Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering [1 ed.] 9783737008532, 9783847108535

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Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering [1 ed.]
 9783737008532, 9783847108535

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Beiträge zu Grundfragen des Rechts

Band 25

Herausgegeben von Stephan Meder

Christoph-Eric Mecke

Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-5405 ISBN 978-3-7370-0853-2 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de  2018, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Nachbildung der Bþste von Rudolf von Jhering (1888) im Foyer der Abteilung fþr Rçmisches und Gemeines Recht der Georg-August-UniversitÐt Gçttingen (gestiftet von Professor em. Dr. Dr. h.c. Okko Behrends). Bildhauer: Carl Ferdinand Hartzer (1838–1906). Photograph: Peter Heller.  und alle þbrigen Rechte an der Darstellung bei Professorin Dr. Inge Kroppenberg (Gçttingen)

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 1: Jherings Bestimmung der Geltungsvoraussetzungen für das Recht I. Die Ablösung des Volksgeists als Geltungsgrundlage des positiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom »Volksgeist« zum »Geist des Volks und der Zeit« . . . . . . . a) Jherings Begriff des Volks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bedeutung vom »Geist des Volks und der Zeit« für die Bildung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der jeweilige »Geist des Volks« als Faktor der Rechtsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der »Geist der Zeit« als Faktor der Rechtsbildung . . . . . 2. Jherings Trennung von Dogmatik und Geschichte des Rechts . . . a) Die Dogmatik im Verhältnis zu Geschichte und Philosophie des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Jherings »unhistorische Dogmatik« des geltenden römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Methodik und Funktion der von der Dogmatik emanzipierten »produktiven Rechtsgeschichte« . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Positivität des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der »formale Grund« der »juristischen Gültigkeit« des Rechts . . 2. Das juristisch »positive« und das historisch »thatsächliche« Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 31 32 39 39 62 76 76 87 97 135 135 142

6

Inhalt

3. Die »faktische Seite« des positiven Rechts . . . . . . . . . . . . . III. Die Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Quellen des positiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Gewohnheitsrecht in rechtsquellentheoretischer Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Gewohnheitsrecht in rechtshistorischer Hinsicht . b) Das Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsquellenfunktion der Rechtswissenschaft bis zu Jherings wissenschaftskritischer Wende . . . . . . . . . . . b) Das rechtsquellentheoretische Verhältnis der Rechtswissenschaft zu Rechtsprechung und Gesetzgebung nach Jherings wissenschaftskritischer Wende . . . . . . . .

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Teil 2: Jherings inhaltlicher Begriff des Rechts und die Methode der Rechtswissenschaft I. Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien . . . . . . 1. Die historischen »Grundtriebe« des römischen Rechts als Ausdruck »angewandter Rechtsphilosophie« . . . . . . . . . . a) Naturrecht »a posteriori« in den 1840er Jahren . . . . . . . b) »Naturlehre« des Rechts in den 1850er Jahren . . . . . . . 2. Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der »Gleichheitstrieb« als Voraussetzung des Rechts . . . . b) Gleichheit in der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . c) Gleichheit in der Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die universalrechtshistorische Bedeutung der altrömischen Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . bb) Jherings ursprünglicher Prinzipienrigorismus . . . . . cc) Der »Doppelverkaufs-Fall« von 1858 . . . . . . . . . . dd) Jherings Neubestimmung der Funktion des »Rechtsgefühls« gegenüber der Konsequenz des Rechts 3. Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der »Freiheitstrieb« als »sittliche Naturkraft« . . . . . . . aa) Die historische Verwirklichung des Freiheitstriebs . . bb) Die Begründung der Sittlichkeit des Freiheitstriebs . .

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269 270 276

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295 295 299 307

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Inhalt

b) Die »innere oder materielle Selbständigkeit« als »Idee des Rechts« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das »Ziel« aller Privatrechtsinstitute . . . . . . . . . . . . bb) Das die individuelle Freiheit bestimmende »Maß« aller Privatrechtsinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Methode der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom materiellen Rechtssystem zur Methode der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Jherings Abkehr vom ungeschichtlichen Systembegriff des »orthodoxen Romanismus« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die wissenschaftliche Wahrheit der »juristischen Methode« . . 2. Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode« als eine Strukturtheorie des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der wissenschaftstheoretische Status der »höheren Jurisprudenz« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die »naturhistorischen Objecte« auf dem Gebiet des Rechts als Gegenstand der »höheren Jurisprudenz« . . . . cc) Die rechtstheoretische Funktion der »höheren Jurisprudenz« als rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode« als eine der Rechtsgewinnung dienende Theorie der »juristischen Construction« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die »technischen Interessen« bei der Rechtsgewinnung . . bb) Die abstrakte »juristische Construction« im Rahmen der Theorie der »objektiven Technik« . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Gesetz der Deckung . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das Gesetz des Nichtwiderspruchs . . . . . . . . . . . (3) Die Gesetze der juristischen Schönheit und der logischen Sparsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die konkrete »juristische Construction« im Rahmen der Theorie der »subjektiven Technik« . . . . . . . . . . . . . (1) Das Gesetz der Deckung . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das Gesetz des Nichtwiderspruchs . . . . . . . . . . . (3) Die Gesetze der juristischen Schönheit und der logischen Sparsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thesenförmige Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

378 381 389 411 411 411 442 466 472 472 477

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541 541 549 557 562 575 582 591 603 626 633

8

Inhalt

A Summary in theses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Streszczenie w tezach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

673 674 693

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Die vorliegende Untersuchung bildet den Abschluss eines in seinen Ursprüngen auf die 1990er Jahre zurückgehenden größeren Arbeitsprojekts zur »Begriffsjurisprudenz« in der deutschsprachigen Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert. Die hier jetzt vorgelegte Untersuchung »Begriff des Rechts und Methode der Rechtswissenschaft bei Rudolf von Jhering« reiht sich ein in Untersuchungen, die in den letzten Jahrzehnten zu herausragenden Vertretern der Pandektistik erschienen sind. Nach und nach wird seitdem die im 20. Jahrhundert vorherrschende stereotypische Darstellung des sogenannten begriffsjuristischen Rechtsdenkens im 19. Jahrhundert durch differenziertere Sichtweisen ersetzt. Begonnen wurde das vorliegende Arbeitsprojekt mit einer Untersuchung zu »Begriff und System des Rechts bei Georg Friedrich Puchta« (2009). Die anschließenden Untersuchungen zu Jhering gestalteten sich als besonders arbeitsund zeitaufwändig. Anders als im Falle Puchtas, dessen Nachlass im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurde, konnten bei Jhering auch seine im wissenschaftlichen Nachlass überlieferten Handschriften herangezogen werden. Der Nachlass enthält nicht nur wichtige Informationen über die ersten zehn Jahre von Jherings wissenschaftlichen Arbeiten, als dieser nur wenig publizierte. Deutlich erschwert wurden die Nachlassarbeiten dadurch, dass der umfangreiche annähernd 18.700 Blattseiten umfassende Nachlass bis heute kaum wissenschaftlich erschlossen, ja selbst in seinem Bestand nur vorläufig erfasst und zudem durch fehlende Gelder für Sicherungsmaßnahmen auch akut gefährdet ist. Aus den Nachlassarbeiten für das Arbeitsprojekt ist 2010 hervorgegangen der Band »Rudolf von Jhering. Anonym publizierte Frühschriften und unveröffentlichte Handschriften aus seinem Nachlaß. Mit Textsynopsen und werkgeschichtlicher Einordnung«. Die jetzt – im Jahr von Jherings 200. Geburtstag – vorgelegte Monographie enthält in ihrem bibliographischen Teil noch zahlreiche weitere Hinweise und werkgeschichtliche Einordnungen von Transkriptionen aus Jherings Nachlass. Ich danke an erster Stelle meiner Familie für ihre außerordentliche Geduld und Unterstützung, ferner Herrn Professor Dr. Stephan Meder für die jahre-

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Vorwort

lange Begleitung und Ermöglichung meiner wissenschaftlichen Arbeit sowie für die Aufnahme des Bandes in die von ihm herausgegebene Schriftenreihe. Frau stud. iur. Moska Osman danke ich für ihre technische Hilfe »auf den letzten Metern«. Hannover, den 15. Februar 2018 Christoph-Eric Mecke

Abkürzungen

a. A. aaO Abs. AcP ADB a.E. ALR Anm. ARWP ARSP Bd. Bde BGB Bl. D Ders. d. h. d.i. Diss. Diss. jur. Einl. et al. etc. f. ff. Fn. Hrsg. hrsg. insbes. i. V. m. Jg. Jh.

am Anfang am angegebenen Ort Absatz Archiv für civilistische Praxis (Heidelberg 1818ff.) Allgemeine Deutsche Biographie am Ende Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (1794) Anmerkung Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Bd. 1 (1907/08) – Bd. 28 (1934/35) Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, seit Bd. 29 (1935/36) Band Bände Bürgerliches Gesetzbuch Blatt/Blätter Digesten Derselbe das heißt das ist Dissertation dissertatio juris Einleitung et alii et cetera folgende (Seite) fortfolgende (Seiten) Fußnote Herausgeber herausgegeben insbesondere in Verbindung mit Jahrgang Jahrhundert(s)

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Abkürzungen

JK

Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen / Handschriftenabteilung: Nachlass Jhering, Kasten Nr. Juristische Schulung, München et al. (1961ff.) Juristenzeitung, Tübingen 1951ff. Literarische Zeitung (Berlin, 1834–1849) Neue juristische Wochenschrift, München et al. 1947ff. naste˛pne (folgende) mit weiteren Nachweisen Nummer ohne Jahresangabe page punkt (Ziffer) pages principium Quaderni Fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno, Milano 1972ff. recto (Vorderseite) Rechtshistorisches Journal, Frankfurt am Main 1982ff. Randziffer scilicet so genannte(r,s) strona/strony (Seite/n) Seite(n) Spalte(n) Staats- und Universitätsbibliothek Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis / Revue d’histoire du droit, Leiden 1918ff. und andere undatiert und ähnliche(s, n, m) und so weiter verso (Rückseite) vor Christi Geburt Verfassers vergleiche zum Beispiel zitiert Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte, Wien 1979ff. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung, Wien 1880ff. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung, Wien 1880ff.

JuS JZ LZ NJW nast. m. w. N. Nr. o. J. p. pkt. pp. pr. Quad. Fior. r RJ Rz sc. s.g. s. S. Sp. SUB Tijdschr u. a. undat. u. ä. u.s.w. v v. Chr. Verfs. vgl. z. B. zit. ZNR ZRG Germ. Abt. ZRG Rom. Abt.

Einleitung

In Darstellungen und Untersuchungen zum Rechtsdenken Jherings herrschte lange Zeit die Überzeugung vor, dass man im Hinblick auf Jherings außergewöhnliche Wissenschaftsbiographie gar nicht von einem einheitlichen Rechtsdenken sprechen könne, da man es wissenschaftsgeschichtlich betrachtet im Grunde mit zwei Personen zu tun habe, nämlich einem Jhering vor der von ihm selbst zu einem Damaskus-Erlebnis stilisierten1 wissenschaftliche Krise von 1858 und einem Jhering danach, der nun in wesentlichen Punkten das widerrief, was er vorher gepredigt habe. Danach würde das Rechtsdenken Jherings in zwei Phasen zerfallen, eine frühe erste, die in den ersten drei zwischen 1852 und 1858 erschienenen Bänden von Jherings erstem unvollendeten Hauptwerk »Der Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« ihren maßgeblichen Niederschlag gefunden hat, und in eine spätere zweite, die ihre gedankliche Vollendung findet in Jherings zweitem ebenfalls unvollendeten zweibändigen Hauptwerk »Der Zweck im Recht« aus den Jahren 1877 und 1883. Die erste Phase scheint aus dieser Sicht und entsprechend Jherings eigenen späteren Darstellung2 durch eine im Grundsatz ungebrochene Kontinuität zu dessen unmittelbaren großen Vorgängern in der Historischen Rechtsschule, Friedrich Carl von Savigny und Georg Friedrich Puchta, sowie durch eine noch fehlende eigene wissenschaftliche Originalität gekennzeichnet zu sein; das Spätwerk hingegen gilt danach als Ausweis der Emanzipierung Jherings von der Historischen Rechtsschule. Es war übrigens Jhering selbst, der diese die einschlägige Literatur im 20. Jahrhundert ganz dominierende Sichtweise am Ende seines Lebens durch rückblickende ei-

1 J.Rückert, Geist des Rechts II (2005), S. 127. Die direkte Anspielung auf das biblische »Damaskus«-Erlebnis des zum Christentum bekehrten Apostels Paulus geht allerdings nicht mehr auf Jhering selbst, sondern erst auf den Freirechtler Ernst Fuchs zurück. Das hat später F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 451 aufgenommen: »Dieses Damaskus beherrscht alle späteren Werke.« 2 Vgl. die Nachweise in nachstehender Fußnote.

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Einleitung

gene Deutungen seiner wissenschaftlichen Entwicklung noch posthum nicht unwesentlich befördert hatte.3 Durchgesetzt hat sich diese Deutungsweise von Jherings Gesamtwerk noch nicht zu seinen Lebzeiten,4 aber einige Zeit danach gleich zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Es waren nämlich ausgewiesene Vertreter der Freirechtsschule wie Hermann Kantorowicz5, die – auch gestützt durch Jherings Selbstdeutung in seinen veröffentlichten Schriften und Briefen – erstmals von »Iherings Bekehrung« um die Jahreswende 1858/59 sprachen6 und an dieses – so Okko Behrends heute – »eigentliche Faszinosum an Jherings wissenschaftlicher Biographie«7 weitreichende Folgerungen knüpften, die Jhering in seiner zweiten Phase als einen unmittelbaren Vorläufer der Freirechtsbewegung erscheinen lassen. So polemisiert Ernst Fuchs wenige Jahre nach Kantorowicz gegen die »geheime [sic!] Freirechtlerei bei Jhering«, die anlässlich seines berühmt gewordenen Rechtsgutachtens von 18588 als Auslöser der wissenschaftlichen Krise »zum offenen Vorschein gekommen« sei und ihn im Sinne eines Damaskus-Erleb3 Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 338f. sowie dazu in Teil 2, S. 617 Fn. 3180. 4 So fehlte in früheren Würdigungen und Interpretationen von Jherings Werk wie etwa denjenigen von L.Mitteis, Jhering (1905), S. 652ff. oder E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 789ff. noch jeder Hinweis auf einen grundsätzlichen »Umschwung« in Jherings Rechtsdenken, obwohl Jhering selbst einen solchen schon zu Lebzeiten öffentlich gemacht hatte. Stattdessen betonte etwa E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 796f. Jherings schon zu Beginn der fünfziger Jahre bestehenden »scharfen Gegensatz zu der nationalen Rechtsentstehungslehre der historischen Schule« und sprach von »Jherings durchaus unscholastischem Wesen«, das ihn früh dazu geführt habe, immer »die Konstruktion so zu gestalten, daß sie die Bedürfnisse des praktischen Rechtslebens möglichst fördere« [ähnlich auch schon A.Merkel, Jhering (1893), S. 13f., 18f.]. Auch L.Mitteis, Jhering (1892), S. 337 sah »eher noch Jemand den Philosophen Jhering zu bekämpfen wagen, als den Juristen«. Dabei betrachtete er sogar Jherings 1858 publizierte »Darstellung der Rechtstechnik« als »die deutliche Ueberleitung in die teleologische Auffassung, weshalb denn die späteren Theile des Geistes ganz von selbst in den Zweck im Recht übergegangen sind« [L.Mitteis, Jhering (1905), S. 657; anders allerdings schon G.Szászy-Schwarz, Jhering (1884), S. 52f.]. Wie verbreitet diese Auffassung Anfang des 20. Jahrhunderts offenbar noch war, zeigt die – zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits übertriebene – Feststellung von E.Hurwicz, Ihering (1911), S. 44ff., 49ff., dass »kein Teil des rechtsphilosophischen Systems von I h e r i n g unbestrittener dasteht, als seine Theorie der juristischen Technik. Auch seine Gegner erkennen sie an.« Noch Kantorowicz ist in Anknüpfung an diese älteren Deutungen [vgl. E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 789, 825] davon ausgegangen, dass Jhering sogar »z w e i m a l und mit e n t g e g e n g e s e t z t e m Programm als […] Erretter« der Jurisprudenz meinte »auftreten zu müssen«, nämlich einmal Anfang der fünfziger Jahre und das zweite Mal eben nach seiner »Bekehrung« [so H.Kantorowicz, Iherings Bekehrung (1914), Sp. 84 und teilweise ausdrücklich an ihn anknüpfend H.Lange, Wandlungen (1927), S. 4, 69ff., 135; E.Wolf, Rechtsdenker (41963), S. 633, 660; G.Radbruch, Nachlaß (1952), S. 24 sowie später A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 131]. 5 Nicht etwa Philipp Heck, wie C.Mährlein, Volksgeist (2000), S. 143 Fn. 55 mutmaßt. 6 H.Kantorowicz, Iherings Bekehrung (1914), Sp. 84ff. 7 O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 246. 8 Dazu eingehend unten Teil 2, Abschnitt I. 2. c) cc).

Einleitung

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nisses »von einem überkonstruktionistischen Saulus in einen kryptosoziologischen Paulus verwandelte.«9 Aus freirechtlicher Sicht hatte diese Deutung gleich zwei Vorteile. In einer Person schien Jhering nämlich einerseits in seiner ersten Schaffensperiode das zu verkörpern, was die Freirechtsjurisprudenz unter dem – ebenfalls von Jhering entlehnten – Schlagwort der »Begriffsjurisprudenz«10 bekämpfte, als auch in seiner zweiten Schaffensperiode dasjenige zumindest »auf dem halben Wege«11 methodentheoretisch vorbereitet zu haben, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts Vertreter der Freirechtsjurisprudenz als radikale Umkehr in der Methodenpraxis forderten. Die Tatsache, dass Jhering – wie zu zeigen sein wird – niemals die »naturhistorische Methode« als solche verworfen und schon gar nicht einem richterlichen Dezisionismus das Wort geredet, sondern im Gegenteil auch in seiner zweiten Schaffensperiode jede Art von richterlicher Gefühlsjurisprudenz als »bequemste[n] Schlupfwinkel der Parteilichkeit«12 scharf zurückgewiesen hat,13 geriet darüber zum scheinbar vernachlässigenswerten Detail, sofern entsprechende Zusätze zu späteren Auflagen seines Werks über den »Geist des römische Rechts« überhaupt wahrgenommen wurden. Mit der Freirechtsjurisprudenz, deren methodengeschichtliche Andeutungen niemals den Anspruch wissenschaftlicher Unparteilichkeit erhoben, sondern ganz im Dienst des eigenen rechtsquellenpolitischen »Kampf[s] um die Rechtswissenschaft«14 standen, beginnt die lange Zeit, in der »der wirkliche und so lehrreiche Jhering« unter »der Last des Streits um seinen Nachruhm […] ziemlich verschwunden« ist.15 Noch bis in die letzten Jahrzehnte hinein herrschte nicht nur unter Aus9 E.Fuchs, Kulturkampf (1912), S. 44 (Original) / S. 68 (Wiederabdruck). 10 Vgl. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 337, 345–347, wo Jhering auf S. 347 aber auch gleich klarstellte, dass er mit diesem Ausdruck nur die »Verirrung unserer heutigen Jurisprudenz« kritisieren wolle, »welche, den praktischen Endzweck und die Bedingungen der Anwendbarkeit des Rechts außer Acht« lasse. Nicht beabsichtigt war von Jhering hingegen eine Kritik der Tatsache, dass jede »Jurisprudenz […] mit Begriffen« operiere: »juristisches und begriffliches Denken ist gleichbedeutend, in diesem Sinne ist also jede Jurisprudenz Begriffsjurisprudenz, die römische in erster Linie; eben darum braucht der Zusatz [sc. Begriff] nicht erst hinzugefügt werden.« Diese Einschränkung war keinesfalls im Sinne der späteren Freirechtsjurisprudenz. Vgl. zu den unterschiedlichen Bedeutungen des bis heute verwendeten pejorativen Schlagworts »Begriffsjurisprudenz« H.-P.Haferkamp, Begriffsjurisprudenz (2010), S. 80, 87–97. 11 O.Behrends, Freirechtsjurisprudenz (1989), S. 47f. Fn. 42. 12 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 22. 13 Vollkommen zur Recht weist darauf auch J.Rückert, Geist des Rechts II (2005), S. 134 hin. 14 So lautet bekanntlich die berühmte Programmschrift der Freirechtsbewegung von Hermann Kantorowicz, die dieser unter dem Pseudonym »Gnaeus Flavius«, dem Namen des sagenumwobenen Whistleblowers aus dem vierten Jahrhundert vor Christus, im Jahre 1906 veröffentlichte [H.Kantorowicz, Kampf (1906)]. 15 J.Rückert, Geist des Rechts II (2005), S. 127. Vgl. auch schon Ders., Jhering (2003), S. 225f.

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Einleitung

blendung der Kontinuitäten, sondern auch unter Übergehung aller sonstigen Wandlungen die Überzeugung von einer »tiefe[n] Zäsur«16 und Zweiteilung von Jherings Gesamtwerk in eine jeweils sogenannte konstruktionsmethodische Phase der vierziger und fünfziger Jahre und eine zweckmethodische Phase in den folgenden Lebensjahrzehnten Jherings vor.17 Dabei erschien – wiederum unter Anknüpfung an ältere Deutungen18 – Jherings Rechtsbegriff in der zweiten Phase manchem nur noch als Ausdruck des »krassesten Positivismus«19 oder zumindest als »Zerstörung der individualistisch-freiheitlichen Konzeption«20, während die erste Phase seines Rechtsdenkens gemeinhin nur noch als – so Franz Wieacker – Ausdruck »der extremsten Spielart der Begriffsjurisprudenz« wahrgenommen wurde.21 Es war allerdings auch bereits Wieacker, der seine eigene ursprüngliche These »von einem wirklichen Kontingenzbruch in Jherings Lebenswerk« im Jahre 1969 deutlich relativiert hat.22 Im »Widerspruch zum bisher ganz vorherrschenden Ihering-Bild« betonte im Jahre 1976 auch Wolfgang Fikentscher ausdrücklich eine »Einheit der Iheringschen Idee«, wobei er an der nicht unproblematischen Unterscheidung zwischen einer »konstruktionsmethodischen« und einer »zweckmethodischen Phase« aber weiterhin festhielt.23 Seit den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts24 mehren sich die Stimmen, die eine »Kontinuität im Wandel«25 betonen und vor einer allzu schematischen, nur auf das sogenannte Krisenerlebnis zugespitzten Aufteilung von Jherings Gesamtwerk warnen.26 16 K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 25. Vgl. dazu R.Seinecke, Jhering (2013), S. 245 m.w.N. 17 Vgl. etwa F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 450ff.; W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 12 und auch – trotz gewisser Einschränkungen – M.G.Losano, Studien (1984), S. 29f., 56ff., 155. 18 Vgl. dazu O.Behrends, Jhering (1987), S. 232. 19 So beispielsweise K.W.Nörr, Eher Hegel als Kant (1991), S. 37, 41. 20 So W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 221 mit Blick auf Jherings Spätwerk. 21 F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 434. Vgl. dazu auch R.Seinecke, Jhering (2013), S. 240f. m.w. N. 22 F.Wieacker, Jhering (1969), S. 23ff. 23 W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 83, 201ff., 250f., 273ff. 24 Vgl. dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 36 m.w.N. 25 R.Dreier, Jhering (1993/1996), S. 232 m.w.N. 26 Vgl. in diesem Sinne E.Schanze, Culpa (1978), S. 331f.; O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 79ff.; Ders., Jhering (1987), S. 256, 265f.; B.J.Choe, Culpa (1988), S. 4f.; M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 151 m.w.N.; Ders., Lebensbild (1992), S. 17; Ders., Forschungsbericht (1995), S. 141 sowie B.Klemann, Jherings Wandlung (1991), S. 130ff., 142f. [anders noch B.Klemann, Jhering (1989), S. 204f.]; U.Diederichsen, Jhering (1993/ 1996), S. 177 Fn. 12; K.Schmidt, Jhering (1993/1996), S. 203; A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 191 Fn. 37 et passim; C.Mährlein, Volksgeist (2000), S. 142ff.; K.F.Röhl, Rechtslehre (22001), S. 46 und J.Rückert, Geist des Rechts I (2004), S. 135 zu Jherings beiden

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Dagegen hebt Lloredo Alix in seiner 2012 erschienenen Monographie zum Rechtsdenken Jherings wieder eine »wichtige Zäsur zwischen dem ersten und dem zweiten Jhering« hervor.27 Zwar habe bereits der »erste« Jhering eine außergewöhnlich »pragmatische Sichtweise« auf das Recht gehabt.28 Im Gutachten zum »Doppelverkaufs-Fall«, dessen ursprünglich von Jhering gefundene Lösung dem gesunden Menschenverstand widersprochen habe, sei ihm aber die »Unzulänglichkeit der Methode der Historischen Rechtsschule« bewusst geworden.29 Die Bekehrung (»conversijn«), deren erste Anzeichnen Luis M. Lloredo Alix in den seit 1861 anonym erschienenen »Vertraulichen Briefen« Jherings findet, habe diesen »von der juristischen Dogmatik zu einer soziologischen Rechtsphilosophie« geführt.30 Demgegenüber wird die vorliegende Untersuchung methodisch ausgehend

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Hauptwerken, die »viel mehr, als man es meist betont, in konsequenter Kontinuität« ständen. C.Jäde, Pandektenvorlesung (2008), S. 32 betrachtet es inzwischen sogar als »die heute wohl überwiegende Auffassung«, dass »in Jherings Umschwung keine radikale Abkehr von der begriffsjuristischen Methode« zu sehen sei. Ferner jetzt auch R.Seinecke, Jhering (2013), S. 239, 264, 273 der vollkommen zu Recht einerseits darauf hinweist, dass Jhering »in den Folgenauflagen vom ›Geist‹ und sogar in den Anmerkungen zu ›Scherz und Ernst‹ an seiner Konstruktion und Produktion anno 1858 fest[hält]«, und andererseits die »vermeintliche Zweck- und Praxisferne des frühen Jhering« so niemals vorhanden war. L.M.Lloredo Alix, Jhering (2012), S. 319, 328. Der Monographie von Lloredo Alix, der ersten überhaupt seit vielen Jahren zu Jherings Rechtsdenken nach einer zuletzt im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Bereich sehr aktiven Jhering-Forschung, liegt die gleichnamige Dissertation von Lloredo Alix aus dem Jahre 2010 zugrunde, die an der Universität Madrid eingereicht wurde. Das Dissertationsexemplar enthält im Unterschied zur Monographie von 2012 auch ein sehr instruktives Kapitel zur globalen Rezeption von Jherings Rechtsdenken außerhalb Deutschlands in Italien, Frankreich, im angelsächsischen und nordamerikanischen Sprachraum, in Skandinavien, Russland und Spanien sowie in Japan, China, Brasilien und Lateinamerika. In der Tat gibt es – neben Savigny – bis heute kaum einen zweiten deutschsprachigen Rechtsgelehrten, dessen Rechtsdenken eine derartige globale Verbreitung erfahren hat und weiterhin erfährt. Jherings berühmter Vortrag »Der Kampf um das Recht« (1872) wurde zu einem in viele Sprachen übersetzten Bestseller, der noch heute in verschiedenen Teilen der Welt neu herausgegeben bzw. übersetzt wird (z. B. Seoul 1977, 2. Auflage 1991; Tbilisi 2000, Bogot# 2007). Während im Falle von Savigny in den letzten Jahren ein Anfang zur globalen Transfergeschichte gemacht wurde [vgl. J.Rückert/ T.Duve, Savigny international? (2015), dazu C.-E.Mecke, Rückert/Duve-Rezension (2017), ferner S.Meder/C.-E.Mecke, Savigny global (2016)], existiert dagegen eine systematische Untersuchung der globalen Jhering-Rezeption bis heute nicht. Mit seinem leider nicht veröffentlichten Kapitel in der Dissertation von Lloredo Alix betritt dieser somit Neuland. Beim Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main wurde bisher lediglich ein Beitrag von Lloredo Alix zur Jhering-Rezeption in Asien und Lateinamerika online gestellt: Luis Lloredo Alix, From Europe but beyond Europe: The Circulation of Rudolf von Jhering’s Ideas in East Asia and Latin America (July 15, 2016). Max Planck Institute for European Legal History Research Paper Series No. 2016–11. Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=2865719 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.2865719. L.M.Lloredo Alix, Jhering (2012), S. 319. L.M.Lloredo Alix, Jhering (2012), S. 311. L.M.Lloredo Alix, Jhering (2012), S. 323f., 328.

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von einer systematischen Entwicklung von Jherings Denken31 zum Begriff des Rechts sowie zur Methode und Funktion von Rechtswissenschaft gerade auf dem Hintergrund des sich in wesentlichen Punkten unterscheidenden Rechtsdenkens Puchtas nachzuweisen suchen, dass es die eine rechtswissenschaftliche »Methode der Historischen Rechtsschule« entgegen der Auffassung vieler ihrer Gegner gar nicht gab und dass speziell Jhering sich in seinem berühmten Gutachten zum »Doppelverkaufs-Fall« vielmehr seines eigenen formalen Prinzipienrigorismus erstmals kritisch bewusst wurde, mit dem er sich bis 1858 sogar unter Fachkollegen innerhalb der Pandektistik isoliert hatte. Mit diesem Prinzipienrigorismus im Namen einer auf die Idee der formalen Gleichheit reduzierten Gerechtigkeit und mit der damit verbundenen Ablehnung von Billigkeit und aequitas hatte sich der junge Jhering in den 1840er und 1850er Jahren nicht nur von seinen Vorgängern innerhalb der Historischen Rechtsschule wie Savigny oder Puchta, sondern auch von seinen gleichaltrigen Fachkollegen wie Friedrich Mommsen oder Bernhard Windscheid, ja im Grunde von einem bedeutenden Teil der gesamten mit dem römischen Recht überlieferten Rechtstradition in einem für die Rechtsanwendung ganz zentralen Punkt entfernt. Der Schock, der für Jhering ganz persönlich in und nach der Silvesternacht »bei Stearinlicht«32 daraus resultierte, dass er sich in einem realen Rechtsfall33 und nicht wie noch zur Zeit seiner Habilitation 1843/44 in rein theoretischen Abhandlungen34 durch seinen eigenen Prinzipienrigorismus zunächst zu einer 31 L.M.Lloredo Alix, Jhering (2012), S. 24f. wählt diesen Ansatz ausdrücklich nicht, sondern will die These belegen, dass das sich wandelnde Rechtsdenken Jherings Ausdruck unterschiedlicher Varianten des Rechtspositivismus sei. Vgl. zur bereits häufig verhandelten Frage, ob Jhering ein »Rechtspositivist« sei, zuletzt J.Rückert, Jhering (2016), S. 212–220 mit der zutreffenden Beobachtung, dass Jhering im Gegensatz zu seinen unmittelbaren Nachfolgern »immer noch am Scheideweg zwischen mehr empirischer und mehr metaphysischer Rechtsauffassung« stehe (aaO, S. 216). In der Tat können Jherings Auffassungen zu Recht und Staat nicht isoliert von seinem lebenslangen, letztlich religiös begründeten geschichtsphilosophischen Optimismus gesehen werden, wonach Rechte und die ihnen zugrunde liegenden Werte einer zivilisatorischen Fortschrittsentwicklung unterliegen. 32 So Jhering in seinem Brief vom 6. Januar 1859 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 104, S. 307. 33 Vgl. C.-E.Mecke, Jhering’s »Struggle for law« (2017), S. 45 zu diesem auch später für Jherings emotionale und geistige Mobilisierung persönlich wichtigen Aspekt von konkreten Rechtsfällen, in denen sich – noch – reale Personen als Gläubiger und Schuldner gegenüberstanden und ihr Recht fordern. Dazu auch folgende Fußnote mit Jherings eigener Darstellung. 34 Die Bedeutung der richterlichen Praxis hebt Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 338f. selbst als häufigen Auslöser neuer Einsichten hervor: »Aber dann kam der Umschwung. Nicht von innen heraus, sondern durch äußere Anregungen: durch den regen Verkehr mit Praktikern, den ich stets gesucht, gepflegt und mir zunutze gemacht habe, – durch die Anlässe zur eigenen praktischen Tätigkeit, welche die Spruchfakultät und die Aufforderung zur Ausstellung von Rechtsgutachten an mich herantrug, und die mich nicht selten vor der Anwendung von Ansichten, die ich früher verteidigt hatte, zurückschrecken ließen […].«

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Rechtsauffassung genötigt sah, die von der Rechtsfolge her betrachtet fundamental seinen inneren Überzeugungen, kurz seinem Rechtsgefühl35 über eine richtige Entscheidung widersprach,36 mag auch ein Grund für Jherings spätere Inszenierung dieses persönlichen »Umschwung[s]«37 gewesen sein. Auf der anderen Seite wird die vorliegende Untersuchung aber auch zeigen, dass ein Großteil dessen, was Jhering seit 1861 zunächst anonym in den »Vertraulichen Briefen« als Kritik an der zeitgenössischen Pandektistik veröffentlichte, keineswegs erst Ausdruck einer durch einen »Umschwung« veranlassten neuen Überzeugung gewesen ist, sondern vielmehr zusammen mit Carl Friedrich Gerber, dem Mitherausgeber der mit Jhering begründeten »Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts«, bereits Mitte der 1850er Jahre geplant wurde, wie sich mit Jherings Briefen belegen lässt. Noch 1889 mischen sich in dem von Jhering kurz vor seinem Tod noch einmal thesenartig zusammengestellten »Sündenregister« der Begriffsjurisprudenz Kritikpunkte, die tatsächlich Ausdruck von Jherings im Laufe der Jahre gewandelten Rechtsdenken waren, mit anderen Einwänden, die er bereits lange vor seinem sogenannten »Umschwung« gegenüber der Historischen Rechtsschule geltend gemacht hat.38 Erforderlich ist daher gerade im Falle von Jhering eine sehr differenzierte Sichtweise, die etwa bei der Untersuchung seines grundlegenden und von Jhering auch nach 1865 keineswegs aufgegebenen Hauptwerks »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« danach unterscheidet, wo Jhering als Theoretiker universaler Methoden der Rechtswissenschaft argumentierte und wo er als Historiker den Recht und Sitte in altrömischer Recht zugrunde liegenden »Geist« jener Zeit zu rekonstruieren versuchte. Erst dann wird nämlich deutlich, dass Jhering als Rechtshistoriker bereits viel früher die – 35 Vgl. dazu jüngst J.Birr, Jhering’s concept of Rechtsgefühl (2017), S. 6–14. In Vorbereitung ist ihr Dissertationsprojekt »Einzelfall, Rechtswandel und Fortschritt in Rudolf von Jhering’s Lehre vom Rechtsgefühl« (Arbeitstitel). 36 Das zumindest wird man nicht als eine bloße »Erfindung der Epigonen« [J.Rückert, Jhering (2016), S. 200f.] bezeichnen können. 37 Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 338. 38 Auch von daher gesehen kann man mit guten Gründen der Auffassung sein, dass Jhering ungeachtet seiner eigenen späteren Darstellung auch in seinen jungen Jahren nicht mehr Teil der Historischen Rechtsschule war, wie es H.-P.Haferkamp, Historische Rechtsschule (2018), S. 316 in seiner gerade erschienenen Untersuchung zur »Historischen Rechtsschule« in der Tat annimmt. Dagegen ist Jhering sein Leben lang Pandektist geblieben, auch wenn er sich ausweislich seiner Briefe im Laufe der Jahre zunehmend von der Pandektistik innerlich entfremdete und seine eigenen Forschungsschwerpunkte immer stärker, in den letzten zwei Jahren seines Lebens sogar ausschließlich jenseits der Pandektistik suchte. Mit dieser Verschiebung seiner Forschungsinteressen hat Jhering auch in seinen späten Jahren aber nicht die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Rechtsdogmatik überhaupt bestreiten wollen, wie jetzt L.M.Lloredo Alix, Jhering (2012), S. 328 offenbar annimmt.

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vergangene – Rechtswirklichkeit, das dem geltende Recht entgegenstehende »praktische Bedürfniß«, die »Interessen des Lebens«39, die das altrömische Recht zuweilen faktisch konterkarierten,40 im Blick hatte als in seinen jungen Jahren Jhering als Jurist, der zunächst ganz fokussiert war auf die »anatomische« Struktur des Rechts, die »juristische Technik«. Diese galt ihm als Ausweis des gegen Kirchmann und andere zu verteidigenden Anspruchs der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz41 und als – angeblicher – Garant der vom jungen Jhering noch auf die Gleichbehandlung verengten Gerechtigkeit bei der Rechtsanwendung. Eine Zweiteilung von Jherings Rechtsdenken in dasjenige eines »ersten« und eines »zweiten« Jhering lässt sich damit nicht in Übereinstimmung bringen. Zumindest würde diese zu einer unangemessen starken Vereinfachung von Jherings Positionen sowohl im Früh- als auch im Spätwerk führen. So war zum Beispiel Jherings Kritik an der Romantik der Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule nicht etwa erst Ausdruck späterer Einsicht.42 Umgekehrt konnte Jhering, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten, auch noch 1872 in seinem berühmten Vortrag über den »Kampf um’s Recht« ein mit der Zweitei-

39 Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 487, 489. 40 R.Seinecke, Methode (22012), S. 128, 135 sieht darin einen »Widerspruch von anatomischer und physiologischer Betrachtung des Rechts«, den Jhering nicht löse. Tatsächlich aber konnte und wollte Jhering diesen »Widerspruch« als Rechtshistoriker auch gar nicht lösen. War diese Spannung zwischen rechtlicher Form und tatsächlicher Praxis doch in Wahrheit Ausdruck der jeweils unterschiedlichen Sichtweise auf das vergangene Recht, nämlich einerseits aus rein rechtlicher Sicht auf das damals geltende Recht und andererseits aus historischer Sicht auf die auch durch nichtrechtliche Normen und Ursachen bedingte damalige Rechtswirklichkeit. Vgl. dazu im Zusammenhang mit dem für Jhering nicht nur an dieser Stelle wichtigen Topos der Augen-Metapher C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 25f. sowie unten S. 142f. Fn. 633. 41 Denselben Anspruch der Ebenbürtigkeit der Rechtswissenschaft mit den anderen Wissenschaft hatte eine Generation vorher auch schon Puchta, der die Jurisprudenz herausgefordert sah durch absprechende Urteile von Vertretern der Philosophie des Deutschen Idealismus, insbesondere Hegels. Dagegen richtete Puchta seinen Versuch, die wissenschaftliche Ebenbürtigkeit der Jurisprudenz mit der Philosophie nachzuweisen, ohne dabei aber aus der Jurisprudenz eine Philosophie zu machen [C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 644–665]. Puchtas Nachweis musste aufgrund der zu seiner Zeit anderen Gegner aber ganz anders ausfallen als derjenige von Jhering, der die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz nicht mehr durch die zeitgenössische Philosophie, sondern durch die zeitgenössischen Naturwissenschaften infrage gestellt sah. 42 Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219: »[…] so droht uns die Gefahr […] die wirklichen Flächen und Niederungen in der Geschichte des Staats zu übersehen, […] der Frage nach dem Werden des Staats und des Rechts lieber gänzlich auszuweichen und beide für gewissermaßen auf übernatürliche Weise von Gott fertig in die Welt gesetzte Institutionen zu erklären, als zuzugeben, dass sie in prosaischer Weise durch Menschenhand gemacht sind. Der Romantik unserer heutigen historischen Ansicht könnte ein Zusatz von etwas derber Prosa gar nicht schaden […].«

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lung seines Rechtsdenkens kaum zu vereinbarendes Zugeständnis an die Historische Rechtsschule machen, wenn er sagt: »Es muss zugegeben werden, dass auch das Recht ganz wie die Sprache oder Kunst eine ungestörte, nennen wir sie mit dem hergebrachten Ausdruck: organische Entwicklung von Innen heraus kennt.«43

Das Rechtsdenken Jherings war gerade auch in seinen Wandlungen vielschichtiger, als viele seine Interpreten glauben wollten. Gleichzeitig muss man im Lichte nüchterner Betrachtung von Jherings Texten so, »wie sie aus sich heraus zu verstehen sind«, die Möglichkeit in Rechnung stellen, dass er nicht immer, insbesondere nicht bei seiner späteren Abrechnung mit der erstmals von ihm selbst polemisch so bezeichneten »Begriffsjurisprudenz«, »der berufene Interpret seiner eigenen Frühschriften« war, wie Maximilian Herberger bereits im Jahre 1981 zu bedenken gegeben hat.44 Gerade der von Jhering im Jahre 1884 in die Methodendiskussion eingeführte Ausdruck »Begriffsjurisprudenz«45, der im Gegensatz zu späteren programmatischen Bezeichnungen in der Methodengeschichte wie »Freirechtsschule«, »Interessenjurisprudenz« oder »Wertungsjurisprudenz« von Anfang an ein pejorative Sammelbezeichnung für alles dasjenige war,46 was der jeweilige Verwender dieses Ausdrucks nicht für richtig hielt, »hat viel Verwirrung gestiftet«47. Im Übrigen bedarf es selbst da eines genaueren Blicks, wo der junge Jhering noch in scheinbar vollkommener Übereinstimmung mit Savigny oder Puchta von der »Individualität des Volkes« als dem »Herz des Rechtsorganismus«48, von dem »Walten des römischen Volksgeistes«49 oder von einer »Entfaltung« des römischen Geistes »auf natürlichem Wege von innen heraus« spricht50. Die folgende Untersuchung wird am Begriff des Volksgeists bzw. des Geists des Volks und der Zeit, wie es der junge Jhering häufiger ausdrückte, zeigen, dass selbst der Gebrauch gleicher oder ähnlicher Worte noch kein hinreichender Beleg für eine 43 44 45 46

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Jhering, Kampf (1872), S. 13. M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 410. Vgl. die Nachweise oben Fn. 10. Vgl. H.-P.Haferkamp, Puchta (2004), S. 1–112 am Beispiel des Puchta-Bildes zum schillernden Schlagwort der »Begriffsjurisprudenz« im 19. und 20. Jahrhundert, das zumeist nur die Aufgabe hatte, als negative Folie für die Darstellung der eigenen methodentheoretischen Auffassungen zu dienen. R.Seinecke, Jhering (2013), S. 239. So Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 34. Sogar noch in Schuldmoment (1867), S. 157 bezeichnete Jhering die »Individualität des Volks« als die »Seele« des »Rechtsorganismus«. Vgl. dazu aber eingehend den folgenden Abschnitt I. 1. sowie ferner auch S. 110 Fn. 466. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 293f. Allerdings wollte Jhering damit – wie er an gleicher Stelle selbst betonte – nicht »den großen Antheil, den die Reflexion, Absichtlichkeit u.s.w.« in der römischen Rechtsgeschichte habe, leugnen (aaO, S. 294 Fn. 224a). So Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 312.

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Übereinstimmung auch im Denken bedeutet. Jherings damalige nur im jeweiligen Kontext angemessen zu beurteilende Formulierungen dürfen nicht den Blick dafür verstellen, dass sich der Standpunkt des jungen Jhering schon zu Beginn der 1840er Jahre deutlich mehr als nur in Nuancen51 von der Volksgeistlehre Savignys und Puchtas entfernt hat. Bereits in ganz frühen Jahren hat Jhering eigenständige Positionen entwickelt, wenn er etwa die pauschale Bekämpfung des Hegelianismus durch die Historische Rechtsschule als »Einseitigkeit«52 ablehnte und im Anschluss an den Hegelianer Eduard Gans53 sogar ausdrücklich »g[e]g[en] die histor.[ische] Schule.– Savigny« eine »Universalrechtsgeschichte«54 ausarbeitete, oder aber, wenn er mit Ablehnung der normativen Volksgeistlehre vom »idealen Volk«55 und der damit verbundenen Rechtsquellenlehre der Historischen Rechtsschule im Hinblick auf das Verhältnis von Gewohnheitsrecht und Gesetzesrecht eine besonders von Puchta

51 Anders B.Klemann, Jhering (1989), S. 122. Dazu schon kritisch A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 192 Fn. 42, S. 208 Fn. 88. Dagegen soll auch nach O.Behrends, Jhering (1987), S. 235 Jhering erst 1866 in der zweiten Auflage zu Geist I die Volksgeistlehre Savignys verworfen haben. Nach O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 152f. hat Jhering sogar bis zu seinem Lebensende »an der Lehre von der unbewußten Entstehung des Rechts festgehalten« und ist damit »in einem entscheidenden Punkt den Grundlehren der Historischen Rechtsschule treu geblieben.« 52 Diesen Ausdruck verwendet Jhering in einer anonym veröffentlichten Artikelfolge, die in der in Berlin herausgegebenen »Literarischen Zeitung« (im Folgenden zitiert: LZ), Jg. 1844, Nr. 26, Sp. 407 erschien. Den letzten Beweis der Verfasserschaft Jherings für diese Artikelfolge lieferte M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 152 Fn. 15 durch die Auffindung einer Honorarabrechung in dem in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen befindlichen Nachlass Jherings (Kasten 9:1; kleines braunes Notizbuch). 53 Zum – auch persönlich – gespannten Verhältnis von Savigny und Puchta zu Gans J.Braun, Besitzrechtsstreit (1981), S. 457ff.; A.Stoll, Savigny-Briefe II (1929), S. 185ff., 402ff. (Nr. 429–431); F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 413. Auch Jhering hat den Hegelianischen Kern in Gans Universalrechtsgeschichte, die geschichtsphilosophische Konstruktion aufgrund der Annahme einer der Geschichte vorausliegenden »logisch« notwendigen Begriffsdialektik immer scharf abgelehnt [vgl. Jherings Brief an Gerber vom 28. Oktober 1853, in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 28, S. 86; B.J.Choe, Culpa (1988), S. 135 m.w.N.]. Das hinderte ihn aber nicht daran, wesentliche Kritikpunkte der Hegelschen Schule an der Historischen Rechtsschule in seine eigene Kritik aufzunehmen. Dabei ging Jhering im Gegensatz zu Savigny und Puchta [vgl. zu letzterem C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 663 Fn. 3330] ausdrücklich davon aus, dass beide Schulen, die philosophische Schule Hegels und die Historische Rechtsschule, unter einem gemeinsamen »Losungswort« ständen (vgl. unten S. 103 Fn. 431). 54 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 29, Bl. 54v. M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 151–186 hat das umfangreiche und nicht zuletzt wegen der teilweise nur schlecht entzifferbaren Handschrift Jherings nicht leicht zugängliche Manuskriptfragment im genannten Aufsatz erstmals öffentlich vorgestellt und will es in der von ihm geplanten Jhering-Biographie veröffentlichen (aaO, S. 153 Fn. 21). Er datiert den Beginn seiner Entstehungszeit auf die Jahre 1843/44 (aaO, S. 155). 55 Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 177.

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bekämpfte und sowohl rechtstheoretisch als auch politisch relevante Position der »Germanisten«56 übernahm. Wenn auch inzwischen die These von der »Kontinuität im Wandel« als Charakterisierung von Jherings Rechts- und Wissenschaftsdenken immer mehr Anhänger findet, so ist doch bis heute nicht der Versuch unternommen owrden, sowohl die Kontinuität als auch den Wandel, der weder mit dem sogenannten Damaskus-Erlebnis von 1858 beginnt noch mit ihm endet, systematisch anhand von Jherings Schriften, insbesondere auch an den späteren Auflagen seines ersten Hauptwerks zu untersuchen. Eine differenzierte Antwort auf die Frage nach Wandel und Kontinuität wird allerdings dadurch erschwert, dass Jherings zeitlebens fast unerschöpflicher Ideenreichtum und seine wissenschaftliche Neugierde ihn zu immer neuen Fragestellungen forttrieben, am Ende seines Lebens sogar weit über den Bereich des Rechts hinaus, so dass er kaum Zeit fand, Wandel und Kontinuität seiner Auffassungen zu früheren Fragestellungen selbst angemessen deutlich zu machen. Das gilt insbesondere für seine in den Jahren 1855/56 ausgearbeitete Theorie der juristischen Technik, deren viel zitierte konzentrierte Darlegung sich im Jahr 1856, nicht wie bis heute gemeinhin angenommen 1857, erschienenen Programmaufsatz »Unsere Aufgabe« zu seinen mit Carl Friedrich von Gerber herausgegebenen »Jahrbücher[n] für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts«57 sowie im 1858 erschienenen dritten Band seines »Geist[s] des römischen Rechts«58 findet. Den Programmaufsatz hat Jhering selbst in leicht überarbeiteter Form in dem 1881 erschienenen ersten Band seiner »Gesammelten Aufsätz«59 ein zweites Mal veröffentlicht, der dritte Band seines »Geist[s] des römischen Rechts« mit den Passagen zur juristischen Technik wurde zu Jherings Lebzeiten in den Jahren 1869, 1875 und 1883 noch dreimal aufgelegt. Es ist zwar keineswegs so, dass Jhering sich in den späteren Auflagen seines ersten Hauptwerks nur auf Textänderungen in stilistischer Hinsicht beschränkte. Aber er hat sich auch ausweislich brieflicher Äußerungen bei substantiellen Eingriffen in den Text zumeist auf das unabweisbar Notwendige im 56 C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 294 Fn. 1443. 57 Jhering, Unsere Aufgabe, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, hrsg. von C.F.von Gerber und R.Jhering, Nr. I in Heft 1 (April 1856), Erster Band (3 Hefte), Jena 1857, S. 1–52. Das im April 1856 erschienene erste Heft der Jahrbücher mit dem berühmten Programmaufsatz von Jhering wurde mit den beiden später erschienenen Heften zusammengebunden und als erster Band der Jahrbücher veröffentlicht. Vgl. auch unten S. 104 Fn. 436). 58 Jhering, Geist II/2 (11858), §§ 38–41, S. 334–414. 59 Jhering, Unsere Aufgabe, in: Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 1. Abhandlungen aus den vier ersten Bänden der Jahrbücher, Neudruck der Ausgabe Jena 1881, Aalen 1969, S. 1–46.

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Lichte seiner gewandelten Auffassungen beschränkt. Umso wichtiger sind diese Modifikationen des Textes in späteren Auflagen vor allem seines ersten Hauptwerks »Geist[s] des römischen Rechts«, das Jhering ausweislich seines wissenschaftlichen Nachlasses und seiner Briefe in unterschiedlicher Intensität fast sein gesamtes wissenschaftliches Leben beschäftigt hat von dessen ursprünglichen Konzeption Anfang der 1840er Jahre60 bis zum Jahre 188961, also bis zwei Jahre vor seinem Tod. Passagen aus der ersten Auflage der bis 1858 erschienenen Bände seines »Geist[s] des römischen Rechts«, die im Gegensatz zu seinen gewandelten Auffassungen standen, wurden in späteren Auflagen stillschweigend gestrichen. Zusätze beschränken sich in der Regel auf kurze Einschübe von Sätzen, manchmal nur ganz gezielt von einzelnen Worten im Text. Selbst gewichtige Modifikationen, die eigentlich eine vollständige Neubearbeitung des Abschnitts verlangt hätten, sind in veränderten oder neu hinzugesetzten Fußnoten versteckt.62 Es gibt zwar in den späteren Auflagen des »Geist[s] des römischen Rechts« auch komplette inhaltliche Neubearbeitungen ganzer Abschnitte, etwa den 1865 vollständig neu geschriebenen und sogar vorab gesondert edierten Einleitungsparagraphen63 oder in der 1874 erschienenen dritten Auflage zum zweiten Band den Abschnitt zur »Selbständigkeit des Rechts in formaler und materieller Beziehung«64 sowie zur Neubestimmung des Verhältnisses von »Individualprinzip« und »Gemeinschaftsprinzip«65. Das sind aber die Ausnahmen.66 Vor allem hat Jherings Theorie der juristischen Technik nach dessen (Wieder-)Entdeckung der »substantielle[n] Idee der Gerechtigkeit und Sittlichkeit« als »Höheres und Höchstes«67 und deren Bedeutung für die richterliche Entscheidung, keine grundlegende Neubearbeitung erfahren, die den veränderten Stellenwert der von Jhering im Übrigen nie verworfenen naturhistorischen Methode und deren veränderte Funktion bei der Rechtfindung auch auf theoretischer Ebene geklärt hätte. Welche Textänderungen Jhering in späteren Auflagen tatsächlich vorgenommen hat und inwieweit diese Änderungen auch tatsächlich Ausdruck gewandelter Auffassungen waren oder aber umgekehrt – auch das gibt es – Auffassungen aus seiner Frühzeit bekräftigten, erschließt sich dem Leser nur durch einen systematischen und genauen Text-

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C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 148f. Vgl. unten Fn. 73. Vgl. nur Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345 Fn. 506a. C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 164 Fn. 485; S. 168. Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 19–27. Dazu eingehend Teil 2, Abschnitt I. 3. b) aa). C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 166 Fn. 499. Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345 Fn. 506a. Dazu eingehend Teil 2, Abschnitt I. 2. c) dd).

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vergleich der unterschiedlichen Auflagen. Ein solcher Textvergleich liegt der hier vorgelegten Untersuchung durchgängig zugrunde.68 Wir wissen aus Jherings Briefen, dass er in den späteren Auflagen seines ersten Hauptwerks zum »Geist des römischen Rechts« gezielt gestrichen hat, was nicht mehr seinen veränderten Auffassungen entsprach, oder umgekehrt hinzugesetzt hat, was Ausdruck neuer Einsichten war. Seltener hat er ganze Abschnitte neu formliert, und zwar selbst da nicht, wo man es hätte erwarten können wie zum Beispiel bei den Abschnitten zur Theorie der juristischen Technik nach seiner rechtsmethodologischen Wende. Dies hatte nicht nur zeitökonomische Gründe, sondern hängt auch damit zusammen, dass sich seine Interessenschwerpunkte im Laufe seines Lebens gemessen an einem typischen Wissenschaftlerleben seiner Zeit ungewöhnlich stark veränderten. Stand in den 1850er Jahren noch ganz entsprechend den damaligen Diskussionen die juristische Methodenfrage im Vordergrund,69 so war es seit den 1870er Jahren die frühsoziologische Fragestellung nach der gesellschaftlichen Genese von Normen und eben nicht nur von Rechtsnormen einschließlich der schwierigen normtheoretischen Frage nach der Abgrenzung von rechtlichen und nichtrechtlichen Normen. Das wissenschaftliche Arbeitsfeld erweiterte sich erheblich auf Bereiche, die schon in Jherings Zeit die heute viel enger gesetzten Grenzen der eigenen Fachdisziplin überstiegen. Für eine grundsätzliche Überarbeitung seiner methodentheoretischen Überlegungen aus den 1850er Jahren fehlte daher nicht nur ausreichend Zeit, sondern häufig vermutlich auch eine hinreichende Motivation, zumal Jhering – wie seine briefliche Äußerungen, vor allem aber die Unterlagen aus seinem riesigen bis heute nicht systematisch ausgewerteten Nachlass nahelegen – neben sein neuen Arbeiten fast bis zu seinem Tod im Jahre 1892 auch sein erstes unvollendetes Hauptwerk über den »Geist des römischen Rechts« in bis zur Reinschrift reichenden Ausarbeitungen weiterführte70. Endeten doch die bis 1865 erschienenen vier Bände zum historischen »Geist des römischen Rechts«, der in Jherings Verständnis in Wahrheit nicht ein Geist war, sondern entsprechend den von Jhering innerhalb der römischen Rechtsgeschichte des Altertums unterschiedenen drei historischen »Systemen« ein nach drei entwicklungsgeschichtlichen »Stufen« zu unterscheidender »Geist des römischen Rechts«71, noch weit vor der für die gesamte Rechtswissenschaft maßgeblichen 68 Zitiert wird in dieser Untersuchung daher immer aus derjenigen Auflage von Jherings Werk, in der die zitierten Worte zum ersten Mal nachweisbar sind. Im Falle von Änderungen oder Streichungen in späteren Auflagen wird dies ebenfalls durchgehend ausgewiesen. 69 C.-E.Mecke, Objektivität (2008), S. 160 sowie jüngst H.-P.Haferkamp, Historische Rechtsschule (2018), S. 257f. jeweils mit weiteren Nachweisen. 70 Vgl. dazu die Erläuterungen im Verzeichnis der nicht veröffentlichten Schriften Jherings sowie C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 151–154. 71 Vgl. dazu hier Teil 1, Abschnitt I. 1 b) bb) zum »Geist der Zeit« als Faktor der Rechtsbildung

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Epoche des klassischen römischen Rechts.72 Jhering hat dieses Werk entgegen verbreiteter Vorstellung noch bis wenige Jahre vor seinem Tod neben seinem zweiten ebenfalls unvollendeten Hauptwerk über den »Zweck im Recht« zum Abschluss bringen wollen.73 Kontinuität und Wandel in Jherings Rechtsdenken wird man daher nur dann angemessen erfassen können, wenn man es unter Einbeziehung aller zugänglichen Quellen, und zwar sowohl seiner seit den 1840er Jahren publizierten als auch seiner im Nachlass überlieferten, zeitlich datierbaren Schriften, ferner im Falle der in mehrfachen Auflagen erschienenen Hauptwerke unter Berücksichtigung der vor allem im »Geist des römischen Rechts«, teilweise aber auch im »Zweck im Recht« zu unterscheidenden Textschichten sowie seiner für die Genese neuer Gedanken sehr aufschlussreichen Briefwechsel nachverfolgt und es in seinen wissenschaftsgeschichtlichen, gelegentlich auch politischen Kontext stellt. Dieser Versuch soll im Folgenden unternommen werden. Leitend ist dabei die Frage nach Jherings Begriff des Rechts und zwar im weiteren die Frage nach der Rechtsgeltung einschließenden Sinne.74 Die Untersuchung umfasst zwei Teile, nämlich einen ersten Teil zu den von Jhering angenommenen Voraussetzungen für die Geltung von Recht und einen zweiten Teil zu den Jherings Begriff Rechts zugrunde liegenden inhaltlichen Prinzipien und den sich daraus ergebenden Folgerungen für die Methode der Rechtswissenschaft. Bei der im Teil 1 zu klärenden Frage nach den Geltungsvoraussetzungen des Rechts ist zunächst mit dem »Volksgeist« eine noch bei Puchta, Jherings unmittelbarem Vorgänger und Lehrer, zentrale Geltungsvoraussetzung zu nennen, die Jhering bereits in den 1850er Jahren nicht mehr als eine vorgeschichtliche Voraussetzung für die Geltung von Recht,75 sondern als geschichtliches Ergebnis der Rechtsbildung einer bestimmten Zeit auffasst (Teil 1, Abschnitt I. 1). Unmittelbar daraus folgt eine im Vergleich zur Historischen Rechtsschule76 neue

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sowie im kurzen Überblick C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 150–154 zur ebenfalls nicht ohne Brüche verlaufenen werkgeschichtlichen Genese der – nur teilweise verwirklichten – entwicklungsgeschichtlichen Gesamtkonzeption von Jherings erstem Hauptwerk. C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 151. Vgl. dazu eingehend im Quellenverzeichnis am Schluss dieser Untersuchung meine Erläuterungen zum reinschriftlichen Manuskriptfragment der ersten Paragraphen aus der nicht mehr veröffentlichten zweiten Abteilung des dritten Bandes vom »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung«. Vgl. R.Dreier, Begriff (1986), S. 99f. zum Verhältnis zwischen dem semantischen Begriff des Rechts, »der den Gegenstandsbereich Recht überhaupt definiert«, und dem auch hier zugrunde gelegten Begriff des Rechts, bei dem »Aussagen über die Rechtsgeltung Aussagen über den Begriff des Rechts einschließen und umgekehrt.« Vgl. zur normativen Volksgeistlehre Puchtas, der den »Volksgeist« noch als eine »dunkle« für den Historiker nicht zugängliche »Werkstätte« bezeichnet hatte, eingehend C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 145–186 (149–151). Nach der Historischen Rechtsschule hatte die Untersuchung der Geschichte des Rechts »eben

Einleitung

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Bestimmung des Verhältnisses zwischen Geschichte und Dogmatik des Rechts. Bereits in den 1840er Jahren fordert Jhering eine »unhistorische Dogmatik« des geltenden Rechts auf der einen Seite und – noch vor der Behauptung der wissenschaftlichen »Produktivität« der Rechtsdogmatik in den 1850er Jahren – eine von der juristischen Geltungsfrage entlastete wissenschaftlich freie und »produktive Rechtsgeschichte« (Teil 1, Abschnitt I. 2). In Weiterführung der Trennung von »produktiver« Rechtsdogmatik und »produktiver« Rechtsgeschichte verwendet Jhering als Rechtsdogmatiker und Rechtshistoriker einen jeweils unterschiedlichen Begriff des Rechts, nämlich einerseits den auf der »juristischen Gültigkeit« beruhenden Begriff des positiven Rechts und andererseits den damit keineswegs deckungsgleichen Begriff des historisch »thatsächlichen« Rechts, dessen Feststellung allein von der in der Geschichte feststellbaren sozialen Wirkung von Rechtsnormen und anderen Sozialnormen beruht (Teil 1, Abschnitt II.). In der Rechtsquellenlehre kennt Jhering zunächst wie die Historische Rechtsschule mit dem Gewohnheitsrecht, der Gesetzgebung und der Rechtswissenschaft drei Rechtsquellen. Da aber schon der junge Jhering die Lehre der Historischen Rechtsschule vom doppelten Gewohnheitsrecht77 ablehnt, kommt der Gesetzgebung und der Rechtswissenschaft die maßgebliche Bedeutung zu. Die Rechtswissenschaft, deren Rechtsquellenfunktion Jhering in den 1850er Jahren schrittweise anders begründet als die Historischen Rechtsschule [Teil 1, Abschnitt III, 2. a)], wird durch seine wissenschaftskritische Wende nach 1858 zu einer nur noch rein wissenschaftlichen, aber nicht mehr unmittelbare juristische Geltung beanspruchenden Rechtsinhaltsquelle zurückgestuft [Teil 1, Abschnitt III. 2. b)]. Rechtsinhaltlich kennt Jhering nach der Absage an zeitweise herkömmliche naturrechtliche Vorstellungen seit den 1850er Jahren nur noch zwei universale Prinzipien, die Einfluss auf die Inhalte des Rechts haben, nämlich die Prinzipien der Gleichheit als Voraussetzung für Recht an sich und die Freiheit des Einzelnen als zusätzliche Voraussetzung für jedes Privatrecht. Diese Prinzipien, die beide zwischen 1850 und 1880 nicht unwesentlichen Modifikationen unterliegen, treten nach Jhering zwar als historische »Grundtriebe« nacheinander auf, bestimmen aber über alle historischen Veränderungen des Rechts hinweg den Begriff des Rechts (Teil 2, Abschnitt I. 1.–3.). Durch die Reduzierung des universalen Geltungsanspruchs auf die zwei vorbezeichneten Prinzipien der Gleichheit und Freiheit wird das inhaltliche System des Rechts, dessen fünf oberste Grundbegriffe Puchta noch als ewige wissenschaftliche Wahrheit betrachtet hatte,78 zu einem geschichtlich veränderbaren System. Daher tritt um so sehr« (Puchta) mit der Untersuchung des im 19. Jahrhundert geltenden Rechts zu tun [C.E.Mecke, Begriff (2009), S. 82 Fn. 290, S. 231, 804 Fn. 4004]. 77 C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 286–313, 392–412. 78 C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 697–700.

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Einleitung

1850 an die Stelle des Systems nicht nur bei Jhering die juristische Methode als einziger objektiver Garant für die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz (Teil 2, Abschnitt II. 1.). Nicht für die Methode, sondern nur für die Theorie zu der von Jhering lebenslang als universal betrachteten Methode der römischen Juristen beansprucht Jhering die Urheberschaft. In dieser Theorie leitet er aus der juristischen Methode einerseits eine nicht anwendungsbezogene Strukturtheorie des Rechts im Sinn rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung ab [Teil 2, Abschnitt II. 2. a)], andererseits eine der Rechtsgewinnung [Abschnitt II. 2. b) aa)] dienende Theorie der »juristischen Construction« der Rechtssätze aus der »objektiven« Perspektive der Rechtswissenschaft [Teil 2, Abschnitt II. 2. b) bb)] sowie der »juristischen Construction« der Rechtsfälle aus der »subjektiven« Perspektive des Richters [Teil 2, Abschnitt II. 2. b) cc)]. Den Abschluss der Arbeit bildet eine nach Abschnitten unterteilte thesenförmige Zusammenfassung.

Teil 1: Jherings Bestimmung der Geltungsvoraussetzungen für das Recht

I.

Die Ablösung des Volksgeists als Geltungsgrundlage des positiven Rechts

1.

Vom »Volksgeist« zum »Geist des Volks und der Zeit«

»Die herrschende Savigny-Puchta’sche Theorie von der Entstehung des Rechts« aus dem Volksgeist, das »ist die Anschauung […], mit der ich selber seiner Zeit die Universität verlassen, und unter deren Einfluss ich noch viele Jahre hindurch gestanden habe«, bekannte Jhering im Jahre 187279. Umso auffälliger ist es, dass sich bereits in Jherings Mitte der vierziger Jahre verfassten Frühschriften der für die Historische Rechtsschule grundlegende Ausdruck »Volksgeist« zur Bezeichnung der »Quelle des Rechts« praktisch nicht mehr findet80. Auch in dem seit 1852 erscheinenden Werk »Geist des römischen Rechts« ist vom »Volksgeist« nur ganz selten81 und vor allem nicht als Geltungsgrund des Rechts die Rede82. Dagegen bildete hier der sich in der römischen Geschichte wandelnde »Geist des

79 Jhering, Kampf (1872), S. 12f. 80 Lediglich in Hist. Schule (1844), Sp. 199 sprach Jhering im Zusammenhang mit seiner – allerdings zustimmenden – Wiedergabe der Ansichten Savignys einmal ausdrücklich vom »Volksgeist«. In eigenen Formulierungen in veröffentlichten und – soweit datierbar – unveröffentlichten Schriften der vierziger Jahre verwendete Jhering zwar den bis an sein Lebensende nicht aufgegebenen Ausdruck »Volksindividualität«. Der Ausdruck »Volksgeist« fehlte hingegen. 81 So sprach Jhering etwa in Geist I (11852), § 20, S. 293f. vom »Walten des römischen Volksgeistes« bzw. auch »Nationalgeistes«, dies allerdings nicht in einem rechtsquellentheoretischen Kontext, sondern zur Bezeichnung der im römischen Volk des Altertums angeblich kollektiv verbreiteten besonderen »Eigenschaften des römischen Charakters, wie […] Tapferkeit, Vaterlandsliebe, Religiösität, […] Achtung vor dem Gesetz u.s.w.« [Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 293f.]. Ebenso noch Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 317 zum Volksgeist als Ausdruck der angeblichen geschichtlichen »nationalen Sinnesweise«. 82 Insoweit jüngst auch C.Mährlein, Volksgeist (2000), S. 140. Ganz unverständlich sind allerdings Mährleins Folgerungen, dass Jhering »das Recht zu einer freischwebenden Einrichtung ohne nationalen Bezug« gemacht habe und so sein »Volksgeistdenken […] zu einer formalen Rechtfertigung der Begriffsjurisprudenz und damit zu einem Absurdum« geworden sei (aaO). Dies wird nicht gerade verständlicher, wenn Mährlein, aaO, S. 143, 145f. einige Seiten später Jhering »ideologisch in der Volksgeisttradition« Puchtas stehen sieht.

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Die Ablösung des Volksgeists als Geltungsgrundlage des positiven Rechts

Rechts«, nämlich der jeweilige »Geist des Volks und der Geist der Zeit«83, den Hauptgegenstand von Jherings Untersuchung. Um zu klären, ob es sich bei dieser gleichberechtigten Nennung von Volks- und Zeitgeist lediglich um eine Eigentümlichkeit rein terminologischer Art oder aber bereits um den Ausdruck einer sachlichen Modifikation der normativen Volksgeistlehre Savignys und Puchtas handelte, soll im Folgenden untersucht werden, inwieweit einerseits die damals »herrschende Savignysche-Puchta’sche Theorie von der Entstehung des Rechts«84 und andererseits Jherings aus den vierziger und fünfziger Jahren stammende Aussagen zu der Entstehung des Volks [dazu a)] sowie zu dessen Bedeutung für die Bildung und Entwicklung des nationalen Rechts [dazu b)] tatsächlich übereinstimmten.

a)

Jherings Begriff des Volks

Jhering hat in einem 1844 anonym veröffentlichten Aufsatz die »Grundansicht von Savigny, daß das Recht als ein Product des Volksgeistes aufzufassen sei, und nicht als ein Werk freier Reflexion«, als eine bleibende »Wahrheit« bezeichnet85. Konkret lag diese Wahrheit für Jhering zum einen in der Einsicht, dass entgegen den ahistorischen Vorstellungen des rationalistischen Naturrechts kein Gesetzgeber die jeweils unterschiedlichen »historischen Voraussetzungen ungestraft ignorieren« könne86, und zum anderen in der »Hervorhebung der Individualität und Nationalität des Rechts« durch die Historische Rechtsschule87. Beides gehörte ohne Zweifel zu den Grundüberzeugungen Savignys und Puchtas. Allein so verstanden würde Jhering auch in seiner Spätzeit die Volksgeistlehre nicht abgelehnt oder auch nur modifiziert haben88. Denn natürlich sollte auch nach Ansicht des späten Jhering der Gesetzgeber nicht ohne BerücksichJhering, Geist I (11852), § 3, S. 34; § 4, S. 50. Jhering, Kampf (1872), S. 12. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 199. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 567. Soweit das Naturrecht »der Geschichte den Rücken drehte«, sah Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 11f. auch später »die Opposition, welche die »geschichtliche Richtung« dagegen erhob, [sc. als] vollkommen berechtigt«, eben als »Wahrheit« an. Dazu gehöre auch, dass eine »totale Reform des bisherigen Zustandes« nach dem »Gesetz der historischen Entwicklung« jeweils »allmählig vorbereitet gewesen sein« müsse [Jhering, Geist II/2 (11858), § 42, S. 431]. 87 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 199. 88 Selbst Karl Bergbohm, Ende des 19. Jahrhunderts einer der schärfsten Kritiker der Historischen Rechtsschule, lobte es als ein »nicht hoch genug zu schätzendes Axiom« der Historischen Rechtsschule, dass sie verlangt habe, das »Recht in seiner geschichtlichen K o n t i n u i t ä t als Produkt gleichfalls in beständiger Entwicklung sich befindlicher Ursachen« aufzufassen [K.Bergbohm, Jurisprudenz (1892), S. 535 Fn. 1]. Damit drückte Bergbohm eine im gesamten 19. Jahrhundert allgemein geteilte Auffassung aus.

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Vom »Volksgeist« zum »Geist des Volks und der Zeit«

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tigung des historisch Gegebenen und ohne Vorbereitung durch das »öffentliche Urtheil«89 Reformen durchsetzen. Auch die Vorstellung von der Volksindividualität war zwar eine wichtige Grundlage, nicht aber schon das Spezifische der Volksgeistlehre Puchtas und Savignys90. So konnte Jhering beispielsweise auch dann noch, als er die Rechtsentstehungslehre Savignys und Puchtas bereits in aller Form als nicht nur theoretisch falsch, sondern vor allem auch gefährlich im Hinblick auf ihre »politische Maxime« zurückgewiesen hatte91, weiterhin festhalten an der Vorstellung von der Individualität des Volkes, die sich in einem »die Gestaltung und Entwicklung des Rechts« bestimmenden »nationalen Rechtsgefühl« äußere92. Kern der Volksgeistlehre Savignys und Puchtas war vielmehr das Verständnis des Volkes als eines »Naturganzen«, eines »idealen Volkes«, das »die ganze Zukunft in sich schließt, also ein unvergängliches Daseyn hat« und daher auch nicht mit der »Gesammtheit aller in einem Staate gleichzeitig lebenden Individuen« gleichgesetzt werden könne93. Genau dies tat aber Jhering, der unter »Volk« eine »Gemeinschaft von Individuen« verstand94. Schon in einer vermutlich noch in seiner Berliner Studienzeit entstandenen schriftlichen Auf89 Jhering, Kampf (1872), S. 14. Selbst bei denjenigen gesetzlichen Reformschritten, die Jhering nach seiner späteren Auffassung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im Hinblick auf die unübersehbar gewordene soziale Frage in der Zukunft unumgänglich erschienen (dazu eingehend Teil 2, S. 385 Fn. 1959), hielt Jhering, Socialismus-Manuskriptfragment (Nachlass), Bl. 15 es für unbedingt erforderlich, dass zunächst derartige der Beseitigung des »letzten Rest[s] der Unsittlichkeit im Eigenthum« dienende gesetzliche »Maßregel[n] durch einen Umschwung in der öffentlichen Meinung […] so vorbereitet« würden, »wie es seiner Zeit die Aufgebung der Leibeigenschaft, des Strandrechts u[nd] so vieler anderer Einrichtungen war«. 90 B.Klemann, Jhering (1989), S. 169 setzt dagegen die normative Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule und die Vorstellung von der Volksindividualität kurzerhand gleich. 91 Jhering, Kampf (1872), S. 17. 92 Jhering, Kampf (1872), S. 89. Im »Kampf ums Recht« bezeichnete Jhering das in dem »Rechtsgefühl jedes Einzelnen« liegende »nationale Rechtsgefühl« (S. 75) als die gegenüber fremden Völkern eigentümliche »moralische Kraft« (S. 74) bzw. als die »nationale Kraft« des Staates (S. 78). 93 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 10, S. 31. F.J.Stahl, Philosophie II/1 (31854), § 18, S. 234 sprach auch »von dem Volke als einer ursprünglich [sic!] gegebenen Einheit«. Vgl. zum Begriff des Volks inner- und außerhalb der Historischen Rechtsschule C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 159–167. 94 Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 101. Dass die Nation »nur die Summe aller einzelnen Individuen« sei, wie Jhering zwanzig Jahre später in Kampf (1872), S. 72 bekräftigte, war somit keine erst in seiner Spätzeit erlangte neue Erkenntnis. Jherings Auffassung schlug sich auch schon in einer diesbezüglichen Kritik von Kuntze, Geist I-Rezension (1855), S. 193 in der Rezension der ersten Auflage von Geist I nieder. Allerdings führte Kuntze diesen angeblichen »Grundirrthum« Jherings, auf dessen Grundlage man nach Kuntze, »wenn es gutgeht, höchstens zu einem Rousseau’schen Staatsv e r t r a g , nicht zu einem organischen Wachsthum« gelangen könne, ganz zu Unrecht auf Puchtas Einfluss zurück (vgl. zu dessen Auffassung aber C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 208–214.

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Die Ablösung des Volksgeists als Geltungsgrundlage des positiven Rechts

zeichnung zu Fragen des Rechts und der Rechtsentstehung sah Jhering die »Volksindividualität« nicht etwa im »idealen Volk« oder unvergänglichen »Volksgeist«, sondern in der jeweils nachweisbaren »öffentlichen Meinung« verkörpert95. Diese öffentliche Meinung ließ sich auch keinesfalls durch »Spezialisten«96 vertreten. Eine der öffentlichen Meinung widersprechende »unmittelbare Volksüberzeugung« im Stile Puchtas war für Jhering ausgeschlossen. Wenn Jhering von »Volksüberzeugung« sprach, meinte er anders als Savigny und Puchta das Volk als politisch-gesellschaftliche Realität, nämlich die tatsächliche »Ueberzeugung von Millionen«97, die der staatliche Regent genauso zu achten habe wie die gelehrte Jurisprudenz, und zwar selbst dann, wenn die »Millionen« sich nach Ansicht der Gelehrten im Irrtum befänden98. In einem solchen Fall sollte sich die Rechtswissenschaft nach Jhering nicht mit dem Glauben »begnügen, daß sie die Wahrheit hat, sondern auch für ihre allgemeine Verbreitung wirken«99. Eine derartige Öffentlichkeitsarbeit von Vertretern der Rechtswissenschaft wäre für Savigny und Puchta undenkbar gewesen, und sie wäre ihnen auch vollkommen unnötig erschienen, da für sie der sogenannte Volksgeist per definitionem »in dem Gesammtwillen, der insofern auch der Wille jedes Einzelnen ist«, lag, und sich damit der einzelne auch immer nur »gegen Das auflehnen« könnte, was er selbst »als Glied des Ganzen denkt und will«100 bzw. denken und wollen müsste. Die darin liegende Differenz zu den Auffassungen des jungen Jhering war keineswegs nur akademischer Natur. So forderte in demselben Jahre, nämlich 1844, in welchem Savigny es noch als einen großen »Nachtheil« bezeichnet hatte, dass »auch das größere Publikum« in der öffentlichen Diskussion um die preußische Eherechtsreform an einer der damals umstrittensten rechtspoliti95 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 8r. 96 Vgl. dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 283–286. Das übersieht N.Roos, Tendenzen (1984), S. 227f., 238, wenn er eine Wiederholung von Savignys Spezialistendogma bei Jhering behauptet. 97 So wörtlich in Hist. Schule (1844), Sp. 566. Diese hier allerdings noch anonymen Äußerungen Jherings waren für einen Pandektisten der Historischen Rechtsschule im Jahre 1844 noch alles andere als selbstverständlich [vgl. nur F.Wieacker, Nationalgesetzbücher (1969), S. 418]. Noch zwanzig Jahre später sollte C.J.Seitz, Bedürfniß (1865), S. 29, 34 von der Historischen Rechtsschule fordern, bei der Bestimmung »der j e t z t l e b e n d e n allgemeinen Ueberzeugung« doch »j e t z t empirisch« vorzugehen, da man die bisherige »historische [sc. Ansicht] nicht als eine wahrhaft empirische bezeichnen« könne. 98 Vgl. dagegen G.F.Puchta, Gewohnheitsrecht II (1837), S. 65 mit Fn. 79 mit seiner ganz unzweideutigen Feststellung zur »Volksüberzeugung«, »unter welcher natürlich hier nicht die gemeine Meinung des großen Haufens […] zu verstehen ist«, denn bei »d i e s e r gemeinen Meinung wäre es sehr überflüssig erst untersuchen zu wollen, in wie weit sie eine irrige seyn kann, da sie dieß sogar regelmäßig ist.« Vgl. entsprechend zu Savigny schon J.Rückert, Savigny (1984), S. 221f. 99 Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 104 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 100 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 9, S. 24.

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schen »Parteifragen des Tages« regen Anteil nahm101, der junge Jhering gerade umgekehrt die »Jurisprudenz der Gegenwart« auf, endlich ihre »Aufgabe zu lösen« und das »Volksleben« nicht »blos zum Gegenstande ihres Studiums, sondern ihrer Thaten zu machen«: sie habe nämlich »auf den Markt des Lebens und in die Arena der Tageskämpfe [sc. zu] treten«102 und in einer »öffentlichen Erörterung der Tagesfragen«103 – ausdrücklich nannte Jhering hier auch »die preußische Eherechtsreform«104 – zu versuchen, »die Stimme des Volkes für sich zu gewinnen«, sofern die Wissenschaft »in der Kritik des Bestehenden von der öffentlichen Meinung abweicht.«105 Aber das »Urtheil über den Erfolg« dieser 101 F.C.v.Savigny, Ehescheidung (1844), S. 231. Savigny hatte sich hier auf die öffentliche Diskussion des von ihm als Gesetzgebungsminister vorgelegten Entwurfs zur konservativen Reform des Ehescheidungsrechts in Preußen bezogen. Selbst die Notwendigkeit institutionalisierter Diskussion »durch öffentliche Verhandlung in legislativen Versammlungen« schätzte Savigny nicht besonders hoch ein, da seiner Auffassung nach bereits »ein ähnlicher Vortheil erlangt werden« könne durch den Verlauf des »Gedankenprozesses […], zu welchem auch jeder Einzelne [sic!] genöthigt ist«, sofern – und das war eben der für Savigny springende und in öffentlichen Diskussionen nie garantierte Punkt – man »sich um die Erkenntniß der Wahrheit [sic!] in dieser Sache redlich bemüht« (aaO, S. 236). Nicht grundsätzlich anders dachte Puchta, auch wenn er immerhin im Jahre 1843 zusammen mit dem Historiker Heinrich Leo eine Schrift unter dem Titel »Fliegende Blätter für Fragen des Tags« herausgab, um – so das bezeichnende Vorwort der beiden Herausgeber – die »öffentlichen Meinungen […] in wohlbegründete Ueberzeugungen zu verwandeln« (S. 3). In der Sache selbst war Puchtas Beitrag zum Entwurf des preußischen Ehescheidungsrechts allerdings vor allem ein öffentlicher »Feuerschutz für das Ministerium Savigny« [J.Bohnert, Biographie Puchtas (1979), S. 239 Fn. 84], nachdem – so G.F.Puchta, Ehescheidungsentwurf (1843), S. 5 wörtlich – der Gesetzesentwurf »durch lichtscheue Mittel zur Publicität gekommen war«. 102 Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 103. Diese forschen Töne, die in einem deutlichen Kontrast zur politisch konservativen und auch von Gelehrtendünkel nicht freien Lehre vom Juristenrecht bei Savigny und Puchta stehen, sind bemerkenswert. W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 139 hat sie dem jungen Jhering sogar so wenig zugetraut, dass er im Jahre 1982 Jhering als möglichen Verfasser des ersten Artikels der Artikelfolge in der LZ 1844 sogar noch ausgeschlossen hat. Denn dass Jhering sich als ein »Vertreter der ›Intelligenz‹ in derart plumper Weise dem ›Leben‹, d. h. dem ›großen Haufen‹«, womit in der damaligen Redeweise mindestens alle Nichtakademiker gemeint waren, »angebiedert hätte«, hielt Pleister für »nicht wahrscheinlich« – eine Argumentation, die durch den von Michael Kunze erbrachten Beweis von Jherings Verfasserschaft hinfällig geworden ist. 103 Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 103. Dieser Aufbruchsstimmung Jherings stand vierzig Jahre später seine fast resignative Beurteilung der zeitgenössischen pandektistischen Dogmatik gegenüber. Anders als auf den Gebieten »des deutschen Privatrechts, Handelsrechts, Kriminalrechts, Prozesses, Staats- und Kirchenrechts« habe sich in der Pandektistik eine nur mit sich selbst, nämlich mit »Schulfragen« statt mit den »brennenden Tagesfragen« beschäftigende »Begriffsjurisprudenz […] einzubürgern vermocht«, was nach Jherings lebenslanger Überzeugung das Ende jeder fruchtbaren rechtswissenschaftlichen Dogmatik bedeutete [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 358f.]. 104 Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 104. 105 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 569. Im Hinblick auf die noch bestehende Kluft von »Leben und Wissenschaft« lobte der junge Jhering ausdrücklich und unabhängig von ihren

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Bemühungen der Jurisprudenz, die »Volksüberzeugung« für sich zu gewinnen, »spricht nicht s i e , sondern das ganze Volk« – eine »Feuerprobe«106 für die Gelehrten und sonstigen Spezialisten. Hier spiegelt sich das unterschiedliche Rechts- und Gesellschaftsverständnis von Savigny oder Puchta auf der einen und dem jungen Jhering auf der anderen Seite prägnanter und unverstellter wieder als in jedem Vergleich ihrer rechtsquellentheoretischen Äußerungen über den »Volksgeist« und das »Juristenrecht« – theoretische Äußerungen im Übrigen, denen die vorbezeichneten unterschiedlichen Einstellungen zum Verhältnis von Recht und Gesellschaft immer unausgesprochen zugrunde lagen. Allein was die Erklärung der historischen Entstehung der Völker betrifft, scheint Jhering zunächst ganz auf einer Linie mit derjenigen Auffassung gelegen zu haben, die vor ihm bereits Savigny oder Puchta vertreten hatten. Denn anders als später in seiner posthum erschienenen Einleitung zu einer »Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts«, in der Jhering betonen sollte, dass »alles g e w o r d e n [sc. ist], auch die V ö l k e r «, und dass damit auch die »Individualität der Völker«, der jeweilige »Volkstypus […] nicht wie das angeborene Ich bei dem Individuum das Werk der N a t u r , sondern der G e s c h i c h t e « sei107, hatte Jhering beispielsweise im Jahre 1858 die »Eigenschaften der Völker jeweils »entgegengesetzten Standpunkten« die zeitgenössischen »periodischen Blätter«, die der verbreiteten »Theilnahmlosigkeit des Volkes« entgegenwirkten, sowie »alle [sic!] politischen Blätter der letzten Jahre […] als ein vielversprechendes Zeichen der steigenden politischen Bildung des deutschen Volkes […]. Die Jurisprudenz braucht die Empfänglichkeit, die sie vorfindet, nur zu benutzen […]« [Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 104f.]. Um zu sehen, wie wenig selbstverständlich derartige Auffassungen bis dahin innerhalb der Historischen Rechtsschule waren, muss man sie nur vergleichen mit Puchtas Haltung zur »öffentlichen Meinung« und den »Parteyansichten« bei der Bestimmung des »so vieldeutigen Worts […] Volk« [vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 160f.]. 106 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 568. J.Rückert, Autonomie (1988), S. 69 kritisiert, dass es Jhering hier »nicht um Dogmatik, sondern um Rechtsreform, um Gesetzgebung« gegangen sei. Nun bedeutet aber letzteres keinen Ausschluss des ersteren. Vielmehr hatte die Dogmatik die Rechtsreform vorzubereiten. Dass bereits der junge Jhering den Erfolg dieser Vorbereitung unter den Vorbehalt der allgemeinen öffentlichen Zustimmung stellte, bleibt sehr bemerkenswert und kann entgegen Rückert nicht als Beleg dafür dienen, dass Jhering dem »Volk« die unmittelbare Gestaltung des Rechts habe entziehen wollen. 107 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 42f. Vgl. auch Jhering, Volksarten (Nachlass), S. 68 (Unterstreichungen im handschriftlichen Original sind in Kursivschrift wiedergegeben): »Mit den Völkern verhält es sich anders als mit den Individuen, die Individuen werden geboren u[nd] sie bringen bereits mit der Geburt den Keim des künftigen Menschen mit zur Welt, aber die Völker werden nicht geboren, sie werden, der Teig, aus dem sie geknetet werden, ist überall derselbe, erst die Geschichte bildet aus ihnen verschiedene Volksindividualitäten, ihre Cultur u[nd] ihr Charakter ist nichts als der Niederschlag einer unendlichen Summe von Einflüssen, denen sie im Lauf ihres Daseins ausgesetzt gewesen sind (S. ), den dauernden, welche die Natur an sie heran trug: die Bodenverhältnisse, das Klima, die Nachbarn, den vorrübergehenden: die wichtigen Schicksale, die es erfahren; Kriege, politische Umwälzungen u[nd] das machtvolle Wirken bedeutender Persönlichkeiten.« Vorstehendes bildete offensichtlich die Vorlage für Jhering, Vorgeschichte (1894), § 17,

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und Individuen« noch als »in ihrem letzten Grunde gegebene Thatsachen« bezeichnet, »die man nicht weiter analysiren, begründen oder erklären kann.«108 Im Hinblick auf den sogenannten römischen »Volkscharakter« hatte Jhering zwar schon immer von einem »Einfluß der äußeren Einrichtungen auf die Befestigung der nationalen Sinnesweise« gesprochen, darin aber doch zunächst nur »die Ausbildung und Steigerung der angebornen Anlage« eines Volkes gesehen109. Endgültig aufgeben musste Jhering diese Vorstellung einer kollektiv angeborenen »nationalen Sinnesweise« allerdings, als er im Laufe der siebziger Jahre im Zusammenhang mit der Frage nach der Herkunft sittlicher Wertvorstellungen schon für die das Volk bildenden Einzelindividuen die Vorstellung irgendwie kollektiv angeborener Einstellungen oder zumindest »ihrem Keim nach in uns enthalten[er]« Sinnesweisen bzw. geistig-sittlicher Empfänglichkeiten als verfehlt »nativistische« Auffassung zu betrachten begonnen hatte110. Gleichwohl wäre es aber ein Irrtum, aus Jherings früherer Bezugnahme auf die hergebrachte und über die Historische Rechtsschule hinaus bis ins 18. Jahrhundert zurückreichende Analogie vom menschlichen Individuum und dem sogenannten Volksindividuum111 zu schließen, er sei in den fünfziger Jahren noch wie Savigny davon ausgegangen, dass das Volk im Sinne eines dem Einzelwesen gleichkommenden unerforschlichen »Naturganzen« ein selbst »thätiges, persönliches Subject« sei112. Vielmehr hatte Jhering entgegen der noch im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts »gangbare[n] Behandlungsweise der Geschichte«, die »die Individualität der Völker, den Volkstypus, den Volkscharakter als eine gegebene Thatsache [sc. betrachte], vor der sie Halt zu machen hat«113, auch bereits in Geist II/2 darauf hingewiesen, dass die Annahme der jeweiligen Volksindividualität als gegebene Tatsache keineswegs ausschließe, »daß man nicht des Einflusses gedenken dürfte, den gewisse Umstände auf die

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S. 94f., wo dieselbe Passage in leicht veränderter Form und ohne die für Jhering so typische Metaphorik von Victor Ehrenberg posthum veröffentlicht wurde. Vgl. zu dem hier zum Ausdruck kommenden Gedanken Jherings auch O.Behrends, Evolutionstheorie des Rechts (1991), S. 302. Jhering, Geist II/2 (11858), § 46, S. 546. Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 317 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 15ff. Für sämtliche sozial-kulturellen Hervorbringungen und insbesondere für die gemeinschaftlich getragenen Wertvorstellungen hob Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 37 jetzt die »Beeinflussung der Völker sowohl wie der Individuen von der Außenwelt« und damit der geschichtlichen Erfahrung hervor. Für den individuellpersönlichen Charakter des Menschen sollte allerdings nach wie vor gelten, dass »das Individuum den Keim des künftigen Menschen mit zur Welt [sc. bringt] […], es ist das angeborene Ich, über das der Mensch nun einmal nicht hinaus kann« (aaO, S. 43). Vgl. P.Brandt, Artikel »Volk« in: J.Ritter/K.Gründer/G.Gabriel, Hist.Wörterbuch/ Bd.11 (2001), Sp. 1081 mit Verweis auf die in diesem Zusammenhang maßgebliche Rolle von Johann Gottfried Herder. So ausdrücklich noch F.C.v.Savigny, System I (1840), § 8, S. 18. Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 42.

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Ausbildung derselben gewonnen haben, und noch weniger, daß man nicht den Bezügen, in denen sie untereinander stehen, nachforschen dürfte«114. Konkret im Hinblick auf dasjenige, was Jhering dem »Wesen des römischen Geistes« als charakterisierendes Attribut meinte zuordnen zu können, erschien es auch schon dem jungen Jhering nicht ausreichend, zur Begründung eine »Naturanlage, die sich nicht weiter begründen lässt, eine primäre Eigenschaft des römischen Geistes« anzuführen. Stattdessen verwies er – historisch allerdings kaum erhellender – auf eine »zur zweiten Natur gewordene Gewohnheit der Römer«, also auf eine erst im Laufe der Geschichte eingeübte Verhaltensweise115. Ohnehin hätte das römische Volk so, wie Jhering dessen Entstehung in Geist I beschrieb, nach der bisherigen Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule kaum entstehen können. Denn nicht etwa eine noch von Puchta geltend gemachte »leibliche und geistige Verwandtschaft«116, sondern »Kämpfe im Innern und nach außen hin, Gegensätze in Abstammung, Recht und Bestrebung« und in der Bevölkerung »beständig neue Zuflüsse von außen« sollten nach Jhering das römische Volk hervorgebracht117 und auch dessen Rechtsbildungsprozesse bestimmt haben118. 114 Jhering, Geist II/2 (11858), § 46, S. 546. Übrigens sah Jhering auch später, als er im Hinblick auf die Entstehung ausdrücklich bestritt, »daß es sich mit den Völkern ebenso verhielte, wie mit den Individuen«, das tatsächliche Forschungsfeld des Historikers doch nicht als erheblich erweitert an. Denn wenn auch rein hypothetisch demjenigen »Auge, dem alles Geschehene auf Erden in seinen letzten Gründen offen vorläge, […] in dem Volkscharakter im einzelnen den Beitrag erkennen [sc. könnte], den die Bedingungen, unter denen es lebt, Boden und Klima, Nahrungs- und Beschäftigungsweise, alle wichtigen Erlebnisse des Volks und selbst hervorragende Persönlichkeiten zu demselben geliefert haben […]«, so gelte gleichwohl in der Realität: »Dem Historiker ist dieser Einblick in den Bildungsprozeß des Volkscharakters versagt« – »nur einzelne Blicke sind doch auch ihm vergönnt, gewisse Thatsachen in den Lebensverhältnissen und Schicksalen der Völker tragen den maßgebenden Einfluß, den sie auf den Volkscharakter ausgeübt haben, so offen zur Schau, daß er blöde Augen haben muß, um sie nicht wahrzunehmen« [Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 43]. 115 Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 295 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Die hergebrachte Rede von der »zur zweiten Natur gewordene Gewohnheit« gehört zu den Wendungen, die Jhering mit Vorliebe verwendete zur Bezeichnung einer annähernd perfekt internalisierten Denk- und Verhaltensweise. Vgl. G.Funke, Artikel »Natur, zweite« in: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.6 (1984), Sp. 484ff. zu der begriffsgeschichtlich von Hegel bis in die Antike zurückzuverfolgenden Unterscheidung von Naturprozessen auf der einen Seite und dem als altera bzw. secunda natura bezeichneten Einübungs- und Gewöhnungs- bzw. Erziehungsprozess auf der anderen Seite. In eben diesem Sinne benutzte Jhering den Ausdruck auch an anderer Stelle, etwa zur Bezeichnung der jedem Richter erst durch seine fachliche Ausbildung »zur zweiten Natur gewordene[n] Gewohnheit, sein subjektives Meinen der Autorität des Gesetzes unterzuordnen« [Jhering, GotthardbahnGutachten (1884), S. 4]. 116 C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 161 m.w.N. 117 Jhering, Geist I (11852), § 7, S. 87; § 20, S. 285ff. 118 Vgl. nur Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 21 generell zum Recht jeweils in der histori-

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b)

Die Bedeutung vom »Geist des Volks und der Zeit« für die Bildung des Rechts

aa)

Der jeweilige »Geist des Volks« als Faktor der Rechtsbildung

Bereits in den vierziger Jahren war Jhering – wie sich mit Hilfe der nach Auffassung von Michael Kunze wahrscheinlich 1843/44 verfassten, in toto aber spätestens 1850 abgeschlossenen Handschrift zu einer juristischen Enzyklopädie in Jherings Nachlass119 belegen lässt – davon überzeugt gewesen, »daß die Ansicht der s.[o] g.[enannten] histor.[ischen] Schule: von dem nationalen Charakter des R.[echts] einer bedeutend[en] Modifik.[ation] bedarf.«120 Das war nach Einschätzung von Michael Kunze noch »vorsichtig ausgedrückt. Die für notwendig erachtete Modifikation konnte nach Lage der Dinge nichts anderes als eine Überwindung sein.«121 Tatsächlich entstammte Jherings aus den sechziger Jahren bekannte Formulierung des »principiellen Gegensatz[es] in der Auffassung des Rechts« zur hergebrachten Erklärung der Rechtsentstehung durch die Historischen Rechtsschule122 keiner grundsätzlich neuen Einsicht. Neu war allenfalls, dass Jhering diesen »Gegensatz« zu Savigny nach dessen Tod im Jahre 1861 unter ausdrücklicher Nennung von Savignys Namen auch als solchen öffentlich publik machte und keinen Zweifel mehr daran ließ, dass die »wissenschaftliche und politische [sic!] Tragweite über die Frage, derentwegen er [sc. der Gegensatz] zunächst erörtert werden mußte«, nämlich über die im Hinblick auf die »geschehene Reception des römischen Rechts« sich stellende Frage nach einer rechtsquellentheoretischen Legitimation »der Reception fremder Rechtseinrichtungen« noch »weit hinausreicht«123.

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schen »Wirklichkeit […] hineingestellt mitten in die Strömung des Lebens, in den Kampf erbitterter Partheien und auf ein ander prallender Gegensätze, ausgesetzt dem Sturm der Leidenschaften […], bestimmt, den Anforderungen, Interessen, Bestrebungen des Lebens gerecht zu werden.« Von einem romantisch »fingierten Einheitsbewußtsein« ist entsprechend der Vermutung von A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 267 schon der junge Jhering in der Tat nicht mehr ausgegangen. Es sollte allerdings auch noch bei Jhering etwas dauern, bis seine vorzitierte geschichtsphilosophisch abstrakte Feststellung auch ihren konkreten Niederschlag fand in der Rechtsdogmatik. M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 155f.; Ders., Forschungsbericht (1995), S. 132f. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 50, Bl. 53v. So M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 172. Jhering, Bedeutung (1865), S. 3 (Vorwort). Jhering, Bedeutung (1865), S. 3 (Vorwort) sowie S. 12, 16. Jherings ungewöhnlicher Entschluss, den für die zweite Auflage von Geist I umgearbeiteten § 1 als Sonderdruck vorab erscheinen zu lassen, um »ihn auch in andere Hände als die der Käufer der zweiten Auflage zu bringen« (aaO), mag auch dadurch motiviert gewesen sein, dass seinem Eindruck nach nun endlich »einmal mit aller Schärfe betont zu werden« »verdient[e]« (aaO, S. 3), was sich in den bisher gedruckten Schriften Jherings nur zwischen den Zeilen gefunden hatte.

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Nur auf den ersten Blick spricht gegen die Annahme einer solchen Kontinuität von Jherings Kritik an der Rechtsentstehungslehre der Historischen Rechtsschule, dass in einer Artikelfolge aus dem Jahre 1844, also genau in dem vermutlichen Zeitraum der Abfassung des eingangs zitierten Manuskripts zu einer juristischen Enzyklopädie, Jhering Savigny als denjenigen bezeichnet hatte, der »zeigte, daß das Recht nicht erst durch Reflexion entstanden, sondern so wie Sprache, Sitte u.s.w., etwas Ursprüngliches, mit dem Volke Gebornes sei«124. Im Kontext dieser Passage hatte sich Jhering nämlich auf Savignys Zurückweisung eines ungeschichtlichen Gesetzgebungsrationalismus bezogen, für den die Geschichte des Rechts irrtümlicherweise erst mit der Gesetzgebung begänne und das Gesetzesrecht »das Geheimniß oder die freie Schöpfung von Einzelnen [sc. sei], so daß es heute so und morgen so sein könnte«125. Darin war Jhering allerdings durchaus mit Savigny einig gewesen und ist es im Übrigen auch bis in seine Spätzeit hinein geblieben. Wogegen sich Jhering aber bereits in den vierziger Jahren mit seiner – damals noch nicht öffentlichen – Kritik an der »Ansicht der s.[o] g.[enannten] histor.[ischen] Schule: von dem nationalen Charakter des R.[echts]«126 wendete, war die Ausschließlichkeit, mit der die Historische Rechtsschule den Prozess der Rechtsbildung mit dem einzelnen Volk verknüpft hatte und damit aus Jherings Sicht die Einflüsse fremder Völker auf die jeweilige Rechtsbildung nicht angemessen erklären konnte. Denn – so hieß es in einem Jhering mit hoher Wahrscheinlichkeit zuzuschreibenden Artikel aus dem Jahre 1843 – es »giebt […] doch kein historisches Volk, das nicht bedeutende Elemente seiner Bildung von bereits dahingegangenen Völkern geerbt hätte, oder täglich von den noch neben ihm existierenden Völkern entlehnte.«127 Diese Überzeugung wurde noch in den vierziger Jahren einerseits Ausgangspunkt für Jherings Konzeption einer »Universalrechtsgeschichte«, wie Jhering in seinem Manuskript zu einer juristischen Enzyklopädie das »Zweite Buch« über die universalrechtsgeschichtliche Bedeutung der »Rechte der einzelnen Völker« betitelte128, das nach der allerdings anzuzweifelnden Vermutung von Michael Kunze 124 125 126 127 128

Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 199. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 199. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 50, Bl. 53v. LZ 1843, Sp. 1519 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51]. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 29, Bl. 54r. Vgl. auch Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3 zu Gegenstand und Aufgabe der »universalhistorischen« Betrachtung, die »die gesammte Entwicklung des Rechts in der Weltgeschichte« zu formulieren und dabei etwa im Hinblick auf das römische Recht »d i e Frage zu beantworten [sc. hätte]: welchen Fortschritt machte die Universal-Geschichte des Rechts mit dem römischen Recht, und welchen Einfluß hat dasselbe auf die moderne Welt ausgeübt«. Den ideengeschichtlichen Kontext von Begriff und Methode der im aufklärerischen Fortschrittsoptimismus des 18. Jahrhunderts wurzelnden Konzeption einer »Universalrechtsgeschichte« sowie auch deren Ablehnung durch Savigny hat M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 158ff.;

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sogar zur Keimzelle von Jherings erstem Hauptwerk, dem »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung«, geworden sein soll129. Andererseits bildete die Überzeugung, dass ein Volk bedeutende »Elemente seiner Bildung« auch »von den noch neben ihm existierenden Völkern« entlehnen könne, die Grundlage für eine »comparative Betrachtung« der verschiedenen zur selben Zeit geltenden Rechtsordnungen im Hinblick auf deren »Ähnlichkeit oder Verschiedenheit« im allerdings offenbar nicht erhaltenen »Ersten Buch« aus dem Nachlassmanuskript zur juristischen Enzyklopädie130. Wer dabei als Gewährsmann fungierte und wer nicht, notierte Jhering selbst am Rande seines Manuskripts zur »Universalrechtsgeschichte«: »Angeregt von Feuerbach, Thibaut, von Grolmann g[e]g[en] die histor. Schule. – Savigny […] Widerlegung in Gans Vorred[e]«131 zu dessen Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung«.132 Ders., Lebensbild (1992), S. 13f. im einzelnen dargelegt. Nach M.Kunze, Forschungsbericht (1995), S. 133 lag allein schon in dem Unterfangen des jungen Privatdozenten Jhering, über »Universalrechtsgeschichte« zu lesen, eine »Provokation gegenüber den SavignyGetreuen in Berlin«. Auch O.Behrends, Luf/Ogris-Rezension (1997), S. 563 spricht im Anschluss daran von einem »ketzerischen […] Interesse« Jherings für »Universalrechtsgeschichte«. Savigny selbst übrigens reagierte auf die schon von Zeitgenossen erhobenen entsprechenden Vorhalte mit demonstrativem Unverständnis (»ganz unbegreiflich«) und zog sich darauf zurück, dass er nur vor dem »oberflächlichen Gebrauch der Universalrechtsgeschichte« habe warnen wollen [F.C.v.Savigny, Beruf (31840), S. VIII (aus dem Wiederabdruck der »Vorrede der zweyten Ausgabe« von 1828)]. 129 M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 154 vermutet, dass das Kapitel zum römischen Recht, welches im »Zweiten Abschnitt« der »Univers.rechtsgesch. (Nachlass)« zum »Recht des klassischen Alterthums« auffälligerweise fehlt, im »Geist des römischen Rechts« aufgegangen sein könnte. Letzteres Werk plante Jhering aber seit 1841 und begann mit dessen Ausarbeitung bereits 1842, also noch vor dem mutmaßlichen Entstehungsbeginn der »Univers.rechtsgesch. (Nachlass)« [vgl. Jherings Brief an seinen Verleger Härtel vom 27. April 1851, in: Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 4, S. 8 und seine Briefe an Gerber vom 17. Juli 1852, in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 17, S. 54 sowie vom 7. März 1866, in: LosanoBriefe, Nr. 242, S. 590]. Dass Jhering einen ursprünglich für die »Univers.rechtsgesch. (Nachlass)« geschriebenen Abschnitt in den zeitgleich in Ausarbeitung befindlichen »Geist« eingegliedert haben sollte, erscheint aber eher unwahrscheinlich. Im übrigen unterschied Jhering im »Geist« methodisch genau die dort zu leistende »spezialhistorische« von der später noch zu veröffentlichenden »universalhistorischen« Betrachtungsweise des römischen Rechts [JHERING, Geist I (11852), § 1, S. 3f.]. 130 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 29, Bl. 54r. Zu Jhering als einem der Begründer der rechtsvergleichenden Methode W.Fikentscher/U.Himmelmann, Iherings Einfluß (1995), S. 105f. Vgl. auch E.Wolf, Rechtsdenker (41963), S. 634. 131 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 29, Bl. 54v. Konkret nahm Jhering hier Bezug auf E.Gans, Erbrecht I (1824), S. XIXff. Vgl. zu diesem von Jhering festgestellten Gegensatz von Paul Johann Anselm Feuerbach, Anton Friedrich Justus Thibaut und Eduard Gans auf der einen Seite und Savigny auf der anderen Seite die Ausführungen des Letztgenannten selbst [F.C.v.Savigny, Stimmen (1816), S. 232ff.] sowie im Übrigen M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 157, 160ff., 175ff.; H.Mohnhaupt, Universalgeschichte (1991), S. 119f.; H.J.Stühler, Erneuerung (1978), S. 215ff. (Feuerbach), S. 187f. (Thibaut) und

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Jherings Kritik an der »Ansicht der s.[o] g.[enannten] histor.[ischen] Schule: von dem nationalen Charakter des R.[echts]«133 betraf also zum einen das Ausblenden der Rolle universalrechtsgeschichtlich früherer Völker beispielsweise im Hinblick darauf, was das römische Recht als historisch »außerordentlich werthvolle Mitgift« in seinen Anfängen »bereits vorfand« und was »von vornherein den römischen Geist auf eine Höhe der Rechtsanschauung [sc. versetzte], zu der er es manche orientalische Völker nie gebracht haben.«134 Auch die »Geschichte des römischen Rechts« selbst musste daher mit der »außerrömischen Geschichte«, der von Jhering als sogenanntes erstes »System« bezeichneten »Vorgeschichte« des römischen Rechts, beginnen, denn die »ursprüngliche Bildung desselben fällt über alle urkundliche Geschichte hinaus in jene Zeit, als die Trennung der indogermanischen Völker noch nicht erfolgt war.«135 So wie

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speziell mit Blick auf Gans E.v.Moeller, Rechtsgeschichte (1905), S. 56ff. Nach M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 175f. beruhte die von Jhering vorgenommene Einordnung von Karl Ludwig Wilhelm von Grolmann als Vertreter der universalrechtshistorischen Methode auf einem Missverständnis, das offenbar unmittelbar auf Gans Vorrede (S. XIX) zurückzuführen war [vgl. auch G.Lenz, Entstehung (1854), S. 19, S. 266 Fn. 8]. Dagegen erwähnte Jhering in Hist. Schule (1844), Sp. 408 den Namen Grolmanns nicht mehr neben denjenigen von Feuerbach, Thibaut und Gans, was darauf hindeuten könnte, dass der Teil des Manuskripts der »Univers.rechtsgesch. (Nachlass)«, aus dem im Text zitiert wird, sogar vor 1844 entstanden ist. Jhering bezog sich hier auf die Vorrede von Eduard Gans im 1824 erschienenen ersten Band von dessen bis 1835 erschienenen vierbändigen Werk »Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwickelung. Eine Abhandlung der Universalrechtsgeschichte«. Vgl. auch Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 406, 408 mit einer gleichlautenden, nur etwas diplomatischer gehaltenen Kritik Jherings an der Historischen Rechtsschule, die es »zu einer Universal-Rechtsgeschichte […] nicht gebracht« habe. Direkt dazu W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 102ff. Im Hinblick auf eine universalrechtsgeschichtliche Untersuchung speziell des römischen Rechts meinte Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 29, Bl. 54v : »Freilich ist ein solcher Versuch sehr schwer bei dem jetzigen Stande unserer Literatur. Eine literar.[ische] Behandl[un]g d[ie]ses Stoffes existirt bisher nicht. Für einen Haupttheil des Privatrechts, das Erbrecht[,] hat Gans den Versuch gemacht. Das Erbrecht in weltgeschichtl.[icher] Entwickl[un]g 4 B[ände] Berlin 1824 u.f. Dies Werk ist aber nicht vollendet.« Nach einem Hinweis von M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 176f. hat Jhering die ersten beiden Bände von Gans Werk, nämlich das zweibändige »Buch« [vgl. E.Gans, Erbrecht I (1824), S. XLII (Nachschrift)] über »Das Römische Erbrecht in seiner Stellung zu vor- und nachrömischem«, bereits 1838 als Student gelegentlich an Kommilitonen ausgeliehen, während er sich mit Hegel selbst, nämlich dessen »Philosophie der Geschichte« sowie dessen »Rechtsphilosophie«, wahrscheinlich erst im Herbst 1843 intensiver beschäftigte. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 50, Bl. 53v. Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 49; Ders., Geist I (11852), § 8, S. 97. Dazu eingehend der folgende Abschnitt 1. b) bb). Jhering, Geist I (11852), § 6, S. 77. Vgl. aus dem Spätwerk auch noch Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 44 zum notwendigen »Rückgriff in die Vorgeschichte des römischen Volks und Rechts«, der über »die Entwicklungsgeschichte des r ö m i s c h e n Rechts hinaus« in die »Zeit der Wanderung der indogermanischen Völker« reichen müsse, »wo das römische Volk noch nicht existierte«. Aufgegeben hatte Jhering in seiner Spätzeit allerdings

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das römische Volk, bevor es nach Jhering in der »Periode des Bildungsprozesses« langsam aus ganz verschiedenen »Elemente[n] […] zur Einheit e i n e s Subjekts verschmolzen« war, eine lange geschichtliche »Vorzeit«136 bzw. »Vorgeschichte«137 gehabt habe, so war nach Jhering auch das Recht eines Volks immer das Anknüpfen an etwas geschichtlich Früheres138. Zum anderen betraf Jherings Kritik der »Ansicht der s.[o] g.[enannten] histor.[ischen] Schule: von dem nationalen Charakter des R.[echts]«139 die seiner Auffassung nach noch unzutreffende Bestimmung der Rolle fremder zeitgenössischer Völker bei der nationalen Rechtsentstehung140. Die Konzeption, die Jhering der Historischen Rechtsschule bereits in seinen Aufzeichnungen und Veröffentlichungen der vierziger Jahre entgegensetzte und schließlich 1866 in seinem sogar vorab als Separatdruck veröffentlichten Einleitungsparagraphen zur zweiten Auflage von Geist I in konzentrierter Form »mit aller Schärfe« geltend machte141, beruhte keinesfalls auf einer vollständigen Ablehnung der bisherigen Lehre von der nationalen Rechtsentstehung. Vielmehr – so hob Jhering auch noch im Jahre 1866 ausdrücklich hervor – erfolgte im »Orient, im Alterthum […] die Entwicklung des Rechts in der That im Wesentlichen so, wie S av i g ny sie lehrt: von innen heraus, aus dem Schooß des Volkslebens […]. Eine Gemeinsamkeit in der Bewegung der verschiedenen Volksrechte, einen gemeinsamen Mittelpunkt im Recht, eine gemeinsame Wissenschaft suchen wir sowohl im Orient als Alterthum vergebens, jedes dieser Rechte existirt und entwickelt sich für sich, unabhängig von andern.«142 Wenn sich auch bereits im

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seine ursprüngliche Auffassung, dass die dem römischen Volksindividuum zugeordneten Eigenschaften mit den unterschiedlichen ethnischen »Elemente[n] des römischen Volks« zu erklären seien, die sich in ihm langsam »zur Einheit e i n e s Subjects verschmolzen« hätten [so noch Jhering, Geist I (11852), § 7, S. 87]. In Entwickl.gesch.(1894), S. 44f. sah Jhering dagegen nun die »Differenzierung der einzelnen europäischen Völker« und die Ausbildung eines nationalen Volkscharakters allein als das geschichtliche »Werk der Verschiedenheit ihrer Schicksale nach ihrer Trennung« an. Jhering, Geist I (11852), § 7, S. 87. Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 44. Dazu hatte schon E.Gans, Erbrecht I (1824), S. 55 aus hegelianischer Sicht bemerkt: »Hierin liegt der Unterschied unserer Behandlungsweise von der der historischen Juristen; diese suchen nämlich den Grund einer Römischen Lehre, im Römischen Anfang dieser Lehre selbst, ohne weiter zu fragen, wo dieser Anfang anfange?« Jherings eigene Bemerkungen im Manuskript zur juristischen Enzyklopädie (vgl. dazu weiter im Text) legen nahe, dass Jhering sich auch hier zu seinem von der Historischen Rechtsschule abweichenden Standpunkt anregen ließ. Die Antworten, die Jhering auf die Frage nach dem jeweiligen Anfang des Anfangs gab, waren allerdings andere als diejenigen der Geschichtsphilosophie Hegels. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 50, Bl. 53v. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 50, Bl. 53v. Jhering, Bedeutung (1865), S. 3. Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 9. In seinem Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit« formulierte Jhering fast wortgleich, »daß die

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»s.[o] g.[enannten] jus gentium der Römer […] die Rechtsidee aus den Niederungen des nationalen Prinzips […] zur Höhe der Universalität« erhoben habe143, so habe sich doch noch in »Rom […] dieser Gegensatz [sc. von ius civile und ius gentium] […] von innen heraus« entwickelt144, da auch »das jus gentium doch nur […] auf römischen Grund u[nd] Boden errichtet [war] von diesem einzelnen Volk, nicht also das Produkt der Völkerthätigkeit, nicht der gemeinsame Kern der damaligen einzelnen Rechte, nicht ein Mittelpunkt für sie, um den sie sich zu gemeinsamer Arbeit hätte[n] scharen können […].«145 Dass Jhering aber ausgerechnet aus dieser Bestätigung der Savignyschen Rechtsbildung des Alterthums, so sehr auch im übrigen das Recht des Orients, Griechenlands, Roms von einander abweichen mögen, doch darin übereinkommt, daß jedes einzelne Recht sich rein für sich u[nd] aus dem Schoß der partikulären Nationalität heraus entwickelt, es also über den einzelnen Rechten kein höheres, allen gemeinsames Moment gibt, keine gleichartige u[nd] gleichzeitige Bewegung derselben.« »Daß das Volk u[nd] das Recht Roms ursprünglich aus verschiedenartigen Elementen zusammenwächst[?], ist für diesen Gesichtspunkt gleichgültig; relevant ist nur die Frage, ob nach Beendigung dieses Prozeßes, nachdem also als Produkt desselben die römische Nationalität sich niedergeschlagen hatte, im Recht eine fernere Entlehnung u[nd] Einwirkung von außen her Statt gefunden« oder ob die weitere Entwicklung des römischen Recht durch dessen »strenges Festhalten an den nationalen Einrichtungen, seine isolirte Stellung in der damaligen Welt« als ein »Wachsthum von innen heraus« zu charakterisieren sei. »Letzteres läßt sich nun kaum bezweifeln […]« [abgedruckt bei C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237, 241f. (Unterstreichungen im handschriftlichen Original wurden in Kursivschrift wiedergegeben). Allerdings kleidete Jhering diese Konzession an Savigny im vorzitierten Vortragsmanuskript in deutlich überschwenglichere Worte als in Geist I (21866), § 1, S. 9, was auch dafür spricht, dass das im Nachlass überlieferte undatierte Vortragsmanuskript trotz der sonstigen sachlichen und auch sprachlichen Parallelen in keinem zeitlichen Entstehungszusammenhang mit dem Einleitungsparagraphen zu Geist I (21866) steht, sondern bereits deutlich früher, nämlich vermutlich bereits im Jahre 1853, entstanden ist [vgl. eingehend zur Frage der Datierung des Vortragsmanuskripts C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 228–236]. 143 Vgl. Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (242). 144 Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 312. 145 Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (243) (die Unterstreichung im handschriftlichen Original ist hier in Kursivschrift wiedergegeben). Auch insoweit fast gleichlautend heißt es bei Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 9: »[…] und selbst das jus gentium der Römer […] war […] auf römischem Grund und Boden gewachsen«, eben »so, wie S a v i g n y […] lehrt: von innen heraus […].« Dazu aus der Sicht heutiger romanistischer Geschichtsforschung kritisch O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 143ff. et passim. Wenn Jhering ungeachtet der Tatsache, dass er – nach Behrends allerdings erst nach seiner Wende um 1860 – »bewußt und engagiert an manchen anderen Fronten sein[en] Kampf gegen die romantische Mythologie der stillwirkenden Kräfte des Volksgeistes« führte, doch auch noch nach der Wende »an dem – sich aus der gleichen Quelle speisenden – Gedanken festgehalten [sc. hat], daß es so etwas wie eine ›nationalrömische Philosophie‹ gegeben habe, die sich aus sich selbst erklärt«, ist das nach Behrends, aaO, S. 144 ein Beleg dafür, dass die »romantischen Vorstellungen seiner Lehrjahre […] hier auf dem Gebiet des römischen Rechts ungemindert« fortwirkten.

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Lehre von der nationalen Rechtsentstehung für das römische Rechts den Schluss auf ihre nur begrenzte Richtigkeit zog, da andernfalls auch über die »Thatsache [sc. der neuzeitlichen Rezeption des römischen Rechts] der Stab gebrochen« werde, weil »durch das Thor der Nationalität […] das römische Recht nie in unsere Wissenschaft« hätte hinein kommen können und »dessen Entfernung [sc. aus dem gegenwärtigen Recht] consequenterweise Niemand eifriger hätte begehren müssen als Savigny und die historische Schule«146, das allerdings musste den bisherigen Vertretern der Historischen Rechtsschule ganz unverständlich erscheinen. Und dass man »jene Lehre, die wir hier bekämpfen, und die wir bekämpfen müssen […], jene Lehre der historischen Schule, daß das Recht sich rein aus ›dem Innern der Nationalität‹ entwickele«, ausgerechnet deswegen überwinden müsse, »um dem römischen Recht Platz zu gewinnen«147, das wäre Savigny oder Puchta auf der Grundlage ihrer Volksgeistlehre als geradezu paradox erschienen. Demgegenüber war Jhering bereits in den vierziger Jahren davon ausgegangen, dass die germanistische »Ansicht über die Reception des römischen Rechts« bei aller ihrer grundsätzlichen Verfehltheit zumindest für sich habe, »in der That nur eine consequente Anwendung jener Ideen« zu sein, »deren Verbreitung und Anwendung sich die so genannte historische Schule zur Aufgabe machte«148. Denn – so hieß es später auch im Einleitungsparagraphen zur zweiten Auflage von Geist I – »was hat das römische Recht mit der ›gesammten Vergangenheit der modernen Nationen, ihrem innersten Wesen und ihrer Geschichte‹ zu thun? Ein Eindringling ist es, dem jede Legitimation abgeht […]. Aber gerade sie [sc. die Vertreter der Historischen Rechtsschule] waren es, die ihn [sc. den Eindringling] in Schutz nahmen, als vom Standpunkt der Nationalität aus« in der zeitgenössischen Germanistik »seine endliche Verdrängung begehrt wurde. Eine seltsame Ironie des wissenschaftlichen Fatums! Ein Gedanke, der dem römischen Recht den Todesstoß versetzen muß, heraufbeschworen, um ihm das Leben zu retten, das Panier der Nationalität des Rechts entrollt zu Gunsten des römischen Rechts gegen die, welche aus diesem Gedanken eine Wahrheit zu machen wünschten […]. Auf die Frage: mit welchem Recht haben wir dennoch dem Fremdling Zutritt verstattet, bleibt jene Ansicht uns die Antwort schuldig, von ihrem Standpunkt aus kann das Urtheil über die Reception des römischen Rechts nur dahin ausfallen: es war eine unerklärliche Verirrung der Geschichte, ein Abfall vom ›historischen Princip‹, also von sich selber – ein Räthsel, für das der Wissenschaft die Lösung fehlt.«149 146 Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 4f. (Kursivhervorhebung nicht im Original). 147 Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 8. 148 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (36f.)], Sp. 1518 (Kursivhervorhebungen nicht im Original). 149 Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 4f. Ebenso hatte Jhering auch im Manuskript zu seinem

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Nun hatte allerdings auch schon Savigny den »große[n] Entwickelungsgang der neueren Zeit« darin gesehen, »daß die neueren Nationen nicht in dem Maaße wie die alten, zu einer abgeschlossenen Nationalität berufen waren, daß vielmehr der gemeinsame christliche Glaube um sie alle ein unsichtbares Band geschlungen hatte, ohne doch die nationale Eigenthümlichkeit aufzuheben.«150

Auch damit hatte Savigny seine Lehre, dass das jeweilige »Recht […] mit einer Nation geboren ist«151 und »aus dem innersten Wesen der Nation selbst« hervorgehe152, mit der durch den historischen Vorgang der Rezeption des römischen Rechts unbestreitbaren Tatsache zu vereinbaren versucht, dass in der »neuern Zeit […] Staaten […] im Ganzen ein Recht auf[nahmen], das nicht in ihnen, sondern in einem fremden Volke entstanden war, in einem Volke, mit welchem einige unter ihnen nicht einmal Stammverwandtschaft hatten.«153

Ähnlich hatte auch Puchta mit Savigny und gegen die Germanistik gerichtet die außerordentliche Rolle des römischen Rechts als eines »Ius Gentium der neuen

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Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit« in einer allerdings im Verlauf der Arbeiten später gestrichenen Version gemeint, dass die Auseinandersetzung zwischen Germanisten und Pandektisten über die Rezeption des römischen Rechts durch die in der Historischen Rechtsschule zu konstatierende »Überspannung u[nd] Überschätzung des Prinzips der Nationalität im Recht […] eine recht seltsame [ist]; man möchte sagen, daß die Geschichte in einem Anfluge von Humor u[nd] feiner Ironie sie entworfen habe. Einer der ersten Romanisten aller Zeiten«, nämlich Savigny, »muß jenes Prinzip aufstellen; im Interesse des römischen Rechts. Um das fremde Recht zu retten, entwickelt er uns im Gegensatz mit der bis dahin herrschenden Ansicht, die historische u[nd] positive Natur des Rechts, u[nd] zwar bei Gelegenheit eines Streits, bei dem es sich um die Verdrängung des römischen Rechts handelte. Dem Gegner, der das fremde Recht aufheben u[nd] ein Gesetzbuch in deutscher Sprache einführen will, wird das Prinzip der Nationalität d[e]s Rechts entgegen[ge]setzt. Das römische Recht wird gerettet, gerettet durch dies Prinzip der Nationalität! Diese Widersprüche setzen sich fort […]« [abgedruckt bei: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (249) (Unterstreichungen im handschriftlichen Original wurden hier in Kursivschrift wiedergegeben)]. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 18, S. 80. Ebenso schon F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 37f. (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 119). F.C.v.Savigny, Stimmen (1816), S. 233. F.C.v.Savigny, Zweck (1815), S. 6 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 264). F.C.v.Savigny, System I (1840), § 18, S. 80. Inzwischen war nach F.C.v.Savigny, Stimmen (1816), S. 233 allerdings »eben so das ursprünglich fremde [sc. Recht], was aber viele Jahrhunderte in ihr [sc. der Nation] gelebt hat, ein Stück ihres eigenen Wesens geworden […].« Vgl. im Übrigen zu Savignys Verbindung von neuzeitlicher Rezeption und nationalem Volksgeist O.Behrends, Savigny (1985), S. 272ff. Danach sah Savigny ausgehend von der Vorstellung, daß sich gerade im römischen Recht das universale Rechtsprinzip der Freiheit am vollendetsten verwirklicht habe, in den Inhalten des römischen Rechts sogar ein »Mittel […] zur Wiedergewinnung einer angemessenen nationalen Identität«. Der Volksgeist fungierte damit nur als »Medium der nationalen Kontinuität« für das universal wahre Rechtsprinzip (aaO, S. 273). Ferner jetzt auch O.Behrends, Gewohnheitsrecht (2000), S. 117f.

Vom »Volksgeist« zum »Geist des Volks und der Zeit«

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Welt« und »geistiges Band um die verschiedenen Nationalitäten« betont, in dem er dessen grundlegende Prinzipien als Ausdruck des »allgemein Menschlichen« vorstellte154. Jhering sah in dieser auf die Inhalte des gemeinen römischen Rechts berechneten »Abschwächung des Nationalitätsprincips« jedoch nur eine halbherzige und letztlich auch untaugliche Konzession von »Vertretern des Nationalitätsprincips«. Insbesondere Savigny hätte – so meinte Jhering mit ausdrücklichem Bezug auf dessen hier vorzitierte Passagen – »seine ganze Grundansicht aufgeben müssen, um den Gedanken consequent zu verfolgen«155. In der Tat war Savignys – und auch Puchtas – Vorstellung von einer Abschwächung des Nationalitätsprinzips durch die »Tendenz zum Universalismus, die im Laufe der Entwicklung des antiken römischen Rechts in der Justinianischen Gesetzgebung noch einen letzten bedeutenden Ausdruck findet, und die sich dann in der europäischen Rezeption des römischen Rechts erneut manifestiert«156, nicht eigentlich in der Lehre von der Rechtsbildung, sondern in der Rechtsanthropologie der Historischen Rechtsschule, nämlich in der jedem einzelnen »Volk […] eingepflanzte[n] Rechtsidee«157 begründet gewesen. Die Vorstellung der Rechtsentstehung als Wachstum des Rechts aus dem sogenannten Inneren des Volksorganismus konnte auf diese Weise auch durch die Rezeption des universalen römischen Rechts nicht als widerlegt, sondern im Gegenteil sogar als bestätigt erscheinen. Der Behauptung Jherings, dass anderen Völkern als dem römischen das »Moment [sc. der Universalität] durch die Reception des römischen Rechts von außen und auf Kosten des Moments der Nationalität aufgezwungen« werden musste158, fehlte damit jede Grundlage. Dagegen war nach Jhering die geschichtsphilosophisch »universelle, antinationale Mission des römischen Volks«159, die sich im Altertum in der militärischen Weltherrschaft und in der Neuzeit durch die Inhalte des römischen Rechts im geistig-kulturellen Akt der Rezeption manifestiert habe160, zu unterscheiden von der Frage nach dem jeweiligen Prozess der geschichtlichen Rechtsbildung. 154 155 156 157 158 159 160

G.F.Puchta, System-Rezension (1840), S. 676. Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 12 Fn. 2. So mit Bezug auf Savigny O.Behrends, Savigny (1985), S. 274, 276. G.F.Puchta, Beseler-Rezension (1844), Sp. 14. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 312. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 292. Vgl. nur die berühmten Anfangsworte in Jherings Einleitungsparagraphen zu Geist I (21866), § 1, S. 1: »Drei Mal hat Rom der Welt Gesetze dictirt, drei Mal die Völker zur Einheit verbunden, das erste Mal […] zur Einheit des S t a a t s , das zweite Mal […] zur Einheit der K i r c h e , das dritte Mal in Folge der R e c e p t i o n des römischen Rechts im Mittelalter zur Einheit des Rechts; das erste Mal mit äußerm Zwange durch die Macht der Waffen, die beiden andern Male durch die Macht des Geistes. Die welthistorische Bedeutung und Mission Roms in Ein Wort zusammengefaßt ist die Ueberwindung des Nationalitätsprincips durch den Gedanken der Universalität.«

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Die Ablösung des Volksgeists als Geltungsgrundlage des positiven Rechts

Letztere war nach Jhering nur im Falle des römischen Rechts des Altertums noch Ausdruck des »Nationalitätsprinzips[s]« gewesen161. Für die neuzeitliche europäische Rechtsbildung hat Jhering dagegen auch in »Beziehung auf den Träger [sc. der nationalen Rechtsbildung] […] die Beschränkung auf die Nationalität verworfen«, wie Adolf Friedrich Rudorff als Herausgeber von Puchtas »Vorlesungen über das heutige römische Recht« den Gegensatz Jherings zur »Lehre des Vfs. [sc. Puchtas] und der historischen Schule von der Gründung des Rechts auf die Volksüberzeugung« kritisch hervorhob162. Tatsächlich hatte Jhering gemeint: »Je bereitwilliger ich nun das außerordentliche Verdienst anerkenne, das in der Aufstellung des Nationalitätsprinzips lag, um so weniger darf ich Anstand nehmen, die Einseitigkeit, mit der sich jenes Prinzip geltend machte u[nd] stets wieder geltend machen will, beim rechten Namen zu nennen. Diese Einseitigkeit besteht darin, daß man jenes Prinzip als das ausschließliche Gesetz der Entwicklung des Rechts hinstellte – ein Irrthum, den das Recht des Alterthums allerdings nicht widerlegt, der aber sofort sich in sein Nichts auflösen muß, sobald man seinen Blick von dem Recht eines einzel[nen] Volk[e]s auf die Gemeinsamkeit in der Rechtsentwicklung der modernen Welt erweitert.«163

Universalhistorisch betrachtet schließe mit dem »römische[n] Recht […] die bisherige Weise der isolirten Rechtsentwicklung ab«164. Daher seien »also zwei Hälften der Geschichte […] miteinander zu vergleichen […], die erste, die das Recht des Orients, Griechenlands u[nd] Roms u[nd] die zweite, die das Recht aller neueren Völker umfaßt«165. Aus diesem Vergleich ergaben sich nach Jhering nicht nur graduelle Unterschiede, sondern ein universalrechtshistorisch ganz

161 Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 292. 162 A. F.Rudorff in: G.F.Puchta, Vorlesungen I (61873), § 10, S. 24 Fn. 1 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Rudorff verteidigte hier die hergebrachte Lehre der Historischen Rechtsschule, die inzwischen von »verschiedenen Seiten Gegenstand lebhafter neuerer Angriffe geworden« sei, darunter auch – in »Beziehung auf den Träger« der Rechtsbildung – von der Seite Jherings. 163 Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (238). Fast gleichlautend auch Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 11f. zur »einseitigen Geltendmachung des Nationalitätsprincips« durch die Historische Rechtsschule: »Indem letztere aber die Begriffe geschichtlich und national vollständig identificirte, den Gedanken der Nationalität zum alleinigen und ausschließlichen Princip der Nationalität erhob, beging sie damit einen Irrthum, der […] durch die Geschichte selber, auf die sie sich berief, widerlegt wird.« Damit meinte Jhering insbesondere auch die neuzeitliche Rezeption des römischen Rechts. 164 Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (241). 165 Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (238).

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grundsätzlicher »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«166. Auch schon in den vierziger Jahren hatte Jhering im Manuskript zum »Zweiten Buch« seiner »Juristischen Enzyklopädie« die universalrechtshistorische Aufwärtsentwicklung hervorgehoben, die darin liege, dass die seit dem Mittelalter zu beobachtende Rechtsentwicklung in Europa in einem vollständigen »Gegensatz zum Orient u[nd] Alterthum«167 stehe, da »diese Entwicklung nicht mit der des Alterthums zu vergleichen [ist], wo zwar ein […] ein lebendiges u[nd] reiches Wachsthum von innen heraus wahrzunehmen ist, aber wo dieses Wachsthum gerade darauf beschränkt ist«168, noch »verharrend im abgeschlossenen Für sich Sein«169. »Ganz anders nun bei den modernen Völkern. Mit ihnen betritt die Geschichte eine höhere Stufe. […] Was sie jetzt Großes entstehen läßt, bindet sie nicht wie früher an ein Volk, sondern macht dasselbe bald zum Gemeingut der übrigen geschicht.[ichen] [sic!] Völker«170, indem im Prozess der Rechtsentwicklung jedes Volk »vieles von außerhalb entlehnt«171. Es ist Michael Kunze zuzustimmen, dass hier wohl ein wesentlicher Grund für die bereits angeführte Bemerkung des jungen Jhering lag, »daß die Ansicht der s.[o] g.[enannten] histor.[ischen] Schule: von dem nationalen Charakter des R.[echts] einer bedeutend[en] Modifik.[ation] bedarf.«172

In einer – allerdings wieder gestrichenen – Passage seines vermutlich im Jahre 1853 entstanden Vortragsmanuskripts über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit« hatte Jhering zwar noch betont versöhnlich formuliert, dass jede »neue tiefeingreifende Wahrheit«, mithin auch 166 So bezeichnete Jhering einleitend den »Gegenstand meines Vortrages« über den Gegensatz der Rechtsbildung [abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (237)]. 167 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 42, Bl. 39r. 168 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 42, Bl. 39v. 169 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 42, Bl. 39r. 170 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 42, Bl. 39v, 40r mit ausdrücklichem Bezug auf E.Gans, Erbrecht III (1829), S. 39 (unten). Dass es »geschichtliche Völker«, aber auch außerhalb der Geschichte stehende Völker gebe, war ein Gedanke aus der Geschichtsphilosophie Hegels, der von der Historischen Rechtsschule, insbesondere von Puchta, bisher strikt zurückgewiesen worden war. 171 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 42, Bl. 40v. Zwar ging Jhering hier noch von drei universalrechtshistorischen Rechtsbildungsstufen aus, nämlich derjenigen des Orients (§§ 30ff.), des klassischen Alterthums (§§ 36ff.) und der »neuern christlichen Völker« (§§ 42ff.). Vgl. dazu M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 166ff., 178. Aber in Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 34v hatte Jhering auch schon resümiert: »Die Rechtsbildung d[e]s Mittelalters u[nd] der Gegenwart unterscheidet s.[ich] von d[e]r d[e]s Orients u[nd] d[e]s klass.[ischen] Alterthums durch die Gemeinsamk[ei]t, die in dieser Bezieh[un]g zw.[ischen] d[en] verschied[enen] Nation[en] statt find[et].« 172 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 50, Bl. 53v. Vgl. dazu M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 170, 172.

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»die Erkenntniß [sc. der Historischen Rechtsschule von] der geschichtlichen oder spezieller der nationellen Natur des Rechts […] bei ihrem ersten Auftreten das Vorrecht der Einseitigkeit« habe, »u[nd] der historischen Ansicht wird man daraus keinen Vorwurf machen, daß sie sich dieses Rechts bedient hat, am wenigsten aber jenem Mann, der wenn auch nicht ohne Vorläufer doch für ewige Zeiten mit Recht als Vater der heutigen Jurisprudenz gefeiert werden wird – ich brauche den Namen von Savigny nicht erst zu nennen […].«173

Umso notwendiger war es nach Jhering nun aber, diesen »Irrthum« aufzudecken, nämlich »die Einseitigkeit […] beim rechten Namen zu nennen«174. Denn andernfalls würde die Wissenschaft weiterhin »weder im Stande sein die Welt, in der sie selber lebt, zu begreifen, noch auch die geschehene Reception des römischen Rechts wissenschaftlich zu rechtfertigen.«175 Das Unterscheidende zur bisherigen Rechtsentstehungslehre der Historischen Rechtsschule war dabei nicht die Benennung von »einzelnen Faktoren u[nd] Kräfte[n]«, wie Christentum, römisches Recht und europäische Rechtswissenschaft, »deren sich das Prinzip [sc. der Universalität] in der neueren Rechtsgeschichte bedient hat«176, sondern die Art und Weise, wie die an den Rechtsinhalten zu beobachtende Universalisierungstendenz in den Rechtsord173 Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (247f.) (Unterstreichung im handschriftlichen Original in Kursivschrift wiedergegeben, zu den Streichungen an dieser Stelle aaO, S. 248f. Fn. 838). 174 Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (248) (Unterstreichung im handschriftlichen Original in Kursivschrift wiedergegeben, zu den Streichungen an dieser Stelle aaO, S. 248f. Fn. 838). 175 Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 12. 176 Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (244). Im Christentum sah Jhering »den ersten Ansatz zur Universalität«, »denn das Christenthum proklamirt zuerst das Recht der Menschheit im Gegensatz zu dem des einzelnen Volkes […], die Rechtsfähigkeit des Menschen als solchen im Gegensatz zu der des Bürgers.« Dem »kanonischen Recht reiht [?] sich nun als zweiter Mittelpunkt der neuen Rechtsbildung […] an das römische. Hier feiert in gewissem Sinn die Idee der Universalität des Rechts schon einen ungleich höheren Triumpf, als im kanonischen« (aaO, S. 244f.). Denn durch die Rezeption wurde das römische Recht »die Wiege der neueren Rechtswissenschaft, um diesen Mittelpunkt scharten sich Jahrhunderte lang fast alle continentalen Völker, ihre Kräfte vereinigend zu der einen Aufgabe der Wiederbelebung dieses Körpers« (aaO, S. 246). Als »dritten Faktor der modernen universellen Rechtsbildung« nennt Jhering hier »die Wissenschaft« (aaO, S. 247 – Unterstreichungen in der Handschrift hier in Kursivschrift). Vgl. insoweit auch schon beispielsweise G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 35, S. 107 zum zeitgenössischen »mächtigen Zug [sc. aller zeitgenössischen Wissenschaften] nach geistigem Verkehr unter den Nationen«, in der Rechtswissenschaft allerdings wieder nur vermittelt durch das der Idee des Rechts zumindest nahekommende römische Recht »als allgemeines Recht der civilisirten Nationen«.

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nungen der sogenannten modernen Völker wirksam geworden sei, nämlich nicht, »wie S av i g ny […] lehrt: von innen heraus, aus dem Schooß des Volkslebens«177 durch die – wie wiederum Puchta formulierte – von vornherein dem »Volk […] eingepflanzte Rechtsidee«178, sondern durch Einwirkung und Entlehnung von außen aufgrund »friedlicher und feindlicher« Berührung179. »Nicht mehr sind es einzelne Rechte« der Völker, charakterisierte Jhering das Prinzip der »Universalität« in Anwendung auf den Prozess der Rechtsbildung, »die für sich allein zu verschiedenen Zeiten u[nd] nach ganz verschiedenen Richtungen hin ihre Entwicklungsstadien zurücklegen, die Isolirung u[nd] die einseitige Herrschaft des Nationalitätenprinzips ist aufgehoben, es tritt ein gemeinsames Leben u[nd] Wirken ein, Mittelpunkte sind gefunden, um die die einzelnen Rechte sich gruppieren, gemeinsame Elemente gegeben, die sie sich aneignen, gemeinsame Motive in Thätigkeit getreten, die bei ihnen allen eine gleichmäßige Bewegung veranlassen.«180

Eine ganz entscheidende Rolle spielten nach Jhering dabei Handel und Verkehr. So hob Jhering im Hinblick auf die Bedeutung fremder Rechtsordnungen für die Rechtsbildung bereits Anfang der vierziger Jahre hervor, dass das Recht, welches »für den Verkehr im Lande bereits gilt […] fremde Elemente in s[ich] aufnehmen muß«, und dass es »Niemand« einfiele, »über d[en] Verlust d[e]s National[e]n zu klagen«, denn »der Verkehr selbst streift ja d[a]s Nationale ab.«181 Und so wie Jhering 1866 die Bedeutung des internationalen Handels für die moderne Rechtsbildung betonte, durch die »in wechselnder Reihenfolge […] eine Menge von Instituten, Fragen und Problemen« aufkämen, welche »die Völker […] zum gemeinsamen Denken und Thun zusammenführen: das Lehnswesen, das Wechsel-, Handels- und Seerecht«182, genauso hatte er schon in den vierziger Jahren unter anderem diese Rechtsgebiete als Beleg für das »Gemeinsame der modernen Rechtsbildung« angeführt183. Vor allem aber erschien der gesamte

Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 9. G.F.Puchta, Beseler-Rezension (1844), Sp. 14. Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 5. Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (244). 181 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 8v (Kursivhervorhebung nicht im Original)]. Das Recht dürfe nicht zum »Hemmschuh d[e]s Hand[e]ls« werden (aaO, Bl. 8v). 182 Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 11. 183 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 42, Bl. 39r; § 53, Bl. 106ff. (Lehensrecht); § 54, Bl. 104ff. (Handels- und Wechselrecht). So entstände vor allem durch den »Handel […] eine Verkehrsgemeinschaft unabhängig von jeder Nationalität« mit entsprechenden Folgen für die Rechtsbildung (§ 54, Bl. 104r). Klassisches Beispiel für die Bedeutung der »unzähligen Einwirkungen und Entlehnungen von der Außenwelt« [Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 8] war für Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 40v, 104v, 105r das »Wechselinstitut«. Es »ging von Italien auf andere Länder über, in Deutschland scheint es erst im 16[.] J[a]h[r]h[undert] allgemein in Aufnahme gekommen zu sein.« Vgl. zu dieser Kontinuität in

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Vorgang der Rezeption des römischen Rechts zumindest rechtsquellentheoretisch betrachtet nicht mehr – wie noch bei Savigny – als der »größte und merkwürdigste Act eines Gewohnheitsrechts«184, sondern als insoweit typischer Ausdruck einer modernen – auch gewohnheitsrechtlichen – Rechtsbildung, deren spezifisches Charakteristikum in der Aufnahme fremder Gedanken liege, »der gegenseitigen Aushülfe, Förderung, Erziehung der Völker […]. Das Ungewöhnliche liegt hier nur in der Massenhaftigkeit des fremden Stoffs, der hier mit einem Male aufgenommen ward, ein Umstand, der für unsern Rechtsorganismus dieselbe Stockung, Störung, Beklemmung zur Folge hatte, wie sie eine Ueberladung mit Nahrung auch für den physischen Organismus nach sich zieht.«185

Gerade an der Verwendung der von Jhering auch nach seiner methodentheoretischen Wende in der Rechtsdogmatik beibehaltenen romantischen Metaphern der Historischen Rechtsschule wie »Organismus«, »Assimilation«, »Volksindividuum« kann man erkennen, mit welchem im Vergleich zu Savignys oder Puchtas Sprechweise veränderten Bedeutungsgehalt Jhering diese füllte. So forderte er zwar noch in Savignyscher Terminologie, dass die »Aneignung« fremder Ideen »keine mechanische, äußerliche bleiben, sondern […] eine organische, eine Assimilation sein« müsse186, aber er verband damit bereits nicht mehr dasselbe wie einst Savigny. Während nämlich Savigny unter Zugrundelegung seiner Vorstellung eines geschlossenen Organismus, der zu seiner Entwicklung keiner äußeren Einwirkungen bedarf, derartige »Assimilationen«, »wie häufig sie auch in der Geschichte vorkommen mögen«, nur als »Anomalien«187 begreifen konnte, verstand Jhering sie als Regelfall der modernen Rechtsbildung. Hatte Savigny die »sittliche Kraft und Gesundheit des Volkes«188 von außen gefährdet gesehen und daher mit dem Begriff der »organischen Assimilation« den Gedanken einer Abweisung oder wenigstens inhaltlichen Neutralisierung der dem nationalen Volksgeist »fremden« Ideen verstanden189, verwendete dagegen Jhering den Ausdruck »Organismus«, um die Notwendigkeit des Gegenteils zu begründen. »Was Lebenskraft in sich trägt, ein gesundes

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Jherings Rechtsdenken auch schon E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 792; Ders., Noten (1910), S. 338 Fn. 5. So F.C.v.Savigny, System I (1840), § 18, S. 78. Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 12. So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1519 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (40)]. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 10, S. 31. Angesichts dessen kann Jhering Savignys Organismusverständnis so »gröblich« nicht mißverstanden haben, wie E.Wolf, Rechtsdenker (41963), S. 634 Fn. 30 im Hinblick auf Jherings Polemik in Geist I (21866), § 1, S. 5f. meint. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 10, S. 32. Ein »fremdartiges historisches Moment« mußte nach Savigny nicht nur »verarbeitet«, sondern auch »überwunden« werden, andernfalls »ein krankhafter Zustand daraus hervorgehen« würde [F.C.v.Savigny, System I (1840), § 10, S. 31f.].

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Glied im Volksorganismus ist, läßt sich so leicht nicht vernichten […].«190 Aus diesem Grunde hielt er es auch für »beschränkt oder vermessen«, wenn allzu pauschal argumentierende zeitgenössische Kritiker des römischen Rechts »an der Stelle des großartigen Austausches der Ideen im Welthandel ein Einfuhrverbot zu wünschen« schienen, nur »um einheimische Armseligkeiten zu retten […] gegen den frischen Luftzug, der von außen kommt und ihnen Verderben droht«191. Entsprechend dienten Jhering die beibehaltenen Vergleiche zwischen menschlichem Individuum und »Volksindividuum«192, zwischen einem Naturorganismus und einem geistigen Organismus dazu, seine lebenslange Überzeugung argumentativ zu stützen, dass zu »nehmen und geben«193 die »Bestimmung der Völker sowohl wie der Individuen« sei194. Frühe historische Rechtsordnungen, die nach Jhering »kaum einen historischen Anhaltspunkt von einiger Erheblichkeit« für ein solches »Geben und Nehmen« zwischen den Völkern bieten195, waren für Jhering damit auch kein idealer Urzustand, sondern Ausdruck eines universalrechtshistorisch noch unentwickelten Rechtszustan190 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1520 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (42)]. Hier klang auch der Gedanke der Hegelschen Geschichtsphilosophie an, dass Ideen und nicht Völker die Welt beherrschen. Danach gab es ein »Vorrecht des geistig Größeren«, das immer »das Geringere« eines nationalen Volksgeistes »in seine Kreise zieht und zu berauben oder umzugestalten« (aaO) geschichtlich berechtigt ist. Vgl. insoweit später auch Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 7: Jedes Volk, das »den Contact mit einer fremden Cultur […] nicht verträgt, […] hat eben damit sein Anrecht auf weitere Existenz verwirkt«. 191 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1519 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (38f.)]. Vgl. Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 2f., wo es fast identisch hieß: »Wie die Nationen im Handelsverkehr ihre Produkte und Fabrikate gegen einander umsetzen, so findet auch ein g e i s t i g e s AustauschGeschäft unter ihnen Statt, und täglich entlehnt die eine von der andern in Kunst, Wissenschaft, Recht u.s.w., ohne daß sie davon eine Gefährdung ihrer Nationalität befürchtete.« Ferner Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 5, 8: »[…] großartiges, alle Seiten des menschlichen Daseins umfassendes Austauschgeschäft.« Vgl. auch die Nachweise bei C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 39f. 192 Jhering, Schuldmoment (1867), S. 164; DERS., Zweck I (11877), S. 90; DERS., Zweck II (21886), S. 21, 105. 193 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1519 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (39f.)]. Vgl. auch Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 5: »[…] ein Geben und Nehmen, Entlehnen und Mittheilen, kurz ein großartiges […] Austauschgeschäft.« 194 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1519 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (39f.)]. Auch gut zwanzig Jahre später formulierte Jhering in Geist I (21866), § 1, S. 7: »Das ist […] die Bestimmung der Völker. Gedeihen eines Volks ist wie das des Individuums unausgesetztes Aufnehmen von außen.« Weitere zwanzig Jahre später hieß es in der allerdings erst posthum erschienenen Entwickl.gesch.(1894), S. 37f.: »Erkenntnis der Beeinflussung der Völker sowohl wie der Individuen von der Außenwelt […] das ist eine der wertvollsten Früchte am Baum der menschlichen Erkenntnis«. 195 Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 9.

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des. Für die universalhistorisch frühe »Herrschaft des Nationalitätsprinzips, das Bestreben des Rechts, sich gegen […] Einflüsse von außen möglichst abzuschirmen«196, war nach Jhering immer, ob im vergangenen Altertum oder im zeitgenössischen Orient, ein Preis zu zahlen. Denn mit »der vollständigen Entwicklung der einzelnen Nationalität« gehe gleichzeitig auch »die Fähigkeit einer Reception von außen« und »einer Umgestaltung von innen heraus verloren«197. Es war daher kein Bruch mit seiner eigenen Auffassung, sondern nur eine konsequente und den offenen Gegensatz zu Savigny nicht mehr scheuende Formulierung dieser Grundgedanken, wenn Jhering 1866 im Einleitungsparagraphen zur zweiten Auflage von Geist I das Savignysche »Musterbild der sogenannten organischen oder naturwüchsigen Entwicklung des Rechts«198 als schlicht unorganisch charakterisierte199. Mit der Forderung nach »organischer Assimilation« wollte Jhering daher nicht einer von außen drohenden Gefahr entgegentreten, sondern der Gefahr, die – modern gesprochen – im gesellschaftspolitischen Sinne von innen droht, wenn nämlich ein Volk sein eigenes Recht nicht mehr versteht200, weil eine »innerliche Aneignung«201 fremder Rechtsformen und Grundsätze nicht durch die Gesamtheit der Rechtsunterworfenen, sondern nur durch gelehrte Juristen stattgefunden hat. Jede wirkliche »Assimilation« eines fremden Rechts setzte nach Jhering daher immer voraus, dass beispielsweise das römische Recht seine 196 Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (239f.). 197 Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (241). 198 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 38. 199 Vgl. Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 5f.: »Dasselbe Gesetz, welches für die leibliche Welt gilt, besteht auch für die geistige: Leben ist Aufnahme von außen und innerliche Aneignung; Reception und Assimilation sind die beiden Fundamentalfunctionen, auf deren Dasein und Gleichgewicht das Bestehen und die Gesundheit jedes lebenden Organismus beruht. Die Aufnahme von außen verwehren und den Organismus zur Entwicklung ›innen heraus‹ verurtheilen heißt ihn töten – die Entwicklung von innen heraus beginnt erst mit der Leiche!« Und im Lichte neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse fand der späte Jhering sogar in der Leiche, im toten Organismus, eine Bestätigung für die Verfehltheit der Ansicht der Historischen Rechtsschule: »Von wie vielen Vorgängen, welche eine frühere Zeit auf Ursachen im Innern des Körpers zurückführte, wissen wir heutzutage, daß sie durch äußere Einflüsse (Bazillen) herbeigeführt werden: das Verschimmeln, Verfaulen, Verwesen, […]« [Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 37; DERS., Zweck II (11883), S. 113]. 200 So Jhering im Hinblick auf die Rezeption des römischen Rechts sogar wörtlich in Kampf (1872), S. 89f.: »Ein fremdes Recht in fremder Sprache, eingeführt durch die Gelehrten und nur ihnen vollständig zugänglich […]. Kann es uns Wunder nehmen, dass […] das Volk sein Recht und das Recht das Volk nicht verstand?« Für G.F.Puchta, Gewohnheitsrecht I (1828), S. 202 dagegen entstammte die Ansicht von der »Eigenschaft des römischen Rechts als eines fremden […] erst dem gutgemeinten, aber sehr übel angebrachten Eifer der Germanisten.« 201 Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3.

