Über Grenzen: Migration und Flucht in globaler Perspektive seit 1945 [1 ed.] 9783666310799, 9783525310793

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Über Grenzen: Migration und Flucht in globaler Perspektive seit 1945 [1 ed.]
 9783666310799, 9783525310793

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Agnes Bresselau von Bressensdorf (Hg.)

Über Grenzen Migration und Flucht in globaler Perspektive seit 1945

Über Grenzen Migration und Flucht in globaler Perspektive seit 1945

Herausgegeben von Agnes Bresselau von Bressensdorf

Vandenhoeck & Ruprecht

Eine Publikation des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin Leibniz Institute for Contemporary History

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Syrische Flüchtlinge auf der griechischen Insel Kos (2015) © picture alliance / REUTERS / Yannis Behrakis Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-31079-9

Inhalt Agnes Bresselau von Bressensdorf Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Perspektiven der Forschung Jochen Oltmer Migration im Prozess gesellschaftlichen Aushandelns: Eine geschichtswissenschaftliche Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Ursula Münch Flüchtlings- und Migrationsforschung in der Politikwissenschaft . . . . . 49 II. Akteur*innen und Infrastrukturen Randall Hansen The Nation State and Global Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Ulrike Krause Flüchtlingslager: Im Spannungsverhältnis zwischen Schutz, Macht und Agency . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Julia Schulze Wessel Political Theory on Refugees. On Figures of Contested Boundaries . . . . 105 III. Zwangsmigration und politische Flucht in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Michael Schwartz Ethnische „Säuberung“ – Vergeltung und Friedenslösung. Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext der europäischen Zwangsmigrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Helge Heidemeyer Die Bundesrepublik Deutschland und die DDR als Aufnahmeländer politischer Flüchtlinge in den 1950er und 1960er Jahren . . . . . . . . . . 149

Inhalt

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Keith R. Allen Migration, Private Lives and Cold War Politics: The Questioning of Newcomers in Joint Interrogation Centres (Zweigstellen für Befragungswesen)   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 IV. Arbeitsmigration in deutsch-deutscher Perspektive Carlos Sanz Díaz Labour Migration and ‘Guest Workers’ in the Federal Republic of Germany and Western Europe, 1955–1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Sandra Gruner-Domić Socialist Labour Migration: East Germany’s ‘Contract Workers’ . . . . . . 203 V. Migration und Flucht aus dem „Globalen Süden“:

Europa als Transit- und Zielregion seit den 1970er Jahren

Patrice G. Poutrus Postwar German Asylum Policy. The Crucial Case of the Chilean Refugees of 1973 and Subsequent Developments . . . . . . . . . . . . . . . 225 Claudio Bolzman From Exile to Incorporation: Chilean Refugees in Switzerland in the 1970s and 1980s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Birgit Ammann Kurdische Flüchtlinge in Europa: Transnationale Netzwerke und Identitätsbildungsprozesse seit den 1960er Jahren . . . . . . . . . . . . . . 259 VI. Humanitäre Hilfe im Kalten Krieg Peter Gatrell Korean Refugees and Aid Work in International Perspective  . . . . . . . . 275 Tobias Hof Die Medien und die Hungerkrisen in Äthiopien in den 1970er und 1980er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Olaf Beuchling Die Flucht der vietnamesischen „Boat People“ 1975–2000: Ein zeitgeschichtliches Lehrstück? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

Inhalt

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VII. Migration, Flucht und politische Steuerung seit dem Ende des Kalten Krieges Kelly M. Greenhill Coercive Engineered Migration as a Political Weapon: The Case of NATO and the Kosovo Conflict . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Marcel Berlinghoff Eine gemeinschaftliche Reaktion auf gemeinsame Probleme? Die Europäisierung der Migrationspolitik und ihre Akteure . . . . . . . . 351 Benjamin Schraven / Antonia Heinrich Flucht und Migration als Aktionsfelder der deutschen Entwicklungspolitik seit 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Miriam Schader Total spontan? „Krisen“bearbeitung in der lokalen Aufnahme Geflüchteter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Susanne Gratius The ‘Securitization’ of Mexican Labour Migration to the United States . . 397 Autor*innenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

Agnes Bresselau von Bressensdorf

Einleitung 1. Welt in Bewegung: Migration und Flucht in globaler Perspektive seit 1945 Seit Herbst 2015 stehen Migration und Flucht im Mittelpunkt der politischen und medialen Debatte in Deutschland und Europa. Die Bilder überfüllter Züge, in denen Menschen vor Krieg und Perspektivlosigkeit in Richtung Westen flohen, lösten zunächst eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Schon bald jedoch begann die Frage die Diskussion zu bestimmen, wie Asylsuchende abgewiesen und Europa vor massenhafter Migration geschützt werden könne. Die breite und oftmals kontrovers geführte öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema verlieh auch der geschichts- und sozialwissenschaftlichen Migrations- und Fluchtforschung einen neuen Schub. In diesem Kontext fand im Dezember 2016 eine internationale Tagung am Institut für Zeitgeschichte München  – Berlin statt, die in Kooperation mit der Munk School of Global Affairs der University of Toronto organisiert wurde und auf die der vorliegende Sammelband zurückgeht. Ausgehend von den Arbeiten beider Institute zur Geschichte von Flucht und Migration sowie aktuellen Forschungsprojekten,1 war es das Ziel der Tagung, die kontroversen tagesaktuellen Debatten in längerfristige Entwicklungslinien einzubetten und so die historische Tiefendimension gegenwärtiger Fragestellungen herauszuarbeiten. Dies gilt auch für Schlüsselbegriffe aus dem komplexen Themenfeld von Migration und Flucht, die von Politik und Medien inflationär und oftmals unscharf verwendet werden und deshalb der Differenzierung bedürfen. So kann Migration im weitesten Sinne als räumliche Bewegungen von Menschen gefasst werden, sowohl über Staatsgrenzen hinweg als auch innerhalb eines politisch-territorialen, sozialen oder kulturellen Raumes, der den Prozess der Wanderungsentscheidung mit 1 Vgl. dazu das Forschungsprojekt von Agnes Bresselau von Bressensdorf: „Das globale Flüchtlingsregime im Mittleren Osten seit den späten 1970er Jahren: Konzepte, Akteure, Praktiken“ sowie u. a. Michael Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne. Globale Wechselwirkungen nationalistischer und rassistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, München 2013; Ders., Vertriebene und „Umsiedlerpolitik“. Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ / DDR 1945–1961, München 2004; Dierk Hoffmann / Marita Krauss / Michael Schwartz (Hg.), Vertriebene in Deutschland. Interdisziplinäre Ergebnisse und Forschungsperspektiven, München 2000; Randall Hansen (Hg.), Migration, Nation States, and International Cooperation, New York u. a. 2011, und Matthew Gibney / Randall Hansen (Hg.), Immigration and Asylum. From 1900 to the Present, Santa Barbara, CA 2005.

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einschließt – unabhängig von den damit verbundenen Motiven und Zeithorizonten.2 Wenig ziel­führend ist es, Migration schematisch entlang der Kategorien der Freiwilligkeit bzw. der Unfreiwilligkeit und des Zwangs zu klassifizieren, wie dies oft in öffentlichen Debatten geschieht. Denn nicht selten sind mehrere Faktoren ausschlaggebend für die individuelle Entscheidung zur Migration, die zudem temporär, dauerhaft oder zirkulär stattfinden kann. Im Rahmen dieses Buches werden verschiedene Formen von Arbeitsmigration behandelt, nicht jedoch Themen wie Bildungsmigration oder Mobilität im weiteren Sinne, die auch Phänomene wie Tourismus umfasst. Im Unterschied dazu kennzeichnen sich Flucht, Zwangs- und Gewaltmigration dadurch, dass staatliche und / oder nicht-staatliche Akteure die (Über-)Lebensmöglichkeiten und körperliche Unversehrtheit, Rechte, Freiheit und politische Partizipationschancen von Einzelnen oder Kollektiven so weitreichend beschränken, dass diese sich zum Verlassen ihres Lebensmittelpunkts gezwungen sehen.3 Der Begriff der Flucht verweist zudem auf das Ausweichen vor Makrogewalt,4 die zumeist aus politischen, ethno-nationalen, rassistischen, genderspezifischen oder religiösen Gründen ausgeübt oder angedroht wird. In der deutschen Zeitgeschichtsforschung wird oftmals auch die additive Formulierung „Flucht und Vertreibung“ verwendet, insbesondere mit Blick auf das Fluchtgeschehen in Europa am Ende des Zweiten Weltkrieges.5 Michael Schwartz plädiert dafür, in Anlehnung an den in der internationalen Forschungsdiskussion gängigen Begriff des „ethnic cleansing“ auch im Deutschen von „ethnischer Säuberung“ als Oberbegriff von Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Deportation zu sprechen.6 Der Tagungsband beschäftigt sich mit (Arbeits-)Migration und Flucht seit 1945 bis in die Gegenwart. Im Mittelpunkt stehen dabei das geteilte Deutschland und Europa in ihren globalen Bezügen. Der Band erhebt somit nicht den Anspruch, 2 Vgl. dazu und zum Folgenden u. a. Dirk Hoerder / Jan Lucassen / Leo Lucassen, Terminologien und Konzepte in der Migrationsforschung, in: Klaus J. Bade u. a. (Hg.), Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn u. a. 2008, S. 28–53, hier: S. 36; Jan Lucassen / Leo Lucassen, Measuring and Quantifying Cross-Cultural Migrations: An Introduction, in: Dies. (Hg.), Globalising Migration History. The Eurasian Experience (16th-21st centuries), Leiden / Boston 2014, S. 3–54, hier S. 5–14, und den Beitrag von Jochen Oltmer in diesem Band. 3 Zum Begriff und Konzept von „Gewaltmigration“ vgl. Jochen Oltmer, Das „lange“ 20. Jahrhundert der Gewaltmigration, in: Martin Sabrow / Peter Ulrich Weiß (Hg.), Das 20. Jahrhundert vermessen. Signaturen eines vergangenen Zeitalters, Göttingen 2017, S. 96–114. 4 Zum Begriff der Makrogewalt vgl. Ekkart Zimmermann, Makrogewalt: Rebellion, Revolution, Krieg, Genozid, in: Günter Albrecht / Axel Groenemeyer (Hg.), Handbuch soziale Probleme, Wiesbaden 2012, S. 861–885. 5 Vgl. u. a. Mathias Beer, Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen, München 2011. 6 Vgl. Schwartz, Ethnische „Säuberungen“, S. 1–5. Vgl. dazu auch Philipp Ther, Die dunkle Seite der Nationalstaaten. „Ethnische Säuberungen“ im modernen Europa, Göttingen 2011, S. 10.

Einleitung

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eine Globalgeschichte von Migration und Flucht zu schreiben.7 Gleichwohl ist es ein Anliegen des Buches, die Perspektive über Europa hinaus zu weiten und Entwicklungen im „Globalen Süden“8 mit Fallbeispielen aus dem Nahen Osten, Asien, Lateinamerika und Afrika einzubeziehen. Darüber hinaus sollen neue Impulse für den interdisziplinären Austausch gegeben werden, wobei sich – wie die vorliegenden Beiträge zeigen – insbesondere eine Verknüpfung historischer mit politik- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen und Fragestellungen als ertragreich erwiesen hat, um Strukturen und Prozesse, Akteur*innen und Praktiken von Migration und Flucht in Geschichte und Gegenwart differenziert zu analysieren. Den historischen Ausgangspunkt bildet das Europa am Ende des Zweiten Weltkrieges, der die bis dahin umfangreichsten Migrations- und Fluchtbewegungen auslöste. Bis Anfang der 1950er Jahre wurden etwa 12,5 Millionen Deutsche aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, aus Osteuropa und der Sowjetunion vertrieben. Hinzu kamen rund neun Millionen Überlebende der nationalsozialistischen Arbeits-, Konzentrations- und Vernichtungslager, die sogenannten Displaced Persons.9 Flucht und Vertreibung, Zwangsmigration und „ethnische Säuberungen“ blieben indes nicht auf den europäischen Kontinent beschränkt, sondern erwiesen sich in der Nachkriegszeit und gerade im Prozess der Dekolonisierung als globales Phänomen.10 Dies betraf zum einen das Flucht- und Vertreibungsgeschehen im Zuge der Teilung Britisch-Indiens und der Grenzziehung zwischen den beiden neuen Staaten Pakistan und Indien 1947/48 sowie zum anderen den bis heute ungelösten Palästinakonflikt. Der Kalte Krieg, der Deutschland, Europa und die Welt seit Ende der 1940er Jahre teilte, war ein wesentlicher – wenn auch nicht der einzige – strukturgebende Faktor des globalen Migrations- und Fluchtgeschehens. Der Band trägt dem Rechnung, indem etliche Beiträge die spezifisch deutsch-deutsche Dimension in den Blick nehmen bzw. nach der Bedeutung des Ost-West-Konflikts für Flucht und Migration in anderen Weltregionen fragen. So bildete für viele westeuropäische Länder, nicht zuletzt die Bundesrepublik, die Aufnahme von Menschen aus dem Ostblock, die aufgrund politischer Verfolgung oder ökonomischer Perspektivlosigkeit geflüchtet waren, eine kontinuierliche Herausforderung. Diplomatisch 7 Inzwischen liegen einige epochenübergreifende Überblicksdarstellungen zu globaler Migration vor: Patrick Manning, Migration in World History, London 22013; Jochen Oltmer, Globale Migration. Geschichte und Gegenwart, München 2012; Jan Lucassen / Leo Lucassen / Patrick Manning (Hg.), Migration History in World History. Multidisciplinary Approaches, Leiden / Boston 2010, und Dirk Hoerder, Cultures in Contact. World Migration in the Second Millenium, Durham u. a. 2002. 8 Zum Begriff des „Globalen Südens“ vgl. Agnes Bresselau von Bressensdorf / Elke Seefried, Introduction: West Germany and the Global South in the Cold War Era, in: Dies. / Christian F. Ostermann (Hg.), West Germany, the Global South and the Cold War, Berlin u. a. 2017, S. 7–24, hier: S. 8 f. 9 Vgl. dazu u. a. Gerald Daniel Cohen, In War’s Wake. Europe’s Displaced Persons in the PostWar Order, New York 2012, und Anna Marta Holian, Between National Socialism and Soviet Communism: Displaced Persons in Postwar Germany, Ann Arbor 2011. 10 Vgl. Schwartz, Ethnische „Säuberungen“, S. 579–622.

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besonders brisant wurde es immer dann, wenn sich politische Krisen im Ostblock zuspitzten wie beispielsweise im Kontext der gewaltsam niedergeschlagenen Volksaufstände in der DDR 1953, Ungarn 1956 und der Tschechoslowakei 1968. Doch auch in anderen Weltregionen generierte der Systemkonflikt des Kalten Krieges massenhafte Fluchtbewegungen, wie beispielsweise der Stellvertreterkrieg der Supermächte in Korea zwischen 1950 und 1953, der das Land bis heute teilt.11 Im Bereich der Arbeitsmigration hatte die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende wirtschaftliche Wachstumsphase in den westeuropäischen Industrieländern zunächst zu einer erhöhten Nachfrage nach Arbeitskräften geführt.12 Durch bilaterale Abkommen mit Staaten aus dem südeuropäischen und mediterranen Raum wurden ausländische Arbeitnehmer*innen gezielt angeworben, die für einen begrenzten Zeitraum den Arbeitskräftebedarf decken sollten. Statt in ihr Herkunftsland zurückzukehren, machten seit den späten 1960er Jahren indes immer mehr „Gastarbeiter“ von der Möglichkeit des Familiennachzugs Gebrauch oder gründeten neue Familien. Die Aufnahmestaaten entwickelten sich auf diese Weise sukzessive zu faktischen Einwanderungsländern, was teils bis heute Gegenstand kontroverser politischer und öffentlicher Auseinandersetzungen ist. Nach dem Ende der Nachkriegskonjunktur und dem „Strukturbruch“ Anfang der 1970er Jahre13 vollzogen die westeuropäischen Regierungen eine drastische Wende in ihrer Arbeitsmarkt- und Ausländerpolitik: Sie verhängten einen generellen Anwerbestopp für „Gastarbeiter“. Auch die Länder des Ostblocks schlossen zur Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte bilaterale Anwerbeabkommen.14 Aufgrund der Abschottungspolitik gegenüber dem Westen fanden Arbeitsmigration und Mobilität zunächst fast ausschließlich zwischen den Staaten des Warschauer Pakts und des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) statt. Ab den 1970er Jahren wurden schließlich auch Verträge mit Ländern des „Globalen Südens“ geschlossen, allerdings nur mit jenen, die von kommunistischen Regimes geführt wurden oder diesen nahe standen. Auch politischen Flüchtlingen wurde bevorzugt nach ideologischen Gesichtspunkten Asyl gewährt.15 11 Vgl. dazu auch den Beitrag von Peter Gatrell in diesem Band, und Elaine Lynn-Ee Ho, Introduction: Forced Migration In / Of Asia – Interfaces and Multiplicities, in: Journal of Refugee Studies 31/3 (2018), S. 262–273, hier: S. 263. 12 Vgl. zum Folgenden Jochen Oltmer / Axel Kreienbrink / Carlos Sanz Díaz (Hg.), Das „Gastarbeiter“-System. Arbeitsmigration und ihre Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa, München 2012; Marcel Berlinghoff, Das Ende der „Gastarbeit“. Die Anwerbestopps in Westeuropa 1970–1974, Paderborn 2013, und den Beitrag von Carlos Sanz Díaz in diesem Band. 13 Vgl. Anselm Doering-Manteuffel / Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008, und Morten Reitmayer / Thomas Schlemmer (Hg.), Die Anfänge der Gegenwart. Umbrüche in Westeuropa nach dem Boom, München 2014. 14 Vgl. zum Folgenden auch den Beitrag von Sandra Gruner-Domić in diesem Band. 15 Vgl. dazu auch den Beitrag von Patrice G. Poutrus in diesem Band.

Einleitung

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Seit Mitte der 1970er Jahre war eine Globalisierung von Migrations- und Fluchtbewegungen zu verzeichnen, deren Ausgangspunkt nicht mehr Europa, sondern die Länder der sogenannten „Dritten Welt“16 bildeten. Die Geflüchteten verblieben indes nicht in den Konfliktregionen selbst, sondern suchten in zunehmendem Maße auch in den Ländern des „Globalen Nordens“ um Asyl nach. Insbesondere Westeuropa wurde nun zu einer wichtigen Transit- und Zielregion von Migration. Der Band legt in diesem Kontext einen räumlichen Schwerpunkt auf Fallbeispiele aus Asien, Lateinamerika und Afrika, bei denen sich mehrere strukturelle Faktoren – in unterschiedlicher Gewichtung – verschränkten, die für das Verständnis des internationalen Migrations- und Flüchtlingsregimes elementar waren und Auswirkungen bis in die Gegenwart haben: erstens und in besonderer Weise die Konfliktlinien des Kalten Krieges; zweitens der Nord-Süd-Gegensatz, der diesen schrittweise zu überlagern begann, und schließlich drittens der sich seit den 1970er Jahren dynamisierende Diskurs um Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Von besonderer Bedeutung war dabei der Vietnam-Krieg, der 1975 mit dem Sieg des kommunistischen Nordens und dem Abzug der US-Streitkräfte endete und Hunderttausende zu Flüchtlingen machte. Dies hatte nicht nur unmittelbare Folgen für die Länder der Region, sondern zog auch in Europa umfassende mediale und politische Debatten über humanitäre Hilfe und die moralische Verantwortung des Westens für die sogenannten „Boat People“ nach sich.17 Einen weiteren vom Kalten Krieg induzierten Konflikt bildete der sowjetisch-afghanische Krieg, vor dem zwischen 1979 und 1989 mehr als fünf Millionen Menschen insbesondere nach Pakistan und in den Iran flohen.18 Mit dem zeitgleich stattfindenden Iran-Irak-Krieg stieg die Zahl der Flüchtlinge in der Region des Nahen und Mittleren Ostens in den 1980er Jahren ein weiteres Mal signifikant an. Neben kriegsbedingten Fluchtbewegungen innerhalb und zwischen den betroffenen Ländern nahmen auch Diskriminierung und Vertreibung ethnischer Minderheiten zu. Dies galt nicht zuletzt für die Kurden, die in einem grenzübergreifenden Gebiet leben, das den heutigen Osten der Türkei, den Norden des Irak sowie Teile des Westirans und Nordsyriens umfasst. Der Militärputsch in der Türkei 1980, die Aufnahme der Kämpfe zwischen der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) und der türkischen Armee 1984 verstärkten die kurdische Fluchtbewegung in der Region und in Richtung Europa.19 16 Zum Begriff der „Dritten Welt“ vgl. Agnes Bresselau von Bressensdorf / Elke Seefried, Introduction, hier: S. 8 f.; Jürgen Dinkel, „Dritte Welt“ – Geschichte und Semantiken, Version 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 6.10.2014, www.docupedia.de/zg/Dritte_Welt [10.3.2019], und Daniel Speich Chassé, Die „Dritte Welt“ als Theorieeffekt. Ökonomisches Wissen und globale Differenz, in: Geschichte und Gesellschaft 41 (2015), S. 580–612, hier: S. 580 f. 17 Vgl. dazu auch den Beitrag von Olaf Beuchling in diesem Band. 18 Vgl. Agnes Bresselau von Bressensdorf, Das globale Flüchtlingsregime im Nahen und Mittleren Osten in den 1970er und 1980er Jahren, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 66/26–27 (2016), S. 32–39, URL: http://www.bpb.de/apuz/229821/das-globale-fluechtlingsregime-imnahen-und-mittleren-osten-in-den-1970er-und-1980er-jahren?p=all [10.3.2019]. 19 Vgl. dazu auch den Beitrag von Birgit Ammann in diesem Band.

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Flucht vor Gewalt und politischer Repression spielte auch im Lateinamerika der 1970er Jahre eine wichtige Rolle. Insbesondere die Entwicklungen in Chile nach dem Sturz des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende durch Augusto Pinochet 1973 erfuhren in der (westlichen) Öffentlichkeit breite Aufmerksamkeit, riefen den Protest zahlreicher zivilgesellschaftlicher Solidaritätsbewegungen und Menschenrechtsaktivist*innen hervor und hielten auch die internationale Politik in Atem.20 Während der von den USA unterstützte Pinochet das Land schrittweise zu einer rechtsgerichteten Militärdiktatur ausbaute, flohen etliche Chilen*innen nach Europa. Mit den kontroversen Auseinandersetzungen über die Asylgewährung vor allem für linksgerichtete Chilen*innen sowohl im Osten als auch im Westen des Kontinents, die in besonders signifikanter Weise die Verflechtung zwischen den „Denksystemen“21 des Kalten Krieges und dem zeitgenössischen Menschenrechtsdiskurs widerspiegeln, beschäftigen sich zwei Beiträge dieses Bandes. Das wachsende gesellschaftliche Interesse an der „Dritten Welt“ ging mit Vorstellungen einer globalen Gemeinschaft einher.22 Internationale Solidaritätsbewegungen protestierten gegen die weltweite soziale Ungleichheit und machten den Norden moralisch verantwortlich für die Konsequenzen des Kolonialismus. Globale Probleme wie Armut, Bevölkerungsexplosion und Umweltzerstörung könnten, so die Überzeugung, nur noch gemeinsam gelöst werden. Mit Forderungen nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung und der Einrichtung der „Unabhängigen Kommission für internationale Entwicklung“ (Brandt-Kommission) durch die Vereinten Nationen wurde der Nord-Süd-Gegensatz zum Gegenstand internationaler Politik. Befeuert wurden Solidaritäts- und Protestaktionen auch dadurch, dass das Fernsehen die Bilder von Armut, Hunger, Gewalt und Flucht in der „Dritten Welt“ direkt in die Wohnzimmer (des „Westens“) übertrug und damit unmittelbarer als bislang erfahrbar machte. Die Medien entwickelten sich damit mehr noch als bisher zu einem eigenständigen Akteur im weiten Feld von Entwicklungspolitik und humanitärer Hilfe, wie auch der Beitrag von Tobias Hof zu den äthiopischen Hungerkrisen der 1970er und 1980er Jahre eindrücklich zeigt. 20 Vgl. Jan Eckel, Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940ern, Göttingen 2014, S. 583–710. 21 Diese Formulierung bezieht sich auf: Tim B. Müller (Hg.), Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg, Hamburg 2010. 22 Vgl. zum Folgenden Bresselau von Bressensdorf / Seefried, Introduction, hier: S. 12 f.; Elke Seefried, Globale Sicherheit. Die Wurzeln des politischen Nachhaltigkeitsdiskurses und die Wahrnehmung globaler Interdependenz der 1970er und 1980er Jahre, in: Christoph Kampmann / Wencke Meteling / Angela Marciniak (Hg.), „Security turns its eye exclusively to the future“. Zum Verhältnis von Sicherheit und Zukunft in der Geschichte, Baden-Baden 2018, S. 353–387; Christoph Kalter, Die Entdeckung der Dritten Welt: Dekolonisierung und neue radikale Linke in Frankreich, Frankfurt a. M. 2011; David Kuchenbuch, „Eine Welt“. Globales Interdependenzbewusstsein und die Moralisierung des Alltags in den 1970er und 1980er Jahren, in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), S. 158–184, und Frank Bösch /  Caroline Moine / Stefanie Senger (Hg.), Internationale Solidarität. Globales Engagement in der Bundesrepublik und der DDR, Göttingen 2018.

Einleitung

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Der Fall der Berliner Mauer und das Ende des Kalten Krieges rückten erneut Deutschland und Europa ins Zentrum des globalen Migrationsgeschehens. Bereits seit den späten 1980er Jahren war mit dem schleichenden Erosionsprozess innerhalb der Sowjetunion die Zahl derer gestiegen, die sich aus Osteuropa auf den Weg gen Westen machte. Hinzu kamen – neben innerdeutschen Wanderungsbewegungen im Rahmen des Vereinigungsprozesses – diejenigen, die im Zuge der Kriege im ehemaligen Jugoslawien vom Balkan nach Westeuropa flohen, sowie die sogenannten „Spätaussiedler“. Die wachsende Anzahl von Asylbewerber*innen, geduldeten De-facto-Flüchtlingen, als Ausländer wahrgenommenen „Spätaussiedlern“ und der Familiennachzug ehemaliger „Gastarbeiter“ bei gleichzeitig mangelhaften integrationspolitischen Angeboten führte schließlich zu wachsenden sozialen Spannungen in der (west-)deutschen Bevölkerung und fremdenfeindlichen Gewalttaten. Die jahrelangen Kontroversen, die über die Zäsur der deutschen Einheit hinausgingen, mündeten schließlich in den „Asylkompromiss“ von 1992/1993, der das bis dahin ausgesprochen liberale bundesdeutsche Asylrecht einschränkte und mit Debatten über eine Europäisierung der Migrationspolitik einherging.23 Der Band befasst sich daher abschließend mit Entwicklungen, Politikfeldern und Akteur*innen nach dem Ende des Kalten Krieges, die Bedeutung für das Europa der Gegenwart haben. Dazu zählen erstens die Migrations- und Fluchtbewegungen im Kontext des Kosovo-Krieges, die auch in aktuellen Debatten um Fragen der Asylgewährung und die Kategorie der „sicheren Herkunftsstaaten“ nachhallen. Zweitens werden die Europäisierung der Migrationspolitik sowie entwicklungspolitische Fragestellungen untersucht, die bereits in den 1980er Jahren auf internationaler Ebene unter dem Schlagwort „Fluchtursachenbekämpfung“ firmierten. Drittens wird nach gegenwärtigen Konzepten und Herausforderungen bei der lokalen Aufnahme Geflüchteter in Deutschland im Kontext des syrischen Bürgerkrieges gefragt. Ein hochaktueller Blick über die Grenzen Europas hinaus zur „Versicherheitlichung“ mexikanischer Arbeitsmigration in den USA unter der Präsidentschaft Donald Trumps rundet den Band ab.

2. Über Grenzen: Ansätze und Perspektiven der Forschung Migration und Flucht ist ein Forschungsfeld in Bewegung. Seine Dynamik spiegelt sich nicht nur in einer Fülle an Publikationen zum Thema wider, sondern auch in einer Pluralisierung und Diversifizierung der Ansätze, Methoden und Fragestel23 Vgl. u. a. Agnes Bresselau von Bressensdorf, Diskurse gesellschaftlicher Selbstvergewisserung am Ende des Kalten Kriegs. Die bundesdeutsche Debatte um den Asylkompromiss 1992/93, in: Raphaela Etzold / Martin Löhnig / Thomas Schlemmer (Hg.), Migration und Integration in Deutschland nach 1945. Deutschland zwischen Aus- und Einwanderung, Berlin / Boston 2019, S. 113–126, und Klaus Bade, Ausländer, Aussiedler, Asyl. Eine Bestandsaufnahme, München 1994.

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lungen über Fächergrenzen hinweg. Hier schließt der vorliegende Band an, der sich explizit nicht auf eine bestimmte Herangehensweise oder Methodik konzentriert, sondern stattdessen anhand ausgewählter Beispiele einen Einblick in die Breite und Vielfalt dieses dezidiert interdisziplinären Forschungsfeldes geben möchte. Wie insbesondere Jochen Oltmer und Ursula Münch in ihren Beiträgen zu Recht konstatieren, war die geschichts- und politikwissenschaftliche Forschung lange Zeit von einem „methodologischen Nationalismus“ geprägt.24 Dem lag die Vorstellung von relativ geschlossenen und homogen gedachten einzelstaatlichen Gesellschaften zugrunde. Migration wurde demnach als lineare Wanderungsbewegung von einem Sender- in ein Empfängerland begriffen. Im Vordergrund standen Fragen nach den „Push- und Pull-Faktoren“, die Migration verhindern bzw. begünstigen konnten, sowie die dichotomische Gegenüberstellung von Emigration und Immigration. Untersucht wurden zum einen Entwurzelung und soziokulturelle Entfremdung der Migrant*innen von ihrem Herkunftsland; zum anderen Konzepte der politischen und gesellschaftlichen Integration in den (westlichen) Aufnahmestaaten. Darüber hinaus fragte die Forschung nach Strategien zur Fluchtursachenbekämpfung in den Ländern des „Globalen Südens“ etwa im Rahmen (westlicher) entwicklungspolitischer Programme. Implizit wurde damit der Staat als entscheidender Akteur, beispielsweise bei der Aushandlung internationaler Abkommen zur Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte oder bei der Asylgewährung, vorausgesetzt. Neuere Ansätze relativieren diese Sichtweise und setzen andere Akzente. Im Folgenden sollen sechs, sich teilweise überlappende Perspektiven skizziert werden, die die Entwicklung des Forschungsfeldes in den vergangenen Jahren nachhaltig beeinflusst haben und sich auch in den Beiträgen dieses Bandes – in unterschiedlicher Gewichtung – wiederfinden. Etliche Aufsätze folgen erstens transnationalen Perspektiven, die nicht nur die Sozial-, Geschichts-, und Kulturwissenschaften insgesamt, sondern auch die Migrationsgeschichte stark prägen.25 Indem sie für die Überwindung nationaler und eurozentrischer Perspektiven plädieren, suchen sie das binäre Modell von Emigration und Immigration zu überwinden und die grenzüberschreitenden Praktiken von Migrant*innen aufzuzeigen. In diesem Sinne definierten Anthropolog*innen wie Nina Glick Schiller bereits Anfang der 1990er Jahre transnationale Migration als Aktivität von migrantischen Gruppen, deren soziale Beziehungen sich über

24 Vgl. zum Folgenden die Beiträge von Jochen Oltmer und Ursula Münch in diesem Band, sowie Andreas Wimmer / Nina Glick Schiller, Methodological Nationalism and Beyond: Nation–State Building, Migration and the Social Sciences, in: Global networks. A journal of transnational affairs 2/4 (2002), S. 301–334. Grundlegend zur Entwicklung der Migrationsforschung vgl. auch Caroline B. Betrell / James F. Hollifield (Hg.), Migration Theory. Talking across Disciplines, New York 2015; Christiane Harzig / Dirk Hoerder, What is Migration History?, Cambridge u. a. 2009, und Barbara Lüthi, Migration and Migration History, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 6.7.2018, DOI: http://dx.doi.org/10.14765/zzf.dok.2.1178. v2 [10.3.2019]. 25 Vgl. dazu auch Lüthi, Migration, S. 10–12.

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zwei oder mehr Länder erstreckten.26 Den Ausgangspunkt für diese Perspektivverschiebung bildete nicht zuletzt die Beobachtung zirkulärer Arbeitsmigration zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten, die durch permanente grenzüberschreitende Mobilität und die Entstehung transnationaler Familienverbünde und Netzwerke gekennzeichnet war. Ökonomische Globalisierungsprozesse sowie die Entwicklung moderner Informations-, Kommunikations- und Transporttechnologien beschleunigten und intensivierten diese Form sozialer Netzwerkbildung. Wie ertragreich dieser Ansatz auch für die Untersuchung des gegenwärtigen Migrationsgeschehens und der damit verbundenen politischen Polarisierung zwischen Mexiko und den USA sein kann, zeigt nicht zuletzt der Beitrag von Susanne Gratius in diesem Band. Aus dem Konzept der transnational migration und den abgeleiteten Begriffen transmigrant bzw. transnational migrant, die den Prozess bzw. die Akteur*innen grenzüberschreitender Wanderungsbewegungen bezeichnen, ergaben sich, zweitens, Anknüpfungspunkte zur sogenannten Netzwerkforschung. Ende der 1970er Jahre in der Soziologie entwickelt,27 fand sie sukzessiven Eingang in die Geschichtsund Kulturwissenschaften sowie die interdisziplinäre Migrationsforschung28 und schlägt sich auch in mehreren Beiträgen dieses Bandes nieder. Sie geht davon aus, dass soziale Gruppen wie Familie, Verwandtschaft, Bekanntschaften und andere eng geschlossene Herkunftskollektive durch wechselseitige Kommunikationssysteme und interpersonales Vertrauen zusammengehalten werden. Demnach bildet dieses kommunikative und soziale Beziehungsgeflecht einerseits einen entscheidenden Faktor für die Wahl des Zielorts potenzieller Migrant*innen. Für die Entwicklung transnationaler Beziehungen, politischer und sozialer Interaktionen ist andererseits die Ausgestaltung des sozialen Netzwerks von erheblicher Bedeutung – sowohl innerhalb des Aufnahmelandes als auch zwischen diesem und dem Herkunftsstaat. So konnten feste (familiäre) Bindungen zur Herkunftsregion eine Migrationsentscheidung oder die kulturelle und gesellschaftliche Integration ins

26 Vgl. Nina Glick Schiller / Linda Basch / Cristina Szanton-Blanc, From Immigrant to Transmigrant. Theorizing Transnational Migration, in: Anthropological Quarterly 68/1 (1995), S. 48–63; Dies. (Hg.), Towards  a Transnational Perspective on Migration. Race, Class, Ethnicity and Nationalism Reconsidered, New York 1992. Vgl. auch Petrus Han, Soziologie der Migration. Erklärungsmodelle, Fakten, politische Konsequenzen, Perspektiven, Konstanz / München 42016, S. 60–73. 27 Vgl. u. a. Jürgen Mittag / Berthold Unfried, Transnationale Netzwerke – Annäherungen an ein Medium des Transfers und der Machtausübung, in: Dies. / Marcel van der Linden (Hg.), Transnationale Netzwerke im 20. Jahrhundert. Historische Erkundungen zu Ideen und Praktiken, Individuen und Organisationen, Wien 2008, S. 9–25, hier: S. 15–18. 28 Vgl. u. a. Christian Marx, Forschungsüberblick zur historischen Netzwerkforschung. Zwischen Analysekategorie und Metapher, in: Marten Düring u. a. (Hg.), Handbuch Historische Netzwerkforschung. Grundlagen und Anwendungen, Berlin u. a. 2016, S. 63–84, und Joël Glasman / Debora Gerstenberger (Hg.), Techniken der Globalisierung. Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie, Bielefeld 2016.

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Gastland erschweren oder ganz verhindern.29 Umgekehrt trugen soziale Kontakte in den Zielregionen dazu bei, Migration zu erleichtern und führten zu sogenannten Kettenmigrationen. Dies zeigen besonders eindrücklich die Beiträge von Carlos Sanz Díaz zur italienischen und türkischen Arbeitsmigration nach (West-)Deutschland seit den 1950er und 1960er Jahren30 und von Birgit Ammann zu kurdischen Migrationsbewegungen aus dem Nahen Osten. Auch durch die Fluchtbewegungen nach Westeuropa im Kontext der Jugoslawienkriege der 1990er Jahre entstanden soziale Netzwerke zwischen Herkunfts- und Aufnahmestaaten, die letztere bis heute zu bevorzugten Zielregionen für Migrant*innen machen.31 Letzteres gilt auch für Migrations- und Fluchtbewegungen aus ehemaligen Kolonien in die früheren europäischen „Mutterländer“ im Zuge der Dekolonisation, und verweist, drittens, auf die Bedeutung der postcolonial studies für die Migrationsforschung.32 Nicht nur mit Blick auf Migrationsrouten, sondern auch hinsichtlich der Bildung von Netzwerken und Diaspora-Gemeinschaften33 sowie (nationaler) Identitätspolitiken bieten diese wichtige Ansatzpunkte. Sie begreifen Dekolonisierungsprozesse als reziproke Geschichte(n) des „Globalen Nordens“ und „Südens“ und analysieren wechselseitige Transfer- und Verflechtungsprozesse zwischen „Zentrum“ und „Peripherie“. Untersucht werden Fragen der kulturellen Identität, Hybridität und Differenz sowie Vorstellungen vom „Anderen“ und 29 Vgl. u. a. Susan Zimmermann, International  – transnational: Forschungsfelder und Forschungsperspektiven, in: Unfried / Mittag / van der Linden, Transnationale Netzwerke, S. ­27–46, hier: S. 31; Michael Bommes, Migrantennetzwerke in der funktional differenzierten Gesellschaft, in: Ders. / Veronika Tacke (Hg.), Netzwerke in der funktional differenzierten Gesellschaft, Wiesbaden 2011, S. 241–259, und den Beitrag von Jochen Oltmer in diesem Band. 30 Vgl. dazu auch Oltmer / Kreienbrink / Sanz Díaz, Das „Gastarbeiter“-System; Sonja Haug, Kettenmigration am Beispiel italienischer Arbeitsmigranten in Deutschland 1955–2000, in: Archiv für Sozialgeschichte 42 (2002), S. 123–143; Gaby Straßburger, Türkische Migrantenkolonien in Deutschland und Frankreich. Kommunale Fallstudien zum Einfluss der Aufnahmegesellschaft auf die Netzwerke der Migranten, in: Archiv für Sozialgeschichte 42 (2002), S.173–189, und Jennifer A. Miller (Hg.), Turkish Guest Workers in Germany. Hidden Lives and Contestes Borders, 1960s–1980s, Toronto 2018. 31 Vgl. u. a. Philipp Ther, Die Außenseiter. Flucht, Flüchtlinge und Integration im modernen Europa, Berlin 2017, S. 157–168. 32 Vgl. u. a. Elizabeth Buettner, Europe after Empire: Decolonization, Society, and Culture, Cambridge 2016, S. 213–414, und Pieter C.  Emmer / Leo Lucassen (Hg.), Migration from the Colonies to Western Europe since 1800, insb. Kap. 4.2, in: European History Online, 13.11.2012, URL: http://www.iegego.eu/emmerp-lucassenl-2012-en [10.3.2019]. Allgemein zu Post-Colonial Studies vgl. u. a. Sebastian Conrad / Shalini Randeria / Regina Römhild (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 22013, und Julian Go, Postcolonial Thought and Social Theory, New York 2016. 33 Zum Begriff der Diaspora vgl. u. a. Jenny Kuhlmann, Exil, Diaspora, Transmigration, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 64/42 (2014), S. 9–15, URL: http://www.bpb.de/apuz/192563/exildiaspora-transmigration?p=all [4.3.2019]; Nico Israel, Outlandish: Writing Between Exile and Diaspora, Stanford 2000, S. 1–20, und Ruth Mayer, Diaspora: Eine kritische Begriffsbestimmung, Bielefeld 2005.

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„Fremden“. Insbesondere der Beitrag von Tobias Hof zu den äthiopischen Hungerkrisen und deren medialer Darstellung zeigt die Beharrungskräfte der Bilder von Afrika als „dem“ unterentwickelten, „dunklen Kontinent“34, der diese Krise nur mit humanitären Hilfsaktionen des Westens meistern könne. Damit führten die Akteur*innen die einstigen Zivilisierungsnarrative aus der Zeit des europäischen Imperialismus fort.35 Interessante Anknüpfungspunkte finden sich diesbezüglich auch mit Blick auf die sozialwissenschaftliche Forschung, wie der Beitrag von Ulrike Krause zeigt. Sie verweist am Beispiel des Flüchtlingslagers auf die Interdependenzen und Pfadabhängigkeiten zwischen dem Prozess der Dekolonisation einerseits und bis heute anhaltenden strukturellen Ungleichheiten zwischen dem „Globalen Süden“ und den Industriestaaten des „Nordens“ andererseits. Als im Kontext diverser Unabhängigkeitskriege in Asien und Afrika unzählige Menschen zu Binnenvertriebenen im eigenen Land wurden oder in die Nachbarstaaten flohen, richteten letztere nicht zuletzt mit finanzieller Unterstützung der (westlichen) Geberstaaten Lager ein, in denen die Geflüchteten provisorisch untergebracht und versorgt wurden. Etliche dieser Camps bestehen bis heute fort – nicht nur, aber auch, weil der „Globale Norden“ vor allem in humanitäre Soforthilfemaßnahmen investiert(e), statt gemeinsam mit den Regierungen der betroffenen Staaten langfristige Lösungsstrategien zu entwickeln. Die Manifestation und Verstetigung dieser Strukturen in vielen Lagern Asiens und Afrikas festigte die Abhängigkeit der Geflüchteten sowie ihrer Herkunfts- und Aufnahmestaaten vom Westen. Damit ist, viertens, ein Forschungszweig angesprochen, der in den vergangenen Jahren disziplinübergreifend einen regelrechten Boom erlebte: Das Themenfeld von humanitärer Hilfe mit ihren vielfältigen Schnittstellen zur Entwicklungshilfe, das in der angloamerikanischen Wissenschaftslandschaft auch unter dem Begriff des „humanitarism“ firmiert.36 Die Lebensbedingungen in den Lagern, die bis heute die weltweit häufigste Art und Weise der Unterbringung, humanitären Versorgung und Verwaltung von Geflüchteten darstellen, und die oktroyierten 34 Suzanne Franks, Reporting Disasters. Famine, Aid, Politics and the Media, London 2013, S. 150–152. 35 Vgl. Michael Watts, Heart of Darkness: Reflections on Famine and Starvation in Africa, in: Richard E. Downs / Donna O. Kerner / Stephen P. Reyna (Hg.), The Political Economy of African Famine, Philadelphia u. a. 1991, S. 23–67, hier: S. 31. Zu „Zivilisierungsmissionen“ im klassischen Sinne vgl. u. a. Jürgen Osterhammel (Hg.), Zivilisierungsmissionen: Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert, Konstanz 2005. 36 Vgl. u. a. Michael N. Barnett, The International Humanitarian Order, London / New York 2010; Ders., Empire of Humanity. A History of Humanitarianism, Ithaca, NY 2011; David Kennedy, The Dark Sides of Virtue. Reassessing International Humanitarianism, Princeton, NJ 2004; Johannes Paulmann, Conjunctures in the History of International Humanitarian Aid during the Twentieth Century, in: Humanity. An international Journal of Human Rights, Humanitarism and Development 4/2 (2013), S. 215–238; Peter Walker / Daniel G. Maxwell, Shaping the Humanitarian World, Abingdon u. a. 2009; Richard Wilson / Richard D. Brown, Humanitarianism and Suffering. The Mobilization of Empathy, Cambridge / New York 2009, und Jan Eckel, Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940ern, Göttingen 2014.

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humanitären Strukturen wurden schon früh von Barbara Harrell-Bond in ihrer breit rezipierten Arbeit „Imposing Aid“37 kritisiert. Die politische und soziale Ordnung dieser Camps kann – mit der Soziologin Katharina Inhetveen gesprochen – als hochgradig heterogene, „polyhierarchische Konstellation“38 bezeichnet werden, in welcher eine Vielzahl von Akteur*innen und Interessen in einem latenten Spannungsverhältnis steht. Eine zentrale Rolle kommt hierbei den zahlreichen (westlichen) Hilfsorganisationen, nicht zuletzt dem UNHCR, zu, die nach 1945 und verstärkt seit den 1980er Jahren zur Etablierung eines globalen humanitären Regimes beitrugen.39 Der vorliegende Band widmet diesem Themenfeld drei Beiträge und untersucht Strukturen, Akteur*innen und Praktiken humanitärer Hilfe im Kontext des Korea-Krieges40, der vietnamesischen „Boat People“41 und der Hungerkrisen in Äthiopien42. Die Funktionsmechanismen des weiter gefassten Migrationsregimes behandelt zudem Jochen Oltmer ausführlich in seinem Beitrag. Die Forschung zu humanitärer Hilfe wie die Migrationsgeschichte insgesamt erhielt, fünftens, grundlegende Impulse durch die critical border studies, die seit dem spatial turn in den Sozial- und Geschichtswissenschaften die sich wandelnde Bedeutung nationalstaatlicher Grenzen diskutiert.43 Letztere hätten sich, so auch die These von Julia Schulze Wessel in diesem Band, im Kontext transnationaler Migrationsbewegungen von ihrer territorialen Fixierung gelöst.44 Stattdessen wird die Grenze als Raum permanenter Aushandlungskämpfe zwischen staatlichen Institutionen und Migrant*innen bzw. Geflüchteten um Einschluss und Ausschluss, Kontrolle und Kontrollentzug, Weiterwanderung und Abschiebung verstanden. Zwischen den beteiligten Akteur*innen besteht demnach eine „grenzkonstituierende Verflechtungsbeziehung“45, in deren Rahmen alle Beteiligten durch die örtliche und rechtliche Modifizierung der Kontrollen bzw. die Anpassung der Migrations- und Fluchtrouten zur permanenten Neuverhandlung von Grenz37 Barbara E. Harrell-Bond, Imposing Aid. Emergency Assistance to Refugees, Oxford 1986. 38 Katharina Inhetveen, Die politische Ordnung des Flüchtlingslagers. Akteure, Macht, Organisation – eine Ethnographie im südlichen Afrika, Bielefeld 2010, S. 15 f. 39 Vgl. u. a. Gil Loescher, The UNHCR and World Politics. A Perilous Path, Oxford 2001; Alexander Betts / Gil Loescher / James Milner (Hg.), UNHCR: The Politics and Practice of Refugee Protection, London / New York 22012, und Peter Gatrell, The Making of the Modern Refugee, Oxford 2015. 40 Vgl. den Beitrag von Peter Gatrell in diesem Band. 41 Vgl. den Beitrag von Olaf Beuchling in diesem Band. 42 Vgl. den Beitrag von Tobias Hof in diesem Band. 43 Vgl. u. a. Julia Schulze Wessel, Grenzfiguren. Zur politischen Theorie des Flüchtlings, Bielefeld 2017; Peter Andreas / Timothy Snyder (Hg.), The Wall Around the West. State Borders and Immigration Controls in North America and Europe, Lanham 2000, und Nick Vaughan-Williams, Border Politics. The Limits of Souvereign Power, Edinburgh 2009. Allgemein zum „spatial turn“ vgl. exemplarisch Jörg Döring / Tristan Thielmann (Hg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008. 44 Vgl. zum Folgenden Schulze Wessel, Grenzfiguren, S.106–116. 45 Ludger Pries, Transnationalisierung. Theorie und Empirie grenzüberschreitender Vergesellschaftung, Wiesbaden 2010, S. 24.

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verläufen beitragen. Die Grenze wird damit von einer statischen Größe zu einem dynamischen Raum- und Prozessbegriff. Um dieses Verständnis von Grenzen als „socially dynamic spaces“46 und die Bedeutung von Migrant*innen und Geflüchteten als eigenständige Grenzakteur*innen zu fassen, hat Chiara Brambilla vorgeschlagen, den Begriff „border“ durch den des „bordering“ zu ersetzen. Schulze Wessel greift dies auf und plädiert für eine politische Theorie des Flüchtlings, die diesen als „Grenzfigur“ fasst.47 Die Frage nach den Akteur*innen von Flucht und Migration zieht sich auch durch die Beiträge des vorliegenden Bandes und schließt, sechstens, an die anthropolo­gische und soziologische Forschung an, die sich bereits Anfang der 1990er Jahre intensiv mit dem Begriff des Flüchtlings auseinandersetzte. So kritisierten etwa Liisa Malkki48 und Roger Zetter49 das sogenannte „refugee labelling“ als politisches Konstrukt, das durch bestimmte rechtliche, politische sowie bürokratische Interessen und Prozeduren entstanden sei und festgeschrieben werde.50 Dies bringe Ab- und Ausgrenzungsprozesse mit sich, ignoriere die vielfältigen Lebensrealitäten der Geflüchteten und beraube sie ihrer individuellen Identität. Stattdessen würden sie auf passive Hilfsempfänger*innen und homogene Kollektive reduziert. Auf diese Weise sei das Bild des „refugee-as-victim“51, des auf (westliche) Hilfe angewiesenen „Opferflüchtlings“, entstanden, wie auch Ulrike Krause und Julia Schulze Wessel in diesem Band konstatieren. Erhebliche Mitverantwortung für die weltweite Durchsetzung dieses Narrativs trage, so Peter Gatrell in seiner wegweisenden Studie „The Making of the Modern Refugee“52, die Entstehung des globalen humanitären Regimes seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dem Plädoyer, auch die Perspektive der Flüchtlinge konsequent in die empirische Arbeit einzubeziehen, setzen Kritiker*innen unter anderem entgegen, dass dies insbesondere für Historiker*innen aufgrund des eingeschränkten Quellenmaterials nur bedingt umzusetzen sei.53 46 Chiara Brambilla, Borders still Exist! What are Borders?, in: Dies. / Bruno Riccio (Hg.), Transnational Migration, Cosmopolitanism and Dis-located Borders, Rimini 2010, S. 73–86, hier: S. 75. 47 Schulze Wessel, Grenzfiguren. 48 Vgl. Liisa H. Malkki, Purity and Exile: Violence, Memory, and National Cosmology among Hutu Refugees in Tanzania, Chicago / London 1995. 49 Vgl. Roger Zetter, Labelling Refugees: Forming and Transforming a Bureaucratic Identity, in: Journal of Refugee Studies 4/1 (1991), S. 39–62, hier: S. 44, und Ders., More ­Labels, Fewer Refugees: Remaking the Refugee Label in an Era of Globalization, in: Journal of Refugee Studies 20/2 (2007), S. 172–192. 50 Vgl. dazu auch Bernadette Ludwig‚ „Wiping the Refugee Dust from My Feet“: Advantages and Burdens of Refugee Status and the Refugee Label, in: International Migration 54/1 (2013), S. 5–18, hier: S. 15; Peter Nyers, Rethinking Refugees: Beyond States of Emergency, New York 2013, und Simon Turner, Politics of Innocence. Hutu Identity, Conflict and Camp Life, New York / Oxford 2010. 51 Turner, Politics of Innocence, S. 20 und S. 55. 52 Gatrell, The Making of the Modern Refugee. 53 Vgl. dazu auch den Beitrag von Jochen Oltmer in diesem Band.

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Daran anschließend wird in der deutschen Forschung aktuell diskutiert, ob der Flüchtlingsbegriff aus wissenschaftlicher Sicht überhaupt noch haltbar ist oder durch den Terminus „Geflüchtete“ ersetzt werden sollte.54 Weitergehende Debatten beschäftigen sich außerdem mit der Frage, ob sich das Forschungsfeld als Flüchtlings- oder Fluchtforschung bezeichnen sollte – ähnlich wie in den 2000er Jahren im englischsprachigen Raum Begriffe wie Refugee Studies oder Forced Migration Studies kritisch verhandelt wurden. Insgesamt bietet die jüngere Forschung somit ein facettenreiches Bild an methodischen Ansätzen und Fragestellungen, das sich auch in diesem Band widerspiegelt: Etliche, überwiegend sozialwissenschaftliche und anthropologische Untersuchungen stellen die Agency der Geflüchteten und Migrant*innen in den Vordergrund. Andere, oftmals historische oder rechtswissenschaftliche Studien, fragen hingegen vermehrt nach den Entstehungsfaktoren und Funktionsmechanismen von Migrationsregimen und untersuchen die Rolle staatlicher, kommunaler und supranationaler Akteure bei der Gestaltung und Begrenzung trans­ nationaler Migration oder die Rolle der Medien für humanitäre Hilfsaktionen. Die vorliegenden Beiträge zeigen, wie fruchtbar der Austausch über die Grenzen des eigenen Fachs hinaus für die Entwicklung neuer Perspektiven und Fragestellungen sein kann.

3. Aufbau und Beiträge des Bandes Der Band kombiniert einen systematischen mit einem chronologischen Aufbau. Das erste Kapitel (I) widmet sich den Perspektiven der geschichts- und politikwissenschaftlichen Migrations- und Flüchtlingsforschung. Jochen Oltmer behandelt das Konzept des Migrationsregimes, das in Anlehnung an sozialwissenschaftliche Ansätze der Global Governance Prinzipien, Normen, Regeln und Prozeduren von Migration in den Blick nimmt. Er begreift Migrationsregime demnach als integrierte Gestaltungs- und Handlungsfelder institutioneller (staatlicher wie nichtstaatlicher) Akteure, die einen bestimmten Ausschnitt des Migrationsgeschehens beeinflussen, Migrationsbewegungen kanalisieren und die (potentiellen) Migrant*innen kategorisieren. (Sozialkonstruktivistischer) Kritik, Migrant*innen würden damit lediglich zu Objekten des Verwaltens und Steuerns degradiert und ihre eigene Agency vernachlässigt, hält Oltmer entgegen, dass mit dieser Perspektive umgekehrt oftmals eine grundsätzliche Perhorreszierung staatlicher Akteure und eine Romantisierung von Migrant*innen einhergehe.

54 Vgl. dazu u. a. Christiane Fröhlich / Ulrike Krause, Flucht- oder Flüchtlingsforschung? Kritische Reflexionen zur Benennung eines Forschungsfeldes, URL: https://fluechtlingsforschung. net/​flucht-oder-fluchtlingsforschung-kritische-reflexionen-zur-benennung-eines-forschungs​ feldes/ [10.3.2019], und J. Olaf Kleist, Über Flucht forschen. Herausforderungen der Flüchtlingsforschung, in: Peripherie 35/138–139 (2015), S. 150–169, insb. S. 158 f.

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Ursula Münch konstatiert, dass die (deutsche)  Flüchtlings- und Migrationsforschung – lange vor allem von soziologischen und ökonomischen Studien geprägt – als ein institutionalisiertes, auch theoretisch fundiertes Feld innerhalb der Politikwissenschaft erst im Entstehen sei. Die Fokussierung auf die Steuerungsperspektive, den Nationalstaat und seine zu schützenden Grenzen habe lange Zeit die Sichtweise der Aufnahmeländer und hier vor allem die Belange der einheimischen Bevölkerung in den Vordergrund gestellt. Neue Ansätze wie die critical border studies, akteurszentrierte und demokratietheoretisch inspirierte Arbeiten hätten jedoch in den letzten Jahren zu einer Perspektivenweitung innerhalb des Fachs beigetragen. Das zweite Kapitel (II) widmet sich ausgewählten Akteur*innen und Infrastrukturen des globalen Migrations- und Flüchtlingsregimes. Für Randall Hansen ist nach wie vor „der Staat“ der zentrale Akteur globaler Migrationssteuerung, wie er an diversen Beispielen in Europa, Nordamerika, Australien und Asien vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart belegt. Dies zeige sich zum einen bei der Gründung von Nationalstaaten, die oftmals mit massiven Bevölkerungsverschiebungen, Zwangsmigrations- und Fluchtbewegungen verbunden gewesen seien. Zum anderen entschieden nach wie vor staatliche Institutionen und Akteure – unabhängig von der Form der Migration, mit der sie konfrontiert würden –, ob, wann und unter welchen Bedingungen sie Migrant*innen und Geflüchteten Zutritt zu ihrem Territorium gewährten. Der Beitrag von Ulrike Krause befasst sich mit einer der weltweit dominierenden Infrastrukturen internationaler Flüchtlingspolitik: dem Flüchtlingslager. Ursprünglich als provisorische, geographisch und zeitlich begrenzte Räume konzipiert, werden die Camps realiter oftmals über Jahre und Jahrzehnte genutzt. Krause untersucht die administrative Ausgestaltung der Lager, die damit verbundenen Machtstrukturen, Exklusions- und Homogenisierungsprozesse sowie die systematische Viktimisierung der Lagerpopulation. Statt geflüchtete Menschen als passive Hilfsempfänger*innen und Opferkollektive zu begreifen, plädiert Krause dafür, sie als Akteur*innen mit eigener Handlungsmacht ernst zu nehmen und Lager als soziale Räume zu begreifen. Diese Kritik an der Darstellung von Geflüchteten als apolitische Opfer liegt auch dem Beitrag von Julia Schulze Wessel zugrunde, die unter Rekurs auf Hannah Arendt und Giorgio Agamben eine politische Theorie des Flüchtlings entwirft. Sie lehnt die Darstellung von Geflüchteten als sozial, rechtlich und politisch defizitäres Gegenbild des Staatsbürgers, dem zentralen politischen Subjekt der Moderne, dezidiert ab. Stattdessen plädiert sie dafür, Flüchtlinge als aktive Grenzfiguren zu begreifen, die durch ihr Agieren etablierte institutionelle, rechtliche und soziale Grenzen hinterfragen, verletzen und überschreiten und damit auf spezifische Weise gesellschaftliche Ordnungen herausfordern. Das dritte Kapitel (III) hat Zwangsmigration und politische Flucht in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zum Thema. Michael Schwartz befasst sich mit der Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung von Millionen Deutschen als der bisher größten einzelnen „ethnischen Säuberung“ in der europäischen Nach-

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kriegsgeschichte. Schwartz arbeitet dabei konzeptionelle Vorbilder seit dem Ersten Weltkrieg heraus und betont die grundlegende Bedeutung des Rollenwechsels zwischen Opfern und Tätern, sobald sich die Machtverhältnisse eines Krieges oder Bürgerkrieges grundlegend änderten. Habe in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die ethnische Trennung von Bevölkerungsgruppen als probates Mittel europäischer Stabilitätspolitik gegolten, so sei dieses seit den frühen 1950er Jahren durch eine Integrationspolitik westeuropäischer Prägung bzw. durch eine kommunistisch-totalitäre, partiell ethnoföderalistisch grundierte Integration in Osteuropa ersetzt worden. Dem Thema politische Flucht im Kalten Krieg widmet sich Helge Heidemeyer, der die Bundesrepublik Deutschland und die DDR als Aufnahmeländer politischer Flüchtlinge aus Ost bzw. West in den 1950er und 1960er Jahren analysiert. Der deutsch-deutsche Vergleich zeigt zunächst die Unterschiede hinsichtlich der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen etwa mit Blick auf die Aufnahmekriterien sowie die Rechtssicherheit des Aufnahmeverfahrens. Darüber hinaus wichen die Integrationsanstrengungen in Bonn und Ost-Berlin erheblich voneinander ab. So verfolgte die DDR keine Strategie zur dauerhaften gesellschaftlichen Eingliederung der Zuwander*innen, da diese politisch nicht gewollt war; vielmehr dominierten sicherheitspolitische Kriterien. Die Bundesrepublik setzte ihrerseits vor dem Hintergrund des westdeutschen Wirtschaftswunders auf eine möglichst schnelle Integration der Zuwander*innen in den Arbeitsmarkt. Beide Staaten nahmen indes bevorzugt solche Menschen auf, die auf der jeweils anderen Seite des Eisernen Vorhangs unter politischen Druck geraten waren. Einem Spezialfall der Ost-West-Wanderung widmet sich Keith R.  Allen in seinem Beitrag zu den Praktiken der Flüchtlingsüberprüfung durch die bundesdeutschen „Zweigstellen für Befragungswesen“ (Befras). Diese 1958 dem Bundesnachrichtendienst zugeordneten Dienststellen waren für die Befragung der Flüchtlinge aus der DDR und dem Ostblock zuständig, die in der Bundesrepublik um Asyl nachsuchten. Als mit der Entspannungspolitik zwischen Ost und West die Zahl der politischen Flüchtlinge ab- und der Reiseverkehr zwischen den beiden deutschen Staaten zunahm, wurden zunehmend auch Tourist*innen und Journalist*innen interviewt, um an geheimdienstliche Informationen zu gelangen. Ausgehend von den politischen und institutionellen Rahmenbedingungen skizziert Allen in seinem Beitrag detailliert die Befragungstechniken und den Alltag in den Befras, die offiziell 1990 geschlossen, teilweise jedoch über das Ende des Kalten Krieges hinaus bis 2014 von den deutschen Behörden für die Befragung von Asylsuchenden genutzt wurden. Im vierten Kapitel (IV) steht das Thema Arbeitsmigration im Fokus, das ebenfalls in deutsch-deutscher Perspektive beleuchtet wird. Carlos Sanz Díaz befasst sich mit dem sogenannten „Gastarbeiter-System“ in der Bundesrepublik, von den ersten bilateralen Abkommen mit Staaten des Mittelmeerraums zur Gewinnung ausländischer Arbeitnehmer*innen bis zum 1973 verhängten „Anwerbestopp“. Sanz Díaz analysiert zum einen die Funktionsmechanismen, Normen und Akteure dieses Migrationsregimes und bettet die bundesdeutsche dabei konsequent

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in die westeuropäische Entwicklung ein. Zum anderen diskutiert er die damit verbundenen Kontroversen um Fragen der Rekrutierung und den rechtlichen Status von Arbeitskräften, die Produktion und das Management von Illegalität, Integration und Staatsbürgerschaft sowie abschließend Potenziale und Grenzen des „Gastarbeiter-Systems“. Der Geschichte der Arbeitskräftemigration in der DDR widmet sich Sandra Gruner-Domić in ihrem Beitrag zu den sogenannten „Vertragsarbeitern“ zwischen den frühen 1960er Jahren und dem Fall der Mauer. Ebenfalls auf Basis bilateraler Abkommen, jedoch in deutlich geringerem Umfang, versuchte Ost-Berlin auf diese Weise, Arbeitnehmer*innen aus sozialistischen Staaten anzuwerben – zunächst aus Osteuropa, später auch aus Ländern der „Dritten Welt“. Deutlich wird dabei einerseits die Verschränkung zwischen ostdeutscher Arbeitsmarkt- und Entwicklungspolitik; andererseits spiegeln sich darin gesellschaftspolitische Schwierigkeiten, die Gruner-Domić auf das mangelnde Interesse der SED-Führung an einer dauerhaften Integration der „Vertragsarbeiter“ zurückführt. Mit Europa als Transit- und Zielregion einer wachsenden Anzahl von Geflüchteten und Migrant*innen aus dem „Globalen Süden“ setzt sich das fünfte Kapitel (V) auseinander. Mit dem besonders öffentlichkeitswirksamen Beispiel der Flucht etlicher Chilen*innen nach dem Putsch Pinochets 1973 beschäftigen sich zwei Einzelbeiträge. Patrice G. Poutrus vergleicht den Umgang mit chilenischen politischen Flüchtlingen in Ost- und Westdeutschland. Während die Debatten in der Bundesrepublik zwischen humanitären Überlegungen einerseits und der Sorge vor einer politischen Unterwanderung durch linksgerichtete Gruppierungen andererseits changierte, versuchte sich das Regime in Ost-Berlin im Systemkonflikt als das demokratischere und solidarische Deutschland zu inszenieren. Die ostdeutsche Gesellschaft stand den Asylsuchenden jedoch oftmals skeptisch gegenüber. Claudio Bolzman untersucht die chilenische Emigration in die Schweiz aus soziologischer Perspektive. In einer auf qualitativen Interviews mit den Geflüchteten basierenden Langzeitstudie ermittelt er deren Motive und Strategien zur Integration in das Gastland auf der einen und transnationale Netzwerkbildungen zur Aufrechterhaltung der Beziehungen zum Herkunftsland auf der anderen Seite, und das unter den spezifischen Rahmenbedingungen des Kalten Krieges und der politischen Entwicklungen in Chile. Einem hochaktuellen Thema widmet sich Birgit Ammann in ihrem Beitrag zu kurdischen Flüchtlingen in Europa seit den 1960er Jahren. Analysiert wird zum einen, welche identitäts- und integrationsstiftenden Bezugssysteme den staatenlosen Migrant*innen zur Verfügung standen und inwiefern Europa dabei als kultureller Referenzrahmen diente. Zum anderen arbeitet Ammann heraus, welche Bedeutung transnationalen politischen Netzwerken zwischen Diaspora und Herkunftsregion für die Bildung und Verfestigung kurdischer Kollektividentität zukam. Das sechste Kapitel (VI) befasst sich mit humanitärer Hilfe im Kalten Krieg. Am Beispiel des Koreakrieges als einem der wesentlichen, bis heute relevanten internationalen Konflikte mit erheblichem Eskalationspotential, rekonstruiert Peter Gatrell die Entstehung einer langandauernden Flüchtlingssituation. Er untersucht

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die Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft und zivilgesellschaftlicher Organisationen zur unmittelbaren Linderung der humanitären Notsituation ebenso wie ihre Konzepte zur langfristigen Lösung der Krise. Die Geflüchteten selbst, zeigt Gatrell, wurden dabei von den dominierenden Akteuren des internationalen humanitären Regimes ganz überwiegend als Objekte ohne eigene Handlungsmacht wahrgenommen. Die wachsende Bedeutung der Medien als eigenständiger Akteur in humanitären Krisen stellt Tobias Hof in seinem Beitrag zu den Hungersnöten im Äthiopien der 1970er und 1980er Jahre heraus, der eine westdeutsche Perspektive einnimmt. Dabei zeigt er eindrücklich die symbiotische Beziehung und wechselseitige Abhängigkeit zwischen Medien und Hilfsorganisationen sowie die damit verbundenen Auswirkungen auf das globale humanitäre Regime. Während Nichtregierungsorganisationen auf die öffentliche Berichterstattung angewiesen sind, um Spendengelder zu akquirieren, brauchen Journalist*innen umgekehrt die Unterstützung und Expertise der Hilfsorganisationen, um ihre Berichte vor Ort erstellen zu können. Mediale Eigenlogiken wie die Konstruktion von Hunger als spektakuläre, kurzfristige „Naturkatastrophe“ verhinderten dabei im äthiopischen Fall die Umsetzung langfristig wirksamer Hilfsprogramme. Olaf Beuchling untersucht in seinem Beitrag die Flucht der sogenannten „Boat People“, die Vietnam zwischen 1975 und 2000 auf dem hochriskanten Seeweg verlassen hatten. Er geht der Frage nach, welche unterschiedlichen Konzepte, Instrumente und Praktiken die politischen Akteure sowohl im Westen als auch in Südostasien zur Regulierung der Krisensituation entwickelten. In den Blick genommen werden dabei insbesondere die Etablierung der ASEAN-Staaten als kollektiver internationaler Akteur sowie globale Steuerungsversuche humanitärer Notsituationen durch die internationale Staatengemeinschaft über die Zäsur des Kalten Krieges hinaus. Im siebten und letzten Kapitel (VII) stehen Migration und Flucht seit den 1990er Jahren bis in die Gegenwart im Vordergrund. Kelly M. Greenhill widmet sich in ihrem Beitrag einem für die europäische Migrationsgeschichte des späten 20. Jahrhunderts zentralen Konfliktherd: dem Kosovo-Krieg. Sie stellt die These auf, dass der serbische Präsident Slobodan Milošević (vergeblich) versuchte, die NATO-Staaten von einem militärischen Eingreifen abzuhalten, indem er die Furcht vor einer massiven Flüchtlingswelle in die angrenzenden Staaten schürte. Berücksichtigt werden dabei sowohl die kontroversen Debatten der westlichen Partner als auch die Rolle der „Befreiungsarmee des Kosovo“ (UÇK) und der Medien. Flüchtlinge als politische Waffe einzusetzen, sei indes kein Spezifikum des Kosovo-Konflikts, so Greenhill, sondern ein immer wiederkehrendes Instrument in gewaltsamen Auseinandersetzungen. Marcel Berlinghoff zeichnet die Entstehung und Entwicklung des europäischen Migrationsregimes seit den 1970er Jahren bis heute nach. Er lotet strukturelle und politische Grundprobleme aus, wie das zwischen der Europäischen Kommission und den nationalen Regierungen von Beginn an umkämpfte Primat der Ausgestaltung von Migrationspolitik oder die Logik der freien Mobilität im Inneren

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Einleitung

der EG / EU bei gleichzeitiger Abgrenzung nach außen. Angesichts komplexer Herausforderungen wie dem Ende des Kalten Krieges, den Massenfluchten im Zuge der Jugoslawienkriege oder den Erweiterungsrunden der EU hätten Fragen asylrechtlicher Harmonisierung, europäischer Binnenmobilität und dem Schutz der Außengrenzen immer wieder neu verhandelt werden müssen. Der Beitrag von Benjamin Schraven und Antonia Heinrich untersucht Flucht und Migration als Aktionsfelder deutscher Entwicklungspolitik seit den 1990er Jahren. Ausgehend von den veränderten Rahmenbedingungen seit dem Ende des Kalten Krieges werden verschiedene wissenschaftliche und politische Konzepte deutscher Entwicklungszusammenarbeit diskutiert, insbesondere die wiederkeh­rende Vorstellung von Entwicklungspolitik als restriktivem Instrument zur „Flucht­ ursachenbekämpfung“. Deutlich wird die enge Verzahnung von Migration, Flucht und Entwicklung, die nicht nur für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, sondern auch für die Positionierung der Bundesrepublik im Rahmen des europäischen Migrationsregimes von substanzieller Bedeutung war und ist. Miriam Schader widmet sich aus sozialwissenschaftlicher Perspektive der sogenannten „Flüchtlingskrise“, die seit 2015 die deutsche und europäische Politik beschäftigt. Am Beispiel einer ausgewählten niedersächsischen Kommune wird exemplarisch untersucht, welche Konzepte und Strategien die für die lokale Flüchtlingsaufnahme zuständigen Gemeinden entwickelten. Herausgearbeitet werden die damit verbundenen verwaltungs- und integrationspolitischen Herausforderungen ebenso wie die migrationspolitischen Strukturen im vielfältig verflochtenen deutschen Föderal- und europäischen Mehrebenensystem. Einen aktuellen Blick über Europa hinaus wirft Susanne Gratius mit ihrem Beitrag zur mexikanischen Arbeitsmigration in die USA. Sie arbeitet heraus, welche Bedeutung das 1994 unterzeichnete Freihandelsabkommen NAFTA (North American Free Trade Agreement) für die wirtschaftliche Abhängigkeit Mexikos von den Vereinigten Staaten und als Push-Faktor für die Migration mexikanischer Arbeitnehmer*innen bis heute hat. Die gesellschaftliche Spaltung innerhalb der USA wird dabei ebenso beleuchtet wie Spannungen innerhalb verschiedener dort lebender Migrant*innengruppen. Seit 2001, so Gratius, habe innerhalb der US-amerikanischen Debatte eine „Versicherheitlichung“ des Migrationsthemas stattgefunden, die mit dem Amtsantritt Donald Trumps einen weiteren signifikanten Schub erfahren habe. *** Mein Dank gilt dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die großzügige Unterstützung der internationalen Tagung, aus der dieser Band hervorgegangen ist, sowie der Munk School of Global Affairs der University of Toronto, namentlich Randall Hansen, als unserem Kooperationspartner. Die organisatorische Durchführung der Konferenz wie auch die Erstellung des Sammelbandes wäre nicht möglich gewesen ohne die tatkräftige Unterstützung zahlreicher Kolleg*innen am Institut für Zeitgeschichte München – Berlin, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte: Tobias Hof, Christina Holzmann, Eva Lütkemeyer,

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Agnes Bresselau von Bressensdorf

Silke Mende, Malte Müller, Tara Ohloff, Simone Paulmichl, Caroline Rieger und Michael Schwartz. Danken möchte ich zudem Jon Ashby für das copy-editing der Beiträge sowie dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die stets angenehme Zusammenarbeit und professionelle Begleitung des Publikationsprozesses.

I. Perspektiven der Forschung

Jochen Oltmer

Migration im Prozess gesellschaftlichen Aushandelns: Eine geschichtswissenschaftliche Verortung Auf räumliche Bewegungen bezogene Begriffe wie „Arbeitswanderung“, „Flucht“, „Vertreibung“, „Umweltmigration“, „Landflucht“, „Wirtschaftsflüchtlinge“, „Illegale“ und „Geflüchtete“ sind politisch, medial und wissenschaftlich hart umkämpft. Eine Vielzahl von Subbegriffen und Subkategorien kennzeichnet das Sprechen und das Schreiben über Migration und die in solchen Kontexten je spezifisch bezeichneten und kategorisierten Menschen. Sie bieten Identitäts­formate und Hierarchisierungen, die an Nützlichkeitserwägungen und -erwartungen der „Aufnahmegesellschaft“ orientiert sind oder tradierte, als „kulturell“ markierte Zuschreibungen bedienen. Die Wahrnehmung dessen, was mit welchen Begriffen vor dem Hintergrund welcher Begründungen als „Migration“ gesellschaftlich verstanden und ausgehandelt wird, verschiebt sich folglich ständig. Fortwährend produzieren politische, soziale, administrative, kulturelle oder pädagogische Praktiken gesteuert oder ungesteuert, routiniert oder habitualisiert, institutionalisiert oder spontan neue migratorische Realitäten, ordnen sie Vorstellungen über Homogenität oder Heterogenität, Differenz oder Gleichheit, Nähe oder Distanz zu. Zum Teil verfestigen sich solche Praktiken als Normen und Strukturen in Form von rechtlichen Regelungen, Gesetzen oder dem Auf-, Ab- beziehungsweise Umbau von Organisationen. Die Historische Migrationsforschung hat insbesondere seit den späten 1980er Jahren eine Vielzahl von Migrationsformen, Wanderungsvorgängen und Diskursen über räumliche Bewegungen erschlossen. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts ist diese Forschungsrichtung beschleunigt gewachsen.1 Weiterhin dominiert zwar der Blick auf das 19. und vor allem auf das 20. Jahrhundert, seit Jahren aber haben sich im Feld auch jene Forschungsaktivitäten verstärkt, die auf die Frühe Neuzeit2 und das Mittelalter3 gerichtet sind. Mithin wäre eine Voraussetzung geschaffen, ein epochenübergreifendes Bild der historischen Wanderungsverhältnisse zu entwickeln und einen Beitrag zu leisten, die migratorischen Prozesse, Strukturen und Diskurse der Gegenwart zu verstehen. 1 Zu den Perspektiven der Forschungsentwicklung vgl. Jochen Oltmer, Migration vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, Berlin / Boston 2016, S. 73–150. 2 Vgl. Ulrich Niggemann, Migration in der Frühen Neuzeit. Ein Literaturbericht, in: Zeitschrift für Historische Forschung 43 (2016), S. 293–321. 3 Vgl. Michael Borgolte, Migrationen im Mittelalter. Ein Handbuch, Berlin / Boston 2014.

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Allerdings ordnen viele der Forschungsbeiträge der vergangenen Jahre die untersuchten Migrationsphänomene als mehr oder minder solitäres Ergebnis je spezifischer sozioökonomischer, politischer oder kultureller Konstellationen (die nicht selten als „Krisen“ verstanden werden) ein. Ausmachen lässt sich eine Tendenz geschichtswissenschaftlichen Arbeitens, isolierte Einzelperspektiven herauszuarbeiten, die wenig Wert darauf legen, Relationen, Hierarchien und Wechselverhältnisse offenzulegen, also das Handeln Einzelner oder Mikrostrukturen in Meso- und Makrokontexte bzw. -strukturen zu fügen, um nicht im kleinen Untersuchungsfeld bei einer Tiefenbohrung mit vergrößertem Beobachtungsmaßstab den Bezug auf übergeordnete Perspektiven zu verlieren. Als eine Reaktion darauf kann das Bemühen verstanden werden, neue Perspektiven durch die Auseinandersetzung mit dem Konzept der „Migrationsregime“ und des „Aushandelns von Migration“ zu bieten. In diesen Kontext siedelt sich der vorliegende Beitrag an. Er erläutert zunächst einführend Beobachtungsperspektiven der Historischen Migrationsforschung und skizziert in der Folge ein Konzept von Migrationsregimen sowie einen Ansatz zur Analyse von Aushandlungsprozessen, die Migration form(t)en und herstell(t)en.

1. Beobachtungsperspektiven der Historischen Migrationsforschung Historische Migrationsforschung untersucht räumliche Bevölkerungsbewegungen unterschiedlichster Größenordnung auf den verschiedensten sozialen Ebenen.4 Das gilt beispielsweise für die vor allem mit Hilfe von prozess-produzierten Massendaten und quantitativen Methoden in ihren Dimensionen, Formen und Strukturen erschlossenen, sehr umfangreichen europäischen Abwanderungen nach Übersee im „langen“ 19. Jahrhundert5 oder für die zwischen Land und Stadt bzw. den verschiedenen Städtetypen und -größen fluktuierenden intraund interregionalen Arbeitswanderungen im Prozess von Industrialisierung und 4 Zu Begriffen und Ansätzen vgl. William H. McNeill / Ruth S. Adams (Hg.), Human Migration. Patterns and Policies, Bloomington 1978; Dirk Hoerder / Leslie Page Moch (Hg.), European Migrants. Global and Local Perspectives, Boston 1996; Virginia Yans-McLaughlin (Hg.), Immigration Reconsidered. History, Sociology and Politics, New York 1990; Klaus J. Bade, Sozialhistorische Migrationsforschung, Göttingen 2004; Jan Lucassen / Leo Lucassen (Hg.), Migration, Migration History, History. Old Paradigms and New Perspectives, Bern 32005; Dirk Hoerder / Jan Lucassen / Leo Lucassen, Terminologien und Konzepte in der Migrationsforschung, in: Klaus J. Bade u. a. (Hg.), Enzyklopädie Migration in Europa vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 32010, S. 28–53, und Jochen Oltmer, Globale Migration. Geschichte und Gegenwart, München 32016, S. 9–30. 5 Überblicksdarstellungen zur europäischen überseeischen Migration bieten Walter Nugent, Crossings. The Great Transatlantic Migrations 1870–1914, Bloomington 1992; Dudley Baines, Emigration from Europe 1815–1930, Cambridge 1995, und Klaus J. Bade, Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2000, S. 121–168.

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Urbanisierung.6 Es gilt aber auch für die Frage nach den Motiven sowie nach den Migrations- bzw. Integrationsstrategien einzelner Kollektive, Familien oder Individuen. Insbesondere mit den aus anderen Staaten zugewanderten Arbeitsmigrant*innen in den west-, mittel- und nordeuropäischen Industriestaaten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sowie mit deutlich größeren Dimensionen seit den 1950er Jahren hat sich die Forschung in den letzten Jahren zunehmend beschäftigt.7 Das Ziel vieler Migrationen ist es, durch die räumliche Bewegung Handlungsmacht zu erschließen oder zu vermehren: Migrant*innen streben danach, durch den temporären oder dauerhaften Aufenthalt andernorts Erwerbs- oder Siedlungsmöglichkeiten, Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Ausbildungs- oder Heiratschancen zu verbessern bzw. sich neue Chancen durch eigene Initiative zu erschließen.8 Systematisch anders müssen die Hintergründe der durch Gewalt induzierten Migrationen gefasst werden:9 Von Gewaltmigration lässt sich dann sprechen, wenn staatliche oder quasi-staatliche, zum Teil auch nicht-staatliche Akteure (Über-) Lebensmöglichkeiten und körperliche Unversehrtheit, Rechte, Freiheit und politische Partizipationschancen von Einzelnen oder Kollektiven so weitreichend beschränken, dass diese sich zum Verlassen ihres Lebensmittelpunkts gezwungen sehen. Gewaltmigration kann als eine Nötigung zur räumlichen Bewegung verstanden werden, die keine realistische Handlungsalternative zuzulassen scheint. Der Begriff der Flucht verweist auf das Ausweichen vor Makrogewalt,10 die zu6 Vgl. Art van der Woude / Akira Hayami / Jan de Vries (Hg.), Urbanization in History. A Process of Dynamic Interactions, Oxford 1990; Paul M. Hohenberg / Lynn Hollen Lees, The Making of Urban Europe 1000–1994, Cambridge 21995; Friedrich Lenger, Metropolen der Moderne. Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850, München 22014, S. 50–113. Zum deutschen Beispiel vgl. Dieter Langewiesche, Wanderungsbewegungen in der Hochindustrialisierungsperiode. Regionale, interstädtische und innerstädtische Mobilität in Deutschland 1880–1914, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 64 (1977), S. 1–40, und Steve Hochstadt, Mobility and Modernity. Migration in Germany, 1820–1989, Ann Arbor 1999. 7 In europäischer Perspektive: Jochen Oltmer / Axel Kreienbrink / Carlos Sanz Díaz (Hg.), Das „Gastarbeiter“-System. Arbeitsmigration und ihre Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa, München 2011. Vgl. als neueren Überblick zur Bundesrepublik: Monika Mattes, Wirtschaftliche Rekonstruktion in der Bundesrepublik Deutschland und grenzüberschreitende Arbeitsmigration von den 1950er bis zu den 1970er Jahren, in: Jochen Oltmer (Hg.), Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin / Boston 2016, S.  815–852. 8 Vgl. Charles Tilly, Migration in Modern European History, in: McNeill / Adams (Hg.): Human Migration, S. 48–72, hier: S. 72. 9 Zum Begriff und Konzept von „Gewaltmigration“ vgl. Jochen Oltmer, Das „lange“ 20. Jahrhundert der Gewaltmigration, in: Martin Sabrow / Peter Ulrich Weiß (Hg.), Das 20. Jahrhundert vermessen. Signaturen eines vergangenen Zeitalters, Göttingen 2017, S. 96–114; Ders., Gewaltmigration und Aufnahme von Schutzsuchenden im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften / Journal for Comparative Government and European Policy (ZSE) 14/4 (2016), S. 455–482. 10 Vgl. Ekkart Zimmermann, Makrogewalt: Rebellion, Revolution, Krieg, Genozid, in: Günter Albrecht / Axel Groenemeyer (Hg.), Handbuch soziale Probleme, Wiesbaden 2012, S. 861–885.

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meist aus politischen, ethno-nationalen, rassistischen, genderspezifischen oder religiösen Gründen ausgeübt oder angedroht wird. Im Falle von Vertreibungen, Umsiedlungen oder Deportationen organisieren und legitimieren (staatliche, halb-, quasi-, zum Teil auch nicht-staatliche) Organisationen unter Androhung und Anwendung von Gewalt räumliche Bewegungen. Ziel ist es zumeist, (Teile von) Bevölkerungen zur Durchsetzung von Homogenitätsvorstellungen bzw. zur Sicherung oder Stabilisierung von Herrschaft zu entfernen, nicht selten aus eroberten oder durch organisierte Gewalt erworbenen Territorien.11 Räumliche Bewegungen von Menschen, die durch Androhung oder Anwendung von offener Gewalt bedingt waren, sind kein Spezifikum des 20. und frühen 21. Jahrhunderts – ebenso wenig wie Krieg, Staatszerfall und Bürgerkrieg als wesentliche Hintergründe von Gewaltmigration. Fluchtbewegungen, Vertreibungen und Deportationen finden sich vielmehr in allen Epochen. Dennoch lässt sich Gewaltmigration allein aufgrund des Umfangs der Bewegungen als Signatur des 20. Jahrhunderts in Europa beschreiben: Der europäische Kontinent bildete den zentralen Schauplatz beider Weltkriege. Allein die Zahl der Flüchtlinge, Vertriebenen und Deportierten im Europa des Zweiten Weltkriegs wird auf 60 Millionen geschätzt und damit auf mehr als 10 % der Bevölkerung des Kontinents.12 Die Nachkriegszeit beider Weltkriege war zudem durch millionenfache Folgewanderungen gekennzeichnet. Dazu zählten zum einen Rückwanderungen von Flüchtlingen, Evakuierten, Vertriebenen, Deportierten oder Kriegsgefangenen sowie zum anderen Ausweisungen, Vertreibungen oder Fluchtbewegungen von Minderheiten aufgrund der Bestrebungen von Siegerstaaten, die Bevölkerung ihres (zum Teil neu gewonnenen) Territoriums zu homogenisieren. Auch der Kalte Krieg als auf den Zweiten Weltkrieg folgender globaler Systemkonflikt, der Europa und Deutschland teilte, hinterließ tiefe Spuren im europäischen Gewaltmigrationsgeschehen. Neben Krieg und Bürgerkrieg tritt das Handeln autoritärer Herrschaftssysteme als Hintergrund von Gewaltmigration. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts prägten nationalistische, faschistische und kommunistische Systeme, die ihre Herrschaft durch die Homogenisierung ihrer Bevölkerungen zu sichern suchten: um politische Homogenität durch die Marginalisierung oder Austreibung politischer Gegner zu erreichen; um soziale Homogenität durch gewaltsame Nivellierung von Lebensverhältnissen und Lebensentwürfen durchzusetzen (etwa als Ausgrenzung und Druck zur Anpassung von „Klassenfeinden“ in kommunistischen Herrschaften); um „ethnische“ oder „rassische“ Homogenität zu erzwingen (wie insbesondere im nationalsozialistischen Machtbereich). Als Gefahr für Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur verstandene und als distinkt konstruierte politische, nationale, soziale, ethnische oder „rassische“ Kollektive innerhalb der eigenen Grenzen („Minderheiten“) wurden zum Teil derart ihrer politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Handlungsmacht beraubt, dass ein 11 Vgl. dazu auch den Beitrag von Michael Schwartz in diesem Band [Anm. d. R.]. 12 Eugene M. Kulischer, Europe on the Move. War and Population Changes, 1917–47, New York 1948, S. 264.

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Ausweichen alternativlos zu sein schien oder Vertreibungen und Umsiedlungen möglich wurden. Migration zur Wahrnehmung von Chancen andernorts verbindet sich hingegen oft mit (erwerbs-)biographischen Wendepunkten und Grundsatzentscheidungen wie die Wahl von Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz, den Eintritt in einen Beruf oder die Partnerwahl und die Familiengründung; Der überwiegende Teil der Migrant*innen sind folglich Jugendliche und junge Erwachsene. Solche Migrationen sind somit bedingt durch spezifische sozial relevante Merkmale, Attribute und Ressourcen, darunter vor allem Geschlecht, Alter und Position im Familienzyklus, Habitus, Qualifikationen und Kompetenzen, soziale (Stände, Schichten) und berufliche Stellung sowie die Zuweisung zu „Ethnien“, „Kasten“, „Rassen“ oder „Nationalitäten“, die sich nicht selten mit Privilegien und (Geburts-)Rechten verbinden. Angesichts einer je unterschiedlichen Ausstattung mit ökonomischem, kulturellem, sozialem, juridischem und symbolischem Kapital erweisen sich damit die Grade der Autonomie von Migrant*innen als Individuen und in Netzwerken oder Kollektiven als unterschiedlich groß. Ein Migrationsprojekt umzusetzen, bildete in den vergangenen Jahrhunderten häufig das Ergebnis eines durch Konflikt oder Kooperation geprägten Aushandlungsprozesses in Familien, in Familienwirtschaften bzw. Haushalten oder in Netzwerken. Die Handlungsmacht derjenigen, die die Migration vollzogen, konnte dabei durchaus gering sein, denn räumliche Bewegungen zur Erschließung oder Ausnutzung von Chancen zielten keineswegs immer auf eine Stabilisierung oder Verbesserung der Lebenssituation der Migrant*innen selbst. Familien oder andere Herkunftskollektive sandten vielmehr häufig Angehörige aus, um mit den aus der Ferne eintreffenden „Rücküberweisungen“ oder anderen Formen des Transfers von Geld die ökonomische und soziale Situation des zurückbleibenden Kollektivs zu konsolidieren oder zu verbessern. Ob und inwieweit eine temporäre, zirkuläre oder auf einen längerfristigen Aufenthalt andernorts ausgerichtete Migration als individuelle oder kollektive Chance verstanden wurde, hing entscheidend ab vom Wissen über Migrationsziele, -pfade und -möglichkeiten. Damit Arbeits-, Ausbildungs- oder Siedlungswanderungen einen gewissen Umfang und eine gewisse Dauer erreichen konnten, bedurfte es kontinuierlicher und verlässlicher Informationen über das Zielgebiet. Solcherlei Wissen vermittelten mündliche und schriftliche Auskünfte staatlicher, religiöser oder privater Organisationen oder Beratungsstellen. Die verschiedensten Medien verbreiteten zudem Informationen, die für den Wanderungsprozess von Belang sein konnten – von der „Auswandererliteratur“ des 19. Jahrhunderts über Artikel in Zeitungen und in Zeitschriften bis hin zu Berichten im Rundfunk, im Fernsehen oder im Internet. Auch die staatliche oder private Anwerbung von Arbeitsoder Siedlungswanderern – zum Beispiel mit Hilfe von Agenten bzw. Werbern – kann als eine Form des Transfers von Wissen über Chancen der Migration verstanden werden. Wesentlich bedeutsamer für die Vermittlung von mündlichen oder schriftlichen Informationen über Chancen und Gefahren der Abwanderung bzw. Zu-

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wanderung, über räumliche Ziele, Verkehrswege sowie psychische, physische und finanzielle Belastungen waren und sind allerdings vorausgewanderte (Pionier-) Migrant*innen, deren Nachrichten aufgrund von verwandtschaftlichen oder bekanntschaftlichen Verbindungen ein hoher Informationswert beigemessen wird. Sie etablieren Kettenwanderungen, bei denen Migrant*innen bereits abgewanderten Verwandten und Bekannten folgen. Netzwerkforschung ist mithin eine wichtige Methode Historischer Migrations­ forschung; denn Herkunftsräume und Zielgebiete sind in der Regel über Netzwerke, also über durch Verwandtschaft, Bekanntschaft und eng geschlossene Herkunftskollektive zusammengehaltene Kommunikationssysteme miteinander verbunden.13 Loyalität und Vertrauen bilden zentrale Bindungskräfte solcher Netzwerke. Vertrauenswürdige, zur Genese und Umsetzung des Wanderungsentschlusses beitragende Informationen stehen potenziellen Migrant*innen häufig nur für einen Zielort bzw. für einzelne, lokal begrenzte Siedlungsmöglichkeiten oder spezifische Erwerbsbereiche zur Verfügung, sodass realistische Wahlmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Zielen nicht bestehen. Die migratorische Handlungsmacht des Einzelnen bleibt damit zwar einerseits beschränkt, andererseits aber beherbergt das Zielgebiet ein komplexes Netzwerk verwandtschaftlich-bekanntschaftlicher Beziehungen. Je umfangreicher dieses Netzwerk ist und je intensiver darin soziale Beziehungen gepflegt werden, desto mehr ökonomische und soziale Chancen bietet es – gerade an der Intensität und Größe des Netzwerkes bemisst sich immer auch die Attraktivität eines Migrationszieles. Vor diesem Hintergrund erhöht ein Migrantennetzwerk nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Migration stattfindet. Vielmehr konstituiert es auch Wanderungstraditionen und beeinflusst damit die Dauerhaftigkeit einer Migrationsbewegung zwischen Herkunftsraum und Zielgebiet, die über lange Zeiträume und zum Teil über Generationen existieren. Für die Untersuchung solcher Kontexte kann eine große Zahl unterschiedlicher Materialien herangezogen werden, die sich mit verschiedenen Methoden untersuchen lassen: Hermeneutische Methoden erschließen Motive und Ziele der Migrant*innen, aber auch jener Akteure, die Migration beobachten und beeinflussen. Entschlüsseln lassen sich Handlungswissen, Handlungsstrategien, Selbstkonstruktionen und identitäre Verortungen auf der Grundlage insbesondere von Selbstzeugnissen (beispielsweise Briefe, Tagebücher, Lebensbeschreibungen, Zeitungsanzeigen) oder auch, wenngleich in deutlich geringerem Umfang, von visuellem Material (vor allem Gemälde, Zeichnungen, Fotos, Filme). Für den 13 Vgl. Michael Bommes, Migrantennetzwerke in der funktional differenzierten Gesellschaft, in: Ders. / Veronika Tacke (Hg.), Netzwerke in der funktional differenzierten Gesellschaft, Wiesbaden 2011, S. 241–259. Zu den Perspektiven der vielgestaltigen Netzwerkforschung vgl. Marten Düring / Ulrich Eumann, Historische Netzwerkforschung. Ein neuer Ansatz in den Geschichtswissenschaften, in: Geschichte und Gesellschaft 39 (2013), S. 286–305; Johannes Weyer, Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung, München 32014, und Jan A. Fuhse, Soziale Netzwerke. Konzepte und Forschungsmethoden, Konstanz 2016.

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Kontext zeithistorischer Forschungen treten lebensgeschichtliche Interviews hinzu. Von der Mehrzahl der (potentiellen) Migrant*innen der vergangenen Jahrhunderte und Jahrzehnte sind keine Selbstzeugnisse überliefert oder nur mehr in Spuren verfügbar. Um die Handlungen von Migrant*innen sowie deren Einstellungen, Erfahrungen, Erwartungen, Motive und lebensgeschichtliche Verortungen unter Nutzung inhaltsanalytischer Methoden zu untersuchen, greift die Historische Migrationsforschung deshalb überwiegend auf Material zurück, das den Beständen, Beobachtungen und Bewertungen anderer, insbesondere institutioneller Akteure, also den Produzent*innen von Kategorisierungen, von Daten und Entscheidungen entstammt. Solche liegen zum einen schriftlich vor, etwa in Form von Protokollen von Verhören und aus Gerichtsverfahren, Pässen, Einbürgerungsurkunden, Fallakten zu Einbürgerungen, Ausweisungen, Einreisen und Aufenthaltstiteln, amtliche, ärztliche oder wissenschaftliche Berichte. Zum anderen bestehen sie  – deutlich seltener  – aus mündlichen Informationen wie Experten- bzw. richtiger: Akteursinterviews. In aller Regel entstammen diese Überlieferungen den Diskursen und Praktiken von Herrschenden und von Eliten, erfordern also spezifische hermeneutische Herangehensweisen, um beispielsweise die Aspirationen sowie die Welt- und Situationsdeutungen, die das Handeln von Migrant*innen beeinflusste bzw. prägte, erschließen zu können. Unaufwendiger ist vor diesem Hintergrund demgegenüber das Herausarbeiten der Wahrnehmungen, der Praktiken und Handlungen der Beobachter*innen von Migration. Historische Migrationsforschung untersucht sowohl Wanderungsprozesse, die auf dauerhafte Niederlassung in einem Zielgebiet ausgerichtet waren (und entsprechender Vorbereitungen in den Herkunftsgebieten bedurften), als auch die zahlreichen Formen zeitlich befristeter Aufenthalte – von den saisonalen oder zirkulären Bewegungen über die mehrjährigen Arbeitsaufenthalte in der Ferne bis hin zu dem in der Regel über einen begrenzten Zeitraum aufrecht erhaltenen Umherziehen als ortloser Wanderarbeiter. Damit überwindet sie eine lange in der historischen Forschung dominierende Sicht, die Migration vorwiegend als einen linearen Prozess verstand, der von der Wanderungsentscheidung im Ausgangsraum über die Reise in das Zielgebiet bis zur dort vollzogenen dauerhaften Niederlassung reichte.14 Vielmehr bleibt der Prozess der Migration grundsätzlich ergebnisoffen, denn das Wanderungsergebnis entspricht bei weitem nicht immer der Wanderungsintention: Eine geplante Rückkehr wird aufgeschoben, räumliche Bewegungen werden abgebrochen, weil ein zunächst nur als Zwischenstation gedachter Ort unverhofft neue Chancen bietet. Umgekehrt kann sich das geplante Ziel als ungeeignet oder wenig attraktiv erweisen, woraus eine Weiterwanderung resultiert. Zudem vermag der (individuell oder kollektiv wie auch immer definierte) Erfolg im Zielgebiet eine Rückkehr möglich oder der Misserfolg sie nötig machen.

14 Vgl. Klaus J. Bade, Sozialhistorische Migrationsforschung, in: Ernst Hinrichs / Henk van Zon (Hg.), Bevölkerungsgeschichte im Vergleich: Studien zu den Niederlanden und Nordwestdeutschland, Aurich 1988, S. 63–74.

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Auch die Herausbildung, der Wandel und das Auslaufen von Wanderungs­ systemen15 gehört zum Gegenstandsbereich moderner Historischer Migrationsforschung. Ein Wanderungssystem wird als eine relativ stabile und lang währende migratorische Beziehung zwischen einer Herkunfts- und einer Zielregion verstanden. Die Forschung fragt danach, warum und auf welche Weise sich solche zum Teil über Jahrzehnte oder Jahrhunderte existierenden inter- und transregionalen Migrationsbeziehungen etablierten und stabilisierten – und verweist in der Regel auf bereits bestehende wirtschaftliche, politische oder kulturelle Verbindungen und Beziehungen, die einen engen interregionalen Güter-, Dienstleistungs-, Informations- und Personenaustausch ermöglichten und strukturierten. Untersuchungen zu Migrantennetzwerken und zur Etablierung von Wanderungstraditionen, insbesondere im Kontext von Arbeits- und Siedlungswanderungen, zeigen, mit welcher Dynamik Migration die bestehenden Austauschbeziehungen transformierte. Beiträge aus der Historischen Migrationsforschung vermögen darüber hinaus Momentaufnahmen der gesamten Migrationssituation in einem Raum zu bieten, bei der Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Wanderungsformen in einer spezifischen sozialen, ökonomischen, demographischen und politischen Konstellation ausgeleuchtet werden. Der Erschließung dienen in diesem Kontext veröffentlichte und unveröffentlichte Unterlagen der amtlichen Statistik auf den verschiedenen Ebenen, die die Forschung vor allem im Blick auf die kritische Einschätzung der je spezifischen Produktionsinteressen und -bedingungen vor erhebliche Herausforderungen stellen: Den großen räumlichen Bevölkerungsbewegungen wurde in der Regel unmittelbare statistische Aufmerksamkeit zuteil, denn sie galten als sozial, ökonomisch, demographisch und politisch relevante Phänomene und Probleme  – mit der Folge der Ausarbeitung besonderer Kategorisierungslogiken, die in der Historischen Migrationsforschung nicht selten unhinterfragt zum Maßstab eigener Einschätzungen werden. Kern des Aufstiegs der modernen amtlichen Statistik seit dem 17. Jahrhundert bildete die Bevölkerungsstatistik, die insbesondere wegen der Erfassung von Steuer- und Militärpflichtigkeit für die Planung und Durchführung staatlicher Aktivitäten ein hohes Gewicht hatte. In diesem Kontext bildete von Beginn an auch die Registrierung von Umfang, Dynamik, Zielrichtung und sozialer Zusammensetzung von Migrationsbewegungen ein wichtiges Element. Das gilt für Volkszählungen, die zunächst sporadisch, fallweise und wenig differenziert, seit dem 19. Jahrhundert dann regelmäßig und mit hohem Aufwand die Bevölkerung vermaßen.16 Für die Historische Migrationsforschung nutzbare Daten bieten darüber hinaus meldestatistische Angaben (Bevölkerungs- und Melderegister) auf der Ebene von 15 Vgl. Jan Lucassen, Naar de Kusten van de Noordzee. Trekarbeid in Europees perspektief 1600–1900, Gouda 1984. 16 Vgl. dazu u. a. Michael C. Schneider, Wissensproduktion im Staat. Das königlich preußische statistische Bureau 1860–1914, Frankfurt a. M. 2013, und Kerstin Brückweh, Menschen zählen. Wissensproduktion durch britische Volkszählungen und Umfragen vom 19. Jahrhundert bis ins digitale Zeitalter, Berlin 2015.

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Staaten oder Kommunen sowie Informationen über den Umfang von Grenzübertritten, Ausweisungen, Vertreibungen und die Ausgabe von Dokumenten (Pässe, Visa). Seit dem späten 19. Jahrhundert gewannen darüber hinaus arbeitsmarktstatistische Angaben an Gewicht. Prozess-produzierte Daten zu den verschiedensten migratorischen Phänomenen liegen für die Neuzeit in unterschiedlichster Güte und Reichweite vor. Die Bandbreite – und die Herausforderungen des kritischen Umgangs mit dem Material – kann dabei als enorm bezeichnet werden: Die Angaben verweisen auf relativ schlichte Einschätzungen über den Umfang einzelner Bewegungen, markieren aber mit dem beschleunigten Verwaltungsausbau, mit dem Aufstieg interventionsstaatlicher Maßnahmen und mit dem gesellschaftlichen Bedeutungsgewinn des Redens und Sprechens über Migration seit dem (späten) 19. Jahrhundert auch hochdifferenzierte Daten, die eine detaillierte quantitative Analyse ermöglichen – von der Arbeitsmarktbeteiligung von Migrant*innen über die soziale Zusammensetzung, demographische Kennziffern bis hin zu Heiratsverhalten, Medienkonsum und Ernährungsgewohnheiten. Verfahren der deskriptiven Statistik dominieren dabei methodisch gegenüber solchen der explorativen Statistik. Historische Migrationsforschung fragt somit erstens nach Migrationsaspirationen, den Hintergründen von Migrationsentscheidungen, der Entwicklung von (genderspezifischen) Migrationsstrategien im Kontext individueller und kollektiver Migrationsprojekte unter je verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen, politischen, ökologischen sowie kulturellen und sprachlichen Bedingungen; zweitens nach den vielgestaltigen Mustern räumlicher Bewegungen zwischen Herkunftsund Zielgebieten im Kontext der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Wechselbeziehungen zwischen beiden Räumen; drittens nach der Konstitution und der Funktionsweise von migrantischen Netzwerken und Organisationen; viertens nach den Erwartungen und Erfahrungen von Migrant*innen; fünftens nach den Dimensionen, Formen und Folgen der Zuwanderung im Zielgebiet, die temporären Charakter haben, aber auch in einen Generationen übergreifenden Prozess dauerhafter Niederlassung münden konnte; sechstens nach den Lebensverhältnissen und Lebensläufen von Migrant*innen; siebtens nach den Selbstkonstruktionen, Praktiken und Herausforderungen der Identitätsbildung im Prozess von Migration; achtens nach den Bemühungen von Obrigkeiten, Staaten und nicht-staatlichen Organisationen um Einflussnahme auf Migration bis hin zur Forcierung von Bewegungen durch Gewalt; neuntens nach der (wissen­ schaftlichen) Wissensproduktion über Migration; zehntens nach der Genese von Migration als Medienereignis sowie elftens nach den Rückwirkungen der Abwanderung auf zurückbleibende Angehörige von Familien und Kollektiven sowie auf die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Strukturen und Dynamiken in den Ausgangsräumen.17

17 Beispielhaft auf Deutschland bezogen vgl. Oltmer, Migration vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, S. 1–72.

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2. Migrationsregime Die Ergebnisse der Historischen Migrationsforschung lassen deutlich werden, dass individuelles und kollektives Handeln von (potentiellen) Migrant*innen stets Kontroll-, Steuerungs- und Regulierungsanstrengungen unterschiedlicher institutioneller Akteure unterlag. Ausgemacht werden kann also, dass institutionelle Akteure die Handlungsmacht (die Agency) von Individuen oder Kollektiven beschränkten oder erweiterten, mithilfe von Bewegungen zwischen geographischen und sozialen Räumen Arbeits-, Erwerbs- oder Siedlungsmöglichkeiten, Bildungs- oder Ausbildungschancen zu verbessern bzw. sich neue Chancen zu erschließen. Die Versuche der Einflussnahme stellten auch eine Reaktion auf beobachtete Handlungsweisen von Migrant*innen, auf konkurrierende Kontroll-, Steuerungs- und Regulierungsanstrengungen anderer institutioneller Akteure sowie auf durch Migrationsprozesse induzierten sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Wandel dar. Was folgt daraus für die Beobachtung historischer Wanderungsvorgänge? Migrationsbewegungen wurden und werden durch ein (je spezifisches) Geflecht von Normen, Regeln, Konstruktionen, Wissensbeständen und Handlungen institutioneller Akteure mitgeprägt. Es kann als Migrationsregime gefasst werden. Der Begriff des Regimes verweist auf sehr unterschiedliche Verwendungszusammenhänge. Allgemein, auch in wissenschaftlichen Kontexten, wird von Regimen im Sinne von autoritären politischen Systemen gesprochen, ohne dass sich allerdings eine systematische, an einer klaren wissenschaftlichen Definition orientierte Begriffsverwendung erkennen ließe. Eine reflektierte Verwendung des Begriffes Regime und die Fundierung in einem wissenschaftlichen Konzept lässt sich für die Forschung zu internationalen Beziehungen seit den 1970er Jahren ausmachen und verweist auf Prinzipien, Normen, Regeln und Prozeduren, die für spezifische Politikfelder auf Dauer die Kooperation zwischen den beteiligten Staaten ordnen.18 In die Migrationsforschung sind Regimebegriffe über die politikwissenschaftliche Untersuchungen zu Governance bzw. zum Management von Migration eingegangen.19 Eine kritische Position gegenüber den dort häufig gepflegten Vorstellungen von den Erfordernissen (und Möglichkeiten) einer weitreichenden Kontrolle und Steuerung grenzüberschreitender Migrationen hat den Begriff aufgenommen und hervorgehoben, dass die gängigen Überlegungen zum Management von Migration Migrant*innen ausschließlich als Objekte des Kategorisierens, Verwaltens und

18 Vgl. Stephen D. Krasner, Structural Causes and Regime Consequences: Regimes as Inter­ vening Variables, in: International Organization 36 (1982), S. 185–205, und Andreas Hasenclever / Peter Mayer / Volker Rittberger, Theories of International Regimes, Cambridge 1997. 19 Vgl. u. a. Bimal Gosh, Managing Migration. Time for a New International Regime?, Oxford 2000, und Kristof Tamas / Joakim Palme (Hg.), Globalising Migration Regimes. New Challenges to Transnational Cooperation, Aldershot 2004.

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Steuerns sehen.20 Demgegenüber betont die Grenzregimeforschung in sozialkonstruktivistischer Perspektive die Agency von Migrant*innen gegenüber staatlichen Institutionen. Dieser Ansatz hat die Forschung im Anschluss an Perspektiven der Border Studies auch methodisch deutlich vorangebracht, neigt aber vor dem Hintergrund einer meist hervorgehobenen aktivistischen Positionierung zu einer grundsätzlichen Perhorreszierung staatlicher Akteure und zu einer Romantisierung von Migrant*innen.21 „Regime“ leitet sich aus dem Lateinischen ab und verweist auf die „Regierung“, die „Leitung“, das Verb „regere“ auf „lenken“, „herrschen“ und „beherrschen“. Ein Regimebegriff, der nicht ausschließlich auf institutionalisierte, formalisierte und relativ stabile Formen von Macht und Machtbeziehungen verweist, sondern alle an der Hervorbringung, Beobachtung und Gestaltung von Migration beteiligten Interessen und Akteur*innen (also insbesondere Migrant*innen selbst) als Teil des Regimes versteht, bliebe allerdings zu weit und zu unspezifisch. Untersuchungen von Aushandlungsprozessen wiederum können die unterschiedlichsten sozialen Beziehungen erfassen, die in Konflikt oder Kooperation auf das Erwerben von (mindestens sporadischer) Macht ausgerichtet sind, nicht aber in jedem Fall Herrschaftsbeziehungen meinen. Im Blick auf die Begriffe „Macht“ und „Herrschaft“ sei auf Max Webers grundsätzliche Begriffsbestimmung verwiesen: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“.22 „Macht“ bezieht sich hierbei nicht auf eine im Alltagsgebrauch anzutreffende Perspektive des Gegenständlichen, der Vorstellung des Besitzes, des Habens von Macht, sondern auf eine Relation: „Macht“ als soziales Verhältnis, „Macht“ als Asymmetrie in sozialen Beziehungen, die sehr unterschiedliche Formen annehmen kann – mal auf längere Dauer ausgerichtet, mal ad hoc auftretend, mal umfassend, mal auf einzelne Situationen und Konstellationen bezogen. „Macht“ wird fortwährend neu ausgehandelt. Weber definiert demgegenüber Herrschaft als „die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“,23 dabei gehöre „zu jedem echten Herrschaftsverhältnis […] ein bestimmtes Minimum an Gehorchenwollen, also: (äußerem und innerem) Interesse am Gehorchen“.24 In diesem Sinne ist Herrschaft verfestigte, verstetigte Macht, die insbesondere als institutionalisierte und formalisierte, auf Dauerhaftigkeit ausgerichtete Machtaus20 Unter vielen Beiträgen vgl. Richard King / Ronald Skeldon, „Mind the Gap!“ Integrating Approaches to Internal and International Migration, in: New Community 36 (2010), S. ­1619–1647, hier: S. 1621 f., und Martin Geiger (Hg.), Disciplining the Transnational Mobility of People, Basingstoke 2013. 21 Unter zahlreichen Beiträgen vgl. u. a. Transit Migration Forschungsgruppe (Hg.), Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas, Bielefeld 2007. 22 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5Tübingen 1976, S. 28 f. 23 Ebd., S. 28. 24 Ebd., S. 122.

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übung eines Individuums oder eines Kollektivs über andere Kollektive verstanden werden kann, die auf Gehorsam und auf Legitimität ausgelegt ist, um mehr als nur sporadisch wirken zu können. Vor allem Organisationen sorgen für Herrschaft als „Sonderfall von Macht“,25 für die (relativ) verdauerte Durchsetzung der Asymmetrien, für deren Anerkennung, Aufrechterhaltung und für deren Sichtbarkeit.26 Regime sind durch institutionalisierte Macht gekennzeichnet, sie sind Arenen recht stabiler Apparate der Produktion von Normen, Strukturen und Organisationen zur Beeinflussung von Migration. Migrationsregime sollen hier also verstanden werden als integrierte Gestaltungs- und Handlungsfelder institutioneller Akteure, die einen bestimmten Ausschnitt des Migrationsgeschehens fokussieren, Migrationsbewegungen kanalisieren und die (potentiellen) Migrant*innen kategorisieren. Jedes Migrationsregime hat eigene institutionelle Akteure und spezifische migratorische Objekte; Es problematisiert, plant und handelt anders als andere Migrationsregime, umfasst mithin spezifische Regeln und Verfahren, Bedingungen und Formen des Sammelns von Informationen über einen migratorischen Sachverhalt. Es bewertet diese Informationen anders und vermittelt die Ergebnisse je verschieden in und zwischen institutionellen Akteuren, gegenüber den (potentiellen) Migrant*innen und der Öffentlichkeit.27 Institutionelle Akteure können staatliche (legislative, exekutive, judikative), suprastaatliche sowie internationale Instanzen sein oder kommunale Apparate, aber auch private Träger (Unternehmen, Vereine, Verbände). Ihre Interessen, Beobachtungsweisen, Normen und Praktiken bringen sehr unterschiedliche Kategorisierungen von Migrant*innen hervor, die die gesellschaftliche, ökonomische, politische oder kulturelle Teilhabe am Zielort beeinflussen. Migrationsregime wandeln sich – schleichend vor dem Hintergrund langwährender Veränderungen politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, umweltbedingter oder mentaler Strukturen oder sprunghaft in Reaktion auf Ereignisse oder als Wechsel von Paradigmen. Sie können Räume unterschiedlichen Umfangs umschließen, nur innerhalb politisch-territorialer Grenzen wirken, diese aber auch überschreiten. Migrationsregime unterscheiden sich in den Möglichkeiten, Maßnahmen durchzusetzen, weil sie unterschiedlich ausgestattet und machtvoll 25 Ebd., S. 541. 26 Armin Nassehi, Gesellschaft der Gegenwarten. Studien zur Theorie der modernen Gesellschaft II, Berlin 2011, S. 254 f. 27 Hierzu und zum Folgenden vgl. Jochen Oltmer, Einführung: Europäische Migrationsverhältnisse und Migrationsregime in der Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), S. 5–27; Ders., Einführung: Migrationsverhältnisse und Migrationsregime nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Oltmer / Kreienbrink / Sanz Díaz, Das „Gastarbeiter“-System, S. 9–21; Jochen Oltmer, Einführung: Migrationsregime und „Volksgemeinschaft“ im nationalsozialistischen Deutschland, in: Ders. (Hg.), Nationalsozialistisches Migrationsregime und „Volksgemeinschaft“, Paderborn 2012, S. 9–25, und Ders., Das europäische Arbeitsmigrationsregime seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Christian Kleinschmidt u. a. (Hg.), Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Baden-Baden 2014, S. 127–157.

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sind, ihr Wissen verschieden erwerben und vermitteln sowie je spezifisch nutzen, um Migration zu modellieren und zu prognostizieren. Jedes Regime also produziert, kategorisiert und bearbeitet „seine“ Migrationen jeweils unterschiedlich. Regimezuschnitte und Handlungen institutioneller Akteure müssen dabei keineswegs untereinander harmonisieren; Denn Regime und verschiedene Regimetypen überlappen sich, verändern ihre wechselseitigen Beziehungen, unterhalten konflikthafte oder kooperative Austauschbeziehungen. Migrationsregime verfügen immer über zwei elementare und miteinander verflochtene Felder: Erstens „Mobilitätsregime“, die auf die Einflussnahme hinsichtlich des Zugangs zu bzw. die Abwanderung aus einem Raum respektive von einem Territorium verweisen; zweitens „Präsenzregime“, die die Normen und Praktiken der Einbeziehung bzw. des Ausschlusses von Zuwander*innen in gesellschaftlichen Funktionsbereichen wie beispielsweise Politik, Recht, Wirtschaft oder Erziehung umfassen. Präsenzregime rahmen mithin Integration, die als das permanente Aushandeln von Chancen ökonomischer, politischer, religiöser oder rechtlicher Teilhabe verstanden werden kann. Die Analyse von Migrationsregimen leistet einen Beitrag zur Autopsie von Bedingungen, Formen und Folgen von Migration, in dem sie Antworten gibt auf die grundlegende Frage, welche institutionellen Akteure aus welchen Gründen, in welcher Weise und mit welchen Konsequenzen Migration beobachten und beeinflussen. Sie zielt darauf ab, einerseits ein möglichst differenziertes Bild der beteiligten Akteur*innen und Akteursgruppen zu bieten sowie andererseits die je spezifischen Akteurskonstellationen herauszuarbeiten. Als zentral erweist sich dabei die Untersuchung von Relationen und damit von Machthierarchien: Migrationsregime bilden Arenen von Konflikt und Kooperation institutioneller Akteure, deren Handlungsinteresse und Handlungsmacht stets im Wandel begriffen ist. Zu berücksichtigen gilt dabei, dass institutionelle Akteure, die häufig pauschalisiert werden („der Staat“, „die Unternehmer“, „die Administration“, „die Kommune“, „die Presse“), in sich wiederum als sehr heterogen zu beschreiben sind und aus zahlreichen Einzel- und Kollektivakteur*innen bestehen, deren Interessen, Normen und Handlungen aufeinandertreffen, zusammenwirken und ausgehandelt werden. Ein solch offenes Konzept bietet zum einen weitreichende Perspektiven für die Makroebene und damit beispielsweise für die Untersuchung lang währender und Kontinente übergreifender Migrationsregime oder für die Untersuchung der Verflechtung verschiedener regionaler, grenzüberschreitender und globaler Zuständigkeitsräume. Als Beispiele mögen hier die Einflussnahme auf Wanderungsbewegungen in den Imperien der Neuzeit wie in den spanischen, portugiesischen, britischen und niederländischen Kolonialreichen oder dem Osmanischen und dem Russischen Reich genügen. Zum anderen lässt es sich gleichermaßen auf die Mikroebene anwenden, um beispielsweise den Alltag des Regimebetriebs (etwa den Versuch, die Routinen der Selektion von Migrant*innen im Rahmen der Tätigkeit einer Grenzpolizeibehörde als Teil eines Mobilitätsregimes) zu entschlüsseln oder die Fundamente eines Regimes als Wissensapparat zu untersuchen

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(dort, wo beispielsweise nach medizinischen Kriterien für die Anwerbung von Arbeitskräften gesucht wurde oder Statistiken zusammengestellt worden sind, um die Zusammensetzung von Migrantenbevölkerungen zu ermitteln und zu beeinflussen). Solche Blicke auf den Alltag des institutionellen Umgangs mit Migration und solche Mikroperspektiven auf Wissensapparate und Herrschaftsverhältnisse helfen, Potentiale und Perspektiven institutioneller Einflussnahme auf Migration einzuordnen und die Reichweite von Sinn- und Steuerungskonzepten in neuzeitlichen Gesellschaften zu erfassen. Sie ermöglichen es, die je spezifischen, von Akteur*in zu Akteur*in unterschiedlichen, stets im Wandel befindlichen Paradigmen, Konzepte und Kategorien zu verstehen, die genutzt worden sind und genutzt werden, um Migration vor dem Hintergrund der jeweiligen Interessen zu benennen, zu beschreiben und daraus Wirklichkeitskonstruktionen und Handlungen zu formen. Einen zentralen Untersuchungsbereich stellt darüber hinaus die Erforschung der Bedingungen, Formen und Folgen des Regimewechsels dar.

3. Migration im Aushandlungsprozess In welchem Verhältnis stehen Migrationsregime zu Migrant*innen? Für Migrationsregime sind sie Objekte von Aufgaben sowie Anlässe für Problematisierungen und Maßnahmen, bilden aber auch Konkurrent*innen in Konflikten oder Umworbene: (Potentielle)  Migrant*innen reagieren auf restriktive Interventionen (wie Ab- oder Zuwanderungsverbote), auf Gewalt (zum Beispiel durch Flucht) oder auf attrahierende Angebote (etwa die Anwerbung durch Unternehmen, die Zuwanderungspolitik zur Gewerbeförderung oder die Gewinnung von Hochqualifizierten). Migrant*innen fordern mithin das Migrationsregime individuell oder kollektiv heraus. Sie entwickeln Strategien, um in einem durch Herrschaftspraktiken und Identitätszuschreibungen strukturierten Feld eigene räumliche Bewegungen durchzusetzen und aufrechtzuerhalten, Aspirationen geltend zu machen, Gründe vorzubringen sowie Lebensläufe zu präsentieren und anzupassen. Migrant*innen agieren als Individuen bzw. in Netzwerken oder Kollektiven (unter anderem Familien) mit unterschiedlichen Autonomiegraden vor dem Hintergrund verschiedener Erfahrungshorizonte im Gefüge von gesellschaft­lichen Erwartungen und Präferenzen, Selbst- und Fremdbildern, Normen, Regeln und Gesetzen. Sie verfolgen dabei ihre eigenen Interessen und Ziele, verfügen über eine jeweils unterschiedliche Ausstattung mit ökonomischem, kulturellem, sozialem, juridischem und symbolischem Kapital mit der Folge je verschieden ausgeformter Handlungsspielräume gegenüber dem Migrationsregime. Migrantische Infrastrukturen und Interessenmanager entwickeln unter anderem Selbstbilder, die Vergemeinschaftungsprozesse von Migrant*innen identitätspolitisch steuern. Beobachten lassen sich unterschiedliche Reichweiten und Wirkungsgrade im Wechselverhältnis von einerseits Normen, Strategien und Maßnahmen institutioneller Akteure des Migrationsregimes und andererseits Taktiken, Aktivitäten und Handlungen (potentieller) Migrant*innen. Auf diese Weise prägen, formen und

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(ko-)produzieren institutionelle und individuelle Akteur*innen in Konflikt und Kooperation Migration. Nimmt man eine solche Perspektive ernst, kann es gelingen, Relationen, Hierarchien und Wechselverhältnisse offenzulegen, also das Handeln Einzelner oder Mikrostrukturen in Meso- und Makrokontexte bzw. -strukturen zu fügen28 mit dem Ziel, der erwähnten Tendenz geschichtswissenschaftlichen Arbeitens entgegenzuwirken, isolierte Einzelperspektiven nebeneinander zu fügen ohne Bezüge herzustellen. Die Fokussierung auf einen bestimmten Ausschnitt des Migrationsgeschehens als integriertes Handlungsfeld von Akteur*innen mit ihren je spezifischen Freiheitsgraden und Relationen reduziert auf eine bestimmte Weise Komplexität, bietet damit einen komplexitätserschließenden Ansatz und hat von daher auch eine erkenntnistheoretische Funktion: Migrationsregime und Aushandlungsprozesse bezeichnen Forschungsobjekte, sie bilden Ergebnisse der Beobachtung und Beschreibung durch Migrationsforscher*innen  – auch solchen, die historisch arbeiten. Diese wissen, dass die beteiligten Akteur*innen im Kontext der Herstellung und Aushandlung von Migration aufgrund von „routinierten alltäglichen Handlungsvollzügen das allermeiste der sie umgebenden Umwelt als fraglos gegeben“29 annahmen und annehmen. Sie agierten also auf der Basis von Handlungsdispositionen und standardisierten Situationsdeutungen, die durch internalisierte Erfahrungen formiert wurden.30 Die Grenzen des Migrationsregimes und der Arena der Aushandlung mit, gegen oder über Migrant*innen definiert die Geschichtswissenschaft vor dem Hintergrund einer problemorientierten Fragestellung. Diese legt offen, auf welche Weise, mit welchem Ziel und mit welchen Instrumenten Komplexität reduziert wird, Vorgänge erklärt und auf diese Weise Muster, Modelle und Ansätze entwickelt werden. Die problemorientierte Fokussierung auf die Erschließung von Interessen, Zielen und Handlungen als Ko-Produktion von Migration konstituiert den Forschungsgegenstand. Das vergangene Migrationsregime und die vielfältigen Aushandlungsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen sind allerdings nicht bloße Konstruktionen der geschichtswissenschaftlich arbeitenden Migrationsforschung. Sie bilden vielmehr eine fokussierende Rekonstruktion historischer Strukturen, denn nur diese haben Überreste und Spuren hinterlassen. Informationen über das Handeln von Einzelnen, Kollektiven und Institutionen sowie über deren Motive und Praktiken sind in unterschiedlicher Form dokumentiert worden, weil sie den jeweiligen Zeitgenossen als berichtenswert galten und deshalb Gegenstand von zeitgenössischer 28 Vgl. Dirk Hoerder, Segmented Macro Systems and Networking Individuals: The Balancing Functions of Migration Processes, in: Lucassen / Lucassen, Migration, S. 73–84. 29 Ludger Pries, Soziologie, Weinheim 2014, S. 109. Vgl. auch Thomas Welskopp, Die Dualität von Struktur und Handeln. Anthony Giddens’ Strukturierungstheorie als „praxeologischer“ Ansatz in der Geschichtswissenschaft, in: Ders. (Hg.), Unternehmen Praxisgeschichte. Historische Perspektiven auf Kapitalismus, Arbeit und Klassengesellschaft, Tübingen 2014, S. 55–78, hier: S. 64. 30 Vgl. Clemens Kroneberg, Die Erklärung sozialen Handelns. Grundlagen und Anwendung einer integrativen Theorie, Wiesbaden 2011, S. 119–164.

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Wissensproduktion wurden, auf die die Historische Migrationsforschung heute zurückgreifen kann (und muss). Daraus ergab sich eine dreifache Reduktion von Komplexität: Erstens waren zeitgenössische Wissensproduzent*innen weder motiviert noch in der Lage, ihre Gegenwart vollständig abzubilden. Zweitens entstammten die Produzent*innen häufig höheren gesellschaftlichen Segmenten und nahmen vor dem Hintergrund ihrer gesellschaftlichen oder beruflichen Position (nicht selten als „Herrscher“ bzw. „Herrschaftsträger“) eine spezifische und damit eingeschränkte Sicht ein. Drittens wurde zumeist das Material überliefert, das rechtlich, politisch oder geschäftlich relevant war und aus der Sicht von Obrigkeiten oder staatlichen Institutionen als überlieferungswürdig galt. Eine erkenntniskritische historiographische Position hat auf die Bedingungen, Formen und Folgen dieser Reduktion von vergangener Komplexität zu reagieren.31 Erforderlich sind dafür einerseits die Rekonstruktion der Erzeugungs- und Überlieferungsbedingungen der verwendeten Quellen und andererseits die möglichst weitreichende Heranziehung unterschiedlichen historischen Materials verschiedenster Herkunft und Reichweite. Dieser Kontext verweist noch einmal auf die Perspektive, mithilfe von akteurszentrierten und handlungsorientierten Ansätzen zu arbeiten, die die Positionierungen und Handlungen der einzelnen Akteur*innen im Kontext des Aushandelns von Migration auch deshalb zu erschließen sucht, um die Formen der je spezifischen Wissensproduktion zu verstehen, die fundamentale Folgen für die Erzeugung und Überlieferung des Materials hatte, auf das die Geschichtswissenschaft zurückgreifen kann. Historische Migrationsforschung kann sich folglich nicht allein darauf beschränken, Migration als Bewegung und als Ergebnis von Bewegung zu untersuchen. Weiter ausgreifende Perspektiven bietet eine Auseinandersetzung mit Begriff und Konzept der Migrationsgesellschaft. Als solche können Gesellschaften verstanden werden, in denen zum einen die verschiedensten Wanderungsphänomene weitreichenden sozialen Wandel mit sich bringen und zum andern breite politische und gesellschaftliche Debatten stets mit hoher Aufmerksamkeit neue Perspektiven auf das soziale Phänomen Migration und neue Ordnungen der Identifizierung, der Zugehörigkeit, der Unterscheidung von Normalität und Ausnahme, von Eigenem und Anderem produzieren: Migrationsgesellschaften handeln permanent aus, auf welche Weise der migratorische Transfer von Genderentwürfen und Ideensystemen, von Sprachen, Religionen und Einstellungen verstanden, kategorisiert und bearbeitet wird, auf welche Weise „Fremde“ und „Fremdheit“ konstruiert sowie Menschen und Kollektive, die mit Migrationsphänomenen in Verbindung gebracht werden, als „Ethnie“, als „Nationalität“, als „Migrantengruppe“ oder als „Parallelgesellschaft“ zugeordnet werden. Auf „Migration“ bezogene Erwartungen und Erfahrungen prägen in Migra­ tionsgesellschaften Vorstellungen über Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Kollektivs. Diskurse über Migration berühren in ihrem Kern Debatten über 31 Vgl. Ludolf Herbst, Komplexität und Chaos. Grundzüge einer Theorie der Geschichte, München 2004.

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Gesellschafts- und Selbstkonzepte sowie über die Legitimität politischen, ökonomischen und administrativen oder auch wissenschaftlichen, pädagogischen und künstlerischen Handelns – ganz gleich, ob Migration als Motor von Innovation und gesellschaftlicher Öffnung verstanden, gar heroisiert wird oder ob Migration als Gefahr und Risiko abgelehnt und als Bedrohung für gesellschaftlichen Zusammenhalt, als Ursache oder Anlass für Konflikte und Gewalt gesehen und vermittelt wird. Forschung über Migrationsgesellschaften befasst sich in diesem Sinne mit den Voraussetzungen, Bedingungen, Formen, Folgen und Effekten der räumlichen Bewegung von Menschen, aber auch mit den Handlungen, Praktiken und Ordnungen zur Ermöglichung und Verhinderung solcher Bewegungen sowie der damit verbundenen (Re-)Produktion von Heterogenitäts-, Differenz- und Ungleichheitsordnungen. Sie strebt darüber hinaus nach einer Analyse der Modi der Thematisierung  – also das (Un)sichtbarmachen oder (Ir)relevantsetzen  – von Bewegungen und sich Bewegenden, einschließlich der Praktiken, Wissens­ bestände und Artefakte in fiktionalen und nicht-fiktionalen Medien (Narrative, Visualisierungen). Ihr geht es folglich auch um die Produktion, den Transfer und die Aneignung von Wissen über Migration in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und Kontexten, die immer auch die Frage nach den dabei und damit legitimierten, kritisierten, bekämpften oder gefährdenden Macht- und Herrschafts­ verhältnissen umfassen.

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Flüchtlings- und Migrationsforschung in der Politikwissenschaft

1. Vom politikwissenschaftlichen Rand- zum Modethema Die politikwissenschaftliche Forschung hat den Bereich Flucht und Migration lange Zeit vernachlässigt.1 Das gilt ganz besonders für die bundesdeutsche Politikwissenschaft:2 Natürlich wurde und wird auch hier Flüchtlings- und Migrationsforschung betrieben,3 aber ein institutionalisiertes, auch theoretisch fundiertes politikwissenschaftliches Forschungsfeld ist in der Bundesrepublik Deutschland erst im Entstehen.4 An dieser Diagnose ändert die inzwischen umfassende Politikberatung zu verschiedenen Dimensionen von Migration und Integration nichts.5 Im angelsächsischen Sprachraum hat die migrationspolitische Forschung eine deutlich längere Tradition, die auch daran zu erkennen ist, dass dort politiktheo-

1 Vgl. Holger Kolb, Einwanderungspolitik zwischen wohlverstandenem Eigeninteresse und symbolischer Politik. Das Beispiel der deutschen Green Card, Münster 2004, S. 116–119, und Andreas Pott, Die Kritik der Migrationsforschung, in: Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), Themenheft 25 Jahre IMIS, Osnabrück 2016, S. 25–33. 2 Diese geringe Aufmerksamkeit der deutschen Politikwissenschaft für das Politikfeld Migration hat auch mit der grundsätzlichen Ausrichtung des Faches zu tun, vgl. dazu Alexander Gallus (Hg.), Politikwissenschaftliche Passagen. Deutsche Streifzüge zur Erkundung eines Fachs, Baden-Baden 2016. 3 Vgl. Steffen Angenendt, Deutsche Migrationspolitik im neuen Europa, Opladen 1997; Franz Nuscheler, Internationale Migration, Flucht und Asyl, Wiesbaden 22004, und Ursula Münch, Asylpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklung und Alternativen, Opladen 21993. 4 Dass die (internationale)  Migrationsforschung inzwischen deutlich an Bedeutung gewonnen hat, lässt sich auch an Arbeiten erkennen, die sich mit dem Forschungsdiskurs zur Migrationspolitik befassen, vgl. Antonia Scholz, Migrationspolitik zwischen moralischem Anspruch und strategischem Kalkül, Wiesbaden 2012, die sich v. a. im ersten Kapitel ihrer Dissertation mit dem angelsächsischen, französischen und deutschen Forschungsdiskurs zu Migrationspolitik befasst. Als multi-disziplinäres wissenschaftliches Netzwerk wurde 2013 das „Netzwerk Flüchtlingsforschung“ gegründet, dessen Mitglieder zu Zwangsmigration, Flucht und Asyl forschen, tagen und publizieren, URL: http://fluechtlingsforschung.net/ [10.3.2019]. Das Netzwerk ist seit 2016 Mitherausgeber der „Zeitschrift für Flüchtlingsforschung – Z’Flucht“. 5 Vgl. Barbara Laubenthal, Politik ohne Mandat? Gesellschaftliche Akteure und neue Formen informellen Regierens im Politikfeld Migration, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 8 (2014), S. 237–257.

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retische Modelle wie der Neoinstitutionalismus oder die Erklärungsmodelle der Politischen Ökonomie bereits früh auf die Migrationspolitik angewandt wurden.6 Die ursprüngliche Zurückhaltung seitens der politikwissenschaftlichen Forschung lässt sich zum einen darauf zurückführen, dass gerade die (internationale) Migrationstheorie vor allem von soziologischen und ökonomischen Studien geprägt wird.7 Da die Migrant*innenzahlen zum anderen nach der Bewältigung der Folgen des Zweiten Weltkriegs über Jahrzehnte hinweg vergleichsweise niedrig waren und Migration keine Frage der internationalen Politik geschweige denn der Sicherheitspolitik darstellte, ordnete die einflussreiche Teildisziplin Internationale Beziehungen die Migrationspolitik dem Bereich der „low politics“ zu und widmete sich den zunächst wichtiger erscheinenden Themen der „high politics“ wie Abrüstungs- und Sicherheitspolitik.8 In der Bundesrepublik trug zudem der Rückgang der Asylbewerber*innenzahlen nach der Grundgesetzänderung von 1993 dazu bei, dass die Asyl- und Flüchtlingspolitik (wieder) aus dem Fokus der Politikwissenschaft geriet, die sich damals verstärkt der Zuwanderungsgesetzgebung zuwandte.

2. Migration, Flucht und Asyl als Themen politikwissenschaftlicher Forschung In dem Maße, in dem das soziale Phänomen Migration ab Ende der 1990er Jahre weltweit insgesamt wieder an Bedeutung gewann und die Themen Zuwanderung und Wirtschafts- bzw. Armutsmigration einerseits sowie Flucht und Asyl andererseits nur noch für kurze Phasen aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwanden, wuchs nicht nur das Interesse der politikwissenschaftlichen Forschung an den Themenfeldern Migration, Flucht und Asyl, sondern auch der analytische Anspruch der Arbeiten.9 Während das öffentliche Interesse an der Migrationspolitik ebenso stieg wie das Ausmaß der parteipolitischen Kontroverse, macht die Migrationsforschung darauf aufmerksam, dass das Bemühen von Politik und Öffentlichkeit, die verschiedenen Formen von Migration konsequent zu unterscheiden und die Migrant*innen auch rechtlich separierten Gruppen mit unterschiedlicher Aufenthaltsperspektive zuzuweisen, schwieriger geworden ist. Bereits in den 1970er Jahren war in der Bundesrepublik eine deutliche Veränderung mit Blick auf die Asylsuchenden festgestellt worden: Die Asylbewerber*innenzahlen stiegen, das Verhältnis von osteuropäischen Flüchtlingen zu 6 Vgl. James F. Hollifield, Immigrants, Markets, and States, Cambridge / London 1992. 7 Vgl. Stephen Castles / Godula Kosack, Migrant Workers and Class Structure in Western Europe, Oxford 1973, und Stephen Castles / Hein de Haas / Mark J. Miller, The Age of Migration: International Population Movements in the Modern World, Basingstoke 52013. 8 James F. Hollifield / Tom K. Wong, The Politics of International Migration. How can we „Bring the State back in“?, in: Caroline B. Brettell / James F. Hollifield (Hg.), Migration Theory: Talking Across Disciplines, New York / London 32015, S. 227 f. 9 Vgl. Holger Kolb, Einwanderung und Einwanderungspolitik am Beispiel der deutschen „Green Card“, Osnabrück 2002, S. 116 f.

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Flüchtlingen aus der „Dritten Welt“ kehrte sich nahezu um,10 und immer seltener entsprachen die Antragsteller*innen dem idealisierten Bild, das man sich in der westdeutschen Politik und Öffentlichkeit geprägt durch die Beratungen des Parlamentarischen Rates von „politisch Verfolgten“ gemäß Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG (seit 1993 Art. 16a GG Abs. 1  GG) machte.11 Nicht nur in der Bundesrepublik mit ihrer sehr großzügigen Gewährleistung eines Rechtsanspruchs auf Schutzgewährung durch das Zufluchtsland Deutschland für politisch Verfolgte einerseits und ihrem sehr engen Begriff der politischen Verfolgung andererseits zeigte sich das Problem, dass die realen Migrations- aber auch Fluchtgründe den juristischen Kategorien nur bedingt entsprachen. Das änderte sich zumindest teilweise mit der Einführung eines besonderen Status für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge im Zuge der Einigung auf den sogenannten Asylkompromiss von 1993. Bereits in der Nachkriegszeit war offenkundig geworden, dass der typische, durch seine politische oder religiöse Haltung motivierte Flüchtling, also der Flüchtling als Einzelkämpfer und als politischer Agitator,12 eine Ausnahmeerscheinung geworden war. Das Asylbegehren eines politisch Verfolgten im engeren Sinn stellte für den Aufnahmestaat vor allem ein politisches und diplomatisches Problem dar,13 und Massenfluchten über Kontinente hinweg waren bis vor wenigen Jahrzehnten schon aufgrund fehlender Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen eine große Ausnahme. Spätestens seit den 1970er Jahren sehen sich die Aufnahmestaaten für Flüchtlinge jedoch neuen Herausforderungen ausgesetzt: Den modernen Zufluchtsstaaten, meist in regionaler Nachbarschaft zu den Herkunftsstaaten, werden zum Beispiel Probleme aufgeladen, derer sich der Heimatstaat durch die Vertreibung der unerwünschten Minderheiten gerade entledigt hat. Die Flüchtlinge der Gegenwart werden nur selten wegen ihrer Taten verfolgt und aus der Heimat vertrieben, sondern sie müssen ihre Heimat entweder wegen ihrer Eigenschaften verlassen, also zum Beispiel wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer religiösen oder ethnischen Gruppe, oder weil in ihrem Land Krieg oder Bürgerkrieg herrscht. Das Herkunftsland verhindert die Flucht meist nicht, sondern begünstigt sie sogar – gerade auch dann, wenn zusätzlich Konflikte um knappe Ressourcen wie Wasser, Land oder Nahrungsmittel ins Spiel kommen. Als Folge versteht nicht mehr der Herkunftsstaat die Asylgewährung als unfreundlichen Akt, der den Flüchtling der heimischen Strafverfolgung entzieht. Vielmehr sieht sich das Aufnahmeland durch die Zahl der Flüchtlinge bzw. Armutsmigrant*innen einer Bedrohung ausgesetzt. Diese Konfliktursachen und die daraus neu entstehenden Konflikte werden zunehmend zum Gegenstand der Lehre von den Internationalen Beziehungen. In dem Maße, in dem die Unterscheidung der Migrationsmotive schwieriger geworden ist, gewinnt das Phänomen sogenannter „gemischter“ Wanderungen, 10 11 12 13

Vgl. Münch, Asylpolitik, S. 63 f. und S. 182–185. Vgl. ebd., S. 17–37. Vgl. Otto Kirchheimer, Politische Justiz, Neuwied / Köln 1965, S. 514–518. Die Asylanträge türkischer Militärangehöriger, denen eine Beteiligung am Putschversuch von 2016 vorgeworfen wird, in der Bundesrepublik Deutschland zeigen, dass Asylgewährung nach wie vor außenpolitische Interessen berühren kann, vgl. Münch, Asylpolitik, S. 216–221.

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der „mixed migration flows“, an Bedeutung.14 Lassen sich die Migrationsmotive bereits auf der individuellen Ebene nicht immer eindeutig bestimmen, so treffen gleichzeitig zum Beispiel in einem Transitstaat wie Libyen unterschiedliche Gruppen von Migrant*innen aufeinander, die unabhängig von ihren jeweiligen Migrationsmotiven gleichermaßen die Leistungen krimineller Schlepperbanden in Anspruch nehmen.15 Diese Vermischung von Flucht- und Migrationsbewegungen erschwert zunächst die Erarbeitung und Umsetzung politischer Strategien; schließlich sind für Migrant*innen und Flüchtlinge sowohl national als auch international unterschiedliche rechtliche Regelungen und institutionelle Zuständigkeiten vorgesehen. Das Phänomen beeinflusst jedoch nicht nur die praktische Migrationspolitik, sondern auch die Migrationsforschung, und veranlasst diese, ihre überkommenen Kategorien zu überdenken bzw. miteinander zu verbinden.16 Als weiterer Aspekt, der sich auch auf die Forschung auswirkt, kommt hinzu, dass die lange vorherrschende Vorstellung von Migration als dauerhafter Ein- oder Auswanderung schon deshalb immer weniger adäquat zu sein scheint, da Migration häufig temporär und zirkulär verläuft.17 Die qualitative Veränderung der Kategorien Flucht und Migration geht mit quantitativen Veränderungen einher:18 Auch wenn die Zahl der weltweiten Flüchtlinge und Migrant*innen im Verhältnis zur Weltbevölkerungszahl nicht dramatisch gestiegen ist, nehmen die absoluten Zahlen Dimensionen an, die Migration auch zu einem Thema der politikwissenschaftlichen Friedens- und Konfliktforschung werden lässt:19 Größere Flüchtlingsbewegungen haben Auswirkungen auf die innere Sicherheit der Aufnahmestaaten und veranlassen diese womöglich, sich in die inneren Angelegenheiten der Herkunftsstaaten einzumischen.20

14 Vgl. die Webseite von Mixed Migration Hub, URL: http://www.mixedmigrationhub.org/ [10.3.2019]. 15 Vgl. Steffen Angenendt, Ziele und Handlungsfelder einer kohärenten Migrationspolitik. Gutachten im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2013, URL: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/10355.pdf [10.3.2019]. 16 Vgl. J. Olaf Kleist, Über Flucht forschen. Herausforderungen der Flüchtlingsforschung, in: Peripherie 35 (2015), S. 150–169, hier: S. 153. 17 Jørgen Carling / Marta Bivand Erdal, Return Migration and Transnationalism: How Are the Two Connected?, in: International Migration 52/6 (2014), S. 2–12. 18 Vgl. Kirsten Hoesch, Migration und Integration im internationalen Vergleich, in: Dies., Migration und Integration. Eine Einführung, Wiesbaden 2017, S. 127–217. 19 Vgl. das im Auftrag der fünf deutschen Friedensforschungsinstitute (Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Bonn International Center for Conversion (BICC), Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)) herausgegebene Friedensgutachten 2017: Bruno Schoch u. a. (Hg.), Friedensgutachten 2017, Berlin 2017, S. 124–132. 20 Vgl. Steffen Angenendt, Flucht, Migration und Entwicklung: Wege zu einer kohährenten Politik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 65/25 (2015), S. 13, URL: http://www.bpb.de/ apuz/208001/wege-zu-einer-kohaerenten-politik?p=all [10.3.2019].

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2.1 Polity-orientierte Migrationsforschung In der klassischen politikwissenschaftlichen Flüchtlings- und Migrationsforschung wird häufig auf die drei Dimensionen von Politik, also Polity, Policy und Politics, Bezug genommen.21 Der Bereich Polity befasst sich mit den institutionellen und normativen Grundlagen der Politik. Im Bereich der Migrations- und Fluchtforschung geht es hier vor allem um den internationalen Institutionen- und Rechtsvergleich, aber auch die historische Entwicklung von Institutionen und Normierungen.22 Entsprechende Arbeiten können sich auf den „Migration Integration Policy Index“ (MIPEX) stützen, der beruhend auf der Einschätzung der jeweils gültigen rechtlichen Regelungen durch Länderexperten einen Index für die migrationspolitische Einstufung der rechtlichen Rahmenbedingungen vieler Industriestaaten liefert.23 In diesen Bereich fallen einerseits vergleichende (meist auf Fallstudien basierende) politikwissenschaftliche Untersuchungen zu den praktischen Auswirkungen unterschiedlicher Grenzregime und Aufnahmepraktiken der Mitgliedstaaten der Europäischen Union.24 Die meisten Forschungsansätze analysieren die Bemühungen der Europäischen Union, ihre Außengrenzen besser zu schützen und damit auch Flucht- und Migrationswege intensiver zu kontrollieren, dabei sehr kritisch: Im Unterschied zur offiziellen Lesart, wonach der Schutz der EU-Außengrenzen die notwendige Voraussetzung für die Gewährleistung der Reisefreiheit innerhalb des sogenannten „Schengen-Raums“ ist,25 werden die Maßnahmen der Grenzsicherung als Beleg dafür gewertet, dass das Massensterben von Migrant*innen und Flüchtlingen im Mittelmeer „keine schicksalhafte Tragödie, sondern das direkte Ergebnis einer europäischen Politik, die seit 25 Jahren Migrations- und Fluchtwege selektiv zu kontrollieren und abzuschotten versucht“ sei.26 Andererseits mehren sich die sozialwissenschaftlichen Studien, die sich kritisch mit dem Konzept der Grenze sowohl in der konkreten Bedeutung einer „geografisch-politischen Demarkation“ zwischen Staaten als auch als

21 Vgl. Ulrich von Alemann, Politikbegriffe, in: Jürgen Kriz / Dieter Nohlen / Rainer-Olaf Schultze (Hg.), Politikwissenschaftliche Methoden, Lexikon der Politik Bd. 2, München 1994, S. 297–301. 22 Vgl. Marc R. Rosenblum / Daniel J. Tichenor (Hg.), Oxford Handbook of the Politics of International Migration, New York 2012. 23 Vgl. Migration Integration Policy Index (MIPEX), URL: http://www.mipex.eu/ [10.3.2019]. 24 Vgl. Stephen Castles / Hein de Maas / Mark J.  Miller, The Age of Migration. International Population Movements in the Modern World, Basingstoke 52014, S. 102–125. 25 Vgl. EU-Kommission, Die europäische Migrationsagenda, COM (2015) 240 final, 13.5.2015, URL: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52015DC0240& from=DE [10.3.2019]. 26 Sabine Hess u. a., Europäisches Grenzregime. Einleitung zur ersten Ausgabe, in: movements. Journal für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung 1/1 (2015), S. 1, URL: https:// movements-journal.org/issues/01.grenzregime/02.einleitung.pdf [10.3.2019].

