als sonderrechtliche Ausnahme von der Freistellung darstellt. Dies wird man etwa zu bejahen haben, wenn § 34c EStG aufgrund eines „switch over“-Effekts vermittelt durch § 20 Abs. 2 AStG oder § 50d Abs. 9 EStG zur Anwendung gelangt. Fehlendes Gebot zur Vollanrechnung. Unionsrechtlich bieten weder die Niederlassungsnoch die Kapitalverkehrsfreiheit eine Grundlage dafür, die Mitgliedstaaten zu einer Vollanrechnung und damit zur Erstattung von ggf. auftretenden Anrechnungsüberhängen zu verpflichten. Schließlich ist es unbestritten den Mitgliedstaaten vorbehalten, Besteuerungshoheiten untereinander aufzuteilen. Kehrseitig kann in der Folge kein Mitgliedstaat gezwungen werden, auf einen Teil seines Steueraufkommens zugunsten anderer Mitgliedstaaten zu verzichten. Eine Steuererstattung aufgrund von Anrechnungsüberhängen ist deshalb unionsrechtlich nicht geboten.7 Weiterhin wollen die Grundfreiheiten lediglich sicherstellen, dass die Produktionsfaktoren ungehindert an den Ort ihres effizienten Einsatzes gelangen. Zu den diesen Ort definierenden Standortbedingungen gehören aber eben auch die steuerlichen Gegebenheiten. Sind diese aufgrund eines höheren Steuerniveaus weniger optimal, so ist es in der Folge nicht Aufgabe der Grundfreiheiten dafür zu sorgen, dass die Produktionsfak1 So wohl auch Pinto, Tax Competition and EU Law, The Hague/New York 2003, 335 f.; Tumpel, Europarechtliche Besteuerungsmaßstäbe für grenzüberschreitende Organisation und Finanzierung von Unternehmen, in DStJG Bd. 23, 348. 2 EuGH v. 14.10.1999 – Rs. C-439/97 – Sandoz, ECLI:EU:C:1999:499, Tz. 23 f. 3 Vgl. nur Steichen, Tax Competition in Europe or the Taming of Leviathan, in Schön (Hrsg.), Tax Competition in Europe, Amsterdam 2003, 43, 99 ff. 4 EuGH v. 14.10.1999 – Rs. C-439/97 – Sandoz, ECLI:EU:C:1999:499, Tz. 23 f. 5 So auch Tumpel, Europarechtliche Besteuerungsmaßstäbe für grenzüberschreitende Organisation und Finanzierung von Unternehmen, in DStJG Bd. 23, 348. 6 Vgl. Schönfeld in F/W/B/S, Vor § 34c EStG Anm. 24. 7 Vgl. Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Köln 2015, Rz. 8.25.

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Kap. 12 Rz. 12.37

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

toren an diesen negativen Ort gelangen. Auch dieser Gedanke zieht als Ergebnis nach sich, dass der Wohnsitzstaat über die Grundfreiheiten nicht dazu verpflichtet werden kann, den Standortnachteil des Quellenstaats im Wege der unbegrenzten Anrechnung zu kompensieren.1 In dieser Hinsicht ist es unionsrechtlich ebenso wenig geboten, die Geltendmachung von Anrechnungsüberhängen im Rahmen der Gewährung eines Anrechnungsvor- oder -rücktrags zu gewähren. Diese Sicht findet ihre Stütze auch in der Rechtsprechung des EuGH. In der Rechtssache „Gilly“2 konnte der Gerichtshof der Nichtberücksichtigung eines Anrechnungsüberhangs, der aufgrund der höheren Progression der deutschen Einkommensteuer in Frankreich verblieben war, keine Verletzung der Grundfreiheiten entnehmen. In der Rechtssache „de Groot“ bestätigte er diese Beurteilung.3 Der dort streitgegenständlichen niederländischen Vorschrift, die ebenfalls nur eine begrenzte Anrechnung ausländischer Steuern erlaubte, entnahm der EuGH nur deshalb eine Beschränkung der Grundfreiheiten, weil diese selbst bei identischen in- und ausländischen Steuersätzen die ausländischen Einkünfte schlechter zu stellen vermochte.

12.37 Per Country Limitation gem. § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG. Auf Basis der vorstehenden Ausführungen sowie auf der Grundlage der jüngeren Rechtsprechung des BFH4 entzieht sich auch der in § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG normierte sowie in § 68a EStDV konkretisierte Grundsatz der länderbezogenen Höchstbetragsberechnung (per country limitation), wonach die ausländischer Steuer nur auf die deutsche Einkommensteuer anzurechnen ist, die auf die Einkünfte aus demselben Staat entfällt, einem Konflikt mit Unionsrecht. Hinzu kommt, dass die von Deutschland mit allen EU-Staaten abgeschlossenen DBA ohnehin jeweils nur bilateral wirken und Besteuerungshoheiten jeweils nur im Verhältnis zu dem jeweiligen Vertragsstaat aufrechterhalten, eingeschränkt oder gänzlich aufgegeben werden. Mithin ist auch die darin vereinbarte Anrechnungsmethode stets nur bilateraler Natur. Die länderbezogene Höchstbetragsberechnung ist in diesem Sinne nur folgerichtig.5

12.38 Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags gem. § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG. Indessen wurde der in § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG bislang (und für Veranlagungszeiträume bis 2014 gültigen) enthaltenen Formel zur Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags die Unionsrechtsverträglichkeit versagt. Der EuGH begründete dies in der Rechtssache „Beker“6 mit dem Umstand, dass steuerlich abziehbare Kosten der privaten Lebensführung wie Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen sowie der Grundfreibetrag bei der für die deutsche Steuer maßgebenden Ermittlung des zu versteuernden Einkommens, jedoch nicht bei der Berechnung der Summe der Einkünfte Berücksichtigung fanden. Dies hatte regelmäßig eine Verringerung des Anrechnungshöchstbetrags zur Folge, was wiederum eine nur unzureichende Anrechnung ausländischer Steuern nach sich zog. Ferner wurde damit die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse im Ergebnis auch auf den ausländischen Quellenstaat übertragen, wenngleich es anerkanntermaßen ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Wohn1 Vgl. Wassermeyer, IStR 2004, 279; Schön in GS für Brigitte Knobbe-Keuk, 743 (772 f.). 2 EuGH v. 12.5.1998 – Rs. C-336/96 – Gilly, ECLI:EU:C:1998:221 = FR 1998, 847 m. Anm. Dautzenberg. 3 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-385/00 – de Groot, ECLI:EU:C:2002:750. 4 Vgl. BFH v. 18.12.2013 – I R 71/10, BStBl. II 2015, 361 = ISR 2014, 174 m. Anm. Pohl = FR 2014, 664; vgl. dazu auch Wölfert/Quinten/Schiefer, BB 2013, 2076 (2079); Haritz/Werneburg, GmbHR 2013, 447; Thömmes, IWB 2013, 295; Prokisch in K/S/M, § 34c EStG Rz. B 173; Gosch in Kirchhof16, § 34c EStG Rz. 28; Schön, Aktuelle Fragen zum Europäischen Steuer- und Gesellschaftsrecht, in JbFStR 2012/2013, Herne 2012, 76; Schönfeld in F/W/B/S, Vor § 34c EStG Anm. 31. 5 Vgl. Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Köln 2015, Rz. 8.26. 6 EuGH v. 28.2.2013 – Rs. C-168/11 – Beker, ECLI:EU:C:2013:117 = ISR 2013, 134 m. Anm. Pohl.

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B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.39 Kap. 12

sitzstaats fällt, der persönlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen in geeigneter Weise Rechnung zu tragen. Im Rahmen des Zollkodexanpassungsgesetzes1 sah sich der Gesetzgeber daraufhin veranlasst, eine Neuregelung zu treffen. Er tat dies in der Weise, als im Rahmen von § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG für Veranlagungszeiträume bis 2014 bei der Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags die Summe der Einkünfte um alle steuerlich abzugsfähigen, personenund familienbezogenen Positionen (insbesondere Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen) sowie den Grundfreibetrag und den Altersentlastungsbetrag zu vermindern ist. Für die nachfolgenden Zeiträume (d.h. ab 2015) orientiert sich die Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags indessen an der Höhe des für die ausländischen Einkünfte maßgebenden Durchschnittsteuersatzes. Dies zieht die Folge nach sich, dass der Grundfreibetrag bei den inländischen Einkünften wiederum nur anteilig Berücksichtigung findet. Vor dem Hintergrund der Ausführungen des EuGH in der Rechtssache „Beker“2 dürfte deshalb weiterhin von der Unionsrechtswidrigkeit der Vorschrift zur Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags auszugehen sein.3 Per-item-limitation gem. § 34c Abs. 1 Satz 3 EStG. Nach der neuen Regelung des § 34c Abs. 1 Satz 3 EStG werden im Zähler der Berechnungsformel für den Anrechnungshöchstbetrag die „ausländischen Einkünfte“ um solche Einkünfte gekürzt, die entweder nach dem Recht des Staats, aus dem sie stammen, oder nach einem DBA dort nicht besteuert wurden.4 Für ein inländisches Stammhaus einer ausländischen Betriebsstätte hat dies zur Folge, dass wegen der Reduzierung des Anrechnungshöchstbetrags die Gefahr von Anrechnungsüberhängen steigt, und zwar auch für körperschaftsteuerpflichtige Stammhäuser, für die § 26 Abs. 6 KStG auf § 34c Abs. 1 Satz 3 EStG verweist. Ebenso wie die „per-country-limitation“ ist diese Verschärfung der Anrechnungsmethode jedoch unionsrechtlich unbedenklich. Zwar dürfte es für die Kritiker der „per-country-limitation“ in der Tat wenig erfreulich sein, dass sich der Gesetzgeber nun einer „per-item-limitation“5 genähert hat. Auch fällt es schwer, einen sachlichen Grund dafür zu finden, dass ausländische Einkünfte mit einer Steuerbelastung von 0,1 % bei der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags berücksichtigt werden, solche mit einer Steuer von Null indes nicht.6 Mit Blick auf die Zielsetzung der Anrechnungsmethode, lediglich eine (auch unionsrechtlich) unerwünschte Doppelbesteuerung zu vermeiden, ist diese Begrenzung jedoch nicht zu beanstanden. Denn eine Doppelbesteuerung droht definitionsgemäß nur für solche Einkünfte, die bereits einer Besteuerung unterworfen waren.7 Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, die „per-item-limitation“ führe dazu, dass den in einer ausländischen Betriebsstätte erwirtschafteten Einkünften dann eine Doppelbesteuerung drohe, wenn sich diese aus im Vergleich höher besteuerten und nichtbesteuerten Einkünften zusammensetzen (sog. „Pooling“). Wegen des höheren Steuerniveaus für die besteuerten Einkünfte ist der Anrechnungsüberhang nämlich nur das Ergebnis einer unter steuerlichen Aspekten falschen Investitionsentscheidung, deren Förderung kein Anliegen der Grundfreiheiten ist. 1 Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2417. 2 EuGH v. 28.2.2013 – Rs. C-168/11 – Beker, ECLI:EU:C:2013:117 = ISR 2013, 134 m. Anm. Pohl. 3 Vgl. Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Köln 2015, Rz. 8.27; Desens, IStR 2015, 77 (80); Ismer, IStR 2014, 925 (926); Möller, BB 2015, 97 (99); Ditz/Quilitzsch, DStR 2015, 545 (548); a.A. Sülflow-Schworck, IStR 2015, 802 (806). 4 Vgl. Heinicke in Schmidt36, § 34c EStG Rz. 12; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Anm. 91. 5 Schnitger, IStR 2003, 73. 6 Vgl. aber Lüdicke, IStR 2003, 433 (434). 7 So die treffende Begründung des Gesetzgebers, BT-Drucks. 15/119.

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12.39

Kap. 12 Rz. 12.40

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

12.40 Fiktion kausaler Betriebsausgaben (§ 34c Abs. 1 Satz 4 EStG). § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG, der über § 26 Abs. 6 KStG auch auf Körperschaftsteuerpflichtige anwendbar ist, sieht vor, dass zur Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags bei ausländischen Einkünften i.S.v. § 34d Nr. 3, 4, 6, 7 und 8 Buchst. c EStG die in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen abzusetzen sind.1 Für inländische Stammhäuser ausländischer Betriebsstätten erlangt diese Regelung zwar insoweit keine Relevanz, als in der Betriebsstätte gewerbliche Einkünfte i.S.v. § 34d Nr. 2 EStG erzielt werden; sobald die Betriebsstätte aber mit der Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens oder Anteilen an Kapitalgesellschaften (§ 34d Nr. 4 EStG) oder mit Vermögensverwaltung (§ 34d Nr. 6, 7 EStG) befasst ist, entfaltet die Regelung eine nicht zu vernachlässigende Brisanz. Aus unionsrechtlicher Sicht ist es dabei weniger bedenklich, dass die Anwendung der Vorschrift davon abhängt, ob die Einkünfte zum Gewinn eines inländischen Betriebs gehören oder von Privaten erzielt werden. Den Grundfreiheiten läuft es vielmehr zuwider, dass die über § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG bewirkte Kürzung des Anrechnungshöchstbetrags zu einer Benachteiligung des ausländischen Sachverhalts gegenüber dem vergleichbaren inländischen Sachverhalt führt.2 Beispiel: Bei ausländischen (Brutto-)Einkünften i.H.v. 50 000 Euro, Ausgaben i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG i.H.v. 10 000 Euro, inländischen Einkünften i.H.v. 50 000 Euro und einem inländischen Steuersatz von 20 % ergibt sich eine inländische Einkommensteuerbelastung von 18 000 Euro.3 Der Anrechnungshöchstbetrag beziffert sich infolgedessen auf 8 000 Euro.4 Beträgt nun der ausländische Steuersatz ebenfalls 20 %, dann verbleibt ein im Inland nicht anrechnungsfähiger Überhang an ausländischer Steuer i.H.v. 2 000 Euro.5 Die Gesamtsteuerbelastung bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt beträgt mithin 20 000 Euro,6 die bei einem reinen Inlandssachverhalt demgegenüber nur 18 000 Euro.7 An sich sind der Überhang und die damit verbundene Ungleichbehandlung das konsequente Ergebnis des Neutralisierungsgedankens der Anrechnungsmethode. Denn wären die ausländischen Einkünfte i.H.v. 50 000 Euro im Inland erzielt worden, dann würde auf diese Einkünfte wegen der Betriebsausgaben i.H.v. 10 000 Euro ebenfalls nur eine Steuerlast i.H.v. 8 000 Euro entfallen.8

Insoweit ist es überzeugend, dass nicht den inländischen Fiskus die Pflicht treffen kann, denjenigen Nachteil auszugleichen, den der inländische Akteur durch die fehlende Berücksichtigung der eigentlich auf die ausländischen Einkünfte entfallenden Betriebsausgaben im Ausland erlitten hat. Ob diese Begründung allerdings den EuGH zu überzeugen vermag, erscheint nach der Entscheidung in der Rechtssache „de Groot“ zumindest zweifelhaft. Dort ließ das Gericht den vergleichbaren Einwand des Wohnsitzstaats ungehört, für die Berücksichtigung der eigentlich auf die ausländischen Einkünfte (anteilig) entfallenden persönlichen Abzugsbeträge allein verantwortlich zu sein. Insbesondere brachte das Gericht in Abgrenzung zur Rechtssache „Gilly“ den allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, dass eine steuerliche Ungleich-

1 Vgl. dazu jüngst BFH v. 6.4.2016 – I R 61/14, BStBl. II 2017, 48 = FR 2016, 911 = ISR 2016, 326 m. Anm. Lüdicke sowie ausführlich Wassermeyer in FS Gosch, 439 ff. 2 In diese Richtung wohl auch Schön, IStR 2004, 289 (292 f.); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 54 ff. Verneinend aber BFH v. 6.4.2016 – I R 61/14, BStBl. II 2017, 48. 3 EStInl = (EinkInl + EinkAusl – BA§ 34c) * StInl = (50 000 + 50 000 – 10 000) * 20 %. 4 AH = (EinkAusl – BA§ 34c)/(EinkInl + EinkAusl – BA§ 34c) * EStInl = (50 000 – 10 000)/(50 000 + 50 000 – 10 000) * 18 000. 5 AÜ = EinkAusl * StAusl – AH = 50 000 * 20 % – 8 000. 6 EStGes = EStInl + EStAusl – AH = 18 000 + 10 000 – 8 000. 7 EStInl = (EinkInl(Ausl) – BAInl(§ 34c) + EinkInl) * StInl = (50 000 – 10 000 + 50 000) * 20 %. 8 EStInl = EinkInl(Ausl) – BAInl(§ 34c) * StInl = (50 000 – 10 000) * 20 %.

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B. Besteuerung ausländischer Betriebsstätten

Rz. 12.41 Kap. 12

behandlung, die sich aus der (unzulänglichen) Berücksichtigung von ausländischen Steuern bei der inländischen Veranlagung ergibt, eine Beschränkung der Grundfreiheiten darstellen kann, soweit diese nicht das Ergebnis unterschiedlicher Steuersätze in den beteiligten Staaten ist.1 Mit anderen Worten: Die begrenzte Anrechnung verlässt dort ihre unionsrechtliche Legitimationsgrenze, wo sie trotz identischer Steuerniveaus eine im Vergleich höhere Besteuerung der ausländischen Einkünfte bewirkt. In diesem Fall beruht die Schlechterstellung des ausländischen Engagements nämlich allein auf dem Umstand, dass der Marktteilnehmer von seinem grundfreiheitlich verbürgten Recht Gebrauch macht, an einer grenzüberschreitenden Wertschöpfung teilzunehmen.2 So liegt es auch hier. Der (gewissermaßen fiktive) Abzug nach § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG führt zu einer Kürzung des Anrechnungshöchstbetrags, der bei identischen in- und ausländischen Steuersätzen eine Schlechterstellung des ausländischen Sachverhalts begründet.3 Diese Problematik verschärft sich noch dadurch, dass § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG auch mittelbar im Zusammenhang stehende Betriebsausgaben zum Abzug bringt.4 Eine Rechtfertigung für die dadurch bewirkte Beschränkung der einschlägigen Grundfreiheiten ist nicht ersichtlich. Insbesondere kann der deutsche Gesetzgeber sich nicht darauf berufen, dass die betroffenen ausländischen Einkünfte im Ausland zumeist einer Besteuerung auf Bruttobasis mit einem typischerweise niedrigeren Pauschalsteuersatz unterworfen sind.5 Dieses Argument scheitert nicht erst an der fehlenden unionsrechtlichen Tragfähigkeit dieser Kompensationsthese (vgl. auch oben Rz. 12.11),6 sondern bereits daran, dass die Bruttobesteuerung seit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Gerritse“ selbst unionsrechtswidrig sein dürfte.7 Keine Anrechnung von Drittstaatensteuern gem. § 34c Abs. 3 EStG. Unterhält ein inländisches Stammhaus eine ausländische Betriebsstätte, in der Einkünfte aus einem dritten Staat erzielt werden, die dort dem Steuerabzug an der Quelle unterliegen, dann soll nach ganz herrschender Auffassung im Schrifttum und Verwaltungspraxis eine Anrechnung nach § 34c Abs. 1 EStG oder § 26 Abs. 1 KStG im Stammhausstaat nicht in Betracht kommen.8 Die Drittstaatensteuern sollen allenfalls gem. § 34c Abs. 3 EStG von der inländischen Bemessungsgrundlage abgezogen werden können. Es ist bereits zweifelhaft, inwieweit diese

1 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-385/00 – de Groot, ECLI:EU:C:2002:750, Tz. 86 ff. = FR 2003, 141 m. Anm. Schnitger. 2 So EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-385/00 – de Groot, ECLI:EU:C:2002:750, Tz. 87 a. E. = FR 2003, 141 m. Anm. Schnitger; kritisch zu § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG auch Lüdicke, IStR 2003, 433 f.; Müller-Dott in F/W/B/S, § 26 KStG Anm. 89.1 ff.; Müller-Dott, DB 2003, 1468 ff.; Reith, Internationales Steuerrecht, München 2004, Rz. 5.74. 3 Vgl. auch Schön, IStR 2004, 289 (292 f.); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 54 f. 4 Vgl. Lüdicke, IStR 2003, 433 (434); Müller-Dott in F/W/B/S, § 26 KStG Anm. 89.3; Müller-Dott, DB 2003, 1468 ff. 5 So treffend Lüdicke, IStR 2003, 433 (434); vgl. auch Schön, IStR 2004, 289 (293); Schön, Unternehmensbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in StbJb. 2003/2004, Köln 2004, 59 f. 6 Vgl. nur EuGH v. 28.1.1986 – Rs. C-270/83 – Kommission/Frankreich, ECLI:EU:C:1986:37, Tz. 21; v. 21.9.1999 – Rs. C-307/97 – Saint-Gobain, ECLI:EU:C:1999:438, Tz. 53; v. 15.7.2004 – Rs. C-242/03 – Weidert et Paulus, ECLI:EU:C:2004:465, Tz. 23 ff. 7 EuGH v. 12.6.2003 – Rs. C-234/01 – Gerritse, ECLI:EU:C:2003:340 = FR 2003, 779; Schön, Unternehmensbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in StbJb. 2003/2004, Köln 2004, 59 f.; Rödder, DStR 2004, 1629 f. 8 Vgl. ausführlich Frotscher in F/D, § 26 KStG Rz. 48; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Anm. 118; Wagner in Blümich, § 34c EStG Rz. 90; Krabbe, BB 1980, 1146 (1148).

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12.41

Kap. 12 Rz. 12.42

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

Auffassung dem geltenden Recht entspricht.1 Jedenfalls bewirkt diese Besteuerungspraxis aber eine Doppelbesteuerung im Stammhausstaat, die mit unionsrechtlichen Vorgaben kollidiert. Dies ergibt sich zum einen aus der Überlegung, dass ein inländisches Stammhaus daran gehindert wird, über eine ausländische Betriebsstätte an einer grenzüberschreitenden Wertschöpfung in einem Nicht-Betriebsstättenstaat teilzunehmen. Genau daran sind die von der (klassisch-)neoklassischen Theorie inspirierten Grundfreiheiten aber interessiert, um langfristig einen einheitlichen Binnenmarkt zu schaffen. Zum anderen darf es keinen Unterschied machen, ob ein inländisches Stammhaus grenzüberschreitende Einkünfte über eine inländische oder über eine ausländische Betriebsstätte erzielt, solange dieser Unterschied nicht allein auf unterschiedlichen Steuerniveaus, sondern auf einer unzureichenden Ausgestaltung des Anrechnungsverfahrens beruht. Der deutsche Gesetzgeber bleibt auch eine Erklärung dafür schuldig, warum Drittstaatensteuern nach § 34c Abs. 3 EStG lediglich von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen werden können, und nicht wahlweise auch – bis zu der Höhe des inländischen Steuerniveaus – angerechnet werden dürfen. Die fehlende Anrechnung von Drittstaatensteuern verletzt mithin den Gewährleistungsgehalt der einschlägigen Grundfreiheiten.

C. Besteuerung inländischer Betriebsstätten I. Gewinnermittlung 12.42 Anwendung deutscher Gewinnermittlungsvorschriften. Die vom Steuerpflichtigen unter bestimmten Voraussetzungen eingeforderte Verpflichtung, den Gewinn inländischer Betriebsstätten unter Anwendung des deutschen Steuerrechts ermitteln zu müssen, spricht auf den ersten Blick für eine Beschränkung der einschlägigen Grundfreiheiten. Dies gilt auch für die nach § 3 BsGaV2 bestehende Verpflichtung, eine sog. Hilfs- und Nebenrechnung anzufertigen (vgl. Rz. 3.4 und 4.53). Denn auf der Grundlage der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Cassis de Dijon“3 lässt sich anführen, dass ausländische Marktteilnehmer von einer grenzüberschreitenden Wertschöpfung abgehalten werden können, wenn man ihnen die zusätzliche Pflicht auferlegt, neben der Gewinnermittlung in ihrem Ansässigkeitsstaat eine weitere Gewinnermittlung im Betriebsstättenstaat durchzuführen. Bei genauer Betrachtung überzeugt diese Erwägung jedoch nicht. Denn zum Zwecke der Wertschöpfung mittels einer Betriebsstätte unterwirft sich der Marktteilnehmer im Inbound-Fall bewusst der Rechtsordnung des Betriebsstättenstaats. Und dies hat zur Konsequenz, dass er eine etwaige Gewinnermittlungspflicht in diesem Staat bewusst als rechtliche Rahmenbedingung seines grenzüberschreitenden Engagements hingenommen hat, was zumindest so lange unionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wie diese Pflicht auch für den vergleichbaren inländischen Sachverhalt gilt. Ferner gab der EuGH in der Rechtsache „Futura“ zu bedenken, dass die Pflicht zu Erstellung einer separaten Buchführung anhand der Gewinnermittlungsgrundsätze des Quellenstaats aus Gründen der Steueraufsicht gerechtfertigt sein kann.4 Insbesondere stand der luxembur1 Mit zutreffenden Argumenten Zweifel äußernd, inwieweit die von der herrschenden Auffassung vorgenommene Bestimmung des Begriffes „stammen aus“ mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbar ist, Müller-Dott in F/W/B/S, § 26 KStG Anm. 267. 2 Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes (Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV), BGBl. I 2014, 1603. 3 EuGH v. 10.2.1979 – Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon, ECLI:EU:C:1979:42. 4 EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura, ECLI:EU:C:1997:239, Tz. 31.

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C. Besteuerung inländischer Betriebsstätten

Rz. 12.43 Kap. 12

gischen Regierung ein legitimes Interesse daran zu, die von der Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens begründeten Geschäftsvorfälle belegt sehen zu wollen. Zugleich wies er in derselben Rechtsache den Einwand der Kommission zurück, der luxemburgische Fiskus könne sich für die Ermittlung der Einkünfte einer luxemburgischen Zweigniederlassung über die EG-Amtshilferichtlinie an die Gewinnermittlung des Stammhauses halten.1 Schließlich wies der EuGH aber darauf hin, dass die Verpflichtung zur Erstellung einer separaten und vom Stammhaus losgelösten Buchführung unverhältnismäßig sein kann. Dies – so der Gerichtshof – setzt jedoch voraus, dass diejenigen Geschäftsvorfälle, aus denen steuerliche Vorteile gezogen werden sollen, auch anderweitig belegt werden können.2 Dieser Verhältnismäßigkeitsgedanke ist insbesondere von der Finanzverwaltung im Rahmen der für die Betriebsstätte unter § 90 Abs. 3 AO zu erstellenden Unterlagen und Dokumentationen zu beachten.

II. Überführung von Wirtschaftsgütern in ein ausländisches Stammhaus Gewinnrealisierung bei der Überführung von Wirtschaftsgütern in ein ausländisches Stammhaus. Werden Wirtschaftsgüter aus einer inländischen Betriebsstätte in ein ausländisches Stammhaus überführt, so scheiden diese Wirtschaftsgüter nach der Denke des Gesetzgebers (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG) sowie nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung aus der deutschen Besteuerungshoheit aus.3 In der Folge sind die in den betreffenden Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven im Überführungszeitpunkt sofort zu besteuern, wobei als Überführungswert der Fremdvergleichspreis (gemeiner Wert) im Zeitpunkt der Überführung gelten soll. Führt man sich vor Augen, dass die Überführung eines Wirtschaftsguts innerhalb des inländischen Unternehmens keinerlei ertragsteuerliche Konsequenzen und insbesondere keine Sofortrealisation stiller Reserven nach sich zieht, wird die unionsrechtliche Problematik dieser Praxis evident, weil die grenzüberschreitende Überführung von Wirtschaftsgütern ganz offensichtlich eine Schlechterstellung gegenüber den rein innerstaatlichen, ansonsten aber vergleichbaren Vorgängen erfährt.4 Und: Anders als im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht findet die Ausgleichspostenmethode gem. § 4g EStG auf beschränkt steuerpflichtige Personen nach seinem eindeutigen Wortlaut keine Anwendung.5 Insofern kann auch die Frage dahinstehen, ob die dort vorgesehene Streckung der Besteuerung über fünf Jahre den unionsrechtlichen Anforderungen genügt oder nicht (s. Rz. 12.28 f.). Denn feststeht, dass der EuGH es mehrfach als mit dem unionsrechtlichen Grundfreiheiten für unvereinbar erachtet hat, wenn stille Reserven im Rahmen einer Entstrickungsbesteuerung für den Steuerpflichtigen alternativlos einer Sofortversteuerung unterworfen werden.6 Auch dürften Ermittlungsschwierigkeiten, die primärrechtlich als Recht-

1 2 3 4 5

EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura, ECLI:EU:C:1997:239, Tz. 30 ff. EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura, ECLI:EU:C:1997:239, Tz. 39 ff. Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.3. Vgl. Crezelius in Kirchhof16, § 4g EStG Rz. 9; Benecke/Schnitger, IStR 2007, 22 (28). Die Finanzverwaltung lässt dessen Anwendung auch auf beschränkt steuerpflichtige Personen nur im Billigkeitswege zu, vgl. BMF v. 20.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 453 und 457. 6 Vgl. EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – Lasteyrie du Saillant, ECLI:EU:C:2004:138 = FR 2004, 659; v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04 – N, ECLI:EU:C:2006:525 = FR 2006, 1128; v. 21.11.2012 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, ECLI:EU:C:2011:785 = FR 2012, 25 m. Anm. Musil; v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission/Portugal, ECLI:EU:C:2012:521 = ISR 2012, 60 m. Anm. Müller = IStR 2012, 763.

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Kap. 12 Rz. 12.44

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

fertigungsgrund vom EuGH anerkannt werden, diese Diskriminierung kaum billigen.1 Denn die in § 6 Abs. 5 AStG enthaltene Stundungsregelung zeigt, dass unüberwindbare verwaltungstechnische Schwierigkeiten im Rahmen der Steuererhebung für beschränkt steuerpflichtige Personen nicht existieren. Ferner findet die in § 36 Abs. 5 EStG normierte Parallelvorschrift – anders als § 4g EStG – sehr wohl auch für beschränkt steuerpflichtige Personen Anwendung.2 Die Regelung sowie die Verwaltungspraxis ist aus diesen Gründen im Hinblick auf die in Art. 49 AEUV verbürgte Niederlassungsfreiheit als unionsrechtswidrig einzustufen.3

III. Besonderheiten im Rahmen von § 50 EStG 12.44 Ausklammerung personenbezogener Abzüge gem. § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG. Unterhält ein ausländisches Stammhaus eine Betriebsstätte im Inland, begründet dies für die der Betriebsstätte zuzurechnenden Einkünfte entweder eine beschränkte Einkommensteuerpflicht gem. § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG oder eine beschränkte Körperschaftsteuerpflicht gem. § 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Im Gegensatz zur unbeschränkten Steuerpflicht nimmt der Gesetzgeber im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht also eine Vermengung von Steuersubjekt und Steuerobjekt vor. Zugleich bewirken die §§ 50 und 50a EStG ein weitgehendes Außerachtlassen persönlicher Verhältnisse im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht. Dies ist im Wesentlichen dem Umstand geschuldet, dass die Berücksichtigung der persönlichen Lebensverhältnisse im Rahmen der Besteuerung in erster Linie als eine Aufgabe angesehen wird, zu deren Bewältigung der Wohnsitzstaat heranzuziehen ist. Im Hinblick auf die Gewinnermittlung inländischer Betriebsstätten materialisiert sich dieser Gedanke darin, dass dem Veranlassungsprinzip folgend nur die mit inländischen Betriebsstätteneinkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben zum Abzug zugelassen werden (§ 50 Abs. 1 Satz 1 EStG).4 In diesem Punkt wird die an sich mit dem Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte verfolgte Gleichbehandlung von beschränkt Steuerpflichtigen und unbeschränkt Steuerpflichtigen verlassen. Für körperschaftsteuerpflichtige Stammhäuser hat diese Ungleichbehandlung eine lediglich untergeordnete Bedeutung, weil eine steuerliche Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse bei Körperschaften begrifflich ohnehin ausgeschlossen ist. Dagegen kann diese Ungleichbehandlung für einkommensteuerpflichtige Stammhäuser erhebliche steuerliche Konsequenzen haben. Der EuGH hat in dieser Ungleichbehandlung jedoch keine Verletzung der Grundfreiheiten gesehen. Vielmehr entspricht es seit der Entscheidung in der Rechtssache „Schumacker“ der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass sich Gebietsansässige und Gebietsfremde im Hinblick auf die direkten Steuern in aller Regel nicht in vergleichbaren Situationen befin1 Vgl. Heinicke in Schmidt36, § 4g EStG Rz. 2; Kolbe in H/H/R, § 4g EStG Anm. 6; Crezelius in Kirchhof16, § 4g EStG Rz. 9; Holzhäuser in K/S/M, § 4g EStG Rz. A 21; Kramer, DB 2007, 2338 (2343); Prinz, GmbHR 2007, 966 (971). 2 Vgl. Prinz, GmbHR 2012, 195 (196); Schaumburg, ISR 2013, 197 (201); Richter/Heyd, Ubg 2011, 172 (176). 3 Vgl. Wassermeyer, GmbHR 2004, 613 (616); Schön, Unternehmensbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in StbJb. 2003/2004, Köln 2004, 27 (47 ff.); Körner, IStR 2004, 424 (429); Kramer, IStR 2000, 449 (456 f.); Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Köln 2015, Rz. 8.92 f.; Holzhäuser in K/S/M, § 4g EStG Rz. A 21; Crezelius in Kirchhof16, § 4g EStG Rz. 9; Wied in Blümich, § 4g EStG Rz. 2. 4 Vgl. hierzu EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-252/14 –Pensioenfonds Metaal en Techniek, ECLI:EU:C: 2016:402 (Erfordernis eines „unmittelbaren“ wirtschaftlichen Zusammenhangs). Ausführlich dazu Wissenschaftlicher Beirat bei der Ernst & Young GmbH, IStR 2016, 922 (929 ff.).

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C. Besteuerung inländischer Betriebsstätten

Rz. 12.45 Kap. 12

den.1 Der EuGH begründet dies damit, dass „das Einkommen, das ein Gebietsfremder im Hoheitsgebiet eines Staates erzielt, […] meist nur einen Teil seiner Gesamteinkünfte dar[stellt], deren Schwerpunkt an seinem Wohnort liegt, und die persönliche Steuerkraft des Gebietsfremden, die sich aus der Berücksichtigung seiner Gesamteinkünfte sowie seiner persönlichen Verhältnisse und seines Familienstands ergibt, […] am leichtesten an dem Ort beurteilt werden [kann], an dem der Mittelpunkt seiner persönlichen Interessen und seiner Vermögensinteressen liegt; dieser Ort ist in der Regel der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts der betroffenen Person“.2 Vor diesem Hintergrund ist der in § 50 Abs. 1 EStG zum Ausdruck gebrachte Objektsteuercharakter der beschränkten Steuerpflicht und in dessen Folge die unterschiedliche Berücksichtigung persönlicher Besteuerungsfaktoren im Rahmen der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht als unionsrechtlich unbedenklich einzustufen.3 Dies betrifft insbesondere die Nichtberücksichtigung des Grundfreibetrags, von Sonderausgaben sowie von außergewöhnlichen Belastungen (§ 50 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG). Anders liegen die Dinge hingegen, sofern sich beschränkt steuerpflichtige Personen in einer mit unbeschränkt Steuerpflichtigen vergleichbaren Lage befinden. Denn in diesem Fall ist auf der Grundlage der gefestigten Rechtsprechung des EuGH auch das Steuerrecht dazu angehalten, eine Gleichbehandlung zu gewährleisten.4 Als Folge dieser Rechtsprechung sieht § 1 Abs. 3 i.V.m. § 1a EStG jedoch eine Veranlagungsmöglichkeit zu einer fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht vor, sofern die Einkünfte des Steuerpflichtigen zu mindestens 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen. Der EuGH hat dem deutschen Gesetzgeber in der Rechtssache „Gschwind“ bescheinigt, den unionsrechtlichen Anforderungen mit dieser Regelung Genüge getan zu haben.5 Versagung des Grundfreibetrags gem. § 50 Abs. 1 Satz 2 EStG. Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 EStG bemisst sich die Steuer im Rahmen der Veranlagung beschränkt steuerpflichtiger Personen nach § 32a EStG – mithin also nach dem Grundtarif. Gleichwohl wird in § 50 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 EStG klargestellt, dass insoweit jedoch die um den Grundfreibetrag gem. § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG erhöhten Nettoeinkünfte des beschränkt Steuerpflichtigen heranzuziehen sind. Vor dem Hintergrund, dass beschränkt steuerpflichtigen Personen auf diese Weise die Geltendmachung des Grundfreibetrags versagt wird, während unbeschränkt Steuerpflichtigen dessen Abzug ohne Einschränkungen zusteht, ist auf den ersten Blick eine Ungleichbehandlung zu konstatieren. Es liegt deshalb nahe, an dieser Stelle unionsrechtliche Zweifel zu hegen. In der Sache geht diese Einschätzung jedoch fehl. Denn mit seiner Entscheidung in der Rechtssache „Gerritse“ wurde vom EuGH festgestellt, dass die Grundfreiheiten einer nationalen Vorschrift nicht entgegenstehen, wonach „Einkünfte Gebietsfremder einer de1 EuGH v. 14.2.1995 – Rs. C-279/93 – Schumacker, ECLI:EU:C:1995:31, Tz. 31 ff. = FR 1995, 224 m. Anm. Waterkamp-Faupel; v. 1.7.2004 – Rs. C-169/03 – Wallentin, ECLI:EU:C:2004:403, Tz. 15 ff.; v. 6.7.2006 – Rs. C-346/04 – Conijn, ECLI:EU:C:2006:445, Tz. 16; v. 25.1.2007 – Rs. C-329/05 – Meindl, ECLI:EU:C:2007:57, Tz. 23. 2 EuGH v. 1.7.2004 – Rs. C-169/03 – Wallentin, ECLI:EU:C:2004:403, Tz. 15. 3 Vgl. Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Köln 2015, Rz. 8.31. 4 EuGH v. 1.7.2004 – Rs. C-169/03 – Wallentin, ECLI:EU:C:2004:403, Tz. 17; v. 14.2.1995 – Rs. C-279/93 – Schumacker, ECLI:EU:C:1995:31, Tz. 36 = FR 1995, 224 m. Anm. Waterkamp-Faupel; v. 12.12.2002 – Rs. C-385/00 – de Groot, ECLI:EU:C:2002:750, Tz. 89 = FR 2003, 141 m. Anm. Schnitger. 5 EuGH v. 14.9.1999 – Rs. C-391/97 – Gschwind, ECLI:EU:C:1999:409 = FR 1999, 1076 m. Anm. Stapperfend = FR 1999, 1195; vgl. dazu auch Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, Köln 2002, 612 ff. Zweifelnd hingegen Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Köln 2015, Rz. 8.4 ff.

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12.45

Kap. 12 Rz. 12.46

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

finitiven Besteuerung zu einem einheitlichen Steuersatz durch Steuerabzug unterliegen, während die Einkünfte Gebietsansässiger nach einem progressiven Steuertarif mit einem Grundfreibetrag besteuert werden. Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn der im Abzugsverfahren zur Anwendung kommende Steuersatz nicht höher ist als der Steuersatz, der sich für den Betroffenen tatsächlich aus der Anwendung des progressiven Steuertarifs auf die Nettoeinkünfte zzgl. eines Betrages in Höhe des Grundfreibetrags ergeben würde.“1 So oder so lässt sich daraus aber der Schluss ziehen, dass aus unionsrechtlicher Sicht kein Erfordernis besteht, unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Personen in der Weise gleich zu behandeln, als im Veranlagungsverfahren beiden eine geminderte steuerliche Leistungsfähigkeit in Form der Gewährung des Grundfreibetrags nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG zugestanden werden muss. Der EuGH hat dies mit Blick auf die „Schumacker-Doktrin“ begründet, wonach die Freistellung des Existenzminimums – also des Grundfreibetrags – als subjektiver Faktor allein dem Wohnsitzstaat obliegt.2 Dem hat sich mit zwei Entscheidungen auch der BFH für § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG a.F. mit der Folge angeschlossen, dass dem beschränkt Steuerpflichtigen der Zugang zum Grundfreibetrag versagt bleibt.3

12.46 Anrechnung ausländischer Steuern gem. § 50 Abs. 3 EStG. Ziel des § 50 Abs. 3 EStG ist es, über eine Anrechnung ausländischer Steuern entsprechend § 34c Abs. 1 EStG eine Doppelbesteuerung von Einkünften aus anderen Staaten zu vermeiden. Wegen des Verweises in § 26 Abs. 6 KStG findet die Vorschrift auch für beschränkt körperschaftsteuerpflichtige Stammhäuser Anwendung. Im Rahmen der Besteuerung beschränkt steuerpflichtiger Betriebsstätteneinkünfte kommt der Entlastungsvorschrift des § 50 Abs. 3 EStG eine herausgehobene Bedeutung zu. Denn sie ermöglicht insbesondere die Berücksichtigung von Quellensteuern auf Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren aus ausländischen Quellen.4 Die Regelung ist deshalb an sich zu begrüßen. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass mit dem Verweis auf § 34c Abs. 1 EStG die dort aufgezeigten unionsrechtlichen Verwerfungen auch im Rahmen der Besteuerung inländischer Betriebsstätten von ausländischen Stammhäusern zum Tragen kommen. Dies gilt insbesondere für die Anrechnungsüberhänge, die sich aus der unionsrechtlich bedenklichen Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags ergeben. Wegen der weiteren Einzelheiten kann insoweit auf die obigen Ausführungen zu § 34c Abs. 1 EStG verwiesen werden (vgl. Rz. 12.35 ff.).

D. Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten 12.47 Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten. Eng verbunden mit der bereits weiter oben diskutierten Problematik der Gewinnermittlung und Gewinnabgrenzung sind die Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten (vgl. Rz. 13.7). Aus unionsrechtlicher Perspektive kommt dieser Thematik jedenfalls dann eine besondere Bedeutung zu, wenn in Bezug auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt höhere Hürden als im Rahmen eines vergleichbaren inländischen Sachverhalts zu nehmen sind. Der EuGH wurde mit dieser Frage in der Rechtssache „Futura“ konfrontiert und hatte darüber zu befinden, inwieweit der Betriebsstättenstaat verlangen kann, dass neben der – die Geschäftsvorfälle der Betriebsstätte erfassenden – Buchfüh1 EuGH v. 12.6.2003 – Rs. C-234/01 – Gerritse, ECLI:EU:C:2003:340 = FR 2003, 779; v. 1.7.2004 – Rs. C-169/03 – Wallentin, ECLI:EU:C:2004:403. 2 EuGH v. 12.6.2003 – Rs. C-234/01– Gerritse, ECLI:EU:C:2003:340, Tz. 48 = FR 2003, 779. 3 BFH v. 19.11.2003 – I R 34/02, BStBl. II 2004, 773 = FR 2004, 664; v. 10.1.2007 – I R 87/03, BStBl. II 2008, 22 = FR 2007, 839 m. Anm. Kempermann. 4 Vgl. Wied in Blümich, § 50 EStG Rz. 115 ff.; Herkenroth in H/H/R, § 50 EStG Anm. 400 ff.

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D. Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 12.48 Kap. 12

rung des ausländischen Stammhauses eine separate Buchführung für die inländische Betriebsstätte vorzunehmen ist, wie es etwa vom deutschen Recht unter bestimmten Voraussetzungen eingefordert wird (vgl. Rz. 13.8 ff.). Unabhängig von der Frage, inwieweit diese Aufzeichnungen sogar im Inland zu führen und aufzubewahren sind, erblickte der Gerichtshof bereits in dem Erfordernis einer zusätzlichen Buchführung eine Beschränkung der Grundfreiheiten. Mit Blick auf seine Entscheidung in der Rechtssache „Cassis de Dijon“ gab er aber zugleich zu bedenken, dass eine solche Pflicht aus Gründen der Steueraufsicht gerechtfertigt sein kann.1 Gleichwohl wies das Gericht in der Rechtsache „Futura“ darauf hin, dass eine vom Stammhaus separate Buchführung unverhältnismäßig sein kann, sofern diejenigen Geschäftsvorfälle, aus denen man einen steuerlichen Vorteil ziehen will, auch anderweitig belegt werden können.2 Daraus aber die Schlussfolgerung zu ziehen, der Betriebsstättenstaat dürfe generell keine Buchführungspflicht für die Geschäftsvorfälle einer inländischen Betriebsstätte begründen, geht jedoch zu weit. Denn in der Rechtssache „Futura“ erkannte der EuGH dem luxemburgischen Fiskus nur deshalb nicht dieses Recht zu, weil nach „luxemburgischem Recht […] Steuerausländer im allgemeinen nicht verpflichtet [sind], über die Tätigkeit in Luxemburg ordnungsmäßige Bücher zu führen, so dass luxemburgische Behörden grundsätzlich auf jede Möglichkeit verzichtet haben, in diese Buchführung Einsicht zu nehmen“.3 Mit anderen Worten: Der luxemburgische Fiskus kann nicht damit argumentieren, er sei auf eine inländische Buchführung zwingend angewiesen, wenn er durch seine wenig geschlossene Rechtspraxis zum Ausdruck bringt, dieses Bedürfnis eigentlich nur eingeschränkt zu haben. Mithin spricht einiges dafür, dass ein ausländischer Akteur denjenigen Nachteil hinzunehmen hat, dem er sich mit einer zusätzlichen Buchführungspflicht als Standortbedingung bewusst ausgesetzt hat, sofern diese Pflicht – wie nach deutschem Recht – konsequent praktiziert wird.4 Die Finanzverwaltung hat jedoch dem oben geschilderten Verhältnismäßigkeitsgedanken im Rahmen der Beurteilung der für die Betriebsstätte unter § 90 Abs. 3 AO zu erstellenden Unterlagen und Dokumentationen Rechnung zu tragen. Mitwirkungspflichten. Unionsrechtlich bedenklich stimmen die in § 90 Abs. 2 und 3 AO geregelten besonderen Mitwirkungspflichten, wonach das inländische Stammhaus zur Aufklärung der die ausländische Betriebsstätte anbelangenden und somit grenzüberschreitenden Sachverhalte verpflichtet wird, während vergleichbare inländische Sachverhalte demgegenüber vollständig ausgespart bleiben.5 Problematisch ist allein, inwieweit dieser Eingriff einer Rechtfertigung zugänglich ist. Bei der Beurteilung dieser Frage muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass die Erweiterung der Mitwirkungspflichten für Auslandssachverhalte an sich sachgerecht ist: Zum einen knüpft die Besteuerung an Sachverhalte an, die aus der Sphäre des Steuerpflichtigen kommen und er deshalb den Beweismitteln am nächsten ist; zum anderen liegt die Aufklärung ausländischer Sachverhalte wegen der räumlich begrenz1 2 3 4

EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura, ECLI:EU:C:1997:239, Tz. 31. EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura, ECLI:EU:C:1997:239, Tz. 39 ff. EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura, ECLI:EU:C:1997:239, Tz. 37. Anders wohl Kumpf/Roth, DB 2000, 741 (742 f.); Saß, DB 1997, 1533 f. – die genau auf diese Besonderheit der Rechtssache „Futura“ nicht eingehen. 5 Für § 90 Abs. 2 AO: Schnitger, BB 2002, 332 (336 f.); Frotscher, Mitwirkungs-, Nachweis- und Dokumentationspflichten im Internationalen Steuerrecht, in Lüdicke (Hrsg.), Fortentwicklung der Internationalen Unternehmensbesteuerung (Forum der Internationalen Besteuerung Bd. 23), Köln 2002, 167 (178 ff.); Hruschka, IStR 2002, 753 (756 f.); für § 90 Abs. 3 AO: Rödder, DStR 2004, 1629 (1632); Schön, Unternehmensbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in StbJb. 2003/2004, Köln 2004, 27 (43); Lausterer, IStR 2003, 705 (707); Schnorberger, DB 2003, 1241 (1246 f.); Schnitger, IStR 2003, 73 (75 f.);

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12.48

Kap. 12 Rz. 12.48

Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht

ten Verwaltungshoheit deutscher Finanzbehörden doch ein wenig anders als die von inländischen Sachverhalten.1 Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, dass der Rechtfertigungsgrund der Wirksamkeit der Steueraufsicht zumindest im Grundsatz das in § 90 Abs. 2, 3 AO zum Ausdruck gelangende Bestreben des Fiskus trägt, diese für die Besteuerung wesentlichen Sachverhalte mithilfe des Steuerpflichtigen aufzuklären.2 Im Schrifttum stößt dieses Argument indes überwiegend auf Ablehnung. Als Begründung wird insbesondere darauf verwiesen, dass der deutsche Fiskus mit der EU-Amtshilferichtlinie3 bzw. nunmehr der EU-ZusammenarbeitsRL4 über ein Instrumentarium verfüge, welches die Erforderlichkeit derart diskriminierender Mitwirkungspflichten entfallen lasse.5 Im Grundsatz findet sich diese Argumentation auch in der Rechtsprechung des EuGH wieder, der dem von mitgliedstaatlicher Seite vorgebrachten Einwand begrenzter Ermittlungsmöglichkeiten kein Gehör geschenkt hat.6 Auf der anderen Seite hat der Gerichtshof in der Rechtssache „Futura“ der luxemburgischen Regierung darin zugestimmt, dass ein Mitgliedstaat „das Recht zur Anwendung von Maßnahmen habe, die die klare und eindeutige Feststellung der Höhe […] der in diesem Staat steuerbaren Einkünfte“ erlauben.7 Es spricht deshalb einiges dafür, dass es im Kern nicht um die Erforderlichkeit unilateraler Mitwirkungspflichten geht, sondern um deren Angemessenheit im engeren Sinne. Die Regelung des § 90 Abs. 2 AO, die dem inländischen Stammhaus aufgrund ihrer eigenen Nähe zu den Beweismitteln eine vergleichsweise geringe Belastung aufgibt, dürfte danach als eine angemessene Vorschrift zu qualifizieren sein.8 Ein aus unionsrechtlicher Perspektive weitaus stärkeres Störgefühl ruft hingegen § 90 Abs. 3 AO mit seinen dezidierten Dokumentationspflichten sowie den drastischen Rechtsfolgen des § 162 Abs. 3, 4 AO hervor.9 Dafür spricht auch, dass sich aus den gem. § 90 Abs. 2 AO bei1 Vgl. Hahn/Suhrbier-Hahn, IStR 2003, 84 (86). 2 Vgl. Seer in T/K, § 90 AO Rz. 37. Ebenso Hruschka, IStR 2002, 753 (756 f.); Hahn/Suhrbier-Hahn, IStR 2003, 84 (86); Englisch, IStR 2009, 37 (41). 3 Richtlinie 77/799/EWG v. 19.12.1977, ABl. EG Nr. L 336/1977, 15. 4 Richtlinie 2011/16/EU v. 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG, ABl. EU 2011, L 64/1 ff. 5 Vgl. nur Schnitger, BB 2002, 332 (336 f.); Frotscher, Mitwirkungs-, Nachweis- und Dokumentationspflichten im Internationalen Steuerrecht, in Lüdicke (Hrsg.), Fortentwicklung der Internationalen Unternehmensbesteuerung (Forum der Internationalen Besteuerung Bd. 23), Köln 2002, 167 (180 f.). 6 Vgl. EuGH v. 14.2.1995 – Rs. C-279/93 – Schumacker, ECLI:EU:C:1995:31, Tz. 43 ff. = FR 1995, 224 m. Anm. Waterkamp-Faupel; v. 28.1.1992 – Rs. C-204/90 – Bachmann, ECLI:EU:C:1992:35, Tz. 18 ff.; v. 28.1.1992 – Rs. C-300/90 – Kommission/Belgien, ECLI:EU:C:1992:37, Tz. 11 ff.; v. 11.6.2009 – Rs. C-155-157/08 – Passenheim van Schoot, ECLI:EU:C:2009:368; v. 10.2.2011 – Rs. C-436-437/08 – Haribo Lakritzen, ECLI:EU:C:2011:61. 7 EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura, ECLI:EU:C:1997:239, Tz. 30 ff. 8 Im Ergebnis ebenso Joecks/Kaminski, IStR 2004, 65 (70); Hruschka, IStR 2002, 753 (756 f.); Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, Köln 2004, 188 (239 f.); Seer in FS Schaumburg, 151 (162 ff.); Seer/Gabert, StuW 2010, 3 (5); a.A. Schnitger, BB 2002, 332 (336 f.); Frotscher, Mitwirkungs-, Nachweis- und Dokumentationspflichten im Internationalen Steuerrecht, in Lüdicke (Hrsg.), Fortentwicklung der Internationalen Unternehmensbesteuerung (Forum der Internationalen Besteuerung Bd. 23), Köln 2002, 167 (178 ff.). 9 Rödder, DStR 2004, 1629 (1632); Lüdicke, IStR 2003, 437; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 57; Schön, Unternehmensbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in StbJb. 2003/2004, Köln 2004, 27 (43); Lausterer, IStR 2003, 705 (707); Schnorberger, DB 2003, 1241 (1246 f.); Schnitger, IStR 2003, 73 (75 f.); a.A. Hahn/Suhrbier-Hahn, IStR 2003, 84 (86); Schwenke, Angemessenheitskontrolle bei Leistungsbeziehungen, in DStJG Bd. 33, Köln 2010, 273 (283 ff.); Schmitz in Schwarz/Pahlke, § 90 AO Rz. 75; Rätke in Klein13, § 90 AO Rz. 53; Söhn in H/H/Sp, § 90 AO Rz. 191 ff.

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D. Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 12.48 Kap. 12

zubringenden Unterlagen zwar nicht alle notwendigen, aber doch vergleichsweise aussagekräftige Daten entnehmen lassen werden, die im Rahmen einer Betriebsprüfung einen zumindest annähernden Fremdvergleich ermöglichen.1 Anders liegen die Dinge nur, wenn der Steuerpflichtige sämtliche diesbezüglichen Unterlagen bewusst vernichtet oder erst gar nicht führt.2 Aber dann dürfte er bereits seine Pflichten aus § 90 Abs. 2 AO verletzt haben und den Fiskus zur Schätzung berechtigen. Der BFH ist diesen Argumenten indessen nicht gefolgt und vertritt die Auffassung, dass die von § 90 Abs. 3 AO unstreitig ausgehende Beschränkung der unionsrechtlichen Grundfreiheiten aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei.3 Nach Auffassung des BFH rechtfertigt es der vom EuGH als Rechtfertigungsgrund anerkannte Grundsatz einer wirksamen Steueraufsicht, dem Steuerpflichtigen besondere Mitwirkungspflichten abzuverlangen, die über das inländische Maß hinausgehen. Nach seinem eigenen Verständnis bewegt sich das Gericht hier auf der Linie der bisherigen EuGH-Rechtsprechung.4 Ferner gehen die in § 90 Abs. 3 AO normierten besonderen Mitwirkungspflichten nicht über das zur Zielerreichung erforderliche Maß hinaus, weil – so der BFH – die „Ermittlung des Fremdvergleichspreises allein durch die Finanzverwaltung nicht in gleich effektiver Weise möglich [ist]. Die zur Vornahme eines Fremdvergleichs erforderlichen Informationen stammen vornehmlich aus der Sphäre des Steuerpflichtigen, der deshalb besser als die Finanzverwaltung in der Lage ist, die notwendigen Informationen zu dokumentieren.“ Dem soll auch die im Grundsatz aufseiten der Finanzbehörden bestehende Möglichkeit, die notwendigen Informationen im Wege eines EU-Amtshilfeersuchens zu beschaffen, nicht entgegenstehen. Der BFH beruft sich an dieser Stelle auf den vom EuGH aufgestellten Grundsatz, wonach die Instrumente der EU-Amtshilfe auf der einen sowie die steuerlichen Mitwirkungspflichten auf der anderen Seite als unabhängig nebeneinander stehend anzusehen sind.5 Die besonderen Dokumentationsund Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO verletzen vor diesem Hintergrund nicht die einschlägigen Grundfreiheiten.

1 Vgl. Hruschka, IStR 2002, 753 (754 ff.); kritisch dazu Hahn/Suhrbier-Hahn, IStR 2003, 84 (85). 2 Zu diesem Problem aus der Praxis vgl. Hahn/Suhrbier-Hahn, IStR 2003, 84 (85). 3 Vgl. BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771; vgl. hierzu Puls, IStR 2013, 704; Andresen, ISR 2013, 347; Busch, FR 2013, 943; Roser, GmbHR 2013, 1063; Rohde, IStR 2013, 717; Rogge, BB 2013, 2472; Schulz-Trieglaff, IStR 2013, 827. 4 Vgl. bspw. EuGH v. 27.1.2009 – Rs. C-318/07 – Persche, ECLI:EU:C:2009:33 = FR 2009, 230 = IStR 2009, 371. 5 Vgl. EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-184/05 – Twoh International, ECLI:EU:C:2007:550.

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Kap. 13 Rz. 12.48

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Kapitel 13 Anzeige-, Buchführungs-, Bilanzierungs-, Aufzeichnungs-, Amtsermittlungs-, Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten und zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe A. Anzeigepflicht

1. Inhalt der Amtsermittlungspflicht . . 2. Grenzen der Amtsermittlungspflicht

I. Anzeigepflicht bei Erwerb oder Eröffnung einer Betriebsstätte . . . . .

13.1

II. Betriebsstätte im Inland . . . . . . . . . .

13.2

III. Betriebsstätte im Ausland. . . . . . . . .

13.4

IV. Anzeigepflicht in Bezug auf den länderbezogenen Bericht multinationaler Unternehmensgruppen (sog. Country-by-Country Reporting). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.8

B. Buchführungspflicht I. Normziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.11

II. Betriebsstätte im Inland . . . . . . . . . .

13.12

III. Betriebsstätte im Ausland. . . . . . . . .

13.15

IV. Ort der Buchführung . . . . . . . . . . . .

13.19

C. Bilanzierungspflicht I. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . .

13.28

II. Betriebsstätte im Inland . . . . . . . . . .

13.32

III. Betriebsstätte im Ausland. . . . . . . . .

13.36

D. Aufzeichnungspflichten I. Aufzeichnungspflichten für Wareneingang und -ausgang. . . . . . . . . . . .

13.38

II. Betriebsstätte im Inland . . . . . . . . . .

13.39

III. Betriebsstätte im Ausland. . . . . . . . .

13.40

E. Pflicht zur Aufstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung I. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . .

13.41

II. Inhalt der Hilfs- und Nebenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.44

F. Aufbewahrungspflichten . . . . . . . .

13.46

G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten I. Grundlagen und Terminologie. . . . . II. Untersuchungsgrundsatz

896

Busch

III. Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten 1. Mitwirkungspflichten der Beteiligten 2. Allgemeine Mitwirkungspflicht . . . . 3. Erhöhte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten . . . . . . . . . . . 4. Besondere Mitwirkungs- und Nachweispflichten bei Geschäftsbeziehungen zu nicht kooperativen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mitwirkungspflicht bei Geschäftsbeziehungen zum Ausland mit nahestehenden Personen a) Inhalt, Umfang und Grenzen der Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätze der Aufzeichnungspflicht . . . . . . . . . . . . . . bb) Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stammdokumentation . . . . . 6. Pflicht zur Erstellung und Abgabe eines länderbezogenen Berichts multinationaler Unternehmensgruppen (sog. Country-byCountry Reporting) . . . . . . . . . . . . .

13.56 13.61

13.64 13.66 13.73

13.86

13.91 13.111 13.113 13.129 13.154

13.169

IV. Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO 1. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . 13.201 2. Festsetzung von Strafzuschlägen . . . 13.203 3. Verwertbarkeit vs. Unverwertbarkeit 13.206 H. Auskunfts- und Vorlagepflichten

13.50

I. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . 13.214 II. Betriebsstätte im Inland . . . . . . . . . . 13.218

A. Anzeigepflicht

III. Betriebsstätte im Ausland. . . . . . . . . 13.219 I. Zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen

Rz. 13.3 Kap. 13

I. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 13.221 II. Bi- oder multilaterale Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.229

A. Anzeigepflicht I. Anzeigepflicht bei Erwerb oder Eröffnung einer Betriebsstätte Anzeigepflicht. Um die Erfassung von steuerpflichtigen wirtschaftlichen Vorgängen sicherzustellen, regelt § 138 AO Anzeigepflichten in Bezug auf die Aufnahme, Verlegung oder Beendigung einer Erwerbstätigkeit (§ 138 Abs. 1 AO) sowie in Bezug auf bestimmte Auslandsinvestitionen (§ 138 Abs. 2 AO). Die Mitteilungen sind jeweils nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck vorzunehmen, d.h., der Steuerpflichtige kann die Mitteilung auch auf Ablichtungen der amtlichen Vordrucke vornehmen1 und elektronisch, z.B. durch einfache E-Mail, einreichen.2 Das Einreichen auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck ist nicht erforderlich.

13.1

II. Betriebsstätte im Inland Anzeigepflicht bei der Eröffnung einer inländischen Betriebsstätte. Die Eröffnung einer Betriebsstätte im Inland ist gem. § 138 Abs. 1 Satz 1 AO nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck3 derjenigen Gemeinde mitzuteilen, in der die Betriebsstätte gelegen ist. Die Gemeinde hat das zuständige Finanzamt unverzüglich über den Inhalt der Mitteilung zu unterrichten. Ist die Gesetzgebung der Realsteuern nicht den Gemeinden übertragen worden – wie im Falle der Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg – ist die Anzeige bei dem nach § 22 Abs. 2 AO zuständigen Finanzamt vorzunehmen (§ 138 Abs. 1 Satz 2 AO). Gewerbetreibende, die nach § 14 GewO gegenüber der zuständigen Behörde (Ordnungs- bzw. Gewerbeamt) anzeigepflichtig sind, erfüllen mit der gewerberechtlichen Anzeige gleichzeitig ihre steuerliche Anzeigepflicht nach § 138 Abs. 1 AO.4 Unter die meldepflichtige Eröffnung einer Betriebsstätte fällt auch die Fortführung einer Betriebsstätte durch den Rechtsnachfolger oder Erwerber.5 Die Mitteilung hat innerhalb eines Monats nach dem meldepflichtigen Ereignis zu erfolgen (§ 138 Abs. 3 Satz 1 AO).

13.2

Anzeigepflicht bei Verlegung und Aufgabe einer inländischen Betriebsstätte oder eines Betriebes. Ebenso ist die Verlegung oder Aufgabe einer inländischen Betriebsstätte nach amtlich vorgeschriebenen Vordruck der (ehemaligen) Belegenheitsgemeinde mitzuteilen (§ 138 Abs. 1 Satz 4 AO). Die ertragsteuerlichen Folgewirkungen einer Verlegung ins Ausland oder der Aufgabe bei gleichzeitigem Wegzug ins Ausland sind in Rz. 4.273 ff. dargestellt.

13.3

1 Vgl. Rätke in Klein13, § 138 AO Rz. 2. 2 Vgl. Schmieszek in Beermann/Gosch, § 138 AO Rz. 5. 3 Der amtlich vorgeschriebene Vordruck (Fragebogen zur steuerlichen Erfassung) ist im Internet im Formular-Management-System der Bundesfinanzverwaltung abrufbar (www.formulare-bfinv. de). 4 Vgl. AEAO zu § 138, Nr. 1 Abs. 2 Satz 1. 5 Vgl. AEAO zu § 138, Nr. 1 Abs. 1 Satz 3.

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Kap. 13 Rz. 13.4

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

III. Betriebsstätte im Ausland 13.4 Anzeigepflicht bestimmter Auslandsinvestitionen. Unbeschränkt Einkommen- oder Körperschaftsteuerpflichtige haben dem zuständigen Finanzamt nach § 138 Abs. 2 AO anzuzeigen: 1. die Gründung und den Erwerb von Betrieben und Betriebsstätten im Ausland; 2. die Beteiligung an ausländischen Personengesellschaften oder deren Aufgabe oder Änderung sowie 3. den Erwerb von Beteiligungen an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. § 2 Nr. 1 KStG, wenn damit unmittelbar eine Beteiligung von mindestens 10 % oder mittelbar eine Beteiligung von mindestens 25 % am Kapital oder am Vermögen der Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse erreicht wird oder wenn die Summe der Anschaffungskosten aller Beteiligungen mehr als 150 000 Euro beträgt.Nach dem Wortlaut der Vorschrift könnte in Bezug auf ausländische Personengesellschaften eine regelmäßige Meldepflicht in Hinsicht auf die „Beteiligung“ an sich bestehen. Da § 138 Abs. 2 AO jedoch eine Eingriffsnorm ist, verbietet sich eine extensive Auslegung.1 Daher reicht mit Blick auf Sinn und Zweck der Norm eine einmalige Meldung bei Erwerb der Beteiligung bzw. bei Auf- und Abstockungen aus, um die steuerliche Erfassung der ausländischen Personengesellschaft im Inland sicherzustellen.2 Auch der Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften ist dem zuständigen Finanzamt gegenüber anzuzeigen, wenn die in Rz. 13.4 genannten, unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligungsgrenzen überschritten werden. Da die Anzeigepflicht für Auslandsinvestitionen gem. § 138 Abs. 2 AO nur unbeschränkt Steuerpflichtigen auferlegt ist, sind keine Mitteilungen zu erstatten, sofern die erworbene Beteiligung im Ausland der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen, beschränkt Steuerpflichtigen zuzuordnen ist.3 Ebenso wenig entsteht eine Anzeigepflicht, sofern eine ausländische Gesellschaft, deren Anteilserwerb anzeigepflichtig war, eine Betriebsstätte in einem weiteren Land eröffnet.

13.5 Erweiterung der Anzeigepflicht durch das Steuerumgehungbekämpfungsgesetz. Mit Wirkung zum 1.1.20184 erfährt der Katalog der Anzeigepflichten durch das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz5 eine grundlegende Erweiterung. Demnach haben unbeschränkt Steuerpflichtige zukünftig anzuzeigen: 1. die Gründung und den Erwerb von Betrieben und Betriebstätten im Ausland; 2. den Erwerb, die Aufgabe oder die Veränderung einer Beteiligung an ausländischen Personengesellschaften;

1 Vgl. Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 5; Kuhfus in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO21, § 138 AO Rz. 10, beide unter Verweis auf FG Münster v. 6.6.1989 – XII 8740/88 F, EFG 1989, 498. 2 Vgl. Schallmoser in H/H/Sp, § 138 AO Rz. 22; Schmieszek in Beermann/Gosch, § 138 AO Rz. 11. 3 Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, gilt nicht mehr die Zentralfunktion des Stammhauses gemäß BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.4 – im Folgenden BS-VWG – als Zuordnungskriterium, sondern der funktionale Zusammenhang zur Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). 4 Vgl. Art. 97 § 32 Abs.1 EGAO. 5 Vgl. Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz – StUmgBG) v. 23.6.2017, BGBl. I 2017, 1682; siehe zu den Neuerungen insbesondere Grotherr, Ubg 2017, 402; Krüger/Nowroth, DB 2017, 90.

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A. Anzeigepflicht

Rz. 13.6 Kap. 13

3. den Erwerb oder die Veräußerung von Beteiligungen an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Sitz und Geschäftsleitung außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes, wenn a) damit eine Beteiligung von mindestens 10 %1 am Kapital oder am Vermögen der Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse erreicht wird oder b) die Summe der Anschaffungskosten aller Beteiligungen mehr als 150 000 Euro beträgt; 4. die Tatsache, dass sie allein oder zusammen mit nahestehenden Personen i. S. des § 1 Abs. 2 AStG erstmals unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss auf die gesellschaftsrechtlichen, finanziellen oder geschäftlichen Angelegenheiten einer Drittstaat-Gesellschaft ausüben können; 5. die Art der wirtschaftlichen Tätigkeit des Betriebs, der Betriebstätte, der Personengesellschaft, Körperschaft, Personenvereinigung, Vermögensmasse oder der Drittstaat-Gesellschaft. Während die Ziffer 1 unverändert bleibt und Ziffer 2 nur eine redaktionelle Bearbeitung erfährt, werden die drei Alternativen in Ziffer 3 auf zwei Alternativen gekürzt und eine Anzeigepflicht bei Veräußerungen eingeführt. Neu ist, dass die wirtschaftliche Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft oder Betriebsstätte anzugeben ist. Darüber hinaus führt der Gesetzgeber eine neue Anzeigepflicht in Bezug auf Drittstaat-Gesellschaften ein, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger erstmals unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss auf die gesellschaftsrechtlichen, finanziellen oder geschäftlichen Angelegenheiten ausüben kann. Der Begriff der Drittstaat-Gesellschaft ist gem. § 138 Abs. 3 AO n.F. sehr allgemein definiert als eine Personengesellschaft, Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Sitz oder Geschäftsleitung in Staaten oder Territorien, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation sind. Obwohl diese neue Anzeigepflicht auf Domizil- bzw. Briefkastengesellschaften abzielt, besteht aufgrund des unklaren und unbestimmten Tatbestands des beherrschenden oder bestimmenden Einflusses die Gefahr eines möglichen überschießenden Anwendungsbereichs.2 Das Einführungsgesetz zur Abgabenordnung statuiert sogar eine nachträgliche Anzeigepflicht für inländische Steuerpflichtige, die vor dem 1.1.2018 erstmals einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss auf eine Drittstaat-Gesellschaft erhalten haben, dies dem für sie zuständigen Finanzamt mitzuteilen, wenn dieser Einfluss auch noch am 1.1.2018 fortbesteht.3 Fristen. Die Anzeige über Auslandsinvestitionen ist nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck4 bis zum 31.5. des Folgejahrs desjenigen Jahrs zu erstatten, in dem die Beteiligung erworben bzw. die ausländische Betriebsstätte begründet oder erworben worden ist (§ 138 Abs. 3 Satz 2 AO a.F.). Für Sachverhalte, die nach dem 31.12.2017 verwirklicht worden sind, ist die Mitteilung zusammen mit der Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich bestimmten Schnittstellen elektronisch für den Besteuerungszeitraum, in dem der mitzuteilende Sachverhalt verwirklicht wurde, zu erstatten, spätestens jedoch bis zum Ablauf von 14 Monaten nach Ablauf dieses

1 Hierbei sind unmittelbare und mittelbare Beteiligungen ab dem 1.1.2018 zusammenzurechnen (§ 138 Abs. 2 Satz 2 AO). 2 Vgl. Krüger/Nowroth, DB 2017, 90 (92 f.). 3 Vgl. Art. 97 § 32 Abs. 2 EGAO. 4 Siehe zu dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck die Anlage zu BMF v. 15.4.2010 – IV 5-S 1300/07/10087 – DOK 2009/0286671, BStBl. I 2010, 346.

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13.6

Kap. 13 Rz. 13.7

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Besteuerungszeitraums (§ 138 Abs. 5 Satz 1 AO n.F.). Den amtlich vorgeschriebenen Vordruck dürfen dann nur noch Steuerpflichtige verwenden, die nicht zur Abgabe einer E-Bilanz verpflichtet sind und diese auch nicht freiwillig abgeben oder die überhaupt nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sind (§ 138 Abs. 5 Sätze 2 und 3 AO n.F.). Diese Fristen sollen entsprechend auch für eine nachträgliche Mitteilung über einen am 1.1.2018 fortbestehenden Einfluss auf eine Drittstaat-Gesellschaft gelten. Da die Abgabefristen für die Steuererklärung für die Verwirklichung einer erstmaligen Erlangung eines beherrschenden oder bestimmenden Einflusses auf eine Drittstaat-Gesellschaft aber bei zeitlich weiter zurückliegenden Ereignissen regelmäßig bereits längst abgelaufen sein dürften, bedeutet eine analoge Anwendung, dass die entsprechende Meldung spätestens mit der Abgabe der Steuererklärung für das erste Wirtschaftsjahr abzugeben ist, das nach dem 31.12.2017 endet, da erst für solche Wirtschaftsjahre klar ist, dass der entsprechende Einfluss auch am 1.1.2018 noch bestanden hat.1

13.7 Verstoß gegen die Anzeigepflicht. Der vorsätzliche oder leichtfertige Verstoß gegen die Anzeigepflicht für Auslandsinvestitionen stellt eine Ordnungswidrigkeit i.S.d. § 379 Abs. 2 Nr. 1 AO dar (Steuergefährdung). Neben der Nichtabgabe der Meldung fallen hierunter auch die Abgabe einer unvollständigen Mitteilung sowie eine Verletzung der gesetzlichen Frist. Die Finanzbehörden sind angehalten, ihren Ermessensspielraum bei der Verfolgung dieser Steuerordnungswidrigkeit enger auszulegen. Nach den Umständen des Einzelfalls ist dabei die zuständige Bußgeld- und Strafsachenstelle einzuschalten.2 Die Steuerordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 5 000 Euro geahndet werden (§ 379 Abs. 4 AO). Dieser Strafrahmen wurde mit Wirkung zum 25.6.2017 drastisch auf 25 000 Euro erhöht (§ 379 Abs. 7 AO). Sollte mit dem Verstoß eine leichtfertige Steuerverkürzung verbunden sein, erhöht sich der Strafrahmen auf bis zu 50 000 Euro (§ 378 Abs. 2 AO). Die Verfolgung der Steuerordnungswidrigkeit verjährt nach fünf Jahren (§ 384 AO). Sofern durch die Unterlassung der Anzeige oder durch die Abgabe einer unvollständigen Mitteilung (noch) keine Steuerverkürzung eingetreten ist, sollte die nachträgliche Abgabe einer ordnungsgemäßen Mitteilung im Regelfall dazu führen, dass die pflichtgemäße Ermessensentscheidung zur Ahndung der Steuerordnungswidrigkeit (§ 47 Abs. 1 OWiG) den Erlass eines Bußgeldbescheids unwahrscheinlich werden lässt.3 Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass es im Gegensatz zu einer möglichen Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung (§ 371 AO) und bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 Abs. 3 AO), bei einer Steuergefährdung i.S.d. § 379 AO an einer solchen strafbefreienden Regelung fehlt.4

IV. Anzeigepflicht in Bezug auf den länderbezogenen Bericht multinationaler Unternehmensgruppen (sog. Country-by-Country Reporting) 13.8 Gesetzliche Grundlagen. Im Rahmen des BEPS-Umsetzungsgesetzes5 hat der Gesetzgeber in dem neu hinzugefügten § 138a AO die Verpflichtung zur Erstellung und Einreichung eines

1 Vgl. ebenso BR-Drucks. 816/16, 34. 2 Vgl. BMF v. 15.4.2010, – IV B5-S 1300/07/10087 – DOK 2009/0286671, BStBl. I 2010, 346, Tz. IV. Siehe hierzu auch Andresen/Busch, GmbHR 2012, 85. 3 Vgl. Jäger in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht8, § 379 AO Rz. 129. 4 Vgl. BVerfG v. 11.7.1997 – 2 BvR 997/92, DStRE 1997, 904. 5 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000.

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B. Buchführungspflicht

Rz. 13.11 Kap. 13

länderbezogenen Berichts multinationaler Unternehmensgruppen (sog. Country-by-Country Reporting) eingeführt, sofern die Unternehmensgruppe in mehr als einem Land tätig ist und einen konsolidierten Konzernumsatz von über 750 Mio. Euro ausweist (vgl. Rz. 13.64, 13.110, 13.170). Das Country-by-Country Reporting wird bei einer Finanzbehörde eingereicht und dann im Rahmen des hierfür vereinbarten Informationsaustauschs automatisch mit den anderen beteiligten Finanzbehörden ausgetauscht, in deren Hoheitsgebieten die multinationale Unternehmensgruppe tätig ist. Im Regelfall wird das Reporting durch die Konzernobergesellschaft abgegeben. Es kann aber auch durch eine andere, vom Konzern speziell hierzu beauftragte Konzerngesellschaft abgeben werden (sog. beauftragte Gesellschaft). Vor diesem Hintergrund und im Einklang mit den Empfehlungen der OECD1 verpflichtet § 138a Abs. 5 AO einen inländischen Steuerpflichtigen, der zu einer berichtspflichtigen Unternehmensgruppe gehört, in der Steuererklärung insbesondere die das Reporting abgebende Konzerngesellschaft und die Finanzbehörde zu benennen, bei der der länderbezogene Bericht eingereicht wird. Dadurch soll zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung offenbart werden, ob und wie im Hinblick auf den inländischen Steuerpflichtigen ein länderbezogener Bericht übermittelt wird.2 Umfang der Anzeigepflicht und Form der Anzeige. Ein inländisches Unternehmen hat gem. § 138a Abs. 5 Satz 1 AO anzugeben, ob es eine inländische Konzernobergesellschaft, eine beauftragte Gesellschaft oder eine einbezogene inländische Konzerngesellschaft eines Konzerns mit ausländischer Konzernobergesellschaft ist. Im letzteren Fall ist auch anzugeben, bei welcher Finanzbehörde und von welchem Unternehmen der länderbezogene Bericht des Konzerns abgegeben wird. Diese Anzeigepflicht gilt gem. § 138a Abs. 5 Satz 4 AO entsprechend für die inländische Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens, das als ausländische Konzernobergesellschaft oder als einbezogene ausländische Konzerngesellschaft in einen Konzernabschluss einbezogen wird. Die Anzeige erfolgt in der Steuererklärung.

13.9

Anwendungszeitpunkt und Sanktionen bei Verstoß gegen die Anzeigepflicht. Die Anzeigepflicht ist erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2016 beginnen.3 Bei Nichterfüllung der Anzeigepflicht ist nach § 138a Abs. 5 Satz 3 AO die einbezogene inländische Konzerngesellschaft selbst bzw. analog die inländische Betriebsstätte zur fristgerechten Übermittlung des länderbezogenen Berichts verpflichtet.

13.10

B. Buchführungspflicht I. Normziel Notwendigkeit der Buchführung. Die Ermittlung der Einkünfte sowohl für inländische als auch für ausländische Betriebsstätten hat nach deutschem Steuerrecht zu erfolgen.4 Die Vorschriften der Gewinnermittlung knüpfen an den Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs und dem Betriebsvermögen des 1 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Country-by-Country Reporting Implementation Package, Art. 3. 2 Vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/9536, 41. 3 Vgl. Art. 97 § 31 Satz 2 EGAO. 4 Vgl. BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128 = FR 1996, 600 – unter II.2. und 4a; Kumpf, StbJb. 1988/89, 399, 405 ff.; zur Einschränkung des nationalen Steuerrechts durch die Vorschriften von DBA bei ausländischen Personengesellschaften vgl. J. Lüdicke, StbJb. 1997/98, 449, 466–478.

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13.11

Kap. 13 Rz. 13.12

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

laufenden Wirtschaftsjahrs an.1 Das Betriebsvermögen ergibt sich in aller Regel aus der Buchführung des Steuerpflichtigen, die gem. § 158 AO der Besteuerung zugrunde zu legen ist, soweit ihre sachliche Richtigkeit keinen Anlass zu Beanstandungen bietet. Sowohl das deutsche Steuerrecht als auch das über die Maßgeblichkeit für steuerliche Gewinnermittlungszwecke grundsätzlich einschlägige Handelsrecht2 knüpfen hinsichtlich der Pflicht zur Buchführung für inländische bzw. ausländische Betriebsstätten an unterschiedliche Tatbestandsmerkmale an.

II. Betriebsstätte im Inland 13.12 Inländische Zweigniederlassung. Jeder Kaufmann ist nach § 238 Abs. 1 und 2 HGB verpflichtet, Bücher und Aufzeichnungen zu führen.3 Der Kaufmannsbegriff knüpft an den Terminus des Handelsgewerbes und damit an den Gewerbebetrieb an. Der Ort, an dem ein solcher Gewerbebetrieb für Zwecke des § 238 Abs. 1 HGB betrieben werden muss, ist nicht auf das Inland beschränkt, so dass die Buchführungs- und Aufzeichnungspflicht auch für inländische Zweigniederlassungen sowohl von Einzelkaufleuten oder juristischen Personen mit Hauptniederlassung im Ausland als auch Handelsgesellschaften mit Sitz im Ausland gilt.4 Die BS-VWG bestätigen dies auch für die inländische Betriebsstätte einer GbR (ARGE, Konsortium).5 Inländische Zweigniederlassungen unterliegen also der Buchführungspflicht nach § 238 Abs. 1 HGB und damit auch der Buchführungs- und Aufzeichnungspflicht i.S.d. § 140 AO. Der im Schrifttum6 im Kontext der Buchführungspflicht zu findende Hinweis auf § 13d Abs. 3 HGB ggf. ergänzt um §§ 13e, 13f oder 13g HGB ist insoweit verfehlt, als sich diese Vorschriften lediglich auf die sinngemäße Anwendung der für inländische Niederlassungen am Sitz der Gesellschaft geltenden Vorschriften über Anmeldungen, Zeichnungen, Einreichungen, Eintragungen und Bekanntmachungen, nicht aber auf die Buchführungspflicht beziehen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Ergebnis der Buchführung als Bekanntmachung im Sinne der genannten Vorschriften anzusehen ist. Die in § 238 Abs. 1 HGB geregelte Buchführungspflicht bezieht sich jedoch nur auf die inländische Zweigniederlassung.7 Sie strahlt grund1 Vgl. R 29 Abs. 1 KStR 2004 (R 7.1 Abs. 1 KStR 2015). 2 Die Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz gilt unverändert gem. § 5 Abs. 1 EStG, auch wenn es durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz vom 25.5.2009 zu der Aufgabe der umgekehrten Maßgeblichkeit und damit zu einer Erleichterung bei der Inanspruchnahme rein steuerlicher Wahlrechte gekommen ist (vgl. Art. 3 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts, BGBl. I 2009, 1102). 3 Einzelkaufleute, die an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren nicht mehr als 600 000 Euro (bis 31.12.2015: 500 000 Euro) Umsatzerlöse und nicht mehr als 60 000 Euro (bis 31.12.2015: 50 000 Euro) Jahresüberschuss aufweisen, sind gem. § 241a HGB von der Pflicht zur Buchführung und Erstellung eines Inventars befreit. Diese Befreiungsregelung wurde im Zuge des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes eingeführt und gilt für nach dem 31.12.2007 beginnende Geschäftsjahre (vgl. § 66 Abs. 1 EGHGB, BGBl. I 2009, 1102). 4 Vgl. Ballwieser in K. Schmidt, MünchKomm/HGB4, § 238 HGB Rz. 13; Winkeljohann/Henckel in BeckBilanzkomm10, Rz. 45–47. 5 Vgl. BS-VWG, Tz. 1.1.3.2. 6 Vgl. Winkeljohann/Henckel in BeckBilanzkomm10, § 238 Rz. 46.; Schröder/Strunk in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.64; Balmes in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 200. 7 Vgl. zur unmittelbaren Anwendbarkeit der EG-Bilanzrichtlinie: EuGH v. 7.1.2003 – Rs. C-306/99 – BIAO, ECLI:EU:C:2003:3 = FR 2003, 561 = IStR 2003, 95; vgl. zum 2. Rechtszug FG Hamburg v. 28.11.2003 – III 1/01, EFG 2004, 74; aufgehoben durch BFH v. 15.9.2004 – I R 5/04, BFH/NV 2005, 421 = FR 2005, 308 m. Anm. Weber-Grellet; vgl. dazu Dziadkowski, IStR 2004, 323 ff.

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B. Buchführungspflicht

Rz. 13.14 Kap. 13

sätzlich nicht auf das ausländische Stammhaus aus, da dieses – im Gegensatz zur inländischen Zweigniederlassung – nicht deutschem Handelsrecht unterliegt, es sei denn, die ausländische Gesellschaft besitzt die Kaufmannseigenschaft. Ob selbst dann – ggf. parallel – Bücher auch nach inländischem Recht zu führen sind, ist jedoch umstritten.1 Betriebsstätten i.S.d. § 12 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1, 3–8 und § 13 AO. Beschränkt steuerpflichtige Personen, deren inländische Betriebsstätte2 sich nicht als Zweigniederlassung qualifiziert, werden buchführungspflichtig, wenn ein einzelner Betrieb eine der Tatbestandsvoraussetzungen des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 AO erfüllt. Danach besteht eine Verpflichtung, für steuerrechtliche Zwecke Bücher zu führen und Abschlüsse zu machen, wenn der einzelne Betrieb

13.13

1. im Kalenderjahr Umsätze einschließlich der steuerfreien Umsätze, ausgenommen die Umsätze nach § 4 Nr. 8 bis 10 UStG von mehr als 600 000 Euro3 erzielt, 2. (weggefallen) 3. land- und forstwirtschaftliche Flächen mit einem Wirtschaftswert (gem. § 46 BewG) von mehr als 25 000 Euro selbst bewirtschaftet, 4. einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von mehr als 60 000 Euro4 im Wirtschaftsjahr erzielt oder 5. einen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft von mehr als 60 000 Euro5 im Kalenderjahr erzielt. Diese Größenmerkmale sind zwar grundsätzlich betriebsbezogen zu sehen, was eine Buchführungspflicht auch dann nach sich ziehen könnte, wenn die inländische Betriebsstätte – isoliert betrachtet – die Größenmerkmale nicht erfüllt.6 Nach h.M. besteht die Buchführungspflicht jedoch nur dann, wenn die inländische Betriebsstätte isoliert betrachtet die Größenmerkmale erfüllt.7 Bei der Prüfung der Größenmerkmale in § 141 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AO sind erhöhte Absetzungen oder Sonderabschreibungen i.S.d. § 7a Abs. 6 EStG nicht zu berücksichtigen. Ausländische Personengesellschaften. Die Buchführungspflicht nach § 238 Abs. 1 HGB gilt nach § 6 Abs. 1 HGB auch für ausländische Personenhandelsgesellschaften. Nach Auffassung

1 Vgl. Winkeljohann/Henckel in BeckBilanzkomm10, Rz. 47. 2 Dies gilt auch für eine Vertreterbetriebsstätte. Vgl. BFH v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238 = FR 1995, 238 m. Anm. Kempermann; siehe auch den Verweis auf dieses Urteil in Nr. 1 Satz 5 zu § 141 AEAO. 3 Die Umsatzgrenze von 600 000 Euro gilt für Umsätze der Kalenderjahre, die nach dem 31.12.2015 beginnen (Art. 97 § 19 Abs. 8 Satz 1 EGAO). Bis zum 31.12.2015 galt eine Umsatzgrenze von 500 000 Euro. 4 Die Gewinngrenze von 60 000 Euro ist auf Gewinne der Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2015 beginnen (Art. 97 § 19 Abs. 3 Satz 3EGAO). Bis zum 31.12.2015 galt eine Gewinngrenze von 50 000 Euro. 5 Die Gewinngrenze von 60 000 Euro ist auf Gewinne der Kalenderjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2015 beginnen (Art. 97 § 19 Abs. 4 Satz 3 EGAO). Bis zum 31.12.2015 galt eine Gewinngrenze von 50 000 Euro. 6 Vgl. Drüen in T/K, § 141 AO Rz. 8. 7 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I R 95/96, BStBl. II 1998, 260 = FR 1998, 474 – unter II.3. So auch Drüen in T/K, § 141 AO Rz. 6 Schröder/Strunk in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.65.

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13.14

Kap. 13 Rz. 13.15

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

der Finanzverwaltung erstreckt sich die Buchführungspflicht auch auf das Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter einer Personengesellschaft.1

III. Betriebsstätte im Ausland 13.15 Buchführungspflicht für das Gesamtunternehmen. Weder das deutsche Handels- noch das deutsche Steuerrecht enthalten eine Vorschrift, die eine gesonderte Buchführung für eine ausländische Betriebsstätte vorschreibt, die Teil eines inländischen Unternehmens ist.2 Die einschlägigen Vorschriften des Handels- und Steuerrechts (§ 238 HGB, §§ 140 und 141 AO) gelten vielmehr für das Gesamtunternehmen einschließlich der im Ausland befindlichen Betriebsstätten.3 Dies kann dazu führen, dass erst das Einbeziehen von Auslandsumsätzen zum Überschreiten der in Rz. 13.13 genannten Umsatzgrenzen führt und die Buchführungspflicht auslöst.4 Daran ändern auch § 1 Abs. 4 und 5 AStG und § 3 BsGaV nichts, die faktisch jedoch die Führung einer separaten Aufstellung von Vermögenswerten und Ergebnisrechnung für die Betriebsstätte zur Folge haben. Entsprechend ist die Buchführung der ausländischen Betriebsstätte daher als Bestandteil der Buchführung des gesamten Einheitsunternehmens anzusehen.5 Dies gilt für eine Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO wie für einen ständigen Vertreter i.S.d. § 13 AO gleichermaßen. Besteht im Belegenheitsstaat der ausländischen Betriebsstätte keine Verpflichtung, Bücher und Aufzeichnungen zu führen, wird einer solchen bestehenden Verpflichtung nicht nachgekommen oder sind die nach § 146 Abs. 2 Satz 4 AO geforderten Anpassungen an die deutschen steuerrechtlichen Vorschriften nicht vorgenommen oder kenntlich gemacht worden, so fehlen die Voraussetzungen für die Annahme, dass eine gesonderte Betriebsstättengewinnermittlung vorliegt. In diesen Fällen ist der Anteil von Stammhaus und Betriebsstätte(n) am Betriebsgewinn – zumindest für Wirtschaftsjahre, die vor dem 31.12.2012 beginnen – durch Aufteilung des Betriebsgewinns bzw. durch Zuordnung von Erträgen und Aufwendungen zu ermitteln.6 An Stelle einer solchen Aufteilung tritt für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, die Hilfs- und Nebenrechnung i.S.d. § 3 BsGaV (s. dazu auch Rz. 13.41 ff.). § 90 Abs. 3 Satz 4 AO i.d.F. vor dem 1.1.2017 scheint dies zu bestätigen. Für Zwecke der Dokumentation der Einkünfteabgrenzung ist dort für inländische Betriebsstätten von einer Ermittlung, für inländische Unternehmen mit ausländischer Betriebsstätte jedoch von einer Aufteilung des Gewinns die Rede. Die notwendige Voraussetzung für eine solche Aufteilung bzw. Zuordnung von Erträgen und Aufwen-

1 Vgl. Nr. 1 Satz 6 zu § 141 AEAO; a.A. Brandenberg, JbFfStR 1993/94, 300; Schön, DStR 1993, 185 (193); Rose in FS Moxter, 1089, 1105. 2 Ungeachtet dessen verlangt § 3 BsGaV die Erstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen (§ 40 BsGaV). 3 Vgl. BS-VWG, Tz. 1.1.4.2; Schröder/Strunk in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.62. 4 Vgl. BFH v. 7.10.2009 – II R 23/08, BStBl. II 2010, 219; so auch Kuhfus in Kühn/v. Wedelstädt, AO/ FGO21, § 141 AO Rz. 3; Drüen in T/K, § 141 AO Rz. 14; a.A. Könemann/Blaudow, Stbg 2012, 223. 5 Ebenso Lüdicke, StbKonRep 1998, 303, 314. 6 Vgl. BS-VWG, Tz. 1.1.4.2 – die von einer Einzelerfassung von Geschäftsvorfällen sprechen. Der Pauschalierungserlass sah neben einer Buchführung auch eine Kostenträgerrechnung als möglichen Ausgangspunkt für eine Zuordnung bzw. Aufteilung an; vgl. BMF v. 10.4.1984 – IV C 6 - S 2293 - 11/84, BStBl. I 1984, 252, Tz. 3.1.1. (aufgehoben für die Körperschaftsteuer m.W.v. VZ 2004 durch BMF v. 24.11.2003 – IV B 4-S 2293-46/03, BStBl. I 2003, 747).

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B. Buchführungspflicht

Rz. 13.17 Kap. 13

dungen bildet die gesetzliche Verpflichtung in § 145 Abs. 1 Satz 2 AO, die einzelnen Geschäftsvorfälle so zu erfassen, dass deren Entstehung und Abwicklung nachvollzogen werden kann.1 Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 begonnen haben, gelten die sehr präskriptiv formulierten Regelungen der BsGaV, die auch schon für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 begonnen haben, für die Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG als Auslegungshilfe herangezogen werden können. Buchführungspflicht nach ausländischem Recht. Soweit im Ausland nach dem dort geltenden Recht eine Verpflichtung besteht, Bücher und Aufzeichnungen zu führen, und dieser Verpflichtung auch nachgekommen wird, verlangt § 146 Abs. 2 Satz 2 bis 4 AO, die Ergebnisse der ausländischen Betriebsstättenbuchführung in die Buchführung des inländischen Unternehmens zu übernehmen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind. Dabei auftretende Aspekte der Währungsumrechnung sind in Rz. 8.1 ff. dargestellt. Die übernommenen Ergebnisse sind an die deutschen steuerlichen Vorschriften anzupassen und die vorgenommenen Anpassungen sind nach § 146 Abs. 2 Satz 4 AO kenntlich zu machen.2 Selbst wenn in dieser Erleichterungsregelung keine Vorschrift zur gesonderten Ermittlung des ausländischen Betriebsstättengewinns gesehen wird, so führt sie faktisch zu einer gesonderten Ermittlung des Unterschiedsbetrags (1. Stufe) der ausländischen Betriebsstätte. Bei der Übernahme der Ergebnisse ist jedoch § 246 Abs. 1 Satz 1 HGB zu beachten. Danach hat der Jahresabschluss sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten, Aufwendungen und Erträge zu enthalten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Für Zwecke der Betriebsstättenbuchführung bedeutet dies, dass die einzelnen Aufwands- und Ertragspositionen nicht saldiert, sondern einzeln in die Buchführung des Stammhauses zu übertragen sind. Andernfalls wäre § 246 Abs. 1 Satz 1 HGB verletzt. Ob § 146 Abs. 2 Satz 3 AO eine gesetzliche Bestimmung i.S.d. § 246 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. HGB ist, die ein Abweichen vom Grundsatz der Einzelerfassung erlaubt, ist zweifelhaft. So finden sich in der einschlägigen Kommentarliteratur zwar Hinweise auf Ausnahmen vom Verrechnungsverbot in Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung allgemein, aber kein Hinweis auf § 146 Abs. 2 S. 3 AO.3 Der Grund dafür liegt darin, dass es bei der Übertragung von saldierten Positionen ungleich schwerer, wenn nicht gar unmöglich ist, eine Prüfung einzelner Geschäftsvorfälle vorzunehmen. Dies gilt insbesondere für die Prüfung der Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte und im Verhältnis zu nahestehenden Personen. Schließlich deutet auch die Verwendung des Plural („Ergebnisse“) in § 146 Abs. 2 Satz 3 AO darauf hin, dass der Gesetzgeber die Übertragung lediglich einzelner Bilanz- und GuV-Positionen, nicht aber einer Saldogröße erlauben wollte. Bei der Anpassung an inländische Steuervorschriften ist für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, § 1 Abs. 4 und 5 AStG zu beachten, der eine Neuzuordnung von Vermögenswerten bewirken kann und die Erfassung von reinen Innentransaktionen zu Fremdvergleichspreisen erfordert. Diese Zuordnung von Vermögenswerten sowie die Berücksichtigung von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen vollziehen sich jedoch außerhalb der Bilanz.4

13.16

Wurzel von Abgrenzungskonflikten. In der Umrechnung eines nach den Rechnungslegungsgrundsätzen eines Staats ermittelten Gewinns für Zwecke der Gewinnermittlung nach Maß-

13.17

1 2 3 4

So auch BS-VWG, Tz. 1.1.4.2. Vgl. Drüen in T/K, § 146 AO Rz. 35. Vgl. Schmidt/Ries in BeckBilanzkomm10, § 246 Rz. 100–115. Vgl. R 29 Abs. 1 KStR 2004 (R 7.1 Abs. 1 KStR 2015), die in Nr 4 den „Berichtigungsbetrag nach § 1 AStG“ zeigt.

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Kap. 13 Rz. 13.18

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

gabe der steuerrechtlichen Vorschriften des anderen Staats liegt bereits eine Wurzel für später auftauchende Abgrenzungsschwierigkeiten, weil die beteiligten Staaten zwar von dem gleichen Sachverhalt ausgehen, dieser jedoch in den verschiedenen Rechnungslegungswerken unterschiedlich abgebildet sein kann. Ein einschlägiges Beispiel ist das Verfahren in der Rechtssache BIAO, in dem es um die Berücksichtigung von Länderrisiken durch Rückstellungsbildung in der Bilanz der inländischen Zweigniederlassung einer französischen Bank ging.1 Soweit nicht bereits im Veranlagungs- oder Rechtsbehelfsverfahren eine Einigung erzielt werden kann, wären solche Abgrenzungskonflikte im Verständigungsverfahren zu klären, wenn zwischen den beteiligten Staaten ein DBA abgeschlossen worden und für den fraglichen Veranlagungszeitraum bereits in Kraft getreten ist, es sei denn, die Doppelbesteuerung beruht auf voneinander abweichenden innerstaatlichen Gewinnermittlungsvorschriften.2 Soweit die beteiligten Staaten EU-Mitgliedstaaten und die Anwendungsvoraussetzungen der Schiedsverfahrenskonvention3 erfüllt sind, könnte der Steuerpflichtige seinen Antrag auf Vermeidung der Doppelbesteuerung auch unter der Schiedsverfahrenskonvention stellen, wenn diese Doppelbesteuerung wiederum nicht auf voneinander abweichenden steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften beruht.4

13.18 Inländische Personengesellschaften. Die Buchführungspflicht nach § 238 Abs. 1 HGB gilt nach § 6 Abs. 1 HGB auch für inländische Personenhandelsgesellschaften. Nach Auffassung der Finanzverwaltung in Nr. 1 Satz 6 zu § 141 AEAO erstreckt sich die Buchführungspflicht auch auf das Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter einer Personengesellschaft.5 Bei ausländischen Personengesellschaften ist die steuerliche Hilfs- und Nebenrechnung i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 BsGaV unabhängig von der Buchführungspflicht nur insoweit zu erstellen, als diese tatsächlich eine eigene Betriebsstätte im Inland haben.

IV. Ort der Buchführung 13.19 Grundsatz. § 146 Abs. 2 Satz 1 AO sieht vor, dass Bücher und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen im Inland zu führen und aufzubewahren sind. Dieser Grundsatz gilt sowohl für unbeschränkt als auch für beschränkt Steuerpflichtige.6 Soweit allerdings ausländische Betriebsstätten nach dem Recht ihres Ansässigkeitsstaats verpflichtet sind, Bücher und Aufzeich-

1 Vgl. BFH v. 15.9.2004 – I R 5/04, BFH/NV 2005, 421, Tz. II.6.a. = FR 2005, 308 m. Anm. WeberGrellet. 2 So auch BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980, Tz. 2.3 Buchst. a letzter Absatz. 3 Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Fall von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (90/436/EWG) vom 20.8.1990, ABl. EG Nr. L 225/1990, 10; Ratifikation durch Gesetz zu dem Übereinkommen vom 23.7.1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Fall von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen vom 26.8.1993, BStBl. I 1993, 818; BStBl. I 1995, 166; Protokoll zur Änderung des Übereinkommens 1999/C202/01 vom 23.7.1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Fall von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen v. 16.7.1999, ABl. EG Nr. 1999/C202/01 – umgesetzt durch Gesetz v. 17.12.1999, BGBl. II 1999, 1082. 4 So auch BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980, Tz. 2.3 Buchst. a letzter Absatz. 5 A.A. Brandenberg, JbFfStR 1993/94, 300; Schön, DStR 1993, 185 (193); Rose in FS Moxter, 1089, 1105. 6 Vgl. für inländische Betriebsstätten BS-VWG, Tz. 1.1.3.2.

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B. Buchführungspflicht

Rz. 13.20 Kap. 13

nungen zu führen, und diese Verpflichtung erfüllen, erstreckt sich die Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Büchern und Aufzeichnungen nach § 146 Abs. 2 Satz 2 AO lediglich auf den inländischen Teil eines Betriebs, d.h. das inländische Stammhaus.1 Der Steuerpflichtige ist berechtigt, die Ergebnisse der ausländischen Buchführung in die Buchführung des Gesamtunternehmens zu übernehmen, Anpassungen an die inländischen steuerrechtlichen Vorschriften vorzunehmen und kenntlich zu machen. Die damit verbundene Erleichterung besteht in erster Linie in dem Verzicht der deutschen Finanzverwaltung auf die doppelte Aufbewahrung von Buchungsunterlagen zum selben Sachverhalt im Aus- und im Inland. Die Aufzeichnungen über die Übernahme des Ergebnisses der ausländischen Betriebsstätte, dessen Anpassung und die Kenntlichmachung der Anpassung sind nach wie vor im Inland zu führen und unterliegen dort der Aufbewahrungspflicht. Der vorstehende Grundsatz gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige nicht verpflichtet ist, Bücher und Aufzeichnungen zu führen, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, d.h., wenn der Steuerpflichtige freiwillig Bücher und Aufzeichnungen führt (vgl. § 146 Abs. 6 AO.). Die Ausdehnung der Ordnungsvorschriften auf freiwillig geführte Bücher und Aufzeichnungen ist sinnvoll, da sie – ausgehend von der angenommenen Beweiskraft der Buchführung – zur gemeinsamen Aufklärung des Sachverhalts beiträgt,2 der der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Für den umgekehrten Fall einer inländischen Betriebsstätte gilt die Erleichterung auch dann nicht, wenn das ausländische Einheitsunternehmen nach dem Recht seines Ansässigkeitsstaats verpflichtet ist, Bücher und Aufzeichnungen zu führen und dieser Verpflichtung auch nachkommt.3 Buchführungspflichtige inländische Betriebsstätten ausländischer Steuerpflichtiger haben ihre Bücher und Aufzeichnungen jedenfalls im Inland zu führen und aufzubewahren. Trzaskalik hat jedoch Zweifel an der Richtigkeit dieser Auffassung. Seiner Ansicht nach sollte entgegen der h.M. generell auf die Vorlagefähigkeit abgestellt werden und eine Erleichterung i.S.d. § 148 Satz 1 AO nicht nur im Falle besonderer Härten gewährt werden.4 Verlagerung der elektronischen Buchführung ins Ausland. Mit dem Jahressteuergesetz 2009 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, dass ein Steuerpflichtiger im Einvernehmen mit den Finanzbehörden seine elektronischen Bücher und sonstigen erforderlichen elektronischen Aufzeichnungen im Ausland führt und verwaltet.5 Dazu müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein (vgl. § 146 Abs. 2a Satz 2 AO): 1. Der Steuerpflichtige muss der zuständigen Finanzbehörde den Standort des Datenverarbeitungssystems und bei Beauftragung eines Dritten dessen Namen und Anschrift mitteilen. Entsprechende Änderungen sind den Finanzbehörden unverzüglich anzuzeigen. 2. Der Steuerpflichtige muss seinen sich aus den §§ 90, 93, 97, 140 bis 147 und 200 Abs. 1 und 2 AO ergebenden Pflichten ordnungsgemäß nachgekommen sein.

1 Vgl. dazu Drüen in T/K, § 146 AO Rz. 33; Übersicht bei IdW, FG Rheinland-Pfalz v. 26.5.1987 – 2 K 97/86, DB 1988, 312. 2 Vgl. zum Zusammenwirken des Amtsermittlungsgrundsatzes und den bei Auslandssachverhalten erhöhten Mitwirkungspflichten Seer in T/K, § 90 AO Rz. 20; zu den aus der Verletzung der erhöhten Mitwirkungspflicht erwachsenden Implikationen Seer in T/K, § 162 AO Rz. 32–37. 3 Ebenso Schröder/Strunk in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.49. 4 Zitiert in Drüen in T/K, § 146 AO Rz. 38; a.A. Görke in H/H/Sp, § 146 AO Rz. 56. 5 Vgl. u.a. Hannig, NWB 2013, 3604; Lange/Rengier, DB 2009, 1256; Melan/Karrenbrock, StBp 2009, 355; Ravenstein, BB 2008, 2226; Schubert/Penner/Ravenstein, DStR 2008, 632.

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Kap. 13 Rz. 13.20

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

3. Der digitale Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO muss in vollem Umfang möglich sein.1 4. Die Besteuerung darf durch die Verlagerung nicht beeinträchtigt werden.2 Zweck der Norm ist die Erleichterung der Buchführung und insbesondere der Speicherung der Unterlagen für global operierende Konzerne bei gleichzeitiger Sicherstellung des Datenzugriffs durch die Finanzbehörden für Zwecke der Prüfung der steuerlich relevanten Sachverhalte.3 Daher erfolgt eine Bewilligung zur Verlagerung nur an Steuerpflichtige, die sich in der Vergangenheit kooperativ gezeigt haben und ihren steuerlichen Pflichten nachgekommen sind, da in diesem Fall anzunehmen ist, dass sie ihre Mitwirkungspflichten auch in Zukunft erfüllen.4 Die Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme (GoBS)5 sind zum einen auch nach der Verlagerung zu erfüllen. Zum anderen darf es zu keiner Beeinträchtigung der Besteuerung kommen. Die Prüfung, ob die Besteuerung durch die Verlagerung der elektronischen Buchführung beeinträchtigt ist, bezieht sich nicht nur auf die Erfüllung der steuerlichen Buchführungs- und Aufzeichnungsplichten, sondern umfasst die Erfüllung sämtlicher steuerlichen Pflichten, die auch die allgemeinen Mitwirkungspflichten und die Aufbewahrungs-, Auskunfts- und Vorlagepflichten beinhalten. Nach Auffassung der Finanzverwaltung können bspw. Umstände wie ein nicht ordnungsgemäßes Abgabeverhalten des Steuerpflichtigen, die Einleitung von Steuerstrafverfahren oder Steuerordnungswidrigkeitenverfahren der Bußgeld- und Strafsachenstelle oder der Steuerfahndung die Notwendigkeit von Vollstreckungsverfahren wegen unzureichender Erfüllung von eigenen steuerlichen Zahlungspflichten, Verstöße gegen die Anzeigepflicht gem. § 138 Abs. 2 AO in Form der Unterlassung der Meldung von ausländischen Gesellschaftsbeteiligungen sowie das Fehlen eines DBA mit großer Auskunftsklausel mit dem Verlagerungsstaat von Bedeutung sein.6 Die Praxis zeigt, dass zahlreiche Unternehmen mit verlagerten Buchführungen immense Probleme haben, die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung belegen zu können und sich der unmittelbaren Gefahr der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ausgesetzt sehen. Kurzfristige Kosteneinsparun-

1 Siehe dazu BMF v. 14.11.2014 – IV A 4 - S 0316/13/10003 – DOK 2014/0353090, BStBl. I 2014, 1450 bzw. BMF v. 16.7.2001 – IV D 2 - S 0316 – 136/01, BStBl. I 2001, 415 für Veranlagungszeiträume, die vor dem 1.1.2015 begonnen haben. 2 In der bis zum 13.12.2010 gültigen Fassung des Paragrafen wurde als zusätzliche Voraussetzung für die Bewilligung der Verlagerung verlangt, dass der Steuerpflichtige die Zustimmung zur Durchführung eines Zugriffs auf elektronische Bücher und sonstige erforderliche elektronische Aufzeichnungen der zuständigen Stelle des Staats vorlegt, in den die elektronischen Bücher und Aufzeichnungen verlagert werden sollen. Diese Forderung wurde in der Literatur scharf kritisiert (vgl. u.a. Ravenstein, Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling 2009, 59). Nicht zuletzt die ungeklärte Frage, welche Stelle im jeweiligen ausländischen Staat für eine solche Zustimmung zuständig sein sollte, hat die Finanzbehörden wohl zum Einlenken, d.h. zur Streichung des Zustimmungserfordernisses, bewogen (so andeutungsweise das Vorwort zu LfSt Bayern v. 20.1.2017 – S 0316.1.1 – 3/5 St 42). Siehe für vor dem 14.12.2010 bewilligte bzw. abgelehnte Anträge in Bezug auf die Privilegierung bestimmter Zielstaaten und das Erfordernis der Zustimmung Drüen in T/K, § 146 AO Rz. 44 ff. 3 Vgl. BT-Drucks. 16/10189, 81. 4 Vgl. Cöster in König3, § 146 AO Rz. 29. 5 Vgl. BMF v. 14.11.2014 – IV A 4 - S 0316/13/10003 – DOK 2014/0353090, BStBl. I 2014, 1450 bzw. BMF v. 7.11.1995 – IV A 8 - S 0316 – 52/95, BStBl. I 1995, 738 für Veranlagungszeiträume, die vor dem 1.1.2015 begonnen haben; s. auch LfSt Bayern v. 20.1.2017 – S 0316.1.1 – 3/5St 42, Tz. 2. 6 Vgl. LfSt Bayern v. 20.1.2017 – S 0316.1.1 – 3/5 St 42, Tz. 4. Ebenso FM Schleswig-Holstein v. 1.3.2012 – VI 328 – S 0316 – 032, Tz. III.b.

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B. Buchführungspflicht

Rz. 13.21 Kap. 13

gen entpuppen sich hier später als Bumerang, wenn die steuerlichen Folgekosten zu einer Überkompensation führen. Die Bewilligung zur Verlagerung der Buchführung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörden (§ 5 AO). Wenn die o.g. Voraussetzungen allerdings allesamt erfüllt sind, reduziert sich der Ermessensspielraum der Finanzbehörde auf null und sie hat die Verlagerung zu bewilligen, da die gesetzliche Regelung sonst ins Leere liefe.1 Die Bewilligung der Verlagerung kann nur auf schriftlichen Antrag2 des Steuerpflichtigen hin erfolgen, wobei für jeden Steuerpflichtigen (auch bei einem Konzernverbund) ein gesonderter Antrag erforderlich ist.3 Für die Bewilligung der Verlagerung ist das örtlich zuständige Finanzamt verantwortlich. Bei Konzernen i.S.d. §§ 13 und 18 Satz 1 Nr. 1 BpO ist vor einer abschließenden Entscheidung das für die Besteuerung des herrschenden oder einheitlich leitenden Unternehmens zuständige Finanzamt zu beteiligen.4 Die Finanzverwaltung kann keine Bewilligungen erteilen, die sich auf den Bereich der Zollverwaltung erstrecken.5 Die Bewilligung des Antrags ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 118 AO, gegen den im Falle der Ablehnung ein Einspruch i.S.d. § 347 AO bzw. nachfolgend ein gerichtlicher, den Rahmen des § 102 FGO beachtender Rechtsbehelf eingelegt werden kann. Umfang der bewilligungsfähigen Verlagerung der Buchführung. Der Regelungsbereich der Norm bezieht sich nur auf die „elektronische“ Buchführung, d.h., dass Papierunterlagen weiterhin im Inland aufzubewahren sind.6 Konkret bedeutet dies, dass das Sammeln und Ordnen der Originalbelege ohne Ausnahme im Inland zu erfolgen hat. Das Kontieren der Belege darf nur dann im Ausland erfolgen, wenn diese Tätigkeit durch Personal erfolgt, das deutsches Bilanz- und Steuerrecht und die deutsche Sprache beherrscht und über hinreichende Branchenkenntnisse verfügt.7 Außerdem muss gewährleistet sein, dass die Originalbelege im Inland verbleiben8 und der Steuerpflichtige zumindest stichprobenweise die zutreffende Kontierung der in Kopie überlassenen Belege überprüft. Unter den allgemeinen Regelungen zur Aufbewahrungspflicht können jedoch bei Aufbewahrung von Bild- und Datenträgern (vgl. § 147 Abs. 2 AO) die Originalbelege vernichtet werden.9 Nicht in Bezug auf jegliche buchhalterische Tätigkeit, die sich elektronischer Hilfsmittel bedient, ist eine Bewilligung seitens der Finanzverwaltung erforderlich. Vielmehr ist der gesetzliche Anwendungsbereich eng auszulegen. Die Vorschrift greift ein, wenn bereits erfasste Daten in Bucheinträge umgewandelt und elektronisch gespeichert werden.10 Von Entscheidung ist, in welchem Land der zentrale Server steht, über den die Buchhaltungs-Software abgewickelt wird. Diese Auslegung wird auch durch den Wortlaut unterstützt, da diese nur die Mitteilung über den Standort des Datenverarbeitungs-

1 Vgl. Lange/Rengier, DB 2009, 1256. 2 Siehe in Bezug auf Formulierungsbeispiele für einen Bewilligungsantrag Hannig, NWB 2013, 4072. 3 Vgl. FM Schleswig-Holstein v. 1.3.2012 – VI 328 – S 0316 – 032, Tz. II.2. 4 Vgl. LfSt Bayern v. 20.1.2017 – S 0316.1.1 – 3/5 St 42, Tz. 3. 5 Vgl. BT-Drucks. 17/2249, 87. 6 Vgl. BT-Drucks. 16/10189, 81; LfSt Bayern v. 20.1.2017 – S 0316.1.1 – 3/5 St 42, Tz. 1. 7 Vgl. Drüen in T/K, § 146 AO Rz. 31. 8 Vgl. Drüen in T/K, § 146 AO Rz. 41; Kuhfus in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO21, § 146 AO Rz. 14b. 9 Vgl. Ravenstein, BB 2008, 2226 (2227 f.); Drüen in T/K, § 146 AO Rz. 41. 10 So auch Lange/Rengier, DB 2009, 1256 (1257). Siehe auch Drüen in T/K, § 146 AO Rz. 42 für eine ausführliche Diskussion in Bezug auf die Bewilligungsfähigkeit zur Verlagerung von einzelnen buchhalterischen Tätigkeiten.

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13.21

Kap. 13 Rz. 13.22

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

systems verlangt und nicht, wo entsprechende Mitarbeiter der Buchhaltungsabteilung tätig werden.1 Bei Zweifelsfragen über den Umfang der bewilligungsfähigen Tätigkeiten, die im Ausland durchgeführt werden, sollte sich der Steuerpflichtige mit der Finanzverwaltung bereits im Planungsprozess der Verlagerung der Buchführung absprechen. Die nachfolgende Tabelle fasst die Tätigkeiten im Rahmen der Buchführung und deren Ort der Durchführung zusammen: Tätigkeit

Inland

Sammeln und Ordnen der Originalbelege

X

Ausland

Kontieren der Belege

X*

Erfassung der kontierten Belege

X*

Verarbeitung der Daten

X*

* Die Durchführung der Tätigkeit im Ausland ist an die Bewilligung der Finanzbehörden geknüpft.

