Beiträge zur Charakteristik der öffentlichen Meinung in der Rheinprovinz im Jahre 1859 [Reprint 2020 ed.]
 9783111558158, 9783111187655

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Quellen und Literatur
Einleitung
1. Kapitel: Rhein- und Altpreußen 1815—1859
2. Kapitel: Das Jahr 1859
3. Kapitel: Äußerungen außerhalb der Presse und der klerikalen Partei
4. Kapitel: Die rheinischen Korrespondenzen in der „Allgemeinen Zeitung"
5. Kapitel: Die rheinische liberale Presse
6. Kapitel: Die rheinischen Klerikalen in Presse, Publizistik und im Abgeordnetenhause
Schluss

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STUDIEN ZUR RHEINISCHEN GESCHICHTE HERAUSGEBER: DR. JUR. A L B E R T AHN 11. Heft:

Beiträge zur Charakteristik der öffentlichen Meinung in der Rheinprovinz im Jahre 1859 von

Karl Heinrich Grosse-Freese Dr. phil.

BONN A. MARCUS UND E. WEBERS VERLAG (Dr. ALBERT AHN) 1922

Vorwort. Diese Studie hat der philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn als Dissertation im Jahre 1914 vorgelegen. Das fünfte Kapitel ist als Dissertationsschrift gedruckt worden und erscheint hier wieder mit den übrigen Artikeln vereint. Der Krieg und anderes haben die Herausgabe der g a n z e n Arbeit verzögert. Bei der Abfassung fehlten mir vor allem eingehende Monographien von den größeren rheinischen Blättern, welche mir Aufschluß über die Redakteure und Mitarbeiter, die Auflagenhöhe und Verbreitung der Zeitungen geben und in der Erforschung der Autorschaft wichtiger Artikel weiter helfen konnten. Auf Grund der Redaktionszeichen allein ist die Autorschaft nicht mit Sicherheit festzustellen, und alle meine Versuche, aus den Verlagsarchiven einiges Material zu bekommen, sind erfolglos geblieben. Die Verleger und Redakteure, an die ich mich wandte, haben entweder meine Anfragen gar nicht beantwortet oder sich außerstande erklärt, mir Auskunft zu erteilen. Daher mußte ich es mir versagen, näher auf die Verfasserschaft einzugehen und darzulegen, wie weit sich die Meinungsschwankungen, die fast in jedem Blatt vorhanden sind, aus den verschiedenen Persönlichkeiten der Artikelschreiber erklären lassen und wie weit sie durch den Gang der Ereignisse bedingt sind. Da die klerikalen Äußerungen in Rheinpreußen zufällig sehr spärlich sind, habe ich nach rheinischen klerikalen Stimmen im übrigen Deutschland gesucht, so im „West-

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fälischen Merkur", im „Mainzer Katholik", in den „Historischpolitischen Blättern". Leider vergebens. Die Anregung zu dieser Arbeit verdanke ich Herrn Professor Dr. A. Herrmann. Für seinen sachkundigen Rat und f ü r seine jederzeit bereitwillige Auskunft schulde ich ihm großen Dank. Auch Herrn Geheimrat Professor Dr. Schulte und Herrn Professor Dr. Hashagen bin ich nach mancher Richtung zu Dank verpflichtet. H e i d e b. Boizenburg a. d. Elbe, im August 1921. Der

Verfasser.

Inhaltsverzeichnis. Vorwort Quellen und Literatur Einleitung 1. Kapitel: Rhein- und Altpreußen 1815—1859 2. Kapitel: Das Jahr 1859 3. Kapitel: Äußerungen außerhalb der Presse und der klerikalen Partei 1. Camphausen, Mevissen, Bürgers . 2. Loebell, Dahlmann, Leue 3. Hansemann 4. Die rheinischen Demokraten (Engels, Lassalle, Oppenheim, Venedey) 5. Die Militärs am Rhein (Roon, v. Hoffmann, Fischer von Treuenfeld) 4. Kapitel: Die rheinischen Korrespondenzen in der „Allgemeinen Zeitung" 5. Kapitel: Die rheinische liberale Presse 1 a. Allgemeine Übersicht 1. Die liberale Presse über Napoleon 2. Die liberale Presse über Sardinien 3. Das Verhältnis zu Österreich 4. Preußen und seine Politik 5. Die deutsche Frage im Urteile der liberalen Presse . . . 6. Ist die rheinische liberale Presse eine glaubwürdige Quelle für die öffentliche Meinung der Rheinlande? 6. Kapitel: Die rheinischen Klerikalen in Presse, Publizistik und im Abgeordnetenhause 1 a. Allgemeines 1. Die kriegführenden Mächte 2. Preußen und Deutschland 3. Die kirchliche Frage Schluß

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Quellen und Literatur. Zeitungen. 1859. Aachener Zeitung (A. Z ). - Allgemeine Zeitung (Alig. Z.), Augsburg. — Barm er Bürgerblatt. — Bonner Zeitung. — Coblenzer Zeituug. — Crefelder Anzeiger. - Crefelder Volksblätter (C. V.). — Cretelder Zeitung. - Düsseldorfer Journal (Allgemeine politische Zeitung). - Düsseldorfer Zeitung (Düsseldorfer Kreisblatt). — Echo der Gegenwart, Aachen (Echo d. G.). — Elberfelder Zeitung (E. Z.). - Kölnische Zeitung (K. Z.). — Neuwieder Zeitung (N. Z.). — Rheinische Volksblätter für Haus, Familie und Handwerk, Köln (Rh. V.). — Rhein- und Ruhrzeitung, Duisburg. - Saarzeitung, Saarbrücken. — Triersche Zeitung (T. Z.). 1 8 6 0 - 6 2 . Kölnische Blätter (Köln. Bl.). - Echo der Gegenwart. Zeitschriften. Preußische Jahrbücher 1859. — Die Grenzboten 1859. - Wochenschrift des Nationalvereins 1860 ff. Broschüren. 1859. ( E n g e l s , F.), 1 ) Po und Rhein. Berlin, F.Duncker. (Fischer v. T r e u e n f e l d ) , Zeitläufe. Traut nicht dem Waffenstillstand, nicht dem Frieden. Bonn, Karl Georgi. (v. H o f m a n n ) , Bekanntes, Koblenz, Baedeker. ( L a s s a l l e , Ferd.), Der italienische Krieg und die Aufgabe Preußens. Berlin, F. Duncker. Leue, F. G., Preußen und Österreich gegen Frankreich. Leipzig, Ed. H. Mayer. L o e b e l l . W., Über die Einheit Italiens. Bonn, Henry & Cohen. O p p e n h e i m , H. B., Deutsche Begeisterung und Habsburgischer Kronbesitz. Berlin, J. C. Huber. — Deutschlands Not und Ärzte. Berlin, J. C. Huber. V e n e d e y , J., Der italienische Krieg und die deutsche Volkspolitik. An Preußens Volk. Hannover, Brecke. 1860. F. E n g e l s , Savoyen, Nizza und der Rhein. Berlin, Behrens. R e i c h e n s p e r g e r , A u g u s t und Peter, Deutschlands nächste Aufgaben. Paderborn, Schöningh. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten. 1861, Bd. I, 1862, Bd. II. *) anonym.

1859, Bd. II,

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Darstellungen, Biographieen, Memoiren usw. B a c h ein, K , Josef Bachem und die Entwicklung der katholischen Presse in Deutschland, II. 1913. B a m b e r g e r , L., Erinnerungen, 1899. B a n d m a n n , O., Die deutsche Presse und die Entwicklung der deutschen Frage, 1910. B e r g e n g r u n , - A . , David Hansemann, 1901. B e r g e r , L., Der alte Harkort, 3. A. 1894. B e r n e r , E., Der Regierungsanfang des Prinzregenten von Preußen und seine Oemahlin. Berlin 1902. B i e d e r m a n n , K., DreißigJahredeutscherGeschichte, Bd.II. 4. Aufl. 1896. B r a n d e n b u r g , E., König Friedrich Wilhelms IV. Briefwechsel mit Ludolf Camphausen, 1906. C a s p a r y , A., Ludolf Camphausens Leben, 1902. D i e u d o n n e , F„ Die Kölnische Zeitung und ihre Wandlungen im Wandel der Zeiten, 1903. D o n n e r , H., Die katholische Fraktion in Preußen; 1852-58. Leipzig, Diss. 1909. D u M ö n t - S c h a u b e r g , Die Kölnische Zeitung, 1880. E i s e n m a n n , Die Parteyen der teutschen Reichsversammlung, ihre Programme, Statuten und Mitgliederverzeichnisse, Erlangen 1848. E r n s t IL, Aus meinem Leben und aus meiner Zeit, Bd. II. 1889. F r i e d j u n g , H , Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland, 1859 bis 1866, Bd. I, 9. Aufl. 1913. G e r l a c h , J. v., Ernst Ludwig v. Gerlach, Aufzeichnungen aus seinem Leben und Wirken, 1903. G e r l a c h , Leop. v., Denkwürdigkeiten aus dem Leben. Bd II, 1892. H a n s e n , J., G. v. Mevissen. 2 Bde. 1906. H e r r m a n n , A., Die Rheinländer und die preußische Verfassungsfrage 1815—48. Kölnische Zeitung 1913. Nr. 312 und 317. H e y c k , Ed., Die Allgemeine Zeitung 1798-1898. Beiträge zur Geschichte der deutschen Presse, München 1898. K o p s t a d t , H , Hermann v. Beckerath, 1875. K l ü p f e l , K., Geschichte der deutschen Einheitsbestrebungen bis zu ihrer Erfüllung, 1848-1871, Bd. I. Berlin 1872. Liese, W., Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Aufl., Bd. IV, 1909. Gesellenvereine (katholische). M a n g , R. le, Der deutsche Nationalverein, Berlin 1909. M e h r i n g , F., Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, II. 2. Aufl. 1903. — Aus dem literarischen Nachlaß von Marx, Epgels und Lassalle, IV, 1902. M e i n e c k e , F., Weltbürgertum und Nationalstaat, 2. Aufl. 1911. M i t t e l s t a e d t , A., Bismarck und die öffentliche Meinung in Deutschland, 1904. O n c k e n , H., Lassalle. Politiker und Nationalökonomen, II, 2. Aufl. 1912. — R. v. Bennigsen, Bd. I, 1910.

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O n c k e n , H., Ludwig Bamberger, Preußische Jahrbücher, 100. Bd Heft 1, April 1900, S. 63 - 94. P e t e r s d o r f f , H. v., Kleist-Retzow, 1907. P a s t o r , L., August Reichensperger, I, 1899. P f ü l f , O , Kardinal v. Geißel, II. 1896. R o o n , G r a f v., Denkwürdigkeiten, I. 1892. S a l o m o n , F., Die deutschen Parteiprogramme, Heft 1, 2. Aufl. 1907. S a l o n i o n , L., Geschichte des deutschen Zeitungswesens, 3. Bd., 1905. S c h e f f e r , Th., Die preußische Publizistik im Jahre 1859 unter dem Einfluß des italienischen Krieges, 1902 S c h n a b e l , F., Der Zusammenschluß des politischen Katholizismus in Deutschland im Jahre 1848, 1910. S p a h n , M., Die Presse als Quelle der neuesten Geschichte und ihre gegenwärtigen Benutzungsmöglichkeiten. Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, 1908, Nr. 37, 3S. S p r i n g e r . A., Fr. Chr. Dahlmann, T. 2, 1872 S t u d i e n z u r r h e i n i s c h e n G e s c h i c h t e , Heft 2, Hemmerle, Ed., Die Rheinländer und die preußische Verfassungsfrage auf dem ersten Vereinigten Landtag (1847), 1912. S t u d i e n z u r r h e i n i s c h e n G e s c h i c h t e , Heft 5, Vogel P., Beiträge zur Geschichte des Kölner Kirchenstreites, 1913. S y b e l , H. v., Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. I—II 1899. W e h r e n p f e n n i g , W., Geschichte der deutschen Politik unter dem Einfluß des italienischen Krieges, 1860. Z i n g e l e r , K. T h , Karl Anton Fürst von Hohenzollern, Stuttgart 1911. Z w i e d i n e c k - S ü d e n h o r s t , H. v., Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten bis zur Errichtung des neuen Kaiserreiches (1806 bis 1871), Bd III, 1905. Bismarcks Briefwechsel mit dem Minister Freiherrn von Schleinitz, 1858 bis 1861, 1905. Aus dem politischen Briefwechsel des deutschen Kaisers mit dem Prinzgemahl von England aus den Jahren 1854-1862, 2. Aufl. 1881.

Einleitung. Im Jahre 1902 erschien Th. Scheffers „Preußische Publizistik im Jahre 1859 unter dem Einfluß des italienischen Krieges. Ein Beitrag zur Geschichte der öffentlichen Meinung in Deutschland". Der Verfasser hat nur die preußischen Flugschriften verarbeitet, die außerpreußischen aber, sowie 1 die Zeitungen in Preußen und dem übrigen Deutschland einer besonderen Untersuchung vorbehalten. Diese hat Annie Mittelstaedt in ihrem 1904 erschienenen Buche geführt. ,,Der Krieg von 1859, Bismarck und die öffentliche Meinung in Deutschland." Sie zieht die Zeitungen, Flug- und Zeitschriften von ganz Deutschland in den Kreis ihrer wissenschaftlichen Betrachtung, kann aber nicht, wie Scheffer für seine territorial und quellenmäßig begrenzte Arbeit, den Anspruch auf Vollständigkeit machen. Unvollständig ist vor allem das Zeitungsmaterial herangezogen worden. Es sind "zu wenig Zeitungen verwertet, und die Ausbeutung der wenigen ist nicht hinreichend. Kein einziges Hamburger Blatt wird auch nur erwähnt, die „Kölnische Zeitung" auf ein bis zwei Seiten abgetan. Zwar hatte die Presse damals nicht die überragende Bedeutung von heute; auch machte sie nicht in dem Maße die öffentliche Meinung aus wie in unserer Zeit; aber eine der vorzüglichsten Quellen ist sie gleichwohl; und möglichste Vollständigkeit des Quellenmaterials ist eine Forderung, der wir gerade bei der Erforschung der öffentlichen Meinung nicht entraten können. Die Gründe, warum die Zeitungen so geringe Beachtung gefunden haben, liegen wohl darin, daß die Volksstimmung im Jahre 1859 in einer so großen Zahl von Flugschriften zum Ausdruck kam, daß man glaubte, sie zuerst — und dies mit Recht — für die geschichtliche Erkenntnis nutzbar machen zu müssen, sodann in den ungelösten Fragen methodiG r o ä s e - F r e e s e , Beiträge zur Charakteristik.