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für Rechtsunkundige nicht verständliche »Form, durch die es sich beständig als Fremdling verrathen würde, abstreifen« müsse202. Die Stoßrichtung war klar, es ging Jhering konkret um »die Mißverhältnisse, daß in Deutschland noch ein Gesetzbuch in fremder Sprache gilt«, und um die daraus abgeleitete Forderung, dass »dieses Recht i n d e r F o r m , in der es noch in den kleineren deutschen Staaten gilt, aufgehoben werden und ein deutsches Gewand annehmen möge«203. Jhering forderte damit bereits in den vierziger Jahren etwas, was nach der bisherigen Lehre der Historischen Rechtsschule nicht nur unnötig204, sondern auch möglichst zu verhindern gewesen war, nämlich die, »ich möchte sagen, Naturalisierung des römischen Rechts« durch die »neuere deutsche Gesetzgebung«205. Abgesehen davon, dass die Forderung nach einer Privatrechtskodifikation 202 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1519 [Kursivhervorhebung nicht im Original – vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (40)]. 203 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1522 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (40f.)]. Fast identisch hieß es bei Jhering auch in Geist I (11852), § 1: »Jene voraussichtliche Verdrängung des römischen Rechts wird aber mehr seine Form, als seinen Inhalt treffen« (S. 2). »Das römische Recht als G e s e t z b u c h in fremder Sprache hat diesen Assimilirungsprozeß nie durchmachen können und muß darum auch wieder ausgestoßen werden […]« (S. 3). 204 In der Lesart der Historischen Rechtsschule war die »innerliche Aneignung« des römischen Rechts dadurch erfolgt, dass es sich die Juristen als Vertreter des Volkes angeeignet hatten. So bestand für die Historische Rechtsschule auch kein Widerspruch darin, dass der Nation ein Recht zum »Stück ihres eigenen Wesens geworden ist« [vgl. F.C.v.Savigny, Stimmen (1816), S. 233], das die Mehrheit der Betroffenen schon rein sprachlich gar nicht verstehen konnte. Unter der Prämisse Jherings, dass eine wirkliche Assimilierung des römischen Rechts in Deutschland noch bevorstände, hätte es nach der Historischen Rechtsschule als Gewohnheitsrecht in Deutschland niemals gelten können. In den fünfziger Jahren setzte sich allerdings auch unter anderen jüngeren Pandektisten zunehmend die Auffassung durch, dass »die Art und Weise, wie sich die historische Schule die Herrschaft des römischen Rechtes in Deutschland zurechtlegte [sic!]« [B.Windscheid, Röm.Recht (1858), S. 44], historisch nicht haltbar sei. 205 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1522 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (40f.)]. Genau umgekehrt sah zur selben Zeit F.C.v.Savigny, System I (1840), S. XXVIIIf. das Problem des gegenwärtigen Rechtszustandes nicht in denjenigen Ländern, die noch keine »neue[n] Gesetzbücher an die Stelle des Römischen Rechts« gesetzt hatten, in denen also »noch jetzt das Römische Recht die [sc. juristisch verbindliche] Grundlage der Rechtspraxis« bildete, sondern gerade »in den Ländern […], die mit einheimischen Gesetzbüchern versehen sind«, da mit der »einheimischen« Partikularrechtsgesetzgebung insbesondere das »Übel […] der gänzlichen Abtrennung von der wissenschaftlichen Bearbeitung des gemeinen Rechts« verbunden sei. Die Gefahr der Abwertung der bisherigen gemeinrechtlichen »Wissenschaft […] zur Landesjurisprudenz« sah zwar auch Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 15, aber er erblickte gerade darin eine Chance für die »vergleichende Jurisprudenz […], und so wird der scheinbare Verlust [sc. der Rechtswissenschaft] in der That zu ihrem wahren Heile ausschlagen, sie auf eine höhere Stufe der wissenschaftlichen Thätigkeit erheben.«

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bisher vornehmlich von erklärten Gegnern der Historischen Rechtsschule erhoben worden war206, ist vor allem Jherings Begründung bemerkenswert. Jhering nahm nämlich den Savignyschen Gedanken der Notwendigkeit einer Assimilation fremden Rechts beim Wort, um von ihm ausgerechnet »Anwendung auf die Reception des römischen Rechts zu machen«207. Savigny dagegen war es bei seiner Forderung, dass ein »fremdartiges historisches Moment« im sich verändernden Recht assimiliert, das heißt »überwunden und verarbeitet werden« müsse, vor allem um die Abwehr politisch gefährlicher Gedanken gegangen, wie etwa der den politischen status quo berührenden »gefährlichen Lehre, welche die Staaten durch den willkührlichen Vertrag ihrer einzelnen Mitglieder entstehen läßt«208. Insofern hätte Savigny nichts ferner gelegen als eine Schaden und Nutzen der Rezeption des römischen Rechts bilanzierende – so der junge Jhering wörtlich – »Abrechnung«209 und eine kritische, wenn auch von einer »Verherrlichung des germanischen Rechts« sich frei haltende210 Diskussion über Form und Inhalt des römischen Rechts211 mit dem Ziel, die »Verdrängung des römi206 Hier ist zum Beispiel der Hegelianer Johann Friedrich Kierulff zu nennen, der nicht die Bedeutung des römischen Rechts für die allgemeine Entwicklung des Rechts und damit auch für den zeitgenössischen Rechtszustand, wohl aber das »Corpus juris […] als Gesetzbuch« in Frage stellte [J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. XXVIII]. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 25f. (= Ges. Aufs. I, S. 22) zählte übrigens Kierulffs vorgenanntes Werk neben Savignys »System des heutigen römischen Rechts« und Puchtas »Cursus der Institutionen« zu den drei bedeutendsten der Gegenwart. So erklären sich wohl auch Parallelen zwischen den Auffassungen Kierulffs und des jungen Jhering, die mit den Auffassungen Savignys und Puchtas nur schwerlich zu vereinbaren waren. 207 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1519 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (40f.)]. 208 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 10, S. 31f. Vgl. W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 40 Fn. 92, S. 72f.; M.Kriele, Rechtsgewinnung (1967), S. 80 und ferner H.Coing, Organismus (1973), S. 151; H.Hattenhauer, Einleitung (1973), S. 34ff., 46ff.; R.Gmür, Savigny (1962), S. 14 sowie schon Jhering selbst zu den politischen Folgen des von ihm sogenannten romantischen »Conservativismus« der Historischen Rechtsschule [Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 14f.]. R.Ogorek, Volksgeist (1985), S. 8 konkretisiert diesen Befund des »Conservatismus« dahingehend, dass Savignys kritische Haltung gegenüber der Staatsmacht nicht schlechthin bestand, sondern nur insoweit, als der Staat sich anschickte, mit allgemeinen Gesetzen in überkommene Rechte einzugreifen und traditionell verbürgte Privilegien abzubauen. Noch differenzierter O.Behrends, Savigny (1985), S. 280– 284 m.w.N. 209 Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3. 210 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1522 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (47f.)] sowie auch Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 2 dazu, dass es »nicht die Aufgabe [sc. sei], in krankhafter Erregung des Nationalgefühls jede Partikel des römischen Rechts, bloß weil sie römischen Ursprunges ist, […] auszustoßen.« »Kein Verständiger nämlich wird dieselben als einen Krankheitsstoff betrachten, den unser Rechtsorganismus, um wieder zu genesen, ganz und gar auszuscheiden hätte.« 211 Vgl. Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 8: Denn »Weihrauch hat man dem römischen Recht

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schen Rechts« als »Gesetzbuch in fremder Sprache« vorzubereiten bzw. »noch […] selbst mit Hand ans Werk zu legen«212. Neben der Frage nach der Bedeutung fremder, universalgeschichtlich früherer wie auch historisch zeitgenössischer Völker verband sich mit Jherings Kritik an der »Ansicht der s.[o] g.[enannten] histor.[ischen] Schule: von dem nationalen Charakter des R.[echts]«213 aber noch ein anderer, das Verhältnis von Volk und dessen Rechtsordnung selbst betreffender Aspekt. Jherings Kritik muss nämlich auch im Lichte seiner bereits frühzeitigen Ablehnung einer allzu romantisch-religiösen Mystifikation des Volksgeistes gesehen werden. Dieser Ablehnung hatte Jhering auch schon im ersten Band von Geist I deutlich Ausdruck gegeben, wenn er dort kritisierte, dass die »Romantik unserer heutigen historischen Ansicht« in der Volksgeistlehre den einzelnen »frei handelnden Menschen« aus dem Blick verloren habe und Gefahr laufe, mit Verweis auf den in der Gemeinschaft des Volkes sich verkörpernden Volksgeist »der Frage nach dem Werden des Staats und Rechts lieber gänzlich auszuweichen und beide für gewissermaßen auf übernatürliche Weise von Gott fertig in die Welt gesetzte Institutionen zu erklären […].«214 Tatsächlich hatte beispielsweise Puchta in Abwehr rationalistisch-individualistischer Rechtsentstehungsmodelle wie der Vertragstheorien geltend gemacht, dass für die Rechtsentstehung nur eine vorrechtliche geistige Gemeinschaft215, nämlich die »Volksverbindung, deren Seele die Liebe des Vaterlandes ist«, in Betracht komme, da alles »menschliche Recht […] ein gemeinsames Bewußtseyn als seine Quelle voraus[setzt]« und dieses vorangehende »Bewußtsein, welches die Glieder eines Volks als ein gemeinsames durchdringt, […] mit ihnen geboren ist«216.

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genug gestreut […].« Stattdessen sei – so Jhering, aaO, § 1, S. 3 eine »genaue Prüfung des Materials unerläßlich« und damit eine inhaltliche »Auseinandersetzung mit dem römischen Recht […] erforderlich. Was ist uns denn das römische Recht bisher gewesen, was kann und darf es uns fortan sein, wie sind die Mittel, über die es gebietet und die es uns zu Gebote stellt, beschaffen u.s.w., das sind die Fragen, über die wir uns am Tage jener Abrechnung bereits völlig klar geworden sein müssen.« Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 2f.: »Die gegenwärtige Generation von Juristen muß darauf gerüstet sein, das römische Recht in seiner bisherigen Gestalt scheiden zu sehen […].« Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 50, Bl. 53v. Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219. Vgl. dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 176f. Angesichts der in der Historischen Rechtsschule vorhandenen Empfindlichkeiten gegenüber dem rationalistisch-individualistischen Rechtsdenken mutet es fast provokativ an, wenn Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 218f. dem von der Historischen Rechtsschule mit Verweis auf das sogenannte organische Volksganze bekämpften Vertragsgedanken aus der »Zeit der Herrschaft des Naturrechts« zumindest insofern eine »relative«, nämlich historische »Berechtigung« zubilligte, als die »naturrechtliche Doctrin« nicht »der Frage nach dem Werden des Staats und Rechts […] auszuweichen« versuchte, sondern die Frage nach dem »woher beide?« wenigstens gestellt habe, wie Jhering auch noch in Zweck I (11877), S. 241 bekräftigen sollte. G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 8, S. 17; § 11, S. 24.

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Dieser einigenden »Liebe des Vaterlandes« und der Ursprünglichkeit der »geborenen« bzw. keimhaft »eingepflanzten« Rechtsüberzeugung setzte Jhering schon in Geist I eine ganz andere geschichtliche Realität des römischen Rechts gegenüber, wenn er dessen Anfänge in dezidiertem Gegensatz zur Historischen Rechtsschule217 auf Gewalt und das individuelle Rechtsgefühl zurückführte. Die sich allein auf das innerliche Rechtsgefühl, also »das Gefühl der e i g n e n Berechtigung«, stützende Gewalt218, die »Selbsthülfe und Rache«219 bzw. »persönliche Thatkraft« des einzelnen als ursprüngliche »Quelle des Rechts«220, das waren für Savigny und auch für Puchta221 ganz unmögliche Vorstellungen gewesen, nämlich gleich zu setzen mit dem – so Puchta wörtlich – »bellum omnium contra omnes«222. Für Jhering dagegen war dieser »gesellschaftliche Zustand […] nichts weniger als jener erträumte bellum omnium contra omnes, sondern […] ein R e c h t s zustand, in dem ein Recht existirt und sich verwirklicht.«223 Im Hinblick auf diesen Gegensatz zur Historischen Rechtsschule wies Jhering in seiner Spätzeit durchaus zu Recht darauf hin, dass er den »Grundfehler unW.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 277ff. Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 105. Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 115. Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 104 sowie DERS., Entwickl.gesch.(1894), S. 21. Jhering glaubte – nach O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 129f. allerdings historisch verfehlt – eine historisch authentischere Darstellung der geschichtlichen Anfänge jeder Rechtsbildung zu geben, indem er »unsere ganze heutige Vorstellungsweise von Staat und Rechtsordnung daheim [sc. zu] lassen« versuchte [Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 103f.] und im Gegensatz zur »Romantik unserer heutigen historischen Ansicht« (aaO, § 15, S. 219) jede Idealisierung des Beginns geschichtlicher Rechtsbildung vermeiden wollte: »Wo hätte es ein Recht gegeben, das nicht aus der Thatkraft der Individuen hervorgegangen wäre, und dessen Ursprünge sich nicht in den dunklen Hintergrund der physischen Gewalt verlören? Aber bei manchen Völkern ist […] jene Periode der Thatkraft und der gewaltsamen Bildung des Rechts, im Laufe der Zeit völlig verschüttet, und ihre Tradition weiß nichts mehr« davon, dass »der menschliche Schweiß und das Blut […] dem Ursprung des Rechts anklebt« (§ 10, S. 103f.). »Die Thatkraft, die Gewalt also ist die Mutter des Rechts« (aaO, § 10, S. 112). Auch in der zweiten Auflage von 1866 sollte Jhering, Geist I (21866), § 11, S. 121 Fn. 25a »gegenüber der herrschenden Ansicht« weiterhin bekräftigen: »Aus ihr [sc. der Gewalt] ist […] die ganze Rechtsordnung hervorgegangen – woher sonst?« Und dies wurde für Jhering zunehmend zu einer Frage, die »nicht bloss ein historisches, sondern ein eminent rechtsphilosophisches Interesse« habe [Jhering, Zweck I (21884), S. 246]. 221 Dezidiert anderer Auffassung ist dagegen O.Behrends, Wieacker-Nachruf (1995), S. LIV Fn. 93; DERS., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 112f., 129f., 153. Ebenso auch B.Klemann, Jhering (1989), S. 145. Vgl. aber dagegen C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 222f. Fn. 1010, S. 312 Fn. 1523. 222 G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 8, S. 17. 223 Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 103. Vgl. W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 198f. et passim zu dieser »Zentralthese des Jheringschen Rechtsdenkens« in dessen Früh- und Spätwerk. Kritisch zu »Jherings (unhistorische[n], aber folgenreiche[n]) ›Selbsthilfetheorie‹« O.Behrends, Hugo (1996), S. 166f. Fn. 10; Ders.. Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 112ff., 129f.

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serer herrschenden Auffassung« über die Bedeutung der rechtlichen Überzeugung für die Rechtsentstehung bereits im ersten Band zum »Geist des römischen Rechts« öffentlich bezeichnet habe224. Und wenn nach Ansicht des jungen Jhering auch in späteren Rechtszuständen mit staatlich monopolisierter Gewalt viele Rechtssätze ihre »praktische Realität nicht der Macht der r e c h t l i c h e n Ueberzeugung, der Idee der Gerechtigkeit« verdankten, »sondern […] das Werk einer durch materielle Gründe, durch die Noth des Lebens und den Drang der Umstände […] und durch die Motive der Z w e c k m ä ß i g k e i t geleiteten menschlichen Thätigkeit«225 seien, dann war hier Jherings spätere Überzeugung, »dass a l l e Rechtssätze und Rechtseinrichtungen ohne Ausnahme praktischen Motiven ihren Ursprung verdanken, lediglich Niederschläge der historischen Erfahrung sind«226, bereits deutlich angelegt227. Zwar war auch für Jhering eine »Gemeinschaft zweifellos der Keim des spätern Staats und Rechts«228, aber im Gegensatz zur frühen Historischen Rechtsschule begriff er die »Gemeinschaft«, 224 Jhering, Zweck I (21884), S. 256f. Anm.* mit ausdrücklichem Verweis auf Geist I (11852), § 10. Dort hatte Jhering in der Tat nicht nur gegen den »Nimbus göttlicher Entstehung« (aaO, § 10, S. 104) polemisiert und im Hinblick auf jede, also nicht nur die römische Rechtsentwicklung, die Gewalt als die »Mutter des Rechts« bezeichnet, sondern ganz grundsätzlich zu bedenken gegeben: »Ist denn unsere Scheidung von Recht und Gewalt in der That eine richtige, gibt es nicht auch heutzutage Gebiete, in denen beide Hand in Hand gehn?« – im innerstaatlichen Recht nur noch »schüchtern und verstohlen« etwa beim Duell oder der Notwehr, auf staats- und völkerrechtlicher Ebene dagegen noch offen und allgemein anerkannt beim Aufstand gegen den Tyrannen, beim Staatsstreich oder beim Krieg [Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 104f.; Ders., Kampf (1872), S. 21, 156 Fn. 34; Ders., Zweck I (21884), S. 250ff., 422ff.]. 225 Jhering, Geist I (11852), § 16, S. 229. In der posthum erschienenen Einleitung zur »Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts« vermerkte Jhering zur Historischen Rechtsschule: »Auf alle Fragen hat sie überall nur eine und dieselbe Antwort: Volksseele, nationales Rechtsgefühl – das Volk hat die Sache einmal so und nicht anders angesehen, damit ist alles abgethan, es ist das Fatum auf dem Gebiet des Rechts – der Historiker kann sich jede weitere Mühe sparen. D i e E m a n a t i o n s t h e o r i e i s t d a s F a u l k i s s e n d e r W i s s e n s c h a f t « [Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 13]. Auf diesem Faulkissen hatte sich Jhering nie ausruhen wollen. 226 Jhering, Zweck II (11883), S. 111. Ob die Ausschließlichkeit, mit der Jhering in seinem Spätwerk den »Zweck« als »einzige Triebkraft, […] alleinige[n] allerzeugende[n] Gedanke[n] des ganzen Rechts« [Jhering, Einleitungsentwurf (Nachlass), Bl. 5] voraussetzte, auch der rechtshistorischen Wahrheit gerecht wird, lässt sich im Übrigen mit guten Gründen bezweifeln. So spricht F.Wieacker, Gründer (1959), S. 207 im Hinblick auf die von Jhering vorausgesetzten »kollektiven Zwecke« von einer »Mythologie der überindividuellen Zwecksetzungen«. In diesem Sinne auch C.Helfer, Jhering (1968), S. 558, 562; Ders., Gesellschaftsanalyse (1970), S. 86f. und W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 260ff. 227 So wohl zuerst E.Hurwicz, Ihering (1911), S. 68ff., der mit Blick auf Jherings Hervorhebung der »Idee der Zweckmäßigkeit« allerdings zu weitgehend sogar von einer »Gedankenkontinuität, ja man könnte getrost sagen: Gedankenidentität der beiden Hauptwerke I h e r i n g s « gesprochen hat. Vgl. auch A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 209 m.w.N. 228 Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 100.

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die die gemeinsame Rechtsüberzeugung konstituiert, bereits als Ergebnis eines geschichtlich nachweisbaren Rechtsbildungsprozesses229, dessen Ursachen er nicht erst in den sechziger Jahren auch durch eine »Erklärung des praktischen Zwecks«230 zu ermitteln suchte. Ohnehin ist das Besondere seiner späteren Entdeckung des »Zwecks im Recht« – abgesehen von der Jhering eigenen Konsequenz bei der Verfolgung des Zweck-Gedankens im Bereich des Rechts231, aber auch noch weit über diesen Bereich hinaus232 – nicht eigentlich die Überzeugung gewesen, dass »jede Rechtsnorm von praktischen Zwecken bedingt sei«233, sondern vielmehr die Einsicht, dass angesichts der »Menge sich kreuzender,

229 Insbesondere wurde nach Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 104 der »Ursprung des Rechts […] durch den Nimbus göttlicher Entstehung […] völlig verdunkelt.« Tatsächlich seien alle »Rechtsanschauungen […] nur d a s E r g e b n i ß d e r G e s c h i c h t e « (aaO, § 9, S. 100). Und vom Gefühl der eigenen Berechtigung zur »Anerkennung des fremden Rechtsgefühls« als der Grundvoraussetzung für jedes »gemeinsame Rechtsbewußtsein« sei der geschichtliche Weg »nur sehr mühsam und allmählig« (aaO, § 10, S. 105). 230 So Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 236f. Fn. 321 mit Rückverweisung auf Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 49f. Fn. 20 (= Ges. Aufs. I, S. 43f. Fn. 21) im Zusammenhang mit einem konkreten Beispiel aus dem römischen Recht, dessen entsprechende »Erklärung […] ich bei Frühern nicht gefunden [habe].« 231 In einem Brief an seinen Verleger schrieb Jhering Ende des Jahres 1874 selbst davon, dass diese »durch das ganze Recht durchgeführte neue Anschauung von mir […] jahrelang nötig gehabt hat, um sich in mir abzuklären und bis in alle Konsequenzen auszubilden« [Brief vom 31. Dezember 1874, abgedruckt in: Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 97, S. 303f.]. 232 Vgl. dazu Teil 2, S. 291 Fn. 1438. 233 So aber H.Coing, Ihering (1982), S. 9. Richtig dagegen F.J.Säcker, Legitimation (1971), S. 148. Auch nach R.Weimar, Artikel »Methode« in: N.Achterberg, LdR 2/350 (1987), S. 1f. hat es sich allenfalls um eine Wiederentdeckung der »teleologischen Methode der früheren Jurisprudenz« gehandelt. Vgl. ferner Teil 2, S. 487f. zur Rechtsmethodologie des jungen Jhering, die im Rahmen der sogenannten niederen Jurisprudenz durchaus den praktischen Zweck thematisierte, der den Rechtsnormen zugrunde liegt. Im übrigen konnte auch beispielsweise Bernhard Windscheid mit einigem Recht darauf verweisen, niemals bestritten zu haben, dass alles Recht Zwecke verfolge und daher insoweit gar keine Gegensätze zu Jherings Schriften beständen [vgl. U.Falk, Gegensatz (1990), S. 222f. sowie J.Rückert, Windscheid (1992), S. 906 m.w.N.]. Umgekehrt stellte als ausgewiesener Vertreter der Interessenjurisprudenz H.Stoll, Interessenjurisprudenz (1931), S. 158, 160 mit Fn. 13 später klar : »Die Interessenforschung ist nicht identisch mit der Ermittlung des Zweckes des Gesetzes, sondern greift darüber hinaus«. Denn keineswegs habe »die im 19. Jahrhundert herrschende Begriffsjurisprudenz übersehen, daß der Richter den Lebensverhältnissen gerecht zu werden und die Interessenlage zu berücksichtigen hat. Der Gegensatz geht tiefer.« Dazu gehöre insbesondere die Einsicht, »daß das Leben stets einen Widerstreit der menschlichen Interessen mit sich bringt« und »jeder selbständige Rechtssatz, mag er auf Gesetz, Gewohnheit oder schöpferischer Tätigkeit der Gerichte oder der Wissenschaft beruhen, mittelbar ein Werturteil über die ihm zugrunde liegende Interessengegensätze« enthalte. Stoll hielt daher auch die Bezeichnung »Interessenjurisprudenz« für »nicht besonders glücklich«, weil er nicht »charakteristisch für die Methode« sei, und plädierte statt dessen bereits 1931 für den »Name[n] ›Wertungsjurisprudenz‹ oder ›Wertungsrechtswissenschaft‹ […]« (Kursivhervorhebung im Original).

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widerstreitender und entgegengesetzter Interessen«234 in der gesellschaftlichen Realität auch der jeweils einer Rechtsnorm zugrunde gelegte praktische Zweck Ausdruck eines vorher ausgetragenen gesellschaftlichen Interessenantagonismus bzw. »Parallelogramm[s] der Kräfte«235 sei. Damit aber war die Frage, ob eine Rechtsnorm jeweils den »sogenannten Bedürfnisse[n] des Lebens oder der 234 So etwa W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. 117f., der explizit die noch vormoderne Auffassung kritisierte, wonach das Recht schlicht aus den »Bedürfnissen des wirthschaftlichen Lebens« folgen könne, wo doch das Verkehrsleben in einer entwickelten Gesellschaft von ganz unterschiedlich motivierten und häufig gegenläufigen Einzel- und Gruppeninteressen sowie entsprechenden Erwartungen an das Recht bestimmt sei, welche die »Gesetzgebung […] gegeneinander abwägen« müsse. Außerhalb der Historischen Rechtsschule war dies in der zeitgenössischen Rechtswissenschaft bereits Mitte des 19. Jahrhunderts keineswegs mehr eine Einzelansicht, vor allem keine erst um 1900, also fünfzig Jahre später formulierte neue Erkenntnis von Adolf Merkel, wie A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 240ff. offenbar annimmt. Auch außerhalb der Rechtswissenschaft sprach etwa der junge Historiker Heinrich von Treitschke bereits 1861 davon, dass sich in »unserer Gesellschaft […] notwendig tausend Kollisionen der Rechte und der Interessen ergeben«, um daraus die Notwendigkeit eines staatlichen Gesetzgebers abzuleiten, der »versöhnend und vorbeugend« die Interessen ausgleiche bzw. im Falle ihrer Übermächtigkeit etwa bei »großen[n] Privatmächte[n], welche tatsächlich den freien Wettbewerb ausschließen«, entsprechend begrenze [H.v.Treitschke, Freiheit (1861), S. 16f.]. Ähnlich hatte vorher auch schon der Rechtsphilosoph H.Ahrens, Encyclopädie (1855), S. 105 gemeint: Weil in den »menschlichen Lebensverhältnissen […] sich aber stets die sich vielfach durchkreuzenden menschlichen Lebenszwecke offenbaren, so muß auch der Staat auf diese Zwecke Rücksicht nehmen« und nicht – so Ahrens gegen die Historische Rechtsschule gerichtete Spitze – »alle Zwecke aus dem Rechte und der Staatsthätigkeit ausscheiden […].« Man sieht, wie der sich hier andeutende Wandel vom vormodern homogenen Volksbegriff [vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 178; Ders., Jhering’s »Struggle for law« (2017), S. 39–41] zum modernen Begriff der durch ihre unterschiedlichen Mitglieder geprägten Gesellschaft [vgl. insoweit nur Jhering, Zweck I (11877), S. 93ff.; Ders., Zweck I (21884), S. 511 (»Die Gesellschaft ist nichts als die Summe der Individuen«)] sofort auch den Ruf nach einem die gesellschaftlichen Interessenkonflikte offen ausgleichenden staatlichen Gesetzgeber nach sich zog. Die Historische Rechtsschule hatte auf der Grundlage ihrer normativen Volksgeistlehre noch darauf verzichten können. 235 So Jhering, Kampf (1872), S. 14 hier noch mit Blick auf den regelmäßigen »Kampf« der gesellschaftlichen Kräfte im Falle einer geplanten Änderung des geltenden Rechts, mit dem »sich im Laufe der Zeit die Interessen von Tausenden von Individuen« verbunden hätten, so dass über das letztendliche Ausmaß der Rechtsreform am Ende »nicht das Gewicht der Gründe, sondern das Machtverhältnis der sich gegenüberstehenden Kräfte den Ausschlag gibt«. Hieran anknüpfend war es dann bekanntlich die Theorie der Interessenjurisprudenz, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert jede gesetzliche Regel von vornherein als gezielte gesetzgeberische Entscheidung von sozialen Interessenkonflikten betrachtete und daher Rechtswissenschaft und Rechtsprechung bei der Auslegung und Anwendung der Rechtsregel systematisch auf die Ermittlung der entsprechenden gesetzgeberischen Interessenabwägung, aber auch die eigenständige Erforschung aller jeweils involvierten Interessen verwies [vgl. dazu H.Coing, Ihering (1982), S. 3ff.; Ders., Privatrecht II (1989), S. 53, 256 m.w.N. sowie G.Ellscheid, Einleitung (1974), S. 3ff., 11f.; C.Helfer, Jhering (1968), S. 555; M.G.Losano, Studien (1984), S. 152f. und F.Bydlinski, Methodenlehre (21991), S. 114ff.].

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Praxis«236 angemessen sei, selbst für eine örtlich und zeitlich genau bestimmte Lebenssituation nicht mehr wissenschaftlich definitiv und allgemeingültig zu beantworten237. Spätestens hier war nicht nur die normative Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule, sondern in letzter Konsequenz auch der Ausdruck »Volksgeist« obsolet geworden238.

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Der »Geist der Zeit« als Faktor der Rechtsbildung

Die schon beim jungen Jhering festzustellenden Abweichungen von der ursprünglichen Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule betrafen nicht nur die Begriffe »Volk« und »Geist des Volks« als Grundlage der Rechtsbildung. Bereits in den aus Jherings Frühzeit im Nachlass überlieferten rechtstheoretischen »Bemerkungen« hatte er die Möglichkeit eines Naturrechts, das er auch später sehr viel versöhnlicher als Savigny oder Puchta zumindest als Ausdruck eines »richtigen Gefühl[s] […] der modernen Rechtsbewegung« weg von der 236 Ein »zweifellos […] ungenauer« Ausdruck, wie etwa M.v.Rümelin, Jhering (1922), S. 72 übrigens auch noch mit Blick auf das Spätwerk Jherings anmerkte. Letzteren kritisierte Rümelin hier auf der Grundlage der inzwischen entwickelten Theorie der Interessenjurisprudenz aber nur für das Fehlen soziologisch »exakter wissenschaftlicher Beobachtung auf Grund statistischer Nachweisungen« über die gesellschaftlichen »Einzelbestrebungen, wie sie sich auf Grund einer gegebenen rechtlichen Regelung entwickelt haben«. Dagegen noch ganz anders, nämlich überhaupt nicht mit Bezug auf unterschiedliche Einzelbestrebungen, sondern mit Bezug auf den überindividuellen Volksgeist, der nach den Prämissen der Volksgeistlehre das wohlverstandene gemeinschaftliche Interesse aller jeweils Betroffenen verkörperte, hatten nach Auffassung der Historischen Rechtsschule die gelehrten Juristen das jeweils wahre zeitgenössische Verkehrsbedürfnis für die unterschiedlichen Regelungsbereiche des Rechts wissenschaftlich zu erkennen und zu formulieren. 237 Vgl. Teil 2, S. 420 zu Jherings Unterscheidung von Wahrheit und Richtigkeit im Recht. Dazu ferner auch J.Nocke, Beständigkeit (1986), S. 136. 238 Vgl. insoweit auch die gegen den Romanisten Horst Heinrich Jakobs gerichtete Polemik von R.Ogorek, Volksgeist (1985), S. 13 zur Inadäquatheit von Konzeption und Begrifflichkeit der Volksgeistlehre für die heutige Zeit: »Wer ist denn ›Volk‹ bei der ›technischen‹ Herauspräparierung des Arbeitskampfrechts gewesen? Die Gewerkschaften? Die Arbeitgeber? Am Ende gar der einzelne Arbeitnehmer (der dann freilich nur sehr still gewirkt hätte)? Wessen Bewußtsein ist aufzuspüren bei der Regelung der Produzentenhaftung? Das der Wirtschaft? Der Konsumenten? Wo findet man den Volksgeist im Mietrecht? Bei den Vermietern? Den Mietern? Oder kommt es vielleicht auf beide nicht (auf wen dann aber) an? Wessen Kräfte wirken still im Kreditsicherungswesen, im Kindschaftsrecht oder im Bereich der Versicherungen?« Dieselben Einwände hatte auch schon einst K.Bergbohm, Jurisprudenz (1892), S. 494 Fn. 20 gegen die Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule gerichtet: »Wie steht es mit der Harmonie des Rechtsbewußtseins, wenn sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegenüberstehen?« Alle bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch unternommenen Versuche zu einer Revitalisierung des Ausdrucks »Volksgeist« richteten sich daher auch gegen diese liberal-aufgeklärte Überzeugung von der Notwendigkeit demokratischer Vertretung von Einzel- und Gruppeninteressen, deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im öffentlichen Streit ausgetragen wird.

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»Nationalität« und hin zur »Universalität« beurteilen sollte239, auffälligerweise nicht mit dem Argument der fehlenden Berücksichtigung der jeweiligen Volksindividualität, sondern mit Verweis auf den sich ständig ändernden Geist der Zeit zurückgewiesen240. Zwar betonte auch Jhering – in seiner Spätzeit nicht minder als in seinen ersten Veröffentlichungen – die Bedeutung von »i n n e r e n Impulse[n], d.i. des Volkscharakters, der Sinnes- und Denkweise des Volks […]«241 für die Inhalte einer nationalen Rechtsordnung. Aber der einem Volk eigentümliche »Charakter« bzw. »Geist« eines Volks hatte die von der Historischen Rechtsschule ihm zugerechnete Funktion einer die Geltung und alle Inhalte der Rechtsordnung begründenden »Quelle« des Rechts eingebüßt und war bei Jhering zu einem Faktor242 der Rechtsbildung geworden, dem ein anderer mindestens ebenbürtiger gegenüberstand, nämlich der »Geist der Zeit«243. Insofern war für Jhering auch nicht eigentlich der »Volksgeist«, sondern die »Geschichte« die wahre »Werkstätte« des Rechts244. Dies betraf sowohl die Ge-

239 Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 11. Auch wenn Jhering mit der Historischen Rechtsschule das neuzeitliche rationalistische Naturrechtsdenken kritisierte, weil es »der Geschichte den Rücken drehte«, so mussten es treue Anhänger der Historischen Rechtsschule doch geradezu als eine Ohrfeige empfinden, wenn Jhering zugleich meinte, dass zumindest »die R i c h t u n g , welche das Naturrecht einschlug, […] dem eigenthümlichen Gang der modernen Geschichte ebenso entschieden zugekehrt als die der historischen Schule mit ihrer einseitigen Geltendmachung des Nationalitätsprincips ihm abgewandt« sei (aaO). 240 Vgl. Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 2v/3r : »Mit Archimedes müßten wir […] rufen[:] Gib mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, (und ich bewege die Erde) [griech.]– wir stehen in der Zeit mit unsern Gedanken, wie im Raum mit unserem Körper, u[nd] wie wir mit diesem der Körperwelt nicht entfliehen können, […] so auch mit jenen nicht aus der Geisterwelt d. h. es ist etwas gewordenes u[nd] zwar durch die Ideen der Zeit gewordenes. Wenn wir sie also auch wegzuwerfen denken […], so haben sie doch bereits auf uns eingewirkt, als sie unser Bildungsmittel waren. Wenn wir mit ganz vollendetem Geist geboren würden, mit vollendeter Kenntniß der Natur u[nd] gereifter Beurtheilungskraft, dann könnten wir unbefangen und nicht inficirt durch die Ideen der Zeit – an ein Naturrecht denken, an ein abstraktes Recht. – In uns steckt die ganze Vergangenheit – ein Jahrhundert ums andere eingeschachtelt. […] Jedes Jahrhundert ist also das Produkt des vorhergegangenen.« 241 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 29 sowie Ders., Zweck I (11877), S. 374f. zur »Wechselwirkung beider« – Volkscharakter und Recht: »das Volk macht das Recht, aber das Recht wiederum das Volk […].« 242 So auch W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 190, der zum Beleg dieser wichtigen Differenz Jherings zu Savigny allerdings nur aus dem seit der zweiten Auflage von Geist I vollständig umgearbeiteten § 1 zitiert (aaO, S. 187 Fn. 332). Tatsächlich läßt sich dieser von der Historischen Rechtsschule abweichende Standpunkt Jherings aber bis in seine Frühzeit zurückverfolgen. 243 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 34. 244 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 37 (»Werkstätte der Geschichte«) sowie aaO, § 7, S. 85 (»[…] schaffenden Weltgeist in seiner Werkstätte«). Einige Jahre später sollte W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. 394, der sich übrigens besonders Jherings Werk verpflichtet fühlte, sogar feststellen: »Was man den Geist des Rechts zu nennen beliebt, ist im Grunde nur der

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schichte des einzelnen Volks wie auch »die gesammte Entwicklung des Rechts in der Weltgeschichte«, also den Nachweis des jeweiligen »Fortschritt[s]« in der »Universal-Geschichte des Rechts«245. Zwar war in der Historischen Rechtsschule auch schon Puchta von einer weltrechtsgeschichtlichen Entwicklung im Sinne von fortschreitenden »verschiedenen Bildungsstufen« des Rechts ausgegangen246. Puchta hatte »die verschiedenen Bildungsstufen« unterschieden, die das Recht in der gesamten Weltrechtsgeschichte durchlaufe und bei denen jedem einzelnen »Volk […] sein Antheil an der Aufgabe gesetzt« sei, die »durch die Succession aller Völker gelöst werden soll«247. Auch im Recht des »einzelnen Volk[s]« hatte Puchta schon eine fortschreitend »successive Verschiedenheit« gesehen, »das Recht desselben [sc. einzelnen Volks] durchlebt eine Bildungsgeschichte«248. Eben Puchtas Versuch, in seinem rechtshistorischen Hauptwerk, dem mehrbändigen »Cursus der Institutionen«, die römische Rechtsgeschichte aus diesem Blickwinkel einer Bildungsgeschichte der Rechtsideen darzustellen, ließ nicht nur dem jungen Jhering dieses Werk für zukünftige rechtsgeschichtliche Darstellungen als wegweisend erscheinen und veranlasste ihn, sein eigenes Werk zur römischen Rechtsgeschichte, den »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung«, dem »Andenken des großen Meisters, Georg Friedrich Puchta«, zu widmen249.

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Geist der Zeit«. Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 149–151 dagegen zu Puchta, der eben mit Bezug auf den Volksgeist von der »dunklen Werkstätte« des Rechts gesprochen hatte. Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3. Nach Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (238) war »zu zeigen, daß es eine universalhistorische Entwicklung des Rechts gibt. Je weniger unsere heutige Wissenschaft dieser letzten Thatsache ihre Aufmerksamkeit zugewandt hat, u[nd] ich muß hinzufügen, je weniger es noch an der Zeit ist, sich an diesem höchsten Problem zu versuchen, desto werthvoller sollen uns die wenigen lichten Punkte sein, die uns schon jetzt aus jenem dunklen Gebieth der Universalgeschichte des Rechts entgegenkommen[?], u[nd] die so spärlich sie auch sind, doch jedenfalls die Überzeugung in uns hervorrufen, daß auch hier wie in der Geschichte des einzelnen Rechts nicht ein regelloses Nacheinander herrscht, sondern eine harmonische Entfaltung u[nd] eine stufenweise Entwicklung, kurz jene Einheit, die das Wesen der Geschichte ausmacht« (Unterstreichungen im handschriftlichen Original sind in Kursivschrift wiedergegeben). G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 20, S. 46. G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 19, S. 46. G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 9, S. 21. Vgl. ferner auch G.F.Puchta, Grundzüge (undat.), S. 593: »Das Recht unterliegt einer Veränderung und Entwickelung, es hat eine Geschichte, teils in den einzelnen Völkern, theils von Volk zu Volk in der gesammten Menschheit.« Puchta, aaO, S. 612 gab hier auch eine »kurze Uebersicht« über dasjenige, was im »Cursus der Institutionen« den Hauptgegenstand der Darstellung bildete, nämlich die »Geschichte des Rechts bey dem römischen Volk, von den verschiedenen Stufen der Entwickelung, die das römische Recht vom Anfang des Volks bis auf Justinian beschritten hat […].« Jhering, Geist I (11852), S. III. Es war also nicht der Rechtsdogmatiker, sondern der Rechtshistoriker Puchta gewesen, dem der junge Jhering sein Werk in »Dankbarkeit für den

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Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass bereits der junge Jhering in der Volksgeist- und Rechtsentstehungslehre einen erkennbar anderen Weg ging als Puchta. Denn bei Jhering war nicht mehr das einzelne »Volksindividuum«, in das gleich einem nach außen abgeschlossenen Naturorganismus der ihm jeweils bestimmte Anteil auf dem Weg zur »Idee des Rechts« von Gott »eingepflanzt« war250, der Bezugspunkt für die Darstellung der nationalen und weltgeschichtlichen Entwicklung des Rechts. Hatte Puchtas Auffassung von dem Volk als einem naturhaften Organismus die Zeit bzw. die Geschichte noch zu einem Vehikel der keimartigen Entfaltung des Volksindividuums gemacht251, so wurden bei Jhering umgekehrt bestimmte Völker aufgrund ihrer konkreten kulturell-zivilisatorischen Hervorbringungen zu einem Vehikel für die Entwicklungsgeschichte des Rechts252. Dies zeigt sich besonders deutlich in der aus unvergleichlichen Genuß, den mir sein Cursus der Institutionen gewährt hatte« (aaO, S. VI), dedizierte (vgl. zu den Gründen für diese Widmung eingehend unten S. 80 Fn. 327). Ungeachtet der lebenslangen »hohen Verehrung für [sc. den Juristen] Puchta« [Jhering, Besitzwille (1889), S. 283 Fn. 1] sollte es jedoch der Rechtsdogmatiker Puchta sein, dessen pandektistische Praxis Jhering bereits in den fünfziger Jahren, also noch auf dem Höhepunkt seiner eigenen methodentheoretischen Bemühungen zur Darstellung der naturhistorischen Methode, einer grundsätzlichen und – etwa in »Unsere Aufgabe« (1856) – auch nicht gerade zurückhaltend formulierten Kritik unterwarf [vgl. nur Jhering, Mitwirkung II (1858), S. 274 in Bezug auf Puchta Auffassung zum Begriff des Erbrechts (»Probestück eines Fanatikers der Construction«) sowie dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 738]. Vgl. auch C.Jäde, Pandektenvorlesung (2008), S. 25 dazu, dass Jhering in seiner im Wintersemester 1859/60 gehaltenen Pandektenvorlesung in Gießen an Puchta – anders als an Savigny – »wenig Gutes« ließ: »seine Kritik durchzieht die Vorlesung wie ein roter Faden.« Jäde führt das auf Jherings »bekanntes Umschwungerlebnis« im »Dezember 1858« zurück. Das ist aber nach dem Vorgehenden und auch nach Jädes eigenen späteren Ausführungen (aaO, S. 28) wenig wahrscheinlich. 250 So noch G.F.Puchta, Beseler-Rezension (1844), Sp. 14. Dieser betrachtete jedes Volk als »ein Glied der großen Kette, die von dem in die Nacht zurückgetretenen Anfang des jetzigen Weltalters bis zu seinem kommenden Ende reicht.« Zwar war auch nach Puchta das »Recht des einzelnen Volkes […] nicht bloß ein dieser Volksindividualität angehöriges«. Aber dies galt nur bezüglich der geschichtlichen »Succession der Völker«, in der das einzelne Volk als »Glied der großen Kette […] zugleich der ganzen Menschheit« angehöre, nicht aber, »wenn wir uns auf die Gleichzeitigkeit der Völker beschränken« [G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 10, S. 22]. Hier waren das einzelne Volk und sein Volksgeist eine jeweils isolierte Existenz, ein Individuum im sprichwörtlichen Sinn, das wie der Keim der Natur genau das, aber auch nur das aus sich hervorbringt, was von Anfang an ihm steckt. 251 J.Nocke, Beständigkeit (1986), S. 130 spricht in diesem Zusammenhang von der Geschichte als einem bloßen »Entfaltungsraum« für den Volksgeist. 252 Nur auf den ersten Blick stehen dem Äußerungen Jherings in Geist I (11852), § 5 entgegen, wenn er dort beispielsweise vom »[…] ungebührliche[n] Einfluß, den man hier dem Moment der Zeit zu verstatten pflegt« (S. 61f.) sprach, oder formulierte: »[…] die Zeit ist nicht die vis movens, sondern der bloße Rahmen, in den die Evolutionen des Systems hineinfallen« (S. 69). Denn hier begründete Jhering nur seine rechtshistorische Methode zur Darstellung der Geschichte des römischen Rechts, die nicht einfach chronologisch vorgehen sollte, sondern die Unterscheidung von drei grundsätzlich verschiedenen historischen »Systemen« zur Grundlage hatte.

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Jherings Frühzeit stammenden »Universalrechtsgeschichte«, in der Jhering sogar den noch von Puchta entschieden zurückgewiesenen Gedanken Hegels253 vertrat, dass die »Geschichte des Rechts wie die Geschichte überhaupt« erst lange nach Entstehung der Völker beginne254 und dass es bis in die zeitgenössische Gegenwart Völker ohne Recht und auch ohne Geschichte gebe255. Zwar übernahm der junge Jhering hier nur eine Schlussfolgerung, nicht auch die vernunftphilosophische Begründung Hegels256. Aber die noch für Puchtas Volksgeistlehre grundlegende konstitutive Verknüpfung von Volk und Rechtsentstehung war damit bereits entscheidend gelockert. Das einzelne Volk und seine ihm zugeordneten spezifischen Eigenschaften traten beim jungen Jhering ganz hinter der Vorstellung der stufenmäßigen Aufwärtsentwicklung in der Weltgeschichte zurück. Es »betritt die Geschichte eine höhere Stufe«, indem neue »Völker […] Träger neuer Gedanken« werden, formulierte der junge Jhering257. Dabei fasste Jhering, wie bereits Michael Kunze258 hervorgehoben hat, insoweit nicht anders als Hegel Völker prinzipiell gleichen Geistes zusammen. Nicht ihre Charakter253 G.F.Puchta, Gans-Rezension (1826), S. 40 sowie dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 195. 254 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 30, Bl. 58r: Sie »beginnt mit dem Morgenlande. Es ist, wie Hegel sagt, der Osten der Weltgeschichte.« 255 So Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 30, Bl. 55r/v, 56r, 59r über die »Neger« in Afrika, das mit Ausnahme von Ägypten »noch immer nicht der Geschichte angehört«. Bereits M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 177 hat auf die teilweise bis ins Detail gehenden inhaltlichen Parallelen mit Hegels Charakterisierungen einzelner entwicklungsgeschichtlicher Stufen in der Geschichte der Völker hingewiesen. 256 Die Frage nach der offensichtlichen und auch biographisch [vgl. schon M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 176ff.] zu erhärtenden Beeinflussung des jungen Jhering durch Hegels Geschichtsphilosophie ist differenziert zu beantworten. Einerseits übernahm Jhering – bis in die Terminologie hinein – den Hegelschen Entwicklungsgedanken einer stufenmäßigen Aufwärtsentwicklung in der Weltgeschichte sowie den – mit Savignys und auch Puchtas Verständnis einer organischen Entwicklung nicht vereinbaren – Gedanken, dass immer Gegensätze der Motor der geschichtlichen Entwicklung seien [vgl. M.Kunze, aaO, S. 184 sowie – zu Hegel – F.Schnabel, Deutsche Geschichte III (1934), S. 7f.]. Auch lehnte Jhering sich teilweise eng an konkrete historische Charakterisierungen der jeweiligen entwicklungsgeschichtlichen Stufen an. Entgegen M.G.Losano, Studien (1984), S. 54 kann also keine Rede davon sein, dass sich Hegels »Einfluß [sc. auf Jhering] auf die Aufnahme einiger Triadenkonstruktionen in die erste Ausgabe von Der Zweck im Recht (1877)« beschränkte. Andererseits lehnte Jhering aber immer die apriorische Behandlung der geschichtlichen Ideen »nach Kategorien der Vernunft« [G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S. 88] und die der geschichtlichen Entwicklung zugrunde gelegte Dialektik des »Begriffs« bei Hegel [vgl. Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 54 (»dem verwegenen Uebermuth«)] ebenso ab wie bei dem damals bekannten Hegel-Schüler Eduard Gans [vgl. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 29, Bl. 54v (»Mißbrauch mit philosoph.[ischen] Formeln«); Ders., Geist II/2 (11858), S. XIII]. Vgl. zum Ganzen auch M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 179f. und O.Behrends, Jhering (1987), S. 250 sowie die editorische Anmerkung von O.Behrends in: Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 71 Fn. 79. 257 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 42, Bl. 39r/39v. 258 M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 178.

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eigentümlichkeit als »Naturganzes«, sondern das auf den Begriff gebrachte »Prinzip«259, das allen Völkern derselben welthistorischen Stufe zugrunde liege, bestimmte danach wesentlich ihren Geist und damit auch ihr Recht. So ließen sich nach Jherings Darstellung im Manuskript zur Universalrechtsgeschichte im »Recht aller Völker, sobald sie auf gleicher Bildungsstufe stehen«260, Gemeinsamkeiten auch bereits in Zeiten feststellen, in denen das Recht noch vor allem der »individuellen rechtsbildenden Kraft […] sein nationales Gepräge verdankt«261. Die Überzeugung, dass in allen Völkern bestimmte »Rechtsideen […] erfahrungsmäßig einer gewissen Altersstufe angehören«, ließ Jhering in den fünfziger Jahren eine über die nationale Rechtsentwicklung hinausgehende »zusammenhängende Theorie der Altersstufen des Rechts« fordern262 – eine Forderung, die dem allerdings auch von Jhering 1852 noch wiederholten Vergleich der inhaltlichen Entwicklung des nationalen Rechts mit der individuellen Entwicklung nationaler Sprachen263 im Grunde bereits zuwiderlief. So wie nach Jherings »Universalrechtsgeschichte« aus den vierziger Jahren verschiedene Völker einer Bildungsstufe auf dem gleichen »Prinzip« beruhen 259 Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 6v : »Allein es kommt darauf an, sie [sc. die für die jeweilige welthistorische Stufe charakteristischen Merkmale] alle zu 1 Begriff zu verbinden, die einzelnen Züge zu begreifen, indem […] [man] s[ie] auf ihr Centrum zurückführt – Das g[an]z[e] Wesen in 1 Prinzip zu b[e]zeich[n]en […].« 260 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 42, Bl. 39v. 261 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 42, Bl. 40v. 262 Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 73f. 263 Der Vergleich von Sprache und Recht, der in der Verwendung durch die Historische Rechtsschule nach W.Pöggeler, Einleitung (1998), S. 44 Fn. 42 a.E. »eindeutig auf Herder« zurückging, war im 19. Jahrhundert auch außerhalb der Historischen Rechtsschule beliebt. Sogar J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 16 hat ihn für seine Kritik an der Historischen Rechtsschule verwendet. Allein die Verwendung dieses Vergleiches ist somit noch kein hinreichendes Argument für die Zugehörigkeit zur Historischen Rechtsschule, wie B.Klemann, Jhering (1989), S. 168 im Hinblick auf das Frühwerk Jherings offenbar meint. Entscheidend ist vielmehr die Funktion dieses Vergleiches im jeweiligen Argumentationszusammenhang. Gustav Hugo beispielsweise verwendete den Vergleich von Recht und Sprache, um die inhaltliche Kontingenz des durch bloße Gewöhnung entstehenden positiven Rechts, also das genaue Gegenteil dessen zu begründen, was die Historische Rechtsschule dem Entstehungsprozeß des Rechts auf der Grundlage dieses Vergleichs zuschrieb [vgl. A.Lavranu, Historizität (1996), S. 61ff. m. w. N.]. Jhering selbst hat den Vergleich von Recht und Sprache auch in seiner späteren Zeit verwendet, allerdings nicht mehr wie noch Savigny im normativen Sinne, um zu fordern, dass die sogenannte natürliche Rechtsentwicklung idealerweise immer so wie der Prozess der Sprachentwicklung verlaufen solle, sondern nur noch deskriptiv und beschränkt auf bestimmte Erscheinungen des Rechts. So zieht Jhering Anfang der 1870er Jahre den sozialen Prozess der Entstehung neuer sprachlicher Konventionen durch einen sich verändernden Sprachgebrauch heran, um ihn zu vergleichen mit dem Prozess der Entstehung von Rechtssätzen über neue Vertragstypen, »welche sich aus der gleichmässigen autonomischen Abschliessung der Rechtsgeschäfte im Verkehr nach und nach ablagern […]« [vgl. Jhering, Kampf (1872), S. 13].

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konnten, so konnte nach seiner auf den »Geist des römischen Rechts« beschränkten Untersuchung aus den fünfziger Jahren aber auch ein Volk verschiedene Volksgeister im Laufe seiner Geschichte haben – mit anderen Worten: der »Volksgeist« wurde historisch264. Wörtlich findet sich in Jherings Schriften der Ausdruck »Volksgeister« in der Pluralform zwar nicht265. Sachlich unterschied Jhering aber die Volksgeister, die in der Geschichte eines Volkes jeweils ein sogenanntes geschichtliches »System«, d. h. eine entwicklungsgeschichtliche »Stufe« charakterisieren. Kontinuitäten in der Geschichte eines Volkes, wie der trotz aller Wandlungen e i n e »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen S t u f e n seiner Entwicklung« sollten von Jhering damit natürlich nicht bestritten werden266. In seinem gleichnamigen Werk sprach Jhering selbst weniger von »Stufen« als von aufeinander folgenden »Systemen« in der Geschichte des römischen Rechts267, was offenbar schon rein sprachlich die entwicklungsge264 Vgl. demgegenüber O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 104 zu Savigny, für den sich mit dem Volksgeist und dem diesem – und nicht etwa einem willkürlichen Gesetzgeber – entstammenden positiven Recht noch nicht die Vorstellung einer Entwicklungsgeschichte, sondern vielmehr die Vorstellung eines jeweils »guten Rechtszustand[es]« verband. Nach der Auffassung von Behrends soll allerdings auch Jhering bis Ende der fünfziger Jahre diese Savignysche Sichtweise geteilt haben. 265 Ausdrücklich von »Volksgeistern« hat Hegel gesprochen [vgl. G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S. 559f. (§§ 448ff.); Ders., Rph. (1821), § 340, S. 294]. Ein »besonderer Volksgeist« als jeweiliger Ausdruck einer entwicklungsgeschichtlichen »Stufe« wurde nach G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S. 87 bezeichnet durch »das gemeinschaftliche Gepräge seiner Religion, seiner politischen Verfassung, seiner Sittlichkeit, seines Rechtssystems, seiner Sitten, auch seiner Wissenschaft, Kunst und technischen Geschicklichkeit.« Dies jeweils zu erkennen und zu bezeichnen setzte nach Hegel, aaO – nicht anders als später nach Jhering – »eine geübte Abstraktion« bei dem nachgeborenen Betrachter der Geschichte voraus. Damit erschöpfen sich allerdings auch die Gemeinsamkeiten. Vor allem bezog Jhering die geschichtliche »Abstraktion« nicht auf eine vernunftphilosophische »Idee«, mit der man nach Hegel, aaO, »wenn man es so nennen will, a priori vertraut sein« müsse Im Übrigen unterschied Jhering im Unterschied zu Hegel gerade auch in der Geschichte eines, nämlich des römischen Volks den dort zu unterschiedlichen Zeiten jeweils herrschenden historischen Volksgeist als Ausdruck einer bestimmten Stufe in der Entwicklungsgeschichte des Rechts. 266 Freilich zeigen sich Unterschiede von Jherings damaliger geschichtsphilosophischen Auffassung zu derjenigen der Historischen Rechtsschule selbst dort noch, wo seine Abhängigkeit von den Gründern der Historischen Rechtsschule auf den ersten Blick am augenfälligsten zu sein scheint, nämlich bei der Begründung der »Prädestination des röm.[ischen] Geistes zur Cultur des Rechts« [Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 301ff.]. Nicht etwa »weil die Römer diese und jene Eigenschaften hatten«, waren sie nach Jhering, aaO, S. 289 »zur Cultur des Rechts prädestinirt, sondern umgekehrt, weil ihnen nach der Oekonomie der Geschichte diese Aufgabe zugefallen war, waren sie subjektiv zur Lösung derselben befähigt.« Dabei hatte Jhering, aaO, S. 288 immer das »Ziel der Geschichte« fest im Blick. 267 Bereits W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 81 hat darauf aufmerksam gemacht, dass Jhering trotz des Titels seines Werkes zum »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen S t u f e n seiner Entwicklung« »an den entscheidenden Nahtstellen […] von ›Systemen‹, nie von Stufen spricht«.

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schichtlich erkennbare Abgeschlossenheit und Unterschiedlichkeit der einzelnen Epochen in der Fortschrittsgeschichte des Rechts stärker akzentuieren sollte268. »Systeme« bezeichneten für Jhering in diesem entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang nämlich die im Verlauf der Geschichte eines Volkes sozusagen idealtypisch269 voneinander zu unterscheidenden »Perioden«270 der nationalen Rechts- und Sozialordnung271. »Die »leitenden Gedanken«272 des je268 Offenbar anders sieht es dagegen O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 102ff., der meint, dass sich bei Jhering erst »in den Jahren nach seinem ›Umschwung‹«, also nach 1860, die Überzeugung gebildet habe, dass »das gegenwärtige Recht das Produkt einer beschreibbaren Entwicklung ist und der Rechtshistoriker frühere Stadien des Rechts auch unter dem Gesichtspunkt einer zur Gegenwart hinführenden Evolution beurteilen könne und solle«. 269 Vgl. K.Engisch, Konkretisierung (21968), S. 253ff.; M.Rehbinder, M.Weber (1987), S. 140 Fn. 51 und K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 463f. zu dem von Max Weber formulierten Arbeitsmittel des Idealtyps als Ergebnis einer gedanklichen Hervorhebung einzelner in der historischen Wirklichkeit festgestellter Elemente bei Weglassung anderer, historisch vorhandener, aber für den Typus als nicht charakteristisch erachteter Tatsachen. Eine gewisse Verwandtschaft von Jherings geschichtlicher Methode mit dieser späteren soziologischen Methode Max Webers besteht insoweit, als auch die Jheringschen »Systeme« in ihrer Reinheit und Abgeschlossenheit gegenüber früheren und späteren »Systemen« in der geschichtlichen Wirklichkeit nach Jhering so nie existiert haben. Die Einteilung der römischen Rechtsgeschichte in drei »Systeme« war somit erst Produkt eines methodischen Kunstgriffs – von Jhering »Attraktionskraft des Systems« [Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 76] bzw. »künstliche Scheidung« [Jhering, Geist II/1 (11854), § 22, S. 4f.] genannt – zur Hervorhebung des für diese Epoche jeweils Typischen unter bewußter Abstraktion vom tatsächlichen (»chronologischen«) Ablauf und allmählichen Verlauf der Geschichte. Vgl. auch Jhering in: Ehrenberg-Briefe/1913 (Brief vom 18. April 1865), Nr. 54, S. 174f. zu diesem »neue[n] Weg, den ich eingeschlagen« habe. So abstrahierte Jhering im »zweiten System« bewußt vom jus gentium, da dieses zwar historisch schon vorhanden gewesen sei, aber nicht die »Eigenthümlichkeit« dieser Epoche ausdrückte [Jhering, Geist II/1 (11854), § 22, S. 5 und ferner auch Ders., Geist III/1 (11865), § 56, S. 233 über »die Benutzung und Gruppirung des historischen Materials«]. Jherings Motiv zu dieser Abstraktion, nämlich die Absicht zu zeigen, dass »die Geschichte nicht planlos und launenhaft, sondern zusammenhängend und gedankenmäßig zu schaffen pflegt« [Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 76], weicht allerdings von Max Webers in rein deskriptiver und nicht in normativer Absicht vorgenommener Formulierung der »Idealtypen« grundsätzlich ab [vgl. zu diesem Unterschied im Denken Webers und Jherings H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 67]. 270 Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 76. Die von Jhering in der römischen Rechtsgeschichte unterschiedenen drei »Perioden« [direkt dazu W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 54 Fn. 103; S. 169 Fn. 690] entsprechen in etwa der auch noch heute üblichen Unterscheidung einer archaischen, vorklassischen und klassischen Periode, einer Dreiteilung, die – in Deutschland vermittelt durch Gustav Hugo – in ihren wesentlichen Zügen auf den englischen Historiker Edward Gibbon zurückgeht [vgl. O.Behrends, Hugo (1996), S. 164 mit Fn. 9; P.G.Stein, Römisches Recht (1996), S. 190]. 271 O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 138f. Ausführungen zur Darstellungsund Untersuchungsmethode Jherings gehen allerdings von der unzutreffenden Annahme aus, dass Jhering seine Bemerkungen über das Verhältnis des »chronologischen und systematischen Moments« erst in die 1866 erschienene zweite Auflage von Geist I aufgenommen habe [vgl. dagegen die von Behrends, aaO, S. 138f. Fn. 35 nach der vierten bzw.

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weiligen historischen »Systems«, also die den Rechtssätzen und Rechtsbegriffen jeweils zugrunde liegenden allgemeinen Anschauungen273 nannte Jhering die jeweilige »psychische Organisation« eines solchen »Systems« oder eben auch den »Volksgeist«274. Daher konnte Jhering auch den zumindest für die bisherige Historische Rechtsschule unverständlichen Gedanken äußern, dass es bei der Bildung des Volksgeists in jeder Periode einen »Z e i t p u n k t ihres Abschlusses« gebe und dass der Volksgeist sich insbesondere in bereits entwickelten Rechtszuständen mit schneller Rechtsproduktion langsamer bilde als das jeweils geltende Recht275. Erkennbar stimmte diese Verwendung des Ausdrucks »Volksgeist« bzw. »Geist des Volks« mit der in der Historischen Rechtsschule bisher üblichen Bezeichnung des Volksgeistes als Quelle allen Rechts und damit auch aller Rechtsänderungen nicht überein. Gemeint hatte Jhering mit dem sich

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zweiten Auflage von Geist I zitierten Ausführungen Jherings, die sich so auch bereits in der ersten Auflage in Geist I (11852), § 5, S. 68f. finden]. Auf dieser Grundlage bewertet Behrends, aaO, S. 139 die Darlegungen Jherings in Geist I, § 5 unzutreffend als eine »selbstkritische Analyse, die den im Titel des Werks zum Ausdruck kommenden Anspruch, den Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung nachzuzeichnen, zu einem guten Teil grundsätzlich zurücknahm […].« Das Gegenteil ist richtig. Die Bemerkungen, die Jhering seit 1852 seinem Werk zur Rechtfertigung seiner Darstellungsmethode in der Einleitung vorausschickte, waren programmatisch und nicht selbstkritisch gemeint. An der »chronologischen« bzw. »rein annalistische[n] Darstellungsmethode« hatte Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 69 gerade kritisiert, dass sie die »Evolutionen« bzw. die unterschiedlichen »Stufen« der »Totalentwicklung des Rechts« nicht hinreichend deutlich erkennen lasse. Auch Behrends kritischer Hinweis, dass die »eigentliche, in das Detail gehende Darstellung« durch Jherings »groß gedachte Geschichtsdeutung nicht ersetzt werden« könne (aaO, S. 138), trifft nicht eigentlich die methodischen Überzeugungen, die Jhering im »Geist« zum Ausdruck und zur Anwendung gebracht hat. Hat doch Jhering nie an die Ersetzbarkeit der einen durch die andere historische Methode gedacht. Das konnte Jhering bereits seinen zeitgenössischen Kritikern entgegenhalten, die ebenfalls schon die »exclusive Verfolgung der allgemeinsten Rechtsanschauungen« und eine bedenkliche »Unterschätzung treuer Erforschung auch des scheinbar Geringfügigen« an Jherings Werk kritisiert hatten [so etwa A. F.Rudorff, Rechtsgeschichte (1857), S.VII sowie direkt dazu Jherings unten in S. 493 Fn. 2442 im Wortlaut zitierte Replik]. Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 76. Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 65. Beide Ausdrücke, das wohlgemerkt historische »System« und der »Volksgeist«, sind in Jherings Terminologie gleichbedeutend. Seit der zweiten Auflage von Geist I sprach Jhering allerdings häufiger vom »psychischen Moment des Rechts« bzw. vom »Geist des Rechts«. Die Abschnittsüberschrift »Psychische Organisation des Rechts« aus Geist I (11852), § 3, S. 32–38 ersetzte er in Geist I (21866), § 3, S. 43–47 durch die Überschrift »Der Geist des Rechts«. Sachlich blieb aber die Aussage des Textes ungeachtet dieser Änderungen dieselbe. Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 65f. »Ein Rechtssatz wird zu seiner Bildung kürzere Zeit gebrauchen, als ein Rechtsbegriff, ein Rechtsbegriff kürzere Zeit, als ein Umschwung in der Rechtsanschauung. Für d i e Perioden der Geschichte, in denen die Bildung der Rechtssätze vorzugsweise dem Gesetzgeber anheimfällt, ist dieser Satz offenbar am zutreffendsten, hier ließe er sich auch so ausdrücken: Der Gesetzgeber arbeitet rascher, als die Doctrin, die Doctrin rascher als der Volksgeist, je langsamer aber hier die Production, um so unbestimmter der Z e i t p u n k t ihres Abschlusses« (aaO).

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langsamer als etwa Gesetzgebung, aber auch Rechtswissenschaft bildenden Volksgeist offensichtlich einen konkret-inhaltlichen, also jeweils historisch charakterisierbaren Volksgeist276, der dem späteren Betrachter der Geschichte auf der Grundlage des jeweils vorangehenden Volksgeistes einen grundsätzlichen epochalen »Umschwung in der Rechtsanschauung«277 eines Volkes bezeichnete. Der jeweilige neue »Volksgeist« war für Jhering also das Ergebnis einer Rechtsentwicklung, die zwar immer bereits unter der Herrschaft des jeweils vorangehenden Volksgeistes einsetzte, aber dort noch nur »als Abnormität« begriffen werden konnte278. Diese Historisierung des Volksgeistes hatte zwei wichtige Konsequenzen. Die erste bestand darin, dass der jeweilige Volksgeist zu einer konkret inhaltlichen Vorstellungsweise einer bestimmten Zeit relativiert und damit durch den Historiker kritisierbar wurde. Als Ausdruck für eine zwar jeweils prägende, aber historisch auf eine bestimmte Zeit begrenzte »Rechtsanschauung«279 verlor der Volksgeist seine normativ-juristische Funktion zur Begründung der Geltung des Rechts, die er noch in der normativen Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule gehabt hatte, und wurde zu einer reinen Kategorie der Geschichte bzw. Geschichtsphilosophie. Selbst dem Geschichtsphilosophen280 kam nach Jherings Vorstellung aber keine legitimierende, sondern eine aufklärerisch-kritische Funktion zu bei dem »Versuch […], sich der Kräfte, die die römische Welt trieben, bewusst zu werden«281. Nur der Geschichtsphilosoph sollte nach Jheirng – die Einflüsse der Hegelschen Geschichtsphilosophie sind unübersehbar282 – die wahren Kräfte, nämlich dasjenige, was sich mit historisch feststellbaren Anschauungen, subjektiven Bestrebungen, auch ganz »bewußte[r] Berechnung« der jeweiligen Zeitgenossen einer Epoche geschichtsphilosophisch »objektiv betrachtet« verbunden hatte, als »Walten des [sc. jeweiligen] Nationalgeistes« bzw. »Volksgeistes« erkennen und beim rechten Namen benennen können283. 276 277 278 279 280

In diesem Sinne auch schon W.Wertenbruch, Versuch (1955), S. 17. Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 64. Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 76. Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 65. Vgl. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 291 Fn. 224: »Der Philosoph vom Fach möge es mir verzeihen, wenn ich mich im folgenden an einer Aufgabe der Philosophie der Geschichte vergreife, der meine Kräfte nicht gewachsen sind […].« Ganz wohl scheint es Jhering selbst auf diesem Terrain nicht gewesen zu sein. 281 Bruckner-Briefe/1934, Nr. VII (Brief Jherings vom 26. Oktober 1852), S. 70. Vgl. auch A.Merkel, Jhering (1893), S. 19. 282 Anders als Hegel hat Jhering die Geschichte allerdings nie als Ausfluß einer apriorisch bestimmbaren Begriffs- und Willensdialektik verstanden. In Hegelscher Terminologie gesprochen blieb Jhering also immer der »Empirie« verhaftet [vgl. G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S. 87]. Vgl. auch O.Behrends, Jhering (1987), S. 250 mit Fn. 65; W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 150ff., 163f., 260f., 298, 329ff. et passim. 283 Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 293f.

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Beispielsweise meinte Jhering – dies sogar in ausdrücklicher Anknüpfung an Hegel284 – die Sittlichkeitsvorstellungen, rechtlichen Überzeugungen und Institutionen der Römer sowie deren Religiosität und alle sonstigen kulturellen Erscheinungen geschichtsphilosophisch »als ein[en] Ausfluß der Zweckmäßigkeitsidee«285 entlarven zu können. Das war natürlich noch keine wirkliche Erklärung, da Jhering – wie auch Hegel – die Antwort auf die Frage nach den Ursachen für diese die Römer angeblich beherrschende »Zweckmäßigkeitsidee« schuldig blieb. Aber in der Zurückführung historischer Vorstellungen in Recht, 284 Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 295 Fn. 225. Die – so etwa W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 52f. Fn. 101 – teilweise »frappante Nähe« Jherings zu Hegel im Hinblick auf die Beschreibung des Charakters des römischen Geistes [dazu aus rechtshistorischer Hinsicht kritisch F.Wieacker, Jhering (1969), S. 14] ist kein Zufall. Wenn Jhering eine Art der »Geschichtsschreibung« kritisierte, die lediglich »alle Umwandlungen, die irgendein Rechtsinstitut im Laufe der Zeit erfahren hat, aufzählte« [Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 71], dann hatte er damit nicht etwa eine Abgrenzung zu Hegel andeuten wollen [so aber O.Behrends in: Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 71 Fn. 79 (Anmerkung des Herausgebers)], sondern vielmehr zu »unserer römischen Rechtshistorie« [Jhering, Geist I (11852), § 17, S. 254], wie sie damals prominent etwa durch Adolf Friedrich Rudorff repräsentiert wurde [vgl. nur Jhering, »Zweiter Brief« von einem Unbekannten (1861), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 56f. mit Fn. 1]. Dagegen hatte gerade Hegel aus Jherings Sicht im Gegensatz zu »unserer römischen Rechtshistorie, die für das unbedeutendste ein so scharfes Auge hat« [Jhering, Geist I (11852), § 17, S. 254], im Grundsatz »das Wesen des römischen Geistes treffend aufgefaßt« (aaO, § 8, S. 96). Entsprechend findet sich das von Jhering als »Trieb« bzw. »Triebkraft« des römischen Denkens ausgemachte Zweckmäßigkeitsdenken in Recht und Religion, die römische »Religion der Selbstsucht« [Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 292ff.], wortwörtlich auch schon bei Hegel [vgl. nur G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S. 354ff., 373f.]. Von Hegel stammt auch die Redeweise von der »Prosa des Lebens«, die den römischen Volksgeist von der »harmonischen Poesie« des griechischen Volksgeistes unterscheide [vgl. G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S.350f. und Jhering, Geist III/1 (11865), § 48, S. 10]. Im Nachlass Jherings findet sich sogar ein handschriftliches Exzerpt von dieser Stelle aus der 1840 von dem Sohn Hegels, dem Historiker Karl Hegel, herausgegebenen Geschichtsphilosophie G.W.F.Hegels [Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 2r]. Die Darstellungen geschichtlicher Rechtszustände in Hegels Geschichtsphilosophie wurden von Jhering in seiner in den vierziger Jahren entstandenen »Univers.rechtsgesch. (Nachlass)« immer wieder angeführt [vgl. etwa Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 65r, 76r, 96r]. Die »Charakteristik des orientalischen Rechts in Hegels Philosophie der Geschichte« bezeichnete Jhering in einem Zusatz zu der von ihm herausgegebenen Enzyklopädie von Falck sogar als »unübertroffen, und kein Jurist sollte sie ungelesen lassen« [Jhering, Falcks Encyklopädie (51851), § 152, S. 309 Fn. 49; ferner auch Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 48 Fn. 33 (»meisterhafte Schilderung«)]. Und 1874 wies Jhering in einem Zusatz zur dritten Auflage von Geist II/1 auf Hegels »vorzügliche Schilderung des chinesischen Wesens« hin [Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 26 Fn. 13c)]. Zu Hegels Sohn Karl war Jhering übrigens Mitte der vierziger Jahre persönlich in ein »nahes und vertrautes Verhältnis« gekommen [BrucknerBriefe/1934, Nr. I (Brief Jherings an Bachofen vom 22. Juni 1846), S. 39]. Noch in späteren Jahrzehnten muß ein allerdings wohl eher lockerer Kontakt zwischen Jhering und Karl Hegel bestanden haben [vgl. etwa Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 67 (Jherings Brief an Roderich von Stintzing vom 29. Mai 1867), S. 218]. 285 Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 299.

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Sitte und Religion auf profanes Zweckmäßigkeitsdenken oder gar »grandiose Selbstsucht«286 lag ein der Historischen Rechtsschule fremder Ansatz. Durch den Versuch, ihre – vorgeblich – tatsächlichen geistigen Wurzeln und ihre den jeweiligen Zeitgenossen selbst gar nicht bewussten »objektiv[en] […] Dienste«287 zu benennen, wurden kulturelle historische Erscheinungen und mithin auch das Recht kritisierbar288. Die bisherige Historische Rechtsschule hatte dagegen nicht nach konkreten historischen »Grundtrieben«289 gefragt, sondern die Ergebnisse des »unbewußt« und »natürlich« durch den »Volksgeist« Hervorgebrachten konstatiert und als geschichtlich begründet sanktioniert290. Eine zweite Konsequenz der Historisierung des Volksgeistes war Jherings Bekenntnis zum Gegensatz291 der Rechtsanschauungen sowohl in der Geschichte eines Volkes als auch in der weltgeschichtlichen Entwicklung. Dies war ein 286 Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 293. Jhering sah sich hier – offenbar nachträglich – durch den englischen Utilitaristen Jeremy Bentham bestätigt (vgl. dazu näher in Teil 2, S. 519f. Fn. 2582. 287 So Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 296f. zur »Religiosität der Römer«, die, »von ihnen selbst und andern so viel gepriesen, […] im wesentlichen durch das Motiv der Zweckmäßigkeit oder der Selbstsucht bestimmt« gewesen sei und gleichwohl »objektiv […] dem Staat die wesentlichsten Dienste« geleistet habe. 288 Vgl. nur Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 300 zum römischen Volk im Altertum: »Aber der Preis der römischen Größe war freilich ein theurer. Der unersättliche Dämon der römischen Selbstsucht opfert alles seinem Zweck […] für ihn selbst hat nur Werth, was Zweck oder Mittel zum Zweck ist. Die Welt, die ihm gehört, ist eine entseelte, der schönen Güter beraubte, eine Welt, nicht von Menschen, sondern von abstrakten Maximen und Regeln regiert – eine großartige Maschinerie, bewundernswürdig […], aber eben eine Maschine«. Und konkret in bezug auf das überholte altrömische Rechtsverständnis urteilte Jhering: »Die wahre Gerechtigkeit begehrt etwas mehr, als jene mechanische Gleichheit […]. Das unbefangene sittliche Gefühl sträubt sich dagegen, daß eine Rechtsfrage wie ein Rechenexempel gelöst, das Recht zu einer Maschine erniedrigt werden soll« (aaO, S. 302). 289 Jhering, Geist II/1 (11854), § 23, S. 19; Ders., Geist II/2 (11858), § 37, S. 321. Vgl. zu diesem frühsoziologischen Ausdruck in Jherings und im zeitgenössischen Sprachgebrauch Teil 2, S. 277f. Fn. 1359. 290 F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 19, S. 210 sprach insoweit gar von der »Ehrwürdigkeit des Ueberkommenen«. Der Savigny und Puchta in seiner politisch-konservativen Haltung noch übertreffende Stahl [vgl. E.Heymann, Berliner Juristenfakultät (1910), S. 24f., 27] lobte auch: »Es ist darum ein Zug der Pietät, der Ehrfurcht vor der höhern bildenden Macht über den Menschen, welcher die historische Schule charakterisirt« [F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 19, S. 210f.]. Vgl. zu dieser quietistischen Tendenz eingehend W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 36ff. 291 Beispielsweise lagen dem älteren römischen Recht einerseits und dem »späteren römischen u[nd] […] heutigen Recht« andererseits nach Jhering, Theorie der Rechte (Nachlass), Bl. 243r vollkommen gegensätzliche Vorstellungen über das subjektive Recht zugrunde, was weitreichende rechtsdogmatische Konsequenzen habe. Diese Unterschiede und ihre Auswirkungen herauszuarbeiten nahm sich Jhering im »Geist des römischen Rechts« vor: »Es ist nicht unsere Aufgabe, eine römische Rechtsgeschichte zu liefern […]. Es ist uns […] zu thun um die psychische Organisation des römischen Rechtsorganismus und zwar, da sie zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene war, um die geschichtliche Entwicklung derselben« [Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 50].

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wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer wirklichen Entwicklungs- und Fortschrittsgeschichte nicht nur im weltgeschichtlichen, sondern auch im nationalen Rahmen292. Wohl hatte auch Savigny mit einem sich wandelnden »Sinn und Bedürfnis der Zeit« innerhalb eines Volkes gerechnet, was zur Modifikation bestehender Rechtsinstitute führen könne293. Dabei hatte er aber bekanntlich immer den Vergleich mit der »stete[n] Fortbildung und Entwicklung« der Sprache eines Volkes vor Augen gehabt294, das heißt ein Wachsen, aber keine wirkliche Entwicklung des Rechtssystem, die ganz Neues, ja sogar im vollständigen Gegensatz zum Bestehenden Stehendes umfassen würde295. Jherings Entwicklungsbegriff und die damit verbundene Unterscheidung verschiedener »historischer Systeme« in einem Volk implizierte hingegen, dass man im Laufe der Zeiten unter Umständen sogar »im Recht [sc. eines Volkes] von einer totalen [sic!] Neubildung seines Organismus sprechen« könne296. Im Unterschied zu den Auffassungen Savignys, aber auch Puchtas sollte nach Jhering der Geist der Zeit die Rechtsinstitute »eines und desselben Volkes« in den verschiedenen Entwicklungsphasen mit sich selbst unähnlich werden lassen können297. Schon »der flüchtigste Blick auf das römische Recht genügt, um sich zu überzeugen, dass im Innern desselben Revolutionen vor sich gegangen sind«298 ; »unendlich 292 So meinte Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 310f. nach der Darstellung von »den Gegensätzen, die im Verlauf der Geschichte in Rom auftreten« und aus denen sich die »Cultur des Rechts« entwickele: »Bedürfte es der Belege für diese Behauptung, – die Gegenwart könnte sie uns in Menge gewähren; ich verzichte darauf und beschränke mich lediglich auf Rom.« Insoweit betonte er den »Kampf« der Gegensätze, durch den diese jeweils »auf ihre relative Berechtigung« zurückgeführt worden seien, um dann – so formulierte Jhering, aaO, S. 310 im Stile Hegelscher Dialektik – die bisherigen »Gegensätze […] als die verschiedenen Seiten erscheinen lassen zu lassen, in denen sich die Einheit in vollendeter Weise darstellt.« 293 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 18. 294 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 17. 295 Dies resümierte in seinem Nachruf auf Jhering schon A.Merkel, Jhering (1893), S. 20, wenn er an Jherings »Geist des römischen Rechts« hervorhob, dass »der Entwicklungsgedanke bei ihm eine andere Färbung« gewonnen habe: »Dieser centrale Gedanke der modernen Wissenschaft hat bei S a v i g ny und den Seinigen eine durchaus konservative Färbung. Sie betonten vor allem die Stetigkeit des geschichtlichen Lebens und die Abhängigkeit einerseits der Gegenwart von der Vergangenheit, andererseits der Einzelnen von den objektiven Mächten. Bei J h e r i n g gewinnt dieser Gedanke […] einen progressistischen Charakter.« In diesem Sinne heute auch W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 194f., 251ff. et passim. Dagegen hatte es Savigny nach O.Behrends, Hugo (1996), S. 191f. Fn. 43 verstanden, sogar das – antike – »Naturrecht im Sinne seiner romantischen Volksgeistlehre zu historisieren.« Danach war für Savigny alles Recht historisch, »aber nicht positiven Ursprungs«, denn alles Recht sei »so alt wie die Menschheit« (aaO, S. 191). Vgl. dazu schon C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 191f. 296 Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 57. 297 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 32f. Vgl. auch Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 42r : »Die Eigenthümlichkeiten der Ver.[ältnisse] und Zeiten = Eigenthüml.[ichkeit] der Institute«. 298 Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 309. Vgl. auch Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 488 zum

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weit ist die Kluft« zwischen früheren und heutigen Rechtsanschauungen299. Selbst dasjenige, was – wie etwa die Existenz des Staates – heute als »Naturnothwendigkeit« erscheine300, sei in Wahrheit »nichts weniger als angeboren«301. Jherings »Geist des Volks und der Zeit«302 war somit mehr als nur eine Nuance gegenüber der Volksgeistlehre Savignys und Puchtas303. Tatsächlich bedeutete Jherings Hervorhebung des »Geists der Zeit« als maßgeblichen und neben dem »Geist des Volks« eigenständigen Faktor der Rechtsentwicklung nicht nur eine bereits in den fünfziger Jahren realistischere und weniger spirituell-romantische Fassung der hergebrachten Rechtsentstehungslehre vom Volksgeist, sie hatte auch ganz praktische Konsequenzen. Die neue Akzentuierung des Zeitmomentes für die Untersuchung und Darstellung legte nämlich in der Historischen Rechtsschule auch den Grund für eine prinzipielle, sowohl den Gegenstand als auch die Methode betreffende Unterscheidung zwischen der wissenschaftlichen Untersuchung der Geschichte des Rechts einerseits und – wie Jhering es in

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300 301 302 303

historischen »Umschwung in der ganzen Auffassung der Vormundschaft« im Laufe der römischen Rechtsgeschichte. Daher meinte Jhering schon in bezug auf die Veränderungen der Rechtsanschauungen innerhalb der römischen Rechtsgeschichte in Schuldmoment (1867), S. 180: »Welcher Umschwung der Ideen, welche totale Umgestaltung des gesammten Rechts, welche gewaltige in eine verhältnißmäßig kurze Zeit zusammengedrängte Geistesarbeit […]«, die – so Jherings editorischer Zusatz in Falcks Encyklopädie (51851), § 144, S. 286 Fn. 14 – zwar im öffentlichen Recht durch die »gewaltsamen Erschütterungen« eine mehr »in die Augen springende«, deswegen im Privatrecht aber »keine geringere« gewesen seien. Da für Jhering der »Geist« ganz unmetaphysisch immer konkret-historische Anschauungen bzw. historisch gebundene Anschauungsweisen bezeichnete, kann man auch nicht mit B.Klemann, Jhering (1989), S. 114f. Jhering in eine Reihe stellen etwa mit J.Christiansen, Institutionen (1843), S. 19, der im Geist des römischen Rechts den »Geist des Rechts überhaupt« gesucht hatte. Für Jhering gab es weder einen Geist des »Rechts überhaupt« noch einen Geist des »römischen Rechts«, der zudem noch – wie K.Schmidt, Jhering (1993/1996), S. 206 glaubt – Anspruch auf überpositive Geltung hätte haben können. Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 98f. Vgl. auch Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 296, wo er den »Begriff der römischen Obligation […] zur Zeit der klassischen römischen Juristen« anführte, »um sich von dem gewaltigen Umschwung zu überzeugen«, der seitdem stattgefunden habe. Der Abstand des zeitgenössischen Rechtsdenkens zum altrömischen Formalismus, der nach E.Schanze, Culpa (1978), S. 347 die rechtshistorische »Grundthese seines Hauptwerks, des ›Geistes‹« bildete, belegte nach Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 590 erst recht, dass »unser Recht […] eine höhere Stufe beschritten hat.« Allerdings waren nach Jhering, Rechtsschutz (1885), S. 360 solche »gewaltige[n] Umgestaltung[en] des Rechts« in der Regel »so wenig von der [sc. späteren] römischen, als von der heutigen« Jurisprudenz »principiell klar« erfaßt worden. Jhering, Geist I (21866), § 13, S. 177. Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 217. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 34; § 4, S. 50. So aber B.Klemann, Jhering (1989), S. 122f. und ähnlich O.Behrends, Jhering (1987), S. 250, der zwar eine gewisse »Eigenständigkeit von Jherings erstem Hauptwerk« anerkennt, diese aber lediglich darin sieht, dass der junge Jhering dort seinem »Bedürfnis nach größerer Anschaulichkeit« Ausdruck gegeben habe.

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Die Ablösung des Volksgeists als Geltungsgrundlage des positiven Rechts

deutlicher Abgrenzung zu Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie später selbst formulierte – der »Dogmatik« des Rechts als der wissenschaftlichen »Lehre des in einem Lande geltenden positiven Rechts«304 andererseits.

2.

Jherings Trennung von Dogmatik und Geschichte des Rechts

a)

Die Dogmatik im Verhältnis zu Geschichte und Philosophie des Rechts

Schon der Titel der von Jhering begründeten »Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen Rechts«305 weist auf die Tatsache hin, dass Jhering im auffälligen Unterschied zu Savigny oder Puchta »das Wort Dogmatik mochte und zu Ehren gebracht hat«306. Der Ausdruck »Dogmatik« als Bezeichnung für die rechtswissenschaftliche Ausarbeitung der jeweils juristisch geltenden »Gesetze, Rechtssätze und Begriffe«307 einer Rechtsordnung wurde von Jhering geradezu zum Schlüsselbegriff seiner eigenen und damit letztlich auch der heutigen Rechtsmethodologie gemacht308. Jherings Konzeption einer »Dogmatik des heutigen Rechts« ist allerdings nur auf dem Hintergrund der im 19. Jahrhundert mindestens zweimal erfolgten grundsätzlichen Neubestimmung des Verhältnisses von Rechtsdogmatik und Rechtsgeschichte richtig zu verstehen. Die Grundlage für Jherings Argumentation und Terminologie bildete nämlich, wie Maximilian Herberger in seiner eingehenden begriffsgeschichtlichen Untersuchung zum 304 So Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 47f., 55. Um von vornherein keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, sprach Jhering »die Rechtsphilosophie und die Rechtsgeschichte außer Betracht« lassend von »der positiven Jurisprudenz oder der Dogmatik« des geltenden Rechts (aaO). 305 Sogar ausdrücklich begründete Jhering den Titel der Jahrbücher mit der Notwendigkeit einer klaren Unterscheidung von Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik: »Daß rein rechtshistorische und kritische Arbeiten dem Zweck der Zeitschrift fremd sind, liegt schon in der in ihrem Titel hervortretenden Bezugnahme auf Dogmatik« [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 30 (= Ges. Aufs. I, S. 26)]. 306 O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 17. Eine Definition des »modernen Rechtsdogmatikbegriff[s]« lässt sich nach A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 163f. aber erst Ende des 19. Jahrhunderts nachweisen. 307 Jhering, Geist I (21866), § 3, S. 47. 308 So über Jhering auch W.Fikentscher/U.Himmelmann, Iherings Einfluß (1995), S. 109 und M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 405. Vgl. zur heutigen Rechtsmethodologie R.Dreier, Rechtsth.u.Rechtsgesch. (1990), S. 21, der die Rechtsdogmatik als »die Kerndisziplin der Rechtswissenschaft« bezeichnet und meint: »Alle anderen Disziplinen […] sind juristische Disziplinen nur und insoweit, als ihr objektives Forschungsinteresse einen Bezug zur Rechtsdogmatik hat.« Eine »allgemein akzeptierte Theorie der juristischen Dogmatik« ist nach R.Alexy, Argumentation (31996), S. 307ff. m. w. N. ungeachtet einer »wachsende[n] Zahl von Veröffentlichungen zu diesem Thema« allerdings bis heute »noch nicht in Sicht.« Vgl. dazu auch B.Rüthers, Rechtstheorie (1999), S. 176ff.

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Begriff der Dogmatik in der Jurisprudenz dargelegt hat, »in erster Linie die seit Hugo zum Problem gewordene Bestimmung des Verhältnisses von Dogmatik und Geschichte«309 und die Art der Bewältigung dieses Problems durch die zur Zeit des jungen Jhering insbesondere von Savigny und Puchta repräsentierte Historische Rechtsschule310. Entgegen dem hergebrachten und noch im 18. Jahrhundert verbreiteten Verständnis des Geschichtlichen als Ausdruck für das jeweils bloß – unwissenschaftlich – »Empirische« im vergangenen und auch gegenwärtigen Recht im Unterschied zur Dogmatik als Ausdruck für das wissenschaftlich »Systematische« und »Rationale« hatte Gustav Hugo nämlich mit seiner bekannten Dreiteilung von Rechtsdogmatik, Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte311 die Rechtsgeschichte entsprechend einer sich zu Hugos Zeit erst durchsetzenden Redeweise auf das Recht der Vergangenheit beschränkt und sie als solche gegenüber der Rechtsdogmatik, der Lehre vom geltenden Recht, als wissenschaftlich selbständige Disziplin etabliert312. Damit waren die Weichen dafür gestellt, dass die früher allenfalls »nur als sammelnde Vorstufe für die Dogma309 M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 405. 310 Noch darüber hinausgehend hat W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 23 das Verhältnis von Rechtsgeschichte und Dogmatik sogar als das »Hauptthema der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre im 19. Jahrhundert« bezeichnet. 311 G.Hugo, Encyclopädie (21799), § 16, S. 15: »[…] und diese drey Punkte sind durch den Begriff des positiven Rechts gegeben: I. Was ist Rechtens? – Die juristische Dogmatik. […] II. Ist es vernünftig, daß es so sey? Philosophie des Rechts […] III. Wie ist es Rechtens geworden? Die Rechtsgeschichte […].« 312 Vgl. insoweit die Darstellung bei M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 348ff., 354ff., 358ff., 370ff. Ferner auch J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 156ff. In rechtshistorischer Hinsicht hat Hugo, der nach O.Behrends, Hugo (1996), S. 203 mit seiner »radikalen Wendung zur Geschichtlichkeit des Rechts« die »normativen Ordnungen einfach als geschichtlich vorhandene Tatsachen nahm, […] der Historischen Schule das Fundament gegeben«. Denken und Ausdrucksweise des überkommenen Geschichtsverständnisses dokumentierte zu Hugos Zeiten dagegen noch K.S.Zachariä, Behandlung (1795), S. 6f., wenn er in einer Schrift »Ueber die wissenschaftliche Behandlung des Römischen Privatrechts« einleitend meint: »Das Studium des Römischen Rechts (und diese Eigenschaft hat es mit einer jeden positiven Wissenschaft gemein) ist entweder historisch, oder wissenschaftlich. Das erstere ist wiederum entweder blos historisch, oder pragmatisch. Der blos historische Jurist (leider nennt man ihn gewöhnlich den pragmatischen!) erlernet das Römische Recht blos nach dem Buchstaben des Gesetzes, ohne daß er die Sprache des Volkes, die Römische Geschichte […], die Alterthümer der Nation, zur Erklärung der Gesetze anwendet, oder auch nur für nothwendig hält. Diese, wie er glaubt, überflüssige Beschäftigung überläßt er dem sogenannten, eleganten Juristen, den wir so eben den pragmatischen Bearbeiter des Römischen Rechts genannt haben. So vortheilhaft sich aber auch dieser vor dem erstern auszeichnet, so dürfen wir doch nicht von ihm, in wie fern er blos ein pragmatischer Historiker ist, eine wissenschaftliche Bearbeitung des Römischen Rechts erwarten. Bey dieser kömmt es nämlich darauf an, daß man das Römische Recht […] von gewissen allgemeinen Grundsätzen ableitet«. Und da »bleibt für den Historiker nur das übrig, was der wissenschaftliche Jurist nach seinen Prinzipien unerklärlich findet«.

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tik«313 bzw. als Hilfswissenschaft314 verstandene Rechtsgeschichte in der Historischen Rechtsschule zur eigentlichen Rechtswissenschaft avancieren konnte. Allerdings ist durch die von Savigny begründete Historische Rechtsschule die überscharfe Trennung von Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik bei Hugo315 in dem Sinne grundsätzlich modifiziert worden, als im Hinblick auf die Methodik, aber auch sehr weitgehend im Hinblick auf die Gegenstände der rechtswissenschaftlichen Untersuchung nun »die ganze Rechtswissenschaft selbst nichts Anderes […] als Rechtsgeschichte«316 sein sollte, nämlich eine sowohl die Rechtsphilosophie als auch die Rechtsdogmatik in sich vereinigende geschichtliche Rechtswissenschaft317. Bezeichnenderweise kam daher in den methodischen Schriften Savignys, aber auch seiner unmittelbaren Nachfolger wie zum Beispiel Puchtas das vermutlich auf Hugo zurückgehende Wort »Rechtsphilosophie«318 überhaupt nicht und der von Hugo

313 M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 353; W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 19. 314 J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 157 Fn. 123a. Ferner auch die Übersicht bei H.J.Stühler, Erneuerung (1978), S. 64ff. 315 O.Behrends, Hugo (1996), S. 7 mit Fn. 3 bezeichnet die rigorose Trennung gar als provozierend, da sie die wechselseitigen Bezüge zwischen dem geltenden Recht, der Geschichte des Rechts und der Philosophie des Rechts abschneide. 316 F.C.v.Savigny, Hugo-Rezension (1806), S. 2. Zutreffend hat W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 17f., 27f. in diesem Satz bereits »im Kern die juristische Methodenlehre Savignys und der frühen Historischen Rechtsschule« enthalten gesehen. Dabei hatte sich Savigny, aaO, S. 2f. zur Stützung seiner Sichtweise fälschlicherweise sogar auf Hugo selbst berufen und dessen Auffassung in der vorzitierten Rezension von 1806 dahingehend umgedeutet, dass ihr angeblich bereits die »höhere Idee zum Grunde [liegt], nach welcher die Rechtswissenschaft selbst nichts anderes ist, als Rechtsgeschichte, so daß eine abgesonderte Bearbeitung der Rechtsgeschichte von jeder andern Bearbeitung der Rechtswissenschaft nur durch die verschiedene Vertheilung von Licht und Schatten unterschieden seyn kann.« Das war im Grunde nichts anderes als eine frühe und – nach J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 159 mit Fn. 129 m.w.N. – auch für das spätere Hugo-Bild folgenreiche unberechtigte Vereinnahmung Hugos durch Savigny. Denn in Wahrheit hatte Hugo nicht nur Dogmatik, Philosophie und Geschichte des Rechts strikt getrennt. Er war vielmehr bei seiner Erhebung von Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte zu eigenständigen von der Rechtsdogmatik zu unterscheidenden Disziplinen [vgl. dazu J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 156f.; A.Lavranu, Historizität (1996), S. 73ff.] auch davon ausgegangen, dass nicht die Dogmatik, sondern nur die Philosophie und die Geschichte des Rechts wissenschaftliche Disziplinen seien [im einzelnen differenzierend M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 356ff., 370ff.; A.Lavranu, aaO, S. 71ff.; ferner J.Schröder, aaO, S. 155, 158–161; D.Simon, Jurisprudenz (1988), S. 147; J.Blühdorn, Rechtswissenschaft (1971), S. 152f.; Ders., Naturrechtskritik (1973), S. 6f., 10; A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 52, 64]. 317 Entsprechend lautete der Titel der von Savigny 1815 begründeten »Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft«, dem Publikationsorgan der Historischen Rechtsschule. 318 Vgl. J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 157 Fn. 123b; ders., Recht (2001), S. 203 jeweils m.w. N. zu Wort- und Begriffsgeschichte der Rechtsphilosophie.

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zur Abgrenzung von der wissenschaftlichen Rechtsgeschichte verwendete Ausdruck »Dogmatik« fast gar nicht vor319. Dagegen legte Jhering seiner von Victor Ehrenberg 1894 posthum herausgegebenen Einleitung zur »Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts«320 wieder die Überzeugung von der grundsätzlichen »Verschiedenheit der Aufgabe der Geschichte und der Dogmatik« zugrunde321. Die »Emanzipation des Rechts von der Geschichte«, nämlich die grundsätzliche Unterscheidung der Aufgabe und der wissenschaftlichen Methodik von Rechtsdogmatik und Rechtsgeschichte, hat Wolfgang Fikentscher sogar als »wahrscheinlich Iherings größtes Verdienst« bezeichnet322. Danach hat Jhering das Savignysche Verständnis der Geschichte als Geltungsgrund des positiven Rechts überwunden323, ohne dabei allerdings die im Laufe des 19. Jahrhunderts über die Historische Rechtsschule hinaus verbreitete Ansicht von der inhaltlichen Bedingtheit allen jetzt geltenden Rechts durch die kontinuierlich und nicht willkürlich verlaufende Geschichte wieder aufzugeben. Jhering kehrte damit aber auch keineswegs einfach zu Hugos ri319 So bezüglich Savigny etwas zu apodiktisch J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 161, etwas abgeschwächter M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 375, 392f. Ganz vereinzelt verwendete Savigny zwar den attributiven Ausdruck »dogmatisch«, aber auch dies nicht in Koordination zum »Geschichtlichen«, sondern nur im ganz allgemeinen Sinne von »rechtswissenschaftlich«, etwa wenn er von »dogmatische[n] Schriften« im Unterschied zu »Sammlungen von Consilien, Responsen und Urtheilen« [F.C.v.Savigny, System I (1840), § 20, S. 91] oder von der »dogmatische[n] Darstellung des Rechts« im Zusammenhang mit dessen wissenschaftlicher »Klassification« sprach [F.C.v.Savigny, System I (1840), § 59, S. 406]. Bei Puchta findet sich der Ausdruck »dogmatisch« noch seltener. Und an einer »der wenigen Stellen« [so bereits die Beobachtung von M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 381 Fn. 178], wo Puchta die »Pandektenvorlesungen« von den »exegetische[n] Vorträge[n]« unterschied, welche im Vorlesungsbetrieb »an jene dogmatischen sich anschließen und sie ergänzen sollen« [G.F.Puchta, Pandektenvorlesungen (1832), S. V], verwendete er den Ausdruck ebenfalls nur in einem methodologisch ganz unspezifischen Sinn. Allenfalls in einem Brief erwähnte er einmal in auch methodologisch relevanter Weise den »Dogmatiker«, dies bezeichnenderweise allerdings nur, um auszudrücken, dass jeder »Historiker« des Rechts durch diese Eigenschaft auch immer schon zum »Dogmatiker« qualifiziert sei [Puchtas Brief vom 28. Mai 1842 an Rudorff, in: O.Liebmann, Fakultät (1910), S. 119]. 320 Vgl. zum vermutlichen Entstehungszeitraum der zumindest in einer ersten Fassung wohl schon vor 1884 von Jhering verfassten Einleitung O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 68f. sowie auf S. 49f. die editorische Anmerkung in Fn. 24. 321 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 10. 322 W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 264 und ferner S. 196, 228, 231f., 248, 251ff., 273ff. sowie jetzt wieder W.Fikentscher/U.Himmelmann, Iherings Einfluß (1995), S. 96, 109, 111ff. Ebenso M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 405. Vgl. ferner C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 113ff. zu Jherings bereits in den 1840er einsetzenden Entwicklung eigenständiger Auffassungen gegenüber der Historischen Rechtsschule, was die Bestimmung der Verhältnisses zwischen der Geschichte des römischen Reccht und der Dogmatik des Pandektenrechts (S. 114–117), die Beurteilung des Vorgangs und der Wirkungsgeschichte der Rezeption des römischen Rechts (S. 117–127) sowie das Verhältnis zwischen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung (S. 127–143) betrifft. 323 W.Fikentscher, Methoden, S. 252f.; M.G.Losano, Studien (1984), S. 54.

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goroser Trennung von Rechtsdogmatik, Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie zurück324. Anders als Hugo325 hat Jhering das geschichtliche römische Recht mit der ganz großen Mehrheit der Juristen des 19. Jahrhunderts nicht nur innerhalb der Pandektistik immer als ein Bildungsmittel für die zeitgenössische Rechtswissenschaft bzw. Rechtsdogmatik betrachtet. Vor allem aber sind für Jhering anders als einst für Hugo Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte ganz entsprechend dem normativen Geschichtsverständnis der Historischen Rechtsschule326 untrennbar miteinander verbunden geblieben327, und dies nicht nur in dem kaum bestreitbaren Sinne, dass geschichtliche Ereignisse und Tatsachen nicht ohne Ideengeschichte verstanden werden können, sondern auch in dem durchaus anfechtbaren geschichtsphilosophischen Sinne einer in der Geschichte vorausgesetzten geistigen Aufwärtsentwicklung328. Die Rechtsge324 So auch O.Behrends, Jhering (1987), S. 268. Allerdings ist der junge Jhering in dieser Frage auch nicht einfach nur »dem Vorbild Savignys« gefolgt (so aber Behrends, aaO). Dazu weiter im Text. 325 J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 156. 326 Vgl. dazu O.Behrends, Hugo (1996), S. 188, 208f. der am Beispiel der Kritik des jungen Karl Marx an Hugos Geschichtsverständnis im Übrigen deutlich macht, dass ein normatives Geschichtsverständnis im 19. Jahrhundert nicht auf die Historische Rechtsschule beschränkt war. Allerdings ist auch innerhalb der Historischen Rechtsschule die Begründung der Normativität keineswegs einheitlich. Sah Savigny letztere darin begründet, dass das Ziel der Entwicklung durch eine Vollkommenheit des Rechts am Anfang der Geschichte vorgegeben sei und später – nach Phasen des Niedergangs – nur von neuem erreicht werden müßte, ging Jhering von einer von geschichtlicher Erfahrung getragenen echten Aufwärtsentwicklung aus (aaO, S. 198) und dies auch keineswegs erst nach seinem von Behrends, aaO sogenannten »Durchbruch zum Zweck im Recht«. 327 Vgl. nur O.Behrends, Jhering (1987), S. 246 und T.Giaro, Mehrzweckmodell (1992), S. 547. Letzterer bezeichnet Jherings Werk über den »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« – in allerdings kritischer Absicht – als eines der »Musterbeispiele dieses Genres« (aaO). Jhering selbst hatte sein Werk sogar ausdrücklich als »eine Aufgabe geschichtsphilosophischer Art« bezeichnet [Jhering, Geist II/2 (11858), S. V] und es deswegen auch mit Blick auf Puchtas dreibändigen »Cursus der Institutionen« dem »Andenken des großen Meisters, Georg Friedrich Puchta«, gewidmet [Jhering, Geist I (11852), S. III, VI]. Denn Puchtas »Cursus« galt in der zeitgenössischen Rechtsgeschichtsschreibung weithin als ein Werk, in dem sich »die historische und die philosophische Behandlung des Rechts mit seltenem Geschicke vereint finden« [so etwa J.F.Dworzak, Versuche (1856), S. 41, aber auch beispielsweise der Germanist W.Arnold, Rechtsleben (1865), S X]. Gemeint war damit eine rechtsgeschichtliche Darstellung, die sich nicht in einer »historischen Mikrologie« von Einzelheiten erschöpfe [Losano-Briefe I /1984, Nr. 28 (Jherings Brief an Gerber vom 28. Oktober 1853), S. 86], sondern versuche, den historischen Gegenstand, hier »das römische Recht[,] in seinen Prinzipien zu erfassen«, um »vermittelst einer solchen auf die letzten Gründe eingehenden Betrachtungsweise […] ein Urteil über das römische Recht zu gewinnen […]« [Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 10 (Jherings Brief an Windscheid vom 29. Januar 1853), S. 26f.]. Die Existenz solcher »letzten Gründe«, philosophisch als »Prinzipien« formulierbar, wurde dabei entsprechend dem Programm der Historischen Rechtsschule einfach vorausgesetzt. 328 Allerdings haben nach Auffassung von O.Behrends, Hugo (1996), S. 182 die »großen

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schichte hatte diesen Fortschritt mithin für das Recht zu belegen. Jhering hat daher auch genau dasjenige zum Grundgedanken seines Werks über den »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« gemacht, was er schon in den vierziger Jahren gefordert hatte, als er als junger Rezensent dem Verfasser einer dem römischen Recht gewidmeten Monographie vorwarf, »mehr im antiquarischen, als wirklich historischen Geiste gearbeitet« und »den reichlich vorhandenen Stoff« nicht »zu einer genetischen Darstellung des Gegenstandes« benutzt zu haben durch den jeweiligen Nachweis, »wie und wo« sich eine neue »Tendenz« im gesamten Recht jeweils geltend gemacht habe »und mit steigender Kraft stufenweise [sic!] zum Siege gelangt« sei329. Daran hat Jhering bis in seine Spätzeit festgehalten, worauf er übrigens auch selbst ausdrücklich hinwies. So erklärte Jhering in seiner posthum erschienenen Einleitung zur »Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts«, in welcher er die römische Rechtsgeschichte programmatisch als »a n g e w a n dt e Re c ht s p h i l o s op h i e « verstanden und dargestellt sehen wollte: »Einen Beitrag zur Lösung der Aufgabe in d i e s e m Sinne soll wie mein früheres Werk [sc. der «Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung»], so auch das jetzige liefern. Bei jenem hatte ich mein Augenmerk auf die allgemeinen Ideen gerichtet, welche sich in den Rechtsinstituten einer und derselben Zeit wiederholen […], nach dieser Seite hin wird das gegenwärtige Werk also eine Ergänzung des früheren bilden.«330

Vertreter der Historischen Rechtsschule, insbesondere Savigny und Jhering, […] hier den richtigen Weg gewiesen«, wenn sie sich bei ihrer rechtsgeschichtlichen Beschäftigung »auf geistige Modelle [stützten], die eine innere Entwicklung des Rechts annehmen […].« Sehr kritisch gegenüber einer solchen Haltung zur Geschichte dagegen T.Giaro, Mehrzweckmodell (1992), S. 547. W.Fikentscher/U.Himmelmann, Iherings Einfluß (1995), S. 112 wiederum wollen entgegen der ganz herrschenden Auffassung in der Literatur und entgegen der auch hier im Text vertretenen Auffassung speziell in »Iherings Geschichtsverständnis« überhaupt »keine Höherentwicklung, keine Reinigung, auch kein ›Vorwärtsgehen‹« sehen – eine Einschätzung allerdings, die ganz ohne Belege aus Jherings Werk behauptet wird und die sich eben auch mit diesem eindeutig widerlegen läßt. 329 Jhering, Gneist-Rezension (1847), Sp. 258f. Vgl. auch schon Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 422ff. zum Unterschied einer bloß »registrirende[n] oder inventarisirende[n]« Sammlung der »Antiquitäten verschiedener Perioden« der Geschichte und einer wirklichen »Geschichte des Rechts«, die das einzelne als Teil der »Ideen und Bestrebungen der Zeit« und damit als »Manifestation des sich entwickelnden und verändernden Rechtsbewußtseins« zu deuten verstehe (aaO, Sp. 421). 330 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 5. Vgl. auch O.Behrends, Hugo (1996), S. 203 zu der noch »Hugo fremden normativen Vergeistigung [sc. der Rechtsgeschichte], die mit der Volksgeistlehre Savignys einsetzt« und die in Jherings Spätzeit mit dessen »kultureller Evolutionstheorie des Rechts ihre letzte Form fand«. Freilich hat Jhering die mit Savigny in der Tat normativ verstandene Frage nach der entwicklungsgeschichtlichen Legitimität des geltenden Rechts im Unterschied zu Savigny durchaus von der Frage nach dem Grund der juristischen Geltung desselben getrennt. Zu letzterem eingehend Abschnitt II. 1.

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Was dagegen das Verhältnis von Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik betrifft, so hatte Jhering bereits in der oben erwähnten Rezension aus dem Jahre 1847 bemerkt, dass das vom Verfasser gewählte Thema ohnehin fast »nur ein rechtshistorisches Interesse in Anspruch nehmen kann« und »dessen dogmatische Ausbeute wenn auch schätzbar, doch höchst spezieller, sekundärer Natur ist«331. Schon diese ostentative Differenzierung nach demjenigen, »was dem juristischen Interesse die höchste Befriedigung« bieten kann, und demjenigen, was »auf eine Befriedigung des historischen Interesses angewiesen« sei332, deutet hin auf Jherings Abkehr von Savignys Konzeption einer – so Jherings später formulierter Vorwurf – »D o g m at i k unter dem Bann der Re c ht s g e s c h i c ht e « und deren »Gegenstück […] [der] Re c ht s g e s c h i c ht e unter dem Bann der D o g m at i k . «333 Bisher nur selten bemerkt wurde, dass Jhering diesen entscheidenden Schritt über die Konzeption Savignys und auch Puchtas hinaus334 schon in den vierziger Jahren vollzogen hat und daher in den Schriften seiner Spätzeit unmittelbar – teilweise sogar fast wörtlich – an seine frühesten anonymen Veröffentlichungen anknüpfen konnte335. Lediglich Harry Lange336 hat aus der im Jahre 1844 in der Berliner »Literarischen Zeitung« anonym erschienenen und von ihm entdeckten

331 Jhering, Gneist-Rezension (1847), Sp. 258f. 332 Jhering, Gneist-Rezension (1847), Sp. 258f. 333 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 8. Zu ersterem eingehend der folgende Abschnitt I. 2. b) und zu letzterem der nächstfolgende Abschnitt I. 2. c). 334 E.v.Moeller, Rechtsgeschichte (1905), S. 8ff., 24f., 70 sah aus diesem Grunde Jherings »Geist des römischen Rechts« bereits als außerhalb der Historischen Rechtsschule stehend. Tatsächlich wurde durch die Emanzipation der Rechtsgeschichte von der Rechtsdogmatik das ursprüngliche Savignysche »Programm einer geschichtlichen Rechtsdogmatik als positive Rechtswissenschaft endgültig zu Grabe getragen« [F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 423]. Vgl. dagegen heute aber den Einwurf von R.Ogorek, Erbschaft (1998), S. 189f., die sich ganz entschieden gegen Versuche in der heutigen Rechtsgeschichtswissenschaft wendet, das Vermächtnis der Historischen Rechtsschule durch eine »Aufgabe des anwendungsunabhängigen Erkenntnisziels der komplexen historischen Wahrheit […] zugunsten der Aufdeckung ›lebendiger Kontinuitäten‹« wiederzubeleben. 335 Dagegen meint W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 342, dass Wolfgang Fikentscher seinen im Prinzip zutreffenden Nachweis von Jherings »Emanzipation der Rechtsgeschichte vom geltenden Recht und damit von der Dogmatik […] allzuweit vor in die Geist-Periode«, also in die fünfziger Jahre, verlagert habe. Tatsächlich habe Jhering aber erst »im Zuge seiner gedanklichen Vorarbeiten zum Zweck […] auch ein Verständnis […] dafür entwickeln [können], daß eine Trennung der Historie von der Dogmatik wünschenswert« sei. In diesem Sinne nun inzwischen offenbar auch W.Fikentscher/U.Himmelmann, Iherings Einfluß (1995), S. 112 zu der von Jhering angeblich »erst spät formulierte[n] Trennung von Recht und Rechtsgeschichte«. O.Behrends, Luf/Ogris-Rezension (1997), S. 571 kann bei Jhering sogar überhaupt keine »Tendenz finden, neben der juristischen eine ›reine Rechtsgeschichte‹ auszugliedern […].« 336 H.Lange, Wandlungen (1927), S. 19.

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Aufsatzfolge Jherings über »Die Historische Schule der Juristen«337 den hier bereits grundsätzlich unterschiedenen »doppelten Zweck der geschichtlichen Studien« referiert, einerseits den nur noch sporadisch relevant werdenden »praktischen [sc. Zweck], um nämlich das gegenwärtige Recht […] zu erklären«, und andererseits den »rein historischen [sc. Zweck], um nämlich das Rechtssystem einer vergangenen Periode in seiner Totalität zu reproduciren«338. In der ein Jahr später 1845 erschienenen und ebenfalls Jhering zuzuschreibenden Aufsatzfolge in der Berliner »Literarischen Zeitung« wurde die von der Historischen Rechtsschule erhobene Forderung nach – so noch Puchta – »geschichtliche[r]« Untersuchung, die sich von der bisherigen »antiquarische[n] Forschung« dadurch unterscheide, dass sie sich nicht »auf alterthümliche, vorübergegangene Zustände« beschränke, sondern »es eben so sehr mit gegenwärtigen zu thun« habe339, bereits als eine »Quadratur des Zirkels« bezeichnet340. So sehr Jhering auch gegenüber dem Naturrechtsdenken des 18. Jahrhunderts von der Richtigkeit der Ansicht der Historischen Rechtsschule zur Bedingtheit des gegenwärtigen Rechts durch den gesamten vorangegangenen Geschichtsverlauf überzeugt war, so sehr hielt er doch gleichzeitig das in der Historischen Rechtsschule herrschende Verständnis über das Verhältnis von Rechtsgeschichte und Dogmatik schon früh für revisionsbedürftig. Der junge Jhering knüpfte dabei an die damals weithin als wegweisend betrachtete Untersuchung von Johann Friedrich Kierulff zur »Theorie des Gemeinen Civilrechts« an341, in welcher der maßgeblich von Hegel beeinflusste342 337 Vgl. zur Geschichte der Entdeckung dieser anonym erschienenen Aufsatzfolge und der heute geklärten Frage der Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 14f. 338 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 409. 339 So G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 34, S. 103 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Puchta hatte damit direkt an Savigny angeknüpft, der schon früh die »Vereinigung der einseitigen Arbeiten des Historikers und Dogmatikers« gefordert und – hier bezogen auf Feuerbach – kritisiert hatte, dass häufig »das historische borniert und nur als Hülfskenntniß« der Dogmatik behandelt werde [F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1803/04), in: Savignyana II (1993), S. 135f.]. Unzutreffend ist es daher, wenn J.Nocke, Beständigkeit (1986), S. 139 in der Historischen Rechtsschule von Anfang an die »autonome Dogmatik und Geschichte grundsätzlich« in einem »Ausschließlichkeitsverhältnis« stehen sieht. Richtig dagegen W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 22f., ferner in jüngerer Zeit auch S.Meder, Urteilen (1999), S. 205f. m. w. N. 340 LZ 1845, Sp. 1447 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107]. 341 Erschienen ist nur der erste Band von 1839. Knapp zwanzig Jahre später sollte J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 17f. Kierulff einen frühen »Herold« nennen für das in der Pandektenwissenschaft Mitte der fünfziger Jahre allgemein spürbare »Streben nach Verselbständigung oder Emanzipirung« der Dogmatik des geltenden Rechts von der Geschichte des römischen Rechts. J.E.Kuntze, Obligation (1856), S. X meinte: »Das ersehnte Morgenroth der neuen Epoche dämmert seit Kierulff […].« Vgl. auch W.Wilhelm, Theorie (1972), S. 88. 342 Zum Verhältnis Kierulffs zur Historischen Rechtsschule E.Landsberg, Geschichte III/2

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Kierulff bereits 1839 der Historischen Rechtsschule vorgeworfen hatte, sie habe »eine civilistische Doctrin geschaffen, welche unentschieden schwankt zwischen Theorie und Geschichte«343. Während es Kierulff und denjenigen, die sich später auf ihn beriefen, aber allein um die Emanzipierung der Dogmatik des geltenden Pandektenrechts von der Rechtsgeschichte ging344, ging es Jhering gleichermaßen auch um die Emanzipierung der Rechtsgeschichte von der Rechtsdogmatik. Denn so wenig wie Dogmatik »eben so sehr« mit dem Geschichtlichen zu tun habe, so wenig war nach Jhering das Geschichtliche »eben so sehr« mit dem Gegenwärtigen verbunden; die Anforderungen an eine Geschichte und eine Dogmatik des Rechts seien vielmehr ganz unterschiedlich345. »Dieser Conflikt zweier bei strenger Consequenz unvereinbarer [sic!] Anforderungen ist der Schlüssel zur Geschichte der modernen romanistischen Jurisprudenz, […] das […] Räthsel, an dem sie sich abgemüht hat, ohne es zu rathen […].«346 Denn die

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(1910), S. 587f., 594, 596f. sowie F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 413f. H.Klenner, Rechtsphilosophie (1991), S. 128 Fn. 3 zählt Kierulff zu den vier »bedeutendsten Hegelianern unter den Juristenprofessoren« des 19. Jahrhunderts. J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. XIX. Auch Jherings damit zusammenhängende Unterscheidung der Befähigung eines »juristischen Auges« und des »Blicks des Historikers« findet in Kierulffs Unterscheidung von Menschen mit »juristische[r] Anlage« und Menschen mit einem »für historische Forschungen erforderlichen Sinn« seine Grundlage (aaO, S. XXVIII). Nach Savigny und Puchta hatte noch jeder gute Jurist beides in sich zu vereinigen. Vgl. dagegen auch schon A. F.J.Thibaut, Hist. Rechtsschule (1838), S. 396 in seinem den Streit um die Historische Rechtsschule bilanzierenden Artikel von 1838. Seine dortige kritisch-distanzierte Redeweise von der »sogenannten historischen Rechtsschule« [vgl. dagegen die Polemik von G.F.Puchta, Thibaut-Rezension (1839), S. 193] findet sich wohl nicht zufällig auch in Jherings nur wenig später verfaßten Kritik an der »Ansicht der s.[o] g.[enannten] histor.[ischen] Schule: von dem nationalen Charakter des R.[echts]« wieder [Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 50, Bl. 53v]. Vgl. zur zeitgenössischen Redeweise von der »so genannten« Historischen Rechtsschule C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 36f. Die im Jahre 1871 von Ernst Immanuel Bekker geforderte »Emancipation […] durch das Auseinanderdenken des römischen und des heutigen Rechts« war daher keineswegs so neu, wie M.Kriechbaum, Bekker (1984), S. 30ff., 277 heute annimmt. Diese »Emanzipirung« [so wörtlich J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 17f.] war in den fünfziger Jahren das beherrschende Thema der vornehmlich von jungen Romanisten getragenen Methodendiskussion. Noch in Entwickl.gesch.(1894), S. 8f. sollte Jhering es als zu den Einseitigkeiten der Historischen Rechtsschule gehörend bezeichnen, dass diese die Rechtsgeschichte lediglich als »Schlüssel zum Verständnis des geltenden Rechts« betrachtet habe. Genau dieses Manko hatte Jhering 1844 auch an den bisherigen »historischen Studien« kritisiert, die nach Jherings bereits damaliger Ansicht daran krankten, dass sie »vorwiegend einen praktischen Zweck« hätten, nämlich »hauptsächlich durch das Interesse der Dogmatik und das Bedürfnis der Exegese bestimmt und geleitet« seien [Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 421] bzw. – wie Jhering, Rechtsschutz (1885), S. 337 es später einmal ausdrückte – die römischen Institute statt »mit der ächt römischen […] durch die moderne Brille betrachteten«. So heißt es in der Jhering zuzuschreibenden Artikelfolge in LZ 1845, Sp. 1447 [vgl. zur Verfasserschaft C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (66)]. Ebenso auch Jhering, Geist I

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»Verschiedenheit beider Zwecke hat für die Behandlung des positiven Stoffs eine Verschiedenheit der Gesichtspunkte […] zur Folge. Für den praktischen Zweck ist es Aufgabe, den Standpunkt des gegenwärtigen Systems einzunehmen, und die Einzelheiten desselben aus dem Ganzen zu erklären, und nur, wo letzteres nicht möglich ist, in die Vergangenheit zurückzusteigen, um sich von ihr den Schlüssel zu holen.«347 Nur insoweit hatten auch für Jhering die »geschichtlichen Studien« einen »praktischen« Zweck. Aber – so schränkte er in unübersehbarem Gegensatz zu Savigny, aber auch zu Puchta gleich ein – für »jenen praktischen Zweck wird […] ein geringes geschichtliches Material genügen, denn viele Theile des Rechts werden sich ganz [sic!] losgelöst haben von der Vergangenheit«348. Diese im Jahre 1844 von Jhering noch anonym veröffentlichte Feststellung von der – bei allem »Verdienstliche[n]« – insgesamt nur noch »secundäre[n] Bedeutung« der »rechtshistorischen Leistungen« für die rechtsdogmatische »Aufgabe, welche die Gegenwart zu leisten hat«349, zeigt, wie eigenständig Jhering schon zu diesem frühen Zeitpunkt dachte, auch wenn er seine Kritik etwa an unnötigen »Umwegen« Savignys über das historische Recht bei der Darstellung des »heutigen« erst in seinem Nachruf auf Savigny auch öffentlich namhaft machen sollte350. Vier Jahre vor Savignys Tod hat sich Jhering aber immerhin schon öffentlich und programmatisch zu der damals – zumindest innerhalb der Historischen Rechtsschule – noch »sehr gewagten Ansicht« be-

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(11852), § 5, S. 52f. Fn. 27: »Neben das historische Interesse, das auf ihrem Gebiet allein berechtigt ist, tritt hier das ihr [sc. der Rechtsgeschichte] an sich fremde praktisch-dogmatische, und sie selbst erliegt diesem Conflikt beider Interessen.« Damit wollte Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 201 nicht einem »Gegensatz von Historikern und Praktikern« das Wort reden, sondern mit einer auch methodisch genauen Unterscheidung der »rein historischen« und der »historisch-dogmatischen« Untersuchungen dafür sorgen, dass »keine von beiden Richtungen exclusiv« würde. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 409. Vgl. auch Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 52f. Fn. 27: »Die Rechtsgeschichte soll den Schlüssel der Dogmatik abgeben, das ist der Unstern, der über ihr schwebt.« Ganz ähnlich heißt es bei Jhering in Kampf (1872), S. 89, dass die »Geltung des modernen römischen Rechts […] von vornherein dem Gegensatz und Wechsel zweier ganz verschiedenartiger, oft sich selber gegenseitig bekämpfender Interessen ausgesetzt [war] – ich meine das der rein unbefangenen historischen Erkenntniss und das der praktischen Accommodirung und Fortbildung des Rechts […].« Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 409: »[…] nur einige werden wegen ihrer historischen Complicationen von der Art sein, daß wir sie lediglich aus ihrer jetzigen Gestalt nicht erklären können«. Gerade Savigny hatte dagegen noch 1840 betont, dass das gesamte geltende Recht der Gegenwart in der Weise durch einen »lebendige[n] Zusammenhang« »an die Vergangenheit knüpft«, dass man »ohne dessen Kenntniß […] von dem Rechtszustand der Gegenwart nur die äußere Erscheinung wahrnehmen, nicht das innere Wesen begreifen« könne [F.C.v.Savigny, System I (1840), S. XV]. Vgl. dagegen später Jhering: »Ich bin der Überzeugung, daß nur derjenige das Recht der Vergangenheit [sic!] begreifen kann, der das der Gegenwart versteht […]« [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 365]. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 535. Vgl. dazu in Teil 2, S. 437f.

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kannt, »daß ein wirklicher Ju r i s t , auch wenn seine rechtshistorische Ausrüstung noch so mangelhaft sein sollte, im Ganzen und Großen, das römische Recht ungleich besser verstehen wird, als ein Rechtshistoriker, dem das j u r i s t i s c h e Organ fehlt […].«351 Praktisch genau umgekehrt hatte hingegen noch Puchta gemeint: »Für einen Historiker ist es nicht so sehr schwer, ein Dogmatiker zu werden […], den umgekehrten Weg dagegen halte ich für unmöglich.«352 Zwar leugneten auch Savigny oder Puchta nicht überhaupt die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen dem historische und jetzt geltenden Recht353. Aber Savigny – und ihm hierin folgend Puchta – waren von einem »lebendigen Zusammenhang« vergangenen und heutigen Rechts in dem Sinne überzeugt, dass jede dem heutigen Recht angemessene Untersuchung auch eine geschichtliche sein müsse bzw. dass umgekehrt eine wirklich geschichtliche Untersuchung untrennbar mit dem heutigen Recht im Zusammenhang stehe, immer jeweils vorausgesetzt, dass der Gegenstand der Untersuchung, das Recht, sich »natürlich«, nämlich ungestört von Revolution, despotischer Gesetzgebung und ähnlichen Einwirkungen hatte entwickeln können. Die Auffassung, dass sich Teile des geltenden Rechts von der Vergangenheit »ganz losgelöst« haben könnten, wäre für Savigny oder Puchta daher noch gleichbedeutend gewesen mit einem gänzlich »unnatürlichen« Rechtszustand354. Und dass nach Jhering für den »praktischen«, also den dogmatischen Zweck, mithin »ein geringes ge-

351 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 22f. (= Ges. Aufs. I, S. 19f.); Ders., Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 77. 352 Puchtas Brief vom 28. Mai 1842 an Rudorff, in: O.Liebmann, Fakultät (1910), S. 119. 353 Vgl. nur F.C.v.Savigny, Recht des Besitzes (71865), § 48, S. 503, wo Savigny bei der Darstellung der römischen Besitztheorie selbst vor einer »Vermischung des Alten und Neuen« gewarnt hatte, dies allerdings vor allem deswegen, da nach seinem Verständnis unter »allen bedeutenden Irrthümern, die man über die Römische Ansicht des Besitzes zu hegen pflegt, […] vielleicht keiner [ist], der nicht z u g l e i c h durch das Canonische oder Deutsche Recht«, also eben durch das »Neue«, veranlaßt worden wäre. Auch G.F.Puchta, Institutionen-Vorlesungen (1829), S. XI; Ders., Cursus I (11841), S. VII unterschied entsprechend der im damaligen Vorlesungsbetrieb üblichen Unterscheidung theoretisch zwischen der Darstellung des historischen »reinen römischen Rechts« der Antike und des in den Pandektenvorlesungen vorgetragenen noch geltenden römischen Rechts der Gegenwart. Ein inhaltlicher Vergleich zwischen seinem Pandektenlehrbuch und den dogmengeschichtlichen Passagen seines »Cursus der Institutionen« zeigt aber, dass sich praktisch beide Darstellungen weithin und häufig bis in den Wortlaut hinein gleichen, ja zuweilen sogar zeitgenössische Diskussionen über pandektistische Einzelfragen in der vorgeblich auf das »reine römische Recht« beschränkten Darstellung des »Cursus« auftauchen [vgl. nur G.F.Puchta, Cursus II (11842), § 202, S. 327 Anm. aa) einerseits und G.F.Puchta, Pandekten (21844), § 51, S. 72 Anm. d) andererseits]. Aus Puchtas Sicht war das jedoch kein methodisches Manko, hatte nach seiner Auffassung doch die Dogmatik des Rechts »eben so sehr« mit dessen Geschichte wie umgekehrt die Geschichte des Rechts mit dessen Dogmatik zu tun. 354 Vgl. insoweit nur H.Hattenhauer, Einleitung (1973), S. 49f.

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schichtliches Material genügen« sollte355, bedeutete nichts anderes, als dass Jhering für die Dogmatik das forderte, was Savigny einst als »borniert« bezeichnet hatte, nämlich die Rechtsgeschichte »nur als Hülfskenntniß« der Dogmatik356. Ganz im Sinne Jherings sollte auch Bernhard Windscheid formulieren: »Aber wie hoch auch die Bedeutung der Rechtsgeschichte für die praktischen Ziele der Rechtswissenschaft anzuschlagen ist: sie ist doch für dieselben nur Hilfswissenschaft«. Und nur daneben, nämlich »mehr [sc. als] ein Zweig der Geschichte, als der Rechtswissenschaft«, habe die »Rechtsgeschichte […] die volle Ehre einer selbständigen, auf sich beruhenden Wissenschaft«, die »lediglich um ihrer selbst willen, ohne Hinter- und Nebengedanken« etwa im Hinblick auf ein bestimmtes Ergebnis bei der dogmengeschichtlichen Einzeluntersuchung forscht und arbeitet357. So äußerte sich Windscheid im Jahre 1884, also genau vierzig Jahre nach Jherings ersten öffentlichen Vorstößen in diese Richtung. Und manchem sollte selbst noch am Ausgang des 19. Jahrhunderts Windscheids Äußerung als ein »überkühnes« Wort358 erscheinen.

b)

Jherings »unhistorische Dogmatik« des geltenden römischen Rechts

Jherings Neubestimmung des Verhältnisses zwischen der Rechtsdogmatik auf der einen Seite und der Geschichte und Philosophie des Rechts auf der anderen hatte unmittelbare Konsequenzen für seinen Umgang mit den Begriffen und Formen des römischen Rechts. Hier war nach Jhering nämlich immer »zweierlei« besonders genau zu unterscheiden, »einmal die rein historische Frage, wie haben die Römer sich das Verhältnis juristisch konstruiert, und sodann, wie hat die heutige Jurisprudenz es zu tun.«359 Wer dagegen »den wissenschaftlichen Nachdruck« auch »in der Jurisprudenz auf die Geschichte legen« wolle, »der erklärt damit selber seine eigene Unfähigkeit als Jurist. […] Wenn ich sage Jurist, 355 356 357 358

Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 409. F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1803/1804), in: Savignyana II (1993), S. 136. B.Windscheid, Aufgaben (1884), S. 108f. E.Eck, Gedächtnis (1893), S. 17. Repräsentativ war diese Einschätzung zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr [vgl. nur W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 158f. sowie J.Rückert, Autonomie (1988), S. 72f. jeweils m. w. N. sowie ferner zu den konkreten Folgen dieser »Emanzipation der Rechtsgeschichte« vor allem für die Rechtsgeschichtswissenschaft zum römischen Altertum F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 416ff.]. 359 So Jhering in einem Brief an Windscheid vom 21. Dezember 1853, in: Ehrenberg-Briefe/ 1913, Nr. 12, S. 35. Vgl. später auch Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 79–81, wo Jhering gerade auch mit Blick auf die sich aus dem zeitgenössischen »Einfluß der historischen Richtung« ergebende »große Gefahr« für die Rechtsdogmatik mit Nachdruck darauf hinwies, dass die »Rechtsgeschichte« und »das wahre Verständniß des geltenden Rechts« zwei ganz unterschiedliche Aufgaben und damit auch zwei ganz unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen bildeten.

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so meine ich damit nicht bloß den praktischen Juristen, sondern auch den Theoretiker, aber den Theoretiker, der sich nicht dem Leben abkehrt und die Rechtsgeschichte als seine eigentliche Aufgabe betrachtet, sondern das wahre Verständniß des geltenden Rechts.«360 Diese Unterscheidung hatte unmittelbare Folgen für die wissenschaftliche Erkenntnis einerseits auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte und andererseits auf demjenigen der Rechtsdogmatik. Wenn Jhering nämlich genau danach unterschied, ob er vom »historischen Standpunkt« oder vom »dogmatischen Standpunkt« aus argumentierte, so schloss er damit die Möglichkeit ein, dass dasjenige, was von dem einen Standpunkt aus Wahrheit »in Anspruch nehmen kann«, von dem anderen Standpunkt aus unter Umständen »für völlig verfehlt zu erklären wäre«361. In dieser methodischen Trennung der rechtsgeschichtlichen Untersuchung von der vom jungen Jhering einmal selbst so bezeichneten »unhistorische[n] Dogmatik«362 liegt auch der maßgebliche Grund für die von Maximilian Herberger zutreffend beobachtete Auffälligkeit, dass Jhering mit dem Wort »Dogmatik« gerade einen solchen Ausdruck zum Schlüsselbegriff seiner eigenen rechtsmethodologischen Überlegungen machte, den trotz dessen weit zurückreichender Begriffsgeschichte Savigny und Puchta kaum verwendet hatten. Jhering wertete den Begriff »Dogmatik« aber nicht, wie Herberger mutmaßt, »wegen des größeren zeitlichen Abstands zum Höhepunkt der Idealismus/ Dogmatik-Debatte« auf, in deren Verlauf zunächst »Savigny mit der älteren Dogmatik-Tradition« des 18. Jahrhunderts in der Rechtswissenschaft gebrochen hatte363, sondern deswegen, weil für Jhering die Dogmatik des geltenden Rechts 360 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 79f. 361 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 89f. 362 In einem Brief vom 7. Juli 1848 an Bachofen (Bruckner-Briefe/1934, Nr. V, S. 61) mußte sich Jhering noch zur Wehr setzen gegen – so Jhering wörtlich – Bachofens »grimmige Blicke« auf »die unhistorische Dogmatik, die sich nicht überwinden kann, bei den römischen Begriffen stehen zu bleiben, wenn sie letztere im übrigen auch noch so sehr schätzt.« 363 So M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 398, 403. Herberger versucht auf diese Weise zu erklären, warum Puchta den Ausdruck »Dogmatik« praktisch überhaupt nicht, Jhering dagegen an zentraler Stelle verwendete, obwohl doch nach Herbergers Interpretation beide, Puchta und Jhering, mit dem alten rationalen voridealistischen Dogmatikverständnis gebrochen haben sollen. Danach mußte »Puchta den Ausdruck ›Dogmatik‹ vermeiden […], wollte er nicht seine erkenntnistheoretische Grundposition Mißverständnissen aussetzen« (aaO) durch eine fehlende Distanzierung von »der alten Dogmatik, die die Idealisten nur noch abschätzig ›Dogmatismus‹« nannten (aaO, S. 381). Nach der Interpretation Herbergers hatten teilweise schon der spätere Savigny, am konsequentesten aber Puchta und ihm folgend der junge Jhering (aaO, S. 410) im Zeichen der idealistischen Philosophie die »Abwendung vom Dogmatismus, wie ihn der Idealismus« im Bereich der Philosophie bei den nicht-idealistischen Systementwürfen kritisierte (aaO, S. 381), die noch vom Unterschied zwischen Subjekt und Objekt, Denken und Sein ausgingen, in der Historischen Rechtsschule für die Rechtswissenschaft nachvollzogen (aaO, S. 380f. mit Fn. 178). Tatsächlich ist aber die von Herberger, aaO, S. 380 angenommene »Verbindungslinie« zwi-

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gerade nicht »eben so sehr«364 mit der Geschichte dieses Rechts zu tun hatte. Daher benötigte Jhering auch den Ausdruck »Dogmatik« wieder, um mit ihm sowohl den Gegenstand wie auch die gegenüber der Rechtsgeschichte eigenständige Methodik bezeichnen zu können, welche die rechtswissenschaftliche Bearbeitung des geltenden Rechts nach Jhering ausmachen sollte. Ursächlich für den unterschiedlichen Sprachgebrauch Savignys und Puchtas auf der einen Seite und Jherings auf der anderen Seite war also eine auch sachlich unterschiedliche Bestimmung des Verhältnisses von Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik. Hatte Puchta letztere nur als einen Teil der ersteren verstehen wollen365, so ging es Jhering jetzt, wie auch Herberger hervorhebt366, um die – auch methodische – Trennung von »unhistorischer Dogmatik« einerseits und Rechtsgeschichte andererseits. Die tiefere Ursache dafür, dass die bisherige Pandektenwissenschaft die Unterschiedlichkeit dieser Standpunkte bisher nicht ausreichend erkannt habe und durch die mangelnde Trennung in einen »historischen Romanismus« verfallen sei367, stand für Jhering schon früh fest. So »paradox« es klingen möge, es sei die »praktische Gültigkeit des römischen Rechts«368. Denn – so heißt es in der

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schen dem transzendentalphilosophisch begründeten Dogmatismus-Vorwurf der Philosophie des Deutschen Idealismus und den wissenschafts- und systemtheoretischen Prämissen der Historischen Rechtsschule im allgemeinen und Puchtas Auffassungen im besonderen keineswegs so eng, wie Herberger annimmt. Puchta hat sich auch niemals mit einem juristischen, geschweige denn philosophischen »Dogmatismus« auseinandergesetzt. Vgl. zu diesem Teil von Herbergers Darstellung zur Geschichte des Dogmatikbegriffs auch schon kritisch J.Schröder, Herberger-Rezension (1982), S. 54f. So die Worte von G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 34, S. 103 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Vgl. insoweit nur die bereits oben S. 86 zitierte briefliche Bemerkung Puchtas als eine der wenigen überlieferten expliziten Äußerungen Puchtas zum Verhältnis von Dogmatik und Geschichte. Entsprechend resümierte auch F.J.Stahl, Philosophie I (21847), S. 566–569: »[…] die g a n z e B e h a n d l u n g s w e i s e d e r R e c h t s w i s s e n s c h a f t ist eine andere geworden mit der historischen Schule. Man behandelte früher das Recht bloß d o g m a t i s c h ; da man alle seine Normen als absolut freie und absichtliche Akte des Gesetzgebers betrachtete, so hatte man keine andere Aufgabe, als sie rein für sich in dem Momente, wo sie erlassen wurden, zur Einsicht zu bringen. […] Die geschichtliche Juristenschule bewirkte in doppelter Hinsicht eine heilsame Reform. F ü r s e r s t e begründete sie eine mehr i n n e r l i c h e Au f f a s s u n g d e s R e c h t s . […] F ü r s a n d e r e begründete die historische Schule die g e s c h i c h t l i c h e B e h a n d l u n g d e r R e c h t s w i s s e n s c h a f t […]. Die historische Schule […] erkennt […] die Rechtsgeschichte als e i n e w e s e n t l i c h i n t e g r i r e n d e S e i t e der Rechtswissenschaft selbst.« Darin und nicht in der philosophischen Dogmatismus-Debatte um die Jahrhundertwende liegt der eigentliche Grund für Savignys und Puchtas weitgehenden Verzicht auf den Ausdruck »Dogmatik«. M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 405. So Jhering in einem Brief vom 29. Oktober 1856, in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 66a, S. 215. So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1443 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (69)]. Ebenso auch Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 52f. Fn. 27.

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im Grundsatz bis heute gültigen Analyse des Verhältnisses der Pandektenwissenschaft zur Geschichte des antiken römischen Rechts369 – »die praktische Geltung des römischen Rechts gestattet der Wissenschaft nicht, […] eine Wahl zu treffen und so muß sie sich abmühen, ohne weder dem praktischen Bedürfnis […] zu genügen […] noch auch ein wissenschaftliches Interesse« an der rechtshistorischen Rekonstruktion zu befriedigen370. Letztlich sei – wie Jhering fast vierzig Jahre später wiederholen wird – die »Doppelstellung des römischen Rechts als Stück des A l t e r t u m s und als g e l t e n d e R e c h t s q u e l l e […] das Verhängnis des Romanisten geworden, sie trägt die Schuld, daß weder die Geschichte noch die Dogmatik zu ihrem vollen Recht gekommen ist.«371 So kommt es, dass zur selben Zeit, als Savigny noch die zunehmende Verdrängung des gemeinen römischen Rechts als geltendes beklagte, der junge Jhering »gerade die größten Verehrer des römischen Rechts«, diejenigen, die wie er selbst372 »von der wahrhaften Mission desselben überzeugt sind«, aufforderte, »den Tag, wo dieses Recht seine praktische Gültigkeit in allen Staaten eingebüßt haben wird«, »mit Freuden zu begrüßen«373. Was konkret die gemeinrechtliche Dogmatik des geltenden Pandektenrechts 369 Vgl. nur F.Wieacker, Hermeneutik (1963), S. 3ff., 12f.; Ders., Privatrechtsgeschichte (21967), S. 416, 420, 423ff. und J.G.Lautner, Bedeutung (1976), S. 51ff. Nach F.Wieacker, Hermeneutik (1963), S. 5 wurde erst durch die Ablösung des gemeinen römischen Rechts durch die Privatrechtsgesetzbücher »der Weg zur vollen Historisierung und der offene, nicht mehr durch die normative Vorentscheidung einer dogmatischen Tradition beschränkte Horizont des forschenden Bewußtseins […] frei.« 370 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1446 (Kursivhervorhebung nicht im Original) [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (66, 71–73)]. 371 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 8 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Fast wörtlich übereinstimmend hieß es auch bereits in LZ 1845, Sp. 1448, dass »bei solcher gemeinschaftlichen Herrschaft« von Dogmatik und Geschichte »keiner von beiden Richtungen ihr volles Recht wiederfährt« [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107]. 372 Vgl. nur Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 289. 373 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1448 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (73f.)]. »Vielleicht liegt der Tag nicht fern […]«, heißt es an derselben Stelle. Als fast vierzig Jahre später mit der Vorbereitung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches dieser Tag tatsächlich absehbar war, ist Jhering im Hinblick auf die Emanzipierung der Rechtsgeschichte allerdings skeptischer geworden: »Die Doppelstellung des römischen Rechts wird für uns bald ein Ende nehmen, die Tage seiner praktischen Geltung sind gezählt. Man könnte daran den Schluß knüpfen, daß dann auch die Beeinflussung der römischen Rechtsgeschichte durch die Dogmatik notwendigerweise ihr Ende erreichen müsse. Wäre er richtig, so hätte die Wendung zum Bessern überall, wo das römische Recht seine praktische Geltung eingebüßt hat, bereits erfolgen müssen.« Dass sie nicht erfolgt sei, liege daran, dass das römische Recht auch ohne praktische Geltung noch die Rolle eines »juristischen Bildungsmittels« behalte, und daher »wird auch die Verdrängung des römischen Rechts bei uns allein noch keinen Wandel schaffen« [Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 11].

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betrifft, konzedierte der junge Jhering der Historischen Rechtsschule zwar, sie habe »in der Behandlung des geltenden Rechts den kahlen Dogmatismus und den Auctoritätendienst gestürzt«374, in dem sie insoweit kritisch gegenüber dem Buchstaben der Überlieferung und der bloßen Anzahl von Lehrmeinungen selbständig den inneren Zusammenhang des römischen Rechts zu ergründen versucht habe375. Auch nahm Jhering die Historische Rechtsschule vor allzu pauschalen Angriffen auf deren angebliche Missachtung des deutschen Rechts sowie deren fortschrittsfeindlichen Konservatismus in Schutz376. Denn eine wirklich »historische Ansicht«377 wolle mitnichten »alles einmal Gewordene conserviren«378. Zugleich bestand Jhering aber auch darauf, dass es nicht aus374 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 536. Ferner auch Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 405f.: »Der kahle Dogmatismus der frühern Periode, ihre Autoritätensucht und unkritische Verehrung der Tradition sind jetzt eben so selten und verpönt geworden, als sie früher allgemein und beliebt waren.« An dieser Beurteilung des geschichtlichen Verdienstes der Historischen Rechtsschule sollte Jhering auch später festhalten. Bei aller Kritik an Savignys »Recht des Besitzes« bezeichnete er es auch noch 1884 als »das unvergängliche Verdienst von Savigny«, dass er in dem vorbezeichneten Werk bei der Exegese der römischen Quellen erstmals »mit der bisherigen Überlieferung bricht und, sich ganz auf sich selber stellend seine eigenen Bahnen einschlägt«, womit er »fortan das maßgebende Vorbild […] für die dogmatische Behandlung des römischen Rechts« gegeben habe [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 356]. Vgl. ferner auch Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 5f. sowie dazu K.Luig, Jhering (1993/1996), S. 255f. 375 Die Überwindung der alten Doktrin von communis opinio, bei der die Anzahl und das Ansehen der Autoren, die eine wissenschaftliche Lehrmeinung vertraten, mehr gezählt hatten als das jeweilige Gewicht der vorgetragenen Gründe, war allerdings bereits ein nach J.Schröder, Relevanz (1989), S. 157 spätestens 1770 abgeschlossenes Werk der Aufklärung gewesen. Andererseits war die zuerst von Savigny in seinem Werk »Das Recht des Besitzes« praktizierte Rückwendung zu den Quellen des römischen Rechts noch nicht »eigentlich rechtsgeschichtliche Erforschung der antiken Quellen, sondern geistige, ja künstlerische Gesamtschöpfung« aus einem »einheitlichen Konstruktionsprinzip« [F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 387]. Aber mit ihrer Kritik an den alten Lehrmeinungen des Usus modernus pandectarum wie auch an der Justinianischen Form der Überlieferung des römischen Rechts konnte die Historische Rechtsschule sich doch als kritisch-emanzipiert gegenüber einer früher »unkritische[n] Verehrung der Tradition« [Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 405] verstehen. 376 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 201. 377 Bei Jherings »Darstellung« der »historischen Ansicht« in seiner 1844 erschienenen Artikelfolge über die Historische Schule ist immer zu berücksichtigen, dass Jhering hier tatsächlich mehr tat, als nur »letztere selbst darzustellen«, wenn er – nach seinem eigenen Verständnis der »historischen Ansicht«– von »Mißverständnissen oder unrichtigen Anwendungen der historischen Ansicht abstrahiren« wollte [Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 565]. 378 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 568. Jhering stützte sich dabei auf jüngste Äußerungen Savignys in der Vorrede zu System I (1840), S. XIVf.: »Die geschichtliche Ansicht […] wird völlig verkannt und entstellt, wenn sie häufig so aufgefaßt wird, als werde in ihr die aus der Vergangenheit hervorgegangene Rechtsbildung als ein Höchstes aufgestellt, welchem die unveränderte Herrschaft über Gegenwart und Zukunft erhalten werden müsse.« Vielmehr suche sie »dasjenige auszuscheiden, was davon in der That abgestorben ist« [Jhering, Hist.

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reiche, dasjenige, was im überlieferten Recht »schon abgestorben ist«, aus dem Kanon des gegenwärtig geltenden Rechts zu streichen379, sondern dass es vielmehr auch darum gehen müsse, durch »Thaten«380, also durch ständig neue Rechtsbildungen, das sich laufend ändernde »Bedürfnis des gegenwärtigen Organismus zu befriedigen.«381 Einen Zeitpunkt, zu dem – wie noch Savigny meinte – »das politische Element des Rechts längst ausgewirkt hat« und die weitere Rechtsentwicklung nur noch oder überwiegend ein »Geschäft der juristischen Technik« sei382, konnte es daher schon nach Ansicht des jungen Jhe-

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Schule (1844), Sp. 201 Fn.* sowie Sp. 565f.]. Auffälligerweise zitierte Jhering diese Verteidigung Savignys in derselben Artikelfolge sogar zweimal in ganzer Länge. Offenbar erschien sie ihm ein guter Beleg dafür zu sein, dass sein eigenes nichtquietistisches Verständnis der »historischen Ansicht« von Savigny geteilt werde und damit von dessen Autorität gedeckt sei. So F.C.v.Savigny, System I (1840), § 20, S. 94. In diesem Sinne hat schon F.C.v.Savigny, Zweck (1815), S. 6 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 264) in der ihm eigenen vom Geist der Romantik geprägten Sprache der Rechtswissenschaft »jedes Zeitalters« das Ziel vorgegeben, den durch die Geschichte »mit innerer Nothwendigkeit gegebenen Stoff zu durchschauen, zu verjüngen, und frisch zu erhalten.« Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 568 (Kursivhervorhebung im Original); DERS., Jurisprudenz (1844), Sp. 103. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 568. Wenn Jhering später in Geist III/1 (11865), § 53, S. 127 forderte, dass die »Jurisprudenz sich dem Drange des praktischen Lebens« zu fügen »und ihren geistigen Horizont um so viel« zu erweitern habe, »als das Bedürfnis des Verkehrs gebietet«, so entsprang das – anders als B.Klemann, Jhering (1989), S. 197 mit diesem Zitat belegen will – keiner neuen Einsicht Jherings. Auch übergeht Klemann, dass Jhering selbst unmittelbar im Anschluß an dieses Zitat auf seine Ausführungen in dem früheren Band Geist II/2 (11858), § 41, S. 403–405 verweist. F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 19f. (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 108). Zwar ging auch Savigny auf der Grundlage seines Vergleichs des Rechts mit der Sprache davon aus, dass es »auch für das Recht keinen Augenblick eines absoluten Stillstandes« gebe, da es wie »jede andere Richtung des Volkes« derselben »Bewegung und Entwicklung unterworfen« sei [F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 11 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 103). Aber diese »Bewegung und Entwicklung« war nach Savigny in den früheren und späteren Zeiten des Rechts quantitativ und qualitativ höchst unterschiedlich. Savigny ging nämlich davon aus, dass das Recht nur vorübergehend, nämlich nur in seinen Anfangszeiten »in lebendigem Fortschreiten« [F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 34 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 117)] begriffen sei und dass nach Abschluss der Ausbildung seiner Grundsätze, Grundwerte und Grundbegriffe das »politische Element des Rechts […] ausgewirkt hat« und fortan bloß noch dessen »Wirkung zu erkennen und auszusprechen ist, welches Geschäft zur juristischen Technik gehört« [F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 19f. (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 108)]. Dass in Staaten mit »republikanischer Verfassung«, in denen in der Regel mehr Personen und Instanzen an der grundsätzlichen inhaltlichen Ausbildung der Rechtsordnung mitwirken, »das politische Princip länger als in monarchischen Staaten unmittelbaren Einfluß behalten« könne [F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 13 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 105)], war naheliegend, änderte nach Savigny aber nichts an der Tatsache, dass das »politische« Element in jeder Rechtsordnung irgendwann endgültig ausgebildet und dann im Rahmen der weitergehenden »Bewegung und Entwicklung« nur noch zu bewahren sei. Das heißt also, dass Savigny – wie nachdrücklich O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 21, 27 hervorhebt – »das politische Element des Rechts […] normativ deutet« und dass schon von

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ring niemals geben, da »wie im physischen Leben, so auch im politischen die Elemente, die der Organismus jeden Augenblick aufnimmt«, denselben ständig verändern und mithin auch im »politischen […] Organismus« ein dauernder »Fortschritt« sei, der – jeweils vorbereitet »in den Gemüthern« des »ganze[n] Volk[s]« und keinesfalls nur der fachkundigen Juristen – zuletzt immer »als That in die Außenwelt treten« müsse383. Im Grunde war es hier also das im »autoritären und dogmatische[n] Verständnis der römischen Quellen« liegende Unhistorische384 der rechtsdogmatidaher Savignys »politische[s] Element« […] nichts zu tun [hat] mit dem, was heute das Wort ›politisch‹ assoziieren läßt […].« Vgl. dazu ferner auch G.Dilcher, Positivismus (1975), S. 507 und N.Roos, Tendenzen (1984), 227f. 383 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 568. Der junge Jhering vertrat hier also eine andere Konzeption des Politischen als einst Savigny in seinen in der vorstehenden Fußnote zitierten Ausführungen von 1814. Anders aber offenbar O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 190f. Angesichts der Diskrepanzen zu Savigny ist es allerdings auffällig, dass der junge Jhering im Aufsatz von 1844 direkt nur die »Anhänger« Savignys, nicht aber Savigny persönlich, für Ansichten kritisierte, »denen man gerade vom historischen Standpunkte aus um so entschiedener entgegentreten muß« (aaO, Sp. 565). Dieser Respekt vor Savigny hinderte Jhering allerdings nicht, in seiner Darstellung der wahren »historischen Ansicht« Forderungen aufzustellen, die Savigny als Konsequenz seiner Programmschriften so nur schwerlich akzeptiert, geschweige denn selbst formuliert hätte. So postulierte der junge Jhering: »Ohne T h a t e n ist keine Geschichte möglich […], nicht, daß wir warten sollten, bis uns die Zeit von selbst die erwünschte Frucht in den Schooß würfe, daß wir im Vertrauen auf die über uns stehende Nothwendigkeit uns der Thaten überheben sollten, wir sollten vielmehr ringen und kämpfen« (aaO, Sp. 568). Und direkt an die Historische Rechtsschule gerichtet forderte er : »Die historische Ansicht muß also selbst am eifrigsten dem wahren, d. h. aus den gegebenen Verhältnissen resultirenden Fortschritt das Wort reden, und sie darf kein Bedenken tragen, ihm etwas Bestehendes zu opfern […], dann müssen auch die ängstlichsten Verteidiger des historischen Princips rufen: was Recht war, ist Unrecht geworden, es falle das Unrecht […]« (aaO, Sp. 568f.). Bezeichnenderweise läßt schließt sich die später auch offen auf Savignys Wirken gemünzte Kritik Jherings an einer »Zeit, die […] die Hände in den Schoß legt« [Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 10; Ders., Kampf (1872), S. 17], hier nahtlos an. Auf die darin liegende »erstaunliche Kontinuität der politischen und allgemein ethischen Grundhaltung« Jherings hat bereits W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 75 mit Fn. 219 hingewiesen. 384 Vgl. nur F.Wieacker, Hermeneutik (1963), S. 4f. zur Historischen Rechtsschule, deren »Verhältnis zur Geschichtlichkeit des römischen Rechts […] immer zwiespältig geblieben« sei, insoweit sie »im römischen Recht immer noch das überzeitliche Maß« für alle Rechtsordnungen gesehen habe. Kritik am ursprünglichen Geschichtsverständnis der Historischen Rechtsschule setzte allerdings schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein. So sprach Jhering in Passive Wirkungen (1871), S. 309 explizit von dem »in historischer Beziehung […] höchst naiven oder richtiger völlig unkritischen Verfahren«, das die wichtigen »Fortschritt[e]« der »modernen [sc. gemeinrechtlichen] Jurisprudenz« gegenüber der antiken übergehe oder gar zurückweise. Mitte der fünfziger Jahre hatte J.E.Kuntze, Obligation (1856), S. 386 direkt auf den Geschichtsbegriff der Historischen Rechtsschule zielend programmatisch formuliert: »Wir werden historischer sein, als die h i s t o r i s c h e S c h u l e . […] sie verschloß sich in das enge Gefäß der (spezifisch-römischen Form) […] selbst mit hinein. Die historische Schule hat die Allgewalt des R.[ömischen] R.[echts] gepriesen […]. Werden wir nicht den Geist des R.[ömischen] R.[echts]

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schen Praxis der Historischen Rechtsschule, das der junge Jhering kritisierte, wenn er in einer seiner in der Literarischen Zeitung anonym erschienenen, aber ihm zuzuschreibenden Artikelfolgen bereits 1846 kritisierte, man sei »in seiner ängstlichen Beschränkung auf das reine römische Recht so weit gegangen, daß man die Erweiterungen oder Ergänzungen, die durch die neuere Praxis in Folge eines wahren Bedürfnisses hervorgerufen wurden, nicht selten mit einem vornehmen Mitleiden als ›unrömisch‹ verwarf, als ob der Ruhm wäre[,] bei dem reinen römischen Rechte stehen zu bleiben, und nicht vielmehr umgekehrt gerade darin sich die wahre Nachfolge der römischen Jurisprudenz bethätigte, daß man die Grenzen erweitert.«385 Jherings mehr als zwanzig Jahre später nicht mehr nur anonym geäußerte Kritik, dass »unsere heutige Theorie« viele »werthvolle Ergebnisse unserer früheren Rechtsprechung […] bestritten […] [habe], weil sie nicht in den Quellen begründet sind, gleich als ob unser modernes Rechtsleben lediglich aus dem Kanon des corpus iuris bewiesen werden« müsste386, und dass »man Rechtssätze, die nicht im corpus juris stehen, mit billigem Vornehmthun so oft leichthin geglaubt hat abthun zu können«387, klingt trotz des zeitlichen Abstands frappierend ähnlich. Jhering beließ es aber nicht bei einer pauschalen Kritik an der durch übertriebenes Festhalten an überlieferten Formen verursachten Praxisferne388 der zeitgenössischen Dogmatik des gemeinen römischen Rechts, einem Vorwurf, der spätestens in den von den Zeitgenossen als »Wendepunkt der Rechtswissenschaft«389 empfundenen fünfziger Jahren auch unter vielen anderen, besonders jüngeren Romanisten Verbreitung fand390. Vielmehr beschrieb Jhering bereits in der anonym erschiene-

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besser dadurch begreifen, daß wir jenes Gefäß muthig zerschlagen […]?« Daher forderte Kuntze, aaO, S. 388: »[…] wir sollen und können […] historischer als die historische Schule sein, ohne doch zur […] historischen Schule zurückzukehren.« LZ 1846, Sp. 78f. [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (84f.)]. Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 705f. m. w. N. zu dem sogenannten Purismus der frühen Historischen Rechtsschule, auf den sich Jhering hier bezog. Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 83f.; Ders., Geist III/1 (11865), § 59, S. 302; DERS, Besitzschutz (1869), S. 135. Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 309. Vgl. zum von Jhering lebenslang verwendeten rhetorischen Stilmittel des »Vornehmthuns« der Historischen Rechtsschule C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 85. Von nicht germanistischer Seite erhob diesen Vorwurf bereits 1839 auch schon J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. XIX: »Diese historische Richtung verläßt nicht minder, als jene naturrechtliche Theorie, den practischen Boden der Gegenwart. Sie hält fest am positiven Stoff, aber dieser Stoff ist seinem größten Theil nach todtes Material, welches außer lebendigem Zusammenhang steht mit dem Recht der Gegenwart.« So der gleichlautende Titel von Johannes Emil Kuntzes Abhandlung von 1856 »zur Orientierung über den gegenwärtigen Stand- und Zielpunkt« der Rechtswissenschaft. Vgl. auch B.Windscheid, Singularsuccession (1853), S. 27: »Wer kann es läugnen, daß gerade jetzt die Wissenschaft der römischen Rechts sich in einem […] Wendepunkt befindet?« Vgl. E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 745ff.; U.Falk, Windscheid (1989), S.163 und C.-E.Mecke, Objektivität (2008), S. 160 jeweils m.w. N. Zu diesem Kreis zählten –

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nen Artikelfolge von 1845/46, wie eine mangelnde Trennung von Geschichte und Dogmatik nicht nur auf das Verkehrsleben, sondern auch auf die wissenschaftliche Dogmatik äußerst nachteilig wirke. Denn das dogmatische Bemühen, auch mit nicht mehr zeitgemäßen Rechtseinrichtungen dem gegenwärtigen Verkehrsbedürfnis doch noch möglichst weit entgegenzukommen, führe zu einer äußerst artifiziellen Dogmatik und zu gezwungenen Begründungen. Es ist daher kein Zufall, wenn Jhering 1845 die Praxis der durch die Historische Rechtsschule geprägten Pandektenwissenschaft391 mit fast denselben Worten kritisierte, mit denen er vierzig Jahre später unter anderem auch diese Art von Dogmatik als »Begriffsjurisprudenz« brandmarken sollte392. Durch deren Praxis abgesehen von Jhering – etwa Otto Bähr, Hermann Friedrich von Buchka, Karl Georg Bruns, Alois Brinz, Berthold Delbrück, Heinrich Dernburg, Johannes Emil Kuntze, Burkhard Wilhelm Leist, Bernhard Windscheid [vgl. auch H.Kantorowicz, Iherings Bekehrung (1914), Sp. 84]. 391 Nach E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 586 war in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet des Gemeinen Rechts keine wissenschaftliche Tätigkeit mehr denkbar, die nicht vom Quellenverständnis und der Rechtsauffassung der Historischen Rechtsschule beeinflusst gewesen wäre. 392 Vor allem die seit 1861 veröffentlichten »Vertraulichen Briefe«, zum Teil aber auch noch die weiteren 1884 in »Scherz und Ernst« herausgegebenen satirischen Veröffentlichungen Jherings zur »Begriffsjurisprudenz« standen im Übrigen nicht in einem so unmittelbaren Zusammenhang mit Jherings Krisenerlebnis von 1858/59, wie es – nicht zuletzt auch aufgrund Jherings eigener öffentlicher Darstellung [vgl. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 338f.; Ders., Besitzwille (1889), S. X] – häufig angenommen wird. Insbesondere sind Jherings »Vertrauliche Briefe« nicht »Ausdruck seiner momentanen Verzweiflung« gewesen, wie man mit K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 45 auf der Grundlage von Jherings Selbstbekenntnissen glauben könnte. Vielmehr sammelte Jhering nachweislich schon im Jahre 1854 – »damit wir später recht aus dem vollen herausgreifen können« – abschreckendes Anschauungsmaterial für eine »satyrische Rundschau«, die er ursprünglich offenbar sogar zusammen mit Gerber herausgeben wollte [vgl. Jherings Brief an Gerber vom 8. Mai 1854, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 34, S. 107f. sowie auch seine erneuten Aufforderungen an Gerber in Briefen vom 20. Juli 1861 und 8. August 1863, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 162, S. 431 und Nr. 216, S. 542]. Die seit 1861 erscheinenden »Vertraulichen Briefe« enthielten dann im wesentlichen auch die zwar in satirischer Form gehaltene, aber sachlich nicht neue Kritik Jherings an einer fehlenden praktischen Ausrichtung der zeitgenössischen Pandektistik sowie an dem – so Jhering in Unsere Aufgabe (1856), S. 38 (= Ges. Aufs. I, S. 33) – nicht zuletzt durch Puchta verbreiteten »orthodoxen Romanismus«. So hatte Jhering die im »Ersten Brief« angeführten Beispiele für eine verfehlte »civilistische Konstruktion« teilweise schon in den vierziger Jahren öffentlich kritisiert [vgl. nur Jhering, Sell-Rezension (1847), S. 62–64 einerseits und Jhering, »Erster Brief« von einem Unbekannten (1861), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 17 andererseits]. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass Gerber, mit dem Jhering erst seit Mitte der sechziger Jahre in einen zunehmenden wissenschaftlichen Gegensatz über die Frage nach der Bedeutung der »Logik« für das Recht geraten sollte [vgl. dazu erstmals Jherings Brief vom 9. Januar 1865 sowie ferner seinen Brief vom 15. Dezember 1865 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe, Nr. 230, S. 569; Nr. 239, S. 581], die bis 1866 veröffentlichten »Vertraulichen Briefe« noch ausdrücklich und vorbehaltlos gelobt hat [vgl. Losano-Briefe, Nr. 195 (Gerbers Brief vom 1. November 1862),

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werde nämlich nur zu oft in der »juristischen Controverse das Problem des perpetuum mobile realisirt«393. Die Dogmatiker, »beladen mit allen möglichen Instrumenten und Apparaten, als da sind kritische Spaten und Schaufeln, philologische Hacken und rechtshistorische Brechstangen und Fußeisen, grammatische und logische Interpretations-Bohrer, dialektische Schlingen und Netze«394, versuchten, den überlieferten Stoff den zeitgenössischen Verkehrsbedürfnissen passend zu machen statt sich wie etwa im Falle der nach römischem Recht bestehenden prinzipiellen Unzulässigkeit der unmittelbaren Stellvertretung die Geschichtlichkeit des überlieferten Rechtsstoffs und die Notwendigkeit von dessen Änderung selbst im Hinblick auf grundlegende Prinzipien des römischen Rechts einzugestehen395. Hier wie auch sonst würde ein »einfaches Aufgeben der römischen Theorie […] vor einer […] gewaltsamen Anwendung und scheinbaren Aufrechterhaltung« immer den »Vorzug verdienen«396.