13.22 Widerruf der Bewilligung und Verlangen auf Rückverlagerung der Buchführung. Werden der Finanzbehörde Umstände bekannt, die zu einer Beeinträchtigung der Besteuerung führen, hat sie die Bewilligung zu widerrufen und die Rückverlagerung der elektronischen Bücher und sonstigen erforderlichen elektronischen Aufzeichnungen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes zu verlangen (vgl. § 146 Abs. 2a Satz 3 AO). Die Rückverlagerung hat unverzüglich zu erfolgen. Die Regelungen zur Bewilligung der elektronischen Buchführung enthalten keine Übergangsfristen in Bezug auf bereits erfolgte Verlagerungen. Daher haben auch solche Unternehmen einen Antrag auf Bewilligung der Verlagerung der elektronischen Buchführung ins Ausland zu stellen, die ihre elektronische Buchführung bereits vor dem Inkrafttreten der neuen Regelung des § 146 Abs. 2a AO am 25.12.20082 ins Ausland verlagert hatten. Die Aufforderung zur Rückverlagerung allein wegen eines fehlenden Antrags ist jedoch unverhältnismäßig.3

13.23 Verzögerungsgeld. Hat der Steuerpflichtige seine Buchführung ohne Bewilligung der Finanzbehörden ins Ausland verlagert oder kommt er der Aufforderung zur Rückverlagerung seiner elektronischen Buchführung nicht nach, kann die Finanzbehörde gem. § 146 Abs. 2b AO ein Verzögerungsgeld i.H.v. 2 500 bis 250 000 Euro festsetzen. Die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes kommt auch in Betracht, wenn der Steuerpflichtige es versäumt, der zuständigen Finanzbehörde eine Änderung des Standorts des Datenverarbeitungssystems unverzüglich mitzuteilen, wenn er trotz Aufforderung den digitalen Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO nicht einräumt oder innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist seiner Mitwirkungspflicht in einer Außenprüfung i.S.d. § 200 Abs. 1 AO nicht nachkommt (vgl. zum letztgenannten Punkt ausführlich Rz. 13.205). Die Festsetzung des Verzögerungsgeldes steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörden (Entschließungs- und Auswahlermes-

1 Ebenso Ravenstein, BC 2009, 59, der als Gestaltungsalternative für eine kostenorientierte Verlagerung von Buchführungstätigkeiten in Niedriglohnländer vorschlägt, den Datenserver im Inland zu belassen, wodurch es sich im Umkehrschluss der Norm um eine Inlandsbuchführung handelt; vgl. auch Melan/Karrenbrock, StBp 2009, 355 (358); Ravenstein, BB 2008, 2226 (2227); Schubert/ Penner/Ravenstein, DStR 2008, 632 (634). 2 Vgl. Art. 39 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Nr. 8 des JStG 2009, BGBl. I 2008, 2794. 3 Vgl. LfSt Bayern v. 20.1.2017 – S 0316.1.1 – 3/5 St 42, Tz. 6.

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B. Buchführungspflicht

Rz. 13.25 Kap. 13

sen), wobei insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten ist,1 und stellt einen Verwaltungsakt i.S.d. § 118 AO dar. Im Gegensatz dazu kommt der bloßen Ankündigung, ein Verzögerungsgeld festsetzen zu wollen, für sich genommen nicht die Qualität eines Verwaltungsakts zu, auch wenn sie mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist.2 Das Verzögerungsgeld ist als steuerliche Nebenleistung eine nicht-abzugsfähige Betriebsausgabe i.S.d. § 12 Nr. 3 EStG bzw. § 10 Nr. 2 KStG i.V.m. § 3 Abs. 4 AO. Bewilligung von weitergehenden Erleichterungen. Neben der Möglichkeit, gem. § 146 Abs. 2a AO einen Antrag auf Verlagerung der elektronischen Buchführung ins Ausland zu bewilligen, räumt § 148 Satz 1 AO den Finanzbehörden weiterhin die Möglichkeit ein, für Einzelfälle oder für Fallgruppen Erleichterungen zu bewilligen, wenn die Einhaltung der gesetzlichen steuerlichen Buchführungs-, Aufzeichnungs- oder Aufbewahrungspflichten Härten mit sich bringt und die Besteuerung durch die Erleichterung nicht beeinträchtigt wird. Die BSVWG weisen auf diese Möglichkeit explizit hin.3 Damit besteht eine gesetzliche Grundlage für eine Verlagerung auch solcher Buchführungstätigkeiten ins Ausland, die nicht der elektronischen Buchführung zuzuordnen sind, wenn deren Durchführung im Inland für den Steuerpflichtigen eine Härte darstellt.4 Eine Erleichterung soll nur auf Antrag des Steuerpflichtigen bewilligt werden5 und kann sich nur auf die steuerlichen Pflichten erstrecken. Pflichten, die sich aus außersteuerlichen Vorschriften ergeben, bleiben davon unberührt.6 In der Vergangenheit haben die Finanzbehörden Steuerpflichtige von der Führung und/oder Aufbewahrung von Büchern und Aufzeichnungen im Inland in aller Regel nicht entbunden, weil in dieser Verpflichtung keine sachliche Härte begründet liegt und sie nicht nur formalen Charakter hat.7 Der Zweck der Ausgangsvorschrift § 146 Abs. 2 Satz 1 AO ist es, den Zugang zu denjenigen Büchern und Aufzeichnungen im Inland sicherzustellen, die für Prüfungszwecke vorzuhalten sind. Soweit ein solcher Zugang für das Besteuerungsverfahren, insbesondere die Durchführung einer steuerlichen Außenprüfung, gewährleistet ist, spricht nichts gegen eine weniger restriktive Handhabung der Bewilligung von Erleichterungen nach § 148 Satz 1 AO, zumal der Nachteil ohnehin vom Steuerpflichtigen zu tragen ist wie Rz. 13.23 zeigt.8

13.24

Implikationen des Unionsrechts. Manche Stimmen im Schrifttum9 sehen die Anwendung der Tz. 1.1.3.2 BS-VWG und damit wohl auch des § 146 Abs. 2 bzw. § 148 Satz 1 AO gegenüber EU-/EWR-Staaten als unionsrechtswidrig an, da darin eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit i.S.d. Art. 49 AEUV (früher Art. 43 EG) liege. Sie beziehen sich dabei vor allem auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Futura und Singer.10 Diese Schlussfolge-

13.25

1 Vgl. zur Ermessensentscheidung BFH v. 24.4.2014 – IV R 25/11, BStBl. II 2014, 819; v. 28.8.2012 – I R 10/12, BStBl. II 2013, 266. 2 Vgl. BFH v. 28.8.2012 – I R 10/12, BStBl. II 2013, 266. 3 Vgl. BS-VWG, Tz. 1.1.3.2. 4 Vgl. Drüen in T/K, § 148 AO Rz. 9a. 5 Vgl. AEAO zu § 148, Satz 4. 6 Vgl. Schwarz in Schwarz/Pahlke, § 148 AO Rz. 8. 7 Vgl. OFD Düsseldorf v. 2.9.1997 – S 0319 – 1 – St 2223, DB 1997, 1896. 8 So enthält Satz 6 zu § 140 AEAO einen Hinweis auf die Möglichkeit, die Besteuerungsgrundlagen nach Maßgabe des § 162 Abs. 2 AO zu schätzen. 9 Vgl. Kumpf/Roth, DB 2000, 741 (743); ihnen wohl folgend Balmes in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 210; Kessler/Spengel, DB 2003, Beilage 5, 8; a.A. OFD Düsseldorf v. 2.9.1997 – S 0319 – 1 – St 2223, DB 1997, 1896. 10 Vgl. EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura, ECLI:EU:C:1997:239 = FR 1997, 567 m. Anm. Dautzenberg und Singer, DB 1997, 1211; Besprechung bei Saß, DB 1997, 1533.

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Kap. 13 Rz. 13.26

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

rung ist jedoch verfehlt, weil es in der Entscheidung des EuGH gerade nicht um den Ort der Buchführung selbst ging, sondern die daran geknüpften Rechtsfolgen.1 Vergleicht man hingegen einen Steuerpflichtigen, der seine Bücher und Aufzeichnungen im Ausland führt und aufbewahrt, mit einem Steuerpflichtigen, der dies im Inland tut, so sind die Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Ordnungsvorschriften die gleichen. Es ist lediglich anzunehmen, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Verstoß bei einer Verlagerung in das Ausland höher ist. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, dass § 148 Satz 1 oder § 146 Abs. 2 Satz 1 AO unionsrechtswidrig ist.2 Vor dem Hintergrund der europarechtlichen Grundfreiheiten sollte die Verlagerung der Buchführung in einen anderen EU-Mitgliedstaat seitens der Finanzverwaltung wenig restriktiv behandelt werden, da es allein durch das Erfordernis zur Bewilligung zu einer Diskriminierung der grenzüberschreitenden Verlagerung gegenüber einer rein inländischen Reorganisation der Buchführung kommt. Sofern der Eingriff in die Grundfreiheiten durch das Erfordernis einer wirksamen Steueraufsicht gerechtfertigt ist, sollte eine Bewilligung nur versagt werden, sofern die Wirksamkeit der Steueraufsicht durch die Verlagerung objektiv gefährdet erscheint.

13.26 Implikationen des elektronischen Datenzugriffs. Balmes vertritt die Auffassung,3 dass die in der Verfügung der OFD Düsseldorf vom 2.9.1997 zum Ausdruck kommende Verwaltungsmeinung, dass die Führung und Aufbewahrung von Büchern und Aufzeichnungen im Inland keine sachliche Härte begründet, deshalb überholt sei, weil § 147 Abs. 6 AO der Finanzverwaltung seit dem 1.1.2002 den elektronischen Zugriff auf besteuerungsrelevante Unterlagen des Steuerpflichtigen erlaubt (GDPdU). Dem ist aus zwei Gründen nicht zuzustimmen. Zum einen tritt diese neue Prüfungsmethode, wie Balmes selbst feststellt, neben die Möglichkeit der herkömmlichen Prüfung, so dass die kritisierte Verwaltungsmeinung sehr wohl noch Bestand haben kann. Zum anderen bezieht sich der elektronische Datenzugriff auf eine Datenbasis, die durch die oben beschriebenen Arbeitsschritte (s. Tabelle in Rz. 13.21) erst entsteht. Die Qualität dieser Datenbasis hängt jedoch in erheblichem Maße von den Vorarbeiten ab. Dies spricht für die fortgesetzte Gültigkeit der Anforderungen an eine Verlagerung des Orts der Buchführung und an die Aufbewahrung von Büchern und Aufzeichnungen.

13.27 Implikationen der sphärenorientierten Beweislastverteilung. Die von Seer4 entwickelte sphärenorientierte Beweislastverteilung besagt, dass der Steuerpflichtige die Nachteile zu tragen hat, die er zu verantworten hat. Wenn und soweit der Ort der Buchführung im Ausland liegt und der Steuerpflichtige deshalb seinen steuerlichen Pflichten nicht nachkommt, hat er die Konsequenzen zu tragen. Angesichts dieses Umstandes und der Tatsache, dass die Globalisierung Unternehmen dazu zwingt, deren Funktionen zusammenzulegen, stellt sich die Frage, ob eine flexiblere Regelung bzw. Handhabung der Wahl des Ortes der Buchführung durch den Gesetzgeber und die Finanzverwaltung nicht zeitgemäßer wäre. Gleichzeitig zeigt die Erfahrung, dass verlagerte Buchführungen in zunehmendem Maße nicht mehr prüfbar sind, was Steuerpflichtige der Gefahr der Schätzung aussetzt.

1 Ebenso differenzierend Saß, DB 1997, 1533 (1534). 2 Gl.A. zumindest hinsichtlich § 148 Abs. 1 AO Münch, DB 2000, 2140. Auch Kessler und Spengler führen den § 148 AO nicht in ihrer Auflistung potentiell europarechtswidriger Steuernormen auf; vgl. Kessler/Spengler, DB 2013, Beilage 1 zu Heft 4. 3 Balmes in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 209. 4 Vgl. Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, Habil. Köln 1996, 196 ff.; Seer, StuW 1995, 213; Eckhoff, StuW 1996, 107 (109 ff.); Seer, FR 1997, 553 (557 ff.).

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C. Bilanzierungspflicht

Rz. 13.30 Kap. 13

C. Bilanzierungspflicht I. Gesetzliche Grundlagen Handelsrecht. Jeder Kaufmann hat nach § 242 Abs. 1 HGB zu Beginn seines Handelsgewerbes und für den Schluss jedes Geschäftsjahrs eine Bilanz aufzustellen. Die einschlägigen Ansatz- und Bewertungsvorschriften ergeben sich aus §§ 246 bis 256a HGB.1

13.28

Steuerrecht. Soweit eine Bilanzierungspflicht nach Handelsrecht besteht, gilt diese wegen § 140 AO auch für das Steuerrecht. Auch § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG knüpft für Gewerbetreibende hinsichtlich der Pflicht zur Bilanzierung an das Handelsrecht an und erweitert außerdem den Kreis der nach Steuerrecht Bilanzierungspflichtigen um diejenigen, die freiwillig Bücher führen und Abschlüsse machen. Daneben besteht Bilanzierungspflicht nach § 141 Abs. 1 AO für diejenigen gewerblichen Unternehmen und Land- und Forstwirte, die einen Betrieb unterhalten, der eines der Größenmerkmale dieser Vorschrift übersteigt (s. dazu Rz. 13.13). Die Buchführungspflicht nach § 141 AO beginnt mit dem ersten Tag des Wirtschaftsjahrs, das auf die Mitteilung der Finanzbehörde folgt, dass die Voraussetzungen für die Bilanzierung erfüllt sind. Sie endet mit Ablauf des Wirtschaftsjahrs, das auf das Wirtschaftsjahr folgt, in dem die Finanzbehörde feststellt, dass die Voraussetzungen für die Bilanzierung nicht mehr erfüllt sind (vgl. § 141 Abs. 2 AO).

13.29

E-Bilanz. Durch § 5b EStG sind Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1, § 5 oder § 5a EStG ermitteln, für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2011 beginnen, verpflichtet, den Inhalt der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz2 durch Datenfernübertragung zu übermitteln.3 Dies gilt auch für Betriebsstätten und deren E-Bilanz.4 Zu übermitteln ist entweder die handelsrechtliche Bilanz nebst der steuerlichen Überleitungsrechnung i.S.d. § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV oder direkt eine Steuerbilanz, die den Vorgaben der Taxonomie entspricht5 Die Regelung umfasst auch die elektronische Übermittlung von Bilanzen anlässlich einer Betriebsaufgabe i.S.d. § 16 Abs. 3 und

13.30

1 Ergänzende Vorschriften für Kapitalgesellschaften finden sich in §§ 264 ff. HGB. Zur Gliederung der Bilanz vgl. insbesondere § 266 HGB. Weitere Ergänzungen für spezielle Wirtschaftszweige finden sich in §§ 340–340o HGB (Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute), in §§ 341–341p (Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds) und in §§ 341q–341r (bestimmte Unternehmen des Rohstoffsektors). 2 Vgl. BMF v. 19.1.2010 – IV C 6 - S 2133-b/0 – DOK 2009/0865962, BStBl. I 2010, 47, in dem der Standard XBRL (eXtensible Business Reporting Language) als Übermittlungsformat verbindlich festgelegt wird. 3 Vgl. für einen Überblick über die Regelungen zur E-Bilanz u.a. Engelberth, StBp 2013, 160 (Teil I)/193 (Teil II) und Merker, StW 2013, 83; Herzig/Briesemeister/Schäperclaus, DB 2010, Beilage 5. Vgl. umfassend Bongaerts/Neubeck, E-Bilanz – Erläuterungen und Anleitungen zur Taxonomie, 4. Aufl. 2015. 4 Vgl. Herzogenrath in Ebner et al., E-Bilanz, München 2013, A Rz. 26. 5 Sofern der Steuerpflichtige eine Handelsbilanz mit einer steuerlichen Überleitungsrechnung elektronisch übermittelt, sind Heinsen und Adrian der Ansicht, dass lediglich die steuerliche Überleitungsrechnung dem Schema der Steuer-Taxonomie entsprechen muss; vgl. Heinsen/Adrian, DStR 2010, 2591 (2594). Dies wird durch die FAQ zur E-Bilanz (abrufbar unter www.esteuer.de) in Abschnitt 4k bestätigt. Danach wird nicht beanstandet, wenn die Handelsbilanz nicht in der geforderten Mussfeldtiefe übermittelt wird, diese aber durch die Umgliederung innerhalb der „Steuerlichen Modifikationen“ erreicht wird.

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Kap. 13 Rz. 13.30

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

3a EStG und in Umwandlungsfällen,1 und sie erstreckt sich auch auf die Entwicklung der Kapitelkonten bei Personengesellschaften sowie auf die Sonder- und Ergänzungsbilanzen von Mitunternehmerschaften.2 Die von der Finanzverwaltung herausgegebenen Taxonomien stellen das Datenschema für die Jahresabschlussdaten dar, das die verschiedenen Bilanzpositionen und Positionen der Gewinn- und Verlustrechnung definiert, hierarchisch gliedert und rechnerisch miteinander verknüpft. Neben der sog. Kerntaxonomie hat die Finanzverwaltung für bestimmte Wirtschaftszweige spezielle Branchentaxonomien herausgegeben.3 Dies betrifft insbesondere Spezialtaxonomien für Banken, Versicherungen und Zahlungsinstitute sowie Ergänzungstaxonomien bspw. für die Wohnungswirtschaft oder die Land- und Forstwirtschaft. Die Taxonomien enthalten in den sog. „Mussfeldern“ den Mindestumfang der elektronisch zu übermittelnden Daten i.S.d. § 51 Abs. 4 Nr. 1b i.V.m. § 5b EStG. Der Steuerpflichtige hat jeweils die für ein Wirtschaftsjahr veröffentlichte Taxonomie zu verwenden,4 wobei die Finanzverwaltung es bisher regelmäßig nicht beanstandet, wenn der Steuerpflichtige die entsprechende Taxonomie auch für das jeweils vorangegangene Wirtschaftsjahr verwendet. „Auffangpositionen“ mildern Härten in denjenigen Fällen ab, in denen die ordnungsgemäße individuelle Buchführung des Steuerpflichtigen die Daten in den von der Finanzverwaltung geforderten Mussfeldern der elektronischen Taxonomien nicht enthält und diese auch nicht ableitbar sind.5 Das BMF hat klargestellt, dass es – anders als in der Literatur zuweilen befürchtet – dauerhaft Auffangpositionen geben wird.6 Da die Mussfelder der Taxonomien im Vergleich zu den handelsrechtlichen Posten der Bilanz i.S.d. § 266 HGB und der Gewinnund Verlustrechnung i.S.d. § 275 HGB eine deutlich gesteigerte Gliederungstiefe aufweisen, kommt es durch die Einführung der E-Bilanz nicht nur zu einer Standardisierung der steuerlichen Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich, sondern diese versetzt die Finanzbehörden in die Lage, die elektronisch übermittelte Gewinnermittlung einer unter Risikoaspekten optimierten Prüfung zu unterziehen.7 Diese Digitalisierung bereitet auch den Weg in den automationsgestützen Erlass von Steuerbescheiden.8 War ursprünglich in § 52 Abs. 15a EStG vorgesehen, die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung von Bilanz und Gewinnund Verlustrechnung erstmals auf Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2010 be-

1 BMF v. 28.9.2011 – IV C 6 – S2133-b/11/10009 – DOK 2011/0770620, BStBl. I 2011, 855, Tz. 1; v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Tz. 03.04. 2 BMF v. 28.9.2011 – IV C 6 – S2133-b/11/10009 – DOK 2011/0770620, BStBl. I 2011, 855, Tz. 20 ff. Siehe auch Schäperclaus/Hülshoff, DB 2014, 2601; Schäperclaus/Hülshoff, DB 2014, 2781. 3 Alle Taxonomien stehen in elektronischer Form unter http://www.esteuer.de/#ebilanz zum Download bereit. Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2016 beginnen, ist die Taxonomie 6.0 zu verwenden, die auch für die Wirtschaftsjahre 2016 oder 2016/17 verwendet werden kann; vgl. BMF v. 24.5.2016 – IV C 6 - S 2133 - b/16/10001 :001 – DOK 2016/0475818, BStBl. I. 2016, 500. 4 BMF. v. 5.6.2012 – IV C 6 – S2133-b/11/10016, BStBl. I 2012, 598. 5 Vgl. BMF v. 28.9.2011 – IV C 6 – S2133-b/11/10009 – DOK 2011/0770620, BStBl. I 2011, 855, Tz. 19. Vgl. hierzu auch Arnold/Schumann, DStZ 2011, 812 (815); Birk/Mühleis, StBW 2011, 988 (993); Jansen/Polka, DStR 2011, 1821; Schäperclaus/Kruczynski, DB 2013, 2573. 6 Vgl. Pressemitteilung 21/2012 des BMF v. 30.5.2012, Die E-Bilanz kommt wie geplant – alle Erleichterungen gelten auf Dauer. Vgl. auch Abschnitt 4g des FAQ zur E-Bilanz (abrufbar unter www.esteuer.de), in dem die Finanzverwaltung allerdings andeutet, dass sich die Anzahl der Auffangpositionen im Zeitablauf verringern wird. Siehe auch Kowallik/Bongaerts, DB 2016, Beilage 04, 8 (9). 7 Vgl. Kowallik in Bongaerts/Neubeck, E-Bilanz – Erläuterungen und Anleitungen zur Taxonomie4, 583; Engelberth, StBp 2013, 160 (160); Richter/Kruczynski/Kurz, BB 2010, 2489 (2490). 8 Vgl. Kowallik, DB 2016, 133 (134).

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C. Bilanzierungspflicht

Rz. 13.31 Kap. 13

ginnen, wurde durch die Anwendungszeitpunktverschiebungsverordnung (AnwZpvV)1 die Einführung um ein Jahr verschoben, so dass die Regelungen zur E-Bilanz erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden sind, die nach dem 31.12.2011 beginnen. Es wird jedoch seitens der Finanzverwaltung nicht beanstandet, wenn für das erste Wirtschaftsjahr, das nach dem 31.12.2011 begonnen hat, die Gewinnermittlung noch nicht elektronisch nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz übermittelt wird (Nichtbeanstandungsregelung für 2012).2 Die Kapitalkontenentwicklung für Personenhandelsgesellschaften und andere Mitunternehmerschaften ist für die verpflichtende Übermittlung erst für Wirtschaftsjahre vorgesehen, die nach dem 31.12.2014 beginnen.3 In Bezug auf die Übermittlung von Sonder- und Ergänzungsbilanzen wird nicht beanstandet, wenn diese für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.1.2015 geendet haben, in dem Freitextfeld „Sonder- und Ergänzungsbilanzen“ im Berichtsbestandteil „Steuerliche Modifikationen“ übermittelt werden.4 Auf Antrag kann die Finanzbehörde zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine elektronische Übermittlung verzichten (§ 5b Abs. 2 Satz 1 EStG), wobei im Schrifttum kritisiert wird, dass unklar bleibt, auf welchen Kriterien eine Härtefallentscheidung basiert.5 Der Steuerpflichtige hat dann jedoch gem. § 60 Abs. 1 EStDV eine Abschrift der Bilanz vorzulegen, wenn er seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1, § 5 oder § 5a EStG ermittelt. Die Hilfs- und Nebenrechnung i.S.d. § 3 BsGaV für Betriebsstätten ist nicht von der Verpflichtung erfasst, nach § 5b EStG im Wege der Datenfernübertragung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz übermittelt zu werden, weil die Betriebsstättengewinnermittlung in der Hilfs- und Nebenrechnung sich ausweislich R 29 Abs. 1 Satz 2 KStR 20046 außerhalb der Bilanz vollzieht. Sanktionen im Zusammenhang mit der E-Bilanz. Kommt der Steuerpflichtige seiner Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung nicht nach, kann ein Zwangsgeld nach den §§ 328 ff. AO angedroht und festgesetzt werden.7 Die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes sollte nicht möglich sein, da es sich bei der Übermittlung der Gewinnermittlung in nicht-elektronischer Form nicht um einen in § 146 Abs. 2b AO genannten Tatbestand handelt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Nichterfüllung des § 5b EStG als eine Verletzung der allgemeinen steuerlichen Mitwirkungspflichten gesehen wird, so dass die Verweigerung zur elektronischen Übermittlung der Gewinnermittlung dazu führen kann, dass etwa eine beabsichtigte Verlagerung der elektronischen Buchführung ins Ausland nicht bewilligt wird. Ein Verspätungszuschlag i.S.d. § 152 AO kann nicht festgesetzt werden, wenn die Bilanz sowie die Gewinn- und Verlustrechnung nicht oder lediglich in Papierform eingereicht werden, da es sich bei den elektronisch zu übermittelnden Daten allenfalls um der Steuererklärung beizufügende Unterlagen i.S.d. § 150 Abs. 4 AO handelt.8 1 Verordnung zur Festlegung eines späteren Anwendungszeitpunkts der Verpflichtungen nach § 5b des Einkommensteuergesetzes, BGBl. I 2010, 2135. 2 Vgl. BMF v. 28.9.2011 – IV C 6 – S2133-b/11/10009 – DOK 2011/0770620, BStBl. I 2011, 855, Tz. 27; Engelberth, StBp 2013, 160 (163). 3 Vgl. Schäperclaus/Hülshoff, DB 2014, 2781. 4 BMF v. 28.9.2011 – IV C 6 – S2133-b/11/10009 – DOK 2011/0770620, BStBl. I 2011, 855, Tz. 20 ff. Vgl. Schäperclaus/Hülshoff, DB 2014, 2601. 5 Vgl. Birk/Mühleis, StBW 2011, 988 (994); Heinsen/Adrian, DStR 2010, 2591 (2592); Richter/ Kruczynski/Kurz, BB 2011, 2731 (2732). 6 R 7.1 Abs. 1 S. 2 KStR 2015. 7 Vgl. BMF v. 19.1.2010 – IV C 6 - S 2133-b/0 – DOK 2009/0865962, BStBl. I 2010, 47, Tz. 4. 8 Vgl. Herzig/Briesemeister/Schäperclaus, DB 2011, 1651 (1657); zustimmend Birk/Mühleis, StBW 2011, 988.

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13.31

Kap. 13 Rz. 13.32

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

II. Betriebsstätte im Inland 13.32 Bilanzierungspflicht bei Erfüllung der Größenmerkmale nach § 141 AO. Wenn die inländische Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens eines der Größenmerkmale überschreitet und eine Aufforderung zur Bilanzierung von der für sie zuständigen Finanzbehörde erhält, hat sie für das Wirtschaftsjahr zu bilanzieren, das auf diese Aufforderung in Form einer Mitteilung folgt. Die Rechtsfolge der Bilanzierungspflicht kann unter Umständen dadurch hinausgezögert werden, dass die inländische Betriebsstätte nicht als Eigenhändler auftritt, sondern als Handelsvertreter. Eine Vertreterbetriebsstätte ist durch einen geringeren Funktionsumfang und damit geringeres Vermögen gekennzeichnet, erzielt niedrigere Umsätze und weist in aller Regel einen geringeren Gewinn aus als eine Betriebsstätte, die als Eigenhändler fungiert.

13.33 Handelsrechtliche Bilanzierungsvorschriften für Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute. Das Sonderbilanzrecht für Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute wird in § 340 HGB geregelt. Demnach haben Zweigniederlassungen von Unternehmen mit Sitz in einem Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Gemeinschaft und auch nicht Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist, die ergänzenden Bilanzierungsvorschriften für Kreditinstitute anzuwenden, sofern sie nach § 53 Abs. 1 KWG als Kreditinstitut gelten (vgl. § 340 Abs. 1 Satz 1 HGB). Damit gilt für diese Zweigniederlassungen insbesondere auch die Anwendung der Kreditinstituts-Rechnungslegungsverordnung (vgl. § 340a Abs. 2 Satz 2 HGB).1 Zweigniederlassungen von Kredit- und Finanzdienstleistungsunternehmen mit einem Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Island, Liechtenstein und Norwegen) i.S.d. § 53b Abs. 1 Satz 1 KWG, die ihre Leistungen im Rahmen des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs erbringen, unterliegen den Bilanzierungsvorschriften des jeweiligen Sitzstaats.2 Sofern solche Zweigniederlassungen von Kreditinstituten Bankgeschäfte gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–5 und 7–12 KWG betreiben, haben sie die in § 340l Abs. 1 Satz 1 HGB genannten Unterlagen der Hauptniederlassung im Inland offenzulegen.

13.34 Handelsrechtliche Bilanzierungsvorschriften für Versicherungsunternehmen. Niederlassungen von Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem anderen Staat, die für ihre Geschäftstätigkeit der Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bedürfen, haben die ergänzenden Bilanzierungsvorschriften für Versicherungsunternehmen (§§ 341–341p HGB) anzuwenden (vgl. § 341 Abs. 2 Satz 1 HGB). Ebenso haben Niederlassungen von Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des EWR, die keiner Erlaubnis zum Betrieb des Direktversicherungsgeschäfts durch die BaFin bedürfen, die ergänzenden Vorschriften des Handelsgesetzbuches zum Jahresabschluss, zu den Bewertungsvorschriften sowie zu den versicherungstechnischen Rückstellungen (§§ 341a–341h HGB) anzuwenden (vgl. § 341 Abs. 2 Satz 2 HGB). Explizit ein1 Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute (RechKredV) i.d. Fassung der Bekanntmachung vom 11.12.1998 (BGBl. I 1998, 3658), zuletzt geändert durch Art. 8 Abs. 13 des Gesetzes v. 17.7.2015 zur Umsetzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – BilRUG), BGBl. I 2015, 1245. 2 Vgl. Löw in MünchKomm/HGB4, § 340 HGB Rz. 5.

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C. Bilanzierungspflicht

Rz. 13.36 Kap. 13

geschlossen ist hierbei auch die Anwendung der ergänzenden Vorschriften der Versicherungsunternehmens-Rechnungslegungsverordnung1 über den Ansatz und die Bewertung von Vermögensgegenständen und Schulden. Somit haben auch Niederlassungen von Versicherungen mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat u.a. die speziellen deutschen handelsrechtlichen Vorschriften in Bezug auf die Rückstellungsbildung zu beachten, woraus sich ggf. eine Doppelbesteuerungsproblematik ergeben kann. E-Bilanz im Inbound-Fall. Für inländische Betriebsstätten ausländischer Unternehmen gilt eine verlängerte Übergangsfrist bis zur verpflichtenden elektronischen Übermittlung von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung. Für diese beschränkt Steuerpflichtigen ist die elektronische Übermittlung erstmals für Wirtschaftsjahre verpflichtend, die nach dem 31.12.2014 beginnen. Bis dann ist die Abgabe der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung in Papierform ohne Gliederung gemäß der Taxonomie ausreichend.2 Die Pflicht zur elektronischen Übermittlung trifft auch Steuerpflichtige, die inländische Einkünfte aus einer gewerblichen Tätigkeit oder aus Vermietung und Verpachtung erzielen,3 ohne dabei eine (Vertreter-)Betriebsstätte im Inland zu unterhalten, soweit sie ihren Gewinn durch Vermögensvergleich ermitteln.4

13.35

III. Betriebsstätte im Ausland Bilanzierungspflicht. Die ausländische Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens ist als Bestandteil des inländischen Gesamtunternehmens von der Bilanzierungspflicht nach innerstaatlichem Recht erfasst. Die Bilanzierungspflicht umfasst die Beachtung der Ansatz- und Bilanzierungsvorschriften. Im Kontext der Bilanzierungspflicht für ausländische Betriebsstätten ist insbesondere § 246 Abs. 1 Satz 1 HGB zu beachten. Nach dieser Vorschrift müssen sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten im Jahresabschluss enthalten sein. Diese Vorschrift steht der Übernahme einer Saldogröße aus einer auf der Grundlage ausländischer Vorschriften geführten Buchführung entgegen, wie sie aus § 146 Abs. 2 Satz 3 AO gedeutet werden könnte.5 Dies bedeutet, dass das inländische Stammhaus die einzelnen Bilanzpositionen der ausländischen Betriebsstättenbuchführung zu übernehmen und ggf. an inländische steuerrechtliche Vorschriften anzupassen hat.6 1 Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen (RechVersV) vom 8.11.1994 (BGBl. I 1994, 3378), zuletzt geändert durch Art. 8 Abs. 14 des Gesetzes v. 17.7.2015 zur Umsetzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – BilRUG), BGBl. I 2015, 1245. 2 Vgl. BMF v. 28.9.2011 – IV C 6 – S2133-b/11/10009 – DOK 2011/0770620, BStBl. I 2011, 855, Tz. 4 u. 7. 3 Dies betrifft Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. aa sowie Abs. 1 Nr. 6 EStG. Siehe zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung beschränkt Steuerpflichtiger auch BMF v. 16.5.2011 – IV C 3 - S 2300/08/10014 – DOK 2011/0349521, BStBl. I 2011, 530. 4 Vgl. zur Buchführungspflicht einer ausländischen Immobilienkapitalgesellschaft BFH v. 15.10.2015 – I B 93/15, BFH/NV 2016, 138 = ISR 2016, 47 m. Anm. Richter/John = FR 2016, 282. 5 Zu beachten ist jedoch die Verwendung des Plurals, der auf die Übernahme mehrerer Positionen hindeutet. 6 Ebenso Schröder/Strunk in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.49.

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13.36

Kap. 13 Rz. 13.37

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

13.37 E-Bilanz im Outbound-Fall. Das Einheitsunternehmen mit deutschem Stammhaus und Betriebsstätte(n) im Ausland hat eine Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung in elektronischer Form einzureichen.1 Die Ergebnisse der ausländischen Betriebsstätte sind erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen, elektronisch zu übermitteln.2 Damit besteht für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.1.2015 beginnen, die Möglichkeit, die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung des inländischen Stammhauses nach der standardisierten Steuer-Taxonomie per Datenfernübertragung an die Finanzbehörden zu übermitteln und gleichzeitig die Betriebsstätten-Gewinnermittlung weiterhin in Papierform einzureichen. Für die Zeit nach dieser Übergangsregelung kommt es dann zu einer Integration der Betriebsstättenbuchführung in die deutsche Steuertaxonomie. Soweit sich die Betriebsstättenbuchführung an dem lokal normierten Rechnungslegungsstandard orientiert und nicht an den Erfordernissen der deutschen Finanzverwaltung, ist aufgrund der hohen Gliederungstiefe des Datenschemas zu erwarten, dass die Einbeziehung der ausländischen Betriebsstätte in das Regime der Steuer-Taxonomie mit einigem Mehraufwand verbunden sein wird. Wegen einer fehlenden Relevanz der ausländischen Betriebsstättenergebnisse bei Freistellungs-Betriebsstätten ohne Progressionsvorbehalt wäre für diese Fälle ein Verzicht auf die Anwendung der Taxonomie, etwa auf Basis der Härtefallregelung, begrüßenswert.3 Auf der anderen Seite entfaltet das ausländische Betriebsstättenergebnis, das an deutsche steuerliche Gewinnermittlungsvorschriften anzupassen ist, für die Höhe des freizustellenden Betrags steuerliche Relevanz, so dass eine weniger detaillierte elektronische Übermittlung der Betriebsstättendaten als ein sinnvoller Mittelweg erscheint.4 Ansonsten liefe die Vereinfachungsregelung des § 146 Abs. 2 Satz 2 AO zukünftig ins Leere.5 Eine Verringerung des Differenzierungsgrads kann über die sog. Betriebsstätten-Auffangpositionen erreicht werden, die eine den §§ 266, 275 HGB entsprechende Gliederungstiefe erlauben.6 Im Falle einer ausländischen Personengesellschaft mit inländischem Gesellschafter, aber ohne Betriebsstätte im Inland hängt die Verpflichtung des Mitunternehmers zur Übermittlung der Gewinnermittlung per Datenfernübertragung davon ab, ob die Personengesellschaft die Grenzen der Buchführungspflicht nach § 141 AO überschreitet. Fordert die Finanzverwaltung in dieser Konstellation zur Erstellung von Abschlüssen auf, ist auch § 5b EStG anzuwenden.7

D. Aufzeichnungspflichten I. Aufzeichnungspflichten für Wareneingang und -ausgang 13.38 Rechtliche Grundlagen. Neben der allgemeinen Buchführungspflicht nach §§ 140 und 141 AO sehen §§ 143 und 144 AO besondere Aufzeichnungspflichten für den Wareneingang 1 Vgl. BMF v. 28.9.2011 – IV C 6 – S2133-b/11/10009 – DOK 2011/0770620, BStBl. I 2011, 855, Tz. 3. 2 Vgl. BMF v. 28.9.2011 – IV C 6 – S2133-b/11/10009 – DOK 2011/0770620, BStBl. I 2011, 855, Tz. 7. 3 „Die Einreichung einer E-Bilanz für das gesamte Unternehmen nur bei Geltung der Anrechnungsmethode“ fordert daher Herzogenrath in Ebner et al., E-Bilanz, A, Rz. 29 unter Verweis auf Richter/ Kruczynski/Kurz, BB 2011, 2731. 4 Ebenso Herzig/Breisemeister/Schäperclaus, DB 2011, 1651 (1657). 5 Vgl. Birk/Mühleis, StBW 2011, 988 (989); Herzig/Briesemeister/Schäperclaus, DB 2011, 1651 (1657); Richter/Kruczynski/Kurz, BB 2011, 2731. 6 Vgl. FAQ-Dokument zur E-Bilanz, Version 1-2014 (abrufbar unter www.esteuer.de), Abschnitt 4j. 7 Vgl. Herzig/Breisemeister/Schäperclaus, DB 2011, 1651 (1652).

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D. Aufzeichnungspflichten

Rz. 13.40 Kap. 13

und den Warenausgang vor. Dabei ist zu beachten, dass die Aufzeichnungen in einer Form geführt sind, die es einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit erlauben, sich einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens bzw. der Betriebsstätte zu verschaffen. Dabei müssen sich die einzelnen Geschäftsvorfälle gem. § 145 Abs. 1 AO sowohl in ihrer Entstehung als auch in ihrer Abwicklung verfolgen lassen. Insbesondere die letztgenannte Anforderung an die Nachvollziehbarkeit von Geschäftsvorfällen gewinnt im Lichte der elektronischen Betriebsprüfung (§ 147 Abs. 6 AO) und der Mitwirkungs- und Dokumentationsvorschriften (§ 90 Abs. 3 AO) an Bedeutung. Der Grund dafür liegt darin, dass die Finanzbehörde bei Unklarheiten über den verwirklichten Sachverhalt, z.B. die Entstehung und Abwicklung von Geschäftsvorfällen, sehr viel schneller zu einer Schätzung übergehen kann als in der Vergangenheit. Gleichzeitig steht ihr mit der Auswertungssoftware bei der Durchführung einer elektronischen Betriebsprüfung ein Instrument zur Verfügung, das Verstöße gegen die vorgenannte Anforderung in effizienter Form aufzudecken vermag.

II. Betriebsstätte im Inland Aufzeichnungspflicht für Warenein- und -ausgang. Die Aufzeichnungspflichten nach §§ 143 und 144 AO gelten auch für inländische Betriebsstätten ausländischer Unternehmen, wenn die Tätigkeit einer solchen Betriebsstätte als die eines gewerblichen Unternehmers anzusehen ist. Die Aufzeichnungspflicht gilt selbst dann, wenn die inländische Betriebsstätte nicht der Buchführungspflicht unterliegt. Die Aufzeichnungen des Warenein- und -ausgangs sind gewissermaßen das Mindestmaß an Information, das für eine Geschäftstätigkeit im Inland durch eine Betriebsstätte für Besteuerungszwecke vorzuhalten ist. Sie erstreckt sich auf die Innentransaktionen (ab 2013: anzunehmende schuldrechtliche Beziehung) zwischen Stammhaus und Betriebsstätte.1 Daneben können sich aus den Einzelsteuergesetzen weitere Aufzeichnungspflichten ergeben,2 die jedoch für Zwecke der Einkünfteabgrenzung nicht notwendigerweise von Bedeutung sind.

13.39

III. Betriebsstätte im Ausland Aufzeichnungspflicht für Warenein- und -ausgang. Die Aufzeichnungspflicht für Warenein- und -ausgang gilt grundsätzlich auch für die ausländische Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens. In analoger Anwendung des § 146 Abs. 2 Satz 3 und 4 AO sind diese Aufzeichnungen jedoch nicht im Inland zu führen und aufzubewahren, soweit nach dem Recht des Ansässigkeitsstaats der Betriebsstätte eine Verpflichtung besteht, Bücher und Aufzeichnungen zu führen und dieser Pflicht auch nachgekommen wird. Wenn jedoch im Ausland lediglich die Pflicht besteht, Aufzeichnungen, aber keine Bücher zu führen, ist das Ergebnis der ausländischen Betriebsstätte nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln. Soweit im Ausland jedoch eine Aufzeichnungspflicht für eine Betriebsstätte besteht und das sich aus den Aufzeichnungen ergebende Betriebsstättenergebnis von dem nach deutschen Vorschriften ermittelten abweicht, ist ein Qualifikationskonflikt vorprogrammiert, der – bei Bestehen eines DBA – in einem Verständigungsverfahren zu klären wäre, es sei denn, die Doppelbesteuerung beruht auf voneinander abweichenden innerstaatlichen Gewinnermittlungsvorschriften. In diesen Fällen ist der Weg zur Auflösung der Doppelbesteuerung über ein Ver1 Vgl. Schröder/Strunk in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.66. 2 Etwa § 22 UStG.

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13.40

Kap. 13 Rz. 13.41

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

ständigungs- oder Schiedsverfahren nicht eröffnet. Daneben können sich aus den Einzelsteuergesetzen weitere Aufzeichnungspflichten ergeben,1 die jedoch für Zwecke der Einkünfteabgrenzung nicht von Bedeutung sind.

E. Pflicht zur Aufstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung I. Gesetzliche Grundlagen 13.41 Aufstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung. Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen (§ 40 BsGaV), hat der Steuerpflichtige für jede in- und ausländische Betriebsstätte eine Hilfs- und Nebenrechnung i.S.d. § 3 BsGaV aufzustellen. Dies gilt gleichermaßen für die inländische Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wie für die ausländische(n) Betriebsstätte(n) eines inländischen Unternehmens. Hat ein Unternehmen mehrere Betriebsstätten in einem Staat, ist grundsätzlich für jede Betriebsstätte eine gesonderte Hilfsund Nebenrechnung zu erstellen.2 Die Finanzverwaltung beanstandet es jedoch nicht, wenn für die Betriebsstätten in einem Staat eine zusammengefasste Hilfs- und Nebenrechnung erstellt wird, sofern für die steuerliche Beurteilung keine getrennte Betrachtung erforderlich ist. Die Pflicht zur Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung tritt neben die Buchführungsund Bilanzierungspflicht. Nach § 3 Abs. 1 BsGaV obliegt es dem Steuerpflichtigen, für eine Betriebsstätte zum Beginn eines Wirtschaftsjahrs eine Hilfs- und Nebenrechnung aufzustellen, diese fortzuschreiben und zum Ende des Wirtschaftsjahrs abzuschließen, sofern eine grenzüberschreitende Einkünfteaufteilung vorzunehmen ist.3 Die Formulierung macht deutlich, dass es sich bei der Hilfs- und Nebenrechnung nicht um eine klassische Bilanz handelt, sondern nur ein Instrument zur Einkünfteaufteilung für steuerliche Zwecke, das jährlich neu aufzustellen und abzuschließen ist. Durch die jährlich vorzunehmende funktions- und risikoorientierte Bestimmung des Dotationskapitals (§§ 12, 13 BsGaV) und einer möglichen anteiligen Kürzung von Passivposten (§ 14 BsGaV) kann der Bilanzenzusammenhang i.S.d. § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB für bestimmte Positionen der Passivseite der Hilfs- und Nebenrechnung nicht gelten.4 Die Hilfs- und Nebenrechnung muss spätestens bis zur Abgabe der Steuerklärung (Einkommensteuererklärung, Körperschaftsteuererklärung oder Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung) für das jeweilige Wirtschaftsjahr erstellt sein, wobei die Finanzbehörden in Härtefällen Erleichterungen gewähren können, wenn die Besteuerung durch die Gewährung der Erleichterungen nicht beeinträchtigt wird.5 Die vereinzelt vorgetragene Kritik6 an dem frühen Zeitpunkt ist verfehlt, da der Steuerpflichtige sich im Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung über die Höhe seiner in- und ausländischen Einkünfte i.S.d. §§ 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und 34d Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG Gewissheit verschafft haben sollte, damit er sich nicht dem Vorwurf der unrechtmäßigen Steuerverkürzung aus1 Etwa § 22 UStG. 2 Vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/1/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2016, 182, Rz. 56 – Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung (im Folgenden: VWG BsGa). 3 § 1 Abs. 6 AStG ermächtigt das BMF, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.d. § 1 Abs. 1, 3 und 5 AStG und dessen einheitlicher Anwendung zu regeln. Angesichts des klaren Wortlauts dieser (begrenzten) Ermächtigungsnorm ist es fraglich, ob das Erfordernis zur Erstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung davon gedeckt ist; ebenso Nientimp/Ludwig, IWB 2013, 638 (641). 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 51. Ebenso bereits vorher Busch, DB 2014, 2490 (2496). Siehe auch Heinsen, DB 2017, 85 (86). 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 52. 6 Vgl. Greier/Friedrich, DB 2016, 1773 (1774); Nientimp/Ludwig, IWB 2013, 638 (642).

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E. Pflicht zur Aufstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung

Rz. 13.42 Kap. 13

setzt.1 Um klarzustellen, dass es durch die Verpflichtung zur Erstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung nicht zu einer zeitnahen Dokumentationspflicht in Bezug auf die Einkünfteabgrenzung bei Betriebsstätten kommt, hat der Verordnungsgeber in die finale Fassung in § 3 Abs. 3 BsGaV den Hinweis aufgenommen, dass die Gründe für die Zuordnungen gem. §§ 5–11 BsGaV sowie für das Vorliegen von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen Teil der Aufzeichnungspflichten i.S.d. § 90 Abs. 3 AO sind. Für diese Aufzeichnungspflichten besteht im Regelfall keine Pflicht zu zeitnaher Erstellung.2 Die erste Hilfs- und Nebenrechnung ist im Zeitpunkt der Begründung der Betriebsstätte zu erstellen (§ 3 Abs. 4 Satz 1 BsGaV), auch wenn die Begründung der Betriebsstätte erst zu einem späteren Zeitpunkt erkannt wird (z.B. bei Fristüberschreitung für Bau- und Montagebetriebsstätten).3 Auf den Zeitpunkt der Beendigung der Betriebsstätte ist die Hilfs- und Nebenrechnung abzuschließen (§ 3 Abs. 4 Satz 2 BsGaV). Alle noch vorhandenen Vermögenswerte und Passivposten der Betriebsstätte gelten gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV fiktiv als an das übrige Unternehmen zu Fremdvergleichswerten veräußert. Der fiktive Veräußerungserlös ist nach § 3 Abs. 4 Satz 2 BsGaV in der Hilfs- und Nebenrechnung zu erfassen.4 Aus dem Umstand, dass in den VWG BsGa kein einziges Beispiel das Format der Hilfs- und Nebenrechnung veranschaulicht, lässt sich schließen, dass der Steuerpflichtige die Form frei wählen kann, solange alle erforderlichen Informationen enthalten sind.5 Die Pflicht zur Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung entfällt aus Vereinfachungsgründen, wenn zwar eine Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO besteht, aber deren Einkünfte aufgrund einer Art. 8 OECD-MA entsprechenden DBARegelung (Seeschifffahrt, Binnenschifffahrt und Luftfahrt) in Deutschland nicht besteuert werden können.6 Pflicht zur Aufstellung für Personengesellschaften. Es spricht einiges dafür, dass die Mehrheit der Personengesellschaften die Hilfs- und Nebenrechnung i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 BsGaV nicht zu erstellen hat. So sind die Sätze 1 bis 4 des § 1 Abs. 5 AStG gemäß Satz 7 dieser Vorschrift nicht auf Geschäftsbeziehungen zwischen Gesellschafter und seiner Personengesellschaft oder zwischen einem Mitunternehmer und seiner Mitunternehmerschaft anzuwenden.7 Gleiches dürfte für die Geschäftsbeziehungen zwischen zwei sich nahestehenden Personengesellschaften gelten. Diese Sätze können weiterhin bei Personengesellschaften nur dann zur Anwendung kommen, wenn eine Personengesellschaft tatsächlich selbst eine Betriebsstätte in einem anderen Staat begründet hat, weil § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG ausweislich seines Wortlauts die Bestimmung von Verrechnungspreisen und auch die Zuordnung in Satz 2 und 3 nur auf die „anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen“ zwischen dem Unternehmen und dessen Betriebsstätte angewendet sehen möchte. In den Sätzen 1 bis 4 vollzieht sich jedoch im Wesentlichen der Zuordnungsprozess, der den AOA umsetzt. Entsprechend müssen nur diejenigen Personengesellschaften eine steuerliche Hilfs- und Nebenrechnung erstellen, die tatsächlich selbst eine eigene Betriebsstätte in einem anderen Staat haben. Der Sachverhalt des BFH-Urteils v. 17.7.20088 verdeutlicht dies: Beispiel: Eine inländische KG ist im Jahr 01 als alleinige Kommanditistin zu 100 % an einer EU-ausländischen Personengesellschaft in der Form einer KG beteiligt gewesen. Die inländische KG hat im 1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. auch Geberth/Sennewald, DB 2017, 31 (32). Vgl. hierzu ausführlich Rz. 13.103 ff. Vgl. VWG BsGa, Rz. 64. Vgl. VWG BsGa, Rz. 68. Vgl. Busch, DB 2016, 910 (915); Greier/Friedrich, DB 2016, 1773 (1774). Vgl. VWG BsGa, Rz. 57. Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 13 ff. Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149.

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13.42

Kap. 13 Rz. 13.43

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Jahr 01 weder im Sitzstaat der ausländischen Personengesellschaft noch irgendeinem anderen Staat eine eigene Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO begründet. Im Jahr 01 überträgt die inländische KG sämtliche Anteile an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in einem Drittstaat an die EUausländische Personengesellschaft zum Buchwert. Die inländische KG stellt mangels eigener Betriebsstätte im Ausland zu Recht keine Hilfs- und Nebenrechnung für das Jahr 01 auf. Die Besteuerung eines solchen Geschäftsvorfalls wäre ggf. nach § 1 Abs. 1 AStG zu berichtigen und nicht nach § 1 Abs. 5 AStG.

13.43 Einordnung und Bedeutung der Hilfs- und Nebenrechnung. In der Hilfs- und Nebenrechnung vollzieht sich eine Aufteilung der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung zwischen dem Stammhaus in einem Staat und dessen Betriebsstätte(n) in einem anderen (in anderen) Staat(en) für Zwecke der steuerlichen Gewinnabgrenzung. Der Steuerpflichtige kann in Fällen, in denen für die Zuordnungsentscheidung ein Beurteilungsspielraum besteht,1 die Hilfs- und Nebenrechnung zur Dokumentation seiner Entscheidung nutzen.2 Steuerliche Folgewirkungen wie das Bestehen einer Organschaft zu einer inländischen Betriebsstätte i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 KStG oder die Anrechnung von inländischer Kapitalertragsteuer i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG müssen an diese Zuordnung anknüpfen. Das folgende Beispiel zeigt die Folgewirkungen auf: Beispiel: Die EU-ausländische Kapitalgesellschaft E hat eine inländische Zweigniederlassung, mit deren Einkünften sie im Inland nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG beschränkt steuerpflichtig ist. Die inländische Zweigniederlassung beschäftigt eine Gruppe von Wertpapierhändlern, die inländische Aktien handeln. Mangels technischer Buchführungsmöglichkeiten im Inland werden die Handelsgeschäfte im Stammhaus gebucht. Die fremdvergleichskonforme Vergütung für die Handelstätigkeit wird der inländischen Betriebsstätte monatlich auf dem Verrechnungskonto gutgeschrieben und im Inland versteuert. Die steuerliche Außenprüfung möchte die Anrechnung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer auf die Dividenden aus den gehandelten inländischen Aktien nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG bei der inländischen Betriebsstätte deshalb nicht erlauben, weil die Aktien nicht bei der inländischen Betriebsstätte, sondern im ausländischen Stammhaus bilanziell erfasst sind. Die Hilfs- und Nebenrechnung der inländischen Betriebsstätte zeigt jedoch die richtige Zuordnung der Aktien zur inländischen Betriebsstätte, da die entscheidenden Personalfunktionen (Handelstätigkeit) in der inländischen Betriebsstätte ausgeübt worden sind. Entsprechend ist die Anrechnung zu gewähren, weil die Zuordnung der Aktien zur inländischen Betriebsstätte für steuerliche Zwecke in der Hilfs- und Nebenrechnung zutreffend vorgenommen worden ist.

II. Inhalt der Hilfs- und Nebenrechnung 13.44 Quantitative Inhalte der Hilfs- und Nebenrechnung. Die Hilfs- und Nebenrechnung soll alle Bestandteile enthalten, die der Betriebsstätte aufgrund ihrer Personalfunktionen zuzuordnen sind (§ 3 Abs. 2 BsGaV). Hierzu gehören die Vermögenswerte i.S.d. §§ 5–8 BsGaV, das Dotationskapital i.S.d. §§ 12 und 13 BsGaV, die übrigen Passiva i.S.d. § 14 BsGaV und die damit zusammenhängenden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, wobei diese Aufzählung nicht abschließend ist. Darüber hinaus sind fiktive Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben in der Hilfs- und Nebenrechnung zu erfassen, die aufgrund anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen, also reinen Innentransaktionen zwischen den Betriebsstätten ein und desselben Unternehmens, entstehen und für die gem. § 1 Abs. 5 AStG für alle Wirtschaftsjahre, die nach

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 45. 2 Vgl. Schoppe, IStR 2016, 615 (616).

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E. Pflicht zur Aufstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung

Rz. 13.45 Kap. 13

dem 31.12.2012 beginnen, ein fremdübliches Entgelt anzusetzen ist (§ 16 BsGaV).1 Sofern ein ausländisches Unternehmen für seine inländische Betriebsstätte oder ein inländisches Unternehmen für seine ausländische Betriebsstätte buchführungspflichtig ist oder freiwillig Bücher führt, können diese Unterlagen Ausgangspunkt für die Hilfs- und Nebenrechnung sein.2 Der Steuerpflichtige hat jedoch für jede einzelne (handelsrechtliche bzw. steuerbilanzielle) Position zu prüfen, ob diese auch im Einklang mit den speziellen steuerrechtlichen Zuordnungsvorschriften gemäß AOA steht. Ein Beispiel für Abweichungen sind selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter, für die nach § 5 Abs. 2 EStG ein steuerbilanzielles Ansatzverbot gilt. Ein selbst geschaffener immaterieller Wert wird jedoch Bestandteil der Hilfs- und Nebenrechnung, wenn wegen einer Änderung der Zuordnung im Verhältnis zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen ein fiktiver Erwerb i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV anzunehmen ist.3 Vor dem Hintergrund dieser potenziell erforderlichen Anpassungen ist die von Dombrowski, Sommer und Dahle vertretene Ansicht, dass mit Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung die E-Bilanz zumindest für inländische Betriebsstätten obsolet sei, nicht allgemein zutreffend.4 In der Hilfs- und Nebenrechnung können sowohl Bilanzpositionen als auch fiktive Betriebseinnahmen und -ausgaben auftauchen, die in der auf steuerbilanziellen Werten fußenden E-Bilanz nicht angesetzt werden dürfen. Qualitative Inhalte der Hilfs- und Nebenrechnung. Um der Finanzverwaltung die Möglichkeit zu geben, die Zuordnungsentscheidungen des Steuerpflichtigen nachzuvollziehen, sind Teil der Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO auch Aufzeichnungen über die Gründe für die getroffene Zuordnung von Vermögenswerten, Dotationskapital, übrigen Passiva und den damit zusammenhängenden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. Die VWG BsGa fordern darüber hinaus, dass zu diesen Aufzeichnungen insbesondere auch Unterlagen gehören, aus denen sich ergibt, wie die betreffenden Bestandteile der Hilfs- und Nebenrechnung und die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen im Ausland steuerlich zugeordnet und behandelt werden.5 Damit will die Finanzverwaltung sicherstellen, dass eine in allen beteiligten Ländern kongruente Zuordnung und steuerliche Erfassung erfolgt. Für die Zuordnung von Vermögenswerten (§§ 5 bis 8 BsGaV), Geschäftsvorfällen (§ 9 BsGaV) sowie Chancen und Risiken des Unternehmens (§ 10 BsGaV) formuliert die BsGaV eine (widerlegbare) Zuordnungsvermutung, welche Personalfunktion als jeweils maßgeblich für die Zuordnung anzusehen ist.6 Im Falle einer sog. „Personalfunktionenkonkurrenz“, d.h., wenn im Hinblick auf einen Zuordnungsgegenstand unterschiedliche Personalfunktionen ausgeübt werden, zu denen eine Zuordnung als sachgerecht erscheint, kann der Steuerpflichtige ohne weitere Nachweise die Zuordnung zu dieser vorrangigen Personalfunktion vornehmen. Möchte der Steuerpflichtige jedoch eine von der Zuordnungsvermutung abweichende Zuordnung vornehmen, hat er nachzuweisen bzw. zumindest glaubhaft zu machen, dass dieser anderen Personalfunktion im Hinblick auf den Zuordnungsgegenstand eine eindeutig größere wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Eine solche abweichende Zuordnung darf sich nur auf qualitative Aspekte berufen (z.B. Analyse der Wertschöpfungsbeiträge), nicht aber auf quantitative Erwägungen, 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 61. Die Rz. 168 VWG BsGa gibt eine Übersicht der Beispielsfälle der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen, die in den VWG BsGa enthalten sind; vgl. hierzu auch Busch, DB 2016, 910 (912). 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 53. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 59. Vgl. auch die Beispiele in VWG BsGa, Rz. 62 zur Behandlung von Entstrickungstatbeständen in der Hilfs- und Nebenrechnung. 4 Vgl. Dombrowski/Sommer/Dahle, IStR 2016, 109 (114). 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 63. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 41. Vgl. allgemein auch Busch, DB 2016, 910 (911).

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13.45

Kap. 13 Rz. 13.45

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

da qualitativ unterschiedliche Personalfunktionen nicht nach quantitativen Gesichtspunkten beurteilt werden können.1 Hierbei ist im Einzelfall eine Betrachtung sachgerecht, die über ein Wirtschaftsjahr hinausgeht und vergangene Wirtschaftsjahre und Prognosen berücksichtigt.2 In Fällen einer sog. „Funktionsaufteilung“, d.h., wenn die als maßgeblich anzusehende Personalfunktion gleichzeitig von Personal in verschiedenen Betriebsstätten ausgeübt wird, ist die Zuordnung zu derjenigen Betriebsstätte vorzunehmen, deren Personal nach qualitativen Gesichtspunkten den bedeutendsten Teil der maßgeblichen Personalfunktion ausübt. Quantitative Erwägungen dürfen hierbei ausnahmsweise zur Entscheidung herangezogen werden, falls die qualitative Analyse eine gleiche Wertigkeit ergibt.3 In diesem Zusammenhang verweisen die finalen VWG BsGa explizit auf die Möglichkeit, die Entscheidung des Unternehmens zur besseren Nachvollziehbarkeit anhand einer Übersicht zu veranschaulichen, die sämtliche Personalfunktionen umfasst, die für eine Zuordnung von Bedeutung sein können und die im Rahmen eines sog. Scoring nach ihrer Bedeutung gewichtet werden. Die Tabelle listet die Gegenstände auf, für die eine Zuordnungsentscheidung zu treffen ist: § in BsGaV

Zuordnungsgegenstand

Zuordnungsvermutung

Bei eindeutig überwieAuffangnorm gender wirtschaftlicher Bedeutung („Personalfunktionenkonkurrenz“) ist die Zuordnung auf folgende Personalfunktionen vorzunehmen

4

Personalfunktion

Ausübung

Sachlicher Bezug

Nicht widersprechende Zuordnung

5

Materielles WG

Nutzung

Anschaffung, Herstellung, Verwaltung oder Veräußerung

Nicht widersprechende Zuordnung

6

Immaterielle Werte

Schaffung oder Erwerb

Nutzung, Verwaltung, Nicht widersprechende ZuordWeiterentwicklung, Schutz oder Veräußerung nung, anteilige Zuordnung möglich

7

Beteiligungen, Finanz- Nutzung (funktionaler Anschaffung, Verwalanlagen und ähnliche Zusammenhang mit tung, Risikosteuerung Vermögenswerte Geschäftstätigkeit) oder Veräußerung

Nicht widersprechende Zuordnung

8

Sonstige Vermögenswerte

Nicht widersprechende Zuordnung

Anschaffung oder Entstehung

Nutzung, Verwaltung, Risikosteuerung oder Veräußerung

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 43. Damit ist der Fall der Personalfunktionenkonkurrenz explizit kein Anwendungsfall von § 1 Abs. 3 Satz 4 GAufzV, wonach der Steuerpflichtige das Ausmaß von ausgeübten Funktionen, übernommenen Risiken und eingesetzten Vermögenswerten quantitativ nachvollziehbar machen muss, wenn er diese in ihrer Bedeutung für einen Geschäftsvorfall gewichtet. Dies gilt nach dem Grundsatz des lex specialis und sollte auch vor dem Hintergrund gelten, dass die rein qualitative Betrachtungsweise bei der Personalfunktionenkonkurrenz sich lediglich aus den VWG BsGa ergibt. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 44. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 42. Ein Beispiel für ein Scoring mit einer Gewichtungsskala von 1 („geringe Bedeutung“) bis 5 („hohe Bedeutung“) findet sich im versicherungsspezifischen Abschnitt der Verwaltungsgrundsätze in VWG BsGa, Rz. 294 f.

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E. Pflicht zur Aufstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung

Rz. 13.45 Kap. 13

§ in BsGaV

Zuordnungsgegenstand

Zuordnungsvermutung

Bei eindeutig überwieAuffangnorm gender wirtschaftlicher Bedeutung („Personalfunktionenkonkurrenz“) ist die Zuordnung auf folgende Personalfunktionen vorzunehmen

9

Geschäftsvorfälle

Zustandekommen beruht auf Personalfunktion

Erfüllung von Verpflich- Nicht widertungen, Verwaltung oder sprechende Risikosteuerung Zuordnung

10

Chancen und Risiken Unmittelbarer Zusammenhang mit Vermögenswert oder Entstehung aufgrund einer Personalfunktion

Verwaltung, Risikosteue- Nicht widerrung, Realisation oder sprechende Entscheidung über Zuordnung Änderung der Chancen und Risiken

11

Vermögenswert, der der Sicherung dient

12

Dotationskapital Kapitalaufteilungsinländischer Betriebs- methode stätten

13

Dotationskapital aus- Mindestkapitalländischer Betriebsausstattungsmethode stätten

14

Übrige Passiva

Unmittelbarer Zusammenhang mit Funktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken (direkte Zuordnung), Kürzung bei Übersteigen oder Auffüllung bei Fehlbetrag (indirekte Zuordnung)

15

Finanzierungsaufwendungen

Direkter Zusammenhang mit zuzuordnenden Passiva, anteilige Zuordnung entsprechend indirekter Zuordnung der Passiva



19

Vermögenswerte aus Bankgeschäften

Ausübung der Personalfunktion, die für Entstehung von Chancen und Risiken aus Vermögenswerten aus Bankgeschäften verantwortlich ist (unternehmerische Risikoübernahmefunktion)

Bestehen/Gehören der Kundenbeziehung

Verknüpfung mit abzusicherndem Vermögenswert (anteilige Zuordnung möglich)

Eine dem Fremdvergleich besser entsprechende Zuordnung

Öffnungsklausel; höchstens Kapitalaufteilungsmethode

Busch

925

Kap. 13 Rz. 13.45

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

§ in BsGaV

Zuordnungsgegenstand

Zuordnungsvermutung

20

Dotationskapital inländischer Bankbetriebsstätten

Kapitalaufteilungsmethode für Bankbetriebsstätten

Modifizierte Methode möglich, wenn Ergebnis dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht; mindestens Mindestkapitalausstattungsmethode für Bankbetriebsstätten

21

Dotationskapital ausländischer Bankbetriebsstätten

Mindestkapitalausstattungsmethode für Bankbetriebsstätten

Modifizierte Methode möglich, wenn Ergebnis dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht; höchste Kapitalaufteilungsmethode für Bankbetriebsstätten

22

Finanzinstrumente aus globalem Handel

Siehe zu § 19

Sachgerechte Aufteilung unter Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Restgewinnaufteilungsmethode

24

Vermögenswerte aus Personalfunktion des dem Abschluss eines Zeichnungsprozesses Versicherungsvertrags (unternehmerische Risikoübernahmefunktion); Hauptbevollmächtigter

25

Dotationskapital Modifizierte Kapiinländischer Versiche- talaufteilungsmethode rungsbetriebsstätten für Versicherungsbetriebsstätten

926

Busch

Bei eindeutig überwieAuffangnorm gender wirtschaftlicher Bedeutung („Personalfunktionenkonkurrenz“) ist die Zuordnung auf folgende Personalfunktionen vorzunehmen

Größte Bedeutung bis zum Abschluss des Versicherungsvertrags

Mindestkapitalausstattungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten

Modifizierte Methode möglich, wenn Ergebnis dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht; mindestens Mindestkapitalausstattungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten

F. Aufbewahrungspflichten

Rz. 13.46 Kap. 13

§ in BsGaV

Zuordnungsgegenstand

Zuordnungsvermutung

Bei eindeutig überwieAuffangnorm gender wirtschaftlicher Bedeutung („Personalfunktionenkonkurrenz“) ist die Zuordnung auf folgende Personalfunktionen vorzunehmen

26

Dotationskapital ausländischer Versicherungsbetriebsstätten

Mindestkapitalausstattungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten

Modifizierte Methode möglich, wenn Ergebnis dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht; höchstes modifizierte Kapitalaufteilungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten

27

Erträge aus Kapitalanlagen

Dienen der Bedeckung von versicherungstechnischen Rückstellungen und Verbindlichkeiten und Dotationskapital (direkte Zuordnung)

Durchschnittliche Kapitalanlagerendite (indirekte Zuordnung)

31

Vermögenswerte von Bau- und Montagebetriebsstätten

Nutzung und Anschaffung oder Herstellung oder Verwaltung, wenn Bedeutung der Verwaltung überwiegt



36

Explorationsrecht

Nutzung und Anschaffung oder Herstellung oder Vertrieb oder Verwertung der Bodenschätze



F. Aufbewahrungspflichten Inhalt der Aufbewahrungspflicht. § 147 Abs. 1 AO schreibt die Aufbewahrung ausgewählter Unterlagen vor, die in dem Katalog in den Nr. 1 bis 5 der Vorschrift aufgeführt sind. Dazu zählen die Bücher, Aufzeichnungen, Inventare, Jahresabschlüsse, empfangene und abgesandte Geschäftskorrespondenz, Buchungsbelege und andere für die Besteuerung bedeutsame Unterlagen. Die Aufbewahrung kann sowohl physisch als auch – mit einigen wenigen Ausnahmen1 – auf Bild- oder anderen Datenträgern erfolgen, wenn die in § 147 Abs. 2 AO genannten Voraussetzungen2 erfüllt sind. Dies gilt auch für die in § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV genann1 Dazu gehören Jahresabschlüsse, die Eröffnungsbilanz und die in § 147 Abs. 1 Nr. 4a AO genannten Zollunterlagen. 2 Diese sind im Wesentlichen die bildliche und inhaltliche Übereinstimmung mit dem Original, die jederzeitige Verfügbarkeit, die unverzügliche Lesbarmachung und die maschinelle Auswertbarkeit.

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927

13.46

Kap. 13 Rz. 13.47

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

ten Aufzeichnungen. Es spricht also nichts gegen eine elektronische Speicherung von Aufzeichnungen zu Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen im Ausland. § 2 Abs. 1 GAufzV trägt dem Rechnung, indem es die elektronische Verwaltung von Aufzeichnungen zu Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen im Ausland ausdrücklich erlaubt.

13.47 Ausdehnung der Aufbewahrungspflicht auf Unterlagen im Herrschaftsbereich ausländischer nahestehender Personen. In den VWG-Verfahren gibt die Finanzverwaltung ihrer Erwartung Ausdruck, dass ein inländischer Steuerpflichtiger den Zugang zu Aufzeichnungen, Unterlagen und Daten einer ausländischen nahestehenden Person zum Zweck der Beweisvorsorge im Rahmen seiner rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten sicherzustellen hat, wenn diese für dessen Besteuerung relevant sind.1 Sie fordert konkret, dass der inländische Steuerpflichtige eine Vernichtung solcher Aufzeichnungen, Unterlagen und Daten vor Ablauf der inländischen Aufbewahrungsfrist verhindert. Sie begründet diese Forderung damit, dass z.B. eine Prüfung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen gegenüber einer ausländischen Vertriebstochtergesellschaft nicht möglich wäre, wenn die Absatzpreise der Vertriebstochtergesellschaft gegenüber fremden Dritten nicht aufbewahrt worden sind. Die darin liegende Ausdehnung inländischer Aufbewahrungsfristen auf ausländische Steuerpflichtige ist abzulehnen,2 da die Finanzverwaltung bei fehlenden Unterlagen eine andere Verprobungsmethode als die von ihr gewünschte wählen müsste, z.B. die Kostenaufschlagsmethode statt der Wiederverkaufspreismethode bei einer ausländischen Vertriebsgesellschaft.

13.48 Aufbewahrungsdauer. Grundsätzlich sind die Unterlagen zehn Jahre aufzubewahren. Lediglich für die empfangenen Handels- oder Geschäftsbriefe, Wiedergaben der abgesandten Handels- und Geschäftsbriefe und sonstige Unterlagen i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO gilt eine Frist von sechs Jahren. Aufzeichnungen i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Aufzeichnungen, die im Zusammenhang mit der Buchführungspflicht erstellt werden.3 Daraus folgt, dass Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO nicht zu den Aufzeichnungen i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 1–4 AO gehören. Insofern gilt für diese nur die Aufbewahrungsfrist von sechs Jahren, soweit sie nicht unter eine der anderen Kategorien fallen. In allen Fällen läuft die Aufbewahrungsfrist jedoch nicht ab, soweit und solange die Unterlagen Steuern betreffen, für die die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Die Aufbewahrungsfrist beginnt mit dem Schluss des Kalenderjahrs, in dem die letzte aktive Handlung stattgefunden hat, die die Unterlage verändert (vgl. § 147 Abs. 4 AO). Wenn und soweit also Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO erst deutlich nach dem Veranlagungszeitraum erstellt, ergänzt oder geändert werden, für den sie relevant sind, hat der Steuerpflichtige die Aufzeichnungen ggf. länger als sechs Jahre über den relevanten Veranlagungszeitraum hinaus aufzubewahren. Für Unterlagen, die in § 147 Abs. 1 AO sowohl unter die Nr. 1, 4, 4a als auch unter Nr. 5 zu subsumieren sind, z.B. Verträge mit nahestehenden Personen oder eine Richtlinie über die Verrechnung von Leistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, gilt die zehnjährige Aufbewahrungsfrist. Steuerpflichtige, die allein oder zusammen mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss auf die gesellschaftsrechtlichen, finanziellen oder geschäftlichen Angelegenheiten einer Drittstaat-Gesellschaft i.S.d. § 138 Abs. 3 AO aus-

1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.2.3 – im Folgenden VWG-Verfahren. 2 Dies gilt nicht für Unterlagen, die das ausländische Stammhaus betreffen, da die inländische Betriebsstätte Teil dieses Unternehmens ist und damit die Mitwirkungspflichten (vgl. AEAO zu § 200) sich auf das gesamte Einheitsunternehmen erstrecken. 3 Dies ergibt sich aus Drüen in T/K, § 147 AO Rz. 4.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.50 Kap. 13

üben können, haben die Aufzeichnungen und Unterlagen über diese Beziehung und alle damit verbundenen Einnahmen und Ausgaben sechs Jahre aufzubewahren (§ 147a Abs. 2 AO). Elektronische Auswertung von Unterlagen (Digitale Betriebsprüfung). Seit 1.1.2002 hat die Finanzbehörde die Möglichkeit, im Rahmen der Außenprüfung das Recht, Einsicht in Daten zu nehmen, die mithilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden sind, und das Datenverarbeitungssystem zu Prüfungszwecken zu nutzen (§ 147 Abs. 6 AO).1 Die aus der Prüfung gewonnenen Daten kann die Finanzbehörde entweder selbst maschinell auswerten oder sie vom Steuerpflichtigen auswerten lassen.2 Einzelheiten regelt das BMF-Schreiben zu den „Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)“,3 in das das inzwischen überholte BMF-Schreiben zu den „Grundsätzen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)“4 aufgegangen ist, auf das die VWG-Verfahren noch in Tz. 3.4.3 verweisen. Soweit Unterlagen i.S.d. § 147 Abs. 1 AO also mithilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden sind, kann die Finanzbehörde eine elektronische Auswertung dieser Unterlagen verlangen. Dies gilt für einen unbeschränkt Steuerpflichtigen mit ausländischer Betriebsstätte uneingeschränkt, es sei denn, die ausländische Betriebsstätte hat eine eigene Buchführung nach ausländischem Recht, deren Ergebnisse in die Buchführung des inländischen Stammhauses lediglich übertragen werden. Bei einem beschränkt Steuerpflichtigen erstreckt sich die Möglichkeit der digitalen Betriebsprüfung lediglich auf die Unterlagen der inländischen Betriebsstätte. Gegebenenfalls hat der Steuerpflichtige durch die Beschränkung von Zugriffsrechten sicherzustellen, dass nicht auch die Buchführung des ausländischen Stammhauses in die digitale Betriebsprüfung einbezogen wird.

13.49

G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten I. Grundlagen und Terminologie Grundsätze bei der Sachverhaltsaufklärung und deren Grenzen. Die Umstände des Besteuerungsverfahrens erfordern es, dass die Verfahrensbeteiligten bei der Sachverhaltsaufklärung zusammenarbeiten, weil die dafür notwendigen Informationen zwischen der ermittelnden Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen ungleich verteilt sind. Wenn die Finanzbehörde an die Grenzen ihrer Informationsbeschaffungsmöglichkeiten stößt und dieser Umstand einer abschließenden rechtlichen Würdigung des steuererheblichen Sachverhalts entgegensteht, ist die Finanzbehörde auf die Unterstützung des Steuerpflichtigen angewiesen. Deshalb ist das Besteuerungsverfahren in sämtlichen Phasen geprägt von dem Zusammenwirken aus Amtsermittlungsgrundsatz und den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen. Bei der zwischen1 Siehe zur Einführung des Datenzugriffs durch die Finanzverwaltung Apitz, StBp 2002, 33; Bundessteuerberaterkammer, DStR 2002, Beihefter zu Heft 3; Burchert, INF 2001, 230; Burchert, INF 2002, 677; Groß/Matheis, DStR 2003, 921; Hagenkötter, NJW 2002, 1977. 2 Vgl. dazu Kerssenbrock/Riedel/Strunk, DB 2003, Beilage 9; Schaumburg, DStR 2002, 829. 3 Vgl. BMF v. 14.11.2014 – IV A 4 - S 0316/13/10003 – DOK 2014/0353090, BStBl. I 2014, 1450, Abschnitt 11; vgl. zur GoBD im Allgemeinen Goldshteyn/Thelen, DB 2015, 1126; Goldshteyn/Thelen, DStR 2015, 326; Henn, DB 2015, 2660; vgl. auch BMF v. 29.6.2011 – IV C 5-S 2386/07/0005 – DOK 2011/0501455, BStBl. I 2011, 675 bzgl. der Empfehlung zur Anwendung eines einheitlichen Standarddatensatzes als Schnittstelle für die Lohnsteuer-Außenprüfung. 4 Vgl. BMF v. 16.7.2001 – IV D 2 - S 0316 – 136/01, BStBl. I 2001, 415. Vgl. dazu Andresen, Tax Management Transfer Pricing, No. 8 2001, 310–312.

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13.50

Kap. 13 Rz. 13.51

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

staatlichen Einkünfteabgrenzung unter Beteiligung von Betriebsstätten im In- oder Ausland ist die Finanzbehörde in noch stärkerem Maße auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen angewiesen, weil Aufzeichnungen für den ausländischen Teil des für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts im Inland nicht notwendigerweise vorliegen und die inländische Finanzbehörde im Ausland grundsätzlich nicht eigenständig ermitteln darf.1 Eine Ausnahme bilden insoweit andere EU-Mitgliedsstaaten, in denen inländische Bedienstete nach Maßgabe des § 11 i.V.m. § 10 EU-AmtshilfeG (EUAHiG) bei den dort ausgeübten behördlichen Ermittlungen zugegen sein oder an gleichzeitigen Prüfungen i.S.d. § 12 EUAHiG teilnehmen dürfen, wenn eine entsprechende Vereinbarung zwischen Deutschland und dem jeweiligen Land besteht. Den Ermittlungsbemühungen der Finanzbehörde und den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen sind jedoch Grenzen gesetzt. Während der Umfang der Ermittlungsbemühungen unmittelbar vom Beweismaß abhängt, finden die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen ihre Grenze in den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots, die durch die Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und insbesondere der Zumutbarkeit konkretisiert sind.2 Dabei ist zu beachten, dass der Umfang der Mitwirkung des Steuerpflichtigen sich auf das Beweismaß und damit den Umfang der fiskalischen Ermittlungspflichten auswirken kann. Bei der zwischenstaatlichen Einkünfteabgrenzung ist die erweiterte Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen darüber hinaus durch die rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit begrenzt, einem Mitwirkungsverlangen der Finanzbehörde nachzukommen. Dies hat der BFH in seinem Beschluss vom 10.5.2001 mit dem Hinweis ausdrücklich bestätigt, dass eine im Inland ansässige Tochtergesellschaft weder rechtlich noch tatsächlich die Möglichkeit hat, Kalkulationsunterlagen ihrer Muttergesellschaft im Ausland zu erhalten, weil auch fremde Dritte solche Unterlagen nicht herausgeben würden.3 An dieser Feststellung ändert sich auch nichts durch die Einführung der Transparenzannahme in § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG (sog. Hellseher-Klausel), nach der für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes davon auszugehen ist, dass die ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter der beteiligten Unternehmen alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung kennen. Zum einen ist mehr als fraglich, ob die gesetzliche Fiktion des allwissenden Geschäftsleiters mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar ist, da das Marktgeschehen konstitutiv durch Informationsasymmetrien gekennzeichnet ist.4 Unabhängig von dieser Frage bezieht sich die Transparenzannahme ausschließlich auf die Ermittlung von angemessenen Verrechnungspreisen und nicht auf die abgabenrechtlichen Mitwirkungspflichten. Eine legale Fiktion kann ohnehin nicht ein Mitwirkungsverlangen, dem der Steuerpflichtige faktisch unmöglich nachkommen kann, in ein erfüllbares Mitwirkungsverlangen wandeln. Steuerliche Konsequenzen aus einer Unmöglichkeit zu ziehen, erscheint problematisch.

13.51 Beweismaß. Das Beweismaß bezeichnet den Grad der Gewissheit, den die ermittelnde Finanzbehörde oder die finanzgerichtliche Tatsacheninstanz bei der Sachverhaltsaufklärung erreichen muss, ehe sie einen Sachverhalt vollständig unter den Tatbestand einer Rechtsvorschrift mit der Konsequenz subsumieren kann, dass die Rechtsfolge eintritt.5 Erfahrungen 1 Vgl. Seer in T/K, § 117 AO Rz. 2–4, 79–80. Die Rz. 13.221 ff. gehen auf die Möglichkeit ein, Rechts- oder Amtshilfe ausländischer Behörden in Anspruch zu nehmen oder an steuerlichen Außenprüfungen nach Maßgabe EU-ausländischer Rechtsvorschriften teilzunehmen, die § 10 EUAHiG entsprechen. 2 Vgl. Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht22, § 3 Rz. 180 ff.; zustimmend VWG-Verfahren, Tz. 2.1. 3 Vgl. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, BFH/NV 2001, 957 – unter II.5 = FR 2001, 694. 4 Vgl. Eigelshoven in V/L6, Art. 9 Rz. 23; Kaminski, RIW 2007, 594 (595); Looks/Steinert/Müller, BB 2009, 2348 (2351); Piltz, JbFStR 2007/2008, 148 (151); Wassermeyer, DB 2007, 535 (536). 5 Vgl. Seer in T/K, § 88 AO Rz. 29.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.53 Kap. 13

aus der Besteuerungspraxis belegen, dass ein vollständiger Grad der Gewissheit bei der Feststellung von Sachverhalten in aller Regel nicht zu erreichen ist. Ein hohes Beweismaß birgt die Gefahr, dass die Anforderungen an den zu erbringenden Beweis in der Praxis nur selten zu erfüllen sind. Dies bedeutet, dass eine Vielzahl von Steuerpflichtigen – mangels ausreichenden Beweises – auch dann nicht die Rechtsfolgen eines Steuertatbestands gewärtigen müssten, wenn sie diesen Tatbestand tatsächlich erfüllt haben.1 Dadurch würde die Gleichmäßigkeit der Besteuerung infrage gestellt. Ein reduziertes Beweismaß erhöht hingegen die Wahrscheinlichkeit, dass Steuerpflichtige die Rechtsfolgen eines Steuertatbestands tragen, wenn sie diesen erfüllt haben. Deshalb ist es konsequent, die Rechtsfolge in Form der Besteuerung unter bestimmten Voraussetzungen auch dann eintreten zu lassen, wenn ein reduziertes Beweismaß erfüllt ist.2 Dieses reduzierte Beweismaß hat jedoch einen so hohen Grad an Wahrscheinlichkeit bei der Feststellung des Sachverhalts zu erreichen, dass „kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt“.3 Seer kommt das Verdienst zu, Grundsätze entwickelt zu haben, die dabei helfen, die Reduzierung des Beweismaßes dem Steuerpflichtigen bzw. der Finanzverwaltung zuzuordnen. Durch deren Zuordnung löst sich der wechselseitige Zusammenhang zwischen der Beweisvorsorge der Finanzbehörde bei der Sachverhaltsermittlung und der Beweisvorsorge des Steuerpflichtigen bei der Erfüllung der Mitwirkungspflichten auf. Auf diese Weise wird eine rechtliche Würdigung des Sachverhalts erst möglich. Der Grund dafür liegt darin, dass an die Gewissheit hinsichtlich der Feststellung des Sachverhalts, der der Besteuerung zugrunde zu legen ist, ein verminderter Anspruch gestellt wird (sphärenorientierte Beweisrisikoverteilung). Diese Grundsätze haben auch Eingang in die VWG-Verfahren gefunden.4 Subjektive Beweislast (Beweisführungslast). Die subjektive Beweislast bezeichnet die Verpflichtung eines Verfahrensbeteiligten, einen Beweis zu führen, an dessen Nichterfüllung nachteilige Folgen geknüpft sind. Im Besteuerungsverfahren gilt grundsätzlich der Amtsermittlungsgrundsatz, so dass wenig Raum für die Beweisführung durch den Steuerpflichtigen bleibt. Ist der Steuerpflichtige dennoch aufgefordert, einen Beweis zu führen, und führt diesen Beweis nicht, gilt das von ihm Behauptete als unerwiesen und die Finanzverwaltung muss den Sachverhalt nicht von Amts wegen ermitteln. Weder die allgemeine noch die erweiterte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten begründen eine subjektive Beweislast.5 Dies gilt für die Mitwirkungspflicht bei Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen im Ausland gleichermaßen. Folglich führt ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten i.S.d. § 90 AO zumindest formal nicht zu einer Beweislastumkehr.6 Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten nach § 90 AO resultiert jedoch automatisch in einer Reduzierung des Beweismaßes,7 wenn die Finanzbehörde ihrer Ermittlungspflicht nachgekommen ist.

13.52

Objektive Beweislast (Feststellungslast). Die objektive Beweislast regelt die Folgen bei Fehlen eines Beweises, d.h., sie ordnet die Nachteile aus dem Fehlen eines Beweises demjenigen

13.53

1 Seer spricht in diesem Zusammenhang vom Alles-oder-Nichts-Prinzip; vgl. Seer in Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Internationale Einkünfteabgrenzung (Forum der Internationalen Besteuerung Bd. 24), Köln 2003, S. 35, 42. 2 So Seer in T/K, § 88 AO Rz. 31 – „… größtmögliche Wahrscheinlichkeit …“ [Hervorhebung im Original]; a.A. Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, Habil. Köln, München 1992, 61, 64 u. 115. 3 Seer in T/K, § 96 FGO Rz. 66 m.w.N. 4 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 4, insbesondere Tz. 4.2, 4.3 und 4.4. 5 Vgl. Seer in T/K, § 88 AO Rz. 32. 6 Bestätigend Schreiber, Stbg 2003, 474 (476); Wassermeyer, DB 2003, 1535 (1538). 7 So Seer in T/K, § 90 AO Rz. 14; zustimmend Roser in Beermann/Gosch, § 88 AO Rz. 45.

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Kap. 13 Rz. 13.54

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

zu, der für das Fehlen dieses Beweises verantwortlich ist. Danach trägt die Finanzbehörde als Steuergläubiger die objektive Beweislast für steuerbegründende oder steuererhöhende Tatsachen,1 während der Steuerpflichtige die objektive Beweislast für steuerentlastende oder steuermindernde Tatsachen trägt.2 Bezogen auf die Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung bedeutet dies, dass ein beschränkt Steuerpflichtiger z.B. zu belegen hat, dass er ein Darlehen bei einem fremden Dritten aufgenommen und die daraus zugeflossenen Mittel für Anschaffungen verwendet hat, die der Tätigkeit der inländischen Betriebsstätte dienen.3 Die Finanzbehörde hätte hingegen nachzuweisen, dass die aus diesem Darlehen zugeflossenen Mittel der inländischen Betriebsstätte nicht in voller Höhe zuzuordnen sind, weil ein Teil der Finanzierung einer Maschine gedient hat, die im Ausland zu Produktionszwecken genutzt wird. Tz. 2.1 VWG-Verfahren bestätigt, dass der Steuerpflichtige für die Fremdüblichkeit seiner Verrechnungspreise nicht die objektive Beweislast (Feststellungslast) trägt. Diese Grundregel sollte auch auf die Besteuerung von sog. anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen Anwendungen finden. Sofern die deutsche Finanzverwaltung also die Erhebung einer Markennamenlizenz vom inländischen Stammhaus gegenüber einer ausländischen Betriebsstätte einfordert, fällt ihr die objektive Beweislast zu, dass fremde Dritte eine Lizenzvereinbarung getroffen hätten und eine dann zu verrechnende Lizenzgebühr auch unter fremden Dritten üblich ist.

13.54 Abgrenzung zu Steuersystemen mit Selbstveranlagung. Der Grund für die Anwendung der in Rz. 13.52 beschriebenen Beweislastregel ist die Tatsache, dass Steuerrecht Eingriffsrecht ist. Ein Eingriff in die Vermögenssphäre des Steuerpflichtigen ist nach diesem Verständnis jedoch nur dann statthaft, wenn der Beweis erbracht ist, dass der verwirklichte Sachverhalt einen Besteuerungstatbestand auch tatsächlich erfüllt. Folglich trägt die Finanzverwaltung die Beweislast dafür, dass ein verwirklichter Sachverhalt die Tatbestandsvoraussetzung(en) einer Steuerrechtsnorm erfüllt. Diese Beweislastverteilung findet ihre Entsprechung darin, dass nach deutschem Steuerrecht die Finanzverwaltung den Steuerpflichtigen zu veranlagen und im Rahmen des Veranlagungsverfahrens die steuerliche Bemessungsgrundlage zu ermitteln hat.4 In Staaten, in denen das Gesetz ein Selbstveranlagungsverfahren vorsieht (sog. „self-assessment system“), so z.B. in den USA, Australien und – seit 1999 – England, liegt die Beweislast für die Richtigkeit der steuerlichen Bemessungsgrundlage beim Steuerpflichtigen. Er trägt insoweit die Beweislast. So gilt in Australien bspw. für die Festsetzung von Strafzuschlägen der Grundsatz, dass eine höhere Wahrscheinlichkeit gegen die Verwirklichung eines Tatbestands sprechen muss als dafür, wenn der Steuerpflichtige den Tatbestand nicht zu erklären gedenkt und gleichzeitig die Festsetzung von Strafzuschlägen vermeiden will.

13.55 Sphärenorientierte Beweisrisikoverteilung. Seer hat in seiner Habilitationsschrift5 die sog. sphärenorientierte Beweisrisikoverteilung entwickelt. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist 1 Bestätigend für die Feststellung einer verdeckten Gewinnausschüttung BFH v. 4.4.2002 – I B 140/01, BFH/NV 2002, 1179. 2 Ständige Rechtsprechung seit BFH v. 5.11.1970 – V R 71/67, BStBl. II 1971, 220 (224); vgl. auch Schmidt, Die Problematik der objektiven Beweislast im Steuerrecht, Diss. Würzburg, Berlin 1998, S. 220 ff. 3 Zur Beweislast bei der internationalen Einkünfteabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen vgl. Ritter, FR 1985, 34 ff.; Kempermann, FR 1990, 441 ff.; Pezzer, Die verdeckte Gewinnausschüttung im Körperschaftsteuerrecht, 8; Eppler, DStR 1988, 339 ff.; Janssen, DStR 1994, 314. 4 Der am 16.12.2013 unterzeichnete Koalitionsvertrag („Deutschlands Zukunft gestalten“, 90) sah beispielsweise vor, in der Legislaturperiode 2013–2017 in Bezug auf die Körperschaftsteuer ein Selbstveranlagungsverfahren einzuführen. 5 Vgl. Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, Köln 1996, 186 ff.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.56 Kap. 13

das BGH-Urt. v. 17.2.1970. Dort heißt es, dass ein Richter sich hinsichtlich der einer Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen „mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen“1 soll. Dies gilt für die ermittelnde Finanzbehörde vom Veranlagungsverfahren bis zum außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren gleichermaßen. Ihren Kontrapunkt findet diese Überlegung in „dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass dem Beweisverderber keine Vorteile aus seinem Verhalten erwachsen dürfen“.2 Vor dem Hintergrund des wechselseitigen Zusammenhangs zwischen Amtsermittlungspflicht der Finanzbehörde und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen spricht vieles dafür, demjenigen die Nachteile einer Entscheidung über die Besteuerung eines Sachverhalts zuzuordnen, der seine Pflichten verletzt hat. Für den Fall der zwischenstaatlichen Einkünfteabgrenzung bedeutet dies, dass der Steuerpflichtige die Verantwortung für die Sachaufklärung in umso stärkerem Maße trägt, je mehr die relevanten Tatsachen oder Beweismittel in dessen Informations- und Tätigkeitssphäre liegen (Sphärengedanke der Beweisnähe). Danach kommt es zu einer Reduzierung des Beweismaßes (vgl. Rz. 13.52) für steuerbegründende oder -erhöhende Tatsachen, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt. Hat der Steuerpflichtige die mangelnde Sachaufklärung hingegen nicht zu vertreten, reduziert sich auch nicht das Beweismaß für steuerbegründende oder -erhöhende Tatsachen. Bezieht sich die Verletzung der Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen auf steueraufhebende oder -entlastende Tatsachen, kommt es im Umkehrschluss nicht zu einer Beweismaßreduzierung zugunsten des Steuerpflichtigen. Die Finanzbehörde ist jedoch nach wie vor an den Amtsermittlungsgrundsatz gebunden, da sie die steuerbegründenden bzw. -erhöhenden Tatsachen zu belegen hat. Allerdings ist die Finanzbehörde durch § 88 Abs. 2 AO auch dazu aufgefordert, den Steuerpflichtigen ggf. darauf hinzuweisen, dass er durch die Beibringung steueraufhebender oder -entlastender Tatsachen steuerbegründende bzw. -erhöhende Tatsachen entkräften kann. So ist hinsichtlich eines vorgelegten Fremdvergleichs denkbar, dass die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen dazu auffordert, die Vergleichbarkeit der Funktionen des zum Vergleich herangezogenen fremden Dritten nachzuweisen, um den Fremdvergleich zu Verteidigungszwecken nutzen zu können.

II. Untersuchungsgrundsatz 1. Inhalt der Amtsermittlungspflicht Amtsermittlungsgrundsatz. Die Finanzbehörde hat den vom Steuerpflichtigen verwirklichten Sachverhalt, der der Besteuerung zugrunde zu legen ist, von Amts wegen zu ermitteln (§ 88 Abs. 1 AO).3 Die Notwendigkeit zur Ermittlung des Sachverhalts ergibt sich aus § 38 AO, der die Besteuerung eines Sachverhalts nur dann erlaubt, wenn dieser den Tatbestand erfüllt, an den das Gesetz die Besteuerungsfolge knüpft. Im Rahmen ihrer Tätigkeit hat die ermittelnde Finanzbehörde alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen. Dazu gehören insbesondere auch die für den Steuerpflichtigen günstigen Umstände. Bedeutsame Umstände für Zwecke der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung, die von der Finanzbehörde ggf. unter Mitwirkung des Steuerpflichtigen zu ermitteln sind, können u.a. sein:

1 BGH v. 17.2.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245 (256). 2 Vgl. Seer in Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Internationale Einkünfteabgrenzung (Forum der Internationalen Besteuerung Bd. 24), Köln 2003, S. 35, 44; vgl. auch BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462 = FR 1989, 375; zitiert in VWG-Verfahren, Tz. 4.5. 3 So auch VWG-Verfahren, Tz. 2.1.

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13.56

Kap. 13 Rz. 13.57

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

– die Beteiligungsverhältnisse insbesondere bei Personengesellschaften, – die Zuordnung von Personalfunktionen, Wirtschaftsgütern, Chancen und Risiken und Eigenkapital, – Art, Inhalt und Umfang der Innentransaktionen (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen), – eine Analyse der ausgeübten Unternehmensfunktionen, der Verteilung der genutzten Vermögensgegenstände sowie deren Veränderung, – die gewählte Abgrenzungsart (direkt oder indirekt) in Veranlagungszeiträumen vor Einführung des AOA, – die gewählte Verrechnungspreismethode, – die Feststellung, ob Innentransaktionen eine Geschäftsbeziehung mit nahestehenden oder dritten Personen vorausging, z.B. bei Darlehensaufnahme oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen, – die Feststellung, ob überführte Wirtschaftsgüter an nahestehende oder dritte Personen weiterveräußert worden sind, – die Umrechnung des Betriebsstättenergebnisses einschließlich Währungsfragen, – die Kostenbasis bei der Verrechnung von Dienstleistungen.

13.57 Die nachfolgenden Beispiele illustrieren Einzelheiten des Sachverhalts, die für die Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung bedeutsam sein können: Beispiel zur Überführung von Wirtschaftsgütern: A ist eine natürliche Person, die in Frankreich ansässig ist und in Deutschland, Frankreich und der Türkei an Personengesellschaften beteiligt ist. Im Veranlagungszeitraum 2016 überführt A eine Maschine aus der deutschen A-OHG in eine seiner ausländischen Personengesellschaften, ohne dass ein Entgelt dafür gezahlt worden wäre. Die zuständige Finanzbehörde ermittelt, dass die Maschine in die französische Personengesellschaft überführt worden ist und beabsichtigt eine Einkünftekorrektur nach § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 EStG.1 Beispiel zu den Verrechnungspreismethoden: Die X GmbH & Co. KG mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland lässt Lenkräder von ihrer Personentochtergesellschaft in Osteuropa in Lohnfertigung herstellen und liefert diese anschließend an Automobilhersteller im In- und Ausland. Der Verrechnungspreis für die Lenkräder wird nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt. In der Aufbauphase bezieht die osteuropäische Gesellschaft auch die Kosten für von der X GmbH & Co. KG erbrachte Trainingsmaßnahmen der Belegschaft, für ungenutzte Produktionskapazitäten, für Kapitalverzinsung und für produzierten Ausschuss in die Kostenbasis mit ein.

13.58 Verletzung der Ermittlungspflicht durch die Finanzbehörde. Der Amtsermittlungsgrundsatz verlangt u.a., dass die Finanzbehörde auch Umstände berücksichtigt, die für den Steuerpflichtigen günstig sind (§ 88 Abs. 2 AO). Geschieht dies nicht, besteht Grund zu der Annahme, dass die Finanzbehörde ihre Ermittlungspflichten verletzt hat. Für diesen Fall vertritt

1 Zweifel daran, dass die Entstrickungsregelungen (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG) mit Art. 43 EG (heute Art. 49 AEUV) und Art. 56 EG (heute Art. 63 AEUV) nicht vereinbar sind, scheinen mit dem Urteil des EuGH v. 21.5.2015 – Rs. C-657/13 – Verder LabTec, ECLI:EU:C:2015:331, ausgeräumt.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.61 Kap. 13

Loose die Auffassung, dass die Finanzbehörde wegen dieser Pflichtverletzung gehindert sein kann, einen Steuerbescheid zu Ungunsten des Steuerpflichtigen zu ändern.1 Dies soll in dem nachfolgenden Beispiel verdeutlicht werden: Beispiel: Die X GmbH ist eine in Deutschland ansässige Gesellschaft, die eine eingetragene Zweigniederlassung in der Schweiz unterhält. Die Schweizer Zweigniederlassung vertreibt in der Schweiz Produkte, die die X GmbH von fremden Lohnherstellern fertigen lässt und an die Schweizer Zweigniederlassung veräußert. In der steuerlichen Außenprüfung bei der X GmbH werden die Verrechnungspreise für die Lieferung der Produkte von der X GmbH an ihre Schweizer Zweigniederlassung als unangemessen niedrig eingestuft. Der von der X GmbH erbrachte tatsächliche Fremdvergleich mit Verrechnungspreisen für identische Produkte, die die X GmbH in denselben Veranlagungszeiträumen zu identischen Konditionen an fremde Dritte im europäischen Ausland geliefert hat, wird von der Betriebsprüfung nicht akzeptiert. Als Grund für die Ablehnung führt die Betriebsprüfung an, dass die Schweizer Zweigniederlassung einen geringeren Funktionsumfang hat als der zum Vergleich herangezogene fremde Dritte.2 Diese Behauptung kann die Betriebsprüfung mangels Ermittlungstätigkeit jedoch nicht beweisen.

Rechtliche Würdigung. Die Finanzbehörde ist hier bestimmten Tatsachen nicht nachgegangen und hat damit gegen § 88 Abs. 2 AO verstoßen, weil sie die für den Steuerpflichtigen günstigen Umstände nicht berücksichtigt hat, obwohl sie für den Einzelfall bedeutsam gewesen sind. Sofern die Betriebsprüfung an ihrer Behauptung festhalten und ohne weitere Ermittlungstätigkeiten eine Verrechnungspreiskorrektur festsetzen sollte, besteht für den Steuerpflichtigen daher eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit, im Klageverfahren unter Verweis auf den Amtsermittlungsgrundsatz die Rechtswidrigkeit einer solchen Verrechnungspreisanpassung feststellen zu lassen.

13.59

Art, Umfang und Intensität der Ermittlungen. Die ermittelnde Finanzbehörde ist hinsichtlich der Art und des Umfangs ihrer Ermittlungen nicht beschränkt. Gemäß Nr. 1 zu § 88 AEAO soll der Aufklärungsaufwand jedoch in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten Erfolg stehen. Die Finanzbehörde bestimmt weiterhin nach eigenem Ermessen, in welchem Umfang sie die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt und welche Beweismittel sie für die Aufklärung des Sachverhalts für erforderlich hält (§ 92 AO). Bei der Ausübung ihres Ermessens soll die Finanzbehörde sich von dem Zweck leiten lassen, dass die Steuern nach Maßgabe des Gesetzes gleichmäßig festzusetzen sind.

13.60

2. Grenzen der Amtsermittlungspflicht Geografische Grenzen durch Hoheitsbefugnisse. Bei Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen im Ausland und bei grenzüberschreitenden Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte finden die Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung wegen der auf das Inland beschränkten Hoheitsbefugnisse ihre Grenze.3 Sie ist insoweit auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen angewiesen.4 Ist auch unter Mitwirkung des Steuerpflichtigen der Sachverhalt nicht im Sinne der Finanzverwaltung aufzuklären, hat sie die Möglichkeit, im Wege der Rechts- oder Amtshilfe fehlende Auskünfte oder Unterlagen zu

1 Vgl. Loose in T/K, § 173 AO Rz. 62; BFH v. 29.4.1997 – VII R 1/97, BFH/NV 1997, 360. 2 Vgl. Loose in T/K, § 173 AO Rz. 62. 3 Vgl. Crezelius, IStR 2002, 433. Für eine Ausdehnung der Prüfungstätigkeit auf das Ausland plädierend Reiffs, StBp 1999, 116–119. 4 Vgl. zur Begründung der Mitwirkungspflicht Crezelius, IStR 2002, 433 (435) – unter 4.

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13.61

Kap. 13 Rz. 13.62

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

beschaffen (s. zur Rechts- und Amtshilfe Rz. 13.221 ff.). Die VWG-Verfahren setzen der Inanspruchnahme von Rechts- oder Amtshilfe jedoch enge Grenzen. Nach deren Tz. 2.4 soll die Finanzverwaltung die internationale Rechts- oder Amtshilfe nur dann in Anspruch nehmen, wenn sie die nationalen Ermittlungsmöglichkeiten einschließlich der Mitwirkungspflichten ausgeschöpft hat oder sich abzeichnet, dass die erforderlichen Auskünfte nicht erteilt bzw. die Nachweise und Aufzeichnungen nicht vorgelegt werden.1 Diese restriktive Haltung ist in der Praxis nicht immer anzutreffen und geht einher mit den Bemühungen der OECD, den grenzüberschreitenden Informationsaustausch in Steuersachen zu intensivieren.2 Beispiel: Die Finanzbehörde führt bei der A-GmbH in Düsseldorf eine Außenprüfung durch. Die A GmbH ist eine Gesellschaft des A-Konzerns und vertreibt dessen Produkte in einer Funktion als Kommissionär. Der Kommittent ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland, die 80 % der Anteile und Stimmrechte an der A-GmbH hält. Die Finanzbehörde hat Zweifel an der Angemessenheit der Kommissionärsvergütung und fordert den Kommissionär auf, Unterlagen zu beschaffen, aus der die Handelsmarge des Kommittenten im Ausland hervorgeht. Die A-GmbH kommt dieser Aufforderung nicht nach, da sie weder rechtlich noch tatsächlich die Möglichkeit hat, die angeforderten Unterlagen zu erlangen. Die Finanzbehörde kann sich die Unterlagen jedoch auf dem Wege der Rechts- oder Amtshilfe beschaffen, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind.

13.62 Rechtliche Grenzen durch Beweisverbote oder Beweisverwertungsverbote. Beweisverbote und Beweisverwertungsverbote begrenzen die Ermittlungsbemühungen der Finanzbehörde vor allem in den Fällen, in denen aus der Beweiserhebung oder -verwertung eine Verletzung von Grundrechten droht.3 Für Zwecke des Besteuerungsverfahrens sind diese u.a. in den §§ 101 bis 106 AO geregelt und sind grundsätzlich geeignet, die Ermittlungsbemühungen der Finanzbehörde bei der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung einzuschränken.

13.63 Rechtliche Grenzen durch Verstoß gegen das Übermaßverbot. Die Grenze der Ermittlungstätigkeit ist dann erreicht, wenn die gewählten Maßnahmen nicht geeignet, nicht erforderlich oder unverhältnismäßig für die Erreichung des Zwecks sind (Ermessensfehlgebrauch).4 Beispiel (Sachverhalt wie in Rz. 13.61): Die Finanzbehörde droht der A-GmbH mit einer Strafschätzung, wenn diese die angeforderten Unterlagen nicht beschafft. Eine Strafschätzung ist weder geeignet noch erforderlich, um eine gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen. Geeignet ist die Maßnahme deshalb nicht, weil sie an der rechtlichen und tatsächlichen Unmöglichkeit, die Unterlagen zu erlangen, nichts ändert. Erforderlich ist die Maßnahme deshalb nicht, weil der Finanzbehörde über die Rechts- und Amtshilfe Mittel zur Verfügung stehen, die angeforderten Unterlagen zu erhalten. Sie ist außerdem unverhältnismäßig, weil durch die hier beabsichtigte Verdachtsbesteuerung dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht genügt wird. In Fällen, in denen der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht nicht verletzt hat, kommt es nach der sphärenorientierten Beweisrisikoverteilung gerade nicht zu einer Reduzierung des Beweismaßes für die steuerbegründenden bzw. -erhöhenden Tatsachen.5

1 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 2.4. 2 Vgl. dazu OECD, Committee on Fiscal Affairs v. 23.1.2006, Manual on the implementation of exchange of information provisions for tax purposes, http://www.oecd.org/tax/exchange-of-taxinformation/36647823.pdf. 3 Vgl. zu Einzelheiten Seer in T/K, § 88 AO Rz. 14–18. 4 Vgl. Seer in T/K, § 88 AO Rz. 4. 5 Vgl. Seer in Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Internationale Einkünfteabgrenzung (Forum der Internationalen Besteuerung Bd. 24), Köln 2003, S. 35, 44–45.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.65 Kap. 13

III. Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten 1. Mitwirkungspflichten der Beteiligten Rechtsgrundlage. Die Besteuerung knüpft in aller Regel an Sachverhalte an, die der Steuerpflichtige durch sein Handeln verwirklicht hat. Da der Steuerpflichtige wegen seiner Beteiligung an der Verwirklichung eines Sachverhalts den besten Zugang zu den damit verbundenen steuererheblichen Tatsachen hat, verpflichtet ihn das Gesetz zur Mitwirkung bei der Aufklärung des für die Besteuerung relevanten Sachverhalts. Die Mitwirkungspflichten sind in § 90 AO geregelt. Dort wird unterschieden zwischen der allgemeinen Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 1 AO), der erhöhten Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO) und der Mitwirkungspflicht bei Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen im Ausland (§ 90 Abs. 3 AO). Die Mitwirkungspflicht wird bei Überschreiten bestimmter Umsatzschwellen erweitert. Für ein Unternehmen mit mindestens einer in einem anderen Staat ansässigen nahestehenden Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG oder einer Betriebsstätte im Ausland (sog. multinationale Unternehmensgruppe), das im vorangegangenen Wirtschaftsjahr einen Umsatz von nicht weniger als 100 Mio. Euro erzielt hat, gehört für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2016 beginnen,1 zu den Aufzeichnungen auch eine Stammdokumentation (sog. Masterfile, § 90 Abs. 3 Satz 3 AO i.d.F. nach dem 24.12.2016). Die Stammdokumentation hat einen Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe und über die von ihr angewandte Systematik der Verrechnungspreisbestimmung zu geben. Multinationale Unternehmensgruppen, deren im Konzernabschluss ausgewiesene, konsolidierte Umsatzerlöse im vorangegangenen Wirtschaftsjahr mindestens 750 Mio. Euro betragen haben, haben für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2015 beginnen,2 eine länderbezogene Berichterstattung (sog. Country-by-Country Reporting) zu erstellen (§ 138a AO).3 Die Mitwirkungspflicht löst für sich keine subjektive Beweislast aus.4 Folglich hat die Finanzbehörde nach wie vor die Beweisführungslast dafür, dass ein Steuerpflichtiger die Tatbestandsmerkmale einer Gewinnermittlungsvorschrift erfüllt.

13.64

Verwirklichung des Sachverhalts durch mehrere Personen. In der zwischenstaatlichen Einkünfteabgrenzung sind an der Verwirklichung des für die Besteuerung relevanten Sachverhalts in der Regel mehrere Personen beteiligt. Eine Ausnahme bilden insoweit die sog. Innentransaktionen zwischen einem Stammhaus und dessen Betriebsstätte, die ab dem 1.1.2013 auch (anzunehmende schuldrechtliche) Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG sind. Wenn ein Sachverhalt der Besteuerung zugrunde zu legen ist, an dem neben dem Steuerpflichtigen weitere Personen mitgewirkt haben, können den Mitwirkungspflichten Grenzen gesetzt sein. Im rein nationalen Kontext kann die Finanzbehörde diese Grenzen in der Regel überwinden, indem sie bspw. Auskünfte von anderen Personen i.S.d. § 92 Satz 2 Nr. 1 AO einholt, wenn die Auskünfte der Beteiligten nicht zum Ziel führen oder keinen Erfolg versprechen.5 Dies gelingt bei Sachverhalten mit Auslandsberührung nicht uneingeschränkt, so dass insoweit ggf. auf das Instrument der Rechts- und Amtshilfe zurückzugreifen ist.

13.65

1 Vgl. Art. 97 § 22 Abs. 1 Satz 4 EGAO. 2 Vgl. Art. 97 § 31 Satz 1 EGAO. 3 Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen (BEPS-Umsetzungsgesetzes) v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 4 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 7 für § 90 Abs. 1 AO sowie Rz. 20 für § 90 Abs. 2 AO. 5 Vgl. § 93 Abs. 1 Satz 3 AO; VWG-Verfahren, Tz. 2.3.

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Kap. 13 Rz. 13.66

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

2. Allgemeine Mitwirkungspflicht

13.66 Vollständige und wahrheitsgemäße Offenlegung von für die Besteuerung erheblichen Tatsachen. Nach § 90 Abs. 1 AO haben die Beteiligten bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken. Zu den gesetzlich normierten Mitwirkungspflichten gehören z.B. § 93 AO (Erteilung von Auskünften),1 §§ 149, 153 AO (Steuererklärungs- und ggf. -berichtigungspflicht), § 138 AO (Anzeigepflicht), §§ 97 bis 100 AO (Pflicht zur Benennung und Vorlage von Beweismitteln), § 159 AO (Nachweis von Treuhänderschaften), § 160 AO (Pflicht zur Empfängerbenennung) und § 200 AO (Pflichten im Rahmen einer Außenprüfung).2 Diese Mitwirkung drückt sich darin aus, dass die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen sind. Beispiel: Eine inländische Betriebsstätte, die gegenüber ihrem ausländischen Stammhaus Dienstleistungen erbringt, rechnet diese in Ermangelung von Fremdpreisen nach der Kostenaufschlagsmethode ab. Sie kommt ihrer Mitwirkungspflicht dadurch nach, dass sie sämtliche Kosten vollständig und wahrheitsgemäß offenlegt, die ihr für die Erbringung der Dienstleistungen entstanden sind.

13.67 Angabe der bekannten Beweismittel. Der Steuerpflichtige hat weiterhin seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen, indem er vorhandene und ihm bekannte Beweismittel vorlegt. Er ist hingegen nicht verpflichtet, besondere Aufzeichnungen zu erstellen,3 es sei denn, die Steuergesetze schreiben die Erstellung solcher Aufzeichnungen explizit vor. Für Zwecke der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung hat es für diejenigen Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.1.2003 beginnen, keine besonderen Aufzeichnungspflichten gegeben. Folglich ist der Steuerpflichtige für diese Wirtschaftsjahre lediglich verpflichtet, vorhandene Aufzeichnungen auf Anforderung vorzulegen. Dazu gehören auch freiwillig erstellte Unterlagen. Beispiel: Eine inländische Betriebsstätte vertreibt das pharmazeutische Produkt C im Inland. Die Produktrechte liegen bei einem fremden Dritten, der dem Einheitsunternehmen für die Einräumung des Vertriebsrechts in mehreren Ländern Lizenzzahlungen in Rechnung stellt. Die Lizenzzahlung wird von dem ausländischen Stammhaus geleistet. Dort wird für interne Verrechnungszwecke eine Berechnung erstellt, die die Lizenzzahlungen nach den erzielten Umsätzen auf die Länder schlüsselt, die das Produkt C vertreiben. Diese Berechnung wird der inländischen Betriebsstätte als Anhang zur Rechnung über die anteilige Lizenzzahlung zugeschickt. Die inländische Betriebsstätte hat diese Berechnung auf Anforderung vorzulegen.

Ob und inwieweit sich aus § 90 Abs. 3 AO für diejenigen Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2002 beginnen, besondere Aufzeichnungspflichten für Betriebsstätten und Personengesellschaften ergeben, wird in Rz. 13.91 ff. untersucht.

13.68 Aufbewahrungsform und Vorlage von Unterlagen. Die VWG-Verfahren verlangen in Tz. 3.2.4 die Aufbewahrung von Belegen, Urkunden oder sonstigen Dokumenten entweder im Original oder in elektronischer Form. Dieses Verlangen schränkt den Steuerpflichtigen zu stark ein. Er sollte deshalb nicht in irgendeiner Form bestraft werden, wenn er anstelle von Originalen Kopien in seiner Verrechnungspreisdokumentation aufbewahrt und nur auf Verlangen die Originalunterlagen beschafft. In den Fällen, in denen eine gesetzliche Ver-

1 Siehe zur Ausdehnung der Auskunftspflicht auf ausländische Beteiligte VWG-Verfahren, Tz. 3.2.2. 2 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.2.1. 3 So Seer in T/K, § 90 AO Rz. 4; Seer in Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Internationale Einkünfteabgrenzung (Forum der Internationalen Besteuerung Bd. 24), Köln 2003, S. 35, 41.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.72 Kap. 13

pflichtung zur Aufbewahrung von Originalunterlagen besteht, ist gegen die in Tz. 3.2.4 VWGVerfahren formulierte Vorlagepflicht grundsätzlich nichts einzuwenden. Übersetzung von Dokumenten in fremder Sprache.1 Aufgrund der Tatsache, dass die Amtssprache deutsch ist (§ 87 Abs. 1 AO), ist der Steuerpflichtige grundsätzlich verpflichtet, im Schriftverkehr mit der Finanzverwaltung die deutsche Sprache zu benutzen. Übersetzungen von fremdsprachigen Dokumenten sind jedoch auf das notwendige Maß zu begrenzen.2 Diese Regelung trägt den Realitäten der grenzüberschreitend tätigen Wirtschaft in ausreichendem Maße Rechnung. Zweifel an der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit sind jedoch angebracht anlässlich des Ansinnens der Finanzverwaltung, die nicht in die deutsche Sprache übersetzten Teile von Unterlagen als neue Tatsachen zur Öffnung von Veranlagungen nutzen zu wollen.3

13.69

Berichtigung von Steuererklärungen. Stellt ein Steuerpflichtiger nach Abgabe seiner Steuererklärung fest, dass diese unrichtig oder unvollständig ist, so hat er dies unverzüglich anzuzeigen und seine Angaben zu berichtigen (§ 153 Abs. 1 AO). Dies gilt auch für die Feststellung von objektiv unangemessenen Verrechnungspreisen.4

13.70

Verletzung der Mitwirkungspflicht. Das Besteuerungsverfahren sieht ein Zusammenwirken von Finanzbehörde und Steuerpflichtigem vor. Dieses Zusammenwirken zielt darauf ab, denjenigen Verfahrensbeteiligten zur Ermittlung bzw. Mitwirkung zu verpflichten, in dessen Sphäre die steuererheblichen Informationen zu finden sind. Da der Steuerpflichtige in der Regel derjenige ist, der einen für die Besteuerung erheblichen Sachverhalt verwirklicht, hat er in stärkerem Maße dazu beizutragen, diesen Sachverhalt aufzuklären. Nach diesem Verständnis wäre es dem Verfahren wesensfremd, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkung verweigern könnte, ohne dass dies für ihn Konsequenzen hätte.5 Dem entspricht es, dass die Finanzbehörde im Fall der Pflichtverletzung durch den Steuerpflichtigen ihrerseits nur ein vermindertes Beweismaß erfüllen muss. Sie hat also eher die Möglichkeit, die Erfüllung eines Steuertatbestands zu unterstellen und die dafür vorgesehenen Rechtsfolgen der Veranlagung zugrunde legen.