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scher Art, welche die Zeitungen der Forschung s t e l l e n . D i e ungeheuren Stoffmassen und die Schwankungen in Meinung und Urteil bieten große Schwierigkeiten. Ersteren gegenüber ist es durchaus geboten, sich auf „einige oder wenige bedeutungsvolle Fragen zu konzentrieren". Aber um dem Geist der Presse, der stets schwankt, gerecht zu werden, und um nicht gegen die geschichtliche Wahrheit zu verstoßen, darf man keine kurze die Widersprüche ausgleichende Inhaltsangabe geben, sondern man muß dem innern Entwicklungsgange, den Irrungen und Schwankungen nachspüren. Sollte es möglich sein, alle die Faktoren, welche den Entwicklungsgang eines Blattes bestimmen, ins helle Licht des Tages zu rücken, wie Redakteure, Verleger, Korrespondenten, die Mitarbeiter der verschiedenen Art, unter diesen vor allem das Offiziösentum, und zuguterletzt auch den Einfluß des Geldes, so ist damit der Geschichte der öffentlichen Meinung, der Preß- und Parteigeschichte weitgehend gedient. Eine so eingehende Untersuchung wird in der Regel nur in einer Monographie una da, wo die Verlagsarchive dem Forscher ausgiebiges Material liefern, geführt werden können. Aber auch von einer mehrere Zeitungen umfassenden Arbeit muß gefordert werden, daß jedes einigermaßen bedeutende Blatt so eingehend behandelt wird, daß von ihm eine zutreffende und erschöpfende Charakteristik gegeben werden kann; die politische Stellung, der geistige Gehalt und Kulturwert, die innere Wahrhaftigkeit oder Unwahrhaftigkeit müssen offensichtlich werden. In dieser Arbeit wollen wir uns bemühen, diese methodischen Grundsätze praktisch zu erproben, müssen uns aber, um ein möglichst vollständiges Quellenstudium treiben zu können, territorial und im Thema beschränken. Die Rheinprovinz wählen wir deshalb, weil uns mit ihr ein spezielles historisches und quellentechnisches Interesse verbindet. Es ist nämlich zu untersuchen, ob der Verschmelzungsprozeß ') Bandmann, Die deutsche Presse und die Entwicklung der deutschen Frage 1864—66. Vorwort S VIII. Spahn, M., Die Presse als Quelle der neuesten Geschichte und ihre gegenwärtigen Benutzungsmöglichkeiten Intern Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik 1908. Nr 37/3S.

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der Rheinlande mit Preußen im Jahre 1859 abgeschlossen war, und wie weit wir berechtigt sind, neben anderen Äußerungen die rheinische Presse als Quelle der Betrachtung dieser Frage zugrunde zu legen. Schon zu diesem Zwecke allein ist eine genaue Kenntnis der öffentlichen Meinung der Rheinlande erforderlich. Vorerst jedoch muß es unsere Aufgabe sein, die Ereignisse des Jahres 1859 zu schildern und darzutun, inwiefern gerade an den durch sie aufgeworfenen Fragen gezeigt werden kann, o b die Rheinprovinz sich damals schon eins fühlte mit Preußen. 1. K a p i t e l .

Rhein- and Altprenßen 1815—1859. Als die Rheinprovinz im Jahre 1815 mit Preußen vereinigt wurde, konnte das Verfassungsversprechen, das König Friedrich Wilhelm III. in dem Besitzergreifungspatent vom 5. April und dem Gesetz vom 22. Mai 1815 gegeben hatte, zu der Hoffnung berechtigen, daß dem von dem größten Teile der Rheinländer vertretenen Prinzip der staatsbürgerlichen Gleichheit und der Öffentlichkeit im Staatsleben Genüge geschehen werde und dann Rhein- und Altpreußen in kurzer Zeit miteinander verschmolzen sein würden. Aber das Versprechen wurde nicht erfüllt. Das Ergebnis langwieriger Beratungen war die auf dem Grundbesitz basierende ständische Provinzialverfassung von 1823, die durchaus nicht der sozialen Struktur des Westens und der Bedeutung des Bürgertums für den Gesamtstaat entsprach und den Adelsstand bevorzugte. Die Rheinländer hatten sich in Presse, Publizistik und Adressen für die Reichsverfassung eingesetzt; als sie so bitter enttäuscht wurden, erlahmte die Agitationskraft, und gewann der rheinische Partikularismus an Boden. Erst um 1835 etwa, 1 ) „unter dem starken Antrieb ihrer wirtschaftlichen Interessen (Zollverein)", begannen die rheinischen Liberalen, unter denen Hansemann, Camphausen, Beckerath und Mevissen hervorragen, bewußt an dem Aufgehen der Rheinlande in den Honenzollernstaat zu J. Hansen, Mevissen

1906, 1. 446 f. 1*



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arbeiten. Sie forderten aber nach wie vor die 1815 verheißenen Reichsstände und erhärteten seit 1840, „wo der deutsche Einheitsgedanke in der Rheinprovinz feste Wurzeln f a ß t e , " d i e s e Forderung durch das Argument, daß Preußen verfassungsmäßig regiert werden müsse, wenn es seinen nationalen Beruf erfüllen wolle. A u f . dem 8. Rheinischen Landtage von 1845 insbesondere entfalteten die Liberalen eine lebhafte Agitation für die Zentralstände, und Camphausen gab dem Wunsche nach einer innigen Verschmelzung mit Altpreußen beredten Ausdruck. 2 ) Als das Patent vom 3. Februar 1847 den Vereinigten Landtag nach Berlin berief, verhielt man sich in Anbetracht seiner hohen Bedeutung für den Gesamtstaatscharakter 3 ) nicht ablehnend, wiewohl man von der „Inkongruenz des Patents mit den früheren Verheißungen der Krone" überzeugt war. Man ließ in der Verfassungsfrage nicht locker, und als die Pariser Februarrevolution das Verlangen nach Teilnahme an der Regierung und nationaler Einigung mächtig steigerte,*) da drang man in den König, daß er verfassungsmäßige Garantien gebe, sich an die Spitze der nationalen Bewegung stelle und eine Volksvertretung am Bunde in die Wege leite. Man mahnte zur Eile und erklärte das Patent vom 14. März, das den Vereinigten Landtag erst auf den 25. April berief, für durchaus unzureichend, die erhitzten Gemüter zu beruhigen; denn in der Rheinprovinz tauchte der Gedanke einer Trennung von Preußen und des Zusammengehens mit den süddeutschen Radikalen auf, welche die Volkssouveränität proklamiert hatten und auf eine. süddeutsche Republik hinarbeiteten. 5 ) Es waren wirtschaftlich-soziale Motive, welche das in bedrängter Lage befindliche Volk dem politischen Radikalismus geneigt machten; man hatte auf Abhilfe von seiten der Regierung vergebens gehofft, und so hatte Marx mit seinen komHansen I. 488. ) Hansen, 369 ff. 3 ) Hemmerle, Die Rheinländer und die preußische Verfassungsfrage, Studien zur rheinischen Geschichte, Heft 2, 1912. S. 151 ff Ablehnung des Provinzialismus. 4 ) Hansen, I. 509 ff. ' ) Brandenburg,, König Friedrich Wilhelms IV. Briefwechsel mit Ludolf Camphausen, S. 15 Hansen I, 524. 2



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munistischen Ideen eine Zeit lang gewonnenes Spiel. In Köln sowie im Norden und Süden der Provinz brachen Unruhen aus, und in den Volksversammlungen stieg die Erregung sehr hoch. Als in Wien die Revolution der Metternichschen Herrschaft den Garaus gemacht, bestärkten der rheinische Oberpräsident Eichmann und eine Kölner Deputation am 17. und 18. März den König in dem Entschluß, Preußen eine Verfassung zu geben und die Bundesreform unter Mitwirkung des Volkes vorderhand ohne Österreich zu betreiben, indem sie darauf hinwiesen, wie wichtig dieser Entschluß f ü r den Zusammenhalt der Rheinprovinz mit Altpreußen sei. Unter dem Eindruck der Märzereignisse machte dann der König dem Konstitutionalismus die weitgehendsten Konzessionen und entfaltete auch das schwarz-rot-goldene Banner, aber durch sein Verhalten diskreditierte er die preußische Hegemonie. Der Wiile des Volkes wurde entscheidend f ü r die Inauguration des Einheitswerkes in Frankfurt. In dem nun schärfer werdenden Widerstreit zwischen preußischer und deutscher Nationalität haben die rheinischen Liberalen unentwegt den preußischen Staatsgedanken ververtreten und sich gegen alle Versuche, die auf eine Mediatisierung Preußens und eine provinziale Zersplitterung gerichtet waren, gewehrt. Als das preußische Staatsschiff seine ersten Versuche in dem konstitutionellen Fahrwasser machte, wurde Camphausen an das Steuer berufen, während Hansemann das Finanzministerium übernahm. Von starkem preußischen Gemeinbewußtsein, von der Notwendigkeit einer monarchischen Staatsgewalt ebensosehr wie von der Notwendigkeit einer konstitutionellen Regierung durchdrungen haben die rheinischen Liberalen sich die Prinzipien der Volkssouveränität, welche von Frankreich herüberfluteten und von den Radikalen, meist Vertretern des „Jungen Deutschland", verfochten wurden, nicht zu eigen gemacht. Die rheinischen Massen freilich haben sich für die politischen Ideen des , J u n g e n Deutschland" stark begeistert und sind in politischer wie sozialer Hinsicht zeitweise radikal gewesen. l

) Meinecke, Weltbürgertum

und Nationalstaat, 463.

Anm.

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Außer den wirtschaftlich-sozialen Fragen vermochten die kirchlich-religiösen am ehesten „eine tiefgreifende Bewegung" in dem Volke h e r v o r z u b r i n g e n . D a s hatte sich deutlich beim Kölner Kirchenstreit gezeigt, der auch deswegen bemerkenswert ist, weil er einen festeren Zusammenschluß der Klerikalen zur Folge hatte. 1 ) Diese standen in einem ganz anderen Verhältnis zu Preußen als die Liberalen, sie waren gegen eine engere Verschmelzung und stritten mit den Autonomen, welche die „altständischen Tendenzen der rheinischen Ritterschaft" s ) vertraten, für die Beibehaltung der Provinzialstände. Sie waren auf dem Gebiet von Verfassung und Verwaltung wohl liberal, aber in der Stellungnahme zur preußischen Verfassungs- wie zur deutschen Frage ließen sie sich von ihren kirchlichen Interessen leiten. Sie glaubten, diese im kleineren Kreise besser wahrnehmen zu können, und huldigten daher in Preußen und Deutschland dem partikularistischen Prinzip. Sie haben ebenso wie die Radikalen den Gedanken einer Losreißung der Rheinlande von Preußen erwogen und in dem bewegten Jahre 1848 immer wieder nach einer Gelegenheit gespäht, wo sie sich aus der Umklammerung des protestantischen Riesen befreien konnten. 4 ) Erst als die oktroyierte Verfassung vom 5. Dezember 1848 genügende Garantien für die Freiheit und Selbständigkeit der katholischen Kirche bot, 5 ) waren die liberal gerichteten Katholiken, wie die Gebrüder Reichensperger, in etwa mit Preußen ausgesöhnt, und sie haben sich nicht zum wenigsten aus Furcht vor einer Gefährdung der kirchlichen Freiheiten gegen alle rückläufigen Abänderungsversuche der Verfassung gewandt, die von den protestantischen Reaktionären wie von den konservativen und adeligen Glaubensgenossen gemacht wurden. Weil letztere mit den verfassungstreuen, meist bürgerlichen Mitgliedern ») Hansen, I, 513. ) Näheres darüber bei Vogel Studien zur rheinischen Geschichte, Heft 5. 1913. ») Herrmann, Die Rheinländer und die preußische Verfassungsfrage 1815—48. Kölnische Zeitung, 1913. Nr. 312 und 317 *) Meinecke, Weltbürgertum usw. S. 420 ff ') Pfülf, Kardinal v. Geißel, I, 660 ff. Schnabel, Der Zusammenschluß des politischen Katholizismus in Deutschland 1848. S. 94 ff 2



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der katholischen Fraktion, welche atn 30. November 1852 gegründet war, in der Verfassungsfrage nicht übereinstimmten, schieden sie im Winter 1853/54 aus derselben zum größten Teil aus.») Nachdem Preußen die Krisis von 1848 überstanden hatte, fühlte es sich stark genug, einen deutschen Bund mit Ausschluß Österreichs zu schaffen, während im eigenen Lande die Verfassungskämpfe noch tobten. Diese sowie die Unionsbestrebungen und die auf Grund derselben neu einsetzende Einheitsbewegung — die Kundgebungen zu Gotha und das Erfurter Parlament — riefen alle politisch interessierten Rheinländer noch einmal auf den Plan, aber dann erlahmte die Teilnahme am politischen Leben. -') Der Oberpräsident von Kleist-Retzovc wußte jede Opposition zu unterdrücken. Erst die Neue Ära und das Kriegsjahr 1859 waren Weckrufe zu neuer politischer Arbeit. Wie früher in verwickelten inner- oder außerpolitischen Verhältnissen, so kam auch jetzt das Mißtrauen der reaktionär-konservativen Kreise gegen den Westen zum Durclibruch. Wie tief es eingewurzelt war, kennzeichnen zur Genüge die Worte des Prinzen Karl aus dem Jahre 1859, das wahre Unglück Preußens seien seine westlichen Provinzen.») Nicht nur die Gcschichte hat diese Worte Lügen gestraft, sondern auch ein Oberblick über die öffentliche Meinung der Rheinlande im Jahre 1859 wird dartun, wie ungerechtfertigt sie waren. 2.