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S. 495; Nr. 215 (Gerbers Brief vom 19. Juni 1863), S. 537; Nr. 219 (Gerbers Brief vom 15. November 1863), S. 549; Nr. 256 (Gerbers Brief vom 16. Januar 1867), S. 615]. Freilich auch im Wissen um Jherings gezielte »Selbstpersiflirung« der »höheren Jurisprudenz« allein zur Wahrung seines Inkognito [vgl. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. V und S. 7; Losano-Briefe, Nr. 162 (Jherings Brief an Gerber vom 20. Juli 1862), S. 430 sowie dazu M.Fuhrmann, Jhering (1996), S. 18] meinte Gerber in seinem Brief vom 9. Juli 1861 an Jhering (abgedruckt in: Losano-Briefe, Nr. 161, S. 428) über dessen »Ersten Brief« mit der Satire »Über die civilistische Konstruktion« sogar : »Es war ein wahrer Lichtstrahl für mich«. So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1445 [zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (68)]. Vgl. damit Jherings Satire aus den achtziger Jahren »Im juristischen Begriffshimmel«, in: Scherz und Ernst (1884), S. 293: »[…] eines der Prachtstücke unserer Begriffswelt […], es ist das juristische Mobile perputuum. Das Problem, das die Mechanik bisher vergebens zu lösen versucht hat, – die Jurisprudenz hat es auf ihrem Gebiet verwirklicht.« Vgl. zum Ausdruck »perpetuum mobile« im zeitgenössischen Kontext C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 68 (rechte Spalte). So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1445 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (69f.]. Man vergleiche damit Jherings bekannte Satire aus den achtziger Jahren »Im juristischen Begriffshimmel«, in: Scherz und Ernst (1884), S. 262f.: »Dialektische Bohrmaschinen«, »dialektisch-hydraulische Interpretationspressen«, »dialektische Infiltrationsapparate und andere »Maschinen und Apparate« wie etwa den »Eliminationsapparat, wodurch unbequeme positive Äußerungen der Stellen beseitigt werden«, hätten die Begriffsjuristen verwendet, um die Diskrepanz zwischen den Quellentexten und den Verkehrsbedürfnissen zu verringern. Ein gutes Beispiel dafür, wie man mit Hilfe der »Infiltrationspresse« und des »Eliminationsapparates« Rechtseinrichtungen, die das zeitgenössische Verkehrsbedürfnis erforderte, in das justinianische Recht hineinlesen konnte, gibt K.F.Everding, Stellvertretung (1951), S. 51–53 im Hinblick auf Savignys Vorgehensweise bei der Begründung der Zulässigkeit der unmittelbaren Stellvertretung. Jhering, Reivindicatio (1857), S. 115. Das Unbehagen darüber, dass man das, was man »als dem heutigen Rechtsleben ersprießlich erkennt, gewaltsam aus den römischen Quellen zu demonstriren« versuchte [vgl. zum Beispiel H.Dernburg, Ruhstrat-Rezension (1855), S. 394 mit Blick auf Savignys Stellvertretungslehre], machte sich seit Beginn der fünfziger Jahre auch bei anderen jungen Romanisten breit.

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Methodik und Funktion der von der Dogmatik emanzipierten »produktiven Rechtsgeschichte«

Nicht nur die Dogmatik des geltenden Rechts, sondern auch die geschichtliche »Reconstruction des römischen Rechts«397 sah Jhering durch dessen noch andauernde gemeinrechtliche Geltung behindert. Dabei war es nicht das auf einen »rein historischen« Zweck zielende Bemühen, »das Rechtssystem einer vergangenen Periode in seiner Totalität zu reproduciren«398, insbesondere der Versuch einer geschichtlichen »Reproduktion«, also einer Wiederherstellung des »reinen römischen Rechts«, was Jhering kritisierte, sondern es war der infolge der gleichzeitigen Geltung des Pandektenrechts in der Vergangenheit häufig eingenommene inkonsequente »eigenthümliche Gesichtspunkt […], unter dem die Wissenschaft diese Aufgabe auffasste, das heißt, statt des reinen römischen Rechts ein heutiges römisches Recht darzustellen«399. So würden sich – wie Jhering 1852 in Geist I bekräftigte – die Rechtshistoriker zumeist »nicht mit völliger wissenschaftlicher Freiheit […] ihrer Aufgabe hingeben« und »die Geschichte des Rechts nicht ihrer selbst willen darstellen, sondern eines anderen Zweckes wegen.«400 Wenn dagegen »das römische Recht gar nicht bei uns gölte, so würden unsere Rechtsgeschichten lediglich dem historischen Interesse dienen können und folglich besser sein, als jetzt, wo sie von Vielen im Grunde nur als historische Vorrathskammern für die Pandekten betrachtet werden. Das p r a k t i s c h e Interesse eines Theiles oder Abschnittes der

397 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1446 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (71)]. 398 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 409 zu dem einen von den zwei möglichen Zwecken von »geschichtlichen Studien«. 399 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1446 (Kursivhervorhebung im Original) [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (71)]. Die hier kritisierte Verwechslung des »Gesichtspunktes« sollte Jhering auch noch in Entwickl.gesch.(1894), S. 8 als das Dilemma bei der Behandlung des römischen Rechts beschreiben. Die »R e c h t s g e s c h i c h t e unter dem Bann der D o g m a t i k « sei dabei nur das »Gegenstück« zur »D o g m a t i k unter dem Bann der R e c h t s g e s c h i c h t e .« So wie es auf diese Weise keine reine Geschichte des römischen Rechts gebe, könne umgekehrt auch in einer Vorlesung über das geltende Recht »der Zuhörer glauben […], Dogmatik und Geschichte hätten ihre Rollen miteinander vertauscht, er befände sich in einer Vorlesung über römische Rechtsgeschichte […]. Und selbst in der litterarischen Behandlung des römischen Rechts räumt das bedeutendste Werk, welches unser Jahrhundert über dasselbe aufzuweisen hat, S a v i g n y s ›System des h e u t i g e n römischen Rechts‹, der Rechtsgeschichte einen Raum ein, der mit der angeblich auf Darstellung des h e u t i g e n römischen Rechts gerichteten Aufgabe im schneidendsten Widerspruch steht« (Sperrdruck im Original). Ebenso Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 15f. 400 Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 52 Fn. 27.

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Geschichte erschwert sehr die ungetrübte Verfolgung des h i s t o r i s c h e n Gesichtspunktes«401.

Unter – bis hin zu den sprachlichen Bildern – frappanter Vorwegnahme moderner theoriegeschichtlicher Kritik an der Bestimmung des Verhältnisses von Geschichte und Dogmatik insbesondere durch die Historische Rechtsschule402 sah der junge Jhering die Rechtsgeschichte aufgrund der gleichzeitigen Rechtsgeltung des römischen Rechts von der Dogmatik häufig nur »zur Knechtsarbeit verdammt«; die historische »Reproduktion der Vergangenheit« habe eine entscheidende »Einbuße […] an historischer Reinheit und Vollständigkeit« erleiden müssen, und die Wissenschaft habe so »zweien Herren dienend […] keinen völlig zufriedenstellen können«403. Wenn Jhering statt dessen von der Rechtsgeschichte, abgesehen von deren erklärender Hilfsfunktion im Rahmen der Rechtsdogmatik, schon Mitte der vierziger Jahre eine »ohne Nebenabsichten« im Hinblick auf die »Dogmatik oder das Bedürfnis der Exegese« vorgenommene »Erforschung des Alterthumes«404 um »ihrer selbst willen«405 verlangte, dann forderte er etwas, was definitiv nicht zum Programm der Historischen Rechtsschule gehört hatte406 und was von Puchta als eine ungeschichtliche nur »antiquarische Forschung«407 bezeichnet 401 Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 53 Fn. 27 a.E. 402 So hat nach F.Wieacker, Entwicklungsstufen (21961), S. 188, 220; Ders., Hermeneutik (1963), S. 3ff., 12 die römische Rechtsgeschichte vor »ihrer Emanzipation von dem dogmatisch-autoritären Verhältnis der Jurisprudenz zu den rechtsgeschichtlichen Quellen« in der Zeit der juristischen Geltung des Pandektenrechts »zwei Herren dienen müssen: ihrem altertumswissenschaftlichen Gegenstand, der römischen Antike, und […] auch der Privatrechtswissenschaft« (aaO, S. 220). Und dadurch sei die Rechtsgeschichte zwangsläufig »zur Magd der Dogmatik« degradiert worden (aaO, S. 12). 403 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1444, 1447 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (66, 71)]. Unter Verwendung desselben bildhaften Vergleichs sollte Jhering auch noch in Entwickl.gesch.(1894), S. 9 kritisieren: »So wird ihr [sc. der Rechtsgeschichte] die Stellung einer Dienerin der Dogmatik zugewiesen – es ist das Aschenbrödel im Hause des Rechts, das seine Duldung nur dadurch erlangt, daß es Holz und Wasser für den Haushalt zuträgt.« Der Vergleich mit dem »Knecht« bzw. der »Magd« diente Jhering auch in anderen Zusammenhängen als metaphorisches Gegenbild zur Wissenschaft bzw. – was für Jhering dasselbe war – zu einer in jeder Hinsicht freien Forschung [vgl. etwa Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 24 (Vorrede)]. 404 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 421. Vgl. auch den Jhering zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1443 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (65)]: »Wenn nun im Mittelalter eine solche durch praktische Rücksichten nicht bestimmte Thätigkeit möglich war, warum nicht auch in der Gegenwart?« Vgl. dazu auch E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 794. 405 Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 52 Fn. 27. 406 Vgl. nur F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 416 sowie P.Koschaker, Krise (1938), S. 22, 25ff., 37 zu der nur »›sogenannten‹ historischen Rechtsschule«. 407 G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 34, S. 103.

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worden wäre. War doch für letztere die wissenschaftliche Geschichte des Rechts sowohl methodisch als auch inhaltlich immer untrennbar mit der Dogmatik des gegenwärtigen Rechts verbunden gewesen, da für Puchta jede rein geschichtliche Rekonstruktion und insbesondere diejenige des reinen römischen Rechts »eben so sehr mit [dem] gegenwärtigen zu thun« hatte408. Historisches Forschen ohne »Nebenabsichten«, das hieß dagegen für Jhering ein Forschen ohne Rücksichtnahme auf die »Dogmatik oder das Bedürfnis der Exegese«409 und die »jetzige Brauchbarkeit«, also ganz ohne »die Concurrenz des unmittelbaren praktischen Interesses«, die die rein »wissenschaftliche Ausbeute« behindere410. Diese auch auf dem Hintergrund des Programms der Historischen Rechtsschule auffällige Betonung des wissenschaftlichen Selbstzwecks der rechtsgeschichtlichen Untersuchung muss im Zusammenhang mit Jherings Neubestimmung des Verhältnisses von Geschichte und Dogmatik des Rechts gesehen werden. In dem Maße nämlich, in dem der junge Jhering die Dogmatik des gemeinen römischen Rechts als nicht mehr primär »historisch« zu verstehen begann bzw. sie in dem bereits zitierten Brief an Johann Jakob Bachofen sogar ostentativ als »unhistorisch« bezeichnete411 und statt dessen demonstrativ die 408 G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 34, S. 103. Puchta, aaO verwies dabei auf den von der Historischen Rechtsschule vorausgesetzten entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang, wonach die vergangenen Rechtszustände immer nur die in ihrem »Werden« aufgefassten gegenwärtigen seien, mithin also auch die wissenschaftliche »Geschichte« eines Rechts immer Beschäftigung mit der »gegenwärtigen« Rechtsordnung sei, »nur daß sie sie in ihrem Werden auffaßt.« Mit Blick auf ein entsprechendes »entwicklungsgeschichtliches Interesse« Jherings, das »in den frühesten und abgelegensten Bereichen Evolutionsschritte wahrzunehmen meint, die als Durchgangsstufe zur Gegenwart notwendig waren und sie insofern auch noch determinieren«, hat O.Behrends, Luf/Ogris-Rezension (1997), 571 die schon von Fikentscher bei Jhering ausgemachte Tendenz, »neben der juristischen eine ›reine Rechtsgeschichte‹ auszugliedern und zu betreiben«, »nicht bestätigen« wollen. Jherings entwicklungsgeschichtlicher Ansatz ist in der Tat unbestreitbar, hatte doch Jhering nicht anders als Puchta die wirklich »geschichtliche« Untersuchung des Rechts, die das aufgrund normativer Prämissen vorausgesetzte entwicklungsgeschichtliche Moment berücksichtigt, von der sogenannten nur registrierenden »antiquarischen« Methode früherer Rechtsgeschichte unterschieden. Jhering hat sein geschichtsphilosophisch entwicklungsgeschichtlicher Ansatz aber dennoch keineswegs daran gehindert, bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Geschichte und Dogmatik des Rechts schon seit den vierziger Jahren anders als Puchta sowohl im Hinblick auf die Methode einen »doppelten Zweck« der »geschichtlichen Studien«, nämlich einen explizit »rein historischen« und einen praktischdogmatischen, zu postulieren als auch in gegenständlicher Hinsicht Dogmatik und Geschichte dadurch zu trennen, dass »viele Theile« des geltenden Rechts, die sich von der Vergangenheit »ganz losgelöst« hätten, von vornherein aus dem Bereich der geschichtlichen Betrachtung des Rechts ausgeschlossen wurden [Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 409. 409 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 421. 410 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1447 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (66)]. 411 Bruckner-Briefe/1934, Nr. V (Jherings Brief vom 7. Juli 1848 an Bachofen), S. 61 Jhering glaubte damals noch, dass die politischen Ereignisse des Jahres 1848 statt in eine Phase der

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Notwendigkeit einer Ausrichtung der Dogmatik auf die gegenwärtigen Verkehrsbedürfnisse, den »Markt des Lebens«412, betonte sowie »Thaten« für eine entsprechende Weiterbildung und Anpassung des gemeinen römischen Rechts forderte413, stellte sich zwangsläufig auch die von der Historischen Rechtsschule vorläufig beantwortete Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz des geltenden Rechts wieder neu414. Das Jhering in unterschiedlicher Intensität lebenslang beschäftigende Problem eines Spannungsverhältnisses zwischen dem »w i s s e n s c h a f t l i c h e [ n ] Interesse der Erkenntnis« einerseits und der Berücksichtigung der »p r a k t i s c h e n B e d ü r f n i s s e « andererseits415 hatte sich für Rechtslehrer wie Savigny oder Puchta aufgrund ihrer Prämissen zumindest in der Theorie so nie gestellt. Wo für diese die Jurisprudenz »praktisch« gewesen war, hatte sie auch »geschichtlich« und damit »wissenschaftlich« sein müssen, und wo umgekehrt eine Auffassung zum Recht im Unterschied zur sogenannten »antiquarischen Forschung« auch wahrhaft »geschichtlich« begründet war, war sie »eben so sehr« auch »praktisch« mit dem gegenwärtigen Recht verbunden416. Alles war also nur eine Frage der unterschiedlichen Perspektive gewesen bzw. – in Savignys Worten – der »verschiedene[n] Vertheilung von Licht und Schatten«417. Da bereits der junge Jhering dies anders sah, musste das auch für die Begründung der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz unmittelbare Konsequenzen haben. Vorbild und Maßstab für die »Wissenschaftlichkeit« waren dabei nicht nur für den jungen Jhering andere Wissenschaften418, die sich mit

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politischen Restauration direkt in die Vorbereitung einer nationalen Kodifikation des Zivilrechts münden würden, so dass im neu zu gründenden Deutschen Reich »das römische Recht fortan lediglich der historischen Richtung angehören« würde. »Bis dahin aber«, so meinte Jhering in demselben Brief an Bachofen gleichermaßen entschlossen wie erwartungsvoll, »werde ich nicht nachlassen, auch am römischen Recht zu dogmatisiren, soviel ich kann, wenn ich darüber auch bei Ihnen ganz in die Acht fallen sollte […].« Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 103ff., Ders., Hist. Schule (1844), Sp. 201, 535f. Vgl. oben S. 92. Man kann Jherings in den fünfziger Jahren formulierte Theorie der naturhistorischen Methode als eine einzige groß angelegte Antwort auf diese Frage lesen. Vgl. dazu im einzelnen Teil 2, Abschnitt II. und dort insbesondere 1. b). Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 9. Vgl. ferner G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 102, S. 464 zur Unterscheidung zwischen der »antiquarischen Forschung« und der »wahrhaft historischen, welche die Gegenwart an die Vergangenheit anknüpft und aus ihr ableitet und zu begreifen sucht […].« F.C.v.Savigny, Hugo-Rezension (1806), S. 2. Vgl. in diesem Zusammenhang auch bereits G.F.Puchta, Perioden (1823), S. 145 dazu, dass man sich grundsätzlich »vor den Ansichten mancher Historiker zu hüten« habe, »denen die Gegenwart nicht zur Geschichte, also nicht in den Bereich ihrer Wissenschaft gehört«, sowie G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 102, S. 464 zum Unterschied der »antiquarischen Forschung« von der »wahrhaft historischen, welche die Gegenwart an die Vergangenheit anknüpft und aus ihr ableitet und zu begreifen sucht […].« Keineswegs nur im Scherz sprach Jhering noch in den späteren »Briefen von einem Un-

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ihren Methoden und Erkenntniszielen ausschließlich am scheinbar autonomen, d. h. vom Wissenschaftler nicht veränderbaren Wissenschaftsgegenstand ausrichten konnten419. Eine nach dem Verständnis Jherings »unhistorische« Rechtsdogmatik hatte es aber gerade auch mit dem Veränderlichen des positiven Rechts zu tun, insbesondere dort, wo die »Theile des Rechts […] sich ganz losgelöst haben von der Vergangenheit«420. Die nur scheinbare Abhilfe aus diesem alten Dilemma der Jurisprudenz, nämlich die Suche nach einem inhaltlich »wahren« Recht, schien Jhering, ganz gleich, ob man ein solches Recht »auf apriorischem Wege« oder »durch Destillation des römischen Rechts«421 zu gewinnen suche, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es spricht daher einiges dafür, dass Jhering, bevor er in den fünfziger Jahren die Theorie der naturhistorischen Methode für die wissenschaftlich »produktive« Dogmatik des Rechts formulierte, die von der Dogmatik emanzipierte Rechtsgeschichte als denjenigen bekannten« von »unsere[r] arme[n] Jurisprudenz«, dem »Aschenbrödel der Wissenschaft«. Sie »geht wie gewöhnlich leer aus und steht in der Zeit mindestens 20 bis 30 Jahre zurück […]« [Jhering, »Erster Brief« von einem Unbekannten (1861), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 3]. 419 Abgesehen von der zeitgenössischen wissenschaftstheoretischen Diskussion zu den Kriterien wissenschaftlicher Methodik und möglicher Wissenschaftsgegenstände scheint Jherings Wissenschaftsbegriff auch durch ein eigentümlich rigoroses, offensichtlich ebenfalls von anderen Wissenschaften bezogenes Gelehrtenideal bestimmt gewesen zu sein: »Die Wissenschaft [sc. vom Recht] soll sich freilich ihre Bahnen nicht durch das Bedürfnis des praktischen Lebens vorzeichnen lassen, sie soll frei arbeiten in ihrem Schacht und nicht blos Schätze suchen, die einen G e l d wert haben […]« [Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 101]. Und ganz ähnlich hieß es wenig später in dem Jhering zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1443 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (65)]: »Freilich für solche Naturen, die Alles mit der Elle der unmittelbaren praktischen Brauchbarkeit zu messen gewohnt sind, würde das Studium jenes Rechts alle Anziehungskraft verlieren, sobald dasselbe […] ihnen keine Aussicht mehr böte, ihre spärlichen Kenntnisse in der Praxis in Geld umsetzen zu können; – allein wäre es ein Verlust selbst für das Leben, wenn dieses Schacher-Geschlecht fortan die Messe der Wissenschaft nicht mehr besuchte?« Auch biographische Gründe mögen für diese Haltung mitbestimmend gewesen sein. So hatte schon der gut zwanzigjährige Jhering in einem Brief an seinen früheren Lehrer Wilhelm Reuter – allerdings erst nach Ablehnung seiner Aufnahme in den hannoverschen Staatsdienst [vgl. dazu die biographischen Hinweise von M.Kunze, Lebensbild (1992), S. 12f.] – »ein wissenschaftliches Leben« als »Selbstzweck« bezeichnet und gemeint, dass »ich auch nie den erwählten Beruf wegen seiner Unsicherheit mit dem eines Advokaten vertauschen [würde], da mir das Gut, das ich in ihm suche und finde, – ein wissenschaftliches Leben – wünschenswerther erscheint, als der Ueberfluss an äussern Glücksgütern« [Jugendbrief/1916 (Jherings Brief vom 17. Dezember 1840), S. 81]. 420 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 409. 421 Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 102. Zumindest gegen pauschale »Vertheidiger des Römischen Rechts«, die im Zeitalter des rationalistischen Naturrechts »den Werth desselben darin gesetzt« hatten, »daß es die ewigen Regeln der Gerechtigkeit in vorzüglicher Reinheit enthalte, und so gleichsam selbst als ein sanctionirtes Naturrecht zu betrachten sey«, hatte sich im Übrigen auch schon F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 27 (= HattenhauerAusgabe, S. 113) ausgesprochen.

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Teil der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Recht betrachtet hat, der seinem eigenem Wissenschaftsideal eines Forschens »mit völliger wissenschaftlicher Freiheit«422 bzw. »ohne Nebenabsichten«423 auf eine unmittelbare praktische Verwertbarkeit am nächsten kam. Denn für die Jurisprudenz des geltenden Rechts gelte, dass »ihr praktischer Beruf, ihre Abhängigkeit vom Leben, ihr nicht die Freiheit in der Bewegung verstatten« könne und dürfe, welche etwa »die Kunst und manche andere Wissenschaft genießt«424. Dieses um die Jahrhundertmitte auch aus der Sicht anderer jüngerer Pandektisten der Dogmatik des geltenden Rechts scheinbar anhaftende Manko sollte Jhering allerdings nicht ruhen lassen. Es wurde der Keim für die Formulierung seiner Theorie der »naturhistorische[n] Behandlungsweise des Rechts« in den fünfziger Jahren, die auch begründen sollte, warum die »naturhistorische Behandlungsweise des Rechts der Wissenschaft es möglich macht«425, wie im Bereich der Rechtsgeschichte auch in demjenigen der Rechtsdogmatik »mit völliger wissenschaftlicher Freiheit«426 unabhängig von konkreten Verkehrsbedürfnissen zu forschen, so dass auch der wissenschaftlichen Dogmatik »das demüthige Loos erspart [wird], sich lediglich durch die Praxis zu neuen Entdeckungen anregen zu lassen«427 und nur »das unmittelbar Praktische [zu] suchen«428. Bis dahin beschränkte sich für Jhering die praktisch zwar durch die Geltung des Pandektenrechts noch erschwerte, theoretisch aber vollkommene wissenschaftliche »Freiheit in der Bewegung« auf die rein historische »Reconstruction des römischen Rechts«429 mit Hilfe der »Methode, welche recht eigentlich die der historischen Schule sein sollte, und welche man die organische oder systematische nennen kann – eine Methode, die uns durch die […] Ansichten Savigny’s 422 Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 52 Fn. 27. 423 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 421. 424 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1441 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (61 Nr. 16a/b)]. Für die Rechtsgeschichte wird Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 8f. übrigens vierzig Jahre später rückblickend feststellen, daß sie sich in der Vergangenheit glücklicherweise (»Gottlob«) »die Freiheit der Bewegung« nicht durch den »Gesichtspunkt ihrer praktischen Nützlichkeit« habe nehmen lassen, obwohl auch sie im Unterschied zu »Kunst-, Litteratur-, Kirchengeschichte« durch die immer noch andauernde »Doppelstellung des römischen Rechts als Stück des A l t e r t h u m s und als g e l t e n d e R e c h t s q u e l l e « weiterhin unter Druck stände, »ihre Legitimation dem p r a k t i s c h e n B e d ü r f n i s s e zu entnehmen« anstatt lediglich auf das »w i s s e n s c h a f t l i c h e Interesse« rekurrieren zu können. 425 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 16). 426 So Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 52 Fn. 27 zur wissenschaftlichen »Geschichte des Rechts […] ihrer selbst willen«. 427 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18f. (= Ges. Aufs. I, S. 16). 428 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 15). 429 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1141, 1446 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (S. 61, Nr. 16a/b, S. 71 Nr. 28a/b)].

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angedeutet ist«430 und deren »erfolgreiche Anwendung […] die schwere Aufgabe der gegenwärtigen Jurisprudenz« sei431. Auf den ersten Blick könnte die Tatsache verwundern, dass zu einem Zeitpunkt, zu dem sich nach Jherings eigener Aussage längst die Historische Rechtsschule und die rechtshistorische »Methode, für die sie auftrat, den Sieg verschafft« hatten432, Jhering der »Rechtsgeschichte aus den Zeiten der historischen Schule« dennoch attestierte, bisher im wesentlichen »rezeptiv« geblieben und nicht wirklich wissenschaftlich »produktiv« geworden zu sein bei der Aufdeckung der wahren historischen »Tendenzen und treibenden Gedanken« jeweils »hinter dem rechtsgeschichtlich Concreten«.433 Daran anknüpfend forderte Jhering, die Rechtsgeschichte solle, »wenn sie auf der Höhe unserer Zeit stehen will«, endlich ihre Aufgabe in Angriff nehmen und »einen Gedanken, den sie sogar im Munde zu führen, als Aushängeschild zu benutzen pflegt, – den Gedanken des Organismus im Recht […] auch zum Leitstern ihrer ganzen Untersuchung und Darstellung machen.«434 Was hier auf den ersten Blick 430 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 422 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 431 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 425, 103. Nähe und Distanz zur Historischen Rechtsschule werden auch in einer Passage aus Jherings Wiener Antrittsvorlesung aus dem Jahre 1868 dokumentiert. Dort bekräftigte er einerseits: »Die Umkehr zur Geschichte […] ist das Losungswort des Jahrhunderts, und es wird stets das große Verdienst der sogenannten historischen Schule bleiben, dass sie dieselbe Wahrheit, die Hegel wie kein anderer für die Rechtsphilosophie betont hat, für die Cultur des positiven Rechts ausgesprochen und zur Geltung zu bringen versucht hat«. Andererseits aber sei es »mit der Rückkehr auf den historischen Grund und Boden allein […] nicht gethan; es kommt darauf [an], was und wie man sucht« [Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 69ff. (Kursivhervorhebung nicht im Original)]. Denn es reiche nicht, die Umwandlung von Rechtsinstituten in der Geschichte zu konstatieren, ohne die historischen Ursachen dafür verstanden zu haben, und man dürfe die geschichtliche Evolution auch nicht mit einem »selbstgemachten Maßstab« des 19. Jahrhunderts messen, um dann das, was »hier einmal und dort einmal […] zur Verwirklichung gelangt […] Wahrheit zu nennen« (aaO, S. 71). Beide Kritikpunkte mündeten in den Vorwurf des »romanistischen Purismus«. 432 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 536. 433 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 4f. (= Ges. Aufs. I, S. 3ff.). Es war eine nur leichte Verklausulierung, dass Jhering seine öffentlich bereits 1844, damals allerdings noch anonym geäußerte Kritik 1856 in seiner Programmschrift »Unsere Aufgabe« in ein Lob kleidete, wenn er zu dem von ihm für die »Zeiten der historischen Schule« diagnostizierten vorzugsweise »rein receptiven Verhalten [sc. der Rechtsgeschichte] gegenüber dem historischen Stoff« meinte: »[…] so beabsichtige ich damit keinen Vorwurf auszusprechen, sondern ich erkenne jene Beschränkung [sc. auf eine rezeptive Rechtsgeschichte] als durchaus berechtigt an. Niemand kann mehr als ich selbst es ihr Dank wissen, da mein in dem oben genannten Werke [sc. dem seit 1852 erscheinenden ›Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung‹] gemachter Versuch, mich von dieser Weise loszusagen, nur auf dem soliden Grundbau, den die Rechtsgeschichte durch jene Richtung genommen hat, denkbar war. Aber eben so sehr habe ich auch die Ueberzeugung, daß das, was sich für s i e ziemte, nicht mehr für uns ziemt, daß vielmehr, nachdem s i e jene Aufgabe im Wesentlichen gelöst hat, die Wissenschaft für u n s wieder ein neues Problem in Bereitschaft« hält [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 4 (= Ges. Aufs. I, S. 3f.)]. 434 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 422; Ders., Geist I (11852), § 3, S. 13. Es blieb auch später

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wie eine schlichte Aufforderung zur Anwendung des Programms der Historischen Rechtsschule auf die Rechtsgeschichte erscheinen könnte435, war doch tatsächlich schon Jherings eigenes Programm, das »Evangelium der Rechtsgeschichte der Zukunft«, wie Jhering später, Mitte der fünfziger Jahre, etwas pathetisch selbst formulieren sollte436. Wenn Jhering daher 1861 in seinem Nachruf auf Savigny eine »auffällige Discrepanz zwischen N a m e und S a c h e «437, zwischen Programm und Umsetzung in dessen Werken kritisierte, drückte er damit eigentlich aus, dass er unter dem »Namen« des Savignyschen Programms schon lange nicht mehr dieselbe »Sache« verstand wie Savigny. Genau genommen war daher auch der 1861 erstmals öffentlich und ausdrücklich gegenüber Savigny erhobene vorzitierte Vorwurf Jherings nicht wirklich berechtigt, da Jhering mit dieser Kritik eine »Discrepanz« von Programm und Ausführung bei Savigny nachzuweisen suchte, während die Diskrepanz in Wahrheit zwischen den Auffassungen von Savigny und Jhering bestand, nämlich zwischen den unterschiedlichen Ansichten beider über den Begriff des Geschichtlichen im Programm der Schule. Savigny hatte – wie Jhering hier auch selbst bemerkte – der Bezeichnung »›geschichtlich‹ […] eine bestimmte politisch-historische Grundanschauung involviren«438 wollen, die Jhering im Grunde nie geteilt hat.

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für Jherings Verhältnis zur Historischen Rechtsschule typisch, dass er sie auf der Grundlage ihrer eigenen programmatischen Begriffe kritisierte. Nicht etwa gegen die »geschichtliche Ansicht« wendete sich Jhering zum Beispiel im Savigny-Nachruf (1861), S. 13, sondern dagegen, dass sie bisher »nur ein vielsprechendes Aushängeschild« geblieben sei. Noch in Entwickl.gesch.(1894), S. 3 sprach Jhering davon, dass »die römische Rechtsgeschichte […] die Aufgabe, welche an die Geschichtsschreibung auf dem Gebiete des Rechts ergeht, nicht gelöst hat«. Nach K.Luig, Jhering (1993/1996), S. 257f. betrachtete auch Jhering sich selbst – auch noch 1861 – »als den wahren Vollender der guten Ansätze der historischen Schule«. Dabei steht es ganz außer Frage, dass Jhering »einem historischen Programm treu« blieb (aaO). Die Frage ist nur, inwieweit es sich dabei noch um das Savignysche Programm gehandelt hat. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 4 (= Ges. Aufs. I, S. 4) Das erste Heft mit dem Einleitungsaufsatz »Unsere Aufgabe« zu dem auf das Jahr 1857 datierten ersten Band der »Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts« ist bereits im April 1856 erschienen [vgl. E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 800; Ders., Noten (1910), S. 338 Fn. 9 sowie den editorischen Hinweis von Mario G. Losano in: Losano-Briefe I /1984, S. 180 Anm. 5]. Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 12. Diese »Discrepanz« betraf im Übrigen nicht nur den Begriff des Geschichtlichen, sondern auch den Begriff des Rechts. Nicht zufällig stellte Jhering daher auch seinem »Geist des römischen Rechts« eine gesonderte Klärung der Begriffe des »Rechts« (§§ 3f.) und der »Geschichte« (§§ 5f.) sowie die Darlegung der sich daraus ergebenden »Anforderungen« für die »Methode der rechtshistorischen Darstellung« voran. Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 12. Es ist bemerkenswert, dass Jhering, aaO, S. 12ff. den politischen Aspekt, der sich mit dem Programm der Historischen Rechtsschule ebenfalls verband, hier auch ausdrücklich als solchen bezeichnete. Jhering distanzierte sich damit nicht nur von der »Romantik unserer heutigen historischen Ansicht« im Hinblick auf ihre geschichtliche Idealisierung von Anfängen bzw. Frühzeiten rechtlicher Entwicklung

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Bereits in Jherings Artikelfolge über die Historische Rechtsschule aus dem Jahre 1844 tauchten im Zusammenhang mit seiner Formulierung der rechtshistorischen Methode erstmals wichtige Begriffe auf, die man heute gemeinhin nur noch mit der zehn Jahre später formulierten Theorie der naturhistorischen Methode verbindet. So forderte Jhering damals eine »producirende Thätigkeit auf dem Gebiete der Rechtsgeschichte«439, eine sich der »niedern Kritik« anschließende »höhere« Kritik der Quellen440, ein Hinausgehen über die »zufällige Beschränkung unserer Quellen«441 durch »Construiren«442 und eine Lückenergänzung durch die »Operation« der »historischen Combination«, nämlich ein Schließen »vom Bekannten auf das Unbekannte«, um »dem sclavischen Buchstabendienst« zu entkommen443. Wie bei der später für die Rechtsdogmatik formulierten Theorie der naturhistorischen Methode sollte hier neben die rechtsgeschichtliche Untersuchung im »niederen« deskriptiven Sinne noch eine sogenannte produktive Untersuchung der Rechtsgeschichte treten444. So eigentümlich Jherings Gedanke einer »p ro d u c t ive n «445 Rechtsgeschichte, die sich nach Jherings Worten durch »Ni c ht - Quellenmäßigkeit«446

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[Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219], sondern ließ auch keinen Zweifel daran, dass ein solcher »r o m a n t i s c h e r C o n s e r v a t i v i s m u s « ebenfalls in politischer Hinsicht den »praktisch-politischen auf Aufrechterhaltung alles Bestehenden gerichteten Bestrebungen der Restaurationsperiode trefflich zu Statten« kam, so dass am Ende »der Name der historischen Schule […] bei den Regierungen einen ebenso guten Klang [gewann], wie er in der Masse des Volks unpopulär wurde« [Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 14f.]. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 423. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 534. Auch in Entwickl.gesch.(1894), S. 3 sprach Jhering noch von der Notwendigkeit der Überwindung des »niederen« Standpunktes. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 423. Vgl. auch zwanzig Jahre später Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 299: »Die historische Jurisprudenz hält regelmäßig ihre Aufgabe für gelöst, wenn sie das Aeußere der historischen Erscheinung ermittelt hat; wo die Quellen aufhören, glaubt auch sie aufhören zu müssen, über das Aeußere gehen aber […] die Quellen selber selten hinaus.« Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 425. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 423, 409; Ders., Besitzwille (1889), S. 116; Ders., Entwickl.gesch.(1894), S. 34. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 3ff. (= Ges. Aufs. I, S. 3ff.). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 5 (= Ges. Aufs. I, S. 5). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 5 (= Ges. Aufs. I, S. 4); Ders., Geist I (11852), § 4, S. 38. Das Wort von der »Nicht-Quellenmäßigkeit« bezog sich auf die geschichtliche Untersuchung vergangener Rechtszustände. Man darf daraus nicht – wie zum Beispiel R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 224 – auf eine von der Überprüfung der »Quellenmäßigkeit« befreite Rechtsdogmatik schließen. Daran dachte Jhering mitnichten. Für die Rechtsgeschichte findet sich der Gedanke an die Möglichkeit einer historischen Konstruktion aus dem »Geist« einer bestimmten Zeit zur Schließung von Lücken in der Überlieferung bereits bei dem Altphilologen und Altertumsforscher Friedrich August Wolf (1795) und wurde wegweisend für das Werk »Römische Geschichte« von Bartold Georg Niebuhr [V.Reinhardt, Geschichtsschreibung (1997), 458f.]. Jhering ist nach T.Giaro, Rechtswahrheiten (2007), S. 580 von diesem historischen Verfahren auch in seinem Alterswerk nicht grundsätzlich abgerückt.

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auszeichnen sollte, auch schon manchem Zeitgenossen erschien447, so lag ihm doch auch ein in die Zukunft weisendes Verständnis über das Verhältnis von zeitgenössischen Rechtsvorstellungen und geschichtlicher Kritik derselben zugrunde. Ausgangspunkt war der Gedanke der Historischen Rechtsschule, dass das Recht einer bestimmten Zeit keine zufällige Ansammlung konkreter Rechtsinhalte sei, sondern dass die einzelnen Begriffe und Institute einen Organismus bilden, das heißt eine sogenannte höhere Einheit bzw. einen Zusammenhang, der sich auf alle Teile einer konkreten Rechtsordnung dieser Zeit ebenso erstreckt wie auf die Weiterentwicklung des Rechts in der Geschichte. In diesem Gedanken sah Jhering auch dann noch, als er statt vom »Organismus« nur noch vom »Zusammenhang« des Rechts sprechen wollte448, das bleibende Verdienst der Historischen Rechtsschule449. Aber im Gegensatz zu anderen rechtshistorischen Darstellungen hielt Jhering nichts für »verkehrter, als ein Recht gleich einem philosophischen System bloß von Seiten seines geistigen

447 Anders B.Klemann, Jhering (1989), S. 13. Vgl. aber nur T.Brackenhoeft, Geist I-Rezension (1852), S. 846 oder Anonymus, Jhering-Rezension (1856), Sp. 801. Auch Heinrich Dernburg, der eigentlich bemüht war, Jhering vor den ungewöhnlich heftigen Reaktionen auf dessen Programmschrift »Unsere Aufgabe« in Schutz zu nehmen, mußte zugeben: »Das klingt für sich allein freilich fürchterlich genug […]« [H.Dernburg, Jhering-Rezension (1857), S. 365]. Wegen dieser bereits erwarteten Reaktionen hatte Jhering im Hinblick auf die von ihm geforderte »Produktivität« der Rechtsgeschichte schon zugegeben, dass »der gewählte Name für letztere weniger passend erscheinen dürfte« als für die Rechtsdogmatik [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 4 (= Ges. Aufs. I, S. 3)]. 448 Der vierten Auflage von Geist II/2 aus dem Jahre 1883 (S. 352 Fn. 501) fügte Jhering die Bemerkung hinzu: »Ich meinerseits habe es mir zum Gesetz gemacht, den Ausdruck organisch, wo ich nur kann, zu vermeiden« [Jhering, Geist II/2 (41883), § 39, S. 352 Fn. 501 a.E.; anders noch Jhering, Kampf (1872), S. 13]. Entgegen M.G.Losano, Studien (1984), S. 124 hat Jhering mit diesem Zusatz aber nicht einen Teil seiner Ausführungen aus dem ersten Band verworfen. Vielmehr richtete sich der spätere Zusatz nur gegen den ehemals populären Ausdruck »organisch«, da dieser auch mit – von Jhering selbst im Übrigen nie geteilten [vgl. dazu W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 175–177] – romantisch-mystischen Vorstellungen belastet war. Deswegen hatte auch schon der junge Jhering in kritischaufklärerischer Absicht dazu aufgefordert, sich über den mit diesem Ausdruck »zu verbindenden Sinn genaue Rechenschaft zu geben« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 384]. Jherings Zusatz in der vierten Auflage von Geist II/2 richtete sich auch nicht gegen die Vorstellung innerer Zusammenhänge in der Rechtswirklichkeit überhaupt. Denn das, was Jhering anfangs noch als »Organismus« innerhalb der Rechtsordnung einer bestimmten Zeit bezeichnet hatte, nannte er in Entwickl.gesch.(1894), S. 5f. nun den »i n n e r e n durch die G e m e i n s a m k e i t d e r t r e i b e n d e n K r ä f t e bewirkten« »philosophischen Zusammenhang« der Rechtsinstitute. Und der von Jhering einst so bezeichnete »Organismus« des sich im Laufe der Geschichte entwickelnden Rechts wurde nun zum »entwicklungsgeschichtlichen«, nämlich »i n n e r e n Zusammenhang der historischen Thatsachen«, dem ein »i n n e r e s H e r v o r g e h e n des Einen a u s dem Andern« zugrunde liege. 449 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 422; Ders., Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 69ff.

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Gehaltes, seiner logischen Gliederung und Einheit zu beurtheilen.«450 Auch Savignys durch die Wirklichkeit, nämlich durch die »tiefere Grundlage in der Anschauung des Rechtsinstituts« konstituierter »Organismus des Rechts«451 erfasste nicht das, was Jhering unter dem »Zusammenhange [sc. des Rechts] mit der thatsächlichen Welt«452 verstand. Daher bemerkte Jhering auch zu Savignys zwischen 1815 und 1831 erschienenem rechtshistorischen Werk über die »Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter« kritisch, dass sich »die Geschichte des ›Rechts‹ […] hier vorzugsweise zu einer Literaturgeschichte des Rechts« gestaltet habe453. Denn nach Jhering musste der Rechtshistoriker immer wieder feststellen, dass »das Recht selbst nicht zusammenfällt mit dem subjektiven Bewußtsein« eines Volkes454 bzw. – anders ausgedrückt – dass das rechtliche »Bewußtsein« der Zeitgenossen, und zwar auch dasjenige der Juristen, welches sich in überlieferten gewohnheitsrechtlichen Rechtssprichwörtern ebenso dokumentiere wie in den Formulierungen von Rechtssätzen durch Gesetzgebung und Wissenschaft, immer historisch »subjektiv«, das heißt im Vorstellungs- und Reflexionsvermögen der jeweiligen Epoche befangen bleibe. Das »B e w u ß t s e i n d e r Z e i t ü b e r i h r R e c h t in seiner unmittelbar praktischen Form« der überlieferten Rechtssätze, Rechtsbegriffe und Rechtsinstitute konnte nach Jhering daher gar »nicht das Recht [sein], wie es in der Wirklichkeit bestand.«455 Dies meinte Jhering nicht nur in dem bereits von Savigny geltend gemachten und auch für Jhering selbstverständlichen Sinn, dass durch jede abstrahierende Formulierung eines Rechtssatzes notwendigerweise ein »Mißverhältnis«456 zu der »Totalan-

450 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 39. In einer 1866 in der zweiten Auflage von Geist I eingefügten Abschnittsüberschrift nannte Jhering, Geist I (21866), § 3, S. 37–43 die systematische Einheit des Rechts den »logischen Organismus des Rechts«. Ihn betrachtete Jhering als die eine für den Rechtshistoriker relevante Seite des vergangenen Rechts. Als die andere für den Rechtshistoriker bisweilen sogar wichtigere Seite des historischen Rechtszustands bezeichnete Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 304 dagegen »die Sitte und die reale Wirklichkeit des Lebens«, die »thatsächlichen Gewalten«. 451 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 5, S. 9f. 452 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 47. 453 Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 7, 12. Vgl. dazu allgemein P.Koschaker, Europa (21953), S. 273f. und F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 366f., 388. 454 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 38. 455 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 22. Es ist daher auch eine allzu starke Vereinfachung, wenn man den Unterschied vom Früh- und Spätwerk Jherings darin sieht, dass dieser sich im Spätwerk »von der systematischen Betrachtungsweise ab- und einer soziologischen zuwendet« [so aber H.Coing, Systembegriff (1969), S. 158; ähnlich schon F.Wieacker, Gründer (1959), S. 203; E.Wolf, Rechtsdenker (41963), S. 660; ferner M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 144; K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 25; B.Rüthers, Rechtstheorie (1999), S. 303ff.]. 456 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 13, S. 44.

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schauung« in der Wirklichkeit entstehe457. Nach Jhering war vielmehr noch weitergehend vor allem in noch nicht voll entwickelten Rechtsordnungen wie etwa dem altrömischen Recht immer nur ein Teil der formulierten Rechtssätze und Rechtsbegriffe auch tatsächlich eine Abstraktion des »objektiven Recht[s], wie es thatsächlich lebt[e] und leibt[e]«458. Ohne dass es erst einer Störung des Organismus, verschuldet etwa durch einen – in Savignyscher Terminologie – von ungeschichtlicher »Willkühr«459 geleiteten Gesetzgeber bedurft hätte, konnte nach Jhering die historische Wirklichkeit daher sogar in einem Gegensatz zu den damals geltenden Rechtsbegriffen gestanden haben460, beispielsweise wenn die historische Praxis der Rechtsanwendung durch eine »Vergewaltigung der Begriffe«461 gekennzeichnet gewesen sei. 457 Vgl. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 6, S. 11, wo die Rechtsregeln als »Abstraction« von den Rechtsinstituten bezeichnet werden. Nach A.Lavranu, Historizität (1996), S. 256, 262ff. bildete bei Savigny die Frage nach der »Aufhebung dieses ›Mißverhältnisses‹ zwischen abstrakter Regel und ganzheitlich oder organisch aufgefaßtem Institut« den zentralen Punkt seiner methodologischen Überlegungen im »System«. Vgl. jetzt auch J.Rückert, Hermeneutik (2001), S. 321ff. zu dem von Savigny als eine Frage der Hermeneutik verstandenem Bemühen, aus den überlieferten römischen Rechtstexten den »vergangenen Rechtszustand in seinem ursprünglichen Leben« zu rekonstruieren [F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1812), in: Savignyana II (1993), S. 184]. 458 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 20. Beispielsweise habe das römische Recht öffentliche Auslobungen niemals rechtlich anerkannt, faktisch aber seien sie durchaus »dem öffentlichen Leben nicht unbekannt« gewesen [Jhering, Culpa (1861), S. 408]. »Obschon die Auslobung als t h a t s ä c h l i c h e s Verhältniß den Römern bekannt war, so gehört doch ihre Anerkennung als Rechtsbegriff unserem heutigen Recht an« [Jhering, Bemerkungen (1865), S. 379 Fn. 2], was für Jhering bedeutete, dass die Auslobung zu den nichtrömischen »modernen Instituten« zu zählen und damit auch nicht nach dem römischen Verbot eines Kontrahierens mit einer persona incerta zu beurteilen sei. 459 F.C.v.Savigny, Gönner-Rezension (1815), S. 128. Vgl. eingehend zu Savignys Begriff der Willkür J.Rückert, Reyscher (1974), S. 203ff. m.w. N.; Ders., Savigny (1984), S. 388 sowie auch H.Hattenhauer, Einleitung (1973), S. 49f.; D.Grimm, Methode (1982), S. 474 und A.Lavranu, Historizität (1996), S. 183f. Dagegen nicht überzeugend H.H.Jakobs,Wiss. u. Gesetzgeb. (1983), S. 38. 460 Aus diesem Grunde reichte es nach Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 409 nicht, um »das Rechtssystem der Vergangenheit zu reproduciren«, »etwa den Inbegriff der durch Gesetz und Gewohnheit geltenden Rechtssätze« zu rekonstruieren. Und aus demselben Grund kritisiert Jhering noch in Entwickl.gesch.(1894), S. 9f., dass die bisherige Rechtsgeschichte »sich auf Darlegung der Rechts n o r m e n beschränkt, ohne das reale Leben in ihren Gesichtskreis zu ziehen«, ohne über die »reale Gestaltung der Rechtsinstitute im römischen Leben kaum je ein Wort [zu] verlieren«. Als Beispiel für eine dagegen auch die Rechtswirklichkeit in den Blick nehmende Rechtsgeschichte verweist Jhering an dieser Stelle (aaO, S. 10 Fn. 1) auf seine aus den 1850er Jahren stammende Darstellung der altrömischen Rechtsgeschichte, nämlich auf den zweiten und vierten Band vom »Geist des römischen Rechts«. In einer handschriftlichen Notiz aus dem Nachlass Jherings heißt es in diesem Sinne auch: »Wenn man Rechtszustände beurtheilen will, so muß man nicht auf die Gesetze, sondern auf das Leben sehen. Dieses Recht im Leben oft ganz anders« [Jhering, Vorlesungsskripte (Nachlass), Bl. 36v]. 461 Diesen drastischen Ausdruck fügte Jhering zwar erst in der zweiten Auflage von Geist III/1

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Dieser ganz unsavignysche »Organismus« der historischen Rechtswirklichkeit sollte sich nach Jhering aber – dies war eine zumindest entfernte Parallele zu Hegels »Eule der Minerva«462– erst dem nachgeborenen Historiker erschließen, der die einem bestimmten Volk in einer konkreten Epoche eigentümliche Denkund Auffassungsweise zu rekonstruieren sucht und die dem Recht und der ein [Jhering, Geist III/1 (21871), § 56, S. 241]. Aber sachlich fand er sich auch schon vorher. So sprach Jhering auch schon zuvor von der durch neue Verkehrsbedürfnisse motivierten »höchst gewaltsamen Spannung, um nicht zu sagen: Verrenkung des vorhandenen Rechts« [Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 231; § 58, S. 273] bzw. von der »geschickte[n] Manipulation« der Begriffe [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 403], der »Kritik […] des Rechts s y s t e m s durch das Rechts l e b e n « [Jhering, Geist II/1 (11854), § 22, S. 8] sowie von heute nur noch durch das »Bedürfniß des römischen Lebens« erklärbaren »gezwungene[n]« Interpretationen des damaligen Rechts (aaO, § 27, S. 70f.). Dieser rechtshistorischen Beurteilung in seinem Werk über die Geschichte des römischen Rechts scheint allerdings Jherings Behauptung aus seiner Programmschrift Unsere Aufgabe (1856), S. 42 (= Ges. Aufs. I, S. 37) entgegenzustehen, dass im Gegensatz zur Gegenwart »die Abstractionen und Regeln der römischen Juristen […] dem [sc. tatsächlichen] Recht i h r e r Zeit durchaus entsprachen, dasselbe vollkommen deckten«. Zum einen bezog sich Jhering damit aber offensichtlich nicht – wie in allen Bänden des »Geist« – auf die Zeit des altrömischen, sondern auf die idealisierte Zeit des klassischen römischen Rechts. Zum anderen muss Jherings Behauptung in seiner Programmschrift zur Erneuerung der zeitgenössischen rechtsdogmatischen Praxis in ihrem nicht rechtshistorischen Kontext gesehen werden. Denn offenbar sollte die antike römische Rechtswissenschaft hier als positives Gegenbeispiel zur Dogmatik der eigenen Gegenwart fungieren und Jherings Kritik untermauern, dass die zeitgenössische Pandektistik einen nicht unerheblichen Teil der gegenwärtig positiv geltenden Rechtsregeln, nämlich das genuin deutsche Privatrecht bei der allgemeinen wissenschaftlich-dogmatischen Begriffsbildung bisher einfach ausblende [aaO, S. 42ff. (= Ges. Aufs., S. 37f.)]. 462 Vgl. G.W.F.Hegel, Rph. (1821), S. 14 (Vorrede), der auf der Grundlage seiner – von Jhering allerdings nicht geteilten – transzendentalphilosophischen Voraussetzungen auf diese Weise das Verhältnis zwischen geschichtlicher Wirklichkeit und deren geschichtsphilosophischen Beurteilung beschrieben hatte. Danach sollte die die philosophische Erkenntnis bzw. Weisheit symbolisierende »Eule der Minerva […] erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug« beginnen können, also erst nachdem jeweils die geschichtliche »Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat« und jetzt vom Geschichtsphilosophen vollständig verstanden und erklärt werden könne. Abgelöst von seinem spezifisch vernunftphilosophischen Kontext fanden dieser und ähnliche Gedanken weit über die Hegelsche Schule hinausgehend Verbreitung in der zeitgenössischen Geistesgeschichte [vgl. nur H.Schnädelbach, Philosophie (41991), S. 64f. m. w. N. zu derartigen schulen- und disziplinübergreifenden Gemeinsamkeiten und deren ideengeschichtlichen Prämissen]. Auch in einer frühen Schrift von G.F.Puchta, Perioden (1823), S. 143 findet sich der verwandte Gedanke einer jeweils historischen Bedingtheit der »Selbstkenntniß« der Zeitgenossen einer Epoche. Puchta hatte dort im Zusammenhang mit der Frage nach der geschichtlichen Periodisierung über seine eigene Zeit geurteilt, dass »eine helle Anschauung von einem Zustande, der noch in der Entwickelung begriffen ist«, zumindest problematisch sei, da eine »solche Anschauung von der Gegenwart […] schwieriger [ist] als von einer nur nicht ganz entrückten Zeit, indem wir gleich Presbyten erst in der Ferne deutlich erblicken, was uns in der Nähe zu einer unförmlichen Masse verschwimmt.« Eine weitergehende gar methodologische Anwendung machte Puchta von diesem Gedanken allerdings nicht.

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Rechtswirklichkeit zugrunde liegenden Zusammenhänge aufdeckt, welche nach Ansicht Jherings den in ihrer historischen Denkweise befangenen Zeitgenossen selbst noch verborgen bleiben mussten463. In diesem Sinn konnte auch Jhering den Satz Savignys, »daß das Recht als ein Product des Volksgeistes […] und nicht als ein Werk freier Reflexion« aufzufassen sei, als eine »Wahrheit« bezeichnen464. Auch wenn Jhering zunächst noch in der alten von Savigny herrührenden Diktion davon sprach, dass das Recht nicht nur »Menschenwerk, kein bloßes Produkt der Reflexion«465 sei, wollte er damit doch nicht die zentrale Rolle des menschlichen »nachdenkenden Verstand[es]« bei der Rechtsentstehung leugnen466 bzw. verschleiern, dass das Recht »in prosaischer Weise durch Menschenhand« entstanden sei467. Immerhin war es gerade Jhering gewesen, der 463 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 22f., 32, 36f.; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 4f. (= Ges. Aufs. I, S. 4); DERS., Entwickl.gesch.(1894), S. 2. Vgl. auch Jhering, Zweck II (11883), S. 96, 120: »Wir haben in Bezug auf die Einrichtungen, mit denen die Gegenwart uns umklammert hält, und denen unsere Anschauungen sich völlig accommodirt haben, dieselbe Binde vor den Augen wie sie [sc. die Menschen in vergangenen Epochen] in Bezug auf die ihrigen. Dieselbe fällt erst oder lüftet sich ein wenig, wenn […] die r e a l e We l t eine andere geworden ist […].« Ebenso hatte Jhering auch schon vierzig Jahre früher noch als Student notiert: »Nur das gewordene kann beurtheilt w[er]den, nicht das werdende […] – Deshalb beurtheilen wir am richtigsten Menschen, die nicht unter unseren Augen groß geworden sind. Wir müssen etwas nicht durchlebt habe[n], um es richtig beurtheile[n] zu könne[n]« [Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 3r (Unterstreichung im handschriftlichen Original sind hier in Kursivschrift wiedergegeben)]. 464 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 199; DERS., Geist I (11852), § 3, S. 13. Mit dem Ausdruck »Volksgeist« in diesem geschichtsphilosophischen Sinn war auch problemlos Jherings Überzeugung vereinbar, dass es den Römern »von alters her gelungen« sei, »das Recht aus dem Bereich des Gefühls« in den »des berechnenden Verstandes zu versetzen« [Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 301], und dass daher das römische Recht von Anfang an auch durch »Reflexion, Absichtlichkeit u.s.w.« bzw. den »Trieb nach intellektueller Erfassung und Beherrschung« des Rechts geprägt gewesen sei (aaO, § 20, S. 294). 465 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 36. 466 So aber O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 121 et passim. Demgegenüber hob schon A.Merkel, Jhering (1893), S. 19 in seinem Nachruf auf Jhering zu Recht hervor, dass bereits der junge Jhering »die Anschauung der [sc. Historischen] Schule von dem unbewußten Werden und Wachsen des Rechts« insofern bekämpft habe, als er »bei der Ausbildung der eigenthümlichen Existenzformen des Rechts von Anfang an bewußte Willensbethätigung und reflektirende Verstandesarbeit beteiligt« gesehen habe. 467 Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219; Ders., Hist. Schule (1844), Sp. 568. Vgl. dagegen unten S. 183 Fn. 843 zu den abweichenden Auffassungen Savignys oder Stahls. Wenn Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 37 davon sprach, dass in Frühzeiten der Völker die »unausgesprochenen Gedanken, für die der Begriff noch fehlte, in der Mythe, der Ethymologie und Symbolik u.s.w. in geheimnißvoller, verschleierter Weise sich einen Ausdruck verschafft« hätten und auf diese Weise der »träumende Genius des Volks […] in naiver Weise ein Selbstgeständniß abgelegt [habe], dessen er im wachenden Zustande sich nicht bewußt ist«, dann setzte Jhering dabei entgegen O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 121f. immer eine genuin menschliche Genese des Rechts voraus. Sie bildete überhaupt erst die Grundlage für die prinzipielle Möglichkeit der Erforschbarkeit auch der Anfänge des Rechts durch den Historiker : »Der Historiker findet hier also ein fruchtbares Feld für

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bereits Anfang der fünfziger Jahre der »Romantik unserer heutigen historischen Ansicht« zum Vorwurf gemacht hatte, das Recht mit Hinweis auf seinen göttlichen Ursprung nicht als ein Werk des »frei handelnden Menschen« anzusehen und entsprechend historisch-kritisch zu beurteilen468. Nicht nur als »bloßes Produkt der Reflexion« hatte auch Jhering das Recht vielmehr deswegen betrachtet, weil seiner Auffassung nach jeder Zeitgenosse und damit selbst der mit vollem »Bewußtsein seiner Zwecke und Mittel seine Gesetze« erlassende Gesetzgeber in den jeweiligen Vorstellungen und Anschauungen seiner Zeit befangen bleibe469. Denn gerade »d i e Tendenzen und Gedanken, an deren Verwirklichung und Ausbildung im Recht d i e s e Generation arbeitet«, blieben »ihr selbst verborgen« und würden »erst einem nachfolgenden Geschlecht klar« werden können470. Aus diesem Grunde enthielt nach Jhering das Recht jeder Zeit – betrachtet mit dem »geistigen Auge« des den bisherigen »Entwicklungsprozeß« überblickendenden Historikers471 – immer mehr als das »Produkt der [sc. zeitgenössischen] Reflexion«, da wie jedem Zeitgenossen auch dem Gesetzgeber, »ohne daß er es ahnt, der Geist der Zeit den

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seine Thätigkeit vor […]«, und ihm kann nach Jhering durch seinen zeitlichen und inneren Abstand von den Geschehnissen und Vorstellungsweisen »vielleicht mit leichter Mühe gelingen«, das noch für die Zeitgenossen Geheimnisvolle aufzudecken und den geschichtlich überlieferten »Räthsel[n]« eine »richtige Deutung zu geben« [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 37]. Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 36. In ihrem Kontext gesehen werden muß auch die von Behrends, aaO angeführte in der Tat noch den Geist der Romantik spiegelnde Formulierung Jherings in Geist I, dass menschliche »Absicht und Berechnung […] freilich ihren Antheil an der Bildung« des Rechts habe, »aber sie f i n d e t mehr, als daß sie s c h a f f t « [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 13]. Darin lag aber keineswegs eine grundsätzliche Bestreitung der maßgeblichen Bedeutung menschlicher Reflexion für die Rechtsbildung. Vielmehr hatte Jhering hier – insoweit allerdings auch im Sinne der Historischen Rechtsschule – vor allem gegen das Rechtsdenken des rationalistischen Naturrechts vergangener Jahrhunderte gerichtet ausdrücken wollen, dass auch »jede legislative Reflexion« mit dem »Charakter, der Bildungsstufe, den materiellen Verhältnissen, den [sc. historischen] Schicksalen des Volks« immer etwas »vorfindet, […] woran sie nicht rütteln kann, ohne selbst zu Schanden zu werden« (aaO). Dabei ging es Jhering aber nicht um eine Legitimation der Tradition, sondern – gegenwartsorientiert – um die Chance der faktischen Durchsetzung des geltenden Rechts. Ein nicht an die jeweiligen Verhältnisse angepasstes Recht stoße nur auf eine geringere Bereitschaft der tatsächlichen Rechtsbefolgung und gegebenenfalls sogar der richterlichen Rechtsdurchsetzung. Zumindest an diesem gar nicht von dem Geist des Romantik, sondern der Frühsoziologie getragenen Gedanken vom »Drang des Lebens« (aaO) hat Jhering auch lebenslang festgehalten. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 36. »Und wie manches, das wir sehen, begreifen wir nicht, weil es noch nicht fertig, noch in den ersten Anfängen der Entwicklung begriffen ist, während sich das Verständniß desselben dem spätern Beobachter, der auf den vollendeten Entwicklungsprozeß zurückschaut, leicht erschließt« (aaO, S. 37). Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 37.

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Stoff« unterschiebe472 und daher – wie Jhering in Geist I (21866) neu, aber in der Sache gleich formulierte – das Gesetz in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht niemals »rein s e i n Werk sei«, sondern immer mehr »enthalte, als er habe hineinlegen wollen«473. Daher konnte Jhering auch in späteren Jahren, als er ganz offen kritisierte, dass die Historische Rechtsschule einer als »r o m a nt i s c h e r C on s e r v a t iv i s mu s « zu bezeichnenden »p o l i t i s c h e [ n ] Haltung« ganz »wesentlichen Vorschub geleistet« habe474, weiterhin und ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten seine »Ueberzeugung« bekräftigen »von dem Walten höherer allgemeinerer Gedankenmächte auf dem Gebiete des Rechts, […] der stillen, geräuschlosen Arbeit der Ideen, die unmerklich und vielleicht dem Werkzeug selber unbewußt« dem Recht jeder Zeit seine Gestalt gebe und »über Jahrhunderte und Jahrtausende […] das Recht neugestaltet und verjüngt.«475 Im Gegensatz zu einer in der Historischen Rechtsschule verbreiteten Auffassung war für Jhering damit aber nicht »jede weitere Untersuchung abgeschnitten«476 – im Gegenteil, sie begann hier erst und war nicht durch die für Jhering und seine Zeitgenossen noch selbstverständliche »göttliche« bzw. »hö-

472 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 36. 473 Jhering, Geist I (21866), § 3, S. 45. 474 Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 13f. Jhering erhob damit seit Savignys Tod im Jahre 1861 öffentlich denselben Vorwurf, den die liberale Verfassungsbewegung des Vormärz schon lange gegenüber der Historischen Rechtsschule geltend gemacht hatte [vgl. dazu M.STOLLEIS, Staatslehre (1997), S. 6f.]. 475 Jhering, Schuldmoment (1867), S. 229; Ders., Rechtsschutz (1885), S. 360 (»Zeugniß […] für die still, aber unaufhaltsam wirkende Kraft des Lebens«). So wenig auch die Jheringschen »Ideen« mit dem Hegelschen »Weltgeist« oder einem vergleichbaren Prinzip der Transzendentalphilosophie zu tun haben, so ist doch die Anlehnung Jherings an die Hegelsche Ausdrucksweise von den »bewußtlose[n] Werkzeuge[n]« [G.W.F.Hegel, Rph. (1821), § 344, S. 296] auch wiederum nicht ganz zufällig. Denn beide, Hegel und Jhering, wollten etwas aufdecken, was den jeweiligen »Werkzeugen« selbst in ihrer historischen Befangenheit verborgen geblieben sei, ja sogar verborgen geblieben sein müsse. 476 So formulierte es Jhering in Entwickl.gesch.(1894), S. 13 selbst. Ein Anhänger Savignys könne dagegen kaum »auf den Gedanken geraten, den Gründen der Rechtssätze nachzugehen, wenn sie in dem unerforschlichen Geheimnis der Volksseele beschlossen liegen. Er steht vor dem Recht wie vor der Quelle […]. Diese Theorie ist gleichbedeutend mit dem Verzicht auf jede Fragestellung nach dem Warum?« Jhering dagegen muß der »fromme Glaube«, mit dem nach eigenem Bekenntnis auch er zunächst dem römischen Recht entgegentrat [vgl. Jhering, Plaudereien eines Romanisten (1880), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 207], sehr bald »abhanden gekommen« (aaO) sein. Vgl. nur Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40: »Die imperativische Form der Gebote und Verbote […] erregt fast nothwendig die Frage nach dem ›w a r u m ‹ « sowie aaO, § 2, S. 8f.: »Man begnügt sich, das römische Recht möglichst rein darzustellen […] scheuen wir uns nicht, den Vorwurf auszusprechen: […] Zu einer wahrhaften Kritik des römischen Rechts […] seiner letzten Gründe fehlt es unserer romanistischen Jurisprudenz sowohl an der subjektiven Fähigkeit wie an dem objektiven wissenschaftlichen Apparat.« Ferner auch Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 298f.

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here Natur des Rechts« ausgeschlossen477. So waren es nach Jhering die jeweiligen »inneren treibenden Kräfte«478, historischen »Tendenzen«479, »allgemeine[n] P r i n z i p i e n «480, »treibenden Gedanken«481, »Ideen und Bestrebungen der Zeit«482, derselbe »Geist«483, wie Jhering in wechselnder Bezeichnung die den jeweiligen Rechtsinstituten zugrunde liegenden historischen Anschauungen nannte484, die als »höhere Einheit«485 die »Erklärung für eine Reihe systematisch

477 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 36, DERS., Geist I (21866), § 3, S. 45. Selbst die »Annahme eines Zweckes in der Welt«, auf den der späte Jhering in Zweck I (11877), S. Xf. alle Tendenzen, Ideen und Bestrebungen der Zeit meinte zurückführen zu können, war für Jhering noch »gleichbedeutend mit der Annahme von Gott«. 478 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 35f.; Ders., Entwickl.gesch.(1894), S. 4f., 7. 479 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 34, 36. 480 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 36; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 41 (= Ges. Aufs. I, S. 35f.). »Prinzipien« sind hier im Sinne historisch nachweisbarer Anschauungs- und Denkweisen zu verstehen. Im Hinblick auf deren Nachweis hat Jhering seinen »Geist des römischen Rechts« als »eine Aufgabe geschichtsphilosophischer Art« verstanden [Jhering, Geist II/2 (11858), S. V; Ders., Geist I (21866), § 1, S. 15] und auch noch in Entwickl.gesch.(1894), S. 5 sein Gesamtwerk zur römischen Rechtsgeschichte eine »a n g e w a n d t e R e c h t s p h i l o s o p h i e « genannt. 481 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 5 (= Ges. Aufs. I, S. 5); Ders., Geist I (11852), § 3, S. 36. 482 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 422; Ders., Geist I (11852), § 3, S. 34. 483 Bereits im Sommersemester 1843 las Jhering ein »Publicum« (öffentliche Vorlesung), dessen Gegenstand er mit »Geist des R.[ömischen] R.[echts]«/»Principien des R.[ömischen] R.[echts]« angab [vgl. Jhering, Hörerlisten (Nachlass); Ders., Abrechnung/ Nachlass (1843), Bl. 97r ; ferner M.Kunze, Forschungsbericht (1995), S. 132, 136 sowie O.Behrends in: Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 28 Fn. 9 (Anmerkung des Herausgebers)]. Jhering, Geist I (11852), S. V berichtete später in der Vorrede zum ersten Band über den »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« selbst, dass er eigentlich »bereits 1843 beabsichtigte […], öffentliche Vorlesungen über den Gegenstand dieser Schrift, mit der ich damals in Berlin als Privatdocent aufgetreten war, drucken zu lassen.« Danach unterließ Jhering diese Publikation aber auf den kollegialen Rat seines damaligen Mentors Puchta hin. Gleichwohl führte er die Vorlesungen auch nach seinem Weggang aus Berlin weiter. So hat Jhering beispielsweise nach einer Übersicht im »Intelligenzblatt zur Allgemeinen Literatur-Zeitung« aus dem Jahre 1846 an der Universität Rostock im Wintersemester 1846/47 wöchentlich eine einstündige Vorlesung »Ueber den Charakter des Römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwickelung« gehalten. Die Vorlesung begleitete in diesen Jahren also Jherings Arbeiten am ersten Band über den »Geist des römischen Rechts«, dessen Veröffentlichung er ursprünglich bereits für die Jahre 1847/48 avisiert hatte [vgl. Bruckner-Briefe/1934, Nr. II (Brief Jherings an Bachofen vom 14. Dezember 1846), S. 45]. 484 Jhering sprach auch noch von »Charakteristik« bzw. »abstrakter Charakteristik« [Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 4; Ders., Entwickl.gesch.(1894), S. 5] und vom »abstracten Element der Rechtsgeschichte« [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 5 (= Ges. Aufs. I, S. 4)] im Gegensatz zur »bisherigen concret-historischen Bearbeitung« [Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges.Aufs. (1881), S. 5]. Vgl. auch Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 15f: Es gehe darum, »das innere Getriebe des geschichtlichen Werdens, die verborgenen Triebfedern, die letzten Gründe, den geistigen Zusammenhang der gesamten Rechtsentwicklung zu ergründen.« 485 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 422; Ders., Geist I (11852), § 5, S. 55, 58, 61.

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gänzlich verschiedener Institute geben« könnten486 und die nur durch die »Betrachtung [sc. des Historikers] aus der Ferne« vollständig in ihrem Zusammenhang erkennbar seien487. »Während es geschieht, sieht unser stumpfes Auge es nicht, aber nachdem es geschehen, kommen wir durch die Wirkung zur Erkenntniß der Ursache.«488

Als Beispiel für eines dieser historischen »Prinzipien, die als solche gar keiner Anwendung fähig sind«, aber als »treibende Kräfte des Rechts im tiefsten Innern« nicht weniger bedeutsam als die praktischen Rechtssätze einer Zeit seien, nannte Jhering den erst für den Historiker erkennbaren »Gedanke[n] der persönlichen Natur der Berechtigungen« im älteren römischen Recht489. Danach musste die den »älteren Römern« in ihrer geschichtlichen Bedingtheit nicht bewusste Vorstellung des subjektiven Rechts »als […] Eigenschaft der Person, als etwas[,] das man i s t «, im älteren römischen Recht sowohl zum Verbot der Forderungszession als auch zum Verbot der unmittelbaren Stellvertretung führen490. An diesem Beispiel zeigt sich auch die später in den Vorwurf der 486 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 31f. und insoweit auch schon Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 33, § 4, S. 49, § 5, S. 58 sowie – mit konkreten Beispielen – Ders., Geist II/2 (21869), § 40, S. 338 auch mit Verweis auf Jhering, Beiträge (1868), S. 72. Die »Auffindung des abstrakten Elements der Rechtsgeschichte« und die von der Rechtsdogmatik »konstruktiv gewonnene, systematische Einheit der Theorie des gemeinen Rechts« sind daher entgegen E.Wolf, Rechtsdenker (41963), S. 631 bei Jhering auseinanderzuhalten. Denn Jhering sah den Wert der rechtsgeschichtlichen Untersuchung gerade darin begründet, dass sie durch ihre Methode der »Abstraktion« solche Erkenntnisse über Zusammenhänge vermitteln kann, die bei einer bloß juristischen Rekonstruktion des Rechts verborgen bleiben würden. Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 587–762 dagegen zu Puchta, der in seinem System der subjektiven Rechte noch gleichermaßen die rechtshistorische wie auch rechtssystematische Genealogie der Rechtsordnung meinte darstellen zu können. 487 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 9. 488 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 37. 489 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 36. Jhering bezeichnet sie als die »unausgesprochenen Gedanken, für die der Begriff noch fehlte«, da »das Volk selbst, das von ihnen erfüllt war«, diese nationalen »Grundanschauungen« nicht sah »oder nur im Halbdunkel des Gefühls und der Ahnung« (aaO, S. 37). 490 Jhering, Theorie der Rechte (Nachlass), Bl. 242ff. (Unterstreichungen im handschriftlichen Original sind oben im Text sowie hier nachstehend in Kursivschrift wiedergegeben): Das subjektive Recht »ist die Beziehung eines Subjects zu einem Gegenstand, aber die Art u[nd] Weise, wie die älteren Römer u[nd] wie wir sie uns denken, ist eine verschiedene. Den älteren Römern erscheint meiner Ansicht nach das Recht als eine Qualität, als Eigenschaft der Person, als etwas, das man ist (: Gläubiger, Schuldner, Eigenthümer, Erbe, u.s.w.:), uns hingegen mehr als etwas, das man hat, als Object unserer Herrschaft« (aaO, Bl. 242r). Dies war für Jhering ein Beispiel für die »Differenz der römischen und modernen Anschauung«, deren »Gegensatz […] von der ungeheuersten Tragweite« sei [Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 12 (Brief Jherings vom 21. Dezember 1853), S. 36]. Für die rechtshistorische Betrachtung bedeutete das: »Wir wollen der Darstellung die Form geben, dass die Argumente selbst als Consequenzen jener Auffassungsweise hingestellt werden. Weil nun mein Recht ein Stück meiner Persönlichkeit war« [Jhering, Theorie der Rechte (Nachlass), Bl. 243r], »so folgte

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Begriffsjurisprudenz mündende491 rechtsdogmatische Brisanz von Jherings Versuch einer wirklich historischen Betrachtung des römischen Rechts; entzündete sich doch gerade an der Frage nach der »Wahrheit« dieser im Rechtsleben des 19. Jahrhundert den Verkehrsbedürfnissen vollkommen widersprechenden Verbote ein tiefgehender Streit. Indem Jhering hier als Historiker, nicht als Systematiker, beide römischen Regelungen »zurückführt auf die Ursubstanz von Ideen, Anschauungen, Erwägungen, aus denen sie hervorgegangen« seien492, relativierte er sie zu nur historischen Wahrheiten, die sich aus bestimmten historischen Auffassungsweisen folgerichtig und notwendig ergeben mussten493. Die wissenschaftliche Wahrheit der rechtshistorischen Untersuchung war damit aber unter Umständen eine ganz andere als diejenige der rechtsdogmatischen. War Jhering beispielsweise als Dogmatiker Anfang der fünfziger Jahre mit Windscheid der Auffassung, dass »wir unter anderem aus unserem h e u t i g e n Recht die hereditas jacens als vermögensrechtliche P e r s ö n l i c h k e i t loswerden« bzw. »von vornherein für überflüssig erklären sollen« statt sie als geltende oder wie »unsere starr romanistisch geschulten Kollegen« sogar als quasi a priori »wahre« Rechtsfigur zu behandeln, bestand er doch als Historiker gegenüber Windscheid darauf, dass diese Rechtsfigur für das »r ö m i s c h e Recht daraus, daß sich dasselbe nicht auf einen anderen übertragen ließ« (Bl. 244r) und dass im Todesfall des Gläubigers oder Schuldners die Person des Erblassers »als fortdauernd gedacht« werden mußte [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 401] – zwei unter diesen historischen Prämissen konsequente (»logische«) Schlüsse. Die Geschichtlichkeit dieser Prämissen nicht erkannt und sie daher absolut gesetzt zu haben, das bildete später einen wichtigen Teil von Jherings Vorwürfen gegen die zeitgenössische Begriffsjurisprudenz. 491 Vgl. nur Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 307ff. mit unmittelbar an die Beispiele aus der vorangehenden Anmerkung anschließenden Betrachtungen über den »juristischen Begriffshimmel«. 492 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 299. 493 Die rechtliche Unmöglichkeit öffentlicher Auslobungen im römischen Recht kann nach Jhering somit nicht als wahr oder falsch erwiesen werden, da sie vom »Standpunkt des reinen römischen Rechts aus«, den auch noch Savigny zugrunde lege, »vollkommen consequent« gewesen sei [Jhering, Culpa (1861), S. 408f. mit Fn. 97; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 309]. Oder die Tatsache, dass die Römer die »Autonomie« nicht wie heute als rechtsgeschäftliches Grundprinzip, sondern als formelle Rechtsquelle betrachteten, sei vom »Standpunkt des röm[ischen] Rechts aus gesehen […] eine Nothwendigkeit« gewesen [Jherings Brief an Gerber vom 12. Dezember 1854, in: Losano-Briefe I /1984, S. 96]. In ähnlicher Weise erklärte sich nach Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 12f., 40f. die aus moderner Sicht »große Inkonsequenz«, dass das römische Recht »das Eigenthum […] nur so lange […] schützt, als die Sache äußerlich sichtbar existirt«, durch einen »Rest jener materialistischen, sinnlichen Anschauungsweise, welche […] die gesammte Rechtsauffassung der ältern Zeit [sc. der römischen Rechtsgeschichte] beeinflußte.« Mancher Ideen, die ihrem Recht zugrunde lagen, waren sich nach Jhering auch nur deswegen »die Römer selbst nicht bewußt […], weil ihnen eine Beschränkung nach dieser Seite hin als undenkbar erschienen wäre (z. B. der Freiheit in der Wahl des Lebensberufes)«, wofür »man überhaupt erst ein Auge bekommt, wenn man sieht, daß sie anderwärts fehlen« [Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 137 (Kursivhervorhebung nicht im Original)].

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[…] notwendige Konsequenz der ganzen römischen Auffassung« gewesen sei494 bzw. dass man ihr Fehlen sogar »als eine Inkonsequenz des R.[ömischen] R.[echts] betrachten« müsste495. Solche und ähnliche Zusammenhänge aufzudecken, das war es, was Jhering unter der Forderung der Historischen Rechtsschule verstand, die historisch »höhere Einheit aufzufinden«496 statt nach Art der »registrirende[n] oder inventarisierende[n]« Methode»497 bei den »einzelnen äußeren Erscheinungen«498 stehenzubleiben und nicht nach den historischen Gründen und Umständen ihrer Entstehung zu forschen499. Es ging Jhering nicht um die bloß (»äußere«) geschichtliche Tatsache, »daß u[nd] wie etwas geworden, sondern [sc. um die Frage]: warum es geworden« ist500. Michael Kunze ist darin zuzustimmen, dass dieses Erkenntnisinteresse Jhering in seinen Schriften von der Anfangszeit in den vierziger Jahren bis zur Spätzeit in den achtziger Jahren geleitet hat501. Es wäre aber ein Fehler, wenn man in Jherings Frage nach dem »Warum« nur eine »metaphysische Frage«502 sehen wollte. Es ging Jhering – wie an den vorstehenden Beispielen gesehen und ungeachtet ihrer jeweiligen Begründetheit aus 494 Vgl. Jherings Briefe vom 29. Januar und 21. Dezember 1853, abgedruckt in: EhrenbergBriefe/1913, Nr. 10, S. 30 sowie Nr. 12, S. 37. 495 So Jhering in seinem Brief vom 21. Dezember 1853 an Windscheid, abgedruckt in: Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 12, S. 37f. Im Hinblick auf das geltende zeitgenössische Pandektenrecht war Jhering, aaO, S. 35f. Anfang der fünfziger Jahre »seit längerer Zeit […] davon zurückgekommen, daß die römische Behandlungsweise [sc. der hereditas iacens] für uns eine andere als eine historische Bedeutung habe; gerade die Einsicht in das spezifisch Römische derselben, die ich erst bei Gelegenheit meiner Arbeit für den Geist des R.[ömischen] R.[echts] gewonnen habe«, ließ Jhering auch seine noch 1844 öffentlich vertretene Auffassung über die hereditas iacens für das geltende Pandektenrecht, nicht für das antike römische Recht überholt erscheinen. In rechtsdogmatischer Hinsicht war es nach Jhering allerdings auch jetzt nicht einfach damit getan, nur »die Konstruktion der hereditas jacens zu ändern«, um »bei der hereditas jacens die Persönlichkeit wegwerfen« zu können [Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 20 (Jherings Brief an Windscheid vom 29. Juli 1856), S. 66]. Vielmehr müsse »zu dem Zweck […] erst ein ungeheures Stück römischen Rechts über Bord geworfen werden« [Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 12, S. 37], das »Stück« nämlich, aus dem sich die Annahme der Persönlichkeit als notwendige Konsequenz ergab. 496 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 422; Ders., Geist I (11852), § 5, S, 55; Ders., Entwickl.gesch.(1894), S. 31. 497 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 422. In Entwickl.gesch.(1894), S. 3 sprach Jhering von der nur »d e s k r i p t i v e n Methode«. 498 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 422 sowie Ders., Geist III/1 (11865), § 59, S. 299: »Die historische Jurisprudenz hält regelmäßig ihre Aufgabe für gelöst, wenn sie das Aeußere der historischen Erscheinung ermittelt hat.« 499 Darum ging es Savigny beim »›Aufbau‹ einer romanistischen Dogmatik« nach A.Mazzacane, Jurisprudenz als Wissenschaft (1993), S. 49f. gerade nicht. 500 So die von M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 186 aus Jherings Nachlass mitgeteilte Bemerkung aus einem verworfenen Manuskriptentwurf. 501 M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 185f. 502 So M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 186.

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der Sicht der heutigen Romanistik – um reale ideengeschichtliche Zusammenhänge und historische Vorstellungsweisen, die Jhering im Unterschied zu »unserer romanistischen Jurisprudenz«503 im Einzelnen aufdecken und als solche benennen wollte. Nach Gustav Radbruch hat Jhering damit das erfüllt, was »die Historische Rechtsschule programmatisch behauptet, niemals aber im einzelnen darzulegen unternommen hatte«, nämlich »den Zusammenhang des Rechts mit dem Volksgeiste«504 nachzuweisen. Tatsächlich sollte Jhering bis an sein Lebensende kritisieren, dass bisher die »römische Rechtsgeschichte […] an der Aufgabe, die treibenden Kräfte des Rechts zur Anschauung zu bringen, völlig unbekümmert vorübergegangen« sei505. Seinen »Geist des römischen Rechts« bezeichnete Jhering noch in seiner Spätzeit in der posthum erschienenen »Entwicklungsgeschichte« rückblickend als einen »ersten Ansatz« zur Abhilfe dieses Mankos506. 503 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 9. 504 G.Radbruch, Rechtsphilosophie (31932), § 3, S. 28. In seinem Nachruf auf Savigny attestierte Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 17 dessen »System des heutigen römischen Rechts« allerdings, dass Savigny sich hier im Rahmen seiner rechtsdogmatischen Darstellung des zeitgenössischen Pandektenrechts von einem bemerkenswert »kritischen Verhalten zum römischen Recht« habe leiten lassen, da er sich nicht damit begnügt habe, »d a ß etwas geworden [ist], sondern […] auch nach dem W a r u m « gesucht habe, »und nicht blos nach dem ä u ß e r e n Warum, das in Wirklichkeit nur ein Wi e ist, sondern nach dem in den praktischen Zwecken und Gründen des Instituts gelegenen i n n e r e n Warum.« Eine entsprechende rechtshistorische Darstellung der »r ö m i s c h e [ n ] Rechtsgeschichte« vermisste Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 7 aber auch bei Savigny. 505 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 7 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 506 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 4. In der vermutlich vor 1884 geschriebenen und 1894 posthum veröffentlichten Einleitung zur »Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts« hatte Jhering diese Kontinuität in seinem Werk rückblickend so zusammengefasst: »Man erfährt, daß wie überall, so auch auf dem Gebiet des Rechts, die Geschichte sich in unausgesetzter Bewegung befindet, aber auf das Warum? erhält man keine Auskunft.« Mit dieser Frage »ringe« er »seit mehr als vierzig [sic!] Jahren […] ohne ihr völlig Herr geworden zu sein. Den ersten Ansatz dazu habe ich in meinem Geist des römischen Rechts gemacht, den zweiten unternehme ich jetzt« (aaO, S. 4). Mit Bezug auf seinen »ersten Ansatz« im »Geist« meinte Jhering: Der »Gedanke, der mich bei jenem Werke leitete, war : Darlegung der i n n e r l i c h e n Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t des G l e i c h z e i t i g e n im Recht. Nicht bloß des ä u ß e r e n N e b e n e i n a n d e r b e s t e h e n s des Gleichzeitigen (d o g m a t i s c h e r Z u s a m m e n h a n g ), sondern der i n n e r e n durch die G e m e i n s a m k e i t d e r t r e i b e n d e n K r ä f t e bewirkten Gleichartigkeit der Gestaltung der einzelnen Rechtsinstitute (p h i l o s o p h i s c h e r Z u s a m m e n h a n g ) . Zu dieser dort versuchten Darlegung des Zusammenhangs des G l e i c h z e i t i g e n gesellt sich in dem vorliegenden Werk die des N a c h f o l g e n d e n hinzu. Auch in dieser Richtung wiederholt sich der eben angedeutete Gegensatz des ä u ß e r e n und i n n e r e n Zusammenhangs. Jener besteht in der bloßen Reihenfolge der Rechtsthatsachen in der Z e i t (ä u ß e r e s H i n t e r e i n a n d e r ), dieser in der k a u s a l e n B e e i n f l u s s u n g der einen Thatsache durch die andere (i n n e r e s H e r v o r g e h e n des einen a u s dem Andern)« (aaO, S. 5f.). Zeit seines Lebens war Jhering davon überzeugt, dass in der Rechtsgeschichte eine »Einheit sowohl im Neben-

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Nach den historischen Gründen zu forschen hieß für Jhering, die jeweiligen »Ideen und Bestrebungen der Zeit, welche sie ins Leben riefen, und nach diesen, das ganze Rechtsleben, d. h. die Wissenschaft und das Leben sowohl wie die die Gesetzgebung beherrschenden Motive« aufzudecken507. In diesem Sinne forderte er dazu auf, sich »ganz von allen Einflüssen der modernen Bildung frei zu machen und ganz in die Anschauungsweise und sonstige Eigenthümlichkeit einer vergangenen Periode zu versetzen, in letzterer aufzugehen und sich dadurch ein zusammenhängendes und lebensvolles Bild von derselben zu schaffen«508, damit das überlieferte Recht »nicht im Licht der eignen Zustände«509, »nicht mit den Ideen des neunzehnten Jahrhunderts beurtheilt« werde510. Sonst laufe »man Gefahr, die Vergangenheit nicht nach i h r e n e i g e n e n Voraussetzungen, sondern nach den Voraussetzungen der Gegenwart zu beurtheilen und für zweckmäßig oder unzweckmäßig zu erklären, was diese Bezeichnung allerdings für unsere, nicht aber für die vielleicht völlig heterogenen Zustände der Vergangenheit verdient.«511

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einander als Hintereinander, in die Breite wie in die Länge Statt finde« [Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 61] und dass sich die historischen Ursachen für diese Einheit durch den Historiker auch ermitteln ließen. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 422. Im Grunde hatte Jhering – wie die Nachweise in der voranstehenden Fußnote belegen – damit bereits 1844 sein Lebensthema als Rechtshistoriker formuliert. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 423 sowie ferner dort Sp. 198: »Eine […] Wissenschaft, die vom Standpunkte der Gegenwart aus die Vergangenheit critisiren wollte, anstatt sich in sie zu versenken und sie mit ihrem eigenen Maaße zu messen«, wäre »nicht im Stande die Vergangenheit zu erfassen.« Vgl. auch Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 216: »Bequem ist es, die Geschichte gleich mit einem großen Kapital von Begriffen beginnen zu lassen, den ersten Aeußerungen der Staats- und Rechtsbildung von vornherein unsere heutigen Ideen unterzulegen, res publica, lex, poena, judex u.s.w. mit Staat, Gesetz, Strafe, Richter u.s.w. zu übersetzen […].« Die sich im Spätwerk Jherings findende Kritik an der unhistorischen »Projection unserer heutigen Ideen in die Vergangenheit« [Jhering, Zweck I (21884), S. 247, 255] war somit keineswegs Ausdruck einer neuen Erkenntnis. Jhering, Geist III/1 (11865), § 52, S. 65: »[…] es bedarf erst eines künstlichen Sich-Einlebens in die Vergangenheit und ihre eigenthümlichen Zustände, um die Erscheinungen, die sie uns aufweist, wirklich zu verstehen.« Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 117; Ders., Geist III/1 (11865), § 52, S. 65, 121. Jhering versuchte, im »Geist« wirklich Ernst zu machen mit dem, was die Historische Rechtsschule, aber auch Hugo, der der Romantik der Historischen Rechtsschule noch fern stand [vgl. nur Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 46; E.-J.Trojan, Grundlegung (1971), S. 120; O.Behrends, Hugo (1996), S. 202; A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 50f.], gefordert hatten: »Wer den Geist der Gesetze eines Volkes erforschen will, […] [hat] sich in alles, was auch noch so sehr von unsern heutigen Begriffen abweicht, hineinzudenken« [G.Hugo, Beyträge (1828), S. 49]. Dies vor allem gerade dort versäumt zu haben, wo das römische Recht vom neuzeitlichen Recht am stärksten abweiche, hat Jhering der frühen Historischen Rechtsschule vorgeworfen Jhering, Falcks Encyklopädie (51851), § 145, S. 288 Fn. 16 (editorischer Zusatz). Vgl. auch Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 590: »Allein hüten wir uns, unsern heutigen Maßstab an frühere Zeiten anzulegen und zu verkennen, daß [das,] was für uns werthlos sein würde, für

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Damit stand Jhering einerseits in der Tradition der Historischen Rechtsschule. War sie es doch gewesen, die die jeweilige Eigenwertigkeit des Geschichtlichen gegenüber dem a-historischen Maßstab des rationalistischen Naturrechts hervorgehoben und das »Sich-Hineinleben« in die jeweils einmaligen und nicht an bzw. mit den Vorstellungen der Gegenwart zu messenden historischen Zustände gefordert hatte512. Andererseits stellte aber bereits der junge Jhering gerade in dieser Hinsicht eine fehlende Konsequenz der Historischen Rechtsschule fest. Nur zu häufig war man nach Jhering im geschichtlichen »Vorurtheil«513 befangen geblieben und habe bei der historischen Untersuchung nicht den »gläubigen Positivismus«514 überwunden zugunsten einer die »letzten Gründe« aufdeckenden »wahrhaften Kritik des römischen Rechts«515. Was der junge Jhering – unter Verwendung einer dem damaligen Zeitgeist entspre-

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sie [sc. die Römer] vollkommen berechtigt gewesen sein kann.« Daher hielt Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 75 es auch für »eine ebenso große Verirrung, das Mittelalter mit dem Maßstabe der Gegenwart zu messen[,] wie sie sich die rationalistische Geschichtsschreibung der frühen Zeit zu Schulden kommen ließ, als der fruchtlose Versuch der Romantiker [sc. des 19. Jahrhunderts] in Literatur und Politik die Gegenwart ins Mittelalter zurückzuschrauben.« Vgl. etwa F.C.v.Savigny, System I (1840), § 19, S. 84 und allgemein im Hinblick auf die Historische Rechtsschule W.Speitkamp, Anti-Naturrecht (1997), S. 23 sowie mit Verweis auf G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 98, S. 433; § 102, S. 463 auch Giaro, Genealogie (1992), S. 544. Zu den ideengeschichtlichen Wurzeln dieser Haltung im deutschen Historismus G.G.Iggers, Dt. Geschichtswissenschaft (1997), S. 44f., 50ff. sowie – im Kontext der um 1800 erfolgenden Historisierung der Hermeneutik – J.Schröder, Analogie (1997), S. 40ff. m. w. N. In seinem im Übrigen durchaus kritischen Savigny-Nachruf (1861), S. 6 lobte Jhering daher, wie Savigny es bei »Benutzung der Quellen« des Corpus iuris civilis aus klassischer und spätklassischer Zeit verstanden habe, »sich von den Anschauungen der Gegenwart frei zu machen und in die der römischen [sc. klassischen und spätklassischen] Juristen zu versenken«. Gleichzeitig lieferten gerade Puchta und Savigny Jhering aber auch einen »frappanten Beweis dafür, wie wenig wir uns noch in das römische Formelwesen [sc. der altrömischen und vorklassischen Jurisprudenz] hineingedacht haben« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 679 sowie ergänzt durch Ders., Geist II/2 (21869), § 47b, S. 604 Fn. 861d); Ders., Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 21]. Aber gerade in so fremde Zustände wie diejenigen »der altrömischen Zeit« müsse man »sich völlig […] hineinleben« [Jhering, Besitzwille (1889), S. 539], um sie erstens historisch verstehen und zweitens ihre entwicklungsgeschichtliche Bedeutung angemessen bewerten zu können. Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 117. Jhering, Geist I (21866), § 2, S. 22. Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 9. Eine Überwindung des gläubigen Positivismus hieß für Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 589 beispielsweise, dass »das Verständniß des ganzen [sc. altrömischen] Formenwesens zu suchen ist […]. Wir sollen dasselbe nicht hinnehmen als etwas Gegebenes, bei dem man sich beruhigen müsse, bei dem man sich keine Rechenschaft geben könne, warum das Einzelne gerade so und nicht anders sei. Der Gesichtpunkt vielmehr, unter dem wir es zu erfassen haben, […] ist der einer bewußten und berechneten juristischen Schöpfung, einer tiefdurchdachten Zeichensprache, kurz eines K u n s t p r o d u c t e s des juristischen Geistes.« Vgl. auch Jhering, Besitzwille (1889), S. 133 über Rechtsbegriffe als »Ergebniß des s p e c i f i s c h j u r i s t i s c h e n D e n k e n s , «ein juristisches Ku n s t p r o d u c t «.

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chenden Terminologie516 – eine die tatsächlichen historischen Zwecke und Ursachen berücksichtigende »p hy s i o l o g i s c h e « Betrachtung des Rechts der Vergangenheit517 nannte und was er Jahrzehnte später – wiederum unter Verwendung einer dem inzwischen gewandelten Zeitgeist entsprechenden Terminologie – als »Bethätigung der realistischen Methode in Bezug auf die Rechtsgeschichte«518 bezeichnete, sollte in der rechtshistorischen Untersuchung überkommener rechtlicher Begriffe die nach Jhering bisher weithin fehlende »wahrhafte Kritik« verwirklichen. Bei der Charakterisierung dieser »wahrhaften Kritik« nahm Jhering in den fünfziger Jahren nicht nur auf die gleiche wissenschaftstheoretische Parallele Bezug wie noch dreißig Jahre später519, sondern formulierte auch das Ziel der rechtshistorischen Methode fast in gleicher Weise. So sollte abweichend von dem »im wesentlichen noch […] d e s c r i p t iv e n Charakter«520 der hergebrachten rechtsgeschichtlichen Untersuchung nach der vom jungen Jhering sogenannten physiologischen Untersuchungsmethode beispielsweise das »m o r p h o l o g i s c h e E l e m e nt « des – nach Jherings Auffassung nicht nur von Puchta verkannten521 – altrömischen und vorklassischen 516 Vgl. nur W.Lepenies, Naturgeschichte (1976), S. 126 et passim zu den Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur in der deutschen Geistesgeschichte aufkommenden »unzähligen ›physiologies‹«. Dies ist zu sehen auf dem Hintergrund der zeitgenössischen Erfolge der naturwissenschaftlichen Physiologie [vgl. dazu H.J.Störig, Wissenschaft II (1982), S. 153f.]. 517 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 14; § 4, S. 39 (Abschnittsüberschrift: »P hy s i o l o g i s c h e B e t r a c h t u n g […]. – Die Aufgabe des Historikers gegenüber dem Recht der Vergangenheit«). 518 Jhering, Besitzwille (1889), S. 539 (Kursivhervorhebung nicht im Original). In der Sache richtete sich Jhering damit wie schon vierzig Jahre zuvor gegen »die gewöhnliche äußerliche Art der Rechtsgeschichtsschreibung, die d e s c r i p t i v e Methode« der Rechtsgeschichte (aaO). Vgl. dazu auch die folgende Fußnote. Mit der naturhistorischen bzw. – wie Jhering es in Besitzwille (1889), S. 539f. selbst ausdrückte – »formalistischen Methode« der Rechtsdogmatik hat die von Jhering propagierte »r e c h t s g e s c h i c h t l i c h e H e u r i s t i k « entgegen B.J.Choe, Culpa (1988), S. 99 allerdings nichts zu tun. 519 Mit fast identischen Worten beschrieb Jhering in Geist II/2 (11858) und in Entwickl.gesch.(1894) die nach seiner Auffassung hier erkennbare wissenschaftstheoretische Parallele zwischen der zeitgenössischen Wissenschaft der Rechtsgeschichte und den zeitgenössischen Naturwissenschaften. So hatten nach Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 3 »noch im Anfang unseres Jahrhunderts […] z. B. die Zoologie und Botanik kein höheres Ziel, als die Beschreibung der äußeren Erscheinung der Tiere und Pflanzen« nach der »d e s k r i p t i v e n Methode. Der Fortschritt, den sie inzwischen vollzogen haben, besteht in der Erhebung der Morphologie zur vergleichenden Anatomie, Entwicklungsgeschichte und Pflanzenphysiologie. Auf demselben rein deskriptiven Standpunkt befindet sich zur Zeit noch die römische Rechtsgeschichte.« Vgl. damit Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 588f.: »Wie die Botanik vor gar nicht langer Zeit die natürlichen Pflanzen, so behandelt sie [sc. die Rechtsgeschichte] die Pflanzen […] kurz ihre Behandlungsweise trägt im wesentlichen noch den d e s c r i p t i v e n Charakter.« 520 Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 588. 521 Vgl. nur Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 31ff. (38) (= Ges. Aufs. I, S. 27ff. (33) zu Puchtas Umgang mit »spezifisch-römischen Rechtssätze[n]«, also Rechtssätzen, die dem

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»Formenwesens […] nicht in seiner dürren Aeußerlichkeit, sondern in s e i n e r i n n e r n Ur s ä c h l i c h ke i t «, und das hieß für Jhering schon damals in den fünfziger Jahren, als Ergebnis »einer bewußten und berechneten juristischen Schöpfung« aufgefasst und untersucht werden522. Sachlich entsprechend charakterisierte er auch noch dreißig Jahre später die »Bethätigung der realistischen Methode in Bezug auf die R e c h t s g e s c h i c h t e . […] Auf Grund dessen, was über Recht, Sitte und Art der Vergangenheit überliefert ist, beschwört sie die alte Zeit herauf nicht blos in ihren äußerlichen Verhältnissen, sondern auch in ihrer inneren Anschauungsweise, damit sie Antwort ertheile auf diejenigen Fragen, auf welche eine dürftige Ueberlieferung die Antwort versagt. Sie beginnt also recht eigentlich erst da, wo die gewöhnliche äußerliche Art der Rechtsgeschichtsschreibung, die d e s c r i p t i v e Methode aufhört.«523

Jhering wollte damit die gegen das rationalistische Naturrechtsdenken gerichtete Lehre der Historischen Rechtsschule von der »Individualität und Nationalität« des Rechts nicht nur prägnanter und weniger romantisch formulieren, sondern er forderte auch eine neue und aus seiner Sicht konsequentere Anwendung auf die Geschichte. Dass dabei auch schon der junge Jhering tatsächlich mehr tat, als nur diejenigen Konsequenzen zu ziehen, die sich aus den Grundsätzen der bisherigen Historischen Rechtsschule ergaben, wird besonders deutlich am konkreten Beispiel. So kritisierte Jhering die apodiktisch negativen Urteile Savignys oder Puchtas über die naturrechtliche Staatsvertragslehre als Ausdruck »derselben Einseitigkeit« und Ungeschichtlichkeit, mit der schon »die naturrechtliche Doctrin ihre […] Ansicht dem Staat überhaupt unterlegte«524. Scheinbar wurde die Historische Rechtsschule hier am Maßstab ihres eigenen Programms über die Geschichtlichkeit des Rechts kritisiert. Tatsächlich hatten aber der diesem Programm zugrunde liegende Geschichtsbegriff sowie die mit von Jhering so bezeichneten »zweite[n]«, »specifisch römische[n]« bzw. »rein nationalen« System [Jhering, Geist I (11852), § 6, S. 77] aus der vorklassischen Zeit der römischen Rechtsgeschichte entstammten. 522 Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 589. Deswegen hat M.Kunze, Forschungsbericht (1995), S. 141f. mit Blick auf Jherings später sogenannte »realistische Methode« dessen rechtsgeschichtliche »Physiologie« der fünfziger Jahre sogar als eine merkwürdige »Vorwegnahme seines Erkenntniswegs« in späterer Zeit bezeichnet. Merkwürdig ist diese Vorwegnahme allerdings nur dann, wenn man den Rechtshistoriker Jhering nicht von dem Rechtsdogmatiker unterscheidet. Als Rechtshistoriker hatte Jhering – um mit den Worten von Kunze, aaO, S. 141 zu sprechen – schon immer »den Ehrgeiz […], der ganzen Wirklichkeit auf die Spur zu kommen, […] das Recht selbst, nicht sein abstraktes Abbild zu erforschen.« 523 Jhering, Besitzwille (1889), S. 539. Das bisherige Fehlen einer über die dogmengeschichtliche Beschreibung hinausgehenden Kritik hat Jhering, Besitzwille (1889), S. 537 später als Punkt 3 in das »Sündenregister« der zeitgenössischen Pandektistik aufgenommen: »Gänzliche Vernachlässigung der geschichtlichen Seite der Frage« einer rechtswissenschaftlichen Konstruktion. 524 Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 218f.

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ihm verbundene »politisch-historische Grundanschauung« der Historischen Rechtsschule525 derartige »Einseitigkeiten« überhaupt nicht ausgeschlossen. Wenn Jhering in diesem Sinne daher 1865 forderte, »die alten Rechtsbegriffe […] zum Sprechen zu bringen«, weil »das Recht keine Pflanze, sondern ein Stück menschlichen Denkens und Empfindens« sei und daher eine Antwort »auf die Frage nach dem Woher und Warum?« der überlieferten Begriffe gefunden werden müsse526, dann war das keine vollkommen neue Erkenntnis, sondern in wesentlichen Teilen eine Bekräftigung dessen, was Jhering bereits früher von der Historischen Rechtsschule getrennt hatte527. Nun könnte man einwenden, dass die Zurückführung der »alten Rechtsbegriffe« auf die ihnen zugrunde liegende historische »Ursubstanz von Ideen, Anschauungen, Erwägungen« und die Sichtbarmachung des historischen »Krystallisationsprozeß[es]«, wie Jhering die Aufgabe der rechtsgeschichtlichen Untersuchung im Hinblick auf den historischen Charakter der Rechtsbegriffe formulierte528, doch im Grunde nichts anderes forderte als das von Savigny formulierte Programm, den überlieferten Stoff auf seine historische Bedingtheit hin zu untersuchen und vom geschichtlich »Abgestorbenen« zu reinigen529. Aber abgesehen davon, dass schon der frühe Jhering das Verhältnis von Dogmatik und Geschichte anders bestimmte als Savigny, indem er die historische Erforschung des Rechts nicht zur Feststellung des geltenden Rechts530 und nur im Ausnahmefall zu dessen Interpretation für notwendig hielt, beurteilte Jhering auch die Möglichkeiten und Aufgaben der rechtshistorischen Untersuchung als solcher bereits in seinen frühen Jahren 525 Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 12. 526 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 297; Ders., Besitzwille (1889), S. 77; Ders., Entwickl.gesch.(1894), S. 4. 527 So notierte Jhering schon in den vierziger Jahren, dass man nie beim jeweiligen »Resultat der historischen Entwicklung« des Rechts stehenbleiben dürfe, weil das Recht historischen Ursprungs sei. Denn »bei allen Dingen[,] welche das Werk des Menschen sind [sic!] […] begnügen wir uns nicht einfach bei dem, was ist, sondern wir gehen den Gründen nach […]« [Jhering, Rechtsphilos.Notizen, Bl. 3r]. 528 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 297. Vgl. auch Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 118: Der Historiker habe das geschichtliche überlieferte Recht, das »in scharfe Formen crystallirt ist, […] im Zustande der ursprünglichen Flüssigkeit zu denken«. 529 Auch F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1811), in: Savignyana II (1993), S. 175 hatte gefordert, »aus historischen Quellen jenen lebendigen Rechtszustand [sc. des historischen römischen Volkes] künstlich entstehen [zu] lassen«. Vgl. entsprechend Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 297, wo dieser forderte, die »alten Rechtsbegriffe […] künstlich wiederum in Fluß« zu versetzen. 530 Bei der Feststellung des »wirklich Lebendigen« im Pandektenrecht war für Jhering im Gegensatz zu den »steifen rechtshistorischen Romanisten, die nur mit einer l. ult. Cod. etc. operieren können«, allein der zeitgenössische deutschrechtliche Rechtsprinzipien einschließende »Usus modernus des römischen Rechts« maßgeblich [Losano-Briefe I /1984, Nr. 34 (Jherings Brief an Gerber vom 22. Mai 1854), S. 110]. Einem grundsätzlich anderen Zweck dienten nach Jhering aber die von ihm sogenannten »spezial-« und »universalhistorische[n]« Betrachtungen des Rechts [Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3].

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deutlich anders als die älteren Vertreter der Historischen Rechtsschule. So wie der junge Jhering diese Aufgabe verstanden hat, musste er nämlich notwendigerweise bald darauf stoßen, dass der Historischen Rechtsschule die Entdeckung der Geschichte zwar zur Begründung einer nur beschränkten Handlungsfreiheit des Gesetzgebers in der Gegenwart diente531, dass aber historisch die Aufdeckung der nicht romantisch idealisierten »wirklichen Flächen und Niederungen in der Geschichte«532, der Nachweis des Charakters des Rechts als bis in seine »treibenden Kräfte […] im tiefsten Innern«533 erforschbares »M e n s c h e n werk«534 gar nicht in der Absicht der Historischen Rechtsschule gelegen hatte535. Aber genau das, die rechtsgeschichtliche Erforschbarkeit dieses »Menschenwerks«, beabsichtigte schon der junge Jhering im »Geist des römischen Rechts« zu zeigen, wenn er dort versuchte, die geschichtlichen auch vorrömischen Anfänge dieses Rechts aufzudecken536. Der dort unternommene, allerdings nicht an den Ergebnissen moderner Rechtsgeschichtswissenschaft zu messende Versuch, die historische Denk- und Vorstellungsweisen namhaft und die Abhängigkeit römischer Rechtsformen und Rechtsinhalte von ihnen sichtbar zu machen, beruhte gerade auf der ausdrücklich formulierten Voraussetzung, dass weder Staat noch Recht »auf übernatürliche Weise durch Wunder«537 oder

531 F.C.v.Savigny, Zweck (1815), S. 3f., 6 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 262, 264). Vgl. dazu H.Hattenhauer, Einleitung (1973), S. 48–50 sowie auch schon A.Merkel, Jhering (1893), S. 20. 532 Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219. Zu dieser »wirklichen Geschichte« gehörte nach Jhering beispielsweise auch das Verhältnis des zeitgenössischen Rechts zur »s.[o] g.[enannten] sociale[n] Frage in Rom«, ein »Gegenstand, den die römische Alterthumswissenschaft […] längst hätte erledigen müssen, aber noch nicht erledigt hat« [so Jhering in einem Brief vom 12. Dezember 1854 an Gerber, wieder abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 32, S. 98]. 533 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 36. 534 Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219. Schon dort kritisierte Jhering, dass es »unserer heutigen historischen Ansicht« schwerfalle, »zuzugeben«, dass die Ursprünge des Rechts auf »den frei handelnden Menschen« zurückzuführen seien [Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219]. Aber eine Auffassung, die – wie Jhering 1865 zwar in der Form schärfer, in der Sache aber gleich formulierte – in einer »ehrfurchtsvollen Scheu« vor der Geschichte bewußt den »Ursprung [sc. des Rechts] in undurchdringliches Dunkel gehüllt« belasse, entwürdige den Menschen und erniedrige das Recht [Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 297]. 535 Zu den Gründen H.Hattenhauer, Einleitung (1973), S. 48–50 sowie F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 424. 536 Vgl. dagegen jüngst wieder O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 104ff., 112, 121ff., 128, der gerade in der Erkenntnis, dass das positive Recht auf menschliche Entscheidungen statt auf einen göttlichen Ursprung zurückzuführen sei, den »zentralen Punkt« der »scharfen, radikalen Kehrtwendung« erblickt (aaO, S. 121), die Jhering 1858/59, also zu einem Zeitpunkt, als drei der vier Bände vom »Geist« bereits erschienen waren, eingeleitet habe. 537 Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219.

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sonst »über Nacht und auf geheimnisvolle Weise zur Welt gekommen«538, sondern »in prosaischer Weise durch Menschenhand gemacht« worden seien539. Das hat Jhering nicht erst 1865, sondern bereits 1852, also lange vor seinem sogenannten Umschwung um 1860, gegen die »Romantik unserer heutigen historischen Ansicht« gerichtet540. Eine pauschale Charakterisierung von Jherings Rechtsdenken der Frühphase als »begriffsgläubig« oder »aprioristisch« im Gegensatz zum »historisch-kritischen« Denken der Spätphase541 läuft daher Gefahr, Unterschiede etwa zu Savigny oder auch Puchta im entwicklungstheoretischen Ansatz des jungen Jhering zu verdecken542. Distanzierte sich Jhering doch bereits im ersten Band seines »Geist« von der vor allem durch Savigny und Puchta repräsentierten »Romantik« und deren ganz ungeschichtlicher Neigung, der »Prosa« der Geschichte, nämlich der historisch beantwortbaren »Frage nach dem Werden des Staats und Rechts lieber gänzlich auszuweichen […] als zuzugeben«, dass es sich um ein »M e n s c h e n werk« handele543, dessen UrJhering, Geist I (11852), § 9, S. 101 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219. Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219. Diese Entgegensetzung formuliert O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 76–78, 91f., 149f., 165, 169ff., 177f. Fn. 165. Behrends, aaO, S. 76f. meint, dass Savigny und – in einem Savigny noch übersteigenden Maße – Puchta und der junge Jhering in dem Sinne »begriffsgläubig« waren, als sie in den vom klassischen römischen Recht überlieferten Rechtsbegriffen »keine menschlichen Artefakte« erblickten, sondern der menschlichen Reflexion und Verfügungsgewalt vorgegebene Offenbarungen. 542 Eine ganz andere vom Historiker zu beantwortende Frage ist es hingegen, inwieweit Jherings Erklärungsversuche der römischen Dogmatik gemessen am Maßstab der modernen Rechtsgeschichtswissenschaft »historisch-kritisch« waren. Vgl. zum Mangel »wirklich historischer Einsicht« bei Jhering etwa O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 24 sowie auch unter Einbeziehung von Jherings Spätphase O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 101, 121, 126ff., 129ff., 133f., 138ff., 140ff., 152f., 154–162, 167, 169f., 181f.]. Im Hinblick auf die nach O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 24 von der modernen Romanistik »erst neuerdings in ersten Ansätzen erforschten« tatsächlichen historischen und ideengeschichtlichen Entstehungsbedingungen der römischen Dogmatik wäre allerdings eher das Vorhandensein »wirklich historischer Einsicht« bei Jhering verwunderlich. Denn im heutigen Sinne eines »historisch-kritischen« Verständnisses werden wohl nicht nur Jhering oder Savigny, sondern sämtliche mit der Geschichte des römischen Rechts beschäftigten Historiker im 19. Jahrhundert nicht in der Lage gewesen sein, die »Begrifflichkeit der spätklassischen römischen Jurisprudenz auf ihre jeweils eigenen Bedingungen zurückzuführen« [so O.Behrends, Savigny (1985), S. 301 historisch-kritisch über Savigny] bzw. die von Behrends namhaft gemachten wahren »historischen Gründe für den […] hohen philosophischen Sättigungsgrad des römischen Rechts« aufzudecken [O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 144 und S. 101, 144, 169 sowie ferner Behrends Anmerkungen zu Jherings im selben Band abgedruckter Wiener Antrittsvorlesung aaO, S. 56f. Fn. 55; S. 89 Fn. 112; S. 60 Fn. 61]. 543 Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219. Das wiederholte Jhering in Geist III/1 (11865), § 48, S. 7 nur, wenn er dort dreizehn Jahre später schrieb, die Historische Rechtsschule »repräsentirt auf dem Gebiet u n s e r e r Wissenschaft ganz dieselbe Erscheinung, wie die romantische Schule auf dem der Literatur, allein wie letztere mit ihrer poetischen Auffassung […] seit

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sprünge in die Geschichte fallen und folglich durch den Historiker entdeckt und erklärt werden müssen und grundsätzlich auch erklärt werden können544. In diesem Zusammenhang ist es auch zu sehen, dass Jhering wiederholt und entgegen der in der Historischen Rechtsschule vorherrschenden Ansicht den besonderen »Reiz«545 betonte, den gerade das altrömische Recht und sogar die vor der Zeit jeglicher Quellenüberlieferung liegende »vorhistorische« Zeit für den Historiker habe. Denn Jhering meinte im Rahmen seines Konzepts der sogenannten produktiven rechtshistorischen Forschung, durch »historische Analogien« bzw. aufgrund von »Rückschlüssen vom spätern aufs frühere Recht« die »ursprüngliche, vorhistorische Gestalt« des Rechts trotz Fehlens historischer Belege »reconstruiren« zu können546. So eigentümlich Ziel und Methode aus heutiger Sicht auch erscheinen mögen und zumindest teilweise auch aus zeitgenössischer Sicht schon erschienen547, so ist doch in diesem Zusammenhang Jherings Motiv für die »Rekonstruktion« des »Vorhistorischen« entscheidend. Es ging Jhering nämlich nicht darum, durch ein »bloßes Phantasiebild« von der Vergangenheit548 »der Geschichte etwas abzugewinnen, was sie uns versagt hat«549, sondern darum, das spätere mit bereits erhaltenen Quellenzeugnissen belegbare »Recht der historischen Zeit dem Verständniß zugänglich zu machen«550, »uns bewußt zu werden, aus welchen Ideen und Anschauungen das Recht der historischen Zeit hervorgegangen ist«551. Denn der für Jhering entscheidende Gesichtspunkt war es, bei dieser »Rekonstruktion« zu zeigen, dass

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geraumer Zeit einer prosaischen, aber wahren Auffassung gewichen ist, so möchte es an der Zeit sein, der Poesie […] die Prosa der Geschichte entgegenzuhalten.« Es kann somit entgegen J.Rückert, Autonomie (1988), S. 69 keine Rede davon sein, dass der frühe Jhering wie Savigny das Recht der »unmittelbaren Gestaltung durch Gesetz oder gar ›Volk‹ entzogen« habe. Die Äußerung Jherings, auf die sich Rückert bezieht, steht in einem ganz anderen Kontext (vgl. dazu oben S. 111 Fn. 469). Richtig dagegen bereits A.Merkel, Jhering (1893), S. 18f. Wie schon in Geist I (11852), § 7, S. 85 meinte Jhering auch in Geist III/1 (11865), S. 298, dass er diesem »Reiz« für den Historiker »Nichts an die Seite zu stellen wüßte«. Jhering, Geist I (11852), § 7, S. 89; § 11, S. 118 und in neuer Formulierung, aber sachlich unverändert Jhering, Geist I (21866), § 11, S. 120. Vgl. ferner auch Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 14. Vgl. nur die bereits oben S. 106 Fn. 447 angeführten Nachweise zu kritischen Reaktionen von Zeitgenossen Jherings. Soweit Jhering bereits den »unfreundlichen Urteile[n] der Fachgenossen« ausgesetzt war [so R.Leonhard, Nachruf (1893), S. 262], ist allerdings auch in Rechnung zu stellen, dass schon Jherings besonderes Interesse und seine vom »gangbare[n] entgegengesetzte[n] Urtheil« abweichende Wertschätzung [Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 21] für das im Vergleich zum klassischen römischen Recht weithin für primitiv gehaltene altrömische Recht im Zeitalter der Historischen Rechtsschule vollkommen unüblich war (vgl. nur R.Leonhard, aaO). Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 118. Jhering, Geist I (21866), § 11, S. 120. Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 118. Jhering, Geist I (21866), § 11, S. 120.

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alles Recht in seinen »vorhistorischen« Anfängen nicht weniger als in späterer Zeit »Menschenwerk« und daher der Prozess seiner historischen Entstehung allenfalls vom Historiker bisher unentdeckt, in keiner Weise aber »geheimnisvoll« (Savigny) bzw. in »dunkler Werkstatt« (Puchta) der historischen Forschung von vornherein entzogen sei552. Der Historiker hatte sich nach Jhering daher nicht – wie Puchta noch meinte – auf die Konstatierung des entstandenen Rechts zu beschränken (»dunkle Werkstätte«)553, sondern er habe im Gegenteil – so Jhering schon 1852 – dem »Ursprung des Rechts […] den Nimbus göttlicher Entstehung«554 zu nehmen, »die Werkstätte zu belauschen und in das Geheimniß des W e r d e n s einzudringen«555 bzw. – so Jhering 1865 – »dem menschlichen Geist nachzuschleichen auf den dunklen Pfaden seiner vorhistorischen Thätigkeit«, um »dem menschlichen Geist zurückzuerobern, was sein eigen ist«556. Die Anwendung des Grundsatzes der »N i c ht - Quellenmäßigkeit«557 auch auf die sogenannte vorhistorische Geschichte war somit vor allem eine Kritik Jherings an der »historische[n] Jurisprudenz«, die geglaubt habe, da, »wo die Quellen aufhören, […] auch aufhören zu müssen«558. Dieser entscheidend über die Historische Rechtsschule hinausreichende Ansatz kann im Frühwerk Jherings leicht übersehen werden559, da Jhering sich hier noch weitgehend der Terminologie der Historischen Rechtsschule bediente. So knüpfte Jhering zu Beginn des 1852 erschienenen ersten Bandes seines Werkes »Geist des römischen Rechts« im Rahmen der geschichtlichen Betrachtung des Rechts560 zwar ausdrücklich an den Begriff des »Organismus« an, wodurch »wir […] dem Recht die Eigenschaften eines Naturproduktes« beilegen561. Sieht man aber genauer hin, so kann man feststellen, dass Jhering die 1852 552 F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1812), in: Savignyana II (1993), S. 182.; G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 12, S. 30. Vgl. dazu auch J.Rückert, Savigny (1984), S. 311. 553 G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 12, S. 30. Bereits G.W.Wetzell, Puchta-Nachrufe (1846), S. XLVI hatte in einem Nachruf diese Auffassung Puchtas kritisiert: »[…] die bewegenden Kräfte in ihren lebendigen Trieben lernen wir nicht kennen […].« Genau diesen »Trieben« und »Grundtrieben« wollte der junge Jhering nachgehen. 554 Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 104. 555 Jhering, Geist I (11852), § 7, S. 85. 556 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 298. 557 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 5 (= Ges. Aufs. I, S. 4). 558 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 299. Jherings diesbezügliche Persiflage in »Plaudereien eines Romanisten (1880)« [wieder abgedruckt bei: Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 125f.] ist keineswegs als Distanzierung auch in der Sache zu verstehen. Denn dass »auf dem Wege der historischen Combination zu ergänzen« sei, was »die Quellen uns an positiven Zeugnissen vorenthalten«, hat Jhering, Besitzwille (1889), S. 116, 539f. auch noch später bekräftigt. 559 Dies gilt zum Beispiel für die Ausführungen von B.Klemann, Jhering (1989), S. 123f. 560 Dagegen lehnte Jhering den Ausdruck und die Vorstellung des Rechts als »Organismus« für die juristische Dogmatik des Rechts bereits in den fünfziger Jahren entschieden ab. 561 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 13.

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bereits etwas überholt wirkenden Metaphern der Historischen Rechtsschule562 an dieser Stelle verwendete, um auszudrücken, dass das »Wachsthum« des Rechts nur scheinbar für den Menschen nicht weiter erklärbar »von innen heraus«563 erfolge. Denn wie »die Pflanze, die sichtbar nichts äußeres aufnimmt, doch aus der Erde und der Luft ihre ganze Nahrung zieht, so erhält auch jedes Recht aus dem Erdreich, in dem es wurzelt und aus der Atmosphäre, in der es wächst, unmerklich die Elemente seines Lebens. Während es geschieht, sieht unser stumpfes Auge es nicht, aber nachdem es geschehen, kommen wir durch die Wirkung zur Erkenntniß der Ursache«564 bzw. zur »Werkstätte der Geschichte«565,

und das heißt zu einer Antwort auf die Frage nach dem geschichtlichen »Warum?«566. Jhering benutzte hier somit den »heutzutage sehr beliebte[n]« Vergleich des Rechts mit der Natur, um zu kritisieren, dass dieses »Bild« in Wahrheit »nicht selten« bloß »ein prunkendes Aushängeschild [sei], hinter dem sich eine ganz mechanische Behandlungsweise verbirgt«567, eine Behandlungsweise, die die tatsächliche »Physiologie« des Rechts, nämlich das für jeden Be-

562 Vgl. nur die bei R.Gmür, Savigny (1962), S. 13 Fn. 12 und H.Coing, Organismus (1973), S. 151ff. angeführten Nachweise zu Savigny, der die von ihm geschätzte Organismus-Metapher in den verschiedensten sachlichen Zusammenhängen verwendete. 563 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 13. 564 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 37. Das an dieser Stelle verwendete Bild von der Pflanze erschien Jhering daher auch noch 1866 bei Besorgung der zweiten Auflage des ersten Bandes nicht anstößig, als er in dem übrigens seit dieser Auflage nicht mehr »Psychische Organisation«, sondern »Der Geist des Rechts« betitelten Abschnitt die Pflanzen-Metapher beibehielt und auch in späteren Auflagen nicht strich, obwohl er im Übrigen Text zahlreiche Streichungen, darunter auch unmittelbar nach der die Pflanzen-Metapher enthaltenden Textstelle, vorgenommen hat. 565 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 37. Zwar meinte Jhering dort auch: »Der Historiker findet hier also ein fruchtbares Feld für seine Thätigkeit vor, aber verhehlen wir uns nicht, zugleich ein sehr schlüpfriges«. Trotzdem bekräftigte er in Geist III/1 (11865), § 59, S. 297f.: »Ob diese Aufgabe mehr verwegen, als lösbar [ist], darüber will ich Jedem seine Zweifel zu gute halten, jedenfalls ist sie eine der anziehendsten und dankbarsten, denen ich im ganzen Verlauf meines Werks begegnet bin. Und »je mehr es bisher versäumt worden ist, in diese Tiefen hinabzusteigen, um so lohnender ist es […].« 566 Vgl. Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 4 mit unmittelbarem Bezug auf den »Geist des römischen Rechts«. In Zweck II (11883), S. 112f. argumentierte Jhering im Hinblick auf die Frage nach den geschichtlichen Ursachen für die Entstehung sittlicher Vorstellungen im Individuum ganz ähnlich: Es bedürfe erst der Wissenschaft, um die Vorstellung vom angeborenen, also »von innen« aus dem Individuum heraus entstandenen Rechtsgefühl zu widerlegen, denn die »dem unbewaffneten Auge nicht wahrnehmbaren in der Luft« liegenden Einflüsse erfolgten historisch »in einer so unscheinbaren Form […], daß jede Controle […] über die von aussen erfolgte Aufnahme ausgeschlossen ist […] wir athmen sie ein, ohne uns dessen […] bewusst zu werden.« 567 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 13.

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reich und für jede Epoche im Einzelnen zu klärende Verhältnis zwischen historischer Rechtswirklichkeit und damals geltendem Recht ausblende. Das gegenüber der bisherigen Historischen Rechtsschule Neue in den Schriften des jungen Jhering zu erkennen, wird auch dadurch erschwert, dass Jhering zentrale Ausdrücke in mehrfacher Bedeutung verwendete568. Wenn Jhering etwa 1844 die »Durchführung der systematischen Methode«569 forderte, so meinte er damit das, was er in dem seit 1852 erscheinenden »Geist des römischen Rechts« selbst zu leisten versuchte, nämlich die »Schilderung der realen Entwicklung des Rechts (was ich hier System nenne)«570. Dieses »System« sollte nach Jhering nicht »eine Theorie, ein logisches System, sondern die rechtliche Gestaltung der [sc. jeweiligen] Wi r k l i c h ke i t « bezeichnen571. Zu Recht weist daher Athanasios Gromitsaris darauf hin, dass sich dieser von Jhering im Rah568 Das gilt zum Beispiel für den Ausdruck »Prinzip«. So nannte Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 36 die von den jeweiligen Zeitgenossen nie vollständig reflektierbare historische Anschauungsweise einer Rechtsepoche auch »allgemeine P r i n z i p i e n , die als solche gar keiner Anwendung fähig sind«, mithin – wie auch L.Enneccerus, Savigny (1879), S. 32 noch einmal hervorgehoben hat – keine Rechtssätze seien. Sie ließen sich nach Jhering auch »nicht in Form derselben [sc. Rechtssätze] fassen«, und die jeweiligen Zeitgenossen dränge nicht einmal ein praktisches Bedürfnis dazu, »sich ihrer bewußt zu werden« (aaO, § 3, S. 36). Diese tatsächlichen »Prinzipien« ohne imperativischen Normcharakter und ihre von Jhering sogenannten »Folgesätze«, nämlich beispielsweise der das altrömische Recht charakterisierende Formalismus und seine »Ausflüsse« in geltenden Rechtsformen und der historischen Rechtswirklichkeit [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 41 (= Ges. Aufs. I, S. 36)], sind in Jherings Sprachgebrauch kategorial unterschieden von den »Rechtsprinzipien«, nämlich den rechtlichen »Prinzipien« im Sinne von lediglich weiter gefaßten Rechtsregeln mit normativ-juristischem Geltungsanspruch. Offenbar um den aus dieser doppelten Verwendung des Prinzipienbegriffs resultierenden Mißverständnissen vorzubeugen, hat Jhering später selbst in Geist I (21866), § 3, S. 45 den Ausdruck »Prinzipien« im erstgenannten Sinne in einer weniger missverständlichen Weise durch die Ausdrücke »Gedanken« bzw. »Charakterzüge« ersetzt. Bis heute wird dieser doppelte Prinzipienbegriff Jherings aber zumeist übersehen, etwa wenn D.Nörr, Lehrjahre (1994), S. 274 Fn. 74 bei Jhering deswegen nur noch wenig von Savignys Sprachgebrauch spürt, weil Jhering in »Unsere Aufgabe« »Anschauung und Prinzip« gleichsetze und »beide den einzelnen Rechtsregeln entgegen[setze]«. Dagegen hat A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 198f. Fn. 60 auf die unterschiedliche – nach Auffassung von Brockmöller sogar dreifache – Bedeutung des Ausdrucks »Prinzip« bei Jhering hingewiesen. 569 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 534, 424. Er nennt es auch die »organische oder systematische Methode (Sp. 422) bzw. die »organische Behandlung der Rechtsgeschichte« (Sp. 535). 570 Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 69 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Wie eigentümlich diese Begriffsverwendung auch schon den Zeitgenossen erschien, ergibt sich aus der Rezension der ersten Auflage von Jherings Geist II/1 durch T.Brackenhoeft, Geist II/1Rezension (1855), S. 133: »Sofern das zur Charakteristik des Rechtssystems gehören soll, muss der Verf.[asser] unter dem System nicht, wie gewöhnlich geschieht, eine geordnete Zusammenstellung der Normen des Rechts, sondern den Zustand des Rechts verstehen. Es muss das hier hervorgehoben werden, um die Manier des Verf.[assers] zu bezeichnen.« 571 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 50.

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men seiner rechtshistorischen Darstellungsmethode verwendete Begriff des historischen Systems »vom pandektistischen Systembegriff völlig abhebt«, indem er Bezug nehme auf »das Rechtssystem als ein System der sozialen Realität, als ein Teilsystem der Gesellschaft«572. Nachdem in der Rezeptionsgeschichte von Jherings vor 1859 entstandenem Werk dieser spezifisch rechtshistorische Systembegriff Jherings nur zu oft übergangen worden ist, darf man allerdings auch nicht in das andere Extrem verfallen und Jherings rechtsdogmatisch pandektistischen Systembegriff ausblenden. Das historisch reale »System« im Sinne von Jherings rechtshistorischer Darstellungs- und Untersuchungsmethode, das die jeweils zu konstatierende tatsächliche »Function des Rechts« in einer bestimmten Rechtsepoche, also die für das Recht relevanten »realen Zustände d i e s e s Volkes und d i e s e r Zeit« so weit als möglich rekonstruieren und für die Nachwelt begreifbar machen sollte573, ist zu unterscheiden von Jherings Begriff des Rechtssystems, mit dem er Bezug nahm auf die jeweils rechtsdogmatisch relevanten »Rechtssätze, Rechtsbegriffe, Rechtsinstitute« einer positiven Rechtsordnung574. Es war nämlich diese Unterscheidung, die Jhering zum Ausdruck bringen wollte, wenn er 572 A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 62. Nach Gromitsaris, aaO hatte Jhering damit – so der Untertitel der Untersuchung – wichtige »Grundlagen des deutschen Rechtsrealismus« vorweggenommen. 573 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 41. In diesem Sinne sprach Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 50 auch von der »reale[n] Natur« des Rechts. Letzteres war somit nicht – wie B.Klemann, Jhering (1989), S. 134 meint – ein Beleg für »die Enge seines Gesichtsfeldes«, sondern ganz im Gegenteil Ausdruck für Jherings Bemühen, unabhängig von der rechtsdogmatischen Bewertung des jeweils geltenden Rechts frühere Rechtszustände in ihrer historischen Wirklichkeit zu erfassen und darzustellen. Wieweit Jhering damit im Falle des römischen Rechts auch tatsächlich der jeweiligen historischen Rechtswirklichkeit näher gekommen ist, ist allerdings eine andere von den Historikern zu entscheidende Frage. 574 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 12. Dieser wichtige Unterschied zwischen Jherings Systembegriff im Rahmen seiner besonderen rechtshistorischen Methode zur Darstellung der Entwicklungsphasen des römischen Rechts und dem Begriff des Rechtssystems im Sinne der Rechtsdogmatik wird nach wie vor in vielen Interpretationen von Jherings Werk übersehen. Vgl. nur M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 149f., DERS., Studien (1984), S. 122f. und W.Fikentscher, Methoden, S. 194 sowie auch W.Fikentscher/ U.Himmelmann, Iherings Einfluß (1995), S. 106, die Jherings historische »Systeme in der Zeit« nicht von der systematisch »logischen Seite des Rechts« unterscheiden. Dies hat nicht selten – wie W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 285 Fn. 243 vollkommen zu Recht mit Blick auf Ausführungen von Walter Wilhelm bemerkt – zu einem »allerdings befremdlichen Ergebnis« bei der Darstellung von Jherings Auffassungen geführt. So ist beispielsweise W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 116 durch die fehlende Unterscheidung von Jherings rechtshistorischem und pandektistischem Systembegriff in seiner Interpretation zu dem weitreichenden Ergebnis gelangt, dass Jherings Auffassungen angeblich »auf eine methodische Widerlegung der Geschichte durch die Logik« hinausgelaufen seien. M.G.Losano, Studien (1984), S. 31 glaubt aus denselben Gründen, dass Jhering in seiner Frühzeit »eine historische Erklärung des Rechts nach der logischen Konstruktionsmethode« versucht habe.

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Die Ablösung des Volksgeists als Geltungsgrundlage des positiven Rechts

meinte, dass das jeweils rechtshistorisch reale »System« des Rechts »nicht begriffen und beurtheilt werden kann, wenn man es bloß von Seiten seiner anatomischen Structur, seiner logischen Durchbildung, kurz als Rechts s y s t e m [sc. im rechtsdogmatischen Sinn] erforschen und darstellen will«575. Für Jherings »systematische Methode« im Rahmen der rechtshistorischen Untersuchung gilt im Übrigen das, was Jhering selbst über die Diskrepanz historischer und zeitgenössischer Vorstellungs- und Ausdrucksweisen gesagt hat. Jherings Begrifflichkeit zur Charakterisierung der »produktiven« rechtshistorischen Methode muss selbst historisch verstanden werden und darf nicht mit den Augen heutiger Rechtsgeschichtsforschung gelesen werden, für die nicht nur methodisch, sondern auch im Hinblick auf die Wissenschaftsterminologie strengere Maßstäbe gelten. Für Jhering standen bei der Beschreibung der Mittel der produktiv rechtsgeschichtlichen »Combination« Ausdrücke wie »innere Nothwendigkeit«, »Kriterium der Wahrheit«, »Operation«576, »Deduktion«577, der Schluss »vom Bekannten auf das Unbekannte« in noch keinem Gegensatz zu Begriffen wie »Kunst«, »Phantasie« und Einfühlungsvermögen des Rechtshistorikers578. Auch Jherings Übertragung der Begrifflichkeit der juristischen Methode auf seine rechtshistorische Methode produktiver Rechtsgeschichtsforschung579 verdunkelt eher, dass sich letztere auf einen ganz anderen Gegenstand, nämlich auf die historische Rechtswirklichkeit, also auf Vorgänge und Tatsachen bezog und dass deswegen das historische »Construiren« in vollständigem Gegensatz zur juristisch-dogmatischen Konstruktion immer nur »im Gewande der Vermuthung«580 bzw. »im Gewande der Hypothese«581 auftreten konnte582. Ohnehin war 575 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 47, 50; Ders., Geist II/1 (11854), § 22, S. 8. In seinen späteren Jahren sollte Jhering nur noch in diesem rechtsdogmatisch pandektistischen Sinne vom »System« sprechen, während er das System im Sinne einer bestimmten entwicklungsgeschichtlichen Phase der historischen Rechtswirklichkeit nun – wie teilweise, etwa in Geist I (11852), § 5, S. 53, schon früher – nur noch als »historischen Zusammenhang« des Rechts bezeichnete [Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 32]. 576 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 423. 577 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 35. 578 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 423. Vgl. auch Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 34: »Da muß denn die historische Kombination das ihrige thun […] der historische Blick, das Divinationsvermögen, welches mit Hülfe der Phantasie die Vergangenheit im Geist heraufbeschwört und ihr die Antwort auf Fragen entlockt, auf welche die historische Überlieferung sie versagt.« Die Vorstellung, dass »Wissenschaft« und »Kunst« keinen Gegensatz darstellen, wie auch die Redeweise von der historischen Rekonstruktion durch »historische Kombinationen« finden sich im Übrigen auch in der allgemeinen Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts [W.Hardtwig, Historie (1978), S. 19f.]. 579 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 423. 580 Jhering, Geist II/2 (11858), S. XVIII (Vorrede), § 42, S. 430 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 581 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 34 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Vgl. auch Losano-Briefe I /1984, Nr. 21, S. 70; Nr. 120, S. 351 sowie Jherings Kritik an Gustav Lenz:

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Jherings Bezeichnung der »historischen Combination« als produktiver Rechtsgeschichte nicht gerade dazu geeignet, überzeugend zu vermitteln, dass Jhering nicht etwa »der Vergangenheit […] potentiellen Reichthum als actuellen, wirklichen andichten«583 wollte, sondern dass es ihm um eine Rekonstruktion der mutmaßlichen historischen Wirklichkeit ging und daher auch allenfalls im Hinblick auf rechtshistorischen Erkenntniszuwachs, nicht aber im Hinblick auf die rechtsgeschichtliche Wirklichkeit »von wirklichen […] Productionen die Rede sein« könne584. Die von Jhering selbst »paradox« genannte Auszeichnung der »Was er an Hypothesen bei Puchta (das rheinische Prinzip seligen Andenkens!), Göttling, mir u.s.w. zusammenraffen kann, gilt ihm als ausgemachte historische Wahrheit […] eine […] Frechheit des Construirens ins Blaue hinein […]« [Losano-Briefe I /1984, Nr. 28 (Jherings Brief an Gerber vom 28. 10.1853), S. 86]. Vom »rheinischen Prinzip« Puchtas wird Jhering im handschriftlichen Original seines Briefes entgegen der Wiedergabe in der Briefedition durch Mario G. Losano allerdings kaum gesprochen haben, sondern vom »rhamnischen« bzw. »rhamnitischen Prinzip«. G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 38, S. 124ff.; § 43, S. 148f.; § 73, S. 275 et passim hatte nämlich noch in Anlehnung an die antike Überlieferung das römische Volk auf drei unterschiedliche »Stammestribus«, darunter die »Ramnes« zurückgeführt [vgl. insoweit M.Kaser, Röm.Rechtsgesch. (21967), S. 32, 34] und daraus Folgerungen für die Inhalte des Rechts in den Frühzeiten der römischen Geschichte abgeleitet [vgl. dazu H.-P.Haferkamp, Puchta (2004), S. 347f. m. w. N.]. So sprach Puchta im Hinblick auf die ursprüngliche »Herrschaft des öffentlichen Rechts, die Unterordnung des Privatrechts« von einem sogenannten »ramnischen Princip« im Recht [G.F.Puchta, Grundzüge (undat.), S. 613]. Dazu meinte Jhering schon in einem Brief vom 26. Oktober 1852 an Bachofen: »Aber, wenn wir dann doch einmal streng sein wollen, wie manches hat der gute Puchta doch auch in das älteste Recht hineinconstruirt! Sein rhamnitisches Prinzip! Ich glaube, meine drei Prinzipien [sc. im ersten Band vom «Geist des römischen Rechts»] brauchen nicht davor zu erröthen. Und doch läßt man Puchta dies durchgehen, betet es vielleicht nach« [Bruckner-Briefe/1934, Nr. 7, S. 70 sowie auch Jhering, Geist II/2 (11858), S. XVI]. Aus der Sicht der Romanistik des 20. Jahrhunderts spricht F.Wieacker, Jhering (1969), S. 13f. in einer gesonderten Würdigung von Jhering als Rechtshistoriker allerdings auch von dessen »unzureichend verifizierten Hypothesen« und der »Willkürlichkeit mancher Kombinationen«. 582 Vgl. nur Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 32f., wo Jhering die »Beweisführung des Dogmatikers […] ebenso wie die des Mathematikers« der prinzipiell davon zu unterscheidenden »Beweisführung des Historikers« gegenüberstellte. Diesen wichtigen Unterschied zwischen historischer und juristischer »Konstruktion«, zwischen historischen und juristischen »Prinzipien« verkennt W.Wilhelm, Theorie (1972), S. 110f., wenn er einen Zusammenhang herstellt zwischen Jherings »produktiver« Rechtsgeschichte und Gerbers rechtsdogmatischem Versuch, »mittels anatomischer Operationen« aus den vielen geltenden partikulären deutschen Privatrechten ein einheitliches »gemeines deutsches Privatrecht« abzuleiten [C.F.W.Gerber, System (11848), § 10, S. 244; § 12, S. 272f.]. Diese konstruierte gemeindeutsche Privatrechtsordnung, der es nach Gerber zwar an juristischer Geltung, nicht aber an juristischer Wahrheit fehlte, hatte mit Jherings rechtshistorischen »Hypothesen« und »Vermuthungen« über die verschiedenen jeweiligen »treibenden Gedanken« bzw. »Prinzipien« einer geschichtlichen Epoche nichts zu tun. 583 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 24 Fn. 11. 584 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 7 (= Ges. Aufs. I, S. 6). Wohl aus diesem Grunde hat Jhering nach 1856 im Zusammenhang mit der historischen Kombination auch nicht mehr

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»neuen Richtung […] durch die Nicht-Quellenmäßigkeit«585 bedeutete nicht, dass Jhering statt »Quellen [zu] lesen […] Quellen machen« wollte, wie er selbst »die dichterische Phantasie, die an den rein rechtshistorischen Problemen kein Genüge findet«, kritisierte586. Vielmehr ging es Jhering darum, die überlieferte »Formulirung« in Rechtssätzen jeweils »einer Kritik [sc. zu] unterwerfen«587 und »Zerrbilder«588 von der geschichtlichen Rechtswirklichkeit zu »berichtigen und [zu] vervollständigen«589. Daran hat Jhering im Bewusstsein der Gradwanderung zwischen geschichtlicher Untersuchung und reiner Spekulation sowohl bei konkreten Untersuchungen590 wie auch in grundsätzlichen Stellungnahmen591 immer

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von »Produktion« gesprochen. Vgl. zu diesem Unterschied zwischen rechtshistorischer und rechtsdogmatischer »Konstruktion« auch S.Jørgensen, Jhering (1970), S. 118. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 5 (= Ges. Aufs. I, S. 4). Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 267, 274f. Schon in Geist II/2 (11858), S. XV und in Unsere Aufgabe (1856), S. 6 (= Ges. Aufs. I, S. 6) hatte Jhering sich über den Rechtshistoriker mokiert, dem »die Ausgeburten seiner eigenen Phantasie erscheinen.« Seine Kritik zielte besonders auf die rechtshistorischen Darstellungen von J.Christiansen und G.P.E.Huschke [vgl. den Brief von Jacob Grimm vom 23. April 1842, abgedruckt in: Schoof-Briefe (1960), Nr. 187, S. 322: »Huschke (oder wie man scherzend spricht ›Bovicus‹«)] und lässt sich bis auf seinen anonym erschienenen Artikel in Hist. Schule (1844), Sp. 423f. Anm.* zurückverfolgen. So machte sich Jhering bereits dort und nicht erst in den »Plaudereien eines Romanisten« (1880), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 191ff. über Huschkes naturgeschichtliche »Erfindung« einer Tierart namens »bovigus« lustig [vgl. dazu O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 114 mit Fn. 14]. Über Christiansens rechtshistorische »Erfindungen« spottete im Übrigen auch schon G.F.Puchta, Christiansen-Rezension (1838), S. 504: »[…] es muss auch solche Käuze [sc. wie Christiansen] geben.« Maßvoller urteilte Jhering, Geist II/2 (11858), § 46, S. 583 Fn. 743, wenn er öffentlich feststellte, dass sich bei Christiansen »neben manchem Ungenießbaren und Verwegenen viele tiefe Einblicke« fänden. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 24 Fn. 11. An anderer Stelle (aaO, § 4, S. 49) heißt es dort: Der überlieferte Text »sagt manches nicht, was er k ö n n t e […] und manches k a n n er nicht sagen, weil es ihm noch e n t g e h t […].« Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 48. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 24 Fn. 11. Anfänglich glaubte Jhering allerdings, dass zu dieser »Vervollständigung« auch gehöre, Rechtssätze »aus sich selbst sowohl [zu] berichtigen als [zu] vermehren« (aaO, S. 23), sofern man – wie es in dem Jhering zuzuschreibenden Artikel in LZ 1846, Sp. 76 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (81f.)] heißt – »dem ursprünglichen Plane treu bleibend« nur »den vorhandenen Keim […] entfalten« würde. Anfang der fünfziger Jahre empfand Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 24 Fn. 11 aber bereits gewisse methodische »Gewissensbisse« hinsichtlich dieser Art von »Produktion«. Und 1856 bezog er die »Production« von »Sätzen und Gedanken […], die kein römischer Jurist ausgesprochen hat«, nicht mehr auf den »concreten Stoff« der überlieferten Rechtssätze, sondern nur noch auf die erst dem Historiker erkennbaren »Tendenzen und treibenden Gedanken« [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 5f. (= Ges. Aufs. I, S. 5)]. In der 1866 erschienenen zweiten Auflage von Geist I hat er schließlich die Passage über längst vergangene Rechtssätze, die sich noch nachträglich vom Rechtshistoriker »aus sich selbst sowohl berichtigen als vermehren« ließen [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 23], ersatzlos gestrichen. Vgl. etwa Jhering, Schuldmoment (1867), S. 237 (Nachtrag von 1879) zu einer historischen

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festgehalten. Den »schaale[n] Einwand des mangelnden äußeren Quellenzeugnisses« hat er wohlgemerkt »für rechtshistorische Fragen« nie gelten lassen592. Allerdings hat er die rechtshistorisch produktive Rechtsgeschichte ausdrücklich auch nie als Ersatz, sondern nur als Ergänzung für die rechtshistorische Quellenforschung begriffen593.

Hypothese über die »ältere [sc. römische] Jurisprudenz«, für die Jhering anders als für die »Theorie der neueren [sc. römischen] Juristen« »kein Quellenzeugniß […] beibringen« konnte. Wer natürlich »nichts weiter kennt und anerkennt als Corpusjuris-Stellen, kann nicht anders als […] [sc. diese Hypothese] ablehnen.« 591 Die Vorrede zu Geist II/2 (11858), in der Jhering seinen »Versuch einer neuen Methode« zum »Zweck der [sc. rechtshistorischen] F o r s c h u n g u n d l i t e r a r i s c h e n D a r s t e l l u n g « der römischen Rechtsgeschichte entschieden gegen Angriffe verteidigt hatte [Jhering, Geist II/2 (11858), S. X], übernahm er 1883 mit ausdrücklichem Hinweis auf ihre weiterhin bestehende Aktualität auch noch in die letzte von ihm besorgte vierte Auflage von Geist II/2 [Jhering, Geist II/2 (41883), S. Vf.]. Freimütig hatte Jhering, Geist II/2 (11858), S. VI zwar schon in der Vorrede zur ersten Auflage eingeräumt: »Daß nicht auch ich der Versuchung des Construirens und gewagten Combinirens öfters unterlegen sein sollte, wie könnte ich es mir verhehlen?« Grundsätzlich hielt er aber trotzdem an der »historischen Combination« fest und verteidigte sie in bemerkenswertem Gleichklang mit seinen frühen Äußerungen in Hist. Schule (1844), Sp. 424, wo es geheißen hatte: »Uebertreibungen und Verirrungen sind hier ein Preis, um den man gern manche Wahrheit erkauft […].« Ebenso noch Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 34: »Verfehlte Hypothesen und gewagte Kombinationen haben sich vielfach als der erste Schritt zur Entdeckung der Wahrheit herausgestellt […].« Zum Ganzen schon kritisch R.Leonhard, Nachruf (1893), S. 260f. 592 Jhering, Besitzwille (1889), S. 540 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Im Unterschied zu seiner Theorie der juristischen Methode im Rahmen der Rechtsdogmatik waren Jherings Ausführungen zur Methode der rechtshistorischen Darstellung daher auch immer umstritten [vgl. nur L.Mitteis, Jhering (1905), S. 652, 656]. Jhering hat sein Werk über den »Geist des römischen Rechts« unter dem Eindruck der einsetzenden Kritik zeitgenössischer Rechtshistoriker auch selbst als ein »unbequemes Buch« bezeichnet [Jhering, Geist II/2 (11858), S. X (Vorrede)]. 593 Vgl. nur Jhering, Geist II/2 (11858), S. VIII ff. An die Adresse seiner Kritiker gerichtet meinte Jhering dort unter anderem: »In der That scheinen Manche mich in den Ruf bringen zu wollen, […] als ob ich von der Höhe des ›Geistes‹ mit einem gewissen Mitleiden auf die mit der treuen Erforschung des Einzelnen beschäftigten Arbeiter herabsähe« (S. IX). Freilich darauf »ist allerdings mein ganzes Buch berechnet, die bisher ausschließlich herrschende Methode in der Darstellung der römischen Rechtsgeschichte zu verlassen, um eine andere d a n e b e n zur Geltung zu bringen. Nicht aber sie zur a u s s c h l i e ß l i c h e n zu machen« (S. X).

II.

Die Positivität des Rechts

1.

Der »formale Grund« der »juristischen Gültigkeit« des Rechts

Die Trennung von geschichtlicher Erklärung des Rechts einerseits und Dogmatik des geltenden Rechts andererseits hatte nicht nur für die geschichtliche Untersuchung des Rechts, sondern auch für die Bestimmung der Positivitätskriterien des geltenden Rechts unmittelbare Auswirkungen. Denn eine von ihrer legitimitätsstiftenden Funktion für das geltende Recht befreite geschichtliche Untersuchung offenbarte, dass die Herkunft, die Geschichte einer Rechtsordnung ungeeignet ist, die Geltung des positiven Rechts zu begründen. Das »›Recht, das mit uns geboren‹ – jenes mephistophelische Trugbild«594 konnte nach einer deutlich auch gegen die Historische Rechtsschule gerichteten Spitze Jherings nur derjenige zum Grund oder Maßstab des geltenden Rechts erklären, der Staat und Recht als »gewissermaßen auf übernatürliche Weise von Gott fertig in die Welt gesetzte Institutionen«595 ansehe. Eine wahrhaft geschichtliche Untersuchung, die im Gegensatz zur »Romantik unserer heutigen historischen Ansicht« nicht »die wirklichen Flächen und Niederungen in der Geschichte« 594 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 22. Diesem gefährlichen »Trugbild« erlagen nach Jhering nicht nur die Anhänger des neuzeitlichen Naturrechts [so Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 63], sondern auch alle diejenigen, die in ihrer »Sehnsucht nach dem ›Recht, das mit uns geboren‹« vor allem »die Kehrseiten des geschriebenen Rechts aufzudecken« suchten und dabei den epochalen kultur- und rechtsgeschichtlichen Fortschritt verkannten, der nach Jhering darin lag, dass das Gewohnheitsrecht durch die abstrakt formulierten Rechtssätze »der schmalen Paragraphen eines Gesetzes oder Gesetzbuchs« abgelöst wurde [Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 32]. Damit setzte sich Jhering nicht nur ab von den »Schwärmern und Urtheilslosen« (aaO, S. 32) etwa vom Schlage eines Julius Hermann von Kirchmann [vgl. nur J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 9, 19ff., 32], sondern ausdrücklich auch von der »Romantik der historischen Rechtsschule« [Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219] und deren »Schoßkind«, der Lehre vom Gewohnheitsrecht [Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 25]. 595 Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219.