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„Abstraktion“ auseinandersetzen.27 Diese Ansätze verweisen etwa darauf, dass mit Grenzen immer auch Inklusions- und Exklusionsverhältnisse umschrieben bzw. „konstruiert“ werden:28 An kaum einem anderen Ort wie an einer Staatsgrenze wird so wirksam klar, wer „dazugehört“ und wer nicht. Indem Staatsgrenzen als „politische Symbole“ interpretiert werden, unternimmt eine solche Forschungsperspektive, mit zum Teil „aktivistischen Forschungspraktiken“, den Versuch, Grenz(sicherungs)regime auch als Akte „symbolischer Politik“ zu analysieren.29 Diese wissenschaftliche Analyse von Grenzregimen wird durch eine Veränderung in der polizeilichen Praxis noch anspruchsvoller: So lässt sich festzustellen, dass die in völkerrechtlichen Vereinbarungen und Landkarten festgelegten Grenzlinien häufig nicht mit der polizeilichen Praxis übereinstimmen, die zunehmend von rechtlich zugelassenen „beweglichen Grenzen“ gekennzeichnet ist. Im Unterschied zur herkömmlichen befestigten physischen Barriere ist die bewegliche Grenze weder örtlich noch zeitlich determiniert. Die bewegliche Grenze kann sich von der staatsrechtlichen ins Landesinnere zurückziehen oder nach außen hin ausgreifen. Diese Praxis hat unter Umständen massive Folgen für den Schutz, den Immigrant*innen, Asylsuchende und andere Nichtbürger*innen durch die Verfassung und international verbriefte Menschenrechte genießen.30 Um praktische Beispiele hierfür zu finden, muss man inzwischen nicht mehr auf die Reform der US-Einwanderungsregelungen und das dortige Verfahren zur sogenannten beschleunigten Abschiebung Bezug nehmen, das es Grenzbeamt*innen erlaubt, den Rechtsstatus auch solcher Personen zu überprüfen, die bis zu 100 Meilen von jeder amerikanischen Land- oder Küstengrenze entfernt sind. Das verschiebt faktisch die Grenze von ihrer festen Lage weit ins Landesinnere hinein. In der Europäischen Union stellt die Übereinkunft mit der Türkei ein Beispiel für die Externalisierung von Migrations- und Grenzkontrollen dar. Indem die EU-Mitgliedstaaten die Ursprungs- oder Transitländer von Migrant*innen faktisch zu ihren „Türstehern“ machen, entziehen sich die europäischen Aufnahmestaaten ihrer eigenen Verantwortung gegenüber Flüchtlingen und anderen international Schutzberechtigten.31

27 Thomas Fischer u. a., Einleitung, in: Simon Goebel u. a. (Hg.), Flucht, Migration und gesellschaftliche Transformationsprozesse. Transdisziplinäre Perspektiven, Wiesbaden 2018, S. 8. 28 Vgl. Monika Eigmüller / Georg Vobruba (Hg.), Grenzsoziologie. Die politische Strukturierung des Raumes, Wiesbaden 22016. 29 Lisa-Marie Heimeshoff u. a. (Hg.), Grenzregime II. Migration, Kontrolle, Wissen. Transnationale Perspektiven, Berlin / Hamburg 2014, S. 264. 30 Vgl. Ayelet Shachar, Die Neuerfindung von Territorialität: Juristische Grenzziehung und Migrationskontrolle in einer globalisierten Welt. Forschungsbericht 2017 des Max-Planck-Instituts zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften, URL: https://www. mpg.de/11065553/mmg_jb_2017 [10.3.2019]. 31 Aus juristischer Perspektive vgl. Ibrahim Kanalan / Maria Wilhelm / Timo Schwander, Die Unverzichtbarkeit der Werte? Zur Suspendierung der drei Säulen der europäischen Rechtsordnung, in: Der Staat 56/2 (2017), S. 193–226.

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Während die bundesdeutsche politikwissenschaftliche Migrationsforschung ihren Fokus auf die europäischen Mitgliedstaaten richtet und deren Politik vor allem mit der anderer westlicher Industriestaaten wie den USA vergleicht, widmet sich seit einiger Zeit auch die Osteuropaforschung verstärkt dem Thema Migration. Auf diese Weise rückt der Tatbestand verstärkt in die öffentliche Wahrnehmung, dass die Russische Föderation beileibe nicht nur ein Auswanderungsland ist, sondern de facto eine beträchtliche Zuwanderung vor allem aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach Russland zu verzeichnen hat.32 Sowohl diese Zuwanderung als auch die Binnenmigration haben die Größe und die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung ebenso verändert wie ihre regionale Verteilung.33 Anders als in der Europäischen Union oder den USA manifestiert sich die russische Migrationspolitik nicht in Form eines restriktiven Grenzregimes. Die Grenzen gelten vielmehr als vergleichsweise durchlässig, und zwar nicht nur für die Migrant*innen aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Tatsächlich weist die vergleichende Forschung aber darauf hin, dass dieses durchlässige Grenzregime Russlands nur „scheinbar liberal“ ist und der Aufenthalt von Migrant*innen durch „alternative Instrumente“ im Inneren restriktiv reguliert wird.34 So wurden in den letzten Jahren mehrere Gesetzesänderungen verabschiedet, die die Ausweisung von Migrant*innen bereits aufgrund kleiner Ordnungswidrigkeiten erlauben und dies mit dem Verhängen mehrjähriger Einreisesperren verbinden. Gleichzeitig besitzen die meisten Migrant*innen in Russland lediglich einen prekären, da meist zeitlich sehr knapp befristeten, Aufenthaltsstatus: Auf diese Weise lässt sich die Handlungs- und Bewegungsfreiheit von Migrant*innen mit Blick auf Arbeiten, Wohnen und politischer Betätigung reglementieren. Im Rahmen der Polity-Dimension wird außerdem die Rolle der jeweiligen Staatsorganisation – föderal oder unitarisch bzw. dezentral oder zentralistisch – bei der Gestaltung von Zuwanderungs- und Asylpolitik und vor allem auch der Integrationspolitik untersucht.35 Die Frage nach der Gestaltungs- bzw. Verhinde32 Vgl. Julia Glathe, Analyse: Russlands Migrations- und Grenzregime: Abschottung im Inneren, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Russland-Analysen 346, 18.12.2017, URL: http://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/261839/analyse-russlands​migrations-und-grenzregime-abschottung-im-inneren [10.3.2019]. 33 Vgl. Matthew Light, Zwischen Liberalisierung und Restriktion: Entwicklungen der russischen Migrationspolitik, in: Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen / Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS)/Deutsche Gesellschaft für Osteuropa­kunde e.V (Hg.), Russland-Analysen 331, 3.3.2017, URL: http://www.laender-analysen.de/russland/ pdf/RusslandAnalysen331.pdf [10.3.2019]. 34 Vgl. Glathe, Analyse: Russlands Migrations- und Grenzregime. 35 Vgl. Dietrich Thränhardt / Karin Weiss, Flüchtlingspolitik im deutschen Föderalismus, Bonn 2016, und Julia von Blumenthal, Migrationspolitik nach der Föderalismusreform: Zentralisierung und Dezentralisierung im deutschen Mehrebenensystem, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (EZFF) (Hg.), Jahrbuch des Föderalismus 2012: Föderalismus, Subsidiarität und Regionen in Europa, Baden-Baden 2012, S. 125–137.

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rungsmacht potentieller föderaler Vetopositionen (Europäische Union, Zentralstaat, Landesebene, Kommunen) sowie den Vor- und Nachteilen einer föderalen Staatsorganisation für die Gestaltung und den Vollzug von migrationsrelevanten Gesetzen36 ist jedoch ebenso für die Politics- wie für die Policy-Dimension relevant. Nachdem gerade in Föderalstaaten die staatlichen Ebenen unterschiedliche Aufgaben und Kompetenzen haben, wird die Interessenslage der politischen Akteure mit Blick auf Gestaltung und vor allem Finanzierung der Migrations- und Asylpolitik maßgeblich von ihrer Verortung im Mehrebenensystem beeinflusst. Dies trifft besonders auf den deutschen Bundesstaat mit seiner Trennung der Bundes- und Landeszuständigkeiten im Asylverfahrensrecht zu und der Zuständigkeit der Kommunen für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden.37 Schließlich prägen diese Spezifika auch die entsprechenden Entscheidungs-, aber auch die Vollzugsprozesse im intergouvernementalen bzw. im supranationalen Mehrebenensystem.38 Zumindest ansatzweise kann es bei der Polity-Dimension der Migrationspolitik auch um die Frage gehen, welche Form der Staatsorganisation besser geeignet ist, die Herausforderungen staatlicher Instanzen bei der Gestaltung der Flüchtlings- und Integrationspolitik zu bewältigen.39 Die Zuständigkeitsverteilung in einem Mehrebenensystem bietet den Akteuren im föderalen oder supranationalen System zudem die Möglichkeit, unpopuläre Maßnahmen einer anderen politischen Ebene entweder vollständig zuzuweisen oder zumindest die politische Verantwortung für die entsprechende Maßnahme der höheren politischen Ebene anzulasten. So wird den Regierungen der EUMitgliedstaaten in der Literatur etwa unterstellt, bei einzelnen migrationspolitischen Fragen eine „Flucht nach Europa“ zu betreiben: Angesichts der praktischen und humanitären Beschränkungen, denen man sich bei dem Versuch, eine restriktive Form der Zuwanderungskontrolle durchzusetzen, auf nationaler Ebene gegenübersehe, werde versucht, die Begrenzung der irregulären Zuwanderung durch Vorkehrungen auf europäischer Ebene zu erreichen.40 Sofern diese Strategie erfolgreich ist, gewährleistet sie nicht nur die Durchführung einer für wichtig er36 Vgl. Dietrich Thränhardt, Zuwanderungs- und Integrationspolitik in föderalistischen Ländern, in: Lale Akgün / Dietrich Thränhardt (Hg.), Integrationspolitik in föderalistischen Systemen, Münster 2011, S. 15–33. 37 Zur Bedeutung der föderalen Aufgabenverteilung in der bundesdeutschen Asylpolitik vgl. Münch, Asylpolitik, S. 157–178, und Hannes Schammann, Rette sich wer kann? Flüchtlingspolitik im Föderalismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 65/25 (2015), S. 26–31, URL: http://www.bpb.de/apuz/208005/fluechtlingspolitik-im-foederalismus?p=all [10.3.2019]. 38 Vgl. Axel Kreienbrink, Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im deutschen und europäischen Mehrebenensystem, in: EZFF, Jahrbuch des Föderalismus 2015, Baden-Baden 2015, S. 54–68. 39 Vgl. Suzanne Mulcahy, Europe’s Migrant Policies. Illusions of Integration, Basingstoke 2011; Eve Hepburn / Ricard Zapata Barrero (Hg.), The Politics of Immigration in Multi-Level States Governance and Political Parties, Basingstoke 2014, und Ursula Münch, Föderale Aspekte bundesdeutscher Flüchtlingspolitik, in: EZFF, Jahrbuch des Föderalismus 2017, BadenBaden 2017, S. 252–264. 40 Vgl. Andrew Geddes, The Politics of Migration and Immigration in Europe, Los Angeles 2003.

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achteten Aufgabe, sondern erlaubt es gleichzeitig, die politische Verantwortung für die Wahrnehmung dieser unpopulären Maßnahme „Brüssel“ zuzuweisen. Diese Abwälzung der Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen, das sogenannte „blame shifting“, lässt sich unter anderem auch im politischen Umgang mit der Grenzschutzagentur Frontex beobachten.41 2.2 Politics-orientierte Migrationsforschung Mit den prozeduralen Aspekten von Politik, also mit den Formen der Durchsetzung parteipolitischer oder föderaler Interessen und der Austragung von Konflikten sowie mit dem Streit um die Verteilung von Ressourcen und Finanzmitteln, befasst sich der Bereich Politics. Er erscheint für die politikwissenschaftliche Migrationsforschung besonders einschlägig. Dabei werden jedoch nicht nur die Positionen und Maßnahmen staatlicher bzw. im engeren Sinne politischer Akteure betrachtet; vielmehr wird das migrations- bzw. integrationspolitisch relevante Handeln gesellschaftlicher Akteure wie Kirchen, Arbeitgeber, Gewerkschaften und weiterer Verbände und deren Einflüsse auf Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse in die Analyse einbezogen. Dazu werden die Interessenslagen der politischen Akteure in den jeweiligen nationalen und europäischen Migrationsund Asylpolitiken untersucht, wobei die Aushandlungsprozesse der Beteiligten und ihre konfligierenden Interessen im Vordergrund stehen. Eine aufschlussreiche Forschungsfrage der Politikwissenschaft ist in diesem Zusammenhang die Parteiendifferenzhypothese,42 also die Frage, ob und in welcher Ausprägung Migrationspolitik davon abhängig ist, welche Partei die Regierung stellt.43 Auch wenn die Annahme plausibel erscheint, dass rechtsorientierte Parteien eine eher restriktiv orientierte Migrations- und Flüchtlingspolitik verfolgen und linksorientierte Parteien einen liberaleren Ansatz präferieren, fehlt es an systematischen Vergleichsstudien. Diese wären schon deshalb aufschlussreich, weil sie sich zwangsläufig mit der Beobachtung auseinandersetzen müssten, dass sich in der Praxis der Migrations- und Flüchtlingspolitik eine bemerkenswerte Kluft aufzutun scheint: Und zwar die Kluft zwischen einer auf die Abwehr von Migrant*innen und Flüchtlingen ausgerichteten politischen Rhetorik einerseits und einer insgesamt eher liberalen Kontrolle der Zuwanderung andererseits. Dieses Auseinandergehen zwischen politischer Ankündigung und Umsetzung hat nicht allein mit den bereits erwähnten supranationalen und internationalen Abkommen zum Schutz von Migrant*innen und vor allem von Flüchtlingen zu tun. Vielmehr 41 Vgl. Johannes Pollak / Peter Slominski, Experimentalist but not Accountable Governance? The Role of Frontex in Managing the EU’s External Borders, in: West European Politics 32/5 (2009), S. 914. 42 Vgl. Manfred G. Schmidt, Theorien in der international vergleichenden Staatstätigkeitsforschung, in: Adrienne Héritier (Hg.), Policy-Analyse. Kritik und Neuorientierung, Opladen 1993, S. 371–393, hier: S. 374. 43 Vgl. Suzanne Mulcahy, Europe’s Migrant Policies. Illusions of Integration, Basingstoke 2011.

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lässt sich dieses „liberale Paradoxon“44 unter anderem auf die Interessen global handelnder Ökonomien zurückführen. Und schließlich haben die Arbeitgeber*innen in den vom demografischen Wandel betroffenen Volkswirtschaften Interesse an einem möglichst großen Arbeitskräftepotential. Ein weiterer wichtiger Grund für das „liberale Paradoxon“ der Migrationspolitik dürfte schließlich der Umstand sein, dass es praktische wie auch humanitäre Gründe vielen Staaten erschweren, den Grenzschutz bzw. die Durchsetzung einer Ausreiseverpflichtung tatsächlich effektiv zu gestalten. Ob der phasenweise Zulauf zu populistischen Parteien und Politiker*innen womöglich genau auf dieses Auseinandergehen zwischen migrationspolitischen Ankündigungen und tatsächlicher Umsetzung zurückzuführen ist, wäre zwar ein wichtiges, gleichwohl von der Datenlage und der Methode kaum in den Griff zu bekommendes Forschungsgebiet der Politikevaluierung.45 Zumindest die schlagworthafte Behauptung vom „Kon­ trollverlust“ der Nationalstaaten wird mit dieser Kluft begründet. In Zeiten eines an Unterstützung gewinnenden Rechtspopulismus wachsen hingegen Zweifel, ob eine Feststellung aus den 1990er Jahren tatsächlich (noch) zutrifft:46 Die Annahme, dass migrationspolitische Positionen, die sich weit von den Grundwerten liberaler Demokratien entfernen, vom politischen Diskurs ausgeschlossen würden, erscheint ebenso überholt wie die These von der zunehmenden Konvergenz und Liberalisierung der Migrationspolitiken.47 Stattdessen bestimmt in vielen Demokratien eine neue Konfliktlinie die öffentliche Debatte und wirkt sich unter anderem auf die Positionierung der Parteien im Parteiensystem aus: Der Konflikt dreht sich um die Frage, wie stark die Grenzen des Nationalstaates geschlossen oder geöffnet werden sollen, und diese „Grenzfrage“ bezieht sich keineswegs allein auf die Migration, sondern auf Güter, Dienstleistungen und Arbeitskräfte ebenso wie auf die Abgabe nationalstaatlicher Kompetenzen an supranationale Einrichtungen.48 In den Bereich Politics fällt auch die Analyse der Interessenlage von politischen Parteien und gesellschaftlichen Akteuren. Gleichzeitig beziehen die entsprechenden Studien zum Beispiel die Rolle der Justiz und des Grundrechtsschutzes für Asyl­ suchende ein.49 Im Rahmen der Politics-Dimension wird außerdem der Einfluss der medialen Berichterstattung untersucht, sei es auf die Wahrnehmung eines „Miss44 James F. Hollifield, The Emerging Migration State, in: International Migration Review 38 (2004), S. 885–912. 45 Vgl. Sabine Kropp / Sabine Kuhlmann (Hg.), Wissen und Expertise in Politik und Verwaltung, Opladen / Toronto 2014. 46 Vgl. Gary P. Freeman, Modes of Immigration Politics in Liberal Democratic States, in: International Migration Review 29/4 (1995), S. 881–902, hier: S. 883. 47 Vgl. Hannes Schammann, Stadt, Land, Flucht. Konzeptionelle Überlegungen zum Vergleich städtischer Flüchtlingspolitik in Deutschland, in: Marlon Barbehön / Sybille Münch (Hg.), Variationen des Städtischen  – Variationen lokaler Politik, Wiesbaden 2017, S. 93 f., und Scholz, Migrationspolitik, S. 42–46. 48 Vgl. Wolfgang Merkel, Kosmopolitismus versus Kommunitarismus. Ein neuer Konflikt in der Demokratie, in: Philipp Harfst / Ina Kubbe / Thomas Poguntke (Hg.), Parties, Governments and Elites. The Comparative Study of Democracy, Wiesbaden 2017, S. 9–23. 49 Vgl. die Nachweise bei Scholz, Migrationspolitik, S. 67 f.

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brauchs“ des Asylrechts oder das sogenannte „Framing“ von öffentlichen Diskursen: Angesichts der Tatsache, dass die Ausgestaltung nationaler und supranationaler Migrations- und Flüchtlingspolitik auch in Wechselwirkung mit der öffentlichen Meinung erfolgt, spielt die Semantik in der öffentlichen Debatte über Migrant*innen und Flüchtlinge eine wichtige Rolle50 und trägt dazu bei, politische Entscheidungen und Nichtentscheidungen aus einer bestimmten Weltsicht heraus zu bewerten.51 Eine der Grundannahmen der Migrationsforschung ist die These vom „opinion-policy-­ gap“,52 demzufolge die Migrations- und Flüchtlingspolitik liberaler Demokratien durch eine deutliche Diskrepanz zwischen tendenziell liberaler Politikgestaltung und den restriktiven Einstellungen in der Bevölkerung gekennzeichnet ist.53 2.3 Policy-orientierte Migrationsforschung Policy-Forschung befasst sich mit der inhaltlichen Dimension von Staatstätigkeit. Die Einordnung von Migrations- und Flüchtlingspolitik als Politikfeld, definiert als eine „spezifische und auf Dauer angelegte Konstellation sich aufeinander beziehender Probleme, Akteure, Institutionen und Instrumente“,54 umfasst die Analyse unterschiedlicher Erscheinungsweisen von Migration und ihrer Steuerung. Zum Beispiel geht es um die Wechselwirkungen zwischen den Veränderungen in der Steuerung der Arbeitsmigration sowie der Asylzuwanderung und darum, welche politischen Entscheidungen oder auch Nicht-Entscheidungen aus welchen Motiven getroffen werden.55 Dass die drei Forschungsdimensionen von Politik selten trennscharf zu unterscheiden sind, zeigt etwa die Implementationsforschung, die dem Policy-Bereich zuzuordnen ist. Hier wird die Umsetzung von internationalen und europäischen asyl- und flüchtlingsrechtlichen Regelungen (polity) auf den verschiedenen staatlichen Ebenen untersucht.56 Zum Beispiel geht es um die Frage 50 Vgl. Klaus J. Bade, Zur Karriere abschätziger Begriffe in der deutschen Asylpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 65/25 (2015), S. 3–8, URL: http://www.bpb.de/apuz/207999/zurkarriere-abschaetziger-begriffe-in-der-deutschen-asylpolitik?p=all [10.3.2019]. 51 Vgl. Elisabeth Wehling, Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet und daraus Politik macht, Köln 2016, S. 167–179, und Münch, Asylpolitik, S. 201–213. 52 Vgl. Hannes Schammann, PEGIDA und die deutsche Migrationspolitik. Ein Beitrag zur Differenzierung des Opinion-Policy Gap in der Migrationsforschung, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 25 (2015), S. 309–333. 53 Vgl. Freeman, Modes of Immigration Politics, und Scholz, Migrationspolitik, S. 35 f. 54 Kathrin Loer / Renate Reiter / Annette Elisabeth Töller, Was ist ein Politikfeld und warum entsteht es?, in: der moderne staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management 8 (2015), S. 7–28. 55 Zur Wechselwirkung zwischen der Zulassung für Asylbewerber*innen zum Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund des 1973 erlassenen generellen Anwerbestopps für ausländische Arbeitskräfte vgl. Münch, Asylpolitik, S. 64–71. 56 Vgl. Ursula Münch, Integrationspolitik der Länder – dringliche Zukunftsaufgabe im Umbruch, in: Achim Hildebrandt / Frieder Wolf (Hg.), Die Politik der Bundesländer. Zwischen Föderalismusreform und Schuldenbremse, Wiesbaden 22016, S. 365–390.

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des Gestaltungsspielraums kommunaler Ausländerbehörden und einen Vergleich der Auslegung ausländerrechtlicher Regelungen durch verschiedene Kommunen. Ergänzt wird die Implementationsforschung durch lokale Politikfeldstudien, die die Charakteristika der Integrationspolitik verschiedener deutscher Städte ebenso analysieren wie die Frage, welche migrationsrelevanten Maßnahmen eine Kommune im Rahmen ihrer freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben angeht.57 Die drei Dimensionen von Politik lassen sich auch zueinander in Beziehung setzen. So untersucht etwa der sogenannte historische Institutionalismus die Änderung von Politikinhalten und -ergebnissen (policy) als Resultat von politischen Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen (politics) in den entsprechenden organisatorischen Strukturen (polity). Der „Multiple-Stream-Ansatz“ analysiert, ob und welche „Zeitfenster“ sich für eine liberalere oder auch restriktivere Gestaltung von Migrations- und Asylpolitik ergeben, warum ein Thema wie etwa die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber*innen auf die politische Agenda gelangt und schließlich zu politischen Entscheidungen führt und warum dies bei anderen nicht der Fall ist.58 Ein weiterer Gegenstand der Policy-Forschung ist die Analyse der Parameter, von denen die Aufnahmebereitschaft der Mitgliedstaaten abhängig ist. Darunter fällt die außen- und sicherheitspolitische Interessenlage ebenso wie die wirtschaftliche, sozialpolitische und demografische Situation des Aufnahmestaates,59 aber eben auch die Wahrnehmung von Fluchtmotiven und Eigenschaften der Flüchtlinge bzw. Migrant*innen.60

3. Methodologischer Nationalismus vs. „Critical migration studies“ Die politikwissenschaftliche Migrationsforschung ist tendenziell durch einen „methodologischen Nationalismus“ geprägt, also durch eine Fokussierung auf als relativ geschlossene und homogen gedachte einzelstaatliche Gesellschaften.61 Diese auf den Nationalstaat konzentrierte Perspektive stellt meist die Sichtweise 57 Vgl. die Nachweise bei Schammann, Stadt, Land, Flucht, S. 97–107. 58 Vgl. Petra Bendel, Migrations- und Integrationspolitik der Europäischen Union. Widersprüchliche Trends und ihre Hintergründe, in: Sigrid Baringhorst / Uwe Hunger / Karen Schönwälder (Hg.), Politische Steuerung von Integrationsprozessen, Intentionen und Wirkungen, Wiesbaden 2006, S. 95–120. 59 Vgl. Frida Boräng, Large-scale Solidarity? Effects of Welfare State Institutions on the Admission of Forced Migrants, in: European Journal of Political Research 54 (2015), S. 216–231. 60 Vgl. Herfried Münkler, Die Mitte und die Flüchtlingskrise: Über Humanität, Geopolitik und innenpolitische Folgen der Aufnahmeentscheidung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 66/14–15 (2016), S. 3–8, URL: http://www.bpb.de/apuz/223912/die-mitte-und-die-​ fluechtlingskrise?p=all [10.3.2019]. 61 Andreas Wimmer / Nina Glick Schiller, Methodological Nationalism and Beyond: Nation-­ State Building, Migration and the Social Sciences, in: Global networks. A journal of transnational affairs 2/4 (2002), S. 301–334.

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der Aufnahmestaaten in den Vordergrund. Insgesamt liegt der klassischen Migrationsforschung die Vorstellung zugrunde, dass Gesellschaften voneinander abgeschlossene Einheiten darstellen, zwischen denen sich das staatlich kontrollierte Migrationsgeschehen abspielt.62 Inzwischen gibt es auch politikwissenschaftliche Ansätze, die sich darum bemühen, diesen methodologischen Nationalismus zu überwinden, um die transnationalen Prozesse, bei denen es sich bei der Migration meist zwangsläufig handelt, adäquat fassen zu können. Dazu gehören z. B. die sogenannten „crititical border studies“ oder „critical migration studies“. Deren Vertreter*innen bemühen sich um ein komplexeres Verständnis von Grenzen und Migra­tion als soziale Phänomene mit normativen Implikationen. Dabei handelt es sich häufig um Ansätze der Politischen Theorie und Politischen Philosophie, die den Ansatz verfolgen, Grenzen nicht auf Grenzen im territorialen Sinn zu reduzieren. Vielmehr integrieren diese „critical border studies“ historische, soziologische und anthropologische Elemente in ihre Analyse. Grenzen werden somit auch als Raum verstanden, in dem Aushandlungsprozesse um Inklusion und Exklusion, um Kontrolle und Kontrollentzug stattfinden. Auf diese Weise will man dem komplexen Funktionieren von Grenzen wie auch dem Migrationsgeschehen insgesamt besser gerecht werden.63 Diese „ganzheitliche“ Betrachtungsweise zielt damit auch darauf ab, dichotomische Betrachtungsweisen wie „Push- und Pullfaktoren“ einerseits oder auch die Unterscheidung zwischen „die drinnen und die draußen“64 aufzuheben und damit der über Jahrzehnte dominierenden politikwissenschaftliche Migrationsforschung und deren relativ engen Verständnis von Migration etwas entgegenzusetzen: So wurde Migration fast ausschließlich als eine Handlung verstanden, die aus Not, Eigeninteresse oder Verfolgung geschieht. Charakteristisch für dieses Migrationskonzept ist die Objektivierung von Migration: Entsprechende politikwissenschaftliche Arbeiten vor allem aus dem Bereich der Internationalen Beziehungen befassen sich zum Beispiel mit den Ursachen von Migration und Zwangsmigration beziehungsweise Flucht, nehmen entsprechende Kategorienbildungen vor und evaluieren darauf aufbauend zum Teil auch die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Diese Form der Fluchtursachenforschung zieht zwei Arten von Kritik auf sich: Zum einen wird bemängelt, dass die Migrationsforschung bei einer solchen Betrachtung die Individualität von Migrationsentscheidungen zu wenig berücksichtige. Dabei zielte das ursprüngliche Push- und

62 Vgl. Coskun Canan, Identitätsstatus von Einheimischen mit Migrationshintergrund. Neue styles?, Wiesbaden 2015, S. 39. 63 Vgl. Noel Parker / Nick Vaughan-Williams (Hg.), Critical Border Studies: Broadening and Deepening the „Lines in the Sand“ Agenda, New York 2014; Nicholas de Genova / Sandro Mezzadra / John Pickles (Hg.), New Keywords: Migration and Borders, in: Cultural Studies 29 (2015), S. 55–87, und Georg Löfflmann / Nick Vaughan-Williams, Narrating Identity, Border Security and Migration: Critical Focus Groups and the Everyday as Problematic, in: Critical Studies on Security 5/2 (2017), S. 207–221. 64 Peter Singer, Praktische Ethik, Stuttgart 1994, S. 315.

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Pull-Modell der ökonomischen Migrationsforschung nach Everett S. Lee65 darauf ab, Erklärungen von Wanderungsbewegungen nicht nur auf der kollektiven, sondern auf der individuellen Ebene zu suchen. Auch diese klassische Fluchtursachenforschung muss jedoch die qualitative Veränderung von Migration und damit die teilweise Überschneidung der Motive von Migration und Flucht zur Kenntnis nehmen: Selten liegt nur ein Pushfaktor vor, häufiger sind Wechselwirkungen.66

4. Perspektivenwechsel durch die Einbeziehung von Gerechtigkeitsdiskursen Die klassische politikwissenschaftliche Migrationsforschung wird unter anderem durch die Einbeziehung von Gerechtigkeitsdiskursen modifiziert. Solche Fragestellungen spielen vor allem in der Diskussion um die Angemessenheit relativ offener Grenzen beziehungsweise der Notwendigkeit einer restriktiven Steuerung von Zuwanderung eine zunehmende Rolle. Die gerechtigkeits- und moralphilosophisch begründete Perspektive widerspricht zwar den politischen Prioritäten einer Mehrheit der Wählerschaft in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und deren Wunsch nach einer Regulierung der Migration gerade auch durch die Europäische Union,67 weitet jedoch die häufig allein an Nützlichkeits- und Machbarkeits­ erwägungen ausgerichtete Debatte um zentrale moralphilosophische Fragen. Dazu gehört auch die These, dass politische Entscheidungen unter Einbeziehung all derjenigen getroffen werden müssten, die dem Zwang des Grenzregimes unterworfen sind: Also nicht allein unter Beteiligung der nationalen Bürgerschaft, sondern  – angesichts der kosmopolitischen Dynamik von Grenzregimen  – im Rahmen weltumfassender Institutionen. Bei diesen Diskursen wird zum einen auf die historische Kontingenz territorialer Grenzen verwiesen und zum anderen darauf, dass die Bedeutung der „Gnade der richtigen Geburt“68 unter gerechtigkeitstheoretischen Aspekten mit der universellen moralischen Gleichheit von Menschen eigentlich unvereinbar sei. Das heißt, die politische Philosophie diskutiert das staatliche „Recht auf Ausschluss“ aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.69 65 Everett S. Lee, Eine Theorie der Wanderung, in: György Széll (Hg.), Regionale Mobilität, München 1972, S. 115–129. 66 Vgl. Arezo Malakooti, Mixed Migration into Libya: Mapping Migration Routes from Africa to Europe and Drivers of Migration in Post-revolution Libya, in: Migration Policy Practice 3/6 (2013/2014), S. 18–21, URL: http://gmdac.iom.int/migration-policy-practice-nr14 [10.3.2019]. 67 Europäisches Parlament, Briefing. Public Expectations and EU Policies: The Issue of Migration, July 2016, URL: http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2016/586580/ EPRS_BRI%282016%29586580_EN.pdf [10.3.2019]. 68 Lothar Baier, Die Gnade der richtigen Geburt. Neuer Rassismus und rasender Antirassismus, in: Freitag. Die Ost-West-Wochenzeitung, 20.8.1993. 69 Vgl. Matthew J.  Gibney, The Ethics and Politics of Asylum. Liberal Democracy and the Response to Refugees, Oxford 2004.

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Die Kritiker*innen dieser Annahme weisen dagegen auf den spezifischen Charakter politischer Gemeinschaften als historisch gewachsener „Communities of Character“ hin.70 Das „soziale Gut“ der politischen Zugehörigkeit und Mitgliedschaft sei gegen eine schleichende Veränderung durch den Zuzug von kulturell anders sozialisierten Einwander*innen zu verteidigen. Gegen dieses kommunitaristisch inspirierte Argument wird der nicht weniger umstrittene Einwand vorgebracht, dass die Vorstellung von einem Charakter und einer Kultur angesichts der auch auf historische Migration zurückzuführenden gesellschaftlichen Heterogenität sowie der Konstruiertheit des Modells Nation nicht sinnvoll sei.71

5. Akteurszentrierte Perspektive in der Migrationsund Flüchtlingsforschung Der akteurszentrierte Zweig des Neoinstitutionalismus in der Migrationsforschung widmet sich den Ergebnissen von Interaktionen zwischen individuellen oder institutionellen Akteuren, die innerhalb des bestehenden institutionellen Rahmens jeweils ihre eigenen Interessen verfolgen. Mit Blick auf das Handeln der Verwaltung sowie der Justiz in verschiedenen europäischen Staaten wurde zum Beispiel die These aufgestellt, dass die Liberalisierung der Einwanderungspolitik in den 1990er Jahren darauf zurückzuführen sei, dass diese Akteure sich von der öffentlichen Meinung unabhängig gemacht und durch eine konsequente Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes einer Konsolidierung der Rechte von Einwanderern Vorschub geleistet hätten.72 Uneinigkeit besteht gerade zwischen den akteurszentrierten Ansätzen darüber, worauf die Ausweitung der Rechte von Migrant*innen bzw. Flüchtlingen zurückzuführen ist. Ein Teil der Forschungsansätze hebt auf den institutionellen Kontext ab, der sich einer Diskriminierung von Migrant*innen entgegensetzt. So begegne die Rechtsprechung zum einen der rechtlichen Diskriminierung von Ausländer*innen und schränke zum anderen auch den Spielraum migrationspolitischen Handelns ein.73 Wieder andere Ansätze verweisen auf die Selbstorganisation von Migrant*innen und diskutieren die Frage, ob die Konsolidierung beziehungsweise die Ausweitung der Rechte von Migrant*innen in den westlichen Industriestaaten auf deren eigene politische Partizipation zurückzuführen sei.74 Forschungsansätze, die diese Frage bejahen, lehnen die oben genannte „Objektivierung“ von Migration ab. 70 Michael Walzer, Spheres of Justice. A Defense of Pluralism and Equality, New York 1983, S. 62. 71 Vgl. Benedict Andersen, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt a. M. / New York 32005. 72 Vgl. Virginie Guiraudon nach Scholz, Migrationspolitik, S. 69 f. 73 Vgl. Christian Joppke nach Scholz, Migrationspolitik, S. 67. 74 Vgl. Scholz, Migrationspolitik, S. 69, mit Verweisen auf Virginie Guiraudon, Multiculturalism and the Right of Foreigners in the European Union, in: Riva Kastoryano (Hg.), An Identity for Europe. The Relevance of Multiculturalism in EU Construction, Basingstoke 2009, S. 131–156.

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Sie nehmen vielmehr Migrant*innen als Individuen wahr, die sich aktiv entscheiden, ob, wohin und auf welche Weise sie migrieren. Dazu gehört auch, dass sich die Forschung mit den Auswirkungen der juristischen und bürokratischen Fremdzuschreibung zum Flüchtling befasst und sichtbar macht, dass es sich dabei um keinen „neutralen“ Prozess, sondern um ein hoch politisiertes Vorgehen handele, das „eine soziale Ein-, Ab- und Ausgrenzung nach sich zieht“ und zur Folge habe, dass „unter dem Flüchtlingslabel“ Personen als „passive und homogene sowie schutz- und hilfsbedürftig Opfergruppe verstanden“ würden.75 Mittels empirischer Erhebungen wird dabei gezeigt, wie die Zuschreibungen als Flüchtling in diskriminierende Behandlungen von Mitarbeiter*innen humanitärer Organisationen einfließen und wie sie das Wohlbefinden der Flüchtlinge beeinflussen.76 Auf diese Weise werden Migrant*innen in der Forschung inzwischen auch als Akteure – und zwar auch als politische Akteure – wahrgenommen. Migration gilt damit auch als Form politischen Handelns, die in den Anspruch mündet, am politischen Diskurs des Aufnahmestaates beteiligt zu werden. In diesen Diskursen spielt die oben angesprochene Schwierigkeit, die einzelnen Erscheinungsformen von Migration trennscharf voneinander zu unterscheiden, zwar ebenfalls eine Rolle; mit Blick auf die einzelnen Migrant*innen ist jedoch festzustellen, dass deren rechtlich definierter Aufenthaltsstatus von sehr großer Bedeutung ist. Während dieser Aspekt jenseits der rechtswissenschaftlichen Forschung, die sich zwangsläufig mit Statusrechten von Zuwanderer*innen befasst, in der sozialwissenschaftlichen Forschung zunächst kaum eine Rolle spielte, ändert sich dies in dem Maße, in dem sich die sozialwissenschaftliche Forschung mithilfe von biografischer Forschung zum Beispiel die Bedeutung von transnationalen Verbindungen für die Lebenssituation und -bewältigung von Migrant*innen widmet. Im Sinne des so genannten Agency-Konzepts geht man dabei von einem handlungsfähigen Individuum aus, das reflexiv und aktiv Einfluss auf seine Umgebung nehmen kann und will.77 Bei der Untersuchung der jeweiligen Lebensentwürfe geht es nicht nur um die Integration in den Aufnahmestaat, sondern etwa auch um die Beziehungen zu Familienangehörigen im Herkunftsland.78 In weiteren Fallbeispielen wird unter anderem die politische Selbstorganisation von Migrant*innen untersucht. Dabei 75 Ulrike Krause, „It Seems You Don’t Have Identity, You Don’t Belong“. Reflexionen über das Flüchtlingslabel und dessen Implikationen, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 23/1 (2016), S. 8–37. 76 Ulrike Krause, Aus der aktuellen zib: Beitrag zur globalen Flüchtlingslabelkonstruktion, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 19.5.2016, URL: https://zib-online. org/2016/05/19/das-label-fluechtling-homogenisierung-und-viktimisierung-durch-eineglobale-labelkonstruktion/ [10.3.2019]. 77 Vgl. Dorothee Geiger, Handlungsfähigkeit von geduldeten Flüchtlingen. Eine empirische Studie auf der Grundlage des Agency-Konzeptes, Wiesbaden 2016, S. 44. 78 Beispielsweise ist die Wahrscheinlichkeit von Geldüberweisungen unter ausreisepflichtigen Migrant*innen deutlich höher als bei freiwilligen Rückkehrer*innen, vgl. William Collier / Matloob Piracha / Teresa Randazzo, Remittances and Return Migration, in: Revue of Development Economies 22/1 (2018), S. 174–202.

Flüchtlings- und Migrationsforschung in der Politikwissenschaft 

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wird betrachtet, welche Aktionen zu einer transnationalen Diffusion politischer Strategien und Ideologien von Migrant*innengruppen führen. Migrationsforschung ist in diesem Fall Partizipationsforschung: Sie untersucht die Organisationsformen, die politischen Ziele, die Vorgehensweisen, den Einfluss der Migrant*innengruppen auf den politischen Entscheidungsprozess und analysiert, wie politische Rechte von aktiven Migrant*innen genutzt und erlebt werden.79 Auch diese Forschungsansätze sind ein Beleg dafür, dass die politikwissenschaftliche Migrationsforschung ihre bisherige Perspektive weitet und zusätzlich zum Beispiel einen Zusammenhang zur Untersuchung von Demokratisierungsprozessen herstellt: Aus einer akteurszentrierten Perspektive geht es dabei etwa auch um die Frage, wie Migrant*innen selbst nach ihrer Rückkehr Demokratisierungsprozesse in ihrem Herkunftsland beeinflussen. Welchen Anteil haben Migrant*innen an einer Diffusion demokratischer Werte, und welche Rolle spielt ihre Wahrnehmung demokratischer Prozesse im jeweiligen Aufnahmestaat für ihre politischen Einstellungen? Für letztere, darauf deuten vergleichende Untersuchung hin, ist nicht die Regierungsform im Zielland entscheidend, sondern vielmehr die Art und Weise, wie Migrant*innen die politische Praxis in ihrem Alltag beobachten und erleben. Migrationserfahrungen können demnach demokratische wie undemokratische Einstellungen hervorrufen oder verstärken.80

6. Schluss Die Beispiele zeigen, dass die klassische politikwissenschaftliche Migrationsforschung zunächst durch einen „methodologischen Nationalismus“ und den Vorrang der Steuerungsperspektive geprägt war. Diese Fokussierung auf den Nationalstaat und seine zu schützenden Grenzen stellte die Sichtweise der Aufnahmeländer und hier vor allem die Belange der einheimischen Bevölkerung in den Vordergrund. Es ist zum einen auf die Anstöße gerade der politischen Philosophie, deren Gerechtigkeitsdiskurse sowie die demokratietheoretisch fundierte Ausweitung der Forschung zurückzuführen, dass sich die politikwissenschaftliche Migrationsforschung allmählich für andere Perspektiven öffnet. Zum anderen gingen die genannten Veränderungen im Migrations- und Fluchtgeschehen sowohl mit einer Erweiterung des Forschungsgegenstands als auch mit der Ausweitung der Forschungsansätze einher. Die politikwissenschaftliche Migrationsforschung changiert zwischen einer stark regimeorientierten Perspektive, die sich auf das Wechselverhältnis von staatlichen bzw. institutionalisierten Akteuren sowie Migration konzentriert und zum Beispiel die Auswirkungen nationaler Entschei79 Vgl. Esther Mikuszies, Dynamiken politischer Bürgerschaft in der Migration. Eine multilokale Spurensuche in Spanien, Ecuador und Marokko, Wiesbaden 2018. 80 Vgl. Stefan Rother, Demokratisierung und Migration – Ebenen, Akteure, Diffusionskanäle, in: Ders. (Hg.), Migration und Demokratie. Studien zur Migrations- und Integrationspolitik, Wiesbaden 2016.

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dungen untersucht sowie dem typologisierenden Vergleich der Ähnlichkeiten und Unterschiede von Migrationspolitiken in unterschiedlichen Staaten.81 Und schließlich fällt auf, dass sich inzwischen auch die deutsche Politikwissenschaft mit einer Einordnung ihrer eigenen Migrationsforschung befasst und den Transfer politikwissenschaftlicher Modelle und deren Anwendung auf die Migrationspolitik untersucht. Es bleibt abzuwarten, ob diese Selbstbefassung des Faches einerseits und die nachholende Konzentration auf die Modellanwendung andererseits zur Folge haben, dass der Kerngegenstand politikwissenschaftlicher Migrationsforschung – nämlich die Analyse der Interessenlagen unterschiedlicher Akteure innerhalb, von und zwischen Nationalstaaten, der Auswirkungen von Migration auf inner- wie intrastaatliche Machtbeziehungen sowie von Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen – womöglich ins Hintertreffen gerät. In diesem Fall wäre der Bedeutungsverlust politikwissenschaftlicher Migrationsforschung nicht zu geringer, sondern zu großer Aufmerksamkeit der Fachvertreter*innen geschuldet.

81 Vgl. Kleist, Flüchtlingsforschung, S. 160.

II. Akteur*innen und Infrastrukturen

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The Nation State and Global Migration More people are on the move today than at any other time in human history. Among the world’s population there are at least 65 million forcibly displaced migrants, made up of 41 million internally displaced persons (IDPs), 21 million refugees (including 5 million Palestinians), and 3 million asylum-seekers.1 In addition, there are some 244 million voluntary migrants globally.2 These global migrations cover every imaginable type of migrant and every imaginable type of migrant experience, from the banker sipping champagne in first class with his family as he takes up a position with Citibank in New York to the trafficked migrant crowded into an oxygen-deprived lorry en route to a life of servitude in Bangkok. Against this exceedingly diverse backdrop, the aim of this article is to specify the dynamics governing global migration and, where possible, to rank them in order of importance. Any comprehensive account of these dynamics must explain the motives for migration, the means by which people migrate and the policy framework that migrants confront in their destination countries. For many decades, these questions centred around a now rather stale debate on ‘push’ versus ‘pull’ factors — whether, for instance, the poverty of the sending country was a greater motivating factor than the wealth of the receiving country.3 Wealth and poverty obviously affect decisions to migrate (and particularly any decision on destination), but the binary push / pull contrast elides far too many intervening variables, both structural (institutions) and agency-based ones (human traffickers, for instance). This article proceeds in five steps. First, it reviews the history of state-driven expulsions, highlighting the close historical connection between nationalism and nation-building efforts on the one hand, and mass expulsion on the other. Second, the article examines the centrality of the state to the global migration system and how it is subject to two sets of constraints in refugee and family law. Third, the article discusses the legal categories created directly or indirectly by 1 UNHCR, Global Trends, Forced Displacement in 2015, Geneva 2016, URL: https://www. unhcr.org/576408cd7.pdf [February 16, 2018]. 2 IOM, Global Migration Trends Factsheet, Berlin 2016, URL: http://gmdac.iom.int/globalmigration-trends-factsheet [March 10, 2019]. 3 Guido Dorigo / Waldo Tobler, Push-Pull Migration Laws, in: Annals of the Association of American Geographers 73/1 (1983), pp. 1–17; James Nwannukwu Kerri, ‘Push’ and ‘Pull’ Factors: Reasons for Migration as  a Factor in Amerindian Urban Adjustment, in: Human Organization 35/2 (1976), pp. 215–220; J. Craig Jenkins, Push / Pull in Recent Mexican Migration to the U. S., in: International Migration Review 11/2 (1977), pp. 178–189; and Everett S. Lee, A Theory of Migration, in: Population Association of America 3/1 (1966), pp. 47–57.

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the state, through which migrants move. Fourth, it explores migrant agency: the decisions that migrants make to move, the destinations they prefer, and how these preferences interact with (and are partially determined by) state policy. Finally, the article concludes with  a reflection on the state as the anchor of migration globally.

1. The State at the Centre The most important driver of global migration by far is the nation state. This was true historically, and it remains so today. Historically, nation states across Europe, North and South America and Australasia were formed through mass flight and mass expulsions. The United States, Canada, the states of Central and South America and Australia were all created through the dispossession, expulsion, and in some cases the deliberate decimation of aboriginal populations. In SouthEastern Europe, the emergence of multiple nation states following the retreat and eventual collapse of the Ottoman Empire — Greece, Bulgaria, Serbia, Albania, Romania — was accompanied by the large-scale expulsion of Muslim populations.4 The outcomes of the 1877–1878 Russian-Turkish war included the creation of principalities in Romania, Serbia and Montenegro; a quasi-autonomous Bulgaria; and substantial land grabs of Ottoman territory by the British, French and Russians. By 1913, these transformations had resulted in the movement of between 1.7 and 2 million Muslims to what became the Republic of Turkey.5 Until 1912, these movements remained a by-product of war and of a shift in power from the Ottomans, and Muslims more generally, towards newly emergent states and their Christian populations. In the first Balkan war, however, matters changed. “In 1912,” writes historian Mark Mazower, “for the first time in the history of the region, modern states took advantage of the conflict to pursue long-range demographic goals […] Forced conversions, mass executions and the flight of tens of thousands of refugees were the consequence of this attempt to liquidate the remaining Ottoman provinces of Europe in accord with the principle of nationality.”6 Population transfers became basic to the process of nation-state formation itself. It set a pattern that would last five decades, if indeed it has ended at all. The third and final act in the Ottoman Empire’s collapse — defeat in World War I — led Turkish nationalists to redouble their expurgatory efforts. During the conflict, Turkey expelled 1.5 million Armenians, of whom some 750,000 died.7 4 See Mark Mazower, The Balkans. A Short History, New York 2002, pp. xxxvii–xxxviii and pp. 115 f. 5 Ibid., p. xxviii. 6 Ibid., p. 117. 7 Susan Pattie, Armenian Diaspora, in: Matthew Gibney / Randall Hansen, Immigration and Asylum. From 1900 to the Present, vol. 1, Santa Barbara, CA 2005, pp. 13–19, here p. 15.

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After the war, the Allies sought to impose  a punitive peace on Turkey, which left a rump nation with its former lands carved up by the great powers, and which placed Constantinople under international sovereignty. The Greeks had a heady vision of expanding their borders to encompass large portions of South-Eastern Europe and present-day Turkey (the Megali, or ‘Great’ Idea)  and accordingly launched an invasion while negotiations were ongoing, pushing into Anatolia with annexationist intent. A daring officer, Mustafa Kemal Atatürk, regrouped Turkish forces and pushed out the Europeans, establishing the current borders of Turkey. Atatürk’s vision of the new state had little room for minorities — indeed, it was hostile to them — and the establishment of Turkey was accompanied by the widespread expulsion and flight of Greeks.8 Firm estimates are impossible, but by the end of 1922, over one million impoverished Greek migrants had fled Turkey.9 The Lausanne Convention, part of the Treaty of Lausanne which settled the borders of post-Ottoman states, effectively served as a bureaucratic tidying-up by retrospectively legalizing the expulsions or flights that had already occurred and allowing the ‘transfer’ of another 190,000 Greeks from Turkey and 355,000 Muslims from Greece.10 When Greeks from the Black Sea littoral / eastern Thrace region and Muslims from elsewhere in the Balkans are added, the total figure amounted to two million flights and expulsions before, during, and in the immediate aftermath of the Treaty.11 In North-Eastern Europe, the interwar period witnessed a contrasting approach to nation-state formation. During this period an unusual effort was made to match borders to peoples — rather than moving peoples to match borders — and to institute a series of minority rights treaties for the large minority populations living within the nation states created by the Treaties of Versailles and Trianon: Czechoslovakia, a reconstituted Poland and Hungary. The rise of Hitler and his war put paid to these efforts and ushered in Nazi Germany’s effort to reorder Europe’s demography entirely. Although German military losses prevented the full implementation of their most ambitious plans, the National Socialists nonetheless caused massive forcible displacement. The National Socialist government repatriated some 770,000 ethnic Germans back to the Reich; stole between 150,000 and 200,000 children regarded as candidates for assimilation; dumped 838,000 Poles (including Jews) and German Jews into the General Government; and expelled 240,000 French nationals from Alsace-Lorraine.12 Although many

8 Peter Gatrell, The Making of the Modern Refugee, Oxford 2003, p. 63, and Giles Milton, Paradise Lost. Smyrna 1922. The Destruction of Islam’s City of Tolerance, London 2008. 9 Renée Hirschon, Heirs of the Greek Catastrophe. The Social Life of Asia Minor Refugees, New York 1998, pp. 36–39. 10 Renée Hirschon, Lausanne Convention, in: Gibney / Hansen, Immigration and Asylum, pp. 375–379. 11 Mazower, The Balkans, p. 119. 12 Pertti Ahonen et al., People on the Move. Forced Population Movements in Europe in the Second World War and its Aftermath, Oxford 2008, chapter 2.

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Jews in the General Government were later sent to death camps, these figures exclude the majority of Jews who were later transported east for extermination. For their part, the Soviets deported huge numbers during their two-year cooperation with Hitler: between 309,000 and 327,000 Poles, Ukrainians and Belarusians were deported between 1939 and 1941; some 80 per cent of this total was made up of Poles.13 Stalin’s greatest expulsions were, however, internal to the Soviet Union. They occurred under conditions of peace rather than war and selected people for expulsion by class as well as race. Stalin targeted his first displacement drive against the kulaks (propertied peasants), whom he intended to destroy as a class, and he sent almost two million of them to labour camps in 1930 and 1931.14 He later deported approximately 3,266,000 people — Germans, Koreans, Finns, Kalmyks, Karachays, Balkars, Chechens and Ingush, Crimean Tatars, Greeks, and Meskhetian Turks, Kurds and Khemsils — dispatching them from their homes to ‘special settlements’ in the interior of the USSR .15 After World War II, the Allies opted for transfers that matched peoples to established borders and at times cited the ‘success’ of the Greek-Turkish population exchanges. Poland and Czechoslovakia, among other Eastern European countries, consolidated their post-1945 nations through the expulsion of their ethnic German populations: across Eastern and South-Eastern Europe, 12 million Germans were expelled.16 Over the course of the war, the Organization of Ukrainian Nationalists expelled between 350,000 and 400,000 Poles from western Ukraine by means of murder, torture and the burning of villages.17 More were expelled as Stalin incorporated eastern Poland into the Soviet Union. Once again, these expulsions were not the stepchildren of war or spontaneous acts of revenge. They were, rather, an orchestrated effort by nationalists to cleanse their new countries of minorities. Between 1939 and 1951 there were more than fifty forced population transfers globally.18 The expulsions occurred throughout Europe, in South Asia, in the Middle East and in East Asia. The Partition of India and Pakistan occurred in, and was made possible by, a climate of intense religious hatred. It was accompanied by the systematic murder of civilians, decimation of whole villages and the mass expulsion and flight of millions of Hindus, Muslims and Sikhs. The mechanics of expulsion were very similar to those of wartime and early postwar Europe, and by the end of the partition, 8 million Hindus, Muslims and Sikhs had fled

13 Ibid., p. 27. 14 Lynne Viola, The Unknown Gulag. The Lost World of Stalin’s Special Settlements, Oxford 2007, p. 2. 15 Otto Pohl, Ethnic Cleansing in the USSR, 1937–1939, Westport 1999, p. 2. 16 Matthias Beer, Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen, Munich 2011, p. 13. 17 Alexander V.  Prusin, Ethnic Cleansing. Poles from Western Ukraine, in: Gibney / Hansen, Immigration and Asylum, pp. 204–207. 18 Mazower, The Balkans, p. 154.

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or had been expelled.19 In the Middle East, the war following the establishment of a Jewish state led to the flight and expulsion of approximately 750,000 Palestinian Arabs between November 1947 and September 1949: they were moved out of what is now Israel.20 Arab states retaliated, and, in roughly equal numbers, Jews were driven out from other territories, most of them making their way to the Israeli state.21 In China, the 1926–1937 and 1946–1950 civil wars, the Communist victory over Chiang Kai-shek’s Nationalists, and the latter’s retreat to Taiwan led to a massive refugee outflow towards the island. Some two million Chinese nationals, military personnel and civilians fled, with a particularly strong outflow in 1948 and 1949.22 Although nothing has matched the horrific brutality of the 1930s and 1940s, expulsions remained a basic feature of nationalist state formation through the 1960s and 1970s. In Kenya and Tanzania, post-independence governments openly discriminated against Asians, leading to the flight of tens of thousands, and President Idi Amin expelled all Ugandan Asians in 1972.23 Communist victories in 1975 in the former French colonies of Indochina — Vietnam, Cambodia and Laos — led to an outflow of people which reached one million by 1979 and a total of three million by 1995.24 Thus, for almost 150 years, the major refugee movements were the product of nationalism and nation-building. However, from the 1960s in Africa, and the 1980s in the Middle East, this calculus shifted: the collapse, rather than construction, of the nation state began to drive refugee movements. Today, the largest producers of refugees are all unstable, collapsing or failed states:25 the 19 Yasmin Khan, The Great Partition. The Making of India and Pakistan, New Haven 2007. 20 See Dawn Chatty / Randa Farah, Palestinian Refugees, in: Gibney / Hansen, Immigration and Asylum, pp. 465–471; Alana Lentin, Israel, in: Gibney / Hansen, Immigration and Asylum, pp. 325–230, and Benny Morris, The Birth of the Palestinian Refugee Problem Revisited. Cambridge 2004, pp. 588 f. 21 Abbas Shiblak, Iraqi Jews. A History of Mass Exodus, London 2005. 22 Ji-Ping Lin, Tradition and Progress: Taiwan’s Evolving Migration Reality, Washington 2012, URL: http://www.migrationpolicy.org/article/tradition-and-progress-taiwans-evolvingmigration-reality [March 10, 2019], and Meng Hsuan Yang, The Great Exodus. Sojourn, Nostalgia, Return, and Identity Formation of Chinese Mainlanders in Taiwan, 1940–2000, Vancouver 2012, p. 91. 23 Randall Hansen, British Politics, the Kenyan Asians, and the Commonwealth Immigrants Act, 1968, in: Historical Journal 42/3 (1999), pp. 809–834, and Randall Hansen, Citizenship and Immigration in Postwar Britain, Oxford 2000, chapters 7 and 8. 24 UNHCR, The State of the World’s Refugees 2000: Fifty Years of Humanitarian Action, Chapter 4, URL: http://www.unhcr.org/3ebf9bad0.pdf [March 10, 2019], and Barry Wain, The Indochina Refugee Crisis, in: Foreign Affairs (Autumn 1970), URL: https://www.foreign​ affairs.com/articles/cambodia/1979-09-01/indo​china-refugee-crisis [March 10, 2019]. 25 2014 data; figures represent the total numbers fleeing. All data from UNHCR, Global Trends, Forced Displacement in 2014. World at War, Geneva 2015, URL: http://unhcr.org/556725e69. html [March 10, 2019] except the Syrian data, which come from UNHCR Syrian Regional Response (UNHCR Global Trends: Forced Displacement in 2015), Geneva 2016, URL:

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Syrian Arab Republic (4,086,760), Afghanistan (2,593,368), Somalia (1,106,068), Sudan (659,395), the Democratic Republic of Congo (516,562) and the Central African Republic (410,787). Within Europe, the two greatest refugee crises since the 1980s — t he Balkan refugee crisis of the early 1990s and the post-2011 Syrian refugee crisis — both followed civil war and state collapse.

2. The Nation State, International Law, and Global Refugee Movements The nation state is the central actor in global migration in two ways. First, as noted above, both state creation and state disintegration generate large, often massive, movements of forced migrants. Second, in all cases of migration, forced as well as voluntary, the nation state decides whether, when and under what conditions migrants are granted entry to its territory. The only exception occurs when states collectively agree to exempt certain categories of migrants from immigration controls (as with European Union nationals moving within the EU), though even then, conditions regarding employment and capacity for selfsupport are often applied. Depending on the circumstances, the state can be either proactive or react­ ive. Proactively, it can make expulsions that drive migrants out or have open migration policies that draw them in; reactively, it can block or limit migrants who come of their own volition. In the case of state breakdown, the state’s role is indirect: the collapse of the state exacerbates insecurity and violence, which, in turn, cause people to flee. But in all cases the state is an independent variable. That said, the state’s power is not entirely unfettered. Because of international agreements and domestic law, two categories of migrants enjoy privileged, though by no means absolute, access. The first group is that of refugees, the group for which there is the most developed international law and jurisprudence. The 1951 UN Convention relating to the Status of Refugees grants asylum-seekers a right to apply for asylum, but it imposes no corresponding duty on states to grant asylum. This mirrors broader international norms on migration, which recognize a right to leave a home country without putting forward a corresponding right to enter any other.26 What the 1951 Convention does impose on signatory states — and it is a significant limitation on sovereignty — is a duty not to return asylum seekers to countries where they face a well-founded fear of persecution. This is the nonrefoulement requirement. A person becomes a refugee through flight. According https://www.unhcr.org/576408cd7.pdf [March 10, 2019]. Afghanistan held the top position for decades until being displaced recently by Syria. The Iraq figure is contested, given the fluidity of the situation. Jordan alone claims to host 400,000 refugees from Iraq. 26 Council of Europe Commissioner for Human Rights, The Right to Leave a Country, Issue Paper, October 2013, URL: https://www.coe.int/t/commissioner/source/prems/prems150813_GBR_​ 1700_TheRightToLeaveACountry_web.pdf [March 10, 2019].

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to Article I(A)2, a refugee is an individual with a well-founded fear of persecution who is “outside the country of his nationality and is unable or, owing to such fear, is unwilling to avail himself of protection of that country”.27 Beyond the 1951 Convention, there are further international agreements that often include more expansive definitions of refugees. In 1969, in response to the African refugee crises of the 1960s, the Organization of African Unity (now the African Union) adopted the Convention Governing the Specific Aspects of Refugee Problems in Africa. This document reaffirmed the “well-founded fear of persecution” clause of the 1951 Convention but expanded it in Article 2: “The term ‘refugee’ shall also apply to every person who, owing to external aggression, occupation, foreign domination or events seriously disturbing the public order in either part or the whole of his country of origin or nationality, is compelled to leave his place of habitual residence in order to seek refuge in another place outside his country of origin or nationality.”28 The 1984 Cartagena Declaration, which covers Central American refugees, also expanded the refugee definition.29 The Declaration defines refugees as “persons who have fled their country because their lives, safety or freedom have been threatened by generalized violence, foreign aggression, internal conflicts, massive violation of human rights or other circumstances which have seriously disturbed public order”.30 The latter two agreements respond with greater precision to the actual experience of refugees: most flee generalized violence, such as civil war and broad human rights violations (such as the conscription of child soldiers), mass rapes and violence against civilians. These are very real but do not produce documented evidence of individual persecution — as would, for instance, a letter sacking an employee because she is lesbian, or an arrest order due to someone’s participation in political demonstrations and / or a dissident movement.31 The 1951 Convention requires evidence of such targeted persecution.32 The second privileged category is that of family migrants. Publics across the West hear much less about family migrants than they do about refugees or unskilled migrants, but this group is among the largest and most protected of migrant classes. Indeed, though they receive much less attention, in Europe they are the single largest category of migrants and, in the United States, lead

27 UN Convention and Protocol relating to the Status of Refugees, Art. I, para. A(2), URL: http://www.unhcr.org/3b66c2aa10 [March 10, 2019]. 28 Gibney / Hansen, Immigration and Asylum, Vol. 3: Documents, p. 843. 29 Gil Loescher / James Milner, UNHCR and the Global Governance of Refugees, in: Alexander Betts (ed.), Global Migration Governance, Oxford 2011, p. 191. 30 UN Cartagena Declaration on Refugees, Conclusions and Recommendations III(3), URL: http://www.unhcr.org/afr/about-us/background/45dc19084/cartagena-declaration-refugees -adopted-colloquium-international-protection.html [March 10, 2019]. 31 Loescher / Milner, UNHCR and Global Governance, p. 191. 32 Ibid.

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by some measure.33 In Europe between 2008 and 2013, approximately 33 per cent of residence permits issued across the continent — some 700,000 migrants annually — were issued to family migrants.34 In the United States, the group constitutes fully two-thirds of annual migration intake each year.35 Governments everywhere struggle to limit family migration. They do so with mixed feelings because liberal democracies recognize a right to family reunification, at least for the nuclear family. In Europe, Article 8 of the European Convention on Human Rights recognizes a “right to a normal family life”.36 In the United States, family migration is the core of immigration policy. Those countries with few, if any, family migrants are those that do not recognize rights generally: the Gulf States accept large numbers of migrants without extending any rights of permanent residence, citizenship or family reunification to them.37 The fact that rights are extended to multiple family members of  a single migrant means that, inevitably, they will make up a large percentage of migrants in the destination country. Governments that turn against immigrants under the weight of public pressure and / or those governments’ own preferences find that they are (somewhat ironically) only able to limit the sort of migration they generally want: from economic migrants and, above all, highly skilled migrants, for which there is often business demand and public support, or at least indifference. This is not to say that governments do not make the attempt. In the last decade, Denmark, the UK and the Netherlands in particular have adopted measures designed to limit family migration, and especially to discourage family formation (by which, for instance, a Moroccan immigrant brings a spouse from Morocco

33 Anne Staver, From Right to Earned Privilege? The Development of Stricter Family Immigration Rules in Denmark, Norway and the United Kingdom, University of Toronto (PhD thesis) 2014, Introduction. 34 Staver, From Right to Earned Privilege, p. 11; Eurostat, European Statistics for European Policies: A Wealth of Data to Underpin the Commission Priorities, Brussels 2015, pp. 18 f. URL: http://ec.europa.eu/eurostat/documents/4031688/7008709/KS-04-15-397-EN-N/8d84a157-​ 54a0-4f6f-a4d6-6b5e960c7d75 [March 10, 2019]. 35 Ramah MacKay, Family Reunification: Spotlight, Migration Information Source, Washington 2003, URL: http://www.migrationpolicy.org/article/family-reunification/ [March 10, 2019]; Phil L. Martin, The United States, in: James F. Hollifield / Philip L. Martin / Pia M. Orrenius, Controlling Immigration. A Global Perspective, Stanford 2014, p. 49, and Staver, From Right to Earned Privilege, p. 11. 36 European Convention on Human Rights, Art. 8, URL: http://www.echr.coe.int/Documents/ Convention_ENG.pdf [March 10, 2019]. 37 Martin Baldwin-Edwards, Labour Immigration and Labour Markets in the GCC Countries: National Patterns and Trends, LSE Global Governance Report no. 15, March 2011, URL: http://eprints.lse.ac.uk/55239/ [March 10, 2019]; Stephen Castles / Mark J. Miller, Migration in the Asia-Pacific Region, Migration Policy Institute, July 10, 2009, URL: https://www. migrationpolicy.org/article/migration-asia-pacific-region [March 10, 2019], and MigrationRights, Migration in the Gulf: 2016, in: Review, January 1, 2017, URL: https://www.migrant-​ rights.org/2017/01/migration-in-the-gulf-2016-in-review/ [March 10, 2019].

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to the Netherlands). But governments that try this run up against powerful legal and normative limits.38

3. The Intermediaries: How People Move Globally, migrants are divided into the wanted and the unwanted. The wanted are the wealthy and / or skilled: investors, engineers, doctors, university professors, bankers and so forth. Multiple countries use immigration policy to secure highly skilled economic migrants. Canadian immigration policy, in this respect, is an exemplar: in 1967, the Government of Canada created the ‘points system’, which has operated, subject to periodic adjustments, ever since.39 Under this scheme, would-be immigrants are awarded points based on age, education, skills and a job offer in Canada.40 If their total points meet, or exceed, a governmentmandated minimum, applicants are granted entry. Under the points system, an ideal candidate is young with an advanced university degree. Australia copied the system a few years later, and the UK did the same — to a much more limited degree — in the 2000s.41 Paradoxically given that it is the main destination for skilled migrants, the United States has relatively limited channels for them. H-1B visas for highly skilled migrants are issued to 85,000 individuals per year (though there are exempted categories, which makes the actual annual issue of skilled visas much higher), and graduates from US universities can apply for nonimmigrant H-1B visas. Today, all Western countries — including Germany, which for decades declared itself kein Einwanderungsland — welcome skilled migration. Indeed, one scholar presciently described the Western consensus in favour of high-skilled economic migration as the “quest for skill”.42 Unskilled migration can be ‘wanted’, but generally only if it is temporary and rights-poor. The government of Canada operates a broad set of programmes that 38 The literature on family reunification is not large, but see Ramah McKay, Family Reunification, Migration Policy Institute Policy Brief, URL: https://www.migrationpolicy.org/article/ family-reunification [March 10, 2019], and Marc R.  Rosenblum / Isabel Ball, Trends in Unaccompanied Child and Family Migration from Central America, Migration Policy Institute Policy Brief, January 2016, URL: https://www.migrationpolicy.org/sites/default/ files/publications/UnaccompaniedMinors-Factsheet-FINAL.pdf [March 10, 2019]. 39 That is, the Canadian government adjusts the points to place an accent on different characteristics: language, education, existing job offer in Canada, and so on. 40 See Jeffrey Reitz, Canada. New Initiatives and Approaches to Immigration and National Building, in: James F. Hollifield / Philip L. Martin / Pia M. Orrenius (eds.), Controlling Immigration, pp. 88–116. 41 Randall Hansen, An Australian Points System would be Entirely Inappropriate for the UK’s Economy, LSE blogs, September 2, 2015, URL: http://blogs.lse.ac.uk/europpblog/2015/09/02/ an-australian-points-system-for-immigration-would-be-entirely-inappropriate-for-the-​ uks-economy/ [March 10, 2019]. 42 Gary P. Freeman, The Quest for Skill. A Comparative Analysis, in: Ann Bernstein / Myron Weiner (eds.), Migration and Refugee Policies: An Overview, London 1999, pp. 84–118.

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have allowed workers in high-demand sectors — restaurants, bars, hotels and caregiving (as well as intra-company transfers) — to come to Canada. Many are unskilled. The numbers peaked at 338,221 in 2012, but restrictions introduced in 2014 reduced the figure. It was 90,000 by 2015.43 Unwanted immigrants are everyone else: the poor, the uneducated (again, unless they are temporary) and those who seek asylum. Across the globe, the numbers of unwanted vastly exceed the numbers of wanted. There are many instruments for blocking such movement, but the most powerful is the visa: without a visa, a migrant cannot board a ship or plane, and cannot cross a border legally. Carriers who make the mistake of admitting nationals without proper visas face fines, which, in effect, pushes the receiving country’s borders to distant airports. The visa has made it effectively impossible for asylum-seekers to travel by plane (or by train or even by private car) to the country in which they wish to claim asylum. Since no country in Europe or North America currently has  a permanent immigration channel for low-skilled migrants without family in the destination country, large numbers of low-skilled migrants, as well as many asylum-seekers, rely on smugglers or traffickers.44 Both smuggling and trafficking involve the illegal movement of people, but there is a difference in the relationship between the transporters and the migrants. In the case of smuggling, the relationship is nominally consensual and ends once migrants have passed border controls and other elements of the transaction (such as financial arrangements or delivery to a specific destination) have been completed.45 Trafficked migrants, on the other hand, are forcibly transited against their will and / or remain in a relationship of dependence — t hrough work, payment or the coerced provision of sexual or other services — after having passed immigration controls.

43 Canadian Press, Temporary Foreign Worker Program Prone to Abuse, Auditor Generals Says, in: CBC News, May 16, 2017, URL: http://www.cbc.ca/news/business/ag-report-temporaryforeign-workers-1.4117130 [March 10, 2019], and Bill Curry, Everything you Need to Know about Temporary Foreign Workers, in: Globe and Mail, May 2, 2014, URL: https://www. theglobeandmail.com/news/politics/temporary-foreign-workers-everything-you-need-to-​ know/article18363279/ [March 10, 2019]. 44 Randall Hansen / Demetrios G. Papademetriou, Securing Borders: the Intended, Unintended, and Perverse Consequences; and Louise Shelley, Human Smuggling and Trafficking into Europe. A Comparative Perspective, both in: Randall Hansen / Demetrios G.  Papade­ metriou (eds.), Managing Borders in an Increasingly Borderless World, Washington 2013; Stephanie Hepburn / Rita J.  Simon, Human Trafficking Around the World. Hidden in Plain Sight, New York 2013, and UNODC, Human Trafficking: An Overview, New York 2008, p. 6. 45 Formally, smuggling is defined as “the procurement, in order to obtain, directly or indirectly, a financial or material benefit, of the illegal entry of a person into a State Party of which the person is not a national or a permanent resident”. See Article 6, UN Protocol against the Smuggling of Migrants by Land, Sea, and Air.

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Criminals control a large and growing trade in smuggled / trafficked migrants chiefly because the trade is so lucrative.46 Demand, risk and barriers to entry are all extremely high, which in turn keeps profits soaring. As governments attempt to crack down on smuggling and trafficking, smugglers and traffickers develop more elaborate avoidance techniques and are able to pass on the higher costs (associated with greater risk) to the smuggled and trafficked themselves. As in any market, the service provided reflects the costs paid: some migrants use highly sophisticated and expensive services such as forged documents and fraudulent visas, whereas others use low-cost methods such as illegal transport in trucks, small boats, or shipping containers. In the latter set of examples, the costs are lower but the risks — in the form of capture or death — are much higher; and the smugglers and traffickers again pass risks, figuratively speaking, directly on to the migrants themselves by leaving them in cramped, hot spaces with poor ventilation and / or by abandoning them on the open seas. The fate of trafficked migrants is difficult to determine, precisely because so much of the process of trafficking is hidden. The sexual exploitation of female migrants — forced to work in strip bars, brothels or as street prostitutes — gets much attention, but they are only part of the trafficked population. Like smuggled migrants, the trafficked ones have varied experiences. At one extreme there is a short period of forced employment with little or no pay but no physical or sexual abuse; at another, there is modern slavery in which the trafficked migrants are sold for a few hundred dollars and face a hellish existence of work and torture from which suicide provides the only escape.47 Bonded labourers, including children sold by their parents, are found in domestic service, farming, begging and armies (some of them as child soldiers).48 Numbers are inexact, but the majority of migrants are probably smuggled for at least part of their journey. The hundreds of thousands of migrants who travelled to Europe from the Middle East in 2015 crossed the Aegean with the help of smugglers, and then made their way north with other smugglers’ help, alone, or 46 United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC), Smuggling of Migrants, Vienna 2009 (April); US Department of State, Human Trafficking & Migrant Smuggling. Understanding the Difference, URL: https://www.state.gov/j/tip/rls/fs/2017/272005.htm [March 10, 2019], and Bi-National Assessment of Trafficking in Persons, URL: https://www.publicsafety.gc.ca/ cnt/rsrcs/pblctns/archive-ssssmnt-trffckng-prsns/archive-ssssmnt-trffckng-prsns-eng.pdf [March 10, 2019]. 47 See, on the Thai Prawn Industry, Revealed: Asian Slave Labour Producing Prawns for Supermarkets in US, UK, in: The Guardian, June 10, 2014, URL: https://www.theguardian.com/ global-development/2014/jun/10/supermarket-prawns-thailand-produced-slave-labour [March 10, 2019]. 48 Susan Martin / Amber Callaway, Human Trafficking and Smuggling, in: Alexander Betts (ed.), Global Migration Governance, Oxford 2011, pp. 227–234, and International Labour Organization, Global Estimates of Modern Slavery: Forced Labour and Forced Marriage, URL: http://www.ilo.org/global/publications/books/WCMS_575479/lang--en/index.htm [March 10, 2019].

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through a combination of smuggling and unaccompanied travel. But trafficking and smuggling are not limited to a particular region; they are global phenomena. The International Labour Organization (ILO) estimates that the number of people in forced labour worldwide, including those suffering sexual exploitation, is 2.5 million at any given time.49 Unlike smuggled migrants, who are mostly in the rich Global North, trafficked migrants are represented in significant numbers in the developing world. The economically vulnerable dominate the ranks of the trafficked. Subject again to qualifications on data reliability, the United Nations estimates that there are 1.4 million trafficked migrants in Asia and the Pacific; 230,000 in the Middle East and Northern Africa; and 130,000 in sub-Saharan Africa. By contrast, Latin America has 250,000, and the industrialized countries have 270,000.50 There is widespread agreement among receiving governments that trafficking is a horror (views on smuggling are more divided, and governments sometimes blur the categories). Despite this consensus, the international mechanisms for combatting trafficking remain weak. The Protocol to Prevent, Suppress and Punish Trafficking in Persons (the Palermo Protocol) requires states to combat trafficking and encourages them, but does not require them, to help trafficked individuals recover.51 However, the Protocol and related agreements — t he 1951 UN Convention (which provides the basis for trafficked people to be considered a relevant social group) and the Guiding Principles on Internal Displacement (which calls for the protection of IDPs from multiple forms of trafficking) — a ll run up against the overwhelming power of sovereignty: if states refuse to act, these agreements have little, if any, effect.52

4. Why and Where People Chose to Move Within the contemporary Western debate, the world is divided into refugee enthusiasts and refugee antagonists.53 The former hold that persecution is the major driver of refugee flows, and that most asylum-seekers deserve Convention protection. The latter hold that refugees are ‘economic migrants’ who are not pushed by intolerable conditions but, rather, are drawn by the wealth of the West. The two camps are both wrong and both right. Persecution tends to be understood in the sense the drafters of the Convention had in mind — a particular individual or group (political dissidents or religious minorities) being targeted 49 International Labour Organization (ILO), A Global Alliance against Forced Labour, Geneva 2005. 50 Hansen / Papademetriou, Securing Borders; Shelley, Human Smuggling and Trafficking; Hepburn / Simon, Human Trafficking Around the World, and UNODC, Human Trafficking, p. 6. 51 Martin / Callaway, Human Trafficking, p. 234. 52 Ibid., p. 236. 53 For the enthusiasts, see Joseph Carens, Ethics of Immigration, Oxford 2013. For the antagonists, see Paul Collier, Exodus: How Migration is Changing our World, Oxford 2015.

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by  a particular regime (authoritarian Spain, Nazi Germany, the Soviet Union or contemporary Myanmar). But this is increasingly rare as a driver of refugee flows, though it absolutely still occurs. However, most refugees do not leave a country because it is poor. Some of the world’s poorest countries produce very few refugees: Madagascar 277, Mozambique 33, and Niger 1,210 in 2016.54 Other developing countries such as India and China contain huge swathes who remain poor, yet the poor migrate to Delhi and Beijing, not to Dallas and Barcelona. Refugees leave their countries above all because of violence and / or social conflict — to escape civil war, drug barons, religious extremists and gang activity in Afghanistan, Ethiopia, Iraq, Somalia and Syria, for example.55 For individuals to decide to leave their country and become asylum-seekers, they have to lose hope that they and their families have any future there at all. The decision to flee is distinct from the choice of destination in which to find refuge. In deciding the latter, geography remains the most important factor: most refugees flee to the nearest country that will have them. Thus, most of today’s refugees from Burundi are in contiguous Tanzania (177,335) and Rwanda (83,113),56 while the majority of Syrian refugees are in three neighbouring countries to Syria: Turkey (2,764,500), Lebanon (1,017,433) and Jordan (655,833).57 For refugees who travel further, or for those who move on from neighbouring countries (in so-called ‘secondary movements’), other factors come in to play: family, diaspora and wealth. Refugees will naturally try to reach countries where they have family, friends, or, in the absence of either,  a large community of co-nationals.58 Such  a move provides them with opportunities for housing, financial support and work within the diaspora economies. Beyond friends and family, factors such as wealth, quality of life and refugee perceptions of the warmth of welcome in the destination country affect decisions to migrate. Perceptions are created both by the ways in which public figures in the destination countries speak about migration / refugees and the ways in which national / local policies and practices treat migrants. This dynamic was seen most clearly in the refugee movements from the Middle East to Europe in 2015. The vast majority of refugees then wanted to reach Northern Europe, and above 54 UNHCR, Persons of Concern, URL: http://popstats.unhcr.org/en/persons_of_concern [February 20, 2016]. 55 Linda Helfrich, KfW Development Research, Causes of Flight and Migration: A Combination of Structural Factors and Actual Drivers, March 17, 2016, URL: https://www.kfwentwicklungsbank.de/PDF/Download-Center/PDF-Dokumente-Development-Research/​ 2016-03-17-EK_Flucht-und-Migrationsursachen_EN.pdf [March 10, 2019]. 56 UNHCR Operational Portal (2016), Refugee Situations 2016, URL: https://data2.unhcr.org/ en/countries/ [March 10, 2019]. 57 UNHCR Syria Regional Refugee Response (2016): Inter-Agency Information Sharing Portal, URL: http://data.unhcr.org/syrianrefugees/regional.php [March 10, 2019]. 58 Maritsa Poros, Migration Social Networks. Vehicles for Migration, Integration, and Development, Migration Policy Institute, March 30, 2011, URL: https://www.migrationpolicy.org/ article/migrant-social-networks-vehicles-migration-integration-and-development [March 10, 2019].

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all Austria, Sweden, or Germany. The German government’s decision in late August 2015 to suspend Dublin Convention rules requiring asylum application in the first EU country reached was widely interpreted among refugees as an open-door policy. Chancellor Merkel’s very positive comments about refugees reinforced hopes, and the result was a great rush towards Germany. Here again, ‘push’ and ‘pull’ considerations are shown to intermingle: the more inhospitable the first country of asylum (for instance, denying rights to work or presenting severe shortages of housing) and the more appealing the potential country of destination, the more likely it is that secondary movements will occur. The distinction between voluntary and forced migration is a blurred one, and most if not all refugee flows contain mixed movements: those fleeing persecution, those seeking a better life, and those doing both. The distinction is nonetheless necessary for analytical purposes. It is easier to understand voluntary migration. The drivers are economic and familial: people migrate for better jobs and to improve their own economic situation and that of their families. The countries they choose will be determined above all by the returns on their capital: how high their wages will be and how low the taxes will be. As a result, the United States is, by some measure, the first choice for economic migrants. Canada, Australia and the United Kingdom come second — t hough not necessarily in that order. As a third option, migrants seek entry to the continent of Europe, with a preference for Northern Europe. Migrants also prefer destinations where large numbers of their fellow nationals already live and particularly where they have family members. As longstanding countries of immigration, Canada, the United States and Australia have substantial communities from every country of emigration, and the UK has large communities from Commonwealth countries — India, Pakistan and various West Indian states, among others — as well as large Polish and other East European communities. In Europe, France has extensive North African communities, whereas Germany has large Turkish and Balkan populations. Across the globe, voluntary migration faces two paradoxes. The first is  a mismatch between supply and demand. All Western countries want — or claim to want — skilled migrants: those with advanced degrees and / or a high level of technical training for work in medicine, finance, engineering and so forth; but numbers of skilled immigrants are limited.59 The second paradox is that skilled migrants travel to countries where their returns on capital are highest — where wages are highest and taxes lowest — but there is a contradiction between progress­ ive social policy and progressive immigration policy. In countries where taxes and welfare spending are high, returns on capital are lower, and the destination is therefore most appealing to those with low income and relatively high state dependency — i. e., unskilled migrants. Conversely, in countries where taxes and welfare spending are low, returns on capital are higher and the country is more 59 On skilled immigration, see Gerry C. J. van Kessel, Skilled Immigration, in: Gibney / Hansen, Immigration and Asylum, pp. 553–556.

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appealing to skilled migrants.60 All things being equal, skilled migrants should travel to the United States and the unskilled to continental Europe. All things, however, are not equal, and other factors intervene. The first is policy. Countries that make it easier to attract skilled migrants — Canada and Australia — manage to ensure that most voluntary immigrants are skilled. Countries that privilege family migration — above all the United States — attract a larger number of unskilled migrants (though the appeal of the US is so strong that many skilled migrants find a way through and around immigration rules).61 The second factor is geography: Canada and Australia benefit from their geographic isolation, so it is far easier for both countries to control migration than it is for the United States, with its long border with Mexico, or the European Union, with its close proximity to North Africa and Turkey. The third factor is that all countries in the West — from Denmark to the United States — have a substantial demand for low-skilled migrants in multiple sectors: child care, cleaning, food services, construction, and agriculture. This demand is filled either through undocumented (or ‘illegal’) migration — which was running at hundreds of thousands per year in America in the early 2000s — or through temporary migration schemes (which, in Canada, let in as many migrants as do permanent, skilled migration schemes).

5. Conclusion As the above review has highlighted, the state was the anchor of global migration in the past and still is today. Historically, the formation of the nation state caused, most often deliberately, great expulsions in Europe and Asia. Today, the state is central in two ways. First, state breakdown — in Afghanistan, Syria, Iraq, Somalia and Central Africa — has resulted in huge displaced populations. (So both the formation and the collapse of states drive migration.) Second, as a sovereign actor, the state has exclusive control over access to its territory, and it determines the conditions under which migrants enter, even if they enter at all. International law recognizes a person’s right to leave his or her country (a right that only liberal states respect) but admits no corresponding right for that person to enter another.62 There are few limits on state sovereignty, but two exceptions are worth mentioning. The first is a legal constraint. The non-refoulement obligation found in 60 On these dynamics, see George J.  Borjas, Heaven’s Door: Immigration Policy and the American Economy, Princeton 2001, chapter 2. 61 Jeanne Batalova / Michael Fix / James D.  Bachmeier, Untapped Talent: The Costs of Brain Waste among Highly Skilled Immigrants in the United States, Migration Policy Institute, December 2016, URL: https://www.migrationpolicy.org/research/untapped-talent-costsbrain­-waste-among-highly-skilled-immigrants-united-states [March 10, 2019]. 62 Colin Harvey / Robert P.  Barnidge, Jr., The Right to Leave one’s Country under International Law. Global Commission on International Migration, 2005, URL: https://www. peacepalacelibrary.nl/ebooks/files/GCIM_TP8.pdf [March 10, 2019].

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the 1951 UN Convention relating to the Status of Refugees is a substantial limit on state sovereignty. States may not, and generally do not, return refugees to a country in which they face  a well-founded fear of persecution. In the area of family law, states also find it difficult to block family migration: Article 8 of the European Convention on Human Rights recognizes the right to a normal family life. Domestic courts also limit the actions of the state: a famous German legal decision in 1978 (the ‘Indian’ case) effectively ended efforts by the German government to secure the return of asylum-seekers.63 The second exception to state sovereignty is illegal contravention of its authority: through the use of smugglers and traffickers, hundreds of thousands of migrants annually escape state border controls. Exact numbers are by definition impossible to secure, but there were approximately 11 million unauthorized migrants in the United States in 2017.64 In the EU, the figure for 2016 was notably lower — it stood at 983,860 — probably because more migrants who enter the EU without authorization apply for asylum than do their equivalents in the US.65 These exceptions, though real, nonetheless represent the margins: the vast majority of migrants travel under the sanction of sovereign states. Although states provide frameworks for regulating voluntary migration, and often forced migration as well, migrants’ individual agency also plays a role. In all cases — voluntary versus involuntary, whether motived by economic concerns or personal security — t he decision to leave is distinct from the choice of destination. In the case of voluntary migration, economic considerations constitute by far the most important motive behind the decision to leave; migrants make a rational calculation that they will materially improve their lives through migration. In the case of forced migration, war and instability (in the first place), and persecution (in the second) drive the decision to flee. And the state remains the decisive factor in all cases. Choice of destination in voluntary cases is determined by the appeal of the destination and the barriers to entry. Where taxes are low, wages high, and barriers to entry low, economic migrants will move in great numbers. Rights are an intervening variable, and they affect the permanence of migration. The Gulf States offer high wages and relatively easy entry, but they do not offer rights to citizenship, education or family reunification. These states have no difficulty attracting economic migrants, but few of those migrants want to remain permanently, above all if they have 63 See the decision of the West German Federal Constitutional Court: 1 BvR 525/77, September 26, 1978. 64 Jens Manuel Krogstad / Jeffrey S. Passel / D’Vera Cohn, 5 Facts about Illegal Migration in the U. S., Pew Research Center, April 27, 2017, URL: http://www.pewresearch.org/facttank/2017/04/27/5-facts-about-illegal-immigration-in-the-u-s/ [March 10, 2019]. 65 Eurostat, Statistics on Enforcement of Immigration Legislation, May 2017, URL: http:// ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Statistics_on_enforcement_of_immi​ gration_legislation [March 10, 2019]. According to the same source, there were almost 2 million unauthorized migrants in the EU in 2015; it is doubtful that one million of them have left EU territory.

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families in their countries of origin. Barriers to entry block what would otherwise be natural flows, and shift migrants to easier ports of entry. Canada receives approximately 300,000 economic migrants and their families per year. For those without existing family ties in Canada, the United States would most probably be their first choice. In all these cases, the overarching context — including tax rates, migration policy and the rights accorded to migrants once in the country — is under state control, as, to  a lesser degree, is the general prosperity of the country. Migration, in short, occurs in, and because of, a world of sovereign nation states.

Ulrike Krause

Flüchtlingslager: Im Spannungsverhältnis zwischen Schutz, Macht und Agency

1. Einleitung Flüchtlingslager dienen weltweit der kurzfristigen Unterbringung von geflüchteten Menschen und der Bereitstel­lung von Schutz und Unterstützung insbesondere nach weitreichenden Fluchtbewegungen in Aufnahmeländer. Dem erhofften Übergangscharakter von Lagern, ihrer Kurzfristigkeit mit provisorischen Infrastrukturen stehen jedoch reale Entwicklungen gegenüber. Aufnahmesituationen dauern zunehmend lang an, sodass Lager über viele Jahre bis hin zu Jahrzehnten genutzt werden und sich zu restriktiven Lebensräumen der Menschen entwickeln. Humanitäre und politische Akteure des Flüchtlingsregimes besitzen eine zen­ trale Rolle bei der Einrichtung und Unterhaltung der Lager, die nicht nur als ‚neutrale‘ Ansiedlungs- und Schutzräume gelten können. Vielmehr sind sie Ordnungsund Kontrollräume sowie machtvolle Sphären der Ein-, Ab- und Ausgrenzung der als Flüchtlinge rechtlich und politisch definierten Personen. Im Flüchtlingsschutz werden sie häufig als vulnerabel verstanden, was letztlich zur Kategorisierung des ‚Opferflüchtlings‘ führen kann. Selbstverständlich wirken diese Strukturen und Zuschreibungen wie auch die Fluchterfahrungen auf die Flüchtlinge – die Menschen, die Individuen. Sie bleiben nicht nur häufig abhängig von und eingeschränkt durch die humanitären Leistungen und Machtverhältnisse, sondern auch mit diversen Unsicherheitsfaktoren und Gewaltformen konfrontiert. Obwohl diese Bedingungen schwer wiegen, zeigt sich, dass die Menschen die Lager sozial ausgestalten, Missstände bewältigen, humanitäre Verhältnisse herausfordern und auch für sich nutzen. Diesen und weiteren Spannungsverhältnissen von Lagern widmet sich der Beitrag. Nach einer kurzen Skizze der Geschichte von Flüchtlingslagern (2.) steht zunächst die Analyse ihrer humanitären Strukturen und Organisationen im Mittelpunkt (3.). Untersucht werden die administrative Ausgestaltung von Lagern, die damit verbundenen Machtstrukturen sowie die Tendenzen zur Exklusion, Homogenisierung und Viktimisierung der Lagerpopulation. Im Anschluss daran richtet sich der Fokus auf die geflüchteten Menschen selbst, ihre Bewältigungsund Handlungsstrategien (4.), bevor der Beitrag abschließend dafür plädiert, die Menschen als Akteur*innen mit eigener Handlungsmacht ernst zu nehmen und Lager als soziale Räume zu begreifen (5.).1 1 Dieser Beitrag beruht auf Erkenntnissen aus den Forschungsvorhaben Globaler Flüchtlingsschutz und lokales Flüchtlingsengagement (Gerda Henkel Stiftung, Philipps-Universität Mar-

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2. Flüchtlingslager – ein historischer Abriss Empirische Analysen über Flüchtlingslager beziehen sich gegenwärtig primär auf Regionen in afrikanischen und asiatischen Aufnahmeländern,2 wodurch der Eindruck entsteht, es handle sich dabei ausschließlich um ein aktuelles Phänomen im „Globalen Süden“. Hingegen bestanden solche Lager bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch im „Globalen Norden“. So wurden Flüchtlingslager etwa im Ersten Weltkrieg in verschiedenen Ländern zur geordneten Ansiedlung von Flüchtlingen genutzt.3 Während der Zwischenkriegszeit wurden Internierungslager für Flüchtlinge aus Polen wie auch Sammelunterkünfte für jene aus den ehemaligen sowjetischen Gebieten eingerichtet.4 Im Auftrag des Völkerbundes sollten Flüchtlinge in Lagern medizinisch untersucht und administrativ registriert werden, um die Notwendigkeit der Bereitstellung von Dokumenten zu prüfen.5 Insbesondere am Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelten sich Lager für Vertriebene und Geflüchtete in verschiedenen europäischen Ländern als „standardisiertes Machtwerkzeug zur Verwaltung massenhafter Flüchtlingsaufkommen“6. Dort leisteten primär internationale und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Unterstützung, wobei die Lager teilweise unter militärischer Kontrolle standen.7 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 1945 die Vereinten Nationen gegründet, deren Generalversammlung wenige Jahre später sowohl das Büro des Hohen

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burg und Universität Osnabrück, 2016-2019) und Genderbeziehungen im begrenzten Raum (Deutsche Stiftung Friedensforschung, Philipps-Universität Marburg, 2013-2016, Leitung: Susanne Buckley-Zistel). Zusätzlich zur Herausgeberin gilt mein Dank meinen Kolleg*innen für die kritischen Diskussionen und wertvollen Kommentare sowie den Förderinstitutionen, die die Forschung ermöglicht haben. Im Besonderen danke ich den Geflüchteten in Uganda und den Mitarbeiter*innen humanitärer Organisationen, die an meiner Forschung teilgenommen haben. Vgl. Michel Agier, Managing the Undesirables. Refugee Camps and Humanitarian Government, Cambridge 2011; Rose Jaji, Social Technology and Refugee Encampment in Kenya, in: Journal of Refugee Studies 25/2 (2012), S. 221–238, und Elisabeth Olivius, Displacing Equality? Women’s Participation and Humanitarian Aid Effectiveness in Refugee Camps, in: Refugee Survey Quarterly 33/3 (2014), S. 93–117. Vgl. Peter Gatrell, Refugees and Forced Migrants during the First World War, in: Immigrants & Minorities 26/1–2 (2008), S. 82–110. Vgl. Jochen Oltmer, Protecting Refugees in the Weimar Republic, in: Journal of Refugee Studies 30/2 (2017), S. 318–336. Vgl. Randy Lippert, Governing Refugees: The Relevance of Governmentality to Understand­ ing the International Refugee Regime, in: Alternatives: Global, Local, Political 24/3 (1999), S. 295–328. Übers. d. Verf., Liisa H. Malkki, Refugees and Exile: From „Refugee Studies“ to the National Order of Things, in: Annual Review of Anthropology 24 (1995), S. 495–523, hier: S. 498. Vgl. Philip Orchard, A Right to Flee: Refugees, States, and the Construction of International Cooperation, Cambridge 2014, S. 153.

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Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR)8 etablierte als auch den Weg zur Schaffung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ebnete. UNHCR wurde durch die Vereinten Nationen für den Schutz von Flüchtlingen und das Finden von dauerhaften Lösungen mandatiert. Der Arbeitsfokus war zunächst nicht-operativ und konzentrierte sich regional auf Flüchtlinge in Europa, die im Zuge des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit vertrieben worden waren. Indes zeigte sich umgehend die Notwendigkeit, auch materiellen Schutz für die überwiegend in Lagern untergebrachten Menschen bereitzustellen.9 Und so setzte UNHCR schon früh humanitäre Maßnahmen10 um, die zum zentralen Bestandteil des globalen Flüchtlingsschutzes werden sollten. Binnen kurzer Zeit wurde zudem das weltweite Ausmaß von Flucht deutlich. In vielen afrikanischen Ländern fanden zwischen den 1950er und 1970er Jahren Unabhängigkeitsbewegungen und -kämpfe gegen europäische Kolonialmächte statt, die nicht nur mit Prozessen der Nationen- und Staatenbildung einhergingen. Sie waren zudem häufig von gewaltsamen Konflikten geprägt, die zur Flucht vieler Menschen führten.11 Zur Bereitstellung von Flüchtlingsschutz wurden auch dort vorrangig Lager genutzt.12 In vielen Aufnahmesituationen war rasch absehbar, dass eine dauerhafte Lösung nicht binnen kurzer Zeit gefunden werden konnte. Zur Verbesserung der Bedingungen wurde in manchen Regionen seit den 1960er Jahren eine Entwicklungsorientierung im ursprünglich kurzfristig ausgerichteten humanitären Flüchtlingsschutz aufgenommen, die zur Konzeptualisierung von lokalen ländlichen Flüchtlingssiedlungen mit größeren Flächen und landwirtschaftlichen Anbaumöglichkeiten führte.13 Sie verbesserten die Lebensgrundlagen 8 Für den Flüchtlingsschutz beauftragten die Vereinten Nationen zunächst die International Refugee Organisation (IRO), die trotz Erfolge in der Umsiedlung von Flüchtlingen die Bedingungen in Europa nur unzureichend bearbeiten konnte, weshalb ihre Arbeit beendet wurde. Vgl. dazu Alexander Betts / Gil Loescher / James Milner (Hg.), UNHCR: The Politics and Practice of Refugee Protection, London / New York 22012, S. 11–14. 9 Vgl. Ulrike Krause, Zwischen Historie und Aktualität: Kritische Betrachtung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (1951) mit Beachtung des Protokolls (1967), in: Zeitschrift für Menschenrechte 8/2 (2014), S. 102–124. 10 Vgl. Betts / Loescher / Milner, UNHCR, S. 18–21. 11 Vgl. Peter Gatrell, The Making of the Modern Refugee, Oxford 2013, S. 223–252, und Gaim Kibreab, Forced Migration in the Great Lakes and Horn of Africa, in: Elena Fiddian-­ Qasmiyeh u. a. (Hg.), The Oxford Handbook of Refugee and Forced Migration Studies, Oxford 2014, S. 571–584. 12 Bevor 1967 das Protokoll und damit das universelle Mandat des UNHCR zum Flüchtlingsschutz verabschiedet wurde, musste die Generalversammlung in Resolutionen die Arbeit des UNHCR in außereuropäischen Regionen genehmigen, was etwa für Algerien, Marokko, China, Südafrika, Sudan und Vietnam geschah. Dieser Prozess war zeitaufwändig und ineffi­ zient und stand im Kontrast zur unmittelbar nötigen Unterstützung von Flüchtlingen. Vgl. dazu Krause, Historie, S. 109 f. 13 Vgl. Karen Jacobsen, The Forgotten Solution: Local Integration for Refugees in Developing Countries, in: New Issues in Refugee Research 45 (2001), URL: http://www.unhcr. org/3b7d24059.pdf [10.3.2019].

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der Menschen allerdings nur sehr begrenzt und erwiesen sich de facto als eine Lagerform mit typischen Merkmalen, die im Folgenden diskutiert werden. Zudem hielten Regierungen vieler südlicher Aufnahmestaaten an Lagerkonzepten fest – nicht zuletzt aus Frust über die mangelnde Verantwortungsteilung mit Staaten im „Globalen Norden“. Letztere beteiligten sich weniger an der Suche nach dauerhaften Lösungen, sondern konzentrierten sich vor allem auf die Bereitstellung von Fördermitteln für humanitäre Leistungen in Lagern.14 Die Lagernutzung hält bis heute an, ist aber nicht auf Länder im „Globalen Süden“ beschränkt. So repräsentieren etwa die sogenannten Hotspots auf den griechischen Inseln Lesbos und Chios15 oder Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland16 bestimmte Formen von Flüchtlingslagern mit humanitären Strukturen. UNHCR setzt sich zwar zunehmend für Alternativen und eigenständiges Niederlassen von Flüchtlingen ein17 und viele der Menschen18 leben bereits selbstständig in urbanen und ländlichen Regionen,19 jedoch ist der humanitäre Flüchtlingsschutz nach wie vor auf Lagerkonzepte ausgerichtet,20 sodass Flüchtlinge außerhalb der Lager häufig nicht oder nur unzureichend unterstützt werden.

14 Vgl. Evan Elise Easton-Calabria, From Bottom-Up to Top-Down: The ‚Pre-History‘ of Refugee Livelihoods Assistance from 1919 to 1979, in: Journal of Refugee Studies 28/3 (2015), S. 412–436, hier: S. 424. 15 Vgl. Nora Markard / Helene Heuser, „Hotspots“ an den EU-Außengrenzen: Menschen- und europarechtswidrige Internierungslager, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik 2016/5–6 (2016), S. 165–172. 16 Vgl. Melanie Hartmann, Spatializing Inequalities: The Situation of Women in Refugee Centres in Germany, in: Susanne Buckley-Zistel / Ulrike Krause (Hg.), Gender, Violence, Refugees, New York / Oxford 2017. 17 1997 und 2009 veröffentlichte UNHCR Strategien zum Schutz von Flüchtlingen in urbanen Räumen, wobei am Lagerparadigma festgehalten wurde. Erst in der 2014 erschienenen Strategie betont UNHCR die Notwendigkeit der Ausweitung des Flüchtlingsschutzes auf alle Kontexte. Vgl. UNHCR, UNHCR Policy on Alternatives to Camps, Geneva 2014, S. 6; UNHCR, UNHCR Policy on Refugee Protection and Solutions in Urban Areas, Geneva 2009, und UNHCR, UNHCR Comprehensive Policy on Urban Refugees, Geneva 1997. 18 UNHCR schätzt die Zahl der Flüchtlinge, die 2015 in „individual accommodations“ lebten, auf 67 %. Allerdings werden hierbei auch jene gezählt, die in Flüchtlingssiedlungen leben, die keine individuelle, selbstgewählte Unterkunft darstellen, sondern eine Form von Flüchtlingslagern. Vgl. UNHCR, Global Trends. Forced Displacement in 2015, Geneva 2016, S. 53. 19 Vgl. Oliver Bakewell, Encampment and Self-Settlement, in: Fiddian-Qasmiyeh, Oxford Handbook, S. 127–138. 20 Vgl. Eric Werker, Refugee Camp Economies, in: Journal of Refugee Studies 20/3 (2007), S. 461–480, hier: S. 472 f.

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3. Flüchtlingslager: Humanitäre Akteure, Strukturen und ihre Auswirkungen Seit den 1980er Jahren wächst der Korpus wissenschaftlicher Literatur über Flüchtlingslager. In einer der frühen, nach wie vor weit rezipierten und wegweisenden Studien, Imposing Aid, verdeutlicht Barbara Harrell-Bond21 nicht nur die überaus schwierigen Lebensbedingungen der Menschen in Lagern, sondern vor allem auch die oktroyierten humanitären Strukturen. 3.1 Administration, Strukturen und Hierarchien Obwohl diverse Formen von Flüchtlingslagern unterschieden werden können, ähneln sich Aufbau, Struktur und Dienstleistungen weltweit.22 Die Lager stellen generell geographisch und zeitlich begrenzte Räume zur Unterbringung und Unterstützung von Flüchtlingen dar, bis eine dauerhafte Lösung umsetzbar ist.23 Die Entscheidung, ob die Menschen in Lagern leben müssen oder nicht, fällt genauso wie Flüchtlingsschutz und -rechte in den Verantwortungsbereich der Aufnahmestaaten, da sich die Menschen auf ihrem Hoheitsgebiet befinden. UNHCR und andere humanitäre Organisationen können erst auf Anfrage der Staaten tätig werden. Lager werden gewöhnlich in der Nähe von Landesgrenzen in ländlichen Regionen etabliert, sodass sie physisch und ökonomisch weitgehend von der Außenwelt abgeschottet bleiben. Dort erhalten humanitäre Organisationen mit ihren Maßnahmen unmittelbaren Zugang zu den Menschen und die Regierungsinstitutionen der Aufnahmeländer eine gewisse Kontrolle über sie.24 Die Art und Weise, wie Flüchtlingsschutz in Lagern bereitgestellt wird, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten institutionalisiert: Basierend auf dem Ansatz der humanitären Not- und Soforthilfe und unter der administrativen Leitung der Regierung des Aufnahmelandes sowie UNHCR realisieren insbesondere NGOs Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen.25 Diese Maßnahmen sind geprägt von globalen Normen und Policies des Flüchtlingsregimes und werden lokal durch UNHCR gesteuert.26 Sie werden in diversen Sektoren wie etwa Bildung, medizini21 Barbara E. Harrell-Bond, Imposing Aid. Emergency Assistance to Refugees, Oxford 1986. 22 Vgl. Jacobsen, The Forgotten Solution. 23 Zu den dauerhaften Lösungen zählen die freiwillige Rückführung in das Heimatland, die Umsiedlung in ein Drittland oder die lokale Integration im Asylland. 24 Vgl. Werker, Refugee Camp Economies, und Jaji, Social Technology. 25 Während NGOs meist als Durchführungsorganisationen des UNHCR tätig sind, die Maßnahmen im Auftrag von und finanziert durch den UNHCR umsetzen, gibt es weitere operative Partner, die häufig internationale Organisationen wie Agenturen der Vereinten Nationen darstellen und eigene Projekte in Absprache mit dem UNHCR implementieren. 26 Vgl. beispielsweise Bram Jansen, The Accidental City: Violence, Economy and Humanitarianism in Kakuma Refugee Camp Kenya, Wageningen University 2011, und Hakim Chkam, Aid and the Perpetuation of Refugee Camps: The Case of Dadaab in Kenya 1991–2011, in: Refugee Survey Quarterly 35/2 (2016), S. 79–97.

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sche Versorgung, Nahrung, Wasser und sanitäre Anlagen gleichzeitig und (bestenfalls) aufeinander abgestimmt sektorübergreifend implementiert.27 Physisch sind Lager in verschiedene Gebiete wie größere ‚Zonen‘ und darin kleinere ‚Blocks‘ oder ‚Cluster‘ unterteilt, in denen Flüchtlinge leben und etwa Märkte und Schulen bestehen. Büros der humanitären und Regierungsinstitutionen wie auch Krankenhäuser, Polizeistationen und sogenannte ‚safe houses‘ für kurzfristige Unterbringungen und Schutzbereitstellung von Menschen mit expliziten Gefahren befinden sich meist recht zentral im Lager und nah beieinander. Sie können aber auch auf der Lagerfläche verteilt sein.28 Während Zelte und einfache Hütten primär als Unterkünfte für Flüchtlinge in Lagern in Ländern im „Globalen Süden“ dienen, kann auf Gemeinschaftsräume in Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland29 verwiesen werden. Dabei sind humanitäre Maßnahmen vorrangig auf die Befriedigung unmittelbarer, lebensnotwendiger Grundbedürfnisse der Menschen ausgerichtet und bleiben meist unzureichend. Diese Bedingungen stellen keine kurzzeitige Momentaufnahme dar. Da selten binnen kurzer Zeit nach dem Ankommen der Menschen in Aufnahme­ländern – und somit auch ihrer Unterbringung in Lagern – dauerhafte Lösungen gefunden werden können, entstehen Langzeitsituationen,30 die im Jahr 2015 weltweit 41 % aller Flüchtlinge mit einer durchschnittlichen Dauer von 26 Jahren erfassten.31 Dies steht in scharfem Kontrast zu den provisorischen Lagerstrukturen und temporären Dienstleistungen, die selten auf Langfristigkeit ausgerichtet sind. Vielmehr sind Vorläufigkeit, Kurzfristigkeit und Provisorium charakteristisch für Flüchtlingslager als Übergangsräume und Flüchtlingsschutz als Übergangsschutz. Im Zuge der Langzeitsituationen manifestieren sich die administrativen Verwaltungsabläufe humanitärer Institutionen und gewinnen an Bedeutung. Mit 27 Vgl. UNHCR, Partnership: An Operations Management Handbook for UNHCR’s Partners, Geneva 2003, S. 37–39. 28 Forschungsarbeiten geben z. T. auch Karten von Flüchtlingslagern an, auf denen diese Aufteilungen deutlich werden. Vgl. u. a. Katharina Inhetveen, Die Politische Ordnung des Flüchtlingslagers. Akteure – Macht – Organisation. Eine Ethnographie im Südlichen Afrika, Bielefeld 2010, S. 63–70; Jansen, Accidental City, S. xiii und S. 66–73; Krause, Linking Refugee Protection, S. 152 f., und Dies., Wie bewältigen Flüchtlinge die Lebensbedingungen in Flüchtlingslagern? Ergebnisse aus einer empirischen Analyse zu kongolesischen Flüchtlingen in Uganda, in: Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung 5/2 (2016), S. 189–220, hier: S. 198–202. 29 Vgl. Hartmann, Spatializing Inequalities. 30 Das Exekutivkomitee von UNHCR rahmt Langzeitsituationen (protracted refugee situations) als jene, bei denen Flüchtlinge im Exil sind „for five or more years after their initial displacement, without immediate prospects for implementation of durable solutions“. Siehe: UNHCR ExCom, Conclusion on Protracted Refugee Situations. Executive Committee of the High Commissioner’s Programme No. 109 (LXI) (2009). Zudem nutzt UNHCR häufig die Mindestzahl von 25.000 Flüchtlingen derselben Nationalität zur Identifikation von Langzeitsituationen. Vgl. UNHCR, Global Trends, S. 20. Vgl. auch James Milner, Protracted Refugee Situations, in: Fiddian-Qasmiyeh, Oxford Handbook, S. 151–162. 31 Vgl. UNHCR, Global Trends, S. 2 und S. 20.

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den organisatorischen Regeln, institutionellen Normen und Werten entstehen Ordnungs­gefüge, die Katharina Inhetveen als polyhierarchisch bezeichnet.32 Einerseits bilden sich innerhalb und zwischen der Verwaltung und der Lagerbevölkerung Machtstrukturen heraus, andererseits entsteht eine Hierarchie(sierung) unter den geflüchteten Menschen. Während letzteres im Laufe des Beitrags besprochen wird, sind an dieser Stelle die machtvollen Einflussbereiche humanitärer Organisationen hervorzuheben. Durch die global produzierten Ordnungsentwürfe können Lager als humanitäre Arena mit vielfältigen Institutionen, hierarchischen Entscheidungsprozessen, bürokratischen Funktionen und gefestigten Machtpraktiken verstanden werden, die humanitäre Hilfe zur alltäglichen Politik werden lassen.33 Dabei scheinen humanitäre Machtstrukturen und Leistungen vor die sozialen Elemente  – die Flüchtlinge, die Menschen  – zu rücken, weswegen Flüchtlingslager mit Warenlagern verglichen werden. So betont Rose Jaji, dass sie „a form of human warehousing and ‚storage‘ of refugees“34 demonstrieren. In ihrer Machtposition entwickeln sich humanitäre Organisationen – in den Worten von Michel Agier – zu „humanitären Regierungen“, die die Lager „konstruieren, managen und kontrollieren“35. Aufgrund ihrer Herrschaft und Übernahme staatlicher Funktionen werden humanitäre Organisationen und Lager auch als ‚surrogate states‘, also Ersatzstaaten von UNHCR beschrieben.36 3.2 Zugehörigkeit oder Isolation? Als zweckgebundene, begrenzte Räume für Flüchtlingsschutz und -unterkunft sind auch Entscheidungen zentral, wer Flüchtlingslager betreten darf, wer Teil von ihnen ist und wer welche Einflussbereiche hat. Durch das polyhierarchische Geflecht sind es grundsätzlich die humanitären und Regierungsinstitutionen, die im Flüchtlingsschutz tätig sind und diese Entscheidungen (top-down) treffen. Doch die Frage der physischen Zugänglichkeit deutet gleichwohl an, dass Lager Orte der Ein-, Ab- und Ausgrenzung, der Isolation, In- und Exklusion symbolisieren. Aus nationalstaatlicher Perspektive dienen die Lager vor allem der Kontrolle über die als Flüchtlinge determinierten Menschen. Dabei offenbart ihre dortige Ansiedlung eine physische und rechtliche Abschottung, Separierung und Isolation von den Staatsangehörigen, den ‚eigentlich Dazugehörenden‘ des Aufnahme­ 32 Vgl. Inhetveen, Flüchtlingslager, S. 193–212. 33 Vgl. Dorothea Hilhorst / Bram J. Jansen, Humanitarian Space as Arena: A Perspective on the Everyday Politics of Aid, in: Development and Change 41/6 (2010), S. 1117–1139. 34 Jaji, Social Technology, S. 227. 35 Übers. d. Verf., Agier, Managing the Undesirables, S. 201. 36 Vgl. Michael Kagan, „We live in a Country of UNHCR“. The UN Surrogate State and Refugee Policy in the Middle East, in: New Issues in Refugee Research 201 (2011), URL: http://www. refworld.org/docid/4d8876db2.html [10.3.2019], und Jeff Crisp / Amy Slaughter, A Surrogate State? The Role of UNHCR in Protracted Refugee Situations, in: New Issues in Refugee Research 168 (2009), URL: http://www.unhcr.org/4981cb432.pdf [10.3.2019].

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landes.37 Diese Exklusionsmechanismen scheinen inhärenter Teil der rechtlichen und politischen Flüchtlingskonzeption38 zu sein, da die Flüchtlinge als ‚geflüchtet‘ und nicht ‚angekommen‘, ‚aufgenommen‘ oder ‚geschützt‘ konstruiert sind; sie sind ‚dis-placed‘, ‚up-rooted‘ oder ‚gezwungen‘ zu fliehen und befinden sich in einem Aufnahmeland, in dem sie nicht zugehörig zu sein scheinen, aber Asyl erhalten.39 Die Entwurzelung oder Deterritorialisierung der Menschen aus ihrer Heimat geht mit einer Reterritorialisierung, der Konstruktion neuer Zusammenhänge der Zugehörigkeit einher. Mit der Errichtung von Aufnahmelagern vermögen externe Institutionen einen konstruierten Zugehörigkeitsraum für Flüchtlinge zu etablieren, in dem sie scheinbar ‚unter ihres gleichen‘ sind beziehungsweise gehalten werden.40 Doch welche Auswirkungen haben solche Lagermitgliedschaften auf Flüchtlinge? Wenn das staatsbürgerschaftliche Argument weitergeführt wird, lässt sich kritisieren, dass teils Flüchtlinge aus verschiedenen Herkunftsländern in einem Lager untergebracht werden, sodass sie in diesem Sinne keineswegs ‚unter ihres gleichen‘ verweilen. Vielmehr werden sie aus humanitärer Sicht namen- und identitätslos, denn Obhut und Unterstützung richtet sich an die dortigen Personen als Schutzobjekte und weniger an Menschen als Individuen, sodass das humanitäre System zu einer „sozialen und politischen Nicht-Existenz“41 führt. Exklusion geht also paradigmatisch mit den Lagerbedingungen einher, die zur physischen und wirtschaftlichen Ausgrenzung der Flüchtlinge im Aufnahmeland beitragen. Zwar können sich Intensitäten und Formen der Isoliertheit von Lagern unterscheiden und damit auch diverse Durchlässigkeiten etwa im Handel von Gütern, Reisen oder Schulbesuchen bestehen,42 jedoch bleibt die Abschottung schon allein aufgrund der abgelegenen Lage vehement bestehen. Isolationstendenzen sowie Begrenzungsparadigmen belegen, dass Flüchtlingslager – obwohl Lagergrenzen selten mit Zäunen klar abgesteckt sind, vielmehr unsichtbar bleiben 37 Jaji, Social Technology, S. 224. 38 Der englische Begriff des ‚refugee‘ bezieht sich nicht wie im Deutschen auf die Handlung der Flucht, sondern auf den Raum der Zuflucht, refuge, wobei die geografische Entwurzelung gleichermaßen besteht. Vgl. Dana Schmalz, Der Flüchtlingsbegriff zwischen kosmopolitischer Brisanz und nationalstaatlicher Ordnung, in: Kritische Justiz: Vierteljahresschrift für Recht und Politik 48/4 (2015), S. 376–389, hier: S. 369, Anm. 348. 39 Vgl. Ulrike Krause, „It seems like you don’t have identity, you don’t belong.“ Reflexionen über das Flüchtlingslabel und dessen Implikationen, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 23/1 (2016), S. 8–37, hier: S. 22. 40 Vgl. Cathrine Brun, Reterritorilizing the Relationship between People and Place in Refugee Studies, in: Geografiska Annaler: Series B, Human Geography 83/1 (2001), S. 15–25, hier: S. 17. 41 Übers. d. Verf., Michel Agier, Between War and City: Towards an Urban Anthropology of Refugee Camps, in: Ethnography 3/3 (2002), S. 317–341, hier: S. 322. 42 Werker, Refugee Camp Economies, S. 467–473; Naohiko Omata / Josiah Kaplan, Refugee Liveli­hoods in Kampala, Nakivale and Kyangwali Refugee Settlements: Patterns of Engagement with the Private Sector, in: RSC Working Paper Series 95 (2013), S. 16 f.; Krause, Bewältigen, S. 208 f., und Adam Ramadan, Spatialising the Refugee Camp, in: Transactions of the Institute of British Geographers 38/1 (2013), S. 65–77, hier: S. 70.

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und sich verschwommen im nationalstaatlichen Terrain einpassen – einen performativen Marker für die Lebensbedingungen der Menschen mit den rahmenden rechtspolitischen Diskursen darstellen. Simon Turner kontrastiert, dass das Lager die Menschen physisch exkludiert und territorial im Aufnahmeland inkludiert; es grenzt sie räumlich, sozial, politisch, wirtschaftlich und rechtlich ab und bindet sie wiederum in ein bestimmtes Gefüge ein, während die Menschen durch das Land definiert und eingeschlossen sind.43 Ein-, Ab- und Ausgrenzungen mit ihren vielfältigen Folgen für Handlungsspielräume, Repräsentation und Macht werden auch aus raumtheoretischer Perspektive betrachtet wie etwa von Melanie Hartmann, Adam Ramadan oder Cathrine Brun.44 Sie zeigen die grundsätzliche Bedeutung konstruierter Räume der (Nicht-) Zugehörigkeit in Flucht- und Flüchtlingsgeschehen wie auch in der Flucht- und Flüchtlingsforschung – und damit im Besonderen die Geltung und Effekte von Flüchtlingslagern auf Akteur*innen und Handlungen. Diskursive Grenzfragen betreffen neben rechtlichen und räumlichen Rahmungen auch soziale Unterteilungen. Flüchtlingskonstruktionen gehen mit Othering-Prozessen und bestimmten Zuschreibungen einher, wodurch unter anderem zwischen ‚wahrhaftigen‘ und ‚falschen‘ Flüchtlingen differenziert wird,45 was im Folgenden näher beleuchtet wird. 3.3 Objektivierung, Viktimisierung und Homogenisierung von Flüchtlingen Ein wichtiger Teil der Praktiken humanitärer Organisationen betrifft nicht nur die Frage, welche Maßnahmen sie im Flüchtlingsschutz umsetzen, sondern auch für wen und wie sie dies tun. Auf der Flucht und in Aufnahmelagern sind Menschen vielfältigen Gefahren und prekären Lebensverhältnissen ausgesetzt. Zusätzlich zu strukturellen Unsicherheiten wie fehlende Rechte auf Arbeit und Freizügigkeit verbleiben die Menschen häufig in Ungewissheit über ihre Zukunft und sind mit physischen Gefahren wie Raub und Überfällen konfrontiert. Während Männer und Jungen Militarisierung und Zwangsrekrutierung in Konfliktparteien ausgesetzt sein können,46 leiden Frauen und Mädchen häufig unter Gewaltformen wie Vergewaltigungen, häuslicher Gewalt, Kinds- und

43 Vgl. Simon Turner, What Is a Refugee Camp? Explorations of the Limits and Effects of the Camp, in: Journal of Refugee Studies 29/2 (2016), S. 139–148, hier: S. 141. 44 Vgl. Hartmann, Spatializing Inequalities; Brun, Reterritorilizing, und Ramadan, Spatialising the Refugee Camp. 45 Vgl. Simon Turner, Politics of Innocence. Hutu Identity, Conflict and Camp Life, New York / Oxford 2010; Krause, Label, und Christina R. Clark, Beyond Borders: Political Marginalisation of Congolese younge people in Uganda, Oxford University 2006. 46 Vgl. James Milner, The Militarization and Demilitarization of Refugee Camps in Guinea, in: Nicolas Florquin / Eric G. Berman (Hg.), Armed and Aimless. Armed Groups, Guns, and Human Security in the ECOWAS Region, Geneva 2005, S. 144–179.

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Zwangsheirat.47 Vor diesem Hintergrund mag zunächst verständlich erscheinen, warum humanitäre Organisationen Flüchtlinge als ‚vulnerabel‘ und als ‚Empfänger*innen‘ von humanitären Leistungen wahrnehmen, was jedoch nachhaltige Folgen für die Menschen hat. Vulnerabilität hat sich zum Kernkriterium im Flüchtlingsschutz entwickelt, wobei humanitäre Organisationen zwischen diversen ‚vulnerablen Gruppen‘ und Intensitäten unterscheiden  – beispielsweise „vulnerable and highly vulnerable“ in Bezug auf Frauen.48 Selbstverständlich sind bestimmte Gruppen spezifischen Gefahren in Aufnahmelagern wie auch in anderen Umgebungen ausgesetzt, allerdings ist die Vulnerabilitätsbestimmung durch globale und lokale Akteur*innen des Flüchtlingsregimes oktroyiert. Die Zuschreibung hat nicht nur erhebliche materielle Folgen, da ‚Vulnerable‘ priorisierten Zugang zu humanitären Maßnahmen erhalten sollen, sondern führt strukturell zur Aberkennung von Agency, also von Handlungsmacht und -möglichkeiten der Menschen. Als apolitische Opfergruppen, passive Hilfsempfänger*innen und homogene Kollektive erscheinen Flüchtlinge losgelöst von ihren vielfältigen sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Interessen und Hintergründen.49 Lisa Malkki vergleicht das Verständnis von Flüchtlingen im humanitären Diskurs mit unmündigen Kleinkindern,50 während Julia Schulze Wessel Lager mit Rechtlosigkeit von Flüchtlingen in Verbindung setzt.51 Zudem zeigt Simon Turner, wie „victims and troublemakers“ und damit ‚gute‘ und ‚schlechte‘, ‚hilfsbedürftige‘ und ‚gefährliche‘ Flüchtlinge gegenübergestellt werden. In vereinheitlichender Manier werden Dichotomien geschaffen und Flüchtlinge einerseits als Ursache für Unsicherheit und mögliche Gefahrenquellen, andererseits als schwache, hilfs- und schutzbedürftige Gruppen porträtiert. Dadurch wird die Vulnerabilitätskategorie des „refugee-as-victim“, also des Opferflüchtlings, konstruiert.52 Flüchtlinge als Opferkollektive zu begreifen, trägt im Endeffekt zur Homogenisierung, Viktimisierung und Pathologisierung der Menschen bei. Ihre tatsächlichen Lebensumstände und Erfahrungen, die zweifellos vor der Flucht und in Aufnahmelagern schwierig waren und sind, stehen nicht (mehr) im Mittelpunkt. 47 Vgl. Rebecca Horn, Exploring the Impact of Displacement and Encampment on Domestic Violence in Kakuma Refugee Camp, in: Journal of Refugee Studies 23/3 (2010), S. 356–376, und Ulrike Krause, Zwischen Schutz und Scham? Flüchtlingslager, Gewalt und Geschlechterverhältnisse, in: Peripherie: Politik, Ökonomie, Kultur 35/138–139 (2015), S. 235–259. 48 UNHCR, UNHCR Handbook for the Protection of Women and Girls, Geneva 2008, S. 172. 49 Vgl. Stephen C. Lubkemann, Culture in Chaos. An Anthropology of the Social Condition in War, Chicago 2008; Turner, Innocence; Barbara E. Harrell-Bond, The Experience of Refugees as Recipients of Aid, in: Alastair Ager (Hg.), Refugees: Perspectives on the Experience of Forced Migration, London 1999, S. 136–168, und Peter Nyers, Rethinking Refugees: Beyond States of Emergency, New York 2013. 50 Liisa H. Malkki, Purity and Exile: Violence, Memory, and National Cosmology among Hutu Refugees in Tanzania, Chicago / London 1995, S. 11. 51 Julia Schulze Wessel, Grenzfiguren – Zur politischen Theorie des Flüchtlings, Bielefeld 2017, S. 52. Vgl. dazu auch den Beitrag von Julia Schulze Wessel in diesem Band [Anm. d. Red.]. 52 Turner, Innocence, S. 20 und S. 55.

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Vielmehr rücken die humanitären Konstruktionen in den Vordergrund, die keine Realitäten beschreiben, sondern der Legitimierung humanitärer Zwecke dienen:53 Sie rechtfertigen die vermeintliche Notwendigkeit humanitärer, kurzfristiger und bedarfsorientierter ‚Hilfe‘ für ‚Hilfsbedürftige‘ – auch über viele Jahre hinweg in Langzeitsituationen  – und legitimieren die oktroyierten Machtstrukturen. Humanitäre Organisationen stehen somit hierarchisch über den Bedürftigen und ‚müssen‘ weitreichende Entscheidungen für sie treffen, da diese aufgrund ihrer Vulnerabilität nicht mehr dazu fähig zu sein scheinen.54 Dass Flüchtlinge zu Objekten im System werden und nicht als Akteur*innen des Systems anerkannt sind, zeigt sich auch an Beispielen der Programmarbeit in Flüchtlingslagern. Mehrere Ansätze im Flüchtlingsschutz zielen etwa auf die partizipative Einbindung von Flüchtlingen ab,55 werden indes als unzureichend umgesetzt kritisiert.56 Auch muss dabei der herrschaftspolitische Zusammenhang berücksichtigt werden. Denn machtvolle humanitäre Institutionen scheinen den vermeintlich machtlosen Opferflüchtlingen erst Partizipationsmöglichkeiten eröffnen zu müssen, die zudem nur in dem durch die Institutionen definierten Rahmen genutzt werden sollen.57 Ein anderes Beispiel betrifft die avancierte landwirtschaftliche Betätigung von Flüchtlingen mit dem Ziel, ihre relative Unabhängigkeit von humanitären Strukturen und ihre Eigenständigkeit zu fördern. Neben teils mangelnder Bodenbeschaffenheit58 oder „erzwungener Landwirtschaft“59 ist auch zu kritisieren, dass das Verständnis von Landwirtschaft und ‚Selbstständigkeit‘ zur Homogenisierung aller Flüchtlinge als Landwirt*innen sowie zur Reduktion von ‚Selbstständigkeit‘ auf die Herstellung und den Erwerb lebens­ notwendiger Nahrung führt. Im neoliberalen Sinne werden die Menschen für ihr (Über-)Leben verantwortlich gemacht.60

53 Vgl. Lubkemann, Culture in Chaos, S. 16. 54 Vgl. Linda Tabar, The Urban Redesign of Jenin Refugee Camp: Humanitarian Intervention and Rational Violence, in: Journal of Palestine Studies 41/2 (2012), S. 44–61, und Harrell-­ Bond, Imposing Aid. 55 Beispiele sind menschenrechts-, gemeinde- und genderbasierte sowie menschenorientierte Ansätze, vgl. UNHCR, A Community-based Approach in UNHCR Operations, Geneva 2008, S. 14–17; UNHCR, A Framework for People-oriented Planning in Refugee Situations. Taking Account of Women, Men and Children, Geneva 1992, und UNHCR, Protection of Women and Girls, S. 34–39. 56 Vgl. Turner, Innocence, S. 49–52. 57 Vgl. Ulrike Krause / Hannah Schmidt, Vom Opfer zum Akteur? Diskurse über Resilienz von Flüchtlingen und im Flüchtlingsschutz, in: IMIS-Beiträge 52 (2018), S. 7–32. 58 Vgl. Tania Kaiser, Between a Camp and a Hard Place: Rights, Livelihood and Experiences of the Local Settlement System for long-term Refugees in Uganda, in: The Journal of Modern African Studies 44/4 (2006), S. 597–621. 59 Übers. d. Verf., Easton-Calabria, Bottom-Up, S. 414. 60 Vgl. Krause, Bewältigen, S. 208, und Krause / Schmidt, Resilienz.

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4. Flüchtlingslager als soziale Räume von Flüchtlingen Jennifer Hyndman schrieb 1996, „als politische Räume wirtschaftlicher Abhängigkeit und Aktivität verkörpern Flüchtlingslager eine Spannung zwischen Diskursen der Universalität und Partikularität“61. Diese Spannung kann weiter ausdifferenziert werden in globale Normen und lokale Praktiken, humanitäre Schutzgeber*innen und bedürftige Schutznehmer*innen, Dazugehörige und Andere. Ging es bislang primär um vielfältige Auswirkungen der Lager auf Flüchtlinge, liegt der Fokus nun auf den Menschen selbst und der Frage, wie sie sich diese Räume zu eigen machen. Als Teil ihres Verständnisses polyhierarchischer Gestaltungen beschreibt Katharina Inhetveen auch, wie sich Interaktionsmuster und Machtstrukturen unter angolanischen Geflüchteten in sambischen Lagern herausbilden. Sie unterscheidet zwischen einer formellen und informellen Hierarchie(sierung) durch gewählte Repräsentant*innen und traditionelle „importierte“ Hierarchien, die die Menschen bereits vor ihrer Flucht nutzten und mitgebracht haben.62 Ähnlich differenziert Clara Lecadet die hierarchisierenden Gefüge togolesischer Geflüchteter in Benin als hybride Politikformen. Neben den durch humanitäre Institutionen geförderten ‚Councils‘, ‚Commissions‘ oder Ähnlichem treten politische Autoritäts­figuren unter Geflüchteten hervor, wodurch ihre eigenständige Etablierung eines politischen Lebens sichtbar werden.63 Diese Repräsentationsprozesse und -konstellationen zeigen in besonderer Deutlichkeit, dass die Menschen den Raum des Lagers ausgestalten und zu einer Ordnung beitragen beziehungsweise selbst Ordnungen schaffen. Auch gesellschaftliche Wandlungen in Aufnahmelagern offenbaren, dass sie nicht statisch, sondern wie alle sozialen Räume dynamisch, veränderbar und gemeinschaftlich konstituiert sind. Aufgrund der Flucht und der regulierten Lagerbedingungen können die Menschen Rollen und Verhältnisse, die lokal verankert und kontextgebunden sind, nicht mehr in der altbekannten Art leben. Es finden soziale Aushandlungsprozesse zwischen Akteur*innen innerhalb von Lagern (und darüber hinaus) statt, was anhand von Geschlechterverhältnissen nachgezeichnet werden kann. Waren Geschlechterrollen mit Verantwortungsbereichen und Beziehungsgeflechten vor der Flucht geregelt, brechen sie durch das Verlassen der Heimat und die Umstände in Lagern auf und müssen neu verhandelt werden.64 Frauen übernehmen teils neue und zusätzliche Aufgaben, da Verantwortungen nicht mehr wie zuvor mit Familienmitgliedern geteilt werden können. Dies kann 61 Übers. d. Verf., Jennifer Hyndman, Geographies of Displacement: Gender, Culture and Power in UNHCR Refugee Camps, Kenya, University of British Columbia 1996, S. 187. 62 Vgl. Inhetveen, Flüchtlingslager, S. 193 und S. 212. 63 Vgl. Clara Lecadet, Refugee Politics: Self-Organized ‚Government‘ and Protests in the Agamé Refugee Camp (2005–13), in: Journal of Refugee Studies 29/2 (2016), S. 187–207. 64 Vgl. Krause, Schutz und Scham, S. 235–259.

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zu Überlastungen, aber auch zu einer Steigerung der wahrgenommenen Autonomie und Selbstständigkeit führen.65 Für Männer kann damit allerdings ein gefühlter Statusverlust einhergehen, da sie durch die Einschränkungen in Lagern ihre Familien nicht mehr versorgen können. Stattdessen übernehmen humanitäre Organisationen mit ihren Entscheider- und Versorgerpositionen die Rolle des Patriarchs.66 Durch diese Veränderungen erweist sich Flucht als vergeschlechtlichter Prozess.67 Strukturelle und physische Gefahren, die durch individuelle Handlungen der Menschen wie auch Praktiken humanitärer Organisationen bedingt sind,68 erlauben allerdings keine homogenisierende Reduktion der Menschen auf vulnerable ‚Opferflüchtlinge‘. Denn die Menschen unterwerfen sich weder den oktroyierten Machtstrukturen noch den Gefahren reglos und passiv. Vielmehr bewältigen sie die Lagerverhältnisse durch individuelle und kollektive Strategien,69 üben Protest und Widerstand70 und tragen zur lokalen Wirtschaft71 bei. Zudem nutzen sie bestehende Strukturen zu ihrem Vorteil, indem sie etwa die humanitäre Sprache der Vulnerabilität reproduzieren, um Mitgefühl zu erwecken und von mehr Ressourcen zu profitieren.72 Dies knüpft an wissenschaftliche Debatten über ‚cheating‘ beziehungsweise ‚betrügen‘ an: Durch falsche oder unvollständige Angaben versuchen die Menschen teilweise, persönliche Verbesserungen durch humanitäre

65 Vgl. Jane Freedman, Gendering the International Asylum and Refugee Debate, Basingstoke /  Hampshire 2015, S. 34–40, und Deborah Mulumba, Gender Relations, Livelihood Security and Reproductive Health among Women Refugees in Uganda. The Case of Sudanese Women in Rhino Camp and Kiryandongo Refugee Settlements, Wageningen University 2005, S. 230. 66 Vgl. Simon Turner, Angry Young Men in Camps: Gender, Age and Class Relations Among Burundian Refugees in Tanzania, in: New Issues in Refugee Research 9 (1999), und Ulrike Krause, Hegemonie von Männern? Flüchtlingslager, Maskulinitäten und Gewalt in Uganda, in: Soziale Probleme 27/1 (2016), S. 119–145. 67 Vgl. Asha Hans, Gender, Camps and International Norms, in: Refugee Watch 32 (2008), S. 64–73. 68 Vgl. Elizabeth G. Ferris, Women in Refugee Camps. Abuse of Power: Sexual Exploitation of Refugee Women and Girls, in: Signs: Journal of Women in Culture and Society 32/3 (2007), S. 584–591. 69 Vgl. Marisa O.  Ensor, Displaced Girlhood: Gendered Dimensions of Coping and Social Change among Conflict-Affected South Sudanese Youth, in: Refuge 30/1 (2014), S. 15–24; Joey Ager u. a., Local Faith Communities and the Promotion of Resilience in Contexts of Humanitarian Crisis, in: Journal of Refugee Studies 28/2 (2015), S. 202–221; Jessica Gladden, Coping Strategies of Sudanese Refugee Women in Kakuma Refugee Camp, Kenya, in: Refugee Survey Quarterly 32/4 (2013), S. 66–89, und Krause, Bewältigen. 70 Vgl. Lecadet, Refugee Politics; Carolina Moulin / Peter Nyers, „We Live in  a Country of UNHCR“: Refugee Protests and Global Political Society, in: International Political Sociology 1/4 (2007), S. 356–372. 71 Vgl. Alexander Betts u. a., Refugee Economies: Forced Displacement and Development, Oxford 2017. 72 Vgl. Katharina Inhetveen, „Because we are Refugees“: Utilizing a Legal Label, in: New Issues in Refugee Research 130 (2006), S. 11, und Turner, Innocence, S. 58.

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Strukturen zu erreichen und zu verhandeln,73 was unter anderem als Form eines Unternehmertums74 oder „als Beweis für die Wiederherstellung der ‚Solidarität‘ unter diesen Populationen“75 in Lagern gedeutet wird. Auch wenn humanitäre Maßnahmen und Entscheidungen einen starken Einfluss auf die Menschen haben, erkämpfen sie sich eigene Handlungsspielräume innerhalb oder über die humanitären Gefüge hinaus. Daher sind die Lager vor allem auch geprägt von den Handlungen der Menschen, die selbstverständlich einen Alltag haben, Familien gründen, Kinder gebären, kochen, schlafen, essen, spielen und arbeiten. Flüchtlingslager sind also nicht nur durch die humanitären Bürokratien zu verstehen, sondern vor allem auch als soziales Gebilde eines Lebensraums von vielen Menschen weltweit. Während dies nahezu banal erscheint, so droht ein Fokus der Forschung auf humanitäre Machtstrukturen und Defizite eben dieses Alltagsleben in den Hintergrund oder gar in Vergessenheit zu drängen. Da Aufnahmesituationen zunehmend lang anhalten, verfestigen sich Alltagsstrukturen, die heterogen und durch vielfältige soziale Milieus gekennzeichnet sind. Wissenschaftler*innen bieten reichhaltige Einblicke in dieses Alltagsgeschehen; so beschreibt Michel Agier verschiedene Coffee-Shops, Videotheken, Friseursalons und Fotostudios von Flüchtlingen in den Dadaab Refugee Camps in Kenia, Katharina Inhetveen Hochzeitsfeiern in sambischen Aufnahmelagern und Bram Jansen gemeinsames Fußballschauen im Kakuma Refugee Camp in Kenia.76 Im Rahmen meiner empirischen Forschung mit kongolesischen Geflüchteten in Kyaka II Refugee Settlement in Uganda wurden neben Gewalt, Abhängigkeiten und Restriktionen vor allem auch soziale Dynamiken deutlich. Die Menschen verkauften Ernteerträge auf Märkten, trafen sich mit Freunden in religiösen Zentren oder auch Bars und halfen sich gegenseitig. Sie sprachen von alltäglichen Sorgen, dass ihre Kinder die falschen Freunde hätten, schlechtes Benehmen übernehmen und Erwachsene beleidigen würden. Andere erklärten, wie sie wirtschaftliche Kooperationen mit geflüchteten Menschen im Westen Ugandas aufbauten, um Fisch im Lager weiterzuverkaufen.77 Für einen ‚Alltag‘ und ihre Zugehörigkeit ist auch die Schaffung eines ‚Heims‘ 78 wichtig, das nicht nur eine gewisse Normalität, sondern auch einen „Ort der 73 Vgl. Gaim Kibreab, Pulling the Wool over the Eyes of the Strangers: Refugee Deceit and Trickery in Institutionalized Settings, in: Journal of Refugee Studies 17/1 (2004), S. 1–26, und Bram Jansen, Between Vulnerability and Assertiveness: Negotiating Resettlement in Kakuma Refugee Camp, Kenya, in: African Affairs 107/429 (2008), S. 569–587. 74 Vgl. Martha Kuwee Kumsa, ‚No! I’m Not  a Refugee!‘ The Poetics of Be-Longing among Young Oromos in Toronto, in: Journal of Refugee Studies 19/2 (2006), S. 230–255. 75 Übers. d. Verf., Barbara E. Harrell-Bond, Weapons of the Weak, in: Journal of Refugee Studies 17/1 (2004), S. 27 f., hier: S. 28. 76 Vgl. Agier, Between War and City, S. 326; Inhetveen, Flüchtlingslager, S. 188 und S. 351, und Jansen, Accidental City, S. 123. 77 Vgl. Krause, Bewältigen, S. 205–214. 78 Zur Frage, wie sich Flüchtlinge ein Heim schaffen und welche Bedeutung dem in Flüchtlingssituationen zukommt, wurde eine Sonderausgabe der Zeitschrift Refuge heraus­

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Pflege, Stabilität, Zuverlässigkeit und Authentizität“79 widerspiegelt. Dies scheint aufgrund der Unsicherheit über die Zukunft wie auch der prävalenten häuslichen Gewalt zunächst schwer zu sein. In meiner Forschung in Uganda sagte eine Frau beispielsweise, dass sie von ihrem Mann „wie eine Trommel“ geschlagen wurde.80 Die Herausforderung, ein Zuhause zu bilden, betrifft nicht nur geflüchtete Menschen in Uganda, sondern besteht weltweit. Catherine Brun erläutert mit Blick auf Georgien die Unterscheidung zwischen Unterkunft und Heim und stellt Bekannte und Verwandte, Gebäude und ihre Umgebung als kritischen Wert für den Aufbau eines Zuhauses heraus.81 Zudem beschreibt Naohiko Omata, wie liberianische Geflüchtete ein für sie bedeutungsvolles Heim gegründet haben, was letztlich ihre Entscheidung über Repatriierung in ihr Herkunftsland oder Verbleib im Exil beeinflusst.82 Einhergehend mit den sozialen Alltagsrealitäten, Märkten, Schulen, Bars, Heimen und Treffpunkten können Flüchtlingslager durch eine urbane Architektur gelesen werden. Bezeichnet als „accidental cities“, „city-camps“ und „naked city“ oder auch als „urban enclaves“83 vereinigen diese Lagerstädte politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Infrastrukturen. Die humanitären Machtstrukturen können als ‚Stadtrat‘ oder ‚Verwaltung‘ uminterpretiert werden, die humanitären Dienstleistungen als ‚städtisches Sozialwesen‘ und die aufgeteilten Gebiete in Lager, Zonen und Cluster als ‚Stadtteile‘. Ähnlich der Vorstellung eines „urban jungle“ repräsentieren Lager sowohl menschlich geschaffene und zu verteidigende Ordnungen als auch Unvorhersehbarkeiten, Chaos und Gefahren.84 Inmitten beengter, überfüllter Sphären müsse jede / r einzelne ihre / seine Position verfechten, kann aber auch in der Masse abtauchen, mit der Menge verschmelzen, unbemerkt bleiben. Die städtische Lesart von Aufnahmelagern ist nicht nur aus sozialwissenschaftlicher, sondern auch aus geographischer und architekturwissenschaftlicher

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gegeben, vgl. den einführenden Beitrag von Giorgia Doná, Making Homes in Limbo: Embodied Virtual „Homes“ in Prolonged Conditions of Displacement, in: Refuge 31/1 (2015), S. 67–73. Übers. d. Verf., Malathi De Alwis, The „Purity“ of Displacement and the Reterritorialization of Longing: Muslim IDPs in Northwestern Sri Lanka, in: Wenona Giles / Jennifer Hyndman (Hg.), In Sites of Violence: Gender and Conflict Zones, Berkeley 2004, S. 213–231, hier: S. 215. Diskussion mit Frauen, 12.3.2014, Base Camp, Kyaka II. Vgl. Cathrine Brun, Home as a Critical Value: From Shelter to Home in Georgia, in: Refuge 31/1 (2015), S. 43–54. Vgl. Naohiko Omata, Home-making during Protracted Exile: Diverse Responses of Refugee Families in the Face of Remigration, in: Transnational Social Review 6/1–2 (2016), S. 26–40. Vgl. Jansen, Accidental City; Agier, Between War and City, und Marc-Antoine Perouse De Montclos / Peter Mwangi Kagwanja, Refugee Camps or Cities? The Socio-economic Dynamics of the Dadaab and Kakuma Camps in Northern Kenya, in: Journal of Refugee Studies 13/2 (2000), S. 205–222. Vgl. Bülent Diken, From Refugee Camps to Gated Communities: Biopolitics and the End of the City, in: Citizenship Studies 8/1 (2004), S. 83–106, hier: S. 98.

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Sicht möglich, wodurch etwa schachbrettartige oder lose, dörfliche Anordnungen von Wohngebieten aus der Vogelperspektive erkennbar werden.85

5. Fazit Seit Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute sind Lager die vorherrschende Form zur Unterbringung, humanitären Versorgung und Verwaltung von Flüchtlingen weltweit. Im begrenzten Raum des Lagers oktroyieren Akteur*innen des Flüchtlingsregimes unter der Überschrift humanitärer Hilfe Herrschaftsstrukturen auf vermeintlich machtlose, hilfsbedürftige und unmündige Flüchtlinge, die das überaus heterogene Leben der Menschen scheinbar homogenisieren. Eine Vielzahl an empirischen Studien zu Aufnahmelagern weltweit bietet weitreichende Einblicke in die Maßnahmen humanitärer Organisationen und die Lebensbedingungen der Menschen. In diesem Beitrag wurden Erkenntnisse aus diversen Forschungsarbeiten zusammengeführt und gezeigt, wie sich Lagerpopulationen gefangen in materiellen und strukturellen Abhängigkeitsverhältnissen befinden und Lager als Orte der Dependenz, Isolation, Restriktion und Unsicherheit gelten. Daran änderte sich in den vergangenen Jahrzehnten wenig. Bereits in den 1980er Jahren wurden Bedingungen in Lagern mit Verweis auf Armut, Gewalt und fehlende Möglichkeiten selbstständiger Lebensunterhaltung kritisiert.86 Quasi ‚von der Hand in den Mund‘ zu leben, physischen und psychischen Gefahren ausgesetzt zu sein und eingeschränkte Freiheitsrechte zu erfahren, wird  – wie in diesem Beitrag gezeigt – auch in aktuellen Forschungsarbeiten herausgestellt. Allerdings ist eine Fokussierung der Forschung auf diese Missstände unzureichend und würde die humanitäre Sprache der Vulnerabilisierung und Objektivierung von Geflüchteten reproduzieren. Selbstverständlich prägen die Lagerstrukturen das Leben der Menschen, sie vermögen sie zu strukturieren, zu kategorisieren und zu klassifizieren. Allerdings beweist ein Blick auf die mannigfaltigen Handlungen der Menschen, dass sie den sozialen Raum des Lagers prägen und ausgestalten, dass sie sich den Verhältnissen nicht widerstandslos hingeben, sondern handeln. Die Menschen schaffen sich soziale Umfelder, wirtschaftliche Möglichkeiten und politische Strukturen. Sie agieren individuell und unterstützen sich gegenseitig nicht nur innerhalb der humanitär abgesteckten Grenzen, sondern auch darüber hinaus; sie fordern sie heraus oder nutzen sie für eigene Vorteile. Fehlende dauerhafte Lösungen und die daraus entstehenden Langzeitsituationen führen letztlich zur anhaltenden Nutzung provisorischer Lagergefüge. Sowohl 85 Vgl. Elisabeth Schöpfer u. a., Temporäre Siedlungen: Wenn aus Flüchtlingslagern Städte werden, in: Hannes Taubenböck u. a. (Hg.), Globale Urbanisierung: Perspektive aus dem All, Berlin / Heidelberg 2015, S. 71–81, und Alain Beaudou u. a., Geographical Information System, Environment and Camp Planning in Refugee Hosting Areas. Approach, Methods and Application in Uganda, Bondy 2003. 86 Vgl. Harrell-Bond, Imposing Aid.

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die Dauer als auch die Missstände in Lagern werden teilweise als Versagen der verantwortlichen humanitären Organisationen – allen voran UNHCR – gewertet, die unzureichenden Schutz gewährleisten oder die Lösungssuche ungenügend fördern.87 In der Tat können (und sollten) die Organisationen ihre Unterstützungsprozesse und die Behandlung von Flüchtlingen umgestalten. Zu beachten ist bei dieser Kritik aber auch, dass die humanitären Organisationen auf einer prekären finanziellen Grundlage agieren, die ihren Spielraum zur Bereitstellung von (besseren) Maßnahmen begrenzen und Veränderungen der restriktiven Verhältnisse erschweren. Jedoch obliegt die Entscheidung über die Einrichtung und Nutzung von Lagern den Aufnahmeländern und nicht den humanitären Organisationen. Zudem bedarf die Lösungsfindung internationaler Zusammenarbeit, die aufgrund historisch gewachsener und – trotz veränderter politischer Rahmenbedingungen seit dem Ende des Kalten Krieges  – anhaltender Interessenkonflikte zwischen nördlichen Geber- und südlichen Aufnahmestaaten bis heute defizitär bleibt.

87 Vgl. Chkam, Aid, und Awa M. Abdi, In Limbo: Dependency, Insecurity, and Identity amongst Somali Refugees in Dadaab Camps, in: Bildhaan: An International Journal of Somali Studies 5/7 (2005), S. 17–34.

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Political Theory on Refugees On Figures of Contested Boundaries

In this article I would like to discuss how we ought to think about the refugee in political terms. This question has been raised indirectly in some crucial writings that try to define the refugee as a specific and distinctive figure. For the most part, refugees are depicted as figures who have experienced losses or ‘deficits’ on many levels, and whose fundamental needs have often not been met. Refugees, therefore, are presented as victims:1 as figures defined by profound deprivation. They are cast as the antithesis of the citizen — the central political subject of modern times. Citizenship, we are told, is the “constitutive attribute of democratic politics”,2 and refugees are denied it. In developing a political theory on refugees in general, we need to focus on certain fundamental issues. First, why should we think about refugees in political terms at all? Descriptions of refugees as figures enduring severe deprivation, including the loss of rights, political agency and political representation, have led many observers to conclude that refugees can only be depicted as apolitical figures. This leads at once to the second question: Are we not coming close to  a contradiction in terms when proposing a political theory about refugees, if, as usually understood, they exist outside the political sphere? Have we any traditional political terms or a political language to locate refugees in the landscape of political theory? Seeking to answer these questions, this article is divided into three sections. In the first, I present the traditional characterization of refugees. In the second, I show how, moving the focus from victimization, a new approach to understanding refugees’ action starts not by defining the refugee in opposition to the citizen, but looking at the situation the other way round: several authors provocatively recognize the refugee as indeed a citizen in ‘activist’ form. In the third section I merge these two ways of thinking about refugees into one concept and present the refugee as a ‘boundary subject’.