Kapitel.

Das Jahr 1850. Die Schilderung der Ereignisse des Jahres 1859 *) ist zum Verständnis der Fragen, deren Erörterung die öffentliche Meinung sich angelegen sein läßt, durchaus erforderlich. Josef Bachem und die Entwicklung der kathol. Presse in Deutschland, Bd. II, 342 ff Donner, Leipzig. Diss. 1909, S. 26 f a ) Hansen, I, 616. *) Herzog Ernst II von Koburg Aus meinem Leben und aus meiner Zeit. II. 445 *) Die Darstellung stützt sich wo nicht anders bemerkt, auf Sybel, Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Bd. Ii H Fried jung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859



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Die Diskussion kam in Fluß, als Napoleon bei der Gratulationsoour am Neujahrstage dem österreichischen Botschafter sein Bedauern darüber aussprach, daß die Beziehungen zwischen Paris und Wien nicht mehr so gut seien wie früher. Sie erhielt neue Nahrung durch die Gründe, womit Napoleon sein Bündnis mit Sardinien und sein Vorgehen gegen Österreich rechtfertigte, und durch die Kongreßverhandlungen. In „Wahrheit" suchte der französische Kaiser nach einem Anlaß zum Kriege, um die Abmachungen zu Plombières, welche Lombardo-Venetien, Parma und Modena depi Könige von Sardinien, Savoyen und Nizza aber Frankreich zusprachen, verwirklichen zu können. Er stellte daher an Österreich das Ansinnen, es solle die mit Toskana, Parma und Modena abgeschlossenen Privatverträge, welche dem Wiener Hof den maßgebenden Einfluß auf jene Staaten sicherten, aufheben, da sie den Bestimmungen der Wiener Kongreßakte über die souveräne Selbständigkeit der Staaten zuwiderliefen. Er hatte vorausgesehen, daß Österreich1 seine Forderungen zurückweisen werde, wußte aber auch, daß die Sympathien eines großen Teiles von Europa auf seiten des für die nationale Einigung kämpfenden italienischen Volkes seien. Die Sympathien kamen denn auch in den Vermittlungsversuchen der Mächte zum Ausdruck; und da das französische Heer noch nicht kriegsgerüstet war, mußten Napoleon diplomatische Verhandlungen sehr erwünscht sein. England, geleitet von den Torys unter Derby, hatte schon im Februar seinen Botschafter in Paris, Lord Cowley, nach Wien geschickt und die dortige Regierung zur Modifikation der Separatverträge und zur Einführung heilsamer Reformen in Italien zu bewegen gesucht, als Rußland, das dem Nachbarn vom Krimkriege her noch grollte, am 18. März den Vorschlag machte, über die italienische Frage auf einem europäischen Kongresse zu verhandeln. Dem durfte sich auch Österreich nicht widersetzen, wollte es nicht als Störer des europäischen Friedens gelten. Der Kongreß kam jedoch bis 1866. Mittelstaedt, Der Krieg von 1859 usw. H. Oncken, R. v. Bennigsen, Bd. I. Zur Nachprüfung habe ich herangezogen: Bismarcks Briefwechsel mit Schleinitz, die Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs, Ernst Ludwig von Oerlachs Aufzeichnungen u. a. m.



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über die Vorverhandlungen nicht hinaus. Die H o f b u r g verlor die Geduld. Der Kaiser Franz Joseph machte am 23. April dem diplomatischen Geplänkel ein Ende, indem er Sardinien das Ultimatum stellte: „Entweder vollständige Entwaffnung oder Krieg binnen drei T a g e n . " Sardinien g a b natürlich nicht nach, somit mußten die Waffen entscheiden. Auf der H o f b u r g aber lastete die Schuld des Friedensbruches. Die Vorwürfe und Proteste häuften sich, auch die Berliner Regierung hielt* mit ihrer Mißbilligung nicht zurück. Sie hatte wie die anderen Mächte den vermittelnden Standpunkt eingenommen und erkannte eine Bündnispflicht nicht an, obgleich ein Zusammengehen mit Österreich ernstlich in Erwägung gezogen wurde. Der Prinzregent und Fürst Änton von Hohenzollern waren einem Kriegsbündnisse am meisten geneigt, aber die Erkenntnis, daß Österreich der traditionellen Bundespolitik treu bleiben und zu Zugeständnissen nicht bereit sein werde, sowie die Bedenken, welche die U m g e b u n g des Regenten, Schleinitz, Usedom, Pourtales, Bethinann-Hollweg u. a., gegen die Waffengenossenschaft erhoben, ferner die Einwände der englischen Regierung, des Prinzgemahls Albert vor allem, konnten nicht ohne Einfluß auf den Sinn des Regenten bleiben.*) Als der Erzherzog Albrecht am 12. April nach Berlin kam, um über die Absichten seiner Regierung zu berichten, gewann er den Eindruck, daß Preußen von einer unbedingten Hilfeleistung weit entfernt sei, wenn es auch ein ,,Zu-Bodenwerfen" Österreichs nicht dulden werde. An dem Tage der Abfertigung des Ultimatums verordnete der Regent die Kriegsbereitschaft dreier preußischer Armeekorps, eine lediglich defensive Maßregel, und befaßte sich mit dem Gedanken der bewaffneten Vermittlung. Er wollte die Verträge von 1815 aufrecht erhalten wissen und im Falle des unaufhaltsamen Vordringens der französischen Armee in Italien den Krieg am Rhein eröffnen. Der General Willisen wurde beauftragt, dieses Programm dem Wiener Hof zu übermitteln und von ihm die Einwilligung in die preußische Initiative Aus dein politischen Briefwechsel des deutschen Kaisers mit dem Prinzgemahl von England aus den Jahren 1854—61, 2. Aufl. Gotha 1881, S. 43—59. Berner, E., Der Regierungsanfang des Prinzregenten von Preußen und seine Gemahlin, 110 ff., insbesondere 121:

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und die alleinige sowie ganz selbständige Führung der Bundesarmee durch den Regenten zu fordern. Erst nach langen Verhandlungen, wohl unter dem Kindruck der österreichischen Niederlage bei Montebello am 20. Mai, wurde wirklich eine Einigung über diese Punkte erzielt. Am 31. Mai kehrte Willisen nach Berlin zurück. Am 4. Juni verlor Österreich die Schlacht bei Magenta, aber der preußische partielle Mobilmachungsbefehl erfolgte erst am 14. Juni. Wie haben wir uns dies Zaudern zu erklären? Ein regelrechter Vertrag ist nicht abgeschlossen worden, und die mündlichen Erklärungen waren für keine der beiden Parteien streng bindend; aber wie Österreich sie einhalten mußte, wenn es den Vorteil der preußischen Hilfe genießen wollte, so waren auch der Prinzregent und sein Ministerpräsident entschlossen, ihnen nachzukommen. Sie mußten jedoch erst den Widerstand der Friedenspartei am Hofe überwinden, zu der die Gemahlin des Prinzen, Schleinitz und die anderen Minister gehörten und welche den Gewinn im Verhältnis zu dem ungeheuren Einsatz, den Preußen mit der Mobilmachung wagte, als zu gering erachteten. Schleinitz vor allem, auf den Bismarck hemmend einwirkte 1 ) und dessen angeborene Scheu vor der Tat durch die fortschreitenden Mißerfolge Österreichs wuchs, schob die Ausfertigung der Mobilmachungsordre von Tag zu Tag hinaus. So mußten die Österreicher erst bei Magenta geschlagen werden, und auch dann vergingen noch 10 Tage, ehe der Befehl zur Mobilisierung von 6 Armeekorps erfolgte. Österreich war mit Recht verstimmt über die Lässigkeit des Bundesgenossen. Nach dem 14. Juni war es nicht mehr willens, den Hohenzollern die militärische Führung zu überlassen. Es sammelte seine Kräfte zu einem entscheidenden Stoß und gab sich der Hoffnung hin, durch einen glänzenden Sieg die Situation in Italien und Deutschland zugleich retten zu können. Den veränderten Standpunkt zeigte die Note Rechbergs an das Berliner Kabinett vom 22. Juni Sie mahnt, die Abmachungen mit Willisen ignorierend, Bismarcks Briefwechsel mit d e m Minister Freiherrn v Schleinitz, Stuttgart 1905, S 11 ff Brief vom 12 Mai 1859, S 35 f Brief vom 11 Juni 1849



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Preußen an seine Bundespflicht und dehnt diese sogar auf die Erhaltung der Separatverträge aus. Aber Österreich war das Waffenglück nicht hold. Am 24. Juni verlor es die Schlacht bei Solferino. An demselben Tage befahl der Prinzregent, „unbeirrt durch Rechenbergs abweisenden Bescheid", die Mobilmachung seiner Armee und ließ den Höfen zu Petersburg und London sein Vermittlungsprogramm: „Erhaltung des österreichischen Territorialbesitzes und Durchf ü h r u n g politischer Reformen in Italien" überreichen. Am 4. Juli beantragte der preußische Gesandte in Frankfurt, dem Prinzregenten den Oberbefehl über die Bundesarmee zu übertragen, am 7. Juli forderte Österreich die Wahl nach den Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung, wodurch der Souverän des mächtigsten deutschen Staates von den Entschlüssen der 17 Bundeskommissarc abhängig gemacht worden wäre. Verletzender als durch diesen Antrag konnte Österreich seinem Verzicht auf die preußische Hilfe nicht Ausdruck verleihen. Es bedurfte derselben nicht mehr. Am ü. Juli waren die Friedensverhandlungen mit Napoleon eingeleitet worden, und schon am 11. Juli wurden die Präliminarien von Villafranca geschlossen, iri denen Österreich die Lombardei an Napoleon abtrat, ein italienischer Bund unter dem Vorsitz des Papstes in Aussicht genommen und die Wiedereinsetzung der Fürsten von Toskana und Modena bestimmt wurde. Was veranlaßte den Kaiser Franz Josef, was Napoleon zu diesem Schritt? Ersterer hatte noch am 4. Juli den Fürsten Windischgrätz nach Berlin gesandt, der ganz im Sinne der Depesche Rechbergs vom 22. Juni die Verhandlungen führte und die Entschlossenheit Habsburgs. seinen Vorrang in Deutschland mit niemand zu teilen, geschweige denn aufzugeben, genügend kundtat. Die Sorge um den Verlust der Hegemonie hatte vorzüglich die österreichische Regierung friedfertig gestimmt, daneben zwangen auch die „Lage des österreichischen Heeres sowie die mangelhafte Kriegsverfassung", Gründe, auf welche Friedjung den Hauptnachdruck legt 1 ) und welche schwer, aber nicht entscheidend in die Wagschale fielen, zum Friedensschluß. Friedjung, S

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Napoleon hingegen stand vor dem Festungsviereck und mußte sich auf eine langwierige Belagerung gefaßt machen. Mit Rußland, welches sich für die italienische Revolution nicht erwärmen konnte, kam es zu keinem Bündnis. Im Innern wuchs der Widerstand des Klerus in dem Maße, wie in Italien die Gefahr für den Verlust der weltlichen Herrschaft des Papsttums stieg, und schließlich gab die drohende Haltung Preußens den Ausschlag. Diese Motive waren so stark, daß Napoleon auf die Durchführung des Programms von Plombières verzichtete und Italien seinem eigenen Schicksal überließ. Aber wenn er gehofft hatte, daß die Bewegung nun still stehen werde, so sah er sich bald getäuscht. Schon im August wurde durch Volksabstimmung die Verschmelzung von Toskana, Parma, Modena und Bologna mit Sardinien beschlossen. Der König Viktor Emanuel II. sah sich zwär zu einem hinhaltenden Verfahren gezwungen, und im Frieden zu Zürich wurden im wesentlichen die Vereinbarungen von Villafranca bestätigt, aber schon im folgenden Jahre wurden Toskana, Parma, Modena und die päpstlichen Legationen von Sardinien annektiert, wogegen Napoleon Savoyen und Nizza mit Frankreich vereinigte. Zwischen Preußen und Österreich wurde nach Villafranca ein erbitterter Federkrieg geführt, in dem die süddeutsche Publizistik zium größten Teil dem Wiener Kabinett, die norddeutsche, Hannover und Mecklenburg ausgenommen, dem Berliner zur Seite stand. In dem Laxenburger Manifest vom 15. Juli bezichtigte der Kaiser Franz Josef die „ältesten und natürlichsten Bundesgenossen" gleichsam des Treubruchs. Die Erwiderung von preußischer Seite blieb natürlich nicht aus. Konnte Österreich über das Zaudern Preußens auch berechtigte Beschwerde führen, die Anklagen waren in ihrem Umfang und in ihrer Schärfe durchaus ungerecht und von erbittertem Ingrimm gegen die Berliner Regierung diktiert. Die Hofburg hatte sich über die Abmachungen mit Willisen hinweggesetzt, der Prinzregent aber hatte den ehrlichen Willen gehabt, Österreich beizustehen und die Mobilmachung als „Übergang zum Kriege" betrachtet. Wie erhitzt auch die Gemüter aufeinander prallen mochten, man atmete doch erleichtert auf, daß die Kriegsge-