136

Die Positivität des Rechts

ignoriere und idealisiere596, zeigte nach Jhering vielmehr, dass nicht nur die Inhalte des Rechts, sondern auch der Grund für seine Verbindlichkeit und die Form seiner Geltung der historischen Entwicklung unterlagen. Dass die Inhalte des Rechts sich im Laufe der historischen Entwicklung verändern, hatten – zumindest der Theorie nach597 – zwar auch schon Savigny oder Puchta gegenüber dem rationalistischen Naturrechtsdenken des 18. Jahrhunderts geltend gemacht. Aber der normative Grund und die Form der Geltung und Sanktionierung des Rechts schienen in der Historischen Rechtsschule noch nicht der Vorstellung eines geschichtlichen Wandels zugänglich. So hatte vor allem Puchta noch ganz anders als Jhering die der Geltung des positiven Rechts grundsätzlich angemessene rechtsquellentheoretische Form auch in entwickelten gesellschaftlichen Zuständen weiterhin im (Juristen-)Gewohnheitsrecht und nicht im staatlichen Gesetzesrecht gesehen598. Umgekehrt wurde die für juristische Geltung des Rechts erforderliche Sanktion von Rechtsverletzungen bis Jhering ganz selbstverständlich mit der Existenz staatlicher Organe zur Durchsetzung des Rechts verbunden. Jhering dagegen sah auch die Vorstellung, dass das Recht den Staat und das Gewaltmonopol des institutionell entwickelten Staates bedinge, als historisch an und nicht – wie Puchta noch meinte – von vornherein »in dem Bewußtsein der Völker« oder gar der »göttlichen Anordnung«, also in einem naturrechtlich aufgeladenen Rechtsgeltungsbegriff begründet599. Der normative Grund der juristischen Geltung des Rechts schließlich wurde von der Historischen Rechtsschule bis Jhering pauschal auf den normativ verstandenen »Volksgeist« zurückgeführt und der Staat als »die rechtliche Form« desselben aufgefasst600. Darin lag zwar nicht, wie noch Hermann Kantorowicz Savigny unterstellte, eine unbewusste fortwährende Verwechslung der Rechtsquelle im formellen und im materiellen Sinn601. Vielmehr wurde ganz bewusst der die inhaltliche Legitimität des Rechts vermittelnde »Volksgeist« in dem die formelle Geltung des Rechts vermittelnden Staat, der von Savigny so bezeich596 Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219. 597 So haben Walter Wilhelm und Franz Wieacker schon bei Savigny insofern ein Auseinanderfallen von Theorie und Umsetzung gesehen, als bereits dieser sein Programm von 1814/ 15 nicht eingelöst habe, da seine rechtsgeschichtlichen Untersuchungen keine historischkritische Entwicklungsgeschichte des Rechts gewesen seien [vgl. W.Wilhelm und F.Wieacker in: W.Wilhelm, Savigny (1969), S. 146f. (Diskussionsbeiträge)]. Nach W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 30ff., 36f. hat die frühe Historische Rechtsschule in Entsprechung zu ihrem »Purismus« auf dem Gebiet der Dogmatik in ihrer »rechtshistorischen[n] Praxis […] den Entwicklungsgedanken überhaupt« ignoriert (aaO, S. 32). Zu den Gründen A.Mazzacane, Jurisprudenz als Wissenschaft (1993), S. 49f. 598 Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 286–313. 599 Vgl. G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 25, S. 61. 600 Vgl. zu Puchta C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 258 m.w.N. 601 H.Kantorowicz, Savigny (1911), S. 412.

Der »formale Grund« der »juristischen Gültigkeit« des Rechts

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neten »leibliche[n] Gestalt der geistigen Volksgemeinschaft«602 aufgehoben. Im Hinblick auf das geltende Recht konnte so die Rechtsgeltung insbesondere gegenüber nicht juristisch-gelehrter »willkürlicher Reflexion« gesichert und die beim Naturrechtsdenken des 18. Jahrhunderts so vermisste Harmonie zwischen dem richtigen und dem geltenden Recht, zwischen Wert und Wirklichkeit603 hergestellt werden. Und im Hinblick auf das geschichtliche Recht wurden – wie 1854 etwa Burkhard Wilhelm Leist die Historische Rechtsschule kritisierte – die »materiellen« Gründe, also die historische Entstehungsbedingungen überlieferter Rechtsbildungen entweder ganz ausgespart oder aber romantisch-idealisierend verschleiert604. Dagegen ging Jhering davon aus, dass man im Verlauf der Geschichte unterschiedliche Vorstellungen über den Grund der Verbindlichkeit des Rechts nachweisen und diese auch im Falle einer »ungestörten« gewohnheitsrechtlichen Entwicklung des Rechts nicht einfach mit den tatsächlichen historischen Ursachen für die Entstehung eines Rechtssatzes gleichsetzen könne. So sei es entgegen der Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule ein nicht unnatürlicher Vorgang in der Geschichte, dass ein Rechtssatz »seine praktische Realität nicht der Macht der r e c h t l i c h e n Überzeugung, der Idee der Gerechtigkeit« verdanke, sondern bloß »durch materielle Gründe, durch die Noth des Lebens und den Drang der Umstände« entstehe605 und sich erst im Nachhinein, »wenn 602 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 9, S. 22. 603 J.Rückert, Savigny (1984), S. 332 sowie Ders., Einfluß (1991), S. 60f., 63, 65. 604 Vgl. B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 55f. dazu, dass »der Wille einer Gesammtheit das Recht ist, […] [sc. das] nennen wir nun Rechtsquelle. Aber haben wir denn gar nicht weiter zu fragen, woher dieser Wille sich seinen Stoff nimmt? […] Was umfaßt denn nun die Lehre vom Gesetz und Gewohnheitsrecht? Offenbar lediglich die Antwort über die äußeren Entstehungsmomente, die formelle causa des Rechts. Die Antwort aber in betreff der inneren Qualität, der materiellen causa des Rechts […], fehlt in den heutigen Darstellungen gänzlich. […] Gott schenkt uns das Recht nicht durch Offenbarung [sic!] […].« In dieser Kritik traf sich Leist mit Jhering (vgl. dazu auch die folgende Fußnote). Die hier formulierte Kritik ist somit sehr viel älter als die gegen Ende des 19. Jahrhunderts verbreitete abwertende Redeweise vom »mystischen Spiritualismus« der Historischen Rechtsschule [vgl. zu letzteren E.Hurwicz, Ihering (1911), S. 5 m.w.N.] 605 Jhering, Geist I (11852), § 16, S. 229. Vgl. ferner Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 29: »Wie viel verschiedenartige Motive zur ursprünglichen Bildung einer Gewohnheit mitwirken können […] will ich gar nicht in Anschlag bringen.« Zur selben Zeit opponierte auch B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 65 geradezu provozierend gegen die bisherige Auffassung in der Historischen Rechtsschule: »Das eine Mal entsteht ein Gesetz lediglich nach dem Satze: tel est notre plaisir, dann wieder […] umgekehrt nach sorgfältigster Berathung […], dann einmal ist es der leidige Zufall […]. Und […] das Gewohnheitsrecht –, ist sein materieller Erzeugungsgrund nicht auch ganz wechselnd und gleichgültig? Hier führt die rohe Hand des Eroberers oder der Revolution zunächst auf dem Wege der Gewalt etwas ein, bis es dann endlich […] durch eine […] opinio necessitatis gesühnt« wird. Im Hinblick auf seine Forderung nach einer »unhistorische[n] Dogmatik« und einer dementsprechend nicht durch Rücksichten auf die Gegenwart behinderten Rechtsgeschichte hatte Jhering

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Die Positivität des Rechts

diese Kräfte die schwerste Arbeit verrichtet haben«, auch die »Idee der Gerechtigkeit«, die Überzeugung von der Richtigkeit des Rechtssatzes entstehe606. Auch wenn sich Vorstellungen über den Grund der Richtigkeit des Rechts entwickelt hatten, sollten sie sich nach Jhering im Laufe der Zeiten doch so stark ändern können, dass »kaum schneidendere Gegensätze« vorstellbar seien607. Während etwa nach der ursprünglichen römischen Vorstellung, dem altrömischen Volksgeist, das individuelle Rechtsgefühl, nämlich »das Subjekt Grund und Quelle des Rechts ist«608, würde man jetzt »die Idee von der Omnipotenz der Volkssouveränität« als Grund und Quelle des Rechts ansehen609. Und während man im »Orient« bis heute das Recht als Ausdruck des »Wille[ns] Gottes« ansehe, was auch jedes geschichtliche Verständnis des Rechts ausschließe, hätten die Griechen erstmals anstelle Gottes »das sittliche Bewußtsein des Menschen u[nd] zwar nicht eines einzelnen, so daß der Wille derer, für die das Gesetz gelten soll, u[nd] der Wille dessen, der es gibt[,] sich einander gegenüber ständen, sondern das sittliche Bewußtsein der Gesammtheit« zum Grund der Verbindlichkeit des Rechts gemacht610. Mit der Anerkennung der Geschichtlichkeit von »Grund und Quelle« des Rechts verbot sich für Jhering im Gegensatz zur Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule sowohl ein Urteil der Nachgeborenen über die Richtigkeit der jeweils herrschenden Legitimitätsvorstellungen als auch der »Versuch, die Idee von der Omnipotenz der Volkssouveränität aus der heutigen Zeit ins römische Alterthum hinein zu übertragen.«611 Das bedeutet, dass es nach Jhering in der Geschichte des Rechts keinen einheitlichen Legitimitätsgrund für das geltende Recht gab und dass der konkrete Inhalt eines geltenden Rechtssatzes noch nichts darüber aussagte, ob überhaupt und wenn

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übrigens bereits Ende der vierziger Jahre im persönlich »nähern Verkehr« mit seinem damaligen Kollegen Leist an der Universität Rostock festgestellt, »dass unsere beiderseitige Richtung dieselbe ist« [Bruckner-Briefe/1934, Nr. V (Jherings Brief an Bachofen vom 7. Juli 1848), S. 61]. Beide, Jhering und Leist, zählten um die Jahrhundmitte zum Kreis der Erneuerer innerhalb der Historischen Rechtsschule. Ihre jeweiligen Ansichten zur Theorie der juristischen Methode gingen allerdings – wie sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zeigen sollte – immer weiter auseinander. Jhering, Geist I (11852), § 16, S. 229f. Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 61. Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 151 Fn. 167; Ders., Geist I (11852), § 15, S. 211. Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 59, 61, 76 Fn. 70. Um die Tatsache richtig würdigen zu können, dass Jhering die Idee der Volkssouveränität fast lapidar als die gegenwärtig herrschende konstatierte, muß man sich vergegenwärtigen, dass – wie es F.J.Stahl, Philosophie II/1 (31854), § 28, S. 267f. formuliert hatte – die Anerkennung der »Volkssouverainetät für das Recht« den dem Programm der Historischen Rechtsschule »ganz entgegengesetzten Grundsätzen« folgte und folgerichtig von Savigny und Puchta auch als »gefährliche Verkehrtheit« abgelehnt wurde [vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 159–161]. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 36, Bl. 22r/22v (Kursivhervorhebung nicht im Original). Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 59.

Der »formale Grund« der »juristischen Gültigkeit« des Rechts

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ja, welche Legitimitätsvorstellung zum Zeitpunkt seiner Entstehung mit ihm verbunden war. Die Vorstellung über den Grund der Legitimität des Rechts konnte sich danach sogar vollständig ändern, ohne dass sich – wie im Falle des rezipierten Rechts des Altertums – notwendig auch alle Inhalte des Rechts ändern müssten. So fiel bei Jhering das wieder auseinander, was Savigny oder Puchta in Reaktion auf den dualistischen Rechtsbegriff des rationalistischen Naturrechts612 mit dem Begriff des Volksgeists in eine harmonische Einheit zusammengeführt hatten, nämlich die Frage nach den geschichtlichen Ursachen für die Inhalte des Rechts, die Frage nach dem »legitimierenden Grund«613 für dessen Geltung und – wie Jhering auch selbst formulierte – die davon zu unterscheidende Frage nach dem »formalen Grund der Gültigkeit« des Rechts614. In jeder Rechtsordnung würde man für bestimmte geltende Rechtssätze daher »historische oder formaljuristische, schwerlich aber legislativ-politische oder ethische Gründe anzugeben im Stande sein«615. So sehr Jhering das »Neue und Verdienstliche« der Historischen Rechtsschule gegenüber den ahistorischen Vorstellungen des Vernunftrechtszeitalters sah, da »sie dem Recht seine breite nationale Grundlage […] zurückgab«616 und erkannte, dass man den Begriff des Rechts nicht a priori konstruieren617 und den geschichtlichen »Anfang eines Rechts [sc. nicht] erst von dem Auftreten des Gesetzgebers […] datiren«618 könne, so sehr hatte sie nach Jhering dennoch »das Wesen und die Natur des positiven Rechts« verkannt619, wenn sie – wie Savigny – das geltende Recht als mit der »Vergangenheit 612 Vgl. J.Schröder, Recht (22012), S. 97ff. zur Entstehung des dualistischen Rechtsbegriffs Mitte des 17. Jahrhunderts. 613 E.-W.Böckenförde, Historische Rechtsschule (1965), S. 12. 614 Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 58. 615 Jhering, Schuldmoment (1867), S. 228; ders., Besitzschutz (1869), S. 46f. Es ist kein Zufall, dass Jhering mit der Ablehnung der Volksgeistlehre in der Form, wie sie durch Savigny und Puchta formuliert worden war, auf Hugos Trennung von Dogmatik, Geschichte und Philosophie zurückkam. Denn Hugo kannte den Gedanken des »Volksgeistes« noch nicht [E.-J.Trojan, Grundlegung (1971), S. 106; A.Lavranu, Historizität (1996), S. 69]. Anders als Hugo verstand Jhering die Frage nach der »Philosophie« des Rechts aber nicht als allgemeine Frage nach dem, was »vernünftig« sei, d. h. nach dem, was nach den Prinzipien der »reinen Vernunft« möglich und nach den Prinzipien der Politik ratsam sei [vgl. dazu J.Blühdorn, Rechtswissenschaft (1971), S. 153, 155]. Vielmehr bedeutete für Jhering die Frage nach der »Philosophie« des Rechts die Frage nach dem materiellen Geltungsgrund einer konkreten Rechtsordnung, also nach den jeweils gerade herrschenden Legitimitätsvorstellungen im Volk. 616 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 26. 617 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 50: »Das Naturrecht enthält den Versuch, das R.[echt] a priori mittels reiner Vernunft zu construiren« (Bl. 51v). »Von dem Traum des Naturrechts sind wir erwacht.« (Bl. 52v). 618 Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 117. 619 Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 3. So offen kritisierte Jhering zwar erst nach dem Tode

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Die Positivität des Rechts

der […] Nationen, ihrem innersten Wesen und ihrer Geschichte« gegeben ansehe620, wenn sie ferner – wie Stahl – die »Naivität des Rechtsbewußtseins« über die »Reflexion« stelle621 und wenn sie schließlich – wie besonders Puchta – in der Rechtsquellenlehre das »nationale Rechtsgefühl […] als völlig gleichberechtigt […] und nicht etwa als eine unvollkommene, bloß tolerirte Art der Rechtsbildung«622 betrachte. Dagegen konnte sich nach Jhering in einem entwickelten Rechtszustand mit der Geltung des positiven Rechts niemals »Harmonie und Einheit« ohne »Widerspruch von Gesetzen« und oft auch kein »friedliche[r] Zusammenhang« des jeweils geltenden Rechts mit dem »Gefühl der Individuen« und allen Bedürfnissen der Zeit verbinden623, ohne dass Jhering diesen Rechtszustand deswegen als unnatürlich bezeichnet hätte. Denn das Wesen des Rechts erblickte Jhering vielmehr in der »Zerstörung« des »natürlichen Zusammenhangs und in unausgesetzter Trennung und Isolirung«624, im »Zersetzen, Scheiden, Trennen«625. Diese »nüchterne und dürre Prosa« setzt Jhering als das

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Savignys die von diesem begründete Rechtsentstehungslehre. Dass aber mit dem Erkennen der Geschichtlichkeit des geltenden Rechts noch nicht das Problem seiner Legitimität gelöst sei, stellte Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 1 bereits in den frühen vierziger Jahren fest, als er notierte, es gelte für das Recht das »formale Prinzip – d. h. das R.[echt] ist ein positives – näml.[ich] die Form, in der das R.[echt] bei dem bestimmten Volke erscheint, ist bl.[oß] das R.[echt] […] wenn d[ie]s[es] bestimmte R.[echt] auch nicht die reinste Form des R[echts] ist, so gilt es doch« (Unterstreichungen im handschriftlichen Original sind hier in Kursivschrift wiedergegeben). Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 4. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 25 Fn. 14. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 25. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 26f., 31. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 27, 33. Diesen Gesichtspunkt der gedanklichen »Trennung« bzw. »Isolierung« strich Jhering immer wieder als das Wesen juristischen Denkens und juristischer Praxis heraus: Zu trennen waren nach Jhering das dem Recht Legitimität verleihende nationale Rechtsgefühl und die formale Rechtsgeltung, das »NochNicht-Recht«, nämlich die auf dem Wege der Rechtsbildung befindliche »Sitte«, und das geltende Recht, die Rechtsetzung und die Rechtsanwendung (aaO, S. 44, 46), das positive Recht im Sinne der geltenden Rechtssätze und die »Fülle der totalen Rechtsanschauung« (aaO, S. 27, 34), das »Gefühl« und die »Erkenntniß« (aaO, S. 34), die Anwendung des positiv geltenden Rechts und die »subjektiven Vorstellungen des Richters von Sittlichkeit« (aaO, S. 34, 58), das Recht, was »der alten, und was der neuen Zeit angehört« [Jhering, Geist III/1 (11865), § 52, S. 64]. Speziell für die Dogmatik des geltenden Rechts empfand daher schon der junge Jhering alle organischen Vorstellungs- und Ausdrucksweisen als deplaziert. So wörtlich Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 361 über das »Wesen des Rechts«. Jhering hat gern die Ausdrücke »Scheidung« bzw. »scheiden« verwendet, denn »Scheidung« war für Jhering ein Synonym für »Denken«, nämlich gedankliche Differenzierung im Gegensatz zum bloßen Fühlen und Anschauen [C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 23, 26 m.w.N.]. Ausgehend von der Prämisse, dass jeder kulturellen Weiterentwicklung eine neue rationalere Auffassungsweise, eine »Gradation vom Volke zur Wissenschaft, vom Unbewussten zum Bewussten« zugrunde liege [so Jhering, Zweck II (11883), S. 55], sah Jhering im »Gesetz der Scheidung« sogar das »Gesetz einer jeden Entwicklung überhaupt« [Jhering, Geist III/ 1 (11865), § 52, S. 64].

Der »formale Grund« der »juristischen Gültigkeit« des Rechts

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»Lebensgesetz der Jurisprudenz« der organischen »Poesie« eines Savigny oder gar eines Jakob Grimm626 gegenüber627. Im vollkommenen Gegensatz zur Aufgabe des (Rechts-)Historikers oder Geschichtsphilosophen, der jeweils aus einer Beobachterperspektive die auch von Jhering als selbstverständlich vorausgesetzte »Einheit in der historischen Bewegung sämmtlicher Institute nachzuweisen«628 und dabei »die Totalanschauung des ganzen Lebens«629 und nicht nur das im juristischen Sinne geltende Recht zugrunde zu legen hätte630, habe der Jurist bei der Ermittlung und Anwendung des positiven Rechts zu unterscheiden 626 Vgl. W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 279ff. zu Jakob Grimms programmatischem Aufsatz »Von der Poesie im Recht« (1816) und Jherings ablehnender Haltung zu der darin zum Ausdruck kommenden »Poetisierung« des Rechts. 627 Jhering, Geist III/1 (11865), § 48, S. 7, 10; Ders., Geist I (11852), § 15, S. 219 sowie Ders., Geist II/2 (11858), § 39, S. 379: »Die positive Jurisprudenz s o l l keine Organismen kennen […].« 628 Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 55. Vgl. auch Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Altertums und der modernen Zeit«, wo Jhering seine Überzeugung bekräftigte, dass in »der Universalgeschichte des Rechts […] wie in der Geschichte des einzelnen Rechts nicht ein regelloses Nacheinander herrscht, sondern eine harmonische Entfaltung u[nd] eine stufenweise Entwicklung, kurz jene Einheit, die das Wesen der Geschichte ausmacht« [Jherings Vortrag über den »Gegensatz der Rechtsbildung des Alterthums u[nd] der modernen Zeit«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 237–249 (238)]. Entscheidend war aber die Beobachterperspektive aus »weitere[r] Entfernung«, wie Jhering in einem noch nicht näher identifizierten Vortrag formulierte, der angesichts der dort erfolgten Bezeichnung des Rechts als »Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft« vermutlich aus den siebziger oder achtziger Jahren stammt [inzwischen teilweise abgedruckt in: O.Behrends, Zeugnisse, Nr. 80, S. 95]. Möglicherweise handelt es sich hier um das Manuskript zu Jherings am 14. Oktober 1877 in Prag gehaltenen Vortrag über den »Begriff des Rechts«, von dem in Jherings Nachlass der zwei Tage später erschienene Zeitungsbericht im Prager Tagesboten aus Böhmen überliefert ist. Auch hier hatte Jhering das Wesen der entwicklungsgeschichtlichen Beurteilung darin gesehen, dass sie in der »Veränderlichkeit des Rechts«, dem scheinbaren »Chaos, […] diesem Wirrsal der verschiedenen Einflüsse, welche auf das Recht gestaltend wirken, […] von einem weiten Gesichtspunkte aus immer die gedanken- und gesetzmäßige Entwicklung« erkenne [Jhering, Prager Vortrag (1877), Bl. 3]. 629 So Jhering in seinem Brief vom 26. Oktober 1852 an Johann Jakob Bachofen, abgedruckt in: Bruckner-Briefe/1934, Nr. VII, S. 67. 630 Während der Jurist bei der dogmatischen Behandlung des Rechts zur »vollständige[n] Zerstücklung […] der Einheit« des Rechtsgefühls gezwungen sei [Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 32], da »Harmonie und Einheit« bei der juristischen Behandlung des Rechts nur Ausdruck einer »scheinbare[n] Vollkommenheit und wirklichen Unvollkommenheit« seien (aaO, S. 26), würde es nach Jhering dem Historiker und Geschichtsphilosophen zum größten Vorwurf gereichen, die »Ordnung und Harmonie« der »Gedanken, die sich in der Geschichte entfalten«, und die »sittlichen Gedanken in der Zeit«, die sich in der »Geschichte des Rechts in seiner Totalität« erkennen lassen, durch ein »Zerstücklungssystem« wie etwa dasjenige von Hugo zu zerstören [Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 54–56]. Vgl. zu dieser in der konkreten Jheringschen Formulierung offenbar auf A. F.J.Thibaut, Rechtsgeschichte (1808), S. 11 zurückgehenden Kritik an Hugos Methode der Geschichtsdarstellung O.Behrends, Hugo (1996), S. 173 und M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 405].

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Die Positivität des Rechts

zwischen den geschichtlichen Rechtszuständen, den zwar gegenwärtigen, aber gleichwohl historischen, also wechselnden Vorstellungen »über die letzten Gründe des Rechts« und schließlich dem »formalen Grund der Gültigkeit« des Rechts631. Allein letzterer sei auf der erreichten Entwicklungsstufe »in der ganzen Welt der j u r i s t i s c h e Grund der Gültigkeit des positiven Rechts«632.

2.

Das juristisch »positive« und das historisch »thatsächliche« Recht

Nur wenn man die Jherings Gesamtwerk zugrunde liegende Trennung von juristisch positiver Geltung des Rechts einerseits und geschichtlich faktischem Rechtszustand andererseits berücksichtigt, lässt sich der Ausdruck »Recht« in Jherings Denken geltungstheoretisch klären und in eine richtige Beziehung zu den Auffassungen Savignys und Puchtas setzen. Der Begriffs des Rechts war nach Jhering nämlich jeweils ein anderer, je nachdem man den Rechtsstoff »mit dem Auge« des Historikers oder des Juristen633 bzw. – modern gesprochen – aus der Beobachterperspektive oder der Teilnehmerperspektive634 betrachtete635. 631 Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 58. 632 Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 58. 633 Das schloß nach Jhering nicht aus, dass auch der »Blick des Historikers« [Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 48] nicht ganz ohne ein »j u r i s t i s c h e s Auge« auskomme [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 23 (= Ges. Aufs. I, S. 20)], während umgekehrt der Jurist nach Jhering auf ein »historisches Auge« verzichten konnte. Jhering liebte die Augen-Metapher, die er offenbar schon als Student geradezu zu einem Leitmotiv seiner späteren wissenschaftlichen Arbeit gemacht hat, als er in einem nach Einschätzung von M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 185 aus Jherings ersten Studienjahren stammenden Heft als »Eigene Gedanken« unter anderem notierte: »Wo der Kurzsichtige an der Gränzpforte des Wissens angekommen zu sein glaubt, öffnet sich dem Weitsichtigen der Blick in eine unabsehbare Weite« [Jhering, Einfälle und Notizen (Nachlass), Bl. 58r]. Diesem an sich harmlosen Aphorismus und der mit ihm zugrunde liegenden Augen-Metapher, die Jhering seit den vierziger Jahren auch in ganz anderen wissenschaftlichen Zusammenhängen verwendete [vgl. C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 25f. m.w. N.], lag Jherings gleichermaßen wissenschaftstheoretische wie auch lebensweltliche Überzeugung zugrunde, dass die Unterschiedlichkeit des Verständnisses bzw. der Erkenntnis über denselben Gegenstand nicht auf diesen selbst zurückzuführen sei, sondern vielmehr nur auf die Art und Weise, ihn zu betrachten [Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 2; Ders., Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 85f.]. So könne beispielsweise das in fachlicher Hinsicht »blöde Auge« des juristischen Laien [Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 10] bei der rechtlichen Beurteilung von Tatsachen nur weniger sehen als das insoweit »empfängliche Auge« eines jeden Juristen, aber auch letzteres sehe weniger als die »Blicke des juristischen Genies«. Das »Wahrnehmungsvermögen des Auges« des »durch den Glanz des Logischen Geblendeten« sei wiederum geringer als beim insoweit historisch-kritischen Auge [Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 300]. Und auch das »moderne Auge« des juristischen Fachmanns [Jhering, Geist II/2 (41883), § 47b, S. 623] könne die Feinheiten von altrömischen Klageformeln gar nicht mehr

Das juristisch »positive« und das historisch »thatsächliche« Recht

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Spreche der das Recht anwendende Jurist vom »Recht«, so meint er nach Jhering die »positiven Rechtssätze«636, das heißt die nach Jhering jeweils vom »formellen Rechtsstandpunkt« aus geltenden Rechtsnormen637, die als die in jeder Rechtsordnung »gegebenen Punkte« den Juristen bei der Anwendung und bei der Fortbildung des Rechts bänden638. »Positiv« war dieses juristisch erhebliche Recht im noch heute gebräuchlichen Sinne des Wortes als Gesamtheit der geltenden Normen, an die sich ein rechtlich durchsetzbarer Befolgungsan-

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wahrnehmen, ganz abgesehen davon, dass gerade »unsere gegenwärtige Jurisprudenz« ohnehin über »eine so geringe B e o b a c h t u n g s g a b e für die charakteristischen Eigenschaften« des altrömischen Rechts verfüge [Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 10]. Dafür sehe im Hinblick auf die historischen Ursachen einer Rechtsbildung das Auge des nachgeborenen »spätern Beobachters« viel mehr als das »stumpfe Auge« der in ihrer Zeit befangenen Zeitgenossen [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 36f.]. Und der Historiker werde durch eine »physiologische« Betrachtungsweise des historischen Rechts etwas anderes sehen als durch eine »anatomische«; denn der Jurist dürfe »bloß den juristischen Mechanismus ins Auge« fassen, der Historiker »aber die eigenthümliche Bedeutung […] im römischen Leben« [Jhering, Reflexwirkungen (1871), S. 149]. Auch im Hinblick auf »Wahrheiten« ganz anderer Art, etwa praktische Interessen oder sittliche Wahrheiten, verwendete Jhering bevorzugt die Augen-Metapher. So erkenne »der Blick des Kurzsichtigen« nur »die nächst liegenden [sc. eigenen Interessen] […] und die ferner liegenden, die nur das geübte Auge«, »das Auge des Weitsichtigen«, wahrnehme, dagegen nicht [Jhering, Zweck I (11877), S. 548, 552]. Und im Hinblick auf die Entdeckung sittlicher Wahrheiten müsse noch »das Auge des Naturmenschen verschlossen [bleiben] gegen die Wahrnehmung der Schuld« [Jhering, Schuldmoment (1867), S. 163]. Auch könne man nur von einem zeitlich entfernten Standpunkt aus im Chaos der Veränderlichkeit des Rechts die aufwärts steigende Wellenlinie einer gedanken- und gesetzmäßigen Entwicklung des Rechts erkennen [Jhering, Prager Vortrag (1877), S. 3]. Selbst die Bestimmung des »römischen Volkscharakters« hänge entscheidend ab vom jeweiligen »Standpunkt, den der Betrachter einnimmt« [Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 10 (Jherings Brief vom 29. Januar 1853), S. 28]. Als Rechtshistoriker war Jhering übrigens persönlich davon überzeugt, dass sein eigenes »Auge […] für die Wahrnehmung gewisser Dinge ungleich mehr geschärft [ist] als das aller meiner Fachgenossen […]« [Losano-Briefe II /1996, Nr. 16 (Brief Jherings vom 9. November 1864), S. 97]. R.Dreier, Begriff (1986), S. 98 u. 108ff. Bereits W.Wilhelm, Theorie (1972), S. 286 hat ganz zutreffend darauf hingewiesen, dass Jhering in seinem Werk über den »Geist des römischen Rechts« »positives Recht und Recht unterscheidet«. Entgegen der Darstellung von Wilhelm hat Jhering aber das positive Recht keineswegs als eine »gesellschaftlich vermittelte und gebundene Erscheinungsform des Rechts dem Faktischen insgesamt« zugewiesen« und ihm »ein ›reines‹, d. h. von konkret sozialer Bindung freies Recht« übergeordnet (aaO). In dieser Interpretation vermischt Wilhelm ganz unterschiedliche Kategorien der Positivität, die Jhering im Zusammenhang mit dem Begriff des Rechts verwendet hat. Vgl. dazu weiter im Text. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398; § 45, S. 503. Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 314. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398. In diesem Sinne meinte Jhering in Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 50, Bl. 52v/53r : »Von dem Traum des Naturrechts sind wir erwacht. – Die W.[issenschaft] ist gegenwärtig zur Anerkennung des Positiven gekommen, sie sieht ein, d[a]ß im St.[aa]t nur das als R.[echt] gilt, was er […] ausdr.[ücklich] oder stillschweigend gesetzt hat.«

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spruch knüpft639. Diese Positivität des Rechts ist nicht zu verwechseln mit dem von Jhering vor allem in Anknüpfung an Savigny auch verwendeten Begriff der Positivität zur inhaltlichen Charakterisierung bestimmter Teile des positiv geltenden Privatrechts als ein »dem Recht fremdartig[es]«640, »äußeres«641, »zufälliges«642 oder »willkürliches«643 Recht. So hat Jhering bis in seine Spätzeit hinein das »Moment der Po s i t iv i t ä t […] im Gegensatz zu […] der Allgemeingültigkeit« der grundlegenden Prinzipien des Privatrechts charakterisiert644. Die Positivität des Rechts in diesem letzteren Sinne hatte auf die hier in Rede stehende Positivität des Rechts im Sinne seiner juristischen Geltung keinen Einfluss und insofern mit dieser auch nur den Namen gemein645. Letzteres gilt ebenfalls für eine weitere bei Jhering noch anzutreffende Verwendung des Ausdrucks »Positivität« zur inhaltlichen Bewertung einer konkreten Rechtsordnung unter universalgeschichtlichem Gesichtspunkt bei der Beantwortung der Frage, wel639 Die auf der Grundlage der geltenden Rechtsnormen vom Gesetzgeber oder von den Juristen formulierten Sätze nannte auch Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352f. »positive Rechtssätze« und die Urheber der Rechtsnormen die »positiven rechtssetzenden Gewalten«. 640 Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 50. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 16, S. 61 hatte das »dem reinen Rechtsgebiet« und das einem »fremdartigen Gebiet« entstammende Recht unterschieden. Soweit »fremde Elemente in das Recht eingreifen«, sprach Savigny von »rein positiv[en]« Teilbereichen des Privatrechts (aaO, S. 61, 63). Vgl. dazu W.Wilhelm, Savigny (1969), S. 134f. und A.Lavranu, Historizität (1996), S. 145, 319f. sowie C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 575–577. 641 Jhering, Geist II/2 (11858), § 45, S. 501. 642 Jhering, Reivindicatio (1857), S. 111; DERS., Geist II/2 (11858), § 45, S. 501 sowie DERS., Schuldmoment (1867), S. 223 und DERS., Scherz und Ernst (1884), S. 297. 643 Jhering, Geist II/2 (11858), § 45, S. 501; DERS., Zweck I (11877), S. 351. Die drei im Text zuletzt genannten Attribute, die das Recht als ein »äußeres«, »zufälliges« oder als »willkürlich« qualifizieren, stehen in einer langen terminologiegeschichtlichen Tradition [vgl. dazu J.Blühdorn, Rechtswissenschaft (1971), S. 127–129]. 644 Jhering, Geist II/2 (21869), § 45, S. 461. Vgl. im übrigen etwa Jhering, Culpa (1861), S. 361; DERS., Festungswerke (1862), S. 145; Ders., Bereicherungsklage (1878), S. 43, 48f., 80; Ders., Rechtsschutz (1885), S. 248; Ders., Besitzwille (1889), S. 63, 76, 85, 277, 426; Ders., Zweck I (11877), S. 351. 645 Die Unterscheidung der »Positivität« im Sinne eines normativen Geltungsanspruchs einerseits und als Ausdruck für nicht zu verallgemeinernde Inhalte des Rechts andererseits war keine Erfindung der Historischen Rechtsschule. Wie J.Blühdorn, Rechtswissenschaft (1971), S. 124–129, 138 darlegt, war die Unterscheidung im rechtswissenschaftlichen Sprachgebrauch um 1800 bereits fest verankert. Und G.W.F.Hegel, Rph. (1821), § 3, S. 19 differenzierte sogar ausdrücklich zwischen dem »a) durch die Form« seiner juristischen Geltung und »b) Dem Inhalte nach« positiven Recht. Aber anders als Hegel, der das gesamte Recht als auch dem Inhalt nach »positiv« bezeichnete, betrachtete die Historische Rechtsschule nur einen Teil des Pandektenrechts als dem Inhalt nach »rein positiv« [so F.C.v.Savigny, System I (1840), § 16, S. 63]. Abweichend von dem Sprachgebrauch der rechtswissenschaftlichen Literatur um 1800 qualifizierte die Historische Rechtsschule auch die dem Inhalt nach nicht positiven, also die – je nach Terminologie des Verfassers – »reinen«, »allgemeinen« oder »regelmäßigen« Teile des Rechts als ein gleichwohl geschichtlich, nämlich durch den Volksgeist hervorgebrachtes Recht.

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che Bestandteile der Rechtsordnung als national gebundenes646 Recht »positiv« seien und welche eine über die konkrete Rechtsordnung hinausgehende Bedeutung hätten647. Zusammenfassend kann man also sagen: Für das »positive« im Sinne des juristisch erheblichen Rechts war es nach Jhering vollkommen unerheblich, ob die in Rechtssätzen formulierten Rechtsnormen gewohnheitsrechtlichen oder gesetzlichen Ursprungs, ob sie inhaltlich »reine« oder »positive« im Sinne eines ius singulare oder aber ob sie universell gültige oder national »positive« Rechtssätze waren. Spreche aber nun der Rechtshistoriker aus der Perspektive des »spätern Beobachters«648 vom »Recht«, so bezieht er sich nach Jhering auf die jeweilige historische Rechtswirklichkeit, nämlich auf den vom Historiker durch eine physiologische Betrachtung möglichst umfassend zu rekonstruierenden Zustand des von Jhering sogenannten »thatsächlichen«649, »objektiven« oder »wirklichen«650 Rechts. Zu diesem gehörte einerseits weniger, andererseits aber auch mehr als zur Gesamtheit der juristisch geltenden Rechtsregeln einer Rechtsordnung. Nicht zum tatsächlichen Recht gehörte nach Jhering beispielsweise eine in der früheren Rechtsordnung juristisch geltende Regel, die durch die zeitgenössische Rechtspraxis ihrer »Function […] im Leben«651 beraubt wurde und damit aus der eben darauf gerichteten physiologischen Betrachtung des vergangenen Rechts durch den Rechtshistoriker herausfiel. Da aber nach Jhering der »Blick des Historikers […] von vornherein […] auf das substantielle rechtliche und sittliche Leben […] in seiner ganzen Totalität« gerichtet war652, erfasste umgekehrt der Begriff des historisch tatsächlichen Rechts über das jeweils juristisch geltende Recht hinausgehend auch diejenigen sozialen Normen, die weder vom zeitgenössischen Gesetzgeber noch von den Zeitgenossen im Volk als Recht erkannt, gleichwohl aber in der historischen Lebenswirklichkeit durch tatsächliche Handlungen oder Unterlassungen sozial wirksam geworden waren. Insoweit derartige Normen »in den [sc. überlieferten] Gesetzen nicht zu finden, und Volk und Wissenschaft sich dessen nicht bewußt geworden« seien653, waren sie nach Jhering nur für den rückwärtsgewandten und aus der 646 Jhering, Geist II/2 (11858), § 46, S. 585. 647 In diesem Sinne verwendete Jhering den Begriff der »Positivität« zum Beispiel auch in Geist II/2 (11858), § 39, S. 375f., wo er die »Positivität« des praktischen Rechtsalphabets des römischen Rechts behauptete. Bereits O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/ 1996), S. 244 hat darauf hingewiesen, dass die »Positivität« in diesem Sinne mit der formal definierten Gesetzgebungshoheit des Staates nichts zu tun habe. 648 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 36f. 649 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 17f. 650 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 20; DERS., Geist I (21866), § 3, S. 29–35 (Überschrift). 651 Vgl. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 14; § 4, S. 39 (Abschnittsüberschrift). 652 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 48 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 653 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 334.

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Beobachterperspektive analysierenden »Blick des Historikers«654 historisch tatsächliches »Recht«. Denn der das jeweilige Recht anwendende zeitgenössische Jurist hatte sich nicht auf eine Rechtsregel berufen können, die sich seinem wie »Eurem Auge«, also dem Auge seiner Zeitgenossen noch »entzieht« und die daher auch »keiner von Euch [sc. damaligen Zeitgenossen] ausgesprochen« hatte beispielsweise als eine in ein Rechtssprichwort gefasste Regel des Gewohnheitsrechts655. Den Anteil dieser sich dem Auge der Zeitgenossen entziehenden Rechtsregeln schätzte Jhering bei »ungebildeten, rohen Völkern« zwar als besonders hoch ein656. Im Übrigen aber sah er darin eine allgemeine, nicht auf »das Recht irgend einer Zeit« beschränkte Erscheinung657. Eine gerade mit entwickelteren Rechtszuständen verbundene Form des tatsächlichen Rechts war nach Jhering zum Beispiel die durch unabweisbare Verkehrsbedürfnisse motivierte Praxis der Rechtsauslegung, die durch eine – von den jeweiligen Zeitgenossen allerdings noch nicht als solche wahrgenommene – »Vergewaltigung der Begriffe«658 zum jeweils formal geltenden Recht objektiv im Widerspruch stand. 654 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 48. 655 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 17. Jhering meinte hier also sozial wirksame Normen, die nicht einmal teilweise bereits in einem gewohnheitsrechtlichen oder gesetzlichen Rechtssatz formuliert waren, da sie noch nicht einmal »stückweis ins Bewußtsein« getreten seien (aaO, S. 23). Etwas anderes sollte nach Jhering hingegen für diejenigen Rechtsnormen gelten, die in bereits formulierten Rechtssätzen nur eine unvollständige oder unvollkommene Formulierung erfahren hätten. Sie gehörten nach Jhering zum jeweils geltenden Recht, und der zeitgenössische Jurist konnte nach Jhering die Formulierungen der Rechtssätze auf der Grundlage dessen, was im rechtlichen »Bewußtsein« der Zeit als Rechtsregel galt, neu formulieren, das heißt »sowohl berichtigen als vermehren« (aaO, S. 18, 23). Aber auch der Rechtshistoriker sollte sich dieses Verfahren der Dogmatik des Rechts bei der rechtshistorischen Rekonstruktion vergangener Rechtszustände zu Nutze machen dürfen (aaO, S. 23f.). Die Formulierung von Normen, die sich selbst dem »Auge« zeitgenössischer Juristen noch vollständig entzogen hatten, blieb nach Jhering dagegen allein dem nachgeborenen Historiker vorbehalten. Dieser Unterschied zwischen der Arbeit des Rechtsdogmatikers und Rechtshistorikers ist leicht zu übersehen, da Jhering in einem Atemzug von historisch »l a t e n t e [ n ] Rechtssätzen« sprach, die vom Rechtshistoriker »ans Tageslicht zu bringen« seien, und von »ausgesprochenen« Rechtssätzen, die nur »nicht immer eine adäquate Formulirung« erhalten hätten (aaO, S. 18, 22f.). 656 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 14, 17. A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 193 Fn. 45 sieht hierin einen »krassen Gegensatz zur historischen Rechtsschule«, da nach Savignys Ansicht »auf niedriger Kulturstufe gerade alles Recht allen zugänglich« gewesen sei. Zwar hatte Savigny dabei auch einen anderen Bezugspunkt für den Ausdruck »Recht« als Jhering, nämlich nicht die technische Rechtsregel, sondern das demselben vorgelagerte und durch Anschauung erfahrbare Rechtsinstitut. Dessen beste »Interpreten« waren nach Savigny allerdings tatsächlich immer die jeweiligen Zeitgenossen und nicht etwa nachgeborene Historiker, deren Auge weiter reicht als dasjenige der Zeitgenossen. 657 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 22. 658 Jhering, Geist III/1 (21871), § 56, S. 241. In einer objektiven »Vergewaltigung der Begriffe« lag nach Jhering die unbewußte faktische Abweichung von der den formell geltenden Rechtssätzen zugrunde liegenden Norm. Das deckte aber immer erst der nachgeborene Historiker auf. Denn würde sich schon der zeitgenössische Jurist der »Vergewaltigung der

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Weiterhin zählten zu dem vom Rechtshistoriker in den Blick zu nehmenden »rechtlichen und sittlichen Leben in seiner Totalität« auch alle nicht rechtlichen Sozialnormen im »Leben mit seinen faktischen Verhältnissen, mit der Sitte und der Sittlichkeit«, die im juristisch geltenden Recht und natürlich erst recht in der rechtswissenschaftlichen Dogmatik »kein Unterkommen finden […], weil diese Mächte und Verhältnisse eben keine Rechtsbegriffe sind.«659 Dazu gehörten nach Jhering alle nichtrechtlichen »Ketten und Fesseln« der Rechtspraxis wie »z. B. die öffentliche Meinung, die herrschenden Begriffe von Ehre u.s.w.«, »von denen freilich das Recht [sc. im juristischen Sinn] nichts wußte«, die aber in sozialgeschichtlicher Hinsicht »nicht minder stark waren, als wenn das Gesetz selbst sie geschmiedet hätte.«660 Die Einbeziehung auch der nichtrechtlichen Sozialnormen der Sitte und Konvention in den Begriff des tatsächlichen Rechts und damit in den Untersuchungsbereich des Rechtshistorikers war für Jhering deswegen unverzichtbar, weil diese Sozialnormen in »der thatsächlichen Welt« etwa des älteren römischen Rechts, »wie es leibte und lebte«661, faktisch nach Jhering unter Umständen eine größere Bedeutung hatten als die ehemals geltenden Rechtssätze662. So hätten etwa die »schiefen Urtheile über den unsittlichen Charakter des ältern römischen Rechts« ihren Grund in der gänzlich unhistorischen Annahme, dass »Prinzipien, weil sie nicht die Form des Gesetzes oder Rechtssatzes angenommen haben, einem Volke fremd geblieben [seien] oder wenigstens bei ihm nicht die rechte Anerkennung gefunden« hätten663. Setzt man diese Konzeption Jherings zum Begriff des Rechts in ein Verhältnis zur Lehre und Terminologie von Savigny und Puchta, dann ergibt sich folgendes: Für Puchta waren »Recht« ausschließlich die durch Gewohnheitsrecht oder Gesetzgebung formulierten oder durch die Wissenschaft daraus ableitbaren

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Begriffe« bewusst werden, so müsste er auf den Boden des Rechts zurückkehren, also zu einer nicht »gewaltsamen« Interpretationspraxis. Denn für ihn galt weiterhin die formal geltende Rechtsnorm, nicht die davon abweichende Norm des »tatsächlichen Rechts«. Das unterscheidet Jhering auch von späteren Rechtssoziologen wie etwa Theodor Geiger, die eben diese Normen des »tatsächlichen Rechts« zu den auch für den Juristen maßgeblichen erklärten. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 49. Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 145; Ders., Besitzwille (1889), S. 121f. Vgl. übrigens aus der Sicht der modernen Geschichtswissenschaft noch fast wortgleich M.Kaser, Röm.PrivatR I (11971), § 46, S. 180 zu Jherings Befund über die rechtlichen und außerrechtlichen Bindungen im römischen Gemeinschaftsleben der Antike. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 47. In »qualitativer sowohl wie quantitativer Hinsicht« blieb nach Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 14f., 20 selbst das in Rechtssprichwörtern formulierte Gewohnheitsrecht in der historischen Wirklichkeit »hinter dem Rechte, wie es lebte und leibte, weit zurück.« Vgl. nur Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 146; § 35, S. 296; Ders., Geist III/1 (11865), § 54, S. 189. Jhering, Geist II/1 (21866), § 30, S. 124f. Fn. 145 sowie auch schon Ders., Geist II/1 (11854), § 26, S. 57f. Fn. 43; § 30, S. 134 Fn. 146.

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Rechtsnormen. Das, was Jhering als Rechtshistoriker darüber hinausgehend mit Blick auf die von ihm sogenannten »realen Zustände des Lebens, die Wi r k l i c h ke i t des Rechts« zum historisch »thatsächlichen Recht« zählte664, war für Puchta, der der Frage nach einer möglichen Diskrepanz zwischen Recht und Rechtswirklichkeit ohnehin keine größere Aufmerksamkeit geschenkt hatte, in keiner Hinsicht »Recht« gewesen. Savigny hingegen hatte eben die noch unreflektierte »Totalanschauung«665 in der Lebenswirklichkeit zur Grundlage der Bestimmung des positiven Rechts gemacht. Die »übereinstimmenden Gefühle, Gedanken und Sitten«666, die »lebendige Anschauung der Rechtsinstitute in ihrem organischen Zusammenhang« waren für Savigny bereits Recht, und zwar nicht nur – wie für Jhering – historisch tatsächliches, sondern juristisch »positives Recht«667. Eines wie auch immer gearteten Positivierungsaktes, eines Heraustretens aus nur instinkt- und gefühlsmäßiger Praxis hätte es nach Savigny allein für die begriffliche Entwicklung des positiven Rechts nicht bedurft668. Im Gegenteil war nach Savigny selbst dann, wenn das Recht im Laufe der Zivilisationsgeschichte zunehmend durch die Rechtswissenschaft und die Gesetzbücher in die abstrakt-generelle Form eines Rechtssatzes gebracht wird, dieser Rechtssatz bei seiner Anwendung jeweils wieder auf seine Ursprünge zurückzuführen, nämlich auf die »Totalanschauung« der »Rechtsinstitute in ihrem organischen Zusammenhang«669. Aus diesem Grund hatte auch das positive Recht in Savignys oft zitierten, aber nur in ihrem Kontext verständlichen Worten »in jedem gegebenen Zustand, in welchem es gesucht werden kann, […] ein gegebenes schon wirkliches Daseyn«670. Dass »es nöthig werden« kann, dem Jhering, Geist I (11852), 3, S. 17f.; § 4, S. 50. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 16. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 9, S. 23. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 16, 14. Natürlich bestritt auch Savigny für seine Zeit nicht die historische Notwendigkeit der Formulierung des Rechts auch durch die Gesetzgebung. Die für die Positivität des Rechts entscheidende »Setzung« lag für Savigny aber nie im Akt der Gesetzgebung. War für Savigny doch das Gesetz »nichts als ein wichtiger Sonderfall des positiven Rechts«, wie es O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 22 Fn. 35 ausdrückt. Denn Savigny begriff die Positivität des Rechts »in einem eigentümlichen historischen Spiritualismus als eine Emanation des Volksgeistes, als eine kulturelle, letztlich geschichtstheologisch begründete Setzung« [O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 244]. An die so begründete Positivität war nach Savigny auch jeder Gesetzgeber gebunden, wollte er sich nicht dem Vorwurf der »Willkür« aussetzen. Später hat K.Bergbohm, Jurisprudenz (1892), S. 499 Fn. 25 in einer langen Aufzählung die mutmaßlichen Anhänger dieses von ihm heftig kritisierten »Spiritualismus« namhaft gemacht – der Name Jherings fehlte aber bezeichnenderweise in dieser Aufzählung (aaO, S. 499, 516). 669 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 16; § 13, S. 44 sowie dazu O.Behrends, Savigny (1985), S. 310, der auch darauf hinweist, dass bei Savigny so aus der Lehre der Rechtsanwendung zugleich eine Theorie der Rechtsfortbildung wird (aaO). 670 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 14. Savigny, aaO, § 9, S. 20 sprach daher auch von

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Recht auch »ein äußerlich erkennbares Daseyn« zu geben671 und dass dann »das Bedürfniß entsteht, sich der Regel in ihrer logischen Form bewußt zu werden«, indem diese vom Gesetzgeber oder auch erst vom Richter »durch einen künstlichen Prozeß aus jener Totalanschauung« des positiven Rechts gebildet werde672, war für Savigny nur ein in kulturell fortgeschrittenen und komplexeren Lebensverhältnissen mit dieser Kulturstufe verbundenes unvermeidbares Übel673. Denn das in Rechtssätzen formulierte positive Recht blieb nach Savigny durch den »künstlichen Prozeß« der Abstraktion immer in einem »Mißverhältnis«674 zu dem zugrunde liegenden, nicht formulierbaren und in der Anschauung verbleibenden positiven Recht der Wirklichkeit. Letzteres bestritt auch Jhering nicht675, aber er zog daraus die entgegengesetzten Schlüsse wie Savigny. Statt frühe vorwiegend auf Gewohnheitsrecht beruhende Rechtszustände romantisch zu idealisieren, in denen – so Savigny – das gesamte Recht derart »in dem gemeinsamen Bewußtsein des Volkes« gelebt habe, dass eine künstliche, d. h. verstandesmäßige Bildung der abstrakten Regel gar nicht notwendig gewesen sei676, sah Jhering eben in der abstrakten Regel, nämlich erstens in der »Erkenntniß des Rechts« und zweitens in dem »Aussprechen des Erkannten, ich nenne es das F o r m u l i r e n des Rechts«, also in der sich bereits in

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dem »positiven oder wirklichen« Recht. Nicht überzeugend erscheint daher der Versuch von W.Wilhelm, Savigny (1969), S. 134f., die im Text zitierten Worte Savignys über das »in jedem Zustand« immer schon vorhandene Recht als Hinweis auf ein »überpositives«, also »nicht ›wirklich‹, d. h. positiv« vorhandenes Recht in Savignys Konzeption zu verstehen. Das gedanklich nicht reflektierte Recht in der Anschauung verstand Savigny keinesfalls als unwirklich, sondern als eine geschichtliche Hervorbringung des jeweiligen Volksgeistes und damit auch als einen wirksamen Faktor des Soziallebens [vgl. auch O.Behrends in: Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 68 Fn. 75 (Anmerkung des Herausgebers)]. Allerdings bekannte auch schon mancher mit der Wissenschaftssprache des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts vertraute Zeitgenosse wie etwa L.v.Stein, Charakteristik (1841), S. 384 angesichts der im Text zitierten Sentenz von Savigny ganz offen: »[…] es ist schwer zu sagen, was der Verf.[asser] [sc. Savigny] meint […].« F.C.v.Savigny, System I (1840), § 13, S. 39. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 16. Unvermeidbar war nach F.C.v.Savigny, System I (1840), § 13, S. 38f. die Einführung der Gesetzgebung in fortgeschrittenen Rechtszuständen deswegen, weil – so Savigny wörtlich – »Irrthum oder böser Wille« die Sicherheit und Bestimmtheit des Rechts beeinträchtigen könnten. Diese Begründung bekommt natürlich nur einen Sinn, wenn man sich die Anfangszeiten einer Rechtsordnung mit Savigny als auf einer homogenen und friedlichen Gefühls- und Überzeugungsgemeinschaft beruhend vorstellt, in der eben »Irrthum und böser Wille« noch keine bedeutende Rolle spielen konnten. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 13, S. 44. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 18f.: »Wie graduell verschieden aber auch jene Differenz [sc. zwischen dem tatsächlichen und dem formulierten Recht] bei verschiedenen Völkern sein möge, ganz gehoben wird sie nie.« Allerdings sah Jhering die Gründe für die prinzipielle Unaufhebbarkeit dieser Differenz nicht wie Savigny allein in dem Vorgang der Abstraktion als solcher begründet. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 16.

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der einfachsten, nämlich in gewohnheitsrechtlichen »Rechtssprüchwörtern« dokumentierenden Reflexionsleistung den entscheidenden Schritt zu dem im juristischen Sinne positiv geltenden Recht677. Nicht Gefühl und Anschauung, sondern allein formulierte Regeln bildeten nach Jhering den Gegenstand des positiven Rechts. Wesentlich für die Entstehung und jeweilige Beschaffenheit des positiven Rechts war danach das mit kultureller Höherentwicklung sich langsam verbessernde rechtliche »F o r m u l i r u n g s v e r m ö g e n « eines Volkes678. Das galt für die gewohnheitsrechtlich »in Form von Rechtssprüchwörtern« entstandenen Formulierungen von bisher nur »thatsächlich beobachteten Normen« ebenso wie für Formulierungen durch Gesetzgebung und Wissenschaft679. Es reichte nach Jhering nämlich nicht, wie noch Savigny meinte, erst dann, wenn das konkrete »Bedürfniß entsteht, sich der Regel [sc. des geltenden Rechts] in ihrer logischen Form bewußt zu werden«680. Vielmehr gehörten für Jhering die Formulierung der Rechtsregel und die dem vorausgehende – nicht schon notwendig wissenschaftliche – Reflexion681 zur begrifflichen Voraussetzung des positiven Rechts682. Im Unterschied zu Savigny war es für Jhering daher keinesfalls mehr

Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 14. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 17. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 14. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 16. Vgl. nur Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 17 dazu, dass jede – auch die gewohnheitsrechtliche – Formulierung eines Rechtssatzes »eine richtige Erkenntniß voraus[setzt]« (Kursivhervorhebung nicht im Original). 682 Da bereits das historische Erkenntnis- bzw. Wahrnehmungsvermögen eines Volkes über den zeitgenössischen Rechtszustand durch seine historische Befangenheit immer beschränkt und erst durch den nachgeborenen Historiker vollständig überwindbar sein sollte, lag nach Jherings Auffassung hier der erste Grund für die von jedem Historiker festzustellende Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem formulierten Recht einer Zeit. Der zweite Grund sollte in dem nach Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 17 entsprechend dem kulturellen Entwicklungsstand jeweils unterschiedlich weit entwickelten »F o r m u l i r u n g s v e r m ö g e n « eines Volkes liegen, also der »Fähigkeit, den entdeckten Rechtssätzen ihren angemessenen Ausdruck zu geben.« Die bei letzterem immer entstehenden Reibungsverluste, die Tatsache, dass sich das Gedachte und das in Worten Formulierte nie vollständig entsprechen [Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 470ff.; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 349f.], hat – wie im Nachlass Jherings erhaltene Notizen aus dem Jahre 1841 über das Verhältnis von Denken und Sprache belegen [Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 7r/v] – schon den ganz frühen Jhering beschäftigt [vgl. dazu auch B.J.Choe, Culpa (1988), S.154]. Erst diese beiden Gründe – beschränktes Erkenntnis- und beschränktes Formulierungsvermögen – sollten nach Jhering den Zeitgenossen jeder Epoche ihr Recht als »eine unversiegbare Quelle […] subjektiv neue[r][,] d. h. bis dahin noch nicht erkannter Rechtssätze« erscheinen lassen [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 19]. Als eine »Quelle« bezeichnet es Jhering deswegen, weil sich nach seiner Vorstellung das Erkenntnisund Formulierungsvermögen auf jeder Kulturstufe verbesserte, als »unversiegbar«, weil das Erkenntnisvermögen aller entwicklungsgeschichtlichen Aufwärtsentwicklung zum Trotz

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eine »unzweifelhafte Thatsache«, »daß überall, wo ein Rechtsverhältniß zur Frage und zum Bewußtsein kommt, eine Regel für dasselbe längst vorhanden, also jetzt erst zu erfinden weder nöthig noch möglich« sei, die abstrahierte Regel somit nur eine andere und zudem nur unvollkommenere »Gestalt« des positiven Rechts darstelle683. Vielmehr musste es nach Jhering die Aufgabe vor allem des Gesetzgebers sein, alle rechtlich relevanten »substantiellen Bildungen des Lebens getreu zu formuliren«684, so wie es nach Jherings Auffassung in unvollkommener Form in den Anfangszeiten des Rechts auch schon durch gewohnheitsrechtliche Rechtssprichwörter geschehen war. Dass jede Formulierung immer die Möglichkeit von »Mißgriffen« mit einschließe und dass besonders im Falle der Formulierung durch den Gesetzgeber »der Widerstand von Seiten des Lebens« besonders »erschwert« werden könne685, war nach Jhering nicht zu bestreiten, aber in Kauf zu nehmen. Denn ein viel größeres Übel für die Gerechtigkeit sei das »Mangelhafte der Beurtheilung der Rechtsverhältnisse nach dem Totaleindruck«686, die nur vom Instinkt geleitete Rechtspraxis, die nicht genau zwischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung unterscheide687. Jhering hat damit sowohl von den harmonisierenden Vorstellungen Savignys über das Verhältnis von Wirklichkeit und Rechtsregel als auch von der ganz auf die Rechtsregeln und Rechtsbegriffe verengten Betrachtung Puchtas Abstand genommen, wenn er den

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immer beschränkt bleibe durch die historische Befangenheit aller Zeitgenossen einer jeweiligen Epoche. So F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 14, 16. Dass Jhering »später in einem etwas anderem Zusammenhang an diese Formulierung Savignys anknüpfen« wollte, wie S.Meder, »Urteilen (1999), S. 140 Fn. 39 mit Blick auf Jherings bekannte Redeweise von den bereits bekannten »Grundformen oder Grundtypen der Rechtswelt« [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16 (= Ges. Aufs. I, S. 13f.)] meint, ist ganz unwahrscheinlich. Denn erstens machte Jhering damit keine theoretische Aussage zur Rechtsbildung oder Rechtsfindung, sondern gab einer entwicklungsgeschichtlichen Erwartung Ausdruck. Zweitens bezog sich diese Erwartung nicht auf die Jurisprudenz schlechthin, sondern ausdrücklich nur auf eine entwicklungsgeschichtlich »ausgebildete Jurisprudenz« wie die römische, »die seit Jahrtausenden arbeitet« und sich durch den konkreten Zustand ihrer Dogmatik »nicht mehr durch die Geschichte in Verlegenheit bringen« lasse. Drittens schließlich machte Jhering an derselben Stelle mit dem Verweis auf »Gattungsbegriff« und Artbegriff bzw. die »unter irgend einen unserer bisherigen Begriffe« fallenden »Species« nur zu deutlich, dass er mit seiner Rede von den rechtlichen »Grundformen oder Grundtypen« auch begriffsmethodologisch gerade nicht das Konzept einer »individualisierenden Begriffsbildung« verband, das Meder, aaO, S. 11 et passim der vorzitierten Aussage Savignys zuschreibt, sondern vielmehr dasjenige, was Meder, aaO, S. 25f. als das in der Tradition der rationalistischen Schulphilosophie stehende »Urteilen unter dem Gesetz« bezeichnet. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 21. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 21 Fn. 9. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 34, 43. So auch B.Windscheid, Röm.Recht (1858), S. 29. In Geist II/1 (11854), § 25 rühmte Jhering die »Trennung zwischen Recht und Rechtsanwendung« als »eins der ersten Requisite für die Selbständigkeit und Gleichmäßigkeit des Rechts« (aaO, S. 44), die »Aufhebung jener Identität des Gesetzgebers und Richters« als eine »Garantie der wahren d.i. sich selbst gleich bleibenden Gerechtigkeit« (aaO, S. 46).

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mit der Formulierung von Rechtsregeln verbundenen »Preis« benannte, der zu zahlen sei688 für den Schritt zur »formalen Selbständigkeit des Rechts«, dem von Jhering sogenannten ersten »Hauptstück der Gerechtigkeit«689. Für die Beurteilung der Rechtsqualität von Normen rückte damit die für die bisherige Volksgeist- und Rechtsquellenlehre der Historischen Rechtsschule noch ganz zentrale Frage nach der Herkunft und Entstehung des Rechts bei Jhering in den Hintergrund690. Während Puchta im Anschluss an Savigny noch »die wahre Behandlung [sc. des Rechts] überhaupt« von »der richtigen Einsicht« in die Rechtsentstehung und den Nachweis der jeweiligen Herkunft des Rechts aus dem Volksgeist abhängig gemacht hatte691, war nach Jhering für den Juristen nicht mehr die Entstehung, sondern die rechtliche »W i r k u n g , nämlich die verbindende Kraft des Rechts« maßgeblich geworden692. Die jeweilige Entstehungsart des Rechts als Gewohnheits- oder Gesetzesrecht und die Herkunft seiner Inhalte aus dem Volksgeist waren für den nach der juristischen Geltung des Rechts fragenden Juristen anders als für den Historiker dagegen sekundär. Nicht eine zurückliegende »unsichtbare Entstehung des positiven Rechts«693, sondern der jeweils aktuell festzustellende unbedingte Verwirklichungsanspruch einer sozialen Norm, der durch die Formulierung einer entsprechenden Regel für alle sichtbar mit derselben verbunden wird, sollten für den rechtsan688 Vgl. nur Jhering, Geist III/1 (11865), § 50, S. 18. Die Wendung vom »zu zahlenden Preis« durchzieht Jherings Schriften von der Früh- bis zur Spätzeit (vgl. nur die bei C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 23, 27 angeführten Nachweise). Diese Wendung und der ihr zugrunde liegende Gedanke, dass Vorteile immer gleichzeitig auch Nachteile bedingen, drückte ebenso wie die von Jhering sehr geschätzte Metapher von den »Licht- und Schattenseiten« eines Gegenstandes (aaO, S. 27) eine Jhering zeitlebens charakterisierende Haltung aus, die eine deutliche Skepsis gegenüber einer Gegensätze harmonisierenden Wahrnehmung verrät. 689 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 22. 690 Vgl. dazu auch A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 207ff. 691 G.F.Puchta, Vorlesungen I (11847), § 10, S. 19. 692 Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 204 Fn. 114: »Die griechische Sprache faßt […] bei ihrer Bezeichnung des Rechtsbegriffs […] die E n t s t e h u n g aus der Gewohnheit, die lateinische Sprache die W i r k u n g , nämlich die verbindende Kraft des Rechts. Ich brauche nicht hinzuzufügen, welche Auffassung die höhere ist.« Vgl. auch Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 28 Fn. 16. 693 So etwa F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 14. Allerdings hatte auch schon Savigny den bei Puchta ganz auf die Herkunfts- und Rechtsquellenproblematik verengten Blick auf die Qualität der Rechtsnormen selbst gelenkt, wenn er in der »allgemeinen, gleichförmigen Anerkennung des positiven Rechts, und in dem Gefühl innerer Nothwendigkeit« zumindest einen nachträglichen »Beweis« für die »unsichtbare« Entstehung des Rechts sah. Freilich sollte sich dieses »Gefühl innerer Nothwendigkeit« nicht schon auf eine formulierte »Regel in ihrer logischen Form« beziehen. Und vor allem sollte das Gefühl der »Nothwendigkeit«, wie es »sich am bestimmtesten in der uralten Behauptung eines göttlichen Ursprungs des Rechts oder der Gesetze« ausdrücke, mit dem Ausschluß von »menschliche[r] Willkühr«, geschichtlichem »Zufall und freyer Wahl« bei der Entstehung des jeweiligen Rechts sehr viel mehr als nur die Annahme aktueller Verbindlichkeit umfassen (aaO, S. 15f.).

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wendenden Juristen entscheidend sein. Denn: »Ungehemmte Verwirklichung […] seines Inhalts ist ein Anspruch, der mit dem Recht selbst geboren ist, oder richtiger nicht ein bloßer Anspruch, sondern es ist das Recht selbst, sein Wesen, seine Wahrheit.«694 Die Frage, ob sich das jeweils geltende Recht verwirklichen könne, darauf allerdings »ertheilt nur das Leben selbst eine Antwort«695. So formulierte Jhering bereits Anfang der vierziger Jahre: »Das R[echt] ist ein Zustand; der Grund seiner ursprüngl.[ichen] Geltung kann das G[e]s[etz] sein, seines spätern Geltens aber ist das eigene Bestehn«696,

worunter Jhering die Anerkennung in der sozialen Wirklichkeit verstand. Offenkundig operierte Jhering bereits hier mit zwei Geltungsbegriffen, dem Begriff der formal-juristischen und dem der tatsächlich-historischen »Geltung«. Das sich aus den Rechtsquellen ergebende positiv geltende Recht musste sich danach nämlich vom Beginn seiner juristischen Geltung an bewähren und zeigen, ob und inwieweit es dem gegenwärtigen Volks- und Zeitgeist entspricht. Erst im Falle seiner tatsächlichen Bewährung werde das Gesetz auch zum »Recht«697 im Sinne seiner eigentlichen Bestimmung als etwas, »was dazu da [ist], daß es sich verwirkliche.«698 Wenn dagegen das Gesetz »sich nicht realisirt, ist [es] kein R e c h t «699 bzw. ein durch die jeweilige Lebenswirklichkeit – etwa durch die Sitte oder andere tatsächliche Verhältnisse – konterkariertes »Scheinrecht«700. Für den das Recht einer »physiologischen Betrachtung« unterziehenden Histo-

694 Jhering, Geist II/1 (11854), § 28, S. 74; Ders., Geist III/1 (11865), § 60, S. 308f. Vgl. ferner B.J.Choe, Culpa (1988), S. 145f. m. w. N. Auch vor 1859 sah Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 41 die »Function des Rechts im allgemeinen […] nur darin, sich zu verwirklichen. Was sich nicht realisirt, ist kein R e c h t «. Insoweit nicht zutreffend ist daher die Darstellung von E.Wolf, Rechtsdenker (41963), S. 643, der hier einen »grundsätzliche[n] Umbruch« von Jherings Rechtsdenken sieht und dabei die vorzitierte von Jhering bereits 1852 für die erste Auflage von Geist I formulierte Stelle als Beleg für eine angeblich erst nach 1859 erfolgte Modifikation von Jherings Auffassung anführt. 695 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 41. 696 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 9v. 697 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 10r : »Ist es nun das geworden, so löst sich sein Bestehn vom G[e]s[etz] […]. Das Recht gibt dem G[e]s[etz] die Luft, nicht umgekehrt […] damit hat d[as] G[e]s[etz] erst sein Ziel erreicht.« 698 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 334, DERS., Kampf (1872), S. 52. 699 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 41. »Die Wirklichkeit beglaubigt erst den Text, den das Gesetz aufstellt […] als wahrhaftes Recht […]. Aber sie ist mehr, sie ist zugleich der Gegenstand und der Commentar jenes Textes« (aaO). 700 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 334: »[…]was bloß in den Gesetzen, auf dem Papiere steht, […] ein bloßes Scheinrecht, leere Worte […]«. Vgl. auch Jhering, Schuldmoment (1867), S. 222 über die »Lehrbücherexistenzen, die sich nicht auf die Straße und den Markt des Lebens hinauswagen, Scheinexistenzen, wie das Recht aller Zeiten sie aufzuweisen hat«.

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riker war daher die »Wirklichkeit […] des Rechts […] das einzige sichere Erkenntnißmittel desselben«701. Deswegen betrachtete Jhering keinesfalls den Staat und seine Rechtsdurchsetzungsorgane als eine unabdingbare Voraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Zustandes702. Vielmehr hatte schon der junge Jhering das auch von der Historischen Rechtsschule noch weitgehend mitgetragene703 »verwünschte Vorurtheil« bekämpft, »als ob alles«, nämlich die Sanktionierung des Rechts »durch den Staat geschehen müsse und von jeher geschehen sei«704. Bereits in den vierziger Jahren formulierte er : Wenn auch»k.[eine] Anstalt zur Verwirklich[un]g – k.[ein] Zwang« vorhanden sei, das heißt, wenn eine staatliche »höchste Gewalt fehlt, so ist der Begriff des R.[echts] davon nicht abhängig – Das ist die fakt[ische] Seite des R.[echts]«705. Die »faktische Seite« fordere allein eine »constante und gesicherte Verwirklichung des Rechts«. Daher scheiterte nach Jhering auch die Annahme des Völkerrechts nicht am Fehlen einer supranationalen Einrichtung zur Durchsetzung desselben706. 701 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 39, 41. 702 So aber offenbar A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 144. Dagegen hat W.Krawietz, Begriff des Rechts (1988), S. 168 neben Max Weber zu Recht auch den Namen Jherings im Hinblick auf die Erkenntnis genannt, dass die staatliche Sanktionsmöglichkeit nur ein Sekundärphänomen, aber kein Strukturelement des Rechts sei. Diese Auffassung Jherings läßt sich nicht erst für die nach 1860 entstandenen Schriften belegen. 703 Eine Ausnahme machte hier ausgerechnet der der Historischen Rechtsschule zumindest nahestehende und sich sonst immer betont staatstragend gebende Friedrich Julius Stahl. Für F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), §§ 21f., S. 215f. stand der »Zwang« bei der Bestimmung des Rechtsbegriffs ohnehin »nur im Hintergrunde«. Ähnlich bezeichnete auch Jhering einmal in einem Vortrag den Zwang als ein nur für »den Hausgebrauch des praktischen Juristen« taugliches, aber wissenschaftlichen Anforderungen nicht genügendes Bestimmungsmerkmal des Rechts [Jhering, Prager Vortrag (1877), Bl. 2]. Wie Jhering hatte auch Stahl bereits die »Selbsthülfe« »vor und außerhalb des Staatsverbandes« als mit dem Rechtsbegriff nicht unvereinbar angesehen. Vielleicht hat sich Jhering insoweit sogar direkt von Stahl anregen lassen, zumal er sich in Geist II/1 (11854), § 26, S. 48 Fn. 34 im Hinblick auf das »Kap Horn der Rechtsphilosophie«, nämlich die Unterscheidung von Recht und Moral, ausdrücklich zu Stahls Ansicht bekannte. Nicht zutreffend ist hingegen, dass Puchta Jherings Auffassung zur Selbsthilfe vorbereitet hätte. So aber O.Behrends, Jhering (1987), S. 247 Fn. 53 a.E.; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 112ff., 129, 153. Dazu schon C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 222f. 704 So Jhering in einem Brief vom 26. Oktober 1852 an Bachofen, abgedruckt in: BrucknerBriefe/1934, Nr. VII, S. 68: »[…] wie tief steckt es dem Juristen und Laien bei uns in Deutschland in den Gliedern«. Tatsächlich war es nach dem Ende der Naturrechtsepoche bis zu Jhering allgemeine Ansicht, daß man den Begriff des Rechts ohne den Begriffs des Staats weder theoretisch bestimmen noch geschichtlich nachweisen könne [vgl. nur J.Blühdorn, Kant (1973), S. 334 zu Kant und Hugo]. Ferner etwa F.C.v.Savigny, System I (1840), § 57, S. 380. 705 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 51, Bl. 99r. 706 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 51, Bl. 99v : »Von einer […] förml[ichen] Vereinbarung hängt nun die Existenz des Völkerrechts überhaupt nicht ab.« Entscheidend

Das juristisch »positive« und das historisch »thatsächliche« Recht

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Den Beweis für die Richtigkeit seiner theoretischen Annahme zur Geltung des Rechts sah Jhering auf dem Wege der vergleichenden Rechtsgeschichte »durch die geschichtliche Überlieferung bei den verschiedensten Völkern dargethan«707. Ebenso wenig wie in vorstaatlichen Zuständen »die Selbsthülfe der Rechtsordnung widerstreitet«708, ebenso wenig berühre – wie Jhering im ersten Band des »Zweck« bekräftigte – die Tatsache »der ungeregelten, unorganisirten Gewalt« bei der Durchsetzung des Völkerrechts dessen Rechtsqualität709. Daher habe den Charakter des Rechts der allgemeine »Sprachgebrauch hier vollkommen richtig« ausgedrückt710. Unvollkommen sei in beiden Fällen nur die »Organisation des Zwanges«, nicht aber das »Dasein des Rechts«711. Denn entscheidend war nach Jhering für den Begriff des Rechts nicht die Form der vorgesehenen Rechtsdurchsetzung. Die »Roheit, die Rechtspflege wie in den Zeiten des Faustrechts für ungehörige Gewalttätigkeit, Unterdrückung der Freiheit und Despotismus zu achten«, hatte – allerdings auf der Grundlage seiner vernunftphilosophischen Prämissen – auch bereits Hegel in einer gleichermaßen gegen eine romantische Idealisierung wie auch eine Dämonisierung früher Rechtszustände gerichteten Sentenz kritisiert. Daher hatte Hegel gefordert, dass die Frage, ob heute »beim Gesetz und Staate […] ihre Institutionen überhaupt als vernünftig an und für sich notwendig sind«, zu unterscheiden sei von der Frage nach der jeweiligen historischen »Form, wie sie entstanden und eingeführt worden«. Letztere »mag die Form des patriarchalischen Verhältnisses oder der Gewalt oder der freiwilligen Wahl gehabt haben; für den Begriff der Sache ist dies gleich-/gültig.«712 Dies sah Jhering, soweit es sich auf die geschichtliche Annahme und den Nachweis von Recht bezog, ungeachtet aller sonstigen Differenzen mit Hegel zeitlebens nicht anders713. Die Auffassung, dass das »Dasein des Rechts« schon auf die anar-

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sei nur die »faktische Anerkennung«. Leider sind die Ausführungen zum Völkerrecht, die Jhering nach einem Vermerk zu Beginn des dem Völkerrecht gewidmeten § 51 seiner Universalrechtsgeschichte schon »früher [in] § 22 als Theil des R[echt]sbe[griffs] an s[ich]« gemacht hatte [Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 99r], offenbar nicht erhalten. Wie Jhering in Geist I (21866), § 11, S. 120f. Fn. 25a mit Verweis auf rechtshistorische Untersuchungen über unterschiedliche Rechtsordnungen bekräftigend zu den Worten der ersten Auflage hinzusetzte. Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 99; DERS., Zweck I (21884), S. 326. Jhering, Zweck I (21884), S. 326. Jhering, Zweck I (21884), S. 324, 329. Vgl. dazu auch O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 237 und R.Dreier, Jhering (1993/1996), S. 232. Jhering, Zweck I (21884), S. 326. G.W.F.Hegel, Rph. (1821), § 219, S. 195. Etwas relativiert sich dadurch auch Jherings Kritik »insbesondere [an] Hegel«, der nach Jhering, Zweck I (11877), S. 241), S. 183f. dem geschichtlich »vorstaatlichen Zustande alles wissenschaftliche Interesse abspricht.« Denn in Wahrheit hatte G.W.F.Hegel, Rph. (1821), § 219, S. 195 wenigstens der hier in Rede stehenden »historische[n] Entstehung des Richters und der Gerichte« keineswegs das wissenschaftliche Interesse abgesprochen. Lediglich

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Die Positivität des Rechts

chische »Epoche der Selbsthilfe und des Faustrechts zurückzudatieren« sei, diese Ansicht wurde – wie Jhering im Jahre 1884 in der zweiten Auflage von Zweck I selbst hervorhob – mehr als ein Vierteljahrhundert zuvor in concreto für »das älteste römische Recht von mir begründet in meinem Geist des römischen Rechts Bd. 1 § 11«714. Gerade weil der Staat – wie Jhering mit Blick auf das Gewaltmonopol des modernen Staates formulierte – inzwischen »d i e a l l e i n i g e Q u e l l e d e s Re c ht s « geworden sei715, dürfe man nicht »jene Zustände von einem geordneten Rechtszustande, wie wir ihn heutzutage verlangen«716, zum Maßstab für die Bestimmung des Begriffs der Rechtsordnung überhaupt machen. Zwar sei diese »Auffassung […] erklärlich vom Standpunkt unserer heutigen Rechtsordnung aus, ich hoffe aber am ältesten römischen Recht die Unrichtigkeit derselben nachweisen zu können.«717 Für Jhering lag einem solchen »Vorurtheil«718 nur das in Wahrheit ganz unhistorische Bestreben zugrunde, »der Frage nach dem Werden des Staats und Rechts lieber gänzlich auszuweichen«719 als zuzugeben, dass allein durch den Begriff des Rechts nicht die Notwendigkeit des Staats und seiner Einrichtungen erwiesen werden könne720. Ganz unverhohlen und nicht mehr im Schutze der Anonymität kritisierte Jhering dabei 1852 ausgerechnet das seiner Auffassung nach Ungeschichtliche der Historischen Rechtsschule. Statt nämlich den Staat als eine historische Erscheinung zu begreifen und »nicht mit der Idee ans Werk [zu]

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hatte er frühgeschichtliche Formen nicht institutionalisierter Gewaltanwendung wie etwa des Faustrechts nicht nur für den Begriff des Rechts, sondern auch für den Begriff des Staats als »gleich-/gültig« bewertet, während Jhering dies nur für den Begriff des Rechts, nicht aber des Staats annahm und damit die Zeit der bloßen Selbsthilfe als einen eben noch vorstaatlichen Rechtszustand bezeichnen mußte. Jhering, Zweck I (21884), S. 326 Anm.*. Im Hinblick auf die Rechtsdurchsetzung waren für Jhering damit im Gegensatz zu den von ihm in Zweck I (21884), S. 246ff. kritisierten Auffassungen Gewalt und Recht nie unvereinbare Gegensätze. Jhering, Zweck I (11877), S. 319. Gleichlautend auch schon in Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 211. Vgl. auch O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 236 zu dieser etwas mißverständlichen Formulierung Jherings. Jhering, Geist I (21866), § 11, S. 120f. Fn. 25a. Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 116. Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 117. Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219. Johann Jakob Bachofen gegenüber offenbarte Jhering sogar, dass er nicht zuletzt zur historischen Widerlegung dieses »Vorurtheils« über den Rechtsbegriff überhaupt das früheste römische Recht zum Gegenstand von Geist I gemacht habe: »Es ist ein seltsames Verhängnis gewesen, das mich auf das Gebiet des alten römischen Rechts getrieben hat. Ich würde es nie betreten haben, wenn mich nicht meine Aufgabe, die ich mir bei dem Buch gesteckt, gezwungen hätte, soweit zurückzugehen. In der ursprünglichen Anlage […] lag ein Eingehen in das ältere Recht keineswegs, und erst in Kiel sind die Parthieen entstanden, die jetzt im ersten Buch gedruckt sind« [Bruckner-Briefe/1934, Nr. VII (Jherings Brief an Bachofen vom 26. Oktober 1852), S. 66]. An die Universität Kiel war Jhering im Jahre 1848 gewechselt.

Die »faktische Seite« des positiven Rechts

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gehn, daß nur der f e r t i g e Staat sie [sc. die Wissenschaft] interessieren dürfe«, und statt die Möglichkeit vorstaatlicher Rechtszustände zuzugeben und die stufenweise historische Entstehung der Staaten zu untersuchen, sah Jhering 1852 die »heutige Wissenschaft […] uns diese Frage[n] […] verwehren, denn ihr zufolge beginnt Recht und Geschichte erst mit dem Staat.«721 Nach Jhering dagegen war es unmöglich, »einen bestimmten historischen Moment [zu] bezeichnen, wo der Staat anfienge, und vor dem ein rechtloser Zustand existirt hätte«722, es sei denn, man würde »unsere heutige Anschauung vom Staat unbewußt auf [sc. vergangene] Zeiten und Zustände […] übertragen«723. Jhering warf der Historischen Rechtsschule daher Inkonsequenz vor, da sie sich zwar einerseits, »was die B i l d u n g des Rechts anbetrifft von jenem Wahn, als müsse alles durch den Staat geschehen, frei gemacht hat«, sich aber andererseits »doch, was die Verwirklichung desselben anbelangt, noch nicht zu einer gleich freien Auffassung [hat] erheben können.«724 Daher war es nach Jhering nur als eine Frage der geschichtlichen Entwicklung, nicht aber als eine den »Begriff der Rechtsordnung« berührende Frage anzusehen, ob die »Verwirklichung nur durch den Staat und seine Behörden« oder »aber durch die unmittelbare Macht des Lebens« erfolge725.

3.

Die »faktische Seite« des positiven Rechts

Kritische Reaktionen selbst aus dem Lager derer, die Mitte der fünfziger Jahre wie Jhering für die Pandektenwissenschaft einen »Wendepunkt« für erforderlich hielten, blieben nicht aus. So kritisierte Johannes Emil Kuntze in einer Rezension des ersten Bandes von Jherings »Geist«, dessen Darstellung anarchischer Rechtszustände sei unvereinbar mit der Tatsache, dass das »Recht den Stempel einer höheren Weihe, eines geheiligten Ursprungs, einer objectiven Satzung oder richtiger eines über den Einzelwillen thronenden G e s e t z e s « trage726. Kuntze Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 100f. Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 101. Wie Jhering in Geist I (21866), § 13, S. 177 zum Text der ersten Auflage hinzufügte. Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 117 sowie Ders., Geist I (21866), § 11, S. 119f. in neu formulierter, aber inhaltlich gleicher Fassung. 725 Jhering, Geist II/1 (11854), § 11, S. 116. 726 J.E.Kuntze, Geist I-Rezension (1855), S. 196. Kuntzes Kritik teilten viele zeitgenössische Leser von Jherings »Geist« (vgl. auch die in der folgenden Fußnote angeführten Nachweise), so dass dieser sich in einer in der zweiten Auflage von Geist I eingefügten ausführlichen Fußnote zur Verteidigung seiner Auffassung bemüßigt sah, die er selbst »gegenüber der herrschenden Ansicht« als wahrhaft historische, nämlich als methodisch distanzierte Herangehensweise verstand, die nicht die modernen Einrichtungen und Vorstellungen vom gut »geordneten Rechtszustande, wie wir ihn heute verlangen«, zum Maßstab für die Bewertung geschichtlicher Zustände mache. Dennoch ließ auch Jhering keinen Zweifel daran,

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Die Positivität des Rechts

führte diesen »Fehler« in Jherings Darstellung auf den Einfluss Hegels zurück und meinte, dass Jhering nur durch »das künstliche Schwungbrett Hegel’scher Dialektik […] von der Thatkraft und Gewalt uns in das Gebiet der sittlichen Rechtsordnung hinüberzuschnellen« vermocht habe727. Tatsächlich ist ein Berührungspunkt mit Hegelschem Gedankengut erkennbar, allerdings nicht – wie Kuntze meinte – mit Hegelscher Vernunftdialektik728. Vielmehr liegt der Berührungspunkt darin, dass Jhering nicht nur wie Hegel keinen Widerspruch zwischen der Annahme eines archaischen Rechtszustandes und einer noch nicht bei staatlichen Institutionen monopolisierten Gewaltanwendung gesehen hatte, sondern dass er auch in institutionell entwickelten Rechtsordnungen den »formellen Rechtsstandpunkt«729 immer unter einem Vorbehalt stehen sah, der kein juristischer war730. Es war nämlich der faktische und sich im äußersten Fall auch durch offene Gewalt geltend machende Vorbehalt der von Jhering allerdings nicht vernunftphilosophisch begründeten »historischen Nothwendigkeit«, dem jede geltende Rechtsordnung immer unterworfen sei731. Darin lag nicht nur eine Zurückweisung des »Rationalismus« des 18. Jahrhunderts, welcher nach Jhering

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dass auch »ich [sc. Jhering] es wohl zufrieden bin, sie [sc. die geschichtlichen Zustände vor Etablierung eines geordneten Staats- und Gemeinwesens] nicht in der Wirklichkeit erleben zu müssen […]« [Jhering, Geist I (21866), § 11, S. 120 Fn. 25a]. Ob Jhering mit dieser methodisch bemerkenswert modernen Haltung, die unterschied zwischen rechtstheoretischer und rechtspolitischer Bewertung vergangener Rechtszustände, auch in der Sache selbst richtig lag, ist allerdings eine andere hier nicht zu entscheidende rechtshistorische Frage, die bis in die jüngste Gegenwart unterschiedlich beantwortet wird. Vgl. O.Behrends, Wieacker-Nachruf (1995), S. LIIIff. über seine Kontroverse mit Franz Wieacker über die rechtshistorische Bedeutung der Selbsthilfe. Behrends sieht Wieacker in dieser Frage in einer direkten Kontinuitätslinie mit Jhering und Jhering wiederum nur als »Puchta-Schüler« argumentieren (vgl. dazu schon C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 222f.). J.E.Kuntze, Geist I-Rezension (1855), S. 195f. Dass aus »der subjectiven Thatkraft, welche, beim Lichte betrachtet, doch nichts Anderes, als die Gewalt ist, eine Rechtsordnung entstehen soll«, der sich jeder mit »einer sittlichen Nothwendigkeit unterwirft«, war für J.F.Dworzak, Versuche (1856), S. 54 »überhaupt nicht zu begreifen« gewesen. Ebenso hatte auch schon die Kritik von T.Brackenhoeft, Geist I-Rezension (1852), S. 842f. gelautet. Insoweit auch O.Behrends, Jhering (1987), S. 250 mit Fn. 65. Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 314. Das übersieht A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 204ff, wenn sie aus den den »Geist des römischen Rechts« einleitenden Ausführungen Jherings zur sogenannten physiologischen Betrachtung des jeweiligen Rechtsorganismus den Schluss zieht, Jhering habe die Kriterien, die er dort im Rahmen seiner Darlegungen zur »Aufgabe des Historikers gegenüber dem Recht der Vergangenheit« für die »Methode der rechtshistorischen Darstellung« aufgestellt hatte [vgl. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 12ff., § 4, S. 39], als Bedingungen für die juristische Geltung des Rechts verstanden, so dass – so Brockmöller, aaO, S. 206 – nach Jhering immer die »Rechtssätze erst [sc. juristische] Geltung« erlangen würden, »sofern sie sich in der Wirklichkeit bewähren« und das »Recht in der Wirklichkeit nur Geltung« beanspruchen könne, »sofern es materiell angemessen ist«. Dies war aber mitnichten die Auffassung des Juristen und Pandektisten Jhering. Jhering, Geist II/1 (11854), § 28, S. 75.

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noch gar »keine historische Nothwendigkeit« gekannt habe732, sondern auch ein bereits deutlich veränderter Standpunkt gegenüber der Historischen Rechtsschule, die zwar bekanntlich von der historischen Notwendigkeit ausgegangen war, diese aber – unter aktiver Mitwirkung der Juristen – nur innerhalb und durch das Recht hatte wirksam werden sehen. Nach Jhering hingegen war es durch die Geschichte der Rechte und Staaten wiederholt bestätigt worden und auch für die Gegenwart und Zukunft keineswegs ausgeschlossen, dass sich die entwicklungsgeschichtliche Notwendigkeit gegebenenfalls auch gegen die geltende Rechtsordnung und deren Institutionen durchsetze. Diese geschichtsphilosophische Auffassung vertrat Jhering allerdings als Rechtshistoriker bzw. Theoretiker der Entwicklungsgeschichte des Rechts, nicht als Jurist. Denn für den das Recht anwendenden Juristen unterlag die juristische Gültigkeit des positiven Rechts keinem rechtlich erheblichen Vorbehalt. Sie war unabhängig von allen »subjektiven Vorstellungen des Richters von der Sittlichkeit u.s.w.«733, was – wie Jhering auch in späterer Zeit bekräftigte – »den Richter nicht selten zwingt, gegen seine Ueberzeugung ein Urtheil zu fällen«734. Das für den Rechtsanwender entstehende Dilemma im Falle einer Diskrepanz zwischen seinem die Notwendigkeit einer Rechtsänderung fordernden Rechtsgefühl und dem positiven Recht hat Jhering von Anbeginn seiner literarischen Tätigkeit735, besonders aber nach seinem persönlichen Krisenerlebnis von 1858/59 immer wieder beschäftigt. Wohl gerade auch dieses Krisenerlebnis und die Art seiner Bewältigung vor Augen drückte Jhering in seiner Wiener Antrittsvorlesung von 1868 immerhin die Hoffnung aus, dass der Richter in solchen Fällen zumindest nach »einer erneuerten Prüfung« des Gesetzes feststellen könne, dass »die Unbilligkeit oder Anstößigkeit eines Rechtssatzes nicht in ihm [sc. dem Gesetz] selber, sondern in einer falschen Auffassung desselben seinen Grund hat.«736 Das war nicht besonders originell, denn so stand es beispielsweise auch bei Windscheid737. Aber es entsprach Jherings eigener 732 So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 925 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51]. 733 Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 58, 55; Ders., Geist II/2 (11858), § 38, S. 336. 734 Jhering, Geist III/1 (11865), § 50, S. 17; Ders., Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 86. Vgl. auch O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 82f. sowie A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 219f., die diese Haltung allerdings erst für Jherings Spätwerk annimmt. 735 Vgl. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 13, 86. 736 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 88. Dort konstatierte und forderte Jhering, aaO, S. 86, dass der Rechtsanwender »in dem Widerspruch, den sein Rechtsgefühl« gegen einen geltenden Rechtssatz erhebe, »den Anlaß zu erneuerter Prüfung des Rechtssatzes erblicken und gleich mir nicht selten die Erfahrung machen [sc. wird], daß dieser Nothstand, in den der Rechtssatz ihn versetzte, nur in einer schlechten, ungenauen, einseitigen Fassung desselben seinen Grund hat.« 737 Vgl. B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 28, S. 62 zum Richter, der an das »positive Recht« auch dann gebunden sei, wenn sein »Rechtsgefühl« demselben widerstreite. Aber es

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Praxis auch nach 1858. So hatte er in dem später berühmt gewordenen Doppelverkaufs-Fall im Jahre 1858 erst nach einer »erneuerten Prüfung« festgestellt, dass sein ursprüngliches Ergebnis, das ihm schon bei der Abfassung seiner Habilitationsschrift 1843 anstößig erschienen war, in Wirklichkeit gar nicht vom geltenden Pandektenrecht gefordert werde, sondern in seiner eigenen »falschen Auffassung« desselben begründet gewesen sei738. Die Rechtsgehorsamspflicht des Rechtsanwenders wurde damit letztlich nur bekräftigt, das eigentliche richterliche Dilemma blieb ungelöst. Jhering wusste das und bekannte sich zu dessen Unlösbarkeit auf rechtlichem Wege, indem er die Rechtsanwendung einer positiven Rechtsregel auch im Falle ihrer vom Richter empfundenen Unbilligkeit als Ausdruck der besonderen richterlichen Professionalität deutete. Nicht zufällig brachte er schon im Zusammenhang mit der Beschreibung der Praxis des frühen römischen Rechts seine zwar nicht vorbehaltlose, aber trotzdem unverhohlene Bewunderung für den richterlichen »Heroismus der Selbstverläugnung im Dienst des Rechts« zum Ausdruck. Es sei »etwas Hohes und Herrliches um diese rücksichtslose Verwirklichung des Rechts; wenn alle Güter geopfert, die stärksten Triebe, Gefühle und Rücksichten überwunden werden, damit das Recht triumphire«, formulierte Jhering 1866 in der zweiten Auflage von Geist II/ 1739 mit einem Pathos, das bereits an den berühmten späteren Ausspruch Gustav Radbruchs über das vom Richter zu erbringende »sacrificium intellectus« erinnert740. Und 1884 sprach Jhering in einem ausdrücklich zur Veröffentlichung »wird ihm [sc. dem Richter] jedoch eine genaue Erforschung des wahren Gehaltes des positiven Rechtes sehr häufig die, dem ersten Blick sich verbergende, Möglichkeit gewähren, die Ansprüche der Billigkeit mit dessen eigenen Mitteln zu befriedigen.« Diese Haltung hat Windscheid auch in seinen späteren Jahren beibehalten [vgl. nur U.Falk, Jurist (1993), S. 606f.]. 738 So hatte, als im Doppelverkaufs-Fall Jherings »natürliche[s] Rechtsgefühl Protest« erhob [Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 291ff.], Jhering anders als noch 1844 im Jahre 1858 nach erneuerter Prüfung erstens festgestellt, dass das unbillige Ergebnis, wonach der dolose Doppelverkäufer zweimal den Kaufpreis beanspruchen kann, gar nicht ausdrücklich in den Quellen festgelegt sei, und zweitens, dass die von ihm ursprünglich als hier maßgeblich betrachtete Gefahrtragungsregel, die dem dolosen Verkäufer seine Ansprüche gegen beide Käufer zu sichern schien, nach ihrem eigenen »Sinn und Zweck« nur die Fälle erfasse, wo »der Verkäufer durch den Untergang der Sache S c h a d e n erlitten hat« (Jhering, aaO, S. 295ff., 302, 307f., 320), also in Fällen wie dem vorliegenden gar nicht anwendbar sei. 739 Jhering, Geist I (21866), § 28, S. 65. 740 Vgl. G.Radbruch, Rechtsphilosophie (31932), § 10, S. 84f. zum »sacrificium intellectus«, das der Richter im Gegensatz zum Pfarrer zu erbringen habe – eine Auffassung, die durchaus einen »ethischen Standpunkt« zum Ausdruck bringen sollte [G.Otte, Kritik (1983), S. 366; R.Dreier/S.L.Paulson, Radbruch (1999), S. 466f.], wobei allerdings Radbruchs zugrunde liegende »wertphilosophische Position« – noch unvorstellbar für einen Pandektisten des 19. Jahrhunderts – der philosophische Wertrelativismus war [W.Ott, Rechtspositivismus (21992), S. 42f.]. Ein allerdings ganz ähnliches Pathos im Hinblick auf die Rechtsdurchsetzung findet sich schon früh bei B.Windscheid, Rechtswissenschaft (1854), S. 12: »Auch das rechtskräftige Urtheil kann ungerecht sein […]. Und es kann sogar

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bestimmten Schreiben von »unter Umständen harte[n] Konfliktfälle[n], die […] dem Juristen nicht erspart bleiben, deren Bestehung ihm jedoch durch die ihm zur zweiten Natur gewordene Gewohnheit, sein subjektives Meinen der Autorität des Gesetzes unterzuordnen, erheblich erleichtert wird«. Denn gerade dadurch sollten sich Juristen von den Laien unterscheiden, dass sie sich »bei Anwendung eines Gesetzes durch die vermeintliche oder wirkliche [sic!] Härte oder Unbilligkeit desselben nicht beirren« ließen und notfalls »die Stimme ihres natürlichen Rechtsgefühls zum Schweigen bringen, wo das Recht damit in Widerspruch steht«741. Eine Vermittlung »zwischen dem geschriebenen Recht, der formalen eine Art von stolzer Freude erregen, wenn in dieser Weise die Majestät des Rechts sich selbst im Unrechte bewährt.« Savigny, aber auch Puchta kannten dieses von E.Bucher, Begriffsjurisprudenz (1966), S. 373 Fn. 22 sogenannte »moralische Pathos der begriffsjuristischen Grundsatztreue« hingegen noch nicht. Aber auch das im Gedanken der Rechtsanwendungsgleichheit wurzelnde »moralische Pathos« von Jhering oder Windscheid ist nicht einfach gleichzusetzen mit dem geradezu a-moralischen, nämlich dem gerade in der Ausklammerung jedes Werte- und Gerechtigkeitsbezugs gründenden Pathos des späteren unbeschränkten Rechtspositivismus, wie es sich besonders eindrücklich in den vielzitierten Worten des »Superpositivisten« Bergbohm [so R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 271 über Karl Bergbohm] von der »Gedankenzucht ohne Grenze« niederschlug, die der Jurist auch gegenüber dem moralisch »niederträchtigste[n] Gesetzesrecht« zu befolgen habe: »Und gerade dem um seiner Schädlichkeit oder Inhumanität mißfälligen Recht gegenüber bewährt sich erst des reinen Juristen vornehmste Tugend: die Fähigkeit seinen Verstand jeder Beeinflussung selbst durch die tiefsten persönlichen Überzeugungen und heißesten Herzenswünsche zu entziehen […]« [K.Bergbohm, Jurisprudenz (1892), S. 144 (Fn. 15), S. 398 (Kursivhervorhebung nicht im Original)]. Ungeachtet der offensichtlichen sprachlichen Anleihen bei bekannten Formeln prominenter Repräsentanten der Historischen Rechtsschule hat Bergbohm hier keineswegs die typische »Einstellung der Rechtstheorie des 19. Jahrhunderts« zusammengefaßt, wie viel zu pauschal beispielsweise H.Coing, Ethik (1970), S. 16 oder jüngst wieder S.Vogenauer, Auslegung I (2001), S. 624f., 656, letzterer mit einem ganz undifferenzierten Verweis auf den angeblich durchgängig positivistischen Rechtsbegriff von Kant bis Bergbohm behaupten. Solche Deutungen haben zwar eine lange bis in die Zeiten der Freirechtsbewegung reichende Tradition. Aber zwischen Windscheids vorstehend angeführter Sentenz, die nach den markigen Worten von E.Fuchs, Kulturkampf (1912), 24f. (Original) / S. 48f. (Wiederabdruck) als Gipfel der begriffsjuristischen »Teuflischkeit« mit »perverse[r] Freude […] auch aufs schwerste die Moral« verwirrt habe, und den späteren Worten Bergbohms bestand zumindest ein ganz entscheidender Unterschied. Ein nach seinen Inhalten unter Umständen sogar inhumanes Recht, von dem Bergbohm am Ausgang des Jahrhunderts unter gezielter Eliminierung aller »naturrechtlichen Elemente« der Historischen Rechtsschule (aaO, § 16, S. 480ff.) ganz ernsthaft sprach, hatte noch keiner der Pandektisten der Historischen Rechtsschule je ins Kalkül gezogen [in diesem Sinne auch M.Frommel, Rezeption (1981), S. 176 und W.Pöggeler, Einleitung (1998), S. 23–25]. Ein solches Recht lag nämlich nicht nur außerhalb des Gegenstandsbereiches ihrer pandektistischen Untersuchungen des Gemeinen Rechts, vor allem hätte ein zeitgenössisches inhumanes oder moralisch niederträchtiges Recht allen unausgesprochenen und – im Hinblick auf Puchtas und Jherings Rechtsbegriff und ihre Geschichtsphilosophie – auch den ausgesprochenen Prämissen ihres Rechts- und Geschichtsdenkens widersprochen. 741 Jhering, Gotthardbahn-Gutachten (1884), S. 4. Umgekehrt hatte der späte Jhering gewisse, eine besonders große Entscheidungsflexibilität und Sachkunde im jeweiligen Einzelfall

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und der über demselben stehenden materiellen Gerechtigkeit«742 schien im konkreten Falle ihrer auch nach »einer erneuerten Prüfung«743 nicht ausräumbaren Diskrepanz auf rechtlichem Wege somit ausgeschlossen. Zugleich aber war Jhering davon überzeugt, dass der Möglichkeit, den Richter und alle Rechtsunterworfenen juristisch zu zwingen, enge faktische Grenzen gesetzt seien. Schon bei schlichten gesetzlichen Formvorschriften, die dem tatsächlichen Verkehrsbedürfnis im Wege ständen, konnte nach Jhering keine Macht der Welt die »Flucht des Verkehrs vor der lästigen Form« und die »förmlich zur Regel und zur zweiten Natur gewordene«, gleichwohl rechtswidrige »Nichtbeachtung der Form« verhindern744. Das bleibe nicht ohne Einfluss auf die richterliche Rechtsanwendung. Niemals solle daher – so warnte Jhering jeden Gesetzgeber – ein »Gesetzbuch […] den Richter […] nöthigen, ihm den Gehorsam aufzukündigen.«745 Die tatsächliche »Opposition gegen ein unhaltbares Gesetz« könne man vom formalrechtlichen Standpunkt aus so sehr

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erfordernde »Frage[n] gar nicht zur Aufstellung bestimmter gesetzlicher Normen« und damit gegebenenfalls zu einer richterlichen Entscheidung über die Anwendung der Rechtsnorm für geeignet gehalten. Denn die große »Unbestimmtheit« des Gesetzes, die bei der regelnden Materie unumgänglich sei, würde den »gewöhnlichen Richter« regelmäßig überfordern und sei daher am besten auch nicht etwa der Wissenschaft, sondern von vornherein der allein auf die Zweckmäßigkeit bedachten »concreten Beurtheilung der Administrativbehörde überwiesen« [Jhering, Urheberrechts-Gutachten (1887), S. 16, 18, 20 und direkt dazu M.G.Losano, Studien (1984), S. 66ff.]. Jhering, Zweck I (21884), S. 431. Einen Versuch zu einer rechtlichen Vermittlung des positiven Rechts mit weitergehenden materiellen Gerechtigkeitsforderungen machte Jhering 1877 allerdings mit seinem rechtspolitischen Vorschlag auf Einrichtung eines »Gerechtigkeitshofs«. Nach diesem Vorschlag sollte der Richter weiterhin »streng nach dem geschriebenen Recht« urteilen. Eine über ihm und dem Gesetz stehende »r i c h t e r l i c h e Behörde«, die nur der »Verwirklichung der materiellen Gerechtigkeit« diene, sollte aber »Unvollkommenheiten des Gesetzes nach Art des Gesetzgebers« beseitigen können. Selbst die Ausweitung der Strafbarkeit entgegen dem Grundsatz »nulla poena sine lege« sei dann in Fällen, wo das »unbefangene [sic!] Rechtsgefühl des Volks« Bestrafung verlange, möglich [Jhering, Zweck I (11877), S. 421–424]. Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 88. Jhering, Geist II/2 (11858), § 45, S. 514f. Beispielhaft verwies Jhering auf die Diskrepanz zwischen Recht und zeitgenössischer Rechtswirklichkeit beim »Productenhandel« in »meinem Vaterlande Ostfriesland« (aaO, S. 515 Fn. 662). Auch habe das »Jahr 1848 […] uns ja Beispiele die Menge gegeben« dafür, dass »die Staatsgewalt lahm und ohnmächtig« sei gegenüber »der überlegenen Widerstandskraft und der Erregtheit der Masse« und dass somit nicht nur in archaischen Rechtszuständen, sondern auch »im wohlorganisirten Staat die Verwirklichung des Rechts nicht weniger scheitern« könne [Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 120 Fn. 26]. Jhering, Besitzwille (1889), S. 490f. Dort prophezeite Jhering dieses »Loos […] unserm künftigen Gesetzbuch […], wenn es die Fassung des Entwurfs« und die für das Bürgerliche Gesetzbuch dort vorgesehene Definition des Besitzes beibehalte. Vgl. auch Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 485; DERS., Solidarobligation (1886), S. 464.

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»verdammen, wie man will, dem Richter namentlich noch so sehr die Pflicht einprägen, seinem Urtheil über die Unangemessenheit des Gesetzes keine praktische Folge zu geben, die Thatsache wird dadurch nicht anders: d e m Ve r d a m m u n g s u r t h e i l d e r Ju r i s t e n i s t a u f d i e D a u e r k e i n G e s e t z g e w a c h s e n . Absichtlich oder unabsichtlich wird die Hand des Richters läßig, […] der Scharfsinn des Exegeten bietet alle seine Erfindungskraft auf, das Gesetz zu durchlöchern und unterminiren, Voraussetzungen hineinzutragen, von denen das Gesetz nichts wußte und wollte, die Worte, je nachdem es Noth thut, im weitern oder engern Sinn zu deuten, und wie durch stillschweigende Verschwörung finden auch die erzwungensten Deductionen Eingang und willigen Glauben – au c h d i e L o g i k f ü g t s i c h d e m I n t e r e s s e . Dieser stille Krieg der Juristen gegen das Gesetz wiederholt sich überall, wo ein Gesetz zu einer Unmöglichkeit geworden und doch von der Staatsgewalt nicht zurückgenommen wird. Es ist die natürliche Reaction des Rechtsgefühls gegen eine eclatante Mißachtung desselben von Seiten der Gesetzgebung.«746

Letzteres blieb danach allerdings vom juristischen Standpunkt aus zu missbilligen747. Vom historischen bzw. entwicklungsgeschichtlichen Standpunkt aus konnte es Jhering aber der »Jurisprudenz nur zum Lobe anrechnen«, wenn sie etwa im Falle dauernder Untätigkeit des Gesetzgebers »anstatt sich blindlings dem Gesetz unterzuordnen, dasselbe vielmehr den Bedürfnissen des Lebens und den Anforderungen der Zeit anzupassen« versuche748. Denn – so hielt Jhering in der 746 Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 491; § 47, S. 690; DERS., Geist III/1 (11865), § 57, S. 247, 249. 747 Das übersieht R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 225f., die meint, die im Text zitierten Worte Jherings als einen Beleg dafür verwenden zu können, dass Jhering sich schon früh gegen die »Herrschaft eines falsch verstandenen Bindungspostulats« des juristisch geltenden Rechts ausgesprochen habe, während Jhering hier doch tatsächlich nur vom entwicklungsgeschichtlichen Standpunkt aus vor dem reformunwilligen bzw. reformunfähigen Gesetzgeber warnte, der die Zeichen seiner Zeit übersehe. Dasselbe gilt im übrigen für die Deutung von Jherings Worten durch A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 86f., 128ff., 295ff.; A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 196f. mit Fn. 53 und K.Schmidt, Jhering (1993/1996), S. 211f. Damit geht auch die Kritik des zuletzt Genannten ins Leere, Jhering würde nach heutiger Terminologie sogar eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung contra legem zulassen, dabei aber den Rechtsanwender »bei der Frage nach dem ›Wann‹ im Stich« lassen (aaO). Tatsächlich war nach Jherings lebenslanger Auffassung eine Rechtsfortbildung contra legem schon nach dem ersten Gesetz der »juristischen Methode«, dem »Gesetz der Deckung des positiven Stoffes«, ausgeschlossen. Vgl. dazu eingehend Teil 2, Abschnitt II. 2. b) bb) und cc) jeweils zum »Gesetz der Deckung« bei der abstrakten und der konkreten juristischen Konstruktion. 748 Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 490. Bezogen war der im Text zitierte Satz auf die »alte Jurisprudenz« in Rom. Bei ihr hätte das damalige »Wesen der strengen Wortinterpretation« nach Jhering eigentlich erfordert, dass sie auch »bei einem Mißgriff im [sc. sprachlichen] Ausdruck von Seiten des Gesetzgebers ihre bessere Ueberzeugung und die Interessen des Lebens sklavisch dem Buchstaben geopfert« hätte (aaO, S. 487). In der rechtshistorischen Wirklichkeit aber hätten »manche ihrer Auslegungen weder den Worten, noch dem Sinn des Gesetzes« entsprochen, so dass im Ergebnis die frühe römische Jurisprudenz in rein

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ersten und auch in der an dieser Stelle neu formulierten zweiten Auflage fest – die juristische Positivität, in Jherings Worten die formale »Selbständigkeit des Rechts«, sei nicht »das absolut Höchste«749. Jhering ging sogar so weit, unter bestimmten Umständen sowohl eine Revolution wie auch einen Staatsstreich für legitim zu halten750. Der spätere Vorwurf von Karl Bergbohm gegen die Historische Rechtsschule, sie würde die Bedeutung solcher Ereignisse für die Bildung des positiven Rechts ignorieren, traf Jhering nicht751. Hielt doch in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht bereits der junge Jhering anders als die Historische Rechtsschule752 nicht die gegen die geltende Rechtsordnung gerichtete Gewalt als solche, sondern nur diejenige Gewalt, die – aus der ex-post-Perspektive des Historikers beurteilt – aus keiner »historischen Notwendigkeit« folgte, für »einen frevelhaften Schlag auf den Baum des Rechts«753. Nicht »fre-

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tatsächlicher Hinsicht sogar ein »ich möchte fast sagen, […] freieres [sc. Verhältnis zum Gesetz], als […] unsere heutige Jurisprudenz« eingenommen habe (aaO, S. 489). Jhering, Geist II/1 (11854), § 28, S. 75; Ders., Geist II/1 (21866), § 28, S. 66. Man kann hier eine direkte Verbindungslinie zu Jherings späterer Feststellung in Zweck I (21884), S. 250 finden: »Das Recht ist nicht das Höchste in der Welt, nicht Selbstzweck, sondern lediglich Mittel zum Zweck […]. Zeigt es sich, dass die Gesellschaft bei dem bisherigen Rechtszustande nicht zu bestehen vermag, und ist das Recht nicht im Stande, dem Abhilfe zu gewähren, so greift die Gewalt ein und thut, was geboten ist […].« Jhering, Geist II/1 (11854), § 28, S. 75; Ders., Zweck I (21884), S. 257f., 314. K.Bergbohm, Jurisprudenz (1892), S. 542. Dasselbe gilt auch für die Kritik von J.Gaudemet, Organicisme (1970), S. 36f. Schon der junge Jhering brachte es fertig, neben dem »Gewohnheitsrecht« auch »die Revolution« als Beispiel für den »Eingriff des materiellen Prinzips« in das die Gesetzgebung beherrschende »Prinzip der formalen Rechtswahrheit – [der] bl. Fiktion« zu bezeichnen [Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 8r], ein Gedanke, der – wäre er veröffentlicht worden – auf Gemüter wie Savigny oder Puchta geradezu unanständig gewirkt haben müßte. Dass die Auffassung Jherings, wonach unter bestimmten Umständen nur »eine Revolution die einzige Rettung« sein könne [Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 49 (undatierter Brief Jherings), S. 159], keine nur rein theoretische war, zeigte Jhering übrigens Anfang 1864 durch sein allerdings unter nationalpatriotischen Vorzeichen stehendes Engagement in »der Schleswig-Holsteinischen Sache« bei der Organisierung einer politisch-militärischen »Bewegung« [Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 49 (auf Anfang 1864 datierter Brief Jherings), S. 159f.; Nr. 50 (Brief Jherings vom 20. März 1864), S. 164f.] gegen das im November 1863 vom dänischen Reichstag beschlossene »Grundgesetz für Dänemark und Schleswig« [vgl. M.G.Losano, Studien (1984), S. 17ff. und T.Schieder in: B.Gebhardt, Handbuch (81960), S. 159f. zu den historischen Hintergründen]. Vgl. zu deren Standpunkt G.Rexius, Staatslehre (1911), S. 501 Fn. 1. Jhering, Geist II/1 (11854), § 28, S. 75. Dafür, dass man die Anwendung von Gewalt aus sicherer historischer Distanz unter Umständen unbefangener beurteilt, denn als Zeitgenosse, findet sich allerdings auch bei Jhering selbst ein biographischer Beleg. Einerseits beurteilte er in einem Mitte des Jahres 1848 geschriebenen Brief an Bachofen [BrucknerBriefe/1934, Nr. V (Brief vom 7. Juli 1848), S. 58f.] »das gegenwärtige Jahr« als eines, das »für immer in den Annalen der Weltgeschichte als ein Jahr des Weltgerichts über Völker und Fürsten«, als eine »Saatzeit der Freiheit«, nämlich als das endgültige Ende absolutistischer Herrschaft, eingehen werde. Andererseits beklagte Jhering in Rostock als ein – dort allerdings eher entfernter – Zeuge des »Faustrecht[s]« der aktuellen politischen Unruhen »durch ganz Deutschland«, »wohin unsere Frivolität in menschlichen und göttlichen

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velhaft« war dieser Schlag nach Jhering dagegen beispielsweise dann, wenn ein – gemessen am jeweiligen entwicklungsgeschichtlichen Stand – »unterdrücktes Volk sich seines Tyrannen entledigt«754. Dennoch hätten die Protagonisten einer solchen Gewalttat auch dann niemals das geltende Recht auf ihrer Seite, da das der von Jhering sogenannten historischen Notwendigkeit folgende »Recht […] [sc. bloß] als innerliche[s], als subjektives Rechtsgefühl« in juristischer Hinsicht eben noch kein »Recht« sei755. Das Risiko einer rechtlichen Sanktion, aber auch moralisch-sittlichen Verurteilung756 lag danach also ganz bei den Protagonisten einer Revolution oder eines Staatsstreiches. Denn Jhering meinte allerdings nicht in machiavellistischer oder fatalistischer Absicht, sondern in dem Glauben, dass in der Geschichte nur dasjenige dauerhaften Erfolg haben könne, was nicht gegen die Entwicklungsgesetze historischer Notwendigkeit verstoße757: »[…] das Urtheil über sie [sc. die Protagonisten der Gewalt] liegt in ihrem Erfolg«758. Natürlich

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Dingen geführt hat«. Aber – so glaubte Jhering – »der Anblick der Gräuel, die der Freiheitsschwindel uns gebracht hat, [wird] alle Gutmeinenden zu der Überzeugung führen […], dass der Gesetzlichkeit und Achtung vor dem Staat und seiner Obrigkeit, dass Mässigung, Beschränkungen der Freiheit die unzertrennlichsten Voraussetzungen der wahren Freiheit sind und dass die Freiheit, die wir gegenwärtig geniessen, nur das Delirium eines Fieberkranken ist.« Für eine Freiheit, wie sie der »Pöbel« und ein »paar radikale Wähler« mit »Sympathien für [die] Republik« verstanden (aaO), war die Gewalt aus der Sicht Jherings offenbar nicht »historisch notwendig«. Nach M.Kunze, Forschungsbericht (1995), S. 135 machte sich hier Jherings »patrizisches Standesbewußtsein« bemerkbar. Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 105. Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 105. Vgl. zur letzteren Jhering, Zweck I (21884), S. 252. Nach O.Behrends war »die sittliche Rechtfertigung von Gewaltakten« Jherings Denken »ganz fremd« [so Behrends in: Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 39 Fn. 24 (Anmerkung des Herausgebers)]. Zumindest im Hinblick auf den von Jhering sogenannten Fall der rettenden Tat muß man das aber wohl einschränken. Denn es ist kaum anzunehmen, dass Jhering die rettende Tat in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht rechtfertigen, ihrem jeweiligen Protagonisten aber die individuelle moralische Rechtfertigung versagen wollte. Eine auch »m o r a l i s c h e « und nicht nur juristische Pflicht zum »Gehorsam gegen das Gesetz«, selbst wenn dasselbe mit dem »eignem Rechtsgefühl in schneidendem Contrast steht« [Jhering, Zweck I (11877), S. 404f.], hat Jhering nur in einem anderen Zusammenhang ausdrücklich behauptet, nämlich im Hinblick auf die sittliche Berufspflicht des Richters zur Rechtsanwendung. Vgl. Jhering, Besitzwille (1889), S. 464 zur »Realkritik der Geschichte« an den »nicht […] gesunden, lebenskräftigen, kernigen Gedanken« des jeweils geltenden Rechts. Jhering, Zweck I (21884), S. 252. Kritisch zu dieser von Pleister einprägsam, aber etwas oberflächlich sogenannten »Erfolgsphilosophie« und deren Wurzeln in Jherings erstem Hauptwerk, dem »Geist des römischen Rechts«, äußert sich W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 311f. Fn. 339 m.w.N. Entgegen der schlagwortartigen Kurzcharakterisierung von Pleister war es nicht der Erfolg der Rechtsverletzer an sich, dem Jhering in quasi-darwinistischer Manier die nachträgliche Weihe entwicklungsgeschichtlicher Legitimität hätte verleihen wollen. Vielmehr lag Jherings Denken umgekehrt die heute allerdings in der Tat überholte Vorstellung zugrunde, dass in der Geschichte immer nur diejenigen Rechtsverletzer einen dauerhaften Erfolg für sich verbuchen könnten, deren Taten auch wirklich einer

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nicht durch das vorrevolutionäre Recht, wohl aber durch »unsere [sc. heute herrschende] Theorie von Recht und Gewalt« sah Jhering dies auch zumindest stillschweigend anerkannt, insoweit nämlich als diese die erfolgreich herbeigeführte »Aenderung als vollendete Thatsache« zumindest in ihrer rechtsbegründenden bzw. rechtsvernichtenden Wirkung auch juristisch anerkenne759. Umgekehrt wäre aber nach Jhering auch ein Festhalten an einem der »historischen Notwendigkeit« widersprechenden Recht nur – wie Stahl es noch forderte – »um jener selbständigen Existenz willen«760 nicht weniger frevelhaft gewesen761 und zudem – davon war Jhering im Hinblick auf die letztlich immer »zwingende Macht des Rechtslebens«762 zutiefst überzeugt – auf Dauer auch gar nicht möglich763. Jhering legte seinen ganzen im Fortschrittsglauben des Aufklärungszeitalters wurzelnden und an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert nicht mehr nur der idealistischen Geschichtsphilosophie eigenen Optimismus764, dass eine stetige stufenweise geschichtliche Evolution stattfinde765, in die

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aktuellen entwicklungsgeschichtlichen Notwendigkeit im langen Prozess der geschichtlichen Aufwärtsentwicklung entsprechen bzw. – im geschichtlichen Rückblick und mit dem Überblick des Historikers und Geschichtsphilosophen betrachtet – entsprachen. Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 105. F.J.Stahl, Philosophie II/1 (31854), § 23, S. 258. Nach Stahl mußte das positive Recht, auch wenn es dem tatsächlichen »nationalen Bewußtsein in hohem Grade entfremdet, ja sogar widersprechend« wäre, »seine volle Kraft und Heiligkeit« bewahren, bis es »auf dem von ihm selbst bezeichneten Wege abgeändert wird« (aaO). Alles andere wäre ein »Frevel der Revolution« (aaO, § 12, S. 222). Dazu H.Klenner, Rechtsphilosophie (1991), S. 88ff. Vgl. schon Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 568 über das Verhältnis von menschlicher Tat und historischer Notwendigkeit: »Ohne Thaten ist keine Geschichte möglich […], aber das Gefühl, daß uns der Geist der Geschichte zur Seite steht, soll uns kräftigen und stählen, die Aufgabe zu lösen, die zwar von Menschenhänden vollbracht wird, aber von der Geschichte selbst gestellt war. Wo sie das Zeichen gegeben […], da wird der Indifferentismus des Einzelnen zur Sünde […].« Jhering, Solidarobligation (1886), S. 464. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 336: »Bestimmungen, die völlig zweckwidrig sind, scheitern an ihrer eignen Unausführbarkeit, und Gesetze, die mit der Zeit in Widerspruch stehen, mögen sie hinter ihr zurück oder ihr voraus sein, können des ärgsten Widerstandes gewiß sein.« Freilich hatte Jhering Anfang der fünfziger Jahre die historische Notwendigkeit noch unreflektiert in der »Geschichte mit ihren gigantischen, naturkraftartigen Mächten« begründet gesehen [Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 105], während er später mit seiner Evolutionstheorie des Rechts ein theoretisches Erklärungsmodell für die Fortschrittsentwicklung und ihre Gesetzmäßigkeiten vorlegte. Vgl. G.G.Iggers, Dt. Geschichtswissenschaft (1997), S. 52, 98 zu dem eigentümlichen »Optimismus« gegenüber der geschichtlichen Entwicklung, der – bei allen sonstigen Unterschieden – die klassischen Fortschrittstheorien der Zeit nicht weniger auszeichnete wie den zeitgenössischen Historismus. Aber nicht nur in geschichtsphilosophischer Hinsicht, sondern auch als das zeitgenössische Weltbild der sich als neue Sozialform etablierenden bürgerlichen Gesellschaft wurde nach E.R.Huber, Verfassungsgeschichte I (21967), S. 98 der feste Glaube an einen »wirtschaftlichen und geistigen« Prozeß, »in dem die Menschheit sich zur Vollkommenheit fortbewegt«, im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert zum »Grundgedanke[n] des neuen Jahrhunderts«, zur »großen Leitidee der Zeit.«

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Überzeugung von der Existenz einer »unüberwindlichen historischen Nothwendigkeit«766, die sich – und das unterschied Jhering eben von der bisherigen Historischen Rechtsschule, nicht aber von Hegel – auch in gewaltsamen Ereignissen Bahn schaffen könne und gegebenenfalls sogar müsse767. Jhering, der die juristische Geltung des Rechts nicht mehr mit dem Volksgeist legitimierte, war somit auch entschieden anderer Meinung als einst Gustav Hugo, der die Geltung des Rechts noch nicht mit dem Volksgeist legitimiert768 und daher vom juristisch geltenden Recht gemeint hatte: »[…] jeder Satz ist da, wo er einmahl gilt, erträglich, und jede Aenderung hat, als solche, ihre Bedenklichkeiten.«769 Andererseits lag Jhering nichts ferner, als eine Verherrlichung des Rechts765 Vgl. dazu O.Behrends, Jhering (1987), S. 266f. mit Fn. 135; Ders., Rechtsgefühl (1986), S. 80, 88 mit Fn. 35, 100ff.; B.J.Choe, Culpa (1988), S. 139f. m. w. N. sowie K.Luig, Natur u. Geschichte (1997), S. 291ff. Das Recht der Gegenwart bildete für Jhering jeweils den »vorläufig höchsten Punkt der bisherigen Rechtsentwicklung« [Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 79, 92]. 766 Jhering, Geist II/1 (11854), § 28, S. 75. Vgl. auch Jhering, Schuldmoment (1867), S. 221, 227 zur »unwiderstehlichen Gewalt des Zeitgeistes« bei der geschichtlichen Aufwärtsentwicklung. 767 Vgl. W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 207, 273f., 311 Fn. 339. Im Jahre 1866 bot sich Jhering sogar die Gelegenheit, von dieser Auffassung nicht nur auf die Geschichte, sondern auch auf die Gegenwart Anwendung zu machen. Im Krieg Preußens gegen Österreich und die mit ihm verbündeten deutschen Länder sowie in Bismarcks damit verbundener Verletzung des preußischen Verfassungsrechts im Indemnitätsstreit sah Jhering die Verwirklichung einer »welthistorischen, schöpferischen That«, die entgegen allen »liberalen Phrasen« von manchen Kollegen Jherings ohne »Blut und Eisen und Rechtsverletzungen« eben nicht möglich gewesen sei [so Jhering in einem Brief vom 22. August 1866 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 249, S. 600] und für Jhering zumindest nach dem militärischen Erfolg offensichtlich zu dem gehörte, was er in seinen beiden Hauptwerken, im »Geist« und im »Zweck«, die »r e t t e n d e n T h a t e n der Staatsgewalt« genannt hatte [Jhering, Zweck I (21884), S. 252; ders., Geist I (11852), § 10, S. 105], die vor dem »Tribunal der Geschichte« gerechtfertigt würden [Jhering, Zweck I (21884), S. 252]. So hatte Jhering 1866 zwar das pragmatisch »frevelhafte Spiel, das Bismarck mit allem treibt, was Recht und Wahrheit heißt«, klar gesehen, um dann aber zwei Monate später, nämlich nach dem Sieg Preußens festzustellen: »Ich beuge mich vor dem Genie eines Bismarck […]. Ich habe dem Mann alles, was er bisher getan hat, vergeben, ja mehr als das, ich habe mich überzeugt, daß es notwendig war, was uns Uneingeweihten als freventlicher Übermuth erschien, es hat sich hinterher herausgestellt als unerläßliches Mittel zum Ziel. Der Mann ist […] [ein] Mann der politisch und moralisch [sic!] in gleicher Weise beherzten und gewappneten Tat« [Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 61 und 63 (Briefe Jherings vom 14. Juni und 19. August 1866), S. 199f., 206f. und direkt dazu F.Wieacker, Jhering (1969), S. 10]. Vgl. im Übrigen auch Jherings Kritik an der Historischen Rechtsschule wegen ihrer »Scheu vor der historischen That« [Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 14]. 768 Vgl. insoweit zu Hugo A.Lavranu, Historizität (1996), S. 69 und O.Behrends, Hugo (1996), S. 203. 769 G.Hugo, Naturrecht (21799), § 135, S.133. Hugo bezeichnete »alles Juristische« kurzerhand als eine »Sache des […] Sichfügens, in das, was nun ein Mahl ist« [G.Hugo, Naturrecht (41819), § 1, S. 1. Vgl. dazu auch O.Behrends, Hugo (1996), S. 178ff. sowie H.Klenner, Rechtsphilosophie (1991), S. 98.

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bruchs und der Willkür770. Besonders der im Namen der »historischen Notwendigkeit« gerechtfertigte Staatsstreich gehörte nach Jhering zu den wirklich »tragischen Momente[n] des Rechts«, war er als Revolution von oben doch nichts weniger als eine Erhebung auch gegen das Volk und »den Glauben des Volks an die Unantastbarkeit und Heiligkeit des Rechts«771. Abgesehen von solchen geschichtlichen Ausnahmesituationen forderte Jhering aber, dass die »Staatsgewalt nicht in den Verwirklichungsprozeß des Rechts eingreife«, zumal im »normalen Zustande« doch »die einzige Gewalt, die das Recht zu fürchten hat, die des Staates selbst« sei772. Noch im Alter erinnerte er sich, wie er – allerdings nur vorübergehend – zum Gegner der Monarchie geworden sei, als er im Jahre 1837 als »Student in Göttingen […] den Umsturz des Staatsgrundgesetzes und die Vertreibung der sieben Professoren durch König Ernst August miterlebt« hatte773. Dennoch entsprach es der betont macht- und wirklichkeitsorientierten Sichtweise Jherings sowohl in seiner Früh- als auch in seiner Spätzeit, dass er rechtsstaatliche Sicherungen zwar für erforderlich774, aber gegenüber der »Energie und Empfindlichkeit des nationalen Rechtsgefühls«775, dem tatsächlichen »Geist« des Volks776 oder der Garantie durch eine herausragende »Per770 So urteilte W.Wertenbruch, Versuch (1955), S. 96 und blendete dabei aber Jherings geschichtsmetaphysische Grundüberzeugung von der sogenannten historischen Notwendigkeit ganz aus. 771 Jhering, Geist II/2 (11858), § 28, S. 74f.; ders., Zweck I (11877), S. 410. Aus dieser entwicklungsgeschichtlich begründeten »historischen Notwendigkeit« wurde in der späteren Schaffensphase Jherings dann allerdings ein unmißverständlicher politischer Imperativ zugunsten von »r e t t e n d e n T h a t e n « der staatlichen Exekutive und zulasten der verfassungsmäßigen Ordnung [Jhering, Zweck I (11877), S. 414ff., 417f.]. Diese Theorie des Staatsnotstandes war wohl kaum zufällig bestens geeignet zur Legitimation einer Politik, wie sie der von Jhering zuletzt fast gläubig verehrte Bismarck praktizierte, der für Jhering »der verkörperte geschichtliche Imperativ« [Jhering, Bismarck (1885), S. 31] und ihm persönlich »ein Gegenstand des Kultus« geworden war [vgl. Jherings Brief vom 22. April 1890, in: Poschinger-Briefe (1908), S. 7]. 772 Jhering, Geist II/2 (11858), § 28, S. 74f. 773 So Jhering in einem Brief an Bismarck vom 15. September 1885, in: Poschinger-Briefe (1908), Nr. II, S. 43 (die Datierung von Jherings Brief auf das Jahr 1855 beruht auf einem offensichtlichen Druckfehler in Poschingers Briefedition). Daher ist die Vermutung von M.Kunze, Forschungsbericht (1995), S. 130, dass den jungen Jhering die hannoversche »Verfassungsfrage […] relativ kalt zu lassen« schien, so nicht ganz zutreffend. 774 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 44, § 28, S. 79, 81 Fn. 77, S. 82f.; Ders., Geist II/2 (11858), § 38, S. 336 sowie Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 20–22 (vollständig neu formuliert, aber inhaltlich insoweit unverändert) und Ders., Zweck I (11877), S. 379ff. 775 Jhering, Geist II/1 (21866), § 28, S. 64. »Wo das Recht keine innere Macht besitzt, hat es auch keine äußere; nur hier darf die Staatsgewalt es wagen, ungestraft dem Rechte Hohn zu bieten« (aaO). Vgl. auch Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 336 sowie Ders., Zweck I (11877), S. 371ff. 776 Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 279: »Wenn ein schlechter Geist sie beseelt, sind alle rechtlichen Formen lahm und unwirksam«. Aus dieser aus geschichtlicher Untersuchung

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sönlichkeit«777 für zweitrangig, unter Umständen sogar für schädlich hielt778. Diese tatsächlichen, von der »Energie des Gerechtigkeitsgefühls im Volk«779 bzw. gewonnenen [Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 278, 281] und bis heute richtigen Einsicht zog Jhering den heute nicht mehr akzeptablen Schluss, dass die Verfassung nicht einmal für die »Freiheit im öffentlichen Recht« conditio sine qua non sei und dass daher unter Umständen sogar die wahre Freiheit »selbst in einer absoluten Monarchie sich niedergelassen« haben könne [Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 125 Fn. 142; § 35, S. 267f.]. Diese höchst problematische Bestimmung Verhältnisses zwischen »innerer und äußerer Art« der »Garantien des Rechtsstaats« [O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 238] übergeht Behrends, wenn er Jherings Auffassungen zum – im übrigen von Jhering selbst noch nicht so bezeichneten – Rechtsstaat heute als so aktuell bezeichnet, dass es an dieser Stelle nicht einmal mehr einer »aktualisierenden Übersetzung seiner [sc. Jherings] Worte« bedürfe. Vgl. dazu auch die übernächste Fußnote. 777 Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 270. 778 Im Ergebnis nicht anders als Savigny und – mit Einschränkungen – auch Puchta [vgl. C.E.Mecke, Begriff (2009), S. 275f.] hielt Jhering nicht die verfassungsrechtliche Frage nach der Staats- und Regierungsform für die wesentliche [Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 125 Fn. 142; § 35, S. 267]. Vielmehr setzte Jhering, aaO, § 35, S. 268ff. – übrigens im ausdrücklichen Gegensatz zum »Prinzip der Civilrechtspflege«– im Bereich des öffentlichen Rechts ganz auf den »Einfluß des persönlichen Elements«, legte »alles Gewicht auf die P e r s ö n l i c h k e i t s f r a g e «. In der ersten Auflage von Geist II/1 stellte Jhering noch »das P r ä v e n t i v - und das R e s p o n s a b i l i t ä t s s y s t e m « mit deutlichen Präferenzen für das zweitgenannte als die alternativen Möglichkeiten obrigkeitlicher Machtausübung gegenüber. Ersteres, nämlich das auf dem Prinzip rechtsförmiger Kontrolle und »Sicherheitsmaßregeln prophylaktischer Art« beruhende modern institutionell-bürokratische Präventivsystem charakterisierte Jhering als Ausdruck »des Mißtrauens« und der »Politik des Angst« gegenüber staatlicher Machtausübung (aaO, § 35, S. 270f.). Letzteres, nämlich das charismatisch-tatsächliche Responsabilitätssystem beruhte nach Jhering hingegen auf dem Prinzip »des Vertrauens« in die »Persönlichkeit« der Amts- und Machträger und sei selbst in »der absoluten Monarchie«, die »r e c h t l i c h kein Schutzmittel« gewähre, effektiver bei der Verhinderung der »M ö g l i c h k e i t d e s M i ß b r a u c h s « von Macht – die jeweils richtige »Einsicht des Handelnden« natürlich immer vorausgesetzt (aaO, § 35, S. 269). Vorbild für dieses geradezu vormoderne Vertrauen Jherings war seine Vorstellung vom antiken römischen Staat. Während nämlich heute durch die »Institutionen […] ein Zug des Mißtrauens« gehe (aaO § 35, S. 270), hätte sich dort selbst »die Demokratie […] nicht, wie bei uns, darin« gefallen, »die Macht der Regierung zu schwächen und die Autorität des Beamtenthums im vermeintlichen Interesse der Volkssouveränität herabzusetzen« (aaO, § 35, S. 273). Für die weitere Entwicklung Jherings ist es aufschlußreich, dass Jhering nach Textumstellungen und einigen Streichungen in § 35 seit der zweiten Auflage von 1866 die beiden Modelle obrigkeitlicher Machtausübung nicht einmal mehr theoretisch gegenüberstellte, sondern jetzt nur noch ohne Umschweife Stellung bezog gegen »das noch bis auf den heutigen Tag bei uns in voller Blüthe« stehende institutionell-rechtliche »System der Bevormundung« und Kontrolle des Staates und seiner Exekutivorgane [Jhering, Geist II/1 (21866), § 35, S. 246]. Auch die in der ersten Auflage noch enthaltene einschränkenden Einleitung, dass es nicht seine Absicht sei, »unser heutiges System schlechthin einer Kritik […] unterwerfen« zu wollen, wenn er die zeitgenössischen Konzeptionen eines institutionell-rechtlichen Kontrollsystems als Ausdruck für eine »Flucht vor der Persönlichkeit und […] Ueberschätzung der todten Regel und Anstalt« bezeichne (aaO, § 35, S. 270f.), war seit der zweiten Auflage von 1866 gestrichen. Vgl. später auch direkt an Geist II/1, § 35 anschließend Jhering, Zweck I (11877), S. 414f. Als Jhering in den achtziger Jahren am Beispiel des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck »den Segen einer gewaltigen

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Die Positivität des Rechts

»der lebendigen Wirksamkeit der Persönlichkeit« von »Individuen«780 abhängigen Faktoren waren für Jhering im Vergleich zu rechtlichen Einrichtungen nicht nur die wesentlicheren Sicherungen des Rechts, sondern umgekehrt im Fall einer verbreiteten Ablehnung des geltenden Rechts auch die entscheidenden Hürden bei dessen Durchsetzung durch staatliche Sanktionsorgane. Das ist zu berücksichtigen, wenn Jhering in Bezug auf das Recht schrieb: »Seine RechtPersönlichkeit« gegenüber »der öden Verherrlichung von Prinzipien und toten Formeln« feierte, stand dies in direkter Kontinuität zu allen hier vorzitierten Äußerungen und war keineswegs – wie Jhering selbst in seinem Brief an Bismarck vom 15. September 1885 [abgedruckt in: Poschinger-Briefe (1908), Nr. II, S. 44f.] vorgab – erst das Ergebnis seiner inzwischen gewonnenen Erkenntnis über die Verfehltheit der im Privatrecht »zur Zeit noch herrschende[n] unfruchtbare[n] Richtung […], welche über dem Blendwerk logischer Konsequenz und abstrakter Prinzipien des Blickes für die realen Dinge verlustig gegangen ist […].« 779 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 336. 780 Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 270. Jherings Überzeugung von der hohen Bedeutung von »Persönlichkeiten« auch für das Recht und seine Entwicklung blieb nicht nur abstrakt und theoretisch. Wenn beispielsweise der alternde Jhering in seinem Dankschreiben an Bismarck allen Ernstes Kaiser Wilhelm I. und Bismarck als derartige historische Persönlichkeiten bezeichnete, dass man sich an ihrer »menschlichen Größe« aufrichten könne [Poschinger-Briefe (1908), Nr. II (Jherings Brief an Bismarck vom 15. September 1885), S. 43], und wenn er speziell Bismarck als einen »Mann von weltgeschichtlicher Bedeutung« und »Größten unter den Größten der ganzen Zeit« bezeichnete [Jhering, Bismarck (1885), S. 19f., 22], den die »geistige Ueberlegenheit, die volle Größe einer gewaltigen, gottbegnadeten Persönlichkeit« auszeichne [Poschinger-Briefe (1908), Nr. II (Jherings Brief an Bismarck vom 15. September 1885), S. 43ff.], dann war das – andere Briefe und ausdrücklich nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Aufzeichnungen belegen es [vgl. Jhering in: Poschinger-Briefe (1908), S. 6–8, Losano-Briefe I /1984, Nr. 249, S. 600 sowie Jhering, Bismarck (1885), S. 9ff.] – mehr als eine bloß für den berühmten Briefadressaten bestimmte Schmeichelei und auch mehr als eine rein private, von Jherings Auffassungen »als Jurist und Rechtstheoretiker« zu isolierende Äußerung als politischer Zeitgenosse [so aber O.Behrends, Jhering (1987), S. 267]. Vielmehr gebührte nach Jhering dem Reichskanzler persönlich allen Ernstes auch der »Dank der Rechtswissenschaft«, weil er »für Deutschland eine neue Epoche der Rechtsentwicklung bezeichnet« habe [so Jhering, Bismarck (1885), S. 15 in weder für Bismarck noch zur Veröffentlichung bestimmten und daher der bloßen Courtoisie unverdächtigen Aufzeichnungen]. Denn Bismarcks rein interessengeleitete »Realpolitik«, die sich nicht von abstrakten »Prinzipien und toten Formeln« behindern ließ [so Jhering in seinem Brief an Bismarck vom 15. September 1885, abgedruckt in: Poschinger-Briefe (1908), Nr. II, S. 45, hatte sich – beurteilt vor dem sogenannten »Tribunal der Geschichte« [Jhering, Zweck I (21884), S. 252] – aus Jherings Sicht als historisch notwendig erwiesen. Dagegen erschien Jhering der von ihm lebenslang kritisierte Verfassungsbruch des hannoverschen Königs Ernst August als das klassische Beispiel eines staatlichen Gewaltaktes, da dem Verfassungsbruch nach Jherings Auffassung eben nicht nur die juristische, sondern auch jede historische Legitimation gefehlt habe. Eine solche lag nach Jhering in derartigen Fällen nämlich nur dann vor, wenn »eine Regierung das im Zustande der höchsten Erschlaffung ihr von der Masse aufgelegte Nessusgewand einer verderblichen Verfassung von sich wirft« [Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 105]. Um eine solche der zeitgenössischen Entwicklungsstufe noch nicht oder nicht mehr angepasste Verfassung hatte es sich im Falle der hannoverschen Verfassung aber offenbar nicht gehandelt.

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fertig[un]g b[e]st[eh]t darin, d[aß] es s[ich] verwirklicht hat«781. Was heute für denjenigen, der das geschichtsmetaphysische Axiom Jherings und vieler seiner Zeitgenossen nicht mehr teilt, wie eine nachträgliche Legitimierung bloß physischer Macht erscheinen könnte782, war für Jhering noch selbstverständlicher Ausdruck des Glaubens an eine notwendige sittliche Aufwärtsentwicklung in der Geschichte783. Soweit der Historiker eine dauerhafte Verwirklichung bestimmter Rechtsnormen in der Geschichte nachweisen kann, sollte das ein untrüglicher Nachweis dafür sein, dass dieses Recht der jeweiligen historischen Notwendigkeit entsprochen hatte. Soweit der Historiker dagegen ein dauerhaftes »Scheinrecht« konstatieren musste, war vom Gegenteil auszugehen. Die Positivität, das heißt die den Juristen bindende juristische Geltung des Rechts, blieb davon aber unberührt. So konnte Jhering – als Rechtshistoriker – die sich über eine unzweckmäßige Formvorschrift hinwegsetzende Praxis loben784 und gleichzeitig – als Rechtsdogmatiker – im Hinblick auf die gegenwärtige Anwendung derselben Formvorschrift feststellen, dass sie vorbehaltlich gesetzlicher oder gewohnheitsrechtlicher Änderung »unangetastet« bleiben müsse, da sie »einmal ganz bestimmt im römischen Recht ausgesprochen« sei785. Auch was in der Geschichte des Rechts aus entwicklungsgeschichtlicher Perspektive »durch ein gebieterisches Bedürfniß des Lebens motivirt« gewesen sein mochte und sich ansonsten nur »in anderer Weise Bahn gebrochen haben« würde786, konnte in juristischer Hinsicht auf der Grundlage des damals geltenden Rechts eine Rechtsverletzung gewesen sein oder zumindest eine Praxis, durch die einem geltenden »Rechtsbegriff Gewalt angethan« wurde, in dem er in – natürlich nur in juristischer Hinsicht – »widernatürlicher Weise gespannt« wurde787. Nichts anderes galt nach Jhering im öffentlichen Recht. Selbst die im politischen Notstand began-

781 Jhering, Rechtsphilos.Notizen, Bl. 1r. 782 So macht W.Wertenbruch, Versuch (1955), S. 96 in Jherings Auffassungen vom Recht eine »normative Kraft des Faktischen« aus. 783 Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 99f. Jhering hat diesen Glauben auch nie abgelegt [vgl. O.Behrends, Jhering (1987), S. 236 Fn. 15, S. 260]. 784 Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 690ff. 785 Jhering, Besitzschutz (1869), S. 204. Eine ganz andere, nämlich rechtspolitische Frage war es nach Jhering dagegen, ob ein – allerdings auf gemeinrechtlicher Ebene damals noch nicht vorhandener – »Gesetzgeber nicht wohlthun würde«, die Formvorschrift »zu erlassen« (aaO, S. 206f.). 786 Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 492. 787 Jhering, Geist III/1 (11865), § 58, S. 273, 291. Davon blieb natürlich unberührt, dass dasjenige, was einmal in juristischer Hinsicht auf der Grundlage des zeitgenössischen Rechts zu den »handgreifliche[n] Unwahrheiten« gehört habe, später durch gewohnheitsrechtliche oder gesetzliche Änderung des Rechts auch in juristischer Hinsicht »wahr« geworden sein konnte [Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 492 Fn. 635].

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Die Positivität des Rechts

genen »r e t t e n d e n T h a t e n «788, die, »wenn man sich nicht scheut, den Ausdruck Recht dafür zu verwenden, das Ausnahmsrecht der Geschichte« bilden, mussten nach Jhering von den Juristen, vor »dem Forum des Rechts […] verdammt« werden. Vor dem höheren »Tribunal der Geschichte« hingegen habe das »Urtheil des Politikers, Staatsmannes, Historikers das des Juristen, der nur den Massstab des positiven Rechts kennt, abzulösen […].«789 Der Jurist könne – so Jhering bereits 1852 – dem »Geständniß nicht ausweichen, daß die Thatkraft als solche Recht tilgen und schaffen kann«790 und dass der juristische Maßstab hier mithin versagen müsse.

788 Jhering, Zweck I (21884), S. 251f.; Ders., Geist I (11852), § 10, S. 105. 789 Jhering, Zweck I (21884), S. 252. 790 Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 105.

III.

Die Rechtsquellen

Verglichen mit der zentralen Rolle, die die Rechtsquellenlehre bei Savigny und mehr noch bei Puchta gespielt hatte791, fällt in Jherings Schriften sofort auf, dass er schon der Ausdruck »Rechtsquelle« allenfalls beiläufig verwendet792. Das ist kein Zufall, denn die Rechtsquellenlehre in der Form, wie sie zuerst von Savigny formuliert worden war, hatte sich eben nicht auf die Frage nach den Möglichkeiten der Erkenntnis des positiven Rechts beschränkt, sondern war integrativer Bestandteil der Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule. Von dieser normativen Volksgeistlehre war aber Jhering – wie in den vorangegangen Abschnitten dargestellt – bereits in seinem Frühwerk in entscheidenden Punkten abgerückt. Die Annahme, es gäbe für alle Zeiten und Völker nur eine Rechtsentstehungsquelle, nämlich die am Beginn der Geschichte eines jeden Volkes vorausgesetzte geistige Einheit des Volkes »im materiellen Sinne«793, hielt Jhering nicht nur für historisch falsch, sondern vor allem auch für juristisch irrelevant. Juristisch relevante »Quellen« waren für ihn allein die den Hauptgegenstand der juristischen Rechtsquellenlehre bildenden Rechtserkenntnisquellen794, während er die Frage nach den historischen Ursachen und dem normativen Grund für den verpflichtenden Charakter des Rechts als eine rechtshistorische bzw. rechtsphilosophische, nicht aber genuin juristische ansah. Ist bei Jhering von »Rechtsquellen« die Rede, so sind in der Regel die sogenannten »positiven rechtssetzenden Gewalten« gemeint, nämlich – in dieser 791 Savigny hatte dem ganzen ersten »Buch« seines ersten Bandes über das »System des heutigen römischen Rechts« den Titel »Rechtsquellen« gegeben, und Puchta hatte sogar nur einer dieser Rechtsquellen, nämlich dem Gewohnheitsrecht, eine umfangreiche zweibändige Monographie gewidmet. 792 Vgl. etwa Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 8 zur »Doppelstellung des römischen Rechts als Stück des A l t e r t u m s und als g e l t e n d e R e c h t s q u e l l e « des juristisch verbindlichen Rechts. 793 So mit bezug auf Savigny W.Wilhelm, Savigny (1969), S. 128 und im Hinblick auf Puchta C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 215. 794 Vgl. auch B.J.Choe, Culpa (1988), S. 154.

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Die Rechtsquellen

Reihenfolge – Gesetz und Gewohnheitsrecht795. Dies hat schon die Frage entstehen lassen, ob sich Jhering für die Rechtsquellenfunktion der Wissenschaft überhaupt interessiert habe796. Tatsächlich stellte sich für Jhering spätestens Mitte der fünfziger Jahre, also in der Zeit der Ausarbeitung einer Theorie der juristischen Technik, die Frage nach den Rechtserkenntnisquellen und ihrem Verhältnis zueinander in einem ganz anderen Licht dar als noch für Puchta. Nach Jherings Auffassung war nämlich das Hauptproblem der Rechtswissenschaft seiner Zeit nicht mehr die besondere rechtsquellentheoretische Legitimation gegenüber staatlicher Gesetzgebung oder nichtgelehrten Rechtsauffassungen im Volk, sondern vielmehr das Fehlen einer wissenschaftstheoretisch angemessenen rechtsmethodologischen Selbstreflexion. Statt die Gleichwertigkeit oder gar Überlegenheit des Juristenrechts gegenüber den übrigen Rechtsquellen nachweisen zu wollen, verlegte sich Jhering daher ganz auf die spezifischen Unterschiede zwischen der rechtsquellentheoretisch relevanten rechtswissenschaftlichen Tätigkeit einerseits und der Rechtsetzung durch die »positiven rechtssetzenden Gewalten« andererseits. »Positiv« wurden letztere von Jhering ganz entsprechend der herrschenden Auffassung seiner Zeit797 genannt, weil allein sie

795 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352f. Jhering zählte an der vorgenannten Stelle zwar auch noch die »Autonomie des Verkehrs« zu den »positiven rechtssetzenden Gewalten«, dies aber – wie Jhering in einem Brief an Carl Friedrich Wilhelm Gerber erläuterte – nicht vom rechtsdogmatischen, sondern nur vom rechtshistorischen »Standpunkt des röm[ischen] Rechts aus gesehen«, da dieses nach Jhering im Hinblick auf die »Rechtsgeschäfte in incert[am] pers[onam] […] die Autonomie als Rechtsquelle auffaßte«, während vom rechtsdogmatischen Standpunkt des zeitgenössischen Rechts aus gesehen »die Autonomie […] zu den Rechtsgeschäften, nicht zu den Rechtsquellen« gehöre [Losano-Briefe I /1984, Nr. 32 (Jherings Brief an Gerber vom 12. Februar 1854), S. 96f.; Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 48 (= Ges. Aufs. I, S. 42)]. Während Savigny und Puchta in der Autonomie noch eine Rechtsquelle gesehen hatten, die Rechtssätze hervorbringt, bestritten eine Generation später Jhering und Gerber, dass es neben der staatlichen Gesetzgebung noch die (Satzungs-)Autonomie als Rechtsquelle gäbe. So blieb nur die Privatautonomie, die Jhering und Gerber aber aus Furcht vor einer Verwechslung mit der (Satzungs-)Autonomie als Rechtsquelle möglichst nicht so bezeichnen wollten [vgl. dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 380–386, insbesondere S. 383–385]. Nach S.Meder, Ius non scriptum (2008), S. 60–64 (62) besteht speziell im Fall von Jhering »ein gewisser Widerstreit« zwischen seiner ablehnenden Haltung zur Autonomie als Rechtsquelle und seiner »Idee der Ermittlung des Rechts aus der Interessenlage«, von der es nur ein »kleiner Schritt zur Vorstellung vom Juristenrecht als Rechtsquelle« gewesen sei. Das ist zutreffend, wenn man das Juristenrecht auf das Richterrecht beschränkt. Die Rechtswissenschaft als Teil des Juristenrechts hatte Jhering dagegen in den Jahren, als er die Inhalte neuen Rechts nur noch auf die antagonistischen Interessen in der Gesellschaft zurückführte, bereits von einer rechtliche Geltung begründenden Rechtsquelle zu einer bloßen Quelle theoretischer Rechtserkenntnis degradiert. 796 W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 279. 797 Vgl. J.Rascher, Brinz (1975), S. 70ff.

Die Rechtsquellen

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»positive Rechtssätze« hervorbringen könnten im Gegensatz zur »Wissenschaft, d. h. die bloße Deduction« aus positiven Rechtssätzen798. Mit dieser nicht neuen Abgrenzung zwischen den »positiven« Rechtserkenntnisquellen und der Rechtswissenschaft war aber für Jhering – anders als noch für Puchta – auch die Rolle der Juristen eindeutig festgelegt, nämlich auf die Erkenntnis und Anwendung des geltenden Rechts sowie auf die »f o r m a l e Vervollkommnung des Stoffs«, nicht aber auf die »m at e r i e l l e Zurichtung desselben«799. Nicht die auf die rechtsquellentheoretische Qualität der Subjekte der Rechtsbearbeitung zielende Frage, ob die rechtswissenschaftliche Tätigkeit der Juristen den rechtsquellentheoretischen Anforderungen einer wirklichen Rechtsquelle entspreche oder inwieweit die Juristen in der Funktion von Repräsentanten des »Volksgeistes« als autorisierte Subjekte der Rechtskenntnis gelten könnten, beschäftigte Jhering, sondern die allein auf die Qualität der anzuwendenden Rechtsnorm zielende Frage, aufgrund welcher konkreter Normkriterien die Rechtswissenschaft das positive Recht als solches erkennen und nach welchen Methoden sie es anzuwenden und fortzubilden habe. Die nach Jhering bisher noch nicht einmal im Ansatz geleistete methodische Selbstreflexion über – in Jherings Worten – den eigenen »wissenschaftlichen Apparat« erschien ihm als die entscheidende Voraussetzung zu dem auch von ihm erstrebten Nachweis der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz800.

798 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 353. 799 Vgl. nur Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352. Lediglich in engen, aber nur die sogenannte »Praktikabilität« und nicht den Normgehalt betreffenden Grenzen räumte Jhering speziell der gemeinrechtlichen Jurisprudenz auch die Möglichkeit einer »gewisse[n] m a t e r i e l l e [ n ] Zurichtung« des positiven »Stoffs« ein. 800 Die Selbstreflexion über die wissenschaftliche Methode versuchte Jhering zunächst als Rechtshistoriker zu leisten, indem er in Geist I (11852) nach einleitenden Überlegungen [»Unsere heutige Wissenschaft und ihr wissenschaftlicher Apparat« (§ 2)] ausführlich die »Methode der rechtshistorischen Darstellung«, die sich aus »der Natur des Rechts« (§§ 3, 4) und aus »dem Begriff der Geschichte« (§§ 5, 6) ergebe, erörterte, um dann den geschichtsphilosophisch ausgerichteten »Versuch einer neuen Methode« der rechtshistorischen Darstellung im »Geist des römischen Rechts« zu machen, der die Methode der traditionellen Darstellung nicht ersetzen, wohl aber ergänzen sollte [vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), S. X]. Die Formulierung einer Theorie der naturhistorischen Methode sollte hingegen der methodologischen Selbstreflexion der Rechtsdogmatik dienen. Jhering fühlte sich bei der theoretischen Selbstreflexion der Rechtswissenschaft somit ganz als Pionier.

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Die Rechtsquellen

1.

Die Quellen des positiven Rechts

a)

Das Gewohnheitsrecht

aa)

Das Gewohnheitsrecht in rechtsquellentheoretischer Hinsicht

Die Tatsache, dass Jhering sowohl von der Rechtsgeschichte als auch von der Rechtsdogmatik eine kritische Reflexion der verwendeten Begriffe und ihrer Kriterien forderte, musste zwangsläufig zu einer Revision der Gewohnheitsrechtslehre der Historischen Rechtsschule führen. Allerdings ist es entgegen Walter Wilhelm keineswegs so, dass Jhering nun dem Gewohnheitsrecht überhaupt die Rechtsqualität bestritten und es nur noch als eine »Vorstufe der Rechtsbildung«, als nur »substantiell«, aber noch nicht »formell« vorhandenes Recht angesehen hätte801. Tatsächlich unterschieden sich für Jhering das »gewohnheitsrechtliche und gesetzliche Recht […] nur durch die Art ihrer Entstehung, ihre [sc. juristisch] verbindende Kraft aber ist ganz dieselbe«802. Im Übrigen hatte auch für Jhering das Recht »in Form des Gewohnheitsrechts von den ältesten Zeiten an existirt«803 und in der Gegenwart eine zwar untergeordnete804, jedoch gerade im Hinblick auf jüngere Modifikationen des gemeinen römischen Rechts nicht ganz unwichtige Rolle gespielt805. Allerdings trat Jhering 1854 insoweit »der herrschenden Ansicht aufs entschiedenste« entgegen, als sie bei der Beschreibung und Charakterisierung historischer Rechtszustände die »Sitte, das Herkommen […] mit Gewohnheitsrecht verwechselt.«806 Tatsächlich hatte Puchta einst lediglich der hergebrachte gefestigte Sprachgebrauch, nach dem das Wort »S i t t e « noch als ein Synonym für die »Uebung einer rechtlichen

801 So W.Wilhelm, Theorie (1972), S. 268, der behauptet, Jhering habe die »Berechtigung der Bezeichnung Gewohnheits r e c h t « angezweifelt. Tatsächlich beziehen sich die von Wilhelm als Beleg für seine Behauptung angegebenen Bemerkungen Jherings aber nicht auf den Begriff des Gewohnheitsrechts, sondern auf die rechtshistorische Frage, inwieweit die Historische Rechtsschule das System der in der frührömischen Gesellschaft geltenden Sozialnormen zu Recht als ein bereits gewohnheitsrechtliches charakterisiert habe. 802 Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 284. Vgl. auch Jhering, Zweck I (21884), S. 331f. zum Gegensatz von Gewohnheitsrecht und gesetzlichem Recht einerseits und den »g e s e l l s c h a f t l i c h e [ n ] I m p e r a t i v e n « der Moral und der Sitte andererseits. 803 Jhering, Geist I (21866), § 11, S. 119. 804 Jhering, Zweck II (11883), S. 54f. 805 Jhering, Reivindicatio (1857), S. 65, 111; Ders., Lucca-Pistoja-Actienstreit (1867), S. 359; Ders., Besitzschutz (1869), S. 160; Ders., Passive Wirkungen (1871), S. 309. 806 Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 284. Den »Mangel jedes einigermaßen deutlichen Unterschiedes zwischen der p o s i t i v e n S i t t e und dem Recht« sollte später auch K.Bergbohm, Jurisprudenz (1892), S. 489 Fn. 14 zu einem wichtigen Kritikpunkt bei seiner Pauschalabrechnung mit der Historischen Rechtsschule machen. Die frühe Kritik von Jhering überging Bergbohm dabei jedoch.

