Über die Liebe oder Platons Gastmahl 9783787322626, 9783787322619

»De amore sive in convivium Platonis«, dessen Wirkungsgeschichte bis weit ins 17. Jahrhundert reicht, ist Nachdichtung u

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Über die Liebe oder Platons Gastmahl
 9783787322626, 9783787322619

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M A R S I L IO F IC I NO

Über die Liebe oder Platons Gastmahl

Mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von pau l r ic h a r d b lu m

F E L I X M E I N E R V E R L AG H A M BU RG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 642

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie ; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http ://portal.dnb.de› abruf bar. ISBN 978-3-7873-2261-9 ISBN eBook: 978-3-7873-2262-6

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IN H A LT

Einleitung. Von Paul Richard Blum 1.  Probleme der Ficino-Lektüre .......................................... xi 2.  Ficinos Platon ................................................................... xv 3.  Zum Inhalt von De amore ........................................... xxvi 4.  Zu dieser Ausgabe ........................................................ xxix Chronologie zu Leben und Werk Ficinos ........................ xxxi Auswahlbibliographie ................................................... xxxvii Marsilio Ficino Über die Liebe oder Platons Gastmahl Widmungsschreiben ........................................................... 3 ERSTE REDE

1. K apitel: Die Methode, den Eros zu preisen; seine Bedeutung und seine Macht.............................................. 11 2. K apitel: Die Herkunft des Eros.......................................... 13 3. K apitel: Die Förderlichkeit des Eros .................................. 16 ZWEITE REDE

1. K apitel: Gott ist Güte, Schönheit und Gerechtigkeit, ­Ursprung, Mitte und Endziel ................................................... 21 2. K apitel: Die göttliche Schönheit gebiert die Liebe .............. 22 3. K apitel: Die Schönheit ist der Strahlenglanz der göttlichen Güte, und Gott ist der Mittelpunkt von vier Kreisen . 24 4. K apitel: Auslegung Platons über das Göttliche.................. 27

vi

Inhalt

5. K apitel: Die göttliche Schönheit leuchtet durch alle Dinge und wird in allen geliebt .......................................................... 30 6. K apitel: Die Leidenschaften der Liebenden ...................... 30 7. K apitel: Über die zweierlei Arten des Eros und die beiden ­Liebesgöttinnen ............................................................. 32 8. K apitel: Ermunterung zur Liebe und Erörterung über die ­einseitige und die gegenseitige Liebe ......................................... 34 9. K apitel: Was die Liebenden erstreben ............................... 39 DRITTE REDE

1. K apitel: Eros ist in allem, durchdringt alles und ist Schöpfer und Meister aller Dinge ............................................. 41 2. K apitel: Die Liebe ist bildendes und erhaltendes Prinzip des Alls ....................................................................... 42 3. K apitel: Eros ist Meister aller Künste ................................ 44 4. K apitel: Kein Teil der Welt ist dem anderen feindlich ....... 47 VIERTE REDE

1. K apitel: Auslegung des Texts Platons über die ursprüngliche Natur der Menschen .......................................... 49 2. K apitel: Erklärung der Anschauung Platons über die ­ursprüngliche Gestalt des Menschen ......................................... 51 3. K apitel: Der Mensch ist die Seele selbst, und die Seele ist ­unsterblich ............................................................................... 53 4. K apitel: Mit zwei Lichtern geschmückt wurde die Seele ­erschaffen. Warum sie mit den beiden Lichtern in den Körper ­hinabstieg ................................................................................ 55 5. K apitel: Die vielen Wege, auf denen die Seele zu Gott ­zurückkehrt ............................................................................. 57



Inhalt

vii

6. K apitel: Eros führt die Seelen wieder in den Himmel zurück, teilt die Grade der Seligkeit aus und verleiht ewige Freude...................................................................................... 60 FÜNFTE REDE

1. K apitel: Eros ist höchst selig, weil er schön ist und gut ..... 2. K apitel: Über die Arten, den Eros darzustellen, und die ­Seelenvermögen, durch die Schönheit erkannt und Liebe ­hervorgerufen wird ................................................................. 3. K apitel: Die Schönheit ist etwas Unkörperliches .............. 4. K apitel: Die Schönheit ist der Lichtglanz des Angesichtes Gottes .................................................................. 5. K apitel: Wie Liebe und Haß entstehen; das unkörperliche Wesen der Schönheit ............................................................... 6. K apitel: Was zur Schönheit eines Dinges erforderlich ist; die Schönheit ist eine unkörperliche Gabe................................ 7. K apitel: Schilderung des Eros .......................................... 8. K apitel: Die Tugenden des Eros........................................ 9. K apitel: Die Gaben des Eros............................................. 10. K apitel: Eros ist älter und jünger zugleich als alle übrigen Götter......................................................................... 11. K apitel: Die Liebe herrscht vor der Notwendigkeit .......... 12. K apitel: Im Reich der Notwendigkeit entmannte Kronos den Uranos und fesselte Zeus den Kronos ................................. 13. K apitel: Welche Künste die einzelnen Götter den Menschen verleihen.................................................................

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Inhalt

SECHSTE REDE

1. K apitel: Einleitung zur Erörterung über die Liebe............. 2. K apitel: Eros steht in der Mitte zwischen der Schönheit und ihrem Gegensatz und ist Gott und Dämon zugleich .................................................................................. 3. K apitel: Die Sphärengeister und die Dämonen ................. 4. K apitel: Die sieben Gaben, die Gott den Menschen mittels der Geister zukommen läßt .......................................... 5. K apitel: Die Ordnungen der venerischen Dämonen und ihre Art, den Liebespfeil abzuschießen .....................................

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6. K apitel: Wie uns die Liebe ergreift................................... 98 7. K apitel: Die Geburt des Eros ............................................ 101 8. K apitel: In allen Seelen befinden sich zwei Eroten, in unseren aber fünf ................................................................ 105 9. K apitel: Die Leidenschaften, die Liebende wegen der Mutter des Eros in sich haben.................................................. 107 10. K apitel: Die Gaben, die Liebende vom Vater des Eros her haben ................................................................................ 114 11. K apitel: Die Förderlichkeit des Eros seiner Definition nach ....................................................................................... 122 12. K apitel: Die beiden Eroten. Der Seele ist die Idee der ­Wahrheit angeboren ............................................................... 125 13. K apitel: In welchem Sinne das Licht der Wahrheit in der Seele ist ......................................................................... 127 14. K apitel: Über den Ursprung der Liebe zu Männern und der Liebe zu Frauen .......................................................... 129 15. K apitel: Über dem Körper steht die Seele, über der Seele der Engel, über dem Engel steht Gott........................................ 130 16. K apitel: Das Verhältnis zwischen Gott, dem Engel, der Seele und dem Körper ........................................................ 134



Inhalt

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17. K apitel: Das Verhältnis zwischen der Schönheit Gottes, des Engels, der Seele und des Körpers....................................... 135 18. K apitel: Wie sich die Seele von der Schönheit des Körpers zur Schönheit Gottes erhebt ........................................ 138 19. K apitel: Wie man Gott lieben soll .................................. 143 SIEBTE REDE

1. K apitel: Abschluß aller Reden mit der Anschauung des ­Philosophen Guido Cavalcanti ................................................ 145 2. K apitel: Sokrates war der wahre Liebende und dem Eros gleich ...................................................................................... 147 3. K apitel: Die tierische Liebe ist eine Art von Wahnsinn .... 152 4. K apitel: Die gewöhnliche Liebe ist eine Verzauberung ..... 153 5. K apitel: Wie leicht man sich verliebt ............................... 157 6. K apitel: Die seltsame Wirkung der gewöhnlichen Liebe .... 160 7. K apitel: Die gemeine Liebe beruht auf Verderbnis des Blutes................................................................................ 161 8. K apitel: Wie der Liebende dem Geliebten ähnlich werden kann ........................................................................... 162 9. K apitel: Welche Personen machen uns verliebt ? ............... 163 10. K apitel: Die Art und Weise des Verliebens ..................... 164 11. K apitel: Wie man sich von den Banden der gewöhnlichen Liebe befreit ...................................................... 165 12. K apitel: Die Schädlichkeit der gewöhnlichen Liebe ........ 167 13. K apitel: Die Zuträglichkeit der göttlichen Liebe und die vier Arten der göttlichen Begeisterung ............................... 167 14. K apitel: In welchen Stufen die göttliche Begeisterung die Seele erhebt ....................................................................... 169 15. K apitel: Von allen Arten der Begeisterung ist die Liebe die edelste ............................................................................... 172

x

Inhalt

16. K apitel: Die Förderlichkeit des wahren Liebhabers ......... 173 17. K apitel: Wir danken dem heiligen Geist, daß er uns erleuchtet und zu dieser Diskussion über die Liebe angefeuert hat ......................................................................... 176 Anmerkungen des Herausgebers ........................................ 177 Namen- und Sachregister .................................................... 209

EINLEITU NG

1.  Probleme der Ficino-Lektüre Daß Zitieren und Denken einander ausschließen, ist ein Vorurteil ; es blüht in der Kultur der Subjektivitätsphilosophie und drängt vom Zugang zu der in diesem Buch vorgelegten Philo­ sophie ab, welche ihrerseits dem Mythos von Theut1 wenig abzugewinnen wußte, jedenfalls keine literarische Skepsis. Philosophieren vollzieht sich auch hier bei Marsilio Ficino im Zitat. Deshalb wurde in dieser Ausgabe versucht, einigen solcher Zitate nachzugehen, um den Nachvollzug dieses Denkens zu erleichtern. Denken ist für Ficino immer auch Denken von schon Gedachtem, wobei das »schon« nur den zeitlichen Umständen des Denkens der Menschen zuzurechnen ist, nicht aber der Sache des Gedachten. Wo aber wäre Gedachtes zu finden, wenn nicht in Geschriebenem ? Wenn die Philosophie durch die Dignität des Gegenstandes und die Autorität des Autors ausgewiesen ist, darf der Philosoph sich glücklich schätzen, Zitate nachzudenken. Will man also z. B. Ficinos Schrift über die Liebe verstehen, tritt zu den bekannten Möglichkeiten philosophiehistorischer Interpretation (etwa ihren Wolfgang Wieland, Platon und die Formen des Wissens, Göttingen 1982, bes. §§ 1 – 2. – Bei Ficino heißt es dazu, Op. 1365 : probat contemplationem traditionemque veritatis in animos potiusquam in libros«, mit Verweis auf den mos Pythagoreorum (s. u.), und Op. 1383 lapidar : »Concluditur non esse turpe scribere, sed male scribere« ; Op. 1385 f. : »Narratio Socratis allegorica est et anagogica. […] Concluditur denique nos disciplina scribendi et qualibet alia recte uti posse pariter et abuti.« Zum Unterschied zur modernen Philosophieauffassung s. P. R. Blum, Studies on Early Modern Aristotelianism, Leiden 2012, Kap. 1. Abgekürzt zitierte Literatur findet sich in der Auswahlbibliographie. 1

xii

Einleitung

systematischen Stellenwert zu verzeichnen oder eine KernIdee oder ein zentrales Problem herauszupräparieren) die Notwendigkeit, jeweils das Gemeinte in einem Satz in dem Sinne zu finden, daß das Zitat im Hintergrund, an das hier gedacht ist, vergegenwärtigt wird, denn nichts anderes will jeweils an dieser Stelle gesagt sein, sondern genau dasselbe. Dies jedenfalls ist die Arbeitshypothese, wenn man die Philosophie eines solchen Autors lesen möchte, denn was immer man auch an Philosophischem bei Ficino zitieren könnte, es ist Zitat.2 Ficinos Selbstzitate kann man als Extremfall und als Indiz für die Berechtigung eines solchen Ansatzes nehmen. An mehreren Stellen von De amore finden sich Stücke, die auch in anderen seiner Schriften Verwendung gefunden haben : Was er in seiner Einleitung zu Platons Ion über die Grade des furor divinus gesagt hat, findet auch einen Platz im Symposion-Kommentar ( VII 3 u. 13), und die Ausführungen dieses Kommentars über die eingeborenen Ideen (VI 12) sind ein wiederverwendbares Beweisstück für die Theologia Platonica. Nun kommt es ja immer wieder vor, daß ein Autor frühere Texte in anderer Zusammenstellung wiederverwendet, aber für Ficino scheint es darum zu gehen, daß richtig Gesagtes nicht an Wahrheit verliert, wenn es wiederholt wird ; repetiert wird das Gedachte in der Form des Geschriebenen. Denn Dies ist der Versuch einer Umkehrung des Ansatzes von Paul ­Oskar Kristeller (Die platonische Akademie 111 f.). Seine Auffassung der Zitate bei Ficino als »Ausschmückung« hat den Vorteil, eine systematische Interpretation (Die Philosophie Marsilio Ficinos, entstanden in den 30er Jahren) zu ermöglichen, setzt aber voraus, daß »abstrakte Thesen« isolierbar sind, die nicht Zitat sind, und macht es schwer, noch einen Sinn im Zitieren zu finden, so daß der überwiegende Teil des Werkes Makulatur wird, falls nicht – und das ist die Absicht dieser Einleitung – die Bedeutung des Umgangs mit Autoren selbst als zentrale Frage, d. h. die Rezeption als Form des Philosophierens angenommen wird. Vgl. Anm. 31. 2



Paul Richard Blum

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auch diesen Extremfall überbietet Ficino noch, indem er nämlich in seiner Auslegung der Diotima-Rede (VI 11) unter dem Schein der Erläuterung ebendie Stelle zitiert, die er zu kommentieren vorgibt. Zitat und Interpretation gehen nahtlos ineinander über. Da dem so ist, kann man die Zitierfreude unseres Autors nicht in das Bild des mit Florilegien bewaffneten Gelehrten fassen, der statt einer Philosophie einen umgestürzten Zettelkasten bietet oder dessen eigene und eigentliche Lehre hinter dem Bildungsgut absichtsvoll verborgen wäre oder der ein systematisches Lehrgebäude besäße, um dessen Kernthesen sich schmückende Zitate und von der Sache her verzichtbare Belege aus der Literatur gruppieren, eine Philosophie jedenfalls, die prinzipiell auch ohne schmückendes Beiwerk darstellbar wäre. Ein Vergleich mit dem ein Jahrhundert später publizierenden Renaissancephilosophen Giordano Bruno offenbart einen deutlichen Unterschied : Bruno ist zu einem ironischen Umgang mit Bildungsgut in der Lage, und seine Adaptationen tragen schon manieristische Züge, indem sie seine polemischen Ausfälle gegen Scholastiker und Pedanten flankieren.3 Zwischenzeitlich hatte eine tiefgreifende Umorientierung der Wissenschaftsmethodik durch Dialektiker wie Rudolph Agri­cola und Petrus Ramus stattgefunden.4 Es stand nun eine Zum Beispiel Giordano Bruno, Über die Ursache, das Prinzip und das Eine, Hamburg 2007. P. R. Blum, Aristoteles bei Giordano Bruno, München 1980, bes. 15–18 ; ders., Giordano Bruno am englischen Hof. Zur Präsentationsform seiner Philosophie, in : Europäische Hof kultur im 16. und 17. Jahrhundert, Hamburg 1981, Bd. III, 685 – 692. Thematisch ist mit Ficino zu vergleichen : De gli eroici furori 1584. 4 Wilhelm Schmidt-Biggemann, Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft, Hamburg 1983 ; Sachiko Kusukawa, Petrus Ramus. Reform und Methode, in : P. R. Blum (Hrsg.), Philosophen der Renaissance, Darmstadt 1999, 130 – 136. 3

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Einleitung

­ opik zur Verfügung, in der die Disposition von Lesefrüchten T in einer Methodik wissenschaftlicher Argumentation geregelt werden sollte, sozusagen als Theorie des philosophisch-literarischen Synkretismus. Deshalb rückt bei Bruno wieder die Frage nach der metaphysischen und erkenntnistheoretischen Fundierung von topischer Wissenschaft in den Vordergrund, so daß Anspielungen und Zitate zu einem geistreichen Spiel geraten können. Dies alles fehlt noch bei Ficino, und deshalb geht er im Heranziehen von Autoren – wie noch zu zeigen – mit einer Ernsthaftigkeit zu Werke, die sein Verfahren nicht als marginal im Vergleich zu seiner Philosophie erscheinen läßt. Damit wird es auch sinnvoll und erklärbar, warum ein SymposionKommentar in der lateinischen Fassung Commentarium in Platonis Convivium de amore, in der italienischen Version aber El libro dell’amore5 heißen kann : Kommentar und Kommentiertes sind austauschbar, auch ein Kommentar ist sozusagen Primärliteratur. Infolgedessen empfiehlt es sich nachzusehen, wie Ficino sich um die Dignität des Gegenstandes des Philosophierens und um die Autorität seiner Gewährsleute bemüht. Und da hier eine Art Platon-Kommentar vorgelegt wird und ohnehin Platon die maßgebliche Autorität Ficinos ist, soll versucht werden, das an seinem Platon-Bild zu zeigen ; zugleich ergibt sich dabei ein Überblick über seine Tätigkeit als Übersetzer und Kommentator Platons.6

So die Fassung der kritischen Ausgabe ; 1544 wurde es unter dem Titel Sopra lo amore o ver’ Convito di Platone gedruckt. 6 Über eine Reduktion neuplatonischer Autoren auf Plotin s. Jou­ kovsky, Plotin. 5



Paul Richard Blum

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2.  Ficinos Platon Die Platonübersetzung Ficinos war die erste vollständige lateinische Ausgabe,7 und ihre Verbreitung war beachtlich. Ihr sprachlicher Wert wurde – wenn auch nicht einhellig – zumeist hoch geschätzt, zumal in der neueren Zeit.8 Aus der Entstehungsgeschichte dieser Übersetzung sei darauf hingewiesen, daß die ersten zehn Dialoge, beginnend mit Hipparchos bis zu Parmenides und Philebos, auf Wunsch Cosimos ausgewählt wurden.9 Dieser hatte die Übersetzung zusammen mit den Hermetischen Schriften erbeten, nachdem er zuvor Aristoteles in der Version von Argyropulos studiert hatte.10 Cosimos Intention, und wie Ficino sie referiert, ist notierenswert : in ihnen eröffnen sich alle Regeln des Lebens, alle Prinzipien der Natur, alle heiligen Mysterien des Göttlichen.11 Für Platonübersetzungen vor Ficino s. Hankins, Plato in the Italian Renaissance ; Verzeichnis der Platonausgaben Ficinos 1484 – 1855 in Supp. I, LX – LXIV. Zu Platon im Humanismus Cesare Vasoli, Alle origini della ›Rinascita‹ platonica. In : Momus, rivista di studi umanistici 2 (1994) 9 – 29.  8 Festugière, Philosophie d’amour, 145 – 152 ; Marcel 1958, 252, Anm. 2 ; Charles Huit, La vie et l’oeuvre de Platon, Paris 1893 (Reprint Hildesheim/ New York 1973), Bd. II, 441 – 443 ; Heinrich von Stein, Sieben Bücher zur Geschichte des Platonismus, Göttingen 1862–1875 (Reprint Frankfurt 1965), Theil II, 129–160, bes. 147 mit älterer Literatur ; Daniel Georg Morhof, Polyhistor literarius, philosophicus et practicus, ed. 4a., Lubecae 1747 (Reprint Aalen 1970), II, 1,7,15 ; Bd. II, 39 : »Quia enim potius Dogmaticus fuit et Philosophus, quam Philologus et Criticus, mirum non est, si in Platonis textu interpretando non usque adeo scopum tetigerit.« Vgl. Anm. 40.  9 Supp. I, p. CLI f. Die Abfolge der Platontexte in den Ausgaben entspricht der zeitlichen Folge der Übersetzung. – Op. 929 : Cristoforo Landino und Cosimo il Vecchio hatten Ficino geraten, Griechisch zu lernen und Platon im Original zu lesen. Vgl. Marcel 1958, 197 f. Zur Rolle Cosimos s. Hankins, Humanism and Platonism I, 427 – 455, u. II, Kap. 3. 10 Xenocratis de morte, Praefatio, Op. 1965. 11 Ebd.  7

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Einleitung

Bevor wir aber die Konsequenzen dieser Motivation betrachten, lohnt sich ein Blick auf Ficinos Beigaben zu den Texten.12 Deren Formen sind vielgestaltig, sie reichen von Dedikationsschreiben und Vorworten über Kapitelüberschriften, vorgeschaltete Kommentare zu einzelnen Kapiteln, die sich zu Traktaten ausweiten, Vorlesungen zum Text bis hin zur Travestie, wie ich seinen Symposionkommentar nennen möchte. Die allgemeinste Form ist das Argumentum, auch Epitomae genannt,13 welches jeder Schrift14, beim Staat und den Nomoi auch den einzelnen Büchern, vorangestellt ist. Die Argumenta lehnen sich nicht eng an den Text an, sondern klären Vorfragen, bieten Sacherläuterungen zu den anstehenden Themen und stellen Bezüge zu den übrigen Schriften Platons her. Hier zitiert Ficino auch aus allen ihm sonst wichtigen Autoritäten, er hebt die ihm vordringlichen Themen der Schriften hervor, auch finden Überlegungen zu Platons Stil hier ihren Platz. Die Eigenständigkeit der Argumenta erkennt man auch daran, daß sich ihnen in einigen Fällen (Parmenides, Philebos, Sophistes, Phaidros, Timaios) noch Kapitelsummen anschließen, die präziser über die Platonischen Inhalte Auskunft geben. Erweitert werden die Argumenta gelegentlich (Parmenides, Philebos15, Phaidros, Politeia VIII, Timaios) zu umfangreichen Kommentaren, in denen der Platoniker seine gesamte Gelehrsamkeit ausbreitet und die seine anderen Werke, besonders die Theologia Platonica, ergänzen. Die größten Teile des Parmenides12

Dazu Thiel 2003, 137 – 153. »Epitomae« in der Werkausgabe, in der Platonausgabe : »Argumentum«. (Mir zugängliche Ausgabe : Platonis opera tralatione Marsilii Ficini, Basileae : Froben 1539, offenbar weitgehend seitenidentisch mit der 1. Ausgabe Florenz 1484, vgl. Supp. I, S. LX f.) 14 Ausnahmen bilden Clitopho, den schon Ficino für unecht hielt (Supp. I, CL), und Symposion, dazu unten. 15 Über Besonderheiten des Phileboskommentars s. Allen, Introduction in : Philebus Commentary. 13



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kommentars sind eine Darstellung der neuplatonischen Metaphysik des Einen (es wird hervorgehoben, daß keineswegs die Dialektik, sondern Theologie Gegenstand des Dialogs ist)16, dagegen offenbart der Kommentar zur Hochzeitszahl (Politeia VIII)17 seine Interessen für mathematische Spekulation, während der Timaioskommentar zu einem kosmologischen Traktat gerät. Aus diesen Beobachtungen können wir festhalten, daß Ficino ein differenziertes Verhältnis zu Platons Schriften hat : Er ist – außer der Übersetzung – zu strenger sachlicher Nähe ebenso in der Lage wie zu weiter fortschreitender Distanz und Selbständigkeit gegenüber der Autorität. Eine besondere Rolle kommt in diesem Sinne seiner Bearbeitung des Sym­posions zu. Dieser Kommentar, fast doppelt so umfangreich wie das Symposion selbst, verzichtet auf besondere Kapitelsummen ebenso wie auf das sonst übliche Argumentum, und er hat – zusammen mit dem Timaioskommentar – die Auszeichnung bekommen, in den Platonausgaben abgedruckt zu werden. Tatsächlich finden sich in Ficinos De amore verschiedene Stufen der Nähe und Distanz zum Text und zur Sache, was ihn als Muster Ficinoscher Platoninterpretation besonders geeignet macht. Eine Travestie kann man De amore deshalb nennen, weil er den Platonischen Text selbst in der literarischen Form eines Gastmahls, bestehend aus analog gebildeten Reden, kommentiert. Der Ort ist Florenz, die Sprecher sind Freunde Ficinos, auch die Zeit, eine Gedenkfeier zu Platons Geburts- und Todestag, ist angegeben.18 Auch hier nehmen die Redner Dazu besonders Klibansky, Parmenides, 312 – 325. Allen, Nuptial Aristhmetic. 18 Die Frage nach der historischen Wirklichkeit eines solchen Gastmahls (ausführlich : Marcel, Introduction in : Commentaire, 28 – 36 ; auch Gentile, Storia del testo, 10 – 13) ist hier irrelevant : Der veröffentlichte Text stammt von Ficino, vgl. I, Vorrede mit Anmerkungen, und Allen, Cosmogony, 137. 16

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Einleitung

auf­einander Bezug, jedoch ist das Gastmahl szenisch kaum ausgeführt. Die einzelnen Reden haben statuarischen und bisweilen traktathaften Charakter. In ihrer Abfolge fehlt ihnen ein wesentliches kompositorisches Element : Der graduelle Aufstieg, die von Rede zu Rede sich präzisierende Erarbeitung des Eros-Themas, die bei Platon in der Diotima-Rede kulminiert und dann einen komödienartigen Ausklang bietet ; das alles ist bei Ficino verschwunden, für ihn trägt jede Rede mit gleicher Ernsthaftigkeit unmittelbar zum Hauptthema bei. Die charakteristisch Platonsche Dialektik der einander überbietenden, ablösenden, relativierenden oder ersetzenden Zugangsweisen zu einer Fragestellung, zumeist durch die Sokratische Kunst geleistet, hier durch die Abfolge der Redebeiträge, die immer schon von Ungenügen und Vorläufigkeit gekennzeichnet sind, diese literarisch-philosophische Methode gibt Ficino auf zugunsten einer zwar vielseitigen, aber immer um gleiche Reflexionshöhe bemühten Ausarbeitung eines komplexen, aber auch durchgängig kohärenten Gegenstandes, nämlich seiner Lehre von Amor. Typisch ist hierfür die Rede des Eryximachos, der sie übrigens selbst für unvollständig erklärt (188e). Der Beitrag der medizinischen Kunst zum Thema Eros wird bei Platon von Aristophanes’ Schlucken, Gurgeln und Niesen begleitet und von ihm selbst durch den phantastischen Mythos von der Entstehung des Menschen abgelöst. In Florenz nimmt der Mediziner Ficino die Sache befremdlich ernst. Er läßt an einer Kosmologie arbeiten : Dreierlei müssen wir nunmehr im Sinne des Eryximachos abhandeln : erstens, daß Eros in allen Dingen ist und alles durchdringt, zweitens, daß er Schöpfer und Erhalter aller natür­ lichen Dinge, drittens, daß er aller Künste Meister und Herr ist.19 19

III, 1, Anfang.



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Hatte Ficino keinen Humor ? Übernahm er die literarische Form, ohne die Methode verstanden zu haben ?20 Durchaus nicht, im Gegenteil. Humanistisch ausgebildet, hatte er einen Sinn für stilistische, rhetorische, literarische Feinheiten. Er weiß mythische Formen auszulegen – und als solche behandelt er die Aristophanes-Rede –, er weiß auch, wann sie sich der Auslegung entziehen.21 An den Sophistendialogen lobt er die taktische Zurückhaltung, mit der Platon sich für seine Gegner unsichtbar macht, auf daß sie nicht die vergifteten Spieße schamloser Rede gegen ihn wenden. Also versucht er teils mit Ironie, teils mit Spott, oft in Scherz und Spiel, häufiger mit einer ernsthaften Argumentation den Sophisten die unverdiente Autorität zu nehmen. Dies gelingt ihm im Sophistes aufs scharfsinnigste, im Gorgias rhetorisch sehr geschickt, recht witzig und geistreich im Hippias, kenntnisreich und treffend im Euthydemos, nach allen Regeln der Kunst auch im Protagoras und so öfters.22

Auf Albinos (Alcinous) sich stützend, unterscheidet er bei Platon drei Typen von Dialogen : Entweder sucht ein Dialog nur nach der Wahrheit und widerlegt Irrtümer, oder er legt nur dar, was wahr ist, und doziert, oder er leistet beides. Die erste Art nennt man untersuchend und polemisch, darstellend die zweite, die dritte gemischt.23

Ähnliches vermerkt er im Schriftenverzeichnis Platons : Entweder widerlegt er die Sophisten, oder er ermahnt junge Menschen, oder er belehrt Erwachsene, Vgl. Laurens 2002 und Introduction in der Ausgabe Ficino 2002, S. XXVI – XXXVII. Vgl. auch Wurm 2008, 76 ff. 21 I 3, ed. Marcel 143 f., unten 32, zu Alcestis und Orpheus. 22 Argum. in Prot., Op. 1296. 23 Argum. in Men., Op. 1132 ; Alcinoi de doctrina Platonis 6, Op. 1948. 20

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Einleitung

mit der bedeutsamen Konsequenz : Was Platon in den Briefen sowie in den Nomoi und der Epinomis mit eigenen Worten sagt, will er als absolut gesichert aufgefaßt wissen, was er in den anderen Schriften einem Sokrates, Timaios, Parmenides, Zenon in den Mund legt, als wahrscheinlich.24

Das bedeutet, Ficino erkennt nicht nur die taktische und didaktische Funktion vieler Partien bei Platon, er ist sich auch der zetetischen und hermeneutischen Methode bewußt und hält – in summa – die Werke Platons in höchstem Maße für auslegungsfähig und -bedürftig.25 Wie in jeder Hermeneutik – das braucht hier nicht betont zu werden – bedarf es zur Interpretation auch für Ficino eines Vorbegriffs von dem, was eruiert werden soll. Ficino nennt den »stylus« Platons nicht so sehr menschlicher Sprache als göttlichem Orakel gleich, das immer himmlische Geheimnisse enthält. Platons Stil, insofern er das Universum in sich enthält, hat vor allem drei Gaben in Überfülle : philosophische Nützlichkeit der Lehrsätze, rhetorische Ordnung in Thematik und Ausführung, Schmuck im poetischen Ausdruck, und allenthalben stützt er sich auf göttliche Zeugen, schließlich legt er für Gott als Demiurgen der Welt ein unwiderlegliches Zeugnis ab.26

Mit anderen Worten : Die gewisse Hoffnung, in Platon die Prinzipien des Seins und das Summum bonum zu finden, leitete nicht nur seinen Mäzen Cosimo – wie schon zitiert –, Platonis vita, Op. 766 Stein, Sieben Bücher (s. Anm. 8), III 147, zu der eben zitierten Stelle : »und es ist leicht abzusehen, welche verwirrende Wirkung dies Nichtverstehen der dialogischen Absichten Platos sowol überhaupt als auch namentlich durch Überschätzung des in jenen ausgezeichneten Quellen Enthaltenen mit sich führen musste«. 26 Prooem. zur Platon-Ausgabe, Op. 1129. 24 25



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sondern auch den Übersetzer Ficino selbst. (Wäre er nur an Methodischem interessiert gewesen, hätte er den Parmenides für eine logische Übung halten können.27) Unter diesem Vorverständnis, das er zweifellos aus neuplatonischer und christlicher Quelle bezog, las und interpretierte er Platon. Auch das ist nichts Überraschendes, aber es hilft, seine Kommentierungsformen zu interpretieren. Alles, was bei Platon nicht nur ausdrücklich mythisch oder allegorisch, sondern auch was »facete« klingt, muß Ficino für Dissimulation (der lateinische Begriff für griech. eironeia) halten, denn : Es war die Art des Pythagoras, Sokrates und Platon, göttliche Geheimnisse mit Bildern und Hüllen zu verdecken, seine Weisheit gegen die Anmaßung der Sophisten bescheiden zu verhehlen, ernst zu scherzen und absichtsvoll zu spielen.28

Diese spezifische Interpretation der Platonischen Ironie hat einerseits eine Stütze in dem immer wiederkehrenden Bild vom Weisen, der seine Lehre vor der profanen Masse verbirgt, sie findet sich aber besonders leicht dann, wenn Platon christlich umgedeutet werden soll, so bei Augustin, Proklos und – in sehr ähnlicher Formulierung – bei Abaelard.29 Ficino Vgl. Vanhaelen, Pico-Ficino Controversy. Giovanni Pico della ­M irandola  : De ente et uno – Über das Seiende und das Eine. Hamburg 2006 (Philosophische Bibliothek 573). 28 Comm. in Parm., Op. 1137, erster Satz ; vgl. Argum in Euth., Op. 1303. 29 Vgl. IV 2 Anfang. – Augustinus, Civ. dei VIII 4 ; Proklos, Theol. Plat. I, 5 ; Abaelard, Intr. ad theol. I, 19, PL 178, 1022 : »semper philosophia arcana sua nudis publicare verbis dedignata sit, et maxime de anima, de Diis per fabulcsa quaedam involucra loqui consueverat« : Tullio Gregory, L’anima mundi nella filosofía del XII secolo, in : Giornale critico della filosofía italiana, anno 30, 3a serie, vol. 5 (1951) 494 – 508, hier : 497. – Leibniz wird das Verhältnis umkehren : Platon ist in seinen Schriften zu studieren, »non ex Plotino aut Marsilio Ficino, qui mira semper et mystica affectantes dicere, tanti viri doctrinam corrupere. […] Non sine admiratione vanitatis humanae notavi, Platonicos posteriores, quae Magister 27

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scheint aber sein Verfahren als erster mit hermeneutischer Konsequenz durchzuführen. Wenn er Platon interpretiert, muß er durch die ›involucra‹ hindurch die Wahrheit direkt ansteuern. Schon deshalb benötigen die Platonischen Schriften Argumenta, um wenigstens im Ansatz die Leitideen und (in Ficinos Sinn) stilistischen Probleme aufzudecken. Aus dieser Notwendigkeit erklärt sich auch, warum in De amore die Reden zunächst meistens gar keinen Bezug auf den Platonischen Text nehmen. Vielmehr beginnen sie durchwegs mit Prälimi­ narien, so der ganze Kommentar mit einer dem Symposion durchaus fremden Kosmogonie, und wenn hierbei die Vorlage zitiert wird, dann um die dort nur angedeuteten Quellen, wie die Orphica, oder um Parallelen aus anderen Dialogen ausführlich aufzuarbeiten. Erst danach folgt eine textnähere Auslegung, die sich passagenweise zu punktuellen Wortauslegungen verengt.30 In das Gewand eines platonisierenden Gastmahls gekleidet, finden wir also nebeneinander drei typische Formen mittelalterlicher Kommentarliteratur, die Wortauslegung, den quaestionenartigen Sachkommentar, der das Thema besonders hinsichtlich anderer Autoritäten ausweitet, und den sich egregia docta et solida dixit […] dissimulare, quae vero illi excidere ambigua aut hyperbolica cum forte ingenio indulsit et poetam agere potuit […] a praeclaris illis discipulis avide arripi, in pejus detorqueri et multis novis somniis onerari.« Das Muster ist noch das gleiche : Platon, der mal direkt, mal bildhaft spricht, aber es sind die Neuplatoniker einschließlich Ficino, die in seine Lehre hineingeheimnissen. Hier sogleich auch die Forderung nach einem systema philosophiae Platonicae (am ehesten Francesco Patrizi zuzutrauen, doch auch von ihm durch PseudoPlatonicorum lectione versäumt), das unter neuplatonischen Voraussetzungen wohl ausgeschlossen ist (Fragment zur Scientia generalis, G. W. Leibniz, Die philosophischen Schriften, ed. Gerhardt, VII, 147 f.) ; vgl. Klibansky, Parmenides, 330 ; vgl. auch Schmitt, Perennial Philosophy und Prisca Theologia. 30 Etwa in IV 2 oder V 2.



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verselbständigenden Traktat. Ähnlich wie dort ist auch bei Ficino die definitive Stellungnahme unter einer Fülle von Nebenerörterungen und Zitaten schwer auszumachen.31 Jenseits des Mittelalters aber liegt Ficinos Sinn für die Präsentationsform von philosophischer Lehre, die sich nicht zuletzt in der Übernahme der oratorischen Form äußert. Dafür spricht die gattungsstiftende Wirkung des Convito.32 Fragt man sich also, warum er das Symposion nachahmt – und dies, wie gesagt, in letzter Konsequenz unsachgemäß –, so genügt nicht etwa ein Hinweis darauf, daß er die Akademie habe wiedererstehen lassen wollen, denn auch dafür hat es Gründe geben müssen.33 Einer lag offenbar in der Einsicht gerade in die historische Distanz Athens von Florenz – immerhin werden die Reden im Convito mit der Feststellung eröffnet, für 1200 Jahre seien die jährlichen Platonfeiern unterlassen worden, bis endlich in unserer Zeit … (I, Vorrede) –, denn nur etwas, das unmißverständlich vergangen ist, kann man wiederbeleben wollen, sonst setzt man einfach fort. Andererseits scheint bei Ficino wie bei anderen Renaissancephilosophen die Tendenz zu bestehen, Platon mit vielen anderen Autoritäten zu amalgamieren. Deshalb müßte hier eine Er Kristeller 1972, 6 ; ders., The Scholastic Background of Marsilio Ficino, in : ders., Studies 35 – 97 ; ders. Florentine Platonism and its Relations with Humanism and Scholasticism, in : Church History 8 (1939), 201 – 211 ; vgl. ders., Lay Religious Traditions and Florentine Platonism, in : ders., Studies, 99 – 122 (über Werkgattungen bei Ficino). 32 Nelson, Theory of Love, 69. Ein Vorgänger war evtl. Lorenzo prete pisano, mit den Dialogen De amore (nach 1435) : Zambelli, Platone, 127 f. Auf die Vorgeschichte und Entwicklung des philosophischen Dialogs soll hier nicht eingegangen werden, z. B. K. J. Wilson : The Continuity of Post-Clasical Dialogue, in : Cithara (St. Bonaventure Univ.) 21 (November 1981) 23 – 44 ; Rudolf Hirzel, Der Dialog. Ein literar-historischer Versuch, Leipzig 1895 ; nur die Antike behandelt Josef Martin, Symposion. Die Geschichte einer literarischen Form, Paderborn 1931. 33 Kristeller 1972, 14 ; Wurm 2003. 31

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örterung seiner Stellung zu Plotin, Augustinus, dem Hermetismus usw. sowie seiner Anstrengungen, Platon zu christianisieren, folgen, nicht zuletzt auch seine Zugehörigkeit zur Tradition von der ungeschriebenen Lehre Platons.34 Doch stehen diese Beziehungen nicht im Gegensatz zur historischen Perspektive auf die Antike, sondern dienen der unverzicht­ baren Vermittlung der fernen mit der eigenen Kultur : Platon liebe ich in Iamblich, ihn bewundere ich in Plotin, in Dionysios verehre ich ihn,35

sagt Ficino. Was immer ihn sonst zu den anderen Autoren hinziehen mag, sie sind ihm zugleich Brücken zu seinem Verständnis Platons. So gesehen ist es keine Überraschung, wenn sich herausstellt, daß Ficino durchaus auch einmal darauf verzichten kann, eine Quelle zu verwenden, wiewohl er sie kennt : so geschehen mit dem Phaidroskommentar des zweitrangigen Neuplatonikers Hermeias, den Ficino zwar ins Lateinische übersetzt, in seinem eigenen Phaidroskommentar aber unberücksichtigt läßt.36 Daraus folgt, daß Ficino keinem Eklektizismus im schlechten Sinne huldigt, indem er der Sache und der Genese nach unvereinbare Lesefrüchte kontaminiert.37 Für diesen ganzen Komplex ist aufschlußreich : Theol. Plat. XVII, Op. 386 – 396. Auch der Brief an Marin Uranius, Op. 899, ed. und erläutert in Klibansky, Continuity, 42 – 47 ; E. N. Tigerstedt, The Decline and Fall of the Neoplatonic Interpretation of Plato, Helsinki/Helsingfors 1974, bes. 18–20 u. 24 f. 35 Epist. XI, Op. 925. 36 Allen, Hermias ; die gleichzeitig erschienene Argumentation von A. Sheppard für einen solchen Einfluß ist m. E. gerade in den Textvergleichen nicht schlüssig. – Wichtig in diesem Zusammenhang auch das kritische Verhältnis zu den sex scholae Platonicorum in Theol. plat. XVII. 37 Zum Beispiel Tigerstedt, Decline (s. Anm. 34), 20 ; Rudolf Pfeiffer, Die Klassische Philologie von Petrarca bis Mommsen, München 1982, 80 u. 96, spricht von »mystischem Symbolismus«. Warden, Orpheus, 89 : »the unique hotchpotch that makes up Ficino’s philosophy«. 34



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Hinsichtlich Platons geht es darum, sich ein Bild von ihm zu machen, das sich vor allem durch Einheitlichkeit auszeichnet und durch ein Erklärungspotential für Interpretationsprobleme, wie sie durch die literarische Form der Platonischen Schriften und durch inhaltliche Differenzen zur christlichen Theologie auf kommen müssen. Ausgegangen war Ficino von der lateinischen platonischen Literatur,38 und – motiviert durch das Beispiel Augustins – ging er darauf aus zu erfahren, was Platon selbst und wirklich gedacht hat : »ut […] Platonicam aperiamus sententiam.39 Dem sind alle literarischen Hilfsmittel zu unterwerfen, nicht als mühsam oder spielerisch herbeizitierte Belege, sondern als Ausdruck des einen Sachverhaltes oder der Wahrheit. Seine umfangreiche Kommentartätigkeit zeigt, daß er glaubte, einen passenden Interpretationsschlüssel gefunden zu haben. Ob er dabei irrte oder doch Platon gerecht wurde, ist eine andere Frage aus einer anderen Zeit.40 Vgl. Op. 929 ; eine Liste lateinischer Platoniker in dem genannten Brief an Martin Uranius, Op. 899 (Klibansky, Continuity, 46 f.). Ficinos Biograph Giovanni Corsi berichtet, Cicero habe seine Liebe zu Platon geweckt (Vita Marsilii Ficini 5, Marcel 1958, 681), so auch Giuseppe Tof­ fanin, Storia dell’umanesimo II, Bologna 1964, 251 f. 39 Epist. VII, Op. 855 : »Durch Augustins Beispiel angeleitet … hielt ich es für der Mühe wert, wenn ich denn schon philosophiere, mit der Akademie zu philosophieren, und damit die platonische Lehre […] weiter aufleuchte, habe ich alle Bücher Platons aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt.» Danach habe er die Theologia Platonica verfaßt, »um seinem Geist mehr als dem Wortlaut zu folgen und, indem wir die poetischen Schleier gelüftet haben, die platonische Lehre offenzu­ legen als gänzlich mit dem göttlichen Gesetz konform.» (»… sublatisque ­Poeticis velaminibus Platonicam aperiamus sententiam divinae legi undi­ que consonam«). – Vgl. Tarabochia Canavero, S. Agostino. 40 [ Johann Jacob Brucker,] Historia philosophica de ideis tum veterum imprimis Graecorum tum recentiorum philosophorum placita enarrantur, ­Augustae Vind. 1723, 33 zu Ficino : »Saepe tamen, ubi litera sententiae suae non favet, nescio qua mysteria allegoriarumque subsidio quaerit, totusque Platonis amore captus est.« 38

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3.  Zum Inhalt von De amore Der Benutzer dieser Ausgabe darf mit Fug und Recht eine Inhaltsübersicht zu dem Werk erwarten, eine Übersicht freilich, die weder das Lesevergnügen nimmt noch durch eine forcierte Interpretation entweder den Text oder sich selbst überflüssig macht. Daher im folgenden einige Bemerkungen darüber, was den Leser erwartet. In sieben Reden wird – wie schon gesagt – das Platonische Symposion nachgebildet, selbstverständlich auf die Frage zentriert, was im philosophischen Sinne die Liebe sei. Die lesbarste Rede ist die siebte und letzte, hierin der Vorlage konform. Die vorangegangenen Erörterungen werden rekapituliert, es wird besprochen, daß der so eruierte Eros einen Sitz im Leben (utilitas) hat, und zwar sowohl durch Applikation des Diotima-Eros auf den historischen Sokrates als auch durch Darstellung der Physiologie der Liebesleidenschaft, die mittels der Stufung der »göttlichen Begeisterung« durch eine Kontemplation der Gottähnlichkeit des Menschen abgelöst wird. In der ersten Rede setzt das Werk mit einer Kosmogonie ein. Denn auf die Frage, was eine Sache sei, läßt sich am leichtesten durch Darstellung ihrer Entstehung antworten, deren plausibelste und unangreif bare Form der Mythos ist. Jedoch beginnt Ficino nicht mit einem Chaos, sondern mit dreien. Das ist mit dem Chaos-Begriff zwar schwer vereinbar, macht es aber möglich, das »immer schon« des Ineinander und Auseinander von Engelsgeist, Weltseele und Welt in ihrem Geschaffensein von Gott darzustellen, als deren Vermittlung Eros fungiert. Ein Vorgriff auf die Ästhetik und Ethik des Liebens schließt die einleitende Rede ab. Die zweite Rede, ursprünglich dem Bischof von Fiesole zugedacht (I Vorrede), von Cavalcanti aber nichtsdestoweniger theologisch durchgeführt, entwickelt die Grundlagen der phi-



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losophischen Liebestheorie, indem Eros zur Chiffre des Hervorgangs und der Rückwendung alles Seienden in Relation zu Gott wird. Eine Relation, deren irdisches Abbild die irdische Liebe ist. Hier auch die für die Geschichte der Ästhetik folgenreichen Grundzüge einer Metaphysik des Schönen.41 In der dritten Rede spricht derselbe Cavalcanti wie ein Medizinprofessor seiner Zeit,42 der die naturphilosophischen Grundlagen der Heilkunst referiert, mit dem Ergebnis, daß auch in der sichtbaren Welt ein vermittelndes, alles mit allem verbindendes Prinzip herrscht, eben Eros. Aristophanes’ mythische Monstra werden in der vierten Rede auf eine theologische Psychologie hin interpretiert, mit der anthropologischen Konsequenz der Freiheit des Menschen zum Aufstieg zu Gott wie zur Dekadenz zum Animalischen, einer Freiheit, die ihrerseits in den göttlichen Weltplan eingebunden ist, so daß dem Menschen in seiner orientierungsfreien Rationalität der Rang und die Last zukommt, auch die niederste Seinsstufe mit Geist zu füllen – kurzum das, was man vor allem seit Giovanni Pico »Dignitas hominis« nennt. Historisch ergibt sich hier, daß eine wichtige Quelle für dieses Konzept Picos43 ihrerseits auf neuplatonische Metaphysik, speziell auf Proklos, unmittelbar zurückführbar ist.44 Hierzu Beierwaltes, Theorie des Schönen, 28 – 56. Zuerst sollte hier Ficinos Vater sprechen, der allerdings Arzt, und zwar Chirurg, also Praktiker war (Corsi, Vita 2, in: Marcel 1958, 680). Chirurgen und akademische Mediziner waren bis in die Neuzeit völlig getrennte Berufsgruppen. 43 Trinkaus, Image II 470 f. Giovanni Pico della Mirandola, De hominis dignitate. Über die Würde des Menschen, übers. von Norbert Baumgarten, Hamburg 1990 (Philosophische Bibliothek 427). Vgl. Oration on the Dignity of Man : a New Translation and Commentary, hrsg. von Francesco Borghesi u. a., New York : 2012. 44 Vgl. Werner Beierwaltes, Subjektivität, Schöpfertum, Freiheit. Die Philosophie der Renaissance zwischen Tradition und neuzeitlichem Be41

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Die fünfte Rede nimmt, zur Erläuterung der Attribute des Eros in Agathons Rede bei Platon, die Theorie des Schönen aus der zweiten Rede wieder auf und zeigt die Bedingungen, unter denen das Schöne, als metaphysische ›Qualität‹, auf eine Proportionenlehre anwendbar ist, und seine Erklärungsleistung für das Wahrnehmen von Schönem. Dabei scheint Ficino den alles verbindenden Eros als mythisches und kosmologisches, die in jeder species aufscheinende Schönheit als metaphysisches und psychologisches Erklärungsmuster aufzubauen. Zugleich läßt sein Insistieren auf der utilitas wie auch seine Exkurse in die Medizin und Astrologie vermuten, daß er nicht etwa eine abermalige Kompilation neuplatonischer Gemeinplätze bietet, sondern um eine Theorie auch des menschlichen Liebens und Wahrnehmens bemüht ist. Damit geht Ficinos ›Ästhetik‹ über den Horizont artistischer und moralischer Regelwerke hinaus, ohne sogleich in reine Metaphysik zu entschwinden, aber auch ohne etwa schon eine subjektivistische Theorie von »Kunst« auch nur zu intendieren.45 Die Auslegung der Sokrates/Diotima-Rede in Rede VI ist naturgemäß die umfangreichste. Zunächst wird – da Eros ein Dämon ist – eine differenzierte Dämonenlehre ausgebreitet, die mit der Lehre von der Beseeltheit der Welt koordiniert ist. Die Dämonen garantieren abermals die mittelbare Zuordnung des Menschen zur Welt des Geistes und sind somit die Umkehrung des anthropomorphen Bildes vom göttlichen Eros. Dann erst wird die »Geburt des Eros« ausgelegt, indem sie in das vor allem durch die zweite Rede bereitgestellte Theoriegeflecht eingeordnet wird, desgleichen die Lehre vom Aufstieg, die in wußtsein, in : Der Übergang zur Neuzeit und die Wirkung von Traditionen, Göttingen 1978, 15 – 31, hier: 28 – 31. 45 G. P. Lomazzo verwendet gerade die Rede II in seiner Abhandlung über Proportionenlehre (Panofsky, Idea, Kap. IV und 1. Anhang, dort auch über die Rezeption bei Bruno, Patrizi u. a.). Daß Ficino keine Kunsttheorie anbietet, bemerkt Kristeller 1972, 248 u. 288 f.



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der Apotheose der Würde des Menschen kulminiert : »Und so haben wir in der Liebe zu Gott uns selbst geliebt«. 4.  Zu dieser Ausgabe Ficinos Buch über die Liebe erschien zuerst 1914, vor 100 Jahren, als Band 154 der Philosophischen Bibliothek in der Übersetzung von Karl Paul Hasse46. Dieser Übersetzung habe ich 1984 den lateinischen Text in der Ausgabe Marcel gegenübergestellt und ausführliche Anmerkungen und eine Einleitung hinzugefügt. Ficino hatte sein lateinisches Original selbst ins Italienische übersetzt, damit »dieses heilbringende Manna […] recht vielen ein leichtzugängliches Gemeingut werde«.47 Der lateinische wie auch der italienische Text sind in wissenschaftlichen Ausgaben zugänglich.48 Hier legen wir wieder eine einsprachige Ausgabe vor. Den Text von Hasse habe ich gründlich überarbeitet und dabei altmodische Wörter und Wendungen umformuliert und zahlreiche Stellen verbessert. Schon Hasse hatte bei seiner Übersetzung die italienische Version verwendet, dabei aber beständig die lateinische Fassung berücksichtigt und mitunter auch vorgezogen. Beide Versionen, die lateinische und die italienische, sind im Ganzen weitgehend konform, so daß Unterschiede nur stilistischer Natur sind und sich keine philosophischen Divergenzen ergeben.

Lic. theol. Karl Paul Hasse übersetzte auch unter dem Pseudonym Karl Markgraf von Montoriola das 1. Buch der Epistolae Ficinos (Briefe des Mediceerkreises, s. Auswahlbibliographie). 47 Vorwort zur ital. Ausgabe. Vgl. Tanturli, Ficino e il volgare. Zu Ficinos Wissenschaftspolitik s. Vasoli, Marsilio Ficino : un nuovo tipo di filosofo. 48 Lat. Ausgaben von Raymond Marcel 1956, Pierre Laurens 2002 (beide mit franz. Übers.) ; ital. Ausgabe von Sandra Niccoli 1987. 46

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Die Anmerkungen habe ich neu durchgesehen, auch unter Berücksichtigung der neueren Editionen49 ; dabei habe ich die wichtigsten Abweichungen beider Fassungen voneinander vermerkt. Verweise auf das Symposion habe ich dem Leser erspart, weil es sich von selbst versteht, daß man Ficinos mit Platons Reden vergleichen sollte. Vielmehr habe ich in den Anmerkungen vor allem versucht, auf Parallelstellen in Ficinos Werk und auf Quellen hinzuweisen. Ich kann nicht beanspruchen, jeweils den genauen Punkt in der Geschichte eines platonischen oder aristotelisch-scholastischen Gedankens getroffen zu haben, den Ficino präsent hatte ; vielmehr sind die Verweise eine Einladung, in Ficinos Welt und Werkstatt einzutreten und die Geschichte der Liebesphilosophie und allgemein die neuzeitliche Philosophie des Menschen zu erforschen. Für diese Ausgabe wurde eine Chronologie zu Leben und Werk Ficinos, mit besonderem Blick auf für diese Schrift wichtige Daten, zusammengestellt, keine Vita allerdings, weil hierfür die Geschichte des Humanismus und der Stadt Florenz zu weitgehend hätten dargestellt werden müssen. Die Auswahlbibliographie unter besonderer Berücksichtigung der Forschung der letzten Jahrzehnte dürfte nützliche Hinweise geben, was bei weiterer Forschung zu erwarten ist.50 Baltimore, im Frühjahr 2014

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Filip Karfík hat mir freundlicherweise das Typoskript seiner im Entstehen befindlichen tschechischen Ausgabe zur Verfügung gestellt. 50 Gewidmet bleibt diese Ausgabe meinen Drei Grazien. 49

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1433 19. Oktober : Marsilio Ficino wird in Figline im Arnotal geboren ; sein Vater ist der Arzt Diotifeci (genannt Ficino) d’Agnolo di Giusto (1401 oder 1404 – 1478), seine Mutter Alessandra di Nannoccio. 1434 Cosimo de’ Medici, genannt il Vecchio, kehrt aus der Verbannung zurück nach Florenz und herrscht dort ohne Titel (Pater Patriae). 1439 bis 1440 : Konzil in Florenz über die Union mit der Byzantinischen Kirche. 1444 * Giovanni Cavalcanti († 1509). 1449 * Lorenzo de’ Medici, genannt il Magnifico. 1451 Ficino studiert in Florenz, u. a. bei Piero di Antonio Dini, und ist Repetitor für Piero de’ Pazzi. 1453 Eroberung Konstantinopels durch die Türken. 1454 Summa philosophiae Marsilii ad Michaelem Miniatensem und andere scholastische Traktate (Kristeller, Studies II, 55 u. 146), wohl unter dem Einfluß seines Lehrers Niccolò Tignosi (Prof. für Medizin und Philosophie, † 1474). 1455 Epistola a’ fratelli (Brief an seine Brüder, Supp. I 109). 1456 Institutiones ad Platonicam disciplinam, für Cristoforo Landino (verloren). Landino und Cosimo raten Ficino, die Platonische Literatur aus den Quellen zu studieren. In dieser Zeit Beginn der Griechischstudien, vermutlich bei Francesco da Castiglione. 1457 De furore divino (Op. 612) ; De voluptate (Op. 986) ; De virtutibus moralibus oder De magnificentia (Supp. II 1) ; De quatuor sectis philosophorum (Supp. II 7) ; Di dio et anima (Supp. II 128). Bei Schriften Ficinos sind jeweils die Edition und die erste Seite angegeben. 51

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1462 Ficino erhält von Cosimo ein Haus in Careggi bei Florenz zur Verfügung, um für ihn griechische Philosophen (Hermetica, Platon etc.) zu übersetzen. Ficino erhält Platons Werke in zwei Handschriften. Zu Cosimos Lebzeiten werden 10 Dialoge fertig, die ganze Übersetzung ist ca. 1469 abgeschlossen, Druck 1484. – Entstehung der ›Platonischen Akademie‹. 1463 Übersetzung von Hermes Trismegistos, Pimander (Op. 1836), Druck 1471 (frühester Druck eines Werkes von Ficino) ; italienische Übersetzung davon durch Tommaso Benci im Auftrag Ficinos. Vor 1464 Übersetzung von Alkinoos, De doctrina Platonis (Op. 1945), Speusippos, De Platonis definitionibus (Op. 1962), Xenokrates, De morte (Op. 1965), Pythagoras, Aurea verba und Symbola (Op. 1978). Diese, zusammen mit den ersten Stücken der Platonübersetzung, 1464 Cosimo gewidmet, dann 1467 Giovanni Cavalcanti. * Giovanni Pico della Mirandola. 1464 † Cosimo il Vecchio (* 1389), sein Nachfolger : Piero il Gottoso. 1468 Übersetzung von Dante, De monarchia, gewidmet Antonio Manetti und Bernardo del Nero. 1469 Symposion-Kommentar De amore (Op. 1320). Phaidros-Kommentar (Op. 1363) frühestens begonnen, abgeschlossen 1492. ­Beginn der Arbeit an der Theologia Platonica (bis ca. 1474). – Ficino erhält das Buch In calumniatorem Platonis von Kardinal Bessarion († 1472). † Piero de’ Medici, sein Nachfolger : Lorenzo il Magnifico. 1470 † Tommaso Benci. 1472 Cristoforo Landino, Disputationes Camaldulenses. 1473 De felicitate (Op. 662), ein Brief an Lorenzo de’ Medici im Zusammenhang mit dessen Altercazione (De summo bono). Ficino wird Priester. 1474 De christiana religione (Op. 1), Druck 1476 ; Della religione cristiana, Druck 1474, also vor der lat. Ausgabe. – Abschluß



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der Theologia Platonica de immortalitate animorum (Op. 78), Druck 1482, Ficinos Hauptwerk. 1476 De raptu Pauli, ital. Übersetzung Bernardo del Nero gewidmet. Laus philosophiae (Op. 668) ; De lumine (Op. 717). 1477 Disputatio contra iudicium Astrologorum (Supp. II 11). † Antonio degli Agli. 1478 Verschwörung der Pazzi, einer mit den Medici konkurrierenden Familie, mit Unterstützung Papst Sixtus’ IV. ; Attentat auf Giuliano (†) und Lorenzo de’ Medici. † Ficino sen. 1479 Consiglio contro la pestilentia (lat. Op. 576), Druck 1581. 1480 De vita, Buch I : de studiosorum sanitate tuenda (Op. 495 ; vgl. 1489). 1484 Vor 1484 Übersetzung von Hermeias, Phaidros-Kommentar. – Timaios-Kommentar (Op. 1438) begonnen ; ein früher Kommentar von 1457 ist verloren. – Beginn der Plotin-Übersetzung auf Anraten Giovanni Picos, der in diesem Jahr nach Florenz kommt ; abgeschlossen 1486, gedruckt 1492 zusammen mit den Kommentaren. 1486 Beginn der Plotin-Kommentare (Op. 1537), abgeschlossen 1490. Giovanni Pico della Mirandola, Oratio de hominis dignitate. 1487 Ficino wird Canonicus am Dom von Florenz. 1488 Übersetzungen aus : Synesios, Psellos, Iamblich, Priscianus, Porphyrios, Proklos (Op. 1801 u. 1873 ff.). 1489 De vita, Buch III : de vita coelitus comparanda (Op. 529), als Kommentar zu Plotin IV 3,2 ; danach De vita, Buch II : de vita longa (Op. 509), Druck mit Buch I im Dezember 1489. Giovanni de’ Medici, Sohn Lorenzos, wird Kardinal († 1521 als Papst Leo X.). 1490 Übersetzung und Kommentar zu Dionysios Areopagita, ­Mystica theologia und De divinis nominibus (Op. 1013), Druck 1496/97. Exzerpte aus Athenagoras, De resurrectione (Op. 1871). 1492 Philebos-Kommentar (Op. 1207) beendet, begonnen zwischen 1464 und 1469 als öffentliche Vorlesung. Parmenides-Kom-

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mentar begonnen (Op. 1136). † Lorenzo il Magnifico, sein Nachfolger : Piero lo Sfortunato (1471 – 1503). 1494 Sophistes-Kommentar (Op. 1285). † Giovanni Pico della Mirandola. Vertreibung von Piero lo Sfortunato, Zusammenbruch des Handelshauses Medici. Ficino zieht sich weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück. 1495 Erster Druck der gesammelten Epistolae (Op. 607). 1496 Nach 1496 : Kommentar zum Römer-Brief, aus öffentlichen Vorlesungen entstanden, gedruckt erst 1561 (Op. 425). 1498 Savonarola (* 1452) wird zusammen mit zwei anderen Dominikanern als Häretiker verbrannt. – Apologia contra Savonarolam (Supp. II 76). † Cristoforo Landino (* 1424). 1499 1. Oktober : Marsilio Ficino stirbt in Careggi, Beisetzung im Dom von Florenz.

AUSWA HLBIBLIOGR A PHIE

In der Einleitung und in den Anmerkungen zum Text werden Ficinos und Platons Schriften ohne Verfassernamen zitiert ; alte Autoren werden nach den gebräuchlichen Ausgaben und Zitierweisen nachgewiesen, moderne Sekundärliteratur – sofern in diese Bibliographie aufgenommen – mit Namen und Kurztitel oder Erscheinungsjahr.

Bibliogr aphien  Kristeller, Paul Oskar : Marsilio Ficino and His Work after Five Hundred Years. Firenze 1987 [für die Zeit bis ca. 1986 ; eine frühere Fassung in Garfagnini (Hrsg.) 1986]. Katinis, Teodoro : Bibliografia Ficiniana. Studi ed edizioni delle opere di Marsilio Ficino dal 1986. In : Accademia 2 (2000) 101 – 136 [ab dato in dieser Zs. regelmäßig aktualisiert]. werke  Marsilii Ficini Opera omnia, Basileae 1576 (Reprint Torino 1962), 2 Bde., davon Bd. II ab p. 1013 [zit. : Op.] Marsilii Ficini Opera. Bâle : Henricpetrina, 1576, réimpression suivie et préfacée par Stéphane Toussaint, Ivry sur Seine 2000. Supplementum Ficinianum. Marsilii Ficini … opuscula inedita …, ed. Paulus Oscarius Kristeller, accedunt indices codicum, editionum, operum Ficini … Florentiae 1937 (Ristampa 1973), 2 Bde. [zit. : Supp. I/II]. De amore Marsilio Ficino : Sopra lo amore o ver’ Convito di Platone. In Firenze per Neri Dortelata 1544. Marsilio Ficino’s Commentary on Plato’s Symposium [lat./engl.], hrsg. von Sears Reynolds Jayne. Columbia 1944. 2. Aufl. I­rving/ Texas (Univ. of Dallas) 1985.

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Auswahlbibliographie

Ficin, Marsile : Commentaire sur le Banquet de Platon [lat./franz.], hrsg. von Raymond Marcel. Paris 1956. Ficino, Marsilio : El libro dell’amore, hrsg. von Sandra Niccoli. ­Firenze 1987. – : Commentaires sur le Traité de l’amour ; ou, Le festin de Platon : Commentarium in convivium Platonis, Traduction anonyme du X ­ VIIIe siècle éditée et présentée par Sylvain Matton. Paris 2001. Ficin, Marsile, Commentaire sur le Banquet de Platon, De l’amour. Commentarium in convivium Platonis, De amore [lat./franz.], hrsg. von Pierre Laurens, Paris 2002. (Auszug : De amore VI 1 – 10) Maria-Christine Leitgeb : Liebe und Magie. Die Geburt des Eros und Ficinos De amore [lat./dt.], Wien 2004.

andere werke  Eigene Schriften Marsilii Ficini de triplici vita libri tres. Venetiis 1498 (Reprint, mit krit. Apparat von Martin Plessner, Hildesheim/New York 1978). (De vita, deutsch :) Dieter Benesch : Marsilio Ficino’s ›De triplici vita‹ (Florenz 1489) in deutschen Bearbeitungen und Übersetzungen. Edition des Codex palatinus germanicus 730 und 452, Frankfurt usw. 1977 (Europäische Hochschulschriften I 207 ; zugl. Phil. Diss. Heidelberg 1976). Ficino, Marsilio, Three Books on Life [lat./engl], hrsg. von Carol V. Kaske und John R. Clark. Binghamton, N. Y. 1989. – : De raptu Pauli/Il rapimento di Paolo (Übers. Ficinos) und : De Sole (mit Übers. v. E. Garin). In : Prosatori latini del Quattrocento, ed. Eugenio Garin. Milano/Napoli 1952 (La letteratura italiana, Storia e testi 13), 927 – 1009 (lat.-ital.). Ficin, Marsile : Théologie Platonicienne de l’immortalité des âmes [lat./ franz.], hrsg. von Raymond Marcel. 3 Bde., Paris 1964 – 1970. Ficino, Marsilio, Platonic Theology [lat./engl.], übers. von Michael J. B. Allen, hrsg. von James Hankins, 6 Bde., Cambridge, Mass 2001 – 2006 [zit. Allen/Hankins].