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fahr vorüber; denn der Einsicht, daß der Deutsche Bund unfähig sei, einen Krieg erfolgreich zu führen, verschlossen sich nur wenige, und die Forderung, Preußen die militärische und diplomatische Leitung zu übertragen, war während des Krieges laut und eindringlich erklungen, so eindringlich, daß sie nach dem Frieden noch nachhallte, ja von neuem erhoben wurde. Das Gefühl der Unsicherheit, des Nichtgeborgenseins, das infolge der Unzulänglichkeit der Bundesverfassung die Krisis von 1859 hervorgerufen hatte, „zur politischen Regeneration Deutschlands zu benutzen, das „ t und bleibt der leitende Gedanke," der zur Gründung des Nationalvereins führte. Die Kundgebungen der Nassauer Kammermitglieder vom 21. Juni und der württembergischen Liberalen Ende Juni zu Gunsten der preußischen Hegemonie tragen den Charakter einer provisorischen L ö s u n g der Bundesreformfrage; erst die Versammlung „deutscher Demokraten" zu Eisenach am 17. Juli, an der Mitteldeutsche, Thüringer und einige Preußen, darunter Schulze-Delitzsch, teilnahmen, faßt die dauernde Umgestaltung des Bundes ins Auge. Hier taucht das Verfassungsproblem wieder auf, das die Paulskirche vergebens zu lösen versucht hat: Zentralregierung und Parlament. Aber in dem politischen Denken ist seit 1848 teilweise ein Wandel durch das Scheitern des Volkssouveränitätseingetreten, der ° /

gedankens und durch die Anerkennung liberaler Grundsätze seitens Preußens hervorgerufen, in der Schaffung der den Bundestag ersetzenden Exekutivgewalt zu Tage tritt.- Nicht dem souveränen Volke, sondern Preußen gebühre die Initiative, nicht ein ohnmächtiger Reichsverweser, von den Volksvertretern erwählt, sondern das waffentüchtige Preußen solle kraft eigenen Willens, von der Volksstimme gerufen und getragen, das Provisorium übernehmen. Hiermit war Preußen zum Träger der Zentralgewalt in Aussicht genommen, ohne ausdrücklich als solcher genannt zu sein. Der Gedanke der preußischen Spitze zieht sich durch die Vorgeschichte des Nationalvereins und seine ganze spätere Entwicklung von der Konstituierung bis zur Auflösung im Jahre 1867 hindurch, w urde aber nie klar formuliert, sondern Oncken, R

von Bennigsen, I. 321 f.



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aus partikularistischer Antipathie gegen Preußen stets verhüllt. Daß durch diese Unklarheit und den innern Zwiespalt der Verein an Ansehen nach außen und Agitationskraft verlor, liegt auf der Hand. Zwei Tage nach der Eisenacher Zusammenkunft (19. Juli) veranlaßte der hannoversche Abgeordnete Rudolf von Bennigsen, der jetzt an die Spitze der ganzen Bewegung tritt, die hannoversche Erklärung, welche die sofortige Übernahme des Provisoriums durch Preußen nicht enthielt, aber im übrigen der Eisenacher „innerlich nahe verwandt ist". „Statt der knappen Resolution der Thüringer war hier eine historischpolitische Erörterung gewählt, die auch schon die Frage des Verhältnisses zu Österreich streifte und die liberale Ära in Preußen als Gewähr und Voraussetzung einer deutschen Politik auffaßte."') Die Eisenacher und Hannoveraner fanden sich, und auf die Einladung von Bennigsen und SchulzeDelitzsch hin tagte am 14. August in Eisenach eine zweite Versammlung, an der auch schon einige Süddeutsche teilnahmen. Das hier aufgestellte Programm, das sich im wesentlichen mit der Eisenacher Erklärung deckte, — „die einheitliche Übertragung der militärisch-diplomatischen Leitung an Preußen" war nur für den Fall gefordert, „daß Deutschland in der nächsten Zeit wieder unmittelbar von außen bedroht würde" — ist das Gründungsprogramm des Nationalvereins geworden, der sich am 15. und 16. September in Frankfurt konstituierte und sein großes Vorbild in der italienischen Nationalpartei hatte. 8 ) Bei der Debatte über die Zentralgewalt trat hier zum ersten Male offen zu Tage, wie weit die Meinungen über den Träger derselben auseinandergingen. Die preußische Spitze konnte in dem Vereinsstatut nicht ausdrücklich hervorgehoben werden, da die Süddeutschen widersprachen. Machte sich so der Partikularismus innerhalb des Vereins geltend, so regte er sich erst recht außerhalb desselben. Von Sachsen, Hannover, Mecklenburg, Württemberg usw. wurde der Verein in Acht und Bann getan. Der Ausschuß des Vereins erhielt vom Frankfurter Senat, der sich von !) Oncken usw. Bd. I, 326. J ) Oncken, Bd. ), S. j39.



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den Bundestagsgesandten beeinflussen ließ, nicht die nachgesuchte Erlaubnis zur Niederlassung in Frankfurt a. M. hr siedelte daher nach Coburg über, wo ihn die Gunst des Herzogs Ernst vor politischen Nachstellungen bewahrte. Im Herbst des Jahres 1862 erreichte der Verein den Höhepunkt seiner Entwicklung. Er zählte im Oktober etwa 25 000 Mitglieder.») Wie schnell die Zahl der rheinpreußischen Mitglieder stieg, mögen folgende Zahlen zeigen: Im September 1860 gehörten dem Verein 587, 2 ) im August des folgenden Jahres 1161 3 ) Rheinländer an. Mit dieser Zahl marschierte die Rheinprovinz an dritter Stelle. Sie wurde nur von Brandenburg (1180 Mitglieder) und Westfalen (2065 Mitglieder) übertroffen. 3 ) Unter den Rheinländern ragten der Landgerichtsrat Bürgers 4 ) und der Advokatanwalt Bessel,") beide aus Köln, hervor. Preußen, dessen Ansehen die ganze Agitation am meisten zugute kam, ließ den Verein gewähren. In der Antwort auf die Adresse der Stettiner Bürgerschaft, welche um eine deutsche Zentralgewalt bat, hatte der Prinzregent die Einheitsbewegung auf das „zur Zeit Mögliche" beschränkt, „Stärkung der deutschen Wehrkraft und Befestigung gesitteter Rechtszustände in dem ganzen Bundesgebiet". Den Zeitpunkt für eine Bundesreform im Großen, die alle Erklärungen forderten, hielt der Regent noch nicht für gekommen. Unverkennbar hat der italienische Nationalkrieg der deutschen Bewegung viele wertvolle Anregungen gegeben, aber greifbare politische Erfolge wie jener hat sie nicht erzielt. Wieviel schwieriger der Einheitskampf der Deutschen als der der italiener war, das zeigt der Gegensatz zwischen Klein- und Großdeutschen. Das Verhältnis der beiden Parteien zu einander hat sich im Laufe des Jahres 1859 etwas verschoben. Der kleindeutsche Gedanke hatte an Boden gewonnen. Von den Großdeutsclien waren manche, Ludwig ') 2 ) 3 ) *) 5 )

Wochenschrift des Nationalvereins Nr. 128. R. Le Mang. Der deutsche Nationalverein Wochenschrift des Nationalvereins Nr. 70. R. Le Mang, S. 80. Vgl. unten S. J 3 f . R. Le Mang, S. 87.

S. und

70. S.

89.

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Bamberger und Eduard Fischel z. B . , k l e m d e u t s c h geworden. Schon vor dem Kriege und immer mehr im Verlaufe desselben wurde die deutsche Frage von oft ausschlaggebender Bedeutung für das politische Verhalten. Wie gewaltig sie nach der Krisis die Gemüter erregte und bewegte.. haben wir gesehen. Weil die Diskussion sich von der nationalen Idee nicht zu emanzipieren vermochte und weil sie sich mit den beiden um die Vorherrschaft ringenden Mächten, Preußen und Österreich, einerseits und dem Widerstreit zwischen der preußischen und deutschen Nationalität andererseits auseinandersetzen mußte, kann die öffentliche Meinung der Rheinländer im Jahre 1859 uns Aufschluß darüber geben, wie man sich im Westen zu Altpreußen stellte. Je nachdem man sich für oder gegen die preußische Hegemonie entschied und je nachdem man das „preußisch-deutsche Problem" auffaßte, sind die Anschauungen vom preußischen Staate, seinem deutschen Berufe und den Aufgaben der Gegenwart und Zukunft verschieden, ist das innere Verhältnis zu ihm ein anderes, erfährt vor allem die preußische Politik die verschiedenartigsten Beurteilungen, wird sie entweder verteidigt oder angegriffen. Zwischen den Klerikalen und Liberalen, um die es sich in der Rheinprovinz in der Hauptsache handelt, ist hier eine starke Scheidelinie gezogen, aber auch im Liberalismus ist das Urteil über Preußen, wie die öffentliche Meinung überhaupt, den liberalen Strömungen entsprechend nicht einhellig.

3.

Kapitel.

Äußerungen außerhalb der Fresse und der klerikalen Partei. Von der Erregung der rheinischen Bevölkerung, ihrer Erbitterung gegen Napoleon und ihrer Furcht vor einem französischer Einfall legen die Adressen der Kölner und Elberfelder Wahlmänner an ihre Abgeordneten im Februar des Kriegsjahres ein beredtes Zeugnis ab. Sie erklären sich gegen jede Neutralität Preußens, ja sie fordern sogar sofortige i) Mittelstaedt, S. 30 f.

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Kriegserklärung, wenn sich Napoleon durch die — heiß ersehnte — Kundgebung der preußischen Kammer, daß Deutschland jeden Friedensbruch ahnden werde, nicht veranlaßt fühle, seine Kriegsrüstungen einzustellen. 1. Camphausen, Mevissen, Bürgers. Von den rheinischen Liberalen, die im Jahre 1848 sc wacker für Preußen gestritten hatten, war Hansemann in das großdeutsche Lager übergegangen. s ) Zwar hatte der kleindeutsche Gedanke, getragen von Männern wie Camphausen, Beckerath und Mevissen, das entschiedene Übergewicht. aber es fehlte die Anspannung aller Kräfte zu Nutz und Frommen des politischen Ideals. Man hatte sich während der Reaktion von der Politik zurückgezogen. Camphausen oblag mit Vorliebe seinen astronomischen Studien; bei Mevissen traten die materiellen Interessen, die Industrie, das Bank-, Eisenbahn- und Versicherungswesen, in den Vordergrund. Im Jahre 1859 erwachte aber in beiden wieder der Politiker. Camphausen 3 ) besprach sich mit dem Fürsten von Hohenzollern in Düsseldorf über die Lage und verfaßte „mit größter Bereitwilligkeit und Gründlichkeit" Memoranda. Das Gebahren Österreichs und einiger Klein- und Mittelstaaten Preußen gegenüber erfüllte ihn mit Erbitterung gegen diese, zumal sie nach der politischen Lage „vor Preußen auf den Knien liegen sollten". Ihm mochte es für Preußen, ehe es in den Krieg eingriff, als das Wichtigste erscheinen, Garantien für die Bundesreform von Österreich zu erlangen. Daher war er mehr zu einem „hinhaltenden Verfahren" geneigt und stimmte mit der tatenfrohen Politik des Fürsten von Hohenzollern nicht überein. Wie er über die Mobilmachung dachte, wissen wir nicht; die Friedenskunde von Villafranca war ihm eine willkommene Botschaft. Denn nun blieb Preußen vor der Gefahr bewahrt, in das Schlepptau der österreichischen Politik genommen zu werden. Nüchtern und verhalten, wie er war, ließ er die Begeisterung für die italienische Nationalbewegung nicht zum Ausbruch kommen !) K. Z. 12. Februar Allg Z 14. Februar und 28 Februar. (Wacht auf!) 2) Bergengrün. S. 576 und 631. 3 ) A. Caspar>. Ludolf Carnphausens Leben, S 403 ff. Grosse

Fresse

Beiträge zur Charakteristik.