1 Criticized in: Peter Gatrell, The Making of the Modern Refugee, Oxford 2013. 2 Andreas Kalyvas, Solonian Citizenship: Democracy, Conflict, Participation, in: Il Pensiero Politico 34 (2014), pp. 19–36.

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1. Figure of Deprivation 1.1 The Social Dimension: Isolated Individuals A host of studies on the situation of refugees affirms that the need to escape desperate circumstances in their homelands forces them to abandon the social and private milieux that have long been familiar to them. Hannah Arendt has authored what is surely one of the most inspiring works on refugees. Reflecting on the situation of refugees in the aftermath of the First World War and during the National Socialist era, she emphasized the significance of the breakdown of their social world. In a very personal essay about her own experience as a refugee, she recalled how: “We lost our home, which means the familiarity of daily life. We lost our language, which means the naturalness of reactions, the simplicity of gestures, the unaffected expression of feelings. […] We left our relatives in the Polish ghettos and our best friends have been killed in concentration camps, and that means the rupture of our private lives.”3 What Arendt has captured here is the disintegration of the familiar private and social world. Refugees are driven out of the communities in which they once felt rooted and at home. All traditional ties between the accustomed environment and the individual are ripped apart. Arendt seems to have given us  a timeless characterization of the refugee. Although she wrote about refugees facing the pre-totalitarian and the totalitarian world, many contemporary authors still refer to her work when addressing the current situation of refugees. To many, there seems to be a great deal of continuity between the experiences of refugees in earlier periods and those of today. One example to illustrate how this perception persists is provided by Michel Agier. He had African refugee camps in mind when he wrote: “Having already lost the mediations that founded their social existence […] these wandering and waiting beings no longer have anything but their ‘bare lives’.”4 In brief, Agier also sees refugees as people “outside all social systems”.5 Refugees, as well as certain immigrants, are portrayed as figures deprived of all social bonds and radically thrown back upon their own resources. The sudden break-up of their social world, including the breakdown of private life, is often depicted as one of the losses that coincides with other fundamental forms of deprivation.

3 Hannah Arendt, ‘We Refugees’, in: Menorah Journal 31/1 (1943), pp. 69–77. 4 Michel Agier, On the Margins of the World. The Refugee Experience Today, Cambridge et al. 2008, p. 49. 5 Ibid.

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1.2 The Legal Dimension: Rightlessness Refugees live under uncertain circumstances due to their precarious and fragile relationship to citizenship and access to rights.6 While citizens of democratic states are supposed to enjoy  a reciprocal relationship with the state, involving mutual recognition, responsibilities and obligations, refugees seem to be, in every sense, at the antipodes. Nobody has described this polarity more clearly than Giorgio Agamben. He refers to the writings of Arendt, who portrayed refugees as figures who experience encompassing rightlessness. In Arendt’s depiction of them, refugees have first been deprived of their citizenship rights, and then been forced to leave their country of origin without having any other place in the world in which they can have an undisputed right to dwell. They have no possibility of relying on a new system of law capable of replacing their previous legal relationships. For Arendt the distinguishing mark of refugees is that they have lost all rights and have no prospect of recovering them. Also referring to Arendt, Michael Marrus has emphasized the distinctive otherness of modern refugees. In an era when citizenship rights have become increasingly important for the provision of welfare and acceptance into the political community, rightlessness constitutes a new kind of experience. Homeless people, vagabonds and the itinerant poor have always been seen as a part of society, but refugees must face a “radically new form of homelessness”.7 This new form of homelessness, precipitated by rightlessness, can be understood as  a historically unprecedented form of separation between society and the individual (the refugee). Insistance on this state of being rightless is  a common thread that runs through the writings of many thinkers — such as Arendt, Agamben, Agier and Marrus — who have tried to depict the refugee as a special, distinctive figure. 1.3 The Political Dimension: Refugees as Counterparts to Citizens Closely linked to the legal dimension are questions about the possibilities or — to be more accurate, the impossibilities — of acting politically as  a refugee newly arrived in the host society. Even in this dimension, the refugee is depicted as antithetical to the citizen whose political agency is safeguarded by  a bundle of fundamental rights. While citizens may be the proud representatives of  a sovereign people that has refused to accept a foreign ruler, refugees represent the opposite: they have been subjugated to a sovereign and have been unable to act in

6 Ibid., p. 11. 7 Michael R.  Marrus, The Unwanted: European Refugees in the Twentieth Century, Oxford 1987, p. 4.

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ways appropriate to their situation. In Agamben’s thinking, citizens represent the entitled, active, political constituents of a political community while refugees are understood to be those who have been governed and regulated by a sovereign with no power of their own to act or to resist.8 Above all, to be a refugee implies, for Agamben, subjection and helplessness. There is no space for politics from below, no opportunity to protest against victimhood. We can find a similar perception in the writings of Michel Agier, who points out the close connection between geographical and political spaces. For him, refugee camps show up the fact that refugees are outcasts of every community. They are placed, in Agier’s words, “on the margins of the cities”.9 Recalling the Ancient Greek idea of the city as a public space where public debates took place, one can understand that the expression “on the margins of the cities” means more than  a specific physical location. The refugee’s space is depicted, rather, as an apolitical, inactive space — or, as Agier puts it, space that is “postpolitical”.10 In it, refugees have to choose between “passive accommodation to outside assistance, and illegality”.11 In brief, refugees are placed in “spaces without a ‘world’”,12 or “on the margins of the world”.13 There was a similar line of argument in Arendt’s essays on refugees. For her as well, the hallmark of refugee status is the impossibility of acting politically, in every sense of the word. This is the distinctive feature of the refugee experience, differentiating it from that of citizens of democratic states. Describing the refugee’s existential space as she knew it, she made it apparent that, in the middle of Europe, there were now people “who have lost all distinctive political qualities”, who “have become human beings and nothing else”.14 This cardinal lack seems to make the gap between citizens of host countries and refugees unbridgeable, rendering refugees homeless in every sense. The handful of examples given above brings us to the core of what have been the central political, historical and sociological writings exploring the significance of escaping, fleeing or leaving a country in distress: to be a refugee is to experience encompassing deprivation in multiple dimensions. The refugee is a figure of total loss — a person without social embeddedness, economic function and benefit, juridical presence and political significance. The total otherness of refugees (and other outlaws and outcasts) who are separated from the rest of the world is reflected in the terms the authors use to describe them. For Arendt, refugees are figures representing superfluousness15 8 Patricia Owens, Reclaiming ‘Bare Life’? Against Agamben on Refugees, in: International Relations 23/4 (2009), pp. 567–582. 9 Agier, On the Margins of the World, p. 40. 10 Ibid., p. 11. 11 Ibid., p. 50. 12 Ibid., p. 40. 13 Ibid., p. 62. 14 Hannah Arendt, The Origins of Totalitarianism, Washington, PA 1973, p. 302. 15 Ibid., p. 296.

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“worldlessness”,16 “mute individuality”,17 and “the nakedness of being nothing but human”;18 for Marrus refugees are “the unwanted”;19 while Zygmunt Bauman has subsumed refugees (and other outlaws) under the term “wasted lives”,20 an assessment echoed in Agamben’s “bare life” in a permanent “state of exception”.21

2. Rethinking Refugees and Citizens Even when the authors mentioned above have considered the figures of migrants and refugees against the background of different times and spaces, they share a fundamental, immutable perspective on the people who have escaped their countries of origin. A disconnection between refugees and a community subject to the rule of law is consistently underscored in this scholarly literature, which depicts  a radical rupture with the political world. This raises  a challenging question for political theorists: How can we deal with  a figure who evidently differs fundamentally from the central political subject of the modern world of democracies — how can we deal with the non-citizen? The citizen has been the central figure of modern democracies and the right of citizenship has been defined as the central right which sustains freedom, security and social welfare.22 Being a citizen combines status, rights, identity and obligations.23 In many writings on democratic revolutions, the politically active citizen represents the rising power of the common people. The right of citizenship has also been seen as the prerequisite for enjoying civil and political liberties.24 However, as Jack Harrington warns us, such categorical “conceptual frameworks” can “limit our ability to analyse citizenship as it is manifested around the world. A major point of emphasis in this regard is the binary of insider / outsider or the analogous one of citizen / a lien.”25 This may be one reason why the refugee is often depicted as a person characterized by the loss of this constituted power and who, as a consequence, has been widely ignored as a political subject. If we shift our perspective away from the traditional refugee / citizen dichotomy, we are in  a better position to focus on the “upsurge of political mobilizations by refugees, irregularized migrants, and migrant solidarity activists” occurring today in  a number of European countries, and in other parts of the world as 16 Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 1991, p. 470. 17 Ibid. 18 Arendt, The Origins of Totalitarianism, p. 300. 19 Marrus, The Unwanted. 20 Zygmunt Bauman, Wasted Lives. Modernity and its Outcasts, Cambridge 2004. 21 Giorgio Agamben, Homo Sacer. Sovereign Power and Bare Life, Stanford 2007, p. 131. 22 Thomas H. Marshall, Citizenship and Social Class, Cambridge 1950. 23 Christian Joppke, Citizenship and Immigration, Cambridge / Malden, MA 2010. 24 Marshall, Citizenship and Social Class. 25 Jack Harrington, Navigating Global Citizenship Studies, in: Engin F. Isin / Peter Nyers (eds.), Routledge Handbook of Global Citizenship Studies, London et al. 2014, pp. 12–20.

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well.26 Focus on these current refugee struggles necessarily alters our perception of refugees: they are not so much apolitical as figures who “constitute themselves as political agents under new terms”.27 A new approach to refugee action might begin not by defining the refugee in opposition to the citizen, but by defining the refugee as a citizen. Various authors have provocatively understood refugees as citizens in this way. There is a growing literature on what we might call Citizenship Studies that highlights citizenship from the margins. Indeed, an important collection of essays, which I go on to refer to extensively, has appeared under this very title. This literature can be understood as  a counter-narrative to the predominant liberal perception of the autonomous citizen, well equipped with a bundle of rights. Hence, it can contribute to revised perceptions of both refugees and citizens. Engin Isin is one of the most prominent authors to have adopted this approach. His ideas on acts of citizenship can be seen as the core concept that nearly all authors refer to when they underscore the political agency of refugees. Isin’s basic idea, set out in different writings, is to understand citizenship in terms of its alterity. The definition of citizenship, he asserts, has been made and narrated by dominant groups who created otherness while constituting themselves as cit­ izens: “[C]itizenship and its alterity always emerged simultaneously in a dialogical manner and constituted each other.”28 The crucial point that Isin offers is that we can understand the ‘others’ of citizenship not as excluded beings but as persons in  a close connection to the citizen.29 Rejecting the unilateral understanding of being a citizen as a status awarded and safeguarded by the state, Isin mainly focuses on citizenship as political action. This theoretical approach has inspired many scholars to shed new light on the figure of the refugee. The following section will seek to illuminate the image of the refugee that emerges from these writings and how  a perspective drawn from Isin’s viewpoint questions and challenges the traditional, well-entrenched institutions of democracy. 2.1 The Social Dimension: Transgressive Solidarity or Acts of Solidarity The relation between refugees and other segments of society has traditionally been described as the nexus between a victim and a repressive state or one between a helpless but deserving person and humanitarian aid. This subjection of refugees to the power of states and their full citizens constitutes a counter-narrative to the 26 Ilker Ataç et. al., Introduction. The Contentious Politics of Refugee and Migrant Protest and Solidarity Movements. Remaking Citizenship from the Margins, in: Citizenship Studies 20/5 (2016), pp. 527–544, here p. 527. 27 Engin F. Isin, Being Political. Genealogies of Citizenship, Minneapolis / London 2002, p. 276. 28 Ibid., p. 4. 29 Ibid., p. 283.

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solidarity between equals encapsulated in the modern concept of citizenship. The investigations made in Citizenship Studies recast our understanding of refugees and the meaning of citizenship to counteract this familar narrative. They focus on new forms of social cohesion, relationships, and solidarity that emerge from the refugees’ struggles, and which shape their experiences as well as the bonds that arise between refugees and supporters. Refugees leave their space of isolation and establish contact with other people regardless of the formal status they possess. The studies highlight the social embeddedness of active citizens as a group to which both refugees and their supporters belong. Another crucial insight of Citizenship Studies is that varieties of shared political or social action give rise to new forms of social bond and create social bridges. Solidarity between members of a democratic state and foreigners emerges from a wide variety of support networks.30 These actions offer a new perspective on cit­ izenship as a transgression “of the territorial, ontological, and normative limits” set by the traditional concept of belonging.31 These forms of solidarity between strangers are an important dimension of the reconfiguration of citizenship. Unlike the sense of solidarity that emerges between citizens, the common actions of refugees and their supporters create  a kind of solidarity between strangers.32 The new theoretical approach has picked up on this. New forms of solidarity are depicted as  a type of transgressive solidarity33 or “horizontal political solidarity”.34 In some political protests, a distinctive community comes into being, one that ignores traditional territorial boundaries. Solidarity between strangers: this is the counter-narrative to the depiction of refugees as isolated figures. While isolation renders people powerless, transgress­ ive solidarity brings empowerment to refugees. As an example, Ilker Ataç describes the action of a new community that emerged from the church asylum 30 See for example: Helga Leitner / Christopher Strunk, Assembling Insurgent Citizenship. Immigrant Advocacy struggles in the Washington DC metropolitan area, in: Urban Geography 35/7 (2014), pp. 943–964; Anne McNevin, Undocumented Citizens? Shifting Grounds of Citizenship, in: Peter Nyers / Kim Rygiel (eds.), Los Angeles in Citizenship. Migrant Activism and the Politics of Movement, London 2012, pp. 165–183, and Rutvica Andrijasevic et al., European Citizenship Unbound. Sex Work, Mobility, Mobilisation, in: Environment and Planning D: Society and Space 30/3 (2012), pp. 497–514. 31 Kim Rygiel, Dying to Live: Migrant Deaths and Citizenship Politics along European ­Borders. Transgressions, Disruptions, and Mobilizations, in: Citizenship Studies 20/5 (2016), pp. 545– 560, here p. 556. 32 Engin F. Isin, Citizenship without Frontiers, New York / London 2012, p. 12. 33 Federico Oliveri, Migrants as Activist Citizens in Italy. Understanding the New Cycle of Struggles, in: Citizenship Studies 16/5–6 (2012), pp. 793–806, here p. 801, and Heather Johnson, Moments of Solidarity, Migrant Activism and (Non)citizens at Global Borders, in: Peter Nyers / Kim Rygiel (eds.), Los Angeles in Citizenship. Migrant Activism and the Politics of Movement, London 2012, p. 128. 34 Seth M. Holmes / Castañeda Heide, Representing the ‘European refugee crisis’ in Germany and beyond. Deservingness and Difference, Life and Death, in: American Ethnologist 43/1 (2016), pp. 1–13, here p. 10.

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movement in Vienna. Cooperation with refugees, as well as support for them and publicizing their demands, have all helped to intensify the “social relations […] which empowered the participants.”35 A common thread that runs through Citizenship Studies is that the refugees’ struggle calls into question traditional ways of understanding the diverse dimensions of citizenship. The struggle of refugees resists the common understanding of citizenship as something restricted to membership in a territorially bounded community. As participation is open to all in the political action, there seems to be no prerequisite condition for getting involved, such as territorial belonging, ethnicity, gender, language, culture or religion.36 Everyone is free to enter this community in solidarity with the needs and demands of refugees. The exclusionary dimension of citizenship, stressed by authors such as Arendt and Agamben, is inconsequential in this sphere. 2.2 The Legal Dimension: The Right to Claim Rights Officially, it is only the citizen of the nation state who is authorized to act polit­ ically. The refugee, the non-member, the foreigner do not have this authorization and, in the legal dimension, are the counterpart of the citizen. However, contrary to this depiction of refugees as figures of rightlessness, Citizenship Studies re­cognizes these same people as political subjects who enact their rights through action. It was in the context of the rightlessness of refugees that Hannah Arendt coined the now famous expression about the “right to have rights”.37 Isin refers to her, but emphasizes the activist dimension of claiming rights — t he “right to claim rights”.38 This is grasped by refugees on their own initiative. The claim is made by people who are not ‘authorized’ to be political subjects or viewed as such. The history of the quest for equality in civil and political rights recounts the many struggles fought by people who have been excluded from a share in these rights. The ideas of equality, freedom and liberty in the Declaration of the Rights of Man and Citizen inspired many groups to fight for their rights. Article 10 of the Declaration of the Rights of Woman and the Female Citizen clearly expresses the constituent, activist dimension of being  a citizen: “Women have the right to mount the scaffold, they must also have the right to mount the speaker’s rostrum.”39 Olympe de Gouges did not claim rights in the language of humanity 35 Ilker Ataç, ‘Refugee Protest Camp Vienna’. Making Citizens through Locations of the Protest Movement, in: Citizenship Studies 20/5 (2016), pp. 629–646, here p. 643. 36 Andrijasevic, European Citizenship Unbound, p. 499. 37 Arendt, The Origins of Totalitarianism, p. 296. 38 Engin F. Isin, Citizenship in Flux. The Figure of the Activist Citizen, in: Subjectivity 29/1 (2009), pp. 367–388, here p. 380. 39 Olympe de Gouges, The Declaration of the Rights of Woman (1791), URL: https://chnm. gmu.edu/revolution/d/293/ [March 10, 2019].

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but in the language of a political subject.40 In doing so, she questioned the established boundaries of the French community. At that time, women still lacked the right to act politically and to participate in the political process. Like de Gouges, today’s refugees challenge set boundaries and dividing-lines which exclude them in many different ways.41 It is crucial to this line of argument that refugees do not wait for entitlement from ‘above’; rights emerge through their activism.42 Consequently, Isin and other researchers emphasize all along that citizenship should be seen not simply as having a particular status but also in light of action. Rights can be claimed by those who have no (institutionalized) rights. The claim can be made in public through diverse forms of political action: occupation of public spaces, demonstrations, adopting resolutions, hunger strikes, lip-sewing, occupation of churches, and so on. By virtue of these actions, refugees and their supporters instantiate a central idea of citizenship rights: to ‘mount the speaker’s rostrum’ means to declare oneself a political subject and demand to be heard, to be recognized as an equal. A number of the authors of Citizenship Studies specify such actions as events “that produce a rupture in the given order”.43 They are actions that challenge the established boundaries of national communities. This element of disruption is central to the concept of political subjectification. It is theoretically outlined not by Isin alone, but also by Jacques Rancière,44 who is also cited by many scholars. People without official documents, without entitlement to citizenship, without recognition in the political sphere ‘enact’ themselves as citizens. Citizenship Studies emphasizes the performative dimension “that mediates between a polit­ ical and legal constitution of citizenship”.45 Protest and other political actions are highlighted as  a challenge to the largely nationally bounded concept of citizenship. The political subjectification of refugees brings the ambivalence of citizenship to the fore. Non-citizens can contest the exclusionary dimension when they act as citizens regardless. Seeing these actions as a rupture in the given order suggests that they challenge the bounded citizenship status: “In contesting exclusion from citizenship, refugees may enact forms of citizenship that exceed the exclusionary logic of formal citizenship.”46

40 Isin, Citizenship in Flux, p. 380. 41 Enrica Rigo, Citizenship despite Borders. Challenges to the Territorial Order of Europe, in: Vicki Squire (ed.), The Contested Politics of Mobility. Borderzones and Irregularity, London 2011, pp. 199–215. 42 Asli Ikizoglu Erensu, Notes from a Refugee Protest. Ambivalences of Resisting and Desiring Citizenship, in: Citizenship Studies 20/5 (2016), pp. 664–677, here p. 672. 43 Isin, Citizenship without Frontiers, p. 131. 44 Jacques Rancière, Who is the Subject of the Rights of Men?, in: The South Atlantic Quarterly 103/2–3 (2004), pp. 297–310. 45 Andrijasevic, European Citizenship Unbound, p. 499. 46 Erensu, Notes from a Refugee Protest, p. 665.

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2.3 The Political Dimension: Refugees as Citizens Many scholars have pointed to  a close connection between living in  a situ­ ation of rightlessness and being debarred from political action. To understand refugees as activist citizens entails a radical change in this perception. In explicit contrast to Arendt and Agamben,47 the authors of Citizenship Studies understand refugees as political subjects in a special sense. Isin distinguishes between the “active citizen” who plays by the accepted rules, and the “activist citizen”, who challenges them.48 “Activist” citizenship is understood not only as practice but as a provocative mode of agency that has transformative power: “citizenship is a domain of struggle.”49 The central idea that runs through all these authors’ contributions, then, is that refugees ‘enable’ themselves as citizens. New terms like ‘insurgent citizenship’ have been coined to stress the agentic conception of citizenship.50 Without being citizens in a legal sense or according to the language of status, refugees can act as citizens in various ways. By virtue of their polit­ ical action, refugees can instate themselves as political subjects “prior to being legally or discursively recognized as such by state authorities”.51 The difference between authorized, officially entitled subjects and those without entitlement could be expressed as a distinction between ‘citizens with citizenship’ and ‘cit­ izens without citizenship’. However, the actions undertaken by a citizen without citizenship still reflect some crucial elements contained in the traditional understanding of citizenship. One of the most frequently mentioned features of refugees’ political action is their appearance in public.52 Since they lack any legal entitlement to share in the decision-making process, the new citizens insert themselves into the process through performative action. Even if their presence in the public sphere does not enact institutionalized rights or entitlements (and therefore enhance the visibility of the citizens without citizenship), their actions in public do make their presence undeniable. In particular, the struggles of refugees bring into public view people who are usually invisible and hidden in darkness, due to their precarious legal status as refugees. To protest in public means to become visible to society, to politicians, to aid organizations and to a variety of political institutions. Through these actions a new ‘political subject’ emerges. Somewhat in the same way as Olympe de Gouges, protesting refugees legit­ imize themselves by invoking the universality of human rights, the fact of being 47 Ibid. 48 Isin, Citizenship in Flux, pp. 380 f. 49 Isin, Citizenship without Frontiers, p. 10. 50 Leitner / Strunk, Assembling Insurgent Citizenship, p. 354. 51 Peter Nyers, Migrant Citizenships and Autonomous Mobilities, in: Migration, Mobility, & Displacement 1/1 (2015), pp. 23–39, here p. 25. 52 McNevin, Undocumented Citizens, p. 166.

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human, or of belonging to the human and / or local community.53 The assertion of equality undermines and challenges existing laws, policies and institutions, as de Gouges showed in her own day. The notion of citizenship as a legally-based, frontier-bounded institution, protected and bestowed by the nation state, is called into question by refugees’ protests. Concomitantly, the challenge they pose is accompanied by their refusal to accept their precarious legal situation and the status of ‘other’ that refugees have to face. In this respect ‘acts of citizenship’ contest traditional approaches to fundamental institutionalized divides and boundary-settings within democracies.54 This action-oriented perspective on refugees, defying previous definitions, poses political challenges in two ways. First, refugees are themselves introduced as political subjects involved in central political actions. Secondly, the refugees’ actions challenge traditional political convictions as well as the seemingly fixed spaces of politics and ‘authorized’ political subjects. Moreover, as Saskia Sassen has pointed out, transformations of the nation state entail the transformation of the conditions of political action;55 so the new perspective on the activist citizen goes further. Not only are the conditions of political action changing, but new political subjects are bringing unknown political fields, ideas, opportunities, and unrecognized dimensions of familiar political institutions to the fore. Refugees today are depicted as far from powerless, apolitical figures. On the contrary: “Refugee activism has become a significant political force in its own right, with coalitions of citizens and non-citizens engaging in various forms of advocacy and resistance around the enforced destitution, dispersal, detention and deportation of refugee populations.”56 Within these struggles citizenship is created anew. This insight could also be grasped as the utopian moment in what Citizenship Studies presents. It is a utopian moment because it brings to light an emerging form of society that sets aside all traditionally known distinctions between human beings. In disregard of rigid boundaries between members and non-members, refugees’ protests call cit­ izenship itself into question — at least, citizenship “in its reductive national-legalsettlerist frame”.57 Citizenship Studies also opens a new perspective on alternative settings of new communities “based on equal entitlements to rights, solidarity and real democracy”.58 In short, refugee protests result in the “creation of new forms of citizenship and political community”, a “new vision of citizenship”,59 53 Ibid., pp. 136 f. 54 Isin, Citizenship without Frontiers, p. 10. 55 Saskia Sassen, The Repositioning of Citizenship and Alienage. Emergent Subjects and Spaces for Politics, in: Globalizations 2/1 (2005), pp. 79–94, here p. 80. 56 Imogen Tyler / Katarzyna Marciniak, Immigrant Protest. An Introduction, in: Citizenship Studies 17/2 (2013), pp. 143–156, here p. 143. 57 Maurice Stierl, A Sea of Struggle — Activist Border Interventions in the Mediterranean Sea, in: Citizenship Studies 20/5 (2016), pp. 561–578, here p. 563. 58 Oliveri, Migrants as Activist Citizens in Italy, p. 793. 59 Ataç, Introduction, p. 529, p. 531 and p. 540.

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“citizenship without frontiers”,60 “international citizenship”,61 “supranational ‘common spaces’”,62 an “unbounded model of citizenship”,63 and “new global citizenship from below”.64 In other words, the actions of refugees and their allies inspire us to rethink democracy as a cosmopolitan community.65 In this context, refugees should no longer be depicted as rightless persons presenting a counter-narrative to the traditional notion of full citizenship. In opposition to the traditional perspective on them, refugees are becoming a part of the narrative about citizenship. However, they are not only part of a historical narrative; they are constantly questioning and challenging traditional understandings of what a citizen is. This is expressed in terms like “illegal citizenship”,66 “undocumented citizens”,67 and “migrant citizenship”.68 As this section has shown, refugees should not be regarded as merely victims of circumstances or of a repressive migration policy, nor should they be depicted as no more than figures of exclusion. Refugees are figures capable of transforming fundamental political institutions, figures who challenge the political order by their very existence and, now, through their actions.

3. Figures of Contested Boundaries Referring to Postcolonial Studies, Isin and the researchers who have been influenced by his theoretical approach focus on new narratives of citizenship constituted from below. This ‘from-below’ access to fundamental political institutions has helped us rethink the figure of the refugee. Furthermore, the approach leads to a new understanding of the political subjectification of refugees, since we can sidestep the simple dualism between citizens and non-citizens with no political capacity. However, these interpretations fail to take an important dimension into account; and this leads us back to the first section of this article. Both approaches isolate refugees from the rest of society; they disconnect each from each other. The authors discussed in the first section separate refugees and the bounded community by emphasizing the chasm that divides the two groups. There is no space for resistance, no means of recognizing the refugee as one who can counter and influence power relations between the displaced and an excluding society. 60 61 62 63 64 65 66 67 68

Isin, Citizenship without Frontiers. Stierl, A Sea of Struggle, p. 563. Tyler, Immigrant Protest, p. 144. Monica Varsanyi, Interrogating ‘Urban Citizenship’ vis-à-vis Undocumented Migrant, in: Citizenship Studies 10/2 (2006), pp. 229–249, here p. 239. Oliveri, Migrants as Activist Citizens in Italy, p. 796. Leitner / Strunk, Assembling Insurgent Citizenship, p. 349. Rigo, Citizenship Despite Borders. McNevin, Undocumented Citzens. Nyers, Migrant Citizenships and Autonomous Mobilities, pp. 23–39.

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The authors whose ideas have been presented in the second section continue to uphold this separation by neglecting the institutionalized boundary-setting and other power relations within which the political action of refugees takes place. The activities of refugees always occur within institutional arrangements — societal, juridical and political structures that frame their political struggles. In the present section, I attempt to integrate this background into  a theoretical framework capable of conceptualizing the figure of the refugee in a fuller and more sophisticated manner. The decontextualization that affects so many treatments of the refugee experience is expressed in the initial phase of Isin’s theoretical discussion of citizenship. Isin’s aim is to develop  a new perspective on citizenship that goes beyond the familiar “grids” of usage and existing political interpretations of the term. When his book, Being Political, was criticized for not having presented the concept of citizenship in full clarity, Isin defended this lack of “an immediately recognizable grid”69 as one benefit of his approach. Distancing himself from the outworn categories of the traditional understanding of citizenship, he aimed to reconceptualize it in a new and hitherto unknown way. This purpose runs through all the different writings that have adopted Isin’s approach. They all share the refusal to accept “already settled notions about what citizenship is and is not”,70 and all underscore their difference from the “conventional model”.71 Drawing on his research, Isin invents a new vocabulary by focusing on the social and political struggles of “outsiders” who raise claims for justice.72 This approach makes it seem as though citizenship can exist without any preconditions, history or political context and tradition. In Isin’s scheme, citizenship is defined exclusively by the refugees’ protest. His later writings seem to support this one-sided view. In his first book, Being Political, Isin underscored the ambiguity of the citizenship concept more clearly, allowing that it seems to imply both domination and empowerment “separately or simultaneously”73 across time. I would like to emphasize this ambiguity which he noted, and understand the refugee as  a specific figure of contested boundaries. The term ‘boundary subject’ can open  a new perspective, merging the two ways of thinking about refugees discussed above into one concept. Moreover, it can show that democracy and its central institution of citizenship have always been concepts ‘in motion’.74 The term ‘boundary subject’ refers to the productive dimension of every process of the boundary-drawing which shapes the conditions encountered by refugees and their distinctiveness as compared to other groups. The term also 69 Engin F. Isin, Engaging, Being, Political, in: Political Geography 24/3 (2005), pp. 373–387, here p. 373. 70 Ataç, Introduction. The Contentious Politics, p. 530. 71 Nyers, Migrant Citizenships and Autonomous Mobilities, p. 23. 72 Isin, Citizenship in Flux, p. 370. 73 Ibid., p. 369. 74 Sandro Mezzadra, Citizenship in Motion, URL: http://www.generation-online.org/t/tmez zadra.htm [March 10, 2019].

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includes their ties to the excluding / receiving states and therefore acknowledges the challenge posed to the order of the nation state by refugees. That dual function is embodied in the refugee as a specific boundary subject. Hence, the term ‘boundary’ always highlights the connection between at least two entities: refugees and the receiving / excluding state. For this reason, the boundary includes the opposing aspects of “division and a relationship”, which constitutes “passage”.75 Due to this linking function, connection and possible crossings are implied in every territorial border. The territorial border is a special form of boundary.76 Like other kinds of boundaries, borders are not fixed but are flexible and changeable. They become fortified, weakened or transformed; they can disappear or be rendered invisible; alternatively they can be highly manifest in the form of fences, barbed wire or institutionalized arrangements such as citizenship itself. Etienne Balibar’s understanding of citizenship helps clarify the ambiguity of the boundary subject. The tension between the challenge of boundaries and subjugation to boundaries, encapsulated in the idea of boundary subjects, is also incorporated into his idea of citizenship. Balibar delineates these two dimensions of citizenship in precise terms. He depicts them as the “constituent” and “constituted” dimensions of citizenship.77 The constituent dimension refers to the idea of equal liberty for all human beings regardless of their differences. It is the dimension of empowerment, of inspiration for political struggles directly derived from the idea of universal human rights. So, on the one hand, citizenship is built on an “insurrectional logic”78 which makes all boundaries vanish. This dimension of his work has been corroborated by Citizenship Studies. On the other hand, citizenship has its constituted dimension, which is linked to the bounded community of state citizens. Here, a sharp distinction is drawn between insiders and outsiders because this aspect is instantiated in  a specific bundle of rights for members of a particular community. The characteristics of this dimension are those that were set out in the first section of this article. Therefore, besides the “insurrectional” empowerment and boundless logic of citizenship, there is the “constitutional project of building  a community”,79 which always implies boundary-settings vis-à-vis outsiders. This flexibility allows for the possible conflicts latent in every act of boundarysetting. Boundaries are contested (which makes them visible); they are defended; and, as one possible result, may be redesigned. Hence, when we speak about a ‘boundary subject’, the meanings in this composite term include the ambivalence 75 Michel Agier, Borderlands: Towards an Anthropology of the Cosmopolitan Condition, Cambridge / Malden, MA 2016, p. 6 and p. 18. 76 Arash Abizadeh, Democratic Theory and Border Coercion. No Right to Unilaterally Control Your Own Borders, in: Political Theory 36/1 (2008), pp. 37–65. 77 Étienne Balibar, We, the People of Europe? Reflections on Transnational Citizenship, Prince­ ton 2009, p. 77. 78 Id., The ‘Impossible’ Community of the Citizens, in: Environment and Planning D: Society and Space 30/3 (2012), pp. 437–449, here p. 437. 79 Ibid.

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of the location, the tension between not being integrated while not being fully excluded, and the ‘in-betweenness’ of existence. 3.1 The Social Dimension: Solidarity under Unequal Conditions No binary approach can ever adequately convey the true nature of refugees’ political struggles. It is not as though we needed to choose between adopting the concept of citizenship in flux, enacted by any person or group without need of formal authorization from above,80 or rejecting it, due to its inherently exclusionary dimension.81 Boundary-settings, including those that involve borders, are “continuously both remade and challenged.”82 Boundaries around and within democratic states lead to “physical and symbolic violence”,83 as well as the possibility of challenging and transforming these boundaries. Many scholars have advocated the expansion of boundaries such as citizenship in order to accommodate human and other non-citizen rights. However, every act of boundary-setting continuously needs to be reconstituted and renewed, especially in situations when they are questioned and challenged. Refugees can make this ambivalence visible. As shown above, Citizenship Studies forges new forms of solidarity among strangers. This solidarity is not based on any institutionalized support. However,  a lack of institutionalized relationships enables this form of solidarity to emerge, even under unequal conditions. Besides their bridging function, boundaries always entail unequal relationships in social, legal and political respects. On the one hand, they have an integrative effect and bring a bounded community to the fore. On the other, they are intended to exclude, to refuse entry, or to draw a distinction between insiders and outsiders. In the struggles of refugees these boundary settings are challenged, as has been described in the Citizenship literature. It is crucial to note that more than one side is involved in the process of boundary struggle: boundaries are challenged from both sides. Hence, refugees’ political protests are embedded in divisions and distinctions that derive from the surrounding social and political world.84 In this sense, boundaries are very productive. They place people in  a certain (power-)relationship and establish specific conditions of political agency. Inequality, in its legal sense, leads to  a hierarchical relationship between supporters and refugees, despite the intentions or good will of the supporters involved. While one side is in the position of being aid-givers and supporters, the 80 Ataç, Introduction. The Contentious Politics, p. 532. 81 Dimitris Papadopoulos et. al., Escape Routes: Control and Subversion in the Twenty-First Century, London 2008, pp. 182 f. 82 Agier, Borderlands, p. 8. 83 Ibid., p. 17. 84 Ibid., p. 18.

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other is the recipient of this help. Refugees’ actions often depend fundamentally on the ‘advocates’ to hand — on the support of citizens with citizenship or on shelter and backing from institutions like churches and NGOs. Getting access to the public and being recognized and heard by politicians and society is more or less impossible for refugees unless they have a network of supporters. Citizens with citizenship can therefore act as spokespersons to transmit the demands of these citizens without citizenship. The relationships and positions of the members of this ‘unbound community’ are unidirectional and irreversible: refugees cannot support citizens with citizenship in the same way as these citizens can support them. In this sense, refugees’ struggles intensify and reinforce the differences between citizens with citizenship and citizens without citizenship. It is not possible for the boundary subjects to leave this space. An adequate description of the figure of the refugee should therefore include both the inclusive and the exclusionary aspects of citizenship, because refugees are bedevilled by the latter, just as they benefit from the former. 3.2 The Legal Dimension: The Precarious Right to Claim Rights While supporters often enjoy full citizenship rights in democratic states, refugees act under precarious conditions. Supporters can offer safety and protection when refugees claim their rights in public, while the reverse state of affairs would be unthinkable. Publicizing unacceptable living conditions, questioning certain migration policies, and protesting against precarious legal status are all actions that make people visible who would usually be safer if they remained invisible. To appear in public not only means to act as a citizen, but also to be unprotected due to the lack of any institutionalized dimension to back this claim to citizenship. Refugees may be threatened with deportation, imprisonment and other forms of harsh treatment that citizens with citizenship would not face. Because of this, refugees’ protests are not usually long-lasting or durable; they are more likely to be short-lived and elusive. Unequal conditions also prevail when it comes to joining a community. While citizens with citizenship can decide whether or not to participate, participation is often an existential struggle for refugees due to their lack of rights or their precarious legal status. They join  a community seeking recognition because of the intolerable living conditions they have faced in their countries of origin and the difficulties that beset them in their new country. That represents  a fundamental difference between them and their supporters, who can make a free, unencumbered choice about whether to join or not. Disagreement and conflicts within the unbound community also have a different meaning for the activists. Supporters can leave the community without facing any disadvantages, but refugees cannot. The utopian moment described above is therefore provocative. The idea of equality and freedom for everyone, instantiated in the institution of citizenship, hinges on the idea of the autonomy of the individual within the

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community of citizens. But in the unbound community it depends on the will of the members. This aspect of voluntarism has pluses and minuses: it can inspire adherents to create a new community on their own, but at the same time it can vitiate the community and risk making it a short-term undertaking. The precarious legal status of refugees is deeply inscribed in their daily life experiences through multilayered dimensions. Refugees have to face boundaries that have been set by the traditional notion of citizenship not only in political discourse, but also in private life, in working conditions, in quotidian encounters with the police, as well as in situations of political protest. 3.3 The Political Dimension: Refugees as Citizens without Citizenship As mentioned above, Balibar refers to a tension embedded in the institution of citizenship from the very beginning, one that frames and shapes the character of citizenship. Hence the constantly moving and developing character of modern citizenship emerges from the concept itself. On the one hand, this sparks the challenge to citizenship boundaries and their potential transformation; on the other, the defence and strengthening of those very same boundaries. Refugee struggles make established, yet often unrecognized boundaries visible — and it is the great value of Citizenship Studies that it helped to do this. In refugee struggles we can always detect the three steps of visualization, contestation-reaction, and redesign of boundaries. Refugees contest these boundaries by their action, but simultaneously depend on them, even if they are able to contribute to a redesigning or altered understanding of who is the political subject in democracies. With reference to Etienne Balibar’s distinction between constituent and constituted citizenship, refugees can be understood as citizens without citizenship. Relying on this distinction, we can understand citizenship as continuously “reconstituted and renewed”, as an “institution in flux”,85 which is simultaneously challenged and transformed while at the same time being defended and strengthened. Being political, speaking, acting, and making claims in the public realm depend absolutely on the activist being heard and recognized. Without that recognition, any political action is pointless. However, access to the public realm is subject to specific preconditions, some of which affect refugees. Because refugees are not regarded as political subjects, they have a harder time entering the public realm. In the receiving democratic countries refugees are confronted by boundary-settings initiated by the national community. The Syrian refugee Nather Henafe Alali has expressed the influence of these boundary-settings on his own political life: “I am a Syrian who is not allowed to speak. However, the whole world is allowed to speak about me. […] I am a human being who doesn’t have a podium […] while society uses every stage, to talk about this stranger, this 85 Harrington, Navigating Global Citizenship Studies, p. 12, and Isin, Citizenship in Flux, p. 370.

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refugee. However, I can’t answer them.”86 Like Olympe de Gouges, Alali enrols himself as a citizen because he acts and speaks in public, but concomitantly, he refers to the chief effect of the boundary-setting which citizenship creates: that he is not seen as a political subject. The ‘right to have rights’ and the ‘right to claim rights’ refer to very fundament­al aspects of a person’s political and juridical status: the right to appear in public and the right to be heard. While de Gouges claimed her right to all-embracing membership in a territorially bounded community (two of the ‘classical’ claims for citizenship), refugees often invoke much more basic needs. As a result of their precarious legal status, such claims are also fundamental and often presuppose that the refugee is facing life-threatening conditions: detention, deportation, unacceptable living conditions in the camps, silencing processes, and a precarious legal status.87 Refugees must deal with sheer survival.88 Their demands emerge from their precarious living conditions and focus on asylum procedures, access to basic services, and residential issues.89 Within these claims, diverse boundary settings come to light. Instead of strengthening the utopian moments emerging from refugees’ struggles, the term ‘boundary subject’ underscores the ambivalence of boundaries, which are simultaneously strengthened and weakened, made visible and contested by refugee action. Every time they occur, refugees’ struggles are simultaneously embedded in  a double movement in which the boundaries of citizenship are both transcended and reinforced. The term ‘boundary subject’ encapsulates this ambivalence. On the one hand, the term illuminates the possibility of (successful) struggles against the unfairness of European migration policy and other forms of boundary settings (for instance, that of citizenship); on the other, the term draws attention to the limits of that struggle, to the influence of institutionalized power relations, and to the way that boundaries are continually being set by democratic states and societies. The contributions to Citizenship Studies have shown that, as a result of refugees’ protests, new spaces of deliberation can emerge. At the same time, we have to bear witness to the undermining of their efforts, since the space occupied by citizens without citizenship is often a violent space. While spaces of deliberation are meant to avoid any kind of violence, spaces of refugee protest often do involve acts of violence. Such violence can be carried out by refugees themselves, in the

86 Nather Henafe Alali, Ich bin das Elend des 21. Jahrhunderts, in: Der Spiegel 15 (2016), S. 115, translated from Arabic into German by Günther Orth, translated from German into English by the author. 87 Nyers, Migrant Citizenships and Autonomous Mobilities, pp. 23 f., and Nicholas de Genova /  Nathalie Peutz (eds.), The Deportation Regime. Sovereignty, Space, and the Freedom of Movement, Durham 2010. 88 Erensu, Notes from a Refugee Protest, p. 672. 89 Ataç, ‘Refugee Protest Camp Vienna’, p. 639, and Erensu, Notes from  a Refugee Protest, pp. 671 f.

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form of self-harm like lip-sewing or hunger strikes,90 or by the receiving society through deportation, imprisonment, or rioting citizens. Structural conditions, along with the respective persons involved in the struggle (for example, state actors or actors in civil society) frame the activities of refugees. The specific character of political action and the respective environment of opportunities and constraints are deeply correlated, and they influence each other. Strong emphasis on the political subjectification of refugees can make us lose sight of how powerful the (national) institution of citizenship still is. To a great degree, it influences the way in which refugees act politically.91 It is true that refugees act against frontiers and given boundaries. However, in addition to being understood as “subjects against frontiers”,92 they must be seen as people subjected to frontiers and boundaries. The ‘constituted we’ establishes and defends boundary-settings which fundamentally influence the political subjectification of refugees; so to focus solely on the disruption of frontiers through refugee action seems to be a very one-sided view. If we take the term ‘boundary subject’ seriously, we must also include the setting and defence of boundaries by the political community against refugees. Only if we do this can we fully grasp what the refugee’s situation really is. Accordingly, the next step in this enquiry is to demystify the utopian aspects of refugees’ struggles and attempt to outline the ambivalent status of the ‘boundary subject’.

4. Conclusion: Refugees as Boundary Subjects The term ‘boundary subject’ helps us conceptualize refugees who are involved in the various boundary-setting acts of democracy. It opens up the possibility of describing refugees as those who are subjected to an alien force which they irritate, question and challenge, all at the same time. Those who are confronted with the restrictions of the various boundary-drawings, make boundaries visible through their protest. However, this is a contested process in which different sides play their parts. The spaces around boundaries are therefore spaces of tensions and permanent struggle between strengthening, weakening, and transformative forces. Kalyvas introduced “citizenship” as a “borderline concept”.93 More than any other figure among today’s political actors, the refugee makes the tension in this condition visible. Citizen and refugee — t hese are not opposite terms; rather, the two categories influence, depend on, and refer to each other. Consequently, the refugee is depicted here not solely as a figure of exclusion nor as a figure of a 90 Ataç, ‘Refugee Protest Camp Vienna’, p. 639; Erensu, Notes from a Refugee Protest, pp. 671 f., and Owens, Reclaiming ‘Bare Life’? 91 Sandro Mezzadra / Brett Neilson, Border as Method or the Multiplication of Labor, Dur­ham /  London 2013. 92 Isin, Citizenship without Frontiers, pp. 11 f. 93 Kalyvas, Solonian Citizenship, p. 28.

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new political world or as a new citizen, but as a boundary subject who is caught in the middle of political conflicts, debates and clashes.94 The tension between the constituent and the constitutive dimension of modern citizenship is embodied in the refugee’s struggle. Both dimensions should be scrutinized, if the diverse forms of protest are to be analysed properly. Referring to Peter Gatrell,95 we can summarize it this way: boundaries make the refugee but refugees also make boundaries. The political action of refugees and their diverse claims against  a society in which they have no firm belonging always enacts the empowerment dimension as well as the dimension of boundary-settings. Their action calls into question established and institutionalized boundaries; but concomitantly, due to the constitutive dimension, they are acting within specific power-relationships all the same. This provokes counter-measures from the bounded community. In this sense, (protesting) refugees challenge the boundaries and limits of a democratic community — its constitutive dimension — while anticipating the constituent dimension. The struggles of refugees both weaken and strengthen the institution of citizenship, and they do this simultaneously. Refugees, accordingly, should not be placed ‘on the margins of the world’, but in the centre of the political world where they are active. The research stimulated by Isin has made a valuable contribution to elucidating the empowerment dimension of citizenship. However, if the “exclusionary force [of citizenship] is there by design,”96 it must influence the condition of political agency of refugees. This dimension tends to get lost in Citizenship Studies. As shown above, the tension between the constituent and constitutive dimensions of citizenship belongs to the bedrock of democracies. Openness and restriction lead not only, as Agier puts it, to a “transformation of borders into walls,”97 but also to a permanent conflict between these two dimensions.

94 95 96 97

Gatrell, The Making of the Modern Refugee, p. 283. Ibid., p. vii. Nyers, Migrant Citizenships and Autonomous Mobilities, p. 31. Agier, Borderlands, p. 6.

III. Zwangsmigration und politische Flucht in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs

Michael Schwartz

Ethnische „Säuberung“ – Vergeltung und Friedenslösung Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext der europäischen Zwangsmigrationen

1. Einleitung: Der Zweite Weltkrieg als (bisheriger) Höhepunkt einer modernen Gewaltpolitik ethnischer „Säuberungen“ Die Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung von Millionen Deutschen war die bisher größte einzelne ethnische „Säuberung“ in der europäischen Geschichte. Auch im globalen Vergleich erscheint sie – neben dem fast gleichzeitigen Fluchtund Vertreibungsgeschehen in Indien und Pakistan zwischen 1947 und 1950 – als eine der umfassendsten.1 Die Überlebenden dieser ethnischen Gewaltpolitik wurden 1950 in Volkszählungen in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten Bundesrepublik und DDR – ihren Hauptaufnahmegebieten – auf 12,45 Millionen Menschen beziffert. Die Zahl der Umgekommenen ist unklar und strittig, der Historiker Hans-Ulrich Wehler geht von „1,71 Millionen […] während der Vertreibungsaktionen oder auf der Flucht“ aus, „so dass insgesamt 14,16 Millionen die bisher größte gewaltsame Bevölkerungsverschiebung erlebt“ haben dürften. Insgesamt waren laut Wehler 6,6 Millionen Deutsche aus den zum Deutschen Reich in den Grenzen von 1937 gehörigen Ostgebieten (die 1945 an Polen und die Sowjetunion fielen) betroffen, ferner drei Millionen Deutsche aus der Tschechoslowakei, 2,1 Millionen aus Polen (in dessen Vorkriegsgrenzen), 238.000 aus Jugoslawien, 210.000 aus Ungarn und 133.000 aus Rumänien.2 Dabei behielt Rumänien, das von Stalin weiterhin als „Vielvölkerstaat“ definiert wurde, große Teile der volksdeutschen Minderheit (soweit diese nicht geflohen oder zeitweilig zur Zwangsarbeit in die UdSSR deportiert worden war) dauerhaft im Lande3, während 1 Vgl. den globalgeschichtlichen Überblick bei Michael Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne. Globale Wechselwirkungen nationalistischer und rassistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 2016. 2 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten, München 32008, S. 944. 3 Vgl. Philipp Ther, Die dunkle Seite der Nationalstaaten. „Ethnische Säuberungen“ im modernen Europa, Göttingen 2011, S. 196–203, der daneben auch auf den trotz brutaler „Säuberungen“ verbleibenden multiethnischen Charakter von Tito-Jugoslawien hinweist.

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in den übrigen genannten Staaten die Zwangsaussiedlungspolitik dominierte und allenfalls kleine Reste der deutschen Bevölkerungsgruppen im Lande beließ. In diese Schätzung von rund 14 Millionen deutschen Vertreibungsopfern sind die bereits ab 1941 innerhalb der Sowjetunion deportierten Russlanddeutschen noch gar nicht einbezogen. Die Wolgadeutschen, denen das Regime zwischen 1924 und 1941 eine autonome Sowjetrepublik gewährte, stellten mit 370.000 Menschen nur ein Viertel dieser größeren Bevölkerungsgruppe. Russlanddeutsche lebten in verschiedenen Regionen Russlands, in der Ukraine, im Kaukasus und auf der Krim. Ihre Deportation begann zwei Monate nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion; bis Mitte 1942 registrierte Stalins Sicherheitsapparat 1,2 Millionen Opfer dieser Zwangsumsiedlung – vier von fünf deutschstämmigen Sowjetbürger*innen. Bis 1948 soll die Sterberate in den unwirtlichen „Spezialsiedlungen“ bei 3,5 % gelegen haben – immerhin weit niedriger als die der erst gegen Kriegsende, zwischen 1944 und 1948, aus dem nördlichen Kaukasus deportierten muslimischen Völker, von denen fast ein Viertel nicht überlebt haben soll.4 Bezieht man das Schicksal der Russlanddeutschen mit ein, die freilich keine Vertreibungsopfer, sondern überwiegend Deportationsopfer (innerhalb der Sowjetunion, deren Bürger*innen sie blieben) waren, so erreicht die Zahl der Betroffenen über 15 Millionen. Der hier angesprochene Prozess ethnischer „Säuberungen“ in Osteuropa um 1945 weist idealtypisch sämtliche Formen von „Säuberung“ auf, die man analytisch ausdifferenzieren kann. Das betrifft namentlich auch jenes in diverse Phasen und Formen gegliederte Phänomen, das der Einfachheit halber hier als „Vertreibung“ bezeichnet werden soll; auch die additiveren Formeln der „Flucht und Vertreibung“ bzw. von „Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung“ bleiben nämlich unvollständig. Phänomenologisch finden sich in diesem Geschehen sowohl die angeordnete Evakuierung durch die eigene Regierung (die NS-Diktatur) als auch die Flucht vor einer Feindarmee, ferner die nur scheinbar „wilde“ (und in Wahrheit verdeckt zentral organisierte) Vertreibung; darüber hinaus innerstaatlich oder zwischenstaatlich organisierte Zwangsdeportationen ebenso wie erzwungene oder scheinbar „freiwillige“ Formen der Umsiedlung, die freilich auch von Kontexten der Gewalt, von Racheandrohungen oder Rachebefürchtungen, gekennzeichnet waren. Hinzu treten in der Endphase des Krieges und in der Frühphase des Nachkriegs punktuelle Massaker an feindlichen Zivilisten sowie deren Internierung in Lagern mit alltäglichen Gewaltexzessen und oft hohen Todesraten. Für all diese Phänomene eignet sich der Begriff der ethnischen „Säuberungen“ als zusammenfassender Oberbegriff, da er sowohl das Moment einer ethnonationalen (und / oder ethnoreligiösen) Klassifikation der Opfergruppen benennt als auch das gewaltpolitische Kernziel ihrer dauerhaften Entfernung aus einem dadurch stärker homogenisierten Staatsgebiet.5 Die Dauerhaftigkeit dieser kollektiven 4 Antonio Ferrara / Niccolò Pianciola, L’ Età delle Migrazioni Forzate. Esodi e deportazioni in Europa 1853–1953, Bologna 2012, S. 278. Vgl. auch Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne, S. 527 f. 5 Vgl. Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne.

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Entfernung unterscheidet Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen von lediglich temporären Fluchtbewegungen, wie sie im Zweiten Weltkrieg häufig vorkamen, aber durch die Wende im Kriegsgeschehen meistens wieder rückgängig gemacht werden konnten, indem die Überlebenden der Flucht zumindest theoretisch „nach Hause“ zurückkehren konnten. Freilich war dies im wörtlichen Sinne nur zu oft keine wirkliche Rückkehr „nach Hause“. Selbst die große Massenflucht von Zivilisten in Frankreich 1940 mündete nicht in generelle rasche Rückkehr6; umso weniger in Polen, wo viele Orte – inklusive der Millionenstadt Warschau – zerstört worden waren und wo ein erheblicher Teil der Entwurzelten in jenen Gebieten neu angesiedelt wurden, die dem besiegten Deutschland abgenommen und deren deutsche Einwohner gezielt zwangsausgesiedelt wurden.7 Dort richtete sich lokale Feindseligkeit und regierungsamtlicher Entfernungswunsch jedoch nicht nur gegen die Deutschen, als „Rache der Opfer“ (Helga Hirsch) an den wirklichen oder vermeintlichen „Tätern“ von vordem, sondern auch gegen zurückkehrende jüdische Opfer in Polen, die der deutschen Vernichtungspolitik entkommen, aber oft alles andere als willkommen waren.8 Eine Expertenkommission der Vereinten Nationen (UN) definierte 1992 „ethnische Säuberungen“ als „vorsätzliche Politik, die von einer ethnischen und religiösen Gruppe verfolgt wird, um die Zivilbevölkerung einer anderen solchen Gruppe durch gewaltsame und terroristische Mittel aus bestimmten geographischen Gebieten zu entfernen“.9 Diese Definition ist nicht nur deshalb bedeutsam, weil sie neben ethnischen auch religiöse Ausgrenzungskriterien benennt, sondern vor allem deshalb, weil der damit bezeichnete Sachverhalt primär auf die Entfernung von Menschen aus einem bestimmten Raum zielt, nicht zwangsläufig auf ihre Ermordung.10 Ethnische „Säuberung“ ist folglich nicht ohne weiteres mit Genozid gleichzusetzen, obschon beides in der „Praxis“ oft nicht leicht zu trennen ist. „Zusammenhänge zwischen Hungersnot und Zwangsmigration“ sowie die Tatsache, dass viele Genozidopfer nicht durch unmittelbare Gewalt, sondern an Hunger oder Krankheiten starben, verweisen auf diese Grauzone zwischen Vertreibung und Völkermord.11 Gleichwohl müssen beide Phänomene analytisch klar unter6 Vgl. Nicole Dombrowski Risser, France under Fire. German Invasion, Civilian Flight and Family Survival during World War II, Cambridge u. a. 2012. 7 Vgl. Philipp Ther, Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ / DDR und in Polen 1945–1956, Göttingen 1998, und Marcin Zaremba, Die große Angst. Polen 1944–1947: Leben im Ausnahmezustand, Paderborn 2016. 8 Ebd., S. 447–449; ausführlicher: Keith Lowe, Der wilde Kontinent. Europa in den Jahren der Anarchie 1943–1950, Stuttgart 2014, S. 240–265. 9 Marie-Janine Calic, Der erste „neue Krieg“? Staatszerfall und Radikalisierung der Gewalt im ehemaligen Jugoslawien, in: Zeithistorische Forschungen 2/1 (2005), S. 9, URL: http:// www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Calic-1-2005 [10.3.2019]. Vgl. auch Dies., Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert, München 2010. 10 Ther, Die dunkle Seite der Nationalstaaten, S. 9. 11 Christian Gerlach, Extrem gewalttätige Gesellschaften. Massengewalt im 20. Jahrhundert, München 2011, S. 363 f.

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schieden werden. Genozid erscheint als Radikalvariante ethnischer „Säuberung“, aber eben nur als eine von mehreren. Wie bei der juristischen Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag ist der Nachweis des „Vorsatzes“ entscheidend.12 Beim Genozid – sofern dieser seit der UN-Definition von 1948 leider inflationär benutzte Begriff tatsächlich absichtsvollen massenhaften Mord bezeichnet13 – soll ein Entkommen gerade unmöglich werden. Der Unterschied zwischen den „Säuberungs“-Varianten Vertreibung und Genozid besteht somit darin, dass bei jener die Entfernung der Opfer, aber nicht ihre Ausrottung das Ziel ist.14 Obschon Millionen Deutsche die größte bisher bekannte einzelne Opfergruppe unseres Themas stellen, sah der Zeitraum zwischen 1939 und 1950 weit mehr Zwangsmigrationen in Europa. Es geschahen außerdem weit schlimmere Verbrechen als „nur“ Vertreibungen oder Zwangsumsiedlungen – und was die Deutschen angeht, waren sie nicht nur Opfer ethnischer Gewalt, sondern in den Jahren des gewaltsam ausgedehnten und menschenverachtenden NS-Imperiums zwischen 1939 und 1945 auch Träger, wenn nicht Täter ethnisch motivierter Gewalt gewesen: als Mitverantwortliche für die rassistische deutsche Besatzungsherrschaft in Osteuropa – namentlich in Polen, im Baltikum, in der Ukraine und besetzten westlichen Regionen des heutigen Russland – und insbesondere für den organisierten millionenfachen Völkermord an rund sechs Millionen europäischen Juden. Insgesamt sollen bis zu 60 Millionen Menschen während des Zweiten Weltkrieges und unmittelbar nach dessen Ende in Europa zu Zwangsmigranten gemacht worden sein. Zunächst wurden in den Jahren 1939 bis 1943 „etwa 30 Millionen Menschen von Stalin und Hitler vertrieben, verschleppt, umgesiedelt und deportiert“.15 Die folgenden Zwangsmigrationen der Jahre 1944 bis 1948 wurden sodann von den Siegern über Hitler-Deutschland – also wiederum von Stalin, aber auch von den angelsächsischen westlichen Demokratien Großbritannien und USA und darüber hinaus von den kommunistisch-demokratisch gemischten Nachkriegs-Regierungen der Tschechoslowakei und Polens  – veranlasst. Diese Zwangsmigrationen sollen erneut 31 Millionen Menschen betroffen haben, von denen folglich nur knapp die Hälfte zu den besiegten Deutschen zählten.16 Die erste Welle dieser 12 Vgl. Norman M.  Naimark, Flammender Hass. Ethnische Säuberung im 20. Jahrhundert, München 2004, S. 11 f. 13 Einen guten Überblick über die Kritiken der UN-Definition bietet Boris Barth, Genozid. Völkermord im 20. Jahrhundert. Geschichte – Theorien – Kontroversen, München 2006, S. 19–29. 14 Mit Blick auf NS-verfolgte Juden und deutsche Vertriebene wurde dieser wichtige Unterschied von Tony Judt mit der überpointierten, aber im Kern zutreffenden Bemerkung zum Ausdruck gebracht: „Die Vertriebenen waren lebendig und präsent, während ihre Opfer, vor allem Juden, fast alle tot waren.“ Vgl. Tony Judt, Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart, München / Wien 2006, S. 43. Doch auch die deutschen Vertriebenen hatten – wie fast alle Opfergruppen ethnischer „Säuberungen“ – viele Todesopfer zu beklagen. 15 Judt, Geschichte Europas, S. 39. 16 Vgl. Thomas Sowell, Conquests and Cultures. An International History, New York 1998, S. 202.

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primär in Mittel-, Ost- und Südosteuropa umgesetzten Zwangsmigrationen unvorstellbaren Ausmaßes wurde gegen Kriegsende zum größten Teil rückgängig gemacht (sofern die Opfer noch lebten), die zweite Welle hingegen durch dieses Kriegsende erst ermöglicht.17 Diese Kette aus Evakuierungen, Fluchtbewegungen, Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen führte nicht nur in Deutschland, sondern in zahlreichen betroffenen Nachkriegsgesellschaften Europas zu „dramatischen demographischen Konsequenzen“.18 Der schwedische Soziologe Göran Therborn hat darauf aufmerksam gemacht, dass erst mit den ethnischen „Säuberungen“ der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – kulminierend in den 1940er Jahren – viele Staaten Europas eine ethnisch halbwegs homogene Bevölkerungsstruktur erhalten hätten – eine gewaltsam hergestellte ethnonationale Übereinstimmung von Staatsgebieten und Staatsvölkern, die dann nur wenig später durch erneute Fluchtbewegungen oder weiträumig ausgreifende Arbeitsmigrationen von europäischer und globaler Dimension erneut heterogenisiert worden sei.19 Durch den für ethnische „Säuberungen“ typischen, in den 1940er Jahren aber besonders tiefgreifenden Zusammenhang von Ethnogewalt und gewaltsamer materieller Umverteilung wurde aus dieser demographischen Verwerfung zugleich eine gesellschaftliche Umwälzung: Götz Aly hat vom europäischen NS-„Raubmord an den Juden“20 gesprochen. Tony Judt hat auf die gewaltige soziale Nivellierung und materielle Umverteilung hingewiesen, die zwischen 1939 und 1949 zuerst der deutsche Völkermord an sechs Millionen Juden, dann die alliierte Vertreibung von zwölf bis fünfzehn Millionen Deutschen in Europa entfaltete. Mit diesen Menschen wurden wesentliche Teile des alten Bürgertums in Mittel- und Osteuropa durch eine „radikale Transformation der sozialen Landschaft“ beseitigt. „Hunderttausende einfacher“ Menschen unterschiedlichster Nationalität waren die ganz persönlichen Nutznießer dieser Gewaltpolitiken, indem sie Arbeitsplätze, Wohnungen und zurückgelassenen Besitz der Ermordeten oder Vertriebenen übernahmen. Judt folgert treffend: „Derart weitreichende Maßnahmen können nur als revolutionär bezeichnet werden.“21

17 Eugene M. Kulischer, Europe on the Move. War and Population Changes, 1917–1947, New York 1948, S. 305. 18 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 944. 19 Vgl. Göran Therborn, Die Gesellschaften Europas 1945–2000. Ein soziologischer Vergleich, Frankfurt a. M. / New York 2000, S. 59 und S. 61. 20 Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Frankfurt a. M. 2005, S. 311 und S. 362. 21 Judt, Geschichte Europas, S. 54–57. Zitat ebd., S. 57.

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2. Friedensstiftung durch Vertreibung und Zwangsumsiedlung? Konzeptionelle Vorbilder seit dem Ersten Weltkrieg Dass der Zweite Weltkrieg zwischen 1939 und 1945 zum (bisherigen) Höhepunkt jener Gewaltpolitik geworden ist, die man heute als „ethnische Säuberun­gen“ bezeichnet, bedarf kaum der Beweisführung. Allein der Hinweis auf den „Holocaust“ bzw. die „Shoa“ würde genügen. Diesem nach wie vor letztlich unvorstellbaren Völkermord gingen andere Formen antisemitischer ethnischer „Säuberung“ voran – ab 1933 eine in Deutschland stufenweise verschärfte Verdrängung durch Diskriminierung; ab 1939 massenhafte Zwangsdeportationen (etwa aus dem „Großdeutschen Reich“ ins deutsch besetzte polnische „Generalgouvernement“), einhergehend mit erzwungener „Ghettoisierung“ (bei in Kauf genommener Dezimierung durch Epidemien und Hunger) – und bereits begleitet von ersten SS-Massakern. Saul Friedländer hat aufgezeigt, wie den „Jahren der Verfolgung“ in immer schlimmerer Eskalation bereits ab 1939 die „Jahre der Vernichtung“ folgten.22 Die zielgerichtete Ermordung möglichst aller europäischen Juden war jedoch nur der radikalste Bestandteil eines größeren, weit umfassenderen „Säuberungs“-­ Programms des NS-Imperiums. Timothy Snyder stellt treffend fest: „Hitler wollte nicht nur die Juden auslöschen; er wollte auch Polen und die Sowjetunion als Staaten vernichten, ihre Führungsschichten liquidieren und viele Millionen Slawen (Russen, Ukrainer, Weißrussen, Polen) umbringen. Wäre der Krieg gegen die UdSSR wie geplant verlaufen, so wären 30 Millionen Zivilisten im ersten Winter [1941/42] verhungert und danach viele weitere Millionen vertrieben, ermordet, assimiliert oder versklavt worden.“ Zu Recht verweist Snyder darauf, dass die Deutschen während des Krieges „ebensoviele Nichtjuden wie Juden“ ermordet hätten, „vor allem durch das Verhungernlassen sowjetischer Kriegsgefangener (über drei Millionen) und der Einwohner belagerter Städte (über eine Million) oder durch die Erschießung von Zivilisten bei ‚Vergeltungsmaßnahmen‘ (fast eine Million, vor allem Weißrussen und Polen)“.23 Auf dem Höhepunkt seiner Macht, im Mai 1942, formulierte der deutsche Diktator als „das Ziel seiner Ostpolitik“, langfristig „etwa hundert Millionen germanischen Menschen“ im eroberten osteuropäischen „Raum ein Siedlungsgebiet zu erschließen“, „notfalls mit Brachialgewalt“. Überraschend erklärte der (zeitweilige) Sieger über Frankreich zudem, dass man von der Assimilationspolitik der Franzosen im Elsass „viel lernen“ könne.24 Hitler folgte somit in seinen weit ausgreifenden Zwangsumsiedlungs-Plänen nicht nur alldeutschen Vorläufern, die es bereits vor 1914 und vor allem während des Ersten Weltkrieges mit Blick auf eine Zurückdrängung Russlands aus Osteuropa gegeben hatte. Auch die französische 22 Vgl. Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden. Sonderausgabe, München 2007. 23 Timothy Snyder, Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin, München 2011, S. 11. 24 Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941–1942. hg. v. Percy Ernst Schramm u. a., Stuttgart 21965, S. 130.

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Regierung hatte in der Tat nach dem Sieg über Deutschland im Ersten Weltkrieg ab Ende 1918 im wiedergewonnenen Elsass-Lothringen unterschiedliche Rechte oder Diskriminierungen – bis hin zur Zwangsaussiedlung – für die Bevölkerung eingeführt, die der späteren „Deutschen Volksliste“ der SS-Bevölkerungspolitiker im besetzten Polen des Zweiten Weltkrieges ähnelte.25 Die quantitative Reichweite dieser Zwangsumsiedlung blieb jedoch im Vergleich mit zeitgenössischen alldeutschen und späteren nationalsozialistischen Planungen ziemlich begrenzt. Rund 140.000 Deutsche, die erst in den letzten fünf Jahrzehnten unter reichsdeutscher Herrschaft zugewandert waren, wurden „zum Teil in sehr rigoroser Form“ ausgewiesen – bei einer Bevölkerung von 1,9 Millionen etwa 7,4 %.26 Diese französische Vertreibungspolitik, die nach 1918 in Westeuropa eine absolute Ausnahme war, fand Hitler vorbildlich, wollte seinerseits „ebenso verfahre[n] und […] mit einem radikalen Schnitt klare Verhältnisse schaffe[n]“, denn wenn „wir das Elsass und Lothringen wieder zu rein deutschen Gebieten machen wollten, müsse jeder, der sich nicht von sich aus zum Deutschtum bekenne, aus diesem Gebiet heraus“.27 Hitlers Statthalter Josef Bürckel verfügte denn auch 1940 die Zwangsaussiedlung von 80.000 bis 100.000 Menschen nach Vichy-Frankreich und beschlagnahmte deren Immobilienbesitz.28 Die NS-Planungen für Osteuropa jedoch besaßen eine ganz andere Dimension: Ging es zunächst nur um die „Eindeutschung“ der 1939 „eingegliederten Ostgebiete“ durch die Zwangsaussiedlung nichtdeutscher Bevölkerungsgruppen und Neuansiedlung volksdeutscher Umsiedler, so fiel diese Beschränkung nach dem Überfall auf die Sowjetunion fort. Im Juli 1941 legte Himmlers wissenschaftlicher Planungsstab einen erweiterten „Generalplan Ost“ vor, der neben Westpreußen und Posen nun auch das zentralpolnische „Generalgouvernement“ und weiter östlich gelegene Regionen „eindeutschen“ wollte. Binnen 25 Jahren sollten neben Polen nun auch Teile des Baltikums, der Ukraine und der nordrussischen Region um Leningrad germanisiert werden.29 Zu diesem Zwecke sollten aus dieser Großregion 31 Millionen nichtdeutsche Menschen nach Sibirien deportiert 25 Vgl. Ray M.  Douglas, „Ordnungsgemäße Überführung“. Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, München 2013, S. 94 f.; Zu den alldeutschen Vorläufern von Hitlers „Umsiedlungs“-Plänen im europäischen Osten vgl. Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne, S. 32–50. 26 Christiane Kohser-Spohn, Die Vertreibung der Deutschen aus dem Elsass 1918–1920, in: Jerzy Kochanowski / Maike Sach (Hg.), Die „Volksdeutschen“ in Polen, Frankreich, Ungarn und der Tschechoslowakei. Mythos und Realität, Osnabrück 2006, S. 79–94. 27 Picker, Hitlers Tischgespräche, S. 130–132. 28 Vgl. Uwe Mai, „Neustrukturierung des deutschen Volkes“. Wissenschaft und soziale Neuordnung im nationalsozialistischen Deutschland, 1933–1945, in: Isabel Heinemann / Patrick Wagner (Hg.), Wissenschaft – Planung – Vertreibung. Neuordnungskonzepte und Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006, S. 73–92, insb. S. 86 f.; Lothar Wettstein, Josef Bürckel. Gauleiter – Reichsstatthalter – Krisenmanager Adolf Hitlers, Norderstedt 2009, S. 478 f. 29 Vgl. Isabel Heinemann, Wissenschaft und Homogenisierungsplanungen für Osteuropa. Konrad Meyer, der „Generalplan Ost“ und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, in: Heinemann / Wagner, Wissenschaft – Planung – Vertreibung, S. 45–72, insb. S. 50–52.

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werden.30 Osteuropa wäre damit zum Experimentierfeld eines „Großgermanischen Reiches“ gemacht worden, dessen gewaltsame „Eindeutschung“ durch „Vertreibung, Mord, Geburtenkontrolle, Hunger und Sklavenarbeit“ erreicht werden sollte.31 Das alles reichte Himmler noch nicht: Er forderte Mitte 1942 die Einbeziehung weiterer Regionen und drängte auf deren vollständige Germanisierung bereits binnen 20 Jahren.32 Dies war während des Weltkrieges undurchführbar.33 Doch Timothy Snyder stellt zu Recht fest: „Auf lange Sicht bedeutete der Generalplan Ost die Aneignung von Ackerland, die Vernichtung derer, die es bestellten, und seine Neubesiedlung durch Deutsche.“34 Hitlers Hinweis auf die französische Elsass-Politik indiziert: Sowohl die deutschen Nationalsozialisten als auch ihre alliierten Kriegsgegner verfügten über eindeutige Vorerfahrungen mit dem Instrumentarium ethnischer „Säuberung“. Die Generation Churchills, Hitlers und Stalins hatte bereits die Balkankriege der Jahre 1912/13 miterlebt mitsamt allen damaligen Vertreibungen und „Transfers“, sie wusste um den griechisch-türkischen „Bevölkerungsaustausch“ von Lausanne, der 1923 – unter Mitwirkung der Demokratien Großbritannien und Frankreich sowie des soeben vom Faschisten Benito Mussolini regierten Italien – zwei Millionen Menschen zu Opfern gemacht hatte, und diese Generation nahm zwischen 1939 und 1945 auf all diese Erfahrungen Bezug, um neue Vertreibungen ins Werk zu setzen. Die Vorerfahrungen boten wichtige Denk- und Handlungsmodelle. Lausanne ergriff nicht nur Besitz von der Vorstellungskraft jener britischen Experten der sogenannten „Peel Commission“, die 1937 eine Zwei-Staaten-Teilung Palästinas und zugleich einen begrenzten jüdisch-arabischen Bevölkerungstransfer (zu Lasten der arabischen Bevölkerung) empfahlen – ein Plan, der von den Arabern Palästinas vehement abgelehnt, von den Zionisten um David Ben Gurion hingegen unterstützt wurde –, um ein Jahrzehnt später im israelisch-arabischen Krieg von 1948 von den Zionisten als eigenständige ethnische „Säuberungs“-­ Politik (freilich in einer Mischung aus Flucht und Vertreibung statt Zwangsumsiedlung) praktiziert zu werden. Lausanne wurde außerdem Mitte 1939 zum Muster für das deutsch-italienische Abkommen über Südtirol, das seinerseits die NS-Umsiedlungspolitik in Osteuropa vorstrukturierte, soweit diese sich auf bilaterale Transfer-Verträge stützen sollte, die Hitler mit den baltischen Staaten, mit Rumänien und auch mit Stalin schließen ließ.35 30 Vgl. Vejas G. Liulevicius, Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002, S. 330. 31 Hanns Haas, Ethnische Homogenisierung unter Zwang. Experimente im 20. Jahrhundert, in: Sylvia Hahn / Andrea Komlosy / Ilse Reiter (Hg.), Ausweisung, Abschiebung, Vertreibung in Europa. 16.–20. Jahrhundert, Innsbruck u. a. 2006, S. 140–171, insb. S. 156. 32 Heinemann, Wissenschaft und Homogenisierungsplanungen, S. 53. 33 Vgl. Haas, Ethnische Homogenisierung unter Zwang, S. 156, und Mark Mazower, Hitlers Imperium. Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, München 2009, S. 199. 34 Snyder, Bloodlands, S. 175. 35 Vgl. Joseph B.  Schechtman, European Population Transfers, 1939–1945, New York 1946, S. 22, und Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne.

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Bereits 1927 hatte sich der deutsch-jüdische Publizist Siegfried Lichtenstaedter an das Auswärtige Amt gewandt und zur Nachahmung des 1923 zwischen der siegreichen Türkei und dem besiegten Griechenland in Lausanne vereinbarten Abkommens über wechselseitigen Bevölkerungsaustausch aufgerufen. Trotz gewaltiger Mühen und Opfer habe dieser griechisch-türkische Transfer zu einem „sehr befriedigenden Erfolge“ geführt. Daher schlug Lichtenstaedter vor, solche Zwangstransfers auf weitere europäische Nationalitätenkonflikte anzuwenden – etwa in Südtirol, dessen deutsch-österreichische Bevölkerungsgruppe ins Schweizer Tessin verpflanzt werden sollten, während die dort lebenden Italiener ungefragt ins „Alto Adige“ genannte Südtirol Mussolinis hätten umsiedeln sollen.36 Nicht nur Mussolinis Mitwirkung am bis dahin umfangreichsten Zwangstransfer-­Abkommen von Lausanne bot für das Südtirol-Abkommen inhaltliche Voraussetzungen, hatte doch bereits 1925 – ausgerechnet in Ankara – der italienische Botschafter Giulio Cesare Montagna (der 1922/23 persönlich am Abkommen von Lausanne mitgearbeitet hatte37) mit seinem deutschen Kollegen Rudolf Nadolny über eine Umsiedlung der Südtiroler diskutiert – ein Plan, den das Weimarer Auswärtige Amt jedoch unbeachtet ad acta legte und der erst 1937, im Zuge der Annäherung zwischen Hitler und Mussolini, wieder hervorgeholt werden sollte. In den Gesprächen zwischen dem faschistischen Italiener und dem Vertreter der Weimarer Republik war es seinerzeit – noch allzu utopisch – auch um eine italienische Zustimmung zum Anschluss Österreichs an Deutschland im Tausch gegen eine rücksichtslose Italianisierung Südtirols, auch mit dem Mittel der „Aussiedlung“ der Nicht-Assimilationsbereiten, gegangen.38 In der Zwischenkriegszeit war der deutsch-jüdische Publizist Lichtenstaedter mit seinem Lobpreis von Lausanne als Transfer-Modell eher eine Ausnahme. Obwohl das Transferprinzip keineswegs prinzipiell abgelehnt wurde, waren Massenumsiedlungen als „Konfliktlösung in der zivilisierten Staatengemeinschaft“ Europas überwiegend noch nicht akzeptiert.39 Der Grund lag nicht nur in den finanziellen Kosten oder darin, dass für manche Minderheiten – etwa die europäischen Juden – keine eindeutige nationale Heimat existierte, in die sie hätten „transferiert“ werden können. Entscheidend war, dass eine „staatlich erzwungene Entwurzelung ganzer Bevölkerungsteile die liberale Idee individueller Freiheitsrechte“ verletzte, für die die Siegermächte des Ersten Weltkrieges gekämpft hatten. Nicht zuletzt infolge dieser nach 1918 zwar angefochtenen, aber immer noch herrschenden liberalen Ideologie fand das Modell von Lausanne „bis zum Zusam36 Vgl. S.[iegfried] Lichtenstaedter, Süd-Tirol und Tessin. Zwei national-internationale Fragen mit einer gemeinsamen Lösung, Diessen 1927, insb. S. 15, S. 19–22, S. 24 und S. 29. 37 Vgl. Matthew Frank, Making Minorities History. Population Transfer in Twentieth-Century Europe, Oxford 2017, S. 69 f. 38 Vgl. ebd., S. 96–99, und Leopold Steurer, Südtirol zwischen Rom und Berlin 1919–1939, Wien u. a. 1980, S. 317 f. 39 Bernadetta Nitschke, Vertreibung und Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen 1945 bis 1949, München 22004, S. 46.

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menbruch des Völkerbunds und der ‚Neuordnung Europas‘ durch die Nationalsozialisten keine Nachahmer“.40 Erst die Aggressionspolitik Hitler-Deutschlands ab 1938/39 ließ Lausanne plötzlich als Lösungsmodell für die Nationalitätenprobleme Mittel- und Osteuropas hervortreten, deren bisheriger Ordnungsrahmen – das Modell von Versailles – eben damals von Hitler zertrümmert wurde. Der Minderheitenschutz war vom deutschen Diktator im Falle der Tschechoslowakei und Danzigs aggressiv instrumentalisiert und dadurch in der Weltöffentlichkeit delegitimiert worden. Im Zweiten Weltkrieg waren sich deshalb die alliierten Großmächte der Anti-Hitler-Koalition – die USA, Großbritannien und die Sowjetunion – „völlig darin einig, dass die durch den Krieg noch verschärften ethnischen und nationalen Spannungen sich am besten durch die Umsiedlung von Bevölkerungen lösen ließen“. Die 1919 geschaffenen multiethnischen Staaten Osteuropas sollten nach einem Sieg über Deutschland durch die Vertreibung der Deutschen und anderer störender Minoritäten wie Ungarn, Polen oder Ukrainer zwangshomogenisiert und dadurch endgültig befriedet werden.41 Das Münchner Abkommen löste diese Enthemmung aus. Der Ende September 1938 zwischen Deutschland, Italien, Großbritannien und Frankreich geschlossene Vertrag mit dem Beschluss, die mehrheitlich von Deutschen bewohnten Sudetengebiete von der ČSR abzutrennen und Hitlers Großdeutschem Reich anzuschließen, hatte dem dominierenden „Muster der Gebietsabtretung die bisher in Mitteleuropa nicht praktizierte Methode“ des Bevölkerungsaustauschs hinzugefügt.42 Denn das Münchner Abkommen  – geschlossen zwischen den zentralen drei Paten-Großmächten des Lausanner Abkommens von 1923 und Hitler-Deutschland – sah nicht nur ein befristetes „Optionsrecht für den Übertritt in die abgetretenen Gebiete und für den Austritt aus denselben“ vor, sondern auch eine bilaterale deutsch-tschechoslowakische Vereinbarung über „Verfahren zur Erleichterung des Austausches der Bevölkerung.43 Eine ebenfalls geplante wechselseitige Umsiedlung von Tschechen und Deutschen kam jedoch nie zustande, da Hitler bereits im März 1939 die verkleinerte Tschechoslowakei zerschlug und ihren tschechischen Teil besetzte. Der tschechoslowakische Verfassungsjurist Zdeněk Peška sandte daraufhin im Oktober 1939 eine Denkschrift über „Bevölkerungsaustausch“ an seinen ins westliche Exil geflüchteten Ex-Präsidenten Edvard Beneš. Darin pries Peška den Transfer von Lausanne als Vorbild und forderte eine daran orientierte Entfernung aller illoyalen Deutschen aus der Tschechoslowakei.44 „Vor allem in Frankreich“ 40 41 42 43

Mark Mazower, Der dunkle Kontinent. Europa im 20. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 99. Vgl. ebd., S. 242 f. Haas, Ethnische Homogenisierung unter Zwang, S. 149. Zitiert nach: Klaus Hohlfeld (Hg.), Dokumente der deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart, Bd. V: Die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur 1933–1945. Deutschland im Zweiten Weltkrieg 1939–1945, Berlin / München o. J. [1953], S. 490. 44 Vgl. Eagle Glassheim, National Mythologies and Ethnic Cleansing. The Expulsion of Czechoslovak Germans in 1945, in: Central European History 33 (2000), S. 463–486, insb. S. 471.

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diskutierte man 1939/40 dieses „Prinzip des Bevölkerungsaustauschs“. Der in Lille lehrende Soziologieprofessor Bernard Lavergne warb dafür, das Transfer-Prinzip „in ganz Europa in großem Maßstab“ anzuwenden.45 Für Lavergne hatte Hitler in München das schon halbvergessene Vorbild von Lausanne plötzlich aktualisiert. Seither pries dieser französische Demokrat den Bevölkerungsaustausch von 1923 als erfolgreiches Vorbild für eine Neuordnung Europas. 1939 sah Lavergne eine wahrhaft humane Regelung darin, alle fremdnationalen Minderheiten massenhaft und unter Zwang in ihr eigentliches Mutterland zu evakuieren und zurückbleibenden Resten das Wahlrecht zu entziehen. Diese „refoulements“ (Verdrängungen) sollten als wechselseitiger Austausch durchgeführt werden, wobei die „Transplantierten“ Entschädigung für zurückgelassenes Eigentum erhalten sollten. Lavergne gab zu, dass die Erlebnisgeneration unter einer solchen „Transplantation“ schwer zu leiden haben würde, doch für künftige Generationen werde in den dann homogenen Staaten eine glücklichere Zukunft geschaffen. Dabei unterstrich der Franzose die bahnbrechende Rolle Hitlers: Bisher habe die Öffentlichkeit derart radikale Lösungen aus humanitären Gründen nicht erwägen wollen, doch ändere sich dies, seit Hitler in München ausdrücklich einen Bevölkerungsaustausch zwischen Deutschen und Tschechen vorgeschlagen habe.46 Nachdem Hitler 1939 seine gewaltsame „Neuordnung der ethnographischen Verhältnisse“ mit der Zerschlagung der Tschechoslowakei und Polens begonnen hatte, fühlte sich der Pariser Anthropologe George Montandon im Februar 1940 bewogen, an seine bereits im Ersten Weltkrieg skizzierten Vorschläge für gesamteuropäische Bevölkerungstransfers anzuknüpfen. Montandon hatte in seiner 1915 publizierten Schrift über „Nationale Grenzen“ als „vordringlich notwendige […] Bedingung für die Aufrechterhaltung eines dauerhaften Friedens“ eine Grenzziehung gefordert, die mit den ethnischen Trennlinien der Völker übereinstimmen müsse. Um dies zu erreichen, sollten sich alle Staaten Europas durch eine „transplantation massive“ von ihren nationalen Minderheiten trennen – eine gesamteuropäische Umsetzung dessen, was auf dem Balkan 1913/14 begrenzt vorexerziert worden war und was 1923 in Lausanne erstmals mit Millionen Betroffenen realisiert werden würde. 1940 griff der Wahl-Franzose aus der Schweiz, der im Ersten Weltkrieg auch die Vertreibung der Deutschen aus Elsass-Lothringen und gegebenenfalls vom ganzen linken Rheinufer propagiert hatte, dieses Transfer-­Projekt wieder auf, um die Zukunft Polens zu diskutieren, das kurz zuvor von Hitler und Stalin geteilt worden war. Montandon kritisierte die polnischen Grenzen von 1919/21, weil diese – im Gegensatz zur 1939 zwischen Hitler und Stalin vereinbarten Teilungslinie – ethnisch nicht schlüssig gewesen seien. Um die deutsch-polnischen Konflikte im Westen zu bereinigen, schlug er eine Grenzziehung vor, die das „Polen der Zukunft“ zwischen Weichsel und Memel verortete und ihm Teile Ostpreußens (mit Königsberg) zuwies. Montandon pries den aus seiner Sicht in 45 Detlef Brandes, Der Weg zur Vertreibung 1938–1945. Pläne und Entscheidungen zum „Transfer“ der Deutschen aus der Tschechoslowakei und aus Polen, München 22005, S. 68. 46 Vgl. Bernard Lavergne, Munich – Défaite des Démocraties, Paris 1939, S. 13–15.

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der europäischen Öffentlichkeit zu Unrecht ignorierten Transfer von Lausanne als vorbildlich und stellte ihm das neue deutsch-italienische Abkommen über Südtirol vom Sommer 1939 an die Seite.47 Dennoch dürften die Vorschläge des späteren antisemitischen Vichy-Kollaborateurs Montandon auf die Vertreibungsplanungen der Alliierten kaum Auswirkungen gehabt haben. Anders verhielt es sich mit den Ideen des Antifaschisten Lavergne, die sich 1941 der tschechoslowakische Exil-Präsident zu eigen machte. Edvard Beneš bedauerte öffentlich, dass es nicht schon 1918/19 möglich gewesen sei, in Mittel- und Osteuropa national homogene Staaten mit Hilfe jenes „extensiven Bevölkerungstransfer[s]“ durchzuführen, wie ihn Lavergne nun vorgeschlagen habe.48 Bei einer Neuordnung Europas nach dem Sieg über Hitler müsse jedenfalls das Problem der Minderheiten „systematischer und radikaler“ gelöst werden als zwei Jahrzehnte zuvor in Versailles.49 Trotz der bekannten Selbstkritik des damaligen britischen Außenministers Lord Curzon am von ihm mitgestalteten Abkommen von Lausanne scheint insbesondere unter britischen Politikern eine günstige Bewertung dieses Bevölkerungstransfers vorgeherrscht zu haben. Churchills lobende Bezugnahmen darauf im Zweiten Weltkrieg waren in London die Regel, nicht die Ausnahme.50 Und auch der ehemalige griechische Außenminister Nikolaos Politis, der nach dem Ersten Weltkrieg Umsiedlungspolitik aktiv mitgestaltet hatte51, befürwortete 1940 im Pariser Exil die „Beseitigung von Minderheitenproblemen“ durch Transfers; dabei berief er sich nicht nur auf die aktuelle Umsiedlungspolitik Hitlers, sondern auch auf den „Austausch zwischen Griechenland und der Türkei“ von 1923, der im Ergebnis „befriedigend gewesen“ sei. Französische Kritiker widersprachen dem Griechen mit dem Argument, man führe doch Krieg gegen Deutschland, damit „fremdsprachige Bevölkerungsgruppen in den Lebensräumen der dynamischen Völker nicht wie Vieh behandelt würden“.52 Doch die alliierten Staatsmänner folgten lieber der Einschätzung des Tschechoslowaken Beneš, dass Transfers auch unter „dezenten humanen Bedingungen“ möglich seien, wenn man sorgfältig genug plane.53 Die „ordentliche und humane“ Zwangsumsiedlungs-Formel des Potsdamer Abkommens vom Sommer 1945 war hier vorgezeichnet. 47 Georges Montandon, La Pologne future, in: Mercure de France 51 (1940), Nr. 994 vom 1.2.1940, S. 305–320, insb. S. 311, S. 314–317 und S. 319 f.; Vgl. zu Lavergne und insbesondere zu Montandon: Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne, S. 414 f. und S. 419 f. 48 Brandes, Der Weg zur Vertreibung, S. 186. 49 Zitiert nach Oscar I. Janowsky, Nationalities and National Minorities. With Special Reference to East-Central Europe, New York 1945, S. 136. 50 Vgl. Matthew Frank, Expelling the Germans. British Opinion and Post-1945 Population Transfer in Context, Oxford / New York 2007, S. 75 f. 51 Der griechisch-bulgarische Transfervertrag von 1919 basierte laut C.[arlile] A.[ylmer] Macartney, National States and National Minorities, Oxford / London 1934, S. 438, überwiegend auf einem Entwurf von Politis. 52 Brandes, Der Weg zur Vertreibung, S. 68. 53 Ebd., S. 136.

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Am 6. Oktober 1939, als der Sieg Deutschlands über Polen bereits feststand, kündigte der deutsche Diktator im Reichstag „die Herstellung einer Reichsgrenze“ im Osten an, „die den historischen, ethnographischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten gerecht“ würde.54 Gegenüber der polnischen (und jüdischen) Bevölkerung in den annektierten neuen deutschen Ostgebieten schritt das NS-Regime zur sofortigen einseitigen Zwangsumsiedlung in das rest-polnische Generalgouvernement, sofern die bedrohten Menschen nicht sogar durch SS und volksdeutsche Milizen umgebracht wurden. Dort, wo deutsche Minderheiten in anderen Staaten die außenpolitischen Prioritäten des Großdeutschen Reiches störten, war Hitler bereit, auf Gebietsansprüche und Minderheitenschutzrechte zu verzichten, indem er insbesondere seinen Bündnispartnern Mussolini und Stalin vorschlug, in deren Machtbereich lebende Deutsche „ins Reich“ auszusiedeln und auch mit einigen kleineren osteuropäischen Staaten solche Verträge abschloss. Insgesamt wurden dadurch „fast eine Million Auslandsdeutsche“ ins kriegführende Großdeutschland Hitlers „umgesiedelt“.55 Verstreut lebende „Splitter deutschen Volkstums“ sollten dadurch ins Kernvolk zurückgezogen werden und damit der „Festigung deutschen Volkstums“ dienen.56 Die außenpolitische Beruhigung, die Hitler nicht als Friedenspolitiker, sondern als kurzfristig triumphierender Kriegsherr zwischen 1939 und 1941 damit in Osteuropa bezweckte, zielte nicht auf jene hilflosen Kleinstaaten, mit denen er Umsiedlungsverträge schloss; Für Hitler zählte nur die Konfliktvermeidung mit seinem zeitweiligen Bündnispartner in Moskau. Sobald die Sowjetunion Feindstaat war, wurde die bilaterale Umsiedlungspolitik für Hitler nahezu obsolet. Nach dem Angriff auf die Sowjetunion ging es um rücksichtslose Kolonisierung nach Maßgabe der in „Mein Kampf “ skizzierten „Bodenpolitik der Zukunft“ – einer Zukunft, die Gegenwart zu werden schien. Massenhafte Bevölkerungsbewegungen wurden seither nicht mehr zweiseitig vereinbart, sondern einseitig diktiert. Ein uns Deutschen besonders nahe liegendes Beispiel für solche einseitig verfügten Zwangsumsiedlungen ist das Schicksal der Polen unter der NS-Herrschaft. Nach dem treffenden Urteil des polnischen Historikers Włodzimierz Borodziej war „die am weitesten verbreitete Form von Terror“, den die Deutschen während des Zweiten Weltkrieges im besetzten Polen verübten, „die Vertreibung“. Davon waren besonders polnische (und jüdische) Bewohner des 1939 an Deutschland angeschlossenen „Reichsgaues Wartheland“, der Region um Posen, betroffen. Dorthin wurden zwischen 1940 und 1944 nicht nur 85 % aller 630.000 „volksdeutschen Umsiedler“ dirigiert, die Hitler aus Osteuropa „heim ins Reich“ holen ließ. Von dort wurden auch im Gegenzug, um Platz für diese Volksdeutschen zu schaffen, 928.000 Polen ins östlich gelegene „Generalgouvernement“ vertrieben. Und dort wiederum fielen weitere 100.000 Polen zwischen 1942 und 1944 Himmlers Um54 Hohlfeld, Dokumente der deutschen Politik, Bd. V, S. 137. 55 Nitschke, Vertreibung und Aussiedlung, S. 52 f., die diese bilateralen Verträge als „internationale Abkommen“ bezeichnet. 56 Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne, S. 472.

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siedlungsprojekt in Zamość zum Opfer. Etliche weitere Polen wurden zur selben Zeit – insbesondere zwischen 1939 und 1941 – zu Opfern stalinistischer Deportationen ins Innere der Sowjetunion, während der sowjetische Geheimdienst gezielte Massaker an Offizieren und Angehörigen sozialer Eliten verübte. 1944 sollte sich Stalin seiner Umsiedlungsverträge mit Hitler erinnern und die von ihm eingesetzte kommunistische Marionettenregierung des befreiten Polen dazu nötigen, einen bilateralen Transfer-Vertrag zur Umsiedlung von rund zwei Millionen ethnischen Polen aus den sowjetischen Gebieten Vorkriegs-Polens ins nach Westen verschobene Nachkriegs-Polen zu unterzeichnen, während im Gegenzug etliche Ukrainer und Litauer aus Polen in die UdSSR umgesiedelt wurden.57 Hitlers Gewaltpolitik hat auch in Südosteuropa überall ethnische Konflikte geschürt und ethnische „Säuberungen“ ausgelöst oder ermutigt. Nicht nur in Siebenbürgen erfolgten zwischen 1940 und 1943 unter deutscher Oberherrschaft wechselseitige Zwangstransfers von Hunderttausenden Ungarn und Rumänen – infolge der von Deutschland und Italien im „Zweiten Wiener Schiedsspruch“ verfügten Grenzveränderungen. Ebenfalls mit Hilfe Hitlers dehnte sich Bulgarien 1941 auf Kosten Jugoslawiens in Mazedonien aus, was die Vertreibung vieler Serben zur Folge hatte. Auch Flucht oder Vertreibung von über 90.000 Griechen aus Ost-Mazedonien und Westthrazien waren die Folge der Besetzung durch Bulgarien, das dort ab 1941 122.000 Bulgaren anzusiedeln versuchte. Bereits im September 1940 waren Zwangsmigrationen in der südlichen Dobrudscha erfolgt, einer Region, die 1913 von Rumänien erobert worden war und auf Druck Hitlers 1940 teilweise an Bulgarien zurückgegeben werden musste. In diesem Falle gab es einen regelrechten Vertrag über Bevölkerungsaustausch, der in Craiova am 7. September 1940 geschlossen wurde. In Folge dessen mussten 62.000 Bulgaren die bei Rumänien bleibende nördliche Dobrudscha verlassen, während 110.000 Rumänen aus dem Südteil dieses Schicksal in umgekehrter Richtung traf.58 Wie sich ältere ethnische Konflikte mit der von Hitler freigesetzten Gewalteskalation auf schlimmste Weise verbinden konnten, demonstriert vor allem die Entwicklung in Jugoslawien. Bereits nach Errichtung des (erst später so genannten) Königreichs Jugoslawien 1918/19 hatte die regierende serbische Elite Hunderttausende von Kosovo-Albanern ins benachbarte Albanien vertrieben. Zugleich organisierte Belgrad eine serbische Siedlungspolitik, die mit der Enteignung albanischer Grundbesitzer einherging, aber dennoch enttäuschend geringfügig blieb. In Belgrad wuchs die Neigung, die Ansiedlungspolitik durch Zwangstransfers zu ergänzen oder gar zu ersetzen. Seit 1933 führte die Regierung Verhandlungen mit 57 Vgl. Włodzimierz Borodziej, Einleitung, in: Ders. / Hans Lemberg (Hg.), „Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden…“ Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945–1950. Dokumente aus polnischen Archiven, Bd. 1: Zentrale Behörden / Wojewodschaft Allenstein, bearbeitet von Włodzimierz Borodziej und Claudia Kraft, Marburg 2000, S. 37–114, und Ders., Geschichte Polens im 20. Jahrhundert, München 2010. 58 Vgl. Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne, und Vladimir Solonari, Purifiyng the Nation. Population Exchange and Ethnic Cleansing in Nazi-Allied Romania, Baltimore 2010.

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Ankara über einen Bevölkerungstransfer muslimischer Albaner; im Juli 1938 kam tatsächlich ein Abkommen über die Aussiedlung von 40.000 Familien in die Türkei zustande, das bis 1944 hätte realisiert werden sollen, durch den Zweiten Weltkrieg jedoch Makulatur blieb. Zudem lagerte in Regierungsschubladen seit März 1937 eine Denkschrift über „die Vertreibung der Albaner“, die der nationalistische Historiker Vasa Čubrilović verfasst hatte – ein Mitglied jener Terrorgruppe, die 1914 das österreichisch-ungarische Thronfolgerpaar ermordet hatte. Čubrilović verwies darauf, dass alle übrigen Balkanländer seit 1912 das Problem unerwünschter nationaler Minderheiten durch „Umsiedlung“ zu lösen versucht hätten. Auch für Serbien-Jugoslawien bleibe beim Albaner-Problem „nur ein einziger Weg, die Massenvertreibung“. Internationale Proteste dürften Belgrad nicht davon abhalten, zumal „sich die Weltöffentlichkeit an weit Schlimmeres gewöhnt“ habe  – etwa wenn Deutschland Zehntausende von Juden vertreibe oder Sowjet-Russland Millionen von Menschen von einem Ende des eurasischen Kontinents zum anderen deportiere. Wegen der „Vertreibung von einigen Hunderttausend Albanern“, so Čubrilović zynisch, werde schon kein Zweiter Weltkrieg ausbrechen. Der Zweite Weltkrieg brachte, als Hitler ihn dann tatsächlich aus ganz anderen Gründen 1941 auf den Balkan trug, einen neuen Höhepunkt ethnischer Gewalt. Der deutsch-italienische Angriff hatte den jugoslawischen Staat zerschlagen und aufgeteilt. Durch die Schaffung eines faschistischen Ustaša-Staates in Kroatien und Bosnien-Herzegowina wurden viele Serben und Juden den dortigen Machthabern wehrlos ausgeliefert. Zugleich verschärfte die NS-Politik die ethnischen Konflikte in der Region, indem Hitler 1941 aus dem annektierten Reichsgebiet Krain 80.000 Slowenen nach Kroatien deportieren ließ. Kroatien reagierte mit der massenhaften Abschiebung von Serben, um Platz für die ihm aufgezwungenen Slowenen zu schaffen. Das von der Wehrmacht besetzte Serbien verweigerte jedoch die Aufnahme der kroatischen Serben, woraufhin die Kroaten die hilflosen Menschen einfach umbrachten. Das Massaker löste einen Aufstand der Serben in Kroatien aus, dem neben Kroaten auch volksdeutsche Siedler zum Opfer fielen. Daraufhin setzte die kroatische Regierung die 1,9 Millionen Serben im Lande einer rücksichtslosen Politikmischung aus Völkermord, Vertreibung und Zwangsassimilation aus. Gleichzeitig wurden durch deutsche, kroatische und muslimische Täter 65.000 der 75.000 jugoslawischen Juden umgebracht. In absoluten Zahlen stellen eine halbe Million Serben die größte Gruppe an Ermordeten. Zugleich wurden rund 300.000 Serben aus dem an Bulgarien gelangten Nord-Mazedonien, aus dem von Deutschland annektierten Slowenien und aus dem faschistischen Kroatien vertrieben. Als im November 1944 die kommunistischen Partisanen Titos im Zusammenwirken mit der sowjetischen Roten Armee Belgrad befreiten, wartete dort bereits der ebenfalls befreite serbische Nationalist Professor Čubrilović, der zwischenzeitlich von den Deutschen eingekerkert worden war. Čubrilović präsentierte Tito eine Denkschrift zum „Minderheitenproblem im neuen Jugoslawien“, um alle unerwünschten Minderheiten durch Zwangsaussiedlung zu beseitigen – allen voran Deutsche und Ungarn, aber auch die Albaner, denen er dieses Schicksal

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schon vor dem Zweiten Weltkrieg hatte bereiten wollen. Der nationalistische Wissenschaftler sah sich im europäischen Trend: Nicht nur die Deutschen und ihre Verbündeten hätten ganze Völker vertrieben, auch die Alliierten hätten sich diese Politik zu Eigen gemacht. Daher habe auch Jugoslawien das Recht auf Vertreibung unerwünschter Minderheiten. Der Verfasser dieser Denkschrift erhielt zwischen 1945 und 1948 die Chance, als Minister der Tito-Regierung an der Umsetzung dieses „Säuberungs“-Programms mitzuarbeiten. Čubrilović, der erst 1990 im Alter von 93 Jahren starb, befürwortete bis zuletzt eine aktive staatliche Politik der Vertreibung oder Zwangsaussiedlung der Kosovo-Albaner und trug damit zur radikalen „Säuberungs“-Politik des serbisch-jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević in den 1990er Jahren bei.59

3. Die umfangreichste Einzel-Maßnahme in Europa: Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg Mit insgesamt zwischen zwölf bis fünfzehn Millionen Opfern ist die Vertreibung der Deutschen die mit Abstand größte ethnische „Säuberung“ in der Geschichte Europas; weltweit in vergleichbarem Ausmaß bewegte sich die gleichzeitige Flucht und Vertreibung von Millionen Muslimen oder Hindus, die im Zuge der Teilung des britischen Kaiserreiches Indien in die unabhängigen Nachfolgestaaten Indien und Pakistan 1947/48 erfolgte.60 Insofern ist die globalhistorische Bedeutung der 1940er Jahre als bisheriger schlimmer Höhepunkt moderner Zwangsmigrationen nicht zu verkennen. Bis heute ist, wie der irisch-amerikanische Historiker Ray M. Douglas feststellt, „bei deutschen wie nichtdeutschen Forschern“ ein „Widerwille“ spürbar, dieser Vertreibung jenen hohen Stellenwert einzuräumen, den sie in diversen „Nationalgeschichten“, aber auch in der „gesamteuropäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts“ verdient. Viele Deutsche tendieren laut Douglas dazu, das Thema zu umgehen, weil es unweigerlich eine Debatte über die NS-Vorgeschichte provoziere. „Für Polen, Tschechen und Slowaken“ untergrabe die Deutschen-Vertreibung wiederum „eine Reihe nationaler Erzählungen, in denen Deutsche ausschließlich als Täter und die eigenen Völker ausschließlich als Opfer erscheinen“. Für Bürger*innen der USA und Großbritanniens schließlich werfe die Vertreibung der Deutschen um 1945 unangenehme „Fragen nach der Mitwirkung ihrer Staatsführer und Völker an einem der größten Fälle massenhafter Menschenrechtsverletzungen in der modernen Geschichte“ auf. Douglas konstatiert hierbei „zumindest in einigen Aspekten eine verstörende Ähnlichkeit mit Teilen der Versuche 59 Vgl. Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne, und Louis Sell, Slobodan Milošević and the Destruction of Yugoslavia, Durham, NC 2002, S. 384, Anm. 21. 60 Vgl. Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne, S. 597, mit unterschiedlichen Schätzungen der indisch-pakistanischen Opfer, die zwischen rund zehn und rund achtzehn Millionen schwanken.

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NS-Deutschlands“ während des Zweiten Weltkrieges, „das demographische Ge-

sicht des Kontinents zu verändern“.61 Auch hierbei darf und kann, wie Douglas anhand seiner Analyse des osteuropäischen Systems von Internierungslagern für Deutsche zeigt, „keine stichhaltige Parallele selbst zwischen den schlimmsten Nachkriegslagern und den deutschen KZ der Kriegszeit“ mit ihrer NS-Massenmordpolitik gezogen werden. Und dennoch dürften die NS-Verbrechen umgekehrt nicht dazu instrumentalisiert werden, „massenhafte Menschenrechtsverletzungen“ der Sieger über Hitlers Deutschland nicht ihrerseits klar zu benennen.62 Zwischen 1944 und 1950 waren 15 Millionen Deutsche von Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung betroffen; 12 Millionen hatten, wie die Volkszählungen beider deutscher Nachkriegsstaaten 1950 ergaben, diese gewaltige ethnische „Säuberung“ langfristig überlebt. Acht dieser zwölf Millionen Vertriebenen befanden sich damals in der Bundesrepublik, vier Millionen in der DDR, 430.000 in Österreich, 120.000 waren nach Übersee ausgewandert. Diese massenhafte Aufnahme von Vertriebenen im Nachkriegsdeutschland glich die ungeheuren Kriegsverluste dort mehr als aus – denn auf dem verkleinerten Territorium der 1990 vereinigten Bundesrepublik wuchs die Bevölkerung zwischen 1939 und 1949 von 59 Millionen auf 68 Millionen an. Die größten Veränderungen gab es in der sowjetischen Zone, denn mit 24 % lag dort der Vertriebenenanteil deutlich höher als in Westdeutschland, wo er 1949 nur knapp 16 % erreichte. Überall gab es große regionale Unterschiede: Während die französische Besatzungsmacht in ihrer Zone die Aufnahme von Vertriebenen möglichst verhinderte, waren das britisch besetzte Schleswig-Holstein (31 %) und Niedersachsen (27 %) durch sehr hohe Vertriebenenanteile geprägt, gefolgt von den amerikanisch besetzten Ländern Bayern (21 %) und Hessen (17 %). In der sowjetischen Zone reichte der Vertriebenenanteil von 43 % in Mecklenburg-Vorpommern bis zu 17 % in Sachsen. Überall wurden die Vertriebenen primär in ländlichen Gegenden untergebracht, was angesichts der Abschließungstendenz dörflicher Gesellschaften große Hindernisse für ihre Integration erwarten ließ – auch wenn diese „Durchmischung“ langfristig zur Modernisierung der ländlichen Räume entscheidend beitrug. Infolge der konfliktreichen Lage in den Dörfern machte sich frühzeitig um 1950 eine Abwanderung in die Städte bemerkbar. Neben solcher Binnenwanderung, die zum Teil auch zu einer staatlich gelenkten „Binnenumsiedlung“ wurde, spielte in der SBZ / DDR zwischen 1949 und 1961 auch die Abwanderung in die Westzonen, von der SED-Diktatur als „Republikflucht“ verunglimpft und verfolgt, eine bedeutende Rolle. Bis zum Mauerbau verließen drei Millionen Menschen die DDR, darunter rund ein Drittel Vertriebene.63 61 Ray M. Douglas, „Ordnungsgemäße Überführung“. Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, München 2012, S. 14 f. 62 Ebd., S. 199. 63 Vgl. Michael Schwartz, Vertriebene und „Umsiedlerpolitik“. Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ / DDR 1945 bis 1961, München 2004.

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Obwohl es sich bei der Aufnahme der Vertriebenen um eine Zwangsmigration „in das Gebiet des eigenen Volkes“ handelte, erinnerte zeitgenössische Soziologen wie Eugen Lemberg „vieles“ an eine „Einwanderung unter fremde Völker“. Der im ersten Nachkriegs-Jahrzehnt unübersehbare Konflikt zwischen vertriebenen und alteingesessenen Deutschen trug laut Lemberg „deutliche Züge eines Nationalitätenkampfes und eines Klassengegensatzes“.64 Es gab folglich sowohl scharfe Auseinandersetzungen wegen kultureller Fremdheit unter Deutschen als auch wegen tiefgreifender materieller Interessensunterschiede. Dadurch folgte für viele Vertriebene auf den schweren Schock ihrer Vertreibung ein zweiter Schock der Ankunft – die tiefe Enttäuschung, unter Landsleuten nicht die erwartete solidarische Aufnahme zu finden, sondern massiv diskriminiert zu werden. Heute geht man davon aus, dass sich neben traditioneller Fremdenfeindlichkeit – die in den Dörfern stärker ausgeprägt war als in migrationserfahrenen Industriestandorten – auch der in der NS-Zeit geschürte antislawische Rassismus nach 1945 gegen die Vertriebenen aus dem „Osten“ richtete, die damals häufig als „Pollacken“ oder „Zigeuner“ beschimpft und nicht selten in den früheren Fremdarbeiter-Baracken des NS-Regimes untergebracht wurden. Die westdeutsche Vertriebenenforschung stellte erst um 1960 eine „Auflösung der Fronten“ für beide deutsche Gesellschaften fest.65

4. Fazit Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Ohne die ebenso gewalttätige wie umfassende Umsiedlungspolitik Hitler-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, die in Osteuropa zu Lasten von Millionen Juden, Polen und Russen rücksichtslos durchgeführt wurde und im Falle der jüdischen Opfer in millionenfachen Völkermord mündete, wäre die Enthemmung der alliierten Politik nicht möglich gewesen, die ihrerseits zur Vertreibung oder Zwangsumsiedlung von bis zu fünfzehn Millionen Deutschen und zahlreichen weiteren Bevölkerungsverschiebungen im Nachkriegs-Europa geführt hat. Zusätzlich spielte hierfür die viel weiter zurückreichende, aber bis 1939 fast nur auf europäische Peripherien angewendete Sozialtechnologie ethnischer „Säuberung“ eine wichtige Rolle, wie sie im Transfervertrag von Lausanne 1923 modellhaft symbolisiert wurde. Wenn wir über die Ursachen dessen diskutieren, was ab 1939 oder ab 1945 geschehen ist, ist daher stets auch diese zwei Jahrzehnte zurückreichende Genealogie moderner ethnischer 64 Eugen Lemberg, Die Ausweisung als Schicksal und Aufgabe, Gräfelfing bei München 1949, S. 25. 65 Vgl. Michael Schwartz, Assimilation versus Incorporation. Expellee Integration Policies in East and West Germany after 1945, in: Manuel Borutta / Jan C. Jansen (Hg.), Vertriebene and Pieds-Noirs in Postwar Germany and France. Comparative Perspectives, New York 2016, S. 73–94, und Andreas Kossert, Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945, Bonn 2015.

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„Säuberungs“-Politik in ihren globalen Zusammenhängen und Wechselwirkungen zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund entzweit derzeit die Frage nach der angemessenen öffentlichen Erinnerungskultur an die Vertreibung der Deutschen nach 1945 nicht nur die deutsche Gesellschaft, in der immer noch manche von einer Einbeziehung der Vertreibungserinnerung eine Relativierung der NS-Verbrechen befürchten, sondern auch die Deutschen und ihre an der damaligen Vertreibung beteiligten osteuropäischen Nachbarn und deren Öffentlichkeiten. Was die deutsche Binnendimension dieses Streites betrifft, geht es heute intensiver als zuvor um die kritische Aufarbeitung der Vertriebenenintegration, die eben nicht nur eine großartige Erfolgsgeschichte war, sondern auch eine lang anhaltende demütigende Erfahrung der Ankunft in einer wenig solidarischen „Kalten Heimat“ nach der Vertreibung.66 Zum anderen geht es in europäischer Dimension um Verständigung zwischen Deutschen und ihren Nachbarn, den „Vertreibernationen“ von 1945, die vorher selbst Opfer der deutschen NS-Gewaltpolitik gewesen sind. Hier gilt noch immer, was der aus dem Sudetenland vertriebene und unterdessen verstorbene Sozialdemokrat Peter Glotz vor einiger Zeit bemerkte: „Das Thema verlangt eine neue – offenere – Sprache. Wir müssen unsere Verletzungen zeigen, damit die andere Seite die ihren zeigt. Nur so ist Verständigung möglich.“67 Dies trifft auf alle Fälle ethnischer „Säuberung“ und die damit meist verbundenen Rollenwechsel zwischen Tätern und Opfern zu. Der von der neuesten Forschung herausgearbeitete Mechanismus des Rollenwechsels ist eine der wichtigsten Erkenntnisse zur Geschichte ethnischer „Säuberungen“ im 19. und 20. Jahrhundert.68 Solche Rollenwechsel erfolgten leicht, sobald sich die Machtverhältnisse eines Krieges oder Bürgerkrieges grundlegend änderten: Denn ein solcher Wandel erzeugte kein „Vakuum“, sondern vielmehr den rapiden Wechsel von Macht und Ohnmacht von der einen zur anderen Konfliktpartei. Man kann diesen Mechanismus in fast jedem Fall ethnischer „Säuberung“, wo ein Machtwechsel auftritt, nachweisen: Die Deutschen, die bis 1945 geduldet oder daran mitgewirkt hatten, dass jüdischen Mitbürger*innen ein „Judenstern“ und polnischen Zwangsarbeitern*innen ein „P“ auf die Kleidung gezwungen wurde, erfuhren mit ihrer Kriegsniederlage in Ostdeutschland und Osteuropa, dass die polnischen oder tschechischen Begünstigten des Sieges der Alliierten nun sie als Besiegte und Entrechtete mit einem „N“ (slawisch für „Deutscher“) oder schlicht mit einem Hakenkreuz stigmatisierten. Die ethnischen „Säuberungen“ um 1945 waren die Konsequenz der vorangegangenen deutschen NS-Verbrechen. Sie waren aber ebenso der Höhepunkt einer seit einhundert Jahren erwiesenen wechselseitigen Unfähigkeit europäischer 66 Vgl. hierzu Schwartz, Vertriebene und „Umsiedlerpolitik“, und Kossert, Kalte Heimat. 67 Peter Glotz, Die Vertreibung. Böhmen als Lehrstück, Berlin 2004, S. 14. 68 Vgl. James Sheehan, Kontinent der Gewalt. Europas langer Weg zum Frieden, München 2008, S. 83; Michael Mann, The Dark Side of Democracy. Explaining Ethnic Cleansing, Cambridge 2004, S. 9, und Benjamin Lieberman, Terrible Fate. Ethnic Cleansing in the Making of Modern Europe, Chicago 2006, S. 136 f.

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Michael Schwartz

Völker, ihr multiethnisches Zusammenleben in den Umbrüchen unserer Moderne friedlich zu organisieren. Obwohl mit dem zwischen 1912 und 1922 erfolgten Zusammenbruch der traditionellen Vielvölkerreiche in Ost- und Südosteuropa – des zaristischen Russland, der Habsburgermonarchie, des Osmanischen Reiches  – scheinbar das Prinzip nationaler Selbstbestimmung triumphiert hatte, waren ab 1918/19 keine Nationalstaaten an die Stelle der Großreiche getreten, sondern neue, nur etwas kleinere Vielvölkerstaaten – Polen, die Tschechoslowakei, Jugoslawien oder Rumänien. Der Versuch des Völkerbundes, völkerrechtliche Minderheitenschutzgesetze in den neuen Staaten zu verankern, hatte wenig Erfolg, da den meisten Beteiligten der Wille zu Kompromiss und Toleranz fehlte. Hitler ruinierte dieses Schutz-System endgültig, indem dessen „Großdeutsches Reich“ versuchte, ein System ethnischer „Säuberung“ in Osteuropa einseitig und brutal zu erzwingen. Mit der deutschen Niederlage wandte sich diese Macht-Logik gegen ihre deutschen Urheber, denn unterdessen war sie auch von den Alliierten und deren osteuropäischen Verbündeten akzeptiert worden. Die unabhängig davon existente sowjetische Tradition der Massendeportation, die ab 1941 massiv die Russlanddeutschen und dann zahlreiche andere vermeintlich unzuverlässige Völker der UdSSR getroffen hatte, begünstigte diesen Umschlag ebenso wie die schon ältere Denktradition der britischen Regierungselite mit ihrer Bereitschaft zu einer „total expulsion“ zwecks Konfliktbereinigung und Friedenssicherung nach dem Muster von Lausanne, der sich auch die US-Amerikaner nicht verschlossen. Nicht im Falle der nach Kriegsende weithin verhassten Deutschen, sondern in einem Parallelfall forcierter Zwangsaussiedlung gelangte die Mitwirkung der alliierten Großmächte schließlich an ihr Ende. Stieß der Konsens der angelsächsischen Mächte und der Sowjetunion bereits bei der Durchführung der Zwangsumsiedlung der Deutschen 1946/47 an Grenzen, so war dies erst recht bei den immer weiter gehenden tschechoslowakischen Forderungen nach vollständiger Aussiedlung der ungarischen Minderheit der Fall, die schließlich gestoppt werden musste.69 Dies führte alsbald zu einer signifikanten Veränderung der Haltung der Großmächte. Hatte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend ein „Regime of Ethnic Separation“ dominiert, so erfolgte in den frühen 1950er Jahren ein abrupter Umschwung: Seither galt die ethnische Trennung von Bevölkerungs­ gruppen plötzlich nicht mehr als probates Mittel europäischer Stabilitätspolitik.70 Die kurz zuvor noch als Königsweg erscheinende und entsprechend breit angewandte Gewaltpolitik wurde ersetzt durch eine Politik der europäischen Integration in Westeuropa und durch eine kommunistisch-totalitäre, partiell ethnoföderalistisch grundierte Integration in Osteuropa. Freilich wurde eine Politik ethnischer Entmischung auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fallweise wiederbelebt und weitergeführt – sei es in Zypern in den 1970er Jahren, 69 Vgl. Matthew Frank, Making Minorities History. Population Transfer in Twentieth-Century Europe, Oxford 2017, S. 288–329. 70 Lynn Tesser, Ethnic Cleansing and the European Union. An Interdisciplinary Approach to Security, Memory and Ethnography, New York 2013, S. 5 und S. 35.

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sei es in den post-jugoslawischen Konfliktzonen der 1990er Jahre71. Gleichwohl ist der Paradigmenwechsel von einer „säubernden“ Politik ethnischer Separation, die vor allem in den Gewaltjahrzehnten zwischen 1913–1923 und 1939–1949 verortet werden kann, und der später von der Europäischen Union favorisierten Politik ethnischer Re-Integration zuvor „entmischter“ Gebiete seit dem späten 20. Jahrhundert signifikant.

71 Vgl. ebd., S. 183.

Helge Heidemeyer

Die Bundesrepublik Deutschland und die DDR als Aufnahmeländer politischer Flüchtlinge in den 1950er und 1960er Jahren 1. Einleitung Migration stellt eine historische Konstante dar – global, aber auch im europäischen und deutschen Rahmen. Große Enzyklopädien legen Zeugnis davon ab, dass dies auch in der Geschichtswissenschaft ein Thema ist.1 Auch nach der Zäsur des Zweiten Weltkriegs und der darauf folgenden Blockbildung hielten – nach den erzwungenen Bevölkerungsverschiebungen2  – Migrationsbewegungen an. Im Fokus dieses Beitrags stehen solche, die über die Blockgrenzen hinweg führten – indem die Menschen bewusst den Eisernen Vorhang überwanden oder ihn einfach ignorierten. Das Erkenntnisinteresse ist dabei ein Doppeltes: Zum einen wird nach den Bedingungen gefragt, den der Aufnahmestaat den Ankommenden bot. Förderte er die Integration der Zuziehenden oder beschränkte er sich auf basale Versorgungsmaßnahmen  – mit der mehr oder weniger artikulierten Erwartung, dass die Migrant*innen in ihr Herkunftsgebiet zurückkehren würden, sobald sich dort die Verhältnisse veränderten? Zum anderen blickt der Beitrag auf die Integrationsbereitschaft der Ankommenden. Haben die Menschen bewusst Wurzeln geschlagen, wenn ihnen die Gelegenheit dazu gegeben wurde, oder waren sie stets rückkehrorientiert? In welchem Verhältnis standen diese beiden Faktoren zueinander? Im Mittelpunkt steht dabei die – gut untersuchte3 – Migration zwischen den beiden deutschen Staaten. Sie bildet gleichzeitig die Hintergrundfolie für den Blick auf Wanderungsbewegungen aus anderen Ländern in die Bundesrepublik oder in die DDR. 1 Vgl. Klaus J. Bade u. a. (Hg.), Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 2007, und Jochen Oltmer (Hg.), Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin / Boston 2016. 2 Vgl. dazu den Beitrag von Michael Schwartz in diesem Band [Anm. d. Red.]. 3 Vgl. Helge Heidemeyer, Flucht und Zuwanderung aus der SBZ / DDR 1945/49–1961. Die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland bis zum Bau der Berliner Mauer, Düsseldorf 1994; Bettina Effner / Helge Heidemeyer (Hg.), Flucht im geteilten Deutschland, Berlin 2005; Damian van Melis / Henrik Bispinck, „Republikflucht“. Flucht und Abwanderung aus der SBZ / DDR 1945 bis 1961, München 2006, und Manfred Gehrmann, Die Überwindung des „Eisernen Vorhangs“. Die Abwanderung aus der DDR in die BRD und nach West-Berlin als innerdeutsches Migranten-Netzwerk, Berlin 2009.

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Helge Heidemeyer

Die Termini Migration und Flucht  – eine spezifische Form der Migration  – werden im Folgenden weitgehend synonym genutzt. Das bietet einige Vorteile, weil es den allgemeinen Sprachgebrauch spiegelt, vermischt aber letztlich eine analytisch-wissenschaftliche Kategorie mit dem alltagssprachlichen und wertenden Begriff der Flucht und des Flüchtlings. Gerade Letzteres wird noch thematisiert werden müssen, weil es in den zeitgenössischen Diskursen über Zuwanderung immer wieder eine oft große Rolle spielte. Ob die Wanderungsbewegungen, die im Folgenden Gegenstand der Analyse sein werden, tatsächlich jeweils politisch motiviert waren oder ob hier nicht auch andere Gründe ausschlaggebend sein konnten, wird zu behandeln sein. Dass alle Migrationsbewegungen, gerade wenn sie eine gewisse Größenordnung besaßen, unabhängig von ihrer Motivation politisch höchst bedeutsam sein konnten und können, steht außer Frage. Schon aus diesem Grund ist es in den meisten Fällen analytisch wenig sinnvoll, scharf zwischen „echter“ Flucht und Arbeitsmigration zu unterscheiden, die als Wirtschaftsmigration negativ belegt ist. Meist werden solche Unterscheidungen eingeführt, um Maßnahmen für Migrant*innen in der autochtonen Bevölkerung mehrheitsfähig zu machen.4 Diese Differenzierung ist aus zwei Perspektiven problematisch: Vom Ursprung her sind die wirtschaftlichen Bedingungen häufig politisch indiziert – wie die sich mehr und mehr öffnende Schere zwischen planwirtschaftlichen und kapitalistischen Staaten in Europa zeigte. Und: Sind wirtschaftliche Existenzvernichtungen weniger gravierend als politische? Von den Auswirkungen her betrachtet ist die Entwicklung von Parallelgesellschaften oder sozialen Inseln für die Aufnahmegesellschaft immer problematisch, gleich welchen Ursprungs die Neubürger*innen sind. Dennoch bleiben bei dieser Betrachtung die eindeutigen Formen der Arbeitsmigration außen vor,5 seien es die DDR-„Vertragsarbeiter“ aus Vietnam oder Polen oder die zeitgenössisch sogenannten „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik, beispielsweise aus Jugoslawien.

2. Die Bundesrepublik Deutschland als Aufnahmeland 2.1 Flucht aus der DDR Bis zum Ende der deutschen Zweistaatlichkeit 1990 verließen etwa 4 Millionen Men­schen die DDR.6 Die exakte Größe dieser Personengruppe lässt sich nicht bestimmen, da die jeweiligen Statistiken unterschiedliche Werte ermittelten und zum Teil gravierende Fehlerquellen aufweisen.7 Allein in der Bundesrepublik erfassten sowohl die Wanderungsstatistik als auch die Notaufnahmestatistik die Zuwander*innen aus der DDR, hinzu kam als östliches Spiegelbild die Auswande4 5 6 7

Vgl. Heidemeyer, Flucht, S. 336. Vgl. dazu den Beitrag von Carlos Sanz Díaz in diesem Band [Anm. d. Red.]. Vgl. Effner / Heidemeyer, Flucht im geteilten Deutschland, S. 27–31. Vgl. Heidemeyer, Flucht, S. 37–48, und van Melis / Bispinck, „Republikflucht“, S. 18.

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rungsstatistik der DDR. Bei der Nennung von Werten zur Flucht aus der DDR muss also jeweils sorgfältig angemerkt werden, welche der einschlägigen Zahlenwerke wiedergegeben werden und welche Verzerrung ihnen jeweils inhärent ist. Die Zuwanderung aus der DDR in die Bundesrepublik war keine gleichförmige Bewegung, sie weist Höhen und Tiefen auf. Neben saisonalen Schwankungen gab es eindeutige Höhepunkte der Fluchtbewegung in den Jahren 1952/53 und 1960/61 sowie 1989/90. Die frühen Spitzenwerte wurden immer dann erreicht, wenn der politische Druck in der DDR groß war, die Zügel besonders fest angezogen wurden oder sich die internationale Lage krisenhaft zuspitzte.8 In den Jahren zwischen 1952 und 1961 konzentrierte sich die Abwanderung aus der DDR zudem schwerpunktmäßig auf Berlin, denn im Mai 1952 hatte die ostdeutsche Regierung die innerdeutsche Grenze abgeriegelt. Ein relativ gefahrloser Übertritt von Ost nach West war somit nur noch in Berlin möglich, wo durch den Viermächtestatus andere Rahmenbedingungen galten und die Sektorengrenzen passierbar blieben. Der 13. August 1961 stellt fraglos den tiefsten Einschnitt für die Fluchtbewegung aus der DDR dar. Das verdeutlichen schon einige wenige Zahlen aus dem Berliner Notaufnahmelager: meldeten sich im Juli 1961 – ein Monat mit einer extrem hohen Zahl an Antragsteller*innen – mehr als 30.000 Menschen im Notaufnahmelager für DDR-Flüchtlinge in Berlin-Marienfelde, so waren es in den Jahren 1962 und 1963 nur noch etwa 60 Anmeldungen pro Monat.9 Nach einem Intermezzo im Jahr 1984, in dem das SED-Regime in Reaktion auf den Milliardenkredit, den der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß eingefädelt hatte, viele Ausreiseanträge genehmigt hatte, stieg die Zahl der Ankommenden im Westen erst ab 1988 wieder an – bis die Berliner Mauer fiel und alle Dämme brachen.10 Die Bundesrepublik hatte seit ihrer Gründung als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches den Anspruch erhoben, für alle Deutschen zu sprechen. Die Präambel des Grundgesetzes war ein eindeutiges Bekenntnis zur Einheit der deutschen Nation, und dieser Umstand besaß stets große Bedeutung für die Bundespolitik. Aus der Fokussierung auf Deutschland als Ganzes ergab sich als logische Folgerung die Nichtanerkennung der DDR als eigenständiger Staat. Für die Menschen in der DDR bedeutete dies, dass sie nie als Ausländer, sondern stets als Deutsche im Sinne des Grundgesetzes und somit als Bundesbürger*innen angesehen wurden, gleichgültig, wo sie sich aufhielten. Dies hatte konkrete Auswirkungen auf die Praxis der Flüchtlingsaufnahme: Erstens genossen Flüchtlinge aus der DDR als Deutsche prinzipiell Freizügigkeit in der Bundesrepublik und West-Berlin. Gerade im Nachkriegsdeutschland war diese allerdings zwischen den Besatzungszonen und für viele vom Bombenkrieg besonders betroffene Regionen eingeschränkt, insbesondere in den großen und 8 Vgl. Heidemeyer, Flucht, S. 58–62. 9 Vgl. Helge Heidemeyer, 1961 – „Antifaschistischer Schutzwall“ oder „Bankrotterklärung des Ulbricht-Regimes“?, in: Udo Wengst / Hermann Wentker (Hg.), Das doppelte Deutschland. 40 Jahre Systemkonkurrenz, Berlin 2008, S. 87. 10 Vgl. Effner / Heidemeyer, Flucht im geteilten Deutschland, S. 28.

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weitenteils zerstörten Industriestädten. Die wiederum hatten aber den größten Bedarf an Arbeitskräften. Aufgabe des später zu behandelnden Notaufnahmeverfahrens mit seinem eigenen Verteilungsmodus war es, diese widerstreitenden Bedingungen auszugleichen. Zweitens führte der Gesetzgeber mit dem genannten Notaufnahmeverfahren zwar eine obligatorische Prüfung ein, ob der Antragsteller aus zwingenden Gründen aus der DDR geflohen und deshalb in der Bundesrepublik aufzunehmen sei. Das Recht des Aufenthalts in der Bundesrepublik war von dieser Prüfung jedoch nicht abhängig. Dementsprechend waren auch nach einem negativen Ergebnis des Aufnahmeverfahrens keine Rückführungen oder Abschiebungen möglich. Dem standen neben den juristischen Hürden auch praktische Erfahrungen entgegen: Die US-Militärbehörden hatten auf Drängen der bayerischen Landesregierung 1947 einzelne Rückführungen realisiert. Diese Bemühungen brachen jedoch schnell ab. Einerseits, weil die US-Militärs dieses Vorgehen einer zwangsweisen Abschiebung ablehnten, wohl aus moralischen wie aus praktischen Gründen: Jeden Halt des Zuges nutzten die Rückzuführenden nämlich dazu, die Waggons wieder zu verlassen. Andererseits verweigerte die sowjetische Militärverwaltung, die Züge mit den Abgeschobenen in ihre Zone einfahren zu lassen. Nur den ersten Zug hatte sie passieren lassen.11 Das Thema Rückführungen wurde bei der Beratung des Notaufnahmegesetzes zwar noch einmal aufgegriffen, aber sehr schnell – und endgültig – auch wieder fallen gelassen.12 Juristisch hatte die Flucht aus der DDR in der Bundesrepublik keinen Berührungspunkt mit dem Asylrecht, da dieses auf fremdnationale Zuwander*innen abzielte. Die Kriterien des Asylrechts hätten wohl eine große Zahl der DDR-Flüchtlinge ohne­hin nicht erfüllt. Denn neben den politisch Verfolgten gab es eine Reihe privater oder wirtschaftlicher Motive, die DDR zu verlassen.13 Zudem gilt: Je früher die Migration stattfand, desto mehr hatte sie den Charakter einer Binnenwan­ derung, die den neuen Rahmen der SBZ / DDR nicht anerkannte  – zumal es Freizügigkeitsbeschränkungen zunächst auch zwischen den und innerhalb der westlichen Besatzungszonen gab. Gerade dieses spezielle Setting aus rechtlichen, politischen und mentalen Rahmenbedingungen macht die Zuwanderung aus der DDR so besonders. Eine angemessene Verteilung der aus der SBZ zuströmenden Menschen wurde schon früh als notwendig erkannt, da diejenigen, die keine Arbeitsstelle oder familiären Anlaufpunkt besaßen, in den unmittelbaren Grenzregionen verblieben. Dort stellten sie ein gravierendes sozialfürsorgerisches Problem dar. Erste Regelungen zu ihrer Verteilung auf die unterschiedlichen Regionen wurden schon in 11 Vgl. Helge Heidemeyer, The Number of Infiltrees is Substantial. Die Politik der amerikanischen Besatzungsmacht gegenüber den Zuwanderern aus der SBZ 1945–1949, in: Sylvia Schraut / Thomas Grosser (Hg.), Die Flüchtlingsfrage in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, Mannheim 1996, S. 215–239. 12 Vgl. Heidemeyer, Flucht, S. 96–105. 13 Vgl. ebd., S. 53–58.

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der Bizone getroffen.14 Dabei zeigte sich, dass die Verwaltungen die Probleme, die sich bei der Aufnahme der am Ende des Zweiten Weltkriegs aus den deutschen Ostgebieten und Osteuropa Vertriebenen ergeben hatten, vermeiden wollten: Diese waren vor allem in vorhandenen Wohnraum außerhalb der großen Städte vermittelt worden und lebten nun oftmals weit ab von Erwerbsmöglichkeiten. Deshalb versuchte man die Flüchtlinge aus der SBZ bzw. der DDR dort unterzubringen, wo es Arbeit gab, vornehmlich in den Industrieregionen. So erhielt Nordrhein-Westfalen in den 1950er Jahren zwei Drittel der aufgenommenen Flüchtlinge zugewiesen. Da dies jedoch gleichzeitig diejenigen Gebiete waren, die durch den Krieg in großem Umfang zerstört waren, stellte nun die Unterbringung der Zuziehenden ein erhebliches Problem dar. Aus diesem Grund sprach die Bundesregierung den aufnehmenden Bundesländern umfangreiche Wohnungsbaumittel zu.15 Neben der finanziellen Dimension barg die Integration weiterer Zuwander*innen in die kriegszerstörte, wirtschaftlich darniederliegende und mit 9 Millionen Vertriebenen belastete Bundesrepublik jedoch auch ein erhebliches soziales Konfliktpotenzial. Der Unmut der Einheimischen äußerte sich in Formulierungen wie „das Boot ist überfüllt“ – ein Satz, der sogar in der Debatte zum Notaufnahmegesetz im Deutschen Bundestag im März 1950 fiel.16 Da die Bundesregierung allerdings kaum Spielraum besaß, die Zuwanderung konkret zu beeinflussen, nutzte sie zwei Wege, die Bereitschaft zur Aufnahme der Flüchtlinge zu erhöhen: Zum einen appellierten Politiker über die in der DDR stark beachteten westlichen Radiosender, die Heimat nur im Notfall zu verlassen. Damit demonstrierte man zugleich den Menschen im Westen, dass die Bundesrepublik nur politisch Verfolgte, nicht aber Arbeitsmigrant*innen mit offenen Armen empfing. Diese Art der deklamatorischen Politik beinhaltete eben jenes Element der Flüchtlingspolitik, das auch für weitere Regelungen entscheidend bleiben sollte: die Fokussierung auf den „echten“ Flüchtling.17 Daran anknüpfend sollten zum anderen nur die politisch Verfolgten in den Genuss von Schutz und Sozialleistungen in Westdeutschland kommen. Ausdruck dieser Differenzierung war auch die entscheidende gesetzliche Grundlage für den Umgang mit den Zuwander*innen aus der DDR, das Notaufnahmegesetz von 1950. Es legte fest, dass Ankommende obligatorisch einen Aufnahmeantrag zu stellen hatten – allerdings drohten ihnen keine Konsequenzen, wenn sie am Verfahren vorbei in die Bundesrepublik kamen. Aufgenommen wurde nur, wer eine Gefahr für Leib und Leben, eine besondere Zwangslage oder sonstige zwingende Gründe geltend machen konnte oder wer im Rahmen der Familienzusammen14 Vgl. ebd., S. 70–84. 15 Vgl. ebd., S. 158–160 und S. 167–179. 16 Vgl. Rede von Ernst-August Farke (DP) im Deutschen Bundestag am 27.3.1950, in: Deutscher Bundestag (Hg.), Stenographische Berichte, 1. Wahlperiode, 52. Sitzung, S. 1888C, URL: https://ia801601.us.archive.org/2/items/ger-bt-plenary-01-52/01052.pdf [10.3.2019]. 17 Vgl. zu diesem Topos Volker Ackermann, Der „echte“ Flüchtling. Deutsche Vertriebene und Flüchtlinge aus der DDR 1945–1961, Osnabrück 1995.

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führung kam18 – Kategorien, die im Übrigen starke Parallelitäten zu denen des Asylrechts aufweisen. Innerhalb des Verfahrens wurden strenge Kontrollen durchgeführt  – nicht nur, um die Berechtigung des Antrags zu überprüfen, sondern auch, um die Ankommenden geheimdienstlich befragen zu können.19 Die Vorteile der förmlichen Aufnahme bestanden für die Betroffenen in der Verteilung auf die Bundesländer, außerdem bekamen Aufgenommene bevorzugt Arbeit und Wohnraum zugewiesen. Das Aufnahmeverfahren wurde anfangs restriktiv gehandhabt, 1951/52 wurde lediglich ein Drittel der Anträge bewilligt. Diese Vorgehensweise hatte aber nicht lange Bestand: Zunächst war es der Druck der Fluchtwelle 1952/53, der zu einer pragmatischen und deutlich weiter gefassten Aufnahme führte, um West-Berlin von den vielen Nicht-Aufgenommen, die hier festsaßen, zu entlasten: DDR-Flüchtlinge konnten nicht auf dem Landweg in die Bundesrepublik weiterreisen, da sie nach DDR-Recht straffällig geworden waren und bei den Kontrollen an der Transitstrecke festgenommen worden wären. Ein Flug hingegen, der den Aufgenommenen zustand, war für die allermeisten unerschwinglich. 1953 befasste sich dann das Bundesverfassungsgericht mit den Aufnahmerichtlinien und bestimmte, dass diejenigen aufgenommen werden mussten, die eine Lebensgrundlage in Gestalt von Wohnung und Arbeitsstelle nachweisen konnten und somit keine finanzielle Belastung für die Bundesrepublik darstellten. 1957 erweiterte das Bundesver­ waltungsgericht diesen Punkt erneut. Nun erhielt die Aufnahme, wer arbeitsfähig war, der konkrete Nachweis einer Beschäftigung entfiel. In der Folge wurden mehr als 95 % der Aufnahmeanträge bewilligt.20 Hintergrund dieser zunehmend liberalen Auslegung des Notaufnahmegesetzes war weder die – durchaus ambitionierte – Flüchtlingspolitik der Bundesregierung noch strukturierte Integrationsanstrengungen, sondern vornehmlich die rasche Gesundung der westdeutschen Wirtschaft. Standen anfangs soziale Kriterien im Vordergrund, so wurde zunehmend der schwer zu stillende Bedarf an Arbeitskräften zum Antrieb der Entwicklung. Die wirtschaftliche Integration war nicht nur ein vergleichsweise geringes Problem für DDR-Flüchtlinge, sie war zugleich der eigentliche Motor für den Abbau juristischer Aufnahmehürden. Begünstigend gerade im Vergleich mit der Ankunft der Vertriebenen wirkte sich dabei auch positiv aus, dass die Flüchtlinge aus der DDR in geringerer Zahl und vor allem verteilt über viele Jahre in der Bundesrepublik ankamen.21 Auch waren die sozialen Integrationsschwierigkeiten bei dieser Zuwander*innengruppe schwach ausgeprägt, weil sie eine gute Alters- und Ausbildungsstruktur aufwiesen, keine Sprachbarriere zu überwinden 18 Vgl. Gesetz über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet vom 22.8.1950, BGBl. Teil 1 vom 26.8.1950, S. 367 f. 19 Vgl. Keith R.  Allen, Interrogation Nation. Refugees and Spies in Cold War Germany, Lanham 2017, und Jeannette van Laak, Einrichten im Übergang. Das Aufnahmelager Gießen (1946–1990), Frankfurt a. M. / New York 2017. Vgl. dazu auch den Beitrag von Keith R. Allen in diesem Band [Anm. d. Red.]. 20 Vgl. Heidemeyer, Flucht, S. 164–166 und S. 179–181. 21 Vgl. ebd., S. 190–192.

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hatten und oft bereits über persönliche oder gar familiäre Kontakte im Zuzugsgebiet verfügten.22 Trotz der mangelnden Relevanz nach 1961, als einem versiegenden Flüchtlingszustrom ein nicht nachlassender Arbeitskräftebedarf gegenüberstand, wurde das Notaufnahmegesetz nie abgeschafft. Es galt bis 1990 fort. Als Symbol einer am Wiedervereinigungsgebot orientierten Politik und als Ort, an dem die Zuwander*innen überprüft werden konnten, behielt das Gesetz seine Bedeutung. 2.2 Asyl für politische Emigrant*innen aus dem „Ostblock“ Neben den Flüchtlingen aus der DDR kamen auch aus anderen Ländern des kommunistischen Machtbereichs Menschen ins westliche Europa und in die Bundesrepublik. Zumeist geschah dies nach politischen Krisen in den jeweiligen Ländern, beispielsweise nach den blutig niedergeschlagenen Aufständen in Ungarn 1956 und der Tschechoslowakei 1968. Die größte Gruppe von Zuwander*innen im Be­trachtungszeitraum dieser Arbeit stellten die 250.000 ungarischen Emigrant*innen dar, von denen etwa 16.000 in der Bundesrepublik Aufnahme fanden.23 Die Bundesrepublik hatte in Art. 16 des Grundgesetzes ein klares und unbeschränktes Asylrecht niedergelegt.24 1951 unterzeichnete sie zudem die Genfer Flüchtlingskonvention, die mit Blick auf die Flüchtlinge aus dem kommunistischen Machtbereich den Rechtsstatus solcher Personen klärte, die nicht mehr unter der Obhut ihrer Heimatländer standen. Sie gewährte den Betroffenen den Aufenthalt – heute würde man von Duldung sprechen –, jedoch kein Asyl. Trotz dieses weitgehenden Rahmens verfolgte die bundesdeutsche Politik nach der Aufnahme der Heimatvertriebenen und der DDR-Flüchtlinge eine restriktive Linie bei der Anwendung des Asylrechts. So nahm die Verordnung zum Asylrecht von 1953 weiterhin Bezug auf die Ausländer-Polizeiverordnung vom 28. August 1938, in der es hieß, dass nur derjenige Aufnahme erhalten sollte, der sich „der Gastfreundschaft würdig“25 erweise. Diese Auslegung führte ein Element ein, das einen klaren Ermessensspielraum einräumte26 und das in gewisser Parallelität zu den ideologischen Aufnahmelinien der DDR stand. 22 Vgl. Gehrmann, Überwindung, S. 53–216. Zur Frage der Integrationsprobleme entsteht augenblicklich eine Arbeit von Bettina Effner, Im Westen angekommen? Die Integration von DDR-Zuwanderern als historischer Prozess. 23 Erstaunlicherweise blieb erst die zweitgrößte Gruppe (18.000) in Österreich, die meisten Flüchtlinge (22.000) siedelten nach Großbritannien über. Allerdings verließen insgesamt fast 60 % der Emigrant*innen Europa ganz. Vgl. Jan Willem ten Doesschate, Ungarische Flüchtlinge in Europa seit 1956, in: Bade, Enzyklopädie, S. 1065–1067, hier: S. 1065. 24 Vgl. BGBl. Teil 1, Nr. 1 vom 23.5.1949, S. 1–19. 25 Ausländerpolizeiverordnung vom 22.8.1938, § 1, in: Reichsministerium des Innern (Hg.), Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Berlin 1938, S. 1053. 26 Vgl. Patrice G. Poutrus, Zuflucht im Nachkriegsdeutschland. Politik und Praxis der Flüchtlingsaufnahme in Bundesrepublik und DDR von den späten 1940er Jahren bis zur Grundgesetzänderung im vereinigten Deutschland von 1993, in: Oltmer, Handbuch, S. 853–893, hier S. 859.

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In der Frage des Asyls stellten anfangs oft die Alliierten die treibende Kraft dar, da ihnen die westdeutsche Politik zu passiv erschien. Sie forderten beispielsweise auch eine restriktive Regelung bei der Schaffung des Notaufnahmegesetzes mit Verweis darauf, dass die Zuwanderung aus der DDR die Bundesrepublik nicht in einer Weise belasten dürften, die sie aus Kapazitätsgründen dazu zwingen könnte, das verbriefte Asylrecht einzuschränken.27 Patrice G. Poutrus beschreibt die Situation in der Bundesrepublik als nationale Selbstgenügsamkeit, kombiniert mit kollektivem Selbstmitleid.28 Diese Beschreibung der mentalen Verfasstheit – übrigens sowohl der öffentlichen Meinung als auch der Politik – ist sicher nicht aus der Luft gegriffen. Und dennoch stellten gerade im Jahrzehnt nach Kriegsende die Deutschen aus dem Osten, Vertriebene wie DDR-Flüchtlinge, objektiv eine erhebliche Belastung für den zerstörten und wirtschaftlich am Boden liegenden westdeutschen Staat dar. Die Bilder des Volksaufstandes in Ungarn 1956 trafen in der (west-)deutschen Öffentlichkeit in dieser Situation einen Nerv, riefen sie doch die Erinnerung an den ähnlich endenden Aufstand der Ostberliner und Ostdeutschen wach, der erst drei Jahre zurücklag. Ihren Ausdruck fand diese Wahrnehmung in den westlichen Medien und in Solidaritätsdemonstrationen in den großen westdeutschen Städten. Die öffentliche Positionierung war zunächst deutlich klarer und eindeutiger als die der Bundesregierung, die von ihrer abwartenden Haltung erst später abrückte. Ende November 1956 fasste das Adenauer-Kabinett schließlich den Beschluss, 10.000 ungarische Flüchtlinge aufzunehmen.29 Ähnlich gestaltete sich die Reaktion der bundesdeutschen Öffentlichkeit auf Flüchtlinge, die nach der Niederschlagung des Prager Frühlings ankamen. Eine „Welle der Hilfsbereitschaft“ und spontane Sympathie kam den Tschechen und Slowaken selbst von sudetendeutscher Seite entgegen.30 Auch die kommunale Verwaltung versuchte schnell, die Emigrant*innen, die anfangs zu einem Großteil aus nicht zurückkehrenden Urlaubern aus der ČSSR bestand, unbürokratisch zu versorgen. Schon nach drei Wochen richtete beispielsweise Hamburg eine Zentralstelle zur Betreuung dieser Flüchtlinge ein.31 Weitergehende Maßnahmen waren aufgrund der doch eher kleineren Zahl an Betroffenen – etwa 4.000 kamen 1968/69 in die Bundesrepublik – und dem Rückgriff auf die Genfer Flüchtlingskonvention wohl nicht notwendig. In diesem Fall lagen also öffentliche Anteilnahme und Verwaltungshandeln auf gleicher Linie.32 27 Vgl. Heidemeyer, Flucht, S. 101. 28 Vgl. Patrice G. Poutrus, Öffentlichkeit und Asylpolitik im geteilten Deutschland während des Kalten Krieges, in: Henrik Bispinck / Kahrarina Hochmuth (Hg.), Flüchtlingslager im Nachkriegsdeutschland. Migration, Politik, Erinnerung, Berlin 2014, S. 92–114, hier S. 95 f. 29 Vgl. Poutrus, Zuflucht, S. 874–879. 30 Vgl. hier exemplarisch: Welle der Hilfsbereitschaft, in: Weser-Kurier, 29.8.1968. 31 Vgl. Hilfe und Gelder für die CSSR-Bürger, in: Hamburger Abendblatt, 12.9.1968. 32 Die Emigration aus der ČSSR weist einige Besonderheiten auf. Erstens waren unter den Emigrant*innen Künstler*innen in außergewöhnlichem Anteil vertreten – eine Gruppe, die oftmals ohnehin kosmopolitisch denkt. Zweitens konnten die Geflohenen an ältere Exil-

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Unter den insgesamt 250.000 ungarischen ebenso wie unter den gut 100.000 tschechoslowakischen Flüchtlingen war ein größerer Anteil, der weder aktiv in den Aufstand involviert noch politisch verfolgt war, sondern die Gunst der Stunde nutzte, um einem System zu entfliehen, in dem man für sich und seine Kinder keine Perspektive sah. Gleichwohl wurden sie von den Einheimischen in Westdeutschland, Westeuropa wie auch in den USA und Kanada mit offenen Armen empfangen. Das schlug sich in der Bonner Republik auch in Form von rasch aufgelegten Integrationsmaßnahmen nieder.33 Erleichtert wurde die soziale Eingliederung dadurch, dass die meisten Flüchtlinge jung und gebildet waren, oftmals deutsch sprachen und relativ schnell den beruflichen Einstieg schafften. So befanden sich nach einem Jahr bereits 60 % der tschechoslowakischen Immigrant*innen in Arbeit. Deren Integrationswille zeigte sich auch darin, dass nur ein Prozent von ihnen 1969 das Angebot der Prager Regierung ergriff, straflos zurückzukehren. Eine Rückkehr in die staatssozialistisch regierte Heimat kam für die meisten Menschen somit schon ein Jahr nach ihrer Flucht nicht mehr in Betracht.34 Selbst nach dem Zerfall des Ostblocks blieb die überwiegende Zahl an Emigrant*innen in der Bundesrepublik. Einen wesentlichen Antrieb für die Aufnahmebereitschaft der westlichen Gesellschaften bildete der antikommunistische Grundkonsens in Öffentlichkeit und Politik. Unabhängig von den konkreten Beweggründen der Flucht galten die Emigrant*innen als „Freiheitskämpfer“ gegen die sozialistischen Regime des Ostblocks. Insofern spielte die gesamtpolitische Konstellation des Kalten Krieges die entscheidende Rolle für die Integrationsbereitschaft der Aufnahmegesellschaften.