Auswahlbibliographie

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kommentare und übersetzungen  Marsilio Ficino : The Philebus Commentary, ed. Michael J. B. Allen. Berkeley usw. 1975 (Publications of the Center for Medieval and Renaissance Studies, UCLA, 9 ; lat.-engl.). (Phaidros-Kommentar :) Allen, Michael J. B. : Marsilio Ficino and the Phaedran Charioteer, ed. Berkeley usw. 1981 (lat.-engl.). (Sophistes-Kommentar :) Allen, Michael J. B., Icastes : Marsilio Ficino’s Interpretation of Plato’s Sophist. Five Studies and a Critical Edition with Translation. Berkeley 1989. Ficino, Marsilio : Commentaries on Plato, vol. 1 : Phaedrus and Ion [lat./engl.]. Hrsg. von Michael J. B. Allen, Cambridge, Mass. 2008. – : Commentaries on Plato, vol. 2 : Parmenides [lat./engl.], Hrsg. von Maude Vanhaelen. 2 Bde. Cambridge, Mass. 2012. – : Commento al Parmenide di Platone [ital.]. Hrsg. von Francesca Lazzarin, Firenze 2012. Marsilio Ficino : Iamblichus, De mysteriis Aegyptiorum. Sammelband neuplatonischer Schriften übersehen (sic !) und herausgegeben von

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MARSILIO FICINO

ÜBER DIE LIEBE oder PLATONS GASTMAHL

Dem allerdurchlauchtigsten Herrscher Herrn Cosimo de ’ Medici, Herzog von Florenz, meinem hochzuverehrenden Gebieter. Groß, ja staunenswert war in der Tat, mein allerdurchlauchtigster Gebieter, die Güte und Huld unseres Marsilio Ficino, des ohne Zweifel würdigen Schülers des großen Cosimo,1 zu dessen erlauchtem Angedenken Eure Durchlaucht gleichfalls seinen Namen tragen. Nicht genug, daß er, den Lateinern Platon mit vielen hochgelehrten Schriften erklärt und erläutert geschenkt hat, ebensosehr wünschte er allen denen zu helfen, die nur unserer Sprache mächtig sind, und dem hochgeschätzten und förderlichen 2 Rat Ihres Lorenzo des Erlauchten 3 zu folgen, und ließ sich dazu herab, den Kommentar, den er zu Platons Gespräch über die Liebe auf Latein verfaßt hatte, in unsere Muttersprache zu übersetzen, wobei er ihn Bernardo del Nero und Antonio Manetti, seinen vortrefflichen Freunden,4 widmete, wie aus seinem Sendschreiben hervorgeht. Ein wohlgemeintes und edles Vorhaben, das jedoch noch nicht zu dem angestrebten Ziel gelangt ist, weil dieser sein Schatz bis auf unsere Zeit so gut wie verborgen geblieben oder doch nur von wenigen genutzt worden ist. Darum habe ich – eingedenk der wohlgemeinten Absicht des Marsilio und zugleich des Nutzens, der daraus entspringen dürfte, wenn man ihn getreu und vollständig so, wie er ihn schrieb und übersetzte, lesen und verstehen könnte – da mir ein von dem Original selbst abgeschriebener Text zugänglich war, diesen allen mitteilen wollen, die unsere Sprache verstehen. Jedoch habe ich ihn dem hochgeehrten Namen Eurer Durchlaucht gewidmet, der ich nicht nur dieses, weil er Ihr Erbstück ist, als Eigentum

4

Dem allerdurchlauchtigsten Herrscher …

zurückerstatten muß, sondern auch alles das, was ich bin oder jemals sein könnte. Mögen ihn also Eure Durchlaucht freundlich als mit der größtmöglichen Sorgfalt abgedruckt hinnehmen, und sich nicht darüber verwundern, daß sich vor diesem Kommentar nicht Platons Text findet : ich wollte nämlich lieber dem Urteil des Marsilio folgen, auf die Gefahr daß man mir zur Last legt, ich hätte die Mühe des Übersetzens gescheut, als ungelehrten Leuten, die ja nur die Oberfläche der Dinge zu betrachten pflegen, Anlaß zu geben, durch dessen bildliche und schwerverständliche Ausdrucksweise die Leidenschaften zu erwecken,5 die dort besprochen werden, und zwar ausführlicher, als in einer Volkssprache wie der unsrigen angebracht ist. Dies ist in Wirklichkeit der Grund, warum Marsilio das Gespräch für die Lateiner übersetzte und kommentierte, seinen Landsleuten aber nur den Kommentar allein als etwas durchaus Erhabenes und wahrhaft Christliches anbieten wollte. Mögen darum Eure Durchlaucht ihn lesen und gnädigst fortfahren, wie bisher alle dieser Sprache Beflissenen zu ermutigen, sie zu ehren und mit Werken jeglicher Art klassischer schöner Kunst und heilsamer Wissenschaft zu bereichern, und zudem meiner als Ihres getreuesten Dieners zu gedenken Eurer Durchlaucht untertänigster Diener Cosimo Bartoli.6

Marsilio Ficino wünscht seinem Freund Giovanni Cavalcanti Wohlergehen. Schon lange, allersüßester Johannes, habe ich von Orpheus gelernt, daß die Liebe existiert und die Schlüssel zur ganzen Welt hält, und dann von Platon, was und wie die Liebe ist; welche Kraft und Macht aber dieser Gott hat, war mir vierunddreißig Jahre lang verborgen, bis endlich ein göttlicher Heros mir mit himmlischen Augen durch ein wunderbares Zeichen vorführte, wie groß die Macht der Liebe ist. Von daher kam ich mir in Sachen Liebe hinreichend belehrt vor und schrieb das Buch über die Liebe. Dieses, mit eigener Hand geschrieben, beschloß ich, Dir zuerst zu widmen, um was Dir gehört Dir zurückzuerstatten. Lebe wohl.7

Vorwort 8 von dem Florentiner Marsilio Ficino zu dem Buch über die Liebe an Bernardo del Nero und Antonio di Tuccio Manetti Es pflegen die Sterblichen das, was sie üblicherweise und häufig tun, infolge langer Gewohnheit gut zu tun und je häufiger desto besser.9 Doch bei der Liebe versagt diese Regel wegen unseres Unverstandes und zu unserem Leidwesen. Wir alle lieben unaufhörlich auf irgendeine Weise; aber fast alle lieben wir schlecht, und je mehr wir lieben, desto schlechter lieben wir. Und wenn unter Hunderttausend einer auf rechte Weise liebt, so findet das, weil es nicht allgemeine Praxis ist, keinen Glauben. In diesen schrecklichen Irrsinn verfallen wir leider, weil wir unbesonnen die mühsame Liebesfahrt antreten, ohne zuvor das Endziel zu erkunden und die Weise, die gefahrvollen Strecken des Weges zurückzulegen. Deshalb gehen wir Armen, je weiter wir schreiten, desto mehr zu unserem großen Schaden in die Irre. Um soviel schlimmer ist das Verirren in diesem finsteren Wald10 im Verhältnis zu anderen Wegen, als er zahlreicher und häufiger betreten wird. Die hocherhabene Liebe der göttlichen Vorsehung inspirierte im antiken Griechenland eine Dame von höchster Reinheit, die Priesterin Diotima genannt,11 um uns auf den rechten Weg, den wir verfehlt haben, zurückzuleiten. Göttlicher Eingebung voll begegnete diese dem Philosophen Sokrates, der mehr als alles der Liebe ergeben war, und erklärte ihm das Wesen dieses heißen Sehnens und wieso wir dadurch in das tiefste Verderben stürzen, aber auch zum höchsten Gut12 aufsteigen können. Sokrates offenbarte dieses heilige Geheimnis

8 Vorwort

unserem Platon. Dieser, frömmer13 als alle anderen Philosophen, verfaßte sogleich darüber ein Buch zum Heil der Griechen. Zum Heil der Lateiner habe ich Platons Schrift aus der griechischen Sprache in die lateinische übersetzt und, ermuntert von unserem erlauchten Lorenzo de’Medici, die Geheimnisse, die in diesem Buch am schwersten zu verstehen waren, kommentiert. Damit aber dieses heilbringende Manna, das der Diotima einst vom Himmel herabgesandt worden ist, recht vielen ein leichtzugängliches Gemeingut werde, habe ich diese platonischen Geheimnisse zusammen mit meiner Auslegung aus der lateinischen in die toskanische Sprache übertragen. Diesen Band widme ich nun insbesondere euch, meine lieben Freunde Bernardo del Nero und Antonio Manetti, weil ich überzeugt bin, daß ihr »die Liebe«, die euch euer Marsilio Ficino sendet, mit Liebe entgegennehmen und jedem, der meint, es nachlässig oder widerwillig lesen zu dürfen, klar machen werdet, daß er nie und nimmer imstande sein wird, dieses Buch zu verstehen. Denn die Sorgfalt der Liebe begreift man nicht mit Nachlässigkeit, und die Liebe selbst erfaßt man nicht mit Widerwillen. Der Heilige Geist, die göttliche Liebe,14 der Diotima begeisterte, erleuchte unseren Geist und entflamme unser Wollen, so daß wir ihn in allen seinen herrlichen Werken lieben mögen und dadurch seine Werke in ihm lieben und seine unendliche Schönheit unendlich genießen15 mögen !

KOMMENTAR DES FLORENTINERS MARSILIO FICINO ZU PLATONS GASTMAHL Einteilung des Buches16 Platon, der Vater der Philosophen, verschied17 mit vollendetem einundachtzigsten Lebensjahr am siebten November, seinem Geburtstag, bei Tisch nach Beendigung des Mahles. Dieses Gastmahl, gleichermaßen dem Angedenken der Geburt wie auch des Lebensendes Platons geweiht, feierten alljährlich die Platoniker des Altertums bis auf die Zeit des Plotin und des Porphyrios. Nach Porphyrios aber unterblieben zwölfhundert Jahre lang diese feierlichen Mähler, bis endlich in unserer Zeit der glorreiche Lorenzo de’Medici das Platonische Gastmahl wieder einzuführen beschloß18 und Francesco Bandini als Speisemeister19 bestellte. Nachdem also Bandini die Feier des 7. November vorbereitet hatte und neun Platoniker eingeladen waren,20 empfing er sie mit fürstlichem Gepränge in dem Landhaus zu Careggi. Diese Gäste waren : der Bischof von Fiesole, Antonio degli Agli, der Arzt Magister Ficino, der Dichter Cristoforo Landino, der Rhetoriker Bernardo Nuzzi, Tomaso Benci, unser Freund Giovanni Cavalcanti, den wegen seines hochgesinnten Charakters und seiner edlen Erscheinung die Festteilnehmer den Heros21 nannten, die beiden Söhne des Dichters Carlo Marsupini, Cristoforo und Carlo. Nach Bandinis Beschluß war ich dann der neunte; somit sollte, indem Marsilio Ficino zu den Genannten hinzukam, die Zahl der Musen voll werden.22 Nach Aufhebung der Tafel nahm Bernardo Nuzzi Platons Schrift mit dem Titel »Das Gastmahl« oder »Das Gespräch über die Liebe« zur Hand und las sämtliche Reden dieses Symposiums vor. Darauf ersuchte er die übrigen Gäste, jeder

10 Kommentar …

von ihnen möchte je eine davon auslegen. Alle willigten ein, und durch das Los fiel die Auslegung der ersten Rede, der des Phaidros, dem Giovanni Cavalcanti zu, die Rede des Pausanias dem Theologen Antonio, die des Arztes Eryximachos dem Arzt Ficino, die Rede des Dichters Aristophanes dem Dichter Cristoforo Landino und die des jungen Agathon dem Carlo Marsupini; Tommaso Benci erhielt die Erörterung des Sokrates und Cristoforo Marsupini die des Alkibiades. Alle waren mit dieser Verteilung durch das Los einverstanden; da jedoch der Bischof und der Arzt, der eine der Sorge für die Seelen,23 der andere der Behandlung der Leiber wegen, weggehen mußten, übertrug man ihre Vorträge dem Giovanni Cavalcanti. Ihm wandten sie sich darauf zu, um ihn mit Aufmerksamkeit anzuhören. Der Heros fing dann folgender­maßen zu sprechen an :

ERSTE REDE

1. K apitel Die Methode, den Eros24 zu preisen; seine Bedeutung und seine Macht Eine überaus angenehme Aufgabe, werte Tischgenossen, fiel mir heute zu, nämlich daß ich den Phaidros aus Myrrhinus25 vorstellen soll, jenen Phaidros, dessen Freundschaft der große Redner Lysias aus Theben so hochschätzte, daß er durch eine sehr sorgfältig ausgearbeitete Rede dessen Gunst zu erringen suchte. Seine Erscheinung erregte derart die Bewunderung des Sokrates, daß er einst am Fluß Ilissos, durch ihren Glanz hingerissen und erhoben, göttliche Geheimnisse offenbarte, er, der sich zuvor für ganz unkundig nicht nur der himmlischen, sondern auch der irdischen Dinge erklärt hatte. So großes Wohlgefallen fand auch Platon an der geistigen Anlage des Phaidros, daß er ihm die ersten Früchte seines Fleißes widmete, nämlich seine Epigramme, seine Elegien und insbesondere das erste Buch über die Schönheit mit dem Titel Phaidros.26 Dem Phaidros also bin ähnlich ich geachtet worden, zwar nicht von mir selber – denn soviel maße ich mir nicht an –, vielmehr zuerst durch den Ausfall des Loses, das ihr dann bestätigt habt. So will ich denn mit Freude zu so glücklicher Stunde zunächst seine Rede auslegen; dann werde ich die Aufgaben des Antonius und des Ficino nach meinen geistigen Fähigkeiten in Angriff nehmen. Dreierlei zieht der Philosoph in der Nachfolge Platons in Erwägung, nämlich die voraufgehenden und die begleitenden Umstände und die Folgen. Sind diese gut, so lobt er den Gegenstand, sind sie schlecht, tadelt er ihn. Eine Lobrede ist vollkommen, wenn sie den zurückliegenden Ursprung und

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Erste Rede

den gegenwärtigen Zustand des Dinges berichtet und darlegt, welche Folgen es zeitigen wird. In erster Hinsicht rühmt man den Gegenstand als edler Herkunft, in zweiter als hochranging, in dritter als nützlich. Dementsprechend beweisen Lobreden drei Punkte : die edle Abstammung, die hohe Bedeutung und die Nützlichkeit. Darum nannte unser Phaidros den Eros in besonderer Erwägung seiner gegenwärtigen Vortrefflichkeit den großen Gott mit dem Zusatz : den Göttern und Menschen bewunderungswürdig. Nicht zu Unrecht : Denn für Großes fassen wir recht eigentlich Bewunderung. Der ist in Wahrheit groß, dessen Herr­schaft, wie es heißt, alle Menschen und alle Götter untertan sind; denn bei den Alten werden die Götter ebenso wie die Menschen von Liebe ergriffen. Dies lehren Orpheus und Hesiod,27 indem sie aussagen, daß die Geister der Menschen und der Götter vom Eros gezähmt werden. Bewunderungswürdig wird er überdies genannt, weil jeder den Gegenstand liebt, dessen Schönheit ihm Bewunderung einflößt. Sicherlich, die Götter – oder wie unsere Theologen sich ausdrücken, die Engel 28 – lieben und bewundern die göttliche Schönheit, und Menschen die Schönheit der Körper. Dieser Ruhmes­t itel des Eros geht zweifellos aus der ihm eigenen gegenwärtigen Vortrefflichkeit hervor. Hinsichtlich der Vergangenheit rühmt ihn Phaidros, indem er behauptet, Eros sei der älteste der Götter : Der Adel des Liebesgottes geht ja aus der Darlegung seiner Abkunft hervor. Drittens muß er ihn lobpreisen in bezug auf die Folgen, aus denen seine Nützlichkeit hervorgehen muß. Doch zunächst wollen wir seine uralte edle Abstammung und dann seinen Nutzen für die Zukunft erörtern.



2. Kapitel

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2. K apitel Die Herkunft des Eros Als Orpheus in seiner Argonautica in Gegenwart Cheirons und der Heroen, d. i. engelartiger Menschen, der Theologie des Hermes Trismegistos folgend, den Ursprung der Dinge besang, setzte er vor dem Anfang der Welt das Chaos an. Noch vor Kronos, Zeus und den übrigen Göttern versetzte er in die Tiefe dieses Chaos den Eros mit den Worten »Eros ist uralt, durch sich selbst vollkommen und von großer Klugheit«. Sowohl Hesiod in seiner Theologie wie der Pythagoreer Parmenides in seinem Buche über die Natur und der Dichter Akusilaos stimmen mit Orpheus und Hermes überein.29 Im Timaios beschreibt Platon in ähnlicher Weise das Chaos, in welchem er den Eros verortet,30 und das gleiche trägt Phaidros im Gastmahl vor. Die Platoniker nennen das Chaos die gestaltlose Welt, hingegen die Welt das ausgestaltete31 Chaos. Drei Welten nehmen sie an; drei an der Zahl müssen demnach auch die Chaos sein. Vor allen Dingen ist Gott da als der Urheber aller; wir nennen ihn das Gute. Gott schafft zuerst den Engelsgeist, darauf nach Platons Lehre die Weltseele und zuletzt den Körper des Weltalls.32 Den höchsten Gott nennt man nicht die Welt; denn ›Welt‹ bedeutet : ein schön gestaltetes Gebilde,33 das aus einer Vielheit von Dingen besteht. Ihn dagegen muß man sich als ganz einfach denken. Gott sprechen wir als Ursprung und Endziel aller Welten an. Der Engelsgeist ist die erste von Gott gebildete Welt, die zweite ist die Seele des Weltalls, die dritte dieses ganze Weltgebäude34, das wir sehen. Demnach sind in diesen drei Welten auch drei Chaos anzunehmen. Im Anbeginn schafft Gott die Substanz des Engelsgeistes, die wir auch dessen Wesenheit nennen.35 Dieser ist im ersten Augenblick seiner Erschaffung formlos und finster;36 weil er aber aus Gott geboren ist, wendet er sich aus angeborenem

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Erste Rede

Streben zu Gott als seinem Ursprung zurück. Zu Gott sich hinwendend, wird er durch dessen Lichtstrahl erleuchtet, und durch diesen Strahlenglanz wird sein Streben entzündet. So entflammt, sucht er ganz Gottes Nähe, und durch diese Annäherung empfängt er die Formen. Denn Gott in seiner Allmacht prägt dem Geist, der seine Nähe sucht, die wesentlichen Merkmale aller zu schaffenden Dinge ein. In ihm werden also geistigerweise alle in dieser Welt befindlichen Dinge sozusagen ausgemalt. Dort entstehen die Sphären der Himmel und der Elemente, dort die Gestirne, dort die Wesenheiten der Dünste, die Formen der Steine, der Metalle, der Pflanzen und der Lebewesen. Zweifellos sind die Artbegriffe aller Dinge, die mit göttlichem Beistand im überirdischen Geist entworfen werden, die Ideen.37 Diese Form oder Idee des Himmels bezeichnen wir mitunter als Himmelsgott, die Form des ersten Planeten als Saturn, die des zweiten als Jupiter und so fort in der Reihenfolge der übrigen Planeten. So wird auch die Idee des Feuerelementes Vulkan, die der Luft Juno, die des Wassers Neptun und die der Erde Pluto genannt. Dementsprechend sind alle die Gottheiten, die bestimmten Teilen der unteren Welt zugewiesen werden, die Ideen dieser Teile, vereinigt in dem überirdischen Geist. Bevor nun der Engelsgeist von Gott in vollkommener Weise die Ideen empfing, drängte er sich zu ihm hin; bevor er sich aber zu ihm hinwandte, war hierzu sein inneres Streben entbrannt. Ehe jedoch dieses Streben entbrannte, hatte er schon den göttlichen Lichtstrahl empfangen. Und bevor er für solchen Lichtglanz aufnahmefähig war, hatte sich sein natürlicher Trieb schon zu Gott als seinem Ursprung gewandt.38 Und bevor er sich zu ihm hinwandte, war sein Wesen formlos und finster, und diesen Zustand noch ohne Formen wollen wir Chaos nennen. Sein erstes Hinwenden zu Gott ist die Entstehung des Eros, das Einströmen des Lichtstrahles ist die



2. Kapitel

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Nahrung des Eros, und das daraus folgende Entbrennen ist das Wachstum des Eros. Die Annäherung an Gott ist der Liebesdrang des Eros, seine Ausgestaltung mit den Formen ist die Vollendung des Eros. Den Inbegriff aller Formen und Ideen nennen die Lateiner »mundus« und die Griechen »kosmos«, d. h. Schmuck. Die Grazie dieser Welt, dieses Schmuckes, ist die Schönheit. Zu ihr zog Eros gleich nach seiner Entstehung den Engelsgeist hin und bewirkte so, daß er, der zuvor ungestaltet war, Wohlgestalt erhielt.39 Dies ist nämlich die Eigenschaft des Eros, daß er zu der Schönheit hinreißt und das Ungestaltete dem Schönen zuführt. Wer würde also bezweifeln, daß Eros sogleich nach dem Chaos entsteht und vor der Welt und allen den einzelnen Teilen der Welt entsprechenden Göttern, zumal ja der Liebesdrang des Geistes vor seiner Ausgestaltung da ist und im ausgestalteten Geist die Götter und die Welt entstehen ? Mit Recht nannte daher Orpheus den Eros uralt und außerdem durch sich selbst vollkommen, also etwa : sich selbst vervollkommnend. Denn das ursprüngliche Streben des Geistes schöpft ja dank seiner eigenen Natur seine Vollendung aus Gott und verleiht diese dem Geist, der dadurch seine Formen empfängt, und in gleicher Weise den Gottheiten, die danach entstehen. Von klugem Rat40 nannte er ihn ferner zutreffenderweise. Denn alle Weisheit, aus der sich kluger Rat ergibt, ist dem Engelsgeist gegeben, weil er, durch Liebe Gott zugewandt, in dessen unaussprechlichem Lichte widerstrahlte. In der gleichen Weise wendet sich der Geist zu Gott wie das Auge zur Sonne.41 Zuerst blickt das Auge hin; dann sieht es nichts als das Licht der Sonne; drittens erfaßt es im Sonnenlicht die Farben und Umrisse der Dinge. Denn das Auge ist zuerst dunkel und formenfrei und liebt wie das Chaos das Licht, indem es zu ihm aufschaut; im Schauen nimmt es die Strahlen der Sonne auf und wird so durch die Farben und Gestalten der Dinge geformt. Wie der Geist unmittelbar, nachdem

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Erste Rede

er formlos entstanden ist, sich zu Gott hinwendet und von dort die Formen empfängt, so wendet sich die Weltseele zum Geist und zu Gott als zu ihrem Ursprung zurück und, nachdem sie zunächst formenfrei und Chaos war, empfängt sie, aus Liebe dem Engelsgeist zugewandt, von ihm die Formen und wird zur Welt. In gleicher Weise wandte sich die Materie dieser Welt aus angeborenem Liebesdrang der Weltseele zu und bot sich ihr gehorsam zur Gestaltung dar. Zwar entbehrte sie ursprünglich des Schmucks der Formen und war formfreies Chaos, empfing aber von der Weltseele den Schmuck aller Formen, die in dieser Welt zu sehen sind; somit wurde sie aus Chaos zur Welt. Drei Welten also gibt es und drei Chaos. Bei allen dreien aber ist der Eros gleichzeitig mit dem Chaos und geht der Welt voraus; er erweckt das starr Schlafende, erleuchtet das Finstere, belebt das Leblose, formt das Formlose und vollendet das Unvollkommene. Höherer Lobpreis läßt sich wohl weder aussprechen noch denken. 3. K apitel Die Förderlichkeit des Eros Bis hierher haben wir seinen Ursprung und seine edle Abstammung erörtert. Nun möchte ich von seiner Förderlichkeit handeln. Überflüssig wäre es, alle Wohltaten aufzuzählen, die Eros dem menschlichen Geschlecht verschafft, um so mehr, als man sie alle zusammenfassen kann. Denn es ist die Bestimmung des menschlichen Lebens, sich vom Schlechten fernzuhalten und dem Guten zuzuwenden. Schlecht ist für den Menschen das Unsittliche, und als das Gute hat ihm das Sittliche zu gelten. Ohne Zweifel bezwecken alle Gesetze und Lehren nichts anderes, als den Menschen solche Lebensrichtung zu geben, daß sie das Unsittliche meiden und das



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Sitt­l iche ausüben. Dies vermag selbst ein unermeßlicher Aufwand an Zeit, Vorschriften und Belehrung kaum zu bewirken; die Liebe allein aber bringt es in kürzester Frist zustande. Denn das Schamgefühl hält die Menschen von dem Unsittlichen und Häßlichen zurück, und das Streben, sich auszuzeichnen, leitet sie zu dem Sittlichen hin. Beides können die Menschen nicht leichter und schneller als allein durch die Liebe erreichen. Wenn wir von Liebe reden, müßt ihr darunter das Verlangen nach der Schönheit verstehen, denn dies ist bei allen Philosophen die Definition der Liebe.42 Schönheit aber besteht in einer Grazie, die hauptsächlich und zumeist auf einem Zusammenstimmen mehrerer Eigenschaften beruht.43 Dieses Zusammenstimmen stellt sich in dreifacher Hinsicht dar : nämlich in der Seele44 besteht Grazie in einem Zusammenstimmen mehrerer Tugenden; die körperliche Grazie beruht auf der Harmonie von Farben und Linien; Grazie der Musik 45 beruht auf der Harmonie mehrerer Stimmen. In dreifachem Sinne stellt sich also die Schönheit dar : in den Seelen, in der Gestalt und in den Tönen. Die Schönheit der Seele ist nur geistig erkennbar, die körperliche nur durch das Auge und die der Töne nur durch das Ohr wahrnehmbar. Da nun der Geist, das Sehen und das Gehör die Mittel sind, durch die allein wir die Schönheit genießen können, und da die Liebe das Verlangen ist, die Schönheit zu genießen, findet sie stets durch den Geist, das Sehen und das Gehör ihre Befriedigung. Wozu könnten ihr auch der Geruch, der Geschmack und der Tastsinn dienen,46 da diese Sinne ja nur Geruchs- und Geschmacksempfindungen, das Gefühl von Kälte und Wärme, Härte und Weichheit vermitteln ? In nichts von alledem besteht die menschliche Schönheit; denn das sind nur einfache Formen, die Schönheit des menschlichen Körpers dagegen erfordert das Ebenmaß der verschiedenen Glied­maßen, und die Liebe erstrebt das Genießen der Schönheit als ihr ei-

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Erste Rede

gentliches Ziel. Dieses aber kommt ausschließlich Geist, Sehen und Gehör zu; somit ist die Liebe auf diese drei Vermögen beschränkt, während ein Trieb, der von den übrigen Sinnen kommt, vielmehr als Gelüste oder Raserei zu bezeichnen ist. Wenn ferner die Liebe zu einem menschlichen Wesen nach der menschlichen Schönheit verlangt 47 und wenn die Schönheit des menschlichen Körpers in einem bestimmten Ebenmaß besteht, dieses Ebenmaß aber in einem gewissen Zusammenstimmen besteht, dann folgt daraus, daß die Liebe nur Maßvolles, Schickliches und Ehrbares erstrebt. Darum ersehnt die Liebe nicht nur nicht die Freuden des Geschmackes und des Gefühls, weil sie der sinnlichen Lust angehören und Genüsse so ungestümer und erregender Art sind, daß sie den Geist aus seinem Stand verrücken und den Menschen zerrütten, vielmehr verabscheut und flieht sie diese als wegen ihrer Maßlosigkeit der Schönheit entgegengesetzt. Die Raserei der Wollust, d. h. die Unzucht, führt die Menschen zur Unmäßigkeit und folglich zur Regellosigkeit. Somit lockt sie die Menschen zur Mißgestalt, also zu Häßlichkeit, die Liebe dagegen zu Schönheit. Häßlichkeit und Schönheit sind Gegensätze. Folglich sind Regungen, die zu der einen bzw. der anderen hinreißen, gleichfalls offenbar einander entgegengesetzt. Demnach sind Lust zum Beischlaf und Liebe nicht nur keine gleichartigen Regungen, sondern erweisen sich als Gegensätze. Das bezeugen schon die Theologen des Altertums, indem sie Gott den Namen der Liebe beilegten, und die christlichen Theologen bestätigten es auf das nachdrücklichste. Keine Bezeichnung, die mit Unsittlichem etwas gemeinsam hat, paßt auf Gott. Darum muß jeder mit gesundem Verstand sich hüten, leichtfertig den göttlichen Namen der Liebe auf ungesunde Aufwallungen zu übertragen. Schämen soll sich Dikai­ archos48 und jeder andere, der es wagt, Platons Erhabenheit



3. Kapitel

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dafür zu tadeln, der Liebe zuviel beigemessen zu haben; denn den züchtigen, ehrbaren und edlen Affekten können wir nie zuviel und nie genug nachgeben. Darum ist jede Liebe sittlich und jeder Liebende gerecht, weil jede Liebe schön und anständig ist und nur das Anständige liebt. Die zügellose Brunst aber, die uns zu Ausschweifung hinreißt, gilt, da sie uns zum Häßlichen verführt, als der Liebe49 entgegengesetzt. Um nun noch einmal auf die Förderlichkeit der Liebe zurückzukommen : Scham, die uns vom Unsittlichen abhält, und das Streben nach Ruhm 50, das uns für ehrenvolle Taten begeistert, entspringen beide leicht und schnell aus der Liebe. Zunächst weil Liebe, indem sie nach dem Schönen trachtet, stets das Rühmliche und Herrliche anstrebt; und wer das Häßliche verabscheut, muß ja unbedingt das Unsittliche und Obszöne fliehen. Zudem geben zwei Menschen, wenn sie sich lieben, sorgfältig aufeinander acht und suchen einander zu gefallen. Indem stets der eine den anderen beobachtet, halten sie sich, weil sie nie ohne Zeugen sind, vom Unsittlichen fern, und indem sie einander zu gefallen trachten, wenden sie sich mit brennendem Eifer dem Erhabenen zu, um nicht beim Geliebten in Verachtung zu fallen, sondern wechselseitiger Liebe für würdig geachtet zu werden. Diesen Grund erläutert Phaidros sehr ausführlich und führt drei Beispiele von Liebe an. Das eine handelt von der Liebe einer Frau zum Mann, und zwar spricht er hier von Alkestis, der Gattin des Admetos, die für ihren Gatten zu sterben bereit war; das andere handelt von der Liebe des Mannes für die Frau, nämlich Orpheus für Eurydike; das dritte von der Liebe von Mann zu Mann, wie der des Patroklos zum Achilleus : Hier zeigt er, daß nichts Menschen so tapfer macht, wie die Liebe. Die Allegorien von Alkestis und Orpheus wollen wir jetzt nicht ergründen; denn als geschichtliche Tat­sachen 51 erzählt, drücken sie viel stärker die Herrschermacht der Liebe aus, als wenn man sie allegorisch deuten würde.

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Erste Rede

Bekennen wir also ohne Einschränkung, daß Eros ein großer und wundervoller Gott ist und zudem edel und förderlich. Geben wir uns in dem Sinne der Liebe hin, daß wir mit ihrem Zweck, der Schönheit selbst, zufrieden sind ! Genießen kann man die Schönheit nur durch die Organe, mit denen man sie wahrnimmt, nämlich durch den Geist, das Sehen und das Gehör. Mittels dieser drei also können wir sie genießen; durch die übrigen Sinne erhalten wir nicht Schönheit, nach der die Liebe verlangt, sondern etwas, was der Körper benötigt. Mittels jener drei Vermögen wollen wir also die Schönheit suchen und sie als die Leitspur und das geeignete Mittel ansehen, insofern sie sich in Körpern oder Tönen darstellt, um die Schönheit des Geistes zu erforschen. Die körperliche Schönheit wollen wir preisen, diese aber gutheißen und dabei beachten, daß das Maß der Liebe dem Maß der Schönheit entspricht. Lieben wir daher, wenn nicht der Geist, sondern nur der Leib schön ist, diesen als das flüchtige Schattenbild der Schönheit nur wenig und nur oberflächlich ! Wo aber der Geist schön ist, laßt uns diesen konstanten Schmuck des Geistes glühend lieben. Wo aber beide Arten der Schönheit vereint sind, da werden wir zur höchsten Bewunderung hingerissen sein. So werden wir uns in Wahrheit als platonische Gemeinschaft bewähren, die nämlich nichts als Festliches, Frohes52 , Erhabenes und Göttliches denkt. Dies möge zur Rede des Phaidros genügen. Gehen wir zu Pausanias über !

ZWEITE REDE

1. K apitel Gott ist Güte, Schönheit und Gerechtigkeit, Ursprung, Mitte und Endziel. Die Pythagoreer behaupteten, die Dreizahl sei das Maß aller Dinge;53 nach meiner Ansicht aus dem Grunde, weil Gott mittels der Dreizahl alles lenkt und zudem in der Dreizahl das Wesen aller Dinge zum Abschluß kommt. Daher der Vers des Vergil : »Ungerades erfreuet die Gottheit«.54 Zuerst erschafft nämlich der höchste Urheber alle Dinge, zweitens zieht er sie zu sich hin und drittens vollendet er sie. Bei ihrem Entstehen fließen alle Dinge aus jenem ewigen Urquell hervor, dann fließen sie in ihn zurück, indem sie diesen Ursprung wiedersuchen, schließlich werden sie vollendet, nachdem sie in ihren Ursprung55 zurückgekehrt sind. Dies sang Orpheus als Seher, indem er sagte, Zeus sei Ursprung, Mitte und Endziel des Alls.56 Ursprung ist er, insofern er alles hervorbringt, Mitte, insofern er das Hervorgebrachte zu sich zurückzieht, und Endziel, insofern er das Zurückgekehrte vollendet. Darum können wir den König des Weltalls, wie es bei Platon 57 häufig heißt, gut, schön und gerecht nennen : gut, insofern er erschafft, schön, insofern er an sich zieht, gerecht, insofern er jedes einzelne nach seinem Verdienst vollendet. Schönheit also, der es eigen ist, die Dinge zu sich hinzuziehen, steht in der Mitte zwischen Güte und Gerechtigkeit : Aus der Güte fließt sie aus und zur Gerechtigkeit hin.

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Zweite Rede

2. K apitel Die göttliche Schönheit gebiert die Liebe. Die göttliche Schönheit58 hat in allen Dingen die Liebe, d. h. das Verlangen nach ihr selbst, erzeugt. Da ja Gott die Welt zu sich hinzieht und die Welt zu ihm hingezogen wird, besteht eine dauernde Anziehung zwischen Gott und der Welt, die von Gott ausgeht, auf die Welt übergeht und in Gott zum Abschluß kommt und die sozusagen im Kreislauf zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt. Ein und derselbe Kreislauf also, nämlich von Gott zur Welt und von der Welt zu Gott hin, wird mit drei Namen bezeichnet : Insofern er in Gott entspringt und zu ihm hinzieht, heißt er Schönheit; insofern er auf die Welt sich erstreckt und sie an sich reißt, wird er Liebe genannt; insofern er, zum Urheber zurückkehrend, diesen mit seiner Schöpfung verbindet, heißt er Genuß59. Die Liebe entspringt also aus der Schönheit und endet im Genuß. Das meinten auch Hierotheos und Dionysios Areopagita in jenem erhabenen Hymnus,60 in dem diese Theologen sangen : »Die Liebe ist ein guter unaufhörlich vom Guten zum Guten sich wendender Kreislauf.« Notwendigerweise ist ja die Liebe gut, da sie, dem Guten entsprossen, zum Guten zurückkehrt; denn es ist derselbe Gott, nach dessen Schönheit alle Wesen verlangen und in dessen Besitz sie alle Ruhe finden. Von dort aus wird unser Verlangen entfacht, dort ruht das Feuer der Liebenden, nicht jedoch ausgelöscht, sondern erfüllt. Nicht zu Unrecht vergleicht Dionysios Gott mit der Sonne;61 denn wie diese den Körper erleuchtet und erwärmt, so verleiht Gott den Seelen die Klarheit der Wahrheit 62 und die Glut der Liebe63. Der Vergleich in Platons sechstem Buche der Politeia64 ist sicherlich so zu verstehen, wie ich euch auseinandersetzen will. Die Sonne bringt die sichtbaren Gegenstände und die Augen, mit denen man sieht, hervor; damit diese sehen,



2. Kapitel

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strahlt sie ihnen leuchtenden Geist ein; die Körper aber malt sie, damit sie sichtbar werden, mit Farben aus. Jedoch würde weder der eigene Sehstrahl65 der Augen, noch würden die den Körpern eigentümlichen Farben genügen, das Sehen zu vollbringen, wenn nicht jenes eine Licht an sich jenseits der vielen Lichter, von dem die vielen und eigenen einzelnen Lichter den Augen und den Körpern zugeteilt werden, zu ihnen hinabstiege, sie erleuchtete, belebte und stärkte. In gleicher Weise hat die ursprüngliche Aktualität aller Dinge,66 die wir Gott nennen, jedem einzelnen Ding bei seinem Entstehen Gestalt und Wirklichkeit verliehen. Indem diese Aktualität von einem geschaffenen Wesen und leidenden Subjekt aufgenommen wird, ist sie natürlich schwach und zu wirksamer Tätigkeit unfähig. Aber das eine unsichtbare ewige Licht der göttlichen Sonne stärkt, belebt und vervollkommnet durch seine Anwesenheit unaufhörlich alle Dinge. Dies besang Orpheus göttlich inspiriert mit den Worten : »Gott gibt allem Gedeihen und breitet sich über alles aus.«67 Insofern Gott die Aktualität aller Dinge ist und sie fördert, wird er das Gute genannt.68 Insofern er sie ihrem Potential entsprechend belebt, mildert, glättet und anregt, also soviel sie können durchgeistigt, heißt er das Schöne. Insofern er drei Erkenntnisvermögen der Seele, den Geist, das Sehen und das Gehör, zu den erkennbaren Gegenständen hinleitet, heißt er die Schönheit. Insofern er in dem Erkenntnisvermögen besteht und es auf das Erkannte anwendet, heißt er die Wahrheit. Schließlich als das Gute erschafft, lenkt und vollendet, als das Schöne erleuchtet er alle Dinge und verleiht ihnen Grazie.

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Zweite Rede

3. K apitel Die Schönheit ist der Strahlenglanz der göttlichen Güte, und Gott ist der Mittelpunkt von vier Kreisen. Nicht unpassend setzten die Theologen des Altertums die Güte im Mittelpunkt69 an und im Umkreis die Schönheit : die Güte nämlich in dem einen Mittelpunkt und die Schönheit in vier Kreisen.70 Der eine Mittelpunkt aller Dinge ist Gott. Die vier Kreise, die sich kontinuierlich um Gott drehen, sind der Geist, die Seele, die Natur und die Materie. Der Engelsgeist ist ein ruhender Kreis. Die Seele ist aus sich beweglich. Die Natur bewegt sich in einem anderen, aber nicht durch ein anderes. Die Materie ist nicht nur in einem anderen, sondern auch durch ein anderes beweglich. Warum wir aber Gott als Mittelpunkt und die anderen vier als Kreise bezeichnen, wollen wir jetzt erklären. Der Mittelpunkt eines Kreises ist ein einziger, unteilbarer, fester Punkt, von dem aus viele teilbare bewegliche Linien zu der ihnen ähnlichen Peripherie hingehen. Die Kreislinie ist teilbar und dreht sich wie ein runder Körper71 sozusagen um eine Angel. Das Wesen des Mittelpunktes besteht darin, daß er einer, unteilbar und fest ist und dennoch sich in vielen, ja sogar überall in allen beweglichen und teilbaren Linien befindet; denn in der Linie befindet sich überall der Punkt.72 Weil nun nichts Ungleichartiges berühren kann, können die Linien, die von der Peripherie zum Mittelpunkt gehen, diesen nur mit einem gleichermaßen einfachen, einzigen und unbeweglichen Punkt berühren. Wer bestreitet, daß Gott zutreffend der Mittelpunkt aller Dinge73 genannt wird, da er doch in allen Dingen durchaus einer, einfach und unbeweglich ist und alles von ihm Hervorgebrachte vielfältig, zusammen­ gesetzt und beweglich ist und so, wie es aus ihm hervorgeht, auch ähnlich wie Radien und Kreislinie in ihn zurückkehrt ?



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So also streben der Geist, die Seele, die Natur und die Materie, die aus Gott hervorgehen, zu ihm zurück und umringen ihn eifrig von allen Seiten.74 Wie der Mittelpunkt als Punkt sich überall in den Linien und im ganzen Kreis befindet und alle Durchmesser mit ihrem Schnittpunkt den Mittelpunkt des Kreises berühren, so fügt sich Gott als Mittelpunkt aller Dinge, der einfachste Einheit und reinste Aktualität ist, in alles ein, nicht nur, weil er allen Dingen gegenwärtig ist, sondern auch, weil er allem von ihm Geschaffenen einen Anteil, ein innerliches, höchst einfaches und ausgezeichnetes Vermögen eingegeben hat, das man die Einheit der Dinge nennt, von der und zu der hin alle Teile und übrigen Vermögen eines Dings ausgerichtet sind, wie vom Mittelpunkt und zu seinem Mittelpunkt.75 Zuerst müssen die geschaffenen Dinge sich um ihren Mittelpunkt, um diese ihre eigene Einheit, versammeln, bevor sie sich ihrem Schöpfer zuwenden,76 um durch ihren eigenen Mittelpunkt sich dem Mittelpunkte aller Dinge sich anzunähern. Der Engelsgeist steigt erst zu seiner obersten Spitze, seinem Höhepunkt, auf, bevor er sich zu Gott erhebt, und das gleiche tun die Weltseele und die übrigen Dinge.77 Der sichtbare Weltkreis ist das Abbild jener unsichtbaren Kreise, nämlich des Geistes, der Seele und der Natur; denn die Körper sind die Schattenbilder und Spuren der Seelen und der Geister. Schattenbilder und Spuren stellen ja die Umrisse der Gegenstände dar, deren Schatten und Spuren sie sind. Darum sind jene vier passenderweise als vier Kreise zu bezeichnen. Der Geist aber ist ein unbeweglicher Kreis,78 weil seine Wirksamkeit sowie seine Substanz immer dieselbe bleibt : Sein Denken vollzieht sich unaufhörlich in gleicher Weise, und ebenso ist sein Wollen stets auf dasselbe gerichtet. In einer Hinsicht jedoch kann man den Geist als beweglich bezeichnen, insofern er, wie alles übrige, aus Gott hervorgeht und in ihn zurückzukehren strebt. Die Weltseele ist, wie auch jede Einzelseele, ein beweglicher Kreis; denn ihr Wesen be-

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steht darin, daß sie im Fortschreiten erkennt und im Zeitverlauf wirkt. Das Fortschreiten aber von dem einen zum anderen und die zeitliche Tätigkeit bezeichnet man ohne Zweifel als Bewegung. Wenn es jedoch im Erkennen der Seele Beharrlichkeit gibt, so ist diese viel mehr auf den Einfluß des Geistes als auf ihr eigenes Wesen zurückzuführen. Die Natur ist gleichfalls ein beweglicher Kreis. Wenn wir Seele sagen, meinen wir nach dem Sprachgebrauch der antiken Theologen die Kraft, die im Verstand und der Sinnlichkeit liegt, mit Natur meinen wir das zum Zeugen fähige Seelenvermögen. Jene Kraft in uns bezeichneten sie als den Menschen im eigentlichen Sinne, diese dagegen als sein Abbild und seinen Schatten79. Die Zeugungskraft ist deshalb als beweglich anzusehen, weil sie ihre Wirkung im Zeitverlaufe vollbringt. Darin aber besteht der Unterschied zwischen ihr und der anderen Eigenschaft der Seele, daß die Seele Bewegung durch sich und in sich hat : durch sich nämlich, weil sie Prinzip der Bewegung ist; in sich, weil innerhalb der Substanz der Seele sich die Tätigkeit des Verstandes und der Sinnlichkeit vollzieht, wobei sich nicht mit Notwendigkeit irgendeine Operation des Körpers ergibt. Die Zeugungskraft aber, die wir die Natur nennen, hat zwar ihre Bewegung in sich, da sie eine Kraft der Seele ist, die ja ihre Bewegung durch sich selbst hat; man sagt aber auch, daß ihre Bewegung sich in einem anderen vollzieht, weil sich ihre gesamte Wirkung auf den Körper erstreckt, indem sie diesen nährt, fördert und hervorbringt. Die körperliche Materie ist ein Kreis, der von einem anderen und in einem anderen seine Bewegung hat : von einem anderen nämlich, weil sie notwendig von der Seele in Bewegung gesetzt wird; in einem anderen, weil sie sich im Raum bewegt. Nun können wir also verstehen, weshalb die Theologen des Altertums die Güte in den Mittelpunkt und die Schönheit in den Umkreis setzten. Die Güte aller Dinge ist der eine Gott, durch den alles gut ist; die Schönheit aber ist Strahlen-



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glanz Gottes, der in jene vier um Gott sich drehenden Kreise eingetaucht ist. Dieser Lichtglanz stellt in den vier Kreisen80 die Formen aller Dinge dar, und diese Formen nennen wir im Engelsgeiste Ideen, in der Seele Begriffe, in der Natur Keimformen und in der Materie Formen.81 Somit treten in den vier Kreisen vier Arten des Strahlenglanzes in die Erscheinung : der Strahlenglanz der Ideen in dem ersten, der Begriffe in dem zweiten, der Keimformen in dem dritten und der Formen in dem letzten. 4. K apitel Auslegung Platons über das Göttliche82 Auf dieses Geheimnis spielte Platon in seinem Brief an den König Dionysios an, indem er sagte, Gott sei die Ursache alles Schönen, sozusagen Prinzip und Ursprung aller Schönheit.83 Um den König aller Dinge ist alles; um seinetwillen ist alles, und er ist die Ursache aller schönen Dinge. Die zweiten Dinge umgeben das Zweite, und die dritten das Dritte. Die menschliche Seele wünscht, das Wesen dieser Dinge zu erkennen, indem sie auf das ihr Verwandte sieht. Von dem aber ist nichts hinreichend. In der Umgebung84 des Königs und der genannten Dinge befindet sich nichts Derartiges. Was aber danach ist, davon spricht die Seele. Dieser Text ist folgendermaßen zu verstehen. Um den König bedeutet : außer ihm, nicht in ihm, da es ja in Gott keine Zusammensetzung gibt. Die Bedeutung des Wortes »um« erläutert Platon durch den Zusatz : um seinetwillen ist alles, und er ist Ursache alles Schönen, so als wollte er sagen : Den König des Alls umgeben darum alle Dinge, weil sie ihrem Wesen entsprechend alle zu ihm als ihrem Endziel zurückstreben, da sie ja alle aus ihm als ihrem Prinzip hervorgegangen sind. Alles Schönen, das heißt : aller Schönheit, die in den vorhin beschriebenen Kreisen erstrahlt. Denn die Formen der Körper gehen durch die Keimformen, diese durch die Denkformen

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und diese durch die Ideen zu Gott zurück und in derselben Stufenfolge aus Gott hervor. Insbesondere aber versteht er unter alle Dinge die Ideen, weil in diesen alles Übrige eingeschlossen ist. Die zweiten Dinge umgeben das Zweite, die dritten das Dritte. Zoroaster nahm drei Fürsten der Welt an, die Herrscher dreier Ordnungen : Ormuzd, Mithras, Ahriman.85 Platon nennt sie : Gott, den Geist und die Seele, und diese drei Ordnungen nahm er in den göttlichen Formen an : Ideen, Begriffe und Keimformen. Die ersten Dinge, nämlich die Ideen, sind um das Erste, nämlich Gott, da sie von Gott dem Geist gegeben sind und diesen wieder zu Gott zurückführen. Die zweiten umgeben das Zweite, d. h. die Begriffe umgeben den Geist, weil sie durch diesen in die Seele eingehen und diese wiederum zum Geist hinführen. Die dritten Dinge umgeben das Dritte, d. h. die Keimformen der Dinge umgeben die Seele; denn durch die Vermittlung der Seele gelangen sie in die Natur, die mit der Zeugungskraft gleichbedeutend ist, und verbinden ihrerseits wiederum die Natur mit der Seele. Dieser Stufenfolge entsprechend, steigen aus der Natur die Formen in die Materie hinab. Platon gliedert allerdings die Formen nicht in die eben beschriebene Ordnung ein. Denn da ihn der König Dionysios nur über das Göttliche befragt hatte, führte er drei Ordnungen, die den unkörperlichen Erscheinungsformen angehören, als göttlich auf und ließ die körperlichen Formen fort. Auch wollte Platon Gott nicht als den ersten König, sondern als den König des Alls bezeichnen. Hätte er ihn nämlich den ersten genannt, so hätte es scheinen können, als reihte er ihn in eine Zahlenordnung und in eine Gleichstellung mit den übrigen Herrschern ein. Auch sagte er nicht : Um ihn sind die ersten Dinge, sondern alle, damit wir nicht glauben, Gott sei etwa Lenker einer bestimmten Ordnung und nicht des ganzen Weltalls.



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Die menschliche Seele wünscht, das Wesen dieser Dinge zu erkennen. Scharfsinnig führte er nach den drei Strahlenkronen der göttlichen Schönheit, die in den drei Kreisen aufglänzen, die Liebe der Seele zu ihnen an, da von dort aus das Brennen der Seele entflammt wird. Es ist ja natürlich, daß die Seele als etwas Göttliches göttliche Dinge ersehnt. Indem sie auf das ihr Verwandte blickt. Die menschliche Erkenntnis beginnt bei den Sinnen; darum pflegen wir zumeist von dem, was uns an Körpern als das Hervorragendste erscheint, auf das Göttliche zu schließen. Durch die Kräfte der körperlichen Gegenstände erkunden wir Gottes Macht, durch die Ordnung seine Weisheit, durch Nützlichkeit die göttliche Güte. Platon bezeichnet die Formen der Körper als der Seele verwandt 86, weil sie auf der Stufe unter der Seele angeordnet sind. Von dem aber ist nichts hinreichend. Das bedeutet : Diese Formen sind weder hinreichend, noch offenbaren sie uns hinreichend das Göttliche. Das Wirkliche sind also die Ideen, die Begriffe und die Keimformen. Die körperlichen Formen hingegen sind mehr Schattenbilder des Wirklichen als Wirk­ liches. Wie der Schatten des Körpers dessen Gestalt nicht mit voller Deutlichkeit zeigt, ebensowenig drücken die Körper das eigentliche Wesen der göttlichen Substanzen aus. In der Umgebung des Königs und der genannten Dinge befindet sich nichts Derartiges. Denn die vergänglichen und unechten Dinge sind nicht eigentlich den unvergänglichen und wirklichen ähnlich. Was aber danach ist, davon spricht die Seele. Das ist so zu verstehen : Indem die Seele das Göttliche nach dem Vergäng­lichen beurteilt, spricht sie falsch über das Göttliche und bringt nicht göttliche, sondern sterbliche Dinge zum Ausdruck.

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5. K apitel Die göttliche Schönheit leuchtet durch alle Dinge und wird in allen geliebt. Um nun in wenigen Worten viel zusammenzufassen : Das Gute ist die überragende Wesenheit 87 Gottes. Die Schönheit ist eine Wirkung oder ein Strahl, der von ihm ausgehend alles durchdringt : zuerst den Engelsgeist, zweitens die Allseele und die Einzelseelen, drittens die Natur, viertens die Materie der Körper. Dieser Lichtstrahl schmückt den Geist mit dem System der Ideen aus, füllt die Seele mit der Ordnung der Begriffe, kräftigt die Natur mit den Keimformen und stattet die Materie mit Formen aus. Wie ein und derselbe Sonnenstrahl vier Körper, nämlich Feuer, Luft, Wasser und Erde erhellt, so erleuchtet ein Lichtstrahl Gottes den Geist, die Seele, die Natur und die Materie. Und wie jeder, der das Licht in den vier Elementen sieht, damit den Sonnenstrahl erblickt und durch ihn sich hinwendet, das höchste Licht der Sonne selbst zu betrachten, ebenso schaut und liebt jeder, der die Herrlichkeit in diesen vier, nämlich Geist, Seele, Natur und Materie betrachtet und liebt, in jenen den Lichtstrahl Gottes und durch denselben Lichtstrahl Gott selber. 6. K apitel Die Leidenschaften der Liebenden Daher kommt es, daß der Drang des Liebenden nicht durch den Anblick oder die Berührung irgendeines Körpers erlischt; denn er verlangt nicht diesen oder jenen Körper, sondern den Glanz der höchsten Herrlichkeit, wie sie aus den Körpern zurückstrahlt, und diese bewundert, ersehnt und bestaunt er. Darum wissen die Liebenden gar nicht, was sie ersehnen und suchen, weil sie Gott selbst nicht kennen, dessen verborgene



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Würze seinen Werken einen von ihm ausgehenden, überaus lieblichen Wohlgeruch mitgeteilt hat, durch dessen Duft wir ohne Unterlaß angeregt werden. Den Duft nehmen wir wohl wahr, die Würze aber kennen wir nicht. Indem wir nun, durch den wahrnehmbaren Wohlgeruch angelockt, nach dem verborgenen Würzstoff verlangen, wissen wir zu Recht nicht, was es ist, das wir ersehnen und erleiden88. Daher kommt es auch, daß die Liebenden bei dem Anblick der geliebten Person voller Scheu und Ehrerbietung sind. Das geschieht sogar tapferen und (ich spreche es aus, obwohl ich fürchte, jemand von euch wird beim Hören erröten) 89 weisen Männern in Gegenwart der geliebten Person, auch wenn diese tief unter ihnen steht. Sicherlich ist es nicht etwas Menschliches, was sie erschreckt, betreten macht und beunruhigt; denn wo die menschliche Kraft in Betracht kommt, haben sonst stets die tatkräftigeren und weiseren Männer das Übergewicht. Hier aber zwingt der Lichtglanz der Gottheit, der aus dem schönen Körper zurückstrahlt, die Liebenden zu Bewunderung und scheuer Verehrung der geliebten Person, als wäre sie ein Gottesbild.90 Aus demselben Grunde verachtet der Liebende um des geliebten Wesens willen Reichtum und Ehren. Es ist eben eine Pflicht, daß man das Göttliche dem Menschlichen vorzieht. Häufig kommt es auch vor, daß der Liebende sich ganz in die geliebte Person zu übertragen wünscht, und nicht zu Unrecht; denn in diesem Streben sucht er sich aus einem Menschen zu Gott zu machen.91 Wer möchte nicht lieber Gott sein als Mensch ? Es geschieht auch, daß die in Liebesfesseln Gefangenen bald seufzen und bald fröhlich sind. Sie seufzen, weil sie sich selbst verlassen und vernichten; sie werden wieder fröhlich, weil sie in einen besseren Gegenstand übergehen. Abwechselnd fühlen sie Kälte und Hitze wie die am Wechselfieber Leidenden. Kälte fühlen sie naturgemäß, weil sie ihre eigene Wärme einbüßen; Hitze spüren sie, da sie von den

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Blitzen des überirdischen Lichtglanzes entzündet werden. Aus der Kälte folgt Schüchternheit, aus der Hitze Kühnheit. Daher sind die Liebenden bald schüchtern, bald auch kühn. Selbst Menschen von stumpfem Geist werden scharfsinnig, wenn sie lieben. Welches Auge würde wohl durch den himmlischen Lichtstrahl nicht hellsehend ? Das mag zur Begriffsbestimmung92 der Liebe und der Schönheit, von der sie stammt, und zu den Leidenschaften der Liebenden genügen. 7. K apitel Über die zweierlei Arten des Eros und die beiden ­Liebesgöttinnen Jetzt wollen wir in Kürze über die zweierlei Arten des Eros93 handeln. Bei Platon behauptet Pausanias, Eros sei der Begleiter der Aphrodite, und es gebe so viele Eroten als Aphroditen : nämlich zwei Aphroditen, begleitet von zwei Eroten. Die eine Aphrodite sei die himmlische, die andere die gewöhnliche.94 Die himmlische sei von Uranos ohne Mutter gezeugt, die gewöhnliche sei Tochter des Zeus und der Dione. Die Platoniker nennen den höchsten Gott Uranos. Wie nämlich der Himmel alle übrigen Körper, so schließt95 Gott alle Geister in sich. Den Engelsgeist bezeichnen sie mit vielerlei Namen, und zwar je nachdem als Kronos, als Zeus oder Aphrodite. Insofern dem Engelsgeist Sein, Leben und Denken 96 eignet, nennen sie sein Sein Kronos, sein Leben Zeus, sein Denken Aphrodite. Ferner nennen sie die Weltseele in ähnlichem Sinne Kronos, Zeus und Aphrodite : insofern sie das Überirdische denkt : Kronos; insofern sie die Himmelssphären bewegt : Zeus; insofern sie das Niedere erzeugt : Aphrodite. Von der erstgenannten Aphrodite, die dem Engelsgeist angehört, heißt es, sie entstamme mutterlos dem Uranos, weil



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»Mutter«97 bei den Naturphilosophen die Materie bedeutet, jene Intelligenz aber mit der körperlichen Materie nichts gemein hat. Die zweite Aphrodite, die man in der Weltseele annimmt, ist von Zeus und der Dione gezeugt. Vom Zeus, das bedeutet : von der Kraft der Weltseele, die die Himmelssphären bewegt, zumal diese Kraft das Vermögen erschaffen hat, das das Niedere hier hervorbringt. Dieser Aphrodite wird auch eine Mutter zugeschrieben, weil sie, die sich in den Weltstoff ergießt, mit der Materie Gemeinschaft zu haben scheint. Zusammengefaßt, es gibt zweierlei Aphroditen : die eine ist die Intelligenz, die wir im Engelsgeist annahmen; die andere ist die der Weltseele angehörende Zeugungskraft. Jede von beiden hat den ihr entsprechenden Eros zum Begleiter. Während die erste durch den ihr eigentümlichen Liebestrieb zur Betrachtung der Schönheit Gottes hingerissen wird, fühlt sich die andere durch ihren Eros dazu getrieben, die gött­l iche Schönheit in den weltlichen Körpern hervorzubringen. Die erste erfaßt zunächst den göttlichen Lichtglanz in sich und strahlt ihn dann in die zweite Aphrodite aus; diese zweite überträgt auf die Materie der Welt die Funken des empfangenen Lichtglanzes. Durch die Einwirkung dieser Lichtfunken werden alle Körper der Welt entsprechend ihrer Empfänglichkeit schön. Die Schönheit der Körper nimmt die menschliche Seele durch die Augen wahr. Die Seele besitzt wiederum zwei Vermögen, nämlich das Erkenntnis- und das Zeugungsvermögen. Diese beiden Vermögen in uns sind zwei Aphroditen, die von zwei Eroten begleitet sind. Wenn sich nun die Schönheit des menschlichen Körpers unseren Augen darstellt, bringt unser Geist (die erste Aphrodite in uns) ihr als einem Abbild der göttlichen Herrlichkeit seine Verehrung und Liebe entgegen und erhebt sich oftmals durch diese zu jener. Die Zeugungskraft dagegen (in uns die zweite Aphrodite) sucht eine der angeschauten ähnliche Form hervorzubringen. In beiden Vermögen ist also der Eros : in

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dem ersten als Verlangen, Schönheit anzuschauen, in dem zweiten als Drang, sie zu zeugen. Beide Arten der Liebe sind sittlich; folgen sie doch beide göttlichem Vorbild. Was tadelt aber Pausanias an der Liebe ? Ich will es euch sagen. Wenn jemand aus übergroßem Drang zum Zeugen die Betrachtung vernachlässigt oder das Begatten auf ungebührliche Weisen ausführt98 oder die körperliche der geistigen Schönheit vorzieht, dann macht er keinen würdigen Gebrauch von der Liebe, und diesen perversen Gebrauch tadelt Pausanias. Wer sich aber der Liebe auf rechte Art bedient, der preist zwar die schöne Form des Körpers, betrachtet durch sie aber eine erhabenere Schönheit in der Seele, im Engelsgeist und in Gott und begehrt sie heftiger. Die Verrichtung des Zeugens dagegen übt er nur in dem Maße aus, als die Ordnung der Natur und die von klugen Männern gegebenen Gesetze es vorschreiben. Hierüber handelt Pausanias weitläufig. 8. K apitel Ermunterung zur Liebe und Erörterung über die einseitige und die gegenseitige Liebe Euch aber, meine Freunde, ermahne und bitte ich, gebt euch mit allen Kräften der Liebe hin ! Sie ist ohne Zweifel etwas Göttliches. Laßt euch nicht durch das Wort abschrecken, das Platon beim Anblick eines Liebenden geäußert haben soll :99 »Dieser Liebende ist eine im eigenen Leibe abgestorbene Seele, die im fremden Leibe lebt.« Ebensowenig darf euch irre machen, was Orpheus über das bittere und beklagenswerte Los der Liebenden singt. Wie dies zu verstehen ist und welche Abhilfe da möglich ist, will ich euch erklären, aber hört mich, ich bitte euch darum, aufmerksam an ! Die Liebe nennt Platon etwas Bitteres,100 und nicht zu Unrecht; denn jeder, der liebt, stirbt durch die Liebe. Orpheus



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nennt die Liebe eine bittersüße Frucht.101 Da die Liebe ein freiwilliger Tod ist, ist sie als Tod zwar bitter, als freiwilliger aber süß. Liebend stirbt jeder liebende, weil sein Denken seiner selbst vergessend sich der geliebten Person zuwendet. Wenn er nicht an sich denkt, denkt er auch nicht in sich. Eine so betroffene Seele ist mithin nicht in sich selber tätig, da ja die Haupttätigkeit der Seele das Denken ist. Wer nun nicht in sich selber wirkt, weilt auch nicht in sich. Sein und Wirken sind nämlich gleichbedeutend :102 Weder ist das Sein ohne das Wirken, noch übersteigt das Wirken das Sein, noch wirkt jemand, wo er nicht ist; vielmehr wo immer er ist, wirkt er. Folglich ist die Seele des Liebenden nicht in ihm, da sie nicht in ihm tätig ist. Wenn sie nun nicht in ihm ist, so lebt er auch nicht in sich selbst. Wer nicht lebt, ist tot. Daher ist in sich tot, wer liebt. Lebt er nun wenigstens im anderen ? Ganz gewiß. Nun gibt es aber zwei Arten der Liebe : die einseitige und die gegenseitige. Einseitig ist sie da, wo der Geliebte den Liebenden nicht wieder liebt. Hier ist der Liebende vollständig tot; denn er lebt weder in sich, wie wir gezeigt haben, noch lebt er im Geliebten, da er von ihm verschmäht wird. Wo also lebt er ? Etwa in der Luft oder im Wasser oder im Feuer oder in der Erde oder im Körper eines Tieres ? Nein, denn die mensch­ liche Seele lebt ausschließlich in einem menschlichen Körper. Lebt er vielleicht in dem Körper irgendeiner fremden, nicht geliebten Person ? Noch viel weniger. Denn wenn er dort nicht lebt, wo zu leben er so heiß sich sehnt, um so viel weniger wird er anderswo leben. Folglich lebt, wer einen anderen liebt und von diesem nicht wieder geliebt wird, nirgends. Daher ist der ungeliebte Liebhaber vollständig tot und ersteht niemals wieder zum Leben, wenn ihn nicht etwa der Unwille auferweckt. Wo dagegen der Geliebte die Liebe erwidert, da lebt der Liebhaber wenigstens in jenem. Ohne Zweifel geht da etwas Wunderbares vor103, wo zwei sich in gegenseitiger Zuneigung

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umarmen : dieser lebt in jenem, jener in diesem.104 Sie tauschen einander gegenseitig aus : Ein jeder gibt sich dem andern hin, um diesen in sich aufzunehmen. In welcher Weise sie sich hingeben, ist daraus zu ersehen, daß sie sich selbst vergessen; wie sie aber den anderen aufnehmen, ist nicht so deutlich, weil, wer seiner selbst nicht mächtig ist, noch viel weniger einen anderen besitzen kann. Hier aber besitzt sogar jeder von beiden sich selbst und den anderen; denn dieser besitzt sich selbst, aber in jenem, jener besitzt sich selbst, aber in diesem. Nämlich, indem ich dich liebe, der du mich liebst, finde ich mich in dir, der du an mich denkst, wieder und gewinne mich, nachdem ich mich selbst aufgab, in dir, der du mich erhältst, zurück. Das gleiche tust du in mir. Auch das erscheint mir wunderbar. Denn wenn ich, nachdem ich mich selbst verlor, durch dich mich zurückgewinne, dann besitze ich mich durch dich. Wenn ich mich durch dich besitze, besitze ich vorher und in höherem Maße dich als mich, stehe also dir näher als mir selber, da ich nur durch deine Vermittlung zu mir selbst gelange. Hierin unterscheidet sich die Macht des Eros von der Gewalt des Ares,105 wie Gewalt und Liebe verschieden sind. Der Herrscher hat durch sich andere in seiner Gewalt; durch den anderen faßt der Liebende sich wieder. Jeder der beiden Liebenden entfernt sich von sich und nähert sich dem anderen; in sich selbst gestorben, ersteht er im anderen wieder.106 Einen Tod nur gibt es bei der gegenseitigen Liebe, zweifach aber ist die Auferstehung. Denn es stirbt, wer liebt, einmal in sich, indem er von sich selber läßt; er lebt dann sogleich in dem Geliebten wieder auf,107 wenn dieser ihn mit der Glut seines Denkens aufnimmt; noch einmal aber lebt er auf, indem er sich endlich im Geliebten wiedererkennt, frei von allem Zweifel geliebt zu sein. O seliger Tod, auf den zweifaches Leben folgt ! O wunderbarer Pakt, in dem man sich selbst für den anderen aufgibt,108 den anderen besitzt und von sich nicht läßt ! O, welch unschätzbarer Ge-



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winn, wenn zwei derart eins werden, daß jeder von beiden statt eines allein zwei wird und, gleichsam verdoppelt, wer nur ein Leben besaß, durch Eintreten eines Todes nunmehr zweifaches Leben hat ! Denn wer, einmal gestorben, zweimal aufersteht, gewinnt statt eines Lebens ein zweifaches und hat statt des einen Ich zwei Ich. Offenbar findet bei der gegenseitigen Liebe gerechteste Vergeltung statt. Der Mörder ist des Todes schuldig. Kann man in Abrede stellen, daß der, der geliebt wird, ein Mörder ist, trennt er doch den Liebenden von seiner Seele ? Ist es andererseits zu leugnen, daß er gleichfalls stirbt, wenn er in gleicher Weise seinen Liebhaber liebt ? Dies ist die schuldige Vergeltung, daß dieser jenem und jener diesem die Seele, die er ihm nahm, zurückgibt. Liebend gibt einer dem anderen seine Seele hin und erstattet durch Gegenliebe für seine eigene die fremde zurück. Darum muß zu Recht jeder, der geliebt wird, wieder lieben. Wer aber dem, der ihn liebt, die Liebe nicht erwidert, ist des Mordes schuldig; mehr noch, er ist Räuber, Mörder und Heiligtumsschänder.109 Das Geld gehört dem Leib, der Leib der Seele. Wer also die Seele raubt, der Leib und auch Geld gehört, der raubt zugleich mit der Seele den Leib und das Vermögen. Darum ist er als Räuber, Mörder und Heiligtumsschänder dreifach des Todes schuldig. Als Geächteten und Gottlosen kann ihn ungestraft jeder töten, wenn er nicht freiwillig das Gesetz erfüllt, d. h. seinen Liebhaber wieder liebt.110 Dann stirbt er mit ihm, der einmal gestorben ist, gleichfalls einmal und lebt mit dessen zwei­fachem Wiederaufleben ebenfalls zweimal wieder auf. Hiermit haben wir bewiesen, daß der Geliebte seinen Liebhaber wieder lieben soll, nein, nicht nur, daß er soll, sondern durchaus muß, das wird gezeigt. Die Liebe beruht auf Ähnlichkeit.111 Ähnlichkeit besteht in einer gewissen identischen Qualität bei mehreren Subjekten. Denn wenn ich dir gleiche, so gleichst du mir notwendig. Diese Ähnlichkeit, die mich nötigt, dich zu lieben, zwingt

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auch dich, mich zu lieben. Zudem entäußert sich der Liebende seiner selbst, gibt sich dem Geliebten hin und wird Eigentum des Geliebten.112 Der Geliebte nimmt sich demzufolge seiner an, als gehöre er ihm zu; ein jeder hält ja sein Eigentum wert. Außerdem prägt der Liebende die Gestalt des Geliebten seiner Seele aus. Die Seele des Liebenden wird also zum Spiegel, der das Bild des Geliebten zurückstrahlt.113 Indem nun der Geliebte sich in dem Liebenden wiedererkennt, ist er gezwungen, ihn zu lieben. Nach Ansicht der Sterndeuter114 ist die Liebe im wahren Sinne gegenseitig bei denen, in deren Nativität Sonne und Mond ihren Standort vertauscht haben : Es stünde also beispielsweise bei meiner Geburt die Sonne im Zeichen des Widders und der Mond in der Waage, bei deiner Geburt dagegen die Sonne in der Waage und der Mond im Widder, oder wir hätten zum Nativitätsgestirn ein oder dasselbe Sternbild oder denselben Planeten, oder es stünden bei unserer Geburt freundliche Planeten im gleichen Aspekt zum östlichen Himmelswinkel, oder die Venus befände sich in dem gleichen Hause oder Grade. Die Platoniker fügen hinzu, auch die­jeni­ gen kämen in Betracht, deren Leben von demselben oder jedenfalls ähnlichen115 Dämon beherrscht würde. Die Ärzte und die Ethiker geben die Ähnlichkeit der körperlichen Anlage, der ersten Ernährung, der Erziehung, des Umganges und der Anschauungen als Ursachen gleichartiger Neigungen an. Letztlich findet sich in hervorragendem Grade die Gegenseitigkeit der Liebe, wo mehrere Ursachen zusammentreffen. Wo aber alle sich vereinigen, da sieht man Neigungen entstehen wie die zwischen Pythias und Damon116 und zwischen Pylades und Orestes.