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Mevissen dagegen, der, von der Hegeischen Philosophie ausgehend, die Ideen des „allgemeinen Menschheitsfortschrittes" auf nationalstaatlichem Wege verwirklicht wissen wollte und dessen Wirtschaftspolitik von hohen geistlich-sittlichen Gedanken durchdrungen war, fand flammende Worte für den Freiheitskampf der Italiener. Seine optimistische Auffassung, „daß die Einheit Italiens schnurstracks zur Einheit Deutschlands" führen werde, teilten nur wenige. Seine Briefe aus dem Frühjahr 1860, die er auf seiner Hochzeitsreise in Italien schrieb, dürfen als- Belege für seine Anschauungen im Jahre 1859 dienen, welche schwerlich andere sein konnten bei einem Manne, der in dem „Kampfe für den Geist des Jahrhunderts" stets in der vordersten Reihe focht. In dem Jahresbericht der Handelskammer zu Köln für 18582) vom Juli 1859 wünscht er, daß die Regierung „für sittlichfreie materielle geistige Entwicklung der Nationen" eintrete, und in seinen Briefen wird das Verlangen noch deutlicher.») „Preußen muß gegen Österreich für ein einiges Italien, für gänzliche Beseitigung der weltlichen Herrschaft des Papstes und für die Abtretung des Venetianischen gegen starke Geldentschädigung in die Schranken treten." Daß die nationale Selbständigkeit Italiens für die friedliche Entwicklung D e u t s c h l a n d s von größter Wichtigkeit sei, führte der liberale Abgeordnete für Köln, Landgerichtsrat Bürgers, in seinem Kommissionsbericht über die Finanzvorlage der Regierung für eine eventuelle Mobilmachung am 12. Mai im Abgeordnetenhause aus. 4 ) Er betont die Unvereinbarkeit der österreichischen und deutschen Nationalinteressen und sieht letztere nur dann gefährdet, wenn sich Napoleon in den Besitz Oberitaliens setzen sollte. Dies zu verhindern, sei die Aufgabe der preußischen Politik. Er sowohl wie Mevissen zweifeln nicht daran, daß sich die nationale Idee fn Italien verwirklichen lasse und vertrauen der Macht des nationalen Gedankens. Anders der Bonner Historiker Wilhelm Loebell. i) Hansen, Bd. I, S. 712, Bd. II, S 567 ff. *) Hansen, Bd. II, S. 548. ) Ebenda, Bd. II, 596, 6 . . *) Stenographische Berichte über die Verhandlung der Abgeordneten 1859, Bd. II. 1108ff. 3

des

Hauses



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2. Loebell, Dahlmann, Lette. Loebell hielt am 1. März in Düsseldorf einen Vortrag: „Über die Einheit Italiens", den er später auf Verlangen dem Druck übergab (Bonn 1859. Henry und Cohen). Er wollte durch gelehrte Kombinationen den Beweis erbringen, daß in Italien das Einheitsideal sich sehr schwer und erst in ferner Zukunft verwirklichen lasse. Irgend ein politisches Interesse an der Erhaltung der österreichischen Herrschaft in Italien hatte Loebell nicht. Die Einigung Italiens war ihm ein interessantes wissenschaftliches Problem. Als Politiker ist Loebell wenig hervorgetreten. Er war Protestant und hat auch in seinen Schriften die protestantische Denkweise nicht verleugnet. Gegen die Verherrlichung Schlossers durch Gervinus und gegen die „Art", wie Schlosser Geschichte geschrieben hatte, hat er sich noch in den letzten Jahren seines Lebens gewandt. In den „Historischen Briefen" aus dem Jahre 1861 warnte er vor dem „Ultramontanismus" und wies auf die Verluste hin, die der Protestantismus seit der Gegenreformation erlitten hätte. In seinem Vortrage führte Loebell aus, daß in Italien und seiner Geschichte kein Einigungsmoment nachgewiesen werden könne. Die Strömung der Geschichte sei eine doppelte, sie sei auf Vereinigung und Trennung gerichtet. Letztere überwiege in Italien. Die „zur Einheit leitenden Umstände in der Geschichte" sind nach ihm in Frankreich das nationale Königtum, in England der Korporationsgeist, der sich dem Feudalismus entgegenstellte und die Einheit mit der Freiheit verbunden habe, in Spanien die Religionskämpfe mit den Mauren. Das Verfahren Loebells ist ebenso doktrinär und ungeschichtlich wie das des extremen Liberalismus, der das Nationalitätenprinzip auf die Spitze trieb. Loebell erfaßt das nationale Streben des 19. Jahrhunderts nicht in seiner Sonderart als die natürliche Reaktion gegen die gesteigerten Ansprüche des Legitimismus. Sein Vortrag fand aber in der Rheinprovinz und darüber hinaus großen Anklang; er erschien vollständig oder im Auszug in fast allen größeren rheinischen Zeitungen und bildete dann darin das beliebte wissenschaftliche Dekorations- und autoritative Beweisstück für die eigenen Anschauungen. Der anerkannte Vorkämpfer der deutschen Einheit unter 2*



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den Bonner Professoren war Dahlmann. Ihm war die Einigung Deutschlands ein sittliches Bedürfnis, eine Art Messiasverheißung, auf deren Erfüllung er fest vertraut. Da ihm das Recht der Nationen und „das Heimatsgefühl, das Erbe deutscher Oesinnung", auf das Zusammengehen mit Österreich angewandt, Richtlinien des politischen Verhaltens waren, so war er vor einen inneren Konflikt gestellt, wenn er für die Erhaltung der österreichischen Herrschaft eintrat und gegen Italien und Napoleon eiferte. Den Widerstreit tilgte er auch dadurch nicht, daß er in der französischen Eroberungspolitik und nicht in der Verwirklichung des Nationalitätenprinzips die Ursache des Krieges erblicken wollte. Seine Politik x ) ist durchaus an den vermeintlichen Plänen Napoleons orientiert und von den Intentionen und Maßnahmen der preußischen Regierung weit entfernt. Preußen soll sich bedingungslos in den Krieg stürzen und nicht um Zugeständnisse feilschen, die Neutralität schade ihm für alle Fälle. Siegt Österreich, so ist es isoliert, siegt Frankreich, so ist es nicht ausgeschlossen, daß der Kaiserstaat „sein Italien aufgibt und sich dafür von Frankreich auf deutschem Boden entschädigen läßt". Mit Villafranca kam ihm nicht die Erkenntnis, daß Österreich sich nicht helfen lassen wollte, und die Haltung Preußens blieb ihm verdammungswürdig. Aber seine Stellung zu Italien ändert sich. Denn da das Nationalitätenprinzip sich durchzusetzen schien, hielt er mit der Anerkennung der italienischen Bewegung nicht mehr zurück und hofft, daß es ihr auch gelingen werde, „den Wust des Papsttums abzuschütteln". Der preußischen Diplomatie rät er sogar, ein Bündnis mit Sardinien zu schließen zum Schutze gegen Frankreich, da Österreich zu schwach sei, um eine starke Stütze gegen Napoleon zu bilden. Hierin liegt eine Revision seiner Anschauungen, die Tatsachen redeten auch ihm eine eindringliche Sprache. In Köln trat der Oberappellationsgerichtsrat Leue in der Broschüre „Preußen und Österreich gegen Frankreich" für die Unterstützung Österreichs ein. Leue, ehemaliges Mitglied des Frankfurter Parlaments, wo er der Partei des württem!)

Springer, Fr. Chr. Dahlmann, T. II. S. 427 ff.



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berger Hofes angehörte, l ) war politisch sehr interessiert. Er ist des öfteren mit Schriften tagespolitischen Inhalts an die Öffentlichkeit getreten. Im Jahre 1859 lebte er in großer Angst vor der französischen Invasion. Er wünschte, daß Preußen Frankreich zuvorkomme, und suchte durch Rechtserörterungen eine Kriegserklärung zu rechtfertigen und ihre Notwendigkeit darzutun. Preußen dürfe als Mitkontrahent der Wiener Verträge keine Verletzung derselben dulden, es müsse gegen das Vorgehen Napoleons, das zweifelsohne einen Rechtsbruch darstelle, einschreiten. 3. Hansetnann. In den Äußerungen Dahlmanns und Leues haben wir nicht großdeutsche Gesinnung zu suchen, es spricht aus ihnen nur der Gedanke und Wunsch eines festen geschlossenen Zusammenstehens von ganz Deutschland einschließlich Österreichs gegenüber den Eroberungsgelüsten Napoleons. Das liberal-großdeutsche Ideal verfocht unter den rheinischen Liberalen von Bedeutung nur einer: Hansemann. Der besonnene Finanzmann, der Wirtschafts- und Realpolitiker, der die kaufmännischen Grundsätze ins Politische übertrug, war bis zum Jahre 1849 kleindeutsch gewesen. Aber sein Kleindeutschtum war sehr verschieden von dem eines Gagern, dessen Deutschland eine N e u s c h ö p f u n g des souveränen Volkes sein sollte und die preußische Staatseinheit vernichtet hätte. Im Jahre 1847, in der Heppenheimer Versammlung, hatte Hansemann noch gehofft, daß der Zollverein zum engeren politischen Bunde führen werde. Da er diese Hoffn u n g im Jahre 1848 immer mehr schwinden sah, klammerte er sich gegenüber Schwärmerei und Radikalismus an die vorhandenen Institutionen des Deutschein Bundes, auf deren organischer Weiterbildung er bestand. Die Reichsverfassung hat er befehdet und in Wort und Schrift f ü r ihre V e r w e r f u n g gewirkt. „Sie war ihm zu unitarisch und zu demokratisch." 3 ) Dem Kaisergedanken war er abhold, weil er sich mit dem ') Eisen mann, Die Parteyen der deutschen Reichsversammlung, ihre Programme, Statuten und Mitgliederverzeichnisse. Erlangen 1848. S. 26. 2 ) Bergengiün, A., David Hansemann, Berlin 1901, S. 590.



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Charakter eines Bundesstaates nicht vertrage und bei Österreich und den Mittelstaaten keinen Anklang finde. Wohl wies er Preußen die leitende Stellung zu; aber der österreichische Kaiser sollte in Sachen des engeren Bundes, obgleich er ihm nicht angehörte, Sitz und Stimme haben. Schon sein kl^indeutsches Programm leidet an der Verkennung des jeder Bundesreform und der konstitutionellen Gesinnung feindlichen durch Österreich vertretenen Prinzips und an einer Überschätzung der Kräfte des Kaiserstaates. Die Überzeugung von der Unfähigkeit Preußens für den deutschen Beruf sodann und das Scheitern des Einheitswerkes selbst lassen ihn vollständig mit dem kleindeutschen Ideal brechen. „Die praktische Ausführbarkeit ist der Prüfstein jeder politischen Idee", das ist das Motto seines Lebens. Die Vergangenheit hatte ihm gezeigt, daß der kleindeutsche Gedanke nicht auszuführen sei, darum versuchte er es mit dem großdeutschen. Sein Großdeutschtum lief auf eine Erhaltung der bestehenden Bundesverhältnisse, auf die Herbeiführung eines guten Einvernehmens zwischen Preußen und Österreich zur Förderung gemeinsamer materieller Interessen hinaus. Als ihm aber Bismarck im Jahre 1864 den Befähigungsnachweis erbrachte, daß Preußen allein eine großzügige, den praktischen Bedürfnissen entsprechende Politik treiben könnte, da kehrte er leichteren Herzens zu den politischen Grundgedanken der 30 er und 40 er Jahre zurück, als er sich von ihnen abgewandt hatte; denn ein Deutschland ohne Österreich hatte ihm stets als das Herrlichste vorgeschwebt, so herrlich, daß nur Träumer solchen Gedanken nachhängen durften. Seine Stellung während des italienischen Krieges kommt in der Verurteilung der preußischen Politik der Dahlmannschen Auffassung am nächsten, er bringt es jedoch eher als der Gelehrte zu einer gerechten Beurteilung derselben. In der Abneigung gegen Napoleon weiß er sich mit den meisten Rheinländern ¿ins. Er befand sich zu Anfang des Jahres 1859 in Paris 1 ) und gewann hier den Eindruck, daß die Stimmung gegen den Krieg sei und Napoleon den Frieden 0

Bergengrün, S. 691 ff.

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nicht stören werde, wenn Preußen seiner Entschlossenheit Ausdruck verleihe, Österreich beizustehen. Er suchte in dieser Richtung zu wirken. Vergebens. Regierung und Landtag schwiegen. Als die Österreicher bei Magenta geschlagen waren, verfaßte er eine längere Denkschrift und reichte sie am 7. Juni dem Prinzregenten ein. Er suchte die Notwendigkeit einer militärischen Aktion darzulegen und stellte als die Frucht derselben „den vorwiegenden Einfluß in Deutschland" in Aussicht, „so daß vorläufig eine Revision der Bundesverfassung zur Herstellung einer formellen politischen Einheit Deutschlands entbehrlich" werde. Als Preußen mobil machte, war er darüber sehr erfreut. Wie er in der zögernden Haltung der Regierung eine Bestätigung dessen sah, was er stets ausgesprochen hatte, Preußen sei zu einer großen Tat unfähig, so knüpfte er an die Mobilmachung die Hoffnung auf eine Wendung zum Besseren. In dem Vorfrieden von Villafranca sah er die erste Wirkung der kriegerischen Entfaltung, allerdings nur auf französischer, nicht auch auf österreichischer Seite. Der Gedanke, daß Österreich aus Furcht vor der preußischen Hegemonie und einer Änderung der Bundesverhältnisse den schnellen Abschluß der Präliminarien begünstigt habe, lag ihm fern. Wohl wies er die gegen sein Vaterland gerichteten Angriffe zurück, wie er auch das Ultimatum vom 23. April scharf tadelte, aber der Kampf um die Vorherrschaft schien ihm nicht bestimmend auf den Gang der kriegerischen Verwicklungen eingewirkt zu haben. Seine Stellung zu Österreich, zu Preußen und den Kleindeutschen erfuhr durch den Krieg keinen Wandel. Den Nationalverein hat er stets befehdet. 4. Die rheinischen Demokraten. Bemerkenswerte Äußerungen haben wir aus dem Kreise der rheinischen Demokraten, von F. E n g e l s , H . B. Oppenheim 2) und Jakob Venedey. Auch Ferdinand Lassalle 3 ) !) Mittelstaedt usw S 40 und 175 ff. 2) Ebenda S. 173 ff. 3 ) Ebenda 112ff. Scheffer- Die preußische Publizistik im Jahre 1859 usw. S. 105, 145 ff. Oncken, H., Lassalle, Politiker und Nationalökonomen H, S. 00