3. Die DDR als Aufnahmeland 3.1 West-Ost-Wanderung innerhalb des geteilten Deutschland Bis Ende der 1960er Jahre migrierten etwa 600.000 Menschen aus der Bundesrepublik in die DDR  – eine Größenordnung, die vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung wenig präsent ist. Schaut man etwas genauer hin, relativiert sich die Zahl wieder, denn etwa zwei Drittel dieser West-Ost-Wanderer waren zurückkehrende Flüchtlinge aus der DDR, die zumeist aus privaten Gründen oder weil strukturen aus den 1940er Jahren anknüpfen, die sich insbesondere in der Schweiz erhalten hatten. Drittens nationalisierte sich die slowakische Emigration zusehends. Vgl. Dušan Šimko, Tschechoslowakische Flüchtlinge in West-, Mittel- und Nordeuropa seit 1968, in: Bade, Enzyklopädie, S. 1050–1053. 33 Vgl. Michael Schwartz, „Zwangsheimat Deutschland“. Vertriebene und Kernbevölkerung zwischen Gesellschaftskonflikt und Integrationspolitik, in: Klaus Naumann (Hg.), Nachkrieg in Deutschland, Hamburg 2001, S. 114–148, insb. Anm. 112. 34 Vgl. Šimko, Tschechoslowakische Flüchtlinge.

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sie mit den Arbeitsbedingungen im Westen nicht zufrieden waren, in ihre alte Heimat zurückkehrten. Gerade junge Männer wurden oftmals in unattraktive Arbeitsstellen vermittelt, in denen schon Mitte der 1950er Jahre ein Mangel an Arbeitskräften herrschte wie in der Landwirtschaft und im Bergbau. So hatten sich viele das Leben im vermeintlich goldenen Westen nicht vorgestellt und kehrten in die DDR zurück. Diese hohe Mobilität verweist aufs Neue auf den Aspekt, dass die deutsch-deutsche Wanderung von den Menschen lange als Binnenwan­derung wahrgenommen wurde. Im Denken der Deutschen und in ihrem praktischen, individuellen Handeln stellte die Teilung des Landes innerhalb der antagonistischen Blöcke offenbar trotz des zunehmend harschen Grenzregimes keine unüberwindbare Hürde dar. Individuelles Bewusstsein und darauf fußendes Handeln deckte sich in diesem Bereich wenig mit den politischen Gegebenheiten. Der Geschichte dieser Migrant*innengruppe ist in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt worden.35 Hier steht indes die Frage im Vordergrund, wie die  – offizielle  – DDR mit dem Phänomen der Zuwanderung umging und welche Auswirkung dies auf die Integration der Zuwandernden hatte. Zunächst ist interessant, dass Ost-Berlin, das sonst das Prinzip der Zweistaatlichkeit stets sehr hoch hielt, diesen Immigrant*innen gegenüber nicht das Asylrecht anwandte, welches den staatlichen Stellen großen Interpretationsspielraum ließ.36 Nach eingehender, aber unberechenbarer Prüfung verlieh sie ihnen die Staatsbürgerschaft. Offenbar klangen selbst hier noch Vorstellungen einer gemeinsamen Nation nach – auch dann noch, als die Nationalhymne mit dem einschlägigen Text nicht mehr gesungen werden durfte. Dabei muss aber auch die Geschichte und Zusammensetzung dieser Zuwanderung beachtet werden: Zum einen war es gerade nach einem kurzen Aufenthalt in der Bundesrepublik politisch schwer vermittelbar, ehemalige DDR-Bürger*innen dem Asylrecht zu unterwerfen, zum anderen bedeutete der Zustrom aus der Bundesrepublik im öffentlichen Konkurrenzkampf der Systeme einen propagandistischen Vorteil, den die SED-Führung zu nutzen wusste. Trotz der massiven Nachteile bewerteten sowjetische Besatzer und ostdeutsche Politik die Abwanderung anfangs zudem keineswegs negativ, gingen doch aus ihrer Sicht die „Feinde“ des sozialistischen Aufbaus, die als Ewiggestrige die neue Ordnung ablehnten. Entsprechend misstrauisch war man denen gegenüber, die kamen. Von dieser ablehnenden Bewertung blieb der Umgang mit den Zuwan35 Vgl. Andrea Schmelz, Migration und Politik im geteilten Deutschland während des Kalten Krieges. Die Ost-West-Migration in die DDR in den 1950er und 1960er Jahren, Opladen 2002; Cornelia Röhlke, Entscheidung für den Westen. Die West-Ost-Migration, in: Effner /  Heidemeyer, Flucht im geteilten Deutschland, S. 97–113; Ulrich Stoll, Einmal Freiheit und zurück. Die Geschichte der DDR-Rückkehrer, Berlin 2009; Bernd Stöver, Zuflucht DDR. Spione und andere Übersiedler, München 2009; Frank Wolff, Deutsch-deutsche Migrationsverhältnisse: Strategien staatlicher Regulierung 1945–1989, in: Oltmer, Handbuch, S. 773– 814, und Eva Fuchslocher / Michael Schäbitz (Hg.), Wechselseitig. Rück- und Zuwanderung in die DDR 1949 bis 1989, Berlin 2016. 36 Vgl. Patrice G. Poutrus, Öffentlichkeit und Asylpolitik, S. 109. Vgl. auch Ders., Zuflucht, S. 853–893.

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der*innen auch dann noch geprägt, als die großen Probleme durch die Abwanderung nicht mehr zu übersehen waren und der Arbeitskräftebedarf ein drängendes Thema geworden war. Das hinderte die Propaganda der DDR selbstverständlich nicht daran, die Ankommenden als Beleg dafür herauszustellen, dass die DDR der bessere, sozialere und humanere deutsche Staat sei.37 Zusätzlich konnten manche Zuwander*innen dazu benutzt werden, das Bild vom aggressiven Westen zu untermauern, der auf die Zerschlagung der DDR hinarbeite, darunter der  – möglicherweise verschleppte38 – Präsident des Bundesverfassungsschutzes Otto John, der Doppelagent Hans-Joachim Geyer sowie der Bundeswehrgeneral Bruno Winzer. Sie wurden der Öffentlichkeit jeweils in groß angelegten Interviews oder Pressekonferenzen vorgeführt und deckten die angeblich dunklen Machenschaften des Westens gegenüber der DDR auf.39 Zur gleichen Zeit wurden die in Magazinen umjubelten Zuwander*innen langandauernden, intensiven Kontrollen in speziellen Heimen unterzogen sowie möglichst einzeln und weit voneinander entfernt an einen Wohnort in der DDR verwiesen, wo sie auch nach ihrer Verteilung noch weiter beobachtet wurden.40 Der SED-Staat hatte nicht nur Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit der Immigrant*innen, hätten sie sich doch im Westen mit dem „Virus“ der freiheitlichen Demokratie infizieren können, sondern unterstellte ihnen vielfach auch unlautere und kriminelle Absichten.41 Zu dem Misstrauen von offizieller Seite kam ein tiefes Unverständnis von Seiten der einheimischen Bevölkerung. Es brach sich Bahn in Stellungnahmen wie „Entweder ihr seid Idioten (dass ihr hierher gekommen seid) oder ihr habt etwas verbrochen.“42 Das alles trug nicht dazu bei, die soziale Integration in ein Gemeinwesen zu fördern, in dem es die klassischen Integrationshemmnisse durch die zentrale Vermittlung von Wohnraum und Arbeitsplatz nicht gab. So wenig es erwünscht war, auf eigene Initiative den Wohnort zu wechseln oder eine Arbeitsstelle zu suchen, so eindeutig war geregelt, dass jedem, dem es zustand, ohne sein Zutun – und freilich auch ohne wesentliche Möglichkeit der Einflussnahme  – eine Wohnung und ein Arbeitsplatz zugewiesen wurde. Vielfach kämpften sich die Betroffenen durch diese sozialen und systembedingten Schwierigkeiten und wollten ein Scheitern auch in ihrer Eigenwahrnehmung nicht 37 Vgl. Stöver, Zuflucht, S. 51–76. 38 Vgl. ebd., S. 164–210, und die Autobiographie Otto John, Zweimal kam ich heim, Düsseldorf / Wien 1969. 39 Vgl. zu den Fällen John und Winzer: Stöver, Zuflucht, und zum Fall Geyer: Georg Herbstritt / Elke Stadelmann-Wenz: Westarbeit, in: Daniela Münkel (Hg.), Staatssicherheit. Ein Lesebuch zur DDR-Geheimpolizei, Berlin 2015, S. 146 f. 40 Die Literatur ist reich an Berichten zu derartigen Einzelfällen, vgl. Schmelz, Migration und Politik; Röhlke, Entscheidung für den Westen; Stoll, Einmal Freiheit und zurück; Stöver, Zuflucht DDR; Wolff, Deutsch-deutsche Migrationsverhältnisse, und Fuchslocher / Schäbitz, Wechselseitig. 41 Vgl. Stöver, Zuflucht, S. 144 f. 42 Zit. nach Schmelz, Migration, S. 296. Vgl. auch Stöver, Zuflucht, S. 126 f.

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eingestehen, nachdem sie die quälende Aufnahmeprozedur durchgestanden und das Unverständnis der west- wie ostdeutschen Mitmenschen ertragen hatten.43 3.2 Politische Immigration in die DDR Grundlage für die Aufnahme von Zuflucht Suchenden war auch in der DDR das Asylrecht, in seiner sehr spezifischen, in der DDR-Verfassung niedergelegten Ausprägung: Artikel 10 der Verfassung von 1949 gewährte denjenigen Ausländer*innen Asyl, die „wegen ihres Kampfes für die in dieser Verfassung niedergelegten Grundsätze im Ausland verfolgt werden.“44 Die 1968 erlassene und überarbeitete Verfassung wandelte dieses Recht in ihrem Artikel 23 in eine Kann-Bestimmung um45 und schloss damit jede Rechtssicherheit bei der Gewährung von Asyl aus. Diese Ausformung des Asylrechts zeigt, dass hier politisch-ideologische Motive deutlich dominierten gegenüber dem Ansatz, jeder Art von Verfolgten individuell Schutz zu gewähren. Der SED-Staat legte im Einzelfall und nach parteilicher Betrachtung fest, wem Asyl zu gewähren sei. Patrice G. Poutrus spricht in diesem Zusammenhang deshalb von individueller Rechtlosigkeit, kombiniert mit der gleichzeitigen Abhängigkeit von den außenpolitischen Interessen der DDR.46 Es gibt nicht viele nichtdeutsche Gruppen, die aus politischen Gründen Zuflucht in der DDR suchten. Zu nennen sind die Griech*innen, die nach der Niederlage des kommunistischen Widerstandes unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs in die SBZ kamen; die Spanier*innen, die vor dem Regime Francos flohen und sich in den 1950er Jahren aus dem französischen Exil ein zweites Mal auf den Weg machen mussten, und die Chilen*innen, die nach dem Putsch ­Pinochets 1973 das Land verlassen mussten.47 Handelte es sich bei der griechischen Zuwanderung um ein unmittelbares Nachkriegsphänomen, zeichnete sich die Migration der chilenischen Flüchtlinge dadurch aus, dass diese sowohl in die DDR als auch in die Bundesrepublik zuwanderten. Genauer betrachtet werden soll im Folgenden hingegen die Immigration der spanischen Kommunist*innen, die als einzige der Gruppen in den 1950er und 1960er Jahren in die DDR kamen und dort über Jahrzehnte lebten.48 Die etwa 100 Spanier*innen kamen in der Regel aus dem französischen Exil, in dem sie sich seit den 1930er Jahren befanden, wo sie aber nach Beginn des Kalten 43 44 45 46 47 48

Vgl. den Fall Frauke Naumann, in: Fuchslocher / Schäbitz, Wechselseitig, S. 30–33. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Art. 10 Abs. 2, Berlin (Ost) 1949, S. 5. Vgl. Poutrus, Öffentlichkeit und Asylpolitik, S. 109. Vgl. auch Ders., Zuflucht, S. 853–893. Vgl. Poutrus, Öffentlichkeit und Asylpolitik, S. 111. Vgl. zu Chile den Beitrag von Patrice G. Poutrus in diesem Band [Anm. d. Red.]. Hierzu Axel Kreienbrink, Der Umgang mit Flüchtlingen in der DDR am Beispiel der spanischen „politischen Emigranten“, in: Totalitarismus und Demokratie 2/2 (2005), S. 317–344, und Aurélie Denoyer, Die spanischen politischen Flüchtlinge in der DDR, in: Kim Christian Priemel (Hg.), Transit – Transfer. Politik und Praxis der Einwanderung in die DDR ­1945–1990, Berlin 2011, S. 98–112.

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Krieges und der Entdeckung eines Waffenlagers nicht mehr willkommen waren. Ihre Einreise in die DDR vollzog sich bis etwa 1950 ungeregelt, der größte Teil wurde in zwei Etappen regelrecht abgeschoben. Die DDR war auf ihre Ankunft nicht vorbereitet und brachte die meisten provisorisch, aber gemeinsam unter. Willkommen waren sie dennoch nur begrenzt – was die DDR sie auch spüren ließ. Exemplarisch hierfür steht der Fall des Leandro Carro, Mitglied der Führung der spanischen kommunistischen Partei (Partido Comunista de España, PCE), den amerikanische Stellen Ende 1950 bei Hof in die DDR überstellten. Die Schikanen, denen er und seine Frau ausgesetzt waren – die beiden mussten weite Strecken zu Fuß zurücklegen, weil ihnen keine Fahrten zugebilligt wurden –, fanden erst ein Ende, als sich ein anderes Politbüromitglied der spanischen KP für sie einsetzte. Offen bleibt, ob für die schlechte Behandlung Carros mitverantwortlich war, dass er sich in der DDR auf Politbüromitglied Paul Merker berief, der gerade alle Ämter verloren hatte und aus der SED ausgeschlossen worden war.49 Später brachte man die Ankommenden in speziellen Heimen unter, wo sie die Entscheidung über ihre Aufnahme abwarten mussten, bevor sie an einen Wohnort weitergeleitet wurden. Über die Aufnahme der Immigrant*innen entschied in jedem Einzelfall die SED. Dabei demonstrierte die DDR-Regierungspartei jedoch den Schulterschluss mit der spanischen kommunistischen Partei und holte deren Stellungnahme zu den einzelnen Aufnahmesuchenden ein. Ansprechpartner war zumeist die Exilparteileitung in Prag, konnte aber auch die sowjetische Botschaft in Paris sein, oder man holte ein unmittelbares Votum von Dolores Ibarruri, der Generalsekretärin der PCE, aus Moskau ein. Die Exil-PCE war somit eng in das Aufnahmeverfahren der SED einbezogen. Die Entscheidung hing in erster Linie von der parteilichen Zuverlässigkeit des Aufnahmesuchenden ab und die Aufnahme erfolgte nach politischer Gesinnung – ganz entsprechend des Artikels 10 der DDR-Verfassung. Im Gegensatz zu den Zuwander*innen aus der Bundesrepublik, die so über die DDR verteilt wurden, dass sie nur schwer Kontakte untereinander herstellen konnten, organisierten die Behörden eine eher konzentrierte Unterbringung der ausländischen Gruppen. Die Spanier*innen bildeten eine kleine Gemeinde in Dresden, den chilenischen Zuwander*innen stellte man in den 1970er Jahren eigene Wohnblocks zur Verfügung. Vermutlich war auch den Entscheidungsträgern klar, dass die der deutschen Sprache nur rudimentär mächtigen Menschen eine Vereinzelung unterlaufen hätten. Die gemeinsame Unterbringung besaß daneben für die Machthaber in der DDR den Vorteil, dass die Immigrant*innen auf diese Weise von den Sicherheitsbehörden ohne großen Aufwand zu observieren und zu kontrollieren waren.50 Obwohl die Zuteilung von Arbeitsstellen und Wohnraum zentral gesteuert wurde, ergaben sich weiterhin viele praktische Probleme: Die Spanier*innen 49 Vgl. Kreienbrink, Umgang, S. 323 f. 50 Vgl. ebd., S. 328 f., und Jost Maurin, Die DDR als Asylland: Flüchtlinge aus Chile 1973–1989, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51 (2003), S. 814–831, hier: S. 821.

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wurden den Deutschen gegenüber benachteiligt – während für die chilenischen Exilant*innen später eigene Sozialprogramme aufgelegt wurden51 –, ihre Zuweisungen erfolgten oft willkürlich. So erhielt ein Spanier, der sich als Dolmetscher bewährt hatte, keine Chance, auf diesem Feld weiter zu arbeiten; stattdessen wurde er kommentarlos als Arbeiter in die Produktion eingewiesen. Einer spanischen Linguistin, erst Anfang der 1960er Jahre aus Frankreich in die DDR eingereist, um an der Universität Leipzig spanische Literatur zu unterrichten, wurde die Disser­ tation nicht anerkannt. Statt der erwarteten Stelle erhielt sie daraufhin einen Posten, für den sie eindeutig überqualifiziert war. Sie sah sich an der Universität nicht nur beruflich benachteiligt, sondern auch mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert, und verließ die DDR 1969 wieder.52 Das Misstrauen, das den Spanier*innen  – mitunter gepaart mit Fremden­ feindlichkeit – sowohl von offizieller Seite wie auch aus der Bevölkerung entgegenschlug, nahm in 1960er Jahren zu: Nun siedelten einige der Spanier*innen aus der DDR als „Gastarbeiter“ in die Bundesrepublik um – wohl aus den gleichen Gründen, die viele DDR-Bürger*innen bis zum Mauerbau zu diesem Schritt bewogen hatten: Sie hofften, hier bessere materielle Bedingungen und Zukunftsperspektiven zu finden. Das war möglich, weil die Ausländer*innen in der DDR zumeist keine DDR-Pässe erhielten, sondern nur solche, die sie als Staatenlose auswiesen. Diese brachten zwar viele Nachteile mit sich, erlaubten aber Reisen in den für DDR-Bürger*innen unerreichbaren Westen.53 Die Abwanderung Richtung „Klassenfeind“ brachte diese Menschen in der DDR in den Verdacht, doch verkappte Francisten zu sein – während ihnen im Westen nicht unbegründet vorgeworfen wurde, Kommunisten zu sein. Die Auffassung in der DDR, sie seien unsichere Kantonisten, erhielt zusätzliche Nahrung durch den Umstand, dass die Spanier*innen seit den 1960er Jahren in größerem Umfang ihren Urlaub im Heimatland verbringen konnten – ein Ziel, das bei ihrer Geschichte politisch gesehen verwunderlich schien und das Ostdeutschen zudem verwehrt war.54 Das Misstrauen des SED-Staats den Spanier*innen gegenüber steigerte sich um 1970 noch, als sich die spanische KP spaltete und unter Führung von Ibarruri mehrheitlich zum Reformkommunismus bekannte, der mit Moskau brach. Nun wurden sogar Parteizeitungen beschlagnahmt.55 51 Vgl. Jost Maurin, Flüchtlinge als politisches Instrument – Chilenische Emigranten in der DDR 1973–1989, in: Totalitarismus und Demokratie 2/2 (2005), S. 345–374, hier: S. 353–355. 52 Vgl. Kreienbrink, Umgang, S. 336. 53 Vgl. ebd., S. 337–339. Die oben genannte Linguistin dürfte wie viele der in Frankreich lebenden Spanier*innen einen von der Exilregierung ausgestellten Pass besessen haben, der das Reisen ohnehin erlaubte. Zur Aufnahme von Ausländer*innen in der DDR allgemein vgl. auch Patrice G. Poutrus, Mit strengem Blick. Die sogenannten Polit. Emigranten in den Berichten des MfS, in: Jan C.  Behrends / Thomas Lindenberger / Patrice G.  Poutrus (Hg.), Fremde und Fremd-Sein in der DDR. Zu historischen Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland, Berlin 2003, S. 205–224. 54 Fast schon selbstverständlich ist: Natürlich beäugte das SED-Regime solche Reisen kritisch und beobachtete sie sorgfältig. Vgl. auch Maurin, Flüchtlinge, S. 364–368. 55 Vgl. Kreienbrink, Umgang, S. 334 f.

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Die spanischen Exilant*innen kamen mit der Vorstellung einer baldigen Rückkehr in die DDR. Dieser Elan ging mit fortschreitender Zeit verloren; ihr Wille, sich zu integrieren, blieb dennoch gering ausgeprägt. Der Aufnahmestaat wirkte dem nicht entschlossen entgegen, im Gegenteil: Die spanischen Immigrant*innen besaßen keinen eigenen Rechtsstatus, erhielten keinen DDR-Pass und mussten alle sechs Monate ihre Aufenthaltspapiere verlängern lassen. Dies und die Tatsache, dass die DDR keine Eingliederungsmaßnahmen für sie auflegte, zeigen, dass das SED-Regime die Rückkehrorientierung der Spanier*innen unterstützte und nicht von einer dauerhaften Ansiedlung ausging. Entsprechend dieser Grundhaltung auf beiden Seiten blieb die Integration der Spanier*innen in die DDR nur rudimentär.56 So nimmt es nicht Wunder, dass der Großteil von ihnen nach dem Tod Francos 1975 in die Heimat zurückkehrte. Eingesetzt hatte diese Bewegung bereits einige Jahre zuvor, als Madrid 1969 eine Amnestie für alle vor 1939 begangenen Delikte erlassen hatte. 1980 waren schließlich nur mehr vereinzelt Spanier*innen in der DDR ansässig. Gerade diese nahezu komplette Rückkehr einer ganzen Migrant*innengruppe nach immerhin mehr als 20 Jahren des Exils belegt, wie schwach die Wurzeln ausgebildet waren, die diese Menschen in der DDR geschlagen hatten. Der Fall der spanischen Exilant*innen belegt exemplarisch, dass Asylsuchende in der DDR nur temporär geduldete Gäste blieben, eine gesellschaftliche Integration strebte das SED-Regime in keinem Fall an. Trotzdem erwartete die DDR aber, dass sich die Menschen in den sozialistischen Arbeitsprozess integrierten, die ihnen zugewiesenen Arbeitsstellen akzeptierten und ihre Aufgaben erfüllten. So wurden beispielsweise auch den in den 1970er Jahren ankommenden Chilen*innen, unter ihnen überdurchschnittlich viele Akademiker*innen, anfangs Arbeitsplätze in der Produktion zugewiesen und erwartet, dass sie ihre berufliche Proletarisierung  – und nichts anderes stellte dieser Umgang dar  – klaglos hinnahmen. Später änderten die Verantwortlichen zwar ihre Linie und bemühten sich um adäquate Unterbringung, dennoch erinnern die Betroffenen die erste Phase nach ihrer Ankunft als scharfen Einschnitt. Die Möglichkeiten einer erfüllenden, einträglichen Arbeit in der DDR blieben auch weiterhin begrenzt. Das führte dazu, dass sich auch die Chilen*innen wie für die Spanier*innen beschrieben nach lukrativeren Einkommensmöglichkeiten im Westen umsahen und diese – zumeist temporär – ergriffen.57 Selbst die Gruppe der Griech*innen kehrte nach 40 Jahren der Diaspora mehrheitlich noch in den 1980er Jahren in ihre Heimat zurück, vielfach also in der zweiten, mitunter sogar erst in der dritten Generation,58 und belegt 56 Vgl. ebd., S. 340–342. 57 Vgl. Maurin, Flüchtlinge, S. 345–374, und Sebastian Koch, Zufluchtsort DDR? Chilenische Flüchtlinge und die Ausländerpolitik der SED, Paderborn 2016, S. 250–257. Koch behauptet unbelegt, Chilen*innen aus der DDR hätten unbemerkt von den Behörden in der DDR in der Bundesrepublik gearbeitet (S. 253). Das erscheint bei der restriktiven Genehmigungspraxis und der engen Beobachtung der Reisen von Chilen*innen aus der DDR (Maurin, Flüchtlinge, S. 364–368) nur für sehr kurze Arbeitsverhältnisse wahrscheinlich. 58 Vgl. Theodoros Lagaris, Griechische Flüchtlinge in Ost- und Südosteuropa seit dem Bürgerkrieg 1946–1949, in: Bade, Enzyklopädie, S. 612–615, hier: S. 612.

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damit einmal mehr die mangelhafte Integration von Zuwander*innen in die ostdeutsche Gesellschaft. Die entscheidende Rolle der kommunistischen Partei(en) beim Umgang mit den Asylsuchenden ist unübersehbar. Die SED bestimmte nicht nur bis in Einzelheiten, wie mit den Ankommenden zu verfahren war, sondern behielt sich auch die Entscheidung vor, wer Aufnahme finden sollte, und führte entsprechende Einzelfallprüfungen durch. Die Aufnahmeentscheidungen traf sie aber in der Regel nicht allein, sondern arbeitete eng mit den Schwesterparteien der Herkunftsländer zusammen und räumte deren Voten eine maßgebliche Bedeutung ein.59 Grundlage für die Entscheidung war somit nicht in erster Linie Bedürftigkeit oder politisches Bedrängtsein der Menschen, sondern Linientreue und unverbrüchliche Loyalität zur KP. Das zeigte sich schon bei der Ankunft der Spanier*innen; aus der Gruppe der Chilen*innen ist ein Fall aktenkundig, in dem ein Kommunist und seine Anhänger 1979 aus der DDR abgeschoben wurden, nachdem sie sich nach der Parteispaltung auf die vermeintlich falsche, das heißt moskaukritische Seite geschlagen hatten.60 Aufgrund dieser ganz und gar parteilichen Ausrichtung des Asylverfahrens mit seiner Gesinnungsprüfung hat Jost Maurin die DDR pointiert als Ruheraum für Revolutionäre bezeichnet.61 Zu ergänzen wäre vielleicht: Ruheraum für linientreue Revolutionäre. Die SED-Führung stand dem Anderen, Fremden stets skeptisch gegenüber und war sich nie sicher, geradlinige Gefolgsleute vor sich zu haben. Dieses Misstrauen gegenüber den (handverlesenen) Exilant*innen konnte nur bestätigt werden – und wurde es spätestens dann, als mehrere Gruppen von in der DDR lebenden Ausländer*innen sich in den 1960er und 1970er Jahren in einen moskautreuen und einen reformkommunistischen Flügel aufspalteten, wobei die Mehrheit sich zum moskaukritischen Reformkommunismus bekannte. Eine starke Überwachung dieser Personen, insbesondere deren Reisen ins nichtsozialistische Ausland, durch das Ministerium für Staatssicherheit ist in vielfältiger Weise aktenkundig. Sie galten als Gefahr für die Sicherheit der DDR – nicht nur, weil sie von westlichen Geheimdiensten angesprochen werden konnten, sondern auch, weil die Machthaber fürchteten, sie könnten ein negatives Bild von der DDR zeichnen62. Dieses Misstrauen spielte der latenten Fremdenfeindlichkeit, von der einzelne Ausländer*innen berichteten, in die Hände.63

59 Wie detailliert die Einflussnahme der heimatlichen KP auch nach der Aufnahme sein konnte, illustriert das Beispiel der Aufnahme von Kindern aus Namibia in den 1980er Jahren. Hier bestimmte die SWAPO in weiten Teilen sogar das durchzuführende Programm in den Kinderheimen. Vgl. Susanne Timm, Das Kinderheim Bellin für namibische Flüchtlingskinder in der DDR, in: Deutschland Archiv 38/1 (2005), S. 81–84. 60 Vgl. den Fall Carlos Altamirano bei Maurin, DDR als Asylland, S. 826 f. 61 Vgl. ebd., S. 816. 62 Vgl. ebd., S. 824. 63 Vgl. hierzu Maurin, Flüchtlinge, S. 364–373, und Behrends / Lindenberger / Poutrus, Fremde und Fremd-Sein.

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Dem stand die offizielle Propaganda diametral gegenüber. Nutzte man die spa­nische Immigration in dieser Hinsicht weniger stark, instrumentalisierten die gelenkten Medien die chilenische Zuwanderung ebenso wie die deutsche WestOst-Wanderung exzessiv. Mit Hilfe von Zeitungsberichten, Hörfunk- und Fernsehbeiträgen versuchte das Regime, hierbei die Vorzüge der DDR gerade im Wettlauf mit der Bundesrepublik unter Beweis zu stellen.64 Zugleich unterstrich die öffentliche Aufnahme der von rechtsgerichteten autoritären Regimen Verfolgten das Selbstbild der kommunistischen Führung, humanistische Ideale zu verwirklichen. Das sollte die moralische Überlegenheit der DDR vor der Welt – und nicht zuletzt vor der eigenen, oft unzufriedenen – Bevölkerung herausstellen.65

4. Fazit Blickt man auf den Umgang mit Wanderungsbewegungen im deutsch-deutschen Vergleich, springen zunächst die Unterschiede ins Auge, insbesondere hinsichtlich der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen. Dies betrifft sowohl die Aufnahmekriterien als auch die Rechtssicherheit des Aufnahmeverfahrens. Weiterhin unterschieden sich die Integrationsanstrengungen auf Seiten der Aufnahmestaaten erheblich. Wie dargelegt verfolgte die DDR keine Strategie zur dauerhaften gesellschaftlichen Eingliederung der Zuwander*innen, da diese politisch nicht gewollt war. Die Bundesrepublik setzte vor dem Hintergrund des westdeutschen Wirtschaftswunders stattdessen auf eine möglichst schnelle Integration der Zuwander*innen in den Arbeitsmarkt. Der weit auseinanderklaffenden ökonomischen Prosperität der beiden deutschen Staaten und den sich daraus ergebenden bzw. fehlenden Handlungsspielräumen kam somit eine kardinale Rolle zu. Von ausgebliebenen Integrationserfolgen auf eine mangelnde Integrationsbereitschaft der Flüchtlinge zu schließen griffe daher zu kurz. Demgegenüber fällt auf, dass sich die Aufnahmepolitik beider deutscher Staaten nicht grundlegend danach unterschied, ob es sich um deutsche oder ausländische Migrant*innen handelte. Vielmehr entfielen bei deutschen Zuwander*innen auf beiden Seiten – bei den Aufnahmebehörden und den Einzelpersonen – schlicht manche praktische Schwierigkeiten, denen ausländische Migrant*innen ausgesetzt waren wie etwa fehlende Sprachkenntnisse. In der Herangehensweise blieb die gesamte Aufnahmepolitik aber entweder integrationsorientiert (Bunderepublik) oder sicherheitsdominiert (DDR). 64 Dieser Punkt trifft im Besonderen auf die deutschen Zuwander*innen zu. Ihre massive Zurschaustellung hatte zudem die innenpolitische Aufgabe, den Bürger*innen der DDR zu verdeutlichen, dass ein Übertritt in die Bundesrepublik nicht den imaginierten Erfolg zeitigte und viele Flüchtlinge reumütig wieder zurückkehrten. Dadurch sollten die Fluchtwilligen möglichst schon im Vorfeld von ihrem Vorhaben abgebracht werden. Vgl. Henrik Bispinck, Zwischen Anwerbung und Abschreckung – West-Ost-Migranten und Aufnahmeheime in der Propaganda, in: Ders. / Hochmuth, Flüchtlingslager, S. 115–140. 65 Vgl. Poutrus, Mit strengem Blick, S. 205–224.

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Gemeinsam ist der Politik bei aller Unterschiedlichkeit zudem, dass die Aufnahme und die Aufnahmebereitschaft der jeweiligen Regierung stets abhängig waren von der eigenen Position im Kalten Krieg. Nach dem Motto, der Feind meines Feindes ist mein Freund, nahmen die Staaten jeweils bevorzugt (Bundesrepublik) oder ausschließlich (DDR) solche Menschen auf, die auf der jeweils anderen Seite des Eisernen Vorhangs unter politischen Druck geraten waren. Das konnte so weit gehen, dass auch nur vermeintliche Regimegegner Aufnahme fanden wie am Beispiel der ungarischen und tschechoslowakischen Flüchtlinge in der Bundesrepublik gezeigt werden konnte. Beide deutschen Staaten bemühten sich dabei stets, den Zustrom öffentlichkeitswirksam zu nutzen, um das eigene politische System als das bessere und überlegene zu legitimieren  – auch und gerade der eigenen Bevölkerung gegenüber.

Keith R. Allen

Migration, Private Lives and Cold War Politics: The Questioning of Newcomers in Joint Interrogation Centres (Zweigstellen für Befragungswesen)  

1. Introduction* Security vetting of refugees and other border-crossers in the name of public order brought intelligence officials into innumerable venues across Germany during the enormous refugee movements after 1945 — from train stations to private dwellings to places of work and recreation.1 For more than seven decades, foreign and domestic security authorities in western Germany charged with establishing claimants’ bona fides engaged in various types of questioning identified in American, British and West German declassified source material as “vetting”, “debriefing”, “flushing” and “interrogating”. During the Cold War, investigatory bodies from different nations, pursuing diverse institutional and ideological objectives, queried those entering West Germany and West Berlin. While the specific concerns of each investigation matter, one notes the readiness of intelligence services to subjugate domestic relations to security and institutional agendas. Among the most striking aspects of security questioning in West Germany are its ubiquity and its longevity. Questioning schemes touched the lives of millions of native German speakers and hundreds of thousands of foreigners. Massive and compressed waves of refugees in the years immediately after 1945 were followed by somewhat smaller streams of individual migrants and their families, including the flight of three million more East Germans by the early 1960s.2 Reduced to a * For their comments on drafts of this article, I wish to thank Donna Harsch, Derek Mallett, Dominik Rigoll, Kate Sturge and Heidi Tworek. 1 A guide to the European scale of wartime and postwar displacement is Peter Gatrell, The Making of the Modern Refugee, New York 2013, here pp. 89–117. A recent English-language guide to the foreign policy challenges presented by ethnic German expellees is Pertti Ahonen, Germany and the Aftermath of the Second World War, in: The Journal of Modern History 89/2 (2017), pp. 355–387, here pp. 376–382. 2 Roughly a third of the ‘Soviet zone’ refugees had originally arrived in East Germany as expellees from lands to the East. Helge Heidemeyer, Flucht und Zuwanderung aus der SBZ / DDR 1945/1949–1961. Die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland bis zum Bau der Berliner Mauer, Düsseldorf 1994, p. 24 and p. 43. On the mixture of ethnonationalism and vigorous anticommunism in defining American refugee policy during the early Cold War

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trickle of tens of thousands of individual escapees in the decades after militarization of the inner-German border and the construction of the Berlin Wall, westward migration and East-West travel during the 1970s and 1980s enabled domestic and foreign intelligence agencies to extend intelligence gathering in directions unforeseen in the immediate aftermath of Nazi Germany’s defeat. This article considers the plight of unnamed individuals caught in international webs of espionage. Drawing on newly declassified files, it links personal narratives of those questioned by security officials to postwar politics, specifically relations between the two German states. After US intelligence services distanced themselves from their commitment to liberate East Central Europe from Soviet rule post-1956, West German intelligence agencies, with the tacit approval of US security protectors, acquired a greater role in questioning newcomers from ‘SinoSoviet bloc countries’, mainly but never exclusively East Germany.3 East-West détente permitted West German intelligence agencies to expand their purview beyond the screening of refugees and asylum-seekers to the questioning of growing numbers of travellers to and from the Communist East. Via mass questioning, intelligence officials insinuated themselves into private lives and the substance of postwar democratic rule. Screening programmes pioneered during the Second World War and expanded during the Cold War outlived the global era of nuclear brinkmanship by more than a generation. West German branch questioning centres known in English as Joint Interrogation Centres and in German as Zweigstellen für Befragungswesen, or Befras, extended the geography of espionage to venues whose character during the Cold War was only partially shielded from press inquiry and parliamentary investigation, as well as the prying gaze of East Germany’s Ministry for State Security (Ministerium für Staatssicherheit, or Stasi) and other so-called socialist fraternal organs. The questioning of East Germans at Joint Interrogation Centres officially ended on June 30, 1990, but interrogations of asylum-seekers, ethnic Germans from other regions of Europe, and others did not end there. The last of the centres soldiered on until June 2014 nearly twenty-five years after the collapse of the Berlin Wall. This legacy of Cold War interrogations invites consideration.4 years, see Carl J. Bon Tempo, Americans at the Gate. The United States and Refugees during the Cold War, Princeton 2008, here pp. 34–75. On how European wars and colonialism shaped the first post-World War II attempts to define the legal status of ‘refugees’, consult a recent introduction supplied by Jochen Oltmer, Migration vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, Berlin / Boston 2016, pp.  1–55. 3 Allied intelligence needs remained paramount, however. Article 3 of a secret memorandum to the NATO Status of Force Agreement dictated that West German authorities bring to the immediate attention of Allied intelligence agencies the arrival of newcomers whenever the security interests of foreign military forces were impacted. In West Berlin, the police submitted to the Allied forces a weekly report of new arrivals. See The National Archives, London, FO 1060/5277, Hinweise für die Behandlung von Überläufern aus dem kommunistischen Machtbereich, undated (1969). 4 On security vetting in the postwar Federal Republic, see Keith R. Allen, Interrogation Nation. Refugees and Spies in Cold War Germany, London 2017. How services in West Berlin

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The Joint Interrogation Centre programme came into being in 1958, precisely two years after the establishment of the West German Federal Intelligence Service, or Bundesnachrichtendienst (BND).5 Described in British sources as the Quadripartite Debriefing Programme owing to the subsequent involvement of United Kingdom and French services, it was fashioned after the British example of the Combined Services Detailed Interrogation Centres launched in the Tower of London in early 1939 and extended during the Second World War across Britain’s sphere of influence, from Cairo to Delhi to Brisbane.6 Headquartered in Munich, the German programme consisted of questioning offices in West German cities and sites near the border between East and West Germany. By the early 1960s, Joint Interrogation Centres operated in a dozen German cities throughout the Federal Republic. During the early years, referrals often arrived from Giessen, Uelzen and the Marienfelde facility in Berlin, the three sites administering the Federal reception procedure for East Germans (Bundesnotaufnahmeverfahren). The Befras interviewed new arrivals, migrants, asylum-seekers, ethnic German resettlers from East Central Europe and others. Reports from questioning sessions produced by BND employees have in recent years become available according to the terms of the German Federal Archives Law. The process by which documents made their way through the BND’s vast bureaucracy, presumably undergoing review and evaluation, remains hidden from public inquiry. In addition, the declassified reports offer only snapshots of newcomers’ first hours or days in the Federal Republic, providing almost no sense of the interest that their arrival may have generated within West German ministries or Allied circles active within and beyond West Germany. The archival collection allows one, in some instances, to divine the aims of individual BND questioners, but not to pinpoint the evolving objectives of the service as a whole or the use of information obtained by security officials in face-to-face encounters with border-crossers. This article presents the first detailed assessment of their dossiers, assembled in the BND’s declassified collection of records at the German attempted to secure information from newcomers bound for West Germany during the 1950s, see Keith R. Allen, Befragung, Überprüfung, Kontrolle. Die Aufnahme von DDR-Bürgern in West-Berlin bis 1961, Berlin 2013. 5 On the ambivalence felt in Bonn in 1956 toward the loosely monitored networks of stringers fashioned by Hermann Baun and Reinhard Gehlen, see Thomas Wolf, Die Anfänge des BND. Gehlens Organisation — Prozess, Legende und Hypothek, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 64/2 (2016), pp. 191–225, here pp. 192 f. and pp. 200–207, and Gerhard Sälter, Kameraden. Nazi-Netzwerke und die Rekrutierung hauptamtlicher Mitarbeiter, in: Jost Dülffer et al., Die Geschichte der Organisation Gehlen und des BND, 1945–1968. Umrisse und Einblicke, Dokumentation der Tagung am 2. Dezember 2013, Marburg 2014, pp. 39–49, here pp. 41–43. 6 The most recent study of Britain’s Combined Services Detailed Interrogation Centres (CSDIC) is Falko Bell, Britische Feindaufklärung im Zweiten Weltkrieg. Stellenwert und Wirkung der ‘Human Intelligence’ in der britischen Kriegsführung 1939–1945, Paderborn 2016, here pp. 75–118 and pp. 338–358; on the American adaptation of the CSDIC, see Derek R. Mallett, Hitler’s Generals in America. Nazi POWs and Allied Military Intelligence, Lexington 2013.

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Federal Archives facility in Koblenz.7 The article consists of four parts. First, it explores the political and institutional context of the Befras within the West German security apparatus. In the second part, it zooms in on face-to-face questioning, noting how interrogators paid special attention to questions of age, class and gender. Part three explains the relevance of travel between the two German states to the questioning enterprise. Finally, the fourth part takes up how the Befras managed to outlive the Cold War itself.

2. The Befras: Political and Institutional Contexts Ostensibly administered by the Federal Ministry of the Interior, the Befras actually drew their domestic staffs from the BND, the Federal Office for the Protection of the Constitution (Bundesamt für Verfassungsschutz, or BfV) and  a third federal security agency today known as the Military Counterintelligence Service (Militärischer Abschirmdienst). The Befra questioning operations, initially established to glean insights from immigrants and migrants, asylum-seekers, retirees and other new arrivals to the Federal Republic, came to encompass  a wider pool of border-crossers headed in both directions across Germany’s Cold War divide. In addition to refugees and migrants, informants later included tourists, travellers and journalists, even those of West German and Western European citizenship. After 1964, East Germans of pensionable age and, in select cases, accompanying relatives (typically spouses), had been allowed to travel to West Germany once  a year. International agreements reached with East German leaders in 1971 created significant breaches in the Wall, enabling younger East Germans to visit relatives under special circumstances from 1973 onward. Individuals other than pensioners and those regarded by the East German regime as disabled or in need of special care were, during the 1970s, also granted opportunities to travel west for family occasions such as funerals.8 Beyond family visits, the East German party leadership’s signing of the Helsinki Accords in August 1975 7 See Bundesarchiv (henceforth: BArch), B 206/1107–1762. A parallel run from the B 206 collection provides the basis for the best current analysis of the Federal Intelligence Service’s assessment of Soviet forces stationed in East Germany. See Armin Wagner / Matthias Uhl, BND contra Sowjetarmee. Westdeutsche Militärspionage in der DDR, Berlin 2014. The most recent introduction to parts of the collection used in compiling this essay, coupled with internal documents supplied by employees of the Bundesnachrichtendienst, is JanHendrik Hartwig, Die Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes über die Wirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik, Munich 2017, here p. 8, p. 20, pp. 25 f. and pp. 60–72. On the origins of refugee questioning under the direction of the Bundesnachrichtendienst’s main domestic competitor, the Federal Office for the Protection of the Constitution, see Josef Foschepoth, Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, Göttingen 2014, pp. 135–138. 8 Patrick Major has described this latter group as “compassionate leavers” in Behind the Berlin Wall. East Germany and the Frontiers of Power, New York 2010, here pp. 199–209.

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enabled hundreds of thousands of East Germans to apply to emigrate to the West. Including those whose freedom the West German government purchased, nearly half a million people emigrated ‘legally’ to the Federal Republic between 1962 and 1989.9 Although its influence was limited, the Federal Republic sought to make westward travel and emigration an option for yet other East German families, with the West German authorities tying loans to concessions reluctantly granted by Socialist Unity Party (SED) leaders. By the 1980s, the number of retiree visits to the West had jumped to an average of  a million and  a half annually.10 The selective latitude of gatekeepers in East Berlin ensured that the West German Befras remained active; the pool of visitors swelled to include large numbers of retirees, defectors, migrants and others, most notably West Germans who had travelled to East Germany, Czechoslovakia, Hungary and other socialist states for work or for pleasure. Questioning took place at Befras immediately upon the newcomers’ arrival in western Germany and then again weeks, sometimes months, afterwards. In the latter instances, a standardized postal notice, often triggered by the arrivee’s registration for residence in the Federal Republic, instructed him or her to travel to  a Befra in  a nearby city. Newcomers thus showed up at Befras both before and after visits to reception and asylum centres, police stations, ‘border agencies’ run by foreign powers and various other clandestine Allied interviewing sites. Formal reports compiled by partner intelligence agencies prompted still further interviews at the Befras. Summonses issued to individual newcomers, and subsequently captured by the Stasi and its Soviet-directed and -inspired partners, reveal the stated objectives of the Befras, as well as how the BND altered its appeal to those invited to them over time. A June 1961 invitation sought to find common ground with newcomers, asserting that  a new arrival to the Federal Republic would “understand that the economic, political and scientific labour of restoring the unity of our Fatherland can only reasonably be accomplished by creating  a comprehensive picture of developments in all parts of Germany.”11 A generation later, the screening authorities of the Befras had dropped the appeal to national unity. A standard-issue note posted during the 1980s introduced the BND -coordinated questioning office in the following manner: “It is the responsibility of the Joint Interrogation Centre (Hauptstelle für Befragungswesen) to collect and evaluate reliable information about foreign countries on behalf of the Federal government. You can help with this task. We would be grateful to you if you would attend a meeting at our office, and ask that you bring to this meeting any personal papers and documents you possess from 9 Jan Philipp Wölbern, Der Häftlingsfreikauf aus der DDR 1962/63–1989. Zwischen Menschenhandel und humanitären Aktionen, Göttingen 2014, here pp. 281–352. 10 Major, Behind the Berlin Wall, p. 195. 11 Bundesbeauftrage für die Unterlagen des Staatssicherheitdiensts (henceforth: BStU), MfS-HA II, Nr. 41433, Form Letter from the Hauptstelle für Befragungswesen, Zweigstelle Stuttgart, June 26, 1961.

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the period before your residence in the Federal Republic.” Also amended in the 1980s-era summons — probably in response to West German press scrutiny and behind-the-scenes pressure from opposition party politicians — was a statement that “The degree to which you entrust us with your knowledge is in your hands”, and the assurance that the office guaranteed visitors “strict confidentiality”.12 Despite such assurances, many ignored the preprinted invitation: in early 1960, BND representatives notified authorities of the Hessian Ministry of the Interior that only 40 per cent of those summoned had actually responded.13 Federal civil servants charged with the enforcement of privacy legislation corroborated this estimate of no-shows for the Düsseldorf Befra twenty years later.14 During the early 1980s, BND staff at the Befras nonetheless questioned annually some 40,000 ethnic German expellees and 3,500 East German refugees. According to BND estimates relayed to the Federal Ministry of the Interior, roughly a third of these individuals supplied “relevant information”.15 The decision to ignore the BND’s official invitation was not always without consequences. During the early 1980s, several of those regarded as possessing relevant information and contacts subsequently faced a representative of the BND on their home doorstep.16 The Befra reports maintain the anonymity of both the interviewee and the interviewer.17 The reports also frequently record the interviewee’s border crossing point and date of entry; whether the transfer was “legal” (a term used internally by BND employees despite the fact that West German officials refused to use it publicly, to avoid giving the impression that East Germany was a legitimate state); and previous rounds of questioning by West German or Allied authorities, including the “preliminary screening” at  a reception or asylum centre or, less often, a clandestine facility run by an American, British or French service in West Berlin or West Germany. Subjects filled out personal history statements, listing friends, relatives and associates. Outsiders were not informed of the presence of domestic and foreign espionage agencies: the summonses made no mention of who exactly would be entrusted with the newcomers’ data. The Befra reports currently accessible in Koblenz omit full accounts of how individuals successfully fled Communist oppression. The absence of detail elides the migrants’ extraordinary efforts to reach the Federal Republic but does not reflect  a lack of interest on the part of espionage officials. In fact,  a different 12 BStU, MfS-HA II, Nr. 43867, Form Letter from the Hauptstelle für Befragungswesen, Zweigstelle Giessen, undated [1980s]. For an early example of the BND’s efforts to resist parliamentary influence, see Hessisches Hauptstaatarchiv, Abt. 503/1215, Bundesnachrichtendienst an das Hessische Ministerium des Innern, February 15, 1960. 13 Ibid. 14 See BArch, B 347/614, Vermerk, Betr.: Datenschutz im Bereich des BND, February 11, 1982. 15 BArch, B 347/614, Vermerk z.v. HBW, May 11, 1981. 16 See, for example, BArch, B 206/1598, Befra Report No. 640792, December 16, 1982. 17 Bodo Hechelhammer, Nachrichtendienstliche Begriffsbestimmungen der ‘Organisation Gehlen’ und des frühen Bundesnachrichtendienstes, in: Mitteilungen der Forschungs- und Arbeitsgruppe ‘Geschichte des BND’ 4 (2012), p. 29.

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run of Befra reports focused on the circumstances surrounding displacement: unfortunately for researchers, Federal officials have withheld or destroyed these Befra accounts, or they remain classified in the shadow holdings of the German Federal Archives.

3. The Habitus of Questioning: Age, Class and Gender in the Befras Day-to-day life at the Befras oscillated between tedium and occasional bouts of psychological intensity, with the routine of scheduled appointments punctuated by swift turns of events. Dramatic clashes of opinion, physical collapses and even bursts of mortal fear led to abrupt conclusions of interviews.18 At other times, more prosaic concerns, such as ongoing job searches,19 the monotony of day-to-day life in reception camps,20 or retirees’ plans to meet relatives for lunch21 thwarted the aims of sleuthing. Field operations work seems to have veered toward the banal, with veteran collection personnel performing tasks bearing no resemblance to the daring counterespionage operations often associated with the Cold War. Perhaps most frustrating of all, auspicious beginnings at the Befras occasionally failed to fulfil their potential, with especially promising sources turning stone cold. Personal assessments at the top of interim Befra reports suggest that the screening authorities’ encounters with those questioned proceeded smoothly in some cases. During his three-hour “supplementary interrogation”, for instance, a twenty-five-year-old aspiring chemist proved “credible, willing to testify and cooperative”. His handlers believed the young professional was “probably not holding back any information of interest. Intelligence, observational ability and memory are all slightly above average.” The details he offered on his former enterprise in Magdeburg yielded, in the interrogators’ assessment, “no contradic­ tions”.22 Neither tension nor a lack of cooperation cast a shadow over this meeting. This subject was young, but the BND’s screening employees seemed to enjoy the best relations with established male professionals and reserved their highest praise for goodwill displayed by a select middle-aged group of engineers and scientists fleeing westward. They cited approvingly the “openness” and “politeness” of a computer programming graduate of the Institute for Economics (Hochschule für Ökonomie) in East Berlin, as well as “his willingness to allow himself to be led” through the questioning, perhaps indicating that the interviewers followed 18 For an example of the latter, see BArch, B 206/1608, Befra Report No. 201228, December 4, 1974. 19 See BArch, B 206/1595, Befra Report No. 645172, November 19, 1981. 20 See BArch, B 206/1491, Befra Report No. 133857, January 10, 1968. 21 See BArch, B 206/1585, Befra Report Z / D 28387, June 5, 1968. 22 BArch, B 206/1142, Befra Report No. 257679, January 28, 1977.

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a standard routine.23 On five different occasions in December 1960 and January 1961, this former director of production impressed his questioners in Munich as being “intelligent, open-minded, friendly and accommodating. His responses were clear and well thought out. His willingness to testify stemmed from the fact that he had broken with the Communist regime for good”. The subject, who had arrived in the Federal Republic via West Berlin in August 1960, revealed that “his difficulties began with raising his children according to the dictates of the Communist regime and grew still larger when the party demanded he regard his comrades in much the same way”. Called upon at an all-staff gathering of his collective enterprise to denounce  a colleague who had failed to fulfil plan requirements, he decided to flee the country. Quiet by nature, he “was aware of the importance of the information he conveyed without displaying any sign of arrogance. The interview was characterized by an atmosphere of trust entirely free of suspicions or mistrust”.24 Befra screening officials in Düsseldorf heaped greater accolades on a fortyyear-old computer scientist who had fled to West Germany via Prague in April 1969, judging him  a “source par excellence”. Praise did not end there: “Ready to supply answers, credible, intelligent and open-minded”, he was “knowledgeable and technically well-versed, in his answers brief and concise, in essence, a sympathetic character”. Ten hours of cooperative exchange with the new arrival yielded a sketch of his former place of employment, an engineering firm specializing in calculating trigonometric points to determine the trajectory of rockets, and descriptions of army installations in East Berlin.25 BND questioners regarded this willing and knowledgeable German- and Czech-speaking expert as a welcome anomaly, providing “an oasis in the desert of daily interrogations”. The vetting officials seem to have regarded questioning in many other instances as tedious and routine, a perception that occasionally led them to set aside the professionalism one might expect from Federal employees. Befra reports reveal disdain for certain newcomers, especially those unwilling to respond quickly to the needs of their intelligence hosts. So long as they could provide details about specific research enterprises, milit­ ary installations and former supervisors and colleagues, newcomers received a measure of tact in their encounters with the BND. Among the praiseworthy adjectives assigned to  a twenty-eight-year-old machine fitter were “courteous and extremely conscientious”; both his manner and the fact that the information he supplied contained “no contradictions” apparently reflected his “excellent upbringing” (gute Kinderstube).26 But patience wore thin with less-than-forthcoming guests, especially when their backgrounds differed markedly from those of their information-hungry hosts. Disparities in class, professional standing 23 24 25 26

BArch, B 206/1117, Befra Report No. 139387, March 10, 1969. BArch, B 206/1157, Befra Report No. 77864, October 3, 1960. See BArch, B 206/1126, Befra Report No. Z / D 28 441, April 15, 1969. BArch, B 206/1606, Befra Report No. 257135, October 9, 1975.

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and age appear to have caused friction. Interrogators at the Hanover Befra damned with faint praise a sixty-six-year-old retired machinist from Halle; while “quite prepared to make statements”, the retiree was judged “too primitive to consciously incriminate himself with falsehoods”.27 BND questioners struggled to build rapport with older migrants. If advanced age often worked against those summoned to give evidence, working-class backgrounds and atypical physical appearances more commonly provoked dismissive comments. A Berlin toolmaker who had risen from apprentice to engineer at his socialist enterprise displayed, in the Düsseldorf interrogators’ view, not only “ignorance” but also “the typical craving for recognition and know-it-all manner of physically small people”.28 While favourably regarding self-assurance in accomplished, middle-aged male professionals, BND officials held supposed self-aggrandizement associated with what interrogators labelled “escape psychosis” against other informants. In fact, interrogators frowned on both nervousness and hubris. They faulted young men, including  a newly arrived machinist apprentice from  a Stralsund enterprise manufacturing nautical instruments, for displaying awareness of their potential importance as observers of East German life.29 On the other hand, those with a “very elementary intellectual level” received praise so long as they managed — as did  a tyre-changer from Neubrandenburg during his fifteen hours of interrogation — “to supply precise details without being pushy”.30 Newcomers able to cite a father’s military or police service with the Nazi regime were regarded sympathetically. In such instances, reports to superiors might communicate an escapee’s desire to acquire a similar position in the Federal Republic.31 Written evaluations of East German women migrants offer few surprises. Younger newcomers, particularly those who conformed to contemporary ideals of feminine beauty and comportment, received  a measure of sympathy. A Düsseldorf Befra employee assessed one thirty-four-year-old shorthand typist as “a well-groomed, good-looking and congenial lady. She was willing to provide testimony, and her responses were objective, commensurate with her solid intellectual background. Cooperative in every possible way, her statements appear quite credible, with no contradictions evident and no sign that she was consciously withholding information”. Slightly more to the point, BND handlers deemed her both “very German” and “pro-West”, noting her readiness to answer follow-up queries. Interrogators extended  a measure of compassion even to women without information, particularly the young and attractive, so long as they adhered to conventional strictures. One interviewer forgave a twenty-one27 Interviewed in 1966, the retired machinist was among the first allowed to travel westward. See BArch, B 206/1585, Befra Report Z / V-43551, November 24, 1966. 28 BArch, B 206/1585, Befra Report Z / D 28387, June 5, 1968. 29 See BArch, B 206/1453, Befra Report ZL 35174, October 12, 1966. 30 BArch, B 206/1405, Befra Report No. 235634, June 13, 1973. 31 See BArch, B 206/149787, Befra Report No. 149787, April 30, 1971.

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year-old stewardess, deemed “easy on the eyes”, for her lack of interest in military matters, distracted as she was by personal affairs. Having escaped to the West during her ship’s layover in the Dutch port of Rotterdam, this “simple, clean girl of a friendly, obliging nature” planned to emigrate to Belgium and reunite with her fiancé, a Belgian she had met several years earlier in her Saxon hometown.32 The prevalence of women’s paid labour in East Germany — in marked contrast to the ideal (if not always the reality) of life in the Federal Republic — elicited sexist comments from Befra officials.33 A 1967 report filed on a male migrant’s impressions of a large spinning mill in Leinefelde near Erfurt noted that eighty per cent of the facility’s employees were women. Due to high temperatures within the mill, they allegedly dressed lightly at work. The plant’s male workers responded with amorous overtures and flirting. In the report’s margins, a BND employee jotted down his observation that this phenomenon had long been  a feature of the industry, with nearly every male textile worker able to offer “nice stories”.34 This file lacks substantive comment about the spinning mill — an “intelligence target” far removed from analysis of Soviet military power. Professional women, especially those from non-technical backgrounds, provoked disdain from Befra questioners, as attested by the interrogation of a postdoctoral researcher in South Asian studies from the University of Berlin (today the Humboldt University). Brought to the Mainz Befra by Frankfurt am Main airport police, the escapee had arrived by plane from the Indian capital of Delhi. Her September 1970 interrogation began cordially, with the scholar “initially friendly and ready to provide testimony”. The next day matters unexpectedly worsened, with a now reluctant informant complaining about being held “like a prisoner”.35 A heated discussion followed, nearly bringing the interview to a premature end. Ultimately, however, the source agreed to provide personal details about her former colleagues at East Germany’s leading university and at the country’s foreign ministry, as well as about East Berlin journalists covering South Asia. BND interrogators learned that her husband had worked as a correspondent for the East German state news service. Had pressure been applied to secure this information? The BND documentation provides no indication. A handwritten note states that, notwithstanding concerns about the woman’s reliability and possible Stasi connections, contacts in West Germany’s capital should be made aware of her report. 32 BArch, B 206/1406, Befra Report No. 143716, December 19, 1969. 33 On women’s paid labour and social policy in East Germany, see Donna Harsch, Revenge of the Domestic. Women, the Family, and Communism in the German Democratic Republic, Princeton 2007; for a contrasting view, see Anna Kaminsky, Frauen in der DDR, Berlin 2016. 34 BArch, B 206/1356, Befragungsbericht: Betriebsverhältnisse in dem VEB Baumwollspinnerei Leinefelde, Bez. Erfurt, June 30, 1967. 35 The collection includes no response from the Bonn authorities; we cannot glean how this information may have been used from the content of these files. We have only the Befra report as a basis for pondering the psychological impact of such questioning sessions. BArch, B 206/1126, Befra Report No. 145220, September 20, 1970.

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Prising information out of those who had often risked much formed the West German Befras’ overriding objective. Interviewers especially criticized reticent newcomers, in particular those who, like the South Asia specialist, had initially seemed willing to share observations. In July 1960, an otherwise cooperative thirty-two-year-old foreman from a welding and fabrication shop in Chemnitz displeased the Nuremberg Befra interrogators, who complained that he had displayed “exceptional reserve” when the conversation turned to his relatives and acquaintances in the East.36 Why the BND so desired these personal details remains unclear: like many others, this file contains no discernable connection to so-called order-of-battle intelligence. A “garrulous” forty-one-year-old computer expert and former teacher from Gera interviewed for four hours also seemed “highly anxious not to divulge any ‘secrets’”. Although BND administrators thought him an unlikely Stasi agent, they thought he had become suspiciously taciturn in the course of his interview. The Befra questioners, frustrated by the reticence of an individual who had so clearly been at odds with the East German regime, or perhaps by a professional inability to break his quiet resolve, opined that the young man was “a good deal less intelligent than how he chose to present himself”.37 By the mid-1970s, many younger newcomers were refusing to answer BND interrogators’ queries. One twenty-nine-year-old manager held firm in his decision to withhold information about the artists and technicians employed at Meissen’s legendary porcelain workrooms. Pressed to explain his refusal to supply any personal or professional insights, the trained economist responded that he wished to avoid further association with security services, East or West.38 Befra reports offer pointed criticism of rival organizations’ approaches to information retrieval. One dispute centred on a woman of “above average intelligence, friendly and ready to provide testimony”. During the late 1940s, this promising informant had worked at the Soviet naval office in the Berlin district of Karlshorst, which was then the headquarters of Soviet forces based in East Germany. She had escaped East Germany via Maribor, on the Croatian coast of Yugoslavia, to Graz, where she travelled onward to Passau in Bavaria with the assistance of unspecified “Austrian friends”. If we believe her Befra report, the forty-five-year-old woman’s reluctance to elaborate further about her escape and those who had helped her stemmed from her “direct and massive interrogation in the Federal Emergency Reception Centre in Giessen (the BfV Office No. 111)”. The report writer lamented that the Giessen-based competitor’s zeal for security 36 BArch, B 206/1344, Befra Report Z / N 70069, August 1, 1960. 37 Such condescension toward new arrivals disaffected with the East German Communist state gainsaid the Befra summons’ stated aim of national unity. BArch, B 206/1605, Befra Report No. 215341, November 14, 1974. 38 The informant explicitly declined an invitation to  a follow-up interview, saying he was unwilling to engage in any further acts of “betrayal”. See BArch, B 206/1499, Befra Report No. 215163, May 17, 1973.

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control had thwarted the BND’s own “intensive interrogation and exploitation”.39 Although we cannot determine the truth of this allegation, we can infer from her report that the BND staff at the Befras interacted closely, if not always harmoniously, with another domestic espionage authority, the Federal Office for the Protection of the Constitution. Friction in this instance probably arose from the strong position enjoyed by the BfV’s experts in the city of Giessen: a decade later, the BfV outnumbered BND staff at the local Befra by four to one.40 Fears that agents of the Stasi and other Soviet-inspired services were posing as refugees fleeing to the West seems, nonetheless, to have ensured cooperation between these two main West German intelligence services, though we cannot ascertain for certain the degree to which bickering overshadowed security assistance. Communist infiltration was doubtless  a reality in western Germany, and we must leave it to future researchers to evaluate the successes and failures of West German security agencies in figuring out who was or was not an infiltrator.41 At the behest of the Cologne headquarters, the regional branches of the BfV and its state-level counterparts (Landesämter für Verfassungsschutz, or LfV) carried out spot checks on residences and other confirmations of bona fide status on East Germans residing in the Federal Republic. How long this continued is a matter of speculation, as the relevant files either remain under lock and key or have been destroyed.42

4. Questioning Travellers at the Befras While BfV and LfV employees monitored East German newcomers, ethnic Germans and other foreign asylum-seekers, both the BfV and the BND seized opportunities presented by détente to obtain information from those moving between the two Germanys or between West Germany and other points east. The number of individual journeys from West Germany and West Berlin to 39 BArch, B 206/1136, Befra Report ZG-83–347, July 14, 1966. 40 The BND appears to have posted three employees to the city’s Befra, whereas the BfV had at least twelve full-time employees working at the formal reception centre in Giessen. See BArch, B 106/97553, Bericht über den Besuch des Staatssekretärs von Schoeller im Notaufnahmelager Giessen. 41 Declassified Central Intelligence Agency files reveal that newcomers to the West were kept under surveillance for years after their formal inclusion in the Federal Republic. On how surveillance designed to target left-wing terrorists spilled over during the early 1970s into investigations of West German state employees, see Dominik Rigoll, Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifierung zur Extremistenabwehr, Göttingen 2013, and also Larry Frohman, Population Registration, Social Planning, and the Discourse on Privacy Protection in West Germany, in: The Journal of Modern History 87/2 (2015), pp. 316–356, here p. 322 and pp. 332–335. 42 On accessing state-level intelligence collections in German archives, see Jens Niederhut / Uwe Zuber (eds.), Geheimschutz Transparent? Verschlusssachen in staatlichen Archiven, Essen 2010, pp. 9–15.

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Communist countries, especially East Germany, skyrocketed after 1973. Among the least-known guests were visitors to the Federal Republic described obliquely in the Befra reports as “East-West travellers”. Perhaps not surprisingly, many informants, especially those still residing in East Germany, proved circumspect. The telexed record of a conversation with an East German labourer from Pirna visiting the Federal Republic to attend a relative’s funeral recorded his testimony as “credible”, though his BND interrogator characterized him as both “highly cautious and intimidated”.43 Such sessions swept up not only East but also West German travellers. The latter group included frequent visitors to the German Democratic Republic, such as retired couples with relatives in the East and accredited journalists who were thought to have developed contacts in parts of East German society of interest to the BND.44 As it had during earlier periods of westward mass migration, travel to the East occasioned fresh rounds of questioning directly at the border, with Western travellers returning from East Central Europe screened by representatives of state and Federal border police as well as BND and BfV staff members based at the Befras. The Bavarian Border Police, for instance, prepared daily summaries of encounters with travellers for both the BND headquarters and the 18th Military Intelligence Battalion in Munich, each of which used the reporting in keeping with its own requirements.45 Records from the US National Archives show that both CIA and BND officials reviewed accompanying lists of both eastbound and westbound travellers for what they deemed “operational purposes”.46 West German employees of the country’s foreign intelligence agency boarded domestic trains, set up shop in railway stations and paid house visits to likely informants throughout West Germany. BND staff at the Befras annually questioned some 40,000 ethnic Germans and 3,500 East German refugees, roughly a third of whom reportedly supplied “relevant information”.47 Persistence sometimes paid off: a December 1982 visit to the new home of a production engineer from Chemnitz persuaded the recent arrival to visit a nearby Befra, overcoming his formal written refusal submitted to the semi-clandestine office only a few days earlier.48 Such written refusals were rare. Initiatives to bring around the wary did not always succeed, for personal as much as professional reasons. Intelligence hosts got the sense that even guests who arrived without demur and were “prone to chattiness” were ultimately eager to “put the questioning behind them as 43 BArch, B 206/1505, Telex dated November 5, 1976. 44 See BArch, B 206/1521, Telex dated October 19, 1973. 45 Card files were also shared with the BfV from 1952 onward. BArch, B 347/219, Vermerk: Betr.: Datenschutz im Bereich des BGS: Erfassung von Ostblockreisenden, November 28, 1979. 46 National Archives and Records Administration, College Park, Maryland, Deferred Telepouch, June 1983, Cascope and Humint Collection Concerning Indications and Warning, “Zuber, Ebrulf ”, Vol. 1, Folder 2 of 2, RG 263, Entry ZZ-18, Box No. 145. 47 BArch, B 347/614, Vermerk, Betr.: Datenschutz im Bereich des BND, February 11, 1982. 48 See BArch, B 206/1598, Befra Report No. 640792, December 16, 1982.

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quickly as possible”.49 A thirty-two-year-old Polish machinist was by no means unique in giving her BND questioners in Kassel the impression that she regretted emigrating to the Federal Republic.50 In another case, a sixty-five-year-old newly retired dispatcher at the Zeiss optics firm in Jena refused to cooperate in follow-up sessions despite a first interview.51 Remarks made in November 1975 by his Befra interrogators offer interesting clues as to his change of heart. The increasing possibility of travel between the two Germanys not only presented fresh opportunities for intelligence agents; it also posed new obstacles. In the case of the Carl Zeiss dispatcher, the possibility of returning to his former home to visit relatives tipped the scale against the BND’s informational needs. Thus, a mere five days after his first session, the former dispatcher’s “craving for recognition” and “promise to supply further details” had morphed into a resolution to provide no additional information to West German intelligence agents. His interrogators attributed this unexpected recalcitrance to the negative influence of friends and local officials in his new Swabian hometown of Kaufbeuren. The lifelong Zeiss employee announced his wish to shield the state-owned factory from the BND’s gaze, arguing that any details he divulged could end up in the possession of the East German Stasi. The retiree’s future plans, reluctantly shared with his Befra interrogators, suggested how such a transfer of his personal observations might come to pass. Having resided only a few weeks in the Federal Republic, he was already planning to visit his daughter and two grandchildren in Jena the following spring. On telling friends in Kaufbeuren about his intent to return to East Germany and his questioning during his first Befra appointment, the retiree received well-intentioned advice to eschew further entanglement with BND security officials. As his new neighbours rightly noted, were he to visit relatives in the East, the Stasi might compel either him or his loved ones to reveal his disclosures to West Germany’s security services. This promising informant had been part of the production management of the world-renowned optics company Zeiss since before the war, his career in Jena interrupted only once by  a seven-year stint at  a Soviet optics facility in Krasnogorsk near Moscow. There, he had participated in the analysis of timelapse aerial photography. Upon his return to the Zeiss headquarters in Jena in 1953, the technician was entrusted with analysis of air photographic reconnaissance. Designing and producing high-demand angular measurement devices, he served as the firm’s liaison with the East German army. He also had a hand in managing Zeiss’s branch plants in Weimar and Eisfeld. Faced with this newcomer’s adamant refusal to provide information on sites of particular interest in both East Germany and the Soviet Union, the BND’s screeners sought to rationalize their failure, offering up an implausible dismissal of the potential informant’s value: a “partial disability”, we read, had ensured that he could only 49 BArch, B 206/1606, Befra Report No. 215650, November 28, 1975. 50 See BArch, B 206/1491, Befra Report No. 133857, January 10, 1968. 51 See BArch, B 206/1606, Befra Report No. 257194, November 10, 1975.

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work for three hours a week; the fact that he had made no secret of his plans to emigrate to the Federal Republic further limited his contacts (and thus presumably his military-industrial-related insights). For these reasons, the informant had not enjoyed access to “security-sensitive projects” for some time. Whether the field agents’ superiors concurred with this explanation remains unknown. The file concludes, like so many of the most interesting ones, with a notice indicating removal of “classified materials of foreign origin” for “security reasons”.52 Enthusiasm for face-to-face interrogation marked the early operations of the Befras under the BND’s custodianship. This period, which overlapped with the last years of mass flight from East Germany’s “new socialist order” prior to the construction of the Berlin Wall, may have been the busiest. Newcomers’ willingness to share observations with West German security officials remained pronounced during this time. In the autumn of 1960, an official at the Kassel Befra reported that heavy office workloads prohibited interrogators from learning as much from an economist from Leipzig “as perhaps possible”.53 Such alacrity among émigrés dwindled in the years after 1961. After disembarking from a Cuba-bound aircraft during a stopover at Ireland’s Shannon Airport and resettling in West Germany,  a thirty-four-year-old chemist (formerly director of a gas engineering group), considered sympathetic in his strict opposition to the East German regime, nonetheless resisted supplying a full profile of his former employer, the Leuna chemical works. Visibly ill at ease with the direction of questioning and rising from his seat several times in the course of his interview, the informant drew the conversation to a premature end.54 As the atmosphere of intense Soviet-Allied confrontation gave way in Europe to the relative quiet of the mid- to late 1960s and 1970s, even especially promising candidates expressed a reluctance to attend follow-up sessions. By the close of the 1970s, some subjects, even those regarded as potentially knowledgeable, were cutting short appointments or not showing up for prearranged follow-up interviews.55 As suggested by the 1975 case of the former Zeiss employee, the prospect of visiting relatives in the East, coupled with the great likelihood of Stasi questioning, may have encouraged many informants to think twice before entrusting the details of their former professional lives to representatives of the Befras. Even in such traditionally conservative towns as Kaufbeuren, chats with West German neighbours apparently strengthened the newcomers’ resolve to keep to themselves what they knew about their former socialist homeland. The possibility of visiting relatives, a harbinger of the détente era first granted to pensioners, caused Befra guests to withhold sought-after details.56

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BArch, B 206/1606, Befra Report No. 257194, November 10, 1975. BArch, B 206/1280, Befra Report Z-K 50588, October 28, 1960. See BArch, B 206/1498, Befra Report No. 231251, March 31, 1966. See BArch, B 206/1592, Befra Report No. 232370, January 25, 1979. See BArch, B 206/1497, Befra Report No. 111746, March 20, 1964.

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5. After the Fall of the Wall: The Longevity of the Befras Originally tasked with monitoring and exploiting the mass exodus of East German migrants to the Federal Republic during the late 1950s, the Befras came to assume quite different objectives, targeting a range of individuals travelling to and from the Federal Republic, and outlasting the Cold War by nearly twenty-five years. At some point after 1992, the Befra programme headquarters was moved from Munich to the Wilmersdorf district of Berlin. No new Befras were opened on the territory of the former East Germany, perhaps because so few migrants settled there — t hat is, until the mass flight of asylum-seekers to Germany in 2015. The best known example of refugee exploitation at a German Befra emerged long after the collapse of Soviet communism, when the Iraqi chemist Rafid Ahmed Alwan — given the baseball-inspired CIA cryptonym “Curveball” — offered spurious details about his country’s alleged weapons of mass destruction programme in his effort to secure asylum, an account subsequently employed to justify the American-led invasion of Iraq in 2003.57 In 2012, Federal authorities stated in response to parliamentary enquiries that they had no interest in confirming or denying whether the Befras were part of the BND. The Federal government has acknowledged that the Befras persisted in the form of  a Tripartite Debriefing Programme. In 2014, the four remaining Befras, in Berlin, Nuremberg, Mainz and Hanover, were questioning asylum-seekers from across the globe.58 The Befras were only one element, albeit an enduring one, in a landscape of interrogation sites spread across West Berlin and West Germany. Just as that previous era of global military and ideological confrontation framed a shifting amalgam of perils and possibilities, today mass migration and travel, warfare and international jihadism are yielding not only dangers but also fresh espionage opportunities. While the long-lived Befras may be a thing of the past, face-to-face interrogation appears likely to continue.59

57 See the account provided by the former British “defence briefer and British intelligence officer” Jack Dawson (pseudonym), The BND’s Hauptsstelle für Befragungswesen and Its British Partner, in: Journal for Intelligence, Propaganda, and Security Studies 4/1 (2010), pp. 140–144. 58 Minus the French: exactly when French services abandoned the Befras remains unknown. Keith R. Allen, Der Anfang von Let’s Spy Together, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, May 21, 2014. See also Deutscher Bundestag, Ausforschung von Asylbewerbern. 1. Untersuchungs­ ausschuss (NSA)/Ausschuss (Kurzmeldung hib 497/2015), October 1, 2015, URL: https:// www.bundestag.de/presse/hib/2015_10/-/390306 [March 10, 2019]. 59 A January 2016 article published in the main liberal German weekly, Die Zeit, questions whether the Befras were in fact closed. Kai Biermann / Christian Fuchs, Mit Asylversprechen Flüchtlinge abgeschöpft, in: Zeit Online, January 14, 2016, URL: http://www.zeit.de/2016/03/ geheimdienste-asylbewerber-spionage-bnd-rechtslage [March 10, 2019].

IV. Arbeitsmigration in deutsch-deutscher Perspektive

Carlos Sanz Díaz

Labour Migration and ‘Guest Workers’ in the Federal Republic of Germany and Western Europe, 1955–1973 1. Introduction Between 1955 and 1973 the ‘guest worker’ (Gastarbeiter) system was the predominant mechanism for selecting and contracting foreign workers invited to the Federal Republic of Germany (FRG). This system was a German variant within a set of national migratory regimes developed in the industrialized countries of Western Europe during the same period. The emergence of all of them was closely linked to the postwar economic prosperity which began with the rapid reconstruction of war-ravaged Europe and concluded with the oil crisis of 1973–74.1 In almost all the countries involved, the system was rooted in previous experience of using foreign labour, dating back to the years of World War II, and, beyond that, to the interwar period and even earlier times. Some of its features can be traced back to the nineteenth century.2 There is a broad consensus that the guest worker model emerged because economic growth during the period 1945–1975 created labour demand in the more developed industrial economies of Western Europe. Research has focused on the many ways in which states, economic actors (mainly employers) and society all intervened to control, influence and direct migratory flows. Another way of approaching the phenomenon has been to look from the bottom up and highlight the individual and collective agency of migrants recognizing them not as passive subjects of the forces of history but as rational actors. They contributed their own adaptive decisions to the structure of opportunities opened by economic modernization and to attempts to configure the migratory regime that answered labour needs. In sociology, the first analyses of the labour migration the German Gastarbeiter scheme entailed appeared in the 1970s, along with surveys of such schemes in the rest of Western Europe. Studies focused on the challenges of coexistence, integration or assimilation which immigrant populations met in host societies shaken by 1 Jochen Oltmer, Einführung: Migrationsverhältnisse und Migrationsregime nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Jochen Oltmer / Axel Kreienbrink / Carlos Sanz Díaz (eds.), Das “Gastarbeiter”System. Arbeitsmigration und ihre Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und West­ europa, München 2012, pp. 9-21.. 2 See, for the German case, Klaus J. Bade, Vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland? Deutschland 1880–1980, Berlin 1983, and Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München 2001.

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early outbreaks of xenophobia.3 In the following decade, political scientists also examined European migration policies from national and comparative perspect­ ives.4 In the 1980s, too, historians began to look at the work occupations of foreigners in Germany over time, revealing continuities with previous experiences dating back as far as the nineteenth century.5 In the 1990s, increased access to the archives enabled scholars to study the phenomenon in the guest worker era on the firm basis of primary documentation.6 Since then, historiographical research has made important advances in both the sending and receiving countries, albeit with uneven pace and intensity. In Germany, the historical migration research undertaken by Klaus J. Bade and his disciples had special relevance and impact. Bade and his co-researchers offered numerous contributions, throwing light on various facets of this topic from the turn of the twentieth century into the twenty-first.7 At the beginning of the present century, key works based on archival sources have appeared on the guest worker system in Germany and Western Europe. While thoroughly reconstructing our understanding of the political dyna­ mics of governments and the institutional mechanisms of international man­ agement of labour flows, many of these studies have shifted their scope and focus to new aspects. These have included: looking closely at the migrants themselves and their families;8 examining developments at regional and local 3 See for instance Maria Borris, Ausländische Arbeitnehmer in einer Großstadt. Eine empirische Untersuchung am Beispiel Frankfurt, Frankfurt a. M. 1973; Katharina Ley, Frauen in der Emigration: Eine soziologische Untersuchung der Lebens- und Arbeitssituation italienischer Frauen in der Schweiz, Frauenfeld 1979, and Friedrich Heckmann, Die Bundesrepublik: Ein Einwanderungs­land? Zur Soziologie der Gastarbeiterbevölkerung als Einwandererminorität, Stuttgart 1981. 4 See, for instance, Knuth Dohse, Ausländische Arbeiter und bürgerlicher Staat. Genese und Funktion von staatlicher Ausländerpolitik und Ausländerrecht. Vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik Deutschland, Königstein 1981; Tomas Hammar (ed.), European Immigration Policy. A Comparative Study, Cambridge 1985, and Cord Pagenstecher, Ausländerpolitik und Immigrantenidentität. Zur Geschichte der “Gastarbeiter” in der Bundesrepublik, Berlin 1994. 5 For some broad visions on the topic, see i.a. Leslie Page Moch, Moving Europeans. Migration in Western Europe since 1650, Bloomington 1992; Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik, and Leo Lucassen, The Immigrant Threat. The Integration of Old and New Migrants in Western Europe since 1850, Urbana 2005. 6 Johannes-Dieter Steinert, Migration und Politik: Westdeutschland — Europa — Übersee 1945–1961, Osnabrück 1995. 7 Bade, Vom Auswanderungsland; Klaus J. Bade, Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2000; Klaus J.  Bade / Jochen Oltmer (eds.), Normalfall Migration: Deutschland im 20. und 21. Jahrhundert, Bonn 2004, and Jochen Oltmer, Migration vom 19. bis 21. Jahrhundert, München 2010. 8 Yvonne Rieker, “Ein Stück Heimat findet man ja immer”. Die italienische Einwanderung in die Bundesrepublik, Essen 2003; Karin Hunn, “Nächstes Jahr kehren wir zurück …” Die Geschichte der türkischen “Gastarbeiter” in der Bundesrepublik, Göttingen 2005 , and Grazia Prontera, Partire, tornare, restare? L'esperienza migratoria dei lavoratori italiani nella Repubblica Federale Tedesca nel secondo dopoguerra, Milano 2009.

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levels;9 analyzing public opinion and political discourses on migration;10 studying the media for emigrants;11 and giving space to the attitudes of actors not previously considered, such as women, welfare associations and unions.12 Comparative analysis has been particularly productive in identifying similarities and divergences between different national models;13 and there have been several collective works that offer broad visions of the European migrations in this period.14 Other outstanding features of current research are: increasing recourse to the comparative and transnational perspectives;15 the incorporation of migrations into the geopolitical context of the Cold War;16 and the application of the concept of ‘migration regime’ — a notion derived from the ‘international regime’ idea in the theory of international relations.17 All this research has been done at both German and European levels.18 9 Jochen Oltmer (ed.), Migrationsregime vor Ort und lokales Aushandeln von Migration, Wiesbaden 2018, and Jozefien De Bock, Parallel Lives Revisited. Mediterranean Guest Workers and their Families at Work and in the Neighbourhood, 1960–1980, New York 2018. 10 Karen Schönwälder, Einwanderung und ethnische Pluralität. Politische Entscheidungen und öffentliche Debatten in Großbritannien und der Bundesrepublik von den 1950er bis zu den 1970er Jahren, Essen 2001; Rita Chin, The Guest Worker Question in Postwar Germany, New York 2007, and Jan Philipp Sternberg, Auswanderungsland Bundesrepublik. Denkmuster und Debatten in Politik und Medien 1945–2010, Paderborn 2012. 11 Roberto Sala, Fremde Worte. Medien für “Gastarbeiter” in der Bundesrepublik im Spannungsfeld von Außen- und Sozialpolitik, Paderborn 2011. 12 Monika Mattes, “Gastarbeiterinnen” in der Bundesrepublik. Anwerbepolitik, Migration und Geschlecht in den 50er bis 70er Jahren, Frankfurt a. M. 2005, and Oliver Trede, Zwischen Misstrauen, Regulation und Integration. Gewerkschaften und Arbeitsmigration in der Bundesrepublik und in Großbritannien in den 1960er und 70er Jahren, Paderborn 2015. 13 Imke Sturm-Martin, Zuwanderungspolitik in Großbritannien und Frankreich. Ein historischer Vergleich 1945–1962, Frankfurt a. M. 2001, and Jenny Pleinen, Die Migrationsregime Belgiens und der Bundesrepublik seit dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2012. 14 See i.a. Rainer Ohliger / Karen Schönwälder / Triadafilos Triadafilopoulos, European Encounters. Migrants, Migration and European Societies since 1945, Aldershot 2003; Clelia Caruso /  Jenny Pleinen / Lutz Raphael (eds.), Postwar Mediterranean Migration to Western Europe. Legal and Political Frameworks, Sociability and Memory Cultures, Frankfurt a. M. 2008; Ditt­ mar Dahlmann / Margrit Schulte Beerbühl (eds.), Perspektiven in der Fremde? Arbeitsmarkt und Migration von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Essen 2011, and Oltmer / Kreienbrink / Sanz Díaz, Das “Gastarbeiter”-System. 15 Christoph Rass, Institutionalisierungsprozesse auf einem internationalen Arbeitsmarkt. Bilaterale Wanderungsverträge in Europa zwischen 1919 und 1974, Paderborn 2010; Marcel Berlinghoff, Das Ende der “Gastarbeiter”. Die Anwerbestopps in Westeuropa 1970–1974, Paderborn 2013, and Simone Goedings, Labor Migration in an Integrating Europe. National Migration Policies and the Free Movement of Workers 1950–1968, Den Haag 2005. 16 Alexander Clarkson, Fragmented Fatherland. Immigration and Cold War Conflict in the Federal Republic of Germany, 1945–1980, New York / Oxford 2013. 17 Ute Frevert / Jochen Oltmer (eds.), Europäische Migrationsregime, Göttingen 2009, and Emmanuel Comte, The History of the European Migration Regime. Germany’s Strategic Hegemony, London 2018. 18 For recent synthesis, see Ulrich Herbert / Karin Hunn, Gastarbeiter und Gastarbeiterpolitik in der Bundesrepublik. Vom Beginn der offiziellen Anwerbung bis zum Anwerbestopp

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This article addresses the issue of labour migration in the FRG and Western Europe through analysis of the configuration of the postwar migratory regime and the debates generated by its development in European societies. The article is divided into two parts. In the first, I analyse the functioning of the guest worker system, distinguishing regulatory norms and principles, and the policies resulting from the interaction between the actors involved in the system. Both planes intertwined through constant adjustments, and sometimes tensions, which are briefly indicated here. In the second part, I discuss the main controversies over the migratory regime of the 1955–1973 period: the debates about the recruitment and status of foreign workers, the production and management of ‘illegality’, the regime of permanence, integration and citizenship, and the limits the guest worker system evidently had. Finally, I reflect on the relationship between state control and the agency of migrants as an inherent feature of the system, and point out some promising research approaches.

2. The Functioning of the ‘Guest Worker’ System in the FRG and Western Europe 2.1 Norms and Principles The FRG officially entered the guest worker era in December 1955 with the signing of an agreement with Italy for the selection and hiring of Italian workers. The German-Italian agreement was mutually beneficial: it helped the Italian government reduce mass unemployment and improve its balance of payments with the FRG, while at the same time guaranteeing a labour force for German employers in certain economic sectors, including seasonal employment in agriculture and construction. This agreement, and those subsequently signed by the FRG with other Mediterranean countries, established  a dynamic that differed from the integration of displaced persons (Vertriebene) into Germany’s postwar labour market and the exploitation of foreign workers (Fremdarbeiter) under National Socialism.19 The new postwar migration system emerged within the framework of Cold War realities, which split the European economic space in an East-West divide, radically affected the mobility of labour, and allowed migrant 1955–1973, in: Axel Schildt / Detlef Siegfried / Karl C. Lammers (eds.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, pp. 273–310, and Monika Mattes, Wirtschaftliche Rekonstruktion in der Bundesrepublik Deutschland und grenzüberschreitende Arbeitsmigration von den 1950er bis zu den 1970er Jahren, in: Jochen Oltmer (ed.), Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin / Boston 2016, pp.  815–851. 19 Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik; for continuities between the recruitment of foreign workers under National Socialism and in the early FRG, see Roberto Sala, Vom “Fremdarbeiter” zum “Gastarbeiter”. Die Anwerbung italienischer Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft (1938–1973), in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 55 (2007), pp. 93–112.

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groups — often coming from countries under authoritarian regimes — to transfer their ideological and identity conflicts to the host societies.20 The application of the 1955 agreement created a recruiting system which was managed by the governments of the countries that sent workers and the countries that received them, and in particular by the respective Ministries of Labour. In the years that followed, the emergence of structural labour needs in other economic sectors of the FRG, especially in the metallurgical and textile industries channelled more and more Italian workers into the buoyant German economy through this mechanism of ‘assisted emigration’. Although the employment relationship continued on the basis of renewable annual contracts, the ‘rotation principle’ implicit in the 1955 agreement — according to which the Gastarbeiter periodically returned to their homelands to be replaced by others — was gradually abandoned in favour of a more or less permanent settlement of the foreign labour force.21 The sustained growth of the FRG’s economy and the construction of the Berlin Wall in 1961, which stopped any flow of workers from the GDR , reinforced the system. Millions of foreign workers came to West Germany. The agreement with Italy served as a model for new agreements the FRG signed with other countries in southern Europe and the southern shore of the Mediterranean: Spain and Greece, (1960), Turkey (1961), Portugal (1964), Yugoslavia (1968); and also Morocco (1963–1966) and Tunisia (1965), although these last two provided much smaller contingents. Bilateral recruitment agreements between emigration and immigration countries were the central instruments for migration policy not only in the FRG but in most Western European countries in the guest worker era (1955–1973). These regulated recruitment, working conditions and social security. Such agreements were not an absolute novelty since they first came into being during the interwar period, but now they were refined and multiplied. As an advantageous tool for the countries of origin and destination, migration agreements helped to articulate the European labour market and regulate transnational competition for labour. Sixty migration agreements were signed between 1946 and 1971 (31 of them between 1960 and 1966), and together they produced a dense regulatory network which stood at the core of the European migratory system.22 20 Clarkson, Fragmented Fatherland. 21 Johannes-Dieter Steinert, Die deutsch-italienische Wanderungsvereinbarung und die An­ wer­bung italienischer Arbeitskräfte in den späten 1950er Jahren, in: Volker Ackermann et al. (eds.), Anknüpfungen. Kulturgeschichte — Landesgeschichte — Zeitgeschichte, Essen 1995, pp. 439–455; Rieker, “Ein Stück Heimat”, pp. 19–26, and Sala, Vom “Fremdarbeiter” zu “Gastarbeiter”. 22 Rass, Institutionalisierungsprozesse; for the agreements signed by the FRG, with an emphasis on their political motivations, see also Heike Knortz, Diplomatische Tauschgeschäfte. “Gastarbeiter” in der westdeutschen Diplomatie und Beschäftigungspolitik 1953–1973, Köln 2008, and Heike Knortz, Gastarbeiter für Europa. Die Wirtschaftsgeschichte der frühen europäischen Migration und Integration, Köln 2016.

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The guest worker system, which consequently emerged as the predominant postwar migration regime in the FRG and Western Europe, was characterized by  a series of distinctive features. First, it was based on  a high degree of state intervention. Governments organized the selection and hiring of workers under their bilateral agreements, usually in collaboration with economic and social actors like employers and trade unions. Both the countries of origin and the receiving countries imposed passport and visa requirements, and issued work permits and residence permits to control the number, rhythm and composition of cross-border population movements so far as they could. Secondly, the migration system was strongly dependent on the economic and labour market needs of the more developed countries of Western, Central and Northern Europe. Guest workers accepted conditions of employment and pay that were no longer attract­ ive to local workers, and they often had to do physically demanding, unpleasant or dangerous work. Thirdly, the model assumed that the stay of workers in the receiving countries would be temporary and that they would return to their countries of origin once they were no longer needed for the workforce. Given that employers, governments and the migrants themselves shared this assumption, the system was based on fixed-term contracts. The principle of rotation of workers was often invoked, but it was never a mandatory normative principle. In most cases the fixed-term employment contracts could be easily extended if the employers agreed, and they soon got into the habit of agreeing for reasons of efficiency and to avoid the training costs that would result from a complete renewal of their workforce each time the original labour contracts expired. In principle, the entry of dependents was discouraged, but the competition for labour, the demand for foreign female workers in sectors such as textiles, electrical goods and manufacturing, and the inevitable tendency towards family reunion and settlement led governments to relax restrictions on the entry of dependents throughout the 1960s, as a pragmatic solution. This further reduced the effectiveness of the principle of temporary stay.23 2.2 Actors and Policies In the FRG, state management of migratory flows was mainly driven by the Federal Labour Office (Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeits­ losenversicherung, or, after 1969, Bundesanstalt für Arbeit, BAA), which came under the Federal Ministry of Labour. During the recruitment period 1955–1973, ‘recruitment commissions’ from the Federal Labour Office went to the recruiting 23 About restrictions on family migration see Comte, The History of the European Migration Regime, pp. 62–68 and pp. 88–95; on the flexibilization in the practice of these restrictions, see Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik, pp. 227 f., and Barbara Sonnenberger, Nationale Migrationspolitik und regionale Erfahrung. Die Anfänge der Arbeitsmigration in Südhessen (1955–1967), Darmstadt 2003, pp. 94–97, pp. 138–142 and pp. 181–186.

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countries to select workers and conduct medical examinations of the candidates. As support points for organizing selection and contracting, the BAA established liaison offices (Verbindungstellen) and branch offices dependent on them in Verona, Madrid, Athens, Lisbon, Istanbul, Ankara and Belgrade. Complementing the ‘anonymous’ recruitment of workers selected by the German commissions, some employers recruited workers in their countries of origin by name (namentliche Anforderung), often resorting to the mediation of workers already employed in their companies who would recruit others from among their relatives, countrymen or friends, thus activating networks and migratory chains.24 In practice, there were three main ways to emigrate to the FRG. The first way was through anonymous recruitment, activated by employers’ demand for workers, and organized in selection operations carried out by the German Commissions in the recruiting countries. The second way was through immigration with a visa stamp (Sichtvermerk) equivalent to a residency permit (Aufenthalterlaubnis), which could be issued by the German consulates with the authorization of the immigration authorities (Ausländerbehörden) from the Ministry of the Interior. The third way was to enter as a tourist, and to get a job later, regularizing legal status by obtaining the necessary permits.25 The first two ways were officially managed while the third was, for years, largely tolerated, the authorities only beginning to clamp down on it from the mid-1960s.26 In practice the boundaries between the three ways were more blurred than this schematic classification implies. It was not uncommon for the same employer or the same migrant to resort at will to any of the three paths over time, or to combine them throughout their working relationship. This could be with the help of recruiters who selected on the spot, through subsidiary companies, through official channels, through private benevolent associations, or through mediators known personally — indeed through intermediaries of all kinds.27 Moreover, the possibility of reaching the FRG by each of the three routes changed over time, as the decisions of the German authorities were rethought in permanent interaction with the sending countries’ governments. There was a constant process of negotiation in which each party tried to adapt the flows of workers to their economic and labour-market interests.

24 Sonnenberger, Nationale Migrationspolitik, pp. 72–74 and pp. 131–133. 25 Ibid., pp. 67–112. 26 Serhat Karakayali speaks of  a fourth path consisting of illegal immigration organized by intermediaries, which frequently ended in the deportation of immigrants by the German authorities. Serhat Karakayali, Gespenster der Migration. Zur Genealogie illegaler Einwanderung in der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2008, pp. 130–149. 27 See, for instance, Mattes, “Gastarbeiterinnen” in der Bundesrepublik, p. 299, and Jozefien de Bock, Of Employers, Uncles and Interpreters: the Diverse Trajectories of Guest Workers to the Belgian City of Ghent, 1960–1975, in: Journal of Ethnic and Migration Studies 44/7 (2018), pp. 1233–1249.

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At the same time, amongst the migrants, informal networks of friendship, kinship or national belonging steadily developed, linking people in the sending and receiving countries. As a result, circular migration flows were increasingly replaced by chain migrations — especially after the mid-1960s. Although the majority of foreign workers returned to their country of origin after a few years, they tended to stay in the receiving countries longer than planned. The mechan­ ism of family reunion reinforced this trend towards permanent settlement. Other Western European countries resorted to similar procedures. France signed bilateral agreements with Italy (1951), Spain (1961), Portugal (1963), Yugoslavia (1965), Turkey (1965) and its former colonies of Morocco and Tunisia (1963). Although the National Immigration Office (Office Nationale d’Immigration, ONI) had  a legal monopoly on the granting of immigration permits, most immigrants arrived of their own accord, with  a tourist visa or through private recruitment. Immigration got out of control during the boom years, with the number of officially registered foreigners (excluding Algerians) rising from 1.6 to 2.3 million in a single decade (1955–1965). At the same time, retrospective ‘regularization’ of the residence and employment status of those sans papiers (illegal immigrants) rose from less than 50 per cent in 1956 to 82 per cent in 1968.28 Switzerland also made use of  a foreign labour force. Up to 1960, this consisted mainly of workers from Italy, because Switzerland and Italy had signed a recruitment agreement in 1948. Spaniards followed (especially after a bilateral agreement made in 1961) and soon they were the second largest foreign group after the Italians. Switzerland initially applied a rotation model of its own devising, which was based on temporary but renewable work contracts for seasonal workers — who were forced to leave the country every year — and for other types of workers. Migrants were most certainly regarded as ‘guest workers’, but in the mid-1960s the country changed to a more inclusive policy with the possibility of family reunion.29 These three countries were the main recipients of foreign labour in the era of the guest worker, but other Western and Northern European states developed national variants of the basic model established. In each country, these variants were shaped by their own history, culture and migration traditions and by new economic and political connections. From the 1950s, Belgium imported workers who came mainly from neighbouring countries. Invitations then got extended to Italians and workers from other Mediterranean countries. This was all within 28 On the French case, see i.a. Marianne Amar / Pierre Milza, L’immigration en France au XXe siècle, Paris 1990; Gérard Noiriel, Population, immigration et identité nationale en France, XIXe-XXe siècle, Paris 1992; Gérard Noiriel, Le creuset français. Histoire de l’immigration (XIXe-XXe siècle), Paris 1996, and Marie-Claude Blanc-Bhaléard, Les immigrés et la France, XIXe-XXIe siècle, Paris 2003. 29 Hans Mahnig (ed.), Histoire de la politique de migration, d’asile et d’intégration en Suisse depuis 1948, Zürich 1985, and Etienne Piguet, Einwanderungsland Schweiz: Fünf Jahrzehnte halb geöffnete Grenzen, Zürich 2006.

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a state-organized recruitment regime, but in the 1960s Belgium opted for deregulated labour migration following the law of the market, with no further state participation.30 Between the 1960s and the early 1970s the Netherlands developed its own guest worker system, recruiting labour from the Mediterranean region to replace workers from former colonies.31 The United Kingdom was different. It did not resort to a guest worker mechanism, but preferred to open its doors to Commonwealth citizens — initially Irish workers in the main; later Anglo-Caribbeans, Indians, Pakistanis and Bangladeshi. This was enabled by the British Nationality Act of 1948, a reform of the right of citizenship that granted all the subjects of the crown the right of free entry into the country.32 Multilateral agreements also facilitated labour migration by creating a normative framework that institutionalized  a minimum of migration standards, as reflected in the documents of the International Labour Organization and, above all, in those of European organizations such as the OEEC / OECD (Organization for European Economic Co-Operation / Organization for Economic Cooperation and Development), the Council of Europe and the European Economic Community (EEC).33 The EEC was not successful in its plans to bring in  a policy of free movement of citizens of third countries and to build an integrated labour market. However, three regulations dating from 1961, 1964 and 1968 substantially improved the status of Italian workers and opened the way for them to settle in any Common Market country, though at their own risk. To a large extent, this development invalidated the mechanism of ‘assisted emigration’, which became residual among EEC member states: at the beginning of the 1970s, only two per cent of the Italians working in the FRG had arrived through the German Commission in Verona.34

3. From ‘Guest Workers’ to ‘Immigrants’: Controversial Concepts about Emigration In the FRG and in countries like France, Great Britain, Switzerland, Austria and Sweden, the postwar state immigration policy was formulated and implemented in a generally apolitical environment: there was a notable lack of public debate. 30 Marie-Thérèse Coenen / Rosine Lewin, La Belgique et ses immigrés. Les politiques manquées, Bruxelles 1997. 31 Teseltje De Lange, Staat, markt en migrant. De regulering van arbeidsmigrantie naar Nederland 1945–2006, Den Haag 2007. 32 Zig Layton-Henry, The Politics of Immigration: Immigration, Race and Race Relations in Post-War Britain, Oxford 1992; Randall Hansen, Citizenship and Immigration in Post-War Britain, Oxford 2000; Schönwalder, Einwanderung, and Sturm-Martin, Zuwanderungspolitik. 33 Rass, Institutionalisierungsprozesse, pp. 309–343. 34 Roberto Sala, Die migrationspolitische Bedeutung der italienischen Arbeitswanderung in die Bundesrepublik, in: Oltmer / Kreienbrink / Sanz Díaz, Das “Gastarbeiter”-System, pp. 71–87, here p. 83.

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This can be explained by a range of factors: the times were prosperous; it was understood that the foreign workers would remain in the receiving countries only for a short time; the public was not much interested in issues of national economy; and the policy-makers were eager to avoid public debate.35 However, some of the controversial aspects that gained notoriety after 1973 had already surfaced since 1955. 3.1 Early Debates on the Recruitment and Status of Foreign Workers The first migration agreement the FRG made with Italy in 1955 was preceded by a limited debate on the hiring of foreign labour, which drew in farmers, trade unions, the Confederation of German Employers’ Associations (Bundesvereinigung der deutschen Arbeitsgeberverbände) and the Federal Ministries of Labour and the Economy. At the centre of the debate was concern about the depletion of labour reserves in the FRG,36 and the employers’ preference for hiring permanent workers rather than seasonal ones. The Ministry of the Economy was open to hiring foreign labour while the Ministry of Labour and the Federal Employment Agency (Bundesanstalt für Arbeit) were against such a move, both putting forward dissenting arguments based on demographics, labour needs and economic planning. The Federal Foreign Office (Auswärtiges Amt) took its own stance, placing German foreign policy interests on its agenda, and these eventually played a decisive role in the agreement with Italy.37 The trade unions defended the principle of ‘native primacy’ (Inländerprimat) and pressed for equal conditions of wages and labour for foreign workers and Germans to avoid a situation where immigration might produce a reduction in wage levels and labour standards for the German workers.38 This debate did not spill out into the public sphere but was confined to a handful of actors who tried to influence government policy. The bilateral recruitment agreements that followed once Italy had ‘opened the door’ were signed by the German government with even less political controversy. Basic economic aims, derived from the needs of the German labour market, were intermingled with specific political considerations in agreements signed with countries like Spain, Turkey and Yugoslavia, but such considerations barely trickled through to stir public opinion. Technically, bilateral agreements created  a distinction between the workers who arrived within the framework of the official recruitment programmes and foreign workers who came into the country in another way. In reality, the distinc35 Hammar, European Immigration Policy, and Anthony Messina, The Logics and Politics of Post-WWII Migration to Western Europe, Cambridge 2007, pp. 28 f. 36 Karakayali, Gespenster der Migration, pp. 100 f. 37 Steinert, Migration und Politik, and Heike Knortz, Diplomatische Tauschgeschäfte. 38 Trede, Zwischen Misstrauen, Regulierung und Integration.

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tion was not always so clear. In fact, the term ‘guest worker’ and its equivalents (Gastarbeiter in the FRG and Switzerland; gastarbeider in the Netherlands) were quite unofficial, though they featured in the social debate of the 1960s together with more formal expressions such as ‘foreign workers’ (ausländische Arbeit­ nehmer in German, buitenlandse werknemers in Dutch). It seemed important to emphasize the allegedly temporary character of the presence of these workers in the receiving societies. Meanwhile, the countries of origin adopted the terms ‘emigration’ and ‘emigrant’ as the terms most commonly used in the public sphere and incorporated them into their administrative language. 3.2 The Production and Management of ‘Illegality’ By specifying the legal and administrative conditions for official emigration, within the guest worker system, the authorities implicitly put some forms of migration out of bounds, so that there were ‘irregular’, ‘illegal’ or ‘clandestine’ patterns of migratory movement slipping through in the margins of the system. The definition of these categories varied over time according to the perspectives of each country, generating occasional friction between governments.39 On the one side, migrant-receiving countries tended to have laxer criteria, in line with a liberal entry policy designed to facilitate the reception of foreign labour. On the other side, migrant-sending countries often maintained restrictive rules and tended to label any outflow of population from the national territory that occurred outside state control as ‘illegal’ or ‘irregular’. The aim of the sending countries was to keep firm control of the internal labour market and to select who left, favouring the exodus of unskilled workers while retaining the skilled workers for their own industrial development. There was a general tendency in all countries to increase control of their borders from the mid-1960s, but all kinds of exceptions were allowed.40 39 For a succint discussion of this question see Barbara Lüthi, Migration and Migration History, Version 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, September 28, 2010, URL: http://docupedia.de/ zg/luethi_migration_v1_en_2010 [March 10, 2019]; Marlou Schrover et al. (eds.), Illegal Migration and Gender in  a Global and Historical Perspective, Amsterdam 2008; Bill Jordan / Franck Duvell, Irregular Migration. The Dilemmas of Transnational Mobility, Surrey 2003, and Karakayali, Gespenster der Migration. 40 Carlos Sanz Díaz, “Clandestinos”, “ilegales”, “espontáneos”… La emigración irregular de españoles  a la República Federal de Alemania en el contexto de las relaciones hispanoalemanas, 1960–1973, Madrid 2004 (German version: “Illegale”, “Halblegale”, “Gastarbeiter”. Die irreguläre Migration aus Spanien in die Bundesrepublik Deutschland im Kontext der deutsch-spanischen Beziehungen 1960–1973, Berlin 2010); Karakayali, Gespenster der Migration; Sandro Rinauro, Il camino della speranza. L’emigrazione clandestina degli italiani nel secondo dopoguerra, Torino 2009, and Manuela Martini / Lutz Raphael (eds.), Illegal Migrations to Western Europe after World War  II, Special Issue: Journal of Modern European History 12/1 (2014).

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Early discussions on irregular migration — presented as a threat to the security and stability of the receiving society — had repercussions on the normative regulation of the migratory flows. It was in 1965, in response to a public debate on recent cases of ‘human trafficking of guest workers’ that the FRG first defined its immigration regime, adopting its first postwar Aliens Act (Ausländergesetz), which replaced the still-current Police Ordinance on Foreigners (Ausländerpolizeiverordnung) of 1938. That same year the German government drew up a unitary policy on foreigners for the entire FRG, the Principles of Policy towards Foreigners (Grundsätze zur Ausländerpolitik). It was approved by the Conference of the Ministers of the Interior of the Länder (Innenministerkonferenz) in June 1965.41 Despite the normative trend to control migration that was characteristic of the guest worker system, some degree of irregular immigration was tolerated, or even encouraged, by employers and by migrant-sending and receiving countries. Irregular entry of foreign workers into the country was usually followed by a posteriori regularization of the situation through the issue of the necessary documentation — usually work and residence permits. Among the Italians who emigrated to France between 1945 and 1960, more than half were ‘clandestine’, as were nine out of every ten of the migrants’ family members who came later to join them.42 By 1968, more than 80 per cent of the immigrants in France had entered the country irregularly and had only regularized their position after the event.43 In Spain, the authorities of the Franco dictatorship estimated that more than half of the emigrants out of the country had left illegally for Western Europe between 1961 and 1969. Six out of every ten Portuguese emigrants to France between 1957 and 1974 were also clandestine.44 At the beginning of the 1970s, ten per cent of foreign workers in Western Europe were remaining illegally in their receiving countries, and six years later this percentage had at least doubled.45 3.3 Debates on the Regime of Permanence, Integration and Citizenship The immigrants were partially integrated into the welfare states of the receiving countries through the obligation on them to pay social security contributions and through their acquisition of social rights derived from their work activities.46 Prolongation of the time of stay and a gradual consolidation of the residence status 41 Schönwälder, Einwanderung, p. 324. 42 Rinauro, Il camino della speranza, p. X. 43 Marcel Berlinghoff, Der europäisierte Anwerbestopp, in: Oltmer / Kreienbrink / Sanz Díaz, Das “Gastarbeiter”-System, pp. 149–164, here p. 155. 44 Rinauro, Il camino della speranza, p. X. 45 Messina, The Logics and Politics of Post-WWII Migration, pp. 39 f. 46 See Ulrich Herbert / Karin Hunn, Beschäftigung, soziale Sicherung und soziale Integration von Ausländern, in: Hans-Günther Hockerts (ed.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 5, Baden-Baden 2006, pp. 781–810.

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of foreign workers in the midst of a long period of economic prosperity made the ‘migrant workers’ become de facto, but not de iure, ‘immigrants’. Sooner or later, all governments faced the ‘liberal paradox’ formulated by James Hollifield, which is that “the economic logic of liberalism is one of openness but the political and legal logic is one of closure”. As a result, migration has been temporally welcomed but nation states have tended to impose strict border controls on migrants and harsh conditions on access to citizenship.47 Gradually, European societies found that they had to take on the issue of integration which arose from the situation masterfully summed up by the Swiss writer Max Frisch in 1965: “We asked for a workforce, and we got people” (“Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen”).48 At the latest, in the time after the brief economic crisis of 1966–67, West Germany and the countries of Western Europe were clearly transforming into de facto immigration countries. An increasing number of foreign workers had acquired  a status somewhere between that of citizen and foreigner. They had two types of citizenship rights, distinguished by the British sociologist Thomas H. Marshall in 1950 as ‘civil’ and ‘social’ rights, and these were secured through the legal status granted them and their participation in social security systems. But they lacked the third of Marshall’s rights: the right of political participation. Hence, they were residents rather than full members of the host societies: ‘denizens’ rather than ‘citizens’.49 The transformation of the temporary migration of workers into genuine immigration processes often caused considerable conflicts over immigration and integration issues in the receiving countries. These conflicts centred round substantial perceived differences in national and cultural senses of identity, and were conditioned by varying attitudes in the different liberal welfare states that had received foreign population groups. Imke Sturm-Martin argues that colonial countries like Great Britain and France had a considerable temporal advantage in the management of ethnic diversity, which they had known before the issue of minorities emerged in Western European industrial states during the 1960s.50 Gradually, all the receiving countries opted for more or less pure variants of three basic models of diversity management. Some countries, such as the FRG, adopted an ‘exclusive’ model, allowing immigrants only very limited access to citizenship and withholding naturalization from them and their children. Other countries, such as France, adopted an ‘inclusive’ or ‘assimilating’ model, which facilitated the acquisition of nationality by requiring that immigrants accept the culture 47 James F. Hollifield, The Emerging Migration State, in: International Migration Review 38/3 (2004), pp. 885–912, here p. 887, where the quotation appears. 48 Max Frisch, Die Tagebücher, 1949–1966 und 1966–1971, Frankfurt a. M. 1983, p. 416. 49 Tomas Hammar, Democracy and the Nation State: Aliens, Denizens and Citizens in a World of International Migration, Aldershot 1990; see also Thomas H. Marshall, Citizenship and Social Class and Other Essays, Cambridge 1950. 50 Imke Sturm-Martin, Annäherung in der Diversität. Europäische Gesellschaften und neue Zuwanderung seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Archiv für Sozialgeschichte 49 (2009), pp. 215–230.

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and value system of the host society. A third group of countries, like the United Kingdom, Sweden and the Netherlands, adopted variants of  a ‘multicultural’ model as  a way to manage ethnic diversity. In practice, these three seemingly clear categories overlapped as a result of a convergent trend in minority politics in European countries. Whatever the model followed, all the Western European countries raised the bar very high for access to full citizenship and its clearest expression, the right to vote. Full citizenship could only be achieved “after years of proven settlement and as a reward for successful integration”.51 It was the strong restrictions it put on naturalization that held the FRG back from being a genuine immigration country during the guest worker era. Domin­ ated by self-perceptions of being  a homogeneous society, the FRG considered itself a ‘non-immigration country’ (Nicht-Einwanderungsland) and therefore one that did not need to formulate long-term immigration policies.52 Only after the ending of official recruitment of foreign labour in 1973 did the situation change, allowing initiatives to be formulated at Federal level for a stronger integration of foreign workers and their families. By then, the number of foreigners in the FRG exceeded 3.9 million and, of these, 2.6 were workers. In other words, foreigners made up 6.4 per cent of the population and 11.9 per cent of the country’s workforce.53 3.4 Debates on the Limits of the ‘Guest Worker’ System The very term ‘guest worker’ reflected the social dogma that the FRG was ‘not a country of immigration’ and emphasized that the presence of foreign workers in West Germany was time-limited. But this does not mean that German and other European societies in the 1960s failed to see that the arrival of foreign workers was, in fact, becoming a permanent situation. As Karen Schönwälder has shown, broad discussions on the situation of foreigners arose quite early on in the FRG. These dealt with aspects such as family reunion, the housing situation and the prospects of integration of foreign workers, of whom it was estimated that at least a percentage would become permanent residents of the country.54 During the phase of expansion and economic growth, the public debate on migrants was dominated by economic and labour-market arguments. Governments and employers presented their recourse to foreign workers as a positive contribution to the national economy and to social welfare: in terms of contribu51 Ibid., p. 224. See also Gianni D’Amato, Vom Ausläder zum Bürger. Der Streit um die politische Integration von Einwanderern in Deutschland, Frankreich und der Schweiz, Münster 2001. 52 Klaus J. Bade / Michael Bommes, Migration und politische Kultur im “Nicht-Einwanderungs­ land”, in: Klaus J. Bade / Rainer Münz (eds.), Migrationsreport 2000. Fakten – Analysen   – Perspektiven, Frankfurt a. M. 2000, pp. 163–204. 53 Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik, pp. 198–199. 54 Schönwälder, Einwanderung; see also von Oswald, Einwanderungsland.

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tion to wage restraint and the fight against inflation, the benefits outweighed costs. Foreign policy arguments were also given considerable weight: bilateral agreements, it was argued, were a way to build good relations with other governments and strengthen European integration. The festive reception given to Armando Rodrigues de Sà at Köln-Deutz station when she arrived as the millionth Gastarbeiter in September 1964 exemplifies the positive official discourse the authorities sought to encourage over the employment of foreigners.55 The brief economic recession of 1966–1967 underscored the validity of the economic and labour-market approaches being taken: they seemed to function as a well-oiled clockwork mechanism. To compensate for the decline in economic activity, recruitment was temporarily frozen, and many foreigners lost their jobs in the meanwhile, having to return to their countries of origin. All this showed that foreign workers could act, as expected by German authorities and employers, as a buffer against economic fluctuations (Konjunkturpuffer). From the late 1960s and early 1970s, as the recruitment of foreign workers continued to expand, societies in Western, Central and Northern Europe ‘discovered’ immigration as a new phenomenon in their midst and debates on the so-called ‘problem of foreign workers’ began to spread.56 As Marcel Berlinghoff has shown, national and transnational public debate about the presence of foreign workers took on an argumentative tone in the early 1970s. In countries such as Switzerland, the FRG and the Netherlands, the economic benefits of immigration began to be questioned. Critics warned of declining benefits from the employment of foreign workers, especially because of the increase in structural and social expenditure on housing, health and education which support of foreigners, their spouses and their descendants entailed. Critics also began to point out that European societies were reaching the limit of their ‘reception capacity’, in both quantitative and qualitative terms. Fuel was added to this debate by pressures on housing and the proliferation of decaying suburbs with mostly immigrant populations, such as the bidonvilles (slums) in France or the Ballungsgebiete (conurbations) in the FRG. The issue of the integration of foreigners — or limitation of it — began to be problematized in the public sphere, though there were great differences between national models — the Swiss against integration; the French oriented to it; the German ruling out naturalization (Einbürgerung) but integrating immigrants into the welfare state. European societes started to demand greater government control over migration flows. As a result, virtually all Western European countries reinforced their border controls and restricted opportunities of legal immigration. A new element was growing fear of supposed risks immigration posed to national security. Anxie­ ties about these alleged risks were everywhere raised in public debate. Especially 55 Jan Motte / Dietrich Hackenberg, Der millionste Gastarbeiter, das Moped und die bundesdeutsche Einwanderungsgesellschaft, Köln 2004, URL: www.iberer.angekommen.com/Mio/ millionster.html [March 10, 2019]. 56 Berlinghoff, Das Ende der “Gastarbeiter”.

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in the FRG, fears were expressed about possible communist infiltration that might arise from the presence of workers from socialist countries like Yugoslavia or from countries with strong communist parties such as Italy and Spain, where the communists were supposed to be the strongest opposition group against Franco’s dictatorship. Other fears were of wildcat strikes like those that occurred in several Western European countries in 1972–73, of US -style ‘race riots’ and a surge in racist crimes, and of terrorist attacks such as those suffered at the 1972 Olympics in Munich and, around the same time, in France.57 All in all, there was a diffuse feeling that immigrants posed a threat to the receiving nations’ identities. This was accompanied by xenophobic discourse, and a surge in anti-immigrant groups in what Anthony Messina calls an “organized nativist backlash”.58 Consequently, from the early 1970s, the receiving countries tried to prevent chain migration and to slow down new immigration through restrictions. Their aim was to ‘stabilize’ their foreign populations. In Switzerland, the first citizens’ initiative promoted by the far-right populist James Schwarzenbach was voted on in 1970. The proposal was to limit the foreign population in each Swiss canton to  a maximum of ten per cent as  a means of combating an alleged ‘excess of foreigners’ (Überfremdung). Although this initiative failed, it had lasting effects. The Restricting Ordinance of 1970 established the priority of local workers on the labour market. Thereafter Switzerland adhered to a strict principle of rotation and toughened immigration regulation by applying the principles of ‘setting a ceiling’ (Plafonierung) and allocation. In 1972, a Foreigners’ Central Register was created to manage the annual quota of residence permits and new guest workers. Sweden applied restrictive measures in 1972, and other countries reviewed different methods of control: enforcing the rotation of immigrants, prohibiting new entries, and putting a limit on the number of foreigners they could accommodate. In 1973 the Netherlands and Belgium restricted the entry of foreigners from third countries and the UK did the same for Commonwealth citizens. In November of the same year, the FRG cancelled the recruitment of Gastarbeiter in what was called the Anwerbestopp (recruitment ban). In July 1974 France too adopted restrictive measures to stop immigration. The 1973 oil crisis could by then be used as a pretext to maintain measures, already begun, that would deter foreign labour recruitment and immigration. With an increase in unemployment rates, there was a general consensus that local workers should have priority in the labour market.59 At the same time as these developments in the receiving countries, debates were starting up in the countries that sent labour abroad. These reflected internal tensions between different models of development and the anxiety of govern57 Berlinghoff, Der europäiserte Anwerbestopp, p. 157. On the wildcat strikes see Peter Birke, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder. Arbeitskämpfe, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik und Dänemark, Frankfurt a. M. et al. 2007. 58 Messina, The Logics and Politics of Post-WWII Migration, pp. 54–96. 59 Berlinghoff, Der europäisierte Anwerbestopp, pp. 159-163.

Labour Migration and ‘Guest Workers’  

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ments over the effects of emigration on internal stability. Countries like Italy, Portugal and Spain had a long tradition of emigration overseas, which made it generally acceptable in their societies for emigrants to leave — especially if under proper state control. Indeed, in the sixties, the modernizing sectors of Franco’s dictatorship in Spain and Salazar’s regime in Portugal opted to promote emigration as a lever for economic development: it would, it was thought, alleviate internal labour market problems and ensure the receipt of foreign currency through remittances.60 Greece, Turkey and Yugoslavia were other countries that had come to rely on emigration to modernize and develop their economies. The Anwerbestopp, therefore, together with outbreaks of xenophobia, presented  a challenge both to governments and to the emigrants themselves.61 In the end, the Anwerbestopp in the FRG and restrictions on immigration elsewhere had the unintentional consequence of encouraging the permanent settlement of foreign workers and their families, who feared they would be unable to re-enter Western Europe if they left. The FRG thus became even more a unique kind of immigration country after 1973.62

4. Conclusion and Outlook The guest worker system had its own characteristics, but study of its development and working throws light on the emergence of migratory regimes and their transformations in general. Many influences were brought together: laws, regulations, national and international policies, and the actions of actors of very different kinds, from states to individuals and migrant networks. A key characteristic of the guest worker system was its emergence in an international context in which state institutions sought to assert their will to control and oversee all migratory affairs. Historical analysis shows that, in practice, this pretension of state control had its limits. In any assessment, its influence must be balanced by emphasizing the broad scope of agency migrants themselves had in interaction with other actors such as employers and intermediaries. The postwar immigration regime in Europe emerged from  a series of economic transformations and cumulative political decisions. These processes were interdependent, but they were hardly coordinated at all. State intervention on 60 Axel Kreienbrink, Einwanderungsland Spanien — Migrationspolitik zwischen Europäisie­ rung und nationalen Interessen, Frankfurt a. M. / London 2004; Carlos Sanz Díaz et al. (eds.), Historia del Instituto Español de Emigración. La política migratoria exterior de España y el IEE del Franquismo a la Transición, Madrid 2009; Victor Pereira, La dictadure de Salazar face à l’émigration. L’État portugais et ses migrants en France, 1957–1974, Paris 2012, and Yvette Sobral dos Santos, A Junta Nacional de Emigração e a Política de Emigração do Estado Novo, Lisboa 2014 (PhD thesis). 61 For the adaptation of Turkish workers to the end of labour recruitment, see Hunn, “Nächstes Jahr”, pp. 343–399. 62 Bade / Bommes, Migration und politische Kultur, pp. 163–204.

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both sides of the borders the migrant workers crossed had a strong influence, but the idea of states having absolute control over migratory flows proves to be illusory. Two decades of population movement and social change within the framework of the European migration regime transformed the host countries in Western, Northern and Central Europe from countries that imported labour to immigration countries. Our state of knowledge about the genesis and functioning of the guest worker system is in flux. A series of general questions and research approaches still lie open for historical investigation. First, researchers face the challenge of integrating the perspectives of the receiving and sending countries in  a more comprehensive way. We can expect very relevant results from the growing use of transnational history approaches, which illuminate tendencies for migratory models to be transferred and to converge — in effect, to undergo ‘Europeanization’. But there are also patterns of divergence. These processes, have so far been mainly examined in the receiving countries, but can fruitfully be further studied in the countries competing in the international market of labour supply. Secondly, there is scope to deepen analysis of the moves and motives of the different actors in the countries involved, and to trace their mutual interactions. The overlapping of the agency of migrants with the regulatory systems and bureaucratic processes of governments continues to be an open field for future case studies. Similarly, the role of international organizations is getting increasing attention from researchers. Thirdly, studies made within local and regional analysis frameworks are proving very worthwhile and still offer many open perspectives. One way to move forward is to combine analysis of individual and collective migratory trajectories at the micro level with study of the meso and macro levels of political, economic, social and cultural structures in which they developed. A deepening of the integ­ ration of cultural and gender variables in the analysis is another relevant task. Fourthly, there is the wider temporal perspective. Studies on the continuities and ruptures in how the European migratory system functioned in the years 1955–1973 have been compared with previous and subsequent periods, and this has opened the path for more delving into comparative history between countries and developments in migration over extended (medium and long-term) time frames. This looks to be a highly promising field. Thus historical research has before it a wide range of approaches and topics through which we can enrich our understanding of the genesis, functioning and evolution of the guest worker system.

Sandra Gruner-Domić

Socialist Labour Migration: East Germany’s ‘Contract Workers’

In its final years, the German Democratic Republic (GDR) had 93,000 foreign contract workers in its labour force. This constituted less than one per cent of the population.1 The assumption that socialist countries with restrictive migration policies inhibit mobility is contradicted by the presence of these immigrants in the GDR; and we are left with the questions: When, why and how did foreign workers immigrate to the GDR? What political, ideological and economic motives lay behind the GDR’s decision to invite them in? And what does this tell us about the relations between socialist countries? This article examines the migration of foreign contract workers to the GDR from 1963 up to the time when the Berlin Wall came down in 1989. I start by discussing the political and economic background to the East German migration policy practised up to 1961, before the building of the Wall and the withdrawal of international recognition. Next, I analyse how  a series of failed plans and some successful regional labour migration agreements opened the door to the first bilateral contracts to be made on  a larger scale — from 1967 on. Then I look at the GDR’s motives for signing agreements with Eastern Bloc countries like Hungary and Poland, and, later, with socialist-oriented countries in the Global South (especially Vietnam, Cuba, Algeria, Mozambique and Angola). I intent to show how the search for economic stability and  a socialist commonwealth fostered mobility. Finally, in an examination of the development of bilateral contracts and their implementation over two decades, I raise the question of socialist internationalism and the social integration of foreign labourers in the GDR .

1 Sandra Gruner-Domić, Zur Geschichte der Arbeitskräftemigration in der DDR. Die bilateralen Verträge zur Beschäftigung ausländischer Arbeiter (1961–1989), in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (IWK), 32/2 (1996), pp. 204–230, here p. 227.

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1. The Political and Economic Background to East German Migration Policy At the end of the Second World War an enormous number of displaced people were on the move. Almost ten million refugees and expellees of German origin arrived in the Occupied Zones from Eastern and Southern Europe and beyond.2 East Germany received 3.6 million people, which amounted to 20 per cent of its population. The burden of having to pay reparations, safeguard food supplies and rebuild industry was a heavy one, and the government adopted a planning system which was supported by all political parties.3 Most immigrants from the East were relocated to the agricultural regions, where supplies were better and where, it was thought, they could be integrated into postwar society via subsistence farming. Later, however — from 1946 in the Soviet Zone, and from 1949 in the Western Zone — resettlement was diverted to the growing industrial regions to boost the manpower needed.4 In the former, further measures to overcome the adverse economic situation included land reform and the expropriation of companies. Both of these were regarded as necessary for a planned economy.5 But an economic crisis could not be averted.6 Meanwhile, for political and economic reasons, quite a number of people of working age relocated into the Western Zone. Initially, leakage of people from the Eastern Zone was welcomed by GDR officials. It eased the burden on food supplies, housing and the employment market; and, ideologically, it was assumed that those who left were escaping to avoid incurring penalties for participation in the National Socialist regime.7 But, after the constitution of the GDR was drawn up in 1949, the regime increasingly sought to control such population loss. It needed to safeguard the border, protect the economy and prevent an exodus (or ‘brain drain’) of skilled workers and intellectuals. 2 This was by October 1946. See Arnd Bauerkämper, German Refugees and Expellees, in: Klaus J. Bade et al. (eds.), The Encyclopedia of Migration in Europe since the 17th Century, New York 2010, p. 478. 3 See André Steiner, The Plans that Failed. An Economic History of the GDR, New York / Oxford 2010, pp. 14–19. 4 Ibid. 5 See Dierk Hoffmann / Michael Schwartz, Einleitung, in: Id. (eds.), Sozialstaatlichkeit in der DDR. Sozialpolitische Entwicklungen im Spannungsfeld von Diktatur und Gesellschaft 1945/49–1989, Munich 2005, pp. 1–9, here pp. 4 f. 6 The Eastern Zone was affected by shortages in agricultural and industrial production because certain industries had lost the traditional geographical sources of their material supplies after division into zones; an uncompleted land reform had left smallholder peasants without resources; and reparations had emptied the treasury. Set beside the growing black market and inflation stemming from times even before the war, currency reform seemed inevitable. See Steiner, The Plans that Failed, pp. 40–45. 7 Damian van Melis / Henrik Bispinck, “Republikflucht”. Flucht und Abwanderung aus der SBZ / DDR 1945 bis 1961, Munich 2006, pp. 23 f.

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It did not take long before both German states interpreted migration movement as a marker of the superiority of their respective systems.8 Despite strenuous efforts, it proved impossible for the GDR to monitor its population and control its outflow. Since an independent country’s standing is strongly connected to the sovereignty the GDR sought to gain control of emigration and recognition from neighbours and from countries further afield.9 Many 1950s regulations made emigration from the GDR difficult, though not impossible. Western companies were clearly interested in East Germany as  a source of cheap manpower.10 Concerned about people leaving the country, GDR officials abandoned the idea of  a united labour market, and began to castigate West German companies and institutions for promoting jobs across the border. They described such recruitment of people from the East as ‘human trafficking’.11 Nevertheless, around three million people left the East for West Germany between 1946 and 1961.12 As  a result, in  a desperate attempt to stabilize the domestic, political and social situation, the GDR built the Berlin Wall. This action definitively separated the two states. It instigated a ‘demarcation’ policy in the East towards the West and oriented the GDR even more towards the Soviet-dominated Eastern Bloc. The determination of the Federal Republic of Germany (FRG) not to abandon its claim to be the only true German state spurred a now desperate GDR to seek recognition on the international stage. Its first attempts to establish diplomatic relations with Yugoslavia and China, and later with India and Egypt, elicited an immediate threat from the FRG to break off relations with any countries that recognized the GDR – a policy enshrined in the so-called Hallstein Doctrine.13 Expecting an international trade embargo following the building of the Wall in 1961, the GDR requested economic aid from the Warsaw Treaty countries. No such aid was given, because of animosities between these Eastern states, which all argued the need to safeguard their own economies. Along with other political events, this led the GDR to search for recognition and trade beyond the Eastern Bloc.14 The GDR changed from being a country that received migrants — refugees and expellees — in the fifties, to one that was losing population in the sixties. This is 8 Ibid., p. 29. To restrict influence from the West, the GDR tried to prevent communication, contacts and visits between populations on different sides of the border, both through propaganda and through limiting movement via legislation and police control. 9 West Germany claimed sole international recognition and had easier access to economic aid after the two states were formally established in 1949. 10 In 1955, industrial companies in the Federal Republic of Germany started foreign labour recruitment from Italy, and later from Turkey, among many others countries, ignoring domestic unemployment. 11 Van Melis / Bispinck, “Republikflucht”, p. 128. 12 Ibid., p. 47. 13 Hermann Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System 1949–1989, Munich 2007, pp. 170–172. 14 Ibid., p. 161.

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one of the essential factors critical for our understanding of the politics of the GDR and of the complexity behind its decisions to control migration. On the one hand, the state needed to protect its domestic economic system; on the other, hampered in international relations by the Hallstein doctrine, it had to search for resources and economic partners internationally.

2. Isolation and Reorientation: Labour Migration Policy in the GDR after 1961 After building the Berlin Wall, the GDR government believed that it had stabil­ ized the economic situation. The authorities no longer needed to be afraid that imposing economic measures would result in an increased number of people leaving the country — a loss of manpower that would destabilize conditions for planning. However, this did not dispel the problems of a shortage economy, which had already started in the mid-1950s.15 Although the Soviets helped to subsidize the GDR economy (providing raw materials, for example, to avoid paying world market prices in hard currency), the GDR leaders still felt at  a disadvantage and requested more aid. It seemed inevitable that a currency reform would have to be made to promote industrial growth after  a period of economic crisis. The central authorities struggled to manage a centralized economy with unrealistic price policies and market regulations aimed at controlling enterprises.16 In spite of numerous adjustments, the planned economy had the significant and distinctive disadvantage of being cut off from foreign trade. Small and large enterprises alike were prevented from importing or exporting products, and this divided the market into domestic and foreign components, rendering the currency non-exchangeable. This in turn had an enormous impact on future economic and political relations. It limited the GDR’s actions within the Socialist Bloc and ensured economic isolation from the rest of the world. The systems of the ‘two Germanys’ became increasingly competitive on the economic level. Bloc membership and the SED leaders’ focus on maintaining their power provoked  a constant struggle to find successful economic alternatives.17 In 1963, the GDR government introduced  a ‘New Economic System’ (NES) designed to modernize the economy. After failed attempts to get loans from the Soviet Union to implement this programme, the GDR recognized that it must get aid from the Western Bloc countries in the form of loans and imports. This decision created further strain in its relations with the Soviets.18 Under the NES , industries and enterprises gained more freedom to control and organize their 15 16 17 18

Steiner, The Plans that Failed, pp. 98 f. Ibid., p. 47. Ibid., p. 49. Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen, p. 216.

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production toward making greater profits, and this was to have an impact on manpower demands in the 1970s.19 While the optimal way to become more competitive in the global market would have been to modernize large-scale production technology and create more incentives to increase productivity, neither happened, because, for that, the GDR would have to import from the West. Money that came in from the West was invested in raw materials and in small-scale technological changes. To achieve an increase in productivity, incentives for longer working hours would have to be offered, or there would have to be a larger labour force. Neither of these appeared feasible, though gradual measures were taken to bring women into employment by offering them qualifications and kindergarten places for their children.20 Another major impediment to any drive that might have been made to extend working hours or raise norms of productivity was the fear of workers’ protest. The government was cautious about imposing new measures as a result of the strikes and protests of June 1953.21 So an unspoken consensus was maintained between workers and the state to keep working norms low and wages high. The construction of the Wall was an essential part of the strategy to hold back an increasing manpower deficit: it aimed to stem the loss of around 12.7 per cent of the employed population.22 In October 1961, the GDR proposed that, in “common interest and socialist cooperation”, the Soviet Union and Bulgaria should contribute manpower to its economy.23 It would be for the benefit of the entire socialist world system, the GDR argued, warning that, without a scheme such as the one suggested, there would be delivery delays in exporting goods to Hungary, Romania and Bulgaria.24 The plan was to employ skilled and unskilled workers in industry and construction, but particularly engineers and technicians, so as to increase productivity and initiate the operation of new installations. The GDR hoped to obtain 40,000 workers from the Soviet Union and 10,000 from Bulgaria, but was rejected by both partners without any further explanation.25 The failure of these negotiations marks the beginning of tensions that grew up between the countries of the Socialist Bloc over their individual economic decisions. In December 1963, mining industry officials established an agreement with Poland by which they could contract Polish workers for coal extraction, pre19 Steiner, The Plans that Failed, p. 110. 20 66 per cent of women of working age were employed in the 1960s. Due to these measures, this rose to 82 per cent in the 1970s. See Steiner, The Plans that Failed, p. 108. 21 Jeffrey Kopstein, Chipping Away at the State: Workers’ Resistance and the Demise of East Germany, in: World Politics 48/3 (1996), pp. 391–423, here p. 415, and Steiner, The Plans that Failed, p. 107. 22 See Bundesarchiv (henceforth: BArch), DC 20 Nr. 51759, unfol., p. 29: Staatliche Plan­ kommission 1965. 23 BArch, DC 20 Nr. I/4–512, fol. 81–105, here: fol. 81: Ministerratsbeschluss November 30, 1961. 24 See Ibid., fol. 81–105. 25 See Ibid.

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dominantly in the Cottbus region. This agreement, initiated by local institutions to improve output, was an example of the NES policy allowing enterprises and economic industries more freedom. Other NES measures were price reforms and an evaluation of profit and capital investment intended to enable the rationalization of unprofitable enterprises. However the threats of job loss, relocation and retraining created resistance from German workers and managers, as exemplified by the coal miners of Zwickau, who went on strike.26 The plan to close inefficient firms was dropped. Instead, old and new coexisted, so that there was both the need for a greater labour force and a less efficient use of the manpower available. In order to gain larger numbers of foreign workers, the enterprises offered incent­ ives, such as training unskilled, young, single workers. Since the agreement on Polish coal workers was limited to 500 workers who could stay for two years, local officials suggested that Polish workers apply for residency. The GDR consulate subsequently received many applications for relocation from Polish citizens. In a further agreement with Poland, the GDR decided to accept as “many families or individuals to reside in the GDR as […] appears convenient”, dependent on the state’s ability to integrate these immigrants into housing, schools and work.27 The GDR accelerated the process by offering applicants the opportunity to apply for citizenship right away. Some 127 Poles became GDR citizens in 1965. Soon afterwards, Poland renounced the idea, fearing a mass exodus, and capped annual migration of employable Polish citizens into the GDR at 1,000 per year.28 However, negotiations continued and in 1966, both countries signed the first mutual agreement for the employment of foreign workers in companies that operated in border regions. The arguments put forward in favour of recruitment were that surplus Polish manpower could satisfy the demand in the GDR , while, at the same time, the quality of life for workers would improve and they could become trained.29 This was the most convincing argument for foreign employment and would be used later at a higher political level. Isolated instances of employment of Polish labour existed in the form of short-term initiatives to fulfil foreign trade treaties.30 However, under the new agreement, workers — especially women — crossed the border daily, providing the labour for two- or three-shift systems. They were paid 70 per cent in Polish currency and 30 per cent in the money of the GDR .31 All agreements on the Polish

26 Kopstein, Chipping Away at the State, p. 419. 27 BArch, DC 20 Nr. I/4–959, fol. 91: Ministerratsbeschluss June 9, 1964. 28 See BArch, DC 20 Nr. I/4–1180, fol. 104–113: Ministerratsbeschluss August 19, 1965, and Gruner-Domić, Zur Geschichte der Arbeitskräftemigration, p. 207. 29 See BArch, DC 20 Nr. I/4–1201, fol. 60: Ministerratsbeschluss October 18, 1965. 30 Rita Röhr, Die Beschäftigung polnischer Arbeitskräfte in der DDR 1966–1990. Die vertraglichen Grundlagen und ihre Umsetzung, in: Archiv für Sozialgeschichte 42 (2002), pp. 211–236, here p. 211. 31 Gruner-Domić, Zur Geschichte der Arbeitskräftemigration, p. 208, and Röhr, Die Beschäftigung polnischer Arbeitskräfte, p. 214.

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workers took into account a transfer of taxation and social benefits, as was also planned for their Soviet and Bulgarian counterparts. The year 1968 was a difficult one for relations within the Eastern Bloc. The ‘Prague Spring’ reforms in Czechoslovakia divided the socialist countries into two camps: those that approved of the anti-reformist clamp-down and those (like Yugoslavia and Romania) that had sympathy with the reforms. Although Walter Ulbricht was in favour of the new course Prague was taking, many officials, and the Socialist Unity Party (SED) as a whole, opposed the change, believing that the NES might end in political transformation.32 As Poland and the GDR aligned in their outlook, the two countries became more collaborative on economic issues, since Poland could feel reassured that the economic and political changes in the GDR would not endanger the demarcation of the border (the Oder-Neiße River) which had been settled after the war. Both governments entered into a series of local-level cooperative arrangements with universities, medical organizations, enterprises, and other institutions on similar lines to those of the coal workers’ programme, and, for similar aims, labour contracts were signed with Hungary. They were not signed with Czechoslovakia which did its own recruitment of foreign workers.33 2.1 Bilateral Agreements with Eastern Bloc Countries after 1967 After experimenting at a regional level from 1963 on, the GDR signed its first large bilateral contract with the Hungarian Republic in 1967. By this agreement, the GDR engaged mainly young, single people, offering them a two- or three-year contract, which included  a three-month training programme for work in the automobile, mechanics and electronics industries, construction or agriculture. The GDR paid travel expenses from Hungary and back, and provided the workers with dormitory accommodation and the same social service benefits received by German workers. In the agreement it was specified that the Hungarian government would receive 50 per cent of the taxation from wages and 60 per cent of the social security. The plan was to receive 13,600 Hungarians in the first three years (2,825 in 1967; 5,780 in 1968 and 5,030 in 1969) but, in the end, only 11,967 workers arrived. The authorities were unable to recruit more. Of that number, 40 per cent were employed in the automobile, mechanics, and construction industries, 26.2 per cent in electronics, and 11.7 per cent in light industry.34 Originally, the agreement proposed an exchange of workers in both directions, with young German workers going to Hungary to gain work experience, but 32 Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen, p. 263, and Steiner, The Plans that Failed, p. 123. 33 D.  Tesarova, Employing Workers from Abroad in Czechoslovakia, in: Demosta 16/3–4 (1983), pp. 17–19. 34 See BArch, DC 20 Nr. I/4–2116, fol. 164 f.: Ministerratsbeschluss January 7, 1970. Light industry comprised textile, chemical, microelectronics, furniture and food industries.

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only 130 could be recruited. The difference in numbers clearly demonstrates that reciprocity was never really intended. After three years of the contract, the Ministry of Work reported that the contribution of the Hungarians had helped increase GDR productivity, because they were employed in export enterprises and worked in three work shifts.35 This boost encouraged officials to initiate labour contract agreements with Eastern Bloc countries at the Council for Mutual Economic Assistance (Comecon) in 1971. In fact, this only resulted in a new agreement with Poland. Under the first Polish agreement, Poles — mostly women — commuted daily to work across the border.36 But now Poland and the GDR signed a bilateral contract worker agreement analogous to that made with the Hungarians. Polish blue-collar workers were to be trained in technical skills, with individual contracts lasting three years. Around 6,000 were authorized to work in any part of East Germany.37 This did not affect the first agreement, which maintained a constant number of between three and four thousand workers in the border region. In 1972 an international treaty suspended border control on the frontier with Poland — a move intended to relax diplomatic relations. This measure also permitted temporary employment initiatives on an unofficial basis.38 Once visa-free transit was in place, the image of Polish contract workers changed: animosities arose; citizens on both sides complained of foreigners buying out the goods in department stores, and revived old stereotypes against each other. The situation became so problematic that, eight years later, border control was reinstalled. A key consideration in negotiations over foreign labour contracts was comparison with the Gastarbeiter (‘guest worker’) programmes in West Germany, which were often criticized as capitalist exploitation. While the GDR started employing 13,000 foreign workers in the second half of the 1960s, West Germany had been doing so for ten years, and they reached the one million mark in 1964.39 In a critical article appearing in 1973 in the newspaper Die Zeit, a commentator quoted the explanations the GDR gave to a high-ranking administrator in the Hungarian Labour Ministry outlining the difference that, it claimed, lay between the programmes: [I]n capitalism the underdevelopment of various countries necessitates labour migration. In socialist countries there is no such pressure — Hungary, for example, can guarantee employment […] [and] seek out international cooperation so that certain workers may acquire further training in their field and supplementary experiences in dealing with 35 See BArch, DC 20 Nr. I/4–2116, fol. 173: Ministerratsbeschluss January 7, 1970. 36 No explanation is given in the literature of why more women than men were favoured in the scheme. One reason may be that women considered it an opportunity to enter the job market and increase their life standards with a secondary wage. 37 See BArch, DE I, Nr. 51473, July 5, 1971. 38 See BArch, DC 20 Nr. I/4–2116, fol. 164 f.: Ministerratsbeschluss January 7, 1970. 39 Rainer Münz / Ralf E. Ulrich, Changing Patterns of Immigration to Germany, 1945–1997, in: UC Center for German and European Studies Berkeley, Working Paper 4/14 (1998), pp. 1–15.

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modern technology, […] learn a new language and about life in another socialist partner country.40

Internal documents utilized  a rather different argument.41 But there was certainly  a belief that, de facto, because equal status was guaranteed for foreign workers, and because taxes and social security were split between countries, the socialist system differed from the capitalist one. This conviction blurred possible loopholes that allowed exploitation and ignored evident differences between the socialist countries; and this became even more blatant when ‘less developed’ socialist countries in the ‘Third World’ were drawn in. Though Hungary and the GDR planned to increase the number of workers in 1973, subsequently, despite great efforts at recruitment, the number of workers decreased. At the same time, many newly employed workers terminated their contracts prematurely and returned home, disappointed that their expectations were not met in the actual work, training and salary conditions allotted them. Officials reported that  a quarter of the recruits resigned, finding economic conditions in Hungary better. The programmes in the GDR were becoming unattractive.42 In 1980, Hungary rescinded the contract and launched its own foreign worker programmes. Czechoslovakia, Bulgaria and the Soviet Union followed suit: they were all now experimenting with labour and training programmes.43 Even though commercial relations between the GDR and Poland were often strained, the manpower exchange continued to expand.44 A growing number of unemployed young people from Poland’s baby-boomer generation were eager to find work in a neighbouring country with better consumer goods and political stability. Poland was going through  a crisis as protest movements raised an independent trade union, Solidarity (Solidarność), to prominence, and posed the possibility of a shift in power. At the risk of Soviet intervention, Warsaw imposed martial law in December 1981. In the years between 1982 and 1984, the GDR gave immediate consent to Poland’s request that it should employ 3,000 to 4,000 40 Marlies Menge, In the GDR, They’re Called Friends, in: Die Zeit, August 18, 1973, printed in: Deniz Göktürk, Germany in Transit. Nation and Migration 1955–2005, Berkeley et al. 2007, pp. 76–78, here p. 76. 41 See BArch, SAL-DQ3/1082, October 24, 1986; BArch, DC 20 Nr. I/4–1201, fol. 60: Ministerratsbeschluss October 18, 1965; Ibid., Nr. I/4–3178, fol. 187–189: Ministerratsbeschluss October 10, 1974. 42 Dirk Jasper, Ausländerbeschäftigung in der DDR, in: Marianne Krüger-Potratz / Georg Hansen /  Dirk Jasper (eds.), Anderssein gab es nicht. Ausländer und Minderheiten in der DDR, Münster / New York 1991, pp. 151–164, here p. 158. 43 Nguyen Thi Hong Bach Lien, The Formation and Characteristics of Vietnamese Immigration to the USSR, in: Gaudeamus Igitur 3 (2016), pp. 44–46, URL: http://tib.tomsk.ru/sites/ default/files/journal/2016/human2016.pdf [March 10, 2019]; Stanislav Maksinov, Bulgarian Workers in Komi: “Industrial Development of the Komi region”, URL: http://www.maxi4. narod.ru/03_mezen/03.htm [March 10, 2019], and Tesarova, Employing Workers from Abroad, pp. 17–19. 44 Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen, p. 433.

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extra workers, to aid the continued stability of the old order.45 In 1987, Poland also negotiated for better work conditions and an increase in compensatory payments — but with limited success. 2.2 New Orientation to Africa, Asia and Latin America: Labour Migration as Socialist Solidarity In 1971 Walter Ulbricht resigned as general secretary of the SED. His successor, Erich Honecker, steered policies toward conforming with the Soviets and implemented his politics of ‘unity of economic and social policy’. This was an attempt to convince people of the power of socialism to raise their standard of living, and was to be achieved through increased consumerism. The move also aimed to reduce emigration to West Germany, which stood at 23,000 people annually.46 Adjusting NES measures, to take account of an increase in the cost of living in the sixties, and attempting to compensate for existing social inequality among social classes, Honecker hoped that improving the material conditions of lower groups would result in improved work performance. A five-day week was introduced, and even shorter work hours for mothers with several children, so as to encourage women’s employment. Childcare was available in 90 per cent of cases.47 These measures were attempts to remedy manpower shortages, which had become acute because of mass exoduses and a decline in the birthrate. One of the principles of GDR international politics was ‘anti-imperialist soli­darity’ supporting  a reconfiguration of international economic relations. Although this ideological slogan concealed an intention among some administrators to gain partners with ample resources, the SED projected an attitude of solidarity within the population. The first images released of non-European foreigners were pictures of war-ravaged children and adolescents from Vietnam, North Korea and Angola, who were invited to the GDR for cure or rehabilitation. Foreign guests were represented as recipients of solidarity rather than as contributors to a labour force.48 This form of recognition would continue when migrants from Africa, Asia and Latin America arrived, their status vaguely defined as privileged groups or people in need of development aid. Honecker’s regime shifted its focus to active foreign policy within the Soviet Bloc and towards the so-called ‘Third World’.49 Taking advantage of the decolon­ ization process taking place in the 1950s and 1960s in Africa and elsewhere, the GDR saw the potential for achieving international recognition as well as 45 Röhr, Die Beschäftigung polnischer Arbeitskräfte, p. 226. 46 Münz / Ulrich, Changing Patterns of Immigration, p. 5. 47 For a more precise description of the economic system, see Steiner, The Plans that Failed, pp. 146–149. 48 Göktürk, Germany in Transit, p. 68. 49 Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen, p. 459.