13.71

Grenzen der Mitwirkungspflicht. Die vorstehend beschriebenen steuerlichen Konsequenzen treten jedoch nicht automatisch bei jeder unterstellten Verletzung der Mitwirkungspflicht ein. Der Grund dafür liegt darin, dass es für die Mitwirkungspflicht sowohl rechtliche als auch tatsächliche Grenzen gibt. Existieren solche Grenzen, ist ein Mitwirkungsverlangen der Finanzbehörde objektiv nicht erfüllbar. Knüpfte man an den Umstand der Nichterfüllung negative steuerliche Konsequenzen etwa dergestalt, dass die Finanzbehörde lediglich ein reduziertes Beweismaß zu erfüllen hat, käme es zu einer übermäßigen bzw. unverhältnismäßigen Belastung des Steuerpflichtigen, die nicht mehr von der Verfassung gedeckt wäre. Deshalb ist mit der sphärenorientierten Beweisrisikoverteilung festzustellen, dass die Finanzbehörde bei objektiver Unmöglichkeit der Mitwirkung des Steuerpflichtigen den Sachverhalt im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst zu ermitteln hat, d.h. ggf. unter Rückgriff auf das Instrument der Rechts- oder Amtshilfe. Gelingt es ihr mit diesen Mitteln nicht, den Tatbestand zweifelsfrei

13.72

1 2 3 4

Zu fremdsprachigen Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO s. Rz. 13.115. So VWG-Verfahren, Tz. 3.2.5. Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.2.5. Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.2.6. Vgl. in diesem Zusammenhang zu den möglichen Rechtsfolgen auch Peters/Pflaum, wistra 2011, 256. 5 Ausnahmen bestehen lediglich dann, wenn der Steuerpflichtige sich wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit selbst belasten würde.

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Kap. 13 Rz. 13.73

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

festzustellen, an den das Steuerrecht die gewünschte Rechtsfolge knüpft, so hat sie insoweit von einer Veranlagung bzw. Änderung derselben abzusehen. 3. Erhöhte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten

13.73 Sachliches Anknüpfungsmerkmal. Da die inländische Finanzbehörde (außer in den im EUAmtshilfegesetz geregelten Fällen; s. dazu Rz. 13.232) grundsätzlich nicht befugt ist, Ermittlungshandlungen im Ausland vorzunehmen, ist sie bei Auslandssachverhalten auf die Mithilfe des Steuerpflichtigen angewiesen. § 90 Abs. 2 AO verpflichtet den Beteiligten, den Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen, soweit Sachverhalte zu ermitteln sind, die sich auf Vorgänge im Ausland beziehen (erweiterte Mitwirkungspflicht). Die zwischenstaatliche Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung umfasst in aller Regel Vorgänge mit Auslandsbezug, so dass die an diesen Vorgängen Beteiligten grundsätzlich der erweiterten Mitwirkungspflicht unterliegen.

13.74 Persönliches Anknüpfungsmerkmal. Die erhöhte Mitwirkungspflicht erfasst die Beteiligten. Beteiligt ist neben der ermittelnden Finanzbehörde, die von einer Ermittlungstätigkeit im Ausland weitgehend ausgeschlossen ist, vor allem der Steuerpflichtige selbst. Dies trifft sowohl unbeschränkt als auch beschränkt Steuerpflichtige. Daraus folgt, dass sich Steuerpflichtige mit Betriebsstätten im In- oder Ausland der erweiterten Mitwirkungspflicht i.S.d. § 90 Abs. 2 AO nicht entziehen können. Bei der zwischenstaatlichen Einkünfteabgrenzung von Personengesellschaften sind deren Gesellschafter zusätzlich zu der Gesellschaft von der erhöhten Mitwirkungspflicht erfasst. Beispiel 1: Die inländische K-GmbH hat eine Niederlassung im EU-Ausland, an die sie Lizenzzahlungen gegenüber einem fremden Dritten weiterbelastet. Die K-GmbH unterliegt der erhöhten Mitwirkungspflicht, da sie Beteiligte i.S.d. § 78 Nr. 1 AO ist. Beispiel 2: Eine ausländische Kapitalgesellschaft ist als Kommanditist an einer inländischen KG beteiligt. Sie liefert Waren an ihre deutsche Tochtergesellschaft. Die Kapitalgesellschaft ist Beteiligte i.S.d. § 78 Nr. 1 AO und damit von der erhöhten Mitwirkungspflicht erfasst. Beispiel 3: Die im EU-Staat A ansässige natürliche Person ist als Kommanditist sowohl an einer KG im Inland als auch an einer weiteren Personengesellschaft im EU-Staat B mehrheitlich beteiligt. Die inländische KG erbringt Dienstleistungen an die Personengesellschaft im Staat B. Die natürliche Person ist als im Inland beschränkt steuerpflichtiger Beteiligter i.S.d. § 78 Nr. 1 AO und unterliegt damit der erhöhten Mitwirkungspflicht. Beispiel 4: Gleicher Sachverhalt wie unter Beispiel 3, nur dass die natürliche Person ausschließlich indirekt über eine Personengesellschaft im Staat C an der inländischen KG beteiligt ist. Die natürliche Person ist im Inland nicht beschränkt steuerpflichtig und unterliegt somit nicht der erhöhten Mitwirkungspflicht.1 Die Tatsache, dass der natürlichen Person Einkünfte aus der KG im Rahmen der einheitlichen gesonderten Gewinnfeststellung nach dem Recht des Staats C zugerechnet werden, führt nicht zur beschränkten Steuerpflicht der natürlichen Person im Inland. Die Personengesellschaft im Staat C ist im Inland beschränkt steuerpflichtig und unterliegt folglich der erhöhten Mitwirkungspflicht. Beispiel 5: Der im Inland ansässige Steuerpflichtige unterhält eine Betriebsstätte im Ausland. Das einschlägige DBA mit dem ausländischen Staat sieht die Anwendung der Freistellungsmethode für die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte vor und enthält gleichzeitig eine Subject-to-Tax-Klausel.

1 Das gleiche Ergebnis kann durch Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft erzielt werden, die jedoch ihrerseits der Mitwirkungspflicht unterläge.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.75 Kap. 13

Im Rahmen der erhöhten Mitwirkungspflicht gemäß § 90 Abs. 2 AO bei Auslandssachverhalten muss der Steuerpflichtige nachweisen, dass seine Betriebsstätteneinkünfte im Ausland der Besteuerung unterworfen wurden oder werden.1

Verhältnis zur Rechts- und Amtshilfe. Neben dem Steuerpflichtigen ist auch die ermittelnde Finanzbehörde beteiligt i.S.d. § 78 Nr. 1 AO. Folglich ist auch sie verpflichtet, mit allen rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und erforderliche Beweismittel zu beschaffen. Eine der ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten ist die Rechts- und Amtshilfe. In der Kommentarliteratur zu § 90 Abs. 2 AO wird die Auffassung vertreten, dass die Inanspruchnahme der Rechts- und Amtshilfe durch die Finanzbehörde erst dann statthaft ist, wenn § 90 Abs. 2 AO nicht zum Ziel führt oder keine Hilfe verspricht.2 Der Grund dafür läge darin, dass die nationalen Auskunftsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft wären und damit eine der Anwendungsvoraussetzungen der Rechts- und Amtshilfe nicht gegeben wäre.3 Diese Auffassung steht im Widerspruch zum Wortlaut des § 90 Abs. 2 Satz 2 AO. Dort wird nicht nur der Steuerpflichtige, sondern auch die Finanzbehörde gesetzlich dazu verpflichtet, alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Dies schließt die Inanspruchnahme von Rechts- oder Amtshilfe ein. Es ist nicht erkennbar, weshalb § 90 Abs. 2 AO die Ermittlungspflicht bei Auslandssachverhalten einseitig dem Steuerpflichtigen auferlegt. Eine solche Auslegung ginge über den Zweck der Vorschrift hinaus. Die abweichende Auffassung stützt sich in erster Linie auf Art. 17 Abs. 1 der Amtshilferichtlinie. Dort ist geregelt, dass der um Auskunft ersuchte Staat nur dann Auskunft geben muss, wenn der ersuchende Staat die Mittel, die ihm das nationale Recht gibt, ausgeschöpft hat. Art. 17 Abs. 1 der Amtshilferichtlinie zielt folglich auf den Staat, der um Rechts- bzw. Amtshilfe ersucht worden ist. Damit scheint der Zweck der Vorschrift in erster Linie darin zu liegen, den um Auskunft ersuchten Staat vor einer Flut von Auskunftsersuchen zu schützen, wenn die nationalen Vorschriften des um Auskunft ersuchenden Staats nicht ausgeschöpft worden sind. Da der um Auskunft ersuchte Staat in aller Regel nicht nachprüfen kann, ob die nationalen Mittel des ersuchenden Staats vollständig ausgeschöpft sind und insoweit auf eine entsprechende Erklärung des ersuchenden Staats angewiesen sein dürfte, stellt sich die Frage der Zweckmäßigkeit dieser Vorschrift. Im nationalen Umsetzungsgesetz wird daher die Anforderung auch an die ersuchende Behörde gerichtet, indem die deutsche Finanzverwaltung verpflichtet wird, vor Ersuchen auf Amtshilfe alle nach der Abgabenordnung vorgesehenen Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen, es sei denn, die Durchführung der Ermittlungen wäre mit unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten verbunden oder stellt sich als nicht erfolgversprechend dar (vgl. § 6 Abs. 2 EUAHiG). Die Norm scheint in erster Linie auf die Abwehr der Gefahr der Verlagerung von Ermittlungsarbeiten abzuzielen; eine Gefahr, die angesichts der nach wie vor bestehenden Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Finanzbehörden der Europäischen Union von eher theoretischer Natur sein dürfte. Die Erfahrung zeigt, dass die inländischen Finanzbehörden das Instrument der zwischenstaatlichen Rechts- und Amtshilfe insbesondere dann bemühen, wenn es darum geht, die Aufteilung

1 Vgl. BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980, Tz. 2.4. 2 Vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.62 m.w.N. 3 Vgl. Art. 17 Abs. 1 RL 2011/16/EU des Rates v. 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2016/2258/EU des Rates v. 6.12.2016 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des Zugangs von Steuerbehörden zu Informationen zur Bekämpfung der Geldwäsche, ABl. EU Nr. L 342/2016, 1.; Seer in T/K, § 117 AO Rz. 11, 35 u. 70.

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13.75

Kap. 13 Rz. 13.76

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

von Margen aus einer Geschäftsbeziehung zwischen Inland und Ausland nachzuvollziehen.1 Die inländische Finanzbehörde setzt sich dabei lediglich dem theoretischen Risiko aus, dass die ausländische Behörde ein Auskunftsersuchen ablehnt. Es spricht jedoch nichts dagegen, dass der Staat, der um Auskünfte ersucht, das Auskunftsersuchen bereits in die Wege leitet, bevor er alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hat oder diese nicht mehr zum Ziel führen oder keine Hilfe mehr versprechen. Wortlaut und Zweck des § 90 Abs. 2 AO führen zu keinem anderen Ergebnis. Der BFH hat klargestellt, dass die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und die Amtshilfe grundsätzlich nebeneinander stehen.2

13.76 Inhalt und Umfang der erhöhten Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen. Die erhöhte Mitwirkungspflicht zielt auf die Beschaffung der erforderlichen Beweismittel und schließt die Vorlagepflicht von Unterlagen im Ausland grundsätzlich ein.3 Insgesamt erweitert § 90 Abs. 2 AO den Umfang der vorzulegenden Unterlagen gegenüber § 90 Abs. 1 Satz 2 AO nicht, sondern regelt vielmehr eine Beweisvorsorgepflicht in Fällen mit Auslandsbezug im Rahmen der allgemeinen Mitwirkungspflicht vor dem Hintergrund der begrenzten Ermittlungsbefugnisse der deutschen Finanzbehörden auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Inhaltlich bleibt die Vorlagepflicht auch in Fällen mit Auslandsbezug auf steuererhebliche Tatsachen beschränkt.4 So verlangt die deutsche Finanzverwaltung bspw. in Bezug auf Patentlizenzen, die ein Einheitsunternehmen mit deutscher Betriebsstätte an eine Konzernobergesellschaft im Ausland leistet, zunehmend die Offenlegung der weltweiten, konzerninternen Patentlizenzverträge der Konzernobergesellschaft mit anderen Konzerngesellschaften. Dieses Informationsbegehren wird damit begründet, dass durch die Einzigartigkeit des individuellen Patents ein externer Fremdvergleich (Datenbankstudie) regelmäßig mangels hinreichender Vergleichbarkeit nicht durchführbar sei. Daher gäben konzerninterne Vergleichsverträge den besten Anhaltspunkt für eine fremdübliche Bepreisung. Diese Argumentation der Finanzverwaltung ist scharf zurückzuweisen. Eine vergleichbare konzerninterne Transaktion kann im Rahmen der Angemessenheitsanalyse niemals eine Aussagekraft hinsichtlich der Fremdüblichkeit der Transaktion der Konzernmutter mit der deutschen Betriebsstätte entfalten, da sich ihre Bedingungen ebenso nicht durch den Interessengegensatz von Angebot und Nachfrage herausgebildet haben. Selbst wenn die deutsche Betriebsstätte daher rechtlich und tatsächlich in der Lage wäre (z.B. durch Personalunion ihres Führungspersonals), die weltweiten Patentlizenzverträge der Konzernobergesellschaft zu übermitteln, kann dieses Informationsbegehren der Finanzverwaltung nicht mit § 90 Abs. 2 AO erfolgreich begründet werden, da es an der „Erforderlichkeit“ dieser rein konzerninternen Verträge fehlt, die keinen Fremdvergleich erlauben. Die Beschaffung und die Vorlage von Beweismitteln erstrecken sich ausschließlich auf Unterlagen, die bereits existieren. Es besteht keine Pflicht, Unterlagen zu Mitwirkungs- oder Dokumentationszwecken zu erstellen. Freiwillig erstellte und tatsächlich zugängliche Unterlagen sind hingegen vorzulegen.5 Zu solchen Unterlagen können z.B. Verrechnungspreisanalysen gehören, die für nahestehende Personen des Steuerpflichtigen im Ausland erstellt worden sind, soweit diese Unterlagen dem Steuerpflichtigen tatsächlich zugänglich sind. In seinem Urteil vom 17.10.20016 hat der BFH entschieden, dass Steuer1 Z.B. bei der Umstellung inländischer Vertriebsorganisationen auf Kommissionärsstrukturen. 2 BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771 = FR 2013, 961 = ISR 2013, 347 m. Anm. Andresen; siehe auch Rz. 13.97. 3 Vgl. Drüen in T/K, § 146 AO Rz. 34. 4 Vgl. ebenso Busch/Weynandt/Röckle, IStR 2017, 531 (532); Wehnert/Selzer, DB 2005, 1295 (1296). 5 Vgl. Seer, FR 2002, 380 (381). 6 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.78 Kap. 13

pflichtige im Rahmen der Mitwirkungspflicht keiner gesetzlichen Verpflichtung unterliegen, die Angemessenheit ihrer Verrechnungspreise nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes zu dokumentieren. Dies gilt für alle Veranlagungszeiträume vor dem Inkrafttreten der Aufzeichnungspflicht i.S.d. § 90 Abs. 3 AO grundsätzlich auch für die Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung. Insoweit als überholt anzusehen ist das BFH-Urt. v. 20.7.1988,1 in dem gefordert wird, die „Angemessenheit des angewandten Verteilungsschlüssels plausibel“ zu machen und die „Aufwendungen der Höhe nach“ nachzuweisen. Erhöhte Mitwirkungspflichten gemäß VWG-Verfahren. In Tz. 3.3.2 VWG-Verfahren vertritt die Finanzverwaltung die Auffassung, dass es neben den unter Buchst. a genannten Aufklärungs- und Nachweispflichten keine eigenständige Verpflichtung zur Darlegung der Angemessenheit der Verrechnungspreise gibt. Eine Ausnahme solle jedoch dann bestehen, wenn die Preisgestaltung dem ersten Anschein nach fremdunüblich ist. So sei bei Dauerverlusten einer Konzernvertriebsgesellschaft eine Darlegungslast seitens des Steuerpflichtigen gegeben.2 Auch wenn ein Steuerpflichtiger bei der vorstehend beschriebenen Situation im Zweifel die Verlustsituation begründen muss, wenn er eine Einkünftekorrektur abwehren will, erscheint der von der Finanzverwaltung angenommene Wechsel der Darlegungslast zum Steuerpflichtigen verfehlt. Letztendlich hat die Finanzverwaltung zu begründen und zu beweisen, dass eine Einkünftekorrektur auf der Grundlage der gesetzlichen Vorschriften geboten ist und in welcher Höhe sie zu erfolgen hat.

13.77

Grenzen der erhöhten Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen. Bei der Aufklärung des Sachverhalts und der Beschaffung der erforderlichen Beweismittel haben die Beteiligten gem. § 90 Abs. 2 Satz 2 AO alle für sie bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Der BFH hat in seinem Beschluss vom 10.5.2001 für eine deutsche Kapitalgesellschaft mit Anteilseignern im Ausland entschieden, dass diese keine rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten hat, Informationen von den ausländischen Anteilseignern zu beschaffen.3 Er hat dabei darauf verwiesen, dass eine solche Kapitalgesellschaft auch von einem fremden Dritten die von der Finanzbehörde angeforderten Informationen nicht erhalten hätte.4 Diese Rechtsauffassung gilt gleichermaßen für Kalkulationsunterlagen von Schwesterkapital- und -personengesellschaften im Ausland, wenn der Steuerpflichtige weder rechtliche noch tatsächliche Zugriffsmöglichkeiten hat. Die Verwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes als Maßstab bzw. Leitbild erscheint in diesem Kontext zunächst gewöhnungsbedürftig zu sein. Die Ausgestaltung der Vorschrift hätte vermuten lassen, dass das Gericht zunächst eine zweistufige Prüfung durchführt. Zunächst hätte es prüfen können, ob gesetzliche Vorschriften im In- oder Ausland oder vertragliche Regelungen zwischen den Beteiligten eine Überlassung von Informationen verlangen. Anschließend hätte es prüfen können, ob der Steuerpflichtige tatsächlich Zugang zu Informationen oder Beweismitteln (gehabt) hat, die den Sachverhalt aufklären helfen. So erscheint es im Zeitalter elektronischer Kommunikation nicht undenkbar, dass eine Gesellschaft im Inland Zugang zu elektronisch gespeicherten Informationen ihrer

13.78

1 Vgl. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140 (143) = FR 1988, 678 – unter II.B.3.a. 2 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.3.2 Buchst. a unter Verweis auf BMF v. 26.2.2004 – IV B 4-S 1300-12/04, BStBl. I 2004, 270 – unter Tz. 2 Buchst. a (aufgehoben für Steuertatbestände, die nach dem 31.12.2008 verwirklicht werden, durch Nichtaufnahme in die Positivliste in BMF v. 23.4.2010 – IV A 6-O 1000/09/10095– DOK 2010/0197416, BStBl. I 2010, 391). 3 Vgl. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, BFH/NV 2001, 957 – unter II.5. = FR 2001, 694. 4 Vgl. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, BFH/NV, 2001, 597 – unter II.5 = FR 2001, 694 gegen BMF v. 23.2.1983 – IV C 5-S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 9.1.2, 9.1.3, 9.1.4, 9.2.1 Buchst. b – im Folgenden VWG 1983.

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Kap. 13 Rz. 13.79

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Anteilseigner oder anderen nahestehenden Personen im Ausland hat. Soweit jedoch keine gesetzlichen oder vertraglichen Informationszugriffsrechte bestehen bzw. vereinbart worden sind und auch kein tatsächlicher Zugriff auf Informationen gegeben ist, weil z.B. keine Zugriffsrechte auf bestimmte Server eingeräumt sind, fehlt die Voraussetzung für eine Reduzierung des Beweismaßes. Der Urteilstext lässt nicht erkennen, dass diese Fragen geprüft worden wären. Insofern wäre eine Rückverweisung an die Tatsacheninstanz zur Prüfung dieser Fragen, wenn zwar nicht effizient, so doch zumindest nicht völlig ohne Grundlage gewesen. Die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes als Maßstab für die Mitwirkung ist jedoch nicht ohne Charme. Dies gilt zumindest dann, wenn ein Vertragspartner ohne zusätzliche Informationen von dem anderen Vertragspartner die Einhaltung der getroffenen Vereinbarung nicht überprüfen kann. So besteht bei vertraglicher Vereinbarung der Kostenaufschlagsmethode oder anderen Spielarten der Kostenverrechnung für den leistungsempfangenden Vertragspartner regelmäßig die Notwendigkeit, die angefallenen Kosten zu überprüfen. Wenn die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung die Prüfung der Kosten nicht erlaubte, würde sich ein fremder Dritter wahrscheinlich nicht auf eine solche Vereinbarung einlassen.1 Dieser Maßstab ist auch auf § 90 Abs. 2 Satz 4 AO anzuwenden. Nach dieser Vorschrift kann sich ein Beteiligter nicht darauf berufen, dass er Sachverhalte nicht aufklären oder Beweismittel nicht beschaffen kann, wenn er sich nach Lage des Falls bei der Gestaltung seiner Verhältnisse die Möglichkeit hätte beschaffen oder einräumen lassen können. Diese Vorschrift ist nicht so zu verstehen, dass ein Steuerpflichtiger seine Mitwirkungspflichten verletzt, wenn er sich in Vereinbarungen mit nahestehenden Personen nicht vollumfängliche Informationsrechte einräumen lässt. Von der Vorschrift geht mithin kein Zwang aus, sich umfängliche Informationsrechte von nahestehenden Personen einräumen zu lassen.2 Bei Geschäftsbeziehungen zu fremden Dritten bestehen hinsichtlich der Einräumung von Informationsrechten gewisse natürliche Grenzen, die auch zwischen nahestehenden Personen Gültigkeit besitzen (Maßstab des Fremdvergleichs). Der Wortlaut der Norm („nach Lage des Falls“) indiziert, dass ein Typenvergleich mit einer Geschäftsbeziehung unter fremden Dritten anzustellen ist. Hierbei ist zu untersuchen, welchen Informationszugang sich unverbundene Geschäftspartner gegenseitig bei einer vergleichbaren Markttransaktion einräumen würden. Ein darüber hinausgehendes Transparenzerfordernis kann auch unter verbundenen Parteien gemäß dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht verlangt werden.3 Diese natürlichen Grenzen beziehen sich insbesondere auf Informationen, die der Preisbildung zugrunde liegen. Diese Informationen sind von fremden Dritten nur dann und insoweit offenzulegen, als Kostenelemente die Basis für die Preiskalkulation bilden. Ein fremder Dritter würde sich zumindest unter solchen Umständen Informations- und Prüfungsrechte einräumen lassen, damit er die vertragsgemäße Kalkulation der Preise prüfen kann. Aus dem Fehlen solcher Rechte kann jedoch nicht automatisch auf eine vGA geschlossen werden – ggf. muss in solchen Fällen die Amtshilfe bemüht werden.

13.79 Keine Vorlagepflicht für Gutachten und Stellungnahmen. Gemäß Tz. 3.3.2 VWG-Verfahren nimmt das BMF eine Vorlagepflicht auch für Gutachten und Stellungnahmen zu Ver1 Zu ähnlichen Überlegungen bei Lizenzverträgen vgl. FG München v. 16.7.2002 – 6 K 1910/98, EFG 2003, 952; bestätigt durch BFH v. 9.11.2005 – I R 27/03, BStBl. II 2006, 564 = FR 2006, 503 m. Anm. Kempermann; vgl. dazu Eigelshoven/Nientimp, DB 2003, 2307; Eigelshoven/Nientimp, TNI 2003, 667; Andresen, TMTP 2003, 297. 2 A.A. offenbar BFH v. 16.4.1980 – I R 75/78, BStBl. II 1981, 492 – inländische Tochtergesellschaft einer Schweizer AG. Siehe zu dieser Thematik auch FG Münster v. 7.12.2016 – 13 K 4037/13 (Revision beim BFH eingelegt unter Az. I R 4/17). 3 Vgl. Busch/Weynandt/Röckle, IStR 2017, 531 (533).

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.81 Kap. 13

rechnungspreisen an, soweit sie für die Festsetzung von Verrechnungspreisen von Bedeutung sind. Diese Rechtsauffassung ist abzulehnen, weil dies ein Eingriff in das geschützte Mandatsverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und dessen steuerlichem Berater wäre.1 Es ist kein vernünftiger Grund erkennbar, weshalb in diesem Bereich des Steuerrechts etwas anderes gelten soll als in anderen Bereichen. Mitwirkungspflichten für inländische Steuerpflichtige mit ausländischen Betriebsstätten. Inländische Steuerpflichtige mit ausländischen Betriebsstätten haben in der Regel sowohl rechtlich als auch tatsächlich alle Möglichkeiten, einen Sachverhalt auch dann aufzuklären, wenn dieser gänzlich oder teilweise im Ausland verwirklicht worden ist, und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Selbst wenn dem inländischen Steuerpflichtigen tatsächlich der Zugang zu Informationen verwehrt ist, kann er durch sein Weisungsrecht diesen Zugang wiederherstellen. Folglich kann er sich einer Mitwirkung nicht entziehen, ohne den Rechtsfolgen der Verletzung der Mitwirkungspflicht ausgesetzt zu sein. Dies gilt grundsätzlich auch für inländische Steuerpflichtige, die an ausländischen Personengesellschaften beteiligt sind. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist jedoch dann gegeben, wenn andere Gesellschafter der Personengesellschaft auf der Grundlage gesellschaftsvertraglicher Vorschriften oder tatsächlicher Mehrheitsverhältnisse die Preisgabe von Informationen behindern können.

13.80

Mitwirkungspflichten für ausländische Steuerpflichtige mit inländischen Betriebsstätten. Angesichts der neueren, klarstellenden Rechtsprechung zu Inhalt und Umfang der erhöhten Mitwirkungspflicht stellt sich die Frage, ob die Grundsätze des BFH-Beschlusses vom 10.5.20012 auf Innentransaktionen zwischen ausländischem Stammhaus und inländischer Betriebsstätte und Geschäftsbeziehungen zwischen ausländischen Anteilseignern und deren inländischer Personengesellschaft übertragen werden können. Der BFH hat in seinem Urteil vom 20.7.19883 zur erhöhten Mitwirkungspflicht eines beschränkt Steuerpflichtigen bei der Ermittlung des inländischen Betriebsstättengewinns noch die Auffassung vertreten, dass Tz. 9 VWG 1983 analog auf inländische Betriebsstätten Anwendung findet (ausgenommen Tz. 9.2.4 und 9.3.2 VWG 1983). Danach würden sich die Ermittlungs- und Nachweispflichten auch auf solche für die Besteuerung bedeutsamen Sachverhalte und Beweismittel erstrecken, die in Büchern oder Unterlagen festgehalten oder dokumentiert sind.4 Auch dürfte sich eine inländische Betriebsstätte oder Personengesellschaft nicht darauf berufen, dass das ausländische Stammhaus oder der ausländische Anteilseigner ihr die erforderlichen Nachweise oder Unterlagen nicht zur Verfügung stellen würde.5 Die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung hat zumindest für Innentransaktionen zwischen ausländischem Stammhaus und inländischer Betriebsstätte nach wie vor Gültigkeit, auch wenn der Verweis auf Tz. 9 VerwG 1983 seit Veröffentlichung der BS-VWG mit den darin geregelten Mitwirkungs- und Nachweispflichten6 überholt ist. Der BFH-Beschl. v. 10.5.20017 ändert daran nichts, da dort auf die rechtliche und tatsächliche Unmöglichkeit der Beschaffung von Unterlagen abgestellt wird. Diese ist jedoch bei der inländischen Betriebsstätte nicht gegeben, da das Einheits-

13.81

1 2 3 4

Ebenso Wehnert u.a., IStR 2005, 714; Wehnert u.a., IStR 2005, 749. Vgl. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, BFH/NV 2001, 957 – unter II.5 = FR 2001, 694. Vgl. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140 (143) – unter II.B.3.a = FR 1988, 678. Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.3.2 Buchst. a; vgl. auch VWG 1983, Tz. 9.1.2, 9.1.4 und 9.2.1 Buchst. b (aufgehoben durch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570 – VWG-Verfahren). 5 Vgl. VWG 1983, Tz. 9.1.3. 6 Vgl. dazu BS-VWG, Tz. 5 und Tz. 51. 7 Vgl. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, BFH/NV 2001, 957 – unter II.5 = FR 2001, 694.

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Kap. 13 Rz. 13.82

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

unternehmen mit Stammhaus im Ausland alle rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten hat, die angeforderten Unterlagen zu beschaffen,1 und darüber hinaus im Inland mit seinen Betriebsstätteneinkünften selbst steuerpflichtig ist und damit der Mitwirkungspflicht unterfällt. Auch die ausländischen Anteilseigner inländischer Personengesellschaften sind mit ihren inländischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig. Entsprechend haben auch sie der Mitwirkungspflicht nachzukommen.2 Die beschränkte Steuerpflicht der Anteilseigner füllt hier gewissermaßen eine sonst bestehende Mitwirkungslücke, da die beschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner rechtlich und tatsächlich alle Möglichkeiten haben, Beweismittel in den im Ausland liegenden Unternehmensteilen zu beschaffen.3 Eine inländische Personengesellschaft hat diese rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten in der Regel selbst nicht. Es sei denn, sie sei ihrerseits an ihrem Anteilseigner beteiligt und nicht durch rechtliche oder tatsächliche Umstände an der Durchsetzung ihrer Informationsbeschaffungsmöglichkeiten gehindert. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass Kalkulationsunterlagen des ausländischen Stammhauses einer inländischen Betriebsstätte der Finanzbehörde im Inland auf Anforderung genauso vorzulegen sind wie die Beweismittel, die in der Sphäre des ausländischen Anteilseigners einer inländischen Personengesellschaft liegen.

13.82 Auffassung der Finanzverwaltung. Die Finanzverwaltung hat in mehreren Erlassen zu den Mitwirkungs-, Dokumentations- und Nachweispflichten Stellung genommen. Die einschlägigen Regelungen in Tz. 9 VWG 1983 und in Tz. 5 VWG-Kostenumlagen haben für ein Einheitsunternehmen jedoch nur insoweit Bedeutung, als Stammhaus oder Betriebsstätte Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen und nicht nur Innentransaktionen verwirklicht haben.4 Die VWG 1983 finden ausschließlich auf Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen Anwendung, und die VWG-Kostenumlagen5 gelten nur zwischen verbundenen Unternehmen, die einen Kostenumlagevertrag geschlossen haben. Im Gegensatz dazu gelten die VWG-Arbeitnehmerentsendung sinngemäß bei der Prüfung der Aufteilung der Einkünfte von Betriebsstätten international tätiger Unternehmen, wobei sich die Mitwirkungs- und Nachweispflichten auf den Gesamtaufwand, die Interessenlage und die in der Aufzählung in Tz. 5 VWG-Arbeitnehmerentsendung genannten Unterlagen beschränken.6 Bei Personengesellschaften finden alle drei Erlasse Anwendung, wobei vieles dafür spricht, dass die VWG 1983 durch die BS-VWG auch hinsichtlich der Mitwirkungs- und Nachweispflichten verdrängt worden sind und mithin keine Anwendung mehr finden.

13.83 Mitwirkungspflichten gemäß VWG-Verfahren. Die VWG-Verfahren versuchen, die Grenzen der Mitwirkungspflicht eines inländischen Steuerpflichtigen hinsichtlich der bei nahestehenden Personen im Ausland befindlichen Unterlagen über den gesetzlich vorgegebenen Rahmen zu erweitern, indem sie bei Personalunion in der Geschäftsführung des Steuerpflichtigen und dessen nahestehender Person im Ausland davon ausgehen, dass dieses Personal über die tatsächliche Möglichkeit zur Auskunftserteilung und Nachweisbeschaffung 1 2 3 4

Ebenso BS-VWG, Tz. 5.1.1 f. Ebenso BS-VWG, Tz. 5.1.2. Ebenso BS-VWG, Tz. 5.1.4. Wenn und soweit jedoch die verselbständigte Betriebsstätte im AOA bei der Dokumentation von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen auf diese BMF-Schreiben zurückgreift, ist dies nicht zu beanstanden (vgl. hierzu explizit VWG BsGa, Rz. 5). 5 Vgl. zu den Dokumentations- und Nachweispflichten in den VWG-Kostenumlagen Kuckhoff/ Schreiber, IStR 2000, 373 (381). 6 So BMF v. 9.11.2001 – IV B 4-S 1341-20/01, BStBl. I 2001, 796, Tz. 6 – im Folgenden VWG-Arbeitnehmerentsendung.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.85 Kap. 13

verfügt.1 Die Finanzverwaltung verkennt dabei, dass dieses Personal in unterschiedlichen Funktionen handelt, in denen es jeweils unterschiedlichen Vertragspartnern verpflichtet ist, die u.U. die Preisgabe von Firmeninformationen sogar sanktioniert haben. Insoweit kommt es letztlich nicht darauf an, ob gegen die ausländische Muttergesellschaft eine Prüfungsanordnung erlassen worden ist oder nicht. Entsprechend kann es – entgegen Tz. 3.3.2 Buchst. b VWG-Verfahren – auch nicht zur Auslösung nachteiliger Rechtsfolgen kommen, wenn Informationen nicht erteilt oder Nachweise nicht beschafft werden, da eine tatsächliche Möglichkeit der Beschaffung von Unterlagen nicht fingiert werden kann. Mitwirkungspflichten in den BS-VWG. Die BS-VWG enthalten in Tz. 5 Regelungen zu Mitwirkungs- und Nachweispflichten.2 Die Mitwirkungspflicht erstreckt sich dabei auf alle Umstände, die für die Bildung und Beurteilung der Einkunfts- und Vermögensaufteilung von Bedeutung sind. Dazu gehören nach Auffassung der Finanzverwaltung betriebliche Kostenrechnungen, Unterlagen für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern, Unterlagen für die Wertermittlung beim Waren- und Leistungsverkehr zwischen Stammhaus und Betriebsstätte und Unterlagen und Informationen des gesamten Unternehmens.3 Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Die erweiterte Mitwirkungspflicht hat jedoch insoweit Grenzen, als die angeforderten Unterlagen im Zusammenhang mit der inländischen Steuerpflicht stehen und darüber hinaus die zu beurteilenden Innentransaktionen betreffen müssen. Unterlagen und Informationen des gesamten Unternehmens sind vom Steuerpflichtigen auf Anforderungen deshalb nur dann vorzulegen, wenn sie die Einkünfte betreffen, mit denen der Steuerpflichtige im Inland steuerpflichtig ist. Bei beschränkt Steuerpflichtigen dürften daher keine Unterlagen und Informationen gewissermaßen wahllos angefordert werden. Die anfordernde Finanzbehörde hat den Zusammenhang des Informationsbegehrens mit den inländischen Einkünften zu belegen. Andernfalls und bei offensichtlich fehlendem Zusammenhang besteht für den beschränkt Steuerpflichtigen keine Verpflichtung, Unterlagen und Informationen des gesamten Unternehmens offenzulegen. Die BS-VWG verlangen von unbeschränkt Steuerpflichtigen die Vorlage der eingereichten Steuererklärungen und der ergangenen Steuerbescheide von deren ausländischen Betriebsstätten. Diesem Verlangen ist nur insoweit nicht nachzukommen, als der unbeschränkt Steuerpflichtige durch gesetzliche Verbote im Ausland an der Vorlage dieser Unterlagen gehindert ist. Die Vorlage- und Mitwirkungspflicht besteht für die aufgeführten Unterlagen auch dann, wenn diese im Ausland zu beschaffen sind. Die in den BS-VWG geregelten Mitwirkungs- und Nachweispflichten in Tz. 5.1 sind also vom Regelungsgehalt des § 90 Abs. 2 AO gedeckt. Nicht nachvollziehbar ist lediglich die in den Überschriften zu Tz. 5.1.1 und Tz. 5.1.4 BS-VWG zum Ausdruck kommende Unterscheidung zwischen der Mitwirkung nach § 90 Abs. 2 AO und der erweiterten Mitwirkungspflicht.

13.84

Rechtsfolgen bei Verletzung der Mitwirkungspflicht. Die in den vorstehend beschriebenen Erlassen geregelten Mitwirkungspflichten sind jedoch nur insoweit zu erfüllen, als die aufgeführten Unterlagen bereits existieren und nicht erstellt werden müssen und der Steuerpflichtige rechtlich oder tatsächlich die Möglichkeit hat, die angeforderten Unterlagen im Ausland zu beschaffen. Letzteres wird in der Mehrzahl der Fälle zutreffen, so dass die Feststellungen des BFH-Beschlusses vom 10.5.20014 zu den Grenzen der Mitwirkungspflicht in der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung kaum Wirkung entfalten dürften. Bei Verletzung

13.85

1 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.3.2 Buchst. b. 2 Gemäß VWG BsGa, Rz. 460–463 gelten die BS-VWG weiter, soweit sie nicht im Widerspruch zur BsGaV und den VWG BsGa stehen. 3 Vgl. BS-VWG, Tz. 5.2. 4 Vgl. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, BFH/NV 2001, 957 – unter II.5 = FR 2001, 694.

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Kap. 13 Rz. 13.85

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

der Mitwirkungspflicht ist gemäß BFH-Urt. v. 17.10.20011 für die daraus resultierende Rechtsfolge danach zu differenzieren, ob sich die Pflichtverletzung auf die Tatbestandsvoraussetzung oder die Rechtsfolge eines Tatbestands bezieht. Bezieht sie sich auf die Tatbestandsvoraussetzung, führt die Pflichtverletzung zu einer Reduzierung des Beweismaßes für die Finanzverwaltung bei der Prüfung, ob der zu untersuchende Sachverhalt die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Rechtsnorm erfüllt. Konkret bedeutet dies, dass die Finanzverwaltung ihre Auffassung in stärkerem Maße auf Indizien stützen kann als in einer Situation, in der der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist. Beispiel 1: Die inländische K-GmbH hat eine Niederlassung im EU-Ausland, an die sie im Wirtschaftsjahr 2002 Waren liefert, die die Niederlassung auf dem lokalen Markt an Endkunden weiterveräußern soll. Die K-GmbH bildet in Übereinstimmung mit der damaligen Tz. 2.6.1 Buchst. b BSVWG einen passiven Merkposten in Höhe der Differenz zwischen Fremdvergleichspreis und Buchwert für 100 % der überführten Waren. Die K-GmbH behauptet, dass die ausländische Niederlassung die überführten Waren im Wirtschaftsjahr 2002 nicht veräußert hat, kann den dafür notwendigen Nachweis jedoch nicht erbringen. Die Finanzbehörde sieht das Veranlassungsprinzip als verletzt an, weil die Niederlassung im Ausland in jedem der zehn vorangegangenen Jahre zumindest einen Teil der überführten Waren an Kunden weiterveräußert hat, und beabsichtigt, die Einkünfte des Stammhauses zu erhöhen, indem sie den passiven Merkposten reduziert, soweit er die im Wirtschaftsjahr 2002 überführten Waren betrifft.

Bezieht sich die Pflichtverletzung hingegen auf die Rechtsfolge, zieht sie in aller Regel eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach sich. Beispiel 2: Eine EU-Kapitalgesellschaft hat neben zwei Niederlassungen außerhalb Europas eine Niederlassung in Deutschland. Sie verteilt an diese Niederlassungen die Aufwendungen für die Geschäftsführung im Bereich des Marketings und des Vertriebs nach einem Umsatzschlüssel. Sie ordnet der Niederlassung in Deutschland 90 % der Kosten zu. Die inländische Niederlassung kann jedoch Unterlagen zur Berechnung des Schlüssels und zu den Umsätzen der anderen Niederlassungen auf Anforderung nicht vorlegen. Die Finanzbehörde schätzt den Anteil der deutschen Niederlassung an den Geschäftsführungsaufwendungen auf 25 %.

Die BS-VWG sehen bei Verletzung der Mitwirkungs- und Nachweispflichten vor, dass die Finanzbehörde eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zum Nachteil des Steuerpflichtigen durchführen kann.2 Dabei sei von einem Sachverhalt auszugehen, für den eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht.3 Die BS-VWG differenzieren bei unzureichender Mitwirkung also nicht zwischen Tatbestand und Rechtsfolge. Diese mangelnde Differenzierung ist nicht von der neueren BFH-Rechtsprechung gedeckt.4 Soweit also eine Finanzbehörde zur Schätzung übergeht, obwohl sich die unzureichende Mitwirkung auf die zu prüfenden Tatbestandsmerkmale bezieht, ist diese Schätzung zu verwerfen. Beispiel 3: Die inländische K-GmbH hat eine Niederlassung im EU-Ausland, an die sie im Wirtschaftsjahr 2002 Waren liefert, die die Niederlassung im lokalen Markt an Endkunden weiterveräußern soll. Die K-GmbH bildet in Übereinstimmung mit der damaligen Tz. 2.6.1 Buchst. b BS-VWG einen passiven Merkposten in Höhe der Differenz zwischen Fremdvergleichspreis und Buchwert für 80 % der überführten Waren. Die K-GmbH kann den notwendigen Nachweis jedoch nicht erbringen, dass die ausländische Niederlassung 80 % der überführten Waren im Wirtschaftsjahr 2002 nicht veräußert 1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 2 Vgl. BS-VWG, Tz. 5.3. 3 Vgl. BS-VWG, Tz. 5.3 unter Verweis auf BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462 = FR 1989, 375. 4 Vgl. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, BFH/NV 2001, 957 – unter II.5 = FR 2001, 694.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.87 Kap. 13

hat. Die Finanzbehörde beabsichtigt, die Einkünfte des Stammhauses zu erhöhen, indem sie den passiven Merkposten auf 50 % reduziert, soweit er die im Wirtschaftsjahr 2002 überführten Waren betrifft. Die Schätzung ist unzulässig, weil zunächst geprüft werden muss, ob das Tatbestandsmerkmal der Verletzung des Veranlassungsprinzips erfüllt ist. Davon wäre bspw. nicht auszugehen, wenn die K-GmbH in einem stark zyklischen Marktsegment tätig ist und die Absatzzahlen im ausländischen Markt in den Vorjahren ebenfalls stark geschwankt haben.

4. Besondere Mitwirkungs- und Nachweispflichten bei Geschäftsbeziehungen zu nicht kooperativen Staaten Sinn und Zweck der Vorschrift. Ziel des Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes1 ist es, den Steuerpflichtigen in Bezug auf steuerrechtlich zu beurteilende Sachverhalte, die sich auf Vorgänge außerhalb des Geltungsbereichs der Abgabenordnung beziehen, zu besonderen Mitwirkungs- und Nachweispflichten zu verpflichten, wenn im Ausland ansässige Beteiligte i.S.d. § 78 AO und andere Personen nicht wie bei inländischen Vorgängen (§ 93 Abs. 1 AO) zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts herangezogen werden können. Daher sind diese besonderen Mitwirkungs- und Nachweispflichten auch auf Fälle beschränkt, in denen der Steuerpflichtige Geschäftsbeziehungen zu Staaten und Gebieten unterhält, die die Standards der OECD zum Auskunftsaustausch nicht akzeptieren. Dabei darf sich der Informationsaustausch nicht nur auf die sog. kleine Auskunftsklausel beschränken, d.h. den Austausch von Informationen, die zur Durchführung des DBA notwendig sind, sondern muss auch den Austausch von Informationen beinhalten, die für die Beurteilung von Sachverhalten mit steuerlicher Relevanz in Deutschland von Bedeutung sind (sog. große Auskunftsklausel).2

13.86

Anwendung nur auf nicht-kooperative Staaten und Gebiete. Die besonderen Mitwirkungsund Nachweispflichten kommen nur zur Anwendung, sofern die Geschäftsbeziehung mit Geschäftspartnern erfolgt, die in nicht-kooperativen Staaten ansässig sind. Staaten und Gebiete gelten als nicht kooperativ, wenn

13.87

a) mit ihnen kein Abkommen besteht, das die Erteilung von Auskünften entsprechend Art. 26 OECD-MA zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen in der Fassung von 2005 vorsieht, b) sie keine Auskünfte in einem vergleichbaren Umfang erteilen und c) bei ihnen keine Bereitschaft zu einer entsprechenden Auskunftserteilung besteht.3 Zum 1.1.2010 und bis dato gelten nach Ansicht des Bundesfinanzministeriums kein Staat und kein Gebiet als nicht kooperativ.4 Die Liste der nicht als kooperativ geltenden Staaten und Gebiete wird vom Bundesfinanzministerium geführt und ggf. ergänzt. Damit sind die zusätzlichen Mitwirkungs-, Nachweis- oder Aufklärungspflichten bis zur Ergänzung der Liste ohne Anwendungsbereich und den Steuerpflichtigen treffen keine besonderen Mitwirkungspflichten. Der fehlende Anwendungsbereich verwundert nicht vor dem Hintergrund der gestiegenen Bereitschaft zur Zusammenarbeit, die viele ehemals als „Steueroasen“ ange-

1 Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung (Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz) v. 29.7.2009, BGBl. I 2009, 2302. Siehe in diesem Zusammenhang insbesondere die Änderungen in § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f EStG, § 33 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e KStG sowie die ergänzend erlassene Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung (SteuerHBekV) v. 18.9.2009, BStBl. I 2009, 3046. 2 Vgl. Eilers/Dann, BB 2009, 2399. 3 Vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f Satz 2 EStG, § 33 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Satz 3 KStG. 4 Vgl. BMF v. 5.1.2010 – IV B 2 - S 1315/08/10001-09 – DOK 2009/0816912, BStBl. I 2010, 19.

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Kap. 13 Rz. 13.88

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

sehenen Staaten und Gebiete in letzter Zeit zeigen. So haben bspw. Jersey, Isle of Man, Guernsey, Bermuda, Liechtenstein und Gibraltar in den vergangenen Jahren Vereinbarungen über den Informationsaustausch in Steuersachen mit Deutschland vereinbart.1 In der Gesetzesbegründung zum Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz klingt an, dass der eigentliche Sinn der Regelung mehr in dem Umstand liegen könnte, eine Drohkulisse von deutscher Seite aus aufzubauen, um andere Staaten in Verhandlungen zu einem umfassenderen Informationsaustausch zu bewegen,2 was in der Zwischenzeit als erfolgreiches Unterfangen gewertet werden kann.

13.88 Inhalt und Umfang der besonderen Mitwirkungs- und Nachweispflichten. Die besonderen Mitwirkungs- und Nachweispflichten werden aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung3 in der Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung (SteuHBekV) geregelt. Sie betreffen erstens Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG, zweitens analog die Angemessenheit der Gewinnabgrenzung zwischen unselbständigen Unternehmensteilen (Betriebsstätteneinkünfteabgrenzung), drittens die Anwendung bestimmter Aufzeichnungspflichten i.S.d. § 90 Abs. 3 AO für Geschäftsbeziehungen mit nicht nahestehenden Personen sowie viertens die Durchsetzung von Auskunftsansprüchen gegenüber von der Finanzbehörde benannten Kreditinstituten. Demnach sind die Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO für alle Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen, die in nicht-kooperativen Staaten oder Gebieten ansässig sind, zeitnah4 zu erstellen und auf Anforderung innerhalb von 30 Tagen vorzulegen, während die Pflicht zu einer zeitnahen Erstellung der Verrechnungspreisdokumentation ansonsten nur auf außergewöhnliche Geschäftsvorfälle Anwendung findet. Diese Regelung gilt analog für die Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (vgl. § 1 Abs. 2 und 3 SteuerHBekV). Der Steuerpflichtige hat zudem für Geschäftsbeziehungen zum Ausland mit nicht nahestehenden Personen insbesondere über folgende Aspekte des Sachverhalts Aufzeichnungen anzufertigen:5 1. Art und Umfang der Geschäftsbeziehungen, 2. Verträge und vereinbarte Vertragsbedingungen, die den Geschäftsbeziehungen zugrunde liegen, und ihre Veränderung, 3. die immateriellen Wirtschaftsgüter, die der Steuerpflichtige im Rahmen der betreffenden Geschäftsbeziehungen nutzt oder zur Nutzung überlässt, 4. die von den Beteiligten im Rahmen der Geschäftsbeziehungen ausgeübten Funktionen und übernommenen Risiken sowie deren Veränderungen,

1 Vgl. Eilers/Dann, BB 2009, 2399 (2400) für eine Übersicht über die einzelnen Vereinbarungen zum und den Umfang des vereinbarten Informationsaustauschs, die Deutschland in den unmittelbaren Jahren vor Einführung des Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes neu abgeschlossenen hat. Vgl. auch BMF v. 18.1.2017 – IV B 2 - S 1301/07/10017-08 – DOK 2017/0048668, BStBl. I 2017, 140 sowie Berichtigung in BStBl. I 2017, 280 – Stand der Doppelbesteuerungsabkommen und der Doppelbesteuerungsverhandlungen – für eine Übersicht der abgeschlossenen Amts- und Rechtshilfeabkommen. 2 Vgl. BT-Drucks. 16/13106, 10. 3 § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f EStG, § 33 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e KStG sowie § 90 Abs. 2 Satz 3 AO. 4 Aufgrund der eindeutigen Bezugnahme auf die Regelungen des § 90 Abs. 3 AO ist davon auszugehen, dass der Begriff „zeitnah“ i.S.d. § 3 Abs. 1 GAufzV zu interpretieren ist und somit Aufzeichnungen als noch zeitnah erstellt gelten, wenn sie innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs erstellt werden, in dem sich der Geschäftsvorfall ereignet hat. 5 Vgl. § 1 Abs. 4 SteuerHBekV.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.89 Kap. 13

5. die eingesetzten Wirtschaftsgüter, 6. die gewählten Geschäftsstrategien, 7. die bedeutsamen Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, 8. die natürlichen Personen, die unmittelbar oder mittelbar Gesellschafter oder Anteilseigner der Person sind. Das gilt nicht, soweit mit der Hauptgattung der Aktien der Person oder eines unmittelbar oder mittelbar beteiligten Gesellschafters oder Anteilseigners der Person ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet. Damit gelten für Geschäftsbeziehungen zu nicht nahestehenden Personen inhaltlich dieselben Dokumentationserfordernisse in Bezug auf die Sachverhaltsdokumentation wie sie gem. § 4 Nr. 2 bis Nr. 3 Buchst. a GAufzV für Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen gelten. Folgerichtig ist jedoch keine Angemessenheitsanalyse i.S.d. § 4 Nr. 4 GAufzV anzufertigen, da Geschäftsbeziehungen zwischen unverbundenen Parteien per definitionem fremdüblich sind. Die Erleichterungen für kleinere Unternehmen i.S.d. § 6 GAufzV (Rz. 13.152) gelten explizit nicht in Bezug auf diese besonderen Aufzeichnungspflichten (§ 1 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 SteuerHBekV). Stattdessen sieht § 1 Abs. 4 Satz 3 SteuerHBekV lediglich eine Bagatellgrenze i.H.v. 10 000 Euro je ausländischem Geschäftspartner und je Wirtschaftsjahr vor. Sofern diese nicht überschritten wird, braucht der Steuerpflichtige keine Dokumentation zu erstellen. Schließlich kann die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen gem. § 1 Abs. 5 SteuerHBekV auffordern, dass er die Finanzbehörde bevollmächtigt, in seinem Namen mögliche Auskunftsansprüche gegenüber von der Finanzbehörde benannten Kreditinstituten außergerichtlich und gerichtlich geltend zu machen. Diese Aufforderung ist jedoch an die Voraussetzung gebunden, dass objektiv erkennbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Steuerpflichtige Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten in einem nicht-kooperativen Staat oder Gebiet unterhält. In einem solchen Fall kann die Finanzbehörde auch von dem Steuerpflichtigen verlangen, dass er die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben an Eides statt versichert. Die Versicherung an Eides statt kann jedoch nicht nach § 328 AO erzwungen werden.1 Die vorstehend beschriebenen Regelungen sind erstmals ab dem 1.1.2010 anzuwenden.2 Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen die besonderen Aufzeichnungspflichten. Sofern die o.g. Dokumentationsanforderungen nicht erfüllt werden, wird der Betriebsausgabenabzug in Bezug auf die Geschäftsvorgänge zu nicht-kooperativen Staaten oder Gebiete vollständig versagt (vgl. § 1 Abs. 1 SteuerHBekV). Damit tritt die vollständige Versagung des Betriebsausgabenabzugs bei nicht-kooperativen Staaten und Gebieten schon ein, wenn die erforderlichen Dokumentationen nicht zeitnah erstellt sind. Im Gegensatz dazu kommt es unter den allgemeinen Aufzeichnungspflichten i.S.d. 90 Abs. 3 AO bei einer nicht zeitnahen Erstellung der Dokumentation eines außergewöhnlichen Geschäftsvorfalls lediglich zu einer widerlegbaren Vermutung, dass die inländischen Einkünfte gemindert sind, so dass sich für die Finanzbehörde eine Schätzungsbefugnis ergibt.3 Darüber hinaus wird bei Nichtbefolgung der besonderen Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten die Steuerfreiheit von Beteiligungserträgen i.S.d. § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG und von Veräußerungsgewinnen i.S.d. § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG nicht gewährt.4 Kommt der Steuerpflichtige der Bevollmächtigung zur Auskunftserteilung gegen1 Diese Klarstellung in § 90 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 AO ist zu begrüßen, da der erste Referentenentwurf zum Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz v. 13.1.2009 noch die Festsetzung eines Ordnungsgeldes bis zu 5 000 Euro vorsah; vgl. Sinz/Kubaile, IStR 2009, 401 (404). 2 Vgl. § 6 SteuerHBekV sowie Art. 97 § 22 Abs. 2 EGAO i.V.m. § 5 Satz 1 SteuerHBekV. 3 Vgl. § 162 Abs. 3 Satz 1 AO. 4 Vgl. § 33 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Satz 1 KStG i.V.m. § 4 SteuerHBekV.

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Kap. 13 Rz. 13.90

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

über der Finanzbehörde durch Kreditinstitute nicht nach, werden ihm die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens sowie die Vorteile aus der Anwendung der Abgeltungssteuer versagt (vgl. § 3 SteuerHBekV). Schließlich werden ausländischen Investoren Entlastungen beim Kapitalertragsteuerabzug verweigert, die sich aus den abgeschlossenen DBA, der MTR, der Zinsrichtlinie oder aus § 44a Abs. 9 EStG ergeben, wenn an der ausländischen Gesellschaft natürliche Personen mit mehr als 10 % beteiligt sind und die Namen und die Ansässigkeit dieser natürlichen Personen nicht gegenüber der Finanzbehörde offengelegt werden (vgl. § 2 SteuerHBekV).1

13.90 Verfassungs- und unionsrechtliche Bedenken. Der Umfang dieser besonderen Dokumentations- und Nachweispflichten wird von der Literatur als „schlicht unerfüllbar“2 angesehen, so dass die Norm im Endeffekt darauf hinausläuft, dass unter diese Regelung fallende Geschäftsbeziehungen diskriminiert werden. Dies stößt auf unionsrechtliche Bedenken, da die Niederlassungsfreiheit eingeschränkt wird und die Regelung auch nicht im Einklang mit der MTR steht.3 Dem kann entgegengehalten werden, dass der BFH § 90 Abs. 3 AO als unionsrechtskonform ansieht.4 Darüber hinaus werden auch verfassungsrechtliche Bedenken in der Literatur vertreten, da die weitreichenden Regelungen gegen das Übermaßverbot verstoßen könnten und sich der Gesetzgeber mit der unbestimmten Verordnungsermächtigung der Exekutive einen zu großen Handlungsspielraum bei der Bestimmung der Mitwirkungs- und Nachweispflichten überlässt.5 Aufgrund des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots schließen Peters und Pflaum daher steuerstrafrechtliche Konsequenzen aus der Nichtbeachtung der SteuerHBekV aus.6 5. Mitwirkungspflicht bei Geschäftsbeziehungen zum Ausland mit nahestehenden Personen a) Inhalt, Umfang und Grenzen der Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO

13.91 Rückblick und Entstehung der Vorschrift. Nachdem der Gesetzgeber bereits mit dem Entwurf des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 in Gestalt des § 379a AO (Entwurf) und des § 60 EStDV (Entwurf)7 eine Bußgeldregelung zur Verbesserung des Aufzeichnungs- und Dokumentationsverhaltens der Steuerpflichtigen einführen wollte, die jedoch im Finanzausschuss des Bundestags gescheitert ist, hat er mit § 90 Abs. 3 AO schließlich eine Rechtsvorschrift geschaffen, die der konstatierten Verweigerungshaltung8 der Steuerpflichtigen bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen durch gesetzliche Maßnahmen Einhalt gebieten 1 Da insbesondere börsennotierte Kapitalgesellschaften und ausländische Investmentvermögen einen Nachweis über ihre unmittelbaren oder mittelbaren Anteilseigner nicht führen können, fordern Eilers/Dann die Einführung einer Börsenklausel entsprechend § 50d Abs. 3 Satz 5 EStG; vgl. Eilers/Dann, BB 2009, 2399 (2403). 2 Vgl. Eilers/Dann, BB 2009, 2399. 3 Vgl. Haarmann/Suttorp, BB 2009, 1275 (1277); Sinz/Kubaile, IStR 2009, 401; Wagner, BB 2009, 2293 (2297). 4 Vgl. BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11 BStBl. II 2013, 771 = IStR 2013, 710 m. Anm. Rohde, s. dazu auch Andresen, ISR 2013, 347 ff.; Busch, FR 2013, 943; Schulz-Trieglaff, IStR 2013, 827. 5 Vgl. Geurts, DStR 2009, 1883 (1886); Haarmann/Suttorp, BB 2009, 1275 (1276 f.); Sinz/Kubaile, IStR 2009, 401; Wagner, BB 2009, 2293 (2296 f.). 6 Vgl. Peters/Pflaum, wistra 2011, 256. 7 Vgl. BT-Drucks. 14/23 v. 9.11.1998. 8 Vgl. Kuckhoff in FS Flick, S. 169, 170–173; Kuckhoff/Schreiber, IWB 2002, Fach 3, Gr. 1, 1863–1882; Schreiber, Stbg 2003, 474 (476).

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.92 Kap. 13

soll. Bundestag und Bundesrat haben am 11.4.2003 das StVergAbG in der Fassung des Kompromissvorschlages des Vermittlungsausschusses vom 9.4.2003 angenommen.1 Die darin enthaltene Dokumentationsvorschrift § 90 Abs. 3 AO ist im Gesetzgebungsverfahren noch korrigiert und um die Sätze 3, 4, 6 und 9 ergänzt worden.2 Inhalt und Zweck der Vorschrift. Der neue Abs. 3 des § 90 AO verpflichtet Steuerpflichtige, Aufzeichnungen über die Art und den Inhalt ihrer Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG zu erstellen, soweit diese Steuerpflichtigen Sachverhalte verwirklicht haben, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen.3 Die Vorschrift enthält jedoch keinen Hinweis darauf, welche Aufzeichnungen zu erstellen sind und wie diese Aufzeichnungen beschaffen sein müssen. Diese Lücke wird durch eine Rechtsverordnung gefüllt, in der das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrats Art, Inhalt und Umfang der zu erstellenden Aufzeichnungen bestimmt (dazu Rz. 13.111 ff.). § 90 Abs. 3 Satz 11 AO i.d.F. ab dem 24.12.2016 (im Folgenden: n.F.) enthält die entsprechende Ermächtigungsvorschrift. Neben der Art und dem Inhalt von Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen im Ausland haben Steuerpflichtige auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen mit den Nahestehenden aufzuzeichnen.4 Die Ausdehnung der Mitwirkungs- und Nachweispflichten auf die Entgelte und die anderen Geschäftsbedingungen, die der Steuerpflichtige in Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen vereinbart hat, dient dem Zweck, der Finanzbehörde die Prüfung der Angemessenheit der Entgelte und Geschäftsbedingungen zu erleichtern bzw. zu ermöglichen.5 Während die Aufzeichnung der Preise die notwendige Voraussetzung dafür bildet, einen Fremdvergleich zu führen, dürften die Aufzeichnung der anderen Geschäftsbedingungen in erster Linie dazu dienen, die Vergleichbarkeit mit Geschäftsbeziehungen zu oder zwischen fremden Dritten zu prüfen. In der Gesetzesbegründung wird dabei explizit auf § 8 Abs. 3 KStG und § 1 AStG verwiesen, in denen u.a. die Maßstäbe der zwischenstaatlichen Einkünfteabgrenzung verankert sind. Angesichts der Tatsache, dass der Fremdvergleich im nationalen Steuerrecht für die Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte für Veranlagungszeiträume vor 2013 keine Rechtsgrundlage hat, sind jedoch Zweifel daran angebracht, dass § 90 Abs. 3 Satz 2 AO i.d.F. vor dem 24.12.2016 (im Folgenden: a.F.) auf Innentransaktionen zwischen in- oder ausländischem Stammhaus und dessen aus- bzw. inländischen Betriebsstätten anzuwenden ist, die im Veranlagungszeitraum 2012 oder früher stattgefunden haben. Der Wortlaut des § 90 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 90 Abs. 3 Satz 1 AO a.F. verstärkt diese Zweifel. Die Einkünfteabgrenzung bei Personengesellschaften unterliegt jedoch uneingeschränkt der Dokumentationspflicht. Begründet wird die Einführung der Mitwirkungspflicht bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen zum einen mit dem BFH-Urt. v. 17.10.2001, in dem der BFH das Bestehen einer Verpflichtung zur Erstellung einer Verrechnungspreisdokumentation unter Einschluss einer Angemessenheitsdokumentation verneint hat. Zum anderen wird darauf verwiesen, dass die Mehrzahl der OECD-Mitgliedstaaten bereits gesetzliche Do1 Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG) v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. Vgl. zur Rechtsentwicklung BT-Drucks. 15/119 – Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN); BT-Drucks. 15/287 – Gesetzentwurf der Bundesregierung; BT-Drucks. 15/312; BT-Drucks. 15/480 – Beschlussempfehlung des Finanzausschusses. 2 Vgl. zur Urfassung den Gesetzentwurf der Bundesregierung in BT-Drucks. 15/287, Art. 10 Nr. 5. 3 Vgl. u.a. für Überblicksartikel Babic et al., IStR 2010, Beihefter zu Heft 10; Schnorberger, DB 2009, 2010; Seer, IWB 2012, 350. 4 Vgl. § 90 Abs. 3 Satz 2 AO; VWG-Verfahren, Tz. 3.4.1. 5 Vgl. Gesetzesbegründung zu Art. 10 Nr. 5 (§ 90 Abs. 3 AO), BT-Drucks. 15/287, 93 f.

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Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

kumentationsvorschriften verabschiedet hat und Deutschland lediglich einer internationalen Entwicklung folge. Die Finanzverwaltung sah sich durch das klarstellende BFH-Urteil und die nach wie vor aufseiten der Finanzverwaltung liegende Feststellungslast an der effektiven Prüfung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen gehindert.1 Nachdem die ersten Formulierungsvorschläge eine Beweislastumkehrung herbeizuführen schienen und damit deutlich über das Ziel hinausgeschossen waren, hat sich der Gesetzgeber mit der letztlich verabschiedeten Fassung wieder den Grundlagen des deutschen Steuerrechts angenähert. Der Hinweis auf die internationale Entwicklung ist jedoch zum damaligen Zeitpunkt insoweit unzutreffend, als zwar die Finanzverwaltungen vieler OECD-Mitgliedstaaten die Steuerpflichtigen in Erlassen zur Dokumentation ihrer Verrechnungspreise auffordern. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Dokumentation ggf. unter Androhung von Strafzuschlägen bei Missachtung hatten jedoch nur wenige Staaten. Im Rahmen des BEPS-Umsetzungsgesetzes wurde § 90 Abs. 3 AO neu gefasst und in diesem Zuge wurden die Dokumentationsanforderungen erweitert.2 Im Einklang mit dem OECD-Abschlussbericht zu BEPS-Aktionspunkt 13 (Verrechnungspreisdokumentation)3 verpflichtet § 90 Abs. 3 Satz 3 AO n.F. nun Unternehmen mit mindestens 100 Mio. Euro Umsatz, die Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe sind, über die Erstellung einer länderspezifischen Verrechnungspreisdokumentation (sog. Local File) hinaus zur Erstellung eines Überblicks über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe und über die von ihr angewandte Systematik der Verrechnungspreisbestimmung (Stammdokumentation/Masterfile). Eine multinationale Unternehmensgruppe ist dabei definiert als eine Gruppe, die aus mindestens zwei in verschiedenen Staaten ansässigen, einander nahestehenden Unternehmen besteht bzw. aus mindestens einem Unternehmen mit mindestens einer Betriebsstätte in einem anderen Staat. Des Weiteren wird nun bereits im Gesetz zwischen Darstellung der Geschäftsvorfälle (Sachverhaltsdokumentation) und der sog. Angemessenheitsdokumentation unterschieden, die die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Fremdvergleichsgrundsatz beachtende Vereinbarung von Bedingungen, insbesondere Preisen (Verrechnungspreisen), sowie insbesondere Informationen zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung, zur verwendeten Verrechnungspreismethode und zu den verwendeten Fremdvergleichsdaten beinhaltet (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AO n.F.). Neu hinzugekommen ist damit die Anforderung an den Steuerpflichtigen, im Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung vorhandene Informationen zu dokumentieren. Dieses Erfordernis belegt den starken Fokus innerhalb der Finanzverwaltung auf den sog. price setting Ansatz. Indem der neue Satz 1 des § 90 Abs. 3 AO n.F. nun direkt Bezug auf die Definition einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG nimmt, die auch anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen umfasst (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG), konnte folgerichtig der gesonderte Bezug auf die Betriebsstätteneinkünfteabgrenzung in § 90 Abs. 3 Satz 4 AO a.F. entfallen. Begrüßenswert ist, dass künftig bereits im Gesetz festgehalten ist, dass die Finanzbehörde die Vorlage von Aufzeichnungen im Regelfall nur für die Durchführung einer Außenprüfung verlangen soll (§ 90 Abs. 3 Satz 5 AO n.F.)4 und dass der Steuerpflichtige die Aufzeichnungen auf Anforderung der Finanzbehörde zu ergänzen hat (§ 90 Abs. 3 Satz 10 n.F.). Die letzt-

1 Vgl. zur teilweise unsachlichen Kritik an dem Urteil des BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171: Kuckhoff/Schreiber, IWB 2002, Fach 3, Gr. 1, 1863 (1871 ff.). 2 Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen (BEPS-Umsetzungsgesetzes) v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. Siehe hierzu Greil/Schreiber, DB 2017, 10; Schreiber, DB 2016, 1456. 3 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13: Final Report. 4 Bisher war diese Regelfestlegung nur in § 2 Abs. 6 Satz 1 GAufzV enthalten.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.95 Kap. 13

genannte Verpflichtung zur Ergänzung der Verrechnungspreisdokumentation mag zunächst als Verschärfung der Dokumentationspflicht anmuten, da der Steuerpflichtige zukünftig auf Anforderung vorgelegte Dokumentationen zu ergänzen hat.1 Bei genauerer Betrachtung erscheint diese Regelung in der Praxis jedoch als wirksames Mittel gegen die Annahme der Unverwertbarkeit durch die Finanzbehörde, die nun gesetzlich den Auftrag erhält, zunächst Nachbesserung zu verlangen und mögliche Mängel zu benennen („auf Anforderung“).2 Anwendungszeitpunkt. Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO sind erstmals für Wirtschaftsjahre zu erstellen, die nach dem 31.12.2002 beginnen.3 Die im Zuge des BEPS-Umsetzungsgesetzes erweiterten Anforderungen an die Verrechnungspreisdokumentation sind für alle Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2016 beginnen.4

13.93

Persönliches Anknüpfungsmerkmal. Persönliches Anknüpfungsmerkmal für die Verpflichtung zur Erstellung von Aufzeichnungen ist die unbeschränkte oder beschränkte Steuerpflicht in Deutschland. Danach sind alle natürlichen und juristischen Personen von der Aufzeichnungspflicht erfasst, soweit sie in Deutschland der unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht unterliegen. Soweit die beschränkte Steuerpflicht durch eine inländische Betriebsstätte begründet wird, ist diese Betriebsstätte also grundsätzlich von der Dokumentationspflicht erfasst, soweit sie in einem Veranlagungszeitraum Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 1 AO i.V.m. § 1 Abs. 4 AStG gehabt hat.

13.94

Sachliches Anknüpfungsmerkmal. Neben der Steuerpflicht setzt die Mitwirkungspflicht i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 1 AO a.F. voraus, dass der Steuerpflichtige an einem Sachverhalt beteiligt ist, der Vorgänge mit Auslandsbezug betrifft. Weder der Wortlaut noch die Gesetzesbegründung beseitigen die Unklarheit darüber, was Vorgänge mit Auslandsbezug sind5 und wie die abstrakte Formulierung zu verstehen ist, dass „Sachverhalte“ „Vorgänge“ betreffen. Die gewählte Formulierung kann wegen ihres mangelnden Konkretisierungsgrads durchaus als unbestimmt und damit verfassungswidrig angesehen werden. Wenn der Gesetzgeber mit der gewählten Formulierung gemeint hat, dass Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen im Ausland von der Aufzeichnungspflicht erfasst sind, wenn diese einem steuerlich bedeutsamen Sachverhalt zuzurechnen sind, hätte der Gesetzgeber gut daran getan, dies in das Gesetz zu schreiben. Für diese Auslegung spricht zumindest die Gesetzesbegründung.6 Folglich sind Steuerpflichtige von der Aufzeichnungspflicht nur insoweit betroffen, als sie bzw. ihr inländischer Unternehmensteil in einem Wirtschaftsjahr Geschäftsbeziehungen zum Ausland mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG unterhalten haben.7 Der Gesetzgeber hat mit der nunmehrigen Knüpfung der Aufzeichnungspflicht in § 90 Abs. 3 Satz 1 AO n.F. an das Vorliegen einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG hier zu mehr Klarheit über den Umfang der zu dokumentierenden Geschäftsvorfälle geschaffen.

13.95

1 Greil/Schreiber, DB 2017, 10 (13), interpretieren die neue Norm insbesondere als Abwehr gegen Argumente von Steuerpflichtigen, dass mit Vorlage einer irgendwie gearteten und ggf. unvollständigen Verrechnungspreisdokumentation die Mitwirkungspflichtigen i.S.d. § 90 Abs. 2 und 3 AO erloschen seien. 2 Vgl. hierzu auch Rz. 13.206. 3 Vgl. Art. 97 § 22 Satz 1 EGAO. 4 Vgl. Art. 97 § 22 Satz 4 EGAO 5 Ebenso Wassermeyer, DB 2003, 1535 (1536). 6 Vgl. Gesetzesbegründung zu Art. 10 Nr. 5 StVergAbG (§ 90 Abs. 3 AO), BT-Drucks. 15/287, 93 f. 7 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.5.

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Kap. 13 Rz. 13.96

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

13.96 Terminus der Geschäftsbeziehung. Der Gesetzgeber hat den Terminus „Geschäftsbeziehung“ in § 1 Abs. 4 AStG i.d.F. des StVergAbG neu definiert. Auslöser für die Neudefinition ist ein Urteil des BFH,1 das Einkünftekorrekturen bei Garantie- bzw. Patronatserklärungen begrenzt oder unmöglich macht, wenn diese der gesellschafts- und nicht der schuldrechtlichen Sphäre des Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Gesellschafter zuzuordnen und deshalb nicht als Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG a.F. anzusehen sind. Der BFH hatte in seinem Urteil die entgeltfreie Garantie- bzw. Patronatserklärung einer deutschen Mutterkapitalgesellschaft an ihre niederländische Tochterkapitalgesellschaft nicht als Geschäftsbeziehung angesehen und die daran anknüpfende Einkünftekorrektur in Höhe eines marktgerechten Entgelts u.a. mit dem Hinweis auf die Finanzierungsfreiheit verworfen. Die Entscheidung über die Finanzierungsstruktur sei der gesellschaftsrechtlichen Sphäre zuzuordnen, die sich einer Prüfung nach Maßgabe des Fremdvergleichs entzöge. Nach der damals neu eingeführten Definition in § 1 Abs. 4 AStG sind Geschäftsbeziehungen sämtliche schuldrechtlichen Beziehungen, die keine gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen sind und die entweder bei dem Steuerpflichtigen im Inland oder dessen nahestehender Person im Ausland zur Erzielung von Einkünften i.S.d. §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG führen oder führen würden, wenn die ausländische nahestehende Person im Inland steuerpflichtig wäre. Diese Neudefinition der Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 2003 anzuwenden.2 Mit dem Jahressteuergesetz 2013 hat der Gesetzgeber die Definition der Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 4 AStG grundlegend erneuert und explizit auf Leistungsverflechtungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ein und desselben Unternehmens erweitert. Nunmehr sind Geschäftsbeziehungen einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle), die zwischen einem Steuerpflichtigen und einer nahestehenden Person stattfinden, Teil einer Tätigkeit sind, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG anzuwenden sind oder im Fall einer ausländischen nahestehenden Person anzuwenden wären, wenn sich der Geschäftsvorfall im Inland ereignet hätte, und denen keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt (vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG). Darüber hinaus sollen auch Geschäftsvorfälle zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte als „anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen“ eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG darstellen. Diese Neuregelungen sind erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2012 beginnen.3 Schon mit der Gesetzesänderung zum

1 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = FR 2001, 604; ebenso v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123; v. 29.4.2009 – I R 26/08, BFH/NV 2009, 1648; v. 23.6.2010 – I R 37/09, BStBl. II 2010, 895; zuletzt v. 25.6.2014 – I R 88/12, BFH/NV 2015, 57 = ISR 2015, 10 m. Anm. Rasch. Nach der nunmehr gesicherten Rechtsprechung des BFH entziehen sich somit Darlehensvergaben an Tochtergesellschaften der Beurteilung durch den Fremdvergleichsgrundsatz i.S.d. § 1 AStG, wenn sie entweder nach den Vorschriften des für die Darlehensnehmerin maßgeblichen Gesellschaftsrechts als Zuführung von Eigenkapital anzusehen sind (vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875) oder wenn die Darlehensgewährung eine unzureichende Eigenkapitalausstattung der Tochterkapitalgesellschaft ausgleicht und eine notwendige Bedingung dafür ist, dass diese Gesellschaft die ihr zugedachte wirtschaftliche Funktion erfüllen kann (vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002 = FR 2001, 604). Siehe zu dem BFH-Urteil v. 29.11.2000 auch den Nichtanwendungserlass des BMF v. 17.10.2002 – IV B 4 - S 1341 – 14/02, BStBl. I 2002, 1025 (aufgehoben durch BMF v. 12.1.2010 – IV B 5 - S 1341/07/10009 – DOK 2010/0002173, BStBl. I 2010, 34). In diesem Zusammenhang sei insbesondere für Veranlagungszeiträume ab 2003 auf BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004, BStBl. I 2011, 277 verwiesen. 2 Vgl. § 21 Abs. 11 AStG. 3 Vgl. § 21 Abs. 20 Satz 3 AStG.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.96 Kap. 13

1.1.2003 verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, das Urteil des BFH vom 29.11.2000 (I R 85/99)1 auszuhebeln, zu dem bereits ein Nichtanwendungserlass2 ergangen ist. Es sind jedoch Zweifel daran angebracht, dass der Gesetzgeber dieses Ziel mit der Neudefinition tatsächlich erreichen wird. Der Grund dafür liegt darin, dass der BFH über den Zweck der Vorschrift argumentiert hat, nach dem sich Vorgänge, die tatsächlich und nicht nur rechtlich der gesellschaftsrechtlichen Sphäre zuzuordnen sind, einer Beurteilung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz entziehen. Eine Änderung des Wortlauts der Vorschrift dürfte an diesem Ergebnis nichts ändern. Gesellschaftsrechtliche Beziehungen sind mithin nicht von der Aufzeichnungspflicht erfasst. Schuldrechtliche Beziehungen sind hingegen von der Aufzeichnungspflicht erfasst,3 wenn sie Teil einer Tätigkeit sind, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG anzuwenden sind oder im Fall einer ausländischen nahestehenden Person anzuwenden wären, wenn sich der Geschäftsvorfall im Inland ereignet hätte. Zur Prüfung der Voraussetzungen der zweiten Alternative ist für sämtliche Tatbestandsmerkmale wegzudenken, dass sie im Ausland verwirklicht wurden. Folglich ist zu fragen, ob auf die Tätigkeit die genannten einkommensteuerlichen Paragrafen anzuwenden wären, wenn der Geschäftsvorfall in vollem Umfang im Inland stattgefunden hätte.4 Dazu zählen bspw. auch Mietverhältnisse zwischen Familienmitgliedern, soweit sie die o.g. Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Es scheint, als würde der Gesetzgeber mit dieser sehr weit gefassten Definition über das Ziel hinausschießen.5 Danach wären lediglich Beziehungen von der Aufzeichnungspflicht ausgeschlossen, die eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung darstellen oder tatsächlich gesellschaftsrechtlicher Natur sind und mithin der gesellschaftsrechtlichen Sphäre des Steuerpflichtigen zuzuordnen sind. Da sich diese Art von Beziehungen jedoch ohnehin einer Einkünftekorrektur nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes entzieht, ist mit der definitorischen Beschränkung auf die o.g. schuldrechtlichen Beziehungen keine weitergehende Entlastung verbunden. Auffassungen im Schrifttum, dass Geschäftsbeziehungen durch Aufnahme in einen Gesellschaftsvertrag aus dem Regelungsbereich des § 1 Abs. 4 AStG herausfallen,6 hat das BMF im neuen Anwendungserlass zum AStG ausdrücklich abgelehnt.7 Mit dem Zollkodexanpassungsgesetz v. 22.12.20148 hat der Gesetzgeber die enge Auslegung der Finanzverwaltung in Bezug auf die Frage, was eine „gesellschaftsvertragliche Vereinbarung“ beinhaltet, „klarstellend“9 in den Gesetzestext aufgenommen. Demnach ist mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2015 (§ 21 Abs. 22 AStG) eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung als eine Vereinbarung definiert, die unmittelbar zu einer rechtlichen Änderung der Gesellschafterstellung führt (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Halbs. 2 AStG).10 1 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = FR 2001, 604. 2 Vgl. BMF v. 17.10.2002 – IV B 4 - S 1341 – 14/02, BStBl. I 2002, 1025 (aufgehoben durch BMF v. 12.1.2010 – IV B 5 - S 1341/07/10009 – DOK 2010/0002173, BStBl. I 2010, 34). 3 Zur Einschränkung dieses Grundsatzes durch § 6 GAufzV, s. Rz. 13.152. 4 Vgl. BMF v. 4.6.2014 – IV B 5 - S 1341/07/10009 – DOK 2014/0423765, BStBl. I 2014, 834. 5 Siehe zur Beschränkung der Aufzeichnungspflicht auf Bezieher von Gewinneinkünften und größere Unternehmen durch Freigrenzen für Güter- und Warenlieferungen und Leistungen: § 6 Abs. 2 GAufzV. Auf die Zusammenrechnung der Geschäftsbeziehungen von zusammenhängenden Unternehmen nach § 6 Abs. 3 GAufzV sei jedoch ausdrücklich verwiesen. 6 Vgl. Andresen, IStR 2014, 209; Günkel/Lieber, IStR 2004, 229. 7 Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernr. 1, 3, Tz. 1.4.2. 8 Siehe Art. 8 Nr. 1 des Gesetzes v. 22.12.2014 zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften – sog. Zollkodex-Anpassungsgesetz, BGBl. I 2014, 2417. 9 Vgl. BT-Drucks. 18/3017, 53 (Begründung zu Art. 8). 10 Vgl. Haverkamp/Binding, ISR 2015, 85 für zahlreiche Gestaltungsansätze im Rahmen der engeren Fassung des Ausnahmetatbestands.

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Kap. 13 Rz. 13.97

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

13.97 Keine Anwendung auf Innentransaktionen vor Einführung des AOA. Gemäß § 90 Abs. 3 Satz 4 AO a.F. gelten die Aufzeichnungspflichten1 „entsprechend für Steuerpflichtige, die für die inländische Besteuerung Gewinne zwischen ihrem inländischen Unternehmen und dessen ausländischer Betriebsstätte aufzuteilen oder den Gewinn der inländischen Betriebsstätte ihres ausländischen Unternehmens zu ermitteln haben“. Dieser Wortlaut weckt Zweifel daran, dass der Gesetzgeber sein beabsichtigtes Ziel erreicht hat, die Aufzeichnungspflichten auf Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte auszudehnen. § 90 Abs. 3 Satz 4 AO a.F. ist gesetzestechnisch so ausgestaltet, dass das persönliche Anknüpfungsmerkmal um Steuerpflichtige erweitert wird, die für die inländische Besteuerung Gewinne zwischen ihrem inländischen Unternehmen und dessen ausländischer Betriebsstätte aufteilen oder den Gewinn einer inländischen Betriebsstätte ihres ausländischen Unternehmens zu ermitteln haben. Diese Steuerpflichtigen sind jedoch bereits von § 90 Abs. 3 Satz 1 AO a.F. erfasst, der auf die unbeschränkte oder beschränkte Steuerpflicht abstellt. § 90 Abs. 3 Satz 1 AO a.F. verlangt zusätzlich, dass diese Steuerpflichtigen Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen unterhalten und begrenzt gleichzeitig die Aufzeichnungspflicht auf diese Geschäftsbeziehungen. Davon sind nur Geschäftsbeziehungen des Stammhauses oder der Betriebsstätte mit nahestehenden Personen betroffen. Stammhaus und Betriebsstätte sind jedoch weder einander nahestehende Personen,2 noch können sie schuldrechtliche Beziehungen miteinander eingehen. Folglich waren Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätten von der Aufzeichnungspflicht i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 1 AO a.F. nicht erfasst, solange die Definition der Geschäftsbeziehung noch nicht anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG umfasste. Dies gilt gleichermaßen für die Aufzeichnungspflicht i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 2 AO a.F., weil der Fremdvergleich für Innentransaktionen im deutschen Steuerrecht vor dem Veranlagungszeitraum 2013 keine Rechtsgrundlage hatte und ebenfalls auf das Verhältnis zu Nahestehenden abgestellt wird. Dagegen spricht jedoch der anderslautende Hinweis in der Begründung des Änderungsantrags vom 6.2.2003. Ob dieser Hinweis jedoch den missglückten Wortlaut des § 90 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. Satz 1 und 2 AO a.F. zu heilen vermag, ist fraglich. Eine teleologische Extension oder Gesetzesanalogie3 sollte hier zumindest für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.1.2013 begonnen haben, nicht in Betracht kommen, weil die Einkünfteabgrenzung bei Innentransaktionen nicht vom gleichen Prinzip erfasst wurde wie die Einkünfteabgrenzung zwischen nahestehenden Personen. Zwischen nahestehenden Personen gilt der Fremdvergleichsgrundsatz; er galt jedoch mangels Rechtsgrundlage im nationalen Recht nicht für Innentransaktionen in Wirtschaftsjahren, die vor dem 1.1.2013 begonnen haben.4 Mit der nahezu vollständigen steuerlichen Verselbständigung der Betriebsstätte durch die Einführung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG umfasst die Dokumentationspflicht auch Innentransaktionen. Eindeutig manifestiert sich dies in der Neuformulierung des § 90 Abs. 3 Satz 1 AO n.F., der nun explizit auf die Definition einer Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 4 AStG Bezug nimmt, die auch Innentransaktionen (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen) umfasst (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG).

1 Nämlich die über Art und Inhalt der Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen und die über die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen der Vereinbarung von fremdüblichen Preisen und anderen Geschäftsbedingungen. 2 Vgl. § 1 Abs. 2 AStG. 3 Vgl. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht22, § 5 Rz. 80 ff. u. 86. 4 Folgerichtig beschränkte § 7 GAufzV idF bis zum 29.6.2013 die Dokumentationspflicht in Bezug auf die Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte(n) auf die Überführung von Wirtschaftsgütern oder die Erbringung von Dienstleistungen, soweit in diesen Fällen steuerlich ein Gewinn anzusetzen war.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.98 Kap. 13

Geschäftsbeziehung zum Ausland. Sofern das Vorliegen einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG zu bejahen ist, ist weiter zu untersuchen, ob diese Geschäftsbeziehung auch zum Ausland vorliegt. Dazu führt die Finanzverwaltung im Anwendungsschreiben zum AStG aus, dass alle grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen unter diese Regelung fallen, unabhängig davon, ob die Personen, zu denen diese Geschäftsbeziehungen bestehen, unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig sind. Insbesondere in Bezug auf die folgenden Beispiele ist nach Ansicht der Finanzverwaltung die Tatbestandsvoraussetzung einer „Geschäftsbeziehung zum Ausland“ erfüllt, und zwar bei Geschäften zwischen – der inländischen Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen und der ausländischen Betriebsstätte eines ihm nahestehenden anderen unbeschränkt Steuerpflichtigen; – der inländischen Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen und der ausländischen Betriebsstätte einer Zwischengesellschaft, an der der unbeschränkt Steuerpflichtige beteiligt ist; – der inländischen Betriebsstätte eines beschränkt Steuerpflichtigen und der ausländischen Betriebsstätte eines ihm nahestehenden anderen beschränkt Steuerpflichtigen; – inländischen und ausländischen, ganz oder teilweise beteiligungsidentischen Personengesellschaften, Gemeinschaften und ähnlichen Gebilden.1 Demnach fallen auch Geschäftsbeziehungen unter § 1 AStG, die eine inländische Tochtergesellschaft zu ihrer inländischen Muttergesellschaft unterhält, sofern die Geschäftsbeziehung steuerlich einer ausländischen Betriebsstätte der Muttergesellschaft zuzuordnen ist. Ebenso sind Geschäftsbeziehungen dokumentationspflichtig und an dem Fremdvergleichsmaßstab auszurichten, die eine ausländische Muttergesellschaft zu ihrer ausländischen Tochtergesellschaft unterhält, sofern diese Geschäftsbeziehung steuerlich einer inländischen Betriebsstätte der Tochtergesellschaft zuzuordnen ist.2 Für den Fall eines Darlehens, das ein unbeschränkt steuerpflichtiger Gesellschafter seiner deutschen GmbH unverzinslich zur Verfügung gestellt hat und das diese an ihre Schweizer Betriebsstätte weitergereicht hat, hat der BFH jedoch festgestellt, dass es sich um einen rein inländischen Vorgang handelt.3 Für die Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG komme es hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des Auslandsbezugs einzig auf die personale Beziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und der ihm nahestehenden Person an. Die Frage, wie das Darlehen von den Darlehensempfängern weiter verwendet wird, ist unbeachtlich.4 Die Finanzverwaltung hat auf dieses Urteil mit einem Nichtanwendungserlass reagiert.5 Sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn und Zweck des § 1 AStG kommt es nach ihrer Ansicht und zu Recht bei der Prüfung des Auslandsbezugs nicht darauf an, ob zivilrechtlich eine schuldrechtliche Beziehung mit einer im Ausland ansässigen nahestehenden Person vereinbart wurde. Der Wortlaut des § 1 AStG zielt vielmehr auf eine „Geschäftsbeziehung zum Ausland mit einer nahestehenden Person“ und explizit nicht – obwohl sprachlich die Möglichkeit dazu bestanden hätte – auf eine „Geschäftsbeziehung zu einer nahestehenden Person im Ausland“ oder zu einer „ausländischen nahestehenden Person“. Diese Sichtweise werde auch durch den Sinn und Zweck

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Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 1.4.3. Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.5.1. Vgl. BFH v. 28.4.2004 – I R 5, 6/02, BStBl. II 2005, 516. Vgl. hierzu auch Andresen, IWB 2002, 1039; Andresen, IStR 2005, 123. Vgl. BMF v. 22.7.2005 – IV B 4 - S 1341 – 4/05, BStBl. I 2005, 818.

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13.98

Kap. 13 Rz. 13.99

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

der Vorschrift unterstützt, die fremdunübliche Einkünfteverlagerungen ins Ausland verhindern soll.1

13.99 Verbleibender Geltungsbereich des § 90 Abs. 3 AO a.F. Die vorstehende Auslegung des Wortlauts würde bedeuten, dass der Gesetzgeber mit § 90 Abs. 3 AO a.F. zumindest für die Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ein Nullum geschaffen hätte. Da eine solche Auslegung jedoch dem Gesetzeszweck widerspricht, ist zu prüfen, ob der in seiner Formulierung missglückte § 90 Abs. 3 Satz 4 AO a.F. eine andere Auslegung erlaubt, die dem Gesetzeszweck Rechnung trägt. Die Vorschrift verlangt vom Steuerpflichtigen die Erstellung von Aufzeichnungen, wenn er Gewinne aufzuteilen oder zu ermitteln hat. Aus der Verwendung des Terminus „Gewinnaufteilung bzw. -ermittlung“ kann der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber die Dokumentationsverpflichtung an die Realisierung eines Gewinns knüpfen wollte. Folglich ist eine Dokumentation der Gewinnaufteilung bzw. -ermittlung immer dann verpflichtend anzufertigen, wenn ein Gewinn durch Außenumsatz realisiert ist.2 Dies kann unter bestimmten Umständen jedoch zu praktischen Schwierigkeiten führen, wie das folgende Beispiel zeigt: Beispiel: Die inländische X-GmbH überführt im Jahr 2007 eine Maschine in ihre ausländische Betriebsstätte in einem DBA-Staat. Im Jahr 2018 wird diese Maschine an einen fremden Dritten weiterveräußert. Da die Aufbewahrungsfristen für steuerliche Unterlagen nach § 147 Abs. 3 AO bereits abgelaufen sind und die Unterlagen zur Überführung der Maschine bereits vernichtet worden sind, ist der Steuerpflichtige bei der steuerlichen Außenprüfung im Jahr 2020 nicht in der Lage, eine verwertbare Dokumentation vorzulegen.

Der Umstand, dass in § 90 Abs. 3 Satz 2 AO a.F. der Grundsatz des Fremdvergleichs explizit genannt ist, steht der vorstehenden Auslegung nicht entgegen, obwohl der Fremdvergleichsgrundsatz für Zwecke der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung im nationalen Recht vor dem Veranlagungszeitraum 2013 keine Rechtsgrundlage hatte.3 § 90 Abs. 3 Satz 4 AO a.F. ist deshalb so auszulegen, dass die Aufzeichnungspflichten i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 2 AO a.F. „entsprechend“ erfüllt sind, wenn sie die Beachtung des Veranlassungsprinzips dokumentieren. Die Aufzeichnungspflicht bei Personengesellschaften ist unter Berücksichtigung der Anforderungen anzuwenden, die aus der Anwendung des § 1 AStG resultieren.4 Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, sind bei grenzüberschreitenden Leistungsbeziehungen zwischen den einzelnen Betriebsstätten des Einheitsunternehmens für diese Innentransaktionen (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen) Fremdvergleichspreise anzusetzen (§ 1 Abs. 5 Satz 1 AStG) und diese entsprechend gem. § 7 GAufzV i.d.F. 26.6.2013 zu dokumentieren. Darüber hinaus besteht die Pflicht zur Erstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung für die Betriebsstätte i.S.d. § 3 BsGaV (dazu Rz. 13.41 ff.). 1 So auch Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2014, Rz. 2.134. 2 So auch Wassermeyer, DB 2003, 1535 (1539); VWG-Verfahren, Tz. 3.4.5.1; Kaminski/Strunk, StBp 2004, 29 (33), gehen fälschlicherweise davon aus, dass der Gesetzgeber eine Gewinnrealisierung im Innenverhältnis gemeint hat, für die es in der Tat zum damaligen Zeitpunkt an einer Rechtsgrundlage fehlte. Gemeint ist jedoch der Gewinn oder Verlust, der durch eine Außentransaktion realisiert wird. 3 In Bezug auf die Überführung von Wirtschaftsgütern zwischen inländischen und ausländischen Betriebsteilen kommt es zu einer außerbilanziellen Korrektur des handelsrechtlichen bzw. steuerbilanziellen Wertansatzes, sofern der vom Steuerpflichtigen angesetzte Wert unterhalb des gemeinen Wertes liegt (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG; § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG). 4 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.5.2.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.101 Kap. 13

Nahestehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG. Unter nahestehenden Personen sind alle Personen zu verstehen, die unmittelbar oder mittelbar mindestens zu einem Viertel an dem Steuerpflichtigen beteiligt sind oder einen beherrschenden Einfluss auf ihn ausüben (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG). Die Finanzverwaltung vertritt dabei die Auffassung, dass unmittelbare und mittelbare Beteiligungen eines Steuerpflichtigen zusammenzurechnen sind.1 Dies gilt umgekehrt auch bei Beteiligung oder Einfluss des Steuerpflichtigen an bzw. auf diese(r) Person. Der BFH hat entschieden, dass die Beteiligungsschwelle rein kapitalmäßig auszulegen ist und daher etwaige Stimmrechtsbeschränkungen oder Treuhandverhältnisse unbeachtlich sind.2 Nahestehend ist eine Person außerdem, wenn eine dritte Person sowohl auf den Steuerpflichtigen als auch die andere Person einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder an diesen beteiligt ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG). Schließlich ist auch von einem Nahestehen auszugehen, wenn eine Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den jeweils anderen einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben, oder ein eigenes Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG).3 Für Zwecke der Dokumentation der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung bedeutet dies, dass grenzüberschreitende Innentransaktionen zwischen dem Stammhaus oder der Betriebsstätte einerseits und einer nahestehenden Person andererseits ceteris paribus zu dokumentieren sind.

13.100

Unionsrechtswidrigkeit der Aufzeichnungspflichten. Die erweiterten Aufzeichnungspflichten sind nach dem Gesetzeswortlaut lediglich auf Geschäftsbeziehungen anzuwenden, die zu nahestehenden Personen im Ausland unterhalten werden. Auf Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen im Inland findet die Vorschrift danach keine Anwendung. Angesichts der Tatsache, dass diese Vorschrift lediglich auf Geschäftsbeziehungen mit Auslandsbezug abstellt, verstößt die Aufzeichnungspflicht insoweit gegen die Grundfreiheiten des EU-Vertrags, als diese für Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen in anderen EU-Mitgliedsstaaten gilt.4 Steuerpflichtige mit Geschäftsbeziehungen zum EU-Ausland werden gegenüber Steuerpflichtigen benachteiligt, deren Geschäftsbeziehungen sich auf nahestehende Personen oder Betriebsstätten im Inland beschränken. Der BFH anerkennt diese Diskriminierung, sieht diesen Verstoß gegen die EU-Grundfreiheiten (im Urteilsfall betraf dies die Dienstleistungsfreiheit) zur Gewährleistung einer wirksamen Steueraufsicht jedoch als gerechtfertigt an. Die Erstellung der Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO ist nach Auffassung des BFH nicht nur geeignet, um dieses Ziel zu erreichen, sondern auch verhältnismäßig, da keine mildere Maßnahme zur Zielerreichung ersichtlich ist.5 In diesem Zusam-

13.101

1 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.5.3; a.A. Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2014, Rz. 2.118, ihm folgend Schnorberger, DB 2003, 1241. 2 BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771 = FR 2013, 961 = ISR 2013, 347 m. Anm. Andresen. 3 Das Hessische FG legt § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG weit aus, indem bereits eine mittelbare Einflussnahmemöglichkeit für die Annahme des Nahestehens ausreichen soll (vgl. FG Hessen v. 23.3.2011 – 4 K 419/10, juris). Der BFH hat im Revisionsverfahren diese Frage offengelassen, da er im Urteilsfall (BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771) die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG als erfüllt angesehen hat. 4 Ebenso Schnitger, IStR 2003, 73 (75 f.); J. Lüdicke, IStR 2003, 433 (437) m.w.N. – dort Fn. 29; Joecks/Kaminski, IStR 2004, 65 (70); Goebel/Küntscher, Ubg 2009, 235; a.A. Hahn/Suhrbier-Hahn, IStR 2003, 84 (86), Schwenke, Internationale Einkünfteabgrenzung, 2006, 208. 5 BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771; Vorinstanz FG Hessen v. 23.3.2011 – 4 K 419/10, juris. Siehe hierzu Andresen, ISR 2013, 347; Busch, FR 2013, 943; Rohde, IStR 2013, 710; SchulzTrieglaff, IStR 2013, 827; vgl. auch Generalanwältin des EuGH Kokott in Schlussanträgen v.

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Kap. 13 Rz. 13.102

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

menhang führt der BFH auch aus, dass die steuerlichen Mitwirkungspflichten und die EUAmtshilfe grundsätzlich nebeneinander stehen. Die Möglichkeit der Finanzverwaltung, zur Sachverhaltsaufklärung in Verrechnungspreisfällen auf das Instrument der Amtshilfe zurückzugreifen, stellt keinen Ersatz für die Erstellung einer Verrechnungspreisdokumentation dar und verdrängt somit diese Mitwirkungspflicht nicht oder lässt diese per se unverhältnismäßig erscheinen. Dies folgt aus dem Umstand, dass es nach Ansicht des BFH nicht zu erwarten sei, dass die für die steuerliche Beurteilung des Sachverhalts erforderlichen Informationen der Finanzverwaltung im jeweils anderen Mitgliedstaat bereits zur Verfügung stehen (z.B. zu den relevanten Markt- und Wettbewerbsverhältnissen und zu Fremdvergleichsdaten). Insofern käme es bei Inanspruchnahme der Amtshilfe lediglich zu einer Verschiebung der Aufklärungspflichten an die jeweils andere Finanzverwaltung. Trotz der generellen Unionsrechtsmäßigkeit der Dokumentationspflicht in Bezug auf die Verrechnungspreise stellt der BFH klar, dass der Umfang und der Detailgrad der von der Steuerverwaltung angeforderten Aufzeichnungen immer vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu sehen ist. Es ist somit im Einzelfall zu prüfen, ob das Informationsbegehren der Finanzverwaltung wirklich erforderlich ist, um das Ziel einer wirksamen Steueraufsicht durchzusetzen. Mit seinem expliziten Hinweis in der Urteilsbegründung, dass dem Steuerpflichtigen bei überzogenen Informationsanforderungen der finanzgerichtliche Klageweg offensteht, um die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen, bannt der BFH die Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung in Bezug auf eine mögliche Unverwertbarkeit der Aufzeichnungen in einen engen, unionsrechtlichen Rahmen.1

13.102 Unionsrechtswidrigkeit des § 1 AStG. Unabhängig von der Unionsrechtskonformität der Aufzeichnungspflicht gem. § 90 Abs. 3 AO ist bei Personengesellschaften überdies die potentielle Unionsrechtswidrigkeit des § 1 AStG zu prüfen. Der BFH erkennt es als ernstlich zweifelhaft an, dass der nur auf Geschäftsbeziehungen zum Ausland anwendbare § 1 Abs. 1 AStG mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist;2 eine Ansicht, der sich die FG angeschlossen haben.3 Diese Urteile sind allesamt vor dem Urteil des EuGH in der Rechtsache SGI4 ergangen, in dem der EuGH festgestellt hat, dass eine dem § 1 AStG ähnliche belgische Regelung eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG; heute: Art. 49 AEUV) darstellt. Diese kann allerdings zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten und zur Verhütung der Steuerumgehung gerechtfertigt sein, sofern sie nicht nur geeignet ist, sondern auch nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung der Rechtfertigungsgründe erforderlich ist. Dies zu beurteilen, sei Sache der nationalen FG, die auch zu berücksichtigen haben, dass dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt wird, Bewei-

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19.11.2009 – Rs. C-337/08 – X-Holding B.V., ECLI:EU:C:2009:721, die diese Argumentationslinie vorgezeichnet hat. Vgl. Busch, FR 2013, 943 (944). Vgl. BFH v. 21.6.2001 – I B 141/00, BFHE 195, 398 = IStR 2001, 509; die Zweifel teilend: Dautzenberg/Gocksch, BB 2000, 904 (909–911); Herlinghaus, FR 2001, 240; Köplin/Sedemund, IStR 2002, 120; Kaminski, StuW 2008, 337; a.A. Goebel/Küntscher, Ubg 2009, 235; Naumann et al., IStR 2009, 665. Vgl. FG Münster v. 22.2.2008 – 9 K 509/07 K, F, EFG 2008, 923 (Revision zurückgenommen) und FG Düsseldorf v. 19.2.2008 – 17 K 894/05 E, EFG 2008, 1006, wobei der BFH in seinem Folgeurteil auf die Frage der Europarechtswidrigkeit des § 1 AStG nicht eingeht mangels des Vorliegens einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG (BFH v. 29.4.2009 – I R 26/08, BFH/NV 2009, 1648). EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 –SGI, ECLI:EU:C:2010:26.

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Rz. 13.103 Kap. 13

se für mögliche wirtschaftliche Gründe für die vereinbarten Geschäftsbedingungen vorzutragen. Vor dem Hintergrund der fehlenden Gegenbeweismöglichkeit und der Frage, ob die weitreichenden Regelungen u.a. zur Transferpaketbewertung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werden, wird im Schrifttum § 1 AStG mehrheitlich als unionsrechtswidrig angesehen.1 Im Zweifelsfall hat eine Einzelfallprüfung vor nationalen Gerichten zu erfolgen, ob die Regelungen des § 1 AStG über die nationalen Regelungen (vGA, vE) hinausgehen und ob dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.2 Schön fordert bei Vorliegen von wirtschaftlichen und geschäftsstrategischen Gründen für bestimmte (fremdunübliche) Preissetzungen sogar eine Abkehr vom Fremdvergleichsprinzip.3 Erstellungszeitpunkt. Die Vorschrift stellt es dem Steuerpflichtigen grundsätzlich frei, wann er die Aufzeichnungen über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen im Ausland anfertigt.4 Sofern der Steuerpflichtige die Verrechnungspreisdokumentation für ein Wirtschaftsjahr erst nach dessen Ablauf erstellt, ist er berechtigt, für schätzungsweise anfallenden Dokumentationsaufwand eine entsprechende Rückstellung in seiner Steuerbilanz anzusetzen.5 Er sollte mit der Erstellung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen (s. GAufzV) jedoch spätestens zu einem Zeitpunkt beginnen, der es ihm erlaubt, diese Aufzeichnungen auf Anforderung innerhalb einer – in begründeten Fällen verlängerbaren – Frist von 60 Tagen vorzulegen.6 Andernfalls trifft ihn die Rechtsfolge, die das Gesetz bei Verletzung der Mitwirkungspflichten vorsieht. In Tz. 3.4.8.1 VWG-Verfahren vertritt die Finanzverwaltung die Auffassung, dass Aufzeichnungen, die auf der Grundlage von Daten oder Unterlagen entstanden sind, die erhebliche Zeit nach einem Geschäftsvorfall gesammelt oder erstellt worden sind, eine genaue Prüfung erfordern, ob sie zur nachträglichen Rechtfertigung des vereinbarten Verrechnungspreises dienen können. Diese Einschränkung der Anerkennung von Aufzeichnungen, die der Steuerpflichtige zur Rechtfertigung seiner Steuerposition vorlegt, ist nicht vom Gesetz gedeckt, das keine Anforderungen an den Zeitpunkt des Sammelns oder Erstellens von Aufzeichnungen vorsieht. Entsprechend sind diese Aufzeichnungen von der Finanzverwaltung zu beachten. Eine Ausnahme besteht lediglich dann, wenn diese Aufzeichnungen die Entscheidungssituation des ordentlichen gewissenhaften Geschäftsleiters zum Zeitpunkt seiner Entscheidung dokumentieren sollen und diese Unterlagen erst nach dieser Entscheidung erstellt worden sind.7 In diesen Fällen besteht eine Anscheinsvermutung, dass der ordentliche gewissenhafte Geschäftsleiter seine Entscheidung nicht auf der Grundlage des Sachverhalts getroffen hat, der durch die nachträglich erstellten Unterlagen glaubhaft gemacht werden soll. In diesen Fällen ist es an dem Steuerpflichtigen, durch geeignete Unterlagen die Anscheinsvermutung zu widerlegen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 3 BsGaV muss die Hilfs- und Nebenrechnung für die Betriebsstätte (Rz. 13.41) spätestens bis zur Abgabe der Steuererklärung erstellt sein, in der die Einkünfte der Betriebsstätte zu berücksichtigen sind. In § 3 Abs. 3 BsGaV hat der Verordnungsgeber – als Reaktion auf die in der Fachöffentlichkeit geäußerte Kritik an einer möglichen Einführung einer zeitnahen Do-

1 Vgl. von Brocke, SteuK 2010, 106. Ebenso der Ansicht, dass § 1 AStG europarechtswidrig ist Andresen, IStR 2010, 289 mit Fallbeispielen aus der Praxis; Bron, EWS, 80 und Gahle, IStR 2010, 870 m.w.N.; a.A. Becker/Sydow, IStR 2010, 195. 2 Vgl. Englisch, IStR 2010, 139; Korn, GWR 2010, 72. 3 Vgl. Schön, IStR 2010, 777; ähnlich auch Schäpers/Linn, IStR 2010, 469. 4 So auch VWG-Verfahren, Tz. 3.4.8.1. 5 Vgl. Baumhoff/Liebchen/Kluge, IStR 2012, 821. 6 Bei Aufzeichnungen über außergewöhnliche Geschäftsvorfälle beträgt die Vorlagefrist 30 Tage. 7 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.8.2.

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Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

kumentationspflicht durch die Hintertür –1 deutlich gemacht, dass die Darlegung der Gründe des Steuerpflichtigen für seine Zuordnungsentscheidung von Vermögenswerten, Chancen und Risiken, Sicherungsgeschäften, Geschäftsvorfällen und anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen Teil der Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO sind und nicht zeitgleich mit der Hilfs- und Nebenrechnung erstellt werden müssen. Dennoch ist dem Steuerpflichtigen anzuraten, seine Zuordnungsgründe in einem engen zeitlichen Zusammenhang zur Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung zu dokumentieren, um die Konsistenz der abgegebenen Steuerklärung mit der späteren Verrechnungspreisdokumentation zu gewährleisten.2

13.104 Erstellungszeitpunkt bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen. § 90 Abs. 3 Satz 8 AO n.F. verlangt, dass Aufzeichnungen über außergewöhnliche Geschäftsvorfälle zeitnah zu erstellen sind.3 Die Verpflichtung zur zeitnahen Erstellung setzt die Existenz von Geschäftsvorfällen voraus, die außerdem noch außergewöhnlich sein müssen. Der Terminus „außergewöhnliche Geschäftsvorfälle“ ist in § 3 Abs. 2 GAufzV definiert. Danach sind außergewöhnliche Geschäftsvorfälle insbesondere: 1. der Abschluss und die Änderung langfristiger Verträge, die sich erheblich auf die Höhe der Einkünfte aus den Geschäftsbeziehungen mit Nahestehenden auswirken, 2. Vermögensübertragungen im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen, 3. die Übertragung und Überlassung von Vermögenswerten im Zusammenhang mit wesentlichen Funktions- und Risikoänderungen im Unternehmen, 4. Geschäftsvorfälle im Zusammenhang mit einer für die Verrechnungspreisbildung erheblichen Änderung der Geschäftsstrategie und 5. der Abschluss von Umlageverträgen i.S.d. VWG-Kostenumlagen.4 Angesichts der Tatsache, dass diese Aufzählung nicht abschließend ist, ist darauf hinzuweisen, dass auch andere außergewöhnliche Geschäftsvorfälle einer besonderen Dokumentation bedürfen. Die VWG-Verfahren präzisieren, dass Geschäftsvorfälle dann als außergewöhnlich anzusehen sind, wenn sie hinsichtlich Art, Inhalt, Zweck, Umfang oder Risiko über das gewöhnliche Tagesgeschäft hinausgehen.5 Außerdem müssen diese Geschäftsvorfälle entweder im Jahr ihrer Entstehung oder in der Zukunft für die Höhe der Einkünfte des Steuerpflichtigen von erheblicher Bedeutung sein. Weshalb an dieser Stelle der handelsrechtliche Begriff des Geschäftsvorfalls verwendet wird, ist nicht ersichtlich, zumal eine Anlehnung an § 277 Abs. 4 HGB a.F. (außergewöhnliche Erträge und Aufwendungen)6 hinsichtlich der Auslegung des 1 Siehe u.a. Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer v. 16.10.2013 zum Entwurf einer Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes (Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV), zu § 3 BsGaV-E. 2 Vgl. Busch, DB 2014, 2490 (2497). 3 Der Vorentwurf zu § 90 Abs. 3 Satz 3 AO a.F. sah noch für sämtliche Geschäftsvorfälle die zeitnahe Erstellung einer Verrechnungspreisdokumentation vor. 4 Der beispielhafte Katalog der außergewöhnlichen Geschäftsvorfälle wurde durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (BGBl. I 2007, 1912) neu gefasst und um den Abschluss von Umlageverträgen erweitert. 5 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.8.2. 6 § 277 Abs. 4 HGB ist mit Wirkung für Geschäftsjahre, die nach dem 31.12.2015 beginnen, weggefallen durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 17.7.2015, BGBl. I 2015, 1245. Erträge und Aufwendungen von außergewöhnlicher Größenordnung oder außergewöhnlicher Bedeutung sind fortan gem. § 285 Nr. 31 HGB als sonstige Pflichtangaben im Anhang anzugeben.

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Rz. 13.106 Kap. 13

Terminus „außergewöhnlich“ in Tz. 3.4.8.2 VWG-Verfahren ausdrücklich als zu eng gefasst abgelehnt wird. Es stellt sich jedoch die Frage, ob durch diesen Umstand die gesetzlichen Dokumentationsverpflichtungen eingeschränkt sein könnten. Der Terminus des Geschäftsvorfalls wird in § 238 Abs. 1 Satz 3 HGB verwendet, der die Buchführungspflicht regelt. Die einschlägige Kommentierung definiert Geschäftsvorfälle als „Ereignisse, die eine Veränderung des kaufmännischen Bruttovermögens in Höhe und/oder Struktur bewirken“.1 Die Buchführungspflicht dient dazu, die Lage des Vermögens eines Kaufmanns darzustellen. Wenn jedoch keine Buchführungspflicht nach Handelsrecht besteht, lässt sich auch nicht überprüfen, ob Ereignisse die Höhe und/oder Struktur eines kaufmännischen Vermögens verändert haben, m.a.W. ob also ein Geschäftsvorfall vorgelegen hat. Dieser Mangel legt den Schluss nahe, dass ein Steuerpflichtiger Aufzeichnungen über außergewöhnliche Geschäftsbeziehungen nicht zeitnah zu erstellen hat, wenn er der Buchführungspflicht nach Handelsrecht nicht unterliegt. Angesichts der Tatsache, dass § 145 Abs. 1 AO ebenfalls auf den Terminus des Geschäftsvorfalls abstellt, ist die vorgenannte Schlussfolgerung insofern eingeschränkt, als nach deutschem Steuerrecht Buchführungspflicht besteht. Dies bedeutet, dass Aufzeichnungen über außergewöhnliche Geschäftsvorfälle nicht zeitnah zu erstellen sind, wenn auch nach Steuerrecht keine Buchführungspflicht besteht. Die in § 3 Abs. 2 GAufzV enthaltene Definition steht dem nicht entgegen, weil es bei fehlender Buchführungspflicht nicht zumutbar wäre, Aufzeichnungen über die Aufteilung des Betriebsvermögens und den damit erwirtschafteten Erträgen und Aufwendungen zu verlangen, wenn nicht einmal Aufzeichnungen über das Vermögen zu erstellen sind. Zeitnahe Erstellung. Das Erfordernis der zeitnahen Erstellung ist erfüllt, wenn die Aufzeichnungen im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Geschäftsvorfall erstellt werden. Sie gelten noch als zeitnah erstellt, wenn sie innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs gefertigt werden, in dem sich der Geschäftsvorfall ereignet hat, wobei die VWGVerfahren auf das Verpflichtungsgeschäft abstellen.2 Aus dieser Differenzierung ist zu folgern, dass Aufzeichnungen zeitnah erstellt sind, wenn sie noch in dem Wirtschaftsjahr entstehen, in dem der Geschäftsvorfall verwirklicht worden ist. Durch die Fiktion der zeitnahen Erstellung für einen Zeitraum von sechs Monaten über das Ende eines Wirtschaftsjahrs hinaus wird dem Steuerpflichtigen ausreichende Zeit für die Erstellung der Aufzeichnungen für außergewöhnliche Geschäftsvorfälle eingeräumt. Der Gesetzgeber hat an das Versäumen einer zeitnahen Erstellung – im Gegensatz zur Vorlage – lediglich die widerlegbare Vermutung einer gesellschaftsrechtlich veranlassten Minderung der Einkünfte, nicht aber die Festsetzung eines Strafzuschlags nach § 162 Abs. 4 AO geknüpft. Unter der Annahme, dass es dem Steuerpflichtigen im Zeitablauf gelingt, die immanente Vermutung zu widerlegen, zieht das Versäumnis der zeitnahen Erstellung keine negativen Rechtsfolgen nach sich. In diesen Fällen liegt die Gefahr für den Steuerpflichtigen vielmehr darin, dass er Aufzeichnungen nicht innerhalb der Vorlagefrist beschaffen bzw. erstellen kann und sich dadurch den vermeidbaren Rechtsfolgen der Verletzung der Mitwirkungspflichten aussetzt. Deshalb empfiehlt es sich, insbesondere außergewöhnliche Geschäftsvorfälle in unmittelbarem Anschluss an deren Verwirklichung zu dokumentieren und die Aufzeichnungen für Dokumentationszwecke so lange aufzubewahren, bis das betroffene Wirtschaftsjahr endgültig veranlagt ist.