Die Quellen des positiven Rechts

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Ueberzeugung« verstanden wurde807, davon abgehalten, für den Begriff des Gewohnheitsrechts den »Ausdruck: Gewohnheit« kurzerhand durch den Ausdruck »Sitte« zu ersetzen808. Hinter Jherings rechtshistorischer Kritik verbarg sich ein tiefer gehender Dissens über den Begriff des Gewohnheitsrechts. Mit dem Ausdruck »Gewohnheitsrecht« war nach Jhering nämlich untrennbar verbunden gewesen das Problem der Unterscheidung zwischen nichtrechtlichen Sozialnormen einerseits und Gewohnheitsrecht andererseits. Diese bis heute in der Rechtssoziologie unter dem Begriff der Ausdifferenzierung des Rechts809 diskutierte Unterscheidung, die Jhering hier im Kern vorwegnahm810, war für die Historische Rechtsschule noch nicht zum Problem geworden. Hatten Vertreter der normativen Volksgeistlehre doch noch auf die »Repräsentanten des Volks« verweisen, die in entwickelten Rechtszuständen die rechtliche »Volksüberzeugung« artikulierten811, so dass weder theoretisch noch praktisch ein grundsätzliches Problem für die Bestimmtheit des Gewohnheitsrechts bei der Unterscheidung zwischen rechtlicher und nichtrechtlicher Gewohnheit entstehen konnte. Für den jungen Jhering bestand hier dagegen sehr wohl ein Problem, mochte auch die herrschende »Theorie des Gewohnheitsrechts […] sich noch so sehr ihrer vermeintlichen Bestimmtheit rühmen, […] ihr ›Rechtsgefühl‹ als Quelle des Gewohnheitsrechts in abstracto noch so sehr zu dem Gefühl einer bloß moralischen Verpflichtung in Gegensatz stellen: im Leben schwimmen beide nur zu oft zu e i n e m Fluidum zusammen«812, und »im Halbdunkel also zwischen Recht und Sitte« finde »das Gewohnheitsrecht ein ungehindertes, üppiges Gedeihen«813. Das »Leben«, das heißt die nicht durch Juristen vertretbare opinio necessitatis in der Lebenwirklichkeit sollte nach Jhering aber der alleinige Ausgangspunkt bei der Feststellung des Gewohnheitsrechts sein. Die Juristen, die sich nach Jhering und entgegen den Annahmen der Historischen Rechtsschule selbst in der römischen Rechtsgeschichte schon in frühester Zeit durch ihre »Absperrung« von der »Atmosphäre der Volksthümlichkeit« ausgezeichnet

807 G.F.Puchta, Gewohnheitsrecht I (1828), S. 144. Vgl. auch Puchta, Encyclopädie (1825): »Eine Seite der Sittlichkeit des Volks ist sein R e c h t « (S. 12). »Es giebt nur eine Weise, in welcher das Volk als solches wirksam ist, die Sitte. […] Der gebräuchlichste Ausdruck dafür ist G e w o h n h e i t s r e c h t « (S. 24). 808 G.F.Puchta, Gewohnheitsrecht I (1828), S. 167–169. Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 310 Fn. 1512. 809 Vgl. N.Luhmann, Ausdifferenzierung (1981), S. 137f. 810 R.Dreier, Jhering (1993/1996), S. 229; J.Nocke, Beständigkeit (1986), S. 139f. 811 G.F.Puchta, Gewohnheitsrecht II (1837), S. 69. Vgl. auch C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 292, 299. 812 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 30. 813 Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 310.

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hatten814, konnten sich nach Jherings Überzeugung nicht mehr als kraft ihrer Profession legitimierte Repräsentanten der rechtlichen Volksüberzeugung fühlen, sondern sollten vielmehr als aufmerksame Beobachter in Distanz zu ihrem Objekt, der Volksüberzeugung, aufgrund objektiver Kriterien eine Entscheidung über den Rechtscharakter einer in der Lebenswirklichkeit nachweisbaren Sozialnorm treffen. Damit stellte sich für Jhering ein der Historischen Rechtsschule bisher ganz unbekanntes Problem, nämlich das Problem zu bestimmen, wodurch in der empirischen Lebenswirklichkeit in unterschiedlicher Verbreitung und Intensität vorhandene Überzeugungen, Gefühle, Ansichten zu einer rechtlich relevanten, also vom Juristen zu beachtenden Rechtsüberzeugung werden. Anders als die Historische Rechtsschule, die eine das normativ-geistige Idealbild vom organischen Volksganzen in Frage stellende soziale Wirklichkeit notfalls für irrelevant erklärte815, konnte es nach Jhering nicht mehr unbeachtlich sein, dass »je nach der Verschiedenheit der Personen das Gefühl der Nothwendigkeit bald schwerer, bald leichter empfunden wird«816. Eine Volksüberzeugung war danach nicht mehr bereits mit dem Begriff des Volkes gegeben, sondern musste in der sozialen Lebenswirklichkeit bei der überwiegenden Mehrheit der von diesem Recht betroffenen Individuen auch tatsächlich nachweisbar817. Darüber hinaus genügte aus Jherings Sicht selbst der Nachweis einer gemeinsamen Überzeugung des Volks im Hinblick auf die Verbindlichkeit einer Sozialnorm noch nicht schon aus für die Annahme einer auch rechtlichen Volksüberzeugung im Sinne der opinio necessitatis des Gewohnheitsrechts. Und – was auf dem Hintergrund der Savigny-Puchtaschen Volksgeistlehre sogar noch wesentlicher war – nach Jhering konnte, aber musste sich nicht aus einer gemeinsamen rechtlich noch irrelevanten Volksüberzeugung auch eine rechtliche entwickeln. Allein die äußere »constante Handlungsweise«, also die soziale Wirksamkeit einer Norm, und »das innere Requisit, das in den handelnden Personen herrschende Gefühl der Notwendigkeit«818 dieser Handlungsweise, also die soziale Akzeptanz der Norm, 814 Jhering, Geist II/2 (11858), § 42, S. 429. In Jurisprudenz (1844), Sp. 103 klang dagegen auch bei Jhering noch das alte, von Jan Schröder heute so genannte Spezialistendogma der Historischen Rechtsschule an, wonach trotz Spezialisierung und Bildung eines gelehrten Juristenstandes das Recht doch immer »der Inbegriff der nationellen Rechtsanschauungen« bleibe. Aber auch bereits zu diesem Zeitpunkt sah der junge Jhering in den Juristen nicht mehr notwendig die legitimen Repräsentanten der rechtlichen Volksüberzeugung [vgl. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 568f.]. 815 Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 180f. 816 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 30. 817 Dass es – wie noch G.F.Puchta, Gewohnheitsrecht I (1828), S. 155 gemeint hatte – unter Umständen »sogar sehr wenige seyn« können, die die rechtliche Volküberzeugung repräsentieren, »von denen die Uebrigen«, die eben »nicht das Volk« seien, »lernen«, war bereits für den jungen Jhering vollkommen ausgeschlossen. 818 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 29.

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erlaubten nach Jhering nur den Schluss auf eine wirksame Sozialnorm, nicht aber schon auf eine geltende Rechtsnorm. Jhering erkannte, dass nicht nur Rechtsnormen und Normen der Moral bzw. Sittlichkeit819 voneinander abzugrenzen waren, sondern dass ein »Problem besteht in der Scheidung der drei verschiedenen Seiten der gesellschaftlichen Ordnung: S i t t e , M o r a l , R e c h t .«820 Mit seiner von empirisch feststellbaren Gewohnheiten ausgehenden Problematisierung des Verhältnisses zwischen Rechtsnormen und konventionellen Normen der Sitte, die wegweisend sein sollte sowohl für sein eigenes späteres Werk821 wie auch für die erst später aufkommende Fachdisziplin der Rechtssoziologie822, betrat Jhering Anfang der fünfziger Jahre Neuland und war sich dessen übrigens auch durchaus bewusst823. 819 Die Ausdrücke »Moral« und »Sittlichkeit« verwendete Jhering synonym [vgl. nur Jhering, Zweck II (11883), S. 50, 52 oder auch in der zweiten Auflage Ders., Zweck II (21886), S. 51, wo Jhering im sonst ganz unveränderten Text den Ausdruck »Sittlichkeit« durch den Ausdruck »Moral« ersetzte]. Mit der Frage nach den Normen der Moral verbinden sich sachlich zwei auch von Jhering nicht immer genau unterschiedene Fragen, nämlich einerseits die Frage nach der Moral im Sinne der inneren Tugendpflichten und andererseits die Frage nach der Moral im Sinne eines gerechten Rechts. 820 Jhering, Zweck II (21886), S. 51 und auch schon Ders., Zweck II (11883), S. 50. In dieser Prägnanz hat Jhering das Problem zwar erst formuliert, als er in dem rein rechtstheoretische Fragen weit übersteigenden Werk »Der Zweck im Recht« daran ging, auch das Verhältnis von Sitte und Moral zu bestimmen, zwei Arten von Normenordnungen übrigens, die auch Jhering nicht immer sprachlich präzis unterschied [vgl. etwa Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 22]. Das Problem der dreifachen Unterscheidung der von Jhering genannten Normenordnungen ist aber bis heute aktuell. Vgl. etwa P.Koller, Theorie (1992), S. 261ff. zur heutigen Diskussion über das Verhältnis der drei Normenkomplexe (Normen der Tugendmoral, konventionelle Normen und Rechtsnormen) zueinander. 821 In Zweck II sollte sich Jhering fast ausschließlich der »Sitte« und der sich seiner Meinung nach auch in der Sprache dokumentierenden stufenweise erfolgenden Ausdifferenzierung von Recht, Sitte und Sittlichkeit in der weltgeschichtlichen Entwicklung widmen [Jhering, Zweck II (11883), S. 50ff.]. Für die »Ausscheidung des Rechts« aus dem Gesamtkomplex sozialer Normenordnungen verwies er vollkommen zu Recht auf Geist I [Jhering, Zweck II (11883), S. 52f., 56]. Die Scheidung von Sitte und Sittlichkeit sei hingegen noch nie wissenschaftlich untersucht worden: »[…] ich darf ohne Selbstüberhebung behaupten, dass ich zuerst hier der Wissenschaft ein Gebiet erschlossen habe, das sie bisher nie betreten hat […]« (aaO, S. XII). Tatsächlich war die Sitte als Ausdruck nur konventioneller Sozialnormen weder von der Historischen Rechtsschule noch von der Philosophie zum Gegenstand von eigenständigen Untersuchungen gemacht worden. Symptomatisch ist insoweit Immanuel Kants »Metaphysik der Sitten«, in der, »obgleich das deutsche Wort S i t t e n […] nur Manieren und Lebensart bedeutet«, dieser Ausdruck als Synonym für Sittlichkeit verwendet wird [I.Kant, MdS RL (1797), Einl. II, AB 10 = WW VIII, S. 321]. 822 Vgl. dazu im Hinblick auf Max Webers Unterscheidung von Recht und Konvention C.Helfer, Jhering (1968), S. 563f. und W.Krawietz, Begriff des Rechts (1988), S. 164. Die Einschätzung, dass Jhering »zum Ahnherrn nicht nur der deutschen Rechtssoziologie« geworden sei [F.Wieacker, Vorwort (1970), S. 15], ist wohl weitgehend unbestritten. In der Regel – eine Ausnahme bildet etwa J.Gaudemet, Organicisme (1970), S. 37f. – wird dabei aber lediglich das Spätwerk Jherings in den Blick genommen [vgl. etwa C.Helfer, Ge-

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Im Grunde machte Jhering dabei von der durch die Historische Rechtsschule gegenüber der Naturrechtslehre geltend gemachten Erkenntnis Anwendung, dass »alles S e i n e i n W e r d e n voraussetzt, und daß gerade beim Gewohnheitsrecht die Periode des Werdens oft von sehr langer Dauer sein kann«824. Aber er machte – was für Jherings Frühwerk typisch ist – von dieser Erkenntnis der Historischen Rechtsschule eine ganz neue Anwendung. Da das Werden des Rechts nach Jhering nicht in der von Puchta sogenannten »dunklen Werkstatt« stattfand, sondern sichtbar in der sozialen Wirklichkeit, stellte sich für den Juristen, der es anders als der Historiker nur mit dem »F e r t i g e n «, »dem f e r t i g gewordenen Rechtssatz« zu tun habe825, das Problem, unter den geltenden sozialen Verhaltensnormen seiner Zeit die Rechtsnormen des Gewohnheitsrechts von den nicht rechtlichen oder den noch nicht rechtlichen Normen der Sitte zu unterscheiden. So konnte nach Jhering eine Rechtsnorm »substantiell«, also inhaltlich als sozial wirksame Norm längst vorhanden sein, bevor sie »formell vorhanden«, also zur Rechtsnorm geworden sei826. Damit aber seien

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sellschaftsanalyse (1970), S. 79; D.Pasini, sociologia interna (1970), S. 177ff.; K.Zweigert, Jherings Bedeutung (1970), S. 242, 249 und – allerdings mit Einschränkungen – M.G.Losano, Studien (1984), S. 31, 153ff.]. Allerdings empfanden auch andere junge Schriftsteller Mitte der fünfziger Jahre die bloße Formel von der »gemeinsamen rechtlichen Volksüberzeugung« als unbefriedigend. So stellte Carl Friedrich Wilhelm Gerber fest, dass dieselbe Volksüberzeugung sowohl den Schluss auf die »Gemeinsamkeit eines entwickelten Rechtsbewußtseins« zulasse wie auch auf eine bloße »Übereinstimmung in der Sitte und in den socialen Grundlagen des Lebens« [C.F.W.Gerber, Autonomie (1854), S. 39]. Dazu schrieb Jhering am 12. Februar 1854 an Gerber: »Höchst frappant war es mir, welche Anklänge an eigne Ideen ich in Deiner Abh[andlung] gefunden habe […] es kommen in Deiner Abhandlung Ideen vor, die ich auch dem Ausdruck nach für die meinigen halten könnte, so namentlich Deine Ansicht über die Sitte und das Gesetz […] Und es sind Punkte, über die wir beide uns gar nicht besprochen haben, die Keiner von dem Andern kennen kann. Es beweist dies nur, daß […] gewisse Ideen in der Luft liegen […].« Und da er »derartige Ideen seit Jahren durchdacht« habe, »überzeuge ich mich immer mehr, wie nöthig es war, mit meinem Buch bald hervorzutreten und dasselbe nicht noch ein Jahrzehnt nachreifen zu lassen, wie ich wohl gewünscht hätte; es würde mir wenig übrig geblieben sein!« [Losano-Briefe I /1984, Nr. 32, S. 97f.]. Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 296 Fn. 456. »[…] das Gewohnheitsrecht entsteht bekanntlich nicht über Nacht, sondern setzt einen längeren Bildungsprozeß voraus« (aaO). Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 296 Fn. 456. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 27. Zwar hatte auch schon G.F.Puchta, Gewohnheitsrecht I (1828), S. 171 davon gesprochen, dass unter Umständen nur »gleich anfangs eine Sitte vorhanden war, die nachher, wie die Ueberzeugung von der Angemessenheit und Zweckmäßigkeit in eine rechtliche uebergieng, zu einer Rechtssitte [sic!] wurde.« Dagegen hatte aber sogar schon Puchtas Rezensent K.A.D.Unterholzner, Puchta-Rezension (1828), S. 375 geltend gemacht, dass keinesfalls das wesentlich Unterscheidende von Recht und Sitte, die »im engeren und eigentlichen Sinn dem Rechte entgegensteht«, übersehen werden dürfe. Von der darüber hinaus von Jhering später aufgeworfenen praktischen Frage nach einem wissenschaftlich zuverlässigen, den Ansprüchen der Rechtssicherheit genügenden Kriterium für die jeweilige Feststellung des Übergangs von nicht rechtlicher zu

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nicht einmal das Gewohnheitsrecht und die es begründende »gemeinsame rechtliche Volksüberzeugung« als der wirkliche historische Anfang und die Quelle der Rechtsbildung anzusehen. Vielmehr würde auch das Gewohnheitsrecht erst ein »Stadium der (rechtlich unverbindlichen) S i t t e durchlaufen«827, bis ein Teil der bereits sozial wirksamen »Normen sich zu eigentlichem Gewohnheitsrecht verdichten« könne828. Während »gewisse Normen stets im Stadium der Sitte verharren«829, würden andere Normen dadurch zu Rechtsnormen werden, dass hinsichtlich ihrer »die Überzeugung der rechtlich nicht verbindenden Kraft der Gewohnheit in die der rechtlich verbindenden Kraft derselben umschlägt«830. Es gab danach also keine »gemeinsamen rechtlichen Volksüberzeugungen« oder kollektiven »Rechtswillen«, die durch ihren Inhalt oder durch ihre Herkunft per se als rechtliche hätten qualifiziert werden können. Daher unterschied sich nach Jhering auch das Gewohnheitsrecht von anderen nichtrechtlichen Normen in rein tatsächlicher, nicht rechtlicher Hinsicht nur durch »eine g r a d u e l l e Differenz in der Stärke des Pflichtgefühls«831, also durch das jeweilige Maß der Anerkennung einer Verpflichtung832. Damit hatte der junge Jhering nicht nur einer mystizierenden Verklärung der Ursprünge des Rechts und der Rechtsentstehung eine klare Absage erteilt833,

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gewohnheitsrechtlicher Überzeugung findet sich bei Puchta ohnehin noch nicht einmal eine Andeutung. Jhering, Besitzwille (1889), S. 40. Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 284. In der Rechtssoziologie sollte später Eugen Ehrlich feststellen, dass funktionell und inhaltlich kein prinzipieller Unterschied zwischen Rechtsnormen und außerrechtlichen Normen bestehe und es nach Zeit und Ort verschieden sei, welche sozial wirksamen Normen zu Rechtsnormen erstarken und welche nicht [T.Raiser, Recht (31999), S. 98ff.]. Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 285. Jhering, Besitzwille (1889), S. 40. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 27. Ganz ähnlich formulierte Jhering gut dreißig Jahre später in Besitzwille (1889), S. 40: »[…] der Wille bethätigt […] nur in erhöhter Potenz die Macht, dem Leben die Bahnen vorzuzeichnen« (Kursivhervorhebung nicht im Original). Begrifflich bleibe zwischen »Recht« und »Sitte« dagegen »eine unübersteigliche Scheidewand« [Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 38]. Auf eben dieser Grundlage bezeichnete später E.Ehrlich, Grundlegung (1913), S. 132 die »Frage nach dem Gegensatz der Rechtsnorm und der außerrechtlichen Norm« als »eine Frage […] der gesellschaftlichen Psychologie.« Vgl. Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 101 gegen die Auffassung der Vertreter der Volksgeistlehre, die das Recht »über Nacht und auf geheimnisvolle Weise zur Welt« gekommen sehen. Die sich hierin ausdrückende Diskrepanz zu den Grundansichten der Historischen Rechtsschule übergeht W.Wilhelm, Theorie (1972), S. 267, wenn er feststellt, dass der junge Jhering 1852 der Rechtsentstehungslehre der Historischen Rechtsschule »zunächst noch seine Reverenz« erwiesen und erst 1866 in der zweiten Auflage von Geist I »bekämpft« habe. Zutreffend ist allerdings, dass Jhering erst nach dem Tode Savignys – und zwar erstmals in seinem Nachruf auf Savigny im Jahre 1861 [Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 9ff.] – seine öffentliche Kritik an Grundannahmen der Historischen Rechtsschule auch offen und nicht mehr im Schutz der Anonymität mit dem Namen Savignys verband.

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sondern er ist auch durch die Problematisierung des Verhältnisses von Rechtsnormen und außerrechtlichen Normen zu Aussagen gekommen, die wichtige Erkenntnisse späterer rechtssoziologischer Untersuchungen des Rechts vorwegnahmen. Der letzte Schritt, von der nur »g r a d u e l l e [ n ] Differenz in der Stärke des Pflichtgefühls«834 auch auf die Möglichkeit einer graduellen Rechtsgeltung zu schließen, sollte allerdings soziologischen Rechtslehren späterer Zeiten vorbehalten bleiben835. Jhering verließ an dieser Stelle den Weg zu einem soziologischen Ansatz, indem er den Zeitpunkt, in dem sich eine soziale Norm zur rechtlich geltenden Norm »verdichte«, mithin das Gefühl der nur sittlichen Notwendigkeit einer Handlungsweise in das Gefühl ihrer auch rechtlichen Notwendigkeit »umschlage«, durch eine begriffliche Unterscheidung von Recht und Sitte bestimmte, die sich noch als folgenschwer erweisen sollte. Danach lag das Wesen des Rechts in seinem Anspruch auf unbedingte Verbindlichkeit in dem Sinne, dass anders als im Falle von Normen der außer- bzw. vorrechtlichen Sitte von der geltenden Rechtsnorm und allen weiteren aus ihr ableitbaren Rechtsnormen nicht unter »sorgsame[r] Abwägung der individuellen Verhältnisse« und »aus gerechten Gründen ausnahmsweise« abgewichen werden dürfe836. Für den das Gewohnheitsrecht ermittelnden Juristen stellte sich damit aber das nach Jherings Auffassung letztlich unlösbare Problem, nicht nur »in abstracto«, sondern im »Leben« zu unterscheiden, welchen ungeschriebenen sozial wirksamen Normen das Gefühl einer in diesem Sinne unbedingten Verpflichtung zugrunde liege und welchen nicht837. Hinzu kam, dass Jhering nicht nur in der Feststellung des Gefühls, sondern auch in der Unberechenbarkeit tatsächlicher Volksüberzeugungen, deren Änderung schon durch einen »Windstoß« hervorgerufen werden könne, eine ständige Gefahr sah für die »Gleichmäßigkeit, die wir […] als eine der Cardinaleigenschaften des Rechts hingestellt haben«838. Damit ist Jherings Argumentation derjenigen von Savigny oder Puchta geradezu entgegengesetzt. Hatten diese doch die Bestimmtheit und 834 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 27. 835 So sollte beispielsweise nach Theodor Geiger der Geltungsgrad von Rechtsnormen empirisch zu messen sein, da die Rechtsgeltung gleichbedeutend sei mit der Effektivitätsquote in der Vergangenheit und für die Zukunft ohnehin nur ein Verbindlichkeitskalkül aufgestellt werden könne [T.Raiser, Recht (31999), S. 134f.]. Von solchen Vorstellungen war Jhering weit entfernt. Für ihn konnte eine Rechtsnorm juristisch nur gelten oder nicht gelten. Auch den sowohl von Geiger wie auch von Jhering verwendeten, allerdings nicht – wie E.Winter, Ethik (1980), S. 382 Fn. 117 annimmt – erst von Jhering geprägten Ausdruck »Latenz« bzw. »latentes Recht« verwendeten beide in einer ganz unterschiedlichen Bedeutung, Geiger nämlich auf die Rechtswirklichkeit bezogen, Jhering hingegen auf die Normlogik. 836 Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 286f. 837 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 30. 838 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 28.

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»Gleichmäßigkeit« des Rechts durch die zunächst unmittelbar und später vor allem durch Juristen zum Ausdruck gebrachte »Volksüberzeugung« als überhaupt erst gesichert betrachtet839 und gleichzeitig durch den staatlichen Gesetzgeber für ständig latent bedroht. Jhering sah demgegenüber vielmehr in der Feststellung der Volksüberzeugung die Gefahr von Willkürlichkeit und Rechtsunsicherheit, dafür aber in der durch das Gesetz erfolgenden »Ablösung [sc. des Rechts] von dem nationalen Rechtsgefühl«840 den eigentlichen »Fortschritt des Rechts« »zu der ihm eigenthümlichen Form« und Bestimmtheit841. Insoweit bekannte sich Jhering mit seinem »Vorwurf, den ich dieser Lehre mache«842 – allerdings ohne Nennung von Namen843 – in Wort und Inhalt genau zu dem, was Hegel bereits dreißig Jahre früher Savignys Lehre vom Gewohnheitsrecht vorgeworfen hatte844. Die Rückführung allen Rechts auf »ein Hervorquellen desselben aus dem Born des nationalen Rechtsgefühls« – wie Jhering mit Bezug auf die Lehre Savignys vom Gewohnheitsrecht mit ironischem Unterton formulierte – habe als Antwort auf »die öden Wüsteneien des Naturrechts« wohl bis dahin »unbefriedigter Sehnsucht« nach einer »Versöhnung des subjektiven Rechtsgefühls mit der äußeren Thatsache des objectiven Rechts«

839 So hatte beispielsweise F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 25 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 112) gerade bei den »jugendlichen Völkern« und ihrem Gewohnheitsrecht die »bestimmteste Anschauung ihres Rechts« angenommen. 840 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25. S. 33 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 841 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 24, 26; DERS., Geist I (11852), § 20, S. 301. 842 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 26. 843 Eine Ausnahme machte Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 25 Fn. 14 in bezug auf Stahl, dessen politisch durchsichtige Ablehnung der »Form der Codification« als Bedrohung für die »Ehrfurcht vor dem Rechte« und »die Naivität des Rechtsbewußtseins« Jhering durch ein Zitat aus einer 1853 von Stahl gehaltenen Rede der Lächerlichkeit Preis zu geben suchte. Im Grunde hatte F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 16, S. 200 mit seiner Warnung vor der »Heruntersetzung der Heiligkeit des Rechts« durch eine Kodifikation, durch die das Recht nämlich »nicht mehr als eine von Natur vorhandene Macht, […] sondern als ein Produkt des menschlichen« und damit also kritisierbaren »Aktes der Legislation betrachtet« würde, aber nur das wiederholt, was vor ihm schon Savigny in bemerkenswerter Offenheit gegen eine Kodifikation geltend gemacht hatte. Savigny hatte nämlich in Beruf (1814), S. 43f. (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 122) ausdrücklich den »politischen Nachtheil« einer Kodifikation für »Glaube und […] Gefühl« des Volkes geltend gemacht, der dadurch entstehe, dass das Volk eine »leichte und willkührliche Aenderung des bürgerlichen Rechts« für möglich halten könnte, wenn das Recht durch Gesetzgebung »sichtbar und greiflich« »vor unsern Augen von Menschenhänden gemacht ist«. Genau diese »politische Maxime« – bis »zur Caricatur getrieben von Stahl« – sollte Jhering später in Kampf (1872), S. 17 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf seine oben zitierten Bemerkungen aus dem Jahre 1854 als »eine der verhängnissvollsten Irrlehren, die sich denken lassen«, bezeichnen. 844 G.W.F.Hegel, Rph. (1821), § 211, S. 186: »Was Recht ist, erhält erst damit, dass es zum Gesetz wird, nicht nur die Form seiner Allgemeinheit, sondern seine wahrhafte Bestimmtheit«. Darauf haben bereits W.Wilhelm, Theorie (1972), S. 268f. Fn. 26 und B.Klemann, Jhering (1989), S. 159f. hingewiesen.

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Erfüllung verschaffen können845. Es habe aber nur »auf den ersten Blick für die bloße Gefühlsbetrachtung etwas sehr Verführerisches«, deswegen im Gewohnheitsrecht auch »die eigentlich naturgemäße, normale« Form der Rechtsbildung zu sehen846. Geradezu spöttisch bezeichnete er – sekundiert von seinem fast gleichaltrigen Rezensenten Johannes Emil Kuntze847 – das Gewohnheitsrecht als das »Schoßkind der neuern Jurisprudenz […], und es scheint, als ob man sich verpflichtet gefühlt hätte, es für die Vernachlässigung, die es früher erfahren, durch eine blinde Liebe zu entschädigen.«848 bb)

Das Gewohnheitsrecht in rechtshistorischer Hinsicht

In rechtsquellengeschichtlicher Hinsicht, das heißt im Hinblick auf die zeitliche Priorität des Gewohnheitsrechts in kulturhistorisch frühen Rechtszuständen hat der junge Jhering die Rechtsbildungslehre Savignys allerdings zunächst für richtig gehalten. So glaubte auch Jhering, dass das Gewohnheitsrecht in jeder Rechtsordnung ursprünglich die einzige Form der Rechtsbildung, also die einzige Rechtsquelle gewesen und die Jurisprudenz immer erst nach der Gesetzgebung entstanden sei. Später bekannte er dagegen ausdrücklich: »Diese Ansicht habe auch ich früher getheilt […]. Die positive Behauptung, die ich dieser Lehre entgegenstelle, ist die: daß die Geschichte des Rechts mit einem eisernen Zeitalter begonnen hat, mit dem harten Ringen und Arbeiten des menschlichen Verstandes« und dass auch in den frühesten Zeiten des Rechts die Begriffe nicht »am Baum der Erkenntniß gewachsen«, niemandem »gar von selbst in den Schooß gefallen« seien, sondern durch juristisches Denken und die konkrete »menschliche T h a t «, also doch bereits durch eine frühe Form der Jurisprudenz, entstanden sein müssten849.

Es wäre allerdings ein Irrtum zu glauben, dass diese im Hinblick auf die Geschichte veränderte Ansicht Jherings über die Rechtsbildung, die er übrigens 845 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 26. Die Ironie in Jherings Worten über die einer »nüchterne[n] Kritik« nicht standhaltende Idealisierung eines Rechtszustandes, der zwar einer allgemein menschlichen »Sehnsucht« entspringe, »sich in dieser äußern Welt heimisch […] fühlen« zu wollen, tatsächlich aber als »höchst unvollkommen zu bezeichnen« sei (aaO), übergeht W.Wilhelm, Theorie (1972), S. 267 vollständig. 846 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 25f. Vgl. dazu G.W.F.Hegel, Rph. (1821), § 211 Zusatz, S. 188: »Man führt in der Regel für das Gewohnheitsrecht an, daß es lebendig sei, aber diese Lebendigkeit, d. h. die Identität der Bestimmung mit dem Subjekte, macht das Wesen der Sache noch nicht aus […].« 847 J.E.Kuntze, Geist II/1-Rezension (1855), S. 311. 848 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 25 und ebenso Ders., Geist III/1 (11865), § 48, S. 6f.: »Die berechtigte Auffassung […] gegen den flachen Rationalismus der Aufklärungsperiode hat die historische Schule ihrerseits in das andere Extrem getrieben […] jedenfalls bildet das ›Werden‹[,] d. h. die gewohnheitsrechtliche, unbewußte Bildung des Rechts ihr Ideal.« 849 Jhering, Geist III/1 (11865), § 48, S. 2f., 6; Ders., Geist II/1 (21866), § 25, S. 38; Ders., Savigny-Nachruf (1861), S. 14.

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schon 1844 – damals allerdings noch ausschließlich bezogen auf die zeitgenössische Rechtsbildung – mit denselben vorzitierten Worten charakterisiert hatte850, unmittelbar auf den »Umschwung« zurückzuführen sei, der durch Jherings Krisenerlebnis von 1858/59 ausgelöst wurde851. Jhering selbst schrieb im Hinblick auf seine zwischen 1850 und 1865 veränderte Auffassung über den Zeitpunkt des Auftretens der jeweiligen Rechtsquellen in der römischen Rechtsgeschichte852, dass ihn die zunächst – nämlich Anfang der vierziger Jahre – noch gar nicht beabsichtigte, aber spätestens Ende der vierziger Jahre begonnene »fortgesetzte Beschäftigung mit dem ältern römischen Recht […] überzeugt« habe, dass das Dogma der Historischen Rechtsschule vom historischen Auftreten der Rechtsquellen »ein reines Phantasie-Product ist, dem die Geschichte keinerlei Unterstützung gewährt«853. Es war also wiederum das »Ungeschichtliche«, das Jhering gegen die »geschichtliche Ansicht« geltend machte. Besonders deutlich wird das in einer 1858 in »Geist II/2« erschienenen, aber schon 1856 verfassten Passage854, die direkte Angriffe Jherings auf Puchta 850 Vgl. mit den im Text zitierten Worten Jherings aus dem Jahre 1865 die folgende Passage aus dem Jahre 1844: »Ohne Thaten ist keine Geschichte möglich […], nicht, daß wir warten sollten, bis uns die Zeit von selbst die erwünschte Frucht in den Schooß würfe, daß wir im Vertrauen auf die über uns stehende Nothwendigkeit uns der Thaten überheben sollten, wir sollten vielmehr ringen und kämpfen« [Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 568 (Kursivhervorhebung nicht im Original)]. Vgl. zu dieser Kontinuität im Früh- und Spätwerk Jherings auch bereits A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 268ff. 851 Diesen Eindruck vermittelt aber die Darstellung von O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 245. 852 Über die zeitgenössische Rechtsbildung, nämlich vor allem über die Rolle von Gewohnheitsrecht und Gesetzesrecht in der Gegenwart hatte Jhering dagegen, wie bereits dargelegt, ohnehin bereits in den vierziger und fünfziger Jahren eine von der bisherigen Historischen Rechtsschule abweichende Meinung gehabt. 853 Jhering, Geist III/1 (11865), § 48, S. 2. 854 Jhering pflegte bereits fertiggestellte Teile eines längeren Buchmanuskripts in den Druck zu geben, so dass sich der Erstdruck eines neuen Werkes über viele Jahre erstrecken konnte. Vgl. dazu M.Kunze, Lebensbild (1992), S. 14f. und auch Jhering, Zweck II (11883), S. XI; Ders., Besitzwille (1889), S. XIVf. selbst. Im zuletzt genannten Werk wies Jhering beispielsweise im Vorwort darauf hin, dass sich die im Frühjahr 1889 erschienene Untersuchung über den Besitzwillen »schon seit December 1887 im Druck« befunden habe, da es jeweils »stückweise ausgearbeitet und dem Druck übergeben worden« sei. Im Falle vom »Geist des römischen Rechts« läßt sich durch entsprechende Hinweise in Jherings Briefen die Fertigstellung bestimmter Abschnitte des Werkes heute oftmals auf den Monat, ja teilweise sogar auf den Tag genau datieren. So begann Jhering mit der Abfassung von § 42, aus dem die hier im Text folgenden Zitate stammen, im Juni 1856 [vgl. Jherings Brief an Gerber vom 5. Juni 1856, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 61, S. 203] und schloss ihn offensichtlich auch noch im selben Jahr endgültig ab. Das ergibt sich daraus, dass Jherings Verleger in einem »Brandbrief« vom November 1857 bereits das Manuskript zu § 45 anforderte, an dem Jhering nach eigenem Bekunden »zirka ein Jahr lang« geschrieben hatte [vgl. Jherings Brief an Windscheid vom 14. Dezember 1857 (abgedruckt in: EhrenbergBriefe/1913, Nr. 25, S. 84) sowie auch Jherings Brief an Gerber vom 22. Oktober 1857 (abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 89, S. 272)].

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enthielt, den »große[n] Gegner, den wir hier bekämpfen«855. Puchta diente Jhering dort als Gewährsmann für eine nur vorgeblich »historische Kritik«, die »aus reinem Vorurtheil« und mit dem ungeschichtlichen »Maßstab der heutigen Jurisprudenz« mutmaßliche geschichtliche »Thatsachen […] einfach [hat] zur Seite schieben wollen«856, soweit sich diese nicht mit den theoretisch aufgestellten Dogmen über die Rechtsbildung vertrugen. So habe man ignoriert, dass schon in den Anfängen, auf die man die Geschichte des römischen Rechts zurückverfolgen könne, das Recht nicht mehr entsprechend dem Dogma der Historischen Rechtsschule »›im Angesicht der Volkssitte […] lebte und webte‹ […] (Puchta)«857, sondern schon hier »die römischen Begriffe […] zum großen Theil Destillate des [sc. professionellen] Laboratoriums« gewesen seien858 und dass die »sehr strenge und consequente Methode« des älteren römischen Privatrechts sowie die »charakteristischen Momente der ältern Technik«, wie etwa der »Formalismus«, »jeden Gedanken an eine Zurückführung desselben auf das Volk absolut unmöglich macht«859. Das aber lasse nur den einen Schluss zu, dass das römische Recht die »Solidität und Festigkeit seines Fundamentes, jene Einfachheit und Consequenz seiner ganzen Anlage« einer Frühform der »Jurisprudenz« verdanke, nämlich einer »eigentliche[n] Lehre«, die bereits eine »eigene Theorie und Methode« zum Gegenstand hatte860. Wenn demnach nicht einmal das »Fundament« des römischen Rechts, also die für seine weitere Entwicklung fundamentalen Grundbegriffe nur auf Gewohnheitsrecht zurückzuführen waren, dann wurde auch das Savignysche Dogma von der ursprünglich rein gewohnheitsrechtlichen Rechtsbildung infrage gestellt. Interessanterweise beschränkte Jhering zu Lebzeiten Savignys seine Angriffe, soweit sie persönlich gehalten waren, noch auf den bereits 1846 855 Jhering, Geist II/2 (11858), § 42, S. 422. 856 Jhering, Geist II/2 (11858), § 42, S. 417, 422. 857 Jhering, Geist II/2 (11858), § 42, 419. Jhering bezog sich hier auf Puchtas Darstellung des altrömischen Rechts in Cursus I (11841), § 77, S. 301. 858 Jhering, Geist II/2 (11858), § 42, S. 425. Jhering nannte die Begriffe des römischen Rechts wegen ihrer Genese im »Laboratorium« der Jurisprudenz auch »Kunstproducte des juristischen Geistes« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 589; Ders., Geist III/1 (11865), § 48, S. 3, § 54, S. 171]. 859 Jhering, Geist II/2 (11858), § 42, S. 422, 425. Es war somit keine neue Einsicht des geläuterten Jhering, wenn er in Geist III/1 (11865), § 48, S. 4, 7 feststellte, dass die Jurisprudenz »am Bau des römischen Rechts und zwar bereits an dem der Fundamente mitgewirkt« habe, da die »Einfachheit der Gedanken und die Consequenz« des »ältesten römisch-juristischen Denkens« »Eigenschaften [seien], welche die Idee, daß die unmittelbare Volksüberzeugung […] dies hervorgebracht habe, geradezu zu einer Abgeschmackheit stempeln«. 860 Jhering, Geist II/2 (11858), § 42, S. 421, 429. Natürlich könne – so ergänzte Jhering in Geist III/1 (11865), § 54, S. 172 – bei diesem »ältesten Stück römischer Jurisprudenz, das uns überliefert ist«, »von einer Jurisprudenz im spätern Sinne noch keine Rede« sein. Das aber war für Jhering – anders als für Puchta – auch nicht entscheidend.

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verstorbenen Puchta, obwohl dieser mit seinen rechtshistorischen Ausführungen nur eine Anwendung der Lehre Savignys gegeben hatte, nach welcher »das Recht jedes Volks seiner innern Natur nach Gewohnheitsrecht« war und dieses vorbehaltlich einer nicht willkürlichen Gesetzgebung im Kern auch blieb861. Demgegenüber stellte Jhering schon in Geist II/1 (11854) im Zusammenhang mit dem älteren römischen Recht fest, dass auf »dem Gebiete der Privatrechts und Civilprozesses« sogar das »Gesetz […] die einzige Rechtsquelle, [hingegen] das Gewohnheitsrecht […] prinzipiell ausgeschlossen« gewesen sei862. Und ironisch fügte er hinzu: Puchta, der sogar dasjenige dem Gewohnheitsrecht habe vindizieren wollen, was – wie die interpretatio der älteren römischen Jurisprudenz – in Wahrheit und sogar nach der zeitgenössischen »Ansicht der Römer« Teil des gesetzlichen Rechts gewesen sei, »scheint gerade entgegengesetzter Ansicht zu sein, der rechtshistorischen Compendien, in denen natürlich für jede Periode die Wirksamkeit des Gewohnheitsrechts vorausgesetzt wird, gar nicht zu denken.«863 Offensichtlich handelte es sich bei dieser Loslösung von den rechtsquellentheoretischen Ansichten der Historischen Rechtsschule über geschichtlich frühe Rechtszustände um einen sich über mehrere Jahre erstreckenden Prozess, der aber wohl spätestens Ende der vierziger Jahre ausgelöst worden war durch Jherings intensivere Beschäftigung mit den frühesten Formen des römischen Rechts – eines Rechts, das eigentlich die historisch empirische Bestätigung hätte liefern müssen für das theoretische Dogma der Historischen Rechtsschule, die Anfänge jeder Rechtsordnung seien durch die ausschließliche Herrschaft des Gewohnheitsrechts und damit durch eine im Moment der Rechtsentstehung noch fehlende intellektuelle Reflexion über die Gründe für die Inhalte des Rechts gekennzeichnet864. Als Jhering bei seiner Untersuchung konkreter historisch 861 F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1812), in: Savignyana II (1993), S. 182. 862 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 36. Im Gegensatz dazu F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 33 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 117). 863 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 36f. Fn. 19, S. 38; § 27, S. 69 Fn. 58. Für die zweite Auflage von 1866 formulierte Jhering in Geist II/1 (21866), § 25, S. 37 im Ton noch etwas schärfer : Der altrömische Prozeß sei geradezu »ein Protest gegen das Gewohnheitsrecht, wie er sich kaum schroffer und deutlicher denken läßt«. Wenn man allerdings wie Puchta die interpretatio der älteren römischen Jurisprudenz »unter den Gesichtspunkt des Gewohnheitsrechts bringen [wolle], dann allerdings öffnet sich für letzteres eine reiche Aerndte.« 864 So auch B.Klemann, Jhering (1989), S. 168. In Geist III/1 (11865), § 48, S. 3 schrieb Jhering selbst: »Einer je längeren Prüfung ich diese [sc. ältesten Grund-]Begriffe unterworfen habe, um so festeren Fuß hat die Ueberzeugung bei mir gefaßt«, dass sie nicht auf Gewohnheitsrecht zurückzuführen seien. Dieser Prozeß von Jherings Auffassungswandel dokumentierte sich nicht zuletzt in der sich langsam ändernden Terminologie Jherings. Hatte er 1852 die gewohnheitsrechtliche Rechtsbildung noch ganz selbstverständlich als »organische« gekennzeichnet, so bezeichnete er in dem 1856 entstandenen § 42 von Geist II/2

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überlieferter Frühformen des römischen Rechts feststellte, dass man dort »eher alles andere finden [kann] als eine Bestätigung der Lehre der historischen Schule von der ›naturwüchsigen‹ Existenz und Fortbildung des Rechts«865, war es für ihn gar keine Frage, »die Augen zu öffnen, um die Dinge wahrzunehmen, wie sie wirklich sind und nicht, wie das Trugbild dieser Theorie ihr es vorspiegelt.«866 Stand am Beginn dieses Prozesses zunächst nur die in Jherings Schriften erstmals für das Jahr 1854 nachweisbare Erkenntnis, dass die mit den ersten Quellenzeugnissen einsetzende, von Jhering sogenannte »geschichtliche Zeit« des römischen Rechts keine Bestätigung für die Theorie der Historischen Rechtsschule liefern könne867, so stellte er diese Theorie am Ende auch für die sogenannte »ungeschichtliche Zeit«, nämlich für die Zeit, für die es überhaupt keine geschichtlichen Zeugnisse gibt, in Frage868. Im Jahre 1866 resümierte Jhering,

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»unser deutsches Recht«, das anders als das älteste römische Privatrecht tatsächlich in gewohnheitsrechtlicher Form entstanden sei, nicht als organisch, sondern als »wild aufgewachsen« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 42, S. 429; so wörtlich auch wieder Jhering, Geist III/1 (11865), § 48, S. 11]. Diese Wortwahl zur Bezeichnung einer gewohnheitsrechtlichen Entwicklung wäre bei Savigny noch undenkbar gewesen. Vor allem aber vertrug sie sich nicht mehr mit der von Jhering bereits für das frühe römische Recht diagnostizierten »Strenge«, »Solidität und Festigkeit seines Fundaments, jene[r] Einfachheit und Consequenz seiner ganzen Anlage« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 42, S. 429]. Wie Jhering in der zweiten Auflage von Geist II/1 in § 25, S. 36 formulierte. Vgl. aber auch schon in Geist II/1 (11854), § 25, S. 36 Fn. 19 die entsprechende Kritik Jherings an Puchta. Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 13f. So wie hier auf rechtshistorischem Gebiet das bisherige Dogma zu den Frühformen des Rechts seine »Probe« nicht bestand, ist es auf rechtsdogmatischem Gebiet die »Probe« an einem praktischen Fall gewesen, die Jhering nach 1858 zur Modifikation seiner Theorie der juristischen Konstruktion veranlasste [vgl. nur Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 291f.; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 338f., 366f.], und noch später auf rechtsphilosophischem Gebiet die »Probe« der vergleichenden Untersuchung der Geschichte verschiedener Völker, die in Jherings Augen die bisherige Ansicht über die Entstehung sittlicher Anschauungen widerlegte [Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 11, 51]. Vgl. zu dem dahinter stehenden Wissenschaftsverständnis C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 27f. Zugleich ging Jhering in Geist II/2 (11858), § 42, S. 417 aber noch davon aus, dass die Rechtsbildungstheorie der Historischen Rechtsschule zumindest für die der historischen Nachprüfbarkeit entzogene »ungeschichtliche Zeit« des römischen Rechts Geltung beanspruchen könne und es dementsprechend an der durch die XII-Tafel-Gesetzgebung markierten Schwelle zur »geschichtlichen Zeit« einen »Wendepunkt«, nämlich den »Uebergang von der naiven Auffassung des Rechts zur Reflexion[,] d.h zur Jurisprudenz«, gegeben haben müsse. Dabei zeigte Jhering sich zumindest in dieser Frage schon insoweit als Historiker im modernen Sinne des Wortes, als er es vermied, ein Dogma gleich durch ein neues zu ersetzen. Vielmehr machte er – entgegen A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 271 – nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für seine geschichtliche Behauptung geltend: »Woher wissen wir, daß das Recht der Urzeit, dem diese ganze Lehre von dem unbewußten oder sog.[enannten] naturwüchsigen Bildungsprozeß des Rechts entnommen ist, in Wirklichkeit Gewohnheitsrecht war? […] was berechtigt uns, der u n g e s c h i c h t l i c h e n Zeit jene Form als die ausschließliche zuzuweisen? […] so steht Behauptung gegen Behauptung, keine von beiden ist im stande, den Beweis zu erbringen. Aber die meinige kann wenigstens

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dass man sich dank der Historischen Rechtsschule zwar von dem »noch vor nicht gar langer Zeit« verbreiteten »Irrthum [sc. des Aufklärungszeitalters] losgesagt« habe und heute wisse, »daß das Recht nicht auf den Gesetzgeber gewartet, vielmehr in Form des Gewohnheitsrechts von den ältesten Zeiten an existirt hat.«869 Die Periode einer ausschließlichen Geltung des Gewohnheitsrechts habe aber das römische Recht entgegen der Auffassung der Historischen Rechtsschule »entweder nie gekannt oder frühzeitig überwunden«870. Der sich damit erst im Laufe der fünfziger Jahre herauskristallisierende Vorwurf Jherings an die Historische Rechtsschule, die römische Rechtsgeschichte mehr von einem rechtsquellentheoretischen Dogma als von historischen Tatsachen ausgehend betrachtet und dargestellt zu haben, ist jedoch von einem anderen von Jhering schon früher gegen die Historische Rechtsschule erhobenen Vorwurf zu unterscheiden, auch wenn bzw. gerade weil Jhering in dem letzten im Jahre 1865 erschienenen Band III/1 über den »Geist des römischen Rechts« beide Vorwürfe auf eine griffige Formel bringen sollte. Jhering warf der Historischen Rechtsschule in Geist III/1 nämlich in folgender Entgegensetzung vor, sie setze als »stillschweigendes Axiom« voraus, dass »die Rechtsbegriffe […] keine K u n s t -, sondern N a t u r producte« seien871. Damit gab Jhering zum einen seiner nunmehrigen Auffassung Ausdruck, dass entgegen der von ihm selbst Anfang der fünfziger Jahre noch geteilten Ansicht der Historischen Rechtsschule die »Begriffe des ältern [sc. römischen] Rechts«, die aus einer Zeit stammten, als »von einer Jurisprudenz im spätern Sinne noch keine Rede« sein konnte, doch bereits eine »dem naiven Denken des Laien fremde Form« gehabt hätten. Wenn aber selbst diese ältesten Begriffe ihre Form bzw. »Structur […] nicht den realen Motiven, Zwecken, Impulsen des Lebens« verdankten, sondern nur durch »ächt-juristische Ideen« und »eigenthümliche Kunstgriffe«872, also aufgrund einer »bewußten und berechneten juristischen

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die Analogie der historischen Zeit für sich ins Feld führen […] nicht etwa so, daß sie sagt: so m u ß es gewesen sein, sondern so k a n n es gewesen sein« [Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 14]. Jhering, Geist I (21866), § 11, S. 119. Jhering, Geist II/1 (31874), § 25, S. 44. Mit der Auffassung, dass neben dem Gewohnheitsrecht wahrscheinlich von Anfang an bereits eine Form der »Jurisprudenz« existiert habe, ist nicht zu verwechseln Jherings erst später im Zusammenhang mit seiner Evolutionstheorie des Rechts entwickelte Auffassung, dass selbst das Gewohnheitsrecht hervorgegangen sei aus »der bewußten Absicht einzelner Individuen […], welcher der Masse das eigene Denken abgenommen haben« [Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 15]. Jhering, Geist III/1 (11865), § 54, S. 171. Jhering, Geist III/1 (11865), § 54, S. 172. Vgl. auch schon Jhering, Unsere Aufgabe(1856), S. 12 (= Ges. Aufs. I, S. 10), wo Jhering über den spezifisch »j u r i s t i s c h e n Ku n s t s i n n « meinte: »Ich will nicht auf die römische Jurisprudenz verweisen; sie hatte ihn schon in der Wiege, ihre frühesten Leistungen, die seltsamen Gebilde der alten Zeit, sind nichts als Producte dieses Kunstsinns, des späteren Rechts der classischen Periode gar nicht zu gedenken.«

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Schöpfung«873 entstanden sein könnten, dann seien sie bereits als professionelle »Kunstproducte« des »ältesten Stück[s] römischer Jurisprudenz, das uns überliefert ist«, anzusehen874. Zum anderen aber warf Jhering mit seiner Charakterisierung der Rechtsbegriffe als »Kunstprodukte« der Historischen Rechtsschule auch vor, dass sie nicht nur die »künstliche«, nämlich »laienfremde« Struktur der Begriffe des ältesten Rechts, sondern auch die in einem ganz anderen Sinne »künstliche«, nämlich die menschliche Herkunft der Inhalte des Rechts und damit den Charakter aller Rechtsbegriffe als »Menschenwerk« verkannt habe. Zwar habe die Historische Rechtsschule die geschichtliche Erforschung des Rechts zu ihrem Programm gemacht. Tatsächlich sei sie aber gar nicht bereit gewesen, »bis zu den letzten Quellen des Rechts zurückzugehen«, da sie der »Frage nach dem: Woher und Warum?«875 bei den gewohnheitsrechtlich entstandenen Begriffen wie auch bei den professionell-juristischen »Kunstbegriffen« nur allzu gern mit einem pauschalen Verweis auf den Volksgeist aus dem Wege gegangen sei. Dadurch aber hätten – so Jhering bereits 1852 – die Rechtsbegriffe fälschlicherweise den Anschein bekommen, nicht »M e n s c h e n werk« zu sein876, so als wären sie »über Nacht und auf geheimnisvolle Weise zur Welt gekommen«877, scheinbare – so Jhering 1865 – »Producte einer geheimnisvoll schaffenden Naturkraft«, quasi göttliche »unmittelbare Offenbarungen, an denen das menschliche Denken und Wollen keinen Antheil gehabt hätte«878 und deren Gründe damit außerhalb der menschlichen und damit vor allem auch wissenschaftlichen Erkenntnisfähigkeit lägen. Die Tatsache, dass Jhering genau mit dieser Kritik, die sich nicht auf das zeitliche Nacheinander des geschichtlichen Auftretens der Rechtsquellen bezog, sondern auf die Frage nach dem letzten Ursprung der Inhalte des Rechts, schon dreizehn Jahre zuvor sein seit 1852 erscheinendes mehrbändiges Werk »Geist des römischen Rechts« eingeleitet und auch begründet hatte, zeigt, dass Jherings 1865 gegen die Historische Rechtsschule gerichtete Formel insoweit nur einen alten Vorwurf Jherings wiederholte.

873 Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 589. 874 Jhering, Geist III/1 (11865), § 54, S. 171f. und Ders., Geist II/2 (11858), § 47, S. 589 zur »bewußten und berechneten juristischen Schöpfung […] eines K u n s t p r o d u c t e s des juristischen Geistes«. Jhering, Besitzwille (1889), S. 108, 133 unterschied bei allen überkommenen Rechtsbegriffen, ob ein »volksthümlicher Begriff« vorliege oder ob es sich um ein »künstliches Product der Juristen« handele, »ein juristisches Ku n s t p r o d u c t « als »Ergebniß des s p e c i f i s c h j u r i s t i s c h e n D e n k e n s « . 875 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 297f.; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 287. 876 Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219. 877 Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 101. 878 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 297.

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Während Puchta noch zu begründen versucht hatte, warum die Gesetzgebung als eine zumindest in »potentia wirkliche Rechtsquelle« anzusehen sei879, sah Jhering im Gesetz die dem Begriff des Rechts, nämlich dem »Bedürfniß nach Gerechtigkeit d. h. nach Gleichmäßigkeit«, eigentlich entsprechende Rechtsquelle880. Wie selbstverständlich finden sich in seinen aus den fünfziger Jahren stammenden Ausführungen zum Verhältnis von Gesetzes- und Gewohnheitsrecht genau diejenigen Argumente, die einmal Hegel, der berühmte Gegner der Historischen Rechtsschule, gegen Savignys Haltung zu einer Privatrechtskodifikation vorgebracht hatte881. Aber nicht nur die sachlichen Argumente, sondern selbst das moralisierende Pathos Jherings gegen die zeitgenössischen Kritiker einer Zivilrechtskodifikation wirken wie eine Anleihe bei Hegel882. 879 G.F.Puchta, Gewohnheitsrecht I (1828), S. 146. 880 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 31. 881 Vgl. zum einen G.W.F.Hegel, Rph. (1821), § 211, S. 186f., § 214, S. 190 und zum anderen Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 32ff.: Wie Hegel sah Jhering allein im Gesetz die »Bestimmtheit« des Rechts garantiert. Denn nur so sei das »Zufällige der Empfindung« (Hegel) bzw. die »Herrschaft des Gefühls im Recht zu brechen« (Jhering). Dass andererseits aber auch bei der Anwendung des Gesetzes »die Zufälligkeit […] ihre, aber beschränkte, Sphäre und Recht hat« (Hegel), sollte damit nicht bestritten werden, da natürlich »auch das Gesetz […] den Einflüssen der subjektiven Verschiedenheiten und der Stimmungen desselben Subjekts« nur »bis zu einem gewissen Grade einen Damm entgegensetzt« (Jhering). Nur durch das Gesetz könne das Recht »denkend gewußt werden« (Hegel) und würde in dem Sinne zu einem »Gegenstand der Erkenntniß« (Jhering), nämlich der »Erkenntnis des Inhalts in seiner bestimmten Allgemeinheit« (Hegel), als die bloße »Intuition […] folgeweise immer mehr dem discursiven Denken Platz« mache (Jhering). W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 297 Fn. 293 vermutet zwar, Jhering habe die Rechtsphilosophie Hegels erst 1864/65 »zum ersten Mal oder zumindest gründlicher studiert«, da er Hegel vor 1865 nicht im »Geist« zitiert habe. Nach der Mitteilung von Michael Kunze findet sich aber im Nachlass Jherings eine bereits aus dem Jahre 1843 stammende handschriftliche Notiz Jherings mit dem Hinweis auf Hegels Rechtsphilosophie als »zu les[en] in d[en] Mich[aelis] Fer[ien]« [M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 177]. 882 G.W.F.Hegel, Rph. (1821), § 211, S. 187 hatte in dem Kodifikationsstreit zwischen Thibaut und Savigny mit folgender berühmten Polemik gegen letzteren Stellung genommen: »Einer gebildeten Nation oder dem juristischen Stande […] die Fähigkeit abzusprechen, ein Gesetzbuch zu machen […] wäre einer der größten Schimpfe, der einer Nation oder jenem Stande angetan werden könnte.« Nicht viel anders meinte Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 10 vierzig Jahre später zu der Begründung, mit der Savigny die Privatrechtskodifikation abgelehnt hatte: »Eine Zeit, die […] sich nicht für wissenschaftlich reif hält, […] spricht sich nicht sowohl ein wissenschaftliches, als ein moralisches Armuthszeugniß« aus. Dass Hegel und Jhering mit ihrer Kritik an Savignys berühmter Programmschrift der Historischen Rechtsschule »Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft« in der Frage des »Berufes« zur Privatrechtskodifikation übereinstimmten, heißt allerdings keineswegs, dass sie auch in der Frage des »Berufes« zur Rechtswissenschaft einer Meinung waren. Vgl. dazu auch O.Behrends, Privatrecht (2000), S. 38ff., dessen überscharfe Betonung »des abgrundtiefen Abstandes zwischen den Sichtweisen« Hegels und

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Die rechtsquellentheoretisch positive Haltung Jherings zum Gesetz, die gern als Beleg für seine zweite Schaffensphase verwendet wird883, lässt sich allerdings nicht erst mit seinem Rechtsdenken der fünfziger Jahre, sondern auch bereits für die vierziger Jahre und damit also für die früheste Schaffensperiode Jherings belegen. Zwar Jhering in einer deutschen Zivilrechtskodifikation niemals die vollständige »Abhülfe der Mißstände unseres Rechtslebens« gesehen. Auch eine »Verherrlichung des germanischen Rechts« wäre das letzte gewesen, was in seiner Absicht lag884. Aber die Notwendigkeit einer deutschen Zivilrechtsgesetzgebung in allen deutschen Staaten, also die Vollendung dessen, was Mitte des 19. Jahrhunderts für den größeren Teil des ehemaligen Reichsgebiets in den deutschen Ländern ohnehin bereits – natürlich nur partikularrechtliche – Realität war885, hat für ihn nie außer Frage gestanden886. Im Jahre 1848 wähnte er – mit vielen Germanisten und Gegnern von Puchta oder Savigny887 – sogar die angesichts der politischen Verhältnisse in Deutschland bisher für utopisch888

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Jherings allerdings auch begrenzte Gemeinsamkeiten wie die vorgenannte aus dem Blick geraten lässt. Vgl. nur W.Wertenbruch, Versuch (1955), S. 12, 16f. So Jhering in dem ihm zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1522 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (47)] sowie Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 197f. Vgl. auch den ebenfalls Jhering zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1444 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (68)]: »Während man früher alles Heil von der Gesetzgebung erwartete, scheint man in der Gegenwart, wo man diesen Irrthum erkannte, sich eher dem entgegengesetzten Extrem zuzuneigen und den Einfluß jenes Factors zu gering anzuschlagen.« Vgl. dazu M.Kriele, Rechtsgewinnung (1967), S. 74 sowie – detailliert – R.Sohm/ L.Mitteis/L.Wenger, Institutionen (171949), § 3, S. 5f. und in jüngerer Zeit F.J.Säcker, Einleitung (42001), RZ 9ff. Ferner auch schon die zeitgenössische Bestandsaufnahme von G.F.Puchta, Vorlesungen I (11847), §§ 5–9, S. 14ff., 17 zum damals aktuellen »Verhältnis des römischen Rechtes zu den Landes- und sonstigen Partikular-Rechten.« Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 2, 14 selbst resümierte Mitte der sechziger Jahre, dass durch die Landes- und sonstigen Partikularrechte die »äußere Verdrängung des römischen Rechts in dem bei weitem größten Theil seines bisherigen Geltungsgebiets« bereits erfolgt sei. Vgl. nur Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 201 sowie auch den Jhering zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1522 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (47 Nr. 24a/b)]. Vgl. dazu F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 407–412, 416 und E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 511f., 515. So bezeichnete Jhering in Hist. Schule (1844), Sp. 198 Thibauts einstige Forderung nach einer Zivilrechtskodifikation noch im Nachhinein als »idealisch«, weil Thibaut sie an die Voraussetzung der »Einigkeit aller deutschen Staaten« geknüpft hatte. Damals hielt er die »Naturalisirung des römischen Rechts« lediglich durch Kodifikationen in den einzelnen deutschen Staaten für möglich, obwohl das für die Rechtseinheit »manche Uebelstände nach sich ziehen würde«, wie es in dem Jhering zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1522 heißt [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (40f.)]. Sehr pessimistisch über die politischen Verwirklichungschancen für eine Kodifikation äußerte sich zur selben Zeit auch G.Beseler, Volksrecht (1843), S. 237f. Vgl. zu den

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gehaltene gesamtdeutsche Privatrechtskodifikation als beste Lösung in greifbarer Nähe889. Sie würde, wie Jhering damals in einem Brief an Johann Jakob Bachofen formulierte, das römische Recht endlich zum nur noch historischen Gegenstand machen890. Denn, so hieß es schon 1845 in der Jhering zuzuschreibenden Artikelfolge über »Römische und moderne Jurisprudenz«, die Geltung des gemeinen römischen Recht ziehe den »unnatürlichen und problematischen« Zustand nach sich, dass »die Wissenschaft […] einer wesentlichen Beihülfe« entbehre, »deren sie sich beim einheimischen Recht erfreue, der Gesetzgebung.«891 Dass aber die Forderung nach einer umfassenden Privatrechtsgesetzgebung bzw. Zivilrechtskodifikation selbst noch Mitte der fünfziger Jahre ungeachtet der Tatsache, dass deren Mangel inzwischen zumindest unter jüngeren Juristen ganz mehrheitlich als eines der »ungelöste[n] Probleme unserer Zeit« empfunden wurde892, innerhalb der Historischen Rechtsschule weiter umstritten war893, zeigt das Beispiel von Friedrich Julius Stahl. Er erneuerte noch 1854 die Warnung vor der Privatrechtskodifikation und bezeichnete im pejorativen Sinn als »das Aeußerste der Gesetzgebung«894. Jhering hatte dafür im »Geist« nur noch Spott übrig und unterschied sich dadurch auch von dem fast

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für das Unternehmen einer Kodifikation ungünstigen politischen Umständen ferner die heutige Darstellung bei H.Coing, Privatrecht II (1989), S. 39f. Vgl. zu den Hintergründen F.Wieacker, Nationalgesetzbücher (1969), S. 419. Im Zeichen der aktuellen politischen Umstände und der erstmals durch die Frankfurter Nationalversammlung wieder real erscheinenden Aussicht auf einen gesamtdeutschen Staat schrieb Jhering am 7. Juli 1848 in einem Brief an Bachofen: »Das gegenwärtige Jahr wird uns in seinen Folgen auch im Civilrecht einen ungeheuren Schritt weiter bringen: wenn d e r erst gemacht ist, so möge das römische Recht fortan lediglich der historischen Richtung angehören und der dogmatische Trieb seine Befriedigung im neugebildeten Civilrecht suchen« [Bruckner-Briefe/1934, Nr. V (Jherings Brief an Bachofen vom 7. Juli 1848), S. 61]. An der hochpolitischen Lübecker Germanistenversammlung von 1847, untrennbar verbunden mit der nationalen Einheitsbewegung [vgl. T.Schieder in: B.Gebhardt, Handbuch (81960), S. 122; F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 411f.; Ders., Nationalgesetzbücher (1969), S. 418f.], nahm Jhering als einer der ganz wenigen Pandektisten offenbar sogar selbst teil [E.Heymann, Berliner Juristenfakultät (1910), S. 30; W.Sellert, Beitrag (2000), S. 93 Fn. 67]. Unter den Anwesenden widersprachen nur Ludwig Karl Heinrich von der Pfordten und Karl Georg von Wächter der von der Versammlung erhobenen Forderung nach einem allgemeinen deutschen Gesetzbuch [E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 520f.; G.Radbruch, Nachlaß (1952), S. 24f.; M.G.Losano, Studien (1984), S. 40–45]. LZ 1845, Sp. 1444 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (67f. Nr. 25a/b)]. Vgl. B.Delbrück, Recht (1855), S. 129. Nach R.Zimmermann, Recht (1999), S. 12 ist hingegen »seit etwa Mitte des Jahrhunderts weithin akzeptiert« gewesen, »daß eine Kodifikation des Privatrechts für Deutschland kommen und die unmittelbare Anwendbarkeit des römischen Rechts beenden werde.« Zumindest für die Juristen aus der Generation von Jhering, die nach der Jahrhundertmitte zunehmend den Ton angaben, ist das wohl zutreffend. F.J.Stahl, Philosophie II/1 (31854), § 21, S. 244.

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gleichaltrigen und weithin gleichgesinnten Bernhard Windscheid. Dieser war sich mit Jhering und anderen jungen Romanisten in den 1850er Jahren im Grundsatz zwar einig über die Notwendigkeit einer »Befreiung […] von dem römischen Recht als Gesetz«, aber dennoch wollte Windscheid auch noch 1854 die Frage, wie dieses Ziel »zu erreichen ist, ob durch Hilfe der Gesetzgebung, ob durch die langsam wirkende Kraft wissenschaftlicher Überzeugung«, offen lassen als »eine Frage für sich«, »deren Entscheidung von mehr als einer Erwägung abhängt«895. Der junge Jhering hat es allerdings zunächst vermieden, die Forderung nach einer Privatrechtskodifikation als eine Gegenposition zur Historischen Rechtsschule oder gar zu Savigny darzustellen. Savignys früheres Plädoyer gegen eine Kodifikation des Privatrechts896 rechtfertigte der ganz junge Jhering in der Artikelserie von 1844 noch unter Betonung des angeblich »vorübergehenden Zweckes« von Savignys Schrift als vom »damaligen Standpunkt« der Wissenschaft aus gesehen begründete Aufassung897. Allerdings sind auch schon in dieser Artikelserie, die weder – wie zuweilen unterstellt – in bloß »apologetischer Absicht« geschrieben898 noch – wie von Jhering selbst behauptet899 – eine der »Unpartheilichkeit« verpflichtete Darstellung »eines nicht betheiligten Dritten« war, die Grenzen zwischen bloßer Darstellung von Savignys Thesen und eigener Interpretation Jherings durchaus fließend900. So stand es nach Jherings dortiger 895 B.Windscheid, Rechtswissenschaft (1854), S. 19. Dieselbe Unentschlossenheit zeigte B.Windscheid, Röm.Recht (1858), S. 46f. auch noch vier Jahre später, meinte dann aber schließlich: »Wie man übrigens auch über dieselbe [sc. Frage] denken mag, sie scheint tatsächlich entschieden. Die neuere Zeit, von dem Bedürfnis bestimmt, zeigt eine sehr entschiedene Neigung, auf dem Wege der Gesetzgebung vorzugehen.« Später wurde Windscheid selbst zu einem entschiedenen Protagonisten und auch Mitgestalter dieses Weges und bezeichnete nun Savignys Auffassung in dieser Frage »als auf allen [sic!] Punkten geschlagen« [B.Windscheid, Geschichtl. Schule (1878), S. 69 sowie dazu U.Falk, Windscheid (1989), S. 174f., ferner auch H.H.Jakobs,Wiss. u. Gesetzgeb. (1983), S. 106f. und J.Rückert, Autonomie (1988), S. 68]. 896 In einem Brief vom 13. Oktober 1843 an Georg Beseler [abgedruckt in: A.Stoll, SavignyBriefe III (1939), Nr. 531, S. 61] stellte Savigny noch einmal klar, dass seine »Schrift vom Beruf […] nur vom Privatrecht handeln w i l l , ja nicht einmal von der privatrechtlichen G e s e t z g e b u n g überhaupt, sondern von der C o d i f i c a t i o n , d. h. von einem zu sanctionirenden Rechtssystem, welcher beiden Dinge Verwechslung immer und überall wieder auftaucht.« 897 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 197f., 565. 898 So zum Beispiel H.Klenner, Jherings Kampf (1992), S. 153 Fn. 14. Tatsächlich hatte Jhering aber die »Unterlassungssünde« und »Einseitigkeit der historischen Schule« kritisiert, mit der sie »der Beihülfe der Philosophie zu entrathen zu können glaubte«, indem sie »mit der Erscheinung zufrieden, den Begriff [sc. des Rechts] vernachlässigte [Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 406f.]. 899 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 197. 900 Nach O.Behrends, Jhering (1987), S. 247–249 enthält die Artikelserie von 1844 allerdings eine getreue und keine »eigenwillige Savigny-Interpretation«. Sie belege, dass Jhering die

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Darstellung außer Frage, dass die Historische Rechtsschule »von ihrem Standpunkt aus eine in ihrem Sinne unternommene Codification« des Zivilrechts nur »durchaus billigen und wünschen kann«901. Dem war aber, zumindest wenn man die Auffassung ihres Schulengründers Savigny zugrunde legt, mitnichten so. Sogar Jhering selbst resümierte in späteren Jahren sarkastisch, dass Savigny »sich […] seine Schule stiftete u[nd] dem ungestümen Drängen der von den gewaltigen vorangegangenen Stürmen« der Französischen Revolution und der Napoleonischen Herrschaft »noch nicht zur Ruhe gelangten erneuerungssüchtigen Juristen, welche ein einheitliches deutsches Gesetzbuch begehrten, das große Wort entgegensetzte, daß eine Zeit, welche ein gutes Gesetzbuch machen könne, dessen nicht bedürfe, eine solche aber, welche es nicht könne, nicht den Beruf dazu habe.«902 In der Tat war Savignys Haltung in den Jahren 1814/15 alles andere als eindeutig gewesen903, was sich bis heute in unterschiedlichen ÄußeVolksgeistlehre Savignys einfach »besser als manche nach ihm« verstanden habe. Letzteres mag richtig sein im Hinblick auf allzu vereinfachende Darstellungen. Ausdruck einer »eigenwilligen Savigny-Interpretation« Jherings war es aber, dass sich für Jhering aus der von der Historischen Rechtsschule geltend gemachten historischen Notwendigkeit der Rechtsentwicklung auch die Pflicht der Wissenschaft notfalls zum »Kampf« für die Einführung neuer Rechtsinhalte ergeben sollte wie ferner der Beruf der Rechtswissenschaft, zunächst »die Ueberzeugung von Millionen«, nämlich die »Stimme des Volkes für sich zu gewinnen« [Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 568f.]. Diese »Interpretation« Jherings hatte nichts mehr mit der normativen Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule zu tun. 901 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 201. 902 So formulierte Jhering, Briefe des Unbekannten (Nachlass), Bl. 1f. in einer Anfang der siebziger Jahre verfassten, aber nicht publizierten »Neuen Folge« der »Vertraulichen Briefe über die heutige Jurisprudenz«. 903 So vollkommen zu Recht M.Kriele, Rechtsgewinnung (1967), S. 73 Fn. 39, aber auch schon E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 202f. Savigny hatte bei der Verteidigung seiner Berufs-Schrift zwar tatsächlich gemeint, »daß unter gewissen Bedingungen die Abfassung eines Gesetzbuchs sehr wohlthäig sey und alle Billigung verdiene« [F.C.v.Savigny, GönnerRezension (1815), S. 132], dies aber einige Seiten später wieder relativiert (aaO, S. 170f.). In der Berufs-Schrift selbst hatte Savigny zwar die Möglichkeit einer Zivilrechtskodifikation nur für seine eigene Zeit ausdrücklich bestritten, die Notwendigkeit derselben aber grundsätzlich in Frage gestellt [F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 25f. (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 112)]. Aber auch im Hinblick auf die theoretische Möglichkeit (»Fähigkeit«) hatte Savigny nur vage gemeint: »Daß dieser Zustand jemals eintreten werde, sage ich nicht: dieses hangt von der Vereinigung der seltensten und glücklichsten Umstände ab.« Nur in einer solchen historischen Ausnahmesituation könne man »für zukünftige schwächere Zeiten« eine Kodifikation überhaupt erwägen. Es bleibe aber auch dann noch fraglich, ob für die »sinkenden Zeiten« wirklich »durch Gesetzbücher« oder nicht doch »in anderer Form besser« vorgesorgt werden könne [F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 25f., 134 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 112, 176)]. Selbst G.F.Puchta, Beseler-Rezension (1844), Sp. 3 kritisierte später, dass Savigny auch die »Fähigkeit« zur Kodifikation in Frage gestellt habe (»unverzeihlicher Vorwurf«), anstatt dass er – taktisch geschickter – lediglich das »Nichtsollen der Codification ausschließlicher hervorgehoben hätte«. Vgl. dazu auch B.Windscheid, Geschichtl. Schule (1878), S. 67f. Unberührt von Savignys Haltung zur Frage der Privatrechtskodifikation bleibt allerdings seine Auffassung zur »bürgerliche[n]

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rungen hierzu widerspiegelt904. Selbst noch 1840 hatte Savigny mit keinem Wort von der Notwendigkeit oder auch nur Billigung einer Zivilrechtskodifikation für Deutschland gesprochen, dafür aber seine Kritik an den schon bestehenden Kodifikationen und seine Warnungen vor »der Abfassung eines umfassenden Gesetzbuchs« wiederholt905. In einem aus dem Jahre 1843 stammenden Brief an Georg Beseler stellte er sogar ausdrücklich klar : »[…] meine Antwort ist damals [sc. bei Abfassung der Berufs-Schrift 1814] dieselbe gewesen, wie sie noch jetzt ist […]«; wer »die Kraft zur Codification, wenn auch nur für einzelne Rechtsinstitute, in sich fühlt, der versuche es damit nur als Schriftsteller, und wenn er sich nicht über sich selbst getäuscht hat, so wird ihm eine Autorität durch Anerkennung zu Theil werden, die der gesetzlichen in ihrer Wirksamkeit nicht viel nachstehen kann, während sie den großen Vorzug einer leichten, stets fortgehenden Nachhülfe und Verbesserung haben wird.«906

Diesen »Vorzug« allerdings, den Savigny ausdrücklich und bezeichnenderweise nur für das »bürgerliche Recht, nicht aber [für] politische Gesetze« erhalten wollte, hätten in der Tat weder eine Kodifikation noch eine sonstige Gesetzgebung jemals bieten können907. Aufzeichnungen Jherings zum Gesetz, die in seinem Nachlass überliefert sind und wahrscheinlich noch aus seiner Studentenzeit stammen, zeugen demge-

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Gesetzgebung überhaupt«, der Savigny weder 1814 noch 1840 prinzipiell ablehnend gegenüber stand [vgl. nur F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 16f., 131f. (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 106f., 174f.); Ders., System I (1840), § 13, S. 38ff.; § 15, S. 50f.]. Vgl. aus einer unübersehbaren Anzahl von Äußerungen zu der bereits im 19. Jahrhundert lebhaft erörterten Frage, ob Savigny nur für seine Zeit oder aber für alle Zeiten eine Privatrechtskodifikation und zwar »ebenso ein deutsches Nationalgesetzbuch wie einzelstaatliche Kodifikationen« [F.Wieacker, Nationalgesetzbücher (1969), S. 416] abgelehnt habe, beispielhaft einige Stimmen aus den letzten Jahrzehnten: Während etwa O.Behrends, Savigny (1985), S. 312; ders., Gesetz und Dogmatik (1989), S. 26f.; R.Gmür, Savigny (1962), S. 18ff. oder H.Hammen, Savigny (1983), S. 56f., 59ff. ausdrücklich der erstgenannten Auffassung sind, geht die wohl überwiegende Auffassung davon aus, dass Savigny für jede Zeit Einwände gegen eine Privatrechtskodifikation hatte [vgl. nur G.Boehmer, Grundlagen (1951), S. 50f.; J.BRAUN, Gans (1982), S. 159; P.Caroni, Savigny (1969), S. 136f. m. w. N.; H.Hattenhauer, Einleitung (1973), S. 47; H.H.Jakobs, Wiss. u. Gesetzgeb. (1983), S. 20, 45ff.; A.Kaufmann, Artikel »Historische Rechtsschule« in: N.Achterberg, LdR 2/200 (1986), S. 2f.; W.Maihofer, Jurisprudenz (1971), S. 434f.; P.Raisch, Methoden (1995), S. 95; H.Schlosser, Privatrechtsgeschichte (61988), S. 122f.; P.G.Stein, Römisches Recht (1996), S. 191; H.J.Störig, Wissenschaft II (1982), S. 249; R.Zimmermann, Recht (1999), S. 12f.; S.Meder, Mißverstehen (2004), S. 117f.]. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 14, S. 47f., § 21, S. 102f.; Ders., Beruf (31840), S. IV. Vgl. auch P.Caroni, Savigny (1969), S. 130f. m.w. N.; H.Hammen, Savigny (1983), S. 66; E.Heymann, Berliner Juristenfakultät (1910), S. 25; J.Schröder, Spezialistendogma (1976), S. 30 und F.Zwilgmeyer, Savigny (1929), S. 15 zu Savignys Standpunkt in dieser Frage. So Savigny in einem Brief vom 13. Oktober 1843 an Georg Beseler, abgedruckt in: A.Stoll, Savigny-Briefe III (1939), Nr. 531, S. 61. Vgl. Savignys Brief vom 19. August 1831 an Leonhard Creuzer, abgedruckt in: A.Stoll, Savigny-Briefe II (1929), Nr. 455, S. 435.

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genüber bereits deutlich von eigenständigen Überlegungen des jungen Jhering. Zwar ging er hier noch nicht so weit wie in den fünfziger Jahren, geradezu provokativ das Gesetz als die »Ablösung [sc. des Rechts] von dem nationalen Rechtsgefühl« zu feiern908, aber er gab der offensichtlich an Savigny anknüpfenden Forderung, auch das Gesetzesrecht solle »nationell und lebendi[g]« wie »das reine Gewohnheitsrecht dem Leben« angehören909, schon Anfang der vierziger Jahre eine deutlich andere Wendung. Für ihn sollte nämlich das Gesetz »durch lange Übung nationell u[nd] lebendi[g]« und damit erst im Nachhinein – wie Jhering es hier ausdrückte – auch zum »Gewohnheitsr[echt]« werden910. Die dem Gesetz eigentümliche Funktion sei »nicht die erhaltende Kraft im R[echts]zustand«, die gesetzliche Sanktionierung und Fixierung von bereits in gewohnheitsrechtlicher Form geltenden Rechtsinhalten, sondern »die einführende«911. Im Gegensatz zur gewohnheitsrechtlichen Rechtsbildung habe das Gesetz die Aufgabe, gerade neue, also noch nicht »durch lange Übung nationell und lebendi[g]« gewordene Rechtsinhalte einzuführen, was notwendigerweise bedeute, dass zunächst »der Buchstabe das Leben nach sich formirt«912. Daher stand nach Jhering ein Gesetz kurz nach seinem Inkrafttreten naturgemäß »noch rein äußerl[ich] zum Leben«, bis es durch längere Rechtspraxis vom Leben »assimilirt«913 bzw. »aufs innigste mit dem Boden der gesammten nationalen Ansicht und Sittlichkeit verwachsen« sei914. Die Vorstellung Savignys, dass alle »gute[n]«, nämlich nicht »willkührlich bestimmende[n] Gesetze«915 das Recht »nicht hervorbringen«, sondern nur »reinigen, fixiren« und somit auch neues Gesetzesrecht »seiner innern Natur nach Gewohnheitsrecht« sei916, hat Jhering demnach nicht mehr geteilt. 908 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25. S. 33. 909 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 9v. 910 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 9v/10r : So habe »d[as] G[e]s[etz] erst sein Ziel erreicht«, wenn es im Laufe seiner formalen Geltung auch »nationell u[nd] lebendi[g] geworden ist«. Dann besitze das »gesetzliche R[echt] […] [sc. eine] doppelte Seite«, es gelte formal als Gesetz, und zugleich »gehört es wie das reine Gewohnheitsrecht dem Leben an«. 911 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 9v. 912 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 9v/10r. Daran anknüpfend meinte Jhering in Geist II/1 (11854), § 27, S. 62: »Das Gesetz erhebt die Prätension, das Leben zu beherrschen«. Die »Eintracht« von »Gesetz und Leben« wird »oft nicht […] von vorneherein vorhanden sein, wenn das Gesetz […] irgend eine Umgestaltung der bisherigen Verhältnisse beabsichtigt […].« 913 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 10r. 914 Jhering, Geist II/1 (11854), § 27, S. 64. 915 F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1813/14), in: Savignyana II (1993), S. 189. 916 F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1809/1812), in: Savignyana II (1993), S. 140, 146f., 182. Vgl. auch M.Kriele, Rechtsgewinnung (1967), S. 84. Zwar trat F.C.v.Savigny, System I (1840), § 13, S. 40, 42f. in seiner späteren Zeit dem durch solche Aussagen entstandenen angeblichen »Mißverständniß« entgegen, er habe die »eigenthümliche Wichtigkeit« der Gesetzgebung mißachtet. Deutlich über Puchta hinausgehend bezeichnete er 1840 für Zeiten, »die

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Für das Verhältnis des jungen Jhering zur Historischen Rechtsschule aufschlussreich ist das von ihm angeführte Beispiel für ein noch »äußerliches« bzw. nicht vollständig assimiliertes »Gesetz«, es war nämlich das geltende Pandektenrecht selbst. »Nicht also daß dieser äußerl.[iche] Vers.[uch] fortbesteht[,] ist wünschenswerth, daß wir immer auf d[ie] Quellen recurrirn müßen, wie d[ie] histor[ische] Schule es beim Röm.[ischen] R.[echt] thut (:Stabilitätssystem, die Tyrannei des Gesetzes, die nicht das R.[echt], sondern das G[e]s.[etz] zur Herrscherin erhebt, die Quellen anstrengt, dem bildenden Triebe der Zeit ein äußeres Gewand anlegt:) sondern d[aß] die Quelle entbehrlich w[ir]d.«917

Jhering hatte hier nicht so sehr – wie Bernd Klemann meint918 – den »Quellenpurismus« der Historischen Rechtsschule kritisiert. Die »gesetzliche Gültigkeit« des gemeinen römischen Rechts bedeutete vorbehaltlich gewohnheitsrechtlicher oder gesetzlicher Änderung für Jhering insoweit nicht weniger als für Savigny – aber offenbar anders als für Johann Friedrich Kierulff919 – eine strikte Bindung an die aus dem Pandektenrecht ableitbaren Rechtsprinzipien, und dies der Rechtserzeugung durch gemeinsames Volksbewußtseyn nicht mehr günstig sind«, die vornehmlich gesetzliche Rechtsfortbildung als grundsätzlich möglich, ja sogar notwendig (aaO). Bezeichnenderweise verwies er dabei aber nicht auf den zeitgenössischen Rechtszustand, sondern auf die dem »System des heutigen Rechts« ganz fernliegende Epoche des römischen Kaisers Konstantin. Vgl. auch H.H.Jakobs, Wiss. u. Gesetzgeb. (1983), S. 37f. zur Entwicklung von Savignys Standpunkt in dieser Frage. 917 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 10r/v. Am Rand notierte Jhering sogar »Chinesische Theorie«. Diese war für ihn ebenso wie der Ausdruck »Stabilität« ein Synonym für eine zu jeder Entwicklung unfähige Rechtsordnung [Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 30, Bl. 58v ; § 36, Bl. 22r, 38r]. Vgl. auch Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 405, 568, wo dieser sich verwahrte gegen eine Identifizierung des »historische[n] Princip[s] […] mit dem reactionären oder wenigstens stabilen Princip«. Beide Ausdrücke waren also negativ besetzt, die »Stabilität« nicht nur in Jherings Sprachgebrauch [vgl. z. B. G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S. 74 (»stabile[r] Charakter« anstelle von »Veränderungsfähigkeit […] zum Besseren«); G.F.Puchta, Gewohnheitsrecht I (1828), S. 229 (»Gewöhnung ohne den Nachtheil der Stabilität«); Ders., Cursus I (11841), § 19, S. 45 (»nichts stabiles, es entwickelt sich«); F.J.Stahl, Philosophie II/1 (31854), § 15, S. 226 (Stabilität = Stillstand)] und das »Chinesische« speziell bei Jhering [vgl. dazu W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 208 und W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 80, wobei sich über die von Pleister, aaO bezeichneten Belege hinaus auch noch Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 31 anführen ließe]. Nur ausnahmsweise, nämlich im Falle des altrömischen Privatrechts, das sich allerdings zugunsten einer »autonomischen Bewegung des Vermögens-Verkehrs« selbst beschränkt habe, sollte nach Jhering auch einmal vorübergehend die »starre Unveränderlichkeit« und »frühere Stabilität des Rechts seiner Cultur förderlich« gewesen sein [Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 311]. 918 B.Klemann, Jhering (1989), S. 72. 919 J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. XXIVff. Direkt gegen Kierulff, der »schon jetzt dem römischen Recht die gesetzliche Gültigkeit absprechen« wolle [so C.W.F.Gerber, Princip (1846), S. 150], nahm auch B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 8f. Stellung zu der Frage der juristischen Geltung des gemeinen römischen Rechts in Deutschland.

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unabhängig davon, ob »die Festhaltung des römischen Standpunktes«920 im Einzelfall auch als rechtspolitisch wünschbar zu betrachten war921. Gleichwohl ist Jherings Äußerung in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert922. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert vor allem die Entgegensetzung von »Recht« und bloßem »Gesetz«, eine genuin Savignysche Unterscheidung923, die aber hier in einer überhaupt nicht Savignys Intention entsprechenden Weise in kritischer Absicht auf das geltende Pandektenrecht angewendet wurde. Gerade nicht durch eine Kodifikation, sondern ganz im Gegenteil dadurch, dass »wir immer« noch »auf d[ie] [sc. antiken] Quellen [sc. als geltendes Recht] recurrirn müßen« und damit oft anstelle des »nationell[en] u[nd] lebendi[gen]« »R.[echts] […] das G[e]s.[etz] zur Herrscherinn« erheben, wurde nach Jhering »dem bildenden Triebe der Zeit ein äußeres Gewand an[ge]legt«924. Nach Ansicht des jungen Jhering fehlte dem geltenden gemeinen römischen Recht in der bisherigen Form der überlieferten römischen Quellentexte demnach die bereits genannte »doppelte Seite«, nämlich neben seiner formalen Geltung als Ganzes 920 Jhering, Culpa (1861), S. 409. 921 Die Einsicht, dass die geltungsrechtliche Quellenbindung nicht die Bindung an den »Buchstaben« der Überlieferung, sondern an den »Geist« des römischen Rechts bedeute [G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 35, S. 108], dass man also »den Ausschlag nicht in einzelnen Quellenstellen, sondern in den« sich allerdings aus den einzelnen Quellenstellen ergebenden »allgemeinen Prinzipien des Rechts zu suchen« habe [Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 77, 79], verstand sich dabei spätestens seit Savigny [vgl. aber vorher auch schon A. F.J.Thibaut, Versuche I (11798), S. 146] von selbst und war – wie es E.Schanze, Culpa (1978), S. 333 Fn. 16 ausdrückt – ein »manifester Bestandteil der Juristengeneration […], die in das Erbe Savignys und Puchtas eintritt«. Savigny hatte – was D.Nörr, Geist u. Buchstabe (1983), S. 39f. übersieht – auch in der Auslegungslehre ausdrücklich den »Vorzug des Geistes vor dem Buchstaben« einer konkreten Regelung gefordert [F.C.v.SAVIGNY, System I (1840), § 38, S. 243] und daher insoweit eine Korrektur des »bloßen Buchstaben[s]« (aaO, § 50, S. 322) durch die restriktive und extensive Auslegung zugelassen (aaO, § 37, S. 230ff.). 922 Auf dem Hintergrund allzu holzschnittartiger Darstellungen zur frühen Werkphase von Jhering ist allein schon die Tatsache einer deutlichen Kritik des ganz jungen Jhering an der Historischen Rechtsschule bemerkenswert. Darüber hinaus zeigt sich aber auch, wie sehr Jhering bereits Anfang der 1840er Jahre die gemeinrechtliche Geltung des rezipierten Rechts in Deutschland als Manko für dessen Weiterentwicklung empfand. Seine Redeweise vom »Stabilitätssystem«, also vom »Stillstand« des Pandektenrechts [F.J.Stahl, Philosophie II/1 (31854), § 15, S. 226], erinnert auf dem Hintergrund der Qualifizierung des Pandektenrechts durch die Historische Rechtsschule als »lebendiges« Gewohnheitsrecht geradezu an Hegels einst gegen die Historische Rechtsschule gerichteten ironischen Seitenhieb, man spräche »heutigentags […] gerade da am meisten vom Leben und vom Übergehen ins Leben, wo man in dem totesten Stoffe und in dem totesten Gedanken versiert« [G.W.F.Hegel, Rph. (1821), § 211, S. 186]. 923 Vgl. etwa F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1813/14), in: Savignyana II (1993), S. 189, wo er das »wahre [sc. ›nationell lebendige‹] Recht« dem zwar formal geltenden, aber inhaltlich »willkührlich bestimmende[n] Gesetze« gegenüberstellt. Vgl. grundsätzlich zu Savignys »strikten Unterscheidung von Recht und Gesetz« jetzt S.Meder, Urteilen (1999), S. 69ff. 924 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 10r.

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auch inhaltlich im Einzelnen »nationell u[nd] lebendi[g]« wie ein »reine[s] Gewohnheitsr[echt]« zu sein925. Dieser Einwand des jungen Jhering ist beachtlich, war doch das römische Recht in der rezipierten Form des Corpus iuris civilis nach Lesart der Historischen Rechtsschule längst »unser Recht geworden«926 und galt deswegen als Ausdruck eines »wirklichen gemeinen Gewohnheitsrechte[s]«927, unterschieden von anderen Gewohnheitsrechten lediglich dadurch, dass es durch seine Überlieferung in Schriftform ähnlich »wie ein Gesetzbuch angewendet«928 werden konnte. Einen derartigen ausdrücklichen Hinweis auf die Geltungsform des Pandektenrechts sucht man bei Jhering hingegen vergeblich. Wenn Jhering das Pandektenrecht als Gesetz929 bzw. als – noch – geltendes »Gesetzbuch«930 bezeichnete, blieb nämlich offen, ob er nur die in den Ländern ohne Partikularrechtskodifikation praktisch unbestritten noch andauernde Bindungswirkung der Regeln des Corpus iuris civilis als »subsidiäres gemeines Recht«931 gemeint hatte oder auch die rechtsquellentheoretische Geltungsform desselben als Gesetzesrecht. Denn im 19. Jahrhundert waren Ausdrücke wie »gesetzliche Gültigkeit« oder »Gesetz«, ja selbst »Gesetzbuch« insofern keine eindeutigen rechtsquellentheoretischen Hinweise, als sie in der zeitgenössischen »Rechtssprache jeden Rechtssatz ohne Unterschied der Entstehungsart« bezeichnen konnten932. 925 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 10r. 926 F.C.v.Savigny, Gönner-Rezension (1815), S. 119f.; Ders., Stimmen (1816), S. 233; G.F.Puchta, Marezoll-Anzeige (1827), S. 279; Ders., Gewohnheitsrecht I (1828), S. 202; Ders., Gewohnheitsrecht II (1837), S. 228f.; Ders., Pandekten (11838), § 2, S. 3; B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 2, S. 6 Fn. 5 a.E. Vgl. dazu P.Bender, Rezeption (1979), S. 61f., 68f. sowie R.Gmür, Savigny (1962), S. 16. 927 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 18, S. 78, 80; J.Christiansen, Institutionen (1843), S. 3; C.F.W.Gerber, Princip (1846), S. 133; B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 9, 13; B.Windscheid, Rechtswissenschaft (1854), S. 17; Ders., Pandekten (11862), § 1, S. 2; § 2, S. 7 Fn. 7. Kritisch wurde die geltungstheoretische Beurteilung des Pandektenrechts in der Regel nur von grundsätzlichen Kritikern der Historischen Rechtsschule gesehen, wobei man aber auch hier nicht verallgemeinern kann [vgl. nämlich etwa A.L.Reyscher, Begriff (1846), S. 158f.]. 928 B.Windscheid, Röm.Recht (1858), S. 26. 929 Jhering, Reivindicatio (1857), S. 107. 930 Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 2f.; Ders., Geist I (21866), § 1, S. 2, 13. 931 Vgl. grundsätzlich zur Geltung des römischen Rechts B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 2, S. 4ff. 932 T.Kipp in: B.Windscheid, Pandekten I (91906), § 14, S. 73; J.Rascher, Brinz (1975), S. 70f. Savigny verwendete allerdings den Ausdruck »Gesetzbuch« spätestens seit seiner BerufsSchrift zur Kodifikationsfrage in einem ganz engen Sinn, nämlich als speziellen Ausdruck für die Kodifikation des »gesammten Rechtsvorrath[s]« hier des Zivilrechts durch einen Gesetzgeber [F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 17ff. (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 107ff.); Ders., System I (1840), § 21, S. 102ff.; § 43, S. 270; H.Hammen, Savigny (1983), S. 58ff.]. Anders aber der Sprachgebrauch von C.F.W.Gerber, System (11848), § 2, S. 2 Fn. 3. Kritisch

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Auffällig ist allerdings, dass der junge Jhering das Corpus iuris civilis nicht nur einfach als »Gesetzbuch«, sondern betont »als G e s e t z b u c h in fremder Sprache«933 bezeichnete. Es habe nämlich trotz seiner langen Geltung und ungeachtet der Tatsache, dass »von seinen materiellen Grundsätzen eine große Zahl im Laufe der Jahrhunderte ganz in unser Fleisch und Blut übergegangen« sei934, immer noch keine vollständige »innerliche Aneignung« gefunden, da es in der überlieferten Form des Corpus iuris civilis den für diese Aneignung notwendigen »Assimilirungsprozeß nie [hat] durchmachen können«935. Es fragt sich natürlich, wie sich diese und auch die bereits zitierten Feststellungen Jherings über das bisherige Fehlen der »doppelte[n] Seite« des Pandektenrechts, nämlich nicht nur wie ein Gesetz zu gelten, sondern auch »nationell u[nd] lebendi[g]«936 zu sein, mit der Annahme der Historischen Rechtsschule vereinbaren ließen, dass das Pandektenrecht in Deutschland als Gewohnheitsrecht gelte. Diese Frage stellte sich umso mehr, als das Pandektenrecht nach Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahre 1806 nach einhelliger Auffassung nicht mehr »die Geltung eines gemeinen Deutschen Gesetzesrechts« haben konnte937, wie es

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mit Blick auf »die Frage über das Wesen der G e l t u n g « der Pandekten meinte schon L.v.Stein, Charakteristik (1841), S. 373: »[…] bis jetzt noch hat keiner, auch Savigny nicht, die Frage entschieden, ob es [sc. das Corpus iuris civilis] ein Gesetzbuch oder ein bloßes Rechtsbuch ist […].« Denn »der Ausdruck ›subsidiär‹ ist, genauer beleuchtet, nur ein Umgehen der Sache.« Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3. Ebenso hatte es auch schon in dem Jhering zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1522 geheißen [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (40f. Nr. 16a/b), S. 122]. Die insbesondere für einen Pandektisten erstaunliche Kritik Jherings an der fremden lateinischen Sprache des noch geltenden Rechts muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass Savigny in Beruf (1814), S. 52, 91 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 127, 150) umgekehrt in der lateinischen Sprache gerade einen Vorteil des geltenden gemeinen römischen Rechts gesehen hatte und mit Blick auf die zeitgenössischen Forderungen nach einer deutschsprachigen Privatrechtskodifikation »eine große, vielleicht unübersteigliche Schwierigkeit in der gegenwärtigen Stufe der deutschen Sprache«. Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3. Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3. Ähnlich hieß es auch schon in dem Jhering zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1522 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51 (40f. Nr. 16a/b)], wo aus »dem Mißverhältnisse, dass in Deutschland noch ein Gesetzbuch in fremder Sprache gilt«, die »Aufforderung« abgeleitet wurde, »daß der fremde Stoff verarbeitet, assimilirt werde.« In Unsere Aufgabe (1856), S. 43f. (= Ges. Aufs. I, S. 38) meinte Jhering sogar : »Man hat gesagt, das römische Recht habe für uns aufgehört, ein fremder Bestandtheil unseres Rechtslebens zu sein, allein ich kann diese Behauptung nicht […] zugeben […]. Dieser Zeitpunkt dürfte […] noch ziemlich fern liegen, da die Arbeit […] eine gewaltige ist«. Für diese von Jhering so bezeichnete gewaltige Arbeit hätte noch Puchta kaum Verständnis gehabt, denn für ihn war das rezipierte römische Recht als ein »mit unsern Zuständen assimilirtes Lebenselement« in seiner Gänze bereits vollkommen »in das Leben, in Fleisch und Blut des Volks [sic!] übergegangen« [G.F.Puchta, Vorlesungen I (11847), §§ 1–4, S. 7]. Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 10r. E.I.Bekker, Gemeines Recht (1857), S. 3. Zwar hatte Jhering in Bemerkungen (1841), Bl. 10v

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überwiegend noch die ältere Zivilrechtswissenschaft und mit ihr auch der junge Savigny bis dahin angenommen hatten938. Nach dem Jahre 1806 konnten die Vorschriften des Corpus iuris civilis folglich nur noch in Form »eines fortdauernden gemeinen Deutschen Gewohnheitsrechts« auch unmittelbare juristische Geltung beanspruchen939 oder aber »deswegen, weil die [sc. jeweilige] Landesgesetzgebung […] es beibehalten habe«940. Diese Alternative war nicht nur rein notiert: »Politische Veränderungen affiziren […] das R[echt] nicht weiter […]. Wenn z.b. d[ie] Monarchie s[ich] in [eine] Republik verwandelt, so bleibt nicht nur das GewohnheitsR[echt] bestehen, sondern auch das gesetzl[iche] – gerade weil es d[urch] längeres Bestehen als R[echt] unabhängig von der polit.[ischen] Berechtigung seines Urhebers geworden ist« (die Unterstreichung im handschriftlichen Original wurde hier in Kursivschrift wiedergegeben). Aber erstens hatte Jhering dieses sogenannte nationelle und lebendige Bestehen des römischen Rechts »als R[echt]« und nicht nur als »Gesetz« im Hinblick auf die noch nicht vollständig erfolgte Assimilation in Deutschland einige Zeilen vorher gerade in Frage gestellt, und zweitens bezog sich der von Jhering hier gemeinte Fall nur auf eine Änderung der politischen Regierungsform, nicht aber – wie im Falle des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation – auf den vollständigen Untergang des Staatsrechtssubjekts. 938 So O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 12 Fn. 6 mit Verweis auf F.C.v.Savigny, Methodenlehre/Grimms Vorlesungsnachschrift (1802/03), in: Wesenberg-Ausgabe, S. 19ff. Nach H.Coing, Privatrecht II (1989), S. 45 soll Savigny sogar noch später »das Corpus Iuris als geltendes Gesetz, nicht als Gewohnheitsrecht aufgefaßt« haben. Dass – wie Behrends, aaO hervorhebt – das »Corpus Iuris Civilis und insbesondere die […] Pandekten […] in Wahrheit […] ein gewaltiges Inventarium dogmatischer Formen und Wertbegriffe« gewesen sei, »aus denen sich die moderne Privatrechtsgesetzgebung und die sie vorbereitende und tragende Rechtswissenschaft bedienen konnte«, ist sicher richtig und wurde im übrigen auch selbst von zeitgenössischen Kritikern der Historischen Rechtsschule nicht grundsätzlich bestritten [vgl. nur den Germanisten L.v.Stein, Charakteristik (1841), S. 377 zur »ganzen Wissenschaft des römischen Rechts«]. Solange aber das Corpus iuris civilis nicht nur als ein geistiges »Inventarium« für Wissenschaft und künftige Gesetzgebung, sondern darüber hinaus als geltendes »Gesetzbuch« behandelt wurde, stellte sich auch noch die Frage nach der Geltungsform dieses Rechts. 939 E.I.Bekker, Gemeines Recht (1857), S. 3; B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 2, S. 6 Fn. 5. Vgl. im übrigen schon F.C.v.Savigny, System I (1840), § 2, S. 4 mit Anm. a) zur Rechtslage nach »Auflösung des Deutschen Reichs« sowie heute H.Hammen, Savigny (1983), S. 56 m.w.N. und J.Schröder, Recht (22012), S. 207–210. Zumindest in der Vorlesungsnachschrift eines unbekannten Hörers aus Savignys Vorlesung heißt es allerdings auch, dass »das, was früher fürs ganze Reich [galt,] nach Auflösung desselben für jedes einzelne Reichsland [gilt], u[nd] in diesem Sinne hat sich der Begriff des gem: deutschen Civilrechts, indem er auf die Zeit zurückweißt, wo jene ganze Summe von Rechtssätzen entstanden [ist], erhalten« [F.C.v.Savigny, Pandektenvorlesung/anonyme Nachschrift (1824/25), in: Savignyana I (1993), S. 6]. Ob aber diese Nachschrift im Hinblick auf die vorzitierte Feststellung einer Geltung »für jedes einzelne Reichsland« statt »fürs ganze Reich« wirklich zuverlässig ist, muss hier offen bleiben. 940 Vgl. dazu B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 2, S. 7 Fn. 7 sowie C.W.F.Gerber, Princip (1846), S. 154f. So meinte etwa L.v.Stein, Charakteristik (1841), S. 379: »Giebt es kein Reich, so giebt es auch kein Reichsrecht. Spricht man daher von einem einer Menge vollkommen souverainer Staaten Gemeinen Recht, so kann man dieses nur, indem man den Begriff eines Gemeinsamen Rechts aufstellt.« In diesem Sinne auch zum Beispiel T.Brackenhoeft, Erörterungen (1842), § 11, S. 34ff. und R.Schmid, Theorie (1848), S. 262f.

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akademisch, da im zuletzt genannten Falle eines nicht mehr »gemeinen«, sondern bestenfalls nur noch inhaltlich »gemeinsamen« bzw. übereinstimmenden Rechts941 keinesfalls mehr »eine gemeinrechtliche Fortbildung des römischen Rechts möglich gewesen« wäre942. Dann wäre auch in denjenigen Staaten, in denen man noch keine partikularrechtlichen »Gesetzbücher eingeführt hat[te], die dem gemeinen Recht […] die Gesetzeskraft entzogen«943, eine partikularrechtlich unterschiedliche Fortbildung desselben unabwendbar geworden944. Damit wäre aber die bisherige Stellung der gemeinrechtlichen Wissenschaft und damit der Einfluss der Pandektisten auf das geltende Privatrecht unmittelbar berührt gewesen945. Jhering selbst hat hervorgehoben, dass die in den Ländern mit partikularrechtlichen Kodifikationen des Privatrechts bereits erfolgte »äußere Verdrängung des römischen Rechts in dem bei weitem größten Theil seines bisherigen Geltungsgebiets […] wie für das Leben so auch für die Wissenschaft 941 Vgl. nur die in der vorstehenden Fußnote zitierte zeitgenössische Argumentation von Lorenz von Stein. 942 So ausdrücklich B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 2, S. 7 Fn. 7 mit Bezug auf eine entsprechende Argumentation von Carl Georg von Wächter. 943 G.F.Puchta, Vorlesungen I (11847), §§ 5–9, S. 17. 944 Vgl. H.Hattenhauer, Einleitung (1973), S. 35ff.; H.Coing, Privatrecht II (1989), S. 20 und R.Stammler, Rechtsleben (1932), S. 113ff. dazu, dass – so Stammler – »zur Zeit des Rheinbundes und des Deutschen Bundes die Weiterentwicklung des Rechtes a u s s c h l i e ß l i c h den Rechtsquellen der Einzelstaaten zufiel.« Bemerkenswerterweise sollte selbst noch nach Gründung des Deutschen Reiches dessen ursprüngliche Verfassung diese Sichtweise widerspiegeln, da nach der Verfassung von 1871 anders als etwa für das Strafrecht die Gesetzgebungskompetenz für das gesamte bürgerliche Recht zunächst noch bei den Ländern des Deutschen Reichs verblieben war. Erst im Jahre 1873 wurde diese Gesetzgebungskompetenz nach »fünfmaligen Kampfanträgen« auf Verfassungsänderung vom Reichstag auf das Reich übertragen, so dass die offiziellen Vorarbeiten für die nationale Privatrechtskodifikation, das Bürgerliche Gesetzbuch, im Jahre 1874 schließlich beginnen konnten [F.Wieacker, Nationalgesetzbücher (1969), S. 420 sowie G.Wesenberg/ G.Wesener, Privatrechtsgeschichte (41985), S. 208 und – detailliert zu den zeitgeschichtlichen Hintergründen – H.H.Jakobs,Wiss. u. Gesetzgeb. (1983), S. 120ff.]. 945 Entsprechenden Befürchtungen hatte selbst schon G.F.Puchta, Vorlesungen I (11847), §§ 5–9, S. 18 indirekt Ausdruck gegeben, wenn er meinte, gegen alle diejenigen polemisieren zu müssen, »welche uns den Rath geben, das Landesgesetzbuch zur Hand zu nehmen und uns so wenig als möglich um römisches Recht zu kümmern«, obwohl doch nur »die alleräußerste Unwissenheit […] glauben [kann], daß mit der Aufhebung seiner gesetzlichen Autorität« in den Ländern mit partikularrechtlichen Privatrechtskodifikationen auch »das römische Recht aufgehört habe von praktischem Gebrauch zu sein.« Erfüllt von seinem Glauben an die »juristische Vernunft« (aaO, S. 18) im Pandektenrecht war Puchta, aaO, S. 16 dabei sogar so weit gegangen, von den partikularrechtlichen »Gesetzgebern« aufgenommene vorgeblich »falsche Theorien des gemeinen Rechts […] nicht als particuläre Eigenthümlichkeiten« zu dulden, sondern der gemeinrechtlichen Wissenschaft allein um »einer richtigeren Erkenntniß« der Wahrheit willen eine entsprechende Korrektur der jeweiligen Partikularrechtskodifikation aufzutragen – eine Auffassung, die bereits eine Juristengeneration später selbst unter Pandektisten schwerlich auf Zustimmung gestoßen wäre.

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einen entscheidenden Wendepunkt« bedeutet habe, denn die »formelle Einheit der Wissenschaft, wie sie einst durch die Gemeinsamkeit eines und desselben Gesetzbuches für den größten Theil Europas gegeben war«, war durch die »Aufgabe […] der formellen Gemeinschaft des Rechts für immer dahin; die Wissenschaft […] zur Landesjurisprudenz degradirt. Eine demüthigende, unwürdige Form für eine Wissenschaft!«946 Vermutlich aus diesem Grunde waren es zu Jherings Zeiten unter den deutschen Privatrechtsjuristen auch zunächst nur einige Germanisten gewesen947, die bereit waren anzuerkennen, dass in den deutschen Ländern ohne Privatrechtskodifikation »zur Zeit des Rheinbundes und des Deutschen Bundes« eine subsidiäre Geltung des Pandektenrechts »nicht mehr [als] gemeines Recht«, sondern nur noch als inhaltlich »allgemeines Recht verschiedener unabhängiger Rechtsganzen«, also Partikularrechtsstaaten infrage kam948. Alle anderen mussten von einer gemeinrechtlichen Geltung des Pandektenrechts als Gewohnheitsrecht ausgehen. Das bereitete denjenigen die geringsten Argumentationsschwierigkeiten, die schon den historischen Vorgang der neuzeitlichen Rezeption in Deutschland imperio rationis und nicht ratione imperii949 als zwar »merkwürdigste[n]«950, aber rechtsquellentheoretisch eindeutigen Akt eines vor allem durch die Rechtsüberzeugung der Juristen vermittelten Gewohnheitsrechts erklärt hatten. Anders stellte sich die Lage dagegen für Juristen dar, die die insbesondere von Savigny oder Puchta behauptete Vermittlung von Gewohnheitsrecht durch Fachjuristen und andere Spezialisten problematisierten und wie Jhering mit Blick auf die zeitgenössische Rechtswirklichkeit auch noch Mitte des 19. Jahrhunderts ernsthaft bezweifelten, ob »das römische Recht […] für uns aufgehört [hat], ein fremder Bestandtheil unseres Rechtslebens zu sein«951. Wenn dennoch auch Jhering entsprechend der ganz überwiegenden zeitgenössischen Auffas946 Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 14f. Zur Kompensation des endgültigen Verlusts der »formellen Gemeinschaft des Rechts« auf europäischer Ebene, wie Jhering die formelle Geltung des gemeinen römischen Rechts in vielen europäischen Staaten bezeichnete, empfahl er der Pandektenwissenschaft Rechtsvergleichung im europäischen Rahmen, um »den Charakter der Universalität, den sie so lange besaß, in einer anderen Form als vergleichende Jurisprudenz sich für alle Folgezeit zu sichern« (aaO, S. 15). 947 B.Windscheid, Pandekten I (91906), § 2, S. 8 Fn. 7 a.E. nannte als prominente Vertreter Carl Georg von Wächter sowie den Handelsrechtler Levin Goldschmidt. 948 R.Stammler, Rechtsleben (1932), S. 113; M.Kriele, Rechtsgewinnung (1967), S. 74; H.Hattenhauer, Einleitung (1973), S. 35f. und M.G.Losano, Studien (1984), S. 1f. 949 Vgl. nur R.Dreier, Selbstverständnis (1971), S. 49 und O.Behrends, Hugo (1996), S. 169. 950 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 18, S. 78. 951 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 43f. (= Ges. Aufs. I, S. 38). Vgl. auch Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 4, wo er der in der Historischen Rechtsschule geläufigen Erklärung, »das römische Recht sei im Lauf der Zeit das unsrige geworden«, schließlich fast widerwillig zugestand: »Es möge sein – aber welches Wort der Rechtfertigung findet jene Lehre dafür […]?«

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sung von einer gemeinrechtlichen und damit gewohnheitsrechtlichen Geltung des römischen Rechts in den Ländern ohne partikularrechtliche Kodifikation des Privatrechts ausgegangen ist952, müsste er eigentlich angesichts seiner eigenen vorstehend angeführten Zweifel wie beim Gesetzesrecht unterschieden haben zwischen einer gewohnheitsrechtlichen Überzeugung von der formalen Geltung des gemeinen römischen Rechts als »Gesetzbuch« und der sozialen Adaption seiner konkreten Inhalte durch die Betroffenen. In diesem Sinne haben zumindest andere auch tatsächlich argumentiert. So ging beispielsweise Bernhard Windscheid in den fünfziger Jahren einerseits ausdrücklich von der andauernden gewohnheitsrechtlichen Geltung des »Corpus Juris« als »Gesetzbuch Deutschlands« aus953, ohne andererseits auch nur den geringsten Zweifel daran zu lassen, dass das »römische Recht in Deutschland als fremdes, unvermittelt mit dem Geiste [sic!] des deutschen Volkes, bestehe«954. Das wäre auf der Grundlage der Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule noch ein frappanter Widerspruch in sich gewesen. Ein anderer langjähriger Bundesgenosse von Jhering, der Germanist Carl Friedrich Wilhelm von Gerber, unterschied in ähnlicher Weise zwischen der gewohnheitsrechtlichen Rezeption des römischen Rechts »als Ganzem« und der Tatsache, dass in »allen […] Nationen, die das römische Recht benutzen«, das rezipierte Recht inhaltlich im Einzelnen zumeist »ein fremdes ›Gesetzbuch‹ geblieben« sei und speziell in Deutschland im Grunde erst – so schließlich Gerbers erstaunliche Auflösung aller rechtsquellentheoretischen Unstimmigkeiten – durch Pandektisten wie »besonders Savigny und Puchta« sowie durch die »Arbeit Jherings’s (Geist des römischen Rechts, bis jetzt vier Bände seit 1852)«, also erst in allerjüngster Zeit »uns wahrhaft zu eigen

952 Jhering äußerte sich zu dieser Frage nicht grundsätzlich, aber implizit. Vgl. insoweit etwa Jhering, Reivindicatio (1857), S. 120 zur Frage der gemeinrechtlichen oder nur partikularrechtlichen Geltung eines Instituts des Privatrechts. 953 B.Windscheid, Röm.Recht (1858), S. 34. 954 B.Windscheid, Röm.Recht (1858), S. 35. »Es darf«, so präzisierte Windscheid, aaO, S. 43 ganz unmißverständlich, »nie vergessen werden, daß die deutschen Juristen das römische Recht rezipiert haben und nicht das deutsche Volk« und dass daher das römische Recht »dem Bewußtsein des bei weitem überwiegenden Teiles desselben zu allen Zeiten fremd geblieben ist.« Man sieht, warum Windscheid 1858 den einst »heftigen Streit zwischen sogenannten Romanisten und Germanisten« als inzwischen weitgehend »verstummt« bezeichnen konnte (aaO, S. 43). Die Germanisten hatten mit diesem Punkt ihrer Kritik offenbar sogar die – zumindest jüngeren – Vertreter der Historischen Rechtsschule überzeugen können. Vgl. auch U.Falk, Windscheid (1989), S. 163, 173 zu der Übernahme dieser »genuin fremde[n] Position« durch Windscheid und dem damit verbundenen »Aufbruch (eines Teils) der deutschen Rechtswissenschaft«. Nach Falk, aaO, S. 163f. war davon allerdings in Windscheids »frühen Schriften von 1838 bis 1852« noch nicht die Rede gewesen, und auch danach blieb Windscheids Haltung zu einer Privatrechtskodifikation – anders als bei Jhering – noch lange ambivalent.

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gemacht, als deutsches Recht wiedergeboren und in den Fluß unseres Rechtslebens hineingeleitet« worden sei955. Vergleichbares vermisst man bei Jhering, der in den vierziger und fünfziger Jahren offenbar lieber von der künftigen durch die Pandektenwissenschaft vorbereiteten Privatrechtskodifikation sprach statt sich noch mit dem – immerhin selbst aufgeworfenen – Problem zu beschäftigen, wie das gegenwärtig vorhandene »römische Recht als G e s e t z b u c h in fremder Sprache« ohne wirklich »innerliche Aneignung« und ohne vollständige »Assimilirung«956 überhaupt eine gewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen konnte. Offenbar war Jhering von Anfang davon überzeugt gewesen, dass eine endgültige und vollständige »Assimilirung« bzw. »Naturalisirung des römischen Rechts« nicht ohne die von Jhering seit den vierziger Jahren erwartete und erhoffte »neuere deutsche Gesetzgebung«957 des Privatrechts möglich sein würde. Eine nicht nur durch die Rechtswissenschaft vorbereitete, sondern ausschließlich durch die Juristen vorzunehmende »Verjüngung« bzw. »Reinigung und Veredelung«958 des römischen Rechts im Sinne Savignys musste Jhering dagegen zugleich als zu viel und zu wenig Veränderung des gemeinen römischen Rechts erscheinen, nämlich in rechtsquellentheoretischer Hinsicht schon zu viel, in rechtspolitischer Hinsicht aber noch zu wenig. In rechtsquellentheoretischer Hinsicht stand für Jhering im Mittelpunkt seiner Überlegungen das Verhältnis von staatlicher Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Danach gehe die »Aufgabe des Gesetzgebens […] dahin […], praktische Satzungen zu erlassen, die begriffliche Gestaltung derselben [ist] aber der Schule zu überlassen«. Wie die Wissenschaft habe auch der Gesetzgeber sich »stets durch den Satz leiten zu lassen: dem Kaiser, was des Kaisers, der Schule, was der Schule ist«, und jede »Bevormundung der Theorie«, nämlich ein Vertauschen der »Rolle des Gesetzgebers mit der des Systematikers auf dem Thron« zu unterlassen959. Daher solle der »Gesetzgeber […] nicht construiren, er

955 C.F.W.v.Gerber, System (121875), § 2, S. 3f. Fn. 6. Vgl. auch schon C.F.W.Gerber, Rechtswissenschaft (1851), S. 11f. ausdrücklich dazu, dass selbst »durch die Resultate der geschichtlichen Schule« zwar »das Verständniss des römischen Rechts gewonnen« worden sei, aber gleichwohl »dieses doch dadurch noch nicht aufgehört [hatte], für uns ein fremdes zu sein«, da es »noch nicht zu unserem eigenen Fleisch und Blut geworden« sei. Dies sei uns erst »in Savigny und Puchta […] gegeben worden […], die den eben angedeuteten Beruf übernehmen und ausführen konnten«, so dass »das römische Recht als ein neues, als ein deutsches Recht« hervorgehen konnte. 956 Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3. 957 So heißt es in dem Jhering zuzuschreibenden Artikel in LZ 1843, Sp. 1522 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 32–51, 126f.]. 958 F.C.v.Savigny, System I (1840), S. 48. 959 Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 18f. Es handelt sich dabei um eine fast wörtliche Wiederholung der Darlegungen des Verhältnisses von Gesetzgebung

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greift damit in die Sphäre der Wissenschaft über«960. Tue er es doch, hätten seine »Constructionen keine andere, als eine doctrinäre Bedeutung, ließen sich mithin jeder Zeit durch die Jurisprudenz berichtigen und beseitigen«961. Selbst Legaldefinitionen sollten danach keine Bindung für den Rechtsanwender haben962, eine Folgerung, die nicht einmal Savigny gezogen hatte963. Diese Autonomie der Wissenschaft, »rein wissenschaftliche Fragen […] völlig selbständig zu entscheiden«964, hat Jhering bis in seine Spätzeit hinein ebenso bekräftigt wie die ihr gegenübergestellte Autonomie des »Kaisers«, also des staatlichen Gesetzgebers, für die inhaltliche Anpassung des Rechts an die Bedürfnisse der Zeit zu sorgen.

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und Wissenschaft, die Jhering bereits in Geist II/2 (11858), § 41, S. 399 Fn. 515 und in Savigny-Nachruf (1861), S. 9 ausgeführt hatte. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 399 mit Fn. 515 sowie mit jeweils ausdrücklicher Bezugnahme auf die vorzitierte Stelle Jhering, Bemerkungen (1865), S. 391; Ders., Besitzwille (1889), S. 473, S. 476 mit Fn. 1. Diese Auffassung sollte in der Privatrechtsdogmatik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorherrschen. Vgl. dazu die Nachweise bei J.Schröder, Rechtsdogmatik (1989), S. 46f., S. 53 Fn. 68, der allerdings nicht auf den Zusammenhang dieser allgemeinen rechtsquellentheoretischen Frage mit der besonderen historischen Rechtsquellensituation der Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts eingeht. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 399. Direkt dagegen A.Brinz, Jhering-Rezension (1860), S. 29 in seiner Rezension zu Geist II/2 (11858): »Wir müssen dem Verf.[asser] aus vollem Herzen beistimmen, wenn er sich gegen den Uebergriff der Legislationen in die Freiung der Wissenschaft auflehnt; allein uns andererseits auch gegen ihn auflehnen, wenn er bis zu der Behauptung kommt, daß ›die Constructionen des Gesetzgebers keine andere als eine doctrinäre Bedeutung haben‹ (S. 399).« Jhering bekräftigte aber seine Auffassung in Zusätzen zu Fn. 515 für die zweite und dritte Auflage und rief auf zum »Kampf gegen solche von unsern neueren Gesetzbüchern aufgestellten Legalconstructionen« [Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 356 Fn. 515; DERS., Geist II/2 (31875), § 41, S. 372f. Fn. 515 a.E. und Fn. 515a sowie Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 316f. mit Verweis auf Geist II/2]. Die nach O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 18f. mit Fn. 18 bereits in der Antike bekannte Beschränkung des Gesetzgebers auf Rechtsfolgeanordnungen (»lex iubeat, non disputet«/»lex moneat, non doceat«) war im 18. Jahrhundert durch den Verweis auf die Autonomie der Vernunft auch gegenüber den Feststellungen und Definitionen des Gesetzgebers weit verbreitet [M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 345–348; R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 223 mit Fn. 99]. Sie überdauerte aber nicht nur das Ende der Vorherrschaft des rationalistischen Naturrechts, sondern nahm nach J.Schröder, Rechtsdogmatik (1989), S. 50–52 im Verlauf des 19. Jahrhunderts noch an Bedeutung zu. Mit dem das gesamte geltende Recht erfassenden Rechtsbegriff der Historischen Rechtsschule war auch die noch bis zum frühen 19. Jahrhundert verbreitete Vorstellung unvereinbar geworden, dass der Gesetzgeber gegebenenfalls willkürlich Recht setzen und zumindest in diesem Falle die einschlägigen rechtlichen Begriffe selbst definieren könne. Vgl. auch O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 18f., 24 zu Gemeinsamkeit und Differenz von Savigny und Jhering in dieser Frage. Zwar waren auch nach Savigny die Interpretationen »authentica, usualis (beide zusammen legalis) […] gar nicht die Sache des Gesetzgebers, sondern des Juristen und Richters«, aber dennoch »gilt die Vorschrift« [F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1809), in: Savignyana II (1993), S. 145f.; Ders., System I (1840), § 32, S. 209f.]. Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 37.

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Die Juristen seien somit immer »in Beziehung auf den I n h a l t durch den positiven Stoff gebunden« und nur »in Bezug auf die F o r m […] vollkommen frei.«965 Der Gesetzgeber gehe aus von der »ökonomische[n] Zweckbestimmung« einer Sache, allein der Jurist aber sei legitimiert, dieser durch »Abstraction«, das heißt durch die Formulierung von Begriffsdefinitionen den »juristische[n] Ausdruck« zu geben966. Diesen Gedanken wandte Jhering konsequent auf das rezipierte römische Recht an und gründete darauf, wie Ernst Landsberg in seiner »Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft« allerdings wohl etwas zu weitgehend urteilte, eine in der damaligen Pandektistik »gegen alle bisherige Behandlungsweise des römischen Rechts« stehende Unterscheidung zwischen den durch die Entscheidungen römischer Juristen bezeugten positiven Rechtssätzen und den in den Pandekten überlieferten wissenschaftlichen Konstruktionen und deren theoretischen Erklärungen967. Erstere sah Jhering als von jeder inhaltlichen »Verjüngung« durch die Rechtswissenschaft ausgeschlossen und vorbehaltlich gesetzlicher oder gewohnheitsrechtlicher Änderung als für den zeitgenössischen Juristen bindend an. Wie konsequent Jhering diesen Gesichtspunkt durchgeführt hat, mag seine 1865 in den »Jahrbüchern« bis hin zur Doppelreplik geführte Kontroverse mit Eugen Kindervater über die rechtliche »Construction« von Versteigerungen veranschaulichen968. Obwohl Jhering mit vielen anderen den römischen Grundsatz der Unmöglichkeit des Kontrahierens mit einer persona incerta rechtspolitisch betrachtet für seine Zeit als vollkommen überholt ansah969, hielt er ihn doch anders als sein Kontrahent Kindervater deswegen 965 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 399. 966 Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 37. 967 E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 823 und sehr kritisch zu Jherings Unterscheidung H.Lange, Wandlungen (1927), S. 125. Entgegen Landsberg hat Jhering aber mit der Unverbindlichkeitserklärung dogmatischer Konstruktionen im Pandektenrecht mindestens in Christian Friedrich Glück einen Vorläufer gehabt [vgl. M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 345ff.]. Auch glaubte Landsberg, aaO zu Unrecht, dass Jhering diesen »letzten Schritt« erst 1889, nämlich in seiner letzten zu Lebzeiten veröffentlichen Schrift »Der Besitzwille« getan habe. Im Übrigen stand Jhering, der sich mit seiner Behandlung der Pandekten später sogar auf Savigny berief [vgl. Jhering, Besitzschutz (1869), S. 221f. mit Fn. 198], schon in den fünfziger Jahren keineswegs allein. So meinte B.Delbrück, Uebernahme (1853), S. 12 in seiner später von Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 27 (= Ges. Aufs. I, S. 23) als »höhere Jurisprudenz« gelobten Untersuchung zur Möglichkeit der Schuldübernahme nach gemeinem römischen Recht ausdrücklich: »Ueberdies sind nur Rechtssätze, nicht aber Doctrinen, Erklärungsversuche, Inhalt des geltenden Rechts.« Im Ergebnis ähnlich, aber mit anderer Begründung auch B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 124: »Unsere Wissenschaft muß die u l t r a m o n t a n e Färbung aufgeben, die eine [sc. wissenschaftliche] Argumentation Ulpians und Papinians als ein ›Gesetz‹ behandelt […].« 968 Vgl. dazu M.G.Losano, Bibliographie (1970), S. 261f. (Nr. 35, 36) sowie Ders., in: LosanoBriefe II/1996, S. 99 Fn. 2 (Anmerkung des Herausgebers). 969 Vgl. nur Jherings Brief vom 12. Februar 1854 an Gerber, in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 32,

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nicht schon für positivrechtlich außer Kraft gesetzt. Auch wenn die »Gestaltung des modernen Verkehrs […] uns […] mit Gewalt über diese Beschränktheit [sc. der römischen Anschauungsweise] hinweggeholfen« habe, blieb nach Jhering »bei den rein römischen Obligationsformen« de lege lata »die Festhaltung des römischen Standpunktes […] berechtigt«970. Für eine Verjüngung der »reinen römischen Obligationsformen« durch die zeitgenössische Rechtswissenschaft war auf der Grundlage des noch geltenden Rechts kein Raum, denn die »Grundsätze des römischen Rechts bleiben so lange bindend für uns, als nicht eine Aufhebung derselben durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht nachgewiesen werden kann.«971 Nur bei den »Fragen der juristischen Construction hat die Autorität der römischen Juristen für uns keine bindende Kraft«972. Auf dieser Grundlage musste Savignys Argument, durch eine Zivilrechtskodifikation werde »für die Zukunft die Reinigung durch die innere Kraft der Wissenschaft verhindert«973, widersinnig erscheinen. Im Gegenteil war nach Jhering die Wissenschaft ebenso auf eine funktionierende umfassende Gesetzgebung angewiesen wie umgekehrt die Gesetzgebung auf die Wissenschaft974. Die Tatsache, dass – wie Savigny konstatierte – Justinian einen »Theil der vorhandenen rechtswissenschaftlichen Litteratur als Gesetz« sanktioniert und insofern die »Digesten nicht mehr als Jus, sondern als eine Lex galten«975, betrachtete Jhering als eine zwar rechtsquellentheoretisch bedeutungslose, aber im Hinblick auf die tatsächlichen Auswirkungen auf die Rechtspraxis doch fatale »Vermischung der Wissenschaft und der Gesetzgebung« mit vielen »nachtheiligen Folgen« gerade für die »moderne Bearbeitung des römischen Rechts«976. Damit meinte Jhering die in der Historischen Rechtsschule herrschende Auffassung, dass »alle[n] vier Theile[n] der Justinianischen Gesetzgebung«, also auch den »durch Justinian Gesetz geworden[en]«977 Digestenfragmenten in den

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S. 97 sowie auch schon seinen Brief vom 17. Juli 1852 an Gerber, in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 17, S. 52. Jhering, Culpa (1861), S. 409. Jhering, Bemerkungen (1865), S. 380. Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 39. Häufig hatte nach Jhering, Besitzwille (1889), S. 271 die zeitgenössische Pandektenwissenschaft im Umgang mit den Pandekten »die Bedeutung eines R e c h t s p r i n c i p s « und »eines c o n s t r u c t i v e n Gesichtspunktes […] mit einander verwechselt und d e m l e d i g l i c h c o n s t r u c t i v e n G e s i c h t s p u n k t d o g m a t i s c h e Wa h r h e i t e i n g e r ä u m t «. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 21, S. 103; § 14, S. 48. Schon in dem Jhering zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1445 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107] forderte dieser, dass Gesetzgebung und Wissenschaft »sich gegenseitig in die Hände arbeiten«, und sah gerade im Fehlen einer nicht nur partikularen Gesetzgebung den unbefriedigenden Zustand des zeitgenössischen Privatrechts begründet. Vgl. C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 131. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 22, S. 120. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 399 Fn. 515. F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1812), in: Savignyana II (1993), S. 184.

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Grenzen ihrer gewohnheitsrechtlichen Rezeption in der Neuzeit »Gesetzeskraft« bzw. »gesetzliche Gültigkeit«, also unmittelbare juristische Verbindlichkeit zukomme978. Dies aber hatte nach Jhering dazu geführt, dass die moderne »Wissenschaft bei rein w i s s e n s c h a f t l i c h e n Fragen sich durch die Autorität Justinians hat einschüchtern lassen«979 und sich insoweit in ungerechtfertigtem Ausmaß an die Quellen gebunden fühlte. Letzteres wurde übrigens später Punkt 2 in Jherings »Sündenregister« der Begriffsjurisprudenz980. Von daher erklärt sich auch Jherings auf den ersten Blick widersprüchliche Kritik an Puchtas praktischem Umgang mit den Quellen. So musste sich Puchta einerseits blinden »Buchstaben-Fanatismus« vorwerfen lassen981. Damit kritisierte bereits der frühe Jhering, dass Puchta sich weitestgehend auch an die römischen »Constructionen« gebunden fühlte und damit sogar entgegen seiner eigenen Rechtsquellentheorie das rezipierte römische Recht in der Praxis wie ein Quasinaturrecht behandelte. Andererseits zog Jhering in Zusätzen zu späteren Auflagen zum »Geist« gerade Puchtas Praxis als Beispiel heran für einen Verstoß der Wissenschaft gegen das von Jhering sogenannte »Gesetz der Deckung des positiven Stoffs«982, indem ausgerechnet der ›Buchstabenfanatiker‹ die jedem Juristen gezogenen Grenzen nicht beachtet habe und »zu Resultaten [gelangte], welche dem positiven Recht nicht entsprechen«983. Denn die Tätigkeit der Ju978 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 17, S. 70; G.F.Puchta, Vorlesungen I (11847), S. 7ff. Nach Savigny war daher bei der Anwendung des Corpus iuris civilis auch nicht danach zu unterscheiden, »ob die auszulegenden Stellen ursprünglich die Natur von Gesetzen an sich trugen oder nicht«, vielmehr seien »die ganzen Digesten als Ein großes Gesetz von Justinian zu betrachten, […] und eben so der Codex« [F.C.v.Savigny, System I (1840), § 40, S. 254; § 41, S. 255]. Innerhalb der Digesten spielte es nach F.C.v.Savigny, Hugo-Rezension (1806), S. 31 auch keine Rolle, ob es der Pandektist mit einem »Edict oder [einer] Auslegung des Edicts« durch einen römischen Juristen zu tun hatte. Auf einem anderen Blatt steht es nach H.Kiefner, Kodifikationsstreit (1983), S. 74f. allerdings, dass Savigny in seiner Vorlesungs- und wohl auch sonstigen Praxis mit Blick auf seine Ursprünge in klassischer Zeit »stets das Recht der Digesten dem des Codex und der Novellen vorgezogen« hat. Diese Differenzierung in – so F.C.v.Savigny, Hugo-Rezension (1806), S. 30f. wörtlich – »d a s Römische Recht […] in den Pandekten« und in »das Uebrige«, nämlich die »einzelne[n] Zusätze und Corruptionen« etwa das Kaiserrechts, spielte wiederum für Jhering bei der Feststellung der Geltung und Anwendung des Gemeinen Rechts keine Rolle. 979 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 399 Fn. 515. 980 Jhering, Besitzwille (1889), S. 537 (»Kritiklose Entgegennahme der rein doktrinären Abstraktionen der römischen Juristen«). 981 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 38 (= Ges. Aufs. I, S. 33). 982 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398. 983 Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 374 sowie auch Ders., Besitzwille (1889), S. 213, 283f., wo Jhering den Widerspruch zwischen positivem Recht und juristischer Konstruktion kritisierte und exemplarisch hinwies auf Puchtas »Fanatismus der juristischen Construction, der im Feuereifer die klaffenden Lücken zwischen den aufgestellten Gesichtspunkten und dem vorhandenen Recht übersieht«. Vgl. zu der »Vergewaltigung der Quellen« auch H.Hammen, Savigny (1983), S. 45 m.w.N.

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risten war für Jhering auch im Hinblick auf das römische Recht streng darauf beschränkt, »Dienerin«984 des durch die »positiven rechtssetzenden Gewalten«985 gegebenen Rechts zu sein986. Für die Rechtsgültigkeit dieses sogenannten »obj.[ektiven] R.[echts]« sollte allerdings »die Frage, ob es d[urch] G[e]s[etz] oder Gewohnheit eingeführt ist«, vollkommen »irrelevant« sein987. Zur Auslegung des geschriebenen Rechts988 verwies auch Jhering auf die hergebrachte989 Unterscheidung »jener zwiefachen Art der juristischen Interpretation, für die man den wenig zutreffenden Namen der grammatischen und logischen gewählt« habe990. Zwar habe anders als bei der grammatischen »bei der logischen Interpretation […] die Subjectivität des Richters […] einen ungleich größeren Spielraum«991. Da nämlich der Richter im Rahmen der »logischen 984 Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 103 sowie in dem Jhering zuzuschreibenden Artikel in LZ 1845, Sp. 1444 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107]. Davon zu unterscheiden sind die von Jhering in Jurisprudenz (1844), Sp. 103–105 ausdrücklich geforderten gesellschaftlichen und rechtspolitischen Aktivitäten der Juristen zum Beispiel im »Advokatenverein« oder in der Publizistik, um »auf dem Markt des Lebens«, in der »Arena der Tageskämpfe« und »auf dem Schlachtfelde« der politischen Auseinandersetzung an der »öffentlichen Erörterung der Tagesfragen« und der »Fragen über neuere Gesetzgebung«. 985 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352f. 986 Vgl. dagegen G.F.Puchta, Vorlesungen I (11847), §§ 5–8, S. 12 mit einer Bemerkung, die zwar nicht unmittelbar dem hier in Rede stehenden rechtsquellentheoretischen Kontext entstammt, aber durchaus auch auf ihn bezogen werden darf, wenn Puchta meinte: »Die Wissenschaft kann nie eine bloße Dienerin sein, sie ist eine geborne Herrscherin« – nämlich sowohl für Rechtskreise, die weniger »auf das Feinste ausgebildet und wissenschaftlich vollendet« sind, wie auch für jeden Gesetzgeber. 987 Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 54r. 988 Auslegungsregeln betreffen in der Zeit der Pandektistik nicht nur Gesetze im rechtsquellentheoretischen Sinn, sondern sämtliches geschriebene Recht, insbesondere auch das gemeine römische Recht, diesen »größte[n] und merkwürdigste[n] Act« eines Gewohnheitsrechts [F.C.v.Savigny, System I (1840), § 18, S. 78 sowie zum Ganzen C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 303 m.w.N.]. Was dagegen R.Seinecke, Methode (22012), S. 128 als Beleg für eine am »Bedürfnis« und den »Interessen des Lebens« orientierte Gesetzesauslegung bei Jhering anführt, bezieht sich auf dessen rechtshistorische Schilderungen der Praxis der altrömischen Jurisprudenz, nicht auf methodentheoretische Regelungen. Die Unterschiede bei der Beurteilung einer vergangenen Rechtsordnung, je nach dem, ob sie aus rechtlich »anatomischer« Sicht betrachtet wird oder – bis hin zur »Vergewaltigung« des Rechts [Jhering, Geist III/1 (21871), § 56, S. 241] – aus historisch »physiologischer« Sicht, bildet die methodische Grundlage seines gesamten ersten Hauptwerks (vgl. dazu schon oben Abschnitt I. 2 und Abschnitt II. zum juristisch geltenden im Unterschied zum historisch »thatsächlichen« Recht). 989 J.Schröder, Recht (22012), S. 144–164. 990 Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 470ff. Vgl. auch C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 364–367 zu Puchta, der ungeachtet von Savignys wegweisender Theorie der juristischen Hermeneutik wie Jhering ebenfalls an der hergebrachten »grammatischen« und »logischen« Auslegung festhielt. 991 Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 480f. Das »Beste über diesen Unterschied« zwischen grammatischer und logischer Interpretation fand sich nach Jhering, Geist II/2 (11858),

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Interpretation« auch den Schutzzweck und die »Absicht des Gesetzes« zu ermitteln habe992, bleibe das »Resultat der Interpretation« immer eine Sache des richterlichen Ermessens993 bzw. – so Jhering unter Bezugnahme auf Kierulff – ein Ausdruck der »S e l b s t t h ä t i g ke i t « des Interpreten994. Eine »interpretatio« im Sinne der Römer des Altertums aber, die – zumindest beurteilt nach dem von Jhering zugrunde gelegten Maßstab des Gewaltentrennungsgrundsatzes995 – das Gesetz »drehte und deutete, wie sie es haben wollte« und sich nur »der Form nach unter, doch der Sache nach über das Gesetz« stellte996, wollte Jhering anders als Puchta997 dem Richter ebenso wenig zubilligen wie jede andere den Inhalt des Gesetzes modifizierende Rechtsfortbildung998.

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§ 44, S. 470 Fn. 610a in der 1839 erschienenen »Theorie des Gemeinen Civilrechts« von Johann Friedrich Kierulff, wie Jhering übrigens in der zweiten Auflage von 1869 durch einen Zusatz zumindest indirekt noch einmal bestätigte [Jhering, Geist II/2 (21869), § 44, S. 430 Fn. 610a]. Vgl. J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. XXVII zur Bedeutung der »Subjectivität des Interpreten« für die logische Interpretation. Letztere nannte Kierulff, aaO, S. XXIX, § 4, S. 22 »geistige Production, Kunst, eigenthümliche That des Juristen« bzw. eine »freie subjective That, die […] den ihr vorgelegten Gesetzesstoff transsubstanziirt, ihn selbst erst lebendig und wirklich macht.« Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 484. Nach Jhering war »jede Zeit berechtigt«, ausgehend von den »Voraussetzungen der Gegenwart« »diesen Gesichtspunkt der legislativen Zweckmäßigkeit dem geltenden Rechte anzulegen« [Jhering, Falcks Encyklopädie (51851), § 144, S. 288 Fn. 16 (editorischer Zusatz)]. Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 480. »Die logische Interpretation beruht auf der Skepsis« gegenüber den Worten und gelangt »möglicherweise zu einem völlig andern Resultat, als die Worte erwarten lassen« (aaO, S. 474). Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 470 Fn. 610a, S. 472. J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. 22 hatte in der von Jhering angeführten Stelle vor allem die »geistige Production, Kunst, eigenthümliche That des Juristen« hervorgehoben, bei der Interpretation das »Angemessene, Entsprechende – jus aequum« zu ermitteln. Diese Maßstäbe hatte dagegen noch Puchta seinen rechtsquellentheoretischen Vorstellungen gerade nicht zugrunde gelegt [vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 319f.]. Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 489. Die »interpretatio« »beschied sich nicht bloß auszulegen, sondern sie legte unter« (aaO). Eine »gewisse Schranke« war nach Jhering, Besitzschutz (1869), S. 104, 130f. aber auch schon den römischen Juristen gezogen, und »was sie nicht vermochten, vermochte [sc. nur] die Gesetzgebung […].« Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 367f.; Ders., Hermeneutik (2013), S. 49–58. Wie eng Jhering den Richter an den gesetzgeberischen Willen gebunden sah, veranschaulicht auch folgender Auszug aus seinen Bemerkungen/Nachlass (1841/42): »Mit Recht warnt Thibaut Vers.I [= A. F.J.THIBAUT, Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts. Erster Band 2. Auflage, Jena 1817], S. 170 dagegen […] nicht in den Fehler zu verfallen, […] irgend einer positiven Bestimmung […] [einen] Grund unterzuleg[en], der ihn [sc. den Gesetzgeber] zu jener Verordnung bestimmte. Möglicherweise kann auch er diesen Grund gehabt [haben], allein da auch andere Ursachen jene Bestimmung können veranlaßt haben, so muß dies bewiesen werden […]. Man kann also eine Gesetzgebung von Seiten der Philosophie betrachten u[nd] alle philosophischen Ansprüche in ihr befriedigt finden, ohne deshalb letztere als die causa movens ihr unter zuschieben.– In diesem Punkt immer auf seiner Hut zu sein, ist deswegen so wichtig, weil man sonst einen Grund ins Gesetz hinein tragend, der nicht in demselben liegt, auf demselben weiter baut!« (Bl. 2r/v) »Wie

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Als exklusive Träger und Subjekte einer »organischen« Fortbildung im Sinne einer behutsamen inhaltlichen »Abänderung«999 von Regeln des Pandektenrechts zur vorsichtigen Anpassung an die Vorstellungen und Verkehrsbedürfnisse der Zeit waren die Juristen damit entmachtet1000. Ein nicht auf rechtswissenschaftlicher Deduktion beruhendes »Juristen-Gewohnheitsrecht«, wie es noch Puchta auf der Grundlage der normativen Volksgeistlehre formuliert hatte1001, schied für Jhering ohnehin von vornherein aus1002. Auch im Hinblick auf den von Jhering in der »neuere[n] Geschichte des römischen Rechts« konstatierten »unausgesetzten Ausscheidungsprozeß«1003 des – in der bekannten Savignyschen Diktion – Abgestorbenen vom noch Lebendigen1004 war nach Jhering gerade bei den Pandekten jeweils genau zu unterscheiden zwischen dem bindenden »positiven Stoff«1005 einerseits und der überlieferten wissenschaftlich »theoretischen Abstraction, der ›regula juris‹ eines römischen Juristen«1006 andererseits. Nur bei letzteren, nämlich »in Fragen der juristischen Construction sind wir durch den Vorgang der römischen Juristen und die positive Autorität unserer Quellen nicht gebunden.«1007 Nur hier konnte der Rechtswissenschaft also schon allein die historische Kenntnis und »das Studium des römischen Rechts uns ein Mittel geistiger [sic!] Freiheit werden«1008, in dem sie zeige, »wie viel spezifisch Römisches«1009 und damit Abgestorbenes »unsere Doctrin noch

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gefährlich es sei, dem G[e]s[etz]geber […] Gründe unterzulegen, zeigt Thibaut selbst, […] ohne s[ich] seiner eigenen Lehre u[nd] Warnung bewußt zu sein […]« (Bl. 3v). F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 18 u. § 46, S. 291f., § 41, S. 281 u. Anm. (s). In Geist II/2 (11858), § 38, S. 336, 352f. sprach Jhering auch ausdrücklich von der »Machtlosigkeit« bzw. geringeren Macht der Wissenschaft »gegenüber den positiven rechtssetzenden Gewalten«. Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 175–197. Vgl. oben in Abschnitt I. eingehend zu Jherings Ablösung des Volksgeists aus seiner Funktion als normatives Prinzip zur Begründung der Rechtsgeltung. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 39 (= Ges. Aufs. I, S. 34). Vgl. nur F.C.v.Savigny, System I (1840), § 20, S. 94. Darunter verstand Jhering die in den Pandekten überlieferten »Entscheidungen c o n c r e t e r R e c h t s f ä l l e « [Jhering, Besitzwille (1889), S. 271], das »allein maßgebende prätorische Edict« [Jhering, Besitzschutz (1869), S. 176 Fn. 168 a.E.], ferner im Corpus iuris civilis überlieferte Gesetze bzw. gesetzesähnliche Entscheidungen, nämlich die »speciellen Akt[e] der [sc. römischen] Gesetzgebung« etwa durch senatus consulta [Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 31] und die »einzelnen Entscheidungen der spätern Kaiser« aus der Zeit des römischen Prinzipats [Jhering, Besitzschutz (1869), S. 132]. Vgl. H.Coing, Gesch.d.Privatrechtsystems (1962), S. 16f. zum rechtshistorischen Hintergrund. Jhering, Besitzschutz (1869), S. 176 Fn. 168 a.E., S. 221. Vgl. auch Jhering, Abhandlungen (1844), S. 225 sowie DERS., Mitwirkung II (1858), S. 249f. Jhering, Mitwirkung II (1858), S. 249f. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 38 (= Ges. Aufs. I, S. 33). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 40 (= Ges. Aufs. I, S. 35). Vgl. insoweit Jhering, Geist II/1 (11854), § 22, S. 3ff. zur »Charakteristik des spezifisch römischen oder strengen Rechtssystems (jus strictum)«, dessen ursprünglichen, noch nicht durch die aequitas

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in sich trägt, und wie viel mithin zu thun noch übrig bleibt«, um die zeitgenössische Doktrin dem »lebendig« geltenden Recht anzupassen1010. Im Hinblick auf den »positiven Stoff«1011 hingegen trat an die Stelle des materiellrechtlichen Kriteriums, was noch lebendig oder schon abgestorben sei, die formalrechtlich zu beantwortende Frage nach der Gültigkeit des Rechts, im Falle des Corpus iuris civilis also die Frage, ob Gesetz oder Gewohnheitsrecht eine von der Rezeption umfasste justinianische Regelung inzwischen modifiziert oder abgeschafft habe. Nach Jhering hatten die Rechtswissenschaftler zwar eine durch gesellschaftliche Veränderungen angezeigte Verjüngung des geltenden Rechts wissenschaftlich und nicht zuletzt auch – so Jhering bereits 1844 – rechtspolitisch mit vorzubereiten1012 sowie ex post zu konstatieren, wenn eine Modifikation »durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht nachgewiesen werden kann«1013 ; sie hatten aber nicht aufgrund einer Bewertung der jeweiligen Rechtsinhalte über eine Modifikation des Rechts selbst zu entscheiden1014. Dies kam nach Jhering allein den »positiven rechtssetzenden Gewalten« zu, deren »Mitwirkung« nach Jhering daher immer unerlässlich war, soweit es nicht nur »rein und aus-

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abgemilderten Formalismus Jhering zu den historischen Eigentümlichkeiten des frühen römischen Rechts zählte, die schon im klassischen römischen Recht überholt waren. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 40 (= Ges. Aufs. I, S. 35). Jhering, Besitzwille (1889), S. 271. So sprach schon Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 569 lediglich vom »Beruf der Wissenschaft«, nicht etwa unmittelbar das Recht, sondern das gesellschaftliche »Leben […] zu verjüngen und fortzubilden, es vorzubereiten auf die Umwandlungen, die sie [sc. die Wissenschaft] gefordert und prophezeit hat, und dadurch mittelbar [sic!] letztere herbeizuführen«. Dies begründete Jhering, aaO, Sp. 568 mit den unmissverständlichen Worten: »Sie [sc. die Wissenschaft] hat schon dem tollsten Vandalismus sowie dem entgegengesetzten Extrem dienen müssen, als daß man Vertrauen genug besäße, das Urtheil über Leben und Tod [sc. einer Regelung des geltenden Rechts] in die Feder ihrer Vertreter zu legen und als entscheidend anzuerkennen.« Jhering, Bemerkungen (1865), S. 380. Vgl. schon Jhering, Reivindicatio (1857), S. 120 mit einem weiteren praktischen Beispiel aus der Pandektistik für die Abgrenzung zwischen Rechtsetzung durch »gesetzliche oder gewohnheitsrechtliche Begründung« und wissenschaftliche Rechtserkenntnis bzw. -anwendung durch die Jurisprudenz. So konnten nach Jhering, aaO die zeitgenössischen Juristen noch so überzeugt davon sein, dass »die gemeinrechtliche Möglichkeit und Geltung« eines bestimmten Instituts – hier des Konnossements – »für den Handel so wichtig und werthvoll« wäre. Diesem rechtspolitisch zu wünschenden Rechtsinstitut juristische Geltung verschaffen, konnten sie nach Jhering keinesfalls. Enthielte nämlich das fragliche Institut »Abweichungen von der gemeinrechtlichen Besitztheorie, die man in dasselbe hineingetragen [hat], so würde man mit allem Grund vom Standpunkt des gemeinen Rechts aus die gesetzliche oder gewohnheitsrechtliche Begründung dieser Abweichungen verlangen« müssen. Oder aber es könnte, »was sehr zu bedauern«, aber von der Rechtswissenschaft nicht zu ändern wäre, »dem Institut in der That nur eine partikularrechtliche Existenz zugesprochen werden […]«, wenn die von der Wissenschaft im geltenden Recht zusammengetragenen »Beweismomente nur einen particularrechtlichen Charakter hätten […].«

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schließlich« um eine »f o r m a l e Vervollkommnung des [sc. positiven] Stoffs«, sondern um eine inhaltlich »m at e r i e l l e Zurichtung desselben« ging1015. Mithin konnte für Jhering keineswegs mehr »die konstruktive Begriffsjurisprudenz als Ersatz für eine Gesetzgebung« fungieren1016. Geradezu ostentativ betonte Jhering später, dass die wissenschaftliche »Theorie« dasjenige, was sie »an Rückstände[n] einer früheren im Übrigen überwundenen roheren Rechtsanschauung […] einmal vorfindet[,] […] bestehen lassen muß, da sie nicht die Macht hat, sie zu beseitigen«, und zwar selbst dann nicht, wenn die geltende Regelung »begrifflich völlig inconsequent und praktisch nicht zu rechtfertigen«, ohne »ratio«, ohne ein »klar erkennbares praktisches Interesse« sei1017. An die Stelle von Aufforderungen an die gelehrten Juristen, das bestehende Recht ständig den Bedürfnissen der Zeit entsprechend inhaltlich »zu verjüngen, und frisch zu erhalten«1018 durch die »organisch bildende Kraft der Wissenschaft« (Savigny)1019, traten mithin bei Jhering rechtspolitische Forderungen an den Gesetzgeber1020. War im Regelfall die Gesetzgebung bei Savigny und noch mehr bei Puchta1021 allenfalls eine mögliche – und selten die beste1022 – Form der Rechtsfortbildung gewesen, so wurde sie bei Jhering zur generell notwendigen. Notwendig war die Gesetzgebung nach Jhering aber nicht nur in rechtsquellentheoretischer Hinsicht, sondern im Hinblick auf das noch geltende Pandektenrecht auch in konkret rechtspolitischer Hinsicht. Wahrscheinlich liegt in letzterem auch ein wesentlicher Grund für Jherings Abweichung von der bisherigen Rechtsquellenlehre der Historischen Rechtsschule. Die Freiheit, die etwa Savigny den Juristen zur stetigen »Verjüngung« des römischen Rechts hatte einräumen wollen, war zu gering, um diejenigen inhaltlichen Änderungen des 1015 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352f. »Was soll«, so fügte Jhering zur Veranschaulichung an, etwa »die Wissenschaft machen, wenn z. B. das Gesetz die höchst unpraktische Bestimmung enthält, daß bei einem Erbfall die Erbschaft nach dem Ur s p r u n g der Güter in der Weise getheilt werden soll, daß die von Seiten des Vaters und väterlichen Verwandten ererbten Stücke an die väterlichen, die von Seiten der Mutter und mütterlichen Verwandten ererbten an die mütterlichen Verwandten fallen sollen? Die Wissenschaft[,] d. h. die bloße Deduction[,] ist derartigen Bestimmungen gegenüber machtlos […].« 1016 So aber P.O.Ekelöf, Methode Jherings (1970), S. 28 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 1017 Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 40f. 1018 F.C.v.Savigny, Zweck (1815), S. 6 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 264); Ders., System I (1840), § 14, S. 47f. 1019 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 42, S. 263, § 14, S. 46f. 1020 Vgl. etwa Jhering, Reivindicatio (1857), S. 111, 120; Ders., Besitzschutz (1869), S. 206f.; Ders., Bereicherungsklage (1878), S. 85. 1021 Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 322f. 1022 Vgl. nur F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1811), in: Savignyana II (1993), S. 175: »[…] die besten Gesetzgeber sagen am wenigsten neues, suchen zu fixiren […] – orig[inelles] Gesetz? immer sehr kühn, zuweilen heilsame Arzney für krankes Volk, meist frevelhaftes Experiment […].«

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geltenden Rechts herbeizuführen, die Jhering in rechtspolitischer Hinsicht zur vollständigen Assimilation des römischen Rechts für notwendig hielt. Der Ansicht Savignys, in rechtsquellentheoretischer Hinsicht sei die »Verjüngung« des römischen Rechts auch von den Juristen in ausreichender Weise zu besorgen und eine moderne Privatrechtskodifikation sei zumindest vorerst nicht notwendig, lag nämlich dessen Forderung zugrunde, dass das Corpus iuris civilis nach seiner Reinigung von einigem »abgestorbenen« oder aber das klassische römische Recht verfremdenden neuzeitlichen Gedankengut möglichst weitgehend in Inhalt und Form zu bewahren sei. Eine moderne Kodifikation dagegen hätte für Savigny nicht nur den zukünftigen Einfluss der Juristen auf die Bewahrung des rezipierten Rechts eingeschränkt1023, sondern auch die Gefahr in sich geborgen, dass es zu tiefergreifenden inhaltlichen Veränderungen des Privatrechts kommen könnte1024. Genau umgekehrt lag es bei Jhering; er verstand die Kodifikation auch als Chance zu einer inhaltlichen Reform des zeitgenössischen Privatrechts. Zwar ging auch er davon aus, dass das Corpus iuris civilis für die zukünftige Privatrechtskodifikation »einen bedeutenden Theil des Materials liefern [würde], aus dem wir den Neubau [sic!] unseres Rechts zu gestalten haben, und so […] eine große Summe der römischen Rechtsgrundsätze in veränderter Form fortexistiren« würde1025. Aber zugleich verstand er diesen »Neubau« des geltenden Privatrechts durch Vorbereitung einer gemeindeutschen Kodifikation auch als Möglichkeit, unbelastet von Fragen nach der jeweiligen Quellenmäßigkeit und damit ohne die Nötigung »zu rücksichtsloser Selektion der Quellen«1026 Überliefertes kritisch auf seine weitere praktische Tauglichkeit zu überprüfen und Raum zu schaffen für mehr als eine bloße »Verjüngung« durch die lediglich »richtigere [sc. allgemeinere] Fassung des [sc. 1023 Eine nicht unwichtige Rolle im Plädoyer gegen eine moderne Privatrechtskodifikation und für eine Beibehaltung des Corpus iuris civilis als subsidiär geltendes »Gesetzbuch« spielte im Übrigen auch der für den praktischen Einfluß der Rechtswissenschaft nicht unwesentliche Umstand, der eigentümlicherweise selbst von den Kritikern einer zeitgenössischen Geltung der Pandekten selten so klar ausgedrückt wurde wie von F.C.v.Savigny, System I (1840), § 38, S. 244; § 39, S. 248 selbst: »Daß wir [sc. mit dem Corpus iuris civilis] keinen gesetzlich überlieferten Text haben, giebt wohl Jeder zu. […] Wir haben folglich Nichts vor uns als eine bedeutende Anzahl Handschriften, die an Alter und Werth sehr verschieden sind. Selbst die gänzliche Übereinstimmung derselben in einer Lesart kann der gesetzlichen Mittheilung nur durch eine Art von Fiction gleichgestellt werden.« Mithin oblag dem zur Rechtsanwendung berufenen Pandektisten nicht nur – wie im Falle des Gesetzesrechts – die Auffindung der einschlägigen Rechtsregel sowie deren Auslegung und Anwendung durch Subsumtion, sondern überhaupt erst einmal die Gewinnung einer zu subsumierenden Regel aus den Quellentexten. 1024 So auch H.Coing, Organismus (1973), S. 151. 1025 Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 2. 1026 So F.Wieacker, Pandektenwissenschaft (1968), S. 12 mit Verweis auf Savigny und dessen »Vorbild seines ›Rechts des Besitzes‹«.