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gaining possible new markets for raw materials and economic exchange. One of Honecker’s international policy goals was to prioritize relations with ‘socialist oriented’ countries — t hose who sympathized with the Eastern Bloc. Nonetheless, the GDR also sought relations with neutral or non-aligned countries. After GDR attempts to get economic aid from China fell through, due to political differences the Chinese had raised with the Soviets, to whom the GDR was allied, the GDR turned its hopes on establishing new relations with African countries. It had forged early connections with independence movements in colonial countries as part of its anti-imperialist policy, aspiring to influence a worldwide change towards socialism. In 1972, the GDR scored an international breakthrough when it established diplomatic relations with twenty-two ‘Third World’ countries, most of them African.50 Even though scarcity of resources prevented the GDR from providing direct economic support, it compensated for this by sending advisers and experts and by developing personal relations. It also made formal agreements for educational endowment. With the intention of increasing, or at least maintaining, the number of foreign workers for the benefit of the planned economy, officials in the State Secretariat for Work and Wages (SAL) proposed that a search should be made for new partners in Africa. In 1974 the GDR offered Algeria a labour and apprenticeship contract, which lasted ten years.51 It was hoped that the average number of Algerian workers in the GDR each year would to grow to 3,000. After tensions in their relations had subsided, the GDR also agreed with Cuba to qualify trainees in the use of machines it intended to export. This was in 1975.52 Werner Lamberz,  a member of the Politburo, had good personal relations with Fidel Castro, and this facilitated a friendship between Castro and Honecker. While expanding connections with Angola and Ethiopia, Honecker assisted Castro’s journey to Ethiopia in 1977, and Castro concluded his trip with a visit to East Berlin.53 One year later, Cuba and the GDR signed a labour contract for 2,000 workers to come to East Germany. In the second year, 4,266 Cubans arrived — more than anticipated, since unemployment rates in Cuba had increased unexpectedly.54 50 Hans-Georg Schleicher, Vom Höhepunkt zum Ende der Afrikapolitik der DDR. Vortrag im Rahmen einer Vorlesungsreihe Deutsche Afrikapolitik der Deutschen Afrika Stiftung und der Humboldt-Universität zu Berlin, June 1, 2010, in: Verband für Internationale Politik und Völkerrecht, URL: http://www.verband-fuer-internationale-politik.info/text558.htm [March 10, 2019]. 51 Algeria, already independent by 1962, was steered in a socialist direction by the Boumédiène government. 52 An incident dimmed relations in which Cuban accusations against the GDR and Soviet Union were voiced, possibly with the intention of launching relations with China instead of the Soviet Union. 53 Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen, pp. 461–464. 54 See BArch, DC 20 Nr. I/4–3485, fol. 90–93: Ministerratsbeschluss January 8, 1976, and Gruner-Domić, Zur Geschichte der Arbeitskräftemigration, p. 217.

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In the second half of the 1970s, GDR African recruitment policies reached fever pitch. Major efforts were directed towards sub-Saharan African countries recently liberated from Portugal, and towards Libya. The intentions behind the new negotiations in the region were best explained by the Libyan Prime Minister in 1977: “African raw materials, Libyan capital and GDR industry and science should be brought together […] for  a revolutionary development.”55 It was an unfulfilled expectation since the GDR did not have the technology required. It was not until Honecker’s journey to Libya, Angola, Zambia and Mozambique in February 1979 that the effort was intensified, though  a labour agreement with Mozambique was the only result. Between 1979 and 1981, around 5,500 Mozambicans worked annually in the GDR .56 In 1984, when the GDR and Angola negotiated the employment of 300 to 400 workers annually for a three-year term, only one third of them arrived.57 As well as seeking out African states, the GDR negotiated with Asian and Latin American countries. Relations with Vietnam had already begun in 1964 with programmes for reconstructing cities and student education, among others. Later, the students and 800 education apprentices were offered a contract, and some were also taken on as supervisors in a new bilateral agreement for labour and qualifications, which was signed in 1980.58 During his 1977 journey to Asia, Honecker also signed a friendship and cooperation agreement with Vietnam, but it resulted in little except an agreement to train up to 20,000 unskilled workers in industry.59 This plan was arranged in the context of previous treaties with the Education Ministry and was not intended to be vocational training as normally stipulated: apprentices were remunerated with a scholarship.60 All efforts made by the GDR to increase its foreign trade and counterbalance its international debts remained unsuccessful. By 1982 the debt had increased from about two billion to 25 billion transferable Valuta-Marks, and the ageing industrial infrastructure could no longer export high quality goods to the West.

55 Cited by Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen, p. 466. 56 Gruner-Domić, Geschichte der Arbeitskräftemigration, p. 216. 57 See BArch, DQ3/1082, Vermerk, November 24, 1986, and Gruner-Domić, Geschichte der Arbeitskräftemigration, p. 219. 58 See BArch, DC 20 Nr. I/4–3367, fol. 72–78: Ministerratsbeschluss June 26, 1975, and GrunerDomić, Geschichte der Arbeitskräftemigration, pp. 217 f. 59 See BArch, DC 20 Nr. I/4–3485, fol. 90–93: Ministerratsbeschluss January 8, 1976. 60 This form of apprenticeship treaty was common practice years earlier, and in other East Socialist countries as well. 1,500 Vietnamese apprentices came before the 1976 new agreement. The numbers after this remain uncertain: see Sandra Gruner-Domić, Beschäftigung statt Ausbildung. Ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen in der DDR (1961 bis 1989), in: Jan Motte / Rainer Ohliger / Anne von Oswald (eds.), 50 Jahre Bundesrepublik — 50 Jahre Zuwanderung. Nachkriegsgeschichte als Migrationsgeschichte, Frankfurt a. M. / New York 1999, pp. 215–240, here p. 221, and BArch, DC 20 Nr. I/4–3367, fol. 72–78: Ministerrats­ beschluss June 26, 1975.

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The economy seemed incapable of transforming from extensive to intensive productivity, and augmenting manpower seemed to be the best remedy.61 The GDR increased the numbers of contract workers; and Vietnamese worker numbers rose to 10,000 in 1983, making the Vietnamese the largest group employed.62 One year later, Vietnam halted the continuation of its agreements with all socialist countries that employed Vietnamese workers, including the GDR , unless new terms were negotiated. This renegotiation was not intended to benefit personal living or working conditions, but rather to effect changes at the state level. Usually bilateral agreements were signed for periods of three or four years, and most were automatically renewed with no negotiation required. When only 382 Vietnamese arrived in 1985, the GDR’s Labour Ministry asked the Embassy to allow extensions for those who had finished their contracts. In order to prevent an opt-out from the contracts, the East European socialist countries met at Bratislava to negotiate with Vietnam. In the following years the numbers of Vietnamese workers increased. Vietnam and Cuba amortized some of their debts using transferred money from the earnings of their workers. Vietnam kept fifteen per cent of its workers’ wages to help rebuild the war-ravaged country. With an eye to compensating a decrease in manpower from Vietnam, which seemed to be looming, the GDR negotiated with Cuba in an attempt to increase the number of Cuban workers from 6,000 a year (up to 1984), to 10,000 a year (through to 1988).63 In this last year, Cuba threatened to terminate its agreement. Knowing that the agreements with both Cuba and Poland were set to expire, GDR officials reopened negotiations with Vietnam at the end of 1987, with the intention of doubling the number of Vietnamese workers. This was at the suggestion of the Secretariat of Labour. It is not clear if this was a serious attempt to nullify the agreements with Cuba and Poland and expand the Vietnamese link only, but certainly, the number of Vietnamese workers increased from 20,776 (in 1987) to 50,998 (in 1988) and 59,686 (in 1989).64 However, none of the other bilateral contracts was terminated, so the total number of foreign workers doubled. In 1987, when Mozambique asked for redemption of its debts, the State Secret­ ariat for Labour, the Ministry of Foreign Exports and the Secretariat for Commercial Coordination (KOKO) elaborated  a plan in which Mozambique could amortize its debts by sending more workers (16,500), prorating the transferred

61 The investments made were in raw materials not in industrial equipment. See Steiner, The Plans that Failed, pp. 164 f. 62 Employment of Vietnamese workers started in the USSR in 1981 too. See Nguyen Thi Hong, The Formation and Characteristics, pp. 44–46, and Dinh Ha My, The History and Development of the Vietnamese Diaspora in Russia, in: Teoria & Practica Journal 20 (2015), pp. 597– 600, URL: http://teoria-practica.ru/rus/files/arhiv_zhurnala/2015/20/sociology/dinh.pdf [March 10, 2019]. 63 See BArch, SAL-DQ3/1082, May 30, 1984 and June 4, 1984. 64 Gruner-Domić, Zur Geschichte derArbeitskräftemigration, p. 219.

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money for social security and part of the salary remitted.65 The Mozambican Finance Minister responded that such  a plan was economically and morally unacceptable. Nevertheless, Mozambique acquiesced in the following year, and sent more workers — 12,017 of them.66 Other economic agreements, such as ones on vocational training, scientifictechnological cooperation and infrastructure construction (principally the building of factories and plants) were also made between the GDR and foreign countries.67 All such agreements allowed some temporary employment in firms located within the GDR . Unlike the other contracts, these were short-term, limited both in the number of workers involved and in their goals. In a proposal elaborated by the Secretariat for Labour for the next Five Year Plan (for the 1990s), officials proposed controlled immigration of workers and subsequent reception of family members into the GDR .68 As the GDR then came to an end, this plan was never brought to higher levels of government to be enacted.

3. Implementations of the Agreements and Social Integration In the 1970s, the conditions of the agreements with all countries sending labour were intended to be uniform. Differences did exist, however, especially in the amounts of benefits and taxation. These depended on the negotiating ability of each country, a prerequisite that belied real solidarity and mirrored inequity within the global hierarchy. Poland negotiated most successfully, and was able to receive 100 per cent of the payroll taxes and 70 per cent of the social benefits transferred. Like several other countries, Algeria received 55 per cent of the social benefits and left the taxes on wages unclaimed.69 Vietnam received 60 per cent of the social security, but likewise took no portion of the taxes. Mozambique did not ask to share salary taxation and received only 50 per cent of the social benefits.70 Obvious differences between the signing countries affected conditions for their contract workers as well. Unlike previous agreements, which targeted only young workers, the newer agreements encompassed workers from 20 to 50 years’ old. If those workers had children, they received a benefit of 25 GDR marks monthly per child for up to four children.71 Vietnamese employment offers specified unskilled and higher65 See BArch, DE I, Nr. 55151, May 11, 1987. 66 See BArch, DE I, Nr. 55151, Staatliche Plankommission: Bereich Außenwirtschaft, no date. 67 Jasper, Ausländerbeschäftigung, p. 155, and Gruner-Domić, Zur Geschichte der Beschäftigung, p. 221. 68 See BArch, SAL-DQ3 (former SAL-AAK), Konzeption zum Einsatz ausländischer Werktätiger 1991–1995, July 1989, p. 6; See also Gruner-Domić, Zur Geschichte der Arbeitskräfte­ migration, pp. 227 f. 69 Gruner-Domić, Beschäftigung statt Ausbildung, p. 235. 70 Ibid. 71 Ibid., p. 219.

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educated Vietnamese for  a five-year contract, while for Cuba, Mozambique, Poland and Algeria, men and women were requested for four-year programmes. Contract workers were forbidden to bring family members in. Amongst the Algerians, only men were recruited, apparently because most Algerians from the peasant class would not accept young women travelling and working under the conditions proposed.72 Mozambicans were the first to have the opportunity to renew their individual contracts, if both contracting parties consented, and might stay for ten years. The Algerians had  a notably different deal from the others. They received their vacation wages in French currency, and they had to pay their flights back home.73 Algerian workers had access to Western currency, which they could obtain by exchanging money with fellow compatriots living in West Germany or France. At first they hoped to acquire prestigious goods like those available in the FRG, but those goods were not to be found in the East, so they spent their money on clothes and entertainment. They drew attention to themselves for their alleged Western appearance and behaviour, and  a rumour spread amongst some East Germans that they were paid entirely in foreign currency.74 The incentives for working in the GDR were not always just economic ones. Personal benefits for Algerians included the increased cachet bestowed by Western experiences, the pursuit of adventure, and drinking.75 Like all foreign employed workers, they lived in dormitories controlled by a co-national group leader. All contracts included an apprenticeship, and immigrant workers could demand training in the industrial tasks assigned to them, though they were not released from work for it. Cuban officials made apprenticeship training a condition for the ‘delegated’ workers they sent; and Cuban workers signed an additional contract with their own government in which they committed to receive education, pay the trip home if they misbehaved, and transfer 60 per cent of their salary into a personal savings account.76 Remittance regulation became a model for all other new contracting countries. Henceforth, signing governments negotiated salary remittances: 40 per cent for Algerians, 25 per cent for Mozambicans and 15 per cent for the Vietnamese. Cuban workers preferred to buy products to take home rather than have remittances, because there were no many products to buy in Cuba’s market and they could resell them for good prices.77

72 Nassima Bougherara, Die Rolle von Betreuern und Dolmetschern aus den Herkunftsländern, in: Almut Zwengel (ed.), Die “Gastarbeiter” der DDR. Politscher Kontext und Lebenswelt, Berlin / Münster 2011, pp.  137–152. 73 Almut Zwengel, Algerische Vertragsarbeiter in der DDR. Doppelter Sozialstatus, späte Adoleszenz und Protest, in: Id., Die “Gastarbeiter” der DDR, pp. 71–98, here p. 76. 74 Ibid., p. 86. 75 Ibid., pp. 87 f. 76 Sandra Gruner-Domić, Kubanische Vertragsarbeiter. Leben in einer anderen sozialistischen Realität, in: Zwengel, Die “Gastarbeiter” der DDR, pp. 53–70. 77 Gruner-Domić, Beschäftigung statt Ausbildung, p. 220, p. 229 and p. 235.

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Group managers had already been introduced following earlier experiences with the Hungarian and Polish workers. Due to hostilities in neighbourhoods with larger groups of immigrants, Poland had requested the provision of fulltime counsellors to translate, organize and supervise most of the activities its migrant labour force did out of work hours, such as making doctor’s visits and observing official festivities. In 1973, GDR officials decided to divide the foreign workers into groups of no bigger than one hundred and organize them under a responsible team leader selected from their own country. The team leader was expressly charged with informing the authorities about difficulties at work or in the dormitories and to report any disputes with the East German population. Depending on the number of workers in an enterprise,  a full-time interpreter might be hired.78 GDR officials in the small towns expected Cubans, as disciplined socialist workers, to make a better impression than the Algerians had. However, similar conflicts soon arose. These resulted from having so many single young men living in one place. The young men wanted to experience friendship with people of their own age (especially women) but the stereotypes against foreigners and black people became apparent in their exclusion from bars and nightclubs and in their being harassed by German colleagues and families if they did manage to find  a German girlfriend. Many Cuban workers also interpreted the pay differential between themselves and their German colleagues as another form of discrimination. In a nuclear power plant in Leipzig, 39 Cubans refused to work after receiving their first wage packet, arguing that they were being underpaid.79 Government officials in Mozambique had omitted negotiating paid visits home for their workers, unlike the officials in Algeria and Cuba. With Hungary and Poland, the initial agreement of including two paid trips home and days off for travel were dropped when bilateral agreements were renewed after 1979. All concessions from the GDR side were made in an attempt to demonstrate a commitment to fair agreements. However, at the end of the 1970s, this type of gesture disappeared in the face of a drive to increase profit. Mozambicans experienced discrimination at work when their breaks were arbitrarily shortened, and they were assigned extra work, or they were mocked as uncivilized black Africans.80 Their image was even worse than that of the Algerians, due to their lack of access to Western currency. The new arrangement with Vietnam was for the employment of unskilled, skilled and higher-educated Vietnamese aged up to 50 years old for five-year con78 Gruner-Domić, Zur Geschichte der Arbeitskräftemigration, p. 212; Gruner-Domić, Beschäftigung statt Ausbildung, p. 235; Bougherara, Die Rolle von Betreuern und Dolmetschern, pp. 137–152, and Michael Feige, Vietnamesiche Vertragsarbeiter. Staatliche Ziele — lebens­ weltliche Realität, in: Zwengel, Die “Gastarbeiter” der DDR, pp. 35–52, here p. 42. 79 Gruner-Domić, Beschäftigung statt Ausbildung, p. 229. 80 Annegret Schüle, Die Haltung von DDR-Bürgern zu Vertragsarbeitern am Arbeitsplatz, in: Zwengel, Die “Gastarbeiter” der DDR, pp. 119–135, here p. 125.

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tracts.81 The GDR reimbursed two flights — one to East Germany, one home — but not fares to go home for vacations, although the Vietnamese had six extra vacation days off so they could make the trip. Vietnamese workers were often considered more disciplined and hardworking than the other workers, even though they had not signed an extra commitment with their country as had the Cubans. This image was later explained as due to economic pressure to return home with either capital or goods to help their families. Vietnamese workers even earned extra income by sewing clothes or trading popular goods in their free time. In contrast, Cubans preferred to work extra shifts at their companies (or different ones) because they were paid in cash without having to send the 60 per cent remittances back. These activities were a thorn in the side of GDR officials, aware that they came outside formal regulations. In 1988, Cuba considered terminating its agreement with the GDR . In the years that followed, fewer and fewer workers arrived, because of disagreements within Cuba over sending manpower abroad. It was thought that this discredited the country’s socialist aspirations of no exploitation or discrimination. A factor that contributed to the change of attitude was increasing tension between East German locals and Cubans. The latter responded to everyday racism by retaliating with violence, as happened in a small town near Leipzig when nine adolescents insulted  a Cuban and initiated  a brawl. Large-scale fights happened outside clubs, but seldom at work.82 Apart from these public, inter-ethnic confrontations, Cuban workers, along with Algerians and Mozambicans, responded to unfair working conditions with work stoppages and minor strikes, defying the threat of being sent home.83 Initially, the GDR planned to use these contracts to shore up production until investments in industry could be made in the mid-1980s. How unrealistic these expectations were became more obvious when it was realized that, instead of making the use of foreign manpower obsolete, industry needed ever-increasing numbers to provide sufficient consumer goods and exports.84

4. Conclusion The circumstances surrounding the postwar emergence of the GDR — a region marked by wartime destruction and political tension — dramatically influenced migration policy. The politics of ‘demarcation’ brought about closed borders and curtailed migration, and the exodus of employable manpower from the GDR was 81 See BArch, DC 20 Nr. I/4–3485, fol. 90–93: Ministerratsbeschluss January 8, 1976. 82 Gruner-Domić, Kubanische Vertragsarbeiter, pp. 64 f. 83 See Karin Weiss / Mike Dennis / Eva Kolinsky (eds.), Erfolg in der Nische? Vietnamesen in der DDR und in Ostdeutschland, Berlin / Münster 2005, and Gruner-Domić, Kubanische Vertragsarbeiter, pp. 229 f. 84 Steiner, The Plans that Failed, p. 173.

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a particular problem. State policy was unable to rectify the population decrease and the manpower imbalance in industry. This motivated GDR economic planners to seek out workers and engineers from throughout the socialist world. It was not until the end of the 1960s that the first agreements were made, maintaining approximately 14,000 workers in the period through to the mid-1970s.85 Intentions to reform the economy under Ulbricht ceased with the change of government, and there was little success in efforts to reconnect with West European powers. The new political direction taken under Honecker restored loyalty to the Soviets and maintained a social policy that was designed to placate the working classes at home. As a junior partner of the Soviet Union, the GDR engaged in intensive relations with some African countries in the early years, motivated by political and ideological pursuits. From the end of the 1970s, economic aspects gained in importance.86 In 1979, with the intent of restructuring the economy, the Planning Commission gave more powers of decision-making to the leaders of industries. They requested more foreign manpower to make up for  a lack of investment in technical equipment. Consequently, the number of foreign workers leapt from 28,000 in 1984 to 43,800 in 1987, doubling again in the two years before the fall of the Berlin Wall.87 For example, one of the measures for reducing debts was to manufacture West German brands in the GDR , but for this the Secretariat for Labour calculated that  a labour force of 10,000 should be maintained from each contract country. However, such numbers were only a drop in the ocean when set against the East German population decrease of 5.2 per cent. The GDR had never intended to become dependent upon contract workers nor to become an ‘immigration country’. The agreements within the socialist countries were considered  a form of mutual help or international solidarity, with vocational training playing an important role. Nonetheless, supervision of the agreements came under the Labour Department, not the Department of Education. The government assumed that, if it gave generous compensation and training, this would create reciprocity. Although all contracts with foreign states had similar outlines, differences in the agreements reflected the place of contract partners in the international hierarchy. In the mid-1980s, new changes in the policies of the Soviet Union distanced the GDR from its partner. With increasing debts and decreasing productivity, the GDR did everything possible to reduce its deficits in Western currency. Despite this, the country became insolvent in 1982, and thus even more dependent on the FRG.88 Having no intentions of changing the country’s economic or political direction, lower-level GDR officials suggested an official migration policy at the end of the 1980s. Unexpected changes in the summer of 1989, including 85 86 87 88

Gruner-Domić, Zur Geschichte der Arbeitskräftemigration, p. 227. Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen, pp. 473 f. Gruner-Domić, Zur Geschichte der Arbeitskräftemigration, p. 229. Steiner, The Plans that Failed, p. 164.

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a significant exodus of GDR citizens following the opening of the Hungarian border, precipitated the fall of the Berlin Wall and the reunification of Germany in 1990. Cuba rescinded from its agreement immediately, and the contracts the GDR had forged with Vietnam, Mozambique, Poland and Angola were discontinued. It was only with Poland that the new reunified Germany later allowed any further migration agreement.

V. Migration und Flucht aus dem „Globalen Süden“: Europa als Transit- und Zielregion seit den 1970er Jahren

Patrice G. Poutrus

Postwar German Asylum Policy The Crucial Case of the Chilean Refugees of 1973 and Subsequent Developments

1. Introduction The Cold War period is sometimes seen as the Golden Age of German asylum policy, due to the fact that the West German governments at the time generously admitted several thousand refugees from the Central and Eastern European states under communist rule. For the most part, these refugees were received with a striking amount of sympathy and solidarity by the West German population.1 In an increasingly politically and socially stabilizing Germany, one might take the admission of such refugees for granted, but this development was by no means a certainty. Asylum policy has always been a matter of contention, and the debate surrounding the admission of foreigners — presumably radical ones — and the possible threat this posed to the political and social order never went completely unquestioned among the West German public. In fact, a look into the minutes of the Parliamentary Council (Parlamentarischer Rat) reveals that such concerns were strong enough to be raised there even before the Basic Law was approved and long before the first political asylum-seekers were admitted.2 In the following decades, these fears became closely associated with the controversial admission of politically persecuted persons from countries outside Europe. For example, this was the case with Algerian refugees who sought protection in West Germany from the French state as well as from the hardships of the colonial war in their home country in the 1950s. Likewise, in the 1960s, when Iranian students and politically persecuted persons protested against the Shah’s regime both in Iran and in West Germany, requests for asylum were treated sceptically by the state authorities.3 Yet the idea that asylum only became an issue of conflict in 1 Rainer Münz, Phasen und Formen der europäischen Migration, in: Steffen Angenendt (ed.), Migration und Flucht. Aufgaben und Strategien für Deutschland, Europa und die internationale Gemeinschaft, Bonn 1997, pp. 34–47. 2 See Hans-Peter Schneider, Das Asylrecht zwischen Generosität und Xenophobie. Zur Entstehung des Artikels 16 Absatz 2 Grundgesetz im Parlamentarischen Rat, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 1 (1992), pp. 217–236, and Peter Steinbach, Die Verpflichtung zur Beheimatung politisch Verfolgter: Der Weg zum Asylrecht des Grundgesetzes, in: UNIVERSITAS 50/12 (1995), pp. 1126–1145. 3 See Alexander Clarkson, Fragmented Fatherland: Immigration and Cold War Conflict in the Federal Republic of Germany, 1945–1980, New York / Oxford 2013, pp. 87–120 and pp. 151–175.

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German domestic politics with the increasing number of applicants at the end of the 1970s is one that doggedly persists in political journalism and contemporary historical studies alike.4 Recent contemporary migration research shows, to the contrary, that from the mid-1950s onward, all forms of migration — whether the flow of East German refugees from the German Democratic Republic (GDR) or of migrant workers from Italy and Turkey — emerged as politically contentious issues in the Federal Republic.5 Certainly, there was a strong willingness to accept refugees from communist Central and Eastern European countries during the Cold War;6 yet, at the same time, the general attitude towards immigration in West German society remained quite sceptical.7 The premise of this article is that in the 1970s these two tendencies in West German asylum policy and practice converged in  a new way and established the preconditions for later developments in the field. Against this backdrop, the article highlights the Chilean case, which was not only an exemplar of the asylum policies in action, but was unique in raising debates that had significant influence on future developments. Most importantly, the Chilean case reveals the strengths and weaknesses, ambiguities and contradictions that existed in German asylum policy and supports the idea that the way refugees were seen and treated was less an issue of where they came from and who they were, as an issue of how the receiving country saw its own situation and what the refugees represented in light of this self-perception. After giving a brief background outlining trends and attitudes in German asylum policy immediately before the Chilean case, this article explains the circumstances of former members of Chile’s leftist government who fled to Germany in 1973 and 1974. Ultimately, the Chilean case helped shift asylum policy towards one in which human rights issues began to be considered as legitimate. The final sections of the article are dedicated to how asylum policy developed after the Chilean case. As the Cold War neared its end, new issues gained importance, eventually leading to an asylum policy in which a ‘compromise’ was made between the human rights values that had gained ground 4 See Ulrich Herbert, Flucht und Asyl. Zeithistorische Bemerkungen zu einem aktuellen Problem, in: Zeitgeschichte-online, December 2015, URL: http://www.zeitgeschichte-online. de/thema/flucht-und-asyl [March 10, 2019]. 5 See Frank Wolff, Deutsch-deutsche Migrationsverhältnisse: Strategien staatlicher Regulie­ rung 1945–1989, in: Jochen Oltmer (ed.), Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin 2016, pp. 773–814, and Marcel Berlinghoff, Transnationale, internationale oder nationale Migrationspolitik? Der deutsche Anwerbestopp von 1973, in: Sandra Kostner (ed.): Migration und Integration: Akzeptanz und Widerstand im transnationalen Nationalstaat, Berlin 2016, pp. 109–132. 6 See Patrice G. Poutrus, Refugee Reports: Asylum and Mass Media in Divided Germany during the Cold War and Beyond, in: Cornelia Wilhelm (ed.), Migration, Memory, and Diversity: Germany from 1945 to the Present, New York / Oxford 2017, pp. 86–107. 7 Karen Schönwälder / Triadafilos Triadafilopoulos, How the Federal Republic Became an Immigration Country. Norms, Politics and the Failure of West Germany’s Guest Worker System, in: German Politics and Society 24/3 (2006), pp. 1–19.

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in the Chilean case and attention to concerns and fears driven by the issues of the day.

2. Background: Asylum Policies in West and East The passage on asylum contained in the Federal Republic’s Basic Law, as adopted by the Parliamentary Council in 1949 and remaining valid until its amendment in 1993, stated that “persons persecuted on political grounds shall enjoy the right to asylum” (§ 16 Abs. 2,2 StGB). This remarkably concise provision provided a unique example of legal protection for refugees, offering asylum seekers guarantees against being turned away at the border and against expulsion and extradition.8 In addition, those granted asylum — foreign citizens or stateless persons who were officially recognized as victims of political persecution — were also granted rights on a par with West German nationals covering several areas, such as labour, social rights and family law.9 This very generous provision marked a fundamental change in Germany’s constitutional tradition.10 However, although the text was worded to include an unprecedentedly open asylum law, those entitled to asylum were referred to merely as “the politically persecuted”: any content-based or formal definition of the term was entirely side-stepped. This meant that the norms regarding the legal definition of what constituted a victim of political persecution and the nature of the persecution justifying the granting of asylum were left to be decided by executive practice.11 In its concision the Basic Law allowed divergent interpretations; in some cases, rather than leading to the granting of asylum, the provision was used to reject persons seeking refuge in the Federal Republic.12 During the Cold War, however, there were some cases in which it appeared that asylum-seekers were welcomed with open arms. Perhaps one of the most prominent examples was the case of the refugees who fled Soviet repression of the 8 Ursula Münch, Asylpolitik in Deutschland — Akteure, Interessen, Strategien, in: Stefan Luft / Peer Schimany (eds.), 20 Jahre Asyl- und Zuwanderungskompromiss. Bilanz und Perspektiven, Bielefeld 2014, pp. 69–86. 9 Wolfgang G. Beitz / Michael Wollenschläger (eds.), Handbuch des Asylrechts, Vol. 2, BadenBaden 1981, pp. 586–601 and pp. 618–622. 10 Patrice G. Poutrus, The Right to Asylum in West Germany: Refugee Policies in the Federal Republic of Germany, 1949–1975, in: Rainer Huhle (ed.), Human Rights and History: A Challenge for Education, Berlin 2010, pp. 106–112. 11 Reinhard Marx, Die Definition politischer Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Andreas Germershausen / Wolf-Dieter Narr (eds.), Flucht und Asyl. Berichte über Flüchtlingsgruppen, Freiburg i. Br. 1988, pp. 148–158. 12 See Ulrich Herbert / Karin Hunn, Beschäftigung, soziale Sicherung und soziale Integration von Ausländern, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales / Bundesarchiv (eds.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Vol. 3: Bundesrepublik Deutschland 1949–1957. Bewältigung der Kriegsfolgen, Rückkehr zur sozialpolitischen Normalität, Baden-Baden 2006, pp. 779–801, here pp. 790 f.

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Hungarian Revolution in 1956. With the steady flow of refugees from Hungary to Austria and a dramatically deteriorating humanitarian situation in the refugee camps,13 the German public expressed considerable levels of solidarity with the victims, and their government’s initial reluctance to admit refugees was not met with much sympathy. In the emotionally charged political atmosphere of the time, the West German public’s resilience and willingness to help eventually caused the state to cede under the pressure of public expectation and to facilitate the admittance of Hungarian refugees.14 The impact of this event was so strong that changes were made to the West German migration law. On August 26, 1966, ten years after the assistance offered to Hungarian refugees and in the midst of the first postwar economic downturn, a decision was made not to send Eastern Europeans whose asylum applications had been refused back to their home countries. Against the backdrop of the Cold War, politicians responsible for internal affairs in the Federal Republic thought that handing back these individuals to communist dictatorships would cause them undue hardship.15 Political decisions on the admission of foreign refugees during the Cold War led to successive changes in the Federal Republic’s asylum practices which gradually brought them into line with the asylum rules anchored in the constitution. Indeed, when Warsaw Pact troops invaded Czechoslovakia in 1968, the West German public and parliament responded with renewed expressions of solidarity for victims of political persecution.16 It should not be forgotten, though, that these refugees were European and were fleeing the ideological rival of the time. In other cases, a clearly different attitude prevailed. As a result of the brutal attack on the Israeli national team by a Palestinian terrorist group during the Munich Olympics of 1972, negative attention was focused on asylum applicants from areas under Israeli occupation; and this was extended to those from Arab countries along the southern Mediterranean coast like Tunisia, Algeria and Morocco.17 In fact, the right to reside in Germany was taken away from nearly all ‘Arab’ foreigners. The fact that this legally questionable measure — applied to  a group of people lumped together under  a relatively unspecific label of ethnic origin — did not set off  a serious

13 Maximilian Graf / Sarah Knoll, In Transit or Asylum Seekers? Austria and the Cold War. Refugees from the Communist Bloc, in: Contemporary Austrian Studies 26 (2017), pp. 91–111. 14 Sándor Csík, Die Flüchtlingswelle nach dem Ungarn-Aufstand 1956 in die Bundesrepublik, in: Deutsch-Ungarische Gesellschaft (ed.), Almanach II, Berlin 2005, pp. 207–246. 15 Patrice G.  Poutrus, Asylum in Postwar Germany: Refugee Admission Policies and Their Practical Implementation in the Federal Republic and the GDR Between the Late 1940s and the Mid-1970s, in: Journal of Contemporary History 49/1 (2014), pp. 115–133. 16 Jiri Prenes, Das tschechoslowakische Exil 1968. Exilanten, Emigranten, Landleute: Diskus­sion über Begriffe, in: Dittmar Dahlmann (ed.), Unfreiwilliger Aufbruch. Migration und Revolution von der Französischen Revolution bis zum Prager Frühling, Essen 2007, pp. 187–196. 17 Matthias Dahlke, Demokratischer Staat und transnationaler Terrorismus. Drei Wege zur Unnachgiebigkeit in Westeuropa 1972–1975, München 2011, pp. 87–106.

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national political debate can partly be explained by the consensus between the West German public and politicians over Germany’s historical responsibility for the National Socialist dictatorship and the genocide of Europe’s Jews. It was deemed important to demonstrate symbolic and practical solidarity with the state of Israel.18 In addition, these radical measures found justification in the fact that they were a response to a violent attack from a radical group, an attack which stirred fears about Germany’s national security. Very probably, they also awoke an old, general suspicion that non-European immigrants could be a threat to law and order.19 In East Germany (the GDR), policy-making (as opposed to the actual treatment of refugees) was by and large free from the ambiguities and contradictions that characterized the early phases of West German refugee policy. This was because the GDR was under the control of its ruling party, the Socialist Unity Party of Germany (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, SED) and thus basically synonymous with it. According to Article 10 of the GDR’s 1949 constitution, asylum was to be granted to foreigners who “were persecuted abroad because of their struggle for the principles laid down” in the constitution itself.20 Yet, in Article 23 of the subsequent, now fully socialist constitution of 1968, the right to asylum in the GDR was clearly a purely discretionary provision. Direct political control over asylum policy and procedures rested with the SED Politbüro or the Secretary of the Central Committee, whose scope of action was subordinate to the SED’s international political interests.21 Up to the 1970s, two tendencies in the granting of asylum towards refugees from the Global South can be identified in the SED state. On the one hand, support for communist ‘brother parties’ represented an attempt to pursue an internationalist and revolutionary solidarity policy — t hough this support was largely determined by Cold War conflicts and remained dependent on the premises of Soviet foreign policy. On the other hand, there was a concern to admit emigrants from “young nation states” — mainly former Western colonies.22 This practice can be explained as a pursuit of national interests and served the foreign policy goal of gaining international recognition for the GDR . Support of “progressive forces” in the “fight against imperialism” is apparent in the 18 Eva Oberloskamp, Das Olympia-Attentat 1972. Politische Lernprozesse im Umgang mit dem transnationalen Terrorismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 60 (2012), pp. 321–352. 19 See Marcel Berlinghoff, Die Bundesrepublik und die Europäisierung der Migrationspolitik seit den späten 1960er Jahren, in: Oltmer, Handbuch, pp. 931–966, here p. 940. 20 Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Art. 10, Abs. 2, Berlin / Ost 1949, p. 5. 21 See Patrice G. Poutrus, Zwischen Internationalismus und Assimilation: Griechische “polit. Emigranten” in der DDR, in: Marco Hillemann / Miltos Pechlivanos (eds.), Deutschgriechische Beziehungen im ostdeutschen Staatssozialismus (1949–1989). Politische Migration, Realpolitik und interkulturelle Begegnung, Berlin 2017, pp. 61–75. 22 See Sara Pugach, African Students and the Politics of Race and Gender in the German Democratic Republic, in: Quinn Slobodian (ed.), Comrades of Color. East Germany in the Cold War World, New York / Oxford 2015, pp. 131–156.

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vocational training programmes and even in the admission of members and functionaries from African and Asian countries.23

3. The Chilean Refugee Case Through the first two-thirds of the twentieth century, Germans had good diplomatic relations with the Republic of Chile. Everything changed with the presidential election of September 4, 1970, when success went to Salvador Allende, the candidate of the left-wing alliance, Unidad Popular (UP). As this heterogenous and partly radical alliance of parties took office, the phase of moderate modernization and social reform in Chilean society, which West Germany had set great hopes on, seemed to have come to an end.24 One would expect the admission of left-wing, and even extremist left-wing, refugees from Chile to have been refused in West Germany, where the domestic political discourse was dominated by anti-communism, security concerns and mistrust of non-European immigrants. However, the circumstances of the Chilean case were clearly different from those of the previous period. One reason for this was that, when the UP was exercising power in Chile, German politicians and the German public were already divided on how to evaluate the political situation there. Those of the Cold War anticommunist school saw a threat of communism spreading out from the Marxist government throughout South America. To those of the new radical left in the Federal Republic, it was precisely this conservative fear of revolution that encouraged support of the social upheaval that was possibly emerging in Chile.25 After the violent overthrow of the Chilean leftist government and the establishment of the resolutely anti-communist Pinochet regime (which received direct support from the USA), the rift between the differing positions in West Germany deepened and led to sustained public and political controversy. There were many voices in the conservative camp who saw the failure of the Chilean experiment as proof of the incompatibility of democracy and socialism. On the other side were those who abhorred the new military dictatorship. The brutal manner in which it attacked its political opponents, its anti-communist legitimization rhetoric and, above all, its radical market economy agenda were taken as a sign that a relentless and arbitrary capitalist rule was being imposed to such an extent that it could only be described as fascist.26 Accounts of the despotism 23 See Patrice G. Poutrus, An den Grenzen des proletarischen Internationalismus: Algerische Flüchtlinge in der DDR, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG) 55/2 (2007), pp. 162–178. 24 Carlos Barrenechea, Bundesrepublik und Chile. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Republik Chile während der Regierung Frei, Allende und Pinochet, Köln 1984, pp. 43–92. 25 Georg J. Dufner, Chile als Partner, Exempel und Prüfstein. Deutsch-deutsche Außenpolitik und Systemkonkurrenz in Lateinamerika, in: VfZ 61 (2013), pp. 513–548. 26 See Jan Eckel, Die Ambivalenz des Guten: Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940ern, Göttingen 2014, pp. 583–609.

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and terror imposed by the Chilean military dictatorship had a mobilizing effect that reached far beyond the non-parliamentary radical left. Starting in the fall of 1973, a remarkable solidarity movement began to crystallize in Western Europe and in the Federal Republic in favour of the politically persecuted persons in Pinochet’s Chile. This was partly fuelled by a specific type of anti-Americanism,27 but to a very large extent it was based on principles of universal human rights and was influenced by the church, trade unions, parts of the Social Democratic Party (SPD) and burgeoning NGOs such as Amnesty International. While the radical left and action groups sought to use this movement as part of a general critique of the system (and could count on support from the GDR), the main goal of human rights activists was to make the situation in Chile public and thereby make it possible for political refugees to be admitted. Initially, attention was focused on the release of West German citizens from Chilean prisons and camps and their repatriation.28 Very soon, however, demands were made for the granting of asylum to refugees who had fled for help to the embassy of the Federal Republic in Santiago de Chile. The West German Foreign Office (Auswärtiges Amt) made efforts to find  a quick, quiet and pragmatic solution. Over 100 people had fled to the embassy since September 1973, seeking residency in the Federal Republic. The very low number of diplomatic letters of protection (diplomatische Schutzbriefe) issued by the end of 1973 reflected a reluctant handling of the asylum-seekers in the West German embassy. In West Germany, the political left believed the security checks of the Federal Office for the Protection of the Constitution (Bundesverfassungsschutz) was unduly delaying the process of their acceptance, if not wantonly putting the persecuted applicants in danger.29 In contrast, the conservative side saw the granting of asylum to former members of the UP and other radical left organizations as a security risk to the Federal Republic. Discussion about the character of the UP government, its members and followers became more concrete with the arrival of the Chilean exiles.30 Conservative critics feared that they would continue their partly violent opposition to parliamentary democracy and become a problem for their host country. Nevertheless, diverse action groups soon began demanding that the government grant general asylum to all persons persecuted by the Pinochet regime. Initiatives to bring politically persecuted persons in Chile to West Germany came from a number of agents. Religious and scholarly institutions, 27 Michael Stolle, Inbegriff des Unrechtsstaates. Zur Wahrnehmung der chilenischen Diktatur in der deutschsprachigen Presse zwischen 1973 und 1989, in: ZfG 51 (2003), pp. 793–813. 28 Irmtrud Wojak / Pedro Holz, Chilenische Exilanten in der Bundesrepublik Deutschland (1973–1989), in: Claus-Dieter Krohn (ed.), Exile im 20. Jahrhundert, München 2000, pp. 168–190. 29 Georg Dufner, Partner im Kalten Krieg. Die politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Chile, Frankfurt a. M. / New York 2014, pp. 201–267. 30 See Claudio Bolzmann, Chilenische Flüchtlinge in Europa seit dem Militärputsch in Chile 1973, in: Klaus J. Bade (ed.), Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 2007, pp. 436–438.

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trade unions and political parties offered to take in asylum-seekers and provide them with work or a scholarship. Through this public pressure, many were saved from further torture and disappearance.31 In contrast to West Germany, the GDR had not been able to establish any noteworthy influence or recognition in Chile up to the time when the UP took power in 1970. The leadership of the SED state recognized that this change was an opportunity to gain international recognition and was able to establish diplomatic relations with the new government relatively quickly. However, hopes of a socialist Chile ended with the military coup of September 11, 1973.32 Some Chilean refugees sought asylum in the GDR . From the late autumn of 1973 until the end of the SED state in 1989, around 2,000 Chileans entered the country as political refugees. They were the last major group of so called ‘polit. emigrants’ to enter the GDR , although there was considerable fluctuation during this time period and by 1989 there were fewer than 500 Chileans still living in East Germany.33 The staged public appearances of prominent SED party members alongside Chilean emigrants at demonstrations against the Chilean military dictatorship served to enhance the SED state’s status, putting it in a better light than the ‘capit­ alist’ or Western nations (in particular the Federal Republic). They also aimed to show that there was a fundamental consensus between the party leadership and the East German population. To the people living behind the Berlin Wall, the Chilean emigrants were presented as freedom fighters and worthy recipients of East German solidarity, who had found new opportunities in the GDR .34 State leaders used the arrival of the Chilean emigrants as renewed proof of the SED state’s humanist mission. However, the absence of individual rights for foreigners seeking asylum in the GDR and the fact that they were used to serve the foreign policy interests of the SED leadership contrast sharply with the significance attributed to these asylum-seekers in the SED’s propaganda.35 The SED claim to be achieving “societal progress” through the “fight against imperialism” — t hat 31 See Georg Dufner, Praxis, Symbol und Politik. Das chilenische Exil in der Bundesrepublik nach 1973, in: Santiago-Berlin. Forschung & Meinung, December 20, 2013, URL: http:// www.santiago-berlin.net/?p=92 [March 10, 2019]. 32 Raimund Krämer, Chile und die DDR. Die ganz andere Beziehung, in: Peter Imbusch / Dirk Messner / Detlef Nolte (eds.), Chile heute. Politik, Wirtschaft, Kultur, Frankfurt a. M. 2004, pp. 809–819. 33 See Jost Maurin, Die DDR als Asylland. Flüchtlinge aus Chile 1973–1989, in: ZfG 51/9 (2003), pp. 814–831. 34 Corinna Schier, Denken an Chile. Die mediale Ankunft chilenischer Exilanten im Film und Fernsehen der DDR, in: Claudia Böttcher (ed.), Heimat und Fremde. Selbst-, Fremd- und Leitbilder in Film und Fernsehen, München 2009, pp. 89–110. 35 See Patrice G.  Poutrus, Mit strengem Blick. Die sogenannten “Polit. Emigranten” in den Berichten des MfS, in: Jan C. Behrends et al. (eds.), Fremde und Fremd-Sein in der DDR. Zu den historischen Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland, Berlin 2003, pp. 205–224.

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is, against the “capitalist West” — was not just lofty ideological talk,36 but it did limit the regime’s willingness to deal publicly with the difficulties of coexistence between native Germans and political emigrants, both in principle and in specific cases. For the SED state as well as GDR citizens, appeal to “proletarian internationalism” did not preclude xenophobic prejudices or nationalistic stereotypes, which could emerge in daily life with no inhibitions, and without risk of coming into conflict with the socialist state’s authority.37 The walled-in East German populace was prone to see the Chileans among them as privileged emissaries of the state party, due to their political status, the material benefits they received and the fact that they were allowed to keep their nationality, passports and the ability to travel to Western Europe — a lthough distance to the regime and sympathy towards these foreigners (and vice-versa) could coincide in certain cases. This social reality had consequences for how foreigners were perceived in the GDR .38 Even though its inhabitants did not lack basic necessities, the GDR was by no means  a Western country of affluence and shortages were ever present. Each special allocation created more shortage, and thus, somewhere, envy.39 The resulting distancing of East Germans towards foreigners found its equivalent in the SED state and its security agencies. The amount of relative independence the Chileans enjoyed and their political activity in their own organizations made them a potential security risk for the GDR authorities. Whereas at the beginning there had been a focus on protecting the refugees from further persecution, by the time their stay had been extended, the officials saw the refugees increasingly as either potential candidates to cooperate with the Ministry for State Security or as potential enemies.40 Obviously, there was some overlap in the expectations of the state party and the population as  a whole in regard to foreigners in general. Ultimately, neither thought that foreigners should retain any ‘foreign’ identity; they should simply let themselves be assimilated into the host country. In a number of cases, Chilean emigrants drew their own conclu-

36 See Sigrid Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft. Zum Paradox von Revolution und Stabilität in der DDR 1945–1989, Frankfurt a. M. 1992. 37 Karlheinz Möbus, Chilenische Emigranten in der DDR, in: Gotthold Schramm (ed.), Flucht vor der Junta: Die DDR und der 11. September, Berlin 2005, pp. 157–165. 38 See Patrice G.  Poutrus, Teure Genossen. Die “polit. Emigranten” als “Fremde” im Alltag der DDR-Gesellschaft, in: Christian Th. Müller / Patrice G.  Poutrus (eds.), Ankunft — Alltag — Ausreise. Migration und interkulturelle Begegnungen in der DDR-Gesellschaft, Köln 2005, pp. 221–266. 39 Burghard Ciesla / Patrice G.  Poutrus, Food Supply in  a Planned Economy: SED Nutrition Policy Between Crisis Response and Popular Needs, in: Konrad H. Jarausch (ed.), Dictatorship as Experience. Towards  a Socio-Cultural History of the GDR, New York et al. 1999, pp. 143–162. 40 Patrice G. Poutrus, Alles unter Kontrolle? Zur Bedeutung der BStU-Quellen für die zeithistorische Migrationsforschung, in: Jens Gieseke (ed.), Staatssicherheit und Gesellschaft. Studien zum Herrschafts­alltag in der DDR, Göttingen 2007, pp. 318–338.

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sions from the resulting pressure and left the country.41 In the late 1980s, the exodus from East Germany to the West coincided with attempts to arrange an organized return to Chile. However, in either case, the emigration experience in the GDR had quashed much of the emigrants’ political enthusiasm and initiative. The socialist project for Chile had not only died out in that country but had lost the meaning it once had for the majority of the Chilean emigrants who had been in the GDR . Many of them did not take up political activities again after leaving.42 Thus, political asylum in the GDR found itself in  a peculiarly ambivalent position between the random, but also generous granting of asylum, and hostility towards the ‘otherness’ of admitted refugees. Compared to the Federal Republic’s asylum policy, which unterwent changes, the situation in the GDR remained relatively static throughout its existence. Regardless of the local population’s attitudes towards refugees and how they treated them, SED policies were never openly contested. Despite the claim of East German communists that they were acting on the principle of internationalism, their practice of political asylum can be seen as a continuation of German nationalistic migration policy with its concept of a homogenous German population.43 Immigration in general, but especially the admission of asylum-seekers, was also perceived as  a security issue in the GDR — t hat is, by the SED state. The acceptance of politically persecuted persons only appeared acceptable when it coincided with communist political tactics. However, even then, refugees, like all other migrants, were expected to assimilate quickly, and without protest or complaint, into the host society. Their only other option was to leave.44

4. New Factors, Political Debates, and Reform in Asylum Policy In contrast to the GDR’s, the Federal Republic’s changing refugee policy had been the subject of permanent conflict and new interpretations from the late 1950s on. The Federal Constitutional Court’s 1959 ruling specifying that political asylum should not be guaranteed exclusively on the basis of the Geneva Refugee Convention sparked a legal conflict whose significance extended far beyond the debate on the liberality or restrictiveness of asylum policies and practices.45 The conflict 41 Sebastian Koch, Zufluchtsort DDR? Chilenische Flüchtlinge und die Ausländerpolitik der DDR, Paderborn 2016, pp. 307–335. 42 See Katherine Hite, When the Romance Ended. Leaders of the Chilean Left, 1968–1998, New York 2000, p. 45. 43 See Jochen Oltmer, Protecting Refugees in the Weimar Republic, in: Journal of Refugee Studies 30/2 (2017), pp. 318–336. 44 Patrice G.  Poutrus, Migranten in der “Geschlossenen Gesellschaft”. Remigranten, Übersiedler, ausländische Studierende, Arbeitsmigranten in der DDR, in: Oltmer, Handbuch, pp. 967–995. 45 Vgl. BVerfGE 9, 174 (181), February 4, 1959, in: Ursula Münch, Asylpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklung und Alternativen, Opladen 1993, p. 53.

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centred on whether state interests overrode the Basic Law or whether government action had to be in line with constitutional norms.46 Finally, in 1975, the Federal Administrative Court ruled that the right to asylum in sentence 2 of Article 16 (2) of the Basic Law did not include any inherent limitations. The ruling recognized that this fundamental right also applied to beneficiaries of asylum and that foreign citizenship should not place an asylum-seeker at a disadvantage during the application proceedings and, in particular, after asylum was granted. Thus, the granting of asylum should be based not on state interests or state security but solely on the political persecution the asylum-seeker had suffered.47 Ultimately, other factors took on more significance in asylum policy than the political orientation of asylum-seekers and their experience of persecution. The most notable switch was the Federal Republic’s policy reversal on labour migration. When active recruitment of foreign workers was stopped and restrictive limitations on immigration were implemented, asylum became the only possible way for migrants to enter West Germany.48 The increasing restrictions in labour migration policy went hand in hand with a more general change in the direction of migration movements towards Western Europe. Moreover, modern forms of communication and transport meant that news of conflicts occurring in all corners of the globe were beamed into the households of affluent West Germans, and also that refugees from these regions had the option, at least in theory, of travelling to seek asylum in the Federal Republic.49 At the same time — from the mid-1970s — the nine member states of the European Community (EC), including West Germany, established  a form of intergovernmental cooperation to harmonize migration policy, especially asylum practices. On the surface, this revolved around eliminating border controls between the EC member states; but also, though less prominently, there was concern to address the consequences of such measures for the exterior borders of the Community. Policy guidelines for agreements on the issues of asylum, migration policy, and a coordinated crime and terror prevention strategy were worked out in the so-called TREVI group.50 Despite the experiences of the Chilean case and the fact that, at this time, the terrorist threat came primarily from domestic 46 Otto Kimminich, Grundprobleme des Asylrechts, Darmstadt 1983, pp. 99–106. 47 Vgl. BVerwGE 49, 202, October 7, 1975, in: Münch, Asylpolitik, p. 103. 48 Ulrich Herbert / Karin Hunn, Beschäftigung, soziale Sicherung und soziale Integration von Ausländern, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (ed.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Vol. 6: Bundesrepublik Deutschland 1974–1982. Neue Herausforderungen, wachsende Unsicherheiten, Baden-Baden 2008, pp. 751–778, and Marcel Berlinghoff, Das Ende der “Gastarbeit”. Die Anwerbestopps in Westeuropa 1970–1974, Paderborn 2013, pp. 204–268. 49 Steffen Angenendt, Gibt es ein europäisches Asyl- und Migrationsproblem? Unterschiede und Gemeinsamkeiten der asyl- und migrationspolitischen Probleme und der politischen Strategien in den Staaten der Europäischen Union, Bonn 2000. 50 See Rocío Fungueiriño-Lorenzo, Visa-, Asyl- und Einwanderungspolitik vor und nach dem Amsterdamer Vertrag: Entwicklung der gemeinschaftlichen Kompetenzen in Visa-, Asylund Einwanderungspolitik, Frankfurt a. M. 2002, pp. 8–11.

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violent criminals like the West German RAF and the Italian Red Brigade, asylum at the European level was henceforth no longer to be handled as a humanitarian or human rights issue. Rather, it was to be treated as a problem of inner security, strongly linked to stopping illegal migration. This explains the primarily restrictive design of European asylum law after the turn of the century.51 Yet if anything speaks for the inner stability and liberality of the Federal Republic at the time, then it is the fact that, despite such fears, policy did not revert to merely blocking entry. Instead, asylum-granting practices went into a phase of international détente as West European states tried to find a common position on the international enforcement of human rights standards. This development drew more attention to the Chilean case than others, and it became a prominent example of the growing human rights activism of the time.52 On the one hand, the political disputes of 1974 and 1975 that surrounded the granting of asylum to victims of political persecution under the Pinochet regime exposed the fault lines in the German Federal Republic’s liberalized asylum policies. The conflict had centred on the question of whether victims with radically left-wing political views should be granted asylum in the Federal Republic. The decision to admit them had mobilized strong opposition from conservative politicians and observers. On the other hand, the case provided an example of the trend towards a universal principle that protection should be provided for victims of political persecution under dictatorships of all political hues. The outcome in favour of accepting these victims irrespective of their political leanings testified to the domestic stability and transformation of the Federal Republic’s political culture — one in which granting asylum to politically persecuted persons was no longer contingent on cross-party consensus, but rather became a long-term issue in domestic debates on the normative foundations of the Federal Republic.53 These progressive changes in West German political culture did not, of course, allay debate and contention over the issue of asylum. Although recognition of human rights was establishing itself as a fundamental factor, on a national level the multi-dimensional changes in the migration situation were reduced to one key issue: what concerned both West German politicians and the public was above all the continuing growth in the numbers of asylum-seekers. Up to the beginning of the 1970s, the annual figure for asylum applications in the Federal Republic was between 2,500 and 5,600 people per annum. It was only in the years following the Prague Spring, 1969 and 1970, that these figures came to exceed 5,600 by a large margin. In 1976, for the first time, the number of applications went over the 10,000 mark, and by 1980, the figure had even gone far beyond 51 Eva Oberloskamp, Codename TREVI. Terrorismusbekämpfung und die Anfänge einer europäischen Innenpolitik in den 1970er Jahren, Berlin et al. 2017, pp. 131–180. 52 Patrick William Kelly, The 1973 Chilean Coup and the Origins of Transnational Human Rights Activism, in: Journal of Global History 8/1 (2013), pp. 165–186. 53 Margit Stöber, “Politisch Verfolgte genießen Asylrecht”: Positionen und Konzeptionen von CDU / CSU zu Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz 1978 bis 1989, Berlin 1990.

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that.54 But it was not only about numbers. At the same time, the profile of these applicants’ origins had also shifted dramatically: in 1970, for example, nearly 85 per cent of all asylum-seekers were from Eastern Europe, but by 1985 this was true for only about 14 per cent: the overwhelming majority were now coming from non-European countries.55 The logistical and financial issues involved in accommodating the growing numbers of refugees and asylum-seekers constituted yet another factor that affected policy and policy implementation. The only state reception camp in existence up to the mid-1970s was located in Zirndorf, Bavaria. As the number of asylum-seekers increased, the camp’s limited capacity was overburdened, and conditions became unacceptable. It was then that the Bavarian state government pushed for adjustments in the local distribution of refugees. A conference of the Federal State Ministries of the Interior in February 1974 therefore decided that asylum-seekers should be distributed across the West German states. Asylumseekers arriving in the Federal Republic were to be accommodated by the state in which they initially made themselves known to the authorities, or, in cases of excessive numbers, were to be distributed amongst other Federal states according to  a fixed quota. This was to be before the recognition procedure even got started.56 These significant changes to the asylum procedure marked the end of the special institutional role played by the Free State of Bavaria in refugee and asylum policy and increased the role of the remaining Federal states. As a result of the new distribution practice, conflicts constantly arose between the Federal government, the states and the affected municipalities. There were arguments over who was responsible for hosting asylum-seekers and shouldering the associated obligations and necessary financial outlay. In view of the emerging crisis in public finances at the end of the 1970s and early 1980s, especially at the municipal and Federal state level, and also the unclear or even dismissive attitude towards foreign refugees demonstrated by numerous local and regional politicians, crossparty calls arose demanding an acceleration or tightening-up of the asylum procedures.57 From the late 1970s on, there was increasing questioning of the constitutional right to asylum. By 1980, refugee and asylum policy had switched from being a topic of interest only to experts and members of the legal profession to being a major issue on the Federal Republic’s domestic policy agenda and in the public sphere. Due to their strong standing at the Federal state level and their strength54 See Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (ed.), Asylpraxis, Nürnberg 1998, p. 8. 55 Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München 2001, p. 274. 56 See Doris Dickel, Einwanderungs- und Asylpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreichs und der Bundesrepublik. Eine vergleichende Studie der 1980er und 1990er Jahre, Opladen 2002, pp. 225–329, here p. 283. 57 Münch, Asylpolitik, pp. 64–66.

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ened position as critics of the social-liberal government’s restrained and hesitant approach, the opposition Christian Democratic party (CDU) was able to raise its profile and accuse the governing coalition of passivity over the issue of asylum.58 However, the number of asylum applicants only decreased temporarily after the CDU came to power in 1982; and, as a result of the political changes in Eastern Europe at the end of the 1980s and the lifting of the Iron Curtain, the figure never dipped under 100,000 asylum-seekers per year.59 In an attempt to alleviate this, West German politicians introduced stricter regulations and limitations to the asylum procedure, which led to a total of 17 major reforms to the law by the Federal Government as well as legally binding resolutions passed at the Conference of the State Ministries of the Interior.60 Points raised in public debates — t he burden refugees and asylum-seekers put on the crisis-laden welfare state and the purported threat of this new demographic of foreigners — influenced the ways in which the media represented both the people involved and the sociopolitical issues. In complete contrast to the sympathy shown earlier in the Cold War period and in the case of the Chileans, no one seemed to care about or, in many cases even believe, the refugees’ reasons for fleeing their homelands and their stories of political persecution.61 Indeed, the extraordinary mobilization of public politics on the issue of asylum from the late 1970s to the early 1990s cannot be fully explained by either the unfortunate exper­ iences of many foreign refugees,62 or by the accompanying challenges faced by the country’s welfare states, which seemed already to have reached their limits.63 Rather, the issues of refugee and asylum policies were always connected to fundamental questions about the political and moral foundations of (West) German society. Some groups saw a broad refugee and asylum policy as symbolic of  a definitive rupture with the racially-oriented Germany of the past. Others regarded such  a generous policy as unthinkable, since it would mean  a break with the paradigm of a Germany which was not an immigration country, and the loss of a historical, cultural and ethnic identity. Right through to the early 1990s, neither side could give their position enough political weight to result in much movement. The result was a stalemate, which — paradoxically — dissipated 58 See Margit Stöber, Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Positionen und Konzeptionen von CDU / CSU zu Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz 1978 bis 1989, Berlin 1990, pp. 88 f. 59 See Entwicklung der Asylantragszahlen seit 1953, in: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Aktuelle Zahlen zu Asyl, February 2017, p. 3. 60 Klaus J. Bade, Ausländer, Aussiedler, Asyl: Eine Bestandsaufnahme, München 1994. 61 See Jürgen Link, Medien und “Asylanten”: Zur Geschichte eines Unworts, in: Dietrich Thränhardt / Simone Wolken (eds.), Flucht und Asyl. Informationen, Analysen, Erfahrungen aus der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg i. Br. 1988, pp. 50–61. 62 See Johannes Müller, Politische Lösungsansätze des Flüchtlingsproblems und der Beitrag der Kirchen, in: Johannes Müller (ed.), Flüchtlinge und Asyl. Politisch handeln aus christlicher Verantwortung, Frankfurt a. M. 1990, pp. 179–210. 63 See Hans F. Zacher, Sozialer Einschluß und Ausschluß im Zeichen von Nationalisierung und Internationalisierung, in: Hans Günter Hockerts (ed.), Koordinaten deutscher Geschichte in der Epoche des Ost-West-Konflikts, München 2004, pp. 103–152.

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with the end of the GDR .64 After the events of 1989 had shown that the majority of East Germans rejected “socialism in GDR colours”, it was not surprising that a majority had no sympathy for the rising number of asylum-seekers in unified Germany, as the admission of political refugees had been something to accept as part of SED policy and did not necessarily reflect public opinion at all.65 In this special situation, what happened to the Chilean exiles in East and West Germany lost almost all public attention. This is all the more unfortunate because this group can be regarded as a truly noteworthy case of the admission of polit­ ically persecuted persons in the Federal Republic. In 1973, around 1,600 Chileans lived in West Germany and, according to information provided by the Federal Government, around 2,400 politically persecuted Chileans found refuge as quota refugees in the years up to 1977, and could therefore file an application for asylum. To these numbers one must add the influx from Eastern Bloc countries, family reunifications and children who were born in German exile. At the beginning of the 1990s, around 6,700 Chilean citizens were living in Germany, although family members and children of those granted asylum were not recorded in the statistics of the Federal Bureau for the Recognition of Foreign Refugees.66 Contrary to what sceptical observers had feared in the early years, the arrival of the Chileans did not lead to any long-term strengthening of left-wing radicalism in the Federal Republic. Nor did many Chileans choose to stay in the long term: as the situation in Chile turned back towards democracy, there was a notable, though also difficult return of exiled Chileans to their country.67 Such aspects, however, were hardly mentioned in the public debates of the Federal Republic after Unification.

5. After German Unification: the Outlook After Unification, for the majority of Germans, regardless of whether they were from the East or the West, the only possible way to deal with immigration was to keep asylum-seekers out of the country.68 In 1993, this shared German attitude provided the momentum for liberal-conservative politicians to bring about  a constitutional reform in the fundamental right to asylum known as the ‘Asylum 64 See Patrice G. Poutrus, Zuflucht im Nachkriegsdeutschland. Politik und Praxis der Flüchtlingsaufnahme in Bundesrepublik und DDR von den späten 1940er Jahren bis zur Grund­ gesetzänderung im vereinten Deutschland von 1993, in: Oltmer, Handbuch, pp. 853–893. 65 See Ann-Judith Rabenschlag, Völkerfreundschaft nach Bedarf: Ausländische Arbeitskräfte in der Wahrnehmung von Staat und Bevölkerung der DDR, Stockholm 2014. 66 Barbara Issel, Die Chilenische Minderheit, in: Cornelia Schmalz-Jacobsen / Georg Hansen (eds.), Ethnische Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland, München 1995, pp. 106–119. 67 Jorge Rojas Hernández, Leben zwischen zwei Kulturen: Die schwierige Verteidigung des Andersseins im Exil, in: Peter Imbusch et al. (eds.), Chile heute. Politik — Wirtschaft — Kultur, pp. 821–853. 68 Hans-Gerd Pracht, Ausländer- und Asylpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1998.

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Compromise’. This compromise was based on the premise that the right to asylum would remain in the constitution, but that access to that right would be largely limited. For some, the outcome of this reform was seen as a defeat for the proponents of a generous and unrestricted right to asylum. Yet, considering that many voices wanted to eliminate the right to asylum entirely, the compromise did testify to the depth of respect for human rights that is part of the political culture of unified Germany.69 It also demonstrated that issues surrounding the principle of a nation state and human rights in the field of migration policy had not disappeared. These issues are still present today. There is much that points to continuing conflict, even if the issues will, most likely, be dealt with more and more at the European level.70 Nevertheless, the continuing conflicts about asylum rights cannot be explained as a consequence of the concessionary nature of the reform. Historically, latent tension between the principle of sovereignty of the modern nation state and the demands of universal human rights have been linked to this issue.71 From the Federal Republic’s foundation to the constitutional change of 1993, the right to asylum has repeatedly been subject to new interpretations.72 So the 1993 amendment was nothing new. Rather, it can be seen as a compromise between liberal asylum laws, with an emphasis on human rights, and traditional political notions of belonging to  a German nation based on ethnicity. It was a fundamental act in the founding of a unified Germany: the Berlin Republic.

69 See Mathias Hong, Asylgrundrecht und Refoulementverbot, Baden-Baden 2008. 70 See Elisabeth Haun, The Externalisation of Asylum Procedures. An Adequate EU Refugee Burden Sharing System?, Frankfurt a. M. 2007. 71 See Günter Renner, Aktuelle und ungelöste Probleme des Asyl- und Flüchtlingsrechts, in: Klaus J.  Bade / Rainer Münz (eds.), Migrationsreport 2002. Fakten — Analysen — Perspek­ tiven, Frankfurt a. M. 2002, pp. 179–206. 72 See Olaf Köppe, MigrantInnen zwischen sozialem Rechtsstaat und nationalem Wettbewerbs­ staat. Zur Bedeutung von Justiz und Politik bei der Vergabe von “bürgerlichen” und sozialen Rechten an MigrantInnen unter sich verändernden sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen, Dissertation, Universität Duisburg 2003.

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From Exile to Incorporation: Chilean Refugees in Switzerland in the 1970s and 1980s 1. Introduction Scholars like Alejandro Portes and his colleagues have shown what a complex process the incorporation of migrants and refugees into a new society is.1 Several factors come into play: the refugees’ past experiences and resources; the host country’s immigration and asylum policies; employers’ attitudes towards migrants and refugees; and whether or not an ethnic community exists and what its characteristics might be. Following these scholars, I prefer to use the concept of ‘incorporation’ rather than speak of ‘integration’, because the former term is less ideologically, emotionally and politically loaded than the latter. As well as denoting migrants’ participation in the new society they have come to, the term ‘integration’ implies a normative view of this participation as a necessary and desirable course, following more or less the same patterns everywhere.2 However, according to Portes and his colleagues, the forms and outcomes of the process of incorporation can be quite different for each migrant or refugee community, and these scholars have used the concept of ‘segmented assimilation’ to allow for this great heterogeneity. Another factor that influences the incorporation of migrants and refugees into a host society is the length of their residence. The classical view is that the longer migrants and refugees stay, the stronger the trend towards assimilation will be.3 Some scholars modify this, pointing out that incorporation into the host country and transnational participation are not necessarily mutually exclusive, and that 1 See Alejandro Portes / Min Zhou, The New Second Generation: Segmented Assimilation and its Variants, in: Annals of the American Academy of Political and Social Sciences 530 (1993), pp. 74–96, and Alejandro Portes / Patricia Fernandez-Kelly / William Haller, The Adaptation of the Immigrant Second Generation in America: Theoretical Overview and Recent Evidence, in: Journal of Ethnic and Immigration Studies 35 (2009), pp. 1077–1104. 2 See Claudio Bolzman, Travailleurs étrangers sur le marché du travail Suisse: quels modes d’incorporation?, in: Journal of International Migration and Integration 8 (2007), pp. 357–373. 3 See Milton Gordon, Assimilation in American Life: The Role of Race, Religion and National Origins, New York 1964; Barry N. Stein, The Refugee Experience: Defining the Parameters of a Field of Study, in: International Migration Review 15 (1981), pp. 320–330, and Richard D. Alba / Victor Nee, Remaking the American Mainstream: Assimilation and Contemporary Immigration, Cambridge, MA 2003.

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the nature of the exiles’ links with their homeland may become adjusted in the process.4 In other words, changes can occur not only in their relation to the host society but also in their relation with their country of origin. This transnational perspective underlines the fact that migrants and refugees are not only worried about their place in a new society, but are also concerned with a redefinition of their links with their society of origin. They try to build new lives across borders.5 In this article I argue that incorporation and transnationalism are dynamic processes in which it is possible to distinguish  a number of important stages, all influenced by contextual variables and meso-level variables including forms of community organization and social stratification. Moreover, the respective weights that incorporation and transnationalism exert are not the same at different stages. The attention exiles give to both issues depends on their perception of their situation with respect to both homeland and host country. I take the example of Chilean exiles in Switzerland, and will seek to find at what stage the question of participation in the social life of the host society became important to them as a community. This point seems to me particularly salient, because many current discussions about the social participation of refugees in the societies where they reside fail to take into account the refugees’ own views on the matter. In fact, I argue that, to a greater extent than is the case with labour immigrants, refugees adopt forms of incorporation into the host country and forms of community organization that are strongly influenced by political events at home. Exiles are particularly sensitive to what happens in their home countries and usually seek to influence developments there with whatever means are at their disposal. Ostergaard-Nielsen names this type of participation ‘homeland’ or ‘diaspora’ politics.6 I will examine to what extent these forms of transnational participation were relevant in the case of the Chilean exiles. The different stages of Chilean exile that I present in this article are based on a longitudinal study I conducted between 1983 and 1988, combining in-depth interviews with 179 Chilean exiles, semi-directed interviews with community leaders, documentary analysis and participant observation of community life.7 4 See Steven Vertovec, Conceiving and Researching Transnationalism, in: Ethnic and Racial Studies 22/2 (1999), pp. 447–462; Alejandro Portes, Introduction: the Debates and Significance of Immigrant Transnationalism, in: Global Networks 1/3 (2001), pp. 181–193; Claudio Bolzman, Stages and Modes of Incorporation of Exiles in Switzerland: The Example of Chilean Refugees, in: Innovation: the European Journal of Social Sciences 7/3 (1994), pp. 321–333, and Id., Transnational Political Practices of Chilean Migrants in Switzerland, in: International Migration 49/3 (2011), pp. 144–167. 5 See Linda Basch / Nina Glick Schiller / Christina Szanton Blanc, Nations Unbound: Transnational Projects, Postcolonial Predicaments, and Deterritorialized Nation-States, London 1994. 6 See Eva Ostergaard-Nielsen, The Politics of Migrants’ Transnational Practices, in: International Migration Review 37/3 (2003), pp. 665–690, here pp. 669 f. 7 See Claudio Bolzman, Sociologie de l’exil: une approche dynamique. L’exemple des réfugiés chiliens en Suisse, Zurich 1996.

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Since the democratization of Chilean society, which began in 1990, I have continued to observe the new trends in community life using the same methodologies.8 The Chilean refugees in Switzerland thus provide the opportunity for a very interesting sociological long-term study, in which it is possible to examine the incorporation of  a community of exiles and monitor their relationship with their home country under conditions of dictatorship and under the subsequent democratization transition. Other significant questions arise about the setting. How important was it to the Chilean refugees fleeing political persecution that Switzerland was a neutral state in Cold War Europe? And, since the evaluation period extends to the period when the Cold War had ended, what influence did the global turning point of 1989 have on the exiled community? However, this article is not a top-down examination of Swiss immigration policy; rather, it looks from a bottom-up perspective at Chilean refugees as actors in exile.

2. The Theoretical and Conceptual Framework The term ‘exile’ very often has metaphorical overtones and refers to  a variety of forms of exclusion and marginalization of individuals from the dominant society. It also expresses  a sense of bereavement, displacement and rupture experienced after losing  a meaningful place in the world.9 The term has been popularized by scholars studying the situations of people fleeing the persecutions of South American military dictatorships in the 1970s.10 I also prefer this term to ‘refugees’ because refugee status has important legal connotations related to the United Nations Convention of 1951, while ‘exile’ refers to a broader sociological situation. I define ‘exile’ as the forced migration of people who have to leave their own country to escape from  a situation of political violence and to seek asylum in another state for  a period whose duration cannot be predicted.11 I avoid the term ‘diaspora’ when referring to forms of forced migration, despite the fact that most diasporas originate with pressure coming from a population of the same origin.12 This is because, nowadays, the concept refers to groups of various origins scattered in a range of countries but whose migration there was not necessarily a consequence of political violence.13 Not all situations forcing 8 See Claudio Bolzman, De l’exil à la diaspora. L’exemple de la migration chilienne, in: Autrepart 22 (2002), pp. 91–107, and Id., Transnational Political Practices. 9 See the online review (RE)PENSER L’EXIL, URL: www.exil-ciph.com [March 10, 2019]. 10 See Diana Kay, Chileans in Exile. Private Struggles, Public Lives, London 1987; Ana Vasquez /  Ana-Maria Araujo, Exils latino-américains. La malédiction d’Ulysse, Paris 1989, and AnneMarie Gaillard, Exils et retours. Itinéraires chiliens, Paris 1997. 11 See Bolzman, Stages and Modes of Incorporation, p. 322, and Id., Sociologie de l’exil, p. 30. 12 See Sylvie Chédémail, Migrants internationaux et diasporas, Paris 1998. 13 See Pierre Centlivres / Micheline Centlivres-Demont (eds.), Les diasporas, Cahiers d’études sur la Méditerranée orientale et le monde turco-iranien 30 (2000).

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exile lead to the emergence of  a diaspora, and not all diasporas result from a situation of exile.14 Life in exile is  a dynamic situation in which it is possible to distinguish a number of stages. Each stage is characterized at the macro-social level by the existence of a central event that has an influence on the resources of actors and on their perception of the situation they are in. In each stage at the individual level there is a specific way the exiles live, and at the community level specific forms of expression they adopt; also particular ways of relating to their homeland and to their country of residence. Let me specify the main concepts I use to define a stage of exile. First, an ‘event’ is an occurrence which takes place at the macro-social level, generally independ­ ently of the will of actors, and which tends to modify their social situation. The event can occur in the state of origin (for instance, the start or end of a spate of political violence) or it can be an upset in the host country, such as an economic crisis or outbreak of xenophobia against refugees. An event modifies the forms of incorporation of exiles into the resident country and their relationships to their homeland. Secondly: ‘resources’. ‘Resources’ are the capital (in its wide sense) possessed by the actors defining their social position. Resources can also be mobilized when facing  a changing situation. Some central events, especially political persecution, challenge all the resources the actors may have; others affect only some of these resources; yet other events call for a selection. Resources may come from the shared history of the actors as  a group (‘collective resources’) or from the specific itineraries of individuals who belong to the group (‘personal resources’). Here I focus on collective resources. These are mainly symbolic in nature. They include: language, shared goals, values and representations, forms of collective organization, sharing  a common history, and contributions to moulding the group’s identity.15 Thirdly, ‘perception of the situation’ centres mainly round the temporal evaluation the actors make of their exile. Is it a permanent or a transitory situation? And, if provisory, is it short- or long-term? This concept is therefore very close to Merton’s notion of ‘socially expected durations’.16 It is important to stress that changes in the perception of the situation can modify the orientation of resources mobilized: for instance, it is possible to evolve from a strong orientation towards the homeland to an orientation which is mainly to the country of residence. 14 See Claudio Bolzman, De l’exil à la diaspora, p. 92. 15 Personal resources can be of different types. We distinguish five main types: socio-economic resources (material means), social resources (size and importance of social networks), cultural resources (different types of knowledge acquired), health resources (degree of autonomy) and legal resources (formal rights of the actors and their capacity to uphold them). 16 See Robert K. Merton, Socially Expected Durations: A Case Study of Concept Formation in Sociology, in: Walter W. Powell / Richard Robbins (eds.), Conflict and Consensus: A Festschrift for Lewis A. Coser, New York 1984, pp. 265–281.

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The interaction between these three factors — ‘events’ at the socio-political level, ‘resources’, and ‘perception of the situation’ — has a direct influence on the actors’ collective identity. In exile situations, abrupt transformations of a sociohistorical context have an influence on the identity of both groups and individuals. Redefinition of identity results from the interaction between community, as a structure with its own dynamics, and particular individuals. Generally the group is more sensitive to the reality of what is going on in the home country; conversely, individuals are more permeable to what is experienced in the host country. In defining their identity, the actors we are considering also take into account the way they are categorized by others. This is in a context of symbolic power relationships between social groups — t he luttes de positionnement (positioning struggles) Pierre Bourdieu speaks of.17 In the new context, at least at the collect­ ive level, exiles try to redefine their identity, resisting any attribution of stigma from native and host societies and giving themselves a positive image. Given the constraints of their specific context and their own perception of the situation, exiles try to assert an identity that enables them to acquire “the power to define according to their own interests the principles of definition of the social world”.18 As we shall see, this goal is very difficult to attain in a situation of exile.

3. Chilean Exile in Switzerland The Chilean exile began after the military coup of September 1973, which overthrew the democratically elected socialist government of President Salvador Allende.19 The new regime pursued particularly repressive policies against militants and sympathizers of leftist parties, trade unions and grass-roots associations. Between 1973 and 1988  a huge number of people left the country to escape from direct or indirect political persecution, seeking asylum in another state for an unpredictable duration.20 Estimates of the number vary between a maximum of one million people (almost 10 per cent of the Chilean population) and a minimum of 250,000. In any case, it was an unprecedented situation in the history of a country up to then characterized by rather limited emigration movement, seldom going beyond Latin America. As it was a massive flight, people of all social conditions and ages were involved. The number of Chilean refugees 17 Pierre Bourdieu, L’identité et la représentation. Eléments pour une réflexion critique sur l’idée de région, in: Actes de la recherche en sciences sociales 35 (1980), pp. 63–71, here p. 69. 18 Ibid. 19 See Joan Garces, Démocratie et contre-révolution. Le problème chilien, Verviers 1975, and James Petras, The Anatomy of State Terror. Chile, El Salvador and, Brazil, in: Science and Society 51 (1987), pp. 314–338. 20 The figures are thus variable. See Mario Sznajder / Luis Roninger, The Politics of Exile in Latin America, Cambridge 2009, p. 230.

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coming to Western Europe was approximately 100,000. About 4,500 of them fled to Switzerland.21 The first Chileans arrived in Switzerland between the last months of 1973 and January 1974. They were part of a contingent of 255 refugees selected by a Swiss officer from people who had sought protection in various foreign embassies in Santiago. Another 450 Chileans got to Switzerland through the help of  a solidarity movement called Action Free Places, which had been specially formed by Swiss humanitarian, religious and leftist groups to promote the reception of more refugees from Chile in Switzerland.22 This was symptomatic: for the first time since the Second World War, the admission of exiles was not decided by  a large political and societal consensus, but was the result of the collective mobilization of different social actors exerting strong pressure on the political authorities.23 Though Switzerland was a neutral state, the authorities preferred to host persecuted individuals fleeing the Cold War left-wing regimes rather than those escaping from right-wing military dictatorships.24 Most of the Chilean exiles were granted asylum during the 1970s, and policy towards them became more restrictive during the next decade. In fact, after the Second World War and as the Cold War developed, the refugees that came to Switzerland had been mainly from Eastern Europe (from countries like Hungary and Czechoslovakia) and the policy towards them had been quite open: almost all the exiles were granted asylum. After the signing of the Bellagio Protocol in 1967, however, the number of refugees from non-European countries started to increase, and this created debate in the country. In 1981, Switzerland established its own national law on asylum and introduced more restrictions on the asylum procedure: the proportion of requests that would be accepted was drastically reduced.25 And, since the 1980s, the asylum law has been continually revised, always in a more restrictive way.26 The majority of the Chilean exiles arriving in the 1980s were not granted refugee status, though some of them received humanitarian permits and were allowed to stay in the country.27 21 See Bolzman, Transnational Political Practices, pp. 144–167. 22 See Peter Braunschweig / Jürg Meyer, Chile-Flüchtlinge. Schweizer Asylpolitik, Basel 1974, pp. 24 f.; Marie-Claire Caloz Tschopp, Le Tamis Helvétique. Des réfugiés politiques aux ‘nouveaux réfugiés’, Lausanne 1982, pp. 44 f. and p. 136, and Maurizio Rossi, Solidarité en bas et raison d’Etat. Le Conseil fédéral et les réfugiés du Chili (septembre 1973-mai 1976), Lausanne 2008. 23 See Claudio Bolzman, Les métamorphoses de la barque. Les politiques d’asile, d’insertion et de retour de la Suisse à l’égard des exilés chiliens, Geneva 1993, pp. 29–42. 24 See Caloz-Tschopp, Le Tamis Helvétique, pp. 109–142, and Marc Vuilleumier, Immigrés et réfugiés en Suisse. Aperçu historique, Zurich 1987. 25 See Lorena Parini, ‘La Suisse terre d’asile’: un mythe ébranlé par l’histoire, in: Revue Européenne des Migrations Internationales 13/1 (1997), pp. 51–69. 26 See Etienne Piguet, L’immigration en Suisse. Cinquante ans d’entreouverture, Lausanne 2004. 27 See Claudio Bolzman, Les métamorphoses de la barque, pp. 46–52.

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After the election of a democratic government in Chile in 1989, about 20 per cent of the Chileans resident in Switzerland returned to their home country.28 The remainder — an overwhelming majority — stayed in Switzerland as former refugees with the new legal status of permanent residents. Over time, a growing number of them became Swiss.29 In what follows, I single out four main stages the Chileans in exile experienced, as community patterns of collective organization, mobilization of resources and ways of dealing with their host country and home country all developed and changed. First, there was the building of a transnational political community; secondly, efforts to forge a link between political and ‘antepolitical’ communities; thirdly,  a diversification of the community life in exile; and fourthly, facing resident community and diaspora issues. 3.1 First Stage: The Building of a Transnational Political Community During the first period, between 1973 and 1977, the exiles organized themselves as a transnational political community.30 For them at this time, political commitment was at the centre of everyday life in their home country, and it was this that gave meaning to their existence. The cause of their exile was their opposition to military rule and the main reason for their presence in Switzerland was a political one. Thus, it was through practices of solidarity that exiles tried to establish a bridge between their past and their present and to forecast the future. With their bases in shared ideology, they created associations which enabled them to meet other exiles and Swiss people of like mind and to work together in the new environment where they were unknown. This dimension was strengthened by the fact that the exiles were perceived, even before they arrived in Europe, as very engaged people — active militants with a rebellious streak, and the victims of a military dictatorship. This importance given to ideology in the building of a community network went along with a perception of exile as something that would not last: very soon, the Chileans thought, it would be possible to go back to their country of origin. So, during the first years, they lived with ‘suitcases packed’, so to speak. Any problems experienced in Switzerland were therefore perceived as relatively unimportant, and the pursuit of other priorities, such as finding jobs commensurate with their skills, seemed irrelevant, or even illegitimate, to the refugees. Indeed they felt guilty for leaving their country, because they had the impression they had 28 See Bolzman, Transnational Political Practices, p. 152. 29 See Id., Sociologie de l’exil, pp. 279 f. 30 On the following, see also Diego Avaria, La vuelta a la democracia en Chile: La contribución de los exiliados, Aletheia 5/10 (2015), and Bolzman, Transnational Political Practices. On the concept of political transnationalism, see Eva Ostergaard-Nielsen, The Politics of Migrants, pp. 665–690.

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given up on the fight against dictatorship. Hence, any attempt to become more integrated in their new context was perceived as wrong; their duty was to work on solidarity and to prepare for a return to Chile. In this context, collective and individual identities overlapped and the exiled community exerted strong social control over its members. The main forms of collective expression at this stage were within political parties — for instance, the Socialist Party, the Communist Party, the Radical Party, and the Movement of the Revolutionary Left (MIR) — and in organized groups of solidarity — for instance, the Salvador Allende Committee and the Chile Committee. The aims of these organizations were exclusively directed towards the home country: to giving support to the opposition against military rule and helping the victims of repression. The Chilean refugees were clearly practising  a form of transnationalism that could be defined as ‘homeland’ or ‘diaspora’ politics.31 Their activities were mainly aimed at improving human rights in Chile, or at democratizing the political regime there. Thus, the different groups dispersed information about the political situation and the violation of human rights in Chile, organized campaigns calling for the freeing of political prisoners and reprieves for those condemned to execution, and collected money for human rights organizations and resistance groups. To implement these aims, they organized conferences, demonstrations and support meetings. These activit­ ies enabled the Chileans to introduce the local population to different expressions of Chilean and Latin-American culture (in music, exhibitions, distinctive foods, etc.), but these were always subordinated to a purpose that was political or that demonstrated solidarity. Chilean political parties and solidarity organizations like the ones mentioned above established relations with some of the Swiss parties ideologically close to them, and also with trade unions, churches and some local personalities. These contacts were eased by the positive image the Chilean exiles and the Chilean left had. Contacts were also made with Chileans living in different Swiss regions and in other European countries. The Chilean exiles contributed to these activit­ ies according to their resources and the places they held within their organization. The various roles the refugees assumed could be very different — leader, artist, speaker, cook, decorator, and so on — and were not all equally rewarding. However, most of the community members participated actively in these tasks, during these years, both because they were convinced of their necessity and also because it was the only way to be recognized as a full member of the community. Relations between exiles were defined on the basis of ideological criteria. Friends were normally chosen among members of the same organization.32 The fact of having experienced the same situations in the home country and in the host

31 See Ostergaard-Nielsen, The Politics of Migrants, pp. 669 f. 32 See Bolzman, Sociologie de l’exil, pp. 143–147.

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country was not enough to bring exiles from different political parties together. If parties cooperated to develop a campaign of solidarity, they would also have ideological differences, which were sometimes exacerbated by the political defeat: they tended to blame each other for the military coup. The differences were also encouraged by Swiss political organizations, which had their own readings of the Chilean situation and which supported specific groups of Chilean exiles. During this stage, there was no community structure to deal with the problems of the exiles themselves, which were nevertheless important. Chileans were not really involved in what Ostergaard Nielsen calls ‘immigrant politics’ — political activities aimed at improving their own lot in the host country by furthering their rights and socio-economic status there.33 The only organized activity of this kind that was undertaken was participation in the reception and initial guidance of newcomers. Their lack of interest in solving their own new issues can be explained by their perception of exile as temporary: why get bothered with the conditions of life in exile if it was a short-term situation? Additionally, a feeling of guilt prevented them from devoting attention to themselves when the problems of their countrymen in Chile were so much more acute. The exiles believed that their sojourn in Switzerland could only be justified if they remained actively committed to the Chilean opposition. Thus, in this first stage, the issue of incorporation into Swiss society did not really arise. 3.2 Second Stage: Trying to Forge a Link Between the Political and ‘Antepolitical’ at the Community Level The pattern of community organization just described did not last. During the second half of the 1970s, changes in the macro-social context led to adjustments in the perception of exile and in the ways the Chileans mobilized resources. The main circumstance was that, against all the exiles’ expectations, a relative stabilization of the military regime in Chile had taken place.34 This situation made return impossible in the short term, and the exiles had no option but to change their perception of the situation. Though most of them continued to think that they would not stay for ever in the host country, they did now realize that their sojourn might last many years. With this new perspective on their situation, the exiles ceased to live with their heads turned only to Chile and started to think about their place in Switzerland and how they would fare there. ‘Landing’ in this new context meant ‘unpacking suitcases’ and beginning to mobilize resources so that they could insert themselves more fully into the new environment. Their reappraisal of the situation had concrete implications for an increasing number of refugees, who began to define themselves not only in terms of political 33 See Ostergaard-Nielsen, Politics of Migrants. 34 See Vasquez / Araujo, Exils Latino-Américains, pp. 37 f., and Bolzman, Sociologie de l’exil, chapter 7.

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commitment but also with respect to professional, family and social resources. In other words, they tried to define themselves from a multidimensional perspect­ ive, taking in their requirements for everyday life in Swiss society. The increasing attention given to the new environment created a new dynamic. On the one hand, the exiles grasped that they should conform to the requirements of the dominant society in certain important areas, such as their relationship to time and space; on the other, they realized that they should introduce more flexibility into their community life, so that they could deal with new problems and needs. It is not the aim of this article to describe the different changes in everyday life that resulted from acculturation into the host society.35 I will limit myself to mentioning that these changes, especially, brought greater focus on the private needs and expectations of family life. But families had fewer resources than they had had in Chile to answer these demands, and tensions within the group tended to increase. To relieve families from part of the burden on them, the exiles sought to build community spaces, where it was possible to work together on issues like the education of children and the social problems women faced. These were essentially perceived during the early years of exile as private matters rather than public ones. Consequently, new associations arose that were not mainly political, but which focused on leisure activities, the socialization of children into an ethnic Latin American identity, and so on. These associations were created around 1977 and 1978. For the first time Chileans had organizations that were not political or solidarity-based but which catered for the needs of the exile community as such. One example of this was the Chilean Children’s Workshop (Taller infantil chileno) founded in Zurich in 1977. It was created by  a group of parents from different political parties with those parties’ support. The aim of the group was to make a space where children could socialize. In the words of one of the members, the idea was “to have a place to give our children the opportunity to participate, as Chileans, in a certain number of activities”.36 The Workshop was also an important meeting place for women. It enabled them to discuss common problems related to exile, and issues related to the children’s schooling: “Men were participating at the party level, but the compañeras (women) were at home during the whole week with the kids, then on Saturday they had the possibility to meet each other, to discuss specific issues with us as women or to discuss the Swiss school system with Swiss teachers.”37 The Workshop lasted three years. Apart from having a lack of material resources to support it, the association suffered from an excessive politicization of social relations. As one of the members

35 A detailed description of these changes can be found in Bolzman, Sociologie de l’exil, chapter 7. 36 Interview with Victor, one of the founders of the Taller. 37 Interview with Cecilia, member of the Taller.

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explained: “During these three years it was a fight against the parents, against pressure from people: ‘Don’t put your children in the Taller, the Socialists, the Mapucistas and so on are all there […].’ It was the sectarianism of the parents that brought about the end of the Taller.”38 This example shows how, at this stage, the refugees sought to combine ways of solving problems arising in their everyday lives with the need to retain a shared ideological community identity. They managed this with only limited success. It was difficult to bring the two outlooks together: the political one and what Oriol calls the ‘antepolitical’ one.39 In the first outlook, group cohesion from its shared ideology was paramount; in the second, current shared experiences and common practical aims were the things that counted. The two most frequent outcomes were either that the group disintegrated under the pressure of ideological differences, or that it depoliticized — which was the case with most sports associations created in this period.40 Nevertheless, for a number of exiles the reconciliation of these two dimensions remained both a need and a desirable goal. 3.3 Third Stage: The Diversification of Community Life In the years 1983–1984, Chilean society found itself in a situation of uncertainty: would military rule be extended for a long time or, thanks to opposition activities, might the country return quickly to a democratic regime? This unclear situation had arbitrary consequences for exiles: some of them got permission to visit Chile, or even to return; for others, the country remained completely closed. The situation was evaluated in very different ways: those who maintained a strong political commitment and who kept in regular contact with the home country forecast that they might be able to make a quick return to Chile. Those who had moved away from political activities and who had less regular links with Chile continued to believe that they would stay in Switzerland for a long time, perhaps even permanently.41 These differences of perception, along with important social strata differences between exiles, led to a great diversity of ways of life and forms of incorporation into Swiss society. These can be interpreted as forms of ‘segmented assimilation’ — but within the same ethnic community.42 In the middle strata, the dominant way of life was characterized by the following main traits: political commitment as an axis for structuring identity; activity oriented towards the homeland, along with some participation in the social life in

38 Interview with Mariana, member of the Taller. 39 Michel Oriol, L’institué et l’organisé: propositions dialectiques sur les pratiques associatives des immigrés, in: Etudes Méditerraneennes 9 (1985), pp. 4–18, here pp. 9–12. 40 Bolzman, Sociologie de l’exil, pp. 174–180. 41 See Ibid., chapter 8. 42 Portes / Zhou, The New Second Generation, pp. 74–96.

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Switzerland; and strong attachment to the idea of return. I call this ‘intercultural commitment’.43 Nevertheless, there were three other ways of life, less important in the community, but tending to expand. These were: ‘alternative search’, ‘para-political interculturalism’, and ‘adaptative individualism’.44 ‘Alternative search’ was characteristic of exiles who tried to combine militant sensitivity with personal fulfilment gained through practices oriented towards the host country, even if they did not discard the idea of return. ‘Para-political interculturalism’ was characteristic of exiles who assiduously promoted Latin American culture and arts in the host country but who moved away from political commitment. ‘Adaptative individualism’ was the course of the exiles who put their efforts into developing  a personal or family project in the host society and who planned to stay in Switzerland permanently. Those in this last group withdrew from public life and privileged their private life, a course closest to the classic ‘assimilation’ model of incorporation into a host country. In the working-class strata two ways of life were dominant, each characterized by  a relapsing back into the exiles’ ethnic community. These two ways were ‘community commitment’ and ‘community sociability’. Both were related to the feeling of social, economic, educational and cultural segregation these refugees experienced.45 In the first type, identity was defined by sociopolitical participation, oriented essentially towards Chilean society, and by other activities within the community which helped keep alive the exiles’ identification with the home country and with the idea of return. Women of this type also emphasized the importance of family unity. In the second type, expressive values and social relations with fellow-countrymen were held to be very important, while political activities were criticized because they were perceived as dividing the Chilean community. At least during their leisure time, these exiles tried to reproduce the patterns of everyday life they had known in their homeland. Diversity of ways of life went along with a great variety of community forms of self-expression. Beside the political groups, new smaller associations came into being which emphasized friendly relations as well as solidarity: there were groups of women, of young people, of inhabitants of the same suburb, and of people coming from the same regions in Chile. They organized themselves in an autonomous way, and sought to combine political and ‘antepolitical’ outlooks and activities. Sports clubs, and groupings of artists also came into existence. 43 See Claudio Bolzman, Apprendre à vivre en exil. Les réfugiés chiliens en Suisse, in: Revue européenne des migrations internationales 5/2 (1989), pp. 133–144, here pp. 137 f., and Id., Sociologie de l’exil, pp. 183–192. 44 On the following, see Id., Apprendre à vivre en exil, pp. 136–138, and Id., Sociologie de l’exil, pp. 193–206. 45 As one exile put it: “Swiss society has created all the conditions for the lack of integration: it keeps foreigners as foreigners, as second class human beings” (interview with Rogelio in Bolzman, Sociologie de l’exil, p. 210).

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Most of the associations knew periods of effervescence and of discouragement. Generally these periods coincided with the ups and downs of the situation in Chile. In their collective life, living in their peculiar conditions, the exiles were very responsive to changes that took place in their home country. The rebirth of different forms of collective organization and of grassroots initiatives in Chile gave legitimacy to their own small associations: they could find in Chile new social actors to take as privileged partners. The momentum was particularly evident between 1983 and 1985, years of protests and active mobilization against the military regime in Chile.46 But these new associations experienced  a progressive decline, and disappeared around 1988, mirroring a tailing-off of active opposition in Chile. The example of the Chilean Group in Avanchet illustrates this evolution. Several Chilean families lived in this working-class suburb of Geneva, and some of them used to meet informally for social purposes. In September 1982, after a successful social activity, they decided to create a more formal structure for themselves and to meet more regularly to engage in tasks of solidarity with associations in Chile.47 One member described the atmosphere of the Group: “Meetings were typically Chilean; while we were together, the kids used to run in the corridors, the teenagers played ping-pong and towards the end we used to drink a glass of wine and to eat empanadas or cakes.”48 For almost three years the Group organized different activities: cueca lessons (in Chilean folk dance); Spanish lessons for the children; support for a Chilean Theatre group living in the same district; and regular publication of a journal with political and sports news from Chile, information and gossip about community life, along with Chilean cooking recipes and jokes. In September around the time of Chilean Independ­ ence Day, the Group would organize a “solidarity party” which met with great success: several hundred people joined in. Several times a year it organized special shared Chilean meals in order to get money to support solidarity activities. But the initial impetus gradually diminished, one of the reasons being divergence of opinion on how the money the Group raised should be spent. The members left progressively, and the Group finally dissolved.

46 About the protests and their meaning, see Javier Martinez, Fear of the State, Fear of the Society. On the Opposition Protest in Chile, in: Juan E. Corradi / Patricia Weiss Fagen / Manuel Antonio Garretón (eds.), Fear at the Edge: State Terror and Resistance in Latin America, Berkeley 1992, pp. 142–160. 47 See Bolzman, Sociologie de l’exil, pp. 226 f. 48 Interview with Juan, member of the Group, quoted in ibid., p. 227.

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3.4 Fourth Stage: From Exile to Incorporation Issues and Emigration Politics The fourth stage started when the political violence in Chile, which had caused the exiles to flee, began to dwindle and die out. This started with the process of ‘transition to democracy’ after March 1990 when a democratic government was elected in Chile.49 It is interesting to note that this democratic transition occurred in the same period as the fall of the Berlin Wall and the end of the Cold War. Switzerland had to redefine its concept of neutrality in a changing Europe, and the exiles discussed among themselves the forms that the transition to democracy in Chile might take in  a completely new international context. Though they were used to other forms of conducting politics in  a state like Switzerland, characterized by direct democracy and the search for consensus, they wondered what forms the traditional left-right cleavages in their country of origin would take. The political changes created an atmosphere in which the different Chilean political groups in Switzerland entered into dialogue, and probably facilitated the creation of new associations more open to different ideological sensibilities among the left.50 At this stage, most of the exiles were no longer constrained to live outside their home country for political reasons. They faced  a new situation, similar to that experienced by other migrants: they could return freely to their home country — or at least visit it again. They could also stay in Switzerland but on other grounds than the political one that brought them there. Their situation could no longer be defined as one of exile, even though it was the result of a previous exile situation. During this new stage, many exiles who had structured their lives around the idea of return had to distinguish between the roles of myth and reality in this idea. Now that they could indeed return, they had to consider other factors which would determine whether it was better to stay or leave. Decisions were much influenced by the socio-political contexts in Chile and in Switzerland. Perhaps for the first time, the exiles evaluated their chances of cultural and psycho-social adaptation in either country, also taking into account their political, social, economic and legal situation. In addition, measures taken by both countries to support return became much more relevant: for instance, the number of exiles who decided to return to Chile during the early 1990s increased after the Swiss government promoted an assistance scheme for refugees returning home. However, return was  a selective phenomenon which concerned only a

49 See Allan Angel, The Transition to Democracy in Chile: A Model or an Exceptional Case?, in: Parliamentary Affairs 46/4 (1993), pp. 563–578, and Philip Oxhorn, Where Did All the Protesters Go? Popular Mobilization and the Transition to Democracy in Chile, in: Latin American Perspectives 21/3 (1994), pp. 49–68. 50 See Bolzman, Transnational Political Practices, p. 153.

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minority of refugees: it is estimated that no more than a third of Chileans living in Switzerland in 1990 returned to Chile between 1990 and 1995.51 In fact, it was at this stage that, as a community, the exiles first seriously considered the idea of permanent incorporation into Swiss society. Thus, a migration that was conceived as transitory at the start became a permanent reality. This does not mean that most of the Chileans in Switzerland became fully assimilated into the host country. The majority developed specific forms of cultural identity and kept various links with their home country.52 Transnational ties continued to be relevant for them, but now from a different perspective. Significantly, for the first time, resident associations were created at community level with representatives of all the Chileans living in the same canton. Also for the first time, these associations actively sought to promote citizens’ rights and social rights for Chileans living in Switzerland: in other words, the associations engaged in immigrant politics. For instance, the Chilean association in Geneva participated actively in a campaign to obtain the right to vote for resid­ ent foreigners at the local level. This association was also engaged in promoting important cultural events like a Fête de la musique. More recently, some Chileans who became Swiss have been elected as representatives of different Swiss political parties in the municipalities.53 At national level, Chilean associations mobilized and negotiated with the Chilean and Swiss authorities to obtain a bilateral social security agreement between the two countries, which was signed in June 1996 and which came into force in March 1998. This was the first such agreement the Swiss state had signed with a ‘Third World’ country.54 The Chilean community was becoming more involved in emigrant politics and could use the numerous political relations established during the exile years to promote an improvement in its social situation. Collective resources were gathered to carry on a successful lobbying campaign. In this example, the Swiss authorities were more receptive than those in Chile to the demands of the Chilean community. As  a permanent resident community, Chileans in Switzerland joined with Chilean residents in other countries in obtaining from the Chilean state full recognition of the Chilean diaspora as a lasting reality. Among their demands, issues related to nationality and citizenship rights were central. The diaspora associations required the recognition of double nationality; they also petitioned 51 All in all, 4,659 Chileans were living in Switzerland in 1990 and 1,763 returned to Chile between 1990 and 1995. Chileans who naturalized are not included in these figures. See Claudio Bolzman, D’une communauté d’exilés à une communauté de residents: l’exemple de la migration chilienne en Suisse, in: Id. / Myrian Carbajal / Giuditta Mainardi (eds.), La Suisse au rythme latino, Geneva 2007, pp. 43–65, here p. 52. 52 Bolzman, Transnational Political Practices, pp. 157–160. 53 Personal ethnographic observations made by the author in Geneva, where he knows four individuals serving as representatives. Many Chileans are much more involved in local politics than they were 20 years ago. 54 See Bolzman, Transnational Political Practices, p. 160.

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that children of Chileans born abroad should automatically have Chilean nationality (without the otherwise obligatory year of sojourn in Chile to obtain it). They required that Chileans who had lost their nationality during the years of military dictatorship should be able to recover it. A final demand was that Chileans living abroad should have the right to vote, at least in parliamentary and presidential elections.55 Chileans living in Switzerland were actively involved in these demands. A compilation the Chilean associations published together in 1997 showed that many states were already implementing the rights demanded by the Chilean communities.56 This document was distributed to other Chilean communities as a booklet and via the internet. Chilean members of parliament received it too. This was a classic example of emigration politics according to the Ostergaard-Nielsen typology.57 The political situation in Chile continued to influence the community life of Chileans in Switzerland, as shown in the ‘affaire Pinochet’. When Pinochet was arrested in London in October 1998, it set off a chain of political action. During the seventeen months of Pinochet’s detention, Chileans organized demonstrations to support the Spanish judge Baltazar Garzon in almost every European country, and Switzerland was no exception. Many Chileans living in Switzerland supported the action of their countrymen in Britain, and some travelled during weekends to London in order to demonstrate against the former dictator. Such action was the visible face of more general work to promote respect for human rights and to demand the trial of those responsible for gross violations.58 In sum, when the exiles realized that their presence in Switzerland was a permanent reality, they had to ask new questions. They saw that, for them, there was  a hiatus between legal status and real status: they were citizens in  a state where they were not residents and residents in a state where they were not citizens. Indeed, they were dispossessed of political rights in both states. The question of what kind of participation to make in social life at different levels became an important issue. They found themselves an ethnic minority in Switzerland and a diaspora internationally.59 55 See Bolzman, De l’exil à la diaspora, and Id., Transnational Political Practices. Chileans living abroad could vote for the first time in the presidential elections of 2017. 56 Coordinación de los chilenos residentes en Suiza, Nacionalidad y derechos cívicos de los chilenos del exterior. Elementos de reflexión para una nueva política de Estado, Geneva /  Lausanne 1997. 57 See Ostergaard-Nielsen, Politics of Migrants. 58 See Bolzman, Transnational Political Practices, pp. 155 f., and Carolina Ramirez, The 503 Days of ‘El Piquete de Londres’: A Diasporic Space and Moment, in: Canadian Journal of Latin American and Caribbean Studies 37 (2012), pp. 17–50. 59 On citizenship and transnational political participation see Jean-Michel Lafleur, The Transnational Political Participation of Latin American and Caribbean Migrants Residing in Europe, in: International Migration 49/3 (2011), pp. 1–9, and José Itzigsohn / Daniella Villacrés, Migrant Political Transnationalism and the Practice of Democracy: Dominican External Voting Rights and Salvadoran Home Town Associations, in: Ethnic and Racial Studies 31/4 (2008), pp. 664–686.

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4. Conclusion To conclude, I would like to come back to the starting point of this article, the thesis that the incorporation of exiles into a new society is not a linear process necessarily leading to assimilation, but a process strongly influenced by changes in the socio-historical context. We have seen how, collectively, the exile community perceives incorporation into the host country as a relevant issue only when its members cease to define their presence there as temporary. This new understanding of their situation is influenced not only by the time spent in the resident country, but very specifically by changes in the political situation in the homeland. There may come a point when the refugees feel they can freely decide where to live — t hat is, when there are no more political constraints that impede their return. It is only when this point is reached that they come to see participation in the social life of the society where they now live as really pertinent. At the same time, they may still keep many links with their home country. The present case study has been concerned with a group of what Kunz defines as ‘majority identified refugees’ — refugees who have a strong feeling of belonging to their nation.60 The process of incorporation might turn out differently in the case of ‘minority identified refugees’. These last are exiles who have experienced strong ethnic or religious discrimination in their home country, and who are less attached to the nation. It would be interesting to see if these refugees are as sensitive to the political context in their home country as the Chileans. Nevertheless, the example of the Chilean exiles also shows that ethnic identity is not just a relic of the past: it evolves under the influence of changes in social context and how the exiles perceive the situation. Many other studies, done in North America and in European countries, have shown that the progressive insertion of migrant ethnic minorities into  a host society has not led to their disappearance as  a group but, rather, to their transformation. New forms of collective assertion in the host society develop, and relations with the home country evolve too.61 Sometimes new links are forged with countrymen living in different countries. In this study, political and cultural mobilization — action according to political or ‘antepolitical’ outlooks — seem to work against each other at some moments, 60 Egon Kunz, Exile and Resettlement: Refugee Theory, in: International Migration Review 15 (1981), pp. 42–51, here p. 46. 61 John Rex / Danièle Joly / Czarina Wilpert (eds.), Immigrants Associations in Europe, Aldershot 1987; Claudio Bolzman / Rosita Fibbi, Collective Assertion Strategies of Immigrants in Switzerland, in: International Sociology 6/3 (1991), pp. 321–341; Will Somerville / Jamie Durana / Aaron Matteo Terrazas, Hometown Associations: An Untapped Resource for Immigrant Integration?, Migration Policy Institute 2008, pp. 1–24, and Steven Vertovec, Migrant Transnationalism and Modes of Transformation, in: International Migration Review 38/3 (2004), pp. 970–1001.

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but changes in historical context can ease the articulation of both forms of organ­ ization and mobilization. Moreover, in some contexts cultural mobilization can help with the accumulation of resources that can be used in a more political way later on — as has been observed in the activities of Italian and Spanish associations in Switzerland.62 The primacy of homeland politics as the frame for collective expression might at first sight be regarded as a factor that puts a brake on the incorporation of exiles into a host society. This can be seen to some extent in the case of the Chileans in Switzerland; it has also been observed among Haitians living in the United States.63 However, in other cases, the involvement of migrants or refugees in the democratization of their homeland can lead to increased contacts with the political system and the political actors of the host country.64 Thus, homeland politics is not antithetical to immigrant politics, nor transnational politics antithetical to local politics.65 In fact, political participation in the home country can reinforce political integration in the society where exiles are resident, as Ostergaard-Nielsen has observed in the case of Turks and Kurds in various European countries.66 For the Chileans in Switzerland, resources accumulated through political mobilization were an important asset for the community, helping ease the process of incorporation into the host society once the period of true exile was over. The problem of managing the two types of politics is related to the capacity of the community to transfer its know-how from action oriented to the homeland to action oriented to the host country, and to achieve recognition of this transfer by host country partners. In every case, it is important to study the community activities of refugees as belonging to a dynamic process that interacts both with the socio-historical context and with the trajectories of individual members of the group. This perspective can at least help us to appreciate the complexity of life in exile.

62 Bolzman / Fibbi, Collective Assertion Strategies. 63 Nina Glick Schiller / George Fouron, Terrains of Blood and Nation: Haitian Transnational Social Fields, in: Ethnic and Racial Studies 22 (1999), pp. 340–366. 64 Yossi Shain, Marketing the American Creed Abroad: Diasporas in the U. S. and their Homelands, Cambridge 1999. 65 Alejandro Portes, Conclusion: Towards a New World: The Origins and Effects of Transnational Activites, in: Ethnic and Racial Studies 22/2 (1999), pp. 463–477, and Thomas Faist, Transnationalism in International Migration: Implications for the Study of Citizenship and Culture, in: Ethnic and Racial Studies 23/2 (2000), pp. 189–222. 66 Eva Ostergaard-Nielsen, Transnational Politics: Turks and Kurds in Germany, London / New York 2003.

Birgit Ammann

Kurdische Flüchtlinge in Europa: Transnationale Netzwerke und Identitätsbildungsprozesse seit den 1960er Jahren

1. Einleitung Kurdische Flüchtlinge stammen aus einem zusammenhängenden, grenzübergreifenden, überwiegend kurdisch besiedelten Gebiet, das den Osten der Türkei, den Norden des Irak sowie Teile des Westirans und Nordsyriens umfasst. Schätzungen zufolge beträgt die kurdische Gesamtbevölkerung weltweit zwischen 30 und 35 Millionen, wovon etwa 16 bis 20 Millionen Kurd*innen in der Türkei,1 5 bis 6 Millionen im Irak,2 8 bis 10 Millionen im Iran3 und 2,5 bis 3 Millionen in Syrien leben.4 Diesbezügliche Zahlenangaben beruhen auf sehr weichen Daten. Jenseits von Faktoren wie politischer Repression und ethnischer Verfolgung sowie der Mehrfachbezüglichkeiten führen Migration, Flucht und Vertreibung zu zusätzlichen Unwägbarkeiten. Im Nordirak, in der Türkei und in anderen Staaten der Region leben inzwischen kurdische Flüchtlinge aus Syrien in einem Umfang, der vermutlich in die Millionen geht. Politische Interessen der jeweiligen Nationalstaaten, aber auch der kurdisch verwalteten Gebiete im Irak und in Syrien spielen ebenfalls eine Rolle bei der Zahlenerhebung.5 Unterschiedliche Geburten1 KONDA Research and Consultancy, Social Structure Survey 2006, S. 20 f., URL: http://konda. com.tr/wp-content/uploads/2017/03/2006_09_KONDA_Social_Structure-1.pdf [10.3.2019]; Central Intelligence Agency, The World Factbook (Country selection Turkey), URL: https:// www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/tu.html [10.3.2019], und Boris Kálnoky, Die Kurden und das Geburtenproblem in der Türkei, in: Welt Online, 8.11.2012, URL : https://www.welt.de/politik/deutschland/article110793334/Die-Kurden-und-dasGeburtenproblem-in-der-Tuerkei.html [10.3.2019]. 2 Central Intelligence Agency, The World Factbook (Country selection Iraq), URL: https:// www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html [10.3.2019]. 3 Iran Data Portal, URL: http://irandataportal.syr.edu/wp-content/uploads/ethnicity-religiousparticipation.xlsx [10.3.2019], und Soheila Ghaderi-Mameli, Kurds in the Islamic Republic: A Survey, in: Geopolitical Affairs 1 (2007), S. 251–263, hier S. 251. 4 Kenan Engin, Die Rolle der Kurden im Syrien„konflikt“, in: Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte 1/2 (2016), S. 18–20, hier S. 18, und Thomas Schmidinger, Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan. Analysen und Stimmen aus Rojava, Wien 2014, S. 82. 5 Während die jeweiligen Staaten in der Regel niedrigere Zahlen präferieren, favorisieren die kurdisch verwalteten Gebiete tendenziell hohe Zahlen.

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raten erschweren exakte Schätzungen zusätzlich.6 Außerhalb des ursprünglichen Siedlungsgebietes leben Kurd*innen aufgrund historischer, politisch motivierter Umsiedlungs- und Deportationsmaßnahmen in verschiedenen Exklaven und in großer Zahl in Großstädten. Da kein kurdischer Nationalstaat und keine kurdische Staatsangehörigkeit existieren, kann die Definition ‚kurdisch‘ jenseits muttersprachlicher Aspekte lediglich an Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung anknüpfen. So zeichnen sich Kurd*innen sprachlich durch ein eigenes Idiom mit verschiedenen Varianten sowie durch weitere kulturelle Spezifika und eine ausgeprägte Gruppenidentität aus. Religiöse Zugehörigkeit etwa zum sunnitischen Islam, zum Alevitum oder zum Yezidentum, einer nahezu ausnahmslos kurdischen Religion, konkurriert in unterschiedlicher Ausprägung mit ethnischer Identität.7 Kurdische Flüchtlinge und ehemalige Flüchtlinge beziehen sich in ihrem Denken und Fühlen auf gemeinsame Bezüge zu diversen Sprachen und Idiomen, geografischen Räumen, transnationaler Historie sowie Alltagskultur mit zum Teil folkloristischen Elementen. Hinzu kommen gemeinsame Zukunftsperspektiven und -hoffnungen, aber auch kollektive Erinnerungen an Verfolgung, Flucht und Vertreibung. Über transgenerationale Weitergabe prägen diese Elemente wichtige Aspekte ihres Lebens.8 Der Beitrag geht der Frage nach, inwiefern Flüchtlinge seit Entstehung der kurdischen Diaspora eine besondere Rolle bei der Entstehung und Affirmation ethnischer und politischer Kollektividentität gespielt haben. Dazu werden in einem ersten Schritt mehrere Phasen kurdischer (Flucht-)Zuwanderung nach Europa seit den 1960er Jahren skizziert; Zweitens wird analysiert, welche identitäts- und integrationsstiftenden Bezugssysteme den Migrant*innen zur Verfügung standen und inwiefern Europa dabei als kultureller Referenzrahmen diente. Drittens geht der Beitrag der Frage nach, welche Bedeutung transnationalen politischen Netzwerken zwischen Diaspora und Herkunftsregion für die Bildung und Verfestigung kurdischer Kollektividentität zukam.

6 In der Türkei liegt die kurdische Geburtenrate deutlich über dem Landesdurchschnitt, vgl. Kálnoky, Die Kurden und das Geburtenproblem in der Türkei; Im Irak unter dem Landes­ durchschnitt, vgl. Alexander Whitcomb, In Kurdistan, Birth Rates Lower than in Rest of Iraq, in: Rudaw Net, 8.5.2014, URL: http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/08052014 [10.3.2019]. 7 Salih Akin, Language Planning in Diaspora. The Case of Kurdish Kurmanji Dialect, in: ESUKA  – JEFUL 2/1 (2011), S. 9–27, hier S. 2 f., URL: http://jeful.ut.ee/public/files/Salih+ Akin+9-27.pdf [10.3.2019]. 8 Birgit Ammann, Von der Vielfalt, in: Fabian Richter (Hg.), Identität, Ethnizität und Nationalismus in Kurdistan. Festschrift zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Ferhad Ibrahim Seyder, Berlin 2016, S. 62–84, hier S. 63.

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2. Phasen kurdischer (Flucht-)Zuwanderung nach Europa In den 1960er und 1970er Jahren warben nahezu alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft sogenannte „Gastarbeiter“ aus der Türkei an,9 darunter auch Kurd*innen, deren ethnisches Selbstverständnis insgesamt allerdings wenig ausgeprägt war. In den west- und mitteleuropäischen Aufnahmeländern wurden sie demzufolge auch nicht als kurdisch, sondern als türkisch wahrgenommen. Unterschiedliche Bedingungen in den einzelnen Herkunftsstaaten führten zudem zu umfangreichen Fluchtbewegungen, die die kurdische Gesellschaft, aber auch die europäischen Gesellschaften mitprägen.10 Bereits während der Anwerbephase von„Gastarbeitern“ gab es mehrere Faktoren, die die Freiwilligkeit der Zuwanderung aus heutiger Sicht in Frage stellen. Zum einen gab es mehrere schwere Erdbeben in überwiegend kurdisch besiedelten Gebieten, zum anderen ereigneten sich Pogrome gegen Aleviten, bei denen es sich wiederum in erheblichem Umfang um ethnische Kurd*innen handelte.11 Ohne eine allzu starre Klassifizierung vornehmen zu wollen, ist demnach auch ein Teil der Arbeitsmigration als Fluchtzuwanderung ethnisch bzw. politisch Verfolgter zu betrachten. Die restriktive Minderheitenpolitik der Türkei hatte durch Deportationen und andere gezielten Methoden der Verfolgung und mit ihrer türkisch-nationalistischen Schulerziehung dazu geführt, dass zu Beginn der Zuwanderung in den späten 1960er Jahren kurdische Identität in weiten Teilen des Landes ausgelöscht war oder sich angstbesetzt gestaltete. Gerade in den Städten der Zentral- und Westtürkei, in denen sich viele spätere Auswandererfamilien auf der Suche nach besseren ökonomischen Lebensbedingungen niedergelassen hatten, griff die Politik massiver kultureller und ethnischer Unterdrückung, bedrohlicher Einschüchterung und gezielter gewaltsamer Maßnahmen.12 Unter den Kurden*innen herrschte bis in die 1960er Jahre ein Klima der Verängstigung, Mutlosigkeit und Passivität. Die Generationen, die Aufstände beispielsweise im Dersimgebiet13 als Erwachsene noch miterlebt und überlebt hatten, verfolgten das Ziel, ihre Kinder vor Diskriminierung und gewaltsamen Übergriffen zu schützen, weshalb Äußerungen kur-

9 Vgl. dazu u. a. Jochen Oltmer / Axel Kreienbrink / Carlos Sanz Díaz (Hg.), Das „Gastarbeiter“-­ System. Arbeitsmigration und ihre Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa, München 2012. 10 Eine ausführliche Diskussion historischer Fluchtgründe findet sich in Birgit Ammann, Kurden in Europa. Ethnizität und Diaspora, Dissertation, Münster 2001, S. 128–137. 11 Dies., Die kurdische Diaspora in Europa, in: Stephan Conermann / Geoffrey Haig (Hg.), Die Kurden – Studien zu ihrer Sprache, Geschichte und Kultur, Hamburg 2004, S. 207–246, hier S. 219 f. 12 Birgit Ammann, Kurdische Flüchtlinge in West- und Mitteleuropa seit dem späten 20. Jahrhundert (Beispiel Deutschland), in: Klaus J.  Bade u. a. (Hg.), Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 2007, S. 758–762, hier S. 759. 13 Seit 1937 offiziell Tunceli.

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dischen oder anderen nicht-türkischen Selbstverständnisses vermieden wurden. Sie gehörten mithin einer Generation von Zwangstürkisierten an.14 Jenseits der allgemein bestehenden regionalen Identität definierten sich einzelne der damaligen „Gastarbeiter“ insbesondere in der privaten, familiären Sphäre zwar als kurdisch und sprachen kurdisch miteinander, ein flächendeckendes ethnisches Bewusstsein bestand zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht.15 Erst später begannen die Arbeitsmigrant*innen ihr „Kurdischsein“ in der jeweils neuen Heimat zu entdecken oder zu betonen.16 In der Fremdwahrnehmung, der Akzeptanz ethnischer Selbstverortung, institutioneller gesellschaftlicher und finanzieller Förderung gab es zwischen den einzelnen europäischen Aufnahmeländern erhebliche Unterschiede. Im Vergleich zu Ländern wie Schweden, Norwegen, Frankreich und Belgien zeigte Deutschland hier migrations- und integrationspolitisch wenig Kompetenz und Vorausschau, obwohl es das weitaus größte Diasporasegment beheimatete.17 Die genuin fluchtbedingte Zuwanderung von Kurd*innen lässt sich historisch grob in vier Hauptphasen einteilen, während derer politisch und sozioökonomisch unterschiedlich geprägte Gruppen immigrierten.18 Erstens begannen mit dem Ende der „Gastarbeiter“-Anwerbung in der ersten Hälfte der 1970er Jahre kurdische und andere Flüchtlinge auch offiziell als solche in Erscheinung zu treten.19 Dabei handelte es sich überwiegend um politisch links stehende und häufig alevitische Männer und Frauen. Der Militärputsch in der Türkei von 1980 wirkte sich auf die Zahl der Asylgesuche statistisch deutlich aus. Allein in Richtung Deutschland löste er die Flucht von etwa 30.000 Kurd*innen aus.20 Ein weiterer Grund für Fluchtbewegungen war nach jahrelangem Kriegsrecht und massivem Militäreinsatz die Aufnahme der Kämpfe zwischen der kurdischen Widerstandsorganisation PKK und der türkischen Armee im Jahr 1984. Die Zivilbevölkerung wurde zwischen den Fronten zerrieben, ganze Regionen im Südosten wurden buchstäblich entvölkert. Zu den Fluchtursachen dieser ersten Phase in den anderen Herkunfts14 Ammann, Kurden in Europa, S. 192. 15 Dies., Zur Zukunft kurdischen Selbstverständnisses in der Diaspora, in: 40 Jahre Kurdistan Kultur- und Hilfsverein e. V. Komkar Berlin, 2013, S. 43–47, hier S. 44. 16 Eva Østergaard-Nielsen, Diasporas and Conflict Resolution. Part of the Problem or Part of the Solution?, Danish Institute for International Studies, 2006, S. 4, URL: https://www. ciaonet.org/attachments/6628/uploads [10.3.2019]. 17 Ammann, Kurdische Flüchtlinge, S. 761. 18 Eine detaillierte historische Erläuterung findet sich bei: Dies., Die kurdische Diaspora in Europa, hier: S. 218 f. 19 Wenngleich eine systematische ethnische Erfassung im Kontext von Asylgesuchen erst viel später vorgenommen wurde, beliefen sich Schätzungen der verantwortlichen Behörden in den Aufnahmeländern, der EU und verschiedener Nicht-Regierungsorganisationen auf 60–80 %. Genaue Angaben dazu finden sich bei Ammann, Kurden in Europa, S. 133–135. 20 Asylanträge türkischer Staatsangehöriger stiegen nach dem Putsch innerhalb eines Jahres auf mehr als das Siebenfache an. Die Zahl ergibt sich aus Hochrechnungen. Vgl. Ammann, Kurden in Europa, S. 131.

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staaten gehörten die Machtübernahme des islamischen Regimes im Iran (1979) und der Ausbruch des ersten Golfkriegs (1980), der zu Fluchtwellen aus dem Iran und dem Irak führte. Denn durch die drohende Zwangsrekrutierung hätten unter anderem Kurd*innen auf beiden Seiten der Front gegeneinander kämpfen müssen. Zweitens erfolgten 1988/89 – ebenfalls im Zuge des ersten Golfkriegs – im Irak die Massaker im Rahmen der sogenannten Anfal-Kampagne des Regimes Saddam Hussein gegen die Zivilbevölkerung in den kurdischen Gebieten. Insbesondere wegen verheerender Giftgasangriffe ging sie in die Annalen der Geschichte als eines der großen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein.21 So migrierten seit Anfang und besonders seit Mitte der 1990er Jahre Familien der urbanen Mittelschicht aus dem Irak nach Europa, die hier inzwischen vielfach bereits in zweiter Generation leben. Drittens kam es unmittelbar danach und in noch größerem Umfang gegen Ende des zweiten Golfkrieges im Jahr 1991 nach einem gescheiterten kurdischen Aufstand zu millionenfachen Fluchtbewegungen in die Nachbarländer, deren Ausläufer sich spürbar und langfristig nach Europa fortsetzten. So erfolgten in den 1990er Jahren praktisch zeitgleich zwei umfangreiche Fluchtbewegungen der überwiegend ländlich geprägten Bevölkerung aus dem Osten der Türkei und dem Norden des Irak – zwei aneinandergrenzenden Regionen – in fast alle west-, mittel und nordeuropäischen Länder. In beiden Herkunftsregionen hatte wenig Assimilation an Kultur und Selbstverständnis der türkischen bzw. irakischen Mehrheitsgesellschaft stattgefunden, so dass sich die bisher insgesamt immer noch schwach ausgeprägte ethnische Selbstpositionierung in Europa schlagartig veränderte. In der Zusammensetzung der kurdischen Gruppe verloren die ursprünglich dominierenden, zumeist mehr oder weniger unpolitischen Arbeitsmigrant*innen zugunsten herkunftsorientierter politischer Aktivist*innen an Bedeutung.22 Viertens sind schließlich die Vertriebenen und Verfolgten seit Beginn des Krieges 2011 aus kurdischen Gebieten und anderen Gebieten in Syrien zu nennen.23 Trotz jahrzehntelanger Repressionen und Verfolgung unter dem Baath Regime hatten sie die Möglichkeit, ihre ethnische Identität und Sprache kontinuierlich zu bewahren. Fluchtzuwanderung nach Europa findet weiterhin aus allen genannten Staaten, wenngleich in unterschiedlichem Umfang, statt. Insbesondere aus Syrien erfolgt der Zuzug in sehr hohem Maße. Auch aufgrund der massiven Verfolgung Andersdenkender und der anhaltenden kriegsähnlichen Zustände im Osten der Türkei ist mit einem Anstieg kurdischer Asylsuchender in ganz Europa zu rechnen. Auch die kurzen geografischen Entfernungen zu den Kriegshandlungen in Syrien und 21 George Black, Iraq’s Crime of Genocide: The Anfal Campaign against the Kurds, New Haven 1995. 22 Ammann, Kurdische Flüchtlinge, S. 759. 23 Die Zahl kurdischer Flüchtlinge aus Syrien stieg seit Beginn des Krieges im Jahr 2011 in Deutschland von einigen Tausend auf mindestens 120.000 an (Auskunft des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7.4.2017).

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zur Frontlinie im Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat könnten sich auf weiteres kurdisches Zuwanderungsgeschehen auswirken. Aus denselben Gründen wie bei den Angaben zur Gesamtzahl der Kurd*innen gibt es auch für die europäischen Länder keine verlässlichen Angaben; die Daten sind weich, werden in den Medien, der Forschung und politischen Kontexten aber ständig repliziert. Familienzusammenführungen, transnationale Eheschließungen und die nicht unerhebliche Zahl an Remigrant*innen können nicht genau erfasst werden. Die Statistiken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bieten zwar zuverlässige Daten, bleiben jedoch Teile eines unvollständigen Puzzles, da eine systematische Auswertung bisher nicht vorliegt. Für gesamteuropäische Daten auf der Grundlage der Statistiken zur Fluchtzuwanderung gilt dies erst recht. Im Jahr 2000 lebten laut einer Auswertung aller damals verfügbaren seriösen Quellen in West-, Mittel- und Nordeuropa bereits weit über eine Million Kurd*innen, darunter 600.000 in Deutschland, ungefähr 70.000 in Frankreich und 60.000 in den Niederlanden, jeweils 40.000 in Österreich, Belgien und Großbritannien, 30.000 in der Schweiz und in Schweden, 25.000 in Griechenland sowie 15.000 in Dänemark. In etlichen anderen Ländern jeweils bis zu 10.000.24 Ein Teil der süd- und südosteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten waren und sind dabei als Transitstaaten zu betrachten. Während es keinerlei Indizien dafür gibt, dass sich die proportionale Verteilung verändert hat, liegen die Zahlen selbst aus vielerlei Gründen inzwischen weitaus höher. Kurdische Organisationen gehen in Europa inzwischen von 1,5 bis 1,7 Millionen Kurd*innen, allein in Deutschland von einer Million aus.25 Über die Jahrzehnte hat sich so, von der Öffentlichkeit lange unbemerkt, eine der größten Migrant*innengruppen in Europa entwickelt. Betrachtet man Statistiken zu den Herkunftsstaaten ethnisch differenziert, so ist die Gruppe der kur-

24 Die genannte Analyse findet sich bei Ammann, Kurden in Europa, S. 137–147. Vgl. auch Thomas Schmidinger, The Kurdish Diaspora in Austria and its Imagined Kurdistan, 2013, S. 5, URL: http://www2.hhh.umn.edu/uthinkcache/gpa/globalnotes/The%20Kurdish%20Diaspora​ %20in%20Austria%20T_Schmidinger.pdf [10.3.2019]. 25 Kurdisches Institut Paris, URL: http://www.institutkurde.org/en/info/kurdish-diaspora-123​ 2550988 [10.3.2019], und Bahar Baser, Diaspora Politics and Germany’s Kurdish Question. „Diasporas and Security“ Workshop at the University of Kent 2013, S. 5, URL: https://www. kent.ac.uk/politics/carc/diasporas-and-securitisation/documents/diaspora-politics-andgermanys-kurdish-question.pdf [10.3.2019]. Soweit ermittelbar, gaben immerhin drei Prozent der im Jahr 2015 nach Deutschland eingereisten erwachsenen Flüchtlinge (31.000 Personen) Kurmanji als Muttersprache an (vgl. Anna-Katharina Rich, Asylantragsteller in Deutschland im Jahr 2015. Sozialstruktur, Qualifikationsniveau und Berufstätigkeit, in: Kurzanalysen des Forschungszentrums Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg 2016, S. 4). Bei der Hälfte der 30.000 Flüchtlinge aus dem Irak (2015) soll es sich zudem um Yeziden handeln (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Das Bundesamt in Zahlen 2015, Asyl. Migration und Integration, 2016, S. 25, URL: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/bundes​amtin-zahlen-2015.pdf?__blob=publicationFile [10.3.2019]).

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dischen Flüchtlinge in etlichen europäischen Ländern neben arabischsprachigen Flüchtlingen zur größten transnationalen Flüchtlingsgruppe angewachsen.26 Bis zur Jahrtausendwende hat es Rückwanderungsbewegungen nur in sehr geringem Umfang gegeben; Ausweisungen in den Irak praktisch gar nicht.27 Rückführungen und zum Teil geförderte Rückkehr sind angestiegen, jedoch liegt dazu kein belastbares Datenmaterial vor.28 Dauerhafte Remigration oder zirkuläre Migration ehemaliger Flüchtlinge vor allem in den Irak, den Iran und nach Syrien erfolgt häufig erst nach Annahme der Staatsbürgerschaft der aufnehmenden europäischen Staaten.

3. Identität und Integration: Europa als neuer Referenzrahmen? „Kurdischsein“ bedeutet für verschiedene Gruppen und verschiedene Individuen Unterschiedliches. Einerseits besteht trotz individueller Mehrfachidentitäten und dementsprechend intersektioneller Ausgrenzungserfahrungen ein intensives, kontextabhängiges Zusammengehörigkeitsempfinden. Die Idiomvariante Kurmanji hat sich in der europäischen Diaspora aufgrund der hohen Anzahl ihrer Sprecher*innen – verstärkt durch die derzeitig besonders umfangreiche Zuwanderung von Kurmanji Sprechenden aus Syrien – zur lingua franca entwickelt. Dies wird durch aktive akademische Sprachplanung im Sinne von Standardisierungsbemühungen unterstützt.29 Trotz homogenisierender Fremd- und Selbstzuschreibungen weisen die Kurd* innen in Europa im Vergleich zu anderen Flüchtlingsgruppen andererseits eine insgesamt besonders heterogene Struktur auf. Subkollektive, die in den Herkunftsstaaten häufig von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, haben sich formiert. Manche lösen sich vom „Kurdischsein“ wie ein Teil der Zaza,30 andere betrachten es als Dachkollektiv. Yeziden und Aleviten, die aufgrund regelmäßig wiederkehrender Ausgrenzung, Verfolgung und Bekämpfung in der Diaspora im Vergleich zu den Herkunftsregionen zahlenmäßig überrepräsentiert sind, haben dynamische Ethnisierungsprozesse durchlaufen.31 Neben religiösen und sprachlichen Faktoren spielen bei der Selbstverortung in Kollektiven gesellschaftliche und weltanschauliche Aspekte, Fragen des Geburtsortes oder der Staatsbürgerschaft, gemeinsame, häufig traumatische Erfahrungen und eine gemeinsam angestrebte 26 Ammann, Kurdische Flüchtlinge, S. 758. 27 Ebd., S. 760. 28 Auskunft des Bundesministeriums des Innern vom 5.5.2017. Zu anderen Ländern wurde im Rahmen dieses Beitrags nicht recherchiert. 29 Salih Akin, Language Planning, S. 16 f. 30 Zaza eint vor allem ihr sprachliches Idiom, das Zazaki (auch dimili oder kirmancki), verschiedene Herkunftsregionen in der Türkei, und transgenerational übermittelte genozidale Verfolgungserfahrungen besonders in der Provinz Tunceli, ehemals Dersim. Vgl. Ammann, Kurden in Europa, S. 70. 31 Dies., Kurdische Diaspora, S. 225.

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Zukunft eine Rolle. All diese Aspekte können potentielle Kurd*innen also vereinen oder trennen.32 Eine breite Vielfalt an ethnischen, religiösen und kulturellen Bezugsmöglichkeiten sowie die unterschiedlichen Umstände und Zeitpunkte der Migration fächern sich durch das transnationale Zusammentreffen aus den verschiedenen Herkunftsstaaten noch weiter auf. So trafen zum Beginn nennenswerten Fluchtgeschehens ab den 1980er Jahren beispielsweise ethnisch selbstbewusste kurdische Flüchtlinge aus verschiedenen Regionen auf kurdische Arbeitsmigrant*innen, deren ethnisches Selbstverständnis wenig ausgeprägt war. Aufgrund der Staatslosigkeit fehlt das nationale Instrumentarium, welches historische Gegebenheiten ausdeutet und Identität vorgibt, Sprache vollständig normt, verbindende kulturelle Elemente definiert und fördert. So erfolgt zwischen den verschiedenen Gruppen durch ihr Aufeinandertreffen in Europa einerseits eine intraethnische Annäherung und gesamt­kurdische Integration, die durch freie Medien und technische Möglichkeiten gestützt wird – Keles bezeichnet sie als Cyber-Kurdistanization33. Andererseits ergibt sich eine diverse und teilweise konfliktbehaftete Politisierung.34 Inzwischen ist eine Generation von Kindern und Enkeln der aus dem Irak und der Türkei Zugewanderten herangewachsen, die sich unabhängig vom Ursprungsstaat der Eltern und Vorfahren darum bemüht, sich gesamtkurdisch zu definieren. Zusätze wie türkisch-, irakisch-, iranisch- oder syrisch-kurdisch, oder verklau­ suliert nord-, süd-, ost- oder west-kurdisch werden vermieden. Bezug genommen wird stattdessen auf Städte und Regionen oder als kurdische Leihbegriffe in den europäischen Sprachen die Bezeichnungen Bakur (Norden Kurdistans in der Türkei) oder Bashur (Süden Kurdistans im Irak) usw. verwendet. Dieser Umgang mit der Trennung der Bezugsgebiete entspricht vom Ansatz her historischen pankurdischen Bewegungen, allerdings ohne nationalistischen oder missionarischen Impetus, und ist auch bei Nachfahren der Zuwander*innen aus jüngeren Migrationsbewegungen zu beobachten.35 Auch Europa bildet einen Referenzrahmen für die kurdischen Migrant*innen der zweiten und dritten Generation. Dafür steht der Begriff der „Eurokurden“. Er verweist auf die Abgrenzung dieses quantitativ größten kurdischen Diasporasegments von anderen etwa in den USA oder Australien und zugleich auf dessen transnationale Dimension. Wenngleich eher theoretischer Natur als umgangssprachliche Selbstbezeichnung, trifft er damit die Realität in äußerst passender Weise: Familien leben nicht zuletzt als Resultat europäischer Flüchtlingsverteilungspolitik verstreut über verschiedene Länder. Zu familiären Anlässen wie Beschneidungsfesten, 32 Dies., Zukunft, S. 43. 33 Janroj Keles, Diaspora, the Internet and Social Capital, in: Louise Ryan (Hg.), Migrant Capital: Networks, Identities and Strategies, Basingstoke u. a. 2015, S. 102–116, hier S. 114. 34 Ammann, Kurdische Diaspora, S. 207, und Hannah Mayr, Der Einfluss des Residenzstaats auf transnationale politische Aktivitäten von ImmigrantInnen am Beispiel kurdischer politischer Vereine in Wien, Diplomarbeit, Universität Wien, 2011, S. 114, URL: othes.univie.ac.at/ 15977/1/2011-09-10_0403858.pdf [10.3.2019]. 35 Ammann, Zukunft, S. 46.

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Verlobungen, Hochzeiten und Trauerfeiern reisen Verwandte aus allen Teilen Europas an. Familien werden gegründet zwischen Partner*innen, die aus unterschiedlichen Staaten und Regionen stammen und in unterschiedlichen Ländern leben oder aufgewachsen sind. Innerhalb von Familienverbänden findet sich eine enorme Sprachenvielfalt: Geschwister, Cousin*en, die drei oder vier unterschiedliche europäische Sprachen sprechen, sind die Regel. Kurdische Medien senden europaweit, Organisationen unterschiedlicher Zielsetzung sind europaweit organisiert, Unternehmen agieren europaweit.36 Die Integration kurdischer Flüchtlinge in europäische Mehrheitsgesellschaften wurde bisher nicht systematisch untersucht, obwohl sie aufgrund der politischen Lage in der Türkei, dem Irak und Syrien derzeit in den Medien sehr präsent sind und im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Fest steht, dass es eine in hohem Maße integrierte Elite gibt, die ein transnationales, an grenzübergreifenden sozialen Strukturen orientiertes Bewusstsein pflegt.37 Integrationsprobleme ergeben sich hingegen bei vielen aus der Türkei Geflüchteten der ersten Generation dadurch, dass gerade gute Kurdischkenntnisse und ein starkes ethnisches Bewusstsein aufgrund der türkischen Minderheitenpolitik häufig mit geringem Bildungsniveau und ländlicher Herkunft korrelieren.38 So kämpft die jeweils erste kurdische Einwanderergeneration ebenso wie andere zugewanderte Gruppen mit typischen Problemen der Migration, die auch zu einem mitunter hohen Maß an Herkunftsorientierung beitragen: Identitätsund Loyalitätskonflikte zwischen den Wertesystemen unterschiedlicher Gesellschaften, Verlust sozialer Beziehungen und des gesellschaftlichen Status, sprachliche Barrieren, wirtschaftliche Probleme und nicht zuletzt auch erhebliche gesellschaftliche Diskriminierung.39 Die meisten kurdischen Flüchtlinge empfinden die Probleme sozialer Marginalisierung im Vergleich zu den Lebensbedingungen in ihren jeweiligen Herkunftsländern allerdings als gering.40 In der Auseinandersetzung mit der Migrationsgeschichte ihrer Eltern oder Großeltern und den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie leben, schaffen gerade Jugendliche sich eigene Räume, die verschiedene Hintergründe integrieren und neue Zugehörigkeiten und Lebensentwürfe hervorbringen.41 Dazu gehört unter anderen die postmigrantische Sicht auf die Gesamtgesellschaft. Sie steht für die mehrdeutige Verwobenheit, die mobile Vielfalt und die bewegten Mehrfachzugehörigkeiten des alltäglichen Erlebens, die alle Mitglieder der Gesellschaft und nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund oder Migrationsgeschichte betreffen.42 Auch wenn für neueingereiste Flüchtlinge Postmigration und 36 Vgl. Dies., Vielfalt, S. 73 f. 37 Dies., Kurdische Flüchtlinge, S. 761. 38 Ebd. 39 Dies., Zukunft, S. 44. 40 Dies., Kurdische Flüchtlinge, S. 760, und Mayr, Einfluss, S. 114. 41 Ammann, Zukunft, S. 46. 42 Erol Yildiz, Die Öffnung der Orte zur Welt und postmigrantische Lebensentwürfe, in: SWS-Rundschau 50/3 (2010), S. 318–339, hier S. 319.

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Birgit Ammann

Transkulturalität zunächst oft keine Themen sind, wird dies für Folgemigrationen der Fall sein. „Kurdischsein“ kann heute auch eines von vielen Elementen hybrider, kollektiver Identitäten sein.43 Eine schwedische Studie aus dem Jahr 2014 macht deutlich, dass sich Faktoren vor, während und nach der Flucht auf die mentale Befindlichkeit der Zugewanderten im Zielland auswirken. Negative Erfahrungen wie beispielsweise ethnische Diskriminierungen im Herkunftsstaat bewirken eine besondere Sensibilität im Falle erneuter Diskriminierung im Zielland, etwa mit Blick auf sozialen und beruflichen Abstieg und Statusverlust. Eine dem Bildungsgrad entsprechende berufliche Laufbahn wirkt sich auf Kommunikationsfertigkeiten wiederum besonders positiv aus.44 Ob und inwieweit die psychosoziale Situation kurdischer Flüchtlinge sich in dieser Hinsicht von derjenigen anderer Flüchtlinge unterscheidet, ist bislang nicht untersucht worden.

4. Transnationale politische Netzwerke zwischen Diaspora und Herkunftsregion In Europa ist die kurdische Diaspora die politischste aller migrantischen Communities45 und eine der aktivsten und sichtbarsten Diasporagruppen.46 Es besteht außerdem Einigkeit, dass die kurdische Bewegung innerhalb Europas in Deutschland, ihrem größten Diasporasegment, am stärksten auftritt.47 Dabei sind alle kurdischen politischen Bewegungen vertreten.48 Die erste einflussreiche kurdische Organisation in Europa war Komkar (Verband der Vereine aus Kurdistan e. V.), 1979 in Deutschland gegründet. Sie entstammt der in den 1970er Jahren starken linken Bewegung in der Türkei. Dasselbe gilt für die 1984 gegründete Feyka-Kurdistan (Föderation der patriotischen Arbeiter- und Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e. V.). Beide organisierten sich in etlichen westeuropäischen Ländern. Hinter Komkar steht die PSK (Sozialistische Partei Kurdistans), hinter Feyka stand die 43 Ammann, Vielfalt, S. 79. 44 Fatahi Nabi, The Impact of the Migration on Psychosocial Well-Being: A Study of Kurdish Refugees in Resettlement Country, in: Journal of Community Medicine & Health Education 4/2 (2014), S. 1–6, hier S. 3, URL: http://dx.doi.org/10.4172/2161-0711.1000273 [10.3.2019]. 45 Ofra Bengio / Bruce Maddy-Weitzman, Mobilised Diasporas: Kurdish and Berber Movements in Comparative Perspective, in: Kurdish Studies 1/1 (2013), S. 65–90, hier S. 69, URL: https:// doi.org/10.33182/ks.v1i1.386 [10.3.2019]. 46 Komkar Bahar Baser, The Unheard Voice in the Kurdish Diaspora, in: Anastasia Christou / Elizabeth Mavroudi (Hg.), Dismantling Diasporas: Rethinking the Geographies of Diasporic Identity, Connection and Development, Farnham 2015, S. 113–125, hier S. 113. 47 Andreas Blätte, The Kurdish Movement. Ethnic Mobilization and Europeanization. Paper presented at the EUSA 8th International Biennial Conference, March 27–29, 2003, Nashville Tennessee, S. 4, URL: http://aei.pitt.edu/2824/1/091.pdf [10.3.2019]. 48 Zur diesbezüglichen historischen Entwicklung vgl. Ammann, Kurden in Europa, S. 156–165, und Dies., Kurdische Diaspora, S. 236–240.

Kurdische Flüchtlinge in Europa: Netzwerke und Identitätsbildungsprozesse  

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PKK, wobei Komkar von Beginn an deutlich mehr Unabhängigkeit von ihrer

Mutterorganisation zeigte und in ihren Aktivitäten nach wie vor deutlich diasporaorientierter ist als Feyka es war. Als verbotene Untergrundorganisation hat die PKK seit ihrer Gründung mithilfe der Proklamation zahlloser Dach-, Unter- und Nebenorganisationen sowie etlicher Umbenennungen versucht, Pluralität zu vermitteln und zugleich möglichst zahlreiche unabhängige Akteure zu simulieren. Letzteren gemein ist die kulthafte Verehrung ihrer Zentralfigur, des seit 1999 in der Türkei inhaftierten Abdullah Öcalan. Obwohl die damals auch in europäischen Ländern gewalttätigen Aktivitäten der PKK sowie ihrer Ableger und politischen Nachfahren 1993 zum Verbot der Organisation in Deutschland und Frankreich führten, hat sie in der kurdischen Diaspora eine größere Anhängerschaft als jede andere kurdische Organisation.49 Die Zuwander*innen aus Syrien verstärken diesen Trend, obgleich ein Teil von ihnen auch vor PKK-nahen Organisationen flieht.50 Die Gründe für den enormen Erfolg, den die Organisation bei einem großen Teil der kurdischen Bevölkerung verzeichnet, liegen auch in der Diskriminierung als Migrant*innen und Flüchtlinge aus Ländern des Mittleren Ostens in den Aufnahmeländern. Diese Diskriminierung empfinden besonders Türkeistämmige, die zusätzlich massiver Stigmatisierung vonseiten ethnischer Türken ausgesetzt sind als – wenngleich milde – Fortsetzung dessen, vor dem sie geflohen sind.51 Auch wenn die PKK in Österreich nicht verboten ist, lassen sich dortige Beobachtungen von Mayr für Deutschland und andere Länder bis zu einem gewissen Grad bestätigen. Pro-kurdische, inklusive PKK-nahe Aktivitäten werden weder offiziell unterstützt noch verhindert, sondern eher toleriert, aber beobachtet. Es bestehen Widersprüche: Einerseits gibt es die Möglichkeit, öffentlich zu agieren, selbst wenn ein ideologischer Bezug zur PKK erkennbar ist und es bestehen gute Kontakte zu einflussreichen Akteur*innen; Andererseits ist der Verfassungsschutz aktiv.52 Die zeitweise in deutschen Medien und im Rahmen deutscher Politik geführte Debatte um eine Abschaffung des PKK-Verbotes ist mit der Wiederaufnahme gewalttätiger Reaktionen aus dem PKK-Umfeld in der Türkei allerdings wieder abgeebbt. Kurdische Flüchtlinge aus dem Irak stehen überwiegend der KDP (Kurdistan Democratic Party), der PUK (Patriotic Union of Kurdistan) sowie der jüngsten links orientierten und regierungskritischen Gorran-Partei nahe. Auch wenn dies für Außenstehende oftmals wenig sichtbar ist, fragmentieren politische Loyalitäten die Diaspora mitunter, wie der kurdische Fall zeigt. Derzeit bestehen besonders 49 Ebd., S. 237 f., und Bengio / Maddy-Weitzman, Mobilised Diasporas, S. 80. 50 Zu den Gründen – willkürliche Festnahmen, unfaire Gerichtsverfahren, Einsatz von Kindersoldaten – berichten regelmäßig Human Rights Watch (z. B. URL: https://www.hrw.org/ de/news/2014/06/19/syrien-menschenrechtsverletzungen-kurdischen-enklaven [10.3.2019]) und das Syrian Network for Human Rights (z. B. URL: http://sn4hr.org/blog/2017/08/​ 09/45223 [10.3.2019]). 51 Vera Eccarius-Kelly, Radical Consequences of Benign Neglect: The Rise of the PKK in Germany, in: The Fletcher Forum of World Affairs 24/1 (2000), S. 161–174, hier: S. 162 und S. 168 f. 52 Mayr, Einfluss, S. 117.