13.105

Zweck, Inhalt und Anlass der Vorlage von Aufzeichnungen. Wenn die Finanzbehörde Aufzeichnungen über grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen anfordert, hat sie dabei anzugeben, ob diese Aufzeichnungen für die Besteuerung der zur

13.106

1 Winkeljohann/Henckel in BeckBilanzkomm10, § 238 HGB Rz. 95. 2 Vgl. § 3 Abs. 1 GAufzV; VWG-Verfahren, Tz. 3.4.8.2.

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Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Vorlage aufgeforderten oder einer anderen Person benötigt werden.1 Dies kann entweder im Rahmen der Durchführung der Betriebsprüfung oder bereits in der Prüfungsanordnung nach § 196 AO geschehen. Die Prüfungsanordnung kann auch bereits detaillierte Angaben zu den Aufzeichnungen enthalten, die die Finanzbehörde prüfen möchte. Die Finanzbehörde kann die Vorlage der Aufzeichnungen an Amtsstelle verlangen oder sie bei dem Vorlagepflichtigen einsehen, wenn dieser einverstanden ist oder die Aufzeichnungen zur Vorlage an Amtsstelle nicht geeignet sind. Soweit der Steuerpflichtige die Aufzeichnungen nur auf einem Bild- oder Datenträger vorlegen kann, hat er auf eigene Kosten Hilfsmittel zur Lesbarmachung zur Verfügung zu stellen oder die Aufzeichnungen in lesbarer Form vorzulegen.2 Die Finanzbehörde soll die Vorlage von Aufzeichnungen in der Regel nur für die Durchführung einer Außenprüfung verlangen (§ 90 Abs. 3 Satz 5 AO n.F.; § 2 Abs. 6 Satz 1 GAufzV). Ausnahmsweise – so lässt der Wortlaut vermuten3 – darf die Finanzbehörde die Vorlage von Aufzeichnungen auch außerhalb einer Außenprüfung verlangen, z.B. im Veranlagungsverfahren. Sie hat dabei ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Bei der Ausübung des Ermessens hat sie nicht nur die Voraussetzungen der angewandten Rechtsnorm, sondern auch die Grundsätze der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, der Verhältnismäßigkeit der Mittel, der Erforderlichkeit, der Zumutbarkeit, der Billigkeit und von Treu und Glauben sowie das Willkürverbot und das Übermaßverbot zu beachten.4 Der Zweck der Aufzeichnungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO ist die Sicherstellung der Prüfbarkeit der Verrechnungspreise. Angesichts dieses Umstands lässt sich nur schwer begründen, weshalb bereits im Veranlagungsverfahren, also zeitlich vor der Vornahme etwaiger Prüfungshandlungen, Aufzeichnungen angefordert werden sollen. Die Kommentarliteratur geht davon aus, dass die Finanzbehörde im Normalfall kein Ermessen hat und nur in atypischen Situationen von der vorgegebenen Regelung abweichen darf.5 In diesem Sinne wäre denkbar, dass nach Durchführung einer Außenprüfung für Altjahre, die zu einer Korrektur der Verrechnungspreise geführt hat, für die Folgejahre das Verrechnungspreissystem entsprechend der Einigung mit der Finanzverwaltung auch mit handelsrechtlicher Wirkung angepasst wird und zu diesem Zweck die bereits eingereichten Steuererklärungen für die Folgejahre geändert werden. Im Rahmen der Bearbeitung des Änderungsantrags kann es durchaus als erforderlich angesehen werden, dass der veranlagende Finanzbeamte die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen zu den relevanten Geschäftsbeziehungen bereits im Veranlagungsverfahren anfordert. Dies wäre aus Gründen der Verfahrenseffizienz sogar begrüßenswert, weil es Meinungsverschiedenheiten bei einer späteren Außenprüfung vermeiden hilft. Auch im Rahmen der Verhandlung eines Advance Pricing Agreements (APA) mit der inländischen Finanzverwaltung wären die Aufzeichnungen, wenn nicht bereits als Teil des Antrags auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens, so doch zumindest bei der Prüfung des Sachverhalts durch die zuständige Finanzbehörde auf Anforderung außerhalb der Außenprüfung vorzulegen. Der Verwaltungsakt, der den Steuerpflichtigen zur Vorlage der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO außerhalb einer Außenprüfung auffordert, ist außerdem nach § 121 Abs. 1 AO zu begründen, da dies wegen der Außergewöhnlichkeit eines solchen Verwaltungsakts zu seinem Verständnis erforderlich ist. Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung bei Steuerpflichtigen mit Dauerverlusten oder anderen Merkmalen bereits im Veranlagungsverfahren von der Möglichkeit Gebrauch macht, eine Verrechnungspreis-Dokumentation anzufordern. 1 Vgl. § 97 Abs. 1 i.V.m. § 90 Abs. 3 Satz 6 AO n.F. 2 Vgl. § 97 Abs. 2 i.V.m. § 147 Abs. 5 AO. 3 Der Ermessensspielraum bei Soll-Vorschriften ist wesentlich enger als bei Kann-Vorschriften; so Drüen in T/K, § 5 AO Rz. 11. 4 Vgl. Nr. 1 zu § 5 AEAO. 5 Vgl. Drüen in T/K, § 5 AO Rz. 11.

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Rz. 13.109 Kap. 13

Soweit die Finanzverwaltung solche Anforderungen dann nicht flächendeckend durchführt, setzt sie sich jedoch der Gefahr aus, dass der Gleichmäßigkeitsgrundsatz verletzt und eine Anforderung unzulässig wird. Aus diesem Grund ist der Finanzverwaltung unter Hinweis auf Nr. 1 Satz 2 zu § 5 AEAO anzuraten, Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die die Fälle regeln, in denen die Finanzverwaltung von ihrem Ermessen Gebrauch macht, die Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO auch außerhalb einer Außenprüfung anzufordern. Dies wäre auch im Sinne der Rechtssicherheit begrüßenswert, weil sich der Steuerpflichtige auf eine frühere Vorlage einstellen und die Aufzeichnungen rechtzeitig vorbereiten könnte. Die Ermessensentscheidung, Aufzeichnungen außerhalb der Außenprüfung anzufordern, ist einer behördlichen und gerichtlichen Kontrolle zugänglich. Vorlagefrist. Die Vorlage von Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO hat nach § 90 Abs. 3 Satz 7 AO n.F. auf Anforderung jeweils innerhalb einer Frist von 60 Tagen zu erfolgen. Für die Vorlage von Aufzeichnungen über außergewöhnliche Geschäftsvorfälle ist diese Frist mit Wirkung vom 18.8.20081 auf 30 Tage verkürzt worden mit der Begründung, dass diese Aufzeichnungen ohnehin gem. § 90 Abs. 3 Satz 8 AO n.F. i.V.m. § 3 Abs. 1 GAufzV zeitnah zu erstellen sind. Erhält der Steuerpflichtige keine Anforderung zur Vorlage von Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO, hat er keine Aufzeichnungen vorzulegen. Wenn die Finanzbehörde mehrere Anforderungen an den Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschickt, gilt für jede Anforderung eine gesonderte Frist von 60 bzw. 30 Tagen. Die Frist beginnt mit der Bekanntgabe der Anforderung. Weicht der Prüfungsbeginn vom Zeitpunkt der Bekanntgabe ab, ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe maßgeblich.2 Angesichts der kurzen Frist von nur 60 Tagen empfiehlt es sich, bei Geschäftsbeziehungen zum Ausland mit nahestehenden Personen, die einen höheren Prozentsatz des gesamten grenzüberschreitenden Geschäftsvolumens ausmachen, bereits in der Entstehungsphase solcher Geschäftsbeziehungen die geforderten Aufzeichnungen vorzunehmen. Dies gilt insbesondere für die genannten außergewöhnlichen Geschäftsvorfälle, für die die Vorlagefrist nur 30 Tage beträgt und die grundsätzlich zeitnah zu dokumentieren sind. Unter Umständen besteht jedoch die Möglichkeit, mit der Finanzbehörde auf dem Billigkeitswege eine zeitliche Staffelung der Anforderung von Aufzeichnungen zu vereinbaren, so dass für einzelne, besonders schwierig zu erstellende Aufzeichnungen längere Fristen gelten.

13.107

Verlängerung der Vorlagefrist. Darüber hinaus erlaubt § 90 Abs. 3 Satz 9 AO n.F. in begründeten Ausnahmefällen die Verlängerung der Vorlagefrist.3 Begründete Einzelfälle können bspw. sein: die Übersetzung eines komplizierten und umfangreichen Vertragswerks aus einer unüblichen Sprache, die Durchführung eines komplexen hypothetischen Fremdvergleichs nach Verwerfung eines tatsächlichen Fremdvergleichs mangels Vergleichbarkeit, die Erkrankung des für Verrechnungspreisdokumentationen zuständigen Mitarbeiters, gesetzliche oder bürokratische Hürden bei der Beschaffung von Aufzeichnungen aus dem Ausland etc. Die Entscheidung über die Verlängerung der Vorlagefrist liegt im Ermessen der Finanzbehörde.

13.108

Verhältnis zu den Erlassen der Finanzverwaltung. Im Unterschied zu den Mitwirkungspflichten i.S.d. § 90 Abs. 1 und 2 AO, die lediglich eine Pflicht zur Vorlage bestehender Unterlagen und Beweismittel vorsehen, enthält § 90 Abs. 3 AO eine Pflicht zur Erstellung von

13.109

1 Vgl. Art. 6 Nr. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BGBl. I 2007, 1912. 2 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.9. 3 So auch VWG-Verfahren, Tz. 3.4.9.

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Kap. 13 Rz. 13.110

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Aufzeichnungen. Die Vorschrift verpflichtet damit den Steuerpflichtigen zur Beweisvorsorge.1 Soweit hingegen die Erlasse der Finanzverwaltung hinsichtlich ihres Verlangens nach Mitwirkung über den Regelungsgehalt des § 90 Abs. 3 AO hinausgehen, zieht ein Verstoß dagegen nicht die Rechtsfolgen des § 162 Abs. 3 und 4 AO nach sich, wenn der Steuerpflichtige diesem Mitwirkungsverlangen seitens der Finanzverwaltung nicht nachkommt. Davon betroffen dürften vor allem die Liste mit Nachweisen in Tz. 5 VWG-Arbeitnehmerentsendung, die Nachweise in Tz. 5 VWG-Kostenumlagen und die Tz. 5 BS-VWG sein, soweit Letztere Innentransaktionen ohne Gewinn- bzw. Verlustrealisation durch eine sich anschließende Außentransaktion betreffen. Verletzungen dieser Mitwirkungspflichten führen lediglich zu einer Reduzierung des Beweismaßes für die Finanzverwaltung, soweit sie die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Rechtsnorm betreffen, und zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, soweit die Verletzungen die Rechtsfolgen dieser Rechtsnorm betreffen. Der dieser Rechtsauffassung entgegenstehende Nichtanwendungserlass zum BFH-Urt. v. 17.10.2001 ist als inhaltlich unzutreffend zurückzuweisen, zumal seine Bezeichnung ohnehin darauf hindeutet, dass er für die Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung keine Gültigkeit beansprucht.2

13.110 Masterfile, Local File und Country-by-Country Reporting. In dem Abschlussbericht zu BEPS-Maßnahme 133 empfiehlt die OECD einen dreigliedrigen Ansatz für die Verrechnungspreisdokumentation bestehend aus einer gruppenbezogenen Stammdokumentation (Masterfile), einer landesspezifischen, unternehmensbezogenen Verrechnungspreisdokumentation (Local File) sowie eines länderbezogenen Berichts über die gesamte multinationale Unternehmensgruppe (sog. Country-by-Country Reporting). Diesen dreigliedrigen Ansatz hat der Gesetzgeber über § 90 Abs. 3 AO n.F. (Masterfile und Local File) sowie über § 138a AO (Country-by-Country Reporting) in Deutschland umgesetzt. Während die Verpflichtung zur Erstellung des Local Files jedes Unternehmen – mit Ausnahme von „kleinen Unternehmen“ – mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen im Konzern trifft, greift die Verpflichtung zur Vorlage einer Stammdokumentation erst, wenn der Steuerpflichtige im vorangegangenen Wirtschaftsjahr einen Umsatz von 100 Mio. Euro oder mehr ausgewiesen hat. Die Verpflichtung zur Erstellung und Abgabe eines Country-by-Country Reportings trifft nur Unternehmen oder inländische Betriebsstätten, die zu Konzernen gehören, deren konsolidierte Konzernumsätze 750 Mio. Euro überschreiten. Im Zuge dieser Neuregelung und im Sinne der Anpassung des Umfangs der Dokumentationspflichten an den von der OECD empfohlenen Anforderungskatalog in Bezug auf das Masterfile und das Local File4 wurde die Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV) am 12.7.2017 neu verkündet.5

1 Vgl. Seer, FR 2002, 380 (381). 2 Vgl. BMF v. 26.2.2004 – IV B 4-S 1300-12/04, BStBl. I 2004, 270 (271) – Konsequenzen der Verletzung von Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO bei der Prüfung von Verrechnungspreisen einer inländischen Tochtervertriebsgesellschaft (Kapitalgesellschaft) bei Geschäften mit nahestehenden Personen (§ 1 AStG) im Ausland; Anwendung von BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. Der Nichtanwendungserlass ist für Steuertatbestände, die nach dem 31.12.2008 verwirklicht werden, aufgehoben durch Nichtaufnahme in die Positivliste in BMF v. 23.4.2010 – IV A 6-O 1000/009/10095 – DOK 2010/0197416, BStBl. I 2010, 391. 3 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting. 4 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Annex I und Annex II. 5 Verordnung zu Art, Inhalt und Umfang von Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 der Abgabenordnung v. 12.7.2017, BGBl. I 2017, 2367.

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Rz. 13.112 Kap. 13

b) Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV) Zweck der GAufzV. In § 90 Abs. 3 Satz 11 AO n.F. ist die Ermächtigung zur Schaffung einer Rechtsverordnung enthalten, die Art, Inhalt und Umfang der Dokumentationspflicht näher bestimmen soll. Die Aufzeichnungen, die der Steuerpflichtige nach § 90 Abs. 3 AO zu erstellen und vorzulegen hat, dienen in erster Linie dem Zweck, der Finanzverwaltung die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen der einschlägigen Korrekturvorschriften im Rahmen der zwischenstaatlichen Einkünfteabgrenzung zu ermöglichen.1 Der dabei anzulegende Maßstab ist gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 GAufzV der eines sachverständigen Dritten, der innerhalb einer angemessenen Frist feststellen können muss, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen verwirklicht hat und ob und inwieweit er dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat. Die Angemessenheit der Frist hat sich dabei nach dem Grad der Komplexität des zu dokumentierenden Sachverhalts zu richten. Letztlich hat der Steuerpflichtige der zuständigen Finanzbehörde diejenigen Informationen zur Verfügung zu stellen, die sie benötigt, um beurteilen zu können, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der für diesen Fall möglicherweise einschlägigen Korrekturvorschriften erfüllt sind. Zu diesen zählt auch für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.1.2013 begonnen haben, das Veranlassungsprinzip, so dass grundsätzlich von einer Dokumentationspflicht auch für Betriebsstätten auszugehen ist, die jedoch vor Einführung des AOA in das deutsche Steuerrecht in gewissem Umfang eingeschränkt ist (Rz. 13.97). Neben dem Wortlaut der GAufzV hat sich die Auslegung der einzelnen Bestimmungen der GAufzV an diesem Zweck zu orientieren bzw. ist insoweit einzuschränken, als die Aufzeichnungsbegehren über diesen Gesetzeszweck hinausgehen würden.

13.111

Entsprechende Anwendung für Betriebsstätten, Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften. § 7 GAufzV i.d.F. bis zum 29.6.2013 stellt klar, dass §§ 1 bis 6 GAufzV entsprechend für Steuerpflichtige gelten, die für die inländische Besteuerung nach § 1 Abs. 5 AStG Einkünfte zwischen ihrem inländischen Unternehmen und dessen ausländischer Betriebsstätte aufzuteilen oder den Gewinn der inländischen Betriebsstätte ihres ausländischen Unternehmens zu ermitteln haben. Die genannten Vorschriften gelten auch für Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften, wenn und soweit diese Steuerpflichtige für Zwecke der Anwendung des § 1 AStG sind. Für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.1.2013 begonnen haben, findet in Bezug auf reine Innentransaktionen somit die GAufzV nur insoweit Anwendung, als mit diesen Innentransaktionen eine Gewinnrealisierung durch eine sich anschließende Außentransaktion verbunden ist (Rz. 13.95). Folglich unterlag die Ausstattung der Betriebsstätte mit Kapital vor dem genannten Zeitpunkt nicht der Dokumentationspflicht, weil das Kapital entweder Schuld, RAP oder Eigenkapital ist.2 Eine Dokumentationspflicht würde lediglich für Fremdkapital und nur insoweit gelten, als dieses vom Stammhaus aufgenommen und anschließend vollständig oder partiell an eine Betriebsstätte weitergeleitet wird,3 weil es in diesem Fall um die Aufteilung von Aufwendungen ginge. Mit der Erweiterung der Definition der Geschäftsbeziehung auch auf Innentransaktionen (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen) werden grundsätzlich alle Innentransaktionen dokumentationspflichtig. Dies gilt mit Inkrafttreten der BsGaV auch für die Ermittlung des Dotationskapitals (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. Satz 4 BsGaV). Dies spiegelt sich auch in dem neuen, bis 19.7.2017 gültigen Wortlaut des § 7 GAufzV wider, nach dem nun §§ 1 bis 6 GAufzV entsprechend für

13.112

1 Vgl. BR-Drucks. 583/03, Präambel, Vorblatt, 1 in Abschnitt A. Problem und Ziel. 2 Vgl. Weber-Grellet in Schmidt36, § 5 EStG Rz. 301. 3 Dies gilt natürlich auch für den umgekehrten Fall, dass ein Betrieb durch eine seiner Betriebsstätten Fremdmittel aufnimmt und an die Geschäftsleitungsbetriebsstätte weiterleitet.

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Kap. 13 Rz. 13.112

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Steuerpflichtige gelten, die entweder für die inländische Besteuerung nach § 1 Abs. 5 AStG Einkünfte zwischen ihrem inländischen Unternehmen und dessen ausländischer Betriebsstätte aufzuteilen haben, oder die für die inländische Besteuerung nach § 1 Abs. 5 AStG Einkünfte der inländischen Betriebsstätte ihres ausländischen Unternehmens zu ermitteln haben.1 Damit nimmt § 7 GAufzV nun explizit Bezug auf die Neuregelungen im AStG, mit denen der AOA in das deutsche Steuerrecht eingeführt worden ist. Durch die Neufassung des § 90 Abs. 3 AO im Zuge des BEPS-Umsetzungsgesetzes nimmt § 90 Abs. 3 Satz 1 AO n.F. nun direkt Bezug auf die Definition der Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG, die auch Innentransaktionen umfasst. Insofern wurde die GAufzV folgerichtig angepasst und der explizite Bezug auf die Betriebsstättengewinnaufteilung in § 7 GAufzV ist entfallen.2 Personengesellschaften, an denen der Steuerpflichtige beteiligt ist, hatten gem. § 7 Satz 2 GAufzV i.d.F. bis zum 29.3.2013 die §§ 1 bis 6 GAufzV nur insoweit zu beachten, als sie Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 AStG3 mit dem Ausland haben, da nur die dafür vereinbarten Entgelte von der Finanzverwaltung zu prüfen sind. Mit Wirkung vom 30.6.2013 sind die §§ 1 bis 6 GAufzV von allen Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften zu beachten, auf die § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG anzuwenden ist. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob Einlagen oder Entnahmen der Aufzeichnungspflicht unterliegen. Sowohl die Einlage als auch die Entnahme sind Geschäftsvorfälle i.S.d. § 238 HGB und § 145 Abs. 1 AO. Wenn es sich bei ihnen zusätzlich auch um eine Geschäftsbeziehung handelt, bestünde auch für diese Sachverhalte die Dokumentationspflicht. Entscheidend ist deshalb zunächst, ob ein Entnahmevorgang neben der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Entnahme auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 4 AStG erfüllt. Letzteres dürfte angesichts der weiten Definition in § 1 Abs. 4 AStG in vielen Fällen zu bejahen sein. Für eine Einlage dürfte dies nur dann gelten, wenn diese nicht im Gesellschaftsvertrag vereinbart ist. Daraus folgt, dass der Steuerpflichtige für grenzüberschreitende Einlage- oder Entnahmevorgänge im Verhältnis zu seiner Personengesellschaft Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO zu erstellen hat, soweit sich diese Vorgänge als schuldrechtliche Beziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG qualifizieren und nicht gleichzeitig Gegenstand einer gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung sind.4 Das heißt, dass insbesondere Entnahmevorgänge gesellschaftsvertraglich geregelt sein müssten, wenn sie nicht der Aufzeichnungspflicht unterfallen sollen. Diese Auffassung wird von der Finanzverwaltung nicht geteilt. Nach ihrer Ansicht unterliegen sämtliche schuldrechtlichen Beziehungen der Aufzeichnungspflicht unabhängig davon, ob diese durch betriebliche Vorgänge oder gesellschaftsrechtlich veranlasst sind. Selbst die Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag führt nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht zur Umqualifizierung einer schuldrechtlichen Vereinbarung und kann demzufolge die Aufzeichnungspflicht nicht verhindern.5 In diesem Zusammenhang ist auch die neu eingeführte, verengende Definition einer gesellschaftsrechtlichen Vereinbarung zu sehen als eine Vereinbarung, die unmittelbar zu einer rechtlichen Änderung der Gesellschafterstellung führt (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Halbs. 2 AStG). Obwohl bei gleichzeitiger Einschlägigkeit der Entnahme und § 1 AStG eine Einkünftekorrektur vom Umfang her in erster 1 Der neue Wortlaut gilt m.W.v. 30.6.2013; vgl. Art. 31 Abs. 1 des am 29.6.2013 verkündeten Gesetzes v. 26.6.2013 zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG), BGBl. I 2013, 1809. 2 Vgl. GAufzV v. 12.7.2017, BGBl. I 2017, 2367. 3 Der Wortlaut der GAufzV ist hier etwas unpräzise; gemeint ist wohl § 1 Abs. 4 AStG. 4 So auch die mit dem Auslegungsgrundsatz der Idealkonkurrenz argumentierende Finanzverwaltung; vgl. Grundsätze zur Anwendung des Außensteuergesetzes: BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 1.1.2. 5 Grundsätze zur Anwendung des Außensteuergesetzes: BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 1.4.2.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.113 Kap. 13

Linie durch die Entnahme begründet ist (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG), ist die Aufzeichnungspflicht nicht nur auf den durch § 1 AStG abgedeckten, die Entnahme überschießenden Teil einer Einkünftekorrektur zu begrenzen, weil dies faktisch wohl unmöglich wäre. aa) Grundsätze der Aufzeichnungspflicht Erstellungsform, Führung und Aufbewahrung. Die Aufzeichnungen können schriftlich oder elektronisch erstellt werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GAufzV; Tz. 3.4.3 VWG-Verfahren). Soweit die Aufzeichnungen als Unterlagen i.S.d. § 147 Abs. 1 AO anzusehen und mithilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden sind,1 hat die Finanzbehörde im Rahmen der steuerlichen Außenprüfung nach § 147 Abs. 6 AO das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen, sie maschinell auszuwerten oder auswerten zu lassen und das Datenverarbeitungssystem zur Prüfung dieser Unterlagen zu nutzen.2 Dem Steuerpflichtigen steht es frei, durch die Beschränkung von Zugriffsrechten den Umfang der Einsichtsmöglichkeiten auf das Minimum des gesetzlich Geforderten zu begrenzen. Die Form der Erstellung wird sich in der Regel an der Anzahl und dem Umfang der grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen orientieren. So wird ein Steuerpflichtiger, der eine geringe Anzahl verschiedener Arten grenzüberschreitender Geschäftsbeziehungen oder Gruppen von Geschäftsbeziehungen verwirklicht hat, unter Umständen der schriftlichen Form der Aufzeichnung z.B. in Form von Ordnern den Vorzug geben. Ein Steuerpflichtiger, der in ein weitverzweigtes Netz von Geschäftsbeziehungen eingebunden ist, wird eher geneigt sein, die elektronische Form der Aufzeichnung zu wählen. Dies gilt insbesondere dann, wenn neben dem Steuerpflichtigen weitere nahestehende Personen im Inland der Aufzeichnungspflicht unterliegen. Eine elektronische Lösung dürfte unter diesen Voraussetzungen für alle betroffenen Unternehmen unter entsprechender Einschränkung der jeweiligen Zugriffsrechte auf die steuerlich bedeutsamen Daten des betreffenden Unternehmens eine effektivere Lösung sein. Auch eine gemischte Form der Dokumentation, d.h. schriftlich und elektronisch, ist denkbar und von der GAufzV gedeckt. So bietet es sich bspw. an, die Unternehmensstammdaten in elektronischer Form vorzuhalten und die transaktionsbezogenen Daten in Papierform. Gründe für die gleichzeitige Nutzung mehrerer Aufbewahrungsmedien könnten die begrenzten Kapazitäten oder die gleichzeitige Nutzung von Aufzeichnungen durch mehrere Beteiligte sein. Die Aufzeichnungen sind in sachgerechter Ordnung zu führen und aufzubewahren. Angesichts der Tatsache, dass § 4 GAufzV bereits eine Ordnung enthält, erfüllen Aufzeichnungen die Anforderung der sachgerechten Ordnung, wenn sie in der durch § 4 Abs. 1 GAufzV vorgegebenen Ordnung geführt und aufbewahrt werden. Abweichungen von der Gliederungsordnung in § 4 Abs. 1 GAufzV sollten jedoch zulässig sein, wenn die Aufzeichnungen in sachgerechter Ordnung geführt und aufbewahrt werden. Die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung der sachgerechten Ordnung ist am Zweck der GAufzV zu messen. Danach ist eine Ordnung dann als sachgerecht anzusehen, wenn es einem sachverständigen Dritten möglich ist, innerhalb einer angemessenen Frist festzustellen, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen verwirklicht und ob und inwieweit er dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat. Wenn und soweit es der Finanzverwaltung möglich ist, den Sachverhalt und die Verrechnungspreisbildung auf der Grundlage der

1 Die von Kaminski/Strunk adressierte Problematik der Einordnung der Aufzeichnungen in § 147 Abs. 1 Nr. 1–4 oder 5 AO und die daran anknüpfenden Aufbewahrungsfristen ist eher akademischer Natur, da § 147 Abs. 3 Satz 2 AO den Ablauf der Aufbewahrungsfrist vor Ablauf der Festsetzungsfrist verbietet. Vgl. Kaminski/Strunk, StBp 2004, 1 (5). 2 So auch VWG-Verfahren, Tz. 3.4.3.

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13.113

Kap. 13 Rz. 13.114

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

überlassenen Aufzeichnungen zu verstehen und zu beurteilen, ist die Dokumentation als sachgerecht geordnet anzusehen.

13.114 Anforderungen gemäß VWG-Verfahren. Die VWG-Verfahren stellen es dem Steuerpflichtigen frei, zwischen schriftlicher und elektronischer Erstellung zu wählen. Die Aufzeichnungen sind in sachgerechter Ordnung zu erstellen und grundsätzlich mindestens zehn Jahre1 lang aufzubewahren. Diese Aufbewahrungsfrist läuft jedoch nicht ab, soweit und solange die Unterlagen für Steuern von Bedeutung sind, für die die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist.2 Ausländische Betriebsstätten sind analog zur Führung und Aufbewahrung von Büchern nur dann von der Führung und Aufbewahrung von Aufzeichnungen im Inland befreit, wenn sie nach dem Recht ihres Belegenheitsstaats zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen verpflichtet sind und dieser Verpflichtung auch nachkommen.3 Während diese auf § 146 Abs. 2 AO rekurrierende Rechtsauffassung im Kontext der Buchführung nachvollziehbar ist, stellt sich hinsichtlich der Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO die Frage, welche Anforderungen diesbezüglich im Ausland konkret erfüllt sein müssen. Bedarf es einer Rechtsvorschrift, die die Dokumentation verlangt, oder ist es ausreichend, wenn einschlägige Verwaltungsanweisungen die Erstellung von Aufzeichnungen zur Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation verlangen und diesem Verlangen tatsächlich nachgekommen wurde. Angesichts der Tatsache, dass es nach dem Zweck des § 90 Abs. 3 AO primär auf die tatsächliche Vorlage von Aufzeichnungen ankommt, spricht vieles dafür, keine Führung und Aufbewahrung im Inland zu verlangen, wenn bei der ausländischen Betriebsstätte tatsächlich Aufzeichnungen existieren.

13.115 Sprache. Die Aufzeichnungen, die der Steuerpflichtige gem. § 90 Abs. 3 AO anzufertigen und auf Anforderung vorzulegen hat, sind grundsätzlich in deutscher Sprache zu erstellen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 GAufzV). Dies triffft auch auf die Stammdokumentation zu (§ 5 Abs. 1 Satz 4 GAufzV). Hat der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen nicht in deutscher Sprache erstellt, besteht die Möglichkeit, bei der Finanzbehörde einen Antrag auf Zulassung von Ausnahmen zu stellen.4 Dieser Antrag kann vor der Erstellung der Aufzeichnungen gestellt werden, ist aber spätestens unverzüglich nach Anforderung der Aufzeichnungen durch die Finanzverwaltung, z.B. in einer Prüfungsanordnung, zu stellen. Wird der Antrag nicht unverzüglich nach Erhalt der Anforderung gestellt, kann sich der Steuerpflichtige nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er die Vorlagefrist von 60 Tagen nicht einhalten konnte.5 Dem grundsätzlichen Problem des Steuerpflichtigen, dass er seine Aufzeichnungen aus naheliegenden Gründen in zeitlicher Nähe zur Verwirklichung eines Geschäftsvorfalls erstellen möchte, die Finanzverwaltung zu diesem Zeitpunkt allerdings nur in Ausnahmefällen über einen von ihm eingereichten Ausnahmeantrag i.S.d. § 2 Abs. 5 GAufzV entscheidet, weil dort noch nicht bekannt sein dürfte, wer die zukünftige Außenprüfung durchführen wird, versucht die Finanz1 2 3 4

Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.3 zu den Ausnahmen für Unterlagen i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO. § 147 Abs. 3 AO; VWG-Verfahren, Tz. 3.4.3. So VWG-Verfahren, Tz. 3.4.3. In dem finalen Bericht zu dem BEPS-Aktionspunkt 13 (Verrechnungspreisdokumentation) v. 5.10.2015 ermutigt die OECD die Mitgliedstaaten, die Vorlage der Verrechnungspreisdokumentation in einer häufig benutzten Sprache zu erlauben und Übersetzungsbegehren auf ein Mindestmaß zu begrenzen (vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-byCountry Reporting, Tz. 39). In diesem Zusammenhang ist enttäuschend festzustellen, dass die deutsche Finanzverwaltung trotz dieser deutlichen Aufforderung durch die OECD an dem Primat der deutschen Sprache festhält. 5 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.16.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.116 Kap. 13

verwaltung dadurch zu begegnen, dass sie eine ‚unverzügliche‘ Entscheidung über einen Antrag gem. § 2 Abs. 5 GAufzV vorschreibt.1 Ob dies die Schwierigkeiten bei der Entscheidung über den Antrag heilt, ist zu bezweifeln. Angesichts dieses Dilemmas empfiehlt es sich, Aufzeichnungen insoweit noch nicht vor Erhalt einer Anforderung zu übersetzen, als eine Übersetzung innerhalb der Vorlagefrist von 60 Tagen vom Steuerpflichtigen selbst erstellt werden kann.2 Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil das Fehlen von Aufzeichnungen in deutscher Sprache nicht notwendigerweise zur Unverwertbarkeit dieser Aufzeichnungen führt.3 Der Grund dafür liegt darin, dass die Finanzverwaltung nach § 87 Abs. 2 Satz 3 AO4 in solchen Fällen auf Kosten des Beteiligten selbst eine Übersetzung beschaffen kann. Verzichtet die Finanzverwaltung in Ausübung eigenen Ermessens auf die Beschaffung dieser Übersetzung, kann sie daraus nicht die Unverwertbarkeit der Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen ableiten. Verlautbarungen von einzelnen Vertretern der Finanzverwaltung, dass Aufzeichnungen in jedem Fall als unverwertbar anzusehen sind, wenn sie nicht in deutscher Sprache erstellt werden, fehlt somit die gesetzliche Grundlage. Da Übersetzungen zu den Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO gehören,5 kann deren verspätete Vorlage jedoch die Festsetzung eines Verspätungs-Strafzuschlags i.S.d. § 162 Abs. 4 Satz 3 AO nach sich ziehen. Gegen die Festsetzung eines solchen Strafzuschlags könnte jedoch sprechen, dass das Verlangen nach einer Übersetzung ins Deutsche unter Umständen unzumutbar ist, wenn die angeforderten Unterlagen wegen ihres Umfangs nicht innerhalb von 60 Tagen übersetzt werden können. Die Festsetzung eines Verspätungs-Strafzuschlags i.S.d. § 162 Abs. 4 Satz 3 AO dürfte in diesen Fällen als unverhältnismäßig anzusehen sein. In der Praxis stellt sich die Frage, ob bei Vorliegen von Verträgen in fremder Sprache bereits ein Antrag auf (teilweise) Erstellung der Aufzeichnungen in fremder Sprache einzureichen ist. Da gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a GAufzV nur eine Übersicht über die Verträge und ihre Veränderung, nicht aber die Verträge selbst im Rahmen der Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO vorzulegen sind, ist kein solcher Antrag allein für den Fall erforderlich, dass die Übersicht fremdsprachige Verträge auflistet. Gruppierung von Geschäftsvorfällen. Grundsätzlich sind die Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO geschäftsvorfallbezogen zu erstellen (§ 2 Abs. 3 Satz 1 GAufzV). Danach wären gesonderte Aufzeichnungen für jedes Ereignis zu erstellen, das eine Veränderung des kaufmännischen Vermögens in Höhe und/oder Struktur bewirkt. Dies würde bspw. bedeuten, dass für jede einzelne Lieferung von Produkten oder Erbringung von Dienstleistungen gesondert Aufzeichnungen zu erstellen wären. Dies würde selbst dann gelten, wenn gelieferte Produkte identisch oder Teilleistungen einer wirtschaftlich teilbaren Leistung gesondert abgerechnet werden, weil jede Lieferung oder Teilleistung eine Veränderung des kaufmännischen Vermögens bewirken würde. Angesichts der Tatsache, dass selbst kleine Unternehmen eine Vielzahl einzelner Geschäftsvorfälle mit nahestehenden Personen haben, und angesichts des in § 4 Abs. 1 GAufzV geforderten Dokumentationsumfangs wäre eine gesetzliche Verpflichtung zur geschäftsvorfallbezogenen Aufzeichnung nicht nur unpraktikabel, sondern auch unzumutbar und damit verfassungswidrig. Diesen Umständen hat der Verordnungsgeber Rech-

1 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.16. 2 Davon gehen auch die VWG-Verfahren aus; s. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.16. 3 A.A. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.16 i.V.m. Tz. 3.4.19 Buchst. c, wenn der Steuerpflichtige die Aufzeichnungen trotz Aufforderung nicht ins Deutsche übersetzt. 4 Nach § 2 Abs. 5 Satz 5 GAufzV bleibt § 87 Abs. 2 AO unberührt, d.h. wird in seiner Wirkung durch die GAufzV nicht eingeschränkt. Dies wird durch die Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 5 GAufzV bestätigt. 5 Vgl. § 2 Abs. 5 Satz 4 GAufzV.

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13.116

Kap. 13 Rz. 13.117

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

nung getragen, indem er dem Steuerpflichtigen in § 2 Abs. 3 Satz 2 bis 3 GAufzV unter bestimmten materiell-rechtlichen und formalrechtlichen Voraussetzungen die Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen zu Gruppen erlaubt.1 Danach können Geschäftsvorfälle zu Gruppen zusammengefasst werden, wenn der Steuerpflichtige die Regeln für die Abwicklung der Gruppen von Geschäftsbeziehungen und die Kriterien für die Gruppenbildung darstellt und die Geschäftsvorfälle einer Gruppe 1. a) gemessen an ihren Funktionen und Risiken wirtschaftlich vergleichbar sind, b) die Gruppenbildung nach vorher festgelegten und nachvollziehbaren Regeln vorgenommen wurde und ca) die Geschäftsvorfälle gleichartig oder cb) gleichwertig sind oder cc) die Zusammenfassung auch bei Geschäften zwischen fremden Dritten üblich ist (§ 2 Abs. 3 Satz 2 GAufzV) oder 2. a) ursächlich zusammenhängen oder b) Teilleistungen im Rahmen eines Gesamtgeschäfts sind und es für die Prüfung der Angemessenheit weniger auf den einzelnen Geschäftsvorfall, sondern mehr auf die Beurteilung des Gesamtgeschäfts ankommt (§ 2 Abs. 3 Satz 3 GAufzV).2

13.117 Keine Gruppierung von außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen. Anders als bei den gewöhnlichen Geschäftsvorfällen erlaubt die Finanzverwaltung für außergewöhnliche Geschäftsvorfälle keine Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen. Diese sind stets bezogen auf den einzelnen Geschäftsvorfall bzw. das einzelne Dauerschuldverhältnis zu erstellen.3

13.118 Fallunterscheidung. Der Wortlaut der GAufzV gibt Anlass zu der Vermutung, dass der Steuerpflichtige eine Gruppenbildung bei zwei verschiedenen Konstellationen von Voraussetzungen vornehmen kann. In der ersten Konstellation ist die Möglichkeit der Gruppierung an die Erfüllung von Vergleichskriterien geknüpft, während in der zweiten Konstellation ein innerer Zusammenhang zwischen den zu gruppierenden Geschäftsvorfällen gegeben sein muss.

13.119 Wirtschaftliche Vergleichbarkeit (Fall 1). Wirtschaftliche Vergleichbarkeit (s. Nr. 1 bei Rz. 13.116) ist dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige bei den zu gruppierenden Geschäftsvorfällen vom Inhalt und Umfang gleiche oder ähnliche Funktionen ausübt und Risiken übernimmt. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass sämtliche Geschäftsvorfälle des Steuerpflichtigen zu einer Gruppe zusammengefasst werden können, wie das folgende Beispiel zeigt: Beispiel: Eine ausländische Kapitalgesellschaft Y mit Sitz in der EU hat eine Vertriebsniederlassung in Deutschland, über die sie 250 unterschiedliche Chemikalien für die Nutzung in der Landwirtschaft vertreibt. Das Stammhaus der Y übt für alle Produkte die folgenden Funktionen aus: Forschung und Entwicklung, Produktion, Logistik, Transport und Marketing. Die Vertriebsniederlassung übt lediglich eine Marketing- und Vertriebsfunktion aus. Die Vertriebsniederlassung trägt außerdem gemäß interner Vereinbarung für sämtliche Chemikalien das Forderungsausfallrisiko und das Währungsrisiko. Sie fasst die sämtlichen Lieferungen der 250 Chemikalien innerhalb eines Veranlagungszeitraums für Aufzeichnungszwecke zu einer Gruppe zusammen.

1 Ebenso Bauer, DB 2008, 152. 2 Vgl. auch VWG-Verfahren, Tz. 3.4.13. 3 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.13 und 3.4.8.2.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.121 Kap. 13

Regeln der Gruppenbildung (Fall 1). Eine Gruppenbildung soll nur dann statthaft sein, wenn deren Regeln vorher festgelegt und nachvollziehbar sind. Diesem Kriterium ist Genüge getan, wenn die Regeln vor der Erstellung der Aufzeichnungen festgelegt werden, was unter Umständen erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums geschieht, in dem der Sachverhalt verwirklicht worden ist. Eine Festlegung von Gruppierungsregeln vor der Verwirklichung der Geschäftsvorfälle oder gar vor Beginn eines Veranlagungszeitraums scheidet vor allem deshalb aus, weil zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannt ist, welche Arten von Geschäftsvorfällen überhaupt in den kommenden Monaten verwirklicht werden. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 2 GAufzV, in dem eine Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen zu Gruppen „für die Erstellung von Aufzeichnungen“ vorgenommen werden kann. Da eine Vielzahl von Aufzeichnungen erst nach Ablauf eines Wirtschaftsjahrs vorliegt, wäre eine Gruppenbildung für Dokumentationszwecke vor diesem Wirtschaftsjahr schlechterdings unmöglich. Eine enge Auslegung, die eine Gruppenbildung vor Beginn eines Wirtschaftsjahrs verlangt, würde außerdem der Gesetzesbegründung widersprechen, nach der § 2 Abs. 3 Satz 2 und 3 GAufzV in großem Umfang Möglichkeiten schaffen soll, wirtschaftlich vergleichbare bzw. zusammenhängende Geschäftsvorfälle zusammenzufassen.1

13.120

Beispiel: Die ausländische Gesellschaft Y erstellt im April 16 ihre Aufzeichnungen für das abgelaufene Wirtschaftsjahr 15. Vor Erstellung der Aufzeichnungen legt sie fest, welche Chemikalien in einer Gruppe zusammenzufassen sind und welche Kriterien für die Gruppenbildung entscheidend gewesen sind, weil sie erst zu diesem Zeitpunkt weiß, welche Funktionen und Risiken sie tatsächlich für die einzelnen Chemikalien übernommen hat.

Gleichartigkeit (Fall 1). Zusätzlich zu der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit und der Existenz von Regeln für die Gruppenbildung müssen zusammengefasste Geschäftsvorfälle gleichartig oder gleichwertig sein. In Anbetracht der Tatsache, dass § 2 Abs. 3 Satz 2 und 3 GAufzV in großem Umfang Möglichkeiten schaffen soll, wirtschaftlich vergleichbare bzw. zusammenhängende Geschäftsvorfälle zusammenzufassen, sind an die Gleichartigkeit keine hohen Anforderungen zu stellen. So spricht auch im Lichte des Gesetzeszwecks nichts dagegen, alle Warenlieferungen zwischen zwei nahestehenden Personen zu einer Gruppe von Geschäftsvorfällen zusammenzuziehen, wenn sich die Aufteilung der Funktionen und Risiken zwischen beiden nahestehenden Personen bei diesen Warenlieferungen nicht stark unterscheidet. Beispiel: Die inländische Vertriebsniederlassung der Y hat im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 04 drei verschiedene Warenlieferungen (A, B, C) von der Y erhalten. Die Lieferung A besteht aus Fertigprodukten, die von der Y hergestellt werden. Die Lieferung B besteht aus Halbfertigprodukten, die die inländische Vertriebsniederlassung von einem fremden Dritten in Lohnfertigung zu einem Fertigprodukt herstellen lässt. Die Lieferung C besteht aus Rohstoffen, die die inländische Vertriebsniederlassung von einem konzernverbundenen Lohnfertiger zu einem Fertigprodukt herstellen lässt. Die inländische Vertriebsniederlassung fasst die Lieferungen zu einer Gruppe zusammen, weil sie bei allen drei Lieferungen lediglich Vertriebsfunktionen ausübt. Die Tatsache, dass es sich bei den Lieferungsgegenständen um unterschiedliche Herstellungsstufen handelt, ist für Gruppierungszwecke unerheblich, weil die fehlenden Herstellungsstufen nicht von der inländischen Vertriebsniederlassung ausgeübt werden. Soweit ihr die Herstellungsstufen zuzurechnen sind, weil sie z.B. die dafür entstandenen Kosten getragen hat, lassen sich diese Kosten für Zwecke der Angemessenheitsdokumentation isolieren und auf deren Grundlage ein separates Funktionsentgelt für die Herstellungsstufen ermitteln, die die Vertriebsniederlassung nicht selbst ausgeübt hat.

1 Vgl. Begründung zu § 2 Abs. 3 Satz 2 und 3 GAufzV, BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003.

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13.121

Kap. 13 Rz. 13.122

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Endres sieht es bspw. als zulässig an, alle Lieferungen einer Reifensorte zu gruppieren.1 Dienstleistungen, Finanzierungsleistungen, die Übertragung oder Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern und Arbeitnehmerentsendungen lassen sich nach den gleichen Kriterien gruppieren. Beteiligungskäufe und -verkäufe und Umlageverträge sind indes nicht automatisch als gleichartig anzusehen.

13.122 Gleichwertigkeit (Fall 1). Das Kriterium der Gleichwertigkeit soll sicherstellen, dass ein vom Steuerpflichtigen vereinbarter Vorteilsausgleich, der zwei oder mehrere Geschäftsvorfälle zum Gegenstand hat, die nicht gleichartig sind und deshalb normalerweise nicht gruppiert werden dürften, nicht an der fehlenden Gruppierungsmöglichkeit für Dokumentationszwecke scheitert bzw. durch diese erschwert wird. Beispiel: Die ausländische Kapitalgesellschaft Y liefert im Wirtschaftsjahr 05 ein Volumen von 10 000 Tonnen Chemikalien an ihre Vertriebsniederlassung im Inland. Der vereinbarte Preis pro Tonne liegt um 1 Euro unter dem Fremdvergleichspreis. Im Gegenzug erklärt sich die Vertriebsniederlassung bereit, ihren Mitarbeiter A für zwei Monate der Y unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Die Gesamtkosten für die Beschäftigung betragen 5 000 Euro pro Monat. Die inländische Vertriebsniederlassung fasst beide Geschäftsvorfälle im Rahmen eines Vorteilsausgleichs zusammen und erstellt entsprechende Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO.

13.123 Gruppierung zwischen fremden Dritten üblich (Fall 1). Auch wenn mehrere Geschäftsvorfälle weder gleichartig noch gleichwertig sind, kann der Steuerpflichtige diese gruppieren, wenn auch fremde Dritte dies üblicherweise tun. Der Wert dieses ergänzenden Gruppierungskriteriums steht und fällt in der Praxis jedoch mit dem Vermögen des Steuerpflichtigen, den entsprechenden Nachweis zu erbringen. Größere Unternehmensgruppen können hier einen Vorteil haben, da der Zugang zu einer größeren Zahl von Unternehmen eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Finden von gruppierten Geschäftsvorfällen über das eigene Unternehmen vermuten lässt. An den Nachweis der Fremdüblichkeit sind jedoch keine hohen Anforderungen zu stellen, da die Möglichkeit der Gruppierung dazu dient, eine ansonsten unzumutbare Dokumentationspflicht handhabbar und damit verhältnismäßig zu machen. Beispiel: Die ausländische Kapitalgesellschaft F liefert 30 Maschinen im Wirtschaftsjahr 15 an ihre Vertriebsniederlassung im Inland. Jede Maschine ist ein Einzelstück. Am Jahresende erhält die Vertriebsniederlassung einen Rabatt von 2 % pro verkaufter Maschine, wenn sie mindestens 20 Maschinen verkauft hat. In 15 verkauft sie 25 Maschinen. Eine Schwestergesellschaft der F mit Sitz in einem anderen EU-Land produziert ebenfalls Maschinen und hat mit einem fremden Dritten ebenfalls einen Mengenrabatt von 2 % vereinbart, wenn dieser 20 Maschinen im Wirtschaftsjahr veräußert. Die inländische Vertriebsniederlassung gruppiert die 25 verkauften Maschinen zu einer Geschäftsbeziehung und erstellt für diese die geforderten Aufzeichnungen.

13.124 Gruppierungskriterien (Fallgruppe 1). Die unter Rz. 13.116 vorgenannten Merkmale 1a und b und eines der Merkmale ca, cb oder cc müssen kumulativ erfüllt sein. Die Möglichkeit zur Gruppierung von Geschäftsvorfällen und damit zur effizienteren Erstellung von Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO hängt in der Fallgruppe 1 in entscheidendem Maße davon ab, dass der Steuerpflichtige den Nachweis des Gruppierungsverhaltens fremder Dritter bei ähnlichen Geschäftsvorfällen oder den Nachweis der Vergleichbarkeit der zu gruppierenden Geschäftsvorfällen hinsichtlich Funktionen, Risiken, deren Art oder Wert erbringen kann. An diesen Nachweis sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Eine tabellarische Funktions-

1 Vgl. Endres, PIStB 2004, 69 (71).

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.125 Kap. 13

analyse sollte bereits als ausreichender Nachweis der Vergleichbarkeit anzusehen sein, wenn die Vergleichbarkeit bei den wichtigsten Vergleichskriterien gegeben ist. Die Artgleichheit ist dann anzunehmen, wenn es sich bei den Geschäftsvorfällen um den gleichen Transaktionstyp handelt, z.B. Warenlieferungen, Dienstleistungen, Finanzierungsleistungen, Überlassung bzw. Einräumung von Rechten etc. Eine genauere Unterscheidung unterhalb des im vorhergehenden Satz beschriebenen Aggregationsniveaus würde dem Gesetzeszweck einer möglichst einfachen Gruppenbildung widersprechen. Die Wertgleichheit sollte in Fällen eines Vorteilsausgleichs auch bei einer prozentualen Abweichung von 10 % noch gegeben sein. Ein höherer Wert würde ohnehin der Durchführung des Vorteilsausgleichs entgegenstehen. Von der Üblichkeit einer Gruppierung bei fremden Dritten sollte auszugehen sein, wenn in der Gruppierung kein Verstoß gegen Denkgesetze zu sehen ist oder die Gruppierung wirtschaftlich sachgerecht ist.1 Insoweit ist dem Hinweis von Baumhoff/Greinert/Ditz, dass die in der GAufzV geregelten Voraussetzungen für die Vornahme einer Gruppierung über diejenigen in Tz. 3.9 bis 3.12 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 hinausgehen, nicht uneingeschränkt zuzustimmen.2 Die Regelung in der GAufzV ist naturgemäß präziser, erlaubt darüber hinaus jedoch auch eine Gruppierung in Fällen, in denen die OECD-Verrechnungspreisleitlinien einer Gruppierung eher ablehnend gegenüberstehen. Ursächlicher Zusammenhang oder Teilleistungen eines Gesamtgeschäfts (Fall 2). Neben den vorstehend erläuterten Anforderungen an eine Gruppierung erlaubt der Gesetzgeber eine Gruppierung auch dann, wenn Geschäftsvorfälle ursächlich zusammenhängen oder sie Teilleistungen eines Gesamtgeschäfts sind und es für die Prüfung der Angemessenheit weniger auf den einzelnen Geschäftsvorfall, sondern eher auf die Beurteilung des Gesamtgeschäfts ankommt. Ein ursächlicher Zusammenhang ist immer dann gegeben, wenn spätere Geschäftsvorfälle ihren Ursprung oder ihre Ursache in einem früheren Geschäftsvorfall haben. Davon ist immer dann auszugehen, wenn Ersatzteile für einen im Rahmen eines früheren Geschäftsvorfalls veräußerten Gegenstand geliefert werden. Das Gleiche gilt bei größeren Installationsprojekten, bei denen die späteren Wartungs- und Reparaturarbeiten selbst dann in einem ursächlichen Zusammenhang zu dem früheren Geschäftsvorfall stehen, wenn dieser Zusammenhang sich nicht aus einem einheitlichen Vertragswerk ergibt. Neben dem inneren Zusammenhang in sachlicher Hinsicht muss außerdem ein wertmäßiger Zusammenhang zwischen den zu gruppierenden Geschäftsvorfällen bestehen, weil ansonsten das Zusatzkriterium der Angemessenheit (des Entgelts für das Gesamtgeschäft) entbehrlich wäre. Unter der Voraussetzung, dass ein sachlicher innerer Zusammenhang zwischen Geschäftsvorfällen besteht, wäre somit immer dann zu gruppieren, wenn die Geschäftsvorfälle – isoliert betrachtet – gemessen an der Verteilung der Unternehmensfunktionen unter dem Fremdvergleichsgrundsatz unangemessen entgolten wären. Beispiel 1: Ein ausländischer Automobilhersteller liefert im Wirtschaftsjahr 05 Kraftfahrzeuge und Ersatzteile an seine Vertriebsniederlassung im Inland. Für Dokumentationszwecke fasst die Vertriebsniederlassung beide Geschäftsvorfälle zusammen, weil sie in dem praktizierten Geschäftsmodell ursächlich zusammenhängen. Beispiel 2: Die ausländische Bank C schließt im Wirtschaftsjahr 15 mit ihrer inländischen Betriebsstätte einen Rahmenvertrag über die Erbringung von Dienstleistungen im Bereich des Zahlungsverkehrs. Die inländische Betriebsstätte erbringt an 280 Tagen des Jahres 15 Dienstleistungen im Bereich des Zahlungsverkehrs und rechnet diese zu unterschiedlichen Konditionen gegenüber der C werktäg1 Vgl. zum Kriterium der betriebswirtschaftlichen Sachgerechtigkeit Andresen, Konzernverrechnungspreise für multinationale Unternehmen, Wiesbaden 1999, 47–55. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2004, 157 (159).

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13.125

Kap. 13 Rz. 13.126

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

lich ab. Bei der Erstellung ihrer Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO fasst sie sämtliche Dienstleistungen zu einer Geschäftsbeziehung zusammen.

13.126 Gruppierungskriterien (Fallgruppe 2). Im Vergleich zur Fallgruppe 1 dürfte das Vorhandensein eines inneren Zusammenhangs deutlich leichter zu belegen sein als die Vergleichbarkeit bestimmter festzulegender Kriterien. Insofern ist die vermeintliche Erleichterung, die Regeln der Gruppenbildung anders als in Fallgruppe 1 nicht im Vorhinein festlegen zu müssen, d.h. vor der Gruppierung für Zwecke der Dokumentation, von geringer praktischer Bedeutung.

13.127 Darstellung der Regeln der Abwicklung und der Kriterien der Gruppenbildung. In formaler Hinsicht ist die Erlaubnis zur Gruppenbildung sowohl für die Fallgruppe 1 als auch für die Fallgruppe 2 an die Darstellung der Regeln für die Abwicklung dieser Geschäftsvorfälle und die Darstellung der Kriterien der Gruppenbildung geknüpft. Der Finanzverwaltung soll dadurch ermöglicht werden, die Einhaltung der vorstehend beschriebenen Kriterien zu überprüfen. An diese Darstellung sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Eine formlose schriftliche Darstellung dürfte dem gesetzlichen Erfordernis genügen. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass die VWG-Verfahren keinen zusätzlichen Hinweis auf formale Kriterien enthalten.1 Eine mündliche Darstellung dürfte insbesondere in Fallgruppe 1 nur dann ausreichend sein, wenn sich aus anderen Unterlagen ergibt, dass die Regeln bereits vor Erstellung der Dokumentation festgelegt worden sind.

13.128 Verrechnungspreisrichtlinien. Innerbetriebliche Verrechnungspreisrichtlinien gewinnen immer mehr an Bedeutung. Dabei steht weniger der Entlastungseffekt bei der Dokumentation der Verrechnungspreise im Mittelpunkt, der früher als Hauptargument für eine innerbetriebliche Verrechnungspreisrichtlinie galt. Heutzutage steht vielmehr der Aspekt der Sicherstellung der steuerlichen Compliance durch den Konzern im Vordergrund. Die Finanzverwaltung hebt in der Verordnungsbegründung nun explizit hervor, dass eine innerbetriebliche Verrechnungspreisrichtlinie ein zentrales Element für ein innerbetriebliches Kontrollsystem im Bereich der Verrechnungspreise darstellen und damit zur steuerlichen Compliance wesentlich beitragen kann.2 Das Vorhandensein eines solchen funktionierenden, innerbetrieblichen Kontrollsystems entfaltet bei einer erkannten Nichtbefolgung indizielle Wirkung gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder Leichtfertigkeit und ihm kommt damit eine zentrale Bedeutung bei der Entscheidung zu, ob eine Korrektur eine Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO darstellt oder eher als Selbstanzeige i.S.d. 371 AO zu werten ist.3 Darüber hinaus können innerbetriebliche Verrechnungspreisrichtlinien als Bestandteil der Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO verwendet werden, wenn sie dem Fremdvergleichsgrundsatz genügen und für einzelne Unternehmen eine oder mehrere geeignete Verrechnungspreismethoden vorgeben (§ 2 Abs. 3 Satz 5 GAufzV). Daneben wären jedoch nach wie vor zusätzliche Aufzeichnungen für jeden Einzelfall zu erstellen, so dass von der bloßen Existenz einer Richtlinie noch keine Entlastungswirkung ausgeht. Von der Erstellung von geschäftsvorfallbezogenen Einzelaufzeichnungen darf der Steuerpflichtige nur dann und insoweit absehen, als innerbetriebliche Verrechnungspreisrichtlinien die Preisermittlung regeln und tatsächlich befolgt werden (§ 2 Abs. 3 Satz 6 GAufzV). Für Betriebsstätten bedeutet dies, dass eine innerbetriebliche Ver-

1 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.13. 2 Vgl. BR-Drucks. 404/17, 14. 3 Vgl. BMF v. 23.5.2016 – IV A 3 - S 0324/15/10001/IV A 4 - S 0324/14/10001 – DOK 2016/0470583, BStBl. I 2016, 490, Tz. 2.6.

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Rz. 13.129 Kap. 13

rechnungspreisrichtlinie geschäftsvorfallbezogene Einzelaufzeichnungen nur dann obsolet macht, wenn sie die Preisermittlung regelt, das Veranlassungsprinzip (vor 2013)/den Fremdvergleichsgrundsatz (ab 2013) beachtet und der Steuerpflichtige sie in der Praxis auch tatsächlich befolgt.1 Dies bedeutet, dass der Steuerpflichtige für jeden Veranlagungszeitraum die tatsächliche Befolgung der Verrechnungspreisrichtlinie nachzuweisen hat. Diese Anforderung ist jedoch nicht so zu verstehen, dass der Steuerpflichtige für jeden einzelnen Geschäftsvorfall einen separaten Nachweis über die Einhaltung der Richtlinie zu erbringen hat. Auch hier sollte es dem Steuerpflichtigen erlaubt sein, Gruppen zu bilden, anhand derer er die Einhaltung der Verrechnungspreisrichtlinie demonstriert, ohne dass an der Verwertbarkeit der Dokumentation zu zweifeln wäre. Ähnlich einem APA, bei dem der Steuerpflichtige die Einhaltung der vereinbarten Parameter jährlich zu belegen hat, hätte er bei einer Richtlinie lediglich die Preisermittlung und die tatsächliche Durchführung der Richtlinie zu belegen. Zusätzlich sind jedoch nach Auffassung der Finanzverwaltung nach wie vor die in den § 4 Abs. 1 und 2 GAufzV genannten Informationen vorzulegen.2 Um die Wirkung einer Verrechnungspreisrichtlinie nicht ad absurdum zu führen, sind die nach § 4 Abs. 1 und 2 GAufzV vorzulegenden Aufzeichnungen jedoch auf die Tz. 1 VWG-Verfahren zu begrenzen und für die Tz. 2 bis 4 VWG-Verfahren so auszulegen, dass eine auf Transaktionsgruppen bezogene Darstellung ausreicht. Wenn diese Art von Information bereits in der Richtlinie enthalten ist, sollte der Steuerpflichtige auf die zusätzliche Vorlage von Aufzeichnungen i.S.d. § 4 Abs. 1 und 2 GAufzV verzichten können. Die Richtlinie selbst sollte nach Auffassung von Wulf/Derlien neben der Darstellung von Sinn und Zweck der Richtlinie eine Beschreibung der Transaktionsarten, eine Festlegung und Beschreibung des typischen Funktions- und Risikoprofils pro Transaktionsart mit Beschreibung der Verrechnungspreismethode und der Konditionen, eine Übersicht der zugrunde liegenden Verträge und eine Analyse der Marktverhältnisse der beteiligten Unternehmen und der Wertschöpfungsbeiträge lediglich für die wichtigsten Arten von Geschäftsbeziehungen enthalten.3 Abweichungen von der Richtlinie sollten begründet werden, da andernfalls Einkünftekorrekturen oder Unverwertbarkeit drohen können.4 bb) Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation Allgemein erforderliche Aufzeichnungen. § 4 Abs. 1 GAufzV macht deutlich, dass es sich bei den in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 GAufzV aufgelisteten Aufzeichnungen um einen Pflichtkatalog handelt, soweit sie für die Prüfung der konzerninternen, grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen von Bedeutung sind.5 Die dort genannten Aufzeichnungen sind daher insoweit nicht zu erstellen bzw. vorzulegen, als sie für die Prüfung von konzerninternen Geschäftsbeziehungen nicht von Bedeutung sind. Diese Einschränkung ergibt sich unmittelbar aus dem Zweck der Vorschrift des § 90 Abs. 3 AO und gibt dem Steuerpflichtigen ein Argument dafür, ausufernden Informationsbegehren seitens der Finanzverwaltung wirksam zu begegnen. Der Finanzbehörde sind nur diejenigen Aufzeichnungen vorzulegen, die sie für das Verständnis des Sachverhalts und die Prüfung der Angemessenheit von Entgelten gegenüber nahestehenden Personen unbedingt benötigt. Darüber hinausgehende Informationen stehen 1 Vgl. zu den möglichen Auswirkungen bei fehlender tatsächlicher Durchführung BFH v. 9.11.2005 – I R 27/03, BStBl. II 2006, 564 = FR 2006, 503 m. Anm. Kempermann; Vorinstanz: FG München v. 16.7.2002 – 6 K 1910/98, EFG 2003, 952 m. Anm. Neu = DStRE 2003, 868. 2 So zumindest die VWG-Verfahren, Tz. 3.4.13. 3 Vgl. Wulf/Derlien, StB 2004, 140 (145). 4 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.13. 5 Vgl. Gesetzesbegründung zu § 4 in BR-Drucks. 583/03. Ebenso Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2004, 157 (159).

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ihr wegen des eingeschränkten Zwecks der Rechtsgrundlage für ihr Informationsbegehren nicht zu. Deshalb kann auch die Weigerung eines Steuerpflichtigen, darüber hinausgehende Informationen vorzulegen, nicht zur Unverwertbarkeit der Aufzeichnungen führen, wenn die Finanzbehörde ihren Aufgaben mit den überlassenen Informationen ungehindert nachkommen kann. Dies gilt insbesondere für EU-Fälle.1 Die Regelungen in § 4 GAufzV werden durch die §§ 1 bis 3 GAufzV ergänzt; sie sind nach den dort aufgestellten Prinzipien auszulegen.

13.130 Beteiligungsverhältnisse (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GAufzV). Der Steuerpflichtige hat die Beteiligungsverhältnisse zu denjenigen Personen darzustellen, die ihm i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AStG wegen einer unmittelbaren oder mittelbaren wesentlichen Beteiligung, d.h. von mindestens 25 %, oder wegen eines beherrschenden Einflusses nahestehen und zu denen er außerdem unmittelbar oder über Zwischenpersonen Geschäftsbeziehungen zum Ausland unterhält.2 Der Steuerpflichtige hat nur diejenigen Personen in seine Darstellung aufzunehmen, die beide Kriterien – Bestehen einer Beteiligung und einer Geschäftsbeziehung – im selben Veranlagungszeitraum erfüllen. Die Prüfung, welche Personen in die Darstellung einzubeziehen sind, vollzieht sich in zwei Schritten. Zunächst ist zu prüfen, ob eine Person nahestehend i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG ist (1. Schritt). Anschließend ist zu prüfen, ob Geschäftsbeziehungen zu diesen Personen bestehen (2. Schritt). Bei der Prüfung des Nahestehens (1. Schritt) ist auf eine Beteiligung am Kapital abzustellen. Stimmrechte erfüllen die Tatbestandsvoraussetzung nicht, da sie keine Beteiligung am Kapital verschaffen.3 Für Betriebsstätten als Bestandteil eines Betriebs und damit letztlich einer Person gilt im Verhältnis zu nahestehenden Personen nichts anderes. Der Steuerpflichtige hat die Beteiligungsverhältnisse zu Beginn eines Prüfungszeitraums und deren Veränderung bis zu dessen Ende darzustellen, weil bei Veränderungen der Beteiligungsstruktur unterjährig die Tatbestandsvoraussetzungen einer Einkünftekorrektur entstehen oder wegfallen können. Es ist davon auszugehen, dass ein Steuerpflichtiger die gesetzliche Anforderung erfüllt hat, wenn er für den ersten und den letzten Tag eines Wirtschaftsjahrs jeweils eine Beteiligungsstruktur, z.B. in Form einer Grafik, vorlegen kann, in der alle nahestehenden Personen gezeigt sind, zu denen er im betreffenden Wirtschaftsjahr Geschäftsbeziehungen unterhalten hat. Dies kann auch in tabellarischer Form geschehen, wenn aus der Tabelle die Beteiligungsverhältnisse in angemessener Zeit rekonstruierbar sind. Sollte sich bei einer steuerlichen Außenprüfung herausstellen, dass die Beteiligungsstruktur unvollständig ist, weil sie einige nahestehende Personen nicht enthält, zu denen im betreffenden Wirtschaftsjahr jedoch unmittelbar oder über Zwischenpersonen Geschäftsbeziehungen bestanden haben, wären Zweifel an der Verwertbarkeit begründet. In diesem Fall hat die Finanzverwaltung zunächst eine Ergänzung anzufordern (§ 90 Abs. 3 Satz 10 AO n.F.), bevor sie eine eventuelle Unverwertbarkeit feststellen möchte. Beispiel: Eine inländische Personengesellschaft (P-KG) erbringt Ingenieurleistungen an eine konzernfremde Kapitalgesellschaft (F-GmbH) im Inland, ohne dafür ein Entgelt zu verlangen. Die Ingenieurleistungen entsprechen 70 % der Kosten für die Produktion einer Werkzeugmaschine. Die F-GmbH liefert im Wirtschaftsjahr 15 Werkzeugmaschinen an Personengesellschaften in 20 Ländern, die ausnahmslos der P-KG nahestehen. Der vereinbarte Preis liegt deutlich unter dem Preis, den die

1 Vgl. Busch, FR 2013, 943; s. auch die Ausführungen in Rz. 13.101. 2 Vgl. zur Kritik daran, dass dieses Informationsbegehren in § 4 Satz 1 Nr. 1 GAufzV nicht von der Ermächtigung des § 90 Abs. 3 Satz 5 AO a.F. gedeckt ist: Wassermeyer, DB 2003, 1535 (1537). 3 Siehe BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771 = FR 2013, 961 = ISR 2013, 347 m. Anm. Andresen.

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F-GmbH für ähnliche Maschinen verlangen würde, bei denen sie die Ingenieursleistung selbst erbringt. Andere Geschäftsbeziehungen zwischen der P-KG und den 20 ausländischen Personengesellschaften gibt es im Wirtschaftsjahr 15 nicht. Die P-KG führt in ihrer Beteiligungsstruktur die Personengesellschaften nicht auf, an die die F-GmbH die Werkzeugmaschinen geliefert hat.

Die Vorschrift verlangt keinen Negativbeweis, dass eine Person im Ausland, mit der Geschäftsbeziehungen bestehen, keine nahestehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG ist. Die von Kaminski/Strunk1 geäußerten Befürchtungen einer Beweislastumkehr sind insoweit nicht gerechtfertigt. In den VWG-Verfahren wird die Auffassung vertreten, dass die Beteiligungsverhältnisse auch zu denjenigen nahestehenden Personen darzustellen sind, mit denen der Steuerpflichtige nicht unmittelbar, sondern mittelbar Geschäftsbeziehungen unterhält, d.h. unter Zwischenschaltung von (nahestehenden oder fremden dritten) Personen, die geringe Funktionen und Risiken aufweisen.2 Streng genommen handelt es sich bei den vorgenannten Geschäftsbeziehungen nicht um Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO, weil es sich nicht um Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen handelt. Folglich gibt es für das Dokumentationsverlangen für diese Geschäftsbeziehungen keine Rechtsgrundlage. Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass diese Arten von Geschäftsbeziehungen bei der Vereinbarung unangemessener Verrechnungspreise Anlass zu einer eingehenderen Prüfung und ggf. Einkünftekorrektur geben, wenn eine Zwischenschaltung dem Zweck dient, die Einkünfte des Steuerpflichtigen zu mindern, selbst ohne dass die Tatbestandsvoraussetzungen der einschlägigen Korrekturvorschriften erfüllt wären. Auf der anderen Seite hat der BFH klargestellt, dass sich die Prüfung der Fremdüblichkeit der Verrechnungspreise nicht eröffnet und somit die Festsetzung einer vGA ausscheidet, wenn die zwischengeschaltete konzernfremde Gesellschaft keine eigenwirtschaftlich funktionslose Gesellschaft ist und beachtliche wirtschaftliche Gründe für die Zwischenschaltung existieren.3 Notwendigkeit der Darstellung von Veränderungen. Die GAufzV verlangt in verschiedenen Bereichen die Darstellung von Veränderungen. Der Grund dafür liegt darin, dass Veränderungen des Sachverhalts grundsätzlich Veränderungen der Angemessenheit des Entgelts nach sich ziehen können, das zwischen nahestehenden Personen vereinbart wird. So können bei Veränderungen der Beteiligungsstruktur unterjährig die Tatbestandsvoraussetzungen einer Einkünftekorrektur entstehen oder wegfallen. Eine Veränderung der Beteiligungsstruktur kann außerdem selbst eine zu dokumentierende Geschäftsbeziehung oder gar ein außergewöhnlicher Geschäftsvorfall i.S.d. § 3 GAufzV sein. Schließlich besteht die Möglichkeit, dass eine Geschäftsbeziehung zu fremden Dritten durch Erwerb der Anteile an diesem fremden Dritten zu einer Geschäftsbeziehung mit einer nahestehenden Person wird. Ein solcher Beteiligungserwerb kann durchaus vorteilhaft sein. Der Grund dafür liegt darin, dass für das ursprünglich mit einem fremden Dritten vereinbarte Entgelt eine Richtigkeitsvermutung für die gesamte Dauer der Geschäftsbeziehung gilt, wenn sich die sonstigen Bedingungen nicht verändern. Dies hat das FG Köln in einer Entscheidung zu § 8a KStG ausdrücklich festgestellt.4

1 Vgl. Kaminski/Strunk, StBp 2004, 29 (30). 2 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.11.2. 3 BFH v. 15.2.2012 – I R 19/11, BFH/NV 2012, 885 = FR 2012, 690 m. Anm. Pezzer. Vgl. hierzu auch Franz, BB 2012, 1587; Pezzer, BFH v. 28.2.2012 – VIII R 2/08, FR 2012, 693. 4 Vgl. zum tatsächlichen Fremdvergleich bei Eintritt in die Gesellschafterstellung FG Köln v. 5.8.2003 – 13 K 3358/02, juris = FR 2004, 164; Prinz, FR 2004, 146; bestätigt durch BFH v. 25.1.2005 – I R 12/04, BFH/NV 2005, 798.

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Kap. 13 Rz. 13.132

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13.132 Andere Umstände des Nahestehens (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GAufzV). Neben einer Beteiligung am Kapital können auch andere Umstände ein Nahestehen begründen. So können bspw. Stimmrechte, familiäre Bindungen, vertragliche oder wirtschaftliche Abhängigkeiten ein Nahestehen begründen. Soweit solche Umstände bestehen, sind diese darzustellen, um die Finanzverwaltung bei der Sachverhaltsermittlung insoweit zu unterstützen, als es um die Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen der Einkünftekorrekturnormen geht. Die Vorschrift verlangt keinen Negativbeweis, dass eine Person, mit der Geschäftsbeziehungen zum Ausland bestehen, keine nahestehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG ist. Beispiel 1: Eine ausländische Personengesellschaft hält 80 % der Stimmrechte an der inländischen P-KG, deren Anteile vollständig von der P-GmbH gehalten werden. In der Gesellschafterversammlung setzt die ausländische Personengesellschaft durch, dass die Beratungsleistungen der P-KG ihr gegenüber lediglich zu variablen Kosten verrechnet werden. Beispiel 2: Eine ausländische Personengesellschaft ist als Handelsvertreter ausschließlich für die inländische H-GmbH tätig. Beispiel 3: Vater V betreibt ein Produktionsunternehmen im Inland als Einzelunternehmer. Seine Tochter ist in der Schweiz ansässig und hält gemeinsam mit ihrem Ehemann 100 % der Anteile an einer Schweizer Personengesellschaft. Die Schweizer Personengesellschaft vertreibt die Produkte, die V in seinem Einzelunternehmen hergestellt hat.

13.133 Organisatorische und operative Konzernstruktur und deren Änderungen (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GAufzV). Die Darstellung der organisatorischen und operativen Konzernstruktur und deren Veränderungen sollen der Finanzverwaltung ermöglichen, die Eingliederung des Unternehmens des Steuerpflichtigen in den Konzern zu erkennen. Im Gegensatz zur Funktionsanalyse, die in erster Linie der Darstellung der inhaltlichen Ausgestaltung der Unternehmensstrukturen dient, geht es hier um die Darstellung der Struktur an sich. Da das Erkennen der Eingliederung in die Konzernstruktur keinen unmittelbaren Zusammenhang zu den Tatbestandsvoraussetzungen der einschlägigen Korrekturvorschriften aufweist und lediglich dem Verständnis des wirtschaftlichen Umfelds der zu beurteilenden Geschäftsbeziehungen dient, sind Unterlagen als verwertbar anzusehen, wenn sie die Aufbau- und die Ablauforganisation des Steuerpflichtigen darstellen. Zu einer solchen Darstellung gehören Informationen über Verantwortlichkeiten und Weisungsbefugnisse sowie Organigramme oder andere grafische Darstellungen der einzelnen Geschäftsbereiche und deren Verhältnis zueinander. Diese Unterlagen sind jedoch nur insoweit vorzulegen, als sie das Unternehmen des Steuerpflichtigen und die nahestehenden Personen betreffen, mit denen Geschäftsbeziehungen zum Ausland im betroffenen Wirtschaftsjahr unterhalten werden. Die Vorschrift enthält kein umfassendes Informationsrecht und ist insoweit eingeschränkt, als es dem Steuerpflichtigen weder rechtlich noch tatsächlich möglich ist, die gewünschten Unterlagen aus dem Ausland zu beschaffen. Die VWG-Verfahren präzisieren in Tz. 3.4.11.2 den Ausdruck „organisatorische und operative Konzernstruktur“ dahingehend, dass die Rechtsformen der konzernzugehörigen Unternehmen und die Aufgabenverteilung darzustellen sind. Die Abgrenzung zur Darstellung der Beteiligungsverhältnisse ist insoweit unklar.

13.134 Beschreibung der Management- und Organisationsstruktur des inländischen Unternehmens (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d GAufzV). Die Beschreibung der Management- und Organisationsstruktur des inländischen Unternehmens ist erstmals in einer landesspezifischen Dokumentation erforderlich, die die Verrechnungspreise für ein Wirtschaftsjahr dokumentiert, das nach dem 31.12.2016 begonnen hat (§ 7 GAufzV). Diese Dokumentationsanfor-

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Rz. 13.136 Kap. 13

derung fußt auf den Vorschlägen der OECD1 und soll der Finanzverwaltung Aufschluss über die strategische Führung und das System der Arbeitsstrukturen des Unternehmens geben. Aus dieser Beschreibung sollen sich auch die in dem Unternehmen vorhandenen und die für die konkreten Geschäftsbeziehungen tatsächlich ausgeübten Kompetenzen zum Treffen strategischer und operativer Entscheidungen ergeben. Die weitergehenden Forderungen der OECD nach einer Benennung der Personen, an die das lokale Management berichtet, sowie des Staats, in dem diese Personen ihr hauptsächliches Büro unterhalten, hat Deutschland erfreulicherweise verzichtet. Beschreibung der Tätigkeitsbereiche und der Geschäftsstrategie des Steuerpflichtigen (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e GAufzV). Der Steuerpflichtige hat seine Tätigkeitsbereiche und die gewählte Geschäftsstrategie zu beschreiben sowie deren eventuelle Veränderungen im Betriebsprüfungszeitraum. Die Tätigkeiten anderer Personen sind nicht darzustellen. Die Beschreibung der Tätigkeit des Steuerpflichtigen soll gemäß Gesetzesbegründung darüber Aufschluss geben, in welchem Arbeitsbereich bzw. in welcher Branche der Steuerpflichtige tätig ist. Angesichts der Tatsache, dass eine ausführliche Darstellung der Funktionen unter § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa GAufzV und eine ausführliche Darstellung der Geschäftsbeziehungen im Konzern unter § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a GAufzV und zu fremden Dritten ggf. unter § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. f GAufzV erfolgt, sollte die Tätigkeit des Steuerpflichtigen durch Verweis auf den Lagebericht des betroffenen Wirtschaftsjahrs ausreichend beschrieben sein. Liegt ein Lagebericht nicht vor, ist eine Tätigkeitsbeschreibung auch dann als ausreichend anzusehen, wenn sie nur einige wenige Seiten umfasst. Selbst eine stichwortartige Beschreibung, z.B. die Wiedergabe des Tätigkeitsbereichs des Steuerpflichtigen gem. Handelsregisterauszug, dient dem hier verfolgten Zweck. Kaminski/Strunk befürchten, dass eine undifferenzierte Beschreibung der ausgeübten Tätigkeiten des Steuerpflichtigen nicht zweckdienlich sein könnte, weil die Finanzverwaltung daraus leichter Rückschlüsse auf Funktionsverlagerungen ziehen und Forderungen nach Entschädigungen stellen kann.2 Diese Befürchtung ist dann unbegründet, wenn sich aus der Funktionsanalyse ein differenzierteres Bild ergibt, das der Annahme einer Funktionsverlagerung entgegensteht. Die Beschreibungen der Geschäftsstrategien und deren Veränderungen sollen darüber Aufschluss geben, welche strategische Ausrichtung der Steuerpflichtige verfolgt und ggf. welche Veränderungen zur Erreichung der Ziele des Steuerpflichtigen vorgenommen werden. Die VWG-Verfahren führen Kostenführerschaft, Marktführerschaft und Diversifizierung als Beispiele unterschiedlicher Geschäftsstrategien an.3

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Darstellung der Geschäftsbeziehungen. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a GAufzV verlangt die Darstellung der Geschäftsbeziehungen des Steuerpflichtigen nach Art und Umfang. In der bis zum 19.7.2017 gültigen Fassung der GAufzV war spezifiziert, dass die Darstellung die „Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen“ umfassen soll. Der Wegfall des Hinweises auf die Geschäftsbeziehungen mit verbundenen Unternehmen bedeutet nicht, dass der Steuerpflichtige zukünftige jegliche Geschäftsbeziehungen, d.h. auch solche mit fremden Dritten, zu dokumentieren hat. Die weiterhin gültige Beschränkung auf die Darstellung konzerninterner Geschäftsbeziehungen ergibt sich nun aus dem einleitenden Satz des Anforderungskatalogs (§ 4 Abs. 1 Satz 1 GAufzV). Eine Darstellung in Form einer tabellarischen Übersicht (Transaktionsmatrix) genügt den gesetzlichen Anforderungen,4 wobei der Umfang der Geschäfts-

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1 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Annex II. 2 Vgl. Kaminski/Strunk, StBp 2004, 29 (30). 3 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.11.4 Buchst. e. 4 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.11.3.

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Kap. 13 Rz. 13.136

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beziehungen jeweils mit dem tatsächlich vereinbarten Entgelt aufgezeichnet werden sollte. In der Übersicht sollten die Geschäftsbeziehungen des abgelaufenen Wirtschaftsjahrs gegliedert nach Einkauf und Verkauf, nahestehenden Personen und/oder Leistungsarten – und in dieser Reihenfolge – aufgeführt sein. Bei den Leistungsarten bietet es sich an, wie folgt zu differenzieren: 1. Warenlieferungen, 2. Dienstleistungen, 3. Finanzierungsleistungen, z.B. Darlehen, Garantien, Bürgschaften, Patronatserklärungen oder Cash-Pooling-Vereinbarungen, 4. Überlassungen und Übertragungen von immateriellen Wirtschaftsgütern, z.B. Patente, Markenrechte, Know-how oder Nutzungsrechte, 5. Beteiligungskäufe und -verkäufe, 6. Kostenumlagen im Sinne der VWG-Kostenumlagen, 7. Arbeitnehmerentsendungen im Sinne der VWG-Arbeitnehmerentsendungen, 8. Funktionsverlagerungen. Für Betriebsstätten dürften vor der Transformierung des AOA in das nationale Steuerrecht von diesen Leistungsarten für Innentransaktionen lediglich Warenlieferungen und Dienstleistungen1 sowie Arbeitnehmerentsendungen relevant sein, während im Außenverhältnis, d.h. zu anderen Personen, die jeweiligen Entgelte für alle Leistungsarten zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufzuteilen und dementsprechend mit dem jeweiligen Anteil in der Transaktionsmatrix der Betriebsstätte aufzuführen sind. Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, stellen auf der Grundlage der erweiterten Definition der Geschäftsbeziehung, die sich nun auf jegliche grenzüberschreitende Leistungsverflechtung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte erstreckt (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen, § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG), grundsätzlich alle o.g. Leistungsarten – mit der Ausnahme bestimmter Finanzierungsleistungen2 – eine zu dokumentierende Geschäftsbeziehung dar. Für diese Innentransaktionen sind für steuerliche Zwecke Fremdvergleichspreise anzusetzen. Dies betrifft in Zukunft insbesondere Überlassungen und Übertragungen von immateriellen Wirtschaftsgütern (z.B. Software, Patente)3 und Funktionsverlagerungen. Es spricht grundsätzlich nichts dagegen, für Zwecke der Darstellung des Umfangs der Geschäftsbeziehungen eine Zusammenfassung auf Ebene der Leistungsarten vorzunehmen, d.h. alle Warenlieferungen an eine nahestehende Person in der Transaktionsmatrix zu einem Gesamtbetrag zusammenzufassen.4 Außerdem ist eine Übersicht über die Verträge zu erstellen, die den aufgeführten Geschäftsbeziehungen zugrunde liegen. Eine solche Vertragsübersicht kann genauso zum Bestandteil der Transaktionsmatrix gemacht werden wie die Darstellung der angewandten Verrechnungspreismethode (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c GAufzV) und die Begründung der Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d GAufzV). Eine nach diesem Schema aufgebaute Transaktionsmatrix ist bei der Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung ohne Einschränkungen anwendbar, soweit das Außenverhältnis betroffen ist. 1 Vgl. Grützner, StuB 2003, 1108. 2 Vgl. u.a. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 100. 3 Zu der steuerrechtlichen Frage, wo die Grenze für die Annahme einer solchen fiktiven schuldrechtlichen Beziehung liegt, s. Busch, BB 2012, 2281. 4 Ebenso VWG-Verfahren, Tz. 3.4.11.3.

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Rz. 13.137 Kap. 13

Soweit Innentransaktionen für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.1.2013 begonnen haben, in der Transaktionsmatrix aufgeführt werden, sind die einzelnen Unternehmenseinheiten als Leistungserbringer und -empfänger zu bezeichnen, während in der Spalte zur Vertragsübersicht keine Einträge zu verzeichnen wären, es sei denn, es gäbe interne Richtlinien oder Absprachen zur Einkünfteabgrenzung. Daneben wäre es sinnvoll, der Transaktionsmatrix eine zusätzliche Spalte hinzuzufügen, in der aufzuzeichnen ist, ob und für welchen Umfang der Innentransaktionen durch eine Außentransaktion eine Gewinnrealisierung eingetreten ist. Liste der wesentlichen immateriellen Werte (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b GAufzV). Der Steuerpflichtige hat außerdem eine Liste der wesentlichen immateriellen Werte zusammenzustellen, die ihm gehören und die er im Rahmen seiner Geschäftsbeziehungen nutzt oder zur Nutzung überlässt. In der ab dem 20.7.2017 gültigen Fassung der GAufzV wurde der bis dahin verwendete Begriff „immaterielle Wirtschaftsgüter“ durch den Begriff „immaterielle Werte“ ersetzt, – ausweislich der Verordnungsbegründung – zur Erreichung einer einheitlichen Begriffsverwendung im Bereich der Verrechnungspreise. Dabei orientiert sich die Formulierung „immaterielle Werte“ an § 2 Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 BsGaV. Der Begriff des immateriellen Werts geht über den Begriff des immateriellen Wirtschaftsguts hinaus, da er diesen einschließt. Jedenfalls soll es auf die tatsächliche Bilanzierung oder steuerliche Bilanzierbarkeit nicht ankommen und damit sowohl nicht bilanzierungsfähige, selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens (§ 5 Abs. 2 EStG) als auch wirtschaftliche Vorteile unterhalb der Konkretisierung eines Wirtschaftsguts erfassen, ohne dass die Verordnungsbegründung zur BsGaV den Begriff der „immateriellen Werte“ näher erläutert oder Beispiele gibt.1 Aufgrund seiner Unbestimmtheit ist dieser Rechtsbegriff abzulehnen. Wirtschaftsgüter und Werte gehören einem Steuerpflichtigen, wenn er der Eigentümer derselben ist. Für Zwecke der Einkünfteabgrenzung ist dabei auf das wirtschaftliche Eigentum abzustellen.2 Der Steuerpflichtige nutzt einen immateriellen Wert, wenn dieser der Herstellung dessen dient, was Gegenstand der zu beurteilenden Leistungsbeziehung ist. Soweit die als wesentlich anzusehenden immateriellen Werte bilanziert werden, ergeben sich diese bereits aus der Stammhaus- bzw. Betriebsstättenbilanz, so dass insoweit auf diese Informationsquelle verwiesen werden kann. Soweit unter den als wesentlich anzusehenden immateriellen Werten solche sind, die nicht zu bilanzieren sind oder nicht bilanziert werden,3 sind diese wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter in einer Liste aufzuzeichnen. Wesentlich ist ein immaterieller Wert für den Steuerpflichtigen immer dann, wenn er ohne diesen Wert seiner Geschäftstätigkeit nicht nachgehen könnte. Für ein pharmazeutisches Unternehmen ist bspw. die Zulassung eines Medikaments durch die nationale Aufsichtsbehörde als wesentliches Wirtschaftsgut anzusehen, weil es ohne diese Zulassung seine Geschäftsgrundlage verlöre. Die Liste der wesentlichen immateriellen Werte soll laut Gesetzesbegründung der Identifizierung von Prüfungsfeldern dienen. Nach allgemeiner Auffassung ist demjenigen Unternehmen ein höherer Anteil an einem Transaktionsgewinn zuzuordnen, das über die für die Gewinnerzielung wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter verfügt.4 Dies gilt auch im Rahmen der Einkünfteabgrenzung zwischen Betriebsstätten.5 Dort entfaltet die Zuordnung der Wirtschaftsgüter und Werte sogar eine noch größere Bedeutung, weil demjenigen Unternehmensteil, dem die

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14, 49f. 2 So auch OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 72. 3 Vgl. hierzu das Aktivierungswahlrecht für bestimmte selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände in § 248 Abs. 2 HGB. 4 Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 1.54; VWG-Verfahren, Tz. 3.4.11.3. 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Tz. 76 ff.

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Kap. 13 Rz. 13.138

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wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Werte zuzuordnen sind, ein höherer Anteil an den Erträgen zuzuordnen ist als den Unternehmensteilen, die lediglich Routinefunktionen ausüben und die keine für den Herstellungsprozess wesentlichen immateriellen Werte besitzen. Soweit die Liste der wesentlichen immateriellen Werte (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b GAufzV) in der Funktions- und Risikoanalyse enthalten ist, genügt insoweit ein entsprechender Verweis zur Erfüllung der Aufzeichnungspflicht.

13.138 Funktions- und Risikoanalyse (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa–bb GAufzV). Weiterhin verlangt die GAufzV, dass der Steuerpflichtige Informationen über die Funktionen aufzeichnet, die er und die nahestehenden Personen im Ausland im Rahmen einer Geschäftsbeziehung ausgeübt haben. Daneben hat der Steuerpflichtige Informationen über die von beiden Parteien übernommenen Risiken sowie deren Veränderungen und über die von beiden Parteien eingesetzten wesentlichen Vermögenswerte1 aufzuzeichnen. Auch Veränderungen bei den übernommenen Funktionen und den eingesetzten Vermögenswerten sind aufzuzeichnen. Angesichts der Tatsache, dass Betriebsstätten mangels eigener Rechtspersönlichkeit im Innenverhältnis zum Stammhaus keine vertragliche Zuordnung von Risiken vornehmen können, sind Aufzeichnungen zur Risikoverteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte insoweit obsolet. Im Verhältnis zu anderen Personen ist jedoch eine Zuordnung und ggf. auch Aufteilung der eingegangenen Risiken auf Stammhaus und Betriebsstätte möglich und auch notwendig, soweit es sich bei den Geschäftsvorfällen um Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen im Ausland handelt. Die Funktions- und Risikoanalyse kann verbal oder in Tabellenform2 aufgezeichnet werden. Sie sollte mindestens die in den VWG-Verfahren genannten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und Risiken nennen. Das nachfolgende Beispiel zeigt, wie eine tabellarische Funktions- und Risikoanalyse aufgebaut sein kann: Beispiel: Funktions- und Risikoanalyse Name des Steuerpflichtigen

A-GmbH

Geschäftsbeziehung

Herstellung von Produkten

Wirtschaftsjahr

1.1.–31.12.2016

Funktion

Steuerpflichtiger

NahesteFremder hende Person Dritter

Bedeutung für die Profitabilität/Wertschöpfungsbeitrag

Funktion 1 bis n Risiken 1 bis n Vermögenswerte 1 bis n

Die Tabellenform hat den Vorteil, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb kurzer Zeit den notwendigen Überblick über die Funktionsaufteilung ermöglicht und die jährliche 1 Ausweislich der Verordnungsbegründung wurde der bisher verwendete Begriff „Wirtschaftsgüter“ m.W.z. 20.7.2017 durch den Begriff „Vermögenswerte“ ersetzt, um eine einheitliche Begriffsverwendung im Bereich der Verrechnungspreise zu erreichen. Zu den Vermögenswerten gehören gem. § 2 Abs. 6 Satz 2 BsGaV insbesondere materielle Wirtschaftsgüter, immaterielle Werte einschließlich immaterieller Wirtschaftsgüter, Beteiligungen und Finanzanlagen. 2 So ausdrücklich VWG-Verfahren, Tz. 3.4.11.4.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.140 Kap. 13

Überprüfung und Anpassung an etwaige Veränderungen in effizienter Form durchführen lässt. Bei der Erstellung einer tabellarischen Funktions- und Risikoanalyse sollte jedoch mit großer Sorgfalt gearbeitet werden, weil diese Darstellungsform sonst die Gefahr vorschneller Schlussfolgerungen seitens der Finanzverwaltung mit sich bringen kann. Mit Einführung des AOA in das AStG hat die Zuordnung der Funktionen, Vermögenswerte sowie der übernommenen Risiken zu der Betriebsstätte auf Grundlage der ausgeübten Personalfunktionen zu erfolgen. In diesem Zusammenhang ist bspw. anhand von Stellenbeschreibungen oder Prozessablaufplänen zu dokumentieren, welche Personen welche Tätigkeiten ausüben, welchen Entscheidungsspielraum sie dabei haben und wo sie beschäftigt sind („wer macht was wo“). Mit Inkrafttreten der BsGaV sind die Chancen und Risiken, die im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Vermögenswert stehen, der Betriebsstätte zuzuordnen, der auch der betreffende Vermögenswert zuzuordnen ist (§ 10 Abs. 1 BsGaV). Alle übrigen Chancen und Risiken sind der Betriebsstätte zuzuordnen, die aufgrund einer Personalfunktion dieser Betriebsstätte entstehen. Der Entwurf der GAufzV1 post-BEPS sah mit der „Benennung der Personen, die die für die Geschäftsbeziehungen maßgebenden Entscheidungen tatsächlich treffen (Entscheidungskompetenz)“ eine zusätzliche Dokumentationsanforderung im Hinblick auf die Funktionsanalyse vor. Die Benennung der Personen sollte Aufschluss über die Ausübung der tatsächlichen Entscheidungsfunktion in Bezug auf den jeweiligen Geschäftsvorfall geben. Diese Anforderung begegnete allerdings massiven datenschutzrechtlichen Bedenken. Darüber hinaus blieb unklar, welche Personen hiermit genau gemeint wären. Als mögliche Entscheidungsträger kommen neben den Unterzeichnern der konzerninternen Verträge die Geschäftsführer oder das Vertriebspersonal der beteiligten Konzerngesellschaften in Betracht, die die Konditionen verhandelt haben. Ebenso könnte der Leiter der Steuerabteilung oder der zuständige Verrechnungspreismanager gemeint sein, die für Fremdüblichkeit der Preissetzung in der Geschäftsbeziehung zuständig gewesen sein könnten. Letztendlich trägt der Konzernvorstand die Verantwortung für alle konzerninternen Belange. Der deutsche Verordnungsgeber hat gut daran getan, auf diese Dokumentationsanforderung in der finalen Fassung zu verzichten. Informationen über die vereinbarten Vertragsbedingungen (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. cc GAufzV). Gemäß dem Abschlussbericht der OECD zu den BEPS-Maßnahmen 8–10 sollen die konzerninternen Verträge den Ausgangspunkt bei der Funktionsund insbesondere Risikoanalyse bilden.2 In Ermangelung einer eigenen Rechtspersönlichkeit einer Betriebsstätte und der daraus resultierenden Unmöglichkeit eines Vertragsschlusses zwischen einem Stammhaus und dessen Betriebsstätte sind Informationen zu vereinbarten Vertragsbedingungen nicht aufzuzeichnen, es sei denn, es handelt sich um Verträge mit anderen Personen, die die Gewinnermittlung von Stammhaus und Betriebsstätte tangieren. Stattdessen können jedoch interne Vereinbarungen oder Richtlinien zu den Aufzeichnungen genommen werden,3 wenn sich aus ihnen Erkenntnisse über die Aufteilung von Funktionen und Vermögenswerten zwischen Stammhaus und Betriebsstätte und damit auf die Vergleichbarkeit mit Gewinnaufteilungen zwischen anderen Stammhäusern und Betriebsstätten ergeben.

13.139

Informationen über die gewählte Geschäftsstrategie und über steuerlich bedeutsame Markt- und Wettbewerbsverhältnisse (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. dd–ee

13.140

1 Diskussionsentwurf des BMF v. 21.2.2017 zur GAufzV, § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b. 2 OECD v. 5.10.2015, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Tz. 1.77 ff. 3 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.5.1 Buchst. a.

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Kap. 13 Rz. 13.141

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

GAufzV). Auch diese Informationen dienen dem Zweck, alle relevanten Vergleichsparameter für die Durchführung eines Fremdvergleichs zu erheben. Ist der Verrechnungspreis von Geschäftsstrategien oder den Markt- und Wettbewerbsverhältnissen beeinflusst, sollte ein Fremdvergleichspreis unter gleichen oder zumindest ähnlichen Bedingungen vereinbart worden sein. Andernfalls ist ein Fremdvergleichspreis mangels Vergleichbarkeit als Maßstab einer Einkünftekorrektur abzulehnen. Der Geschäftsstrategie und den Markt- und Wettbewerbsverhältnissen wird in erster Linie dann Bedeutung zukommen, wenn der Steuerpflichtige belegen muss, dass die normalerweise zu einer Einkünftekorrektur führenden Fremdvergleichspreise unter Marktbedingungen zustande gekommen sind, die sich von denen des Steuerpflichtigen unterscheiden. So dürften Ausführungen zur Geschäftsstrategie und zu den Markt- und Wettbewerbsverhältnissen zu den erforderlichen Aufzeichnungen in besonderen Fällen i.S.d. § 4 Abs. 2 GAufzV gehören, wie z.B. Marktanteilsstrategien und Verlustsituationen. Hinsichtlich der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse führen die VWG-Verfahren folgende Aspekte an, die in den Aufzeichnungen berücksichtigt werden sollen: Wettbewerbsposition und Verhandlungsmacht der Käufer sowie der Lieferanten, Wettbewerbsintensität zwischen den Anbietern, Wahrscheinlichkeit des Eintritts neuer Markteilnehmer und Konkurrenzprodukte, Größe des Markts und Marktstufe, Kaufkraft von Konsumenten, Kosten für Kapital, Arbeit und Umweltschutz, Konjunkturlage, Preiskontrollen, Importbeschränkungen, Einschränkungen beim Devisentransfer und der Zeitpunkt der Geschäfte. Bei der Vielzahl potentiell relevanter Marktparameter hat der Steuerpflichtige lediglich die jeweils relevanten zu dokumentieren und kann dabei ein hohes Aggregationsniveau anwenden, da ansonsten die Grenze der Zumutbarkeit schnell überschritten wäre.

13.141 Beschreibung der Wertschöpfungskette und Darstellung des Wertschöpfungsbeitrags. § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GAufzV verlangt von dem Steuerpflichtigen, dass er die Wertschöpfungskette beschreibt und seinen Wertschöpfungsbeitrag im Verhältnis zu denjenigen nahestehenden Personen darstellt, mit denen Geschäftsbeziehungen bestehen. Während die Finanzverwaltung bei Unternehmensgruppen mit inländischer Spitzeneinheit spätestens im Rahmen der Betriebsprüfung bei dieser Spitzeneinheit eine Offenlegung der Wertschöpfungsketten und der Wertschöpfungsbeiträge verlangen kann, stößt ein solches Verlangen bei inländischen Steuerpflichtigen mit Geschäftsbeziehungen zu über- oder nebengeordneten nahestehenden Personen dort auf seine Grenzen, wo es dem Steuerpflichtigen rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist, die Herausgabe der von der Finanzverwaltung verlangten Aufzeichnungen durchzusetzen. Ein im Ausland ansässiger Steuerpflichtiger mit einer inländischen Betriebsstätte hat sowohl rechtlich als auch tatsächlich die Möglichkeit, Aufzeichnungen aus dem Ausland zu beschaffen. Insoweit geht von § 90 Abs. 2 Satz 2 AO für ihn keine Schutzwirkung hinsichtlich der Offenlegung von Wertschöpfungsketten und -beiträgen aus. Soweit nach den vorstehend erläuterten Grundsätzen Aufzeichnungen über Wertschöpfungsketten und Wertschöpfungsbeiträge zu erstellen sind, ist davon auszugehen, dass eine grafische Darstellung der Wertschöpfungskette den gesetzlichen Anforderungen genügt. Der jeweilige Wertschöpfungsbeitrag ist transaktionsbezogen darzustellen und wird sich in aller Regel aus der Buchführung ergeben. Die VWG-Verfahren beschreiben die Vorgehensweise bei der Erstellung einer Wertschöpfungsbeitragsanalyse.1 Wie bzw. nach welchen Maßstäben eine Gewichtung der erfassten Geschäftsprozesse erfolgen soll, beschreiben die VWG-Verfahren jedoch nicht, so dass es hier letztlich auf die Einschätzung des Steuerpflichtigen ankommen dürfte, die durch geeignete Indikatoren zu begründen wäre, z.B. durch die Angabe der für je-

1 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.11.5.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.142 Kap. 13

den Geschäftsprozess angefallenen Kosten. In Bezug auf die Darstellung des Wertschöpfungsbeitrags ist anzumerken, dass dieser bereits aus der Funktions- und Risikoanalyse und der dazugehörigen Angemessenheitsdokumentation ersichtlich sein sollte, so dass sich die parallele Erstellung einer Wertschöpfungsbeitragsanalyse erübrigt.1 Mit Wirkung für alle Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2016 begonnen haben, hat der Steuerpflichtige bei der Darstellung der Wertschöpfungsbeiträge auf eine quantitative Nachvollziehbarkeit i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 4 GAufzV zu achten. Sofern der Steuerpflichtige die von ihm und den ihm nahestehenden Personen ausgeübten Funktionen, übernommenen Risiken und eingesetzten wesentlichen Vermögenswerte in ihrer Bedeutung für einen Geschäftsvorfall gewichtet hat, muss diese Gewichtung widerspruchsfrei erfolgen. In diesen Fällen muss der Steuerpflichtige für jeden am Geschäftsvorfall Beteiligten die ausgeübten Funktionen, das Ausmaß der tatsächlich übernommenen Risiken und die Höhe der tatsächlich eingesetzten wesentlichen Vermögenswerte quantitativ nachvollziehbar darstellen. Dies gilt vor allem bei der Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode als Verrechnungspreismethode, z.B. mittels einer Wertschöpfungsbeitragsanalyse (business process analysis). Als potenzielle quantitative Größe nennt die Verordnungsbegründung beispielhaft die Kosten. Es bieten sich generell aber viele weitere, sehr unterschiedliche Faktoren an, wie z.B. die Beschäftigtenzahl in bestimmten Bereichen (z.B. in der F&E-Abteilung), die Höhe des investierten Kapitals oder die Anzahl an Patenten. Auch Mischschlüssel sollten Verwendung finden können. Die Finanzverwaltung erhofft sich dadurch ein bessere Nachvollziehbarkeit, welcher der Beteiligten an einem Geschäftsvorfall welche Funktionen tatsächlich in welchem Umfang ausgeübt und welche Risiken dieser tatsächlich in welchem Ausmaß übernommen hat, um damit eine subjektive und nicht nachvollziehbare Einschätzung der relevanten Funktionen und Risiken auszuschließen. Es ist jedoch fraglich, ob die Finanzverwaltung hier nicht einem Trugschluss erliegt, da sich die Diskussion möglicher subjektiver Einflüsse auf die Wertschöpfungsbeitragsanalyse nun auf die vorgelagerte Frage der Auswahl der quantitativen Größen verlagern mag. Zudem gleicht ein rein quantitativer Ansatz mehr einer formelhaften Gewinnaufteilung, die die OECD zu Recht weiterhin strikt ablehnt. Der Fremdvergleichsgrundsatz verlangt dagegen eine Aufteilung der Besteuerungsbasis anhand der geleisteten Wertschöpfungsbeiträge, die sich nicht immer proportional zu den Inputfaktoren verhalten. Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung und verfügbare Informationen (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a–b GAufzV). Abgeleitet aus dem neu formulierten Satz 2 des § 90 Abs. 3 AO trifft den Steuerpflichtigen eine völlig neue Dokumentationsanforderung, nach der er zum einen den Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung sowie Aufzeichnungen zu den zu diesem Zeitpunkt verfügbaren und zur Preisbestimmung verwendeten, steuerlich relevanten Informationen zu dokumentieren hat. Ausweislich der Verordnungsbegründung soll diese Angabe zum einen darüber Aufschluss geben, ob der Steuerpflichtige den Verrechnungspreis im Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls bestimmt hat. Die Aufzeichnung der im Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung verfügbaren und bedeutsamen Informationen soll unter anderem dazu dienen, die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Informationen für die Verrechnungspreisbestimmung seitens des Steuerpflichtigen darzulegen und die Verrechnungspreisbestimmung seitens der Finanzbehörde bezogen auf diesen Zeitpunkt nachvollziehen zu können. Dies stellt nach Auffassung der Finanzverwaltung sicher, dass eine Beurteilung auf Basis dessen erfolgen kann, was zum Zeitpunkt der Sachverhaltsverwirklichung bekannt sein sollte und konnte. Gleichzeitig könnte diese Dokumentationspflicht dahingehend verstanden werden, dass

1 Dies ist auch die Ansicht der Finanzverwaltung, vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.11.5.

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13.142

Kap. 13 Rz. 13.142

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

zukünftig – entgegen der nach Ansicht der OECD1 und dem EU Joint Transfer Pricing Forum,2 wonach beide Ansätze gleichberechtigt nebeneinander stehen – dem sog. „price setting“-Ansatz der klare Vorzug gegenüber dem „outcome testing“-Ansatz gegeben werden soll.3 Diese Anforderung ist daher in der Literatur stark kritisiert und der Vorrang des „price setting“-Ansatzes klar abgelehnt worden.4 Insofern ist es sehr bedeutsam, dass die Finanzverwaltung wohl als Reaktion auf diese Kritik die Begründung zur finalen Fassung der neuen GAufzV um die Klarstellung ergänzt hat, dass der Verordnungstext nur eine Dokumentationsanforderung formuliert, aber keine Aussage zur Akzeptanz des vom Steuerpflichtigen gewählten Zeitpunkts trifft. Dies darf als Zusicherung gewertet werden, dass mit der Verordnung nicht die Anwendung des „price setting“-Ansatzes statuiert wird.5 Zum anderen hält die Verordnungsbegründung nun fest, dass einer zeitbezogenen Sichtweise nicht entgegensteht, dass Mehrjahresanalysen durchgeführt werden, um die Geschäftsvorfälle sachgerechter würdigen zu können. Dennoch bleiben in Bezug auf diese neuen Dokumentationsanforderungen viele Fragezeichen. Dies betrifft zum einen die Frage, welcher Zeitpunkt als der Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung angesehen werden kann. Für illustrative Zwecke sei hierfür angenommen, dass die inländische KG im Auftrag einer ausländischen Schwesterproduktionsgesellschaft bestimmte Maschinen auf dem deutschen Markt vertreibt. Denkbar wären in diesem Beispielsfall als Zeitpunkte für die Verrechnungspreisbestimmung nun der Zeitpunkt des erstmaligen Abschlusses des Vertriebsvertrags, bei automatischer jährlicher Verlängerung desselben der letzte Verlängerungszeitpunkt, der Zeitpunkt der tatsächlichen Abrechnung der zum Weiterverkauf gelieferten Maschinen, der Zeitpunkt einer möglichen Jahresendanpassung oder schließlich sogar erst der Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung, in der der Verrechnungspreis steuerlich zum Tragen kommt. Die Frage ist, ob durch die Verwendung des Begriffs „Bestimmung“, der im Gegensatz zu dem Begriff „Ermittlung“ mehr auf eine generelle Festlegung (= Bestimmung) einer Verrechnungspreismethodik als auf eine rechnerische Ermittlung eines bestimmten Preises hindeutet, der Wortlaut hier auf einen eher frühen Zeitpunkt abzielt wie den Vertragsabschluss, zu dem ggf. nur der allgemeine Verrechnungspreisansatz vereinbart wird. Der Umfang der zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung verfügbaren Informationen, die der Steuerpflichtige zu dokumentieren und vorzuhalten hat, hängt sehr stark von der zu dokumentierenden Transaktion ab. Bei Verwendung von Preislisten zur Verrechnungspreisbestimmung dürfte es sich vor allem um die zugrunde liegenden Planrechnungen handeln. Bei der Bewertung von zu übertragenden immateriellen Werten wird gemäß dem Stichtagsprinzip noch genauer als in der Vergangenheit festzuhalten sein, welche Marktdaten und -erwartungen in die Planzahlen Eingang gefunden haben, welche Szenarien zum Übertragungszeitpunkt für möglich gehalten worden sind und warum etwaig aufgetretene, signifikante Abweichungen der Ist-Zahlen von den verwendeten,

1 Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 3.67 f. 2 EU Joint Transfer Pricing Forum, Report on Compensating Adjustments, Januar 2014, 3. 3 Nach dem „price setting“-Ansatz vereinbaren die beteiligten Konzerngesellschaften auf Basis der im Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung verfügbaren Informationen einen angemessenen Verrechnungspreis. Sofern durch unvorhersehbare Marktentwicklungen das zu versteuernde Einkommen am Ende des Wirtschaftsjahres von dem erwarteten Ergebnis abweicht, erfolgen keine Anpassungen. Demgegenüber wird beim „outcome testing“-Ansatz weniger Augenmerk auf die zunächst festgelegten und unterjährig abgerechneten Verrechnungspreise gelegt. Vielmehr ist es das Ziel, dass durch entsprechende Anpassungen am Jahresende die Gesellschaften eine den Funktionen und Risiken angemessene Zielrentabilität erreichen. 4 Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 789 (793); Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 281 (282). 5 Vgl. BR-Drucks. 404/17, 17. So auch bereits Greil/Schreiber, DB 2017, 10 (12).

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.144 Kap. 13

am Stichtag verfügbaren Planzahlen unvorhersehbar waren.1 Alles in allem empfiehlt es sich vor dem Hintergrund der steigenden Bedeutung eines internen Kontrollsystems im Bereich der Verrechnungspreise sehr stark für den Steuerpflichtigen, eine Price-Setting-Policy zu entwickeln, die die folgenden Punkte konzernverbindlich regelt: – Festlegung eines Preissetzungsprozesses und Verteilung der Verantwortlichkeiten, – Festlegung der zu archivierenden Informationen, die zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung verfügbar waren, sowie der Aufbewahrungsform und -dauer, – Kontrollen der aufgesetzten Prozesse. Darstellung der angewandten Verrechnungspreismethode (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c GAufzV). Der Steuerpflichtige hat die angewandte Verrechnungspreismethode darzustellen (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GAufzV). Wenn eine Verrechnungspreismethode für eine Gruppe von Geschäftsvorfällen angewandt wird, bedarf es lediglich der einmaligen Darstellung dieser Methode für sämtliche von der Gruppe erfassten Geschäftsbeziehungen. Soweit der Steuerpflichtige bei den zu untersuchenden Geschäftsbeziehungen Verrechnungspreismethoden anwendet, die in den VWG 1983, den VWG-Verfahren oder den OECD-Verrechnungspreisleitlinien erläutert sind, erschöpft sich die Darstellung in der Nennung der angewandten Methode. Soweit der Steuerpflichtige andere Methoden anwendet, hat er diese Methoden ausführlicher zu erläutern. Diese Erläuterung muss die Finanzverwaltung in die Lage versetzen, den Preisbildungsprozess nachvollziehen zu können. Bei Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte vor Einführung des AOA sollte der Steuerpflichtige darüber hinaus angeben, ob die Einkünfteabgrenzung auf der Grundlage der direkten oder der indirekten Methode erfolgt ist.2

13.143

Begründung der Auswahl und Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d GAufzV). Der Steuerpflichtige hat außerdem zu begründen, weshalb die angewandte Verrechnungspreismethode für die zu untersuchende Geschäftsbeziehung geeignet ist.3 Soweit es sich bei der angewandten Methode um eine Methode handelt, die in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien erläutert ist, ist die Geeignetheit durch einen Verweis auf die einschlägige Textstelle in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien, den VWGVerfahren oder den VWG 1983 ausreichend begründet. Wenn es sich bei der angewandten Methode nicht um eine international anerkannte Methode handelt, hat der Steuerpflichtige deren Geeignetheit ausführlich zu begründen. Die Begründung sollte vor allem auf die wirtschaftlichen Begleitumstände der zu untersuchenden Geschäftsbeziehung eingehen und die Geeignetheit der Methode aus dem praktizierten Geschäftsmodell entwickeln. Anders als bei der in den USA geltenden „best method-rule“ hat der Steuerpflichtige lediglich die Wahl einer Methode zu begründen,4 nicht jedoch die Ablehnung sämtlicher anderer Methoden, die

13.144

1 Wenn der Steuerpflichtige eine solche Abweichungsanalyse bei schwer bewertbaren immateriellen Wirtschaftsgütern (Hard-to-Value-Intangibles) nicht vorlegen kann, sieht die OECD vor, dass die Steuerbehörden die ex-post beobachtbaren Finanzzahlen als beste Approximation für die am Bewertungsstichtag verfügbaren Planzahlen verwenden darf; vgl. OECD v. 5.10.2015, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Tz. 6.194. 2 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.5.1. 3 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.1. 4 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.1.

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Kap. 13 Rz. 13.145

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

er nicht ausgewählt hat.1 Wenn der Steuerpflichtige hingegen eine zweite Methode anwendet, und sei es nur zu Verprobungszwecken, so hat er auch deren Auswahl zu begründen.

13.145 Berechnungsunterlagen für die angewandte Verrechnungspreismethode. § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e GAufzV verlangt vom Steuerpflichtigen außerdem die Erstellung von Unterlagen über die Berechnungen bei der Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode. Es ist davon auszugehen, dass diese sprachlich missglückte Formulierung darauf abzielt, die Berechnung des Verrechnungspreises nach der gewählten Verrechnungspreismethode vom Steuerpflichtigen offenlegen zu lassen. Die Vorschrift ist dahingehend auszulegen, dass die Berechnungsunterlagen lediglich für die gebildeten Gruppen von Geschäftsbeziehungen z.B. in schematischer Form zu erstellen sind, nicht jedoch für jede Einzeltransaktion, weil dies im Zweifel unzumutbar wäre.