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bereits geltenden römischen] Princips«1027. Damit wurde der Weg frei für die Aufnahme auch ganz neuer nicht römischer Prinzipien in das geltende Privatrecht1028. Eine im Vergleich zu Savigny oder Puchta stärkere rechtsquellentheoretische Beschränkung der Juristen auf das positiv Gegebene konnte diese rechtspolitische Notwendigkeit nur noch unterstreichen, wie letztere umgekehrt von den Kodifikationsgegnern hatte entkräftet werden sollen durch besondere Betonung der auf die Mitwirkung einer Gesetzgebung nicht angewiesenen »organisch bildenden Kraft der Rechtswissenschaft«1029.

2.

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a)

Die Rechtsquellenfunktion der Rechtswissenschaft bis zu Jherings wissenschaftskritischer Wende

Die Tatsache, dass die spätestens seit Puchta virulente Frage, ob neben Gesetz und Gewohnheitsrecht auch die Rechtswissenschaft bzw. das sogenannte Juristenrecht als Rechtsquelle zu betrachten sei, von Jhering niemals so ausdrücklich gestellt worden ist, mag auf den ersten Blick verwundern. Gibt es doch keinen zweiten Rechtsgelehrten, der derart prononciert wie Jhering in den 1850er Jahren die spezifisch »juristische P r o d u c t i o n «1030 durch die Rechtswissenschaft in den Mittelpunkt seiner rechtsmethodologischen Überlegungen gestellt hätte. Es kann mithin auch keine Rede davon sein, dass es Jhering in der Sache einfach offen gelassen hätte, »ob er die Wissenschaft als eigene Rechtsquelle versteht.«1031 Allerdings hat auch Jhering der Rechtswis1027 So definierte Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 383; Ders., Ausnahmen (1885), S. 6 die seit Savigny vielzitierte »Verjüngung« des geltenden Rechts. Für Jhering bezeichnete sie aber nur einen Teil der Änderungen eines sich geschichtlich entwickelnden Rechts. 1028 Dabei war es für Jhering ganz wesentlich, dass die Wissenschaft bei den »Rückstände[n] einer früheren […] Rechtsanschauung, die […] die Theorie einmal vorfindet und […] nicht die Macht hat […] zu beseitigen« [Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 40], nicht auch noch dem Gesetzgeber etwa bei der beabsichtigten Zulassung der unmittelbaren Stellvertretung, der Forderungszession oder des berechtigenden Vertrages zugunsten Dritter etwa im Stile Puchtas den Einwand der rechtswissenschaftlichen Unmöglichkeit entgegengesetzt und damit das geltende Recht im Hinblick auf die wirklich drängenden Verkehrsbedürfnisse für alle Zeiten konserviert. 1029 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 42, S. 263; Ders., Vorlesungen (1812), S. 182f.: »Gesetze […] – ihr Einfluß nicht groß, weit größer der Einfluß der eigentlichen Jurisprudenz, so bald diese nicht mehr Gemeingut aller Bürger ist«. 1030 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8 (= Ges. Aufs. I, S. 7). 1031 So aber W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 279. Dagegen spricht B.Klemann, Jherings Wandlung (1991), S. 140 klar von drei Rechtsquellen bei Jhering, nämlich erstens – so Klemann allerdings ungenau – dem »Leben«, zweitens der Gesetzgebung und drittens der Rechtswissenschaft.

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senschaft nie pauschal eine rechtsquellentheoretische Produktivität beigemessen. Denn – so schränkte Jhering die rechtsquellentheoretische Rolle der Rechtswissenschaft ein – der »erste Anfang aller wissenschaftlichen Bearbeitung des Rechts charakterisirt sich durch den unmittelbaren Anschluß an die Form, in der dasselbe [sc. das Recht] im Gesetz erscheint, durch ein rein receptives Verhalten zu den Quellen. Interpretation der Gesetze ist die absolut niedrigste Stufe aller wissenschaftlichen Thätigkeit, aber zugleich die nothwendige Vorstufe aller höheren.«1032

Ungeachtet dieser schon von Puchta1033 und zumindest im Prinzip wohl auch von Savigny1034 vorgenommenen Abgrenzung von »re c e p t ive [ r ] und p r o du c t ive [ r ] Jurisprudenz«1035 bleibt der ohnehin schwer fassbare Ausdruck »Produktivität«1036 gerade im Falle Jherings aber erklärungsbedürftig. Denn abge1032 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 7f. (= Ges. Aufs. I, S. 7). 1033 G.F.Puchta, Vorlesungen I (11847), § 16, S. 39. 1034 Vgl. A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 91ff. Allerdings hat Savigny in der Frage der »Produktivität« der Rechtswissenschaft eine sowohl von Puchta als auch von Jhering deutlich unterschiedene Auffassung vertreten. Denn erstens bekannte sich Savigny auch in System I von 1840 trotz unverkennbarer Annäherungen an Puchta nicht vorbehaltlos zu dessen Charakterisierung des »Rechts der Wissenschaft« als »Rechtsquelle« [C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 403f.]. Zweitens ist auch die von Savigny 1840 vorgenommene begriffliche Differenzierung von »Auslegung« und »Fortbildung« des Rechts keineswegs deckungsgleich gewesen mit Puchtas Entgegensetzung von »rezeptiver« und »produktiver« Jurisprudenz [C.-E.Mecke, Hermeneutik (2013), S. 37ff., 49ff.]. So hat Savigny einerseits beispielsweise die Analogie, für Puchta immerhin das wichtigste Verfahren wissenschaftlich »produktiver« Jurisprudenz, im Jahre 1840 wieder als eine besondere Form »reiner Auslegung« bezeichnet [F.C.v.Savigny, System I (1840), § 46, S. 292]. Andererseits hat Savigny seit frühesten Jahren die Auslegung im Sinne des eigentlichen Textverstehens zwar nicht als Rechtsquelle betrachtet, aber doch immer »die Interpretation dezidiert in den Zusammenhang von Wissenschaft statt juristischer Ergebnissuche als solcher« gestellt [J.Rückert, Hermeneutik (2001), S. 289, 307f., 323ff.]. War für Savigny danach auch rechtsquellentheoretisch betrachtet die Interpretation von Rechtstexten »bloß Forschung, und zwar Anfang der Forschung«, und nicht Hervorbringung von neuem Recht [F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1812), in: Savignyana II (1993), S. 184], so beurteilte er sie doch in vollständigem Unterschied zu Puchta und zu Jhering als ein Kernstück der Jurisprudenz im Sinne einer keinesfalls nur niederen Wissenschaft vom geltenden Recht. Die erst in den letzten Jahren publizierten Vorlesungen Savignys belegen, dass bereits der junge Savigny – in Anknüpfung an die zeitgenössische Hermeneutikdiskussion [dazu eingehend S.Meder, Urteilen (1999), S. 79, 135–143, 155, 160–165, 237; Ders., Mißverstehen (2004), S. 8–12, 99–105, 116; J.Rückert, Hermeneutik (2001), S. 301, 310ff.; J.Schröder, Recht (22012), S. 212–219] – die »Interpretation« bzw. – so Savigny später – die »Auslegung« von Rechtstexten nicht anders als die Interpretation sonstiger Texte als eine genuin wissenschaftlich produktive »Selbstthätigkeit« verstand, bei der jeder Interpret »selbst producirt – aber eben diese Selbstthätigkeit ist das schwerste […]« (Savigny, aaO, S. 184). Dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 348f., 369–371. 1035 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 4 (= Ges. Aufs. I, S. 3); Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 386f. 1036 Schon Puchta, der das rein wissenschaftliche Juristenrecht als eine gegenüber Gesetz und

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sehen davon, dass Jherings wissenschaftskritische Wende in den sechziger Jahren die Frage nach der rechtsquellentheoretischen Produktivität der Rechtswissenschaft in ein ganz neues Licht stellte, ist Jherings Begriff der juristischen Produktivität auch schon vorher nicht immer derselbe gewesen. In der 1844 in der Literarischen Zeitung erschienenen Artikelfolge, Jherings erster zusammenhängender Veröffentlichung zur Frage der – so der Titel des ersten Artikels – »Stellung der Jurisprudenz zur Gegenwart« fehlte der Ausdruck der juristischen Produktivität sogar noch ganz1037. Statt dessen vermerkte Jhering im Hinblick auf das rechtsquellentheoretische Verhältnis der Rechtswissenschaft zu Gewohnheitsrecht und Gesetzgebung sogar ausdrücklich, dass die Rechtswissenschaft zwar den mit dem geltenden Recht gegebenen »Stoff durch consequente Verarbeitung weiter bilden« könne und auch solle, »allein sie ist damit nicht Herrin desselben geworden, sondern, indem sie nur das feinere Detail, das in ihm verborgen liegt, zu Tage fördert, bleibt sie Dienerin desselben.«1038 Umso stärker betonte Jhering hier noch »die producirende Thätigkeit auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte«, also die historische »Combination« und »Erforschung des Alterthumes«. Obgleich sie auch nur die historische Wirklichkeit »so weit es möglich ist, reconstruirt«, schien sie anderen Wissenschaften dadurch ebenbürtig zu sein, dass sie anders als die Rechtsdogmatik ihre eigene »Herrin« war mit der Möglichkeit eines nur den eigenen wissenschaftlichen Gesetzen unterworfenen, wirklich produktiven Forschens »ohne Nebenabsichten« und außerwissenschaftliche Zwänge etwa durch Vorgaben eines Gesetzgebers oder konkrete Verkehrsbedürfnisse1039, welche als »utilitas« die Konsequenz der »ratio juris« beschränkten und nach Jherings lebenslanger Auffassung im Übrigen auch beschränken mussten1040. Die wissenschaftstheoretische Produktivität der Rechtsgeschichte blieb für Jhering auch in den folgenden Jahren ein wichtiger Bezugs- und Vergleichspunkt für die Bestimmung der rechtsquellentheoretischen Produktivität der Rechtsdogmatik. Dabei sollte sich aber zwischen 1844 und 1856 das wissenschaftstheoretische Prioritätsverhältnis der Produktivität von Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik deutlich zugunsten von letzterer verschieben. Bereits in der von September 1845 bis März 1846 wiederum anonym erschienenen, Jhering

1037 1038 1039 1040

Gewohnheitsrecht ganz eigenständige Rechtsquelle in die Rechtsquellenlehre eingeführt hat [vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 386ff., dort insbesondere S. 403f.], hat sich mit den unterschiedlichen Auffassungsweisen, denen der Ausdruck »Produktivität« nicht anders als die schillernde Metapher »Quelle« in diesem Kontext zugänglich war, auseinandersetzen müssen (vgl. aaO, S. 290f.). Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 101. Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 103. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 421, 423f. Vgl. zu dieser Beschränkung juristischer Konsequenz auch schon im Rechtsdenken des jungen Jhering Teil 2, S. 317.

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aber zuzuschreibenden Artikelfolge in der Literarischen Zeitung1041 deutete sich diese Entwicklung an. In dieser Artikelfolge wurde nämlich im Zusammenhang mit der Frage nach der möglichen »Productivität«1042 der Jurisprudenz wie später in Jherings Programmschrift »Unsere Aufgabe« ausdrücklich »eine doppelte Seite« der Produktivität unterschieden1043. Die eine Seite galt der rechtsgeschichtlichen Wiederherstellung des römischen Rechts »als reines römisches Recht, d. h. ohne Rücksicht auf die Anwendbarkeit desselben in den neueren Staaten.«1044 Einen rechtsdogmatischen Bezug hatte diese produktive »Ausbildung«1045 bzw. Vervollständigung des historischen Rechts – abgesehen von den Instituten, die auch im Pandektenrecht noch uneingeschränkt in Geltung waren – vor allem im Hinblick auf das Verstehen und die Aneignung »der juristischen Methode«, der »juristischen Kunst« und »Productivität« als Ausdruck des »Geist[s] der römischen Jurisprudenz«1046. Allerdings findet sich auch hier wie schon in früheren1047 und auch späteren1048 Äußerungen Jherings die Kritik an 1041 Vgl. zu Jherings Verfasserschaft C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107. 1042 So heißt es bereits im Untertitel des dritten Artikels der vierteiligen Artikelfolge in LZ 1846, Sp. 73. 1043 LZ 1846, Sp. 75. Von einem »doppelten Zweck« der »geschichtlichen Studien« der Jurisprudenz, nämlich einem »praktischen« und einem »rein historischen, um nämlich das Rechtssystem einer vergangenen Periode in seiner Totalität zu reproduciren«, hatte Jhering auch schon in Hist. Schule (1844), Sp. 409 gesprochen. Vgl. C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 81. 1044 LZ 1846, Sp. 75. Zur »produktiven« rechtshistorischen Rekonstruktion gehörte es danach auch, die Institute des vergangenen Rechts nachträglich zu vervollständigen, denen bei den Römern die ihnen »zukommende wissenschaftliche Reife nicht zu Theil geworden war«, da ihre »Entstehung oder im Geiste späterer Bedürfnisse vorgenommene Umbildung in eine Zeit fällt, wo die Jurisprudenz […] nicht Zeit genug mehr fand, um auch diesen […] Instituten den Grad wissenschaftlicher Ausbildung zu geben«, den frühere Institute erhalten konnten (aaO, Sp. 75f.). Ebenso hatte Jhering später auch in Geist I (11852), § 3, S. 23 gefordert, das römische Recht nachträglich »aus sich selbst […] [zu] vermehren« bzw. – so Jhering, Abhandlungen (1844), S. VIf. – »zu vervollständigen« und »ihm d i e Ausbildung zu geben, die es bei den Römern […] nicht völlig erreicht« habe, weil seine Aus- bzw. Umbildung »in die späteren Zeiten der römischen Jurisprudenz fiel«, wo es die ihm »zukommende Ausbildung nicht erhalten« konnte. Vgl. dazu C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 81f. 1045 Vgl. die Nachweise in der vorstehenden Fußnote. 1046 LZ 1846, Sp. 73, 80. Vgl. eingehend Teil 2, Abschnitt II. 1. b) zur juristischen Methode als dem nach Ansicht des – jungen – Jhering einzig universellen und »wahren Werth des römischen Rechts« [so Jhering, Schuldmoment (1867), S. 176 später selbst über seinen früheren »Irrthum«, einst ausschließlich in der Methode das für allen Zeiten Universelle des Rechts gesucht zu haben]. In LZ 1845, Sp. 1448 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (74)] fällt auch bereits das Wort von der »unversiegbare[n] Quelle der juristischen Bildung«. Eine solche Quelle würde das römische Recht auch dann bleiben, wenn es »seine praktische Gültigkeit in allen Staaten einmal eingebüßt haben wird«. Dabei war es bereits für den jungen Jhering ausgemacht, dass in absehbarer Zeit das römische Recht »aufhören [wird], für uns die Gültigkeit eines Gesetzbuches zu besitzen« [Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 2]. 1047 Vgl. nur Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 423, 425, wo es zur »producirende[n] Thätigkeit

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einer lange fehlenden bzw. immer noch nicht ausreichenden wissenschaftlichen »Produktivität« bei der rechtshistorischen Wiederherstellung des vergangenen Rechts1049. Im Übrigen aber sollte es seit der Rezeption des römischen Rechts »noch eine zweite und weit dringendere Veranlassung zur produktiven Thätigkeit« geben, nämlich die Aufforderung, nicht nur das römische Recht geschichtlich »rein« wiederherzustellen, sondern dasselbe mit Blick auf seine gegenwärtige juristische Verbindlichkeit als gemeines Privatrecht in Deutschland auch »unter einem ganz neuen Gesichtspunkte zu behandeln, also schöpferisch an demselben thätig zu sein«, indem man es unternehme »die Gränzen der Anwendbarkeit desselben [zu] bestimmen, die Modificationen an[zu]geben, die dasselbe durch die modernen Sitten und Rechtsansichten zu erleiden hatte.«1050 Als Mittel dieser das geltende Pandektenrecht betreffenden rechtsquellentheoretischen Produktivität der Rechtsdogmatik erscheint hier – anders als noch bei Puchta – neben der juristischen Konsequenz »aus dem bestehenden Recht« und »der analogen Ausdehnung« die Deduktion »aus der Natur der Sache«. Sie habe schon bei den römischen Juristen, den Erfindern und Vorbildern für die produktiv »schöpferische Kunst« der »juristischen Methode«, darauf beruht, dass die Juristen »Begriffe oder Rechtsgeschäfte, über die das Recht keine Vorschriften enthielt, gewissermaaßen physiologisch bestimmten und ihren ganzen logisch nothwendigen Zusammenhang dem Auge bloß legten«, um durch »Darlegung aller […] begriffsmäßig nothwendigen Momente das feinere Detail« des anzuwendenden Rechts zu gewinnen1051. Eben diese Aufdeckung der »in der Natur der Sache gelegenen Unterschiede, kurz die natürliche Gliederung und innere Logik

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auf dem Gebiete der Rechtsgeschichte« heißt, dass die zeitgenössische Wissenschaft »ihre Aufgabe nicht blos noch lange nicht gelöst« hat, »sondern daß sie [sc. die produktive Rechtsgeschichte] auch bei einigen Zeitgenossen fast ganz in den Hintergrund zu treten scheint. Erst die letzten Jahre brachten uns die zwei ersten Versuche ihrer Lösung […]. Im Allgemeinen aber kann man behaupten, daß gegenwärtig die registrirende und systematische Methode noch im Kampfe begriffen sind.« Vgl. nur Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 21f. (= Ges. Aufs. I, S. 19), wo Jhering für die »moderne Wissenschaft« konstatierte, dass die »receptive Thätigkeit, zu der die Reconstruction des römischen Rechts sie zwang, […] der Ausbildung der p r o d u k t i v e n Fähigkeit von vornherein keineswegs günstig« war, »ja, daß selbst die Reconstruction […] nicht gelang – zur Bewahrheitung jener treffenden Bemerkung, daß eine Zeit, die selbst nichts schaffen, auch in den Geist der Schöpfungen einer vergangenen Zeit nicht eindringen kann.« Vgl. LZ 1845, Sp. 1443 dazu, dass bis in die jüngste Zeit hinein »die Jurisprudenz den Trieb nach eigner Produktion lange […], sei es unterdrückt, sei es gar nicht verspürt hatte; erst seit kurzer Zeit haben sich constante Regungen desselben eingestellt […].« Zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (64). LZ 1846, Sp. 76. LZ 1846, Sp. 79f.

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der Verhältnisse, in denen der Verkehr sich bewegt«1052, bezeichnete Jhering später in den fünfziger Jahren als die »bildende Kunst«1053 der sogenannten konkreten »juristischen Construction« im Rahmen der »subjektiven Technik« der Rechtswissenschaft. Er sprach insoweit von einer eigentlich »juristischen Production« bzw. von der »Nat u r d e r S a c h e als Rechtsquelle«, da die Jurisprudenz hier nicht nur im Wege der Konsequenz »bloß erschließt, was der Gesetzgeber mittelbar gesetzt und gegeben hat«1054. Auf der Grundlage seiner Unterscheidung zwischen den »positiven rechtssetzenden Gewalten«1055 und den wissenschaftlichen Konstruktionen, also den »Doctrinen, Erklärungsversuche[n]«1056 der Jurisprudenz über den systematischen Zusammenhang der geltenden Rechtsregeln beruhte für Jhering die rechtsquellentheoretische Produktivität der Rechtswissenschaft Anfang der fünfziger Jahre mithin zum einen – wie bei Puchta – auf der Rechtsfortbildung der geltenden Rechtssätze »durch die analoge Ausdehnung, die eine Fortbildung des Gesetzes selbst enthält«1057, sowie der einfachen »Consequenz in der Fortbildung des positiven Stoffs«, um »über den Buchstaben oder über die Lücken des Gesetzes« hinauszukommen1058. Zum anderen – und damit unterschied 1052 1053 1054 1055 1056 1057 1058

Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 312. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 397. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412f. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352. So etwa B.Delbrück, Uebernahme (1853), S. 12. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 19. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 12f.; Ders., Jurisprudenz (1844), Sp. 103. Sowohl dem Rechtshistoriker bei der Rekonstruktion des rein geschichtlichen Rechts als auch dem Rechtsdogmatiker bei der Fortbildung des geltenden Rechts erlaubte die juristische Konsequenz nach Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 23, die historisch überlieferten bzw. geltenden Rechtssätze zu vermehren, »indem z. B. e i n Rechtssatz […] zu seinen Consequenzen verfolgt, oder aus mehren detaillirten Bestimmungen ein höheres Prinzip abstrahirt wird« (seit der zweiten Auflage von 1866 insoweit gestrichen). An dieser Stelle berührten sich also die im Übrigen keineswegs identischen Methoden der »produktiven« Rechtsgeschichte bzw. Rechtsdogmatik [vgl. eingehend zu Ziel und Methode der produktiven Rechtsgeschichte oben Abschnitt I. 2. b)]. Die danach bestehende und heute erstaunlich anmutende Möglichkeit des Rechtshistorikers, aus überlieferten Rechtssätzen einer vergangenen Rechtsordnung aufgrund juristischer Konsequenz noch im nachhinein einen »latenten Rechtssatz«, der mangels eines »praktische[n] Interesse[s]« in der Vergangenheit »vergebens gerungen hat[,] sich in seiner wahren Gestalt zu zeigen, ans Tageslicht zu bringen« [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 25], bildete das rechtshistorische Pendant zu der von Jhering in den fünfziger Jahren für die Rechtsdogmatik vertretenen Auffassung, daß letztere aufgrund juristischer Konsequenz auch für die Gegenwart und Zukunft geltende Rechtssätze produzieren können solle, selbst wenn diese wegen eines fehlenden praktischen Interesses »vielleicht […] nie auf eine solche unmittelbar practische Verwerthung hoffen« könnten [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 15) sowie dazu Teil 2, Abschnitt II. 2. a) cc)]. Dabei war es Jhering weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft um ein »Phantasiebild« gegangen [so ausdrücklich Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 423 bzw. Ders., Geist I (11852), § 11, S. 118]. Vielmehr

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Jhering sich von Savigny1059 ebenso wie wohl auch von Puchta1060 – sollte die rechtsquellentheoretische Produktivität der Rechtswissenschaft auch auf den rechtswissenschaftlichen Konstruktionen beruhen, also den Lehrsätzen bzw. »rein doctrinellen Formulierungen«, die in jeder Rechtsdogmatik durch die wissenschaftliche Diskussion »beständig im flüssigen Zustande begriffen sind, täglich [sic!] neue Formen annehmen« und »Theorie und Praxis täglich« neue Einsichten und Erkenntnisse über das Recht vermitteln1061. Diese Erkenntnisse waren es auch, die Jhering das innere rechtsdogmatische System des Rechts als eine »unversiegbare Quelle« erscheinen ließen1062. Mitte der fünfziger Jahre, zuerst in »Unsere Aufgabe«, Jherings bekannter im April 1856 erschienener Programm- und Einleitungsschrift zu den mit Gerber herausgegebenen »Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts«, hat Jhering bei der Formulierung der Theorie der na-

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hatte beiden Auffassungen die in Jherings Prinzipienrigorismus verankerte, später allerdings modifizierte Vorstellung zugrunde gelegen, dass es zu allen Zeiten wohl historische Gründe, aber keine rechtswissenschaftliche Rechtfertigung dafür gebe, dass aus dem jeweils geltenden Recht rechtswissenschaftlich mögliche Konsequenzen nicht gezogen werden (vgl. dazu eingehend Teil 2, Abschnitt I. 2.). Vgl. nur F.C.v.Savigny, System I (1840), § 19, S. 87f., wo dieser »jede rein wissenschaftliche Forschung, mag sie nun auf Feststellung des Textes der Quellen, oder auf Erklärung derselben, oder auf ihre Verarbeitung zu Resultaten eines Rechtssystems, oder auf die innere Vollendung dieses Systems gerichtet seyn«, übrigens in Übereinstimmung mit der heute herrschenden Auffassung »nicht unter die Rechtsquellen gezählt« wissen sollte, da auf diese Weise »kein neues Recht erzeugt, sondern nur das vorhandene Recht zu reinerer Erkenntniß gebracht« werde. Zwar zählte G.F.Puchta, Vorlesungen I (11847), § 16, S. 39 zum rechtsquellentheoretisch produktiven »Recht der Wissenschaft« ausdrücklich auch die rechtswissenschaftliche »Literatur« [C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 394f.]. Die rechtsquellentheoretische Produktivität der »literarischen und praktischen Thätigkeit« der Juristen begründete Puchta aber für rechtswissenschaftliche Ausführungen in der »Literatur« nicht anders als für die aufgrund von rechtswissenschaftlichen Überlegungen entscheidenden »Gerichte«. Im rechtsquellentheoretischen Sinne »produktiv« sein sollten beide nur im Hinblick auf eine »Feststellung der Principien« des geltenden Rechts bzw. die Ableitung von »Folgerungen […] aus diesen Principien« durch »Consequenz […] und Analogie gleicher Consequenzen«. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 19. Andere, wie Jherings engster Mitstreiter in den fünfziger Jahren, der Germanist Carl Friedrich Wilhelm Gerber, hatten die »Produktion« zwar auch schon früher auf jede erklärende rechtswissenschaftliche Tätigkeit jenseits »der bloßen Interpretation« bezogen [C.F.W.Gerber, System (11848), § 30, S. 62f.]. Dabei hatte Gerber, der noch entsprechend der Puchtaschen Theorie vom doppelten Juristenrecht Juristen-Gewohnheitsrecht und wissenschaftliches Juristenrecht unterschied, unter der Produktivität des wissenschaftlichen Juristenrechts in erster Linie nur die »Potenzirung der Kraft der Interpretation« durch juristische »Consequenz und Anwendung der Analogie« verstanden. Die rechtswissenschaftliche Tätigkeit »steigert sich hier bis zu einem solchen Grade, daß sie in das Gebiet der Produktion hinüberschweift, ohne jedoch aufzuhören, in der letzten Instanz eine E r k l ä r u n g [sic!] zu sein (aaO, S. 62f. mit Fn. 2 und 4). Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 19.

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turhistorischen Methode den Ausdruck »Produktivität« durch eine im Vergleich mit seinen früheren Äußerungen bemerkenswerte Bedeutungsverengung zugespitzt. Hatte er nämlich 1852 die sogenannte Vermehrung der geltenden Rechtssätze »aus sich selbst«, indem entweder »e i n Rechtssatz […] zu seinen Consequenzen verfolgt [wird], oder aus mehren detaillirten Bestimmungen ein höheres Prinzip abstrahirt wird«1063, noch wie Puchta dem Bereich der rechtsquellentheoretischen Produktivität der Rechtswissenschaft zugerechnet, so bezeichnete er nun in seiner Programmschrift »Unsere Aufgabe« von 1856 erstmals nicht nur die Interpretation, also »bloß die Darlegung des u n m i t t e l b a re n Inhalts des Gesetzes, sondern auch die Erschließung des m i t t e l b a re n [sc. Inhalts], also die Ableitung des P r i n z i p s aus den im Gesetz gegebenen einzelnen Entscheidungen und umgekehrt [die Entwicklung] der C o n s e q u e n z e n aus dem dort aufgestellten Prinzip, kurz das [logische Auf- und Absteigen] Abund Aufsteigen innerhalb des Gesetzes«, als noch nicht zur rechtsquellentheoretischen Produktivität der Rechtswissenschaft gehörig1064. Denn wenn »die Jurisprudenz bloß erschließt, was der Gesetzgeber mittelbar gesetzt und gegeben hat«, so sollte man nach der nunmehrigen Auffassung Jherings nur noch »uneigentlich von einem n e u e n Stoff reden können; es ist nicht sowohl eine Production, als eine Enthüllung.«1065 Die rechtswissenschaftliche Tätigkeit also, mit der Puchta die spezifisch rechtsquellentheoretische Produktivität der Rechtswissenschaft begründet hatte, galt Jhering jetzt nur noch als eine rezeptivwissenschaftliche Bearbeitung des Rechts1066. Damit hat Jhering die von Puchta noch als Grundlage der Produktivität bezeichnete Ableitung von Rechtssätzen aus allgemeineren Rechtsprinzipien als Teil der Aufgabe der Jurisprudenz zwar nicht verwerfen oder in irgendeiner Weise ersetzen wollen1067. Verändert hat Jhering aber die inhaltliche Bestimmung 1063 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 23. 1064 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8 [= ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 7 mit hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderungen beim Wiederabdruck im Jahre 1881]. 1065 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. 1066 Vgl. auch P.O.Ekelöf, Methode Jherings (1970), S. 27; H.-P.Haferkamp, Puchta (2004), S. 53 sowie ferner R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 225 mit Bezug auf zeitgenössische Äußerungen von H.Dernburg, Jhering-Rezension (1857), S. 365, wonach schon Jherings Qualifizierung der Interpretation von Rechtssätzen als nur rezeptive und »absolut niedrigste Stufe aller wissenschaftlichen Thätigkeit« unter zeitgenössischen Rechtslehrern viel »Anstoß gegeben« habe. In der Sache war allerdings allein dies noch nichts substantiell Neues gegenüber der Position Puchtas gewesen. Jherings bereits von Dernburg, aaO, S. 364f. gerügte nicht gerade maßvolle Rhetorik (»absolut niedrigste Stufe […]«) hatte allerdings offenbar ihre Wirkung nicht verfehlt gegenüber allen, die in der juristischen Hermeneutik einen, wenn nicht sogar den wichtigsten Teil rechtswissenschaftlicher Tätigkeit sahen. 1067 So aber P.O.Ekelöf, Methode Jherings (1970), S. 27.

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und Begründung der rechtsquellentheoretischen Produktivität der Rechtswissenschaft. Insoweit ähnlich wie Jhering hatte Anfang der vierziger Jahre zwar auch schon der Germanist Carl Georg Wächter formuliert: »Die Wissenschaft entwickelt den Inhalt der bestehenden [sic!] Rechtsquellen, legt ihn nach allen seinen Seiten aus, geht auf die Principien des bestehenden Rechts zurück, baut auf ihnen consequent fort, erweitert die Rechtssätze durch analoge Ausdehnung […]. Dieß ist aber eigentlich kein Schaffen eines n e u e n Rechts, sondern mehr nur ein Aufdecken dessen, was zum Theile unentwickelter Inhalt des bestehenden und gewordenen Rechts ist.«1068 Im Unterschied zu Wächter sah Jhering die Frage nach der Rechtsquellenfunktion der Rechtswissenschaft damit aber noch nicht als erledigt an. Nur musste nach Jhering derjenige Bereich, in dem die Rechtswissenschaft auch wirklich selbst »baut« und nicht »nur fort[baut]«1069 jenseits dessen gesucht werden, womit man bisher die rechtsquellentheoretische Produktivität der Rechtswissenschaft zu begründen versucht hatte. Die – so Jhering selbst – »Andeutung«1070 seiner Theorie der juristischen Technik in Geist I (11852) war keinesfalls vollkommen deckungsgleich mit der vier Jahre später erfolgenden Ausführung derselben in »Unsere Aufgabe (1856)« bzw. in Geist II/2 (11858), wie Maximilian Herberger bereits zu Recht festgestellt hat1071. Es war allerdings entgegen Herberger nicht die – ohnehin nicht erst von Jhering stammende – grundsätzliche Unterscheidung zwischen rezeptiver und produktiver Rechtsdogmatik, an der Jhering erst in »Unsere Aufgabe« 1856 »mögliche Zweifel« beseitigt hätte1072, sondern es war vielmehr die Art der Unterscheidung, nämlich die genaue Grenzziehung zwischen beiden Bereichen. Während die Rechtswissenschaft im »rezeptiven« Bereich durch ein »nur […] consequentes [consecutives] logisches Denken«1073, etwa durch die Ableitung konkreterer Rechtsregeln aus allgemeineren, immer nur Dienerin des von den »positiven rechtssetzenden Gewalten«1074 gegebenen Stoffs bleibe, werde die Rechtswissenschaft bei der allein von ihr zu leistenden wissenschaftlichen Konstruktion der gesetzlichen und gewohnheitsrechtlichen Rechtsregeln wie auch der privatautonom vereinbarten Rechtsgeschäfte gedanklich selbst »produktiv«, indem sie »täglich neue Formen«, nämlich rechtsdogmatische Lehr1068 C.G.Wächter, Handbuch II (1842), § 10, S. 47. Allenfalls »mittelbar« sollte man nach Wächter »die Wissenschaft […] eine Quelle des Rechts nennen, und, wenn man so will«, wie Puchta und andere als »Ju r i s t e n r e c h t bezeichnen« können (aaO). 1069 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398. 1070 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8f. Fn. 2 (= Ges. Aufs. I, S. 7f. Fn. 2). 1071 M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 408f. 1072 So M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 408. 1073 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398 [= ders., Geist II/2 (31875), § 41, S. 371 mit einer hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderung in der dritten Auflage von 1875]. 1074 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352.

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sätze, treffendere Begriffsdefinitionen und die »rein doctrinellen Formulierungen«1075 alter oder auch neuer Institutsbegriffe finde oder »scheinbare Widersprüche des Einzelnen gegen den Grundbegriff« durch Aufweisung eines Zusammenhanges auflöse1076. Die solchermaßen auf einen Teilbereich der Rechtswissenschaft verengte Frage nach deren rechtsquellentheoretischer Produktivität rückte nun Mitte der fünfziger Jahre zeitweilig ganz in den Vordergrund von Jherings rechtsmethodologischen Überlegungen und prägte auch in der Nachwelt das Bild von Jherings Rechtsdenken in seiner später sogenannten begriffsjuristischen Schaffensperiode. Denn – so Jhering damals – auch »gibt es […] eine juristische Production im strengsten Sinn, die Hervorbringung absolut neuen Stoffes«1077, also genau das, was Jhering in den vierziger Jahren bei der »Aufstellung« von historischen »Hypothesen und Combinationen«1078 noch der von allen rechtsdogmatischen oder exegetischen »Nebenabsichten«1079 unabhängig »producirende[n] Thätigkeit auf dem Gebiete der Rechtsgeschichte« vorbehalten gesehen hatte1080. Im Hinblick auf den Gesichtspunkt der wissenschaftlicher »Produk1075 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 19. 1076 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 397. Entgegen M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 409f. liegt daher auch noch kein Bruch in Jherings Argumentation, wenn dieser einerseits immer an der Priorität des Stoffes gegenüber der Rechtswissenschaft festhielt und andererseits an der vorstehend zitierten Stelle in Geist II/2 (11858) davon sprach, dass die Rechtswissenschaft im Rahmen ihrer »produktiven« Bearbeitung des Rechts einen Begriff »erst als solchen ins Leben rufen« könne (aaO), also – wie Jhering in einem Zusatz zur zweiten Auflage von 1869 bekräftigte – insofern »etwas Neues [sc. schafft], was bisher nicht da war« [Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 354]. Denn das im Text bezeichnete »Neue«, das die konstruierende Dogmatik durch eine »künstlerische Production«, man könnte auch sagen, durch kreatives Nachdenken »schafft« [Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 354], war dem Gesetzgeber nach Jhering ohnehin vorenthalten oder aber, wenn der Gesetzgeber sich an diese Grenze seiner rechtsquellentheoretischen Zuständigkeit nicht hielt, zumindest ohne jede rechtliche Verbindlichkeit. 1077 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. 1078 Jhering, Geist II/2 (11858), S. XIII. 1079 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 421. 1080 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 423. An seiner Konzeption einer »produktiven Rechtsgeschichte« hat Jhering aber auch in den fünfziger Jahren weiter festgehalten. So wies Jhering in seinem programmatischen Aufsatz »Unsere Aufgabe«, der als Einleitungsaufsatz zu den mit Gerber herausgegebenen »Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Rechts« »lediglich die Dogmatik zum Gegenstande« hatte, mit Blick auf den wissenschaftstheoretischen Gegensatz von »r e c e p t i v e [ r ] und p r o d u c t i v e [ r ] Jurisprudenz« ausdrücklich auf die Parallele zur Rechtsgeschichte hin: »Auch bei ihr [sc. der Rechtsgeschichte] kann man von einem receptiven Verhalten gegenüber dem historischen Stoff reden. Es besteht darin, dass der Rechtshistoriker sich bei der Form, in der die historischen Ereignisse in der Geschichte auftreten, beruhigt. Damit muß natürlich jede rechtshistorische Forschung zunächst beginnen […]« – insoweit also auch in Entsprechung zur Rechtsdogmatik, die ihrerseits mit der – von Jhering als rezeptiv betrachteten – Interpretation der Rechtssätze beginnen müsse [Jhering, Unsere Aufgabe

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tivität« verkehrte Jhering 1856 die Rollen von Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik. Hatte er noch Mitte der 1840er Jahre die wahre »Produktivität« wissenschaftlicher Erkenntnis nur auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte sehen wollen und die rechtsquellentheoretische »Produktivität« der Rechtsdogmatik nur als eine aus wissenschaftlicher Sicht uneigentliche »Produktivität« betrachtet, sieht er es 1856, als die Schüsseltexte zur naturhistorischen Methode in Unsere Aufgabe und Geist II/2 entstanden genau umgekehrt. So schreibt er in Unsere Aufgabe zur rechtsquellentheoretischen Produktivität der Rechtsdogmatik: »Auf sie [Für sie] paßt [trifft] der Name [der Gegensatz] der receptiven und productiven Jurisprudenz in ungleich höherem Maße [zu als für die […] Methode der Rechtsgeschichte], denn nur auf ihrem Gebiet kann von wirklichen juristischen Productionen die Rede sein«1081.

Eigentlich – so Jhering 1856 – erscheine daher für die Rechtsgeschichte auch »der gewählte Name [sc. produktiv] […] weniger passend […]« als für die Rechtsdogmatik1082. Damit war unversehens das vermeintliche einstige wissenschaftstheoretische Manko der Rechtsdogmatik, nämlich im Gegensatz zur »producirende[n] Thätigkeit auf dem Gebiete der Rechtsgeschichte« nie »Herrin«, sondern immer nur »Dienerin« des positiven »Stoff[s]« zu sein1083, in sein Gegenteil verkehrt worden. Wahrscheinlich ist hierin auch der tiefere und selbst manchem wohlwollenden Zeitgenossen etwas schleierhaft gebliebene Grund1084 dafür zu suchen, dass der junge Jhering in den fünfziger Jahren so beispiellos betont und zugespitzt die rechtswissenschaftliche »Production im strengsten

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(1856), S. 4 (= Ges. Aufs. I, S. 3)]. Der noch lediglich rezeptiven rechtshistorischen Untersuchung setzte Jhering – wie bereits in Abschnitt I. 2. c) dargelegt – die wissenschaftliche »Production des Subjects«, also des Rechtshistorikers gegenüber, die in »rechtshistorischen Entdeckungen« nach der Formulierung der »hinter dem rechtsgeschichtlich Concreten« liegenden historischen »Tendenzen und treibenden Gedanken« bestehe [aaO, S. 4f. (= Ges. Aufs. I, S. 4f.)]. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 7 [= ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 6 mit hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderungen beim Wiederabdruck im Jahre 1881]. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 4 (= Ges. Aufs. I, S. 3). Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 103, 423. So erkannte H.Dernburg, Jhering-Rezension (1857), S. 366 die von Jhering zur Begründung der spezifisch rechtswissenschaftlichen Produktivität geltend gemachte »mehr oder weniger geistige Freiheit und künstlerische Behandlung des Stoffs« durchaus an. Unverständlich blieb Dernburg in seiner Rezension von Jherings Programmaufsatz »Unsere Aufgabe« aber, warum darin die trennscharfe »Eintheilung in receptive und produktive Jurisprudenz« begründet sein sollte, wo es sich hier doch eigentlich nur um »Gradationen, keine Gegensätze« handele und in der Praxis ohnehin »gar nicht zu sagen [ist], wo das mehr receptive oder produktive Verfahren beginnt«, bei der Interpretation, bei der Begriffsbildung, bei der Subsumtion etc. Vgl. dazu auch schon R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 225 Fn. 112 mit Verweis auf eine ähnliche Bemerkung von Ernst Immanuel Bekker.

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Sinn«1085 zu begründen und ebenso scharf von der sogenannten nur rezeptiven wissenschaftlichen Tätigkeit zu unterscheiden begann. Die nun auch für die wissenschaftliche Dogmatik des geltenden Rechts behauptete Produktivität »im strengsten Sinn« sollte nach Jhering gebunden sein an die wissenschaftlich begriffliche Erscheinungsform des Rechts, d. h. an die rechtswissenschaftliche »Umwandlung« bzw. Übersetzung aller Rechtsregeln des der Wissenschaft »gegebenen Rohstoff[s]« in von der Rechtswissenschaft im Wege »j u r i s t i s c h e [ r ] C on s t r u c t i o n « zu formulierende und zu definierende Institutsbegriffe des Rechts1086. »Alle Operationen der Jurisprudenz […], die dem Rechtsstoff […] seine ursprüngliche und unmittelbar practische Form lassen, die es also über Rechtssätze und Rechtsprinzipien nicht hinausbringen, mögen sie dieselben selbst gefunden oder nur die vom Gesetzgeber gegebenen verarbeitet haben, rechne ich zur n i e d e r n Jurisprudenz.«1087

Selbst bei der »a n a l o g e [ n ] Au s d e h nu n g des Gesetzes in dem Sinn, wie man sie gewöhnlich definirt«, nämlich über die »Gleichheit des Grundes« und damit also mit Bezug auf die ratio legis1088 der fortzubildenden Rechtsregel in ihrer »unmittelbar practische[n] und imperativische[n] Form« von »Rechtssätzen, Rechtsregeln, Rechtsprinzipien« wollte Jhering es zunächst offen lassen, ob sie »auf dieses Prädicat [sc. der rechtsquellentheoretischen Produktivität] Anspruch habe«1089. Erst wenn das Recht aus »seine[r] unmittelbar practische[n] und imperativische[n] Form«, also der »reguläre[n] Erscheinungsform, in der das Recht in die Wirklichkeit tritt«, in die begriffliche übersetzt und damit im Falle der Analogie »eine Feststellung des Gattungs- und Art-Begriffs« unabhängig vom »Willen des Gesetzes« möglich sei, wollte Jhering auch die Analogie der rechtsquellentheoretisch »rein p r o du c t ive [ n ] « und nicht nur »specificirenden Thätigkeit« der Rechtswissenschaft zurechnen1090. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 9f. (= Ges. Aufs. I, S. 8). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 9 (= Ges. Aufs. I, S. 8). Vgl. J.Schröder, Recht (22012), S. 236–238 zu dem im 19. Jahrhundert üblich gewordenen Verständnis der ratio legis als Ergründung des Gesetzgeberwillens im Sinne der Ermittlung des Gesetzessinns. Mit der »analogen Ausdehnung des Gesetzes in dem Sinn, wie man sie gewöhnlich definirt«, nahm Jhering Bezug auf das traditionelle Verständnis der – wie es damals L.Rückert, Privatrecht (1857), S. 51f., 81 formulierte – »Rechts- und Gesetzesanalogie, welche als Mittel der ausdehnenden Interpretation aufgeführt werden«. Diese Qualifizierung der juristischen Analogie als eine Form der Auslegung war zwar Anfang des 19. Jahrhunderts im Zuge der Erneuerung der juristischen Hermeneutik nicht zuletzt durch Savigny in Frage gestellt worden war, erlebte aber in der Mitte des 19. Jahrhunderts – selbst bei Savigny – wieder eine gewisse Renaissance [vgl. dazu J.Schröder, Recht (22012), S. 223–225]. 1089 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8, 10, 15 (= Ges. Aufs. I, S. 7f., 13). 1090 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8ff., 14, 16 (= Ges. Aufs. I, S. 7f., 12f.).

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Dennoch blieb selbst die juristische Analogie, die für Puchta und andere noch selbstverständlicher Kernbereich rechtsquellentheoretischer Produktivität gewesen war, für Jhering seit Mitte der 1850er Jahre ein rechtsquellentheoretischer Grenzfall zwischen Rezeption und Produktion. Der Bereich »der eigentlich schöpferischen Thätigkeit der höheren Jurisprudenz« sollte nämlich erst jenseits der Feststellung von Gattungs- und Artbegriffen im Rahmen der juristischen Analogie beginnen1091. Anders als zuweilen behauptet hat Jhering die Begriffe dabei aber nie in dem Sinne als mit einer »›außerordentlichen dialektischen Triebkraft‹ ausgerüstet« betrachtet, dass man »aus dem Begriff mehr herausholen [kann], als man hineingelegt hat.«1092 Wohl hatte Jhering schon 1852 bekanntermaßen davon gesprochen, dass den von der Wissenschaft formulierten und definierten »Rechtsbegriffen, Eintheilungen u.s.w.[,] kurz der dogmatischen Logik[,] eine intensivere praktische Bedeutung innewohnen kann, als den Rechtssätzen.«1093 Im Hinblick auf den einzelnen Institutsbegriff hob Jhering jedoch zunächst einmal umgekehrt die Reduktionsleistung rechtswissenschaftlicher Systematik hervor. So könne in einem einzigen von der Rechtswissenschaft »richtig gefaßten B e g r i f f […] vielleicht der praktische Inhalt von zehn früheren Rechtssätzen aufgenommen« sein, so dass man »eine übersichtliche Zahl einfacher Körper gewinnt, aus denen sie [sc. die Wissenschaft] auf Verlangen die einzelnen Rechtssätze wieder zusammensetzen kann.«1094

Wenn gleichwohl Jhering auch insoweit ausdrücklich von einer »juristischen Production« sprach, so tat er dies mit Blick auf den mit der begrifflichen Reduktion des geltenden Rechts verbundenen Erkenntniszuwachs durch die Analyse der Systematik des geltenden Rechts. Wenn und soweit sich das geltende Recht in Institutsbegriffe übersetzen ließ1095, konnte nach Jhering nämlich dasjenige »als ein logischer Organismus von Rechtsinstituten und Rechtsbegriffen« erkannt werden, was vorher zumindest »dem ungeübten [sc. Auge] als ein Complex von Rechtssätzen«, d. h. als ein scheinbar systematisch unzusammenhängendes »Aggregat von Rechtssätzen« erschienen war1096. Das heißt also, 1091 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16f. (= Ges. Aufs. I, S. 14). 1092 So aber etwa P.O.Ekelöf, Methode Jherings (1970), S. 27. Tatsächlich hatte Jhering, Geist II/ 2 (11858), § 41, S. 411 aber nicht den einzelnen Begriff, sondern das innere System des Rechts als mit einer »außerordentliche[n] dialektische[n] Triebkraft« versehen bezeichnet. 1093 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 27. 1094 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 27, 29. 1095 So war die von Jhering sogenannte »Präcipitirung der Rechtssätze« zu Rechtsbegriffen [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 31] beispielsweise im römischen Recht sehr viel weitgehender möglich als im deutschen Recht [Jhering, Geist II/2 (21869), § 39, S. 321]. Denn die »Jurisprudenz kann das Allgemeine nur a b s t r a h i r e n , d. h. es herausholen, wo es ist, aber sie kann es nicht s c h a f f e n « (aaO). 1096 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 31f.

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dass sich die wissenschaftliche Bearbeitung hier sogar noch ausdrücklich auf den gegebenen Stoff »beschränkt […], [sie] operirt aber mit ihm in einer Weise, der sich das Prädikat einer neugestaltenden und mithin produktiven Thätigkeit nicht absprechen läßt«1097, zumal dann, wenn durch weitergehende Reduktion der Begriffe des geltenden Rechts auf systematische Grundbegriffe der Wissenschaft die »Entdeckung des Rechts-A lp h a b e t s « der jeweiligen Rechtsordnung gelänge1098. Eine Parallele findet sich hier wie auch in einigen anderen Bezügen1099 zu der bereits im Jahre 1839 erschienenen »Theorie des Gemeinen Civilrechts« des »gemäßigten Hegelianers« Johann Friedrich Kierulff1100. Diese Parallele ist wohl 1097 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8 (= Ges. Aufs. I, S. 7). In diesem Sinne als neugestaltend »produktiv« charakterisierte Jhering, aaO, S. 27 (= Ges. Aufs. I, S. 23f.) etwa »die von D e l b r ü c k aufgeworfene Frage von der Uebernahme der Schulden« durch eine Neufassung des überkommenen Obligationenbegriffs [vgl. dazu E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 757f.]. Die »A n e r k e n n u n g als Verpflichtungsgrund von O t t o B ä h r « bewertete Jhering, aaO sogar als eine Schrift, »deren Verdienst sich nicht, wie das der D e l b r ü c k ’schen, darauf beschränkt, eine praktisch höchst wichtige Frage a n g e r e g t zu haben, sondern die in meinen Augen eine der werthvollsten Productionen der neuern Zeit ist, da sie die Verschmelzung der Wissenschaft mit dem Leben, die ja das Ziel unserer ganzen Jurisprudenz bilden muß, […] erreicht hat.« Damit spielte Jhering vor allem darauf an, dass es Bähr in seiner Schrift gelungen war, gewohnheitsrechtlich entstandene und wirtschaftlich inzwischen unerläßlich gewordene Verkehrsmittel wie den Wechsel und das Kontokorrent auch rechtsdogmatisch in einer Weise zu konstruieren, die sowohl »mit den überlieferten dogmatischen Vorstellungen in Einklang zu bringen« war als auch mit den zeitgenössischen Verkehrsbedürfnissen [vgl. F.Kübler, Bankgeschäfte (1980), S. 86ff. (90)]. 1098 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 30f.; DERS., Geist II/2 (11858), § 39, S. 360ff. 1099 Vor allem hatte J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. XXf., XXVIII wie nach ihm Jhering (vgl. oben Abschnitt I. 2.) eine klarere Trennung von Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik als in der Historischen Rechtsschule gefordert und deswegen anders als Puchta gemeint, dass das rechtshistorische Verständnis eines Wissenschaftlers über dessen spezifisch »j u r i s t i s c h e Anlage« zur rechtsdogmatischen Bearbeitung des Rechts noch gar nichts aussage. Des Weiteren hatte Kierulff wie später Jhering die Zukunft des römischen Rechts nicht in der Geltung des »Corpus juris […] als Gesetzbuch« gesehen und ebenfalls in Vorwegnahme von Jherings Auffassung ein jeweils »eigenthümliches Gebiet« zwischen der »sich weise beschränkenden Legislation und einer lebendigen kräftigen Theorie« der Rechtswissenschaft unterscheiden wollen (aaO, S. XX). Der in Jherings Werk über den »Geist des römischen Rechts« an prominenter Stelle verwendete Ausdruck »Grundtrieb« ist in der dort verwendeten Bedeutung ebenfalls bereits bei Kierulff vorgeprägt. Gleichzeitig gibt es allerdings auch wichtige Unterschiede zwischen Kierulff und Jhering. Zu den wichtigsten gehört Kierulffs Rückführung »alles Rechts« auf die »Gesetzgebung« (aaO, S. 60) sowie dessen von Jhering nicht geteilte Kritik an der Auffassung der Historischen Rechtsschule, dass »insbesondere […] die Erkenntniß des Wesens und der Methode der römischen Jurisprudenz« die zeitgenössische Jurisprudenz »erst befähige, selbständig schaffend im Gebiet des Rechts aufzutreten«, so als ob – wie Kierulff kritisiert – man »erst aus fremdem Reichthum die Mittel zu einer productiven Thätigkeit im Gebiet des Rechts sich aneigne[n]« könne (aaO, S. XVIIIf.). 1100 W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 122f.

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nicht ganz zufällig, da Jhering auf Kierulffs dortige Charakterisierung der wahren Jurisprudenz als »juristische Kunst, freies Hervorbringen, Production«1101 sogar ausdrücklich Bezug nahm1102. So sollte nach Kierulff zwar die »juristische Operation […] Entwicklung des Rechts aus vorhandenem Stoff« sein. Aber ungeachtet dessen »ist [sie] freie subjective That«1103. Denn die »Theorie gewinnt ihre Resultate durch freie Begriffsentwicklung und vindicirt sich hierfür dieselbe Freiheit des Geistes, welche die Römische Jurisprudenz bewährt hat«. Bei dieser »Production« hatte auch Kierulff die »geistige Vereinfachung des Rechts« hervorgehoben: »Sie [sc. die juristische Theorie] unterwirft die Masse dem Begriff, welche eben dadurch, daß jedes Einzelne die Richtung auf sein bestimmtes Centrum erhält, aufhört, bloße Masse zu seyn.«1104 Darüber hinaus hat Jhering auch ausdrücklich von einer »Ve r m e h r u n g des Rechts aus sich selbst« gesprochen1105, also von einer »juristische[n] P ro du c t i o n «, die über den durch den Gesetzgeber oder das Gewohnheitsrecht gegebenen »Stoff hinaus[geht], indem sie einen absolut neuen Stoff hervorbringt«1106. Auch hier bezeichnete Jhering aber nicht die Institutsbegriffe an sich als produktiv, sondern die von der Wissenschaft vorzunehmende »Combination der verschiedenen Elemente«1107, auf die sich Institutsbegriffe zurückführen ließen. Denn die Institutsbegriffe waren nach Jhering durch die »Thätigkeit der 1101 J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. XXIX, § 4, S. 22. 1102 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 470 Fn. 610a. Vgl. dazu auch schon W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 119f.; A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 180 Fn. 197. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 25f. (= Ges. Aufs. I, S. 22) bezeichnete das genannte Werk von Kierulff immerhin als ebenbürtig (»gefährlicher Rival«) mit Savignys »System des heutigen römischen Rechts«. Dabei hob Jhering auch jetzt wieder Kierulffs »philosophische Durchdringung und geistvolle Gestaltung des Stoffs« hervor (aaO), die er schon Mitte der vierziger Jahre als »Wendepunkt zur Philosophie« gegenüber der »Einseitigkeit der historischen Schule« gelobt hatte [Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 407]. 1103 J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. 22. Ebenso formulierte Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398 Fn. 514 mit Blick auf den geistig-schöpferischen Anteil an der juristischen Konstruktion: »Eine g e l u n g e n e Construction ist in meinen Augen eine juristische T h a t .« 1104 J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. XXV. Kierulff, aaO, S. 22 hatte auch schon von dem »Gesetzesstoff« gesprochen, den die Jurisprudenz »transsubstanziirt«, d. h. ihn geistig »erst lebendig und wirklich macht«. Er hatte ferner gemeint, daß auf diese Weise der »gesammte innere latente Gehalt einer Rechtsnorm […] erst zur Erkenntniß gebracht wird.« Damit hatte sich Kierulff allerdings auf die juristische Interpretation bezogen, also auf die Tätigkeit des Juristen, die von Jhering nur als niedere Vorstufe zur eigentlich produktiv wissenschaftlichen Arbeit bewertet wurde. Wenn Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 23 vom historisch noch »latenten Rechtssatz« sprach, meinte er im Unterschied zu Kierulff auch nicht das Ergebnis einer juristischen Interpretation, sondern die Ermittlung einer Rechtsnorm, die mehreren speziellen Rechtssätzen gemeinsam zugrunde lag, aber bisher noch nicht als allgemeiner Rechtssatz formuliert worden war. 1105 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 29. 1106 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8 (= Ges. Aufs. I, S. 7). 1107 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 29.

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Wissenschaft« weiterer begrifflicher Zergliederung zugänglich; so ließ sich etwa – dieses Beispiel nennt Jhering selbst – der Begriff der Pfandrechts in »das dingliche […] und das obligatorische Element« auflösen1108. Erst durch die »Combination der verschiedenen Elemente kann die Wissenschaft n e u e Begriffe« der Wissenschaft sowie – darin liegt die »intensivere praktische Bedeutung« der »dogmatischen Logik«1109 – im Bereich privatautonomer Regelungen auch neue »Rechtssätze bilden« und so »der Combinationskunst des Lebens«1110 bei der Ausbildung von Privatrechtsinstituten in der Theorie sozusagen vorauseilen. Denn – so glaubte Jhering noch bis zu seiner wissenschaftskritischen Wende in den sechziger Jahren – was jeweils auf der Grundlage der aus dem geltenden Recht abgeleiteten Begriffe theoretisch zu begründen sei, müsse – sobald es nur theoretisch durch die Rechtswissenschaft erkannt werde – auch praktisch gelten1111. In diesem zweifachen wissenschaftlich theoretischen und praktisch normativen Sinne nannte Jhering »die Begriffe […] productiv, sie paaren sich und zeugen neue.«1112 Letztlich lag nach Jhering der Grund für diese Produktivität allerdings nicht in den Begriffen selbst, sondern vielmehr in der ihrer Bildung zugrunde liegenden geistigen und »eigentlich schöpferischen Thätigkeit der höheren Jurisprudenz«, wie Jhering hervorhob1113. Denn alle rechtlichen Begriffe als wissenschaftliche »Objekte, deren Natur und Wesen wir zu bestimmen haben, sollen wir selbst erst [formen und] schaffen.«1114 Die juristische Konsequenz, also ein »nur […] consequentes logisches«1115 bzw. – so Jhering 1875 – »consecutives logisches Denken«1116 konnte aus Jherings Sicht nur einen Rahmen bzw. die 1108 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 29 Fn. 14. Ausdrücklich nahm Jhering hier auf die Möglichkeit Bezug, dass »ein neuerer Gesetzgeber […] das ganze Pfandrecht neu regulirt«. Für die von Jhering formal verstandene »Combination« war in wissenschaftlicher Hinsicht also nur entscheidend, dass etwa der »Begriff eines Rechts an der Sache« und der »Begriff der Forderung«, die hier die Elemente des Pfandrechts bildeten, immer in derselben Weise verstanden und definiert werden wie in anderen privatrechtlichen Kombinationen derselben Rechtsordnung auch. 1109 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 27 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 1110 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 30. 1111 A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 136 spricht von der Herstellung eines Zusammenhangs zwischen der »kognitiven Denktätigkeit« und der »Norminhaltsstiftung«. In der Tat bestand für Jhering zwischen beidem ein – vor seiner wissenschaftskritischen Wende 1858/59 sogar unbedingter – Zusammenhang. Vgl. zu den tiefer liegenden Gründen in Jherings Rechtsdenken eingehend Teil 2, Abschnitt I. 2. 1112 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 29. 1113 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16f. (= Ges. Aufs. I, S. 14). Vgl. dazu eingehend Teil 2, Abschnitt II. 2. b) bb) und cc). 1114 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 10 [= ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 9 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz beim Wiederabdruck im Jahre 1881]. 1115 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398. 1116 Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 371.

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Grundlage für die auch durch die Konstruktionsgesetze nur annähernd in Regeln fassbare rechtsdogmatisch »künstlerische Production« bilden1117. Letztere »schafft etwas Neues«1118, weil sie ein geistig-schöpferisches »Erfinden« sei, bei dem sogar schon das Finden eines Wortes, das auf der Grundlage der komplexen systematischen Zusammenhänge tradierter Rechtsdogmatik den maßgeblichen Aspekt einer gedanklich neuen Differenzierung treffend bezeichne, wie in einer »Lotterie« das »Geschenk einer glücklichen Stunde« sein könne1119. Als Beleg und Vorbild für die nur durch die Konstruktionsgesetze der juristischen Methode1120 begrenzte »eigentliche w i s s e n s c h a f t l i c h e F re i h e i t d e r Ju r i s p r u d e n z « und deren »Hervorbringung eines absolut neuen Stoffes« durch die Formulierung rechtsdogmatischer Theorie und Institutsbegriffe verwies Jhering auf entsprechende »Lehren«, die »die römische Jurisprudenz geschaffen« habe und von denen »jedes Blatt unserer justinianischen Pandekten […] Zeugniß« ablege1121. Weil abgesehen von dem jeder rechtsdogmatischen Theorie zugrunde liegenden »Material«1122 der positiv geltenden Rechtssätze die »positiven rechtssetzenden Gewalten«1123 der Jurisprudenz hier »nicht den geringsten Anhaltspunkt, den leisesten Anstoß gegeben« hätten und nach Jhering auch gar nicht hatten geben dürfen1124, qualifizierte Jhering die rechtsdogmatischen Theorien als spezifisch rechtswissenschaftliche und »wahrhafte [ausschließlich1125] juristische Productionen, gewonnen rein auf dem Wege der juristischen Speculation«1126. Im Unterschied zur Rechtsfortbildung durch juristische Konsequenz und Analogie waren diese Produktionen rechtsdogmatischer Theoriebildung durch keinen Gesetzgeber und kein Gewohnheitsrecht ersetzbar. »J e d e Jurisprudenz producirt« nach Jhering in diesem Sinne bei der Formulierung von Begriffsdefinitionen und rechtsdogmatischen Theorien, »selbst wenn sie sich dessen nicht bewußt ist und wohl gar sich in der Theorie das Recht dazu abspricht, wie dies ja noch heutzutage von Manchen geschieht.«1127 1117 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398. 1118 So bekräftigte Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 354 in der zweiten Auflage. 1119 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398 mit Fn. 514: »[…] auf Einen Treffer fallen hier, wie die Erfahrung lehrt, hundert Nieten. Die Schwierigkeit und das Verdienstliche derartiger Leistungen wird im allgemeinen viel zu wenig anerkannt.« 1120 Vgl. dazu eingehend Teil 2, Abschnitt II. 2. b). 1121 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412 sowie bekräftigend Ders., Geist II/2 (21869), § 41, S. 369 Fn. 529a. 1122 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 10 (= Ges. Aufs. I, S. 9). 1123 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352. 1124 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. 1125 Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 387. 1126 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. 1127 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. Heute bezeichnet beispielsweise F.Bydlinski, Methodenlehre (21991), S. 11 die in »juristischen Lehrbücher[n], Kommentare[n], Mo-

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Mit Blick auf diese Produktion jeder wissenschaftlichen Rechtsdogmatik bezeichnete es Jhering als »ein ganz richtiges Gefühl, das einen Juristen des vorigen Jahrhunderts, den Germanisten Runde, bestimmte, die N a t u r d e r S a c h e als Rechtsquelle aufzustellen; es giebt kaum einen Ausdruck, der der von mir im Bisherigen entwickelten naturhistorischen Anschauung sowohl der Sache wie dem Namen nach so nahe käme.«1128

Die »Natur der Sache als Rechtsquelle« und die ausdrückliche Berufung auf Justus Friedrich Runde, den bekannten Theoretiker eines gemeinen deutschen Privatrechts und Begründer der später sogenannten »spekulativen Schule«1129, das war allerdings für einen Pandektisten der Historischen Rechtsschule alles andere als selbstverständlich und hat auch schon manchen Jhering-Interpreten in Verlegenheit versetzt1130. Kam es doch Mitte des 19. Jahrhunderts in den zumindest in der Privatrechtsdogmatik tonangebenden Kreisen der Historischen Rechtsschule eher schon einer – wie es Joachim Rückert formuliert – »nicht ganz unbedenkliche[n] Anschwärzung«1131 gleich, wenn beispielsweise

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nographien, Abhandlungen und Entscheidungssammlungen« erfolgende Ableitung von Rechtsregeln und die »für sie gegebenen Begründungen« im geltenden Recht als »insofern ›schöpferisch‹, worauf viele Wert legen, als sie bisher eben noch nicht formuliert und bekannt waren.« Zutreffend bezeichnet Bydlinski die im 19. Jahrhundert geführte »Diskussion um wirkliche oder nur scheinbare ›Produktivität‹ der Rechtswissenschaft« in rechtsquellentheoretischer Hinsicht als ein »bloßes Formulierungsproblem« (aaO, S. 11 Fn. 21). Dies wird nicht nur durch Jherings in diesem Abschnitt dargestellten Modifikationen bei der Begründung der »Produktivität« der Rechtswissenschaft bestätigt. Auch die zeitgenössischen Protagonisten selbst haben diesem Gedanken bereits Ausdruck gegeben, wie beispielsweise Puchtas Replik auf entsprechende Einwände Beselers belegt [vgl. C.E.Mecke, Begriff (2009), S. 291 m.w.n.]. Allerdings verband sich für Pandektisten wie Puchta oder Jhering mit der Charakterisierung »produktiv« in wissenschaftstheoretischer Hinsicht noch viel mehr als nur die sprachliche Festlegung. Denn in ihren Augen konnte nur die Qualifizierung der rechtswissenschaftlichen Arbeit als zumindest in Teilbereichen wissenschaftlich »produktiv« die Jurisprudenz im Kreis der zeitgenössischen Wissenschaften, die zu Puchtas Zeiten unter dem Wissenschaftsparadigma der Philosophie des Deutschen Idealismus standen und zu Jherings Zeiten unter dem Wissenschaftsparadigma der sich methodisch erneuernden Naturwissenschaften, als wissenschaftlich ebenbürtig erweisen Mit dieser Ebenbürtigkeit stand und fiel aber in Zeiten eines noch einheitlichen Wissenschaftsbegriffs die Begründung der Wissenschaftlichkeit des Jurisprudenz überhaupt. Das erklärt die Vehemenz und manche Zuspitzung bei der Formlierung von Begründungsstrategien, die im Grunde der Verteidigung des eigenen akademischen Faches galten gegenüber Zweiflern innerhalb und außerhalb der Zunft. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 413. R.Dreier, Natur der Sache (1965), S. 37f. Vgl. etwa B.J.Choe, Culpa (1988), S. 171. J.Rückert, Reyscher (1974), S. 380f. Dagegen hier zu oberflächlich H.Marx, Natur der Sache (1967), S. 118. Vom »nicht mit Unrecht verschrieenen Ausdruck« sprach etwa B.Windscheid, Pandekten I (91906), § 23, S. 107 Fn. 1a mit Blick auf die »Natur der Sache«. Und dass im Übrigen auch außerhalb der Historischen Rechtsschule, sogar schon vor deren Gründung allein der Ausdruck »Natur der Sache« um die Jahrhundertwende

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ausgerechnet Carl Friedrich Wilhelm Gerber, Jherings späterer langjähriger Freund und Mitherausgeber der ersten Bände der »Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts«, in den rechtsquellentheoretischen Auffassungen des zeitgenössischen Germanisten August Ludwig Reyscher »genau betrachtet nichts Anderes« sehen konnte, »als die Grundlage der Theorie Ru n d e ’ s : d i e Nat u r d e r S a c h e , oder das hy p o t h e t i s c h e Ve r nu n f t re c ht «1132. Denn, so urteilte Gerber im Jahre 1846 über Runde, der »als Rechtsquelle die Natur der Sache als solche« aufgestellt habe1133, die »Natur der Sache im Sinne von Runde, Gmeiner und anderen Schriftstellern des vorigen Jahrhunderts ist ein Princip, welches die vollkommenste Verseichtigung der Wissenschaft eben so sicher herbeiführen würde, als dieß durch den ehemaligen Einfluß des alten Naturrechts geschehen mußte. Das Raisonnement ist dort ebenso oberflächlich und haltlos, als hier […].«1134

Wenn Jhering später gleichwohl ungerührt auf Rundes »Nat u r d e r S a c h e als Rechtsquelle« verwies, weil dessen Begriff wie kaum ein anderer »der von mir im Bisherigen entwickelten naturhistorischen Anschauung sowohl der Sache wie dem Namen nach so nahe käme«1135, so ist das mithin in besonderem Maße erklärungsbedürftig. Die ersten und zunächst ganz auf die germanistische Privatrechtswissenschaft beschränkten Versuche, eine Lehre von der Natur der Sache zu formulieren und die »Natur der Sache« als rechtstechnischen Begriff1136 in die

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keinen unbedingt guten Klang mehr hatte, belegt die Klage von A. F.J.Thibaut, Versuche II (11801), S. 27f. über den »leidige[n] Hang der Juristen, historische Begriffe philosophisch, oder aus der sogenannten Natur der Sache zu entwickeln. Es ist wirklich eine merkwürdige Erscheinung, welche wohl verdiente, von einem geschickten Psychologen gründlich erörtert zu werden, daß der positive Jurist gewöhnlich Gefahr läuft, in Träumereyen zu verfallen« und »den Begriff der Ehe, eines Contract, des Eigenthums, der logischen und grammatischen Interpretation, und wer weiß was alles? aus der Natur der Sache« zu entwickeln. So »entstanden denn die schönen philosophischen Raisonnements über den w a h r e n und r i c h t i g e n Begriff […]« (aaO, S. 29). An anderer Stelle sah Thibaut, aaO, S. 265 allein in der »leidigen Inconsequenz« den Grund dafür, »welche den neueren Juristen ihre Vorliebe für die Billigkeit und die sogenannte Natur der Sache so äußerst geläufig gemacht hat.« C.F.W.Gerber, Princip (1846), S. 310. C.F.W.Gerber, Princip (1846), S. 60. C.F.W.Gerber, Princip (1846), S. 310f. Vgl. auch C.F.W.Gerber, Einleitung (1855), S. 15f. zu Rundes »gefügigen ›Natur der Sache‹«. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 413. Im Zusammenhang mit dem Ausdruck »Natur der Sache« muss man immer dessen hier allein in Rede stehende rechtstechnische Verwendung im Sinne einer Lehre »mit streckenweise festen Lehrtraditionen und einem umfangreichen Spezialschrifttum« unterscheiden von der auch noch heute in juristischen Schriften häufig anzutreffenden Verwendung des Ausdrucks im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs als »Begründung von Aussagen, die als selbstverständlich und keiner näheren Begründung bedürftig erscheinen« [vgl. R.Dreier, Artikel »Natur der Sache« in: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörter-

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Rechtsquellentheorie einzuführen, lagen zu der Zeit, als sich Jhering erstmals auf diesen Begriff berief, gerade kaum mehr als ein halbes Jahrhundert zurück und sind in der Tat insbesondere mit dem Namen von Justus Friedrich Runde verbunden1137. Runde, dessen Wirkungsgeschichte in der germanistischen Privatrechtswissenschaft noch weit in das 19. Jahrhundert hineinreicht1138, hatte »zuerst die Natur der Sache zur Construction eines gemeinen Rechts gebraucht«1139. Denn er hatte bei seinem Versuch, entsprechend dem gemeinen römischen Privatrecht auch »Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts« zu formulieren, in seinem gleichnamigen und »viel gebrauchte[n] Buch«1140 die Folgerung »aus der Natur der Sache, oder eines den Deutschen eigenen, durch Gesetze, Gewohnheit und Vertrag unter Privatpersonen anerkannten Rechtsinstituts« als dritte Möglichkeit bezeichnet neben einschlägigen »allgemein verbindliche[n] deutsche[n] Reichs- und Bundesgesetze[n]« und »gemeine[n] Gewohnheitsrechte[n]«, um die »Existenz des gemeinen deutschen Privatrechts« nachzuweisen1141. Dabei hatte Runde ausdrücklich auf die »Grundsätze eines hypothetischen Vernunftrechts« Bezug genommen1142, was Gerber später zu der bereits zitierten Kritik veranlasste und es ihn als eine »Täuschung« erschienen ließ, »wenn man glauben wollte«, dass ein »Vertheidiger der Natur der Sache in diesem Sinne [sc. Rundes] auf positivem Rechtsboden stehe.«1143 In der Tat hatte Runde unmittelbar an das späte rationalistische Naturrecht angeknüpft, wenn er auf das sogenannte hypothetische Vernunftrecht verwies, das als Ausdruck der jeweiligen »naturalis ratio, deren Gebote für Jedermann verbindlich sind«, überall dort »in jedem Falle Anwendung [findet], wo es an positiven Bestimmungen fehlt«1144. Dies alles wusste natürlich auch Jhering, der ebenso wenig wie Gerber zu einem auch nur hypothetischen Vernunftrecht hatte zurückkehren wollen, das alle durch Gesetzgebung und Gewohnheitsrecht offen gelassenen Regelungslücken mit Hilfe der Deduktion aus der Natur der Sache schließen sollte bzw.

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buch/Bd.6 (1984), Sp. 478f.]. Auch bei Jhering finden sich nicht anders als bei Puchta [C.E.Mecke, Begriff (2009), S. 777f. Fn. 3874] viele Beispiele einer Verwendung des Ausdrucks im umgangssprachlichen Sinne. Das übersieht etwa B.J.Choe, Culpa (1988), S. 172f. bei der von ihm angeführten Belegstelle. Vgl. dazu und zum folgenden eingehend R.Dreier, Natur der Sache (1965), S. 3, 34ff., 42ff. Vgl. nur K.Kroeschell, Privatrecht (1974), S. 250, 254 und H.Marx, Natur der Sache (1967), S. 77f., 117ff. m. w. N. L.Rückert, Privatrecht (1857), S. 87. C.F.W.Gerber, Einleitung (1855), S. 15f. J.F.Runde, Grundsätze (61821), §§ 79f., S. 71f. sowie auch § 10, S. 8; § 40, S. 43 sowie dazu H.Marx, Natur der Sache (1967), S. 100f. J.F.Runde, Grundsätze (61821), § 80, S. 72. C.F.W.Gerber, Princip (1846), S. 60, 311. J.F.Runde, Grundsätze (61821), § 80, S. 72f. Vgl. dazu R.Dreier, Natur der Sache (1965), S. 38f. sowie W.NEUSÜß, Vernunft (1970), S. 93ff.

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entsprechend der Vorstellung Rundes gar einen neuen Rechtskreis, nämlich »die ganze Existenz eines gemeinen deutschen Privatrechts« in weitgehender »Ermangelung solcher positiven gemeinen deutschen Rechte aus der Natur der Sache« begründen sollte1145. Zwar ist auch Jhering zeit seines Lebens davon überzeugt gewesen, dass »das praktische Leben« einer »Ergänzung des positiven Rechts durch die Jurisprudenz gar nicht entbehren [entrathen] und letztere sich ihr eben darum, auch wenn sie möchte, gar nicht entziehen« könne1146 Aber mit dieser rechtswissenschaftlich produktiven »Ergänzung« durch die naturhistorische Methode war nicht eine »juristische Production« gemeint, die mit der Rechtsetzung durch Gesetzgebung bzw. Gewohnheitsrecht hätte konkurrieren können oder sollen, und zwar weder im Sinne einer bloßen Vervollständigung von mittelbar bereits gegebenen Regeln, die Jhering – wie gesehen – nur als bloße »Enthüllung«1147 und nicht als »höhere«, nämlich im strengen Sinne wissenschaftlich produktive Tätigkeit der Jurisprudenz bewertete, noch etwa im Sinne einer weitgehenden Ersetzung von Gesetzgebung und Gewohnheitsrecht, wie es sich einst Runde zur Begründung der »Existenz eines gemeinen deutschen Privatrechts«1148 vorgestellt hatte. Die Tatsache, dass Jhering trotzdem so überraschend prononciert auf Rundes »Natur der Sache als Rechtsquelle« verwies und ausdrücklich nicht nur terminologische, sondern auch sachliche Parallelen sah1149, musste also andere Gründe haben. Vermutlich sind sie darin zu sehen, dass Runde die methodische Figur der »Natur der Sache« deswegen zur eigenständigen Rechtsquelle neben Gesetzgebung und Gewohnheitsrecht befördert hatte, weil sie ihm besser als die Analogie1150 geeignet zu sein schien, die Tätigkeit der Jurisprudenz bei der Ausbildung einer gemeindeutschen Privatrechtsdogmatik zu charakterisieren, die einerseits an die geltenden Gesetze sowie das Gewohnheitsrecht gebunden und andererseits doch in einem spezifisch wissenschaftlichen Sinn schöpferisch 1145 J.F.Runde, Grundsätze (61821), S. IX; §§ 79, S. 71ff. Vgl. H.Marx, Natur der Sache (1967), S. 53ff., 57f., 74, 76 zu der im Vergleich zum gemeinen römischen Recht vollkommen unterschiedlichen Quellenlage, welche die Germanistik im 18. und auch 19. Jahrhundert angesichts »der wenigen vorhandenen gemeinrechtlichen Normen deutscher Herkunft« (aaO, S. 58) weniger vor die Aufgabe einer Ergänzung und wissenschaftlichen Bearbeitung als überhaupt erst einmal der Ausbildung eines gemeinen deutschen Privatrechts stellte. 1146 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 413 [= ders., Geist II/2 (21869), § 41, S. 371 mit einer hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderung in der zweiten Auflage von 1869]. 1147 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. 1148 J.F.Runde, Grundsätze (61821), S. IX; §§ 79f., S. 71ff. 1149 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 413. 1150 Vgl. L.Rückert, Privatrecht (1857), S. 80ff. zu der »ganze[n] Gruppe von Theorieen« in der gemeindeutschen Privatrechtswissenschaft, deren Vertreter wie Rundes Lehrer Johann Stephan Pütter »ein s.g. analogisches Privatrecht aufstellen« wollten. Ferner dazu R.Dreier, Natur der Sache (1965), S. 38ff. sowie H.Marx, Natur der Sache (1967), S. 59ff. und J.Schröder, Analogie (1997), S. 29ff.; ders., Recht (2001), S. 108f.

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sein sollte. Denn diese schöpferische Tätigkeit der Jurisprudenz lag, so zumindest konnte Jhering Runde verstehen, nicht eigentlich in der analogischen Erweiterung geltender Rechtssätze begründet1151, sondern in der Bestimmung der »Natur« positiv geltender »Rechtsinstitute« und in der Formulierung der davon »abgezogenen Grundsätze, nach welchen Rechte und Verbindlichkeiten in Privatverhältnissen und Privatgeschäften zu bestimmen sind.«1152 Runde hatte nach Jhering bei diesen Worten tatsächlich ein »ganz richtiges Gefühl« geleitet.1153 Dies sah Jhering darin bestätigt, dass Runde auch die in den Pandekten über1151 Nach späterer Darstellung von L.Rückert, Privatrecht (1857), S. 81 rechtfertigte sich im 18. Jahrhundert die Bezeichnung »Analogie« für ein »s.g. analogisches Privatrecht« insofern, als man so, wie man bei der »Rechts- und Gesetzesanalogie« von der »Entscheidung b e s o n d e r e r Fälle, […] auf ähnliche besondere Fälle« schließe, auch bei der Auffassung der Analogie als Rechtsquelle »des deutschen Privatrechts« die »Bestimmungen particulärer Quellen […] für andere particuläre Gebiete wegen einer Aehnlichkeit ihrer Rechtsverfassung benutzt« habe [vgl. dazu auch H.Marx, Natur der Sache (1967), S. 72f.]. Diese von besonderen Rechtssätzen ausgehende Ähnlichkeitsfeststellung hatte Runde aber für nicht ausreichend gehalten, um darauf die Rechtsquellenfunktion der Jurisprudenz für ein gemeines deutsches Privatrecht zu gründen. So gab J.F.Runde, Grundsätze (61821), S. IX, XI zu bedenken: »Jede besonderen Entscheidungsnormen enthalten nämlich lauter positive Vorschriften. Wenn ihrer auch neun und neunzig übereinstimmen, so ist die daraus formirte Regel dennoch in dem hundersten Lande oder Stadt kein Gesetz; und es würde folglich Thorheit seyn, daraus einen allgemeinen Klagegrund, oder eine gemein gültige rechtliche Ausflucht zu formiren.« Im Rahmen der nicht mit Rechtsbegriffen, sondern mit den Rechtssätzen befassten »niederen Jurisprudenz« hat entsprechend auch Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 (= Ges. Aufs. I, S. 12f.) mit Blick auf die sich bei der analogischen Erweiterung von Rechtssätzen ergebende Problematik der Ähnlichkeitsfeststellung die Notwendigkeit der mit Rundes »Natur der Sache« in Verbindung gebrachten »naturhistorischen Betrachtung des Rechts« mit den Worten begründet: »Denn wenn man einmal R e c h t s s ä t z e kennt […], wie läßt es sich begreiflich machen, daß ein Rechtssatz, den der Gesetzgeber nur für irgend ein bestimmtes Verhältniß aufgestellt hat, auf ein anderes sollte ausgedehnt werden dürfen? […] Wegen Gleichheit des Grundes? Allein was i s t Gleichheit des Grundes? Und wohin würde ein Operiren mit diesem Gesichtspunkt führen!« Für Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 14 (= Ges. Aufs. I, S. 12) sollte allerdings auf der Grundlage der »naturhistorischen Betrachtung des Rechts«, also nach Übersetzung der Rechtssätze in die die vorhandene systematische Ordnung sichtbar machenden Institutsbegriffe, eine wissenschaftlich unbezweifelbare Erklärung und Rechtfertigung der Analogie möglich sein. Zu diesem anderen Ergebnis als Runde konnte Jhering deswegen gelangen, weil er auf der Grundlage des rezipierten römischen Rechts wie die Historische Rechtsschule das voraussetzte, was Runde und nach J.Schröder, Analogie (1997), S. 31ff. auch den übrigen Juristen des 18. Jahrhunderts als Prämisse noch gefehlt hatte, nämlich die Gewissheit, dass die bekannten geltenden Rechtssätze eben nicht – wie noch Runde gemeint hatte – nur »lauter positive Vorschriften« sind, sondern Teile einer von der Rechtswissenschaft nur aufzudeckenden systematisch einheitlichen Gesamtrechtsordnung. 1152 J.F.Runde, Grundsätze (61821), § 6, S. 5. Nach R.Dreier, Natur der Sache (1965), S. 41, 85 hatte Runde mit dieser Eingrenzung des Begriffs auf geltende Rechtsinstitute den ersten Schritt zur Umwandlung des Begriffs der Natur der Sache in einem Fachbegriff der Rechtssprache vollzogen. 1153 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 413.

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lieferten Lehren der römischen Juristen als Ausdruck von Deduktionen aus der Natur der Sache bezeichnet hatte, da »der größere und bey weitem schätzbarste Theil des Justinianeischen Rechtsbuchs – die Pandecten – […] meistens solche Rechtsgrundsätze« liefere, »welche ursprünglich kein Gesetzgeber : sondern großer Scharfsinn römischer Rechtsgelehrten aus der Natur rechtlicher Geschäfte entwickelt hatte«1154. Worin genau das Schöpferische der »Natur der Sache« liegen sollte, war damit allerdings noch offen. Eine Begriffsdefinition hatte Runde nicht gegeben1155. Aber gerade diese Unbestimmtheit war es wohl auch, die im 19. Jahrhundert so vollkommen unterschiedlichen Rechtslehrern wie einerseits Jhering und andererseits Reyscher, letzterem übrigens wie Jhering unter Verweis auf eine im Vergleich zur Gesetzesauslegung »höhere, selbständigere [sic!] Tätigkeit« der Jurisprudenz1156, eine ausdrückliche Berufung auf Rundes Begriff der Natur der Sache überhaupt möglich gemacht hat. Denn in der Sache selbst waren Jhering und Reyscher Exponenten von zwei ganz unterschiedlichen Theoriesträngen in der Wirkungsgeschichte von Rundes Begriff der Natur der Sache. Reyscher repräsentierte – Runde näher – den empirisch-naturrechtlichen1157, Jhering den vom germanistischen Teil der Historischen Rechtsschule vorbereiteten1158 ju1154 J.F.Runde, Grundsätze (61821), § 80, S. 73. Vgl. insoweit auch Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 17 (= Ges. Aufs. I, S. 14) dazu, dass jedes »Blatt der römischen Rechtsquellen« die »von jedem gesetzlichen Anhaltspunkt verlassen[e] […] Erforschung der Natur der Sache« durch die römischen Juristen bezeugen könne. 1155 Vgl. R.Dreier, Natur der Sache (1965), S. 38 dazu, dass Runde abgesehen von dem Hinweis auf das hypothetische Vernunftrecht keine nähere Definition der Natur der Sache gab. Auf diese Weise blieb nach W.NEUSÜß, Vernunft (1970), S. 101 auch »in der ebenso unbestimmten wie allbedeutenden Formel der Natur der Sache« eine Bestimmung des Verhältnisses »von gesunder Vernunft und [sc. historisch] erforschbaren Rechtsverhältnissen« unausgetragen. 1156 A.L.Reyscher, Privatrecht (1837), § 57, S. 90. 1157 J.Rückert, Reyscher (1974), S. 353ff., 385f. Dabei blieb ähnlich wie schon bei Runde auch bei Reyscher der Begriff der Natur der Sache ein »Zwischending« (Rückert) von geschichtlicher und rationaler Begründung [K.Kroeschell, Privatrecht (1974), S. 259]. R.Dreier, Natur der Sache (1965), S. 39 Fn. 228 unterscheidet bei Reyscher sogar vier unterschiedliche Begriffe der Natur der Sache. Vgl. zur Weiterentwicklung des empirisch-naturrechtlichen Theoriestranges der »Natur der Sache« im 19. Jahrhundert J.Schröder, Recht (22012), S. 265–268. 1158 Die Vereinnahmung und Umdeutung von Rundes »Natur der Sache« begann schon mit Karl Friedrich Eichhorn sowie Rundes Sohn, Christian Ludwig Runde. Beide übergingen den naturrechtlichen Anteil von Justus Friedrich Rundes Konzeption und sahen in ihm eine unmittelbare Vorwegnahme des juristischen Methodenverständnisses in der Historischen Rechtsschule [vgl. R.Dreier, Natur der Sache (1965), S. 38 Fn. 224 sowie S. 43ff. sowie H.Marx, Natur der Sache (1967), S. 120f.]. Dies wurde ihnen allerdings auch dadurch erleichtert, dass sich im Rechtsdenken von Justus Friedrich Runde neben einer unmittelbaren Verbindungslinie zum Naturrechtsdenken von Christian Wolff und Daniel Nettelbladt, auf die Runde auch ausdrücklich Bezug genommen hat, noch eine zweite Verbindungslinie zum historischen Rechtsdenken des beginnenden 19. Jahrhunderts

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ristisch-technischen Theoriestrang, für den die Natur der Sache zu einem Oberbegriff für das wissenschaftlich erarbeitete Recht wurde1159. Ralf Dreier hat beschrieben, wie der Begriff der Natur der Sache im zuletzt genannten Sinne im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts auch von einigen Pandektisten der Historischen Rechtsschule aufgenommen wurde und dabei allerdings ohne eine selbständig tragende Funktion ganz »in den Dienst der Analogie oder der ›juristischen Consequenz‹« getreten ist1160. In der Tat lässt sich dies gut anhand der einschlägigen Äußerungen Puchtas belegen, wo die »Natur der Sache« in der Beschreibung der juristischen Methode zwar Erwähnung findet, aber keine selbstständige Rolle spielt neben »Consequenz« und »Analogie«1161. Jhering hat – wie gesehen – die der sogenannten niederen Jurisprudenz zugerechnete analogische Fortbildung der Rechtssätze mit einer parallel erfolgenden »naturhistorische[n] Betrachtung des Rechts« durch die »Feststellung des Gattungs- und Art-Begriffs« zwar rechtswissenschaftlich zu erklären und damit auch zu legitimieren geglaubt1162. Aber gleichzeitig hat er deutlich gemacht, dass sich darin dasjenige, »was man die Deduction aus der Natur der Sache genannt hat, man könnte sie auch die juristische Spekulation nennen«1163,

1159 1160 1161 1162 1163

findet [vgl. W.NEUSÜß, Vernunft (1970), S. 93ff. m. w. N.]. Denn »aufgrund des gewachsenen historischen Bewußtseins« von Runde hatten im Rahmen seiner Konzeption eines nur hypothetischen Vernunftrechts alle so genannten Schlüsse der Vernunft an die geltenden Rechtsinstitute anzuknüpfen (aaO, S. 95f.). Vgl. zu letzterem auch K.Kroeschell, Privatrecht (1974), S. 250, 254f., 257f. Vgl. zu diesen beiden grundsätzlich zu unterscheidenden Konzeptionen des Begriffs der Natur der Sache im 19. Jahrhundert R.Dreier, Natur der Sache (1965), S. 39, 45ff., 51f. R.Dreier, Natur der Sache (1965), S. 49. Vgl. dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 774–810 (776–778). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16 (= Ges. Aufs. I, S. 13f.). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8 (= Ges. Aufs. I, S. 7). Jherings Verwendung des Ausdrucks »juristische Spekulation« darf nicht mit dem philosophischen Begriff der Spekulation, der gerade zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch die idealistische Philosophie nach Kant wieder eine Renaissance erlebt hatte [vgl. S.Ebersmeyer, Artikel »Spekulation« in: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.9 (1995), Sp. 1356, 1365ff.], in eine sachliche Verbindung gebracht werden. Zwar hat der in der zeitgenössischen Philosophie zeitweise geradezu inflationäre Gebrauch des Ausdrucks offensichtlich auch Juristen wie Jhering und andere [vgl. nur J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 36; H.Dernburg, Jhering-Rezension (1857), S. 365 oder W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. VII] dazu bewogen, den Ausdruck »Spekulation« als zeitweiliges Hochwertwort auch für die wissenschaftliche Rechtsdogmatik zu reklamieren. Inhaltlich hat sich Jhering aber immer von der »Spekulation« der Philosophie des Deutschen Idealismus distanziert und mit Blick auf dieselbe auch gespottet: »Die Spekulation fängt da an, wo der gesunde Menschenverstand aufhört […]« [vgl. Jhering, »Zweiter Brief« von einem Unbekannten (1861), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 34; Jherings Brief vom 26. Oktober 1852 an Bachofen, abgedruckt in: Bruckner-Briefe/1934, S. 68; Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868),S. 66f.]. Jhering verwendete den Ausdruck »juristische Spekulation« vielmehr im Sinne seiner eigentlichen wortgeschichtlichen Bedeutung als eine der lateinischen Übersetzungen für das altgriechische Wort »theoria«, also als Gegenbegriff zur »Praxis«. In

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nicht erschöpfe. Ganz im Gegenteil sah er den »eigentlich schöpferischen« Teil »der Thätigkeit der höheren Jurisprudenz«1164 nicht nur jenseits der juristisch gering geschätzten »Interpretation der Gesetze«1165 und des nur »consecutiv« logischen Denkens1166, etwa beim »logische[n] Auf- und Absteigen innerhalb des Gesetzes«1167 zur Enthüllung von bis dahin nur »latent« geltenden Rechtssätzen, sondern auch jenseits der »Feststellung des Gattungs- und Art-Begriffs«. Ausdrücklich formulierte Jhering nach Abhandlung der Frage, wie eine »Feststellung des Gattungs- und Art-Begriffs« die juristische Analogie wissenschaftlich erklären und legitimieren könne: »Ich wende mich jetzt der eigentlich schöpferischen Thätigkeit der höheren Jurisprudenz zu.«1168. Denn den produktivschöpferischen Kern der rechtstechnischen Arbeit wissenschaftlicher Rechtsdogmatik sah Jhering erst da, »wo die eigentliche w i s s e n s c h a f t l i c h e Fr e i h e i t d e r Ju r i s p r u d e n z « beginne1169, also in den Bereichen, die dem Gesetzgeber nach Jherings rechtsquellentheoretischer Kompetenzaufteilung ohnehin verwehrt oder aber per se nicht zugänglich waren. Dies betraf die von der persönlichen Kreativität des einzelnen Wissenschaftlers getragene Theorienbildung zur systematischen Erklärung aller geltenden gesetzlichen und gewohnheitsrechtlichen Rechtssätze (»objektive Technik«)1170 sowie die auch von der persönlichen »Intuition« des einzelnen Rechtsanwenders, der »Kunst der juristischen Diagnose« abhängige Rechtsanwendung im juristisch zu beurteilenden Einzelfall (»subjektive Technik«)1171. Die auf das geltende Recht bezogene »objektive Technik« und die rechtsfallbezogene »subjektive Technik« bilden den

1164 1165 1166 1167 1168 1169 1170 1171

diesem Sinne hatte der Ausdruck »juristische Spekulation« bei Jhering bis zur wissenschaftskritischen Wende eine ausschließlich positive Bedeutung im Sinne echter Wissenschaftlichkeit auf dem Gebiet der Rechtsdogmatik. Auch nach Jherings wissenschaftskritischer Wende wurde dieser Anspruch der Wissenschaftlichkeit keinesfalls negiert [vgl. nur Jhering, Zweck II (11883), S. 102], aber durch die Unterscheidung von wissenschaftlicher Wahrheit und juristischer Richtigkeit in der Praxis der Rechtsanwendung doch deutlich relativiert. Vgl. insoweit auch Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 304 zu den »ungesunden Speculationen eines […] Theoretikers«, der Rechtswirklichkeit bzw. Praxis außer Acht läßt. Ferner Jhering, Besitzwille (1889), S. 140 et passim zu dem möglichen Gegensatz rein »doctrinärer Speculationen« der Rechtswissenschaft einerseits und »p r a k t i s c h zwingender Gründe« andererseits. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16f. (= Ges. Aufs. I, S. 14). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 7 (= Ges. Aufs. I, S. 7). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398. Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 7. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16f. (= Ges. Aufs. I, S. 14). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. Dazu eingehend Teil 2, Abschnitt II. 2. b) bb) über die sogenannte abstrakte »juristische Construction« im Rahmen der »objektiven Technik«. Dazu eingehend Teil 2, Abschnitt II. 2. b) cc) über die sogenannte konkrete »juristische Construction« im Rahmen der Theorie der »subjektiven Technik«.

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Kern der noch darzustellenden »höheren Jurisprudenz« bzw. »naturhistorischen Methode«. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Jhering ausgehend von der unterschiedlichen Ziele und Methoden von Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik auch eine doppelte »Produktvität« auf beiden Gebieten unterschied, und zwar seit Mitte der 1840er Jahre eine wissenschaftliche »Produktivität« auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte, deren Erkenntnis darauf ziele, durch »historische Combinationen« vergangene Rechtszustände über die Quellenüberlieferungen hinausgehend zu rekonstruieren, und auf der anderen Seite eine wissenschaftlich nur mindere »Produktivität« auf dem Gebiet der Rechtsdogmatik. Diese – rechtsquellentheoretische – Produktivität der Rechtsdogmatik hat Jhering bis 1856 noch wie Puchta mit der Möglichkeit der rechtswissenschaftlichen Erweiterung geltender Rechtssätze durch juristische Konsequenz und Analogie begründet, während er ebenfalls wie Puchta und anders als Savigny die juristische Auslegung lebenslang als eine »niedere« Form der Jurisprudenz betrachtete. Die rechtsquellentheoretischen Produktivität der Rechtswissenschaft fand nach Jhering in der juristischen Konsequenz und Analogie aber nicht nur ihre Grundlage, sondern im Unterschied zur rechtsquellentheoretischen Produktivität der »positiven rechtssetzenden Gewalten« von Gesetzgebung und Gewohnheitsrecht auch ihre Grenzen. Als Jhering 1856 die Theorie der juristischen Technik ausarbeitete, kehrt sich das Verhältnis von Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik im Hinblick auf die Gesichtspunkt der wissenschaftlichen Produktivität dagegen um. Von »wirklichen« Produktionen war jetzt nur noch in einem rechtsquellentheoretischen Sinn auf dem Gebiet der Rechtsdogmatik die Rede ist. Diese »wirklichen« Produktionen findet Jhering in Anknüpfung an Justus Friedrich Rundes methodische Figur der »Natur der Sache« aber jenseits der Ableitung und Erweiterung von Rechtssätzen durch juristische Konsequenz und Ähnlichkeitsschlüsse der Analogie auf dem Gebiet rechtsdogmatischer Theoriebildung und rechtsfallbezogener Konstruktion.

b)

Das rechtsquellentheoretische Verhältnis der Rechtswissenschaft zu Rechtsprechung und Gesetzgebung nach Jherings wissenschaftskritischer Wende

Bis Ende der fünfziger Jahre, also über den gesamten Zeitraum hinweg, in dem Jhering seine Theorie der naturhistorischen Methode ausarbeitete, hat er in rechtsquellentheoretischer Hinsicht nie ausdrücklich unterschieden zwischen Rechtswissenschaft und Rechtsprechung. Dafür gab es zunächst auch keinen Grund, denn bis zu seiner wissenschaftskritischen Wende in den sechziger Jahren hat Jhering in der wissenschaftlichen Theorie auch die umfassende und

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abschließende Grundlage praktischer Rechtsprechung, des sozusagen letzten Aktes der »Verwirklichung des Rechts«1172 gesehen. Die Rechtsprechung war danach – wie schon für Puchta1173 – nichts anderes als eine praktische Seite der Rechtswissenschaft gewesen. Dies änderte sich erst nach Jherings wissenschaftskritischer Wende in der ersten Hälfte der sechziger Jahre1174. Die Wende bestand zwar nicht in einer Aufhebung der Unterscheidung zwischen wissenschaftlich »niederer« und »höherer« Jurisprudenz und auch nicht, wie häufig behauptet, in der Aufgabe der rechtswissenschaftlichen Konstruktion als Gestaltungsinstrument der Jurisprudenz. Aber Jhering wollte im Zuge seiner Wende fortan alle Ergebnisse rechtswissenschaftlicher Arbeit im Hinblick auf ihre juristische Verbindlichkeit einer hinzutretenden außerwissenschaftlichen Kontrolle unterwerfen, nämlich der am jeweiligen Zweck eines Rechtsinstituts ausgerichteten Überprüfung durch das individualisierend-wertende »Rechtsgefühl«1175 des Rechtsanwenders 1172 Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 335ff. zur »Verwirklichungsfrage im Recht«. Danach verstand Jhering, aaO, S. 336f. die gesamte »Theorie der juristischen Technik« als eine Antwort auf die »Frage […]: wie soll das Recht unbeschadet seines Inhaltes eingerichtet und gestaltet sein, daß es durch die Art seines Mechanismus zur Erfüllung der […] Anforderungen in Bezug auf die Verwirklichung des Rechts so viel wie möglich mitwirkt, die Operation der Anwendung seiner selbst auf den concreten Fall möglichst erleichtert und sichert?« Vgl. dazu eingehend Teil 2, Abschnitt II. 2. b) aa). 1173 Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 394f. 1174 Vgl. eingehend Teil 2, Abschnitt I. 2. c) cc) und dd) zu Jherings Überwindung seines Prinzipienrigorismus Ende der fünfziger Jahre als Grundlage für seine anschließende wissenschaftskritische Wende, deren endgültiger Vollzug sich nach Jherings eigenen Zeugnissen ziemlich genau auf den Winter 1862/63 datieren lässt. 1175 Den schon in seiner hergebrachten Form auch nach Ansicht von Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 23 »unbestimmten Ausdruck Rechtsgefühl« hat dieser selbst in seinem Gesamtwerk in noch unterschiedlicheren Bedeutungen verwendet, was nach W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 215 Fn. 918 m.w.N. heute zu einer »inzwischen kaum übersehbaren Fülle des Schrifttums zum Thema Rechtsgefühl« geführt hat. Tatsächlich sind mindestens vier unterschiedliche, und zwar jeweils zwei fachlich-technische (1. und 3.) und zwei umgangssprachliche (2. und 4.) Bedeutungen des Ausdrucks bei Jhering grundsätzlich zu unterscheiden: 1.) Das im Text in Rede stehende individualisierend-wertende »Rechtsgefühl« des Rechtsanwenders hat Jhering erst nach Überwindung seines ursprünglichen Prinzipienrigorismus als »ersten Anstoß« gegenüber der nach dem Zweck des Gesetzes zu weit gehenden Konsequenz des geltenden Rechts und damit als legitime kritische Instanz bei der Rechtsanwendung methodentheoretisch anerkannt. 2.) Dagegen hat Jhering die Kritik am positiven Recht aufgrund eines »bloßen Rechtsgefühls« im Sinne eines rein emotionalen unreflektierten »subjectiven Meinens und Fühlens, der subjectiven Innerlichkeit […], welche der bequemste Schlupfwinkel der Partheilichkeit ist«, zeit seines Lebens als rechtlich irrelevant betrachtet [Jhering, Geist II/ 1 (31874), § 24, S. 22]. 3.) Ebenfalls vom »Rechtsgefühl« sprach Jhering schließlich im Rahmen seiner späteren Theorie der rechtlich-sittlichen Evolution mit Blick auf die hier wiederum kritische Bewertungsfunktion des Rechtsgefühls gegenüber dem noch geltenden Recht. Gemeint war in diesem entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang allerdings nicht das gegenüber rechtswissenschaftlicher Konsequenz kritische Individuali-

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bzw. Richters. Dabei bezog sich der wissenschaftskritische Vorbehalt auf die gesamte Tätigkeit der Jurisprudenz, soweit deren Ergebnisse auf der Anwendung juristischer Konsequenz beruhten. Denn nach seiner Wende galt für Jhering nicht mehr derjenige Satz, der wie kaum ein anderer Ausdruck seines formalen, nicht auf den Inhalt eines Prinzips rekurrierenden Prinzipienrigorismus und seiner damit zusammenhängenden wissenschaftstheoretischen und auch rechtsquellentheoretischen Grundüberzeugungen gewesen war : »Wer das Princip will, genehmigt auch die Consequenzen, einerlei ob er sich derselben bewußt geworden […].«1176

Betroffen war davon nicht nur die eigentlich rechtsquellentheoretische Produktivität der höheren Jurisprudenz, sondern auch die von Jhering sogenannte bloße Enthüllung von Rechtssätzen durch die niedere Jurisprudenz. Zwar wollte Jhering auch fortan der niederen Jurisprudenz nicht die Aufgabe absprechen, »alle bisher noch nicht zum Bewußtsein gekommenen Consequenzen«1177 eines Prinzips aufzudecken, um zu der von Jhering auch weiterhin sogenannten »vollen Entfaltung seiner logischen Kraft«1178, »zur Entlassung des ganzen Reichthums im Detail, den er [sc. der im Prinzip ausgedrückte Gedanke] in sich sierungsvermögen des menschlichen Herzens, sondern das vom Verstand geleitete »Abstractionsvermögen des menschlichen Geistes« [Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 45], das durch wertende Verallgemeinerung nicht eine zu weit gehende, sondern eine noch fehlende Konsequenz im geltenden Recht kritisierte. 4.) Die Wahl des Ausdrucks »Rechtsgefühl« in der vorstehend genannten Bedeutung war allerdings insofern terminologisch unglücklich, als Jhering bis in seine Spätzeit auch im entwicklungsgeschichtlichen Kontext weiterhin vom »Rechtsgefühl« in einer umgangssprachlichen Bedeutung sprach, nämlich vom »Rechtsgefühl des Volks« in dem gegenüber den geltenden Rechts- und Wertvorstellungen affirmativ-unkritischen Sinne der jeweils »volkstümlichen Auffassung« [Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 24]. Das »nationale Rechtsgefühl« bzw. »Rechtsbewußtsein des Volks« in diesem zuletzt genannten Sinne hat allerdings beim späten Jhering seine ihm noch in den fünfziger Jahren zugewiesene Funktion als »Motor bei der Rechtsentwicklung« verloren [vgl. W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 214]. Eine tragende Rolle wies Jhering dem Rechtsgefühl in diesem Sinne aber wohl lebenslang noch für die praktische Durchsetzung des geltenden Rechts zu, nämlich im Hinblick auf den von Jhering im Rahmen seines berühmten Vortrags über den »Kampf um’s Recht« sogenannten »Kampf f ü r das Gesetz«, der nach Jhering im Falle der »Unvollkommenheit der Rechtseinrichtungen« zur gerichtlichen Durchsetzung des eigenen nach dem Gesetz materiellrechtlich zustehenden Rechts gegebenenfalls auch »zu einem Kampf g e g e n das Gesetz«, nämlich gegen die gesetzliche Ordnung, werden konnte [Jhering, Kampf (1872), S. 69]. Auf den grundsätzlichen Unterschied der unter (1.) und unter (3.) angeführten Bedeutungen des Ausdrucks »Rechtsgefühls« bei Jhering hat auch bereits M.Bihler, Rechtsgefühl (1979), S. 9 hingewiesen. 1176 Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 382. Diesen Satz hat Jhering in der zweiten Auflage von 1869 folgerichtig gestrichen. 1177 Jhering, Geist II/2 (31875), § 40, S. 354. 1178 Jhering, Geist II/2 (21869), § 40, S. 337.

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birgt«, zu gelangen1179. Aber allein diese von der Jurisprudenz vorgenommene »Enthüllung« bzw. »Entfaltung« der »logischen Kraft« war nach Jherings Wende nur noch ein »Gedanke«, der wohl durch die rechtswissenschaftliche Theorie »in seiner wahren Gestalt bewußt erkannt und erfaßt« werden sollte1180, aus dessen Erkenntnis aber noch nicht automatisch auch auf dessen juristische Verbindlichkeit zu schließen war. Die »Erschließung des m i t t e l b a re n « Inhalts eines Gesetzes, »also die Ableitung des P r i n z i p s aus den im Gesetz gegebenen einzelnen Entscheidungen und umgekehrt [die Entwicklung] der C o n s e q u e n z e n aus dem dort aufgestellten Prinzip, kurz das [logische Auf- und Absteigen] Abund Aufsteigen innerhalb des Gesetzes«1181 stand nun unter einem Vorbehalt, nämlich unter dem Vorbehalt der Überprüfung der Ergebnisse wissenschaftlichjuristischer Konsequenz durch das individualisierend-wertende Rechtsgefühl des Rechtsanwenders. Athanasios Gromitsaris sieht Jherings Wende darin ausgedrückt, dass die Jurisprudenz für Jhering zwar weiterhin eine wissenschaftliche »Inhaltsquelle von Rechtsnormen« bleibe, aber eben keine juristische »Geltungsquelle von Rechtsnormen« mehr sei1182. Allerdings war die Rechtswissenschaft nach Jherings rechtsquellentheoretischen Vorstellungen nie eine »Geltungsquelle von Rechtsnormen« im Sinne der »positiven rechtssetzenden Gewalten« gewesen, weil – so Jhering klarstellend selbst über die rechtsquellentheoretische Produktivität der Rechtswissenschaft – »ich den ›Stoff‹ doch als gegeben voraussetze«1183. Aber zutreffend ist, dass die juristische Konsequenz allein nicht mehr ausreichend sein sollte, um die juristische Verbindlichkeit von durch die Rechtswissenschaft aus einem geltenden Rechtsprinzip ableitbaren Rechtssätzen zu begründen. Für die Rechtsfortbildung durch Analogie galt dieser Vorbehalt natürlich nicht weniger. Allerdings waren nach Jherings wissenschaftskritischer Wende bei der Analogie in rechtsquellentheoretischer Hinsicht zwei Fälle grundsätzlich voneinander zu unterscheiden. Der erste Fall betraf die Erweiterung des geltenden Rechts im »Wege der analogischen Ausdehnung« auf der Grundlage des anhand von einzelnen Regelungen des positiven Rechts ermittelbaren wahren »gesetzgeberischen Gedankens«. Hier bringe die Rechtswissenschaft »aus den Daten, die er [sc. der Gesetzgeber] selber an die Hand gibt«, den »gesetzgeberischen Gedanken« aus seiner bisher nur »beschränkte[n] Gestalt« in vorhan1179 Jhering, Geist II/2 (31875), § 40, S. 354. 1180 Jhering, Geist II/2 (21869), § 40, S. 337. 1181 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8 [= ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 7 mit hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderungen beim Wiederabdruck im Jahre 1881]. 1182 A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 132, 136, 140; C.-E.Mecke, Beiträge (2009), S. 553f. 1183 So Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 369f. Fn. 529a sogar im Hinblick auf die eigentlich sogenannte Produktion der höheren Jurisprudenz.

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denen vereinzelten Rechtsregelungen in die adäquat formulierte allgemeine Form des den Einzelregelungen gemeinsam zugrunde liegenden Rechtsprinzips1184. Als zweiter Fall war davon hingegen zu unterscheiden diejenige Verallgemeinerung, die Jhering auch schon früher als eine auf das geltende Recht bezogene »Kritik […] des legislativen Gedankens«1185 selbst bezeichnet hatte, nämlich die Verallgemeinerung einer bisher nur einzelnen, aber entwicklungsgeschichtlich als sogenannter »historischer Durchbruchspunkt« zu qualifizierenden Regelung des geltenden Rechts zu einem umfassenden Rechtsprinzip1186. Beides hatte Jhering in der Zeit vor seiner wissenschaftskritischen Wende als »Analogie« bezeichnet und als solche auch ohne Einschränkung der rechtsquellentheoretischen Kompetenz der Jurisprudenz überwiesen1187. In Jherings späteren Jahren, und zwar spätestens nach Ausarbeitung seiner Theorie der rechtlich-sittlichen Evolution durch die Geschichte, sollte aber nur noch der erstgenannte »Weg, den von jeher die Jurisprudenz eingeschlagen hat«, als »analogische Ausdehnung« auch weiterhin der Jurisprudenz bzw. Rechtsprechung überlassen bleiben, in allen Fällen, in denen »der Gesetzgeber, wie es die Regel bildet, uns sein x [sc. das zugrunde liegende allgemeine Prinzip] selber nicht genannt hat, […] aus den Daten, die er selber an die Hand gibt, sich dasselbe zu abstrahiren«1188. Freilich sollte dabei jetzt dem »gesetzgeberischen Gedanken« der analog auszudehnenden Regelung wieder die maßgebliche Bedeutung zukommen. Der hingegen im Rahmen der höheren Jurisprudenz gezielt vom »Willen des Gesetzes«1189 absehenden naturhistorischen »Feststellung des Gattungs- und Art-Begriffs«1190 räumte Jhering damit nach seiner wissenschaftskritischen Wende – so wie allen Ergebnissen naturhistorischer Betrachtung – nur noch eine begrifflich veranschaulichende, in Jherings Worten »rein doctrinäre«1191, und nicht mehr eine die Operationen der niederen Jurisprudenz ersetzende Bedeutung für die analoge Ausdehnung ein. Etwas rechtsquellentheoretisch ganz anderes als in den vorgenannten Fällen der analogen Ausdehnung eines »Rechtssatz[es], den der Gesetzgeber nur für irgend ein bestimmtes Verhältniß aufgestellt hat, auf ein anderes« Rechtsverhältnis1192 sollte in Jherings Spätzeit hingegen für diejenigen Fälle gelten, in denen im geltenden Recht »ein abstracter Gedanke ursprünglich erst in be1184 1185 1186 1187 1188 1189 1190 1191 1192

Jhering, Besitzwille (1889), S. 149. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 370 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 365ff. Vgl. einerseits Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 14ff. (= Ges. Aufs. I, S. 12f.) und andererseits Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 365ff., insbes. S. 367, 369ff. Jhering, Besitzwille (1889), S. 149. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 14 (= Ges. Aufs. I, S. 12). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16 (= Ges. Aufs. I, S. 13f.). Vgl. nur Jhering, Besitzwille (1889), S. 279, 305, 537. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 (= Ges. Aufs. I, S. 13).

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schränkter Weise bei einem einzelnen Punkt, den ich den h i s t o r i s c h e n D u r c h b r u c h s p u n k t desselben nennen möchte, zum Vorschein kömmt und erst nach und nach die Ausdehnung und Ausbreitung erlangt, die ihm seiner Natur nach gebührt.«1193 Jhering hat übrigens darauf hingewiesen, dass er das entwicklungsgeschichtliche Phänomen der »h i s t o r i s c h e n D u rc h b r u c h s p u n k t e d e s Ab s t r a c t e n « innerhalb des jeweils geltenden Rechts, welches in Jherings späterer Theorie der sittlichen Evolution durch die Geschichte eine zentrale Rolle spielten sollte, bereits in »meinem Geist des römischen Rechts (Bd. 3 […] [= Geist II/2] […] einer genaueren Betrachtung unterzogen, und durch eine Reihe von Beispielen veranschaulicht« habe1194. In der Tat finden sich hier wie auch bereits in seiner zwei Jahre zuvor erschienenen Programmschrift »Unsere Aufgabe«1195 Beispiele für dasjenige, was Jhering bereits damals »als das allbekannte Gesetz des We rd e n s « bezeichnete1196. Dies sollte nämlich darauf beruhen, dass neue Rechtsprinzipien im geltenden Recht niemals »in ihrer ihnen dermaleinst beschiedenen Allgemeinheit« aufträten und dass »vor und zur Zeit« ihrer zunächst in »beschränktester Weise« erfolgenden Positivierung selbst dies noch »Manchem […] auffällig und verwunderlich« erscheine, »bis die Geister sich an sie gewöhnt« haben und auf Verallgemeinerung drängten. »Die Inconsequenz, deren man sich durch diese Beschränkung des Gedankens auf ein einzelnes Verhältniß schuldig macht, der Anspruch desselben auf Allgemeinheit, kann sich auf die Dauer der Wahrnehmung nicht entziehen, denn die Consequenz ist eine Macht, die langsam, aber sicher, unbewußt, aber nicht minder wirksam im Geist fortarbeitet und längst empfunden und gefühlt ist, bevor sie ausdrücklich anerkannt wird.«1197 »Darum kömmt auch für jenen Gedanken unausbleiblich die Zeit, wo man

1193 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 365f. 1194 Jhering, Besitzwille (1889), S. 98. 1195 Vgl. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15f. (= Ges. Aufs. I, S. 13), wo Jhering mit Verweis auf die Ausdehnung des zunächst auf die hereditatis petitio beschränkten »Rechtssatz[es]: dolus pro possessione est« auf alle »Klagen, die gegen den Besitzer als solchen gerichtet sind«, genau das Beispiel zur Veranschaulichung der »analoge[n] Ausdehnung« des Rechts durch die römischen Juristen verwendete, das er auch in Geist II/2 (11858), § 39, S. 367 (Nr. 5) als eines von mehreren Beispielen für seine entwicklungsgeschichtliche These vom historischen Durchbruchspunkt anführte. 1196 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 367. 1197 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 366. Vgl. bis hier teilweise fast wörtlich identisch auch Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 47, 49 im Rahmen seiner späteren Theorie der rechtlichsittlichen Evolution durch die Geschichte. Danach sollte die Entwicklung auf der Kritik der Inkonsequenz des noch geltenden Rechts durch die »Abstraction« des von Jhering hier jetzt sogenannten »Rechtsgefühles« beruhen, da »im Innern des Geistes eine Thätigkeit hat vor sich gehen müssen, von der wir keine Ahnung haben; der Geist muss arbeiten, selbst wenn der Mensch sich dessen nicht bewusst ist.« »Da arbeitet es drinnen und da wird der [sc. gegebene] Stoff [sc. des Rechts] verarbeitet, manchmal auch ohne Wissen des Menschen selbst. Das geschieht unbewusst, oft in der Nacht.«

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fragt: warum gilt er bloß hier, warum nicht auch in dem und jenem völlig gleichartigen Verhältniß […].«1198

Jhering sprach später auch von einem insoweit »allmähliche[n] Wachsen des Gedankens«1199, der im geltenden Recht »schon z u m T h e i l verwirklicht war« und »dessen vo l l e Durchführung man [sc. jetzt] verlangt«1200. Im übrigen, und zwar vor allem in der hier interessierenden rechtsquellentheoretischen Hinsicht bestehen aber ganz wesentliche Unterschiede zwischen Jherings in den fünfziger Jahren als analogische Fortbildung des Rechts beschriebener Lehre von der Verallgemeinerung des sogenannten historischen Durchbruchspunkts auf der einen Seite1201 und eben dieser Lehre als einem, allerdings wesentlichen Theoriestück im Rahmen von Jherings späterer geschichtlicher Theorie der rechtlichen Evolution auf der anderen Seite. Denn in den fünfziger Jahren hatte Jhering noch die im Rahmen der Lehre vom historischen Durchbruchspunkt notwendige »Verallgemeinerung des Gedankens […] vorzugsweise der Jurisprudenz vorbehalten«1202. Rechtsquellentheoretisch betrachtet »überhebt sich« die Jurisprudenz »hierbei nicht«, denn – so Jhering damals – »sie greift nicht in die Rechte des Gesetzgebers ein, sie schafft nicht, sondern sie übt nur eine höhere Kritik und Interpretation, eine Kritik und Interpretation nicht der Worte, aber des legislativen Gedankens« aus1203. Grundlage dieser rechtswissenschaftlichen »Kritik […] des legislativen Gedankens« war der unbedingte Grundsatz formaler Gleichbehandlung. Wohl hatte Jhering auch schon in den fünfziger Jahren in rein tatsächlicher Hinsicht die Jurisprudenz bzw. das wissenschaftliche Vorstellungsvermögen der sie tragenden Juristen nicht ganz losgelöst gesehen von den jeweiligen geschichtlichen Zeitumständen, die im Rahmen der allgemeinen geschichtlichen

1198 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 366. Vgl. entsprechend auch Jhering, Besitzwille (1889), S. 99: »[…] so führt auch die beschränkte Gestalt des Gedankens das juristische D e n k e n , wenn es sich an ihn gewöhnt hat, mit Nothwendigkeit dahin, den Horizont über sie hinaus zu erweitern. Dann ist der Moment für die Frage gekommen: warum diese Beschränktheit? ist sie praktisch gerechtfertigt? erfordert und verträgt der Gedanke nicht vielmehr eine Erweiterung auf andere Verhältnisse oder gar eine unbeschränkte Generalisirung?« 1199 Jhering, Besitzwille (1889), S. 100. 1200 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 25; Ders., Rechtsgefühl (1884), S. 49. 1201 Vgl. dagegen aus der Sicht der heutigen Methodenlehre C.-W.Canaris, Lücken (21983), S. 100, wonach im Falle der Ableitung eines Rechtsprinzips aus einer einzelnen positiven Norm »von Analogie […] auch bei weitester Fassung des Begriffs keine Rede mehr sein« könne, da logisch in Wahrheit eine Induktion vorliege. Zwischen Induktion und Analogie haben die Pandektisten der Historischen Rechtsschule allerdings gerade nicht unterschieden [vgl. dazu schon C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 792f.]. 1202 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 369. 1203 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 370.

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Entwicklung das Vorstellungsvermögen aller, also auch der Juristen, prägen. Denn »so wenig wie der Gesetzgeber sich einen neuen Gedanken sofort in seiner ganzen Allgemeinheit denken kann, ebenso wenig auch die Jurisprudenz. Auch für sie gehört erst eine längere Zeit der Gewöhnung dazu, bis sie ihn in seiner abstracten Allgemeinheit zu denken lernt und den Muth gewinnt, ihm dieselbe auch praktisch zu vindiciren.«1204

Ein noch fehlender »Muth«, die noch mangelnde »Gewöhnung« der Juristen, dies waren nach Jherings damaliger Ansicht aber nur rein tatsächliche Ursachen dafür gewesen, dass im entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang die »analoge Ausdehnung […] in der Regel nicht die That eines Individuums, sondern das Werk eines Jahrhunderts, das Resultat eines langsamen Umschwunges in der Anschauung« sei1205. Bewirkt werde dieser Umschwung, wie Jhering bereits in den fünfziger Jahren unter Vorwegnahme eines wichtigen Aspektes seiner späteren Evolutionstheorie des Rechts meinte, durch den tatsächlichen »Einfluß, den irgend ein besonderes [sc. soziales] Verhältniß, [sc. gesellschaftliches] Interesse u.s.w. auf die Hervorbringung eines a l l g e m e i n e n Rechtssatzes ausüben kann«1206. Nach Jherings damaliger Ansicht bildeten die sich erst herausbildenden gesellschaftlichen Interessen als regelmäßige faktische Voraussetzung für die Verallgemeinerung eines Rechtsgedankens immerhin »die sicherste Garantie gegen eine Uebereilung« der »analogen Ausdehnung« des historischen Durchbruchspunkts im geltenden Recht, welche nämlich, »wenn ihre Zeit noch nicht gekommen [ist], […] kein Verständniß und keine Anerkennung« in der Gesellschaft fände1207. Allein aus der Sicht der Rechtswissenschaft gab es nach Jherings Auffassung in den 1850er Jahren aber keinen Grund, für einen neuen Rechtsgedanken, der im jeweils geltenden Gesetzes- oder Gewohnheitsrecht in auch noch so beschränkter und bruchstückhafter Form als sogenannter erster historischer Durchbruchspunkt aufgetaucht war, die wissenschaftlich gebotene Verallgemeinerung nicht nur jeweils sofort zu formulieren, sondern dem geltenden Recht gleich »auch praktisch zu vindiciren.«1208 Rechtsquellentheoretisch betrachtet behandelte Jhering die Frage der 1204 1205 1206 1207 1208

Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 371. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 371. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 365 Fn. 495. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 371. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 371. Die normalerweise geltende Einschränkung, dass ein sogenannter singulärer Rechtssatz nicht Gegenstand einer analogischen Erweiterung des Rechts durch die Jurisprudenz sein dürfe [C.-E.Mecke, Begriff (2009, S. 573–586), galt für den Fall der Feststellung eines historischen Durchbruchspunktes nicht. Vgl. insoweit später noch H.Dernburg, Pandekten (31892), § 23, S. 47 Fn. 1: »Eine analoge Anwendung singulären Rechtes ist unzulässig […]. Sehr häufig [sic!] ist aber ein scheinbar singulärer

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auch juristisch verbindlichen Verallgemeinerung damals also nur als ein Problem der besseren oder schlechteren rechtswissenschaftlichen Erkenntnis. Die entsprechende rechtswissenschaftliche »That eines Individuum«1209 war in rechtsquellentheoretischer Hinsicht mithin zu jedem Zeitpunkt denkbar und möglich; lediglich aus den genannten tatsächlichen Gründen bildete sie nach Jherings damaliger Ansicht in der Geschichte des Rechts nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Von einer unmittelbaren »Kritik […] des legislativen Gedankens« und »nicht [sc. nur] der Worte«1210, also der sprachlichen und rechtstechnischen Umsetzung des gesetzgeberischen Gedankens in einen oder mehrere Rechtssätze, hatte Jhering damals insofern gesprochen, als die Jurisprudenz nach seiner Vorstellung bei der Verallgemeinerung eines einzelnen historischen Durchbruchspunktes sich nicht auf den tatsächlichen historischen Gesetzgeberwillen beschränkte, sondern im Gegenteil auf der Grundlage des Grundsatzes formaler Gleichbehandlung den tatsächlich legislativen Gedanken sowohl als rechtswissenschaftlich unvollständig wie auch als rechtsethisch ungerecht1211 kritisierte und aufgrund dieser Erkenntnis auch gleich selbst entsprechend modifizierte. Die rechtswissenschaftliche Modifikation durch Verallgemeinerung hatte Jhering damals selbst im Falle eines nach juristischer Auslegung des Rechtssatze auf einen engen Anwendungsbereich beschränkten »legislativen Gedankens« nicht als einen rechtsquellentheoretischen Übergriff »in die Rechte des Gesetzgebers« betrachtet1212. Der Grund dafür lag darin, dass er in den fünfziger Jahren, also vor Überwindung seines formalen Prinzipienrigorismus1213, nicht nur die Jurisprudenz, sondern auch den Gesetzgeber dem formalen Grundsatz juristischer Konsequenz unterworfen sah. Danach musste derjenige, der »das Princip will«, unbedingt »auch die Consequenzen [genehmigen], einerlei ob er sich derselben bewußt geworden« sei und sie damit billige oder nicht. Umgekehrt stand es für Jhering damals außer Frage, dass derjenige »das Princip will«, nämlich aus Gründen der Gleichbehandlung bzw. juristischer Konsequenz wollen müsse,

1209 1210 1211 1212 1213

Rechtssatz nichts anderes als ein bei einer einzelnen Frage zunächst hervortretendes Princip. Echte Jurisprudenz weiß dies zu erkennen und zu verwerthen, sie bewährt sich gerade hierin vor Allem.« Dagegen hielt etwa F.Eisele, Kleinigkeiten (1885), S. 126, 130 einen »Durchbruchspunkt« nicht mehr durch die Jurisprudenz, sondern nur »auf dem Wege gewohnheitsrechtlicher Rechtsbildung z. B. auch durch die Gerichtspraxis, mittels analoger Ausdehnung zu einem neuen Rechtsprinzip« für erweiterbar. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 371. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 370. Vgl. eingehend Teil 2, Abschnitt I. 2. c) zur Parallelität der von Jhering sogenannten »intellektuellen«, nämlich rechtswissenschaftlichen, und der »moralischen«, nämlich normativ auf formale Gleichbehandlung gerichteten »Konsequenz« im Recht. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 370. Vgl. dazu unten Teil 2, Abschnitt I. 2. c) bb).

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»wer uns die Punkte bezeichnet, aus denen wir es entnehmen können.«1214 Die Jurisprudenz tat insoweit also nur, was eigentlich der Gesetzgeber ohnehin bereits hätte tun können und müssen. Als Jhering jedoch im Zuge seiner wissenschaftskritischen Wende Anfang der sechziger Jahre seinen formalen Prinzipienrigorismus aufgab und die rechtswissenschaftliche Konsequenz zusätzlich einem normativen Richtigkeitsvorbehalt unterstellte1215, war die Rechtswissenschaft im Hinblick auf die früher sogenannte »höhere Kritik […] des legislativen Gedankens« bzw. die später sogenannte »Kritik des Rechts durch sich selbst« fortan darauf beschränkt, die notwendige Verallgemeinerung eines sogenannten historischen Durchbruchspunkts nur zu benennen und deren rechtliche Umsetzung vom Gesetzgeber zu fordern. So wie Jhering nach seiner wissenschaftskritischen Wende die juristische Konsequenz im Rahmen der Rechtsanwendung dem Richtigkeitsurteil der Rechtsprechung unterstellt hatte, unterlag nun auch die Rechtsfortbildung durch Verallgemeinerung eines sogenannten historischen Durchbruchspunkts im geltenden Recht der von den jeweiligen Zeitumständen1216 abhängigen rechtspolitischen Richtigkeitsentscheidung des Gesetzgebers. Hierin liegt auch der nähere Zusammenhang von Jherings wissenschaftskritischer Wende Anfang der sechziger Jahre und seinem späteren Erklärungsmodell für die geschichtliche Aufwärtsentwicklung von Sitte und Recht. Mit der rechtsquellentheoretischen Reduzierung der Rechtswissenschaft auf die Ausarbeitung und Formulierung rechtspolitischer Forderungen nach Rechtsänderung durch Verallgemeinerung eines bisher nur als historischer Durchbruchspunkt im Recht enthaltenen Gedankens war nämlich eine Voraussetzung für Jherings Ausarbeitung seines späteren Modells der sittlichen und rechtlichen Evolution geschaffen1217.

1214 Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 382. Diesen Satz hat Jhering in der zweiten Auflage von 1869 bezeichnenderweise gestrichen. 1215 Vgl. dazu eingehend Teil 2, Abschnitt I. 2. c) dd). Ferner zur »außerdogmatischen Richtigkeitskontrolle« (Josef Esser) in der heutigen Rechtswissenschaft C.-E.Mecke, Beiträge (2009), S. 545. 1216 Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung seiner Theorie der sittlichen Evolution, nannte Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 25 auch ganz konkrete gesellschaftliche Umstände, etwa die zeitgenössische Haltung der Kirche oder der Gewerkschaften, die die jeweilige Entscheidung des Gesetzgebers über die Verallgemeinerung eines historischen Durchbruchspunkts gesellschaftlich vorbereiten. 1217 Zu dieser entwicklungsgeschichtlichen Modellvorstellung aus Jherings Spätzeit gehörte allerdings noch mehr, nämlich insbesondere die von Jhering nach eigenem Bekunden erst spät gewonnene Erkenntnis, dass alle sittlichen und rechtlichen Normen nicht »jedes Menschen Brust«, also letztlich angeborenen Wertvorstellungen entstammen [so noch Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 67], sondern historischen Interessenlagen, dem darauf reagierenden Verstand sowie der menschlichen Fähigkeit zur weitergehenden Abstraktion.

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Mit Blick auf die allen »geschichtlichen Entwicklungsstufen des Rechts«1218 zugrunde liegenden gesellschaftlichen Voraussetzungen gründete sich die Rechtsfortbildung durch Verallgemeinerung von historischen Durchbruchspunkten nach Jherings späterer Theorie zwar weiterhin auf die – insbesondere auch von Juristen getragene – »Einsicht und […] Bemühungen erleuchteter Geister, die weiter blickten als das Volk«, wenn nämlich diese »Geister« als vordenkende »Pfadfinder und Bahnbrecher«, weiterdenkende »Köpfe und thatkräftige Persönlichkeiten«1219 von einem singulären historischen Durchbruchspunkt eines neuen Prinzips im geltenden Recht zu abstrahieren vermögen und aufgrund dieser Erkenntnis fordern, im geltenden Recht »aus h a l b e n Wahrheiten g a n z e zu machen«1220. Erreicht werden konnte dies nach Jherings späterer Theorie der sittlichen Evolution aber nur, »indem sie [sc. die erleuchteten Geister] die öffentliche Meinung für sich gewannen« und auf diese Weise »die Gesetzgebung nötigten, die von ihnen vorgezeichnete Bahn einzuschlagen«, also entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen1221. Allein das beispielsweise von Rechtswissenschaftlern auf der Grundlage des geltenden Rechts formulierte »Postulat des Rechtsgefühls« in seiner hier maßgeblichen Bedeutung als »Abstractionsvermögen des menschlichen Geistes«1222 sollte nach Auffassung des späten Jhering also nicht ausreichen, um den rechtlichen Wandel auch zu vollziehen1223. Die Geschichte belegte nach Jhering sogar, »dass die wichtigsten Neuerungen bei den neueren Völkern« schon lange vorher von der Rechtswissenschaft »als Postulat des Rechtsgefühls erhoben worden waren«, bevor sie »in der Regel erst in schweren Zeiten durchgesetzt worden sind, sei es bei Kriegen, sei es bei gesellschaftlichen Bewegungen; kurzum, es hat noch 1218 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 27. 1219 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 24. Vgl. auch Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 49 zur Rolle »des gebildeten Individuums – ich nehme in der Wissenschaft an, des Juristen«, bei der Forderung nach Universalisierung von im Recht bereits enthaltenen Rechtsnormen. 1220 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 25f. Den der Abstraktion vom »h i s t o r i s c h e n D u r c h b r u c h s p u n k t e « zugrunde liegenden »Denkzwang« [Jhering, Besitzwille (1889), S. 99] verglich Jhering dort wie auch in Zweck II (11883), S. Xf., in Rechtsgefühl (1884), S. 44ff., 49f. und in Entwickl.gesch.(1894), S. 25 mit dem geistigen Lernprozeß eines Kindes. 1221 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 23 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 1222 Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 45. 1223 Auch O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 137f. betont insoweit zu Recht, dass die im Zusammenhang mit der Lehre vom historischen Durchbruchspunkt vom späten Jhering allerdings nicht mehr so bezeichnete »Analogie allein noch keine rechtsverbindliche Argumentation erlaubt[e]«, sondern »der Umsetzung in eine neue positive Regel« bedurfte. Auch die Rechtswissenschaftler sorgten hier nur noch für die »Vermittlung der Forderung an die Gesetzgebung« [K.Luig, Jhering (1993/1996), S. 261], den im geltenden Recht bisher nur in einer einzelnen Rechtsregel vorhandenen historischen Durchbruchspunkt entsprechend der ihm nach Auffassung der Rechtswissenschaft eigentlich zukommenden Allgemeinheit für die gesamte Rechtsordnung zur Anwendung zu bringen.

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immer dieses praktischen Druckes und der Nöthigung bedurft, um die Forderungen des Rechtsgefühles zu realisiren.«1224 Es war mithin auch nicht nur den »Besonderheiten der romanistischen Rechtsquellenlehre« geschuldet1225, wenn Jhering in seinem 1884 vor der Wiener Juristischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag »Über die Entstehung des Rechtsgefühls« ein Beispiel für seine Theorie der rechtlichen und sittlichen Evolution angeführt hat, bei dem die Bildung der neuen dem fortgeschrittenen Rechtsgefühl entsprechenden Regel auf gesetzlichem Wege erfolgt war. In der sachlich wie vermutlich auch entstehungsgeschichtlich eng mit dem genannten Vortrag Jherings im Zusammenhang stehenden Einleitung zur »Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts«1226 hat Jhering nicht nur theoretisch ausdrücklich auf die durch die öffentliche Meinung rechtspolitisch geforderte Gesetzgebung verwiesen, sondern mit dem »Urheber- und Patentrecht« auch »Beispiel[e] aus neuerer Zeit« angeführt1227, die im 19. Jahrhundert nicht nur in den deutschen Partikularstaaten zu den klassischen Feldern moderner Reformgesetzgebung gehörten1228. Auch die weiteren von Jhering angeführten Beispiele, nämlich der Bauer, der rechtlichen »Schutz gegen den Wildschaden begehrte«, und vor allem »jetzt die arbeitenden Klassen in Bezug auf die Verbesserung ihres Loses« zielten eindeutig auf den Gesetzgeber, durch den auch positivrechtlich der soziale »Wandel geschaffen werde[n]« sollte1229. Der Rechtswissenschaft bzw. denjenigen Rechtswissenschaftlern, die sich als eigenständig denkende »Köpfe und thatkräftige Persönlichkeiten« hervortaten, sollten bei der Vorbereitung der Gesetzgebung, nämlich bei der Formulierung einer durch den historischen Durchbruchspunkt jeweils »im Re c ht s e l b e r begründet[en] […] nur […] von ihm [sc. dem Recht] selber nicht verwirklichte[n] Konsequenz seiner sonstigen 1224 Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 50f. 1225 So aber O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 137. 1226 Vgl. O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 68f. sowie dort auf S. 49f. die editorische Anmerkung in Fn. 24. 1227 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 26. 1228 Vgl. H.Coing, Privatrecht II (1989), S. 149ff., 153ff. und dort insbesondere S. 154, 157f., 162 zu dieser in einem engem Zusammenhang mit der Einführung der Gewerbefreiheit stehenden Gesetzgebung zur Schaffung eines modernen gewerblichen Rechtsschutzes. Historisch-politisch war es allerdings eher eine Widerlegung als eine Bestätigung für Jherings entwicklungsgeschichtliche These, wenn sich gerade die Pandektenwissenschaft bei der rechtsdogmatischen Vorbereitung der Gesetzgebungen im Bereich des Schutzes der Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechte bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nicht nur nicht hervorgetan, sondern umgekehrt noch Schwierigkeiten hatte, neue gesetzlich geschaffene Rechte »mit geeigneten Kategorien zu erfassen und in ihr Privatrechtssystem zu integrieren« [so etwa D.Klippel, Hist. Wurzeln (1982), S. 139, 144ff., 148ff. und ferner H.Coing, Privatrecht II (1989), S. 46, 52]. Zu den Gründen D.Klippel, Hist. Wurzeln (1982), S. 137ff.; Ders., Naturrecht (1995), S. 284, 291f. 1229 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 25. Vgl. insoweit auch H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 80 sowie P.Landau, Rechtsquellenlehre (1993), S. 84f.

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Grundsätze«1230 zwar naheliegenderweise eine fachlich begründet hervorragende Rolle zukommen. Aber diese Rolle war nicht mehr exklusiv, sondern bezog sich auf alle gesellschaftlichen Eliten, die sogenannten hervorragenden »Geister«, »Pfadfinder und Bahnbrecher« auf den vorzugsweise akademisch, nicht jedoch notwendig rechtswissenschaftlich gebildeten »Höhen der Wissenschaft und Litteratur, die [zwar] der großen Menge unzugänglich sind«, aber durch ihre Wirkung auf die gelehrte und publizierte »öffentliche Meinung« jeweils Einfluß auf die Gesetzgebung entfalten könnte1231 und dies selbst auf »Gebieten, die dem Interesse und Rechtsgefühl des Volks gänzlich fernliegen«1232. Bei den gesellschaftlichen Eliten, die »der Masse die Mühe des eigenen Denkens und der eigenen [sc. geistig abstrahierenden] Arbeit ab[nehmen]«, hat Jhering also nicht mehr differenziert zwischen Juristen und anderen Meinungsführern innerhalb und außerhalb der Wissenschaften, ja selbst die schöngeistige »Litteratur«1233 etwa von sozial engagierten Schriftstellern hat 1230 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 25; Ders., Rechtsgefühl (1884), S. 49. Da Jherings späte Theorie des sozialen Wandels keine bloße Theorie der rechtswissenschaftlichen Erkenntnis mehr war, sondern Jhering das geltende Recht und die rechtswissenschaftliche Abstraktion seiner Inhalte jetzt nur noch als Mechanismen eines rechtsübergreifenden gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsprozesses verstand, war auch der historische Durchbruchspunkt eines innerhalb des geltenden Rechts bereits verankerten neuen Rechtsprinzips nun im gesellschaftlichen Zusammenhang mit allen sonstigen auch nicht rechtlichen Einrichtungen zu betrachten, also beispielsweise die in dem kritischen Rechtsgefühl gegenüber dem geltenden Recht verkörperte »Forderung der arbeitenden Klassen auf Aufbesserung ihres Loses« im Zusammenhang mit allem, »was die Kirche, die Gesetzgebung, die Staats- und Kommunalverwaltung und die freie Association in dieser Richtung [bereits] beschafft hatten […]« [Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 25]. 1231 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 23f. 1232 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 26. W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 216f. Fn. 923 a.E. und A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 232f. wollen daher im Anschluss an M.Bihler, Rechtsgefühl (1979), S. 5f. sogar von einer »Genie-Theorie« Jherings sprechen. Trotzdem lag in ihr keineswegs nur eine neue Version des alten »Spezialistendogmas«, wie Brockmöller, aaO, S. 232f. mit Fn. 167 meint, wenn sie vermutet, Jhering sei »es offensichtlich entgangen, daß er, im Bemühen sich von der Volksgeistlehre der historischen Rechtsschule abzugrenzen, hier dieser gerade wieder nähert.« Denn erstens war die Bezeichnung der von Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 23f. sogenannten »Pfadfinder und Bahnbrecher«, die bereits »weiter blicken als das Volk«, weil sie »sich zuerst von den hergebrachten Anschauungen losgerissen« haben, keineswegs nur auf die gesellschaftliche Gruppe der Rechtswissenschaftler zugeschnitten oder gar beschränkt. Und zweitens sollten – was noch wesentlicher ist – die geistigen »Pfadfinder und Bahnbrecher« niemals die »öffentliche Meinung« vertreten, sondern dieselbe vielmehr durch öffentliche Überzeugungsarbeit für sich gewinnen – ein gesellschaftstheoretisch in die Moderne weisender Gedanke, der übrigens auch schon dem jungen Jhering in der Zeit des Vormärz wichtig gewesen war. 1233 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 24. Dass Jhering, aaO mit dem Verweis auf die »Litteratur« entgegen der Vermutung von A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 233 nicht etwa wissenschaftliche Fachliteratur meinte, ergibt sich nicht nur aus dem Kontext, in dem Jhering von den »Höhen der Wissenschaft und [sic!] Litteratur« sprach (aaO, S. 23f.),

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Jhering nicht ausgenommen1234. Auch damit bekräftigte Jhering, dass die »K r i t i k d e s Re c ht s du r c h s i c h s e l b e r «1235, selbst wenn sie von Rechtswissenschaftlern formuliert wurde, nur noch gesellschaftlich bzw. rechtspolitisch bedeutsam, nicht aber mehr rechtsquellentheoretisch relevant sein sollte. War nach Jherings Ansicht in den 1850er Jahren die als Grundlage des »Gesetz[es] des [sc. wissenschaftlichen] Werdens« sogenannte »höhere Kritik […] des legislativen Gedankens« eine bloße Angelegenheit der wissenschaftlichen Erkenntnis eines historischen Durchbruchspunktes gewesen, so dass diese Erkenntnis durch den ausschließlich der wissenschaftlichen Wahrheit verpflichteten Rechtswissenschaftler theoretisch jederzeit und ohne Gesetzgebungsverfahren sowie rechtspolitische Diskussion in die auch juristisch verbindliche Formulierung einer entsprechend verallgemeinerten Rechtsnorm münden konnte1236, so war dies nach seiner wissenschaftskritischen Wende Anfang der sechziger Jahre nicht mehr möglich. Auch in Jherings späterer Theorie der rechtlichen Evolution bezeichnete die in dieser Verallgemeinerung liegende »Abstraction, das Denken, oder sage ich: die Dialektik des Begriffs«1237 nur noch den jeweils dem rechtlichen Fortschritt zugrunde liegenden geistigen Prozeß, »die rein l o g i s c h e n oder a k a d e m i s c h e n Re g i on e n der Rechtsbegriffe«1238. Die Abstraktion »kann zwar kein Leben s c h a f f e n , aber was sie vermag, ist: den von der Geschichte einmal gegebenen Keim des Lebens mit stiller, aber unablässig wirkender Kraft zur vollen Entwickelung drängen […]«1239, um so den Schritt zur gesetzgeberischen Weiterentwicklung der einschlägigen Rechtssätze oder aber – wie vor allem in der Vergangenheit – auch »zur gewohnheitsrechtlichen Geltung«1240 derselben vorzubereiten1241. In einem solchen übergreifenden Sinne sah Jhering nun im »juristischen Denken […] die gesammte an der Entwickelung des Rechts sich betheiligende geistige Thätigkeit, gleichmäßig die des Gesetzgebers wie der Theorie und der Praxis«, die darauf zielt, »den Gedanken von seiner ursprünglichen beschränkten historischen Erscheinungsform zu entbinden.«1242

1234

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sondern auch aus seinem sonstigen Sprachgebrauch. Wissenschaftliche Fachliteratur firmierte in Jherings Schriften als »Theorie«, »Doktrin« oder schlicht als »Wissenschaft«. Vgl. auch H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 62, der an dieser Stelle von Jherings Modell der rechtlich-sittlichen Evolution neben »dem großen Rechtsdenker und Gesetzgeber« auch den »Bereich der Philosophie und der geistigen Ideenproduktion und Aufklärung […] ausdrücklich als wichtige Triebkraft des Fortschritts« berücksichtigt findet. Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 26. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 370f. Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 303. Jhering, Besitzwille (1889), S. 131. Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 303. Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 309. Vgl. auch Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 253f. Jhering, Besitzwille (1889), S. 100.

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Nicht nur rechtspolitisch, sondern auch rechtswissenschaftlich bedeutsam blieb die Jurisprudenz nach Jherings wissenschaftskritischer Wende dagegen in dem ihr von Jhering zugewiesenen ureigensten Bereich der juristischen Konstruktion1243. Neben der im übrigen auch von der Rechtswissenschaft vorbereiteten »Reflexion des Gesetzgebers« maß Jhering in seinen späten Jahren »der begriffsbildenden Thätigkeit der Wissenschaft« weiterhin einen »gestaltenden Einfluss« auf das jeweils geltende Recht zu1244. Ausdrücklich sprach Jhering vom »wahrhaft schöpferischen Beruf« des »Theoretiker[s]«1245, wie überhaupt durch Jherings zahlreiche Zusätze und Modifikationen bei Überarbeitungen bereits erschienener Schriften deutlich wird, dass er an der »Produktivität« der von ihm sogenannten höheren Jurisprudenz zwar nicht mehr in einem Rechtsgeltung begründenden rechtsquellentheoretischen Sinn, wohl aber im Sinne eines wissenschaftlichen Zuwachses an theoretischer Rechtserkenntnis auch später nicht gezweifelt hat. Dennoch hatte sich durch Jherings wissenschaftskritische Wende auch für die rechtsquellentheoretische Qualifizierung der juristischen Konstruktion etwas Wesentliches geändert. So wies Jhering der rechtswissenschaftlichen Konstruktion im Rahmen der Theorie der »subjektiven Technik«1246 jetzt nur noch die Aufgabe zu, »das, was der Richterspruch ihr in concreter Gestalt entgegen getragen hat, zur Allgemeinheit des Begriffes [zu] erheben. […] Dieselbe Gewandheit und Sicherheit, welche der Richter am einzelnen Fall [zeigt], soll sie am Begriff bethätigen, kurz sie soll sein: die Praxis zur Form des [sc. wissenschaftlichen] Bewußtseins erhoben.«1247

Keine Rede war mehr davon, dass das wissenschaftliche Bewußtsein »verborgene Parthien des Rechts selbst […], in der Natur der Sache gelegene Unterschiede« im theoretischen Vorgriff in der Weise formuliere, dass der »Verkehr« und damit auch die ihn beurteilende richterliche Praxis nur noch, »so zu sagen, eine auf Veranlassung des praktischen Bedürfnisses unternommene Entdeckungsreise«1248 auf dem Gebiet des theoretisch längst Ermittelten und in wissenschaftliche Begriffe Gefassten unternehme. Vielmehr war die Reihenfolge jetzt genau umgekehrt,

1243 1244 1245 1246 1247 1248

Vgl. zu ihr Teil 2, Abschnitt II. 2. b) bb) und cc). Jhering, Zweck II (21886), S. 54. Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 90f. Vgl. Teil 2, Abschnitt II. 2. b) cc). Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 90f. Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 312. Diese ganze Passage hat Jhering 1866 in der zweiten Auflage von Geist II/1 folgerichtig gestrichen.

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»die Praxis handelnd und fortschreitend, die Theorie ihr nachfolgend und das, was jene gewonnen, in die richtige Form bringend.«1249

Die Theorie sollte zwar nach wie vor wissenschaftlich »produktiv« konstruieren, die naturhistorischen, nämlich »in der [sc. begrifflichen und systematischen] Natur der Sache gelegene[n] Unterschiede«1250 der jeweiligen juristischen Konstruktionen formulieren1251. Da Jhering dies aber nach seiner wissenschaftskritischen Wende wie überhaupt alle Ergebnisse der niederen und höheren Jurisprudenz der am jeweiligen Zweck eines Rechtsinstituts ausgerichteten Überprüfung durch das individualisierend-wertende Rechtsgefühl unterwarf, hatten alle auf der Grundlage der naturhistorischen Methode ermittelten »rein constructiven Gesichtspunkte« vorbehaltlich der vorbezeichneten Überprüfung nur noch einen »rein formal technischen Werth«1252. Sie waren immer zunächst nur »rein doctrinäre Vorstellung[en]« der Rechtswissenschaft, an die insbesondere die von der Wissenschaft nun grundsätzlich unterschiedene richterliche Praxis, die Rechtsprechung, nicht mehr unbedingt gebunden war, wenn es darum ging, aus den wissenschaftlichen Konstruktionen »praktische Consequenzen« für die richterliche Fallentscheidung abzuleiten1253. Auch über die juristische Verbindlichkeit »rein doctrinärer Gesichtspunkt[e]«1254 einer wissenschaftlichen Konstruktion sollte jetzt nicht nur ein »gesunder Takt«1255 des Richters entscheiden, sondern die »Steigerung des Gefühls, welche der Takt implicirt, […] des Rechtsgefühls […].«1256 Denn im Unterschied zu einer bloß rechtswissenschaftlichen Begründung des Theoretikers sollte der zur Entschei1249 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 91. 1250 Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 312. 1251 Vgl. nur zur wissenschaftlichen Produktivität den Zusatz, den Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 354 in den Text der zweiten Auflage einfügte: »[…] sie [sc. die rechtswissenschaftliche Konstruktion] schafft etwas Neues, was bisher nicht da war […].« Im Übrigen dazu eingehend Teil 2, Abschnitt II. 2. b) bb). 1252 Jhering, Besitzwille (1889), S. 278. 1253 Jhering, Besitzwille (1889), S. 278, 305. Jhering verwies insoweit auf die römischen Juristen, die bei ihren Fallentscheidungen, »so weit ich zu beurtheilen vermag, dieser Gefahr nirgends erlegen, ich erinnere mich keines Beispiels, daß sie einem rein constructiven Gesichtspunkt praktische Consequenzen entlehnt hätten, ihr gesunder Takt schützte sie dagegen« (aaO, S. 278). Jherings erst nach seiner wissenschaftskritischen Wende vorgenommene Unterscheidung zwischen »rein constructiven« Gesichtspunkten und »praktischen« Konsequenzen, zwischen rechtswissenschaftlicher Theorie und juristischer Praxis, ist allerdings nicht zu verwechseln mit der auch schon vom jungen Jhering vertretenen Auffassung, dass die Rechtswissenschaft als solche an ihre eigenen aktuellen oder auch früheren beispielsweise in den Pandekten überlieferten wissenschaftlichen Konstruktionen selbst nicht gebunden bzw. umgekehrt vielmehr verpflichtet war, diese im Falle neuer rechtswissenschaftlicher Erkenntnis entsprechend zu modifizieren. 1254 Jhering, Bemerkungen (1865), S. 391. 1255 Jhering, Besitzwille (1889), S. 278. 1256 Jhering, Zweck II (11883), S. 46f.

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dung berufene »Richter […] nicht allein denken, er darf und soll auch fühlen […].«1257 Jhering ging sogar noch einen Schritt weiter, wenn er den Richter im Falle von gesetzlichen Regelungslücken, zu deren Schließung sich kein »Anhaltspunkt im vorhandenen Recht […] finden« oder »aus der Consequenz« ableiten lasse, direkt aus denselben Quellen seine Entscheidung im konkreten Streitfall nehmen lassen wollte, »woher der Gesetzgeber sie nehmen würde: aus der Idee der Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit […].«1258 Spätestens mit dieser Zuweisung richterlicher Rechtsfortbildung war die Rechtsprechung selbst Rechtsquelle geworden. Tatsächlich sprach Jhering nun auch ausdrücklich vom »productiven Beruf des Richteramts«1259. Im Hinblick auf »den Einfluß […], welche[n] die ergänzende Tätigkeit des Richters« auch schon bei der »Anwendung des Rechts […] ausübt«, hielt Jhering ohnehin die Grenzen zur »Fortbildung desselben« für fließend. Denn »nach und nach bildet sich aus der Entscheidung der einzelnen Fälle, wenn die richtige einmal getroffen ist und unausgesetzt sich wiederholt, ein fester Niederschlag: eine im Gesetz überhaupt nicht oder wenigstens in dieser Fassung nicht enthaltene Regel […]. Nur das Terrain, das der Gesetzgeber selber der festen Rechtsform hätte gewinnen sollen, bildet den Schauplatz jener richterlichen Tätigkeit; was er unterlassen, holt hier der Richter nach, sei es, indem er bei den schlecht gefaßten Gesetzen den richtigen Sinn feststellt oder bei den inhaltlich unvollkommen gedachten im Geist des Gesetzes die Lücke ergänzt oder bei dem gänzlichen Mangel einer Rechtsregel die geeignete aufsucht.«1260

Damit wurde die Rechtswissenschaft durch Jherings wissenschaftskritische Wende auf eine rechtsquellentheoretisch dienende Rolle reduziert. Nicht ihre wissenschaftliche, wohl aber ihre rechtsquellentheoretische Produktivität, das heißt der Anspruch auf eine unmittelbare juristische Verbindlichkeit ihrer aufgrund der naturhistorischen Methode erlangten wissenschaftlich-produktiven Erkenntnisleistungen war durch die außerwissenschaftliche Kontrollinstanz des Praktikers aufgehoben1261 bzw. zumindest im Falle der richterlichen Lü1257 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 88 (Kursivhervorhebung nicht im Abdruck des Vorlesungsmanuskripts). Entsprechendes galt natürlich für den Theoretiker, der etwa in einem Gutachten einen praktischen Rechtsfall zu beurteilen hatte. Auch als Theoretiker unterschied Jhering, Lucca-Pistoja-Eisenbahnstreit (1867), S. 243 fortan »mein einfaches Rechtsgefühl und meine juristische Ueberzeugung« als die zwei maßgeblichen Instanzen für die Richtigkeit einer rechtlichen Begründung. 1258 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 89. 1259 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 89. 1260 Jhering, Der Takt (Nachlass), abgedruckt in: Zweck II (41905), S. 569ff. (573). 1261 Vgl. insoweit auch Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 84, wo Jhering für sich und seine rechtswissenschaftliche Arbeit auch persönlich erklärte: »Weit entfernt im bequemen Hochmuth, das Urtheil der Praktiker über theoretische Leistungen als nicht

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ckenfüllung durch den nun rechtsquellentheoretisch »productiven Beruf des Richteramts«1262 ersetzt worden. Dass Jhering diese richterliche »Produktivität« auch in einem rechtsquellentheoretischen Sinne verstanden wissen wollte, kann kaum ernsthaft bezweifelt werden angesichts der Tatsache, dass Jhering den Richter nicht nur pauschal auf die sogenannte substantielle »Idee der Gerechtigkeit« bzw. Überlegungen der »Zweckmäßigkeit« verwies1263, sondern sogar noch ausdrücklich hinzufügte, dass er aus derselben Quelle seine Entscheidung für den Einzelfall zu schöpfen habe, aus der sie der Gesetzgeber für seine generell-abstrakten Regelungen einer Vielzahl von Einzelfällen gewinne1264. Dabei konnte sich Jhering auch hier wieder ohne Schwierigkeiten darauf berufen, dass von der Richtigkeit seiner Auffassung »jedes Blatt der justianischen Pandekten Zeugniß ablegt«1265. Waren doch auch die in den Pandekten zusammengestellten Fragmente selbst nicht das Ergebnis bloß theoretischer Gelehrsamkeit gewesen, sondern entstammten teilweise unmittelbar dem Rechtswissenschaft, Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung in einmaliger Weise verbindenden1266 Prozess praktischer Rechtsschöpfung im konkreten Einzelfall. Aber auch in seiner eigenen Zeit stand Jhering mit der Verschiebung des Rechtsquellencharakters von der Rechtswissenschaft auf die von ihr nun rechtsquellentheoretisch unterschiedene Rechtsprechung keineswegs allein. So weist beispielsweise Jan Schröder darauf hin, dass die insbesondere von Savigny und Puchta begründete, allerdings niemals unbestritten1267 gebliebene Ansicht, wonach die Wissenschaft selbst Rechtsquelle sei, »von der späteren Pandektistik nicht mehr geteilt« wurde, dafür aber im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zunehmend der sogenannte Gerichtsgebrauch, die richterliche Rechtsprechung als eigenständige Rechtsquelle in den Blick der rechtsquellentheoretischen Überlegungen kam1268

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maßgebendes anzuerkennen, ordne ich mich in bezug auf alle meine dogmatischen Arbeiten bereitwillig dem Urtheil der Praktiker unter […].« Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 89. Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 89. Vgl. Teil 2, Abschnitt I. 2. c) dd) zu Jherings Entdeckung der auch »substantiellen Idee der Gerechtigkeit« als einem legitimen Bestimmungsgrund für die richterliche Entscheidungsfindung. So in der heutigen Methodenlehre nicht anders K.Larenz, Rechtsfortbildung (1965), S. 9. Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 89. Die Formulierung, dass »jedes Blatt unserer justinianeischen Pandekten […] Zeugniß« davon ablegen würde, hatte Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412 bis dahin nur dazu verwendet, die Richtigkeit seiner Charakterisierung des inneren »Systems« des Rechts als einer wissenschaftlich »unversiegbare[n] Quelle neuen Stoffs« zu belegen. Vgl. nur M.Kaser, Röm.PrivatR I (11971), § 46, S. 181ff.; § 51, S. 205ff.; § 52, S. 210f. zur »interpretatio im Sinne der Römer«, die Savigny für nicht in die zeitgenössische Auslegungslehre übertragbar gehalten hat, während hingegen Puchta in ihr ein Leitbild für das zeitgenössische »Verhältniß der Wissenschaft zu dem gegebenen Recht überhaupt« sehen wollte. Dazu eingehend C.-E.Mecke, Hermeneutik (2013), S. 49–58. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 217f. m.w. N. J.Schröder, Rechtsdogmatik (1989), S. 55f. m. w. N. und am Beispiel von Alois Brinz

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und – so kann man angesichts der anhaltenden Diskussion um die rechtsquellentheoretische Qualifizierung des Richterrechts noch anfügen – bis in die heutige Zeit auch in diesem Blickfeld geblieben ist1269.