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9. K apitel Was die Liebenden erstreben Was suchen nun diejenigen, die sich gegenseitig lieben ? Die Schönheit. Die Liebe ist nämlich das Verlangen, die Wohlgestalt, d. h. Schönheit117 zu genießen. Die Schönheit ist ein Lichtglanz, der die menschliche Seele an sich zieht. Die Schönheit des Körpers ist nichts als Pracht im Schmuck der Farben und Umrisse. Die Schönheit der Seele ist Glanz in der Harmonie von Bildung und Verhalten. Das Leuchten des Körpers wird weder durch das Gehör noch den Geruchssinn, noch den Geschmack, noch den Tastsinn, sondern nur durch das Auge erkannt. Indem dieses allein es erkennt, genießt es das auch allein. Das Auge allein genießt also die körperliche Schönheit.118 Da nun die Liebe das Verlangen ist, die Schönheit zu genießen, und diese allein durch das Auge wahrgenommen wird, so findet der Liebhaber des Körpers seine Befriedigung im Sehen, so daß das Gelüste des Tastsinnes weder zur Liebe gehört noch ein Gefühl des Liebenden ist, sondern eine Art Unkeuschheit und Verirrung eines niedrigen Menschen. Dementsprechend nehmen wir das Leuchten der Seele ausschließlich durch den Geist wahr, so daß wer die Schönheit der Seele liebt, seine Befriedigung einzig in der geistigen Betrachtung findet. Schönheit tauschen letztlich die Liebenden gegen Schönheit aus. Der Ältere genießt mit den Augen die Schönheit des Jüngeren, und der Jüngere genießt geistig die Schönheit des Älteren. Wer nun bloß körperlich schön ist, der wird durch diesen Umgang an der Seele schön, und wer nur an der Seele schön ist, der weidet seine Augen an der körperlichen Schönheit. Geradezu wunderwirkend ist dieser Austausch für beide, dazu wohlanständig, nützlich und angenehm. Die Wohl­ anstän­d igkeit ist für beide Teile gleich, denn gleich ehrbar sind Lernen und Lehren. Die Annehmlichkeit ist für den Äl-

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teren größer, da er sich am Anblick und auch am Intellekt erfreut. Dem Jüngeren hingegen kommt der größere Nutzen zugute. Denn sosehr die Seele vorzüglicher ist als der Leib, um so viel wertvoller ist das Erlangen geistiger als das körperlicher Schönheit. Soweit Pausanias. Jetzt wollen wir die Rede des Eryxi­ machos erklären.119

DRITTE REDE

1. K apitel Eros ist in allem, durchdringt alles und ist Schöpfer und Meister aller Dinge.120 Dreierlei müssen wir nunmehr im Sinne des Eryximachos abhandeln : erstens, daß Eros in allen Dingen ist und alles durchdringt, zweitens, daß er Schöpfer und Erhalter aller natür­ lichen Dinge, drittens, daß er aller Künste121 Meister und Herr ist. Drei Stufen der Dinge122 betrachtet man in der Natur, nämlich höhere, niedere und gleichstehende. Die höheren sind die Ursachen der niederen; diese sind die Produkte der höheren. Die gleichstehenden Dinge haben miteinander eine Natur gemeinsam. Die Ursachen lieben ihre Produkte als ihre Teile und Abbilder; die Produkte sehnen sich nach ihren Ursachen als nach ihren Erhaltern. Die gleichstehenden Dinge bringen einander Liebe entgegen als Glieder desselben Leibes.123 So leitet Gott mit Wohlgefallen die Engel, diese lenken gemeinsam mit Gott die Seelen, und diese regieren zusammen mit jenen durch natürliche Liebe124 die Körper. Hieran ist die Liebe des Höheren zum Niederen deutlich zu erkennen. Die Körper wiederum verbinden sich begierig mit ihren Seelen und trennen sich nur ungern von ihnen. Unsere Seelen ersehnen die Seligkeit der himmlischen; und die himmlischen verehren die göttliche Herrlichkeit : Hierin äußert sich die Regung der Liebe des Niederen zu den höheren Ursachen. Gleichermaßen vereinigen sich freudig alle Teile des Feuers miteinander und ebenso alle Teile der Erde, des Wassers und der Luft. In jeder Tierart stehen die Lebewesen derselben Art gerne zusammen.125 Hierin zeigt sich die Liebe zwischen

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gleich und ähnlich Gearteten. Wer kann also wohl in Zweifel ziehen, daß allen Wesen die Liebe zu allen anderen angeboren ist ? Dies drückte Dionysios Areopagita126 in dem Buche Über die göttlichen Namen im Sinne des Hierotheos folgendermaßen aus : »Die göttliche Liebe – sei nun die engelhafte, die geistige, die seelische oder die natürliche gemeint – ist eine verbindende und einende Macht, die das Höhere zur Vor­ sehung127 für das Niedere, das Gleichstehende zu gegenseitiger Mitteilung und schließlich das Niedere bestimmt, sich dem Vorzüglicheren zuzuwenden.« Also lehrte Dionysios. 2. K apitel Die Liebe ist bildendes und erhaltendes Prinzip des Alls. Der zweite Teil unserer Rede aber, der den Eros als Bildner und Erhalter des Alls hinstellt, wird folgendermaßen bewiesen. Das Verlangen, die eigene Vollkommenheit auszubreiten, ist eine Art Liebe. Die absolute Vollkommenheit besteht in der höchsten Macht Gottes. Diese wird von der göttlichen Intelligenz angeschaut, und hieraus entspringt der göttliche Wille, zum Hervorbringen aus sich herauszutreten. Aus dieser Liebe zur Vervielfältigung sind alle Dinge von ihm geschaffen worden. Darum sagt Dionysios :128 »Die göttliche Liebe ließ nicht zu, daß der Herrscher des Alls ohne zu zeugen in sich selbst abgeschlossen blieb.« Der gleiche Trieb, sich zu vermehren, ist allen Wesen von dem höchsten Urheber eingegeben. Durch ihn bewegen die heiligen Geister die Himmelssphären und teilen ihre Gaben an alle Geschöpfe, die unter ihnen stehen, aus. Durch ihn strahlen die Gestirne ihr Licht zu den Elementen hin. Durch ihn teilt das Feuer sein Wesen der Luft mit129, die Luft dem Wasser, das Wasser der Erde und zieht umgekehrt die Erde das Wasser, das Wasser die Luft, und die Luft das Feuer an. Auch die Gräser und die Bäume bringen, begie-



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rig, ihren Samen130 fortzupflanzen, ihnen gleichartige Wirkungen hervor. Ebenso werden die Tiere und die Menschen durch dieselbe Begierde dazu getrieben, Nachkommenschaft zu erzeugen. Bringt die Liebe nun alles hervor, so erhält sie auch alles; denn dem Hervorbringenden kommt auch das Erhalten zu. Gleiches wird ja durch Gleiches erhalten, und die Liebe zieht Gleiches zu Gleichem hin. Alle Teile des Elements Erde ziehen einander durch gegenseitige Liebe an, und alle Erde strebt zum Mittelpunkt der Welt als zu dem ihr Gleichen.131 Auch die Teile des Wassers fließen miteinander und zugleich mit der gesamten Menge des Wassers an den passenden Ort. Dasselbe tun die Teile der Luft und des Feuers, und zwar steigen diese beiden Elemente, von Liebe getrieben, zur höchsten Region als zu ihresgleichen auf. Auch der Himmel, sagt Platon im Buch vom Staatsmann,132 bewegt sich aus angeborener Liebe. Denn in jedem Punkte des Himmels ist die Seele des Himmels ganz beisammen. Darum kreist der Himmel aus Begier, die Seele zu genießen, so schnell, um mit allen seinen Teilen sich überall der ganzen Seele zu erfreuen. Er eilt mit rasender Geschwindigkeit, um möglichst überall ganz beisammen zu sein, wo immer die ganze Seele beisammen ist. Ferner ist die Hohlfläche der größeren Sphäre der natürliche Ort der kleineren Sphäre, und weil jedes Teilchen dieser vollkommen zu jedem Teilchen jener paßt, so ist jeder Punkt von dieser im höchsten Maße bestrebt, mit allen Punkten von jener in Berührung zu kommen. Stände der Himmel still, dann würde nur je ein Punkt der einen Sphäre je einen Punkt der anderen Sphäre berühren, nicht aber ein Punkt der einen alle Punkte der anderen. Im Durchlaufen erreicht er annähernd das, was ihm in der Ruhe nicht möglich gewesen wäre. Er kreist also mit der größten Geschwindigkeit, damit ein jeder Teil von ihm möglichst gleichzeitig alle übrigen Teile erreichen kann.

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Überdies erhalten sich alle Dinge durch den einheitlichen Zusammenhang ihrer Teile und gehen durch Zerstreuung zugrunde. Die Einheit der Teile entspringt aber aus ihrer gegenseitigen Liebe. Das kann man an den Säften unseres Körpers und an den Elementen der Welt beobachten. Durch ihre Eintracht bestehen nach dem Pythagoreer Empedokles133 die Welt und unser Körper, und durch ihre Zwietracht lösen sie sich auf. Ihre Eintracht aber beruht auf gegenseitiger Liebe134. Darum besang Orpheus den Eros also : »Du allein regierst das Steuer aller Dinge.«135 3. K apitel Eros ist Meister aller Künste. Es bleibt nun noch zu erklären, auf welche Weise Eros Lehrer und Meister aller Künste ist. Seine Meisterschaft der Künste werden wir verstehen, indem wir bedenken, daß niemals jemand eine Kunst erfinden oder erlernen kann, wenn ihn nicht die Liebe zum Forschen nach der Wahrheit treibt, wenn der Lehrende keine Liebe zu seinen Schülern und diese keine Liebe zu der betreffenden Wissenschaft haben. Herr und Meister der Künste wird er ferner deshalb genannt, weil derjenige Werke der Künste zur Vollendung bringt, der diese Werke liebt sowie die Personen, für die er sie ausführt. Überdies zielen Künstler in jeder Kunst nur auf die Liebe ab. Wir wollen nun in Kürze die einzelnen Künste durchgehen, die Eryximachos bei Platon anführt. Was bedenkt wohl die ärztliche Kunst anderes, als die vier Säfte136 des Körpers in gutes Einvernehmen zu bringen und darin zu erhalten und welche Nahrungs- und Heilmittel die Natur liebt ? Hier kommt Eryximachos noch einmal auf die beiden Arten der Liebe, die zuvor Pausanias als die himmlische und die gewöhnliche unterschieden hatte, zurück. Die gemäßigte körperliche Anlage



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nämlich neigt zu gemäßigter Liebe zu gemäßigten Dingen; die ausschweifende Anlage dagegen gegensätzliche Liebe zu gegensätzlichen Dingen. Jener soll man nachgehen, dieser aber auf keinen Fall nachgeben. Auch in der Fechtkunst und der Gymnastik ist zu untersuchen, welche körperliche Anlage, welche Übungsmethode und welche Art der Betätigung erforderlich ist. Bei der Landwirtschaft ist zu beachten, welche Art von Samen und der Bearbeitung der Beschaffenheit des Bodens entsprechen und welcher Pflege jede Baumart bedarf. Ebenso hat nach den Regeln der Musik 137 der Künstler zu prüfen, welche Tonzahlen mehr oder weniger mitein­a nder harmonieren. Zwischen Prim und Sekunde sowie Prim und Septime finden sie so gut wie gar keine, zwischen Prim, Terz, Quarte, Quinte und Sext heftigere, zwischen Prim und Oktave aber die heftigste Zuneigung.138 Die hohen und tiefen Stimmen, die von Natur verschieden geartet sind, befreunden sie durch bestimmte Intervalle und Modulierungen miteinander. Hieraus gehen Gestaltung und Wohlklang der Harmonie hervor. Außerdem temperieren sie schnelle und langsame Bewegung passend, so daß sie miteinander Freunde werden und Rhythmus und Stimmung ergeben. Zwei Arten der musikalischen Melodie gibt es aber : die eine ist ernst und gemessen, die andere weich und sinnlich. Jene erklärt Platon139 in den Büchern Vom Staat und den Gesetzen für förderlich, diese aber für schädlich denen, die sie verwenden; und im Gastmahl unterstellt er jene der Muse Urania, diese der Polyhymnia. Die einen haben eine Vorliebe für die erste Art der Musik, die anderen für die zweite. Der Liebe der ersteren muß man zustimmen und die von ihnen geliebten Tonstücke gutheißen, der Neigung der anderen aber entgegentreten; denn die Liebe jener ist himmlisch, dieser dagegen gewöhnlich. Auch zwischen den Gestirnen und den vier Elementen besteht eine Art von Freundschaft, deren Erforschung Gegenstand der Sternkunde140 ist. Hier begegnen wir gleichfalls je-

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Dritte Rede

nen beiden Eroten : Die maßvolle Liebe waltet in ihnen, wenn sie bei wechselseitiger Kraftentfaltung wohlgeordnet zusammenstimmen; maßlose Neigung aber liegt vor, wenn eines von ihnen aus übergroßer Eigenliebe die anderen verläßt. Aus der ersteren entspringen angenehme Klarheit der Luft, Stille des Wassers, Fruchtbarkeit der Erde und Gesundheit der Lebewesen; die andere Neigung verursacht deren Gegenteil. Endlich scheint mir die Gabe der Propheten und Priester sich darauf zu richten, uns lehren, welche Handlungen der Menschen Gott freundlich sind und wodurch Menschen sich zu Freunden Gottes machen, welche Weise der Liebe und Zuneigung141 zu Gott, zum Vaterland, zu den Eltern und zu den übrigen Menschen, den lebenden sowohl wie den verstorbenen, man einhalten müsse. Das gleiche kann man auch für die übrigen Künste annehmen und alles in allem den Schluß ziehen : Eros ist in allen Dingen und zu allen hingewandt, ist Schöpfer und Erhalter aller, ist Herr und Meister aller Künste. Mit Recht nannte ihn Orpheus142 »erfinderisch, von doppelter Natur, die Schlüssel des Alls führend«. Inwiefern ihm zwei Naturen eignen, habt ihr vorhin von Pausanias und eben von Eryximachos gehört. Zu dem Ausspruch des Orpheus, daß er die Schlüssel des Weltalls führe, gibt unsere bisherige Ausführung die Erklärung. Denn, wie wir gezeigt haben, bringt das allen eingeborene Verlangen, die eigene Vollkommenheit auszubreiten, die verborgene innere Fruchtbarkeit eines jeden zur Entfaltung, indem es die Samen auszukeimen nötigt und die Kräfte jedes einzelnen entwickelt und wie mit gewissen Schlüsseln die Empfängnis der Leibesfrucht bewirkt und diese an das Tageslicht fördert. Darum halten alle Teile der Welt, weil sie Werke eines Künstlers und als Glieder eines und desselben Triebwerkes in Sein und Leben gleichartig sind, in gegenseitiger Liebe zusammen.143 Somit kann man mit Recht die Liebe als das unvergängliche verknüpfende Band144 der Welt, die unbeweg-



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lich ruhende Stütze aller ihrer Teile und die unerschütterliche Grundlage des gesamten Triebwerkes bezeichnen. 4. K apitel Kein Teil der Welt ist dem anderen feindlich. Demnach können die Glieder dieses Werkes keine Feindschaft gegeneinander hegen. Das Feuer flieht nämlich das Wasser keineswegs aus Haß gegen dieses, sondern aus Eigenliebe, um nicht durch die Kälte des Wassers ausgelöscht zu werden. Ebensowenig löscht das Wasser das Feuer aus Feindschaft gegen dieses aus, sondern aus Liebe zum Verbreiten der eigene Kälte möchte es aus der Materie des Feuers ihm selbst gleichartiges Wasser hervorbringen. Da nämlich jeder natürliche Trieb auf das Gute und keiner auf das Böse gerichtet ist,145 bezweckt das Feuer nicht, das Wasser auszulöschen, was böse wäre, sondern ihm selbst gleichartiges Wasser zu erzeugen, also Gutes. Wenn es das ohne Schaden des Feuers ausführen könnte, würde es das Feuer nicht auslöschen. Ebenso verhält es sich mit den übrigen Dingen, die einander widerstrebend und feindlich erscheinen. Das Lamm haßt weder das Leben noch die Gestalt des Wolfes, sondern seine eigene Vernichtung, die mit dem Wolf kommt, und der Wolf frißt das Lamm nicht aus Haß, sondern aus Eigenliebe. Der Mensch verabscheut nicht den anderen Menschen, sondern dessen Fehler;146 und wenn wir gegen Mächtigere und Scharfsinnigere von Neid erfüllt sind, entspringt das nicht aus Gehässigkeit gegen sie, sondern aus Eigenliebe, nämlich aus der Sorge, ihnen zu unterliegen. Darum ist es uns unverwehrt, zu behaupten, daß Eros in allen Dingen herrscht und alles durchdringt. Diesen großen Gott also müssen wir, weil er an jedem Ort und in allen Dingen ist, als einen mächtigen Herrscher fürchten, dessen Macht wir uns nicht entziehen können, und als

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Dritte Rede

einen höchst weisen Richter, dem unsere Gedanken nicht verborgen sind. Ferner müssen wir ihn als Schöpfer und Erhalter des Alls wie unseren Vater verehren und als Beschirmer und Zuflucht hochhalten; als Lehrer aller Künste müssen wir ihm Folge leisten. Durch ihn als Schöpfer sind und leben wir;147 weil er unser Erhalter ist, haben wir Bestand; von ihm als Lehrmeister werden wir unterwiesen und angeleitet, gut und glücklich zu leben.

VIERTE REDE

1. K apitel Auslegung des Texts Platons über die ursprüngliche Natur der Menschen Mit diesen Worten schloß unser Freund seine Rede. An seine Stelle trat Cristoforo Landino, ein Mann von hervorragender Bildung, der in unserer Zeit als vorzüglicher orphischer und platonischer Dichter bekannt geworden ist. Er schloß sich mit der Erklärung der dunklen und verwickelten Aussage des Aristophanes an seinen Vorgänger folgendermaßen an :148 Zwar hat uns Giovanni Cavalcanti durch seine eingehende Erörterung zum Teil der Mühe einer ausführlichen Abhandlung enthoben. Trotzdem aber erfordert der Gedankengang des Aristophanes, weil dunkle Wendungen ihn schwer verständlich machen, eine besondere Erklärung und Beleuchtung. Aristophanes führt aus : Vor allen übrigen Göttern ist Eros dem Menschengeschlecht ein Wohltäter, Helfer, Beschirmer und Arzt. Zunächst ist zu berichten, wie die Natur der Menschen ursprünglich beschaffen war und welche Leidenschaften sie hatten. Sie waren nämlich damals keineswegs so wie heute, sondern ganz verschieden. Ursprünglich gab es bei den Menschen drei Geschlechter : nicht nur wie jetzt das männ­ liche und weibliche, sondern auch ein drittes, aus beiden zusammengesetztes. Ganz war die Gestalt des Menschen und rund; sein Rücken bildete zusammen mit den Seiten einen Kreis, vier Arme hatte er und ebenso vier Beine und dazu auf dem wohlgerundeten Halse zwei sich gleichende Gesichter. Das männliche Geschlecht entstammte der Sonne,149 das weibliche der Erde, das gemischte dem Mond. Sie waren da-

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Vierte Rede

her hochfahrenden Sinnes und besaßen große Körperkraft. Daher begannen sie, gegen die Götter zu kämpfen und zum Himmel aufzusteigen. Zeus aber zerschnitt sie, einen jeden der Länge nach, und machte aus je einem von ihnen zwei, wie man ein hartgekochtes Ei der Länge nach mit einem Haar zerteilt. Zugleich drohte er ihnen an, sollten sie sich wiederum in Hochmut gegen die Gottheit auflehnen, so würde er sie noch einmal in gleicher Weise zersägen. Nachdem nun die Menschennatur dergestalt geteilt war, suchte ein jeder seine Hälfte. Darum eilten sie zusammen, umschlangen einander mit den Armen und umklammerten sich in dem Bestreben, ihren früheren Zustand wiederherzustellen. Zweifellos wären sie durch Hunger und Erschöpfung zugrunde gegangen, wenn Zeus für diese Art der Vereinigung nicht Maß und Ziel gefunden hätte. So ist die gegenseitige Liebe der Menschen zwecks Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes entstanden, aus dem Bestreben nämlich, zwei zu einem zu verbinden und die Menschennatur zu heilen. Jeder von uns ist nur ein halber Mensch, gleichsam durchgeschnitten wie die Fische, die man Butten150 nennt. Von diesen bleibt, wenn man sie genau der Länge nach mitten durchschneidet, jede Hälfte am Leben, so daß aus einem Fisch zwei werden. Jeder Mensch sucht nun seine andere Hälfte, und wenn er – gleich zu welchem Geschlecht er sich hingezogen fühlt – dieser seiner Hälfte begegnet, so erregt er sich gewaltig, entbrennt in heißer Liebesglut und möchte sich keinen Augenblick mehr von ihr trennen. Dieses Verlangen also, die ur­sprüngliche Ganzheit wiederherzustellen, wird Liebe genannt. Sie ist uns für die Gegenwart sehr hilfreich, indem sie jeden zu seiner anderen Hälfte, die ihm über alles teuer ist, zurückführt und für die Zukunft uns allerbeste Hoffnung bietet, daß Gott, wenn wir ihm die rechte Ehre erweisen, uns in der ursprünglichen Gestalt wiederherstellen und uns zugleich mit der Heilung die ewige Seligkeit verleihen wird.



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2. K apitel Erklärung der Anschauung Platons über die ursprüngliche Gestalt des Menschen Dies und viele andere ungeheuerliche Dinge151 berichtet Aristophanes, und wir müssen annehmen, daß dahinter, gleichsam unter einem Schleier, göttliche Geheimnisse verborgen sind. Die antiken Theologen pflegten ihre heiligen Geheimnisse,152 damit sie nicht von Unberufenen entweiht würden, unter dem Schatten von Bildern zu verhüllen. Wir bilden uns aber nicht ein, daß alle Einzelheiten, die in den soeben angeführten oder anderen Bildern vorkommen, genau zur Bedeutung gehören. Aurelius Augustinus153 sagt, man solle nicht denken, alles in den Bildern Ausgedachte habe eine Bedeutung, weil manches zwecks Anordnung des Stoffes und der Verknüpfung um des Bedeutsamen willen beigefügt ist. Die Erde zerteilt man nur mit der Pflugschar; um dies aber zu ermöglichen, bringt man am Pflug noch andere notwendige Teile an. Folgendes nun ist die Hauptsache dessen, was wir auseinanderzusetzen uns vorgenommen haben. Die Menschen hatten ursprünglich drei Geschlechter : das männliche, das weibliche und das zusammengesetzte. Sie waren Kinder der Sonne, der Erde und des Mondes. Sie waren damals noch in ihrer Vollständigkeit. Weil sie aber aus Hochmut sich Gott gleichstellen wollten, wurden sie in je zwei Stücke geteilt, und dies wird ihnen nochmals geschehen, wenn sie wiederum der Hochmut anwandeln sollte. Nach der Teilung fühlte sich jeder zu seiner anderen Hälfte hingezogen, um die Vollständigkeit wiederherzustellen. Wenn dies einmal in Erfüllung geht, dann wird das Menschengeschlecht selig sein. Gehen wir nun auf die Hauptpunkte ein ! Die Menschen, d. h. die Seelen der Menschen, sind ursprünglich, d. h. als sie von Gott geschaffen wurden, ungeteilt, denn die Seelen der Menschen sind mit zwei Lichtern ausgestat-

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Vierte Rede

tet, dem natürlichen und dem übernatürlichen,154 damit sie mit dem natürlichen das Gleichartige und Niedere, mit dem übernatürlichen das Höhere betrachten sollten. Sie wollten sich Gott gleichstellen, indem sie sich allein dem natürlichen Lichte zuwandten. Darum wurden sie geteilt, indem sie den übernatürlichen Lichtstrahl verloren, als sie dem natürlichen sich zuwandten, so daß sie sofort in die Körper hinabsanken. Sollten sie wiederum in Hochmut verfallen, so würden sie nochmals geteilt werden, das bedeutet : Sollten sie ihrem natürlichen Verstand allzusehr trauen, dann soll auch noch das natürliche Licht zum Teil erlöschen. Drei Geschlechter hatten sie; die männlichen Seelen stammten von der Sonne, die weiblichen von der Erde und die zusammengesetzten vom Mond; d. h. : den göttlichen Lichtstrahl empfingen einige Seelen entsprechend ihrer Tapferkeit,155 die männlich, andere entsprechend ihrer Mäßigung, die weiblich, und wieder andere entsprechend ihrer Gerechtigkeit, die gemischt ist. Diese drei Tugenden sind Töchter von drei Eigenschaften Gottes. Bei Gott heißen sie Sonne, Mond und Erde, bei uns männlich, weiblich und zusammengesetztes Geschlecht. Nach ihrer Teilung wurde die Hälfte zur Hälfte angezogen : Wenn die geteilten und in die Körper versenkten Seelen zu den Jahren der Reife gelangen, werden sie durch das natürliche Licht, also durch die ihnen gebliebene Seelenhälfte angeregt, das eingestrahlte göttliche Licht, das ihre andere Hälfte war und das sie durch ihren Fall eingebüßt haben, aus Eifer für die Wahrheit wieder zu erlangen. Haben sie es empfangen, so werden sie wieder vollständig und in der Anschauung Gottes selig. Dies wird nun das Thema unserer Ausführung sein.



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3. K apitel Der Mensch ist die Seele selbst,156 und die Seele ist unsterblich. Der Körper besteht aus Materie und Quantität. Der Materie eignet das Empfangen und der Quantität das Geteilt- und Ausgedehntsein. Empfangen und Teilung sind passive Zustände; folglich ist der Körper seinem Wesen nach nur dem Leiden und der Teilbarkeit unterworfen, so daß wenn es den Anschein hat, als komme ihm irgendeine Art Tätigkeit zu, dann ist der Körper dennoch nicht als solcher tätig, sondern insofern er eine quasi unkörperliche Kraft und Eigenschaft157innehat; so wie im Stoff des Feuers die Wärme, im Stoff des Wassers die Kälte und unserem Körper die Veranlagung158. Aus diesen Eigenschaften gehen die Tätigkeiten der Körper hervor, denn das Feuer wärmt nicht etwa, weil es Länge, Breite und Tiefe hätte, sondern weil es warm ist; auch erwärmt nicht das Feuer mehr, das am ausgedehntesten, sondern das am heißesten ist. Daraus nun, daß die Tätigkeit dank der Kräfte und Qualitäten wirkt und daß die Kräfte selbst und Qualitäten nicht aus Materie und Quantität bestehen, obwohl sie der Materie und der Quantität innewohnen, folgt, daß Leiden dem Körper zukommt und Tätigkeit zu etwas Unkörperlichem gehört. Die Kräfte sind Werkzeuge zur Tätigkeit, selbst jedoch nicht zum Wirken hinreichend, da sie nicht zu selbständigem Dasein hinreichend sind. Denn was sich in einem anderen befindet und sich selbst nicht zu tragen vermag, hängt ohne Zweifel von einem anderen ab. Darum müssen die Qualitäten, die notwendigerweise vom Körper getragen werden, überdies von einer höheren Substanz, die weder selbst ein Körper ist noch sich in einem Körper befindet, geschaffen und geleitet sein.159 So beschaffen ist nun die Seele, die dem Körper innewohnend sich selber trägt und dem Körper Qualität und Lebenskraft verleiht und mittels dieser wie mit Werk-

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Vierte Rede

zeugen im Körper und durch den Körper vielerlei Tätigkeiten ausübt. Daher sagt man wohl : Der Mensch zeugt, ernährt sich, wächst, läuft, steht, sitzt, redet, verfertigt Kunstwerke, empfindet, denkt. All das aber tut die Seele. Folglich ist die Seele der Mensch. Wenn wir also sagen : der Mensch zeugt, wächst und ernährt sich, dann ist es die Seele als Vater und Verfertiger des Körpers, der diesen erzeugt, nährt und fördert; und wenn wir sagen : der Mensch steht, sitzt, redet, dann stützt, biegt und bewegt die Seele die Körperteile; und wenn wir sagen : der Mensch verfertigt etwas und läuft, so streckt die Seele seine Hände aus und rührt seine Füße, wie sie es will. Wenn wir sagen : der Mensch nimmt wahr, dann erkennt die Seele mittels der Sinne, gleichsam wie durch Fenster und Öffnungen,160 die Körper draußen. Wenn wir aber sagen : der Mensch denkt, dann erfaßt die Seele durch sich selbst ohne körperliche Organe die Wahrheit. Die Seele also verrichtet alles das, was man dem Menschen zuschreibt, und der Körper verhält sich passiv. Somit ist allein die Seele der Mensch, und der Körper ist Werk und Werkzeug des Menschen, ganz besonders, weil die Seele ihre vorzüglichste Tätigkeit, nämlich das Denken, ohne körperliches Organ verrichtet. Sie denkt ja Unkörperliches, und durch den Körper ist nichts als Körperliches erkennbar. Weil also die Seele etwas durch sich selbst verrichtet, so besteht und lebt sie auch durch sich selbst. Es lebt ja ohne den Körper, was ohne ihn eine bestimmte Tätigkeit ausübt. Wenn nun die Seele durch sich selbst besteht, dann kommt ihr ein Sein zu, das nichts mit dem Körper gemeinsam hat; daher kann sie die Bezeichnung »Mensch« für sich allein ohne Gemeinschaft mit dem Körper in Anspruch nehmen. Da dieser Name jedem von uns sein ganzes Leben lang beigelegt wird – denn in jedem Lebensalter wird jeder »Mensch« genannt161 –, bezeichnet er also etwas beharrlich Bleibendes. Der Körper aber ist nichts Beharrliches,



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er ändert sich andauernd, indem er wächst und abnimmt und sich fortwährend auflöst und verändert bei abwechselndem Einfluß von Kälte und Wärme. Die Seele aber bleibt stets sich selbst gleich. Das beweist uns ihr unablässiges Forschen nach der Wahrheit, ihr beständiger Wille zum Guten und die dauernde Erhaltung des Gedächtnisses. Wer wird daher so töricht sein, daß er die Bezeichnung »Mensch«, die für uns unerschütterlich feststeht, eher dem ständig fließenden, immer veränderten Körper162 als der ganz beharrlichen Seele zuschriebe ? Hieraus geht wohl deutlich hervor, daß Aristophanes unter den »Menschen« nach Platonischem Sprachgebrauch unsere Seelen verstand. 4. K apitel Mit zwei Lichtern geschmückt wurde die Seele erschaffen. Warum sie mit den beiden Lichtern in den Körper hinabstieg.163 Sogleich nachdem sie von Gott geschaffen164 ist, wendet sich die Seele aus natürlichem Instinkt zu Gott als ihrem Erzeuger hin. Gleichwie das Feuer, sowie es von überirdischer Macht auf der Erde hervorgebracht ist, sogleich mit natür­ lichem Impetus aufwärts strebt, so daß die Seele, zu Gott hingewandt, von Gottes Strahlen erleuchtet wird. Dieser erste Lichtstrahl wird jedoch, wenn er in die Substanz der Seele, die an sich formlos war, einstrahlt, verdunkelt; der Fähigkeit der Seele entsprechend umgebildet, wird er ihr eigentümlich und natürlich. Durch ihn nun, der ihr gleichartig geworden ist, schaut sie sich selbst und was unter ihr steht, nämlich die Körper. Gott aber und anderes Höheres sieht sie nicht. Durch den ersten Lichtfunken Gott nähergebracht, empfängt die Seele noch ein anderes, helleres Licht, wodurch sie auch das Höhere erkennt. Sie besitzt also zwei Lichter : das natürliche oder angeborene und das göttliche oder eingestrahlte Licht,

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Vierte Rede

damit sie mit beiden zusammen, wie mit zwei Flügeln, zu der erhabenen Region den Flug nehmen kann.165 Würde sich die Seele stets des göttlichen Lichtes bedienen, wäre sie damit stets den göttlichen Dingen nahe. Dadurch wäre dann die Erde ohne vernunftbegabte Wesen. Die gött­liche Vorsehung hat jedoch bestimmt, daß die Seele ihrer selbst Herr ist166 und sich je nachdem beider Lichter oder auch nur eines von beiden bedienen kann. So kommt es, daß die Seele sich von Natur ihrem eigenen Licht zuwendet, das göttliche Licht außer acht läßt und dabei auf sich selbst und ihre eigenen Kräfte achtet, die auf die Lenkung des Körpers abzielen, und diese ihre Kräfte zum Auf bau der Körper anzuwenden wünscht. Durch dieses Verlangen beschwert, steigt die Seele nach der Lehre der Platoniker167 in die Körperwelt hinab, wo sie die Kräfte des Zeugens, der Bewegung und der Empfindung ausübt und durch ihre Gegenwart die Erde als unterste Region des Weltalls ziert. Auch dieser durfte die Vernunft nicht fehlen, auf daß kein Teil des Weltalls der Gegenwart vernunftbegabter Lebewesen entbehre, wie ja auch der Urheber des Alls, nach dessen Bilde es geschaffen ist, durchaus Vernunft ist. Es sank also unsere Seele in unseren Körper hinab, da sie, vom göttlichen Lichte ablassend, sich ausschließlich des eigenen Lichtes bediente und mit sich selbst zufrieden zu sein begann. Nur Gott allein, dem nichts mangelt und über dem nichts ist, kann sich auf sich selbst beschränken und sich selbst genügen. Insofern stellte die Seele sich Gott gleich, als sie sich auf sich selbst beschränken wollte, als ob sie nicht weniger als Gott sich selbst genügte.



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5. K apitel Die vielen Wege, auf denen die Seele zu Gott zurückkehrt Diese Anmaßung168 ist nach Aristophanes die Ursache, daß die Seele, die ursprünglich vollständig war, zerschnitten wurde, d. h. von den beiden Lichtern fortan sich nur des einen bediente und das andere aufgab. Darum tauchte sie in den Abgrund des Körpers wie in den Lethestrom, vergaß für eine Zeitlang sich selbst und wurde von Sinnlichkeit und Gelüsten wie von Häschern und Tyrannen fortgeschleppt. Nachdem aber der Körper herangewachsen ist und die Sinnesorgane geläutert sind, erhebt sie sich durch Bildung169 ein wenig. Da beginnt das natürliche Licht zu erstrahlen und sucht die Ordnung der natürlichen Dinge zu erforschen. Bei dieser Forschung wird sie sich bewußt, daß es einen weisen Baumeister des unermeßlichen Weltgebäudes170 gibt, und verlangt, ihn zu schauen und zu besitzen. Dieser Baumeister ist aber nur durch das übernatürliche Licht erkennbar. Daher wird der Geist durch das Forschen des eigenen Lichtes zum Wiedererlangen des übersinnlichen Lichtes angeregt. Diese Anregung und dieses Verlangen ist die wahre Liebe, durch dessen Führung die eine Hälfte des Menschen von Sehnsucht nach der anderen erfüllt wird. Denn das natürliche Licht als die eine Hälfte der Seele bemüht sich, das übersinnliche Licht, ihre andere Hälfte, die einst von uns verschmäht wurde, in uns wieder anzuzünden. Das meinte Platon, als er in dem Brief an König Dionysios171 schrieb : »Die menschliche Seele wünscht, das Wesen dieser Dinge zu erkennen, indem sie auf das ihr Verwandte sieht.« Als aber Gott sein Licht in die Seele einstrahlte, da richtete er es vor allem darauf ein, daß die Menschen von ihm zu der Seligkeit, die im Besitzen Gottes besteht,172 geführt würden. Vier Wege nun führen uns zu dieser hin : Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Mäßigung.173 Die Klugheit zeigt uns zunächst die Seligkeit, die drei übrigen Tugenden führen uns

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als drei Wege zu ihr hin. Gott bringt also in den verschiedenen Seelen seinen Lichtfunken dergestalt in das rechte Verhältnis, daß unter Führung der Klugheit die einen mit Hilfe der Tapferkeit, andere mit Hilfe der Gerechtigkeit, andere wiederum mit Hilfe in der Mäßigung zu ihrem Schöpfer zurückstreben. Die einen nämlich erdulden mittels dieser Gabe tapferen Mutes den Tod für die Religion, für das Vaterland, für die Erzeuger;174 einige führen ihren Lebenswandel mit solcher Gerechtigkeit, daß sie weder jemandem ein Unrecht antun noch auch ein solches, soweit es in ihrer Macht steht, zulassen; andere zähmen durch Fasten, Wachen und Anstrengungen ihre Leidenschaften. Auf drei Wegen also schreiten sie fort; aber demselben Ziel streben sie unter Führung der Klugheit zu, nämlich der Seligkeit. Diese drei Tugenden sind ja auch in der göttlichen Klugheit175 enthalten. Aus Verlangen nach ihnen streben die Seelen der Menschen, mit ihrer Hilfe entflammt, sie zu erlangen, in ihnen festzubleiben und sie dauernd zu besitzen. Die Tapferkeit bezeichnen wir bei den Menschen als männlich wegen der mit ihr verbundenen Stärke und Kühnheit, die Mäßigung wegen der Sanftmut und geringeren Begehrlichkeit als weiblich, die Gerechtigkeit als aus beiden Geschlechtern bestehend : Sie ist männlich, weil sie kein Unrecht zuläßt und böse Menschen strenger bestraft, weiblich, weil sie kein Unrecht tut. Da dem Männlichen das Geben, dem Weiblichen das Empfangen zukommt, so bezeichnen wir die Sonne, die ihr Licht von keinem empfängt und allen spendet, als männlich, den Mond wegen des Gebens und Nehmens176 als aus beiden Geschlechtern bestehend, weil er sein Licht von der Sonne empfängt und den Elementen mitteilt, und die Erde als weiblich, weil sie von allen empfängt und keinem mitteilt. Darum also bezeichnet man Sonne, Mond und Erde, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Mäßigkeit als männlichen, gemeinsamen und weiblichen Geschlechtes. Um nun Gott die vorzüg-



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lichste Benennung beizulegen, nennen wir diese Tugenden in ihm Sonne, Mond und Erde, bei uns männliches, gemeinsames und weibliches Geschlecht. Wir behaupten, daß denen das männliche Licht verliehen ist, die das übersinnliche Licht als Anlage zur Tapferkeit von der göttlichen Sonne empfangen haben, daß denen das gemeinsame Licht zuteil wurde, denen von Gottes Mond das Licht mit der Neigung zu Gerechtigkeit eingestrahlt worden ist, und das weibliche denen, die von der Erde Gottes die Gabe der Mäßigung empfingen. Indem wir uns aber dem natürlichen Lichte zuwandten, verschmähten wir das göttliche Licht; und deshalb gaben wir das eine auf und behielten das andere, verloren also die eine Hälfte von uns und behielten die andere. In einem bestimmten Lebens­ alter jedoch wünschen wir, vom natürlichen Lichte geleitet, das göttliche, wenn auch die einzelnen Menschen auf verschiedene Art vorgehen, um es zu erlangen. Mit Tapferkeit gehen die vor, die jenes von der Tapferkeit Gottes mit der Anlage zur Tapferkeit empfingen, andere in gleicher Weise mit Gerechtigkeit, andere mit Mäßigkeit. Kurz, ein jeder sucht seine Hälfte so, wie sie ihm ursprünglich zuteil wurde. Einige wollen durch das männliche Licht Gottes, das sie einst verloren, nun aber wiedergewannen, die männliche Tapferkeit Gottes genießen; andere suchen in gleicher Weise durch das gemeinsame Licht die gemeinschaftliche Tugend, andere wiederum ebenso die weibliche zu erlangen. So eine hohe Gabe erhalten die, die den natürlichen Lichtfunken, der ihnen im rechten Lebensalter aufleuchtete, für die Ergründung des Göttlichen für unzureichend hielten, so daß sie nicht etwa an der Hand des natürlichen Lichtes der göttlichen Majestät körperliche oder seelische Eigenschaften beilegen und sie etwa für nichts Edleres halten als die Körper und die Seelen. Hierin haben allerdings viele geirrt, die bei ihrem Forschen nach der Gottheit dem natürlichen Scharfsinn vertrauten und entweder Gottes Dasein leugneten wie Dia-

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goras177 oder bezweifelten wie Protagoras oder ihn für körperlich hielten wie die Epikureer, die Stoiker, die Kyrenaiker und viele andere oder erklärten, Gott sei eine Weltseele178, wie Marcus Varro und Marcus Manilius. Diese erlangten als Gottlose das ursprünglich verschmähte übersinnliche Licht nicht nur nicht wieder, sondern verdarben auch durch Mißbrauch das natürliche Licht. Was verdorben ist, gilt zu Recht als verstümmelt oder geteilt. Darum sind auch ihre Seelen, die hochmutsvoll und von Stolz aufgebläht179 auf ihre eigene Kraft bauten, wie Aristophanes sagte, nochmals geteilt worden. Durch falsche Anschauungen verdunkeln sie das natürliche Licht, welches ihnen noch geblieben ist, und löschen es durch entartete Sitten ganz aus. Rechten Gebrauch von ihm machen dagegen die, die wissen, wie armselig es ist, und es allenfalls für genügend zur Ergründung der natürlichen Dinge, zur Betrachtung des Übernatürlichen aber ein erhabeneres Licht für notwendig halten. Deshalb bereiten sie sich durch Reinigung ihres Geistes derart vor, daß das übersinnliche Licht wieder in ihnen leuchtet. Durch dessen Strahlen werden sie dann die rechte Gotteserkenntnis haben und in ihrer ursprünglichen Vollkommenheit wiederhergestellt werden. 6. K apitel Eros führt die Seelen wieder in den Himmel zurück, teilt die Grade der Seligkeit aus und verleiht ewige Freude. Diesen Gott also, vortreffliche Tischgenossen, von dem Aristophanes sagt, er sei vor allen anderen Göttern dem Menschengeschlecht wohlgesonnen, macht durch Opfer aller Art euch gnädig, ruft ihn in frommem Gebet an, nehmt ihn mit ganzem Herzen auf ! Durch seine Güte leitet er die Seelen zunächst zum himmlischen Mahl, das Überfluß von Ambrosia und Nektar bietet, d. i. von Ewigkeitsspeise und Ewigkeits-



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trank 180; dann weist er jedem einzelnen seinen ihm gebührenden Sitz an. Schließlich erhält er sie auf ewig in süßem Genuß, denn niemand geht wieder in den Himmel ein, der nicht dem König des Himmels wohlgefällt. Sein größtes Wohlgefallen aber findet, wer ihn am meisten liebt. In diesem Leben Gott wahrhaft zu erkennen ist ganz unmöglich; ihn aber wahrhaft zu lieben, auf welche Weise man ihn auch erkennen möge, ist möglich und leicht zu tun. Diejenigen, die Gott erkennen, haben noch nicht sein Wohlgefallen, wenn sie ihn nicht auch lieben. Die ihn erkennen und lieben, werden von Gott wieder geliebt, nicht weil sie ihn erkennen, sondern weil sie ihn lieben. Auch wir haben ja nicht die lieb, die uns kennen, sondern die uns lieben; denn viele, die uns kennen, haben wir zu Feinden. Was uns also in den Himmel zurückführt, ist nicht die Erkenntnis Gottes, sondern die Liebe. Darum werden auch die Rangstufen beim himmlischen Gastmahl nach den Graden der Liebenden bemessen. Somit genießen diejenigen, die Gott im höchsten Maße liebten, dort die köstlichsten Speisen. Denn die mittels ihrer Stärke die Stärke Gottes liebten, genießen eben diese. Die Gottes Gerechtigkeit liebten, genießen die Gerechtigkeit, und die göttliche Mäßigung genießen entsprechend, die göttliche Mäßigung liebten. So genießen die vielerlei Seelen die unterschiedlichen Ideen und Begriffe181 des göttlichen Geistes je nach dem verschiedenen Aufschwung, den ihnen die Liebe verlieh. Dabei genießen aber alle Gott ganz, weil er in jeder Idee ganz ist. Vorzüglicher jedoch besitzen diejenigen Gott ganz, die ihn in der vorzüglicheren Idee anschauen. Jeder genießt die Tugend Gottes, die er im Leben liebte. Darum ist, wie Platon im Phaidros182sagt, kein Neid im Chor der Seligen. Da es die höchste Freude ist, den geliebten Gegenstand zu besitzen, lebt jeder in vollkommener Zufriedenheit, wenn er besitzt, was er liebt. Genießt also von zwei Liebenden jeder den Gegenstand seiner Neigung, dann ist jeder im Besitze des

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Vierte Rede

seinen beruhigt und kümmert sich nicht darum, ob etwa der andere sich eines schöneren erfreut. Die Liebe bewirkt demnach, daß auf den verschiedenen Stufen der Seligkeit jeder einzelne neidlos zufrieden lebt. Ferner geschieht es durch die Liebe, daß die glücklichen Seelen sich ewig ohne Überdruß an denselben Speisen erquicken. Um Tischgenossen zu erfreuen, genügen weder Speisen noch Weine, wenn nicht Hunger und Durst zum Genuß einladen, und Genuß dauert so lange, wie Appetit183 bleibt. Appetit aber ist eben eine Art Liebe. Daher bewirkt die ewige Liebe, durch die der Geist ohne Unterlaß zu Gott entbrennt, daß der Geist unaufhörlich sich an Gott wie an etwas stets neuem erfreut. Diese Liebe wird allezeit durch dieselbe Güte Gottes entfacht, die den Liebenden selig macht. Drei Wohltaten des Eros haben wir also, kurzgefaßt, zu preisen. Erstens stellt er uns in unserer ursprünglichen Vollkommenheit wieder her, die wir bei unserer Teilung verloren haben, und führt uns in den Himmel zurück; zweitens weist er jedem seinen gebührenden Platz an und befriedigt alle bei dieser Verteilung; drittens hält er jeden Überdruß fern und entfacht in uns durch sein Brennen stets neues Wonnegefühl. So macht er unseren Geist in süßem Genuß selig.

FÜNFTE REDE

1. K apitel Eros ist höchst selig, weil er schön ist und gut. Carlo Marsupini, der würdige Schüler der Musen, löste Cristoforo Landino ab, indem er die Rede des Agathon folgendermaßen erläuterte. Unser Agathon erklärt den Eros für den seligsten Gott, weil er der schönste und beste ist. Er zählt auf, was zur höchsten Schönheit und zur höchsten Güte erforderlich ist. Mit dieser Aufzählung malt er den Liebesgott aus und, nachdem er erzählt hat, wer Eros ist, führt er die von ihm dem Menschengeschlechte erwiesenen Wohltaten auf. Das ist der Inhalt seiner Erörterung. Unsere Aufgabe aber ist es zunächst, zu untersuchen, aus welchem Grunde er Eros, um ihn als selig aufzuzeigen, für sehr schön und gut erklärt, und dann den Unterschied zwischen Güte und Schönheit festzustellen. Platon bestimmt im Philebos,184 daß glücklich ist, dem nichts mangelt, und das ist auch, was allseitig vollkommen ist. Es gibt nämlich eine innere und eine äußere Vollkommenheit : Die innere nennen wir Güte, die äußere Schönheit. Was aber in jeder Hinsicht gut und schön ist, insofern es allenthalben vollkommen ist, nennen wir im höchsten Maße glückselig. Diesen Unterschied sehen wir in allen Dingen. So erzeugt nach Ansicht der Naturkundigen in den Edelsteinen die wohlabgestimmte innere Mischung der vier Elemente den angenehmen äußeren Glanz. Auch den Kräutern und Bäumen verleiht die den Wurzeln und dem Mark innewohnende Fruchtbarkeit die mannigfaltige Pracht der Blüten und Blätter. Bei Tieren bringt die gesunde Anlage der Säfte die ansprechende Erscheinung185 der Färbung und der Züge hervor.

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Fünfte Rede

Die Fähigkeit des Geistes zeigt nach außen einen gewissen ehrenvollen Schmuck der Rede, der Gebärden und Handlungen. Auch die Himmelssphären umstrahlt deren erhabene Substanz mit hellstem Licht. Bei allen diesen Dingen bringt die innere Vollkommenheit die äußere hervor, und zwar bezeichnen wir jene als Güte, diese als Schönheit. Eben darum gilt uns die Schönheit als der Blütenschmuck 186 der Güte. Durch den Reiz dieser Blüte lockt die innen verborgene Güte gleichsam wie durch einen Köder187 die Beschauer. Weil nun unsere Vernunfterkenntnis mit den Sinnen beginnt, würden wir niemals die in den Dingen verborgene Güte wahrnehmen und erstreben, wenn wir nicht durch die Merkmale der äußeren Schönheit zu ihr hingeleitet würden. Darin eben zeigt sich die wunderbare Förderlichkeit der Schönheit und des Eros, ihres Begleiters. Nach meiner Meinung ist nun hinreichend dargelegt, daß zwischen Güte und Schönheit der gleiche Unterschied besteht wie zwischen Samen und Blüte. Wie die Blüten, die ja aus dem Samen der Bäume entsprossen sind, wiederum Samen hervorbringen, so leitet die Schönheit als Blütenkranz der Güte, wie sie aus dem Guten entspringt, die Liebenden auch zum Guten zurück. Dies hat unser Giovanni188 in seinem Vortrag hinreichend behandelt. 2. K apitel Über die Arten, den Eros darzustellen, und die Seelenvermögen, durch die Schönheit erkannt und Liebe hervorgerufen wird Danach zählt Agathon ausführlich auf, was zur schönen Erscheinung des Liebesgottes erforderlich ist. Eros, sagt er, ist »jugendlich, zart, gewandt, ebenmäßig und von blühender Schönheit.«189 Unsere Aufgabe ist nun, zu bestimmen, was diese Eigenschaften zur Schönheit beitragen, und ferner, zu



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erklären, in welchem Sinne sie dem Liebesgotte zukommen. Dem Menschen eignet Sinn und Verstand. Der Verstand begreift aus eigenem Vermögen die unkörperlichen Begriffe aller Dinge.190 Der Sinn nimmt durch die fünf Sinne seines Körpers die Erscheinungen und Eigenschaften der Körper wahr : die Farben durch die Augen, mittels der Ohren die Töne, die Gerüche durch die Nase, mit der Zunge den Geschmack, durch die Nerven die einfachen Eigenschaften der Elemente, wie Kälte, Wärme und andere mehr. Sechs Seelenvermögen191 werden also der Erkenntnis zugeschrieben : Verstand, Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Tastsinn. Der Verstand entspricht Gott, das Gesicht dem Feuer, das Gehör der Luft, der Geruchsinn dem Duft, der Geschmack dem Wasser und der Tastsinn der Erde. Denn der Verstand erforscht das Himmlische und hat seinen Sitz in keinem bestimmten Körperteil192 , ebensowenig wie die Gottheit in einem bestimmten Teile der Welt eingeschlossen ist. Der Gesichtssinn, d. h. die Sehkraft, ist im obersten Teile des Körpers lokalisiert wie das Feuer in der obersten Region des Weltalls und nimmt seiner Natur nach das Licht auf, das dem Feuer eigen ist. Auf das Gesicht folgt das Gehör, gerade wie die reine Luft auf das Feuer, und nimmt die Töne wahr, die sich durch die Brechung der Luft fortpflanzen und mittels der Luft in das Ohr eindringen. Der Geruchssinn ist der trüben Luft und den Dünsten, die aus einer Mischung von Luft und Wasser bestehen, zugehörig, weil er zwischen den Ohren und der Zunge wie zwischen Luft und Wasser lokalisiert ist und leicht und gerne Dünste aufnimmt, die aus der Mischung von Luft und Wasser entstehen, als da sind die Düfte von Kräutern, Blumen und Früchten, die der Nase überaus angenehm sind. Wer zögert, den Geschmack mit dem Wasser in Beziehung zu setzen, der auf den Geruchssinn wie auf eine dunstige Luft folgt, stets in der Flüssigkeit des Speichels schwimmt und sich besonders an Getränken und feuchten Aromen erfreut ? Wer

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zweifelt, daß man den Tastsinn der Erde zuweist, da er sich in allen Teilen des Körpers befindet, der ja aus Erde besteht, und das Tastgefühl in den Nerven193, die sehr erdartig sind, zustande kommt und vorzüglich die Gegenstände wahrnimmt, die Festigkeit und Schwere haben, was die Erde den Körpern mitgibt. Daher kommt es, daß der Tastsinn, der Geschmack und Geruch nur in ihrer unmittelbaren Nähe Befindliches wahrnehmen und beim Wahrnehmen entsprechend leiden, obwohl der Geruch Entfernteres wahrnimmt als Geschmack und Tastsinn. Das Gehör aber nimmt aus noch größerer Entfernung wahr und wird nicht so stark getroffen. Der Gesichtssinn wirkt auf noch größere Entfernung und tut in einem Augenblick, wozu das Gehör Zeit braucht; denn man sieht den Blitz, ehe man den Donner hört. Der Verstand erfaßt das Entfernteste, nämlich nicht nur was in der Welt gegenwärtig und sinnlich ist, sondern auch das jenseits des Himmels und das Vergangene und Zukünftige. Aus alledem geht hervor, daß von den sechs Vermögen der Seele drei dem Körper und der Materie angehören, nämlich der Tastsinn, der Geschmack und der Geruch, und drei dem Geist, nämlich der Verstand, das Gesicht und das Gehör. Die drei nun, die mehr zum Körper hinneigen, passen mehr zum Körper als zur Seele; und was sie wahrnehmen, dringt, da es ja nur den ihnen entsprechenden Körper bewegt, kaum bis zur Seele durch und, weil ihr wenig ähnlich ist, gefällt es ihr wenig. Dagegen stimmen die drei höheren Vermögen, die der Materie ganz fern stehen, viel mehr mit der Seele überein und fassen das auf, was weniger auf den Körper, sondern entsprechend auf die Seele sehr stark einwirkt. Zweifellos bringen die Gerüche, die Aromen, die Wärme und ähnliche Qualitäten dem Körper beträchtlichen Nutzen oder Schaden; auf Wahrnehmung und Urteilskraft der Seele dagegen machen sie wenig Eindruck und erregen nur mäßig ihr Verlangen. Umgekehrt aber beeinflussen der Verstand der unkörperlichen



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Wahrheit, die Farben, Gestalten und Töne, wenig oder kaum den Körper; jedoch schärfen sie die Seele am meisten für das Forschen und reißen ihr Streben an sich. Die Nahrung der Seele ist die Wahrheit. Sie zu finden, dienen die Augen; sie zu lernen, die Ohren. Daher strebt die Seele nach dem, was Verstand, Gesicht und Gehör angeht, um ihrer selbst willen als nach ihrer Nahrung. Was hingegen auf die drei übrigen Sinne einwirkt, ist vielmehr zur Stärkung, Ernährung und Erzeugung des Körpers notwendig. Folglich sucht die Seele sie nicht um ihrer selbst, sondern um eines anderen, nämlich des Körpers willen, auf. Wir sind der Meinung : Die Menschen lieben das, was sie um ihrer selbst willen194 begehren; was sie aber um eines anderen willen erstreben, lieben sie nicht im eigentlichen Sinne. Demnach behaupten wir mit Recht, daß die Liebe ausschließlich zu den Wissenschaften, den Gestalten und den Tönen gehört. Darum wird auch allein der Liebreiz, der sich in diesen drei, nämlich dem geistigen Vermögen, den Gestalten und den Tönen findet, weil er am meisten die Seele anruft, als »kallos« bezeichnet, was Anrufung bedeutet – es stammt nämlich von dem Verb195 »kaleo«, »anrufen« –; das griechische »kallos« aber bedeutet »Schönheit«. Liebenswert erscheint uns der wahre und beste Charakter der Seele, liebenswert die schöne Gestalt des Körpers, liebenswert der Zusammenklang der Töne. Da die Seele diese drei Qualitäten als etwas ihm Anstehendes und sozusagen Unkörperliches höher als die drei übrigen schätzt, so ist es natürlich, daß sie begieriger nach ihnen verlangt, mit höherer Inbrunst sie ergreift und mit größerer Hingebung sie bewundert. Dieser Liebreiz der Tugend, der Gestalt oder Stimme, der die Seele durch Verstand, Gesicht und Gehör zu sich hinruft und hinzieht, wird sehr mit Recht Schönheit genannt. Dies sind die drei Grazien, die Orpheus196 so besingt : »Licht­ glanz, Jugendblüte und überschäumender Frohsinn«. Licht-

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glanz nennt er den Liebreiz und die Schönheit der Seele, die in der Klarheit des Wissens und der Tugend leuchtet. Jugendblüte, eigentlich »grünendes Blühen«, nennt er die Anmut von Gestalt und Farbe, weil diese hauptsächlich in der grünenden Jugend blüht. Mit Frohsinn meint er jene echte, heilsame und dauernde Freude, die uns die Musik verleiht. 3. K apitel Die Schönheit ist etwas Unkörperliches.197 Nach alledem muß die Schönheit etwas der Tugend, den Gestalten und Tönen Gemeinsames sein. Wir würden nicht alle drei als schön bezeichnet, gälte nicht für alle zusammen eine gemeinsame Definition von Schönheit. Daraus geht hervor, daß der Begriff der Schönheit kein Körper sein kann. Denn wäre sie körperlich, dann würde sie nicht den Tugenden der Seele zukommen, die ja unkörperlich sind. Die Körperlichkeit ist sogar so weit von der Schönheit entfernt, daß nicht nur die Schönheit, die in den Tugenden der Seele ist, sondern die in den Körpern und den Tönen nicht körperlich sein kann. Wenn wir auch manche Körper als schön bezeichnen, so sind sie doch nicht ihres Stoffes wegen schön. Denn ein und derselbe menschliche Körper ist wohl heute schön, morgen aber vielleicht durch einen Unfall häßlich; es muß also ein Unterschied zwischen Körpersein und Schönsein bestehen. Auch sind die Körper nicht durch ihre Größe schön;198 denn große wie kleine Körper können als schön erscheinen; je nachdem können die großen mißgestaltet und die kleinen schön und umgekehrt die kleinen häßlich und die großen sehr wohlgestaltet sein. Oft trifft es auch zu, daß bei großen und kleinen Körpern die Schönheit die gleiche ist. Wenn also öfters bei gleichbleibender Quantität die Schönheit durch einen Zufall sich ändert und bei wechselnder Größe die Schönheit gleich



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bleibt, dazu auch bei großen und kleinen Körpern gleich erscheint, so müssen deshalb ganz gewiß Schönheit und Quantität etwas durchaus Verschiedenartiges sein. Wenn nun auch die Schönheit eines jeden Körpers in seinem gewissermaßen körperlichen Umfang bestände, so würde sie dennoch dem Beschauer nicht gefallen, insofern sie körperlich ist. Denn der Seele gefällt nicht die Erscheinung einer Person im Hinblick auf den äußerlichen Stoff, sondern insofern deren Abbild durch den Gesichtssinn von der Seele aufgenommen und erfaßt wird. Das Abbild im Sehen und in der Seele kann, da beide unkörperlich sind, nicht körperlich sein. Wie könnte wohl die kleine Pupille des Auges den großen Himmelsraum in sich aufnehmen, wenn das in körperlicher Weise geschähe ? Ganz und gar nicht. Der Geist aber nimmt in einem Punkt den ganzen Umfang eines Körpers in geistiger Weise als unkörper­ liches Abbild auf. Er findet nur Gefallen an der Erscheinung, die er erfaßt; und wenn diese auch das Abbild eines Körpers der Außenwelt ist, so ist sie nichtsdestoweniger in der Seele unkörperlich. Die unkörperliche Form ist es also, die gefällt; was gefällt, ist liebenswert; das Liebenswerte ist schön. Daraus folgt, daß die Liebe sich auf etwas Unkörperliches bezieht und daß die Schönheit selbst viel mehr eine geistige Ähnlichkeit199 eines Dinges als eine körperliche Erscheinung ist. Einige sind der Meinung,200 die Schönheit bestehe in einer bestimmten Anordnung oder in einem Maßverhältnis und in der Proportion sämtlicher Glieder, zusammen mit zarter Abtönung der Farben. Dieser Ansicht pflichten wir deshalb nicht bei, weil eine derartige Anordnung der Teile nur bei zusammengesetzten Gegenständen möglich ist, und demnach nichts Einfaches schön sein könnte. Wir sehen jedoch, daß reine Farben, Lichtstrahlen, eine einzelne Stimme, ein Funkeln des Goldes und das Glänzen des Silbers, die Wissenschaft, die Seele, der Geist und Gott,201 die alle einfach sind, schön sind, und wir erfreuen uns sehr daran als an etwas sehr Schönem.

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Ferner umfaßt jene Proportion alle Glieder des zusammengesetzten Körpers, so daß es nicht in einem einzelnen Glied für sich, sondern in allen zusammen besteht. Die einzelnen Körperteile für sich können demnach nicht schön sein. Jedoch beruht das Ebenmaß der ganzen Zusammensetzung auf den Teilen. Hieraus ginge nun eine Ungereimtheit hervor, indem nämlich Dinge, die an sich selbst nicht schön sind, die Schönheit gebären sollten. Zuweilen kommt es auch vor, daß das Maß und Verhältnis der Glieder das gleiche bleibt und dennoch der Körper nicht mehr das gleiche Wohlgefallen erregt wie zuvor. Heute ist wohl die Gestalt eures Leibes dieselbe wie vor einem Jahre, aber der Liebreiz ist nicht mehr der gleiche. Nichts altert später als die Gestalt, und nichts schwindet früher hin als der Liebreiz. Darum sind offenbar Gestalt und Schönheit nicht ein und dasselbe. Oft bemerken wir auch an einem Gegenstand eine regelmäßigere Anordnung und Abmessung der Teile als an einem anderen, und trotzdem – wir wissen die Ursache nicht – hält man letzteren für wohlgestalteter und liebt ihn leidenschaftlicher. Das ermahnt uns, die Schönheit in etwas anderem zu sehen als in der Anordnung der Glieder. Das gleiche Argument lehrt uns, nicht zu mutmaßen, die Schönheit bestehe in der zarten Abtönung der Farben. Denn häufig ist bei einem alten Individuum die Farbe lichter, und doch ist bei einem jungen der Liebreiz größer. Auch bei Gleichaltrigen kommt es öfters vor, daß der eine gegenüber dem anderen in der Farbe den Vorzug besitzt, ihm aber sonst an Liebreiz und Schönheit nachsteht. Daher vermesse sich niemand zu behaupten, die Schönheit bestehe in einer Vereinigung von Gestalt und Farbe ! Denn dann wären weder die Wissenschaften noch die Töne, die ja der Gestalt und der Farbe entbehren und ebensowenig die Farben und Lichtstrahlen, denen die bestimmte Gestalt abgeht, liebenswert. Zudem ist die Begierde eines jeden befriedigt, wenn er besitzt, was er



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begehrte. So sind Hunger und Durst durch Speise und Trank zu stillen. Die Liebe hingegen ist weder durch Anblick noch durch körperliche Berührung zu befriedigen; sie sucht also keine Körpernatur, sondern sucht allein die Schönheit. Daraus folgt, daß diese nichts Körperliches sein kann. Aus alledem folgt,202 daß die, welche von Liebe entbrannt nach Schönheit dürsten, – wenn sie denn mit dem daraus geschöpften Saft den brennenden Durst löschen wollen – anderswo als im Strom der Materie oder irgendwelchen Rinnsalen der Größe, Gestalt oder Farbe das süße Naß dieser Schönheit suchen müssen, durch das ihr Durst entbrennt. Arme Liebende, wohin werdet ihr euch wenden ? Wer hat die glühenden Flammen in euren Herzen entzündet ? Wer wird den gewaltigen Brand löschen ? Hierin besteht das große Werk, hierin die Aufgabe.203 Ich will es euch sagen. Doch gebt acht ! 4. K apitel Die Schönheit ist der Lichtglanz des Angesichtes Gottes. Die alles überragende göttliche Macht gießt dem Weltall, den Engeln und den von ihr geschaffenen Seelen, gleichsam als ihren Kindern, diesen ihren Lichtstrahl gnädig ein, dem die fruchtbare Kraft eigen ist, alles zu erschaffen. Dieser göttliche Lichtstrahl stellt in ihnen, weil sie Gott näher sind, die Ordnung und das Gefüge des ganzen Weltalls viel deutlicher dar als in der Weltmaterie. Daher ist auch die Abbildung des Weltalls, die wir vollständig sehen, in den Engeln und den Seelen bedeutend ausdrucksvoller als vor den Augen.204 In ihnen befindet sich das Bild einer jeden Sphäre, der Sonne, des Mondes, der Gestirne, der Elemente, der Steine, Bäume und Lebe­wesen. Diese Bilder heißen205 in den Engeln Urbilder oder Ideen, in den Seelen Verstandesbegriffe und Vorstellungen, in der Materie Abbilder und Formen. Diese Darstellungen treten deutlich

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in der Welt zutage, deutlicher in der Seele, am deutlichsten aber im Engel. Ein und dasselbe Angesicht Gottes strahlt also aus drei der Reihe nach aufgestellten Spiegeln206 zurück : aus dem Engel, der Weltseele und dem Weltkörper, und zwar aus dem ersten als dem nächsten am deutlichsten, aus dem zweiten, entfernteren weniger deutlich und aus dem dritten als dem entferntesten sehr unklar, verglichen mit den anderen207. Der heilige Engelsgeist spiegelt sich, von keinem körperlichen Dienste behindert, in sich selbst wieder und schaut, in seinem Inneren ausgeprägt, das Angesicht Gottes, schaut es mit Staunen, und staunend vereint er sich ihm mit großer Inbrunst auf ewig. Diesen Liebreiz des göttlichen Angesichts nennen wir Schönheit, und Liebe die Inbrunst des Engels, die ganz am Angesicht Gottes haftet. Wollte Gott, liebe Freunde, daß auch uns so geschähe ! Doch unsere Seele neigt sich, da sie mit der Beschränkung geschaffen ist, daß sie vom irdischen Leib umgeben ist, dem Dienste des Körpers208 zu. Beschwert von dieser Neigung, vergißt sie den Schatz, den sie in ihrem Busen birgt. In den Erdenleib verstrickt, dient sie lange Zeit dem Körper und paßt ihren Sinn an diese Arbeit an, ja sogar den Verstand paßt sie öfter als nötig an. Daher kommt es, daß die Seele nicht eher zu dem Licht des göttlichen Angesichts, das immer in ihr strahlt, aufschaut, als bis der Körper ausgewachsen ist und der Verstand erwacht, mit dem sie Gottes Angesicht zu betrachten vermag, wie es sichtbar im Triebwerk der Welt sich spiegelt. Durch diese Betrachtung erhebt sie sich zur Anschauung des Angesichtes Gottes, das in ihrem Inneren erstrahlt. Weil nun das Antlitz des Vaters den Kindern teuer ist, so muß das Angesicht Gottes, des Vaters, den Seelen überaus liebenswert sein. Den Glanz und den Liebreiz dieses Angesichtes muß man, ob er nun im Engel, in der Seele oder in der Weltmaterie ist, als die universale Schönheit bezeichnen, und das Verlangen, das sich darauf richtet, ist die allumfassende Liebe.