13.146 Auflistung und Beschreibung verwendeter vergleichbarer Geschäftsvorfälle. Schließlich hat der Steuerpflichtige die verwendeten vergleichbaren internen oder externen Geschäftsvorfälle aufzulisten und zu beschreiben (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. f GAufzV). Diese Anforderung dient der Beurteilung, ob und inwieweit diese Geschäftsvorfälle tatsächlich vergleichbar sind. Sie zielt auf die Angemessenheitsdokumentation und ist daher unter Einbeziehung von §§ 1 und 2 GAufzV auszulegen. Danach hat der Steuerpflichtige im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation für die von ihm gewählte Verrechnungspreismethode Vergleichsdaten aus vergleichbaren Geschäften zwischen (äußerer Fremdvergleich) oder mit fremden Dritten (innerer Fremdvergleich) heranzuziehen (§ 1 Abs. 3 GAufzV). Vergleichsdaten aus vergleichbaren Geschäften, die nahestehende Personen des Steuerpflichtigen mit fremden Dritten abgeschlossen haben, sind ausdrücklich zugelassen. Als Vergleichsdaten sind Preise, Geschäftsbedingungen, Kostenaufteilungen, Gewinnaufschläge, Bruttospannen, Nettospannen und Gewinnaufteilungen genannt. Daraus ist zu schließen, dass die deutsche Finanzverwaltung neben den Standardmethoden und der Kostenumlage auch die transaktionsbezogene Nettomargenmethode (Transactional Net Margin Method) und die transaktionsbezogene Gewinnaufteilung (Transactional Profit Split Method) zur Anwendung zulässt.2 Die Anwendung der gewinnorientierten Methoden ist jedoch an restriktive Voraussetzungen geknüpft. Sie ist lediglich auf Unternehmen mit Routinefunktionen (Tz. 3.4.10.2 Buchst. a VWG-Verfahren) anwendbar, die nur eine Art von gruppierbaren Geschäftsvorfällen abwickelt.3 Diese restriktive Auslegung durch

1 Die Finanzverwaltung geht selbst in der Verordnungsbegründung selbst davon aus, dass die Ergänzung der Formulierung „Begründung der Auswahl“ durch die Neuverkündung der GAufzV v. 12.7.2017 nur „klarstellenden“ Charakter hat. Die Anforderung an den Steuerpflichtigen, den Ausschluss aller nicht verwendeten Verrechnungspreismethoden zu begründen, wäre deutlich mehr als klarstellend und entspricht auch nicht gängiger Betriebsprüfungspraxis; vgl. Vgl. BR-Drucks. 404/17, 17. 2 Bestätigend VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.3 Buchst. b und c. Hierbei ist zu beachten, dass die VWGVerfahren zu einem Zeitpunkt erlassen worden sind, zu dem § 1 AStG noch keine Aussagen zur Anwendbarkeit von Verrechnungspreismethoden enthielt. Seit dem Veranlagungszeitraum 2008 gilt die Methodenhierarchie des § 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AStG, die explizit die Anwendung anderer geeigneter Verrechnungspreismethoden eröffnet, sofern für die Anwendung der Standardmethoden (Preisvergleichsmethode, Wiederverkaufspreismethode und Kostenaufschlagsmethode) auch nach Vornahme sachgerechter Anpassungen keine uneingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichspreise zu ermitteln sind. Unter den in diesen Fällen geeigneten Verrechnungspreismethoden dürften in der Regel die transaktionsbezogene Nettomargenmethode sowie die transaktionsbezogene Gewinnaufteilung zu verstehen sein. 3 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.3 Buchst. b.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.147 Kap. 13

die Finanzverwaltung ist vor allem deshalb zu kritisieren, weil es dadurch schwierig wird, eine Methode zu Verprobungszwecken zu finden, die bei der bestehenden Datenlage in Deutschland angewandt werden kann. Der Gesetzgeber verlangt das Heranziehen und die anschließende Aufbereitung von Vergleichsdaten jedoch nur dann, wenn solche Daten im Zeitpunkt der Vereinbarung der Geschäftsbeziehung beim Steuerpflichtigen oder bei ihm nahestehenden Personen vorhanden sind oder soweit er sich diese mit zumutbarem Aufwand aus ihm frei zugänglichen Quellen beschaffen kann.1 Kann der Steuerpflichtige Vergleichsdaten vorweisen oder zeigen, dass ihm aus der Beschaffung von Vergleichsdaten ein unzumutbarer Aufwand entstanden wäre, hat er sein ernsthaftes Bemühen, seine Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu gestalten, glaubhaft dargelegt und damit insoweit verwertbare Aufzeichnungen erstellt. Die GAufzV enthält keine Aussagen über die Qualität der heranzuziehenden Vergleichsdaten. Dies ist auch nicht notwendig, weil der Steuerpflichtige lediglich Aufzeichnungen zu erstellen hat, die sein ernsthaftes Bemühen belegen, einen angemessenen Verrechnungspreis zu ermitteln. Wenn die Aufzeichnungen erstellt und verwertbar sind, treten die Rechtsfolgen des § 162 Abs. 3 und 4 AO nicht ein. Nach der ursprünglichen und im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr angepassten Gesetzesbegründung2 zur GAufzV sind „Aufzeichnungen als im Wesentlichen unverwertbar anzusehen, wenn sie es einem sachverständigen Betriebsprüfer nicht ermöglichen, innerhalb einer angemessenen Zeit die Prüfung [gemeint ist wohl die Angemessenheit (Anm. des Verfassers)] der Verrechnungspreise am Maßstab des Fremdvergleichs zu beurteilen“.3 Aus der schlechten Qualität der Vergleichsdaten ist mithin keinesfalls auf eine mangelnde Verwertbarkeit zu schließen, da es letztlich Aufgabe der Finanzverwaltung ist, die Angemessenheit der Verrechnungspreise festzustellen.4 Es ist nicht Aufgabe des Steuerpflichtigen, die Angemessenheit seiner Verrechnungspreise mittels Vergleichsdaten zu belegen. Die schlechte Qualität von Vergleichsdaten darf zumindest dann nicht die Gefahr einer Einkünftekorrektur erhöhen, wenn die Verprobung der Verrechnungspreise für den Betriebsprüfer nachvollziehbar ist. Die rechtliche Würdigung, ob die auf diese Weise ermittelten oder verprobten Verrechnungspreise angemessen sind, kann zwar zu einer Einkünftekorrektur führen, jedoch nicht zur Unverwertbarkeit der Aufzeichnungen. Der Betriebsprüfer kann seiner Beweispflicht nicht entgehen. Nutzung von Datenbanken. Sofern der Steuerpflichtige für die Durchführung eines externen Fremdvergleichs im Rahmen der Angemessenheitsanalyse auf Informationen aus einer oder mehreren Datenbanken zurückgreift, knüpft die Finanzverwaltung hieran besondere Bedingungen, die insbesondere die Nachvollziehbarkeit der durchgeführten Suchschritte und die Reproduzierbarkeit der gesamten Datenbankanalyse erlauben sollen. So fordern die VWG-Verfahren in Tz. 3.4.12.4 bei Aufzeichnung von Informationen aus Datenbanken oder aus dem Internet die Zugänglichmachung der Daten in elektronischer Form im Rahmen des § 147 Abs. 5 und 6 AO sowie die Aufzeichnung der folgenden Informationen: – genaue Angabe der Datenbank (Name, Anbieter, Version, Medium, Lizenzzeitraum), – Kriterien des Datenbankanbieters für die Aufnahme der Unternehmensdaten in die –Datenbank,

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Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 GAufzV, so auch VWG-Verfahren, Tz. 3.4.12.2. Zur Kritik daran vgl. Kaminski/Strunk, StBp 2004, 1 (2). BR-Drucks. 583/03, 8. Vgl. Wehnert u.a., IStR 2005, 749.

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13.147

Kap. 13 Rz. 13.147

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

– Allgemeine Beschreibung der insgesamt in der Datenbank enthaltenen Unternehmensdaten, – Erläuterung der in der Datenbank verwendeten Gliederung der GuV sowie der Bilanz (Gesamtkostenverfahren, Umsatzkostenverfahren); – die Auswahlschritte und die Gründe für deren Anwendung vor dem Hintergrund des Funktions- und Risikoprofils des geprüften Unternehmens; – Erläuterung der in der Datenbank zugrunde gelegten Branchenklassifizierung, – Begründung für die ausgewählte Branche; – Erläuterung ggf. vorgenommener Anpassungsrechnungen. Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2016 beginnen, ist in Bezug auf Datenbankanalysen auch der neu hinzugekommene § 4 Abs. 3 GAufzV zu beachten. Damit hebt die Finanzverwaltung einige Anforderungen an die Durchführung von Datenbankstudien, die bisher nur Verwaltungsanweisungen waren, in den Rang einer Verordnung. Dies betrifft die Pflicht, die Suchstrategie, die dabei verwendeten Suchkriterien, das Suchergebnis und den außerhalb der Datenbank durchgeführten weiteren Selektionsprozess (Suchprozess) umfassend offenzulegen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 GAufzV) und der Finanzverwaltung in elektronischer Form zugänglich zu machen (§ 4 Abs. 3 Satz 4 GAufzV i.V.m. § 147 Abs. 6 AO). Diese Anforderung soll sicherstellen, dass die zuständige Finanzbehörde die Datenbankrecherche des Steuerpflichtigen oder seines Beraters unter denselben Voraussetzungen nachstellen und somit den Suchprozess prüfen kann. Die Verordnungsbegründung weist explizit darauf hin, dass die Finanzbehörde ggf. auch eine eigene, neue Recherche vornehmen kann, die entweder ihren Ausgang direkt in einer Datenbank nimmt oder auf dem Datenbankauszug des Steuerpflichtigen fußt und einen eigenständigen manuellen Selektionsprozess durchführt.1 Die Begründung ermuntert die Finanzverwaltung „selbständig auch Alternativrechnungen“ durchzuführen.2 Die Konfiguration der Datenbank, mit der der konkrete Suchprozess durchgeführt wurde, ist vollständig zu dokumentieren. Als Datenbank im Sinne der Verordnung gilt insbesondere eine vom Steuerpflichtigen selbst erstellte oder fremde Datensammlung von und über Unternehmen, Finanzdaten oder Lizenzen.3 Darüber hinaus statuiert das Gesetz, dass der Suchprozess insgesamt nachvollziehbar und im Zeitpunkt der Außenprüfung prüfbar sein muss (§ 4 Abs. 3 Satz 3 GAufzV). Dies bedeutet, dass nicht nur die entsprechenden Dokumente und Dateien in elektronischer Form vorhanden sein müssen, sondern auch in einem dann noch lesbaren Format. Zu einem Intervall, in dem Datenbankstudien zu aktualisieren sind, schweigt sowohl die Verordnung als auch die Verwaltungsanweisung. Dem Steuerpflichtigen bleiben als Bezugspunkt die Empfehlungen der OECD, Datenbankstudien alle drei Jahre neu durchzuführen und in den Zwischenjahren lediglich eine jährliche Aktualisierung der Finanzdaten der in der letzten durchgeführten Datenbankstudie identifizierten Vergleichsunternehmen vorzunehmen.4 Der Entwurf zur Neuverkündung der GAufzV v. 21.2.2017 hielt den Steuerpflichtigen noch an, dafür Sorge zu tragen, dass die Finanzbehörde die für die Bestimmung des Verrechnungspreises verwendete Datenbank im Rahmen der Außenprüfung uneingeschränkt für die Prüfung der Verrechnungspreise nutzen kann, wofür die verwendete Version der Datenbank

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Vgl. BR-Drucks. 404/17, 18. Vgl. BR-Drucks. 404/17, 19. Vgl. BR-Drucks. 404/17, 18. Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Tz. 38.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.148 Kap. 13

mit demselben Datenbestand mittelbar oder unmittelbar vom Steuerpflichtigen vorgehalten oder zur Verfügung gestellt werden sollte.1 Diese Anforderung hat aus vielfältigen praktischen Erwägungen heraus scharfe Kritik der Verbände provoziert.2 Vor allem begegnet die Forderung nach einem uneingeschränkten Datenbankzugriff durch die Finanzverwaltung starken urheberrechtlichen Bedenken, da die Lizenzen, die die Datenbankanbieter dem Steuerpflichtigen oder seinem Berater entgeltlich gewähren, einen so weitgehenden Zugriff nicht abdecken. Dies wäre, wenn überhaupt, nur zu unverhältnismäßig hohen Kosten für die Datenbankrechte erfüllbar. Zum anderen stehen einige Datenbanken nur online zur Verfügung und ändern ihren Datenbestand täglich. Ein Vorhalten dieses Datenbestands für einen Stichtag käme der Speicherung der gesamten Datenbank des Anbieters gleich, die dieser nicht zulassen dürfte. Daher ist zu begrüßen, dass die Finanzverwaltung in der finalen Fassung der GAufzV letztendlich auf diesen zu weitgehenden Datenbankzugriff verzichtet hat. Vergleichbarkeit und Bandbreiteneinengung. Die Finanzverwaltung geht in den VWG-Verfahren davon aus, dass Informationen aus Datenbanken für die Prüfung der Vergleichbarkeit von Sachverhalten nicht ausreichend sind. Eine Datenbankrecherche zum Zweck der Findung von Vergleichstransaktionen oder -unternehmen ist daher um eine Suche nach Informationen zu ergänzen, die einen Vergleich der erheblichen Umstände eines Sachverhalts ermöglichen. Die Ergänzung einer Datenbankrecherche durch eine Suche und Auswertung von Informationen über ausgewählte Vergleichstransaktionen oder -unternehmen im Internet wird von der Finanzverwaltung als eine mögliche Verfahrensweise angesehen, die Vergleichbarkeit von Sachverhalten herzustellen.3 Dabei muss zumindest eine eingeschränkte Vergleichbarkeit gegeben sein, wenn die daraus resultierenden Vergleichspreise oder -margen dem Fremdvergleichsgrundsatz genügen sollen. Unverständlicherweise definieren die VWG-Verfahren in Tz. 3.4.12.7 Buchst. c den Begriff der „eingeschränkten Vergleichbarkeit“ nicht, sondern verweisen auf eine Beurteilung des Einzelfalls, so dass der Steuerpflichtige lediglich versuchen kann, aus der Definition der Termini „uneingeschränkte Vergleichbarkeit“4 und „Unvergleichbarkeit“5 eine ungefähre Vorstellung darüber abzuleiten, welches Maß an Vergleichbarkeit für die Annahme der Verwertbarkeit seiner Angemessenheitsdokumentation noch ausreicht. Bei Vergleichsdaten, die lediglich als eingeschränkt vergleichbar eingestuft werden, ist die Bandbreite von Vergleichswerten nach Auffassung der Finanzverwaltung entweder durch Verprobungen mit anderen Methoden6 oder statistische Verfahren wie die sog. „Interquartile Range“7 einzuengen. Mit diesem Eingrenzungskonzept setzt sich die Finanzverwaltung in Widerspruch zur mittlerweile als „ständig“ zu bezeichnenden BFH-Rechtsprechung8 zu Bandbreiten, die noch einmal für Verrechnungspreise bei inländischen Vertriebsgesellschaften, dem

1 Diskussionsentwurf des BMF v. 21.2.2017 zur GAufzV, § 4 Abs. 3 Sätze 4 und 5. 2 Vgl. Gemeinsame Stellungnahme v. 21.3.2017, abrufbar unter http://www.gdv.de/wp-content/ uploads/2017/04/Gemeinsame-Eingabe-Steuerpolitik-03-2017-1.pdf. 3 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.12.4. 4 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.12.7 Buchst. a. 5 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.12.7 Buchst. b. 6 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.12.5 Buchst. c. 7 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.12.5 Buchst. d – und die dort dargestellte Vorgehensweise. 8 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; Nichtanwendungsschreiben des BMF v. 26.2.2004 – IV B 4-S 1300-12/04, BStBl. I 2004, 270 (aufgehoben für Steuertatbestände, die nach dem 31.12.2008 verwirklicht werden, durch Nichtaufnahme in die Positivliste in BMF v. 23.4.2010 – IV 6-O 1000/09/10095 – DOK 2010/0197416, BStBl. I 2010, 391); BFH v. 27.2.2003 – I R 46/01, BStBl. II 2004, 132 = FR 2003, 1020 m. Anm. Pezzer; v. 4.6.2003 – I R 24/02, BStBl. II 2004, 136 = FR 2003, 1233; v. 4.6.2003 – I R 38/01, BStBl. II 2004, 139.

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Kap. 13 Rz. 13.149

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Hauptanwendungsfall von Datenbankrecherchen, durch das BFH-Urt. v. 6.4.20051 bestätigt worden ist. Zwar knüpft der Ansatz der Finanzverwaltung an den Grad der Vergleichbarkeit an, was grundsätzlich begrüßenswert ist. Zweifel an der Vergleichbarkeit sollten jedoch zum Ausschluss einer als vergleichbar vermuteten Transaktion oder eines Unternehmens führen, während im reziproken Fall der angenommenen Vergleichbarkeit kein Grund zur Einengung einer Bandbreite von Vergleichswerten besteht. Die Einschränkung von Vergleichswerten sollte bei der Auswahl derselben ansetzen. Gleichzeitig gilt es zu bedenken, dass ein allzu strenger Maßstab hinsichtlich der Vergleichbarkeit das Konzept des Fremdvergleichs ad absurdum führt, weil es der Realität des Wirtschaftslebens widerspricht, nahezu Identität finden zu wollen. Insoweit ist in diesem Punkt kein allzu strenger Maßstab anzulegen. Letztlich ist somit jeder hinreichend vergleichbare Fremdpreis für Verprobungszwecke zu akzeptieren und im Kontext des tatsächlich zu beurteilenden Sachverhalts zu würdigen. Die international übliche Anwendung der interquartilen Bandbreite (unteres Quartil bis oberes Quartil), die auch von der deutschen Finanzverwaltung in Fällen angewandt wird, in denen kein sachgerechteres Einengungsverfahren offensichtlich ist,2 kann als praktikabler Lösungsansatz verstanden werden, eine hinreichende Vergleichbarkeit herzustellen, indem Ausreißerwerte unberücksichtigt bleiben. Auf die Hinzuziehung von Planrechnungen als ergänzende Form der Angemessenheitsdokumentation sei an dieser Stelle ausdrücklich verwiesen.3

13.149 Erstellung von Aufzeichnungen über innerbetriebliche Daten. Neben den Vergleichsdaten von unabhängigen Unternehmen hat der Steuerpflichtige außerdem eigene Prognoserechnungen sowie Absatz-, Kosten- und Gewinnplanungen im Rahmen der Aufzeichnungspflicht zu erstellen.4 Diese Unterlagen dienen der Plausibilitätskontrolle der vereinbarten Verrechnungspreise durch die Finanzverwaltung. Diesen Unterlagen kommt insbesondere dann besondere Bedeutung zu, wenn sich der Steuerpflichtige in einer Verlustsituation befindet. Wenn der Steuerpflichtige in seinen Prognoserechnungen einen geplanten Gewinn ausweist und er zeigen kann, dass wirtschaftliche Gründe außerhalb seines Einflussbereichs den geplanten Gewinn verhindert haben bzw. dass nicht Verrechnungspreise die Ursache der Verlustsituation sind, kann dieser Nachweis eine Einkünftekorrektur bereits verhindern helfen. Die VWGVerfahren dehnen den Anwendungsbereich von sog. Planrechnungen auf die in Tz. 3.4.12.6 Buchst. a genannten Sachverhaltskonstellationen aus, so z.B. auf Unternehmen mit mehr als Routinefunktionen. Deren Anwendung ist jedoch an restriktive Voraussetzungen bis hin zur Verwendung von Fremdvergleichsdaten und Verrechnungspreismethoden geknüpft, die Zweifel daran wecken, dass dem Steuerpflichtigen die Dokumentation durch die Erlaubnis der Verwendung von Planrechnungen erleichtert wird.5

13.150 Unternehmenscharakterisierung und Verrechnungspreisbildung. Die VWG-Verfahren gehen davon aus, dass es regelmäßig unverzichtbar ist, jeweils bezogen auf die zu prüfende Ge1 BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030; vgl. dazu Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 592; Hoffmann, GmbHR 2005, 1142. Siehe auch BFH v. 5.3.2008 – I B 171/07, BFH/NV 2008, 1060 = FR 2008, 1059; FG München v. 14.7.2008 – 6 V 152/08 (rkr.), DStRE 2009, 1194. In seinem Urteil v. 20.12.2012 (IV B 12/12, BFH/NV 2013, 547) weist der BFH darauf hin, dass diese Bandbreitenrechtsprechung auf einem Fremdvergleich basiert, der zur Bestimmung des Teilwerts jedoch nicht anzustellen ist. Damit ist die Bandbreitenrechtsprechung nicht auf die Bestimmung des Teilwerts i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG übertragbar. 2 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.12.5 Buchst. d. 3 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.12.6 u. 3.4.18.1. 4 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.1. 5 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.12.6 Buchst. b.

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Rz. 13.151 Kap. 13

schäftsbeziehung eine Unternehmenscharakterisierung vorzunehmen, um zu klären, welches Unternehmen welche Funktionen in welchem Umfang ausübt. Dort wird zwischen drei Gruppen von Unternehmen unterschieden: a) Unternehmen, die lediglich Routinefunktionen ausüben;1 b) Unternehmen, die über die zur Durchführung von Geschäften wesentlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter verfügen, die wesentlichen für den Unternehmenserfolg entscheidenden Funktionen ausüben und die wesentlichen Risiken übernehmen („Entrepreneur“ oder „Strategieträger“)2 und c) Unternehmen, die von ihrem Funktionsprofil zwischen Routineunternehmen und Strategieträger anzusiedeln sind (sog. hybride Unternehmen oder Mittelunternehmen).3 Während für Unternehmen mit Routinefunktionen datenbankgestützte Fremdvergleichsanalysen akzeptiert werden, ist nach Auffassung der VWG-Verfahren das Ergebnis von Strategieträgern nicht mithilfe von Fremdvergleichsdaten feststellbar. Für die dritte Gruppe schließen die VWG-Verfahren die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode als ungeeignete Methode aus.4 Auch wenn der Steuerpflichtige in seiner Methodenwahl zur Bestimmung der Verrechnungspreise grundsätzlich frei ist, findet diese Freiheit insoweit ihre Grenze, als der Steuerpflichtige befürchten muss, dass seine Dokumentation als unverwertbar angesehen wird, wenn er eine Methode für Verprobungszwecke wählt, die die Finanzverwaltung nicht akzeptiert.5 Diese restriktive Handhabung der Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ist international ohne Parallele und steht auch nicht im Einklang mit den überarbeiteten OECD-Verrechnungspreisleitlinien in der Fassung vom 22.7.2010, die die Einstufung der Gewinnmethoden als „methods of last resort“6 aufgegeben haben. Für die Anwendung einer Verrechnungspreismethode soll einzig die Zuverlässigkeit bei der Ermittlung eines Fremdvergleichswerts den Ausschlag geben. Außerdem stellt sich die Frage, ob es notwendig gewesen ist, diese restriktive Handhabung festzuschreiben, wenn gleichzeitig das Kriterium der Vergleichbarkeit in den hier geregelten Fällen die Finanzverwaltung im Einzelfall in die Lage versetzt hätte, Verrechnungspreise als unangemessen abzulehnen, wenn sie unter Verwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ermittelt worden sind. Erforderliche Aufzeichnungen in besonderen Einzelfällen. Sind bei der Durchführung des Fremdvergleichs nach den Verhältnissen des Einzelfalls besondere Umstände zu berücksichtigen, so hat der Steuerpflichtige diese besonderen Umstände durch weitere Aufzeichnungen zu erläutern bzw. nachzuweisen (§ 4 Abs. 2 GAufzV). Zu diesen besonderen Umständen gehören: – Sonderumstände wie Maßnahmen zum Vorteilsausgleich, – bei Umlageverträgen im Sinne der VWG-Kostenumlagen die Verträge, ggf. in Verbindung mit Anhängen, Anlagen und Zusatzvereinbarungen, Unterlagen über die Anwendung des Aufteilungsschlüssels und über den erwarteten Nutzen für alle Beteiligten sowie mindes1 2 3 4 5 6

Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.2 Buchst. b. Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.2 Buchst. c. Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.2 Buchst. c und Tz. 3.4.10.3 Buchst. b. Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.19 Buchst. c. Vgl. noch in den vorherigen OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2009, Tz. 1.45, Tz. 1.49, Tz. 2.49, Tz. 3.50, Tz. 3.52, Tz. 3.54 sowie Tz. 7.31.

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Kap. 13 Rz. 13.152

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

tens Unterlagen über Art und Umfang der Rechnungskontrolle, über die Anpassung an veränderte Verhältnisse, über die Zugriffsberechtigung auf die Unterlagen des leistungserbringenden Unternehmens, über die Zuordnung von Nutzungsrechten, – Informationen über beantragte oder abgeschlossene Verständigungs- oder Schiedsstellenverfahren anderer Staaten sowie über unilaterale Verrechnungspreiszusagen und sonstige steuerliche Vorabzusagen ausländischer Steuerverwaltungen, die die Geschäftsbeziehungen des Steuerpflichtigen berühren, – Aufzeichnungen über Preisanpassungen beim Steuerpflichtigen, auch wenn diese die Folge von Verrechnungspreiskorrekturen oder Vorabzusagen ausländischer Finanzbehörden bei dem Steuerpflichtigen nahestehenden Personen sind, – Aufzeichnungen über die Ursachen von Verlusten und über Vorkehrungen des Steuerpflichtigen oder ihm Nahestehender zur Beseitigung der Verlustsituation, wenn der Steuerpflichtige in mehr als drei aufeinander folgenden Wirtschaftsjahren aus Geschäftsbeziehungen einen steuerlichen Verlust ausweist und – Funktionsveränderungen im Zusammenhang mit Forschungsvorhaben und laufenden Forschungstätigkeiten.1 Die Pflicht, Aufzeichnungen über Forschungsvorhaben und laufende Forschungstätigkeiten vorzulegen, die in den letzten drei Jahren vor Durchführung einer Funktions- oder Risikoänderung stattfanden oder abgeschlossen sind, wurde mit Wirkung vom 18.8.20072 dem Anforderungskatalog der erforderlichen Aufzeichnungen in besonderen Fällen hinzugefügt. Diese spezielle Aufzeichnungspflicht gilt nur, soweit der Steuerpflichtige regelmäßig Forschung und Entwicklung betreibt und aus betriebsinternen Gründen Unterlagen über seine Forschungs- und Entwicklungsarbeiten erstellt (§ 5 Satz 2 Nr. 6 Satz 2 GAufzV).

13.152 Dispens von der Aufzeichnungspflicht für kleinere Unternehmen und Steuerpflichtige mit anderen als Gewinneinkünften. Die Rechtsverordnung sieht in § 6 GAufzV vor, dass Steuerpflichtige ihre Aufzeichnungspflichten durch Erteilung von (mündlichen) Auskünften und Vorlage von vorhandenen Unterlagen erfüllt haben, wenn sie aus Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen andere als Gewinneinkünfte beziehen oder sich als kleinere Unternehmen qualifizieren. Ein Unternehmen ist klein i.S.d. § 6 Abs. 2 GAufzV, wenn weder dessen tatsächlichen Entgelte (ohne Umsatzsteuer)3 für die Lieferung von Gütern oder Waren aus Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen oder Betriebsstätten im Ausland4 6 Mio. Euro (für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.1.2017 begonnen haben: 5 Mio. Euro), noch die Summe der tatsächlichen Vergütungen für andere Leistungen mehr als 600 000 Euro (für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.1.2017 begonnen haben: 500 000 Euro)5 beträgt. Überschreitet der Steuerpflichtige in einem Wirtschaftsjahr nur eine der beiden Freigrenzen, führt das im darauf folgenden Wirtschaftsjahr zum Wegfall der Ausnahmeregelung des § 6 Abs. 1 GAufzV. Die Aufteilung oder Abwicklung von Geschäftsbeziehungen auf bzw.

1 Siehe auch VWG-Verfahren, Tz. 3.4.15. Durch die Neuverkündung der GAufzV v. 12.7.2017 ist die Änderung der Geschäftsstrategie aus dem Katalog der besonders zu dokumentierenden Umstände weggefallen. 2 Vgl. Art. 9 Nr. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BGBl. I 2007, 1912. 3 So VWG-Verfahren, Tz. 3.4.17. 4 So VWG-Verfahren, Tz. 3.4.17. 5 Vgl. § 6 Abs. 2 i.V.m. § 7 GAufzV-E v. 21.2.2017.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.154 Kap. 13

über mehrere i.S.d. §§ 13, 18 und 19 BpO zusammenhängende Gesellschaften sowie inländische Betriebsstätten nahestehender Personen kann ebenfalls schädlich sein, wenn deren zusammengerechnete Transaktionsvolumina eine der beiden Grenzen überschreiten. Die Erleichterung besteht sowohl in der Entbindung von der Pflicht zur zeitnahen Aufzeichnung außergewöhnlicher Geschäftsvorfälle und zur Nachdokumentation als auch in der Erleichterung der allgemeinen Aufzeichnungspflichten, denen durch mündliche Auskünfte und Vorlage vorhandener Unterlagen genügt werden kann. Dabei ist jedoch die gesetzliche Frist zur Vorlage der Aufzeichnungen einzuhalten, die im Regelfall 60 Tage beträgt und bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen auf 30 Tage verkürzt ist (§ 90 Abs. 3 Sätze 7 und 8 AO n.F.). Grenzen der Mitwirkungspflicht. Die BS-VWG bekräftigen, dass die Grenzen der Mitwirkungspflichten in der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit liegen.1 Daran ändern auch die Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO und die GAufzV nichts.2 Auch die darin geregelten Dokumentationspflichten finden ihre Grenzen in der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit. Dies gilt insbesondere auch für die Dokumentations- und Nachweispflichten in Bezug auf die Zuordnung von Personalfunktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken, Geschäftsvorfällen und den übrigen Passiva zu einer Betriebsstätte, wie sie in der BsGaV geregelt werden.

13.153

cc) Stammdokumentation Verpflichtung zur Vorlage einer Stammdokumentation (Masterfile). Ein inländisches Unternehmen oder eine inländische Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens, die Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe sind und deren Umsatzerlöse im vorvergangenen Wirtschaftsjahr 100 Mio. Euro oder mehr betragen haben, sind verpflichtet, auf Anforderung ein Masterfile vorzulegen (§ 90 Abs. 3 Satz 3 AO n.F.). Eine multinationale Unternehmensgruppe ist definiert als eine Gruppe, die aus mindestens zwei in verschiedenen Staaten ansässigen, i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG einander nahestehenden Unternehmen besteht, oder als mindestens ein Unternehmen mit mindestens einer Betriebsstätte in einem anderen Staat. Dadurch, dass der jeweilige Schwellenwert an das vorangegangene Wirtschaftsjahr anknüpft, wird für die Gruppe auf der Grundlage vorhandener Daten im Vorhinein Planungssicherheit geschaffen, ob sie eine Stammdokumentation zu erstellen haben.3 Das Masterfile ist erstmals für Wirtschaftsjahre vorzulegen, die nach dem 31.12.2016 begonnen haben.4 Es sollte jährlich auf seine Richtigkeit überprüft und ggf. angepasst und ergänzt werden.5 Für das Masterfile gilt die übliche Vorlagefrist von 60 Tagen nach Anforderung durch die Finanzverwaltung (§ 90 Abs. 3 Satz 7 AO), da es sich nicht um die Dokumentation eines außergewöhnlichen Geschäftsvorfalls handelt. Damit folgt Deutschland begrüßenswerterweise nicht den Empfehlungen der OECD, die die Erstellung bzw. jährliche Überprüfung bis zur Abgabe der Steuererklärung anregen.6

1 Vgl. BS-VWG, Tz. 1.1.5.3. Unklar ist, weshalb dieser Hinweis lediglich im Unterabschnitt 1.1.5 Gewerbliche Personengesellschaft und nicht auch in den Abschnitten 1.1.3 und 1.1.4 enthalten ist. 2 Gl.A. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2004, 157 (161); Eigelshoven/Kratzer, IStR 2004, 30 (32). 3 Vgl. BT-Drucks. 18/9536, 35. 4 Vgl. Art. 97 § 22 Abs. 1 Satz 4 EGAO. 5 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Tz. 30. 6 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Tz. 30.

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13.154

Kap. 13 Rz. 13.155

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

13.155 Umfang der Stammdokumentation. Das Masterfile soll die in der Anlage zur GAufzV genannten Angaben enthalten (§ 5 Abs. 1 Satz 1 GAufzV), um der Finanzbehörde einen Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe und über die Systematik der Verrechnungspreisbestimmung, die die Unternehmensgruppe anwendet, zu ermöglichen. Der Anforderungskatalog entspricht eins zu eins den Empfehlungen der OECD im Abschlussbericht zu BEPS-Maßnahme 13.1 Aufgrund der erstaunlichen Konsistenz, die die OECD in Bezug auf die Gliederung des Masterfiles, aber auch des Local Files über die Staaten hinweg erreicht hat, empfiehlt es sich sehr stark für multinationale Konzerne, die Gliederungsstruktur der OECD exakt einzuhalten. Neben allgemeinen Informationen zum Aufbau des Konzerns und seiner hauptsächlichen Geschäftstätigkeit hat der Steuerpflichtige allgemeine Informationen zu seinem Verrechnungspreisansatz in Bezug auf immaterielle Wirtschaftsgüter und konzerninterne Finanztransaktionen darzulegen. Die Betriebsprüfungserfahrung zeigt, dass diese beiden Themengebiete in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung zugenommen haben und mittlerweile häufig im Fokus der Finanzverwaltungen stehen. § 5 Abs. 2 GAufzV fordert den Steuerpflichtigen explizit dazu auf, bei der Erstellung der Stammdokumentation eine vernünftige kaufmännische Beurteilung zugrunde zu legen, um die mit der Stammdokumentation verbundenen Ziele mit angemessenem Aufwand zu erreichen. Dabei ist nach Ansicht der OECD immer das primäre Ziel des Masterfiles im Auge zu behalten, nämlich den Finanzverwaltungen einen zusammenfassenden Überblick über den Konzern zu verschaffen.2 Eine zu hohe Detailtiefe des Masterfiles würde dieses Ziel konterkarieren.

13.156 Modularer Aufbau. Die OECD verlangt nicht vom Steuerpflichtigen, dass alle erforderlichen Informationen in einem Dokument enthalten sind. Vielmehr können diese auf mehrere Dokumente verteilt und modular gestaltet sein (Sub-Masterfile-Konzept).3 Beispielsweise könnte ein Mischkonzern ein Sub-Masterfile pro Division erstellen. Ebenso sind Module für bestimmte Aktivitäten (z.B. Dienstleistungserbringung, Finanztransaktionen) oder bestimmte Regionen (z.B. Konzernaufbau im chinesischen Markt) vorstellbar. Dennoch empfiehlt sich in jedem Fall die Erstellung einer übergeordneten Stammdokumentation, die exakt der Gliederungsstruktur der OECD folgt und aus der übergeordneten Warte der Konzernobergesellschaft alle Pflichtinformationen enthält. Dieses Masterfile des Konzerns kann für weiterführende Details auf entsprechende Sub-Masterfiles verweisen. In diesen Fällen fordert die OECD jedoch, dass alle Dokumente, auf die das übergeordnete Masterfile referenziert, allen Finanzverwaltungen zugänglich gemacht werden.4 Wenn bestimmte Informationen nicht mit allen Finanzverwaltungen, in denen der Konzern tätig ist, geteilt werden sollen, ist zu überlegen, ob die Informationen, die in den Sub-Masterfile-Dokumenten enthalten sind, nicht eher der Sphäre des Local File zuzurechnen sind. In diesem Fall sollte das Masterfile nicht auf die zusätzlichen Dokumente verweisen, sondern diese würden nur in denjenigen Ländern vorgelegt werden, in denen der Konzern mit den dort beschriebenen Aktivitäten präsent ist. Aus dieser Perspektive stellen die Sub-Masterfiles eher divisionale, übergeordnete und mehrere Länder betreffende Elemente der Local Files dar, auf die in den jeweiligen Landesdokumentationen aus Konsistenz- und Kosteneffizienzgesichtspunkten verwiesen werden kann. 1 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Tz. 21 i.V.m. Annex I. 2 Vgl. ebenso OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Tz. 18. 3 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Tz. 20. 4 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Tz. 18 und Tz. 20.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.160 Kap. 13

Sprache. Die Stammdokumentation ist grundsätzlich in deutscher Sprache vorzulegen (§ 5 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 2 Abs. 5 GAufzV). Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann die deutsche Finanzverwaltung die Vorlage des Masterfiles in einer anderen lebenden Sprache erlauben. Es ist enttäuschend festzustellen, dass die deutsche Finanzverwaltung auch in der finalen Fassung an dem grundsätzlichen deutschen Spracherfordernis festgehalten hat. Dies ist umso unbefriedigender vor dem Hintergrund, dass schon heute Durchbrechungen von § 87 Abs. 1 AO möglich sind. So ist beispielsweise gem. Art. 2b der EU-Durchführungsverordnung zum automatischen Informationsaustausch1 das Tabellenblatt 3 des Country-by-Country Reportings sogar verpflichtend in englischer Sprache zu erstellen.

13.157

Darstellung der Konzernstruktur (Anlage zu § 5 GAufzV, Nr. 1). Der Steuerpflichtige soll den Organisationsaufbau (Rechts- und Eigentümerstruktur) sowie die geografische Verteilung der Gesellschaften und Betriebsstätten, die zur Unternehmensgruppe gehören, grafisch darstellen. Die Darstellung dient dem Überblick über den Konzern. Die Beteiligungsverhältnisse sind eine entscheidende Information für die Finanzverwaltung, um zu bemessen, welche Gesellschaften als nahestehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG anzusehen sind. Unverständlich bleibt, warum die OECD und in dessen Gefolge auch der deutsche Gesetzgeber eine grafische Darstellung anfordert. Große multinationale Konzerne operieren nicht selten mit mehreren Hundert Gesellschaften. Lizenzen für Programme, die in der Lage sind, solche Organisationsstrukturen optisch ansprechend und nachvollziehbar grafisch aufzubereiten, sind aufgrund hoher Kosten in nur wenigen Konzernen verfügbar. In Anbetracht der Tatsache, dass § 5 Abs. 2 GAufzV fordert, dass der Steuerpflichtige bei der Erstellung der Stammdokumentation eine vernünftige kaufmännische Beurteilung zugrunde legen soll, um die mit der Stammdokumentation verbundenen Ziele mit angemessenem Aufwand zu erreichen,2 sollte die Darstellung der Beteiligungsverhältnisse in Textform genügen.

13.158

Werttreiber im Konzern (Anlage zu § 5 GAufzV, Nr. 2). Der Konzern soll eine Übersicht über bedeutende Faktoren für den Gesamtgewinn der Unternehmensgruppe geben, d.h. die Werttreiber in der weltweiten Wertschöpfungskette benennen. Bei homogenen Geschäftsstrategien können die Werttreiber über alle Geschäftsbereiche und Länder gleich sein. Bei sehr heterogen aufgestellten Konzernen ist die Darstellung der Werttreiber vorzugsweise divisionsbezogen vorzunehmen. In jedem Fall sollte sichergestellt werden, dass die im Masterfile genannten Werttreiber im Einklang mit den diesbezüglichen Angaben in der Sachverhaltsdokumentation in den Local Files und der dort durchgeführten Angemessenheitsanalyse stehen. Die Beschreibung der Werttreiber ist auch entscheidend für die Auswahl einer geeigneten Verrechnungspreismethode. Bei sehr verwobenen, interdependenten Geschäftsstrategien, bei denen die Werttreiber im Konzern über mehrere Länder verteilt sind, erscheint die Anwendung der Gewinnteilungsmethode (Profit Split) überzeugender als in Geschäftsstrategien, in denen die Werttreiber bei einer Konzerngesellschaft in einem Land konzentriert sind.

13.159

Lieferkette für die Produkte mit signifikantem Umsatz (Anlage zu § 5 GAufzV, Nr. 3 und Nr. 4). Der Konzern soll für die fünf Produkte bzw. Dienstleistungen, mit der die Gruppe die höchsten Umsatzerlöse erzielt, die weltweite Lieferkette grob beschreiben, wobei eine aussagefähige Grafik oder ein entsprechendes Diagramm als ausreichend erachtet wird. Dieses sollte auf die Orte der folgenden Haupttätigkeiten in Bezug auf die Produkte bzw. Dienstleistungen eingehen: Ort(e) der Produktentwicklung, Ort(e) der Produktion bzw. Dienstleistungser-

13.160

1 Vgl. EU-Durchführungsverordnung 2016/1963 v. 9.11.2016, ABl. EU L 303/4. 2 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Tz. 18.

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Kap. 13 Rz. 13.161

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

bringung, Ort(e) des Vertriebs, Ort(e) der Erbringung wichtiger Zusatzdienstleistungen (z.B. Lagerhaltung, wichtige Back-Office-Dienstleistungen), ggf. Ort(e) strategischer Entscheidungskompetenz in Bezug auf diese Produkte bzw. Dienstleistungen. Insofern ist die deutsche Übersetzung des englischen Originals „supply chain“ mit „Lieferkette“ unglücklich, da dieser Begriff suggeriert, dass nur die Orte der physischen Lieferung gemeint sein könnten. Der englische Ausdruck ist besser mit „Wertschöpfungskette“ übersetzt, was klarstellt, dass auch Orte der vorgelagerten Produktentwicklung umfasst sind. Darüber hinaus sollen die Wertschöpfungsketten für alle weiteren Produkte bzw. Dienstleistungen (falls es solche gibt), auf die jeweils mehr als 5 % der Umsatzerlöse der Unternehmensgruppe entfallen, analog beschrieben werden.

13.161 Konzerninterne Dienstleistungen (Anlage zu § 5 GAufzV, Nr. 5). Die Stammdokumentation soll wichtige Dienstleistungsvereinbarungen zwischen den Konzernunternehmen auflisten und zusammenfassend beschreiben. Diese Auflistung soll keine konzerninternen Forschungsund Entwicklungs-Dienstleistungsbeziehungen beinhalten, weil insoweit eine eigenständige und gebündelte Darstellung im Abschnitt über Immaterialwirtschaftsgüter erfolgen soll (siehe Anlage Nr. 11). Im Rahmen der Beschreibung sollen auch die Kapazitäten der Hauptstandorte der konzerninternen Dienstleistungserbringung (Dienstleistungs-Hubs, Shared Services Center) sowie der Verrechnungspreisansatz für die Dienstleistungsvergütung (inklusive der Kostenzuordnung) dargelegt werden.

13.162 Schwerpunktregionen (Anlage zu § 5 GAufzV, Nr. 6). Die Unternehmensgruppe soll die wichtigsten geografischen Märkte für die umsatzstärksten Produkte bzw. Dienstleistungen i.S.d. der Gliederungsnummern 3 und 4 (5 %-Umsatzkriterium) beschreiben.

13.163 Zusammenfassende Funktions- und Risikoanalyse (Anlage zu § 5 GAufzV, Nr. 7). Unter dieser Gliederungsnummer soll der Konzern eine grobe, zusammenfassende Funktionsanalyse vornehmen, die die Hauptbeiträge beschreibt, die die einzelnen Konzernunternehmen oder Betriebsstätten zur Wertschöpfung leisten. Diese Funktionsanalyse soll die ausgeübten Schlüsselfunktionen, die bedeutsamen übernommenen Risiken und wichtige genutzte Vermögenswerte beschreiben.

13.164 Umstrukturierungen (Anlage zu § 5 GAufzV, Nr. 8). Falls im Berichtsjahr bedeutende Umstrukturierungen stattgefunden haben, sind diese zusammenfassend zu beschreiben. Darüber hinaus sind während des Wirtschaftsjahres vorgenommene, bedeutende Unternehmenskäufe und -verkäufe aufzulisten und kurz zu beschreiben.

13.165 Immaterielle Werte (Anlage zu § 5 GAufzV, Nr. 9–13). Die Behandlung von Immaterialwirtschaftsgütern aus Verrechnungspreissicht nimmt weltweit einen zunehmenden Schwerpunkt in Betriebsprüfungen ein. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die OECD diesem Aspekt in der Stammdokumentation einen separaten Abschnitt widmet. Dieser soll die folgenden Angaben enthalten: – Allgemeine Beschreibung der Gesamtstrategie der Unternehmensgruppe in Bezug auf immaterielle Werte (Entwicklung, Eigentum, Schutz und Verwertung),1 einschließlich einer

1 Siehe zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den maßgebenden Funktionen in Bezug auf immaterielle Werte (development, enhancement, maintenance, protection und exploitation, sog. DEMPE-Funktionen) auch OECD v. 5.10.2015, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Tz. 6.32 ff.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.166 Kap. 13

Auflistung der Standorte der wichtigsten Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen und der Standorte des Forschungs- und Entwicklungsmanagements. – Auflistung der immateriellen Werte bzw. der Gruppen immaterieller Werte der Unternehmensgruppe, die für Verrechnungspreiszwecke von Bedeutung sind, sowie der Unternehmen, die rechtliche Eigentümer bzw. Inhaber dieser immateriellen Werte sind. Vor dem Hintergrund der Zielsetzung des Masterfiles, den Finanzverwaltungen einen zusammenfassenden Überblick über den Gesamtkonzern zu geben, würde es dieser Intention zuwider laufen, den Steuerpflichtigen dazu zu verpflichten, im Masterfile eine vollständige Liste aller vom Konzern registrierten oder entwickelten Patente und des Know-hows darzulegen. Stattdessen verlangt die OECD nur die Darlegung der wichtigsten Immaterialwirtschaftsgüter, die der Steuerpflichtige aus seiner Sicht zu bestimmen hat.1 – Auflistung wichtiger Vereinbarungen zwischen den Unternehmen der Unternehmensgruppe mit Bezug zu den immateriellen Werten, einschließlich Kostenumlagevereinbarungen, wesentlicher Forschungsdienstleistungsvereinbarungen und Lizenzvereinbarungen. – Allgemeine Beschreibung der Verrechnungspreispolitik der Unternehmensgruppe in Bezug auf Forschung und Entwicklung sowie immaterielle Werte. – Allgemeine Beschreibung aller wichtigen Übertragungen von Rechten an immateriellen Werten zwischen den Unternehmen der Unternehmensgruppe während des betreffenden Wirtschaftsjahres, einschließlich Beschreibung der entsprechenden Unternehmen, Staaten und Vergütungen. Konzerninterne Finanzierungstransaktionen (Anlage zu § 5 GAufzV, Nr. 14–16). Analog zu Immaterialwirtschaftsgütern rückt die Prüfung von konzerninternen Finanzierungstransaktionen weltweit immer stärker in den Fokus der Steuerbehörden, seien es klassische Darlehensvergaben, Cash Pools, Factoring-Vereinbarungen oder Bürgschafts- oder Garantieerklärungen. Dies belegt ferner die wachsende Anzahl an Gerichtsverfahren im In- und Ausland zu dieser Thematik.2 Daher widmet die OECD diesem Themenkomplex ebenso einen eigenen Abschnitt, der die folgenden Angaben enthalten soll: – Allgemeine Beschreibung, wie die Unternehmensgruppe finanziert ist, einschließlich der Darstellung bedeutender Finanzierungsbeziehungen zu fremden Dritten. – Angabe derjenigen Unternehmen innerhalb der Unternehmensgruppe, die eine zentrale Finanzierungs-, Cashmanagement- oder Assetmanagementfunktion ausüben, mit Angabe, nach welchem Recht das jeweilige Unternehmen organisiert ist, und mit Angabe des Orts der tatsächlichen Geschäftsleitung des jeweiligen Unternehmens. – Allgemeine Beschreibung der Verrechnungspreisstrategie der Unternehmensgruppe in Bezug auf Finanzierungsbeziehungen innerhalb dieser Unternehmensgruppe.

1 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Tz. 18. 2 Siehe für internationale Fälle z.B. das wegweisende Urteil des kanadischen Finanzgerichts im Fall General Electric Capital Canada Inc. vs. Her Majesty The Queen zu Fragen der Bepreisung einer Garantiegebühr oder den Fall McKesson Canada Corporation vs. Her Majesty The Queen zu Factoringgebühren (vgl. Busch/Tenberge, BB 2015, 2475). Siehe in Bezug auf Entscheidungen nationaler Finanzgerichte insbesondere das jüngste Urteil des FG Münster (v. 7.12.2016 – 13 K 4037/13, juris) zu Fragen der Durchführung der Angemessenheitsanalyse bei Darlehenszinsen (vgl. Busch/ Weynandt/Röckle, IStR 2017, 531).

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13.166

Kap. 13 Rz. 13.167

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

13.167 Konzernabschluss (Anlage zu § 5 GAufzV, Nr. 17). Sofern die Unternehmensgruppe für das betreffende Wirtschaftsjahr einen Konzernabschluss erstellt hat, soll dieser der Stammdokumentation als Anhang beigefügt werden. Die Betriebsprüfungserfahrung zeigt, dass Betriebsprüfer häufig die erstellten Jahresabschlüsse und die darin getroffenen Aussagen, z.B. zur wirtschaftlichen Lage oder zu erfolgten Umstrukturierungen, als Ausgangspunkt für ihre Prüfungshandlungen nehmen. Vor diesem Hintergrund sollte der Konzern prüfen, dass die im Konzernabschluss gemachten Aussagen, z.B. zu den Werttreibern und Hauptrisiken im Geschäft, mit den Angaben im Masterfile übereinstimmen. Idealerweise übernimmt das Masterfile Aussagen, die bereits im Konzernabschluss zu finden sind. Dies stellt neben einer gewissen Arbeitserleichterung vor allen Dingen die weltweite Konsistenz der Aussagen sicher.

13.168 Tax Rulings (Anlage zu § 5 GAufzV, Nr. 18). Unter diesem Gliederungspunkt soll die Unternehmensgruppe die bestehenden unilateralen Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung der Unternehmensgruppe sowie anderer Vorabzusagen im Zusammenhang mit der Aufteilung der Erträge zwischen den Staaten auflisten und kurz beschreiben, sofern es solche gibt. Einseitige Vorabzusagen von Steuerverwaltungen an einzelne Unternehmen stehen nicht nur aus beihilferechtlichen Bedenken1 im Fokus und unterliegen einem zunehmenden Informationsaustausch.2 Der Konzern sollte in diesem Zusammenhang sorgfältig prüfen, alle relevanten Vereinbarungen mit Finanzverwaltungen im Masterfile zu nennen, um zu verhindern, dass diese einer Finanzverwaltung ansonsten erstmalig im Rahmen des automatischen Informationsaustausches bekannt werden. 6. Pflicht zur Erstellung und Abgabe eines länderbezogenen Berichts multinationaler Unternehmensgruppen (sog. Country-by-Country Reporting)

13.169 Ziel des Country-by-Country Reportings („CbC Reporting“). Das CbC Reporting ist die dritte Säule des neuen dreigliedrigen Verrechnungspreisdokumentationsansatzes, den die OECD empfiehlt und wie er im OECD-Abschlussbericht zu BEPS-Maßnahme 13 niedergelegt ist.3 Ziel des CbC Reportings ist es, den Steuerverwaltungen eine risikoorientierte Prüfung international agierender Konzerne zu erlauben. Hierzu sollen die Konzerne gegenüber den Finanzverwaltungen derjenigen Länder, in denen die Unternehmensgruppe aktiv ist, die weltweite Verteilung der Einnahmen, der Gewinne und der Steuerzahlungen offenlegen. Das CbC Reporting soll explizit nicht für eine globale formelhafte Gewinnaufteilung (formula apportionment) verwendet werden und damit direkt als Grundlage für die Ermittlung der Besteuerungsbasis oder pauschale Einkommenskorrekturen dienen.4 Während die OECD und auch die gesetzliche Umsetzung in Deutschland allein die Finanzverwaltung derjenigen Staaten, in denen eine multinationale Unternehmensgruppe tätig ist, als die Adressaten des CbC Reporting vorsieht, wird auf EU-Ebene politisch ein öffentliches CbC Reporting diskutiert. Nach dem vorliegenden Kommissionsvorschlag sollen in der EU beheimatete Unternehmen zur Er1 Siehe hierzu die prominenten Verfahren der EU-Kommission gegen Fiat in Luxemburg, Starbucks in den Niederlanden, Apple in Irland und Amazon in Luxemburg und Belgien. 2 Vgl. Art. 8a EU-Amtshilferichtlinie, der ab dem 1.1.2017 einen automatischen Informationsaustausch über verrechnungspreisrelevante Vorabzusagen innerhalb der EU implementiert. Siehe auch OECD v. 5.10.2015, Countering Harmful Tax Practices More Effectively, Taking into Account Transparency and Substance (BEPS-Maßnahme 5). 3 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting. 4 Dies erklärt auch, warum Deutschland die Pflicht zur Erstellung und Abgabe eines länderbezogenen Berichts nicht systematisch im Rahmen des § 90 AO formuliert hat, sondern unter die Anzeigepflichten eingereiht hat; vgl. Greil/Schreiber, DB 2017, 10 (13).

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.172 Kap. 13

stellung eines sog. Ertragsteuerinformationsberichts verpflichtet werden, der im Internet öffentlich zugänglich sein soll.1 Auch wenn dieses Vorhaben breite Unterstützung durch das Europäische Parlament erfährt, ist die Umsetzung unsicher. Zunächst ist verfahrensrechtlich ungeklärt, ob es sich bei der Einführung eines solchen öffentlichen CbC Reporting um eine steuerliche Frage handelt, bei der in der EU das Einstimmigkeitsprinzip gilt,2 oder ob es sich um eine bloße Frage im Rahmen der Anpassung der Bilanzrichtlinie handelt, für die eine qualifizierte Mehrheit ausreichend ist. In bestimmten Branchen – so bei Banken3 und Unternehmen der Rohstoffindustrie4 – ist ein öffentliches CbC Reporting bereits heute vorgeschrieben. Gesetzliche Grundlagen. Mit § 138a AO setzt Deutschland die Vorschläge der OECD in Bezug auf eine länderbezogene Berichterstattung multinationaler Unternehmensgruppen in deutsches Steuerrecht um.5 Der länderbezogene Bericht ist für alle Wirtschaftsjahre zu erstellen, die nach dem 31.12.2015 beginnen.6 Im Gegensatz zu den Vorschlägen der OECD enthält das deutsche Gesetz einige Erleichterungen für die Steuerpflichtigen. Beispielsweise ist der Einbezug von Konzerngesellschaften, die allein aus Gründen der Wesentlichkeit nicht in den Konzernabschluss einbezogen sind, in der deutschen Umsetzung nicht erforderlich. Allerdings stellt sich bei eindeutigen Abweichungen vom englischsprachigen Abschlussbericht der OECD die Frage, ob es sich hierbei nicht vielleicht nur um scheinbare Erleichterungen handelt, deren Vorteil sich ins Gegenteil verkehrt, wenn andere Staaten eine restriktivere Handhabung des Informationsumfangs einfordern und nachträglich von in Deutschland beheimateten Unternehmen eine Nachmeldung von Informationen oder die Neuberechnung der Variablengrößen einfordern (z.B. in Bezug auf die Position Eigenkapital). Dies muss die Praxis erweisen.

13.170

Verpflichtete Konzerne. Ein Konzern mit ausländischer oder inländischer Konzernobergesellschaft, dessen Konzernabschluss Unternehmen oder Betriebsstätten in mindestens zwei Ländern umfasst und dessen im Konzernabschluss ausgewiesenen, konsolidierten Umsatzerlöse im vorangegangenen Wirtschaftsjahr mindestens 750 Mio. Euro betragen haben, ist zur Aufstellung und Abgabe des CbC Reportings verpflichtet (§ 138a Abs. 1 AO). Die Verpflichtung zur Erstellung und Abgabe des CbC Reportings wird im Regelfall durch die Konzernobergesellschaft für alle Konzerngesellschaften weltweit erfüllt, indem der abgegebene ländergezogene Bericht im Wege des automatischen Informationsaustauschs mit den anderen Finanzverwaltungen geteilt wird, in denen der Konzern tätig ist, sofern eine entsprechende Rechtsgrundlage für den Informationsaustausch besteht.

13.171

Beauftragte Gesellschaft (surrogate parent entity). Das CbC Reporting wird im Regelfall von der Konzernobergesellschaft bei der zuständigen Behörde des Ansässigkeitsstaats dieser

13.172

1 Vgl. Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Offenlegung von Ertragsteuerinformationen durch bestimmte Unternehmen und Zweigniederlassungen, COM(2016) 198/2 v. 12.4.2016. 2 Der juristische Dienst des EU-Rates kommt in seinem „Gutachten zur Rechtsgrundlage für ein öffentliches CbC-Reporting“ v. 11.11.2016 zu dem Schluss, dass es sich bei der Einführung eines Ertragsteuerinformationsberichts um eine steuerliche Frage handelt, für die mithin Einstimmigkeit erforderlich ist. 3 Vgl. Art. 89 der EU-Richtlinie 2013/36/EU v. 26.6.2013, ABl. L 176/338; § 26a KWG. 4 Vgl. EU-Richtlinie 2013/34/EU v. 26.6.2013, ABl. L 182/25; §§ 341q – 341w HGB. 5 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 6 Vgl. Art. 97 § 31 Satz 1 EGAO. Dieser Anwendungszeitpunkt folgt den Empfehlungen der OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Tz. 50.

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Kap. 13 Rz. 13.173

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Gesellschaft abgegeben. Der Konzern kann aber auch eine andere Konzerngesellschaft (sog. beauftragte Gesellschaft) dazu bestimmen, den länderbezogenen Bericht abzugeben (§ 138a Abs. 3 AO). Dies kann sinnvoll sein, wenn die Konzernobergesellschaft in einem Staat ansässig ist, der keine Verpflichtung zur Abgabe eines CbC Reporting vorsieht oder der keine oder nicht mit ausreichend vielen Staaten entsprechende Informationsaustauschabkommen abgeschlossen hat.

13.173 Informationsaustausch. Das CbC Reporting wird von der Konzernobergesellschaft oder der beauftragten Gesellschaft bei der für diese Gesellschaft zuständigen Finanzbehörde abgegeben, die den länderbezogenen Bericht dann automatisch mit allen Ländern austauscht, in denen die multinationale Unternehmensgruppe tätig ist und mit denen die entsprechende Finanzverwaltung ein diesbezügliches Informationsaustauschabkommen abgeschlossen hat. Dieses kann entweder bilateral oder multilateral abgeschlossen sein. Das Rechtsinstrument, das die meisten Staaten vereint, ist das „Multilateral Competent Authority Agreement on the Exchange of CbC Reports“ (kurz „CbC MCAA“).1 Bis Mitte 2017 hatten 64 Staaten das CbC MCAA unterzeichnet.2 Zwischen den EU-Mitgliedstaaten findet der Informationsaustausch primär auf Grundlage des neu hinzugefügten Art. 8aa EU-Amtshilferichtlinie statt. Andere Staaten (darunter die USA) bevorzugen den Abschluss von bilateralen CbC-Informationsaustauschabkommen.3 Darüber hinaus kann der Austausch auch auf Basis anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen, wie z.B. einem DBA oder einem Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch (TIEA), erfolgen, sofern ein solches Abkommen eine Rechtsgrundlage für den Austausch der länderbezogenen Berichte enthält. Aufgrund der vielfältigen, teilweise nebeneinander stehenden Rechtsgrundlagen hat die OECD eine interaktive Datenbank veröffentlicht, die die primäre Rechtsgrundlage für den Informationsaustausch in Bezug auf das CbC Reporting zwischen ihren Mitgliedstaaten wiedergibt.4 Ein automatischer Informationsaustausch unterbleibt, wenn der empfangende Staat entweder kein entsprechendes Austauschabkommen abgeschlossen hat, wenn er die Vertraulichkeit der Daten nicht ausreichend schützen kann oder wenn er die erhaltenen Daten missbräuchlich für eine formalhafte Gewinnaufteilung verwendet hat und dieses Ergebnis der Besteuerung unterlegt.5

13.174 Abgabefrist, Datenformat und Datenübermittlung. Im Fall der Abgabe durch ein inländisches Unternehmen, ist das CbC Reporting innerhalb eines Jahres nach Ablauf desjenigen Wirtschaftsjahres, für das das CbC Reporting zu erstellen ist, an das Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln (§ 138a Abs. 6 Satz 1 AO). Die Übermittlung hat nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz in der von der OECD vorgegebenen XML-Dokumentenversion6 durch Datenfernübertragung zu erfolgen.7 Grundsätzlich ist seitens der Finanzverwaltung

1 Vgl. http://www.oecd.org/tax/automatic-exchange/about-automatic-exchange/cbc-mcaa.pdf. 2 Vgl. für eine aktuelle Liste der Unterzeichnerstaaten http://www.oecd.org/tax/automatic-exchange/ about-automatic-exchange/CbC-MCAA-Signatories.pdf. 3 Siehe zum Beispiel die entsprechende Verhandlungsgrundlage der USA: https://www.irs.gov/pub/ fatca/us_model_cbc_caa_dtc.pdf. 4 Siehe http://www.oecd.org/tax/beps/country-by-country-exchange-relationships.htm. 5 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Tz. 57 und Tz. 59. 6 Vgl. http://www.oecd.org/tax/country-by-country-reporting-xml-schema-user-guide-for-taxadministrations-and-taxpayers.htm. 7 Vgl. BMF v. 11.7.2017 – IV B 5 - S 1300/16/10010 :002 – DOK 2017/0558036, BStBl. I 2017, 974 – Anforderungen an den länderbezogenen Bericht multinationaler Unternehmensgruppen (Country-by-Country Report).

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.176 Kap. 13

vorgesehen, dass der Steuerpflichtige die CbC Reporting-Daten über die elektronische Massendatenschnittstelle ELMA an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt. Allerdings hat die Gesetzesbegründung zu § 138a Abs. 6 Satz 3 AO bereits darauf hingewiesen, dass das Bundeszentralamt für Steuern zum Startzeitpunkt nicht in der Lage ist, dies technisch umzusetzen. Das Bundeszentralamt für Steuern hat auf seiner Homepage klargestellt, dass der länderbezogene Bericht in den Jahren 2017 und 2018 als Anhang zu einer De-Mail, für die eine Registrierung mit Authentifizierung erforderlich ist, an das Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln ist. Voraussichtlich ab dem Januar 2019 können die Daten über die Massendatenschnittstelle ELMA über das BZSt-Online-Portal übermittelt werden.1 Eine Übermittlung in anderen gängigen Formaten wie MS Excel, MS Word oder im PDF-Format erklärt das Bundeszentralamt für Steuern in seiner Frage-Antwort-Liste ausdrücklich für nicht zulässig. Weitergabe der länderbezogenen Berichte und Aufbewahrungszeitraum. Das Bundeszentralamt für Steuern ist für die Datenübermittlung an und den Datenerhalt von ausländische Vertragsstaaten zuständig sowie für die Datenweitergabe von erhaltenen Berichten im Inland. Dazu übermittelt es alle ihm zugegangenen länderbezogenen Berichte an die jeweils zuständige Finanzbehörde (§ 138a Abs. 7 Satz 1 AO). Eine Datenübermittlung an ausländische Vertragsstaaten findet im Rahmen des CbC MCAA nur statt, wenn in dem länderbezogenen Bericht Angaben zu Unternehmenseinheiten in dem jeweiligen Vertragsstaat enthalten sind.2 Die Datenweitergabe findet ohne Anhörung des Steuerpflichtigen statt (§ 117c Abs. 4 Satz 2 AO). Das Bundeszentralamt für Steuern speichert die länderbezogenen Berichte und löscht sie mit Ablauf des 15. Jahres, das dem Jahr der Übermittlung folgt (§ 138a Abs. 7 Satz 4 AO). Bei erfolgter Datenberichtigung durch Änderungsmeldung beginnt die 15-Jahresfrist erneut zu laufen (§ 3 Abs. 4 Satz 2 EUAHiG).

13.175

Sekundäre Berichtspflicht (secondary mechanism). Gehört eine einbezogene inländische Konzerngesellschaft zu einem Konzern mit ausländischer Konzernobergesellschaft und erhält das Bundeszentralamt für Steuern keinen länderbezogenen Bericht, weil weder die ausländische Konzernobergesellschaft noch eine eventuell beauftragte Gesellschaft einen solchen Bericht abgegeben haben oder weil dieser nicht ausgetauscht wird (z.B. mangels entsprechender Rechtsgrundlage oder tatsächlicher Durchführung), ist die inländische Konzerngesellschaft selbst verpflichtet, den länderbezogenen Bericht für den gesamten Konzern beim Bundeszentralamt für Steuern abzugeben (sog. secondary mechanism).3 Dies gilt entsprechend für die inländische Betriebsstätte eines Konzerns mit ausländischer Konzernobergesellschaft (§ 138a Abs. 4 Satz 5 AO). Die Erfüllung dieser sekundären Berichtspflicht durch einen inländischen Steuerpflichtigen erfüllt die Pflicht für die übrigen inländischen Steuerpflichtigen dieses Konzerns. Konnte eine einbezogene inländische Konzerngesellschaft bzw. eine inländische Betriebsstätte eines ausländischen Konzerns davon ausgehen, dass der länderbezogene Bericht fristgerecht übermittelt wird, und stellt sich nachträglich heraus, dass dies ohne Verschulden der deutschen Steuerpflichtigen nicht geschehen ist, so hat diese ihre sekundäre Berichtspflicht innerhalb eines Monats nach Bekanntwerden der Nichtübermittlung zu erfüllen (§ 138a Abs. 4 Satz 4 AO). Gleichzeitig anerkennt der Gesetzgeber, dass eine inländische Konzerngesellschaft oder Betriebsstätte faktisch und rechtlich nicht in der Lage sein

13.176

1 Vgl. http://www.bzst.de/DE/Steuern_International/CbCR/Allgemeine_Info/cbcr_allg_info_node. html. 2 Vgl. BT-Drucks. 18/9536, 42. 3 Die sekundäre Berichtspflicht fußt auf den Vorschlägen der OECD im Abschlussbericht v. 5.10.2015 zu BEPS-Maßnahme 13, Country-by-Country Reporting Implementation Package, Art. 2 Nr. 2.

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Kap. 13 Rz. 13.177

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

kann, die für das CbC Reporting erforderlichen Finanzdaten über alle Länder hinweg zu beschaffen. In diesem Fall hat der inländische Steuerpflichtige bis spätestens ein Jahr nach Ende des Wirtschaftsjahres, für das das CbC Reporting zu erstellen ist, diesen Umstand dem Bundeszentralamt für Steuern zu melden und dabei alle Reporting-Angaben zu machen, über die er verfügt oder die er beschaffen kann. Dieser „informationsreduzierte“1 länderbezogene Bericht stellt keinen vollwertigen länderbezogenen Bericht dar und kann daher nicht im Rahmen des CbC MAA ausgetauscht werden.2 Er ist allerdings im Rahmen der EU-Amtshilferichtlinie auszutauschen.

13.177 Anzeigepflicht. Ein inländisches Unternehmen bzw. eine inländische Betriebsstätte hat gem. § 138a Abs. 5 Satz 1 bzw. Satz 3 AO in der Steuererklärung mitzuteilen, ob es eine inländische Konzernobergesellschaft, eine beauftragte Gesellschaft oder eine einbezogene inländische Konzerngesellschaft eines Konzerns mit ausländischer Konzernobergesellschaft ist. Im letzteren Fall ist auch anzugeben, bei welcher Finanzbehörde und von welchem Unternehmen der länderbezogene Bericht des Konzerns abgegeben wird. Das Nichterfüllen der Anzeigepflicht führt dazu, dass die inländische Gesellschaft bzw. Betriebsstätte selbst zur Abgabe des CbC Reportings verpflichtet ist (§ 138a Abs. 5 Satz 3 AO).

13.178 Sanktionen. Wer vorsätzlich oder leichtfertig eine Übermittlung des länderbezogenen Berichts nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht, handelt ordnungswidrig. Dies gilt auch für eine nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig abgegebene Mitteilung einer inländischen Gesellschaft oder Betriebsstätte im Rahmen der sekundären Berichtspflicht (§ 138a Abs. 4 Satz 3 AO). Eine solche Ordnungswidrigkeit kann bei Vorsatz mit einer Geldbuße bis zu 10.000 Euro geahndet werden. Bei Fahrlässigkeit beträgt die Höchstbuße 5.000 Euro (§ 377 Abs. 2 AO i.V.m. 17 Abs. 2 OWIG). Wenn die Handlung allerdings als eine leichtfertige Steuerverkürzung i.S.d. § 378 AO zu werten ist, kann sie mit bis zu 50.000 Euro Strafe geahndet werden. Allerdings ist zu bezweifeln, dass ein länderbezogener Bericht, der nur als Risikoanalyseinstrument von den Finanzverwaltungen der Welt verwendet werden soll und daher keine genuin steuerrelevanten Informationen enthält, zu einer Steuerverkürzung führen kann.3

13.179 CbC Reporting-Leitlinien. Nicht zuletzt der Eile, mit der das BEPS-Projekt von der OECD vorangetrieben worden ist, ist geschuldet, dass viele verwendete Begriffe von der klassischen Terminologie der Rechnungslegung abweichen und der Auslegung bedürfen. Vor diesem Hintergrund veröffentlicht die OECD in unregelmäßigen Abständen, Leitlinien zur Anwendung des CbC Reportings.4 Begrüßenswerterweise verfolgt Deutschland das Ziel eines „international einheitliche[n] Begriffsverständnis[ses] der geforderten Angaben“5 und hat – mit kleineren Ausnahmen in der Gesetzesbegründung zur Einführung des CbC Reportings – auf eine unilaterale Definition von Begrifflichkeiten verzichtet. Vielmehr verweist das BMF auf weiterführende „Informationen“6 auf den Seiten des Bundeszentralamts für Steuern, die allgemeine

1 2 3 4 5

Grotherr, IStR 2016, 991 (994). Vgl. BT-Drucks. 18/9536, 40. Ebenso Ditz/Bärsch/Engelen IStR 2016, 840 (849); Kraft/Heider, DStR 2017, 1353 (1360f.). Vgl. OECD v. 18.7.2017, Guidance on the Implementation of Country-by-Country Reporting. Vgl. BMF v. 11.7.2017 – IV B 5 - S 1300/16/10010 :002 – DOK 2017/0558036, BStBl. I 2017, 974 – Anforderungen an den länderbezogenen Bericht multinationaler Unternehmensgruppen (Country-by-Country Report). Dies ist wohl auch der Grund, warum in Bezug auf § 138a AO keine Ermächtigung geschaffen wurde, nähere Einzelheiten im Rahmen einer Verordnung zu regeln. 6 Vgl. BMF v. 11.7.2017 – IV B 5 - S 1300/16/10010 :002 – DOK 2017/0558036, BStBl. I 2017, 974.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.180 Kap. 13

Informationen, die Rechtsgrundlagen, eine Frage-Antwort-Liste, ein Kontaktformular sowie – gleich eingangs – einen Link auf die Internetseiten der OECD zum CbC Reporting beinhalten. Diese dynamische Verweiskette vom BMF über die Internetseite des Bundeszentralamts für Steuern letztendlich auf die Seiten der OECD sollten dem Steuerpflichtigen die Versicherung geben, sich auf die von der OECD veröffentlichten, ergänzenden Dokumente und Begriffsklärungen berufen zu dürfen.1 Angesichts der Tatsache, dass die OECD zu einigen Zweifelsfragen und Variablendefinitionen noch keine Stellung bezogen hat, wird in der Literatur zur einheitlichen Handhabung der Variablendefinitionen bei allen Gesellschaften eines Konzerns und über die Zeit hinweg die Erstellung einer konzerninternen CbC Reporting-Policy empfohlen.2 Berichtseinheiten (constituent entity). Grundsätzlich sind alle Unternehmen einzubeziehen, die in den Konzernabschluss der multinationalen Unternehmensgruppe einbezogen sind. Die OECD fordert darüber hinaus, dass auch Unternehmen, die allein aus Wesentlichkeitserwägungen nicht in den Kreis der konsolidierten Unternehmen einbezogen worden sind, beim CbC Reporting zu erfassen sind. Diese Vorgabe der OECD überzeugt nicht. Vor dem Hintergrund des erklärten Ziels des CbC Reportings, den Finanzverwaltungen eine risikoorientierte Prüfung der Steuerposition des Konzerns zu ermöglichen, darf bezweifelt werden, dass kleine Unternehmen, die für Zwecke des Konzernabschlusses als nicht materiell erachtet werden, einen signifikanten Einfluss auf die Kennziffern haben können, mit denen die Finanzverwaltungen ihre Risikoanalyse durchführen werden. Der „Erkenntnisgewinn“ durch Einbezug dieser kleinen Gesellschaften wird sich wahrscheinlich eher im Bericht der dritten Nachkommastelle bei Verhältniskennziffern abspielen. Daher erscheint die deutsche Position sinnvoll, die von den in den Konzernabschluss einbezogenen Unternehmen ausgeht und keine spätere Hinzurechnung nicht-wesentlicher Konzerngesellschaften fordert. Gemeinschaftsunternehmen (joint ventures), die von zwei Partnern zu je 50 % gehalten werden, können quotal in das CbC Reporting aufgenommen werden, wenn der für den Konzernabschluss angewandte Rechnungslegungsstandard eine Quotenkonsolidierung erlaubt. Equity-konsolidierte Unternehmen sind dagegen nicht in das CbC Reporting aufzunehmen.3 Die OECD verfolgt hierbei insbesondere einen Gleichklang mit der konzernbilanziellen Behandlung, da sog. assoziierte Unternehmen (Beteiligungshöhe 20 bis unter 50 %) als nicht in den Konzernabschluss eingezogene Unternehmen gelten (§ 311 Abs. 1 Satz 1 HGB). Die OECD hatte von Beginn an die Absicht, nur solche Gesellschaften in das CbC Reporting einzubeziehen, die mit ihren Vermögenswerten, Schulden, Einkommen, Aufwendungen „wie ein einzige wirtschaftliche Einheit“4 abgebildet werden, was auf assoziierte Unternehmen, die nach der Equity-Methode zu konsolidieren sind, nicht zutrifft.5 Zudem sprechen auch ganz praktische Gründe gegen einen Einbezug von Unternehmen, die mit der Equity-Methode konsolidiert werden. So übt die Konzernobergesellschaft keinen beherrschenden Einfluss auf diese Unternehmen aus. Daher sind Situationen vorstellbar, in denen der Konzern Schwierigkeiten hat, überhaupt alle erforderlichen Finanzkennzahlen vollständig zu ermitteln, um sie quotal im CbC Reporting ansetzen zu können. 1 Vgl. Peters/Busch, DB 2017, 1875 (1876). 2 Vgl. Grotherr, DB 2017, 263 (269) 3 Vgl. OECD v. 18.7.2017, Guidance on the Implementation of Country-by-Country Reporting, 11 f.; ebenso Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (844); Grotherr, IStR 2016, 991 (995). 4 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Annex IV „Country-by-Country Reporting Implementation Package“, Definitionen „Constituent Entity“ und „Consolidated Financial Statements“. 5 Vgl. OECD v. 18.7.2017, Guidance on the Implementation of Country-by-Country Reporting, 11.

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Kap. 13 Rz. 13.181

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

13.181 Behandlung von Betriebsstätten. Betriebsstätten stellen jeweils eine eigenständige Berichtseinheit dar, sofern sie Teil einer in das CbC Reporting einbezogenen Konzerngesellschaft sind und sofern für diese Betriebsstätte für Reportingzwecke, für regulatorische Zwecke, für steuerliche Zwecke oder interne Kontrollzwecke separate Finanzdaten ermittelt werden. Die Finanzdaten von Betriebsstätten sollen – im Einklang mit dem Grundprinzip des AOA, die Betriebsstätte für steuerliche Zwecke als nahezu selbständige rechtliche Einheit zu betrachten – im CbC Reporting in die Berichtszeile des Belegenheitsstaats der Betriebsstätte einfließen und entsprechend nicht in der Berichtszeile des Ansässigkeitsstaats des Einheitsunternehmens gezeigt werden. Dies soll jedoch nicht in Bezug auf das auszuweisende Eigenkapital gelten, das gemäß OECD grundsätzlich nur in dem Ansässigkeitsstaat des Stammhauses auszuweisen ist.1 Die Grundregel der OECD, das gesamte Kapital im Stammhaus auszuweisen, widerspricht den Grundsätzen des AOA. Damit erscheint diese Vorgehensweise mit dem Sinn und Zweck des CbC Reportings nicht vereinbar, das gerade die steuerlichen Positionen pro Berichtsland abbilden soll. Laut OECD soll aber gerade nicht das steuerliche Dotationskapital landesweise ausgewiesen werden.2 Gleichzeitig stellt diese Regelung der OECD eine begrüßenswerte Vereinfachung für die Steuerpflichtigen dar, weil die Aufteilung des Eigenkapitals meist nicht aus dem Buchführungssystem des Konzerns direkt hervorgeht, sondern vielfach manuell vorzunehmen wäre. Als Ausnahme zu der Grundregel nennt die OECD Unternehmen, die in regulierten Industrien tätig sind und aus aufsichtsrechtlichen Gründen ein bestimmtes Mindestkapital in dem jeweiligen Belegenheitsstaat ausweisen müssen. Da der Bericht der OECD den Singular verwendet, ist laut OECD nur für diejenigen Betriebsstätten ein entsprechendes Mindestkapital in der Zeile ihres Belegenheitsstaats auszuweisen, wenn in diesem konkreten Belegenheitsstaat eine solche aufsichtsrechtliche Anforderung gilt. Damit wäre beispielsweise für eine in einem EU-Mitgliedsstaat ansässige Bank oder Versicherung mit Betriebsstätten im restlichen Unionsgebiet in den übrigen EU-Belegenheitsstaaten kein Eigenkapital auszuweisen, da dies aufgrund des sog. EU-Passports aufsichtsrechtlich nicht erforderlich ist.

13.182 Behandlung von Personengesellschaften. Die Kennzahlen für alle Personengesellschaften, die in keiner Steuerjurisdiktion ansässig sind, sollen in einer separaten Berichtszeile für staatenlose Einheiten (stateless entities) in Summe aufgeführt werden.3 Aufgrund des Transparenzprinzips wird steuerlich durch diese Gesellschaften durchgesehen und das von ihnen erzielte Einkommen den Anteilseignern direkt zugerechnet. Insofern ist es folgerichtig, dass ihre Umsatzerlöse und sonstigen Erträge, ihr Eigenkapital, ihre Mitarbeiterzahl etc. quotal in den jeweiligen Berichtszeilen der Anteilseigner erfasst werden soll, sofern diese als einbezogene Konzerngesellschaften selbst Berichtseinheiten sind. Insoweit kommt es zu einer Doppelzählung der Finanzdaten.4 Sind die Anteilseigner der Personengesellschaften dagegen teilweise Privatpersonen oder fremde dritte Unternehmen, kommt es zu keinem doppelten Ausweis. Die OECD empfiehlt, in Tabelle 3 anzugeben, ob die Finanzdaten der Personengesellschaft Eingang in die jeweiligen Berichtszeilen der Anteilseigner gefunden haben. Unklar ist, wie der 1 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Annex III.C „Stated Capital“. 2 Ohne nähere Begründung a.A. Kraft/Heider, DStR 2017, 1353 (1358). 3 Vgl. OECD v. 18.7.2017, Guidance on the Implementation of Country-by-Country Reporting, 9. 4 Ebenso Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (844); Kraft/Heider, DStR 2017, 1353 (1356); a.A. Grotherr, IStR 2016, 991 (999), der empfiehlt, die entsprechenden Finanzdaten der Personengesellschaft von der Zeile für „Staatenlose Einheiten“ abzuziehen, wenn diese in der Berichtszeile der Anteilseigener gezeigt werden.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.185 Kap. 13

Begriff der steuerlichen Ansässigkeit definiert ist. Eine deutsche KG wird bspw. für einkommensteuerliche Zwecke transparent behandelt, während sie für gewerbesteuerliche Zwecke ein eigenständiges Steuersubjekt darstellt. Es gibt demnach ein Argument, die Finanzdaten einer deutschen KG direkt und ausschließlich in der Berichtszeile der Bundesrepublik Deutschland zu zeigen, da sie dort zumindest für gewerbesteuerliche Zwecke steuerlich ansässig ist. Sofern in einzelnen Ländern, wie z.B. in Italien, die Möglichkeit für Personengesellschaften besteht, sich eine Ansässigkeitsbescheinigung ausstellen zu lassen, besteht für den Konzern insoweit ein Wahlrecht, die Ausstellung einer solchen Bescheinigung zu beantragen und diese Gesellschaften dann als in diesem Staat steuerlich ansässig zu behandeln. Dies vermeidet den Ausweis in der Zeile für staatenlose Einheiten. Umfang des länderbezogenen Berichts. Der länderbezogene Bericht besteht aus drei verschiedenen Tabellenblättern. Das erste Tabellenblatt gibt neben Informationen zur Umsatzund Gewinnposition, zur Mitarbeiterzahl und dem eingesetzten Kapital pro Land Informationen zu der Höhe der konzerninternen Transaktionen und den gezahlten Steuern. Das zweite Tabellenblatt benennt die in das CbC Reporting einbezogenen Konzerngesellschaften und Betriebsstätten unter Angabe ihrer wichtigsten Geschäftsaktivitäten. Das dritte Tabellenblatt dient schließlich zum einen als Freizeile für den Konzern, weitere Erläuterungen zu den Finanzdaten zu geben. Zum anderen sind hier verpflichtende Angaben zu machen, sofern der Konzern von seiner bisherigen Datenquelle oder Variablendefinition abweicht.

13.183

Tabelle 1. In Tabelle 1 soll der Konzern nach Steuerhoheitsgebieten (Steuerjurisdiktion) getrennt für alle in diesem Hoheitsgebiet ansässigen Konzerngesellschaften Angaben zu ihren Einnahmen, der Verteilung dieser Einnahmen auf Geschäftsbeziehungen mit verbundenen und unverbundenen Unternehmen, zu den erzielten Gewinnen, den im Berichtsjahr gezahlten Steuern sowie den für das jeweilige Berichtsjahr angefallenen Steuern, zur Mitarbeiterzahl, zum Eigenkapital, den einbehaltenen Gewinnen sowie den materiellen Vermögenswerten machen. Deutschland ist den Vorgaben der OECD vollumfänglich gefolgt, indem die Auflistung in § 138a Abs. 2 AO bezüglich des Umfangs des länderbezogenen Berichts eins zu eins den Vorgaben der OECD entspricht. Hierzu sind die Finanzdaten aller Unternehmen und Betriebsstätten, die in einem Land zu demselben Konzern gehören, in der jeweiligen Länderzeile zu aggregieren. Die OECD hat klargestellt, dass grundsätzlich auch innerhalb eines Landes keine Konsolidierung der konzerninternen Transaktionen stattfinden soll, sondern dass die Summe der Finanzdaten der Einzelgesellschaften auszuweisen ist.1

13.184

Tabelle 2. Auf Tabellenblatt 2 sind für jede Steuerjurisdiktion alle Unternehmen und Betriebsstätten aufzulisten, deren Finanzdaten in die Zahlen der jeweiligen Steuerjurisdiktionen in Tabelle 1 eingehen. Entgegen den Empfehlungen der OECD, bei allen Berichtseinheiten den Gründungsstaat anzugeben, wenn dieser vom Ansässigkeitsstaat abweicht,2 verlangt das deutsche Gesetz diese Angabe nicht. Zusätzlich sind die „wichtigsten Geschäftsaktivität(en)“ der Gesellschaft oder Betriebsstätte entlang der folgenden, vorgegebenen Aktivitäten anzugeben: Forschung und Entwicklung, Besitz oder Verwaltung von geistigem Eigentum, Einkauf oder Beschaffung, Verarbeitung oder Produktion, Verkauf, Marketing oder Vertrieb, Verwaltungs-, Management- oder Supportleistungen, Erbringung von Dienstleistungen für

13.185

1 Vgl. OECD v. 18.7.2017, Guidance on the Implementation of Country-by-Country Reporting, 7. 2 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Annex III.C „Tax Jurisdiction of Organisation or Incorporation if Different from Tax Jurisdiction of Residence“.

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Kap. 13 Rz. 13.186

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

unverbundene Dritte, konzerninterne Finanzierung, regulierte Finanzdienstleistungen, Versicherungen, Besitz von Aktien oder anderen Wertpapieren mit Beteiligungscharakter, ruhende Tätigkeit und sonstige (unter Angabe der Art der Tätigkeit der Geschäftseinheit in Tabellenblatt 3). Weder die OECD noch die AO definieren den Terminus der „wichtigsten Geschäftsaktivität(en)“. Aus der Verwendung des Plurals kann geschlossen werden, dass es sich nicht um eine Tätigkeit handeln muss, die über 50 % der Umsatzerlöse ausmacht. Für einen Konzern besteht vielmehr die Möglichkeit selbst festzulegen, ab welcher Schwelle (gemessen am Umsatz, am Deckungsbeitrag oder einer anderen nachvollziehbaren Größe, die die Bedeutung der Geschäftsaktivität belegt) eine Geschäftsaktivität anzukreuzen ist. Tabelle 2 sollte unter der „Federführung der Konzernzentrale“1 ausgefüllt werden, um eine konsistente Herangehensweise und den Einklang zu den Unternehmenscharakterisierungen im Masterfile und Local File sicherzustellen.

13.186 Tabelle 3. Die Tabelle 3 enthält einige Pflichtangaben und gibt dem Steuerpflichtigen darüber hinaus die Möglichkeit, den Finanzbehörden erläuternde oder ergänzende „zusätzliche Informationen“ zum CbC Reporting geben, um das Verständnis für das Zahlenwerk zu fördern und eventuelle Rückfragen zu vermeiden. Zu den verpflichtenden Informationen gehören: – Eine kurze Beschreibung der verwendeten Datenquelle. Bei einem Wechsel der Datenquelle gegenüber dem Vorjahr, sollen die Gründe für den Wechsel und die Auswirkungen auf die Finanzkennziffern dargelegt werden. – Bei der Verwendung von Einzelabschlüssen ist der durchschnittliche Währungskurs im Berichtsjahr anzugeben, zu dem die Finanzdaten derjenigen Gesellschaften umzurechnen sind, die ihren Abschluss in einer anderen Währung als der Währung der berichtenden Konzerngesellschaft aufstellen. – Sofern für eine Berichtseinheit in Tabellenblatt 2 die Geschäftsaktivität „Sonstige“ ausgewählt worden ist, ist die Tätigkeit dieser Einheit zu spezifizieren. Die freiwilligen Angaben sollten die folgenden Erläuterungen enthalten:2 – Erläuterungen zum Kreis der einbezogenen Konzerngesellschaften und der Behandlung von quoten- und equity-konsolidierten Gesellschaften. – Erläuterungen der Abweichungen der nationalen Umsetzungsvorschriften von den Vorgaben und Erläuterungen der OECD: Dies umfasst auch Auslegungen bei unklaren Variablendefinitionen, die der Konzern einheitlich vorgenommen und ggf. in einer CbC Reporting-Richtlinie konzernintern verbindlich festgelegt hat. – Erläuterungen zu Extremwerten in den berichteten Zahlen: Dies betrifft in Bezug auf die Position des Jahresgewinns signifikante Verluste einzelner Konzerngesellschaften, die zu geringen Steuerzahlungen in den Folgejahren führen. In Bezug auf die Steuervariablen macht die Erläuterung hoher Steuernachzahlungen oder -erstattungen Sinn oder die Erläuterung niedriger Steuerzahlungen aufgrund von Verlustverrechnungsmöglichkeiten über die Zeit oder innerhalb eines Veranlagungszeitraums zwischen mehreren inländischen Konzerngesellschaften oder aufgrund von Abweichungen steuerrechtlicher Gewinnermittlungsvorschriften von den handelsrechtlichen. Hierzu kann auch eine Darstellung der steuerlichen Behandlung von Dividendeneinkünften zählen, um die steuerliche Position von Holding1 Vgl. Lappé/Schmidtke, IStR 2015, 693 (697). 2 Siehe hierzu auch Grotherr, DB 2017, 330 (333 f.).

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.190 Kap. 13

gesellschaften in den lokalen steuerrechtlichen Kontext zu stellen, oder Erläuterungen zu wirtschaftspolitisch motivierten Vorzugsbesteuerungen (z.B. Zinseinnahmen von USKommunalobligationen). – Erläuterungen zu der Ermittlung der Beschäftigtenzahl, insbesondere wenn der Konzern von einem Näherungsverfahren Gebraucht macht. – Erläuterungen zu der Behandlung von Personengesellschaften, insbesondere soweit deren Finanzkennziffern gleichermaßen in der Berichtszeile des Ansässigkeitsstaats des Anteilseigners gezeigt werden. Sprache. Der länderbezogene Bericht kann insgesamt in englischer Sprache übermittelt werden; die in Tabelle 3 enthaltenen Informationen oder Erläuterungen sind gem. Art. 2b der EUDurchführungsverordnung zum automatischen Informationsaustausch1 verpflichtend in englischer Sprache zu übermitteln.2

13.187

Berichtsjahr. Der länderbezogene Bericht ist jährlich zu erstellen und soll das Wirtschaftsjahr der Konzernobergesellschaft abdecken. In Bezug auf die Finanzdaten der einbezogenen Konzerngesellschaften besteht das Wahlrecht, entweder die Finanzdaten der Konzerngesellschaften für das Wirtschaftsjahr einzuziehen, das an demselben Tag wie das der Konzernobergesellschaft geendet hat oder in den vorvergangenen zwölf Monaten. Alternativ können die Finanzdaten für das Wirtschaftsjahr der einbezogenen Konzerngesellschaften einfließen, das in der Zählung dem Wirtschaftsjahr der Konzernobergesellschaft gleicht.

13.188

Datenquelle. Die OECD zeigt eine gewisse Offenheit, auf welchen Quellen die für das CbC Reporting verwendeten Finanzdaten beruhen können. Neben den Daten, die in den Konzernabschluss eingehen (consolidation reporting packages), sind die Einzelabschlüsse der einbezogenen Unternehmen, regulatorische Abschlüsse und Finanzzahlen des internen Rechnungswesens mögliche Datenquellen. Im Fall der Verwendung von Einzelabschlüssen sind alle Finanzdaten in die funktionale Währung der Konzernobergesellschaft umzurechnen, und zwar mit dem durchschnittlichen Währungskurs für das Berichtsjahr. Für Unterschiede in den Rechnungslegungsstandards sind keine Überleitungsrechnungen erforderlich.3 Damit ist sowohl ein „top-down“-Ansatz ausgehend von den Daten des Konzernabschlusses möglich, bei dem die eliminierten konzerninternen Finanzdaten hinzuzuaddieren sind, als auch ein „bottom-up“-Ansatz, bei dem die Ergebnisse der Einzelunternehmen aufaddiert werden. Wichtig ist nach Ansicht der OECD die Konsistenz der verwendeten Datenquelle. Im Gegensatz dazu fordert § 138a Abs. 2 Nr. 1 AO explizit die Erstellung des CbC Reportings „ausgehend vom Konzernabschluss“ und sieht mithin entgegen der OECD einen „top-down-Ansatz“ vor.

13.189

Überleitungsrechnungen zum Konzernabschluss. Die OECD stellt explizit klar, dass keine Überleitungsrechnungen der CbC Reporting-Daten zum konsolidierten Jahresabschluss erforderlich sind.4 Allerdings ist es nicht unwahrscheinlich, dass in lokalen Betriebsprüfungen

13.190

1 Vgl. EU-Durchführungsverordnung 2016/1963 v. 9.11.2016, ABl. EU L 303/4. 2 Vgl. BMF v. 11.7.2017 – IV B 5 - S 1300/16/10010 :002 – DOK 2017/0558036, BStBl. I 2017, 974. Siehe auch Peters/Busch, DB 2017, 1875. 3 Dies kann zu einer erheblichen Unvergleichbarkeit der Finanzdaten führen. So kommt es z.B. in Bezug auf Bau- und Montagebetriebsstätten zu großen (wenn auch nur temporären) Unterschieden bei Anwendung der „percentage-of-completion“-Methode gegenüber der handelsrechtlichen „completed contract“-Methode. 4 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13: Final Report, Annex III.B „Source of data“.

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Kap. 13 Rz. 13.191

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

nach einem solchen Abgleich gefragt wird.1 Einem solchen Ansinnen sollte der Steuerpflichtige die klare Aussage der OECD entgegenhalten, dass ein Abgleich nicht vorgesehen ist. Gleichzeitig erscheint es für den Steuerpflichtigen ratsam, insbesondere bei wesentlichen Abweichungen, Aufzeichnungen vorzuhalten, inwieweit und warum die Daten im CbC Reporting von den Finanzdaten des konsolidierten Jahresabschlusses abweichen.

13.191 Steuerjurisdiktion. Die nachfolgend aufgeführten Kennziffern des Tabellenblatts 1 sind jeweils für alle in einer Steuerjurisdiktion ansässigen Konzerngesellschaften und dort belegenen Betriebsstätten in Summe anzugeben. Eine Steuerjurisdiktion ist dabei definiert als ein Staat oder Gebiet, das steuerliche Autonomie besitzt. In Fällen, in denen eine Berichtseinheit in mehr als einer Steuerjurisdiktion ansässig ist, soll die Kollisionsregel (tie breaker rule) des einschlägigen DBA eine Zuordnung zu einer Steuerjurisdiktion herbeiführen. In Fällen, in denen kein DBA besteht, soll der Ort der Geschäftsleitung den Ausschlag geben, der in Zweifelsfragen gemäß den Definitionen und den Auslegungsregeln des OECD-MA und OECD-MK zu bestimmen ist. Für Berichtseinheiten, die steuerlich in keiner Steuerjurisdiktion ansässig sind, soll eine separate Berichtszeile für staatenlose Einheiten (stateless entities) gebildet werden.

13.192 Umsatzerlöse und sonstige Erträge (revenues); § 138a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO. In dieser Spalte sind die Umsatzerlöse und sonstigen Erträge aller zum Konzern gehörigen Unternehmen und Betriebsstätten pro Steuerjurisdiktion zusammenzufassen. Der Terminus der „Umsatzerlöse und sonstigen Erträge“ ist sehr weit gefasst und umfasst neben den klassischen Umsatzerlösen, d.h. Erlöse aus dem Verkauf und der Vermietung oder Verpachtung von Produkten sowie aus der Erbringung von Dienstleistungen der Kapitalgesellschaft nach Abzug von Erlösschmälerungen, der Umsatzsteuer und Verbrauchssteuern (§ 277 Abs. 1 HGB), auch Erlöse aus dem Verkauf von Vorratsvermögen und von Liegenschaften, aus Dienstleistungen, aus Lizenzgebühren, aus Zinsen und aus Prämien sowie alle etwaigen sonstigen Beträge. Die Kennzahl soll auch alle außerordentlichen Erträge und Aufwendungen aus Investitionstätigkeiten umfassen.2 Nicht hierunter fallen jedoch Dividendeneinkünfte. Die OECD hat klargestellt, dass für Unternehmen des Finanzdienstleistungssektors, die nach dem angewendeten Rechnungslegungsstandard bei den Umsatzerlösen keine Brutto-, sondern üblicherweise nur Nettogrößen ausweisen (z.B. der Zinsüberschuss bei Banken), auch für Zwecke des CbC Reportings diese Nettogröße als der relevante Umsatz anzusehen ist.3 Der Ausweis dieser Position hat über die Summe hinaus zusätzlich gegliedert nach Umsätzen und sonstigen Erträgen aus Geschäftsvorfällen der Berichtseinheiten mit nahestehenden Unternehmen einerseits (§ 138a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO) und mit fremden, nicht in den Konsolidierungskreis einbezogenen Unternehmen andererseits (§ 138a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO) zu erfolgen. Die OECD hat in ihren CbC-Leitlinien klargestellt, dass auch innerhalb einer Steuerjurisdiktion keine Konsolidierung der Berichtseinheiten erfolgen soll, so dass auch Umsätze mit nahestehenden Unternehmen, die innerhalb ein und derselben Steuerjurisdiktion stattfinden, als Umsatzerlöse und sonstige Erträge mit nahestehenden Unternehmen auszuweisen sind.4

1 Vgl. Lappé/Schmidtke, IStR 2015, 693 (695). 2 Vgl. OECD v. 18.7.2017, Guidance on the Implementation of Country-by-Country Reporting, 5. 3 Vgl. OECD v. 18.7.2017, Guidance on the Implementation of Country-by-Country Reporting, 14. 4 Vgl. OECD v. 18.7.2017, Guidance on the Implementation of Country-by-Country Reporting, 7. So bereits Lappé/Schmidtke, IStR 2015, 693 (695).

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.196 Kap. 13

Nahestehende Unternehmen. Als nahestehende Unternehmen im Sinne des CbC Reportings sind alle Unternehmen anzusehen, die als Berichtseinheiten des Konzerns auch in das CbC Reporting einbezogen sind.1 Damit ist die Definition für nahestehende Unternehmen i.S.d. CbC Reportings nicht deckungsgleich mit der Definition eines nahestehenden Unternehmens i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG, das eine wesentliche Beteiligung ($ 25 %) voraussetzt. Nahestehende Unternehmen, die von der Konzernobergesellschaft zu 25 bis unter 50 % direkt oder indirekt gehalten werden, dürften z.B. gemäß IAS/IFRS gar nicht in das CbC einbezogen werden, da sie nach der Equity-Methode zu konsolidieren sind. Bei Gemeinschaftsunternehmen (joint ventures), d.h. Unternehmen mit einem Beteiligungsanteil von 50 %, kann zwischen der Equity-Methode und der Quotenkonsolidierung, und damit dem Einbezug in das CbC Reporting, gewählt werden.

13.193

Im Wirtschaftsjahr gezahlte Ertragsteuern (income tax paid – on cash basis); § 138a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d AO. In dieser Spalte ist die Summe der im Wirtschaftsjahr gezahlten Ertragsteuern aller zum Konzern gehörigen Unternehmen und Betriebsstätten pro Steuerjurisdiktion anzugeben. Dabei kommt es nicht darauf an, für welches Wirtschaftsjahr diese Ertragsteuern gezahlt worden sind, so dass hier bspw. auch getätigte Steuernachzahlungen, die sich aus dem Abschluss einer Betriebsprüfung für Vorjahre ergeben, zu erfassen sind. Damit erhält diese Kennziffer höchstens im Mehrjahresvergleich einen Aussagewert. Analog sind Steuererstattungen von der Summe der gezahlten Steuern abzuziehen. Gezahlte Quellensteuern sind derjenigen Berichtseinheit zuzurechnen, für die die Quellensteuer abgeführt worden ist.2

13.194

Die im Wirtschaftsjahr für dieses Wirtschaftsjahr gezahlten und zurückgestellten Ertragsteuern (income tax accrued – current year), § 138a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. e AO. Diese Spalte beinhaltet die Summe der im Wirtschaftsjahr und für dieses Wirtschaftsjahr gezahlten (Steuervorauszahlungen) und zurückgestellten Ertragsteuern. Wird im Folgejahr für eines der Vorjahre eine Zuführung zu der Steuerrückstellung vorgenommen, ist diese nachträgliche Zuführung aufgrund des klaren Wortlauts weder in der neuen Berichtsperiode aufzunehmen („für das Wirtschaftsjahr … zurückgestellte“) noch nachträglich im CbC Reporting für eine Vorperiode („im Wirtschaftsjahr … zurückgestellte“) zu korrigieren. Die zurückgestellten Steuern sollen keine latenten Steuern beinhalten.3

13.195

Jahresergebnis vor Steuern (profit/loss before income tax), § 138a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. f AO. In dieser Spalte ist die Summe der Jahresergebnisse vor Steuern aller zum Konzern gehörigen Unternehmen und Betriebsstätten pro Steuerjurisdiktion anzugeben. Die Kennzahl soll auch alle außerordentlichen Erträge und Aufwendungen einschließen.4 Sie beinhaltet auch die Dividendeneinkünfte. Dagegen wäre es folgerichtig gewesen, Dividendeneinkünfte nicht in das Jahresergebnis einzurechnen, weil diese auch nicht in den Umsatzerlösen und sonstigen Erträgen erscheinen.5 Eine solche Subtraktion der Dividendeneinkünfte vom Jahresergebnis ist allerdings weder dem Wortlaut der OECD-Empfehlungen noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen. Es erscheint ratsam, auf diesen Aspekt in Tabelle 3 hinzuweisen, sofern durch Dividendeneinkünfte Extremwerte in einzelnen Steuerjurisdiktionen folgen.

13.196

1 Vgl. OECD v. 18.7.2017, Guidance on the Implementation of Country-by-Country Reporting, 6. 2 Vgl. BT-Drucks. 18/9536, 38. 3 Vgl. BT-Drucks. 18/9536, 38. 4 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13: Final Report, Annex III.C „Profit (Loss) Before Income Tax“. 5 Vgl. ebenso Grotherr, IStR 2016, 991 (1001).

Busch 1015

Kap. 13 Rz. 13.197

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

13.197 Eigenkapital (stated capital), § 138a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. g, und einbehaltener Gewinn zum Jahresende (accumulated earnings); § 138a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. h AO. Diese Spalten erfordern die Angabe des ausgewiesenen Kapitals und des einbehaltenen Gewinns aller zum Konzern gehörigen Unternehmen und Betriebsstätten pro Steuerjurisdiktion. Während die Wortwahl der OECD mit „stated capital“ nur das gezeichnete Kapital bezeichnet, ist der deutsche Ausdruck des „Eigenkapitals“ umfassender und beinhaltet neben dem gezeichneten Kapital auch die Kapitalrücklagen, die quasi als Teilmenge noch einmal gesondert in der Spalte „einbehaltener Gewinn“ auszuweisen sind.1 Auf diese weite deutsche Auslegung des Eigenkapitals sollte der Konzern in Tabelle 3 hinweisen. Auf das Erfordernis der Aufteilung des Eigenkapitals auf die Belegenheitsstaaten der Betriebsstätten ist bereits hingewiesen worden, sofern aufsichtsrechtliche Mindestkapitalanforderungen bestehen.

13.198 Mitarbeiteranzahl (number of employees), § 138a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. i AO. Die Angabe der Mitarbeiter bezieht sich auf Vollzeitäquivalente aller Berichtseinheiten in einem Berichtsstaat. Während es die OECD dem Konzern überlässt, ob er Jahresendwerte oder Jahresdurchschnittwerte angeben oder eine anderweitige Stichtagsbetrachtung vornehmen möchte und einzig Einheitlichkeit über alle Länder und Berichtsperioden einfordert, geht die deutsche Gesetzesbegründung unverständlicherweise nur von Jahresendwerten aus.2 Werkvertragsunternehmer und Leiharbeiter können als Mitarbeiter der jeweiligen Berichtseinheit angesehen werden, wobei der Konzern prüfen sollte, ob dadurch eine Scheinselbständigkeit ausgelöst werden könnte. Solange konsistent vorgegangen wird, sind laut OECD für diese Kennzahl auch Näherungswerte erlaubt, wobei der Konzern in Tabelle 3 das Näherungsverfahren beschreiben sollte.

13.199 Materielle Vermögenswerte (tangible assets other than cash and cash equivalents), § 138a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. j AO. Diese Kennziffer umfasst die Summe des Nettobuchwerts der materiellen Vermögenswerte (des Anlage- und Umlaufvermögens) aller zum Konzern gehörigen Unternehmen und Betriebsstätten pro Steuerjurisdiktion ohne Einbezug von flüssigen Mitteln, immateriellen Vermögenswerten und Finanzwerten. In Bezug auf Betriebsstätten fließen die materiellen Vermögenswerte in die Zeile des Belegenheitsstaats der Betriebstätte ein.

13.200 Fazit zum CbC Reporting. Das CbC Reporting wurde unter hohem politischem Druck von der OECD im Rahmen des BEPS-Aktionsprogramms entwickelt, das insgesamt in rekordverdächtiger Zeit durchgeführt worden ist. Dies erklärt die teilweise unbestimmten Variablengrößen, die nicht im Einklang mit gewohnten Kenngrößen und Begrifflichkeiten der Rechnungslegung einhergehen und bei den Steuerpflichtigen zu hoher Unsicherheit führen, welche Informationen überhaupt angefordert werden. Dies erklärt auch die Inkonsistenzen z.B. bei der Erfassung von Dividendeneinkünften, die zwar nicht unter den „Umsatzerlösen und sonstigen Erträgen“ gezeigt werden sollen, aber in die Spalte „Jahresergebnis“ einfließen. Dies zeigt, dass der Zeitdruck dem Projekt nicht zugutegekommen ist. Die OECD ist aufgefordert, hier mehr Klarheit zu schaffen. Begrüßenswert ist, dass diejenigen Staaten, die das CbC Reporting umgesetzt haben, sich sowohl bei dem Schwellwert für den Konzernumsatz, ab dem eine Pflicht zur Abgabe eines länderbezogenen Berichts entsteht (750 Mio. Euro oder ein äquivalenter Wert in Landeswährung) als auch in Bezug auf den Umfang der vorzulegenden Informationen (Tabellen 1–3) an die Vorgaben der OECD gehalten haben, so dass es hier für die Unternehmen nicht zu der befürchteten Schwierigkeit kommt, den Um1 Vgl. ebenso Grotherr, IStR 2016, 991 (1002); Lappé/Schmidtke, IStR 2015, 693 (696). 2 Vgl. BT-Drucks. 18/9536, 38.

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Busch

G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.201 Kap. 13

fang der vorzulegenden Informationen für jedes Land einzeln bestimmen zu müssen. Insgesamt ist es mehr als fraglich, ob das Zahlenwerk des CbC Reportings eine aussagekräftige Interpretation erlaubt. Dies liegt zum einen daran, dass in Tabelle 1 eine Aggregation über alle in der jeweiligen Steuerjurisdiktion ansässigen bzw. belegenen Berichtseinheiten vorgenommen wird. Insbesondere bei Mischkonzernen werden die Finanzdaten von sehr unterschiedlich aufgestellten Unternehmen, die in sehr unterschiedlichen Industrien operieren, verwoben. Darüber hinaus erlaubt allenfalls eine Mehrjahresanalyse für bestimmte Kenngrößen überhaupt eine Interpretation, da die Berichtsspalte „im Wirtschaftsjahr gezahlte Ertragsteuern“ im Regelfall auch periodenfremden Steueraufwand (z.B. Steuernachzahlungen für Vorjahre) enthalten wird. Insgesamt besteht die Befürchtung, dass das CbC Reporting einer formelhaften Gewinnaufteilung (formula apportionment) Vorschub leistet, da das Tableau der OECD alle erforderlichen Informationen für die gängigen Allokationsschlüssel (Umsatz, Beschäftigtenzahl und Kapital) enthält.1 Diese Vorgehensweise widerspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz diametral, der eine Gewinnaufteilung anhand der erzeugten Wertschöpfung vorsieht.

IV. Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO 1. Gesetzliche Grundlagen Alte Rechtslage. In Rz. 13.85 ff. ist ausgeführt worden, dass nach dem zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des § 90 Abs. 3 AO ergangenen BFH-Urt. v. 17.10.20012 der Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen kann. Die Rechtsfolge hängt letztlich davon ab, ob sich die Pflichtverletzung auf die Tatbestandsvoraussetzung oder dessen Rechtsfolge bezieht. Während eine Pflichtverletzung hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzung zur Reduzierung des Beweismaßes für die Finanzverwaltung führt, birgt eine Pflichtverletzung hinsichtlich der Rechtsfolge das Risiko einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. Für Betriebsstätten bedeutet dies, dass die Finanzverwaltung von einem Verstoß des Steuerpflichtigen gegen das Veranlassungsprinzip (vor 2013)/des Fremdvergleichsprinzip (ab 2013) ausgehen kann, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt. Das Ausmaß einer Einkünftekorrektur durch Änderung der Zuordnung von Aufwendungen und Erträgen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte im Wege einer Schätzung ist der Finanzverwaltung nur gestattet, wenn sich die Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen auf die Rechtsfolge bezieht, wenn er also seiner Mitwirkungspflicht hinsichtlich der Angemessenheit der Aufteilung von Aufwendungen und Erträgen nicht nachgekommen ist. Der Nichtanwendungserlass zum BFH-Urt. v. 17.10.2001 dürfte an dieser Auslegung nichts ändern, da er ausweislich seiner Bezeichnung ausschließlich auf Vertriebsgesellschaften in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft Anwendung findet.3 Durch Einfügen der Abs. 3 und 4 in § 162 AO im Rahmen des Steuervergünstigungsabbaugesetzes4 versucht der Gesetzgeber, die vom BFH entwickelte Differenzierung auszuhebeln, indem er die Schätzungsbefugnis mit der Pflichtverletzung hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzung verknüpft. Soweit der Steuerpflichtige jedoch seiner gesetzlichen Pflicht nachkommt und verwertbare Aufzeichnungen vorlegt, 1 Vgl. Busch/Wilmanns, DB 2014, 856. 2 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 3 Vgl. BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 – 12/04, BStBl. I 2004, 270 (aufgehoben für Steuertatbestände, die nach dem 31.12.2008 verwirklicht werden, durch Nichtaufnahme in die Positivliste in BMF v. 23.4.2010 – IV A 6-O 1000/09/10095 – DOK 2010/0197416, BStBl. I 2010, 391). 4 BGBl. I 2003, 660 (665); Art. 9 Nr. 5.

Busch 1017

13.201

Kap. 13 Rz. 13.202

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

hat die geschilderte Rechtslage für ihn auch für Wirtschaftsjahre Bestand, die nach dem 31.12.2003 beginnen.

13.202 Neue Rechtslage bei Pflichtverletzungen. Wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO verletzt, greift eine widerlegbare Anscheinsvermutung, dass die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus den genannten Geschäftsbeziehungen durch das Nahestehen gemindert worden sind. Dadurch wären implizit die Tatbestandsvoraussetzungen einer verdeckten Gewinnausschüttung dem Grunde nach und eines Verstoßes gegen das Veranlassungsprinzip (vor 2013)/des Fremdvergleichsprinzip (ab 2013) erfüllt. Eine Verletzung kann darin bestehen, dass der Steuerpflichtige entweder die geforderten Aufzeichnungen nicht vorlegt, diese im Wesentlichen unverwertbar oder – im Falle des § 90 Abs. 3 Satz 8 AO n.F. – nicht zeitnah erstellt sind. § 162 Abs. 3 AO sieht in solchen Fällen vor, dass die Finanzverwaltung die Einkünfte aus diesen Geschäftsbeziehungen schätzen darf, wobei es dem Steuerpflichtigen nach wie vor unbenommen ist, die Anscheinsvermutung einer Einkünfteminderung durch Vorlage geeigneter Unterlagen zu widerlegen. Die Neufassung des § 162 Abs. 3 AO sieht weiterhin vor, dass die Finanzverwaltung im Rahmen einer solchen Schätzung aus einer Bandbreite von angemessenen Vergleichsentgelten den für den Steuerpflichtigen ungünstigsten Wert dieser Bandbreite der Besteuerung zugrunde legen darf (Strafschätzung).1 Der Gesetzgeber beabsichtigt, mit dieser Regelung eine weitere Feststellung des BFH in seinem Urteil vom 17.10.20012 auszuhebeln. Dort war entschieden worden, dass bei einer Schätzung der für den Steuerpflichtigen günstigste Wert einer Bandbreite von Vergleichswerten der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Die beabsichtigte punktuelle Gesetzeskorrektur ist in erster Linie wegen des darin liegenden Verstoßes gegen allgemeine Schätzungsgrundsätze abzulehnen, die gerade wegen der einer Schätzung inhärenten Unsicherheit aufgestellt worden sind. Da Steuerrecht Eingriffsrecht ist, bedarf es des Schutzes des Steuerpflichtigen insoweit, als im Besteuerungsverfahren Unsicherheiten nicht zu seinen Lasten gehen dürfen. Dies hat insbesondere der I. Senat des BFH in mehreren Urteilen3 zu Schätzungsbandbreiten bei verdeckten Gewinnausschüttungen bekräftigt. Die Tatsache, dass die Finanzverwaltung den Gesetzgeber bemüht hat, dieses rechtstaatliche Prinzip auszuhöhlen, und sich darüber hinaus in ihrem Nichtanwendungserlass über mehrere eindeutige BFH-Urteile hinwegsetzt, ist eines Rechtsstaats unwürdig. Es ist zu hoffen, dass der Gesetzgeber sich eines Besseren besinnt und die Strafschätzung i.S.d. § 162 Abs. 3 Satz 2 AO aus dem Gesetz streicht, ehe Gerichte bemüht werden müssen, um den Status quo ante wiederherzustellen. 2. Festsetzung von Strafzuschlägen

13.203 Festsetzung von Strafzuschlägen. Neben der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sieht das Gesetz zusätzlich die Festsetzung sog. „Strafzuschläge“ vor. Diese Strafzuschläge können

1 Explizit gegen BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; s. aber Nichtanwendungserlass des BMF v. 26.2.2004 – IV B 4-S 1300-12/04, BStBl. I 2004, 270 (aufgehoben für Steuertatbestände, die nach dem 31.12.2008 verwirklicht werden, durch Nichtaufnahme in die Positivliste in BMF v. 23.4.2010 – IV A 6-O 1000/09/10095 – DOK 2010/0197416, BStBl. I 2010, 391). 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; v. 27.2.2003 – I R 46/01, BStBl. II 2004, 132 = FR 2003, 1020 m. Anm. Pezzer; v. 4.6.2003 – I R 24/02, BStBl. II 2004, 136 = FR 2003, 1233; v. 4.6.2003 – I R 38/02, BFHE 202, 500 = FR 2003, 1173 = DB 2003, 2260; v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030; v. 5.3.2008 – I B 171/07, BFH/NV 2008 = FR 2008, 1059, 1060; FG München v. 14.7.2008 – 6 V 152/08 (rkr.), DStRE 2009, 1194.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.203 Kap. 13

zwischen 5 und 10 % der Einkünftekorrektur i.S.d. § 162 Abs. 3 AO betragen. Strafzuschläge können somit auch bei Verlustvorträgen zu einer Zahlung an die Finanzbehörde führen. Der Strafzuschlag beträgt mindestens 5 000 Euro. Diese Strafzuschläge sollen jedoch nur dann erhoben werden, wenn der Steuerpflichtige keine Aufzeichnungen vorlegt oder die vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind. Mit Wirkung ab dem 24.12.20161 hat der Gesetzgeber den Wortlaut der Sanktionsnorm dahingehend ergänzt, dass der Strafzuschlag zu erheben ist, falls „über einen Geschäftsvorfall“Aufzeichnungen nicht vorgelegt werden oder „über einen Geschäftsvorfall“ vorgelegte Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind. Die neue2 Einzelgeschäftsvorfallbezogenheit der Strafnorm hat unter Praktikern die Besorgnis ausgelöst, dass künftig die nicht verwertbare Dokumentation selbst von Klein(st)transaktionen jeweils einen Mindeststrafzuschlag i.H.v. 5.000 Euro auslösen kann. Die Festsetzung eines Strafzuschlags pro Geschäftsvorfall durch die Finanzverwaltung sollte jedoch dann unstatthaft und ein Ermessensfehlgebrauch sein, wenn dieser Geschäftsvorfall nicht in der Anforderung zur Vorlage der Aufzeichnungen gem. § 2 Abs. 6 Satz 3 GAufzV inhaltlich hinreichend spezifiziert worden ist.3 Für Aufzeichnungen, die nicht zeitnah erstellt worden sind, greift der prozentuale Strafzuschlag jedoch nicht. Für die verspätete Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen sieht § 162 Abs. 4 AO vor, dass die Finanzverwaltung absolute Strafzuschläge von bis zu 1 Mio. Euro festsetzen kann, mindestens jedoch 100 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung (Verspätungs-Strafzuschläge). Eine verspätete Erstellung zieht keine Strafzuschläge nach sich. Sie kann jedoch zur widerlegbaren Vermutung einer Minderung der Einkünfte führen. Angesichts der Tatsache, dass bei Nicht-Abgabe einer Steuererklärung gem. § 152 Abs. 10 AO lediglich ein Verspätungszuschlag von maximal 25 000 Euro festgesetzt werden darf, erscheint der vorgesehene Verspätungszuschlag in seiner Höhe unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig zu sein, da er bei lediglich verspäteter Abgabe eines Teils der Aufzeichnungspflichten, die die Steuererklärung stützen, eine höhere Sanktion darstellt, als es die Nicht-Abgabe der gesamten Steuererklärung nach sich zieht. Bei der Festsetzung der Strafzuschläge hat die Finanzverwaltung nach pflichtgemäßem Ermessen zu handeln. Entsprechend sind bei Zuschlägen oder Verspätungs-Strafzuschlägen zu beachten: – der Zweck, den Steuerpflichtigen zur fristgerechten Vorlage einer Verrechnungspreisdokumentation anzuhalten, – die Vorteile, die der Steuerpflichtige aus der Nichtbeachtung der Dokumentationsvorschriften gezogen hat und – die Dauer der Fristüberschreitung bei verspäteter Vorlage. Strafzuschläge sind jedoch nicht festzusetzen, wenn das Fehlen einer angemessenen Dokumentation entschuldbar erscheint oder ein Verschulden nur geringfügig ist. Welche Kriterien das Fehlen der geforderten Aufzeichnungen entschuldbar erscheinen lassen, regelt das Gesetz unverständlicherweise nicht. Die Strafzuschläge i.S.d. § 162 Abs. 4 AO sind steuerliche

1 Art. 19 Abs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20. Dezember 2016, BGBl. I 2016, 3000. 2 Laut Gesetzesbegründung erfolgt die gesetzliche Änderung nur „klarstellend“ (vgl. BT-Drucks. 18/9536, 43). Dem ist nicht zuzustimmen. Der bisherige Wortlaut des § 90 Abs. 3 Satz 1 AO a.F. sprach nur von Aufzeichnungen für Sachverhalte, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen. Somit war nach allgemeinem Sprachgebrauch nur die Nichtvorlage oder Unverwertbarkeit der Gesamtaufzeichnungen sanktionsbewährt. 3 Indirekt ebenso Greil/Schreiber, DB 2017, 10 (15).