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starke Spannungen zwischen den Rojava – Gruppierungen, die der PKK bzw. der PYD in Syrien nahestehen, die de facto autonome kurdische Siedlungsgebiete verwalten – einerseits und denjenigen, die der KDP anhängen, die an der Verwaltung der Autonomen Region Kurdistan im Irak beteiligt ist, andererseits. Nationale Aspirationen bestehen auf beiden Seiten, zwei Quasi-Staaten stehen somit in Konkurrenz zueinander. Keine dieser politischen Parteien agiert ziellandorientiert oder vertritt die Perspektive von Zugewanderten; Nahezu alle ihre Aktivitäten richten ihren Fokus auf die Herkunftsstaaten bzw. -gebiete.53 Über die parteipolitisch gebundenen Organisationen hinaus besteht in Europa ein umfangreiches Netzwerk formaler und informaler Zusammenschlüsse, Gruppierungen und Einrichtungen, welche kurdische Interessen wahrnehmen und auch als politische Artikulatoren und Multiplikatoren fungieren. Von den parteipolitischen Organisationen trennt sie manchmal nur ein schmaler Grat. Für neu einreisende Flüchtlinge bietet diese ethnische Infrastruktur wichtige Anlaufstellen. Im Gegensatz zu den Parteien agieren diese Netzwerke auch zielland- und integrationsorientiert, vor allem im sozialen und Bildungsbereich.54 Sie erweitern den sozialen Aktionsradius der Flüchtlinge bzw. Migrant*innen über deren verwandtschaftliche Beziehungen hinaus, indem sie transnationale Verbindungen herstellen zwischen kleineren Enklaven, die durch Kettenmigration und die politisch gesteuerte Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der europäischen Zielländer entstanden sind. Transnationale Beziehungen zwischen den europäischen Segmenten der Diaspora und allen kurdischen Herkunftsregionen bestehen in hohem Maße, wie Untersuchungen zu den Beziehungen zwischen Diaspora und der Kurdischen Region im Irak dokumentieren. So zeigt beispielsweise eine Studie, dass die dortige Regionalregierung die Diaspora aktiv – und erfolgreich – ermutigt hat, sich 2003 nach dem Sturz Saddam Husseins und dem Ende des dritten Golfkrieges am Wiederaufbau zu beteiligen, um die Lebensbedingungen in der alten Heimat zu verbessern.55 Auch die Rücküberweisungen von Migrant*innen sowie zirkuläre Migration haben ökonomisch eine hohe Bedeutung. Politische Einflussnahme der Diaspora erfolgt durch Wählen im Herkunftsland.56 Andernorts wird dargelegt, wie hochqualifizierte Remigrant*innen sozialkulturellen und Wissenstransfer be-

53 Hans Amersfoort / Eugenia Boutylkova, Diaspora Politics in the Age of Globalisation. The Case of the Kurds in Europe, CRONEM Annual Conference 2009 „Migration and Identities: Crossing Boundaries, New Directions“, Guildford 2009, S. 3; Baser, Unheard Voice, S. 117, und Østergaard-Nielsen, Diasporas and Conflict, S. 4. 54 Ammann, Zukunft, S. 44. 55 Menderes Candan, Die irakische Diaspora in Deutschland und ihr Beitrag im Wiederaufbauprozess im Irak nach 2003, in: Günther Schultze / Dietrich Thränhardt (Hg.), Migrantenorganisationen. Engagement, Transnationalität und Integration, Bonn 2013, S. 65–75, hier: S. 65. 56 Ebd., S. 68 f.

Kurdische Flüchtlinge in Europa: Netzwerke und Identitätsbildungsprozesse  

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wirken und in welcher Weise die kurdische Gesellschaft davon profitiert.57 Eine weitere Studie zur Remigration in den kurdischen Teil des Irak ergibt, dass der größte Teil der Rückkehrenden aus Deutschland freiwillig zurückkehrt – meist aus familiären Gründen wie Heirat und Erbschaft oder auch aufgrund patriotischer bzw. als patriotisch wahrgenommener Motive und Verpflichtungen. Ein Hauptgrund ist der Umstand, dass ihr soziales Kapital und ihr sozialer Status im Herkunftsland höher sind als in Deutschland. Eine Zunahme zirkulärer Migration ist zu erwarten.58 In der öffentlichen Wahrnehmung der europäischen Aufnahmeländer ist „Kurdischsein“ mit positiven wie negativen Klischees und Vorurteilen besetzt. Kurd*innen werden häufig nur als Opfer oder nur als Täter wahrgenommen, als Gruppe, die Frieden schafft und gleichzeitig Frieden unterläuft.59 Im Alltag werden europäische Kurd*innen bezüglich ihrer Herkunft bis heute sehr häufig mit der Türkei assoziiert oder zu ihrem besonderen Leidwesen und im Gegensatz zu ihrer individuellen Selbstverortung gar als türkisch betrachtet. Zudem hat die PKK aufgrund ihrer gewalttätigen Aktivitäten in den frühen 1990er Jahren das Kurdenbild in der öffentlichen Wahrnehmung lange Zeit überwiegend negativ geprägt. Inzwischen wird die PKK insbesondere in der internationalen Linken allerdings zunehmend als legitime Widerstandsbewegung gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) und das türkische Regime verstanden. Über die Jahrzehnte kurdischer Anwesenheit in Europa haben verschiedene Ereignisse in der Öffentlichkeit zudem großes Mitgefühl geweckt: dazu gehören die sogenannte Anfal-Kampagne mit ihrem grausamen Höhepunkt in Halabdja, die Art und Weise, wie Abdullah Öcalan 1999 festgesetzt wurde, der Überlebenskampf der Stadt Kobane im kurdisch kontrollierten Teil Syriens gegen den IS im Jahr 2014, aktuell das andauernde Schicksal der Yeziden in Shingal sowie die neue Kurdenpolitik der Regierung Erdoğan.60 Die internationale Lage, unterschiedliche politische Bündnisse der kurdischen Bewegungen in der Herkunftsregion, wie auch die politischen Bündnisse der aufnehmenden Staaten beeinflussen das ambivalente Image zusätzlich.

57 Hallow Salam, Zur Bedeutung von Remigranten für den Transformationsprozess im irakischen Kurdistan, Dissertation, Berlin 2010, S. 1, URL: https://depositonce.tu-berlin.de/ bitstream/11303/2971/1/Dokument_39.pdf [10.3.2019]. 58 Simon Moses Schleimer, Transnationale Kindheit und Jugend. Die Remigration kurdischer Jugendlicher in den Nordirak, Gießen 2014, S. 231. 59 Østergaard-Nielsen, Diasporas and Conflict, S. 4. 60 Ammann, Kurdische Diaspora, S. 209; Bengio / Maddy-Weitzman, Mobilized Diasporas, S. 21, und Günther Seufert, Die Kurden als zentraler Faktor der politischen Entwicklung in der Türkei: Wie weiter mit dem PKK-Verbot?, in: Günther Seufert (Hg.), Der Aufschwung kurdischer Politik. Zur Lage der Kurden in Irak, Syrien und der Türkei, Berlin 2015, S. 61–77, hier S. 71 f., URL: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_ S10_srt.pdf [10.3.2019].

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5. Fazit und Ausblick Ethnische Selbst- und Fremdwahrnehmung entfalten in der Diaspora andere Ausprägungen als in den Ursprungsstaaten. Zum einen bieten sich den Dia­spora­ kurd*innen andere gesellschaftliche und politische Freiräume als in den Herkunftsstaaten, zum anderen wirkt sich das Aufeinandertreffen von Kurd*innen aus verschiedenen Regionen und Staaten auf die ethnische und (wenngleich fragmentierte) politische Kollektividentität verstärkend aus. Flüchtlinge  – allein schon, weil sie häufig aufgrund spezifisch ethnisch begründeter Repressionen zuwandern – spielen dabei eine tragende Rolle. Durch ihren laufenden Zuzug wirken sie für die staatenlose Diaspora61 als transnationaler Affirmationsfaktor. Der kontinuierliche Austausch zwischen den einzelnen europäischen Diasporasegmenten einerseits und den verschiedenen Regionen Kurdistans andererseits verstärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Die kurdische Diaspora in Europa kann somit als ein Raum für soziale und politische Mobilisierung gefasst werden, der auch als Schnittstelle zwischen den verschiedenen Herkunftsregionen dient.62 Sie stellt ein großes, politisiertes, teilweise sehr stark auf die Herkunftsregion orientiertes und zugleich hochdifferenziertes, dynamisches Kollektiv dar. Das gemeinsame Gedächtnis von Unterdrückung und Verfolgung bleibt und spielt weiterhin eine enorme Rolle.63 Durch fortgesetzte Zuwanderung – überwiegend auf dem Fluchtweg – wird sich die kurdische Bevölkerung in Europa weiter vergrößern, in vielfacher Hinsicht verändern und diversifizieren. Junge Europäer*innen mit europäischer Staatsangehörigkeit treffen auf Gleichaltrige, die als unbegleitete Flüchtlinge ankommen. Transnationale kurdisch-europäische oder kurdisch-kurdische Familien werden gegründet, während gleichzeitig neue Flüchtlinge mit neuen Traumata und mitunter unrealistischen Hoffnungen eintreffen. Menschen suchen sich Partner*innen in der alten Heimat oder verlegen ihren Alterssitz dorthin, während andere zu Europäer*innen werden, den Bezug lösen. Neben den europäischen Sprachen werden unterschiedliche kurdische Idiome gesprochen, religiöse Zugehörigkeiten und mitunter anachronistisch erscheinende Traditionen gelebt, debattiert und in Frage gestellt, während sich immer wieder und turbulent verändernde politische und gesellschaftliche Gegebenheiten in allen Herkunftsstaaten sowie interne und externe politische Auseinandersetzungen für ständig neuen Treibstoff und neues Ferment sorgen.

61 Bahar Baser, Staatenlose Diaspora – Das Beispiel der Kurdinnen und Kurden in Deutschland, 17.10.2017, URL: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/256424/kurdische-​ diaspora?p=all [10.3.2019]. 62 Martin van Bruinessen, Editorial, in: Kurdish Studies 3/2 (2015), S. 125–127, hier S. 126 f. 63 Ammann, Zukunft, S. 44.

VI. Humanitäre Hilfe im Kalten Krieg

Peter Gatrell

Korean Refugees and Aid Work in International Perspective 

1. Introduction The middle years of the twentieth century witnessed mass population displacement on a global scale, mainly but not exclusively connected to World War II and its aftermath. The scale of displacement and the response to it at local, regional, national and international levels are worth recalling, particularly in the second decade of the new millennium, when so much is heard of the ‘unprecedented refugee crisis’.1 To look back at events in the 1940s and 1950s is to remind ourselves that millions of civilians were forced from their homes in a number of countries ranging from China to India, Finland to Greece, Poland to Palestine. As happened after World War I, empires crumbled and new states came into being. Refugees were both the product and a constituent component of new state formation.2 These developments went hand in hand with the creation of new inter-governmental and non-governmental institutions dedicated to assisting refugees and displaced persons. Population displacement became the focus of intervention on  a large scale.3 Relief efforts differed from place to place, however. Considerable resources were committed to supporting displaced persons in West Germany and, with the backing of the new United Nations, to Palestinian refugees and to Korean refugees. The massive refugee crisis brought about by the Partition of India attracted far less international assistance, mainly because the geo-political stakes were deemed relatively low. Yet even the most dramatic episodes have been relatively neglected in scholarly literature, as if historians thought of them as short-lived crises — blips, so to speak, on the historical radar. The resulting lacunae badly need to be addressed, precisely because population displacement is part and parcel of broader political and social upheavals, as well as being

1 I am grateful to The Leverhulme Trust for supporting my project on ‘Rehabilitation and population displacement: discourse and practice in the post-war world’, and to Jenny Carson, Don Davis, Janice Kim and Steven Lee for assistance and advice. 2 See Aristide R. Zolberg / Astri Suhrke / Sergio Aguayo, Escape from Violence. Conflict and the Refugee Crisis in the Developing World, New York 1989. 3 On mid twentieth-century refugee crises, see Peter Gatrell, The Making of the Modern Refugee, Oxford 2013.

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connected to humanitarian efforts. Fortunately, there are signs that these gaps are beginning to be filled.4 In terms of international refugee law, the prevailing view among Western diplomats in the middle years of the twentieth century was that the UN should not extend recognition to a person having the same “rights and obligations as attached to the possession of the nationality of their country of asylum”.5 This narrow interpretation was chiefly designed to exclude from the mandate any international responsibility for ethnic Germans who had been unceremoniously expelled from Poland and Czechoslovakia and who therefore had to rely on government resources supplemented by funds and other assistance contributed by private relief agencies like the World Council of Churches. Large numbers of so-called ‘national’ refugees in South Asia and East Asia (including Korea and Vietnam) were likewise not entitled to international recognition, on the grounds that they enjoyed rights of citizenship. In India and Pakistan, officials launched ambitious schemes for resettlement and ‘rehabilitation’, but the consequences of state practices were by no means uniformly benign. Officials determined refugees’ eligibility for assistance and ultimately decided which families should be entitled to support. Here, as elsewhere, displacement brought about endless suffering along with legal disputes and diplomatic wrangling. But it also contributed to the crystallization of the modern state.6 The contours of wartime destruction and population displacement in the Far East are familiar in outline form, but we know much less about how external relief efforts contributed to the survival of civilians.7 Considering its magnitude and the extent of human suffering, far too little is known about the causes and repercussions of the refugee crisis during the Korean War and its immediate aftermath.8 At the time, the mass flight of civilians was usually attributed to the real or imagined threat from North Korean Communist forces, but this explanation left little scope for examination of the varied motives of those who fled and those who were displaced within the southern part of the country, or of 4 See Matthew Frank / Jessica Reinisch (eds.), Refugees in Europe 1919–1959. A Forty Years’ Crisis?, London 2017; Anna Holian / Daniel Cohen, Introduction: the Refugee in the Post-War World, in: Journal of Refugee Studies 25/3 (2012), pp. 313–325; Glen Peterson, The Uneven Development of the International Refugee Regime in Post-War Asia. Evidence from China, Hong Kong and Indonesia, in: Journal of Refugee Studies 25/3 (2012), pp. 326–343, and Laura Madokoro, Elusive Refuge. Chinese Migrants in the Cold War, Cambridge, MA 2016. 5 Elfan Rees, The Refugee and the United Nations, in: International Conciliation 492 (1953), pp. 269–314, here p. 274. 6 See Vazira Fazila-Yacoobali Zamindar, The Long Partition and the Making of Modern South Asia. Refugees, Boundaries, and Histories, New York 2007. 7 Diana Lary, The Chinese People at War: Human Suffering and Social Transformation, 1937–1945, Cambridge 2010, and R. Keith Schoppa, In a Sea of Bitterness. Refugees during the Sino-Japanese War, Cambridge, MA 2011. 8 This seems to be true of the Korean-language literature as well as work in English. Korea also warrants barely a mention in Michael Barnett, Empire of Humanity. A History of Humani­ tarianism, Ithaca 2011.

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those who could not flee or chose not to do so. Contemporary descriptions of the crisis directed some attention to the attempts of non-governmental organizations to alleviate the suffering of refugees, too, but these often self-serving accounts left little trace in the literature on humanitarian aid. The caravan of humanitarianism moved on, consigning the story of Korean relief work to the margins. Thanks to a handful of scholars, we now have some idea of the extent of the social calamity, the role of the main institutional actors, and the survival tactics adopted by Korean refugees. But there is still much research to do before the historiography of the Korean crisis catches up with the growing literature on refugee crises and aid work in other parts of the world. This chapter proceeds in three steps. First, it examines the main contours of the refugee crisis in Korea. Then, secondly, it addresses the purpose and extent of international humanitarian assistance. And the third section considers attitudes towards Korean refugees. The conclusion seeks to establish the broader significance of population displacement in Korea.

2. The Refugee Crisis in Korea As already indicated, the refugee crisis in Korea erupted at a time when the newlyformed United Nations, member states and NGOs were grappling with crises in Europe, the Middle East, the Indian subcontinent and Hong Kong. In addition to accounting for mass population displacement in various locations, this chapter sheds light on emergency relief programmes and on ‘durable solutions’ at a crucial historical juncture. A review of relief and reconstruction in Korea, which had the United Nations Korean Reconstruction Agency (UNKRA) as the cornerstone of international involvement, provides an opportunity to see whether and how the options available to governments, inter-governmental organisations, NGOs and aid workers corresponded to policies devised elsewhere, or whether the Korean case was sui generis.9 How Korean refugees interpreted their displacement and negotiated the power relations that governed them is  a question that must be left to scholars with knowledge of the Korean language. This chapter concentrates instead on the contours of humanitarian relief and reconstruction, looking particularly at the role played by American and British Quakers (the Society of Friends). Quakers reflected unusually thoughtfully on the context in which they operated and the work they did.10 Although their presence required  a degree of compromise with the US military and the government of the Republic of Korea, this 9 On the concept of a refugee regime, see Emma Haddad, The Refugee in International S­ ociety. Between Sovereigns, Cambridge 2008. 10 A pertinent and important contribution on Quaker aid work in the context of Palestine is Ilana Feldman, The Quaker Way. Ethical Labor and Humanitarian Relief, in: American Ethnologist 34/4 (2007), pp. 689–705.

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did not prevent them from criticizing those who wielded power over ordinary people or from pointing out that the fundamental cause of human suffering was war. The Korean peninsula witnessed partition, external intervention, bitter conflict and mass population displacement in the aftermath of World War II.11 According to the United Nations Civil Assistance Command Korea (UNCACK), the total number of refugees in South Korea at the end of July 1951 stood at 5.25 million, of whom 1.84 million were currently outside the provinces of their normal residence, 1.91 million had been displaced within their home provinces, and a further 1.17 million had left Seoul. Only 326,000 were believed to have fled from North Korea.12 The Korean authorities suggested that the actual numbers were much smaller as Table 1 indicates.13 Table 1: Estimated Number of Korean Refugees in 1952 Place of origin

Number at 15 March 1952

Number at 31 October 1952

Seoul

895,115

933,038

Elsewhere in the Republic

482,050

510,648

Within the same province

621,654

640,850

Other (mostly from North Korea)

618,710

661,639

2,617,529

2,746,175

Total

In 1959, six years after a truce was declared between North and South, a report by the Catholic Relief Services estimated that between three and four million people in South Korea (out of a total population of 22 million) had left their homes during the conflict. In addition to the large number of refugees on the peninsula itself, tens of thousands were supporting themselves on the many small islands off the southern coast of Korea.14 The question of what motivated refugees to flee their homes reared its head at the outset of the conflict. Reportedly, some Korean refugees fled in the late 1940s in order to escape from Soviet-occupied Manchuria and the north-west

11 Steven Lee, Military Occupation and Empire-Building in Cold War Asia. The United States and Korea, 1945–55, in: Tsuyoshi Hasegawa (ed.), The Cold War in East Asia, Stanford 2011, pp. 98–121. 12 See American Friends Service Committee (henceforth: AFSC) Archives, Philadelphia, AFSC Foreign Service — Korea 1947–2002, miscellaneous, Joseph Lehmann, Executive Director of ARK, Report on Field Trip to Korea, November 2, 1951. 13 See Ibid., Jonathan Rhoads and Lewis Waddilove, Report on a mission to Korea, December 1952. 14 Msgr. George Carroll, Refugees in Korea — 1959, in: Migration News 8/5 (1959), pp. 6–11.

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region of their country.15 As early as 1947, an American military survey indicated that most of those who crossed into the southern zone gave  a “hard life” as their reason for moving from the north. When the war intensified following the invasion by North Korean troops in June 1950, many refugees explained that they sought to avoid being targeted or conscripted by the Communists.16 An investigation carried out in the southern port city of Pusan in January 1951 found that refugees gave the targeting of  a family member “for liquidation or imprisonment by virtue of anti-communist sentiment or action” as their main motive for flight.17 Sceptical of the stories of persecution, Jacques Vernant, the author of a major survey of the “refugee problem” conducted on behalf of the International Refugee Organisation (IRO), speculated that the refugees included government officials keen to curry favour with the occupation forces. Vernant also maintained that the refugees from the north were affirming their loyalty to the Republic of Korea (ROK) in order to validate a claim to recognition and assist­ ance. However, some refugees had good reason to live in fear of ROK soldiers who were committing atrocities against civilians whom they took to be communist. In seeking safety, therefore, they simply jumped from the frying pan into the proverbial fire.18 In addition to Communist violence, actual or threatened, American troops launched unprovoked attacks on civilians attempting to find safety in the midst of  a constantly shifting front line. A modern summary of the crisis describes Communist oppression and the panic of flight, but adds that “Allied forces evacuated hundreds of thousands of civilians”.19 Some civilians stayed put, either to fight the Communists or to hide, and little is known about this aspect of the conflict. At the same time, the military viewpoint intrudes into this account: the “refugees presented danger to the UN Command war effort [and included] fifth-columnists and saboteurs.” Blaming refugees for not revealing enough of themselves to officials is  a recurrent bureaucratic practice, and caution must be exercised in taking these accounts at face value. A more nuanced approach needs to consider the myriad motives for flight in a volatile military and political situation. To take one example, landowners fled when their property was taken

15 CARE Archives, New York Public Library, Box 377, Series 2, Program Department, Subseries 2.5, Country Projects, Korea, 1955–1969, Milo Kamstra, CARE Korea, to Warren Pinegar, Assistant Executive Director, CARE, April 11, 1955. 16 Harold E.  Fey, Korea Must Live! Eyewitness Story of the Human Situation in the Most Devastated Land on Earth, in: The Christian Century 75 (October 1952), offprint in UN Archives and Records, New York. 17 John W. Riley, Flight from Communism. A Report on Korean Refugees, in: Public Opinion Quarterly 15/2 (1951), pp. 274–286, here p. 277. 18 I owe this point to Steven Lee. See also Jacques Vernant, The Refugee in the Post-War World, New Haven 1953, p. 778. 19 Quotations in this paragraph are from Elizabeth D. Schafer, Refugees, in: Spencer Tucker (ed.), Encyclopaedia of the Korean War, Oxford 2000, pp. 559–561.

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over by tenant farmers with the encouragement of Communist forces, but tenants themselves were displaced when ROK troops recaptured territory.20

3. International Relief Work and Humanitarian Aid The immediate priority of the international community was to provide emergency assistance to refugees, “who squat in dazed and hopeless confusion”, whether they had crossed from the North or formed part of the large majority who were internally displaced.21 UNCACK and UNKRA, both established towards the end of 1950, were the overarching agencies. Despite the formal division of labour — the former responsible for relief efforts and the latter playing the lead role in importing equipment and other supplies to support investment in reconstruction – a turf war broke out. A UN official wrote to headquarters in New York: [I]t is obvious that, as long as the military phase continues, UNCACK, which disposes of transport and supply facilities, and must coordinate action with military necessities [that is, with the Unified Command of the UN], should have the last word, but on the other hand, it is difficult to understand why they now seem to bar all UNKRA attempts at cooperation. I feel that this is a sort of test case of our interest in Korean welfare.22

Three years later, in September 1953, when American and British Quakers got down to business, the British doctor and former conscientious objector Frank Hunt wrote that “the few days I spent in Pusan last week were very discouraging. Everything is in turmoil with everyone in Korean Civilian Assistance Command [i. e. UNCACK] and UNKRA ‘horse-trading’ their programs with little insight as to who is the best qualified to undertake the program.”23 UNCACK in particular operated like a mini-state, particularly in managing food supply and its health programme. Some of its personnel were drawn from the Red Cross and from the IRO, but most came from the US Eighth Army; and they did not take kindly to refugees who refused to obey orders that they should move to locations 20 Thanks to Janice Kim for this point. 21 CARE Archives, Box 841, Series 3, Overseas Operations, sub-series 3.7, Discursive Reports, 1948–1984, Indonesia-Nigeria, Folder for Korea, 9/49–5/65, notes written by Adrian Gory, June 1951. 22 UN Archives and Records, Archives of the United Nations Korean Reconstruction Agency (UNKRA), S-0526–0117–0004 (Refugees), Inter-Office Memo, George J. Mathieu, Principal Secretary, UNCURK, to Andrew Cordier, Executive Assistant to the Secretary-General, November 7, 1951. UNCURK, the UN Commission for the Reunification and Rehabilitation of Korea, was established in October 1950 in order to pursue political negotiations. 23 AFSC Archives, Foreign Service 1953, Country Korea — Reports, General, Louis W. Schneider, FSU in Korea, AFSC Foreign Service, Korea: Frank Hunt, letter, September 14, 1953. A short summary of Frank Hunt’s career, written by his widow Patricia who accompanied him to Korea as  a nurse, is available at URL: http://peaceworks.afsc.org/frank-hunt/story/327 [March 10, 2019].

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earmarked for them in the south of the country. Some of them were attempting to return to homes close to the demilitarized zone where they hoped to be reunited with family members and resume their normal lives.24 UNKRA nevertheless insisted that it, not UNCACK , was the agency working steadfastly to provide emergency assistance to refugees.25 Like the United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) in Europe, both agencies had to draw on the resources of non-governmental organizations to implement aid programmes for refugees, particularly when government contributions were cut.26 American NGOs joined American Relief for Korea (ARK), chaired by the Hollywood actor Douglas Fairbanks Jr.27 Major NGOs such as Save the Children, the German and Swedish Red Cross and the American Friends Service Committee (AFSC), as well as the International Committee of the Red Cross (ICRC) and the League of Red Cross Societies, brought years of prior experience to bear on the situation in Korea.28 The US -based Catholic Relief Services (CRS) and the National Catholic Welfare Conference (NCWC) also contributed substantially to refugee relief, along with Catholic missionary groups such as the Maryknoll Sisters and the Benedictine Fathers. So, too, did Protestant churches including the Methodist Mission, the Australian Presbyterian Mission, and the Mennonite Central Committee.29 Another leading NGO, the CARE for Korea Committee, part of the new and well-connected umbrella organization Cooperative for American Relief Everywhere, which launched its operations in 1947, later described its purpose as “providing relief and rehabilitation not only for South Koreans who had lost everything in the war, but also for the fugitives [sic] from the North who in most cases had brought nothing with them but the clothes on their backs”.30 Its lead official in Seoul, where CARE 24 CARE Archives, Bloomstein’s research files, Subseries 1, Management Files, subseries 1.1, General / Historical, Box 4, Report prepared for Near East / Far East Conference, Colombo, January 29–31, 1951, and Vernant, Refugee, p. 779. 25 See Report of the Agent-General, UNKRA, to the General Secretary of the UN, October 21, 1952, in: United Nations (ed.), Yearbook of the United Nations 1952, New York 1952, pp. 208–212. 26 Steven H. Lee, The UNKRA in War and Peace. An Economic and Social History of Korea in the 1950s, in: Chae-Jin Lee / Young Ick Lew (eds.), Korea and the Korean War, Seoul 2002, pp. 357–396. The statutes of UNKRA made no specific mention of refugees. On UNRRA, see Jessica Reinisch, Internationalism in Relief. The Birth (and Death) of UNRRA, in: Past and Present, Supplement 6 (2011), pp. 258–289. 27 AFSC Archives, AFSC Foreign Service — Korea, 1947–2002, ARK leaflet, Orphans of the Storm. Innocent Victims of Cruel and Unprovoked Aggression in Korea, undated. 28 Tessa Morris-Suzuki, Unconventional Warfare. The International Committee of the Red Cross and Humanitarian Dilemmas in Korea, 1950–53, in: History Australia 10/2 (2013), pp. 15–34. 29 See the list of 30 organisations represented on the Korea Association of Voluntary Agencies (KAVA), URL: http://www.koreanchildren.org/docs/CCF-009-Q.htm [March 10, 2019]. 30 Dwight D. Eisenhower Presidential Library, Abilene, Kansas, CARE Inc. 1959, Programs for Refugees and Displaced Peoples through CARE. A Preliminary Draft prepared for the US Department of State on the Occasion of World Refugee Year.

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had been readmitted in 1951, sought to channel aid packages to non-missionary institutions, in order to counteract accusations that he was funding ‘rice Christian’ programmes.31 One problem concerned the subordination of NGOs to military command, a constraint that had exasperated UNRRA’s aid workers in Germany too. CARE objected to being made to cede control of the distribution of its packages to the American military in Korea, but soon knuckled under. Other organizations, too, resented the restrictions on their freedom of manoeuvre, none more so than the AFSC who were reluctant to get involved until UNKRA replaced the existing military administration.32 American Quakers complained that “the US Army has taken it upon itself to reconstruct Korea with UNKRA as a junior partner”.33 The UN Special Adviser on Civilian Relief in Korea urged them to reconsider, given “the need for humanitarian work with refugees etc. [which] is likely to be greater during the military period than it will be later during the UNKRA period, when the needs of economic reconstruction will probably be the dominant feature in the situation”. He conceded, though, that “their conception is quite correct, i. e. that the military are not only nominally but actually in charge of operations, and all personnel recruited by the Secretary-General are under the exclusive leadership and direction of the military during this period”.34 By 1954 some 57 foreign voluntary aid agencies were operating in South Korea under the umbrella body of the Korea Association of Voluntary Agencies (KAVA). Religious and secular bodies found rich pickings. Korean Catholic clergy were mobilized on behalf of Catholic Relief Services, for example, to run orphanages. Secular partners also had a great deal to offer. The Cold War provided the overarching geopolitical context for the intervention of religious and secular agencies. Conservative organizations such as World Vision and CRS made no secret of their anti-communist aims and objectives. In Washington, the American-Korea Foundation collected donations to support medical training as “a small token of debt we owe the Korean people for their gallant and costly stand against communism, an investment in the future security of America and the free world”.35 31 CARE officials concluded that UNCACK did “an excellent job”, ensuring that aid packages “retain their identity, and that the recipients are selected on the basis of need”. See also CARE Archives, Charles Bloomstein, History of CARE, pp. 275 f. and pp. 367–369, unpublished manuscript, June 1952. Between 1953 and 1955, when its operations ended, UNCACK was known as the Korean Civil Assistance Command (KCAC). On the discourse over ‘rice Christians’ and ‘rice refugees’, see Madokoro, Elusive Refuge, pp. 1 f. and p. 199. 32 Lee, UNKRA in War and Peace. 33 AFSC Archives, Foreign Service 1953, Country Korea, Reports, General, Frank Hunt, letter, September 14, 1953. 34 AFSC Archives, UNKRA, S-0526–0030–0003, Civilian relief to Korea, requests for and offers of assistance, organisations and individuals: Report of a conversation between C. Hart Schaaf and Elmer Jackson and Agatha Harrison of the Society of Friends, December 12, 1950. 35 Howard A. Rusk, Help for Nurses of Korea, in: American Journal of Nursing 54/4 (1954), pp. 449 f.

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Western relief workers did not all sing from the same hymn sheet. Quakers in particular denounced the anti-communist, authoritarian and corrupt government of Syngman Rhee. According to a confidential report prepared at the end of the decade, “our efforts to help the people may in fact do them harm in the long turn if we inadvertently throw our weight behind a corrupt administration.”36 Nevertheless, in an intensifying Cold War, as an electoral commission reported to the UN in the summer of 1950, “a healthy and viable democracy in Korea cannot come into being unless very considerable aid and assistance are provided from outside Korea.”37 It remained an open question as to where indigenous Korean institutions belonged in this situation. As the AFSC put it: “As this work proceeded, these teams helped reactivate local private welfare agencies in such a way that these groups could increasingly take over local responsibilities and resume their long range work.”38 A Refugee Association came into being, although its activities remain obscure. Korean refugees made what use they could of various forms of charitable assistance whilst negotiating the heavily militarized refugee regime.

4. The Making of the Refugee Many displaced Koreans made their own arrangements as ‘self-settled’ refugees. By 1951, according to the Public Health and Welfare Division of UNCACK, thousands of refugees were lodged temporarily with relatives and friends: “most were in fairly highly organised refugee centres in Pusan and throughout the area. Others were camped along river beds, roads or were still on the move to a designated place of reception.”39 Significant numbers were held in the refugee camps mentioned. These were strongly endorsed by UNCACK, since they allowed officials to screen and ‘educate’ refugees from North Korea and ensure that they 36 AFSC Archives, Foreign Service 1953, Country Korea — Reports, General: Robert and Gladys Gray, ‘Report on visit to Korea’, March 1959, marked ‘confidential’. According to husband and wife team Don and Dee Bremner: “If the Korean government could shake off its preoccupation with preparation for a new war and the maintenance of the fourth largest army in the world, it might be able to do more toward healing results of the recent conflict.” Less military spending could “finance continuation of rehabilitation programs launched by the Friends and other groups”. As above, Press release to Friends Publications, November 17, 1955. On the link between US foreign policy and aid to refugees, see K. Bruce Nichols, The Uneasy Alliance. Religion, Refugee Work, and US Foreign Policy, New York 1988, and Rachel M. McCleary, Global Compassion. Private Voluntary Organizations and U. S. Foreign Policy since 1939, New York 2009. 37 Yearbook of the United Nations 1950, p. 256. 38 AFSC Archives, Foreign Service 1950 Country Korea, Elmore Jackson, Some thoughts on the relationship between non-governmental organisations and UN relief in Korea, undated. 39 AFSC Archives, Foreign Service 1951, Country Korea, committees and organisations, Supreme Commander Allied Forces, I.  Markuson, Memo, Welfare Activities in Korea, 5 September to 30 October 1950.

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did not constitute a threat to South Korean society when they were released.40 Very few aid workers from the NGOs operating in Korea favoured refugee camps as anything other than a stop-gap measure to manage the crisis: [W]elfare officers with experience in Europe decided to avoid at all costs the opening of refugee camps on a large scale [because] had they been in camps this renewal of family life would have been much more difficult and problems of health and sanitation would have been much more acute.41

There was thus a general consensus among the aid community that (as the AFSC put it) “refugees in the homes of Koreans were in crowded quarters but were able to maintain themselves far better than those in camps as they participated in the activities of the village in which they lived.”42 Kathleen Regan, an American Quaker in Kunsan who had previous experience of working with displaced persons (DPs) and escapees in Germany, maintained that dispensing with refugee camps helped “in a small way to develop understanding and friendship between individuals in these two groups of war victim”, although she was forced to admit that “the refugees are not disposed, usually, to share any available help with these others, if they can help it.”43 Evocations of war and the displacement of civilians reached the public in photos and films, which stressed the opportunity to ‘rebuild’ and also claimed that aid efforts were “a most effective way of halting communism in Asia”. Powerful images conveyed the destitution of refugees but also emphasized that they had the potential to lift themselves out of poverty with the help of external 40 I am grateful to Steven Lee for advice on this point. See also AFSC Archives, Foreign Service 1954, Country reports Korea, Visitors, Louis W. Schneider, Report on Korea, November 11, 1954. Schneider was contemptuous of Syngman Rhee’s fondness for military expansion and costly capital construction projects at the expense of household consumption and investment in vocational training. 41 Rhoads / Waddilove, Report on a Mission to Korea. Rhoads was a professor of surgery at the University of Pennsylvania Hospital; Waddilove was described as “officer in charge of social inquiries of the Rowntree Trust”. According to the authors, “The condition of those in camps is very unsatisfactory: at Ku Chon Myon camp south of Seoul some 25,000 people live in shacks on an old brickfield and the whole area is in a foul condition. At the Akasaki camp in Pusan, a large open ditch has become a sewer and across it are built not only houses but little shops. The standards in these matters were so high in the Middle East and this complete absence of provision comes as a surprise. […] Neither is there in any camp we visited any welfare or neighbourhood centre to organise feeding for sick children or the transfer of severe cases to hospital or in other ways to do something to raise the standards of refugees, many of whom must remain where they are until a major resettlement programme can be launched.” 42 AFSC Archives, Foreign Service 1951, Country Korea, committees and organisations, ARK, Joseph Lehmann, summary report of visit to Korea, August 28, 1951. 43 AFSC Archives, Foreign Service 1953, Country Korea, Reports, General, Don Messenger, Report for AFSC, January 1956. According to John Cornes, there were 33,000 refugees in Kunsan by 1953, of whom 20,000 lived as self-settled refugees or in refugee ‘colonies’, with the remainder in 14 refugee camps. Cornes, Friends Service Unit, Korea, unpublished manuscript, 2001, courtesy of Jenny Carson and the Cornes family.

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agencies. A brochure issued by the YMCA in December 1951 entitled “Humanity on the march: dramatic story of world’s uprooted peoples”, quoted UNKRA’s Donald Kingsley: [V]ery few nations in history have experienced such complete destruction and desolation as Korea. I have been all the more impressed by the fortitude and the indomitable spirit of the Korean people. They have suffered indescribably, but they are amazingly strong and hopeful for the future.

In similar vein, and likewise betraying a striking cultural relativism, the National Catholic Welfare Conference expressed the view that “it is perhaps due to the capacity for suffering and the quiet patience of the Koreans that the distress among the refugees in South Korea is not more widely known to the world”.44 The head of UNKRA public relations, Don Pryor, added that: Korea presents  a unique opportunity in the Far East. It is ripe for an economic and cultural renaissance of the first order, which could have effects all over the Far East. The Koreans are eager for new ideas and are open to suggestions.45

Among potential backers in the US the idea of the ‘noble’ refugee evidently struck  a chord. Respect for the distressed but inherently proud refugee — one who would, in modern parlance, be termed as having ‘resilience’ — underlay the decision by the American evangelical missionary Bob Pierce to establish World Vision.46 CARE drew a picture of great distress, telling its donors that a Korean refugee needed to work one hour in order to buy just a single egg. Like other agencies, CARE emphasized its indispensable contribution to saving lives and improving the prospects of refugees, and made clear that its work did not go unacknow­ ledged: “the thank you letters, received by the thousand, do begin to convey some slight inkling, but are often affected by inarticulateness and diffidence. The real impact may best be understood by those on the scene, but here too we find them all too often powerless to express their feelings.”47 Other aid agencies reflected in  a more self-critical fashion. The Quakers, particularly, articulated  a strong sense of the need “to live and work quietly among the people”. One prominent aid worker asked: 44 Refugee millions in Asia, in: Migration News 7/4 (1958), p. 23. 45 The Catholic University of America (CUA) Archives, National Catholic Welfare Conference (NCWC) Office for UN Affairs, Collection 10, Box 170, Folder 5, Korean Relief 1950–1953, Memo on briefing by Don Pryor, UNKRA, New York, June 22, 1953. See also Gene M. Lyons, American Policy and the United Nations’ Program for Korean Reconstruction, in: Internatio­ nal Organization 12/2 (1958), pp. 180–192. 46 For a robust defence of American NGOs, see Robert Tarbell Oliver, Verdict in Korea, State College PA. 1952, pp. 143–154. On World Vision, see the brief remarks in Jonathan Benthall, Disasters, Relief and the Media, London 1993, p. 156, and Barnett, Empire of Humanity, p. 121. 47 Bloomstein, History of CARE, p. 454.

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What is the special role of the AFSC or Quaker service any longer — do we fall into a routine of “supplementing” large-scale governmental efforts, sometimes eating and sleeping in barbed wire compounds? After a generation of this with a great many people making a career out of foreign aid and refugee services, one can’t escape the feeling that new insights are demanded of Friends, indeed, it is a haunting feeling.48

Seven decades on, these insights remain at the forefront of critical reflections on humanitarianism.49 Where did this leave the situation of refugees in the longer term? As the most promising durable solution, local integration meant thinking long and hard about ‘modernization’ in both the medium and long term. Population displacement was connected to ideas about economic rehabilitation and overcoming the obstacles to economic progress in the longer term. Some resident observers, such as George Carroll of Catholic Relief Services, advocated cooperative credit and self-help schemes, but admitted that they “must combat a great deal of suspicion on the part of people they are designed to help”.50 CRS assisted with land reclamation projects, which released land for new homes.51 CARE advertised its self-help projects, such as its ‘Freedom village program — Hyde Park project’, whereby American donors sent funds to resettle refugee farmers and provide them with seed and farm equipment.52 Throughout the 1950s British and American Quakers in Kunsan, home to 33,000 refugees from North Korea but “rather removed from the main stream of movement”, invested heavily in literacy projects, in community housing and in the provincial hospital.53 According to the AFSC , when the team first arrived at Kunsan hospital: Deterioration and destruction were general [and] equipment was almost non-existent. During the first winter nurses, doctors and patients slipped on ice on the floors, due to pipes that leaked and a furnace that did not function. Now the hospital is well staffed with Korean and western personnel; a nurses aid training course is in operation; the kitchen has been overhauled and the diet improved; the TB wing has been restored.

48 AFSC Archives, Foreign Service 1954, Country reports, Korea, Visitors, Louis Schneider to Frank and Julia Hunt, confidential, November 11, 1954. 49 Barbara Harrell-Bond, The Experience of Refugees as Recipients of Aid, in: Alistair Ager (ed.), Refugees: Perspectives on the Experience of Forced Migration, London 1999, pp. 136–168; Kristin B.  Sandvik, Negotiating the Humanitarian Past. History, Memory, and Unstable Cityscapes in Kampala, Uganda, in: Refugee Survey Quarterly 31/1 (2012), pp. 108–122. 50 Carroll, Refugees in Korea, p. 10. 51 Ibid., pp. 8 f. 52 CARE Archives, Box 377, Series 2, Program Department, Subseries 2.5, Country Projects, Korea, 1955–1969, report on activities in 1956. 53 AFSC Archives, AFSC Foreign Service, Korea 1947–2002, Miscellaneous, Press release, January 8, 1953. Kunsan was located in Cholla Pukto province, which reportedly housed a total of 200,000 refugees, including those in Kunsan.

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Other aid agencies claimed concrete achievements as well, particularly in addressing the prevalence of epidemic disease (typhus, typhoid and smallpox), tuber­culosis and malnutrition. They trained doctors, dentists, nutritionists, technicians and nurses, whose professional status they helped to improve. It was a matter of some pride that refugees and locals made use of these new facilities, and that the Quakers were able to convince the local authorities that their purpose was not to create “another missionary hospital”.54 These aid agencies also gave assistance in tackling the housing shortage. Surveying the scene on behalf of the UN, Pedro Abelarde focused not on attitudes but on structural economic problems that required urgent attention. In his view, rapid progress under Japanese rule reflected “an unholy alliance between the Japanese and the Korean aristocratic and middle class groups for the establishment of a special form of social and economic domination of Korea”, and this was an alliance in which Koreans themselves were mostly “spectators”. He mentioned the plans drafted by the Economic Cooperation Administration (ECA), which took over supervision of aid to Korea in 1949 with a view to moving from “pure relief designed only to prevent disease and unrest to a policy of rehab­ ilitation, reconstruction and development designed to produce a self-sustaining economy”. In his view, these endeavours were complicated by the increase in population, leading to pressure on food supply. Population figures rose from 17.8 million in 1947 to roughly 24.5 million in 1950, partly because of a high birth rate, but mainly as a result of an influx of population from the North. Immediate relief required the repair of roads, reforestation (for flood control) and the ‘rehab­ ilitation’ of the railway network. Long-term stability required the development of new markets as well as a package of aid, including food and raw materials, to rehabilitate agriculture and fishing. Abelarde concluded by urging the unification of North and South, along with education and training of administrators and technicians, continued aid and economic planning.55 Although reunification did not take place, the creation of new industrial plants and irrigation schemes under the auspices of UNKRA formed part of the mantra of economic success. Many enterprises were then sold to the private sector in the late 1950s in what, taken as a whole, looks like the implementation of Walt Rostow’s recipe for “take-off into self-sustained growth”.56 54 ASFC Archives, Photos, Box 54, Folder 10, caption to uncredited photo of Kunsan hospital, 1954. See also AFSC Archives, AFSC Foreign Service, Korea 1947–2002, Report on Relief and rehabilitation for war-destitute Koreans including refugees, November 1956. 55 UNKRA, S-0526–0117–0006, Relief and Rehabilitation, Economic Surveys, May 10, 1950, April 14, 1953, and Pedro E. Abelarde, Some Aspects of Korean Economic Rehabilitation, January 3, 1952. For the broader context, see David Ekbladh, The Great American Mission: Modernisation and the Construction of an American World Order, Princeton 2009. 56 Walt W. Rostow, The Stages of Economic Growth. A Non-Communist Manifesto, Cambridge 1960. See also Gregg A.  Brazinsky, From Pupil to Model. South Korea and American Development Policy during the Early Park Chung Hee Era, in: Diplomatic History 19/1 (2005), pp. 83–115.

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Alongside these visions of reconstruction and long-term development, it is easy to forget the experiences and aspirations of refugees. Their voices are often missing from the extant historical record, which instead gives pride of place to the stance adopted by officials and relief agencies. Historians of other crises have collected oral testimony from surviving refugees. Analogous projects in Korea are still in their infancy. Nevertheless, we have some revealing fragments. Interviews with Korean refugees have painted a picture of arduous journeys taken during the winter of 1950. Families were torn apart. Women struggled to hold on to their young children as they travelled in crowded trains towards the relative safety of Seoul. They scribbled messages on the walls of public buildings in the hope of being able to trace missing persons. Having lost wage-earning husbands, women turned to petty trade, prostitution or pilfering in order to survive. One refugee recalled that “we lived like insects”.57 There are a few other fragments, one of which survives in the archives of the World Council of Churches: Recently a young man named Lee Yung I graduated from the watch-repairing training in Taejon. As a military policeman he had lost both legs in fighting guerrillas. Then his wife disappeared and he was in despair. While being helped at the Amputee Center he learned to trust Christ and began praying that he might find and be reunited to his wife. God answered his prayer and she became a cook at the Taejon Vocational Training Center. In August Mr Lee with his wife were assisted to procure tools necessary for plying his new trade and car fare to return to their former home. Shortly after, a letter of deep gratitude was received from them with the joyful news of the birth of their first child, a son.

The WCC thereby claimed Lee’s story as both vindication of his personal faith and validation of the organization’s presence in Korea.58 Although it had no mandate in Korea, the newly-created UN High Commission for Refugees (UNHCR) nevertheless kept its ear close to the ground. One exchange related to stateless families in Korea, including a family who lived in distressed circumstances in Pusan, having lost their property as small traders in the North during the war. Members of the family had been handed over to the UN Command by the North Korean authorities, and by 1954 they were being cared for in Seoul. This family consisted of Ahmed, who was 38, his 68-year old mother who had been born in Russia, his wife Faiza aged 34, who had a job at the M ­ aryknoll Hospital in Pusan, and their three children aged between four and nine. They had family connections in Turkey, where Ahmed’s sister offered to house them at her home in Ankara. Their attempt to leave, to take advantage 57 Rhoads / Waddilove, Report on  a Mission to Korea. See also Janice Kim, Living in Flight: Civilian Displacement, Suffering, and Relief during the Korean War, 1945–53, in: Sahak Yonku (Review of Korean History) 100 (2010), pp. 285–327, and Ji-Yeon Yuh, Moved by War: Migration, Diaspora and the Korean War, in: Journal of Asian American Studies 8/3 (2005), pp. 277–291. 58 World Council of Churches Archives, Geneva, File 425.3.127, Inter-Church Aid, India 1956, Korea 1956, Pakistan 1954–56, Minutes of committee meetings of Korea Church World Service, October 25, 1956.

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of this offer, made them ‘persons of concern’ to UNHCR , which secured them permits to move to Turkey under the auspices of the World Council of Churches.59 This vignette is an additional reminder of the complexity of population displacement and the multiple trajectories that the historical record discloses.60

5. Conclusions With the economic and social devastation that followed both world wars came huge refugee crises. In the midst of these crises, the figure of the refugee helped constitute the modern state, in so far as governments and citizens, picking up the pieces after disaster, had to think about the scope and limits of their respons­ ibilities towards displaced people. In Korea the situation was complicated by the intervention of external agencies, including the American military, the UN and numerous NGOs, including Korean voluntary agencies. Throughout the 1950s South Korea remained a country of displaced people whose lives had been turned “inside out” by a protracted war.61 In one respect at least, the crisis was sui generis: the battle lines of the Cold War were much more sharply drawn in Korea than in the Middle East and South Asia, or in Hong Kong, where the colonial government (though not the faith-based NGOs) refused to be drawn into arguments about communist persecution lest they sour relations with the People’s Republic of China.62 In Korea, Cold War considerations determined the way in which the refugee crisis was framed and addressed. Even if the value of their aid was dwarfed by the contributions of Western governments, this applied just as much to NGOs as to the official military and political powers involved.63 It was incumbent on all these partners to provide humanitarian relief to civilians, to support South Korea’s security through military assistance, and to enable national economic growth. This did nothing to hamper the emergence of an authoritarian regime in South Korea that had little in common with the governments of India and West Germany which were also struggling to cope with 59 UN Archives and Records, Geneva, Fonds UNHCR 11, Records of the Central Registry, Series 1, Classified Subject Files, 1951–1970, 6/1/LKOR Protection, Korea July 1953, May 1955. I have omitted the family name. 60 Mention should also be made of some 600,000 Koreans living in Japan, having been taken there as forced labourers during the Japanese occupation. The government in Pyongyang claimed that many of them wished to be returned to North Korea. 61 I owe this apt phrase to Heonik Kwon. 62 Chi-Kwan Mark, The ‘Problem of People’. British Colonials, Cold War Powers and the Chinese Refugees in Hong Kong, 1949–1962, in: Modern Asian Studies 41/6 (2007), pp. 1145–1181, and Laura Madokoro, Surveying Hong Kong in the 1950s. Western Humanitarians and the ‘Problem’ of Chinese Refugees, in: Modern Asian Studies 49/2 (2015), pp. 493–524. 63 NGOs contributed a total of $15m as of September 1952, compared to $270m from governments. The leading NGOs included ARK ($6.8m), CARE ($1.7m), NCWC ($4.1m), and AFSC ($0.3m). Yearbook of the United Nations, 1952, p. 210.

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mass population displacement. The South Korean regime had more similarity to the regime in South Vietnam. Korean refugees did not fall within the terms of the 1951 Refugee Convention. Nevertheless, as Vernant put it, although “not to be dealt with by bureaucracy as beings belonging to an inferior category”, they were “nonetheless refugees in the wider sociological sense, because their social and economic integration into the national community which has accepted them is far from complete”.64 The refugee crisis compelled South Korean government officials to develop a bureaucratic framework. In this way, population displacement contributed to state formation. What were the elements of  a more durable solution to the Korean refugee crisis? Certainly one element was the sustained economic growth that generated additional jobs for refugees and non-refugees alike in the 1960s and 1970s, albeit under  a repressive regime. The Korean economy depended heavily on foreign aid. Refugees indirectly benefited from this largesse, as well as from nongovernmental philanthropy. Over time some became successful entrepreneurs. Most paid a heavy price in terms of material deprivation, mitigated by various forms of mutual assistance. Another element was missing, however. Refugees found it difficult to complain, let alone to formulate  a sense of entitlement to recognition by the state. According to Kathleen Regan, refugees from the North had “a strong organisation” to ensure “their rights in relief distribution and other things”, but this organization seems to have been snuffed out. In general, refugees suffered in silence along with everyone else when the Korean President Syngman Rhee curbed the activities of civic organizations and political parties.65 Thus the politics of relief yielded to the rhetoric of humanitarian benevolence, ‘economic miracle’, and ‘modernization’ under an authoritarian regime. The website of the UN Archives and Records Management in New York trumpets the technical achievements of UNKRA without making reference to the political situation in the Republic of Korea at the time, save for including a speech by Syngman Rhee in which he speaks of the “spirit of the Korean people [who] love freedom so much that they are willing to die for it”. The irony of this remark appears to be lost on those who are responsible for maintaining the archive.66 Attitudes and ways of dealing with refugees in South Korea bore many of the hallmark reactions seen at other places of mass population displacement. Milit­ ary personnel and government officials regarded refugees as a nuisance and a ‘problem’, and local people, who faced hardships of their own, tended to share those views. The questions posed by self-questioning aid workers during the Korean War remain pertinent today. As an American Quaker said at the time: 64 Vernant, Refugee, p. 142. 65 AFSC Archives, Foreign Service 1953, Country Korea, Reports, General, quoted in: Don Messenger, Report for AFSC, January 1956. 66 See URL: https://unarchives.wordpress.com/2012/08/29/video-presentation/at 9.35 mins [May 4, 2018].

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It bothered me in spirit that the first thing we did was to get settled in UNKRA billets behind barbed wire in  a guarded compound and this in  a sovereign nation. This brought to mind a whole flow of memories associated with post-war Europe. There is a kind of grim and tragic monotony to this century’s stereotype of large-scale relief and reconstruction and refugee aid: Spanish refugees, Jewish and political refugees, displaced persons, expellees, escapees, Pakistan, Palestine, Korea, South Vietnam. Where next do the vast governmental and the small voluntary agencies trek in the wake of these problems?67

Other questions also came to the fore, in Korea as elsewhere. What entitlements were refugees able to expect? Were refugees an asset or a burden — or a combin­ ation of the two? Who had claims upon the refugee, whether seen as a figure of need or as a prospective citizen? Where did this leave non-refugees? What were the limits to humanitarian aid, if governments continued to prepare for war or if, as in North Korea, they made it impossible for outsiders to gain access to civilians in need? Would it not have been better to prepare for peace? Could one — might we — imagine a world without refugees?

67 AFSC Archives, Foreign Service 1954, Country reports Korea, Visitors, Louis Schneider, to Frank and Julia Hunt, confidential, November 11, 1954. See also Feldman, The Quaker Way, and Fiona Terry, Condemned to Repeat? The Paradox of Humanitarian Action, Ithaca 2002, particularly the remarks on p. 242.

Tobias Hof

Die Medien und die Hungerkrisen in Äthiopien in den 1970er und 1980er Jahren

1. Einleitung Dawn, and as the sun breaks through the piercing chill of night on the plain outside Korem, it lights up a biblical famine, now, in the 20th century. This place, say workers here, is the closest thing to hell on earth. Thousands of wasted people are coming here for help. Many find only death. They flood in every day from villages hundreds of miles away, felled by hunger, driven beyond the point of desperation. 15,000 children here now, suffering, confused, lost. Death is all around. A child or an adult dies every 20 minutes. Korem, an insignificant town, has become a place of grief.1

Mit diesen Worten begann der britische Afrikakorrespondent Michael Buerk seinen Bericht über die Hungersnot in Äthiopien, den die BBC am 23. Oktober 1984 in ihrer Hauptnachrichtensendung ausstrahlte. Sein Kameramann Mohammed Amin hielt die Ausmaße der Katastrophe in schockierenden Bildern fest, die weltweit auf 425 Fernsehstationen zu sehen waren. Mit über 470 Millionen Zuschauern und zahlreichen Auszeichnungen wurde Buerks Reportage einer der bedeutendsten Fernsehberichte des 20. Jahrhunderts.2 Die Hungersnot in Äthiopien, die wenige Tage zuvor bei den Medien, den Vereinten Nationen und westlichen Regierungen auf nur wenig Interesse gestoßen war, wurde urplötzlich zum bestimmenden Thema der nächsten Monate.3 Es setzte eine internationale Hilfskampagne ein, die ihres gleichen suchte: Insgesamt wurden alleine im Jahr 1984 über 784 Millionen US-Dollar für die notleidende Bevölkerung im ostafrikanischen Land gespendet.4

1 Michael Buerk on Nine O’Clock News, 23.10.1984, URL: https://www.youtube.com/watch?v​ =XYOj_6OYuJc [10.3.2019]. 2 Vgl. Simon Cottle / Glenda Cooper, Humanitarianism, Communications, and Change. Final Reflections, in: Dies. (Hg.), Humanitarianism, Communications and Change, New York 2015, S. 251. 3 Vgl. Jaap van Ginneken, Collective Behaviour and Public Opinion. Rapid Shifts in Opinion and Communication, New Jersey / London 2003, S. 50, und Michael Watts, Heart of Darkness: Reflections on Famine and Starvation in Africa, in: R. E.  Downs u. a. (Hg.), The Political Economy of African Famine, Philadelphia u. a. 1991, S. 23–67, hier: S. 23. 4 Vgl. Jason Clay, Western Assistance and the Ethiopian Famine: Implications for Humanitarian Assistance, in: Downs u. a. (Hg.), Political Economy, S. 147–175, hier: S. 147, und Suzanne Franks, Reporting Disasters. Famine, Aid, Politics and the Media, London 2013, S. 50.

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Der zeitliche Zusammenhang zwischen Michael Buerks Bericht und den weltweiten Empathie-Bekundungen für Äthiopien wirft grundlegende Fragen über die Rolle der Medien bei humanitären Katastrophen auf. In den vergangenen Jahren haben sich insbesondere Kommunikationswissenschaftler*innen verstärkt mit diesem Thema kritisch auseinandergesetzt. Sie bewerteten dabei die Medien als einen wichtigen Träger des globalen „emergency thinking“, die weltweite Missstände als Katastrophen umdeuten und dadurch bestimmte Hilfsaktionen initiieren können. In ihren Arbeiten geht es somit weniger darum, die unbestritten wichtige Rolle der Medien bei der Auslösung humanitärer Hilfe per se zu verifizieren, als vielmehr um eine Analyse von deren Macht, spezifische Krisennarrative zu konstruieren. Im Zentrum neuerer Untersuchungen stehen somit in erster Linie Fragen nach den Ursachen und den Folgen medialer Krisenberichterstattungen. Dabei rückt auch die manchmal willkürlich erscheinende Auswahl, über welche humanitären Krisen berichtet wird und über welche nicht, in den Fokus der Forschung.5 Im folgenden Beitrag über den Bericht von Michael Buerk und die daran anschließenden Medien- und Hilfskampagnen möchte ich deshalb vor allem drei Fragen in den Mittelpunkt stellen: Wie und weshalb kam es zu einer solch spektakulären Reaktion? Welche Auswirkungen hatte dies auf die Spendenbereitschaft der westlichen Zivilgesellschaften und die Arbeit von Hilfsorganisationen? Und inwiefern können über den äthiopischen Fall hinaus Erkenntnisse über die Rolle der Medien in und für humanitäre Krisensituationen seit den 1980er Jahren gewonnen werden? Im Zusammenhang mit der Hungersnot in Äthiopien sind die Arbeiten des Kommunikationswissenschaftlers Patrick Merziger und der Journalistin Suzanne Frank äußerst hilfreich. Letztere beschäftigte sich in ihrem Buch Reporting Disasters ausführlich mit Buerks Reportage, wobei sie überwiegend einen britischen Blickwinkel einnahm.6 Im Folgenden möchte ich explizit die angloamerikanische Perspektive, die bislang Arbeiten über Äthiopien dominierte, durch einen Blick auf die Reaktion in Westdeutschland ergänzen. Die Bundes­ republik sah sich als finanzstarkes Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemein5 Allgemein hierzu vgl. u. a. Jonathan Benthall, Disasters, Relief and the Media, Wantage 2 2010; Glenda Cooper, From their Own Correspondent. New Media and the Changes in Disaster Coverage. Lessons to be learnt, Oxford 2011; Simon Cottle, Mediatized Disasters in the Global Age. On the Ritualization of Catastrophe, in: Jeffrey C. Alexander u. a. (Hg.), Oxford Handbook of Cultural Sociology, Oxford 2012, S. 259–283; Heide Fehrenbach /  Davide Rodogno (Hg.), Humanitarian Photography. A History, New York 2015; Patrick Merziger, Konstruktionen der Katastrophen. Die Rolle der Medien bei der Auslösung und Forcierung von humanitären Hilfsaktionen 1968 – 1973 – 1979 – 1984, in: Arnulf Kutsch u. a. (Hg.), Großbothener Vorträge zur Kommunikationswissenschaft, Bd. XIV, Bremen 2015, S. 155–183, hier: S. 157 f., und Johannes Paulmann (Hg.), Humanitarianism and Media. 1900 to the Present, New York 2019. 6 Vgl. Franks, Reporting Disasters; Merziger, Konstruktionen, S. 158 f., und Ders., The ‚radical humanism‘ of ‚Cap Anamur‘/‚German Emergency Doctors‘ in the 1980s: A Turning Point for the Idea, Practice and Policy of Humanitarian Aid, in: European Review of History 23/1–2 (2016), S. 171–192.

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schaft (EWG) und der UNO sowie als einer der größten Lebensmittelproduzenten weltweit einer besonderen Verantwortung ausgesetzt.7 Nach einem kurzen Abriss über die Rolle der Medien bei humanitären Katas­ trophen im Allgemeinen und in Äthiopien im Speziellen (2.) wird der Bericht und die dadurch ausgelösten Spendenaktionen als eine Erfolgsgeschichte analysiert (3.) – eine Sichtweise, die auch heute noch die meisten Studien über Buerks Beitrag dominiert.8 Dieses Narrativ möchte ich in einem weiteren Schritt kritisch hinterfragen, indem insbesondere mögliche Fehldarstellungen und -interpretationen und deren Konsequenzen für das internationale humanitäre Regime in den Blick genommen werden (4.).

2. Medien und humanitäre Katastrophen in Äthiopien – Eine Bestandsaufnahme Bereits in den 1940er Jahren begann ein verstärktes Nachdenken darüber, wie eine auf Gleichberechtigung basierende, humanitäre Weltordnung garantiert werden könne.9 Obwohl in der Forschung für die Begriffe „humanitäre Hilfe“ und „Humanitarismus“ noch keine allgemein akzeptierte Definitionen vorliegen, so wird übereinstimmend das Ende des Zweiten Weltkriegs als ein tiefgreifender Einschnitt in der Geschichte des Humanitarismus verstanden. Die neu geschaffene UNO sollte nach zwei katastrophalen Weltkriegen als ein Garant für eine gerechte Ordnung fungieren und humanitäre Krisen im Konsens lösen. Schon bald aber wurde deren Arbeit ein Opfer des ideologisch und geostrategisch motivierten Machtkampfes zwischen Ost und West und die Planungen einer humanitären Weltordnung gerieten in den ersten Jahrzehnten des Kalten Kriegs zunehmend in den Hintergrund. Eine Wiederbelebung dieser Ideen begann Ende der 1960er Jahre, als die internationalen Beziehungen tiefgreifenden Transformationen unter-

7 Vgl. John Cathie, European Food Aid Policy, Aldershot 1997, S. 37. Die Rolle der Bundes­ republik Deutschland in der Nahrungsmittelhilfe für Äthiopien wird von damals Verantwortlichen immer wieder positiv hervorgehoben. Vgl. Kurt Jansson / Michael Harris / Angela Penrose, The Ethiopian Famine, London / New Jersey 1987, S. 6 f., und Dawit Wolde Giorgis, Red Tears. War, Famine and Revolution in Ethiopia, Trenton 1989, S. 197–199 und S. 232. 8 Vgl. Cottle / Cooper, Final Reflections, S. 251, und Richard Sambrook, From Buerk to Ushahidi: Changes in TV Reporting of Humanitarian Crises, in: Cottle / Cooper, Humanitarianism, S. 53. 9 Zur Geschichte der humanitären Hilfe vgl. u. a. Michael N. Barnett, Empire of Humanity: A History of Humanitarianism, Ithaca 2011; Jan Eckel, Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940ern, Göttingen 2014; Johannes Paulmann, Conjunctures in the History of International Humanitarian Aid during the Twentieth Century, in: Humanity 4/2 (2013), S. 215–238; Davide Rodogno, Night on Earth – Humanitarian Organizations’ Relief and Rehabilitation Programmes on Behalf of Civilian Populations (1918–1939), im Erscheinen, und Peter Walker / Daniel Maxwell, Shaping the Humanitarian World, London 2008.

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worfen waren, die bis in die Gegenwart nachwirken.10 Bei dieser Zäsur kam den Medien eine wichtige Funktion zu: Zwar hatten sie stets über humanitäre Krisen berichtet, aber erst jetzt entwickelten sie sich zu einem bedeutenden Akteur innerhalb des internationalen humanitären Regimes.11 Ihr gestiegener Einfluss zeigte sich erstmals deutlich bei der Hungersnot in Nigeria, die durch den Biafra-Krieg (1967–1970) sowie die Hungerblockade seitens der Regierung in Lagos ausgelöst worden war.12 Westliche Medien stellten die Missstände in der Region als eine plötzlich hereinbrechende Katastrophe dar, die der internationalen Öffentlichkeit als spektakuläre Neuigkeit präsentiert wurde. Ohne die komplexen Verhältnisse in der Krisenregion zu thematisieren und die Handlungen der separatistischen Biafra-Regierung kritisch zu beleuchten, dominierte eine polemische Berichterstattung, die auch mit Vergleichen zum Holocaust nicht sparte. Dank einer derartigen Deutung wurden die hungernden Menschen als Leidtragende einer vermeintlich genozidalen Politik Nigerias dargestellt. Dies erlaubte es wiederum, erfolgreich Spendengelder selbst in Ländern einzuwerben, die offiziell der Regierung in Lagos nahestanden.13 Trotz der gestiegenen Bedeutung der Medien bei der Konstruktion bestimmter Narrative blieben Regierungen, internationale Hilfsorganisationen sowie die UNO nach wie vor die wichtigsten Akteure in der Organisation und anschließenden Durchführung von Hilfskampagnen.14 Nur zwei Jahre nach dem Biafra-Krieg setzte in Äthiopien eine Hungersnot ein, die sich über mehrere Jahre erstrecken sollte.15 Erst im Spätsommer 1973 wandte sich die Regierung in Addis Abeba unter Kaiser Haile Selassie an die internationale Gemeinschaft und bat offiziell um Hilfeleistungen.16 Im Oktober des gleichen Jahres produzierte der britische Journalist Jonathan Dimbleby den 25-minütigen Film The Unknown Famine, der in ungeschönten Bildern die Hungersnot fest10 Zu den Entwicklungen der internationalen Beziehungen vgl. u. a. Niall Ferguson (Hg.), The Shock of the Global. The 1970s in Perspective, Cambridge 2010, und Olaf Bach, Die Erfindung der Globalisierung. Entstehung und Wandel eines zeitgeschichtlichen Grundbegriffs, Frankfurt a. M. 2013. 11 Vgl. Merziger, Konstruktionen, S. 158 f. 12 Zu Biafra vgl. u. a. Tony Byrne, Airlift to Biafra: Breaching the Blockade, Dublin 1997; Toyin Falola / Ogechukwu Ezekwem (Hg.), Writing the Nigeria-Biafra War, Suffolk 2016; Lasse Heerten, The Biafran War and Postcolonial Humanitarianism. Spectacles of Suffering, Cambridge 2017; Merziger, Konstruktionen, S. 159–163, und Joseph E.  Thompson, American Policy and African Famine: The Nigeria-Biafra War, 1966–1970, New York 1990. 13 Vgl. hierzu Merziger, Konstruktionen, S. 159–163. 14 Ebd., S. 158 f. 15 Zur Hungersnot der 1970er Jahre in Äthiopien vgl. Hugh Goyder / Catherine Goyder, Case Studies of Famine: Ethiopia, in: Donald Curtis / Michael Hubbard / Andrew Shepherd (Hg.), Preventing Famine. Policies and Prospects for Africa, London / New York 1988, S. 73–110, hier: S. 81, und Alexander de Waal, Evil Days. Thirty Years of War and Famine in Ethiopia. An African Watch Report, New York 1991, S. 55–64. 16 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (künftig: PAAA), AV Neues Amt – Addis Abeba, Bd. 17237, Anlage zum Bericht der Botschaft Addis Abeba, 29.9.1973, Betr.: Halbjahresbericht zur innen- und außenpolitischen Entwicklung in Äthiopien (April bis September 1973).

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hielt. Die äthiopische Regierung dementierte den Bericht, diffamierte ihn als übles Machwerk und wies jegliche Verantwortung für die Krise von sich. Jedoch gab auch das Verhalten der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisationen Anlass zur Kritik.17 Frühe – wenn auch vage – Warnungen vor einer Hungersnot, wie sie unter anderem das äthiopische Landwirtschaftsministerium ausgesprochen hatte, waren ignoriert worden.18 Die UNO, so versuchte Dimbleby das Zögern der internationalen Gemeinschaft zu erklären, „machte sich die Einschätzung der Regierung zu eigen, dass es kein Problem gebe, so lange die Regierung kein Problem zugab.“19 Es war schließlich The Unkown Famine, der die Hungersnot erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte und eine Hilfswelle auslöste, die auch Westdeutschland mitriss: Das deutsche Nachrichtenmagazin Stern entsandte mehrere Journalisten nach Äthiopien, um vor Ort exklusives Fotomaterial zu sammeln. Im November 1973 gab Chefredakteur Henri Nannen den Startschuss für die Kampagne „Rettet die Hungernden“ und gewann hierfür bedeutende Fürsprecher wie den damaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher.20 Während der gesamten Dauer der Aktion stand Nannen eng mit der westdeutschen Regierung in Kontakt und erhielt vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit  – das als Treuhänder der Spendengelder fungierte  – und vom Bundesinnenministerium (Abteilung Katastrophenschutz) Unterstützung. „Rettet die Hungernden“ lief bis zum Juli 1976 und erzielte insgesamt ein Spendenvolumen von zwanzig Millionen Deutsche Mark.21 Merziger argumentierte, dass der Stern gegen den Willen der äthiopischen Regierung durch die Berichterstattung erst die Katastrophe vor die Augen der Welt brachte. Besaß die Stern-Aktion ohne Zweifel große Bedeutung für die Dynamisierung der bundesdeutschen Hilfsbereitschaft, so vernachlässigte Merziger den Bericht von Dimbleby, der bereits einen Monat zuvor für weltweite Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Dass Henri Nannen keine Kenntnis von The Un17 Vgl. Peter Gill, How British TV Reports Famine, in: The Guardian, 18.10.2009, URL: https:// www.theguardian.com/media/2009/oct/19/tv-documentary-famine [10.3.2019], und Peter Gill, Famine and Foreigners. Ethiopia Since Live Aid, Oxford 2010, S. 28 und S. 30 f. 18 Goyder / Goyder, Case Studies of Famine, S. 81, und Gill, Famine and Foreigners, S. 30 und S. 34. 19 Zit. n. Gill, Famine and Foreigners, S. 31 [Übersetzung des Autors]. Auch die Bundesregierung in Bonn besaß Informationen über die Situation in Äthiopien, reagierte aber nur zögerlich. Vgl. PAAA, B45, ZA 100758, Deutsche Botschaft (Addis Abeba) an AA (Bonn), 8.5.1973, Betr.: Lage in regenarmen Provinzen in Äthiopien. 20 Vgl. PAAA, B45, ZA 100758, Drahterlass Pfetten (AA), 9.11.1973, Betr.: Dürrekatastrophe; PAAA, B45, ZA 100758, Bundesministerium des Inneren, Protokoll, 23.11.1973, Betr.: Deutsche humanitäre Hilfe für Äthiopien; PAAA, B34, ZA 108153, Brief Nannen an Schäfer, Hamburg, 26.7.1976; PAAA, B34, ZA 102536, Vermerk Pfetten (AA), 29.3.1974, Betr.: Deutsche humanitäre Hilfsmaßnahmen für Äthiopien, und Merziger, Konstruktionen, S. 163 f. 21 Vgl. PAAA, B34, ZA 108153, Brief Nannen an Schäfer, Hamburg, 26.7.1976. Im Januar 1980 wurden dem äthiopischen RRC weitere 845.000 Deutsche Mark übergeben, die von der Spendenaktion „Rettet die Hungernden“ noch übrig geblieben waren. Vgl. PAAA, AV Neues Amt – Addis Abeba, Bd. 17238, Brief Deutsche Botschaft (Addis Abeba) an RRC, 2.1.1980, und Merziger, Konstruktionen, S. 165.

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kown Famine hatte, als ihn ein Brief eines deutschen Missionars aus Äthiopien erreichte, ist nur schwer vorstellbar.22 Zwar gelang es Dimbleby kurzzeitig, die Weltöffentlichkeit aufzurütteln und eine Welle der Empathie für die notleidende Bevölkerung in Äthiopien auszulösen, eine kritische Auseinandersetzung mit den Ursachen der Hungersnot und den Versäumnissen der internationalen Staatengemeinschaft fand in der Folge indes nicht statt. Dies lag vor allem an zwei Faktoren: Zum einen lässt sich trotz der weltweiten Spendenbereitschaft kein tiefgreifendes Umdenken bezüglich Nahrungsmittelhilfen im Allgemeinen und der Situation in Äthiopien im Speziellen erkennen.23 Denn gerade während der World Food Crisis (1972–1975) waren internationale Organisationen, deren Geldgeber und humanitäre Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) überzeugt, dass Hungerkrisen wie in Äthiopien nur mittels einer breit angelegten Entwicklungshilfe verhindert werden könnten. Programme wie Food for Work sollten Krisenregionen der Welt nach entwicklungspolitischen Vorstellungen transformieren und somit das globale Wohlstandsgefälle nivellieren. In dieser Gedankenwelt, die sich auf die Budgets und Programme vieler Organisationen auswirkte, wurde Soforthilfe als ein adäquates Instrumentarium zur Bekämpfung von Hungersnöten ausgeschlossen.24 Zum anderen kam es in Äthiopien zu sozialen und politischen Umwälzungen, bei denen auch Dimbleby ungewollt zu einem Protagonisten wurde. In den frühen 1970er Jahre brachen in dem Land große, teils gewaltsame Unruhen aus, die sich mit Voranschreiten der Hungersnot weiter radikalisierten. Insbesondere Student*innen der Universität in Addis Abeba wandten sich gegen Haile Selassie, der nicht gewillt war, dringend notwendige Reformen einzuleiten.25 Am 12. September 1974 kam es zu einem Militärputsch seitens des marxistisch-leninistischen Koordinationskomitees der Streitkräfte, Polizei und Territorialarmee – kurz Derg26 – unter Führung von Mengistu Haile Mariam. Nach der Absetzung des Kaisers strahlte die revolutionäre Regierung The Unknown Famine aus, um die Nachlässigkeit und Verfehlungen des gestürzten Regimes zu dokumentieren. Um den propagandistischen Effekt weiter zu erhöhen, benannte sie den Film in The Hidden Hunger um und überarbeitete ihn redaktionell: Neues Filmmaterial über den Prunk des kaiserlichen Hofes wurde mit der desaströsen Situation der Hungernden in Beziehung gesetzt.27 22 Vgl. Merziger, Konstruktionen, S. 163. 23 In Europa beliefen sich die Spenden auf etwa 15 Millionen Pfund. Vgl. Gill, Famine and Foreigners, S. 34. 24 Vgl. Christian Gerlach, Famine Responses in the World Food Crisis 1972–5 and the World Food Conference of 1974, in: European Review of History 22/6 (2015), S. 929–939, und Tony Vaux, The Selfish Altruist. Relief Work in Famine and War, London u. a. 2001, S. 45. 25 Vgl. PAAA, AV Neues Amt – Addis Abeba, Bd. 14524, Drahtbericht, 13.5.1974, Innenpolitische Lage in Äthiopien. 26 Derg ist ein altäthiopisches Wort und bedeutet „Rat“ oder „Komitee“. 27 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 12; Gill, Famine and Foreigners, S. 31–35, und Jonathan Dimbleby, Feeding on Ethiopia’s Famine, in: The Independent, 8.12.1998.

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Doch auch dem neuen Regime in Addis Abeba gelang es nicht, das Ernährungsproblem in den Griff zu bekommen. Ein langwieriger Bürgerkrieg gegen Anhänger der gestürzten Regierung und gegen separatistische Bewegungen in den Provinzen Eritrea und Tigray, anhaltende Dürre sowie die seit dem Frühjahr 1975 eingeleitete Verstaatlichung des Landbesitzes hatten die Situation zusätzlich verschärft.28 Erste Anzeichen einer erneuten Hungersnot, die ihren Höhepunkt Mitte der 1980er Jahre erreichte, waren bereits 1982 in Umrissen erkennbar. Hilfsarbeiter*innen und Journalist*innen versuchten wiederholt, die äthiopischen Beamt*innen sowie die internationale Gemeinschaft auf die prekäre Situation aufmerksam zu machen.29 Jedoch änderte weder die UNO ihre Politik, noch erzielten die sporadischen Zeitungs- und Fernsehberichte eine größere öffentliche Resonanz. Das ideologische Korsett des Kalten Kriegs schien jegliche humanitären Überlegungen zu dominieren: Zwar artikulierten Teile der westlichen Öffentlichkeit und zahlreiche Politiker*innen einerseits Mitgefühl für die Leiden der Menschen in Äthiopien, andererseits fehlte aber der Wille, einer Regierung zu helfen, die als ein Satellit der Sowjetunion wahrgenommen wurde.30 Insbesondere die Vereinigten Staaten, einer der weltweit wichtigsten Lebensmittellieferanten, weigerten sich, das sowjetfreundliche Regime in Äthiopien zu unterstützen, das seit Jahren westliche Güter, Institutionen und Firmen im Land konfisziert hatte.31 Während die amerikanisch-äthiopischen Beziehungen angespannt blieben und Washington Nahrungsmittellieferungen als diplomatisches Druckmittel einsetzte, hatte sich zumindest das bilaterale Verhältnis zwischen Bonn und Addis Abeba etwas normalisiert, nachdem die äthiopische Regierung eine im Jahr 1975 beschlagnahmte Deutsche Schule Ende des Jahres 1982 wieder an Bonn zurückgegeben hatte32. Aber auch Addis Abeba unternahm keinen entscheidenden Schritt, die drohende Hungersnot abzuwenden. Die dortige Regierung hatte nur wenig 28 Vgl. Jason W.  Clay / Bonnie K.  Holcomb, Politics and the Ethiopian Famine 1984–1985, Cambridge 1986, S. 22. 29 Goyder / Goyder, Case Studies of Famine, S. 87 f., und PAAA, AV Neues Amt – Addis Abeba, Bd. 17271, Vermerk Deutsche Botschaft (Addis Abeba), 19.3.1982, Betr.: Humanitäre Hilfe für Äthiopien. 30 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 14–16. 31 Vgl. PAAA, B34, ZA 137953, Telegramm Deutsche Botschaft (Addis Abeba) an AA (Bonn), 28.2.1983, Betr.: Beziehungen Äthiopien – USA, und Goyder / Goyder, Case Studies of Famine, S. 90. 32 Vgl. PAAA, B34, ZA 137953, Vorlage für Herrn Staatssekretär, 21.9.1982, Betr.: Deutschäthiopische Beziehungen. Zur Beschlagnahmung vgl. u. a. PAAA, B34, ZA 108155, Telegramm Deutsche Botschaft (Addis Abeba)  an AA (Bonn), 18.2.1975, Betr.: Enteignung deutschen Vermögens in Äthiopien, und PAAA, B34, ZA 108155, Telegramm Deutsche Botschaft (Addis Abeba) an AA (Bonn), 14.3.1975, Betr.: Enteignung deutschen Vermögens in Äthiopien. Zur Reaktion der amerikanischen Regierung vgl. Jack Sheperd, Some Tragic Errors: American Policy and the Ethiopian Famine, in: John Osgood Field (Hg.), The Challenge of Famine: Recent Experience, Lessons Learned, West Hartford 1993, S. 88–125, und Steve Varnis, Reluctant Aid or Aiding the Reluctant? U. S. Food Aid Policy and Ethiopian Famine Relief, New Brunswick 1990.

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Interesse, den Fokus der internationalen Öffentlichkeit auf die Missstände im eigenen Land zu richten, während die Feierlichkeiten für das zehnjährige Jubiläum mit Erich Honecker als Ehrengast vorbereitet wurden. Die Erinnerungen an den Aufschrei und die Wut, die The Hidden Hunger in Äthiopien entfacht hatte, waren noch sehr lebendig.33

3. Die Hilfskampagnen der 1980er Jahre – eine Erfolgsgeschichte Einen Wendepunkt in der globalen Hilfsbereitschaft für die Hungernden in Äthiopien stellte der Fernsehbericht von Michael Buerk dar. Unmittelbar nach der Ausstrahlung kam es zu einer massiven Steigerung der weltweiten Hilfsleistungen. In Westdeutschland, wo die ARD den Beitrag zeigte, lässt sich dies eindrucksvoll mit einigen Zahlen belegen: Waren es in den Monaten Januar bis September 1983 insgesamt 103.000 Deutsche Mark, die für Äthiopien gesammelt worden waren, so belief sich die Spendensumme im letzten Quartal des Jahres auf stolze zwölf Millionen Mark; der Deutsche Caritasverband erwartete im Jahr 1984 eine Verdopplung der Spenden des Vorjahres und die Karl Heinz Böhm Stiftung Menschen für Menschen sammelte in nur sechs Monaten 16 Millionen Deutsche Mark.34 Die Hilfe der EWG stieg von 111 Millionen Dollar im Jahr 1983 auf 325 Millionen Dollar im darauffolgenden Jahr. Und alleine im Jahr 1985 führten internationale NGOs in Äthiopien 48 unterschiedliche Projekte durch.35 Buerks Bericht hatte die westliche Staatengemeinschaft ganz offensichtlich einem großen öffentlichen Druck ausgesetzt. Der nun plötzlich an den Tag gelegte Aktionismus sollte nicht nur beweisen, dass man alles unternahm, um den notleidenden Menschen zu helfen; es sollte vor allem den Kritiker*innen begegnet werden, die der Politik zu recht vorwarfen, trotz Warnungen die Situation in Äthiopien unterschätzt zu haben. Dies zeigte sich unter anderem an der Entscheidung der konservativen Regierung in London unter Margret Thatcher, die Royal Air Force einzusetzen, um Nahrungsmittel in abgelegene Regionen in Äthiopien zu fliegen. Dieser Beschluss war vor allem symbolischer Natur, um die Dringlichkeit der Lage zu unterstreichen und gleichzeitig die Entschlossenheit der britischen Regierung unter Beweis zu stellen. In Kreisen von Hilfsorganisationen wurde die Luftbrücke 33 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 12 und S. 21. Seit der Etablierung des Regimes der Derg in Addis Abeba fiel es der DDR zu, die Kontakte zwischen dem ostafrikanischen Land und dem Warschauer Pakt zu pflegen. Die Einladung von Honecker drückte somit die speziellen Beziehungen zwischen beiden Ländern aus. Vgl. u. a. PAAA, B34, ZA 108154, Telegramm Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland (Addis Abeba)  an das AA (Bonn), 15.4.1976, Betr.: Beziehungen DDR / Äthiopien. 34 Vgl. Hungerhilfe für Zuckerkranke, in: Der Spiegel, 21.1.1985, S. 89. 35 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 50; Merziger, Konstruktionen, S. 175–179, und Patrick Webb / Joachim von Braun, Famine and Food Security in Ethiopia: Lessons for Africa, Chichester 1994, S. 100.

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aber nur wenig schmeichelhaft als letzte Bastion unprofessionellen Verhaltens eingestuft.36 Die öffentliche Empörung hatte die Regierung in London vollkommen unvorbereitet getroffen. Als Reaktion ließ sie verlauten, dass man mit der Hilfe für Äthiopien nicht erst nach der Mobilisierung der Öffentlichkeit begonnen habe.37 Die zuvor dargelegten Statistiken über Hilfsleistungen und das Zögern der europäischen Staaten sowie der USA sprechen freilich eine andere Sprache: Noch im November 1983 wurde von bundesdeutscher Seite ein Hilfsgesuch der äthiopischen Relief and Rehabilitation Commission (RRC) als unverhältnismäßig zurückgewiesen.38 Auch die NGOs mussten sich vorwerfen lassen, die möglichen Ausmaße der Hungersnot unterschätzt zu haben. So stufte das Internationale Rote Kreuz (IRK) im April 1983 Berichte der separatistischen Gruppen in Tigre über die Dürre und die zu erwarteten Konsequenzen als übertrieben ein.39 Aber nicht nur Buerks Reportage wurde zu einer Ikone der Fernsehberichterstattung, sondern auch die darauffolgende Medienberichterstattung war in ihrer Regelmäßigkeit und Breite einzigartig  – wie auch der Einfluss und das Engagement privater Philanthrop*innen, Prominenter und Hilfsorganisationen.40 Als der britische Musiker Bob Geldof den Bericht von Buerk sah, war er schockiert, dass ein solches Leid noch auf der Welt stattfinden könne.41 Ende des Jahres 1984 versammelte er mehrere Musiker wie David Bowie und Phil Collins um sich und produzierte in London die Weihnachts-Single Do They Know It’s Christmas?, die mehr als acht Millionen Britische Pfund einspielte. Nur wenige Monate später, am 13. Juli 1985, organisierte er zwei Benefizkonzerte, die gleichzeitig im Londoner Wembley Stadium und im JFK Stadium in Philadelphia stattfanden. Dank der Konzerte – bekannt geworden als LiveAid – sowie der Fernsehübertragungen und des Merchandising konnten über 100 Millionen Pfund an Spenden zusammengetragen werden.42 Der Erfolg und der Tatendrang von Geldof bewegte weitere Stars der weltweiten Musikszene, sich für die hungerleidenden Menschen in Äthiopien einzusetzen. Anfang des Jahres 1985 nahm USA for Africa, ein Musikprojekt, dem unter anderem Stevie Wonder und Michael Jackson angehörten, das Lied We are the World auf. Die Single wurde über 12 Millionen Mal verkauft.43 In Westdeutsch36 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 56. Aber auch bei Mitarbeitern des deutschen Außenministeriums erfreuten sich derartige Aktionen aufgrund ihrer „Schnelligkeit“ großer Beliebtheit. Vgl. PAAA, AV Neues Amt – Addis Abeba, Bd. 24420, Fernschreiben Deutsche Botschaft (Addis Abeba) an das AA (Bonn), 31.1.1985, Betr.: Humanitäre Hilfe für Äthiopien. 37 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 69. 38 Vgl. PAAA, B34, ZA 137951, Telegramm Deutsche Botschaft (Addis Abeba) an das AA (Bonn), 9.11.1983, Betr.: Humanitäre Hilfe für ATH, und PAAA, B34, ZA 137951, Telegramm AA (Bonn) an Deutsche Botschaft (Addis Abeba), 5.12.1983, Betr.: Humanitäre Hilfe für Äthiopien. 39 Vgl. PAAA, AV Neues Amt  – Addis Abeba, Bd. 17271, Telegramm Deutsche Botschaft (Khartum) an das AA (Bonn), 25.4.1983, Betr.: Hungersnot in Äthiopien, und Clay, Western Assistance, S. 153. 40 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 70 f. 41 Vgl. Gill, Famine and Foreigners, S. 13. 42 Ebd., S. 13 f., und Ginneken, Collective Behavior, S. 52. 43 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 73, und Ginneken, Collective Behavior, S. 50 f.

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land waren es unter anderem Nena, Udo Lindenberg und Herbert Grönemeyer, die mit dem Gemeinschaftsprojekt Band für Afrika das Lied Nackt im Wind aufnahmen.44 Die Texte der Lieder trugen ihren Teil zum Erfolg der Aktion bei. Durchzogen mit christlicher Symbolik appellierten sie je nach nationaler Zielgruppe an ganz unterschiedliche Emotionen. Während Geldof insbesondere Schuldgefühle in den Vordergrund von Do They Know It’s Christmas? stellte, dominierte ein Aufruf zu Hoffnung und Aktionismus We are the World. Sportler*innen und Mode-Designer*innen schlossen sich dem Vorbild der Musiker*innen an und inszenierten ihrerseits Veranstaltungen wie Race against Time, um Spendengelder zu sammeln.45 Auch organisierten angesehene Mode-­ Schöpfer wie Calvin Klein, Giorgio Armani und Yves Saint Laurent Benefizveranstaltungen in London und New York.46 Und schließlich wurde in den Niederlanden am 26. November 1984 und in der Bundesrepublik Deutschland am 23. Januar 1985 ein Tag für Afrika ausgerufen, der von etlichen Hilfsorganisationen veranstaltet wurde, um Gelder einzuwerben.47 Konnte Kaiser Haile Selassie aus Angst vor einem nationalen und internationalen Prestigeverlust die Ernährungskrisen der frühen 1970er noch weitgehend verleugnen, so rückten die hungerleidenden Menschen in Äthiopien in den 1980er Jahren dank Medienberichten, Musikfestivals und prominenter Initiativen viel stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Auch wenn sich nicht zum ersten Mal Prominente – erinnert sei an George Harrisons Concerts for Bangladesh (1971) zugunsten der dortigen notleidenden Bevölkerung – für humanitäre Hilfskampagnen einsetzten, so war nun das Ausmaß und die Dauer des Engagements neu. Dank der Unterstützung der Medien und prominenter Fürsprecher*innen erreichte nicht nur das Spendenvolumen der Hilfsaktionen neue Dimensionen, sondern es wurden auch neue Gruppen potentieller Spender*innen wie Jugendliche erreicht.48 Aber was waren die Gründe für diesen Wandel? Weshalb kam es gerade Mitte der 1980er Jahre zu einer derartigen Reaktion? Erstens ist die künstlerisch-technisch höchst innovative Gestaltung von Buerks BBC-Reportage und ihr spezifisches gesellschaftspolitisches Setting im Oktober 1984 zu nennen. Dabei profitierte er von zwei Gegebenheiten, die für einen Beitrag in einer Nachrichtensendung äußerst ungewöhnlich waren: Zum einen brachte er persönlich seine Reportage nach London und hatte während der Rückreise Gelegenheit, diese selbst zu editieren. Zum anderen erstreckte sich sein Bericht über sieben Minuten – eine für TV-Nachrichtenformate ungewöhnlich lange Zeitspanne –, was ihm wiederum erlaubte, vergleichsweise ausführlich auf das Leid der Menschen einzugehen.49 Neben dem Skript verdienen die Bildaufnahmen 44 Vgl. Größte Show der Welt, in: Der Spiegel, 8.7.1985, S. 154. 45 Vgl. Ginneken, Collective Behavior, S. 53. 46 Vgl. Fashion Designers to Aid Africans, in: The New York Times, 20.10.1985, und Franks, Reporting Disasters, S. 73. 47 Vgl. Hungerhilfe: Schokolade für Zuckerkranke, in: Der Spiegel, 21.1.1985, S. 88. 48 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 72–75. 49 Vgl. Cottle / Cooper, Final Reflections, S. 251.

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von Mo Amin besondere Beachtung: Zum einen wurden tausende von Personen gezeigt, die auf der Suche nach Essen in die Camps gelangten. Dadurch wurde das gesamte Ausmaß der Hungerkatastrophe für das westliche Publikum besser vorstellbar. Zum anderen wurden immer wieder hungernde Kinder und sogar ein sterbendes Kind gezeigt.50 Seit jeher werden Unschuld und Verletzlichkeit mit Kindern assoziiert  – zwei Eigenschaften, die direkt an das schlechte Gewissen möglicher Spender*innen appellierten. Seit den späten 1970er Jahren hatte sich in den westlichen Ländern zudem das Verständnis von Kindheit und Kindern gewandelt: Die Leiden von Kindern im „Globalen Süden“ – ausgelöst insbesondere durch Mangelernährung – wurden nicht mehr als ein isoliertes Phänomen, sondern als Teil einer globalen Krise der Kindheit angesehen. Durch den Einsatz für Kinder weltweit wollte man ein Zeichen setzen, die Zukunft der Menschheit angesichts einer instabilen und krisengeschüttelten Weltordnung zu retten.51 Auch nachfolgende Spendenkampagnen wie LiveAid bedienten sich Bilder hungernder Kinder. „As a fundraising tactic for international development“, so bilanzierte Laura Suski, „few methods rival the success of child sponsorship.“52 Auch die Kür des World Press Photo im Jahr 1985 folgte dieser Logik. In der Rubrik News Features zeigten die Fotografien, die den ersten bis dritten Platz belegten, ausschließlich hungernde Kinder und Babys aus Äthiopien.53 Amins Aufnahmen und Buerks Ansprache vermittelten somit den Zuschauer*innen den Eindruck einer immensen Tragödie: ein nicht vorhersehbares Ereignis, das Buerk in seinen einleitenden Sätzen als „biblisch“ bezeichnete. Und letztlich darf die zeitliche Nähe des Berichts zu Weihnachten nicht unterschätzt werden. Während der Adventszeit ist in westlichen Ländern traditionell die Spendenbereitschaft am Größten. Zum einen geschieht dies aus moralischen Gründen, zum anderen ist es aber auch die letzte Möglichkeit im Jahr, Spenden von der Steuer abzusetzen.54 Zweitens war das Narrativ der Dürrekatastrophe von Bedeutung. Buerk sowie andere Journalist*innen, Politiker*innen und Prominente schilderten die äthiopische Hungers­not meist als ein allein durch Niederschlagsmangel ausgelöstes, ur­ plötzlich eingetretenes Desaster – „Dürrekatastrophe“ war auch der gebräuchliche Begriff in den Akten des deutschen Außenministeriums.55 Eine derart ver­ einfachende Darstellung hatte für Hilfskampagnen mehrere Vorteile: Erstens konnte auf diese Weise das Interesse und die Aufmerksamkeit der Medien ge50 Vgl. Vaux, The Selfish Altruist, S. 52. 51 Vgl. Laura Suski, Children, Suffering, and the Humanitarian Appeal, in: Richard Ashby Wilson / Richard D. Brown (Hg.), Humanitarianism and Suffering. The Mobilization of Empathy, Cambridge / New York 2009, S. 202–222, hier: S. 203–207. 52 Ebd., S. 212. 53 Vgl. World Press Photo, 1985 Photo Contest, URL: https://www.worldpressphoto.org/ collection/photo/1985 [10.3.2019]. 54 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 38; Rony Brauman, Global Media and the Myths of Humanitarian Relief: The Case of the 2004 Tsunami, in: Wilson / Brown, Humanitarianism, S. 108–117, hier: S. 108. 55 Vgl. hierzu u. a. die in diesem Beitrag zitierten Dokumente aus dem PAAA.

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wonnen werden. Letztere waren stets daran interessiert, über vermeintlich unvorhergesehene Ereignisse zu berichten, die als „News“ verkauft werden konnten.56 Darüber hinaus wurde eine leichte Lösung des Problems suggeriert: Denn wenn einzig ein Mangel an Niederschlag für die Nahrungsmittelknappheit ursächlich war, konnte auch eine einfache und direkte Soforthilfe die Not lindern. Und schließlich wurde der Westen auch von der Schuld freigesprochen, frühe Warnungen übersehen oder gar ignoriert zu haben. Das Narrativ einer plötzlichen Naturkatastrophe entlastete somit das öffentliche Gewissen im Westen zu einer Zeit, als die Sowjetunion und andere Ostblockstaaten versuchten, die Hungersnot als Spätfolge des westlichen Imperialismus zu stigmatisieren. Westliche Medien gingen in ihrer Verteidigung sogar so weit, die italienische Besetzung Abessiniens und den damit verbundenen, an Genozid grenzenden Krieg zwischen 1935 und 1941 gänzlich zu verleugnen.57 Drittens muss auf die Situation in Europa selbst eingegangen werden, um die plötzliche Spendenwelle und Empathie für Äthiopien zu verstehen. Während in dem ostafrikanischen Land tausende an Unterernährung starben, verrotteten in den Lagerhäusern der EWG Nahrungsmittelüberschüsse. Seit den Subventions­ beschlüssen in den 1960er Jahren kam es in den westeuropäischen Ländern zu einer Überproduktion von Agrarprodukten, die sich mit den Begriffen „Butterberge“ und „Milchseen“ in das öffentliche Bewusstsein einbrannten.58 Buerks Bericht und die nachfolgenden Hilfsaktionen waren somit nicht nur eine Geschichte zahlloser Hungernder, sondern prangerten auch indirekt den Überfluss und die Verschwendung im Westen an. Sie führten der Öffentlichkeit die ungleiche Verteilung von Grundnahrungsmitteln in der Welt ungeschönt vor Augen.59 Diese Diskrepanz machten Organisationen wie das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt bereits im Mai 1983 zu einer zentralen Botschaft ihrer Kampagnen: „Hunger durch Überfluss?“ fragte Brot für die Welt provokativ und unterrichtete in „einseitiger, oft überspitzter, aber zum Nachdenken zwingender Form über die skandalösen Zusammenhänge zwischen hiesigem Reichtum und dortiger Armut“.60 Hilfsorganisationen versuchten dadurch, an die Schuldgefühle der Wohlstandsgesellschaft zu appellieren und erhofften sich erhöhte Spendeneinnahmen. Erste Erfolge dieser Strategie, die nicht ohne Kritik blieb, waren somit bereits vor Buerks Beitrag zu erkennen.61 Und viertens spielten schließlich die veränderten medialen Rahmenbedingungen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Mitte der 1980er Jahren profitierten Hilfsorganisationen von einer ausdifferenzierteren und weit umfangreicheren Medienlandschaft als in den Jahren zuvor. Zwischen 1960 und 1980 vervielfachte 56 57 58 59 60

Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 33. Vgl. Zehntausende wandern aus, um zu sterben, in: Der Spiegel, 21.1.1985, S. 97 und S. 99. Hungerhilfe: Schokolade für Zuckerkranke, in: Der Spiegel, 21.1.1985, S. 91. Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 32. Hunger durch Überfluss, in: Die Zeit, 20.5.1983, URL: http://www.zeit.de/1983/21/hungerdurch-ueberfluss [10.3.2019]. 61 Ebd.

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sich die Anzahl an Haushalten drastisch, die über einen Fernseher verfügte. Alleine in Großbritannien wuchs in diesem Zeitraum die Zahl von 211 TV-Geräten pro 1.000 Einwohner auf 404 an, während in der Bundesrepublik die Zahl von 83 auf 337 stieg.62 In den USA besaßen im Jahr 1950 neun Prozent aller Haushalte einen Fernseher, im Jahr 1985 waren es 98 %.63 Durch diesen Fortschritt wurde – wie dies Simon Cottle und Glenda Cooper formulierten – sukzessive die Barriere von Zeit und Raum durchbrochen, die bislang den Personenkreis limitiert hatte, der unmittelbar am Schicksal von Menschen in allen Erdteilen Anteil nahm. Buerks Beitrag wie auch die nachfolgenden Medien- und Hilfskampagnen profitierten maßgeblich von diesem erweiterten „human circle of concern“.64 Zwangsläufig führte die Expansion der Medienlandschaft auch zu einem verstärkten Konkurrenz­druck. Bislang hatte es weder in den USA noch in den westeuropäischen Ländern ein großes Interesse an der humanitären Krise und den hungerleidenden Menschen in Äthiopien gegeben: Die Aufnahmen von Mo Amin waren die ersten bewegten Bilder einer Hungersnot, die im amerikanischen Fernsehen zu sehen waren. Die Mischung aus Schock, Hilfsengagement und öffentlicher Empörung, die der Erstausstrahlung von Buerks Bericht unmittelbar folgten, überzeugte letztlich auch zögerliche Intendanten, die Reportage in ihr Programm aufzunehmen.65

4. Die mediale (Fehl-)Konstruktion der Katastrophe und ihre Auswirkungen Auch wenn unbestreitbar ist, dass Michael Buerk und Mo Amin mit ihrem Bericht ein überwältigendes humanitäres Engagement anstießen, so sind weitere Fragen noch offen: Welche Themen wurden in den Medien ausgelassen? Welche Konsequenzen ergaben sich aus der verzerrten Wiedergabe der Situation in Äthiopien für die Effizienz der Hilfsleistungen? Wie veränderte sich die Rolle der Medien innerhalb des globalen Regimes humanitärer Hilfe und welche Folgen ergaben sich hieraus? Erstens verbreiteten die Medien – wie eingangs dargelegt – den Eindruck, dass einzig ein Mangel an Niederschlag die Hungersnot urplötzlich ausgelöst hätte. Diese Beschreibung entsprach dem vorherrschenden westlichen Diskurs über Hungersnöte.66 Auch wenn die anhaltende Dürre ein wesentlicher Faktor war, so handelte es sich um eine stark simplifizierende Perspektive, die politische und gesellschaftliche Faktoren außer Acht ließ. Letztere waren aber wesentlich aus62 Vgl. Bèla Tomka, A Social History of Twentieth-Century Europe, London 2013, S. 234. 63 Vgl. U. S. Census Bureau, Statistical Abstract of the United States: 20th Century Statistics, 1999, S. 885, URL: https://www.census.gov/prod/99pubs/99statab/sec31.pdf [10.3.2019]. 64 Simon Cottle / Glenda Cooper, Introduction: Humanitarianism, Communications, and Change, in: Dies., Humanitarianism, S. 3 f. 65 Vgl. Goyder / Goyder, Case Studies of Famine, S. 93; Ginneken, Collective Behavior, S. 47, und Merziger, Konstruktionen, S. 180. 66 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 95 und S. 113.

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schlaggebender für das Ausmaß der damaligen Katastrophe: Hungersnöte entstehen meist in autokratischen Gesellschaften, in denen die Pressefreiheit ebenso wenig gegeben ist wie der ungehinderte Zugang zu potenziellen Krisenregionen. Während ersteres die Chancen massiv einschränkt, Warnungen über Missstände frühzeitig an die Öffentlichkeit zu bringen, behindert letzteres die eigentliche Hilfe.67 Beide Voraussetzungen waren in Äthiopien in den 1970er und 1980er Jahren gegeben. Darüber hinaus werden Hungersnöte meist weniger durch einen Lebensmittelmangel als durch eine fehlgeleitete Nahrungsmittelverteilung hervorgerufen.68 Dies wurde seit Jahren gezielt von der politischen Führung in Addis Abeba eingesetzt, um politische Gegner oder separatistische Gruppen zu disziplinieren. Vor allem aber muss der seit 1975 im Norden von Äthiopien wütende Bürgerkrieg angeführt werden, der oftmals in den Berichterstattungen unerwähnt blieb. Er förderte nicht nur maßgeblich die Ausbreitung der Hungersnot, sondern erschwerte auch massiv die später einsetzenden Hilfsleistungen:69 Die Mehrheit der hungernden Bevölkerung lebte in Gebieten, die von Rebellen kontrolliert wurden. Nach internationalem Recht durfte die UNO aber nur souveräne Staaten unterstützen. Aus diesem Grund gingen ungefähr 90 % der internationalen Hilfslieferungen an die äthiopische Regierung, obwohl nur ungefähr 22 % der hungernden Bevölkerung in Regionen lebte, die vom Regime kontrolliert wurden. Erneut wurden dabei die internationalen Essenslieferungen bewusst von der Regierung genutzt, um entweder die Loyalität der Bevölkerung zu erzwingen oder ganze Landstriche auszuhungern, in denen sich Rebellen aufhielten.70 Zeitgenössische Beobachter kritisierten darüber hinaus, dass die Medien die negativen Folgen der Nahrungsmittelhilfe für die Bevölkerung in Äthiopien verschwiegen. So war die Schaffung von Verteilungscamps zwar anfangs effizient, führte aber zur Entwurzelung ganzer Gemeinschaften, die auch zukünftig von Lebensmittellieferungen abhängig blieben. Des Weiteren führte die Konzentration von tausenden hungernden Menschen auf engem Raum zur Ausbreitung von Krankheiten.71 Ferner benutzten Regierungstruppen die Camps, um Neuankömmlinge zu registrieren und sie dann gewaltsam aus den betroffenen Regionen im äthiopischen Hochland in die südlichen und besser zu kontrollierenden Ebenen zu deportieren.72 Mitglieder von Hilfsorganisationen prophezeiten, dass die umstrittene Zwangsumsiedlung von über 1,5 Millionen Menschen in nur einem Jahr unvermeidlich unter menschenunwürdigen Bedingungen stattfinden werde. 67 Vgl. ebd., S. 91. 68 Vgl. ebd. 69 Vgl. ebd., S. 98, und Watts, Heart of Darkness, S. 25 und S. 35. Mehr als die Hälfte des nationalen Haushalts des Landes ging zu dieser Zeit in das Militär – Gelder, die unter anderem für die RRC fehlten. Vgl. Watts, Heart of Darkness, S. 35. 70 Vgl. Zehntausende wandern aus, um zu sterben, in: Der Spiegel, 21.1.1985, S. 95, und Franks, Reporting Disasters, S. 114 f. 71 Vgl. PAAA, AV Neues Amt – Addis Abeba, Bd. 24420, Fernschreiben Deutsche Botschaft (Addis Abeba) an das AA (Bonn), 31.1.1985, Betr.: Humanitäre Hilfe für Äthiopien. 72 Vgl. Goyder / Goyder, Case Studies of Famine, S. 96 f.

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Ihre Warnungen über eine weitere, diesmal einzig von Menschenhand herbeigeführte humanitäre Krise fanden aber angesichts des dominierenden Narrativs der „plötzlichen Dürrekatastrophe“ nur wenig Resonanz in den westlichen Medien.73 Und schließlich erreichten viele Essenslieferungen nicht die notleidende Bevölkerung, sondern wurden von Addis Abeba und den Rebellen an die eigenen Truppen verteilt. All dies, so die Argumentation von Kritiker*innen, habe zu einer Verlängerung des bewaffneten Konflikts geführt, der erst im Jahr 1991 offiziell beendet wurde und über 400.000 Opfer forderte.74 Zweitens ist auf das Verhältnis zwischen Medien und Hilfsorganisationen zu verweisen. Fraglos zeigte die Art der Berichterstattung neue Möglichkeiten auf, Spendengelder einzutreiben und erleichterte die Neugründung von NGOs, die sich mit humanitärer Hilfe und Entwicklungshilfe befassten. Etablierte Organisationen wie das IRK oder Oxfam verloren in der Folge ihre einstige Monopolstellung und wurden von neuen Akteuren wie Böhms Stiftung Menschen für Menschen (1981) im Wettbewerb um Spendengelder unter Druck gesetzt – eine Entwicklung, die kein Spezifikum des äthiopischen Falls, sondern in den 1980er Jahren im gesamten Feld humanitärer Hilfe zu beobachten war.75 Als Konsequenz ergaben sich zahlreiche Probleme: Zum einen waren die neuen Akteure nur selten mit den nationalen und internationalen Gesetzen vertraut, die humanitäre Hilfe regelten. Zum anderen verfügten sie nicht über ein etabliertes Netzwerk in den Krisenregionen, um ihre Hilfe auch gezielt an die Bedürftigen zu bringen. Folglich verlor sich ihr oftmals nicht in Abrede zu stellender Aktionismus in bürokratischen und diplomatischen Wirren. Bereits bei der Stern-Aktion „Rettet die Hungernden“ waren derartige Probleme zu Tage getreten: Unterschiedliche Konzepte von humanitärer Hilfe führten zu Konflikten zwischen Henri Nannen und dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Erhard Eppler. Während ersterer die Gelder nur für humanitäre Sofortmaßnahmen einsetzen wollte, beharrte Eppler darauf, auch entwicklungspolitische Anschlussarbeiten zu finanzieren.76 Zudem beschwerte sich Nannen über die vermeintliche Umwidmung der Spenden durch den Bundeshaushalt und sah sich außerstande, dies den Geldgebern zu erklären. Zur gleichen Zeit sah er sich Vorwürfen in der Öffentlichkeit ausgesetzt, er würde 73 Vgl. Hungerhilfe: Schokolade für Zuckerkranke?, in: Der Spiegel, 21.1.1985, S. 90, und Philip M. Boffey, Ethiopia Moving 1,5 Million People from Famine, in: The New York Times, 14.12.1984. 74 Vgl. Carlos Sanchez, A Victory Tempered By Sorrow, in: Washington Post, 26.5.1991, S. A44. Bereits vor dem Ausbruch der Hungerkatastrophe gab es Berichte, dass die von der EWG bereitgestellten Nahrungsmittel vor allem an die Regierungssoldaten abgegeben wurden. Vgl. PAAA, AV Neues Amt – Addis Abeba, Bd. 17271, Vermerk Deutsche Botschaft, 25.2.1982, Betr.: Angeblicher Missbrauch von Nahrungsmittellieferungen der EG. 75 Allgemein zur Entwicklung der NGOs vgl. u. a. Thomas Davies, NGOs. A New History of Transnational Civil Society, Oxford 2014, S. 141–174, und Marc Lindenberg / Coralie Bryant, Going Global: Transforming Relief and Development NGOs, Bloomfield 2001. 76 Vgl. PAAA, B34, ZA 102536, Vermerk Pfetten (AA), 29.3.1974, Betr.: Deutsche humanitäre Hilfsmaßnahmen für Äthiopien.

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die Gelder veruntreuen und sich Korruption zu Schulden kommen lassen.77 Mit ähnlichen Problemen war auch Bob Geldof knapp eine Dekade später konfrontiert. Nur widerwillig arrangierte er sich mit etablierten Hilfsorganisationen wie Oxfam, denen er zuvor Untätigkeit und Bürokratie vorgeworfen hatte. Für seine Kampagne war er aber auf deren Kontakte und Netzwerke vor Ort angewiesen.78 Mit der steigenden Anzahl an Akteuren ging auch ein zunehmender Konkurrenzdruck zwischen den einzelnen Hilfsorganisationen einher. Um die benötigten Spenden einzutreiben und somit die Existenz der eigenen Organisation zu legitimieren und zu sichern, ging es zum einen darum, mehr Medienzeit eingeräumt zu bekommen oder als alleiniger Initiator von Großveranstaltungen wahrgenommen zu werden.79 Letzteres führte beispielsweise bei der bundesweiten Gemeinschaftsaktion Tag für Afrika dazu, dass die verschiedenen Hilfsorganisationen bei ihren Spendenaufrufen nur auf ihr eigenes Konto verwiesen.80 Zum anderen galt es, sich die Unterstützung von berühmten Persönlichkeiten zu sichern. „Wenn Prominente sich einsetzen“, so Lutz Neumann von der Deutschen Welthungerhilfe in einem Interview im Jahr 1985, „wird die Geberfreudigkeit merklich größer“.81 Dennoch war der Einsatz von Prominenten nicht unumstritten. Wiederholt wurden deren Motive und deren zur Schau gestellter Altruismus in Frage gestellt: Denn die ständige Berichterstattung über ihr Engagement wirkte sich nicht nur positiv für die entsprechenden Hilfsorganisationen aus, sondern war – zumindest indirekt – auch Werbung in eigener Sache. Insbesondere linksgerichtete Medien prangerten den vermeintlichen Kommerz auf Kosten notleidender Menschen in Afrika an und bezweifelten die Selbstlosigkeit der „modernen Samariter“ und der „barmherzigen Goldkehlen“ von LiveAid: „Ist der 13. Juli 1985 ein symbolisches Datum für unermessliche Hilfsbereitschaft“, so fragte Der Spiegel, „oder für die fragwürdige Selbstinszenierung von Musikern auf der Bühne humanitärer Absichten?“.82 Die Fixierung auf Medienberichterstattung und Prominenz rückte das eigentliche Ausmaß humanitärer Katastrophen und deren Ursachen in den Hintergrund. Es wurde immer unerheblicher, wie oft Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen auf drohende Krisen hinwiesen. Erst wenn sich die Medien beteiligten, kam es auch zu einer Reaktion der Bevölkerung und oftmals auch der Politik.83 Sie hatten sich 77 Vgl. PAAA, B45, ZA 100793, Brief Nannen an die Berichterstatter des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags, Bonn, 15.2.1974, und PAAA, AV Neues Amt – Addis Abeba, Bd. 17238, Offener Brief Friedrich-Wilhelm Sinagowitz an Nannen, Gronau, 19.7.1976. 78 Vgl. Vaux, The Selfish Altruist, S. 52–54. 79 Vgl. Ginneken, Collective Behavior, S. 50. 80 Vgl. Hungerhilfe: Schokolade für Zuckerkranke?, in: Der Spiegel, 21.1.1985, S. 89. 81 Zit. n. ebd., S. 88. Allgemein zur Rolle von Prominenten in humanitären Hilfskampagnen vgl. Ilan Kapoor, Celebrity Humanitarianism: The Ideology of Global Charity, London 2012. 82 Größte Show der Welt, in: Der Spiegel, 8.7.1985, S. 154. Zur Kritik vgl. auch Ginneken, Collective Behavior, S. 53; Jansson / Harris / Penrose, The Ethiopian Famine, S. 27, und Tanja R. Müller, „The Ethiopian Famine“ Revisited: Band Aid and the Antipolitics of Celebrity Humanitarian Action, in: Disaster 37 (2013), S. 61–79. 83 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 141.

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nun endgültig als eigenständiger Akteur innerhalb des internationalen humanitären Regimes etabliert. Presse und Fernsehen reagierten nicht mehr nur wie einst auf Programme und Projekte der internationalen Staatengemeinschaft, sondern initiierten und steuerten eigene Hilfskampagnen. Es waren die Regierungen und die internationalen Organisationen, die von einer durch die Medien emotionalisierten und sensibilisierten Öffentlichkeit unter Druck gesetzt wurden und reagieren mussten. War im Fall der Hungersnot in Äthiopien die Medienaufmerksamkeit seit Buerks Bericht immens und somit auch das Spendenaufkommen, so zeigte sich bei anderen, ähnlichen Ereignissen die Probleme dieser medienfixierten Perspektive des Westens. Rupert Neudeck, Mitbegründer der Hilfsorganisation Cap Anamur, konstatierte für die etwa zeitgleich an Hunger leidenden Menschen im Tschad, dass es deren einziges Problem sei, „keine Fernsehteams [zu] haben, um sich bemerkbar zu machen“.84 Bereits seit den späten 1970er Jahren wurde diese Abhängigkeit zwischen Medien und den Hilfsorganisationen offensichtlich. Vor allem neu gegründete NGOs mussten sich immer stärker nach den Bedürfnissen und Vorstellungen der Medien richten, um sich zu etablieren und gegen die Konkurrenz durchzusetzen. In Westdeutschland trat diese Entwicklung erstmals bei den vietnamesischen Boat People und Rupert Neudecks Cap Anamur im Jahr 1979 deutlich zu Tage: Von Beginn an hatte Neudeck Wert darauf gelegt, enge Kontakte zum Fernsehen einzugehen. Er lud deshalb gezielt Reporter*innen und Journalist*innen ein, die über den „radikalen Humanismus“ von Cap Anamur bereits vor den eigentlichen Hilfsaktionen berichteten.85 Aber die Medien waren auch auf die Unterstützung der NGOs angewiesen. Denn letztere verfügten über die notwendigen Verbindungen im Land, die es den Journalist*innen erst ermöglichten, ihre Berichte vor Ort zu erstellen. Diese symbiotische Beziehung zeigte sich deutlich auch bei Buerks Reportage. Einerseits erleichterte ihm die britische Hilfsorganisation Oxfam maßgeblich seine Arbeit in Äthiopien, indem sie ihn mit Informationen versorgte, vor Ort unterstützte und bei den Verhandlungen mit den Behörden in Addis Abeba half. Andererseits konnte Oxfam das eigene Spendenvolumen von 23,9 Millionen Pfund im Jahr 1983 auf 51 Millionen Pfund im nächsten Jahr erhöhen.86 Und schließlich zeigt drittens ein Blick auf die Art und Weise der Berichterstattung, dass die westlichen Medien dazu tendierten, die Bedeutung ausländischer Hilfe zu überhöhen. Die geführten Interviews in den Krisengebieten fanden beinahe ausschließlich mit weißen Hilfsarbeiter*innen statt, während oftmals die wichtige Hilfe der Einheimischen übergangen wurde.87 Diese selektive Wahrnehmung lieferte erneut ein verzerrtes Bild, war aus Sicht der Medien und der NGOs 84 85 86 87

Zehntausende wandern aus, um zu sterben, in: Der Spiegel vom 21.1.1985, S. 98. Vgl. Merziger, Konstruktionen, S. 170–173. Vgl. Sambrook, From Buerk to Ushahidi, S. 53 f. Vgl. Cottle / Cooper, Final Reflections, S. 251, und Sambrook, From Buerk to Ushahidi, S. 53 f. Eine Ausnahme stellte diesbezüglich der Film The Unkown Famine von Jonathan Dimbleby aus dem Jahr 1973 dar. Vgl. Gill, Famine and Foreigners, S. 28.

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jedoch gewollt. Sie sollte potenzielle Geldgeber im Westen ansprechen, indem international bekannte Hilfsorganisationen in den Vordergrund gerückt wurden. Damit wollte man beweisen, dass die Spenden auch tatsächlich an die richtigen Stellen weitergeleitet wurden, um die Not vor Ort zu lindern. Auf diese Weise wurde aber auch das traditionelle Bild eines unterentwickelten, krisengebeutelten afrikanischen Kontinents – des „dunklen Kontinents“88 – bedient, der nur mittels selbstloser, westlicher Hilfe in eine bessere Zukunft geführt werden könne. Insbesondere Vertreter*innen der Post-Colonial Studies sahen sich an die einstigen Zivilisierungsnarrative während des europäischen Imperialismus erinnert.89 In diesem Zusammenhang kritisierten einige Hilfsarbeiter*innen auch die Auswahl der Bilder. Sie äußerten ihr Unbehagen, dass ein großes Spendenaufkommen nur erzielt werde, wenn erschreckendes Bild- und Filmmaterial zur Verfügung stehe. Sie wandten sich insbesondere gegen die wiederholte Verwendung schockierender Aufnahmen von verhungernden Kindern und Babys. Sie beanstandeten, dass keine Hemmschwelle existiere, Tote oder verstümmelte Menschen aus Afrika zu zeigen. Dies offenbare nicht nur einen mangelnden Respekt gegenüber den Einwohner*innen des Kontinents, sondern könne auch zu möglichen Abstumpfungsreaktionen in der westlichen Öffentlichkeit führen.90 Letzteres wurde als ein Grund angeführt, weshalb das westliche Spendenaufkommen bei der Hungerkrise in Mozambique im Jahr 1987 vergleichsweise gering ausfiel. Die Bilder aus dem südafrikanischen Land wurden als eine „Anti-Klimax“ zu den Ereignissen in Äthiopien wahrgenommen.91 Und schließlich muss die Entscheidung der Medien kritisch hinterfragt werden, über welche Missstände berichtet wird und über welche nicht. Krisen, die augenscheinlich von Menschen herbeigeführt wurden wie zum Beispiel Bürgerkriege oder auch massive Menschenrechtsverletzungen, eigneten sich nur begrenzt dazu, ähnliche Spendenkampagnen zu starten und zu rechtfertigen. Dies zeigte sich unter anderem beim 1985 gestarteten Projekt Artists United Against Apartheid, dem Musiker wie Bob Geldof, Bob Dylan oder auch Bruce Springsteen angehörten. Mit ihrer Single „Sun City“ demonstrierten sie gegen die Apartheid in Südafrika und hofften, vom Erfolg von LiveAid profitieren zu können. Die Medien hielten sich jedoch bedeckt und versuchten das politisch heikle Thema zu meiden. Das Gemeinschaftsprojekt erhielt letztlich weit weniger Zulauf als sich dies die Initiatoren erhofft hatten.92 88 Franks, Reporting Disasters, S. 164. 89 Vgl. Watts, Heart of Darkness, S. 31. Allgemein zu Post-Colonial Studies vgl. u. a. Sebastian Conrad / Shalini Randeria / Regina Römhild (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 22013; Julian Go, Postcolonial Thought and Social Theory, New York 2016; Edward Said, Orientalism, New York 1979, und Sanjay Seth (Hg.), Postcolonial Theory and International Relations. A Critical Introduction, London / New York 2012. 90 Vgl. Franks, Reporting Disasters, S. 150–152. 91 Goyder / Goyder, Case Studies of Famine, S. 93. 92 Vgl. Barmherzige Goldkehlen, in: Der Spiegel, 25.11.1985, S. 258–261.

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5. Zusammenfassung Die Reportage von Michael Buerk aus dem Jahr 1984 über die Hungerkatastrophe in Äthiopien stellte einen Meilenstein in der medialen Berichterstattung über humanitäre Krisen dar. Sie löste eine bisher nicht gekannte Welle an privaten Spenden aus, zwang Regierungen, ihre bisherige Hilfspolitik zu überdenken und führte zu einer öffentlichen Debatte über die Probleme der „Entwicklungsländer“ jenseits des Ost-West-Konflikts. Buerks Beitrag war zudem ein Impuls für das Wachstum und die Ausdifferenzierung von NGOs  – sowohl was deren Spendenvolumen anbelangte als auch hinsichtlich deren Anzahl und Mitgliederstärke. Dabei war es nicht nur die journalistische Qualität von Buerks Beitrag, die für die einzigartige Welle an Empathie im Westen verantwortlich war. Von zentraler Bedeutung war vielmehr, dass Buerk – wie auch die nachfolgende mediale Berichterstattung – die Hungersnot vor allem als eine Naturkatastrophe darstellte, die urplötzlich über die Bevölkerung Äthiopiens hereingebrochen war. Weitere Faktoren, die das Spendenaufkommen positiv beeinflussten, waren der Einsatz prominenter Personen, der Nahrungsmittelüberfluss in Europa sowie die Verbreitung des Fernsehens im Westen. Trotz des Erfolgs enthielten die Hilfs- und Medienkampagnen aufgrund ihrer eindimensionalen Perspektive zahlreiche Probleme, die sich auf die Art und Weise sowie die Effektivität der Hilfe auswirkten:93 Sie lieferten ein verfälschtes oder zumindest unvollständiges Bild der Faktoren, die zur Hungersnot in Äthiopien geführt hatten. Die Akteure internationaler Nahrungsmittelhilfe reagierten damit in der Folge auf das von den Medien konstruierte Narrativ einer Katastrophe und vernachlässigten deren komplexe Ursachen. Bei dieser Form des „radikalen Humanismus“ sollten lediglich humanitäre Überlegungen entscheiden, wo, wann und wem geholfen wurde.94 Als Folge dieser selektiven Wahrnehmung wurden die politischen und sozialen Missstände vor Ort ebenso ausgeblendet wie damit verbundene negative Konsequenzen der Nahrungsmittelhilfe wie beispielsweise Zwangsumsiedlungen und die Verlängerung des Bürgerkriegs. Zudem konzen­ trierten sich die Medien und Spendenaufrufe nun auf spektakuläre Soforthilfen; langfristige Hilfsprogramme rückten in einer Abkehr von den einstigen Prioritäten der internationalen Gemeinschaft in den Hintergrund – oder in den Worten Bob Geldofs: „Long-term aid is less exciting than the Seventh Cavalry arriving with food to bring people back to life“.95 Das Beispiel der Hungersnot in Äthiopien in den 1980er Jahren verdeutlicht die zunehmende Bedeutung der Medien für die Hilfsorganisationen. Jedoch besteht in der Öffentlichkeit nur selten Klarheit über diese symbiotische Beziehung zwischen 93 Vgl. Merziger, Konstruktionen, S. 181. 94 Vgl. ebd., S. 180. 95 Zit. n. Arat Andreopoulos, The Uses and Misues of Human Rights. A Critical Approach to Advocacy, London / New York 2013, S. 205.

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Tobias Hof

beiden Akteuren. Die Medien sind auf die Hilfsorganisationen angewiesen, um ihre Berichte zu erstellen; die Organisationen wiederum sind davon abhängig, dass die Medien eine dramatische Geschichte erzählen können, um Spendengelder zu erhalten – dies war eine der wichtigsten Lehren aus den Ereignissen der 1980er Jahre und katapultierte die Medien zu einem eigenständigen Akteur innerhalb des internationalen humanitären Regimes. Auch im Jahr 2018 lassen sich Parallelen zu den Ereignissen der 1970er und 1980er Jahren ziehen: Hilfsorganisationen warnen vor einer der größten humanitären Krisen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ihren Schätzungen nach seien mehr als zwanzig Millionen Menschen von einem Hungertod betroffen. Die Medien und die Öffentlichkeit aber haben hiervon bislang nur wenig Notiz genommen, so dass die gesammelten Spenden weit unter den benötigten Mitteln liegen.96 Erneut zeigen sich somit die Bedeutung der Medien und deren Macht, Spenden- und humanitäre Kampagnen zu initiieren, zu leiten, aber auch zu mani­pulieren. Für zukünftige Hilfsaktionen ist es deshalb wichtig, diese Rolle der Medien kritisch zu hinterfragen, um – wie es Tony Vaux ausdrückte – letztlich den „roulette wheel approach to disaster“97 zu durchbrechen.

96 Vgl. Max Bearak / Laris Karklis, Starving to Death, in: Washington Post, 11.4.2017, URL: http:// wapo.st/2ok8W6B?tid [13.4.2017], und Yemen on the Brick of ‚world’s worst famine in 100 years‘ if war continues, in: The Guardian, 15.10.2018, URL: https://www.theguardian.com/ global-development/2018/oct/15/yemen-on-brink-worst-famine-100-years-un [10.3.2019]. 97 Zit. n. Franks, Reporting Disasters, S. 176.

Olaf Beuchling

Die Flucht der vietnamesischen „Boat People“, 1975–2000: Ein zeitgeschichtliches Lehrstück? 1. Einführung Über einen Zeitraum von einem Vierteljahrhundert vollzog sich zwischen 1975 und 2000 in Südostasien in wechselnder Intensität eine Flucht- und Migrationsbewegung, die als zeitgeschichtliches Lehrstück für gegenwärtige Flucht- und Migrationsbewegungen dienen kann. In länderübergreifenden Studien ist diese Krise mit Blick auf die drei betroffenen Staaten – die ehemaligen französischen Kolonien Kambodscha, Laos und Vietnam – als „indochinesischer Exodus“ oder „Indochina-Flüchtlingskrise“ eingegangen.1 Steht (wie in den folgenden Ausführungen) die größte Herkunftsgruppe der Flüchtlinge im Mittelpunkt, wird spezifischer von der „vietnamesischen Flüchtlingskrise“ gesprochen.2 Diese Flucht- und Migrationsbewegung setzte während des Kalten Krieges zwischen dem westlichen Staatenbündnis unter Führung der USA und den sozialistischen Staaten unter der Ägide der Sowjetunion ein und initiierte in ihrem weiteren Verlauf verschiedene Transformationen internationaler, regionaler und nationaler Migrationsregimes. Als größte und langwierigste Flüchtlingskrise, die der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) bis dato begleitet hatte, galt sie erst an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, nachdem sich in einem Zeitraum von 25 Jahren über drei Millionen Menschen aus der Region zur Flucht entschieden hatten, als beigelegt.3 Die vietnamesische Flüchtlingskrise ist wissenschaftlich mittlerweile gut, wenn auch nicht umfassend erforscht. Kenntnisreiche Aufarbeitungen zum Verlauf der Krise aus primär politikwissenschaftlicher Sicht bieten vor allem die Mono­ 1 Vgl. u. a. W. Courtland Robinson, Terms of Refuge. The Indochinese Exodus and the International Response, London 1998; Valerie O’Connor Sutter, The Indochinese Refugee Dilemma, Baton Rouge 1990, und United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), Zur Lage der Flüchtlinge in der Welt 2000/2001: 50 Jahre humanitärer Einsatz, Bonn 2000, S. 91–117. 2 Vgl. u. a. Olaf Beuchling, Vietnamesische Flüchtlinge in West-, Mittel- und Nordeuropa seit den 1970er Jahren, in: Klaus J.  Bade u. a. (Hg.), Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2007, S. 1072–1076, und Judith Kumin, Orderly Departure from Vietnam: Cold War Anomaly or Humanitarian Innovation?, in: Refugee Survey Quarterly 27/1 (2008), S. 104–116. 3 Vgl. UNHCR, Zur Lage der Flüchtlinge, S. 91.

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Olaf Beuchling

graphien von Sutter4 und Robinson5. Rückblickende Einschätzungen spezifischer Dilemmata und Steuerungsmechanismen wie etwa dem sogenannten Compre­ hensive Plan of Action (CPA) finden sich bei Robinson6, Casella7 oder  – aus komparativer Perspektive – bei Betts.8 Auch ansonsten eher selten thematisierte Aspekte wie das Leben in Flüchtlingslagern in Südostasien wurden untersucht.9 Eine lange Reihe von migrationssoziologischen Studien hat zudem den Zuwanderungs- und Integrationsprozess vietnamesischer Flüchtlinge in verschiedenen Ländern aus zumeist empirischer Sicht analysiert. Dieser kann angesichts eines mittlerweile generationenübergreifenden Zeitraumes im Wesentlichen als gelungen bezeichnet werden.10 Im Folgenden sollen unterschiedliche Positionen, Praktiken und Steuerungsinstrumente in der politischen Arena im Westen wie auch in Südostasien dargestellt und ihre gestaltenden Auswirkungen auf die Flüchtlingskrise aufgezeigt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die sogenannten „Boat People“, Menschen, die Vietnam auf dem hochriskanten Seeweg verlassen hatten und deren Schicksal der Krise eine historische Prägung verlieh. Dabei wird die Frage im Mittelpunkt stehen, ob und wie weit die vietnamesische Flüchtlingskrise als komparatives 4 Vgl. Valerie O’Connor Sutter, The Indochinese Refugee Dilemma, Baton Rouge 1990. 5 Robinson, Terms of Refuge. 6 Vgl. W. Courtland Robinson, The Comprehensive Plan of Action for Indochinese Refugees, 1989–1997: Sharing the Burden and Passing the Buck, in: Journal of Refugee Studies 17/3 (2004), S. 319–333. 7 Vgl. Alexander Casella, Managing the „Boat People“ Crisis: The Comprehensive Plan of Action for Indochinese Refugees, New York 2016. 8 Vgl. Alexander Betts, Comprehensive Plans of Action: Insights from CIREFCA and the Indochinese CPA, New Issues in Refugee Research, Working Paper No. 120 (2006), URL: http:// www.unhcr.org/43eb6a152.pdf [10.3.2019]. 9 Vgl. Linda Hitchcox, Vietnamese Refugees in Southeast Asian Camps, Basingstoke 1990. 10 Zu vietnamesischen Flüchtlingen in Deutschland vgl. Olaf Beuchling, Vom Bootsflüchtling zum Bundesbürger. Migration, Integration und schulischer Erfolg in einer vietnamesischen Exilgemeinschaft, Münster 2003. Die Literatur zu vietnamesischen Flüchtlingen in den Vereinigten Staaten ist umfangreich, vgl. u. a. Nathan Caplan / Marcella H. Choy / John K. Whitmore, Children of the Boat People: A Study of Educational Success, Ann Arbor 1991; Rubén G. Rumbaut, A Legacy of War. Refugees from Vietnam, Laos and Cambodia, in: Silvia Pedraza / Rubén G. Rumbaut (Hg.), Origins and Destinies. Immigration, Race, and Ethnicity in America, Belmont 1996, S. 315–333, und Min Zhou / Carl L. Bankston III., Growing Up American. How Vietnamese Children Adapt to Life in the United States, New York 1998. Für Australien vgl. Nancy Viviani, The Indochinese in Australia 1975–1995: From Burnt Boats to Barbecues, Melbourne 1996. Für das Vereinigte Königreich vgl. Jessica Mai Sims, The Vietnamese Community in Great Britain: Thirty Years on, London 2007. Für Frankreich vgl. Gisèle L. Bousquet, Behind the Bamboo Hedge: The Impact of Homeland Politics in the Parisian Vietnamese Community, Ann Arbor 1991. Einige Autoren vergleichen zudem den Niederlassungsprozess vietnameischer Flüchtlinge in verschiedenen Ländern, vgl. u. a. Beuchling, Vietnamesische Flüchtlinge in West-, Mittel- und Nordeuropa, und Louis-Jacques Dorais, Vietnamese Communities in Canada, France, and Denmark, in: Journal of Refugee Studies 11/2 (1998), S. 107–124.

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Lehrstück für die Gestaltung rezenter Flucht- und Migrationsbewegungen heran­ gezogen werden kann. Denn trotz des spezifischen historischen Kontextes soll anhand dieses Fallbeispiels gezeigt werden, wie Flüchtlingskrisen international gesteuert und letztlich auch wieder beendet werden können. Dazu werden im ersten Schritt die Fluchtrouten der vietnamesischen Flüchtlinge und die damit verbundenen humanitären Notsituationen vor dem Hintergrund des Kalten Krieges skizziert. Anschließend geht der Beitrag auf die Reaktion der fünf Gründerstaaten der noch jungen Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) ein, die sich in diesem Konflikt erstmals als gemeinsamer weltpolitischer Akteur erwiesen, indem sie sich punktuell weigerten, Bootsflüchtlinge aufzunehmen und die letztendliche Verantwortung den westlichen Staaten zuschrieben. Die infolge dieses humanitären Dilemmas entwickelten globalen Steuerungsversuche im Rahmen der sogenannten Indochina-Flüchtlingskonferenzen stehen im Mittelpunkt des dritten Kapitels. Abschließend werden die Implikationen der vietnamesischen Flüchtlingskrise für aktuelle Debatten um Flucht und Migration aufgezeigt.

2. „Boat People“: Fluchtrouten und erste humanitäre Rettungsaktionen Als Folge der Genfer Indochina-Konferenz von 1954 existierten auf dem Gebiet des heutigen Vietnams zwei Staaten: im Süden die prowestliche Republik Vietnam („Südvietnam“), die von den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Ländern unterstützt wurde, im Norden die kommunistische Demokratische Republik Vietnam („Nordvietnam“), welche zunächst von der Sowjetunion und kurzzeitig von der Volksrepublik China protegiert wurde und ihren Herrschaftsanspruch über den Süden erhob. Der Krieg, der sich zwischen beiden Staaten entwickelte, war nicht zuletzt ein Stellvertreterkrieg zwischen den Supermächten mit dem Ziel, die eigene Einflusssphäre zu erweitern und die Entstehung von Satellitenstaaten des anderen Lagerns zu unterbinden. Nachdem sich die US-Streitkräfte nach hohen Verlusten und auf Druck einer breiten gesellschaftlicher Protestbewegung 1975 aus dem Krieg zurückzogen hatten, eroberte die Volksarmee Nordvietnams gemeinsam mit der Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams (vietn. Mặt Trận Giải Phóng Miền Nam Việt Nam, im allgemeinen Sprachgebrauch auch Việt cộng) binnen weniger Wochen die Republik Vietnam.11 1976 erklärte Hanoi die Wiedervereinigung des Landes als Sozialistische Republik Vietnam. Im Rahmen einer weitreichenden gesellschaftlichen Umgestaltung nach stalinistischem Vorbild begann man, hunderttausende Menschen in sogenannte „Neue Wirtschaftszonen“ umzusiedeln. Politische Repressionen wie Umerziehungskampagnen, Arbeitslagerhaft und Enteignungen von Unterneh11 Zum Vietnamkrieg und seinen Folgen vgl. u. a. Marc Frey, Die Geschichte des Vietnamkriegs: Die Tragödie in Asien und das Ende des amerikanischen Traums, München 2016, und Bernd Greiner, Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam, Hamburg 2009.

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mern, ökonomische Not infolge planwirtschaftlicher Fehlentscheidungen und Miss­ernten, Ressentiments gegen die sinovietnamesische Minderheit sowie militärische Konflikte mit Kambodscha und der Volksrepublik China führten in großen Teilen der Bevölkerung zu wachsender Unzufriedenheit. Vor allem die Lebenschancen von Menschen aus der früheren Mittelschicht und von Familien chinesischer Abstammung wurden gravierend eingeschränkt, auch wenn es nicht zu Exzessen kam wie unter den Roten Khmer im benachbarten Kambodscha.12 Zu einer ersten Fluchtwelle kam es während des Vormarsches der nordvietnamesischen Kämpfer und der Kapitulation Saigons im April 1975. Etwa 133.000 Personen, die der früheren südvietnamesischen Regierung nahegestanden hatten, wurden im Rahmen der Operationen „New Life“ und „New Arrivals“ durch das US-amerikanische Militär evakuiert und nach einem provisorischen Aufenthalt auf Guam mehrheitlich in den Vereinigten Staaten angesiedelt.13 Kleinere Gruppen von Flüchtlingen erreichten zudem auf dem See- oder Landweg benachbarte Staaten. So gelangten bis Ende 1975 bereits rund 5.000 vietnamesische Flüchtlinge nach Thailand, 1.250 Flüchtlinge auf die Philippinen und rund 1.800 Flüchtlinge nach Singapur, wo sie zunächst auf St. John’s Island, einer ehemaligen Quarantäne- und Gefangeneninsel, untergebracht wurden.14 Weniger bekannt ist hingegen, dass eine größere Gruppe von evakuierten Vietnames*innen aus verschiedenen Gründen darauf insistierte, nach Vietnam zurückzukehren. Für sie bereitete die U. S.  Army in Zusammenarbeit mit dem UNHCR eine Repatriierung auf dem Frachter Việt Nam Thương Tín vor, der Mitte Oktober 1975 mit 1.546 Menschen an Bord nach Vietnam zurückkehrte.15 Schätzungen zufolge sollen zwischen 1975 und 2000 bis zu 1,6 Millionen Menschen versucht haben, Vietnam auf dem Seeweg zu verlassen. Vielleicht 220.000 Bootsflüchtlinge haben dieses Unterfangen nicht überlebt.16 Zur Bezeichnung die12 Zur sozialistischen Transformation vgl. Anna Belugorova, Communism in Southeast Asia, in: Stephen A. Smith (Hg.), The Oxford Handbook of the History of Communism, Oxford 2014, S. 236–251, und Nguyen Van Canh, Vietnam Under Communism, 1975–1982, Stanford 1983. 13 Diese Zahl und weitere Details werden in dem Abschlussbericht der U. S. Army genannt: Operations and Readiness Directorate Office, Department of the Army, After Action Report: Operations New Life / New Arrivals, US Army Support to the Indochinese Refugee Program, April 1, 1975–June 1, 1976, Washington 1977, S. I-A-7, URL: https://archive.org/details/ DTIC_ADA036359/page/n0 [10.3.2019]. 14 Vgl. UNHCR, Zur Lage der Flüchtlinge, S. 94. 15 Dieses Kuriosum der vietnamesischen Flüchtlingskrise hat der Kapitän des Schiffes, der nach Landung in der Heimat für 12 Jahre in ein Arbeitslager interniert wurde, unlängst in seinen Memoiren dokumentiert: Tran Dinh Tru, Ship of Fate: Memoir of a Vietnamese Repatriate, Honululu 2017; vgl. auch Operations and Readiness Directorate Office, Department of the Army, After Action Report, S. I-A-12 sowie II-C-2 ff. 16 Vgl. Carmen DeMichele, Boat People (1975–2000), in: Patrick J. Hayes (Hg.), The Making of Modern Immigration: An Encyclopedia of People and Ideas, Vol. I, Santa Barbara 2012, S. 121–142, hier: S. 121. Die Quantifizierungen der Menschen, die als Bootsflüchtlinge geflohen sind und jenen, die die Fahrten nicht überlebt haben, sind sehr unsicher.

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ser Menschen wurde in der englischsprachigen Presse und internationalen Diplo­ matie der Terminus „Boat People“ geprägt und entwickelte sich zu einem Schlüsselbegriff für die kritische humanitäre Situation vietnamesischer Flüchtlinge.17 Ihr Exodus führte die Bootflüchtlinge durch das Südchinesische Meer nach Malaysia, die Philippinen, Thailand, Hongkong und weitere Staaten der Region. Einige verschlug es bis in japanische, südkoreanische und australische Hoheitsgewässer. Zahlreiche Boote, die für die Hochseeschifffahrt ungeeignet waren, schafften die Überfahrt nicht. Sie kenterten bei Stürmen oder kamen vom Kurs ab, sodass die Passagiere verdursteten. Darüber hinaus stellten die Aktivitäten von Piraten vor allem im Golf von Thailand ein hohes Sicherheitsrisiko dar. Viele Schiffe wurden mehrfach überfallen, Flüchtlinge drangsaliert oder getötet, Frauen vergewaltigt oder verschleppt.18 Der UNHCR begann, 1981 Statistiken über die Piraterie zu führen. In jenem Jahr kamen 452 Boote mit insgesamt 15.479 Flüchtlingen in Thailand an. 349 der Boote waren durchschnittlich dreimal angegriffen worden, 578 Frauen vergewaltigt und 228 entführt worden. Erst mit der Etablierung einer internationalen Anti-Piraterie-Kampagne ab Juni 1982 wurde bis 1990 ein deutlicher Rückgang der Gewalt bewirkt.19 Der Begriff „Boat People“ zielte jedoch nicht nur auf den konkreten Migrationsweg ab. Er verwies auch auf die internationale rechtliche Statusunsicherheit, die mit der – heute auch als „irreguläre maritime Migration“ bezeichneten20 – Ankunft der vietnamesischen Boote in den Hoheitsgewässern der asiatischen Staaten einherging. Keiner der fünf damaligen ASEAN-Staaten (Indonesien, Malaysia, Thailand, Singapur, Philippinen), die von der Flüchtlingskrise unmittelbar betroffen waren, hatten die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) oder deren Zusatzprotokoll unterzeichnet. Die Menschen, die per Boot eintrafen, waren für sie entweder illegale Einwanderer oder Vertriebene. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten wiederum bewerteten die Flüchtlingsfrage aus dem Blickwinkel des Kalten Krieges. Der bedrohliche Aufstieg kommunistischer Kräfte in Laos, Kambodscha und (Süd-)Vietnam im Jahr 1975, die moralische, aus dem Vietnamkrieg erwachsene Verantwortung für das Land sowie der Umstand, dass die „Boat People“

17 Vgl. Irial Glynn, Asylum Policy, Boat People and Political Discourse: Boats, Votes and Asylum in Australia and Italy, London 2016, S. 18–22. 18 Zum Fluchtverlauf auf Grundlage biografischer Interviews vgl. Beuchling, Vom Bootsflüchtling zum Bundesbürger, S. 69–79. 19 Vgl. UNHCR, The State of The World’s Refugees 2000: Fifty Years of Humanitarian Action, Geneva 2000, S. 87. 20 Vgl. Glynn, Asylum Policy; Kathleen Newland u. a. (Hg.), All at Sea: The Policy Challenges of Rescue, Interception, and Long-term Response to Maritime Migration, Brussels 2016; Marie McAuliffe / Victoria Mence (Hg.), Global Irregular Maritime Migration: Current and Future Challenges, Canberra 2014, und Barbara Miltner, Irregular Maritime Migration: Refugee Protection Issues in Rescue and Interception, in: Fordham International Law Journal 30/1 (2006), S. 75–125.

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aus einem sozialistischen Land stammten, machten sie zunächst zu politischen Flüchtlingen par excellence. Ab 1978 nahm die Zahl der Bootsflüchtlinge aus Vietnam deutlich zu und erreichte zwischen 1979 und 1982 einen Höhepunkt. Hierzu trug die militärische Auseinandersetzung mit der VR China bei, die die Situation der sinovietnamesischen Minderheit verschlechterten, der Einmarsch vietnamesischer Truppen in Kambodscha, aber auch die Folgen zunehmender Versorgungsengpässe und breit angelegter Indoktrinations- und Repressionskampagnen. Bis Juli 1979 hatten bereits rund 200.000 Bootsflüchtlinge die südostasiatischen Nachbarstaaten erreicht. Dort harrten sie in zunächst provisorisch errichteten Lagern aus, in der Hoffnung, von Drittstaaten als Flüchtlinge anerkannt und aufgenommen zu werden. Allerdings untersagten die örtlichen Autoritäten den Schiffen immer häufiger die Landung und verbrachten sie in internationale Gewässer, als ersichtlich wurde, dass viele Überfahrten von Schleppergruppen mit Wissen der vietnamesischen Behörden organisiert wurden. Mehrere Fälle von ausgedienten Frachtschiffen, die um die Weihnachtszeit 1978 tausende Flüchtlinge an Bord nahmen, konnten von den Behörden der ASEAN-Staaten als Belege angeführt werden, dass es sich um organisierte Fluchtunternehmungen handelte, an denen sich vietnamesische Offizielle ebenso wie Menschenschleuser bereicherten.21 Weltweite mediale Aufmerksamkeit erregte die Episode um den Frachter Hai Hong, ein schrottreifes Schiff, welches Vietnam unter den Augen der Behörden am 24. Oktober 1978 mit rund 2.500 Passagieren an Bord verlassen hatte. Der überfüllte Frachter nahm Kurs auf Indonesien, wo die Küstenwache das Schiff trotz Stürmen und Lebensmittelknappheit immer wieder an der Landung hinderte. Schließlich ankerte das Schiff vor Port Klang in malaysischen Gewässern. Auch die malaysischen Behörden lehnten es ab, die Passagiere der Hai Hong als Flüchtlinge anzuerkennen und an Land gehen zu lassen, weil sie keine weiteren Flüchtlingsschiffe ermutigen wollten, ihre Hoheitsgewässer zu befahren. Als die Situation an Bord der Hai Hong immer kritischer wurde und die Regierung in Kuala Lumpur drohte, das Schiff in internationale Gewässer zu schleppen, um es seinem Schicksal zu überlassen, wurde die Weltöffentlichkeit auf den Fall aufmerksam. Es waren vor allem die westlichen Medien, die Druck auf ihre Regierungen ausübten, den Menschen auf der Hai Hong zu helfen. Schließlich kam eine Gruppe westlicher Staaten in Verhandlungen mit dem UNHCR überein, den Passagieren Asyl zu gewähren. Politisch ungeklärt blieb, warum die Passagiere der Hai Hong von westlichen Staaten aufgenommen werden sollten, nicht aber die zehntausenden Flüchtlinge, die zu diesem Zeitpunkt bereits in den provisorischen Lagern in Südostasien lebten und bereits länger auf die Möglichkeit hofften, von einem westlichen Staat aufgenommen zu werden.22 21 Vgl. Kumin, Orderly Departure, und Larry Clinton Thompson, Refugee Workers in the Indochina Exodus, 1975–1982, Jefferson 2010, S. 150 f. 22 Vgl. u. a. Kumin, Orderly Departure, S. 106 f., und Dana Marcus, Saving Lives: Canada and the Hai Hong, in: bout de papier 28/1 (2014), S. 24–27.