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Wir zweifeln nicht daran, daß diese Schönheit unkörperlich ist; denn im Engel und in der Seele ist sie offenbar nicht körperlich, und zudem haben wir ja eben dargetan, daß sie auch in den Körpern unkörperlich ist. Nun können wir verstehen, daß das Auge209 nichts anderes sieht als das Licht der Sonne, weil die Gestalten und Farben der Körper, nur wenn sie vom Licht beleuchtet sind, wahrgenommen werden können. Sie berühren nicht mit ihrer Materie das Auge, und trotzdem scheint es, als müßten sie sich in den Augen befinden, um von diesen gesehen zu werden. Das eine Sonnenlicht also stellt sich, ausgeschmückt mit den Farben und Gestalten aller Körper, auf die es fällt, den Augen dar. Diese nehmen mittels eines ihnen eigentümlichen Strahles das so beschaffene Sonnenlicht auf und sehen dadurch das Licht selbst mit allem, was in ihm sich darstellt. Daher nehmen wir die ganze Beschaffenheit der sichtbaren Welt nicht so, wie sie in der Materie der Körper besteht, wahr, sondern so, wie sie in dem Licht, das in die Augen einströmt, erscheint. In diesem Lichte ist sie, weil von der Materie abgesondert, notwendig körperlos. Daß dieses Licht kein Körper sein kann, ist schon dadurch offenbar, daß es ja in einem Augenblick von Osten bis Westen fast die ganze Welt erfüllt, in jeder Richtung die Körper der Luft und des Wassers widerstandslos durchdringt und sich sogar über Unrat ausbreitet, ohne sich zu verunreinigen. Diese Eigenschaften sind mit der Natur des Körpers unvereinbar, denn der Körper bewegt sich nicht im Augenblick, sondern in der Zeit; auch durchdringt kein Körper den anderen ohne Verletzung seiner selbst oder des anderen oder beider. Ferner trüben sich zwei Körper, wenn sie sich vermischen, bei ihrer gegenseitigen Berührung, wie wir dies bei der Vermengung von Wasser und Wein, Feuer und Erde beobachten. Also ist das Sonnenlicht unkörperlich und nimmt die Gegenstände nur ihrem Wesen entsprechend auf. Die Farben und Formen der Körper nimmt es mithin in geistiger Weise auf, und in

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gleicher Weise von den Augen aufgenommen, sieht man es. So kommt es, daß diese ganze Herrlichkeit der Welt, das dritte Angesicht Gottes, durch das Sonnenlicht sich den Augen unkörperlich darstellt. 5. K apitel Wie Liebe und Haß entstehen; das unkörperliche Wesen der Schönheit Aus alledem folgt, daß aller Liebreiz des göttlichen Angesichtes, der als universale Schönheit bezeichnet wird, nicht nur im Engel und der Seele, sondern auch im Anblick der Augen unkörperlich ist. Nicht nur im Ganzen zusammen lieben wir, von Bewunderung erfüllt, dieses Angesicht, sondern auch seine Teile. Hieraus entspringt einzelne Liebe zu einzelner Schönheit. So fassen wir Zuneigung zu einem bestimmten Menschen als einem Glied der Weltordnung, besonders wenn in ihm der Funke des göttlichen Schmuckes deutlich aufleuchtet. Diese Neigung entspringt aus zwei Ursachen : einmal, weil das Abbild des väterlichen Angesichtes uns wohlgefällt, zweitens, weil die Form und Gestalt des wohlgestalteten Menschen passend mit dem Typus210 oder Begriff des mensch­l ichen Geschlechtes übereinstimmt, den unsere Seele vom Urheber des All empfangen hat und in sich bewahrt. Das äußere Bild des Menschen, sobald es, durch die Sinne wahrgenommen, in die Seele eingeht, mißfällt sofort und erregt Haß, weil es häßlich ist, insofern es mit der Gestalt, die die Seele von Anbeginn in sich trägt, nicht übereinstimmt. Entspricht es ihr aber, dann gefällt es und, weil es schön ist, liebt man es. Daher kommt es, daß einige uns bei der ersten Begegnung sogleich gefallen oder mißfallen, ohne daß wir uns des Grundes dieser Empfindung bewußt sind. Wenn die Seele durch den Dienst am Körper behindert ist, blickt sie nicht auf die ihr von Natur innewohnenden Formen hin; vielmehr ergibt es sich



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durch natürliche verborgene Harmonie oder Disharmonie, daß, wenn die Form des äußerlichen Gegenstandes mit ihrem Abbild auf die Form Gegenstandes, der in der Seele abgebildet ist, trifft, sie mit dieser übereinstimmt oder nicht, und infolge dieser verborgenen Ablehnung oder Anziehung wird die Seele dazu bewegt, die Sache zu hassen oder zu lieben. Jener göttliche Lichtstrahl, den wir vorhin erwähnten, gab dem Engel und der Seele die zur Erschaffung bestimmte ganze Gestalt des Menschen ein; in der Weltmaterie jedoch, die vom göttlichen Bildner am weitesten entfernt ist, fällt die Beschaffenheit des Menschen von der Vollkommenheit ihrer ganzheitlichen Gestalt ab. Allerdings gerät sie ihr, je nachdem der Stoff besser oder geringer geartet ist, mehr oder weniger ähnlich. Im ersteren Falle entspricht sie gemäß ihrer größeren Übereinstimmung mit der Kraft Gottes und der Idee des Engels auch in höherem Maße dem Begriff und Typus in der Seele, die dann diese Übereineinstimmung anerkennt. In dieser Übereinstimmung besteht die Schönheit und in ihrer Anerkennung die Gemütsbewegung der Liebe. Weil aber die Idee und der Begriff oder Typus der Materie des Körpers fremd sind, gilt die Konstitution des Menschen mit jenen nicht hinsichtlich der Materie oder der Größe für gleichartig, sondern durch einen unkörperlichen Bestandteil. Insofern sie jenen nun ählich ist, stimmt sie überein, und übereinstimmend ist sie schön. Deshalb sind der Körper und die Schönheit etwas Verschiedenes. Sollte nun jemand fragen, inwiefern die Form des Körpers der Form und dem Begriff in Seele und Verstand 211 gleichen könne, der soll das Werk des Baumeisters betrachten. Dieser entwirft zunächst den Grundriß, gleichsam die Idee des Bauwerkes in seiner Seele; dann baut er das Gebäude, möglichst so, wie er es in Gedanken angelegt hatte, auf. Wer wird bestreiten, daß das Haus ein Körper und zugleich der unkörperlichen Idee des Meisters, nach deren Vorbild es hergestellt

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wurde, durchaus gleichartig ist ? Zweifellos beurteilt man die Gleichartigkeit viel mehr nach einem unkörperlichen Plan als aufgrund des Stoffes. Versuche einmal den Stoff zu entfernen, wenn du kannst ! In Gedanken kannst du es. Nur zu, nimm von dem Gebäude den Stoff hinweg und laß den Plan bestehen !212 Dann wird dir von dem materiellen Körper keine Spur übrig bleiben. Dagegen wird der Plan, der vom Meister herstammt, ein und derselbe sein, so wie der noch in ihm verbliebene. Nun tu das gleiche mit dem Körper irgendeines Menschen ! Du wirst finden, daß seine Form, die mit dem Begriff der Seele übereinstimmt, einfach und stofflos ist. 6. K apitel Was zur Schönheit eines Dinges erforderlich ist; die Schönheit ist eine unkörperliche Gabe. Worin besteht denn nun die Schönheit des Körpers ? In einer bestimmten Aktualität, Lebhaftigkeit und Anmut, die im Körper unter dem Einfluß seiner Idee erstrahlt. Dieser Lichtglanz steigt nicht in die Materie hinab, bevor sie nicht höchst angemessen zugerichtet ist. Diese Zubereitung vollzieht sich durch drei Faktoren : die Anordnung, das Maß und die Gestaltung.213 Die Anordnung bestimmt die Abstände der Teile, das Maß die Quantität, die Gestaltung die Umrisse und die Farben. Denn zuerst ist es notwendig, daß alle Glieder eines Körpers ihre natürliche Lage haben : nämlich daß die Ohren, die Augen, die Nase und die übrigen Körperteile an ihrem Platz sind, daß die Augen sich beide in gleichem Abstande von der Nase und die Ohren sich beide in gleicher Entfernung von den Augen befinden. Diese ordnungsmäßige Gleichheit der Abstände genügt aber noch nicht, wenn nicht das Maß der Teile hinzukommt,214 das jedem Glied die gehörige Größe,



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entsprechend der Proportion des gesamten Körpers, anweist. Dieses besteht beispielsweise darin, daß drei Nasenlängen der Länge des ganzen Gesichtes gleichkommen, ebenso daß die beiden Halbkreise der Ohren zusammen den Kreis des geöffneten Mundes ausmachen; das gleiche sollen die Augenbrauen, miteinander verbunden, tun. Die Länge der Nase soll der Länge der Lippe und gleichermaßen des Ohres, die beiden Rundungen der Augen sollen der Öffnung des Mundes gleich sein. Acht Kopflängen und gleichermaßen die Spannung der Arme und der Beine sollen die Länge des ganzen Körpers ausmachen. Außerdem halten wir noch die Gestaltung für erforderlich, damit die kunstvollen Züge der Linien, die Falten und der Glanz der Augen der Anordnung und dem Maße der Teile zur Zier gereichen. Diese drei können, obwohl sie sich in der Materie befinden, dennoch nicht Teile des Körpers sein. Die Anordnung der Glieder ist kein Glied; denn sie besteht in der Gesamtheit der Glieder, und kein einzelnes Glied findet sich in allen Gliedern wieder. Dazu kommt noch, daß die Anordnung nichts anderes als der angemessene Abstand der Teile untereinander ist. Dieser Abstand ist entweder gleich Null oder ein leerer Raum oder ein Zug von Linien. Wer dürfte aber wohl die Linien für Körper halten, da sie der Breite und Tiefe, der notwendigen Merkmale des Körpers, entbehren ? Ferner ist das Maß keine Quantität, sondern der Grenzbegriff von Quantität. Solche Grenzen sind Flächen, Linien und Punkte, die, als der Tiefe entbehrend, nicht für Körper gelten. Ebenso verlegen wir die Gestaltung nicht in die Materie, sondern in die gefällige Harmonie von Licht, Schatten und Linien. Hieraus geht hervor, daß die Schönheit so sehr von der körperlichen Materie unterschieden ist und sich ihr nicht mitteilt, außer wenn sie durch die drei beschriebenen Vorbereitungsarten empfänglich gemacht ist. Die Grundlage dieser Vorbereitung ist die wohlabgestimmte Mischung215 der vier Elemente. Demnach

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muß unser Körper dem Himmel gleichen, dessen Substanz maßvoll zusammengesetzt ist, damit er sich nicht durch das Vorwiegen eines Saftes gegen die gestaltende Kraft der Seele auflehnt. Dann wird der himmlische Lichtglanz mit Leichtigkeit in dem Körper, der dem Himmel gleicht, aufleuchten, und die vollkommene Form des Menschen, die der Seele innewohnt, wird in dem ruhigen und gefügigen Stoffe deutlicher hervortreten. In ziemlich der gleichen Weise bereiten sich die Töne216 vor, die ihnen eigentümliche Schönheit zu empfangen. Ihre Anordnung besteht in dem Aufsteigen vom Grundton bis zur Oktave und dem Absteigen von dieser zum Grundton; das Maß besteht hier in dem richtigen Fortschreiten durch die Terz, Quarte, Quinte und Sexte mit ganzen und halben Tönen; die Gestaltung besteht in der melodischen Stimmung des reinen Tones. Durch diese Dreiheit werden wie durch drei Elemente die aus vielen Teilen bestehenden Körper, wie Bäume und Lebewesen und auch die Vereinigung mehrerer Stimmen, zur Aufnahme der Schönheit empfänglich gemacht. Die einfacheren Körper aber, als da sind die vier Elemente, Steine und Metalle, ebenso wie die einzelnen Töne, bereiten sich durch eine gewisse Mäßigung, Fruchtbarkeit und Klarheit ihrer Natur zur Vorbereitung für die Schönheit. Die Seele217 aber ist schon von Natur für sie eingerichtet, hauptsächlich deshalb, weil sie Geist und ein Gott nahestehender Spiegel 218 ist, aus dem, wie wir vorhin bemerkten, das Bild des göttlichen Angesichtes leuchtet. Wie man nun zum Golde nichts hinzuzufügen braucht, damit es schön erscheint, sondern nur die Schlacken entfernen muß, so bedarf die Seele, um schön zu erscheinen, keiner Zutat, sondern muß nur die ängstliche Sorge und Mühe um den Körper ablegen und von der Unruhe der Begierde und Furcht ablassen, und sogleich wird ihre wesenhafte Schönheit hervortreten.



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Damit jedoch unsere Rede nicht zu weit von unserem Thema abschweift, wollen wir in Kürze aus dem eben Gesagten den Schluß ziehen : Die Schönheit ist ein bestimmter lebensvoller und geistiger Liebreiz,219 der durch den göttlichen Lichtstrahl zuerst dem Engel, dann den Seelen der Menschen und dann den körperlichen Gestalten und den Tönen eingegossen wird. Dieser Liebreiz bewegt und entzückt mittels Verstand, Gesicht und Gehör unsere Seele, reißt sie in der Entzückung fort und entzündet sie im Hinreißen zu glühender Liebe. 7. K apitel Schilderung des Eros Der Dichter Agathon umkleidet nun den Liebesgott nach dem Brauch der antiken Dichter220 mit einer menschlichen Erscheinung. Er beschreibt ihn nach dem Bild eines wohlgestalteten Mannes. Eros, sagt er, ist jugendlich, zart, geschmeidig oder gewandt, ebenmäßig gebaut und blühend.221 Was meint er damit ? Diese Eigenschaften sind viel mehr Vorbedingungen für die Schönheit 222 als die Schönheit selbst. Denn von diesen fünf Attributen deuten die drei ersten die wohlabgestimmte Veranlagung an, die das erste Fundament ist; die beiden anderen beschreiben Anordnung223, Maß und Gestaltung. Die Ärzte haben als ein Merkmal wohlgeregelter Veranlagung die sanfte und feste Gleichmäßigkeit des zarten Fleisches dargetan. Wo nämlich die Wärme bedeutend überwiegt, ist der Körper dürr und struppig; wo Kälte überwiegt, ist er hart; bei übergroßer Trockenheit rauh; bei überwiegender Feuchtigkeit ist er schlüpfrig, ungleichartig und gekrümmt. Die gleichmäßige und feste Zartheit des Körpers zeigt also sein rechtes Gleichgewicht in der Mischung der vier Säfte an. Deswegen beschrieb Agathon den Eros als weich, fein und zart. Weshalb aber als jugendlich ? Weil ihm nicht nur dank seiner

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Natur, sondern auch seines Alters diese Mischung eigen ist. Im Laufe der Zeit lösen sich nämlich die zarteren Teile des Körpers auf, und die gröberen bleiben zurück; denn nach der Verdunstung von Feuer und Luft besteht ein Übermaß von Wasser und Erde. Warum nannte er ihn gewandt und geschmeidig ? Damit du verstehst, daß er zu allen Bewegungen fähig und behende ist, aber ja nicht denkst, er meine, wenn er ihn als zart bezeichnet, die schlaffe und träge weibische Weichlichkeit des Wassers, die von der wohlgeregelten Veranlagung grundverschieden ist. Dann setzte er hinzu : eben­mäßig gebaut, d. h. in Anordnung und Maß der Körperteile wohl­a nständig gebildet. Schließlich setzte er noch hinzu : blühend, d. h. von anmutigem Äußeren und blendender Farbe. Nach Aufstellung dieser Vorbedingungen unterließ es Agathon, zu erklären, was daraus folgt. Wir aber haben zu verstehen, daß aus ihnen jener Liebreiz folgt, der die Schönheit ist. Jene fünf Attribute sind, soweit sie der menschlichen Gestalt zukommen, so aufzufassen, wie wir berichtet haben. Hinsichtlich der Macht des Eros haben sie aber eine andere Bedeutung, insofern sie seine Kraft und Eigenschaft offen­ baren. Jugendlich wird der Eros dargestellt, weil zumeist die Jugend von Liebe umgarnt wird und die umgarnten Verliebten dem jugendlichen Alter den Vorzug geben; zart, weil die sanften Gemüter leichter der Liebe unterliegen und die von ihr Ergriffenen, auch wenn sie vorher trotzig waren, sanft­mütig werden; gewandt und geschmeidig, weil er heimlich kommt und heimlich geht; ebenmäßig gebaut, weil er nach Wohlgestalt und Anordnung verlangt und das Gegenteil meidet; blühend, weil er im blühenden und prangenden Alter das menschliche Gemüt begeistert und nach Blühendem Verlangen trägt. Weil Agathon dies im Text ausführlich 224 behandelt, genügt es für uns, es kurz berührt zu haben.



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8. K apitel Die Tugenden des Eros Was Agathon nun über die vier Tugenden des Eros vorbringt, dient dazu, seine Güte darzulegen. Zunächst nennt er ihn gerecht. Denn wo vollkommene und wahre Liebe besteht, dort herrscht auch ein gegenseitiges Wohlwollen, das weder tätliches Unrecht noch kränkende Worte zuläßt. So groß ist die Macht dieser Liebe225, daß sie allein das menschliche Geschlecht in Ruhe und Frieden zu erhalten vermag, was ohne Wohlwollen weder Klugheit noch Tapferkeit, noch Gewalt der Waffen, der Gesetze oder der Beredsamkeit bewirken können. Ferner nennt er ihn besonnen, weil er die maßlosen Leidenschaften zügelt. Die Liebe strebt nämlich nach derjenigen Schönheit, die in einer bestimmten Ordnung und Mäßigung besteht; sie verabscheut die niederen und zügellosen Begierden und hat stets Widerwillen gegen unzüchtige Gebärden. Darüber hat Giovanni am Anfang ausführlich gesprochen. Außerdem, wo die Liebe herrscht, verachtet man alle anderen Begierden. Er fügte hinzu : sehr tapfer. Nichts ist tapferer als die Kühnheit. Wer kämpft nun wohl mit größerer Kühnheit als der Liebende für den Geliebten ? Die übrigen Götter, d. h. die übrigen Planeten, übertrifft Mars an Tapferkeit, weil er die Menschen tapferer macht. Ihn bezähmt Venus.226 Wenn nämlich Mars in den Angeln oder im zweiten oder im achten Hause der Nativität steht, dann droht er dem Neugeborenen mit Unheil. Venus aber besänftigt (sozusagen) zuweilen seine Bosheit, und zwar wenn sie zu ihm in Konjunktion oder Opposition oder Rezeption,227 im Gedritt- oder Sextilschein steht. Wenn Mars in der Nativität des Menschen das Regiment führt, so verleiht er ihm Edelmut und Jähzorn; tritt aber Venus zu ihm in Konjunktion, so

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mäßigt sie die üble Eigenschaft des Jähzorns, ohne den vom Mars verliehenen Edelmut einzuschränken, wobei es scheint, daß sie, indem sie Mars milder macht, ihn bezwingt. Mars aber bezwingt niemals die Venus. Wenn nämlich Venus das Regiment in der Geburtsstunde228 führt, so verleiht sie das Gefühl der Liebe, und wenn Mars zu ihr in Konjunktion tritt, so macht er durch seine Hitze das Ungestüm der Venus noch glühender, derart daß, wenn bei jemandes Geburt Mars sich im Hause der Venus, nämlich im Zeichen der Waage oder des Stiers befindet, der Neugeborene durch den Einfluß des Mars sehr unter den Flammen der Liebe leiden wird. Mars folgt der Venus, Venus folgt nicht dem Mars. Denn die Kühnheit leistet der Liebe, nicht aber die Liebe der Kühnheit Gefolgschaft. Die Menschen verlieben sich ja nicht aus Kühnheit; vielmehr werden sie zuweilen, weil sie von der Liebe verwundet sind, äußerst kühn gegenüber jeglicher Gefahr um der geliebten Person willen. Schließlich ist der sicherste Beweis für die außerordentliche Tapferkeit des Liebesgottes die Tatsache, daß ihm alles Gehorsam leistet, er selbst aber niemandem. Denn die Himmlischen lieben, und so auch alle Tiere und alle Körper. Die Tapferen und ebenso die Weisen, die Reichen und die mächtigen Könige beugen ihren Nacken unter die Herrschaft des Liebesgottes. Er aber unterwirft sich keinem von ihnen; denn die Geschenke der Reichen erkaufen nicht die Liebe, und die Drohungen wie die Gewalttätigkeiten der Machthaber können uns weder zur Liebe noch zum Ablassen von der Liebe zwingen. Die Liebe ist frei und entspringt spontan dem freien Willen, den nicht einmal Gott zu beugen vermag, weil er von Anbeginn den Willen als frei bestimmt hat. Die Liebe zwingt also jedermann 229 und leidet selbst von niemandem Gewalt. So groß ist ihre Freiheit, daß, während die übrigen Fähigkeiten und Tätigkeiten der Seele einen Preis begehren, der von ihnen selbst verschieden ist, die Liebe mit sich selbst zufrie-



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den, sich selber Preis genug ist, so als ob es außer der Liebe keinen der Liebe würdigen Preis gäbe. Wer also liebt, liebt eigentlich die Liebe, weil er vor allem sucht, daß der Geliebte ihn liebt. Dazu ist er sehr weise. In welchem Sinne Eros Schöpfer und Erhalter aller Dinge ist, ist, meine ich, zur Genüge in der Rede des Eryximachos erörtert worden, worin sich ja seine Weisheit zeigt. Das Ergebnis der ganzen Rede ist : Eros ist darum höchst glückselig, weil er im höchsten Maße schön und gut ist. Seine Schönheit geht daraus hervor, daß er sich an Schönem als etwas ihm Ähnlichem erfreut, seine herausragende Güte daraus, daß er die Liebenden sehr gut macht. Notwendigerweise muß ja derjenige selbst im höchsten Maße gut sein, der andere ­äußerst gut macht. 9. K apitel Die Gaben des Eros Das Wesen des Eros ging aus unserer Erörterung, seine Beschaffenheit aus den angeführten Worten des Agathon hervor; welcherlei Gaben er verleiht, ist leicht aus dem eben Gesagten zu ersehen. Es gibt nämlich eine einseitige und eine gegenseitige Liebe. Die einseitige Liebe macht jeden, der von ihr ergriffen wird, klug zum Vorausschauen, scharfsinnig zur Rede, wortreich im Vortrag, mutig zum Handeln, anmutig im Scherz, schlagfertig im Witz und beherzt zu ernsten Taten. Die gegenseitige Liebe wendet die Gefahren ab und verleiht Sicherheit, beseitigt Uneinigkeit und bewirkt Eintracht, bewahrt vor dem Elend und bringt Glückseligkeit. Wo gegenseitige Liebe herrscht, da gibt es weder Hinterlist noch Verrat230. Alles ist dort gemeinsam. Verbannt sind Streit, Raub, Mord und Krieg. Daß die gegenseitige Liebe solchen Frieden nicht nur den Tieren, sondern auch den Himmelssphären und den Elementen verleiht, dies berührt Agathon, und vorher ist es

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in der Rede des Eryximachos ausführlich dargetan worden. Am Schluß der vorliegenden Rede heißt es, Eros besänftige mit seinem Gesang die Geister der Götter und der Menschen. Das wird jeder verstehen, wenn er sich erinnert, wie vorhin gezeigt wurde, daß die Liebe in allen Dingen herrscht und auf alles sich erstreckt. 10. K apitel Eros ist älter und jünger zugleich als alle übrigen Götter. Bevor ich aber schließe, meine besten Freunde, will ich, so gut ich es verstehe, drei Probleme lösen, die sich aus der Erörterung des Agathon ergeben. Erstens handelt es sich darum, aus welchem Grunde Phaidros den Eros für älter als Kronos und Zeus, Agathon ihn aber für jünger erklärt; zweitens, was bei Platon das Reich der Notwendigkeit und die Herrschaft der Liebe bedeutet; drittens, welche Künste welche Götter unter der Herrschaft der Liebe erfunden haben. Gott, der Vater des Alls, hat aus Liebesdrang, seinen Samen fortzupflanzen, und aus fürsorgender Güte die Geister, seine Diener, erzeugt, die den Saturn, den Jupiter und die übrigen Planeten bewegen. Diese Geister erkennen ihren Erzeuger, sobald sie von Gott hervorgebracht sind, und lieben ihn. Diese Liebe, aus der die himmlischen Geister erzeugt sind, erklären wir für älter als sie; die Liebe dagegen, mit der die geschaffenen Geister ihren Schöpfer lieben, für jünger als diese Geister. Zudem empfängt der Engelsgeist von seinem Erzeuger nicht die Ideen des Saturn und der übrigen Planeten, wenn er sich nicht zuvor aus angeborener Liebe zum Angesicht Gottes hinwendet. Dann aber liebt er im Besitze der Ideen mit um so größerer Inbrunst die Gabe Gottes. Demnach ist die Liebe des Engels zu Gott in einer Hinsicht älter als die Ideen, die Götter heißen; in anderer Hinsicht ist sie jünger. Folglich ist Eros Anfang und Ende231, der älteste und der jüngste der Götter.



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11. K apitel Die Liebe herrscht vor der Notwendigkeit. Gehen wir an die Lösung der zweiten Frage. Sie lautet : Die Liebe herrscht vor der Notwendigkeit; denn die göttliche Liebe hat allen Dingen, die ihr entsprossen sind, den Ursprung verliehen. In ihr besteht kein Zwang der Notwendigkeit; weil nichts über ihr steht, wirkt sie alles, nicht gezwungener­ maßen,232 sondern aus freiem Willen. Der Engelsgeist aber, der nach ihr kommt, sproßt mit Notwendigkeit aus dem Samen Gottes hervor. Gott bringt ihn aus Liebe hervor; er aber entspringt mit Notwendigkeit. Dort beginnt die Herrschaft der Liebe, hier die Herrschaft der Notwendigkeit.233 Obwohl dieser Geist, weil aus der höchsten Güte Gottes entsprungen, gut ist, entartet er doch notwendigerweise, weil er aus Gott herausgetreten ist, von der unendlichen Vollkommenheit des Erzeugers; denn die Wirkung empfängt niemals die ganze Güte ihrer Ursache.234 In diesem notwendigen Hervorgehen und zugleich Niedergehen des Produktes besteht die Herrschaft der Notwendigkeit. Der Geist liebt nun, wie gesagt, sogleich nach seiner Entstehung seinen Urheber. Hiermit entsteht wiederum das Reich der Liebe, indem jener sich zu Gott in Liebe erhebt und Gott aus Liebe den zu ihm Aufschauenden erleuchtet. Wiederum jedoch drängt sich hier die Macht der Notwendigkeit ein; denn der Geist, der seinem Wesen nach finster ist, empfängt das von Gott niederstrahlende Licht nicht in derselben Klarheit, die ihm von Gott gegeben wird; er kann es ja nur nach seiner natürlichen Empfänglichkeit aufnehmen. Daher wird dieses Licht durch den Zwang der empfangenden Natur dunkler. Auf diese Notwendigkeit folgt wiederum die Herrschaft der Liebe. Denn entzündet von dem ersten Lichtstrahl Gottes, wendet der Geist sich ihm mit großer Inbrunst zu und verlangt, angelockt von jenem Lichtfunken, nach der ganzen

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Fülle des Lichtes. Dann verleiht Gott dank des Wohlwollens seiner Vorsehung außer dem ersten natürlichen auch das göttliche Licht. So lösen einander die Mächte der Liebe und der Notwendigkeit wechselweise ab. Diese Aufeinanderfolge geht im Bereich des Überirdischen nach der Ordnung der Natur, im Bereich des Natürlichen in Zeitabständen vor sich, so jedoch, daß die Liebe das Erste und das Letzte aller Dinge ist. Was wir für den Engel über diese beiden Reiche gesagt haben, gilt auch gleichermaßen von der Seele und den übrigen Schöpfungen Gottes. Absolut gesprochen, ist die Herrschaft der Liebe älter als die der Notwendigkeit, da jene bei Gott, diese bei den Geschöpfen beginnt. Bezieht man sich aber auf die geschaffenen Dinge, so ist die Macht der Notwendigkeit älter als die Herrschaft der Liebe, da ja die Dinge erst mit Notwendigkeit hervorgehen und dann im Heraustreten entarten, bevor sie sich aus Liebe zu ihrem Erzeuger hin zurückwenden. Orpheus besang diese beiden Reiche in zwei Hymnen, und zwar das Reich der Notwendigkeit in dem Hymnus an die Nacht :235 »Die harte Notwendigkeit beherrscht alle Dinge«, die Herrschaft der Liebe aber in dem Hymnus an Aphrodite :236 »Den drei Schicksalsgöttinnen gebietest du, und alle Dinge bringst du hervor«. Göttlich inspiriert nahm Orpheus zwei Reiche an und setzte sie miteinander in Vergleich. Der Notwendigkeit aber stellte er Eros voran, indem er sagte, er gebiete den drei Schicksalsgöttinnen, in denen die Notwendigkeit besteht. 12. K apitel Im Reich der Notwendigkeit entmannte Kronos den Uranos und fesselte Zeus den Kronos. In welchem Sinne aber Agathon den unter der Herrschaft der Notwendigkeit aufeinanderfolgenden Göttern das Entmannen und Fesseln ihrer Väter zuschreibt, ist leicht aus dem An-



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geführten zu begreifen. Es ist nämlich nicht so zu verstehen, als ob der Engelsgeist Gott selbst in sich zerteile, sondern in dem Sinne, daß er die ihm von Gott verliehene Gabe in seinem Wesen zerlegt. Soeben haben wir hinreichend dargetan, daß die Gaben Gottes in dem empfangenden Geist notwendigerweise an höchster Vollkommenheit verlieren. Daher wird die Fruchtbarkeit der Natur, die bei Gott integer, bei dem Engel aber vermindert ist, mit Recht als entmannt bezeichnet; und zwar geschieht das, heißt es, unter der Herrschaft der Notwendigkeit, weil es weder nach dem Willen des Gebenden noch des Empfangenden geschieht, sondern nach dem Gesetz der Notwendigkeit, wonach die Wirkung der Ursache nicht gleichkommen kann. In diesem Sinne hat es den Anschein, als entmanne Kronos, also der Engel, den Uranos,237 nämlich den höchsten Gott, und als fessele Zeus, d. i. die Weltseele, den Kronos, das bedeutet : Sie schränkt die von dem Engel empfangene Kraft durch die Unvollkommenheit ihres Wesens in engere Grenzen ein; denn die Macht des Kronos hat größere Ausbreitung als die des Zeus. In diesem Sinne gilt das Vermögen des Kronos seiner Ausdehnung wegen als frei und ungebunden; im Zeus wegen der größeren Eingeschränktheit von dessen Natur als gefesselt.238 Dies möge hierüber genügen. Gehen wir auf die dritte Frage ein ! 13. K apitel Welche Künste die einzelnen Götter den Menschen verleihen Agathon ist der Meinung, daß dem Menschengeschlecht von den Göttern aus Liebe die Künste verliehen wurden, und zwar das Herrschen von Zeus, die Kunst des Bogenschießens, des Wahrsagens und Heilens von Apollon, des Bearbeitens von Metallen von Hephaistos, die Fertigkeit des Webens von Pallas und die Musik von den Musen. Zwölf Gottheiten 239 herr-

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schen über die Zeichen des Tierkreises, nämlich Pallas über den Widder, Aphrodite über den Stier, Apollon über die Zwillinge, Hermes über den Krebs, Zeus über den Löwen, Demeter über die Jungfrau, Hephaistos über die Waage, Ares über den Skorpion, Artemis über den Schützen, Hestia über den Steinbock, Hera über den Wassermann und Poseidon über die Fische. Von ihnen sind unserem Geschlecht alle Künste verliehen; denn diese Zeichen teilen ihre Kräfte, die zu den einzelnen Künsten befähigen, unseren Körpern, die Gottheiten, die in ihnen anwesend sind, aber teilen sie der Seele mit.240 So befähigt Zeus mittels des Löwen den Menschen zur göttlichen und zur weltlichen Herrschaft, d. h. zur würdigen Verwaltung der geistlichen und weltlichen Güter. Apollon verleiht uns durch die Zwillinge die Fertigkeiten des Wahrsagens241, der Heilkunst und des Bogenschießens, Pallas durch den Widder die Kunstfertigkeit des Webens, Hephaistos durch die Waage das Schmieden der Metalle und in gleicher Weise die übrigen Götter die anderen Künste. Weil sie uns diese Gaben aus gütiger Vorsehung verleihen, sagt man, sie täten es aus Liebe. Ferner nehmen wir an, daß aus der reißend schnellen regelmäßigen Umdrehung der Himmelssphären eine musikalische Harmonie entsteht, und zwar, daß aus den acht unterschiedlichen Drehungen der acht Sphären acht Töne hervorgehen, die einen neunten 242 Akkord bilden. Diese neun Klänge nennen wir wegen ihrer musikalischen Harmonie die neun Musen. Unsere Seele war von Anbeginn mit dem Verständnis für diese Musik ausgestattet, und zu Recht, denn sie entstammt dem Himmel, so daß ihr die himmlische Harmonie eingeboren ist, die sie dann durch vielartige Gesänge und Instrumentalmusik wiedergibt. Diese Gabe wurde uns gleichfalls aus Liebe von der göttlichen Vorsehung zuteil. Darum, meine edlen Freunde, laßt uns ihn lieben, diesen Gott Eros, wegen seiner großen Schönheit, ihm nacheifern wegen seiner Güte,



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ihn verehren, weil er im höchsten Maße selig ist, damit er in seiner Milde und Großmut uns den Besitz seiner Schönheit, Güte und Seligkeit verleihe !

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1. K apitel Einleitung zur Erörterung über die Liebe Nachdem Carlo Marsupini also geschlossen hatte, begann Tomaso Benci als eifriger Nachahmer des Sokrates, frohen Mutes und mit heiterer Miene die sokratische Rede auszulegen : Unser Sokrates,243 vom Orakel des Apollon zum weisesten aller Griechen erklärt, pflegte zu sagen, er befasse sich mit der Kunst zu lieben mehr als mit irgendeiner anderen Kunst, als ob er damit ausdrücken wollte, daß gerade wegen der Erfahrenheit in dieser Kunst sowohl er als auch jeder andere als höchst weise geschätzt wird. Diese Kunst war ihm nach seiner Aussage weder von den Naturforschern Anaxagoras, Damon und Archelaos noch von den Rhetorikern Prodikos von Keos und Aspasia, noch von dem Musiker Konnos, von dem er sonst vieles gelernt hatte, sondern von der Prophetin Diotima 244 mitgeteilt worden, als sie vom göttlichen Geist ergriffen war. Nach meiner Meinung wollte er damit zeigen, daß die Menschen nur durch göttliche Eingebung verstehen können, was wahre Schönheit ist, was legitime Liebe und auf welche Art man lieben soll. So groß ist die Gewalt, so groß die Erhabenheit der Liebesmacht. Bleibt also fern von dieser Himmelsspeise, bleibet fern, ihr Unreinen, die ihr, mit Erdenkot besudelt und Bacchus und Priapus ergeben, die Liebe, diese Himmelsgabe, nur in den Staub und Dreck den Schweinen vorwerft ! Ihr aber, meine keuschen Tischgenossen und alle der Pallas und Artemis Geweihten, die ihr euch der Freiheit des reinen Gemütes und dauernden geistigen Hochgenusses erfreut, kommt und vernehmet mit Andacht die göttlichen Geheimnisse, die Diotima dem Sokrates offenbarte !



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Bevor ihr aber Diotima hört, ist eine Streitfrage zu lösen, die sich zwischen denen erhebt, die vorhin über die Liebe gehandelt haben, und denen, die nun reden werden. Denn die vorigen nannten Eros schön, gut, selig und einen Gott. Damit sind aber Sokrates und Diotima nicht einverstanden, sondern weisen ihm vielmehr eine mittlere Stellung zwischen schön und häßlich, gut und böse, selig und unselig, Gott und Mensch an. Wir halten beide Ansichten, wenn auch aus verschiedenen Gründen, für richtig. 2. K apitel Eros steht in der Mitte zwischen der Schönheit und ihrem Gegensatz und ist Gott und Dämon zugleich.245 Der Magnetstein teilt dem Eisen seine besondere Eigenschaft mit, durch die das Eisen dem Magneten sehr verähnlicht und zu ihm hingezogen wird. Diese Anziehung ist, insofern sie von dem genannten Stein herrührt und zu ihm hinstrebt, zweifellos als magnetische, insofern sie aber dem Eisen innewohnt, als Eisen- und magnetische Anziehung zu bezeichnen; denn sie besteht nicht in der reinen, sondern in der schon durch die Eigenschaft des Steines geformten Materie. Darum behält sie auch die Eigentümlichkeiten beider bei. Das Feuer entzündet durch seine Eigenschaft, d. h. durch seine Hitze, den Flachs. Der brennende und durch die Eigenschaft der Hitze in die Höhe getriebene Flachs erhebt sich bis zur oberen Region des Feuers. Dieses Aufsteigen des Flachses nennt man, insofern er, vom Feuer getrieben, zum Feuer hinstrebt, feurig; insofern es jedoch in dem Flachs, d. h. nicht in dem einfachen, sondern in dem schon brennenden vorgeht, erhält es seine Bezeichnung von dem Wesen beider, des Flachses sowohl wie des Feuers. Die menschliche Gestalt, die zuweilen dank der durch Gottes gnädige Mitteilung ihr innewohnenden Güte sehr

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schön aussieht, strahlt den sie Anschauenden durch die Augen ihren Glanz in die Seele ein, die dann durch diesen Funken wie durch einen Angelhaken 246 angezogen zu dem sie Anziehenden hineilt. Diese Anziehung, die also die Liebe ist, können wir zweifellos, da sie von dem Guten, Schönen und Glück­seligen ausgeht und zu ihm sich zurückwendet, im Anschluß an Agathon und die übrigen, die vor ihm geredet haben, schön, gut, glückselig und göttlich nennen. Weil sie aber in der Seele vor sich geht, die schon durch die Ausstrahlung des Schönen entflammt ist, müssen wir diese Affekte als eine Mitte zwischen dem Schönen und dem Nichtschönen bezeichnen. Solange die Seele noch keinen bildlichen Eindruck des schönen Gegenstandes empfangen hat, liebt sie ihn noch nicht, da sie ihn noch nicht kennt, und ebensowenig verspürt der, der schon im Besitze der ganzen Schönheit ist, den Stachel der Liebe. Denn wer trägt wohl Verlangen nach dem, was er schon besitzt ? Daraus folgt, daß die Seele dann in glühender Liebe entbrennt, wenn sie irgendein vollendetes Abbild eines schönen Gegenstandes gefunden hat und durch den Vorgeschmack mit Verlangen nach dem vollen Besitz seiner Schönheit erfüllt wird. Da also die Seele des Liebenden den schönen Gegenstand zum Teil besitzt und zum Teil nicht besitzt, gilt sie mit Recht einerseits als schön, andererseits als nicht schön. Demnach erklären wir die Liebe wegen dieser Verbindung für eine Gemütsbewegung, welche die Mitte hält zwischen Schönem und Unschönem, indem sie an beiden teilnimmt. Aus diesem Grunde ohne Zweifel nannte Diotima, um auf sie zurückzukommen, den Eros einen Dämon. Denn wie die Dämonen Geister sind, die in der Mitte zwischen den himmlischen und den Erdgeistern stehen, so nimmt die Liebe eine mittlere Stellung zwischen der Schönheit und der Unschönheit 247 ein. Diesen ihren Mittelzustand zwischen dem Schönen und dem Unschönen hat zur Genüge Giovanni in seiner ersten und zweiten Rede beleuchtet.



3. Kapitel

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3. K apitel Die Sphärengeister und die Dämonen Nun will ich euch aber veranschaulichen, in welcher Weise die Dämonen die mittlere Region zwischen dem Himmel und der Erde bewohnen nach den Worten der Diotima im vorliegenden Gastmahl und denen des Sokrates im Philebos und Phaidros wie auch denen des Athenischen Gastes in den Gesetzen und der Epinomis. Platon vertritt die Anschauung, daß das gesamte Weltgetriebe248 von einer Seele249 gelenkt werde, da der Weltkörper aus den vier Elementen besteht und die Teilchen der Welt die Körper aller Lebewesen sind. Das Körperchen 250 eines jeden Lebewesens ist also ein Teilchen des Weltkörpers. Zudem besteht das besagte Körperchen nicht aus dem ganzen Element des Feuers, der Luft, des Wassers oder der Erde, sondern aus bestimmten Teilen dieser Elemente. Soviel nun das Ganze vollkommener ist als der Teil, um so viel ist der Körper der Welt vollkommener als der jedes einzelnen Lebewesens. Demnach wäre es widersinnig, wenn ein unvollkommener Körper beseelt sein, der vollkommene hingegen weder eine Seele noch Leben haben sollte. Wer ist wohl so einfältig zu sagen, daß der Teil lebt, das Ganze aber nicht ? Es lebt also der Gesamtkörper der Welt, da die Körper der Lebewesen leben, die Teile des Ganzen sind. Die Seele des Weltalls muß eine sein, so wie die Materie eine ist und das Weltgebäude eines ist. Wenn es nun nach Platon zwölf Weltsphären, nämlich acht Himmels- und vier Elementensphären, gibt und diese zwölf Sphären voneinander getrennt und nach Gestalt, Bewegung und Eigentümlichkeit verschieden sind, so müssen sie auch zwölf nach Art und Vermögen verschiedene Seelen haben. Eine ist also die Seele der einen ersten Materie, und zwölf sind die Seelen der zwölf Sphären. Wer wird nun wohl der Erde und dem Wasser das Leben absprechen, da diese Elemente es doch den ihnen entstam-

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menden Lebewesen verleihen ? Wenn aber dieser Bodensatz251 des Weltalls lebt und voll lebender Wesen ist, warum sollten dann die Luft und das Feuer, die doch vorzüglicher sind, nicht leben und gleichermaßen lebende Wesen in sich tragen ? Und warum nicht ebenso die Himmelssphären ? Zwar sehen wir jene himmlischen Lebewesen, nämlich die Gestirne, wie auch die Lebewesen der Erde und des Wassers; aber die des Feuers und der Luft sieht man nicht, weil die reinen Elemente des Feuers und der Luft nicht sichtbar sind. Hier besteht aber der Unterschied, daß es auf der Erde zwei Arten von Lebewesen gibt : vernünftige und tierische, desgleichen im Wasser. In Anbetracht dessen, daß das Wasser ein vorzüglicheres Element als die Erde ist, muß es nicht weniger reich an vernünftigen Lebewesen 252 sein als diese. Dagegen sind die zehn höheren Sphären wegen ihrer erhabenen Beschaffenheit ausschließlich mit vernünftigen Lebewesen geziert. Die Seele des Weltalls253, d. i. der ersten Materie, und die Seele der zwölf Sphären und der Gestirne heißen, weil sie unmittelbar unter dem höchsten Gotte und den Engelsgeistern stehen, bei den Platonikern Weltgötter254; diejenigen Lebewesen aber, die unter dem Mond die Region des ätherischen Feuers bewohnen, werden Dämonen genannt, ebenso auch die Bewohner der reinen sowohl wie der dem Wasser nahestehenden trüben Luft. Die vernünftigen Wesen, die auf der Erde wohnen, heißen Menschen. Die Götter sind unsterblich und leidenslos, die Menschen leidensfähig und sterblich. Die Dämonen sind zwar unsterblich, aber leidensfähig; ihnen werden zwar keine körperlichen, jedoch seelische Empfindungen zugeschrieben, infolge deren sie gewissermaßen gute Menschen lieben und schlechte hassen und mit freundlichem Eifer sich mit der Leitung niederer, besonders menschlicher Angelegenheiten befassen. Alle erweisen sich in dieser Hinsicht als gut; doch nehmen einige Platoniker in Übereinstimmung mit den christlichen Theo-



4. Kapitel

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logen das Dasein einer gewissen Anzahl böser Dämonen 255 an. Von diesen ist aber augenblicklich bei uns nicht die Rede. Die guten Dämonen, die uns beschützen, heißen bei Dionysios Areopagita die Engel 256, die die niedere Welt regieren, was von Platons Anschauung keineswegs abweicht. Ebenso dürfen wir nach dem Gebrauch des Dionysios die Geister, die Platon Götter und Seelen der Sphären und Gestirne nennt, als Gott dienende Engel bezeichnen. Auch das weicht von Platon nicht ab, da er ja, wie aus dem zehnten Buche der Gesetze257 hervorgeht, diese Art von Seelen nicht im gleichen Sinne in die Sphärenkörper eingeschlossen sein läßt wie die Seelen der irdischen Lebewesen in ihre Körper; vielmehr behauptet er, sie seien vom höchsten Gott mit soviel Vermögen ausgestattet, daß sie die Anschauung Gottes genießen und zugleich mühelos, dem Willen ihres Erzeugers entsprechend, die Weltsphären lenken und durch diese Bewegung mit Leichtigkeit die untere Welt regieren können. Demnach besteht zwischen Platon und Dionysios eher ein Unterschied der Worte als des Sinnes. 4. K apitel Die sieben Gaben, die Gott den Menschen mittels der Geister zukommen läßt Im göttlichen Geist sind die Ideen aller Dinge, und diesen sind die Weltgötter und den Gaben der Weltgötter sind die Dämonen dienstbar; denn von der höchsten bis zur untersten Stufe geht alles durch die ordnungsmäßigen Zwischenstufen hindurch, so daß demnach die göttlichen Ideen, nämlich die Gedanken des göttlichen Geistes, durch Vermittlung der Götter und Dämonen den Menschen ihre Gaben zukommen lassen. Diese Gaben sind hauptsächlich sieben, nämlich : Feinheit der Betrachtung, Fähigkeit zum Herrschen, Mut, Klarheit der Sinne, Inbrunst der Liebe, Scharfsinn im Auslegen, Fruchtbar-

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keit im Zeugen. Die Kraft dieser Gaben trägt Gott ursprünglich in sich; dann teilt er sie den sieben Göttern mit, die die sieben Planeten bewegen (bei uns heißen sie Engel, die Gottes Thron umkreisen 258), derart, daß, jeder von ihnen eine Gabe mehr empfängt als andere, entsprechend seiner jeweiligen Natur259. Jene Götter teilen die Gaben den sieben Ordnungen der ihnen untergebenen Dämonen im gleichen Verhältnis mit. Diese lassen sie den Menschen zukommen.260 Jedenfalls gießt Gott diese Gaben den Seelen im Anbeginn ein, wenn sie aus ihm hervorgehen, und indem die Seelen von der Milchstraße durch das Zeichen des Krebses hindurch herabsinken, hüllen sie sich in ein himmlisches durchsichtiges Gewand, mit dem bekleidet sie sich in die irdischen Leiber einschließen. Denn die Ordnung der Natur erfordert, daß die allerreinste Seele sich mit diesem höchst unreinen Körper nur durch Vermittlung einer reinen Hülle verbinden kann, die zwar weniger klar und rein als die Seele, jedoch reiner und durchsichtiger als der Leib ist und daher von den Platonikern für das geeignete Bindemittel 261 zwischen der Seele und dem irdischen Leib gehalten wird. Daher kommt es, daß die Seelen der Planeten unsere Seelen und ihre Körper unsere Körper in jenen sieben Gaben, die uns zu Anbeginn von Gott verliehen wurden, bestärken und befestigen. Der gleichen Bestimmung dienen ebenso viele dämonische Wesenheiten, die in der Mitte zwischen den Himmelsbewohnern und den Menschen stehen. Die Gabe der Betrachtung stärkt Saturn durch Vermittlung der saturnischen Dämonen, die Fähigkeit zu herrschen und zu regieren Jupiter durch seine jovialischen Dämonen. In gleicher Weise fördert Mars durch die martialischen Dämonen die Seelengröße. Der Sonnengott verhilft mittels der Sonnengeister zur Klarheit der Sinne und des Urteils, womit auch das Voraussagen der Zukunft zusammenhängt. Venus reizt durch die venerischen Geister zur Liebe. Merkur regt durch die merkurialischen 262 Dämo-



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nen zum Erklären und Reden an. Der Mond schließlich fördert durch die lunarischen Dämonen das Zeugungsgeschäft. Obwohl sie nun allen Menschen die bezeichneten Fähigkeiten gewähren, so verleihen sie dieselben doch in besonderem Maße denen, auf deren Empfängnis und Geburt sie der Anordnung des Himmels gemäß größeren Einfluß haben. Obwohl diese Dinge aus göttlicher Anordnung hervorgegangen und daher sittlich sind, können sie sich durch unseren Mißbrauch zuweilen als unsittlich darstellen, wie dies ja beim Regieren, beim Ehrgeiz, bei der Liebe und beim Zeugen klar zutage tritt. Der Liebestrieb also, um es kurz zu sagen, ist uns vom höchsten Gott und von der Venus, die als Göttin gilt, und ihren venerischen Dämonen verliehen. Weil er von Gott herabkommt, kann er als Gott, weil er von den Dämonen gestärkt wird, als Dämon bezeichnet werden. Daher heißt er mit Recht bei Agathon ein Gott und bei Diotima ein Dämon, nämlich ein venerischer Dämon. 5. K apitel Die Ordnungen der venerischen Dämonen und ihre Art, den Liebespfeil abzuschießen Der venerische Dämon gilt in dreifacher Hinsicht als Liebesgott. In erster versetzen ihn die Platoniker in die himmlische Aphrodite263, d. h. die Intelligenz des Engelsgeistes, in zweiter in die gewöhnliche Aphrodite, das bedeutet : die Zeugungskraft der Weltseele. Diese heißen zwei Dämonen, weil sie die Mitte zwischen der Schönheit und der Nichtschönheit 264 einnehmen, was wir vorhin berührt haben und später deutlicher ausführen werden. Der dritte Liebesgott ist identisch mit der Ordnung von Dämonen, die den Planeten Venus begleiten. Diese teilt sich wiederum in drei Unterordnungen : die einen sind dem Element des Feuers zugewiesen, andere

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dem Element der reinen Luft, wieder andere der dickeren und trüberen Luft; alle aber heißen nach dem griechischen Wort »Eros«,265 das »Liebe« bedeutet, »Heroen«, d. h. Liebesgötter. Die erstgenannten Dämonen schnellen ihre Pfeile auf diejenigen Menschen ab, in denen die Galle266, ein feuriger Saft, die zweiten auf die, in denen das Blut, ein luftartiger Saft, die dritten aber auf diejenigen, in denen der Schleim und die schwarze Galle267, die wässeriger und erdartiger Beschaffenheit sind, vorherrschen. Zwar werden alle Menschen von Cupidos Pfeilen getroffen, vier Arten von ihnen jedoch am meisten. Platon zeigt nämlich im Phaidros,268 daß diejenigen Seelen jenem besonders als Zielscheibe dienen, die Zeus, Phoibos, Ares und Hera 269 Untertan sind. Hera aber bedeutet hier Aphrodite. Diese sind von Anbeginn ihrer Erzeugung zur Liebe geneigt, sagt er, und lieben besonders diejenigen, die unter den gleichen Gestirnen geboren sind. Daher kommt es, daß die Jovialischen, die Martialischen und in entsprechender Weise die übrigen ihresgleichen die größte Zuneigung entgegenbringen. 6. K apitel Wie uns die Liebe ergreift Was ich jetzt an dem Beispiel des einen erläutern werde, das sollt ihr auch auf die drei übrigen übertragen. Jede Seele, die unter der Herrschaft des Jupiter in den Erdenleib hinabsteigt, konzipiert im Hinabsteigen ein bestimmtes Bild zur Gestaltung eines Menschen entsprechend dem Gestirn des Jupiter. Diese Gestalt prägt sie höchst getreu in ihrem Ätherleib, der dazu vorzüglich veranlagt ist, aus. Wenn sie dann auf der Erde gleichfalls einen passenden Samenkeim gefunden hat, so bildet sie in diesem wiederum die dritte Gestalt nach, der ersten und zweiten sehr ähnlich. Findet sie aber einen entgegengesetzten, dann wird sie nicht so ähnlich sein.



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Oft ereignet es sich, daß zwei Seelen unter der Herrschaft des Jupiter, jedoch zu verschiedener Zeit, herabkommen und daß die eine von beiden auf der Erde einen passenden Samenkeim findet und ihren Leib den ursprünglichen Ideen entsprechend in vollkommener Weise ausgestaltet, die andere aber das Werk zwar beginnt, es jedoch wegen der Untauglichkeit des vorgefundenen Stoffes nicht ihrem eigenen Vorbild entsprechend vollenden kann. Jener Körper ist daher schöner als dieser. Beide aber finden infolge einer gewissen Wesensgleichheit aneinander Gefallen. Allerdings gefällt derjenige von beiden besser, der für schöner gilt. So kommt es, daß man nicht unbedingt den Schönsten liebt, sei er, wer er ist, sondern seinesgleichen, nämlich die das gleiche Nativitätsgestirn 270 hatten, auch wenn sie weniger schön sind als viele andere. Die unter dem gleichen Gestirn Geborenen sind, wie gesagt, so veranlagt, daß, wenn das Bild des Schöneren von ihnen durch die Augen in die Seele des anderen dringt, es vollkommen mit jenem Urbild 271 übereinstimmt, das sich im Anbeginn der Erzeugung sowohl in der ätherischen Hülle der Seele als auch im Inneren der Seele selbst ausgeprägt hatte. Die so getroffene Seele dieses Menschen erkennt das Bild dessen, der ihm nun entgegentritt, als etwas von ihr eigenes wieder. Es ist ja fast ganz dasselbe, was sie von jeher in sich trägt und das sie schon in ihrem eigenen Leibe ausprägen wollte, aber nicht konnte. Sofort bringt sie es mit dem in ihrem Inneren befindlichen Bild in Verbindung, gestaltet es um und verbessert es, wenn ihm an irgendeiner Stelle etwas von der vollkommenen Form des jovialischen Körpers fehlt. Das derart umgestaltete Bild liebt sie dann als ihr eigenes Werk. Daher leben die Liebenden so sehr in der Täuschung, daß sie das geliebte Wesen für schöner halten, als es ist. Denn im Laufe der Zeit sehen sie den Gegenstand ihrer Liebe nicht in seiner wirklichen Gestalt, wie ihn die Sinne wahrnehmen, sondern

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in dem von ihrer Seele der eigenen Idee entsprechend umgestalteten Bild, das schöner als der betreffende Körper ist.272 Sie tragen dann Verlangen, den Körper, von welchem dieses Bild herstammt, immerfort anzuschauen. Obwohl nun die Seele auch ohne die Gegenwart des Körpers dessen Bild in sich bewahrt und ihr, was sie allein anbetrifft, dies genügt, so halten es dagegen die Lebensgeister und die Augen, die Werkzeuge der Seele sind, nicht fest. Wir bestehen nämlich aus dreierlei 273 : aus Seele, Geist und Körper. Seele und Körper sind durchaus verschiedener Natur und werden durch das Mittel des Lebensgeistes274 verbunden. Dieser ist ein äußerst feiner und durchsichtiger Dunst, der durch die Wärme des Herzens aus dem dünnsten Teile des Blutes entsteht. Von dort aus verbreitet er sich durch alle Glieder, nimmt die Kräfte der Seele auf und teilt sie dem Körper mit. Andererseits nimmt er mittels der Sinneswerkzeuge die Bilder der Körper der Außenwelt auf, die in der Seele nicht haften können, weil diese als unkörperliche Substanz, die höherrangig als die Körper ist, von ihnen nicht durch Aufnahme der Abbilder unmittelbar geformt werden kann. Vielmehr nimmt die Seele, weil sie in jedem Teile dem Lebensgeist gegenwärtig ist, die aus ihm wie aus einem Spiegel zurückstrahlenden Abbilder der Körper mit Leichtigkeit wahr und bildet durch sie ihr Urteil über die Körperweit. Diese Erkenntnisweise heißt bei den Platonikern der Sinn.275 Indem nun die Seele jene Bilder anschaut, entwirft sie in ihrem Inneren ihnen ähnliche, jedoch viel reinere Bilder. Dieses Vorstellungsvermögen heißt Einbildungskraft oder Phantasie. Die derart gewonnenen Bilder werden im Gedächtnis auf bewahrt. Daher sieht sich das Auge des Geistes276 oft veranlaßt, die allgemeinen Ideen aller Dinge anzuschauen, die er in sich enthält. Indem nämlich die Seele mit dem Sinnesvermögen einen bestimmten Menschen anschaut und ihn mit der Einbildungskraft vorstellt, betrachtet sie mit der Vernunft durch die



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ihr angeborene Idee die allen Menschen gemeinsame Natur und Definition im allgemeinen und bewahrt das Betrachtete auf.277 Demnach würde es der Seele, die das Bild eines schönen Menschen in sich auf bewahrt – ich meine das einmal begriffene Bild – und dasselbe umgeschaffen hat, genügen, dann und wann die geliebte Person gesehen zu haben. Das Auge jedoch und der Lebensgeist bedürfen der dauernden Gegenwart des äußerlichen Körpers, um durch dessen Illustration andauernd zu leuchten, sich zu stärken und zu ergötzen; denn sie nehmen ja wie Spiegel das Bild nur durch die Gegenwart des Körpers auf und büßen es durch seine Entfernung ein. Ihrer Bedürftigkeit wegen verlangen sie nach der Anwesenheit des Körpers, und die Seele muß ihnen zumeist gehorsam darin folgen, da sie ihnen dienstbar sein will 278. 7. K apitel Die Geburt des Eros Kommen wir jedoch auf Diotima zurück ! Aus den von uns angeführten Gründen zählte sie den Eros unter die Dämonen und beschrieb dem Sokrates seinen Ursprung auf folgende Weise : Als die Götter bei der Geburt der Aphrodite ein Gelage abhielten, wohnte Poros, der Sohn des Guten Rats,279 von Nektar trunken, im Garten des Zeus der Penia bei. Dieser Verbindung entsproß Eros. Am Geburtsfest der Aphrodite, das bedeutet : als der Engelsgeist und die Weltseele, die wir aus dem angeführten Grunde als die »Aphroditen« bezeichnen, aus der höchsten Herrlichkeit Gottes hervorgingen, waren die Götter zum Gelage versammelt, d. h. : Uranos, Kronos und Zeus erfreuten sich schon ihrer eigenen Güter. Denn als die dem Engel angehörende Intelligenz und das der Weltseele eigene Zeugungsvermögen, die wir mit unserem besonderen Ausdruck als die zweifache

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Aphrodite bezeichnen, an das Licht hervortraten, war schon der oberste Gott, Uranos genannt, da. Ferner waren schon Sein und Leben in dem Engel – diese nennen wir Kronos und Zeus –, und ebenso war in der Weltseele die Erkenntnis der höheren Wesenheiten sowohl wie die Bewegung der Himmelskörper, die wir gleichfalls Kronos und Zeus nennen. Poros und Penia bedeuten »Überfluß« und »Dürftigkeit«. Poros, der Sohn des Guten Rats, ist der Lichtfunke des höchsten Gottes. Gott heißt ja Ratgeber und Quelle der Einsicht, weil er die Wahrheit und Güte aller Dinge ist, durch dessen Lichtstrahl jeder Ratschluß wahrgemacht wird und dessen Güte zu erwerben jede Beratung erstrebt. Unter dem Garten des Zeus ist die Fruchtbarkeit des Engel­ lebens zu verstehen. Wenn Poros in ihn hinabsteigt, d. h. wenn der Lichtstrahl Gottes mit der Penia, nämlich der Dürftigkeit, die zuvor im Engel herrschte, sich verbunden hat, so zeugt er den Eros. Der Engel hat zunächst durch Gott Sein und Leben; und hinsichtlich Sein und Leben wird er Kronos und Zeus genannt; auch besitzt er Erkenntnisvermögen, das nach unserer Auffassung Aphrodite heißt. Ohne Erleuchtung von Gott ist dieses seiner Natur nach formlos und finster wie das Vermögen des Auges, bevor in dasselbe das Sonnenlicht eindringt. Diese Finsternis ist nach unserer Meinung Penia, also gewissermaßen Armut und Fehlen des Lichts. Aber dieses Erkenntnisvermögen fängt, aus einem natürlichen Instinkt seinem Erzeuger zugewandt, von ihm den göttlichen Lichtstrahl auf, nämlich Poros, den Überfluß, in dem wie in einem Samenkeim die Urbilder aller Dinge eingeschlossen sind. Durch die Flammen dieses Lichtstrahles entzündet sich jener natürliche Instinkt. Diese Feuersglut und Inbrunst, die aus der vorhergehenden Dunkelheit und dem hinzugetretenen Lichtfunken entspringt, ist Eros, entsprossen aus der Dürftigkeit und dem Überfluß. Im Garten des Zeus, d. h. im Schatten des Lebens gezeugt.280



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Denn zugleich mit seinem Eintritt in das Leben stellt sich bei ihm ein glühendes Verlangen nach Erkenntnis ein. Warum wird aber Poros als trunken vom Nektar eingeführt ? Weil er vom Tau der göttlichen Lebensfülle überfließt. Warum ist Eros einerseits reich, andererseits dürftig ? Weil wir weder nach etwas zu verlangen pflegen, was sich vollständig in unserem Besitz befindet, noch nach dem, was uns gänzlich fehlt. Warum sollte man sich, da jeder nur das erstrebt, was ihm fehlt, um das, was man vollständig besitzt, noch weiter bemühen ? Und da niemand etwas begehrt, wovon er keine Kenntnis hat, muß uns notwendigerweise der Gegenstand unserer Liebe auf irgendeine Art bekannt sein; ja, es genügt nicht, irgendwelche Kenntnis von ihm zu haben; denn vieles uns Bekannte pflegen wir zu verabscheuen. Also ist es vielmehr nötig, daß wir ihn für förderlich und angenehm halten. Auch würden wir schwerlich zu großer Zuneigung bewogen werden, wenn uns das, was uns angenehm schien, nicht leicht zu erlangen dünkte. Jeder liebt also etwas, das man noch nicht vollständig besitzt, man kennt es aber durch das Denken der Seele, hält es für angenehm und hofft, es erlangen zu können. Diese Kenntnis, Meinung und Hoffnung sind sozusagen eine gegenwärtige Vorwegnahme des abwesenden Gutes. Man würde es ja nicht ersehnen, wenn es nicht Gefallen erregte, und es würde nicht gefallen, wenn man nicht einen Vorgeschmack von ihm hätte. Eben darum, weil die Liebenden das, was sie begehren, zum Teil besitzen und zum Teil nicht besitzen, heißt es nicht mit Unrecht, die Liebe sei eine Mischung von Mangel und Überfluß. Daher wendet sich die höhere Aphrodite, durch das erste Kosten des göttlichen Lichtstrahls281 entflammt und von Liebe hingerissen, zu der ganzen Fülle des ganzen Lichtes hin. Durch diesen Aufschwung schließt sie sich enger an ihren Erzeuger an und erstrahlt sofort helleuchtend in seinem vollsten Lichtglanz. Nunmehr treten die Begriffe aller Dinge, die in

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dem von uns Poros genannten Lichtstrahl zuerst unklar und verworren 282 enthalten waren, in dem als Aphrodite bezeichneten Vermögen aufsteigend, klarer und deutlicher hervor. In dem gleichen Verhältnis wie der Engel zu Gott steht die Weltseele zu dem Engel und zu Gott. Indem sie sich nämlich zu den höheren Dingen zurückwendet, empfängt sie gleichfalls von ihnen den Lichtstrahl, flammt auf und erzeugt den Eros, der aus Mangel und Überfluß zusammengesetzt ist. Hierdurch nun ausgestattet mit den Formen aller Dinge, bewegt sie nach deren Vorbild die Himmelssphären und erzeugt mit ihrem Zeugungsvermögen jenen ähnliche Formen in der Materie der Elemente. Wiederum sehen wir hier eine zweifache Aphrodite : Die eine ist das Vermögen dieser Seele, die höheren Wesenheiten zu erkennen, die andere ihr Vermögen, die niederen Dinge hervorzubringen. Das erstere ist nicht der Seele eigentümlich, sondern eine Nachahmung der vom Engelsgeist geübten Anschauung; das zweite ist der Seele eigentümlich. Sooft wir daher eine Aphrodite in der Seele annehmen, verstehen wir darunter ihre natürliche Kraft, ihre eigentümliche Aphrodite. Wenn wir dagegen deren zwei annehmen, dann verstehen wir dies in dem Sinne, daß der Seele die eine mit dem Engel gemeinsam, die andere aber ihr allein eigen ist. Es seien also zwei Aphroditen in der Seele : eine himm­lische und eine niedere, und jede von beiden habe ihren Eros ! Die himmlische habe den Eros, um die göttliche Schönheit zu denken, die niedere habe ihren, um diese selbe Schönheit in der Weltmaterie hervorzubringen. Denn die Herrlichkeit, die sie schaut, will sie getreu nach Maßgabe ihres Vermögens dem Triebwerk des Weltalls mitteilen. Eine wie die andere ist zum Zeugen der Schönheit hingerissen, jede aber auf ihre eigene Art. Die himmlische Aphrodite ist bestrebt, in sich selbst mit ihrem Denken das exakte Ebenbild 283 der überirdischen Dinge nachzubilden, die gewöhnliche bemüht sich, in der irdischen