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Kap. 13 Rz. 13.204

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Nebenleistungen i.S.d. § 3 Abs. 4 Nr. 3 AO, waren jedoch bis zum 31.12.2006 steuerlich abzugsfähig, da sie bis dahin mangels unmittelbaren Zusammenhangs mit etwa der Einkommen-, Körperschaft- oder Gewerbesteuer nicht unter die einschlägigen Vorschriften zur Nicht-Abzugsfähigkeit gefallen sind. Ab dem 1.1.2007 gilt § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 12 EStG, der Strafzuschläge i.S.d. § 162 Abs. 4 AO als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben nennt. Als steuerliche Nebenleistungen unterliegen Strafzuschläge jedoch auch nicht der Verzinsung (vgl. § 233 Satz 2 i.V.m. § 3 Abs. 4 AO). Dieser vermeintliche Vorteil kann jedoch auch ins Gegenteil umschlagen, wenn sich Jahre nach der Festsetzung eines prozentualen Zuschlags herausstellt, dass keine Einkünftekorrektur vorzunehmen war und der Zuschlag – unverzinst – an den Steuerpflichtigen zu erstatten ist. Negativ ist zu vermerken, dass ein Strafzuschlag nach § 162 Abs. 4 AO anders als ein Verspätungszuschlag nach § 152 Abs. 11 AO1 bereits nach Abschluss einer Außenprüfung festzusetzen ist.2 Die Festsetzung eines prozentualen Zuschlags erscheint hier insbesondere dann problematisch, wenn die endgültige Höhe einer Einkünftekorrektur erst im gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren festgestellt wird. Der Verwaltungsakt, mit dem der Zuschlag festgesetzt wird, sollte daher in allen Fällen unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit ergehen bzw. muss separat angefochten werden.

13.204 Inkrafttreten. § 162 Abs. 3 und 4 AO sind erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2003 beginnen, frühestens jedoch sechs Monate nach Inkrafttreten der Rechtsverordnung i.S.d. § 90 Abs. 3 AO. Da die Rechtsverordnung nach ihrem Wortlaut zum 30.6.2003 in Kraft getreten ist, wären bei Steuerpflichtigen, deren Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr gleicht, Strafzuschläge erstmals festsetzbar, wenn die Aufzeichnungen für Wirtschaftsjahre die gesetzlichen Pflichten nicht einhalten, die nach dem 31.12.2003 beginnen.

13.205 Kein Verzögerungsgeld bei verspäteter Vorlage der Aufzeichnungen. Kommt der Steuerpflichtige der Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S.d. § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist nicht nach, kann die Finanzbehörde unter Ausübung ihres Ermessens3 (Entschließungsund Auswahlermessen) seit dem 25.12.20084 ein Verzögerungsgeld zwischen 2 500 Euro und 250 000 Euro festsetzen (vgl. Rz. 13.23). Damit soll die Norm eine Verletzung der Mitwirkungspflicht im Rahmen einer Außenprüfung sanktionieren. Die Verortung der Sanktionsnorm unter den abgabenrechtlichen Ordnungsvorschriften über die Buchführung und ihre Nennung zusammen mit einer nicht bewilligten Verlagerung der Buchführung ins Ausland ist systematisch missglückt. Drüen folgert daraus, dass ein Verzögerungsgeld nur im Zusammenhang mit einer ohne Bewilligung der Finanzbehörden erfolgten Verlagerung der Buchführung ins Ausland oder einer unterbliebenen Rückverlagerung der Buchführung aus dem Ausland festgesetzt werden kann.5 Dieser Ansicht hat sich der BFH nicht angeschlossen.6 Nach dem

1 § 152 Abs. 3 AO bestimmt, dass eine Festsetzung im Rahmen der Steuerfestsetzung zu erfolgen hat. 2 Vgl. § 162 Abs. 4 Satz 7 AO. 3 Vgl. u.a. BFH v. 24.4.2014 – IV R 25/11, BFH/NV 2014, 1414; FG Hessen v. 12.07.2016 – 9 K 512/14, (rkr.), FG Hamburg v. 12.12.2013 – 6 K 187/13, EFG 2014, 514 (rkr.). 4 Vgl. Art. 39 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Nr. 8 Jahressteuergesetz 2009 v. 19.12.2008, BStBl. I 2008, 2794. 5 Vgl. Drüen in T/K, § 146 AO Rz. 50; Drüen, Ubg 2009, 549; Drüen, Ubg 2011, 83 (86). 6 Vgl. BFH v. 16.6.2011 – IV B 120/10, BFH/NV 2011, 1549; v. 28.6.2011 – X B 37/11, BFH/NV 2011, 1833; so auch BMF v. 22.4.2010 – IV A 4, DStR 2011, 676 (Fragen und Antworten zum Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2 AO). Vgl. auch Haubner, StBp 2012, 314.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.206 Kap. 13

eindeutigen Wortlaut der Norm und auch vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung1 kann das Verzögerungsgeld generell im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung festgesetzt werden. Die Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO stellen Unterlagen dar, die regelmäßig nur für Zwecke der Durchführung einer Außenprüfung angefordert werden sollen (§ 2 Abs. 6 Satz 1 GAufzV). Die verspätete Vorlage einer angeforderten Verrechnungspreisdokumentation im Rahmen einer Außenprüfung kann jedoch nicht mit der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes geahndet werden, da in Bezug auf die verspätete Vorlage dieser Unterlage die Strafzuschläge gem. § 162 Abs. 4 AO als „lex specialis“ Vorrang vor dem Verzögerungsgeld genießen.2 Dies gilt auch deshalb, weil die Rechtsprechung bei einer fortdauernden Pflichtverletzung die Festsetzung mehrerer Verzögerungsgelder ausschließt, da im Gegensatz zum § 332 Abs. 3 AO eine ähnliche gesetzliche Regelung in Bezug auf das Verzögerungsgeld fehlt.3 Daraus lässt sich schließen, dass das Verzögerungsgeld nicht als Auffangnorm anzusehen ist, wenn vorherige Sanktionsmittel nicht zum Ziel geführt haben (z.B. Strafzuschläge i.S.d. § 162 Abs. 4 AO). 3. Verwertbarkeit vs. Unverwertbarkeit Verwertbarkeit. Verwertbar sollen Aufzeichnungen dann sein, wenn sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit ermöglichen, den bei Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen verwirklichten Sachverhalt nachzuvollziehen und zu überprüfen, ob der Fremdvergleichsgrundsatz beachtet worden ist. Aufzeichnungen sind hingegen u.a. als unverwertbar anzusehen, wenn sie unvollständig oder widersprüchlich sind oder eine ungeeignete Verrechnungspreismethode gewählt worden ist. Insbesondere die Feststellung der Finanzverwaltung über die mangelnde Eignung einer Verrechnungspreismethode dürfte angesichts der bisher geltenden Flexibilität4 Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen über den Inhalt des Terminus „verwertbar“ geben. Darüber hinaus dürfte die Unvollständigkeit oder Widersprüchlichkeit der Aufzeichnungen nicht zur Unverwertbarkeit führen. Bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen sowie bei der Gewinnermittlung von Betriebsstätten handelt es sich in aller Regel um komplexe Sachverhaltszusammenhänge, die aus dem Studium von Aufzeichnungen nicht ohne zusätzliche Erläuterungen unmittelbar verständlich sein müssen. Der Schluss von der vermeintlichen Unvollständigkeit oder Widersprüchlichkeit auf die Unverwertbarkeit geht fehl, weil er notgedrungen aus der Wahrnehmung eines Mitarbeiters der Finanzverwaltung resultieren würde, der sich in dem zu untersuchenden Geschäftsumfeld im Zweifel nicht so gut auskennt wie der die Aufzeichnungen erstellende Steuerpflichtige. Unter der Annahme, dass ein Betriebsprüfer als sachverständig anzusehen ist, fällt es schwer, sich Umstände vorzustellen, in denen eine Unverwertbarkeit vorliegt. In den Fällen, in denen der Betriebsprüfer glaubt, den zu untersuchenden Sachverhalt wegen unvollständiger oder widersprüchlicher Aufzeichnungen nicht nachvollziehen oder die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes nicht prüfen zu können, wäre er nach dem Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet, durch die Anforderung zusätzlicher Unterlagen oder Erläuterungen den konstatierten Mangel aufzuklären. 1 Vgl. BT-Drucks. 16/10189, 81. Nach der Gesetzesbegründung soll, um eine Ungleichbehandlung zu vermeiden, bei Verstößen gegen die Mitwirkungspflicht in Außenprüfungen auch gegen Steuerpflichtige ein Verzögerungsgeld festsetzbar sein, die ihre Buchführung nicht ins Ausland verlagert haben. 2 Ebenso Neumann, DStR 2013, 1213 (1216). 3 Vgl. BFH v. 16.6.2011 – IV B 120/10, BFH/NV 2011; FG Hessen v. 8.8.2011 – 8 V 1281/11, EFG 2011, 1949 (rkr.); AEAO zu § 146, Nr. 3 Satz 2. 4 Vgl. VWG 1983, Tz. 2.4.

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13.206

Kap. 13 Rz. 13.207

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Diese Ansicht wird in den VWG-Verfahren gewissermaßen dadurch bestätigt, dass die Finanzverwaltung selbst die Verwertbarkeit durch eigene Handlungen in den Grenzen des Möglichen und Zumutbaren herstellen soll.1 Eine solche Ergänzung fordert nun auch explizit § 90 Abs. 3 Satz 10 AO n.F. Erst wenn der Steuerpflichtige zusätzliche Unterlagen oder Erläuterungen verweigert, könnten Aufzeichnungen in Ausnahmefällen als im Wesentlichen unverwertbar anzusehen sein. Im Übrigen ist der unbestimmte Rechtsbegriff der Unverwertbarkeit vor dem unionsrechtlichen Gebot des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eng auszulegen. Wie der BFH festgestellt hat,2 verstößt die Dokumentationspflicht für Verrechnungspreise gegen die EUGrundfreiheit, da sie grenzüberschreitende Sachverhalte gegenüber rein inländischen Sachverhalten diskriminiert, indem über die Erstellung der Dokumentation dem Steuerpflichtigen zusätzliche Befolgungskosten auferlegt werden. Dieser Verstoß gegen die Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit ist nur insoweit mit dem Ziel der Ausübung einer wirksamen Steueraufsicht gerechtfertigt, als er nicht über das erforderliche Maß zur Zielerreichung hinausgeht. Somit ist auf Basis der Rechtfertigungslehre des EuGH, die sich auch der BFH in seinem Urteil zu Eigen gemacht hat, der Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO) eine enge Grenze gesetzt. Nur wenn die Aufzeichnungen die Prüfung der Angemessenheit der Verrechnungspreise objektiv nicht ermöglichen, ist an die Annahme der Unverwertbarkeit zu denken.3

13.207 Maßstab der Verwertbarkeit. Die GAufzV formuliert den Standard, dem Aufzeichnungen genügen müssen, wie folgt: „Die Aufzeichnungen müssen es einem sachverständigen Dritten ermöglichen, innerhalb einer angemessenen Frist festzustellen, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit seinen Geschäftsbeziehungen verwirklicht hat und ob und inwieweit er dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat.“4

Dadurch ist zunächst die Voraussetzung dafür geschaffen, dass etwas als nicht dem Standard entsprechend, d.h. „unverwertbar“, bezeichnet werden kann. Die VWG-Verfahren greifen diesen Standard der Beschaffenheit von Aufzeichnungen auf und definieren dessen Einhaltung in Tz. 3.4.19 Buchst. a VWG-Verfahren als verwertbare Verrechnungspreisdokumentation, wenn dem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit nicht nur die Feststellung der Sachverhalte, sondern auch deren Prüfung und die Prüfung möglich ist, ob und inwieweit der Steuerpflichtige bei der Verwirklichung seiner Sachverhalte den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat. Ob aus der Aussage in Tz. 3.4.1 VWG-Verfahren, dass Aufzeichnungen nur dann die Ausgangsbasis für eine Prüfung sein können, wenn diese Aufzeichnungen verwertbar sind, geschlossen werden kann, dass die Unmöglichkeit der Prüfung ein zusätzliches Merkmal für die Unverwertbarkeit darstellt, ist anzuzweifeln, da die Unmöglichkeit der Prüfung letztlich eine Folge der Unverwertbarkeit ist.

13.208 Kritik am Maßstab der Verwertbarkeit in der Auslegung der VWG-Verfahren. Der im vorherigen Abschnitt beschriebene Maßstab ist nach wie vor zu abstrakt und bietet dem Steuerpflichtigen daher keine hinreichende Grundlage für die Zusammenstellung von verwertbaren Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO. Folglich bedarf es für den Rechtsanwender einer Konkretisierung der Norm. Andernfalls würde die anzuwendende Norm gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen. Die VWG-Verfahren nehmen in Tz. 3.4.19 zur Verwertbar1 So VWG-Verfahren, Tz. 3.4.19 Buchst. c. 2 BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771 = FR 2013, 961 = ISR 2013, 347 m. Anm. Andresen. 3 Vgl. Busch, FR 2013, 943 (944). 4 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 4 GAufzV.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.210 Kap. 13

keit bzw. Unverwertbarkeit von Aufzeichnungen Stellung. Zusätzlich zu den Ausführungen in Tz. 3.4.19 VWG-Verfahren finden sich verschiedene Varianten des Ausdrucks Verwertbarkeit bzw. Unverwertbarkeit in den folgenden Textziffern der VWG-Verfahren: Tz. 3.4.1; 3.4.12.4; 3.4.12.5 Buchst. b, c und d; 3.4.13; 3.4.16; 3.4.18.2 Buchst. a; 3.4.20 und 4.6. Konkretisierung des Maßstabes der Verwertbarkeit. Der in Tz. 3.4.19 Buchst. b VWG-Verfahren enthaltene Hinweis darauf, dass der Qualität der Aufzeichnungen eine größere Bedeutung zukommt als der Quantität, ist nachvollziehbar, da man sich den sachverständigen Dritten gut vorstellen kann, der sich durch eine große Anzahl von Unterlagen durcharbeitet, diese jedoch nicht in angemessener Zeit ein Verstehen des verwirklichten Sachverhalts erlauben. Entscheidender sind die Hinweise darauf, dass weder die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit von Aufzeichnungen in einzelnen Punkten noch eine Angemessenheitsdokumentation, die sich auf eine geringe Anzahl an Fremdvergleichsdaten stützt, Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar macht. Der Rechtsanwender hätte sich hier jedoch eine konkretere Aussage dahingehend gewünscht, dass das Fehlen von bestimmten Gliederungspunkten i.S.d. § 4 GAufzV nicht zur Unverwertbarkeit führt. Der Hinweis darauf, dass eine Angemessenheitsdokumentation auch dann noch verwertbar sein kann, wenn sie nur wenige Fremdvergleichsdaten aufweist, ist ebenso überflüssig (Tz. 3.4.19 Buchst. b VWG-Verfahren: Qualität statt Quantität)1 wie widersprüchlich, wenn man berücksichtigt, dass es nach § 1 Abs. 3 Satz 1 GAufzV Fälle geben kann, in denen überhaupt keine Fremdvergleichsdaten mit zumutbarem Aufwand ermittelbar sind. Eine einzelne Vergleichstransaktion bzw. ein Vergleichsunternehmen reicht vollkommen aus zum Nachweis des ernsthaften Bemühens i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV. Fehlt es gänzlich an Fremdvergleichsdaten, sind Planrechnungen vorzulegen,2 so dass eine geringe Anzahl von Fremdvergleichsdaten allein in der Tat nicht zur Unverwertbarkeit führen kann. Außerdem führt die Vorlage von Aufzeichnungen in fremder Sprache ohne Zustimmung der Finanzbehörde und die Weigerung, diese Aufzeichnungen auf Anforderung zu übersetzen (Tz. 3.4.19 Buchst. c und Tz. 3.4.16 VWG-Verfahren), zur Unverwertbarkeit dieser Aufzeichnungen, weil sie die Finanzbehörde u.U. tatsächlich nicht nachvollziehen und somit auch nicht prüfen kann.

13.209

Verwertbarkeit einer Sachverhaltsdokumentation. Es fällt auf, dass die VWG-Verfahren neben den o.g. keine konkreten Angaben darüber enthalten, was eine Sachverhaltsdokumentation unverwertbar macht. Von einer Präzisierung des Maßstabs kann insoweit keine Rede sein, da die Einzelaussagen nicht zu jedem Gliederungspunkt des Minimalkatalogs in § 4 GAufzV, soweit dieser die Sachverhaltsdokumentation betrifft, eine Aussage zu den Grenzen der Verwertbarkeit trifft. Insoweit ist der Terminus der Unverwertbarkeit als unbestimmt anzusehen. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kann eine Unvollständigkeit oder Widersprüchlichkeit in der Sachverhaltsdokumentation nur dann zu einer Unverwertbarkeit der Verrechnungspreisdokumentation an sich führen, wenn diese die Durchführung der Angemessenheitsanalyse nicht zulässt oder zu falschen Schlüssen führt. Dies könnte bspw. der Fall sein, wenn die Funktions- und Risikoanalyse keinen Schluss über die Unternehmenscharakterisierung in der Wertschöpfungskette zulässt, die für die Wahl

13.210

1 Siehe hierzu auch BMF v. 26.2.2004 – IV B 4-S 1300-12/04, BStBl. I 2004, 270, Tz. 3, wonach für die Durchführung eines Fremdvergleichs „keine schematischen Mindestanforderungen (z.B. Mindestanzahl von Vergleichsbetrieben)“ gestellt werden können (aufgehoben für Steuertatbestände, die nach dem 31.12.2008 verwirklicht werden, durch Nichtaufnahme in die Positivliste in BMF v. 23.4.2010 – IV A 6-O 1000/09/10095 – DOK 2010/0197416, BStBl. I 2010, 391). 2 Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.12.6 Buchst. a u. Tz. 3.4.10.2 Buchst. c.

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Kap. 13 Rz. 13.211

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

der Verrechnungspreismethode ausschlaggebend ist. Andernfalls kann das Fehlen einzelner, in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 GAufzV genannter Elemente keine Unverwertbarkeit der Sachverhaltsdokumentation begründen, da die Sachverhaltsdokumentation lediglich eine vorbereitende Funktion zur Durchführung der Angemessenheitsanalyse bildet.

13.211 Verwertbarkeit einer Angemessenheitsdokumentation. Hinsichtlich der Angemessenheitsdokumentation enthalten die VWG-Verfahren konkretere Angaben, die jedoch auch keine systematische Gliederung etwa nach § 4 GAufzV erkennen lassen. Danach führen folgende Umstände zur Unverwertbarkeit einer Angemessenheitsdokumentation: 1. die Vorlage einer Angemessenheitsdokumentation, aus der lediglich hervorgeht, dass die Verrechnungspreise von nahestehenden Personen festgelegt worden sind (Tz. 3.4.19 Buchst. c VWG-Verfahren); 2. die Vorlage einer Angemessenheitsdokumentation, in der nur die Methode und die Begründung ihrer Auswahl, nicht jedoch Fremdvergleichsdaten oder Planrechnungen enthalten sind (Tz. 3.4.19 Buchst. c VWG-Verfahren); 3. die Vorlage einer Angemessenheitsdokumentation, deren Daten keinen Fremdvergleich erlauben (Tz. 3.4.19 Buchst. c und 3.4.12.7 Buchst. b und c VWG-Verfahren); 4. die Vorlage der Angemessenheitsdokumentation einer Vertriebsgesellschaft mit Routinefunktionen oder eines Unternehmens mit mehr als Routinefunktionen, wenn diese nur eine Datenbankstudie mit Renditekennziffern von Fremdunternehmen enthält, sog. „reines Datenbankscreening“ (Tz. 3.4.19 Buchst. c, 3.4.10.2 Buchst. a, b und c und 3.4.12.4 VWG-Verfahren); 5. die Vorlage einer Angemessenheitsdokumentation, wenn die Datenbank erhebliche Mängel aufweist, mit der der Fremdvergleich durchgeführt ist (Tz. 3.4.12.4 VWG-Verfahren); 6. die Vorlage einer Angemessenheitsdokumentation, wenn die Sachverhalte nicht zumindest eingeschränkt vergleichbar i.S.d. Tz. 3.4.12.7 Buchst. c VWG-Verfahren sind; 7. die Vorlage einer Angemessenheitsdokumentation mit eingeschränkt vergleichbaren Werten, wenn keine weitere Analyse i.S.d. Tz. 3.4.12.5 Buchst. b VWG-Verfahren durchgeführt wird; dazu kann es geboten sein, eine Einengung der Bandbreiten nach Maßgabe der Tz. 3.4.12.5 Buchst. c i.V.m. 3.4.18.2 VWG-Verfahren vorzunehmen, um das Risiko der – insoweit allerdings nicht weiter präzisierten Unverwertbarkeit – zu vermindern; 8. die Vorlage einer Verrechnungspreisrichtlinie, wenn bei der Überprüfung des Einhaltens des Fremdvergleichsgrundsatzes ein Abweichen von der Richtlinie in besonders erheblichem (sic!) Maße festgestellt wird und keine gesonderten Aufzeichnungen vorgelegt oder Gründe dafür dargelegt werden können (Tz. 3.4.13 VWG-Verfahren).

13.212 Kritik an der Auslegung der VWG-Verfahren. Ein Vergleich dieser Aussagen in Rz. 13.208 zur Beschaffenheit der Angemessenheitsdokumentation mit der geltenden Gesetzeslage weckt Zweifel daran, dass das, was die Finanzverwaltung offensichtlich als unverwertbar behandeln möchte, als unverwertbar i.S.d. § 162 Abs. 3 und 4 AO anzusehen ist. Unter Zugrundelegung der Gesetzesbegründung zur GAufzV und des Wortlauts des § 2 Abs. 2 Satz 4 GAufzV ist davon auszugehen, dass Aufzeichnungen dann als verwertbar anzusehen sind, wenn sie es einem sachverständigen Dritten ermöglichen, innerhalb einer angemessenen Frist festzustellen, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit seinen Geschäftsbeziehungen verwirklicht hat und ob und inwieweit er dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat.

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G. Amtsermittlungs- und Mitwirkungspflichten

Rz. 13.213 Kap. 13

Hinsichtlich der Angemessenheitsdokumentation ist zu beachten, dass der Steuerpflichtige lediglich sein ernsthaftes Bemühen dokumentieren muss,1 seine Verrechnungspreise entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz festzulegen. Er ist in keiner Weise beweispflichtig hinsichtlich der Angemessenheit der vereinbarten Verrechnungspreise.2 Daran ändert auch § 1 Abs. 3 Satz 1 GAufzV nichts. Insofern hat der Steuerpflichtige nur dafür Sorge zu tragen, dass die Angemessenheitsdokumentation für die prüfende Finanzbehörde nachvollziehbar ist. Sie muss sich innerhalb angemessener Zeit ein Bild davon machen können, ob der Steuerpflichtige sich ernsthaft bemüht hat, den Fremdvergleichsgrundsatz zu beachten. Der Steuerpflichtige hingegen muss nicht beweisen, dass der gewählte Preis ein Fremdvergleichspreis ist. Dies ist der entscheidende Grund, weshalb aus Unzulänglichkeiten bei der Dokumentation der Angemessenheit keine Unverwertbarkeit resultieren kann. Anweisungen darüber, wie dabei vorzugehen ist, sind insoweit als obsolet anzusehen, weil die prüfende Finanzbehörde auch bei Festlegung von Preisen durch nahestehende Personen, bei fehlenden Vergleichsdaten und Planrechnungen, bei unzureichender Vergleichbarkeit, bei für einen Fremdvergleich ungeeigneten Daten, bei Datenbanken mit erheblichen Mängeln, bei Sachverhalten mit nicht einmal eingeschränkter Vergleichbarkeit, bei eingeschränkt vergleichbaren Sachverhalten ohne zusätzliche Analyse und bei Abweichungen von einer Verrechnungspreisrichtlinie hinsichtlich der Preisfindung eine sinnvolle Prüfung durchführen kann, wenn die tatsächliche Preisfindung für sie nachvollziehbar ist. Vor diesem Hintergrund sind die unter Rz. 13.211 Nr. 1–8 getroffenen Aussagen als nicht von der geltenden Rechtslage gedeckt anzusehen. Dies unterstreicht auch der Wortlaut, der durch Verwendung des Worts „ob“ signalisiert, dass lediglich die Voraussetzungen für eine inhaltliche Prüfung zu schaffen sind, diese jedoch nicht von dem Steuerpflichtigen gewissermaßen vorwegzunehmen ist. Angesichts der eindeutigen Beweislastverteilung ist jeder darüber hinausgehende Anspruch an die Qualität einer Angemessenheitsdokumentation als nicht vom Zweck der Vorschrift gedeckt anzusehen und entbehrt somit jeder Rechtsgrundlage. Danach ist jeder Versuch eines Steuerpflichtigen, die Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu dokumentieren, als verwertbar anzusehen, wenn sich die innere Logik des Nachweises der Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes innerhalb angemessener Zeit nachvollziehen lässt. Die Finanzbehörde muss in die Lage versetzt werden, die Angemessenheitsdokumentation prüfen zu können. Dies kann sie nur dann nicht, wenn sie die Angemessenheitsdokumentation nicht verstehen bzw. nachvollziehen kann. Wie und mit welchen Mitteln eine Angemessenheitsdokumentation zu führen ist, entzieht sich einer Beurteilung der Finanzverwaltung zumindest insoweit, als es um die Festsetzung von Strafzuschlägen geht, weil es für deren Festsetzung nur darauf ankommt, dass das, was vorgelegt worden ist, in sich schlüssig und damit für die Finanzbehörde nachvollziehbar ist. Jede andere Auslegung widerspricht der gesetzlich geregelten Verteilung der Beweislast. Unverwertbarkeit und Fremdverhalten. Der Fremdvergleichsgrundsatz zwingt den Steuerpflichtigen nicht, einen Preis auf eine bestimmte Weise zu bestimmen. Er ist keine Verhaltensregel und insoweit nicht zu verwechseln mit dem Umstand, dass der BFH in Auslegung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG in manchen Fällen aus dem abweichenden Verhalten eines Steuerpflichtigen von einem gedachten Normsachverhalt lediglich indiziell und jederzeit widerlegbar auf eine Veranlassung dieses Verhaltens (und der daraus vereinbarten Preise) durch das Gesellschaftsverhältnis geschlossen hat. Dies ist durch die jüngste und durch eine eindrucksvolle Folge an gleichlautenden Entscheidungen innerhalb kürzester Zeit bereits als ständig zu bezeichnende Rechtsprechung des BFH eindeutig bestätigt worden. Danach entfaltet 1 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV. 2 So auch Gesetzesbegründung in BR-Drucks. 583/03, 7; VWG-Verfahren, Tz. 2.1.

Busch 1025

13.213

Kap. 13 Rz. 13.214

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

Art. 9 OECD-MA eine Sperrwirkung gegenüber Verrechnungspreisanpassungen, die auf das Verhalten des gedachten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG abzielen. Zu beurteilen ist lediglich, ob die Preissetzung im tatsächlich verwirklichten Sachverhalt dem Maßstab des Fremdvergleichs genügt.1 Insoweit ist jede Formulierung in den VWG-Verfahren, die eine Unverwertbarkeit von Aufzeichnungen dann annimmt, wenn der Steuerpflichtige von einem von der Finanzverwaltung angenommenen Normsachverhalt abweicht, nicht konform mit geltendem Recht. Die Art und Weise der Bestimmung von Verrechnungspreisen kann somit in keinem Fall zur Unverwertbarkeit der entsprechenden Aufzeichnungen führen, wenn diese Aufzeichnungen es einem sachverständigen Dritten erlauben zu verstehen, wie der Steuerpflichtige seine Verrechnungspreise bestimmt hat.

H. Auskunfts- und Vorlagepflichten I. Gesetzliche Grundlagen 13.214 Verfahrensgrundsätze. Neben den Buchführungs-, Aufzeichnungs- und Bilanzierungspflichten hat der Steuerpflichtige auf Verlangen der Finanzverwaltung den steuerrechtlichen Auskunfts- und Vorlagepflichten nachzukommen, soweit diese nicht die Grenzen der Verhältnismäßigkeit oder Zumutbarkeit überschreiten. Diese Pflichten sind in den Verfahrensgrundsätzen geregelt (§§ 78 bis 117 AO), die für das gesamte Steuerverwaltungsverfahren gelten.2

13.215 Auskunftspflicht. § 92 Satz. 2 Nr. 1 AO erlaubt der Finanzbehörde, sich Auskünfte einzuholen, soweit diese für die Ermittlung eines Sachverhalts erforderlich sind. Damit das vorgesehene Beweismittel der Auskunft nicht ins Leere läuft, verpflichtet § 93 Abs. 1 Satz 1 AO Beteiligte und andere Personen zur Erteilung von Auskünften gegenüber der Finanzbehörde, soweit diese Auskünfte für die Ermittlung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlich sind. In aller Regel ist die Gruppe der Verfahrensbeteiligten auf den Steuerpflichtigen beschränkt. Auskünfte anderer Personen soll die Finanzverwaltung erst dann einholen, wenn die Aufklärung des Sachverhalts durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht. Das Auskunftsersuchen durch die Finanzbehörde hat darüber zu informieren, zu welchen Themen Auskünfte verlangt und für wessen Besteuerungszwecke sie verwendet werden.

13.216 Vorlagepflicht. Die Finanzbehörde kann die Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen Urkunden zur Einsicht und Prüfung von den Beteiligten oder anderen Personen verlangen (§ 97 Abs. 1 Satz 1 AO). Im Vorlageverlangen ist anzugeben, ob die Urkunden für die Besteuerung des zur Vorlage Aufgeforderten oder für die Besteuerung anderer Personen benötigt werden.

1 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046 = ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer; v. 17.12.2014 – I R 23/13, BFH/NV 2015, 626 = FR 2015, 954 = ISR 2015, 121 m. Anm. Ditz/Quilitzsch; v. 24.3.2015 – I B 103/13, BFH/NV 2015, 1009; v. 24.6.2015 – I R 29/14, BFH/NV 2015, 1506 = FR 2016, 481. Siehe u.a. Andresen/Immenkötter/Frohn, DB 2013, 266; Engelen/Luckhaupt/Quilitzsch, ISR 2015, 373; Hagemann/Kahlenberg, PIStB 2015, 46; Rasch/Chwalek, IWB 2015, 377; Schnorberger/Langkau, IStR 2015, 242; Vogel, StuB 2015, 590. 2 Vgl. Nr. 1 Satz 1 zu § 85 AEAO.

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H. Auskunfts- und Vorlagepflichten

Rz. 13.220 Kap. 13

Auskunfts- und Vorlagepflichten im Rahmen der steuerlichen Außenprüfung. Sowohl die Auskunfts- als auch die Vorlagepflicht gelten gem. § 200 Abs. 1 Satz 2 AO auch im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung. Bei einer steuerlichen Außenprüfung ist die Finanzbehörde darüber hinaus berechtigt, neben dem Steuerpflichtigen und dem von ihm für die Außenprüfung als Ansprechpartner genannten Personen andere Betriebsangehörige zu befragen, wenn Auskünfte nicht erteilt werden, zur Klärung des Sachverhalts unzureichend sind oder keinen Erfolg versprechen. Das Verlangen nach schriftlichem Auskunftsersuchen gilt im Rahmen der steuerlichen Außenprüfung nicht.

13.217

II. Betriebsstätte im Inland Auskunfts- und Vorlagepflicht. Ausländische Unternehmen mit Betriebsstätten im Inland unterliegen als Beteiligte sowohl der Auskunftspflicht nach § 93 AO als auch der Vorlagepflicht nach § 97 AO. Sie sind somit verpflichtet, der zuständigen Finanzbehörde auf Anforderung die erbetenen Auskünfte zu erteilen und Urkunden vorzulegen. Die erbetenen Auskünfte haben sich auf den für die Besteuerung erheblichen Sachverhalt zu beziehen. Aus diesem Grund hat sich ein Auskunftsersuchen auf Auskünfte zu beschränken, die der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen der inländischen Betriebsstätte dienen. Darüber hinausgehenden Auskunftsersuchen muss der Steuerpflichtige nicht nachkommen. Dies gilt, ohne dass der Steuerpflichtige fürchten muss, mit der Festsetzung von Zwangsmitteln, einer Schätzung oder eines Verspätungszuschlags zur Auskunft oder Vorlage von Unterlagen gezwungen zu werden. Davon sind insbesondere Unterlagen betroffen, die sich im ausländischen Teil des Einheitsunternehmens befinden und zur Sachverhaltsaufklärung bei der inländischen Betriebsstätte nicht notwendigerweise beitragen. Solche Unterlagen wären im Rahmen der zwischenstaatlichen Amtshilfe zu beschaffen, soweit die entsprechenden Rechtsvorschriften die Übermittlung dieser Art von Unterlagen erlauben (Rz. 13.221 ff.).1

13.218

III. Betriebsstätte im Ausland Auskunfts- und Vorlagepflicht. Bei ausländischen Betriebsstätten ist der für Besteuerungszwecke relevante Sachverhalt die Ermittlung der Einkünfte der ausländischen Betriebsstätte. Entsprechend ist sowohl die Auskunfts- als auch die Vorlagepflicht auf Auskünfte und Urkunden beschränkt, die der Ermittlung der Einkünfte der ausländischen Betriebsstätte dienen. Dazu gehören sämtliche Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden, die im inländischen Betriebsteil des Einheitsunternehmens für die ausländische Betriebsstätte geführt oder aufbewahrt und für die Ermittlung der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte unmittelbar oder mittelbar benötigt werden. Anpassungsrechnungen i.S.d. § 146 Abs. 2 Satz 4 AO oder Währungsumrechnungen sind von der Auskunfts- und Vorlagepflicht gleichermaßen erfasst.

13.219

Einschränkung der Vorlagepflicht. Eingeschränkt wird die grundsätzliche Vorlagepflicht allerdings durch die rechtliche Unmöglichkeit der Beschaffung der vorzulegenden Unterlagen. Diese kann nicht dazu führen, dass ein Steuerpflichtiger im Inland Nachteile in Kauf nehmen muss. Soweit also die Vorlagepflicht nur unter Verstoß gegen ausländisches Recht er-

13.220

1 Siehe dazu Menck in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 12.21–12.37.

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Kap. 13 Rz. 13.221

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

füllt werden kann, hat die Finanzverwaltung ihre Beurteilung des Sachverhalts zunächst auf die Auskünfte zu stützen, die sie auf ihr(e) Auskunftsersuchen erhalten hat. Lassen die erhaltenen Auskünfte eine abschließende Beurteilung des Sachverhalts nicht zu und standen dem Steuerpflichtigen keine gesetzeskonformen Mittel zur Verfügung, die bestehende Informationslücke zu schließen, so hat die Finanzverwaltung den Nachteil zu tragen.1 In diesem Fall ist die Finanzverwaltung durch den Amtsermittlungsgrundsatz aufgefordert, die fehlende Information im Wege der Amtshilfe zu beschaffen.

I. Zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen I. Rechtsgrundlagen 13.221 Amtshilfe auf der Grundlage nationalen Rechts. Bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen und Innentransaktionen „über die Grenze“ stößt das Informationsbedürfnis der inländischen Finanzverwaltung wegen der Beschränkung der Ermittlungstätigkeit auf das Inland an seine Grenzen. Wenn und soweit die inländische Finanzbehörde mit ihren Ermittlungsmöglichkeiten und unter Mitwirkung des Steuerpflichtigen – in den vom Gesetz vorgegebenen Grenzen – den Sachverhalt nicht in ausreichender Form aufklären kann, erlaubt § 117 Abs. 1 AO ihr die Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Rechts- und Amtshilfe. Die Rechts- und Amtshilfe muss jedoch erforderlich und die Voraussetzungen des § 112 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AO müssen erfüllt sein.2 Danach ist die Inanspruchnahme von Rechts- und Amtshilfe als erforderlich anzusehen, wenn die untersuchende Behörde die Amtshandlung aus rechtlichen Gründen nicht selbst vornehmen kann oder ihr Tatsachen unbekannt sind, die sie für die Durchführung ihrer Aufgaben benötigt und die sie selbst nicht ermitteln kann. Die vorstehend genannten Voraussetzungen dürften bei der Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte regelmäßig erfüllt sein. Folglich ist davon auszugehen, dass die inländische Finanzbehörde bei Fragen der Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in aller Regel eine Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme von zwischenstaatlicher Rechts- und Amtshilfe hat. Die Finanzbehörde kann ihr Amtshilfeersuchen nach § 117 Abs. 1 AO auch dann anbringen, wenn es an einer zwischenstaatlichen Rechtsgrundlage fehlt. Sie ist dann jedoch auf das innerstaatliche Recht des Staats angewiesen, an den sie ihr Ersuchen richtet. Erlaubt das dort geltende Recht eine Auskunftserteilung nicht, geht das Amtshilfeersuchen aus dem Inland an das Ausland ins Leere.3 Diese aus Sicht der Finanzverwaltung bestehende Gefahr besteht dann nicht, wenn im Verhältnis zu dem anderen Staat eine spezielle Grundlage für die zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe existiert. Eine solche Grundlage existiert in Form der Amtshilferichtlinie4 für die zwischenstaatliche Rechts-

1 Das Ergebnis entspricht insoweit BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154 = IStR 2001, 745 m. Anm. Baumhoff. 2 Ebenso Bilsdorfer in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 2104. 3 Vgl. Bilsdorfer in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 2104. 4 Amtshilferichtlinie 2011/16/EU des Rates v. 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG, ABl. Nr. L 64 v. 11.3.2011, 1 – umgesetzt durch das Gesetz über die Durchführung der gegenseitigen Amtshilfe in Steuersachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-Amtshilfegesetz -EUAHiG) v. 29.6.2013, BGBl. I 2013, 1809, das zum 1.1.2013 in Kraft getreten ist. Vgl. hierzu und zur Entwicklung u.a. Caram, Intertax 2009, 630; Gabert, IWB 2009, 915; Götzenberger, SWI 2013, 36; Seer, IWB 2009, 951; von Brocke/Tippelhofer, IWB 2009, 283.

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I. Zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen

Rz. 13.222 Kap. 13

und Amtshilfe zwischen EU-Staaten, in Form des Europarats-/OECD Amtshilfeübereinkommen (AmtshÜbereink), in Form von DBA, soweit diese eine dem Art. 26 OECD-MA nachgebildete Klausel enthalten, und in Form von speziellen Amts- und Rechtshilfevereinbarungen.1 Amtshilferichtlinie und EU-Amtshilfegesetz. Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der EU gewähren die inländischen Finanzbehörden ihren EU-ausländischen Pendants Amtshilfe nach dem Amtshilfegesetz (EUAHiG).2 Im umgekehrten Fall können EU-ausländische Finanzbehörden im Inland Amtshilfe nach der Amtshilferichtlinie in Anspruch nehmen.3 Die Amtshilfe erstreckt sich auf jede Art von Steuern (§ 1 Abs. 1 EUAHiG), wobei nur die Umsatzsteuer (einschließlich Einfuhrumsatzsteuer), Zölle, die harmonisierten Verbrauchsteuern sowie Beiträge zu den sozialen Sicherungssystemen von der Anwendung ausgeschlossen werden. Der Austausch umfasst alle voraussichtlich erheblichen Informationen in Steuersachen, sofern der ersuchende Mitgliedstaat alle üblichen Informationsquellen ausgeschöpft hat (§ 4 Abs. 3 Nr. 2, § 6 Abs. 2 EUAHiG). Damit ist die Amtshilfe nur subsidiär zu den nationalen Ermittlungsmöglichkeiten anzuwenden. Auch bleiben Beweisausforschungen auf gut Glück („fishing expeditions“) ausgeschlossen. Das Tatbestandsmerkmal der „voraussichtlichen Erheblichkeit“ verlangt, dass zum Zeitpunkt des Ersuchens und der Informationsweitergabe eine vernünftige Möglichkeit aus Sicht des ersuchenden Staats besteht, dass die begehrte Information für steuerliche Zwecke relevant sein wird.4 Entsprechend kann die inländische Finanzbehörde ihr Auskunftsersuchen hinsichtlich der Gewinnermittlung von in- und ausländischen Betriebsstätten auf die Amtshilferichtlinie bzw. das EUAHiG stützen. Die mögliche Anwendung der Amtshilferichtlinie auf die Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung ist einer der Gründe dafür, dass die EU-Mitgliedstaaten die Schiedsverfahrenskonvention5 als Korrelat zur Amtshilferichtlinie geschaffen haben.6 Die Schiedsverfahrenskonvention findet 1 Siehe u.a. Schönfeld, DB 2008, 2217 (2218) für einen tabellarischen Überblick der Rechtsgrundlagen zum Auskunftsaustausch zwischen Deutschland und den übrigen EU-/EWR-Staaten. Siehe Marquardt/Betzinger, BB 2014, 3033 für einen allgemeinen Überblick über die unterschiedlichen Instrumente des internationalen Informationsaustauschs in Steuersachen und Grotherr, IStR 2015, 845 für eine Übersicht über das AmtshÜbereink. 2 Die Zusammenarbeits-Verordnung (ABl. EG Nr. L 24, 1 = BStBl. I 1999, 256) gilt nur auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung und ist daher nicht relevant für die Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung. 3 Vgl. BMF v. 23.11.2015 – IV B 6 - S 1320/07/10004 – DOK 2015/1058786, BStBl. I 2015, 928, Tz. 5. 4 Vgl. EuGH v. 16.5.2017 – Rs. C-682/15 – Berlioz Investment Fund SA, ECLI:EU:C:2017:373 = ISR 2017, 336 m. Anm. Henze; FG Köln v. 23.5.2017 – 2 V 2498/16, juris, Tz. 65. Siehe zu letzterem Urteil auch Schäffkes/Fechner/Schreiber, DB 2017, 1668, die davon ausgehen, dass im Interesse der gesetzmäßigen und gleichmäßigen Besteuerung und zur Verwirklichung des „verfassungsrechtlich gebotenen Verifikationsprinzips“ nur sehr geringe Anforderungen an das Merkmal der Steuererheblichkeit zu stellen sind. 5 Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (90/436/EWG) vom 20.8.1990, ABl. EG Nr. L 225/1990, 10; Ratifikation durch Gesetz zu dem Übereinkommen vom 23.7.1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen vom 26.8.1993, BStBl. I 1993, 818; BStBl. I 1995, 166. Verlängert durch das Protokoll zur Änderung des Übereinkommens vom 23.7.1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen v. 16.7.1999, ABl. EG Nr. 1999/C202/01; umgesetzt durch Gesetz v. 17.12.1999, BGBl. II 1999, 1082. Siehe zur Schiedskonvention u.a. auch Peters/Haverkamp, BB 2011, 1305. 6 Vgl. Andresen, Konzernverrechnungspreise für multinationale Unternehmen, 152.

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13.222

Kap. 13 Rz. 13.223

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

auch auf die Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung Anwendung und soll Doppelbesteuerungen verhindern, die aus Einkünftekorrekturen bei Stammhaus oder Betriebsstätte resultieren.1

13.223 Erhöhter Informationsaustausch auf EU-Ebene durch Neuerungen in der Amtshilferichtlinie. Im Vergleich zu der Vorgängerrichtlinie in Sachen Amtshilfe (77/799/EWG) zeigt sich, dass die EU-Mitgliedstaaten den zwischenstaatlichen Informationsaustausch forcieren. Neben der Erweiterung des Anwendungsgebiets der Amtshilferichtlinie auf grundsätzlich alle Steuerarten werden der Informationsaustausch durch die Einrichtung zentraler Verbindungsbüros in den Mitgliedstaaten sowie klare Fristsetzungen beschleunigt. Danach ist die angeforderte Information unverzüglich, spätestens jedoch sechs Monate nach Erhalt des Ersuchens zu übermitteln (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EUAHiG). Sofern die Finanzbehörde bereits im Besitz der entsprechenden Information ist, verkürzt sich diese Frist sogar auf zwei Monate. Darüber hinaus werden über standardisierte elektronische Formulare sprachliche Hürden abgebaut. Neu ist auch, dass bestimmte Einkünfte ab dem 1.1.2015 automatisch, d.h. ohne vorheriges Ersuchen, übermittelt werden (§ 7 Abs. 1 i.V.m. § 20 EUAHiG).2 Darüber hinaus kann die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen ohne Ersuchen sog. Spontanauskünfte an andere Mitgliedstaaten erteilen. Gemäß § 7 Abs. 2 EUAHiG sind solche Auskünfte sogar zu übermitteln, wenn Gründe für die Vermutung der Steuerverkürzung oder künstlicher Gewinnverlagerungen zwischen verbundenen Unternehmen vorliegen, die Informationen in Fällen von Steuerermäßigungen oder Steuerbefreiungen in Deutschland zu einer Besteuerung oder Steuererhöhung im anderen Mitgliedstaat führen könnten, oder Geschäftsbeziehungen zwischen zwei in der EU ansässigen Steuerpflichtigen über weitere Staaten geleitet werden, die in einem oder beiden Mitgliedstaaten zu einer Steuerersparnis führen können.

13.224 Automatischer Austausch über grenzüberschreitende Steuervorbescheide auf Basis der Amtshilferichtlinie. Die EU-Staaten haben sich am 8.12.2015 auf einen automatischen Austausch von grenzüberschreitenden Steuervorbescheiden und Vorabverständigungsvereinbarungen geeinigt.3 Nach dem mit Wirkung zum 1.1.2017 in Kraft tretenden Art. 8a EU-Amtshilferichtlinie übermittelt die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats, in dem nach dem 31.12.2016 ein grenzüberschreitender Vorbescheid oder eine Vorabverständigung über die Verrechnungspreisgestaltung erteilt bzw. getroffen, geändert oder erneuert wurde, im Wege des automatischen Austauschs den zuständigen Behörden aller anderen Mitgliedstaaten sowie der Europäischen Kommission die Informationen darüber. Die Frist für den Informationsaustausch beträgt drei Monate. Die Richtlinie definiert einen „grenzüberschreitender Vorbescheid“ sehr weit (Art. 3 Nr. 14 EU-Amtshilferichtlinie). Jede Vereinbarung, Mitteilung oder ein anderes Instrument oder eine andere Maßnahme mit ähnlicher Wirkung,

1 Art. 1 Abs. 2 des Übereinkommens über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (90/436/EWG), s. dazu die Grafik bei Andresen, Konzernverrechnungspreise für multinationale Unternehmen, 155. 2 Der Europäische Rat hat auf seinem Treffen am 22.5.2013 u.a. beschlossen, die Ausweitung des automatischen Informationsaustauschs auf alle Einkunftsarten zu forcieren; vgl. http://www.consilium. europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/ec/137197.pdf. 3 Vgl. Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG, in der Fassung der Richtlinie (EU) 2015/2376 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung, ABl. Nr. L v. 8.12.2015, 1. Siehe auch Czakert, IStR 2016, 985; Mückl/München, BB 2015, 2775.

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I. Zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen

Rz. 13.225 Kap. 13

auch wenn sie bzw. es im Zuge einer Steuerprüfung erteilt bzw. getroffen, geändert oder erneuert wird, fällt unter diese Definition, sofern sie – im Namen der Regierung oder der Steuerbehörde eines Mitgliedstaats oder einer gebietsoder verwaltungsmäßigen Gliederungseinheit eines Mitgliedstaats, einschließlich der lokalen Behörden, erteilt, geändert oder erneuert wird, unabhängig davon, ob sie tatsächlich verwendet wird; – sie für eine bestimmte Person oder eine Gruppe von Personen erteilt, geändert oder erneuert wird, und diese Person oder Gruppe von Personen sich darauf berufen kann; – sie die Auslegung oder Anwendung einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift zur Handhabung oder Durchsetzung der Steuergesetze eines Mitgliedstaats oder seiner gebiets- oder verwaltungsmäßigen Gliederungseinheiten betrifft, einschließlich der lokalen Behörden; – sie sich auf eine grenzüberschreitende Transaktion bezieht oder auf die Frage, ob durch die Tätigkeiten, denen eine Person in einem anderen Rechtsraum nachgeht, eine Betriebsstätte gegründet wird oder nicht, und – sie vor den Transaktionen oder den Tätigkeiten in dem anderen Rechtsraum, die möglicherweise als Gründung einer Betriebsstätte zu betrachten sind, oder vor Abgabe der Steuererklärung für den Zeitraum, in dem die Transaktion bzw. die Transaktionen oder Tätigkeiten erfolgten, erteilt wird. In Bezug auf eine „Vorabverständigung über die Verrechnungspreisgestaltung“ (Art. 3 Nr. 15 EU-Amtshilferichtlinie) ist erforderlich, dass sie im Vorfeld grenzüberschreitender Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen geeignete Kriterien zur Bestimmung der Verrechnungspreise für die betreffenden Transaktionen festlegt oder die Zuweisung von Gewinnen an eine Betriebsstätte regelt. Über alle neu erteilten oder erneuerten Steuervorbescheide hinaus müssen auch alle tax rulings automatisch ausgetauscht werden, die innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren vor dem 1.1.2017 erteilt bzw. getroffen, geändert oder erneuert wurden. Falls die rulings in der Zeit zwischen dem 1.1.2012 und dem 31.12.2013 erteilt bzw. getroffen, geändert oder erneuert wurden, erfolgt diese Informationsübermittlung unter der Voraussetzung, dass sie am 1.1.2014 noch gültig waren. Falls die rulings, die in der Zeit zwischen dem 1.1.2014 und dem 31.12.2016 erteilt bzw. getroffen, geändert oder erneuert wurden, erfolgt diese Informationsübermittlung unabhängig davon, ob sie noch gültig sind oder nicht. Der Austausch dieser Bescheide ist bis zum 1.1.2018 vorgesehen. Der Ministerrat hat den ursprünglichen Änderungsentwurf etwas entschärft. So sollte die Regelung des Art. 17 Abs. 4 EU-Amtshilferichtlinie, nach dem die Übermittlung von Informationen abgelehnt werden kann, wenn sie zur Preisgabe eines Handels-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnisses oder eines Geschäftsverfahrens führen würde oder wenn die Preisgabe der betreffenden Information die öffentliche Ordnung verletzen würde, im Hinblick auf den automatischen Informationsaustausch bezüglich Tax Rulings explizit nicht gelten. Dieser Passus wurde in der finalen Version gestrichen. Es gilt eine Bagatellgrenze, nach der solche Vorbescheide nicht automatisch ausgetauscht werden sollen, die gegenüber einer Gesellschaft ausgestellt werden, die zu einem grenzüberschreitenden Konzern mit einem gruppenweiten Jahresnettoumsatzerlös von unter 40 Mio. Euro gehört, wobei Unternehmen, die hauptsächlich Finanz- und Investitionstätigkeiten ausführen, hiervon ausgenommen werden. Amtshilfeübereinkommen (AmtshÜbereink). Das Abkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen datiert ursprünglich vom 25.1.1988, wurde von Deutschland aber erst am 17.4.2008 unterzeichnet. Die am 27.5.2010 erfolgte grundsätzliche Revision des Übereinkommens wurde am 3.11.2011 von Deutschland unterzeichnet und am 16.5.2015 parlaBusch 1031

13.225

Kap. 13 Rz. 13.226

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

mentarisch gebilligt.1 Das Übereinkommen ist am 1.12.2015 in Kraft getreten.2 Im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten ergibt sich keine Erweiterung des Informationsaustauschs im Vergleich zur EU-Amtshilfe.3 Im Verhältnis zu Nicht-EU-Staaten, mit denen ein DBA besteht, ergibt sich eine Ausdehnung in Bezug auf die erfassten Steuerarten (insbesondere hinsichtlich der Umsatzsteuer, Verbrauchsteuern und Sozialversicherungsbeiträgen) und eine Erweiterung bei vereinbarter kleiner Auskunftsklausel. Bei Staaten, mit denen weder ein DBA noch ein Tax Information Exchange Agreement (TIEA) abgeschlossen ist, bildet das Amtshilfeübereinkommen die einzige rechtliche Grundlage für den Informationsaustausch.

13.226 Informationsaustausch nach DBA. DBA sehen regelmäßig einen Informationsaustausch zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen vor, soweit diese die unter das DBA fallenden Steuern betreffen.4 Die in der Regel dem Art. 26 OECD-MA nachgebildeten Vorschriften differenzieren zwischen der kleinen und der großen Auskunftsklausel. Die kleine Auskunftsklausel erlaubt lediglich den Austausch von Informationen, die der Durchführung des DBA dienen. Die große Auskunftsklausel gibt die Möglichkeit, Informationen auch für Zwecke der Anwendung des jeweiligen innerstaatlichen Rechts auszutauschen.5 Sowohl die kleine als auch die große Auskunftsklausel erlauben den Austausch von Informationen zu Steuern vom Einkommen, soweit das betreffende DBA auf diese Anwendung findet. Folglich kann der Informationsaustausch auch bei der Gewinnermittlung oder zwischenstaatlichen Einkünfteabgrenzung in- und ausländischer Betriebsstätten zur Anwendung kommen. Hierbei ist zu beachten, dass gem. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA ein Austausch nur solcher Informationen zulässig ist, die für die Besteuerung „voraussichtlich erheblich“ sind. In diesem Zusammenhang hat das FG Köln entschieden, dass ein Informationsaustausch über ein Unternehmen der digitalen Wirtschaft hinsichtlich Strukturen und Geschäftsmodellen ohne Anonymisierung und unabhängig von der konkreten Besteuerung der einzelnen Gesellschaften, der einzig dem Zweck dient, Ursachen für die niedrige effektive Steuerbelastung bestimmter multinationaler Unternehmen zu klären und Steuergestaltungen im internationalen Recht zu verhindern, unzulässig ist.6 Dies gilt insbesondere, da der Informationsaustausch in den Schutzbereich des § 30 AO eingreift und nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen möglich ist. Bei einem von einem konkreten Besteuerungsverfahren losgelösten Informationsaustausch mangelt es aber an der voraussichtlichen Erheblichkeit oder Erforderlichkeit, so dass die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für einen Eingriff in das Steuergeheimnis nicht gegeben sind.

13.227 Amts- und Rechtshilfevereinbarungen. Mit einigen Staaten bestehen darüber hinaus Amtsund Rechtshilfeabkommen,7 in denen ein großer Auskunftsaustausch vereinbart ist. Diese 1 2 3 4

Vgl. BGBl. II 2015, 966. Vgl. zur Gesetzesbegründung BR-Drucks. 200/15. Vgl. BGBl. II 2015, 1277. Vgl. Grotherr, IStR 2015, 845 (860). Siehe u.a. Seer/Gabert, StuW 2010, 3 zur Anwendung der Rechtsgrundlagen für den internationalen Informationsaustausch. 5 Diesem Umstand kann vor allem dann Bedeutung zukommen, wenn bei Dreiecksverhältnissen für eine in einem Drittstaat ansässige Person keine Abkommensberechtigung unter dem DBA zwischen den beiden Ansässigkeitsstaaten besteht, aber gleichwohl Informationen über einen Geschäftsvorfall benötigt werden, der nur unter dieses DBA fällt. 6 Vgl. FG Köln v. 7.9.2015 – 2 V 1375/15, ISR 2015, 415 m. Anm. Früchtl = IStR 2015, 835 m. Anm. Scholz. Siehe auch Riegel/Walke, BB 2015, 2719. 7 Eine Übersicht der abgeschlossenen Amts- und Rechtshilfeabkommen findet sich unter Gliederungspunkt I.4. in BMF v. 18.1.2017 – IV B 2 - S 1301/07/10017-08 – DOK 2017/0048668, BStBl. I 2017, 140 sowie Berichtigung in BStBl. I 2017, 280 – Stand der Doppelbesteuerungsabkommen und der Doppelbesteuerungsverhandlungen.

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I. Zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen

Rz. 13.228 Kap. 13

Abkommen gelten auch für Steuern, die grundsätzlich nicht unter DBA fallen, z.B. die Umsatzsteuer.1 Dementsprechend muss auch bei Vorliegen von Amts- und Rechtshilfevereinbarungen damit gerechnet werden, dass Auskünfte- oder Unterlagen von der inländischen Finanzbehörde auf diesem Wege beschafft werden, die für die Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung relevant sind.2 Informationsaustausch auf internationaler Ebene. Auch auf der Ebene der OECD wird dem Thema Informationsaustausch erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet. Im Zuge der Arbeiten an dem OECD-Bericht zu „Addressing Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS-Report)3 haben führende Staaten erklärt, den internationalen Informationsaustausch in Steuersachen weiter zu verstärken. Eine Maßnahme ist hierbei, multinationale Unternehmen auf eine länderübergreifende Berichterstattung hinsichtlich des Umsatzes, des zu versteuernden Gewinns und der lokalen Beschäftigtenzahl zu verpflichten (vgl. Aktionspunkt 13 des BEPS-Reports).4 Dieses sog. Country-by-country Reporting ist aufsichtsrechtlich u.a. für bestimmte systemrelevante Banken in der EU bereits ab dem Jahr 2014 verpflichtend.5 Als problematisch hieran ist anzusehen, dass eine reine Gegenüberstellung von Umsatz- und Beschäftigtenzahlen zu den in den einzelnen Ländern erklärten steuerlichen Gewinnen und den getätigten Steuerzahlungen keinerlei Rückschlüsse auf die Fremdüblichkeit der Verrechnungspreise erlaubt, da nach dem Fremdvergleichsgrundsatz eine hohe Beschäftigtenzahl nicht mit einer hohen Wertschöpfung korreliert, wenn es sich bspw. um eine reine arbeitsintensive Routineproduktion handelt. Darüber hinaus kann die Implementierung eines solchen Reportings einen hohen Aufwand für multinationale Unternehmen bedeuten.6 Während die Angaben gem. § 26a KWG allgemein veröffentlicht zugänglich sind, sollen die Informationen des Countryby-Country Reportings lediglich den beteiligten Steuerverwaltungen im Rahmen des Informationsaustauschs zugänglich gemacht werden. Insgesamt steht zu befürchten, dass die Erstellung solcher Anhangsangaben die Abkehr vom international anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz einläutet und der Einführung von globalen steuerlichen Zerlegungsformeln (formula apportionment) Vorschub leistet.7

1 Die Umsatzsteuer ist jedoch zumindest von dem Nicht-Diskriminierungsartikel der DBA erfasst. 2 Vgl. zur Anwendung der Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch (TIEA) BMF v. 10.11.2015 – IV B 6 - S 1301/11/10002 – DOK 2015/0811184, BStBl. I 2016, 138. 3 Vgl. http://www.oecd.org/tax/beps.htm. 4 Vgl. OECD v. 5.10.2015, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13: Final Report. Siehe ausführlich hierzu Rz. 13.110. 5 Vgl. § 26a KWG. Siehe hierzu auch die Richtlinie 2013/34/EU v. 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates; Amtsblatt der EU v. 29.6.2013, L 182/19; umgesetzt durch den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRD IV-Umsetzungsgesetz) v. 3.9.2013, BGBl. I 2013, 3395. 6 Vgl. Schlie/Malke, DB 2013, 2467. 7 Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Einführung einer Gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) v. 16.3.2011, KOM(2011) 121/4.

Busch 1033

13.228

Kap. 13 Rz. 13.229

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

II. Bi- oder multilaterale Betriebsprüfung 13.229 Hinzuziehung von Bediensteten anderer Mitgliedstaaten. Seit dem 28.12.2001 ist es Bediensteten der zuständigen Behörde eines EU-Mitgliedstaats gem. § 10 Abs. 1 EUAHiG (vormals: § 1b Abs. 1 Satz 1 EG-AHG) erlaubt, bei Ermittlungen zur Durchführung der Amtshilfe oder bei der Inanspruchnahme von Amtshilfe aufgrund der Richtlinie 2011/16/EU im Inland anwesend zu sein und ab dem 1.1.2013 auch an gleichzeitigen Prüfungen i.S.d. § 12 EUAHiG teilzunehmen. Sie haben Zugang zu denselben Räumlichkeiten und Unterlagen wie die Bediensteten der inländischen Finanzbehörde, die mit der Ermittlung befasst ist. Darüber hinaus dürfen sie im Beisein inländischer Bediensteter Personen befragen und Aufzeichnungen prüfen, wenn die zu befragenden Personen zustimmen (§ 10 Abs. 2 EUAHiG). Schaumburg weist darauf hin, dass bei Hinzuziehung von ausländischen Bediensteten im Bereich der direkten Steuern das Anhörungsgebot des § 117 Abs. 4 Satz 3 AO zu beachten ist.1 Von einer Anhörung kann jedoch abgesehen werden, wenn eine der Voraussetzungen in § 91 Abs. 2 oder 3 AO erfüllt ist, d.h. u.a. wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig ist oder durch die Anhörung die Einhaltung einer maßgeblichen Frist infrage gestellt würde.

13.230 Simultanprüfungen. Von der Hinzuziehung von Bediensteten zu unterscheiden sind gleichzeitige steuerliche Außenprüfungen (sog. Simultanprüfungen).2 Simultanprüfungen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Finanzbehörden zweier oder mehrerer Staaten getrennt auf ihrem Hoheitsgebiet, aber zeitlich simultan die gleichen Steuerjahre des ausgewählten Themengebiets prüfen. § 12 EUAHiG sowie das Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen3 sieht Simultanprüfungen zur Verhinderung von Doppelbesteuerungen und -belastungen und zur Aufklärung grenzüberschreitender Sachverhalte durch Informationsaustausch vor. Grundsätze für die Durchführung der Simultanprüfung regelt das Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete.4 Die Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ist also vom Wirkungsbereich der Amtshilfe erfasst, so dass inländische Finanzbehörden fehlende Auskünfte oder Unterlagen für die Gewinnermittlung einer in- oder ausländischen Betriebsstätte im Wege der Amtshilfe beschaffen könnten.5

13.231 Bi- und multilaterale Betriebsprüfung unter DBA. Die bi- oder multilaterale Betriebsprüfung ist eine Vereinbarung zwischen mindestens zwei Finanzverwaltungen, jeweils auf dem eigenen Staatsgebiet und nach den jeweiligen nationalen Vorschriften einen steuerlich erheblichen Sachverhalt zu prüfen und die sich ergebenden Prüfungsergebnisse auszutauschen. Eine Rechtsgrundlage für die Vereinbarung einer simultanen Betriebsprüfung findet

1 Vgl. Schaumburg, DStR 2002, 829 (837). 2 Vgl. hierzu u.a. DStR-Beihefter zu Heft 41/2013, 79 und Swenson et al., TPIJ 2011, 24; van Herksen, TMTR 2010, 886. 3 Vgl. BMF v. 23.11.2015 – IV B 6 - S 1320/07/10004 – DOK 2015/1058786, BStBl. I 2015, 928, Tz. 7. 4 Vgl. BMF v. 9.1.2017 – IV B 6 - S 1315/16/10016: 002 – DOK 2016/0996151, BStBl. I 2017, 89, Tz. 2.1. Siehe hierzu auch Eisgruber/Oertel, ISR 2017, 270 ff. 5 Das Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete erwähnt explizit Fragen der Betriebsstättengewinnaufteilung als Sachverhalte, zu deren Klärung sich simultane Betriebsprüfungen eignen, vgl. BMF v. 9.1.2017 – IV B 6 - S 1315/16/10016 – DOK 2016/0996151, BStBl. I 2017, 89, Tz. 1.1 und 3.5.

1034

Busch

I. Zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen

Rz. 13.232 Kap. 13

sich sowohl in den Art. 26 OECD-MA nachgebildeten Artikeln der DBA1 als auch in Art. 12 Abs. 1 der Amtshilferichtlinie und in § 12 EUAHiG. Soweit in strittigen Fragen eine Einigung zwischen beiden Staaten erforderlich ist, handelt es sich verfahrensrechtlich hierbei um ein Verständigungsverfahren auf der Grundlage von Art. 25 OECD-MA.2 Einige Staaten haben darüber hinaus bilaterale Vereinbarungen getroffen, in denen die Durchführung einer simultanen Betriebsprüfung geregelt ist.3 Die OECD hat dies zum Anlass genommen, in Anlehnung an die bereits bestehenden Abkommen der USA ein eigenes Musterabkommen zur Durchführung simultaner Betriebsprüfungen4 zu entwickeln, in dem einheitliche Richtlinien für den Ablauf einer simultanen Betriebsprüfung vorgegeben werden. Gemeinsame Betriebsprüfungen (Joint Audits). Noch weiter gehend als Simultanprüfungen sind gemeinsame Betriebsprüfungen (sog. Joint Audits). Im Gegensatz zu Simultanprüfungen, bei denen es sich um zwei getrennte Prüfungen durch inländische Prüfer auf dem jeweiligen Staatsgebiet handelt, die zeitlich und inhaltlich koordiniert sind, handelt es sich bei einem Joint Audit um eine gemeinsame Prüfung, bei der befugte Bedienstete des anderen Mitgliedstaats Prüfungstätigkeiten im Inland durchführen und umgekehrt.5 Die OECD hat im Jahr 2010 den „Joint Audit Participant Guide“ veröffentlicht, der Hinweise zur Planung und Durchführung gemeinsamer Prüfungen enthält.6 Die Prüfung muss nach Ansicht des FG Köln auch nicht gleichzeitig beginnen, sondern nur gleichzeitig durchgeführt werden.7 Allerdings ist festzustellen, dass gemeinsame Betriebsprüfungen in Deutschland nur auf der Grundlage der §§ 10, 11 EUAHiG möglich sind. Somit besteht kein Einigungszwang der beiden prüfenden Steuerbehörden bei einer solchen gemeinsamen Betriebsprüfung und eventuelle Divergenzen müssen über das Instrument des Verständigungsverfahrens i.S.d. Art. 25 OECD-MA ausgeräumt werden.8 Ebenso hat der Steuerpflichtige keinen Rechtsanspruch auf Durchführung eines Joint Audits. Umgekehrt ist gem. § 10 Abs. 3 Satz 2 EUAHiG die Zustimmung des Steuerpflichtigen einzuholen, sofern aktive Prüfungshandlungen durch ausländische Finanzbeamte im deutschen Hoheitsgebiet vollzogen werden sollen. Ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen zu dem aktiven Prüfungsrecht darf der ausländische Bedienstete bei den behördlichen Ermittlungen auf deutschem Hoheitsgebiet nur passiv anwesend sein.9 Ein ausländischer Bediensteter darf das aktive Prüfungsrecht nur in Gegen1 Einschränkend (nur bei großer Auskunftsklausel): Höppner in G/K/G, Art. 26 OECD-MA Rz. 48; a.A. unter Hinweis auf die ihrer Ansicht nach abschließende Aufzählung der Methoden des Informationsaustauschs: BIAC, Intertax 1995, 276 (292); Werra, IStR 1995, 511 (515); klarstellend diesbezüglich: OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 4.83. 2 Vgl. Höppner in G/K/G, Art. 26 OECD-MA Rz. 51. 3 Vgl. Williams/Munro-Faure, Intertax 1991, 120 (127); Strunk, StBp 1993, 145 (149) – die dort (Fn. 31) angegebene Literatur. Die USA sind hier Vorreiter, wie das Beispiel der mit Deutschland abgeschlossenen Vereinbarung zeigt: Department of Treasury, IRS: United States-Federal Republic of Germany Simultaneous Examination Program, Intertax 1980, 184–188. 4 OECD (Hg.), Model Agreement for the Undertaking of Simultaneous Tax Examinations – Empfehlung vom 23.7.1992, C (92) 81/Final; vgl. dazu Turro, TNI 1992, 759. 5 Vgl. Anger, IWB 2017, 204; Beckmann, IStR 2016, 627; Meickmann, IStR 2014, 591; Peters/Kircher/ Moll, IStR 2016, 2. Vgl. auch BMF v. 9.1.2017 – IV B 6 - S 1315/16/10016 – DOK 2016/0996151, BStBl. I 2017, 89, Tz. 2.2. 6 Joint Audit Participant Guide, OECD 2010. Siehe auch Joint Audit Report, OECD 2010. 7 Vgl. FG Köln v. 23.5.2017 – 2 V 2498/16, juris, Tz. 77. 8 Vgl. Meickmann, IStR 2014, 591 (595). 9 Zum Zustimmungsvorbehalt bei aktiven Prüfungshandlungen im Gegensatz zu rein passiven Prüfungshandlungen siehe Eisgruber/Oertel, ISR 2017, 270 (271); Spensberger/Macho/Erichsen, ISR 2017, 261 (266). Ebenso FG Köln v. 23.5.2017 – 2 V 2498/16, juris, Tz. 78.

Busch 1035

13.232

Kap. 13 Rz. 13.232

Pflichten des Steuerpflichtigen sowie Rechts- und Amtshilfe

wart eines inländischen Bediensteten ausüben.1 Hat der Steuerpflichtige jedoch zugestimmt und verweigert er dann seine Mitwirkung, gilt diese Verweigerung wie eine Verweigerung gegenüber inländischen Bediensteten. Im Endeffekt ergibt sich gegenwärtig bei Joint Audits rechtlich kein Unterschied zu einer Simultanprüfung. Allenfalls kann von einer von Beginn an höheren Einigungsbereitschaft der beteiligten Finanzverwaltungen ausgegangen werden, wenn eine gemeinsame Betriebsprüfung durchgeführt wird. Ersten Erfahrungsberichten zufolge, sollen sämtliche bisher durchgeführten gemeinsamen Betriebsprüfungen mit einer einvernehmlichen Lösung abgeschlossen worden sein.2

1 Vgl. auch BMF v. 9.1.2017 – IV B 6 - S 1315/16/10016 – DOK 2016/0996151, BStBl. I 2017, 89, Tz. 2.2.6. 2 Vgl. Peters/Kircher/Moll, IStR 2016, 2 (6) und Aussagen führender Vertreter des BZSt (Stand: Juli 2017).

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I. Zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen

Rz. 13.232 Kap. 14

Kapitel 14 Base Erosion and Profit Shifting A. Hintergrund I. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14.1

II. Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14.3

III. Kritik am BEPS-Projekt. . . . . . . . .

14.8

IV. Regelungsgehalt der Berichte . . . .

14.13

B. Berichte zu den Aktionspunkten I. Digitale Wirtschaft. . . . . . . . . . . . . II. Hybride Gestaltungen 1. Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt des Berichts a) Empfehlungen zur Änderung des nationalen Rechts aa) D/NI-Fälle (1) Finanzinstrumente . . . . (2) Hybride Gesellschaft. . . (3) Umgekehrt hybride Gesellschaft . . . . . . . . . . bb) D/D-Fälle (1) Hybride Gesellschaft. . . (2) Doppelt ansässige Gesellschaft . . . . . . . . . . cc) Indirekte D/NI-Fälle. . . . . . b) Abkommensrechtliche Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . 3. Betriebsstättenstrukturen . . . . . . . III. Hinzurechnungsbesteuerung. . . . . 1. Definition einer Zwischengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Anwendungsregelungen bzw. Ausnahmen. . . . . 3. Definition der Zwischeneinkünfte 4. Berechnung der Einkünfte. . . . . . . 5. Zurechnung der Einkünfte . . . . . . 6. Vermeidung der Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zinsabzug 1. Inhalt des Berichts a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fixed-Ratio-Regelung . . . . . . . . c) Group-Ratio-Regelung . . . . . . . 2. Ergänzende Vorschläge . . . . . . . . .

14.17 14.21

14.22 14.24 14.26 14.28 14.30 14.31 14.32 14.35 14.36 14.37 14.40 14.41 14.44 14.45 14.46

14.47 14.48 14.53 14.55

V. Schädliche Steuerpraktiken 1. Zielsetzung des Berichts. . . . . . . . . 2. Vermeidung von schädlichem gesetzgeberischen Handeln . . . . . . 3. Vermeidung von schädlichem Verwaltungshandeln. . . . . . . . . . . . VI. Vermeidung des Missbrauchs von DBA 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermeidung der Nichtbesteuerung 3. Limitation-of-Benefits . . . . . . . . . . 4. Principal-Purpose-Test . . . . . . . . . 5. Sonstige Inhalte a) Änderungen des OECD-MA. . . b) Verhältnis von nationalem Recht und DBA . . . . . . . . . . . . . VII. 1. 2. 3.

Betriebsstätten Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertreterbetriebsstätten . . . . . . . . . Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fragmentierung von Aktivitäten . . 5. Aufspalten von Verträgen . . . . . . . 6. Gewinnabgrenzung . . . . . . . . . . . .

VIII. Verrechnungspreise 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Intangibles a) Definition und Zuordnung von Erträgen . . . . . . . . . . . . . . . b) Unsicherheiten bei der Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kostenumlagevereinbarungen (Cost Contribution Agreements) . . . . . . . . . . . . . . . 3. Risiko und Recharakterisierung . . 4. Sonstige risikobehaftete Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Profit Split . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . .

14.56 14.59 14.64

14.69 14.70 14.71 14.76 14.79 14.81 14.82 14.83 14.90 14.92 14.93 14.94 14.95 14.96 14.99 14.101 14.102 14.104 14.106 14.107

IX. Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.108 X. Offenlegung 1. Ziel des Berichts . . . . . . . . . . . . . . . 14.111

Böhmer 1037

Kap. 14 Rz. 14.1

Base Erosion and Profit Shifting

2. Bausteine einer Offenlegungspflicht a) Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt der Offenlegung . . . . . . . c) Zeitpunkt der Offenlegung . . . . d) Weitere Verpflichtungen . . . . . . e) Sanktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten bei grenzüberschreitenden Gestaltungen . . . . . . 4. Informationsaustausch . . . . . . . . . XI. 1. 2. 3. 4.

Verrechnungspreisdokumentation Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Master File . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Local File . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CbC-Reporting a) Inhalt des CbC-Reporting . . . . b) Implementierung . . . . . . . . . . .

XII. Effektuierung von Verständigungsund Schiedsverfahren. . . . . . . . . . . 14.129 14.112 14.113 14.116 14.117 14.118 14.119 14.120 14.121 14.122 14.123 14.124 14.127

XIII. Multilaterales Übereinkommen . . 14.135 C. Auswirkungen auf die Betriebsstättenbesteuerung . . . . . . . . . . . . 14.138 D. Monitoring und Inklusion. . . . . . 14.144 E. Umsetzung I. Auf Unionsebene . . . . . . . . . . . . . . 14.146 II. National . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz . . . . 2. Bestehendes nationales Abwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Möglicher weiterer Umsetzungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14.149 14.150 14.151 14.153

A. Hintergrund I. Entwicklung 14.1 Im Laufe der Jahre 2011 und 2012 wurden in der Öffentlichkeit verschiedene Steuerstrukturen multinationaler Konzerne bekannt. Jene führten dazu, dass die jeweiligen Konzerne nur sehr geringe Steuerquoten auf ihre ausländischen Gewinne aufwiesen. Bekannt und diskutiert wurden insbesondere die Steuerstrukturen einiger amerikanischer IT-Unternehmen.1 Dies wurde von der Politik zum Anlass genommen, eine Reform des Internationalen Steuerrechts zu fordern. Auf dem G20-Gipfel in Los Cabos, Mexico, erklärten die Führer der G20, dass Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (Base Erosion and Profit Shifting = BEPS) verhindert werden müssen und dass sie die Arbeiten der OECD zur Bekämpfung von BEPS beobachten werden.2 In der Folge wurde von der OECD ein Bericht zum Stand und zu notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung erstellt und zu Beginn des Jahres 2013 vorgelegt.3 Er identifiziert verschiedene Schwachstellen des geltenden Internationalen Steuerrechts und nennt Gründe für diese.4 Aufgrund dieser Schwachstellen sei das Steueraufkommen, die Ertragshoheit und das Vertrauen in die Integrität der Steuersysteme aller Staaten gefährdet.5

14.2 Auf der Grundlage dieses Berichts wurde anschließend von der OECD der BEPS-Aktionsplan erarbeitet.6 Dieser fand umgehend die Unterstützung der G20-Führer.7 Der Aktions1 Vgl. Pinkernell, StuW 2012, 369 ff.; Pinkernell, IStR 2013, 180 ff.; Pinkernell, IFSt-Schrift Nr. 494 (2014), 120 ff.; Richter/Hontheim, DB 2013, 1260 ff. 2 Vgl. G20 Leaders Declaration, Los Cabos, 19.6.2012, Mexico, Rz. 48. 3 OECD, Addressing Base Erosion and Profit Shifting, 2013. Dazu Gillamariam/Binding, DStR 2013, 1153 ff.; Pelaez/Bonekamp, IWB 2013, 514 ff. 4 Dieser Bericht wurde von den G20-Finanzministern und Notenbankgouverneuren bei ihrer Tagung in Moskau begrüßt: Communiqué of Meeting of G20 Finance Ministers and Central Bank Governors, Moskau, 15.–16. Februar 2013, Rz. 20. 5 OECD, Declaration on Base Erosion and Profit Shifting, 29.5.2013, 2. 6 OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, 2013. 7 Vgl. G20 Leaders’ Declaration, Saint Petersburg Summit, 5.–6. September 2013, Rz. 50.

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Böhmer

A. Hintergrund

Rz. 14.3 Kap. 14

plan beinhaltete 15 verschiedene Aktionspunkte, die in den nächsten zwei Jahren abgearbeitet werden sollten.1 Der Zeitplan sah vor, dass ein erster Teil der Berichte zu einzelnen Aktionspunkten im September 2014 veröffentlicht werden sollte. Im darauffolgenden September 2015 sollten sodann die finalen Berichte zu sämtlichen 15 Aktionspunkten fertiggestellt und der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Diesen ambitionierten Zeitplan haben OECD und G20 eingehalten. Zunächst wurden im September 2014 sieben Berichte vorgestellt.2 Diese waren allesamt noch als vorläufig gekennzeichnet, insbesondere um Wechselwirkungen mit den im Jahr 2015 veröffentlichten Berichten berücksichtigen zu können. Am 5.10.2015 wurden sodann sämtliche BEPS-Berichte, die Mehrzahl davon in ihrer finalen Fassung, der Öffentlichkeit vorgestellt.3 Allerdings wurden noch nicht sämtliche Arbeiten beendet. Teilweise sollten die Arbeiten erst in nachfolgenden Jahren beendet werden. Dementsprechend wurden die noch offenen Arbeiten nach 2015 fortgeführt und führten zur Veröffentlichung weiterer Empfehlungen sowie zur Veröffentlichung und Unterzeichnung des Mehrseitigen Übereinkommens zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung im Juni 2017. Darüber hinaus wurde das BEPS-Mandat verlängert und der sog. Inklusive Rahmen (Inclusive Framework) gegründet, um die nun nachfolgende Implementierung der vorgeschlagenen Änderungen zu überwachen und möglichst viele weitere Jurisdiktionen zur Mitwirkung und Umsetzung der vorgeschlagenen Änderungen zu motivieren. Die große politische Bedeutung dieses Projekts zeigt sich daran, dass es sich um ein gemeinsames Projekt von OECD und G20 handelt. Auch im Kreis der Staats- und Regierungschefs der G20 sind die Fortschritte des BEPS-Projekts regelmäßig Thema.4

II. Ziele Das BEPS-Projekt richtet sich sowohl an die Steuerpflichtigen als auch unmittelbar an die beteiligten Staaten.5 Diese sollen dazu angehalten werden, sowohl ihr jeweiliges nationales Steuerrecht bzw. ihre Abkommen als auch – und vor allen Dingen – ihre Steuerpolitik zu ändern6 und dadurch das Vertrauen in die Politik zu stärken.7 Erreicht werden soll eine Eingrenzung des grundsätzlich zulässigen, aber bisweilen als unfair erachteten Steuerwettbewerbs, so dass die teilweise bewirkte Politik des „beggar your neighbour“ beendet wird.8 Dadurch soll zugleich erreicht werden, dass rein national tätige Unternehmen aufgrund der fehlenden

1 Vgl. zu dem Aktionsplan Bärsch/Quilitzsch/Schulz, ISR 2013, 358 ff.; Dawid/Knopp, IWB 2013, 591 ff.; Kreienbaum, WPg 2014, 493 (495); Pinkernell, FR 2013, 737 ff. 2 Vgl. dazu Kreienbaum, IStR 2014, 637; Pross/Radmanesh in FS Wassermeyer, 535 (540 ff.). Siehe auch Fuest/Spengel/Finke/Heckemeyer/Nusser, StuW 2015, 90 ff. 3 Vgl. dazu Benz/Böhmer, DB 2015, 2535 ff.; Oppel, SteuK 2016, 53 ff. 4 Vgl. G20 Leaders’ Communiqué, Brisbane Summit, 15.–16. November 2014, Rz. 13, G20 Leaders’ Communiqué, Antalya Summit, 15.–16. November 2015, Rz. 15; G20 Leaders’ Communique, Hangzhou Summit, 4.–5.9.2016, Rz. 19 und G20 Leaders’ Declaration, Hamburg Summit, 7.-8.7.2017, S. 7. 5 Vgl. Fehling, FR 2015, 817 (818); Kreienbaum, WPg 2014, 493 (495 f.); Saint-Amans/Russo, Bulletin for International Taxation 2016, 236 (237). 6 Vgl. Fehling, FR 2015, 817 (818), der ausdrücklich darauf hinweist, dass die deutschen Interessen darauf gerichtet sind, andere Staaten daran zu hindern, dass diese ihre Steuerpolitik exzessiv und unfair einsetzen. 7 Vgl. Saint-Amans/Russo, Bulletin for International Taxation 2016, 236 (241). 8 Vgl. Fehling, FR 2015, 817 (822). Allgemein zu Steuerwettbewerb: Schaumburg, ISR 2016, 371.

Böhmer 1039

14.3

Kap. 14 Rz. 14.4

Base Erosion and Profit Shifting

Möglichkeit zu grenzüberschreitender Steuergestaltung nicht länger benachteiligt werden.1 Zudem soll eine falsche Anreizsetzung für multinationale Unternehmen, die zu inneffizienter Allokation von Produktions- und Finanzmitteln führen kann, unterbunden werden.2

14.4 Zur Erreichung dieser Ziele des BEPS-Aktionsplans stützen sich OECD und G20 auf drei Kriterien, anhand derer sich die zukünftige Steuerpolitik messen lassen muss: – Kohärenz, – Substanz und – Transparenz.3 Fast alle Aktionspunkte lassen sich diesen Aspekten zuordnen, wobei es teilweise zu Mehrfachzuordnungen kommen kann. Lediglich die Aktionspunkte 1, Digitale Wirtschaft, und 15, das Multilaterale Instrument, lassen sich nicht in diesen Dreiklang einordnen.4

14.5 Unter dem Stichwort der Kohärenz versteht die OECD die Ergänzung der Regelungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung um neue Standards, mit denen die Besteuerung von Unternehmenseinkünften auf internationaler Ebene abgestimmt wird.5 Mit anderen Worten geht es darum, dass die Staaten Regelungen schaffen, die verhindern, dass Einkünfte gar nicht besteuert werden. Zur Verbesserung der Kohärenz identifiziert der Aktionsplan vier Handlungsfelder: – Neutralisierung der Effekte von Hybrid Mismatch Arrangements (Aktionspunkt 2), – Stärkung der Vorschriften zur Hinzurechnungsbesteuerung (Aktionspunkt 3), – Begrenzung der Erosion der Besteuerungsgrundlage durch Abzug von Zins- oder sonstigen finanziellen Aufwendungen (Aktionspunkt 4) und – wirksame Bekämpfung steuerschädlicher Praktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz (Aktionspunkt 5). Die Beschreibung von Aktionspunkt 5 zeigt bereits die Querverbindungen zu den beiden anderen maßgeblichen Zielen, nämlich der Schaffung von Substanz und der Stärkung der Transparenz auf.

14.6 Mit den nächsten im Aktionsplan genannten Punkten soll sichergestellt werden, dass Einkünfte stärker der wirtschaftlichen Tätigkeit zugeordnet werden, durch die sie erzielt werden. Damit wird das Ziel der Stärkung von Substanz umschrieben. Im Einzelnen fallen darunter folgende Aktionspunkte: – Verhinderung von Abkommensmissbrauch (Aktionspunkt 6), – Verhinderung der künstlichen Umgehung des Status als Betriebsstätte (Aktionspunkt 7),

1 Vgl. OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, 2013, 8; Kreienbaum, WPg 2014, 493 (495). 2 Vgl. u.a. Pross, DB Heft 13/2013, S19. 3 Vgl. OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, 2013, 13 f. 4 Siehe auch Benz/Böhmer, IStR 2015, 380 (381). 5 OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, 2013, 15.

1040

Böhmer

A. Hintergrund

Rz. 14.9 Kap. 14

– Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung. Bei diesem Arbeitsauftrag handelt es sich um einen der Kernpunkte des Aktionsplans, der noch weiter unterteilt wird in die folgenden Aspekte: – Intangibles (Aktionspunkt 8), – Risiken und Kapital (Aktionspunkt 9) und – sonstige risikoreiche Transaktionen (Aktionspunkt 10). Weiterhin ist beabsichtigt, die Transparenz zu erhöhen. Mit den unter diesen Gesichtspunkt zu fassenden Maßnahmen soll die vielfach bestehende Informationsasymmetrie zu Lasten der Finanzverwaltung bekämpft werden:1

14.7

– Entwicklung von Methoden zur Erfassung und Analyse von BEPS-Daten und Gegenmaßnahmen (Aktionspunkt 11), – Verpflichtung der Steuerpflichtigen zur Offenlegung ihrer aggressiven Steuerplanungsmodelle (Aktionspunkt 12), – Überprüfung der Verrechnungspreisdokumentation (Aktionspunkt 13) und – Verbesserung der Effizienz von Streitbeilegungsmechanismen (Aktionspunkt 14). Die Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz stehen dabei zwar nicht unmittelbar, aber doch faktisch in Zusammenhang mit einigen weiteren Maßnahmen, die auf internationaler Ebene im Bereich des Steuerrechts derzeit verfolgt werden. Zu nennen sind dabei insbesondere die Arbeiten des Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes zum Informationsaustausch auf Ersuchen sowie zur Implementierung eines weltweiten automatischen Informationsaustauschs zu Finanzkonten.2 Letzteres wird ebenfalls, wie auch die Umsetzung des BEPS-Aktionsplans, auf breiter Ebene von den G20 unterstützt.

III. Kritik am BEPS-Projekt Das BEPS-Projekt sieht sich seit Beginn großer Kritik ausgesetzt. Diese Kritik hat zwei Zielrichtungen. Zum einen zielt sie auf konkrete Einzelregelungen, weil diese etwa schwer verständlich, zu weitgehend in den Rechtsfolgen oder unabgestimmt mit anderen Regelungen sein sollen. Zum anderen gibt es auch ganz grundsätzliche Kritik an dem gesamten Vorhaben. Begründet wird die grundsätzliche Kritik letztlich mit drei verschiedenen Aspekten: Es handele sich um ein bloßes Bündel von Einzelmaßnahmen, die Maßnahmen wären nicht im deutschen Interesse und es könne zu Wettbewerbsnachteilen kommen, wenn nicht alle Staaten diese Maßnahmen gleichermaßen umsetzen.

14.8

Im Hinblick auf den ersten Vorwurf wird erwidert, dass es sich zwar um eine Zusammenfassung von Einzelmaßnahmen handele, diese aber untereinander abgestimmt seien. Außerdem hätte die Erarbeitung grundlegend neuer Aufteilungsgrundsätze – in Abgrenzung zu

14.9

1 Vgl. zu den Aktionspunkten, die auf eine Verbesserung der Transparenz abstellen, Hendricks in Oestreicher, 2015, 105 (119). 2 Vgl. zur weltweiten Implementierung des automatischen Informationsaustauschs zu Finanzkonten u.a. Benz/Böhmer, IStR 2015, 380 (384).

Böhmer 1041

Kap. 14 Rz. 14.10

Base Erosion and Profit Shifting

Einzelmaßnahmen – wohl zur Verwerfung bisheriger Grundsätze, wie etwa dem Betriebsstätten- und Fremdvergleichsgrundsatz, geführt, was ebenfalls nicht gewollt sein konnte.1

14.10 Der zweite Vorwurf, der dem BEPS-Projekt gemacht wird, wirkt ungleich schwerer. Es wird vorgebracht, dass das gesamte Projekt bzw. zumindest gewisse Teile davon nicht im deutschen Interesse seien. Abgestellt wird dabei vor allem auf die Befürchtung, dass es zu einer Verlagerung der Besteuerungsrechte weg von Deutschland hin zu anderen Staaten komme.2 Die Finanzverwaltung bzw. Vertreter der Bundesregierung sehen diesen möglichen Verlust von Besteuerungssubstrat zwar ebenfalls. Sie definieren die deutschen Interessen allerdings in diesem Zusammenhang anders.3 Sie stellen darauf ab, dass es ohne das BEPS-Projekt zu unilateralen Maßnahmen unterschiedlichster Staaten gekommen wäre.4 So hatten verschiedene Staaten angekündigt, selbst die Einführung eines CbCR in Erwägung zu ziehen. Der große Gewinn des BEPS-Projekts läge nun darin, dass international koordiniert und einheitlich vorgegangen wurde und somit ein „level playing field“ geschaffen werde.5 Dadurch wurden unilaterale Schritte einzelner Staaten vermieden und es wurden Schritte in die Wege geleitet, weltweit einheitliche Standards zu schaffen. Dies soll die Rechtsanwendung der Unternehmen vereinfachen. Neben dem Verlust von deutschen Besteuerungsrechten wird vielfach auch kritisiert, dass bestimmte Aussagen in den Aktionsberichten zwar vordergründig positiv zu bewerten sind, sich dies in der Praxis aber sicher nicht bewahrheiten wird. Konkret gilt dies insbesondere dafür, dass das CbCR nicht zu unmittelbaren Verrechnungspreisanpassungen führen soll. In dieser Auseinandersetzung, insbesondere im Hinblick auf etwaige Verluste an Besteuerungssubstrat, zeigt sich, dass es bei dem BEPS-Projekt zwar vordergründig um die Reformierung materiellen Steuerrechts geht. Hinter der Oberfläche wird aber deutlich, dass es sich vielmehr um eine politische Auseinandersetzung u.a. zwischen den Schwellenländern und den Industriestaaten handelt.6

14.11 Zuletzt wird kritisiert, dass es zu Verwerfungen kommen kann, wenn einige Staaten nicht alle Vorschläge in gleichem Umfang umsetzen. Dieser Einwand ist zutreffend. Zwar ist an verschiedenen Stellen diese Gefahr vorhergesehen und entsprechend agiert worden, was sich etwa an den Regelungen zum secondary filing beim CbCR (Rz. 14.126) sowie bei verschiedenen Regelungen zu hybriden Gestaltungen zeigt. Allerdings muss sichergestellt werden, dass die Umsetzung in Deutschland mit Blick auf die Umsetzung in anderen Staaten erfolgt.7

14.12 Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass verschiedene Aspekte der Einzelmaßnahmen, insbesondere das CbCR, immer diskutabel bleiben, etwa im Hinblick darauf, dass einzelne Fallgruppen nicht zutreffend abgebildet worden sind. Den ganz grundlegenden Kritikpunkten können allerdings auch Argumente entgegnet werden. Eine koordinierte Umsetzung der neuen Vorschläge und ein Festhalten sowie eine Fortentwicklung von Bewährtem ist tatsächlich ein Wert an sich, da sich der Aufwand für Steuerpflichtige dadurch vermindern kann bzw.

1 Vgl. Fehling, FR 2015, 817 (819). 2 Vgl. etwa Becker/Loose, IStR 2016, 153 (155); Piltz, IStR 2013, 681 (682); Piltz, IStR 2015, 529 (531). 3 Vgl. Kreienbaum, Forum der Internationalen Besteuerung 44 (2015), 1 (4). 4 Vgl. Kreienbaum, IStR 2014, 637 (638); Kreienbaum, IStR 2015, 753. Siehe dazu bereits OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, 2013, 10 f. 5 Vgl. Fehling, FR 2015, 817 (823); Kreienbaum, IStR 2015, 753 (754); Meister in FS Endres, 237 (240 f.). 6 Vgl. auch Wassermeyer, EuZW 2014, 841 (842). 7 Vgl. Kreienbaum, IStR 2015, 753 (754).

1042

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A. Hintergrund

Rz. 14.15 Kap. 14

Mehrfachbesteuerungen aufgrund unkoordinierter unilateraler Maßnahmen vermieden werden. Dass nicht alle Maßnahmen im – wie auch immer definierten – deutschen Interesse sind, ist bei einem politischen Kompromiss, und genau darum handelt es sich bei verschiedenen Maßnahmen, nicht ungewöhnlich.1 Diese ggf. nachteiligen Regelungen sind dann akzeptabel, wenn andere Staaten im Gegenzug auch für sie nachteilige Regelungen umsetzen. Ob dies erfolgen wird, bleibt abzuwarten. Wenn man aufgrund vorstehender Argumente die Ergebnisse des BEPS-Projekts akzeptiert, bedeutet dies aber auch, dass Deutschland auf unilaterale Alleingänge verzichtet. Soweit Deutschland selbst unilateral weitergehende Maßnahmen schafft, setzt es sich in Widerspruch zur eigenen Begründung für das gesamte Projekt, da das beabsichtigte „level playing field“ nicht gewährleistet werden kann und sich damit auch für andere Staaten die Frage stellt, warum sie eigene Nachteile in Kauf nehmen sollten. Wichtig für die Steuerpflichtigen ist letztlich vor allem zweierlei. Es darf zu keinen Doppelbesteuerungen kommen, weshalb die Arbeiten zu Aktionspunkt 14 besonders wichtig sind, und zum anderen sollte der Verwaltungsaufwand in Grenzen gehalten werden.2

IV. Regelungsgehalt der Berichte Die in den Berichten zu den einzelnen Aktionspunkten vorgeschlagenen Maßnahmen richten sich in erster Linie an die am Projekt beteiligten Staaten. Diese sollen ihr nationales Recht bzw. das Abkommensrecht derart ändern, wie dies in den Berichten vorgeschlagen wird. In der Folge sind auch die Steuerpflichtigen von den Vorschlägen betroffen. Die in den Berichten vorgeschlagenen Maßnahmen haben allerdings nicht allesamt die gleiche Verbindlichkeit. Vielmehr gibt es verschiedene Arten von Vorschlägen, die je nach Verbindlichkeit abgestuft sind.3

14.13

Die weitest gehenden Vorschläge werden als Mindeststandard definiert. Die am Projekt teilnehmenden Staaten haben sich verpflichtet, diese Maßnahmen umzusetzen. Um Mindeststandards handelt es sich bei den Ergebnissen zu den Aktionspunkten 5 (schädliche Steuerpraktiken), 6 (Abkommensmissbrauch), 13 (Country-by-Country Reporting) und 14 (Verständigungsverfahren). Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird als zwingend notwendig erachtet, damit sich einzelne Staaten nicht einseitig Steuervorteile auf Kosten anderer Staaten verschaffen können.4 Das Einhalten dieser Verpflichtungen wird im Rahmen des Monitoring-Prozesses (Rz. 14.144) überwacht.

14.14

Abgestuft zu den vorbeschriebenen Mindeststandards werden weitere Maßnahmen benannt, bei denen zwischen den Teilnehmerstaaten keine Einigkeit erzielt werden konnte, sie als Mindeststandards zu behandeln. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich vielmehr um Programmsätze, die umgesetzt werden sollen, d.h. um Empfehlungen zu einer steuerpolitischen Gesamtausrichtung.5 Konkret sind dies die Vorschläge zu den Aktionspunkten 2 (hybride Strukturen), 4 (Zinsabzug), 7 (Betriebsstätten) und 8 bis 10 (Verrechnungspreise). Verbunden ist damit seitens der OECD die Hoffnung, dass diese Vorschläge mit der Zeit zu

14.15

1 Siehe auch Kreienbaum, IStR 2014, 637. 2 Vgl. Wassermeyer, EuZW 2016, 1 (2). 3 Vgl. OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, Explanatory Statement, 2015 Final reports, Rz. 11; Benz/Böhmer, DB 2015, 2535 (2541 f.); Benz/Eilers, IStR-Beihefter zu Heft 4/2016, 2 (3); Staats in Köhler/Staats, StbJb 2015/2016, 361 (368). 4 Vgl. Benz/Böhmer, DB 2015, 2535 (2542). 5 Vgl. Benz/Böhmer, DB 2015, 2535 (2542).

Böhmer 1043

Kap. 14 Rz. 14.16

Base Erosion and Profit Shifting

Mindeststandards heranreifen. Möglich ist dies dann, wenn sie von einer großen Zahl von Staaten umgesetzt werden.

14.16 Mit noch geringerer Verbindlichkeit sind schließlich die Maßnahmen verbunden, die in den Aktionspunkten 3 (Hinzurechnungsbesteuerung) und 12 (Offenlegungspflichten) behandelt werden. Bei diesen Vorschlägen handelt es sich um Best Practices, d.h. um bloße Anregungen, zu deren Umsetzung kein Druck besteht.1

B. Berichte zu den Aktionspunkten I. Digitale Wirtschaft 14.17 Der Bericht zu Aktionspunkt 1 wurde von der eigens gegründeten Task Force on the Digital Economy, einem Ausschuss des Committee on Fiscal Affairs (CFA – Fiskalausschuss) der OECD erstellt.2 In diesem Ausschuss arbeiteten OECD-Mitglieder und die G20-Staaten, die nicht Mitglied der OECD sind, gemeinsam an dem Bericht zur Digitalen Wirtschaft.3 Dieser gibt zunächst einen Überblick über die Informations- und Kommunikationstechnologie, verschiedene Geschäftsmodelle von Unternehmen sowie Schlüsselfaktoren der Digitalen Wirtschaft.4 Im Bericht wird erläutert, dass es eine abgrenzbare Digitale Wirtschaft nicht gibt, sondern dass sich die Wirtschaft selbst vielmehr allumfassend digitalisiert.5 Dementsprechend werden im Ergebnis keine Sonderregelungen für die Digitale Wirtschaft empfohlen.6 Deutlich wird dies auch an den typischen Maßnahmen, die BEPS-Risiken bei Unternehmen der Digitalen Wirtschaft begründen. Genannt werden dabei die Minimierung der Steuer im Quellenstaat, sei es durch Vermeidung einer steuerlichen Präsenz oder durch Verlagerung von Einkünften aus diesem Staat, die Vermeidung von Quellensteuern, niedrige oder gar keine Besteuerung beim Empfänger (durch Verlagerung in Niedrigsteuerstaaten, Vorzugsregime oder hybride Gestaltungen) und eine unterbleibende (Nach-)Besteuerung der niedrig besteuerten Gewinne bei der Konzernmutter.7 Dies sind allerdings Aspekte, die allgemein für Unternehmen sämtlicher Branchen vorgebracht werden können. Auch dies spricht dagegen, dass es Sonderregelungen für die Digitale Wirtschaft braucht. Vielmehr gehen die Berichtsverfasser davon aus, dass die in den anderen Aktionspunkten vorgeschlagenen Maßnahmen BEPS auch im Bereich der Digitalen Wirtschaft effektiv bekämpfen können. Genannt werden dafür insbesondere die Vorschläge zur Überarbeitung des Betriebsstättenbegriffs, zu Verrechnungspreisen sowie zur Hinzurechnungsbesteuerung. Gleiches gilt für die Maßnahmen, die als Mindeststandard um-

1 Vgl. Staats, IStR 2016, 135 (136). 2 Vgl. zu dem vorläufigen Bericht aus September 2014: Fehling, IStR 2014, 638 ff.; Mucic/Schlie/ Schulz in FS Haarmann, 713 ff.; Pinkernell, IStR 2014, 273 ff. 3 Vgl. Fehling, IStR 2014, 638 (639). 4 Der Bericht knüpft insbesondere an die Ergebnisse der Ministerkonferenz zum E-Commerce 1998 in Ottawa an. Siehe dazu OECD, Addressing the tax challenges of the digital economy, Action 1: 2015 Final report, Rz. 6 ff. 5 Vgl. OECD, Addressing the tax challenges of the digital economy, Action 1: 2015 Final report, Rz. 115. 6 Pinkernell, Der Konzern 2015, 57 (60), weist auf die Möglichkeit von Sonderregelungen für den Bereich des E-Commerce hin. 7 Vgl. OECD, Addressing the tax challenges of the digital economy, Action 1: 2015 Final report, Rz. 183 ff. Siehe auch Fehling, IStR 2014, 638 (640); Valta, ISR 2014, 214 (215 f.).

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.19 Kap. 14

zusetzen sind. Das Zusammenwirken dieser Maßnahmen soll im Bereich der Digitalen Wirtschaft das Entstehen staatenloser Einkünfte zukünftig vermeiden.1 Es werden zudem weitere steuerliche Herausforderungen identifiziert, die durch die Digitalisierung hervorgerufen werden. Diese werden durch drei Faktoren hervorgerufen: die abnehmende Notwendigkeit für eine physische Präsenz in einer Jurisdiktion (Nexus), die Frage, wie der durch Daten generierte Wert zugerechnet und ermittelt und wie die Zurverfügungstellung von Daten behandelt werden kann, sowie die Frage wie neue digitale Produkte, etwa Zahlungen für Cloud Computing, steuerlich zu charakterisieren sind.2 Für diese Herausforderungen werden drei verschiedene Lösungsansätze diskutiert. Bei diesen Optionen handelt es sich um die Begründung eines neuen steuerlichen Anknüpfungspunkts in Form einer digitalen Präsenz, um die Einführung einer neuen Quellensteuer sowie um eine neue spezifische Verbrauchsabgabe. Eine digitale Präsenz soll eine Besteuerung in einem Staat ermöglichen, obwohl nach bislang geltenden Grundsätzen des Internationalen Steuerrechts kein Anknüpfungspunkt für eine Besteuerung durch den Quellenstaat gegeben ist. Dazu soll auf Faktoren abgestellt werden, die aufgrund digitaler Merkmale eine hinreichend enge Verbindung mit dem Quellenstaat aufzeigen. Genannt werden etwa die Nutzung lokaler Domains, die Etablierung lokaler Plattformen, die Möglichkeit lokaler Zahlungen (die etwa lokale Währung oder Steuern berücksichtigen), die Zahl der monatlich aktiven Nutzer aus einem Staat, der Online-Abschluss von Verträgen mit Staatsangehörigen sowie das Volumen der erhobenen Daten aus einem Staat. Als Begrenzung soll eine Umsatzschwelle überschritten werden müssen, damit es zur Annahme einer hinreichenden digitalen Präsenz kommt.3 Als weitere Option wird die Erhebung einer Quellensteuer auf Zahlungen von Staatsangehörigen des Quellenstaats für online erworbene Waren oder Dienstleistungen von nicht ansässigen Unternehmern vorgeschlagen.4 Zuletzt wird noch die Erhebung einer spezifischen Verbrauchsabgabe auf Online-Transaktionen zwischen Angehörigen des Quellenstaats und einem in einem anderen Staat ansässigen Unternehmen beschrieben.5

14.18

Im Ergebnis wird aber keine dieser Lösungen empfohlen.6 Denn die Einführung der beschriebenen Optionen würde eine grundlegende Änderung der bislang bestehenden Grundsätze des Internationalen Steuerrechts darstellen, wofür allerdings weitere Arbeiten zunächst Voraussetzung wären. Zunächst soll die Implementierung der übrigen BEPS-Maßnahmen abgewartet werden. Sodann soll im Jahr 2018 ein Zwischenbericht und bis zum Jahr 2020 ein weiterer finaler Bericht über steuerliche Herausforderungen der Digitalen Wirtschaft erstellt werden.7 Es bleibt den Staaten aber unbenommen, in Übereinstimmung mit abkom-

14.19

1 Vgl. OECD, Addressing the tax challenges of the digital economy, Action 1: 2015 Final report, Rz. 206. 2 Vgl. OECD, Addressing the tax challenges of the digital economy, Action 1: 2015 Final report, Rz. 248. Vgl. zu letzterem Aspekt Valta, ISR 2014, 214 (220). 3 Vgl. zum Folgeproblem der Gewinnzuordnung Fehling, IStR 2015, 797 (799). 4 Sehr kritisch dazu Mucic/Schlie/Schulz in FS Haarmann, 713 (729); zu den damit verbundenen Nachteilen siehe auch Fehling, IStR 2015, 797 (800). 5 Vgl. OECD, Addressing the tax challenges of the digital economy, Action 1: 2015 Final report, Rz. 278 ff. Eine solche Equalization Levy wurde in Indien eingeführt. Diese sieht eine Abgabe in Höhe von 6 % u.a. auf Zahlungen für Online-Werbung bei B2B-Transaktionen vor. 6 Vgl. OECD, Addressing the tax challenges of the digital economy, Action 1: 2015 Final report, Rz. 357; zustimmend Fehling, IStR 2015, 797 (801). 7 OECD Secretary-general report to G20 finance ministers, Baden-Baden, Germany, March 2017, 9.

Böhmer 1045

Kap. 14 Rz. 14.20

Base Erosion and Profit Shifting

mensrechtlichen Regelungen, unilateral die vorstehend beschriebenen Vorschläge umzusetzen.1

14.20 Als einziger Bericht befasst sich der Bericht zu Aktionspunkt 1 auch mit den indirekten Steuern. Das Augenmerk wird dabei auf Umsätze mit Dienstleistungen und immateriellen Wirtschaftsgütern gelegt, die online erbracht oder vermittelt werden, sowie auf die Einfuhr geringwertiger Gegenstände. Für Ersteres wird die Umsetzung der OECD-VAT-Guidelines (internationale Leitlinien für die Mehrwertbesteuerung) empfohlen,2 für Letzteres werden Vorschläge zur Effektuierung der Erhebung abgegeben.3

II. Hybride Gestaltungen 1. Systematisierung

14.21 Der Titel des Berichts zu Aktionspunkt 2 lautet in der offiziellen Übersetzung „Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen“. Der Begriff der hybriden Gestaltung ist bewusst weit gefasst, da mit ihm verschiedenste Gestaltungen erfasst werden sollen, die gemeinsam haben, dass ein Tatbestandsmerkmal, das für die steuerliche Behandlung relevant ist, von zwei beteiligten Staaten unterschiedlich ausgelegt wird; erfasst werden sowohl Finanzinstrumente als auch Gesellschaften. Diese Behandlung kann zu einer Doppelbesteuerung oder einer doppelten Nichtbesteuerung führen. Gegenstand des Berichts zu Aktionspunkt 2 sind allerdings nur die Fälle, in denen es zu einer doppelten Nichtbesteuerung kommt. Auch die Beschreibung als doppelte Nichtbesteuerung ist weit zu verstehen. Damit sind sowohl Fälle angesprochen, in denen es in zwei Staaten zu einem Betriebsausgabenabzug kommt,4 Fälle, bei denen in einem Staat ein Abzug und im anderen Staat eine Steuerfreistellung erfolgt,5 Fälle, in denen es zu einer doppelten Steueranrechnung kommt sowie Fälle, in denen es zu indirekten D/NI-Ergebnissen kommt.6 Zu den vorstehend benannten Fallgruppen werden Vorschläge unterbreitet, wie sie steuerlich behandelt werden können, um eine doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden. Im Kern besteht die Lösung des Berichts darin, Korrespondenzregelungen zu schaffen, die die steuerliche Behandlung in dem einen Staat von derjenigen in dem anderen Staat abhängig machen. Dabei wird für jede Fallgruppe vorgegeben, welcher Staat zuerst zu einer Korrektur berechtigt ist. Macht dieser Staat von seiner Korrekturbefugnis keinen Gebrauch, so ist der andere Staat zur Korrektur berechtigt. Damit soll zugleich erreicht werden, dass die Effekte hybrider Gestaltungen auch dann neutralisiert werden, wenn nur einer der beteiligten Staaten entsprechende Maßnahmen umsetzt.

1 Kritisch dazu Fehling, IStR 2015, 797 (801) mit konkreten Hinweisen über den Ablauf der Verhandlungen. 2 Vgl. OECD, Addressing the tax challenges of the digital economy, Action 1: 2015 Final report, Anhang D. 3 Vgl. insgesamt auch Fehling, IStR 2015, 797 (800); Ismer/Gradl, MwStR 2016, 324 ff. 4 Diese Fälle werden als Fälle von double decution, abgekürzt D/D, bezeichnet. 5 Diese Fälle werden als Fälle von decution, no inclusion, abgekürzt D/NI, bezeichnet. 6 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, Rz. 5, 6.

1046

Böhmer

B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.23 Kap. 14

2. Inhalt des Berichts a) Empfehlungen zur Änderung des nationalen Rechts aa) D/NI-Fälle (1) Finanzinstrumente Mit dieser Fallgruppe wird die steuerliche Behandlung von Instrumenten geregelt, bei denen im einen Staat ein Abzug erlaubt ist, während im anderen Staat eine bevorzugte Besteuerung, häufig in Form einer Freistellung, erfolgt. Die unterschiedliche Behandlung resultiert häufig daraus, dass das Finanzinstrument in einem Staat als Fremd- und im anderen Staat als Eigenkapital behandelt wird. Ein D/NI-Ergebnis kann allerdings auch bei Transaktionen, bei denen Wirtschaftsgüter übertragen und die von zwei Staaten unterschiedlich qualifiziert werden, insbesondere bei Repo-Transaktionen oder bei Wertpapierleihgeschäften, entstehen.1

14.22

Beispiel 1:

14.23 A Co.

Zahlung Staat A Staat B

B Sub

B-Sub, ansässig im Staat B, leistet eine Zahlung an A-Co, ihre 100 %ige Gesellschafterin, die im Staat B steuerlich abziehbar ist. A-Co behandelt in ihrem Ansässigkeitsstaat A die Zahlung als steuerbefreit.

Im Beispiel 1 wird die Zahlung in einem Staat abgezogen und im anderen Staat nicht besteuert. Um solche Besteuerungsergebnisse zu vermeiden, soll nach den Vorschlägen des Berichts zu Aktionspunkt 2 der Ansässigkeitsstaat der zahlenden Gesellschaft den Abzug verweigern. Lässt dieser Staat den Abzug jedoch zu, soll der andere Staat die Freistellung verweigern und die Zahlung als gewöhnliche Betriebseinnahme behandeln.2 Etwas anderes gilt dann, wenn der Empfangsstaat die Zahlung als Dividende behandelt, was in vielen derartigen Konstellationen der Fall ist. In diesem Fall soll er primär die Freistellung verweigern.3 Erst wenn in diesem Staat trotzdem eine Freistellung erfolgt, soll der andere Staat, der Staat des Zahlenden, zur Versagung des Betriebsausgabenabzugs berechtigt sein. Diese Regelung soll nur bei nahestehenden Personen sowie bei strukturierten Gestaltungen4 anwendbar sein. Personen sind einander 1 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, Rz. 72; vgl. auch: Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 1267 f. 2 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, 23. 3 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, 45. 4 Eine strukturierte Gestaltung liegt dann vor, wenn der Vorteil aus dem hybriden Element eingepreist wurde oder die Umstände darauf hindeuten, dass die Gestaltung implementiert wurde,

Böhmer 1047

Kap. 14 Rz. 14.24

Base Erosion and Profit Shifting

nahestehend, wenn sie derselben Gruppe angehören oder die eine Person 25 % oder mehr an der anderen hält oder einen dritte Person 25 % oder mehr an beiden Gesellschaften hält.1 (2) Hybride Gesellschaft

14.24 Zu einem Abzug beim Zahlenden, der mit einer Nichtbesteuerung beim Empfänger kombiniert wird, kann es nicht nur bei Finanzinstrumenten, sondern auch bei hybriden Gesellschaften kommen. In diesem Fall beruht die unterbliebene Besteuerung beim Empfänger darauf, dass aus dessen Sicht gar keine Einkünfte erzielt werden.

14.25 Beispiel 2: A Co.

Staat A Staat B Darlehen

Zins

B Co.

B Co, ansässig im Staat B, leistet eine Zinszahlung an A Co, ihre 100 %ige Gesellschafterin, die im Staat A ansässig ist. B Co wird in ihrem Ansässigkeitsstaat B als intransparent behandelt, so dass die Zahlung bei ihr abziehbar ist. Staat A behandelt B Co dagegen als transparent. Dies hat zur Folge, dass die Darlehensbeziehung, auf der die Zinszahlung beruht, steuerlich nicht anerkannt wird. Damit kommt es zu keiner Zinsbesteuerung bei A Co.