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Wie viele der Schiffe, die Kurs auf Thailand genommen hatten, nicht angekommen sind, ist bis heute ungeklärt. Angesichts der Ankündigung der ASEAN-­ Staaten, keine Neuankömmlinge mehr zu akzeptieren, und der Praxis von Staaten, ankommende Flüchtlingsboote zurück aufs Meer zu drängen, erklärte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, die vietnamesischen Bootsflüchtlinge seien bis auf Weiteres seinem Zuständigkeitsbereich zugeordnet.23 Warum so viele Menschen die Flucht auf dem riskanten Seeweg aus Vietnam auf sich nahmen, hatte mehrere Gründe: Nach der Evakuierung zehntausender Südvietnames*innen durch die USA im Kontext der Eroberung Saigons blieb der Luftweg für die allermeisten Menschen versperrt. Die Flucht auf dem Landweg in die drei Anrainerstaaten war nicht minder problematisch: In Laos, Kambodscha und in der VR China herrschten ebenso wie in Vietnam kommunistische Regimes; lediglich die VR China nahm im Verlauf der wachsenden Spannungen mit Vietnam rund 200.000 Menschen chinesischer Abstammung auf. Zynischerweise zählte China, in dem nur wenige Jahre zuvor Millionen ums Leben gekommen waren, zu den ersten Staaten der Region, die der Genfer Flüchtlingskonvention beitraten. Blieben der Landweg und der Luftweg für die meisten Südvietnames*innen blockiert, bot sich der Seeweg als letzte Möglichkeit an. Die logistischen Bedingungen dazu waren gut: Angesichts seiner sehr langen Küstenlinie und der Bedeutung der Binnenschifffahrt für Handel und Transport waren Schiffe und schifffahrtserprobte Menschen überall auffindbar. Darüber hinaus erwies sich die Organisa­ tion größerer Fluchtvorhaben als lukrativ: Da die Flüchtlinge mehrheitlich für die Flucht bezahlen mussten, konnten man mit der Schleusung schnell zu einigem Wohlstand gelangen und gegebenenfalls zugleich seine eigene Flucht planen. Der vietnamesische Staat profitierte gleich in zweifacher Weise von der Flüchtlingskrise: Polizei, Militär oder Hafenverwaltungen nahmen Bestechungsgelder entgegen, während das Regime zeitweise eine Möglichkeit sah, Bürger*innen chinesischer Herkunft, mutmaßlich konterrevolutionäre Kräfte oder Kriminelle, auf diesem Weg loszuwerden.24 Für die Handelsschifffahrt wurde die Flucht der „Boat People“ über das Südchinesische Meer hingegen zu einem Problem: Angesichts der starken Zunahme der Bootsflüchtlinge sahen sich Eigner und Kapitäne von Handelsschiffen einerseits rechtlich und moralisch in die Pflicht genommen, Menschen aus Seenot zu retten. Andererseits befürchteten sie  – neben gesundheitlichen Risiken für die Mannschaften und der Bedrohung der Ordnung an Bord – nicht mehr in der Lage zu sein, einen Hafen anzulaufen. Schiffe, die Flüchtlinge aufgenommen hatten, fielen für den Handel aus, konnten Verträge und Termine nicht einhalten und riskierten Strafgelder durch Vertragsbrüche. Dementsprechend drängten Schifffahrtsverbände ihre Regierungen, Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Aufenthalt

23 Robinson, Terms of Refuge, S. 28 f. 24 Vgl. Beuchling, Vom Bootsflüchtling zum Bundesbürger, S. 69–79.

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geretteter Flüchtlinge an Bord der Handelsschiffe zeitlich auf das notwendige Minimum zu begrenzen.25 Neben Handelsschiffen, die auf ihren Routen vietnamesische „Boat People“ retteten, oder Marineschiffen verschiedener westlicher Staaten, die Rettungsfahrten im Südchinesischen Meer unternahmen, wurden Ende der 1970er Jahre auch von privaten oder humanitären Initiativen Schiffe gechartert und als Sanitäts- oder Rettungsschiffe in Südostasien eingesetzt. Beispielsweise unterhielt die christliche Nichtregierungsorganisation World Vision von Singapur aus einen Frachter, mit dem sie auf Rettungsfahrt ging.26 Das französische Schiff Île de Lumière begann einen Rettungseinsatz im April 1979 mit ehrenamtlichen Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen an Bord und fungierte zunächst als Hospitalschiff vor der malaysischen Insel Pulau Bidon. Nachdem die malaysische Regierung damit begonnen hatte, Flüchtlingsboote abzuweisen und die französische Regierung eine Aufnahmegarantie aussprach, ging die Île de Lumière dazu über, Flüchtlinge aus Seenot zu retten.27 Damit wurde sie zum Vorbild für das deutsche Rettungsschiff Cap Anamur, dem vielleicht prominentesten Rettungsschiff im Kontext der vietnamesischen Flüchtlingskrise. Gegründet von Journalist*innen und Menschrechtsaktivist*innen und finanziert von privaten Spenden, rettete die Cap Anamur zwischen 1979 und 1987 11.300 Vietnames*innen.28 In der vietnamesischen Community in Deutschland genießt der 2016 verstorbene Gründer der Initiative, Rupert Neudeck, höchstes Ansehen, während die Rettungsfahrten von Seiten der Politik wie auch vom Roten Kreuz kritisiert wurden: die Cap Anamur stand im Verdacht, mit ihren Fahrten Vietnames*innen zur Flucht zu ermutigen, das von der Bundesrepublik zugesagte Aufnahmekontingent zu unterminieren und zudem die ASEAN-Staaten vor den Kopf zu stoßen.29

25 So etwa der damalige Präsident des einflussreichen Verbandes britischer Reeder, David Rop­ ner, in einem Brief an die britische Premierministerin Margaret Thatcher vom 29.5.1979: Margaret Thatcher Foundation, PREM 19/129 f215. 26 Zur sogenannten „Operation Seasweep“ von World Vision, vgl. URL: https://www.worldvision. org/disaster-relief-news-stories/operation-seasweep-story-gods-provision [10.3.2019]. 27 Vgl. Eleanor Davey, Idealism beyond Borders: The French Revolutionary Left and the Rise of Humanitarianism, 1954–1988, Cambridge 2015, S. 197 f. 28 Die Zahl wird auf der Gedenktafel genannt, die ein vietnamesischer Flüchtlingsverein in Hamburg, dem Heimathafen der drei Cap Anamur-Schiffe, 2009 an den Landungsbrücken einweihen konnte. Vgl. auch Olaf Beuchling / Tuan Van Cong, Vom Mekong an die Elbe: Buddhistisches Klosterleben in der vietnamesischen Diaspora, Hamburg 2013, S. 48. 29 Siehe zum zeitgeschichtlichen Kontext der Cap Anamur und der Aufnahme der Boatpeople in Deutschland jetzt vor allem: Frank Bösch, Engagement für Flüchtlinge: Die Aufnahme vietnamesischer „Boat People“ in der Bundesrepublik, in: Zeithistorische Forschungen 14 (2017), S. 13–40, und Patrick Merziger, The „radical humanism“ of „Cap Anamur“/„German Emergency Doctors“ in the 1980s: A Turning Point for the Idea, Practice and Policy of Humanitarian Aid, in: European Review of History 23/1–2 (2016), S. 171–192.

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3. Die ASEAN-Staaten als internationaler Akteur Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 sowie das Protokoll über die Rechtsstellung von Flüchtlingen von 1967, mit welchem zeitliche und räumliche Einschränkungen der GFK aufgehoben wurden und der in ihr genannte Flüchtlingsschutz einen globalen Anspruch formulierte, war in den 1970er Jahren noch wenig etabliert. Insbesondere in Südost- und Ostasien spielte die Konvention keine Rolle. Allerdings spielten die damaligen fünf ASEAN-Mitgliedsstaaten als maßgebliche Zielländer für die tausende Schiffe, die Vietnam mit ausreisewilligen Menschen an Bord verließen, eine entscheidende Rolle. Erst wenige Jahre zuvor auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges ins Leben gerufen, stellte die ASEAN einen Verbund dar, dessen Gründung von der Furcht vor kommunistischen Herrschaftsansprüchen und dem Willen zu wirtschaftlicher Entwicklung und Kooperation in der Region motiviert wurde.30 Neben Hongkong, welches aufgrund seines Status als britische Kronkolonie und seiner Nähe zu Nordvietnam ein wichtiges Zielland für die Flüchtlingsschiffe darstellte, wurden die ASEAN-Staaten schon mit Beginn der Flüchtlingskrise Teil des Geschehens. Mit der zweiten Fluchtwelle ab 1978 ließ die Bereitschaft der ASEAN-Behörden, Bootsflüchtlinge in ihre Hoheitsgewässer oder Häfen zu lassen, angesichts gravierend steigender Zahlen deutlich nach. Zwischen Mai und Juni 1979 beliefen sich die Ankünfte von Bootsflüchtlingen in der Region auf 148.105 Personen, davon kamen 75.000 in Malaysia an, 43.000 in Indonesien, 9.500 in Thailand und 5.000 auf den Philippinen.31 Insbesondere der kleine Stadtstaat Singapur, der erst 1965 nach ethnischen Spannungen seine Unabhängigkeit von Malaysia erklärt hatte und dessen Bevölkerung selbst nahezu ausschließlich aus Zuwander*innen bestand, beharrte darauf, Flüchtlinge nur in sehr kleiner Zahl und unter eng definierten Bedingungen aufzunehmen: Menschen, die auf Flüchtlingsbooten kamen oder von internationalen Schiffen auf See aufgenommen wurden, wurde die Landung in Singapur verweigert. Lediglich Personen, für die Drittstaaten eine Übernahmegarantie ausgesprochen hatten, konnten für 90 Tage in dem einzigen Flüchtlingslager der Stadt in der Hawkins Road unterkommen. Ihre Zahl durfte zu keinem Zeitpunkt 1.000 übersteigen. „You’ve got to grow calluses on your heart or you just bleed to dead“, kommentierte der ambitionierte Premierminister Lee Kuan Yew seine Position gegenüber der westlichen Presse und verwies darauf, dass jene Menschen in den demokratischen Industrienationen, die vor Kurzem noch gegen 30 Zur Geschichte der ASEAN vgl. Helga Haftendorn, Der Beitrag regionaler Ansätze zur internationalen Ordnung nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, in: Karl Kaiser / Hans-Peter Schwarz (Hg.), Weltpolitik im neuen Jahrhundert, Bonn 2000, S. 540–558. Zur Positionierung der ASEAN-Staaten in der Indochina-Flüchtlingskrise vgl. auch Robinson, Terms of Refuge, sowie als zeitgenössische Einschätzung Frank Frost, Vietnam, ASEAN and the Indochina Refugee Crisis, in: Southeast Asian Affairs (1980), S. 347–367. 31 Vgl. Robinson, Terms of Refuge, S. 50.

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die Unmenschlichkeit des Vietnamkrieges demonstrierten, nun ja ihre Humanität unter Beweis stellen könnten.32 In einem Brief an die britische Premierministerin Margaret Thatcher versuchte Lee das Regime in Hanoi im Vorfeld einer ASEAN-Tagung vor der Weltöffentlichkeit bloßzustellen und international zu isolieren, indem er darlegte, wie die Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam aktiv die Massenauswanderung forcierte: We must put them on the defensive. Their leaders are not mad, irrational men like Idi Amin. They have cold, calculating minds, which, whilst incapable of compassion to their own people, are nevertheless most acute in computing cost-benefits. Only the threat of becoming outcasts in the international community will force them to rethink and revise their present strategy.33

Zwei Wochen nach diesem Schreiben trafen sich Lee und Thatcher in der Downing Street und besprachen das Thema ein weiteres Mal. In dem Protokoll zu diesem Gespräch taucht erstmals ein Vorschlag auf, der Jahre später für Schlagzeilen in der englischsprachigen Presse sorgte. Demnach habe Lee vorgeschlagen, die Vereinten Nationen sollten eine oder mehrere Inseln von Malaysia, Indonesien oder den Philippinen erwerben und die Flüchtlinge dort ansiedeln. Da es sich bei den Flüchtlingen um fleißige und produktive Menschen handle, könnten diese in etwa 20 Jahren „ein zweites Singapur erschaffen“, so Lee.34 32 Lee Kuan Yew, zit. n. „Singapore, Already Crowded, Further Tightens Stringent Policy Restricting Refugees from Indochina“, in: The New York Times, 12.11.1978, S. 6. Als Transitland hatte Singapur zwischen 1975 und 1996 unter den genannten Maßgaben etwa 32.000 vietnamesische Migrant*innen temporär aufgenommen. Die letzten 99 kehrten 1996 in ihre Heimat zurück. Vgl. Janet Lim, The Role of ASEAN in the Resolution of the Indochinese Refugee Outlow in the 1970s and 1980s, in: Tommy Koh / Sharon Seah / Chang Li Lin (Hg.), 50 Years of ASEAN and Singapore, Singapore 2017, S. 43–48, und Yuen Sin, Former Vietnamese Refugee in Singapore on Quest to find Norwegian Rescuers from more than 30 years ago, in: The Strait Times, 3.9.2016, URL: https://www.straitstimes.com/singapore/former-vietnameserefugee-in-singapore-on-quest-to-find-and-thank-norwegian-rescuers-from [10.3.2019]. 33 Margaret Thatcher Foundation, Churchill Archive Centre THCR 3/1/1, Brief des singapurischen Premierministers Lee Kuan Yew an die britische Premierministerin Margaret Thatcher, 5.6.1979. 34 Margaret Thatcher Foundation, PREM 19/130 f225, Record of conversation No. 10: The Prime Minister’s Discussion with the Prime Minister of Singapore, Mr. Lee Kuan Yew, at 10 Downing Street on June 20, 1979. Nach Freigabe dieser vertraulichen Dokumente durch die Margaret Thatcher Foundation 2009 wurde dieser Vorschlag der britischen Premierministerin zugeschrieben und als Beleg für ihre ablehnende Haltung vietnamesischen Bootsflüchtlingen gegenüber angeführt. Das Protokoll schreibt den Vorschlag Lee zu, allerdings innerhalb einer nicht ganz konsistenten Argumentation. Spätere Presseberichte behaupten, Lee habe diesen (also seinen anscheinend eigenen) Vorschlag schließlich abgelehnt, da er eine wirtschaftlich florierende Insel in Konkurrenz zu Singapur befürchtete. Vgl. dazu Yuko Narushima, Thatcher wanted Fraser to buy Island for Refugees, in: The Sydney Morning Herald, 31.12.2009, URL: http://www.smh.com.au/national/thatcher-wanted-fraser-to-buyisland-for-refugees-20091230-ljy3.html [10.3.2019].

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Auch in Malaysia nahm die Zahl der Zurückweisungen zu. Nach den Erfahrungen mit der Hai Hong riefen die malaysischen Sicherheitsbehörden die „Task Force VII“ ins Leben, deren Aufgabe darin bestand, die Ankunft von vietnamesischen Booten auf malaysischem Territorium zu unterbinden oder, wo dies nicht möglich war, dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge kein Sicherheitsrisiko darstellten und zeitnah der Verantwortung des UNHCR übergeben wurden. 1978 registrierten die malaysischen Behörden 63.000 vietnamesische Flüchtlinge, von denen 4.959 zurückgewiesen wurden. Im Folgejahr war die Zahl der Zurückweisungen bereits auf 51.422 Menschen in 386 Booten gestiegen, was den wachsenden Unwillen Malaysias demonstrierte, die Landungen weiterer illegaler Flüchtlingsboote zu akzeptieren.35 Angesichts steigender Flüchtlingszahlen und Kapazitätsgrenzen in den Aufnahmelagern veröffentlichten die fünf Außenminister der ASEAN-Staaten zum Abschluss ihres Sondertreffens am 12. und 13. Januar 1979 eine gemeinsame Stellungnahme zu den „Flüchtlingen und Vertriebenen oder illegalen Einwanderern aus Indochina“, in der sie ihre „tiefe Besorgnis“ über den wachsenden Zustrom von Flüchtlingen zum Ausdruck brachten und an die Weltgemeinschaft appellierten, die schwere Last anzuerkennen, die die ASEAN-Staaten zu stemmen hatten. Ein halbes Jahr später wurde der Ton noch einmal verschärft: Nun erklärten die ASEAN-Außenminister, dass die Grenzen ihrer Belastbarkeit erreicht seien und sie fortan keine weiteren Neuankömmlinge mehr akzeptieren würden: The Foreign Ministers stressed that ASEAN countries which had become a heavy burden of providing temporary shelter to the illegal immigrants / displaced persons (refugees) have reached the limit of their endurance and have decided they would not accept any new arrivals. They reiterated the decision of ASEAN countries to take firm and effective measures to prevent further inflow of illegal immigrants / displaced persons (refugees). The Foreign Ministers gave notice that the ASEAN countries would send out the illegal immigrants / displaced persons (refugees) in their existing camps should they not be accepted by resettlement countries, or by the respective Indochinese countries within a reasonable time-frame, and in the absence of any arrangements to the contrary […].36

35 Vgl. Robinson, Terms of Refuge, S. 42 f. 36 Joint Communique of the Twelfth ASEAN Ministerial Meeting Bali, June 28–30, 1979, Art. 24, URL: https://asean.org/?static_post=joint-communique-of-the-twelfth-asean-ministerialmeeting-bali-28-30-june-1979 [10.3.2019].

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4. Globale Steuerungsversuche 4.1 Die erste Indochina-Flüchtlingskonferenz 1979 und das multilaterale Programm zur geordneten Ausreise (Orderly Departure Programme) In Anbetracht der Warnung der ASEAN-Minister und des diplomatischen Drucks durch westliche Regierungen lud UN-Generalsekretär Kurt Waldheim für den 20. und 21. Juli 1979 zur ersten Indochina-Flüchtlingskonferenz in Genf ein. Um möglichst viele der involvierten Interessenparteien an einen Tisch zu bekommen, stellten die Vereinten Nationen das humanitäre Anliegen der Konferenz in den Mittelpunkt. Vertreter*innen von 65 Staaten nahmen teil, darunter Vietnam, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion. Der US-amerikanische Vizepräsident Walter F. Mondale hielt eine Rede, in der er die Situation der Flüchtlinge aus Vietnam mit derjenigen der Juden im Zweiten Weltkrieg verglich und Vorschläge unterbreitete, wie die Herausforderung der Flüchtlingskrise auf internationaler Ebene angegangen werden könnte. Zunächst mahnte Mondale die Regierung in Vietnam, die Vertreibung von Menschen zu unterbinden. Neue Transitlager in der Region sollten den Geflohenen bessere Lebensbedingungen bieten. Zudem forderte er, die Aufnahme von Flüchtlingen aus den Camps in Drittstaaten zu beschleunigen und einen geordneten Nachzug von Familienangehörigen in die Asylländer zu ermöglichen. „The policy of expulsion“, so Mondale, „which has led to so many tragic deaths must end. It must be replaced by a policy which enables those who wish to leave their homes to do so – in safety, and by choice and in an orderly manner.“37 Das später als „Programm zur geordneten Ausreise“ (Orderly Departure Programme, kurz: ODP) bezeichnete multilaterale Maßnahmenbündel sollte Instrumente etablieren, die es den Menschen in Vietnam ermöglichten, auf sicherem Wege das Land zu verlassen und sich in einem Asylland niederzulassen. Die Konferenz brachte drei zentrale Ergebnisse hervor: Erstens sagten verschiedene westliche Staaten zu, Kontingente vietnamesischer Flüchtlinge aufzunehmen, die ASEAN-Staaten und den UNCHR finanziell zu unterstützen und die Übernahme der Flüchtlinge aus den Transitlagern zu beschleunigen. Zu den Ländern, die im Vorfeld der Konferenz konkrete Aufnahmezusagen geleistet hatten, zählten die USA (147.000 Personen), Frankreich (14.600), Kanada (11.000), Australien (10.500), das Vereinigte Königreich (3.300) und die Bundesrepublik Deutschland (2.930). Auch kleinere Länder boten ihre Unterstützung an wie Belgien (690), Dänemark (800), Israel (302) oder Surinam (750). Im 37 Speech by Vice President Walter F. Mondale to the U. N. Conference on Indochinese Refugees at the Palais des Nations, in: Office of the Vice President’s Press Secretary, Washington D. C. 1979, S. 3, URL: http://www2.mnhs.org/library/findaids/00697/pdf/UNSpeech19790721.pdf [10.3.2019].

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Anschluss an die Konferenz wurden die Aufnahmezusagen noch einmal erhöht und lagen weltweit bei jeweils 260.000 Menschen für 1979 und 1980.38 Zweitens erklärten sich die ASEAN-Staaten bereit, den Flüchtlingen weiterhin temporäres Asyl zu gewähren und Transitlager auf ihrem Hoheitsgebiet zu unterhalten, in denen die Flüchtlinge so lange leben sollten, bis ihnen ein Drittland Asyl gewährte. Die Philippinen stellten dem UNHCR im Anschluss an die Konferenz Land für das „Philippine Refugee Processing Centre“ in Bataan zur Verfügung, in dem ab 1980 340.000 Flüchtlinge registriert wurden, bevor sie von Drittstaaten übernommen wurden. Indonesien ließ auf der Insel Galang ein Durchgangszentrum errichten, welches vorübergehend insgesamt 50.000 Flüchtlinge aufnahm.39 Drittens versicherte die vietnamesische Regierung, Wege zur offiziellen Ausreise und zur Zusammenführung von Familien zu eröffnen, um die ungeregelte und riskante Flucht über das Meer zu unterbinden. Dazu hatten das UN-Flüchtlingshilfswerk und die Regierung in Hanoi bereits im Vorfeld der Konferenz ein „Memorandum of Understanding“ unterzeichnet, in welchem sie sich auf Modalitäten solch geordneter Ausreiseoptionen verständigten. Das ODP wurde später dahingehend kritisiert, dass es Hanoi eine Möglichkeit bot, unliebsame Teile der Bevölkerung abzuschieben, insbesondere Personen chinesischer Abstammung. So befanden sich auf den ersten Listen Ausreisewilliger, die Hanoi an den UNHCR bzw. die International Organization for Migration (IOM) übergab, nahezu ausschließlich Vietnames*innen chinesischer Herkunft. Für Ausreisewillige nicht-chinesischer Herkunft blieb die gefährliche Flucht auf dem Seeweg daher nach wie vor eine Option.40 Auch die Position der involvierten ASEAN-Staaten wurde retrospektiv kriti­siert: Davies zufolge hatte die Konferenz von 1979 keine grundlegenden Auswirkungen auf die Praxis der südostasiatischen Staaten hinsichtlich ihres Umgangs mit Flüchtlingen: Southeast Asian states continued to insist that the Indochinese refugee problem was as much an international problem as it was a regional one. These states continued to manipulate the crisis by threatening to refuse entry to the Indochinese unless resettlement places and assistance continued to be provided. At the same time, the UNHCR’s efforts to introduce a regional refugee protection regime met with ongoing opposition from Southeast Asian states.41

Zwar traten nur die Philippinen 1981 der Genfer Konvention bei, allerdings übersieht die Kritik, dass die Praxis, Flüchtlingsboote abzuweisen, zurückging, und eine hohe Anzahl von Flüchtlingen in den südostasiatischen Transitlagern versorgt wurden. Sogar Singapur, das als ambitionierter Stadtstaat der Aufnahme 38 39 40 41

Vgl. Robinson, Terms of Refuge, S. 53. Vgl. ebd., S. 55. Vgl. Casella, Managing the „Boat People“ Crisis, S. 3. Sara Ellen Davies, Legitimising Rejection: International Refugee Law in Southeast Asia, Leiden 2008, S. 150.

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von Flüchtlingen besonders kritisch gegenüberstand, eröffnete in Sembawang ein komfortables Transitlager. Für Casella, einem langjährigen Vertreter des UNHCR in Hanoi und Bangkok, waren die Ergebnisse der ersten Indochina-Flüchtlingskonferenz folglich temporär hilfreich: In Zeiten, in denen die westlichen Staaten keine diplomatischen Beziehungen zu Hanoi pflegten, wurde mit dem ODP ein Kompromiss ausgehandelt, den sowohl die vietnamesische Regierung als auch die westlichen Staaten akzeptieren konnten und der half, die humanitäre Krise in der Region abzumildern.42 4.2 Die zweite Genfer Flüchtlingskonferenz und der „Umfassende Handlungsplan“ für Flüchtlinge aus Indochina (Comprehensive Plan of Action–CPA), 1989–1996 In der ersten Hälfte der 1980er Jahre zeigten die Maßnahmen, die in Folge der ersten Indochina-Flüchtlingskonferenz eingeleitet worden waren, erste Erfolge. Zwar hielt die klandestine Ausreise auf dem Seeweg an, aber die Gesamtzahl der Ankommenden in der Region ging zurück. Die Drittländer hielten ihre Aufnahmezusagen ein, viele Regierungen – wie z. B. die der Vereinigten Staaten, Australiens oder der Bundesrepublik  – erhöhten die jeweiligen Kontingente sogar. Gleichwohl waren im weiteren Verlauf der 1980er Jahre die meisten Aufnahmeplätze in den westlichen Staaten besetzt oder für enge Familienangehörige reserviert. Generell, so konstatierte der UNHCR, war das Interesse an den vietnamesischen Bootsflüchtlingen erlahmt und man begegnete den Migrationsmotiven vieler Vietnames*innen zunehmend skeptisch, was sich in sinkenden Anerkennungsquoten und einer steigenden Zahl von Vietnames*innen, die für Jahre in den Transitlagern lebten, niederschlug.43 Dem Problem der Piraterie begegnete man mit einem entsprechenden Programm, an dem sich ab 1982 zwölf Länder beteiligten. Dies schloss auch Landeinsätze ein, bei denen Fischerboote registriert, Besatzungen fotografiert und die Öffentlichkeit über Strafen und Maßnahmen gegen Piraterie aufgeklärt wurden.44 Allerdings nahm ab 1987 die Zahl der ankommenden Vietnames*innen in den Nachbarländern noch einmal zu. Grund hierfür waren wohl auch gesetzliche Lockerungen der Reisebeschränkungen innerhalb Vietnams, die für einige Aus42 Casella, Managing the „Boat People“ Crisis, S. 2. 43 Vgl. Sutter, The Indochinese Refugee Dilemma, S. 176–186, und UNHCR, Zur Lage der Flüchtlinge, S. 100. 44 Vgl. Robert C. McCabe, The Development of Modern Counter-piracy Initiatives in South-­ East Asia: Vietnamese Boat Refugees and Alternative Incidents, 1979–1997, in: International Journal of Naval History 12 (2015), URL: http://www.ijnhonline.org/2015/01/15/ the-development-of-modern-counter-piracy-initiatives-in-southeast-asia-vietnamese-boatrefugees-and-alternative-incidents-1979-1997/ [10.3.2019]; Vitit Muntarbhorn, AsylumSeekers at Sea and Piracy in the Gulf of Thailand, in: Revue Belge de Droit International 16 (1981/1982), S. 482–508, und Robinson, Terms of Refuge, S. 166–171.

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reisewillige die Aussicht erhöhten, sich ins westliche Ausland absetzen zu können. Neue Migrationsrouten führten Menschen aus Südvietnam erneut nach Thailand; deutlich nahm auch die Migration von Nordvietnames*innen zu, die vor allem nach Hongkong gelangten. 1988 trafen 18.000 Vietnames*innen in Hongkong ein, die höchste Zahl seit der Krise 1979. Mancherorts, etwa in Hongkong, ging man deshalb dazu über, geschlossene Lager einzuführen, in denen die Vietnames*innen interniert wurden, bis ihr Flüchtlingsstatus geklärt werden konnte. Die Aussichten auf Asyl in einem westlichen Drittstaat gingen stark zurück.45 Angesichts dessen wurde am 13. und 14. Juni 1989 eine zweite Flüchtlingskonferenz in Genf anberaumt. Die von den 75 teilnehmenden Ländern erzielte Einigung wurde später als „Umfassender Aktionsplan für Indochinaflüchtlinge“ (Comprehensive Plan of Action, kurz: CPA) bezeichnet. Der CPA gilt als erfolgreiches, wenn auch nicht unumstrittenes, multilaterales Übereinkommen für eine internationale Lösung und die Beendigung der Flüchtlingskrise in Südostasien. Während seiner siebenjährigen Laufzeit bot der CPA rund 112.000 Asylsuchenden aus Vietnam und Laos zeitweisen Schutz, reduzierte die Zahl der klandestinen Ausreisen auf dem Seeweg, erweiterte die Möglichkeiten der legalen Ausreise und etablierte Verfahren und Kriterien, um den Flüchtlingsstatus von Asylsuchenden zu bestimmen. Im Rahmen des CPA wurde die Anerkennung und anschließende Ansiedlung von über 74.000 vietnamesischen Flüchtlingen unterstützt; zugleich erfolgte die Repatriierung und Reintegration von 88.000 Vietnames*innen, die nicht den internationalen Flüchtlingskriterien entsprachen. Der CPA gilt heute als eines der „most significant examples of successful UNHCR-led international cooperation in the recent history of the refugee regime“.46 Er führte Verfahren ein, die später im Flüchtlingsschutz zur gängigen Praxis wurden: Erstens sollte bei allen neu eintreffenden „Boat People“ individuell anhand einheitlicher Kriterien und Prozeduren der Flüchtlingsstatus durch geschultes und vom UNHCR begleitetes Personal bestimmt werden; ein entsprechendes Handbuch von 1979, das später wiederholt neu aufgelegt und überarbeitet wurde, diente zur Dokumentierung des Procederes. Zweitens hatten alle Personen, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde, ein Anrecht darauf, sich in einem der westlichen Länder mit Flüchtlingskontingenten niederzulassen. Drittens sollten alle Personen, denen der Flüchtlingsstatus versagt wurde, nach Vietnam zurückkehren. Dazu heißt es in Absatz 12 des CPA unmissverständlich: Persons determined not to be refugees should return to their country of origin in accordance with international practices reflecting the responsibilities of states towards their own citizens. In the first instance, every effort will be made to encourage the voluntary return of such persons.47 45 Vgl. UNHCR, Zur Lage der Flüchtlinge, S. 100–102. 46 Betts, Comprehensive Plans of Action, S. 5. 47 United Nations / Office of the United Nations High Commissioner for Refugees, International Conference on Indo-Chinese Refugees: Report of the Secretary General (A/44/523), New York 1989, S. 15.

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Die Rückkehr sollte freiwillig geschehen, aber auch Zwangsmaßnahmen wurden nicht ausgeschlossen. Dazu hatten UNHCR und die vietnamesische Regierung ein „Memorandum of Understanding“ unterzeichnet, in dem Hanoi zusicherte, den Heimkehrern Straffreiheit zu gewähren; das Flüchtlingswerk seinerseits begleitete die Heimkehrer und unterstützte sie bei der Reintegration. Im Rahmen des CPAs kehrten mehr als 80.000 Bootsflüchtlinge nach Vietnam zurück. Von 1993 bis 1995 investierte der UNHCR 34,4 Millionen Dollar in die wirtschaftliche und soziale Reintegration. Zusätzlich unterstützte die Europäische Union das Programm mit 135 Millionen Dollar. Davon wurden 50 Millionen in Form von kleinen Darlehen vergeben, um die Selbstständigkeit der Rückkehrer*innen zu fördern.48 Zudem wurden Berufsbildungsmaßnahmen angeboten und Personen mit hoher Vulnerabilität (körperlich oder geistig Behinderte, alleinerziehende Frauen, Opfer von Gewalt sowie unbegleitete Minderjährige) von geschultem Fachpersonal betreut.49 Viertens wurde die geordnete Ausreise zum Zwecke der Familienzusammenführung in Kooperation mit den US-amerikanischen und den vietnamesischen Behörden fortgeführt, später übernahm dann die International Organization of Migration (IOM) die Steuerung der Ausreisemodalitäten. Zudem wurde fünftens und erstmals in der Geschichte des internationalen Flüchtlingsregimes eine Aufklärungskampagne gestartet, in welcher den Menschen in Vietnam die Gefahren der Flucht und die veränderten Bedingungen der Aufnahme in westliche Staaten erklärt wurden. Vor allem der Umstand, dass der UNHCR kriteriengeleitete, individuelle Screen­ ings durch geschultes Personal einführte, um den Flüchtlingsstatus zu bestimmen, und Menschen in ihre Heimat zurückführte, wenn diese nicht den Flüchtlings­ kriterien entsprachen, war ein Novum. Allerdings hat die Forschung gezeigt, dass die Flüchtlinge, die zuerst gescreent wurden, im Nachteil waren, da sie noch nicht die Kriterien kannten, anhand derer man den Flüchtlingsstatus zugesprochen bekam. Nachdem Anwälte und Flüchtlinge immer bessere Kenntnisse davon gewonnen hatten, wurden Lebensgeschichten und Fluchtgründe entsprechend adaptiert, um den Flüchtlingsstatus und die Aussicht auf Weiterwanderung in ein westliches Land nicht zu gefährden.50 Auf Kritik stießen die Rückführungs- und Reintegrationsmaßnahmen bei Menschenrechtsorganisationen, Migrationslobbyisten und Teilen der vietnamesischen Diaspora.51 Die Angemessenheit dieser Kritik ist jedoch skeptisch zu betrachten. Für Casella basiert sie in erster Linie auf unbelegten Behauptungen über Repressionen, denen Rückkehrer*innen ausgesetzt gewesen seien, oder auf Aussagen von engagierten Flüchtlingshelfer*innen, die enge persönliche Bindungen 48 Vgl. Robinson, The Comprehensive Plan of Action for Indochinese Refugees, S. 330 f. 49 Vgl. Brett Ballard, Reintegration Programmes for Refugees in South-East Asia: Lesson’s Learned from UNHCR’s Experience, Geneva 2002. 50 Vgl. Yuk Wah Chan, Revisiting the Vietnamese Refugee Era: an Asian Perspective from Hong Kong, in: Ders. (Hg.), The Chinese / Vietnamese Diaspora. Revisiting the Boat People, London 2011. 51 Vgl. Casella, Managing the „Boat People“ Crisis, S. 6.

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zu Menschen in den Transitlagern aufgebaut hatten.52 Positiv zu vermerken ist, dass die neue Praxis des Flüchtlingsregimes dazu beitrug, mit dem Ende des Kalten Krieges den Migrationsdruck in Südostasien und in den westlichen Aufnahmeländern deutlich zu verringern und die vietnamesische Flüchtlingskrise sukzessive zu einem Abschluss zu führen. An deren Ende hatten der UNHCR sowie viele der beteiligten staatlichen Akteure ihre Positionen überdacht. Stand zu Beginn der Krise mit dem ODP noch die geordnete Ausreise aus Vietnam und die Weiterwanderung in Aufnahmeländer im Fokus, um die Gefährdung von Menschenleben durch die klandestinen Ausreisen auf dem Seeweg zu minimieren, transformierte sich dieser Ansatz im Kontext des „Comprehensive Plan of Action“ zu einem Steuerungsmechanismus, der es den Menschen ermöglichen wollte, sicher in ihrer Heimat zu leben, keine weiteren Migrationsanreize zu liefern und so den Migrationsdruck in der Region abzumildern. Das letzte Flüchtlingslager, das Pillar Point Camp in den New Territories von Hongkong, wurde am 31. Mai 2000 geschlossen.

5. Fazit Mit einer Zeitspanne von 25 Jahren umfasste die vietnamesische Flüchtlingskrise einen ungewöhnlich langen Zeitraum. Die anfänglichen, teilweise existenziellen Gründe, die Menschen aus Vietnam dazu führten, die riskante Flucht auf sich zu nehmen, verloren sukzessive an Bedeutung; sekundäre Motive, wie die Familienzusammenführung oder der Wunsch, im Westen zu leben, traten in den Vordergrund. Mit der vorsichtigen, primär wirtschaftlichen Liberalisierung Vietnams infolge von đổi mới (Politik der Erneuerung) wandelten sich auch die Migrationsmotive der Ausreisewilligen sowie die sozialen Hintergründe der Menschen, die in den westlichen Aufnahmegesellschaften ankamen. Ob es sich bei den Menschen, die in den späten 1980er und in den 1990er Jahren Vietnam verließen und in den Lagern in Hongkong oder den Philippinen strandeten, noch immer um politische Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention handelte, ist mehr als fraglich. Die Zuschreibung des Flüchtlingsstatus erfolgte in diesen Fällen auf Basis ihrer humanitären Not und der Risiken, die sie auf sich nahmen. Das ODP war in Zeiten des Kalten Krieges eine Besonderheit, befanden sich die USA und Vietnam doch noch wenige Jahre zuvor im Krieg und hatten seit Kriegsende keine diplomatischen Beziehungen gepflegt. Hier konnte durch die Vermittlung des UNHCR ein Übereinkommen ausgehandelt werden, das zu einer ersten, wenn auch nur zeitweisen Entschärfung und Steuerung der Flüchtlingssituation in Südostasien führte. Das ODP wurde ins Leben gerufen, um die riskante und humanitär problema­ tische Flucht auf dem Seeweg zu unterbinden und eine geordnete Ausreise und 52 Vgl. ebd.

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Einwanderung in westliche Staaten zu ermöglichen. Doch statt mittelfristig das Problem der irregulären maritimen Migration zu lösen, wurde es selbst Teil des Problems: Da es die legalen Möglichkeiten für bestimmte Ausreisewillige begrenzte, erweckte es in Vietnam den Eindruck, man müsse nur in eines der Nachbarländer gelangen, um dann früher oder später die Weiterreise und Ansiedlung in einem westlichen Asylland finanziert zu bekommen. Hier wurde das Übernahmeversprechen der westlichen Staaten selbst zu einem Anreiz, das Land zu verlassen und erneut auf die gefährliche Bootsflucht zurückzugreifen. Dass westliche Rettungsschiffe zugleich vor der vietnamesischen Küste operierten und damit scheinbar das Risiko der Flucht senkten, wird sich auf die Ausreisewilligen ermutigend ausgewirkt haben. Die Folge: Ein erneuter Anstieg der Flüchtlingszahlen und zehntausende Vietnames*innen, die in zunehmend geschlossenen Flüchtlingslagern über Jahre festsaßen, ohne eine realistische Aussicht auf Weiterreise in ein asylgewährendes Drittland zu haben. In dieser Situation war der CPA innovativ: Erstmalig wurde die Rückführung von Flüchtlingen nicht nur zu einer denkbaren, sondern auch praktizierten Option, die der UNHCR dauerhaft in seine Verfahrensweisen im Umgang mit internationalen Flüchtlingskrisen aufnahm. Dem lag die Einsicht zugrunde, dass Menschen nicht nur ein Recht auf Asyl, sondern auch Anspruch darauf haben, ohne Furcht vor Repressalien in ihrer Heimat leben zu können. Hier erwies sich Vietnam als verlässlicher Partner, denn spätestens mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende des Kalten Krieges wurde nun eine Annäherung an die ASEAN-Staaten sowie an die westliche Welt attraktiv.53 Das Beispiel der vietnamesischen „Boat People“ zeigt, dass Flucht- und Migrationsbewegungen hinsichtlich der Kontexte, die Menschen zur Wanderung bewegen, immer komplex und multikausal sind. Dies trifft insbesondere auf Migrationsbewegungen zu, die sich über längere Zeiträume erstrecken: Gesellschaftliche Bedingungen und persönliche Motive, die eine Fluchtbewegung anstoßen, wandeln sich im Laufe der Jahre. Umgekehrt werden diejenigen der zunächst zurückgebliebenen Menschen durch etablierte Migrationsprozesse ihrerseits transformiert. Dies macht auch die Unterscheidung zwischen Flucht und Migration in der Praxis schwierig, denn bei beiden geht es im weitesten Sinne um Lebenschancen. Hinzu kommen die politischen, sozioökonomischen und demografischen Interessen der Transit- und Zielländer, die die Steuerung von Migration auf nationaler, regionaler und globaler Ebene mit beeinflussen. Perspektivisch steht damit eine Revision der Genfer Konvention mit ihrer Fokussierung auf den politischen Flüchtling auf der internationalen Tagesordnung.

53 Vietnam trat der ASEAN 1995 bei.

VII. Migration, Flucht und politische Steuerung seit dem Ende des Kalten Krieges

Kelly M. Greenhill

Coercive Engineered Migration as  a Political Weapon: The Case of NATO and the Kosovo Conflict In November 2016 President Recep Tayyip Erdoğan of Turkey threatened to flood Europe with migrants and refugees if the European Union (EU) failed to hold up its end of the widely-criticized EU-Turkey migration deal concluded in March of that year. Soon afterwards a number of observers began publicly asserting that a new trend of using migrants and refugees as instruments of political leverage was now in play.1 However, the strategy of using displaced people as political weapons is not remotely new, but rather has a long and sordid history. Indeed, since 1954 alone (the year when the Refugee Convention came into force), there have been at least 75 coercive gambits of this kind, and possibly many more. In nearly three-quarters of the thus far documented cases, those who employed this unconventional policy instrument were at least partially successful in achieving their stated policy objectives, which is to say, they won political, military and / or economic concessions from the target state or states.2 One noteworthy exception was the case of the Kosovo conflict in the late 1990s. This article re-examines this historically important and instructive case.3 On March 24, 1999, the then fifty-year old defensive alliance, the North Atlantic Treaty Organization (NATO), commenced its first military campaign: an offensive air war over the tiny Yugoslav province of Kosovo. The mission’s stated objectives were three-fold: first, “to demonstrate the seriousness of NATO’s purpose so that the Serbian leaders [would] understand the imperative of reversing

1 See, for instance, Safak Timur / Rod Nordland, Erdoğan Threatens to Let Migrant Flood into Europe Resume, in: The New York Times, November 25, 2016, and Caitlin Vito, Pakistan’s Afghan Refugees are Pawns in a Political Conflict, in: IISS Voices, January 18, 2017. For a direct assertion of the precedential power of conceding to these sorts of threats that was issued soon after the conclusion of the March 2016 deal, see Ben Rawlence, Refugees Shouldn’t be Bargaining Chips, in: The New York Times, May 17, 2016. 2 See the Appendix in Kelly M. Greenhill, Asymmetric Advantage — Weaponizing People as Non-Military Instruments of Cross-Domain Coercion, in: Erik Gartzke / Jon Lindsay (eds.), Cross-Domain Deterrence: Strategy in an Era of Complexity, Oxford in press. 3 This article is adapted in part from: Now the Refugees Are the War: NATO and the Kosovo Conflict, in: Kelly M. Greenhill, Weapons of Mass Migration: Forced Displacement, Coercion and Foreign Policy, Ithaca, NY 2010. Used by permission of the publishers, Cornell University Press.

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course”; second, “to deter an even bloodier offensive against innocent civilians in Kosovo”; and third, “if necessary, to seriously damage the Serbian military’s capacity to harm the people of Kosovo”.4 It was an operation that failed to accomplish a single one of these goals — at least at the outset. Tragically and ironically, it instead actually stimulated the largest strategically engineered population movement to take place in Europe since the Second World War. In less than two months, more than 800,000 Kosovars fled or were driven from their homes. This article tackles the question of why the then Yugoslav president, Slobodan Milošević, chose to engineer a mass migration crisis in the spring of 1999, and what he hoped to gain by doing so. It also tackles the underlying questions of why Milošević was undeterred by NATO’s threat of mounting a bombing campaign and why NATO felt compelled to launch it. To summarize the argument that follows: the most widely promulgated history of the conflict suggests that Milošević’s cleansing campaign — purportedly dubbed “Operation Horseshoe” by the Serbs — was  a premeditated plan designed to empty the province of its Albanian majority and re-establish Serb dominance, irrespective of NATO actions.5 The available evidence does not support this interpretation of events, however. Indeed, it has since come to light that claims about the existence of plans for Operation Horseshoe were “faked from a vague intelligence report in order to deflect growing criticism in Germany of the [NATO] bombing”.6 Evidence instead suggests that the primary objective of the Yugoslav military campaign was not a cleansing of the province, but rather the destruction of the separatist Kosovo Liberation Army (KLA). Moreover — t hough the evidence is not wholly conclusive on this — it seems that Milošević’s preferred strategy for achieving this aim was a two-pronged coercive effort designed to crush the KLA and simultaneously deter NATO from interfering with this endeavour. Thus, while NATO was actively seeking first to deter Milošević, and then to compel him to cease his offensive through the threat and use of air strikes, Milošević was engaged in his own intensive game of counter-coercion against NATO and its allies. However, for Milošević, refugees, rather than bombs, were the political and military weapons of choice. Once NATO bombing commenced — and it was thus clear that deterrence had failed — Milošević too switched to compellence, orchestrating staged, strategic expulsions of Kosovar Albanians to try to change

4 US President Bill Clinton, in: Allen Little, Moral Combat: NATO at War, broadcast on March 12, 2000, URL: http://news.bbc.co.uk/hi/english/static/events/panorama/transcripts/trans​ cript_12_03_00.txt [December 30, 2017]. 5 See, for example, Statement of General Klaus Naumann, Chairman of NATO’s Military Committee, to the US Senate, in: Lessons Learned from the Military Operations Conducted as Part of Operation Allied Force, 2; cited in: Ivo Daalder / Michael O’Hanlon, Winning Ugly: NATO’s War to Save Kosovo, Washington D. C. 2000, p. 292, fn. 137. 6 John Goetz / Tom Walker, Serbian Ethnic Cleansing Scare Was a Fake, Says General, in: Sunday Times, April 2, 2000.

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the decision-making calculations of NATO, and, more particularly, that of some of its frontline member states.7 The findings presented in this article, adapted from my book Weapons of Mass Migration: Forced Displacement, Coercion and Foreign Policy, are based on research drawn from both primary and secondary sources, including government documents and transcripts, international organizational reports and other sour­ ces.8 I also drew heavily on interviews conducted by Alan Little, in conjunction with the British Broadcasting Company (BBC 2) documentary, “Moral Combat: NATO at War”.9 In addition, I conducted interviews of my own in the aftermath of the conflict with European government officials, aid agency representatives and officials, international military observers, and Kosovar refugees in Western Europe and in the Balkans. Between April 2000 and May 2004, I conducted further interviews with former officials of the Clinton administration, US Department of Defense analysts and planners, US and French military officers, and former Albanian government officials. The article proceeds in four parts. First, as stage-setting, I provide  a brief narrative of events leading up to the conflict. Second, I present evidence that Milošević initially attempted to deter NATO from attacking by actively exploiting refugee-related anxieties within NATO frontline states. He gambled that such fears would help undermine NATO cohesion and sow hostility and discord within neighbouring countries supporting the war effort. I also discuss how these efforts were received within key and frontline members of the NATO alliance. Third, I explore how and why Milošević’s gambit was ultimately largely a failure, focusing in particular on the roles played by NATO, by the international media, and by the Kosovo Liberation Army (KLA).10 I conclude with a short summary of the key points of the case.

7 For a discussion of the timing and patterns of outflows, see Kelly M. Greenhill, Weapons of Mass Migration, pp. 153–157. 8 Particularly, Organization for Security and Cooperation in Europe (ed.), Kosovo / Kosova: As Seen, As Told. An Analysis of the Human Rights Findings of the OSCE Kosovo Verification Mission October 1998 to June 1999, URL: http://www.osce.org/odihr/17772?download=true [December 30, 2017]; a variety of scholarly sources and a wide array of US, Eastern and Western European, and especially Yugoslav newspaper and magazine articles, in particular the state-run TANJUG News Service (henceforth: TANJUG). 9 Allen Little, Moral Combat: NATO at War, broadcast on 12 March 2000, transcript available at URL: http://news.bbc.co.uk/hi/english/static/events/panorama/transcripts/transcript _12_03_00.txt [December 30, 2017]. 10 Space constraints necessitate abridgement of the argument and evidence associated with this case. Please see Greenhill, Weapons of Mass Migration, Chapter 3 for further details and evidence.

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1. Historical Background The proximate cause of the 1999 Kosovo conflict was the rise of the KLA in the mid-1990s. Non-violent activism by Ibrahim Rugova and his Democratic League of Kosovo (LDK) was aimed at improving the plight of Albanian Kosovars, but the results were trifling. Frustrated by lack of progress, the previously nascent KLA began actively targeting ethnic Serb officials and police, prominent Serb civilians and Kosovar Albanians they perceived to be Yugoslav loyalists. Albania’s economic and political collapse in 1997, in the wake of the notorious failed pyramid investment scheme, further catalysed KLA development, and, in the ensuing chaos, large quantities of Albanian weaponry found their way over the border. As the KLA became better armed and equipped, the number and efficacy of its attacks increased. In response, Serb security forces cracked down on suspected KLA members and, as the spiral of attacks and reprisals swelled, the situation within the province grew increasingly violent. Then, on January 4, 1998, the KLA proclaimed itself “the armed forces of the Kosovar Albanians” and announced that “the armed struggle for the independence of Kosovo and its unification had begun.”11 By late winter, the KLA reportedly controlled about half of the province. In an attempt to crush the expanding insurgency, Federal Republic of Yugoslavia (FRY) forces launched a massive and brutal counter-offensive, which by March 1998 had achieved considerable success. The cost for the Kosovar Albanians was high; many villages were razed, and civilian casualties mounted. In response, the EU and the United States publicly condemned the Serb offensive and stepped in to mediate. But Western diplomatic efforts made little progress. As the mediators were unwilling or unable to augment their diplomatic efforts with credible threats of military action, they failed to persuade the Serbs that they were serious about Kosovar Albanian protection. Shortly afterwards the Serbs renewed their offens­ ive, and by September 1998, the KLA was largely — a lbeit temporarily — neutralized as a military force.12 The renewed Serb offensive generated several hundred thousand additional refugees and internally displaced persons (IDPs), many of whom fled to Western Europe seeking asylum. Alarmed by this turn of events, NATO intervened diplomatically in an attempt to curb Serb attacks in Kosovo. This time, it threatened air strikes. After a series of meetings that October, the US Balkan envoy, Richard Holbrooke, and President Milošević came to terms, thus averting the proposed air 11 Quoted in William Hayden, The Kosovo Conflict and Forced Migration: The Strategic Use of Displacement and the Obstacles to International Protection, in: Journal of Humanitarian Assistance, February 14, 1998, URL: https://sites.tufts.edu/jha/archives/133 [June 4, 2018]. See also RFE / RL Newsline, vol. 1, no. 188, part II, January 5, 1998. 12 See, for example, Human Rights Watch, Under Orders: War Crimes in Kosovo, New York 2001, pp. 54–56, and Independent International Commission on Kosovo, Kosovo Report: Conflict, International Response, Lessons Learned, Oxford 2002, pp. 71–75.

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strikes and permitting the vast majority of those displaced during the offensive to return to their homes. In exchange, the Serbs agreed to a ceasefire and were enjoined to reduce their forces in Kosovo to pre-March 1998 levels.13 They also agreed to the presence of ceasefire monitors from the Organization for Security and Cooperation in Europe (OSCE). For his part, Holbrooke promised that NATO would secure KLA compliance with the ceasefire, even though the KLA was not party to the agreement — a blunder that probably crippled the agreement from the outset.14 The partial withdrawal of Serb forces was met not by compliance, but by immediate KLA advances and  a concomitant rise in terrorist attacks, which were well-documented by the OSCE and Kosovo Diplomatic Observer Mission (KDOM) monitors on the ground.15 As KLA General Agim Çeko put it: “The cease-fire was very useful for us, it helped us to get organized, to consolidate and grow.”16 By early 1999, large areas of Kosovo were again occupied by KLA forces. The Serbs witnessed a return to the situation they faced prior to their 1998 offensives, and now convinced that Western mediators were unable or unwilling to hold up their end of the Holbrooke-Milošević agreement, the Serbs responded brutally and effectively. FRY security forces seized the initiative starting in midDecember, attacking suspected KLA strongholds, including the village of Račak, where the apparent massacre of 45 civilians in mid-January 1999 re-galvanized efforts to mediate the conflict. Peace plans were offered up at Rambouillet and in Paris, but as many commentators (even within NATO) acknowledge, the terms were understandably unacceptable to the Serbs.17 It rapidly became clear that there was no longer  a peace for OSCE monitors to verify, and they withdrew. Shortly thereafter, the FRY’s renewed offensive began apace, NATO air strikes commenced, and ethnic cleansing began in earnest.18 13 According to General Naumann, Milošević “really did what we asked him to do. He withdrew within 48 hours some 6,000 police officers and the military back into the barracks.” Quoted in Little, Moral Combat. 14 As Major General John Drewienkiewicz put it when discussing the Serb reaction to KLA advances in late 1998/early 1999: “The Serbs said to us, well hang on, the deal was that we withdraw from these things, and you were going to police the agreement. So can you just get these Kosovo Liberation Army [sic] out of the trenches that we were in a month ago?” Quoted in Little, Moral Combat. 15 OSCE and KDOM monitors on the ground verify that the KLA undermined the ceasefire almost as soon as it was signed. See Organization for Security and Cooperation in Europe (ed.), Kosovo / Kosova, Part I, pp. 26–30, and Chapter V (The Municipalities), pp. 163–401. 16 Quoted in Little, Moral Combat. 17 See Tim Judah, Kosovo: War and Revenge, New Haven 2002, and Barry R. Posen, The War for Kosovo: Serbia’s Political-Military Strategy, in: International Security 24/4 (2000), pp. 39–84. 18 Ethnic cleansing is one manifestation of dispossessive engineered migration, a class of events, including both in- and out-migrations, in which the principal objective is the appropriation of the territory and / or property of another group or groups, and / or the elimination of this group or groups as a threat to the ethno-political or economic dominance of the perpetrators. Kelly M. Greenhill, Strategic Engineered Migration as a Weapon of War, in: Civil Wars 10 (2008), pp. 6–21.

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2. Signals Sent, but not Received? Why Milošević Thought He Could Succeed 2.1 Western Fears of Refugee Flows In his seminal work on coercion, Thomas Schelling argues that “the coercive use of the power to hurt is the very exploitation of enemy wants and fears.”19 For their part, leaders within the most powerful NATO members had decided that what Milošević probably “needed” was a little bombing before he could “justify acquiescence” and concede Kosovo without losing face.20 As the US Secretary of State, Madeleine Albright, put it on the first day of bombing: “I don’t see this is a long term operation. I think this is something that is achievable within a relatively short space of time.”21 But leaders in key NATO member states were ignoring the signals coming from Belgrade indicating that Milošević would not give up without a fight. In short, NATO miscalculated the true nature of its adversary’s “wants and fears” and underestimated the credibility of the counter-threats made.22 Confronted with an internal adversary (the KLA) that was no longer deterred —  and this due, in large part, to the rhetoric and actions of an external potential adversary (NATO) — Milošević was unwilling to accept NATO’s military provisions or to entertain granting Kosovar independence. Milošević indicated that he understood the consequences of failing to comply with NATO’s demands and that he was willing to absorb them.23 In evaluating what in retrospect may seem like a rather foolish decision, it is worth noting that Milošević had compelling reasons to believe that NATO’s campaign would be short-lived, and thus the costs borne not too grievous.24 As one unnamed British official put it: “they thought five cruise missiles would come floating down the road, and that was it.”25 US Air Force Lieutenant-General Mike Short, who directed the NATO air campaign, reported likewise: “I was being told, ‘Mike you’re only going to bomb

19 Thomas Schelling, Arms and Influence, New Haven 1966. 20 Quoted in Thomas Lippman, Albright Misjudged Milošević on Kosovo, in: Washington Post, April 7, 1999. 21 Kosovo: The Untold Story: How the War Was Won, in: The Observer, July 18, 1999. 22 Although, to be clear, there were some actors within these states who did hear them. 23 As Holbrooke himself recounts their last meeting on March 23, Milošević knew he would be bombed: “There was no question in his mind what we would do.” Quoted in Doyle McManus, Debate Turns to Fingerpointing on Kosovo Policy, in: Los Angeles Times, April 11, 1999. 24 Not only did Milošević have reasons to believe the Europeans would not tolerate a protracted campaign, he may also have had intelligence from French (and possibly Russian) sources that indicated that the target set would be narrow. See McManus, Fingerpointing, for a discussion of this possibility. 25 Kosovo: The Untold Story.

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for two or three nights, that’s all the Alliance can stand, that’s all Washington can stand.’”26 In stark contrast to NATO’s self-acknowledged “dysfunction of imagination”, Milošević understood exactly what the West feared most — large scale refugee flows and regional destabilization. He understood this because its key representatives had told him.27 When queried as to whether bombing might simply accelerate the rate of engineered migration in Kosovo, Richard Holbrooke had responded, “That is our greatest fear by far.”28 Moreover, Holbrooke’s statement was hardly the first inkling Milošević had of Western apprehension about outflows of people: Western fears about the consequences of an influx of Kosovar refugees had been appearing in the press since at least the start of the March 1998 offensive.29 As Milošević was no doubt aware, refugees had come to be most unwelcome sights in Western Europe, dating from the years when the numbers of asylum applicants began  a steep and prolonged ascent in the mid-1980s. In the years that followed, a more general fear and distrust of foreigners had been growing as well.30 It is likely that additional inflows from the Balkans were viewed as particularly unwelcome.31 As Marcello Foa, foreign editor of the Italian newspaper Il Giornale, put it to English-speaking broadcasters: “People are scared to see hundreds of thousands of people coming from Albania, where they are right now, into Italy. So in one way, Italy wants to fight against Milošević. In the other way, the other public opinion [sic] wants to have some guarantees that these people will not come all to our country.”32 The existence of this antipathy — particularly strong amongst Germans, Italians and Greeks — would not have been lost on Milošević; nor would its potential effects on the political fortunes of European leaders. Both sides were aware of the potential dangers of large-scale refugee flows, particularly since they had already 26 27 28 29

Quoted in Little, Moral Combat. Ibid.; Author interviews with German government officials in Sarajevo (July 1999). Bronwen Maddox et al., The 80 Days War, in: The Times, July 15, 1999. See, for example, Jane Perlez, US Official Asks Restraint by Albanians, in: New York Times, March 17, 1998. 30 See, for example, Jeanette Money, Fences and Neighbors: The Political Geography of Immigration Control, Ithaca 1999, and Mikael A. Alexseev, Immigration Phobia and the Security Dilemma: Russia, Europe and the United States, Cambridge 2006, Chapter 5. 31 See, for example, Jessika ter Wal, Racism and Cultural Diversity in the Mass Media: An Overview of Research and Examples of Good Practice in EU Member States, 1995–2000 (2002), URL: http://fra.europa.eu/en/publication/2002/racism-and-cultural-diversity-mass-media [March 10, 2019]. See also Christian Joppke, Why Liberal States Accept Unwanted Immigration, in: World Politics 50 (1998), pp. 266–293; Andrew Geddes, The Politics of Migration and Immigration in Europe, London 2003, and Walter G.  Stephan / Oscar Ybarra / Guy Bachman, Prejudice Toward Immigrants, in: Journal of Applied Social Psychology 11 (1999), pp. 2221–2237. 32 Quoted in Public Broadcasting Service, Views from Abroad, in [transcript from]: The News Hour with Jim Lehrer, April 8, 1999.

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begun to affect the political makeup of the continent, albeit in a limited way. The three aforementioned NATO countries in particular appear to have been targeted, because they would have been the likely recipients of significant numbers of refugees in the event of a mass exodus, and because of publicly reported domestic discomfort with, and discord over, the tack NATO was taking. Given their geographical propinquity, the Greeks were particularly alarmed at the prospect of NATO bombings.33 Having taken in 350,000 Bosnians during the previous Yugoslav war — more than all the other EU members combined — Germany also feared that it would bear the brunt of a full-scale crisis in Kosovo. Indeed, as the political scientist Brian Rathbun observed (quoting the former State Secretary of the German Foreign Office, Ludger Volmer): “Milošević had set his sights on Germany from the beginning as a potential weak link” in the alliance. For one thing, “Germany, by virtue of its geographic position, was likely to be more tangibly affected by the conflict.”34 For another, there was tremendous concern that a bombing campaign could split the coalition government then in power.35 Finally, Milošević appears to have calculated that Italy too might try to forestall a NATO bombing campaign. In the wake of the mass migration of Albanians across the Adriatic in 1997, following that country’s collapse, Italians were viewed as especially sensitive to an influx. Memories of that recent crisis — and the Italian public’s hostile response to it (the Albanian inflow was often referred to in the press as “an invasion”)36 — would have been sharpened by reflection on the weak support provided at the time by Italy’s allies.37 In short, a common belief among the leadership in all three of these front-line states was that military escalation in Kosovo would result in significant economic, social and political costs to them — including the possibility of an end to their tenures — and would offer few, if any benefits. Milošević was aware of the underlying disagreements within NATO about the right tack to pursue in Kosovo.38 He knew because these disagreements were regularly reported in the press during the lead-up to the conflict,39 and because the Yugoslavs had ‘friends’ within NATO who were sympathetic to the Serbs

33 See Paul Wood, Regional Tensions: Greece Fears the Balkans Could Ignite and Drag Her Into Conflicts of the Past, in: The Independent, February 21, 1999. 34 Brian Rathbun, Partisan Interventions: European Party Politics and Peace Enforcement in the Balkans, Ithaca, NY 2004, p. 117. 35 Ibid., p. 118. 36 Guilio Perrone, Racism Without Races: Stereotypes and Prejudice in the Immigration Towards the Puglia Region, in: L’Emigrato 95 (1998), pp. 11 f. 37 Ter Wal, Racism and Cultural Diversity, and Jason Lee, Portrait of a Young Italy: Asylum Practice and Public Opinion, in: Contemporary Topics in Forced Migration 4 (2005), pp. 2–9. 38 That Milošević played close attention to what appeared in the Western press is clear. See Greenhill, Weapons of Mass Migration, Chapter 3. 39 See, for example, Lucio Caracciolo’s commentary in: La Republica, October 12, 1998, and Alexander Chancellor, Fear of Bombing, in: Slate, October 14, 1998.

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and their interests.40 Milošević, it appears, attempted to intensify intra-alliance discord by fuelling the unease that was surfacing within some European countries over the militant stance being taken by the US.41 In addition, as a further indication that Milošević might have viewed Italy as particularly vulnerable to these tactics, we have, as evidence, an open letter to the Italian government, which was published early in the war in the state-run newspaper during Milošević’s self-declared Easter ceasefire. This letter entreated the Italians to “show they were better than fascists” and to renounce the “military aggression” being pursued by “American NATO”.42 Public opinion data, gathered between March 25 and 28, 1999, would have supported Milošević’s hunch that NATO member states could be divided: at the outset of the bombing campaign, only 37 per cent of Italians and 33 per cent of Germans supported the airstrikes, while Greece simply condemned the bombing outright.43 2.2 Exacerbating Fears: Mass Migration as Political Weapon It appears that Belgrade also sought to sow cross-Atlantic divisions, by reiterating the widely reported suggestion that Europeans had a better appreciation than the Americans of how NATO military action might result in a wave of refugees. The West had broadcast its fears about this to Milošević and, along with members of his government and the press, he responded with vague and not-so-vague promises that these fears might be realized. In addition to publishing inflammat­ ory news items,44 the government in Belgrade offered more direct warnings of an impending humanitarian disaster and prognostications of how the conflict might spread. On March 20 — t he day the OSCE observers withdrew from Kosovo — t he Yugoslav government published an open letter in the state-run press indicating that, “all those threatening to use force against our country must face the responsibility for the consequences of humanitarian problems, which might arise as a result of the use of such force”.45 A day earlier, a letter from the FRY’s Foreign Minister, Živadin Jovanović, prevailed upon the then UN Secretary-General, 40 See, for example, Peter Beaumont / Patrick Wintour, Leaks in NATO — and Plan Bravo Minus, in: The Observer, July 18, 1999. 41 Šešelj: Contact Group’s Goals Not Reached, in: TANJUG, February 28, 1999. 42 Open letter to Scalfaro, D’Alema, and Dini, in: TANJUG, April 9, 1999. 43 Public opinion data from Ispo / Cra Neilsen (Italy), Süddeutsche Zeitung (Germany), and Institute V-PRC, ALKO (Greece). A summary of much of these data was compiled by the United States Information Agency, URL: https://www.phdn.org/archives/www.ess.uwe. ac.uk/Kosovo/Kosovo-Current_News122.htm#table5 [March 10, 2019]. 44 See, for example, Dusko Vojnovic, American and European View on Kosovo and Metohia —  Reasons for Differences and Disputes, in: TANJUG, March 5, 1999, and Juan Pablo Cordoba Elias, The Reform: US Political Games on Kosovo and Metohia, in: Politika, March 4, 1999. 45 Yugoslav Government Condemns NATO Threats of Aggression, in: TANJUG, March 20, 1999. See Perlez, US Official Asks for Restraint by Albanians.

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Ban Ki Moon, to call for the withdrawal of NATO troops from the FRY’s borders, as this would “contribute to the reduction of tensions and the elimination of unforeseen threats to peace and security in the region”.46 Milošević himself issued warnings and threats to Germany, Italy, Greece and neighbouring Macedonia and Albania. For instance, in early March 1999, he told the German Foreign Minister, Joschka Fischer, “that he could empty Kosovo within a week”.47 Similar warnings were reportedly issued to the Italian Foreign Minister, Lamberto Dini.48 Also, in an open letter published the day before bombing started, Milošević declared that “anyone who tries to impose solutions by force will have to take the responsibility for actions against the policy of peace and face the ensuing consequences”.49 But it was Vojislav Šešelj, “the rabidly nationalist”50 Serb Deputy Prime Minister, who was clearest about what the Serbs were prepared to do if NATO attacked. Speaking at a rally, Šešelj warned that any bombs would be met by a Serb attack on Kosovo, and that “not a single Albanian would remain if NATO bombed.”51 Just four days prior to this speech, Nebojsa Pavković, Commander of the Third Army in Kosovo, had asserted that if the Serbs were attacked, “Yugoslavia will deal with the remaining terrorists in Kosovo”.52 Thus, it is reasonable to conclude that, between the end of the talks at Rambouillet on February 22 and the start of the NATO bombing on March 24, Belgrade attempted to signal to the West that it would respond with force if provoked, and would probably do so in a way designed to create fear and provoke panic in potential refugee-receiving states. It is clear too that some leaders did understand these signals. In addition to the aforementioned concerns voiced by the Greeks and Italians, both President Kučan of Slovenia and President Gligorov of Macedonia warned NATO that Milošević might resort to mass expulsions.53 In addition, General Wesley Clark, commander of the NATO campaign, claimed that, by the time of the Rambouillet talks, officials in Washington were beginning to ask “the right questions”, including a key one: “What if the Serbs follow through on threats to take revenge on Albanian civilians?”54 Clark’s statement 46 Minister Jovanovic Writes to Security Council and OSCE, in: TANJUG, March 19, 1999. 47 Lara Marlowe, War and Peace Revisited, in: Irish Times, March 25, 2000. 48 See Minister Jovanovic Writes to Security Council. Dini was reportedly also approached again by FRY officials soon after bombing began with an offer of a bilateral deal. See, for example, Kosovo: The Untold Story. 49 Milošević Receives Holbrooke, Hill, Petritsch, and Mayorsky, in: TANJUG, March 23, 1999. 50 Kosovo: The Untold Story. 51 Ibid. 52 Ibid. 53 Timothy Garton Ash, The War We Almost Lost: Was NATO’s Kosovo Campaign a Legitimate Response to a Humanitarian Catastrophe — Or Did it Cause One? in: The Guardian, September 4, 2000. 54 Wesley K. Clark, Waging Modern War: Bosnia, Kosovo and the Future of Modern Combat, New York 2002, p. 164.

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implies two important things: first, that Milošević and / or his proxies had articulated threats to launch outflows in a manner sufficiently transparent for at least some officials in Washington to recognize; and second, that at the end of February 1998, civilian-directed attacks had not yet begun in a systematic way, despite later claims to the contrary. Nevertheless, despite  a variety of threats and admonitions from Belgrade, worried queries from potential receiving states and direct warnings from Yugoslavia’s neighbours, NATO failed to prepare in any concerted fashion for the eventuality that Milošević might resort to the use of refugees as asymmetric weapons in the dispute. Nicholas Morris, of the United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), noted later that: “Like almost every Western decisionmaker and commentator, and indeed like most Kosovar Albanians, UNHCR did not predict the mass expulsion of the majority of the ethnic Albanian population of Kosovo. […] the international community, particularly the Western governments, were banking on peace and urging UNHCR to [prepare for] early implementation of the Rambouillet Accords.”55 A senior NATO official acknowledged that “there were a lot of Milošević watchers who said a few bombs might do it (i. e., lead him to capitulate) […] What was not assumed, and not postulated was that he would try to empty the country of its ethnic majority.”56 Looking back, General Clark himself admitted that “no one expected the wholesale deportation of the ethnic Albanian population”, while Joschka Fischer, who, as noted above, had been forewarned, later said “he regretted not having taken Milošević seriously”57 when he said he could empty Kosovo in short order. As the French Foreign Minister, Hubert Védrine, admitted: “What we had expected was the Serb army to attack all KLA positions, and for the KLA to launch a guerrilla war. That’s what we thought. And most experts thought the KLA would have held out for longer. What most experts underestimated was that the collective memory of massacres in the Balkans was such as to unleash mass migrations.”58 More significantly, NATO’s failure to comprehend that Milošević was engaged in coercive engineered migration was one reason why his attempt to deter NATO was destined to fail. As Schelling has pointed out, “one needs the adversary to understand what behaviour of his will cause the violence to be inflicted and what will cause it to be withheld. The victim has to know what is wanted, and he may have to be assured of what is not wanted.”59 Because NATO had only envisaged

55 Nicholas Morris, UNHCR and Kosovo: A Personal View from within UNHCR, in: Forced Migration Review 5 (1999), URL: http://www.fmreview.org/kosovo/morris-n.html [March 10, 2019]. 56 Quoted in Elaine Sciolino / Ethan Bronner, The Road to War: How a President, Distracted by Scandal, Entered Balkan War, in: New York Times, April 18, 1999. 57 Quoted in R. Jeffrey Smith / William Drozdiak, Serbs’ Offensive Was Meticulously Planned, in: Washington Post, April 11, 1999 (Clark), and Marlowe, War and Peace (Fischer). 58 Védrine, quoted in Kosovo: The Untold Story. 59 Schelling, Arms and Influence, p. 3.

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a single scenario — one in which Milošević’s diplomatic intransigence would give way to retreat and deal-cutting once the stakes were raised — t here was no room for bargaining, which is a critical dimension of successful coercion. In the end, though Milošević did not get everything he sought, he did obtain a better deal than the one on offer at Rambouillet.60 The question is: if NATO had listened to the signals from Belgrade and had evaluated their adversary more realistically, would they have been better able to assess ex ante what this deal would cost? Evidence suggests the answer is yes.61 As Kevin Tebbit, the Permanent Under-Secretary at the British Ministry of Defence, acknowledged: “The aim was to persuade him [Milošević] that he had miscalculated. It was designed as a deterrent — a coercive use of bombing. It was never intended as straight war fighting. The speed with which he unleashed the ethnic cleansing took us all by surprise. We did not foresee he would move so thoroughly and so fast. I have asked myself since whether we should have predicted more precisely.”62 Recalling a pre-war discussion with Albright, Clark says that he told the Secretary point blank that if NATO bombed, the Serbs would attack the civilian population, as that is “what they are promising to do. […] It will just be a race, our air strikes and the damage we cause them against what they can do on the ground. But in the short term, they can win the race.”63

3. Why Did Milošević’s Gambit Fail? Whatever his intentions, Milošević’s task became even more difficult once bombing commenced, as the stakes and the costs of backing down had changed for both sides. Exacting the desired response through compellence is, as a rule, more difficult than through deterrence. In the case of compellence, a state has “publicly committed its prestige and resources to a given line of conduct” that it is now asked to abandon.64 Milošević failed to appreciate the magnitude of the task he set before himself because he did not, or could not, fathom the new and complex interplay that would be born of compellence. While NATO’s shortsightedness

60 Milošević got an agreement policed by the UN (not NATO) only in Kosovo (not throughout the FRY), and the (impending) referendum was then taken off the table for the indefinite future. 61 See, for example, Michael Barutciski, Western Diplomacy and the Kosovo Refugee Crisis, in: Forced Migration Review 5 (August 1999), URL: http://www.fmreview.org/kosovo/barut​ ciski.html [March 10, 2019]. 62 Kosovo: The Untold Story. 63 Clark, Waging Modern War, p. 171. 64 Robert Art, The Functions of Force, in: Robert J.  Art / Robert Jervis (eds.), International Politics, New York 1996, p. 159. See also Robert Art / Kelly M.  Greenhill, Coercion: An Analytical Overview, in: Kelly M.  Greenhill / Peter Krause (eds.), Coercion: The Power to Hurt in International Politics, Oxford 2018, pp. 3–32.

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may have led to a failure of deterrence, Milošević’s mistaken gamesmanship led to a conflict of greater ferocity than either side foresaw at the outset. Successful coercion requires making the cost of non-compliance sufficiently high that the object of coercion will accept the lower cost of backing down.65 Milošević’s attempted coercion via the use of refugees was thus doomed to fail because the costs of concession actually rose over time. NATO’s (real or perceived) costs of backing down far exceeded those of continuing the campaign for two completely contrary reasons. First, NATO had ratcheted up its own costs of concession by leveraging much of its prestige on the success of its efforts. In addition, NATO’s prestige was further engaged as a result of the efforts of a variety of groups — domestic and international NGOs, the KLA and its supporters, and humanitarian hawks (those who favoured assertive military postures and interventionism on moral, humanitarian grounds) — a ll of whom were ready to accuse NATO of hypocrisy if it failed to act. Secondly, and conversely, NATO was able to mitigate the pain inflicted by Milošević’s use of weaponized refugees — effect­ ively lowering the costs of non-compliance — by keeping these costs largely hidden from Western audiences and by forcing some of these costs back upon Milošević. It did this through a massive and effective public relations and media campaign. In  a sense, it matters less how NATO responded to Milošević’s threat to unleash a flood of refugees than the fact that Milošević appears to have tried to deter the alliance from attacking via such a threat. This is because, even if threats are well constructed and perfectly understood — which they were not in this case — t hey are only one part of the bargaining calculus. As Freedman has put it, “the threat itself will be one variable among many and not necessarily the most important: the interests at stake, the underlying political trends, the attitude of allies and so on must also be considered.”66 At the same time, NATO’s own costs of backing down were further elevated by a variety of domestic and international actors. Among others, these included the media along with the KLA and its supporters, who worked throughout the conflict to make NATO de-escalation impossible by publicly highlighting both the potential consequences if NATO failed to intervene and the visible consequences of inadequate NATO action.67

65 See Art / Greenhill, Coercion, and Robert Art / Kelly M. Greenhill, The Power and Limits of Compellence: A Research Note, in: Political Science Quarterly 133 (2018), pp. 77–97. 66 Lawrence Freedman, Strategic Coercion, in: Id. (ed.), Strategic Coercion: Concepts and Cases, London 1998, p. 25. 67 Daniel Pearl / Robert Block, Body Count: War in Kosovo Was Cruel, Bitter, Savage; Genocide It Wasn’t, in: Wall Street Journal, December 31, 1999. For a more complete discussion of these issues, see Greenhill, Weapons of Mass Migration, Chapter 3.

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3.1 The Importance of Preserving NATO For much of the 1990s, NATO sought to redefine itself as the core of an enlarged security community and a tool for managing conflict within Europe and around its periphery.68 It emphasized its ability — even its obligation — to maintain stability and safeguard human rights and democracy as key reasons for its continued existence. Thus it was widely believed that, if NATO failed in Kosovo, against a foe no better than a “schoolyard bully” with an army of “thugs”, its new raison d’être would be undermined, its credibility destroyed, and a dangerous precedent set.69 Well before the bombing started, Clark reportedly told Albright that they would have to go ahead, even though they knew the consequences could be dire for Kosovar Albanians. They had “put NATO’s credibility on the line. [They had] to follow through and make it work. There [was] no real alternative.”70 Even Henry Kissinger — a lthough initially opposed to  a NATO intervention —  wrote after it had begun, “NATO cannot survive if it now abandons the campaign without achieving its objective of ending the massacres.”71 In the end, NATO could not accept failure because it had so entwined the justification for its existence with the success of the Kosovo mission. This made the costs of backing down impossibly large. As Lieutenant-General Michael Short put it: “If we allowed this butcher, murderer and dictator to defeat the most powerful alliance on the face of the earth because we didn’t have the stomach for collateral damage and we didn’t have the stomach for unintended loss of civilian life, then we were going to cease to exist as an alliance.”72 The possibility that a real or perceived NATO failure in Kosovo could spell the death knell for NATO led its European members to stifle their criticism of the conduct of the war — or at least not to air them in public — and to forego opportunities to defect from NATO’s stated strategy.73 Furthermore, the leadership in some NATO capitals hoisted themselves higher on the hook of being charged with hypocrisy by trying to signal NATO’s resolve, both before and during the crisis. As Dennis McNamara, UNHCR’s Special Envoy 68 See, for example, Joseph Lepgold, NATO’s Post-Cold War Collective Action Problem, in: International Security 23 (1998), pp. 78–106; Robert B. McCalla, NATO’s Persistence After the Cold War, in: International Organization 50 (1996), pp. 445–475, and Yanan Song, The US Commitment to NATO in the Post-Cold War Period, London 2016. 69 See Charles G. Boyd, Making Bosnia Work, in: Foreign Affairs 77 / 1 (1998), pp. 42–55, and Andrew Neil, Arkansas Kid Guns Down NATO, in: Sunday Times, July 23, 1995. 70 Clark, Waging Modern War, p. 171. Albright reportedly responded, “Yes, I think so, too.” Similar sentiments were echoed by US military officers who served in Kosovo, and by civilian defence planners, in author interviews conducted at the Pentagon between July and September 2000. 71 Henry A. Kissinger, Doing Injury to History, in: Newsweek, April 5, 1999. 72 Quoted in Little, Moral Combat. 73 Kissinger, New World Disorder.

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for the Balkans, noted, “When you declare a war — NATO’s first in Europe — to be primarily  a humanitarian war with the main objective the return of refugees — you raise the political temperature enormously.”74 Once the bombing campaign had begun and outflow numbers were mounting, President Clinton declared, “We have a lot of tough questions to answer about this operation. […] But I would far rather be standing here answering these questions, with these people, talking about this endeavour, than I would to be standing here having you ask me why we are permitting  a wholesale ethnic slaughter and ethnic cleansing.”75 British Prime Minister Tony Blair also felt the pressure of having to adhere to his own rhetoric.76 As he put it shortly after the conflict ended: “The bottom line was we couldn’t lose. If we lost, it’s not just that we would have failed in our strategic objective; failed in terms of the moral purpose — we would have dealt a devastating blow to the credibility of NATO and the world would have been less safe as a result of that.”77 3.2 The Media The media helped raise NATO’s costs further, by publishing inflammatory interviews with refugees (sometimes later discredited). Many of those who spoke in these interviews took NATO to task for failing to do more. For instance, one grandmother from the city of Peć / Pejë, whose two eldest sons were killed in earlier attacks, was quoted as claiming she was “sending [her] youngest son to join the KLA [… because …] I feel guilty that I stopped them all from joining earlier, because I put my faith in NATO.”78 Another refugee was quoted as asking, “If they didn’t want to finish this war, why did they start it and leave us to take the punishment? How much more do we have to pay?”79 The British MP Paddy Ashdown (later International High Representative for Bosnia and Herzegovina) summed up the situation in the midst of the conflict thus: “This is the first war in history that is being fought for refugees. And we have set ourselves an unforgiving measure for judging its success. If they don’t go back, we have lost.”80 It is clear, at least in retrospect, that much of the coverage generated by NATO’s media apparatus was exaggerated, misleading or simply wrong. For instance, a widely disseminated report released by the State Department claimed 74 Quoted in Toby Porter, The Partiality of Humanitarian Assistance: Kosovo in Comparative Perspective, in: Journal of Humanitarian Assistance (June 2000), URL: https://sites.tufts.edu/ jha/archives/150 [March 10, 2019]. 75 Quoted in: Crisis In The Balkans: President’s Strategy: Our Plan is to Persist Until We Prevail, in: New York Times, April 5, 1999, A13. 76 See Garton Ash, The War We Almost Lost. 77 Quoted in Little, Moral Combat. 78 Olivia Ward, Refugees Lose Patience With NATO Strategy, in: Toronto Star, May 20, 1999. 79 Ibid. 80 Kosovo: The Untold Story.

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that 100,000 Albanian men had been herded into a Priština soccer stadium and held against their will. However, when a French investigative journalist went to see for himself, he found the stadium empty.81 Nevertheless, the propaganda campaign was extremely effective. It was instrumental in convincing the world that Milošević alone was responsible for the tragedy that had unfolded and in effectively neutralizing any benefit he had hoped to derive from the export of refugees.82 (It is worth noting that Milošević’s brutal behaviour during the earlier Bosnian war helped make the propaganda offered up during the Kosovo campaign more credible than it might otherwise have been.) In short, whatever the conflict’s causes, the graphic images and media coverage of the heinous consequences of Milošević’s campaign reduced public antipathy to Kosovars, who were — at least during the critical period of the bombing campaign — v iewed more as victims than as threats.83 While their significance may pale beside the paramount issue of NATO’s survival, the material role of hypocrisy cost-boosters should not be underestimated, nor, really, can their role be disaggregated from the issue of NATO’s preservation. 3.3 The Critical Role of the KLA – Active Agents Provocateurs The previous discussion notwithstanding, it also took time and concerted effort by the KLA, its supporters, and international advocacy groups to turn what the New York Times called a “noticed but not dramatized” background problem into a major crisis that demanded an international response.84 The 1998 Serb offensive was at least as brutal as anything that happened in the period leading up to the start of the bombing campaign a year later, but, in the words of Mary Robinson, UN High Commissioner for Human Rights, “No one was listening.”85 An official in the office of the then Italian Prime Minister Massimo D’Alema confirmed this: “there were immense delays in facing up to the problem, particularly on the part of NATO and its European members.”86 Indeed, it was only the active intervention of the KLA, aided by the international media, that shifted the stakes and forced NATO’s hand. As Veton Surroi, the Kosovo Albanian political leader, noted: “There [was] a message […] being sent to the Kosovars — if you want to draw international attention, you have to fight for it. That is exactly it. You need to use violence to achieve your goals.”87 And so they did. 81 Pearl / Block, Body Count, and Butler, War in the Balkans. 82 Thomas W.  Lippman / Charles Babington, Allies Confirm Civilian Attack, in: Washington Post, April 16, 1999. 83 See Matthew Gibney, Kosovo and Beyond: Popular and Unpopular Refugees, in: Forced Mi­ gration Review 5 (1999), URL: http://www.fmreview.org/kosovo/gibney.html [March 10, 2019]. 84 See Little, Moral Combat, and Greenhill, Weapons of Mass Migration, Chapter 3. 85 Quoted in Little, Moral Combat. 86 Ibid. 87 Ibid.

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KLA agents provocateurs launched the armed challenge fully expecting it to provoke massive Serbian retaliation in a military offensive against the province. As  a KLA fighter, Zymer Lubovci, acknowledged: “We saw them [the Serbs] coming, so we prepared and opened fire. […] [I]t was guaranteed that every time we took action they would take revenge on civilians.”88 The KLA leader, Hashim Thaçi, subsequently admitted that “we knew full well that any armed action we undertook would trigger a ruthless retaliation by Serbs against our people. […] We knew we were endangering civilian lives, too, a great number of lives.”89 And the Albanian negotiator Dugi Gorani explained the reasoning: “Every single Albanian realized that the more civilians die, intervention comes nearer. […] The more civilians were killed, the chances of international intervention became bigger, and the KLA of course realized that.”90 In the end, the vast majority of Kosovar civilians had to endure great suffering to support their militant leadership’s goals. Yet, by successfully portraying themselves as victims of Serb depredations — and by convincing the international media to cover (and then to exaggerate) this suffering — t he KLA succeeded in their goal of ending Serb oppression of Kosovo. Through their action they contributed to the failure of Milošević’s attempt to coerce NATO by unleashing forced migration. Thus, in a number of states, the level of hostility towards Kosovars and commitment to keeping them out fell over time, markedly reducing NATO’s vulnerability to Milošević’s tactics. Rey Koslowski has summed it up succinctly: First, the “refugee crisis quickly melted resistance among EU member states to extend temporary protection”. Secondly, “the European media image of smuggled Kosovar Albanians changed. Smuggled ‘illegal refugees’ associated with criminal organizations suddenly were depicted as genuine refugees fleeing ethnic cleansing compared to the Holocaust. The KLA became viewed as ‘freedom fighters’ who were legitimate representatives of the Kosovars.”91

4. Conclusion Throughout the Kosovo conflict, refugee flows and threats of mass migration were employed strategically and coercively by multiple parties. Abundant evidence indicates that Milošević and other Yugoslav government officials attempted to aggravate and exploit discord and disagreement within the NATO alliance. As the nature, diversity, and delivery mechanisms of the threats issued indicate, this two-level coercion was targeted both at the leadership of individual member states and at the domestic audiences within them: — i. e., the internally 88 Ibid. 89 Ibid. 90 Ibid. 91 Rey Koslowski, The Mobility Money Can Buy, in: Anthony Messina / Gallya Lahav (eds.), The Migration Reader: Exploring Politics and Policies, London 2006, p. 578.

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divided populations who could (and in some cases, did)  put pressure on their governments. This was true both with regard to concerns about the possibility of a potential mass migration crisis and with regard to intra-NATO disagreements about how to engage the Yugoslav government politically and militarily. The KLA aimed to influence key international audiences through the use of the media, portraying themselves as victims. They were highly successful, as the NATO intervention and its political aftermath make clear. But, finally, it was the obvious disconnect between the rhetorical commitments of NATO’s most powerful member and the dramatic and demonstrable lack of actual follow-through that forced NATO’s hand. However, NATO was saved from failure because its shortsightedness was matched by Milošević’s substantial miscalculation of Western resolve, resilience, and resourcefulness, and — more critically still — t he magnitude of the credibility stakes it had gambled on the success of this mission. Milošević had hoped to use the threat of flooding front-line states with refugees to undermine NATO’s cohesion, and, in this key component of his counter-coercive strategy, he failed. In addition, attitudes towards Kosovar Albanians softened over the course of the conflict. This process was aided by the Yugoslavs’ own egregious behaviour, as well as by NATO’s deft propaganda campaign, in which Milošević was compared to Hitler and the fleeing Kosovars to those fleeing a Nazi onslaught. With this likening of the mass exodus of people to the Holocaust and labelling Serb tactics as genocide, the Kosovar Albanians were (at least, temporarily) transformed from threats into victims. Consequently, the concentration of support for the displaced skyrocketed, while the level of opposition to them declined, thereby radically reducing NATO’s vulnerability to coercion over the course of the crisis. Indeed, somewhat ironically, the displaced, who were able to win much sympathy before the television cameras, were critical in helping NATO preserve cohesion and diminish domestic criticism within the member states. Criticism was also attenuated because the widely-feared scenario of European countries being overrun by refugees never materialized. Instead, the effects of the conflict were largely contained within the region, which kept the human (and hence the domestic) costs reasonably low and broadly diffuse. In short, Milošević also failed because NATO — w ith the assistance of the international media and the aggressive efforts of the KLA — succeeded in turning his refugee weapon back on him.

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Eine gemeinschaftliche Reaktion auf gemeinsame Probleme? Die Europäisierung der Migrationspolitik und ihre Akteure Es war eines dieser Zahlenspiele, die bei der Skandalisierung befürchteter Wanderungsbewegungen so beliebt sind:1 zwei bis drei Millionen Menschen, so sagte der EG-Botschafter der UdSSR, Wladimir Schemjatenkov, Anfang der 1990er Jahre voraus, würden in Folge des geöffneten Eisernen Vorhangs bis Mitte des Jahrzehnts aus der Sowjetunion nach Westeuropa kommen. Etwa doppelt so viele, vier bis fünf Millionen Ost-West-Migrant*innen erwartete gar der Forschungsdirektor des französischen Instituts für Demographie (Institut national d’études démographiques, INED), Jean-Claude Chesnais. Diese Zahlen entsprächen eher der jährlich zu erwartenden Emigration, schätzte dagegen Juri Rechetow, stellvertretender Leiter der Abteilung für kulturelle und humanitäre Angelegenheiten des sowjetischen Außenministeriums, und der ehemalige Direktor der sowjetischen Nachrichtenagentur Nowosti, Wladimir Miljutenko, erhöhte auf sieben bis acht Millionen Emigrant*innen jährlich, was sich bis 1995 auf 25 bis 30 Millionen summieren würde. Dies lag immer noch unter den Prognosen von Prof. Boris Chorew von der Lomonossow Universität Moskau, der für diesen Zeitraum mit 40 Millionen potentiellen Auswander*innen rechnete, oder denen des wissenschaftlichen Rats für Soziale Entwicklung beim Ministerrat der UdSSR, Anatoli Wishnewskij, der für die 1990er Jahre insgesamt Wanderungen von 48 Millionen Sowjetbürger*innen nach Westeuropa vorhersagte, immerhin ein Sechstel der damaligen Gesamtbevölkerung der UdSSR. Im Zielgebiet dieser erwarteten Massenmigration wurden die Expertenprognosen mit Schaudern aufgenommen, waren die Einwanderungszahlen doch seit den schrittweisen Grenzöffnungen und Auswanderungsmöglichkeiten aus Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei, Rumänien und der DDR bereits sprunghaft angestiegen.2 Allein in der Bundesrepublik, dem in dieser Zeit attraktivsten Aufnahmeland europäischer Migration, stieg die Zahl von Asylsuchenden aus Osteuropa zwischen 1986 und 1992 von 16.500 auf 282.200.3 Zugleich vervielfachte sich mit 1 Zum Folgenden vgl. Bernhard Santel, Migration in und nach Europa. Erfahrungen, Strukturen, Politik, Opladen 1995, S. 117. 2 Klaus J. Bade, Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 22002, S. 373. 3 In manchen Jahren verdoppelte sie sich gar, so 1987/88 und annähernd in den Jahren 1990, 1991 und 1992. Vgl. dazu Ursula Münch, Asylpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklung und Alternativen, Opladen 21993, S. 253.

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der Möglichkeit der Ausreise aus der Sowjetunion die Zahl der „Aussiedler“4 von 753 (1987) auf 397.000 (1990).5 Ein weiteres exponentielles Ansteigen erschien also nicht völlig unplausibel und eigene Erhebungen der Europäischen Gemeinschaft zu den Migrationsabsichten der Menschen in Osteuropa ergaben einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. Februar 1993 zufolge, dass sich rund 20 Millionen Menschen „sicher“ oder „wahrscheinlich“ auf den nun kurzen Weg nach Westen machen würden.6 Damit wurden Bedrohungsgefühle verstärkt, die seit den 1980er Jahren Westeuropa dem Untergang in den „‚Fluten‘ neuer ‚Völkerwanderungen‘“7 geweiht sahen. Denn entgegen der zunehmend eingeschränkten regulären Einreisemöglichkeiten stiegen die Zuwanderungszahlen insbesondere von Asylsuchenden aus nicht-europäischen Staaten immer weiter an; ein Trend, der sich durch die zunehmend durchlässigeren Grenzen zwischen Ost- und Westeuropa noch verstärkte.8 Santel bescheinigt denn auch den migrationspolitischen Debatten nach 1989 in Westeuropa eine von vielen Unsicherheiten geprägte „migratorische Katastrophenstimmung“9. Nach dem Verlust der durch den Kalten Krieg scheinbar garantierten Stabilität wurde Migration zunehmend als Gefahr wahrgenommen und im Rahmen sicherheitspolitischer Debatten verhandelt.10 Dies spiegelte sich auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der europäischen Migrationspolitik jener Jahre wider. Insbesondere politikwissenschaftliche Arbeiten kommen in der Analyse zu dem Befund einer 4 Als „Aussiedler“ wurden Personen bezeichnet, die als „deutsche Volkszugehörige“ aus den kommunistischen Staaten Ostmittel-, Südost- und Osteuropas in die Bundesrepublik Deutschland emigrierten und dort ohne Beschränkung als Deutsche aufgenommen wurden. Vgl. Jannis Panagiotidis, Aussiedler / Spätaussiedler, in: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2015, URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/ p32717 [10.3.2019]. 5 In der ersten Hälfte der 1990er Jahre pendelten sich die Aussiedlerzahlen bei etwa 220.000 ein (1992: 230.600), vgl. Bundesministerium des Inneren (Hg.), Migrationsbericht 2013 des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Bundesregierung, Berlin 2015, S. 104. Vgl. allgemein: Klaus J. Bade / Jochen Oltmer (Hg.), Aussiedler. Deutsche Einwanderer aus Osteuropa, Göttingen 22003. 6 Millionen wollen nach Westeuropa, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.2.1993, S. 2. Genaue Angaben über die tatsächlichen Migrationsbewegungen in Europa in den 1990er Jahren erweisen sich angesichts mangelnder und mangelhafter Statistiken sowie eines hohen Anteils an saisonaler Pendelwanderungen und irregulärer Arbeitsmigration als schwierig. Die seitdem dominierenden Migrationsmuster zirkulärer und temporärer Arbeitsmigration entsprechen jedoch in keiner Weise den Zerrbildern der zeitgenössischen „migration panic“. Vgl. dazu Heinz Fassmann / Rainer Münz, Europäische Migration – ein Überblick, in: Dies. (Hg.), Migration in Europa, Frankfurt a. M. 1996, S. 13–32. 7 Bade, Europa, S. 367. 8 Vgl. ebd., S. 383–386, und Rainer Münz, Phasen und Formen der europäischen Migration, in: Steffen Angenendt (Hg.), Migration und Flucht. Aufgaben und Strategien für Deutschland, Europa und die internationale Gemeinschaft, Bonn 1997, S. 34–47. 9 Santel, Europa, S. 118. 10 Vgl. Klaus J. Bade, Legal and Illegal Immigration into Europe: Experiences and Challenges, in: European Review 12 (2004), S. 339–375.

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‚Versicherheitlichung‘ der europäischen Migrationsdiskurse und -politik, dem migration-security-nexus.11 Diese weit verbreitete, über Jahre gewachsene Wahrnehmung von Migration als Bedrohung gewann in Folge der Grenzöffnungen und steigender Migrant*innenzahlen weiter an Bedeutung. So erscheint es auf den ersten Blick leicht nachvollziehbar, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verstärkt auch auf mi­ grationspolitischer Ebene zusammenarbeiteten, nationale Souveränitätsrechte wie die Regelung des Zuzugs fremder Staatsangehöriger sowie die Überwachung der Grenzen nach Brüssel abtraten und die Steuerung und Kontrolle grenzüberschreitender Mobilität vergemeinschafteten. Die neue – oder vielmehr traditionelle, im Kalten Krieg unterbrochene und nun wieder aufgenommene12  – kontinentale Ost-West-Migration und die weiter steigende transkontinentale Süd-Nord-Wanderung wurden nicht mehr als im nationalen oder bilateralen Rahmen steuerbare Bewegungen gesehen, sondern als ganz (West-)Europa betreffendes Problem, das somit nur im Rahmen der EG bzw. EU lösbar schien. Und tatsächlich reihen sich die Verträge von Schengen und Dublin, Maastricht und Amsterdam, als die bekanntesten Schritte hin zur Europäisierung der Migrationspolitik in den 1990er Jahren, scheinbar zielgerichtet aneinander.13 Sie markieren damit die Gründungsphase des heutigen europäischen Migrationsregimes mit all seinen Mängeln und Vorteilen.14 Ein genauerer historischer Blick, der die Europäisierung von Migrationspolitik in den 1990er Jahren in eine längere Entwicklung der europäischen Integration einbettet, zeigt jedoch, dass die Genese europäischer Migrationspolitik komplexer ist. Letztere war von Beginn an geprägt durch ein Abwägen gemeinsamer oder sogar 11 Vgl. Andrew Geddes, Immigration and European Integration. Towards Fortress Europe?, Manchester 2000; Virginie Guiraudon, Les politiques d’immigration en Europe. Allemagne, France, Pays-Bas, Paris 2000; Jef Huysmans, The Politics of Insecurity. Fear, Migration and Asylum in the EU, London 2006, und Sandra Lavenex, The Europeanisation of Refugee Policies. Between Human Rights and Internal Security, Aldershot 2001. 12 Vgl. Santel, Europa, S. 121 f., und Bade, Europa, S. 384 f. 13 Zur Europäisierung der Migrationspolitik vgl. Marcel Berlinghoff, Die Bundesrepublik und die Europäisierung der Migrationspolitik seit den späten 1960er Jahren, in: Jochen Oltmer (Hg.), Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin 2015, S. 931–966; Thomas Faist / Andreas Ette (Hg.), The Europeanization of National Policies and Politics of Immigration. Migration, Minorities and Citizenship, London 2007; Geddes, Immigration and European Integration, und Ulrike von Hirschhausen / Kiran Klaus Patel, Europeanization in History: An Introduction, in: Martin Conway / Kiran Klaus Patel (Hg.), Europeanization in the Twentieth Century. Historical Approaches, New York 2010, S. 1–18. 14 Als Migrationsregime wird hier die Setzung, Aushandlung und Wirkung migrationspolitischer und -rechtlicher Regelungen auf unterschiedlichen Ebenen unter Einschluss der Handlungen von Migrant*innen verstanden. Vgl. auch Christoph Rass / Frank Wolff, What Is in a Migration Regime? Genealogical Approach and Methodological Proposal, in: Andreas Pott / Christoph Rass / Frank Wolff (Hg.), Was ist ein Migrationsregime? What Is a Migration Regime?, Wiesbaden 2018, S. 19–64.

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gemeinschaftlicher Aktionen und nationalstaatlichen Vorbehalten. Dabei waren Interessen- und Akteurskonstellationen nicht auf die Dualität der europäischen und nationalen Ebene beschränkt, sondern stets hoch differenziert ausgestaltet. Wenn im Folgenden also der Frage nachgegangen werden soll, welchen Platz die Europäisierung der Migrationspolitik in den frühen 1990er Jahren in der europäischen Integrationsgeschichte einnimmt (und welchen Einfluss umgekehrt die europäische Integration auf die Veränderung des europäischen Migrationsregimes hatte), gilt es, die strukturellen und politischen Grundprobleme dieser Formierungsphase im Blick zu behalten. Hierzu wird zunächst die Stellung von Migrationspolitik in der europäischen Integrationsgeschichte skizziert, bevor zweitens näher auf die prägenden Schritte hin zu einer Europäisierung der Migrationspolitik in den 1990er und 2000er Jahren eingegangen wird, die sich entlang der Verträge von Schengen und Luxemburg über Maastricht und Amsterdam bis Nizza und Lissabon verfolgen lassen. Diese umfassen die Schaffung, Etablierung und Erweiterung des Schengenraums sowie eine in Ansätzen gemeinsame europäische Asylpolitik bzw. ein bereits deutlich weiter gefestigtes gemeinsames Asylrecht. Dafür wird eine Perspektive gewählt, die das stete Wechselspiel nationaler (und subnationaler) sowie europäischer Prämissen in den Fokus nimmt: Von der widerwilligen, aber schrittweisen Kompetenzabtretung seitens der Nationalstaaten auf EG- bzw. EU-Ebene über eine Vergemeinschaftung der Migrationspolitik hin zu einer massiven Infragestellung dieser vermeintlichen Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte in den vergangenen Jahren. Im Hintergrund steht dabei die Frage, wer auf supranationaler Ebene die maßgeblichen institutionellen Akteure europäischer Migrationspolitik nach dem Fall des Eisernen Vorhangs waren: Eher die zuständigen Abteilungen der EU-Kommission in Brüssel oder die nationalen Regierungen der Mitgliedsstaaten.15 Diese und weitere Fragen zu untersuchen, erfordert aus geschichtswissenschaftlicher Sicht umfassende archivalische Quellenstudien, die in den meisten Fällen noch auf die Zugänglichkeit der entsprechenden Akten warten müssen. Denn wie andere migrationshistorische Untersuchungen gezeigt haben, kann eine akten­basierte Analyse vergangener Migrationspolitiken zu grundlegenden Neubewertungen und neuen Erkenntnissen führen, die sich aus dem Studium frei zugänglicher Quellen alleine nicht ergeben.16 Als jüngste Zeitgeschichte17 sind die 15 Die zweifellos elementare Rolle von Migrant*innen selbst, die als Subjekte der Migration großen Einfluss auf das europäische Migrationsregime haben, sowie die Arbeit von NGOs, Internationalen Organisationen, Lobbygruppen und epistemic communities werden in dieser Skizze ausgeblendet. 16 Vgl. Karen Schönwälder, Einwanderung und Ethnische Pluralität. Politische Entscheidungen und öffentliche Debatten in Großbritannien und der Bundesrepublik von den 1950er bis zu den 1970er Jahren, Essen 2001, und Marcel Berlinghoff, Das Ende der „Gastarbeit“. Die Anwerbestopps in Westeuropa 1970–1974, Paderborn 2013. 17 Vgl. Marcus Böick / Angela Siebold, Die Jüngste als Sorgenkind? Plädoyer für eine jüngste Zeitgeschichte als Varianz- und Kontextgeschichte von Übergängen, in: Deutschland Archiv 44 (2011), S. 105–113.

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1990er Jahre von der Historischen Migrationsforschung bisher noch weitgehend unbeachtet geblieben, weshalb sich der Beitrag auch (noch) nicht auf genuin historiografische Arbeiten oder gar Archivrecherchen stützen kann. Stattdessen wird unter Rückgriff auf eigene migrationshistorische Studien die europäische Migrationspolitik der 1990er Jahre in einem integrationshistorischen Kontext betrachtet, um diese jenseits zeitgenössischer sozialwissenschaftlicher Deutungen erklären zu können. Dabei werden einige Desiderate aufgezeigt, deren archivgestützte Untersuchung dringend benötigte Erkenntnisse über diese entscheidende Entwicklungsphase des europäischen Migrationsregimes generieren könnte.18

1. Ein neuer migrationspolitischer Akteur? Das sich integrierende Europa und die Migration Ungehinderte Mobilität, zumindest die von Arbeitskräften, war von Beginn an ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Integration. Bereits die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) beinhaltete 1951 den grenzüberschreitenden Arbeitsplatzwechsel von Beschäftigten der Montanindustrie und der freie Verkehr von Personen war neben dem von Waren, Finanzen und Dienstleistungen seit 1957 eine der vier Grundfreiheiten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Als jedoch die Arbeitnehmerfreizügigkeit 1968 weitgehend umgesetzt wurde, bildete die Arbeitsmigration zwischen den EG-Mitgliedsstaaten nur einen  – zunächst schrumpfenden  – Teil des damaligen Migrationsgeschehens in Westeuropa. Zu Beginn der 1970er Jahre belief sich der Umfang der dortigen Arbeitsmigration auf etwa sechs Millionen ausländische Arbeitnehmer*innen in EG-­Mitgliedsstaaten, drei Viertel davon aus Drittstaaten.19 Dabei vollzog sich die politische Regelung der sogenannten „Gastarbeiter“-Beschäftigung in Anknüpfung an Vorgänger aus der Zwischenkriegszeit über bilaterale Anwerbeabkommen, die zwar auch zwischen EG-Mitgliedsstaaten (insbesondere mit Italien), in zunehmenden Maße jedoch mit Drittstaaten geschlossen wurden.20 Daneben spielte auf nationaler Ebene die Tolerierung und sogar Förderung „spontaner“, 18 Wer waren etwa die maßgeblichen institutionellen Akteure der migrationspolitischen Europäisierung und des dadurch entstandenen Europäischen Migrationsregimes? Welche Rolle spielen jeweils NGOs und die Richter*innen des Europäischen Gerichtshofs und welche die Mi­grant*innen selbst, deren Agency, wie 2015 gesehen, das Europäische Asylsystem an den Rand seiner Existenz brachte? Welche Strategien wandten diese jeweils an, welche Ziele verfolgten sie und welcher Diskurse bedienten sie sich? 19 Marcel Berlinghoff, Labour Migration: Common Market Essential or Common Problem? The EC Committees and European Immigration Stops in the early 1970s, in: Elena Calandri / Simone Paoli / Antonio Varsori (Hg.), Peoples and Borders. Seventy Years of Migration in Europe, from Europe, to Europe (1945–2015), Baden-Baden 2017, S. 157–175, hier: S. 158. 20 Vgl. Christoph Rass, Institutionalisierungsprozesse auf einem internationalen Arbeitsmarkt. Bilaterale Wanderungsverträge in Europa zwischen 1919 und 1974, Paderborn 2010. Vgl. dazu auch den Beitrag von Carlos Sanz Díaz in diesem Band [Anm. d. R.].

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das heißt irregulärer oder erst im Nachhinein regularisierter Arbeitswanderungen sowie die Migration aus (ehemaligen) Kolonien in den langen sechziger Jahren eine bedeutende Rolle.21 In diese Hochphase der „Gastarbeiter“-Migration fiel auch der Wandel Westeuropas von einer Auswanderungs- zu einer Einwanderungsregion. Dies umfasste nicht nur die statistisch messbare Zunahme an Zuzügen im Vergleich zu Fort­ zügen, sondern auch die wachsende Zahl an Migrant*innen, die sich in den Ländern Westeuropas niederließen, Familienangehörige nachholten oder Familien gründeten.22 Angesichts dieser Entwicklung berieten verantwortliche Regierungsvertreter*innen auf verschiedenen europäischen Ebenen über das vermeintliche „Pro­blem der ausländischen Arbeitskräfte“23, was letztlich zu einem radikalen Kurswechsel der europäischen Migrationsregime führte.24 Innerhalb weniger Jahre beendeten alle westeuropäischen Einwanderungsländer ihre Anwerbeprogramme oder schränkten den legalen Zuzug von ungewollten Arbeitsmigrant*innen in einem Maße ein, das einem Einwanderungsstopp gleichkam. Dadurch sollte die als „außer Kontrolle geraten“ wahrgenommene außereuropäische, nicht-westliche Einwanderung von gering qualifiziert Beschäftigten und ihren Familien unterbunden oder zumindest begrenzt werden.25 Zeitgleich bemühte sich die EG-Kommission über eine „Konzertierung“ oder zumindest „Harmonisierung“ der nationalstaatlichen Migrationspolitiken, ein für den Binnenmarkt elementares Politikfeld zu besetzen und dabei nicht nur den Zuzug und seine Kontrolle, sondern auch die Integration von (vor allem Arbeits-) Migrant*innen europaweit zu regeln. Ab 1972 berieten die EG-Kommission, die Regierungsbeamt*innen der Mitgliedsstaaten und Vertreter*innen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften im Rahmen des „Social Action Program for Migrant Workers“ über eine umfassende europäische Migrationspolitik, die nicht nur Integrationsprogramme und soziale Rechte für Arbeitsmigrant*innen sowie ihre Familien umfasste – unabhängig davon, ob sie Staatsangehörige von EG-Mitgliedern oder von Drittstaaten waren.26 Im Zuge dieser Diskussionen wurden auch politische Beteiligungs- und Freizügigkeitsrechte für beide Gruppen von Migrant*innen vorgeschlagen, die jedoch angesichts des von den nationalen Regierungen forcierten Politikwechsels letztlich keine Chance auf Verwirklichung hatten. 21 Vgl. Berlinghoff, Ende der „Gastarbeit“. 22 Vgl. Bade, Europa, S. 301–306. 23 Berlinghoff, Ende der „Gastarbeit“, S. 41. 24 Vgl. ebd.; Tomas Hammar (Hg.), European Immigration Policy. A Comparative Study, Cambridge 1985, und Anthony Fielding, Migrants, Institutions and Politics: the Evolution of European Migration Policies, in: Russell King (Hg.), Mass Migrations in Europe. The Legacy and the Future, London 1993, S. 40–62. 25 Hinter manchen Maßnahmen wie dem bundesdeutschen Anwerbestopp vom November 1973 stand sogar der explizite Gedanke, die Einwanderung rückgängig zu machen und die Rückkehr der als temporäre Arbeitsmigrant*innen Angeworbenen zu fördern. 26 Vgl. Berlinghoff, Labour Migration.

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Ein Blick auf die europäische Migrationspolitik der 1970er Jahre zeigt dabei einen bemerkenswerten Wandel: Wies diese zu Beginn der Dekade Grundzüge einer umfassenden Antidiskriminierungspolitik auf, fokussierte sie sich schließlich auf die Bekämpfung irregulärer Migration.27 So hatte das in einer Ad-hoc-­ Arbeitsgruppe des „Beratenden Ausschusses Freizügigkeit“ der EG-Kommission erarbeitete und 1974 vorgestellte Aktionsprogramm Regelungen zum Transfer von Sozialleistungen, Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Aus- und Weiterbildung, der Sprachvermittlung und der Schulbildung für die Kinder von Migrant*innen vorgeschlagen, wobei die Unterschiede zwischen EG-Mitglieds- und Drittstaatsangehörigen schrittweise aufgehoben werden sollten: Zentrales Anliegen des Programms sei „die Schaffung gleicher Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Gewährleistung gleicher Arbeitsverdienste, sowie gleicher wirtschaftlicher Rechte für Arbeitnehmer aus der Gemeinschaft und aus Drittländern sowie ihrer Familienangehörigen.“28 Darüber hinaus sah das Programm auch die Gewährung und Garantie politischer Rechte, von der politischen Äußerung bis hin zum Wahlrecht auf kommunaler Ebene, vor. Illegale Beschäftigung sollte zum Schutz der migrantischen Arbeitnehmer*innen stärker bekämpft werden, ein Anliegen, das sich im Laufe der mehrjährigen Verhandlungen zu einer Bekämpfung irregulärer Migration wandelte und dabei zunehmend an Gewicht gewann. Neben einer Richtlinie über den Sprachunterricht für die Kinder von Migrant*innen war dies jedoch bis zum Ende des Jahrzehnts das einzige konkrete Ergebnis langjähriger Gespräche über eine „Harmonisierung“ der Migrationspolitik.29 Das Scheitern der EG-Kommission, im Bereich der Migrations- und Integrationspolitik zum maßgeblichen politischen Akteur zu werden und sich dabei unter Einschluss der Migration von Drittstaatsangehörigen einen neuen Kompetenzbereich zu sichern, war angesichts der langen Verhandlungsdauer nicht von Vorneherein ausgemacht. Letztlich waren die Interessen der verschiedenen Akteursgruppen auch innerhalb der nationalen Regierungen zu divergent und unterlagen zudem einem steten Wandel, als dass es hier zu einer Einigung kommen konnte. Die von den Regierungen durchgesetzte Wende – freie Mobilität der eigenen Staatsangehörigen im Inneren der EG und grundsätzliche Beschränkung unerwünschter Migration von außen – hatte Bestand und sollte die europäische Migrationspolitik der kommenden zwei Jahrzehnte prägen. Dies galt ebenso für das hier postulierte Primat der bilateralen und intergouvernementalen gegenüber der supranationalen Ebene. Neben den europaweit umgesetzten nationalen Migrationsbeschränkungen verschoben sich auch die Orte der Verhandlungen von den Arbeitskreisen der EG-Kommission, an denen ja auch Vertreter*innen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände beteiligt waren, auf bilaterale und ten27 Vgl. ebd. 28 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Aktionsprogramm zugunsten der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien (von der Kommission dem Rat vorgelegt), KOM (74) 2250, Brüssel 18.12.1974, S. 9. 29 Vgl. Berlinghoff, Europäisierung.

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denziell einer demokratischen Kontrolle entzogene technische Ebenen, beispielsweise im Rahmen der TREVI-Gruppe.30

2. Schengen vor und nach 1989 – Vom grenzenlosen zum umgrenzten Europa Ein gutes Beispiel hierfür ist das Abkommen, das noch heute vielfach emblematisch für das europäische Migrationsregime steht: Schengen. Mit dem 1985 in dem luxemburgischen Moselstädtchen zwischen Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten vereinbarten Verzicht auf Grenzkontrollen wurde ein lang gehegter europäischer Wunsch Wirklichkeit – wenngleich außerhalb des Institutionengefüges der EG. Ein „grenzenloses Europa“ war zum einen ein Baustein des „Europas der Bürger“, das seit den 1970er Jahren diskutiert wurde, um die Legitimität des Integrationsprojektes zu fördern.31 Neben einer Anfang der 1980er Jahre letztlich gescheiterten Passunion sollte der Abbau der Grenzkontrollen Europa im wahrsten Sinne des Wortes „er-fahrbar“ machen. Zum zweiten, und das war vermutlich der ausschlaggebende Punkt, stellte der Verzicht auf Grenzkontrollen ein wesentliches Merkmal des zu vollendeten Binnenmarktes dar, in dem sich neben Waren, Kapital und Dienstleistungen eben auch Personen frei bewegen können sollten. Da die Verhandlungen hierüber jedoch vorwiegend von Vertreter*innen der Verkehrs- und Justiz- sowie maßgeblich der Innenministerien geführt wurden, welche Sicherheits- und Kontrollaspekte in den Mittelpunkt stellten, kamen diese Pläne auf EG-Ebene nicht voran.32 Wie Baumann, Pudlat und andere gezeigt haben, war es nicht zuletzt die persönliche Initiative von Bundeskanzler Helmut Kohl und Staatspräsident François Mitterrand, die das Grenzöffnungsprojekt außerhalb der EG-Institutionen (und teilweise auch ohne Mitwirken der eigentlich zuständigen Ressorts) voranbrachten und dabei auf die Unterstützung der Benelux-Staaten zählen konnten.33 Diese Politik der – je nach Perspektive – vertraulichen oder intransparenten Verhandlungsführung bei der Umsetzung des „Grenzabbaus“ wurde von verschiedenen 30 Vgl. Jan Niessen, Zwischen Harmonisierung und kleinstem gemeinsamen Nenner: Einwanderungspolitik auf europäischer Ebene, in: Klaus J. Bade / Rainer Münz (Hg.), Migrationsreport 2002. Fakten – Analysen – Perspektiven, Frankfurt a. M. 2002, S. 207–229, und Eva Oberloskamp, Codename TREVI. Terrorismusbekämpfung und die Anfänge einer europäischen Innenpolitik in den 1970er Jahren, Berlin 2017. 31 Vgl. Berlinghoff, Europäisierung, und Angela Siebold, ZwischenGrenzen. Die Geschichte des Schengen-Raums aus deutschen, französischen und polnischen Perspektiven, Paderborn 2013. 32 Vgl. Mechthild Baumann, Der deutsche Fingerabdruck. Die Rolle der deutschen Bundesregierung bei der Europäisierung der Grenzpolitik, Baden-Baden 2006. 33 Vgl. ebd., und Andreas Pudlat, Schengen. Zur Manifestation von Grenze und Grenzschutz in Europa, Hildesheim 2013.

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Seiten kritisiert.34 Nachdem also außerhalb ihrer Gremien und Institutionen in vergleichsweise kurzer Zeit erfolgreich beschlossen wurde, was auf Gemeinschaftsebene nicht gelungen war, versuchte die Kommission, mit einer entsprechenden Richtlinie das Heft des Handelns wieder in die eigene Hand zu nehmen. Diese Versuche scheiterten zwar, doch konnte die 1986 unterzeichnete und im Folgejahr in Kraft getretene Einheitliche Europäische Akte (der Luxemburger Vertrag) zur Umsetzung des Binnenmarkts bis 1992 auf den Schengen-Vereinbarungen aufbauen.35 Zu dieser Zeit begannen sich jedoch wie eingangs skizziert die äußeren Rahmenbedingungen eines grenz(kontroll)freien Westeuropas sowie seiner Migrationsordnung grundlegend zu wandeln. Die neuerliche Entspannungsphase im Kalten Krieg – die zu seinem Ende führen sollte – und die Öffnung der Sowjetunion im Zeichen von Glasnost und Perestroika ermöglichte nicht nur einer wachsenden Zahl von Dissident*innen, sondern auch den Angehörigen nationaler Minderheiten prinzipiell die Ausreise.36 Dem Beispiel Moskaus folgend eröffneten auch die sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas, insbesondere Polen und Rumänien, ihren Bürger*innen legale Ausreisemöglichkeiten. Auf der anderen Seite des sich auflösenden Eisernen Vorhangs hielt beispielsweise die Bundesrepublik Zuzugsmöglichkeiten für die ethnisch privilegierte Einwanderung von „(Spät-)Aussiedlern“ sowie ab 1990 russischen Juden offen, während andere Staaten zumindest die Transitwanderung nach Übersee gestatteten.37 Spätestens mit dem symbolträchtigen Abbau der Grenzanlagen zwischen Ungarn und Österreich im Sommer 1989 ergab sich für die Pläne eines grenzenlosen Europas eine grundsätzlich neue Situation. Angesichts des Mauerfalls und der sich damit neu stellenden Frage nach der Ostgrenze des Schengenraums, musste die für Dezember 1989 geplante Paraphierung des auch als „Schengen  II“ bezeichneten Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) verschoben werden. Diese vollkommen unerwartete Änderung der Ausgangsbedingungen in Form einer nach Osten hin offenen Außengrenze konnte jedoch offensichtlich schnell technisch gelöst werden: Schon im Folgejahr und noch vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten konnte das SDÜ unterzeichnet werden. Bis zur tatsächlichen Inkraftsetzung der Bestimmungen sollten jedoch noch weitere fünf Jahre vergehen.

34 Vgl. Santel, Europa, S. 191 f., und Siebold, ZwischenGrenzen, S. 47–49. 35 Vgl. Simon Fellmer, Vergemeinschaftung von Zuwanderungspolitik in der Europäischen Union. Anreize und Widerstände aus Sicht der Mitgliedstaaten. Theorie und Empirie für die Zeit nach dem Vertrag von Amsterdam, Berlin 2013, S. 17. 36 Vgl. Bade, Europa, S. 384 f. und S. 409 f. 37 Die Möglichkeit der Zuwanderung für Juden aus der Sowjetunion war 1990 noch von der letzten DDR-Regierung geschaffen worden und wurde nach der Wiedervereinigung von den Bundesländern im Rahmen der Regelung für Kontingentflüchtlinge übernommen. Vgl. dazu Barbara Dietz, Die Bundesrepublik Deutschland im Fokus neuer Ost-West-Wanderungen, in: Oltmer, Handbuch Staat, S. 999–1019, hier: S. 1006.

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In der Dekade zwischen Ankündigung und Umsetzung des Grenzkontrollabbaus hatten sich nicht nur die geopolitischen und migrationsstrukturierenden Rahmenbedingungen grundlegend geändert. Dem Abkommen waren auch mit Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und Österreich weitere EG-Mitgliedsstaaten beigetreten und die (deutschen) Innenbehörden wie auch die als Beobachterin eingeladene EG-Kommission hatten ausreichend Gelegenheit gehabt, die Umsetzung in ihrem Sinne mitzubestimmen. Aus dem explizit außerhalb der EG-Institutionen verhandelten Abkommen wurde somit de facto wieder EG- bzw. EU-europäisches Recht, dem sich nur Großbritannien, Irland und Dänemark entzogen. Nach Gründung der Europäischen Union wurde der sogenannte „Schengen-Acquis“ Teil des EU-Rechts, den Neumitglieder übernehmen mussten.38 Die durch die Innenministerien vereinbarten „Ausgleichsmaßnahmen“, ein Paket umfangreicher Kontrollkompetenzen und umfassenden Datenaustauschs, führten dazu, dass das Schengener Abkommen bald weniger als Grenzöffnung, denn als Abschottung nach außen wahrgenommen wurde.39 Anstelle des alten Eisernen Vorhangs des Kalten Krieges trat der neue einer zunehmend militärisch gesicherten Schengen-Außengrenze.40 Wie genau dieser Übergang von bilateralen Verträgen zum Gemeinschaftsrecht bzw. dem gemeinschaftlichen Besitzstand der Europäischen Union vonstattenging, gilt es anhand von aktengestützten historischen Arbeiten noch aufzuarbeiten.41 Obwohl das Schengener Abkommen also ursprünglich nicht als migrationspolitisches Instrument gedacht war, sind seine migrationspolitischen Folgen nicht zu überschätzen. Zwar hatte der Verzicht auf Grenzkontrollen kaum Auswirkungen auf die Binnenmobilität von EG- bzw. EU-Staatsangehörigen. Denn diese genossen ja bereits das Recht auf Freizügigkeit – zunächst beschränkt auf Arbeitnehmer*innen, mit dem Vertrag von Maastricht 1992 dann auch allgemein als EU-Bürger*innen. Die Kontrolle der Migration von Drittstaatsangehörigen sollte jedoch durch gemeinsame Visabestimmungen und eine Gemeinsame Europäische Asylpolitik aufrechterhalten bzw. verbessert werden. Beides stand angesichts der stark gestiegenen Zuwanderung aus und über Osteuropa sowie der zunehmend fremdenfeindlichen Diskurse und nationalen Politiken Anfang der 1990er Jahre unter restriktiven Vorzeichen. Die seit den 1970er Jahren entwickelte migrationspolitische Logik der nationalen Regierungen, „europäisch“ bzw. „westlich“ gedachte, erwünschte Mobilität zu fördern, dagegen „außereuropäisch“ konnotierte unerwünschte Migration abzuwehren oder zumindest restriktiv zu steuern, wurde nun über ein zunächst bilaterales Grenzregime zum Muster der EU-Migrations- und Grenzpolitik, welches das europäische Migrationsregime bis heute maßgeblich prägt.42 38 39 40 41 42

Vgl. Niessen, Harmonisierung, S. 215. Vgl. Siebold, ZwischenGrenzen. Vgl. Bade, Legale Migration, S. 361. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive vgl. Baumann, Fingerabdruck. Dabei umfasste das Attribut „außereuropäisch“ auch das geographische Europa östlich der EG / EU. Vgl. Bade, Legal immigration, S. 346, und Berlinghoff, Europäisierung, S. 933.

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3. Ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) Dies zeigte sich deutlich bei dem am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten „Abkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags“. Es war das Ergebnis vierjähriger Verhandlungen der für Einwanderung und Asyl zuständigen Minister auf EG-Ebene, der sogenannten „Ad-hoc Gruppe Migration“. Sie verfolgte nicht zuletzt das Ziel, die dort als illegitim wahrgenom­ mene Migration von Asylsuchenden von den dominanten Staaten Europas fernzuhalten.43 Zwar dauerte die Umsetzung des Abkommens bis 1997, doch zeigte es anschließend zunächst die gewünschte Wirkung: So fiel der Anteil der in Deutschland gestellten Asylanträge in den 1990er Jahren von über 70 % (1992) auf 20 % (2000).44 Wenngleich die damit einhergehende Verteilung von Asylanträgen auf andere europäische Staaten nicht alleine auf die Dublin-Regelungen zurückzuführen sind, sondern auch mit einem Wandel der Flüchtlingsgruppen und ihren spezifischen Zielgebieten zu tun haben, zeigte die Abwälzung der Verantwortung auf die (vor allem südlichen) Grenzstaaten der Europäischen Union ihre Wirkung. Die mächtigen Regierungen der nord- und westeuropäischen Mitgliedsstaaten hatten sich gegenüber – und zu Lasten – ihrer geographisch an der südlichen Peripherie gelegenen Partner in diesem Punkt durchgesetzt. Mit dem Ansteigen der hochriskanten Migration über das Mittelmeer seit den 1990er Jahren reagierten letztere zunehmend mit Nichtregistrierung von Asylsuchenden und gezielter wie ungezielter Förderung der Transitwanderung in die meist weiter nördlich gelegenen Zielgebiete: ein Geburtsfehler des in sich unsolidarischen Dublin-Systems, der auch auf die begrenzte Reichweite staatlicher Kontrolle verweist.45 Zugleich entwickelte das Abkommen, das die deutliche Handschrift des deutschen Bundesinnenministeriums trug, bereits kurz nach seiner Unterzeichnung eine hohe symbolische Bedeutung, insbesondere auch für innenpolitische Auseinandersetzungen, etwa im Zuge des sogenannten „Asylkompromisses“ von 1992/1993.46 Dieser beschnitt das zuvor im Grundgesetz nicht weiter explizierte Recht auf Asyl für Antragsteller*innen, die über einen „sicheren Drittstaat“ in die Bundesrepublik eingereist waren, was für alle Nachbarstaaten Deutschlands galt. Der Verweis auf die europäische Regelung, mit der die Grundgesetzänderung 43 Die „Ad-hoc Gruppe Migration“ war 1986 von Großbritannien einberufen worden, um im EG-Rahmen die migrationspolitischen Folgen des Schengener Abkommens und des Binnen­marktprojektes zu diskutieren und dabei entstehende sicherheitsrelevante Probleme anzugehen. Vgl. dazu Baumann, Fingerabdruck. 44 Peter Schimany, Asylmigration nach Deutschland, in: Stefan Luft / Peter Schimany (Hg.), 20 Jahre Asylkompromiss. Bilanz und Perspektiven, Bielefeld 2014, S. 33–66, hier: S. 51. 45 Vgl. Jürgen Bast, Solidarität im europäischen Einwanderungs- und Asylrecht, in: Michèle Knodt / Anne Tews (Hg.), Solidarität in der EU, Baden-Baden 2014, S. 143–162, und Sabine Hess u. a. (Hg.), Der lange Sommer der Migration, Grenzregime III, Berlin 2016. 46 Vgl. Luft / Schimany, 20 Jahre Asylkompromiss.

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konform zu gehen schien, war ein wichtiges Argument der Befürworter*innen der Reform. In integrationshistorischer Perspektive hingegen markiert das Dubliner Abkommen den Übergang von einer tendenziell die südlichen Mitgliedsstaaten (insbesondere Italien) fördernden europäischen (Arbeits-)Migrationspolitik zu einem diese benachteiligenden europäischen Migrationsregime im Bereich der irregulären und Fluchtmigration. Die Europäisierung der Flucht- und Asylpolitik war aber nicht nur auf Abwehr, sondern auch auf echte Vergemeinschaftung ausgerichtet. Mit dem Vertrag von Amsterdam 1997, der unter anderem die Zuständigkeit der Asylpolitik von der intergouvernementalen auf die EU-Ebene verlagerte, begann eine weitere Phase der Europäisierung der Migrationspolitik, mit dem postulierten Ziel, „einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zu schaffen.47 Innerhalb von fünf Jahren, so beschloss es der Europäische Rat 1999 auf einem Sondergipfel im finnischen Tampere, sollten Mindestnormen sowohl für die Aufnahme von Asylbewerber*innen als auch für die rechtliche Anerkennung und Durchführung von Asylverfahren erarbeitet, das Dubliner Übereinkommen weiterentwickelt sowie eine Rechtsgrundlage für die Aufnahme von Vertriebenen oder anderweitig Schutzbedürftigen geschaffen werden. Zugute kam den Verhandlungen, dass es sich um eine Zeit relativ geringer Fluchtmigration nach Europa handelte, die Erinnerung an die unkoordinierte Reaktion der nationalen Regierungen auf die Flucht vor den Bürgerkriegen des zerfallenden Jugoslawiens jedoch noch frisch war.48 Das Ergebnis dieser Arbeiten waren diverse Richtlinien (Mindeststandard- oder Aufnahmerichtlinie, Qualifi­kationsrichtlinie, Asylverfahrensrichtlinie) sowie die Transformation des Dubliner Übereinkommens in eine EU-Verordnung, die Mitte der 2000er Jahre verabschiedet, in den Folgejahren in nationales Recht umgesetzt und seitdem teilweise überarbeitet wurde.49 Die Europäisierung der Migrations- und insbesondere der Asylpolitik, die sich in den 1990er und 2000er Jahren vollzog, hatte also nicht nur restriktive Folgen. Sie zeigte zudem eine klare Tendenz zu einer stärkeren Rolle der EU-Institutionen in diesem Aushandlungsprozess. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit Fluchtbewegungen und vor dem Hintergrund europäischer Gerichtsurteile wurden auf EU-Ebene gemeinsame Mindeststandards für Asylverfahren vereinbart, die – etwa im Fall der Qualifikationsrichtlinie – zu einer faktischen Ausweitung des Flücht-

47 Sandra Lavenex, The Europeanisation of Refugee Policies. Between Human Rights and Internal Security, Aldershot 2001. Außerdem wurde darin die Niederlassungsfreiheit für EU-Bürger*innen in allen Mitgliedsstaaten festgesetzt – mit Übergangsfristen für Angehörige der neuen Beitrittsstaaten. 48 Vgl. Jürgen Bast, Die Flüchtlingskrise und das Recht: Chancen der Europäisierung, in: vorgänge Nr. 214/2 (2016): Deutsche Flüchtlingspolitik zwischen Willkommenskultur und Politik der Abschottung, S. 34–37. 49 Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration (SVR) (Hg.), Chancen in der Krise: Zur Zukunft der Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa, Jahresgutachten 2017, Berlin 2017.

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lingsschutzes in zahlreichen Mitgliedsstaaten führten. So stieg beispielsweise die Schutzquote in Deutschland durch die Umsetzung dieser Richtlinie im Jahr 2007 von 4,9 % (2004) auf 37,8 % (2014).50 Von einer gemeinsamen europäischen Asylund Migrationspolitik, wie seit den 1970er Jahren von der EG-Kommission avisiert und in Artikel 79 des 2009 in Kraft getretenen Lissabon-Vertrags vereinbart, kann jedoch bis heute nicht die Rede sein.51 Stattdessen zeigen nicht zuletzt die flüchtlings- und migrationspolitischen Debatten seit 2015 in Europa, wie stark die nationalstaatlichen Beharrungskräfte bei der Souveränitätsfrage der Zugangs- und Aufenthaltskontrolle des eigenen Territoriums weiterhin sind.52 Die faktische Außerkraftsetzung des Dubliner Abkommens im Sommer 2015 und die Wiedereinführung von Grenzkontrollen bei vermeintlich oder tatsächlich erhöhten Migrationsbewegungen53 stellen die Regelungskompetenz der Europäischen Union immer wieder in Frage. Gleichzeitig ist ein kompletter Rückfall in Zeiten einzelstaatlicher Migrationskontrolle nicht in Sicht, worauf die Bemühungen um europäische Verteilungsprogramme und der Ausbau eines gemeinsamen Europäischen Grenz- und Küstenschutzes (Frontex) seit dem Spätsommer 2016 hinweisen. Und schließlich sind zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Beitrags auch die Verhandlungen über eine Reform des Dubliner Abkommens (Dublin IV) in vollem Gange.54

4. Europäische Binnenmigration nach den EU-Erweiterungen Ebenfalls erweitert wurde in den 1990er und 2000er Jahren die Zahl der EU-­ Mitgliedsstaaten, wodurch sich nicht nur die Schengener Außengrenzen verschoben und sich der Raum der europäischen Binnenmobilität vergrößerte, sondern auch die Zahl (nicht jedoch der Anteil) der EU-Staatsangehörigen, die dieses

50 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Migrationsbericht 2014, Nürnberg 2016, S. 78. Marcus Engler und Jan Schneider sprechen von 31,5 % (bereinigt: 48,5 %), vgl. Engler / Schneider, Deutsche Asylpolitik und EU-Flüchtlingsschutz im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, focus Migration, Kurzdossier 29 (2015), S. 1–17, hier: S. 10 f. 51 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), Art. 79,1. 52 Vgl. Sabine Hess u. a., Der lange Sommer der Migration. Krise, Rekonstitution und ungewisse Zukunft des europäischen Grenzregimes, in: Dies. (Hg.), Sommer, S. 6–24. 53 Tatsächlich werden in den Diskussionen um die Wiedereinführung von Grenzkontrollen aufgrund erhöhter Migrationsbewegungen stets nur bestimmte, ungewollte Gruppen (Asylsuchende, Roma, etc.) beachtet und nicht mit dem allgemeinen Migrationsaufkommen ins Verhältnis gesetzt. 54 Vgl. Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, Mai 2016, COM (2016) 270, URL: http://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2016/DE/COM-2016-270F1-DE-MAIN-PART-1.PDF [10.3.2019].

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Recht tatsächlich in Anspruch nahmen.55 Drei Prozent der Unionsbürger*innen leben in einem anderen Mitgliedsstaat als dem ihrer Geburt. Ein Zehntel davon, also 0,3 % oder knapp 1,2 Millionen EU-Bürger*innen, migrierten beispielsweise im Jahr 2008 von einem Mitgliedsstaat in einen anderen.56 Der Umfang der EU-Binnenmigration von Drittstaatsangehörigen blieb dagegen laut offizieller Zählung auf einem zwar wachsenden, jedoch zu vernachlässigenden Niveau von wenigen Tausend Menschen pro Jahr.57 Hatten die Staatsangehörigen der neuen Mitgliedsstaaten Österreich, Schweden und Finnland 1995 noch sofort die Unionsbürgerschaft und die damit einhergehende Freizügigkeit erhalten, wurden für die Erweiterungsrunden 2004 und 2007 unterschiedliche Fristen vereinbart, die bis zur Gewährung der vollen Freizügigkeit abzuwarten waren.58 Hier zeigt sich also ein neues Muster im Wechsel EU-europäischer und nationalstaatlicher Vorreiterschaft der Migrationspolitik: Grundsatzentscheidung auf europäischer Ebene mit explizit auf die Eigeninteressen der Mitgliedsstaaten zugeschnittenen Spielräumen der Regelumsetzung. Dies führte zunächst zu einer neuen Struktur etablierter Migrationsmuster. So nutzte etwa die große Mehrheit polnischer und baltischer Migrant*innen die Möglichkeit, die ihnen Großbritannien und Irland mit dem Verzicht auf die Fristenregelung boten, während beispielsweise Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten die Freizügigkeit für osteuropäische Beitrittsstaaten so lange wie möglich aufschoben. Der Beitritt Rumäniens und Bulgariens stärkte dagegen das etablierte Wanderungsmuster, nach dem mehr als drei Viertel der Migrant*innen aus beiden Ländern nach Italien oder Spanien zogen. Erst mit den Folgen der Wirtschaftskrise von 2010, die insbesondere auf den Arbeitsmärkten der britischen Inseln und in Spanien spürbar waren, änderten sich diese Wanderungsmuster wieder und führten zu einer verstärkten Zuwanderung nach Deutschland sowohl aus den genannten ost- und südosteuropäischen als auch aus den südeuropäischen Mitgliedsstaaten.59 Dem Ziel eines funktionierenden europäischen Arbeitsmarktes, das der Arbeitnehmer- und Personenfreizügigkeit seit Beginn der europäischen Integration zugrunde lag, ist die Europäische Union durch die Ermöglichung der Binnenmobilität 55 Vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration (SVR) (Hg.), Erfolgsfall Europa? Folgen und Herausforderungen der EU-Freizügigkeit für Deutschland. Jahresgutachten 2013 mit Migrationsbarometer, Berlin 2013, und Franck Düvell, Die Entwicklung der Migration nach der EU-Erweiterung, in: Michael Bommes / Werner Schiffauer (Hg.), Migrationsreport 2006. Fakten  – Analysen  – Perspektiven, Frankfurt a. M. 2006, S. 63–112. 56 Vgl. SVR, Erfolgsfall, S. 50. 57 Vgl. Andreas Müller, EU-Binnenmobilität von Drittstaatsangehörigen, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Working Paper 51, Nürnberg 2013. 58 Vgl. SVR, Erfolgsfall. 59 Vgl. Elisa Hanganu / Stephan Humpert / Martin Kohls, Zuwanderung aus den neuen EU-Mitgliedstaaten Bulgarien und Rumänien, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Forschungsbericht 24, Nürnberg 2014.

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offenbar näher gekommen, auch wenn der Anteil der migrierenden Unionsbürger*innen seit etwa 30 Jahren stabil ist. Während sich der nationalstaatliche Anspruch auf die Regelung und Kontrolle der EU-Binnenmigration nur noch auf einzelne, meist sozialstaatlich begründete Ausschlussmechanismen erstreckt, bleiben kulturelle (vor allem sprachliche) und institutionelle Barrieren (Ausbildungssystem, Arbeitsmarkt, etc.) bestehen. Lediglich bei den rassistischen Debatten und symbolpolitischen Maßnahmen zur Einschränkung der als „Armutsmigration“ skandalisierten Freizügigkeit von bulgarischen und rumänischen Roma, wie sie seit dem EU-Beitritt der beiden Staaten in vielen westeuropäischen Ländern geführt werden, spielten auch überkommene politische Abwehrreflexe und Kontrollansprüche eine bedeutende Rolle.60 Zwar prüfte die EU-Kommission in diesen Fällen eine Verletzung des geltenden EU-Rechts durch nationale Maßnahmen wie Deportationen und Grenzschließungen, doch wurde ein formelles Verfahren auf dem Verhandlungsweg abgewendet.61 Hiervon abgesehen, wurde die freie Mobilität von EU-Staatsangehörigen mit Ausnahme Großbritanniens vorerst nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt. In diesem Fall führte es als wesentliches Argument der „Brexit“-Befürworter letztlich zum Votum für einen Austritt aus der Europäischen Union.

5. Fazit In der Formierungsphase des heutigen europäischen Migrationsregimes trafen sich strukturelle und politische Grundprobleme, die dieses bis heute prägen. Hierzu gehören länger laufende Konfliktlinien wie das spätestens seit den 1970er Jahren zwischen der Europäischen Kommission und den nationalen Regierungen umkämpfte Primat um die Ausgestaltung der Migrationspolitik oder die von letzteren durchgesetzte Logik der freien Mobilität im Inneren der EG / EU bei gleichzeitiger prinzipieller Abgrenzung nach außen. Im betrachteten Zeitraum trafen sie auf grundlegende Veränderungen wie das Ende des Kalten Krieges, das eben auch die europäischen Grenzfragen neu stellte. Wo zuvor die Forderung nach einer Öffnung der Grenze zwischen Ost- und Westeuropa stand, wurde nun die zunehmend militärische Sicherung dieser (sich schrittweise nach Osten verschiebenden) Grenze vorangebracht. Die seit den 1970er Jahren die europäische Migrationspolitik dominierende Vorstellung, dass innereuropäische Mobilität legitim und förderungswürdig, Migration von außen jedoch restriktiv zu kontrollieren und eher zu verhindern sei, wurde durch das Ende der Ost-West-Konfrontation und den hierdurch entstehenden neuen Verhältnissen nicht grundsätzlich in Frage 60 Vgl. Quinn Bennett, Please don’t be our Guests: The Roma Expulsion from France under European Union Law, in: Georgia Journal of International and Comparative Law 40 (2011), S. 219–245. 61 Vgl. Alex Balch / Ekaterina Balabanova / Ruxandra Trandafoiu, A Europe of Rights and Values? Public Debates on Sarkozy’s Roma Affair in France, Bulgaria and Romania, in: Journal of Ethnic and Migration Studies 40 (2014), S. 1154–1174, hier: S. 1155.

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gestellt, sondern lediglich den neuen Bedingungen angepasst. Hinzu kamen durch die neue geopolitische Ordnung ermöglichte Versuche, sich des asylpolitischen Grundkonflikts zwischen humanitärem Völkerrecht einerseits und dem Kontrollanspruch nationaler Migrationspolitik andererseits durch seine Verlagerung an die Peripherie Europas zu entledigen. Die Erfahrungen der Massenflucht in Folge der jugoslawischen Bürgerkriege führten schließlich zu einer Europäisierung des Asylrechts, die über eine reine Externalisierung von Verantwortung hinausging, wenngleich sie nicht zur Vollendung der angestrebten gemeinschaftlichen europäischen Migrations- und Asylpolitik führte. Die 1990er und 2000er Jahre waren somit eine Zeit, in der die EG- bzw. EU-Kommission nach langen Jahren erfolgloser Versuche grundsätzlich die Souveränität in der Migrationspolitik von den Nationalstaaten erlangte – zumindest soweit dies in deren Interesse lag.62 Ob dieses Pendel seit 2015 wieder in Richtung der nationalstaatlichen Regierungen zurückschwingt, oder ob dies nur kurzfristige Irritationen sind, wird sich erst mit einigem Abstand ermessen lassen.

62 Vgl. Baumann, Fingerabdruck; Fellmer, Vergemeinschaftung, und Simon Musekamp, Kohärenz zwischen Migrations- und Entwicklungspolitik. Eine vergleichende Studie zu Deutschland und Frankreich, Trier 2012.

Benjamin Schraven / Antonia Heinrich

Flucht und Migration als Aktionsfelder der deutschen Entwicklungspolitik seit 1990

1. Einleitung Seit der Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, im September 2015 die deutschen Grenzen für tausende aus Budapest nach Österreich drängende Flüchtlinge zu öffnen, sind die Themen Flucht, Migration und Asylpolitik zu einem zentralen Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik geworden. Ob das Jahr 2015 tatsächlich eine „Zäsur [in] der deutschen Geschichte“1 darstellt, mag zu diskutieren sein. Fest steht aber, dass die europäische Flüchtlingsproblematik buchstäblich in Deutschland „angekommen“ ist und drängende Fragen im Hinblick auf die Unterbringung, Versorgung und Integration hunderttausender Flüchtlinge aufgeworfen hat. Gleichzeitig hat die Frage, wie Flüchtlingsbewegungen in Richtung Deutschland und Europa zukünftig verhindert werden könnten, stark an Bedeutung gewonnen. Die Kanzlerin selbst beschrieb in einem viel beachteten Interview in der ARD-Sendung „Anne Will“ im Oktober 2015 die Bewältigung der Flüchtlingskrise als historische Bewährungsprobe und wertete die Bekämpfung von Fluchtursachen als vordringliche politische Aufgabe. „Fluchtursachenbekämpfung“ als Maßnahme der Entwicklungspolitik ist seither stark in den Blickpunkt gerückt und wird inzwischen über Parteigrenzen hinweg als programmatisches Schlagwort benutzt. Der Entwicklungszusammenarbeit kommt nach diesem Verständnis die Aufgabe zu, Konflikte in Entwicklungsländern einzudämmen und für die dortige Bevölkerung ausreichende sozioökonomische Perspektiven zu schaffen. Mit dem Konzept der „Fluchtursachenbekämpfung“ scheint, wie es der ehemalige Ministerialdirektor im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Michael Bohnet, formulierte, die „Stunde der Entwicklungspolitik“2 angebrochen zu sein. Tatsächlich ist „Fluchtursachenbekämpfung“ im politischen Diskurs aber kein neuer Begriff. Vielmehr hat er mit dem Höhepunkt der Flüchtlingszuwanderung

1 Till Daldrup, Das Jahr, das Deutschland veränderte, in: Die Zeit, 9.3.2016, URL: https://www. zeit.de/politik/ausland/2016-03/fluechtlingskrise-deutschland-bilanz-fluechtlingspolitikzaesur [10.3.2019]. 2 Michael Bohnet, Die Stunde der Entwicklungspolitik, in: Süddeutsche Zeitung, 7.4.2016.

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in der zweiten Jahreshälfte 2015 eine schlagartige Renaissance erfahren.3 Bereits Ende September 1990  – also genau 25 Jahre vor dem Höhepunkt der gegenwärtigen Flüchtlingskrise  – legte der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ein Konzeptionspapier vor, in dem der Entwicklungszusammenarbeit als Mittel zur „Verhinderung von zukünftigen Flüchtlingsströmen“ eine zentrale Bedeutung beigemessen wurde.4 Das Papier sah unter dem Schlagwort „Fluchtursachenbekämpfung vor Ort“ eine enge Zusammenarbeit in der Innen- und Entwicklungspolitik zum Zwecke der Verhinderung zukünftiger massenhafter Flüchtlingseinwanderung vor. Der Beitrag untersucht Flucht und Migration als Aktionsfelder deutscher Entwicklungspolitik seit den 1990er Jahren. Im Fokus steht dabei die Bundesregierung in ihren europäischen und internationalen Bezügen. Zunächst werden die historische Ausgangslage seit Mitte der 1970er Jahre und die veränderten Rahmenbedingungen bundesdeutscher Migrations- und Entwicklungspolitik nach dem Ende des Kalten Krieges skizziert. Anschließend diskutiert der Beitrag verschiedene politische und wissenschaftliche Konzepte seit den 1990er Jahren bis in die Gegenwart, insbesondere die wiederkehrende Vorstellung von Entwicklungspolitik als restriktivem Instrument zur „Fluchtursachenbekämpfung“. Als Quellen wurden neben der einschlägigen Sekundärliteratur unter anderem die Berichte zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung sowie die Jahresberichte der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) bzw. – seit ihrer Umbenennung und Fusion mit kleineren Durchführungsorganisationen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Jahr 2011 – die der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) herangezogen.

2. Die Ausgangslage seit Mitte der 1970er Jahre Bis Anfang der 1970er Jahre bildeten modernisierungs- und wachstumstheoretische Konzepte, wonach die Länder der sogenannten „Dritten Welt“ dem erfolgreichen Industrialisierungspfad des Westens folgen sollten, die Grundlage bundesdeutscher und westlicher Entwicklungspolitik.5 Mit Blick auf migrations- und 3 Ein wichtiger Vorbote für diese Entwicklung war sicherlich die Gründung der Sonderinitia­ tive „Fluchtursachen bekämpfen  – Flüchtlinge reintegrieren“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Sommer 2014. Vgl. dazu Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Perspektiven für Flüchtlinge schaffen, Fluchtursachen mindern, Aufnahmeregionen stabilisieren, Flüchtlinge unterstützen, Berlin 2017, S. 13. 4 Dirk Kohnert, Harte Zeiten für Afrikas Flüchtlinge, in: Nord-Süd-Aktuell 2 (1995), S. ­230–239, hier: S. 234. 5 Vgl. Agnes Bresselau von Bressensdorf, Fortschritt und Entwicklung. Die beiden deutschen Staaten in der Dritten Welt seit den 1960er Jahren, in: Dierk Hoffmann / Elke Seefried (Hg.), Plan und Planung. Deutsch-deutsche Vorgriffe auf die Zukunft, München 2018, S. 131–148, hier: S. 132.