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Materie die Schönheit der göttlichen Dinge284 auszugebären, die sie durch das Überströmen der göttlichen Samenkeime empfangen hat. Den ersten Eros bezeichnen wir manchmal als einen Gott, weil er zu den göttlichen Wesenheiten hinstrebt; zumeist aber nennen wir ihn einen Dämon, weil er eine mittlere Stellung zwischen Mangel und Überfluß einnimmt. Den zweiten Eros nennen wir immer einen Dämon, weil er offenbar einer bestimmten Neigung zur Körperlichkeit folgt und zur niederen Weltregion hinstrebt. Diese Neigung ist Gott fremd und entspricht vielmehr der Natur von Dämonen. 8. K apitel In allen Seelen befinden sich zwei Eroten, in unseren aber fünf. Diese beiden Aphroditen und diese beiden Eroten befinden sich nicht nur in der Weltseele, sondern auch in den Seelen der Sphären, der Gestirne, der Dämonen und der Menschen. Da nun alle Seelen der Naturordnung gemäß auf die erste Seele zurückzuführen sind, so müssen die Eroten aller Seelen sich zu dem Eros der ersten Seele so verhalten, daß sie von ihr in gewisser Weise abhängig sind. Aus diesem Grunde bezeichnen wir diese Eroten einfach als Dämonen und jenen nach der Verwendung bei Diotima als den großen Dämon, der bei jedem in der Welt ist und die Herzen nicht träge werden läßt, sondern sie ständig zur Liebe anregt. In uns aber befinden sich nicht nur zwei, sondern fünf Eroten. Die beiden äußersten werden als Dämonen, die drei mittleren außer mit diesem Namen auch als Affekte bezeichnet. Zweifellos besteht im Geist des Menschen eine ewige Liebe, die göttliche Schönheit zu schauen; um seinetwillen widmen wir uns dem Studium der Philosophie sowie der Betätigung der Gerechtigkeit und Frömmigkeit. Ferner besteht im Zeu-

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gungsvermögen ein verborgener Anreiz, Nachkommenschaft hervorzubringen. Dieser andauernde Liebestrieb regt uns unablässig an, in der Gestalt der Kinder ein gewisses Ebenbild der überirdischen Schönheit auszuprägen. Diese beiden Eroten wirken beständig in uns und sind jene beiden Dämonen, die nach Platon unseren Seelen stets gegenwärtig sind und von denen der eine uns aufwärts, der andere uns abwärts zieht. Der eine wird Kalodaimon, d. h. guter Geist, der andere Kakodaimon, d. h. böser Geist, genannt. In Wirklichkeit sind beide gut; denn die Erzeugung von Nachkommenschaft ist als ebenso notwendig und ehrbar anzusehen wie die Erforschung der Wahrheit. Der zweite wird aber aus dem Grunde böse genannt, weil er um unseres ausschweifenden Gebrauchs willen uns zuweilen verwirrt und die Seele von ihrem vornehmsten Gut, der Erforschung der Wahrheit, ablenkt und zu niedrigen Verrichtungen hinzieht. Zwischen diesen beiden gibt es in uns noch drei Eroten : Da diese in der Seele nicht so fest begründet sind wie die beiden anderen, sondern beginnen, wachsen, abnehmen und auf­ hören, sind sie richtiger Gemütsbewegungen oder Affekte als Dämonen zu nennen. Von diesen drei Eroten nimmt der eine genau die Mitte zwischen den eben besprochenen äußersten ein; die beiden anderen neigen mehr zu je einem von diesen letzteren hin. Wenn nun die Gestalt irgendeines Körpers seiner Idee im göttlichen Geist entsprechend geraten ist, weil sich die Materie in geeignetem Zustand befand, dann dringt sie, den Augen sich darbietend, durch diese in den Lebensgeist ein und gefällt der Seele sofort, da sie mit den Formen übereinstimmt, die sich als Urbilder dieses Dinges sowohl in unserem Geist als auch unserem Zeugungsvermögen befinden und uns von Anbeginn von Gott eingegeben sind. Hieraus gehen jene drei Eroten hervor. Denn wir sind zu einer von drei Lebensarten geboren und erzogen, nämlich



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der betrachtenden,285 der tätigen oder der genußsüchtigen. Wenn wir zur betrachtenden neigen, erheben wir uns von der Anschauung der körperlichen sofort zur Betrachtung der geistigen und göttlichen Form. Wenn wir zur genußsüchtigen neigen, sinken wir vom Anschauen gleich zum Gelüste des Berührens. Neigen wir aber zu der tätigen und sittlichen Lebensart, so bleiben wir bei der Freude des Anschauens und des geselligen Umgangs. Die ersten sind so geistvoll, daß sie sich am höchsten erheben; die letzten sind so plump, daß sie zum Niedrigsten hinabsinken; die Mittleren halten sich im mittleren Bereich. Jede Liebe also beginnt mit dem Anschauen. Die Liebe des betrachtenden Menschen aber erhebt sich vom Sehen zum Geist; die Liebe des genußsüchtigen steigt vom Sehen zum Betasten herab, während die Liebe des tätigen Menschen beim Anschauen bleibt. Die Liebe des Betrachtenden steht dem oberen Dämon viel näher als dem unteren, die des Wollüstigen dagegen dem unteren, während die des Tätigen sich im gleichen Abstand zwischen beiden hält. Diese drei Eroten erhalten drei Benennungen : Der Eros des Betrachtenden wird als göttlich, der des Tätigen als menschlich und der des Wollüstigen als tierisch bezeichnet. 9. K apitel Die Leidenschaften, die Liebende wegen der Mutter des Eros in sich haben Bisher haben wir auseinandergesetzt, daß Eros ein aus der Dürftigkeit und dem Überfluß entsprossener Dämon ist und daß er in fünf Arten besteht. Im weiteren werden wir im Anschluß an die Worte der Diotima erörtern, welche Affekte und Leidenschaften in den Liebenden aus dieser Natur des Eros entstehen. Die Worte der Diotima lauten :

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Da Eros am Geburtstag der Aphrodite gezeugt wurde, folgt er ihr nach und strebt nach Schönem; denn Aphrodite ist überaus schön. Als Kind der Dürftigkeit ist er dürr, mager und verkommen, barfüßig, demütig, ohne Obdach, ohne Lager und Bedeckung schläft er vor den Türen, auf der Straße, unter freiem Himmel und ist allzeit bedürftig. Als Sohn des Überflusses aber stellt er schönen und guten Personen nach, ist mutig, kühn, wild, ungestüm, listig, verschlagen, ein Fallensteller286 , schmiedet immer neue Ränke, strebt nach Einsicht, ist beredt, philosophiert sein ganzes Leben lang, ist ein mächtiger Hexenmeister mit Zauberwort, bösem Blick und Zaubertränken und Sophist. Seiner Natur nach ist er weder durchaus unsterblich noch durchaus sterblich. Bald blüht er auf und gedeiht an einem und demselben Tage, sobald er Überfluß hat; bald schwindet er hin und erholt sich wieder : Dies beruht auf der Natur seines Vaters. Dann aber geht, was er gewonnen hat, wiederum verloren. Darum ist Eros weder bettelarm noch reich und steht mitten zwischen Weisheit und Unwissenheit. Soweit Diotima ! Wir wollen ihre Worte in möglichster Kürze erklären. Die eben beschriebenen Eigenschaften findet man zwar bei allen Arten der Eroten, am deutlichsten ausgesprochen aber bei den mittleren, die uns besonders vertraut sind. Am Geburtsfest der Aphrodite gezeugt, folgt er ihr nach, das bedeutet : da Eros zugleich mit jenen überirdischen Geistern, die wir die venerischen nennen, gezeugt ist, lenkt er naturgemäß unsere Seelen aufwärts zum Übersinnlichen. Er trägt Verlangen nach dem Schönen, weil Aphrodite von höchster Schönheit ist, d. h. : er entfacht in den Seelen das Verlangen nach der höchsten göttlichen Schönheit, weil er der Sphäre jener Geister entstammt, die Gott nahestehen und deshalb von seiner Herrlichkeit erleuchtet werden und uns zu denselben Lichtstrahlen emporheben. Da ferner287 das Leben aller Lebewesen und aller Gewächse sowie die Fruchtbarkeit der Erde auf der Wärme und Feuch-



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tigkeit beruht, deutete Diotima, um die Bedürftigkeit des Eros darzulegen, an, daß ihm sowohl Feuchtigkeit als auch Wärme fehlt, und zwar mit den Worten : Eros ist dürr, mager und verkommen. Wer wüßte nicht, daß dürr und trocken ist, dem die Feuchtigkeit fehlt, und wer wird bestreiten, daß bleiches und fahles Aussehen vom Mangel an Blutwärme herrührt. Werden doch durch lange andauernde Liebesleidenschaft die Menschen bleich und mager, weil die natürliche Kraft zu zwei verschiedenen Verrichtungen zugleich nicht ausreicht. Die Anspannung des Liebenden geht ganz im ununterbrochenen Denken an die geliebte Person auf. Nach der gleichen Richtung hin ist auch die gesamte Kraft seiner natürlichen Veranlagung in Anspruch genommen, und deshalb wird die Speise in seinem Magen schlecht verdaut. Daher kommt es, daß der größere Teil unnütz verbraucht wird, der kleinere aber in schlecht verdautem Zustande zur Leber gelangt. Auch dort wird es aus demselben Grund schlecht verdaut. So wird nur wenig und noch dazu schlecht bereitetes Blut durch die Gefäße getrieben, und deshalb magern dann alle Gliedmaßen ab und verkümmern, eben wegen des geringen und rohen Nährstoffes. Zudem eilen die Lebensgeister, die Vehikel und Werkzeug der Seele sind, dorthin, wohin sich die dauernde Anspannung der Seele bewegt. Die Lebensgeister entstehen in der Wärme des Herzens aus dem feinsten Teil des Blutes. Die Seele des Liebenden ist zu dem seiner Einbildungskraft eingeprägten Bild des Geliebten und dem Geliebten selbst hingerissen.288 Dorthin werden auch die Lebensgeister hingezogen, und indem sie dorthin hinfliegen, büßen sie andauernd ihre Kräfte ein. Daher bedarf es reinen Blutstoffes, um die fortwährend erschlaffenden Lebensgeister immer wieder neu zu beleben; dadurch werden die feinsten und klarsten Teile des Blutes ständig zur Wiederherstellung der unaufhörlich nach außen verfliegenden Lebensgeister verbraucht. Infolgedessen wird das reine klare Blut verzehrt, und das unreine,

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dicke und dunkle bleibt zurück. Dadurch trocknet der Körper aus und verkümmert, und die Liebenden werden melancholisch, weil sich die schwarze Galle durch das trockene, dicke und schwärzliche Blut vermehrt. Dieser Saft erfüllt mit seinen Dünsten den Kopf, trocknet das Hirn aus und quält unaufhörlich bei Tag und Nacht die Seele mit düsteren und schrecklichen Vorstellungen. So erging es dem epikureischen Philosophen Lukrez289 infolge einer lange währenden Liebe : Zuerst in Liebeswahn und dann in Raserei verfallen, legte er schließlich Hand an sich. Solche Schande stößt denen zu, die mit der Liebe Mißbrauch treiben und das zum Anschauen Bestimmte auf die sinnliche Begierde des Tastsinnes übertragen. Denn man erträgt leichter das Verlangen des Anschauens als das Gelüste des Sehens und Berührens zugleich. Das beobachteten schon die Ärzte des Altertums und erklärten die Liebe für ein der melancholischen Krankheit verwandtes Leiden und Narrheit 290, und der Arzt Rhazes empfahl, sie durch Beischlaf, Fasten, berauschende Getränke und körperliche Anstrengung zu behandeln. Aber nicht nur bringt die Liebe Menschen in den eben beschriebenen Zustand, sondern es neigen auch umgekehrt von Natur so beschaffene Menschen zur Liebe. Das sind solche, in denen die gelbe und die schwarze Galle vorherrschen. Die gelbe Galle ist warm und trocken, die schwarze trocken und kalt. Jene nimmt im Körper die Stelle des Feuers und diese die Stelle der Erde ein. Daher meint Diotima mit dürr und mager den Melancholiker, dessen Temperament der Erde entspricht, sowie mit »bleich und gelblich«291 den Choleriker, dessen Temperament dem Feuer gleicht. Die Choleriker stürzen sich mit dem Ungestüm des feurigen Temperaments in den Liebestaumel wie in einen Abgrund. Die Melancholiker sind wegen der Trägheit des erdartigen Temperaments langsamer zur Liebe. Sind sie aber erst einmal im Netz, so zappeln sie, der Beständigkeit dieses Temperaments zufolge, sehr lange darin.



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Folglich wird Eros mit Recht als dürr und fahl 292 beschrieben, da die so beschaffenen Menschen sich mehr als die anderen der Liebe hinzugeben pflegen. Nach meiner Meinung kommt das daher, weil die Choleriker durch die Hitze der gelben Galle brennen, während die Melancholiker durch die Schärfe der schwarzen Galle aufgerieben werden, wie Aristoteles im siebten Buch der Ethik293 behauptet. Beide also quält unaufhörlich der lästige Saft und zwingt sie, ein Linderungsmittel von anhaltender Wirkung gegen die dauernde Belästigung des Temperaments zu suchen. Als solches bietet sich hauptsächlich das Vergnügen durch die Musik und durch die Liebe dar; denn wir können uns keiner Unterhaltung so ununterbrochen widmen wie dem Wohlklang der Musik und der Betrachtung der Schönheit. Das Verlangen der übrigen Sinne ist bald befriedigt; dagegen Gesicht und Gehör genießen Töne und bloße Bilder für lange Zeit. Die Genüsse dieser beiden Sinne sind nicht nur anhaltender, sondern auch der menschlichen Veranlagung angemessener. Denn nichts ist für die Lebensgeister des menschlichen Körpers passender als die Stimmen und Gestalten von Menschen, besonders derjenigen, die nicht nur aus Gleichheit der Natur, sondern auch durch den Liebreiz ihrer Schönheit gefallen. Darum suchen die Choleriker und Melancholiker besonders die Vergnügen an Gesang und Form als einziges Heil- und Linderungsmittel gegen die Lästigkeit ihrer Komplexion, und eben darum sind sie auch den Reizen der Liebe zugänglich. So war Sokrates, den Aristoteles294 für einen Melancholiker erklärte, seinem eigenen Geständnis nach überaus zur Liebe veranlagt. Das gleiche können wir von der Dichterin Sappho sagen, die sich selbst als melancholisch und liebebedürftig beschrieb. Auch unser Vergil,295 den sein Äußeres als Choleriker erscheinen läßt, lebte zwar keusch, war aber überaus zur Liebe geneigt. Eros ist barfüßig. Diotima beschrieb Eros deshalb als bar­ füßig, weil die Liebenden dermaßen in Liebesangelegenheiten

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aufgehen, daß sie in allen ihren übrigen privaten sowohl wie öffentlichen Geschäften nicht mit der erforderlichen Behutsamkeit zu Werke gehen, sondern, ohne auf irgendeine Gefahr zu achten, sich kopflos hinreißen lassen. Deshalb geraten sie in ihrem Vorgehen in vielfache Gefahren, nicht anders als jemand, der unbeschuht geht, oftmals von Steinen und Dornen verletzt wird. Niedrig. Das griechische Wort Χαμαιπετής296 bedeutet »nach unten fliegend«, und dergestalt beschrieb Diotima den Eros, weil sie sah, daß die Liebenden dann, wenn sie die Liebe mißbrauchen, sinnlos leben und um der niedrigsten Sorgen willen die höchsten Güter zugrunde gehen lassen. Sie geben sich in dem Maße den geliebten Personen hin, daß sie ganz in diese überzugehen und unablässig ihr Wesen in Wort und Gebärde nachzuahmen streben. Wer würde wohl nicht durch stetes Nachäffen von Mädchen und Knaben selbst weibisch und kindisch, ja schließlich zu einem Kind oder Weib ? Ohne Obdach. Das Haus des menschlichen Denkens ist die Seele; das Haus der Seele ist der Lebensgeist; das Haus des Lebensgeistes ist der Körper. Drei sind die Bewohner, drei die Behausungen. Jeder derselben verläßt um der Liebe willen sein Haus; denn alles Denken des Liebenden wendet sich viel mehr der Hingabe an den Geliebten als seinem eigenen Wohl 297 zu. Die Seele vernachlässigt den Dienst ihres Körpers und Geistes298 und strengt sich an, in den Körper ihres Geliebten überzugehen. Der Lebensgeist, das Vehikel der Seele, fliegt, während die Seele an einen anderen Ort eilt, gleichzeitig anderswohin, so daß mit dem Denken zugleich auch die Seele und der Lebensgeist das Haus verlassen. Das erstere Entweichen hat Verblödung und Unruhe, das weitere hat Schwäche und Todesangst, das dritte hat Herzklopfen und Atemnot zur Folge. In diesem Sinne ist Eros seines Hauses, seines natürlichen Wohnsitzes und seiner ersehnten Ruhestatt beraubt.



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Ohne Lager und jegliche Bedeckung. Das bedeutet, daß Eros weder hat, wo er ruhen, noch etwas, womit er sich bedecken kann. Denn da jedes Ding zu seinem Ursprung zurückstrebt, versucht das Feuer der Liebe, das sich im Verlangen des Liebenden durch die Anwesenheit des schönen Geliebten entzündet hat, in den Körper, von dem aus es sich entzündet hat, zurückzufliegen. In seinem Ungestüm reißt es das Verlangen und auch den Verlangenden mit sich. O grausames Geschick der Liebenden ! O Leben, trostloser als jeglicher Tod – es sei denn eure Seele, nachdem sie durch den Überschwang der Liebe dem Leibe entrissen ist, vernachlässigt etwa doch die Gestalt des Geliebten und schwingt sich zu dem Tempel des göttlichen Lichtglanzes auf, wo sie endlich ruht, befriedigt wird und sich selbst findet !299 Ohne Bedeckung. Wer bestreitet, daß Eros nackt ist ? Die Liebe läßt sich nicht verheimlichen. Viele Merkmale verraten sie ja : der stiere Blick 300, das stoßweise Sprechen, das abwechselnde Erröten und Erbleichen des Antlitzes, die häufigen Seufzer, das Schlottern der Gliedmaßen, das unaufhör­liche Klagen, das maßlose und unangebrachte Lobreden, die jähe Ent­r üstung, das viele Selbstlob, die Zudringlichkeit, die kecke Sinnlichkeit, der grundlose Argwohn, die würdelose und knechtische Dienstfertigkeit. Kurz, wie bei der Sonne und dem Feuer das strahlende Licht Begleiterscheinung der Wärme ist, gehen aus dem inneren Brand der Liebe die äußerlichen Anzeichen hervor. Er schläft vor der Tür. Die Türen der Seele sind die Augen und die Ohren. Durch sie geht vieles in die Seele ein, und ebenso offenbaren sich die Affekte sowie der Charakter am deutlichsten durch die Augen. Die Liebenden bringen die meiste Zeit damit zu, die Gestalt des Geliebten anzuschauen und seiner Stimme lauschen. Selten nur sammelt sich ihr Geist in sich, da er zumeist durch die Augen und Ohren ausschwärmt. Deshalb heißt es, sie schliefen vor der Tür.

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Es heißt auch : Sie liegen auf der Straße. Die Schönheit des Körpers muß gewissermaßen eine Straße sein, auf der wir zu höherer Schönheit aufzusteigen beginnen. Daher bleiben diejenigen, die sich im Kot ihrer Gelüste wälzen oder auch länger als angemessen im Hinsehen zubringen, sozusagen auf der Straße zurück und erreichen gar nicht das Ziel. Es heißt auch, Eros schlafe unter freiem Himmel. Mit Recht : Die Verliebten befassen sich ja ausschließlich mit einer Sache und vernachlässigen ihre eigentlichen Angelegenheiten. Weil sie aufs Geratewohl leben, unterliegen sie allen Wechselfällen des Schicksals gerade so wie die, die nackt unter freiem Himmel ihr Leben führen, allen Wettern ausgesetzt sind. Der Natur seiner Mutter zufolge ist er stets bedürftig. Da Eros von der Dürftigkeit abstammt und da man kaum ausrotten kann, was natürlich ist, ist er stets bedürftig und durstig. Denn solange ihm noch etwas zu erstreben fehlt, glüht er heiß; hat er aber alles erreicht, erlischt aus Mangel an Bedürfnis die Glut der maßlosen Liebe, statt ohne Bedarf fortzudauern.301 10. K apitel Die Gaben, die Liebende vom Vater des Eros her haben Dies also sind die Folgen der Dürftigkeit, die Mutter des Eros ist; aus dem Überfluß aber, seinem Vater, folgt das Gegenteil des Gesagten. Worin nun dieses Gegenteil besteht, wird ein jeder dem Verständnis des Angeführten entnehmen. Beschrieben wurde Eros vorhin als schlicht, unbedachtsam, niedrig und wehrlos. Hier aber werden die entgegengesetzten Eigenschaften aufgeführt, als da sind : listig, verschlagen, Fallensteller, Ränkeschmied, Nachsteller, nach Einsicht strebend, Philosoph, mutig, kühn, gewalttätig, beredt, Magier302 und Sophist. Derselbe Eros, der den Liebenden in seinen übrigen Geschäften unbedacht und saumselig macht, macht ihn in Liebesdin-



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gen gewandt und verschlagen, so daß er mit erstaunlichen Schlichen nach der Gunst des Geliebten hascht, indem er ihn mit List umgarnt, durch Dienstfertigkeit verblendet, mit Beredsamkeit gefügig macht oder durch Gesang bezaubert. Dieselbe Wut, die den Verliebten durch Dienstfertigkeit sich einschmeicheln läßt, verschafft ihm später auch die Waffen. Ist er gegen den Geliebten empört, so wird er wild; kämpft er für ihn, so ist er unbesieglich. Die Liebe entspringt, wie gesagt, aus dem Sehen; dieses nimmt die Mitte ein zwischen dem Geist und dem Tastsinn. Daher kommt es, daß die Seele des Liebenden stets zerstreut ist und sich abwechselnd mal aufwärts, mal abwärts schwingt. Einmal erwacht das Gelüst der Berührung, dann wieder das schamhafte303 Verlangen nach der himmlischen Schönheit; einmal siegt und führt jenes, ein anderes Mal dieses. Das heißt aber : In denen, die anständig erzogen sind und einen scharfen Verstand haben, siegt das Verlangen nach der übersinnlichen Schönheit, in den anderen zumeist die Lust aufs Berühren. Die Menschen, die in den Bodensatz der Körperlichkeit eintauchen, werden mit Recht als dürr, nackt, niedrig, wehrlos und untüchtig bezeichnet : als dürr, weil sie stets hungrig sind und niemals satt werden; als nackt, weil sie leichtsinnig allen Gefahren ausgesetzt sind und wie schamlose Menschen der öffentlichen Schande verfallen; als niedrig, weil sie nichts Hohes und Herrliches denken; als wehrlos, weil sie der schänd­ lichen Lust unterliegen; als untüchtig, weil sie so stumpfsinnig sind, daß sie nicht merken, wohin die Liebe sie zieht, und statt zum Ziele zu gelangen, auf dem Weg zurückbleiben. Dem entgegengesetzte Menschen haben entgegengesetzte Eigenschaften. Da sie sich mit der wahren Seelenspeise304 nähren, befriedigen sie sich mehr und lieben mit größerer Seelenruhe. Sie scheuen die Schande und kümmern sich nicht um die schattenhafte Schönheit des Körpers; sie erheben sich in höhere Regionen und schlagen wie mit Waffen die niede-

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ren Begierden in die Flucht, indem sie die Sinne der Vernunft unterwerfen. Sie philosophieren höchst eifrig und einsichtsvoll derart, daß sie den Gestalten der Körper wie Fußspuren und Witterungen vorausschauend nachgehen und durch sie scharfsinnig den Schmuck der Seele und der göttlichen Wesenheiten aufspüren. Indem sie so besonnen jagen, fassen sie auch glücklich die gesuchte Beute. Diese große Gabe stammt vom Überfluß, dem Vater des Eros; denn der Lichtstrahl der Schönheit, der Fülle und Vater der Liebe ist, hat die Kraft dahin zurückzustrahlen, woher er ausging, und hierbei reißt er den Liebenden mit sich. Dieser Lichtstrahl geht ursprünglich von Gott aus durch den Engel und die Seele wie durch Glas hindurch, um dann von der Seele aus in deren zum Empfangen bereiten Körper einzudringen. Aus diesem schönen Körper305 leuchtet er dann hervor, und zwar besonders aus den Augen wie aus durchsichtigen Fenstern. Sogleich durchfliegt er die Luft, dringt in die Augen des ihn Anschauenden ein, trifft die Seele und entzündet in ihr das Verlangen. Die verwundete Seele und das entzündete Verlangen führt er dann zur Heilung und Kühlung, indem er sie mit sich an den Ort zieht, woher er ausgegangen ist, und zwar in einer bestimmten Stufenfolge, nämlich zuerst zum Körper des Geliebten, dann zu der Seele, drittens zum Engel und schließlich zu Gott, dem ersten Ursprung des beschriebenen Lichtstrahls. Das nenne ich eine nützliche Jagd ! Das ist ein erfolgreiches Fallenstellen der Liebenden ! Deshalb nennt auch ein Freund des Sokrates in Platons Protagoras diesen einen Fallensteller, nämlich mit den Worten : »Woher, lieber Sokrates ? Ich vermute, von der Jagd, zu der dich die anständige Erscheinung des Alkibiades immer verleitet.«306 Ferner wird Eros Sophist und Magier genannt. Platon definiert in seinem Dialog Der Sophist den Sophisten als einen aufgeblasenen arglistigen Wortfechter, der mittels verfäng­



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licher Trugschlüsse Falsches als wahr erscheinen läßt und diejenigen, die mit ihm disputieren, dazu verführt, sich selbst zu widersprechen.307 Dasselbe geschieht zuweilen den Liebenden und den Geliebten. Denn die Liebenden nehmen öfters, geblendet vom Nebel der Liebe, Falsches für Wahres, indem sie die Geliebten für schöner, geistreicher und besser halten, als sie sind. Auch widersprechen sie durch das Ungestüm der Liebe sich selbst; denn die Begierde erstrebt anderes, als der Verstand für ratsam hält. Oft ändern sie auch auf Befehl der geliebten Person ihre Entschlüsse und widerstreben sich selbst, um anderen zuzustimmen. Ebenso gehen schöne Personen durch die List der Liebenden ins Netz, und die zuvor störrisch waren, werden folgsam. Weshalb aber wird Eros Magier genannt ? Weil alle Macht der Magie auf der Liebe beruht. Die Wirkung der Magie besteht in der Anziehung, die ein Gegenstand auf einen anderen auf Grund einer bestimmten Ähnlichkeit der Natur ausübt. Die Teile dieser Welt hängen, wie die Gliedmaßen eines Lebewesens, alle von einem Urheber ab und stehen durch die Gemeinschaft ihrer Natur in Zusammenhang. Wie also in uns das Gehirn, die Lunge, das Herz, die Leber und die übrigen Körperteile voneinander etwas empfangen, sich gegenseitig fördern und mitleiden, wenn einer von ihnen leidet, so sind die Teile dieses großen Lebewesens308 nämlich alle Weltkörper zusammen, untereinander verkettet und teilen einander ihre Natur mit. Aus dieser allgemeinen Verwandtschaft entspringt gemeinsame Liebe, aus dieser die gegenseitige Anziehung : Und das ist die wahre Magie.309 So wird von der Wölbung der Mondsphäre das Feuer durch Übereinstimmung der Natur aufwärts gezogen, von der Wölbung der Feuersphäre in gleicher Weise die Luft; vom Mittelpunkt der Welt wird die Erde abwärts gezogen und das Wasser von seinem Ort. Ebendeshalb zieht der Magnet das Eisen, der Bernstein den Strohhalm und der Schwefel das Feuer

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an, wendet die Sonne Blüten und Blätter zu sich hin, setzt der Mond das Wasser und der Mars die Winde in Bewegung, locken verschiedene Kräuter verschiedene Arten von Lebewesen zu sich hin. In gleicher Weise wird in menschlichen Dingen jedes Individuum von seinem Wohlgefallen 310 geleitet. Folglich sind die Werke der Magie Wirkungen der Natur, und die Kunst ist nur Vermittlerin. Wenn nämlich zur harmonischen Verbindung der Naturen noch etwas fehlt, dann stellt die Kunst im rechten Zeitpunkt bestimmte Dämpfe, Zahlen, Figuren und Qualitäten bereit. So bringt beim Ackerbau die Natur das Getreide hervor, und die Kunst hilft das Material aufzubereiten.311 Diese magische Kunst schrieben die Alten den Dämonen zu; denn diese kennen die Verwandtschaft der Naturdinge und wie sie zusammenstimmen und wissen das Einvernehmen wiederherzustellen, wenn es fehlt. Von einigen Philosophen heißt es, sie hätten mit diesen Dämonen Freundschaft unterhalten 312 , entweder auf Grund einer natürlichen Proportion, wie Zoroaster und Sokrates, oder auf Grund eines Kults, wie Apollonios313 und Porphyrios. Es wird auch berichtet, die Dämonen hätten sich jenen im Wachen durch Stimmen, Zeichen und wunderbare Erscheinungen, im Schlafe durch Offenbarungen und Visionen kundgetan. Demnach scheinen jene durch ihre freundschaftlichen Beziehungen zu den genannten Geistern Magier geworden zu sein, in dem gleichen Sinn, wie die Dämonen Magier sind, indem sie die Freundschaft der Naturdinge kennen. Wird doch auch die Natur314 selbst wegen der gegenseitigen Liebe Magierin genannt. Zudem bezaubern schöne Personen den, der sie viel ansieht, mit dem Blick, und die Verliebten nehmen durch die Macht der Beredsamkeit und durch Gesänge die geliebten Personen für sich ein, ködern und fangen sie durch Dienstleistungen und Geschenke gleichsam wie durch Zaubermittel. Darum besteht kein Zweifel daran, daß Eros ein Zauberer ist; denn



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alle magischen Kräfte beruhen auf der Liebe, und das Wirken des Liebesgottes vollzieht sich gewissermaßen durch Zauberblicke, Zaubersprüche und Zaubertränke. Er ist weder vollkommen sterblich noch unsterblich. Die Liebe ist nicht sterblich, weil die beiden Eroten, die wir als Dämonen bezeichnen, für immer in uns sind. Sie ist auch nicht unsterblich, weil die drei Eroten, die wir zwischen jenen beiden annehmen, sich unaufhörlich verändern, wachsen und abnehmen. Zudem ist im Streben des Menschen von Anbeginn seines Lebens eine Glut entzündet, die nie erlischt. Diese läßt die Seele keine Ruhe in sich finden, sondern treibt sie unablässig dazu, sich mit Ungestüm an irgend etwas zu hängen. Die Anlagen der Menschen sind verschieden, und man lebt nicht um nur eines Zieles willen.315 Daher leitet das unaufhörliche Brennen des Strebens, der natürliche Eros, die einen zu den schönen Wissenschaften, andere zur Musik oder zur bildenden Kunst, andere wieder zu moralischem Anstand oder zum Ordensleben, einige zu Ehrenstellen, manche zum Zusammenraffen von Geld, viele zur Schlemmerei und Unzucht316 und andere zu anderen Dingen, ja auch denselben Menschen in seinen verschiedenen Lebensaltern zu verschiedenerlei. Das gleiche Brennen heißt also unsterblich und sterblich : unsterblich, weil es nie erlischt und eher den Stoff wechselt als zu vergehen; sterblich, weil es nicht immer auf denselben Gegenstand gerichtet ist, sondern stets neues Vergnügen sucht, sei es wegen einer Veränderung der Natur oder aus Überdruß des langen Gebrauchs desselben. Somit lebt dieses Brennen, wenn es in einer Sache stirbt, in einer anderen wieder auf. Unsterblich heißt es auch, weil man die Gestalt, die man einmal liebt, immer liebt. Denn solange eine und dieselbe Gestalt in einem und demselben Menschen sich selbst gleich bleibt, liebt man sie in ihm. Ist sie aber von ihm gewichen, so ist in ihm nicht mehr dieselbe Gestalt, die du vordem lieb-

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test. An ihre Stelle trat eine neue, und diese liebst du nicht, da du sie auch zuvor nicht geliebt hast. Dennoch hörst du nicht auf, die frühere zu lieben. Doch merke nun den Unterschied : Erst sahst du die ursprüngliche Gestalt in einem anderen; nun siehst du sie in dir selber ! Diese, die deinem Gedächtnis fest eingeprägt ist, ist immer gleich, und die liebst du unaufhörlich, und sooft sie sich dem Auge deiner Seele vorstellt, entflammt sie dich als Liebenden. Daher erregen wir uns jedesmal, wenn wir einer einst geliebten Person begegnen : Wir spüren Herzklopfen oder Schwachwerden der Leber; manchmal flimmert es auch vor den Augen, und das Gesicht überzieht sich mit mannigfaltigen Farben, wie feuchte Luft, wenn ihr die Sonne gegenübersteht, den Regenbogen erscheinen läßt.317 Denn die Gegenwart der geliebten Person erweckt die Vorstellung von ihr, die zuvor in der Seele des Liebenden schlummerte, führt sie vor sein geistiges Auge und entfacht wieder das Feuer, das unter der Asche ruhte318. Aus diesem Grunde wird Eros unsterblich genannt. Jedoch auch sterblich heißt er : Denn obgleich das geliebte Angesicht 319 fest in der Brust eingeprägt ist, bietet es sich doch nicht gleichermaßen dem Auge der Seele dar, und daher scheint es, als ob die Zuneigung abwechselnd aufwalle und sich wieder abkühle. Dazu kommt noch, daß die tierische und auch die menschliche Liebe niemals ohne Unwillen bestehen können. Wer wäre wohl nicht empört gegen den, der ihm die Seele geraubt hat ? Wie die Freiheit willkommen ist, so ist die Knechtschaft belastend. Darum haßt und liebt man die schönen Personen zugleich. Man haßt sie als Räuber und Mörder; man liebt und verehrt sie als Spiegel, aus denen das himmlische Licht widerstrahlt. Du weißt nicht, du Armer, was du tun sollst. Du weißt, Unglücklicher, weder aus noch ein. Du möchtest dich nicht in der Gesellschaft deines Mörders befinden, und doch möchtest du nicht leben ohne seine selige Gegenwart. Du kannst nicht



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bei dem weilen, der dich mordet, und kannst doch nicht leben ohne ihn, der mit so vielen Liebkosungen dich dir selber raubt und dich ganz für sich in Besitz nimmt. Du möchtest den fliehen, der dich mit seinen Flammen versengt, und möchtest doch ihm nahe sein, um durch Annäherung an den, der dich besitzt, dir selbst nahe zu kommen. Du suchst dich, Unseliger, außerhalb deiner selbst und drängst dich an deinen Räuber, um dich, der du Gefangener bist, manchmal freizukaufen ! Tor, du möchtest nicht lieben, weil du nicht sterben möchtest; nicht lieben möchtest du auch nicht, weil du Abbilder der Himmlischen verehren zu müssen meinst ! Durch diesen Widerstreit 320 also kommt es, daß sozusagen in jedem Augenblick die Liebe hinwelkt und wieder auf blüht. Sodann stellt Diotima den Eros mitten zwischen Weisheit und Unwissenheit. Die Liebe sucht ja nach Schönem; das Schönste von allem aber ist die Weisheit. Nach ihr also strebt sie. Wer aber nach Weisheit strebt, besitzt sie noch nicht vollkommen. Denn wer würde etwas erstreben, was er schon besitzt ? Jedoch ermangelt er ihrer auch nicht durchaus. Darin wenigstens ist er weise, daß er seine Unwissenheit einsieht. Wer nicht weiß, daß er unwissend ist, kennt ebensowenig die Dinge wie sein Nichtwissen und verlangt nicht nach der Wissenschaft, von der er gar nicht gewahr ist, daß er ihrer unkundig ist. Die Liebe zur Weisheit ist – da sie teils ohne Weisheit, teils weise ist – in der Mitte zwischen Weisheit und Unwissenheit anzusetzen. So beschrieb Diotima die Beschaffenheit des Eros. Die Beschaffenheit der höchsten Schönheit besteht nach ihr darin, daß sie anmutig, vollkommen und selig ist. Anmutig dadurch, daß sie durch ihren Reiz das Verlangen aller Wesen anzieht; vollkommen, da sie alles, was sie an sich gezogen hat, mit ihren Strahlen erleuchtet und vollendet; selig, indem sie das von ihr Erleuchtete mit ewigen Gütern sättigt.

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11. K apitel Die Förderlichkeit des Eros seiner Definition nach Nachdem Diotima den Ursprung des Eros und seine Beschaffenheit dargelegt hatte, erklärte sie auch folgendermaßen, zu welchem Ziel er führt und wozu er den Menschen förderlich ist. Wir alle verlangen nach Gütern, und zwar nicht nur sie zu haben, sondern sie immer zu haben. Doch alle Güter der Sterblichen verändern sich und schwinden hin. Schließlich würden sie alle verloren gehen, wenn nicht an Stelle derer, die dahingehen, unaufhörlich neue Güter treten würden. Damit nun unsere Güter irgendwie Bestand haben, versuchen wir die verlorenen Güter wiederherzustellen. Die Wiederherstellung wird durch Erzeugung bewirkt. Daher ist jedermann der Zeugungstrieb angeboren. Das Zeugen aber ist, weil es die sterblichen Wesen durch die Fortdauer den göttlichen gleichartig macht, zweifellos eine göttliche Gabe. Den gött­lichen Wesen, die schön sind, sind häßliche Dinge zuwider, das Schöne dagegen ist gleichartig und freundschaftlich. Infolgedessen vollzieht sich die Zeugung, die göttliches Wirken ist, vollkommen und leicht in einem schönen Objekt; für den entgegengesetzten Fall gilt das Gegenteil. Darum bevorzugt der Zeugungstrieb schöne Individuen und meidet die häßlichen. Wenn ihr also fragt, was die Liebe des Menschen ist und wozu sie dient 321, nun wohl : Sie ist das Verlangen, im schönen Objekt zu zeugen und immerwährendes Leben in sterblichen Wesen zu erhalten. Das ist die Liebe der Menschen auf Erden, dies der Zweck unseres Liebens. In der Zeit, während der jeder Sterbliche, wie man sagt, lebt und als derselbe existiert, so wie er von Kindheit bis zum Alter ist, bewahrt er in Wirklichkeit keineswegs dieselben Eigenschaften, obwohl er derselbe genannt wird, sondern er erneuert sich unaufhörlich nach Platons Wort 322 , legt das



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Alte ab, was Haare, Fleisch, Knochen, Blut und den gesamten Körper angeht. Und nicht nur am Körper, sondern auch in der Seele geschieht das : Unaufhörlich wechseln der Charakter, die Gewohnheiten, Ansichten, Triebe, Geschmacksrichtungen, Leiden und Befürchtungen. Keines von diesen bleibt dasselbe und sich gleich : Früheres vergeht, und Neues tritt an seine Stelle und wächst 323. Ja, was noch erstaunlicher ist, auch die Kenntnisse unterliegen den gleichen Bedingungen : Nicht nur schwindet die eine Erkenntnis, und eine andere tritt an ihre Stelle, so daß wir hinsichtlich unserer Erkenntnisse uns nicht gleich bleiben, sondern auch jede einzelne Erkenntnis erleidet dasselbe; denn Nachdenken und Erinnerung sind gewissermaßen ein Wiederaufnehmen eines verlorengegangenen Wissens. Das Vergessen ist sozusagen ein Abgang des Wissens; das Nachdenken hingegen stellt im Gedächtnis einen neuen Zustand des Wissens an Stelle des entschwundenen her, so daß dieses als identisch erscheint. Auf diese Weise bleibt, was in der Seele und im Körper veränderlich ist, erhalten – jedoch nicht, weil es genau identisch bliebe – denn diese Gabe ist nur Göttlichem eigentümlich –, sondern das Verschwindende hinterläßt einen ihm gleichenden Nachfolger. Durch dieses Hilfsmittel verähnlicht sich das Sterbliche dem Unsterblichen. Beiden Teilen der Seele also, dem, der erkennen, und dem, der den Körper erhalten soll, ist die Liebe zum Zeugen eingepflanzt, um dauerndes Leben zu erhalten. Die Liebe in dem Teil, der den Körper lenkt, nötigt uns gleich von Anbeginn, nach Speise und Trank zu verlangen, damit aus den Nahrungsmitteln die Säfte entstehen zur Wiederherstellung dessen, was uns fortwährend verloren geht. Durch diese Erzeugung nährt sich und wächst der Körper. Ist er dann herangewachsen, so treibt jener Liebestrieb den Samen hervor und erregt die sinnliche Lust zur Erzeugung von Kindern, damit das, was in sich selbst keinen dauernden Bestand hat,

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in dem ihm gleichartigen Sproß sich für immer erhalte. Auch die Liebe zum Zeugen, die im erkennenden Teil der Seele wohnt, bewirkt, daß die Seele die Wahrheit als die ihr zukommende Nahrung sucht, um sich dadurch auf ihre Weise zu nähren und zu wachsen. Wenn aber etwas durch Vergessen der Seele entfallen ist oder durch Nachlässigkeit in ihr schlummert, dann erweckt sie es sozusagen wieder durch den Fleiß des Nachdenkens, indem sie das durch Vergessen Verlorengegangene oder durch Nachlässigkeit Schlummernde wieder in den Geist zurückruft. Ist die Seele herangereift, dann regt sie diese Liebe mit glühendem Verlangen an, zu lehren und zu schreiben, damit das in seinen Schriften oder in den Seelen seiner Schüler erzeugte Wissen bleibt und die Intelligenz und die Wahrheit des Lehrers in der Menschheit ewig bestehen bleibt. Auf diese Weise bleiben durch die Wohltat der Liebe Leib und Seele des einzelnen Menschen offenbar ewig bei den Menschen bestehen. Beide Eroten suchen das Schöne. Derjenige, der den Körper lenkt, sucht naturgemäß den ihm zugehörenden Leib mit den feinsten, schmackhaftesten und herrlichsten Speisen zu ernähren und wünscht, mit einer schönen Frau schöne Kinder zu zeugen. Die zur Seele gehörende Liebe ist bestrebt, sie mit den schönsten und angenehmsten Lehren zu erfüllen und sowohl in schmuckreicher und schöner Schreibart ein ihr gleiches Wissen zu verbreiten als auch durch Unterricht ein Abbild desselben Wissens in einer anderen schönen Seele zu erzeugen. Unter einer schönen verstehe ich eine scharfsinnige und wohlveranlagte Seele. Zwar können wir die Seele und daher auch ihre Schönheit nicht sehen; wohl aber sehen wir den Körper, der Abbild und Schatten der Seele ist. Daher schließen wir mutmaßend, daß in einem wohlgestalteten Körper auch eine schöne Seele sei; aus diesem Grunde unterrichten wir mit Vorliebe schöne Menschen.



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12. K apitel Die beiden Eroten. Der Seele ist die Idee der Wahrheit angeboren. Zur Genüge haben wir von der Definition der Liebe gehandelt. Jetzt wollen wir die Unterscheidung erklären, die bei Platon bei der Fruchtbarkeit des Leibes und der Seele gemacht wird. Platons Worte lauten : »Bei allen Menschen ist der Leib schwanger und trächtig und ist die Seele schwanger«.324 Dem Körper sind von Natur die Samenkeime aller körperlichen Dinge einverleibt. Demzufolge kommen in vorbestimmten Zeitabläufen die Zähne hervor, wachsen die Haare, sproßt der Bart und schwillt der Samen an. Wenn schon der Leib fruchtbar ist und voll von Samen, um wieviel mehr muß die Seele, die doch edler als der Körper ist, Überfluß haben und von Anbeginn die Samenkeime aller ihr eigenen Dinge in sich tragen ! Von Anbeginn also besaß die Seele die Begriffe325 der Sittlichkeit, der Künste und der Wissenschaften. Wenn sie daher recht ausgebildet ist, so bringt sie zur angemessenen Zeit die Früchte hervor. Daß der Seele die Begriffe aller Dinge angeboren sind, entnehmen wir aus ihrem Streben, Forschen, Erfinden, Urteilen und Vergleichen. Wer wird bestreiten,326 daß die Seele sich vom ersten Kindesalter an nach Wahrem, Gutem, Schönem und Ehrenhaftem sehnt ? Niemand verlangt nach etwas ihm Unbekannten. Der Seele sind also gewisse Merkmale327 dieser Dinge eingeprägt, bevor sie nach ihnen verlangt. Um dieser Begriffe als sozusagen der Urbilder328 der genannten Dinge willen schätzt er sie als begehrenswert. In gleicher Weise wird hinsichtlich des Forschens und Erfindens der Beweis folgendermaßen geführt. Wenn Sokrates den Alkibiades in einer Schar von Menschen sucht und ihn irgendwann wiederfinden soll, dann muß sich im Geist des Sokrates eine bestimmte Gestalt von Alkibiades befinden, damit er weiß, welchen Menschen er statt der anderen sucht und ihn

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in der großen Menge von den anderen unterscheiden kann. Ebenso würde die Seele diese vier, nämlich die Wahrheit, die Güte, die Ehrsamkeit und den Nutzen weder suchen noch sie jemals finden, wenn sie nicht irgendein bestimmtes Merkmal in sich trüge, mit dem sie jene suchen könnte, so daß sie sie wiedererkennt, wenn sie ihnen begegnet, und sie von ihrem Gegenteil richtig unterscheidet. Nicht nur für das Verlangen, das Forschen und Erfinden gilt dieser Beweis, sondern auch für das Urteilen. Jeder, der irgend jemand für seinen Freund oder Feind hält, kennt die Begriffe von Freundschaft und Feindschaft. Denn wie würden wir tagtäglich, wie es unsere Gewohnheit ist, viele Dinge als wahr oder falsch, gut oder schlecht, und zwar richtig, beurteilen können, wenn wir nicht zuvor auf irgendeine Weise Kenntnis von der Wahrheit und Güte hätten ? Oder wie könnten auch so viele in der Baukunst, der Musik, der Malerei und den übrigen Künsten dieser Art, ja auch in der Philosophie ungebildete Leute häufig Werke aus den Gebieten zutreffend anerkennen oder verwerfen, wenn ihnen nicht von Natur eine Idee oder ein Begriff davon gegeben wäre ? Ferner zeigt das Vergleichen dasselbe. Jeder nämlich, der Honig mit Wein vergleicht und den einen für süßer erklärt als den anderen, weiß, was süßer Geschmack ist. Ebenso kennt, wer Speusippos und Xenokrates mit Platon vergleicht und Xenokrates für dem Platon ähnlicher erklärt als Speusippos, ganz gewiß die Gestalt Platons. Weil wir in gleicher Weise von vielen guten Dingen das eine für besser als das andere halten und uns entsprechend der größeren oder geringeren Teilnahme am Guten der eine Gegenstand besser erscheint als der andere, kann uns ebenso notwendigerweise das Gute nicht unbekannt sein. Außerdem urteilen wir öfters zutreffend über die Meinungen von Philosophen oder auch anderer Gelehrter, welche von ihnen der Wahrheit näher oder wahrscheinlicher ist; uns kann daher eine gewisse Anschauung329



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der Wahrheit nicht fehlen, um sicher wissen zu können, was ihr mehr entspricht. Aus diesem Grunde sind manche Perso­ nen im Knabenalter, manche ohne Lehrer, andere, nachdem ihnen nur geringe Anfangsgründe beigebracht waren, zu großer Gelehrsamkeit gelangt. Das wäre unmöglich, wie gesagt, wenn die Natur nicht viel geholfen hätte. Ausführlich hat Sokrates das drei Jünglingen gezeigt : dem Phaidon, dem Theaitetos und dem Menon, und ihnen erklärt, daß Kinder auf jedem Gebiete richtig antworten können, wenn man sie klug befragt, weil sie von der Natur mit Begriffen aller Künste und Wissenschaften ausgestattet sind. 13. K apitel In welchem Sinne das Licht der Wahrheit in der Seele ist Wie sich aber diese Begriffe in der Seele befinden, erscheint bei Platon undeutlich. Wer seinen Jugendwerken 330 folgt, nämlich dem Phaidros, dem Phaidon und Menon, wird meinen, sie seien von Anbeginn 331 in der Substanz der Seele eingezeichnet wie Figuren auf einer Tafel. In diesem Sinne wurde im vorigen von mir wie von euch darüber gehandelt, weil es in den angeführten Werken Platons Auffassung zu sein scheint. Später aber, nämlich im sechsten Buch Über den Staat 332 legte dieser göttliche Mann die Sache ganz offen und sagte : Das Licht des Geistes zur Erkenntnis aller Dinge ist Gott selbst, der alle Dinge schafft. Dabei zieht er einen Vergleich zwischen der Sonne und Gott, indem er sagt : Wie die Sonne zu den Augen, so verhält sich Gott zu den Geistern. Die Sonne bringt die Augen hervor und verleiht ihnen die Sehkraft. Diese Fähigkeit wäre nutzlos und in ewiger Finsternis, wenn sich ihr nicht das Licht, ausgemalt mit den Farben und Formen aller Körper, darböte. In ihm sieht das Auge die Farben und Gestalten der Körper. In Wirklichkeit 333 sieht es einzig und allein das

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Licht, wenn es auch meint, allerlei Dinge wahrzunehmen; denn das in das Auge einströmende Licht ist mit den mannigfaltigsten Formen der Körper ausgeschmückt. Das Auge sieht nun das Licht, soweit es von den Körpern zurückgeworfen wird; aber das Licht 334 selbst in seiner Quelle kann es nicht aufnehmen. In gleicher Weise erschafft Gott die Seele und verleiht ihr den Geist, das ist das Denkvermögen. Auch diese Fähigkeit wäre leer und finster, wenn ihr nicht das Licht der Gottheit beistände, in dem sie die Begriffe aller Dinge schauen kann. Somit erkennt sie durch das göttliche Licht und erkennt nur dieses Licht, obwohl es den Anschein hat, sie nehme unterschiedliche Dinge wahr, weil sie jenes Licht in der Gestalt unterschiedlicher Ideen oder Begriffe der Dinge versteht. Wenn jemand mit den Augen einen Menschen erblickt, dann stellt er in seiner Einbildungskraft das Bild des Menschen her und wendet sich zum Urteilen über diese Vorstellung. Durch diesen Vorgang der Seele bringt er das Auge des Geistes dazu, Begriff und Idee des Menschen anzuschauen, die sich im göttlichen Licht befindet. Von diesem blitzt plötzlich ein Funke im menschlichen Geist auf, und durch ihn begreift man in Wahrheit das Wesen des Menschen. Ebenso geht es auch mit anderen Dingen. Also wir erkennen jedes Ding durch das Licht der Gottheit. Aber das reine Licht an sich können wir in diesem Leben nicht in seiner Quelle erfassen. Darin besteht offenbar die ganze Fruchtbarkeit der Seele, daß in ihrem verborgenen Innersten das ewige Licht der Gottheit wiederstrahlt, angefüllt mit den Ideen aller Dinge. Zu diesem Licht kann sich die Seele, wann immer sie will, durch Reinheit des Lebens und intensives Streben zurückwenden, und ihm zugewendet erstrahlt sie im Funkenglanz der Ideen.



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14. K apitel Über den Ursprung der Liebe zu Männern und der Liebe zu Frauen So gehen nach Platon der menschliche Leib wie auch die menschliche Seele schwanger, und beide treibt der Anreiz der Liebe zum Gebären. Einige Menschen aber sind, sei es von Natur oder infolge ihrer Bildung, zum geistigen Gebären geeigneter als zum körperlichen, andere, und das ist die Mehrheit, aber mehr zum körperlichen als zum geistigen. Die ersteren folgen der himmlischen, die anderen der niederen Liebe. Die ersteren ziehen Männer den Frauen vor, und zwar die Jünglinge den Knaben, weil in jenen die Schärfe des Intellekts viel stärker ist. Dieser ist durch seine herausragende Schönheit ganz besonders zum Unterricht in der Wissenschaft geeignet, die sie zu erzeugen streben. Die anderen dagegen streben aus Hang zur Wollust des Geschlechtsaktes nach Ausübung der körperlichen Zeugung. Die Zeugungskraft, die ihren Sitz in der Seele hat, ist frei von Erkenntnis, daher macht sie keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Und doch treibt uns ihre Natur zum Zeugen, sobald wir ein schönes Objekt erblicken. Deshalb kommt es öfters vor, daß solche, die mit Männern Umgang pflegen, sich mit ihnen fleischlich vermischen, um den Geschlechtstrieb zu beruhigen. Das sind besonders diejenigen, in deren Geburtsstunde Venus in einem männ­lichen Zeichen des Tierkreises sowie mit Saturn in Konjunktion, Opposition oder einem anderen Aspekt stand. Solche Handlung ist allerdings ungehörig; vielmehr ist zu bedenken, daß der geschlechtliche Reiz naturgemäß keineswegs diese zwecklose Verschwendung des Samens erfordert, sondern daß die Betätigung des Zeugungsvermögens zur Fortpflanzung dienen soll, daß darum also die betreffende Ausübung sich nicht auf männliche, sondern auf weibliche Personen zu richten hat. Aus dieser Verir-

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rung ist nach unserer Meinung jenes ruchlose Laster entsprungen, das Platon in seinen Gesetzen335 als eine Art Totschlag hart verdammt. Ganz gewiß ist der nicht weniger als Mörder zu erachten, der einen Menschen, der zur Welt kommen soll, im voraus vernichtet, als der, der einen Lebenden umbringt. Größeren Mut zeigt wohl, wer das bestehende Leben auslöscht, grausamer jedoch ist, wer dem noch zukünftig Geborenen das Licht mißgönnt und seine eigenen Kinder vor ihrer Geburt ermordet. 15. K apitel Über dem Körper steht die Seele, über der Seele der Engel, über dem Engel steht Gott. Soviel über den zweifachen Überfluß der Seele und über die beiden Eroten. Im folgenden 336 wollen wir erörtern, in welcher Stufenfolge Diotima den Sokrates vom untersten Standpunkt durch Zwischenstufen hindurch zum obersten emporführt, indem sie ihn vom Körper zur Seele, von der Seele zum Engel und vom Engel zu Gott erhebt. Daß diese vier Stufen in der Natur mit Notwendigkeit bestehen, werden wir folgendermaßen begründen. Jeder Körper wird von einem anderen bewegt und kann sich seiner Natur nach nicht selbst bewegen, da er aus sich selbst nicht wirken kann. Scheinbar aber bewegt er sich selbst, wenn er eine Seele in sich hat und durch die Seele Leben besitzt. Solange die Seele in ihm ist, bewegt er sich in gewisser Hinsicht selbst; ist sie aber aus ihm entwichen, dann muß er von einem anderen bewegt werden, da er das Vermögen der Selbstbewegung nicht besitzt. Es ist aber die Seele, in der das Vermögen, sich selbst zu bewegen, herrscht; denn jedem Gegenstand, dem sie innewohnt, verleiht sie das Vermögen der Selbstbewegung, folglich muß sie die Kraft, die sie anderen verleiht, zuerst und in höherem Maße selbst besitzen. Die



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Seele steht also über dem Körper als das Prinzip, dem seinem eigenen Wesen nach Selbstbewegung zukommt; sie muß daher über solchen Gegenständen stehen, die das Vermögen ihrer Bewegung nicht aus sich selbst haben, sondern durch die Gegenwart eines anderen empfangen. Wenn 337 wir der Seele Selbstbewegung zusprechen, so verstehen wir dies nicht in dem körperlichen Sinn, den Aristoteles338 krittelnd dem großen Platon unterschob, sondern in geistigem Sinn, absolut statt relativ : in dem Sinne nämlich, wie wir sagen, daß Gott durch sich selbst besteht, die Sonne durch sich selbst leuchtet und das Feuer durch sich selbst warm ist. Es ist nicht so zu verstehen, als ob ein Teil der Seele den anderen bewege, sondern in dem Sinne, daß die ganze Seele aus sich selbst, d. i. ihrer eigenen Natur nach, sich bewegt. Das bedeutet : Sie schreitet mit dem Verstand von einem Gegenstand zum anderen fort und führt die Verrichtungen der Ernährung, des Wachstums und der Zeugung in einem bestimmten Zeitverlauf durch. Dieser zeitliche Fortlauf ist der Seele ihrer Natur nach eigentümlich; denn das über ihr stehende Prinzip erfaßt nicht die einzelnen Gegenstände in verschiedenen Momenten, sondern denkt sie alle in einem Punkt der Ewigkeit 339 auf einmal. Darum nimmt Platon richtig in der Seele das erste Intervall von Bewegung und Zeit an, woher dann die Bewegung und die Zeit in die Körper übergehen. Notwendigerweise geht der Bewegung die Ruhe voraus. Da nun die Ruhe vollkommener als die Bewegung ist, muß es über dem Verstand der Seele, der beweglich ist, eine unbewegliche Intelligenz geben, die ihrem ganzen Wesen nach Intelligenz ist und stets und aktuell Intelligenz ist. Denn die Seele denkt nicht im Ganzen und beständig, sondern partiell und zeitlich; ebensowenig besitzt sie das Vermögen einer zweifellosen Erkenntnis. Folglich muß man, damit das Vollkommenere über dem weniger Vollkommenen steht, über dem beweglichen, unzu-

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sammenhängenden und ungewissen Intellekt der Seele den vollkommenen, unbeweglichen, stetigen und untrüglichen Intellekt des Engels annehmen. Wie dem von einem anderen bewegten Körper die Seele vorangeht, die sich selbst bewegt, so muß der durch sich selbst beweglichen Seele der an sich unbewegliche Engelsgeist vorangehen. Wie der Körper von der Seele seine Selbstbewegung empfängt – allerdings nicht alle Körper, sondern nur die beseelten scheinen sich zu bewegen –, so empfängt die Seele vom Geist, daß sie beständig denkt. Wäre nämlich die Seele an sich im Besitz der Vernunft, dann käme das Denkvermögen allen Seelen, auch denen der Tiere, zu, genauso wie das Vermögen der Selbstbewegung. Folglich kommt Vernunft der Seele nicht an sich und ursprünglich zu, und daher muß über ihr etwas stehen, das an sich und ursprünglich mit Geist ausgestattet ist. Dieses, der Engel, ist vorzüglicher als die Seelen. Endlich aber steht über dem Engel jenes Prinzip des Weltalls, das höchste Gut, das Platon im Parmenides »das Eine« nennt.340 Über alle Vielheit der zusammengesetzten Dinge muß nämlich das seiner Natur nach einfache Eine stehen, weil aus der Einheit die Zahl und aus einfachen Dingen jede Zusammensetzung entspringt. Der Engelsgeist ist zwar unbeweglich, aber nicht die einfache und reine Einheit. Er denkt sich selbst; daher ist in ihm offenbar eine Dreiheit zu unterscheiden : das Denkende, das Gedachte und das Denken. Er hat eine Hinsicht, insofern er denkt, eine andere, insofern er gedacht wird, und eine andere, insofern er Denken ist. Außerdem besitzt er das Erkenntnisvermögen, das vor dem Erkenntnisakt seiner Natur nach formlos ist und sich im Erkennen formt. Im Denken erstrebt und erfaßt dieses Vermögen das Licht der Wahrheit, das ihm gewissermaßen vor dem Denken noch fehlte. Auch trägt es die Vielheit aller Ideen in sich. Ihr seht, wie groß und wie mannigfaltig im Engel die Vielheit und Zusammensetzung ist. Darum müssen wir das, was



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einfache und reine Einheit ist, über dem Engel annehmen. Über dieser Einheit aber, die Gott selbst ist, können wir nichts mehr ansetzen, weil von der wahren Einheit jede Vielheit und Zusammensetzung ausgeschlossen ist. Hätte sie etwas über sich, dann würde sie von diesem abhängen und wäre von geringerer Vollkommenheit 341, wie ja jede Wirkung geringer zu sein pflegt als ihre Ursache.342 Dann wäre sie auch nicht ganz einfache Einheit, sondern wenigstens aus zweierlei zusammengesetzt, nämlich aus der Gabe von ihrer Ursache und ihrem eigenen Mangel. Folglich steht, wie Platon behauptet und Dionysios Areopagita 343 bestätigt, das reine Eine über allen Dingen. Nach beider Urteil ist »das Eine« der vorzüglichste Name Gottes. Seine Erhabenheit zeigt uns auch folgende Erwägung. Das von der höchsten Ursache Gegebene muß das weitreichendste sein und sich infolge seiner außerordentlichen Kraft auf das ganze Weltall erstrecken. Die Gabe des Einen breitet sich über das gesamte All aus; denn nicht nur der Geist ist einer, jede Seele eine und jeder Körper einer, sondern sogar die erste Materie der Dinge, die an sich formlos ist, und die Privation von Formen selbst werden in gewissem Sinne als ›eins‹ bezeichnet. Wir sprechen ja von einer Materie des Weltalls344 und sagen zuweilen : Hier herrscht ein Schweigen, eine Finsternis, ein Sterben. Jedoch erstrecken sich die Gaben des Geistes und der Seele nicht auf die formlose Materie und die Privation der Formen. Aufgabe des Geistes ist, kunstvolle Gestaltung und Ordnung zu verleihen. Aufgabe der Seele ist, Leben und Bewegung mitzuteilen. Die formlose erste Materie der Welt aber und die Formlosigkeit ist ohne Leben und Gestaltung. Somit steht das Eine über dem Geist und der Seele, da seine Gabe sich am weitesten erstreckt. Aus dem gleichen Grunde steht der Geist über der Seele; denn das Leben, das die Seele verleiht, wird nicht allen Körpern gegeben, während der Geist allen Körpern Gestalt und Ordnung verleiht.

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16. K apitel Das Verhältnis zwischen Gott, dem Engel, der Seele und dem Körper Also müssen wir von dem Körper zur Seele, von der Seele zum Engel, vom Engel zu Gott aufsteigen. Gott steht über der Ewigkeit.345 Der Engel steht ganz in der Ewigkeit, da sein Wesen und Wirken unbeweglich bleibt und die Ruhe der Ewigkeit eigentümlich ist. Die Seele ist teils in der Ewigkeit und teils in der Zeit;346 denn ihre Substanz bleibt stets dieselbe ohne jegliche Veränderung des Wachsens oder Abnehmens. Ihre Tätigkeit vollzieht sich aber, wie vorhin gezeigt, im Verlaufe der Zeit. Der Körper ist ganz der Zeit unterworfen; denn seine Substanz ist veränderlich, und sein Wirken erfordert einen Zeitraum. Das Eine also steht über Bewegung und Ruhe, der Engel befindet sich im Zustande der Ruhe, die Seele ist in Ruhe und Bewegung zugleich, der Körper ausschließlich in Bewegung. Ferner steht das Eine über Zahl, Bewegung und Ort; der Engel steht in der Zahl, jedoch über Bewegung und Ort, die Seele in Zahl und Bewegung, jedoch über dem Ort, der Körper unterliegt der Zahl, der Bewegung und dem Ort. Mithin ist das Eine ohne Zahl, ohne Zusammensetzung aus Teilen, ändert sich in keiner Weise in dem, was es ist, und ist ebensowenig von einem Ort umschlossen. Der Engel hat zwar eine Zahl von Teilen oder Formen, ist aber frei von Bewegung und Ort. Die Seele hat eine Vielheit von Teilen und Zuständen und verändert sich im Fortschreiten des Denkens sowie in den Erregungen der Sinneseindrücke, ist aber frei von den Grenzen des Ortes. Allen diesen Bestimmungen unterliegt hingegen der Körper.