Der Bericht schlägt vor, dass der Ansässigkeitsstaat des Zahlenden den Abzug der Zahlung verweigert. Wenn der Ansässigkeitsstaat des Zahlenden keine entsprechende Regelung kennt, soll die Zahlung beim Empfänger als gewöhnliche Einkünfte behandelt werden, d.h., die Zahlung darf nicht als Dividende behandelt werden. Soweit die Zahlung allerdings im Ansässigkeitsstaat des Zahlenden gegen Einkünfte verrechnet wird, die in beiden Staaten besteuert werden, sollen die vorgenannten Regelungen keine Anwendung finden.2 Anwendbar ist diese Regelung nur, wenn es sich um eine strukturierte Gestaltung handelt oder die Gesellschaften derselben Gruppe angehören. Letzteres ist der Fall, wenn die Gesellschaften für Zwecke der Konzernrechnungslegung zum selben Konsolidierungskreis gehören, die erste Person Kontrolle über die andere ausübt oder eine dritte Person über beide Kontrolle ausübt, die erste Person mehr als 50 % an der anderen Person hält bzw. eine dritte Person an beiden Gesellschaften mehr als 50 % hält, oder es sich um verbundene Unternehmen i.S.v. Art. 9 OECD-MA handelt.3 um einen hybriden Effekt zu erhalten (OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, 105). 1 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, 113. 2 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, 49. 3 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, 113.

1048

Böhmer

B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.27 Kap. 14

(3) Umgekehrt hybride Gesellschaft Als umgekehrt hybride Gesellschaften (reverse hybrid entities) werden Gesellschaften bezeichnet, die in ihrem Ansässigkeitsstaat als transparent und vom Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft als intransparent behandelt werden. Hybride Gesellschaften, wie im vorherigen Beispiel, werden demgegenüber in ihrem Ansässigkeitsstaat als intransparent und im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft als transparent behandelt.

14.26

Beispiel 3:

14.27 A Co.

Staat A Staat B

B Co.

Darlehen

Zins

B Sub

B Co, ansässig im Staat B, wird von diesem als transparent behandelt. B Co hat ein Darlehen an ihre 100 %ige Tochtergesellschaft B Sub vergeben. Diese leistet darauf abziehbare Zinszahlungen. Die Zinserträge werden im Staat B nicht steuerlich erfasst, da B Co von Staat B als transparent behandelt wird. Auch bei der Muttergesellschaft A Co erfolgt keine Besteuerung. Denn Staat A behandelt B Co als intransparent und weist deshalb Staat B das Besteuerungsrecht zu.

Gelöst werden sollen solche Fälle dadurch, dass der Ansässigkeitsstaat der zahlenden Gesellschaft (B Sub) den steuerlichen Abzug verweigert. Keine Anwendung findet diese Regelung dagegen, wenn die Zahlung im Staat A aufgrund einer Hinzurechnungsbesteuerung steuerlich berücksichtigt wird. Diese Regelungen sollen nur dann anwendbar sein, wenn der Investor, die umgekehrt hybride Gesellschaft und der Zahlende derselben Gruppe angehören oder Teil einer strukturierten Gestaltung sind.1

1 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, 55.

Böhmer 1049

Kap. 14 Rz. 14.28

Base Erosion and Profit Shifting

bb) D/D-Fälle (1) Hybride Gesellschaft

14.28 Bei hybriden Gesellschaften können nicht nur D/NI-Ergebnisse, sondern auch D/D-Ergebnisse erreicht werden. Möglich ist dies durch folgende Gestaltung.

14.29 Beispiel 4: A Co.

Staat A Staat B Tax group Darlehen Bank

B Co. Einkünfte 500.000

Zins 800.000

B Sub Einkünfte 300.000

A Co. ist in Staat A ansässig. A Co hält eine Beteiligung an B Co, die aus Sicht von Staat A als transparent behandelt wird. B Co. hat ein Darlehen aufgenommen, für das sie Zinsen i.H.v. 800.000 an eine Bank zahlt. B Co. hält alle Anteile an B Sub, mit der sie im Rahmen eines Gruppenbesteuerungssystems gemeinsam besteuert wird. B Co. hat eigene Einkünfte (vor Berücksichtigung des Zinsaufwands) von 500.000. B Sub erzielt Einkünfte von 300.000. Der Zins i.H.v. 800.000 wird mit den addierten Einkünften von B Co. und B Sub von 800.000 verrechnet. Zudem geht der Zinsaufwand i.H.v. 800.000, zusammen mit den Einkünften von 500.000, in Staat A in die Besteuerung ein.

In diesem Beispielsfall kann der Zinsaufwand zweimal abgezogen werden. Um dies zu vermeiden, sieht der Bericht zu Aktionspunkt 2 vor, dass der Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft den Abzug der Aufwendungen insoweit verweigert, als die Einkünfte nicht in beiden Staaten der Besteuerung unterliegen (d.h. hier i.H.v. 300.000). Ergreift der Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft keine Maßnahmen, soll der Ansässigkeitsstaat der hybriden Gesellschaft insoweit den Abzug verweigern. Der Betrag, der nach dieser Regelung nicht abgezogen werden darf, soll in zukünftigen oder früheren Veranlagungszeiträumen abziehbar sein. Zudem soll verhindert werden, dass es zu sog. stranded losses kommt. Danach soll der Abzug zulässig sein, wenn nachgewiesen werden kann, dass eine Verrechnung mit Einkünften im an1050

Böhmer

B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.30 Kap. 14

deren Staat ausgeschlossen ist.1 Anwendbar ist die Regelung bei Angehörigen derselben Gruppe oder bei Parteien einer strukturierten Gestaltung. (2) Doppelt ansässige Gesellschaft

14.30

Beispiel 5: A Co.

Tax group Darlehen Staat A A Sub

Bank

Staat B

Zins

B Co.

A Co. ist im Staat A ansässig. Sie ist alleinige Gesellschafterin von A Sub und erzielt eigene Einkünfte. A Sub ist doppelt ansässig und wird sowohl von Staat A als auch von Staat B als ansässig betrachtet. A Co. und A Sub bilden nach dem Recht von Staat A eine steuerliche Gruppe, deren Einkünfte zusammengefasst werden. A Sub hat ein Darlehen bei einer Bank aufgenommen, für das Zinsen gezahlt wird, und ist beteiligt an B Co. B Co. wird nach dem Recht von Staat A als intransparent, nach dem Recht von Staat B allerdings als transparent behandelt. B Co. erzielt eigene Einkünfte.2

Als Maßnahme empfiehlt der Bericht, den Abzug in beiden Staaten zu versagen. Dies soll allerdings nicht gelten, soweit die Aufwendungen mit Einkünften verrechnet werden können, die in beiden Staaten besteuert werden, d.h. beispielsweise, wenn A Sub eigene Einkünfte erzielt, oder B Co. auch nach dem Recht von Staat A als transparent behandelt wird.3 Kritisch an dieser Auffassung ist, dass sie zu Doppelbesteuerung führen kann, wenn beide Staaten den Abzug verweigern. Dass die Aufwendungen in beiden Staaten nicht abziehbar sind, ver1 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, 67; siehe auch Schnitger/Weiss, IStR 2014, 508 (511). 2 Beispiel nach OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, 336. 3 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, 77.

Böhmer 1051

Kap. 14 Rz. 14.31

Base Erosion and Profit Shifting

stößt in Deutschland gegen das objektive Nettoprinzip. Der bloße Hinweis, dass dieses Ergebnis durch Strukturierungen vermieden werden kann, ist nicht ausreichend.1 cc) Indirekte D/NI-Fälle

14.31 Weitreichende Auswirkungen können indirekte D/NI-Fälle haben. Beispiel 6: Fonds Hybrides Instrument

Staat A Staat B HoldCo.

Darlehen

MidCo.

Staat C

Darlehen BidCo.

OpCo.

Ein Fonds, bzw. dessen Investoren, sind im Staat A ansässig. Dieser ist an einer Holdinggesellschaft HoldCo beteiligt. Zugleich hat er ein hybrides Instrument gezeichnet, aufgrund dessen Zahlungen an ihn erfolgen. Diese Zahlungen sind im Staat B abziehbar und in Staat A von der Steuer befreit. Staat A und Staat B haben keine Regelungen zur Umsetzung der Empfehlungen des Aktionsberichts 2 getroffen. HoldCo ist beteiligt an MidCo und reicht an diese ein Darlehen aus. MidCo ist beteiligt an BidCo und reicht an diese das Darlehen weiter. BidCo erwirbt mit diesem Darlehen schließlich die Beteiligung an OpCo. BidCo und OpCo werden schließlich im Rahmen einer Gruppenbesteuerung gemeinsam veranlagt.

1 OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, Rz. 227.

1052

Böhmer

B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.32 Kap. 14

Als Reaktion empfiehlt der Aktionsbericht, dass der Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft, an die die Liquidität weitergereicht wird und die deshalb Finanzierungsaufwendungen hat (hier BidCo), den Abzug versagt für die Zahlungen, die sie leistet. Dies gilt dann, wenn der Empfänger den korrespondierenden Ertrag seinerseits mit Aufwand verrechnen kann, der letztendlich (ggf. nach weiteren Stufen) aufgrund eines hybriden Elements nicht der Besteuerung unterliegt. Anwendung soll diese Regelung nur in Gruppenkonstellationen bzw. bei strukturierten Gestaltungen finden.1 Mit dieser Regelung sollen Konstellationen getroffen werden, in denen zwei Staaten keine Regelungen zur Bekämpfung hybrider Gestaltungen schaffen. Denn in diesem Fall ist es durch Vergabe von Fremdkapital möglich, den Vorteil aus der hybriden Gestaltung weiterzureichen. Zugleich wird durch diese Maßnahme deutlich, dass die Berichte auch den Fall berücksichtigen, dass die BEPS-Maßnahmen nicht in allen Staaten umgesetzt werden. Es wird dadurch dafür Sorge getragen, dass etwaige Vorteile aus hybriden Gestaltungen versagt werden. Im Bericht wird noch eine Vielzahl weiterer Gestaltungen erläutert, insbesondere, wenn die Zuordnung von Aufwendungen nicht mehr derart einfach ist wie in dem vorbeschriebenen Beispiel.2 In der Praxis wird die Implementierung dieser Empfehlungen zu höchst komplexen Normen führen. Diese werden einen nicht zu unterschätzenden Anwendungsbereich haben. Denn ähnlich dem vorstehend beschriebenen Beispiel sind viele Investitionen nach Deutschland, insbesondere bei Private Equity-Transaktionen über Luxemburg, strukturiert. b) Abkommensrechtliche Empfehlungen Die erste Empfehlung zum Abkommensrecht betrifft die Behandlung doppelt ansässiger Gesellschaften.3 Bislang sieht Art. 4 Abs. 3 OECD-MA vor, dass sich die abkommensrechtliche Ansässigkeit einer doppelt ansässigen Gesellschaft nach dem Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung bestimmt. Insoweit wird vorgeschlagen, dass anstelle der bisherigen Tie-Breaker-Regelung ein Verständigungsverfahren die Ansässigkeit bestimmen soll.4 Eine entsprechende Regelung kennt bspw. bereits das DBA-USA. Trotzdem sind diese kritisch zu sehen. Denn bis zu einer Einigung, kann die Gesellschaft keinerlei Abkommensvorteile in Anspruch nehmen.5 Es ist nicht einmal gesichert, dass es überhaupt zu einer Einigung kommt, denn ein obligatorisches Schiedsverfahren ist nicht vorgesehen. Da Doppelansässigkeiten aber keinesfalls ausschließlich aus steuerplanerischen Gründen begründet werden, sondern häufig im Rahmen von Transaktionen auf politischen Erwägungen beruhen, stellt eine Regelung wie die vorgeschlagene eine erhebliche Schlechterstellung der Lage für doppelt ansässige Gesellschaften dar.6 Zumindest sind aber klare Kriterien für das Verständigungsverfahren notwendig, die nicht einen so großen Ermessensspielraum lassen wie die Erläuterungen im OECDMK,7 etwa die zeitliche Anwesenheit des Leitungspersonals in dem einen bzw. dem anderen Staat.

1 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, 83. 2 Vgl. zu direct imported mismatches und indirect imported mismatches OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, Rz. 252 ff. 3 Vgl. dazu allgemein Schnitger, IStR 2013, 82 ff. 4 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, Rz. 431. Siehe dazu auch Pamperl, SWI 2014, 502 ff. 5 Vgl. zu Art. 4 Abs. 3 DBA-USA Jacob in Endres/Jacob/Gohr/Klein, Art. 4 DBA-USA Rz. 95. 6 Kritisch auch Benz/Böhmer, DB 2015, 2535 (2538); Schnitger/Oskamp, IStR 2014, 385 (386). 7 Art. 4 Tz. 24.1 OECD-MK.

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14.32

Kap. 14 Rz. 14.33

Base Erosion and Profit Shifting

14.33 Darüber hinaus soll ein neuer Art. 1 Abs. 2 OECD-MA eingeführt werden, der Regelungen des OECD Partnership-Reports umsetzt.1 Danach soll der Quellenstaat Einkünfte, die von oder über eine Gesellschaft bezogen werden, die in einem der Staaten als ganz oder teilweise transparent behandelt wird, als Einkünfte einer ansässigen Person behandeln, soweit die Einkünfte einer in dem anderen Staat ansässigen Person zugerechnet werden.2 Damit wird eine Qualifikationsverkettung an die Qualifikation des Ansässigkeitsstaats begründet.3

14.34 Schließlich wird im Bericht erläutert, dass die beschriebenen Empfehlungen auch nicht mit sonstigen abkommensrechtlichen Regelungen kollidieren. Insbesondere soll kein Verstoß gegen das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot vorliegen, wenn nationale Regelungen zwar neutral formuliert sind, aber allein oder ganz überwiegend grenzüberschreitende Sachverhalte treffen,4 da nur direkte Diskriminierungen durch Art. 24 OECD-MA unterbunden werden sollen.5 Dies steht allerdings nicht im Einklang mit der neueren Rechtsprechung des BFH.6 Insoweit bleibt abzuwarten, wie der BFH entsprechende Regelungen anhand des Diskriminierungsverbots behandeln wird. 3. Betriebsstättenstrukturen

14.35 Die bei hybriden Gestaltungen bzw. Gesellschaften eintretenden Steuerfolgen können in vergleichbarer Weise auch in Betriebsstättenkonstellationen auftreten. Möglich ist dies, wenn Betriebsstättenstaat und Stammhausstaat unterschiedliche Auffassungen zur Allokation der Einkünfte oder zum Vorliegen der Voraussetzungen einer Betriebsstätte haben. In diesen Fällen können dieselben Besteuerungsergebnisse eintreten, die Gegenstand des Abschlussberichts zu Aktionspunkt 2 waren, wenn (i) bei einem anderen abziehbare Zahlungen weder im Betriebsstätten- noch im Stammhausstaat besteuert werden, (ii) Betriebsstätten abziehbare Leistungen an das Stammhaus leisten, die im Stammhausstaat nicht besteuert werden, (iii) eine Leistung in beiden Staaten abziehbar ist und (iv) ein D/NI-Effekt in einen anderen Staat überführt wird.7 Bei Fällen unter Beteiligung von Betriebsstätten handelt es sich um keine klassischen hybriden Konstellationen, da sie nicht auf Unterschieden in der steuerlichen Behandlung oder Einordnung von Finanzinstrumenten oder Gesellschaften beruhen. Eine Vergleichbarkeit ist aber darin begründet, dass etwaige Besteuerungsinkongruenzen auf der unterschiedlichen steuerlichen Qualifikation bestimmter Umstände in zwei Staaten beruhen. Zudem spricht für Regelungen, die entsprechende Besteuerungsinkongruenzen verhindern, dass nach dem AOA das Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte wie zwischen verbundenen Unternehmen behandelt werden soll. Auch soll verhindert werden, dass Steuerpflichtige auf Be1 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, Rz. 435. 2 Vgl. zum Entwurf von Art. 1 Abs. 2 OECD-MA Kahlenberg, Ubg 2014, 623 (625 ff.); Schnitger/Oskamp, IStR 2014, 385 (387 ff.); Staats, IStR 2014, 749 (755). 3 Vgl. Kahlenberg, Ubg 2014, 623 (625); Schnitger/Oskamp, IStR 2014, 385 (387). 4 Vgl. OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, Rz. 448. 5 So wohl auch Staats, IStR 2014, 749 (756). 6 Vgl. BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, BStBl. II 2013, 186 (189); v. 16.1.2014 – I R 30/12, BStBl. II 2014, 721 (723). 7 Vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, Action 2: 2017 Inclusive Framework on BEPS, Rz. 2. Siehe zum Diskussionsentwurf aus 2016 auch Benz/Böhmer, DB 2016, 2501 (2502).

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.35 Kap. 14

triebsstätten ausweichen, da die Inanspruchnahme von Steuervorteilen aufgrund hybrider Effekte durch den Bericht zu Aktionspunkt 2 und entsprechende nationale Regelungen erschwert wird.1 Der Bericht zu Besteuerungsinkongruenzen bei Betriebsstätten knüpft dementsprechend an die Empfehlungen des Berichts zu Aktionspunkt 2 aus 2015 an und versucht parallele Strukturen in der Rechtsfolge gleich zu behandeln. Den entsprechenden Vorschlägen ist die Empfehlung vorangestellt, eine etwaige nationale Freistellungsregelung ggf. derart zu modifizieren, dass sichergestellt wird, dass diese ihrem Zweck entsprechend nur Doppelbesteuerung vermeidet.2 Damit soll sie insbesondere dann keine Anwendung finden, wenn keine Doppelbesteuerung droht. Findet eine solche Regelung Anwendung, so besteht kein Raum mehr für die Anwendung der speziellen, nachfolgend dargestellten Regelungen zur Vermeidung von Besteuerungsinkongruenzen bei Betriebsstättenkonstellationen. Diese Empfehlung soll sich nur auf Freistellungen im nationalen Recht beziehen; abkommensrechtliche Freistellungen sollen davon nicht erfasst sein.3 Deshalb kann in dieser Regelung auch keine Rechtfertigung für § 50d Abs. 9 EStG oder § 20 Abs. 2 AStG gesehen werden. In sog. disregarded branch-Fällen erkennt der Betriebsstättenstaat keine Betriebsstätte. In diesem Fall leistet jemand anderes eine Zahlung an die Betriebsstätte, die bei diesem anderen steuerlich abziehbar ist. Der Betriebsstättenstaat nimmt mangels Betriebsstätte keine Besteuerung vor. Der Stammhausstaat ordnet dagegen die empfangene Leistung der Betriebsstätte und damit dem Betriebsstättenstaat zu. Aufgrund dessen wendet er die Freistellungsmethode an. Diese Fälle sind den umgekehrt hybriden Gesellschaftsfällen vergleichbar (Rz. 14.26). Dieselben Besteuerungsergebnisse treten bei sog. diverted branch payments auf. Abweichend zu der vorherigen Konstellation erkennt der Betriebsstättenstaat eine Betriebsstätte an. Von einem Dritten, der die Zahlung bei sich als abziehbar behandelt, erbrachte Zahlungen ordnet der Betriebsstättenstaat dem Stammhaus zu. Der Stammhausstaat ordnet die entsprechende Leistung dagegen der Betriebsstätte zu. Dadurch kommt es weder im Betriebsstätten- noch im Stammhausstaat zu einer Besteuerung. Auch diese Fälle sind denjenigen von umgekehrt hybriden Gesellschaften vergleichbar. Diese Vergleichbarkeit ergibt sich daraus, dass der Ansässigkeitsstaat des Zahlungsempfängers, dort des verbundenen Unternehmens, hier der Betriebsstätte, die Zahlung nicht selbst besteuert, der andere Staat aber seinerseits aufgrund einer abweichenden Betrachtung keine Besteuerung vornimmt.4 In beiden Fällen (disregarded branch und diverted branch) wird vorgeschlagen, wie im Abschlussbericht zu Aktionspunkt 2 zu umgekehrt hybriden Gesellschaften empfohlen, die Abziehbarkeit bei dem Zahlenden zu beschränken.5 Die Regel ist nur anwendbar, wenn die Besteuerungsinkongruenzen auf einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung des konkreten Falls beruhen, nicht aber z.B. auf einer allgemeinen subjektiven Steuerbefreiung im Stammhausstaat. Dies soll nur gelten, wenn es sich um strukturierte Gestaltungen oder Vorfälle in einer Gruppe handelt. Keine Anwendung soll diese Regel finden, wenn die Zahlung in einem Staat voll versteuert wird.

1 Vgl. OECD, Branch Mismatch Structures, Action 2: 2016 Public Discussion Draft, Rz. 18. 2 Vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, Action 2: 2017 Inclusive Framework on BEPS, Rz. 26. 3 Vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, Action 2: 2017 Inclusive Framework on BEPS, Rz. 40. 4 Vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, Action 2: 2017 Inclusive Framework on BEPS, Rz. 43. 5 Vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, Action 2: 2017 Inclusive Framework on BEPS, Recommendation 2.1.

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Kap. 14 Rz. 14.36

Base Erosion and Profit Shifting

Fälle sog. deemed branch payments zeichnen sich dadurch aus, dass die Betriebsstätte eine in ihrem Staat abziehbare Leistung an das Stammhaus erbringt, die im Stammhausstaat nicht besteuert wird. Möglich ist dies, wenn der Betriebsstättenstaat ein dealing seitens des Stammhauses an die Betriebsstätte in Form einer Überlassung eines Wirtschaftsguts annimmt, der Stammhausstaat das überlassene Wirtschaftsgut aber an die Betriebsstätte allokiert und deshalb die Zahlung nicht anerkennt und auch nicht besteuert.1 In diesen Fällen soll eine Vergleichbarkeit zu sog. disregarded hybrid payments bestehen (Rz. 14.25). Dementsprechend sollen Regeln wie in Kapital 3 des Berichts zu Aktionspunkt 2 gelten, d.h der Abzug soll im Staat des Zahlenden versagt werden, soweit dieser über dual inclusion income, d.h. doppelt besteuerte Einkünfte, hinausgeht.2 Im Gegensatz zu den Fällen von disregared hybrid payments soll allerdings keine sekundäre Regel eingreifen, da bezogen auf den Stammhausstaat ohnehin empfohlen wird, die Freistellung einzuschränken. Fälle, in denen es zu einem doppelten Abzug kommt, sollen vorrangig durch ein Abzugsverbot im Stammhausstaat vermieden werden; nur wenn dieser Staat kein Abzugsverbot kennt, soll der Betriebsstättenstaat den Abzug verweigern. Imported branch mismatches sollen genauso behandelt werden, wie entsprechende Konstellationen bei verbundenen Unternehmen (Rz. 14.31). Die vorstehend beschriebenen Fallkonstellationen treffen vor allem Fälle, in denen zwei Staaten die Betriebsstättengewinnabgrenzung nach verschiedenen Ansätzen vornehmen, insbesondere einer der Staaten den AOA anwendet und der andere nicht. Denn wenn beide Staaten den AOA anwenden, kann es zu einer Vielzahl dieser Konstellationen, z.B. den deemed branch payments, kaum kommen.

III. Hinzurechnungsbesteuerung 14.36 Aktionspunkt 3 befasst sich mit der Hinzurechnungsbesteuerung. Die OECD sieht eine effektive Hinzurechnungsbesteuerung als ein wesentliches Element eines weltweit kohärenten Steuerrechts an. Mit ihr soll insbesondere das fiskalisch unerwünschte „stateless income“ bekämpft werden,3 indem die Abschirmwirkung niedrig besteuerter Kapitalgesellschaften im Ausland aufgehoben wird. Der Bericht zu Aktionspunkt 3 zeigt sechs verschiedene Bausteine, die die nationalen Gesetzgeber verwenden können, um eine effektive Hinzurechnungsbesteuerung zu schaffen. Die Empfehlungen des Berichts zu Aktionspunkt 3 haben allerdings nur den Charakter einer best practice. Auf die Begründung eines Mindeststandards konnten sich die beteiligten Staaten nicht einigen. Die Schwierigkeiten, eine Einigung zu diesem Aktionspunkt zu erreichen, zeigen sich an verschiedenen Stellen des Berichts, insbesondere dann, wenn eine Vielzahl möglicher Lösungen aufgezeigt wird.4 1. Definition einer Zwischengesellschaft

14.37 Bei der Definition des Begriffs der Zwischengesellschaft stellen sich zwei Fragen. Zum einen die Frage danach, ob nur Kapitalgesellschaften Zwischengesellschaften sein können und 1 Vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, Action 2: 2017 Inclusive Framework on BEPS, Rz. 11. 2 Vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, Action 2: 2017 Inclusive Framework on BEPS, Rz. 62. 3 Vgl. Eilers/Hennig, ISR 2015, 422 (424); Pinkernell, IStR-LB 2015, 45. 4 Zu den deutschen Zielen Radmanesh, IStR 2015, 895 (896).

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.40 Kap. 14

zum anderen die Frage, wann die notwendige Kontrolle einer Zwischengesellschaft gegeben ist. Zur ersten Frage empfiehlt der Bericht, dass auch transparente Gesellschaften sowie Betriebsstätten in bestimmten Fällen als Zwischengesellschaft behandelt werden sollen. Dies soll der Fall sein, wenn sie Einkünfte erzielen, die sonst verlagert werden könnten, und diese Verlagerung nicht auf andere Weise bekämpft werden kann. Zudem soll eine Regelung geschaffen werden, die verhindert, dass die Hinzurechnungsregeln umgangen werden, da der Sachverhalt in verschiedenen Staaten unterschiedlich behandelt wird.1

14.38

Zur zweiten Frage wird erläutert, dass sich der Kontrollbegriff sowohl nach rechtlichen als auch nach wirtschaftlichen Aspekten bestimmen soll. Zur Annahme der Kontrolle soll es notwendig sein, dass Steuerpflichtige, die im Anwenderstaat ansässig sind, zu mehr als 50 % die Gesellschaft kontrollieren, wobei Maßstab für diese 50 % sowohl die Stimmrechte als auch die Beteiligung an Veräußerungs- bzw. Liquidationserlösen sein kann; letzteres kann insbesondere dazu führen, dass Eigenkapitalgenussrechte Kontrolle im Sinne der Hinzurechnungsbesteuerung begründen können. Für die Addition von Beteiligungen verschiedener Steuerpflichtiger zur Berechnung des Umfangs des Einflusses von ansässigen Steuerpflichtigen lässt der Bericht mehrere Optionen zu. So kann die Zusammenrechnung auf nahestehende Personen beschränkt sein oder auch nichtnahestehende Personen, die aber allesamt im Anwenderstaat ansässig sind, einbeziehen. Alternativ oder kumulativ kann auch auf ein acting in concert abgestellt werden. Unerheblich soll es zudem sein, ob die Kontrolle mittelbar oder unmittelbar innegehabt wird.

14.39

2. Allgemeine Anwendungsregelungen bzw. Ausnahmen Nach dem Bericht soll nicht bei jeder Zwischengesellschaft eine Hinzurechnungsbesteuerung ausgelöst werden. Sofern die Zwischengesellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat einer Besteuerung unterliegt, die ähnlich hoch ist wie die Besteuerung in dem Staat, in dem die sie kontrollierenden Personen ansässig sind, soll die Hinzurechnungsbesteuerung nicht anwendbar sein. Nur wenn die Besteuerung im Ansässigkeitsstaat der Zwischengesellschaft deutlich niedriger ist als im Staat der sie kontrollierenden Personen, soll die Hinzurechnung erfolgen. Die OECD schlägt zudem vor, mit weißen Listen von Staaten zu arbeiten, deren Steuern so hoch sind, dass keine Hinzurechnungsbesteuerung ausgelöst wird. Für die Frage, wie die zu niedrige Besteuerung ermittelt wird, bietet der Bericht (erneut) verschiedene Optionen. Zum einen könnten feste Steuersätze festgelegt werden, bei deren Unterschreiten eine Niedrigbesteuerung angenommen wird. Zum anderen kann der Steuersatz im Staat der Zwischengesellschaft ins Verhältnis gesetzt werden zu der Besteuerungshöhe im Ansässigkeitsstaat ihrer Gesellschafter.2 Sobald eine solche Grenze für die Annahme einer Niedrigbesteuerung festgesetzt wurde, stellt sich die Folgefrage nach der Anwendbarkeit im konkreten Fall. Dafür kann entweder auf den nominellen Steuersatz in dem jeweiligen Ansässigkeitsstaat der Zwischengesellschaft oder auf den effektiven Steuersatz der Zwischengesellschaft abgestellt werden.3

1 OECD, Designing effective controlled foreign company rules, Action 3: 2015 final report, 21. 2 OECD, Designing effective controlled foreign company rules, Action 3: 2015 final report, 37. 3 OECD, Designing effective controlled foreign company rules, Action 3: 2015 final report, 37.

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14.40

Kap. 14 Rz. 14.41

Base Erosion and Profit Shifting

3. Definition der Zwischeneinkünfte

14.41 Bei der Definition der Zwischeneinkünfte wird besonders deutlich, dass der zeitgerechte Abschluss der Arbeiten zu Aktionspunkt 3 dadurch ermöglicht wurde, dass im Ergebnis keine klaren Entscheidungen getroffen wurden. Der Bericht beschränkt sich zu diesem Kernpunkt der Hinzurechnungsbesteuerung darauf, die Aufnahme einer Bestimmung über die Definition von Zwischeneinkünften zu empfehlen. Die genaue Ausarbeitung einer Definition wird jedoch den Staaten überlassen. Allerdings macht der Bericht einige Vorschläge, wie eine Definition ausgestaltet sein kann. Zunächst nennt der Bericht eine Auflistung nach verschiedenen Kategorien wie Dividenden, Zinsen, Versicherungsprämien, Lizenzen sowie Handelsund Dienstleistungsvergütungen. Eine Auflistung nach Kategorien kann alternativ auch an die Verbundenheit der Parteien oder den Ort der Quelle der Einkünfte anknüpfen.

14.42 Als weiterer Ansatz für die Definition von Zwischeneinkünften kann eine Substanzanalyse gefordert werden. Wenn die Zwischengesellschaft über hinreichend Substanz verfügt, soll die Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung ganz oder teilweise ausscheiden können. Wird eine solche Substanzanalyse durch einen Staat gewählt, stellt sich die Folgefrage, worauf konkret abzustellen ist. An dieser Stelle werden vier Optionen vorgeschlagen.1 Es könnte auf (1) die Erbringung eines eigenen wesentlichen Wertschöpfungsbeitrags abgestellt werden, (2) die Funktionen der Gesellschaft unter Berücksichtigung von Wirtschaftsgütern und übernommenen Risiken in der Gruppe oder (3) das Vorhandensein von Räumlichkeiten, Gegenständen und ausgebildetem Personal. Zuletzt wird noch eine Option empfohlen, die die verschiedenen Querverbindungen zwischen den einzelnen Aktionspunkten aufzeigt. So kann (4) auf die Erfüllung des Nexus-Ansatzes abgestellt werden (vgl. Rz. 14.61). Erzielt eine Zwischengesellschaft Einkünfte, die nach dem Nexus-Ansatz begünstigt besteuert werden dürfen, sollen keine Zwischeneinkünfte vorliegen.

14.43 Als dritte Option wird ein sog. Excess-Profit-Ansatz vorgeschlagen. Danach soll der Teil der Einkünfte, der über einen „normalen“ Gewinn hinausgeht, als Zwischeneinkünfte behandelt werden. Zur Ermittlung der Zwischeneinkünfte soll zunächst der „normale“ Gewinn ermittelt werden. Dieser „normale“ Gewinn ergibt sich aus einer risikoangemessenen Verzinsung des Eigenkapitals. Der Unterschiedsbetrag zu dem tatsächlich erzielten Gewinn soll als Excess-Gewinn bei dem Gesellschafter der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Problematisch ist an diesem Ansatz offensichtlich, dass ein „normaler“ oder „gewöhnlicher“ Gewinn nur schwer zu bestimmen ist.2 Das Entstehen solcher Excess-Gewinne wird zudem häufig bereits durch Verrechnungspreisanpassungen verhindert werden können, da es nicht unwahrscheinlich ist, dass bei Erzielen solcher Excess-Gewinne nicht alle Verrechnungspreise dem Fremdvergleich entsprechen. Allerdings zielt diese Regelung wohl auf Fälle ab, in denen der Ansässigkeitsstaat der Zwischengesellschaft und der andere an den Transaktionen mit der Zwischengesellschaft beteiligte Staat keine Verrechnungspreisanpassungen vornehmen.3

1 OECD, Designing effective controlled foreign company rules, Action 3: 2015 final report, 48. 2 Kritisch auch Pinkernell, IStR-LB 2015, 45 (47); Radmanesh, IStR 2015, 895 (899). 3 Die Ergänzung der Regelungen zu Verrechnungspreisen durch die Hinzurechnungsbesteuerung wird von den Berichtsverfassern ausdrücklich hervorgehoben: OECD, Designing effective controlled foreign company rules, Action 3: 2015 final report, 14.

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.47 Kap. 14

4. Berechnung der Einkünfte Die Berechnung der Einkünfte der Zwischengesellschaft soll nach dem Recht des Staats erfolgen, der eine Hinzurechnungsbesteuerung vornehmen will. Dies ist aus verwaltungsökonomischen Aspekten sinnvoll. Zudem schlägt der Bericht vor, dass die Verrechnung von Verlusten von Zwischengesellschaften beschränkt wird. Sie soll nur gegen Gewinne dieser Zwischengesellschaft oder anderer Zwischengesellschaften, die im selben Staat ansässig sind, zulässig sein.1

14.44

5. Zurechnung der Einkünfte Eine Hinzurechnung von Einkünften der Zwischengesellschaft soll nur an solche Gesellschafter erfolgen, die auch Kontrolle ausüben. Auch soll die Hinzurechnung dem Umfang nach auf die Höhe der Beteiligung bzw. die Dauer der Beteiligung begrenzt sein. Wann eine Hinzurechnung erfolgt, d.h. phasengleich oder phasenverschoben, soll jeder Staat selbst entscheiden können, wie auch die steuerliche Behandlung der hinzugerechneten Beträge, d.h. ob als Dividenden oder als gewöhnliche Einkünfte. Der Steuersatz, der auf die hinzugerechneten Beträge Anwendung findet, soll dem regulären Steuersatz des Ansässigkeitsstaats der Gesellschafter entsprechen.2

14.45

6. Vermeidung der Doppelbesteuerung Schließlich erklärt der Bericht, dass Doppelbesteuerungen vermieden werden sollen. Doppelbesteuerung infolge einer Erhebung von Steuern im Ansässigkeitsstaat der Zwischengesellschaft sowie aufgrund der Hinzurechnung in mehreren Staaten soll durch Anrechnung vermieden werden. Diese soll auf die Höhe der Steuer im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter beschränkt sein. Doppelbesteuerungen aufgrund der Besteuerung von später ausgeschütteten Dividenden oder aus der Veräußerung von Anteilen an der Zwischengesellschaft sollen durch Freistellung vermieden werden.3

14.46

IV. Zinsabzug 1. Inhalt des Berichts a) Überblick Bei den Empfehlungen zu Aktionspunkt 4 handelt es sich um keinen Mindeststandard, d.h., es besteht keine Verpflichtung, diese Regelungen umzusetzen, vielmehr wird eine steuerpolitische Gesamtausrichtung beabsichtigt zu erreichen. Aktionspunkt 4 ist einer der Aktionspunkte, die dem Kriterium Substanz zugeordnet werden. Nur wenn und soweit die erforderliche Substanz vorhanden ist, soll der Zinsabzug zulässig sein. Als Indiz für die notwenige Substanz soll das EBITDA dienen.

1 OECD, Designing effective controlled foreign company rules, Action 3: 2015 final report, 57. 2 OECD, Designing effective controlled foreign company rules, Action 3: 2015 final report, 61. 3 OECD, Designing effective controlled foreign company rules, Action 3: 2015 final report, 37.

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14.47

Kap. 14 Rz. 14.48

Base Erosion and Profit Shifting

b) Fixed-Ratio-Regelung

14.48 Mit der Fixed-Ratio-Regelung soll die Nutzung von Zinsaufwendungen zur Verlagerung von Einkünften erschwert werden, indem der Zinsabzug an das EBITDA der entsprechenden Gesellschaft gekoppelt wird. Der Zinsabzug soll nur in Höhe eines durch den jeweiligen Staat zu definierenden Prozentsatzes des EBITDA zulässig sein. Der Zinsaufwand, der über den gewählten Anteil des EBITDA hinausgeht, soll in dem entsprechenden Veranlagungszeitraum grundsätzlich einer Abzugsbeschränkung unterfallen.

14.49 Der Begriff des Zinses wird in diesem Zusammenhang weit gefasst. Er umfasst das Entgelt für die Überlassung von Fremdkapital, Zahlungen, die Zinsen wirtschaftlich vergleichbar sind und Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Aufnahme einer Finanzierung anfallen, d.h. v.a. Gebühren der finanzierenden Banken.1 Darunter sollen auch Zinskomponenten bei Wandelanleihen, Zero Bonds und Finanzierungsleasing oder auch Garantiegebühren fallen.2

14.50 Anwendbar muss die Fixed-Ratio-Regelung zumindest auf multinationale Unternehmen sein. Jeder Staat kann hier allerdings weiter gehen, indem er auch rein inländische Konzerne oder auch Unternehmen aufnimmt, die nicht mit einem anderen verbunden sind. Aus der Möglichkeit gänzlich unverbundene Unternehmen in den Anwendungsbereich der Norm aufzunehmen, wird zugleich deutlich, dass mit der Regelung nicht allein eine Beschränkung konzerninterner Fremdfinanzierung angestrebt wird. Vielmehr soll jeglicher Fremdfinanzierungsaufwand erfasst sein und damit auch Zinsen an fremde Dritte. Eine Ausnahme soll möglich sein, wenn der Zinsaufwand zur Finanzierung öffentlicher Güter verwendet wird. Danach können für Finanzierungen großer Infrastrukturprojekte im Wege von Public-Private-Partnerships Erleichterungen von der Fixed-Ratio-Regelung geschaffen werden.3

14.51 Anknüpfungspunkt für die Berechnung der Höhe des abziehbaren Zinsaufwands ist das EBITDA. Das Abstellen auf die Kennzahl EBITDA lässt sich unter Fremdvergleichsaspekten rechtfertigen. Denn die Vergabe von Krediten, insb. von Akquisitionsdarlehen, erfolgt i.d.R. auf Grundlage des nachhaltigen EBITDA des Darlehensnehmers zzgl. des EBITDA des Targets. Im Rahmen der Financial Covenants wird dementsprechend u.a. auf EBITDA-bezogene Kennzahlen abgestellt (Leverage, Interest Cover). Deshalb ist der Ansatz der Fixed-Ratio-Regelung, die den Zinsabzug von der Höhe des EBITDA abhängig macht, vor dem Hintergrund, dass Banken die Gewährung von Krediten ausgehend vom EBITDA prüfen, plausibel, da die Höhe des Kredits für die Höhe des Zinsaufwands relevant ist. Bei der Bestimmung des EBITDA sollen steuerfreie Einkünfte, wie Betriebsstätteneinkünfte oder Dividenden aus Schachtelbeteiligungen nicht berücksichtigt werden. Es kann alternativ auf die jeweilige Gesellschaft oder die gesamten Gruppenunternehmen im jeweiligen Staat abgestellt werden. Der eigentliche Fixed-Ratio-Test soll dreistufig erfolgen. Zunächst ist das EBITDA der Gesellschaft oder der lokalen Gruppe zu ermitteln. Sodann ist der definierte Prozentsatz des EBITDA auf das zuvor ermittelte EBITDA anzuwenden. Im letzten Schritt hat sodann der Vergleich des ermittelten Produkts mit dem Zinsaufwand zu erfolgen. Ist der Zinsaufwand höher als das maßgebliche ermittelte EBITDA, ist er insoweit nicht abziehbar.

1 Vgl. OECD, Limiting base erosion involving interest deductions and other financial payments, Action 4: 2015 Final Report, Rz. 36. 2 Vgl. OECD, Limiting base erosion involving interest deductions and other financial payments, Action 4: 2015 Final Report, Rz. 36. 3 Vgl. OECD, Limiting base erosion involving interest deductions and other financial payments, Action 4: 2015 Final Report, Rz. 64 ff.; dazu Staats, IStR 2016, 135 (138).

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.54 Kap. 14

Der maßgebende Prozentsatz kann durch jeden Staat selbst festgelegt werden. Der Bericht gibt dabei einen Korridor von 10 bis 30 % vor. Gestützt wird dieser Korridor durch eine Studie, die Nettozinsaufwand/EBITDA-Quoten bei börsengehandelten Unternehmen ermittelt hat. Danach wären bei einer Quote von 30 % in 87 % aller Fälle sämtliche Zinsaufwendungen abziehbar. Kritisch an dieser Studie ist, dass sie allein börsennotierte Unternehmen heranzieht, damit aber einen Großteil der Unternehmen, für die die Zinsabzugsbegrenzung auch relevant wird, außer Betracht lässt.1 Kriterien, die die angesprochenen Staaten zur Festlegung eines Werts innerhalb des Korridors heranziehen können, werden im Bericht ausdrücklich benannt.2 Wichtig ist noch der Hinweis, dass die einmal gewählte Quote nicht fix sein, sondern immer wieder überprüft werden sollte, ob nicht eine Anpassung notwendig ist. Insbesondere bei einer signifikanten Änderung der Zinshöhe soll eine Überprüfung angezeigt sein.

14.52

c) Group-Ratio-Regelung Eine fix festgesetzte Zinsaufwand-EBITDA-Quote hat den Vorteil der Gleichbehandlung aller für sich. Allerdings hat dies zwangsläufig zur Folge, dass Besonderheiten mancher Sektoren oder auch nur mancher höher fremdfinanzierter Unternehmensgruppe nicht beachtet werden können. Um zu vermeiden, dass höher fremdfinanzierte Unternehmen zwangsläufig einen nur begrenzten Zinsabzug in Anspruch nehmen können, sieht der Aktionsbericht eine innovative Regelung vor. Dabei handelt es sich um die sog. Group-Ratio-Regelung. Dieser liegt annahmegemäß zugrunde, dass der Zinsaufwand entsprechend dem EBITDA im gesamten Konzern gleichmäßig verteilt ist.3 Nach diesem Vorschlag soll ein Unternehmen, das Zinsaufwand hat, der den nach der Fixed-Ratio-Regelung abziehbaren Zinsaufwand übersteigt, den übersteigenden Teil abziehen können, wenn die Nettozinsaufwand/EBITDA-Quote des Unternehmens niedriger oder allenfalls gleich hoch ist wie die des gesamten Konzerns.4 Abgestellt wird für die Quote allein auf den Zinsaufwand gegenüber Dritten.5 Soweit die Quote aus Nettozinsaufwand und EBITDA des zu prüfenden Unternehmens höher ist als die Quote des Konzerns, kann der Nettozinsaufwand jedenfalls bis zur Quote des Konzerns abgezogen werden. Lediglich der Nettozinsaufwand, der sowohl die Fixed-Ratio, als auch die Group-Ratio überschreitet, soll nicht abgezogen werden können.6

14.53

Alternativ zu einer Group-Ratio-Regelung, die an das EBITDA anknüpft, kann auch eine Group-Ratio-Regelung geschaffen werden, die an bestimmte finanzielle Kennzahlen anknüpft, wie etwa die Eigenkapitalquote. Wenn diese Kennzahlen bei der zu prüfenden Gesellschaft denen im Gesamtkonzern entsprechen oder besser sind, soll der Zinsabzug ohne die Begren-

14.54

1 Mit ausführlicher Kritik zu diesem Aspekt Dorenkamp, StuW 2015, 345 (352). 2 Vgl. OECD, Limiting base erosion involving interest deductions and other financial payments, Action 4: 2015 Final Report, Rz. 99. 3 Kritisch zu dieser wenig realitätsnahen Annahme Dorenkamp, StuW 2015, 345 (355). 4 Für die Abgrenzung des Konzerns, kommt es auf den Konsolidierungskreis an, vgl. OECD, Limiting base erosion involving interest deductions and other financial payments, Action 4: 2015 Final Report, Rz. 125. 5 Vgl. auch Staats, IStR 2016, 135 (139). 6 Zur Group-Ratio-Regelung enthält das 2016er Update des Berichts zu Aktionspunkt 4 Ergänzungen. Diese betreffen die Berechnung des Nettozinsaufwands gegenüber Dritten, die Berechnung des EBITDA sowie Sonderregelungen für Fälle, in denen Konzerngesellschaften ein negatives EBITDA haben (OECD, Limiting base erosion involving interest deductions and other financial payments, Action 4: 2016 Update, 117 ff.).

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Kap. 14 Rz. 14.55

Base Erosion and Profit Shifting

zung der Fixed-Ratio-Regelung zulässig sein. Ebenso ist es möglich, dass ein Staat überhaupt keine Group-Ratio-Regelung schafft. Solange er eine Fixed-Ratio-Regelung einführt, deren Quote sich innerhalb des Korridors von 10 bis 30 % bewegt, handelt er im Rahmen der Empfehlungen des Berichts. 2. Ergänzende Vorschläge

14.55 Um Fälle von der Anwendung der Abzugsbeschränkungen auszunehmen, bei denen kein nennenswertes BEPS-Risiko besteht, soll eine Ausnahme für kleinere Unternehmen geschaffen werden. Dazu bieten sich Freigrenzen an. Der Vorschlag des Abschlussberichts sieht eine Freigrenze vor, die an die Nettozinsaufwendungen der lokalen Gruppe anknüpft. Alternativ kann diese Freigrenze für jede einzelne nationale Einheit gewährt werden. Ist dies der Fall, sollen allerdings spezielle Regelungen geschaffen werden, um eine mehrfache Ausnutzung der Freigrenze durch Atomisierung zu vermeiden.1 Weiterhin beinhaltet die Empfehlung, Regelungen zum Zins- bzw. EBITDA-Vortrag zu schaffen. Durch solche Regelungen soll insbesondere auf die Volatilität des EBITDA reagiert werden. Schwankungen des EBITDA können so, über die Totalperiode gesehen, ausgeglichen werden. Zudem sollen neben der grundsätzlichen Beschränkung des Zinsabzugs durch die Fixed-Ratio-Regelung noch flankierende, weitere Regelungen getroffen werden. Durch diese soll verhindert werden, dass die Fixed-Ratio- und die Group-Ratio-Regelung umgangen werden können, etwa durch Backto-back-Finanzierungen.2 Auf Banken und Versicherungen soll die Zinsabzugsbeschränkung keine Anwendung finden. Jedenfalls bei Kreditinstituten versteht sich dies von selbst, denn diese werden in aller Regel einen Nettozinsertrag erwirtschaften. Zudem ist der Ansatz des EBITDA als Vergleichsmaßstab unpassend, da die eigentlichen Umsätze des Kreditinstituts gerade die Zinserträge sind. Um dennoch bestehende BEPS-Risiken abzuwenden bzw. zu verringern, werden in dem 2016er Update des Berichts zu Aktionspunkt 4 spezielle Regelungen für Banken und Versicherungen vorgeschlagen.3

V. Schädliche Steuerpraktiken 1. Zielsetzung des Berichts

14.56 Mit den Arbeiten zu Aktionspunkt 5 wurde das Forum on Harmful Tax Practices (FHTP) betraut. Dieses wurde 1998 auf Anregung des OECD-Berichts Harmful Tax Competition – an emerging global issue begründet.4 Der Bericht zu Aktionspunkt 5 schließt an die vorherigen Berichte des FHTP und insbesondere an den genannten Bericht aus 1998 an.5 In diesem Bericht wurden verschiedene Kriterien beschrieben, mittels derer ermittelt werden soll, ob eine bestimmte steuerliche Regelung eines Staats als schädlich anzusehen ist. Dazu werden vier Schlüsselkriterien und acht weitere Kriterien genannt. 1 Vgl. OECD, Limiting base erosion involving interest deductions and other financial payments, Action 4: 2015 Final Report, Rz. 54 ff. 2 Vgl. OECD, Limiting base erosion involving interest deductions and other financial payments, Action 4: 2015 Final Report, Rz. 171 ff. 3 Vgl. OECD, Limiting base erosion involving interest deductions and other financial payments, Action 4: 2016 Update, 169 ff. 4 Vgl. dazu Eimermann, IStR 2001, 81 ff. 5 Ein Überblick über die bisherigen Arbeiten des FHTP findet sich im Bericht zu Aktionspunkt 5: OECD, Countering harmful tax practices more effectively, taking into account transparency and substance, Action 5: 2015 Final Report, 15 f.

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.58 Kap. 14

14.57

Bei den vier Schlüsselkriterien handelt es sich um – eine Niedrig- oder Nichtbesteuerung bestimmter Einkünfte, – eine abschottende Wirkung, – fehlende Transparenz und – fehlenden effektiven Informationsaustausch. Als weitere Kriterien werden genannt: – künstliche Definition der Bemessungsgrundlage, – kein Einhalten internationaler Verrechnungspreisgrundsätze, – Ausschluss ausländischer Einkünfte aus der Besteuerung des Ansässigkeitsstaats, – verhandelbarer Steuersatz oder Bemessungsgrundlage, – Bestehen von geheimen Vorschriften, – Zugang zu einem weiten Netz von DBA, – Regelungen, die zur Steuerminimierung bekannt gemacht werden und – Regelungen, die rein steuergetriebene Gestaltungen fördern und keine substantiellen Aktivitäten erfordern. Sobald das erste genannte Kriterium (Niedrig- oder Nichtbesteuerung) erfüllt ist und noch ein weiteres Kriterium ebenfalls erfüllt ist, ist eine Regelung potentiell schädlich. Ergibt sich, dass diese Regelung auch ökonomisch schädlich ist, handelt es sich insgesamt um eine steuerschädliche Regelung.1 Der Bericht zu Aktionspunkt 5 soll schädliche Steuerpraktiken vermeiden helfen. Dazu werden Maßnahmen vorgeschlagen, die sich an die zwei Akteure richten, die grundsätzlich steuerschädliche Praktiken schaffen könne. Zum einen an den jeweiligen Gesetzgeber, der schädliche Gesetze schaffen kann, und zum anderen die jeweilige Steuerverwaltung, die über Einzelfallregelungen in Form von Rulings schädliche Folgen bewirken kann. Im Hinblick auf gesetzgeberische Maßnahmen soll durch den Bericht zu Aktionspunkt 5 der vorstehend beschriebene Kriterienkatalog für die Ermittlung schädlicher Steuerpraktiken überarbeitet werden. Insbesondere soll das Substanzerfordernis, das als letztgenanntes der zwölf Kriterien schon bislang heranzuziehen war, gestärkt werden. An diesem Substanzerfordernis sollen dann zukünftig sämtliche steuerlichen Vorzugsregime – und nicht nur die besonders in der Öffentlichkeit stehenden IP-Regime – gemessen werden. Schädliches Handeln der Steuerverwaltung soll durch eine Stärkung der Transparenz vermieden werden. Rulings sind bislang nur in den wenigsten Staaten zu veröffentlichen. Eine Übermittlung an andere Staaten findet noch seltener statt. Um von solchen Rulings anderer Staaten nicht benachteiligt zu werden, sollen zukünftig allen durch ein Ruling betroffenen Staaten Informationen über neue bzw. in der Vergangenheit bereits erlassene und noch nicht ausgelaufene Rulings zur Verfügung gestellt werden. Die Übermittlung soll im Wege des verpflichtenden, spontanen Informationsaustauschs erfolgen. Die Maßnahmen zu Aktionspunkt 5 zielen damit allein auf staatliche Akteure ab. Unternehmen sind mit den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht adressiert. Denn diese nehmen die etwaig steuerschädlichen Regelungen nur in Anspruch, gewäh1 Vgl. allgemein OECD, Harmful tax competition – an emerging global issue, 1998, 25 ff.; Becker, IStR 2014, 704 (706).

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14.58

Kap. 14 Rz. 14.59

Base Erosion and Profit Shifting

ren sie jedoch nicht. Mittelbar sind sie allerdings betroffen, wenn bestimmte Vorzugsregelungen nicht mehr in Anspruch genommen werden können.1 2. Vermeidung von schädlichem gesetzgeberischen Handeln

14.59 Das gestärkte Substanzkriterium soll zukünftig für sämtliche Vorzugssteuerregime gelten. Angewandt wurde es im Rahmen der Arbeiten zu Aktionspunkt 5 zunächst nur im Hinblick auf IP-Regime. Die im Abschlussbericht geprüften Vorzugssteuerregime, die zum größten Teil als unschädlich eingestuft wurden, mit Ausnahme einiger Regelungen Indonesiens, die weiter geprüft werden sollen, mussten deshalb noch nicht das gestärkte Substanzkriterium erfüllen.2 Dies erklärt sich daraus, dass die Anwendbarkeit des erarbeiteten Substanzkriteriums auf Nicht-IP-Regime bisher noch nicht genauer spezifiziert worden ist.

14.60 Im Hinblick auf IP-Regime, insb. Patentboxen, wurden verschiedene Ansätze diskutiert. Nicht umgesetzt wurden schließlich der Wertschöpfungsansatz und der Verrechnungspreisansatz.3 Nach längeren politischen Diskussionen wurde schließlich eine Einigung, nach deutschem und britischem Kompromissvorschlag, auf den sog. modifizierten Nexus-Ansatz erzielt.4 Grundlage für diesen Ansatz ist, dass es den Staaten grundsätzlich freisteht, Forschung und Entwicklung zu fördern. Wenn sie dies tun, muss jedoch gewährleistet werden, dass diese Förderung zielgerichtet erfolgt. Der Nexus-Ansatz verlangt, dass eine Steuerbegünstigung nur soweit gewährt werden kann, wie sie mit Ausgaben für Forschung und Entwicklung verknüpft ist. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung dienen als Nachweis der Substanz.5

14.61 Der Nexus-Ansatz stellt eine Verhältnisrechnung an. Einkünfte aus IP-Rechten sollen insoweit begünstigt werden können, als die qualifizierten Aufwendungen für IP im Verhältnis stehen zu den gesamten Aufwendungen für IP. Zugrunde liegt der Gedanke, dass eine Förderung nur insoweit eintreten soll, als der Steuerpflichtige die Forschungs- oder Entwicklungstätigkeit selbst durchgeführt hat. Hat ein Steuerpflichtiger IP vollständig selbst entwickelt, d.h. weder die Forschung und Entwicklung an ein nahestehendes Unternehmen outgesourct noch erworben, wird die Begünstigung zu 100 % gewährt. Beschränkt ein IPRegime die Vorzugsbesteuerung auf den derart ermittelten Anteil der Einkünfte, ist das Substanzerfordernis erfüllt.6 Als IP, dessen Einkünfte begünstigt besteuert werden können, gelten Patente sowie IP-Rechte, die Patenten funktional vergleichbar sind. Für eine bestimmte Gruppe von Steuerpflichtigen, die bestimmte Größenkriterien nicht erfüllen, sollen auch solche Rechte, die den beiden Genannten funktional vergleichbar sind und für die ein Zertifizierungsprozess erforderlich ist, begünstigt sein können.7

14.62 Die Definition des Begriffs der qualifizierten Aufwendungen für IP darf durch jeden Staat selbst erarbeitet werden. Nicht erfasst werden dürfen Anschaffungskosten für IP sowie Auf1 Zu deutschen Interessen Becker, IStR 2014, 704 (705 f.). 2 Vgl. OECD, Countering harmful tax practices more effectively, taking into account transparency and substance, Action 5: 2015 Final Report, 61 ff. 3 Vgl. zu diesen Ansätzen OECD, Countering harmful tax practices more effectively, taking into account transparency and substance, Action 5: 2015 Final Report, 24. Siehe auch Becker, IStR 2014, 704 (708); Kreienbaum, IStR 2014, 721 (723); Pross/Radmanesh, IStR 2015, 579 (582). 4 Vgl. Benz/Böhmer, IStR 2015, 380 (382). 5 Vgl. Pross/Radmanesh, IStR 2015, 579 (582). 6 Vgl. Pross/Radmanesh, IStR 2015, 579 (583). 7 Vgl. OECD, Countering harmful tax practices more effectively, taking into account transparency and substance, Action 5: 2015 Final Report, 26.

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.65 Kap. 14

wendungen für an nahestehende Personen outgesourcte Forschung und Entwicklung. Es kommt nicht darauf an, ob die Aufwendungen in einem Jahr vollständig abziehbar waren. Selbst wenn Teile der Aufwendungen aktiviert werden mussten, sollen sie voll in der Verhältnisrechnung berücksichtigt werden können. Zudem soll es eine Erhöhung der qualifizierten Aufwendungen um bis zu 30 % geben können. Diese Erhöhung darf aber nur insoweit erfolgen, als nicht qualifizierte Aufwendungen vorhanden sind. Bei qualifizierten Aufwendungen von 100 ist damit grundsätzlich ein Anheben auf bis zu 130 möglich. Sind aber als nicht qualifizierte Aufwendungen nur 20 angefallen, kann auch die Erhöhung nur auf 120 erfolgen. Ein höheres Anheben ist nicht erforderlich, denn in dem geschilderten Fall wären bereits 100 % der Einkünfte begünstigt zu versteuern.1 Zudem wurde ein Grandfathering vereinbart, um die bisherigen IP-Regime zu schützen. Sämtliche IP-Regime, zu denen ein Beitritt bis zum 30.6.2016 erfolgt ist und die noch nicht dem Nexus-Ansatz genügen, dürfen auch zukünftig in Anspruch genommen werden. Spätestens mit Ablauf des 30.6.2021 dürfen diese Vergünstigungen nicht mehr gewährt werden.

14.63

3. Vermeidung von schädlichem Verwaltungshandeln Schädliche Steuerpraktiken können nicht nur durch gesetzgeberisches Handeln, sondern auch durch Handlungen der Steuerverwaltungen hervorgerufen werden.2 Als schädliche Regelungen wurden insbesondere sog. Rulings identifiziert. Dabei handelt es sich um Verwaltungshandeln gegenüber bestimmten Steuerpflichtigen, das die zukünftige steuerliche Behandlung bestimmter Sachverhalte betrifft und auf das die Steuerpflichtigen vertrauen können. In Deutschland bekannte Rechtsinstitute, die von diesem Begriff umfasst werden, sind insbesondere die verbindliche Auskunft, die verbindliche Zusage und das APA.3 Zur Stärkung der Transparenz soll ein verpflichtender spontaner Informationsaustausch über bestimmte Rulings erfolgen. Neben der primären Funktion dieses Informationsaustauschs, anderen betroffenen Staaten Informationen über sie betreffende und ggf. benachteiligende Rulings zu verschaffen,4 wird auch eine Nebenfunktion verfolgt, die einmal mehr die Querverbindungen der BEPS-Aktionspunkte untereinander aufzeigt. Nach der durch Aktionspunkt 13 überarbeiteten Verrechnungspreisdokumentation sollen in Master und Local File erlassene APA angegeben werden. Der Informationsaustausch über Rulings führt dazu, dass die Angaben in der Verrechnungspreisdokumentation verprobt werden können.

14.64

Gegenstand des verpflichtenden spontanen Informationsaustauschs sollen lediglich Rulings sein, nicht aber generelle Verwaltungsanweisungen, wie etwa Richtlinien oder Erlasse. Auch sollen nicht sämtliche Rulings übermittelt werden müssen, sondern nur Rulings mit bestimmten Inhalten. Bei diesen nachstehend genannten Rulings wird angenommen, dass sie für den empfangenden Staat voraussichtlich erheblich sein werden, so dass die rechtlichen Voraussetzungen für einen spontanen Informationsaustausch grundsätzlich erfüllt sind.5

14.65

1 OECD, Countering harmful tax practices more effectively, taking into account transparency and substance, Action 5: 2015 Final Report, 27. 2 Vgl. OECD, Countering harmful tax practices more effectively, taking into account transparency and substance, Action 5: 2015 Final Report, 45. 3 Vgl. Czakert, IStR 2016, 985 (987); Grotherr, RIW 2015, 179 (181). 4 Vgl. Grotherr, RIW 2015, 179 (181). 5 Vgl. Czakert, IStR 2016, 985 (986 f.). Zur voraussichtlichen Erheblichkeit: Hendricks in Wassermeyer, Art. 26 OECD-MA Rz. 29.

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Kap. 14 Rz. 14.66

Base Erosion and Profit Shifting

Darunter fallen Rulings, die sich mit – steuerlichen Vorzugsregimen, – Verrechnungspreisen, – Verminderungen des steuerlichen Gewinns, – Betriebsstätten, – Durchlaufgesellschaften (conduits) und – sonstigen Aspekten befassen und bei unterbliebenem Informationsaustausch im Hinblick auf diese BEPS-Risiken entstehen würden.

14.66 Übermittelt werden müssen alle in der Zukunft (aus Sicht des Berichts) erlassenen Rulings, beginnend ab dem 1.4.2016. Auch Rulings aus der Vergangenheit sollen übermittelt werden müssen. Dies betrifft alle Rulings, die am oder nach dem 1.1.2010 erlassen wurden und am 1.1.2014 noch in Kraft waren. Aus praktischer Sicht ist diese zeitliche Beschränkung auf nur ausgewählte Rulings aus der Vergangenheit verständlich. Von der Zielsetzung des Aktionspunkts her muss aber gefragt werden, warum frühere Rulings, die noch in Kraft sind, nicht übermittelt werden müssen. Gleiches gilt für bereits ausgelaufene Rulings, die noch für Betriebsprüfungen relevant sein können. Letztlich ist der Grund für diese Beschränkung darin zu sehen, dass es sich bei sämtlichen Berichten um politische Kompromisse handelt.

14.67 Im Übrigen wird im Bericht eine Vielzahl praktischer Anwendungsfragen beantwortet. So sollen die Rulings zunächst nicht vollständig übermittelt werden, sondern nur bestimmte Kerninformationen. Für diese Informationen wurde ein eigenes Formblatt entwickelt.1 Geregelt ist auch, dass dieses möglichst in einer der Amtssprachen der OECD ausgefüllt werden soll. Sollte dies nicht möglich sein, kann in der jeweiligen Landessprache geantwortet werden. Sollte ein Staat nach Erhalt des ausgefüllten Formblatts, das spätestens drei Monate nach Ablauf des Monats, in dem das Ruling erteilt wurde, übermittelt werden soll, weitere Informationen benötigen, so kann dieser Staat das vollständige Ruling anfordern.2 In Deutschland ergibt sich die Pflicht der lokalen Finanzbehörden, von ihnen erteile Rulings an eine zentrale Stelle (das BZSt) zu melden, aus einem hierzu ergangenen BMF-Schreiben.3

14.68 Die gleiche Zielrichtung wie die vorstehend erläuterten Arbeiten der OECD verfolgt auch die EU. Diese hat sich nach Veröffentlichung des Berichts zu Aktionspunkt 5 auf einen automatischen Austausch von Rulings geeinigt und geht damit über die Einigung auf OECDEbene hinaus.4 Zur Umsetzung wurden die EU-Amtshilferichtlinie und im Anschluss das EUAHiG geändert. In den Fällen, in denen betroffene Staaten nicht Mitgliedstaaten der EU sind, kann der Informationsaustausch auf Grundlage von Abkommensregelungen, die Art. 26 OECD-MA entsprechen, teilweise auf Grundlage spezieller Informationsaustauschabkommen, soweit dort der spontane Informationsaustausch gestattet ist, oder auf Grundlage von 1 OECD, Countering harmful tax practices more effectively, taking into account transparency and substance, Action 5: 2015 Final Report, Annex C. Wortgleich dazu: BMF v. 28.7.2016 – IV B 6 – S 1320/16/10002 :007 – DOK 2016/0710955, BStBl. I 2016, 806 Anlage 1. 2 OECD, Countering harmful tax practices more effectively, taking into account transparency and substance, Action 5: 2015 Final Report, 54 f. 3 Vgl. BMF v. 28.7.2016 – IV B 6 – S 1320/16/10002 :007 – DOK 2016/0710955, BStBl. I 2016, 806, Buchst. I. Mit Inkrafttreten der Änderungen des EU-AHiG gelten gegenüber EU-Staaten diese Neuregelungen. 4 Vgl. dazu Grotherr, IStR 2015, 293 ff.

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.71 Kap. 14

Art. 7 der Multilateral Convention on Mutual Administrative Assistance in Tax Matters, die auch in deutsches Recht umgesetzt wurde,1 erfolgen.2

VI. Vermeidung des Missbrauchs von DBA 1. Überblick Aktionspunkt 6 befasst sich mit Maßnahmen zur Vermeidung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von DBA.3 Dabei befasst sich der Bericht mit drei verschiedenen Schwerpunkten. Zum einen werden Regelungen vorgeschlagen, mit denen durch konkrete materiell-rechtliche Bestimmungen bestimmte Verhaltensweisen, die als Missbrauch qualifiziert werden, vermieden werden können. Dies umfasst sowohl Regelungen des Abkommensrechts als auch die Vereinbarkeit bestimmter nationaler Rechtsinstitute mit dem Abkommensrecht. Zum anderen wird vorgeschlagen, den Zweck von DBA ausdrücklich auf die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung auszuweiten. Zuletzt werden Vorschläge unterbreitet, wie Staaten prüfen können, ob sie mit einer anderen Jurisdiktion ein DBA abschließen sollten.4

14.69

2. Vermeidung der Nichtbesteuerung Der Abschlussbericht zu Aktionspunkt 6 schlägt vor, Titel und Präambel des OECD-MA zu ändern. In den Titel soll aufgenommen werden, dass die DBA neben der Vermeidung der Doppelbesteuerung auch der Verhinderung von Steuerumgehung und Steuervermeidung dienen sollen.5 Eine entsprechende Erläuterung soll auch in den Text der Präambel aufgenommen werden.6 Durch diese Änderungen soll auf die Auslegung von Bestimmungen der DBA eingewirkt werden.

14.70

3. Limitation-of-Benefits Kern der Vorschläge zu Aktionspunkt 6 ist die Aufnahme einer speziellen Missbrauchsvermeidungsvorschrift, einer Limitation-of-Benefits-Klausel (LoB-Klausel) in das OECD-MA. Um zukünftig Abkommensvorteile, z.B. verminderte Quellensteuersätze auf Dividenden, Zinsen und Lizenzeinnahmen, in Anspruch nehmen zu können, müssen neben der Ansässigkeit in einem Vertragsstaat auch die Voraussetzungen der LoB-Klausel erfüllt sein. Mit dieser LoBKlausel wird sich an den US-DBA orientiert, die in Anlehnung an das US-MA in vielen Fällen eine LoB-Bestimmung aufweisen.7 Die LoB-Klausel versagt Abkommensvorteile, wenn eine in 1 Dazu Grotherr, IStR 2015, 845 ff. 2 Siehe dazu BMF v. 28.7.2016 – IV B 6 - S 1320/16/10002 :007 – DOK 2016/0710955, BStBl. I 2016, 806, Buchst. B; Grotherr, RIW 2015, 179 (183 ff.). Zu Grenzen des Informationsaustauschs vgl. FG Köln v. 7.9.2015 – 2 V 1375/15, EFG 2015, 1769. 3 Zu den deutschen Interessen Wichmann/Schmidt-Heß, IStR 2014, 883 (884). 4 Vgl. Valta, ISR 2014, 176 (183). 5 Vgl. OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 Final Report, Rz. 72. 6 Vgl. Art. 6 des Multilateralen Übereinkommens. 7 Da die USA im Jahr 2015 die LoB-Klausel in ihrem Musterabkommen überarbeitet und der Öffentlichkeit zur Stellungnahme zugeleitet hatten, sollte die LoB-Klausel, die Gegenstand des Berichts zu Aktionspunkt 6 war, ggf. anhand der dort gewonnenen Erkenntnisse noch angepasst werden, vgl. Benz/Böhmer, DB 2015, 2535 (2538). Eine überarbeitete, vereinfachte LoB-Klausel ist in dem Explanatory Statement (Rz. 104) zum Multilateralen Übereinkommen enthalten und liegt Art. 7 Abs. 8 bis 13 des Multilateralen Übereinkommens zugrunde.

Böhmer 1067

14.71

Kap. 14 Rz. 14.72

Base Erosion and Profit Shifting

einem Vertragsstaat ansässige Person keine berechtigte Person ist.1 Zugleich definiert sie abschließend, wer berechtigte Person sein und dementsprechend Abkommensvorteile in Anspruch nehmen kann. Nachstehend wird die vereinfachte LoB-Klausel betrachtet, die dem Multilateralen Übereinkommen zugrunde liegt.2 Diese Klausel enthält sowohl Komponenten des Vorschlags der detaillierten als auch der vereinfachten LoB-Klausel aus dem Abschlussbericht zu Aktionspunkt 6.

14.72 Berechtigte Personen sind danach natürliche Personen, die Vertragsstaaten und ihre Untergliederungen, börsennotierte Gesellschaften,3 gemeinnützige Organisationen sowie Pensionsfonds.4 Ebenfalls begünstigt können solche Personen sein, die den sog. Ownership-Test bestehen.5 Um diesen zu erfüllen, müssen Angehörige eines Vertragsstaats, die ihrerseits eine der vorher genannten Bestimmungen erfüllen und deshalb abkommensberechtigt sind, direkt oder indirekt an mehr als der Hälfte der Tage innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten, in den der Zeitpunkt fällt, zu dem die Vergünstigung anderenfalls gewährt würde, mehr als 50 % der Beteiligungen am Kapital halten. Nach dieser Regelung sind damit v.a. Gesellschaften begünstigt, die von begünstigten Personen aus einem Vertragsstaat gehalten werden. Auch wenn es sich bei der Person, die Abkommensvorteile in Anspruch nehmen möchte, um keine berechtigte Person in diesem Sinne handelt, ist noch nicht ausgeschlossen, dass diese Person Abkommensvorteile in Anspruch nehmen kann. Möglich ist dies, wenn einer der weiteren Ausnahmetatbestände erfüllt ist. Bei den weiteren Ausnahmetatbeständen handelt es sich um den Active-Conduct-of-Business-Test, den Derivative-Benefits-Test sowie um eine Einzelfallregelung der zuständigen Behörden.

14.73 Nach dem Active-Conduct-of-Business-Test können einzelne Einkünfte einer Person begünstigt werden, nicht aber sämtliche Einkünfte dieser Person. Begünstigt sind Einkünfte einer Person, die in ihrem Ansässigkeitsstaat ein eigenständiges Gewerbe betreibt, die Einkünfte aus dem anderen Staat in Zusammenhang mit diesem Gewerbe stehen und dieses Gewerbe eine gewisse substantielle Größe aufweist. Aktivitäten von verbundenen Unternehmen können ggf. zugerechnet werden. Entscheidend ist somit, ob die Einkünfte, für die Abkommensvorteile in Anspruch genommen werden sollen, mit gewerblichen Einkünften in Zusammenhang stehen. Wann dies der Fall ist, wird nicht allgemein gültig definiert. Allerdings werden im Entwurf des OECD-MK einige Beispiele zur Erläuterung gegeben. Danach ist von einem solchen Zusammenhang etwa auszugehen, wenn die die Einkünfte erzielende Person Produkte herstellt, die von der Gesellschaft, von der eine Ausschüttung erhalten wird, für die Abkommensvorteile in Anspruch genommen werden sollen, vertrieben wer-

1 Vgl. ausführlich zur vereinfachten Klausel Teichert, IWB 2015, 642 (643 ff.). 2 Die detaillierte LoB-Klausel wurde nicht dem Multilateralen Übereinkommen zugrunde gelegt, da diese Klausel zu sehr Rücksicht auf bilaterale Besonderheiten zu nehmen hat, vgl. OECD, Discussion Draft on non-CIV examples, BEPS Action 6, Rz. 3. Eine detaillierte LoB-Klausel ist allerdings im Entwurf des Kommentars zu Art. 29 OECD-MA enthalten (OECD, Draft Contents of the 2017 update of the OECD Model Tax Convention, 176 ff.). 3 Vgl. zu Problemen in diesem Zusammenhang Jochimsen, IStR 2014, 865 (866). 4 Die vereinfachte LoB-Klausel des Multilateralen Übereinkommens enthält keine Regelung zu Investmentfonds. Eine entsprechende Regelung enthält allerdings der Vorschlag für die detaillierte LoB-Klausel im Entwurf des Kommentars zu Art. 29 OECD-MA (OECD, Draft Contents of the 2017 update of the OECD Model Tax Convention, 192 ff.). 5 Zum Ownership/Base-Erosion-Test der detaillierten Klausel: OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 Final Report, 30; kritisch hierzu Jochimsen, IStR 2014, 865 (867).

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.76 Kap. 14

den.1 In der Fassung der LoB-Klausel nach dem multilateralen Übereinkommen werden Ausnahmen definiert, bei denen kein ausreichendes eigenständiges Gewerbe betrieben wird.2 Dies umfasst die Tätigkeiten als Holdinggesellschaft, die Überwachung oder Verwaltung einer Gruppe von Gesellschaften, das Ausreichen der Konzernfinanzierung sowie die Vornahme oder das Management von Investments. Damit kann eine Finanzholding nicht den ActiveConduct-of-Business-Test erfüllen. Nicht aufgeführt werden Fälle, in denen eine geschäftsleitende Holding Dienstleistungen an ihre Beteiligungsunternehmen erbringt (mit Ausnahme des Falls, dass nur Finanzierungen erbracht werden). Besteht die gewerbliche Tätigkeit einer Gesellschaft in der Erbringung konzerninterner Dienstleistungen, sollte diese Ausnahme somit erfüllt werden können. Die LoB-Klausel führt nicht zur Versagung von Abkommensvorteilen, wenn die Voraussetzungen des Derivative-Benefits-Test erfüllt werden.3 Danach müssen mehr als 75 % der Beteiligung direkt oder indirekt von Personen gehalten werden, die ihrerseits vergleichbare Begünstigungen in Anspruch nehmen können. Vergleichbare Begünstigungen können ihre Grundlage im nationalen Recht oder im Abkommensrecht haben. Die Beteiligung muss über einen Zeitraum von zwölf Monaten gehalten werden, der den Zeitpunkt einschließt, an dem die Begünstigung in Anspruch genommen werden soll. Für die Inanspruchnahme von Abkommensvorteilen wird danach darauf abgestellt, ob die Personen, die hinter der unmittelbar Einkünfte erzielenden Person stehen, bei unmittelbarem Bezug der Leistungen vergleichbare Abkommensvorteile hätten in Anspruch nehmen können.

14.74

Zuletzt können Abkommensvorteile auch dann in Anspruch genommen werden, wenn die zuständige Behörde eine entsprechende Einzelfallentscheidung trifft. Diese Entscheidung steht in ihrem Ermessen, wobei sie sich mit der zuständigen Behörde des anderen Staats austauschen soll.

14.75

4. Principal-Purpose-Test Neben der speziellen Missbrauchsvermeidung mittels der LoB-Klausel wird eine allgemeine Missbrauchsvermeidungsregelung in das OECD-MA aufgenommen.4 Diese Bestimmung soll zur Verweigerung der Inanspruchnahme von Abkommensvorteilen führen, wenn der Hauptzweck einer Gestaltung oder Transaktion darin besteht, Abkommensvorteile zu erlangen, es sei denn diese Vorteile hätten nach dem Sinn und Zweck der konkreten Regelung erlangt werden sollen. Eine entsprechende Bestimmung findet sich bislang bereits in Art. 1 Tz. 9.5 OECD-MK. Die Aufnahme dieser Regelung in das OECD-MA soll allerdings nicht bedeuten, dass diese Regelung bislang noch nicht allgemein Geltung fand. Vielmehr soll es sich um einen allgemeinen Rechtsgedanken handeln, der erstmals kodifiziert wird.

1 Vgl. OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 Final Report, 38. 2 Im Bericht zu Aktionspunkt 6 findet sich lediglich der Hinweis, dass eine reine „headquarters company“ nicht begünstigt sein kann, vgl. OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 Final Report, 38. 3 Vgl. OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 Final Report, 42. 4 Vgl. Art. 7 Abs. 1 des Multilateralen Übereinkommens sowie Art. 29 Abs. 9 OECD-MA (OECD, Draft Contents of the 2017 update of the OECD Model Tax Convention).

Böhmer 1069

14.76

Kap. 14 Rz. 14.77

Base Erosion and Profit Shifting

14.77 Ein Beispiel für die Anwendung des Principal-Purpose-Tests betrifft Betriebsstättenkonstellationen. Beispiel 7: Staat R

Staat S

R Co. Vertrag über Errichtung einer Anlage

SubCo.

S Co.

Vertrag über Errichtung einer Anlage

R Co. ist im Staat R ansässig. R Co hat die Ausschreibung für ein Anlagenbauprojekt gewonnen, das von S Co. einer Gesellschaft, die im Staat S ansässig ist, durchgeführt wird. Das Bauprojekt soll 22 Monate dauern. Während der Verhandlungen des Vertrags wird das Bauprojekt in zwei Verträge aufgeteilt, die jeweils eine Dauer von 11 Monaten haben sollen. Der erste Vertrag wird mit R Co., der zweite Vertrag mit SubCo, einer 100 %igen Tochtergesellschaft von R Co., geschlossen. R Co. verpflichtet sich gesamtschuldnerisch für die Verpflichtungen aus dem Vertrag von SubCo.1

In diesem Beispielsfall geht der Entwurf des Musterkommentars davon aus, dass der Vertrag nur deshalb aufgeteilt wurde, um die Annahme einer Betriebsstätte nach Art. 5 Abs. 3 OECDMA zu vermeiden. Aufgrund dessen soll in diesem Fall nach dem Principal-Purpose-Test die Annahme, dass R Co. und SubCo. keine Betriebsstätte im Staat S haben, nicht zulässig sein. Im Hinblick auf den Principal-Purpose-Test stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis dieser zu den Missbrauchsvorschriften des nationalen Recht steht. Vor dem Hintergrund von Art. 28 der deutschen Verhandlungsgrundlage ist anzunehmen, dass die Finanzverwaltung die Auffassung vertreten wird, dass nationale Missbrauchsvermeidungsnormen, wie etwa § 50d Abs. 3 EStG, neben dem Principal-Purpose-Test Anwendung finden sollen. Wenn aber der Principal-Purpose-Test bestanden wird, d.h. kein Missbrauch im Sinne eines DBA vorliegt, erscheint ein Rückgriff auf das nationale Recht als problematisch. Denn nach der Wertung des DBA, d.h. der Einigung der vertragsschließenden Parteien, kann gerade kein Missbrauchsvorwurf gemacht werden.2

14.78 Bei den Vorschlägen zur Vermeidung von Abkommensmissbrauch handelt es sich um einen Mindeststandard. Dieser Mindeststandard kann auf verschiedene Art und Weise erfüllt wer-

1 Vgl. OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 Final Report, 64. 2 Vgl. auch: Art. 1 Tz. 74 OECD-MK (in der Fassung des Entwurfs des 2017er Update des OECDMA).

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Böhmer

B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.80 Kap. 14

den.1 Möglich ist dies durch Einführung einer LoB-Klausel und des Principal-Purpose-Tests. Alternativ kann auch nur der Principal-Purpose-Test in die DBA aufgenommen werden. Wird nur die LoB-Klausel, nicht aber der Principal-Purpose-Test aufgenommen, muss zudem eine weitere Regelung bestehen, die Conduit-Gestaltungen vermeidet.2 Zudem muss in die DBA aufgenommen werden, dass diese auch der Vermeidung von doppelter Nichtbesteuerung dienen. Die anderen Vorschläge des Aktionsberichts sind demgegenüber nicht verpflichtend umzusetzen. Nicht ganz nachvollziehbar ist allerdings, warum die Einführung zumindest des Principal-Purpose-Tests notwendig sein soll, wenn dieser doch ein allgemeines Prinzip verkörpert, das grundsätzlich allen DBA immanent sein soll.3 5. Sonstige Inhalte a) Änderungen des OECD-MA Es wird vorgeschlagen, eine Mindesthaltefrist für die Inanspruchnahme des verminderten Quellensteuersatzes nach Art. 10 OECD-MA einzuführen. Weiterhin soll Art. 13 Abs. 4 OECD-MA, der ein Besteuerungsrecht des Belegenheitsstaats der Immobilien für Anteile an Immobilienkapitalgesellschaften regelt, derart ergänzt werden, dass für die Frage, ob das Vermögen der Gesellschaft zu mehr als 50 % aus Grundbesitz besteht, ein Zeitraum von 365 Tagen zu betrachten ist. Auch soll die bisherige Tie-Breaker-Regelung für juristische Personen, die auf den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung abstellt, durch ein Verständigungsverfahren abgelöst werden (s. Rz. 14.32).

14.79

Eine Neuerung enthält der Bericht zur Besteuerung von Dreiecksfällen mit Betriebsstätten.4 Erzielt ein Steuerpflichtiger, der im Staat A ansässig ist, Einkünfte im Staat B in Form von Dividenden, Zinsen oder Lizenzen, und sind die zugrunde liegenden Beteiligungen, Wertpapiere oder Lizenzen einer Betriebsstätte des Steuerpflichtigen im Staat C tatsächlich zuzuordnen, werden diese Einkünfte im Staat A freigestellt. Ist nach dem DBA zwischen Staat A und Staat B ein Absenken der Quellenbesteuerung vorgesehen und findet im Betriebsstättenstaat nur eine geringe oder gar keine Besteuerung statt, kommt es dazu, dass die entsprechenden Einkünfte nur gering oder aber gar nicht besteuert werden. Insoweit soll eine zusätzliche Bestimmung in das OECD-MA aufgenommen werden, wonach der Quellenstaat uneingeschränkt zur Besteuerung befugt ist, wenn die Einkünfte im Betriebsstättenstaat mit weniger als 60 % der Steuer besteuert werden, die im Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen anfallen würde, wenn die Einkünfte nicht der Betriebsstätte zuzuordnen wären. In diesen Fällen kann es grundsätzlich auch zu einer Hinzurechnungsbesteuerung kommen, da sich diese auch auf Betriebsstätten beziehen kann (s. Rz. 14.38). Kommt es zur Hinzurechnungsbesteuerung, darf es allerdings nicht mehr zur Besteuerung im Quellenstaat kommen, denn aufgrund der Hinzurechnung kommt es nicht (mehr) zu einer Niedrigbesteuerung im Ansässigkeitsstaat.

14.80

1 Vgl. OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 Final Report, Rz. 22. 2 Zu conduit-Gestaltungen: OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 Final Report, 65 ff. 3 Vgl. OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 Final Report, 81. 4 Vgl. OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 Final Report, 75; siehe dazu Rautenstrauch, IWB 2015, 95 (103); Valta, ISR 2014, 176 (181).

Böhmer 1071

Kap. 14 Rz. 14.81

Base Erosion and Profit Shifting

b) Verhältnis von nationalem Recht und DBA

14.81 Zudem beinhaltet der Bericht Ausführungen zu dem Verhältnis von nationalen Missbrauchsvermeidungsregelungen zu den DBA. Dazu soll der OECD-MK derart geändert werden, dass DBA der Anwendung solcher Regelungen nicht entgegenstehen.1 Weiterhin beinhaltet der Bericht den Vorschlag einer Bestimmung, wonach das Recht eines Staats, die in seinem Hoheitsgebiet Ansässigen zu besteuern, nicht beschränkt werden soll.2 Zudem wird erläutert, dass in Wegzugsfällen eine Doppelbesteuerung durch ein Verständigungsverfahren vermieden werden soll.3

VII. Betriebsstätten 1. Überblick

14.82 Neben Aktionspunkt 6 sind Fragen der Anwendbarkeit von DBA auch Gegenstand des Aktionspunkts 7, der sich mit Betriebsstätten befasst. Gegenstand des Abschlussberichts von Aktionspunkt 7 sind allein Fragen der Begründung einer Betriebsstätte. Die sich daraus in der Folge ergebenden Fragen nach der Gewinnzuordnung sind derzeit noch nicht final beantwortet. Als Ergebnis des Berichts zu Aktionspunkt 7 ist festzuhalten, dass weiterhin eine Betriebsstätte in einem Staat verlangt wird, damit dieser Staat sein Besteuerungsrecht wahrnehmen kann. Eine Abkehr von diesem Grundsatz wurde nicht vorgenommen.4 Allerdings werden im Bericht Modifizierungen des Betriebsstättenbegriffs vorgeschlagen. Tendenziell führen diese dazu, dass die Anforderungen einer Betriebsstätte leichter erfüllt sind und Quellenstaaten damit schneller ein Besteuerungsrecht für sich reklamieren können.5 Damit wird einem Wunsch der Entwicklungs- und Schwellenländer nachgekommen. Aber auch die Industriestaaten sind, zumindest was typische Strukturen internetbasierter Unternehmen anbelangt, an einer Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs interessiert gewesen.6 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der Bericht zu Aktionspunkt 7, wie frühere Änderungen des OECD-MK, zu einer weiteren Erosion der Anforderungen an eine Betriebsstätte führt.7 Eine Tendenz, der Deutschland kritisch gegenübersteht.8 Allerdings ist der politische Druck der Entwicklungsund Schwellenländer offensichtlich derart groß geworden, dass ein gewisses Entgegenkommen nicht zu vermeiden war, um unilaterale Maßnahmen dieser Staaten zu vermeiden.

1 Vgl. OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 Final Report, 80 ff.; siehe auch Wichmann/Schmidt-Heß, IStR 2014, 883 (886). 2 Vgl. dazu Valta, ISR 2014, 176 (182). 3 Vgl. OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 Final Report, Rz. 67. 4 Zur Entwicklung des Betriebsstättenbegriffs Andresen/Weidlich, DB 2015, 267 (270). 5 Vgl. auch Bendlinger, SWI 2015, 2 (12). 6 Zu Aspekten von Betriebsstätten von Unternehmen der digitalen Wirtschaft Heggmair/Riedl/ Wutschke, IStR 2015, 92 ff. 7 Vgl. dazu Schönfeld, DStJG 36 (2013), 233 (239). 8 Vgl. beispielhaft die deutschen Vorbehalte in Art. 5 Tz. 45.1 und 45.7 OECD-MK; siehe auch Kreienbaum in FS Wassermeyer, 49 (54).

1072

Böhmer

B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.86 Kap. 14

2. Vertreterbetriebsstätten Die Arbeiten zur Vertreterbetriebsstätte haben drei verschiedene Aspekte zum Gegenstand: Kommissionärsstrukturen, die Person des unabhängigen Vertreters und den bloß formalen Abschluss von Verträgen im anderen Staat.1

14.83

Eine Kommissionärsstruktur wird bislang beispielhaft folgendermaßen implementiert:2 Ein Unternehmen eines Staats produziert in seinem Ansässigkeitsstaat bestimmte Güter. Diese Güter verkauft es dann an eine Vertriebsgesellschaft in einem anderen Staat. Die Vertriebsgesellschaft veräußert diese Güter sodann an Dritte auf ihrem lokalen Markt in eigenem Namen und auf eigene Rechnung. Nach einiger Zeit wird entschlossen, die Vertriebsgesellschaft zu einem Kommissionär abzuschmelzen. Dazu wird ein Kommissionsvertrag zwischen dem produzierenden Unternehmen in dem einen Staat und dem Vertriebsunternehmen in dem anderen Staat geschlossen. Dort ist geregelt, dass die Vertriebsgesellschaft die Güter in eigenem Namen aber auf fremde Rechnung an die lokalen Kunden veräußert. Die Übereignung der Waren erfolgt durch das Vertriebsunternehmen als Nichtberechtigten (§§ 929, 185 BGB).3

14.84

Bis zur Begründung der Kommissionärsstruktur war das Vertriebsunternehmen ein Eigenhändler. Dieser erzielte Einkünfte aus dem Handel der Produkte, die dem Ansässigkeitsstaat des Vertriebsunternehmens zuzuordnen waren. Nach Begründung der Kommissionärsstruktur erzielt das Vertriebsunternehmen eine geringere Vergütung entsprechend dem geringeren Risiko.4 Das produzierende Unternehmen hat selbst keine Betriebsstätte im Ansässigkeitsstaat des Vertriebsunternehmens, da es dort in der Regel keine feste Geschäftseinrichtung unterhält. Auch die Voraussetzungen für eine Vertreterbetriebsstätte sind nicht erfüllt, da der Kommissionär nicht mit Vollmacht ausgestattet ist, Verträge im Namen des Kommittenten zu schließen, was aber bislang Voraussetzung für die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte war.5

14.85

Nunmehr wird Art. 5 Abs. 5 OECD-MA geändert. Das Erfordernis des Handels in Vollmacht mit der Befugnis, Verträge im Namen des Unternehmens zu schließen, wird gestrichen. Stattdessen soll es zukünftig für die Annahme einer Betriebsstätte darauf ankommen, ob eine Person in einem Vertragsstaat für ein Unternehmen gewöhnlich Verträge schließt oder gewöhnlich die wesentliche Rolle spielt, die zu einem Abschluss der Verträge führt, die routinemäßig und ohne entscheidende Änderungen durch das Unternehmen abgeschlossen werden, und diese Verträge entweder im Namen des Unternehmens abgeschlossen werden oder zum Übergang des Eigentums an Gegenständen führen, die dem Unternehmen gehören oder das Nutzungsrecht an einem Gegenstand einräumen, den das Unternehmen nutzen darf. Gleichgestellt wird der Fall, dass infolge des Vertrags Dienstleistungen durch das Unternehmen erbracht werden. Die Erfordernisse, dass es sich um keinen unabhängigen Vertreter i.S.v. Art. 5 Abs. 6 OECD-MA und nicht um die Ausübung von Vorbereitungs- oder Hilfstätigkeiten handeln darf, bleiben erhalten.

14.86

1 Vgl. Schmidt-Heß, IStR 2016, 165 (167); zum Diskussionsentwurf Bendlinger, SWI 2015, 2 (4 ff.). 2 Vgl. auch Vögele/Vögele in Vögele/Borstell/Engler4, Verrechnungspreise, Rz. S 141. 3 Vgl. Füller in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, HGB, § 383 Rz. 48. 4 In solchen Fällen besteht die Möglichkeit einer Funktionsverlagerung, vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 – S 1341/08/10003, BStBl. I 2010, 774, Tz. 214. 5 Vgl. etwa Brüninghaus in Vögele/Borstell/Engler4, Verrechnungspreise, Rz. L 45; Görl, in V/L6, DBA, Art. 5 Rz. 117; Kraft/Weiß, ISR 2016, 30 (31 f.); Rasch, IStR 2011, 6 (10).

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Kap. 14 Rz. 14.87

Base Erosion and Profit Shifting

14.87 In diesem Zusammenhang erfährt auch Art. 5 Abs. 6 OECD-MA eine Änderung. Danach soll Art. 5 Abs. 5 OECD-MA keine Anwendung finden, wenn eine Person in einem Vertragsstaat für ein Unternehmen des anderen Vertragsstaats als unabhängiger Vertreter tätig ist und dabei im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit handelt. Wenn die Person allerdings ausschließlich oder nahezu ausschließlich für ein oder mehrere Unternehmen handelt, mit denen es eng verbunden ist, soll diese Person kein unabhängiger Vertreter im Sinne dieses Artikels im Hinblick auf dieses Unternehmen sein.1 Eine Person ist als eng verbunden zu einem Unternehmen zu betrachten, wenn die eine über das andere Kontrolle ausüben kann (oder umgekehrt) oder beide unter der Kontrolle derselben Person stehen.2 Von einer engen Verbundenheit soll in jedem Fall dann auszugehen sein, wenn eine Person direkt oder indirekt mehr als 50 % der Beteiligung oder der Stimmrechte an der anderen Person hält oder ein Dritter derart sowohl an der einen Person als auch an der anderen Person beteiligt ist. Ein ausschließliches oder nahezu ausschließliches Tätigwerden soll dann vorliegen, wenn weniger als 10 % der Umsätze für nicht eng verbundene Unternehmen erbracht werden.3

14.88 Ausdrücklich im OECD-MA werden zukünftig auch Fälle geregelt, bei denen ein Vertreter gewöhnlich in einem Staat einen Vertrag wesentlich verhandelt und nur noch der eigentliche Vertragsschluss im anderen Staat durch das Unternehmen vorgenommen wird. Indem im OECD-MA darauf abgestellt wird, wer die wesentliche Rolle bei dem Abschluss von Verträgen spielt, werden zukünftig auch derartige Fälle ausdrücklich eine Betriebsstätte begründen; dabei ist absehbar, dass über die Frage der Wesentlichkeit in Zukunft häufig gestritten werden wird.4 Reine Informations- und Werbemaßnahmen können aber auch danach regelmäßig keine Betriebsstätte begründen.5

14.89 Maßgeblich sind vor allem zwei Änderungen.6 Zukünftig kommt es für die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte nicht darauf an, dass das Unternehmen, für das der Vertreter tätig wird, auch rechtlich gebunden wird. Eine rein wirtschaftliche Bindung, wie bei der Kommission, soll ausreichen.7 Demgegenüber sollen Fälle unter Verwendung eines Low-Risk-Distributors nicht erfasst sein und in diesem Fall keine Vertreterbetriebsstätte begründet werden.8 Daneben wird die Ausnahme des unabhängigen Vertreters eingeschränkt. Insbesondere liegt kein unabhängiger Vertreter vor, wenn es sich bei dem Vertreter um ein eng verbundenes Unternehmen handelt. Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, ist zukünftig eine Betriebsstätte anzunehmen.9 Sodann stellt sich die Frage, welcher Gewinn dieser Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen ist.10 Maßgeblich dafür sind, wie im Fall sonstiger Betriebsstätten auch, die Regelungen des AOA.11 Sind der Betriebsstätte keine Personalfunktionen und auch keine Risiken

1 Kritisch Kroppen in FS Gosch, 221 (225). 2 Kritisch zum Begriff der Kontrolle Kroppen in FS Gosch, 221 (228). 3 Vgl. Art. 5 Tz. 38.8 OECD-MK; dazu Kraft/Weiß, ISR 2016, 30 (35); Wagemann, IWB 2016, 14 (19); siehe auch Grotherr, Ubg 2017, 125 (131). 4 Siehe auch Kroppen/van der Ham, IWB 2017, 257 (259). 5 Siehe aber auch Grotherr, Ubg 2017, 125 (132). 6 Vgl. Kraft/Weiß, ISR 2016, 30 (32). 7 Vgl. Bendlinger, IStR 2016, 914 (916); Kraft/Weiß, ISR 2016, 30 (34). 8 Vgl. OECD, Preventing the artificial avoidance of permanent establishment status, Action 7: 2015 Final Report, Rz. 9. 9 Kritisch zu den Ergebnissen des Berichts Kraft/Weiß, ISR 2016, 30 (36); tendenziell ebenfalls Wagemann, IWB 2016, 14 (24). 10 Vgl. dazu auch Kroppen, DStJG 37 (2014), 259 (274). 11 Vgl. auch Kroppen/van der Ham, IWB 2017, 257 (262).

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.92 Kap. 14

zuzuordnen, kann auch die Nullsummentheorie, für die ohnehin manches spricht,1 Anwendung finden.2 Im Übrigen kann der Betriebsstätte ein Teil der Handelsmarge zugeordnet werden, nicht aber der ganze Gewinn.3 3. Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten Art. 5 Abs. 4 OECD-MA enthält eine Auflistung von Umständen, die allein nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen können. Genannt sind dort typische Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten.4 Teilweise stellen diese Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten aber die Haupttätigkeit von Unternehmen dar, wobei als Beispiel dafür vor allem an Online-Versandhändler gedacht wird. Mit dem Ziel, für die Gewinne solcher Unternehmen ein Besteuerungsrecht des Quellenstaats zu begründen, soll Art. 5 Abs. 4 OECD-MA derart geändert werden, dass die aufgelisteten Ausnahmen nur anzuwenden sind, soweit die jeweiligen Aktivitäten tatsächlich Vorbereitungs- oder Hilfscharakter haben. Damit stellt sich in jedem Fall die Frage, ob die konkreten Tätigkeiten Vorbereitungs- oder Hilfscharakter haben. Für Ersteres kann insbesondere eine Ausübung während einer nur kurzen Zeit, gegen Letzteres ein signifikanter Teil der Wirtschaftsgüter und des Personal sprechen, die für diese Tätigkeit eingesetzt werden.5 Zukünftig wird die Abgrenzung von Haupttätigkeiten und Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten deutlich strittiger werden.

14.90

Mit der Änderung von Art. 5 Abs. 4 OECD-MA wird aber nur eine Betriebsstätte begründet. Die Gewinnzuordnung ist damit noch nicht angesprochen. Insoweit erscheint es fraglich, ob, wie wohl beabsichtigt ist, nennenswerte Teile des Gewinns aus Geschäften mit inländischen Kunden im Fall von E-Commerce-Unternehmen dem Betriebsstättenstaat zugeordnet werden können.6 Denn die nach dem AOA relevanten Personalfunktionen, die in einem Lager ausgeübt werden, rechtfertigen wohl kaum die Zuordnung eines großen Teils des Gewinns.7

14.91

4. Fragmentierung von Aktivitäten Nach Art. 5 Abs. 4 OECD-MA soll ein neuer Abs. 4.1 in das OECD-MA eingefügt werden. Mit dieser Neuregelung soll vermieden werden, dass durch die Fragmentierung von Aktivitäten die Annahme von Betriebsstätten aufgrund der Ausnahmeregelung in Art. 5 Abs. 4 OECD-MA vermieden werden kann. Art. 5 Abs. 4.1 OECD-MA ordnet als Rechtsfolge an, dass die Ausnahme für Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten in bestimmten Konstellationen nicht anwendbar ist. Dies ist der Fall, wenn eine feste Geschäftseinrichtung von einem Unternehmen genutzt oder unterhalten wird und dasselbe Unternehmen oder ein eng verbundenes Unternehmen eine Geschäftstätigkeit an demselben Ort oder an einem anderen Ort 1 Vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 422 (VWG BsGa); Ditz/Bärsch, IStR 2013, 411 (417); Rasch/Müller, ISR 2014, 418 (422); einschränkend Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 216 f. 2 Anders Schmidt-Heß, IStR 2016, 165 (170); Wagemann, IWB 2016, 14 (23) hält die Anwendung der Nullsummentheorie zumindest für möglich. 3 Letzteres ergibt sich aus der Kommentierung in Art. 5 Tz. 35.1 OECD-MK in der Fassung des Aktionsberichts 7. 4 Vgl. Görl in V/L6, DBA, Art. 5 OECD-MA Rz. 85. 5 Vgl. Art. 5 Tz. 21.2 OECD-MK in der Fassung des Aktionsberichts 7. 6 Deutlich wird dieses Ziel u.a. an Art. 5 Tz. 22 OECD-MK. 7 Vgl. Bärsch/Quilitzsch/Schulz, ISR 2013, 358 (364).

Böhmer 1075

14.92

Kap. 14 Rz. 14.93

Base Erosion and Profit Shifting

im selben Staat ausübt und (i) dieser Ort oder der andere Ort eine Betriebsstätte des Unternehmens oder des eng verbundenen Unternehmens darstellt oder (ii) die zusammengefassten Tätigkeiten der beiden Unternehmen am selben Ort oder an verschiedenen Orten oder des Unternehmens an verschiedenen Orten keine Vorbereitungs- oder Hilfstätigkeiten darstellen. Vorausgesetzt wird, dass die ausgeübten Funktionen einander ergänzen und Teil einer einheitlichen Geschäftstätigkeit sind. Als Beispiel wird in Art. 5 Tz. 30.4 OECD-MK eine Bank erwähnt, die in einem anderen Staat über verschiedene Niederlassungen verfügt. Im selben Staat verfügt sie noch über ein Büro, in dem Informationen von Kunden, die einen Kredit beantragen, überprüft werden. Im Anschluss werden diese Informationen an das Stammhaus der Bank im anderen Staat weitergeleitet, wo sie analysiert werden. Die daraus erstellten Reports werden sodann an die Niederlassungen weitergereicht, wo über die Kreditvergabe entschieden wird. In diesem Fall soll das Büro im anderen Staat eine Betriebsstätte darstellen, da in diesen und den anderen Niederlassungen komplementäre Funktionen zur Kreditvergabe ausgeübt werden. Die gemeinsame Betrachtung auch von Tätigkeiten nahestehender Unternehmen ist kritisch zu sehen. Denn damit wird die Selbständigkeit von Kapitalgesellschaften ignoriert.1 Es können somit die Tätigkeiten verschiedener Rechtsträger zusammengefasst werden, so dass sie als Betriebsstätte zu qualifizieren sind, welche sodann nach dem AOA als weiteres – fiktives – selbständiges Unternehmen zu behandeln ist. Die Zuordnung von Funktionen und Risiken sowie des Dotationskapitals zu dieser Betriebsstätte, die von zwei oder mehr unterschiedlichen Unternehmen stammen können, erscheint als mit großen praktischen Schwierigkeiten behaftet. 5. Aufspalten von Verträgen

14.93 Das Aufspalten von Verträgen, um im Rahmen von Bau- und Montagebetriebsstätten das Überschreiten der Zwölfmonatsfrist zu vermeiden, soll primär durch den Principal-Purpose-Test vermieden werden, der im Bericht zu Aktionspunkt 6 vorgestellt wird (s. Rz. 14.77). Soll in ein DBA der Principal-Purpose-Test nicht aufgenommen werden, soll stattdessen eine Regelung aufgenommen werden, wonach die Bau- und Montagetätigkeiten verschiedener nahestehender Unternehmen zusammen betrachtet werden können, so dass die Umgehung der Frist nicht mehr möglich ist.2 6. Gewinnabgrenzung

14.94 Im BEPS-Abschlussbericht zu Aktionspunkt 7 sind keine Ausführungen zur Gewinnabgrenzung enthalten. Diese sollten weiteren Arbeiten vorbehalten sein. Dazu wurde in 2016 ein Diskussionsentwurf vorgestellt,3 der in 2017 durch einen weiteren Diskussionsentwurf ersetzt wurde.4 Abweichend von dem ersten Diskussionsentwurf gelten die Erläuterungen nunmehr auch dann, wenn die Gewinnabgrenzung im DBA nicht anhand des AOA erfolgt. Kerninhalt des Diskussionsentwurfs ist, dass die Gewinnabgrenzung anhand der bekannten, geltenden Grundsätze erfolgen soll, d.h. wenn der AOA im DBA niedergelegt ist, ist dieser anwendbar. 1 Vgl. Kroppen in FS Gosch, 221 (231). 2 Vgl. OECD, Preventing the artificial avoidance of permanent establishment status, Action 7: 2015 Final report, 42 ff. 3 OECD, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, BEPS Action 7, Public discussion draft. Dazu Bendlinger, IStR 2016, 914 (917); Benz/Böhmer, DB 2016, 2501 (2503); van der Ham/Retzer, ISR 2017, 131 ff. 4 OECD, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, BEPS Action 7, Public discussion draft, Juni 2017.

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.95 Kap. 14

Bei Vertreterbetriebsstätten sollen die Rechte und Pflichten aus abgeschlossenen Verträgen der Betriebsstätte zugeordnet werden; damit soll allerdings nicht ausgedrückt werden, dass auch alle Gewinne der Betriebsstätte zuzuordnen sind.1 Entscheidend für die Zuordnung sei vielmehr die Fiktion der Betriebsstätte als eines eigenständigen und unabhängigen Unternehmens. Ist der Vertreter ein verbundenes Unternehmen, ist (erneut) zweistufig vorzugehen. In diesem Fall ist eine Verrechnungspreisanalyse zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter vorzunehmen und der Verrechnungspreis anhand von Art. 9 OECD-MA zu bestimmen.2 Zudem ist das Ergebnis des Vertretenen auf Stammhaus und (Vertreter-)Betriebsstätte anhand von Art. 7 OECD-MA aufzuteilen. Dabei sind die durch den Vertreter für den Vertretenen wahrgenommenen Funktionen der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen. Eine Reihenfolge für etwaige Berichtigungen nach Art. 7 und Art. 9 OECD-MA wird nicht vorgegeben.3 Erläutert werden im Diskussionsentwurf zudem Grundsätze für die Auswirkungen der Änderungen durch die Aktionspunkte 8 bis 10. Danach gilt eine ggf. geänderte Risikozuordnung nur für Verrechnungspreiszwecke; eine abweichende Zuordnung hat keine Auswirkungen auf die relevanten Tatsachen (d.h. bspw. wer für wen handelt bzw. in wessen Namen Verträge abgeschlossen werden). Weiterhin sei es zwar häufig so, dass Personalfunktionen und die maßgeblichen Risikokontrollfunktionen übereinstimmen, es handele sich aber um unterschiedliche Funktionen, die nicht übereinstimmen müssten. Wenn beide im Einzelfall übereinstimmen ist sicherzustellen, dass es zu keinen Widersprüchen kommt, um Doppelbesteuerung zu vermeiden. Nicht möglich soll es danach sein, dass ein Risiko nach Art. 9 dem verbundenen Unternehmen, d.h. dem Vertreter und nach Art. 7 zugleich der Betriebsstätte zugeordnet wird.4 Zugleich kann die Zuordnung eines Risikos zum Vertreter zur Folgen haben, dass der Betriebsstätte ein Ergebnis von Null zugeordnet wird.5 Änderungen der Gewinnabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz ergeben sich somit aus dem Berichten zu den Aktionspunkten 8 bis 10, nicht aber aus dem Bericht zu Aktionspunkt 7.

VIII. Verrechnungspreise 1. Überblick Die Aktionsberichte 8 bis 10 sind in einem einheitlichen Abschlussbericht zusammengefasst worden.6 Dies beruht darauf, dass sich alle drei Berichte mit Verrechnungspreisen befassen und die Berichte zu verschiedenen Änderungen der OECD-Verrechnungspreisleitlinien führten. Die geänderten bzw. neu gefassten Teile der OECD-Verrechnungspreisleitlinien sind in dem Bericht zu den Aktionspunkten 8 bis 10 enthalten. Das Ziel der Arbeiten liegt darin, die Besteuerung mit dem Ort der Wertschöpfung (wieder) zu verknüpfen. Dazu wurden verschiedene Aspekte der bisherigen OECD-Verrechnungspreisleitlinien überarbeitet. Aktions-

1 OECD, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, BEPS Action 7, Public discussion draft, Juni 2017, Rz. 8. 2 Vgl. van der Ham/Retzer, ISR 2017, 131 (135). 3 OECD, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, BEPS Action 7, Public discussion draft, Juni 2017, Rz. 12. 4 OECD, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, BEPS Action 7, Public discussion draft, Juni 2017, Rz. 18. 5 OECD, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, BEPS Action 7, Public discussion draft, Juni 2017, Rz. 19. 6 Vgl. OECD, Aligning transfer pricing outcomes with value creation, Actions 8-10: 2015 Final reports.

Böhmer 1077

14.95

Kap. 14 Rz. 14.96

Base Erosion and Profit Shifting

punkt 8 befasst sich mit Intangibles. Der Bericht dazu baut auf Arbeiten auf, die bereits vor Beginn des BEPS-Projekts begonnen wurden und in dieses einbezogen wurden.1 Insbesondere sollen eine breite Definition von Intangibles sowie Regelungen geschaffen werden, die eine Zuordnung von Gewinnen anhand der Wertschöpfung ermöglichen.2 Aktionspunkt 9 befasst sich mit der Zuweisung von Risiken und Kapital. Durch die Vorschläge soll verhindert werden, dass eine Zuweisung von Gewinnen nur aufgrund einer hohen Kapitalausstattung oder aufgrund der vertraglichen Übernahme von Risiken erfolgt.3 Der letzte Aktionspunkt 10 befasst sich schließlich mit besonders risikobehafteten Transaktionen, der Möglichkeit der Umqualifizierung von Geschäftsvorfällen sowie Maßnahmen, mit denen die Bemessungsgrundlage ausgehöhlt werden kann.4 2. Intangibles a) Definition und Zuordnung von Erträgen

14.96 Das neugefasste Kapital VI der OECD-Verrechnungspreisleitlinien schafft eine eigenständige Definition des Begriffs „Intangible“.5 Ein Intangible ist etwas, das kein physischer Vermögenswert und kein finanzieller Vermögenswert ist, das imstande ist, Eigentum zu vermitteln oder kontrolliert zu werden, das in Geschäftstätigkeiten übertragen werden kann und dessen Nutzung oder Übertragung vergütet würde, wenn sich dies in einem Geschäftsvorfall zwischen voneinander unabhängigen Dritten unter vergleichbaren Verhältnissen ereignet hätte.6 Klargestellt wird im Folgenden, dass es verschiedene Kategorien von Intangibles gibt, etwa Trade Intangibles oder Marketing Intangibles. Die Verwendung dieser Begrifflichkeiten ersetzt allerdings nicht die spezifische Beschreibung der Intangibles in der Verrechnungspreisanalyse.7 Beispiele für Intangibles sind Patente, Know-how und Geschäftsgeheimnisse, Warenzeichen, Handelsnamen und Marken, vertragliche Rechte und staatliche Genehmigungen sowie Lizenzen. Um keine Intangibles handelt es sich bei Synergien und Marktbedingungen. Allerdings sind diese im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung zu berücksichtigen.8

14.97 Wenn anhand vorstehender Definition festgestellt wurde, dass ein Intangible vorliegt, ist anschließend zu prüfen, wem die mit diesem erwirtschafteten Erträge oder Aufwendungen zuzuordnen sind.9 Dabei beginnt die Analyse mit dem rechtlichen Eigentümer der Intangibles. Das rechtliche Eigentum alleine bewirkt aber noch nicht, dass dem Inhaber die Erträge zu-

1 Vgl. OECD, Addressing base erosion and profit shifting, 2013, 10; OECD, Declaration on Base Erosion and Profit Shifting, 29. Mai 2013, 3; Bärsch/Luckhaupt/Schulz, Ubg 2014, 37 ff.; Schmidtke, IStR 2014, 120 (121). 2 Vgl. OECD, Action plan on base erosion and profit shifting, 2013, Action 8. 3 Vgl. OECD, Action plan on base erosion and profit shifting, 2013, Action 9. 4 Vgl. OECD, Action plan on base erosion and profit shifting, 2013, Action 10. 5 Da eine Übersetzung mit immateriellem Wirtschaftsgut nicht sämtliche erfassten Konstellationen treffen würde, wird im Folgenden der Begriff des Intangible verwendet; siehe auch Tz. 6.7 OECDVerrechnungspreisleitlinien. Kritisch zur neuen Definition Ditz/Pinkernell/Quilitzsch, IStR 2014, 45 (49). 6 Vgl. Tz. 6.6 OECD-Verrechnungspreisleitlinien; zur deutschen Übersetzung Naumann/Groß, IStR 2014, 906 (908). 7 Vgl. Tz. 6.15 f. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 8 Zu der teilweise divergierenden Sicht insb. von Schwellenländern Kroppen/Rasch, IWB 2015, 828 (830). 9 Vgl. Tz. 6.34 OECD-Verrechnungspreisleitlinien.

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Böhmer

B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.99 Kap. 14

zuordnen sind. Dafür sind vielmehr die durch den Eigentümer ausgeübten Funktionen, genutzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken maßgebend.1 Werden sämtliche Funktionen durch diesen ausgeübt, sämtliche Wirtschaftsgüter gestellt und sämtlichen Risiken übernommen, sind alle Erträge dem Eigentümer zuzuordnen.2 Werden Teile der Funktionen, Wirtschaftsgüter und Risiken von anderen Unternehmen übernommen, gestellt oder getragen, müssen diese anderen Unternehmen dementsprechend vergütet werden. Je nach im Übrigen ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgütern und übernommenen Risiken kann dem rechtlichen Eigentümer auch nur eine angemessene Vergütung für das Innehaben des rechtlichen Eigentums zustehen. Maßgebend für diese Beurteilung ist, zu ermitteln durch Funktionsanalyse, welche Unternehmen Funktionen betreffend die Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und die Verwertung des Intangible ausüben, Finanzierung oder Wirtschaftsgüter gewähren oder Risiken übernehmen.3 Von herausgehobener Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, wer die mit dem Intangible verbundenen Risiken trägt und kontrolliert.4 Dies wird insbesondere durch die neuen Ausführungen im Kapitel I der OECD-Verrechnungspreisleitlinien erläutert, die durch Aktionspunkt 9 überarbeitet wurden.5 Sodann ist zu prüfen, inwieweit das tatsächliche Verhalten mit dem vertraglich Vereinbarten übereinstimmt. Auf dieser Grundlage sind die Transaktionen zu identifizieren, die unter Einbeziehung von Intangibles erfolgt sind; stimmt das tatsächliche Verhalten nicht mit dem vertraglich Vereinbarten überein, können dabei zusätzliche Transaktionen festgestellt werden.6 Die derart identifizierten Geschäftsbeziehungen mit dem konkreten Intangible sind dann zu bepreisen.7 Als in den meisten Fällen geeignetste Methoden werden dabei die CUPMethode8 sowie der geschäftsvorfallbezogene Profit-Split bezeichnet.9 In Fällen, in denen keine vergleichbaren Transaktionen identifiziert werden können, soll auch auf betriebswirtschaftliche Bewertungsmethoden, vor allem auf Cash-Flow-basierte Verfahren, zurückgegriffen werden können.10

14.98

b) Unsicherheiten bei der Bewertung Ein weiterer Teil der Arbeiten zu Verrechnungspreisen bestand in der Entwicklung von Regelungen, die bei Unsicherheiten über die Bewertung von Intangibles gelten sollen. Nicht selten bestehen, insbesondere in der Entwicklungsphase, erhebliche Unsicherheiten über die Bewertung von Intangibles. In diesem Fall soll Finanzbehörden die Möglichkeit eröffnet sein,

1 Vgl. Krüger, DStZ 2016, 64 (74); Naumann/Groß, IStR 2014, 906 (910). 2 Bärsch/Luckhaupt/Schulz, Ubg 2014, 37 (42) halten die Voraussetzungen für eine derartige Zuordnung aller Erfolgsbeiträge für zu streng. 3 Tz. 6.48 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 4 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2015, 828 (832). 5 Vgl. zu den Beispielen zu Intangibles in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien Dawid/Bittner/ Barth, IWB 2015, 33 ff. 6 Koch, IStR 2016, 881 (883) spricht insoweit von einer Fiktion. 7 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2015, 828 (829). 8 Vgl. dazu Baumhoff in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 5.5 ff. 9 Vgl. Tz. 6.145 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Vgl. allgemein zum Profit Split Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 5.12 ff.; Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 262. 10 Vgl. Tz. 6.153 OECD-Verrechnungspreisleitlinien; vgl. dazu Ackermann/Halbach, ISR 2014, 423 ff.; Schmidtke, IStR 2014, 120 (125 f.). Deutschland unterstützt die Nutzung betriebswirtschaftlicher Bewertungsverfahren, vgl. Naumann/Groß, IStR 2014, 906 (907).