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bevölkerungspolitische Überlegungen wurde Mobilität, vor allem der Zuzug von Menschen aus ländlichen Gebieten in urbane Industrie- oder Dienstleistungs­ zentren, lange als Teil eines notwendigen ökonomischen und gesellschaftlichen Transformationsprozesses betrachtet, um wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand überhaupt erst zu ermöglichen.6 Mit dem „Strukturbruch“ Mitte der 1970er Jahre wichen Planungseuphorie und Fortschrittsglauben indes einer neuen Fortschrittsskepsis.7 Dies hatte auch Auswirkungen auf den entwicklungspolitischen Diskurs um Migration. Hier prägten nun Fragen wie der sogenannte Brain Drain – also die massive Abwanderung von Fachkräften, die den Volkswirtschaften ihrer Herkunftsländer im „Globalen Süden“ damit nicht mehr zur Verfügung standen – oder das rasche Anwachsen von Slums bzw. rapide Urbanisierungsprozesse und mit ihnen einhergehende Probleme wie wachsende Kriminalitätsraten die Debatte. Migration als Ganzes, ohne Unterscheidung zwischen freiwilligen Migrationsformen und Zwangsmigration, wurde so in der Entwicklungszusammenarbeit zunehmend als ein Phänomen betrachtet, welches es zu unterbinden, aber nicht politisch zu gestalten gelte.8 Zudem folgte Entwicklungspolitik stets auch der Logik des Kalten Krieges, wurde die Konkurrenz zwischen Ost und West auch im „Globalen Süden“ ausgetragen.9 Obwohl der Nord-Süd-Gegensatz für die internationale Politik seit Mitte der 1970er Jahre an Bedeutung gewann, blieb der Ost-West-Konflikt prägend für die Ausrichtung der bundesdeutschen wie auch der westlichen Entwicklungspolitik insgesamt. So folgte die christlich-liberale Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl ab 1982 dem US-amerikanischen Vorbild der Reagan-Administration: Diese begriff Entwicklungspolitik als außenpolitisches Instrument in einer Hochphase des Kalten Krieges und somit nicht zuletzt auch als ein Hilfsmittel gegen die sowjetische Expansion in der „Dritten Welt“. Mit anderen Worten: Entwicklungshilfe blieb vor allem ein Element der Belohnung bei anhaltender oder neu entdeckter Treue zum Westen, ihre Reduzierung oder komplette Streichung ein Sanktionsinstrument bei einer etwaigen Annäherung eines Partnerlandes an Moskau.10 Ausgangspunkt von konkreten Überlegungen der Bundesregierung, entwicklungspolitische Maßnahmen auch als Instrument zur Einhegung von Flucht­ ursachen zu begreifen, waren indes weltweit steigende Flüchtlingszahlen, die seit Mitte der 1970er Jahre vor allem von Afrika und Asien ausgingen. Durch die sowjetische Intervention in Afghanistan 1979 sowie den iranisch-irakischen Krieg 6 Vgl. Hein de Haas, The Migration and Development Pendelum: A Critical View on Research and Policy, in: International Migration 50 (2012), S. 8–25. 7 Vgl. Bresselau von Bressensdorf, Fortschritt, S. 138. 8 Vgl. Hein de Haas, International Migration, Remittances and Development: Myths and Facts, in: Third World Quarterly 26 (2005), S. 1269–1284, hier: S. 1278. 9 Vgl. Christof Hartmann, Entwicklungspolitik im Wandel, in: Politische Bildung 3 (2011), S. 10–21. 10 Vgl. Michael Bohnet, Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik. Strategien, Innen­ ansichten, Zeitzeugen, Herausforderungen, Konstanz / München 2015, S. 111–113.

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ab 1980 kam es noch einmal zu einem massiven Anschwellen der globalen Flüchtlingszahlen. Erstmals tauchte die Terminologie „Bekämpfung der Fluchtursachen“ in der Spätphase der sozial-liberalen Koalition in einem UN-Resolutionsentwurf des deutschen Auswärtigen Amtes von 1980 auf, der darauf abzielte, die Prävention neuer Flüchtlingsströme fest in der internationalen Politik zu verankern.11 Die nach jahrelangem, zähem Ringen Ende 1986 von der UN-Generalversammlung verabschiedete Resolution „International cooperation to avert new flows of refugees“ benannte entsprechend dem deutschen Entwurf neben repressiven Regimen vor allem sozioökonomische Unterschiede zwischen „Globalem Norden“ und „Globalem Süden“ als wesentliche Fluchtgründe, die es nicht zuletzt durch entwicklungspolitische Maßnahmen zu beseitigen gelte.12

3. Rahmenbedingungen für die deutsche Entwicklungspolitik nach Ende des Kalten Krieges Der Zerfall des Ostblocks und das Ende des Ost-West-Konflikts 1989/91 markierten als „weltgeschichtliche Zäsur“13 einen tiefgreifenden Wandel des internationalen Systems – und somit auch der Rahmenbedingungen von Entwicklungspolitik. Zugleich hat sich die politische Landkarte Europas, das 1989 zum Schauplatz friedlicher Revolutionen in der DDR, Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei und Rumänien wurde, maßgeblich verändert. Die Bundesrepublik rückte mit der Wiedervereinigung von der Peripherie wieder in die Mitte Europas und erlangte mit dem Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier-Vertrags ihre volle staatliche Souveränität zurück. Als Akteurin auf europäischer und internationaler Bühne wuchsen ihre Bedeutung und außenpolitische Verantwortung dadurch beträchtlich.14 Gleichzeitig dynamisierte das Ende des Kalten Krieges den gesamteuropäischen Integrationsprozess, der die Spielräume nationaler Politik durch übergeordnete europäische Strukturen eingrenzte und neue Voraussetzungen für Migration und deren politische Steuerung schuf. Im Vertrag von Maastricht, der 1993 in Kraft trat, verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft, die seither Europäische Union heißt, im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit auf eine koordinierte Politik in „Ergänzung der entsprechenden Politik der Mitgliedsstaaten“ und in Kooperation mit den zu11 Vgl. Agnes Bresselau von Bressensdorf, Das globale Flüchtlingsregime im Nahen und Mitt­leren Osten in den 1970er und 1980er Jahren, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 66/26–27 (2016), S. 32–39, hier S. 33 f., URL: http://www.bpb.de/apuz/229821/das-globale-f​ luechtlingsregimeim-nahen-und-mittleren-osten-in-den-1970er-und-1980er-jahren?​p=​all [10.3.2019]. 12 Generalversammlung der Vereinten Nationen, Resolution A / RES/41/70, New York 1986, URL: http://www.un.org/documents/ga/res/41/a41r070.htm [10.3.2019]. 13 Frank Deppe, Jenseits der Systemkonkurrenz. Überlegungen zur neuen Weltordnung, Marburg 1991, S. 9. 14 Vgl. Christian Hacke, Weltmacht wider Willen  – Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1997, S. 425–523.

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ständigen internationalen Organisationen. Als Zielvorstellungen formulierte der Vertrag unter anderem die „nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Entwicklungsländer“ und die „Bekämpfung der Armut“ in diesen Ländern.15 Auch wenn sich die Europäische Union seit ihrer Gründung stetig fortentwickelt und verändert hat, gelten für die Entwicklungspolitik im geeinten Europa heute nicht wesentlich andere Rahmenbedingungen als in den 1990er Jahren: Entwicklungspolitische Maßnahmen der Nationalstaaten orientieren sich an gemeinsamen europäischen Leitlinien;16 die Mitgliedsstaaten entscheiden jedoch weiterhin souverän über Aktivitäten und den geografischen Fokus ihrer Entwicklungspolitik.17 Wesentlich komplizierter ist die Gemengelage dagegen auf einem anderen Feld der europäischen Zusammenarbeit: der Migrations- und Asylpolitik.18 Die im Vertrag von Maastricht beschlossene Kooperation zwischen den Regierungen in der Innen- und Justizpolitik ergab sich aus dem erklärten Ziel, in der Union den freien Personenverkehr zu garantieren. Die Benelux-Staaten, Frankreich und die Bundesrepublik hatten den Abbau von Kontrollen an ihren Binnengrenzen schon 1985 im Schengener Abkommen vereinbart. Die Übertragung dieser Regelung auf die Gesamtheit der Europäischen Union ging notwendigerweise mit einer gemeinsamen Kontrolle der Außengrenzen und, in Verbindung damit, einer abgestimmten Einwanderungs- und Asylpolitik einher.19 Seit den 1990er Jahren ist in diesem Bereich der politischen Zusammenarbeit die traditionelle Zuständigkeit der Nationalstaaten immer mehr auf die Ebene der europäischen Instanzen übergegangen. Gleichzeitig wurde die „Entgrenzung“ Europas endgültig festgeschrieben.20 Nachhaltige Auswirkungen auf die Gestaltung bundesdeutscher Asylpolitik hatte zudem der von Bürgerkrieg, Massakern und ethnischen Säuberungen begleitete Zerfall Jugoslawiens ab 1991. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten waren Flucht 15 Vertrag über die Europäische Union (EUV), Titel XVII, Artikel 130, zit. nach Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hg.), Dokumente zu Deutschland 1944–1994, München 2004, S. 285. 16 So werden als Kernziele von Entwicklungspolitik nach wie vor Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung definiert. Als Bezugspunkt dienten bis 2015 die Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen, für die die EU-Kommission 2010 einen entsprechenden Aktionsplan vorlegte. Vgl. dazu auch: Europäische Kommission, Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung. Armutsbekämpfung in einer Welt im Wandel. Die Europäische Union erklärt, Luxemburg 2014. 17 Vgl. Sebastian Steingaß, Der Beitrag der EU zur Entwicklungszusammenarbeit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 65/7–9 (2015), S. 2, URL: http://www.bpb.de/apuz/200374/derbeitrag-der-eu-zur-wirksamkeit-der-entwicklungszusammenarbeit?p=1 [10.3.2019]. 18 Vgl. dazu auch den Beitrag von Marcel Berlinghoff in diesem Band [Anm. d. R.]. 19 Vgl. Gerhard Brunn, Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Stuttgart 2004, S. 276 f. 20 Mit dem seit 1999 in Kraft getretenen Amsterdamer Vertrag wurden die Politikfelder Asyl und Einwanderung in eine gemeinsame (supranationale) Zuständigkeit überführt. Durch das Schengen-Protokoll zum Amsterdamer Vertrag wurde das Schengener Abkommen Teil der EU-Verträge und wird (von wenigen Ausnahmen abgesehen) EU-weit angewandt. In Bezug auf Fluchtmigration wurde das Schengener Abkommen 1990 durch das Dubliner Übereinkommen ergänzt, das 2003 als Verordnung ebenfalls Teil des EU-Rechts (Dublin II) und 2013 überarbeitet (Dublin III) wurde.

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bzw. Gewaltmigration wieder im Herzen Europas anzutreffen, stieg die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge massiv an.21 Das Jahr 1992, in dem fast 450.000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl im wiedervereinigten Deutschland stellten,22 kennzeichnete den Höhepunkt dieser Entwicklung. Das politische Klima in dieser Zeit war beherrscht von fremdenfeindlichen Attentaten, Erfolgen rechtsradikaler Parteien wie den Republikanern oder der Deutschen Volksunion (DVU) bei Landtagswahlen und kontroversen öffentlichen Debatten, wie mit dieser Situation umzugehen sei. Diese mündeten schließlich in den sogenannten Asylkompromiss von 1992/1993. Er führte das Konzept der sogenannten „sicheren Drittstaaten“ und „sicheren Herkunftsstaaten“ ein, in denen Flüchtlingen keine Verfolgung drohe. In der Folgezeit kam es zu einem massiven Rückgang der Asylverfahren in Deutschland.23 Die veränderten Rahmenbedingungen politischen Handelns in Deutschland und Europa haben dazu geführt, dass sich europäische Regierungen in der Gegenwart häufig in einem Dilemma befinden: Einerseits sind nationale Regelungen in der Asyl- und Migrationspolitik nicht mehr tragfähig und innerhalb des rechtlichen Gefüges der Europäischen Union auch nicht mehr möglich.24 Andererseits ist Zuwanderung ein Thema mit innenpolitischer Sprengkraft und Regierungen sind gezwungen, auf Entwicklungen im eigenen Land, einschließlich des Wahlverhaltens der Bürger*innen, flexibel zu reagieren. In Anbetracht der Tatsache, dass die nationalstaatlichen Gestaltungsspielräume im Bereich der Entwicklungspolitik ungleich höher sind als die auf dem Feld der Asylpolitik, erscheint es aus Sicht der politisch Verantwortlichen daher oftmals naheliegend, Entwicklungspolitik als ein Instrument zur Steuerung und vor allem auch der Begrenzung von Migration insgesamt einzusetzen.

4. Zwischen Asylkompromiss und neuer Weltordnung: Entwicklungspolitik als Fluchtursachenbekämpfung? Das BMZ nahm unter seinem Ressortchef Carl-Dieter Spranger (CSU) in den frühen 1990er Jahren an der ein- oder anderen Stelle auch eine Differenzierung zwischen Flucht und (freiwilliger) Migration vor;25 vor allem Armut, aber auch Umwelt21 Hinzu kam die Gruppe der sogenannten „Spätaussiedler“ aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten bzw. den Staaten Osteuropas. Vgl. dazu Klaus Bade, Ausländer, Aussiedler, Asyl. Eine Bestandsaufnahme, München 1994, S. 12. 22 Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Aktuelle Zahlen zu Asyl 3/2017, Nürnberg 2017, S. 3. 23 Vgl. Klaus Bade, Migration, Flucht, Integration – Kritische Politikbegleitung von der „Gastarbeiterfrage“ bis zur „Flüchtlingskrise“. Erinnerungen und Beiträge, Karlsruhe 2017, S. 28 f. 24 Vgl. hierzu auch Stefan Luft, Die Flüchtlingskrise. Ursachen, Konflikte, Folgen, München 2016, S. 49 f. 25 Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), 9. Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, Bonn 1993, S. 26.

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wandel und von Menschen verursachte Katastrophen wie Bürgerkriege wurden von Seiten der Bundesregierung als offizielle Hauptfluchtgründe betrachtet. Dabei wurde konstatiert, dass gerade auch urbane Gebiete in Entwicklungsländern  – und nicht die Industrieländer  – die „Leidtragenden“ von Migrationsprozessen seien.26 Dementsprechend heißt es im neunten Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung vom Januar 1993: „Wenn es gelingt, Armut zu vermindern, wird gleichzeitig eine der wichtigsten Ursachen der weltweiten Flüchtlings- und Wanderbewegungen sowie eine Quelle von Umweltzerstörungen eingedämmt.“27 Die Bekämpfung der Ursachen und negativen Folgen von Flucht und Migration in der Entwicklungszusammenarbeit war aber nicht das einzige Element eines „Flüchtlingskonzeptes“, wie es vor allem Carl-Dieter Spranger verfolgte.28 Insgesamt bestand dieses aus drei Säulen, die im Wesentlichen die inhaltliche Ausrichtung der BMZ-Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren“ knapp zwei Jahrzehnte später vorwegnahmen, auch wenn sich das Portfolio der Maßnahmen gerade im Bereich der Flüchtlingshilfe29 deutlich gewandelt hat: „1. Verbesserung der Lebensbedingungen, politischen Rahmenbedingungen und Katastrophenvorbeugung in den Herkunftsländern, 2. Förderung der Flüchtlinge in Aufnahmeländern durch Arbeits- und Ausbildungsmaßnahmen, Verhinderung von Lagerhospitalismus und Rehabilitisierung von Schäden, die durch die Flüchtlinge entstanden sind und 3. Schaffung von Rückkehrmöglichkeiten für Flüchtlinge in die Herkunftsländer“.30 Sprangers Konzept sowie die Tatsache, dass sich die Flüchtlingshilfe in dieser Zeit konsequenterweise zu einem Schwerpunktthema des Drittgeschäftes der GTZ, also Aufträgen von außerhalb des BMZ, entwickelte,31 bedeuteten indes nicht, dass sich die gesamte deutsche Entwicklungspolitik in den 1990er Jahren dem Ziel der Fluchtursachenbekämpfung unterordnete. Noch weniger implizierte es, dass letztere zum maßgeblichen Argument für die Legitimation der deutschen Entwicklungspolitik herangezogen worden wäre. Vielmehr gelang es dem BMZ unter Carl-Dieter Spranger – nicht zuletzt wohl auch wegen der stark zurückgehenden Flüchtlingszahlen in Deutschland nach dem Asylkompromiss von 1992/199332 – Entwicklungspolitik relativ eigenständig zu gestalten. Dass die 26 27 28 29

Vgl. ebd., S. 16 f., S. 30–33 und S. 44. Ebd., S. 33. Bohnet, Entwicklungspolitik, S. 200. Wichtige Aspekte waren hier die Übernahme der humanitären Hilfe in den Aufgabenbereich des Auswärtigen Amtes 2012 (vgl. Auswärtiges Amt / Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gemeinsame AA-BMZ-Pressemittelung zum „Welttag der humanitären Hilfe“, Berlin 2013) oder auch die Einbeziehung der Perspektive der aufnehmenden Kommunen und Länder (vgl. BMZ, Perspektiven für Flüchtlinge). 30 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), 10. Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, Bonn 1996, S. 12. 31 Vgl. Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), Jahresbericht 1996, Eschborn 1997, S. 39. 32 Vgl. dazu BAMF, Aktuelle Zahlen, S. 3.

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1990er Jahre, wie es der Journalist Tillman Elliesen formulierte, eine entwicklungspolitische „Zeit der Unschuld“33 gewesen sei, ohne Unterordnung unter außenoder innen- bzw. realpolitische Zwänge, ist indes sehr zweifelhaft. Zutreffend ist aber sicherlich, dass die Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr strikt geostrate­ gisch-ideologischen Zielen Rechnung trug. Sie konnte sich somit stärker an den Bedürfnissen der Empfänger*innen ausrichten.34 Das BMZ definierte fünf Kriterien für seine Zusammenarbeit mit den Partnerländern: Beachtung der Menschenrechte, Partizipation der Bevölkerung am politischen Geschehen, Gewährung und Existenz von Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit, Förderung marktwirtschaftlicher und sozialer Strukturen sowie Good Governance. Ab Ende der 1990er Jahre, unter der rot-grünen Bundesregierung und der BMZ-Ressortchefin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), gewannen auch die Aktionsfelder Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung in der deutschen Entwicklungspolitik deutlich an Gewicht.35 Somit erfuhr eine tatsächliche Fluchtursachenbekämpfung, die sich nicht generell als Migrationsbekämpfung verstehen mochte, non expressis verbis eine Aufwertung. Denn Hauptursachen für Fluchtbewegungen waren schon damals bewaffnete Konflikte. Gerade Staaten, bei denen große Teile der Bevölkerung von einer Teilhabe an politisch-gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen sind, bzw. Staaten, die durch besonders repressive Regime gekennzeichnet sind, für die rechtsstaatliche Normen und Menschenrechte nur wenig Bedeutung haben, drohen unter gewissen Umständen sehr schnell abzurutschen in einen Sog aus Instabilität, bewaffneten Konflikten und massenhafter Flucht.36

5. Bedeutungsverlust von Flucht und Migration für die Entwicklungspolitik In den 1990er Jahren veränderte sich schrittweise die politische und vor allem wissenschaftliche Betrachtung und Beurteilung von Migrationsprozessen. Durch neue Konzepte und Modelle wie die New Economics of Labour Migration37 oder das Sustainable Livelihood Framework38 kam es zu einer differenzierteren Betrachtungsweise von Migration und den Zusammenhängen zwischen Migration 33 Tillman Elliesen, Entwicklungshilfe: Die Zeit der Unschuld ist vorbei, in: Weltsichten. Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit, 28.11.2016, URL: https:// www.welt-sichten.org/artikel/32616/die-zeit-der-unschuld-ist-vorbei [10.3.2019]. 34 Vgl. Hartmann, Entwicklungspolitik, S. 15 f. 35 Vgl. Bohnet, Entwicklungspolitik, S. 145–156 und S. 163–175. 36 Benjamin Schraven u. a., Was kann Entwicklungspolitik zur Bekämpfung von Fluchtursachen beitragen, in: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik. Analysen und Stellungnahmen 14 (2015), S. 1–4, hier: S. 2. 37 Oded Stark, The Migration of Labour, Cambridge 1991. 38 Ian Scoones, Sustainable Rural Livelihoods: A Framework of Analysis, in: IDS Working Paper 27 (1997).

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und Entwicklung. Nicht zuletzt das Thema der Rücküberweisungen, also der Geldsendungen von Migrant*innen an ihre Familien in den Herkunftsländern, wurde nun verstärkt zu einem Forschungsthema. Man gelangte zunehmend zu der Erkenntnis, dass Rücküberweisungen, die Mitte der 1990er Jahre nach Weltbank-Schätzungen zum ersten Mal in ihrer Gesamthöhe die aggregierten Mittel der weltweiten Entwicklungszusammenarbeit überstiegen, bei den Empfänger*innen nicht nur für Geltungskonsum – also öffentlichem Konsum, welcher darauf abzielt, Andere zu beeindrucken – genutzt werden. Vielmehr wurden und werden sie auch für Bildungs- und Gesundheitsausgaben genutzt bzw. reinvestiert.39 Aus diesen Gründen besitzen Rücküberweisungen ein enormes entwicklungspolitisches Potential, welches aber zu diesem Zeitpunkt noch keine nennenswerte politische Beachtung fand. Gleiches gilt für den so genannten Migration hump, welcher in den 1990er Jahren maßgeblich Verbreitung fand und einen positiven Zusammenhang zwischen Entwicklung und Migration konstatiert.40 Aufbauend darauf setzte sich in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung rasch die Erkenntnis durch, dass große Armut sowie marginale Lebensverhältnisse in Entwicklungsländern Migration eher verhindern, als sie zu bedingen. Anders formuliert: Um migrieren zu können, vor allem über große Distanzen hinweg, brauchen Menschen Ressourcen und Geld, welches ärmeren Bevölkerungsgruppen per definitionem nicht zur Verfügung steht. Dennoch hielt die Bundesregierung noch im Jahr 2001 daran fest, dass „Armut im globalen Süden die wichtigste Migrationsursache“ sei.41 Auch kritisieren Wissenschaftler*innen seit den 1990er Jahren zunehmend einen politischen Ansatz, der in der akademischen Literatur unter der Bezeichnung sedentary bias firmiert.42 Diese Bezeichnung beschreibt die Annahme, dass man mit einer erfolgreichen Entwicklungspolitik bzw. anderen politischen Interventionen, die zu steigenden Einkommen und somit auch zu sinkenden Armutsraten beitragen sollen, Migration unterbinden könne. Diese Annahme ist aus den genannten Gründen kaum haltbar. Auf entwicklungspolitischer Ebene rückten Fragen von Migration und Flucht ab Mitte der 1990er Jahre in den Hintergrund. Zwar ging von der UN-Weltbevöl­ kerungskonferenz in Kairo (1994), die sich schwerpunktmäßig mit Fragen reproduktiver Gesundheit befasste,43 auch das Signal aus, dass Regierungen keine 39 Vgl. de Haas, Migration and Development, S. 8. 40 Vgl. Philip L.  Martin / Edward J.  Taylor, The Anatomy of  a Migration Hump, in: Edward J. Taylor (Hg.), Development Strategy, Employment and Migration: Insights from Models, Paris 1996, S. 43–62. 41 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), 11. Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, Bonn, S. XIII. 42 Vgl. Oliver Bakewell, „Keeping them in their place“: The Ambivalent Relationship between Migration and Development in Africa, in: Third World Quarterly 29 (2008), S. 1341–1358. 43 Benjamin Schraven u. a., Post-2015: Migration im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestalten, in: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik. Analysen und Stellungnahmen 1 (2014), S. 1–4, hier: S. 2.

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Vorgaben bezüglich demografischer Prozesse (inklusive Migration) erlassen bzw. diese nicht nach Plan strikt steuern sollten.44 Dieses teilweise Abrücken von der Vorstellung der Planbarkeit demografischer Prozesse führte in der Folgezeit dazu, dass die erwähnten positiven Wechselwirkungen zwischen Migration und Entwicklung, wenn auch sehr langsam, in das Blickfeld der internationalen Entwicklungspolitik rückten. Gleichwohl war in der deutschen Entwicklungspolitik davon zunächst wenig zu spüren. Im elften45 und zwölften Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung46 nahmen Flucht und Migration dementsprechend auch nicht mehr den gleichen Raum ein wie noch in früheren Stellungnahmen. Dies gilt auch für die sogenannten Millenniumsentwicklungsziele, die beim Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen im Jahr 2000 verabschiedet wurden und als nahezu „migrationsblind“ bezeichnet werden können.47 Um dem sich an der Jahrtausendwende stetig beschleunigenden Globalisierungsprozess gerecht zu werden, definierte das BMZ seine Politik als globale Strukturpolitik, die wirtschaftliche, soziale, ökologische und politische Ordnungspolitiken mitgestalten sollte.

6. Entwicklungspolitische Migrationsgestaltung und die Rückkehr zur „Fluchtursachenbekämpfung“ Seit der Jahrtausendwende ist ein sukzessiver, mehrdimensionaler Wandel in der deutschen und internationalen Entwicklungspolitik zu verzeichnen. Zum einen kann von einer „Versicherheitlichung“ gesprochen werden. Mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr – etwa im Kosovo (ab 1999) oder in Afghanistan (ab 2001) – kam es zu einer wachsenden Überlappungen von außen-, entwicklungsund verteidigungspolitischen Fragestellungen. Nicht durch Zufall wurde das BMZ im Herbst 1998 deshalb in den Bundessicherheitsrat, das zentrale Koordinationsund Kontrollorgan der deutschen Sicherheitspolitik, aufgenommen.48 Spätestens mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde Entwicklungspolitik schließlich auch als wichtiges Instrument zur Konfliktprävention und Friedensarbeit begriffen. Zum anderen wurden in der deutschen Öffentlichkeit Fragen der Zuwande­rung und Integration kontrovers diskutiert. Der Bericht der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ im Jahr 2001 (wegen ihrer Leiterin, Rita Süßmuth, auch als Süßmuth-Kommission bezeichnet) sowie das sogenannte Zuwanderungs44 Vgl. United Nations Population Fund (UNFPA), Programme of Action of the International Conference on Population Development, New York 2014, URL: https://www.unfpa.org/ publications/international-conference-population-and-development-programme-action [10.3.2019]. 45 BMZ, 11. Bericht. 46 BMZ, 12. Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, Bonn 2005. 47 Schraven u. a., Migration gestalten, S. 2. 48 Vgl. Bohnet, Entwicklungspolitik, S. 163–175.

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gesetz (erlassen 2004 und in Kraft getreten 2005) wurden zum Ausdruck einer Entwicklung, die Deutschland nach Einschätzung der Migrationsforscher Klaus Bade und Jochen Oltmer weg von einer reaktiven und hin zu einer aktiven und gesteuerten Gestaltung von Migration und Integration in verschiedenen Politikfeldern brachte.49 Im internationalen entwicklungspolitischen Kontext waren die 2000er Jahre eine Zeit, in der – trotz des weitgehenden Fehlens von Migrationsthemen bei den Millenniumsentwicklungszielen – große Institutionen wie vor allem die Weltbank ihre Arbeit im Bereich „Migration und Entwicklung“ stark intensivierten.50 Im 13. entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung heißt es folgerichtig dann auch: „Migration hat aus entwicklungspolitischer Sicht positive wie negative Aspekte“.51 Explizit wurde nun etwa das Potential von Rücküberweisungen und anderer entwicklungsfördernde Transfers durch Migrant*innen (etwa Wissenstransfers) erwähnt. Mitte der 2000er Jahre wurde zudem das Sektorvorhaben „Migration und Entwicklung“ der GTZ gegründet, welches sich seitdem mit Geldtransfers durch Migrant*innen, Diasporaaktivitäten, später auch mit der Förderung einer entwicklungsorientieren Mobilität beschäftigt.52 Bis zu diesem Zeitpunkt war das Thema bei der GTZ bzw. GIZ nur mit der Entsendung so genannter integrierter (deutscher) Fachkräfte in Entwicklungsländer bzw. der Förderung der Rückkehr von in Deutschland lebenden Fachkräften aus Entwicklungsländern abgedeckt, welche bis heute durch das „Centrum für Migration“ (CIM), einer Arbeitsgemeinschaft aus GIZ und der Bundesagentur für Arbeit, durchgeführt wird.53 Unter dem Label „Migration und Entwicklung“ wurde – wie bei Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit anderer Länder auch – ein neues Aktionsfeld ins Leben gerufen. Eine pluralistische Betrachtungsweise von Migration hatte sich somit offenkundig auch in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit durchgesetzt. Gerade weil das Thema Integration in Deutschland und anderen europäischen Gesellschaften in dieser Zeit massiv an Bedeutung gewann, plädierten die politischen Entscheidungsträger*innen allerdings überwiegend für restriktive Strategien zur Migrationssteuerung. Das zeigt sich etwa am 2005 ins Leben gerufenen Global Approach to Migration and Mobility (GAMM) der EU. Kernelemente sind hier bis heute eher eine Bekämpfung von irregulärer Migration bzw. die Rückführung

49 Vgl. Klaus Bade / Jochen Oltmer, Normalfall Migration, Bonn 2004, S. 127–132. 50 Weltbank, Migration and Development: A Role for the World Bank, Washington D. C. 2016, S. 27. 51 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), 13. Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, Bonn 2008, S. 182. 52 Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), Migration und Entwicklung, URL: https://www.giz.de/fachexpertise/html/9697.html [10.3.2019]. 53 Vgl. u. a. Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), Jahresbericht 1996, Eschborn 1997, S. 27 und S. 41; GTZ, Jahresbericht 1999, Eschborn 2000, S. 25 und S. 39, und GTZ, Jahresbericht 2002, Eschborn 2003, S. 24 und S. 46.

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irregulärer Migrant*innen in ihre Herkunftsländer als eine auch entwicklungspolitische Gestaltung von Einwanderung.54 Insgesamt änderte sich daran auch unter der christlich-liberalen Bundes­ regierung ab 2009 unter BMZ-Chef Dirk Niebel (FDP) wenig.55 Allerdings kam es durch eine Intensivierung bewaffneter Konflikte weltweit ab circa 201056 zu einem rapiden Anstieg der globalen Flüchtlingszahlen. Diese erreichten laut UNHCR Ende 2015 mit 65 Millionen Binnenvertriebenen und Flüchtlingen einen (vorläufigen) Höhepunkt.57 Im Jahr 2014 reagierte das BMZ unter Minister Gerd Müller (CSU) und rückte die Terminologie „Fluchtursachenbekämpfung“ wieder ins Zen­ trum entwicklungspolitischer Debatten. Durch die Gründung der Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren“ sollten nach offiziellen Angaben des BMZ sowohl kurzfristig Flüchtlinge und aufnehmende Gemeinden unterstützt als auch langfristig sogenannte „strukturelle Fluchtursachen wie Armut, Ungleichheit oder Ernährungsunsicherheit beseitigt werden“.58 Die alten Erklärungs- und Adressierungsmuster von Flucht, eine mangelnde Differenzierung zwischen Flucht und Migration sowie eine überwiegend negative Konnotation von Migrationsprozessen, wie es sie schon seit den späten 1970er und frühen 1980er Jahren gegeben hat, sind darin durchaus wiederzuerkennen. Minister Gerd Müller betrachtet mittlerweile auch die BMZ-Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“, welche im großen Stil Maßnahmen im Bereich der ländlichen Entwicklung und der Ernährungssicherheit in vielen Partnerländern fördert,59 oder weite Teile der „traditionellen“ (zumeist) bilateralen Entwicklungszusammenarbeit als Beitrag

54 Vgl. Europäische Kommission, The Global Approach to Migration and Mobility, Brüssel 2011. 55 Im 14. Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung vom Mai 2013 wird Migration zwar als „zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts“ (S. 7 und S. 27) bezeichnet, allerdings ist hier auch von „Entwicklungschancen durch Rücküberweisungen und zusätzliches Wissen bei zirkulärer Migration“ (S. 152) die Rede. Zudem werden entsprechende Fördermaßnahmen von Seiten des BMZ betont (S. 15 und S. 50). Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), 14. Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, Berlin 2013. 56 Vgl. Peace Research Institute Oslo (PRIO), Trends in Armed Conflicts, 1946–2015, Oslo 2016, S. 3. 57 Vgl. United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), Global Trends – Forced Displacement in 2015, Genf 2016. 58 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Fluchtursachen mindern  – Aufnahmeregionen stabilisieren  – Flüchtlinge unterstützen, URL: https://www.bmz.de/de/themen/Sonderinitiative-Fluchtursachen-bekaempfen-Fluechtlinge​ -reintegrieren/deutsche_politik/index.jsp [10.3.2019]. 59 Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Müller: „Ernährungssicherung und Fluchtursachen bekämpfen gehen Hand in Hand“, URL: http://www.bmz.de/de/presse/aktuelleMeldungen/2016/maerz/160330_pm_027_MinisterMueller-Ernaehrungssicherung-und-Fluchtursachen-bekaempfen-gehen-Hand-in-Hand/ index.html [10.3.2019].

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zur Minderung von Fluchtursachen.60 Auch der Anfang 2017 vorgestellte „Marshall-Plan mit Afrika“,61 wurde in der medialen Auseinandersetzung in erster Linie als Maßnahme zur Fluchtursachenbekämpfung gedeutet,62 wenngleich dies in der offiziellen Zielsetzung nicht der Primärzweck des Plans ist. Dies zeigt darüber hinaus, dass der sedentary bias offenkundig ein nach wie vor sehr wirkmächtiges politisches Narrativ ist. Zugleich lässt sich durch die massive Zunahme der Flüchtlingszuwanderung nach Deutschland seit 2015 und der inflationären Verwendung der Begrifflichkeit „Fluchtursachenbekämpfung“ im politischen Diskurs eine gewisse Aufwertung der Entwicklungspolitik in der medialen Wahrnehmung und ihrer politischen Bedeutung feststellen. Die „Stunde der Entwicklungspolitik“ scheint nicht nur für den ehemaligen stellvertretenden Staatssekretär im BMZ, Michael Bohnet, gekommen.

7. Ausblick Nach dem Ende des Kalten Krieges und im Kontext steigender Flüchtlingszahlen drohte sich die Bekämpfung von Fluchtursachen und irregulärer Migration – und für nicht wenige gar die von Migration insgesamt – zu Beginn der 1990er Jahre immer mehr zu einer raison d’ être für die Entwicklungspolitik zu entwickeln. An diesem Punkt scheint letztere heute beinahe wieder angekommen zu sein. Wenn sich die Sichtweise durchsetzen sollte, Flucht und Migration einfach gleichzusetzen, Migrationsprozesse im Wesentlichen als negativ zu betrachten, die Ursachen von Migration undifferenziert in Armut und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit zu sehen und Entwicklungspolitik als ein Instrument zu begreifen, das Migration in all ihren Ausprägungen unterbinden könne, dann droht definitiv ein Rückfall in die frühen 1990er Jahre. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass man in der (Entwicklungs-)Politik positive und entwicklungsfördernde Aspekte von Migration nicht mehr wahrnehmen und adressieren wird. Auch wird man schwerlich hinter die Einsicht, dass menschliche Entwicklung und Migration letztendlich immer ein Stück weit Hand in Hand gehen, zurückfallen können. Jede entwicklungspolitische Großinitiative in Gegenwart und Zukunft muss sich also daran messen lassen, dass sie Migration mitberücksichtigt. Auch müssen in diesem Zusammenhang positive Aspekte von Migration wie beispielsweise Rücküberweisungen und Wissenstransfers gefördert 60 Die Summe, die 2016 nach offiziellen Angaben des BMZ an Neuzusagen in die „Bekämpfung“ von Fluchtursachen, Flüchtlingshilfe und Reintegrationsmaßnahmen investiert wurde, beläuft sich auf 3 Milliarden Euro. Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Flucht weltweit: Perspektiven durch Entwicklung, Berlin 2016, S. 35. 61 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Afrika und Europa – Neue Partnerschaft für Entwicklung, Frieden und Zukunft, Berlin 2017. 62 Vgl. z. B. Ulrike Scheffer, Mehr Flüchtlinge aus Afrika, in: Der Tagesspiegel, 3.4.2017.

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und negative Aspekte, zu denen ohne Zweifel Flucht, Vertreibung und sicherlich auch die – aus europäischer Sicht – tausendfache „irreguläre“ Migration aus Afrika gehören, minimiert werden. Dabei sind neben der Entwicklungspolitik auch andere Politikbereiche wie Außen- oder Handelspolitik gefragt. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wird nicht daran vorbeikommen, sich mit den eigentlichen Ursachen von irregulärer Migration, wie beispielsweise fragile Staatlichkeit, Gewaltkonflikte oder repressive Regime, auseinanderzusetzen und Migration aktiv zu gestalten, wenn sie einen zielführenden und konstruktiven Umgang mit dem Gesamtkomplex Migration erlangen möchte. Aus Sicht der Migrations- und Entwicklungsforschung muss auch betont werden, dass die Minderung der erwähnten Ursachen von Flucht, irregulärer Migration und Gewaltmigration vor allem mit den Instrumenten der zivilen Krisenprävention und Friedensförderung sowie der Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu erreichen ist.63 Diese Aktionsfelder der Entwicklungspolitik müssen prioritär bleiben bzw. werden, wenn man dem Anspruch einer Bekämpfung von Fluchtursachen im eigentlichen Wortsinne gerecht werden will. Die Einigung der Staatengemeinschaft auf einen „Globalen Vertrag“64 zu sicherer, regulärer und geordneter Migration unter dem Dach der Vereinten Nationen im Juli 2018, welcher ein klares Bekenntnis zu Migrant*innenrechten, der Reduzierung von Fluchtursachen und einem Mehr an regulärer Migration darstellt, könnte den Weg dafür ebnen.

63 Schraven u. a., Fluchtursachen, S. 4. 64 United Nations (UN), Compact for Migration, New York 2018, URL: https://refugeesmigrants. un.org/migration-compact [10.3.2019].

Miriam Schader

Total spontan? „Krisen“bearbeitung in der lokalen Aufnahme Geflüchteter

1. Einleitung Stolz präsentierte die Bundesregierung Anfang 2018 die aktuellen Zahlen: 2017 seien weniger als 200.000 Asylbewerber*innen nach Deutschland gekommen, im „Krisenmodus“ müsse nicht mehr gearbeitet werden.1 In vielen Bundesländern und Kommunen werden derzeit die Kapazitäten zur Aufnahme Geflüchteter wie bereits nach der Neuregelung des Asylrechts 19932 reduziert und der Fokus auf die gesellschaftliche Teilhabe Geflüchteter gelegt. Auch in der Wissenschaft liegt das Hauptaugenmerk auf „Integration“, wie eine Übersicht des Verbundprojekts „Flucht: Forschung und Transfer“ über aktuelle Forschungsprojekte in der Flucht- und Flüchtlingsforschung zeigt. So konzentriert sich ein Großteil der aktuellen Forschung auf die Teilhabe Geflüchteter und ihre  – unterschiedlich definierte – Integration, während andere Themen wie die Ökonomie der Flucht oder wie klimatische Veränderungen als Fluchtursachen sehr viel weniger häufig bearbeitet werden.3 Vorbei ist also die „Krise“, man konzentriert sich nun auf die Folgen. Doch was ist in der als Krise dargestellten Phase tatsächlich passiert und mit welchen Konsequenzen? Insbesondere im Hinblick auf lokale Strukturen fehlt hier noch weitgehend eine sozialwissenschaftliche Bestandsaufnahme, die über die – wich-

1 Constanze von Bullion, Abschreckung aus Prinzip, in: Süddeutsche Zeitung, 16.1.2018, URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/deutsche-asylpolitik-abschreckung-aus-prinzip-1.3827​ 375 [10.3.2019]. 2 1993 wurde durch eine Grundgesetzänderung das Recht auf politisches Asyl in Deutschland (Art. 16a GG) radikal beschnitten (vgl. Ruth Weinzierl, Der Asylkompromiss 1993 auf dem Prüfstand. Gutachten zur Vereinbarkeit der deutschen Regelungen über sichere EU-Staaten und sichere Drittstaaten mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, dem EU-Recht und dem Deutschen Grundgesetz, Berlin 2009). Jedoch erhalten heute mehr Menschen aufgrund der Genfer Konvention bzw. europäischer Richtlinien Schutz; der Flüchtlingsstatus nach der Genfer Konvention und der sogenannte subsidiäre Schutz sind inzwischen deutlich zentraler als der Schutz nach Artikel 16a GG. 3 J.  Olaf Kleist, Flucht- und Flüchtlingsforschung in Deutschland: Bestandsaufnahme und Vorschläge zur zukünftigen Gestaltung, Flucht: Forschung und Transfer Policy Brief 01/2017, S. 3, URL: https://flucht-forschung-transfer.de/wp-content/uploads/2017/05/FFT-PB1-KleistFlucht-und-Flu%CC%88chtlingsforschung-in-Deutschland.pdf [10.3.2019].

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tige – Erfassung der akuten Bedürfnisse und Zielvorstellungen der Geflüchteten4 oder die These einer vielfachen „Verwaltungskrise“5 hinausgeht. Während Johannson Anfang 2016 festhielt, dass „[u]mfangreiche sozialwissenschaftliche quantitative und qualitative Studien mit dezidiertem Bezug auf Flüchtlinge“6 nach wie vor ausstünden, ist die Literatur in diesem Bereich inzwischen deutlich gewachsen. Auch und gerade zur Flüchtlingspolitik bzw. -aufnahme im europäischen bzw. im deutschen Mehrebenensystem7 ebenso wie zur lokalen Flüchtlingspolitik in Deutschland8 gibt es einschlägige Studien. Diese zeigen deutlich, dass Gesetze und Verordnungen der lokalen Ebene in der Flüchtlingspolitik – wie in anderen Politikfeldern auch – Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume lassen, die auf den ersten Blick überraschen mögen, da Flüchtlingspolitik formal nicht in den Zuständigkeitsbereich der Kommunen fällt. Erste Forschungsergebnisse liegen auch zur Rolle lokaler street-level bureaucrates im Umgang mit Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus vor.9 Bisher wenig bearbeitet wurde jedoch die Frage, was es in einer als krisenhaft oder zumindest als große Herausforderung wahrgenommenen Situation bedeutet, wenn Kommunen einerseits große Spielräume zu haben scheinen und man andererseits, wie Hannes Schammann und Boris Kühn feststellen, „[v]ielerorts […] in den vergangenen Jahren ein durchaus pragmatisches, aber wenig strategisch aus4 Vgl. Steven Vertovec u. a., Addressing the Diversity of Asylum-seekers’ Needs and Aspirations. A Report to the Volkswagen Foundation, MMG Working Papers WP 17–05, Göttingen 2017. 5 Johann Hahlen / Hannes Kühn, Die Flüchtlingskrise als Verwaltungskrise – Beobachtungen zur Agilität des deutschen Verwaltungssystems, in: Verwaltung und Management 22/3 (2016), S. 157–168. Vgl. auch Hannes Schammann / Boris Kühn, Kommunale Flüchtlingspolitik in Deutschland, Bonn 2016, hier: S. 31. 6 Susanne Johannson, Was wir über Flüchtlinge (nicht) wissen. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand zur Lebenssituation von Flüchtlingen in Deutschland. Eine Expertise im Auftrag der Robert Bosch Stiftung und des SVR-Forschungsbereichs, Stuttgart / Berlin 2016, S. 12, URL: https://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2017/07/SVR-FB_Fluechtlinge_wissen.pdf [10.3.2019]. 7 Vgl. u. a. Schammann / Kühn, Kommunale Flüchtlingspolitik, und Lisa Riedel / Gerald Schneider, Dezentraler Asylvollzug diskriminiert: Anerkennungsquoten von Flüchtlingen im bundesdeutschen Vergleich, 2010–2015, in: Politische Vierteljahresschrift 58/1 (2017), S. 21–48. 8 Vgl. u. a. Birgit Glorius / Jeroen Doomernik, Refugee Reception in Europe: New Insight into European Localities, Special Issue: Journal of Refugee Studies 29/4 (2016); Jutta Aumüller /  Priska Daphi / Céline Biesenkamp, Die Aufnahme von Flüchtlingen in den Bundesländern und Kommunen. Behördliche Praxis und zivilgesellschaftliches Engagement, Stuttgart 2015, und Hannes Schammann, Wenn Variationen den Alltag bestimmen. Unterschiede lokaler Politikgestaltung in der Leistungsgewährung für Asylsuchende, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 9/3 (2015), S. 161–182. 9 Vgl. u. a. Tobias G. Eule, Ausländerbehörden im dynamischen Feld der Migrationssteuerung, in: Christian Lahusen / Stefanie Schneider (Hg.), Asyl verwalten. Zur bürokratischen Bearbeitung eines gesellschaftlichen Problems, Bielefeld 2017, S. 175–194; Ders., Inside Immigration Law: Migration Management and Policy Application in Germany, Farnham / Burlington 2014, und Julia Dahlvik, Entscheiden über Asyl: Organisationssoziologische Überlegungen zum Zusammenspiel von Formalität und Informalität im österreichischen Asyl-Verwaltungsverfahren, in: Lahusen / Schneider, Asyl verwalten, S. 117–143.

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gerichtetes oder auch nur koordiniertes Verwaltungshandeln feststellen“10 konnte. Wenn, wie Aumüller, Daphi und Biesenkamp schreiben,11 Kommunen sich vor der jüngsten Zuwanderung Geflüchteter nicht auf die reine Unterbringung beschränkten: Galt dies auch in der Zeit des rapiden Flüchtlingszuzugs 2015/16 bzw. danach? Und wenn, so Schammann und Kühn,12 in vielen Kommunen Verwaltungsstrukturen unter Druck geraten sind, weil Widersprüche in der kommunalen Flüchtlingspolitik im Zuge der Flüchtlingszuwanderung der letzten Jahre offenbar wurden: Hat der wahrgenommene (Zeit-)Druck der Jahre 2015/16 zu nachhaltigen Veränderungen in kommunalen Strukturen geführt? Der vorliegende Beitrag soll diese Fragen an einem konkreten Fallbeispiel bearbeiten und dadurch zur Schließung der beschriebenen Forschungslücke beitragen. Zum einen wird untersucht, wie eine konkrete niedersächsische Kommune auf die beschleunigte Flüchtlingszuwanderung in den letzten Jahren reagiert hat; zum anderen wird herausgearbeitet, welche Konsequenzen der zu beobachtende Umgang mit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ sowohl für die Verwaltung selbst als auch für die Geflüchteten hat. In einem ersten Schritt wird die Rolle der Kommunen bei der Aufnahme Geflüchteter in Deutschland dargelegt, bevor in einem zweiten und dritten Schritt die Datengrundlage und Methodik erläutert und der Umgang einer Kommune mit dem Flüchtlingszuzug 2015/16 skizziert wird. In einem vierten Schritt wird diese Fallstudie weitergehend analysiert und allgemeinere Schlüsse gezogen, die – fünftens – im Fazit wieder aufgegriffen werden.

2. Die Rolle der Kommunen bei der Aufnahme Geflüchteter in Deutschland Um die Rolle der Kommunen bei der Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland besser zu verstehen, ist es zunächst notwendig, diese im Mehrebenensystem der Flüchtlingsaufnahme zu verorten. Hierfür ist ein Blick auf die europäische Asylpolitik sowie auf die des Bundes und der Länder zu werfen. Auf der Ebene der Europäischen Union wurde auf der Sondertagung des Europäischen Rates in Tampere 1999 zur Schaffung „eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Europäischen Union“13 beschlossen, sich auf ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) zu einigen. Zentral für das GEAS sind die Dublin-Verordnung und die asylbezogenen Richtlinien.14 Während die 10 11 12 13

Schammann / Kühn, Kommunale Flüchtlingspolitik, S. 4. Vgl. Aumüller u. a., Die Aufnahme von Flüchtlingen, S. 73. Vgl. Schammann / Kühn, Kommunale Flüchtlingspolitik, S. 31 f. Europäisches Parlament, Tampere Europäischer Rat, 15. und 16. Oktober 1999, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, URL: http://www.europarl.europa.eu/summits/tam_de.htm#a [10.3.2019]. 14 Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU), Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/ 32/EU) und Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU).

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Dublin-Verordnung im Wesentlichen regelt, welcher EU-Mitgliedsstaat für das Asylverfahren von Asylbewerber*innen zuständig ist, regelt die Qualifikationsrichtlinie, wem Schutz zu gewähren ist. Die Asylverfahrensrichtlinie bestimmt – wie der Name schon sagt – grundlegend, wie ein Asylverfahren ausgestaltet sein soll, um EU-weit einheitliche Standards zu garantieren, wohingegen die Aufnahmerichtlinie Mindeststandards für die Aufnahme und Versorgung von Asylbewerber*innen festlegt. Diese Elemente bilden einen gemeinsamen Rechtsrahmen, in den sich nationale – und diesen untergeordnet – Länder- und kommunale Asylpolitiken einordnen. Auf Bundesebene regeln Artikel 16a GG15, das Asylgesetz16, das Asylbewerberleistungsgesetz17 sowie das Aufenthaltsgesetz18 den Status, das Verfahren, die Aufnahme und Versorgung von Asylsuchenden. Darüber hinaus sind unter anderem das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung19, die Gesetzesänderungen im Rahmen der Asylpakete I20 und II, das neue Integrationsgesetz und das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht wichtige Normen, die im bzw. infolge des Sommers 2015 in Kraft getreten sind und seitdem ebenfalls den Umgang mit Flüchtlingen regeln. Damit legt der Bund unter anderem fest, wer Schutz erhalten soll; außerdem regelt er das Asylverfahren, und den jeweiligen rechtlichen Status von Flüchtlingen bzw. die Versorgung der Schutzsuchenden. Mit dem Integrationsgesetz führte der Bund zudem eine (von den Ländern zu konkretisierende) Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge, Regelungen zu Arbeitsmöglichkeiten für Geflüchtete sowie Möglichkeiten zur Kürzung des Existenzminimums ein. Während das eigentliche Asylverfahren vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchgeführt wird und damit auf Bundesebene verbleibt, obliegt ein großer Teil der Umsetzung der genannten Gesetze den Ländern. So sind letztere für die Erstaufnahme von Flüchtlingen zuständig sowie für die Verteilung der Asylbewerber*innen auf die Landkreise und Kommunen und für die 15 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 16a. 16 Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780) geändert worden ist. 17 Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2541) geändert worden ist. 18 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz  – AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. März 2018 (BGBl. I S. 342) geändert worden ist. 19 Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015. 20 Insbesondere durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, das am 23. Oktober 2015 in Kraft trat, sowie das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern sowie das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, die am 11. März 2016 in Kraft traten.

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finanzielle Unterstützung bei der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung21. Dabei können die Länder die Gesetze durch Verordnungen unterschiedlich ausgestalten, beispielsweise mit Blick auf die im Integrationsgesetz vorgesehene Wohnsitzauflage oder die Finanzierung und konkrete Umsetzung von Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten. Des Weiteren können die Bundesländer eigene humanitäre Aufenthaltstitel vergeben sowie eigene Gesetze zum Umgang mit Geflüchteten erlassen. So haben alle Länder auf der Grundlage des Aufenthalts­ gesetzes Härtefallkommissionen eingerichtet, die in Einzelfällen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer*innen zu einer Aufenthaltserlaubnis verhelfen können, wenn ihnen zwar kein Aufenthaltsrecht zusteht, ihre Ausreise aber humanitär nicht zu verantworten wäre.22 In vielen Bereichen beauftragen die meisten Länder wiederum die Kommunen (Städte, Landkreise und Gemeinden), die verfassungsrechtlich ein Teil der Länder sind, mit der Ausführung der Gesetze. So sind die Kommunen für die Leistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes zuständig. Sie sorgen für eine Anschlussunterbringung nach Zuweisung aus der Erstaufnahmestelle, sind für die Beschulung Minderjähriger sowie für Krippen-, Kindergarten- und Hortplätze, die Gesundheitsversorgung und vieles mehr zuständig. Nach dem Wechsel von einem Rechtskreis in den anderen nach der Anerkennung als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigte*r  – also in der Regel vom Asylbewerberleistungsgesetz zum Sozialgesetzbuch II oder XII – bleiben die Kommunen für die Sozialleistungen zuständig, sofern die Schutzberechtigten nicht bereits ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Aus dem GEAS, den Bundes- und den Landesgesetzen ergibt sich jedoch keine Regelung aller Fragen und Details, die die Aufnahme, Versorgung, Partizipation von und den Umgang mit Geflüchteten mit unterschiedlichem Rechtsstatus betreffen. Vielmehr lassen die Bestimmungen auf höherer Ebene vieles offen; nicht selten finden sich darin auch Widersprüche und Lücken. Obwohl Kommunen Teil der Bundesländer sind, können und müssen sie daher ihre eigenen Policies, 21 Niedersachsen zahlt den Kommunen derzeit 10.000 Euro pro Asylbewerber*in pro Jahr, vgl. Niedersächsisches Finanzministerium, Finanzierung der Flüchtlingsversorgung, 2017, URL: https://www.mf.niedersachsen.de/startseite/themen/haushalt/fluechtlinge/finanzierungder-fluechtlingsversorgung-139728.html [10.3.2019]. 22 Vgl. hierzu Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG), § 23 Aufenthaltsgewährung durch die obersten Landesbehörden; Aufnahme bei besonders gelagerten politischen Interessen; Neuansiedlung von Schutzsuchenden, sowie Deutscher Bundestag (Hg.), Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), Drucksache 15/3479, 30.6.2004, S. 4, URL: http:// dip21.bundestag.de/dip21/btd/15/034/1503479.pdf [10.3.2019]; Vgl. außerdem: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Häufig gestellte Fragen zum Thema: Aufenthaltsrecht, 2018, URL: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/faqs/DE/themen/migration/ aufenthaltsrecht/aufenthaltsrecht-liste.html [10.3.2019].

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Strukturen und Routinen zum Umgang mit Asylbewerber*innen, anerkannten Flüchtlingen und Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus entwickeln.23 Dies bedeutet einerseits, dass Kommunen auch auf dem Gebiet der Flüchtlingsund Integrationspolitik wie in anderen Politikfeldern eine wichtige Rolle in der Ausgestaltung der bestehenden Gesetzgebung zukommt. Sie sind somit nicht nur zentrale Akteure, wenn es um die gesellschaftliche Teilhabe Geflüchteter geht – von sozialen Kontakten, Spracherwerb über Bildungs- und Arbeitsmarktteilhabe bis zur politischen Partizipation. Sondern sie sind es auch dann, wenn es in vielen Fällen um finanzielle oder aufenthaltsrechtliche Fragen geht  – und damit um Aspekte nicht der klassischen „Integrations-“, sondern der Asylpolitik. Andererseits bringt diese Rolle Kommunen in die Situation, in ein Politikfeld gestaltend eingreifen zu sollen oder zu müssen, ohne notwendigerweise über Strategien, politische und auch finanzielle Ressourcen dafür zu verfügen. Grundsätzlich bestimmt neben Gesetzen, Verordnungen und Erlassen die finanzielle Lage einer Kommune die Spielräume, innerhalb derer sich kommunale Aufnahmepolitik und -praxis bewegen können. Hinzu kommt die allgemeine Infrastruktur der Gemeinde und ihrer Umgebung. Besteht beispielsweise in einer Kommune im ländlichen Raum der öffentliche Personennahverkehr im Wesentlichen aus Schulbussen, haben Asylbewerber*innen und Flüchtlinge wenig Möglichkeiten, um zu Ämtern, zu Sprach- und Integrationskursen, zur Arbeit etc. zu kommen, wenn die Kommune nicht einen speziellen Transport für sie finanzieren kann oder Ehrenamtliche einspringen.24 Darüber hinaus ist jedoch ebenso entscheidend, welche Sichtweisen und Positionen einzelne Teile der Verwaltung einnehmen und wie erfolgreich sie diese gegenüber anderen Verwaltungsgliedern vertreten.

3. Datenerhebung und Methodik Die hier präsentierten Überlegungen gehen aus einem laufenden Projekt25 hervor, das sich mit der jüngsten Flüchtlingszuwanderung nach Deutschland und Europa befasst. Dabei stützt es sich auf qualitative Interview-Daten, die durch Expert*innen-Interviews mit Angehörigen der Kommunalverwaltung unterschiedlicher Hierarchieebenen gewonnen wurden bzw. werden. Durchgeführt wurden und werden diese in drei Kommunen, die sich in zwei wichtigen Punkten strukturell 23 Vgl. Aumüller u. a., Die Aufnahme von Flüchtlingen, und Schammann / Kühn, Kommunale Flüchtlingspolitik. 24 Vgl. Stefan Kordel / Tobias Weidinger, Sicht der Geflüchteten auf ländliche Räume  – Impulsreferat, in: Peter Mehl (Hg.), Aufnahme und Integration von Geflüchteten in ländliche Räume: Spezifika und (Forschungs-)herausforderungen. Beiträge und Ergebnisse eines Workshops am 6. und 7. März 2017 in Braunschweig, Thünen-Report 53, Braunschweig 2017, S. 43–53. 25 Das Projekt „Local Transformations“ wird am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften von der Autorin durchgeführt.

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ähneln: Alle sind „Mittelstädte“ oder „kleinere Großstädte“26 in Niedersachsen mit 70.000 bis 170.000 Einwohner*innen und verfügen über eigene Ausländerbehörden. Da sich Policies und Gesetze bezüglich der Aufnahme und des Umgangs mit Asylbewerber*innen und anderen Personen mit prekärem Aufenthaltsstatus von Bundesland zu Bundesland teilweise stark unterscheiden, wurden Kommunen ausgewählt, die sich im selben Land befinden. So kann ausgeschlossenen werden, dass Varianzen auf unterschiedliche Länderkontexte zurückzuführen sind. Interviewt wurden und werden in diesem Projekt Angehörige der kommunalen Verwaltung auf der Ebene der Dezernent*innen, der Fachbereichs-, Fachdienstund Amtsleitungen, Vertreter*innen der Integrationsbüros oder Integrationsbeauftragte und weitere Verwaltungsmitarbeiter*innen, die die Aufnahme von Geflüchteten mitgestalten. In diesem Beitrag liegt der Fokus auf einer der Kommunen,27 in der im Rahmen eines anderen Projekts28 neben dem kommunalen Umgang mit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ auch die Bedürfnisse und Aspirationen der Geflüchteten selbst untersucht wurden. Es handelt sich dabei um eine „kleinere Großstadt“, gleichzeitig Universitätsstadt, mit einem Ausländeranteil von circa 13 %; rund 22 % der Bevölkerung haben einen sogenannten Migrationshintergrund.

4. Die Kommune als Akteur in der „Krise“? In der hier untersuchten niedersächsischen Kommune mit unter 150.000 Einwohner*innen lebten Ende 2016 rund 1.400 Asylbewerber*innen und etwa 80 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.29 Bereits vor dem Höhepunkt der sogenannten „Krise“ ab Sommer 2015 wurden „Flüchtlinge“ hier zum Querschnittsthema in der oberen Verwaltung. Während die Hauptzuständigkeit weiter beim Sozialdezernat lag, waren sowohl der Oberbürgermeister als auch alle Dezernent*innen in die Steuerung der Aufnahme Geflüchteter involviert. Mit den steigenden Zahlen zugewiesener Asylbewerber*innen insbesondere ab der zweiten Hälfte des Jahres 2015 und mit den 2015/16 im Rahmen der Amtshilfe zusätzlich in der hier analysierten Stadt untergebrachten Geflüchteten sah sich diese in der Situation, kurzfristig Antworten auf die schnell steigenden Zuzugszahlen finden zu müssen. In der insbesondere ab Mitte 2015 auch hier als Krise beschriebenen Situation wurde ein Stab eingerichtet, der ähnlich eines in einer Katastrophensituation einzu26 Nach der Kategorisierung des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung umfassen „kleinere Großstädte“ Städte mit 100.000 bis 500.000 Einwohner*innen. 27 Im Folgenden wird die hier diskutierte Kommune aus methodischen Gründen nicht namentlich genannt. 28 Das Pilotprojekt „Addressing the Diversity of Asylum-seekers’ Needs and Aspirations“ wurde 2016–2017 am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften durchgeführt und von der Volkswagen-Stiftung finanziert. Vgl. zu diesem Projekt auch Vertovec u. a., Addressing the Diversity of Asylum-seekers’ Needs and Aspirations. 29 Vgl. ebd., S. 18.

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richtenden Stabes unter Einbeziehung der zuständigen Fachbereiche, Fachdienste und Behörden (unter anderem Fachbereich Soziales, Ausländerbehörde)  quer zu den Linientätigkeiten die Aufnahme der Asylbewerber*innen steuern sollte. Auch die Arbeitsweise dieses Stabes orientierte sich an den Vorgaben für den Katastrophenschutz. Die folgenden Beobachtungen lassen sich in zwei Phasen einteilen: Die erste Phase war gekennzeichnet durch Pragmatismus einerseits und verwaltungsinterne Widersprüche andererseits. Oberstes Ziel der Akteur*innen war es, allen Neuankömmlingen Obdach zu gewähren, die Versorgung mit Sachmitteln und weiteren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewährleisten und zugleich möglichst professionell und willkommen heißend zu agieren. Dazu wurden in kurzer Zeit neue Unterkünfte sehr unterschiedlicher Art und Qualität geschaffen, Immobilien angemietet, Verträge mit Betreiber*innen – ausschließlich Wohlfahrtsverbände bzw. ein Zusammenschluss dieser – unterzeichnet und, um auch die im Rahmen der Amtshilfe kurzfristig unterzubringenden Flüchtlinge beherbergen zu können,30 zudem örtliche Sporthallen zur Unterbringung genutzt. Vor die – zunächst praktische, mehr noch als finanzielle – Herausforderung gestellt, deutlich mehr Menschen als zuvor Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewähren zu müssen, wurde die Organisation der Auszahlung verändert und zeitweise ein Sicherheitsdienst zur Unterstützung beim Ablauf der wöchentlichen Zahlungen engagiert. Um möglichst vielen Geflüchteten frühzeitig gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, bot und bietet die Stadt zusätzlich zu den auf einen bestimmten Teilnehmer*innenkreis beschränkten Integrationskursen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge eigene Sprachkurse für alle Geflüchteten unabhängig von der Bleibeperspektive an. Im Kontrast dazu steht der Umgang mit einem noch 2014 verabschiedeten Konzept zur möglichst dezentralen Unterbringung Geflüchteter in der Stadt, das 2015 bereits wieder verworfen wurde.31 Galt es dem Konzept von 2014 zufolge noch, eine Unterbringung in größeren Gemeinschaftsunterkünften zu vermeiden, wurde dieser Anspruch mit den steigenden Flüchtlingszahlen 2015 aufgegeben. Tatsächlich gehört zu den 2015/16 eingerichteten neuen Gemeinschaftsunterkünften unter anderem eine ehemalige Großmarkthalle, in der bis zu 400 Menschen untergebracht werden können  – in Mehrbett-Abteilen ohne Fenster und ohne 30 Aufgrund einer Überlastung der Landeserstaufnahmeeinrichtungen brachte Niedersachsen im Wege der Amtshilfe ab Herbst 2015 neu angekommene Flüchtlinge auch direkt in den Kommunen unter: Von Mitte Oktober 2015 bis Ende März 2016 wurden den niedersächsischen Kommunen (Landkreise, kreisfreie Städte und die Region Hannover) so knapp 38.900 Flüchtlinge zur Unterbringung zugewiesen, vgl. Niedersächsischer Landtag (Hg.), Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 8.12.2015 mit Antwort der Landesregierung vom 5.4.2016, Drucksache 17/4806, S. 3 f., URL: www.landtag-niedersachsen.de/Drucksachen/ Drucksachen​_17_7500/5001-5500/17-5489.pdf [10.3.2019]. 31 Vgl. auch Vertovec u. a., Addressing the Diversity of Asylum-seekers’ Needs and Aspirations, S. 17–20.

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Decke – und die am Stadtrand in einem Gewerbegebiet liegt. Obwohl die Kosten pro untergebrachter Person dort höher sind als in anderen Gemeinschaftsunterkünften in der Stadt, soll diese später als andere geschlossen werden, unter anderem wegen eines bis 2021 laufenden Mietvertrags und fehlenden Konzepten für eine mögliche Nachnutzung.32 Zumindest ein Teil der Unterkünfte wurde also aus Sicht vieler der dort Untergebrachten und etlicher ehrenamtlicher Helfer*innen als nicht ideal bzw. als vollkommen ungeeignet und unzumutbar bewertet; zudem wurden seitens der Kommune Entscheidungen bezüglich der Unterbringung getroffen, die auf scharfe Kritik von Akteur*innen der Zivilgesellschaft und einigen Vertreter*innen im Rat der Stadt stießen. Gleichwohl lässt sich festhalten, dass in der ersten Phase vielfach ein pragmatischer Umgang mit einer als Herausforderung wahrgenommenen Situation dominierte. Obschon also das zentrale Ziel unstrittig war, zeugt das erhobene Interviewmaterial von deutlichen Unterschieden in der weiteren Einschätzung der Situation und der als richtig und wichtig erachteten Maßnahmen im Umgang mit den Neuzugezogenen. So variierte die Einschätzung, wie die Zusammenarbeit mit der großen Zahl ehrenamtlich Engagierter auszusehen habe, stark und führte zu Konflikten innerhalb der Verwaltung: Während alle Interviewten auf den verschiedenen Verwaltungsebenen in den Gesprächen betonen, dass insbesondere die Beherbergung, Erstversorgung und Betreuung der Geflüchteten 2015 und 2016 ohne Ehrenamtliche kaum gelungen wäre, wird deren Rolle unterschiedlich bewertet. Wenngleich die Vorstellungen der Ehrenamtlichen von den Möglichkeiten der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung einerseits als naiv und illusorisch dargestellt werden, werden die Freiwilligen andererseits als engagierte, die Arbeit der Stadtverwaltung ergänzende und die soziale Teilhabe der Neuankömmlinge befördernde Akteur*innen charakterisiert. So wurde die Arbeit der Freiwilligen zwar allenthalben als unverzichtbar für die Bewältigung des großen und schnellen Zuzugs angesehen, doch bestanden zugleich Konflikte zwischen einem zentralen Fachbereich und den Ehrenamtlichen, die wiederum auf Dezernatsebene als vermeidbar und auch als zu vermeiden angesehen wurden. Zu unterschiedlichen Bewertungen kamen die Akteur*innen innerhalb der Verwaltung auch mit Blick auf die Rolle der Kommunalverwaltung bzw. einzelner Abteilungen: Während beispielsweise in der hier fokussierten Stadt die Ausländerbehörde auf Dezernatsebene als nicht für Integration, sondern allein für ord32 Auf der Siekhöhe am teuersten, in: Göttinger Tageblatt, 29.4.2017, URL: http://www. goettinger-tageblatt.de/Goettingen/Kosten-Goettinger-Fluechtlingsunterkuenfte-Siekhoehe-amteu​ers​ten [10.3.2019]; Nur eine notwendige Notlösung, in: Göttinger Tageblatt, 18.11.2017, URL: http://www.goettinger-tageblatt.de/Goettingen/Goettinger-Rat-diskutiert-ueber-Flue​ cht​lings​unter​kunft-in-der-Siekhoehe [10.3.2019]. Medienberichten zufolge beschloss der Sozialausschuss des Rates der Stadt am 15. Mai 2018 eine weitere Vertragsverlängerung mit dem Betreiber dieser Unterkunft – dem DRK – um ein Jahr sowie eine Schließung zum 30.6.2019, vgl. Unterkunft Siekhöhe wird geschlossen, in: Göttinger Tageblatt, 15.5.2018, URL: http://www.goettinger-tageblatt.de/Die-Region/Goettingen/FluechtlingsunterkunftSiekhoehe-in-Goettingen-wird-geschlossen [10.3.2019].

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nungspolitische Aspekte des Umgangs mit Migrant*innen zuständig beschrieben wird, sehen sich die Behördenvertreter*innen selbst auch dann explizit in der Verantwortung, wenn es um die gesellschaftliche Partizipation von Menschen in aufenthaltsrechtlich unsicheren Situationen geht. So hat die Behörde eigene Instrumente und Maßnahmen entwickelt, die – aus Sicht der Verantwortlichen – „integrationswilligen“ Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus zu einer weniger unsicheren Perspektive verhelfen sollen. Die Definition dessen, was im jeweiligen Fall als Integration anzusehen ist, liegt dabei allerdings bei der Behörde.33 Mit dem Rückgang der Zuzugszahlen nach Schließung der sogenannten Balkanroute und dem EU-Türkei-Statement, die seit Frühjahr 2016 vielen Menschen den Weg nach Europa versperren, verlor der zur Steuerung der sehr schnellen Flüchtlingsaufnahme ad hoc eingerichtete Stab seine Funktion – Phase zwei der Aufnahme begann. Während sich insbesondere für die direkt für Unterbringung und Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zuständigen Verwaltungsteile nun manches entspannte, war dies in anderen Bereichen weniger der Fall. Einerseits ist mit den geringeren Zahlen neu ankommender Flüchtlinge, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, und der steigenden Zahl derer, die nach der Zuerkennung eines Schutzstatus unter das Sozialgesetzbuch II oder XII fallen, also Sozialhilfe oder Leistungen nach Hartz IV empfangen, der Leistungsbezug für die Kommune um ein Vielfaches einfacher zu organisieren. Nicht nur ist die Zahl der zuständigen Mitarbeiter*innen um ein Vielfaches höher, auch sind Routinen im Umgang mit den Leistungsempfänger*innen und mit der Auszahlung vorhanden. So entfallen beispielsweise die als unübersichtlich und schwer zu managen wahrgenommenen Auszahlungssituationen, zu deren Organisation zusätzlich eine private Sicherheitsfirma engagiert worden war. Aus Asylbewerber*innen werden aus dieser Perspektive „normale“ Leistungsempfänger*innen, die „besser“ in wohlfahrtstaatliche Kategorien und Organisationslogiken passen, bis sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Andererseits verringert sich der Druck bezüglich der Unterbringung kaum: In der Universitätsstadt herrscht akuter Mangel an bezahlbarem Wohnraum  – zwar leben weniger Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften und einige der Unterkünfte werden nach und nach geschlossen, doch gibt es längst nicht genug adäquate Wohnungen für alle bereits anerkannten Flüchtlinge und Asylbewerber*innen. Wie die Interviews bestätigen, nimmt für das Baudezernat und die unteren mit Bauen und Wohnen betrauten Ebenen der Verwaltung wie auch für die kommunale Wohnungsbaugesellschaft und die örtlichen Genossenschaften der Druck also nicht einfach stetig ab, wenn mehr Asylverfahren abgeschlossen und de jure weniger Menschen in Unterkünften für Asylbewerber*innen unterzubringen sind. 33 Eine ähnliche Vorgehensweise lässt sich auch in einer weiteren Kommune beobachten; hier allerdings ohne die Voraussetzung, dass sich die Betroffenen als besonders „integrationswillig“ erwiesen.

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Interessanterweise ist aus finanzieller Sicht die zweite Phase für eine Kommune wie die hier skizzierte tendenziell eine mindestens ebenso große Herausforderung wie die erste: Zwar geht die Stadt von erheblichen Kosteneinsparungen durch zu schließende Unterkünfte aus. Doch während das Land Niedersachsen Kommunen pauschal 10.000 Euro jährlich pro Leistungsbezieher*in nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zuweist, ist nicht abschließend geregelt, wie der nach dem Rechtskreiswechsel (also nach der Zuerkennung eines Schutzstatus) in der Regel bis zur Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung erfolgende Bezug von Sozialleistungen nach Sozialgesetzbuch II oder XII, der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen etc. finanziert wird. Während die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzen­ verbände Niedersachsens in ihrem Finanzbericht vom September 2016 davon ausgeht, dass angesichts der Kosten der „Integration der Flüchtlinge in den Sozialsystemen“ ein weiteres Absinken der – in der Regel als mit hohem Überschuldungsrisiko behafteten – Kassenkredite der Kommunen nicht zu erwarten sei,34 zeigt auch das vorliegende Interviewmaterial, dass mit dem Eintritt in die zweite Phase neue und potenziell größere (finanzielle) Herausforderungen zu erwarten sind.

5. Was bedeutet dies für die kommunale Aufnahme Geflüchteter? Ausgehend von diesen Beobachtungen lassen sich in dem hier wesentlich behandelten Fall drei zentrale Punkte festhalten, die im Folgenden ausführlicher zu diskutieren sind: Erstens entwickelte die hier skizzierte Kommune, wie in der Literatur beschrieben, ad hoc einen eigenen Umgang mit dem schnellen und großen Flüchtlingszuzug der Jahre 2015/16, der auf den Spielräumen, Lücken und Inkohärenzen der Politik auf Landes-, Bundes- und europäischer Ebene beruht. Dabei orientierte sie sich wenig bis gar nicht an anderen Kommunen, sondern unter anderem an der Flüchtlingszuwanderung in den frühen neunziger Jahren und an Konzepten und Plänen für den Katastrophenschutz. Zweitens war der Umgang mit dem großen Zuzug von Asylbewerber*innen 2015/16 und mit den Betreffenden selbst seitens der Kommune einerseits geprägt von Pragmatismus und dem Wunsch, allen Neuzugezogenen möglichst schnell ein Dach über dem Kopf zu bieten, andererseits von Widersprüchen und Kontingenz. Drittens setzte spätestens Mitte / Ende 2016 für die Verwaltung eine zweite Phase ein, die sich deutlich von der als „Krise“ wahrgenommenen vorangegangenen Zeit unterscheidet. Ob diese als weniger krisenhaft bzw. herausfordernd gesehen 34 Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens (Hg.), 12. Bericht zur Finanzlage der kommunalen Gebietskörperschaften in Niedersachsen, Hannover, 21.9.2016, S. 4.

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wird, ist jedoch verschieden. Der Übergang von der ersten zur zweiten Phase zeigt: Strukturell veränderte sich wenig, vielmehr ist eine Rückkehr zum Gewohnten erkennbar. In einer 2015 veröffentlichten Studie schrieben Jutta Aumüller und ihre Kolleginnen, „Bürger, Verwaltungsfachleute und Kommunalpolitiker geben sich bei der gegenwärtigen Aufnahme von Flüchtlingen nicht mit der Maxime ‚Hauptsache, ein Dach über dem Kopf ‘ zufrieden. Es dürfte wohl kaum eine Kommune geben, in der nicht irgendwelche Formen der psychosozialen Begleitung und des zivilgesellschaftlichen Engagements für die aufgenommenen Flüchtlinge vorhanden sind.“35 Hingegen führte im hier diskutierten Fall der ad hoc entwickelte Umgang mit dem rapide angestiegenen Zuzug Geflüchteter dazu, dass über die Erstversorgung hinaus in der ersten Phase wenig Raum blieb für die Bedürfnisse der neuzugezogenen Menschen36 sowie für die Etablierung nachhaltiger Strukturen und Mechanismen für die Aufnahme einer größeren Zahl von Asylbewerber*innen in kurzer Zeit. Zentral war tatsächlich das von Aumüller et al. zitierte „Dach über dem Kopf “37, das Vermeiden von Obdachlosigkeit also – und da die Situation als Krise wahrgenommen wurde, spielten individuelle Bedürfnisse ebenso wie die langfristige Planung kaum eine Rolle. Auch wurde ein langfristigeres Konzept zur teilhabefördernden Unterbringung unter dem Eindruck der „Krise“ über Bord geworfen und wesentlich auf Gemeinschaftsunterkünfte gesetzt bis hin zur Unterbringung in der oben beschriebenen fensterlosen Gewerbehalle. Dennoch ist in diesem Fall auch deutlich geworden, dass aufgrund der Offenheit, die in der Aufnahmepolitik besteht, Kommunen ihre eigenen Regeln zur Aufnahme und – in Grenzen – im Umgang mit prekärem Aufenthaltsstatus schaffen können. Dies führt dazu, dass Kommunen mit einer gewissen Flexibilität auf neue Situationen reagieren können. Kommunen haben Gestaltungsspielräume, die es ihnen erlauben, in herausfordernden Situationen eigene Strategien zu entwickeln und sich Veränderungen anzupassen. Entsprechend der lokalen Gegebenheiten – hier beispielsweise ein angespannter Wohnungsmarkt in einer Universitätsstadt mit einer großen Zahl ehrenamtlicher Helfer*innen und politischer Aktivist*innen, keinen Vertreter*innen der AfD oder anderen rechtspopulistischen bzw. rechtsradikalen Parteien im Rat, der Teilnahme der Stadt an einem Programm des Landes Niedersachsen zur Reduktion kommunaler Schulden  – können Kreise, Städte und Gemeinden auf eine Herausforderung, wie sie der schnelle Zuzug einer größeren Zahl Asylbewerber*innen darstellte, antworten. Diese Spielräume bedeuten jedoch auch, dass es wenige einheitliche Standards in der Flüchtlingsaufnahme gibt: So war es der hier beschriebenen Kommune möglich zu entscheiden, Asylbewerber*innen in der skizzierten Gewerbehalle unterzubringen  – unabhängig davon, wie die Unterbringung in anderen Kommunen in Niedersachsen oder Deutschland gehandhabt wurde. Ebenso konnte sie 35 Aumüller u. a., Die Aufnahme von Flüchtlingen, S. 73. 36 Vgl. Vertovec u. a., Addressing the Diversity of Asylum-seekers’ Needs and Aspirations. 37 Aumüller u. a., Die Aufnahme von Flüchtlingen, S. 73.

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Sprachkurse für Geflüchtete anbieten, Menschen helfen, zu einem weniger prekären Aufenthaltsstatus zu kommen – ohne, dass das anderswo ähnlich gehandhabt werden musste. Auch spielten Best-Practice-Beispiele oder gut funktionierende Konzepte anderer Kommunen den Interviews zufolge zu diesem Zeitpunkt kaum eine Rolle; stattdessen orientierte man sich einerseits am Umgang mit der Flüchtlingszuwanderung in den frühen neunziger Jahren38 und andererseits am Katastrophenschutz. Wie ein weiteres Forschungsprojekt39 zeigt, wurde dabei individuellen Bedürfnissen der Geflüchteten nur insofern Rechnung getragen, als sie sich durch die fünf Kategorien Staatsangehörigkeit, Geschlecht, Alter, Gesundheitszustand und Aufenthaltsstatus erfassen ließen.40 Darüber hinausgehende Unterschiede wie beispielsweise Zugehörigkeit zu einer nationalen oder sprachlichen Minderheit, Bildung, persönliche Religiosität oder Fluchterfahrungen wurden in dieser Phase nicht berücksichtigt, obwohl diese teilweise hinsichtlich zentraler Belange wie der Sprachmittlung, der medizinischen Versorgung oder der Unterbringung relevanter gewesen wären. Auch können einzelne Verwaltungsangehörige durch ihre Entscheidungen die Bedingungen, unter denen Menschen in ein neues Leben in der Kommune starten, entscheidend prägen. In der hier untersuchten Stadt zeigt sich dies eindrücklich, wenn es um die von der Ausländerbehörde entwickelten Möglichkeiten geht, durch gute „Integration“ eine weniger prekäre Aufenthaltssituation zu erlangen. Dem sich aus diesen Spielräumen ergebenden Raum für paternalistisches Verhalten Einzelner und entsprechende Abhängigkeitsverhältnisse kommt in einer Situation besonderes Gewicht zu, in der sich Geflüchtete einer großen Zahl 38 Von 1990 bis 1993 wurden in der Bundesrepublik Deutschland zwischen ca. 193.000 und ca. 438.000 Asylanträge (Erst- und Folgeanträge)  gestellt, während die Zahl der Anträge in den Jahren zuvor unter 150.000 und zumeist sogar unter 100.000 gelegen hatte, vgl. BAMF (Hg.), Migration, Asyl und Integration in Zahlen, 2005, S. 21, URL: http://www. bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/broschuere-statistik-2005. pdf?__blob=publicationFile [10.3.2019].Vergleichbar mit der Situation der Jahre 2014–16 wurde der schnelle Anstieg der Antragszahlen – obwohl ähnlich wie heute teilweise durchaus vorhersehbar – vielfach als „Krise“ beschrieben und stellte die zuständigen Behörden auch tatsächlich vor Herausforderungen. Hierauf beziehen sich mehrere der Interviewpartner*innen, wenn sie anführen, man habe eine ähnliche Situation schon einmal bewältigt und sich an den Erfahrungen von damals orientiert. Im Kontext der Asyldebatte kam es Anfang der 1990er Jahre zu rassistischen Ausschreitungen und Anschlägen auf Asylbewerber*innen und Migrant*innen, bei denen mehrere Menschen ihr Leben verloren, vgl. dazu Patrick Gensing, Schlagworte und Brandsätze: Die „Asyldebatte“ gestern und heute, Heinrich Böll Stiftung, 20.9.2015, URL: https://www.boell.de/de/2015/08/20/die-asyldebatte-gestern-undheute [10.3.2019]. Einen knappen Überblick über die zeitlichen Abläufe bietet der Bayerische Rundfunk: „Die 90er in Deutschland: Da war doch was?“, BR, 11.9.2015, URL: https://www. br.de/nachrichten/fluechtlinge-rueckblick-kosovo-balkan-100.html [10.3.2019]. Darauf wird in den Interviews jedoch kein Bezug genommen. 39 Vgl. das von der Autorin koordinierte Pilotprojekt „Addressing the Diversity of Asylumseekers’ Needs and Aspirations“, und vgl. Vertovec u. a., Addressing the Diversity of Asylumseekers’ Needs and Aspirations. 40 Vgl. ebd., S. 28.

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verschiedener Akteur*innen gegenübersehen, die sie oft nicht eindeutig unterscheiden können bzw. deren Zuständigkeiten und Befugnisse ihnen oftmals nicht klar sind. So beschreiben einige Asylbewerber*innen die Menschen, die aus ihrer Sicht eine institutionelle Rolle haben – ob Angehörige der Stadtverwaltung oder Ehrenamtliche, Sozialarbeiter*innen oder Mitarbeiter*innen das BAMF – schlicht als „Deutsche“, weil sie ihre Funktion und ihren Entscheidungsspielraum ohnehin nicht nachvollziehen können:41 Ob das Sozialamt Einfluss auf den Aufenthaltsstatus hat, die Ausländerbehörde auf die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Ehrenamtliche oder Sozialarbeiter*innen vom Staat bezahlt werden – das bleibt häufig unklar.42 In einer solchen Situation sind die Kompetenzen und Spielräume der kommunalen Verwaltung und insbesondere Einzelner innerhalb der Verwaltung von besonderer Bedeutung, da die Grundlagen ihrer Entscheidungen von den Betroffenen kaum hinterfragt werden können:43 Der Zugang, den Geflüchtete zu Ressourcen (Materielles, Informationen, Zugang zu Deutschkursen, Unterstützung beim Umgang mit Behörden, Übersetzung usw.) und einem sichereren Rechtstitel haben, hängt so häufig an Einzelpersonen. Insgesamt ist es also hochgradig kontingent, wie Asylbewerber*innen in deutschen Kommunen aufgenommen werden, welche Unterstützung sie erfahren und welche Hindernisse für eine Teilhabe an der lokalen Gesellschaft zu überwinden sind. Auch sind Kommunen nicht gezwungen, vorausschauend und nachhaltig hinsichtlich der Flüchtlingsaufnahme zu arbeiten. Zudem gibt es keine Regelungen für die Orientierung an Best-Practice-Modellen oder für eigene kommunale Standards – hier zeigt sich besonders deutlich die häufig fehlende Nachhaltigkeit der Planung im Flüchtlingsbereich. Dies zeigt sich besonders klar in der zweiten Phase der „Krise“. In allen im Rahmen des Forschungsprojekts untersuchten Kommunen kennzeichneten ein „Krisen“- oder „Ausnahmemodus“ und teilweise Überlastung bzw. Überforderung die erste Phase des schnellen Flüchtlingszuzugs. Phase zwei unterscheidet sich jedoch deutlich: In der hier beschriebenen Kommune ist man recht schnell zum Alltagsgeschäft zurückgekehrt, während in anderen Verwaltungsstrukturen um- und die Kapazitäten zur Flüchtlingsaufnahme sowie zur längerfristigen Unterstützung der Neuankömmlinge ausgebaut wurden.

41 Vgl. ebd., S. 22, und Miriam Schader, Sicht der Geflüchteten auf ländliche Räume – Kommentar aus wissenschaftlicher Sicht, in: Mehl, Aufnahme und Integration, S. 57. 42 Vgl. Vertovec u. a., Addressing the Diversity of Asylum-seekers’ Needs and Aspirations, und Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Viele Fragen, zu viele Antworten? Die Transparenz des Asyl- und Aufnahmesystems für Flüchtlinge, Berlin 2018. 43 Vgl. Schader, Sicht der Geflüchteten, S. 57.

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6. Fazit Während es aus Sicht einer Kommune wie der hier skizzierten aufgrund der bestehenden Regelungen durchaus rational sein kann, auf Weitblick und Nachhaltigkeit zu verzichten, führt dies aus Sicht der Geflüchteten zu einem kommunalen Glücksspiel der Startbedingungen in ein neues Leben. Denn für die Geflüchteten selbst bedeutet dies, dass letztere in einer deutschen Gemeinde stark von der Flexibilität und Kreativität einzelner Verwaltungsangehöriger und Kommunalpolitiker*innen abhängt, die in einer als krisenhaft beschriebenen Situation mit vagen Vorgaben und beschränkten finanziellen Möglichkeiten geeignete Konzepte entwickeln. Die Zuweisung auf unterschiedliche Kommunen im Anschluss an die Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen bedeutet für Geflüchtete eine Fortsetzung dessen, was auch als „Asyllotterie“ beschrieben wird. Während die Chancen, als Flüchtling, Asylbewerber*in oder subsidiär Schutzberechtigte*r anerkannt zu werden bei gleichen individuellen Voraussetzungen von Bundesland zu Bundesland variiert,44 sind die Chancen auf einen guten Start in Deutschland darüber hinaus abhängig von Entscheidungen und Funktionsweisen innerhalb der einzelnen Kommunen. Für Geflüchtete bedeutet die Zuweisung in eine Stadt oder Gemeinde nicht nur, an diesem oder an jenem Ort, mit diesen oder jenen Nachbar*innen, Geschäften, Infrastrukturen usw. zu leben. Wie oben dargestellt, bedeutet es auch, abhängig zu sein von der jeweiligen lokalen Verwaltung – ihren Entscheidungen und Strukturen, Organisationslogiken, Mitarbeiter*innen und der (Nicht-)Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen – um Zugang zu haben zu materiellen und immateriellen Ressourcen, zur Unterstützung durch Sozialarbeiter*innen und Ehrenamtlichen, zu einem Job und einem sichereren Rechtsstatus – oder eben nicht. In der ersten Phase der vermehrten Flüchtlingsaufnahme galt hier das „Dach über dem Kopf “ als vorrangiges Ziel. Deutlich zeigt sich eine wenig vorausschauende Flüchtlingspolitik auf nationaler, Landes-, aber auch kommunaler Ebene, die erstens weder auf flexible Reaktionen auf schwankende Flüchtlingszahlen ausgelegt war noch die (insbesondere aufgrund des seit mehreren Jahren andauernden Krieges in Syrien) absehbar steigenden Zahlen antizipierte. Zweitens waren auf kommunaler Ebene die Konzepte zur gesellschaftlichen Teilhabe neu ankommender Geflüchteter, die vor dem Sommer 2015 verabschiedet wurden, zumindest in dem hier untersuchten Fall nicht auf sich verändernde Rahmenbedingungen und insbesondere eine größere Zunahme der Zahl der Geflüchteten ausgelegt. Zugleich zeigten sich in der Flüchtlingsaufnahme wie bei allen kommunalpolitischen Maßnahmen Zwänge und Schwierigkeiten, mit denen sich viele Kommunen aufgrund der Haushalts- und Verteilungspolitik auf Landes- und Bundesebene konfrontiert sehen. Gemeinden, deren finanzielle Lage angespannt ist oder – wie 44 Vgl. Riedel / Schneider, Dezentraler Asylvollzug.

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im Fall der hier untersuchten Stadt – gerade erst mit Hilfe von Landesprogrammen entspannt wurde, sehen sich der Herausforderung gegenüber, für zusätzliche Kleinkinder, Schüler*innen und Leistungsberechtigte Betreuungs- und Schulplätze, (finanzielle) Unterstützung, Förderprogramme und vieles mehr zu finanzieren. Was hier deutlich wird, ist weniger spezifisch für die aktuelle Zuwanderung Geflüchteter, als Ausdruck der begrenzten finanziellen Spielräume vieler Kommunen. Während etliche sozialpolitische Maßnahmen, zu deren Zielgruppen unter anderem Asylbewerber*innen und Flüchtlinge gehören, auf der kommunalen Ebene angesiedelt sind, fehlt den Gemeinden als einem Teil der Länder der nötige Einfluss auf die Ressourcenverteilung im föderalen System. Jedoch ist ebenfalls zu beobachten, dass sowohl während der ersten Phase als auch in der ruhigeren zweiten Phase die Verwaltung weitgehend bei ihren üblichen Funktionsweisen und Strukturen blieb. Während einige Autor*innen für 2015/16 von einer „Verwaltungskrise“ sprachen,45 galt dies keinesfalls für alle Kommunen. Wie der hier beschriebene Fall zeigt, war eine mögliche Option, auf die als „Krise“ wahrgenommene Situation mit bewährten Handlungsroutinen zu reagieren – Einrichtung eines Stabes, Orientierung an Abläufen im Katastrophenschutz – ohne die eigenen Handlungslogiken oder Strukturen in einer Krise zu hinterfragen.46 Auch am Verhältnis zum Land Niedersachsen und zum Bund hat sich in der Wahrnehmung der hier Befragten durch den großen Flüchtlingszuzug nichts geändert. Und auch die Gesetzesänderungen 2015 und 2016, obwohl mit teilweise einschneidenden Maßnahmen verbunden, änderten aus Sicht der kommunalen Akteur*innen für ihre Arbeit wenig. Während sich für Geflüchtete die Aufnahmebedingungen seit 2015 also nicht nur durch nationale Gesetzgebung verschlechtert haben, sondern auch durch die wieder vermehrte Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und eine breitere Akzeptanz auch ungeeigneter Unterkünfte, bleibt für die Kommune trotz gewisser finanzieller Risiken im Wesentlichen alles beim Alten.

45 Vgl. Schammann / Kühn, Kommunale Flüchtlingspolitik, S. 31 f. 46 Zwar wurde zum Zeitpunkt der Interviewdurchführung eine Reintegration des Büros für Integration in den Sozialbereich diskutiert, doch geschah dies nicht aufgrund einer „Verwaltungskrise“. Vielmehr betonen die Interviewpartner*innen trotz der oben beschriebenen Widersprüche und Konflikte durchweg, wie gut die Kommune die Situation gemeistert habe und wie effizient die Behörden funktioniert hätten. Interessanterweise wurden in einer anderen im Rahmen dieses Projekts untersuchten Kommune zunächst eine Planstelle für Flüchtlingsmanagement und schließlich ein neues Amt für Zuwanderung und Integration eingerichtet.

Susanne Gratius

The ‘Securitization’ of Mexican Labour Migration to the United States

1. Introduction In 2015, one-fifth of the world’s migrants were people who had made their way to the United States, and a quarter of them, mainly Mexicans, had arrived un­ authorized. This mass movement is a controversial issue in Mexican-US relations, and has been so from as far back as the 1960s. It is especially the undocumented workers from Mexico who generate the continuing problems in the bilateral agenda of the two unequal neighbours. Their numbers in 2015 were estimated at between 5 and 6 million people — about half of the 12.2 million Mexican migrant population as a whole. However, although Mexicans are still the dominant group of incomers to the United States, the migration figures have begun to decline. In 2017, 12.7 million Mexican immigrants were living in the US (amounting to 25 % of all the foreigners in the country), but India had overtaken Mexico as the top country of origin from which immigrants came. The absence of a Mexican-US migration agreement to regulate the movement of people from the poor South to the prosperous North further complicates the issue. Border control has become part of US national security policy since the terrorist attacks of 2001. This control on the movement of people and a restrictive migration policy contrast with the free movement of products, services and capital encouraged by the North American Free Trade Agreement (NAFTA), signed between Canada, Mexico and the United States in 1994. Interdependencies have increased significantly since this agreement. In 2016, Canada was the first, and Mexico the second export market for US products.1 Thus, on the one hand, goods pass unhindered over one of the world’s most dynamic borders, while, on the other, the US maintains unilateral restrictions on people’s movement. It is significant that, once they manage to arrive, Mexican immigrants have the lowest naturalization rate.2

1 See Ángeles Villarreal / Ian Fergusson, The North American Free Trade Agreement (NAFTA), in: Congressional Research Service, Washington D. C. 2017, p. 11, URL: https://fas.org/sgp/ crs/​row/R42965.pdf [March 10, 2019]. 2 Gustavo López / Kristen Bialik, Key Findings about U. S. Immigrants, in: Pew Research Center, May 3, 2017, URL: http://www.pewresearch.org/fact-tank/2017/05/03/key-findings-about-us-immigrants/ [March 10, 2019].

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President Donald Trump’s announcements that he wants to build a wall along the 3,200 km border that separates Mexico from the United States, and will renegotiate NAFTA have created new tensions in an already conflictive relationship. Trump’s highly controversial initiatives are  a response to two major problems in the bilateral relations: migration and drug cartels. Mexico is both a country of origin for migrants and one of transit of people from Central America. The criminalization of ‘undocumented workers’ coming over the border is part of a national, protectionist discourse promoted by those who seek a populist vaccine against globalization. A return to the idea of the nation state as protection against ‘the other’ and a diffuse fear of ‘the South’ under Trump’s presidency have led to increasing asymmetries between Mexico and the US. The bilateral relations between these two states reflect a broader conflict of interest between ‘the West’ and the fragile nations of the South, the latter unable to protect their citizens from violence and poverty, and let down by the failure of development cooperation to balance the divide. For the former, sovereignty and territory now take precedence over human rights and human security. At the same time, the migration issue in Mexican-US relations shows the paradox of a type of globalization and liberal order that excludes the movement of people. Migration pressure from Mexico to the United States attests to the negative consequences of globalization, which has allowed increasing development gaps between the signatories to a free trade deal amongst neighbours (NAFTA) without the dominant power balancing the differences by development assistance and state capacity building. Moreover, the absence of a regulatory framework leaves a broad margin for policies to be shifted under different US presidents. Since 2001, national security has clearly prevailed over considerations of human rights and international norms of protecting individuals from harm (as defined under the banner of human security and the UN concept of the responsibility to protect). From  a US perspective, the conflict between Mexico and the United States over migrants represents a (false) choice between human rights and security. For the Trump administration, the question of whose security should be protected is clearly answered in favour of US citizens (excluding foreigners). These have far more weight than the lives and welfare of Mexican migrants and the undocumented workers. The latter are perceived as criminals who violate US laws, or as people without rights, not even rights to human security or the absence of fear and threat. This perspective has been adopted by both Democrat and Republican US presidents. The present chapter analyses the contradiction between free trade agreements and  a restrictive, security-driven migration policy, and it looks at the consequences of Donald Trump’s populist, anti-Mexican discourse. Its premise is the ‘securitization’ hypothesis adapted to US bilateral relations with Mexico under the Trump and Obama administrations.3 The chapter first offers an overview 3 Barry Buzan / Ole Waever / Jaap de Wilde, Security: A New Framework for Analysis, Boulder 1998.

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of the development and current status of Mexican labour migration to the US. Secondly, it argues that NAFTA increased asymmetries between both countries and served as a ‘push’ factor for Mexican labour migration. Thirdly, it analyses the political divide inside the US. The final section shows that US migration policy since 2001, and above all during Donald Trump’s presidency, represents a ‘securitization’ of the migration issue through the ‘wall project’ and  a new economic protectionism to be established by a unilateral ‘reopening’ of NAFTA negotiations with Mexico.

2. Hispanic and Mexican Migration to the United States Contrary to the official rhetoric from Donald Trump, who portrays immigration across the southern border as an increasing security threat, the number of Mexicans crossing over to the United States dropped during the financial crisis. In the period between 2009 and 2014, one million Mexicans left the United States while arrivals only amounted to 870,000.4 In 2016, at the border control, “apprehensions of Central Americans, the fastest growing group of immigrants, outnumbered those from Mexico”,5 but 216,000 new arrivals reconfirmed Mexico’s position as the main country of the migrants’ origin.6 Mexico has in fact become a gateway for Central American migrants and political asylum-seekers from the ‘Northern Triangle’ of El Salvador, Honduras and Guatemala as they try to make their way to the US. In 2016, the arrival of nearly half a million people created a refugee crisis recognized by Amnesty International.7 According to recent figures, more than 13.5 % of US citizens in 2016 had been born outside the country.8 The 43.7 million newcomers came from  a range of countries: Mexico (28 %), other Latin American countries (24 %), Asia (26 %) and Europe and Canada (14 %). In the period between 1990 and 2013, around 57 %

4 Ana González-Barrera, More Mexicans Leaving Than Coming to the U. S., in: Pew Research Center, November 9, 2015, URL: http://www.pewhispanic.org/2015/11/19/more-mexicansleaving-than-coming-to-the-u-s/ [March 10, 2019]. 5 Faya Hipsman / Doris Meissner, Trump Executive Order and DHS Implementation Memo on Border Enforcement: A Brief Review, in: Migration Policy Institute, Washington D. C. 2017, p. 1. 6 Steven A. Camarota / Karen Zeigler, 1.8 Million Immigrants Likely Arrived in 2016. Matching Highest Level in U. S. History, in: Center for Immigration Studies, December 28, 2017, URL: https://cis.org/Report/18-Million-Immigrants-Likely-Arrived-2016-Matching-Highest-Level​ -US-History [March 10, 2019]. 7 Amnistía Internacional, Informe 2016/2017. La situación de los derechos humanos en el mundo, pp. 307–312, URL: https://www.amnesty.org/es/documents/pol10/4800/2017/es/ [March 10, 2019]. 8 Jie Zong / Jeanne Batalova / Jeffrey Hallock, Frequently Requested Statistics on Immigrants and Immigration in the United States, in: Migration Policy Institute, February 8, 2018, URL: https://www.migrationpolicy.org/article/frequently-requested-statistics-immigrantsand-immigration-united-states [March 10, 2019].

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of the migrants to the United States had been born in Latin America.9 In 2016, around 57.5 million Hispanics10 — equivalent to 18 % of the population — lived in the new country. Of these, 63.3 % were of Mexican origin.11 The US has the second largest Latin American population in the world after Mexico, even exceeding the Hispanic population of Colombia. The states with the most migrants from Mexico and other Latin American countries, legal or unauthorized, are California, Texas, Florida, New York, New Jersey and Illinois. According to the US Census Bureau, in the three-year period from 2012 to 2015 alone, more than 6 million Latin Americans came to settle in the US. The number of immigrants working without legal documents in agriculture, services and construction is estimated at 11 million, approximately half of them Mexicans. Now amounting to 17.9 % of the immigrants of Latin American origin, Mexicans represent the largest minority group in the country — about 35 million first- or second-generation settlers (according to their declarations). They are also the nation’s youngest ethnic group: their average age is 28 years compared to the average of 43 for the white population, although birth rates are now declining. The Cuban Immigrant Elite versus the Mexican Low Wage Labour Force The Mexican labour force in the US is concentrated in low-wage jobs in services and agriculture, while politically motivated Cuban immigrants, who have been arriving since the 1960s, form a ‘migration elite’ in the influential state of Florida and have been a powerful anti-Castroist political lobby in the US Congress and other political institutions. These two groups, Cubans and Mexicans, are at opposite ends of  a clear hierarchy within the Latin American migrant community. The rich CubanAmerican elite has a strong voice and influence in US politics, while the Mexicans remain among the poorest migrants, having a low political and electoral profile and registering the lowest rate of US citizenship. As with the US policy towards Israel, which is strongly influenced by its Jewish community, policy towards the historic enemy Havana is conditioned by influential Cuban exiles with a strong position in Congress. The same applies to presidential elections in Florida.12 The so-called ‘wet foot, dry foot’ policy awarded automatic ‘green card’ residence to Cubans arriving on the US coast seeking work (if not intercepted in the open seas). This gave Cuban immigrants  a de facto privileged refugee status until

9 See Susanne Gratius, Political, Social and Cultural Trends in the Atlantic. Atlantic Future, Scientific Paper 35, Barcelona 2015, p. 13. 10 ‘Hispanics’ refers to Latin Americans including foreign-born, as well as the first, second and third generation of Spanish-speaking immigrants living in the United States. 11 Antonio Flores, How the U. S. Hispanic Population is Changing, in: Pew Research Center, September 18, 2017, URL: http://www.pewresearch.org/fact-tank/2017/09/18/how-the-u-shispanic-population-is-changing/ [March 10, 2019]. 12 See Susanne Gratius, Machtfaktor Hispanics? Die Folgen der lateinamerikanischen Zuwanderung für die USA und Spanien, Berlin 2005, pp. 14 f.

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President Obama abolished this policy after the reestablishment of diplomatic relations in 2015. Compared to a mere 29 % of Hispanic voters, nearly 50 % of Cuban-Americans supported Trump’s candidacy. The legal status of Cuban immigrants is also very different from that of the Mexicans. In 1966, anti-Castro feeling resulted in the Cuban Adjustment Law, which not only endorsed the automatic acceptance of the arriving Cubans just mentioned but gave them permanent residence after a shorter time period than was granted to other Latin American immigrants. As late as 2010, according to the US Census Bureau, people from Cuba (6.6 %) ranked fourth in precedence, coming only after refugees accepted from Iraq, Burma, Bhutan and Somalia. This privileged ‘wet foot, dry foot’ refugee status was reversed in January 2017 by President Obama when he rescinded the Cuban Adjustment Law as part of an agreement with the Castro Government to return undocumented Cubans. “By taking this step,” he said, “we are treating Cuban migrants the same way we treat migrants from other countries.”13 This revised policy has already increased the flow of Cuban migration to the United States via Mexico. Cubans thus join the growing numbers of Central Americans forced to leave countries affected by high violence rates and serious poverty.14 Despite his strong support for anti-Castro hardliners in Miami, Trump has not restored the ‘wet foot, dry foot’ policy that encouraged direct Cuban migration.

3. ‘NAFTA Effects’: Poverty and Identity Mexican migration to the US is closely linked to the North American Free Trade Agreement (NAFTA), signed in 1994 between Canada, Mexico and the United States — as unequal partners — to liberalize trade and promote investment. Twosided agreements on labour and environmental protection were prompted by US trade union pressure and controversy over possible threats to jobs and the environment. In contrast to the inclusion of political dialogue and development cooperation in the Free Trade Agreements (FTAs) the European Union has made with its Southern partners (including an FTA with Mexico), NAFTA does not provide any type of compensation or ‘solidarity clause’ with Mexico. The free movement of people is not part of the agreement, and the US does not regulate

13 The White House, Statement by the President on Cuban Migration Policy, January 12, 2017, URL: https://obamawhitehouse.archives.gov/the-press-office/2017/01/12/statement-president​ -cuban-immigration-policy [March 10, 2019]. 14 According to CEPAL figures of 2015, 60 % of Hondurans, 56 % of Guatemalans and 52 % of Mexicans fall under the poverty line. The same year, El Salvador’s homicide rate (81.2 per 100,000 inhabitants) was the worst in the region, and Honduras ranked third (54 per 100,000 inhabitants). UNODC (United Nations Office on Drugs and Crime), Statistics Online: http://www.unodc.org/unodc/en/data-and-analysis/crime-and-criminal-justice.html [April 13, 2018].

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Mexican labour immigration as it does with workers from Canada. Increasing interdependencies in trade, investment, culture and civil society networks have laid bare development asymmetries between Mexico and the US and the prospect of higher wages in the North has encouraged more migration. The trade effects of NAFTA have been very considerable. In 2016, more than one-third of US total exports (18.3 % to Canada, 15.9 % to Mexico) and 22.4 % of US imports derived from trade with NAFTA partners; and the US is the origin of 46 % of Mexican imports and the destination of 81 % of its exports.15 The US is also Mexico’s largest investor. However, these economic interdependencies have not altered the development gap between Mexico and its powerful Northern neighbour. Moreover, the whole policy seems misconceived: “Trade and investment were supposed to substitute for migration as a force for convergence. But the evidence presented [in a recent working paper from Washington] suggests that precisely the opposite may have happened: migration has delivered convergence that trade and investment could not.”16 Migration is the result of a large gross domestic product (GDP) differential per capita between unequal neighbours: the income per person in the US is more than five times higher than what can be expected in Mexico,17 though these differences are partially compensated by migration flows and remittances, which account for an increasing percentage of Mexico’s GDP. On the GINI index — t he statistical measure of unequal distribution — Mexico’s score in 2014 was 48.2 %, an indication that inequality is particularly high in Mexico. Indeed, it is at the same level as the poorest countries of the region, like Bolivia or Guatemala.18 NAFTA’s extraordinary increase of bilateral interdependence in trade and investment contrasts with a highly asymmetric relationship between the neighbouring countries in education, security, poverty levels and job opportunities. Huge social gaps have created a strong incentive for Mexicans to make their way to the US. At the same time, sector spill-over (more integration increasing the flow of people from the poorer to the wealthier country) will happen with or without a 3,145 kilometer wall which will be very difficult to protect (see Table 1). Beyond the reshaping of trade and investment patterns, the unexpected ‘NAFTA effect’, or spill-over to the labour market (including the movement of people), has created  a change of cultural identity both in Mexico and in the United States. Since 1994, all Mexican governments — of the traditional leftist Partido Revolucionario Institucional (PRI) and of its opponent, the conservative 15 European Union, Trade in Goods with the USA, 2016, URL: http://trade.ec.europa.eu/doclib/ docs/2006/september/tradoc_113465.pdf [March 10, 2019], and European Union, Trade in Goods with Mexico, 2016, URL: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2006/september/ tradoc_113418.pdf [March 10, 2019]. 16 Davide Gandolfi / Timothy Halliday / Raymond Robertson, Trade, Migration, and the Place Premium: Mexico and the United States, Working Paper 396, Washington D. C. 2015, p. 1. 17 See ibid., p. 2. 18 See Mexico — GINI Index, URL: https://knoema.com/atlas/Mexico/GINI-index [March 10, 2019].

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Table 1: Push and Pull Factors for Mexican Migration to the US . Source: the author Push Factors

Pull Factors

Insecurity and crime

Safety and rule of law

Poverty and low income

Higher wages and living standards

Inequality (48.2)

Lower inequality (41.1)

Unemployment

Employment opportunities

Economic crisis

Economic stability

Human rights violation

Better human rights standards

Uniting families

Family networks

Partido Acción Nacional (AN) — have promised to reverse the trend towards the ‘North-Americanization of Mexico’ and go back to their country’s Latin American roots and to inclusion into the Community of Latin American and Caribbean States (CELAC). The integration of Mexico into the Pacific Alliance — a free trade area with Chile, Colombia and Peru — is also an attempt to effect a return to the Latin American community, counterbalancing increasing US influence over culture and identity. Both aspects, the culture and identity effects of NAFTA and what may result from the alternative North-South trade agreements, have clearly been underestimated so far, and have not been the subject of academic studies focusing on economics and society. Similar changes in perceptions of cultural identity are to be seen in the US , where some Mexicans, like Carlos Fuentes, even think of increasing migration flows as a “silent reconquest” of states like California, New Mexico and Texas, which were Mexican territory in the past.19 ‘Mexicanization’ occurring in US States with a large number of migrants has contributed to irrational fears of a change in cultural identity, as it goes against the traditional assimilation into the ‘American way of life’ made by other immigrant groups. Many white AngloSaxons see it as a threat to their national identity, because it deviates from their norms in religion (Catholicism), language (Spanish) and culture (Latin American). Though experience shows that these differences tend to disappear in the second generation due to cultural assimilation, the integration of Mexicans into the US is much more difficult than the integration of Latin American immigrants to Spain, for example, where  a common language, culture and religion are an advantage to them, and bring privileges.20 Trump’s populist discourse is part of this identity debate. His presidency has brought  a return to racial inequity and the idea of white Anglo-Saxon 19 Carlos Fuentes, El Espejo Enterrado, Madrid 2012. 20 Gratius, Machtfaktor Hispanics, p. 26.

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supremacy — t hough the old discrimination against blacks has now been turned onto Mexicans and Hispanics. Political use of irrational fear against ‘the other’ is a dangerous game. It risks inciting racial conflict inside the US and a foreign policy dispute with Mexico and the rest of Latin America. Moreover, Trump’s populist discourse feeds Mexican populism. Anti-US resentment was an essential element of Andrés Manuel López Obrador’s (AMLO’s) campaign in the run-up to the presidential elections held on July 1, 2018, which he won with a clear majority, and, apart from internal promises to solve corruption, poverty and human rights abuses, with a critical discourse on Trump’s hostile policy towards Mexico. Trump’s ‘wall project’ is closely related to the announcement, in August 2018, of a new bilateral US -Mexico Trade Agreement. This is intended to replace NAFTA , which Trump has called “the worst trade agreement in the history of humanity”.21 His main argument stems from the US trade deficit, and ignores 5 million US jobs that depend on NAFTA and the fact that 35 % of fresh fruit and 60 % of vegetables consumed in the US are imported from Mexico.22 A ‘border adjusted tax’ or some other form of imposing an additional financial burden on Mexico might be the upshot — a ll a reaction to identity debates and migration pressure, along with the high trade deficit of the US. However, the redefinition of NAFTA or its replacement by a new agreement might also provide a chance for Mexico to improve its bargaining position and to include new issues of strategic importance for its well-being, such as poverty, security, counter-narcotics and migration.23 This would be a positive and necessary step to balance social and security gaps between both countries, but Trump’s America First policy and structural independencies make this scenario look highly unlikely.

4. The Political Divide on the Migration Issue in the US Donald Trump’s provocative proposal to create a wall between Mexico and the US in order to stem immigration from the South has contributed to political polarization. There are stridently opposing views on migration and on the trade-off between human rights and security. The influx of Mexican workers has been instrumentalized and manipulated by the US president as part of the populist platform on migration and terrorism, in which the 1951 Geneva Refugee Convention and the international norm of racial equality have been undermined by xenophobia and racism. The aim is to create a Northern fortress against ‘the South’. For this reason, the issue of how political and economic migration is dealt with will be an important test case for the survival of the international liberal

21 Rafael Fernández de Castro / Sergio Silva Castañeda, México y la Presidencia de Donald J. Trump, in: Foreign Affairs Latinoamérica 1 (2017), pp. 27–34, here p. 30. 22 Ibid. 23 Villareal / Fergusson, The North American Free Trade Agreement, p. 2 and p. 31.

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order. It will also be an indicator of the type of globalization that is to emerge, shaped by the US. The very nature of globalization clashes with impulses to return to the nation state, to border controls and to patriotism. While goods, services and finances are supposed to circulate beyond borders without constraint, the free movement of people, and particularly of immigrants from ‘the South’, is perceived as a threat to national security. In populist discourses in the EU as well as the US , political refugees and economic migrants are not to be treated as citizens but as potential criminals, and are to be submitted to controls, detentions and repatriation. Since the terrorist attacks and Samuel Huntington’s polemical book Who are we?,24 which presented the rising tide of Mexican immigrant workers as a threat to a still dominant white Anglo-Saxon culture and as closely related to national security, the immigration issue has become part of US high politics. In 2002, during George W. Bush’s presidency, the US Department of Homeland Security (DHS) was set up, and migration was put under the supervision of this body, where it remains. This marked a clear change from former periods, particularly the 1990s, when migration was related to human rights, globalization and an attempt to close social gaps. At that time, several US presidents, yielding to Mexican demands, had discussed a bilateral migration agreement to regulate the arrival of unauthorized workers who were risking their lives and financial assets to leave their country. Since then, Mexican political leaders have pressed for a migration accord. This has met with strong opposition from their US counterparts due to domestic powers of veto among Democrats and Republicans and a reluctant US Congress unwilling to expand NAFTA and include non-commercial issues in an already difficult agreement.25 A short period of bilateral negotiation between George W. Bush and Vicente Fox, the first Mexican president after the democratic transition, took place in 2001 but ended after 9/11. After that date, ‘securitization’ of borders became part of the Global War Against Terrorism, and this line has been maintained by Barack Obama and Donald Trump. Obama’s migration policy could be described as lying between the ‘realist’ security tradition of repatriation and  a certain liberalism. On the one hand, his administration returned 2.5 million undocumented migrants, half  a million more than George W. Bush; on the other, it pursued ideas of recognizing undocumented immigrants as full US citizens. Obama’s attempt to reform migration laws, one of its purposes being to let Mexican families reunite, has been as controversial as ‘Obamacare’, his much-debated public healthcare system. His successor, Donald Trump, promised to overturn both, and in September 2017 24 Samuel P. Huntington, Who are We? The Challenges to America’s National Identity, New York et al. 2004. 25 Rodolfo García Zamora, Crisis, NAFTA and International Migration, in: International Journal of Political Economy 43/2 (2014), pp. 27–46, and Gerardo Otero, Neoliberal Globalization, NAFTA, and Migration: Mexico’s Loss of Food and Labor Sovereignty, in: Journal of Poverty 15/4 (2011), pp. 384–402, URL: http://dx.doi.org/10.1080/10875549.2011.614514 [March 10, 2019].

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he suspended the Deferred Action for Childhood Arrivals (DACA) programme which Obama had approved in 2012 as  a partial amnesty for undocumented migrants who had come to the US as children. In 2014, Obama tried to increase the number of undocumented immigrants legally allowed to stay, and launched the DAPA initiative (Deferred Action for Parents of American and Lawful Permanent Residents) to make family unification possible. Both DACA and DAPA would have protected around 4 million undocumented citizens who had been in the US for more than five years from immediate repatriation, and would have regulated their situation. Some 78 % of these people were Mexicans. Obama’s initiative was not unique. Since the late 1980s, similar amnesties, also controversial, had been implemented by the Republican presidents Ronald Reagan (in 1986 and 1987) and George Bush Senior (in 1990); also by the Democrat Bill Clinton.26 Obama’s DAPA initiative failed. In June 2016, the Supreme Court accepted the appeals of Texas and 23 other states against the president’s proposal and stopped the initiative in its tracks. Paralyzed by this Supreme Court decision and strongly opposed by Obama’s successor Trump, the impetus to legalize immigrants is not likely to continue in the future. The reform attempt was indeed one of the reasons why the votes of the white majority shifted from the Democrats to the Republicans, resulting in Trump’s electoral victory. The failure of President Obama’s attempts to reform the migration laws was symptomatic of an increasing political division between Democrats and Republicans on the issue. For every president, the US border with Mexico poses  a constant dilemma: whether to uphold human rights or to pursue the security goal of protection against migration and drugs-trafficking. Trump’s proposal to create a wall along the Mexican border to protect the US represents  a policy exactly the opposite of Obama’s approach of regulation and integration. The Pew Research Center conducted a survey in early 2017, and according to this, most Americans (62 %) strongly opposed Trump’s idea of building a wall and only 26 % of Latin American voters in Florida supported him (compared to 35 % Hispanics at the national level).27 A Quinnipiac University poll made at roughly the same time confirmed that the majority of US citizens (59 %) rejected the idea of  a wall between the United States and Mexico.28 26 David A.  Shirk, La política exterior de Obama hacia México, in: Foreign Affairs Latino­ américa 16/2 (2016), pp. 50–57. For former migration debates about the Mexico-US border, see: Francisco Alba, Mexico: The New Migration Narrative, in: Migration Policy Institute, April 24, 2013, URL: https://www.migrationpolicy.org/article/mexico-new-migration-narrative [March 10, 2019]. 27 Rob Suls, Most Americans continue to oppose US Border Wall, doubt Mexico would pay for it, in: Pew Research Center, February 24, 2017, URL: http://www.pewresearch.org/fact-​ tank/2017/02/24/most-americans-continue-to-oppose-u-s-border-wall-doubt-mexico-wouldpay-for-it/ [March 10, 2019]. 28 Quinnipiac University Poll, Trump Slumps as American Voters Disapprove, February 22, 2017, URL: https://poll.qu.edu/national/release-detail?ReleaseID=2431 [March 10, 2019].

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Irrespective of political party, all US presidents have returned between 2 and 3 million immigrants to their original countries every year,29 and most of the deportees have been Mexicans. Due to more vigorous enforcement of US migration laws, the number of deportations rose from 70,000 in 1996 to 438,000 in 2014.30 President Obama was no more lenient than the others. Indeed, according to David Shirk, under his government, repatriations, mainly of Mexicans, reached a national record of 438,000 in 2013 — compared to 360,000 five years before — and Obama was reviled by the Hispanic community as the “chief of deportations”.31 Nonetheless, deportations were handled with more flexibility within US territory after the start of the DACA programme.32 Today, the US has opted for a restrictive migration policy which clashes with the idea of globalization based on an interconnected world of constant flows between goods, services, capital and people. Because of domestic opposition since 1994, US governments have preferred to limit liberalization of trade and investment and to exclude the free movement of people from the North American Free Trade Agreement (NAFTA). Yet this agreement has been working as a ‘push’ factor encouraging South-North migration.

5. The ‘Securitization’ of Migration and Return to National Protectionism Populist parties and governments in Europe and the US have constructed  a discourse based on a ‘triangle of fear’ which puts globalization, terrorism and immigration in the same basket. The criminalization of Mexican immigrants under the Trump administration and the treatment of North African refugees in Europe show that the liberal global order has reached its limits. The trend is to return to the nation state as a fortress against the outside world.33 Since 9/11, migration and security have emerged as last-bastion missions of the old nation state, defined in ‘realist’ terms of territory, border control and coercion. The trend in both the EU and the US to create  a firm link or nexus between security and migration — suggesting that immigrants from North Africa 29 See Marc R.  Rosenblum / Doris Meissner, The Deportation Dilemma: Reconciling Tough and Humane Enforcement, Washington D. C. 2014, URL: https://www.migrationpolicy.org/ research/deportation-dilemma-reconciling-tough-humane-enforcement [March 10, 2019]. 30 The Illegal Immigration Reform and Immigrant Responsibility Act that expanded administrated authority by non-judicial deportation. 31 Shirk, La Política Exterior de Obama hacia México, p. 56. 32 Rosenblum / Meissner, The Deportation Dilemma, p. 1. 33 Gemma Pinyol-Jiménez, The Migration-Security Nexus in short: Instruments and Actions in the European Union, in: Amsterdam Law Forum 4/1 (2012), pp. 36–57, and Monika Wohlfeld, Is Migration a Security Issue?, in: Omar Grech / Monika Wohlfeld (eds.), Migration in the Mediterranean: Human Rights, Security and Development Perspectives, Malta 2014, pp. 61–77.

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and Mexico pose a security risk — reflects a return to protectionism as a vaccine against globalization and cosmopolitism. In Europe, the ‘securitization of migration’ has been the consequence of the refugee crisis, which has been ongoing since 2015, hand-in-hand with the rise of populist right-wing parties. Since the election of Donald Trump, the US appears to be taking  a similar course. There is an ‘America First’ policy for ‘national citizens’ pitted against the ‘others’, including Mexicans and other Latin American immigrants, whose existence is beginning to be perceived as a threat rather than an opportunity. Migration has always been an ‘intermestic affair’ in the grey zone between domestic and foreign policy,34 but the ‘securitization’ of migration is a relatively new trend in US policy. Traditionally, ‘push’ and ‘pull’ factors determined migration flows, while bilateral agreements and national laws regulated the inflow of people from abroad. Since the end of the 1990s, and especially after the 9/11 terrorist attacks of 2001, migration has become a highly controversial political issue. The old image of the United States as an open country for migrants and asylum-seekers has been overturned. A politically ‘realist’ security approach has been adopted, and migration issues have gradually been upgraded from low politics to high.35 The US sense of identity has changed correspondingly. Once the US was proud to be a melting pot of different cultures, languages and ethnic groups, assimilating them all. This has now been thrown into question by terrorist threats and a diffuse fear amongst the white Anglo-Saxon population that it will lose power and privileges to ethnic minorities like Hispanics, AfroAmericans and Muslims. US migration policy towards Mexico offers a clear example of this ‘securitization’. Migrant workers are perceived as a threat rather than as a useful labour force, as they were traditionally seen. The politics of fear appeals to the impoverished white US -Americans who have lost their jobs and middle-class status. Donald Trump’s populism exploits the irrational feelings of such people in the Mid-West. It is easy to blame poor Mexican immigrants for job losses and breaches of border security.36 He has also blamed them for a rise in violent crime.37 Trump promised to stop immigration, to deport more than 3 million un­ authorized workers and to increase protection at the border, in an identifica34 See Bayless Manning, The Congress, the Executive and Intermestic Affairs. Three Proposals, in: Foreign Affairs 55/2 (1977), pp. 306–324, and Robert D. Putnam, Diplomacy and Domestic Politics: The Logic of Two-Level Games, in: International Organization 42/3 (1988), pp. 427–460. 35 See Anne Bonnevie Lundbye, The ‘securitization of migration’ in the U. S. and Europe. The ‘external enemy’ versus ‘the enemy within’, 2015, p. 1, URL: https://www.academia.edu/​ 18190261/The_securitization_of_migration_in_the_U.S._and_Europe [March 10, 2019]. 36 For example, Donald Trump’s tweets on June 30, 2015: “I love the Mexican people, but Mexico is not our friend. They’re killing us at the border and they’re killing us on jobs and trade”; and on January 27, 2017: “Mexico has taken advantage of the U. S. for long enough. Massive trade deficits & little help on the very weak border must change, NOW!”. 37 According to the FBI (website), violent crime increased by 3.9 % in 2015, compared to the previous year (but this was lower than in 2011), whereas property crimes decreased by 2.6 %.

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tion of territory with the nation state. A phrase employed during the electoral campaign, that immigration policy determines ‘whether or not we have a border, and, hence,  a country’,38 reflects  a return to the old protectionist formulas of isolation. The Republicans also included  a rejection of ‘globalism’ in their electoral programme and announced a return to safeguarding national interests, in the best tradition of political ‘realism’ and isolationism. The President did what he promised. On January 25, 2017, he signed a series of ‘Border Security and Immigration Enforcement Improvements’ including endorsement of his proposal to build (or complete) the wall to protect the US Mexican border. Work on the wall is supposed to start in 2018 in El Paso-Texas, Tucson-Arizona and El Centro-California with an initial budget of 2.6 billion US dollars.39 This expenditure will be additional to the 13.2 billion dollars regularly spent on border security (a 2016 figure).40 According to the Department of Homeland Security, the wall will cost at least 21.6 billion US dollars over a period of three years. On several occasions, Trump has announced that “Mexico will pay for the wall”,41 a statement that may refer to the re-introduction of import tariffs or other commercial measures in the upcoming ‘renegotiation of NAFTA’ or, in this case, the bilateral US -Mexican part of the agreement. While negotiations between government and Congress continue over the wall project, Trump has announced the end of the DACA program authorized by Obama within  a transition period of six months from September 2017. Half a million Mexican ‘dreamers’ who came as children to the US are having their residency rights used as a bargaining tool to lever Mexico’s contribution to the wall.42 The shift from Obama’s liberalism to Trump’s ‘America First’ will have  a strong impact not only on migration policies and free trade agreements, but also on how conflicts are managed and on the role of the US in the world generally. The change of voting preference from the first Afro-American president of the 38 For example, Donald Trump’s tweet on October 19, 2016: “If we have no border, we have no country.”; see also: Jeremy B.  White, Donald Trump says “we’re not going to have  a country” without border wall in first California visit, in: The Independent, March 13, 2018, URL: https://www.independent.co.uk/news/world/americas/us-politics/trump-border-wallprotests-california-visit-prototypes-san-diego-a8254621.html [March 10, 2019]. 39 Hipsman / Meissner, Trump Executive Order and DHS Implementation Memo on Border Enforcement, p. 2. 40 For the expenditures on border security see: American Immigration Council, The Cost of Immigration Enforcement and Border Security, p. 3, URL: https://www.americanimmigration​ council.org/sites/default/files/research/the_cost_of_immigration_enforcement_and_border​ _security.pdf [March 10, 2019]. 41 For example, Donald Trump’s tweets on September 1, 2016: “Mexico will pay for the wall!”; and on January 18, 2018: “The Wall will be paid for, directly or indirectly, or through longer term reimbursement, by Mexico […]”; see also: Michael D.  Shear / Emmarie Huetteman, Trump insists Mexico will pay for the Wall after U. S. begins the Work, in: The New York Times, January 6, 2017, URL: https://www.nytimes.com/2017/01/06/us/politics/trump-wallmexico.html [March 10, 2019]. 42 De Castro / Castañeda, México y la Presidencia de Donald J. Trump, p. 32.

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US to a populist xenophobe could not have been more radical. The Republican government is bent on further undermining the rights of Mexicans and other migrants as citizens and human beings. The building of the wall would bring an end to the strategic alliance between Mexico and the United States, and revision of NAFTA could uncouple the present mode of interdependence of the two countries. The Mexican government of Enrique Peña Nieto has already announced that Mexico will not pay for the wall, and it became one of the main issues in the 2018 election campaign. Diplomatic relations between Mexico and the United States are at their lowest level ever. It is doubtful whether Donald Trump will be capable of stopping or even substantially reducing migration, however. It is the consequence of the unequal distribution of wealth and opportunities. This inequality was consolidated by the NAFTA agreement, which ignored the asymmetries between Mexico and the United States. The forces of globalization and mutual need will continue to connect Latin America and the United States, whether there is a wall or not, and regardless of the political colour of the serving government. The real challenge for the US is not to stop migration but to balance development gaps and assume shared responsibility in the search for solutions to global problems like the drugs traffic, criminal networks, arms exports, inequality and security. According to predictive studies,43 Mexican emigration to the US is not expected to slow down until 2040.

6. Conclusion Since 2001, all US governments of all colours have treated Mexican labour immigration as a security problem and not as part of the human rights agenda or as the economic side-effect of NAFTA . The new immigration policy and ‘securitization’ of the Mexican border, especially with Trump’s wall project, have seriously damaged bilateral relations and have provoked anti-US sentiments in Mexico.44 Border enforcement and xenophobic stereotyping in the discourse promoted by the US administration have joined with economic protectionism and the bilateral renegotiation of NAFTA to bring about a return to the 1970s and 1980s. At that time, Mexico was a leading voice of ‘the South’ against US hegemony. Restrictions on migration in the United States reflect the deep crisis of values and internal contradictions in Washington, where a traditional liberal position clashes with the whims of a President committed to a policy of isolation and realism. The erroneous perception of Mexican labour migration as a security issue rather than an economic one has distorted the former good neighbourhood policy, rendering it open to unforeseen regional consequences. Once migration is equated with security and threat, a dangerous populist paradigm of ‘us’ and 43 See Gratius, Political, Social and Cultural Trends in the Atlantic, p. 13. 44 De Castro / Castañeda, México y la Presidencia de Donald Trump, pp. 27–34.

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‘them’ can arise, along with nationalist protectionism which is unlikely to achieve its aim of reversing globalization. Labour migration from Mexico to the US is clearly a matter for the economic agenda. Free trade agreements between the countries’ unequal economies, made without balancing asymmetries, have simply increased the South-North migration pressure. The refusal to make people’s movement between the two countries legal only highlights the contradiction between economic / f inancial globalization, with its borderless flow of goods, services and capital, and protectionist border-exclusion of would-be citizens. Migration should be in tune with the free market, but on this issue the globalized liberal world has reached its limits. Borders protect the nation state and shield the Northern ‘winners’ of globalization against the ‘losers’ of ‘the South’. Migrants are doubly the victims of globalization: the economies in their home countries are downtrodden; and they rank last in the hierarchy of US citizens. Unregulated migration — migration with no agreement in place — has high costs for both countries. It makes it impossible for Mexican migrants to return across the border and forces them to stay in the US without legal standing. It encourages people-smuggling and human rights violations at the border. And it mars the regional and international image of the United States as a norm-setter and defender of liberties (free movement being one of the basics). As a consequence of restrictive migration policies, undocumented Mexicans are regarded as ‘criminals’; they have neither patria nor rights. They are forced to work illegally in their new homeland and face constant threat of deportation. Why, we may ask, do all post-9/11 US governments reject the Mexican demand for  a negotiated migration agreement? Why are they reluctant to follow the example of Canada’s Seasonal Agriculture Workers Program or eliminate visas for Mexicans, as Canada did in December 2016? The answers seem clear. First, since the number of Mexicans emigrating to the US (Canada too) is much higher than 20,000, a far higher quota would have to be negotiated. Secondly, as Trump’s presidency has underlined, domestic concerns and racist prejudices against Mexicans are a major obstacle to a migration accord. Even Obama’s timid DAPA attempt to regulate the situation for 4 million undocumented Mexicans was stopped by the state governors. Thirdly, a migration accord like the former Bracero Program of the 1960s needs the approval of the US Congress and, thus, of the Republicans, who are in no mind to grant it. Given that a migration accord could be difficult to reach, an alternative solution might be to reduce the ‘push’ and ‘pull’ factors of migration by increasing US development cooperation with Mexico and Central America. There could be a bilateral arrangement for seasonal workers, like the former Bracero Program, at local level, and de-criminalization of the border and border-crossing by legalizing Mexican migrants’ status in the United States. However, all these steps require a rational, liberal vision of migration policies that goes beyond prejudice and obsession with security, and they need a new bilateral understanding between Mexico and the US.

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Despite restrictive policies and border enforcement, it will be difficult to stop increasing, long-term interdependences between Mexico and the United States from developing naturally. The changing identities in both countries are the result of a strong US influence in Mexico and vice versa, as an outcome of mutual migration flows and people-to-people contacts. In the near future (taking into account the fact that Mexicans still have more children than other minority groups in the US), Hispanics will have increased political influence in their new home country and, in a foreseeable time-frame, there might even be a US president of Latin American origin.

Autor*innenverzeichnis Keith R. Allen, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München–Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Wirtschafts- und Migrationsgeschichte, Erinnerungskulturen des Kalten Krieges und die historische Erforschung der Inneren Sicherheit. Publikationen u. a.: Hungrige Metropole: Essen, Wohlfahrt und Kommerz in Berlin, Hamburg 2002; Befragung, Überprüfung, Kontrolle. Die Aufnahme von DDR-Flüchtlingen in West-Berlin bis 1961, Berlin 2013; Interrogation Nation: Refugees and Spies in Cold War Germany, London 2016. Birgit Ammann, Prof. Dr., lehrt Politikwissenschaften an der Fachhochschule Potsdam. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Migration, ethnische Minderheiten und Diaspora. Publikationen u. a.: Kurden in Europa: Ethnizität und Diaspora, Münster 2001; (Mit Elisabeth Kirndörfer), Jugendliche im Kontext von Migration und Postmigration, Weinheim / Basel 2018; Germany (country profile), in: Sebastian Maisel (Hg.), The Kurds: An Encyclopedia of Life, Culture, and Society, Santa Barbara, CA 2018, S. 225–230. Marcel Berlinghoff, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar und Mitglied des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück. Zu seinen Schwerpunkten in Forschung und Lehre zählt die europäische Migrationsgeschichte, insb. Arbeitsmigration und Flucht. Er ist Mitherausgeber der „Zeitschrift für Flucht- und Flüchtlingsforschung – Z’Flucht“. Publikationen u. a.: Das Ende der „Gastarbeit“. Die Anwerbestopps in Westeuropa 1970–1974, Paderborn 2013; Die Bundesrepublik und die Euro­päisierung der Migrationspolitik seit den späten 1960er Jahren, in: Jochen Oltmer (Hg.), Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin 2015, S. 931–966. Olaf Beuchling, Dr., ist Erziehungs- und Kulturwissenschaftler. Er lehrte an Universitäten in Hamburg, Magdeburg, Leipzig und Barcelona. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die vietnamesische Diaspora, die Globalisierung des Buddhismus sowie evolutionstheoretische Ansätze in der Kulturwissenschaft. Publikationen u. a.: Vom Bootsflüchtling zum Bundesbürger. Migration, Integration und schulischer Erfolg in einer vietnamesischen Exilgemeinschaft, Münster 2003; (Mit Tuan Van Cong), Vom Mekong an die Elbe. Buddhistisches Klosterleben in der vietnamesischen Diaspora, Hamburg 2013; Thích Như Điển as  a pioneer of Vietnamese Buddhism in Germany: Challenges and Success Stories between Tradition and Globalization, in: Phu Van / Tuan Van Cong (Hg.), Đặc San Văn Hóa Phật Giáo – 40 Năm Viên Giác Đức Quốc, Hannover 2019, S. 533–546.

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Claudio Bolzman, PhD, is professor at the Department of Social Work, University of Applied Sciences Western Switzerland (HES -SO -Geneva), Senior Lecturer at the Department of Sociology, University of Geneva. His main research interests are exile and life course, transnational social participation and integration of refugees, transformation of asylum policies and their effects on refugee social trajectories. Publications et al.: Older refugees, in: E. Fiddian-Quasmiyeh et al. (eds.), The Oxford Handbook of Refugee and Forced Migration Studies, Oxford 2014, pp. 409–419; Transnational Political Practices of Chilean Migrants in Switzerland, in: International migration 49/3 (2011), pp. 144–167, DOI:10.1111/j.14682435.2011.00693.x [March 8, 2019]. Agnes Bresselau von Bressensdorf, Dr., ist wissenschaftliche Geschäftsführerin des Berliner Kollegs Kalter Krieg am Institut für Zeitgeschichte München–Berlin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte des Kalten Krieges, die inter- und transnationalen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland, sowie das globale Flüchtlingsregime im Mittleren Osten seit den späten 1970er Jahren. Publikationen u. a.: Frieden durch Kommunikation. Das System Genscher und die Entspannungspolitik im Zweiten Kalten Krieg 1979–1982/83, Berlin / Boston 2015; (Hg. mit Elke Seefried / Christian F. Ostermann), West Germany, the Global South and the Cold War, Berlin u. a. 2017; Das globale Flüchtlingsregime im Nahen und Mittleren Osten in den 1970er und 1980er Jahren, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 66/26–27 (2016), S. 32–39. Peter Gatrell, PhD, is professor at the University of Manchester where he is also affiliated to the Humanitarian and Conflict Response Institute. He is Principal Investigator on the AHRC research project, “Reckoning with Refugeedom: Refugee Voices in Modern World History, 1919–1975”. Publications et al.: A Whole Empire Walking: Refugees in Russia during World War I, Bloomington 1999; The Making of the Modern Refugee, Oxford 2013; (Ed. with Lyubov Zhvanko), Europe on the Move: Refugees in the Era of the Great War, 1912–1923, Manchester 2017; The Unsettling of Europe: How Migration Reshaped a Continent, New York 2019. Susanne Gratius, Prof. Dr., ist Professorin für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Universidad Autónoma de Madrid (UAM) und Senior Associate Researcher beim think-tank CIDOB in Barcelona. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Beziehungen zwischen Lateinamerika und Europa, Migration, (Inter-)Regionalismus, die politischen Regime und Außenpolitik der lateinamerikanischen und karibischen Staaten sowie die Lateinamerika-Politik Spaniens, der EU und Deutschlands. Publikationen u. a.: (Mit Ángel Rivero), Más allá de la izquierda y la derecha: populismo y democracia en Europa y América Latina, in: Revista Cidob d’Afers Internacionals 119 (2018), S. 35–61; Brazil and the EU: from Liberal Inter-regionalism to Realist Bilateralism, in: Revista Brasileira de Política Internacional 61/1 (2018), S. 1–21.

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Kelly M. Greenhill, PhD, ist Associate Professor am Department of Political ­Science an der Tufts University Boston, Director des Tufts International Relations Program an der Tufts University und Research Fellow an der Havard University / Kennedy School of Government. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Außen- und Sicher­heitspolitik, militärische Gewalt und Bürgerkriege sowie internationale Migration. Publikationen u. a.: Weapons of Mass Migration. Forced Displacement, Coercion and Foreign Policy, Ithaka u. a. 2010; (Hg. mit Peter Andreas), Sex, Drugs and Body Counts. The Politics of Numbers in Global Crime and Conflict, Ithaka 2010; (Hg. mit Robert J.  Art), The Use of Force. Military Power and International Politics, New York u. a. 2015; (Hg. mit Peter Krause), Coercion. The Power to Hurt in International Politics, New York 2018. Sandra Gruner-Domić, PhD, anthropologist independent researcher, worked recently at the University of Southern California Shoah Foundation. Her research includes global migration, process of representation and identity in transnational context. Publications et al.: Vietnamese, Mozambican, and Cuban Labor Migrants in East Germany since the 1970s, in: Klaus Bade et al. (eds.), Encyclopedia Migration in Europe since the 17th Century, Cambridge / New York 2010; (Ed. with Nina Glick Schiller / Tsypylma Darieva), Cosmopolitan Sociability: Locating Transnational Diasporic and Religious Networks, London / New York 2011; (With Miranda Hallet), Consent Mediation and Complicity: The Complex Ethics of Informed Consent and Scholarly Representation in Violent Contexts, in: Geopolitics Special Issue: Time and Power in a Violent Moment: Re-imagining Fieldwork as Social Transformation [forthcoming]. Randall Hansen, PhD, ist Direktor des Centre for European, Russian, and Eu­rasian Studies sowie Interimsdirektor der Munk School of Global Affairs an der University of Toronto. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Themen der Immigration und Staatsbürgerschaft, die Auswirkungen von Krieg auf Zivilisten sowie zu Bevölkerungspolitik und Demographie. Publikationen u. a.: Citizenship and Immigration in Post-War Britain. The Institutional Origins of a Multicultural Nation, Oxford 2000; (Hg. mit Matthew J.  Gibney), Immigration and Asylum. From 1900 to the Present, Santa Barbara, CA 2005; (Hg. mit Jeannette Money / Jobst Koehler), Migration, Nation States and International Cooperation, New York 2011; (Hg. mit David Leal / Gary P. Freeman), Immigration and Public Opinion in Liberal Democracies, New York 2012. Helge Heidemeyer, Dr., ist Abteilungsleiter Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte der Staatssicherheit, Parteiengeschichte und Migrationsgeschichte. Publikationen u. a.: Flucht und Zuwanderung aus der SBZ / DDR 1945/49–1961. Die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland bis zum Bau der Berliner Mauer, Düsseldorf 1994;

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(Hg. mit Bettina Effner), Flucht im geteilten Deutschland. Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, Berlin 2005; (Mit Josef Boyer Bearbeiter des Editionsbandes, hg. von Karl-Dietrich Bracher u. a.), Die Grünen im Bundestag. Sitzungsprotokolle 1983–1987, Düsseldorf 2008; „Akten-Einsichten“. Beiträge zum historischen Ort der Staatssicherheit, Berlin 2016. Antonia Heinrich ist Studienrätin für Englisch und Geschichte. Neben dem Schuldienst war sie Lehrbeauftragte am Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung der Universität Würzburg. Publikationen u. a.: (Mit Peter Mierau), Denn sie wussten nicht, was sie tun? Zwei Verfahren im Vergleich, in: Praxis Geschichte 5 (2012), S. 18–22. Tobias Hof, PD Dr., ist Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München und war von 2014 bis 2018 DAAD Visiting Professor for German and European Studies an der University of North Carolina at Chapel Hill. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte des Faschismus, des Terrorismus und seiner Bekämpfung, sowie der globalen Hungerhilfe. Publikationen u. a.: Staat und Terrorismus in Italien 1969–1987, München 2011; (Hg.) Empire, Ideology, and Mass Violence: The Long 20th Century in Comparative Perspective, München 2016; From Extremism to Terrorism: The Far Right in Italy and West Germany, in: Contemporary European History 27/3 (2018), S. 412–431. Ulrike Krause, Dr., ist Juniorprofessorin für Flucht- und Flüchtlingsforschung am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück, Research Associate am Refugee Studies Centre der University of Oxford, Vorstandsmitglied im Netzwerk Fluchtforschung und Mitherausgeberin der „Zeitschrift für Flucht- und Flüchtlingsforschung“. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Fragen zum humanitären Flüchtlingsschutz, Konflikt-Flucht-Nexus, zu genderspezifischen Auswirkungen von Flucht und Resilienzprozessen von Geflüchteten. Publikationen u. a.: „It seems like you don’t have identity, you don’t belong.“ Reflexionen über das Flüchtlingslabel und dessen Implikationen, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 23/1 (2016), S. 8–37; (Hg. mit Susanne Buckley-Zistel), Gender, Violence, Refugees, New York / Oxford 2017. Ursula Münch, Prof. Dr., ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung und (beurlaubte) Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Föderalismus- und Parteienforschung sowie Politikfeldanalysen (u. a. Asyl-, Sozial- und Bildungspolitik), Fragen der gesellschaftlichen Integration und der Auswirkungen der digitalen Transformation. Publikationen u. a.: Asylpolitik in Deutschland – Akteure, Interessen, Strategien, in: Stefan Luft / Peter Schimany (Hg.), 20 Jahre Asyl- und Zuwanderungskompromiss. Bilanz und Perspektiven, Bielefeld 2014, S. 69–86;

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Föderale Aspekte bundesdeutscher Flüchtlingspolitik, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (EZFF): Jahrbuch des Föderalismus 2017, S. 252–264. Jochen Oltmer, Prof. Dr., ist Apl. Professor für Migrationsgeschichte und Mitglied des Vorstands des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück. Er arbeitet zu deutschen, europäischen und globalen Migrationsverhältnissen in Vergangenheit und Gegenwart. Publikationen u. a.: Migration vom 19. bis zum 21. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd.  86), Berlin / Boston 32016; Globale Migration. Geschichte und Gegenwart, München 32017; Migration. Geschichte und Zukunft der Gegenwart, Darmstadt 2017. Patrice G.  Poutrus, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Universität Erfurt. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte des Kalten Krieges, die Geschichte des Kommunismus und europäische Migrationsgeschichte. Publikationen u. a.: Asylum in Postwar Germany: Refugee Admission Policies and Their Practical Implementation in the Federal Republic and the GDR Between the Late 1940s and the Mid-1970s, in: Journal of Contemporary History 49/1 (2014), S. 115–133; Refugee Reports: Asylum and Mass Media in Divided Germany during the Cold War and Beyond, in: Cornelia Wilhelm (Hg.), Migration, Memory, and Diversity: Germany from 1945 to the Present, New York / Oxford 2017, S. 86–107. Carlos Sanz Díaz, PhD, is Associate Professor of Contemporary History at Complutense University of Madrid. His research focuses on the Spanish migrations since 1945, the Spanish foreign policy in the 20th century and Cold War history. Publications et al.: (With Luís M. Calvo et al.), Historia del Instituto Español de Emigración. La política migratoria exterior de España y el IEE del Franquismo a la Transición, Madrid 2009; (Ed. with Jochen Oltmer / A xel Kreienbrink), Das “Gastarbeiter”-System. Arbeitsmigration und ihre Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa, München 2012; (With José-Luis Neila et al.), Historia de las relaciones internacionales, Madrid 2018. Miriam Schader, Dr., ist Senior Research Fellow / Group Leader am Max-PlanckInstitut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen lokale und globale Flüchtlingspolitik, politische Partizipation und Mobilisierung von Migrant*innen sowie religiöse Vielfalt in Europa. Publikationen u. a.: (Mit Riva Kastoryano), A Comparative View of Ethnicity and Political Engagement, in: Annual Review of Sociology 40/1 (2014), S. 241–260; Migrants from Sub-Saharan Africa in two European Cities, Wiesbaden 2017; (Mit Sybille Münch / Tim Rohmann), Isolation im Gesetz verankern? Zu den Plänen der großen Koalition, zentrale Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen einzuführen, in: Z’Flucht. Zeitschrift für Flüchtlingsforschung 2/1 (2018), S. 91–107.

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Benjamin Schraven, Dr., ist Sozialwissenschaftler, Migrationsforscher und Senior Researcher des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Fluchtursachen, „Umweltmigration“ sowie Migration und Entwicklung(spolitik). Publikationen u. a.: (Hg. mit Andrea Milan / Koko Warner /  Noemi Cascone), Migration, Risk Management and Climate Change: Evidence and Policy Responses, Berlin 2016; (Mit Julia Leininger / Eva Dick), Entwicklungszusammenarbeit gegen Fluchtursachen in Afrika – Kann das gelingen?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 68/43–45 (2018), S. 17–23. Julia Schulze Wessel, PD Dr., hat bis zum Wintersemester 2018 / 2019 die Professur für Politische Theorie an der Universität Leipzig vertreten. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Politische Theorie des Flüchtlings, Politische Partizipation und Bürgerschaft, Grenztheorie, Grenzen der Demokratie, Demokratietheorie. Publikationen u. a.: Grenzfiguren – Zur Politischen Theorie des Flüchtlings, Bielefeld 2017; Aushandlungen der Teilhabe. Demokratie, Exil und die Cities of Sanctuary, in: Doerte Bischoff / Miriam Rürup (Hg.), Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 36, München 2018 S. 268–283; Demokratien in Bewegung. Bonnie Honig und Julia Kristeva über die Ährenleserin Ruth, in: Oliver Hidalgo / Gert Pickel (Hg.), Flucht und Migration in Europa. Neue Herausforderungen für Parteien, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Wiesbaden 2019, S. 49–67. Michael Schwartz, Prof. Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München–Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte von Flucht, Vertreibung und ethnischen „Säuberungen“ im 19. und 20. Jahrhundert sowie die Geschichte der Sozialpolitik und der Sexualität in Deutschland seit 1945. Publikationen u. a.: Vertriebene und „Umsiedlerpolitik“. Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ / DDR 1945–1961, München 2004; Funktionäre mit Vergangenheit. Das Gründungspräsidium des Bundes der Vertriebenen und das „Dritte Reich“, München 2013; Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne. Globale Wechselwirkungen nationalistischer und rassistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, München 2013.