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17. K apitel Das Verhältnis zwischen der Schönheit Gottes, des Engels, der Seele und des Körpers Das gleiche Verhältnis wie zwischen diesen vier besteht auch zwischen ihren Formen.347 Die Form des Körpers besteht aus einer Zusammensetzung vieler Teile, wird vom Ort umschlossen und verfällt im Laufe der Zeit. Die Form der Seele erleidet zeitliche Veränderung und umfaßt eine Vielheit von Teilen, ist aber nicht von Grenzen des Ortes umschlossen. Die Form des Engels hat nur die Zahl ohne die beiden anderen Bestimmungen. Die Form Gottes aber unterliegt keiner derselben. Du siehst die Form des Körpers. Möchtest du wohl auch die Form der Seele anschauen ? Ziehe in Gedanken von der körperlichen Form die Last der Materie und die Begrenzung durch Örter ab und laß alles Übrige bestehen,348 und du hast die Form der Seele gefunden ! Willst du auch die Form des Engels finden ? Dann nimm von jener Form nicht nur die örtliche Begrenzung, sondern auch die zeitliche Sukzession weg, behalte aber die vielfache Zusammensetzung bei, und schon hast du sie gefunden ! Willst du die Schönheit Gottes schauen ? Hebe noch die Mannigfaltigkeit der Formen auf, behalte die ganz einfache Form, und sofort ist dir die Gestalt Gottes gegenwärtig ! Doch du wirst sagen : Was bleibt mir denn nach Abzug jener drei Bestimmungen noch übrig ? Darauf werde ich dir antworten, daß du ein Ignorant bist :349 Glaubst du denn, die Schönheit sei etwas anderes als Licht ? Die Schönheit aller Körper ist dieses Sonnenlicht, das du durch jene drei Qualitäten getrübt siehst, nämlich durch die Mannigfaltigkeit der Formen – du siehst es ja in einer Vielheit von Farben und Gestalten –, die örtliche Ausdehnung und die zeitliche Veränderung. Entziehe diesem Licht seine Stütze in der Materie, so daß ihm

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außer der örtlichen nur die beiden anderen Bestimmungen bleiben : Gerade das ist die Schönheit der Seele ! Hebe nun noch die zeitliche Veränderung auf und laß das übrige bestehen ! Es bleibt dir ein hellstrahlendes Licht ohne Ort und ohne Bewegung, jedoch ausgestaltet mit den Begriffen aller Dinge : Das ist der Engel und die Schönheit des Engels. Hebe endlich auch die Zahl der unterschiedlichen Ideen auf und laß nur das einfache reine Licht bestehen, ähnlich dem, das sich im Sonnenball selbst befindet und sich nicht nach außen zerstreut ! Dann erhältst du ungefähr einen Begriff von der Schönheit Gottes, die alle übrigen Schönheiten mindestens um soviel übertrifft, als das in sich selbst reine, eine und ungetrübte Sonnenlicht das von ihm ausgehende, durch die trübe Luft hin zerstreute, geteilte, getrübte und verdunkelte Ausstrahlen übersteigt. Aller Schönheit Quelle also ist Gott. Gott ist auch Quelle aller Liebe. Bedenke, das Sonnenlicht im Wasser ist nur ein Schatten neben dem helleren Sonnenlicht in der Luft, und der Schein in der Luft ist nur ein Schatten im Vergleich zu dem im Feuer. Der Glanz im Feuer wiederum ist nur ein Schatten neben dem Licht der Sonne, das im Sonnenball selbst erstrahlt. Das gleiche Verhältnis besteht zwischen den vier Schönheiten : des Körpers, der Seele, des Engels und Gottes. Gott kann niemals getäuscht werden, so daß er den Schatten seiner Schönheit in dem Engel liebt und seine eigene und wahre Schönheit vergißt. Ebensowenig ist der Engel jemals in dem Maße von der Schönheit der Seele, die ja sein Schatten ist, hingerissen, daß er in der Anschauung dieses seines Schattens die eigene Gestalt hintansetzt. So aber handelt unsere Seele, und dies ist sehr zu beklagen, weil es der Ursprung unseres Elends ist. Allein die Seele, sage ich, fühlt sich derart von dem Reiz der Körperlichkeit angezogen, daß sie ihre eigene Schönheit außer acht läßt und, sich selbst vergessend, mit Inbrunst sich der Form des Körpers hingibt, die doch nur der Schatten ihrer eigenen



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Schönheit ist. Daher das grausame Schicksal des Narkissos, das Orpheus350 besingt ! Daher das beklagenswerte Unglück der Menschheit ! Der Jüngling Narkissos, d. i. die Seele des unbesonnenen und unerfahrenen Menschen, hat nicht acht auf das eigene Antlitz; das bedeutet : Sie mißachtet die eigene Substanz und das eigene Vermögen. Statt dessen geht er seinem Schatten im Wasser nach und versucht ihn zu umarmen; das bedeutet : Die Seele bestaunt die Schönheit in dem gebrechlichen Körper, die gleich dem Wasser dahinschwimmt, obwohl diese nur das Schattenbild der Seele ist. Seine eigene Gestalt läßt er im Stich und kann doch den Schatten nie ergreifen : Indem die Seele dem Körper nachgeht, gibt sie sich selbst auf und findet doch durch die Gemeinschaft mit dem Körper keine Befriedigung; denn in Wirklichkeit verlangt die Seele nicht nach dem Körper, sondern sehnt sich, wie Narkissos, nach ihrer eigenen Schönheit, angelockt von der körperlichen Form, die nur das Abbild seiner eigenen Schönheit ist. Sie merkt ihren Irrtum nicht und kann deshalb, indem sie nach einem Gegenstand verlangt und einem anderen nachgeht, nie ihr Sehnen stillen. Darum löst er sich in Tränen auf; das bedeutet : Nachdem die Seele aus sich selbst gesunken und in den Körper hinabgetaucht ist, wird sie von verhängnisvollen Störungen gequält, und mit körperlicher Unreinheit besudelt, erstickt sie gleichsam und stirbt, indem sie schon mehr als Körper denn als Seele erscheint. Weil aber Diotima den Sokrates vor diesem Tode bewahren wollte, führte sie ihn vom Körper zur Seele, von der Seele zum Engel und vom Engel zu Gott zurück.

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18. K apitel Wie sich die Seele von der Schönheit des Körpers zur Schönheit Gottes erhebt Wohlan, werteste Tischgenossen, stellt euch im Geist vor, wie Diotima noch einmal den Sokrates folgendermaßen ermuntert : Bedenke, lieber Sokrates, kein Körper ist gänzlich schön. Entweder nämlich ist er in einem Teil schön und in einem anderen unschön, oder er ist heute schön und ein anderes Mal häßlich oder aber er erscheint den Augen des einen als schön und denen eines anderen als häßlich. Die Schönheit des Körpers ist also durch Beimischung von Häßlichkeit entstellt und kann daher keine reine wirkliche und ursprüngliche Schönheit sein. Nun kann sich wohl niemand die Schönheit als häßlich vorstellen, so wenig die Weisheit als närrisch. Die Beschaffenheit der Körper aber halten wir einmal für schön und ein anderes Mal für häßlich, und verschiedene Personen beurteilen sie gleichzeitig in verschiedener Weise. Folglich besteht in den Körpern keine wahre und ursprüngliche Schönheit. Zudem werden viele Körper mit ein und demselben Wort »Schönheit« bedacht. Demnach besteht in vielen Körpern die eine gemeinsame Natur der Schönheit, wegen der viele Körper gleichermaßen schön genannt werden. Diese eine Natur muß, da sie sich in etwas anderem, nämlich in der Materie, befindet, von einem anderen abhängen. Denn was nicht in sich selbst bestehen kann, das kann noch viel weniger von sich selbst abhängen. Ihr meint doch wohl nicht etwa, es hinge von der Materie ab ? Glaubt nur das nicht ! Nichts Unförmiges und Unvollkommenes kann sich selbst gestalten und vervollkommnen. Und doch muß, was eines ist, seinen Ursprung von Einem haben. Folglich hängt die eine Schönheit der vielen Körper von dem einen unkörperlichen Meister ab. Der eine Baumeister der Welt ist Gott, der durch Vermittlung der Engel und der See-



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len ohne Unterlaß die Materie der Welt verschönt. Daher ist der wahre Grund der Schönheit viel mehr in Gott und seinen Dienern zu suchen als in den Körpern der Welt. Erhebe dich, Sokrates, und steige auf den Stufen, die ich dir zeigen werde, wiederum zu ihm auf ! Wenn dir, mein Sokrates, die Natur schärfere Augen als dem Luchs gegeben hätte, so daß du die Körper, denen du begegnest, nicht nur von außen, sondern auch von innen sehen könntest, dann würde dir der Körper deines Alkibiades, der von außen schön aussieht, ganz gewiß sehr häßlich erscheinen. Was ist das schon, mein Freund, was du da liebst ? Eine äußere Oberfläche, ja nur ein wenig Farbe reißt dich hin, ein flüchtiger Widerschein von Licht und Schatten. Dich täuscht wohl eine bloße Einbildung, so daß du vielmehr den liebst, den du erträumst, als den du siehst. Damit es aber nicht so scheint, als wolle ich dir nur widersprechen, soll gelten : Dieser Alkibiades ist schön ! Doch sprich, in wie vielen Teilen ist er schön ? Gewiß in allen Körperteilen, jedoch mit Ausnahme der Stülpnase und den zu hoch geschwungenen Augenbrauen. Diese Teile aber sind schön an Phaidros; an ihm mißfallen dir aber seine dicken Schenkel. Während diese nun bei Charmides schön sind, gefällt dir an ihm sein dünner Hals nicht. Wenn du in dieser Weise alle Menschen genau betrachtest, wirst du niemanden gänzlich loben. Du mußt darum, was an einem jeden einzelnen von ihnen recht ist, sammeln und bei dir selber aus der Betrachtung aller ein vollständiges Bild zusammenstellen, so daß die gesamte351 Schönheit des Menschengeschlechts, die sich in vielen Körpern verstreut vorfindet, in deinem Geist durch das Ausdenken eines Bildes versammelt ist. Lieber Sokrates, du wirst jedes Menschen Gestalt geringschätzen, wenn du sie mit diesem Bild vergleichst. Du weißt genau, daß du seinen Besitz nicht der Qualität der äußerlichen Körper, sondern deinem Geist verdankst. Liebe also die Gestalt, die dein Geist erzeugt

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hat, und liebe ihn selbst als ihren Meister, statt der äußeren, die verstümmelt, zerstreut und schwach ist ! Was sollst du nun an der Seele lieben ? Ihre Schönheit. Die Schönheit der Körper ist sichtbares Licht; die Schönheit der Seele ist unsichtbares Licht. Das Licht der Seele ist Wahrheit. Diese allein pflegte Platon in seinen Gebeten von Gott zu erflehen 352 , indem er sprach : »Verleihe mir, Gott, daß meine Seele schön werde und daß die Dinge, die dem Körper angehören, der Schönheit der Seele nicht im Wege seien und daß ich allein den Weisen für reich halte !«353 Platon sagt in diesem Gebet aus, daß die Schönheit der Seele in der Wahrheit und in der Weisheit besteht und daß sie den Menschen von Gott verliehen wird. Eine und dieselbe uns von Gott verliehene Wahrheit hat wegen ihrer verschiedenen Wirkungen unterschiedliche Namen von Tugenden bekommen. Insofern sie das Göttliche darlegt, heißt sie Weisheit, die ja Platon vor allem von Gott erflehte; insofern sie natürliche Dinge zeigt, wird sie Wissenschaft, insofern sie das Menschliche begreift, wird sie Klugheit, insofern sie uns zu anderen in das rechte Verhältnis bringt,354 wird sie Gerechtigkeit, insofern sie uns unüberwindlich macht, wird sie Tapferkeit, und insofern sie uns beruhigt, wird sie Mäßigung genannt. Aus dieser Aufzählung ergeben sich zwei Gattungen von Tugend,355 nämlich in sittliche und geistige, die edler als die sittlichen Tugenden sind. Die geistigen Tugenden sind : Weisheit, Wissenschaft und Einsicht, die sittlichen : Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung. Die sittlichen Tugenden sind durch ihre Ausübung und ihre öffentlichen Aufgaben bekannter, die geistigen bleiben, weil ihre Wahrheit versteckt ist, mehr verborgen. Andererseits erhebt sich der in sittlicher Zucht aufgewachsene, weil er reiner als andere ist, leichter zu geistigen Tugenden. Darum sollst du zuerst die Schönheit der Seele betrachten, die sich in sittlichem Verhalten findet. Dann wirst du erkennen, daß es einen gemeinsamen Begriff aller sittlichen



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Tugenden gibt, um dessen willen sie gleichermaßen als schön zu bezeichnen sind, nämlich die eine Wahrheit reinen Lebens, die uns durch Ausübung von Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung zur wahren Glückseligkeit führt. Diese eine Wahrheit der sitt­lichen Tugenden, dieses allerschönste Licht der Seele sollst du vor allem lieben. Wisse auch, daß du dann über die sittlichen Tugenden hinaus zu der reinsten Wahrheit der Weisheit, der Wissenschaft und der Klugheit aufsteigen sollst, indem du bedenkst, daß diese der in sittlicher Zucht erzogenen Seele zuteil werden und daß in ihnen die allergeradeste Richtschnur des sittlichen Lebens enthalten ist. Obwohl du nun verschiedene Lehren der Weisheit, der Wissenschaft und der Klugheit kennst, sollst du doch festhalten, daß in ihnen allen das eine Licht der Wahrheit ist, durch die sie gleichermaßen als schön bezeichnet werden. Dieses Licht sollst du als die höchste Schönheit der Seele brennend lieben. Die eine Wahrheit, die sich in mehreren Lehren vorfindet, kann jedoch nicht die höchste Wahrheit sein; denn sie ist in einem Anderen, da sie auf vielerlei Lehren verteilt ist. Was aber auf einem Anderen beruht, hängt ohne Zweifel von einem Anderen ab. Auch entspringt die Wahrheit, die eine ist, nicht aus der Vielheit der Lehren; denn, was eines ist, muß von Einem entspringen. Folglich muß über unserer Seele eine Weisheit sein, die nicht auf verschiedene Lehren verteilt, sondern einheitlich ist; und von ihrer einzigen Wahrheit muß die vielfältige Wahrheit der Menschen stammen. Erinnere dich, lieber Sokrates, daß dieses einheitliche Licht der einzigen Weisheit die Schönheit des Engels ist, die du in höherem Maße als die Schönheit der Seele verehren sollst ! Sie übertrifft, wie wir vorhin gezeigt haben, darin die Form der Körper, daß sie weder in einen Ort eingeschlossen ist noch entsprechend der Teilung der Materie sich zerlegt, noch vergeht. Sie übertrifft auch darum die Schönheit der Seele, weil

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sie durchaus ewig ist und sich nicht im Durchgang der Zeit bewegt. Da aber das Engelslicht in der Ordnung zahlreicher Ideen erstrahlt, die im Engel sind, und da notwendigerweise über jeder Vielheit die Einheit steht, die Ursprung jeder Zahl ist, muß das Engelslicht von dem einen Anfang des Weltalls ausgehen, der als die Einheit an sich bezeichnet wird. Das Licht der Einheit an sich, das durchaus einfach ist, ist die unendliche Schönheit; denn es ist weder durch die Unreinheit der Materie entstellt, wie die Form des Körpers, noch ändert es sich durch den Zeitverlauf, wie die Seele, noch ist es in die Vielheit der Ideen zerstreut, wie das Engelslicht. Jede Qualität, die von äußeren Umständen abgehoben ist, heißt bei den Physikern unendlich.356 Eine in sich selber bestehende und weder von Kälte noch Feuchtigkeit noch von der Last der Materie beschränkte Wärme wäre als unendliche Wärme zu bezeichnen, weil ihre Kraft ungebunden und nicht durch körperliche Umstände beschränkt wäre. Ebenso ist das von jedem Körper unabhängige Licht unendlich; denn es leuchtet ohne Maß und Grenze, was aus eigener Natur leuchtet, wenn es nicht von einem anderen beschränkt wird. Folglich ist die lichtstrahlende Schönheit Gottes, die vollkommen rein und in jeder Hinsicht unabhängig ist, ohne Zweifel unendliche Schönheit. Die unendliche Schönheit aber erfordert unendliche Liebe. Darum bitte ich dich, lieber Sokrates, liebe die Geschöpfe mit Maß und Ziel; den Schöpfer aber liebe mit unendlicher Liebe und habe, soviel in deinen Kräften steht, in deiner Liebe zu Gott weder Maß noch Grenze ! Soviel Diotima zu Sokrates.357



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19. K apitel Wie man Gott lieben soll So, stellen wir uns vor, hat die keusche Priesterin Diotima den Sokrates ermuntert.358 Wir aber, meine ehrenwerten Männer, wollen nicht nur, wie wir Diotima haben sagen lassen, Gott ohne Maß lieben, sondern Gott allein lieben. Die Vernunft verhält sich zu Gott wie das Auge zum Sonnenlicht. Das Auge sucht nicht nur das Licht mehr als alles, sondern sucht auch ausschließlich das Licht. Wenn wir an Körpern, Seelen und Engeln Wohlgefallen finden, so lieben wir nicht eigentlich diese, sondern in ihnen Gott. In den Körpern lieben wir Gottes Schatten, in den Seelen Gottes Gleichnis und in den Engeln Gottes Ebenbild. So lieben wir gegenwärtig Gott in allen Dingen, um endlich einmal alles in Gott zu lieben. Denn indem wir auf solche Weise leben, werden wir dahin gelangen, daß wir sowohl Gott als auch alles in Gott schauen und ihn selbst sowie alle Dinge in ihm lieben werden. Jeder, der sich in der Gegenwart in Liebe359 ganz Gott hingibt, wird sich am Ende in Gott wiedergewinnen; denn er wird zu seiner Idee zurückkehren, durch die er geschaffen wurde. Dort wird er, wenn ihm von seinem Selbst noch etwas fehlen sollte, wiederhergestellt und so neu geschaffen auf ewig mit seiner Idee vereint bleiben. Ihr müßt wissen,360 daß der wahre Mensch und die Idee des Menschen dasselbe sind. Deshalb ist niemand von uns auf Erden während unserer Trennung von Gott wahrer Mensch, weil wir von unserer Idee, d. h. unserer Form, losgelöst sind. Zu ihr wird uns die göttliche Liebe in frommem Lebenswandel zurückführen. Während wir hier geteilt und verstümmelt sind, werden wir dann, durch die Liebe zu unserer Idee geeint, wieder in unserer Vollkommenheit hergestellt werden. Dann stellt sich heraus, daß wir zuerst Gott in den Dingen geliebt haben, um dann die Dinge in ihm zu lieben, und daß

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wir die Dinge in Gott verehren, um vor allem uns selber wiederzugewinnen, und so haben wir in der Liebe zu Gott uns selbst geliebt.

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1. K apitel Abschluß aller Reden mit der Anschauung des Philosophen Guido Cavalcanti Zuletzt wandte sich Cristoforo Marsupini, ein Mann von hervorragender Bildung361, der bei den Vorträgen die Rolle des Alkibiades durchzuführen hatte, mit folgenden Worten an mich : Marsilio Ficino, ich beglückwünsche die Familie deines Giovanni, die außer vielen an Bildung und Taten hochberühmten Adligen auch den Philosophen Guido hervorbrachte, der ein eifriger Beschirmer seines Vaterlandes war und an Schärfe der Logik alle seine Zeitgenossen übertraf.362 Er war auch der sokratischen Liebe363 in Rede und Lebenswandel ergeben und faßte in seinen Gedichten kurz zusammen, was ihr über die Liebe ausgeführt habt. Phaidros wies auf den Ursprung des Eros hin und ließ ihn aus dem Chaos hervorgehen. Pausanias teilte den soeben geborenen Eros in zwei Arten : den himmlischen und den gewöhnlichen. Eryximachos legte seine Verbreitung dar, indem er nachwies, daß die beiden Arten des Eros sich in allen Dingen vorfinden. Aristophanes legte dar, was die Anwesenheit des so weit verbreiteten Eros364 in allen Dingen bewirkt, indem er zeigte, daß durch ihn die Menschen, die zuvor geteilt waren, wieder zusammengefügt werden. Agathon handelte über die Größe seiner Kraft und seines Vermögens und bewies, daß er allein die Menschen selig macht. Sokrates endlich faßte, belehrt von Diotima, die Hauptpunkte zusammen : was und wie der Eros ist, woher er geboren ist, welche Teile er hat, wohin er zielt und wie wertvoll er ist.

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Guido Cavalcanti als Philosoph hat dies alles kunstvoll in seine Gedichte eingeflochten.365 Wie der Spiegel, vom Sonnenstrahl getroffen, diesen zurückstrahlt und die in seine Nähe gebrachte Wolle durch dieses Zurückstrahlen in Brand setzt, so soll nach Guido der Teil der Seele, den er dunkle Phantasie und Gedächtnis nennt, gleich einem Spiegel von dem Abbild der Schönheit, die für die Sonne steht, wie von einem durch die Augen eingedrungenen Strahl getroffen werden, und zwar derart, daß er durch jenes Bild ein anderes Bild aus sich hervorbringt, gleichsam als Abglanz des ersten Bildes. Durch diesen Abglanz soll dann das Begehrungsvermögen wie die erwähnte Wolle entzündet werden und in Liebe entbrennen. Er fügt noch hinzu, daß diese erste Liebe, die im sinnlichen Begehrungsvermögen entbrennt, aus dem Sehen der körperlichen Form durch die Augen entspringt, daß sich aber diese Form nicht so, wie sie in der Materie des Körpers besteht, der Einbildungskraft einprägt, sondern stofflos, jedoch als das Bild eines bestimmten Menschen an bestimmtem Ort und zu bestimmter Zeit. Von diesem Bilde strahlt unmittelbar im Geist eine andere Form zurück, die dann nicht mehr das Gleichnis eines einzelnen menschlichen Körpers, wie das in der Einbildungskraft entstandene, sondern ein gemeinsamer Begriff und eine Definition des ganzen menschlichen Geschlechts zugleich ist. Wie also, nachdem die Einbildungskraft das Bild des Körpers aufgenommen hat, von ihr aus in dem sinnlichen Begehrungsvermögen, im Dienst des Körpers, die zur Sinnlichkeit neigende Liebe entsteht, so entspringt aus der dem Geist angehörenden Form oder dem Allgemeinbegriff, der ja vom Körper weit entfernt ist, im Willen eine andere Liebe, die dem Umgang mit dem Körper sehr fremd ist. Die erste Art der Liebe verortete er in der sinnlichen Lust, die zweite in der Betrachtung. Nach seiner Anschauung befaßt sich die erstere mit der besonderen Form eines einzelnen Körpers, die



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zweite mit der allgemeinen Schönheit des ganzen menschlichen Geschlechts. Beide widerstreiten im Menschen. Die erste zieht ihn abwärts zum wollüstigen und tierischen Leben, die zweite führt ihn hinauf zum engelsgleichen Leben der Betrachtung. Jene ist voller Leidenschaft und findet sich bei vielen, diese hingegen ist frei von Erregung und nur bei wenigen. Daher handelt er diesen in wenigen Worten ab, beim Erzählen der Leidenschaften ist er ausführlicher; da er aber offensichtlich dasselbe hier erläutert, was auch Ihr oben berichtet habt, denke ich, daß wir jetzt darauf nicht eingehen müssen.366 Dieser Philosoph führte auch in die Entstehungsgeschichte des Eros eine Finsternis des Chaos ein, wie auch ihr eine solche vorhin 367 angenommen habt. Er sagt nämlich, die dunkle Phantasie werde erleuchtet und aus der Mischung jener Finsternis und dieses Lichtes entstehe der Eros. Den zweifachen Eros außerdem, den himmlischen nämlich und den gewöhnlichen, wer sähe ihn nicht in seinen Worten ?368 Auch nimmt er seinen ersten Ursprung in der Schönheit der göttlichen Dinge an, seinen zweiten in der Schönheit der Körper. Wenn er nämlich in seinen Versen »Sonne« und »Strahl« sagt,369 versteht er unter »Sonne« das göttliche Licht und unter »Strahl« die körperliche Form. Abschließend soll nach ihm das Endziel der Liebe ihrem Ursprung entsprechen, so daß demnach der Liebestrieb die einen zur körperlichen Berührung hinabsinken und die anderen sich bis zur Anschauung Gottes erheben läßt. 2. K apitel Sokrates war der wahre Liebende und dem Eros gleich. Dieses möge über den Eros genügen. Kommen wir jetzt auf Sokrates und Alkibiades ! Nachdem die Tischgenossen den Gott der Liebenden hinreichend gepriesen haben, bleibt noch

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übrig, das Lob der Liebenden zu sprechen, die ihrem Gott auf rechtmäßige Weise dienen. Nach dem übereinstimmenden Urteil aller Autoren 370 liebte unter allen Liebenden keiner rechtmäßiger als unser Sokrates. Denn er focht zeit seines Lebens ohne jegliche Verstellung im Lager des Eros371, und doch konnte ihm niemand nach­sagen, daß er anders als auf ehrbare Weise geliebt habe. Weil er einen sittenstrengen Lebenswandel führte und häufig die Laster anderer tadelte, hatte er sich den Unwillen vieler einflußreicher Männer zugezogen, wie es dem zu gehen pflegt, der die Wahrheit nicht verschweigt. Drei einflußreiche Bürger waren ihm deshalb mehr als die anderen feindlich gesinnt :372 Anytos, Meletos und Lykon, ferner drei Redner : Thrasy­machos, Polos und Kallias, und unter den Dichtern verfolgte ihn auf herbe Weise der Komödiendichter Aristophanes. Als nun jene einflußreichen Bürger den ehrlichen Sokrates, um sich seiner zu entledigen, vor Gericht brachten und mit falschen Zeugen anklagten, indem sie ihm Vergehen zur Last legten, die ihm fernlagen, machten sie trotz alledem in keiner Weise geltend, daß er anders als ehrbar geliebt habe. Ebensowenig beschuldigten ihn die ihm feindlich gesinnten Redner eines solchen Lasters.373 Nicht einmal der Komödiendichter Aristophanes verleumdete ihn in dieser Beziehung, obwohl er ihm in seinen Komödien vieles andere anhing, um ihn lächerlich zu machen. Meint ihr nun etwa, unser Sokrates hätte, wäre er mit einem solchen Makel behaftet gewesen, ja hätte auch nur der mindeste Verdacht eines solchen auf ihm gelastet, den giftigen Zungen so vieler und so bedeutender Verleumder entgehen können ? Habt ihr wohl, meine ehrenwerten Männer, vorhin darauf achtgegeben, was ich oft erwogen habe374, nämlich daß Platon bei seiner Beschreibung des Eros diesen genau nach dem Vorbild und Lebenswandel des Sokrates375 geschildert hat ? Es ist gerade, als wollte er zum Ausdruck bringen, daß der wahre



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Eros und Sokrates einander überaus ähnlich seien, und daß darum Sokrates vor allen andern als der rechte Liebende zu gelten habe. Ruft euch recht getreu die Schilderung des Eros in Gedanken zurück, und ihr werdet das Bild des Sokrates erkennen ! Führt euch die Person des Sokrates vor Augen ! Ihr werdet ihn sehen : hager, dürr und heruntergekommen. So war Sokrates beschaffen, weil er von Natur Melancholiker376 war : hager infolge seiner Enthaltsamkeit und aus Nachlässigkeit schlecht gepflegt. Ferner werdet ihr ihn nackt sehen, nämlich mit einem einfachen alten armseligen Mäntelchen 377 bekleidet. Mit bloßen Füßen, denn, wie Phaidros bei Platon 378 bezeugt, ging Sokrates stets barfuß. Demütig und nach unten strebend, weil laut Phaidon 379 der Blick des Sokrates stets zu Boden gerichtet war; zudem verkehrte er an gemeinen Orten, wie in den Werkstätten von Steinmetzen 380 oder des Lederarbeiters Simon. Er bediente sich gewöhnlicher und grober Ausdrücke, was ihm Kallikles im Gorgias381 vorwarf. Auch war er so sanftmütig, daß er, obwohl öfters mit Schimpfworten belegt und auch manchmal schuldlos geschlagen, sich dennoch in seinem Gemüt niemals erregte. Ohne Obdach : Als Sokrates nach seiner Herkunft befragt wurde, antwortete er :382 »Ich bin aus der Welt; das Vaterland ist da, wo das Gute ist«. Er besaß kein eigenes Haus, keine Feder im Bett, keine feinen Speisen, kein kostbares Hausgerät. Er schläft vor den Türen, auf der Straße, unter freiem Himmel. Das bezeichnet sein offenes Gemüt und jedermann zugängliches Herz und daß er sich am Sehen und Hören erfreute (das sind ja die Türen der Seele), ferner, daß er überall ruhig und furchtlos einherging und daß er, wenn es nötig war, sich überall schlafen legte, wo ihn der Schlaf übermannte, eingehüllt in sein armes Mäntelchen. Stets arm. Wer wüßte wohl nicht, daß Sokrates der Sohn eines Steinmetzen 383 und einer Hebamme gewesen ist ? Er mußte sich sogar noch in seinem Alter durch Steinmetzarbeit eigenhändig sein Brot verdienen und hatte niemals soviel, um seine Fami-

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lie ernähren zu können. Auch rühmte er sich überall, geistig arm zu sein. Er befragte jedermann und behauptete, nichts zu wissen. Mannhaft. Sokrates besaß ein standhaftes Gemüt und eine unüberwindliche Urteilskraft. Deshalb schätzte er die Versprechungen der Fürsten gering, verschmähte ihr Geld und wollte, obwohl sie ihn öfters einluden, nicht zu ihnen gehen. Unter anderen wies er den Makedonier Archelaos,384 den Skopas aus Kranon und den Eurylochos aus Larissa zurück. Kühn und wild. Wie groß seine Tapferkeit im Krieg war, berichtet Alkibiades im Gastmahl. Als Sokrates bei Potidaia den Sieg errungen hatte, überließ er freiwillig Alkibiades den Triumph. Heftig. Sokrates war in Worten und Gebärden lebhaft und schnell.385 Deshalb hatte ihn der Physiognomiker Zopyros386 für unbesonnen erklärt. Häufig pflegte er im Eifer der Rede die Hände zu schleudern und sich die Haare aus dem Bart zu reißen. Beredt. Er fand in der Diskussion Argumente gleichermaßen für und wider zur behandelten Sache und, obwohl er grobe Ausdrücke gebrauchte, bewegte er mehr als Themisto­ kles, Perikles und alle übrigen Redner, die Gemüter der Zuhörenden, wie ihm das Alkibiades im Gastmahl bezeugt. Er stellt den Guten und Schönen nach. Alkibiades behauptete, Sokrates habe ihm stets nachgestellt. Es war bei Sokrates üblicherweise so, daß er sich leicht von solchen, die eine anständige Erscheinung zeigten, wie von Nachstellern fesseln ließ, und umgekehrt nahm er durch seine Nachstellungen wie mit Netzen die Schönen gefangen und führte sie zur Philosophie.387 Er ist ein listiger und verschlagener Jäger. Daß Sokrates auf der Fährte der körperlichen Gestalt nach der göttlichen Schönheit zu jagen pflegte, ist im vorigen zur Genüge erörtert worden, und im Protagoras388 bestätigt Platon es. Ränkeschmied. Sokrates widerlegte, wie aus Platons Dialogen hervorgeht, auf vielerlei Weise die Sophisten; er ermunterte die Jünglinge und belehrte die ehrbaren Männer. Der Klugheit beflissen. Sokrates



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war so klug und im Vorausschauen so scharfsinnig, daß es jedem, der entgegen seinem Rat handelte, schlecht ging, wie Platon im Theages389 berichtet. Er philosophiert zeit seines Lebens. Als er sich vor den ungerechten Richtern, die sein philosophisches Leben mißbilligten 390, verantwortete, sprach er unerschrocken : »Wenn ihr mich unter der Bedingung von der Todesstrafe freisprechen wolltet, daß ich fürderhin nicht mehr Philosophie triebe, so erkläre ich euch, daß ich lieber sterben als der Philosophie entsagen will.« Zauberer, Betrüger, Hexenmeister und Sophist. Alkibiades sagte, er ließe sich durch die Worte des Sokrates mehr als durch die Melodien des Marsyas und des Olympos, die hervorragende Musiker waren, bezaubern. Daß Sokrates einen vertrauten Dämon gehabt habe, berichten seine Freunde, und seine Feinde machten es in der Anklage geltend. Außerdem stellten ihn der Komödiendichter Aristophanes und seine Feinde als Sophisten hin, weil er in gleicher Weise zu beweisen und zu widerlegen vermochte. In der Mitte zwischen Weisheit und Unwissenheit. Sokrates sagte :391 »Obwohl alle Menschen unwissend sind, so unterscheide ich mich doch von den übrigen darin, daß ich mir meiner Unwissenheit bewußt bin, während die anderen ihre Unwissenheit nicht kennen.« So stand er also mitten zwischen Weisheit und Unwissenheit, indem er zwar die Sachen selbst nicht kannte, sich doch seiner Unwissenheit bewußt war. In allen diesen Hinsichten erscheint Sokrates dem Gott Eros ähnlich und darum als der rechtmäßig Liebende. Zu Recht also behauptete Alkibiades, nachdem die übrigen Tisch­ genossen den Eros gefeiert hatten, Sokrates müsse als der wahre Verehrer dieses Gottes gepriesen werden, in dem Sinne, daß wir alle gleichermaßen loben, die so wie Sokrates lieben, indem wir Sokrates loben. Worin der Ruhm des Sokrates besteht, habt ihr hier vernommen, und Alkibiades hat darüber im Gastmahl ausführlich gehandelt. Auf welche

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Weise er aber liebte, kann jeder verstehen, der sich an die Lehre der Diotima erinnert; denn er liebte so, wie Diotima es oben lehrte392 . 3. K apitel Die tierische Liebe ist eine Art von Wahnsinn. Vielleicht möchte nun jemand fragen, welchen Nutzen diese sokratische Liebe dem Menschengeschlecht bringt, um so hohen Lobpreises würdig zu sein, und welchen Schaden die entgegengesetzte Liebe stiftet. Ich will es euch erklären, indem etwas weiter zurückgreife. Unser Platon definiert im Phaidros die Begeisterung393 als eine Art von Wahnsinn 394 und lehrt, daß es zwei Arten desselben gibt; von diesen soll die eine aus menschlicher Schwäche und die andere aus göttlicher Eingebung stammen. Jene bezeichnete er als Narrheit, diese als göttliche Begeisterung. Durch die Krankheit der Narrheit sinkt der Mensch von der Höhe seiner Gattung herab und wird aus einem Menschen fast zum Tier. Es gibt zwei Arten von Narrheit : Die eine entsteht aus einem Fehler des Gehirns, die andere aus einem Fehler des Herzens. Das Gehirn wird manchmal mit vertrockneter Galle, manchmal mit vertrocknetem Blute, manchmal auch mit dem schwarzen Bodensatz des Blutes angefüllt, und dadurch werden die Menschen verrückt. Diejenigen, die von der ausgedörrten Galle geplagt werden, geraten, auch wenn sie von niemand beleidigt werden, in heftigen Zorn, schreien laut, stürzen sich auf irgendwen, der ihnen begegnet und legen Hand an sich und andere. Diejenigen, die das ausgedörrte Blut belästigt, brechen in ausgelassenes Lachen aus, finden sich über alle erhaben, machen viel von sich her, tanzen und singen übermäßig. Diejenigen wiederum, die von dem schwarzen Bodensatz des Blutes belastet sind, sind immer trübsinnig395,



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machen sich finstere Gedanken, die sie in der Gegenwart erschrecken und die ihnen für die Zukunft Angst machen. Diese drei Arten von Narrheit entspringen aus einem Fehler des Gehirns. Wenn nämlich diese Säfte im Herzen zurückbleiben, dann verursachen sie Angst und Beunruhigung, nicht aber eigentlich Wahnsinn. Wahnsinn erzeugen sie aber, wenn sie zum Kopf emporsteigen; darum heißt es, daß die drei Arten des Wahnsinns aus einem Fehler des Gehirns entspringen. Aus einem Fehler des Herzens entsteht nach unserer Meinung derjenige Wahnsinn, von dem die befallen sind, die an die Liebe verloren sind. Das hochheilige Wort »Liebe« wird allerdings auf sie zu Unrecht angewendet. Um aber nicht vom allgemeinen Sprachgebrauch abzuweichen, wollen wir auch bei ihnen von »Liebe« reden. 4. K apitel Die gewöhnliche Liebe ist eine Verzauberung. Paßt bitte mit Ohren und Geist auf, Freunde, was ich euch nun sagen werde ! In der Jugend ist das Blut fein, hell, warm und süß. Im vorgerückten Lebensalter zersetzen sich die dünneren Teile des Blutes, und dieses wird dicker und dabei wird es schwarzes Blut. Das zarte und feine Blut ist rein und klar, das andere aber entgegengesetzt. Warum aber sagen wir, das Blut sei in der Jugend warm und süß ? Weil das Leben wie der Ursprung des Lebens, nämlich die Zeugung, auf Wärme und Feuchtigkeit beruht und der Samen, der erste Anfang der Lebewesen, selbst warm und feucht ist. Diese Beschaffenheit herrscht in der Jugend vor und wandelt sich auf den späteren Lebensstufen allmählich in den entgegengesetzten Zustand der Trockenheit und Kälte. So ist also in der Jugend das Blut fein, hell, warm und süß. Weil es fein ist, darum ist es hell; weil es neu

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ist, ist es warm und feucht; weil warm und feucht, ist es süß, da Süßigkeit aus der Mischung des Warmen mit dem Feuchten entsteht. Wozu erkläre ich euch das ? Damit ihr versteht, daß die Lebensgeister in diesem Alter fein, hell, warm und süß sind. Denn da sie von der Wärme des Herzens aus dem reinsten Blut erzeugt werden, sind sie in uns immer von derselben Beschaffenheit 396 wie das Blut. Da aber der Dunst des Blutes, der als Lebensgeist bezeichnet wird, aus dem Blut entsteht und so wie das Blut ist, sendet er ihm gleichartige Ausstrahlungen durch die Augen aus wie aus Glasfenstern. Wie die Sonne, das Herz der Welt, in ihrem Umlauf das Licht ausbreitet und durch das Licht seine Kräfte über die Erde ausgießt, so setzt das Herz unseres Körpers durch andauerndes Schlagen das ihm verwandte Blut in Bewegung und verbreitet dadurch die Lebensgeister durch den ganzen Körper. Mittels dieser strahlt es die Lichtfunken in alle Glieder, am meisten aber in die Augen; denn der Lebensgeist ist überaus leicht und steigt deshalb leicht zu den höchsten Teilen des Körpers auf. Sein Licht strahlt deshalb am reichlichsten durch die Augen aus, weil diese klarer und durchsichtiger als die übrigen Körperteile sind. Daß aber in den Augen und dem Gehirn etwas Licht ist,397 und sei es noch so wenig, bestätigt die Tatsache, daß viele Tiere, deren Augen in der Dunkelheit leuchten, bei Nacht sehen und daß, wenn man den Winkel des Auges, d. h. den Tränensack, auf eine bestimmte Art mit dem Finger drückt398 und das Auge ein wenig herumdreht, man die Empfindung hat, einen Lichtkreis zu sehen. Von Oktavianus399 wird berichtet, er habe so helle und leuchtende Augen gehabt, daß, wenn er jemand scharf anblickte, dieser gezwungen war, gleichsam wie vor dem Glanz der Sonne den Blick zu senken. Auch Tiberius400 soll sehr große Augen gehabt haben, die – was erstaunlich ist –, wenn er aus dem Schlaf erwachte, im nächt­-



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lichen Dunkel kurz gesehen haben, dann aber wieder schwach wurden. Daß aber der Strahl, der von den Augen ausgeht, den Dunst der Lebensgeister mit sich führt und daß dieser Dunst wiederum das Blut mit sich nimmt, können wir aus der Tatsache erkennen, daß diejenigen, die fest in die kranken und geröteten Augen anderer sehen, wegen der von den kranken Augen ausgehenden Strahlen leicht augenkrank werden. Daraus geht hervor, daß sich der Strahl zu dem Betrachtenden hin erstreckt und daß zugleich mit dem Strahl der Dunst des verdorbenen Blutes ausströmt und durch diese Ansteckung das Auge des Beschauers krank wird. Aristoteles schreibt, daß, wenn die Frauen während ihrer Menstruationsperiode in den Spiegel sehen, sie diesen häufig mit Blutstropfen401 beflecken. Nach meiner Meinung kommt das daher, daß der Lebensgeist, der ja Dunst des Blutes ist, gleichsam allerfeinstes Blut ist, so daß er sich sonst nicht den Augen zeigt, jedoch sichtbar wird, wenn er sich auf der Oberfläche des Spiegels verdichtet. Wenn er auf einen lockeren Stoff wie Tuch oder Holz niederschlägt, kann man ihn nicht sehen, weil er nicht auf der Oberfläche dieses Stoffes bleibt, sondern eindringt. Schlägt er sich auf dichte und unebene Stoffe wie Steine oder Ziegel nieder, zergeht und verschwindet er wegen der Unebenheit solcher Körper. Der Spiegel aber hält durch seine Härte den Lebensgeist auf seiner Oberfläche fest und erhält ihn durch seine Ebenheit und Glätte, so daß er nicht zergeht; durch seine Klarheit stärkt und mehrt er den Strahl des Lebensgeistes, und durch seine Kälte verdichtet er den feinen Nebel dieses Dunstes zu Tropfen. Aus demselben Grunde befeuchten wir, wenn wir mit offenem Mund kräftig auf ein Glas hauchen, dessen Oberfläche mit einem feinen Tau von Speichel; denn der Atemhauch, der von dem Speichel ausgeht, verwandelt sich schließlich wieder in die Flüssigkeit des Speichels.

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Ist es demnach zu verwundern, daß, wenn das geöffnete und mit Aufmerksamkeit fest auf jemand gerichtete Auge die Pfeile seiner Strahlen nach den Augen des Beschauers schießt, es zugleich mit diesen Pfeilen, dem Vehikel der Lebensgeister, den Blutdunst ausschleudert, den wir Lebensgeist nennen ? Von dort dringt der giftige Pfeil in die Augen ein, und weil er vom Herzen dessen, der ihn abschießt, ausgeht, dringt er in das Herz des Getroffenen, also gleichsam in die ihm eigentümliche und natürliche Gegend ein. Dort verwundet er das Herz, verdichtet sich auf dessen fester Oberfläche und wird wieder zu Blut. Dieses Blut von außen, das der Natur des Getroffenen fremd ist, trübt dessen eigenes Blut, und das getrübte, sozusagen angesäuerte Blut wird krank. Hieraus entspringen zwei Arten der Verzauberung402 . Der Anblick eines stinkenden Greises oder eines menstruierenden Weibes behext einen Knaben, während der Anblick eines Jünglings einen älteren Mann verzaubert. Weil aber der Saft des Greises kälter und schwerfälliger ist, berührt er bei dem Knaben kaum die Oberfläche des Herzens, und weil er wenig imstande ist durchzudringen, beeinflußt er das Herz, wenn es nicht etwa wegen des kindlichen Alters gar zu zart ist, nur in geringem Maße, und darum ist die Verzauberung nur leicht. Die Verzauberung ist dagegen dann sehr ernst, wenn die jüngere Person das Herz der älteren verletzt. Diese ist es, meine Freunde, über die der Platoniker Apuleius sich beklagt mit den Worten :403 »Ursache und Ursprung, doch auch das Heilmittel meines Leidens und meine Genesung bist du allein. Denn deine Augen dringen durch die meinen mitten in mein Herz und erregen einen heißen Brand in meinem Mark. Habe darum Erbarmen mit dem, der um deinetwillen vergeht.« Stellt euch Phaidros aus Myrrhinus404 vor und den Redner Lysias aus Theben, der in Phaidros verliebt ist. Lysias starrt wie ein Maulaffe mit offenem Mund405 das Gesicht des Phaidros an. Phaidros richtet die Funkenstrahlen seiner Augen scharf



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auf die Augen des Lysias und schickt zugleich mit ihnen den Lebensgeist zu Lysias. Bei dieser gegenseitigen Begegnung der Augen vereinigt sich unschwer der Strahl des Phaidros mit dem des Lysias, und ebenso verbindet sich Lebensgeist mit Lebensgeist. Der Dunst des Lebensgeistes, der vom Herzen des Phaidros erzeugt wurde, eilt sofort zum Herzen des Lysias, verdichtet sich durch die feste Substanz von dessen Herzen und wird wieder zu Blut, und zwar zu dem, was es ursprünglich war, nämlich dem Blut des Phaidros. Ein staunenswerter Vorgang : Das Blut des Phaidros befindet sich nun im Herzen des Lysias ! Deshalb müssen beide gegeneinander in Rufe ausbrechen, nämlich Lysias zu Phaidros : »Phaidros, mein Herz, mein teuerstes Innerstes !« und Phaidros zu Lysias : »O  Lysias, mein Lebensgeist, mein Blut !« Phaidros verfolgt Lysias, weil das Herz seinen Saft zurückverlangt, und Lysias verfolgt Phaidros, weil der Blutsaft in sein eigentliches Gefäß und an seinen eigenen Ort zurückkehren möchte. Lysias schließt sich nun um so brennender an Phaidros an, weil das Herz eher ohne eine Wenigkeit seines Saftes leben kann als der Saft ohne das ihm zugehörige Herz. So bedarf der Bach der Quelle notwendiger als die Quelle des Baches. Wie also das Eisen, nachdem es Eigenschaft des Magneten angenommen hat, zum Magnetstein hingezogen wird, selbst aber den Stein nicht anzieht, so verfolgt Lysias eher Phaidros als Phaidros den Lysias. 5. K apitel Wie leicht man sich verliebt Vielleicht möchte nun jemand einwenden : Ja, kann denn ein feiner Strahl, ein ganz leichter Geisthauch, ein klein wenig Blut von Phaidros so schnell, so heftig und so verderblich den ganzen Lysias anstecken ? Das wird nicht so wunderbar erscheinen, wenn man andere Krankheiten denkt, die sich

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durch Ansteckung übertragen, wie Hautjucken, Krätze, Aussatz, Brustentzündung, Schwindsucht, Ruhr, Augenentzündung und Pest. Die Liebesansteckung aber findet sehr leicht statt und ist die schlimmste aller Seuchen. Denn das Blut, das mit dem Dunst des Lebensgeistes von dem Jüngeren in den Älteren übergeht, hat, wie wir vorhin erörtert haben, vier Eigenschaften : Es ist klar, fein, warm und süß. Weil es klar ist, paßt es sehr zu der Klarheit der Augen und der Lebensgeister in dem Älteren, und dank dieser Übereinstimmung lockt und reizt es und wird darum von jenen begierig aufgesogen. Weil es fein ist, fliegt es schnell zum Herzen und verteilt sich von dort aus durch die Venen und die Arterien über den ganzen Körper. Weil es warm ist, wirkt es heftig und setzt das Blut des Älteren in Bewegung, indem es ihm seine eigene Natur mitteilt. Darauf spielte Lukrez an mit den Worten : »Von dort rann der Tropfen der Liebeswonne in dein Herz und hinterließ bange Sorge«.406 Überdies stärkt, nährt und erquickt es infolge seiner Süßigkeit die inneren Teile. Das alles bewirkt, daß das gesamte Blut des Mannes, das nunmehr in die Natur des jugendlichen Blutes umgewandelt ist, notwendigerweise zu dem Körper des Jünglings hinstrebt, um in seinen eigenen Gefäßen zu sein, da das jugendliche Blut in frischen und zarten Gefäßen umlaufen will. Eine weitere Folge ist, daß der Kranke zwischen Lust und Schmerz hin und her schwankt. Die Lust wird durch die Klarheit und Süßigkeit des Dunstes und Blutes verursacht. Klarheit reizt, Süßigkeit erquickt. Von Schmerz wird er erfüllt infolge von Dünnheit und Wärme. Dünnheit zerteilt die inneren Teile und zerlegt sie. Wärme nimmt dem Menschen, was ihm eigen war, und wandelt es in die fremde Natur. Infolge dieser Verwandlung läßt sie ihm keine Ruhe in sich selbst, sondern zieht ihn unablässig zu der Person, von der er verwundet wurde. Lukrez deutete das mit folgenden Worten an : »Der Körper zieht uns zu dem Gegenstand hin, von dem der Geist durch



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die Liebe verwundet wurde; denn meistens fallen die Verwundeten gerade auf die Wunde; und das Blut spritzt dorthin, von wo der Streich, mit dem wir geschlagen wurden, kam, und wenn der Feind nahe steht, spritzt es auf ihn.«407 Lukrez meint in diesen Versen, das Blut des Menschen, der durch den Strahl der Augen verletzt wurde, ströme gegen den hin, der ihn verwundet hat, gerade so, wie das Blut des Erdolchten auf den Mörder spritzt. Wenn ihr nach dem Grund dieses Wunders sucht, will ich ihn euch folgendermaßen darlegen. Hektor verwundet und tötet Patroklos. Dieser richtet die Augen auf Hektor, der ihn trifft. Deshalb geht sein Gedanke auf Rache, und sofort wallt die Galle in Rachgier auf. Durch die Galle wird das Blut erhitzt und strömt sofort zur Wunde, sowohl um diesen Teil zu verteidigen als auch zur Rache. Genau dorthin streben die Lebensgeister. Da sie leicht sind, fliegen die Geister nach außen zu Hektor hin, dringen in ihn ein und bleiben durch seine Wärme eine Zeitlang erhalten – sagen wir, bis zu sieben Stunden. Wenn während dieser Zeit Hektor sich dem Verwundeten nähert und seine Wunde angespannt betrachtet, dann strömt diese das Blut gegen ihn aus. Dieses kann gegen den Feind hin ausströmen, weil noch nicht alle Wärme erloschen ist und die innere Bewegung noch nicht aufgehört hat, zudem, weil es noch kurz zuvor gegen jenen erregt war, und schließlich, weil es zu seinen Lebensgeistern zurückstrebt, und die Lebensgeister ihr eigenes Blut zu sich hinziehen. In gleichem Sinne meint Lukrez, das Blut des durch die Liebe Verwundeten ströme zu dem hin, der ihn verwundet hat. Seine Ansicht erscheint mir durchaus zutreffend.

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6. K apitel Die seltsame Wirkung der gewöhnlichen Liebe Soll ich euch, meine tugendsamen Freunde, eine eigentümliche Folge hiervon beschreiben, oder soll ich lieber darüber schweigen ? Nun, ich will es doch aussprechen, weil es zur ­Sache gehört, wenn es auch unanständig scheinen mag. Wer ist wohl imstande, Unkeusches auf wohlanständige Weise vorzutragen ? Lukrez, der unglücklich Liebende, sagt,408 die große Verwandlung, die sich im Körper des Älteren vollzieht und nach der Leibesbeschaffenheit der jüngeren Person hindrängt, bewirke, daß er mit größter Anstrengung seinen ganzen Körper in jene Person überzuführen und ihren ganzen Körper in sich aufzunehmen strebt, damit entweder der zarte Saft in zarte Gefäße gelangt oder die zarten Gefäße mit zartem Saft angefüllt werden. Dadurch werden sie getrieben, viel Höchstschändliches miteinander zu tun.409 Da nun der Samen von dem ganzen Körper aus fließt, meinen die Liebenden laut Lukrez, schon durch Aussenden oder Aufnehmen ihren ganzen Körper dem anderen hingeben und den ganzen Körper des anderen in sich aufnehmen zu können. Das erfuhr an sich selbst der epikureische Philosoph Lukrez, der unglücklichste aller Liebenden : So nun auch, wer erhält die Treffer von Venus’ Geschossen, mag ein Bursche verschießen die Liebe auf weibliche Glieder oder das Weib, aus ihrem ganzen Leibe sie schleudernd : woher getroffen, dorthin auch strebt er, begehrt sich zu einen, und in den Leib die Feuchte zu werfen, aus seinem geleitet. Sinnenlust sagt nämlich voraus das stumme Begehren.
… pressen sie gierig den Leib aneinander und mischen des Mundes Speichel und atmen tief, einpressend die Zähne dem Munde,



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fruchtlos, da sie ja nichts dort abzukratzen vermögen, ein nicht zu dringen, zu tauchen den ganzen Leib in den Leib ein scheinen sie dies doch bisweilen zu wollen und darum zu e­ ifern. So hängen gierig sie eng in der Venus festem Gefüge, während die Glieder gelöst von der Lüste Gewalten zer­ schmelzen.410

Soweit der Epikureer Lukrez. Daß die Liebenden wirklich danach verlangen, die geliebte Person ganz in sich aufzunehmen, bewies Artemisia, die Gattin des Mausolos, des Königs von Karien, die so verzweifelt ihren Gatten liebte, daß sie nach seinem Tod seinen Körper zu Asche machte und mit Wasser auftrank.411 7. K apitel Die gemeine Liebe beruht auf Verderbnis des Blutes. Daß aber diese Krankheit, wie schon öfters erwähnt, im Blut liegt, beweist deutlich die Tatsache, daß sie dem Kranken andauernd keine Ruhe läßt. Wie euch bekannt ist, nehmen die Ärzte den Sitz des anhaltenden Fiebers im Blut, den des für sechs Stunden nachlassenden im Schleim, den des einen Tag aussetzenden in der gelben Galle und den des zwei Tage aussetzenden in der schwarzen Galle an. Folglich nehmen wir zu Recht den Sitz des Liebesfiebers im Blut an, d. h. im schwarzgalligen412 Blut, wie ihr in der Rede über Sokrates vernommen habt. Aus dem melancholischen Blut entsteht immer das starre und tiefe Grübeln.

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8. K apitel Wie der Liebende dem Geliebten ähnlich werden kann Darum wundere sich niemand von euch, wenn er hört, daß ein Liebender in seiner körperlichen Erscheinung eine gewisse Ähnlichkeit mit der geliebten Person angenommen hat. Schwangere Frauen verlangen oft nach Wein und denken heftig an den gewünschten Wein. Diese lebhafte Vorstellung erregt die inneren Lebensgeister, und durch die Erregung gestaltet sie in ihnen das Bild des ersehnten Weines aus. Die Lebensgeister erregen entsprechend das Blut und prägen in dem zarten Stoffe der Leibesfrucht das Bild des Weines aus.413 Wer ist wohl so unerfahren, um nicht zu wissen, daß ein Liebender sich brennender nach der geliebten Person sehnt und gespannter und anhaltender an sie denkt, als schwangere Frauen an solche Genußmittel ? Und doch denkt er noch heftiger daran. So ist es also kein Wunder, daß sich die Züge der geliebten Person, im Herzen des Liebenden eingeprägt, durch das Denken im Lebensgeist abbilden und von diesem aus in das Blut übergehen. Besonders weil sich in den Adern des Lysias schon das sehr zarte Blut des Phaidros414 gebildet hat, können die Züge des Phaidros mit Leichtigkeit aus diesem seinem Blute widerscheinen. Alle Glieder des ganzen Körpers welken täglich hin und ergrünen wieder durch den Tau der Speise. So wird Tag für Tag jedermanns Körper allmählich abgezehrt und in gleicher Weise wiederhergestellt. Die Körperteile werden durch das Blut wieder neu belebt, das durch die Bächlein der Adern fließt. Wundert man sich also, daß, wenn das Blut ein bestimmtes Bild in sich trägt, es dieses in den Körperteilen nachzeichnet, so daß Lysias am Ende dem Phaidros etwa in Hautfarbe, Gesichtszügen, Gemütsart oder Gebärden ähnlich wird ?



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9. K apitel Welche Personen machen uns verliebt ? Nun liegt die Frage nahe, von welchen Personen vor allem und auf welche Weise sich die Liebenden fesseln lassen und wie sie sich wieder befreien. Frauen fangen Männer leicht ein, und zwar am ehesten die Frauen, die etwas männlich aussehen.415 Leichter aber noch nehmen männliche Personen Männer ein, da sie ihnen mehr gleichen als die Frauen und weil ihr Lebensgeist klarer, wärmer und feiner ist, an dem Cupidos Netze haften.416 Von den Männern verzaubern diejenigen am schnellsten Männer oder Frauen, die mehr sanguinisch und weniger cholerisch sind und große, blaue und leuchtende Augen haben, ganz besonders, wenn sie noch dazu keusch leben. Denn durch Geschlechtsverkehr verzehren sich die klaren Lebensgeister, und die Züge werden düster. Diese Eigenschaften sind erforderlich, wie schon vorhin erwähnt, um die Pfeile schnell abzuschießen, die das Herz verwunden. Außerdem gehen diejenigen rasch ins Netz, in deren Geburtsstunde Venus durch den Löwen hindurchging oder der Mond mit Venus in Konjunktion stand, aber auch diejenigen mit der gleichen Veranlagung der Säfte. Die Phlegmatiker sind niemals zu fangen.417 Die Melancholiker können nur sehr langsam eingefangen werden; sind sie es aber einmal, so können sie sich nie wieder befreien. Fesselt eine sanguinische Person eine gleichgeartete, so ist das Joch leicht und die Fessel sanft, da die gleiche Komplexion gegenseitige Liebe bewirkt. Auch flößt die Sanftheit dieses Temperaments den Liebenden Zuversicht und Vertrauen ein. Wenn eine cholerische Person eine cholerische einfängt, ist solche Sklaverei schwerer zu ertragen. Zwar bewirkt die Gleichheit der Komplexion bei ihnen gegenseitiges Wohlwollen, aber das feurige Temperament der Galle reizt sie häufig zugleich zum Zornesausbruch. Wenn nun eine sanguinische Person einer cholerischen oder um-

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gekehrt eine cholerische einer sanguinischen das Joch auf­ erlegt, dann entsteht aus dieser Verbindung des hitzigen und des sanften Temperaments ein Wechsel von Zorn und Gewogenheit, von Lust und Schmerz. Kettet eine sanguinische Person eine melancholische an sich, so entsteht eine dauernde, aber nicht beklagenswerte Verknüpfung, weil die Süßigkeit des Blutes die Bitterkeit der schwarzen Galle mäßigt. Fesselt aber eine cholerische Person eine melancholische, so entsteht eine verderbliche Plage, weil der scharfe Saft des Jüngeren die inneren Teile des Älteren von einer Richtung zur anderen durchströmt, so daß die Glut, in der der unselige Liebende entbrennt, das zarte Mark verzehrt. Die gelbe Galle reizt zu Zorn und Mord, die Melancholie zu Wehleidigkeit und zu ständigem Klagen. Ihnen bereitet oftmals die Liebe ein solches Ende, wie der Phyllis418, der Dido und dem Philosophen Lukrez. Eine phlegmatische oder melancholische Person verwundet niemanden, weil Blut und Lebensgeister bei ihr zu schwerfällig sind. 10. K apitel Die Art und Weise des Verliebens Auf welche Weise die Liebenden verzaubert werden, haben wir vorhin zur Genüge erörtert. Nur ist zu dem Gesagten noch Folgendes hinzuzusetzen : Die Menschen unterliegen dann am meisten dem Zauber, wenn sie den Blick oft und fest auf die Augen anderer richten, dadurch Licht mit Licht vereinigen und, die Armen, damit die Liebe einsaugen. Das Auge ist stets die Ursache und der Ursprung dieser Krankheit, wie Musaios419 sang. Darum zwingt eine Person mit anmutigen Augen, auch wenn sie an den Gliedern nicht wohlgestaltet ist, dennoch den, der sie anblickt, zur Liebe. Die gegenteilig veranlagte Person lädt eher zu mäßigem Wohlwollen als zu Liebe ein.