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14.99

Kap. 14 Rz. 14.100

Base Erosion and Profit Shifting

Preisanpassungen vorzunehmen, wenn auch unabhängige Unternehmen Preisanpassungsklauseln vereinbart hätten.1

14.100 Zudem wurden spezielle Regelungen für sog. Hard-to-value Intangibles (HTVI) geschaffen.2 Dabei handelt es sich um Intangibles oder Rechte an Intangibles, für die keine Vergleichsdaten vorliegen und für die Prognosen über zukünftige Cashflows, Erträge oder Annahmen, die im Rahmen der Bewertung getroffen wurden, höchst unsicher sind.3 Im Fall bestimmter Transaktionen, etwa bei Übertragung nur teilweise entwickelter Intangibles, soll eine Anpassung auf Grundlage einer Ex-Post-Betrachtung zulässig sein können.4 Danach können die Ex-post-Ergebnisse als Anscheinsbeweis für die (Un-)Angemessenheit der Ex-ante-Preisfestsetzungen behandelt werden.5 Dies scheidet aber aus, wenn die Finanzverwaltung die Verlässlichkeit der Prognosen, die der Ex-ante-Festsetzung zugrunde liegen, bestätigt. Zudem kann dieser Anscheinsbeweis erschüttert werden. Dies ist möglich, wenn der Steuerpflichtige Details seiner Prognosen und der Angemessenheit seiner Erwägungen für den Eintritt voraussehbarer Ereignisse bzw. Risiken vorlegt und nachweist, dass signifikante Unterschiede zwischen Ex-ante-Prognosen und Ex-post-Ergebnissen auf unvorhersehbaren Umständen (z.B. Naturkatastrophen) oder dem Eintritt von grundsätzlich vorhersehbaren Ereignissen beruhen, deren Eintrittswahrscheinlichkeit nicht über- oder unterschätzt wurde. Eine Erschütterung ist u.a. auch möglich, wenn der Unterschied zwischen den Ex-ante-Prognosen und den Ex-post-Ergebnissen nicht dazu führt, dass die Gegenleistung für die Übertragung oder Nutzung des Intangible um mehr als 20 % zu hoch oder zu niedrig ist oder bei einer Betrachtung über einen Zeitraum von fünf Jahren die Unterschiede zu den ursprünglichen Prognosen nicht mehr als 20 % betragen.6 Ist dies der Fall, ist eine Anpassung auf die Ex-post-Gewinne nicht möglich.7 Andernfalls kann eine derartige Anpassung vorgenommen werden. Bei der Anwendung dieses Verfahrens besteht die Gefahr, dass großzügig die der Ex-ante-Festsetzung zugrunde liegenden Prognosen verworfen werden, um eine Anpassung vorzunehmen. Hier sollten sorgsam die Grundlagen der Ex-ante-Prognosen dokumentiert werden. Die Erschütterung des Anscheinsbeweises wird den Steuerpflichtigen voraussichtlich schwerfallen, da die Voraussetzungen dafür hoch sind. Insbesondere bei der Beurteilung der (Un-)Vorhersehbarkeit bestimmter Umstände kann ein klarer Beweis kaum erbracht werden. Es besteht deshalb für die Steuerpflichtigen die hohe Gefahr der Anwendung einer Ex-post-Bewertung mit einer ggf. daraus resultierenden Doppelbesteuerung.8 c) Kostenumlagevereinbarungen (Cost Contribution Agreements)

14.101 Ebenfalls überarbeitet wurden die Ausführungen zu Kostenumlagevereinbarungen. Zielrichtung der Berichtsverfasser war insoweit sicherzustellen, dass es in vergleichbaren Fällen 1 Vgl. Tz. 6.185 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Allgemein zu Preisanpassungen Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 3.110; Rasch, ISR 2013, 431 ff. 2 Zu HTVI Engelen, IStR 2016, 146 ff.; Kroppen/Rasch, IWB 2015, 828 (836 ff.); Krüger, ISR 2015, 430 ff.; Rasch/Greil, ISR 2015, 261 ff. 3 Vgl. Tz. 6.189 OECD-Verrechnungspreisleitlinien; kritisch zu dieser Definition Engelen, IStR 2016, 146 (150); Rasch/Greil, ISR 2015, 261 (263). 4 Zu den weiteren Fallgruppen Tz. 6.190 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 5 Vgl. Tz. 6.192 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 6 Ausführlich zu diesen Ausnahmen Krüger, ISR 2015, 430 (433 f.). 7 Vgl. Tz. 6.193 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 8 Den HTVI-Ansatz positiv bewertend Krüger, ISR 2015, 430 (435); kritisch dagegen Kroppen in FS Endres, 199 (207).

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.102 Kap. 14

zu keinen anderen Ergebnissen bei bestimmten Sachverhalten kommt, nur weil in einem Fall ein Kostenumlagevertrag geschlossen wurde.1 Für jedes Mitglied der Vereinbarung soll der geleistete Beitrag mit dem erzielten Nutzen übereinstimmen.2 Kann ein Unternehmen aus einer Kostenumlagevereinbarung keinen Nutzen erzielen, kann es auch kein Teilnehmer an dieser sein; es ist ggf. für die von ihm erbrachte Dienstleistung zu vergüten. Ein Unternehmen kann zudem nur dann Teil einer solchen Vereinbarung sein, wenn es die übernommenen Risiken kontrollieren kann und die finanziellen Möglichkeiten hat, die Risiken zu übernehmen.3 Leistet ein Unternehmen geringere Beiträge, als es Nutzen erzielt, sollen Ausgleichszahlungen notwendig sein, um die Beiträge mit dem Nutzen in Korrelation zu bringen.4 3. Risiko und Recharakterisierung Überarbeitet wurden auch die Regelungen zu Risiken. Dabei standen vor allem kapitalintensive und funktionsarme Unternehmen, häufig als Cash Boxes bezeichnet, im Blickpunkt. Die Analyse der Risikozuordnung soll in mehreren Schritten erfolgen.5 Dabei ist nach der Identifikation der Risiken festzustellen, wer diese vertraglich übernommen hat. Im Anschluss ist zu analysieren, wie sich die Unternehmen im Hinblick auf die Übernahme und das Management von Risiken verhalten, welche Unternehmen Risikokontroll- und -minimierungsfunktionen ausüben, welche Unternehmen die Vor- und Nachteile der Realisation von Risiken tragen und welche Unternehmen die finanziellen Mittel haben, die Risiken zu tragen.6 Daran anknüpfend ist zu prüfen, ob das tatsächliche Verhalten mit dem vertraglich Vereinbarten übereinstimmt, was aufgrund der Schwierigkeit, dieses Verhalten vor einer Realisation des Risikos zu erkennen, anhand der Umstände ermittelt wird, wofür darauf abgestellt wird, ob die Partei, die vertraglich die Risiken übernommen hat, Kontrolle über diese ausübt und die finanziellen Mittel hat, diese zu tragen.7 Ist dies nicht der Fall, ist das Risiko der Partei zuzuordnen, die das Risiko kontrolliert und die finanziellen Mittel hat, das Risiko zu tragen; diese Zuordnung kann zur Annahme einer Transaktion führen, die bislang von den Parteien nicht als solche erkannt bzw. behandelt wurde.8 Im Anschluss ist die Transaktion zu bepreisen. Die Zuordnung der Risiken kann damit von dem vertraglich Vereinbarten abweichen. Entscheidend für die Zuordnung von Risiken sind nach dem vorstehend Beschriebenen die Faktoren Personal und Kapital. Anhand des Personals wird die Kontrollfunktion ermittelt und anhand des Kapitals die Fähigkeit, das Risiko zu tragen. Damit wird gesichert, dass Gesellschaften, die allein die Finanzierung zur Verfügung stellen, nicht aber die konkreten Risiken kontrollieren, das Risiko nicht zugeordnet bekommen können und dementsprechend nur für ihre Finanzierungsfunktion entgolten werden. Dadurch werden Gestaltungen mit 1 Vgl. auch Greil, IWB 2015, 431; Groß, IStR 2016, 233 (239). 2 Vgl. Tz. 8.12 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Der geleistete Beitrag kann dabei unter bestimmten Voraussetzungen anhand der Kosten bestimmt werden (Tz. 8.27 f. OECD-Verrechnungspreisleitlinien). 3 Vgl. Tz. 8.15 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 4 Vgl. Tz. 8.34 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 5 Vgl. Tz. 1.60 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 6 Kritisch zur Relevanz der Risikokontrolle Schön, StuW 2015, 69 (82); siehe auch Rasch, ISR 2015, 310 (313). 7 Vgl. Greinert/Metzner, Ubg 2015, 60 (63); Groß, IStR 2016, 233 (235). Zur Risikokontrolle vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2015, 828 (832). 8 Vgl. Greinert/Metzner, Ubg 2015, 60 (61 f.); Greinert/Metzner, IPRB 2015, 256 (259). Siehe auch Kroppen in FS Endres, 199 (202).

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14.102

Kap. 14 Rz. 14.103

Base Erosion and Profit Shifting

Cash Boxes erschwert. Die Wirkungen der überarbeiteten OECD-Verrechnungspreisleitlinien zu Risiken gehen aber weit darüber hinaus, da sie grundsätzlich für alle Transaktionen gelten.

14.103 Neu gefasst wurden auch die Ausführungen dazu, Transaktionen umzuqualifizieren oder für steuerliche Zwecke nicht zu berücksichtigen. Möglich ist dies, wenn die Transaktion bei einer Gesamtbetrachtung von dem Verhalten abweicht, dass fremde Dritte, die sich kaufmännisch rational verhalten hätten, unter vergleichbaren Umständen ausgeübt hätten, wodurch verhindert wird, dass ein Preis festgesetzt wird, der für beide Vertragsparteien akzeptabel ist.1 Danach genügt es nicht, wenn nur eine Partei durch die Transaktion bessergestellt wird. Maßgeblich kann auch die Betrachtung sein, ob die Unternehmensgruppe als Ganzes bei einer Vorsteuerbetrachtung besser oder schlechter dasteht als ohne die konkrete Transaktion. Entscheidend ist letztlich die Beantwortung der Frage, ob die konkrete Transaktion wirtschaftlich so vernünftig ist, dass auch fremde Dritte sie unter vergleichbaren Umständen abgeschlossen hätten.2 Die Möglichkeit zu Umqualifikationen wird durch diese Änderungen erheblich erweitert. Durch diese Erläuterungen können Geschäftsvorfälle auch dem Grunde nach korrigiert werden, was der bisherigen BFH-Rechtsprechung, die eine Korrektur allein der Höhe nach zulässt,3 widerspricht.4 Innerstaatlich lässt § 1 AStG dementsprechend eine solche Korrektur bislang nicht zu. 4. Sonstige risikobehaftete Transaktionen

14.104 Die Änderungen der Regelungen zu Rohstoffgeschäften zielen vor allem darauf ab, verstärkt auf Börsenpreise abzustellen.5 Dadurch soll insbesondere rohstoffreichen Entwicklungsländern die Prüfung von Verrechnungspreisen erleichtert werden.

14.105 Ebenfalls die Interessen von Entwicklungsländern haben die Regelungen zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringem Wertschöpfungsbeitrag im Blick.6 Für solche Dienstleistungen wird ein vereinfachter Prüfmechanismus entwickelt. Erfasste Dienstleistungen sind insbesondere Buchhaltung, Rechnungswesen und Prüfung, Personalwesen, IT, Kommunikation, Recht und Steuern. Nicht erfasst sind Dienstleistungen, die das Kerngeschäft des Unternehmens darstellen.7 Der Benefits-Test, der im Übrigen bei konzerninternen Dienstleistungen vorzunehmen ist und danach fragt, ob das Unternehmen aus der Inanspruchnahme der Dienstleistungen einen wirtschaftlichen oder geschäftlichen Vorteil hat,8 ist bei Dienstleistungen mit geringem Wertschöpfungsbeitrag nicht in gleicher Weise vorzunehmen.9 Vielmehr genügt es nach1 Vgl. Tz. 1.122 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Siehe auch Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 559. 2 Vgl. Tz. 1.123 OECD-Verrechnungspreisleitlinien; Groß, IStR 2016, 233 (236); kritisch zu diesen Regelungen Greinert/Metzner, Ubg 2015, 60 (67). 3 Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261, Tz. 20. 4 Vgl. Kroppen in FS Endres, 199 (203 f.) sowie Böhmer, FR 2016, 877 (880); van der Ham/Retzer, ISR 2017, 131 (138). 5 Vgl. Tz. 2.18 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 6 Vgl. dazu Ackermann/Greil, IWB 2015, 3; Elbert/Münch, IStR 2015, 341 ff. 7 Ebenfalls nicht erfasst sind Leistungen, die ein Gesellschafter als solcher erbringt, OECD-Verrechnungspreisleitlinien, Tz. 7.9. 8 Vgl. BFH v. 21.1.2016 – I R 22/14, BStBl. 2017, 336, Tz. 22. 9 Vgl. Tz. 7.54 f. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Allgemein zum Benefits-Test Baumhoff in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 6.111; Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 329.

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.106 Kap. 14

zuweisen, dass überhaupt Dienstleistungen einer bestimmten Art erbracht wurden. Darin liegt bereits ein wesentlicher Vereinfachungseffekt. Sodann ist ein vierstufiger Test vorzunehmen.1 Zunächst sind die Kosten zu ermitteln, die für die Erbringung dieser Dienstleistungen angefallen sind. Daraus sind die Kosten herauszurechnen, die speziell für ein einzelnes Gruppenunternehmen angefallen sind. Im Anschluss sind die Kosten anhand eines Schlüssels auf die einzelnen Gruppenunternehmen umzulegen. Dieser Schlüssel kann je nach Dienstleistung variieren; so kann für manche Dienstleistungen eine Umlage nach Umsatz, für andere eher eine Umlage nach Köpfen angemessen sein. Als vierter und letzter Schritt ist schließlich ein einheitlicher Gewinnzuschlag von 5 % aufzurechnen. Dieser Mark-up muss nicht näher begründet werden. Dieser vereinfachte Prüfungsmaßstab kann für Unternehmen und Finanzverwaltung bei einheitlicher Anwendung eine erhebliche Vereinfachung darstellen. 5. Profit Split Gegenstand der BEPS-Arbeiten ist auch die Fortentwicklung der Profit-Split-Methode.2 Diese Methode soll insbesondere in hoch integrierten Unternehmensgruppen der Festsetzung und Überprüfung der Verrechnungspreise dienen. Zur Anwendung dieser Methode sind zunächst die Gewinne zu ermitteln, um diese sodann aufteilen zu können. Die Aufteilung soll nach wirtschaftlich geeigneten Maßstäben erfolgen und sicherstellen, dass die Gewinne der verbundenen Unternehmen mit ihren Beiträgen übereinstimmen. Dabei kann die Aufteilung anhand geplanter oder anhand tatsächlich realisierter Gewinne erfolgen. Die Profit-Split-Methode ist anwendbar, wenn Geschäftsmodelle hoch integriert sind oder wenn alle beteiligten Parteien einzigartige und werthaltige Beiträge leisten; die Anforderungen an diese Kriterien werden durch den veröffentlichten Bericht herausgearbeitet.3 Ebenso soll sie Anwendung finden können, wenn alle Parteien signifikante wirtschaftliche Risiken im Zusammenhang mit der Transaktion gemeinsam tragen oder wenn sie zwar jeweils unterschiedliche signifikante wirtschaftliche Risiken tragen, jene aber eng miteinander verknüpft sind;4 die Zuordnung dieser Risiken kann zuvor ebenfalls korrigiert worden sein (Rz. 14.102). Zur Aufteilung der Gewinne bestehen zwei verschiedene Ansatzpunkte. Zum einen kann anhand einer Beitragsanalyse vorgegangen werden, wonach die Aufteilung anhand der jeweiligen Wertschöpfungsbeiträge erfolgt. Zum anderen kann die Aufteilung anhand einer Residualgewinnmethode ermittelt werden. Danach sind zunächst Routinebeiträge zu vergüten und im Anschluss ist der Residualgewinn aufzuteilen, wobei dessen Aufteilung wieder nach den Beiträgen erfolgt; für die Bewertung der Beiträge sollen betriebswirtschaftliche Bewertungsmethoden Anwendung finden können. Die Aufteilung selbst kann anhand fixer oder variabler Faktoren erfolgen. Als mögliche Faktoren werden insbesondere Wirtschaftsgüter, Kapital, Kosten, aber auch Umsätze sowie die Höhe der Gehälter bedeutender Beschäftigter oder die aufgewandte Arbeitszeit genannt.5

1 Vgl. Tz. 7.56 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 2 OECD, Revised Guidance on Profit Splits, BEPS Actions 8–10: Public Discussion Draft Juni 2017. Zu dem früheren Entwurf: Mank/Rosner, IWB 2016, 591; Puls/Bickenbach/Weynandt, ISR 2017, 56 (58). 3 Vgl. OECD, Revised Guidance on Profit Splits, BEPS Actions 8–10: Public Discussion Draft Juni 2017, Rz. 16 ff. 4 OECD, Revised Guidance on Profit Splits, BEPS Actions 8–10: Public Discussion Draft Juni 2017, Rz. 1125 f. 5 OECD, Revised Guidance on Profit Splits, BEPS Actions 8–10: Public Discussion Draft, Juni 2017, Rz. 55–57.

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14.106

Kap. 14 Rz. 14.107

Base Erosion and Profit Shifting

6. Zusammenfassung

14.107 Die vorstehend wiedergegebenen Einzelregelungen beinhalten insgesamt keine Abkehr vom Fremdvergleichsgrundsatz.1 Vielmehr wird dieser lediglich anders ausgelegt als zuvor. Insgesamt bemüht sich die OECD darum, dem Ziel gerecht zu werden, die Besteuerung mit der Wertschöpfung zu verknüpfen. Das Problem an diesem Ansatz ist, dass kaum abstrakt gefasst werden kann, was die Wertschöpfung ausmacht bzw. wie diese im Einzelfall genau generiert wird. Dementsprechend ist es auch schwierig zu beurteilen, ob dieses Ziel erreicht wird. Die überarbeiteten OECD-Verrechnungspreisleitlinien versuchen die Wertschöpfung anhand von Indizien greifbar zu machen. Dies sind insbesondere die Ressourcen Personal und Kapital.2 Besonders deutlich wird dies bei den überarbeiteten Regelungen zur Risikoübernahme. Diese Ressourcen können sicherlich einen Hinweis auf die Wertschöpfung geben. Allerdings darf dafür nicht auf pauschale Lösungen zurückgegriffen werden. So ist es nicht zutreffend für den Faktor Personal, auf die Zahl der Mitarbeiter abzustellen;3 für die zukünftige Maßgeblichkeit dieses Faktors spricht vor allen Dingen die Erhebung dieser Informationen durch das Country-by-Country Reporting.4 Es muss vielmehr auf die konkrete Tätigkeit des Personals sowie weitere Kriterien wie Entscheidungsbefugnisse und Verantwortlichkeiten abgestellt werden.5 Denn große Wertschöpfungsbeiträge können auch durch nur einige wenige hochqualifizierte Mitarbeiter geschaffen werden. Dies muss auch für die Verrechnungspreisprüfung maßgeblich sein. Anderenfalls könnte die Gewinnaufteilung formelhafte Züge erlangen, ohne Bezug zum konkreten Geschäftsvorfall, was man mit dem Bekenntnis zum Fremdvergleichsgrundsatz aber nicht erreichen wollte.6 Umgekehrt ergeben sich auch zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten, etwa über die Verlagerung des Lebensmittelpunkts bzw. Tätigkeitsorts des maßgeblichen Personals. Dadurch kann es zu Ent- und Verstrickungen kommen.7

IX. Statistik 14.108 Bislang existieren kaum verlässliche Untersuchungen dazu, welches Ausmaß BEPS tatsächlich hat. Um diese Ungewissheit zu bekämpfen und damit ggf. zielgerichtet weitere Maßnahmen ergreifen zu können, entwickelt der Bericht zu Aktionspunkt 11 Verfahren, um BEPS zu messen. Der Bericht hat damit keinen originär steuerrechtlichen, sondern vielmehr statistischen Inhalt. Erstmals wird eine Größenordnung genannt, inwieweit es durch Gestaltungen zur Gewinnverlagerung und Gewinnvermeidung zu Steuerausfällen kommt. Diese Steuerausfälle sollen sich in der Größenordnung von 4 bis 10 % der weltweiten Körperschaftsteuereinnahmen, d.h. zwischen 100 und 240 Mrd. USD pro Jahr, bewegen.8

1 Vgl. auch Groß, IStR 2016, 233 (239). 2 Vgl. auch Greinert/Metzner, Ubg 2014, 307 (312); Roeder/Fellner, ISR 2014, 428 (434). 3 Vgl. Weinert/Schwarz/Stein, DB 2017, 737 (738). Insgesamt kritisch zur Relevanz des Faktors Personal Schön, StuW 2015, 69 (82 f.). 4 Vgl. auch Andresen, RdF 2014, 138 (144). 5 Vgl. ausführlich dazu sowie mit weiteren Erwägungen Weinert/Schwarz/Stein, DB 2017, 737 (738 ff.). 6 Vgl. dazu ausführlich Greinert/Metzner, Ubg 2014, 307 (313); Schön, StuW 2015, 69 (78). 7 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat Steuern EY, DB 2016, 2078 (2081). 8 Vgl. OECD, Measuring and monitoring BEPS, Action 11: 2015 final report, 79.

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.111 Kap. 14

Um zukünftig genauere Erhebungen vornehmen zu können, identifiziert der Bericht nach einer Darstellung der vorhandenen Daten verschiedene Indikatoren, die auf BEPS hindeuten können. Dies sind

14.109

– das Maß an ausländischen Direktinvestitionen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, – ein Unterschied in der Profitabilität von Gesellschaften in Abhängigkeit von der effektiven Steuerlast in verschiedenen Staaten, – ein Unterschied in der Profitabilität von Gesellschaften in Niedrigsteuerländern im Verhältnis zur gesamten Unternehmensgruppe, – die effektive Steuerquote von großen Gesellschaften multinationaler Unternehmen im Vergleich zu inländischen Unternehmen mit vergleichbaren Eigenschaften, – das Ausmaß an Lizenzeinnahmen im Verhältnis zu den Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in einem Staat sowie – das Verhältnis des Zinsaufwands zu Einkünften von Gesellschaften multinationaler Unternehmen in Hochsteuerländern.1 Weiterhin wird erörtert, wie bessere Daten erhoben werden können. Dabei sollen vor allem auch die Daten genutzt werden, die zukünftig aufgrund des Country-by-Country Reporting, des Informationsaustauschs über Rulings sowie aufgrund von Offenlegungsverpflichtungen erhoben werden.2 Weiterhin will die OECD zusammen mit weiteren Staaten regelmäßig Statistiken zur Unternehmensbesteuerung erstellen und publizieren. Auch soll untersucht werden, wie sich die einzuführenden BEPS-Gegenmaßnahmen auswirken werden. Daneben werden vier weitere Empfehlungen abgegeben.3 All diese Maßnahmen zusammengenommen sollen gewährleisten, dass die Politik zukünftig bessere ökonomische Analysen zu BEPS und BEPS-Gegenmaßnahmen besitzt.

14.110

X. Offenlegung 1. Ziel des Berichts Aktionspunkt 12 befasst sich mit mandatory disclosure rules, d.h. Regelungen, die vorschreiben, dass bestimmte steuerliche Gestaltungen den Finanzbehörden offenzulegen sind. Einige Staaten besitzen bereits derartige Regelungen.4 Mit dem Bericht zu Aktionspunkt 12 werden Kernelemente herausgearbeitet, anhand derer Staaten Offenlegungsvorschriften schaffen können. Ziel solcher Offenlegungspflichten ist die Verbesserung der Transparenz. Die Steuerverwaltungen sollen möglichst frühzeitig über Gestaltungsmodelle informiert werden, um rechtzeitig Abwehrmaßnahmen ergreifen bzw. gesetzgeberisches Handeln initiieren zu können. Zugleich sollen die Vermarkter solcher Modelle sowie die Steuerpflichtigen, die solche Modelle nutzen, möglichst frühzeitig identifiziert werden.5 Daneben wird eine gewisse Abschreckung angestrebt. Bei den Empfehlungen des Aktionspunkts 12 handelt

1 2 3 4

Vgl. OECD, Measuring and monitoring BEPS, Action 11: 2015 final report, Rz. 91 ff. Vgl. OECD, Measuring and monitoring BEPS, Action 11: 2015 final report, Rz. 299. Vgl. OECD, Measuring and monitoring BEPS, Action 11: 2015 final report, Rz. 306 ff. Im Bericht genannt werden Irland, Israel, Kanada, Portugal, Südafrika, Südkorea, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten von Amerika. 5 Vgl. OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report, 9.

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14.111

Kap. 14 Rz. 14.112

Base Erosion and Profit Shifting

es sich um keinen Mindeststandard. Vielmehr sind die Staaten frei darin zu entscheiden, ob sie eine entsprechende Regelung in ihr nationales Recht einführen möchten.1 Der Bericht befasst sich mit der Frage, wie eine Offenlegungspflicht idealerweise ausgestaltet sein sollte und schlägt dafür verschiedene Bausteine vor. 2. Bausteine einer Offenlegungspflicht a) Adressat

14.112 Zunächst wird im Bericht die Frage aufgeworfen, an wen sich eine Verpflichtung zur Offenlegung richten soll. In Betracht kommen der Steuerpflichtige, der Vermarkter oder beide gemeinsam. Dementsprechend werden diese drei Optionen auch empfohlen, wobei sich der weitere Inhalt der Regelung sodann unterscheiden muss. Für die Inanspruchnahme des Vermarkters2 spricht, dass dieser im Regelfall deutlich bessere Informationen und Kenntnisse über das Gestaltungsmodell hat. Richtet sich die Pflicht primär an den Vermarkter soll sekundär aber der Steuerpflichtige verpflichtet sein, insbesondere wenn der Vermarkter außerhalb des Staatsgebiets ansässig ist, es keinen Vermarkter gibt oder dieser etwa berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten unterliegt. Richtet sich die Pflicht an beide, kann es sinnvoll sein, Regelungen zu schaffen, dass die Anzeige des Ersten den anderen entlastet. b) Inhalt der Offenlegung

14.113 Im Hinblick auf die Frage danach, welche Transaktionen bzw. Gestaltungen Gegenstand der Offenlegungspflicht sein sollen, stellt der Bericht einen einstufigen und einen zweistufigen Ansatz vor, anhand derer zu ermitteln ist, ob eine Offenlegungspflicht ausgelöst wird.3 Bei dem zweistufigen Test wird der eigentlichen Prüfung für eine Offenlegung eine Vorprüfung vorangestellt. Anhand derer sollen irrelevante Transaktionen herausgefiltert werden, um so Steuerpflichtigen und der Verwaltung unnötigen Aufwand zu ersparen. Derartige Vorprüfungen können aus einem Hauptzwecktest bestehen. Nur wenn das Erlangen eines Steuervorteils der Hauptzweck oder einer der Hauptzwecke ist, soll eine weitere Prüfung notwendig sein.4 Im Rahmen dieses Tests wird der mit der Transaktion erstrebte Steuervorteil mit anderen verbundenen Vorteilen verglichen. Wenn der Steuervorteil andere Vorteile deutlich überwiegt, ist dieser Hauptzwecktest erfüllt. Alternativ kann auch auf einen Mindestbetrag abgestellt werden. Überschreitet der angestrebte Vorteil nicht diesen Mindestbetrag, soll eine weitere Prüfung nicht notwendig sein.

14.114 Die zweite Stufe im zweistufigen Test, bzw. die erste Stufe im einstufigen Test, sollte kein Hauptzwecktest vorangestellt sein, besteht aus der Prüfung, ob bestimmte Kennzeichen (hallmarks) erfüllt sind. In Betracht kommen sowohl allgemeine als auch spezielle Kennzeichen. Als allgemeine Kennzeichen werden vorrangig die Aspekte Vertraulichkeit und Premium Fee genannt. Danach muss eine Transaktion offengelegt werden, wenn der Vermarkter von

1 Vgl. OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report, 9. 2 Vgl. zu Definitionen des Vermarkters: OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report, Rz. 71. Vermarkter können insbesondere Rechtsanwälte, Steuerberater oder sonstige Berater sein, vgl. Puls/Heravi, ISR 2015, 284 (286). 3 Hermenns/Modrzejewski/Münch/Rüsch, IStR 2016, 803 (805) weisen zurecht darauf hin, dass Einzelfallgestaltungen nicht Teil der Offenlegung sein dürften. 4 Vgl. OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report, Rz. 81.

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.118 Kap. 14

einem Mandanten Vertraulichkeit über eine Transaktion verlangt. Diese Vertraulichkeitsvereinbarung soll indizieren, dass es sich um eine besonders innovative oder aggressive Gestaltung handelt, da anderenfalls die Vertraulichkeitsvereinbarung nicht notwendig wäre. Mit dem Kennzeichen Premium Fee wird auf verschiedene Vereinbarungen abgezielt, die allesamt gemein haben, dass der Vermarkter eine Gebühr erhält, die durch das Erzielen eines Steuervorteils veranlasst ist. Diese Veranlassung kann sich daraus ergeben, dass sich die Höhe der Gebühr am erzielten Steuervorteil bemisst oder dass die Gebühr nicht anfällt, wenn der Steuervorteil nicht erzielt wird. Genauso ist möglich, auf hypothetische Betrachtungen abzustellen, etwa darauf, ob ein Vermarkter Vertraulichkeit erwartet bzw. eine Premium Fee erhalten könnte. Neben diesen allgemeinen Kennzeichen sollen allerdings auch speziellere Kennzeichen verwendet werden. Diese sollen spezifische risikobehaftete Transaktionen beschreiben, die offengelegt werden müssen. Dabei soll es genügen, wenn entweder ein allgemeines oder ein spezielles Kennzeichen erfüllt wird. Ausdrücklich genannt werden Gestaltungen (i) mit Verlusten, (ii) zu Leasingverträgen, (iii) die die Umqualifizierung von Einkünften beabsichtigen, (iv) die in niedrig besteuernden Staaten ansässige Gesellschaften beinhalten sowie (v) hybride Gestaltungen.1 Daneben kennen einige Staaten Offenlegungspflichten, wenn die nationale Steuerbehörde eine bestimmte Transaktion auf eine Liste offenzulegender Fälle aufgenommen hat, d.h., ein Öffnungsklausel geschaffen wurde, damit die Verwaltung auf neu bekannt gewordene Fälle zeitnah reagieren kann.

14.115

c) Zeitpunkt der Offenlegung Dem Zweck der Offenlegungspflichten wird nur dann entsprochen, wenn die Offenlegung möglichst frühzeitig erfolgt. Dabei muss danach unterschieden werden, wer zur Offenlegung verpflichtet ist. Ist dies der Vermarkter, so wird empfohlen, dass schon dann eine Offenlegung zu erfolgen hat, wenn eine bestimmte Gestaltung verfügbar ist. Dies kann dann der Fall sein, wenn alle notwendigen Voraussetzungen für die Umsetzung geschaffen sind und der (potentielle) Mandant mit dem Ziel angesprochen wurde, ihm eine Umsetzung der konkreten Gestaltung nahezulegen. Demgegenüber soll nicht auf den notwendigerweise späteren Zeitpunkt der Umsetzung abgestellt werden.2 Dieser soll allerdings dann maßgebend sein, wenn der Steuerpflichtige zur Offenlegung verpflichtet ist.

14.116

d) Weitere Verpflichtungen Auch die Identifikation von Steuerpflichtigen, die offenzulegende Gestaltungen umsetzen, kann auf verschiedene Weise erfolgen. Zum einen können Vermarkter verpflichtet werden, Mandantenlisten zu führen, in denen vermerkt wird, wer eine bestimmte Transaktion umgesetzt hat. Zum anderen ist es möglich, zusätzlich Nummern für Gestaltungen zu vergeben, die der Steuerpflichtige sodann auf seiner Steuererklärung zu vermerken hat, wenn er eine bestimmte Gestaltung umsetzt. Auf diese Weise ist die Identifikation der Nutzer gesichert.

14.117

e) Sanktionen Wird die Offenlegungspflicht verletzt, soll es verschiedene Arten von Sanktionen geben. Zum einen monetärer Art und zum anderen durch steuerliche Sanktionen. Diese können darin be1 Vgl. OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report, Rz. 120 ff. 2 Vgl. OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report, Rz. 141.

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14.118

Kap. 14 Rz. 14.119

Base Erosion and Profit Shifting

stehen, dass der angestrebte Vorteil verweigert wird oder dass die Verjährungsfrist verlängert wird.1 3. Besonderheiten bei grenzüberschreitenden Gestaltungen

14.119 Dem Grunde nach können Offenlegungspflichten, die sich aus den zuvor beschriebenen Bausteinen zusammensetzen, auch bei grenzüberschreitenden Gestaltungen Anwendung finden. Hinderlich kann es allerdings sein, wenn im Rahmen einer zweistufigen Prüfung auf einer ersten Stufe ein Hauptzwecktest erfolgt. Denn bei grenzüberschreitenden Gestaltungen kann es dazu kommen, dass der inländische Steuervorteil im Vergleich zu sonstigen nicht steuerlichen Vorteilen oder Steuervorteilen im Ausland nicht der Hauptzweck einer Gestaltung ist. In diesem Fall würde der Hauptzwecktest eine Offenlegung im Inland unterbinden. Die Empfehlung für grenzüberschreitende Gestaltungen beinhaltet deshalb, keine Vorprüfung vorzunehmen. Zudem wird empfohlen, als Kennzeichen für eine Offenlegungspflicht darauf abzustellen, ob BEPS-bezogene Risiken entstehen. Dies ist dann der Fall, wenn eine Transaktion Merkmale aufweist, die im BEPS-Aktionsplan aufgeführt sind (z.B. hybride Elemente) oder bspw. eine abweichende Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums zum Gegenstand hat. Die Kennzeichen sollten deshalb sowohl allgemeine als auch spezielle Kriterien aufweisen. Die Definition der Transaktionen, die offenzulegen sind, soll möglichst weit sein. Sie soll jede grenzüberschreitende Transaktion enthalten, die einen inländischen Steuerpflichtigen betrifft und materielle steuerliche Auswirkungen im Inland hat.2 Zur Prüfung der materiellen Auswirkungen kann ein Schwellenwert festgelegt werden. Diese Offenlegungspflicht soll dann bestehen, wenn der Steuerpflichtige oder sein Berater den Steuervorteil vernünftigerweise erkennen konnten. Damit sollen in erster Linie Konzernunternehmen von der Offenlegungspflicht befreit werden, die in eine Transaktion eingeschaltet sind, ohne zwingend alle Informationen über diese zu haben. Der Steuerpflichtige und sein Berater sollen bei fehlender Kenntnis der genauen Umstände einer Transaktion Untersuchungen anstellen, etwa durch Nachfragen bei übergeordneten Konzerngesellschaften und, wenn diese zu keinem positiven Ergebnis führen, die Finanzverwaltung darüber informieren. Diese kann dann weitere Untersuchungen einleiten oder, wenn es sich um ein Unternehmen eines anderen Staats handelt, im Wege des Informationsersuchens vorgehen.3 4. Informationsaustausch

14.120 Zur Verbesserung der Transparenz empfiehlt auch der Bericht zu Aktionspunkt 12 einen besseren Informationsaustausch, allerdings nicht durch ein neues festgelegtes Verfahren, sondern auf eher informelle Weise. Dazu wird den nationalen Steuerbehörden empfohlen, am Joint International Tax Shelter Information and Collaboration Network (JITSIC), einer Plattform des Forum on Tax Administration, mitzuwirken. Dort sollen sich die Angehörigen der nationalen Finanzverwaltungen austauschen und auf Grundlage vorhandener Instrumente Informationen auch über offengelegte Gestaltungsmodelle austauschen.

1 Vgl. OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report, Rz. 182 ff. 2 Vgl. OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report, Rz. 233. 3 Vgl. OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report, Rz. 236.

1088

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.122 Kap. 14

XI. Verrechnungspreisdokumentation 1. Überblick Verrechnungspreise sind ein Kernbestandteil des BEPS-Projekts. Dies zeigt sich neben den Aktionspunkten 8 bis 10, die sich mit materiellen Verrechnungspreisaspekten auseinandersetzen (Rz. 14.95 ff.), insbesondere an Aktionspunkt 13, der die Verrechnungspreisdokumentation betrifft. Bei den durch diesen Aktionspunkt vorgeschlagenen Regelungen handelt es sich sicherlich um die wohl umstrittensten Aspekte des gesamten BEPS-Projekts.1 Der Zweck der Arbeiten zu Aktionspunkt 13 besteht darin, die bestehende Informationsasymmetrie zwischen Steuerverwaltung und Steuerpflichtigen zu verringern.2 Zugleich sollen die Befolgungskosten für die Steuerpflichtigen möglichst minimiert werden. Dies soll durch eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung der Dokumentationsanforderungen erfolgen. Der Bericht zu Aktionspunkt 13 beinhaltet eine vollständige Neufassung von Kapitel V der OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Zukünftig soll sich die Verrechnungspreisdokumentation aus drei Teilen zusammensetzen, dem Master File, den Local Files und dem Country-by-Country Reporting (CbC-Reporting).3 Master File und Local Files waren bislang schon bekannt, so umfasst der EU Code of Conduct zur Verrechnungspreisdokumentation eine Unterteilung der Verrechnungspreisdokumentation in diese beiden Bestandteile.4 Verpflichtend war eine derartige Dokumentation bislang allerdings nicht.5 Gänzlich neu ist der dritte Bestandteil der Verrechnungspreisdokumentation. Eine Pflicht zur Erstellung eines CbC-Reports bestand bisher nur für Rohstoffunternehmen und Banken.6

14.121

2. Master File Der Zweck des Master File besteht darin, einen Überblick über die wirtschaftlichen Aktivitäten, das Verrechnungspreissystem und die globale Verteilung von Einkünften und wirtschaftlicher Aktivität zu schaffen. Dazu sollen spezifische Informationen zu folgenden Aspekten betreffend das multinationale Unternehmen offengelegt werden: – Organisationsaufbau, – wirtschaftliche Tätigkeiten, – Intangibles,

1 Zur Kritik am CbC-Reporting an sich bzw. einzelnen Aspekten Ditz/Quilitzsch, DStR 2014, 127 ff.; Kroppen/Rasch, ISR 2014, 358 (363); Pinkernell, FR 2014, 964 (971); Rasch/Mank/Tomson, IStR 2015, 424 (428 f.). 2 Vgl. Naumann/Groß, IStR 2014, 792 (793). 3 Vgl. OECD, Transfer pricing documentation and country-by-country reporting, Action 13: 2015 Final report, Rz. 16. 4 Vgl. Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten v. 27.6.2006 zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD), ABl. v. 28.7.2006, C 176/1. Dazu auch Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V, Rz. 41. 5 Im Vergleich zu den bisherigen Dokumentationsanforderungen der GAufzV kommt es zu einer Erweiterung der Dokumentation, vgl. die Übersicht bei Kroppen/Rasch, ISR 2014, 358 (364) sowie Rasch/Mank/Tomson, IStR 2015, 424; Schreiber, DB Beilage zu Heft 47/2014, 3 (8). 6 Vgl. zum Hintergrund Tomson in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. V Rz. 57 ff. Zu den Pflichten im Bankensektor Andresen, RdF 2014, 138 (142 f.).

Böhmer 1089

14.122

Kap. 14 Rz. 14.123

Base Erosion and Profit Shifting

– konzerninterne Finanzierungsaktivitäten, – Finanzlage und Steuerposition.1 Beschränkt werden diese Anforderungen durch den Grundsatz der Wesentlichkeit. Nur was nach Auffassung des Unternehmens wesentlich ist, soll mitgeteilt werden müssen. Insoweit besteht eine Einschätzungsprärogative des berichtenden Unternehmens. Zur Abgabe des Master File ist die multinationale Unternehmensgruppe als Ganzes verpflichtet. Die Dokumentation soll zusammen mit der Steuererklärung für die Konzernobergesellschaft abgegeben werden. Dabei soll eine jährliche Überprüfung und ggf. Aktualisierung stattfinden. Das Master File soll jedem Staat zugänglich gemacht werden, in dem die Unternehmensgruppe tätig ist. 3. Local File

14.123 Das Local File soll im Gegensatz zum Master File detailliertere Informationen liefern. Anhand der dort berichteten Informationen soll die Prüfung erfolgen, ob die kaufmännischen und finanziellen Beziehungen dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen.2 Dazu sollen die Geschäftsbeziehungen der jeweiligen lokalen Einheiten mit verbundenen Unternehmen in anderen Staaten dokumentiert werden. Der Inhalt der Local File soll u.a. aus Finanzinformationen im Hinblick auf die betreffenden Geschäftsbeziehungen, einer Vergleichbarkeits- und Funktionsanalyse und der Begründung der Auswahl und Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode bestehen.3 Das Local File soll von jeder lokalen Gesellschaft unmittelbar bei der für sie zuständigen Finanzbehörde eingereicht werden, wobei die Abgabe zeitgleich mit der Steuererklärung für das jeweilige Wirtschaftsjahr erfolgen soll. 4. CbC-Reporting a) Inhalt des CbC-Reporting

14.124 Der Zweck der neuen Pflicht zur Erstellung eines CbC-Reporting liegt in der Ermöglichung von Risikoeinschätzungen durch die Finanzbehörden, indem diese einen tieferen Einblick in die weltweite Wertschöpfung und Ergebnisverteilung erhalten.4 Zudem sollen BEPS-Risiken evaluiert und die Reports für statistische Zwecke ausgewertet werden können. Dagegen soll das CbC-Reporting nicht dazu dienen, Verrechnungspreisanpassungen nach einer globalen Formel vorzunehmen. Eine detaillierte Funktions- und Risikoanalyse sowie eine Vergleichbarkeitsanalyse sollen nicht erspart werden können. Diese Aussagen sind an und für sich selbstverständlich, da man an dem bisherigen Grundsatz des Fremdvergleichs nichts ändern wollte und gerade keine globale formelhafte Gewinnaufteilung einführen wollte. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Aussagen bewahrheiten; zu erwarten ist dies in der Praxis allerdings nicht unbedingt.5

1 Vgl. OECD, Transfer pricing documentation and country-by-country reporting, Action 13: 2015 Final report, Rz. 19. 2 Vgl. Groß, DB Beilage zu Heft 47/2014, 10 (11). 3 Vgl. OECD, Transfer pricing documentation and country-by-country reporting, Action 13: 2015 Final report, Rz. 22. Der genaue Inhalt kann Annex II zu Kapitel V der OECD-Verrechnungspreisleitlinien entnommen werden. 4 Vgl. Weinert/Schwarz/Stein, DB 2017, 737. 5 Dementsprechend ist dieser Aspekt einer der Hauptkritikpunkte am CbC-Reporting.

1090

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.126 Kap. 14

Im Einzelnen soll das CbC-Reporting folgende Informationen enthalten: (i) aggregierte Angaben zur Höhe der Umsatzerlöse, der Vorsteuergewinne (bzw. -verluste), der gezahlten Ertragsteuern, der für das konkrete Wirtschaftsjahr zu zahlenden bzw. zurückgestellten Ertragsteuern, des ausgewiesenen Kapitals, der einbehaltenen Gewinne sowie zur Beschäftigtenzahl1 und den materiellen Vermögenswerten ohne flüssige Mittel für alle Steuerhoheitsgebiete, in denen die multinationale Unternehmensgruppe tätig ist sowie (ii) Angaben zu allen Geschäftseinheiten der multinationalen Unternehmensgruppe, wobei der Staat der steuerlichen Ansässigkeit der jeweiligen Geschäftseinheit aufzuführen ist und – sofern vom Staat der steuerlichen Ansässigkeit abweichend – der Staat, nach dessen Rechtsvorschriften die jeweilige Geschäftseinheit organisiert ist, sowie die Art der wichtigsten Geschäftstätigkeit oder Geschäftstätigkeiten der Geschäftseinheit.2 Einige Schwellenländer hatten noch weitergehende Angaben gefordert. Bis zum Jahr 2020 soll deshalb eine Überprüfung stattfinden, inwieweit die vorstehend genannten Daten ausreichend sind.3 Insoweit ist es nicht unwahrscheinlich, dass es im Jahr 2020 zu einer Überarbeitung des Umfangs des CbC-Reporting kommen wird.

14.125

Verpflichtet zur Abgabe eines CbC-Reporting ist jedes multinationale Unternehmen, das zu Beginn des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs einen Umsatz von mindestens 750 Mio. Euro erwirtschaftet. Ausnahme für bestimmte Branchen soll es nicht geben. Das CbC-Reporting soll die Konzernobergesellschaft bei ihrer lokalen Finanzbehörde einreichen. Gibt es in dem Ansässigkeitsstaat der Obergesellschaft einer multinationalen Unternehmensgruppe keine Pflicht zur Abgabe eines CbC-Reporting, hat dieser Staat kein Abkommen zum Austausch des CbC-Reporting abgeschlossen oder kommt dieser Staat seinen Pflichten zum Austausch nicht nach, so kann eine andere Konzerneinheit zur Abgabe des CbC-Reporting aufgefordert werden; in diesem Fall kann der Konzern auch eine Ersatzkonzernobergesellschaft bestimmen, die das CbC-Reporting zu erstellen und einzureichen hat.4 Mit dem sog. secondary filing wird darauf abgezielt sicherzustellen, dass alle Unternehmen, die in einem Staat ansässig sind, der ein CbC-Reporting vorsieht und die einer Unternehmensgruppe angehören, die abstrakt die Voraussetzungen des Aktionspunkts 13 erfüllt, in ein CbC-Reporting einbezogen werden.5 Ist das CbC-Reporting sodann bei der zuständigen Finanzbehörde eingereicht worden, soll diese den Report im Wege des automatischen Informationsaustauschs mit allen anderen Jurisdiktionen, in denen die Unternehmensgruppe ansässig ist und die sich zum automatischen Informationsaustausch bereit erklärt haben, austauschen. Erstmals soll das CbC-Reporting für Wirtschaftsjahre, die nach dem 1.1.2016 beginnen, erstellt werden.6 Allerdings steht den Staaten die Möglichkeit offen, die Einführung zeitlich nach hinten zu verschieben.

14.126

1 Zur Untauglichkeit dieses Kriteriums, das allein auf die Zahl der Mitarbeiter abstellt und qualitative Merkmale außer Acht lässt, Pinkernell, FR 2014, 964 (971). 2 Zu praktischen Fragen der Informationsbeschaffung sowie den einzelnen Bestandteilen des CbCReporting van der Ham/Tomson, IWB 2015, 841 (844 ff.); Lappé/Schmidtke, IStR 2015, 693 (694 f.); Rasch/Mank/Tomson, IStR 2015, 424 (425 ff.). 3 Vgl. OECD, Transfer pricing documentation and country-by-country reporting, Action 13: 2015 Final report, 10. 4 Vgl. zu dem Mechanismus Lappé/Schmidtke, IStR 2015, 693 (694). 5 Zu der Problematik, welche Gesellschaften in diesem Fall einzubeziehen sind, van der Ham/Tomson, IWB 2015, 841 (843). 6 Vgl. OECD, Transfer pricing documentation and country-by-country reporting, Action 13: 2015 Final report, Rz. 50.

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Kap. 14 Rz. 14.127

Base Erosion and Profit Shifting

b) Implementierung

14.127 Der Bericht zu Aktionspunkt 13 umfasst auch Vorschläge zur Umsetzung des CbC-Reporting.1 Diese Vorschläge sind in Gestalt des Implementation Packages Teil der OECD-Verrechnungspreisleitlinien geworden. Das Implementation Package enthält ein Muster für eine gesetzliche Regelung zur Einführung einer Pflicht zur Erstellung eines CbC-Reporting. Jeder Staat kann dieses Muster verwenden und ggf. nach Erfordernissen seines innerstaatlichen Rechts anpassen. Eine gesetzliche Grundlage im deutschen Recht ist durch Einführung von § 138a AO geschaffen worden.2

14.128 Daneben enthält das Implementation Package Muster, die als Grundlage für die Vereinbarung des automatischen Informationsaustauschs dienen können. Der automatische Austausch des CbC-Reporting kann auf Grundlage der Convention on mutual administrative assistance in tax matters, auf Grundlage eines DBA oder auf Grundlage eines speziellen TIEA erfolgen.3 Am 27.1.2016 wurde zwischen den zuständigen Behörden von 31 Staaten ein multilaterales Abkommen abgeschlossen, in dem sie sich zum automatischen Austausch des CbC-Reporting verpflichten. Damit wurde die Pflicht zum automatischen Austausch nach Art. 6 der Convention on mutual administrative assistance in tax matters aktiviert. Das dort abgeschlossene Abkommen entspricht dem Muster aus dem Implementation Package. Der Austausch der CbC-Reports soll erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 1.1.2016 beginnen, erfolgen. Da eine Frist zur Abgabe von einem Jahr besteht, kann der Austausch der Informationen somit erstmals nach dem 31.12.2017 erfolgen. Um Risiken von Doppelbesteuerungen möglichst zu minimieren, wäre es wichtig gewesen, wenn ein Informationsaustausch nur mit solchen Staaten erfolgt, mit denen durch die Möglichkeit von Schiedsverfahren ein effektiver Streitbeilegungsmechanismus in Steuerfragen besteht.4 Eine entsprechende politische Einigung hat es allerdings nicht gegeben. Daneben hat die OECD weitere Berichte veröffentlicht, die die Einführung und den Austausch des CbC-Reportings erleichtern sollen. Diese zeigen Lösungen für Fälle auf, in denen die Pflicht zur Erstellung des Reports in verschiedenen Staaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft tritt, wie Investmentfonds und Personengesellschaften sowie wie Wechselkursschwankungen zu behandeln sind; im Dezember 2016 und im April 2017 wurde ein früherer Bericht aus Juni 2016 um weitere Übergangsregelungen ergänzt.5 Auch zukünftig sollen offene Fragen durch Verlautbarungen der OECD einer Lösung zugeführt werden.

1 Vgl. OECD, Transfer pricing documentation and country-by-country reporting, Action 13: 2015 Final report, Rz. 48 ff. 2 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. Mit Inkrafttreten des § 138a AO bestehen grundsätzlich auch keine Bedenken mehr im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Informationsaustauschs mit dem Steuergeheimnis, vgl. Seer, IWB 2016, 6 (13). Im Einzelfall kann allerdings ein Auskunftsverweigerungsrecht des BZSt bzw. eine Pflicht dazu bestehen, vgl. auch insoweit Seer, IWB 2016, 6 (13). 3 In der EU tritt die Möglichkeit des Austauschs auf Grundlage der EU-Amtshilferichtlinie hinzu. 4 Laut Naumann/Groß, IStR 2014, 792 (794) handelte es sich dabei um ein deutsches Verhandlungsziel. 5 Guidance on the Implementation of Country-by-Country Reporting, BEPS Action 13, December 2016 sowie das Update 2017.

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.130 Kap. 14

XII. Effektuierung von Verständigungs- und Schiedsverfahren Aktionspunkt 14 unterscheidet sich von den übrigen Aktionspunkten. Während die übrigen Berichte tendenziell steuerverschärfend wirken und im Ergebnis die Steuerpflichtigen belasten, soll mit Aktionspunkt 14 eine Erleichterung für Steuerpflichtige geschaffen werden. Dies ist zu begrüßen, denn es kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass es infolge der Umsetzung der übrigen vorgeschlagenen Maßnahmen zu vermehrten Streitigkeiten kommt, in denen eine Doppelbesteuerung zu befürchten ist. Um diese zu vermeiden, sollen Verständigungsverfahren gestärkt werden. Bei den Vorschlägen des Aktionsberichts 14 handelt es sich zu einem Teil um Regelungen eines Mindeststandards, d.h., diese Regelungen sind zwingend von allen am BEPS-Projekt mitwirkenden Staaten umzusetzen. Ein weiterer Teil hat dagegen lediglich den Charakter einer best practice. Dies beruht zum einen darauf, dass eine weitergehende Einigung nicht möglich war und zum anderen darauf, dass die vereinbarten best practices nicht in gleicher Form objektiv im Rahmen des durchzuführenden peer reviews überprüft werden können wie die Vorschläge, die Mindeststandard sind.1 Die Vorschläge zur Effektuierung von Verständigungsverfahren, die Mindeststandard sind, lassen sich drei Zielen zuordnen.2 Mit diesen soll sichergestellt werden, dass

14.129

– die Staaten ihren abkommensrechtlichen Verpflichtungen im Hinblick auf Verständigungsverfahren nach gutem Glauben nachkommen und Verständigungsverfahren zeitnah abgeschlossen werden, – Verwaltungsverfahren eingeführt werden, die die Vermeidung und zeitgerechte Lösung abkommensbezogener Streitigkeiten befördern und – Steuerpflichtige Zugang zu Verständigungsverfahren erhalten, wenn sie die Voraussetzungen von Art. 25 Abs. 1 OECD-MA erfüllen.3 Die den genannten Zielen im Aktionsbericht zugeordneten Einzelmaßnahmen lassen sich vereinfachend in Maßnahmen, die den Zugang zum Verständigungsverfahren, Maßnahmen, die die Durchführung des Verständigungsverfahren und Maßnahmen, die sonstige Aspekte betreffen, einteilen.4 Zur Effektuierung des Zugangs zu Verständigungsverfahren sollen alle Staaten Regelungen, die Art. 25 Abs. 1 bis 3 OECD-MA entsprechen, in ihre DBA aufnehmen.5 Zudem sollen Verständigungsverfahren bei Streitigkeiten über die Anwendung von Anti-Missbrauchsklauseln sowie bei Verrechnungspreisstreitigkeiten stets möglich sein. Ferner sollen Einigungen in Betriebsprüfungen nicht den Zugang zu Verständigungsverfahren hindern6 und fehlerhafte bzw. unvollständige Informationen sollen nicht zur Verweigerung des Zugangs führen 1 Ein Teil der Elemente des Mindeststandards und der best practice finden sich bereits als best practice in dem Bericht aus Februar 2007, OECD, Manual on effective mutual agreement procedures (MEMAP); vgl. dazu auch Flüchter, IStR 2012, 694 (701 f.). 2 Kritisch zu der Zuordnung der einzelnen Elemente des Mindeststandards zu diesen Zielen Flüchter, IStR 2015, 943 (947). 3 Vgl. OECD, Making dispute resolution mechanisms more effective, Action 14: 2015 final report, Rz. 4. 4 Mit einer vergleichbaren Einordnung Flüchter, IStR 2015, 943 (947 f.). 5 Diesem Element des Mindeststandards kann nachgekommen werden, indem Art. 16 Abs. 1 bis 3 des Multilateralen Übereinkommens umgesetzt wird. 6 Vgl. zur bisherigen Diskussion Flüchter in S/D, DBA, Art. 25 OECD-MA Rz. 100.

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14.130

Kap. 14 Rz. 14.131

Base Erosion and Profit Shifting

können, wenn diese Informationen den Vorgaben einer entsprechenden Verwaltungsverlautbarung entsprechen. Zudem soll es zukünftig möglich sein, dass der Steuerpflichtige wählen kann, in welchem Staat er das Verständigungsverfahren einleitet bzw. alternativ, dass Konsultationen zwischen den Staaten erfolgen, wenn der Staat, bei dem das Verfahren eingeleitet wurde, die Einwände des Steuerpflichtigen nicht teilt.

14.131 Die Durchführung von Verständigungsverfahren soll in erster Linie durch eine zeitgerechte Durchführung gestärkt werden. Zukünftig sollen Verständigungsverfahren im Regelfall innerhalb von 24 Monaten beendet werden.1 In diesem Zusammenhang ist das Mindesterfordernis zu sehen, dass die Staaten die zuständigen Behörden mit den notwendigen Ressourcen ausstatten. Auch sollen die Mitglieder der Verhandlungskommission über die notwendige Vertretungsmacht verfügen, Einigungen zu treffen, insb. ohne von der Zustimmung anderer Stellen abhängig zu sein, die für die Prüfung oder Festsetzung zuständig sind, und ihre Vergütung soll nicht an steuerlichen Mehrergebnissen gemessen werden. Mindeststandard ist ebenfalls die Verpflichtung, Verständigungsvereinbarungen auch umzusetzen.

14.132 Zugang und Durchführung des Verfahrens sollen zudem durch eine Verbesserung der Transparenz gefördert werden. Die Staaten sollen ihre Richtlinien für das Verständigungsverfahren publizieren, so wie dies etwa in Deutschland bereits der Fall ist.2 Auch sollen Statistiken und die Position zu Schiedsverfahren veröffentlicht werden. Daneben und unabhängig von den vorgenannten Aspekten, soll im Fall von APA ein Roll-back ermöglicht werden. Zudem werden die Staaten aufgerufen, Mitglied des Forum on Tax Administration MAP Forum zu werden.3 Diese Elemente des Mindeststandards werden flankiert durch insgesamt elf best practices.4

14.133 Darüber hinaus gehend haben sich zunächst 20 Staaten verpflichtet, obligatorische Schiedsverfahren durchzuführen. Über die bekundete Absicht, Schiedsverfahren durchzuführen hinaus, enthielt der Abschlussbericht zu Aktionspunkt 14 keine weiteren Erläuterungen. Die eigentlichen Regeln zum Schiedsverfahren sind im multilateralen Übereinkommen enthalten. Die Regelungen für das Schiedsverfahren sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Auffangcharakter haben. Sie sollen Anwendung finden, wenn sich die Parteien auf keine andere Regelung, sei es im konkreten Einzelfall, sei es generell, einigen können. Voraussetzung für die Durchführung eines Schiedsverfahrens ist, dass beide Parteien die entsprechenden Klauseln im multilateralen Übereinkommen gewählt haben. Ist dies der Fall und ist binnen zwei Jahren keine Einigung im Verständigungsverfahren erfolgt, wobei auch eine Frist von drei Jahren gewählt werden kann, soll es auf Antrag zu einem Schiedsverfahren kommen. Dabei handelt es sich um eine Erweiterung des Verständigungsverfahrens.5 Dementsprechend erfolgt die Umsetzung eines Schiedsspruchs im ursprünglichen Verständigungsverfahren im

1 Zur Dauer von Verständigungsverfahren vgl. Flüchter, IStR 2012, 694 (699). 2 Vgl. BMF v. 13.6.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 i.d.F. des BMF-Schreibens v. 5.4.2017 – IV B 5 – S 1304/0-04, BStBl. I 2017, 707. 3 Grundlage für die Arbeit des Forum on Tax Administration MAP Forum ist der Multilateral strategic plan on mutual agreement procedures: a vision for continous MAP improvement; vgl. Flüchter, IStR 2015, 943 (946). 4 Vgl. OECD, Making dispute resolution mechanisms more effective, Action 14: 2015 final report, Rz. 43 ff. 5 Vgl. Explanatory statement to the multilateral convention to implement tax treaty related measures to prevent base erosion and profit shifting, Rz. 220.

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.135 Kap. 14

Wege der Verständigungsvereinbarung.1 Der Schiedsspruch ist grundsätzlich endgültig und bindend.2 Das eigentliche Verfahren wird in Art. 23 des multilateralen Übereinkommens geregelt. Auch hier werden Auffangregelungen getroffen. Vorrangiges Auffangverfahren ist das sog. LastBest-Offer-Verfahren (oder Baseball Arbitration). Danach übermitteln die Parteien nur ein zahlenmäßiges Angebot (bzw. die Antwort „ja“ oder „nein“). Eine Begründung darf beigefügt werden. Das Schiedsgericht hat dann eine der Positionen zu übernehmen. Es muss seine Entscheidung nicht begründen. Alternatives Auffangverfahren ist das sog. IndependentOpinion-Verfahren. Dieses sieht eine volle Sachverhaltsermittlung, eine Entscheidung nach den Bestimmungen des jeweiligen DBA sowie eine schriftliche Begründung der Entscheidung vor. Konkrete Vorgaben werden auch für die Benennung der Schiedsrichter getroffen. Danach benennen die Parteien, sofern keine anderweitige Vereinbarung getroffen wird, jeweils einen Schiedsrichter. Diese haben sodann einen Vorsitzenden zu benennen. Benennt eine Partei keine tauglichen Schiedsrichter innerhalb der in Art. 20 des multilateralen Übereinkommens geregelten Frist oder wird kein Vorsitzender benannt, hat die OECD stattdessen einen Schiedsrichter zu benennen. Dadurch soll vermieden werden, dass das Schiedsverfahren durch eine unterbliebene Besetzung des Schiedsgerichts erschwert wird. Nach Art. 24 des multilateralen Übereinkommens besteht keine Bindungswirkung des Schiedsspruchs und keine Pflicht zur Umsetzung, wenn sich die Parteien binnen drei Monaten auf ein anderes Ergebnis einigen. Das Verständigungsverfahren und das Schiedsverfahren sind zudem jederzeit zu beenden, wenn sich die Behörden einigen oder wenn der Antragsteller seinen Antrag zurücknimmt. Die Umsetzung und Einhaltung der Regelungen, die als Mindeststandard bezeichnet werden, soll im Rahmen eines Peer Review überprüft werden.3 Zu diesem Zweck haben die Working Party 1 und das Forum on Tax Administration MAP Forum eine Bewertungsmethodik entwickelt.4 Die ersten Überprüfungen haben im Dezember 2016 begonnen.

14.134

XIII. Multilaterales Übereinkommen Während die Mehrheit der in den Aktionsberichten vorgeschlagenen materiellen Regelungen der Umsetzung in nationales Recht bedürfen, erfordern die Aktionsberichte 2, 6, 7 und 14 die Anpassung der mehr als 3.000 derzeit bestehenden DBA. Als Alternative zu einer langwierigen sukzessiven Änderung der betroffenen Abkommen, schlägt Aktionspunkt 15 ein einheitliches multilaterales völkerrechtliches Übereinkommen vor, das eine Vielzahl von DBA ändert: das sog. „multilaterale Instrument“. Das multilaterale Instrument geht auf den Abschlussbericht einer im Jahr 2014 eingesetzten Arbeitsgruppe zurück, die die Einführung eines solchen Instruments als möglich und nütz-

1 Vgl. Explanatory statement to the multilateral convention to implement tax treaty related measures to prevent base erosion and profit shifting, Rz. 220. 2 Ausnahmen finden sich in Art. 19 Abs. 4 Buchst. b des multilateralen Übereinkommens. 3 Wobei die Bereitschaft, sich einem peer review zu unterziehen, ebenfalls einen Mindeststandard darstellt; vgl. OECD, Making dispute resolution mechanisms more effective, Action 14: 2015 final report, Rz. 21. 4 Vgl. OECD, BEPS Action 14 on More Effective Dispute Resolution Mechanisms, Peer Review Documents, October 2016. Dazu Rasch, IWB 2016, 868 ff.

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14.135

Kap. 14 Rz. 14.136

Base Erosion and Profit Shifting

lich erachtet hat.1 Die daraufhin eingesetzte Ad-hoc-Gruppe, deren Teilnehmerkreis die Mitglieder der G20 und OECD sowie Drittstaaten umfasste, hat unter dem Vorsitz von Großbritannien das eigentliche multilaterale Übereinkommen erarbeitet und verhandelt. Die Ad-hocGruppe hat zudem eine Unterarbeitsgruppe gebildet, die unter dem Vorsitz Schwedens mit der Erarbeitung der Regelungen zu verbindlichen Schiedsverfahren betraut war (Rz. 14.133). Zusammen mit dem Bericht aus 2014 bildete das Mandat für die Ad-hoc-Gruppe den Abschlussbericht zu Aktionspunkt 15, der gemeinsam mit den Abschlussberichten zu den übrigen Aktionspunkten im Herbst 2015 veröffentlicht und von den G20-Staaten gebilligt wurde.2 Gleichwohl stellte dieser Bericht erst den Beginn der Arbeiten an dem multilateralen Instrument dar. An der Entwicklung des finalen Übereinkommens, dem Mehrseitigen Übereinkommen zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung,3 das am 24.11.2016 vorgelegt wurde, beteiligten sich schließlich fast 100 Staaten, von denen mehr als die Hälfte keine OECD- oder G20Staaten sind. Es wird durch eine erklärende Stellungnahme ergänzt, die das gemeinsame Verständnis des Übereinkommens wiedergibt.4 Das finale Übereinkommen ist dabei keine strikte Alles-oder-nichts-Regelung, sondern so ausgestaltet, dass es weitestgehend an die individuellen staatlichen Bedürfnisse angepasst werden kann. Es zielt damit auf ein Höchstmaß an Akzeptanz unter den beteiligten Staaten und soll insbesondere den Staaten entgegenkommen, die sich innerstaatlichen Widerständen ausgesetzt sehen.5 Gleichzeitig hat das multilaterale Übereinkommen völkerrechtliche Verbindlichkeit. Nach Art. 30 soll das Übereinkommen zukünftige Änderungen der von ihm erfassten DBA nicht behindern, vielmehr sollen diese zulässig sein. Dazu wird vertreten, dass nach Sinn und Zweck des multilateralen Übereinkommens als Ganzem nur qualitative Fortentwicklungen und nicht etwa auch Rückänderungen oder Verschlechterungen erlaubt seien;6 dies kann man jedoch auch anders sehen, gerade vor dem Hintergrund, den Staaten möglichst weitestgehende Flexibilität einzuräumen. Gerade weil das Übereinkommen durch Flexibilität geprägt ist, dürften auch spätere Rückänderungen oder Verschlechterungen erlaubt sein. Vor dem Hintergrund der politischen Verpflichtung zur BEPS-Umsetzung wäre in einem solchen Fall aber auf andere Art und Weise sicher zu stellen, dass die BEPS-Mindeststandards gewahrt werden.7 Art. 37 gibt den Vertragsstaaten zudem die Möglichkeit, sich mittels Erklärung gegenüber der OECD aus dem Übereinkommen vollständig zurückzuziehen. Später gefasstes nationales Recht kann ohnehin als Treaty Override durch das Übereinkommen geschaffene Änderungen überschreiben.8

14.136 Das multilaterale Übereinkommen besteht aus insgesamt 39 Artikeln in 7 Kapiteln. Kapitel I und VII enthalten abstrakte Regelungen, die die Anwendung und Funktionsweise des Übereinkommens festlegen (sog. Metarecht).9 Die Kapitel II bis VI enthalten dagegen materielle 1 Vgl. ausführlich Reimer, IStR 2015, 1. 2 Vgl. OECD, Developing a Multilateral Instrument to Modify Bilateral Tax Treaties, Action 15: 2015 Final Report. 3 Multilateral convention to implement tax treaty related measures to prevent base erosion and profit shifting. 4 Vgl. Explanatory statement to the multilateral convention to implement tax treaty related measures to prevent base erosion and profit shifting. 5 Vgl. Reimer, IStR 2017, 1 (2 f.). 6 Vgl. Reimer, IStR 2017, 1 (2); siehe ebenfalls bereits Reimer, IStR 2015, 1 (6). 7 Vgl. Benz/Böhmer, ISR 2017, 27 (31). 8 Vgl. Benz/Böhmer, ISR 2017, 27 (31). 9 Vgl. Reimer, IStR 2017, 1 (2).

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B. Berichte zu den Aktionspunkten

Rz. 14.136 Kap. 14

Regelungen, die der Umsetzung in die einbezogenen DBA bedürfen und die Interpretation der einbezogenen DBA mitbestimmen (Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. c WÜRV).1 Kapitel I bestimmt den Anwendungsbereich des Übereinkommens (Art. 1) und enthält Begriffsdefinitionen (Art. 2). Das multilaterale Übereinkommen erfasst alle DBA, deren Parteien auch das multilaterale Übereinkommen abgeschlossen haben und die von allen Parteien nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Unterbuchst. ii notifiziert wurden. Den Parteien steht es damit frei, welche DBA sie dem multilateralen Übereinkommen unterstellen wollen. Kapitel VII des Übereinkommens befasst sich neben den Voraussetzungen2 und dem Zeitpunkt3 des Inkrafttretens des multilateralen Übereinkommens insbesondere mit der Klärung von Auslegungsfragen (Art. 32) und der Umsetzung zukünftiger Änderungsvorschläge durch die Vertragsstaaten (Art. 33). Das multilaterale Übereinkommen ist somit auf eine stetige Fortentwicklung und dynamische Anpassung der ihm unterworfenen DBA angelegt.4 Der materielle Teil des Übereinkommens befasst sich mit hybriden Gestaltungen, Regelungen zur Verhinderung von Abkommensmissbrauch, zur Betriebsstättendefinition sowie der Verbesserung der Streitbeilegung in Form von Verständigungsverfahren und verpflichtenden Schiedsverfahren.5 Die materiellen Regelungen sind dabei ähnlich aufgebaut.6 Zunächst wird der eigentliche Inhalt der Regelung dargestellt, der im Kern den Vorschlägen aus den entsprechenden Aktionsberichten entspricht (sog. Hauptregelung). Der Wortlaut der Vorschläge in den Berichten wird dabei an das Übereinkommen angepasst und Verweise auf das OECD-MA werden durch Beschreibungen der Norm ersetzt, um auch die DBA einzubeziehen, die nicht dem OECD-MA folgen. Die wesentlichen Regelungen des multilateralen Übereinkommens sind indes die sog. Vereinbarkeitsregelungen. Sie bestimmen, in welchem Fall die Neuregelungen gelten, welche Art von bisher in bilateralen DBA enthaltenen Regelungen verdrängt werden und welche Rechtsfolgen eintreten, wenn alle oder nur einer der beteiligten Staaten die Hauptregelung vorbehaltlos bzw. mit Vorbehalt für anwendbar erklären.7 Das Recht, solche Vorbehalte zu erklären, wird den Staaten in sog. Vorbehaltsregelungen eingeräumt. Enthält eine Regelung keinen BEPS-Mindeststandard, wird es den Staaten ermöglicht, eine bestimmte Regelung nicht anzuwenden; teilweise lassen die Vorbehaltsregelungen die Wahl aus mehreren Optionen zu. Schließlich werden die Staaten verpflichtet, den Verwahrer des Ab1 Vgl. Reimer, IStR 2017, 1 (2). 2 Der veröffentlichte Text ist ein Entwurf, der durch die am 24.11.2016 geleisteten Unterschriften lediglich paraphiert wurde. Gemäß Art. 27 liegt das Übereinkommen seit dem 31.12.2016 offiziell zur Unterzeichnung aus. Es steht nach Art. 27 Abs. 2 unter Ratifikationsvorbehalt. Vgl. Reimer, IStR 2017, 1 (5). Deutschland hat das Übereinkommen gemeinsam mit 66 anderen Jurisdiktionen am 7.6.2017 unterzeichnet. 3 Art. 34 bestimmt, dass das Übereinkommen am Ersten des Monats in Kraft tritt, der drei Monate nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunden durch fünf Staaten begonnen hat. Wirkung entfaltet es für Quellensteuern nach Art. 35 Abs. 1 Buchst. a mit Beginn des nächsten Kalenderjahrs, nachdem es gegenüber allen Vertragsstaaten des konkreten DBA wirksam geworden ist. Für sonstige Steuern beginnt es nach Art. 35 Abs. 1 Buchst. b für den Besteuerungszeitraum zu wirken, der sechs Monate nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens für den letzten beteiligten Staat beginnt. Deutschland hat allerdings von dem Vorbehalt in Art.35 Abs. 7 des Übereinkommens Gebrauch gemacht, so dass die Änderungen bezogen auf das einzelne erfasste DBA erst dann in Kraft treten, wenn der Abschluss des innerstaatlichen Umsetzungsverfahrens notifiziert wurde. 4 Vgl. Reimer, IStR 2017, 1 (2 und 5 f.). 5 Vgl. ausführlich Benz/Böhmer, ISR 2017, 27 (28 ff.); Reimer, IStR 2017, 1 (3 ff.). 6 Unter Ausnahme von Kapitel VI; vgl. OECD, Explanatory statement to the multilateral convention to implement tax treaty related measures to prevent base erosion and profit shifting, Rz. 15. 7 Vgl. Benz/Böhmer, ISR 2017, 27 (28).

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Kap. 14 Rz. 14.137

Base Erosion and Profit Shifting

kommens über Regelungen in DBA zu informieren, die geändert werden bzw. auf die sich ein Vorbehalt bezieht, sowie über die Wahl der konkreten Option bei Auswahlmöglichkeiten (Notifizierungsregelungen). Die Notifizierungen, die der OECD durch Ausfüllen eines Musterformulars, der sog. MLI Position zuzuleiten sind, zusammen mit den Vereinbarkeitsregelungen zeigen auf, welche Regelungen in einem DBA geändert werden. Dem Grunde nach ist eine beidseitige Notifikation erforderlich, damit die Vereinbarkeitsklausel ihre Wirkung entfalten kann. Kommt es zu einem Notifikationskonflikt (d.h. ein Staat nimmt eine Notifikation vor, der andere nicht), entfaltet die Vereinbarkeitsklausel i.d.R. keine Wirkung und das DBA bleibt unverändert. Anders ist dies dagegen dann, wenn es im Fall der Formulierung „anstelle oder in Ermangelung“ in der Vereinbarkeitsklausel zu einem Notifikationskonflikt kommt. Dann kann es auch zu einer Änderung des erfassten DBA kommen. In diesem Fall wird die bestehende Formulierung ersetzt, soweit die Regelungen unvereinbar sind.

14.137 Die Implementierung des multilateralen Übereinkommens in das deutsche Internationale Steuerrecht bedarf nach der im Juni 2017 erfolgten Unterzeichnung des Übereinkommens und der Ausübung der Wahlrechte der Umsetzung in ein Gesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG.1 Zudem sollen nach heutigem Stand Konsultationsvereinbarungen mit den jeweiligen Vertragspartnern geschlossen werden, die sodann umzusetzen sind. Deutschland hat zunächst 35 DBA notifiziert, die als erfasste DBA durch das multilaterale Übereinkommen geändert werden sollen. Dabei wird Deutschland die Vorschläge zu hybriden Gestaltungen gar nicht und diejenigen zu Betriebsstätten nur im geringen Umfang (bezogen auf die Ausnahme für Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten) umsetzen. Im Übrigen wird Deutschland den Principal Purpose Test sowie die Verbesserungen für Streitbeilegungsverfahren umsetzen, um so den Mindeststandards zu genügen und verpflichtende Schiedsverfahren einführen.2

C. Auswirkungen auf die Betriebsstättenbesteuerung 14.138 Die Vorschläge und Empfehlungen des BEPS-Projekts haben, ungeachtet der Arbeiten zu Aktionspunkt 7, die ausdrücklich Betriebsstätten betreffen, auch im Übrigen Auswirkungen auf die steuerliche Behandlung von Betriebsstätten. Insbesondere können die Empfehlungen zu hybriden Gestaltungen in Betriebsstättenfällen anwendbar sein. Denn der Zahlende und der Zahlungsempfänger können Leistungen sowohl über Betriebsstätten leisten, als auch empfangen. Dabei soll es nach dem Abschlussbericht zu Aktionspunkt 2 aus 2015 nicht allein deshalb zur Anwendung der Empfehlungen des Berichts kommen, weil die Einkünfte der Betriebsstätte im Stammhausstaat freigestellt werden; vielmehr muss die Nichtbesteuerung der empfangenen Leistung in D/NI-Fällen immer auf einem hybriden Element beruhen.3 Hält etwa eine Gesellschaft aus Staat A eine Beteiligung an einer Gesellschaft in Staat C über eine Betriebsstätte in Staat B und ist der Betriebsstätte ein von der Muttergesellschaft begebenes Darlehen an die Gesellschaft in Staat C zuzuordnen, kommt es nur dann in Staat C zu einer Abzugsverbot im Hinblick auf den Zins, wenn die Darlehenszinsen in Staat A oder B nicht als gewöhnliche Einkünfte, sondern als steuerbegünstigte Dividende behandelt werden. Erst wenn Staat C kein Abzugsverbot an1 Vgl. Reimer, IStR 2015, 1 (5). 2 Vgl. zu möglichen Problemen im Zusammenhang mit der Umsetzung Benz/Böhmer, ISR 2017, 27 (32). 3 OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 Final report, Beispiel 1.8. Weitere Fälle unter Beteiligung von Betriebsstätten finden sich in den Beispielen 2.1, 3.2 und 6.2.

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C. Auswirkungen auf die Betriebsstättenbesteuerung

Rz. 14.140 Kap. 14

ordnet, kann es in Staat B zum Einbezug in die Bemessungsgrundlage als gewöhnliche Einkünfte kommen. Keine Auswirkungen kann es dagegen in Staat A geben. Denn selbst wenn die anderen Staaten keine Maßnahme ergreifen würden und es damit zu einer Aufnahme in die Bemessungsgrundlage als gewöhnliche Einkünfte kommen müsste, wenn im nationalen Recht die Empfehlungen des Berichts zu Aktionspunkt 2 umgesetzt wurden, wäre die Zahlung nach DBA freizustellen, da sie der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen wäre. Ungeachtet dessen kann die Freistellung aber aufgrund einer Switch-over- oder Subject-to-TaxKlausel entfallen. Darüber hinaus erweitert der Bericht zu Branch Mismatch Arrangements den Anwendungsbereich der Empfehlungen aus Aktionspunkt 2 deutlich. Waren nach dem Abschlussbericht aus 2015 Betriebsstättenkonstellationen nur erfasst, wenn ein hybrides Element vorhanden war, sollen die Grundsätze dieses Berichts nun auch in einer Vielzahl weiterer Fälle anwendbar sein. Auch in Fällen, in denen inkongruente Besteuerungsergebnisse auf der unterschiedlichen Annahme der Voraussetzungen einer Betriebsstätte oder der Allokation von Erträgen oder Wirtschaftsgütern beruhen, sollen die Abwehrregelungen Anwendung finden; diese Fälle werden damit hybriden Konstellationen i.S.d. Berichts zu Aktionspunkt 2 gleichgestellt. Damit soll letztlich eine Einmalbesteuerung von Betriebsstättengewinnen erreicht werden. Zugleich steigt das Risiko von Doppelbesteuerungen. Dadurch wird faktisch eine dritte Stufe der Gewinnabgrenzung den bisherigen zwei Stufen des AOA (§ 1 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AStG) hinzugefügt. Auf dieser dritten Stufe ist zukünftig zu prüfen, ob die Ergebnisse der ersten beiden Stufen nicht noch selbst wieder korrigiert werden müssen. Die Freistellung von Betriebsstätteneinkünften kann zudem nach den Empfehlungen zur Hinzurechnungsbesteuerung entfallen. Diese sollen auch für Betriebsstätten gelten. Dabei werden zwei Vorschläge gemacht, wie Betriebsstätten in die Hinzurechnungsbesteuerung aufgenommen werden können. Zum einen durch Versagung der Freistellung, wie dies in § 20 Abs. 2 AStG bereits heute der Fall ist. Zum anderen durch Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerungsregeln selbst auf die Betriebsstätteneinkünfte.1 Letzteres stellt sich aber in der Umsetzung als schwierig dar. Die Einkünfte der Betriebsstätte müssten, Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung unterstellt, dem Stammhaus zugerechnet werden. Dort wäre sodann die gezahlte Steuer im Betriebsstättenstaat anzurechnen. Da es aber zu keiner späteren Ausschüttung, sondern zu einer zeitgleichen Vereinnahmung der Betriebsstätteneinkünfte bei dem Stammhaus kommt, müssten die tatsächlich erfassten Einkünfte sodann freigestellt werden. Damit würden die Einkünfte der Betriebsstätte doppelt in die steuerliche Dokumentation eingehen; einmal als hinzugerechnete Einkünfte und einmal als originäre Betriebsstätteneinkünfte. Dieser doppelte Einbezug in die Dokumentation entfällt bei einer unmittelbaren Versagung der Freistellung, die deshalb vorzugswürdig ist.

14.139

Die Vorschläge zur Vermeidung des Abkommensmissbrauchs betreffen ebenfalls Betriebsstätten. Das gilt insb. für den Principal-Purpose-Test, für den ein Beispiel anhand von Bau- und Montagebetriebsstätten erbracht wird. Gleichermaßen gilt dies für Drittstaaten-Betriebsstätten, die ebenfalls in diesem Aktionsbericht behandelt werden (vgl. Rz. 14.80). Auch die Änderung der Präambel und des Titels des OECD-MA bzw. der einzelnen DBA kann Auswirkungen auf die Besteuerung von Betriebsstätten haben. Bislang liegt der Zweck von DBA in der Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung, sofern in diesen die Freistellungsmethode verein-

14.140

1 OECD, Designing effective controlled foreign company rules, Action 3: 2015 final report, Rz. 28.

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Kap. 14 Rz. 14.141

Base Erosion and Profit Shifting

bart ist.1 Wenn nun aber ausdrücklich eine doppelte Nichtbesteuerung vermieden werden soll, ist diese Zielrichtung zu überdenken. Denn das Gebot der Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung kann zur doppelten Nichtbesteuerung führen. Insoweit wird das Gebot der Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung zukünftig nicht mehr als Maßstab insb. zur teleologischen Auslegung von DBA herangezogen werden können.2 Auf Grundlage der Symmetriethese3 hat dies allerdings auch zur Folge, dass nicht nur nicht besteuerte positive Einkünfte ausländischer Betriebsstätten, sondern auch nicht berücksichtigte Verluste solcher Betriebsstätten im Stammhausstaat zu berücksichtigen sind. Eine doppelte Verlustberücksichtigung droht in diesem Fall nur dann, wenn die Verluste auch im anderen Staat abgezogen werden könnten. Dies ist aber dann, wenn positive Einkünfte nicht besteuert werden, nur in den seltensten Fällen möglich.

14.141 Die Gewinnabgrenzung auf Grundlage des AOA wird von den Aktionspunkten 8 bis 10 betroffen. Denn im Rahmen der zweiten Stufe der Gewinnabgrenzung erfolgt eine Bepreisung der identifizierten anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen nach Maßgabe der OECDVerrechnungspreisleitlinien.4 Diese wurden durch die Vorschläge zu den Aktionspunkten 8 bis 10 geändert.

14.142 Auch im Rahmen der Vorschläge zur Verbesserung der Transparenz sind Betriebsstätten betroffen. Dies gilt für den verpflichtenden Informationsaustausch über Rulings, der insbesondere auch Rulings zu Betriebsstätten erfasst. Gleiches kann im Rahmen von Offenlegungsprogrammen (Aktionspunkt 12) gelten. Schließlich sind Betriebsstätteneinkünfte auch in das CbCR aufzunehmen. Jede Betriebsstätte ist unter Bezeichnung ihres Belegenheitsstaats sowie der von ihr ausgeübten Tätigkeiten anzugeben. Die Einkünfte der jeweiligen Betriebsstätte sind in den Angaben zu ihrem Belegenheitsstaat auszuweisen. Eine verbesserte Streitbeilegung (Aktionspunkt 14) hilft auch bei Streitigkeiten über die Besteuerung von Betriebsstätten. Relevant sind schließlich auch die Arbeiten zum multilateralen Übereinkommen, mit dem die abkommensbezogenen Vorschläge, und damit insbesondere die Vorschläge zu Aktionspunkt 7, umgesetzt werden sollen, auch wenn Deutschland bezogen auf Betriebsstätten nur den Vorschlag zur Änderung von Art. 5 Abs. 4 OECD-MA umsetzt. Keine unmittelbaren Auswirkungen haben dagegen die Arbeiten zu den Aktionspunkten 1, 4 und 11. Zwar finden sich im Bericht zu Aktionspunkt 1 Ausführungen zu Betriebsstätten, doch sind die dort gefundenen Ergebnisse, insbesondere betreffend Vorbereitungs- und Hilfsbetriebsstätten, im Bericht zu Aktionspunkt 7 enthalten.

14.143 Als Ergebnis der bisherigen BEPS-Arbeiten lässt sich festhalten, dass an dem Betriebsstättenprinzip dem Grunde nach festgehalten wurde. Weiterhin ist als Anknüpfungspunkt für ein Besteuerungsrecht des Quellenstaats eine Betriebsstätte erforderlich. Insbesondere wurde 1 Vgl. BFH v. 31.7.1974 – I R 27/73, BStBl. II 1975, 61 (62); v. 14.12.1988 – I R 148/87, BStBl. II 1989, 319 (321); v. 10.1.2012 – I R 66/09, BFH/NV 2012, 1056, Tz. 22, 28; Lehner in V/L6, Grundlagen Rz. 69; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 15.8; Schönfeld/Häck in S/D, DBA, Systematik Rz. 12; Wassermeyer in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 4, Art. 23A OECD-MA Rz. 46. 2 Anders noch für die Rechtslage ohne die Vorschläge zu Aktionspunkt 6 Schönfeld/Häck in S/D, DBA, Systematik Rz. 13. Vgl. auch Köhler in Köhler/Staats, StbJb 2015/2016, 361 (386). 3 Vgl. BFH v. 11.3.2008 – I R 116/04, BFH/NV 2008, 1161; v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. II 2009, 630; Schönfeld/Häck in S/D, DBA, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 31. 4 Vgl. OECD, 2010 Report on the attribution of profits to permanent establishments, Rz. 39; BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 172.

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D. Monitoring und Inklusion

Rz. 14.144 Kap. 14

bislang davon abgesehen, für Unternehmen der digitalen Wirtschaft alternative Anknüpfungspunkte zu begründen. Zugleich sind die Anforderungen an eine Betriebsstätte weiter abgesenkt worden. Insbesondere wurden die Ausnahmeregelungen für Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten beschränkt und die Möglichkeit der Begründung einer Vertreterbetriebsstätte erweitert. Im Grundsatz unverändert blieben die Regelungen zur Gewinnabgrenzung. Diese soll auch zukünftig auf Grundlage des AOA erfolgen; der OECD-Betriebsstättenbericht ist im Rahmen des BEPS-Projekts, anders als die OECD-Verrechnungspreisleitlinien, auch nicht geändert worden. Die Änderungen der OECD-Verrechnungspreisleitlinien werden aber ihrerseits Auswirkungen auf die Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten haben. Denn auf der zweiten Stufe des AOA wird auf die OECD-Verrechnungspreisleitlinien zurückgegriffen. Auch sind verschiedene Regelungen der neuen VWG BsGa durch die BEPS-Berichte 8 bis 10 beeinflusst.1 Die Auswirkungen werden sich aber nicht auf die zweite Stufe des AOA begrenzen. Denn speziell die Neuregelungen in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien zu Intangibles, v.a. die dort betonten Funktionen der Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und Verwertung sowie die Definition des Intangible, werden auch im Rahmen der ersten Stufe Berücksichtigung finden können.2 Gleiches gilt für die Risikozuordnung im Rahmen der ersten Stufe und die durch die BEPS-Berichte betonte Maßgeblichkeit der Risikokontrolle und der finanziellen Fähigkeiten, die Folgen sich realisierender Risiken zu tragen. Speziell das Kriterium der Risikokontrolle, das an die entsprechenden Personalfunktionen anknüpft, sollte zu einer – grundsätzlich gewollten – weiteren Angleichung der Gewinnabgrenzung von verbundenen Unternehmen und bei Einheitsunternehmen führen.3 Schließlich haben die bisherigen Ergebnisse des BEPS-Projekts auch Folgen für die anwendbare Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. In den meisten DBA wird die Doppelbesteuerung bei Betriebsstättengewinnen durch Freistellung vermieden. Durch die Betonung des Umstands, dass die doppelte Nichtbesteuerung vermieden werden soll, wird die Reichweite der Freistellungsmethode weiter eingeschränkt. Speziell das Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung wird dadurch infrage gestellt. Auch im Übrigen wird, speziell durch den Bericht zu Branch Mismatch Arrangements, die Freistellung zurückgedrängt.

D. Monitoring und Inklusion Im Ausgangspunkt handelt es sich bei dem BEPS-Projekt um ein Vorhaben der OECD- und der G20-Staaten, d.h. der großen Industrie- und Schwellenländer. Von Beginn des Projekts an sollten aber auch die Interessen von Entwicklungsländern berücksichtigt werden.4 Deren Interessen stimmen dabei nicht notwendig mit den Interessen der OECD/G20-Staaten überein, weshalb über die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, dem IWF, der Weltbank sowie regionalen Organisationen versucht wurde, die Interessen von Entwicklungsländern zu ermitteln und im Rahmen des Projekts zu berücksichtigen.5 Zu diesem Zweck wurden 1 Vgl. Nientimp/Stein/Schwarz/Holinski, BB 2017, 407 ff. 2 Vgl. Nientimp/Stein/Schwarz/Holinski, BB 2017, 407 (409). 3 Wenngleich diese Angleichung nunmehr unter „umgekehrten Vorzeichen“ zu erfolgen scheint, vgl. Kroppen/van der Ham, IWB 2017, 257 (264). 4 Vgl. OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, 2013, 25 f. 5 Die Vereinten Nationen haben zu diesem Zweck einen Unterausschuss zum Committee of Experts on International Cooperation in Tax Matters eingesetzt, das Subcommittee on Base Erosion and Profit Shifting Issues for Developing Countries. Zudem wurde das United Nations Handbook on Selected Issues in Protecting the Tax Base of Developing Countries erstellt. Allgemein zur Steuerarbeit der Vereinten Nationen: Ault, DStJG 36 (2013), 113 (127).

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14.144

Kap. 14 Rz. 14.145

Base Erosion and Profit Shifting

auf Bitte der G20 Development Working Group (DWG) zwei Berichte zu den Auswirkungen von BEPS auf Entwicklungsländer erstellt.1 In Reaktion auf diese Berichte beauftragte die DWG den IWF, die OECD, die Vereinten Nationen und die Weltbank mit der Erarbeitung von Toolkits, u.a. zur Umsetzung von BEPS, wobei diese Toolkits speziell auf Entwicklungsländern abzielen sollen.2 Zur Entwicklung dieser Toolkits schlossen sich die genannten Organisationen zur Platform for Collaboration on Tax zusammen;3 zwischenzeitlich wurden bereits mehrere Toolkits vorgelegt.4 Dabei behandeln diese Toolkits nicht nur Aspekte, die auch Gegenstand des BEPS-Projekts sind, sondern auch andere Gesichtspunkte wie staatliche gewährte Steuervorteile, die Verfügbarkeit von Daten für die Verrechnungspreisanalyse5 sowie indirekte Übertragungen von Vermögensgegenständen.6

14.145 Um den im Rahmen des BEPS-Projekts entwickelten Grundsätzen global Geltung zu verschaffen, haben die Staats- und Regierungschefs auf dem G20-Gipfel von Antalya gefordert, einen inklusiven Rahmen (Inclusive Framework) zu entwickeln, so dass sich auch Staaten, die keine G20-Mitglieder sind, verpflichten, die BEPS-Maßnahmen umzusetzen.7 Zugleich soll die Umsetzung überwacht werden, in erster Linie durch einen Peer Review. In Umsetzung dieses Auftrags hat die OECD zum Treffen der Finanzminister und Notenbankgouverneure in Shanghai im Februar 2016 einen Vorschlag für einen solchen Rahmen unterbreitet.8 In der Folge wurde der Status als BEPS-Associate im Fiskalausschuss der OECD auf alle interessierten Staaten und Jurisdiktionen ausgeweitet.9 Diese werden damit im Hinblick auf das BEPS-Projekt gleichwertige Mitglieder des Fiskalausschusses der OECD sowie seiner Unterarbeitsgruppen mit Stimmrecht. Dadurch können diese an der weiteren BEPS-Standardsetzung und der Überwachung der Umsetzung gleichberechtigt teilhaben.10 Zugleich müssen sie sich verpflichten, die Mindeststandards einzuhalten und an einem Peer Review 1 OECD, Two-part Report to G20 Developing Working Group on the Impact of BEPS in Low Income Countries, August 2014. 2 G20 Development Working Group, Domestic Resource Mobilisation, G20 Response to 2014 Reports on Base Erosion and Profit Shifting and Automatic Exchange of Tax Information for Developing Economies, 6. Dazu Benz/Böhmer, IStR 2015, 380 (385). 3 Vgl. The Platform for Collaboration on Tax, Concept Note, 19. April 2016. Bei der Entwicklung der Toolkits soll insbesondere ein Austausch mit dem Inklusiven Rahmen erfolgen. Vgl. auch Benz/Böhmer, DB 2016, 2501. 4 IMF, OECD, UN, World Bank, Options for Low Income Countries’ Effective and Efficient Use of Tax Incentives for Investment, Oktober 2015; The Platform for Collaboration on Tax, Enhancing the Effectiveness of External Support in Building Tax Capacity in Developing Countries, Juli 2016. 5 The Platform for Collaboration on Tax, Discussion Draft: A Toolkit for Addressing Difficulties in Accessing Comparable Data for Transfer Pricing Analyses, Januar 2017 sowie Discussion Draft: Addressing the Information Gaps on Prices of Minerals Sold in an Intermediate Form, Januar 2017. 6 The Platform for Collaboration on Tax, Discussion Draft: The Taxation of Offshore Indirect Transfers – A Toolkit, August 2017. 7 G20 Leaders’ Communiqué, Antalya Summit, 15–16 November 2015, Rz. 15; siehe auch Benz/ Böhmer, DB 2015, 2535 (2543). 8 Vgl. OECD Secretary-general report to G20 finance ministers, Shanghai, People’s Republic of China, 26–27 February 2016, 9; vgl. dazu Fehling, IWB 2016, 160 (161). 9 Zum OECD Fiskalausschuss: Ault, DStJG 36 (2013), 113 (117). 10 Zu den noch ausstehenden Arbeiten: OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, Explanatory Statement, 2015 final reports, Rz. 26. Der Inklusive Rahmen beschäftigt sich ferner mit der Gewinnung weiterer Daten und der Unterstützung der Staaten bei der Implementierung der BEPS-Arbeiten, insbesondere durch Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen.

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E. Umsetzung

Rz. 14.147 Kap. 14

teilzunehmen. Zwischenzeitlich haben sich über 100 Staaten und Jurisdiktionen dem Inklusiven Rahmen angeschlossen. Die Überwachung der Umsetzung wird sich vor allem auf die vier Mindeststandards beziehen (Rz. 14.14). Diese Überwachung soll mittels Peer Reviews erfolgen. Grundlage für die Peer Reviews sind Terms of Reference, die die Kriterien für die Prüfung der Umsetzung der Mindeststandards festlegen und Methodologien, die die notwendigen Verfahrensregeln enthalten und die jeweils für jeden Mindeststandard gesondert erstellt wurden. Die Peer Reviews werden bis zum Jahr 2020 hin erfolgen.1 In diesen Peer Reviews werden die gesetzlichen und administrativen Rahmenbedingungen sowie deren Umsetzung in der Praxis beurteilt. Diese Ergebnisse sollen in einem Bericht zu jedem Staat zusammengefasst werden, der durch den Inklusiven Rahmen festzustellen ist. Ungeachtet des Peer Review sollen auch die Auswirkungen der Digitalisierung und der Datenerhebung Gegenstand der Arbeiten des Inklusiven Rahmens sein.2

E. Umsetzung I. Auf Unionsebene Auch das Unionsrecht bzw. das Recht der einzelnen EU-Mitgliedstaaten lässt BEPS zu bzw. fördert BEPS sogar. Ein Beispiel für Letzteres ist die Zins- und Lizenzrichtlinie, die die Quellenbesteuerung innerhalb der Union beschränkt.3 Da die EU selbst Mitglied der G20 ist und seitens einiger wichtiger Mitgliedstaaten erheblicher Druck erzeugt wurde, selbst gegen BEPS vorzugehen, sind auch auf europäischer Ebene Maßnahme zur Vermeidung von BEPS ergriffen worden. Zunächst wurde im Jahr 2012 ein eigener Aktionsplan der EU veröffentlicht. Begleitet wurde dieser Aktionsplan von zwei Mitteilungen, von denen eine die Bekämpfung aggressiver Steuerplanung betraf.4 Im März 2015 wurde sodann das sog. Transparenzpaket veröffentlicht.5 Kern dessen war ein Vorschlag zur Änderung der EU-Amtshilferichtlinie, mit dem eine Pflicht zum automatischen Austausch über Rulings geschaffen werden sollte. Dieser Vorschlag wurde im Dezember 2015 umgesetzt und weist eine große Ähnlichkeit mit dem Vorschlag zu Aktionspunkt 5 auf, der einen spontanen Informationsaustausch über Rulings empfiehlt (vgl. Rz. 14.64).6 Im Anschluss daran wurde im Juni 2015 ein weiterer Aktionsplan veröffentlicht.7 Dieser enthielt neben dem Vorhaben, die GKKB wieder zu beleben, ein Bekenntnis dazu, die BEPS-Vorschläge EU-weit umzusetzen.8

14.146

Ende Januar 2016 veröffentlichte die EU-Kommission in Umsetzung ihres genannten Bekenntnisses das sog. Anti-Tax-Avoidance-Package (ATAP).9 Mit diesem Paket sollten verschiedene BEPS-Vorschläge, insbesondere auch solche, bei denen es sich um keinen Mindest-

14.147

1 Zum zeitlichen Ablauf: Inclusive Framework on BEPS, Progress report July 2016-June 2017, Annex C. 2 Vgl. OECD, Background Brief, Inclusive Framework on BEPS, Januar 2017, 13 f. 3 Vgl. dazu instruktiv Fehling/Schmid, IStR 2015, 493 ff.; Meister in FS Endres, 237 (243). 4 Vgl. dazu Benz/Böhmer, DB 2015, 1679 (1680). 5 Vgl. Benz/Böhmer, DB 2015, 1679 (1680 f.). 6 Vgl. zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden Grotherr in FS Gosch, 111 ff. 7 Vgl. Benz/Böhmer, DB 2015, 1679 (1682). 8 Zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten von BEPS und GKKB Herzig in FS Gosch, 151 ff. 9 Vgl. Becker/Loose, IStR 2016, 153 ff.; Benz, EuZW 2016, 161 f.; Benz/Böhmer, DB 2016, 307 ff.; Lüdicke/Oppel, BB 2016, 351 ff.; Lüdicke/Oppel, DB 2016, 549 ff.; Rautenstrauch, DB Heft 6/2016, M5.

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Kap. 14 Rz. 14.148

Base Erosion and Profit Shifting

standard handelt, verpflichtend für alle Mitgliedstaaten, und damit insbesondere auch für die Mitgliedstaaten, die nicht Mitglied der G20 bzw. OECD sind, in europäisches Recht umgesetzt werden. Dadurch sollte ein Mindeststandard zum Schutz der nationalen Steueransprüche geschaffen werden. Kern dieses Pakets war der Vorschlag einer Richtlinie zur Bekämpfung von Steuermissbrauch. Dieser enthielt u.a Regelungen zur Beschränkung des Zinsabzugs, zur Entstrickungsbesteuerung, eine Switch-over-Klausel, eine allgemeine Missbrauchsklausel, Vorschläge zur Hinzurechnungsbesteuerung sowie zu hybriden Gestaltungen.1 Damit wurden Vorschläge betreffend die Aktionspunkte 2 bis 4 vorgelegt, wobei diese im Detail von den BEPS-Vorschlägen abwichen.2 Weiterhin enthielt das ATAP eine Empfehlung zu den Berichten zu den Aktionspunkten 6 und 7.3 Als weiterer Bestandteil des ATAP wurde vorgeschlagen, die EU-Amtshilferichtlinie ein weiteres Mal zu ändern, um ein verpflichtendes CbC-Reporting einzuführen. Im April 2016 veröffentlichte die Kommission einen Richtlinienvorschlag, der eine Pflicht zur Veröffentlichung eines CbC-Reports vorsieht. Inhaltlich blieb der Umfang der Informationen hinter den Vorgaben von Aktionspunkt 13 zurück; die Veröffentlichung selbst steht aber im Widerspruch zu den Ergebnissen des Aktionsberichts. Im Anschluss daran wurde die Empfehlung zu Betriebsstätten sowie zum Abkommensmissbrauch vom Rat zur Kenntnis genommen. Dieser sprach sich für die Umsetzung der Vorschläge zu Aktionspunkt 7 sowie des Principal-Purpose-Tests aus und betonte, dass auch weitere Vorschläge wie LoB-Klauseln nützlich sein könnten.4 Zudem wurde die EU-Amtshilferichtlinie geändert, um die Erstellung und Übermittlung des CbC-Reports verpflichtend zu gestalten.5 Schließlich wurde auch die Anti-Tax-Avoidance-Directive (ATAD) angenommen.6 Diese enthält im Gegensatz zu ihrem ersten Entwurf keine Switch-over-Klausel mehr. Auch gab es im Detail noch eine Vielzahl von Änderungen, insbesondere im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung. Abweichungen zu den BEPS-Abschlussberichten gab es zunächst bei den Änderungsvorschlägen im Rahmen der hybriden Gestaltungen.7 Die Regelung der Richtlinie bezog sich zunächst nur auf Gestaltungen innerhalb der EU. Mit der ATAD 2, die die ATAD ändert, wurden allerdings auch Regelungen zur Bekämpfung hybrider Gestaltungen in Drittstaatsfällen eingeführt.8 Mit diesem Regelungsvorschlag werden zudem auch umgekehrt hybride Gesellschaften, Betriebsstätten sowie Fälle mehrfacher Ansässigkeit geregelt.9 Im Kern, wenn auch nicht in jedem Detail, entsprechen diese Regelungen den Vorschlägen zu Aktionspunkt 2.

14.148 Auch ein Großteil der weiteren BEPS-Aktionspunkte wird parallel auf EU-Ebene angegangen. Die EU Expert Group on Taxation of the Digital Economy hat ihrerseits einen Bericht 1 Vgl. ausführlich zu Anpassungsbedarf für das deutsche Recht Lüdicke/Oppel, DB 2016, 549 ff. 2 Vgl. zu diesen Unterschieden Benz, EuZW 2016, 161 (162); Benz/Böhmer, DB 2016, 307 (309 ff.). 3 Dazu Benz/Böhmer, DB 2016, 307 (312). 4 Rat der Europäischen Union v. 25.5.2016, 9452/16, ECOFIN 502. 5 Richtlinie (EU) 2016/881 des Rates vom 25.5.2016 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung, ABl. Nr. L 146, 8. 6 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, ABl. Nr. L 193, 1. 7 Vgl. Benz/Böhmer, DB 2016, 2501 (2506). 8 Richtlinie (EU) 2017/952 des Rates vom 19.5.2017 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern, Abl. Nr. L 144, 1. 9 Vgl. dazu Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205 ff.

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E. Umsetzung

Rz. 14.150 Kap. 14

zum Einfluss der Digitalisierung auf das Steuerrecht verfasst.1 Die Umsetzung der Verrechnungspreisaktionspunkte ist Gegenstand der Arbeiten des EU Joint Transfer Pricing Forum. Zudem wurde im Laufe des Jahres 2016 ein Richtlinienvorschlag zur Verbesserung von Verständigungs- und Schiedsverfahren vorgestellt, bezüglich dessen im Jahr 2017 eine politische Einigung erfolgt ist. Diese Richtlinie knüpft an das Verfahren der EU-Schiedskonvention an, erweitert aber deren Anwendungsbereich und lässt etwa alternative Streitbeilegung zu.2 Durch diese Vorschläge soll BEPS auf EU-Ebene bekämpft werden. Dazu wird v.a. das Instrument der Richtlinie gewählt, um möglichst einheitliche Regelungen zu schaffen und keine Verzerrungen im Binnenmarkt zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang hat die Kommission auch einen Vorschlag für die Einführung einer Gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKB) sowie einer Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) vorgestellt.3 Speziell der Vorschlag der GKKB würde bei seiner Umsetzung eine Vielzahl von Steuergestaltungsmöglichkeiten erschweren, aber auch Doppelbesteuerung vermeiden. Die Umsetzung dieser Vorschläge ist allerdings mehr als ungewiss. Flankiert werden diese aufgezeigten Maßnahmen durch das Beihilferecht.4 Die Kommission hat umfangreiche Untersuchungen begonnen, inwieweit bestimmte Regelungen bzw. bestimmtes Handeln verschiedener Staaten verbotene Beihilfen darstellen können. Im Gegensatz zu den zukunftsbezogenen Änderungen des Rechtsrahmens kann mittels des Beihilferechts auf bereits vergangene Besteuerungszeiträume eingewirkt werden. Abzuwarten bleibt, welche Auswirkungen die BEPS-Berichte sowie die verschiedenen gesetzgeberischen Maßnahmen auf EU-Ebene auf die Rechtsprechung des EuGH haben werden. Relevant wird dies im Hinblick auf eine Reihe von nationalen Abwehrgesetzen, gegen die unionsrechtliche Bedenken bestehen.5

II. National Die politische Verpflichtung, die BEPS-Maßnahmen umzusetzen, verlangt – ungeachtet der Umsetzung der Vorgaben des europäischen Sekundärrechts – Änderungen des deutschen Steuerrechts. Mit dem Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz aus dem Dezember 2016 wurden erste Maßnahmen zur Umsetzung der Aktionsberichte verabschiedet.6

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1. Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz Mit dem Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz werden Vorgaben der Aktionspunkte 5 und 13 umgesetzt. Mit der Änderung des EU-AHiG werden die Vorgaben der geänderten EU-Amtshilferichtlinie zum unionsweiten Austausch von Rulings sowie von CbC-Reports in nationales Recht transferiert. Für Fälle, die nicht vom EU-AHiG erfasst werden, hat das BMF ein Schrei1 Zu diesem Bericht: Pinkernell, IStR-LB 2014, 57 ff. 2 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union, COM(2016) 686 final; vgl. dazu Strotkemper, IWB 2017, 55 ff. 3 Vgl. zu diesen Vorschlägen Benz/Böhmer, DB 2016, 2800. Der Vorschlag zur GKKB ist eine überarbeitete Fassung des Vorschlags aus 2011. 4 Vgl. dazu nur Blumenberg in FS Endres, 17 ff. 5 Zu § 4i EStG Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567 (568); Schnitger, IStR 2017, 214 (219); zu § 4j EStG Benz/Böhmer, DB 2017, 206 (210); Schnitger, IStR 2017, 214 (225). 6 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000.

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Kap. 14 Rz. 14.151

Base Erosion and Profit Shifting

ben erlassen, das den Informationsaustausch von Rulings betrifft.1 Davon sind insbesondere Betriebsstättenkonstellationen, d.h. Fälle, in denen sich ein Ruling auf das (Nicht-)Vorhandensein von Betriebsstätten bzw. die Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten bezieht, erfasst. Weiterhin wurden durch Änderung von § 90 Abs. 3 AO Rechtsgrundlagen für die Erstellung und Vorlage eines Master File und von Local Files geschaffen.2 Flankiert wird dies durch die Einführung von § 138a AO, der eine Pflicht zur Erstellung und Übermittlung des CbC-Reports regelt. Daneben wurde durch ein Umsetzungsgesetz das MCAA-CbC3 in das nationale Recht überführt.4 Dieses Gesetz setzt die entsprechende multilaterale Vereinbarung um, die den Austausch der CbC-Reports zwischen den Unterzeichnerstaaten der Vereinbarung regelt. Die Vereinbarung beschränkt in § 5 Abs. 2 die Verwendung der CbC-Reports. Danach ist es insbesondere nicht zulässig, unter Rückgriff auf den CbC-Report auf eine detaillierte Verrechnungspreisanalyse zu verzichten, und es wird erläutert, dass eine Korrektur von Verrechnungspreisen unter Rückgriff auf den CbC-Report unzulässig ist. Zudem müssen gegen § 5 Abs. 2 der Vereinbarung verstoßende Verrechnungspreiskorrekturen zurückgenommen werden. In diesem Zusammenhang sind noch viele Fragen ungelöst. Insbesondere ist nicht klar, ob sich ein Steuerpflichtiger auf eine mögliche Verletzung dieser Regelung berufen kann und damit, etwa im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, die Übermittlung an einzelne Staaten verhindern kann. Ebenso ist unklar, ob sich der Steuerpflichtige auf die Pflicht zur Rücknahme unzulässiger Korrekturen berufen kann. Dagegen könnte sprechen, dass in § 8 Abs. 5 der Vereinbarung die Möglichkeit der Aussetzung des Informationsaustauschs für den Fall vorgesehen wird, dass u.a. die Beschränkungen des § 5 Abs. 1 und 2 der Vereinbarung nicht eingehalten werden. Schließt man daraus auf die Unzulässigkeit einer Klage des individuell betroffenen Steuerpflichtigen auf Unterbleiben der Übermittlung des Reports, dann muss der einzelne Steuerpflichtige aber die Möglichkeit haben, auf ermessenfehlerfreie Entscheidung über die Ausübung des Rechts zur Aussetzung des Austauschs nach § 8 Abs. 5 der Vereinbarung zu klagen. 2. Bestehendes nationales Abwehrrecht

14.151 Regelungen zur Bekämpfung hybrider Gestaltungen bestehen bereits heute. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die § 8b Abs. 1 Sätze 2, 3 KStG und § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG. Bislang fehlt noch eine Regelung, die den Abzug als Betriebsausgabe im Inland vermeidet. Der bereits vorgelegte Vorschlag zur Einführung eines § 4 Abs. 5a EStG wurde – zu Recht – nicht umgesetzt.5 Dieser Vorschlag war mit den BEPS-Empfehlungen nicht vereinbar. Weitere Regelungen sind aufgrund der Vorgaben der ATAD zu erwarten. Bei dem ebenfalls neu eingefügten Betriebsausgabenabzugsverbot des § 4i EStG für Sonderbetriebsausgaben von Personengesellschaften handelte es sich zunächst um keine Umsetzung eines BEPS-Vorschlags.6 Denn diese Bestimmung knüpft weder an ein hybrides Finanzinstrument noch eine 1 Vgl. BMF v. 28.7.2016 – IV B 6 – S 1320/16/10002 :007 – DOK 2016/0710955, BStBl. I 2016, 806. 2 Siehe auch die Verordnung zu Art, Inhalt und Umfang von Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Abs. 3 der Abgabenordnung (GAufzV) v. 12.7.2017, BGBl. I 2017, 2367. 3 Multilateral Competent Authority Agreement on the Exchange of Country-by-Country Reports. 4 Gesetz zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 27. Januar 2016 zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berichte v. 19.10.2016, BGBl. II 2016, 1178. 5 Kritisch dazu Hierstetter, DB Heft 12/2015, S3. 6 Vgl. Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567. Zu konkreten Abweichungen vom BEPS-Abschlussbericht: Schnitger, IStR 2017, 214 ff.

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E. Umsetzung

Rz. 14.152 Kap. 14

hybride Gesellschaft an.1 Auslöser für den ggf. möglichen doppelten Abzug von Betriebsausgaben ist vielmehr die nationale Rechtsfigur des Sonderbetriebsvermögens. Mit der im Anschluss an die Einführung von § 4i EStG erfolgten Veröffentlichung des Berichts zu Branch Mismatch Arrangements, kann sich die Norm allerdings auch auf das BEPS-Projekt berufen. Denn der Bericht empfiehlt u.a. auch Regelungen, die den doppelten Betriebsausgabenabzug bei Betriebsstätten verhindern.2 Dies soll primär durch ein Abzugsverbot im Ansässigkeitsstaat des Investors, bezogen auf § 4i EStG also im Ansässigkeitsstaat des Mitunternehmers, erfolgen. Sekundär soll der Betriebsstättenstaat, d.h. der Ansässigkeitsstaat der Mitunternehmerschaft, den Abzug verweigern. Dieser Reihenfolge genügt § 4i Satz 1 EStG, wonach das Abzugsverbot nur eingreift, wenn die Steuerbemessungsgrundlage im anderen Staat gemindert wird. Erwogen werden müssen auch Änderungen bei Zinsschranke und Hinzurechnungsbesteuerung im Hinblick auf die Inhalte der ATAD.3 Führt man sich die zu Aktionspunkt 3 beschriebenen Vorschläge vor Augen, fällt auf, dass dessen Vorschläge Gemeinsamkeiten mit den §§ 7 ff. AStG haben.4 Unterschiede ergeben sich an gewissen Punkten. Der Bericht knüpft für die Annahme von Kontrolle an eine Beteiligung von mehr als 50 % an. Bei den Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter genügt dem AStG demgegenüber eine deutlich niedrigere Mindestbeteiligung bzw. verzichtet sogar vollständig auf eine solche. Hier käme eine Änderung des AStG in Betracht. Eine solche ist auch im Hinblick auf die Schwelle der Niedrigbesteuerung angezeigt, die derzeit bei 25 % liegt, obwohl die kombinierte Steuerbelastung aus Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer in Inlandsfällen niedriger liegen kann.5 Nach den Vorgaben des BEPS-Abschlussberichts zu Aktionspunkt 3 ist die Systematik des AStG, das die Zwischeneinkünfte anhand eines Aktivkatalogs beschreibt, nicht zwingend zu verändern6 und eine Notwendigkeit zur Änderung des Katalogs ergibt sich auch nicht aus der ATAD, da der Aktivitätskatalog strenger ist und deshalb beibehalten werden könnte,7 da die ATAD nur einen Mindeststandard darstellt.8 Die ATAD gibt die Auswahl zwischen zwei verschiedenen Konzepten, einem Passivkatalog und einem Principal-Purpose-Test, der Elemente der Verrechnungspreisbestimmung enthält.9 Sollte der Aktivitätskatalog beibehalten werden, sollte er modernisiert werden. Insbesondere digitale Dienstleistungen können kaum unter den Aktivkatalog subsumiert werden.10 In diesem Zusammenhang sollte der Gesetzgeber auch eine 1 Vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, Action 2: 2017 Inclusive Framework on BEPS, Rz. 86 wonach der Bericht aus 2015 doppelten Abzug von Betriebsausgaben bei Betriebsstätten nicht erfasst. 2 Vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, Action 2: 2017 Inclusive Framework on BEPS, Recommendation 4.1. 3 Vgl. Kreienbaum, IStR 2015, 753 (754); zu Letzterem Benz/Eilers, IStR-Beihefter zu Heft 4/2016, 2 (8 ff.). 4 Vgl. Pinkernell, IStR-LB 2015, 45 (46). Ausführlich zu den Auswirkungen des Berichts zu Aktionspunkt 3 auf die §§ 7 ff. AStG Eilers/Hennig, ISR 2015, 422 (428). 5 Vgl. Eilers/Hennig, ISR 2015, 422 (428); Linn, IStR 2016, 645 (648); Wassermeyer/Schönfeld, IStR 2008, 496 (499). Vgl. auch Art. 7 Abs. 1 Buchst. b ATAD. Dazu Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960 (963 f.) 6 Vgl. Eilers/Hennig, ISR 2015, 422 (429); a.A. Radmanesh, IStR 2015, 895 (900). 7 Vgl. Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960 (967). 8 Vgl. Fehling,