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möchte ich hier nennen, weil er mit den Rheinländern in enger Fühlung stand und geraume Zeit in Düsseldorf seinen Wohnsitz hatte. Seine Ausführungen sowie die seines Parteigenossen Engels sind vor allem deswegen interessant, weil sie uns zeigen, wie die Macht der Wirklichkeit, der italienische Freiheitskampf, den Oedanken der revolutionären Selbstbefreiung f ü r eine Zeit lang zum Schweigen bringt und wie selbst Lassalle und die Kommunisten im Jahre 1859 über den Feldzugsplan der Partei, die Wege zum Ziel der Demokratie, uneinig sind. Lassalle und Engels geben das Ziel der Demokratie, die Herstellung eines Bundes republikanischer Nationalstaaten, nicht auf, aber zwecks Errichtung des deutschen Nationalstaates haben sie im Jahre 1859/60 nicht das Feuer der Revolution zu entfachen versucht, wie es im Jahre 1848 geschah, sondern direkt an das nationale Gewissen und an das Verantwortlichkeitsgefühl von Volk und Regierung appelliert. Beide streiten für das Nationalitätenprinzip und für das demokratische Freiheitsideal, das auf dem „Prinzip der freien unabhängigen Nationalitäten" beruht. Gegenüber, der weit verbreiteten Anschauung, daß Italien zur Sicherheit Deutschlands unentbehrlich sei, führt Engels in der Flugschrift „Po und Rhein" den militär-wissenschaftlichen Nachweis, daß die Etsch- und Minciolinie zur Verteidigung Deutschlands nicht notwendig sei, daß aus der Preisgabe der Lombardei Österreich kein militärischer Nachteil, wohl ein politischer Vorteil erwachse, da ein geeintes mit Österreich im Frieden lebendes Italien das beste Bollwerk gegen Frankreich sei. Auch schon in dieser ersten Schrift, fast ausschließlich alsdann in der zweiten aus dem Jahre 1860 (Savoyen, Nizza und der Rhein) ist Engels auf die Abwehr des Napoleonismus bedacht; dieser ist ihm schon hier mit ein Motiv, weshalb er der deutschen Einheit so eindringlich das Wort redet. Im Kampf gegen Napoleon soll der von der Theorie ersonnene deutsche Einheitsbau erprobt werden und die geeinte deutsche Demokratie ihre Feuertaufe erhalten. Man wird den militärisch-strategischen Ausführungen Engels ein klares Erkennen der Wirklichkeitsmomente und ein geschicktes Rechnen mit ihnen nicht absprechen dürfen,



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aber in den politischen Erörterungen, besonders in der Einheitsfrage, herrseht der Doktrinarismus des Demokraten zu sehr vor, als daß hier eine Wirklichkeitslösung hätte gefunden werclen können. Daß nur die Vernichtung des Dualismus den Schlüssel zur deutschen Einheit bieten konnte, hat Engels nicht erkannt, wohl aber Lassalle. Mit dem hinreißenden Feuer seiner leidenschaftlichen Natur und mit dialektischer Gewandtheit hat er diesen Standpunkt vertreten in der Flugschrift: „Der italienische Krieg und die Aufgabe Preußens. Eine Stimme aus der Demokratie." Österreich ist das reaktionäre Prinzip, der Feind aller Freiheitsideen und nationalen Selbständigkeit. Wird es auf seinen deutsch-nationalen Bestand beschränkt, verliert es Italien und Ungarn, so kann es nicht mehr mit Preußen konkurrieren, der Dualismus ist dann aufgehoben, die preußische Vormachtstellung entschieden, und 12 Millionen Österreicher können in das neue Reich aufgenommen werden. Nach Lassalles Dafürhalten ist Napoleon „im Begriff, die Vorarbeit für die Konstituierung der deutschen Einheit zu vollbringen". Österreich werde in Italien unterliegen, so hofft er zuversichtlich. Napoleon führt eine gute Sache, mag er persönlich ein „schlechter Mensch" und ein ehrgeiziger Despot sein. Jeder Versuch seinerseits, in Italien Eroberungen zu machen, müsse an dem Widerstand „des italienischen Nationalegoismus" und „der demokratischen Instinkte" Frankreichs scheitern. Den Krieg in Italien betrachte die französische Demokratie als gerecht, der Krieg gegen Deutschland widerstrebe den demokratischen Prinzipien, denn „die Demokratie, welche die Achtung der Nationalitäten zu ihrem Prinzip hat, kann nicht darauf ausgehen, Landesteile von deutscher Zunge, Abstammung und Geschichte an sich zu reißen". Das Nationalitätenprinzip bedingt nach Lasalle die freie Entwicklung im Innern. Von der nationalen Grundlage *) Das Prinzip der Nationalitäten hat zwei, jedoch bei entwickelten Nationen sofort in einander überlaufende Seiten. Es ist noch konservativ und schon revolutionär. Noch konservativ, denn an und für sich ist Selbständigkeit nach außen noch nicht Freiheit im Innern. Schon revolutionär, denn in Kulturländern geht die Freiheit des nationalen Geistes nach außen sofort in die Forderung seiner ungehinderten Selbstentfaltung im Innern über.



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des demokratischen Freiheitsideals aus verstehen wir die Wärme und Entschiedenheit, mit der Lasalle für die deutsche Einheit eintritt. Es ist die Intuition des Genies, die ein Feuerkopf in Worte prägt, welche bei den Londoner Freunden Anstoß erregten. Es hat des öfteren an der Harmonie zwischen ihnen und Lassalle gefehlt. Die Meinungsverschiedenheiten im Jahre 1859 sind auf die verschiedene Beurteilung der napoleonischen Politik und ihrer Folgen zurückzuführen. Die Notwendigkeit einer deutschen Einheit hatten auch Engels und Marx erkannt und genug betont. Das Ziel der nationalen Konsolidierung Großdeutschlands haben sie mit Lassalie gemein, aber ihr Weg ist ein anderer. Engels polemisiert in seiner Broschüre (Savoyen, Nizza und der Rhein) gegen das Kleindeutschtum und den preußischen Militärstaat, weil sie es unterlassen haben, Österreich im Kampfe gegen das Anwachsen der Macht Napoleons zu unterstützen. Dieser steht mit dem Zaren im Bunde und geht darauf aus, die Freiheit zu unterdrücken. O b außer anderem auch der mit so vielen Hoffnungen begleitete Anfang der Neuen Ära in Lassalle die Sympathie für die preußische Hegemonie — wenn -man das Aufgehen Preußens in Deutschland noch so nennen darf — geweckt hat, ist nur wahrscheinlich; als sicher gilt dies von einem anderen Rheinländer, H. B. Oppenheim, in dessen Schriften wir den dokumentarischen Beleg für den Wechsel seiner politischen Anschauungen haben. Wir besitzen von ihm zwei Broschüren, die beide im Verlage von J. C. Huber (Berlin 1859) erschienen: „Deutsche Begeisterung und Habsburgischer Kronbesitz" und „Deutschlands Not und Ärzte". Die erste Schrift, wirkungsvoller nach Anlage und realpolitischem" Gedankengehalt als die zweite, welche erst nach dem Frieden erschien und sich in Ausfällen gegen Julius Fröbel 1 ) und in einer auf „politischer Begriffsbestimmung" basierenden Widerlegung seiner Anschauungen gefiel, war schon Ende Februar geschrieben worden, wie aus dem Nachwort hervorgeht, konnte aber erst später einen Ver!) Froebel war großdeutsch und stritt für die Triasidee in der Flugschrift: „Deutschland und der Friede von Villafranca" Vgl. Mittelstaedt S. 144.



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kger finden, weil sie dem Kriege unverhohlen das Wort redete. Der Verfasser schreibt nicht für die, „welche an die Möglichkeit friedlicher Reformen glauben und welche die päpstliche Herrschaft mit einer liberalen Verfassung und weltlichen Verwaltung vereinbar wähnen". „Solcher Naivität ist nichts zu beweisen." Oppenheim gehört zu dem Kreise der in Paris lebenden Flüchtlinge, welche nach den Stürmen des Revolutionsjahres Deutschland hatten verlassen müssen. Der „Berühmteste" unter ihnen war der Trierer Ludwig Simon. Mit dem Mainzer Ludwig Bamberger verband Oppenheim eine feste Freundschaft. Beide haben im Jahre 1859 ihre Stellung in der deutschen Frage geändert und sich publizistisch für die preußische Hegemonie eingesetzt. Simon dagegen hat sich mit Preußen nicht auszusöhnen vermocht. 1 ) Zwischen den deutschen Emigranten in Paris und ihren Schicksalsgenossen in London bestand kein regelrechter Verkehr; denn der Marxsche Kommunismus, der als Bindemittel hätte dienen können, vermochte unter den Parisern keine Wurzel zu fassen. Wohl stimmten sie mit Mar* und Engels darin überein, daß die deutsche Einheit durch die Demokratie vollzogen werden müsse, aber ihr demokratisches Ideal war aus den extremen Anschauungen des politischen Liberalismus, aus staats- und verfassungstheoretischen Erwägungen hervorgegangen, während es bei den Londonern unverkennbar den kommunistischen Ursprung trug. Die Londoner, Religionsstiftern vergleichbar, und daher dogmatisch gebunden, Volksbeglücker, und daher den Boden der Wirklichkeit oft verlassend, konnten sich mit einem in monarchischer Spitze gipfelnden Deutschland nicht befreunden. Die Pariser dagegen, keine Systematiker, wohl Theoretiker, aber auch politische Rechner, vermochten sich schon eher den neuen Verhältnissen anzupassen, wofern diese nur in etwa den demokratischen Ideen Rechnung trugen und die Hoffnung auf eine fortschrittliche Entwicklung nicht versperrten. Wer wie Ludwig Bamberger nicht auf eine Parteidoktrin eingeschworen war, sondern in dem lebendigen Spiel der politischen Kräfte nach den wirksamsten Mitteln zur Er') Ludwig Bamberger, Erinnerungen, S 286.



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reichung der deutschen Einheit suchte und wer wie Oppenheim die Nationalität höher schätzte als die F r e i h e i t , d e r konnte sich 1859 wohl endgültig von einem Staate abwenden, der „nur durch die Negation der Nationalitäten" 2 ) existierte, und Preußen zum Vollstrecker der nationalen Idee machen. Für Lassalle bedeutete das Jahr 1859 keinen politischen Gesinnungswechsel, er legte nur dar, daß und wie in der damaligen politischen Konstellation die deutsche Einheit ihrem Ziele näher zu bringen sei, Oppenheim dagegen begründete den Wechsel seiner politischen Anschauungen, indem er zu beweisen suchte, warum Österreich nicht mehr die Fiihrung in Deutschland haben könne. Er läßt die österreichische P9litik seit 1815 an seinem Auge vorüberziehen und sieht in ihren Freiheit und Selbständigkeit hemmenden Wirkungen „nicht die Schuld einzelner Monarchen oder Staatsmänner", sondern „die unvermeidliche Folge der Organisation Österreichs, seiner Zwitterstellung, des Antagonismus zwischen der Dynastie und den Nationalitäten". „Was kann noch heute Österreich für Deutschland tun?" Nichts, so lautet die Antwort! Der Kaiserstaat muß Italien aufgeben und an der unteren Donau seine Interessen wahrnehmen. Als eine der ersten Aufgaben betrachtet .Oppenheim die „Versöhnung" Ungarns. Ob er hier wie Lassalle an die nationale Loslösung Ungarns von Österreich denkt, geht aus seinen Worten nicht hervor. Das Verhältnis zu Deutschland soll durch ein völkerrechtliches Bündnis geregelt werden. Für die preußische Suprematie wird mit dem Eifer des Renegaten gestritten, in der zweiten Broschüre noch heißer als in der ersten. In dem Bonapartismus erblickt auch Oppenheim eine Gefahr für die Freiheit, aber in Italien habe sich Napoleon nur in den Dienst des Nationalitätenprinzips und des Gedankens der „Racenverbindungen" gestellt, denn die Herrschaft könne nicht dauernd auf die rein materielle Gewalt gestützt werden. In der Betonung der ideellen Werte als Kulturfaktoren liegt die Einwirkung der Hegeischen PhiloOppenheim, Deutsche Begeisterung und Habsburgerischer KYonbesitz S. 27. ') Ebenda S. 6.



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sophie, ebenso in dem Einschlag des Kosmopolitismus, dem die Verwirklichung des Nationalstaatsgedankens die unerläßliche Bedingung für die über die nationalen Grenzen hin.ausreichende, die ganze zivilisierte Menschheit umfassende Kulturgemeinschaft ist, Gedanken, deren internationales Gewand auch die Ausführungen Lassalles schmückt. Auf einen durchaus polemischen Ton ist die Schrift des Republikaners Jacob Venedey gestimmt, de;r, ein geborener Kölrjer und Mitglied der Paulskirche, nach einem bewegten Leben 1858 in Oberweiler (Baden, Schwarzwald) seine Geschichtsstudien fortsetzte. Während des Krieges hatte sich Hansemann ihm genähert, da er hoffte, „in ihm einen journalistischen Bundesgenossen in der Bekämpfung des extrem kleindeutschen Standpunktes zu finden", der eine Unterstützung Österreichs ablehnte. Wie weit die beiden Männer auch in den politischen Grundanschauungen auseinandergehen mochten, darin, daß Preußen Österreich helfen müßte, stimmten sie überein. Hansemann suchte Venedey zur Übersiedlung nach Berlin zu bewegen, und hier wollte dieser auch am 18. Juni einen Vortrag über die politische Lage halten. 1 ) Da ihm aber die Erlaubnis dazu verweigert wurde, so legte er seinen Standpunkt in der Broschüre: „Der italienische Krieg und die deutsche Volkspolitik" dar. Die Schrift hat viel rhetorisches Beiwerk, betont immer wieder die Notwendigkeit des Zusammengehens von Preußen und Österreich und ist voll von Iiaß gegen Napoleon. Mit fast fanatischem Ingrimm zieht der Verfasser gegen die anders denkenden Demokraten Lassalle und Carl Vogt zu Felde. 2 ) 5. Die Militärs am Rhein. Der Vollständigkeit halber sei die Haltung der rheinischen Militärs charakterisiert. In Düsseldorf kommandierte 1859 Roon als Divisionär. 3 ) Aus seinem Briefwechsel mit Perthes geht hervor, wie sehr der Offizier die Beteiligung Preußens Bergengrün, S. 696. ) Vogts „Studien zur gegenwärtigen Lage Europas" verurteilen Vgl. Mittelstaedt S. 39. t ,das Schüren des Hasses gegen Napoleon". 3 ) Denkwürdigkeiten des Kriegsministers Grafen v. Roon, Bd. I, S. 349 ff. 2

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am Kriege wünschte. Ihm bangt in seinem „Preußenstolz" vor den Demütigungen, welche das „Zagen und Zaudern" zur Folge habe. Er verurteilt daher das Hin- und Herschwanken der Regierung und bedauert das Abflauen der Kriegslust, das nach den ersten österreichischen Niederlagen eintrat. Ein anderer Offizier, der General v. Hofmann schrieb noch vor dem Kriege eine Broschüre: „Bekanntes. Zusammengestellt von einem Zeitgenossen", der er einen Nachtrag hinzufügte, in welchem er der bestimmten Hoffnung Ausdruck gab, daß es zum Kriege kommen werde. Rußland und Frankreich beabsichtigen nach seiner Ansicht gemeinsam eine Revision der Karte von Europa. Rußland möchte die DonauFürstentümer haben, Frankreich die Grenzen vor 1814. Der Krieg in Italien sei nur das Vorspiel des Krieges am Rhein und an der Weichsel; deshalb dürfe Deutschland nicht neutral bleiben. Die kleine Schrift: „Zeitläufe. Traut nicht dem Waffenstillstand, nicht dem Frieden," (Carl Georgi, Bonn) nach Villafranca erschienen, von Generalleutnant Fischer v. Treuenfeld l ), redet außer anderem einem guten Einvernehmen zwischen Belgien, Holland, der Schweiz und Deutschland das Wort. Sie sind in gleicher Weise von Frankreich bedroht, die deutsche Wehrkraft schützt auch die linksrheinischen Staaten vor einem Überfall. Es sind zum Teil eigenartige, starke Persönlichkeiten, die uns hier entgegentreten. Sie verdienen um ihrer selbst willen beachtet zu werden. Wie weit ihr Einfluß in der Rheinprovinz reichte, läßt sich im einzelnen nicht ermitteln, auch muß es dahingestellt bleiben, ob sie auf die rheinische Presse eingewirkt haben. Die größte propagandistische Tätigkeit entfaltete hier der kleindeutsche Liberalismus. Er beherrschte die rheinische Presse fast ganz. Der rheinische großdeutsche Liberalismus vertrat seine Interessen in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung", deren rheinische Korrespondenzen die großdeutsche Stimmung in Rheinpreußen wiederspiegeln.