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Die harmonische Gestaltung der übrigen Körperteile, außer den Augen, ist nicht eigentliche Ursache, sondern nur gelegentliche Veranlassung dieser Krankheit. Der so beschaffene Körperbau lockt nämlich den, der ihn von weitem sieht, heranzutreten und hält dann den aus der Nähe Anschauenden zu längerer Betrachtung fest. Jedoch bewirkt dabei allein das Begegnen der Blicke die Verwundung. Zu der maßvollen Liebe aber, die am Göttlichen teilhat, und um die es sich im allgemeinen in diesem Gastmahl handelt, trägt nicht nur das Auge, sondern auch die harmonische Gestaltung und die Anmut aller Körperteile als Ursache bei. 11. K apitel Wie man sich von den Banden der gewöhnlichen Liebe befreit Bis hierher haben wir erörtert, auf welche Weise und von wem man gefesselt wird. Es bleibt nun noch übrig, in Kürze zu zeigen, wie man sich frei machen kann. Die Art der Befreiung ist eine zweifache, nämlich eine natürliche und eine künstliche420. Die natürliche geht in einem bestimmten Zeitverlauf vor sich, und zwar hat diese Krankheit den Verlauf mit allen übrigen Krankheiten gemein. So hält das Hautjucken solange an, wie der Bodensatz des Blutes in den Adern und der salzige Schleim in den Körperteilen bestehen. Ist das Blut geklärt und der Schleim beseitigt, hört das Jucken auf und der Ausschlag verschwindet. Viel trägt aber sorgfältige Entleerung dazu bei; plötzliche Entleerung oder Salbung sind sehr gefährlich. Ebenso dauert das ängstliche Sehnen der Liebenden so lange, wie die durch die Verzauberung in die Adern gebrachte Verderbnis des Blutes anhält. Diese Verderbnis bedrückt das Herz mit schwerer Beklemmung, nährt den Brand in den

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Adern und erhitzt mit unsichtbarer Glut die Gliedmaßen.421 Vom Herzen geht sie nämlich zu den Gefäßen und von diesen zu den Gliedmaßen über. Wenn diese Verderbnis des Blutes abgeklärt ist, dann hört die Beängstigung der närrischen Liebenden auf. Dieser Läuterungsprozeß erfordert bei allen längere Zeit, bei den Melancholikern aber eine äußerst lange, besonders aber, wenn sie der Liebesgott unter dem Einfluß des Saturn in seine Netze gezogen hat. Darüber hinaus ist diese Zeit am bittersten, wenn sie unter das Joch gerieten, während Saturn rückläufig oder mit Mars in Konjunktion oder aber in Opposition zur Sonne war. Sehr lange dauert diese Krankheit auch bei solchen, in deren Geburtsstunde Venus im Haus des Saturn oder im Teilschein422 von Saturn oder dem Mond stand. Zu der natürlichen Reinigung muß noch die sorgfältige kunstgerechte Behandlung kommen. Zunächst muß man sich hüten, etwas ausreißen oder abschneiden zu wollen, was noch nicht reif ist, noch etwas mit großer Gefahr aufreißen zu wollen, was man mit sicherer Hand auftrennen kann. Man muß den Umgang allmählich einstellen und vor allem darauf achten, daß unsere Blicke sich nicht mit den Blicken der geliebten Person begegnen. Sollte deren Seele oder Körper mit einem Makel behaftet sein, so ist es ratsam, häufig daran zu denken. Ferner muß man seinen Sinn auf viele verschiedene und ernste Angelegenheiten richten, häufig zur Ader lassen, klaren und würzig duftenden423 Wein trinken und zuweilen sich betrinken, damit sich nach Entleerung des alten verdorbenen neues Blut und neuer Lebensgeist bilden. Auch ist häufige Leibesübung bis zum Schweißausbruch424 zu empfehlen, wodurch sich die Poren des Körpers öffnen und die ungesunden Dünste herauslassen, dazu fleißiges Einnehmen von Stärkungsmitteln und Latwergen,425 die Ärzte als Heilmittel für das Herz und das Gehirn verordnen. Im allgemeinen hilft bei



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der Behandlung der Liebe auch der Beischlaf. Dieses Mittel verschrieb besonders Lukrez, indem er sagte : »Man muß die trügerischen Bilder meiden, die Lockspeise der Liebe von sich fern halten und die Gedanken woandershin lenken. Den angesammelten Saft muß man in verschiedene Leiber schleudern und um keinen Preis den durch die Liebe zu einer bestimmten Person im Körper erregten Samen zurückhalten.«426 12. K apitel Die Schädlichkeit der gewöhnlichen Liebe Damit wir aber durch langes Reden von dieser Narrheit nicht selber närrisch werden, wollen wir in kurzen Worten den Schluß ziehen : Von allen Arten des Wahnsinns ist die absonderlichste427 die ängstliche Sorge, von der die auf gewöhnliche Weise Verliebten Tag und Nacht geplagt sind. Im Verlauf der Liebeskrankheit werden sie erst durch die gelbe Galle erhitzt und dann von der schwarzen Galle heimgesucht, wodurch sie in Tobsucht verfallen und wie blind nicht bemerken, in welchen Abgrund sie fallen. Wie verderblich diese entartete Liebe ist, das zeigen ausführlich der Thebaner Lysias und Sokrates in Platons Phaidros428, und jeder, der auf diese Art liebt, bekommt es deutlich zu spüren. Was aber kann schlimmer sein, als daß der Mensch durch diesen Wahnsinn zum Tier wird. 13. K apitel Die Zuträglichkeit der göttlichen Liebe und die vier Arten der göttlichen Begeisterung429 Soviel über diesen Wahn, der aus Krankheit folgt. 430 Die Begeisterung aber, die Gott uns eingibt, erhebt den Menschen über seine Natur hinaus und verwandelt 431 ihn in Gott. Die

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göttliche Begeisterung ist eine Erleuchtung der rationalen Seele, durch die Gott die aus der höheren Region zur niederen hinabgesunkene Seele wieder von der niederen zur höheren Region zurückzieht. Der Fall der Seele432 vollzieht sich von dem einen Ursprung aller Dinge bis zur Körperweit in vier Stufen : durch Geist, Verstand 433, Meinung und Natur. Da nämlich in der Ordnung der Dinge sechs Stufen bestehen, von denen die höchste die göttliche Einheit selbst 434 und die unterste der Körper einnimmt, zwischen ihnen sich aber die vier genannten befinden, muß notwendig das, was von der obersten Stufe zur untersten hinabsinkt, durch die vier mittleren hindurch sinken. Die göttliche Einheit ist Ziel und Maß aller Dinge, ohne Vermischung und ohne Vielheit. Der Engelsgeist ist eine Vielheit von Ideen, ist aber eine solche Vielheit, die beständig und ewig ist. Der Verstand der Seele ist eine Vielheit von Begriffen und Sätzen, d. h. eine bewegliche, aber geordnete Vielheit. Die Meinung steht unter dem Verstand und ist eine Vielheit ungeordneter und beweglicher Vorstellungen, jedoch in einer Substanz und einem Punkt geeinigt, wodurch die Seele, in der die Meinung wohnt, eine Substanz ist, die keinen Ort einnimmt. Die Natur, d. i. das zur Seele gehörige Ernährungsvermögen und die Lebensveranlagung, verhält sich ähnlich, ist aber über die Punkte des Körpers verteilt. Der Körper aber ist eine unbestimmte Vielheit von Teilen435 und Akzidenzien, die der Bewegung unterworfen und in Substanzen, Momente und Punkte geteilt ist. Auf alle diese Dinge schaut unsere Seele,436 durch diese hindurch steigt sie hinab und erhebt sie sich wieder. Insofern sie aus der Einheit als dem Ursprung des Alls hervorgeht, hat sie eine gewisse Einheit erhalten, die ihr ganzes Wesen, ihre Kräfte und Tätigkeiten eint. Zu dieser ihrer Einheit verhält sich alles übrige, was der Seele angehört, wie die Radien des Kreises vom Mittelpunkt und zum Mittelpunkt. Diese Einheit



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verbindet nicht nur die Teile der Seele untereinander und mit der Gesamtheit der Seele, sondern auch die gesamte Seele mit der Einheit, die Ursache des Alls ist. Insofern die Seele durch den Lichtstrahl des göttlichen Geistes leuchtet, betrachtet sie in ruhender Tätigkeit mit ihrem Geist die Ideen aller Dinge; insofern sie sich selbst anschaut, denkt sie die Allgemeinbegriffe aller Dinge und schreitet, Folgerungen ziehend, von Prinzipien zu Schlüssen fort. Insofern sie Körper anschaut, dreht sie in ihrer Meinung die besonderen Formen und Bilder der beweglichen Dinge herum, die sie durch die Sinne aufgenommen hat. Insofern sie sich der Materie zuwendet, gebraucht sie die Natur als Werkzeug, die Materie zu bewegen und zu formen. Daraus entspringen Entstehen und Wachstum der Dinge und auch die umgekehrten Vorgänge. Ihr seht also, wie die Seele von der göttlichen Einheit, die über der Ewigkeit steht, zu der ewigen Vielheit, von der Ewigkeit zur Zeit, von der Zeit zum Ort und zur Materie hinabsinkt; und zwar fällt sie dann, wenn sie sich von der Reinheit, in der sie entstanden ist, entfernt, um sich übermäßig an den Körper zu klammern. 14. K apitel In welchen Stufen die göttliche Begeisterung die Seele erhebt Wie437 sie in einer Folge von vier Stufen absteigt, muß sie sich auch darum notwendig wieder auf vier Stufen erheben. Die göttliche Begeisterung hebt uns zu den höheren Regionen empor, wie aus ihrer Definition hervorgeht. Folglich gibt es vier Arten der göttlichen Begeisterung. Die erste ist die dichterische, die zweite ist die mystische438, d. i. die priester­ liche, die dritte die weissagende Begeisterung, die vierte Art ist die Leidenschaft der Liebe.439 Die Dichtung stammt von

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den Musen, das Mysterium von Dionysos, die Weissagung von Apollon und die Liebe von Aphrodite. Gewiß kann die Seele nicht zur Einheit zurückkehren, wenn sie nicht selbst einheitlich wird. Sie ist aber vielfältig geworden, indem sie in den Körper hinabsank, sich zu verschiedenen Tätigkeiten zerstreute und der unendlichen Vielheit körperlicher Dinge zuwandte. Darum schlummern sozusagen ihre höheren Teile, und die niederen überwiegen. Die einen befinden sich in Erstarrung, die anderen in Verwirrung, und die Seele insgesamt ist voll Widerstreit und Disharmonie. Deswegen ist zunächst die dichterische Begeisterung nötig, um durch die Klänge der Musik die schlummernden Teile zu ermuntern, durch ihren harmonischen Liebreiz die verwirrten Teile zu besänftigen und endlich durch den Einklang des Verschiedenartigen die mißklingende Zwietracht zu vertreiben und die Teile der Seele zusammenzustimmen. Doch genügt dies noch nicht, weil trotzdem eine Vielheit und Verschiedenheit 440 in der Seele zurückbleibt. Es kommt daher das Mysterium hinzu, das zu Dionysos zugehört, das durch Reinigungen, Opfer und jede Art göttlichen Kults die Anspannung aller Seelenteile auf den Geist lenkt, mit dem Gott angebetet wird. Schon indem die einzelnen Teile der Seele auf den einen Geist zurückgeführt worden sind, kann man die Seele als eine aus Vielheit entstandene Einheit bezeichnen. Ferner ist die dritte Art der Begeisterung vonnöten, um den Geist auf die Einheit zurückzuführen, die das Haupt der Seele ist. Dies bewirkt mittels der Weissagung Apollon. Indem nämlich die Seele über den Geist hinaus zur Einheit des Geistes aufsteigt, sieht sie das Zukünftige voraus. Nachdem endlich die Seele zum Einen geworden ist, d. h. dem Einen, das Natur und Wesen der Seele ist, bleibt nur noch übrig, daß sie sich zu dem Einen zurückführt, das über dem Wesen steht, d. h. zu Gott. Diese hohe Gabe441 verleiht uns



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die himmlische Aphrodite durch Vermittlung des Eros, d. h. durch das Verlangen nach der göttlichen Schönheit und dem Feuereifer für das Gute. Die erste Art der Begeisterung bringt also das Disharmonische und Uneinige in Gleichklang; die zweite bewirkt, daß das in Gleichklang Gebrachte aus einer Vielheit zu einem Ganzen wird; die dritte erhebt das eine Ganze über die Teile; die vierte endlich führt zu dem Einen zurück, das über dem Wesen und über Allem steht. Platon nennt im Phaidros442 den Geist, der dem Göttlichen zugewandt ist, in der Seele den auriga, den Lenker des Seelenwagens. Die Einheit der Seele nennt er das Haupt des Wagenlenkers. Den Verstand und die Meinung, die natürliche Dinge durchdenkt, nennt er das gute Pferd. Die verworrene Phantasie und das Begehrungsvermögen der Sinne nennt er das schlechte Pferd. Die Natur der gesamten Seele nennt er den Wagen, weil die Bewegung der Seele sozusagen kreisförmig von der Seele selbst ausgehend zur Seele selbst zurückkehrt, indem sie ihre eigene Natur wahrnimmt.443 Dabei geht das Denken der Seele von ihr aus und wieder zu ihr zurück. Zwei Flügel schreibt er der Seele zu, mit denen sie dem Überirdischen zufliegen soll. Von diesen ist nach unserer Meinung der eine die Forschung, mit der sich der Geist ohne Unterlaß zur Wahrheit zu erheben sucht, der andere das Verlangen nach dem Guten, für das unser Wille unaufhörlich brennt. Diese Teile der Seele verlieren ihre Ordnung, sobald sie durch den störenden Einfluß des Körpers in Verwirrung geraten. Die erste Art der Begeisterung unterscheidet das gute Pferd, d. h. den Verstand und die Urteilskraft, vom schlechten Pferd, d. i. der verworrenen Einbildung und dem Begehrungsvermögen der Sinnlichkeit. Die zweite unterwirft das böse Pferd dem guten und das gute dem Wagenlenker, d. i. dem Geist. Die dritte leitet den Wagenlenker zu seinem Haupt, d. i. der Einheit, die der Höhepunkt des Geistes ist. Die letzte

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lenkt das Haupt des Wagenlenkers zum Haupt des Alls. Dort ist der Wagenlenker selig und dort stellt er seine Rosse an die Krippe, d. h. die göttliche Schönheit; das bedeutet : Er gebraucht in angemessener Weise alle Teile der Seele, die er sich unterworfen hat. Er legt ihnen Ambrosia als Speise vor und gibt ihnen zudem Nektar zu trinken; das bedeutet : Er bietet ihnen die Schau der göttlichen Schönheit und mittels dieser Schau die Wonne. Das sind die Wirkungen der vier Arten von Begeisterung, über die Platon im Phaidros im allgemeinen handelt; über die dichterische Begeisterung hingegen handelt er besonders im Ion und über die Begeisterung der Liebe im Gastmahl. Orpheus war von allen diesen Arten erfüllt, was seine Werke bezeugen. Von der Liebesbegeisterung aber waren ganz besonders Sappho, Anakreon und Sokrates beherrscht. 15. K apitel Von allen Arten der Begeisterung ist die Liebe die edelste. Von allen diesen Arten der Begeisterung ist die mächtigste und vorzüglichste die Liebe. Die mächtigste nämlich, weil alle übrigen notwendig ihrer bedürfen; denn wir können weder die Dichtkunst noch die Mysterien, noch die Weissagung ohne regen Eifer, brennende Frömmigkeit und unablässige Gottesverehrung erlangen. Nun sind aber Eifer, Frömmigkeit und Verehrung nichts anderes als Liebe. Alle Arten der Begeisterung bestehen also durch die Macht der Liebe. Diese ist die vorzüglichste von ihnen, weil die übrigen sich auf sie als ihren Endzweck beziehen und sie uns am nächsten mit Gott verbindet.444 Nun gibt es aber vier entartete Leidenschaften, die Verfälschungen jener vier Arten der Begeisterung sind.445 Verfälscht wird die dichterische Begeisterung von der gewöhn-



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lichen Musik, die nur den Ohren schmeichelt, die mystische Begeisterung, die der heiligen Kulthandlungen, vom nichtigen Aberglauben des niederen Volks, die prophetische Begeisterung von der trügerischen Mutmaßung menschlicher Schlauheit und die Begeisterung der Liebe von der sinnlichen Leidenschaft. Die wahre Liebe ist nichts anderes als die Anstrengung, sich zur göttlichen Schönheit aufzuschwingen, erweckt durch den Anblick der körperlichen Schönheit. Die entartete Liebe ist ein Absturz vom Anschauen zur Berührung. 16. K apitel Die Förderlichkeit des wahren Liebhabers Ihr fragt mich nun, wozu die sokratische Liebe446 nützlich ist. Nun, zunächst ist sie an sich nützlich, damit der Liebende seine Flügel wiederbekommt, mit denen er zu seiner Heimat zurückfliegen kann. Dann ist sie seiner Bürgerschaft 447 im höchsten Maße förderlich, um eine sittliche und glückliche Lebensart zu erlangen. Der Staat 448 besteht nicht aus Steinen, sondern aus Menschen. Die Menschen bedürfen, gleich den Bäumen, solange sie jung sind, der Pflege und Wartung, um gute Frucht zu tragen. Die Fürsorge für die Kinder liegt bei ihren Eltern und Erziehern. Sind sie dann herangewachsen, überschreiten sie die ihnen von Eltern und Erziehern auferlegten Schranken nur, wenn sie durch schlechten Umgang mit gemeinem Volk verdorben werden, besonders durch Umgang mit solchen, die denen ins Gesicht lachen.449 Der zu Hause eingesogenen besseren Lebensführung würden sie folgen, wenn sie nicht durch den Umgang mit schlechten Menschen, besonders solchen, die ihnen schmeicheln, davon abgebracht würden.450 Was tut nun unser Sokrates ? Wird er zulassen, daß die Jugend durch den Umgang mit zügellosen Menschen verdorben

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wird ? Ist sie doch die Saat des Staates, die täglich neu emporkeimt ! Wenn er es zuließe, wo bliebe da die Liebe zum Vaterland ? Sokrates wird also dem Vaterland beistehen und dessen Söhne, seine Brüder, vom Verderben erlösen. Wie wird er das aber anstellen ?451 Wird er vielleicht neue Gesetze verfassen, um die zügellosen Menschen vom Umgange mit der Jugend fernzuhalten ? Nein, nicht jeder kann ein Lykurg oder Solon sein. Nur Wenigen erteilt man die Autorität, Gesetze zu geben; die Wgehorchen den bestehenden Gesetzen. Was wird also Sokrates tun ? Wird er vielleicht mit Gewalt vorgehen und handgreiflich die unsittlichen Alten von der Jugend entfernen ? Nein; denn Herakles allein konnte, wie es heißt, mit wilden Ungeheuern kämpfen. Diese Gewaltsamkeit ist für andere sehr gefährlich. Vielleicht gibt es noch einen anderen Weg, der darin besteht, daß Sokrates die lasterhaften Menschen ermahnt, tadelt und ausschimpft ? Aber das verderbte Gemüt verachtet die Worte dessen, der ihn ermahnt; ja, schlimmer noch, ein solcher Mensch wird zuweilen sogar gegen den Verwarner handgreiflich. Darum wurde Sokrates, als er dies eine Zeitlang versuchte, von einem mit Fäusten geschlagen und bekam von einem anderen Fußtritte.452 Ein einziger Weg nur bleibt für die Jugend zu ihrem Heil übrig : der Umgang mit Sokrates. Darum mischt sich dieser Philosoph, der vom Orakel des Apollon453 zum Weisesten der Griechen erklärt worden war, aus Liebe zum Vaterland unter die Jünglinge in der ganzen Stadt.454 So beschützt der wahrhaft Liebende die Jugend vor falschen Liebhabern, wie der eifrige Hirte die Herde von Lämmern gegen die verderbliche Gefräßigkeit der Wölfe verteidigt. Weil aber Gleiche sich am liebsten zu Gleichen gesellen, darum macht sich Sokrates den jüngeren Leuten gleich durch Scherzworte, durch Schlichtheit des Ausdrucks und durch Reinheit des Lebens; er macht sich aus einem Alten zu einem Knaben, um zuweilen durch



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liebenswürdige Vertraulichkeit aus Knaben Alte zu machen. Die Jugend, die ja zur Lust neigt, fängt man nur mit der Lockspeise der Lust 455 ein; strenge Lehrer flieht sie. Darum vernachlässigt unser Beschützer der Jugend um des Wohles des Vaterlandes willen seine eigenen Angelegenheiten und nimmt die Sorge für die jungen Leute auf sich. Zunächst lockt er sie durch gewinnende Sanftmut des Umgangs an sich. Nachdem er sie gefesselt hat, leitet er sie allmählich ernster an und ermahnt sie schließlich mit strengerer Kritik. So kaufte er den jungen Phaidon, der in Athen456 in einem öffentlichen Haus der Prostitution preisgegeben war, von diesem Elend los und bildete ihn zu einem würdigen Philosophen heran. Unseren Platon, der an dichterische Schwärmereien verloren war,457 nötigte er, seine Gedichte ins Feuer zu werfen und wertvollere Studien zu ergreifen, deren Früchte wir täglich genießen.458 Xenophon führte er von einem gemeinen ausschweifenden Leben zur Nüchternheit der Weisen. Aischines und Aristippos machte er aus Armen zu Reichen, den Phaidros aus einem Redner zu einem Philosophen, den Alkibiades aus einem Unwissenden zu einem hochgebildeten Mann, den Charmides machte er ernst und schamhaft, den Theages gerecht und zum Beschirmer des Vaterlands459, Euthydemos und Menon brachte er von der falschen Spitzfindigkeit der Sophisten zur echten Weisheit. Daher kam es, daß der Umgang mit Sokrates zwar zunächst angenehm, aber in noch höherem Maße zuträglich war, und, wie Alkibiades bezeugt, wurde Sokrates noch viel mehr von den Jünglingen geliebt, als er liebte.

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17. K apitel Wir danken dem heiligen Geist, daß er uns erleuchtet und zu dieser Diskussion über die Liebe angefeuert hat. Zur Genüge haben wir, werte Tischgenossen, erfahren, was die Liebe ist und was der wahre Liebende, dazu auch die Förderlichkeit des wahren Liebenden, zuerst in euren Reden, dann in meiner. Sagt mir nun, wer ist der Urheber, wer der Lehrer dieser so erfolgreichen Entdeckung ? Wisst, daß derselbe Eros, den wir hier gefunden haben, auch Ursache des Findens ist ! Denn von Liebe entbrannt – von Liebe die Liebe zu finden – haben wir die Liebe untersucht und gefunden. Deshalb ist ihm selbst Dank für das Forschen wie für das Finden abzustatten. O wunderbare Herrlichkeit des Gottes Eros, o Huld ohnegleichen ! Nur kaum zeigen sich erst nach langem Suchen die anderen Gottheiten; Eros aber zeigt sich uns gegenwärtig, ehe wir nach ihm forschen. Daher fühlen sich ihm die Menschen in höherem Maße verpflichtet als den anderen Himmlischen. Manche wagen es, Gottes Macht zu lästern, weil sie mit Donnerstrahl unsere Sünde richtet. Andere hassen die göttliche Weisheit, weil sie uns zum Trotz alle unsere Frevel durchschaut. Aber es gibt niemand, der die göttliche Liebe, da sie alle Güter spendet,460 nicht lieben kann. Darum, Freunde, beten wir die göttliche Liebe an, die sich uns so huldvoll und gnadenreich erweist, wie wir die Weisheit verehren und mit Bewunderung die Macht fürchten, auf daß mittels der Liebe die Gottheit uns gnädig ist und daß wir einst die Gottheit, die wir mit aller Leidenschaft lieben, mit ewiger Liebe ganz genießen mögen ! Hier endet Über die Liebe von Marsilio Ficino aus Florenz.



ANMERKUNGEN DES HER AUSGEBERS

Die erste ital. Ausgabe von Cosimo Bartoli von 1544 ist dem Herzog von Florenz Cosimo I. de’ Medici (1519 – 1574) gewidmet. Der hier genannte Vorfahr ist Cosimo de’ Medici, il Vecchio (der Alte; 1389 – 1464), der als Haupt seines Handelshauses seit 1534 in Florenz ohne eigent­ lichen Titel herrschte; man nannte ihn später Pater Patriae. Er war Mäzen Ficinos und regte dessen Übersetzungen aus dem Griechischen an. Über Cosimo il Vecchio s. Hankins, Humanism and Platonism, passim. Übers. nach dem Abdruck in der Ausgabe Marcel 268. 2  Ficinos Text hat durchgehend utilis und Ableitungen davon. Da ›nützlich‹ eher das subjektive Benutzen vermittelt, hier aber der objektive Beitrag von außen gemeint ist, übersetze ich oft mit ›förderlich‹ und ähnlichen Wörtern. 3  Lorenzo de’ Medici, il Magnifico (der Erlauchte; 1449 – 1492, Enkel Cosimos), verfaßte u. a. eine Parodie auf Platons Symposion (Simposio oder I beoni, ca. 1466/67) und eine ital. Versdichtung De summo bono oder Altercazione, die 1473 im Zusammenhang mit FICINOs Brief an ihn De felicitate, Ep. I, Op. 662 – 665 (zit. Anm. 15), entstand. – P. Orvieto, Lorenzo de’ Medici, Firenze 1976 (Strumenti 62). August Buck, Der Platonismus in den Dichtungen Lorenzo de’ Medicis, Berlin 1936; Rezension dazu in Kristeller, Studies, 213 – 219. 4  Antonio Manetti (1423 – 1497) und Bernardo del Nero (1424 – 1497) waren beide in politischen Ämtern in Florenz tätig und repräsentieren als gebildete Männer ohne Lateinkenntnisse (Supp. I 109 f. u. 133) das Publikum von Ficinos ital. Schriften. Beiden ist auch die ital. Übersetzung von Dantes Monarchia gewidmet, außerdem Bernardo noch Ficinos De christiana religione und De raptu Pauli. Zu Manetti: Alessandro Polcri: Una sconosciuta corrispondenza tra Marsilio Ficino e Girolamo Pasqualini e il volgarizzamento del De magnificentia e del De quatuor sectis philosophorum dedicato ad Antonio di Tuccio Manetti, in: Interpres Rivista di studi quattrocenteschi 19 (2000) 45 – 89. 5  Vgl. die Vorsicht in VII 6. 6  Cosimo Bartoli (1503 – 1572), in diplomatischen Diensten der Medici, hielt Lesungen über Dante, edierte Schriften von Boethius, Leon Battista Alberti u. a. auf Italienisch. Diese Ficino-Ausgabe, seine früheste Publikation, war mit einem Versuch zur orthographischen Normie1 

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Anmerkungen des Herausgebers

rung des Toskanischen v. a. mittels Akzenten verbunden, wie dort im Vorwort dargestellt. 7  Diese Widmung befindet sich im Autograph der lat. Version Ms. Vat. Lat. 7705, fol. IIIv, Faksimile in der Ausgabe Laurens 2002, S. CXXXIII. (Übers. nach der Abbildung, weil die Edition dort, S. 3, fehlerhaft ist.) Zu Cavalcanti s. unten die Liste der Sprecher in I 1. Zum Wort »Heros« unten VI 5. Die Begegnung der beiden läßt sich auf 1467 datieren (Ficino ist 1433 geboren). 8  Vorwort zur italienischen Übersetzung, übers. nach der Ausg. Marcel 267. 9  Vgl. Aristoteles, Nik. Eth. II 1, 1103 a 14 u. 30 (Übers. Rolfes): »die sittliche (Tugend) […] wird uns zuteil durch Gewöhnung« und »Die Tugenden […] erlangen wir nach vorausgegangener Tätigkeit«; vgl. X 10, 1179b 21. 10  Dante, Divina Commedia, Inf. I 1 – 3: »Nel mezzo del cammin di nostra vita / mi ritrovai per una selva oscura / che la dritta via era smarrita.« Zu Ficino und Dante (vgl. oben Anm. 4) Kristeller 1983, bes. 9 u. 24; Toussaint 1997. Zum Vergleich Ficinos mit Dantes Convivio s. Nelson, Theory of Love, 83 f. 11  Diotima hat für Ficino den Rang einer Prophetin und Sibylle (s. Zitat Anm. 69): Allen, Sibyl, 206. Vgl. Diotima unten in der sechsten Rede. 12  summum bonum/Sommo Bene, ist nach Thomas, S. th. I 6,1, identisch mit Gott: Weiter unten wird Ficino zeigen, daß die Liebe eben dorthin erhebt; vgl. Argumentum de summo bono (Supp. II 96 f.), Kristeller 1972, 273; Op. 1579 zu Plotin. Dem kann aber nach Thomas, S. th. I 49,3 u. S. gent. III 15, kein »summum malum« entgegenstehen, so auch Op. 1076 zu Dionysios Areop. u. Op. 1141 zu Parmenides; sommo male (tiefstes Verderben) dürfte hier also Gottesferne meinen, ohne eine dua­ listische Interpretation zu fordern. – Wenn der Bezug eindeutig ist, wird im weiteren immer der lateinische Wortlaut zuerst und danach das Italienische angegeben. 13  Platon »pius« zu nennen gehört zu Ficinos Konzeption einer Theologia Platonica, auf der Grundannahme basierend, quod pia sit Platonica disciplina, nämlich mit der christlichen Offenbarung prinzipiell konform (Ep. VII, Op. 855). Vgl. im übrigen auch die Vita Platonis zu Beginn der Platonausgaben bzw. Ep. IV, Op. 763 – 770. Zumeist nennt Ficino ihn Plato noster (vgl. Cicero ad Att. IV 16,3: deus ille noster Plato). 14  Vgl. z. B. Thomas. S. th. I 37 mit Zitaten aus Augustinus, De trin. XV. 15  Der Gedanke der fruitio Dei kehrt im letzten Satz des Werkes wieder, er findet sich auch am Ende von Dante, Monarchia III 15,7 (ed. Ricci;



Anmerkungen des Herausgebers

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Shaw 406); vgl. z. B. unten IV 5 Anm. 172. Schon bei Cicero, De fin. II 27,88, die Formulierung: »summo bono fruitur, id est voluptate«. Fruitio Dei ist der mystische Aspekt des Aufstiegs der Seele, von dem diese Schrift handelt: Ep. I, Op. 663: »Videt [sc. anima] enim Deum per intellectum, ac Deo cognito gaudet per voluntatem.« Dabei schließt Ficino an Platon (s. Op. 866 unten) und Plotin an: Überschrift zu VI 9, 10 u. 11: Fruitio Dei (Op. 1800). Zur Geschichte der fruitio: H. Scholz, Glaube und Unglaube in der Weltgeschichte, Leipzig 1911, Exkurs 197 – 235. 16  Ital. Dell’ordine del libro. 17  Varianten über Platons Tod referiert Ficino in dessen Vita, Ep. IV, Op. 770, mit Hinweis auf die Symbolik der 9 x 9 Lebensjahre. Quellen sind Cicero, Seneca und Porphyrios. Platon-Gedächtnisfeiern bei Porphyrios, Plotin-Vita §§ 11 u. 15; Eusebios, Praep. Evang. X 3,1. 18  1200 Jahre, seitdem Porphyrios Plotin verlassen hatte, das ist 1468, fanden wieder solche Feiern statt (Marcel, Introduction, 28; Ep. I, Op. 657). Auch für Cosimo wurden nach dessen Tod (1464) Gedächtnisfeiern gehalten (Supp. I 125). 19  Das Wort architrichlinum kommt in Johannes 2, 8 vor bei der Hochzeit zu Kana. 20  Zu den hier genannten Personen: Francesco Bandini († nach 1490) ging ca. 1477 in diplomatischem Auftrag Lorenzo de’ Medicis nach Ungarn an den Hof von Matthias Corvinus. Vgl. Kristeller, Studies, 395 – 410: An Unpublished Description of Naples by Francesco Bandini. Antonio degli Agli (1399 – 1477), seit 1467 Bischof von Fiesole, ab 1470 Bischof von Volterra, Verfasser von scholastischen Traktaten mit platonischen und hermetischen Einflüssen. Diotifeci (genannt Ficino) d’Agnolo di Giusto (1401/04 – 1478), Arzt von Cosimo de’ Medici, Vater des Philosophen. Cristoforo Landino (1424 – 1498), seit 1452 Prof. für Rhetorik und Poetik am Studio von Florenz-Pisa, seit 1467 in öffentlichen Diensten für Florenz, verfaßte u. a. Kommentare zu Vergils Aeneis und Dantes Divina Commedia und v. a. Disputationes Camaldulenses (1472; ed. P. Lohe, Firenze 1980), fiktive Gespräche vom Sommer 1468 zwischen Lorenzo de’ Medici und Leon Battista Alberti über vita activa und contemplativa (I) und die Aeneis (III, IV ) und zwischen Alberti und Ficino (II) über das summum bonum, wobei Passagen aus Ficinos De amore verwendet werden. Bernardo Nuzzi (Nuti) lehrte Rhetorik und Poetik und war in verschiedenen politischen Ämtern in Florenz tätig (Supp. II 348).

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Anmerkungen des Herausgebers

Tommaso Benci (1425 – 1470), Verfasser einiger ital. Dichtungen und Übersetzungen, u. a. des Pimander des (Pseudo-)Hermes ­Trismegistos nach der lat. Version Ficinos (1463; Reprint des Manuskripts u. der Übers.: Il Pimandro 2010 mit Einl. v. Toussaint); G. Tanturli, I Benci ­copisti. Vicende della cultura fiorentina volgare fra Antonio Pulci e il Ficino, in: Studi di filologia italiana 36 (1978) 197 – 313. Giovanni Cavalcanti (1444 – 1509), hauptsächlich als Freund Ficinos bekannt, hatte öffentliche und diplomatische Ämter inne, ab 1484 am Studio von Pisa. Ihm sind gewidmet: die lateinische Fassung dieser Schrift, De raptu Pauli und verschiedene Übersetzungen (Supp. I 118). Allen, Cosmogony, über seine Rolle als Phaidros. Cristoforo und Carlo Marsupini, Söhne des Rhetorikprofessors und Kanzlers von Florenz Carlo Marsupini († 1453). Über Änderungen an der Liste der beteiligten Personen und besonders die spätere Heraushebung der Rolle Lorenzos s. Gentile, Storia del testo, 10 – 13. Vgl. Wurm 2008, 82 ff. 21  Vgl. VI 5, S. 98 die Etymologie Heros/Eros. 22  Entsprechend dem Alter Platons und den Neun Musen; Ep. III, Op. 739 f.: »De sufficientia, fine, forma, materia, modo, condimento, authoritate convivij.« Wegen der Symbolik des Arrangements und der erwähnten Änderungen ist es müßig, über die Authentizität des Conviviums zu streiten. 23  Giovanni Corsi, Vita Marsilii Ficini 5 (Marcel 1958, 682): Cosimo soll zu Ficinos Vater gesagt haben: »Tu, inquit, Ficine corporibus, at Mar­silius hic tuus animis medendis coelitus nobis demissus est.« Vgl. De vita, dedicat., Op. 493. er st e r ede Nach dem Vorbild von Hasse übersetze ich amor/amore mit »Eros«, um die Assoziation mit dem antiken Gott und zugleich dem philosophischen Begriff offenzuhalten, wann immer es angebracht ist. Auch die bei Ficino lateinischen Götternamen werden durchgehend mit den griechischen Entsprechungen wiedergegeben, weil der Text an die griechische Literatur anknüpft. 25  Phaidros, bes. 227a–236a. – Quellen für die Angabe, daß Lysias aus Theben stamme, sind unbekannt; Phaidros wird als Myrrhinusier bezeichnet: Phaidr. 244a. 26  Diogenes Laert. III 29 u. 31; Platon, Frag. 7 in Anthologia lyrica Graeca I (Diehl). – In Hippias, Op. 1270: »De pulchro, in Phaedro, Symposio, Hippia disputatur«; In Phaedrum, Op. 1363: »Plato noster […] primum peperit lib[e]rum totum, et candidissimum […], et de pulchritu24 



Anmerkungen des Herausgebers

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dine simul atque amore.« Phaidr. gilt als Platons früheste Schrift: s. VI 13 Anfang; Allen, Charioteer, Introd. 27  Orphica, Hymnos 58 (Abel). Hesiod, Theogonie 121 f. – Ep. XI, Op. 933 – 935, erwähnt Ficinos frühe Übersetzungen aus Hesiod und Orpheus mit zwei Zitaten Orphischer Carmina (dazu Walker, Orpheus, 27 f.); s. auch Supp. I p. CXLIVf. u. II 97 f. 28  Pagane Götter und christliche Engel werden hier gleichgesetzt, vgl. S. 13 und bes. VI 3. Für pulchritudo = species s. V 1 mit Anm. 185. 29  Zu den vorangehenden Quellen: Orphica, Argonautica 421 – 429 (Abel); zu vergleichen die Kosmogonie im Pimander, Corpus hermeticum I 4 – 11 (Nock), die aber auf Lichtmetaphorik basiert (Op. 1837 ff.; deutsch Hermes Trismegistos: Poemander oder Von der göttlichen Macht und Weisheit, hrsg. v. Matthias Vollmer, Hamburg 1990). Hesiods Theogonie wird als »Teologia« zitiert: Hesiod, Theogonie 116 – 122; Parmenides, Frg. B 13 (Diels); Akusilaos, Frg. B 2 (Diels). Parmenides wird oft als Pythagoreer bezeichnet (z. B. Op. 100, 107, 252, 394, 395), vgl. Iamblich, De vita Pythagorica 267. 30  Die Kosmologie des Timaios verwendet zwar nicht Chaos und Eros, doch besteht der Kosmos u. a. aus 4 Elementen in proportionalem Zusammenhalt: »Ex quo seipsum amicitia (φιλίa) concordi complectitur, atque ita apte cohaerent, ut nequeat dissolvi ullo modo« (Timaios 32 c, Ficinos Übers.). Vgl. Karfík 2012. 31  Lat. formatum; ital. dipinto. Ficino interpretiert Chaos hier als eine materia prima, wie dies bereits Aristoteles bei der Platonischen χώρα (Timaios 52a) tat (Physik 209 b 11 – 16), vgl. auch Chalcidius, In Plat. Tim. 167,6 (Waszink). Die folgenden »drei Welten« werden entsprechend nach dem Materie-Form-Modell aufgeführt. 32  Timaios 30 a-b und 36 d-e. Vgl. In Timaeum Kap. 9 u. 26 (Op. 1441 f. u. 1449 f. Zum Timaios bei Ficino s. Leinkauf 2005. – Für lat. mens steht durchgehend ital. Mente Angelica. 33  Anspielung auf das griechische Wort ›kosmos‹; siehe weiter unten. 34  Weltgebäude: machina/edifizio. Dieselbe Hierarchie in Ep. II: De raptu Pauli (Op. 699, Gentile II 6, 66). 35  Der Engelsgeist besteht als Geschaffenes aus intelligibler Materie und dem vom Erschaffenden stammenden Licht als Form: Plotin II 4,1 – 5, III 8,11,3, III 5,6,45. Zugleich spielt Ficino auf die Differenz von Essenz und Existenz in geschaffenen Geistern an: Thomas, De ente et essentia 6. 36  In princio (ital.), zusammen mit tenebrosa (lat. für finster) Anspielung auf Genesis 1.

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Anmerkungen des Herausgebers

Eine der ficinianischen Kosmogonien betrachtet die species in der geschaffenen Welt als Realisierungen von Ideen eines Geistes, wobei – ob platonisch oder nicht – der reale Zusammenhang der gesamten Schöpfung durch Wiederauftreten von Gliederungsformen auf verschiedenen Stufen garantiert sein soll, hier also z. B. die Götter und Elemente, welche bestimmten Ideen entsprechen sollen. Ganz ähnlich, ausführlicher: In Tim. Kap. 10, 11 u. 26, Op. 1442 f. u. 1449 f. 38  Plotin VI 7,31 beschreibt die Beziehung der Seele zum Geist und des Geistes zum Einen als Rückwendung, die in der Seele einen »Zustand der Sehnsucht, so wie der Verliebte durch ein Bild des geliebten Gegenstandes zu dem Wunsch bewegt wird, das Geliebte selber zu sehen«, hervorruft, zumal »da sie von Anbeginn durch Ihn mit Liebesverlangen erfüllt war«. 39  Plotin schließt VI 7,32 an mit der Frage nach dem Schöpfer der Schönheit, des Lebens und der Wesenheit (οὐσία, essentia), zu der die Seele geleitet werden muß; dazu Op. 1792: »Quicquid et in mundo intelligibili specie quadam est: et ipse totus est species constans ex speciebus […].« Die von Plotin gebrauchte Eros-Metaphorik für das Verhältnis des Guten zum Geist und zur Seele wird von Ficino kosmologisch gewendet, hier, um das »Alter« des Eros zu bekräftigen. Vgl. V 11, wo diese Gedanken wiederholt werden und auf die Nicht-Zeitlichkeit der Beziehung hingewiesen wird. 40  Vgl. den Mythos von der Geburt des Eros unten VI 7, Anfang. 41  Plotin VI 7,41. 42  Zum Beispiel Dionysios Areop., De div. nom., PG 3, 709 D (Op. 1068); Plotin III 5,1,3; vgl. Phaidros 237 d u. 250c ff. – Vgl. Ep. I, Op. 631; Comm. in Lys., Op. 1272. 43  Das steht zunächst im Gegensatz zu unten V 3 und Plotin I 6,1, wo die Definition der Schönheit als Symmetrie kritisiert wird. Doch nimmt Ficino wie Plotin diese Definition (Nachweise in Anm. 200, vgl. V 6) zum Ausgangspunkt, weil sie das augenfällig Schöne betrifft (Plotin I 6,2), um von dort zur geistigen Schönheit und zu einer Abbildtheorie überzugehen, die Plotin weitgehend konform ist. Dies beginnt sogleich mit der Eliminierung von Geruch, Geschmack und Tastsinn aus der Wahrnehmungsebene des Schönen (vgl. u. S. 66). Daher kommentiert Ficino die o. g. Plotinstelle Op. 1574, indem er unterscheidet, daß die Schönheit immer in den Dingen selbst liegt, in den Sinnen dagegen »delectatio nominatur atque voluptas«. – Hier geht es besonders um die ethische utilitas, vgl. dazu VI 11 und VII 16. 37 



Anmerkungen des Herausgebers

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Seele: animo/animus, was sowohl das Lebensprinzip, den Intellekt als auch die Stimmung (wie hier) bezeichnen kann. 45  Zur Musik s. III 3 u. Anm. 137. 46  Diese Abstufung der Sinnesorgane ist Gemeingut. Ficino referiert sie aus Timaios (bes. 64d) in De voluptate 4, Op. 994, wo er die voluptates den Sinnen entsprechend qualifiziert (Op. 1001), ohne – wie im folgenden – auf die Unmittelbarkeit der niederen Empfindungen hinzuweisen. Vgl. auch Phaidros 25od, Thomas, S. th. I – II 27,1 ad 3 und I 78,3; unten V 2. 47  Dazu unten II 9 und V 6, bes. 77 f. Der konkrete schöne Mensch verhält sich zur menschlichen Schönheit wie die physische Symmetrie zum geistig und moralisch Angemessenen. 48  Cicero, Tusc. IV 71, im Zusammenhang mit einer Polemik gegen die Knabenliebe. 49  amori contrarius / alla Bellezza contrario: Das ist hier dasselbe, wie soeben festgestellt. 50  Lat. studium, ital. desiderio della gloria. 51  Ein Argument aus der Sensus-Lehre der Bibelexegese: der sensus historicus ist (im Sinne der Offenbarung) beweiskräftiger als der sensus allegoricus; vgl. Anm. 153. 52  letum: fehlt im Ital. z w ei t e r ede 44 

Aristoteles, De coelo I 268 a 10 ff.; auch Porphyrios, Vita Pyth. 51. Vergil, Eclog. VIII 75 (nachdem von dreifachen Ritualen die Rede war); vgl. Op. 1418 im Kommentar Kap. 8, zu Resp. 546 e (Hochzeitszahl), lat./engl. in Allen, Nuptial Arithmetic, 1994, 195: »Ideo Deus ternario gaudet«; dabei denkt Ficino auch an die Trinität (ebd. 48). 55  Ursprung: principium / principio. 56  Orphica fr. 168 u. 21/21a (Kern, mit Hinweisen zur Überlieferung), entspr. Nomoi 715e – 716b, Aristoteles, De mundo 7, 401 a 25 ff. u. b 29 ff., Eusebios, Praep. evang. III 9,2. – Vgl. auch: Ep. I, Op. 614; De raptu Pauli, Op. 705; Dionysios Areop., De div. nom. 5, 824 b (Op. 1097). 57  Vgl. Timaios 29e – 30b. Platon, Epist. II 313 a und Argumentum in Ep. II, Op. 1530 – 1532. 58  Divina speties / spezie divina, cioè bellezza. Der Zusatz im Ital. belegt, daß speties nicht immer ›Schönheit‹ bedeutet, obwohl hier durchgehend so verwendet. 59  Genuß: voluptas / dilectatione. 60  Dionysios Areop., De div. nom. 4, 712d (Op. 1070). Hierotheos ist der von Dionysios zitierte (fiktive) Lehrer. 53 

54 

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Anmerkungen des Herausgebers

Ebd. 4 passim, bes. 693b, 700b (Op. 1056 – 1058). veritatis claritatem / lume del vero: Wahrheit ist in sich klar und insofern auch ›einleuchtend‹. Vgl. Toussaint 1994, 50 – 52. 63  Liebe, hier: caritas/carità. 64  Resp. 508a – 509b (Sonnengleichnis). Dazu Op. 1407: »ideam boni non esse speciem hanc [a]ut illam, hic aut ibi, sed ipsam eminentissimae divinitatis foecunditatem, per omnia sese potenter, suaviter, salubriter propagantem«. Vgl. ferner De sole (Op. 965 – 975, bes. Kap. 2 u. 9) und De lumine (Quid sit lumen, Op. 717 – 720 und 976 – 986). 65  Zum Sehstrahl s. u. V 4 mit Anm. 209 und VII 4, S. 155. 66  Aktualität: actus/acto, auch als Wirklichkeit zu verstehen. Vgl. Thomas, S. gent. III 18: »Deus autem qui est primum agens omnium rerum, non sic agit quasi sua actione aliquid acquirat, sed quasi sua actione aliquid largiatur«; vgl. dort II 15 u. ö. 67  Orphica, Frg. 24 (Kern), Übers. Georgios Trapezuntios in Op. 934 (Walker, Orpheus, 28). Auch im Philebos-Komm., Op. 1213 u. 1241 (ed. Allen 111 u. 305). 68  Zu der mehrfachen Bestimmung – das Gute, das Schöne, Schönheit, Wahrheit – vgl. Philebos 65a, dazu Op. 1248 f. (ed. Allen 355 – 359). 69  Theol. Plat. XII 3, Op. 271 (Marcel II 164, Allen/Hankins IV 40): »universi pulchritudo, boni ipsius splendor«, in anthropologischem Kontext. Wer aber die antiken Theologen sind, bleibt unklar. Vgl. In Phileb. I 5, Op. 1212 (ed. Allen 109): »Pulchritudo quidem nihil aliud est quam summi boni splendor […] Quo fit ut pulchritudo circulus quidam divinae lucis existat, a bono manans, in bono residens, per bonum et ad bonum sempiterne reflexus. Hoc Plato mysterium quod a Diotima Sibylla accepit paucis revelavit.« – Vgl. Proklos, Plat. Theol. V 28, p. 309 (Portus): τò ἀγαθòν πρò τοῦ κάλλους, mit Zitat aus Philebos 64c. Zum ganzen Kap. vgl. VI 15 – 16 u. VIII 13. 70  Die Metapher der vier Kreise ist nicht gerade anschaulich, vermutlich weil hier verschiedene Philosopheme und Modelle verknüpft sind; eine Kurzfassung davon unten VII 13 und Op. 1797 u. 1799 f. (zu Plotin VI 9,8, vgl. dort). Eine wichtige Quelle dürfte Proklos sein: dessen Hypostasenlehre Plat. Theol. I 12 bei Ficino: »Ordo divinorum apud Platonem secundum Proculum« (Saffrey, Notes, 170 – 174). Vgl. außer den folg. Anm.: In Phileb. I 4, Op 1209 – 1211: »Quid bonum, quodve super hunc est ipsum unum atque bonum«; dort Verweis auf Nomoi X (dazu Op. 1515 – 1520) und Unterscheidung nach Bewegung, jedoch heißt es dann (ed. Allen 101): »(mens) nihil habet commune cum corpore«, es fehlt auch die Metaphorik Mittelpunkt-Linie-Kreis. 61 

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Anmerkungen des Herausgebers

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Das Modell (nur ital. un corporale tondo) ist vermutlich ein Kegel, dessen Spitze (vgl. 45,30 f.: apex, caput) die Strahlen vereint, die an der Basis einen Kreis bilden: so Proklos, In Euclid., Def. XV/XVI, S. 153,1 – 9 (Friedlein). In einem solchen Modell könnte die Materie am weitesten vom Zentrum entfernt und zugleich »in« und »durch« anderes bewegt, nämlich untergeordnet sein. An einem Kegel fänden sich aber potentiell nicht nur vier, sondern unendlich viele Kreise, u.zw. als Querschnitte durch die Punkte der Radien. 72  Vgl. Cusanus, Doct. ign. II 3: »Sicut undique in linea est punctus, ubicumque ipsam diviseris, ita in superficie et corpore.« 73  Theol. Plat. XVIII 3, Op. 403 (Marcel III 190 f., Allen/Hankins VI 100): »Centrum mundi verum Deus est, ut in libro de Amore [also hier] disserimus, quia unus, simplex, stabilis est et in omnibus, atque alia quaelibet omnino plura, composita, mobilia, circa ipsam per naturalem ipsius appetitum perpetuo revolvuntur. Ita centrum Deus est omnium, quia sic est in omnibus, ut cuique rei interior sit, quam ipsamet sibi [vgl. Augustinus, Conf. III 6,11; Pico, Heptaplus V 6, Opera, Basel 1572, 39]. Est etiam circumferentia mundi, quia extra cuncta existens ista supereminet universa, ut cuiusque rei summum apicem dignitate excellat immensa. Item quando est omnium, si dictu fas est, minimus quantitate, tanto virtute est maximus omnium [vgl. Cusanus, Doct. ign. I 4], Ut est centrum quidem est in omnibus, ut circumferentia vero est extra omnia. In omnibus, inquam non inclusus, quia est circumferentia. Extra omnia quoque non exclusus, quia est centrum. Quid ergo Deus est? Ut ita dixerim, circulus spiritalis, cuius centrum est ubique circumferentia nusquam.« Ficino stellt seine Metapher in den Komplex der sphaera intelligibilis (Mahnke, Sphäre, bes. 62 – 65; F. Krafft, Kreis/Kugel 6, in: Hist. Wörterbuch d. Philos. IV 1219 – 1222; P. R. Blum, Zentrum, ebd. XII 1298 – 1301), zu dem auch das Orpheus-Zitat o. S. 21 gehört (Mahnke 243). 74  Vgl. Plotin IV 4,16,20 ff., in Bezug auf Geist und Seele; I 7,1,24. 75  Die ungewöhnliche Konstruktion pendere a/ad, ital. dependere da/a, soll die gegenläufige Beziehung zwischen Zentrum und Teilen in einen Ausdruck fassen (so auch Op. 1799); die Unterscheidung ›von etwas‹ / ›zu etwas‹ bei Proklos, In Euclid p. 155,7 – 8 (s. Anm. 71). Zum Kreis-Denken bei Proklos: W. Beierwaltes, Proklos, 2. Aufl. 1979, Kap. II. 76  Erg. nach d. Lat.: »was wir schon oft wiederholten«. 77  Die Mittelpunkte schließen sich wohl unmittelbar an den Einen an, ohne Vermittlungsstufen, die Ficino sonst ausführt, so zu Timaios 34b, Op. 1450, wo auch vom Hervorgehen aus und Zurückwenden zu Gott die Rede ist. Über Vermittlung bei Ficino: Kristeller 1972, 82 – 88. 71 

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Anmerkungen des Herausgebers

Proklos, In Euclid, p. 149,2 – 8 (Friedlein): Jede Seele hat ein eigenes Zentrum und das des Einen. – Vgl. Plotin VI 8,18, dazu Op. 1797: »Intellectus primus ad Deum comparatur, tanquam circulus inferior ad centrum superioris circuli se applicans, et naturaliter inde dependens«; Plotin V 1,11, dazu Op. 1758: »ostendimus in animis sicut in lineis esse suam unitatem, quasi signum, quo Deum universi unitatem, quasi centrum attingere possint«. 78  In Phileb. I, Op. 1211 (ed. Allen 99): »Mens autem movet immobilis perseverans et semper secundum eadem operans.« Vgl. VI 6 mit Anm. 79  Vgl. IV 3. Schatten: lat. simulacrum (Abbild, Gleichnis), ital. ombra. 80  Vgl. Op. 1782 zu Plotin VI 5,5. 81  Formen, Ideen, Begriffe, Keimformen, Formen: lat. speties, ideae, rationes, semina, formae, ital. spetie, idee, ragioni, semi, forme. 82  Quomodo Plato de rebus divinis exponatur / Come Platone delle cose divine sì espone. 83  2. Brief 312e–313a, vgl. dazu Op. 1530 – 1532. Die Kreismetaphorik wird jetzt auf diese dunkle Platonstelle angewendet. Vgl. die Auslegung bei Proklos, Plat. Theol. II, bes. Kap. 8/9 (Saffrey/Westerink) und deren Vorgeschichte ebd. Introduction. Zu Ficinos Rezeption dieses PlatonBriefes s. Allen, Sending Archedemus, 2008. 84  »In der Umgebung« (circa, περί ): Circa vero ipsum regem / Ma circa esso re. Die Platon-Ausg. Basel 1532, p. 935, hat: Sed in rege ipso. 85  Oromazes, Mithras, Arimanes: Zoroaster, Frg. O 109 a/b ( J. Bi­ dez/F. Cumont, Les mages hellénisés II, Paris 1938, vgl. dort p. 252), nach Plutarch, De Iside 369 E, aus Georgios Gemistos Plethon. Ähnlich in Theol. Plat IV 1, Op. 130 (Marcel I 162 f., Allen/Hankins I 288 – 290), mit Verweis auf diese Stelle. Stausberg 1998 I 142 – 149. – Für Platon vgl. Timaios 30a–b. 86  verwandt: cognatas quasi proxime natas/propinque. Vgl. Phaidon 79 a/b. 87  Lat. supereminens existentia, ital. supereminente essentia. Bei Gott sind Essenz und Existenz bekanntlich identisch. Wenn aber ein Gegensatz zu actus/atto, »Wirkung«) gemeint ist, ist essentia scholastisch richtiger. – Vgl. Excerpta ex Proculo in Rempublicam Platonis, Op. 937: »Proculus idem in elementis Theologiae [Prop. 119] probat, unumquenque Deum ita esse formaliter bonitatem quandam essentialem, sicut primus est ipsum bonum super essentiam.« 88  erleiden: patiamurque fehlt im Ital. 89  Dieser Einschub fehlt im Ital. Giovanni Cavalcanti ist vermutlich gemeint.



Anmerkungen des Herausgebers

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Vgl. Phaidros 251a. Theol. Plat. XIV 1 – 8, Op. 305 – 319; Argumentum in Phileb., Op. 1206 (Allen 485). Lauster 48; Vasoli, Quasi sit Deus, 1999. Vgl. Theaitet 176a/b; Plotin I 2,6 (über die Tugenden); Asclepius 6. 92  diffinitione, fehlt im Lat. 93  Vgl. Plotin III 5,2,15 ff. (dazu Op. 1714); VI 9,9,28 ff.; unten VI 4. Dieses Kap. ist paraphrasiert in Landino, Disp. Camald. III 125 f. (Lohe). Zu den geminae Veneres Panofsky, Ikonologie, 211 – 218; Chastel, Art et humanisme, 269 – 272. 94  Gewöhnlich: für vulgaris/volgare. Ausgedrückt ist sowohl ›das Übliche‹ als auch: gemein, bloß menschlich, niedrigen Ranges und Wertes. 95  schließt in sich: supereminet/contiene: sowohl ›übersteigt‹ als auch ›enthält‹. 96  Zur Trias Sein-Leben-Denken, ihrem Zusammenhang mit der Bewegung des Hervorgehens und Zurückwendens, o. II 3, und zur Geschichte s. Beierwaltes, Proklos (s. Anm. 75), 93 – 113, Dodds in: Proclus, The Elements of Theology, Oxford 1963, 252 f. (zu Propos. 101 – 102). 97  Zur Analogie Materie-Mutter vgl. Timaios 50d u. 51a; Aristoteles, Phys. I 9, 192 a 14; Plotin III 5,2,24 (zu Symp. 180d); III 6,19; die lat. Entsprechung erleichtert den Vergleich materia-mater. 98  So im Ital.; nach dem Lat.: »oder das Zeugen übermäßig mit Frauen bzw. wider die Ordnung der Natur mit Männern sucht«. 99  Landino, Disp. Camald. III 126,27 (Lohe) = Plutarch, Vitae parall., Antonius 66,7; vgl. ebd. Cato maior 9,8 und Amatorius [Moralia] 759c. Zu diesem Kap. s. Karfík, L’amour. 100  Phileb. 46c ff., dort auch die Verbindung von bitter und süß, die nun folgt. 101  Nur hier nachzuweisen: Frg. 316 (Abel) = 361 (Kern). Ältester Beleg: Sappho, Frg. 137 (Diehl; 130 Lobel-Page); amara dulcedo: Ep. I, Op. 611 (ed. Gentile I 4, 15 f.); auch z. B. Petrarca, Sonett 129: ’1 dolce e l’amaro ond’io mi pasco. 102  Thomas, S. gent. II 79: »Operatio enim rei demonstrat substantiam et esse ipsius […]. Si igitur anima secundum operationem suam perficitur in relinquendo corpus, incorporea substantia sua in esse suo non deficiet per hoc quod a corpore separatur.« Vgl. S. theol. I 75,2. 103  Nur ital. cosa maravigliosa. Zur Sache vgl. VI 19 (Ende). 104  In Epist. II, Op. 716 (ed. Gentile II 8, 112) erwähnt Ficino, daß »eine Seele in mehreren Körpern [sein kann] wenn sie in platonischer Liebe entflammt ist.« Vgl. auch Epist. I, Op. 626 (ed. Gentile I 37, 71). 105  Zur Macht des Ares vgl. Phaidros 252d. 90  91 

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Anmerkungen des Herausgebers

Vergleiche der Liebe mit dem Tod sind zahllos, z. B. Canticum cant. 8,6: fortis est ut mors dilectio (Liebe ist stark wie der Tod). Vgl. Ep. I, Op. 611 (ed. Gentile I 4, 16). 107  Vgl. Paulus, Rom. 6, 8 – 10: »Si autem mortui sumus cum Christo, credimus quia simul etiam vivemus cum Christo, scientes quod Christus resurgens ex mortuis jam non moritur: mors illi ultra non dominabitur. Quod enim mortuus est peccato, mortuus est semel: quod autem vivit, vivit Deo.« 108  Vgl. im Lat.: »O felicem mortem … O mirum commertium, quo quis seipsum tradit pro alio …« Der Wortlaut erinnert an den Hymnus Exsulet aus der Ostervigil: »O mira circa nos tuae pietatis dignatio! /  O inaestimabilis dilectio caritatis: / ut servum redimeres, Filium tradidisti! … O felix culpa, / quae talem ac tantum meruit habere Redemptorem!« – Es ist charakteristisch, das Ficino auf christliche Motive anspielt, ohne Christologie zu übernehmen (vgl. Lauster 114). 109  Vgl. hiermit und mit dem Folgenden: Ep. IV, Op. 754. 110  Die beiden letzten Sätze (das Gesetz der gegenseitigen Liebe) erinnern an Paulus, Rom. 13, 8 – 9. 111  Ab hier bis Ende des Kap. fast wörtlich auch in Ep. I, Op. 672 f. (ed. Gentile I 129, 236 f.; Briefe 263 f.). 112  Nur ital. e così diventa cosa dell’amato. Vgl. Paulus, Gal. 2, 20: »… vivo filii Dei, qui dilexit me, e tradidit semetipsum pro me.« 113  Ep. I, Op. 626 (ed. Gentile I 37, 71 f.; Briefe 141), an Cavalcanti (den Sprecher dieser Rede), leitet die Spiegelmetapher über zu einer Darstellung der Reflexion, die vom Ungenügen am interior intuitus zum Suchen des Selbst im Anderen führt: »wenn ich mich selbst nicht habe, durch den allein ich erfassen kann, was auch immer ich erfassen will? Kehre also zurück und gib Dich, nein mich, mir wieder!« Vgl. Phaidros 255d. 114  Vgl. VII 9; zur Sternenfreundschaft s. In Phaedr. 30, Op. 1381 f. (ed. Allen 181 – 185). F. Boll, Kleine Schriften zur Sternkunde, Leipzig 1950, 115 – 125; Wind, Mysteries, 64 f. im Vergleich mit Pico. Ficino legt Wert auf seine Sternenfreundschaft mit Pico, weil er ihn zur Übersetzung Plotins anregte (Op. 1537). Vgl. unten VI 6. 115  Nur im Lat. aut certe similis. – Zur Dämonenlehre vgl. Resp. 617d ff.; Plotin III 4, dazu Op. 1707 – 1713, bes. 1713 zur Verbindung mit Astrologie, ebenso Iamblich, De mysteriis, Op. 1905 f. Ferner das Handbuch des Agrippa von Nettesheim, De occulta philosophia III 16; Walker, Magic; s. unten VI 3 mit Anm. 248. 116  Damon und Pythias (zumeist: Phintias): Iamblich, Vita Pyth. 106 



Anmerkungen des Herausgebers

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233 – 236, u. a. (vgl. Schiller, Die Bürgschaft); Orest und Pylades: Aischylos, Choephoren, u. a. Beide Paare bei Valerius Maximus, Facta et dicta IV 7 (De amicitia). 117  Ital. erläutert: pulcritudine, cioè bellezza. 118  Phaidros 250c–e, vgl. o. I 3. 119  Dieser Satz steht im Ital. hier, bei Marcel und Laurens am Anfang von III 1. dr i t t e r ede Lat. Amor est in omnibus et ad omnia [Marginalie in Laurens 53: Amor est in omnibus ad omnia, creator omnium servator omnium], ital. Che lo amore è in tutte le cose, e inverso tutte, creatore di tutte, e maestro di tutte. 121  ›Künste‹ steht für Lat. artes und umfaßt alles, was Menschen machen können, einschl. Handwerke, Wissenschaften und z. B. Malerei. 122  Die vier Kreise aus II 3 nun als Stufung. 123  Paulus, Rom. 12, 4 – 5; 1 Cor. 12, 12 f., 21 – 25. 124  benevolentia/ per naturale Amore. 125  mutua consuetudine / scambievole benevolenza. 126  De div. nom. IV 15, 713 AB; vgl. Op. 1070. 127  Vorsehung: durchwegs lat./ital. providentia; ich übersetzte regelmäßig mit dem theologischen Terminus »Vorsehung«, auch wenn nur Vorsorge oder Fürsorge gemeint sein könnte. 128  De div. nom. IV 10, 708 B. 129  Statt lat. movet (bewegt) steht das ital. Verb presta (teilt mit). 130  Zur Parallele zwischen materiellen und immateriellen ›Samen‹ s. Hirai 2005, 259 – 262. 131  Aristoteles, Physik IV 5, 212 b 29 – 213 a 10: Die 4 Elemente haben ein immanentes Streben zum jeweils natürlichen Ort. 132  Politikos 269c–e: Der Weltumlauf wird wohl hier als Anpassung an die göttliche Kreisbewegung interpretiert; hinzu kommt im Folgenden das Modell der Himmelssphären. 133  Zum Beispiel Frg. 31 A 28, B 17 (Diels). Iamblich, Vita Pyth. 166 u. 267, zählt Empedokles zu den Pythagoreern. 134  amoris vicissitudo / naturale amore 135  Orphica, Hymnos 58,8 (Abel). 136  Zur Humoralpathologie s. De vita II, Op. 510 – 529; Katinis 2007, 100 ff. Historisches dazu in Klibansky/Panofsky/Saxl, Saturn, 3 – 15 u. passim. 137  Theorie der Musik, ihre Beziehungen zur Medizin, Ficinos Quellen in: Ep. I, Op. 650 f.; Harmonielehre in Supp. I 51 – 56 (De rationibus musice); vgl. Theol. Plat. XII 6, Op. 278 – 280, mit Zitaten aus Augustin, 120 

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Anmerkungen des Herausgebers

De musica. Vgl. unten S. 78, weiteres bei Walker, Magic, 3 – 24, und Prins, Echoes. 138  Zu redaktionellen Problemen dieses Satzes s. ed. Niccoli, S. 52, Anm. 139  Resp. 398d–399e; Nomoi II passim, VII 812d–e; vgl. Ep. I, Op. 614, über den Zusammenhang mit der Sphärenharmonie und dem furor divinus. 140  Zur Astrologie und Prophetie s. z. B. De vita III; Kristeller 1972, 293 – 296; zur Astrologie der Renaissance: Eugenio Garin, Lo zodiaco della vita. La polemica sull’astrologia dal Trecento al Cinquecento, Bari 1976; ders., Le »elezioni«; Astrologie bei Ficino: Zanier 1977, Clydesdale 2011. 141  Lat. amoris caritatisque modus, ital. modo d’amore e di carità. 142  Orphica, Hymnos 58,4 (Abel). 143  Beierwaltes, Theorie d. Schönen, 38 mit Anm. 97, verw. auf Augustin, De musica VI 56 (PL 32, 1191). 144  Band: nodus/nodo. 145  Vgl. Gorgias 467c–468b; Aristoteles, Nik. Eth. III 6, 113 a 15 ff., Eud. Eth. VII 2, 1235 b 25 – 29, u. ö.; Thomas, S. theol. 78,1,3: »appetitus naturalis est inclinatio cuiuslibet rei in aliquid, ex natura sua: unde naturali appetitu quaelibet potentia desiderat sibi conveniens.« 146  Vgl. Augustin, De diversis quaestionibus ad Simplicianum I qu. 2, nr. 18: »Gott haßt nicht Esau, den Menschen, sondern Gott haßt Esau, den Sünder.« Ähnlich Sermo IV 20. 147  Quo auctore sumus et vivimus : cf. Actus Apostolorum 17:28: »In ipso enim vivimus, et movemur, et sumus« (Luther: »Denn in ihm leben, weben und sind wir«). v i ert e r ede Vgl. hierzu Kodera 2005 u. 2010, Kap. 7. Im Lat. und Ital. ist Sonne männlich, Erde und Mond weiblich. 150  Lat. qui psectae et aurate vocantur, ital. che si chiamano orate: i quali segati in lungo bene pe ’l mezzo, d’uno pesce, dua pesci restano vivi. Woher Platon (Symp. 191d) dieses Rezept hat, ist unbekannt. Vgl. Aristophanes, Lysistrata 151 u. 131, und Lukian, Piscator 49, wo ein Plattfisch sich als Platoniker ausgibt. 151  Die Aristophanes-Rede zählt somit zur Literatur über Prodigien und Monstra: J. Céard, La nature e les prodiges, L’insolite au XVIe siècle, Genève 1977. 152  Zweiter Brief 314a, dazu Op. 1531 f. mit Verw. auf Iamblich, Vita Pyth. 226 u. 246; ähnlich Hermes Trism., Asclepius I (Op. 1858). Vgl. die Vorrede zu den Platon-Komm., Op. 1129; s. Einleitung S. XXI. 148  149 



Anmerkungen des Herausgebers

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Augustinus, De Trinitate XV 9,15 u. Civ. Dei XVI 2,3. Zur allegorischen Bibelinterpretation auch z. B. De vera religione 50, De doctr. christiana II/III passim (vgl. oben I 3, S. 19. 154  ingenito et infuso / naturale e soprannaturale; so auch im nächsten Satz. – Siehe IV 4. 155  Drei der vier Kardinaltugenden, vgl. Kap. 5 und VI 18 p. 293 f. 156  Plotin I 1 passim, dazu Op. 1548: »Docebit […] hominem esse animam, id est, substantiam incorpoream rationalem ex divino quidem intellectu existentem, in se vero consistentem, corpori autem non inhaerentem, sed potius adsistentem […].« Vgl. Plotin VI 7,4 – 6; Excerpta ex Procli Comm. in Alcib., Op. 1925 u. 1927 f.; Theol. Plat. XVI 8, Op. 384 (Marcel III 143, Allen/Hankins V 314); Ep. I, Op. 626 (Gentile I 71): »Homo est animus. Amantis animus est in amato.« – Der Anfang des Kap. ist eine Kurzfassung von Theol. Plat. I 2 – 4, Op. 75 – 88. 157  Kraft und Eigenschaft/Qualität: lat. vis, qualitas, ital. forza, qualità; Ficino beschreibt eine Physik, in der Qualitäten Wirkkräfte sind und einen ontologischen Status erfordern. 158  Veranlagung: complexio/complexione, also die Zusammensetzung der Säfte nach der Humoralpathologie; vgl. Anm. 136, auch S. 63. 159  Um die Existenz und den ontologischen Vorrang der Seele zu beweisen, trennt Ficino die Qualitäten begrifflich von den Körpern und den Bewegungsursprung von den Qualitäten. Die pantheistischen Gefahren dieser Denkweise zeigt Thomas, S. gent. III 69. 160  foramina, fehlt im Ital. – Die Sinne als fenestrae animi: Cicero, Tusc. I 46. 161  Vgl. VI 11, S. 122 f. 162  Der Körper als »fließend«: Plotin I 8.4. et undique permutato, fehlt im Ital. 163  Dieses Kap. ist paraphrasiert in Landino, Disp. Camald. III 213 – 215 (Lohe). 164  von Gott geschaffen: ex deo nata / da Dio creata. 165  Vgl. Phaidros 246e, dazu Op. 1368: »Ala vero est potentia sensum ducens, per quam animae quidem divinae dicuntur alae, quoniam semper sunt elevatae, nostrae vero subalatae, quoniam saltem elevari possunt.« Vgl. unten VII 14 p. 357; Lichtmetaphorik für Wahrnehmung und Erkenntnis unten VI 13. 166  Theol. Plat. VI 2, Op. 158 (Marcel I 227, Allen/Hankins II 130): »Magnum quiddam es, o anima, si te parva non implent […]. Postquam talis es, si invenire te cupis, quaere, obsecro, ibi teipsam ubi sunt talia. […] Quaere te igitur extra mundum. Verum ut et quaeras te et inve153 

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Anmerkungen des Herausgebers

nias extra, extra vola […].« Dasselbe Ep. I, Op. 659 f. (Gentile I 110, 193): »Marsilius Hominum generi salutem, id est, cognitionem et reverentiam suiipsius, dicit.« – Dazu Trinkaus, Image, II 470 f. Vgl. Augustin, De doctr. christ. I 22,20; Manilius, Astron. II 105 ff.; Asclepius 5 – 6 (Corpus Hermeticum II 30 lf.). – In Theol. Plat. XIII f. beschreibt Ficino die Unsterblichkeit der Seele gerade mit jenen Argumenten für die dignitas hominis. Würde und Freiheit des Menschen, Unsterblichkeit und Theodizee bilden einen theoretischen Komplex. Das ist bes. deutlich in den Excerpta ex Proculo in Remp. Platonis, Op. 937 ff., bes. 938: »Malum quoque in anima propter differentes vitae species et contrarias inter se pugnantes. […] Animas quoque commixtionem hic habere, ne regiones istae mundi rationalium animalium expertes forent. […] Atque ita malum divinitus quoque pendere quodammodo dici potest, tanquam quodammodo ­bonum.« (Vgl. Proklos, In Remp. I p. 38, ed. Kroll.) Vgl. die Bemerkungen über die miseria hominis VI 17, S. 136 f. 167  Vgl. Plotin VI 7,5 – 6. 168  Superbia ist das größte aller Laster, der inordinatus appetitus propriae excellentiae: Thomas, S. th. I – II 84,2 c. 169  Bildung: doctrina/disciplina. 170  Baumeister des unendlichen Weltgebäudes: architectum ingentis huius machine / sapiente architectore del mondano edificio. 171  Oben II 4. 172  Zum Beispiel Thomas, S. th. I – II 5,2 c: ipse finis ultimus, qui est summum bonum, et adeptio vel fruitio ipsius boni (vgl. I – II 4,5 c);vgl. Anm. 15. 173  Zu den vier Kardinaltugenden s. VI 18 mit Anm. 355. 174  pro dei cultu, pro honesto, pro patria / per la religione, per la patria, pe’ genitori. 175  Lat. u. ital. prudentia: etymologisierend sollen wir wohl an providentia denken, da es nicht um eine innerweltliche ›Klugheit‹ geht und die göttliche Weisheit sich als Vorsehung äußert. 176  a dando et accipiendo, fehlt im Ital. 177  Für Protagoras, Diagoras, Theodorus Cyrenaeus s. Cicero, Nat. deor. I 2 u. I 63; Varro s. Augustin, Civ. dei IV 31 u. VII 6; Manilius, Astron. I 484 f. Vgl. die Doxographie in Di Dio et anima, Supp, II 128– 147, bes. 129 f. 178  Weltseele: animam quamdam/una anima del mondo. 179  fastu tumidi fehlt im Ital. 180  cioè cibo e liquore eterno fehlt im Ital. Vgl. VII 14 S. 172. 181  et rationibus, fehlt im Ital.