J.Rascher, Brinz (1975), S. 101ff. Ferner P.Landau, Rechtsquellenlehre (1993), S. 79ff., der die neuen Tendenzen in der Rechtsquellentheorie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem auf die Reichsgründung von 1871 folgenden Verfassungswandel in Deutschland sieht, sowie auch R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 273ff. mit Belegen aus der Spätpandektistik des ausgehenden 19. Jahrhunderts und den zum Teil »merkwürdigen Synthesen« (Ogorek) zwischen dem Gesetzesbindungspostulat und der Einsicht in die richterliche Rechtsschöpfung. Im einzelnen unterschiedlich, aber in der allgemeinen Tendenz übereinstimmend sprach man danach beispielsweise von der besonderen Art des Rechts, das erst durch die Rechtsanwendung entstehe (Alois Brinz) oder »zum Gerichtsgebrauch ›verdichtet‹« sowie durch diesen erweitert oder umgebildet werde (Ferdinand Regelsberger). Vgl. insoweit auch die bereits im Text zitierten Äußerungen Jherings zum Richterrecht als dem »festen Niederschlag« eines gegenüber dem Gesetz eigenständigen gleichförmigen Gerichtsgebrauchs. 1269 Vgl. insoweit beispielsweise F.Bydlinski, Richterrecht (1985), S. 150ff. mit einem Überblick über die gegenwärtigen »Hauptpositionen zum Richterrecht«, die noch heute schwanken zwischen einer Qualifizierung des Richterrechts als Gewohnheitsrecht oder aber als »wissenschaftliches Recht«, dessen »Geltungsanspruch […] sich nur aus der Richtigkeit der […] Argumente«, nämlich »kraft seiner Begründung aus der Rechtsordnung« ergebe (aaO, S. 150). Vgl. im übrigen auch K.Engisch, Einführung (71977), S. 252ff. (Fn. 115a) m. w. N.

Teil 2: Jherings inhaltlicher Begriff des Rechts und die Methode der Rechtswissenschaft Die Formulierung von Begriff und Methode des Rechts, in Jherings Worten die »e t h i s c h e Seite des Rechts«, nämlich die »Ideen und Anforderungen, die objectiv in der sittlichen Bestimmung des Rechts und subjectiv in dem natürlichen Rechtsgefühl ihren letzten Grund haben«, und die sich daraus ergebende »s p e c i f i s c h j u r i s t i s c h e « Seite, die »juristische Technik« des Rechts1270, sollten nach Jhering zusammen den Gegenstand der »heutzutage noch in der Kindheit« befindlichen »Naturlehre« des Rechts bilden, deren Ausarbeitung Jhering lebenslang verfolgt hat1271. Eine solche »allgemeine Lehre von der Natur

1270 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 321. Entsprechend unterschied Jhering auch später noch die »ethische Seite« des Rechts und die Untersuchung des »specifisch-juristischen Elements« [Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 77]. Allerdings hatte er 1868 – entgegen der vom Herausgeber in Jherings Vortrag eingefügten Zwischenüberschrift – bereits Abstand genommen von der Vorstellung eines »vorbildliche[n] Rechtshistorikers«, der »Jurist, Philosoph und Historiker in einem« ist (aaO, S. 76). Vielmehr – so Jhering jetzt ausdrücklich – würden im Hinblick auf die »ethische Seite« des Rechts »der Historiker und der Jurist Gefahr laufen ihre Aufgabe zu verfehlen, wenn sie nicht den Rechtsphilosophen zur Hülfe mit heranziehen« und im Sinne einer dreifachen »Arbeitsteilung« nach »der historischen, praktisch-juristischen und rechtsphilosophischen Thätigkeit« verfahren (aaO, S. 77f.). 1271 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 11; Ders., Geist II/2 (11858), S. XIIf.; Ders., Entwickl.gesch.(1894), S. 5: »Einen Beitrag zur Lösung der Aufgabe in diesem Sinne soll wie mein früheres Werk [sc. der «Geist des römischen Rechts»], so auch das jetzige liefern.« Mit Blick auf den auch in Jherings Nachlassnotizen aus den vierziger Jahren immer wieder auftauchenden Ausdruck spricht M.Kunze, Lebensbild (1992), S. 11f. von einer lebenslangen Suche Jherings nach einer »Naturlehre des Rechts«. Der nach R.Dreier, Jhering (1993/1996), S. 225 von Jhering »nicht sehr glücklich gewählt[e]« Ausdruck »Naturlehre« war allerdings nicht dessen Erfindung gewesen, sondern ein bereits in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts vor allem in der Staatslehre gängiger Topos der Zeit [vgl. M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 181, S. 183 Fn. 265; H.Krüger, Staatslehre (1969), S. 55 m.w.N. sowie E.-W.Böckenförde, Organismus (1978), S. 586f.]. F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 2, S. 2 hatte sich gar auf die päpstliche Zustimmung zu einer säkularen »Naturlehre des Staates« berufen, die natürlich »nur eine Seite des Staates, und gerade die geringere […] beleuchten« könne. In Jherings Nachlass finden sich auch frühe bibliographische Notizen zur zeitgenössischen »Naturlehre des Staats« [Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 43r] sowie kursorische Aufzeichnungen etwa zu einer »Naturlehre des Vertrags« (aaO, Bl. 52v) oder zur »Natur d[es] Versprechens« (aaO,

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und Erscheinungsform des Rechts«, die nach Jherings Konzeption in seinem ab 1852 erschienenen Hauptwerk über den »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« nicht aus der Philosophie1272, sondern aus einer »philosophische[n] Betrachtung des Positiven«1273, also aus der Betrachtung der vergangenen und gegenwärtigen Formen des geltenden Rechts zu gewinnen sei, sollte die Voraussetzung bilden für eine wissenschaftliche Untersuchung konkreter Rechtsordnungen bzw. – in Jherings Worten – für eine »Kritik«1274 derselben. Mit dieser Forderung nach einer – aus der Sicht des jungen Jhering bisher versäumten – »eingehenden Kritik des römischen Rechts«1275, aber auch anderer Rechtsordnungen meinte Jhering nicht die kritische Prüfung des überlieferten Rechts »in Beziehung auf die legislativen Bedürfnisse und Zwecke der Gegenwart«1276 oder – in der Sprache der Historischen Rechtsschule – die Scheidung der in der Gegenwart »abgestorbenen« Rechtsüberlieferungen von den noch »lebendigen«1277. Solche Untersuchungen des Rechts hielt zwar auch Jhering für unerlässlich, dies jedoch in einem gesonderten Rahmen1278. In seiner Einleitung zum »Geist des römischen Rechts« aus dem Jahre 1852 erklärte Jhering nämlich: »Eine erschöpfende Beurtheilung des römischen Rechts würde dasselbe von drei verschiedenen Seiten zu betrachten haben«, nämlich nicht nur von der Seite des von Jhering im »Geist« eingenommenen »spezialhistorischen«, sich auf eine sogenannte »Charakteristik des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« beschränkenden Standpunkts, sondern auch vom »universalhistorischen und legislativen Standpunkt« aus gesehen1279. Aus diesem Grund kündigte Jhering eine umfassende »Beurtheilung« des römischen Rechts vom »legislativen Standpunkt« aus, also im Hinblick auf die zeitgenössische »legislative Brauchbarkeit dieses Rechts« im Jahre 1852 ausdrücklich »als selb-

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Bl. 53r). Jhering selbst unterschied offenbar schon damals die »Naturlehre u[nd] Politik d[e]s Privatrechts« (aaO, Bl. 42r). Vgl. dagegen G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 32, S. 97: »[…] wird […] den Begriff des Rechts die Jurisprudenz nur von der Philosophie überkommen können […].« Dazu C.E.Mecke, Begriff (2009), S. 448f. Vgl. Jherings handschriftliches Manuskript »Der Dualismus im gesamten Recht«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 172–224 (189f.). Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 10. Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 6. Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3. Vgl. nur F.C.v.Savigny, System I (1840), § 20, S. 94. Mit seinem ersten Hauptwerk, dem »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung«, ein inkommensurables »eigenartige[s] Gemisch aus rechtsphilosophischen, rechtshistorischen und rechtsdogmatischen Aspekten« zu schaffen [so resümierend W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 190], hatte jedenfalls nicht in Jherings Absicht gelegen. Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3f. (Kursivhervorhebung nicht im Original).

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ständiges Werk« für die Zukunft an1280. Es wurde allerdings ebenso wie die ebenfalls angekündigte, aber nur als Vorlesungsvorlage bzw. unvollständiger Manuskriptentwurf in Jherings Nachlass vorliegende »Universalrechtsgeschichte« nie verwirklicht1281. Jhering konzentrierte sich in seinem Hauptwerk somit auf eine in seiner Redeweise »spezialhistorische«, also allein auf das römische Recht beschränkte Untersuchung, die sich allerdings von den bisherigen einschlägigen Darstellungen »unserer romanistischen Jurisprudenz« durch das, was Jhering mit der im »Geist« geplanten »wahrhaften Kritik des römischen Rechts«1282 beabsichtigte, grundsätzlich unterscheiden sollte. Letztere sollte sich nämlich nicht erschöpfen in einer Beschreibung und Systematisierung der Inhalte und Überlieferungsformen des jeweiligen Rechtssystems, sondern aus der historischen Distanz fragen nach den von Puchta noch pauschal als unsichtbar bezeichneten historisch »letzten Gründe[n]«1283 für die Rechtsinhalte und Rechtsformen des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner historischen Entwicklung. Denn erst auf dieser Grundlage konnte nach Jhering nicht nur die historische »Einsicht in das wahre Wesen des römischen Rechts steigen«1284. Vielmehr könnten so auch in rechtstheoretischer Hinsicht abweichende Rechtsinhalte und Rechtsformen anderer Völker und Zeiten »auf empirisch-comparativem Wege« nebeneinander gestellt und für eine »allgemeine Lehre« über mögliche »Erscheinungsformen des Rechts überhaupt« sinnvoll miteinander verglichen sowie schließlich »auf rechtsphilosophischem […] Wege«1285 in die von Jhering als fortschreitend verstandene »Universal-Geschichte des Rechts«1286 eingeordnet werden. Wissenschaftlich konnte diese »Kritik« nach Jhering aber nur sein, wenn man einen allgemeingültigen »Maaßstab zur Beurtheilung« historischer und zeitgenössischer Rechtsordnungen zugrunde lege1287. Nun war die Rechtslehre bisher um die Formulierung eines solchen Maßstabes kaum jemals verlegen gewesen1288. Die Tatsache, dass Jhering dennoch aber gerade dieser »Mangel bei 1280 Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3f. 1281 Vgl. zur »Universalrechtsgeschichte« am Ende der Arbeit im »Verzeichnis der Quellen« [I.2.b) Unveröffentlichtes aus Jherings Nachlass, Position 8.)] die Erläuterungen zu einem aus den vierziger Jahren stammenden Manuskriptentwurf in Jherings Nachlass. 1282 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 9. 1283 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 9. 1284 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 11. 1285 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 10f. 1286 Jhering, Geist I (11852), § 1, S. 3. 1287 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 10. 1288 Auch Jhering selbst glaubte in seinen ganz frühen Jahren offenbar noch, den »wahren Maaßstab« durch philosophische Spekulation gewinnen zu können [M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 184f.]. Nicht anders als A. F.J.Thibaut, Versuche I (21817), S. 163, auf dessen Abhandlung sich Jhering in einer Anfang der vierziger Jahre entstan-

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meiner Arbeit sehr fühlbar geworden« ist und er eben daher 1852 auch die »Naturlehre […] noch [als] in der Kindheit« befindlich bezeichnete1289, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Jhering die bisherigen Versuche, das »Allgemeine« in den positiven Rechtsordnungen zu formulieren, als grundsätzlich unzureichend, wenn nicht sogar verfehlt ansah1290. So betrachtete er es ausdrücklich als methodisch verfehlt, dass – so Jhering in seiner späteren Wiener Antrittsvorlesung – die »Geschichtsschreibung« bei ihrer Suche nach der »Wahrheit« im historischen »Wechsel« einen »selbstgemachten Maßstab mitbringt«1291. Und nicht weniger unzulässig sei es, um das »Allgemeine« im jeweils historischen Recht, »d a s Recht«1292 im römischen Recht wie auch in sonstigen Rechtsordnungen zu finden, sich »an einzelne Bestimmungen desselben [zu] halten«1293, bestimmte Inhalte, Begriffe oder Rechtsprinzipien dieses Rechts für »allgemein« und andere für nur historisch zu erklären. Die programmatisch seinem Werk über den sich wandelnden historischen »Geist des römischen Rechts« vorangestellte Aufforderung, das römische Recht »prinzipiell [zu] erfassen«, zielte daher auch nicht in erster Linie darauf ab, konkrete römische Rechtssätze auf allgemeinere römische Rechtsprinzipien zurückzuführen, sondern aus der Distanz des Historikers mit Hilfe »der Teleskope« die den Formen und Inhalten des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung zugrunde liegenden vorrechtlichen Anschau-

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denen im Nachlass befindlichen Ausarbeitung übrigens sogar ausdrücklich berief, stellte der junge Jhering fest: Nicht der »dürre Praktiker« und nicht der »Historiker«, sondern »erst der Rechtsphilosoph erhält den wahren Maaßstab zur Beurtheilung der Dinge« [Jhering, Einfälle und Notizen (Nachlass), Bl. 57r]. Das Heft, in dem sich diese Notiz Jherings neben Aphorismen und literarischen Versuchen findet, stammt offenbar noch aus Jherings ersten Studienjahren [so auch M.Kunze, aaO, S. 185], also aus der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre, bevor er im Herbst 1839 nach Mitteilung von M.Kunze, Lebensbild (1992), S. 13 gelobte, »daß Theorien von jetzt an die einzige Poesie meines Daseins bilden« sollen. Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 10f. Das erklärt auch die zutreffende Beobachtung von W.Wilhelm, Das Recht (1970), S. 234, dass sich in Jherings »Geist« nicht mehr die thesenartige Gegenüberstellung und Einordnung des jeweiligen Rechts nach den zwei Kategorien eines »allgemeinen« und eines »individuellen« Rechts fänden wie noch in den zahlreichen zeitgenössischen Abhandlungen zu der jeweils allerdings unterschiedlich bestimmten »Doppelnatur des positiven Rechts« (vgl. dazu W.Wilhelm, aaO, S. 231ff.). Da Wilhelm allerdings Jherings eigene Konzeption im »Geist«, nämlich die Unterscheidung des historisch »physiologischen« und des juristisch »anatomischen« Standpunktes verkennt (vgl. dazu eingehend Teil 1, Abschnitt I. 2), können ihm – wie W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 192 zu Recht kritisiert – Jherings Aussagen einerseits über die Geschichtlichkeit des Rechts und andererseits über die »logische Gliederung« desselben nur wie Inkonsequenzen und Widersprüche [so W.Wilhelm, Das Recht (1970), S. 236f.] erscheinen. Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 71. Jhering, Geist I (21866), S. IX. Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 10.

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ungen, Denk- und Vorstellungsweisen zu ermitteln1294. Dabei ging Jhering im »Geist« anders als Puchta noch davon aus, dass es – auch im römischen Recht – keinen Rechtssatz und damit auch keinen Rechtsbegriff gebe, der in seiner konkreten Form »Allgemeinheit« bzw. universelle Geltung für sich beanspruchen könne1295. Denn es »ändern sich nicht bloß die Rechts s ä t z e , sondern mit ihnen auch die Begriffe und Institute, und es ändert sich nicht bloß die Beschaffenheit und Bedeutung unserer vorhandenen Rechts-Buchstaben, sondern die Zeit bringt uns völlig [sic!] neue und streicht die alten aus.«1296

Das galt nach Jhering theoretisch selbst für fundamentale Grundbegriffe des Privatrechtssystems ungeachtet des historischen Faktums, dass manche von ihnen »heutzutage im wesentlichen fast ebenso, wie vor anderthalb Jahrtausenden« rechtlich gelten und – so Jhering mit ironischem Unterton – manchem deswegen schon »in erklärlicher Selbsttäuschung […] als das Absolute«1297 oder »Allgemeine«, eben als »d a s Recht« im positiven Recht erschienen1298. Das 1294 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 10. 1295 Schon in der Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 50, Bl. 51v/52r hatte Jhering Auffassungen, die dem »R.[echt] […] d[es] röm.[ischen] Volkes […] den Charakter der Allgemeinheit vindizirte[n]« mit dem Naturrecht auf eine Stufe gestellt. »Beide Versuche stehen s.[ich] […] in ihrer feindl.[ichen] Richtung gegen das positive gleich. Beide verkannt[en] die Berechtigung des positiven ihnen gegenüber.« Im Übrigen habe das Naturrecht, das einen »Grundsatz zu Grunde [legte], aus dem [man] dann die wichtigst[en] Institute d[e]s pos.[itiven] R.[echts] folgern zu können glaubte«, zuletzt auch nur »d[a]s g[an]z[e] röm.[ische] R[echt] wieder darin aufgenommen […]. Von der Selbsttäuschung, die darin lag, d[aß] man R[echt]sbegriffe u[nd] Rechtsinstitute, die man aus dem posit.[iven] R.[echt] entnommen, aus der rein[en] Vernunft zu nehmen glaubte, schweige ich.« 1296 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 376. 1297 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 376. In seinem Handexemplar von Geist II/2 hatte sich Jhering an dieser Stelle noch handschriftlich notiert: »unmerklich sind wichtige Ände[run]gen damit vorgegangen; die Oblig.[ation] zur heut[igen] Z[ei]t ist 1 g[an]z ande[re] als zur Z[ei]t d[er] XII Tafeln«. Vgl. auch Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 296, wo dieser davon sprach, es sei eine »kindliche Vorstellung, die von einem völlig unkritischen Studium der Geschichte« zeuge, an »die »Unveränderlichkeit der römischen Rechtsbegriffe zu glauben«. In letzterem sieht K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 45 mithin zu Unrecht eine Erkenntnis, zu der Jhering erst in den 1860er Jahren vorgedrungen sei. 1298 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 376; Ders., Geist I (21866), S. IX. W.Wilhelm, Das Recht (1970), S. 238 bringt Jherings Auffassung daher auf die pointierte Formel: »die römischen Begriffe sind wie die Begriffe eines jeden positiven Rechts vergänglich – aber sie vergehen nicht.« Vgl. auch Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 305f., wo Jhering als jüngstes Beispiel einer derartigen »Selbsttäuschung« das kurz zuvor erschienene Buch »Über die geschichtliche Entstehung des Rechts« (1854) von Gustav Lenz anführt. In einem Brief an Gerber mokierte sich Jhering über Lenz, der »zu der ungeheuren Entdeckung« und »diesen tollen Satz« komme, »daß das römische Recht das Recht sei, ein anderes gebe es nicht und habe es nicht gegeben« [so Jhering in seinem Brief vom 28. Oktober 1853, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 28, S. 86f.]. Fast zur selben Zeit distanzierte

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richtete sich nicht weniger gegen frühere Versuche, das justinianische Corpus iuris civilis zur ratio scripta zu stilisieren1299, als gegen die zeitgenössischen Tendenzen zur einer Verabsolutierung zumindest des auf das klassische römische Recht zurückgeführten Kerns des rezipierten Pandektenrechts zu einer »raison e´crite«1300. Denn nicht nur die »Zahl u[nd] Arten, kurz das System der einzelnen Rechte«, sondern auch »die ihnen allen zu Grunde liegende gemeinsame Auffassung des Rechtsbegriffs selber«, die »Ausgangspunkte« und »typischen Zuschnitt[e] der Rechte« unterlägen »dem Wechsel, dem Einfluß der historischen Verhältnisse«1301. Zwar war auch nach Jherings lebenslanger Auffassung das Recht im römischen Recht enthalten in der Weise, wie in »jedem [sic!] Einzelnen […] das Allgemeine […] steckt«, »so […] auch im römischen Recht das Recht. Aber ein anderes ist das objective Vorhandensein eines Dinges, ein anderes die subjective Erkenntniß […] – man kann das römische Recht genau kennen u[nd] doch von dem allgemeinen Wesen des Rechts nur eine sehr dürftige u[nd] oberflächliche Kenntniß haben, wie dies in der That sowohl für die römischen, als auch für unsere heutigen Juristen zutrifft.«1302

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sich auch B.Windscheid, Rechtswissenschaft (1854), S. 9 nachdrücklich von Vorstellungen, wonach das römische Recht »d a s Recht« bzw. ein »absolutes Recht« sei. Entgegen P.Bender, Rezeption (1979), S. 82 war Windscheid aber deswegen nicht »der eigentliche Überwinder der Lehre vom römischen Recht als ratio scripta«. So Jhering, Unsere Aufgabe(1856), S. 20 (= Ges. Aufs. I, S. 17) im Anschluss an F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 27f., 35 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 113, 118) gegen die noch im 18. Jahrhundert verbreitete Vorstellung, dass ein durch »Destillation des römischen Rechts« gefundenes Recht die konkrete Verkörperung des damals erstrebten ewigen Vernunftrechts sein könne [Jhering, Jurisprudenz (1844), Sp. 102; Ders., Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 59]. Das übergeht E.Wolf, Rechtsdenker (41963), S. 635, wenn er meint, Jhering sei es im »Geist« darum gegangen, zu zeigen, wie sich das römische Recht zur »ratio scripta« habe entwickeln können. Insoweit missverständlich ist daher auch die Feststellung von O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 142f. Fn. 37, dass Jhering in »Unsere Aufgabe« den »bekannten und viel benutzten Ausspruch« von Leibniz, wonach die wesentlichen Inhalte des römischen Rechts mit den »aeternis rectae rationis« vergleichbar seien, »damals zustimmend« zitiert habe. Denn anders als zum Beispiel noch A. F.J.Thibaut, Versuche I (11798), S. 157f. dienten Jhering dieser Ausspruch von Leibniz wie auch die von Jhering gleichfalls angeführten Vorstellungen des Mittelalters, nach denen das römische Recht »als die ratio scripta, die geoffenbarte Vernunft in den Dingen des Rechts«, bezeichnet wurde [Jhering, Unsere Aufgabe(1856), S. 20 (= Ges. Aufs. I, S. 17)], nur als Belege dafür, wie man seit dem Mittelalter in den jeweiligen zeitgenössischen Denkkategorien des rationalistischen Naturrechts den besonderen geistigen Rang des römischen Rechts erkannt und zum Ausdruck zu bringen versucht habe. So noch wörtlich G.F.Puchta, Pandektenvorlesungen (1832), S. 1 (Anm. zu § 4); Ders., Pandekten (11838), § 3, S. 4. Ebenso auch A. F.Rudorff, Rechtsgeschichte (1857), § 119, S. 337. Vgl. dazu P.Bender, Rezeption (1979), S. 74f. Jhering, Theorie der Rechte (Nachlass), Bl. 223v. Jhering, Vorlesungsskripte (Nachlass), Bl. 37r (Jherings Unterstreichungen im handschriftlichen Manuskript sind im Text in Kursivschrift wiedergegeben). Das Manuskript ist nicht vor 1867 entstanden. Vgl. aber auch schon Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 10f.

Jherings inhaltlicher Begriff des Rechts und die Methode der Rechtswissenschaft

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Um eine die Geschichtlichkeit des Rechts verkennende wissenschaftliche »Selbsttäuschung« zu vermeiden, musste der Wissenschaftler daher – so Jherings Überzeugung spätestens seit Anfang der fünfziger Jahre – einen methodisch anderen Weg einschlagen als es die Verfasser bisheriger »Naturlehren«1303 des Rechts, aber auch – den im Nachlass befindlichen Notizen Jherings über eine »Naturlehre des Rechts«1304 nach zu urteilen – Jhering selbst Anfang der vierziger Jahre noch getan hatten. Denn wenn selbst Inhalt und Form scheinbar »ewiger« Rechtsbegriffe, wie etwa die konkrete Form des Eigentumsbegriffs, der geschichtlichen Veränderung unterlagen, durfte der Wissenschaftler sich nach Jhering nicht auf den konkreten normativen Inhalt selbst von Grundbegriffen einer Rechtsordnung beschränken, sondern war »beständig gezwungen«, von diesen »zu abstrahiren«1305, um den jeweiligen »geistigen Gehalt«, die jeweilige »Charakteristik« einer Rechts- und Sozialordnung »auf den verschiedenen Stufen« ihrer Entwicklung zu ermitteln1306. »Abstraktion« wurde bei Jhering so zum Schlüsselwort seiner geschichtsphilosophischen Methodologie, ja schließlich seiner Vorstellungen von Wissenschaft überhaupt1307. Durch Abstraktion bei »Gelegenheit der Beurtheilung eines einzelnen Rechts Gesichtspunkte aufzustellen, die dem Wesen des Rechts überhaupt entnommen sind, eine allgemeinere Wahrheit beanspruchen«1308, oder – wie Jhering es mehrere Jahrzehnte später sachlich unverändert formulierte – der Versuch, aus der Geschichte des Rechts nicht nur eine »Anschauung vom geschichtlichen Werden und Wachsen des Rechts«, sondern auch die »Erkenntnis seines Wesens«, nämlich den Begriff des Rechts sowie das »Verständnis der eigentümlichen juristischen Methode« zu gewinnen, das gehörte für Jhering zeit seines 1303 Eine typische zeitgenössische »Naturlehre des Rechts« war Leopold August Warnkönigs »Rechtsphilosophie als Naturlehre des Rechts«, die das sich »in der Geschichte des Rechts offenbarende Allgemeine zu erfassen« suchte [L.A.Warnkönig, Naturlehre (1839), S. 21], um zu klären, was im geschichtlichen Wechsel der Inhalte des geltenden Rechts »überhaupt Rechtens seyn k a n n ? was durchaus Rechtens seyn m u ß […] und endlich […] was Rechtens seyn s o l l […]« (aaO, S. 9). Vgl. im Übrigen auch K.Volk, Enzyklopädie (1970), S. 68ff. m. w. N. 1304 Vgl. M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 183ff. zu Jherings handschriftlichen Notizen über eine von Jhering selbst auf den 6. Juni 1841 datierte »Naturlehre des Rechts« sowie über das Abrücken Jherings von seinen ursprünglichen Auffassungen im Laufe der vierziger Jahre. 1305 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 10. 1306 So Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 4, 10 mit Blick auf das römische Recht. 1307 Vgl. Teil 1, S. 113 Fn. 484 zu der nach Jhering erforderlichen »Abstraktion« im Rahmen der Rechtsgeschichte sowie unten in Teil 2, S. 479–487, 510f., 532, 534 zu der notwendigen »Abstraktion« in einer wissenschaftlichen Rechtsdogmatik und in der Wissenschaft überhaupt. Zumindest bei Jhering hat der Begriff der Abstraktion somit einen sehr viel weiteren Bedeutungsgehalt als derjenige, den J.Nocke, Beständigkeit (1986), S. 134 ihm mit Blick auf die Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts zuweisen will. 1308 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 11.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Lebens zu dem, was die römische Rechtsgeschichte erst zum »anziehendsten und lehrreichsten Stücke der Geschichte«, zu »angewandte[r] Rechtsphilosophie« werden ließ1309. Das römische Recht hielt er in diesem Zusammenhang deswegen zur Gewinnung der »Naturlehre des Rechts« für prädestiniert, weil sowohl in »ethischer« Hinsicht seinen sogenannten »Grundtrieben« als auch in »juristischer« Hinsicht seiner »Technik« eine besondere universalgeschichtliche Bedeutung, im Falle des Privatrechts sogar überhaupt das Verdienst seiner »Entdeckung«1310 zukomme. Das römische Recht hatte für Jhering somit eine eigentümliche Doppelfunktion. Es bildete einerseits den Stoff, aus dem Jhering eine »allgemeine Lehre von der Natur und Erscheinungsform des Rechts überhaupt«, eine »Kritik des Re c ht s überhaupt«, kurz eine »Naturlehre desselben« zu gewinnen hoffte1311. In diesem Sinne verstand Jhering das »Streben, welches mich bei meinem Buch geleitet hat, dem R.[ömischen] R.[echt] eine allgemein wissenschaftliche Seite abzugewinnen, es aus der Niederung des rein fachmännischen Wissens in die Höhe des allgemein wissenschaftlichen Denkens und Interesses zu erheben«1312. Zugleich bildete das römische Recht im »Geist« andererseits aber auch den Gegenstand einer besonderen und nach Jherings eigener Auffassung bisher einmaligen rechtshistorischen Untersuchung, die ausdrücklich nicht »darauf [gerichtet ist], das Werden, die allmählige Entwicklung des Einzelnen wie des Ganzen, kurz die historische Bewegung« innerhalb der geschichtlichen Epochen des römischen Rechts zu zeigen1313, sondern darauf, in den großen Epochen 1309 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 5. Nach M.v.Rümelin, Jhering (1922), S. 76 suchte Jhering sowohl im »Geist des römischen Rechts« als auch im »Zweck im Recht« nach gleichbleibenden Determinanten im sich geschichtlich verändernden Recht. 1310 Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 135. 1311 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 10 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Jhering sprach daher von »einer allgemeinen Naturlehre«, nämlich »einer Kritik des R e c h t s überhaupt« anstelle einer bloßen »Kritik […] des r ö m i s c h e n Rechts« (aaO). Das bekräftigte Jhering lediglich in seinem späteren Vorwort zu Geist I (21866), S. IX: »Man würde den ganzen Zweck meines Werks verkennen, wenn man es als ein wesentlich rechtshistorisches auffassen wollte. Mein Augenmerk ist nicht das r ö m i s c h e , sondern d a s Recht, erforscht und veranschaulicht am römischen, m.a.W. meine Aufgabe ist mehr rechtsphilosophischer und dogmatischer Art als rechtshistorischer, den letztern Ausdruck in dem Sinn genommen, in dem unsere heutige Wissenschaft die Aufgabe der Rechtsgeschichte erfaßt«. »Um dies schon auf dem Titel zu betonen, hatte ich demselben in der ersten Auflage den Zusatz gegeben: ›Ein Beitrag zur Naturlehre des Rechts‹, strich denselben jedoch wieder […] theils um den Titel nicht zu schleppend, theils um ihn nicht noch anspruchsvoller und herausfordernder zu machen, als er es an sich schon ist.« Angesichts dessen erscheint die Behauptung, daß Jhering zwischen 1852 und 1866 seinen thematischen Akzent vollends versetzt habe von einer Geschichte des römischen Rechts zu einer Theorie des Rechts überhaupt [so W.Wilhelm, Das Recht (1970), S. 229; B.Klemann, Jhering (1989), S. 119], nicht überzeugend. 1312 So Jhering in einem Brief vom 25. November 1881, in: Franzos-Briefe/1892, S. 79. 1313 Jhering, Geist II/1 (11854), § 22, S. 3 sowie dazu F.Wieacker, Gründer (1959), S. 204.

Die historischen »Grundtriebe« als Ausdruck »angewandter Rechtsphilosophie«

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rechtskultureller Entwicklung, die nach Jhering innerhalb der römischen Rechtsgeschichte grundsätzlich zu unterscheiden waren, die in jeder Epoche dem Recht jeweils zugrunde liegenden und von den jeweiligen Zeitgenossen in der Regel noch nicht reflektierten Anschauungen, nämlich – in Jherings Worten – die »nur […] allgemeinen Charakterzüge«1314 und »leitenden Ideen, oder um einen frühern Ausdruck zu gebrauchen, den psychischen Organismus desselben zu ermitteln«1315. Die Fragen, was Jhering in diesem rechtsphilosophischen bzw. rechtstheoretischen Sinne nach seiner in den 1850er Jahren entwickelten Konzeption als »das Recht« im römischen Recht und damit als Bestandteil der Naturlehre des Rechts ansah und welche Folgerungen er daraus für die Methode der Rechtswissenschaft zog, sowie schließlich die Frage, ob bzw. inwieweit Jhering die Beantwortung dieser Fragen in späteren Jahren modifizierte, das soll das Thema der folgenden beiden Abschnitte zum inhaltlichen Begriff des Rechts (I.) und zur Methode der Rechtswissenschaft (II.) sein.

I.

Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

1.

Die historischen »Grundtriebe« des römischen Rechts als Ausdruck »angewandter Rechtsphilosophie«

Vergleicht man Puchtas und Jherings Hauptwerke zur Geschichte des römischen Rechts, also Puchtas zu dessen Lebzeiten in den ersten beiden Bänden 1841/42 erschienenen »Cursus der Institutionen« und Jherings seit 1852, also gut zehn Jahre später erscheinenden »Geist des römischen Rechts«, so fällt – abgesehen von den sonstigen Unterschieden in der Anlage beider Werke1316 – ein Unter1314 Jhering, Geist I (11852), § 6, S. 82. 1315 Jhering, Geist II/1 (11854), § 22, S. 3. Jhering selbst mußte allerdings schon bald feststellen, daß »das Verhältniß der von mir in diesem Werk verfolgten Aufgabe zu der der römischen Rechtsgeschichte nicht Jedem klar geworden ist« (aaO). Das lag daran, daß Jhering mit seinem Werk zwar neben der Gewinnung einer »Naturlehre des Rechts« sehr wohl auch einen rechtshistorischen Anspruch in bezug auf die Geschichte des römischen Rechts verband, ohne aber die herkömmliche Rechtsgeschichte, die im Sinne der Historischen Rechtsschule durch detaillierte historische Forschung das »Werden […] des Einzelnen wie des Ganzen« des Rechts (aaO) zur Anschauung zu bringen suchte, damit ersetzen oder für obsolet erklären zu wollen. Letzteres wollte Jhering nämlich weiterhin als »eine wesentliche Ergänzung unseres Versuchs« verstanden wissen (aaO). 1316 Vgl. O.Behrends, Privatrecht (2000), S. 10f. zur Anlage der römischen »Institutionen« sowie G.F.Puchta, Cursus I (11841), S. VIIf. selbst in seiner Vorrede zum »Cursus der Institutionen« über den im 19. Jahrhundert an ein Institutionen-Lehrbuch anknüpfenden »Zweck einer Beihülfe für das Studium des Rechts« und demgegenüber die im Eingang von

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

schied besonders ins Auge. Hatte Puchta seiner Darstellung des ältesten römischen Rechts ein mehr als hundert Seiten umfassendes »Erstes Buch« vorausgeschickt, in dem er den Begriff des Rechts aus rein »philosophischen Grundlagen« entwickelte1317, wollte sich Jhering im »Geist« auf die Ergründung historisch nachweisbarer »Grundtriebe« des römischen Rechts »auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« beschränken und auf diese Weise – so Jhering wörtlich – die »gefährlichen Höhen der [sc. philosophischen] Spekulation«1318 vermeiden.

a)

Naturrecht »a posteriori« in den 1840er Jahren

Eine distanzierte Haltung gegenüber philosophischer Spekulation hatte Jhering nicht immer eingenommen. So hatte Jhering zumindest Anfang und Mitte der vierziger Jahre noch keineswegs Verzicht auf philosophische Spekulation über »ein Recht in abstr[acto]«1319 üben wollen. Sucht man auch bei Jhering eine anthropologisch-theologische Rechtsbegründung im Stile von Puchtas »philosophischen Grundlagen« im Eingang zu dessen »Cursus der Institutionen« vergebens1320, so verstand Jhering doch die in Übereinstimmung mit Puchta1321

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Teil 2 dargelegte Konzeption Jherings im »Geist des römischen Rechts«. Gemeinsam war beiden Werken allerdings eine »Darstellung des reinen römischen Rechts« (Puchta), also eines historischen und damit nicht des im 19. Jahrhunderts geltenden Rechts. Und gemeinsam war ihnen auch der Versuch, eine – so J.F.Dworzak, Versuche (1856), S. 41 über Puchtas »Cursus« – »historische und […] philosophische Behandlung« des römischen Rechts miteinander zu verbinden. G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 1ff. (Erstes Kapitel). Vgl. im Übrigen C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 434 dazu, daß Puchta in seiner knapp zwanzig Jahre zuvor erschienenen ersten Publikation die »philosophischen Grundlagen« sogar noch als ein »philosophisches Recht« (§§ 5–12) dem »positiven Recht« (§§ 13–46) gegenüberstellt hatte [G.F.Puchta, Grundriß (1822), S. 6ff.]. Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 20 sowie auch schon Ders., Geist I (11852), § 2, S. 12: »Es ist aber nicht auf eine philosophische Analyse […] [sc. des Begriffs ›Recht‹] abgesehen […].« Vgl. zu diesem Unterschied zwischen Jhering und Puchta auch W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 172f. Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 1r. Schon in seinen frühen Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 11r trennte Jhering in einem Gliederungsentwurf [teilweise mitgeteilt von M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 157 Fn. 58] ganz grundsätzlich einerseits »Religion« und »Moralität« als die Bestimmung des Verhältnisses des »Mensch[en] zu Gott u[nd] zum Geist« und andererseits das Recht und die Sitte als die Bestimmung des Verhältnisses des »Mensch[en] zur Natur« bzw. zu seiner sozialen Umgebung. Rechtliche Grundbegriffe wie »Staat«, »Eigenthum«, »Besitz«, »Vertrag«, »Verbrechen« ergaben sich danach auch für den jungen Jhering ausschließlich aus dem letzteren Verhältnis und nicht – wie bei G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 4, S. 9f.; § 10, S. 23; § 24, S. 59 – aus dem Alten Testament. Vgl. Nur G.F.Puchta, Cursus I (11841), §§ 8ff., S. 16ff. (Abschnittsüberschrift) sowie dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 462.

Die historischen »Grundtriebe« als Ausdruck »angewandter Rechtsphilosophie«

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und im Übrigen auch noch weit über die fünfziger Jahre hinaus angenommene »Entfalt[un]g des R[echts] in der G[eschichte]«1322 zunächst noch in dem Sinne, dass in jeder geltenden Rechtsordnung der jeweilige »Begriff des R[echts] = was R[echt] ist« ein »Resultat der historischen Entwicklung« sei, hingegen die »Idee = was es sein soll« ein davon zu unterscheidendes »Resultat der philosophischen Anschauung«1323. Damit unterschied der junge Jhering nicht nur in damals noch jüngerer rechtsphilosophischer Tradition1324 explizit zwischen dem »Begriff« und der »Idee« des Rechts, sondern er identifizierte den »Begriff« des Rechts auch mit dem positiven »formalen Prinzip – d. h. das R.[echt] ist ein positives – näml.[ich] die Form, in der das R.[echt] bei dem bestimmten Volke erscheint«. Dem stellte Jhering »ein Volk, ein Staat, ein Recht in abstr[acto]« gegenüber, von dem das positiv »bestimmte R.[echt] […] nicht die reinste Form« sei1325. Die »reinste Form« bzw. »Idee« des Rechts als »Resultat der philosophischen Anschauung« war nach dieser Auffassung Jherings aber nicht eine auf die Natur oder göttliche Bestimmung des Menschen sich stützende philosophische Spekulation. Mithin war sie auch nicht neben oder gar vor aller geschichtlichen Betrachtung zu gewinnen. Vielmehr war es nach dieser frühen Auffassung Jherings beim Recht nicht anders als »bei allen Dingen, welche das Werk des Menschen sind«, man spürt den historischen »Gründen nach u[nd] letztere führen uns wieder weiter, zu dem, was sein soll – Spekulation«1326. Dieser philosophisch gewagte und von Jhering später auch aufgegebene1327 Schluss von den historischen »Gründen« bzw. demjenigen, was Jhering dafür erachtete, auf die 1322 Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 1r sowie dazu schon M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 182. Von einer »Verwirklichung der Rechtsidee in der Geschichte« sprach Jhering auch noch Ende der sechziger Jahre [Jhering, Vorlesungsskripte (Nachlass), § 3, B. 37r, solange nämlich, bis er nicht nur die Verwirklichung der Rechtsidee, sondern auch die Rechtsidee selbst als Ergebnis der Geschichte, nämlich des menschlichen Zweckdenkens auffasste. 1323 Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 3r (Jherings Unterstreichungen im handschriftlichen Original sind im Text in Kursivschrift wiedergegeben). Das Blatt mit den hier zitierten Notizen ist betitelt als »§ 4 Die Idee des R[echts]« sowie »§ 8 Aufgaben«. Es könnte sich dabei um Fragmente eines Konzeptes zu dem offenbar weitgehend nicht erhaltenen »Ersten Buch« (§§ 1–28) von Jherings »Juristischer Enzyklopädie« aus den 1840er Jahren handeln. 1324 R.Dreier, Rechtsbegriff u. Rechtsidee (1986), S. 7. Der Ausdruck »Rechtsidee« im Sinne des richtigen bzw. gerechten Rechts hatte »seinen begriffsgeschichtlich bedeutsamen Anstoß durch Kantianismus und Hegelianismus« erhalten [vgl. A.Baratta/H.Wagner, Artikel »Rechtsidee« in: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.8 (1992), S. 281]. Eben an diese rechtsphilosophische Terminologie seiner Zeit knüpfte auch der junge Jhering an. 1325 Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 1r (Jherings Unterstreichung im handschriftlichen Manuskript ist im Text in Kursivschrift wiedergegeben). 1326 Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 3r (Jherings Unterstreichung im handschriftlichen Original ist im Text in Kursivschrift wiedergegeben). 1327 Vgl. H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 60.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

normative »Idee« setzte allerdings einen Glauben voraus, nämlich – wie Jhering es in frühen handschriftlichen Aufzeichnungen auch selbst formulierte – den Glauben an einen »Parallelismus d[e]s sittl.[ichen] Prinzips u[nd] d[es] prakt.[ischen] Bedürfnisses«1328. Philosophische Spekulation ohne jede Anknüpfung an die Geschichte hat Jhering dagegen immer fern gelegen1329. Ein detailliertes, aus der menschlichen »Natur des Bewußtseyns und des Willens« abgeleitetes »philosophisches Recht«1330, wie es einst dem jungen Puchta in seiner frühesten für den Vorlesungsbetrieb bestimmten Veröffentlichung offenbar noch als wissenschaftlicher Maßstab und Bezugspunkt für die als »Nicht wissenschaftlich« bezeichnete »Eintheilung« des geschichtlich gewordenen »positiven Rechts« vorgeschwebt hatte1331, wäre für Jhering nie in Betracht gekommen. Ebenso konnten dem jungen Jhering bei aller unverhohlenen Anerkennung für den – wie Jhering in den vierziger Jahren hervorhob – »g[e]g[en] die histor.[ische] Schule. – Savigny« gerichteten ersten Versuch einer universalrechtsgeschichtlichen Privatrechtsgeschichte durch den Hegelianer Eduard Gans1332 dessen begriffsdialektische Prämissen doch nur wie ein »Mißbrauch mit philos.[ophischen] Formeln« erscheinen1333. Denn es war für Jhering schon Anfang der vierziger Jahre vollkommen inakzeptabel, »mit Gans an die Nothwendigkeit der Idee glaubend [zu] sagen: der G[e]s[etz]geber meinte dies u[nd] jenes zwar aus dem u[nd] dem Grund zu thun, allein er war sich seiner Motive selbst nur nicht bewußt – er that es aus der höheren Idee, aus einem geistigen Instinkt«1334. Eine derartige von 1328 1329 1330 1331

Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 1r. So auch M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 176. Vgl. G.F.Puchta, Grundriß (1822), § 5 (S. 6). G.F.Puchta, Grundriß (1822), § 14 (S. 8). Vgl. im Einzelnen C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 433–436 zu dieser noch deutlich unter Hegelschem Einfluß stehenden Konzeption Puchtas, die er aber bald nach 1822 aufgegeben haben muss. 1332 Vgl. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 54v ; Ders., Hist. Schule (1844), Sp. 408. 1333 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 54v. Nicht weil Eduard Gans in seinem Werk »Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung« bei der Rechtfertigung des universalrechtsgeschichtlichen Standpunkts »mit einer Anklage gegen die histor[ische] Schule auftrete«, sei die »ungünstige Aufnahme« des Buches gerechtfertigt gewesen, »sondern weil d[as] Buch wirkl.[ich] viele Mängel enthält, nam[entlich] einen Mißbrauch mit philos.[ophischen] Formeln u[nd] später [einen] Mangel an Verarbeit[un]g d[es] pos.[itiven] Stoffes« (aaO). Später wird Jhering Gans deswegen auch verspotten als den »Winfried« der »dialektischen Methode« und »philosophische[n] Spekulation« im Geiste Hegels [Jhering, »Zweiter Brief« von einem Unbekannten (1861), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 19]. Allerdings hat M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 175 m.w.N. auch darauf hingewiesen, dass dies alles Jhering nicht daran gehindert hatte, in seinem eigenen Manuskript zu einer »Universalrechtsgeschichte« gerade auf das Werk von Gans »immer wieder zurückzugreifen«. 1334 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 2r. Zu pauschal ist daher auch das Urteil von H.Klenner, Jherings Kampf (1992), S. 136 über den Rang der philosophischen Spekulation im Denken des jungen Jhering.

Die historischen »Grundtriebe« als Ausdruck »angewandter Rechtsphilosophie«

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Jhering sogenannte »Tendenzhistorie«, die so tut, »als ob die Ideen erst gewesen seien«, so als habe sie nur einen historischen Stoff wie »das römische Recht herbeigeholt, um sie [die Ideen] aufzunehmen«, ist Jhering nach eigenem Bekunden immer »ein Gräuel« gewesen1335. In späteren Jahren hat sich die Abneigung gegen geschichtsphilosophische Erklärungsversuche, die »den Eindruck einer aprioristischen Construction« machten anstatt von einer »einer Betrachtung der Geschichte« auszugehen1336, bei Jhering nur noch verstärkt. Dennochbeharrte auch der junge Jhering zunächst noch auf der grundsätzlichen »Verschiedenheit der histor[ischen] u[nd] philosoph.[ischen] Darstellung des Positiven«1337. Dies ist im Zusammenhang zu sehen mit der Kritik des jungen Jhering an der »Thätigkeit der historischen Schule«, die es, »fast ganz beschränkt auf die historisch-dogmatische Bearbeitung der in Deutschland geltenden Rechte, namentlich des römischen und deutschen Privatrechts«, bisher weder »zu einer Universal-Rechtsgeschichte« noch »zu einer Schulphilosophie […] gebracht« habe1338. Wenn auch noch unter dem Schutz der Anonymität1339 hatte der junge Privatdozent in seiner 1844 in der Berliner »Literarischen Zeitung« erschienenen Artikelfolge »Die historische Schule der Juristen« nämlich bereits bemerkenswert kritisch diagnostiziert, dass »die historische Schule eine Unterlassungssünde« begangen habe, da »sie lange Zeit hindurch nicht einmal den Versuch [sic!] machte, philosophisch […] ihre eigene Lehre zu begründen«, so dass sie, »mit der Erscheinung zufrieden, den Begriff [sc. des Rechts] vernachlässigte«1340. Vor allem durch die ständige »Wiederho1335 So Jhering in einem Brief an Bachofen vom 26. Oktober 1852, abgedruckt in: BrucknerBriefe/1934, Nr. VII, S. 69. Jhering nahm daher für seinen »Geist des römischen Rechts« eine induktive Vorgehensweise in Anspruch: »Ich habe dem römischen Recht nichts angedichtet […]. Im Wesentlichen glaube ich an die [sc. historische] Wahrheit jener drei Prinzipien, von denen ich [sc. in der Darstellung] das ältere Recht ausgehn lasse […]« (aaO). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Jhering, Geist III/1 (11865), § 50, S. 27 ausdrücklich über die »casuistische Erprobung« auf »inductivem Wege«. Eine andere Frage ist, inwieweit Jhering diesem Anspruch aus moderner rechtshistorischer Sicht betrachtet dann auch tatsächlich gerecht geworden ist. Dazu äußert sich sowohl im Hinblick auf den frühen wie auch den späten Jhering skeptisch O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 153ff. 1336 Jhering, Zweck I (21884), S. 245. 1337 Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 1r. 1338 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 406. 1339 Vgl. M.Kunze, Forschungsbericht (1995), S. 132f. und C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 248f. Fn. 838, 843 zur Frage nach der Zivilcourage, die sich beim jungen Jhering nicht nur im Hinblick auf die Anonymität seiner Veröffentlichungen in der im »Adlernest Savignys« (Kunze) herausgegebenen Berliner »Literarischen Zeitung« stellt. 1340 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 406. Mit dem »Begriff« des Rechts meinte Jhering hier also – wie M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 180 zu Recht hervorhebt – »eine rechtsphilosophische Betrachtungsweise«, also dasjenige, was Jhering in seinen oben zitierten Nachlass-Notizen die vom historischen »Begriff« zu unterscheidende »Idee« des Rechts bezeichnet hatte.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

lung der von Savigny über den relativen Charakter des Rechts und seine allgemeine Geschichte aufgestellten Ansichten« habe man es versäumt, »das Recht seinem Begriffe nach zu bestimmen« und geglaubt, »der Beihülfe der Philosophie entrathen zu können«1341. Dabei ließ der junge Jhering keinen Zweifel daran, dass er hier durchaus an die zeitgenössische Philosophie dachte, nämlich an die Philosophie nach Kant1342. Noch viele Jahre später hob Jhering daher im Hinblick auf den Begriff, wohlgemerkt nicht die Methode bzw. die von Jhering sogenannte »Technik des Rechts« hervor: »Von Hegel, Stahl, Trendelenburg habe ich in einer gewissen Richtung mehr gelernt, als aus einer großen Menge rein juristischer Schriften […].«1343

1341 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 406. Ferner auch schon Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 201: »[…] so viel kann man sagen, daß die philosophischen Studien von den einzelnen Mitgliedern der historischen Schule vernachlässigt wurden […].«Erstaunlicherweise ließ Jhering bei seiner pauschalen Kritik an der Historischen Rechtsschule unerwähnt, dass Puchta damals im Unterschied zu Savigny keinesfalls der »Beihülfe der [sc. zeitgenössischen] Philosophie« bei der Bestimmung des Begriffs des Rechts »entrathen zu können« glaubte. Aus Jherings Briefen [vgl. nur Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 10 (Jherings Brief an Windscheid vom 29. Januar 1853), S. 27] ergibt sich dagegen durchaus, daß Jhering neben Kierulff auch das insoweit einschlägige Werk Puchtas, nämlich dessen in den Jahren 1841 bis 1847 erschienenen »Cursus der Institutionen« als einen Beleg dafür ansah, dass »die gegenwärtige Jurisprudenz bereits im Wendepunkt zur Philosophie stehe« [Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 407]. Immerhin hatte Jhering aber auch schon in dem vorbezeichneten frühen Artikel aus dem Jahre 1844 Puchtas »Cursus« als nicht nur »elegante Darstellung«, sondern auch »geistvolle Auffassung« der Geschichte des römischen Rechts bezeichnet (aaO, Sp. 425). Auch hat er später seinen »Geist des römischen Rechts«, und zwar ausdrücklich mit Verweis auf Puchtas »Cursus der Institutionen«, dem »großen Meister« mit dessen noch zu Lebzeiten vorweg erteilter »Erlaubniß« dediziert [Jhering, Geist I (11852), S. VI (Vorrede)]. 1342 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 407. Dort spottete Jhering über den wenige Jahre zuvor »verstorbenen Thibaut«, dem »häufig die Ehre angethan« worden sei, als juristischer Vertreter »einer philosophischen Richtung« zu gelten. Dabei seien Juristen wie Thibaut in Wahrheit nur »vertraut [gewesen] mit der Kantischen Philosophie, allein auf diesem Standpunkt blieben sie auch ihr Lebenlang stehen, ohne an der spätern Entwicklung der Philosophie Theil zu nehmen, oder den wenigen juristischen Produkten einiger Anhänger derselben […] Geschmack abzugewinnen« (aaO). Als »erfolgreicher[es]« Beispiel für den Versuch der »neuere[n] Jurisprudenz[,] wieder den Bund der Philosophie« zu suchen, nannte Jhering hingegen den von Hegel zwar beeinflußten, aber im Vergleich zu Eduard Gans viel eigenständiger, allerdings ebenfalls sehr kritisch gegenüber der Historischen Rechtsschule argumentierenden Juristen Johann Friedrich Kierulff mit seinem 1839 erschienenen Werk »Theorie des Gemeinen Civilrechts«. Ferner zum Ganzen M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 180. 1343 Jhering, Geist II/2 (31875), § 37, S. 314 Fn. 472a (Zusatz zur dritten Auflage). Vgl. nur W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 148ff., 180ff., 249ff. ausführlich zu der Frage, was Jhering unter anderem von Hegel, Stahl und Trendelenburg gelernt haben könnte. Ferner dazu auch M.G.Losano, Studien (1984), S. 86.

Die historischen »Grundtriebe« als Ausdruck »angewandter Rechtsphilosophie«

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Wie sich Jhering in seinen frühesten Schaffensjahren den »Wendepunkt [sc. der Jurisprudenz] zur Philosophie« konkret vorgestellt hat, um »über die Einseitigkeit der historischen Schule hinausgehen« zu können1344, lässt sich allerdings nur andeutungsweise rekonstruieren. Genaueren Aufschluss könnte sicherlich das »Erste Buch« von Jherings »Juristischer Enzyklopädie« geben, deren Manuskriptfragment sich in Jherings Nachlass befindet. Dieser Teil der Enzyklopädie sollte nämlich nach Jherings Worten eine Untersuchung des »R.[echts] überhaupt, nicht dem eines bestimmt[en] Volkes«1345 sowie eine Erörterung des »R[echt]sbe[griffs] an s[ich]« enthalten1346. Abgesehen von einigen konzeptionellen Notizen ist das »Erste Buch« der Enzyklopädie aber offenbar nicht erhalten1347. Aus den im Nachlass überlieferten Hinweisen Jherings lässt sich zumindest so viel erkennen, dass es ihm dort um eine im Ansatz empirische Gewinnung des Rechtsbegriffs ging1348, nämlich um den Versuch, »aus dem reichen Material, das uns die Geschichte des Rechts bei allen cultiviert[en] Völke[r]n darbietet, gewisse allgemeine Gesichtspunkte zu abstrahiren«1349, um auf diese Weise »das Allgemeine im Besonderen zu finden« und eine auf den Ergebnissen »comparativer Jurisprudenz« beruhende »Theorie des Gemeinsamen – aber nicht a priori, sondern a posteriori« zu formulieren1350. Damit ist Jhering in den vierziger Jahren allerdings noch in den Bahnen herkömmlicher »Naturlehren« des Rechts geblieben1351. 1344 1345 1346 1347 1348 1349 1350

Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 407. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 29, Bl. 54r. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 51, Bl. 99r. M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 169, 176. So auch M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 157, 176. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 29, Bl. 54r. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 50, Bl. 53r sowie dazu M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 171f., 183; Ders., Forschungsbericht (1995), S. 133. Zwar nennt O.Behrends, Wieacker-Nachruf (1995), S. LVIII Fn. 100 in einem allgemeineren Sinne die gesamte »historische Schule […] nach ihrer Methode aposteriorisch, da sie sich auf geistige Erfahrungen beruft, die sie an ihren Quellen gewinnt«. So speziell zu Jhering O.Behrends, Luf/Ogris-Rezension (1997), 564. Aber die hier in Rede stehende Auffassung des jungen Jhering in der Tradition der zeitgenössischen Universalrechtsgeschichte unterschied sich von Savignys Ansatz nicht nur durch die Behauptung eines konkreten »Naturrechts a posteriori«, sondern – wie M.Kunze, aaO, S. 160 hervorhebt – auch durch die Art der Gewinnung des allen Rechtsordnungen »Gemeinsamen« im Rahmen rechtsvergleichender Untersuchung. Das römische Recht allein konnte danach keine ausreichende Grundlage für eine »Theorie des Gemeinsamen« sein. Entgegen »dem guthmüthigen Glauben unserer Juristen« forderte der junge Jhering daher auch »eine gänzliche [sc. geistige] Freiheit von den geschichtlichen Begriffen der Römer« und einen gedanklichen »Skeptizismus« auch gegenüber den Überlieferungen des römischen Rechts [Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 34r]. 1351 Zu ihnen M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 160, 180f. m. w. N. Kunze verweist auch auf ein vermutlich im Winter 1843/44 angelegtes bibliographisches Notizheft Jherings, in welchem sich Jhering zeitgenössische Beispiele »induktiver Naturrechtsfor-

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

»Naturlehre« des Rechts in den 1850er Jahren

Nach Auffassung von Michael Kunze muss Jhering aber noch im Laufe der vierziger Jahre zu dem Schluss gekommen sein, dass »sein Naturrecht a posteriori eine Schimäre war«1352. Tatsächlich war in dem seit 1852 erscheinenden »Geist des römischen Rechts« von einem durch Rechtsvergleichung zu gewinnenden universellen Gemeinrecht a posteriori keine Rede mehr. Schon in einer vermutlich für den ursprünglich geplanten ersten Band dieses Werkes bestimmten Darstellung des römischen »jus gentium«1353, hatte Jhering neben der Erkenntnis »a priori« im »Naturrecht des vorigen Jahrhunderts« und derjenigen »a posteriori« durch »Comparation der positiven Rechte« eine »dritte Quelle der Erkenntniß« gesehen, »die unsere heutige Rechtsphilosophie an die Stelle der apriorischen Construction des Naturrechts gesetzt hat – die philosophische Betrachtung des Positiven«1354. Zu dieser Neuorientierung mag die am historischen Stoff gewonnene Einsicht Jherings beigetragen haben, dass allein der Nachweis identischer oder vergleichbarer Regelungen in verschiedenen Rechtsordnungen keine ausreichende Grundlage für eine »Theorie des Gemeinsamen« bzw. »Naturlehre« des Rechts überhaupt sein könne, da – wie Jhering im Falle des römischen Rechts feststellte – dieselben Regelungen »Ausfluß der gerade entgegengesetzten Anschauung« sein können1355 und sich

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schung« etwa bei Karl Salomo Zachariä notiert hat (aaO, S. 180f.). Dieser hatte es sich in dem von Jhering notierten Aufsatz über die »Entwicklungsstufen des deutschen Rechts« zur Aufgabe gemacht, »zuvörderst das den Rechten aller germanischen Völker Gemeinsame« zu finden »und auf seine Ursachen« zurückzuführen [K.S.Zachariä, Hauptstufen (1839), S. 242]. Ein ausdrücklicher Hinweis Jherings auf die »Naturlehre des Staates« von »Zachariä« findet sich im Übrigen auch in Jherings frühen Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 43r. M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 185 m.w.N. Vgl. dazu die editorischen Erläuterungen bei C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 146–171 zu einem Manuskript aus Jherings Nachlass über das römische »jus gentium« und den »Dualismus im gesamten Recht«. Die Veröffentlichung des ursprünglich geplanten ersten Bandes zum »Geist des römischen Rechts« hatte Jhering bereits für die Jahre 1847/48 geplant. Jherings handschriftliches Manuskript »Der Dualismus im gesamten Recht«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 172–224 (188–190). Als eine »Philosophie des positiven Rechts« hatte bekanntlich schon Gustav Hugo sein »Lehrbuch des Naturrechts« bezeichnet. Aber »daß dies nicht das Feld war, auf dem er seine Rosen pflücken konnte«, hatte Jhering schon in Hist. Schule (1844), Sp. 406 Anm.* kritisiert [zu den möglichen Gründen J.Rückert, Grundlagendiskussion (1990), S. 97f., 106ff.]. Das römische »jus gentium« als »Gipfel u[nd] […] Endpunkt der antiken Rechtsbildung u[nd] Rechtswissenschaft« bezeichnet Jhering in seinem handschriftlichen Manuskript »Der Dualismus im gesamten Recht«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 172–224 (181, 190) deswegen als »die Philosophie des positiven Rechts des Alterthums«, da es ebenfalls nicht durch eine bloße Feststellung des Gemeinsamen »durch Comparation der Rechte der verschiedenen Völker« entstanden sei. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 133.

Die historischen »Grundtriebe« als Ausdruck »angewandter Rechtsphilosophie«

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auch umgekehrt eine Idee in derselben Rechtsordnung in ganz unterschiedlichen konkreten Rechtsregelungen verkörpern könne1356. Fern gelegen hätte es Jhering allerdings, aus der Geschichtlichkeit der konkreten rechtlichen Einrichtungen eine Kontingenz des positiven Rechts zu folgern. Basierend auf seiner lebenslangen Vorstellung von einem Gott in der Geschichte1357 glaubte Jhering auf der Grundlage bestimmter anthropologischer Determinanten1358 an eine kontinuierliche kulturelle Aufwärtsentwicklung, das heißt an nach ihrer historischen Entdeckung gültige sittliche und rechtliche Wahrheiten, die sich als sogenannte historische »Grundtriebe« jeweils in »der subjektiven Anschauung des Volks als zu erreichendes Ziel, als Ideal […] objektiv im Recht selbst als Tendenz der Rechtsbildung« niederschlagen1359. Daher 1356 Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 382; Ders., Geist II/2 (21869), § 40, S. 338: »Was hat z. B. die hereditatis petitio mit den possessorischen Interdicten zu thun? Und doch beruhen beide auf einer und derselben Idee«. 1357 Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 54. Ebenso Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 12, 54: In der Natur und in der Geschichte »sehe ich die Offenbarung Gottes. Ich betrachte Gott als den letzten Urgrund alles Sittlichen.« (S. 12) – »Der Fortschritt unseres Sittlichen […] das ist Gott in der Geschichte« (S. 54). Vgl. dazu auch O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 100ff., 126, 132, 143, 148f., 172ff.; Ders., Jhering (1987), S. 236 Fn. 15, S. 259f.; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 157 sowie W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 261, 269f. et passim und J.Rückert, Autonomie (1988), S. 12; Ders., Geist des Rechts I (2004), S. 140, 146. 1358 So gab es nach Jherings Ausführungen in seinem handschriftlichen Manuskript »Der Dualismus im gesamten Recht«, abgedruckt in: C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 172–224 (195) – anders als nach Puchta – nicht schon seit Beginn der Rechtsgeschichte das für das Privatrecht grundlegende Recht des Eigentums, wohl aber die tatsächliche Praxis, »daß die Menschen eine Herrschaft über Sachen ausüben«, allerdings »zunächst nur eine physische, den Besitz.« Jhering war davon überzeugt, dass über diesen äußeren Umstand hinaus das »Verlangen nach dieser Herrschaft u[nd] die Behauptung derselben […] in der menschlichen Natur begründet« sei. Von daher erschien es Jhering nur noch als eine Frage der Zeit, bis es auch »eine von dieser physischen verschiedene rechtliche Herrschaft gibt«. So würde schon bei den Römern das Eigentum zu einem »Institut des jus gentium; wir treffen dasselbe überall notwendigerweise an«, »denn nirgends verliert der Bestohlene durch den Diebstahl seine Sache […].« 1359 Jhering, Geist II/1 (11854), § 23, S. 19; Ders., Geist II/2 (11858), § 37, S. 321. Der Ausdruck »Grundtriebe« war keine Wortschöpfung Jherings, sondern bezeichnete in der Sprache der zeitgenössischen Rechtslehre entweder vorausgesetzte anthropologische Eigenschaften, so etwa bei K.T.Welcker, Encyklopädie (1829), S. XV, S. 48 die »Verschiedenheit p s y c h o l o g i s c h e r G r u n d t r i e b e « des Menschen oder bei L.A.Warnkönig, Versuch (1819), S. 3 die »Triebe und Instinkte« als »die das Menschenleben leitenden Grundgesetze«, oder aber der Ausdruck bezeichnete historische Grundanschauungen, welche das gesamte Rechts- und Sozialsystem einer Epoche in charakteristischer Weise geprägt haben sollen. Im letzteren Sinne sprach etwa J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. XIV von einem »Grundtrieb« als dem »Bewegende[n], Treibende[n] in der gegenwärtigen Nation« (aaO, S. 5). Der frühsoziologische Ausdruck »Trieb« sollte den Wirklichkeitsbezug bzw. die sozial-empirische Relevanz betonen. So hob etwa L.Rückert, Privatrecht (1857), S. 18, 36 hervor, »daß das Recht nicht ein bloßer Ideencomplex« in den Köpfen von Rechtsgelehrten, »sondern ein System realer Triebe ist« – eine Einsicht, die Rückert nicht

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sei es möglich, »bei Gelegenheit der Beurtheilung eines einzelnen Rechts«, also einer konkreten Rechtsordnung, »Gesichtspunkte aufzustellen, die dem Wesen des Rechts überhaupt entnommen sind«1360 und einen Teil der »Idee des Rechts« darstellen, die im »lebendige[n] Recht der Wirklichkeit« »sich geltend zu machen« versuche1361. Den bereits im frühen römischen Recht nachweisbaren Grundtrieben maß Jhering deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil sich mit dem römischen Recht der universalrechtsgeschichtlich entscheidende »S c h r i t t z u r E nt d e c k u n g d e s P r ivat re c ht s « verbinde und sich auch sonst »nirgends Leistungen von einer solchen universalhistorischen Bedeutung« aufweisen ließen wie im römischen Recht1362. Ein weiteres wichtiges Motiv zur Abfassung seines ersten Hauptwerkes »Geist des römischen Rechts« war Jherings Glaube an eine Aufwärtsentwicklung in der Zivilisationsgeschichte und mithin das Bestreben, in den konkreten Inhalten des römischen Rechts den »Fortschritt unseres heutigen Rechtsbewußtseins oder richtiger den Vorsprung desselben vor dem der Römer« zu zeigen1363. Romantische Idealisierungen eines vollendeten Ursprung oder Anfangs der Geschichte hat Jhering – wie Wolfgang Pleister zu Recht hervorhebt – auch schon in seiner Frühzeit abgelehnt1364. Bis in seine Spätzeit hat Jhering seinen Glauben an einen »Fortschritt der Geschichte«1365 immer wieder dokumentiert1366. Man dürfe, so der junge Jhering im Jahre 1852,

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nur »den Naturrechtslehrern«, sondern auch »der historischen Schule« absprach (aaO, S. 10, 38ff.). Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 11. Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 21. Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 135. So Jhering in einem Brief vom 6. April 1851 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 5, S. 19. Vgl. auch Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 50: »Es ist nicht unsere Aufgabe, eine römische Rechtsgeschichte zu liefern […]. Es ist uns […] zu thun […] um die geschichtliche Entwicklung […].« W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 277ff. Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 99. Vgl. nur die im Nachlass Jherings überlieferten pathetischen Schlußworte in einem aus der Spätzeit stammenden Vortrag, abgedruckt in: O.Behrends, Zeugnisse, Nr. 80, S. 95f.: »Sklaverei, Leibeigenschaft, Torthur sind als Rechtseinrichtungen der Culturvölker für alle Zeiten unmöglich geworden. Die Rechtssätze, die sie ausschließen, gehören zu den ewigen, unvergänglichen Errungenschaften [eigenhändiger Zusatz am Rande: ›Monogamie, Gleichstellung der Juden‹] der Menschheit.« Sittliche »Rückgänge« hielt Jhering »nur bei einem einzelnen Volk«, nicht aber in der »Weltgeschichte des Rechts« für möglich. Ferner E.Hurwicz, Ihering (1911), S. 10 Fn. 1 mit weiteren Nachweisen aus Jherings Spätwerk. Vgl. auch O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 122f.; A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 215, 222 und W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 287f., der zum Beleg von Jherings mit den Jahren nicht abnehmendem, sondern zunehmendem »Entwicklungsoptimismus« dessen Worte aus Zweck II (21886), S. 133 zitiert: »Ich lebe der festen Zuversicht, dass die Menschheit nicht immer schlechter, sondern immer besser wird. Aber allerdings nicht von selbst […], sondern indem sie Erfahrungen, Lehren und Warnungen der Geschichte sorgsam beherzigt und sie praktisch verwerthet.«

Die historischen »Grundtriebe« als Ausdruck »angewandter Rechtsphilosophie«

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»nie vergessen, daß Rechtsanschauungen, die allen heutigen Völkern [sc. christlichabendländischer Prägung] gemeinsam sind und uns als Ausflüsse der reinen Vernunft erscheinen, in der That nur d a s E r g e b n i ß d e r G e s c h i c h t e sind.«1367

Sittliche Wahrheiten, wie diejenige, dass »der Mensch als solcher Rechtssubjekt ist, nicht bloß der Bürger, daß die Kriegsgefangenschaft keine Sklaverei begründet, […] daß der Staat […] Recht und Gerechtigkeit bis in die kleinsten Kreise hinein zu verwirklichen« habe, seien nichts weniger »als ewiges Eigenthum der menschlichen Vernunft«, sondern vielmehr das »Produkt eines langen und mühsamen Prozesses«1368. Auch Savignys Glauben an geschichtlich schon immer gültige und auch – prinzipiell – immer erkennbare Prinzipien, die im Laufe der Geschichte nur »verloren« und »wiedergewonnen« werden können1369, hat Jhering so nie geteilt. Es ist mithin auch keineswegs so, dass Jhering zumindest noch in den vierziger Jahren wie Savigny den Fortschritt als die Verwirklichung von immer vorhandenen leitenden Prinzipien aufgefasst habe, die im Laufe der Geschichte in den Rechtsordnungen der Völker lediglich in jeweils unterschiedlich vollkommenen Maße zur Geltung gebracht und den Bedürfnissen der Gegenwart angepasst werden1370. Vielmehr hat Jhering schon damals deutlich gemacht, dass er Fortschritt – anders als Savigny – im Sinne einer entwicklungsgeschichtlich zumindest auf Dauer unumkehrbaren Aufwärtsentwicklung verstand, um die »wir […] ringen und kämpfen« müssen. Der Wissenschaft sollte zwar entsprechend der »historische[n] Ansicht« immer nur dem jeweils »wahren, d. h. aus den gegebenen Verhältnissen resultirenden Fortschritt das Wort reden«. Sobald aber »das Bestehende der Bildungsstufe und dem Bedürfniß der Gegenwart nicht mehr entspricht«, solle die Jurisprudenz niemals versuchen, »das Leben zu regieren«, sondern »die Stimme des Volkes für sich

1367 Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 100. 1368 Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 98f.; Ders., Schuldmoment (1867), S. 163. 1369 Vgl. zu Savigny die bei C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 192 Fn. 800 angeführten Nachweise. Auch Friedrich Julius Stahl dachte insoweit ähnlich (aaO, S. 300f. Fn. 1468). Selbst nach Puchta, der Savignys Verständnis der Entwicklungsgeschichte des Rechts im Übrigen nicht teilte (aaO, S. 187f.), war das »Recht […] dem Menschen gleich von Anfang in die Welt mitgegeben«, und bildete damit nach dem biblischen Sündenfall, wo es nach G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 4, S. 10; § 8, S. 16 sein »vollkommneres Daseyn« allerdings unwiederbringlich verloren hatte, zumindest den universalgültigen Maßstab für die jeweilige entwicklungsgeschichtliche Beurteilung der mit der Entstehung der Völker einsetzenden Bildungsgeschichte des Rechts. 1370 So aber O.Behrends, Jhering (1987), S. 249 mit Fn. 60 a.E. Nach O.Behrends, Evolutionstheorie des Rechts (1991), S. 297 soll Jhering erst im Rahmen seiner Evolutionstheorie der Spätzeit die Erkenntnis gehabt haben, »daß selbst so elementare Prinzipien wie das Gebot, fremdes Leben und fremden Besitz nicht anzutasten, ursprünglich so nicht gegolten haben, sondern auf Stammessozietäten beschränkt waren und sich erst langsam durchsetzen mußten […].«

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gewinnen« und »rufen: was Recht war, ist Unrecht geworden: es falle das Unrecht.« Und »je mühsamer dieser Sieg ist, je schwerer es hält, der Geschichte etwas abzugewinnen, umso mehr ist es Pflicht, wenn dies gelungen ist, die Errungenschaft festzuhalten und nicht leichtsinnig zu opfern, was erst mit großer Anstrengung erkämpft werden mußte.«1371

Weder universell gültige Rechtsideen noch das romantisch idealisierte »›Recht, das mit uns geboren‹ – jenes mephistophelische Trugbild«1372, sondern nur die jeweiligen historischen »Grundtriebe« sollten daher auch den einzig legitimen Maßstab zur Beurteilung konkreter historischer Rechtseinrichtungen bilden. Damit hatte sich Jhering von Vorstellungen Savignys1373 oder Puchtas1374 gelöst, dass zeitlose sittliche Rechtsprinzipien den universellen Maßstab für ihre bei Savigny jeweils geschichtlich unterschiedlich, bei Puchta entsprechend der »Entfaltung des Rechtsbegriffs in der Geschichte«1375 in jeweils zunehmendem Maße erfolgende historische Verwirklichung bilden könnten. Anders als für Savigny1376 war für Jhering daher das Sklavenrecht auf der Grundlage des antiken römischen »Freiheitsideals« nicht kritisierbar1377. Erst hätten – so Jhering 1852 im ersten Band über den »Geist des römischen Rechts« – »Millionen Menschen […] in Sklaverei geseufzt, ganze Völker […] vom Erdboden vertilgt [werden] und […] mit ihrem Blute den Boden düngen müssen, dem jene einfache

1371 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp 568f. Später unterschied Jhering mit Blick auf die hinter den inhaltlichen Fortschritten des Rechts jeweils stehende sittliche Aufwärtsentwicklung genau zwischen den technischen Fortschritten der Rechtswissenschaft und den inhaltlichen Fortschritten des Rechts: »Die Wissenschaft kann steigen und fallen und mit ihr gehen die Schätze unter, die sie angesammelt hat, aber die einfachen, grandiosen [sc. sittlichen] Wahrheiten […] dauern fort als unvergängliches [sic!] Resultat ihrer Arbeit« [Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 99f.], und »gehen […] der Menschheit nie wieder verloren« [so Jhering in der bei O.Behrends, Zeugnisse, Nr. 80, S. 96 abgedruckten Schlusspassage eines aus der Spätzeit stammenden Vortrags im Nachlass]. 1372 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 22. 1373 Vgl. zu Savigny O.Behrends, Savigny (1985), S. 263ff., 271ff. 1374 Vgl. zu Puchtas einheitlichem Beurteilungsmaßstab für jeden Abschnitt der Geschichte C.E.Mecke, Begriff (2009), S. 461–466. 1375 G.F.Puchta, Cursus I (11841), §§ 8ff., S. 16ff. 1376 Vgl. O.Behrends, Savigny (1985), S. 270 Fn. 25 m.w.N. sowie Ders., Hugo (1996), S. 199f. zu Savignys Haltung im Hinblick auf »die paradigmatische Frage der Sklaverei im Privatrecht«. 1377 Kritisierbar war nach Jhering dagegen die Tatsache, dass auch noch nach dem »Sieg des Christenthums« [Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 34v] in der europäischen Rechtsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit »die Leibeigenschaft, der Schutzzoll des Juden und so viele andere Sätze und Einrichtungen […]« in Geltung waren, »die mit den Anforderungen eines gesunden, kräftigen Rechtsgefühls im grauenhaftesten Widerspruch standen« [Jhering, Kampf (1872), S. 79].

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Wahrheit entsprossen ist«, dass »der Mensch als solcher Rechtssubjekt ist.«1378 In solchen »einfachen, grandiosen Wahrheiten« steckte für Jhering »eine viel mühsamere Arbeit des menschlichen Geistes, als in allen jenen Erfindungen und Entdeckungen, die den Stolz unseres Jahrhunderts bilden«, »alle[n] Triumphe[n] der Industrie« und Technik1379. Ebenso heißt es in einem handschriftlichen Entwurf Jherings für die Einleitung zu dem 1877 erschienenen ersten Band über den »Zweck im Recht«, dass »auch die einfachsten Grundwahrheiten des Rechts« erst »erkannt u[nd] in schwerer blutiger Arbeit haben verwirklicht werden müssen«1380 und – so Jhering im zweiten Band über den »Zweck im Recht« – dass »weit mehr dazu gehört, den Sinn der Gesetzlichkeit und die sittliche Gesinnung in die Welt zu setzen, als die Dampfmaschine, die Eisenbahnen und den elektrischen Telegraphen.«1381 »Die Kunde von alle dem hat sich später verloren. An ihre Stelle trat die Meinung, es sei nie anders gewesen u[nd] es habe nie anders sein können«1382. Daher hat Jhering auch schon 1852 versucht, die »Warnung eindringlich zu machen […] nie zu vergessen«, dass die heute im allgemeinen Bewusstsein verankerten sittlichen Überzeugungen am Ende eines geschichtlichen Prozesses stehen, und zwar auch dann, wenn sie »unserer heutigen Auffassung so zu eigen geworden [sind], daß wir kaum begreifen, wie hinsichtlich ihrer je eine Abweichung möglich gewesen ist«1383, weil jeder »von deren Natürlichkeit und Nothwendigkeit […] so durchdrungen ist, daß er sich die Möglichkeit des Gegentheils« gar nicht mehr denken könne1384. Selbst das römische noch nicht 1378 Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 100. Die martialische Formulierung vom »Blute« der Völker, welches den »Dünger« für den sittlichen Fortschritt gebildet habe, zeigt, dass auch schon der frühe Jhering in der historischen Erfahrung einen wichtigen Faktor für die sittliche Weiterentwicklung sah. 1379 Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 99f. Dass diese »Arbeit des menschlichen Geistes« für Jhering nur durch das Wirken einzelner »hervorragender Geister« insbesondere der Wissenschaft denkbar gewesen sei, bis sich die sittlichen Wahrheiten »in die tiefsten Niederungen hinabgewälzt und Gemeingut der Gebildeten wie der Ungebildeten geworden sind« (aaO, S. 99), hat Jhering dabei vorausgesetzt. Dass Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 23 auch in seiner späteren Theorie des sittlichen Fortschritts durch die Geschichte der Arbeit »hervorragender Geister« auf den »Höhen der Wissenschaft und Literatur« eine Schlüsselrolle für die sittliche Entwicklung zuwies, war mithin für sich gesehen nichts Neues. 1380 Jhering, Einleitungsentwurf (Nachlass), Bl. 11. 1381 Jhering, Zweck II (21886), S. 118 Anm.*. 1382 Jhering, Einleitungsentwurf (Nachlass), Bl. 11. Fast gleichlautend auch Jhering, Besitzwille (1889), S. 90, 94: »[…] die Geschichte lehrt, selbst von den einfachsten Geboten des Sittengesetzes […], die wir heutzutage uns gewöhnt haben als angeborene sittliche Wahrheiten zu betrachten«, gelte, dass sie in der geschichtlichen Entwicklung erst einmal hätten »erkannt« werden müssen. 1383 Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 99. 1384 Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 100.

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jeden Menschen als solchen einschließende Freiheitsideal fehle auf vorhergehenden Stufen der geschichtlichen Entwicklung des Rechts vollständig. So sei etwa noch der »Grundzug aller Rechte des Orients […] der Mangel d[es] Bewußtseins der indiv.[iduellen] Freih[ei]t«1385, wobei aber »dieser Zustand nicht etwa ein ungerechter« sei, gegen den sich der versklavte Mensch »wenigstens in Gedanken auflehnen dürfte, wie dies für den Occidentalen der Fall sein würde, sondern ein vernünftiger, gerade weil er [sc. der Mensch des Orients] noch nicht zum Bewußtsein der subjectiven Freiheit gelangt ist.«1386 Man kann diese An1385 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 30, Bl. 58r ; Ders., Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 6r. Bei den zuletzt genannten Notizen handelt es sich wahrscheinlich um konzeptionelle Notizen zu der vorgenannten »Univers.rechtsgesch. (Nachlass)«. Vgl. auch M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 184 Fn. 269. 1386 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 30, Bl. 58v ; Ders., Geist II/1 (11854), § 30, S. 132. Vgl. dazu sowie zu der Weiterführung dieses Gedankens im späteren Werk Jherings W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 36ff., 207, 272ff. Die Einflüsse Hegelianischen Gedankengutes sind offensichtlich, dürfen aber nicht zu dem Fehlschluß verleiten, der junge Jhering sei eigentlich ein verkappter Hegelianer gewesen [dagegen zu Recht O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 252]. Vom »Bewußtsein der subjectiven Freiheit« sprach Jhering im bloß konkret-anschaulichen Sinne, von »Vernünftigkeit« nur im historisch-deskriptiven und nicht im philosophisch-normativen Sinne Hegels. Den Abstand zwischen seinem eigenen und Hegels Denken dokumentierte Jhering – hier allerdings wohl eher unfreiwillig – durch eine Notiz auf einem losen Zettel, der sich zwischen seinen im Göttinger Nachlass befindlichen Aufzeichnungen »Bemerkungen/Nachlass (1841/42)« befindet. Offensichtlich auf den berühmten Halbsatz Hegels »[…] und was wirklich ist, ist vernünftig« anspielend notierte Jhering dort: »Wie Hegel sagt, alles was geschieht[,] ist vernünftig, so kann man sagen: d[a]s factum bildet unser Urtheil über die Rechtmäßigkeit d[e]sselb[en]. Was zu geschehen pflegt, w[ir]d f.[ür] R.[echt] g[e]halt[en], gerade weil es immer g[e]sch[a]h.« Diese Notiz ist zwar aufschlussreich dafür, wie der junge Jhering das Verhältnis von Wirklichkeit und rechtlicher Überzeugung bestimmte [vgl. M.Kunze, Forschungsbericht (1995), S. 134 Fn. 40 und dazu O.Behrends, Luf/Ogris-Rezension (1997), S. 563], hatte aber mit Hegels Sentenz, der wie fast der gesamten Hegelschen Sprache ein von der umgangssprachlichen Bedeutung abweichender Begriff von »Wirklichkeit« zugrunde lag, nur wenig zu tun [so zu Recht W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 154 Fn. 609a; ferner auch W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 468ff.; J.BRAUN, Vernunftrecht (1974), S. 555f.; Ders., Besitzrechtsstreit (1981), S. 496ff. und H.Schnädelbach, Philosophie (41991), S. 19]. Pleister will in dieser Notiz Jherings daher sogar einen Beleg dafür sehen, dass Jhering sich in den vierziger und fünfziger Jahren noch gar nicht näher mit Hegels Rechtsphilosophie befaßt haben könne. Dagegen spricht aber einiges, insbesondere der unverhohlene öffentliche Spott des jungen Jhering über alle diejenigen, die an »der spätern Entwicklung der Philosophie« nach Kant meinten nicht »Theil zu nehmen« müssen [Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 407], wie auch der von Michael Kunze aus dem Nachlass mitgeteilte persönliche Lektüreplan Jherings für die »Michaelis-Ferien« 1843. Wahrscheinlich ist – worauf auch die späteren Verwendungen derselben Hegel-Sentenz in Geist III/1 (11865), § 59, S. 305 und in Scherz und Ernst (1884), S. 310 hindeuten – Jhering Hegels philosophische Unterscheidung zwischen »Wirklichkeit« und Tatsächlichkeit schlicht unverständlich geblieben. Dass Hegels Denkweise Jhering »ganz fremd« geblieben sei, meint auch T.Viehweg, Rechtsdogmatik (1970), S. 212.

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nahme Jherings, dass der zivilisationsgeschichtlich noch primitive Mensch die Versklavung jeweils gar nicht als eine solche empfunden bzw. »subjectiv anders a n g e s c h au t und b e u r t h e i l t «1387 habe, mit Wolfgang Pleister als eine kühne Unterstellung ansehen1388. Für Jhering aber war es der Versuch, einerseits seiner eigenen Vorgabe gerecht zu werden, bei der historischen Beurteilung etwa des frühesten römischen Rechts »nicht mit den Ideen des neunzehnten Jahrhunderts« zu urteilen1389, nicht »die eigene ethische Anschauung auf die Vergangenheit« zu übertragen1390, ohne andererseits einer Relativierung der Bindungskraft ethischer Werte das Wort zu reden1391 – eine Grundhaltung, die Jhering auch später nie aufgegeben hat1392. Im Hinblick auf die konkrete rechtshistorische Darstellung der Frühzeiten des römischen Rechts kann man natürlich fragen, ob Jhering nicht nach der bei Savigny, aber auch Puchta kritisierten »wahrhaft romantische[n] […] falschen Idealisirung vergangener Zustände«1393 nun ins andere Extrem einer ebenso ungeschichtlichen »Dämonisierung der Urzeit« verfallen sei1394. Diese Frage wird der Rechtshistoriker beantworten, und zwar jeweils gesondert für den konkreten Einzelfall. Der Umstand, dass Jhering durch die auch bei ihm noch fehlende Trennung von Philosophie und Geschichte in ständiger Gefahr war, letztere der ersteren unterzuordnen, liegt auf der Hand. Denn in geschichtsphilosophischer Hinsicht ging es Jhering immer darum, den jeweiligen sittlich-rechtlichen Fortschritt in der Geschichte nachzuweisen. Bei Beurteilung der Geschichte vom Jhering, Zweck I (21884), S. 255. W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 277. Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 117. Jhering, Zweck I (21884), S. 246. Exemplarisch dafür ist eine Stelle aus Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 73: »Vom Standpunkt unseres heutigen Rechts mögen wir den Stab brechen über die Zeiten der Selbsthülfe, des Faustrechts, der Gottesgerichte […].« Aber »das scheinbar Unvollkommene [war] zu seiner Zeit nicht bloß berechtigt, sondern das Vollkommene, die Wahrheit«. 1392 O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 102f. 1393 Jhering, Kampf (1872), S. 18; Ders., Geist II/1 (11854), § 24, S. 22. 1394 So W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 277ff. im Anschluß an eine Formulierung von F.Wieacker, Jhering (21968), S. 36 in bezug auf Jherings drastische Beschreibung der Urund Frühzustände in Kampf (1872), S. 12. Als historisch ganz unzutreffend bezeichnet auch O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 129f. Jherings lebenslange Zurückführung des frührömischen Rechts auf die Gewalt. Die in der Tat nicht erst im »Kampf ums Recht«, sondern schon Anfang der fünfziger Jahre in den ersten Bänden vom »Geist des römischen Rechts« anzutreffenden drastischen Formulierungen über den Anteil der Gewalt in frühen Rechtszuständen drückten allerdings auch Jherings im Laufe der Jahre bis zur Aversion sich steigernde Ablehnung des von ihm diagnostizierten Quietismus in der »herrschenden Savigny-Puchta’schen Theorie von der Entstehung des Rechts« aus [Jhering, Kampf (1872), S. 12]. Vom »Quietismus« und einem entsprechenden Verständnis der »Lehre von einer organischen Entwickelung des Rechts« hatte sich Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 568 schon Mitte der vierziger Jahre nachdrücklich distanziert.

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Standpunkt der sittlichen Vorstellungen seiner Zeit aus gesehen, die für Jhering immer nur den »vorläufig höchsten Punkt« in der sittlichen Fortschrittsgeschichte bedeuteten1395, hat es Jhering auch nie versäumt zu betonen, wie »wenig unsere Auffassung der alten entspricht«1396, wie ungeheuer der sittliche Fortschritt und wie »unendlich weit […] die Kluft« zum primitiven Rechtsgefühl vergangener Entwicklungsstufen sei1397. In einem wichtigen Punkt blieb Jherings allerdings noch lange in den vom philosophischen Idealismus und von der Historischen Rechtsschule gleichermaßen vorgezeichneten Bahnen1398. Er teilte nämlich noch lange Zeit den Glauben an den von einem angeborenen Vermögen her und nicht erst durch die geschichtliche Sozialisation zur Sittlichkeit1399 befähigten Menschen. Noch im Jahre 1872 meinte Jhering in seinem berühmten Vortrag über den »Kampf ums Recht«, dass die »Sprache mit Recht« das Rechtsgefühl als »den psychologischen Urquell alles Rechts« bezeichnet habe1400. Folgerichtig setzte Jhering damals auch noch die »Gesundheit des Rechtsgefühls« als Ausdruck für die angeborene menschliche Fähigkeit, »sich rein und ganz für eine Idee einzusetzen« anstatt alles nur am »Massstab des Nutzens […] zu bemessen«, bei »den wilden Naturvölker[n]« wie den »civilisirtesten Nationen« gleichermaßen voraus1401. Die »erste und ursprüngliche Quelle des Rechts« sei nämlich – wie es Jhering in 1395 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 79. 1396 So ein handschriftlicher Zusatz Jherings auf S. 116 (§ 11) in seinem persönlichen Handexemplar von Geist I. 1397 Vgl. Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 98; Ders., Besitzwille (1889), S. 450. Die Frage nach dem sittlichen Fortschritt in der Geschichte rückte bei Jhering gegenüber der »Rekonstruktion« des historischen »Geists« seit Mitte der sechziger Jahre immer mehr in den Vordergrund des Interesses. Davon zeugen unter anderem auch die in der zweiten Auflage von 1866 überarbeiteten Passagen in § 11 von Geist I. Übertrieben wäre es aber, mit Wolfgang Pleister von »einschneidende[n]« Änderungen zu sprechen. Die von W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 282f. angeführten Belegstellen enthalten nur eine ausführlichere vom Standpunkt des Rechtsgefühls seiner Zeit aus gegebene Begründung für die von Jhering behauptete »ursprüngliche Einseitigkeit des Rechtsgefühls«, das zunächst mit dem »Gefühl des eigenen Rechts« zusammengefallen sei. An Jherings Grundauffassung über die frühgeschichtlichen Zustände änderte sich dadurch aber nichts, wie auch Pleister selbst einräumt. 1398 H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 49, 74ff. 1399 Vgl. H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 75 zu Jherings lebenslang noch »traditionell undifferenzierte[n] Vorstellung von Sittlichkeit, die alle normativen Reaktionen, also die von ›gut und böse‹ oder ›sittlich und unsittlich‹ in eins setzt mit ›gerecht und ungerecht‹ oder von ›Pflicht und Recht‹«. 1400 Jhering, Kampf (1872), S. 46. Durch das Rechtsgefühl sei die »Ethik […] der Boden des Rechts« (aaO, S. 100) und nicht umgekehrt. Später wird Jhering dagegen gerade diese sich »mittels des Ausdruckes p s y c h o l o g i s c h « auch in der Sprache dokumentierende »herrschende Behandlungsweise der Ethik als die u n g e s c h i c h t l i c h e « charakterisieren [Jhering, Zweck II (11883), S. 121]. 1401 Jhering, Kampf (1872), S. 45.

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seiner Wiener Antrittsvorlesung im Jahre 1868 noch formulierte – das Rechtsgefühl »in jedes Menschen Brust«, und erst »die zweite, die erst dazu gekommen ist, […] das Bedürfnis, die Noth des Lebens und der praktische Verstand«1402. Erst im Vorwort zu dem im Jahre 1877 erschienenen ersten Band zum »Zweck im Recht«1403 sollte Jhering sich das Verhältnis von praktischem Verstand und »sittliche[m] Gefühl«, das dem Menschen nur scheinbar – so Jhering nun ironisch – von Natur aus »ins Herz gesenkt« sei1404, in seiner Bedeutung für die sich auch im Recht dokumentierende sittliche Aufwärtsentwicklung genau umgekehrt denken1405. Das auf die praktischen Bedürfnisse und Notsituationen reagierende zweckgerichtete Verstandesdenken wurde damit zur ersten und ursprünglichen Quelle des Rechts; das »Rechtsgefühl« – hier von Jhering jetzt verstanden als das »Abstractionsvermögen des menschlichen Geistes«1406 – konnte sich dagegen nun erst auf der Grundlage des geltenden Rechts entwickeln, seine Inhalte aufnehmen und in Form der Kritik am bisher geltenden Recht auf ihre konsequente, nämlich gerechte Ausbildung dringen1407. Damit wurde das »Rechtsgefühl« im Rahmen von Jherings Theorie der sittlichen Evolution1408 von einer emotionalen Instanz spontaner Empfindungen1409 in ein 1402 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 67. 1403 Jhering, Zweck I (11877), S. XIII. An dieser Stelle hatte Jhering erstmals öffentlich den sein Alterswerk bestimmenden Gedanken ausgedrückt: »Nicht das Rechtsgefühl hat das Recht erzeugt, sondern das Recht das Rechtsgefühl«. Ausgeführt hat Jhering diesen Grundgedanken seiner Theorie der sittlichen Evolution aber erst – vorerst nur überblicksartig bzw. als Ankündigung für »eine spätere Stelle des Werks« – in Zweck II (11883), S. IXff., 107ff. sowie dann eingehend in seiner von F.Wieacker, Darwinismus (1973), S. 88 so bezeichneten »zweiten Wiener Rede« zum Thema »Ueber die Entstehung des Rechtsgefühles«, die Jhering am 12. März 1884 vor der Wiener »Juristischen Gesellschaft« gehalten hat [vgl. dazu O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 59, 64ff., 165 und H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 59ff.]. Allerdings geht O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 172 davon aus, dass Jhering die Evolutionstheorie, das von Helmut Schelsky so bezeichnete »Jhering-Modell des sozialen Wandels durch Recht«, sehr viel früher, nämlich bereits im Jahre 1868 »in dem 1. Wiener Vortrag zuerst entwickelt« habe, um dann dieses »GedankenModell« fünfzehn Jahre später im »Zweck im Recht« sowie in dem 1884 publizierten zweiten Wiener Vortrag näher auszuführen. Vgl. dagegen aber die vorstehenden Ausführungen im Text und vor allem auch Jherings eigene Worte im ersten Wiener Vortrag von 1868. 1404 Jhering, Zweck II (11883), S. 107f.; Ders., Rechtsgefühl (1884), S. 16. 1405 So wörtlich Jhering, Zweck II (11883), S. X selbst : »[…] drehte sich für mich gänzlich um […].« 1406 Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 45. 1407 Vgl. Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 45ff., Ders., Besitzwille (1889), S. 99f.; Ders., Entwickl.gesch.(1894), S. 16ff., 21ff. sowie dazu eingehend H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 60ff., 74ff.; O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 102ff., 126ff., 132ff.; Ders., Jhering (1987), S. 261f. 1408 H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 47ff., 59ff., 74ff. spricht vom »Jhering-Modell des sozialen Wandels durch Recht«, O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 58ff. von Jherings anthropologisch-historischem Evolutionsmodell des Rechts. Vgl. auch R.Dreier, Jhering

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intellektuelles und damit vornehmlich »auf der Einsicht und den [sc. gedanklichen] Bemühungen erleuchteter Geister«1410 beruhendes »Sekundärphänomen«1411 gegenüber der geltenden Rechtsordnung umgedeutet1412. War auch Jhering bisher davon ausgegangen, dass aus dem Rechtsgefühl, aus den historischen »Ideen und Anschauungen das Recht der historischen Zeit hervorgegangen ist«1413, so glaubte er nun, dass alles, was dem menschlichen »Rechtsgefühl entspringt, […] nur ein historischer Stoff« sei1414, mithin »die Rechtsideen, die Rechtsanschauung, das Rechtsgefühl« erst »später durch bewusste oder unbewusste Abstraction« der Inhalte des allein durch praktische Motive hervorgebrachten geltenden Rechts entstanden seien1415. Damit trat an die Stelle der überkommenen, von Jhering – ungeachtet der

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(1993/1996), S. 227f. m. w. N. Jhering selbst sprach von der auf der Grundlage des jeweils geltenden Rechts erfolgenden geschichtlichen Entwicklung des »Sittlichen«, letzteres verstanden als Oberbegriff für die normative »Ordnung des gesellschaftlichen Wesens« durch das rechtliche »Gesetz« wie auch durch die »Moral« bzw. »Sitte« [Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 22]. Vgl. dazu Jhering, Schuldmoment (1867), S. 164f., 199, wo er noch davon gesprochen hatte, dass »das Rechtsgefühl des Naturmenschen [noch] ganz unter der Herrschaft des Schmerzes« auf der »Stufe des noch im Affect befangenen Rechtsgefühls« gestanden habe und dass am sich wandelnden Rechtsgefühl der »Fortschritt der Menschheit von wilder, blinder Leidenschaft und Rachsucht zur Mäßigung, Selbstbeherrschung, Gerechtigkeit« (aaO, S. 158) und damit zur »Idee des Rechts« (aaO, S. 222, 229) zu konstatieren sei. Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 23f.: »Denkende Köpfe und thatkräftige Persönlichkeiten nehmen der Masse die Mühe des eigenen Denkens und der eigenen Arbeit ab«, denn abstrahiert werde in der Regel nur »auf Höhen der Wissenschaft und der Litteratur, die der großen Menge unzugänglich sind«. Vgl. dazu W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 216f. Fn. 923 a.E.; O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 140f. So H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 60; W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 211f., 215ff.; A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 300. Okko Behrends hat dabei auf den wichtigen Umstand hingewiesen, dass der späte Jhering, obwohl er den Unterschied von wissenschaftlicher Wahrheit und praktischer Richtigkeit im Verlaufe seiner durch den Doppelverkaufs-Fall von 1858 ausgelösten Krise auf rechtsdogmatischem Gebiet längst thematisiert hatte, in seiner späten Theorie sittlicher Evolution beim »Abstraktionsvermögen des menschlichen Geistes« gleichwohl noch nicht unterschied »zwischen Verallgemeinerungen, die durch Abstraktion von Merkmalen zu klassenlogischen Oberbegriffen gelangen […], und Verallgemeinerungen, die zu Wertbegriffen führen« [O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 133f.; Ders., Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 249]. Dieses Manko erlaubte es Jhering, noch in seiner späten Evolutionstheorie von ganz erstaunlichen sprachlichen und auch gedanklichen Parallelen zur naturhistorischen Methode der Rechtsdogmatik auszugehen [vgl. dazu unten Abschnitt II. 2. a) bb), S. 510 Fn. 2545]. Vgl. W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 215 Fn. 918 m.w.N zu den »unterschiedlichen Bedeutungsgehalte[n] des Rechtsgefühls« bei Jhering. Ferner jetzt J.Birr, Jhering’s concept of Rechtsgefühl (2017), S. 6ff. So noch Jhering, Geist I (21866), § 11, S. 120 in einer in der zweiten Auflage neu eingefügten Passage. Jhering, Einleitungsentwurf (Nachlass), Bl. 8. Jhering, Zweck I (11877), S. XIII.

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bereits vorangegangenen Brüche und Neuorientierungen in seinem rechtsdogmatischen Denken1416 – noch bis in die siebziger Jahre hinein vertreten Auffassung einer »Verwirklichung der Rechtsidee in der Geschichte«1417 die Vorstellung einer Entstehung aller Ideen des Rechts und der Sittlichkeit durch die Geschichte. Jhering wies im Jahre 1884 selbst darauf hin, dass er noch »vor einer Reihe von Jahren« das Gegenteil geglaubt habe1418. Nur »nach und nach« und wohlgemerkt »auf historischem Wege, auf dem Wege der Vergleichung« unterschiedlicher Rechtsordnungen in der Geschichte sei er langsam »zur Erkenntniss […], endlich zur festen Ueberzeugung« »gelangt, daß die sittlichen und rechtlichen Wahrheiten nicht angeboren sein können«1419 und auch nicht – wie Okko Behrends mit Blick auf die geschichtsphilosophischen Vorstellungen Savignys ergänzend anmerkt – vom Menschen aus einem vorgefundenen »übergeschichtlichen oder geschichtslosen Zusammenhang« ableitbar seien1420. Tatsächlich bildete Jherings späte Überzeugung von der historischen »Bedingtheit des Sittlichen«1421 und nicht etwa nur der Erkenntnis des Sittlichen den Endpunkt einer längeren Entwicklung, deren Anfänge sogar bereits in die 1840er Jahre zurückreichen1422. 1416 Das betrifft vor allem die Zäsur in Jherings Rechtsdenken, die aus seiner Auseinandersetzung mit dem Doppelverkaufs-Fall im Jahre 1858 resultierte [vgl. dazu in diesem Abschnitt unten 2. c) cc)]. 1417 So hieß es beispielsweise noch im »Encyclopädischen Theil« eines nach 1867 entstandenen Vorlesungsskripts Jherings [Jhering, Vorlesungsskripte (Nachlass), § 3, Bl. 37r]. Und so wie Jhering in aus seiner Frühzeit stammenden Notizen Gedanken zur »Entfalt[un]g des R[echts] in der G[eschichte]« formuliert hatte [Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 1r], sprach Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 9, 11 auch noch in dem Mitte der sechziger Jahre vollkommen neu gefaßten Einleitungsparagraphen zu Geist I etwa im Hinblick auf den in der »gesammte[n] moderne[n] Rechtsbildung« im »schärfsten Gegensatz« zum »Gedanke[n] der Nationalit ä t« stehenden Gedanken der Universalität von der allmählichen »Entfaltung jenes Gesetzes« bzw. von einem »Stück Geschichte, das sich von dieser neuen Epoche des Rechts bisher entrollt hat […].« 1418 Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 10f. 1419 Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 11; Ders., Entwickl.gesch.(1894), S. 16f. 1420 O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 110. Diese Ergänzung ist nach Behrends deswegen notwendig, weil Jherings Redeweise vom »Nativismus« als Sammelbegriff für alle denkbaren Varianten eines geschichtsphilosophischen Glaubens an angeborene Wahrheiten mit Blick auf die von Jhering besonders kritisierte Volksgeistlehre Savignys »zu eng geschnitten« sei. Denn letztere sei ebenso wie das stoische Naturrecht nicht eigentlich von Rechtsgrundsätzen ausgegangen, die dem Menschen angeboren seien, sondern die vom Menschen vorgefunden werden (aaO). Mit solchen Feinheiten heutiger Geschichtswissenschaft hätte sich Jhering allerdings kaum lange aufgehalten. Für ihn zählte allein, dass der Mensch bisher nicht selbst als geschichtlicher Urheber seiner Wertvorstellungen angesehen wurde. 1421 Jhering, Zweck II (11883), S. 119. 1422 Für O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 78f., 136 hingegen markierte Jherings infolge des Doppelverkaufs-Falls von 1858 auf rechtsdogmatischem Gebiet erfolgte Besinnung auf die kritische Funktion des Rechtsgefühls gegenüber den Ergebnissen juristischer Technik

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Ganz am Anfang gestanden hatte in Jherings Denken nämlich die Erkenntnis der Diskrepanz sittlicher Vorstellungen in der Geschichte sowie – entsprechend dem ursprünglichen Glauben Jherings an einen »Parallelismus d[e]s sittl.[ichen] Prinzips u[nd] d[es] prakt.[ischen] Bedürfnisses«1423 – die Überzeugung vom Mitwirken historischer Zweckmäßigkeitserwägungen am universalrechtsgeschichtlichen Prozess der Entfaltung des Rechts. So wies Jhering schon früh darauf hin, dass vom »Standpunkt unserer heutigen Rechtsansicht« sittlich »nothwendige, sich von selbst verstehende« Rechtsnormen »zum großen Theil nichts weniger als eine dem Menschen-Geschlecht von vornherein mitgegebene Anschauung«1424 gewesen seien bzw. – wie Jhering über dreißig Jahre später in Zweck II formulierte – nicht immer »gegolten« hätten und es »folglich eine Zeit gegeben [hat], wo sie dem Gefühle fremd waren«1425. Die daran anschließende Schlussfolgerung, dass den auch bereits »Jherings Durchbruch zur historisch-kritischen Methode«. Jherings immerhin erst ein Vierteljahrhundert später formulierte Theorie der sittlichen Entwicklung soll nach Behrends, aaO nämlich nur »mit bewundernswürdiger denkerischer Kraft aus der neuen [sc. im Doppelverkaufs-Fall gewonnenen] Erkenntnis die Konsequenzen« gezogen. Aber abgesehen davon, dass Jhering seine veränderten anthropologischen und geschichtsphilosophischen Auffassungen ausdrücklich erst »nach und nach« auf »rechtshistorischem« und »rechtsvergleichendem« Wege, nämlich durch Vergleichung verschiedener Epochen derselben Rechtsordnung bzw. Vergleichung verschiedener Rechtsordnungen gefunden hat [Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 11], muss man sich bei aller Berechtigung des Hinweises auf Jherings Entdeckung der jeweils kritischen Funktion des Rechtsgefühls gegenüber dem geltenden Recht immer bewusst halten, dass das, was auf geschichtsphilosophischem Gebiet nach der Theorie der sittlichen Entwicklung in Jherings Spätwerk die Grundlage für die Kritik des Rechtsgefühls gegenüber der fehlenden Konsequenz des geltenden Rechts bildete, nämlich das »Abstractionsvermögen des menschlichen Geistes« [Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 45], auf rechtswissenschaftlichdogmatischem Gebiet gerade den Angriffspunkt des individualisierenden Rechtsgefühls gegenüber der als übertrieben empfundenen Konsequenz der abstrakten Rechtsregel dargestellt hatte. Vor allem aber kann eine mit Blick auf die veränderte Funktion des Rechtsgefühls vorgenommene allzu pauschale Zweiteilung des gesamten Rechtsdenkens Jherings in eine »vorkritische« und eine »kritische Phase« [so O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 81, 92, 95, 136, 149f., 165; Ders., Jhering (1987), S. 247, 252ff., 257] leicht verdecken, dass Jhering einerseits in den 1860er Jahren auf rechtsdogmatischem Gebiet bereits »kritisch« gegenüber der rechtswissenschaftlichen Begriffstechnik, aber auf geschichtsphilosophischem Gebiet noch keineswegs auch »historisch-kritisch« im Hinblick auf die entwicklungsgeschichtliche Genese sittlicher Überzeugungen dachte. Andererseits sind Elemente und Ansatzpunkte von Jherings späterer geschichtsphilosophischen Theorie der sittlichen Entwicklung auch bereits in Jherings Rechtsdenken vor 1859 nachweisbar sind, also in einer Zeit, in der Jhering weder »kritisch« gegenüber der rechtswissenschaftlichen Konsequenz noch »historisch-kritisch« gegenüber einer auf die Natur des Menschen verweisenden Genealogie des Sittlichen dachte. Vgl. dazu weiter im Text. 1423 Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 1r. 1424 Jhering, Geist I (11852), § 16, S. 229. 1425 Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 11.

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»Anschauungen und Einrichtungen einer vergangenen Culturperiode, über die unsere heutige Auffassung des Sittlichen das Verdammungsurtheil gefällt hat, z. B. die frühere Rechtlosigkeit der Fremden[,] vom Standpunkt ihrer Zeit aus ihre vollkommen sittliche […] Berechtigung zuzugestehen«1426

und damit anzuerkennen sei, dass ein solcher in früheren Rechts- und Sozialordnungen nachweisbarer »Zustand nicht etwa [als] ein ungerechter«1427 bezeichnet werden könne, hatte Jhering – wie gesehen – bereits in den 1840er Jahren gezogen. Es ist auch nicht so, dass Jhering in seiner Frühzeit die Bedeutung praktischer Zwecke für den sittlichen Fortschritt ignoriert hätte. Selbst das in frühen Rechtsordnungen fehlende Gastrecht des Fremden, das Jhering in den vorstehend zitierten Worten aus dem zweiten Band über den »Zweck im Recht« anführte, hatte ihn auch schon in den vierziger Jahren beschäftigt und zu der Frage geführt, warum in der Geschichte eines Volkes nach seiner völligen Rechtlosigkeit irgendwann »d[er] Fremd[e] […] wenigstens [sc. als Rechtssubjekt] anerkannt« bzw. umgekehrt »auch im Ausland als rechtsfähig anerkannt« wurde1428. Schon damals nannte er als Grund das praktische Bedürfnis zum »Verkehr mit fremden Völkern, Handel etc.«, das nach der »Periode des Kampfes« entstanden und »nicht ohne Gleichheit d[e]s Rechts« zu befriedigen gewesen sei1429. Einen Schritt weiter ging Jhering Anfang der fünfziger Jahre, als er feststellte, dass die historische Ursache für die sittliche Weiterentwicklung in der Rechtsgeschichte, die Ursache für das, was »uns heutzutage in der Natur des Rechts selbst zu liegen scheint, […] zum großen Theil« nicht das historisch reifende Rechtsgefühl, die »Idee der Gerechtigkeit« gewesen seien, sondern die sich aus der »Noth des Lebens« ergebenden »Motive der Zweckmäßigkeit«, die in »schwerste[r] Arbeit« Rechtssätze hervorbrachten, welche erst im Nachhinein von der »Idee der Gerechtigkeit« als sittliche Errungenschaft erkannt und von ihr »als ein ihr gebührendes Eigenthum in Besitz und unter ihren Schutz« ge1426 Jhering, Zweck II (11883), S. 119. 1427 So bereits Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 30, Bl. 58v. 1428 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 8r. Auch in dem wohl nicht viel später entstandenen Manuskript für eine Universalrechtsgeschichte beschäftigte Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 30v die Frage nach »der Anerkennung des Privatrechts bei Personen, denen kein Bürgerrecht zustand. Bei allen alten Völkern fällt der Besitz u[nd] das Normziel dieser Berechtigung zusammen. Der Fremde, der nicht zum Staate gehört, ist auch privatrechtlich rechtlos[,] zb. Indien (Persien), China. Anders in Athen. Hier war auch den Nichtbürgern der rechtlich Schutz in einem hohen Grade gewährt.« Das verstand Jhering als Ausdruck eines wesentlichen universalrechtsgeschichtlichen Fortschritts. 1429 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 8r. Vgl. dazu nur O.Behrends, Evolutionstheorie des Rechts (1991), S. 300 über das Fremdenrecht als ein anschauliches Beispiel für Jherings späteres Evolutionsmodell des Rechts.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

nommen wurden1430. Das »Bild der Entwicklungsgeschichte, wie die landläufige Auffassung es sich ausmalt« mit ihrer ungeschichtlichen »Projection unserer heutigen Ideen in die Vergangenheit«1431, hat Jhering somit – wenn er es überhaupt je vertreten hatte – schon früh überwunden. Den entscheidenden letzten Schritt zu der Überzeugung, dass die sogenannten Motive der Zweckmäßigkeit überhaupt die »einzige Triebkraft, der alleinige allerzeugende Gedanke«1432 aller »rechtlichen und sittlichen Wahrheiten«1433 seien und damit immer das »Recht […] zuerst da« sei, also die Idee der Gerechtigkeit »erst von ihm […] den ganzen Inhalt bezogen« habe1434, hat Jhering aber erst sehr viel später getan. Den Wechsel zu der Vorstellung, dass »die G e s c h i c ht e […] die Urheberin des Sittlichen und zwar nicht bloss der sittlichen G r u n d s ä t z e , Id e e n « 1435 bzw. – wie Jhering für die zweite Auflage von Zweck II formulierte – »der zur Form des Bewusstseins erhobenen Gedanken: der sittlichen Normen, Ideen und des dieselben in Form des Unbewussten in sich tragenden sittlichen Gefühls«, sondern der menschlichen Fähigkeit eines »sittlichen Wi l l e n s « überhaupt sei1436, diesen seine eigene disziplinäre Zuständig-

1430 Jhering, Geist I (11852), § 16, S. 229f. Daran knüpfte Jhering gut zwanzig Jahre später in einem Entwurf zur Einleitung für den ersten Band vom »Zweck im Recht« in nicht zufällig fast identischer Formulierung an, wenn er darauf hinwies, dass es »der Zweck gewesen [sei]: die Noth, das Bedürfniß, die Gefahr« [Jhering, Einleitungsentwurf (Nachlass), Bl. 6], der »in schwerer, harter Arbeit zur Geltung« gebracht hätte (aaO, Bl. 7, 11), was später »uns den Eindruck unbestreitbarer, mit der Vernunft selber gegebener Wahrheiten« macht (aaO, Bl. 9). Jherings früher Verweis auf den zumindest teilweise anstelle einer »rechtlichen Überzeugung« wirksamen bloßen »Drang der Umstände« und die »Noth des Lebens« [Jhering, Geist I (11852), § 16, S. 229] markiert den schon beim frühen Jhering nachweisbaren Abstand zu der herrschenden Rechtsentstehungslehre der Historischen Rechtsschule. 1431 Jhering, Zweck I (21884), S. 247. 1432 Jhering, Einleitungsentwurf (Nachlass), Bl. 5. 1433 Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 19 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 1434 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 17. 1435 Jhering, Zweck II (11883), S. 109. 1436 Jhering, Zweck II (21886), S. 108f. Das eigentlich Neue an Jherings zwecktheoretischen Überlegungen in seiner Spätzeit war genau genommen auch gar nicht die Überzeugung, dass »der Zweck der Schöpfer des gesammten Rechts ist« [so Jhering, Zweck I (11877), S. VI], sondern seine nunmehrige Auffassung, dass der Zweck auch der Schöpfer der Rechtsidee sei. Denn zumindest einen »großen Theil« der grundlegenden Rechtssätze hatte Jhering, Geist I (11852), § 16, S. 229 auch schon früher auf ursprünglich reine Zweckmäßigkeitserwägungen zurückgeführt. Ohnehin hatte im 19. Jahrhundert allein die Pandektenwissenschaft Schwierigkeiten gehabt, die Rolle des Zwecks für die Entstehung und Begründung des Rechts immer ausreichend zu würdigen. Dagegen stellte etwa der zeitgenössische Naturrechtler H.Ahrens, Encyclopädie (1855), S. 40f. Mitte der fünfziger Jahre kurz und bündig fest: »Es gibt kein zweck- und nutzloses Recht«, da das Recht immer »die Erstrebung oder die Förderung eines Wohls, sei es des Einzelnen oder der Gesellschaft«, zum Gegenstand habe.

Die historischen »Grundtriebe« als Ausdruck »angewandter Rechtsphilosophie«

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keit weit übersteigenden1437 Schritt zum »Zweckgesetz als höchstem weltbildenden Prinzip«1438 hat Jhering nämlich erst im Vorfeld der Arbeiten zu seinem 1877 erschienenen ersten Band über den »Zweck im Recht« unternommen. Jhering selbst sprach von dem – wie »ich ursprünglich mir kaum getraute zu gestehen« – Bruch mit der »auch von mir bisher getheilten Auffassung«1439 von einer bloßen Entfaltung der Rechtsidee in der Geschichte. Jherings bisheriger Glaube an einen gleichzeitigen »Parallelismus d[e]s sittl.[ichen] Prinzips u[nd] d[es] prakt.[ischen] Bedürfnisses«1440 in dem Sinne, dass die geschichtlichen Erfahrungen und Zwänge die schon immer vorhandenen sittlichen Prinzipien nur fortschreitend aufdecken, wurde so hinfällig. Seine eigene frühere Vorstellung, dass die sittlichen »Wahrheiten« zunächst in der »Schnee- und Eisregion […] Jahrtausende unzugänglich und verborgen lagen«1441, »blos ihrem Keim 1437 Vgl. O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 125 sowie ferner M.G.Losano, Studien (1984), S. 81ff. Auch Jhering, Zweck I (11877), S. VII selbst sah sich »auf ein Gebiet versetzt, auf dem ich Dilettant bin.« 1438 Jhering, Zweck I (11877), S. XII. Nachdem der zweite Band vom »Zweck im Recht« 1883 erschienen war, bekannte Jhering, Besitzwille (1889), S. X: »[…] die erst im Verlauf des Werks [sc. ›Der Zweck im Recht‹] sich mehr und mehr ergebende Unmöglichkeit, meinen Nachweis ausschließlich auf das Recht zu beschränken, hat mich auch auf die Sitte und Moral geführt […]. In der gegenwärtigen Gestalt müßte das Werk eigentlich den Titel an sich tragen: Das teleologische System der sittlichen Weltordnung.« Vgl. insoweit auch schon das Vorwort in Zweck II (11883), S. XIff. 1439 So Jhering, Einleitungsentwurf (Nachlass), Bl. 6 in einem Entwurf zu einer Einleitung für den 1877 erschienenen ersten Band von »Der Zweck im Recht«. 1440 Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 1r. 1441 Jhering, Geist I (11852), § 9, S. 99. Die Tatsache, dass Jhering diese und andere Passagen im »Geist«, die in eklatantem Widerspruch zu seiner späteren Theorie der sittlichen Evolution stehen, auch in späteren Auflagen nie gestrichen hat, ist ein zusätzliches Indiz dafür, dass Jhering seine Auffassungen in diesem Punkt erst im Laufe der siebziger Jahre geändert hat. Denn entgegen der viel zu pauschalen Behauptung von B.Klemann, Jhering (1989), S. 206f. sowie Ders., Jherings Wandlung (1991), S. 131 Fn. 7, Jhering habe seit »der zweiten Auflage der ersten drei Bände seines ›Geist‹ theoretische Grundanschauungen veröffentlicht, die er zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr vertrat«, hat Jhering in den ersten drei Auflagen vom »Geist« sehr wohl seine zwischenzeitlich veränderten Auffassungen, darunter an erster Stelle seine nach 1860 veränderte Haltung zur Begriffstechnik, wenn nicht durch vollständige Überarbeitungen, so doch zumindest durch Streichungen bzw. Zusätze im Text und in den Anmerkungen deutlich gemacht. Man kann daher bei den ersten drei Auflagen davon ausgehen, dass Jhering, wie er es im Hinblick auf die zweite Auflage in einem Brief an Gerber auch selbst vermerkte, »Behauptungen, Wendungen und selbst ganze Ausführungen, die ich um keinen Preis hätte stehen lassen mögen« [LosanoBriefe, Nr. 239 (Brief vom 15. Dezember 1865), S. 581; ferner auch Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345 Fn. 506a], bei der Überarbeitung auch tatsächlich getilgt hat. So nachdrücklich auch bereits E.Landsberg, Noten (1910), S. 340 (Note 21); ferner F.Wieacker, Jhering (1969), S. 11f. Auch im Falle des hier in Rede stehenden ersten Bandes vom »Geist« hat Jhering noch in der dritten Auflage von 1873 eine »Revision« des Textes vorgenommen, »bei der ich mir nur die äußere Beschränkung auferlegt habe, daß ich dieselbe möglichst innerhalb des Rahmens der Seitenzahl der zweiten Auflage zu halten

292

Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

nach in uns enthalten«, aber dann zunehmend »erschlossen durch die Geschichte«, sollte Jhering nun als eine »evolutionistische« Variante der unhistorischen »nativistischen« Theorien bezeichnen1442. Dennoch hielt Jhering auch in dieser Phase daran fest, dass es neben »rein juristischen« auch »sittliche Wahrheiten« gebe, die »wie die Wahrheiten der Mathematik oder die Gesetze des Weltalls« »einmal erkannt, eine so überzeugende Kraft in sich schließen, daß […] [sie] niemals wieder verloren gehen«1443. Denn – so Jhering in seinem grundlegenden im Jahre 1884 vor der Wiener Juristischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag zur Theorie der sittlichen und rechtlichen Evolution – »meine sittliche Ueberzeugung habe ich meiner Ansicht nicht zum Opfer bringen müssen. Nur der Grund, auf dem sie beruhte, ist ein anderer geworden.«1444

Aber auch dies gilt gerade mit Blick auf die von Jhering in der römischen Rechtsund Sozialordnung festgestellten Grundtriebe nur mit Einschränkungen. So wurde bereits von Okko Behrends darauf hingewiesen, dass auch der späte Jhering seine grundsätzlich neue Auffassung über die geschichtliche Entstehung aller Gerechtigkeitsvorstellungen nicht auf das zentrale Freiheits- und Unabhängigkeitsgefühl des einzelnen angewendet habe1445. Danach blieb das Gefühl, das zum Ausdruck kommt, wenn der einzelne seine Freiheit und seinen Besitz in der Rechtsordnung verteidigt, allein in der menschlichen Natur begründet und damit dem Recht und der Gesellschaft vorgelagert1446. Damit verblieb auch dem

1442 1443 1444 1445 1446

versucht habe« [Jhering, Geist I (31873), S. VII]. Erst in der folgenden vierten Auflage von 1878 hat Jhering nur noch sporadisch »hie und da einen Ausdruck mit einem andern vertauscht, sachlich aber nicht verändert«, und zudem angekündigt, »auch bei den folgenden Bänden dasselbe Verfahren [sc. zu] beobachten«, da er sich nun ganz der »Vollendung meines neuesten Werkes über den Zweck im Recht«, dessen erster Band kurz zuvor im Jahre 1877 erschienen war, widmen wollte [Jhering, Geist I (41878), S. VII; Ders., Geist I (51891), S. VII]. So kam es, dass Jherings spätere Theorie der rechtlichsittlichen Evolution nicht einmal mehr andeutungsweise Eingang in späte Auflagen vom »Geist« finden konnte und mit dieser Theorie in offenem Widerspruch stehende Passagen im »Geist« nicht mehr gestrichen bzw. überarbeitet wurden. Deswegen konnte beispielsweise auch Jherings Charakterisierung des »Rechtsgefühls« als »Samenkorn, dem das Recht entsprossen ist« [Jhering, Geist II/2 (41883), § 37, S. 318], noch zu einer Zeit neuerlich in Druck gehen, als Jhering andernorts eben diese Vorstellung als »evolutionistische« Spielart der ungeschichtlich »nativistische[n] Ansicht« über die Entstehung der rechtlichen und sittlichen Normen längst bekämpfte [vgl. Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 15f.]. Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 16. Dazu O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 109ff. Ferner zur Wort- und Begriffsgeschichte des Ausdrucks »Nativismus« M.Bihler, Rechtsgefühl (1979), S. 3f. Jhering, Besitzwille (1889), S. 90. Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 12. O.Behrends, Jhering (1987), S. 258, 262; Ders., Rechtsgefühl (1986), S. 153f. O.Behrends, Jhering (1987), S. 262.

Die historischen »Grundtriebe« als Ausdruck »angewandter Rechtsphilosophie«

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von Jhering im römischen Rechtsdenken diagnostizierten historischen »Machtund Freiheitstrieb«1447 seine vorrechtliche, nämlich anthropologische Grundlage. Auch auf dieser Grundlage konnte Jhering weiterhin »das Eigenthum zu den ethischen Existentialbedingungen der Person« in jeder Rechts- und Gesellschaftsordnung zählen1448 statt es allein auf die geschichtlich-pragmatische »Idee der Zweckmäßigkeit« zurückzuführen und damit für alle nur denkbaren Einschränkungen im Namen gesellschaftlicher Zweckmäßigkeit anfällig zu machen1449. Selbst im Hinblick auf die »Gleichmäßigkeit«, die nach Jherings lebenslanger Auffassung »eine der Cardinaleigenschaften des Rechts« im allgemeinen und des römischen Rechts im besonderen bildete1450, verzichtete Jhering nie ganz auf die Annahme von Voraussetzungen, die in der menschlichen Natur begründet waren. Entsprechend dem nach Jherings Überzeugung in einem jeden Volk auf einer bestimmten Entwicklungsstufe aufkommenden »Bedürfniß […] nach 1447 Jhering, Geist II/1 (11854), § 23, S. 19. 1448 So Jhering, Vorlesungsskripte (Nachlass), Bl. 42r in Vorlesungsunterlagen, die nicht vor 1867 entstanden sind. Der angeborene Trieb der »Selbsterhaltung« konnte danach von Recht und Sitte lediglich noch normativ sanktioniert werden, nämlich durch die Begründung einer rechtlichen und sittlichen »Pflicht der Selbsterhaltung wie für die physische, so auch für die ethische Existenz«. Und wenn man diese Pflicht, »wovon ich ausgehe […], […] als unverbrüchliches Gesetz anerkennt, so folgt daraus, daß sich diese Pflicht auch auf die Behauptung des Eigenthums erstreckt« (aaO). Dabei hatte Jhering unter der menschlichen »Selbsterhaltung […] nicht blos die Erhaltung des äusseren Daseins, sondern [auch] die Selbstbehauptung« [Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 21f.; Ders., Zweck II (11883), S. 71ff., 88] des »Ich«, das »Gefühl seiner selbst« [Jhering, Einleitungsentwurf (Nachlass), Bl. 7] verstanden. »Dieser selbe Trieb der Selbsterhaltung« – so Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 22 wörtlich – »repetirt in der höheren Region der Gesellschaft[;] und aus diesem Triebe geht hervor das Sittliche«. Vgl. O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 112ff. genauer zu diesem »Sprung« vom menschlichen Trieb zur gesellschaftlichen Norm. 1449 Vgl. Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 30, wonach »die Uebereinstimmung der verschiedensten Völker in den wesentlichen Rechtsinstitutionen und in den sittlichen Ideen« allein auf der »Idee der Zweckmässigkeit« beruhe: »[…] es waren die zweckmässigsten Mittel […] nach vielen mißlungenen Versuchen […].« Da Jhering einfach voraussetzte, dass »bei allen Culturvölkern« »die fundamentalen Zweckaufgaben der menschlichen Gesellschaft«, »die Zwecke u[nd] Bedürfnisse, welche die Cultur mit sich bringt, überall im Wesentlichen dieselben sind« [Jhering, Einleitungsentwurf (Nachlass), Bl. 8f.], war sichergestellt, dass »Privateigenthum und das Erbrecht […] stets bestehen bleiben« werden [Jhering, Zweck I (11877), S. 519f.]. 1450 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 28. Zwar hat Jhering nach seinem durch den Doppelverkaufs-Fall ausgelösten Krisenerlebnis Ende des Jahres 1858 die ihm zuvor noch selbstverständliche Gleichsetzung von »Gerechtigkeit« und »Gleichmäßigkeit« des Rechts (aaO, S. 31) relativiert. Gleichwohl sah er aber weiterhin in der »Festigkeit und Härte« der abstrahierenden Rechtsregel dasjenige, was das eigentliche »Wesen [sc. des Rechts] ausmacht und es von der Moral unterscheidet« (aaO, S. 28). Anders als die in der ersten Auflage hier folgende Passage hat Jhering die vorstehend zitierten Worte daher auch in späteren Auflagen von Geist II/1 nie gestrichen.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Gleichmäßigkeit«1451 und Berechenbarkeit in den sozialen Beziehungen und dem darauf beruhenden »Gleichheitstrieb« in jedem Recht hatte der junge Jhering die menschliche Fähigkeit zur Abstraktion vorausgesetzt, die die Grundlage für die Regelbildung an sich bildet, aber vor allem auch für die von der Rechtswissenschaft getragene rechtsinterne Fortbildung des Rechts durch Verallgemeinerung der bereits formulierten Rechtsbestimmungen. Mochte Jhering später auch das geschichtlich aufkommende und in beginnender Regelbildung sich manifestierende »Bedürfnis nach Gleichmäßigkeit« zwecktheoretisch begründen und die früher – wissenschaftsintern – von der Rechtswissenschaft getragene Fortbildung des Rechts nun – wissenschaftsextern – durch eine Fortbildung ersetzen, bei der erst der Gesetzgeber Abhilfe schafft in Reaktion auf die rechtspolitische Kritik von »thatkräftige[n] Persönlichkeiten« mit denkenden »Köpfen« an der noch mangelnden Allgemeinheit geltende Rechtsinhalte1452 – eine wichtige anthropologische Voraussetzung blieb im Denken des späten Jhering lebenslang erhalten, nämlich die Annahme eines dem Menschen angeborenen und nur ihm eigentümlichen Vermögens zur Abstraktion. Das menschliche Vermögen zur Abstraktion, worunter Jhering die – wie noch zu zeigen sein wird – zugleich moralische und intellektuelle Fähigkeit zur Regelbildung und konsequenten Verallgemeinerung von im positiven Recht bereits enthaltenen Inhalten verstand, wurde sogar zu einer ganz wesentlichen Voraussetzung für das von Jhering in den achtziger Jahren ausformulierte Modell sittlicher und rechtlicher Evolution1453. Auch von daher kann es kaum verwundern, dass Jhering die nach seiner Ansicht im römischen Recht historisch nachweisbaren Grundprinzipien, »die ich in Ermangelung besserer Ausdrücke den Selbständigkeitstrieb des Rechts, den Gleichheitstrieb und den Macht- und Freiheitstrieb nenne«,

nicht nur als historische »Ideale des römischen Rechtsgefühls« betrachtete1454, sondern darüber hinaus als einen wichtigen Teil desjenigen bezeichnete, was Jhering das römische Recht lebenslang als »angewandte Rechtsphilosophie« 1451 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 31. 1452 Vgl. Teil 1, Abschnitt III. 2. b) sowie hier in Teil 2, S. 285f. 1453 Vgl. dazu H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 60. Die von Helmut Schelsky herausgearbeitete zweite und dritte Stufe in Jherings Modell zur Erklärung der rechtlichen und sittlichen Evolution durch die Geschichte (aaO, S. 60, 63) wäre nicht vorstellbar gewesen ohne das »Abstractionsvermögen des menschlichen Geistes, ohne das wir uns den Menschen gar nicht denken können« [Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 45]. Als ein zugleich intellektuelles und moralisches menschliches Vermögen konnte Jhering das »Abstractionsvermögen« deswegen verstehen, weil er auch in seiner Spätzeit nicht zwischen wertender Verallgemeinerung und verstandesmäßiger Verallgemeinerung durch Bildung klassenlogischer Begriffe unterschied. 1454 Jhering, Geist II/1 (11854), § 23, S. 7, 19f.

Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

295

erscheinen ließ und es ihm so wertvoll machte zur »Erkenntnis« des »Wesens« jeder kulturell entwickelten Rechtsordnung1455. Denn nach Jherings universalrechtsgeschichtlichem Entwicklungsverständnis waren beide vorbezeichneten »Grundtriebe« zusammen erstmals im antiken römischen Recht nachweisbar, und zwar dort schon von Anfang an auf der Entwicklungsstufe des »älteren [sc. römischen] Rechts«1456 und nicht erst in dem von der Historischen Rechtsschule idealisierten römischen Recht der klassischen Zeit. Nur scheinbar unterschied Jhering mit dem zum »Freiheits-« und »Gleichheitstrieb« hinzukommenden »Selbstständigkeitstrieb« sogar drei prinzipiell verschiedene »Grundtriebe« des römischen Rechts. Denn der von ihm selbst sogenannte »formale Selbständigkeitstrieb« sowie der »innere oder materielle Selbständigkeitstrieb«1457 bildeten in Jherings rechtsphilosophischen Gesamtkonzeption jeweils nur Komplementärprinzipien zum Gleichheits- bzw. Freiheitstrieb des Rechts.

2.

Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

a)

Der »Gleichheitstrieb« als Voraussetzung des Rechts

Nicht das Bewusstsein der Freiheit, sondern das historische Wirksamwerden des »Gleichheitstriebes« im »Gefühl der Völker«1458 war für Jhering gleichbedeutend mit dem Beginn der Geschichte des Rechts überhaupt1459. Der Gleichheitstrieb ging nach Jhering nicht nur universalhistorisch gesehen dem Freiheitstrieb voran, sondern bildet auch anders als die Freiheit die conditio sine qua non für 1455 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 5. Als »angewandte Rechtsphilosophie« betrachtete Jhering aber nicht nur die in den Grundtrieben zum Ausdruck kommende Idee des römischen Rechts, sondern auch die den Römern zugeschriebene juristische Methode. 1456 Jhering, Geist II/1 (11854), § 22, S. 7. 1457 Vgl. dazu jeweils die folgenden Abschnitte I. 2. und I. 3. Obwohl es im Hinblick auf die Kantische Trias »Freiheit, Gleichheit, Selbständigkeit« [I.Kant, Gemeinspruch, A 235, 244ff. = WW XI, S. 145, 150ff.] nahezuliegen scheint, hat der Kantische Begriff der öffentlich-rechtlichen »Selbständigkeit« nichts mit dem »Selbständigkeitstrieb« in Jherings Naturlehre des Rechts zu tun. Dasselbe gilt auch für Stahls Redeweise von der »Selbständigkeit […] d e s R e c h t s «, die nur die Unabhängigkeit der juristischen Geltung des Rechts gegenüber »Gottes Weltordnung« hatte bezeichnen sollen [F.J.Stahl, Philosophie II/1 (31854), § 12, S. 221]. 1458 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 95. 1459 Anders M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 169, der meint, dass Jhering die Geschichte des Rechts in seiner im Nachlass befindlichen Universalrechtsgeschichte mit »dem allgemeinen Gedanken der Freiheit des einzelnen« beginnen lasse. Vgl. aber Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 58r, wonach gerade der »Grundzug aller Rechte des Orients […] der Mangel des Bewußtseins d[e]r Freih[ei]t« war.

296

Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

den Begriff des Rechts. Denn – so Jhering schon in seiner aus den vierziger Jahren stammenden Universalrechtsgeschichte mit einer übrigens fast wörtlich von Hegel übernommenen Darstellung der Zustände Afrikas1460 – die »Geschichte des Rechts könne erst da beginnen, wo etwas Objectives dem Individuum […] gegenüberliegt« und die regellose »subjective Willkühr, also das Deficit jeden Rechts«, einzudämmen beginne1461. Sobald derjenige, »dessen Willkühr die stärkere ist«, sich freiwillig »bescheidet […] nicht alles zu thun, was er könnte«, war nach Jhering bereits ein erster »Schein von Recht gewonnen«1462. Mehr als dieser erste »Schein von Recht«, nämlich wirkliches Recht sollte nach Jhering aber erst dann vorhanden sein, wenn die Eindämmung der individuellen »Willkühr« durch Unterordnung unter eine Regel – ob durch den Staat oder unmittelbar durch Rechtsgenossen – auch in den Fällen garantiert sei, wo der »Stärkere« sich dazu nicht mehr freiwillig »bescheidet«. Dass es in jedem Volk auf einer bestimmten Entwicklungsstufe zur Regelbildung komme und dass von dieser ersten Regelbildung universalrechtshistorisch betrachtet ein zwar langer, aber direkter Weg zu einem entwickelten System des Rechts führe, welches die Rechtsetzung klar von der Rechtsanwendung trenne und Sicherungsmechanismen vorsehe zu einer Rechtsanwendung ohne Ansehen der Person, war nach Jhering nicht durch bloß philosophische Ideen oder aber Hegels in der Geschichte wirkenden vernünftigen Weltgeist, sondern in der Anthropologie des Menschen begründet1463. Danach stehe der allerdings gleichfalls angeborenen »Gefühlsnatur im Menschen«1464 der ab einer bestimmten kulturellen Entwicklungsstufe im Menschen wirksam werdende »Gleichheitstrieb« gegenüber, nämlich das in der Natur des Menschen liegende »Bedürfniß nach […] Gleichmäßigkeit«1465 bei der Gestaltung der sozialen Beziehungen. Beide menschlichen Anlagen spiegelten sich nach Jhering auch in zwei gegensätzlichen Gerechtigkeitsvorstellungen wider, nämlich einerseits in der auf dem subjektiven Gefühl des jeweils betroffenen Individuums gründen-

1460 Vgl. M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 177 mit Fn. 209. Offensichtlich verwendete Jhering in Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 55r–56r Hegels Darstellung in dessen Ph.d.Gesch., S. 122–129 als Vorlage. 1461 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 30, Bl. 55r/v. 1462 Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 30, Bl. 55v/56r (Jherings Unterstreichungen im handschriftlichen Manuskript sind im Text in Kursivschrift wiedergegeben). Mit dem ersten »Schein von Recht« war nach Jhering der entwicklungsgeschichtliche Stand von Afrika bezeichnet, welches – so Jhering in unmittelbarem Anschluß an die ersichtlich zeitbedingte Darstellung von G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S. 129 – abgesehen von Ägypten »noch immer nicht der Geschichte angehört« [Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 56r]. 1463 Vgl. auch O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 163 m.w.N. 1464 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 32. 1465 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 31.

Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

297

den Vorstellung einer »individuellen Gerechtigkeit«1466 und andererseits in einem auf dem Gleichheitstrieb beruhenden »Bestreben, sich frei zu machen von dem Wechsel der Stimmungen, dem Einflusse aller persönlichen Bezüge u.s.w.«1467. Es standen sich nach Jhering also zwei gegensätzliche Gerechtigkeitsvorstellungen gegenüber, die nach Jhering beide in den Naturanlagen des Menschen begründet waren. Wolfgang Pleister hat daher im Zusammenhang mit Jherings Redeweise von den »sittlichen Naturkräften« bereits vollkommen zu Recht darauf hingewiesen, dass die für Puchta noch so grundlegende Zweiteilung in die durch das Recht zu bändigende »Natur« und in den die Idee des Rechts gegen die Kräfte der Natur hervorbringenden menschlichen »Geist«1468 für Jhering nicht mehr galt1469. Den nach Jherings Konzeption auf den ersten Blick naheliegenden Schluss, dass sich damit das in der menschlichen Natur angelegte Spannungsverhältnis zwischen der »individuellen Gerechtigkeit« einerseits und dem »Bedürfniß nach Gerechtigkeit« im Sinne von »Gleichmäßigkeit« andererseits1470 auch in jeder entwickelten Rechtsordnung niederschlagen müsste, hat Jhering in den 1850er Jahren allerdings noch nicht gezogen. Vielmehr betrachtete er den Übergang vom »Zufall der bloß individuellen Gerechtigkeit« zur »Tugend der Gerechtigkeit« im Sinne einer »Gleichheit der rechtlichen Behandlung« nur als die entscheidende Voraussetzung dafür, dass »das Recht aus dem Zustand der Naivität heraustritt und in officieller Weise zum Selbstbewußtsein gelangt.«1471 Folglich hat Jhering die »Ueberwindung des bloßen Gefühlsstandpunktes« zu einer Frage der kulturellen Entwicklung und sittlichen »Charakterfestigkeit«1472 des rechtsetzenden Volkes und des einzelnen Rechtsanwenders hochstilisiert. »In demselben Maße, in dem nun ein Volk das Bedürfniß nach Gerechtigkeit d. h. nach Gleichmäßigkeit [sic!] empfindet, wird es den Trieb in sich fühlen, sich von dem Zufall

1466 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 31. Da das Gefühl der »individuellen Gerechtigkeit« immer in »der Sphäre subjektiver Eingebung« verbleibe, war es nach Jhering allerdings sowohl im Hinblick auf seinen Inhalt als auch im Hinblick auf seine Realisierungschance in hohem Maße auch vom »Zufall« abhängig und daher mit einem modernen Rechts- und Gesetzesbegriff nicht kompatibel (aaO). 1467 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 30f. »Daß das Recht […] gegen alle ein gleiches Maß anwenden, daß die äußere Macht sich keine Eingriffe in das Rechtsgebiet erlauben solle u.s.w., das fühlt Jedermann« – ab einer bestimmten kulturellen Entwicklungsstufe [Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 23 (Kursivhervorhebung nicht im Original)]. 1468 Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 489–497 zu Puchtas grundlegender Unterscheidung von Natur und Geist, Notwendigkeit und Freiheit. 1469 W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 178. Das heißt allerdings nicht, dass Jhering zwischen Natur und Geist nicht mehr unterschieden hätte. 1470 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 31. 1471 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 30f. 1472 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 30; § 24, S. 22.

298

Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

der bloß individuellen Gerechtigkeit unabhängig zu machen, die Gerechtigkeit immer mehr aus der Sphäre subjektiver Eingebung in das Recht selbst hinein zu verlegen.«1473

Niemand hat diese Reduktion des Gerechtigkeitsbegriffs auf die Anwendung eines gegen alle gleichen Maßes und der Gleichsetzung dieser »formalen Gerechtigkeit«1474 mit der Idee des Rechts so konsequent und rigoros verfolgt wie Jhering vor seinem Krisenerlebnis von 1858. Das »einfache Rechtsgefühl« des einzelnen, das gegen eine entwickelte Rechtsordnung opponiere, wurde von Jhering in den fünfziger Jahren pauschal abgewertet als etwas, das nicht nur der juristischen Geltung des Rechts widerspreche, sondern vor allem der diesem Recht inhärenten Gerechtigkeitsidee, »gegen alle ein gleiches Maß«1475 anzuwenden. Das sich im einzelnen Fall gegen die Anwendung der Rechtsregel wendende »Rechtsgefühl« wurde beim frühen Jhering zum Synonym für Parteilichkeit und inkonsequente »Charakterschwäche«1476, zum Gegenbegriff zur »wahren d.i. sich selbst gleich bleibenden Gerechtigkeit«1477. Die »Ständigkeit, Selbständigkeit des Rechts« gegenüber Forderungen nach Einschränkung des gegen alle gleichen Maßes bei der Rechtsetzung, Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung erschien Jhering in den fünfziger Jahren noch als das einzige »Ziel der [sc. rechtlichen] Gerechtigkeit«1478. In diesem Sinne hatte das römische Privatrecht des Altertums nach Jhering eine historische Pionierfunktion gehabt1479 und repräsentierte für ihn in der Gegenwart einen entscheidenden Teil von dem, was er als Bestandteil der von ihm sogenannten »Naturlehre des Rechts« als »d a s Recht im römischen Recht« ansah, weil es »die moderne Welt beibehalten hat und […] auch nie wieder verlassen wird.«1480 Bereits Walter Wilhelm hat auf die Parallelen zwischen Hegels und Jherings Würdigung der universalrechtshistorischen Bedeutung des römischen Rechts für die »große Trennung« (Hegel) bzw. »Scheidung« (Jhering) von Rechtsform einerseits und »Gefühlsstandpunkt«1481 andererseits hingewiesen1482. Beide Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 31. F.Belvisi, Positivität (2003), S. 447, 456. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 23. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 22f. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 46 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 30 Fn. 17, S. 46. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 44 – »[…] während das ganze Civilrecht im höchsten Grade von der Tendenz nach Festigkeit, Bestimmtheit, Objektivität, Gleichmäßigkeit durchdrungen« gewesen sei, habe sich etwa »das Kriminalrecht […] lange im gerade entgegengesetzten Zustande der äußersten Flüssigkeit und völligen Befangenheit in der Subjektivität der Gefühlsstimmung zu erhalten« vermocht. 1480 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 46. 1481 G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S. 351; Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 45f. Nach Jhering bedeutete die »Losreißung des Rechts vom subjektiv-sittlichen Gefühl […] für die Geschichte des Rechts dasselbe, was für die Culturgeschichte die Erfindung der Buchstabenschrift« bedeutet habe [Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 301].

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Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

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haben die Römer zugleich auch als »Opfer« (Hegel) bzw. »Sklaven« (Jhering) ihrer eigenen universalrechtshistorischen Errungenschaft bezeichnet1483. Der »Weg zur Freiheit in der Kunst geht durch die Unfreiheit«, die »mechanische Gleichheit« (Jhering). Erst »wenn […] das mechanische Handwerk ganz für sich fertig geworden, so kann die freie Kunst erstehen und sich ausüben« (Hegel)1484. Damit endeten allerdings die Gemeinsamkeiten von Jhering und Hegel. Denn während Jhering lediglich die stark ritualisierte Rechtsprechung der »altrömischen Jurisprudenz«1485 meinte, durch welche die Römer anfangs auch zum »Sklaven« ihrer selbstgeschaffenen »Maschinerie« geworden seien1486, hat Hegel auf der Grundlage seines transzendental-philosophischen Vernunftbegriffes die gesamte römische Jurisprudenz als ein »Opfer«, nämlich als ein »Opfer« ihres »dürren« »abstrakt juristischen Verstande[s]« angesehen1487.

b)

Gleichheit in der Gesetzgebung

Den sich bei »allen Culturvölkern […] auf einer gewissen Entwicklungsstufe des Rechts«1488 wiederholenden historischen Prozeß von der ersten auf den 1482 W.Wilhelm, Theorie (1972), S. 283f. Fn. 77. Die hier von Walter Wilhelm angeführte Stelle aus Hegels Geschichtsphilosophie hatte Jhering – wie sich mit Unterlagen aus Jherings wissenschaftlichem Nachlass belegen lässt – sogar auszugsweise exzerpiert [Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 2r]. 1483 Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 300; DERS., Geist III/1 (11865), § 48, S. 9; G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S. 351: »Wenn sie [sc. die Römer] uns damit ein großes Geschenk, der Form nach, gemacht haben, so können wir uns dessen bedienen […], ohne zum Opfer dieses dürren Verstandes zu werden, ohne es für sich als ein Letztes der Weisheit und der Vernunft anzusehen. Sie sind die Opfer gewesen […].« Das war die Kehrseite bzw. »der Preis der römischen Größe« [Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 300; G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S. 349]. 1484 Jhering, Geist III/1 (11865), § 48, S. 9; Ders., Geist I (11852), § 20, S. 302; G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S. 351. 1485 Die ab Band II/1 dargestellte Geschichte der »altrömischen Jurisprudenz« bildete den Gegenpol zur späteren »Richtung der neuern römischen Jurisprudenz« in klassischer Zeit, die Jhering als drittes System im nie erschienenen dritten Teil seines Werkes über den »Geist der römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« hatte darstellen wollen [Jhering, Besitzwille (1889), S. 292f.; Ders., Geist I (11852), § 6, S. 77ff.; Ders., Geist II/1 (11854), § 22, S. 5]. Im Unterschied zur heutigen Romanistik, die erstens die altrömische, zweitens die bereits hellenistisch beeinflusste vorklassische und drittens die klassische Zeit unterscheidet, kannte Jhering nur zwei große Epochen (»System«) der römischen Rechtsgeschichte, von denen mit der »altrömischen Jurisprudenz« nur die erste – und auch diese nicht abschließend – im »Geist des römischen Rechts« abgehandelt wurde. 1486 Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 300; Ders., Geist II/2 (11858), § 47, S. 671. 1487 Vgl. oben Fn. 1479. 1488 Jhering, Zweck I (11877), S. 379.

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Gleichheitstrieb zurückzuführenden Regelbildung bis zu einem entwickelten Rechtssystem, welches »das eine Hauptstück der Gerechtigkeit: die Gerechtigkeit in der A n w e n d u n g des Rechts«1489 durch institutionelle Sicherungen garantiert, bezeichnete der junge Jhering zunächst noch in unverkennbar Hegelscher Ausdrucksweise als ein »Innerliches Zu-Sich-Kommen des Rechts«1490, später als »das Zurückziehen des Rechts auf sich selbst«1491. Denn mit dem Begriff der Regel war nach Jhering auch die normative Idee gegeben, dass »dasjenige, was einmal Recht ist, als solches unabwendlich zur Anwendung gelange« und so eine »formale«, nämlich unabhängig vom konkreten Inhalt des Rechts bestehende »Selbständigkeit« bzw. Unabhängigkeit der Rechtsanwendung gesichert werde sowohl gegenüber den Interessen der »äußere[n] Macht«1492 als auch gegenüber den von einer »augenblicklichen Stimmung«1493 getragenen Forderungen der Rechtsunterworfenen. Aus diesem Grunde verbanden sich mit der von Jhering sogenannten »f o r m a l e [ n ] Selbständigkeit«1494 des Rechts als Ausfluss des Gleichheitstriebs auch konkrete inhaltliche Anforderungen an die Gesetzgebung, die man heute im Wesentlichen unter dem Stichwort rechtsstaatlicher Sicherungen zusammenfassen könnte, nämlich neben der »gesetzlichen Fixirung des prozessualischen Verfahrens und […] des materiellen Rechts« zur »Controlle des Richters«1495 vor allem die »innere und äußere« »Unabhängigkeit der Justiz«1496 durch sachliche und institutionelle »Trennung zwischen Recht und Rechtsanwendung, die eins der ersten Requisite für die Selbständigkeit und Gleichmäßigkeit des Rechts ist«1497. »Formale Selbständigkeit« des Rechts erfordere daher – wie Jhering 1874 im Bewusstsein der faktischen Grenzen rechtsstaatlicher Sicherungen bekräftigte – »die Herstellung eines Apparates, der a u s s c h l i e ß l i c h [zu] diesem Zweck der Verwirklichung des Rechts bestimmt ist, und der schon durch seine Scheidung und seinen Gegensatz zu den sonstigen Einrichtungen, durch welche die Staatsgewalt ihre Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 22. Jhering, Geist II/1 (11854), § 26 (Titelüberschrift). Jhering, Zweck I (11877), S. 381. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 23; Ders., Zweck I (11877), S. 382. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 46. JHERING, Geist II/1 (31874), § 24, S. 22. Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 22. Dabei war es auch Jhering auf der Grundlage seiner um Wirklichkeitsbezug bemühten Darstellung der römischen Rechtszustände klar, dass es nicht ausreiche, das Recht »objektiv-formell zu fixiren«, sondern dass auch die tatsächliche Kontrolle durch »die Oeffentlichkeit der Rechtspflege« bzw. die Kritik »der öffentlichen Meinung« sichergestellt sein müsse [Jhering, Geist II/1 (11854), § 28, S. 74, 80] und dass selbst dann noch die richterliche ebensowenig wie die staatliche Willkür je ganz ausgeschlossen werden könne [Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 21]. 1496 Jhering, Geist II/1 (11854), § 28, S. 74, 79f., 81f. mit Fn. 77. 1497 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 44, 46; Ders., Geist II/2 (11858), § 38, S. 336; Ders., Zweck I (11877), S. 380; Ders., Zweck I (21884), S. 403ff.

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Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

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Wirksamkeit äußert, die Grenze zwischen dieser und allen sonstigen Aufgaben des Gemeinwesens signalisirt und damit jeden Uebergriff der Staatsgewalt in das Gebiet des Rechts wenn auch nicht factisch unmöglich macht, so doch als einen Widerspruch derselben mit sich selbst, als einen Gewaltact kundgibt und ihn eben damit moralisch und politisch mindestens e r s c h w e r t .«1498

Aber auch in materiellrechtlicher Hinsicht war der Grundsatz der formalen Selbständigkeit des Rechts nach Jhering insofern von entscheidender Bedeutung, als die Gleichheit der Rechtsanwendung durch eine willkürliche Rechtsetzung konterkariert werden könnte. In diesem Sinne des Willkürverbots habe daher der Gesetzgeber auch in materiellrechtlicher Hinsicht »seine Macht nur im Dienst der Gerechtigkeit [zu] benutzen«1499, sobald nur diese »Gerechtigkeit dem Volk […] etwas Hohes und Heiliges« geworden sei1500. Die »Partheilichkeit und Willkühr« des Gesetzgebers enthalte einen nicht geringeren »Verstoß gegen die Idee der Gerechtigkeit« als die parteiliche Rechtsanwendung durch den Richter1501. Dabei verkannte Jhering auch in seiner frühen Phase nicht, dass es für die Feststellung der parteilichen Rechtsanwendung einen Maßstab, nämlich die Regel des Gesetzgebers gab, während sich im Hinblick auf die Frage nach der willkürlichen Rechtsetzung zunächst die grundlegende Frage stellte, »was ist gleich?« bzw. was ist als das »seiner Natur nach Gleiche« vom Gesetzgeber gleich zu behandeln?1502 Anders als Puchta, der für die Frage nach dem »seiner Natur nach Gleichen« ganz selbstverständlich »die Persönlichkeit, die den Menschen gleichmäßig zukommende Eigenschaft« als ein materielles »Grundprincip des Rechts« zugrunde gelegt hatte1503, sah Jhering darin eine historische Frage. Damit wollte Jhering den Gesetzgeber bei der Festlegung des »seiner Natur nach Gleichen« und Ungleichen zwar nicht in die historische Beliebigkeit entlassen. Denn es gab auch nach Jhering in jeder Zeit für die Gesetzgebung sehr wohl »objektive«, das heißt nicht auf bloßer »Partheilichkeit und Willkühr« des Gesetzgebers und damit auf einem »Verstoß gegen die Idee der Gerechtigkeit« beruhende Gründe Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 20. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 95. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 336. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 95. Jhering hat sich übrigens zeit seines Lebens persönlich selbst als ein Opfer von Parteilichkeit und Willkür gesehen. Noch als alter Mann erinnerte er sich nach Mitteilung von Adolph Kohut daran, dass er 1839 in Hannover nicht zur Beamtenlaufbahn zugelassen wurde, weil die Zulassung noch als ein Privilegium verstanden wurde. Nie habe »er dieses Unrecht vergessen« und sei »seit jenem Augenblick fest entschlossen gewesen […], der Parteilichkeit, der Gevatterschaft […], dem verderblichen Nepotismus allezeit mit Entschiedenheit entgegenzutreten« [vgl. Kohuts Einleitung zu den von ihm herausgegebenen Briefen Jherings, in: Kohut-Briefe/1892, S. 215]. 1502 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 89. 1503 G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 9, S. 19. 1498 1499 1500 1501

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für jeweils notwendige rechtliche Differenzierungen1504. Aber diese Gründe ergaben sich nach Jhering nicht – wie noch für Puchta – aus der »Natur« des Regelungsgegenstandes selbst, sondern aus den Vorstellungen der Zeit. »In politischer Beziehung«, etwa im Hinblick auf »objektive Gründe« wie »das Staatswohl« war die geschichtliche Bedingtheit evident, und es gehörte nach Jhering »der gänzliche Mangel politischer Einsicht und historischer Kenntnisse dazu«, um deren Einfluss auf das jeweilige Recht zu verkennen oder gar ausschließen zu wollen. Aber auch soweit die gesetzlichen Differenzierungen an »gewisse natürliche«, also in der Natur wahrnehmbare »Unterschiede der Menschen und Sachen« anknüpfen, blieben die daraus abgeleiteten »innerliche[n]« bzw. »rechtliche[n] Verschiedenheiten« geschichtlich bedingt. Denn »was d i e s e r Zeit als eine durch innere und äußere Gründe gebotene rechtliche Verschiedenheit erscheint, darin findet eine folgende vielleicht eine schreiende Ungleichheit«. Dass bei Beantwortung der Frage nach den vom Recht zu berücksichtigenden bzw. zu ignorierenden tatsächlichen »Verschiedenheiten« im Laufe der Zeiten »die Resultate so unendlich variiren« »trotz des gleichmäßigen Strebens aller Zeiten, die Gleichheit im Recht herzustellen«, war für Jhering eine natürliche Folge der Veränderung der Lebensverhältnisse und des Wertmaßstabs1505. Und da »Wage und Gewicht der verschiedenen Zeiten so außerordentlich differiren«1506 und »die relative [sic!] Berechtigung eines Instituts« immer mit den »historischen Voraussetzungen […] steht und fällt«1507, schied die noch von Puchta geltend gemachte unwandelbare »Natur« der zu regelnden Gegenstände zur Begründung universalrechtlich beachtlicher »Verschiedenheiten« von vornherein aus1508. Dieser schon beim jungen Jhering vorhandenen Einsicht in die Geschichtlichkeit des Rechts stand allerdings in den 1850er Jahren noch eine eigentümliche Bestimmung von »Partheilichkeit und Willkühr« des historischen Gesetzgebers1509 gegenüber, die die Gesetzgebungsprärogative begrenzen sollte. Denn zumindest in der Theorie hatte bisher niemand angezweifelt, dass – wie es etwa Puchta ausgedrückt hatte – die »Rechtsinstitute […] so zu gestalten [sind], wie sie den bestehenden individuellen Bedürfnissen entsprechen«, und dass das »strenge« Recht, welches die »Herrschaft über das Ungleiche und Individuelle« der Lebensverhältnisse sichern soll, doch immer »aber auch dem Individuellen 1504 Vgl. auch für die folgenden wörtlichen Wiedergaben Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 94f. 1505 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 90, 95 und in präzisierter Form, aber sachlich unverändert Jhering, Geist II/1 (31874), § 29, S. 91f. 1506 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 90. 1507 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 95. 1508 Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 687–699. 1509 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 95.