Nach einer freundlichen Mitteilung des Bonn.

Herrn

Dr. Oeorgi im

— 4.

ol



Kapitel.

Die rheinischen Korrespondenzen in der „Allgemeinen Zeitung". Die „Allgemeine Zeitung" bedeutete eine Macht im Kampfe der öffentlichen Meinung. Weder die Kleindeutschen noch die Klerikalen besaßen ein solch ausgezeichnetes Organ wie die Großdeutschen in dem Augsburger Blatte. Der großdeutsche Patriotismus des Verlegers Georg von Cotta und der Redakteure Kolb, Altenhöfer und ürges wurzelte in der festen Überzeugung, daß das Heil Deutschlands von der Erhaltung Österreichs in seinem Bestände und in seinem Verhältnis zum Bunde abhängig sei, und wurde von starker Begeisterung getragen. Von den Redakteuren, die alle eine glänzende journalistische Begabung besaßen, zeigte vor allem Hermann Orges ©ine größere Vorliebe für den Donaustaat", als die liberalen Tendenzen, denen auch er anhing und mit welchen die österreichische Regierung in steter Fehde lag, gestatteten. Sein ärgster politischer und persönlicher Feind war Napoleon, und im Jahre 1859 trat seine Napoleonfeindschaft in ihrem ganzen Ungestüm zu Tage.») Die Korrespondenten aus „Köln", „vom Rhein", „aus Rheinpreußen" stehen ihm treu zur Seite und befinden sich in voller Übereinstimmung mit der von der „Allgemeinen Zeitung" befolgten Politik. Am 8. März beklagt sich ein Kölner Bürger, der die Adresse der Kölner Wahlmänner an die Abgeordneten in Berlin unterschrieben hat, 2 ) bitter darüber, daß die Kölnische Zeitung „offen die gute vaterländische Absicht derjenigen lobt, welche dem Napoleonischen Unternehmen, das die öffentliche Meinung einstimmig als Verbrechen verurteilt, Erfolg wünschen". Fast jede rheinische Korrespondenz 3 ) berichtet, wie unzufrieden die Rheinländer mit der Haltung der Kölnischen Zeitung seien. Die Polemik gegen sie ist gereizt, mitunter unerfreulich, denn die persönlichen Verhältnisse des Redakteurs und Verlegers werden Vorstehendes nach Heyck. Die Allgemeine Zeitung. S. 108 ff., 147, 160 ff. u. a. 2) Siehe S. 30. 3) Allg. Z . 16. März, 14. und 21. April. 1. und 8. Mai, 16., 27. und 2 8 . Juni.

in einer — man darf sagen — widerlichen Weise in den politischen Meinungskampf hineingezerrt. Der Absolutismus Österreichs unterliegt schwerem Tadel,, 2 ) die Bundesverfassung der zersetzenden Kritik,») aber die Gegenwart erheischt nicht so sehr Reformen wie ein einmütiges Zusammengehen von Preußen und Österreich, denn „Österreich ist der mächtigste Bundesstaat, und wenn wir Österreich den napoleonischen Heeren gegenüber im Stiche lassen, so liefern wir uns selbst dem Feinde in die Hände." 4 ) Der Unwille darüber, daß der Bundestag schläft, 5 ) daß Preußen zaudert, 6 ) läßt sich ebensowenig unterdrücken wie die Freude über die preußische Mobilmachung vom 14. Juni. 7 ) Der 5:1 Berichterstatter tritt für die straffe Vereinigung aller Hilfsmittel Deutschlands unter der Leitung Preußens ein, s ) er ist der Wortführer des „freien deutschen Bürgertums" und der Vertreter des deutschen Parlamentsgedankens vor wie nach dem Frieden. 9 ) Nach seiner Ansicht regieren die „moralischen Kräfte die Welt, nicht die Bajonette". Er rät auch Österreich, die Bahn des Fortschrittes zu betreten und hofft, daß der Wetteifer der beiden deutschen Großstaaten das Vaterland vor Zersplitterung bewahren werde. 10 ) Es ist ganz offensichtlich, wie das Gefühl der Unsicherheit die Unzufriedenheit mit den Bundeseinrichtungen entfesselt. 11 ) Über den Nationalverein äußert sich ein Kölner Korrespondent am 12. Oktober. Er hält den Gedanken, eine deutsche Nationalpartei zu gründen für gesund und richtig, wendet sich aber gegen die preußische Spitze und betont, daß der Verein wegen seiner „exklusiv-preußischen Färbung" bisher keinen Anhang in der Rheinprovinz gefunden habe und auch wohl nicht finden werde, denn der Rheinländer sei zu deutsch ') ) ) 4 ) 5 ) 6 )

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) ») 19 ) u )

Ebenda 1. Mai. Ebenda 11. April unter ** Köln, 7. April Allg. Z. 2. April. Ebenda 11. ApriU 14. April unter •* Köln, 11 April 18. Apri! Rückblicke Vom Rhein 19 und 22. Juni 2. Juli. 11. April. 20 und 27 Juli 2 August. 2. August. 27. Juli.



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gesinnt, als daß er auf diesem verkehrten Wege folgen werde. Er verurteilt allerdings die polizeiliche Maßregelung des Vereins, da diesem jedes ungesetzliche Streben fern liege und der Kampf nur mit geistigen Waffen geführt werden könne. Die liberal-großdeutsche Stimmung berührt sich in vielen Punkten mit der klerikalen. So ist es erklärlich, daß der ** Korrespondent erfreut nach Augsburg berichten konnte, er befinde sich im. Einklang mit dem größten Teile der rheinischen Bevölkerung, der, wie auch heute noch, katholisch war. 1 ) Klerikal gesinnt war der ** Mitarbeiter nicht, denn er tritt für religiösen Fortschritt und den Protestantismus in Österreich ein.2) Auch der Korrespondent „vom Rhein" war liberal. Er nimmt gegen das Konkordat Stellung. ») Für sich allein betrachtet, wurden die großdeutschen Liberalen der Rheinprovinz durch die Kleindeutschen in Schatten gestellt. Es gab kein einziges Organ großdeutscher Richtung in der rheinischen Presse, dagegen ungefähr 15 kleindeutsche Zeitungen, abgesehen von den vielen unbedeutenden „Kreis- und Intelligenzblättern" 5.

Kapitel.

Die rheinische liberale Presse, la. Allgemeine Obersicht. Mit dem Beginn der Neuen Ära atmete in der Rheinprovinz vor allem die Presse auf, die so schwer unter der „Bevormundungspolitik" des Oberpräsidenten Kleist-Retzow *) zu leiden gehabt hatte.- Die beiden klerikalen Blätter, „Die Deutsche Volkshalle" in Köln (1848—55) und „Der Rheinund Moselbote" in Koblenz (1853—56), waren gezwungen worden, ihr Erscheinen einzustellen. Die liberalen Blätter hatten sich wenigstens behauptet, es war ihnen nicht so leicht beizukommen wie den katholischen Zeitungen, die einen antipreußischen Charakter trugen. Die rheinische liberale Presse ') ») ') *)

14. April, 1. Mai usw 2. August. 14. April. Rückblicke IV v Petersdorff, Kleist-Retzow, 1907, S. 206 ff

Grosie-Freese,

Beiträge znr Charakteristik.



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stellte sich in den Dienst des kleindeutschen Liberalismus. Den liberal großdeutschen. Standpunkt hat kein rheinisches Blatt vertreten, auch nicht die Kölnische Zeitung, obgleich sie während des Krimkrieges „eine ausgesprochen westmächtlich-österreichische Haltung" eingenommen hatte. 1 ) Im Jahre 1859 lassen sich in der liberalen Presse vier Parteifärbungen unterscheiden. Den gemäßigten Liberalismus vertrat die Kölnische Zeitung. Sie wurde von Heinrich Kruse redigiert, der für den deutschen Einheits- wie für den preußischen Staatsgedanken ebenso scharf' und gewandt focht, wie er gegen Klerikalismus, Großdeutschtum und Partikularismus Stellung nahm. Das Blatt zeigt eine große Vorliebe für den allgemeinen Ausbau und die schrittweise 'Entwickelung des Konstitutionalismus, eine starke Abneigung gegen den demokratischen Radikalismus und den legitimistischen und revolutionären Absolutismus. Es ist eine strenger Kritiker der Bundeseinrichtungen, ein liebevoller Berater der preußischen Regierung. Schnell und zuverlässig in der Berichterstattung, selbständig und fest in den politischen Anschauungen, findet es sich rasch in veränderten Lagen zurecht und überragt weit die große Zahl der rheinischen Blätter, welche man am besten als die typischen Vertreter des deutschen Parlamentsgedankens bezeichnen könnte. Ein Teil von ihnen — Barmer Bürgerblatt, Goblenzer Zeitüng, Crefelder Anzeiger — streift bisweilen hart bis an die Grenze der demokratischen Ideen. Unter ihnen nimmt die Aachener Zeitung (Redakteur Louis Lax) die erste Stelle ein. Sie beschäftigt sich während des Krieges viel mit der Napoleonischen Eroberungspolitik, nach demselben stehen Verfassungsfragen und Bundesreform im Vordergrund. Da verrät sie dann große Selbständigkeit im politischen Denken. Der Ipgitimistisch gefärbte Liberalismus wird durch die Elberfelder Zeitung repräsentiert, die ein konstitutionelles Regiment auf der Basis des Gottesgnadentums errichten möchte. Ihre Tendenz ist sehr schwankend, sie liebt die Kompromisse und hat eine Scheu vor durchgreifenden Maßregeln. Die Redaktion liegt in den Händen von Dr. B. Rave, dem Mitbegründer und früheren Redakteur der „Rhei») v. Petersdorff, Kleist-Retzow S. 207.



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nischen Allgemeinen Zeitung" (1840—41), der Vorläuferin der „Rheinischen Zeitung" (1842—43) l ). Demokratisch gefärbt ist die Trier'sche Zeitung. Sie ist die Vertreterin des Volkssouveränitätsgedankens und des demokratischen Kleindeutschtums, eines Deutschland ohne Österreich, geschaffen durch den Machtspruch des Volkes.

1. Die liberale Presse über Napoleon. Schon die Kriegsgerüchte, welche dem italienischen Kriege vorausgingen, erregten in der rheinischen Presse Furcht und Haß. Man fürchtete, daß Napoleon nach glücklich beendetem Feldzuge in Italien Deutschland zum Kriege reizen werde, und haßte den Friedensstörer. Seine Politik wird als der Ausfluß seines Ehrgeizes und seiner Eroberungssucht, bar jedes rechtlichen Grundes, gebrandmarkt. Da er die Freiheit 1m eigenen Lande unterdrückt, traut niemand seinen Worten, daß er Italien die Freiheit bringen wolle. In „den natürlichen Grenzen" glaubt man das wahre Ziel seines Strebens, den Krieg am Rhein, zu erkennen. Das Nationalitätenprinzip, dessen begrenzte Verwirklichung die rheinische Presse fast ausnahmslos verficht, läßt man im Munde Napoleons nur als eine Phrase gelten. Denn der Kaiser, der in die Fußstapfen des Zertrümmerers der Nationen trete, könne es nicht verwirklichen. Die Erinnerung an die Zeiten Napoleons I. wurde in aller Herzen wach, und die Furcht, daß der französische Ehrgeiz in Napoleon III. wiedertim seine Inkarnation erleben und die Völker heimsuchen werde, tritt uns in dfen Januar- und Februarnummern aller rheinischen Zeitungen entgegen. Erst allmählich ebbte die Flut ab und schwand die Sorge um eine unmittelbar drohende Invasionsgefahr unter dem Einfluß der Zeit und der Friedensbemühungen der Mächte, denen Napoleon nicht widerstrebte. Nur einige ängstliche Gemüter konnten den Gedanken nicht loswerden, daß Napoleon plötzlich am Rhein erscheinen und die Zeiten der französischen Revolution wieder aufleben lassen werde. Der Argwohn war unausrottbar, und die Furcht vor dem Napoleonismus lastet während des ganzen Kriegsjahres schwer auf Hansen, G. v. Mevissen, I. 245 f.