Anmerkungen des Herausgebers 182  183 

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a divino choro / coro de’ beati.- Phaidros 247 a. Appetit: aviditas/appetito.

f ü n f t e r ede Philebos 60 c (vgl. 20b). speties / gioconda apparenza: Das Sinnending ist Spezies im Sinne des Sichtbarwerdens innerer Qualitäten (vgl. specere-sehen); und insofern die species das Auf blühen der Güte ist (s. u. folg. Absatz), kann Ficino es mit bellezza übersetzen (unten über Samen u. Blüte), so wie speciosus »schön« bedeutet (u. S. 68, S. 92; vgl. Anm. 247) vgl. auch Anm. 37. 186  Plotin VI 7,32,31; vgl. oben II 3 mit Anm. 69, II 5 Anfang. 187  Köder (esca): vgl. die Metapher vom Angelhaken S. 92 m. Anm. 246. 188  noster hic heros / Giovanni nostro. 189  Dazu im einzelnen Kap. 7. 190  Verstand/Begriffe, beides für: ratio/ragione. Aristoteles, De anima III 4 – 8, oben Anm. 46. 191  Zur folgenden Sinnesphysiologie vgl. z. B. Aristoteles, De anima II 7 – 11; s. auch Walker, Magic, 7 – 9. 192  Vgl. hierzu Theol. Plat. XV 5, Op. 337 ff.: Quomodo mens insit corpori. 193  Evtl. Aristoteles, Meteor. IV 10, 389 a 12 u. De anima I 5, 410 b 1, wo aber wohl Sehnen gemeint sind. 194  quae propter nos metipsos desideramus / le qulai a fine di loro desideranno. 195  Kratylos 416d; Proklos, Theol. Plat. I 24; Dionysios Areop., De div. nom. IV 7, 701C (Op. 1060); Excerpta ex Procli Comm. in Alcib., Op. 1927; Op. 1574 (Einl. zu Plotin I 6). 196  Orphica, Hymnos 60 (Abel); vgl. Op. 828 (nach Tibull I 4,37): »Nempe nihil aliud gratia ipsa est quam splendor atque laetitia.« Zu den Drei Grazien s. Ep. VII, Op. 845 f. (deutsch in Leitgeb 2006, 14 – 23); Wind, Mysteries, passim. 197  aliquid incorporeum / cosa spirituale; vgl. Überschriften V 5, V 6, incorporeum u. spirituale werden gleichbedeutend verwendet. 198  Aristoteles, Poetik 7, 1450 b 36 (Schönheit besteht in Größe und Ordnung), vgl. Metaph. XIII 3, 1078 bl: allerdings meint Aristoteles mit Größe die übersehbare Begrenztheit. Dagegen Plotin VI 6,1 (nicht schön vermöge des Großen, sondern des Schönen); vgl. unten V 6. 199  Ähnlichkeit, Erscheinung: spiritale simulacrum, corporea speties / spirituale smilitudine, spetie corporale. 200  Aristoteles s. Anm. 198; Plotin I 6,1,21 – 24 ( I 6 ist Vorbild für die 184  185 

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Anmerkungen des Herausgebers

ganze Symmetrie-Diskussion); vgl. VI 7,30,32 – 35; zitiert Philebos 64e: Das Gute und Schöne in Mischung; Stoic. vet. fragm. III 278/9 bes. 22; Cicero Tusc. 4,31 (»cum coloris quadam suavitate«); Alberti, De pictura II § 35: »illa elegans in corporibus concinnitas et gratia […] quam pulchritudinem dicunt«; Thomas, S. th. II – II 145,2 c u. ad 3. Vgl. Einleitung, Anm. 41 u. 45. 201  e l’anima, e la mente, e Iddio fehlt im Lat. 202  Dieser Satz betont in der lat. Fassung den Ursprung des Durstes in der Schönheit; die ital. Version erklärt, daß – gemessen am Naß der Schönheit – im Strom der Materie etc. nur Durst ist. 203  Vergil, Aeneis VI 129. 204  che innanzi agli occhi fehlt im Lat. 205  a Platonicis feht im Ital. 206  Vgl. Plotin IV 3,11. 207  si ad cetera compares fehlt im Ital. 208  officium generandi / ministero corporale. 209  Physiologie des Sehens geht auf Aristoteles und Platon zurück: De anima II 7, 418 b 15 ff., 20 ff.: daß Licht selbst kein Körper ist und sich von Osten bis Westen ausbreitet; Timaios 45b ff.: Sehen als Zusammentreffen des Lichtes mit den Sehstrahlen. Vgl. auch VII 4. 210  Typus: ratio / sigillo o vero ragione. Der Begriff (ratio) ist keine aristotelische Form (species, »Form« in diesem Satz, vgl. Anm. 185), sondern wie ein Siegeleindruck einer Idee (vgl. Theaitet 191c ff., Plotin IV 3,26; VI 7,6). Für Ficino besitzt die Seele unveränderliche, eingeborene (von der Idee stammende) Erkenntnisformen (species, hierüber unten VI 12 f.), diese nennt er – evtl. in Auseinandersetzung mit Epikurs τύπος und eἴδώλον (Ep. ad Herod. 2,46,7 Arr. = Diog. Laert. X 46) – sigillum und formula innata u. ä. (Theol. Plat. XI 3 – 5, z. T. = unten VI 12). Die eingeborene Idee der Schönheit: Op. 1574 (Einl. zu Plotin I 6), Op. 1575 f. (zu Plotin I 6,2– 3). Vgl. ferner Op. 1251 f. (zu Parmenides); De voluptate XV, Op. 1008 (semina innata virtutum nach Cicero). Zur Geschichte der »eingeborenen Ideen«: G. v. Hertling, Historische Beiträge zur Philosophie, Kempten/ München 1914, 230 – 242 (von Platon bis Descartes, ohne Renaissance); Boenke 2005, 46 – 50. 211  Seele und Verstand: Lat. animi mentisque, ital. dell’anima e dell’angelo: Ficino scheint hier mens (Verstand) und angelus (Engelsgeist) gleich zu behandeln. Vgl. Plotin V 8,1; Op. 1576 (zu Plotin I 6,3). Für die Kunst als »Form in der Seele« vgl. Aristoteles, Metaph. VII 7, 1032 a 26–b 21. 212  Vgl. VI 17.



Anmerkungen des Herausgebers

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Anordnung, Maß, Gestaltung: Lat. und ital. ordine, modo, spetie. Diese zusammen mit anderen Triaden bei Augustin, Civ. dei V 11; vgl. die Bestimmung des Schönen: Aristoteles, Metaph. XIII 3, 1078 b 1: τάξις καὶ συμμετρία καὶ τὸ ώρισμένον (vgl. Anm. 198 und I 3 u. V 3). 214  Diese Proportionslehre, die auf Vitruv zurückgeht, wird u. a. von L. B. Alberti, De pictura II §§ 35 – 36, verwendet (s. o. Anm. 200). Der Wortgebrauch von modus hier entspricht am ehesten dem in der Musik wie unten S. 45. 215  Mischung: temperata complexio / temperata complexione: Die vier Elemente terminologisch besprochen als vier Säfte. 216  Zur Musik s. o. Anm. 137. 217  Vgl. Theol. Plat. VII 7 – 15, Op. 178 – 181, daß die Seele selbst weder Komplexion noch Harmonie ist, im Anschluß an Thomas, S. gent. II 63 – 64. 218  Oben V 4. 219  die Schönheit ist ein bestimmter lebensvoller und geistiger Liebreiz: pulchritudinem esse gratiam quandam vivacem et spiritalem / la bellezza essere una certa gratia vivac’e spiritale. 220  Dieser Teil der Rede Agathons (195a–196b), der den Gott selbst beschreiben wollte, wird von Ficino als anthropomorph ausgelegt: Die Attribute sind, entspr. V 6, nur praeparationes, die beim Menschen mit der Komplexionenlehre (vgl. III 3 u. IV 3) erklärt werden, für den Eros sind es Metaphern seiner Wirkungsweise (unten S. 80). 221  Paraphrase aus Agathons Rede. 222  formositas/bellezza. 223  ordinem fehlt im Ital. und gehört wohl zu modus/modo (Maß). 224  copiosissime, d. h. mit rhetorischer Fülle (vgl. Sokrates’ Kritik 198d–e). 225  Liebe, hier: caritas/carità. 226  Über Venus und Mars in der Kunst d. Renaissance s. Gombrich, Images, 66 – 69, und Wind, Mysteries, 86 – 89. 227  Konjunktion, Rezeption, Opposition, Trigonal- und Sextilaspekt: in der Astrologie Konstellationen zwischen den Planeten, die eine gegenseitige Beeinflussung ihrer Wirkungen ermöglichen. 228  Geburtsstunde: vita/natività. 229  amor qui vim omnibus infert; vgl. Vergil, Ecl. 10, 69: Omnia vincit amor. 230  tradimenti nur ital. 231  Vgl. I 2, II 1. 232  Theol. Plat. II 11 – 13: »Deus voluntatem habet …«; »Voluntas Dei 213 

196

Anmerkungen des Herausgebers

necessaria simul et libera est et agit libere«; »Deus amat et providet.« Vgl. Thomas, S. gent. I 81, II 23 u. 30 über Freiheit Gottes und Notwendigkeit in der Schöpfung. 233  Vgl. die Spindel der Notwendigkeit Resp. X 616b ff., aus der auch die Sphärenharmonie hervorgeht (unten V 13): dazu Op. 1434. 234  Über den Vorrang der Ursache vor der Wirkung bes. Proklos, Elem. theol. 7 (vgl. ed. Dodds, Kommentar dazu p. 193 f. u. zu 57, p. 230 f.). 235  Orphica, Hymn. 3 (Abel). 236  Orphica, Hymn. 55,5 (Abel). 237  Vgl. Plotin V 8,13. 238  Nur lat. hier der Zusatz: »Ich übergehe, was die Astrologen meinen, daß die Bösartigkeit des Planeten Saturn sehr oft durch Konjunktion, Rezeption, Opposition, Sextil- oder Trigonalaspekt mit Jupiter beschnitten wird.« Vgl. De vita III 22 (Op. 564 f., Caske/Clark 366) u. Ep. III, Op. 726. 239  Diese Zuordnung, auch in Theol. Plat. IV 1, Op. 126 (Marcel I 153, Allen/Hankins I 268), dort den Pythagoreern zugeschrieben, weicht von den meisten Entsprechungen von Göttern und Zodiakus ab; Ficino richtet sich nach Manilius, Astronomica II 439 – 447, dessen System er damit in die neuzeitliche Rezeption einführt: Kaske, Zodiac, 198 u. passim. 240  Zu den Künsten: Manilius, Astron. IV 176 – 188 (Löwe), 124 – 139 (Widder), die Attribute zu Waage u. Zwillingen nicht bei Manilius (vgl. W. Hübner, Die Eigenschaften der Tierkreiszeichen in der Antike, Wies­ baden 1982). 241  vaticinium nur lat. Bei den Zwillingen dürfte eine Kontamination mit Cosmas und Damian vorliegen, den Schutzheiligen der Medici (»Ärzte«). 242  nonum nur im Lat. Zur Sphärenharmonie bes. Resp. X 617b, danach Macrobius, Comm. in Som. Scip. 2,3,1. Vgl. Op. 614 u. Supp. I 54 – 55 (dort auch in astrolog. Zusammenhang); Op. 1434 zu Resp. X; Op. 1737 f. zu Plotin IV 3,12. sech st e r ede Biographisches zu Sokrates: Apologie 21a (Orakel); Symp. 177d u. Theages 128b (Nichtwissen und Eros); seine Lehrer: Diogenes Laert. II 19 (Physiker), Menon 96d u. Axiochos 366b–c (Prodikos), Menexenos 235e– 236a (Aspasia, Konnos); s. auch VII 2. 244  Siehe Anm. 11 u. 69. 245  atque inter deum et hominem / e è idio e demonio. Das Lat. lautet: und ist zwischen Gott und Mensch. 243 



Anmerkungen des Herausgebers

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Theol. Plat. XIV 1, Op. 306 (Marcel II 248, Allen/Hankins IV 222): Der Mensch wird vom göttlichen Glanz angezogen wie mit einem Haken, so daß er Gott wird (»quasi hamo trahi sursum ut deus evadat«). Auch hier Rückverweis auf I u. II: Die gleiche Metaphorik macht deutlich: Die Anziehungskraft in der Menschen- und Gottesliebe ist gleich und läßt die Unterschiede der Liebesobjekte verschwinden. 247  inter informitatem et formam / tra la bellezza e la privatione di quella. Hier wie bei dem Begriff species die Identifikation von Schönheit und Form (mit aristotelischer Terminologie) als etwas, das prinzipiell latent ist und in der Seele und in den Objekten realisiert werden muß. 248  Das Folgende ist – wie gesagt – eine Kontamination von Phaidr. 245c–247e (s. dazu Op. 1364), Phileb. ca. 27c–31a (dazu Op. 1262, Allen 498 f. u. ö.), Nomoi IV 713c–e, X 885e–903a, vor allem Epinomis 984d–985b (dazu Op. 1527); auch Resp. X 616d ff. (dazu Op. 1436 ff.), Timaios 39e–41a, 90a (dazu Op. 1469 – 1471); Apologie ca. 26b–18a (dazu Op. 1386 f.). Auch wenn die Texte nicht alle von der Sache (Weltseele, Dämonen etc.) zu sprechen scheinen, Ficino hat sie so ausgelegt, wie die zit. Kommentare zeigen. Vgl. auch Excerpta ex Procli Comm. in Alcib., Op. 1912 ff. Vgl. Anm. 115. 249  Diese Seelenlehre, gestuft in Weltseele, Sphärenseelen und Einzelseelen, ausführlich in Theol. Plat. IV 1 250  Teilchen, Körperchen: particula/particella, corpusculum/corpicino. 251  Bodensatz: feces/fecce. Die unterste Schicht der Welt als Bodensatz und zugleich Exkremente wie in einer Latrine: s. z. B. Lukrez, De rer. nat. V 498. 252  compos rationis / abbondante di animali razionali: Durch rationale Lebewesen kommt Vernunft in die niedere Region des Kosmos, s. IV 4 mit dem Proklos-Zitat in Anm. 166. 253  Die Weltseele als Seele der materia prima: Theol. Plat. IV 1, Op. 129 (Marcel I 161, Allen/Hankins I 286). 254  Weltgötter: dei/iddii mondani. 255  Vgl. Thomas, S. gent. III 107, Ende (zit. Porphyrios); über Ficinos Lehre von bösen Dämonen s. Brief von Filippo Buonaccorsi (Callimachus Experiens) in Supp. II 225 – 228 (dazu: Radetti, Demoni). 256  Engel: angeli gubernatores/angeli governatori. Dionysios Areop., Hier. cael. 9. 257  Nomoi X 898d f. 258  che intorno al trono di Dio si rivoltano nur im Ital. 259  secondo la proprietà di sua natura nur im Ital. 260  Isti tradunt hominibus. Nur im Lat. 246 

198

Anmerkungen des Herausgebers

Bindemittel: Lat./ital. copula Nach der Etymologie Hermes (= Merkur): ἑρμηνεύς, Übersetzer in Kratylos 407df. (weitere Belege: Wind, Mysteries, 122). Vgl. zu diesen Gaben der Planeten Ep. V, Op. 805. 263  Die zwei Aphroditen oder Veneres oben II 7. 264  Nichtschönheit: informitas/privatione di bellezza. 265  Die Etymologie Heros-Eros: Kratylos 398c–d, vgl. I 2 Anfang. 266  Galle: Lat. bilis, humor colericus, ital. collera, che è omore focoso. 267  Schleim und die schwarze Galle: pituita et atrabilis / la flemma e la melancholia. 268  Phaidros 252c – 253e. 269  Hera = Aphrodite (Iuno = Venus): Comm. in Phaedr., Op. 1381 (Allen, Charioteer, 181): »Venus Planeta est soror Iovis, quia et ipsa sicut ille fortuna coeli est, sed quoniam est inferior eiusque simul valde capax, dicitur quoque coniux. […] Dicitur autem Iuno […] propter Ioviale munus abunde susceptum. Per naturam quidem propriam Venus dicitur, et amorem genituramque significat […].« Vgl. Macrobius, Comm. in Somn. Scip. I 17,15. Op. 13801 f. auch zu der Liebe als Wahl des eigenen Gottes. 270  Zur Sternenfreundschaft vgl. II 8, S. 38. 271  Eine astrologische Variante des Konzepts der eingeborenen Ideen s. am Ende dieses Kap. 272  quod ipso corpore pulcrius est, nur lat. 273  Vgl. u. a. De vita III 3, Op. 534 f., über die Entsprechung zum Weltganzen. 274  Lebensgeist (Geist): spiritus/spirito. Wie im folgenden zu sehen, handelt es sich um die Theorie eines Lebensgeistes, der zwischen der Seele und der Materie des Körpers vermittelt. Diese Theorie stammt aus der Stoa und ist noch bei Descartes und Zeitgenossen als spiritus animalis gegenwärtig. cf. J. J. Bono, Medical Spirits and the Medieval Language of Life, in: Traditio 40 (1984) 91 – 130; D. P. Walker, Il concetto di spirito o anima in Henry More e Ralph Cudworth, Napoli 1986; Hirai 2005. 275  Sinn: sensus. Hierzu und zum folgenden vgl. die Wahrnehmungstheorie in Theol. Plat. VIII 1 (Op. 182 ff., Allen/Hankins II 262 ff.). Zur idea innata vgl. Anm. 210 u. 211, unten VI 12 f. 276  Auge des Geistes: acies mentis/occhio dello intellecto. 277  et que fuerit contemplata conservat nur lat. 278  volendo a costoro servire nur ital. 279  Consilium/Consiglio; im Griech. Metis. 280  Vgl. Augustinus, Enchiridion de fide, spe et caritate 8.25: Der Mensch ist ins Paradies gesetzt »wie in den Schatten des Lebens, von wo aus er 261 

262 



A nmerkungen des Herausgebers

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zum Besseren aufsteigen soll« (»tamquam in umbra vitae, unde iustitia custodita in meliora conscenderet«). 281  Vgl. II 2 p. 25. 282  verworren: implicatae/implicate, also »eingeschlossen, eingefaltet« im Gegensatz zu: explicantur »entfalten sich« (fehlt im Ital.); vgl. complicatio/explicatio bei Cusanus, z. B. Docta ignorantia I 22, II 3 u. 9, das auf Thierry v. Chartres zurückgeht. 283  Ebenbild: pulchritudinem/similitudine. 284  delle cose divine nur ital. 285  Vita contemplativa, activa, voluptuosa: Diese drei Lebensformen werden in Ep. X, Op. 919 f., auf Weisheit, Macht und Dichtung/Musik bezogen; im Komm. zu Plotin IV 4,44, Op. 1749: »Vita contemplativa libera est: activa ministra actionum atque [Korr. aus absque] fortunae: voluptuosa serva corporis.« – Vita activa und contemplativa wurden in der humanistischen Literatur viel diskutiert, u. a. auch in Landino, Disp. Camald. I. – Offenbar schaltet Ficino hier zwischen die beiden immer wirksamen ›Dämonen‹ eine wandelbare Zwischenstufe ein, die in ihrer dreifachen Gestalt die gesamte Seele widerspiegelt, aber sozialem Handeln offen (vita activa in der Mitte) und Ort der menschlichen Freiheit ist. – Vgl. auch Excerpta ex Proculo in Remp. Plat., Op. 940 f. 286  sagax venator / ucellatore: »Vogelfänger«. 287  Es folgt eine Auslegung nach medizinischem Handbuchwissen auf der Grundlage der Humoralpathologie. Vgl. De vita I/II und unten VII 2 in der Anwendung auf Sokrates, außerdem Anm. 136. 288  Hierzu Katinis 2002. 289  Ähnlich Theol. Plat. XIV 10, Op. 323, Quelle: Hieronymus, Chronicon, p. 149 (Helm). – Zu Lukrez s. Anm. 406. 290  e di pazzia nur ital. Zur Narrheit unten VII 3. – Rhazes (al-Razi, † 925), neuplatonisch-pythagoreischer Philosoph und Mediziner, dessen Handbücher, seit dem 12. Jh. auf Latein verbreitet, ab 1481 gedruckt wurden; er verwendete übrigens auch Ormuzd und Ahriman (s. S. 28) als Emanationsstufen. – Zu den Rezepten vgl. Lukrez-Zitat unten VII 11 Ende. 291  bleich und gelblich: squalidus/squalido, hier ergänzt als squalidi et pallentes/giallo e squalido. 292  fahl: squalens/giallo. 293  Aristoteles, Nik. Eth. VII 8, 1150 b 25; 15, 1154 b 11. 294  Aristoteles, Probl. phys. XXX 1, 953 a 26 (im Melancholie-Kap.). 295  Servius, In Verg. carm. comment., Prooem. 296  Symposion 203 d. Wörtlich: auf den Boden fallend.

200

Anmerkungen des Herausgebers

ad animi sui disciplinam et tranquillitatem / al suo bene. et spiritus nur lat.   299 Augustinus, Conf. I 1. 300  Vgl. Anm. 379. 301  Nach dem Lat.: »indem die Bedürftigkeit weicht, vergeht eher die Glut, als daß sie ohne Bedürfnis anhielte«. 302  Magier: magus/mago. Oben VI 9 hieß es incantator /incantatore. 303  pudicum, nur lat. 304  solidis animi bonis vescentes / pascendosi eglino delle vere vivande dell’animo. Vgl. Augustinus, Liber de beata vita 8 (über die der Seele eigene intellektuelle Speise); es kann auch eine Anspielung auf die Eucharistie sein, vgl. Augustinus, Sermo de utilitate ieiunii 1 – 2. Zu solidus cibus vgl. auch Paulus, Hebr. 5, 12 – 14. 305  ab eo ipso junioris hominis corpore / da esso corpo formoso. 306  Protagoras 309a. 307  Sophistes 231d–e, 268c–d u. passim. Vgl. Katinis 2013, Allen, Icastes, 24 f. 308  Die Welt als Organismus, in dem »Sympathie« herrscht: vgl. hierfür wie für dieses ganze Kap.: Plotin IV 4,31 – 43 und den Kommentar Op. 1745 – 1749. 309  Plotin IV 4,40,5. 310  Vergil, Bucol. II 65. 311  Vgl. Plotin IV 4 31,17 – 19. 312  Dicesi che alcuni philosophi ebbono amicitia con queste demonia Zusatz im Ital. 313  Zum Kult bei Apollonios von Tyana und bei Porphyrios vgl. In Epist. Pauli Comm. 4, Op. 432 f. 314  Natur und Eros als Magier: so auch Praefatio in Sophist, (nach Proklos), Op. 1284; vgl. De vita III 26, Op. 570. – Vgl. außerdem die Physiologie des Bezauberns unten VII 4. 315  nec voto vivitur uno nur lat. 316  Lat. ad ventris Venerisque luxuriam, ital. luxuria di gola e di ventre: Die beiden Todsünden gula und luxuria sind hier zusammengeschoben. 317  e ›l volto non altrimenti si veste di varii colori che si faccia l’aria nebulosa, quando, per avere el sole adverso, crea l’arco baleno die lat. Version ist kürzer. 318  Vergil, Aeneis V 743. 319  Vergil, Aeneis IV 4. 320  Lat. alteratio, ital. altercatio. 321  e ad che giovi nur ital. 297 

298 



Anmerkungen des Herausgebers

201

Der ganze gegenwärtige Absatz ist wörtliches Zitat aus Ficinos Übersetzung von Symp. 207d – 208b. – Vgl. IV 3, S. 54 f. 323  et adolescunt nur lat. 324  Lat. Omnium homines pregnans et gravidum corpus est, pregnans et animus. Ital. In tutti gli huomini è pregno el corpo e è pregno l’animo. 325  Vgl. die eingeborenen Ideen V 4. 326  Ab hier bis zum Ende des Kap. wörtlich auch in Theol. Plat. XI 3, Op. 246 f. (Marcel II 108 – 110, Allen/Hankins III 238 ff.). 327  Merkmale: notiones/note; also in etwa eingeborene Begriffe. 328  Urbilder: formas rationesque/forme esemplari. 329  Anschauung: intuitum/chiarezza. 330  Inhaltlich bilden auch nach heutigem Stand die genannten Dialoge eine Gruppe; dabei gilt nach Diogenes Laertios III 38 der Phaidros als frühester Dialog; vgl. oben Anm. 26. 331  da principio nur ital. 332  Resp. 508a–509b, wobei Ficino die »Idee des Guten« als »Gott« wiedergibt, vgl. Plotin V 5,7. 333  Ab hier bis Ende des Absatzes fast wörtlich auch in Theol. Plat. XII 1, Op. 267 – 268 (Marcel II 156, Allen/Hankins IV 22). 334  Licht: Ficino wechselt zwischen lumen/lume für das sichtbare Licht und lux/luce für die Lichtquelle. Später aber wieder nur lumen/lume. 335  Nomoi VIII 838: »um die Gattung der Menschen absichtlich zu töten«. Nach der alten Biologie ist das neue Lebewesen ganz im männlichen Samen enthalten und wird im weiblichen Körper nur entwickelt. 336  Zum folgenden vgl. II 3 und VII 13. 337  Dieser Absatz fast wörtlich in Comm. in Phileb. I 4, Op. 1211 (Allen 101). 338  Vgl. die Kritik am Begriff der Seele als (Selbst-)Bewegendes: De anima I 3, 405 a 31 ff. (gegen Timaios 34b, Nomoi X 896a); dazu die Replik bei Macrobius, Somn. Scip. II 15,12: »cum animam per se moveri dicimus, non gemina consideratio sequitur moventis et moti«.Vgl. Monfasani, Plato-Aristotle Controversy, 2002. 339  aeternitatis, fehlt im Ital. – Die Zugehörigkeit der Seele zu Zeit und Ewigkeit unten VI 16, oben II 3. Vgl. hierzu und zum folgenden: In Parm., Op. 1184 f.: »Ipsum unum super aeternitatem, et tempus, et motum est […]«. 340  Vgl. Comm. in Parm. 49, Op. 1164 (Vanhaelen I 228 ff.). 341  Lat.: Quod si supra se quicquam haberet, ab illo utique fieret. Quare ab eo dependens in se [Op. 1352: hoc] ipso ab eodem degeneraret … »… Denn von ihm abhängig, würde sie (die Einheit) darin von ihm degenerieren. …« 322 

202

Anmerkungen des Herausgebers

Ital.: come suole ogni effecto essere meno degno che sua cagione; lat.: … degeneraret, ut a causa solet omnis effectus. Man beachte, daß hier eine Rangfolge der Dignität behauptet wird und daß ein Ungleichgewicht von Ursache und Wirkung dem physikalischen Prinzip der epistemisch notwendigen Entsprechung von Ursache und Wirkung widerspricht (vgl. Aristoteles, Metaph. I 1, 983 a 24 – 25). Über die Abgehobenheit und Unerkennbarkeit des Einen s. Ficinos Kommentar zum Parmenides, Kap. I 78 (Opera p. 1187 f.). 343  Dionysios, De div. nom. XIII; vgl. Op. 1125 f. 344  Zusatz im Ital.: Perché noi diciamo una materia dello universo … 345  Sonst wird Ewigkeit Gott zugeschrieben, z. B. Op. 97, 1861. Dagegen In Parm., Op. 1184: »Ipsum unum super aeternitatem …« (s. Anm. 339). Vgl. die Formulierung bei Proklos, Plat. Theol. III 16: »Deus […] est fons totius aeternitatis« (Übers. Portus); ähnlich Augustinus: »Deus est auctor aeternitatis«, zit. bei Thomas, S. th. I 10,2, mit der Erläuterung: »Nam Deus dicitur esse ante aeternitatem, prout participatur a substantiis immaterialibus.« Bei Thomas löst sich die Schwierigkeit durch Abstufung aetemitas-aevum-tempus (ebd. a. 5). Vgl. Saffrey, Notes, 174 u. 180: Notizen Ficinos aus Proklos über sempiternitas, aeternitas und perpetuitas im Zusammenhang mit intellectus, cogitatio, opinio und sensus; diese benutzt Op. 1721 (Komm. zu Plotin III 7). Vgl. hiermit auch oben II 3 und VII 13, sowie Theol. Plat. XVIII 2, Op. 400 f. 346  Ep. I, Op. 657 (Gentile I 107, 186 f.): »Anima rationalis […] in confinio aeternitatis et temporis posita est […].« Proklos, Elem, theol. 191: Jede teilhaftige Seele hat ein ewiges Wesen, aber Tätigkeit in der Zeit. 347  Forma und species/spetie werden hier austauschbar verwendet. 348  Vgl. V 5 Ende. 349  Zusatz im Ital.: e io ad te risponderò te essere ignorante. 350  Orphica, Frg. 315 (Abel) = 362 (Kern): nur hier überliefert. Vgl. Pimander, Op. 1837 (unten), wo die Verliebtheit in das Bild im Wasser über den Menschen allgemein erzählt wird (s. Kodera, Narcissus). Evtl. schließt Ficino an Plotin I 6,8 und V 8,2 an. Vgl. Pierre Hadot: Le mythe de Narcisse et son interprétation par Plotin, in: Nouvelle Revue de Psychanalyse 13 (1976) 81 – 108. 351  gesamte: absoluta/intera. 352  Lat. Lux autem est pulchritudo corporum, lux est et animi pulchritudo. Lux animi veritas, quam solam, amicus tuus, Plato in votis suis a deo postulare videtur. Ital.: … la bellezza de’ corpi è luce visibile, la bellezza dell’animo è invisibile luce, la luce dell’animo è verità, e questa sola Platone nelle sue orationi chiedere a Dio soleva. 342 



Anmerkungen des Herausgebers

203

Vgl. Phaidros 279 b-c. Lat. ut equos facit, ital. in quanto ella ci fa con altri ragionevoli.   355 Zur Einteilung der Tugenden in geistige und moralische s. Aristoteles, Nik. Eth. I 13, 1103 a 3 ff. Thomas, S. th. I – II 57 – 68, besonders I – II 57,2 über die geistigen Tugenden, 58,3 über die Mittelstellung der prudentia zwischen geistigen und moralischen; 58,4 und 66,3 über den Vorrang der geistigen vor den moralischen Tugenden. Prudentia und die anderen moralischen Tugenden bilden die bekannten vier Kardinaltugenden. – Vgl. auch oben IV 2 p. 1001 f. und IV 5. 356  Analog zur unendlichen Quantität, der nichts von außen hinzugefügt werden kann. 357  Nur lat.: Haec Diotima Socrati. 358  Nur ital.: Questi sono gli admonimenti che abbiamo figurato che Diotima, sacerdote castissima, dia a Socrate. 359  Liebe: caritas/carità. 360  Nur ital.: Io voglio che voi sappiate che … 353 

354 

si ebt e r ede Bildung: humanissimus/humanissimo. Guido Cavalcanti († 1300), Dichter des dolce stil novo, dessen poetische Liebestheorie in diesem Kap. interpretiert wird. Die Familie der Cavalcanti war alter Adel (cavaliere). Antonio Manetti schrieb eine Vita Guidos u. a. auf Wunsch Ficinos (Supp. II 257). Das Lob an dieser Stelle war paradigmatisch für die Rezeption Guidos: vgl. Lorenzo de’ Medici: Comento de’ miei sonetti, Proemio, in Tutte le opere, hrsg. v. Paolo Orvieto, Rom (Salerno Editrice) 1992, Bd. 1, S. 362 f. mit Anm. 41. Ficino stellt hier zugleich die Tugendideale der Florentiner Bürger zusammen: Adel durch Bildung und Lebenswandel vereint mit Patriotismus. – Zur Funktion dieses Kapitels in dem Verhältnis zwischen Giovanni Pico and Ficino s. Aasdalen, Pico-Ficino Controversy, and Allen, Birth Day of Venus. 363  Zum Begriff der sokratischen Liebe s. VII 16. 364  Ital. Cupidine. 365  Nach allgemeiner Ansicht wird hier Guido Cavalcantis berühmtestes Gedicht interpretiert: Donna me prega (Le rime, ed. G. Favati, Milano/Napoli 1957, Nr. 27; Abdruck in Marcels Ausgabe 272 f., englisch bei Jayne 239 f.); das ist aber unwahrscheinlich, weil weder die Metapher vom Brennspiegel, gleich zu Beginn, noch die Worte »sole e raggio [razzo]« (»Sonne« und »Strahl«; weiter unten) dort vorkommen und die Gedankenführung nur vage übereinstimmt. Ficino stützt sich entweder auf mehrere Texte (carminibus: Plural) oder auf die reiche Kommen361 

362 

204

Anmerkungen des Herausgebers

tarliteratur zu dem gen. Gedicht; Nelson, Theory of Love, 79, verweist z. B. auf Pseudo-Egidio Colonna; vgl. die Anm. 41 in der zitierten Ausgabe von Lorenzo de’ Medici. 366  »Daher handelt … müssen.« Dieser Satz fehlt im Italienischen. 367  Vgl. 12. 368  Dieser Satz fehlt im Ital. 369  Nur ital.: imperò che quando ne’ suoi versi dice sole e razzo … 370  Was folgt, gehört in die Gattung der Sokratesviten, z. B. die von Giannozzo Manetti, ca. 1440 (vgl. die Ausg. Vita Socratis et Senecae, ed. A. De Petris, Firenze 1979, wo die Quellen reichlich nachgewiesen sind), die v. a. aus Platon, Xenophon, Cicero und Diogenes Laertios kompiliert wurden; vgl. VI 1 Anfang. Zur Bedeutung von Diogenes Laertios für Ficino s. Ricklin 2009. 371  Hier und in der Überschrift: Cupido/Cupidine. 372  Apolog. 23e u. ö. – Die genannten Redner sind sonst nicht als Ankläger Sokrates’ bekannt. – Für Aristophanes (Die Wolken) s. Apolog. 19c. 373  Die Lateinische Fassung ist kürzer: «Nicht einmal die Bürger beschuldigten ihn in der Anklage, mit der sie ihn vor Gericht brachten, unanständiger Liebschaften, noch warfen die ihm feindlichen Rhetoriker Sokrates so etwas vor.« 374  Nur ital.: quello che io ho molto considerato. 375  W. Jaeger, Paideia II, 1944 (Reprint 1973), 403 Anm. 103: »Und so ist die ganze Diotimarede eine fortlaufende Analyse der sokratischen Natur.« 376  Vgl. De vita I 4, Op. 496 f., über Melancholie bei Literaten und die physische Erscheinung; vgl. Aristoteles, Problemata XXX 1, 954 a 7; jedenfalls haben Melancholiker nicht die tierisch-vitale und göttliche Gestalt eines Satyrn, wie sie Alkibiades dem Sokrates zuschreibt (Symp. 215b). S. im übrigen: Klibansky/Panofsky/Saxl. 377  Diogenes Laert. II 28 (Symp. 220b). 378  Phaidros 229a. 379  Phaidon 117b: »wie ein Stier«, also mit gesenktem Kopf; vgl. »der stiere Blick« S. 113. 380  Xenophon, Memor. 3,10 (Bildhauer); Diogenes Laert. II 122 (Simon). 381  Gorgias 494d. – Zur Sanftmut: Diog. Laert. II 21. 382  Cicero, Tusc. V 37,108; zur Anspruchslosigkeit vgl. z. B. Apolog. 23c, 31c, Diog. Laert. II 24 f., 27 f. 383  Diog. Laert. II 18. 384  Diog. Laert. II 25. 385  Nur ital.: era Socrate in parole e gesti molto efficace e prompto.



Anmerkungen des Herausgebers

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Zopyros: Cicero, Tuse. IV 37,80 u. De fato V 10. Übers. nach dem Ital.: l’uso di Socrate era questo, che lui era preso facilmente, quasi come da certi insidiatori, da quegli che onesta effige dimostravano, e lui come insidiatore scambievolmente pigliava e belli quasi come con rete, e alla philosophia gli conduceva. Lat.: Eorum quippe, qui honesta indole prediti videbantur, amore captus, eosdem rationibus suis ad philosophie studia Socrates capiebat. 388  Protagoras, Anfang. 389  Theages 128d ff. 390  Nur ital.: che riprendevano la vita sua philosophica. – Apol. 29d. 391  Vgl. Apolog. 21c–d. 392  Nur ital.: perché egli in quel modo amava che di sopra insegnò Diotima. 393  Begeisterung: hier und im folgenden die Übersetzung für furor/ furore. – Phaidros 265a, dazu Op. 1364 (Allen 42 ff.).– Dieser Absatz fast wörtlich in Epitome in Ionem, Op. 1281 (Allen 194) (Fortsetzung: VII 13). 394  In diesem Kapitel ist von insania/pazzia, alienatio/alienatione, insania/stoltitia und amentia, dementia/pazzia die Rede. Die Begriffe sind nicht streng zu trennen. 395  merent / malinconosi. – Vgl. De vita I 5. Zur Physiologie des Verliebtseins s. Ebbersmeyer 1999. 396  Beschaffenheit: humor/umore. 397  Vgl. V 4 mit Anm. 209. 398  Vgl. Plotin V 5,7. 399  Sueton, Vitae Caes. II (Augustus) 79. 400  Ebd. III (Tiberius) 68. – Zu ergänzen nach d. Lat.: »… zuweilen … gesehen haben, danach wurden sie [die Augen] wieder schwach« 401  Aristoteles, De insomniis 2, 459 b 27 ff. Vgl. De vita III 16 (Op. 554, Kaske/Clark 324). Zur Sache ausführlich in: Aristoteles, De insomniis, De divinatione per somnium, hrsg. v. Philip J. van der Eijk (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung 14,3), Berlin 1994, 183 – 193. 402  Verzauberung: fascinatio/fascinatione, cioè mal d’occhio; also soviel wie Böser Blick. Vgl. VI 10, S. 118 f.; De vita III 16 (Op. 554, Kaske/ Clark 324) 403  Apuleius, Der goldene Esel X. 404  Anknüpfung an den Beginn von Phaidros. Vgl. Anm. 25. 405  Nur ital.: balocco a bocca aperta 406  Lukrez, De rer. nat. IV 1059 f. Lat. frigida cura, ital. molesta cura. Dasselbe, aber nicht in physiologischem Kontext, sondern als Beispiel für Hoffnung und Freude, zit. in De voluptate 10, Op. 1003. – In früheren Jahren hatte Ficino sich für Lukrez, den er hier durchwegs zustimmend 386  387 

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Anmerkungen des Herausgebers

zitiert, sehr interessiert und sogar einen Kommentar verfaßt, den er später verbrannte (Ep. XI, Op. 933), davon zeugen zwei Briefe von 1457 (Supp. II 801 f., 82 – 84); schon damals geht es ihm um die Frage nach dem summum bonum, entsprechend neutral sein Referat in De voluptate (s. o.; vgl. Supp. II 9 f.). Ein atomistisches Exzerpt in Alberti 1970, 188 f. In der Theol Plat. widerlegt er dann Lukrez und den Epikureismus, bes. wegen der Seelenlehre (v. a. Buch X; Op. 112 f., 216 f., 232 f., 321 – 326; vgl. Ep. VIII, Op. 885 f.). Hier geht es vorrangig um medizinische Themen. 407  Lukrez, De rer. nat. IV 1048 – 1051. 408  Nur ital.: Dice Lucretio, amante sventurato, …; vgl. VI 9. 409  Dieser Satz nur im Lateinischen. 410  Lukrez, De rer. nat. IV 1052 – 1056 und IV 1108 – 1114; Übers. K. Büchner, Stuttgart 1973. Dieses Zitat (von »Das erfuhr …« bis »… der Epikureer Lukrez«) nur im Lateinischen. 411  Aulus Gellius, Noct. Att. X 18. 412  Schwarzgallig: melancolicus/melanconico/melancolico. 413  Gemeint ist eine Art Muttermal. 414  Vgl. Kap. 4. 415  Vgl. J. Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, IV 7 u. V 6; Chastel, Art et humanisme, 297 416  Cupidos Netze: ital. Le reti di Cupidine; lat. amatoria illaqueatio: die Liebesverstrickung. 417  Zur Komplexionenlehre (Humoralpathologie) s. Anm. 136; vgl. IV 3, VI 9. 418  Phyllis wurde in einen Mandelbaum verwandelt, als ihr Mann zu lange ausblieb: Hyginus, Fab. 59. – Dido stirbt auf einem von ihr selbst errichteten Scheiterhaufen, als Aeneas sie verläßt: Vergil, Aeneis IV 474 ff. – Zu Lukrez s. VI 9 mit Anm. 289. 419  Musaios, Hero und Leander 94. 420  Künstliche: diligentiae/arte. 421  Vergil, Aeneis IV 2: Vulnus alit venis et caeco carpitur igni. 422  Teilschein: vehementer aspexerit/in partile aspetto. 423  Nur ital.: e odorifero. 424  ad sudorem / non sudando: also bis kurz davor. 425  Latwerge: nur im Ital. nutrimenti e lattovari (= electuarium: medizinischer Brei). 426  Lukrez, De rer. nat. IV 1063 – 1066; simulacra/le fallaci immagini. – Vgl. oben VI 9 (Rhazes). 427  Nur ital.: Tra le spetie della pazzia la più strana … 428  So nur ital.: copiosamente lo disputa Lisia thebano e Socrate. Zusatz



Anmerkungen des Herausgebers

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im Ital.: e chiaro lo sente qualunque così ama. Ma che può essere peggio che questo, … 429  et de quatuor eius speciebus / e di quattro spetie di furori divini. Im Lat. scheinen divinus amor und divinus furor gleichgesetzt; da aber in Kap. 14 (auf das hier vorausgewiesen wird) amor als vierte und höchste Stufe des furor angeführt wird, ist der ital. Titel richtiger. – Kap. 13 u. 14 fast identisch mit Argumentum in Ionem, Op. 1281 – 1282 (Allen 196 ff.), vgl. Anm. 393. 430  Nur ital.: Infino qui sia decto della spetie del furore che da malattia procede … – Wahn, und im folgenden «Begeisterung«: furor/furore. 431  in Deum transit / in Dio lo converte. 432  Vgl. mit diesem Kap.: I 2, II 3, VI 15. Für die folgenden Hypostasen vgl. Plotin III 4,1. Kristeller 1972, 88 f., weist auf verschiedene abweichende Stufungen hin; s. auch Allen, Angel, 225 f.; nach Sheppard, Hermias, 104, orientiert Ficino sich hier an dem Phaidroskommentar des Neuplatonikers Hermeias, Indiz sei die Einführung der Stufe der opinio. 433  Geist, Verstand: mens, ratio / mente, ragione. 434  Lat. ipsum unum, ital. unità divina. 435  Vgl. Theol. Plat. I 2, Op. 79 ff. (Allen/Hankins I 18 ff.). Plotin VI 2, 4 – 5 u. VI 3,8. 436  Über die Vermittlungsfunktion der Seele ausführlich Theol. Plat. III 2, Op. 119 ff. (Allen/Hankins I 230 ff.) 437  Dieses Kap. auch in Allen, Charioteer, 220 – 225, mit engl. Übers. – Zum göttlichen Wahnsinn vgl. Ep. I, Op. 612 – 615; Ep. VI, Op. 830; Ep. XI, Op. 927. Phaidros 244aff. und Komm. dazu Op. 1364 f. u. 1374 f. Die vier Arten des furor auch bei Leonardo Bruni (s. Steppich 146 f.); vgl. Hermeias, In Platonis Phaedrum Scholia (ed. Couvreur), 84; Sheppard, Hermias, 104. 438  mysterialis / misteriale, cioè sacerdotale. 439  Phaidros 265 a-268. In Phaedr. 2, Op. 1364 (Allen 42). 440  Nur ital.: e diversità di cose. 441  Nur ital.: gran dono. 442  Phaidros 246a ff., Kommentar dazu Op. 1368 u. 1375 f. 443  … dum sui ipsius naturam animadvertit: nur im Lat. 444  Vgl. mit diesem Absatz das Loblied der caritas in Paulus, 1 Cor. 13, 1 – 13, das endet: Die höchste der drei Tugenden ist die Liebe. 445  Vgl. Ep. I, Op. 615 (Gentile I 6, 28). 446  Phaidroskommentar, Kap. I, Op. 1363 (Allen 40): »amoris Platonici et Socratici castitatem«. Ficino dürfte Schöpfer des Begriffs der platonischen Liebe sein: Kristeller 1972, 268.

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Anmerkungen des Herausgebers

Heimat, Bürgerschaft: Lat. patria, civitas; ital. patria für beides. Staat: civitas/ciptà [città].   449 »… besonders … lachen«: nur ital. 450  Dieser Satz nur lat. 451  Nur ital.: In che modo farà egli questo? 452  Diogenes Laert. II 21 453  Ital.: questo philosopho, dallo oracolo d’Appolline giudicato sapientissimo sopra tutti e Greci, commosso da carità inverso la patria. – Apologie 21a. Zum weiteren vgl. Apologie passim und oben VII 2. 454  Sokrates’ Wirken durch Vorbildhaftigkeit: Xenophon, Memor. I 2, 2 – 3. 455  voluptate / l’esca del piacere. 456  in Atene, nur ital. – Zum Folgenden: Phaidon: Diogenes Laert. II 105. – Platons Dichtungen : Ebd. III 5 u. 29 – 33. – Xenophon : Ebd. II 48. – Aischines (Sokratiker): Ebd. II 62. – Aristippos: Ebd. II 65. – Phaidros : Symp. und gleichn. Dialog. – Alkibiades : Symp. und Xenophon, Memor. I 2, 24. – Charmides : Diogenes Laert. II 29, Xenophon, Memor. III 7. – Theages : Resp. VI 496b–c. – Euthydemos : Xenophon, Memor. IV 5 – 6. – Für Menon und die fünf vorangehenden s. die gleichnamigen Dialoge Platons und die Kommentare Op. 1131 – 1135, 1300 – 1303, 1304 – 1307, 1363 ff. 457  poesi deditum / in poetiche favole perduto. 458  studia pretiosiora capessere / i frutti de’ quali noi tutto il giorno gustiamo. 459  in republica civem / tutore della Patria. 460  Liebe ist hier so beschrieben wie der Heilige Geist bei Paulus, 1 Cor. 12, 8 – 11. 447 

448 



NAMEN- UND SACHREGISTER

Abbild XXVII, 25 f., 33, 69, 74 f., 92, 124, 137, 146, 186 Abaelard XXI Achilleus 19 Admetos 19 Agathon XV, 63, 64, 79 f., 81, 83, 84, 86, 87, 92, 97, 145, 195 Agli, Antonio degli 9 f., 11, 179 Agricola, Rudolph XIII Agrippa von Nettesheim 188 Ahriman (Arimanes) 28, 186, 199 Aischines (Sokratiker) 175, 208 Aischylos 189 Akusilaos 13, 181 Alberti, Leon Battista 177, 179, 194, 195 Albinos XIX Alkestis 19 Alkibiades 10, 116, 125, 139, 145, 147, 150 f., 175, 204 Ambrosia und Nektar 60, 172 Anakreon 172 Anaxagoras 90 Angelhaken 92, 193  vgl. Köder Anmut (gratia, Liebreiz, Grazie) 13, 17, 68, 70, 74, 76, 79, 80, 111, 193, 194, 195 Anordnung – Maß – Gestaltung (ordo, modus, species) 76 – 80, 195 vgl. Schönheit Anytos 148 Aphrodite (Venus) 32, 86, 88, 98, 101, 108, 170 f., 198 zweifache ~ (geminae Veneres) 32 f., 97, 101 – 105, 187, 198

Apollon 87 f., 90, 96, 170, 174 Apollonios von Tyana 118, 200 Apuleius 205, 327 Archelaos 90, 150 Ares (Mars) 36, 88, 98, 187 Aristippos 175, 208 Aristophanes XVIII, XIX, XXVII, 10, 49, 51, 55, 57, 60, 145, 148, 151, 190, 204 Aristoteles XIII, XV, 111, 131, 155, 178, 181, 183, 187, 189, 190, 193, 194, 195, 199, 202, 203, 204, 205 Artbegriff (Erscheinung, Gestalt, Typus, schön, species, speciosus) 14, 23, 63, 68 f., 74 f, 135, 181, 182, 192, 193, 194, 197, 202 vgl. Anordnung – Maß – Gestaltung Artemis (Diana) 88, 90 Artemisia 161 Ärzte 38, 79, 110, 161, 166 vgl. Medizin Aspasia 90, 196 Astrologie 38, 45, 81 f., 99, 133, 163, 166, 188, 190, 195, 196 Augen 5, 15, 17, 22 f., 32, 33, 39, 65, 67, 69, 71, 73 f., 76 f., 92, 99 – 101, 102, 106, 113, 116, 120, 127 f., 138, 139, 143, 146, 154 – 157, 158, 159, 163, 164 f., 205 Sehstrahlen 23, 154 – 157, 159, 164, 184, 194  vgl. Sinne Augustinus XXI, XXIV, 51, 178, 185, 189, 190, 191, 192, 195, 198, 200, 202 Augustus, Kaiser (Oktavianus) 154, 205

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Namen- und Sachregister

Bacchus (Dionysos) 90, 170 Band (das verknüpfende Band der Welt, nodus mundi) 46 Bandini, Francesco 9, 179 Bartoli, Cosimo 5, 177 Baumeister 57, 75, 138, 192 vgl. Demiurg Begeisterung (göttliche; furor, furor divinus) IX, XXVI, 152, 167 – 173, 190, 205, 207 vgl. Wahnsinn Benci, Tommaso 9 f., 90, 180 bitter-süß 35, 187 Blüte, blühen 63 f., 67 f., 79 f., 108, 118, 121, 193 Blut 98, 100, 109 f., 123, 152 – 159, 161, 162, 164 – 166  vgl. Säfte Boethius 177 Bruni, Leonardo 207 Bruno, Giordano XIII f., XV Buonaccorsi, Filippo 197 Cavalcanti, Giovanni IX, XXVI f., 5, 9 f., 49, 127, 145, 178, 180, 186, 188 Cavalcanti, Guido 145 – 147, 203 Chalcidius 181 chamaepetis (Χαμαιπετής) 112 Chaos XXVI, 13 – 16, 145, 147, 181 Charmides 139, 175, 208 Cheiron 13 Cicero 178, 179, 183, 191, 192, 194, 204, 205 Corsi, Giovanni 180 Corvinus, Matthias, König von Ungarn 179 Cosimo de’Medici, il Vecchio XV, XX, 177, 179, 180 Cosimo I., Herzog von Florenz 3 f., 177 Cusanus, Nicolaus 185, 199

Damon 38, 90, 188 Dämon XXVIII, 38, 91 – 98, 101, 105 – 107, 118  f., 151, 188, 197, 199 Dante 177, 178, 179 Demeter (Ceres) 88 Demiurg XX Diagoras 59  f., 192 Diana s. Artemis Dichtung 169, 172, 199 Dido 164, 206 Dikaiarchos 18 Diogenes Laertios 180, 196, 201, 204, 208 Dione 32 f. Dionysios, König 27, 28, 57 Dionysios Areopagita XXIV, 22, 42, 95, 133, 178, 182, 183, 193, 197, 202 Dionysos (Bacchus) 90, 170 Diotima XIII, XVIII, XXVI, XXVIII, 7  f., 90 f., 92, 93, 97, 101, 105, 107 – 112, 121, 122, 130, 137, 138, 142, 143, 145, 152, 178, 184, 203, 204, 205 Dunst 100, 110, 154 – 158  vgl. Blut, Säfte Dissimulation XXI Durst (Liebe) 71, 114, 194 Egidio Colonna (Aegidius Romanus) 204 Eine, das; Einheit 132 – 134, 138, 142, 168 f., 170 f., 182, 185 Elemente (Feuer, Luft, Wasser, Erde) 14, 30, 42 – 45, 47  f., 53  f., 58, 63, 65, 71, 77  f., 80, 83, 93  f., 97  f., 104, 117  f., 181, 182, 189, 195 Empedokles 44, 189 Engel 12, 41, 71 – 73, 74 f., 79, 84, 86, 87, 95, 96, 101 f., 104, 116, 130, 132 f., 134, 135 – 137, 141 f., 143, 181, 197



Namen- und Sachregister

Engelsgeist (mens, mente angelica) 13 – 16, 24  f., 27, 30, 32 – 34, 72, 84, 85, 87, 94, 97, 101  f., 104, 132, 142, 168, 181, 194 Epikur, Epikureismus 60, 194, 206 Erde 51  f., 58  f., 65  f.  vgl. Elemente Eryximachos XVIII, 10, 40, 41, 44, 46, 83, 84, 145 Eurydike 19 Eurylochos 150 Eusebios 179, 183 Euthydemos XIX, 175, 208 Ewigkeit 131, 134, 169, 201, 202 vgl. Zeit Feuer 47, 53, 55, 91, 113, 131, 136 vgl. Elemente Ficino, sen. (Diotifeci) 9 f., 11, 179, 180 Ficino, Marsilio 3 f., 5, 7 f., 9 f., 145 Freiheit 56, 82, 90, 120, 192, 196, 199 Galle, gelbe, schwarze (bilis, atrabilis, malinconia) 98, 110 f., 152, 159, 161, 163 f., 167, 198 vgl. Melancholie, Säfte, Tempe­ ra­mente Gedächtnis 55, 100, 120, 123, 146 Gellius, Aulus 206 Gelüste, Genuß (voluptas) 18, 22, 39, 57, 61 f., 107, 110, 114, 115, 162, 182, 183, 208 Georgios Trapezuntios 184 Geschlechter, drei 49 f., 51 f., 58 f. Gott, Angesicht 71 f., 74, 78, 84 Erkenntnis 60, 61 Gott genießen (fruitio Dei, fruire) 8, 59, 61, 95, 176, 178 f., 192 Gott werden 31 Name 133

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vgl. Baumeister, Demiurg, Güte, Lichtstrahl, Schönheit, Gut, Zeus Grazien 97, 193  vgl. Anmut (gratia) Gut, höchstes (summum bonum) XX, 7, 178, 179, 185, 192, 206 Güte, das Gute 13, 16, 21, 22 f., 24, 26, 29, 30, 47, 60, 62, 63 f., 81, 83, 84, 85, 88 f., 91 f., 102, 125 f., 149, 150, 171, 182, 184, 193, 194, 201 Harmonie, Einvernehmen 17, 39, 45, 75, 77, 88, 118, 165, 170, 195 Haß 47, 74 Hektor 159 Hephaistos (Vulcanus) 87 f. Hera (Juno) 88, 98, 198 Herakles 174 Hermeias XXIV, 207 Hermes (Merkur) 88, 198 Hermes Trismegistos (Herme­t is­ mus) XV, XXIV, 13, 180, 181, 190, 372 Heros 5, 9 f., 13, 98, 178, 180, 198 Hesiod 12, 13, 181 Hestia (Vesta) 88 Hieronymus 199 Hierotheos 22, 42, 183 Himmel s. Sphären Hochmut, Anmaßung (superbia) 50, 51 f., 57, 60, 192 Hyginus 206 Hypostasen s. Stufen Iamblich 181, 188, 189, 190 Ideen 14 f., 27, 28, 61, 71, 84, 95, 99 f., 128, 132, 136, 142, 143, 168 f., 182, 201 angeborene Ideen 101, 125 – 127, 127  f., 194, 198 Ideen – Begriffe – Keimformen

212

Namen- und Sachregister

(ideae, rationes, semina) 27, 28 f., 30, 71, 186 Juno (Planet) 14 Juno s. Hera Jupiter (Planet) 14, 84, 96, 98 f., 196 Jupiter s. Zeus Kakodaimon, Kalodaimon 106 Kallias 148 Kallikles 149 Köder 64, 193  vgl. Angelhaken Komplexion 53 – 55, 79 f., 111, 163 f., 191, 195, 206  vgl. Säfte Konnos 90, 196 Kosmos XXIII, XXVI, 15, 181, 197 Kreis, Kreisbewegung, Kreislauf 22, 49, 77, 168, 171, 185, 186, 189 vier ~e 24 – 27, 29, 184, 189 Kronos (Saturn) 13, 32, 84, 86 f., 101 f. Künste 41, 44, 46, 48, 84, 87 f., 125 – 127, 189, 196 Kyrenaiker 60 Landino, Cristoforo 9 f., 49, 63, 179, 187, 191, 199 Lebensarten: betrachtende, tätige, genußsüchtige (vita con­ templativa, activa, volup­t uosa) 106 f., 179, 199 Lebensgeist 100 f., 106, 109, 111, 112, 154 – 157, 158 f., 162 – 164, 166, 198 Lethestrom 57 Licht 15, 23, 30, 42, 51 f., 55 f., 57 – 60, 64, 65, 72 f., 77, 85 – 86, 102 f., 113, 120, 127 f., 130, 132, 135 f., 139 – 142, 143, 147, 154, 164, 181, 191, 194, 201 Lichtglanz (splendor) 14, 27, 31 f., 33, 39, 67, 71, 76, 78, 103, 113, 184, 193

Lichtstrahl 14, 30, 32, 52, 55, 69, 70, 71, 75, 79, 85, 102 – 104, 108, 116, 142, 147, 169, 185 Liebe, einseitig/gegenseitig 35 – 38, 44, 83 Liebreiz s. Anmut (gratia) Lukrez 110, 158 f., 160 f., 164, 167, 197, 199, 205, 206 Lykon 148 Lykurg 174 Lysias 11, 156 f., 162, 167, 180 Macrobius 196, 198, 201 Magie s. Zauber Magnet 91, 117, 157 Manetti, Antonio 3, 7 f., 177, 203 Manetti, Giannozzo 204 Manilius 60, 192, 196 Mars (Planet) 81 f., 96, 118, 166, 195 Mars s. Ares Marsupini, Carlo, sen. 9, 180 Marsupini, Carlo, jun. 9 f., 63, 90, 180 Marsuppini, Cristoforo 9 f., 145, 180 Marsyas 151 Materie, erste Materie (materia prima), Weltmaterie 16, 24 – 27, 30, 33, 53, 66, 71 – 73, 75 – 77, 93 f., 104 f., 106, 133, 135, 138 f., 141 f., 146, 169, 181, 185, 187, 197, 198 Mausolos 161 Medici 177, 196 Medici, Cosimo, il Vecchio 3, 177, 179, 180 Medici, Lorenzo 3, 8, 9, 177, 179, 203, 204 Medizin, ärztliche Kunst XVIII, XXVII, XXVIII, 44, 189, 199, 206 vgl. Ärzte Melancholie, Melancholiker,



Namen- und Sachregister

melan­c holisch 110 f., 149, 161, 163 f., 166, 198, 199, 204 vgl. Galle, Komplexion, Säfte, Temperamente Meletos 148 Merkur (Planet) 96 Mensch, Menschheit 53 – 55, 124, 137, 139, 143 Mithras 28, 186 Mond 38, 49, 51 f., 58 f., 71, 94, 97, 118, 163, 166, 190 Monstra 190 Musaios 164, 206 Musen 9, 45, 63, 87 f., 170, 180 Musik 17, 45, 68, 87 f., 111, 119, 126, 170, 173, 183, 189 f., 195, 199 Mysterien, Geheimnisse XV, 7 f., 11, 27, 51, 90, 170, 172 Mythos XVIII f., XXI, XXVI–XXVIII, 182, 202 Narkissos 137 Natur 24 – 27, 28, 30, 117 – 119 Neptun 14 Nero, Bernardo del 3, 7 f., 177 Notwendigkeit 84, 85 – 87, 196 Nützlichkeit, Förderlichkeit, Zuträglichkeit, Nutzen (utilitas) XXVI, XXVIII, 12, 16, 19, 40, 55, 64, 103, 116, 122, 167, 173, 175, 176, 182 Nuzzi, Bernardo 9, 179 Oktavianus (Augustus) 154, 205 Olympos 151 Orest 38, 189 Orpheus, Orphica XXIII, 5, 12, 13, 15, 19, 21, 23, 34, 44, 46, 67, 86, 137, 172, 181, 183, 184, 185, 189, 190, 193, 196, 202 Ormuzd (Oromazes) 28, 186, 199

213

Ort, Raum 26, 43, 47, 77, 112, 116, 117, 134, 135 f., 141, 157, 168, 169, 189, 199 Pallas (Minerva) 87 f., 90 Parmenides (Vorsokratiker) XX, 13, 181 Patroklos 19, 159 Pausanias 10, 20, 32, 34, 40, 44, 46, 145 Penia 101 f. Perikles 150 Petrarca 187 Phaidon 127, 149, 175, 208 Phaidros 10, 11 f., 13, 19 f., 84, 139, 145, 156 f., 162, 175, 180 Phantasie 100, 146 f., 171 Philosophie 105, 126, 150 f. Phyllis 164, 206 Physiologie XXVI, 193, 194, 200, 205 Pico della Mirandola, Giovanni XXI, XXVII, 185, 188, 203 Planeten 14, 38, 81, 84, 96, 97, 195, 196, 198  vgl. Astrologie, Sterne Platon XI–XXV, 3 f., 5, 8, 9, 13, 18, 21, 32, 34, 44, 49, 51, 122, 125, 126, 127, 129, 133, 148, 178, 179, 184, 204 Alkibiades 208 Apologie 196, 197, 204, 205, 208 Axiochos 196 zweiter Brief 27 – 29, 57, 186, 190 Charmides 208 Dichtungen 11, 180, 208 Epinomis XX Gebet 140 Gesetze (Nomoi) XVI, XX, 45, 93, 95, 130, 183, 184, 190, 197, 201 Gorgias XIX, 149, 190, 204 Hipparchos XV Hippias XIX Ion XII, 172

214

Namen- und Sachregister

Kratylos 193, 198 Menexenos 196 Menon 127, 196, 208 Parmenides XV f., XXI, 132, 178, 181, 194, 202 Phaidon 127, 149, 186, 204, 208 Phaidros XVI, XXIV, 11, 61, 93, 98, 127, 149, 152, 167, 171 f., 180, 181, 182, 183, 187, 188, 189, 191, 193, 197, 198, 201, 203, 204, 205, 207, 208 Philebos XV, XVI, 63, 93, 184, 186, 187, 193, 194, 197, 201 Protagoras 116, 150, 200, 205 Staat (Über den Staat, Politeia, Respublica) XVI, XVII, 22, 45, 127, 183, 184, 188, 190, 196, 197, 201, 208 Sophist (Sophistes) XVI, XIX, 116, 200 Staatsmann (Politikos) 43, 189 Theages 151, 196, 205, 208 Theaitet 187, 194 Timaios XVI, XX, 13, 181, 183, 185, 186, 187, 194, 197, 201 Platoniker 9, 13, 32, 38, 56, 94, 96, 97, 100, 190 Plethon, Georgios Gemistos 186 Plotin XIV, XXIV, 9, 178, 179, 188 Enneade I 1: 191; I 2: 187; I 6: 182, 193, 194, 202; I 8: 191; II 4: 181; III 4: 188, 207; III 5: 181, 182, 187; III 6: 187; III 7: 202; III 8: 181; IV 3: 194, 196; IV 4: 185, 199, 200; V 1: 186; V 5: 201, 205; V 8: 194, 196, 202; VI 2: 207; VI 3: 207; VI 5: 186; VI 6: 193; VI 7: 182, 191, 192, 193, 194; VI 8: 186; VI 9: 179, 184, 187 Plutarch 186, 187 Pluto 14

Polos 148 Polyhymnia 45 Poros 101 – 104 Porphyrios 9, 118, 179, 183, 197, 200 Poseidon (Neptun) 88 Priapus 90 Prodikos 90 Proklos XXI, XXVII, 184, 185, 186, 187, 192, 193, 196, 197, 200, 202 Prophetie (Weissagung) 46, 170, 173, 190 Proportion 69 – 70, 77, 118, 195 vgl. Harmonie, Symmetrie Protagoras 60, 192 Pylades 38, 189 Pythias 38, 188 Pythagoreer XI, XXI, 21, 181, 196 Qualitäten 37, 53, 66 f., 118, 135, 139, 142, 191, 193 Quantität 53, 68 f., 76 f., 185, 203 Ramus, Petrus XIII Rat, guter (Metis, Einsicht, con­ silium) 101, 198 Reinigung des Geistes 60 Rhazes 110, 199, 206 Säfte 44, 63, 79, 98, 110, 123, 153, 156 f., 160, 163 f., 167, 191, 195 vgl. Blut, Galle, Komplexion Sappho 111, 172, 187 Saturn (Planet) 14, 84, 96, 129, 166, 196 Saturn s. Kronos Scham 17 Schicksalsgöttinen (fatae) 86 Schleim 98, 161, 165, 198  vgl. Säfte Schönheit, Anordnung – Maß – Gestal­t ung 76 – 78



Namen- und Sachregister

Definitionen 17, 39, 78 Farben 69 f. geistig/körperlich 34, 39 Größe 68 Güte 63 f., 83, 193  vgl. auch Blüte Kallos 67 Licht 135 f. Proportion 69 f., 76 f. Vorbedingungen 79 f. Seele 30, 64 f., 68 f., 71, 74 – 76, 93 – 95, 100, 103, 115 f., 123, 125 f., 127, 129, 130, 132 – 144, 146, 168 – 172, 182, 194, 197 Bewegung 130 – 133, 134 Flügel 56, 171, 173 Seele – Geist – Leib 100 zwei Lichter 55 Mensch 53 – 55 Seelenvermögen (vires animi) 64 – 68 Selig, Seligkeit (beatus, beatitudo) 41, 50, 51 f., 53, 57 f., 60, 62, 63, 89, 91, 121, 145, 172 Chor der Seligen 61 Seneca 179 Servius 199 Simon 149, 204 Sinne 17 f., 20, 29, 39, 54, 57, 64, 65 – 67, 74, 95 f., 99 f., 110 f., 115 f., 134, 169, 171, 182, 183, 191, 193, 198  vgl. Augen Sinnlichkeit 26, 57, 113, 146, 171 Skopas 150 Sokrates XVIII, XX, XXI, XXVI, 7, 10, 11, 90 f., 93, 101, 111, 116, 118, 125, 127, 130, 137, 138 f., 141 f., 143, 145, 147 – 151, 161, 167, 172, 173 – 175, 195, 196, 199, 204, 208 sokratische Liebe 145, 152, 173, 203, 207

215

Solon 174 Sonne 15, 22 f., 30, 38, 49, 51 f., 58 f., 71, 73 f., 96, 102, 113, 118, 120, 127, 131, 135 f., 143, 146 f., 154, 166, 190, 203 Sophisten XIX, XXI Speusippos 126 Spiegel 38, 72, 78, 100 f., 120, 146, 155, 188 Sphären 14, 32 f., 42 f., 64, 71, 93 – 95, 105, 108, 117, 185, 189 Sphärengeister 93 – 95 Sphärenharmonie 88, 190, 196 Sterne, Gestirne 14, 42, 71, 94 f., 98, 105 Sternenfreundschaft 38, 45, 99, 188, 198 Sternzeichen (Zodiakus) 38, 88, 96, 163, 196  vgl. Astrologie, Planeten Stoiker 60, 194 Stufen, Stufenfolge, Hypostasen 28, 41, 95, 116, 130, 168 169 – 172, 182, 184, 185, 189, 199, 207 Sueton 205 Symmetrie 182, 183, 194 vgl. Harmonie, Proportion Temperamente 110 f., 163 f. vgl. Komplexion, Melancholie, Säfte Theages 175 Themistokles 150 Theodorus Cyrenaeus 192 Thierry von Chartres 199 Thomas von Aquin 178, 181, 183, 184, 187, 190, 191, 192, 194, 195, 196, 197, 202, 203 Thrasymachos 148 Tiberius 154, 205 Tibull 193

216

Namen- und Sachregister

Timaios (Lokros) XX Tod 35 – 37, 58, 113, 137, 161, 179, 188 Tugenden 17, 52, 57 – 59, 61, 68, 81 – 83, 140 f., 178, 187, 203, 207 Typus (species, ratio) 74 f., 194 vgl. Artbegriff Unsterblichkeit 53, 94, 108, 119 f., 123, 192 Uranos (Caelus) 32, 86 f., 101 f. utilitas s. Nützlichkeit Valerius Maximus 189 Varro 60, 192 Venus (Planet) 38, 81 f., 96 f., 129, 163, 166 Venus s. Aphrodite Vergil 21, 111, 179, 183, 194, 195, 200, 206 Vitruv 195 Vollkommenheit 42, 46, 60, 62, 63 f., 75, 85, 87, 133, 143 Vorsehung 56, 189 Vulkan 14 Wagenlenker 171 f.

Wahnsinn (insania) 152 f., 167 vgl. Begeisterung (furor) Wahrheit 125 – 128, 140 f., 184 Weissagung s. Prophetie Welt, Weltall, Weltkörper 13, 71 – 74, 93, 117  vgl. Materie Weltgötter 94 f., 197 Weltseele (Allseele) 13, 16, 25, 30, 32 f., 60, 72, 87, 97, 101 f., 104, 105, 192, 197 Würde des Menschen 192 vgl. Mensch Xenokrates 126 Xenophon 175, 204, 208 Zauber, Zauberer, Magie 108, 116 – 119, 151, 153, 156, 164, 165, 200, 205 Zeit, Zeitlichkeit 73, 131, 134, 142, 169, 182, 201 Zenon XX Zeus (Iupiter) 13, 21, 32 f., 50, 84, 86 – 88, 98, 101 f. Zopyros 150, 205 Zoroaster 28, 118, 186