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der rheinischen Presse. Unter diesen Umständen mußte der Liberale Selbstbeherrschung und Entsagung üben. Dem Freiheitskampf der Italiener hätte er laut zujubeln und ohne alle Rücksicht seine literarische Waffe gegen das österreichische Unterdrückungssystem handhaben können, wäre der Helfershelfer nicht so verdächtig gewesen. Die Präge war .nun einmal nicht zu entscheiden, ob Napoleon ein echter Gesinnungsgenosse sei und der italienische Krieg ein Zeichen seiner Aufrichtigkeit oder eine Irreführ u n g der Welt, aber die Worte des Crefelder Anzeigers vom 20. Mai hätten trotzdem mehr Beachtung und praktische Befolgung verdient: „Die erste Bedingung für unser Verhalten dem Bonapartismus gegenüber ist, daß wir aufhören, ihn zu fürchten Man soll ihm gegenüber die Ruhe und Freiheit des Gedankens behalten, welche eine Fructit ist von dem Bewußtsein der eigenen Kraft." Man empfand wohl, wie lästig die Fessel sei, stets mit den möglichen Folgen der französischen Politik zu rechnen, aber man wagte nicht, sich ihrer zu entledigen, und als die Kölnische Zeitung den Versuch dazu machte, setzte sie sich dem Verdacht aus, franzosenfreundlich gesinnt zu sein, und mußte sich die schwersten Anschuldigungen aus klerikalem Lager und mehr oder weniger wuchtige Seitenhiebe von den noch in der Franzosenfurcht befangenen liberalen Blättern gefallen lassen. So rät die Neuwieder Zeitung 1 ) der Kölnerin, Österreich schonender zu behandeln, denn niemand wisse, o b Preußen nicht bald in die Lage kommen werde, gegen den französischen Übermut den Kaiserstaat um Hilfe anrufen zu müssen. 2 ) Die Wandlungen, welchen Napoleon im Urteil der rheinischen Presse unterworfen war, dürfen deswegen ein größeres Interesse beanspruchen, weil sie die Schwierigkeiten beleuchten, mit denen der Liberale in der Durchführung seines Programms zu kämpfen hatte. Die Entwicklung ist nicht ') N . Z. 16. März. . s ) N . Z. 16. III. u. 20. IV. So wünschenswert auch Zugeständnisse im Interesse des Friedens seien, Österreich könne sie, weil Von Frankreich gefordert, nicht machen. Höheres sei zu wahren, das Prinzip der Großmachtstellung und des Rechts, darum gehe der Kampf alle Völker an, vorzüglich aber Deutschland.



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überall gleichmäßig gewesen, hat auch nicht überall das gleiche Resultat, Unterordnung des Kampfes gegen den Napoleonismus unter den gegen das reaktionäre Österreich, gezeitigt, aber die Polemik wurde im Laufe des Jahres milder und verlor an schneidender Schärfe. Um ein Bild von dieser Entwicklung zu geben, sei im folgenden Napoleon im Urteil der Kölnischen Zeitung kurz dargestellt. Das Januar- und Februar-Bild ist dasselbe wie in den anderen Blättern,') aber sowie in dem Kölner Blatt der Oedanke einer europäischen Koalition auftaucht, 2 ) werden auch die Bedingungen, an welche die Unterstützung Österreichs geknüpft werden soll, stark unterstrichen. Von den Bedingungen war die vorzüglichste: Abstellung der Mißstände in Italien. Wiewohl man hierin an Napoleon einen Bundesgenossen hatte, wird die feindselige Haltung gegen ihn doch bewahrt. Auch als er sich bemühte, den Glauben an seine ehrgeizigen Pläne wankend zu machen und das Mißtrauen gegen seine Humanitätspolitik zu zerstreuen durch von ihm inspirierte Broschüren, 3 ) hatte er keinen Erfolg. Das Vorurteil gegen ihn war zu groß. Bei der Interpretation der Broschüren wird nur anerkannt, dalß der Kaiser „persönlich stets ein aufrichtiges Interesse für ein besseres Los Italiens gezeigt habe". Dadurch wird die Schärfe der Kritik gemildert, und wenigstens ein moralischer Grund für den italienischen Krieg zugestanden, es wird für mildernde Umstände plädiert, aber das Schuldig aufrecht erhalten. 4 ) Die friedliebenden Äußerungen des „Moniteur" und des „Journal des Debats" kommen dem Blatte sehr gelegen, sie ») K- Z. 14. I., 28 I., siehe auch Februar. 28. Januar. Rußland wird vor jeder Oemeinschaft mit Piemont gewarnt; es habe im eigenen Lande der Kulturaufgaben genug zu lösen und auf der Hut zu sein, daß. die Revolution nicht an seine bisher verschlossene Tür poche. Auch England wird auf den Ernst der Lage hingewiesen; es muß die unklaren Sympathien für die Unabhängigkeit Italiens fahren lassen. 3 ) »Der Kaiser Napoleon III. und Italien« (La Gueronniere) K- Z . 5. u. 6. Febr. »Die Verbindlichkeit der Verträge, die unterzeichnenden Mächte und Kaiser Napoleon.« K- Z. 24. u. 25. Febr. 4 ) K- Z. 25. Februar. Statt die Freiheitsgelüste der Italiener zu beschränken, steigere er sie noch, indem er ihnen zu Willen sei und Rezepte nach ihrem eigenen Wunsche verfertige. 2)



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dienen, geschickt verwertet, auf dem Felde der Friedenspolitik zur Verstärkung der Position gegen Österreich,1) vermögen allein das Mißtrauen gegen Bonaparte nicht zu tilgen. Selbst als er seine Einwilligung zu einer Regelung der italienischen Frage auf einem europäischen Kongresse gibt und den Vorschlägen der vermittelnden Mächte bei weitem nicht den Widerstand entgegensetzt wie Österreich, ist er im Grunde der gewissenlose Eroberer. Aber es wird jetzt mehr mit bekannten QröBen gerechnet. Die Annahme der Friedensprojekte wird gegenüber dem österreichischen „Cedant arma togae" anerkennend hervorgehoben und die Unterstützung Sardiniens als eine Einhaltung der vertragsmäßigen Verpflichtungen hingestellt.2) Ob das Eingehen des Kaisers auf die Kongreßvorschläge ein Scheinmanöver war 3 ) oder ein Ausfluß seiner wahren Friedensliebe, wagt die Kölnische Zeitung nicht zu entscheiden. Sie befürchtet, daß Napoleon, vom Qlückstaumel erfaßt, von der aurea mediocritas abweicht.1) Dann wieder gesteht sie ein, daß es nach strengem Kriegsrecht nichts Unrechtmäßiges sei, wenn Napoleon sich das Ziel stecke, Italien von den Österreichern zu säubern.5) Nach dem Siege von Magenta* bewegt sich das Blatt in den Bahnen der abwartenden, im Augenblicke der Gefahr zum Dreinschlagen bereiten Politik und beruhigt die furchtsamen" Gemüter über die Diktatur Napoleons. 6 ) Dabei ist sie selbst nicht ganz frei von der Furcht vor der Diktatur, 7 ) wenn sie auch nicht blindlings wie die anderen Blätter, vor allem ») K. Z. 7. und 19. März. 3 ) K. Z. 29. April. 3 ) Mittefstaedt, S. 11. Es war nur ein Scheinmanöver, in da« Napoleon ruhigen Herzens eintrat und eintreten konnte. *) R. Z. 5. Mai. „Die Sprache der französischen Proklamation kann uns nicht gefallen; sie ist viel zu hochtrabend." Wie leicht ließe sich eine Koalition der Orofimächte bilden, wäre das Terrain nicht so ungünstig. „In ganz Europa ist die österreichische Herrschaft unbeliebt." 5 ) Ebenda 5. Mai. •) K. Z. 19. Juni und 24. Juni. „Uns dünkt, daß diese Diktatur nöch nirgends besteht. Es mag einigen Legitimisten als die Erduldung einer Diktatur vorgekommen sein, daß ein Napoleonide, trotz der Verträge von 1815, auf dem Throne des hl. Ludwig Platz genommen hat; aber Europas Cemüt empfindet nicht mehr so legitimistisch." ') 19. Juni. „Die europäischen Mächte werden inm nicht gestatten, ein italienisches Dorf zu erobern usw."



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die süddeutschen, von ihr beherrscht wird. In ihren Augen ist der Napoleonismus nicht schlimmer als das „Metternichsche Systenf'. In dieser Überzeugung wurde sie durch Solferino nicht wankend gemacht, durch Villafranca bestärkt und um die Erkenntnis bereichert, daß der Napoleonismus durch den italienischen Feldzug keine Fortschritte gemacht habe, daß aber Österreich lieber den Territorialbestand des Reiches schmälerte, als daß es gesunderen Regierungsprinzipien den Weg frei machte.1) Natürlich konnte sich ein liberaJes Blatt, das gut preußisch und deutsch war und dem jede absolutistische Willkür verhaßt sein mußte, nicht mit einem Herrscher aus der napoleonischen Dynastie befreunden, der noch obendrein die Traditionen derselben geflissentlich wahrte und in mehr als einer Beziehung an ihren Begründer erinnerte. „Wir müssen stets treue Wacht am Rheine halten." „Aber," fügt sie hinzu, „es kommt uns einer großen Nation, wie die deutsche ist, ganz unwürdig vor, stets in einer jämmerlichen Franzosenangst zu leben"; s ) und wenn im Hinblick auf die Präliminarien3) Bedenken geäußert werden, ob das Erreichte sicher zu stellen und in dem Emporringen zu nationaler und freiheitlicher Existenz wirklich eine neue Stufe erklommen sei, so wird von dem französischen Einfluß und Ehrgeiz weniger befürchtet als von Österreichs Suprematiegelüsten. Das Bild ist ein anderes geworden als vor und während des Krieges und ein Wechsel in der Anschauung zu beobachten. Dieser vollzog sich in den anderen Blättern nicht so schnell. Konnte man sich auch schließlich der Erkenntnis nicht verschließen, daß Napoleon keinen neuen casus belli aus den italienischen Wirren konstruieren, sondern froh sejn werde, wenn er ihrer ledig sei, so hatte es nach Villafranca damit noch gute Weile. Die Rhein- und Ruhrzeitung (Duisburg) ist der Ansicht, daß Napoleon eine neue Provinz in Sardinien gewonnen habe und die Bundesgenossenschaft bald in ein Abhängigkeitsverhältnis verwandeln werde, eine Auffassung, die noch viele andere rheinische Zeitungen teilen. Vor dem Kriege ») K. K. 9. Juli. ) K. 2 . 14. Juli. 3 ) Ebenda 28. Juli.

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traute sie N a p o l e o n die G r ü n d u n g eines R h e i n b u n d e s zu. „Zwietracht zu säen", sei von j e h e r französisches System g e wesen. v N i c h t so s e h r v o r dem U l t i m a t u m wie nachher, mit d e m E r f o l g e d e r französischen W a f f e n , g e w i n n t N a p o l e o n in d e r A a c h e n e r Z e i t u n g die B e d e u t u n g eines stets den Frieden s t ö r e n d e n , d u r c h den K r i e g s r u h m a u f g e b l a s e n e n E r o b e r e r s . s ) W e r seine W o r t e u n d Taten richtig beurteile, den m ü s s e ein d a u e r n d e s Mißtrauen beseelen. Ein e u r o p ä i s c h e r Krieg w e r d e unvermeidlich sein. Das Blatt gefällt sich in der Rolle des G r e n z w ä c h t e r s , ist aber zu schnell mit seinen W a r n u n g s r u f e n , überängstlich u n d s c h a u t die Welt n u r zeitweise, w e n n es seinen W a c h t p o s t e n verläßt, mit den A u g e n des mitten im Leben S t e h e n d e n an. I h m gesellt sich die Elberfelder Z e i t u n g z u . Sie f ü r c h t e t , daß das W e r k des Legitimismus, das e u r o p ä i s c h e Gleichgewicht, 3 ) von d e r Revolution, deren echtester S o h n N a p o l e o n sei, gänzlich zerstört werde. Die G e f a h r f ü r alle Völker sei g r o ß , sie w a c h s e n o c h d u r c h die Siege in Italien, u n d die u n g e h e u r e n R ü s t u n g e n k ö n n t e n keinen Zweifel d a r ü b e r lassen, daß alles Sinnen u n d T r a c h t e n nach dem Rhein s t ä n d e . 4 ) Die T e n d e n z , g e g e n j e d e S t e i g e r u n g d e s f r a n z ö s i s c h e n R u h m e s • entschieden F r o n t zu m ä c h e n , zieht sich d u r c h alle Spalten. D e r Feind N a p o l e o n ist d e r Rullepunkt, n a c h d e m d a s Blatt seine M a ß n a h m e n orientiert. Uni ihn a u c h bei v e r ä n d e r t e r Lage zu treffen, m u ß es seine M e i n u n g o f t korrigieren. S c h w a n k u n g e n u n d W i d e r s p r ü c h e o h n e Zahl. Als es sich nach den Präliminarien u m die Bes c h i c k u n g des K o n g r e s s e s handelt, ist die L o m b a r d e i d a s S c h m e r z e n s k i n d des B o n a p a r t e . W o z u den K o n g r e ß beschicken u n d N a p o . c o n den D o r n a u s d e m Fuße z i e h e n ! M a g er an Italien v e r b l u t e n ! D a s ist jetzt etwa die Ansicht d e r Elberfelder Z e i t u n g . 5 ) D i e Triersche Z e i t u n g b e k ä m p f t in N a p o l e o n den g e ') Rhein) A. Z. ) E. Z. 4 ) E. Z. Politik" und s

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und Ruhrzeitung 24. Februar. 24. Juni. 1. Juni. 26. Juni. E. Z. spricht hier von der Geschichte als Lehrmeisterin.

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