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sein Recht widerfahren« lässt1510. Selbst Heinrich Thöl, der mit seiner Ersetzung des Begriffs der »Billigkeit« durch die rein formale Unterscheidung zwischen »consequentem« und »inconsequentem« Recht Jherings Auffassung bereits sehr nahe kam, setzte noch als selbstverständlich voraus, dass das »Ungleiche gleich zu behandeln, nicht die Aufgabe des Rechts«, sondern vielmehr gerade eine »natürliche Begränzung der Aufgabe« sei1511. Dem jungen Jhering dagegen erschien diese »Begränzung« gar nicht mehr so »natürlich«; vielmehr bewunderte er das altrömische Recht, insoweit es eher eine Überschreitung dieser »Begränzung« und die damit verbundene »Tyrannei der juristischen Disziplin«1512 in Kauf genommen habe, nur um auf jeden Fall zu verhindern, dass auf der anderen Seite unter »dem Deckmantel der Billigkeit«1513 etwas Gleiches ungleich behandelt würde. Zwar erkannte auch Jhering auf dem Hintergrund altrömischer Rechtsbildungen und der ihnen eigentümlichen »Abneigung gegen alles Individualisiren im Recht«1514 an, dass bei der Rechtsetzung eine die individuellen Umstände und »besondere Lebenslagen (z. B. Abwesenheit, Armuth u.s.w.)«1515 ignorierende »Gleichheitstendenz des […] Rechts in Wirklichkeit die äußerste Ungleichheit« bewirken und einen »Conflict der Gleichheitsidee mit sich selbst« zur Folge haben könne1516. Aber selbst die von Jhering im altrömischen Recht konstatierte übertriebene und im Gegensatz zur »wahre[n] und ächte[n] Gleichheit« stehende »mechanische Gleichheit«, die »besondere Lebenslagen«1517 wie auch veränderte Wertmaßstäbe bei der Feststellung des Verschiedenen lieber bewusst ignoriert habe, als das Risiko einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung einzugehen, zeugte für den frühen Jhering zwar von einem »Mangel politischer Einsicht und historischer Kenntnisse«1518. Zugleich sah er aber in der auch »noch G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 9, S. 19. H.Thöl, Einleitung (1851), § 37, S. 105; § 39, S. 108ff. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 302. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 93. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 93; Ders.,Schuldmoment (1867), S. 179. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 96. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 90f., S. 114: »Für die Tendenz der abstracten, mechanischen Gleichheit des ältern Rechts«, das »die scheinbare Gleichheit […] zur äußersten Ungleichheit führen« konnte, »ist nichts bezeichnender, als daß der Reichste sowohl wie der Aermste eine Injurie mit 25 ass. bezahlte […] und daß die größte Verschiedenheit in den Vermögensverhältnissen […] einflußlos war.« Dieser sich bei Jhering später noch verstärkende sozialkritische Blick auf die alten Rechtsformen [vgl. nur Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 196ff., 416f.] ist auch ein Anwendungsbeispiel für die von Jhering zunächst noch auf die geschichtliche Untersuchung beschränkte »physiologische« Betrachtung der den jeweiligen Rechtseinrichtungen verbundenen tatsächlichen Lebensverhältnisse. 1517 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 96. 1518 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 94.

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so weit getriebenen […] Starrheit, Rücksichtslosigkeit gegen die Interessen und Bedürfnisse der Gegenwart, tyrannischen Rechtsconsequenz«1519 und »rücksichtslose[n] Herrschaft der Abstraction«, wie er den »Geist des ältern [sc. römischen] Rechts«1520 kennzeichnete, lediglich eine »Uebertreibung« derjenigen »Eigenschaft, die den Adel und die Hoheit des Rechts ausmacht«1521. Die Tatsache, dass man im altrömischen Rechtsverkehr auch die sich aus dieser »Uebertreibung« ergebenden praktischen Nachteile noch hingenommen habe bzw. dass den »alten Römern […] jene Möglichkeit in einem ganz andern Lichte, als uns heutzutage« erschienen sei1522, glaubte Jhering – insoweit offensichtlich nicht frei von romantischer Verklärung1523 – mit einer inzwischen verloren gegangenen Opferbereitschaft der damaligen Zeit erklären zu können, die den einzelnen dazu gebracht habe, nur um der »Ausschließung jeglicher Partheilichkeit und Willkühr« willen sogar noch über das dazu erforderliche Maß hinaus alle »Rücksichten auf individuelles Wohl zu opfern« und sich immer durch den »Gedanken versöhnen [zu lassen], daß die Gerechtigkeit selbst es so mit sich bringe.«1524 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 22f. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 92f. Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 23. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 93. Derartige Verklärungen in Jherings Schilderungen des frührömischen Rechts sollten aber nicht zu dem falschen Schluss verleiten, Jherings schon früh geübte Kritik an der Gegensätze in vergangenen Rechtszuständen harmonisierenden »Romantik unserer heutigen historischen Ansicht« sei in Wahrheit nur ein Lippenbekenntnis gewesen. Jhering verfiel dann in romantisch verklärende Erklärungsmuster, wenn er sich selbst plausibel zu machen versuchte, wie es in früheren Zeiten historisch überhaupt möglich gewesen sein könne, dass aus seiner Sicht ethisch ganz inakzeptable Zustände so lange überdauern konnten. 1524 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 93. Offensichtlich im Anschluss an Hegel sah Jhering schon 1852 hinter dieser Vorstellung der Römer von einer »ethischen Notwendigkeit« der Verfolgung der Konsequenz um jeden Preis, geschichtsphilosophisch betrachtet, nämlich »objektiv in der That nichts, als ein[en] Ausfluß der Zweckmäßigkeitsidee«, nämlich das Bewußtsein des einzelnen, dass »sein individuelles Wohl durch das des Staats bedingt ist«, die Befolgung des »allgemeinen […] auch seinem eignen Interesse entspricht« und daher »der einzelne Fall der abstrakten Regel, der Moment dem dauernden Zustand geopfert werden müsse« [Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 298f., 301]. Den dieser Beschreibung des römischen Volksgeistes zugrunde liegenden Gedanken, dass der einzelne seine Interessen langfristig am besten erreiche durch Unterwerfung unter die Zwecke der Gesellschaft und des Staates, wird Jhering später verallgemeinern zu einem universell gültigen Gesellschaftsmodell eines an soziale Zwecke gebundenen Liberalismus [vgl. dazu H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 55]. Jhering selbst ist im Übrigen offenbar erst nach Abfassung von § 20 zu Geist I (11852) über den Zusammenhang von individuellen und kollektiven Interessen in der frührömischen Gesellschaft die Nähe zum utilitaristischen Prinzip Jeremy Benthams bewußt geworden. Davon zeugt in seinem Handexemplar von Geist I (11852) die sich an dieser Stelle (aaO, § 20, S. 299) befindende handschriftliche Notiz, deren erster Teil 1866 Eingang fand in die zweite Auflage [Jhering, Geist I (21866),

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Für seine eigene Zeit hielt es Jhering zwar – schon wegen der inzwischen verminderten Opferbereitschaft des einzelnen – für erforderlich, »daß das Gesetz in seiner Klassifizierung weit genug ins Detail hinabsteigt«1525, um das, was sich den jeweiligen Zeitgenossen als »Verschiedenes« darstelle, auch rechtlich differenziert zu behandeln. Aus Jherings aus den fünfziger Jahren stammenden Charakterisierungen des frühen römischen Rechts ergibt sich aber deutlich, dass die »eiserne Consequenz, die in der [sc. formalen] Gleichheit sich ausspricht, […] als solche« nicht nur »für sie«, die Römer, sondern offenbar auch für Jhering selbst »etwas Imponirendes« hatte1526 sowohl gegenüber der »Charakterschwäche« vorrömischer Zeiten1527 als auch gegenüber »einem verweichlichten Billigkeitsgefühl« in der späteren römischen Rechtsgeschichte und in Jherings eigener Zeit1528. Entsprechend hieß es dann auch in Jherings aus dem historischen Stoff gewonnener »Naturlehre des Rechts« in einer 1869, also nach seiner methodenkritischen Wende in der zweiten Auflage von Geist II/2 aller-

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§ 20, S. 325f. Fn. 228a.] Notiert hatte sich Jhering dort: »Bentham (Dumont) Principi[en] d[er] G[e]s[etz]g[e]b[un]g S. 23: die Tugend ist die Aufopf[er]ung eines schwächeren Interesse[s] für 1 stärkeres, ein[e]s augenblickliche[n] für 1 dauerhaft[e]s, eine[s] ungesunde[n] für 1 gesunde[es] I.[nteresse]. S. 24 ›Sehr vortheilhaft, aber ungerecht‹ d. h. bloß für d[en] Moment, nicht für die Dauer vortheilhaft«. Letzteres hatte bei Bentham ausdrücken sollen, dass das »Gerechte« nichts anderes sei als das für den einzelnen auf Dauer Vorteilhaftere [J.Bentham, Bentham’s Principien (1833), S. 22ff.]. Zwar hat Jhering, Geist I (21866), § 20, S. 325f. Fn. 228a anders als Bentham in »dieser rein utilitaristischen Weise […] den Tugendbegriff überhaupt« nicht bestimmen wollen [vgl. auch O.Behrends, Jhering (1987), S. 251]. Aber die Parallelen zu seiner Beschreibung des römischen Tugendverständnisses bleiben doch bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass Jhering Bentham wohl erst in den sechziger Jahren rezipiert hat [vgl. insoweit die von Jhering erst in Geist I (21866) eingefügten Fußnoten 2e und 228a sowie zum Ganzen auch W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 88 Fn. 282, S. 397 Fn. 635]. Man kann allerdings vermuten, dass Jhering zumindest Grundgedanken von Benthams Werk schon früher gekannt hat, zumal Jhering bei einem der drei deutschen Rechtslehrer, die sich damals schon lange für die Popularisierung von Benthams Ideen in Deutschland einsetzten, nämlich bei Karl Salomo Zachariä [vgl. J.Bentham, Grundsätze (1830), S. IVf.], bereits als Student gehört hatte [vgl. Jhering, Vita (1843), Bl. 71; Ders., Bismarck (1885), S. 19]. Von daher könnte sich auch erklären, dass Jhering bereits 1852 – und insoweit nicht nur im Hinblick auf den römischen Volksgeist – nicht anders als J.Bentham, Grundsätze (1830), S. 36 davon überzeugt war, dass die jeweilige konkrete »Selbstüberwindung« eines Individuums tatsächlich »weit entfernt [ist,] eine Entäußerung der Selbstsucht zu bezeugen«, sondern vielmehr »gerade eine Bethätigung derselben« darstelle [Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 299]. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 33. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 93. Vgl. auch E.Schanze, Culpa (1978), S. 351, der Jherings gesamte Darstellung des historischen römischen Rechts dadurch charakterisiert sieht, dass sie »zwischen hellsichtiger Kritik und begeisterter Affirmation« schwanke. Auch O.Behrends, Jhering (1987), S. 251 sieht Jhering »als Rechtshistoriker […] von der altrömischen Rechtsordnung, wie er sie sich stilisiert, fasziniert […].« Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 22. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 90, 93.

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dings gestrichenen Passage, dass »ein zu weit getriebenes Centralisiren weniger gefährlich [ist], als das Individualisiren. Dort ist wenigstens im Centrum eine gewaltige Kraft, […] wenn auch auf Kosten des Besondern; hier hingegen ist nicht einmal das Einzelne kräftig entwickelt«1529. Der junge Jhering war geradezu gefangen von der Idee, dass die »Festigkeit, unerschütterliche Ruhe, Rücksichtslosigkeit Cardinaltugenden des Rechts« und das eigentliche »Ziel der [sc. rechtlichen] Gerechtigkeit« seien1530. So musste es in einer Zeit, in der die Klage über die Kluft zwischen der Theorie des Rechts und der Praxis im Leben zu einem fast schon nichtssagenden Gemeinplatz geworden war1531, zumindest unter zeitgenössischen Pandektisten geradezu wie eine Provokation erscheinen, wenn Jhering es als letztlich auch »für das Leben unendlich viel wichtiger« bezeichnete, dass ein Gesetz im Gegensatz zum Gewohnheitsrecht sich dem Leben nicht »stets […] für jedes einzelne Verhältniß […] akkommodiren« könne1532 und nicht immer »gleichen Schritt halte mit der Bewegung der Zeit«1533. Nicht weniger musste es befremden, dass Jhering das altrömische »ius strictum« nicht, wie in der Historischen Rechtsschule üblich, nur als eine unvollkommene Vorstufe des idealisierten römischen Rechts aus klassischer Zeit behandelte, sondern gerade am »ältern römischen Recht« bewunderte, wie dieses aufgrund ungewöhnlicher »Charakterfestigkeit« gegenüber zeitgenössischen an das geltende Recht gerichteten »Interessen und Bedürfnisse[n]« »vom Geiste der Unabhängigkeit und […] des Trotzes beseelt gewesen« sei und lieber um der »Tugend der Gerechtigkeit« willen mit »trotzigem Uebermuth dem Leben Hohn gesprochen hat«1534, als »der bewußten oder unbewußten Willkühr« Raum zu geben1535 und damit ein »willen- und charakterloses Recht« zu werden1536. Es war nach Jherings ausdrücklichen Worten daher nicht »nur ein rechtshistorisches Interesse«, das ihn schon früh veranlasste, von einer »tief 1529 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 364. 1530 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 23; § 25, S. 30 Fn. 17, S. 33. Nicht ganz unpassend meinte Jhering später im Rückblick selbst, dass er insoweit »jahrelang« unter einem »Bann« gestanden habe [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 340]. 1531 Vgl. nur statt vieler und im unmittelbaren Anschluß an F.C.v.Savigny, System I (1840), S. XXIVf. beispielsweise L.v.Stein, Charakteristik (1841), S. 365f. zum »allgemein anerkannte[n]« Problem der »stets wachsende[n] Trennung von T h e o r i e u n d P r a x i s « oder etwa R.Schmid, Theorie (1848), S. 12: »Indem die Theoretiker bei ihren Studien den praktischen Gesichtspunkt mehr und mehr aus den Augen verloren, ward allmälig ein Zwiespalt zwischen Theorie und Praxis herbeigeführt […]. Das Übel ist längst erkannt, aber über die Mittel zur Abhülfe hat man sich noch nicht verständigen können.« 1532 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 33. 1533 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 22. Jhering warnte ausdrücklich vor einer zu »gefügigen Hingebung des Rechts an die Bewegung des Lebens« (aaO, § 24, S. 23). 1534 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 23; § 25, S. 30. 1535 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 92. 1536 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 22.

Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

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eingreifenden Wichtigkeit« des »Formalismus […] des älteren römischen Rechts« zu sprechen und zu bedauern, dass man diesem Formalismus auch in der Historischen Rechtsschule bisher »nicht die gehörige Bearbeitung hat zu Theil werden lassen.«1537

c)

Gleichheit in der Jurisprudenz

aa)

Die universalrechtshistorische Bedeutung der altrömischen Jurisprudenz

Während eine durch die jeweilige zeitgenössische »Reizbarkeit und Empfänglichkeit des nationalen Rechtsgefühls«1538 nicht gerechtfertigte »Einführung einer g e n e r e l l e n Ungleichheit vor dem Gesetz, z. B. durch gesetzliche Bevorzugung oder Zurücksetzung gewisser Stände«1539, nach Jherings Auffassung allenfalls nur das für den Rechtsanwender ohne praktische Bedeutung bleibende Verdikt einer »charakterlosen« Rechtsetzung nach sich ziehen konnte, waren die Reduktion der Gerechtigkeitsidee auf die formale Konsequenz und deren Stilisierung zur Charakterfrage für die richterliche Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung von unmittelbarer praktischer Bedeutung. Auch im Hinblick auf die Rechtsanwendung seiner eigenen Zeit beschrieb Jhering 1852 mit einer Mischung aus Bewunderung und Distanz den »Geist« des frührömischen Rechts, unter dessen Einflus es die Römer angeblich erstmals fertig gebracht hatten, systematisch »die abstrakte Regel der Regel wegen anzuwenden« sowie eine »rücksichtslose Unterordnung des einzelnen Falles unter die abstrakte Regel, ich möchte sie die Tyrannei der juristischen Disziplin nennen«, vorzunehmen1540. Die insoweit in Übereinstimmung mit der Historischen Rechtsschule auch beim jungen Jhering vorhandene Distanz zum frühen römischen Recht ergab sich daraus, dass auch nach seiner Bewertung »das Ideal der Civilrechtspflege, das den ältern Römern vorschwebte, […] eine Rechts m a s c h i n e «1541 gewesen sei, eine »ganz und gar […] schablonenmäßige Anwendung des Rechts«1542, der »Triumph der Jurisprudenz als einer Mathematik des Rechts«1543, des »mathematisch Regelrechten«, was heute »für uns unerträglich sein würde und auch in 1537 1538 1539 1540 1541

Jhering, Gneist-Rezension (1847), Sp. 258. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 95. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 94. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 302; Ders., Geist III/1 (11865), § 48, S. 9. Jhering, Geist II/1 (11854), § 28, S. 80, 108; Ders., Geist I (11852), § 6, S. 79; Ders., Geist II/2 (11858), § 47, S. 671. 1542 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 111. 1543 Jhering, Geist II/2 (11858), § 42, S. 445; Ders., Geist I (11852), § 6, S. 79; Ders., Geist III/1 (11865), § 48, S. 9f.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Rom selbst späterhin unhaltbar ward«1544. Jhering meinte damit die streng ritualisierte »Consequenz des Formalismus« im Legisaktionenprozess des altrömischen Rechts1545 und das dortige »eiserne Festhalten am Wort und an der Formel«1546 ohne »Einfluß des individuellen Ermessens«1547, selbst wenn »das Resultat im einzelnen Fall mit der wirklichen Intention des Gesetzes und dem natürlichen Rechtsgefühl in noch so grellen Widerspruch gerieth«1548. Könnte – so meinte Jhering nicht nur in seiner Frühzeit – »die Gerechtigkeit vom Himmel steigen und den Griffel zur Hand nehmen, um das Recht so bestimmt, genau und detaillirt aufzuzeichnen, dass die Anwendung desselben sich in eine blosse Schablonenarbeit verwandeln würde: es liesse sich für die Rechtspflege nichts Vollkommneres denken, es wäre das vollendete Reich der Gerechtigkeit auf Erden […] die absolute Gleichheit«1549.

Da dem aber nicht so war, war es für Jhering – wie im übrigen wohl für jeden Pandektenlehrer des 19. Jahrhunderts1550 – immer selbstverständlich, dass man 1544 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 123; Ders., Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 73f. Vgl. aber auch schon Jhering, Gneist-Rezension (1847), Sp. 257f. zur »Meisterschaft römischer Consequenz in [noch] ungebrochener, rücksichtslos wirkender Kraft« im »älteren römischen« Recht. 1545 Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 671, 680. Vgl. zum rituellen bzw. »eisernen Legalismus« (Jhering) der altrömischen Jurisprudenz O.Behrends, T.Gracchus (1980), S. 44 m.w.N. Allerdings hat Jhering nie, wie es nach O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 131, 133f., 138f. aus der Sicht des heutigen Rechtshistorikers angezeigt wäre, zwischen diesen »Formalismen der alten Zeit« in der frühen und frühesten römischen Rechtsgeschichte und dem »Formalismus der spezifisch rechtswissenschaftlichen« vorklassischen und klassischen Zeit des römischen Rechts unterschieden. Die rechtshistorische Stichhaltigkeit von Jherings Behauptungen kann hier aber außer Betracht bleiben. 1546 Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 682. 1547 Jhering, Geist II/1 (11854), § 28, S. 80. 1548 Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 671. 1549 Jhering, Zweck I (11877), S. 378. Ein gewisses Bedauern schwingt daher auch mit, wenn Jhering in Geist II/1 (31874), § 24, S. 20 natürlich nur rein hypothetisch formuliert: »Nehmen wir nun an, daß der dem Wesen des Rechts entsprechende Inhalt objectiv ebenso bestimmt gegeben und zweifellos wäre, wie die Wahrheiten der Mathematik […], so würde das Recht seine Selbständigkeit daran bewähren, daß es, unbeirrt durch alle strömenden und hemmenden Einflüsse, diesen Inhalt völlig rein und unverfälscht und in allen Fällen gleichmäßig zur Verwirklichung brächte.« 1550 Vgl. zu Puchta schon grundlegend R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 188f., 212f., 292ff., 306ff., 325ff., 331, 363f., 366, 368f., die in ihrer Untersuchung zur Justiztheorie im 19. Jahrhunderts den Nachweis zu erbringt, dass im 19. Jahrhundert die ganz marginal und ohnehin nicht von Pandektisten vertretene Vorstellung von einer logisch-mechanischen Richtertätigkeit gar nicht methodologischen Überlegungen auf dem Gebiet der juristischen Auslegungs- oder Rechtsquellentheorie, sondern ganz »anderen Diskussionszusammenhängen«, nämlich dem »rechtspolitischen Diskurs« um das von »einigen (letztlich wenigen) Radikal-Liberalen« forcierte »Justizstaatskonzept« zum Schutz bürgerlicher Freiheitsrechte entstammte. Danach sei es erst dem 20. Jahrhundert vorbehalten geblieben, hinter dem »Topos [sc. vom Subumtionsautomaten] eine als falsch zu entlar-

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»die Anwendung des Gesetzes [sc. nicht] zu einer rein mechanischen […] machen« kann und dass sich »der Kopf des Richters […] durch das Gesetz [den Gesetzgeber] nicht ersetzen« lässt1551, da die »wahre Gerechtigkeit […] etwas mehr [sc. begehrt], als jene mechanische Gleichheit«, durch die »eine Rechtsfrage wie ein Rechenexempel gelös’t, das Recht zu einer Maschine erniedrigt werden soll.«1552 Jhering war daher immer von der Notwendigkeit des richterlichen Ermessens1553 und ohnehin des juristischen »Taktes«1554 bei der Rechtsvende Rechtsanwendungslehre« des 19. Jahrhunderts zu vermuten (aaO, S. 316). Dazu zwar teilweise kritisch J.Schröder, Ogorek-Rezension (1988), S. 235, 238f. Aber auch J.Schröder, Gesetzesauslegung (1985), S. 70f. hat bereits Korrekturbedarf gegenüber der noch heute verbreiteten Polemik der Freirechtsbewegung vom angeblich »beherrschenden Einfluß der Montesquieuschen Gewaltenteilungsdoktrin […] auf die deutsche Gesetzesinterpretation des 19. Jahrhunderts« gesehen. In diesem Sinne auch P.Landau, Rechtsquellenlehre (1993), S. 88, der in der Darstellung des »Jurist[en] des 19. Jahrhunderts als ›Subsumtionsautomat‹« auch nur eine spätere »Karikatur der Jahrhundertwende« sieht. 1551 Jhering, Zweck I (11877), S. 386 [= ders., Zweck I (21884), S. 395 mit einer hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderung]. 1552 Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 302; § 6, S. 79; Ders., Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 50, 87, 89. Vgl. auch die unten in S. 587f. Fn. 3013 aus einem Manuskript Jherings zitierte Passage über das »eigene Denken des Richters«. Nach Okko Behrends wurde Jhering zum geistigen Anreger des polemischen Bildes vom Subsumtionsautomaten [O.Behrends in: Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 50f. Fn. 42 (Anmerkung des Herausgebers)]. Allerdings stammte das Bild vom Richter als der bloß »repetirende[n] Maschine«, wie etwa Puchta [vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 428f.], aber auch sein Kontrahent G.Beseler, Volksrecht (1843), S. 260f. (»Urtheilsfabrication«) und früher vor allem Savigny [vgl. S.Meder, Urteilen (1999), S. 43ff. m.w. N.], ferner auch G.W.F.Hegel, Rph. (1821), § 211, S. 188 (Zusatz) oder K.T.Welcker, Encyklopädie (1829), S. 699 den Subsumtionsautomatismus bildlich persifliert hatten, nicht erst von Jhering. J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. XXIX, § 4, S. 22 sprach auch von »der alten unwissenschaftlichen Ansicht« der Vertreter des rationalistischen Naturrechts, »welche auf dem Gebiet des Rechts eine mechanische Sicherheit für möglich hält«, während doch wirkliche »Jurisprudenz […] juristische Kunst, freies Hervorbringen, Production« sei – Sätze, auf die Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 470 später ausdrücklich zustimmend Bezug nehmen sollte. Auf Jhering zurück geht aber der polemische Vergleich des Richters mit der »von Vaucanson construirte[n] Ente […], welche auf mechanischem Wege den Verdauungsprozess besorgte – vorn wird der Fall in die Urtheilsmaschine hineingeschoben, hinten kommt er als Urtheil wieder heraus« [Jhering, Zweck I (21884), S. 394]. Vgl. zum Hintergrund und zur Wirkungsgeschichte dieses Vergleichs und des sachlich damit verbundenen Vorwurfs O.Behrends, in: Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 50f. Fn. 42. 1553 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 91f.; Ders., Geist II/1 (21866), § 29, S. 86 (in teilweise leicht geänderter Formulierung). Über das richterliche Ermessen hinaus geht es allerdings, wenn – wie Jhering unter Anspielung auf das historische Beispiel des späteren römischen Rechts kritisch anmerkt – es dem Richter »verstattet ist, sich über die Regel hinwegzusetzen, also legislative Function für den einzelnen Fall auszuüben. Immer bleibt […] dies Mittel […] ein höchst gewagtes und bedenkliches, als die rechtliche Beurtheilung damit den festen Boden der objectiven Rechtsregel verläßt und sich dem schwankenden Element subjektiver Eindrücke anvertraut, einem Element, das recht eigentlich das der bewußten oder unbewußten Willkühr ist« [Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 92].

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

anwendung überzeugt und charakterisierte die altrömische Rechtspflege als »Rigorismus des Gesetzes« und »eisernen Legalismus«, der aus moderner Sicht »den Eindruck größter Kümmerlichkeit«1555 mache, weil die zur Rechtspflege berufenen Personen zu bloßen »Stücke[n] einer Prozeßmaschinerie«1556 gemacht worden seien1557. Mit der sich daran anschließenden Konstatierung der Kluft, die auch nach Jhering bestand zwischen den historischen Formen und Inhalten des altrömischen Rechts einerseits und den Inhalten des klassischen römischen Rechts wie des zeitgenössischen Pandektenrechts andererseits war für Jhering die Frage nach der Bedeutung des altrömischen Rechts für eine allgemeine »Naturlehre« des Rechts aber noch nicht erschöpfend beantwortet. Neu im Hinblick auf die sich seit Savigny ganz auf das klassische römische Recht konzentrierende Historische Rechtsschule1558 und vor allem bedeutsam im hier interessierenden rechtstheoretischen Zusammenhang war nämlich Jherings Bestreben, eine historisch gerechtere Beurteilung der auch seiner Auffassung nach überholten Formen »der übertriebenen Spitzfindigkeit, Silbenstecherei, minutiösen Strenge u.s.w.«1559 im altrömischen Recht zu finden, dessen »Leistungen mehr versteckter Art sind, wenigstens für uns, die wir uns einmal gewöhnt haben, die Grundbegriffe des römischen Rechts als eine ursprüngliche Mitgift der römischen Rechtsanschauung zu betrachten«1560. Rechtstheoretische Bedeutung 1554 Vgl. dazu eingehend unten Abschnitt II. 2. b) cc) und dort speziell zu dem Ausdruck »juristischer Takt« die Nachweise auf S. 585 Fn. 3000. 1555 Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 671, 680; Ders., Geist I (11852), § 6, S. 81. 1556 Jhering, Geist II/1 (11854), § 28, S. 80; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 211. Mit denselben Worten, mit denen Jhering hier die Abhängigkeit der altrömischen Jurisprudenz von ritualisierten Formen und Formeln konstatierte, hat er auch die Jurisprudenz der eigenen Zeit davor gewarnt, sich in innerer, also geistiger Hinsicht zu einem bloßen »Stück der Rechtsmaschinerie« zu machen [Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 50]. 1557 Es ist nur ein scheinbarer Widerspruch, wenn Jhering der historischen Praxis der »alten Jurisprudenz« zugleich bescheinigte, dass sie »sich nicht, unbekümmert um das Resultat, bei der Auslegung der Gesetze blindlings dem Wort dahin gegeben, sondern für die Anforderungen der Vernunft und die Bedürfnisse des praktischen Lebens ein offnes Auge hatte« und daher auch nicht die frühen »Römer […] bei einem Mißgriff im Ausdruck von Seiten des Gesetzgebers ihre bessere Ueberzeugung und die Interessen des Lebens sklavisch dem Buchstaben geopfert hätten« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 487]. Denn zu letzterem Urteil kam Jhering aus der Sicht des Rechtshistorikers aufgrund der »physiologischen« Untersuchung, die von der historischen Rechtswirklichkeit ausging (vgl. oben Teil 1, S. 145–147). 1558 Vgl. dazu P.Caroni, Savigny (1969), S. 105ff. 1559 Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 680. 1560 Jhering, Geist III/1 (11865), § 48, S. 10. Jhering hatte mit der Forderung, den geschichtlichen Gegenstand »nicht mit den Ideen des neunzehnten Jahrhunderts« zu beurteilen, vor allem das frühe römische Recht im Auge. So lobte Jhering, wie »die ältere Jurisprudenz« bei aller »Kleinigkeitskrämerei und Pedanterie« mit allein folgerichtiger »Consequenz« den »Formalismus zur Geltung gebracht hat«. Denn die aus moderner Sicht oft unver-

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bekam dieses Bestreben Jherings insofern, als er im Hinblick auf das Ideal der Rechtsanwendung ausgerechnet im altrömischen Recht mit seinem für jede höhere kulturelle Entwicklungsstufe unerträglich wirkenden »sklavischen Cultus der Regel, der selbst vor der Gefahr des Lächerlichen nicht zurückbebenden Consequenz und Strenge der Methode«1561 einen ganz wesentlichen Teil von dem zu erkennen meinte, was seiner Meinung nach »die Prädestination des römischen Volks zur Cultur des Rechts« begründet hatte1562. Zwar war auch der junge Jhering weit davon entfernt, dem altrömischen Legisaktionenverfahren und der dort von ihm diagnostizierten »rein mechanischen, schablonenartigen Anwendung […], [die] es dem Richter ebensowohl erspart als verwehrt [habe], sich in das rein Individuelle des ihm vorgelegten Falles zu versenken«1563, für seine Zeit das Wort zu reden. Ganz im Gegenteil verstand Jhering die juristische Subsumtion immer im Sinne einer »Kunst der juristischen Diagnose«1564 des Sachverhaltes, die wie überhaupt alle »Meisterstück[e] juristischer Kunst« in Rom erst durch die »freiere, geistigere Erfassung und Behandlung des Rechts« späterer Zeiten möglich geworden sei1565. Dennoch

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ständliche »Strenge« und »exacteste Genauigkeit« sei damals tatsächlich die »einzige Rettung gegen Willkühr« gewesen [Jhering, Geist II/2 (11858), § 47, S. 680, 682; Ders., Geist III/1 (11865), § 48, S. 9f.]. Dies richtete Jhering vor allem gegen die Protagonisten der Historischen Rechtsschule, die nach seiner Auffassung gerade beim »Formalismus« des frühen römischen Rechts zeigten, wie sehr sie die römische Rechtsgeschichte mit den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts beurteilten und das spätere klassische römische Recht einseitig idealisierten. Eine ganz andere, aber im Rahmen einer rechtshistorischen Studie zu erörternde Frage ist es natürlich, wie Jhering selbst seinem rechtshistorischen Anspruch gerecht geworden ist [vgl. dazu auch im Hinblick auf Jherings Spätwerk die aus rechtshistorischer Sicht kritischen Hinweise von O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 153f.; Ders., Wieacker-Nachruf (1995), S. LIVf. Fn. 94; Ders., Hugo (1996), S. 167; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 112ff., 170]. Jhering, Geist III/1 (11865), § 48, S. 10. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 300 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Der romantische Glaube, dass sich im römischen Volk der »Geist des Rechts« in einer spezifischen Weise manifestiert habe, stand – worauf O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 139 zu Recht hinweist – für Jhering lebenslang außer Frage. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 108ff. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 356. Jhering, Geist I (11852), § 6, S. 82; Ders., Geist II/1 (11854), § 29, S. 111. Diese »freiere, geistigere« Behandlung des Rechts sah Jhering als Charakteristikum des von ihm sogenannten »dritten Systems« in der Geschichte des römischen Rechts an. Dieses »System«, dessen Darstellung er in den nicht mehr erschienenen Bänden über den »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« geplant hatte, sollte den »Geist« des klassischen Rechts der ausgehenden Republik und des Prinzipats in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten zum Gegenstand haben [Jhering, Geist I (11852), § 6, S. 81; Ders., Geist II/1 (11854), § 22, S. 5 sowie dazu O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 132–134]. Im Gegensatz zur Historischen Rechtsschule beurteilte Jhering die »mit der individualisirenden Richtung der neuern römischen Jurisprudenz« verbundenen Merkmale, die dieses »System« bzw. diesen historischen »Geist« von der

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

glaubte Jhering zwar nicht in der altrömischen »Prozeßmaschinerie«1566 selbst, aber in der zu ihrem Funktionieren notwendigen »Selbstüberwindung«1567 und im »Heroismus der Selbstverläugnung im Dienst des Rechts«1568 gefunden zu haben, was er zeitlebens als mit dem Begriff des Rechts und dem Begriff der durch das Recht möglichen Gerechtigkeit notwendig verbunden und damit als zur »Naturlehre« des Rechts gehörig ansah1569. Nicht zufällig sind daher die Parallelen bis hin zu den Formulierungen zwischen Jherings rechtshistorischer Charakterisierung der im altrömischen Recht »zur zweiten Natur gewordenen Gewohnheit der Römer«, individuelle Zwecke kollektiven zu opfern, so dass auch den Richtern »die Tugend der Selbstüberwindung zur zweiten Natur geworden« sei1570, und dem, was Jhering noch 1884 für den zeitgenössischen Juristen als Leitbild formulierte1571. Das »Anziehende und Bestechende, das das Recht auf dem Gefühlsstandpunkt überhaupt zu

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»abstracten« »altrömischen Jurisprudenz« abhoben [vgl. Jhering, Besitzwille (1889), S. 292, 294 Fn. 1 a.E.], allerdings nicht nur als positiv. Jhering, Geist II/1 (11854), § 28, S. 80. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 294. Jhering, Geist II/1 (21866), § 28, S. 65. Vgl. auch schon Jhering, Gneist-Rezension (1847), Sp. 258 zu dieser Verknüpfung, aber eben nicht Identifizierung von bloß rechtshistorischem und universellem juristischen Interesse einer vergangenen Rechtsordnung. Jhering kritisierte in der angegebenen Stelle seiner Rezension Heinrich Rudolf Gneist als den Verfasser einer Untersuchung über das »neuere römische Obligationenrecht« dafür, dass diese »vom Vf. gewählte spätere Zeit vorwiegend nur ein rechtshistorisches Interesse in Anspruch nehmen kann«, so dass die wissenschaftliche »Anziehungskraft unendlich hinter der Theorie der vorhergehenden Periode zurück[bleibt]. Letztere [sc. der Formalismus des älteren römischen Rechts dagegen] gewährt dem juristischen Interesse die höchste Befriedigung, sie kann als ein Meisterstück eines mit fast mathematischer Schärfe operirenden juristischen Verstandes bezeichnet werden«. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 295, 300. Darin sah Jhering die »Prädestination des römischen Volks zur Cultur des Rechts« begründet (aaO, S. 300). Jhering, Gotthardbahn-Gutachten (1884), S. 4f. Danach werden auch dem zeitgenössischen Juristen des 19. Jahrhunderts »unter Umständen harte Konfliktsfälle […] nicht erspart bleiben, deren Bestehung ihm jedoch durch die ihm zur zweiten Natur gewordene Gewohnheit, sein subjektives Meinen der Autorität des Gesetzes unterzuordnen, erheblich erleichtert wird«. Die Juristen hätten bei »allen Rechtsfragen […] die Stimme ihres natürlichen Rechtsgefühls zum Schweigen [zu] bringen, wo das Recht damit in Widerspruch steht.« Denn »der Jurist weiss, dass […] das Gegentheil in reine Willkür […] ausarten würde […]. Diese Stimmung, welche dem Juristen zur zweiten Natur geworden ist, kann man beim Laien nicht voraussetzen, es bedarf für ihn, wenn er richterliche Funktionen ausüben soll, der ganzen Anspannung seiner Willenskraft, um sich bei Anwendung eines Gesetzes durch die vermeintliche oder wirkliche Härte oder Unbilligkeit desselben nicht beirren zu lassen. […] Der Laie erblickt in dem einzelnen Fall nur […] das [sc. eigene] Interesse […]. Der Jurist weiss, dass in dem einzelnen Fall die Rechtsregel in Frage steht […] und daher das Einzelne nicht selten der Rücksicht auf das Ganze zum Opfer gebracht werden muss« (Kursivhervorhebung nicht im Original). Ebenso Jhering, Zweck I (11877), S. 405.

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haben pflegt«, war für Jhering zeit seines Lebens historisch gesehen Ausdruck »einer unvollkommeneren Stufe der Rechtsentwicklung«1572 und rechtstheoretisch Verkörperung eines unjuristischen Laiendenkens1573. Falls auch nach »einer erneuerten Prüfung«1574 ein nicht ausräumbarer Widerspruch des geltenden Rechtssatzes mit dem eigenen Rechtsgefühl bestehen blieb, setzte für Jhering eine professionell-juristische Rechtsanwendung immer entweder eine mit den altrömischen Rechtstugenden vergleichbare »Charakterfestigkeit oder die Sicherheit einer habituellen juristischen Anschauungsweise [voraus], um diesem Widerspruch jeden Einfluß auf sich zu versagen, die abstrakte Regel der Regel wegen anzuwenden.«1575 Dabei unterstellte Jhering, dass das römische Volk in früher Zeit vor allem über die »Charakterfestigkeit« verfügt habe, dagegen die Zeit des klassischen römischen Rechts wie auch die eigene Zeit auf das Erlernen einer »habituellen juristischen Anschauungsweise« angewiesen sei1576. So sei schon in Rom mit dem Wandel zu dem von Jhering sogenannten »dritten System«1577, den Jhering in universalrechtshistorischer bzw. – in heutigen Worten – in rechtstheoretischer Hinsicht als Paradigmenwechsel zu dem auch für das moderne Recht noch gültigen Rechtsverständnis ansah, an »die Stelle der m o r a l i s c h e n Qualifikation des römischen Volks […] die höchste i n t e l l e k t u e l l e Begabung«1578, nämlich die durch wissenschaftliche Methoden 1572 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 46. 1573 Vgl. nur Jhering, Gotthardbahn-Gutachten (1884), S. 10: »Der Laie hält sich an den einzelnen Fall und lässt sich durch den Eindruck, den er auf sein Rechtsgefühl macht, bestimmen.« Die Juristen dagegen hätten »es nicht mit dem einzelnen Fall zu thun, sondern für sie ist die Frage entscheidend, ob das Prinzip, das in ihm zur Anwendung gebracht werden soll, der allgemeinen Anwendung fähig ist.« Ein Absehen von diesem Prinzip habe nur »für das Urtheil des Nichtjuristen etwas höchst Bestechendes« (Kursivhervorhebung nicht im Original). 1574 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 88. 1575 Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 301f. Was Jhering hier als Beleg für die »Prädestination des römischen Geistes zur Cultur des Rechts« anführte, bekräftigte er auch noch dreißig Jahre später in dem vorzitierten Gotthardbahn-Gutachten (1884), S. 4f. Im Konfliktsfall zwischen Rechtsgefühl und Recht bedarf danach derjenige, der nicht über die den Juristen »zur zweiten Natur gewordene Gewohnheit« einer habituellen juristischen Anschauungsweise verfügt, einer ganz besonderen Charakterfestigkeit, nämlich »der ganzen Anspannung seiner Willenskraft, um sich bei Anwendung eines Gesetzes durch die vermeintliche oder wirkliche Härte oder Unbilligkeit desselben nicht beirren zu lassen«. 1576 Auch Jhering, der von Anfang an die »Romantik unserer heutigen historischen Ansicht« [Jhering, Geist I (11852), § 15, S. 219] erkannt und zum Gegenstand seiner Kritik gemacht hatte, zeigte sich in diesem Punkt selbst offensichtlich nicht frei von romantischer Verklärung früher Rechtszustände, auch wenn der Gegenstand dieser Verklärung bei Jhering ein ganz anderer war als etwa bei Savigny oder Puchta. Letzteren wäre es niemals in den Sinn gekommen, die Zeit des altrömischen Rechts dafür zu loben, dass in ihr angeblich noch jeder bereit gewesen sei, das Rechtsgefühl der Rechtsregel zu opfern. 1577 Vgl. oben S. 311f. Fn. 1565. 1578 Jhering, Geist I (11852), § 6, S. 81.

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geleitete Rechtsfindung getreten. Diese im Kontext der historischen Darstellung gemachte Bemerkung Jherings ist ein Schlüssel zum Verständnis seiner rechtstheoretischen Grundannahmen über den inneren Zusammenhang von »Logik« und »Gerechtigkeit« bei der Anwendung des Rechts – Annahmen, die Jhering erst nach 1858 kritisch hinterfragt und daraufhin modifiziert, allerdings auch nie vollständig verworfen hat. Die Ersetzung der »moralischen« durch die »intellektuelle« Sonderbegabung, die Jhering beim römischen Volk im Laufe seiner Geschichte auszumachen meinte, bedeutete für ihn nicht etwa, dass mit dem Wandel der römischen Jurisprudenz zur literarischen Wissenschaft auch der »moralische« Wert bzw. Gerechtigkeitsgehalt des Rechts abgenommen hatte. Vielmehr glaubte Jhering gerade umgekehrt, dass in der römischen Rechtsgeschichte mit dem Wandel vom sogenannten zweiten zum dritten »System« der »moralische« Wert des Rechts, der sich in der römischen Frühzeit weitestgehend noch auf die »moralische Qualifikation« des Volkes stützen musste und angeblich auch stützen konnte, nun im verwissenschaftlichten Recht zu einem Großteil dem Recht selbst inkorporiert worden sei1579. Nur deswegen sollte schon das spätere römische Recht der klassischen Epoche trotz der von Jhering behaupteten »Abnahme« der »moralischen Qualifikation des Volks« nicht »h i n a b gefallen, sondern […] h i n a u f gestiegen« sein1580. Die Auffassung, dass die fehlende besondere »moralische Qualifikation« des Volkes, auf die man nach Jhering in der späteren Geschichte des römischen Rechts ebenso wenig zählen konnte wie in der Zeit des neuzeitlichen Pandektenrechts, durch eine Verwissenschaftlichung der Rechtsfindungsmethoden ausgeglichen werden könne, mag zwar befremdlich wirken. Dahinter stand aber die Vorstellung Jherings, dass sowohl die Spruchformeljurisprudenz des altrömischen Rechts wie auch die entwickelte wissenschaftliche Rechtsfindung späterer Zeiten jeweils auf ihre Weise demselben Ziel dienten. Indem sie nämlich beide in zwar unterschiedlicher, aber im Vergleich zu anderen Rechtskulturen besonders ausgeprägter Weise eine »gleichmäßige, im voraus zu berechnende«

1579 Vgl. S. 316 zu unmittelbaren Folgerungen, die Jhering daraus für seine »Naturlehre des Rechts« zog. 1580 Jhering, Geist I (11852), § 6, S. 81 sowie dazu schon C.-E.Mecke, Objektivität (2008), S. ), S. 165f. O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 132f. Fn. 32 sieht hier dagegen nur den Beleg für ein Denken Jherings gemäß dem »romantischen Niedergangsschema vom Moralischen zum Intellektuellen«, das Jhering, als er später »zum Entwicklungsdenken vorgedrungen« sei, »eigentlich nicht so [hätte] stehen lassen dürfen«. Tatsächlich war Jherings Behauptung einer besonderen »moralischen Qualifikation« des frührömischen Volkes eher romantisch verklärend als im Sinne heutiger Rechtsgeschichte historisch erklärend. Einen Niedergang im Hinblick auf die Rechtsentwicklung hat Jhering aber – wie seine eigenen Worte belegen – gerade nicht behauptet. Vgl. dazu weiter im Text.

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Rechtspflege verwirklichten1581, würde mit der »Gleichmäßigkeit« der Rechtspflege auch der Ausschluss der Willkür gesichert1582. Zwar war dies nach Jhering im altrömischen Recht in noch sehr unvollkommener Form geschehen, da der altrömische Prozeß, der »außer Stand« gewesen sei, »sich den individuellen Zuständen […] anzuschmiegen«1583, ein Eingehen auf das jeweilige konkret zu beurteilende Lebensverhältnis nicht erlaubte, so dass die »Gleichmäßigkeit« also in der Regel um den Preis einer »mechanische[n] Gleichheit«1584 erkauft werden musste. Die Menschen in der frühen römischen Gesellschaft mussten daher in Jherings Vorstellung im Hinblick auf einen oftmals den eigentlichen Sinn des zu beurteilenden Lebensverhältnisses ignorierenden Formalismus der Spruchformeln eine in heutiger Zeit kaum vorstellbare »eiserne Willensstärke«1585 gegenüber den eigenen Gefühlen und individuellen Interessen beweisen. So wird verständlich, warum nach Jhering im späteren Recht ausgerechnet eine »intellektuelle« Begabung geeignet gewesen sein sollte, eine zurückgehende »moralische« Qualifikation zu ersetzen. Denn in dem Maße, in dem in der römischen Rechtsprechung die Bedeutung der überkommenen starren Spruchformeln und damit eine äußere »mechanische Gleichheit«1586 abgenommen habe zugunsten einer auf gedanklicher Argumentation beruhenden – in den Worten der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts – »inneren« Begründung der Rechtsentscheidung, schien nicht mehr vor allem die »Willensstärke« der Rechtsanwender und Rechtsunterworfenen, sondern das Maß an gedanklicher Konsequenz Garant für die »Gerechtigkeit d. h. […] Gleichmäßigkeit«1587 der Rechtsanwendung zu sein. An die Stelle sklavischer »Konsequenz« bei der Beachtung des ritualisierten Klageverfahrens der altrömischen Jurisprudenz trat die innere Konsequenz des Geistes. Trotz der Abnahme der »moralischen Qualifikation« des Volkes »hinauf gestiegen«1588 war das spätere römische Recht nach Jhering deswegen, weil die Rechtspflege der klassischen Zeit aufgrund gedanklicher Konsequenz die »Gleichmäßigkeit« des Rechts im Sinne einer »ächte[n], innere[n] Gleichheit« und damit im Sinne der »wahre[n] Gerechtigkeit«1589 habe verwirklichen können.

1581 1582 1583 1584 1585 1586 1587 1588 1589

Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 301 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 31. Jhering, Geist I (11852), § 6, S. 79. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 302. Jhering, Geist I (11852), § 6, S. 81. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 302. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 31. Jhering, Geist I (11852), § 6, S. 81. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 302.

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Jherings ursprünglicher Prinzipienrigorismus

Erst auf dem Hintergrund von Jherings Bewertung der Bedeutung der altrömischen Jurisprudenz für die allgemeine »Naturlehre« des Rechts kann man verstehen, wie Jhering dazu kam zu behaupten, dass in »unserm heutigen Recht […] das Verdienst der Gerechtigkeit ein unendlich geringeres [ist]; sie [sc. die Gerechtigkeit] liegt zum größten Theil schon in der Construktion unseres Rechts, und was das Subjekt dazu thut, ist nichts besonderes.«1590

Die Behauptung, dass der Rechtsanwender »nichts besonderes« »dazu thut«, ist – trotz der missverständlichen Formulierung Jherings – nicht als ein Bekenntnis zum richterlichen Subsumtionsautomatismus oder zu einem vergleichbaren Ideal einer »schablonenmäßigen«1591 Rechtsanwendung zu verstehen. Es war nicht einmal eine bedingungslose Einschwörung der Jurisprudenz auf die »Logik« bzw. strenge juristische Konsequenz. Vielmehr hatte sich Jhering – worauf er in seinen letzten Lebensjahren selbst vollkommen zu Recht hinwies – im Hinblick auf die Jurisprudenz nicht erst 1885, sondern auch schon in den 1850er Jahren gegen die Verfolgung »einer ungesunden Consequenzenmacherei«1592 bzw. »tyrannischen Handhabung der Rechtsconsequenz« durch die Jurisprudenz ausgesprochen, sofern diese zu einer »Rücksichtslosigkeit gegen die Interessen und Bedürfnisse der Gegenwart«, also zu einer ernsthaften Beeinträchtigung zeitgenössischer Verkehrsbedürfnisse führen würde1593. In diesen Fällen greife nämlich »das gebieterische Bedürfniß des Lebens in den dialektischen Selbstentfaltungsprozeß des Rechts ein, die ›utilitas‹ lehnt sich gegen die ›ratio juris‹ auf«. Denn es wäre ein »Abweg«, eine »Ueberspannung des Selbständigkeitstriebes des Rechts«, wenn »die logische Selbstbestimmungskraft des Rechts sich auf Kosten des praktischen Bedürfnisses geltend« machen könne1594. 1590 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 30f. Seit der in Teilen – etwa im vorstehenden § 24 – vollständig überarbeiteten dritten Auflage von 1874 heißt es an dieser Stelle lediglich stilistisch verändert: »[…] und was das [sc. rechtsanwendende] Subject dabei thut, ist nichts besonderes.« [Jhering, Geist II/1 (31874), § 25, S. 35]. Die Stellen, die Jhering nach seinem »Umschwung« »um keinen Preis hätte stehen lassen mögen«, hat er nach eigenem Bekunden in der zweiten Auflage des »Geist« getilgt [vgl. Losano-Briefe I /1984, Nr. 239 (Jherings Brief an Gerber vom 15. Dezember 1865), S. 581]. Der vorstehend aus Geist II/1 zitierte Halbsatz, bei dem Jhering, obwohl er ihn leicht hätte streichen können, in der dritten Auflage von 1874 lediglich eine unbedeutende stilistische Änderung der Wortwahl vornahm (»dabei thut« statt »dazu thut«), hat offensichtlich nicht dazu gehört. 1591 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 111. 1592 Jhering, Geist II/2 (11858), § 46, S. 562; Ders., Rechtsschutz (1885), S. 313; Ders., Besitzwille (1889), S. 213. 1593 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 22f. 1594 Jhering, Geist II/1 (11854), § 27, S. 67; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 297ff., 362f. Die »utilitas« bezeichnete in der römischen Jurisprudenz nicht eine beliebige Nützlichkeit, sondern die Nützlichkeit des Gemeinwohls [vgl. O. Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 84f.

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Daher wies Jhering in einer nachgetragenen Fußnote zur 1869 erschienenen zweiten Auflage von Geist II/2 die ihm unterstellte Auffassung, dass »die ›utilitas‹ vor der ›ratio juris‹ verstummen müßte«, auch zu Recht als ein »Mißverständnis« zurück. Lediglich »das meine ich allerdings und daran halte ich stets fest, daß die Jurisprudenz an der Hand der ratio juris überall so weit vorschreiten soll, bis die utilitas ihr in den Weg tritt und Protest einlegt […]. Meine Ausführungen über die ›Ueberschätzung des logischen Elements im Recht‹ in B.3 §. 59 werden mich hoffentlich in Zukunft gegen ähnliche Mißverständnisse schützen.«1595

Bei aller späteren Selbstkritik hat Jhering daher immer darauf bestanden, dass es ihm im Gegensatz zu anderen wie zum Beispiel Puchta an der »Erkenntnis […] nie gefehlt hat, daß das Endziel der Jurisprudenz und damit aller theoretischdogmatischen Untersuchungen ein praktisches« sei1596. Wovon Jhering dagegen tatsächlich zunächst überzeugt war, war die Vorstellung, dass der Rechtsanwender im Zeitalter der wissenschaftlichen Jurisprudenz im Hinblick auf den Gerechtigkeitsgehalt seiner Entscheidung »nichts besonderes« hinzutun müsse, wenn er sich bei der Anwendung und Fortbildung des geltenden Rechts strikt an die Regeln der »juristischen Konsequenz« halte. Fn. 32; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 154f.]. An diesen Begriff der utilitas knüpfte offensichtlich auch Jhering an, wenn er von den »Interessen und Bedürfnissen der Gegenwart« sprach [Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 22f.], die der Grund dafür seien, dass »sehr häufig […] die freie logische Entwicklung […] [sc. der Begriffe] unterbrochen oder gehemmt« sein müsse [Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40] und »die Begriffe (d. h. die von uns gemachten) bei ihrem Bestreben in gerader Linie bis zu Ende fortzuschreiten, […] zur Seite auszuweichen oder gar ihren Lauf gänzlich einzustellen« genötigt seien [Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 40]. Unzutreffend ist daher die Feststellung von P.Heck, Rechtsgewinnung (1912), S. 194, wonach Jherings Auffassung, »daß die Begriffskonsequenz vor Utilitätsrücksichten Halt machen solle«, eine neue methodische Erkenntnis der 1860er Jahre gewesen sei. 1595 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 370 Fn. 529a. Zu Recht konnte Jhering 1878 daher auch auf Band I und Band II/2 (versehentlich II/1) seines insoweit seit der ersten Auflage unveränderten »Geist« verweisen, wo er bereits in den fünfziger Jahren unter dem »Gesichtspunkt der Praktikabilität im Recht« begründet habe, »daß das Leben nicht alles ausführen kann, was der Begriff mit sich bringt, dass hier Rücksichten zur Geltung gelangen, die dem letzteren fremd sind« und die die »volle Consequenz« einer »abstracten« Idee einschränken müssen [Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 13 mit Fn. 9, S. 15, 38ff.]. Diese »Rücksicht« – so fast wortgleich bereits Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 44f. – »zwingt die Rechtsbegriffe häufig, von ihrer ursprünglichen Reinheit« bzw. »logische[n] Vollendung des abstracten Inhalts« der »ursprünglichen legislativen Idee« abzusehen. 1596 Jhering, Zusatz von 1884 zum »Ersten Brief« von einem Unbekannten (1861), in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 9 Fn. 1 sowie aaO, S. 314. Mit Recht hat daher bereits O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 92f. Fn. 44 darauf hingewiesen, dass entgegen der später üblichen Pauschalverurteilungen auch Jherings »ältere, zu unerbittlicher logischer Konsequenz neigende Arbeitsweise bei aller Härte und Strenge durchaus praktisch ausgerichtet war«. In diesem Sinne auch B.Klemann, Jherings Wandlung (1991), S. 141ff.

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Durch diese »Konsequenz« sah Jhering die Gerechtigkeit »zum größten Theil schon in der Construktion unseres [sc. heutigen gemeinen römischen] Rechts« inkorporiert1597. Man würde diesen Satz aber mit den Augen des 20. Jahrhunderts beurteilen, würde man aus ihm den Schluss ziehen, dass Jhering damit im Grunde »positivistisch« die Bedeutung der »Gerechtigkeit« für die Rechtsanwendung negieren und rechtsethische Gleichgültigkeit hatte demonstrieren wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Zum einen hat der Zusammenhang zwischen dem auf Folgerichtigkeit und Einheit beruhenden Systemdenken in der Jurisprudenz und einer der »fundamentalsten rechtsethischen Forderungen«, nämlich des »anerkannten Gerechtigkeitspostulat[es], Gleiches gleich« zu behandeln«, seine Aktualität bis heute nicht verloren1598. Zum anderen muss man zwei Prämissen, die Jhering seinem Denken immer zugrunde legte, ernst nehmen. Die eine – unausgesprochene – Voraussetzung war der von Jhering mit den meisten seiner Zeitgenossen nicht nur innerhalb der Historischen Rechtsschule geteilte1599 und letztlich auch erst durch die Geschichte im 20. Jahrhundert unwie1597 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 30f. 1598 So nachdrücklich und eingehend C.-W.Canaris, Systemdenken (21983), S. 16ff. et passim. Allerdings gehört zu dem sowohl Gesetzgeber wie auch Richter bindenden Gerechtigkeitspostulat auch noch ein zweiter Teil, nämlich die Forderung, »Ungleiches nach dem Maße seiner Verschiedenheit ungleich zu behandeln« (aaO, S. 16). Und diesen Teil des Postulates hat der junge Jhering in seiner prinzipienrigoristischen Phase nicht so unbedingt vertreten wie dessen ersten Teil. Auch anders als damals Jhering unterscheidet Canaris, aaO, S. 45f. terminologisch und sachlich die formale »Folgerichtigkeit« einer Wertung und die »formal-logische« Folgerichtigkeit einer Aussage. 1599 Vgl. A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 150f., 275; K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 28, 32ff. sowie H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 66 zu der dem modernen Denken völlig fremd gewordenen Selbstverständlichkeit eines »Vertrauen[s]« auf die »Gerechtigkeit im Recht«. So hat beispielsweise noch B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 15, S. 37; § 16, S. 40f. Fn. 5 die »Vernunft der Völker« als »die letzte Quelle alles positiven Rechts« bezeichnen können und mit dieser Begründung sogar – so die Auffassung seines späteren Herausgebers Theodor Kipp – »das Erfordernis der Vernünftigkeit des Inhalts eines Gewohnheitsrechts überhaupt verworfen« [T.Kipp in: B.Windscheid, Pandekten I (91906), § 16, S. 88 Fn. 5]. Dagegen beurteilt O.Behrends, Privatrecht (2000), S. 42f. sowie Ders., Gewohnheitsrecht (2000), S. 129–132 die Worte Windscheids mit den Kategorien und Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. In Wirklichkeit hat aber eine bewusste »Abstreifung jeglicher Bindung an die Vernunft«, die »grundsätzlich alles möglich« gemacht habe bis hin zur »bedenkenlose[n] Option […] für den völkischen Volksgeist« im 20. Jahrhundert (so O.Behrends, aaO, S. 130, 132), Windscheid nicht weniger fern gelegen als Savigny oder Puchta. In einen größeren geschichtlichen Zusammenhang stellt auch F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 441, 460 den zeitgenössischen Glauben an »eine immanente Gerechtigkeit des geltenden Rechts«, der mit »einer ethisch verantwortungslosen Legislative« noch ebensowenig rechnete wie noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der eben durch diesen Glauben – so zumindest die bekannte These Gustav Radbruchs – »wehrlos« gewordene Gesetzespositivismus in den Köpfen nicht nationalsozialistisch denkender Juristen. J.Schröder, Recht (22012), S. 194–196, 210, 246 hebt zutreffend hervor, dass gerade auf dem Hintergrund des dualistischen Rechtsbegriffs des Vernunftrechtszeitalters die

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derbringlich zerstörte Glaube, dass das geltende Recht inhaltlich nicht dauerhaft in einem grundsätzlichen Gegensatz zu der jeweils erreichten Stufe der zivilisatorisch-sittlichen Progression stehen könne1600 bzw. – was für Jhering in den fünfziger Jahren auf der Grundlage seiner »physiologischen« Untersuchung der historischen Rechtswirklichkeit Roms zum maßgeblichen Gesichtspunkt wurde – dass ein Rückfall des Gesetzgebers hinter die bereits erreichte rechtskulturelle Stufe zumindest auf längere Sicht keine reale Beständigkeitschance in der Wirklichkeit mehr haben würde1601. Die andere von Jhering auch selbst ausgesprochene Prämisse war aber seine Überzeugung, dass die auf der Grundlage des geltenden Rechts vorgenommene juristischen Schlüsse unbedingte Konsequenz erforderten und keine Ausnahme zuließen. In einer handschriftlichen Notiz Jherings in seinem persönlichen Handexemplar des ersten Bandes zum »Geist des römischen Rechts« offenbart Jhering unmissverständlich seine damalige Haltung. Die Notiz im Handexemplar des ersten Bands von 1852 lautet: »Die Consequenz im Recht ist nicht bloß eine intellektuelle, s[on]d[ern] zugleich moral.[ische] Eigenschaft. Die Schwäche schrickt vor den Consequenze[n] zurück u[nd] durchlöchert u[nd] durchbricht jed[e]s Princip«1602. Historische Rechtsschule das positive Recht in einem ganz besonderem Maße als »wertbezogen« verstanden habe. Sie hatte darauf aber auch kein Monopol. 1600 So heißt es in vermutlich noch aus den frühen vierziger Jahren stammenden und zum Teil bereits von M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 182f. aus dem Nachlass mitgeteilten Notizen Jherings: »Die Garantie dafür, d[aß] das R.[echt] seinen wahr[e]n Zweck wenigstens annäherungsweise erreiche, liegt nicht in dem gut[e]n Will[e]n u[nd] in d[er] Einsicht« der Gesetzgebung, »so[ndern] in dem Parallelismus d[e]s sittl.[ichen] Prinzips u[nd] d[e]s prakt.[ischen] Bedürfniss[e]s«. In geradezu an Hegelsche Dialektik erinnernder Weise heißt es dort weiter: »Eine G[e]s[etz]geb[un]g kann s.[ich] d[er] Sittlichk.[eit] [sc. nicht] entschlagen, auch wenn sie dieselbe ihrer selbst wegen nicht wollte – der Egoismus führt sie dazu« [Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 1r]. Zumindest dieses geschichtsphilosophisch begründete Grundvertrauen sollte allerdings ein halbes Jahrhundert später A.Merkel, Jhering (1893), S. 26 schon abhanden gekommen sein, wenn dieser in seinem Nachruf auf Jhering für seine Zeit konstatierte: »Das Recht hat gleichsam etwas von der Zuversicht zu sich selbst verloren, und es gilt dies insbesondere auch von unserer Privatrechtsordnung. Seit dem Hervortreten der socialen Frage hat sich der Zweifel an ihrer allseitigen Gerechtigkeit im modernen Denken eingenistet […]« (Kursivhervorhebung nicht im Original). Ein weiteres Jahrhundert später kontrastiert R.Dreier, Rechtsth.u.Rechtsgesch. (1990), S. 31f. den noch weit in das 19. Jahrhundert hineinreichenden geschichtsphilosophischen Fortschrittsoptimismus der Aufklärungszeit mit dem inzwischen »heute herrschenden Fortschrittspessimismus« – eine Diskrepanz, die auch den theoriegeschichtlichen Zugang zu Rechtslehren wie derjenigen Jherings nicht gerade erleichtert. 1601 Vgl. dazu oben Teil 1, S. 166f. 1602 Jherings Notiz befindet sich in § 20 auf Seite 301 seines Handexemplars von Geist I (11852). Es heißt dort noch weiter : »Man sehe z.b. unsere Theorie über Wechsel Kuntze WechselR.[echt] S. 311«. Offenbar bezog sich Jhering hier auf eine Stelle bei J.E.Kuntze, Inhaberpapiere (1857), S. 311, wo dieser versuchte, die Rechtsfolgen des Verlustes eines Inhaberpapieres einerseits den Verkehrsbedürfnissen entsprechend zu konstruieren,

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Diese vorgebliche »Schwäche« erschien dem jungen Jhering als das eigentlich »Ungerechte«, als »Zeichen einer moralischen Asthenie«1603, die »Logik« bzw. »Consequenz« hingegen als eine zugleich intellektuelle u n d moralische Leistung desjenigen, der die Folgerungen aus dem Prinzip zieht. Es setzt nämlich nicht nur richtiges Denken anstatt bewusster oder unbewusster Scheinlogik voraus, sondern es fordert auch rigoristische Unerschrockenheit im Hinblick auf die unter Umständen dem eigenen Gefühl fundamental widersprechenden Folgen einer juristischen Schlussfolgerung für die im Einzelfall Betroffenen. Eben diese notwendige Härte des Rechtsanwenders gegen sich selbst im Dienst der formalen Gleichheit des Rechts hatte für Jhering eine auch moralische Relevanz. Man wird dem Prinzipienrigorismus des frühen Jhering nicht gerecht, wenn man die sittlich-moralische Begründung seiner rigoristischen Haltung ausblendet1604 oder gar in ihr nur den Ausdruck einer die »Zeit beherrschenden romanistischen Orthodoxie« sehen will1605. Den 1869 nach seinem »Umschwung« in der zweiten Auflage von Geist II/2 gestrichenen Satz vom »Princip«, dessen Anerkennung auch zur vorbehaltlosen Hinnahme aller »Consequenzen« nötige, »einerlei ob er [sc. der Jurist] sich derselben bewußt geworden« oder nicht1606. verstand Jhering bis Ende der 1850er Jahre noch so rigoros, dass bei der vom Rechtsanwender vorzunehmenden Deduktion von subsumtionsfähigen »engeren Regeln« aus einem der »Rechtsprincipien«, den von Jhering sogenannten »weiteren Regeln«1607, jeder

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andererseits aber auch einen offenen »Bruch in das Grundprinzip, eine A u s n a h m e von der R e g e l « über die Verknüpfung von Papierbesitz und Obligation zu vermeiden. Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 23. So musste es beispielsweise für K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 26 eine unbegreifliche Tatsache bleiben, wie der junge Jhering dazu gekommen war, von der logischen Möglichkeit der Ableitung von Rechtssätze automatisch auch auf deren praktisch-juristische Geltung zu schließen. So A.Leist, Jhering (1919), S. 10. Dagegen hat F.Wieacker, Pandektenwissenschaft (1968), S. 9f. mit Blick auf den von ihm sogenannten »logischen Formalismus« der Pandektisten des 19. Jahrhunderts vollkommen zu Recht bemerkt: »Immer wieder gewinnt man den bestimmten Eindruck, daß diese Juristen es nicht etwa nur als methodenwidrig, sondern als unethisch, nämlich unsachlich und parteilich empfinden« würden, im Rahmen der Rechtsanwendung »von den sozialen oder wirtschaftlichen Interessen auch nur zu sprechen, geschweige denn ihre Konstruktionen und Entscheidungen damit zu begründen.« Bei Jhering war allerdings das Ethos der unparteilichen, ja rigorosen Gerechtigkeit ganz besonders ausgeprägt. Und den Grund dafür wird man wohl in dem – auch der Persönlichkeit Jherings entsprechenden – »Idealismus des Charakters« (Jhering) sehen müssen, der sein Rechtsdenken – wenn auch im Laufe der Zeit mit wechselnder Stoßrichtung – lebenslang geprägt hat (vgl. zu letzterem S. 355f.). Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 382 (Eigenhändige Notiz im Handexemplar). Anders als bei Savigny, der der antiken Unterscheidung von »regula« und »ratio iuris« verpflichtet war [vgl. dazu O.Behrends, Savigny (1985), S. 277f.], unterschied sich für Jhering ebenso wie für Puchta [vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 551–555] das »Rechtsprinzip« von der Rechtsregel nur durch seinen Abstraktionsgrad. Vgl. nur Jhe-

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Vorbehalt, jede Einschränkung der Konsequenz aus Gründen des individualisierenden Gerechtigkeitsempfindens, das im »bloßen« Rechtsgefühl Ausdruck fand, Jhering als ein direkter Verstoß gegen die Gerechtigkeit erschienen wäre. Dieser »Prinzipienrigorismus« des jungen Jhering muss daher auch von einem anders gearteten Prinzipienglauben, nämlich dem auf Savigny zurückgehenden, von Behrends so bezeichneten materialen »Prinzipienpositivismus«1608 unterschieden werden. Mit seinem rigoristischen Prinzipienverständnis überbot der junge Jhering nicht nur Savignys Prinzipienglauben, sondern begründete diesen auch anders. Schon Anfang der 1840er Jahre sprach Jhering nämlich von einem »Fluch d[e]s Rechts (im obj.[ektiven] S.[inne])«, dem jedes Recht unabhängig von seinen Inhalten aufgrund seiner im Hinblick auf die formale Gerechtigkeit unumgänglichen »prinzipiellen« Struktur unterliege1609. Dagegen war Savignys Prinzipienglaube – wie von Behrends eingehend dargelegt – in Weiterführung antiker Denktraditionen nicht zu trennen von der Vorstellung materialer Gerechtigkeit, die sich in den leitenden Rechtsprinzipien nationaler Rechtsordnungen und in ihren jeweiligen Konkretisierungen einmal ring, Geist II/2 (11858), § 41, S. 386, wo er »Rechts s ä t z e « als die »engeren« und »Rechts p r i n c i p i e n « als die »weiteren Regeln« des positiven Rechts bestimmt hat. »Ich brauche wohl nicht zu bemerken, daß der Unterschied von Rechtssatz, Rechtsregel und Rechtsprincip etwas durchaus Relatives ist« [aaO, S. 386 Fn. 506 sowie gleichlautend Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 9 (= Ges. Aufs. I, S. 8)]. Jhering verwendete die Ausdrücke »Rechtsprinzip« und »Rechtsregel« daher oft auch synonym. Die Klarstellung Jherings in bezug auf die »anwendbaren« Rechtsprinzipien im Sinne von Rechtsregeln ist insofern von Bedeutung, als Jhering – wie in Teil 1 gesehen – im Rahmen der rechtshistorischen Betrachtung des römischen Rechts noch einen zweiten hiervon abweichenden Prinzipienbegriff verwendete. Er sprach dort von den historischen »Prinzipien, die als solche gar keiner Anwendung fähig sind« [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 36], weil es sich bei ihnen nicht um Rechtsregeln, sondern um die ein Volk in einer bestimmten Epoche »treibenden Gedanken«, d. h. die den Rechtsbildungen zugrunde liegenden historischen Grundanschauungen handele. 1608 O.Behrends, Jhering (1987), S. 252f. 1609 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 17r. Nach Jhering war die sich aus der notwendigen Abstraktheit der niederen und höheren Rechtsregeln bzw. Rechtsprinzipien ergebende Strenge und Unangemessenheit durch das Verfehlen des »telos« eines Falles oder – bei der Rechtsfortbildung – einer bestimmten Gruppe von Fällen bewußt in Kauf zu nehmen. Jedes »R[echt] im ob.[jektiven] S.[inn] muß prinzipiell sein, nicht casuistisch, nicht individualisiren«. »Ist nun aber […] ein R[echts]satz aufgestellt, so kann freil[ich] ein einz[e]lner F.[all] so eigenthüml[ich] sein, d[aß] auch hier di[e] Anwend[ung] d[e]s R[echt]ssatz[e]s g[e]g[en] di[e] Billigk[ei]t (: das telos d[e]s einzelnen Fall[e]s) scheint, allein dies ist der Fluch d[e]s Rechts (im obj.[ektiven] S.[inne]) u[nd] läßt s[ich] nie vermeiden, weil es gerade d[ie] Nat[ur] d[es] R[echts] ist, vom einz[e]l[nen] F[all] zu abstrahiren das R[echt] des einzeln[en] F.[alles] auf Berücksichtig[un]g seiner Eigenthümlichk[eit]« (aaO, Bl. 17r/v). Vgl. dagegen vierzig Jahre später Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 367, wo Jhering nun gerade auch unter Einbeziehung des Gesichtspunktes der Billigkeit forderte, dass »das a b s t r a k t e Denken durch das k a s u i s t i s c h e zu kontrollieren« sei.

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mehr, einmal weniger offenbare1610. Es hätte Savigny deshalb auch vollkommen fern gelegen, die sich aus seinem Prinzipienglauben ergebenden Konsequenzen wie der junge Jhering als »Fluch«, als »Tyrannei« bzw. als gegebenenfalls schmerzhaften, aber notwendigen »Rigorismus«1611 zu bezeichnen. Schon die Wortwahl Jherings muss Zweifel daran wecken, dass sein Rigorismus sich auf den in der Nachfolge Savignys durch Puchta noch überhöhten Glauben an im materialen Sinne »aprioristisch« wahre Begriffe und Prinzipien gestützt und dass auch Jhering sich »zunächst diese Rechtslehre völlig zu eigen gemacht« habe1612. Denn zum »Fluch« kann das nach der juristischen Konsequenz Gebotene nur demjenigen werden, dem das »Gefühl vollständiger Rechtfertigung«, also der Rechtfertigung in jeder, auch in anderer als in juristischer Hinsicht fehlt1613. Geradezu unerklärlich aber wäre auf der Grundlage eines material begründeten Prinzipienglaubens, warum ausgerechnet der Gesetzgeber, der nach Savigny und Puchta nicht weniger auf die sich der Menschheit offenbarenden wahren Prinzipien verpflichtet war als die Jurisprudenz, nach Ansicht des jungen Jhering »durch eine heilsame Inconsequenz uns von der Tyrannei der Consequenz […] befreien« können sollte, der allein die Rechtswissenschaft unterlag1614. Nicht weniger unverständlich wäre es, warum der junge noch nicht prinzipienkritisch denkende Jhering die Jurisprudenz vom Gebot der rigoristischen Strenge, nämlich der »tyrannischen Handhabung der Rechtsconsequenz« im Hinblick auf unabweisbare zeitgenössische Verkehrsbedürfnisse

1610 Vgl. zu der zumindest teilweise erfolgten Weiterführung des in stoischem Gedankengut wurzelnden antiken Prinzipienverständnisses der sabinianischen Rechtsschule durch Savigny O.Behrends, Savigny (1985), S. 265f., 272, 295ff.; Ders., Rechtsgefühl (1986), S. 76, 176. 1611 Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 17r; Ders., Abhandlungen (1844), S. 86, 121. 1612 So aber O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 76f., 149f.; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 108, 115ff. Behrends geht dabei davon aus, dass Jhering mit seiner lebenslang beibehaltenen Rede- und Vorstellungsweise von den »lebendigen Begriffen« in seiner Frühzeit denselben »aprioristischen« Begriffs- bzw. Prinzipienglauben verbunden habe wie Savigny und Puchta. 1613 Vgl. dagegen O.Behrends, Grundlagen (1994), S. 15, wonach das Gefühl vollständiger Rechtfertigung auch des nicht durch bona fides abgemilderten ius strictum den Kern des antiken materialen Prinzipienglaubens ausgemacht habe, der nach Behrends im Rechtsverständnis Savignys und Puchtas weiterlebte. Dass Jhering dagegen dieser Glaube fehlte, zeigt nicht zuletzt der Doppelverkaufs-Fall, bei dessen Lösung Jhering zunächst geglaubt hatte, nach dem geltenden Recht das »Billigkeitsgefühl« seinem die Regelgerechtigkeit verkörpernden »juristischen Gewissen« opfern zu müssen, bis er Ende 1858 zu der Auffassung gelangte, dass diese »vermeintliche Monströsität« [so Jhering in einem im Frühsommer 1859 an Gerber gerichteten Brief, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 115, S. 338] nicht eigentlich im geltenden Pandektenrecht, sondern in einem falschem Verständnis der anzuwendenden Regel begründet sei. 1614 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 121.

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befreit wissen wollte, wenn sein Rigorismus wirklich im Glauben an die Inhalte der geltenden Prinzipien gewurzelt hätte1615. Tatsächlich gründete sich das schon vom jungen Jhering selbst so bezeichnete »rigoristische« Beharren auf allen »Consequenzen«1616, die sich aus den Prinzipien jedes geltenden Rechts, im Falle des Pandektenrechts aus den nach ihrer Abstraktion »aus verschiedenen Entscheidungen und Aussprüchen der römischen Juristen«1617 in den Digestenfragmenten ziehen lassen, nicht auf den materialen Inhalten der leitenden Rechtsprinzipien, war also nicht Ausdruck eines materialen Prinzipienglaubens im Sinne eines übersteigerten Glaubens an die apriorische Wahrheit dieser Prinzipien. Im Gegenteil, gerade der fehlende Glaube des Rechtsanwenders an die materiale Angemessenheit einer zu weit gefassten geltenden Rechtsregel bzw. einer »weiteren Regel« des positiven Rechts (Rechtsprinzip) im Hinblick auf deren »Consequenzen« für eine bestimmte Gruppe von Sachverhalten erzwang nach Jhering vom Juristen überhaupt erst die intellektuelle und moralische »Stärke« und Rigorosität der eigenen Person gegenüber. Nur die »Schwäche schrickt vor den Consequenze[n] zurück u[nd] durchlöchert u[nd] durchbricht jed[e]s Princip«1618 – aus vordergründig legitimer und jedem einsichtiger Menschenliebe, tatsächlich aber mit fatalen Folgen für die Gerechtigkeit der Rechtsanwendung. »Nicht den s c h l e c h t e n Menschen gilt es da in sich zu unterdrücken, sondern den g u t e n , und das ist die schwerste Prüfung, welche der Dienst der Gerechtigkeit mit sich bringt […]«1619

– bekräftigte Jhering mit Blick auf die Anwendung der geltenden Rechtsregeln selbst dann noch, als er seinen Prinzipienrigorismus, also den Glauben an die rechtlich unbedingte Verknüpfung von »intellektueller« Logik und »moralischer« Consequenz bei der wissenschaftlichen Rechtsfortbildung längst überwunden hatte. Daher insistierte er im Hinblick auf den Grundsatz der formalen Gleichheit und Rechtsanwendungsgerechtigkeit bis in seine letzten Lebensjahre darauf, dass logisch und formal gesehen jede »Ausnahme zur Regel […] dieselbe d u r c h b r i c h t , sie s c h ä d i g t « und nicht etwa noch – womit sich nur unklares Denken beruhigen könne – »dieselbe s t ü t z t , b e k r ä f t i g t , b e f e s t i g t . Eine saubere Befestigung!«1620 1615 1616 1617 1618 1619 1620

Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 22f. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 86. Jhering, Ausnahmen (1885), S. 5. Vgl. oben S. 319. Jhering, Zweck I (11877), S. 405. Jhering, Ausnahmen (1885), S. 4f. »Unklares«, das heißt sich seiner Inkonsequenz nicht bewusstes Denken war es auch gewesen, das Jhering dreißig Jahre zuvor in Geist II/1

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Jhering hatte in dem vorstehend zitierten, bisher fast unbeachtet gebliebenen Aufsatz aus dem Jahre 18851621 dagegen polemisiert, dass die lateinische Sentenz »exceptio firmat regulam« mit dem Satz »Ausnahmen b e s t ä t i g e n die Regel« übersetzt werde statt mit dem Satz: »Ausnahmen v e r t r a g e n sich mit der Aufstellung einer Regel«. Dass jede Ausnahme die Regel »schädigt«, verstand Jhering zeit seines Lebens als eine für alle Wissenschaftsgebiete einschließlich der Jurisprudenz geltende logische Wahrheit, über die sich nach Ansicht des jungen noch prinzipienrigoristisch denkenden Jhering lediglich der Gesetzgeber hinwegsetzen dürfe. Aber auch dieser müsse gute Gründe für eine Einschränkung der Allgemeingültigkeit haben. Denn von »dem Preise, um den er […] ein vielleicht höchst untergeordnetes und beschränktes Bedürfniß befriedigt, dem Schaden nämlich, den das Recht in seinem Lebensprincip erleidet, hat er keine Ahnung«1622.

Mit Bezug darauf meinte Jhering fast dreißig Jahre später : »Schon in meinen Studentenjahren wurde meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt«, dass derjenige, der »aus verschiedenen Entscheidungen und Aussprüchen der römischen Juristen ein Princip zu gewinnen« habe, bei der Formulierung desselben, diese logische Wahrheit nicht außer Acht lassen dürfe1623. Zwar hat Jhering von dieser (11854), § 29, S. 90 einmal gegen den zeitgenössischen »Augiasstall […] bei dem Kapitel von der Billigkeit« geltend gemacht hatte. 1621 Selbst in der jüngsten 1984 erschienenen umfassenden Bibliographie von Mario G. Losano fehlt dieser Aufsatz Jherings. Der – soweit ersichtlich – bisher lediglich von H.Lange, Wandlungen (1927), S. VII rezipierte Aufsatz erschien am 4. Juli 1885 in der Nummer 27 der in Berlin erscheinenden Wochenschrift »Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben«. Im Göttinger Nachlass Jherings befindet sich Jherings Autorenexemplar (Handschriftenabteilung der Göttinger Staats- und Universitätsbibliothek, Cod Ms. Jhering, Kasten 13:2,2). 1622 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 364 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 1623 Jhering, Ausnahmen (1885), S. 5. Als Student wurde Jhering nach eigenem Bericht darauf aufmerksam »durch die Doctordissertation eines Bekannten, der bei einer Gelegenheit, wo es sich darum handelte, aus verschiedenen Entscheidungen und Aussprüchen der römischen Juristen ein Princip zu gewinnen, ein solches aufgestellt hatte, welches dieselben nicht deckte. Er half sich dadurch, daß er in denjenigen, die mit demselben übereinstimmten, die Regel erblickte, die übrigen aber als Ausnahmen bezeichnete, welche, weit entfernt, die Regel zu widerlegen, dieselbe bestätigten, denn ›exceptio firmat regulam‹ – damit waren alle Schwierigkeiten überwunden! Ich hatte von dem Manne nie eine sonderliche Vorstellung gehabt, aber nach diesem Probestück seines Denkvermögens sank dieselbe auf den Nullpunkt« (aaO). In einer dogmatisch wichtigen Frage, nämlich in der Frage nach der im Doppelverkaufs-Fall anzuwendenden Gefahrtragungsregel sah sich Jhering übrigens selbst der Kritik von Friedrich Mommsen ausgesetzt, in seiner 1844 veröffentlichten Habilitationsschrift nicht untersucht zu haben, »ob die gedachte Regel [sc. der Gefahrtragung] wirklich als eine allgemeine Regel zu betrachten sei« und ob damit wirklich berechtigerweise – wie von Jhering praktiziert – »diejenigen Bestimmungen, welche nicht zur Regel paßten, ohne Weiteres als Ausnahmen von derselben« behandelt werden durften [F.Mommsen, Erörterungen (1859), S. 2f.].

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Erkenntnis in seinen späteren Jahren, also nach Überwindung des von ihm selbst später so bezeichneten »Götzencultus des Logischen«1624, eine andere Anwendung gemacht als vorher, indem er nun einräumte, dass der durch die Einschränkung eines geltenden Prinzips zwangsläufig entstehende »Schaden« für das Rechtsprinzip nicht nur durch rechtspolitische Erwägungen des Gesetzgebers, sondern in Ausnahmefällen auch aus übergeordneten materialen Gerechtigkeitsgründen bei der wissenschaftlichen Deduktion durch die Jurisprudenz gerechtfertigt sein könne. Im vorliegenden Zusammenhang entscheidend ist aber lediglich, dass die sowohl bei der Gesetzgebung wie bei der richterlichen Rechtsfortbildung sich stellende Frage nach der Legitimität einer Beschränkung von »Consequenzen« eines geltenden Rechtsprinzips bzw. einer Rechtsregel durch Ausnahmen für Jhering ein Problem der formalen Rechtsgleichheit darstellte, das mit den in Rechtsprinzipien formulierten Inhalten einer Rechtsordnung und einem darauf gründenden Glauben an deren überpositive bzw. apriorische Wahrheit nichts zu tun hatte. In diesem Sinne sprach Jhering 1858 und 18851625 fast wörtlich gleichlautend von einer im Pandektenrecht und im modernen Gesetzesrecht sich grundsätzlich nicht unterschiedlich stellenden Aufgabe der Jurisprudenz1626, auf der Grundlage des jeweils geltenden Rechts zu ermitteln, ob dieses überhaupt auf Rechtsprinzipien, also allgemeinere Rechtsregeln zurückführbar sei1627 und wenn ja, welche Rechtsgedanken nach dem Willen ihrer Urheber als »Regel« und welche als »Ausnahme« zu betrachten seien1628. Auch sei zu untersuchen, ob im Laufe der Zeit erfolgende gesetzliche oder gewohnheitsrechtliche Änderungen des geltenden Rechts ein bisher als geltend angenommenes Rechtsprinzip nur »verjüngen«, nämlich die »richtigere [sc. allgemeinere] Fassung des Princips« zu Tage bringen oder aber dieses inhaltlich modifizieren1629, und schließlich, ob ein 1624 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 301 Fn. 429. 1625 Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 382f.; Ders., Ausnahmen (1885), S. 5f. 1626 Nach Jhering ist es grundsätzlich »in den seltensten Fällen« so, dass »der Gesetzgeber selbst das Princip bereits in seiner ganzen Schärfe und Bestimmtheit ausgesprochen hätte« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 381]. 1627 Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 380. Vgl. beispielsweise Jhering, Reivindicatio (1857), S. 111 einerseits und Jhering, Mitwirkung II (1858), S. 227 andererseits. 1628 Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 382f. »Die meisten Schwierigkeiten […] dürfte die Aufgabe in dem Fall haben, wenn der Gesetzgeber das Princip theilweise beachtet, theilweise verlassen hat. Von vornherein wissen wir nicht, ob dies geschehen, es wird also auch hier zunächst versucht werden, das gesammte Material auf ein einziges Princip zurückzuführen.« 1629 Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 383; Ders., Ausnahmen (1885), S. 6 sowie im rechtsquellentheoretischen Kontext auch schon Teil 1, Abschnitt III. 2. b), S. 246–255 zu der von Jhering sogenannten Lehre vom »historischen Durchbruchspunkt« (aaO, § 39, S. 365ff.), nach der der »Gegensatz von Regel und Ausnahme nicht selten ein scheinbarer ist« (aaO, S. 6), weil die »Ausnahme […] häufig nur die Form [ist], in der das Princip selbst

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bisher geltendes Rechtsprinzip durch positivrechtliche Änderungen nicht »bereits die längste Zeit bestanden, ja vielleicht zu bestehen aufgehört hat.«1630 Wenn beispielsweise »ein neuerer Gesetzgeber das ganze Pfandrecht neu regulirt«, dann wird nach Jhering die »Thätigkeit der Wissenschaft […] darin bestehn, daß sie das Pfandrecht zuerst in seine […] Elemente auflöst« und untersucht, welche »Modifikation« sowohl die Elemente als auch – »in dieser Combination im Pfandrecht« – das »Princip des Pfandrechts« selbst erlitten haben1631. Denn es gab für Jhering kein konkretes a priori »wahres« bzw. universell richtiges »Princip des Pfandrechts«1632. Wenn aber der Gesetzgeber ein solches Prinzip unmittelbar oder auch nur mittelbar positiviert habe, indem er »uns die Punkte bezeichnet, aus denen wir es entnehmen können«1633, war nach Ansicht des frühen Jhering die Jurisprudenz aus wissenschaftlichen und rechtsethischen Gründen unter keinen Umständen berechtigt, »scheinbar unbilligen Consequenzen gesetzlicher Principien […] auszuweichen«1634. An den Gesetzgeber konnte und sollte man nach Jhering zwar immer »die Anforderung stellen«, dass er ein Gesetz der veränderten »Sitte des rechtlichen Verkehrs […] anpasse«. Für den Juristen dagegen war nach Ansicht des jungen Jhering »die Consequenz in der Fortbildung des positiven Stoffs« nicht nur das »einzige Mittel«, durch das er in einem konkret zu entscheidenden Rechtsfall »über den Buchstaben oder über die Lücken des Gesetzes hinauskommen kann«1635. Vielmehr sollte er unabhängig von einem konkret zu entscheidenden Rechtsfall die nicht nur wissenschaftlich »intellektuelle«, sondern auch »moralisch« im formalen Gleichheitsgrundsatz gründende Pflicht haben, alle aus den jeweils geltenden Rechtsprinzipien theoretisch ableitbaren Konsequenzen zu ziehen und als Folgesätze dieser Prinzipien auch praktisch anzuwenden. Jedes »Mitleiden« des Rechtsanwenders mit dem im Einzelfall vorgeblich oder tatsächlich »sehr hart« Betroffenen1636, jede Überprüfung oder gar Korrektur einer durch »ju-

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sich verjüngt« (aaO, § 40, S. 383 bzw. aaO, S. 6). Letzteres bedeutete nach Jhering natürlich nicht, dass alle Rechtsänderungen die geltenden Rechtsprinzipien lediglich verjüngen. Hinter anderen »Ausnahmen« von bisher unbeschränkt geltenden Rechtsprinzipien konnten sich nach Jhering auch ganz neue Rechtsgedanken verbergen, die im geltenden Recht zunächst als wirkliche »Ausnahmen« noch »um ihre Existenz zu ringen und nicht selten sich jeden Fußbreit Landes mühsam zu erkämpfen« haben (aaO, § 39, S. 366), bis schließlich »die Ausnahme Regel und die Regel Ausnahme geworden« sei (aaO, § 40, S. 384). Dann »schlägt die Regel […] in ihr Gegentheil um« (aaO, S. 5). Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 381. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 29 Fn. 14. Anders als noch für Puchta galt das nach Jherings Auffassung auch für alle dem klassischen römischen Recht entstammenden Begriffe und Prinzipien. Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 382. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 12. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 12f. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 13.

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ristische Consequenz« gewonnenen Entscheidung »aus mattherzigem Erbarmen«1637 und »Milde (›aequum esse‹ u.s.w.)«1638 wollte der junge Jhering ausschließen. Einem solchen »mitleidige[n] Erbarmen« setzte er vielmehr »das juristische Gewissen« gegenüber1639, eine wohlbedachte Wortwahl, die die Gerechtigkeitsdimension, die Jhering mit der »Consequenz« verband, unterstrich. Wie weit der junge Jhering mit dieser Reduktion der durch das Recht zu verwirklichenden »Idee der Gerechtigkeit« auf die formale Consequenz der Regel bzw. die »Logik des Begriffs«1640 von Vorstellungen Puchtas und erst recht Savignys entfernt war, lässt sich an den unterschiedlichen Bewertungen der »aequitas« und »bona fides« im römischen Recht erkennen. Die Notwendigkeit der »juristischen Consequenz« im Sinne von Widerspruchsfreiheit im Hinblick auf die rechtsdogmatische Argumentation und Rechtsfortbildung hatten auch Savigny und Puchta nie bestritten. Aber eine Reduktion der Rechtsgewinnung auf die »blos logische Consequenz«1641 wäre beiden nicht in den Sinn gekommen1642. So hatte gerade Savigny die im Vergleich zum klassischen römischen Recht »ausgedehntere Wichtigkeit der bona fides« im »heutigen« römischen Recht als eine »wichtige Abweichung vom reinen Römischen Recht« hervorgehoben1643. Im Übrigen hatte er – nach Behrends in Weiterführung des antiken spätsabinianischen Prinzipienverständnisses1644 – die dem Recht zugrunde liegenden »Rechtsprinzipien« als »überpositive Regulative« und nicht als Rechtsregeln mit einem lediglich höheren Abstraktionsgrad aufgefasst1645. Puchta wiederum verstand die in der Rechtspraxis zu konkretisierenden Rechtsprinzipien zwar wie Jhering als abstrakte Rechtsregeln1646, teilte aber insoweit wieder in der Nachfolge Savignys weder Jherings formalen, d. h. schon die »Conse1637 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 14. 1638 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 72. 1639 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 18. Schon von der Wortwahl her bezeichnend ist es auch, wie Jhering 1859 seine damalige innere Zwangslage in der Frage des dolosen Doppelverkaufs nach zufälligem Untergang der Sache beschrieb. Es »lehnte sich Alles, was von Rechtsgefühl und juristischem Takt in mir war, aufs Entschiedenste auf, und andererseits konnte ich doch Wochen lang keinen Ausweg finden, bei dem sich mein juristisches Gewissen hätte beruhigen mögen« [Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 293 (Kursivhervorhebung nicht im Original)]. 1640 Jhering, Geist II/1 (21866), § 24, S. 21. 1641 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 46, S. 292. 1642 So auch schon O.Behrends, Grundlagen (1994), S. 25f.; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 125, 156. 1643 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 2, S. 5. Vgl. zu Savigny O.Behrends, Savigny (1985), S. 292ff. und dort insbesondere S. 297 sowie eingehend zu Puchta bereits C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 580–583. 1644 O.Behrends, Jhering (1987), S. 253; Ders., Savigny (1985), S. 297, 308; Ders., Rechtsgefühl (1986), S. 75ff. 1645 Vgl. oben S. 320f. Fn. 1607. 1646 Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 551–573.

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quenz« als solche zum maßgeblichen Gerechtigkeitswert erhebenden Prinzipienglauben noch Jherings sich daraus ergebenden Rigorismus in Bezug auf alle aus den Prinzipien des geltenden Rechts ableitbaren Rechtssätze. Die vom jungen Jhering kritisierte »Durchlöcherung« und »Durchbrechung«1647 eines auf der Grundlage des positiven Rechts als rechtsgültig erwiesenen Prinzips zugunsten der »aequitas« war für Puchta noch selbstverständlich gewesen1648 und nicht zuletzt durch das unmittelbar auf den »Volksgeist« zurückgeführte Juristen-Gewohnheitsrecht auch in jedem Fall rechtsquellentheoretisch begründbar1649. Dementsprechend hatte Puchta in seiner Lehre vom »doppelten Juristenrecht« die Tätigkeit des Juristen eben auch nur zu einem Teil auf die Anwendung »juristischer Konsequenz« im Rahmen des Rechts der Wissenschaft zurückgeführt1650 und wie selbstverständlich die Aufnahme der aus der griechischen Philosophie stammenden Begriffe wie »bona fides« und »aequitas« durch die vorklassische römische Jurisprudenz1651 nicht nur als ein Zeichen der kulturell-historischen Weiterentwicklung des antiken, sondern auch als unabdingbare Ergänzung des heutigen Rechts verstanden. Umgekehrt aber urteilte der junge Jhering: »Die heutige Jurisprudenz d a r f keine bona fides und aequitas mehr kennen; dass sie es nicht darf, ist ihr Vorzug vor der römischen«1652.

Mit der »römischen« Jurisprudenz hatte Jhering natürlich nicht die von ihm im »Geist« dargestellte, von stoischem Gedankengut noch unberührte altrömische Rechtspraxis gemeint1653, sondern das in den Pandekten überlieferte Gedankengut römischer Jurisprudenz nach deren Rezeption offener Wertbegriffe unter dem Einfluss der stoischen Philosophie seit dem ausgehenden 3. Jh.v.Chr.1654. Nun war zwar dieser Einfluss von offenen Wertbegriffen wie der 1647 Vgl. den Nachweis oben S. 319 Fn. 1602. 1648 Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 581–586, 781f. 1649 Vgl. nur G.F.Puchta, Gewohnheitsrecht II (1837), S. 57 zur rechtsquellentheoretischen Begründung der »Ausgleichung des strengen Rechts und der Billigkeit« auch durch ein »extraordinarium auxilium«, nämlich »eine ausserordentliche Hülfe, einen Schutz nicht des Rechts, sondern gegen das Recht«. 1650 C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 392–406, 424–431. 1651 Vgl. zu dieser antiken Rezeption stoischer Rechts- und Sozialphilosophie O.Behrends, Wissenschaftslehre (1976), S. 293ff.; Ders., Inst. u. prinz. Denken (1978), S. 196f., 217ff., insbesondere S. 219, 222; Ders., Savigny (1985), S. 298 und Ders., Struktur u. Wert (1990), S. 142ff. 1652 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 51. Vgl. dort auch aaO, S. 215 zur »aequitas« als einer »gewaltsam« die »Consequenz« durchbrechenden »Willkürlichkeit«. 1653 An ihr hatte Jhering in Geist II/1 (11854), § 29, S. 93 ungeachtet ihrer noch unvollkommenen »mechanischen Gleichheit« bewundernd hervorgehoben: »[…] lieber opfert das ältere Recht die ganze Billigkeit«. 1654 Nach rein stoischer Rechtsauffassung hatte die bona fides ebenso wie das formale ius

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»bona fides« in der späteren sogenannten klassischen Zeit des römischen Rechts1655, aus der fast alle im Corpus iuris civilis überlieferten Pandektenfragmente stammten1656, wieder stark zurückgedrängt worden1657, weswegen auch die vor allem an einem liberalen Vermögensrecht interessierte Pandektistik des 19. Jahrhunderts so sehr auf eine Wiederbelebung des klassischen römischen Rechts bzw. desjenigen, was sie für klassisches römisches Recht hielt, gesetzt hat1658. Umso bemerkenswerter ist es angesichts dessen aber, dass Jhering selbst den »Vorzug« einer Tilgung von »bona fides« und »aequitas« als einer kasuistischen, also jeweils auf den Einzelfall bezogenen Kontrolle der formalen Konsequenz der Regel nicht in der von der Historischen Rechtsschule wiederbelebten klassischen römischen Jurisprudenz begründet sah, sondern – unter pauschaler Abweisung der in den Pandekten überlieferten »römischen Jurisprudenz« – erst in der »heutigen Jurisprudenz«. Tatsächlich forderte der junge Jhering mit seiner scharfen gegen die »römischen Juristen in ihrem Billigkeitsgefühl« gerichteten Absage an jede die formale Konsequenz durchbrechende Rechtsbeachtlichkeit von »bona fides« und »aequitas« in der modernen »heutige[n] Jurisprudenz«1659 im Ergebnis denselben formal gefassten Rigorismus, den erst das neuzeitliche Vernunftrecht Kants im Hinblick auf die Billigkeit gefordert hatte1660. Denn Kant war es gewesen, der –

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strictum unmittelbare Rechtsgeltung [O.Behrends, Privatrechtsordnung (1978), S. 23f.; Ders., Grundlagen (1994), S. 13ff.]. Vgl. nur F.Schulz, Geschichte (1961), S. 117ff. m. w. N. zu dem seit Beginn des 19. Jahrhunderts geläufigen Begriff der klassischen römischen Jurisprudenz zur Bezeichnung der römischen Jurisprudenz des Prinzipats in den ersten zweieinhalb nachchristlichen Jahrhunderten. Ferner O.Behrends, Privatrechtsordnung (1978), S. 23, 27ff.; Ders., Inst. u. prinz. Denken (1978), S. 192ff., 216ff., 226ff.; Ders., Savigny (1985), S. 313f. zum Begriff der »klassischen Jurisprudenz« und ihren geistesgeschichtlichen Grundlagen, die in einem grundlegenden Gegensatz zum stoischen Werte- bzw. Prinzipiendenken gestanden hätten. F.Schulz, Geschichte (1961), S. 359. Vgl. konkret O.Behrends, Gewohnheitsrecht (2000), S. 32ff. zu der im römischen Rechtsdenken der klassischen Zeit erfolgten Festlegung der aequitas auf den Gedanken der Gleichheit vor dem Recht. Durch diese Bestimmung der aequitas wurde nach Behrends die pauschale Verweisung auf die Billigkeit im Einzelfall abgelöst durch die Anwendung differenzierter Regeln (aaO, S. 37). Vgl. zu diesem Fragenkreis grundlegend O.Behrends, Inst. u. prinz. Denken (1978), S. 191ff. Ferner auch A.Kaiser, Vertragsfreiheit (1972), S. 107ff. m. w. N. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 51, 86. Vgl. dagegen O.Behrends, Luf/Ogris-Rezension (1997), S. 565, wonach »Kants Satz, daß ›die Billigkeit eine Göttin ist, die nicht erhöret werden kann‹ […] für den Privatrechtsjuristen seit den Zeiten der Römer so abwegig [ist], daß es […] kaum jemals auch nur der Diskussion für würdig befunden wurde.« Das mag auch für Jhering zutreffend sein, nachdem er seinen formalen Prinzipienrigorismus überwunden hatte. Bis dahin aber hat er dem rechtsanwendenden Juristen und der wissenschaftlichen Jurisprudenz im Ergebnis nicht anders als Kant die Berücksichtigung der Billigkeit versagt, denn – so noch Jhering, Reivindicatio (1857), S. 111 zu der »die Eigenthümlichkeit des Verhältnisses motivirte[n]

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wie Okko Behrends hervorhebt – »anders als Aristoteles und anders als die gesamte wissenschaftliche Jurisprudenz seit den Tagen der vorklassischen römischen Juristen« die kasuistische Kontrolle und Ergänzung des strengen Rechts durch materiale Rechtsprinzipien, letzteres traditionell unter dem Sammelbegriff der »Billigkeit« (aequitas) zusammengefasst, strikt abgelehnt hatte1661. Eine »stumme Gottheit« hatte Kant die Billigkeit genannt, die vom Richter »nicht gehöret werden kann«, soweit es nicht »die eigenen Rechte des Richters betrifft« bzw. Rechte, über die zu disponieren der Richter berechtigt sei1662. Zwar teilte Jhering nie die in der letzteren Einschränkung zum Ausdruck kommende und in Kants Freiheitsbegriff verankerte vernunftrechtliche Begründung, wonach ein »G e r i c ht s h of d e r B i l l i g ke i t « in einem Streit über Freiheitsrechte Dritter »einen Widerspruch in sich schließe«1663. Kants transzendentalphilosophische Rückführung des Rechts auf die Vernunft wie überhaupt jede idealistische »›Seligkeit des autonomen Denkens‹«1664 lag Jhering immer fern1665, denn es ging

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Billigkeit« in der zeitgenössischen Jurisprudenz – »diese Quelle fließt zwar für den Gesetzgeber, aber nicht für den Richter.« Freilich war Jhering deswegen noch nicht Kantianer, auch wenn er sogar noch bei seiner Kritik an Kants vernunftphilosophisch begründeten Sittenlehre Kant als einem »der grössten Philosophen aller Zeiten« [Jhering, Zweck I (11877), S. 55] seine Reverenz erwies. O.Behrends, Grundlagen (1994), S. 10f.; Ders., Savigny (1985), S. 298f. sowie für die neuzeitliche Jurisprudenz J.Schröder, Recht (22012), S. 64, 153ff. Letzterer weist allerdings auch darauf hin, dass aufgrund der sich im 18. Jahrhundert »fast allgemein« durchsetzenden Vorrangstellung des Gesetzes vor dem Naturrecht spätestens seit Mitte dieses Jahrhunderts die Befürworter einer »Aequitaskorrektur« von Gesetzen in die Defensive geraten seien. Für die Zeit um 1800 bezeichnet Schröder, aaO, S. 156 m.w.N. die Lehre von der einschränkenden Auslegung von Rechtsnormen aus Gründen der Billigkeit sogar für beseitigt. Vgl. zum Ganzen auch S.Vogenauer, Auslegung I (2001), S. 457ff., 498ff., 538ff., 599ff. I.Kant, MdS RL (1797), Anhang zur Einl., I., AB 40 = WW VIII, S. 342. Insofern spricht P.Landau, Puchta (1992), S. 15 auch ganz zutreffend davon, dass »Puchtas Bejahung eines Billigkeitsrecht« ganz »unkantianisch« war. Schon mit Blick darauf wäre die von U.Falk, Windscheid (1989), S. 88 m.w.N. referierte ältere These, dass aufgrund »von Savignys äußerst folgenreicher Kantrezeption […] im 19. Jahrhundert […] die Abkehr von der bona fides« zu beobachten sei, in beiden Richtungen, nämlich sowohl im Hinblick auf die behauptete »Abkehr von der bona fides« als auch im Hinblick auf die »Kantrezeption«, sehr genau im Einzelfall zu belegen. Denn selbst da, wo – wie beim jungen Jhering – tatsächlich eine »Abkehr von der bona fides« im Rahmen der Rechtsanwendung zu verzeichnen ist, muss dies noch nicht schon Ausdruck einer Kant-Rezeption gewesen sein. I.Kant, MdS RL (1797), Anhang zur Einl., I., AB 40 = WW VIII, S. 342. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 407. Nach J.Rückert, Autonomie (1988), S. 57 Fn. 193 zitierte Jhering hier »ohne Nachweis und Bezug«. Der Bezug ergibt sich aus dem Kontext allerdings relativ klar, wenn Jhering zunächst diejenigen Juristen kritisierte, die – wie Thibaut – »vertraut mit der Kantischen Philosophie, allein auf diesem Standpunkt […] ihr Lebenlang stehen« geblieben seien, um sich dann auch von denjenigen zu distanzieren, die »in der spätern Entwicklung der Philosophie«, nämlich vor allem derjenigen Hegels, in der »›Seligkeit des autonomen Denkens‹ […] schwelgen und ephemeres Formeln-Flechtwerk

Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

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ihm bei der Forderung nach dem Recht, das – allerdings unter Vermeidung der im altrömischen Recht vorkommenden »Rücksichtslosigkeit gegen die Interessen und Bedürfnisse der Gegenwart«1666 – möglichst weitgehend »prinzipiell« und »nicht casuistisch« sein sollte1667, einzig um die Gerechtigkeit im Sinne der Gleichmäßigkeit bzw. formalen Gleichheit des Rechts. Es wäre auf der Grundlage des Kantischen Vernunftrechts auch gar nicht begründbar gewesen, warum nach Jhering zwar die Billigkeit, nicht aber »die ›utilitas‹ vor der ›ratio juris‹ verstummen« sollte1668. Im Ergebnis der Ablehnung der Billigkeit war sich der junge Jhering aber einig mit Kant, dass der Billigkeit jede unmittelbare Rechtserheblichkeit abgesprochen werden müsse, weil – so Kant – ein Richter »nach unbestimmten Bedingungen nicht [sc. Recht] sprechen kann« bzw. – so Jhering – das zu einer »unberechenbaren Verwirrung« führen würde1669. Folglich konnte Jhering auch in den durch die Pandekten überlieferten Entscheidungen von römischen Juristen, die sich offensichtlich von Billigkeitserwägungen hatten leiten lassen, nichts anderes als »juristische Anomalien« bzw. »wahre Singularitäten« entdecken1670. Denn – so Jherings 1844 durchaus ernstgemeintes und nicht auf eine konkrete Rechtsordnung beschränktes Argument – »mit bona fides und aequitas könnten wir das ganze Recht über den Haufen werfen«1671

und damit – so müsste man im Sinne der damaligen Auffassung von Jhering ergänzen – auch jede Gerechtigkeit1672. Mit dieser Auffassung stand der junge

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[…] produciren« (aaO) – ein Vorwurf, den Jhering vor allem dem damals bekannten Hegelianischen Juristen Eduard Gans machte (vgl. dazu schon S. 66 Fn. 256). Dazu eingehend W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 41ff. Auch O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 166f. bemerkt insoweit zu Recht, dass Jherings Rechtslehre aus Kantischer Perspektive auf in strengem Sinne unwissenschaftlichen regulativen Ideen beruhte. Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 22f. Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 17r. Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 370 Fn. 529a. I.Kant, MdS RL (1797), Anhang zur Einl., I., AB 40 = WW VIII, S. 342; Jhering, Abhandlungen (1844), S. 80. Beide, Kant und der junge Jhering, haben daher auch dem antiken Erfahrungssatz »summum ius summa iniuria«, dem »Sinnspruch (dictum) der Billigkeit« (Kant, aaO) jede rechtliche Relevanz abgesprochen. So Jhering, Abhandlungen (1844), S. 81 mit Bezug auf Entscheidungen von Julian und African. Aber auch römische Juristen wie Ulpian traf die Kritik des jungen Jhering, soweit er neuen Billigkeitsgesichtspunkten unmittelbar juristische Wirksamkeit hatte zukommen lassen. So war es für Jhering ganz »unbegreiflich […], wie Ulpian und Gajus einem Begriffe, den wir im Rechte nicht kennen und der uns das ganze Recht verwirren würde (contemplatione, respectu alicujus) […] juristische Wirksamkeit haben beilegen können. Das mitleidige Erbarmen hat hier einmal wieder das juristische Gewissen zum Schweigen gebracht« (aaO, S. 18). Jhering, Abhandlungen (1844), S. 51 Fn. 1, S. 80. Mit der apodiktischen Pauschalität seines Urteils über die »aequitas« übertraf der junge Jhering damit noch die einstige Warnung Thibauts, dass »aus einem weibischen, verzär-

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Jhering in der zeitgenössischen Rechtswissenschaft allerdings ziemlich allein da, und zwar sowohl – wie schon die abweichenden Auffassungen Savignys und auch Puchtas zeigen1673 – innerhalb der Historischen Rechtsschule1674 als auch außerhalb derselben. Beispielsweise hatte selbst Christian Friedrich Mühlenbruch1675, dem im Jahre 1871 der nunmehr geläuterte Jhering im Hinblick auf dessen Haltung zu »der Billigkeit und der Zweckmäßigkeit«1676 eine »einseitig formal-juristische Behandlungsweise des Rechts« vorwerfen sollte, die »sich auf diese Beschränktheit wohl gar noch etwas einbildet«1677, eben in dieser von Jhering kritisierten Abhandlung aus dem Jahre 1828 klargestellt:

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telten […] Volks-Charakter« oder auch aus »despotischer Willkühr des Regenten« »vielleicht ein übermäßiger Hang zur Billigkeit« entstehen könne [A. F.J.Thibaut, Versuche I (11798), S. 163]. Im übrigen aber fanden sich in dieser Abhandlung aus der vorzitierten Schrift Thibauts, die Jhering nachweislich kannte und aus der er auch zitierte (vgl. nur Teil 1, S. 212 Fn. 998), sowohl bereits der Gesichtspunkt des drohenden Gerechtigkeitsverlustes durch ein Abgehen von der »durchgängige[n] Einheit und Consequenz« (aaO) als auch die Stilisierung der »Consequenz« zu einer Frage des – männlichen – Charakters. Vgl. zu Savigny und Puchta, die im Hinblick auf die Berücksichtigung von Billigkeitsgesichtspunkten deutlich von der späteren Auffassung des jungen Jhering abwichen, die bereits oben S. 327f. angeführten Nachweise. Ferner zu Windscheid, für den die Bezugnahme auf die Billigkeit und das individualisierende Gerechtigkeitsempfinden ebenfalls selbstverständlich war, unten S. 337 Fn. 1697. Ein unmittelbarer Anknüpfungspunkt für die Auffassung des jungen Jhering findet sich allerdings bei seinem früheren Lehrer Heinrich Thöl. Dieser hatte nämlich »besonders gegen Puchta und Savigny« [so ausdrücklich H.Thöl, Einleitung (1851), § 38, S. 107 Fn. 2] die – wie Jhering es zustimmend charakterisierte – »Relativität des Begriffs der Billigkeit […] mit gewohnter Schärfe und Klarheit hervorgehoben« und auf diese Weise im »Augiasstall« der »unklaren Vorstellungen« über Billigkeit gekehrt [Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 90]. Vgl. zu Mühlenbruch und dessen ambivalente Stellung zur Historischen Rechtsschule E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 375, 377f. sowie auch H.J.Stühler, Erneuerung (1978), S. 160–164, letzterer an einer Stelle (S. 164) unter nicht gekennzeichneter wörtlicher Übernahme des Textes von Landsberg. C.F.Mühlenbruch, Erläuterung (1838), S. 50. Mühlenbruch hatte in einem im Jahre 1828 als Druckschrift veröffentlichten und mit einer grundsätzlichen »Einleitung über das Verhältniß der Theorie zur Praxis« versehenem Gutachten zum Städelschen Erbrechtsfall, einem seit 1817 anhängigen Rechtsstreit der Stadt Frankfurt a.M. mit einer französischen Erbengemeinschaft, welcher im 19. Jahrhundert eine heute kaum noch vorstellbare »Celebrität« über die Grenzen der Region hinaus erlangen sollte [vgl. nur Jhering, LuccaPistoja-Eisenbahnstreit (1867), S. 241] und die Pandektenwissenschaft noch ein halbes Jahrhundert nach seiner Erledigung beschäftigte [vgl. H.Kiefner, Kunstinstitut (1982/ 82), S. 349ff.], sich grundsätzlich gegen richterliche »Rücksichten der Billigkeit und Zweckmäßigkeit« [C.F.Mühlenbruch, Erläuterung (1838), S. 50] ausgesprochen, soweit sie nicht »das positive Recht selbst verstattet« [C.F.Mühlenbruch, Beurtheilung (1828), S. 29]. Vgl. zu den Einzelheiten U.Falk, Windscheid (1989), S. 77ff. m.w. N. Jhering, Geist III/1 (21871), § 61, S. 345 Fn. 468a. Entgegen U.Falk, Windscheid (1989), S. 79 Fn. 329 findet sich Jherings Bemerkung zu Mühlenbruchs Gutachten im Städelschen Erbrechtsfall noch nicht in der ersten Auflage von 1865.

Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

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»Eben so wenig darf es für wünschenwerth geachtet werden, die aequitas aus den Gerichtshöfen verdrängt zu sehen: vielmehr kann ohne diese […] von Handhabung der G e r e c ht i g k e i t gar nicht die Rede seyn, indem eine streng buchstäbliche Anwendung des positiven Rechts die Gleichheit Aller vor dem Gesetze aufhebt, mithin geradeswegs zur Ungerechtigkeit führt.«1678

Wenn Eugen Bucher daher mit Blick auf »die uralte, ja unentrinnbare Polarität der rechtlichen Orientierung zwischen dem ›ius strictum‹ und der Idee der ›aequitas‹« die Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts als die erstere »Extremposition« beschreibt1679, so ist diese Behauptung, wie schon das Beispiel von Puchta zeigt, eindeutig zu pauschal – für den frühen Jhering hingegen mag sie aber tatsächlich zutreffen. cc)

Der »Doppelverkaufs-Fall« von 1858

Der junge Jhering hat seinen rechtsethisch begründeten »formalen Prinzipienrigorismus« nicht nur theoretisch begründet. Bereits die in Jherings Habilitationsschrift verfolgte Argumentation im Fall des Doppelverkaufs derselben Sache belegt dies eindrücklich1680. Es ist kein Zufall, dass gerade dieser Fall fast 16 Jahre später, nämlich Ende des Jahres 1858, für Jhering zum Auslöser wurde für die schon häufig beschriebene Schaffenskrise Jherings und ihn in der Folgezeit veranlasste, sein bisheriges Verständnis von Recht und Rechtsanwendung kritisch zu überprüfen. Bis 1858 glaubte Jhering nämlich die Frage nach den rechtlichen Folgen des an zwei Käufer erfolgten Verkaufs einer Sache, die noch vor Übergabe an den Zweitkäufer durch einen vom Verkäufer nicht zu vertretenden Umstand untergegangen war, auf der Grundlage des gemeinen römischen Rechts dahingehend beantworten zu müssen, dass der Verkäufer von beiden Käufern den Kaufpreis verlangen könne, ohne selbst irgendwelchen 1678 C.F.Mühlenbruch, Beurtheilung (1828), S. 11. Vgl. dazu auch U.Falk, Windscheid (1989), S. 85 Fn. 350, für den sich schon wegen solcher Äußerungen eine einseitige Einordnung Mühlenbruchs – etwa im Stile des späten Jhering – verbietet. 1679 E.Bucher, Begriffsjurisprudenz (1966), S. 372. Vgl. zu dieser Polarität auch schon F.Regelsberger, Streifzüge (1892), S. 55; M.v.Rümelin, Konstruktion (1922/23), S. 352 sowie in ideengeschichtlicher Hinsicht mit Blick auf die schon von Aristoteles formulierte Unterscheidung von formellem regelhaften Recht und situationeller Billigkeit O.Behrends, Grundlagen (1994), S. 7ff. F.Wieacker, Rechtsdogmatik (1970), S. 322ff., 332f. hat beide Positionen als jeweils idealtypischen Ausdruck von zwei gegensätzlichen Methoden der Rechtsfindung beschrieben, die sich allerdings »in den geschichtlichen Rechtsordnungen […] einander fast immer eklektisch durchdrungen« hätten (aaO, S. 322). 1680 Seine aus dem Jahre 1843 stammende Habilitationsschrift hat Jhering – mit leichten Änderungen versehen – 1844 in seinen gesammelten »Abhandlungen aus dem Römischen Recht« veröffentlicht. Vgl. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 3–86. Dazu H.Lange, Wandlungen (1927), S. 10f.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Ansprüchen der Käufer ausgesetzt zu sein – ein Ergebnis, das später der Freirechtler Eugen Ehrlich als einen klassischen »Musterfall der Begriffsmathematik« der Begriffsjurisprudenz brandmarken sollte1681. Zugrunde gelegt hatte Jhering die in den Pandekten enthaltene Entscheidung des nachklassischen römischen Juristen Paulus (Paulus 16 quaestionum D 18, 4, 21), der einen Anspruch des Erstkäufers gegen den Verkäufer auf den durch den zweiten Verkauf erlangten Kaufpreis ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dass beide Käufer dem Verkäufer trotz Untergangs der Sache den jeweils vereinbarten Kaufpreis zu entrichten hätten, hat Paulus in dem genannten Digestenfragment zwar nicht ausdrücklich festgestellt. Es wurde aber – ungeachtet der Tatsache, dass der Verkäufer nur einem von beiden Käufern auch tatsächlich hätte liefern können – nicht nur von Jhering als notwendige Folge der allgemeinen Gefahrtragungsregel »periculum est emptoris« wie selbstverständlich vorausgesetzt1682. Denn nach römischem Recht ging das periculum, die in der heutigen Zivilrechtsdogmatik sogenannte Preisgefahr, schon bei Abschluss des Kaufvertrages und nicht erst bei Übergabe der Sache auf den Käufer über1683. Die Versagung eines Anspruchs des Erstkäufers gegen den Verkäufer auf den durch den Zweitverkauf erlangten Kauferlös hat Jhering – übrigens bis an sein Lebensende – ebenfalls als konsequente Anwendung eines Prinzips des römischen Rechts verstanden, nämlich des von ihm aus den Quellen herausgelesenen Prinzips über die Verknüpfung des mit einem Geschäft verbundenen juristischen Risikos (periculum negotiationis bzw. incommodum) mit dem aus diesem Geschäft erlangten Vorteil (commodum)1684 – ein Prinzip, das unter anderem auch in der im Corpus iuris civilis überlieferten Sentenz »commodum eius esse debet, cuius periculum est« seinen Niederschlag gefunden habe1685. In seinem Bestreben, im Sinne der 1681 E.Ehrlich, Grundlegung (1913), S. 264. Direkt dazu U.Falk, Windscheid (1989), S. 51f. 1682 Dass der römische Jurist Paulus bei seiner Sentenz über einen möglichen Anspruch des Erstkäufers nach dem zufälligen Untergang der Sache dessen Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises voraussetzte, ist nach O.Behrends, Jhering (1987), S. 253 Fn. 78 wohl auch aus Sicht der heutigen Romanistik anzunehmen. In der zeitgenössischen Pandektistik war das Meinungsbild allerdings noch uneinheitlich [vgl. H.G.Ullrich, Doppelverkauf (1990), S. 58ff. m. w. N.] 1683 U.Falk, Windscheid (1989), S. 54f.; H.G.Ullrich, Doppelverkauf (1990), S. 58, 116f. 1684 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 3ff., 40f., 70, 73, 85f.; Ders., Bereicherungsklage (1878), S. 2–4, 50–53. 1685 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 1; F.Mommsen, Erörterungen (1859), S. 1–3, 107ff. Unter »periculum« wurde hier also nicht die Preisgefahr des Käufers, sondern die ganz anders geartete »Gefahr der Veräußerung« [F.Mommsen, Erörterungen (1859), S. 108], das »periculum negotiationis« [Jhering, Abhandlungen (1844), S. 73], nämlich das erst durch das Zweitgeschäft entstehende juristische Risiko für die Beteiligten verstanden [U.Falk, Windscheid (1989), S. 60]. Denn der von Jhering 1843/44 aus den Quellen herausgearbeitete Zweck des Anspruchs auf das stellvertretende commodum bestand nach Jherings Ansicht nicht – wie nach heutigem Recht – im Ausgleich einer nach dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis ungerechtfertigten Vermögensverschiebung [vgl. nur

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»formalen Gerechtigkeit d. h. […] Gleichmäßigkeit«1686 die unterschiedlichsten Fallkonstellationen auf ein möglichst »einfaches Prinzip zurückzuführen«1687, hat Jhering nachzuweisen versucht, dass »die Regel: commodum ejus esse debet, cujus periculum est eine allgemeine Regel sei«, die im Corpus iuris civilis bei allen obligatorischen und fast allen dinglichen Ansprüchen Anwendung finde1688. Die in den Pandekten vorhandenen auf diese Weise nicht harmonisierbaren Quellenentscheidungen hat Jhering dagegen als mit dem Grundsatz der Regelgerechtigkeit nicht vereinbare »durch das Billigkeitsgefühl der römischen Juristen hervorgerufene juristische Anomalie[n]« bewertet, bei denen man »der Jurisprudenz der Römer einen größern Dienst« erweise, wenn man sie nicht »auf ein Princip zurückzuführen sucht«1689. Die Tatsache, dass Jhering mit seiner offenen Ablehnung von »bona fides« und »aequitas« wie überhaupt jeder kompromisshaften rechtlichen Vermittlung von

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H.G.Ullrich, Doppelverkauf (1990), S. 104, 110 m.w.N.], sondern darin, dass nur derjenige, der die juristisch nachteiligen Folgen eines Geschäfts, die »Gefahr der Veräußerung«, tragen würde, auch die durch dieses Geschäft entstehenden Gewinnvorteile, das commodum ex negotiatione, beanspruchen könne. Im Doppelverkaufs-Fall trug nun der erste Käufer zwar juristisch die Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache. Aber »dieses Ereigniß hat nicht das commodum«, nämlich den Kaufpreis aus der zweiten Veräußerung »in das Vermögen des Schuldners«, also des Verkäufers, gebracht, da der zufällige Untergang der auch an den zweiten Käufer noch nicht übergebenen Sache nach dem Sachverhalt »auch ohne die [sc. zweite] Veräußerung geschehen wäre« [F.Mommsen, Erörterungen (1859), S. 109f.] und damit nicht einmal in einem inneren Zusammenhang mit der zweiten Veräußerung stand. Die mit dem Geschäftsrisiko des Zweitgeschäfts verbundenen rechtlich nachteiligen Folgen trug dagegen allein der betrügerische Verkäufer, da er – ohne den von ihm nicht zu vertretenden Untergang der Sache – dem Käufer gegenüber schadensersatzpflichtig geworden wäre. Das rein faktische Risiko, nämlich die durch den Zweitverkauf erheblich verschlechterten Aussichten des Erstkäufers, die Sache doch noch erlangen zu können, wurde zwar auch vom jungen Jhering durchaus gesehen [Jhering, Abhandlungen (1844), S. 85], sollte aber nach damaliger und auch späterer Auffassung Jherings unbeachtlich bleiben [Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 3, 54]. Dazu kritisch U.Falk, Windscheid (1989), S. 60f., 69. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 31. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 86. So F.Mommsen, Erörterungen (1859), S. 2f. zu Jherings Vorgehensweise. Für Mommsen selbst war es dagegen »völlig klar, dass die gedachte Regel (man mag ihr im Uebrigen beilegen, welchen Werth man wolle) jedenfalls auf die obligatorischen Verhältnisse beschränkt werden muß«. Vgl. zur ähnlichen Kritik Windscheids schon U.Falk, Windscheid (1989), S. 63f. mit Fn. 281. Dass Jhering das in D. 18, 4, 21 ausgedrückte Prinzip »in aller Stille« (Falk) auch auf dingliche Ansprüche etwa im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis ausgeweitet habe, kann man allerdings kaum sagen. Immerhin hatte es Jhering schon 1844 selbst ausdrücklich als das »Hauptresultat dieser Abhandlung« bezeichnet, dass »wir der eben angeführten Rechtsparömie [sc. über das commodum] eine ausgedehntere Anwendung gegeben haben, als sie gewöhnlich erhält« [Jhering, Abhandlungen (1844), S. 1, 85 sowie zur Begründung mit dem argumentum a maiore ad minus Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 3, 53f.]. Vgl. auch mit Bezug zum heute geltenden Recht W.Fikentscher/U.Himmelmann, Iherings Einfluß (1995), S. 102. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 78–81.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Regel- und Einzelfallgerechtigkeit »rigoristisch« argumentierte und sich damit auch unter Fachkollegen exponierte, ist ihm auch schon vor 1858 durchaus bewusst gewesen1690. So hatte er schon als junger Habilitand 1843 den im Doppelverkaufs-Fall entstehenden Widerstreit von »rigoristischer Consequenz« und »Billigkeitsgefühl« nicht verschwiegen und mit offenbar ungutem Gefühl, aber doch gutem »juristischen Gewissen« ausdrücklich eingeräumt, zur Wahrung der »rigoristische[n] Consequenz des Paulus« in der einschlägigen Pandektenentscheidung »meinem Princip zu Liebe Consequenzen zugegeben zu haben, zu denen sich die römischen Juristen in ihrem Billigkeitsgefühl nicht verstanden haben würden.«1691

Die Entscheidung des spätklassischen römischen Juristen Paulus glaubte Jhering dagegen von der Härte und dem Mut zur rigorosen Wahrung der Regelgerechtigkeit getragen, den er notfalls auch gegen ein »natürliches Rechtsgefühl«1692 von jedem Juristen bei der Anwendung allgemeiner Prinzipien des geltenden Rechts meinte fordern zu müssen1693. Später sollte Jhering Paulus deswegen 1690 Da Jhering schon 1844 nur zu gut wusste, dass das erste Anwendungsbeispiel seines Rigorismus, die rechtliche Beurteilung des Doppelverkaufs in seiner damals veröffentlichten Habilitationsschrift unter Fachkollegen nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen würde, war er auf »d e n Vorwurf« einer allzu »rigoristische[n] Consequenz« »jetzt allerdings gefaßt« [Jhering, Abhandlungen (1844), S. 86]. Vgl. auch Jhering, Abhandlungen (1844), S. 57: »Diese Consequenz muß ich nun allerdings zugeben, so sehr ich auch befürchte, dass sie gerade manchen Leser gegen die Richtigkeit meiner obigen Ausführung einnehmen wird«. Es erscheint daher auch nicht ganz überzeugend, wenn Jhering später auf eben diesen von F.Mommsen, Erörterungen (1859), S. 110 Fn. 6 erhobenen Vorwurf leicht gereizt entgegnete: »Ich weiß nicht, wie Mommsen dazu kommt, […] die Bemerkung über das ›Verführerische der strengen Consequenz‹, statt […] an Paulus, an mich zu adressiren« [Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 297f. Fn. 8]. 1691 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 86. 1692 Losano-Briefe I /1984, Nr. 104 (Jherings Brief vom 6. Januar 1859 an Gerber), S. 306. 1693 Dass der römische Jurist Paulus selbst seine Entscheidung gar nicht als »rigoristische Consequenz« und ihre Auswirkungen in keiner Weise als »unnatürlich«, sondern – so O.Behrends, Savigny (1985), S. 309f. Fn. 143 über Paulus – als zwar harten, aber in jeder Hinsicht gerechtfertigten Ausdruck einer »sinnhaften Systematik« des Rechts verstanden haben könnte, wurde von Jhering gar nicht in Betracht gezogen. Vgl. zur methodischen Grundhaltung von Paulus und der nach Behrends von Paulus repräsentierten Schulenrichtung in der römischen Jurisprudenz der Antike O.Behrends, Savigny (1985), S. 309f. Fn. 143; Ders., Rechtsgefühl (1986), S. 176. Paulus war danach der letzte klassische Repräsentant der spätsabinianischen Rechtsschule, also derjenigen Schulenrichtung, die entgegen der das Rechtsdenken in klassischer Zeit beherrschenden prokulianischen Rechtsschule den ursprünglich stoischen Glauben an überpositiv gültige und damit unmittelbar berufungsfähige Rechtsprinzipien und Wertbegriffe wie die bona fides aufrechtzuerhalten versuchte und gleichzeitig wie schon ihr stoisches Vorbild aus vorklassischer Zeit auch die positiven Formbegriffe des Rechts in einen absoluten bzw. naturrechtlich fundierten Wertzusammenhang stellte und in dem Bewußtsein dieser Fundierung anwendete.

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sogar – nun allerdings im pejorativen Sinne – als den »Puchta des römischen Alterthums« bezeichnen1694. In Wahrheit würde sich aber nicht einmal Puchta dazu »verstanden« haben, einem »Princip zu Liebe Consequenzen« zuzugeben, die im krassen Widerspruch zu seinem Billigkeitsgefühl standen. Vielmehr war für Puchta »eine Berücksichtigung des individuellen Wohls, eine Modification der Forderungen des strengen Rechts durch die Billigkeit«1695 und eine entsprechende teleologische Reduktion immer selbstverständlich gewesen1696. Einen prägnanten Ausdruck verlieh dieser unter den zeitgenössischen Pandektisten weithin geteilten Auffassung einige Jahre nach Puchtas Tod Bernhard Windscheid, als er das »billige Recht, das aequum ius«, als das allein »wahre Recht« bezeichnete1697. Zwar konnte man – wofür gerade Windscheids ursprüngliche Stellungnahme im Doppelverkaufs-Fall ein anschauliches Beispiel ist – auf dem Gebiet des Pandektenrechts auch gestützt auf den Glauben an die unbedingte inhaltliche Wahrheit des römischen Rechtsprinzips und seiner Konsequenzen im jeweils zu entscheidenden Einzelfall zu demselben Ergebnis kommen wie Jherings formaler Prinzipienrigorismus1698. Theoriegeschichtlich 1694 Jhering, Besitzwille (1889), S. 283. 1695 G.F.Puchta, Pandekten (11838), § 18, S. 23. Die Frage, wie und vor allem mit welcher Begründung Puchta im vorliegenden Doppelverkaufs-Fall entschieden hätte, muss hingegen offen bleiben. In dem zwar sehr lobenden, aber allgemein gehaltenen Gutachten, das Puchta als Zweitgutachter von Jherings Habilitationsschrift zu erstellen hatte, es ist erhalten im Universitätsarchiv der heutigen Humboldt-Universität in Berlin (Acta der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin betreffend: Habilitationen und Nostrificationen der Privatdocenten von 1839 bis 1856, Juristische Fakultät, Akte 140, Bl. 74v), findet sich kein Hinweis auf diese Frage. Und in seinem Pandektenlehrbuch hat Puchta zwar – worauf Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 5f. Fn. 6; S. 49 mit Fn 41 noch viel später selbst hinweisen sollte – seit der dritten Auflage auf Jherings Darlegungen in Abhandlungen (1844), S. 78ff zumindest Bezug genommen. Auf den speziellen Fall des dolosen Doppelverkaufs einer vor der Übergabe zufällig untergegangenen Sache ist er aber nicht gesondert eingegangen [vgl. G.F.Puchta, Pandekten (31845), § 272, S. 389f. Anm. a) und d); § 312, S. 443f. Anm. d)]. 1696 Vgl. nur P.Landau, Puchta (1992), S. 21f. Auch schon abgesehen von Jherings eigener weiteren Entwicklung [vgl. dazu B.Klemann, Jhering (1989), S. 191ff.] erscheint es daher übertrieben, wenn H.Kantorowicz, Iherings Bekehrung (1914), Sp. 87 mit Blick auf den Doppelverkaufs-Fall und Jherings eigene spätere Darstellung resümiert, dass die »Neujahrsglocken von 1859 […] für die Rechtswissenschaft einen neuen Tag« eingeläutet hätten. 1697 B.Windscheid, Rechtswissenschaft (1854), S. 10. »Die Billigkeit ist der Leitstern, der dem Recht seine Bahn vorzeichnet, die Billigkeit ist sein besseres Sein, das ihm als Ideal vorleuchtet« (aaO). »Aber«, so fügte Windscheid auch noch hinzu, »diese Welt ist nicht die Welt, in welcher sich Ideale verwirklichen. In reiner Gestalt kommt in ihr keine Idee zur Erscheinung«, vielmehr eben nur als Modifikation des strengen Rechts. Vgl. zu direkten Bezugnahmen Windscheids auf Billigkeit und individualisierendes Gerechtigkeitsempfinden im rechtsdogmatischen Detail U.Falk, Windscheid (1989), S. 28f., 39f., 44, 72ff., 204f. 1698 Man kann davon ausgehen, dass Windscheid nach seiner ursprünglichen Lösung im Doppelverkaufs-Fall auch im Endergebnis zu derselben ausschließlich dem Verkäufer

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entbindet das aber nicht von der Notwendigkeit, zwischen dem die Regelgerechtigkeit übersteigernden und keineswegs auf die Inhalte des Pandektenrechts beschränkten Prinzipienrigorismus einerseits und einem Glauben an die rechtlich und sittlich unbedingte Wahrheit bestimmter pandektistischer Prinzipieninhalte und ihrer Konsequenzen andererseits zu unterscheiden. Auf diesem Hintergrund ist es zu sehen, wenn Jhering schon im handgeschriebenen Original seiner Habilitationsschrift fast entschuldigend bekannte: »Ich muß gestehen, daß nur das Bestreben, das Prinzip des Paulus aufrecht zu halten, mich zu der im Text versuchten Auslegung […] gebracht hat, natürlicher finde ich die entgegenstehende Auslegung.«1699

Es scheint, als habe Jhering hier den das eigene Rechtsgefühl bewusst ignorierenden Rigorismus konsequenterweise auch an sich selbst demonstrieren wollen. Denn nicht erst 1858/59, sondern schon 1843/44 hatte sich sein »natürliches Rechtsgefühl dagegen« aufgelehnt1700, dass sogar der arglistige Doppelverkäufer einer Sache nach deren zufälligem Untergang auch noch Anspruch auf den zweifachen Kaufpreis haben sollte. Zu einer »technischen Rechtfertigung«, also einer rechtlichen Begründung der von ihm selbst als »natürlicher« empfundenen günstigen Lösung kam wie Jhering 1843/44 [vgl. U.Falk, Windscheid (1989), S. 67]. Auf jeden Fall sprach auch Windscheid dem Erstkäufer einen Anspruch auf das stellvertretende commodum ab [vgl. B.Windscheid, Mommsen-Rezension (1855), S. 134]. Die Begründung für dieses Ergebnis hätte hingegen kaum unterschiedlicher ausfallen können. Nicht das »Bestreben […] den behandelten Stoff auf ein einfaches Princip zurückzuführen« hatte Windscheid »verleitet« [so Jhering, Abhandlungen (1844), S. 86 über sich selbst], sondern eine inhaltliche Rechtfertigung der römischen Rechtsprinzipien vom sittlichen Standpunkt aus. Angesichts des vergleichsweise geringen »sittliche[n] Vorwurf[s]«, den man einem Doppelverkäufer, »der sich wissentlich in die Unmöglichkeit versetzt hat«, machen könne, erschien es Windscheid 1855 unverständlich, wie Friedrich Mommsen die einschlägige »Entscheidung der vielbesprochenen l.21. de her. vend. (18.4)« als »consequent […], aber dem natürlichen Rechtsgefühl widersprechend« hatte bezeichnen können [B.Windscheid, Mommsen-Rezension (1855), S. 134]. Später hingegen wollte zwar auch Windscheid dem Doppelverkäufer nur einen bzw. – etwa im Falle von Arglist – sogar überhaupt keinen Kaufpreisanspruch zuerkennen. Wiederum im Gegensatz zu Jhering reichte ihm zur Begründung aber schlicht die Berufung auf »die den Kaufvertrag beherrschende bona fides« [B.Windscheid, Pandekten II/2 (11866), § 390, S. 86f. Fn. 16f. und leicht modifiziert Ders., Pandekten II (21869), § 390, S. 421f. mit Fn. 17 sowie dazu U.Falk, Windscheid (1989), S. 67f., 72]. 1699 Jhering, Habilitation (1843), S. 89 Anm.*. In der später gedruckten Version heißt es an dieser Stelle: »Ich beschließe hiermit den vorliegenden Versuch; nicht ohne die Besorgniß, daß das Bestreben, die Aeußerungen des Paulus in der l. 21 de her. vend. (18.4.) zu rechtfertigen, sowie den behandelten Stoff auf ein einfaches Princip zurückzuführen, mich verleitet hat, die Aeußerungen mancher anderen römischen Juristen in einem Sinne zu verstehen, wie ich es bei größerer Unbefangenheit vielleicht nicht gethan haben würde« [Jhering, Abhandlungen (1844), S. 86]. Vgl. auch Jherings Brief vom 6. Januar 1859 an Gerber, in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 104, S. 306. 1700 Losano-Briefe I /1984, Nr. 104 (Jherings Brief vom 6. Januar 1859 an Gerber), S. 306. Vgl. auch Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 292.

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Lösung sah er sich aber 1843/44 noch außer Stande1701. Denn diese wäre seiner damaligen Ansicht nach nur um den Preis einer durch »intellektuelle und moralische« Schwäche motivierten »Durchlöcherung«1702 von Rechtsprinzipien, nämlich entweder der allgemeinen Gefahrtragungsregel »periculum est emptoris«1703 oder des auf der Grundlage der Quellen formulierten Prinzips über die Koppelung des Geschäftsrisikos mit dem commodum ex negotiatione verbunden gewesen. Beides verbot sich für Jhering von selbst, zumal es im Hinblick auf das zuletzt genannte Prinzip gerade erst Jhering gewesen war, der die auf Paulus zurückgehende Entscheidung in D. 18, 4, 21, dass der Erstkäufer keinen Anspruch auf den beim Zweitverkauf durch den Verkäufer »non ex re, sed propter negotiationem« erlangten Kauferlös habe, nur als einen Anwendungsfall eines viel allgemeineren Prinzips des römischen Rechts verstanden hatte, nämlich des Prinzips, dass der von einem Herausgabe- bzw. Leistungspflichtigen erlangte »Gewinn aus Geschäften mit dem geschuldeten Gegenstand […] ausnahmslos dem [gebühre], der das [sc. rechtliche] Risiko der Transaktion zu tragen gehabt habe«1704. Noch 1878 – fast vierzig Jahre später – sollte Jhering ausdrücklich hervorheben, dass er 1844 als erster der »bis dahin meines Wissens unangefochten herrschenden Ansicht« entgegengetreten sei, »daß […] der Eigenthümer von dem vorübergehenden gutgläubigen Besitzer der Sache den durch Verkauf derselben gemachten Gewinn herausfordern könne«, obwohl er doch allein durch den Verkauf rein rechtlich noch nichts verloren habe1705. Vor allem gegenüber Windscheid verteidigte Jhering 1878 die »von mir in meinen Abhandlungen […] [sc. im Jahre 1844] ausführlich erörterte l. 21 de her. vend. (18.4) von Paulus« als »in meinen Augen eine der meisterhaftesten juristischen Deductionen der ganzen Pandekten«, da sie »nicht eine durch Billigkeits- oder Zweckmäßigkeitsrücksichten beeinflußte Entscheidung eines einzelnen Falles

1701 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 81. Es heißt dort: »So wenig ich die Billigkeit der Entscheidung des Julian und African in Abrede stelle, so sehr muß ich derselben […] ihre technische Rechtfertigung absprechen. Sie ist vom juristischen Standpunkt aus betrachtet eine wahre Singularität.« 1702 Vgl. oben S. 319 Fn. 1602. 1703 Vgl. oben S. 334. 1704 U.Falk, Windscheid (1989), S. 60. 1705 Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 1, 3. Nach F.Mommsen, Erörterungen (1859), S. 2 Fn 4 handelte es sich bei der im Jahre 1844 veröffentlichten Habilitationsschrift Jherings noch im Jahre 1859 um »die einzige umfassende Abhandlung über die Lehre von dem commodum«, der sich seither die »neueren Schriftsteller […] im Allgemeinen angeschlossen [haben]; besonders gilt dies von Puchta und Arndts […].« Vgl. auch Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 1, 5f., 49 selbst zu diesem »Verdienst« seines Erstlingswerks von 1844 sowie dazu, dass die »Schriftsteller, welche später die Frage […] berührt haben, […] sich zum Theil mir« und nicht der »Savigny’sche[n] Ansicht« angeschlossen hätten.

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[…], sondern eine mit aller Schärfe und Bestimmtheit vorgetragene und consequent d u r c h g e f ü h r t e Theorie, ein Rechtsprinzip«, enthalte1706. Diese ebenso von Friedrich Mommsen konstatierte Durchführung »mit der größten Schärfe«1707 ließ keine Ausnahmen zu, auch nicht im besonders gelagerten Fall des zufälligen Untergangs einer vorher in doloser Absicht zweimal verkauften Sache. Die in anderen Digestenfragmenten vorhandenen »gesetzlichen« Ausnahmen konnte zwar auch Jhering nicht leugnen, wusste sie aber als mögliche Argumente gegen die allgemeine Gültigkeit des Prinzips »aus dem Wege [zu] räumen«1708. Im Ergebnis war es nach Jhering damit um der formalen Gleichheit willen hinzunehmen, dass – wie es Mommsen 1859 auf den Punkt brachte – selbst der betrügerische Verkäufer »ein duplum als Lohn seines Dolus davon trägt«1709. Dass eine solche – wie Mommsen schon 1853 kritisiert hatte – »rein logische« Consequenz »zu derjenigen Classe von Consequenzen [sc. gehört], welche dem Satze: summum jus summa injuria, eine gewisse […] Berechtigung geben«1710, wollte Jhering lange Zeit nicht wahrhaben1711. Allein schon der Vorwurf, der gewöhnlich »dem bekannten Satz: summum jus, summa injuria« zugrunde liege, wurde von Jhering relativiert als typischer Ausdruck eines auf gewandelten historischen Maßstäben beruhenden Urteils einer späteren Epoche über das geltende Recht einer früheren Epoche1712. Im konkreten Fall lag 1706 Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 49, 51. Diese Feststellung zu der im Doppelverkaufs-Fall entscheidenden Argumentation des Paulus scheint so gar nicht zu passen zu der plakativen und daher gern zitierten Abrechnung von Jhering, Besitzwille (1889), S. 274, 283 mit dem »blinden Feuereifer« des Paulus, des »wüsten Fanatikers im Construiren«, der – zuweilen »nicht recht bei Sinnen« – ein »Puchta des römischen Altertums« gewesen sei. Letzteren hatte Jhering schon 1858 einen »Fanatiker der Construction« genannt [Jhering, Mitwirkung II (1858), S. 274]. Die Kraftworte Jherings aus dem Jahre 1889 werden damit zwar nicht widerlegt, aber doch in ihrer bewussten Einseitigkeit relativiert. 1707 F.Mommsen, Erörterungen (1859), S. 109. Mommsen meinte das allerdings als eine Kritik am Digestenfragment, während Jhering – wie das vorstehende Zitat aus dem Jahre 1878 belegt – dieser Durchführung »mit aller Schärfe« auch später noch Bewunderung zollte. Vgl. dazu auch U.Falk, Windscheid (1989), S. 60, 64 Fn. 283. 1708 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 70; Ders., Bereicherungsklage (1878), S.55. Vgl. dazu U.Falk, Windscheid (1989), S. 59–61. Nur eine »wirkliche« bzw. »wahre Ausnahme unserer Regel« [Jhering, Abhandlungen (1844), S. 68f., 73, 85f.] hatte auch Jhering nicht »aus dem Wege räumen« können. 1709 F.Mommsen, Erörterungen (1859), S. 110. 1710 F.Mommsen, Beiträge (1853), S. 298 Fn. 16. 1711 Die schon oft in Jherings späteren Schriften konstatierte »Leidenschaftlichkeit eines Konvertiten« – so etwa O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 121 – mag wohl auch mit der bemerkenswerten Kompromisslosigkeit zu tun haben, mit der Jhering bis 1858 seinen »Prinzipienrigorismus« begründet und zu verwirklichen versucht hatte. 1712 Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 90. So habe ebenso wie das spätere römische Recht der klassischen Zeit auch schon das altrömische Recht danach gestrebt, »das seiner Natur nach Gleiche« gleich zu behandeln. »Das Urtheil, welches die spätere Zeit [sc. in der römischen Rechtsgeschichte] über letzteres fällte […], daß die Gleichheitstendenz des

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nach Jhering nicht einmal dies vor, sah er doch gerade in der »Consequenz« die wesentliche Garantie gegen eine willkürliche und damit ungerechte Anwendung der Rechtsprinzipien. Während für Mommsen Jherings Lösung im Doppelverkaufs-Fall lediglich zeigte, »wie viel Bestechendes die strenge Consequenz hat, selbst wenn sie zu den unrichtigsten Resultaten führt«, zu einem Resultat nämlich, das nach Mommsen »mit den Anforderungen der Gerechtigkeit im entschiedensten Widerspruch«1713 stand, sah Jhering allein das hier mit einem Billigkeitsgefühl gleichgesetzte »bloße Rechtsgefühl«1714 tangiert, nicht aber die bei der Rechtsanwendung zu sichernde – formal verstandene – Gerechtigkeit. Eine Bemerkung wie diejenige von Windscheid über das »von der Gerechtigkeit (Billigkeit) Geforderte«1715 wird man bei Jhering in den 1840er und 1850er Jahren daher auch vergeblich suchen. Für Jhering waren die im Pandektenrecht vorhandenen Beispiele von »durch das Billigkeitsgefühl der römischen Juristen hervorgerufene[n] juristische[n] Anomalie[n]« lediglich Ausdruck inkonsequenter »Nachgiebigkeit«1716, die »eher eine Anklage, als eine Rechtfertigung der röm.[ischen] Jurisprudenz enthält.«1717 Es ist geradezu eine Ironie des Schicksals, dass Jhering ausgerechnet diesen bereits in seiner Habilitationsschrift mit einem unguten Gefühl entschiedenen Doppelverkaufs-Fall, welchen Friedrich Mommsen noch im Jahre 1859 zur allgemeinen »Beruhigung der Richter« als einen eher theoretischen bezeichnet

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ältern Rechts in Wirklichkeit die äußerste Ungleichheit zur Folge gehabt habe«, sei daher nur ein Beleg dafür, dass bei der Bestimmung des »seiner Natur nach Gleichen« regelmäßig »Wage und Gewicht der verschiedenen Zeiten so außerordentlich differiren« (aaO, S. 89f.). Erst in seinen späteren Schriften konnte Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 412 dem antiken Sinnspruch »summum jus summa injuria« als Kritik an einer rein formalen »Gleichheit vor dem Gesetz« unter dem »socialökonomischen Gesichtspunkt« [vgl. Jhering, Reich und arm im römischen Civilprozeß (1880), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 188, 190f., 195f., 209ff.] mehr abgewinnen, nämlich ein jede Rechtsordnung unmittelbar berührendes Gerechtigkeitsproblem. Letzteres hatte Puchta allerdings auch schon vierzig Jahre zuvor gesehen [C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 580f.]. F.Mommsen, Erörterungen (1859), S. 110 mit Anm. 6). Vgl. zu diesem Begriff oben S. 243 Fn. 1175. B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 46, S. 98. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 79. Jhering, Habilitation (1843), S. 96 Anm.*. Die 1844 veröffentlichte Fassung von Jherings Habilitationsschrift ist insoweit gekürzt und enthält in Abhandlungen (1844), S. 79 Fn. 1 nur noch den Hinweis auf W.Sell, der wie später Windscheid [vgl. zu ihm U.Falk, Windscheid (1989), S. 64f.] eine nach Jherings Ansicht nur auf Billigkeitserwägungen der römischen Juristen beruhende »juristische Anomalie« ihrerseits auf ein Prinzip zurückzuführen suchte, nämlich auf das rechtsethische Prinzip: »Niemand darf sich mit dem Schaden eines Andern bereichern.« Im handschriftlich abgefaßten Original seiner Habilitationsschrift (aaO, S. 96 Anm.*) findet sich noch der Zusatz Jherings: »[…] – ein Prinzip, dessen Aufstellung eher eine Anklage, als eine Rechtfertigung der röm.[ischen] Jurisprudenz enthält.«

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hatte1718, eben zu dieser Zeit im Rahmen seiner Tätigkeit in der Gießener Spruchfakultät erneut und dieses Mal aufgrund eines ganz realen Rechtsfalles beurteilen sollte1719. Das von Paulus »mit aller Schärfe und Bestimmtheit vorgetragene und consequent d u r c h g e f ü h r t e […] Rechtsprinzip«1720 über das commodum in Fällen des dolosen Doppelverkaufs mit Berufung auf das Rechtsgefühl zu durchbrechen bzw. durch eine von der bona fides geleitete Auslegung zu mildern und dem Erstkäufer einen Anspruch gegen den Verkäufer auf den durch den Zweitverkauf erlangten Kaufpreis einzuräumen1721, erschien Jhering allerdings schon wegen der eindeutigen Worte der Quellen jetzt nicht weniger ausgeschlossen als in seiner Habilitationsschrift von 18431722. Dass er nach »Wochen langen Nachdenkens«1723 in diesem Fall schließlich doch zu einem anderen Endergebnis kam als 1843/44, wurde überhaupt erst möglich durch seine Berichtigung eines exegtischen »Irrthum[s] […], der, so lange er anhielt, den Weg zum Richtigen völlig versperrte«. Jhering war nämlich bisher 1718 F.Mommsen, Erörterungen (1859), S. 110 verwies insoweit auch auf die regelmäßig anzunehmenden Schwierigkeiten des dolosen Verkäufers, zu beweisen, dass »die Sache auch ohne die Veräußerung untergegangen sein würde – ein Beweis, der, wenn man es strenge damit nimmt, nicht leicht geführt werden kann.« Vgl. dagegen aber Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 298f. 1719 Vgl. jetzt I.Kroppenberg, Plastik (2015), S. 22–34 zu diesem Ende 1858 von Jhering zu entscheidenden »Schiffspartenfall«, nicht wie gemeinhin angenommen »Kohlefall« (aaO, S. 21 Fn. 60), über eine vom Verkäufer zunächst in gutem Glauben zweimal veräußerte und anschließend bei ihm aus nicht zu vertretenden Gründen untergegangene Ladung mit Schiffsparten. Ferner dazu auch schon H.Kantorowicz, Iherings Bekehrung (1914), Sp. 85ff.; H.Lange, Wandlungen (1927), S. 69ff., 103f.; G.Radbruch, Nachlaß (1952), S. 25f. und eingehend U.Falk, Windscheid (1989), S. 52–75; Ders., Jurist (1993), S. 610f.; O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 72ff.; Ders., Jhering (1987), S. 253ff.; M.Kunze, Lebensbild (1992), S. 16f.; Ders., Forschungsbericht (1995), S. 139ff.; C.Jäde, Pandektenvorlesung (2008), S. 26f. und R.Seinecke, Methode (22012), S. 143–148. Jherings Gutachten für die Spruchfakultät war am »31. [sc. Dezember 1858] Abends fertig geworden« [vgl. Jherings Brief vom 6. Januar 1859 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 104, S. 306]. Das erhaltene Manuskript trägt am Ende Jherings Unterschrift sowie das Datum »Gießen 1[.] Jan[uar] 1859« [Kasten 8:10 (Bl. 25r) in der Handschriftenabteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen]. Es wurde jetzt durch I.Kroppenberg, Plastik (2015), S. 60–87 ediert. 1720 Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 51. 1721 So wies F.Mommsen, Erörterungen (1859), S. 111 darauf hin, dass eine entsprechende »Ausnahme […] in der L.21.D. de hered. vend. (18.4) ausdrücklich hervorgehoben« werde, wenn nämlich der Zweitverkauf »als negotiorum gestio für den Gläubiger angesehen werden kann«, wobei »die römischen Juristen nicht gar zu ängstlich bei der Annahme einer negotiorum gestio waren.« Für Jhering, Abhandlungen (1844), S. 80 schied es hingegen von vorneherein aus, dass nur »der Billigkeit zu Liebe die Gränzen der actio negotiorum gestorum überschritten« werden. Vgl. dazu auch O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 74 Fn. 21 sowie U.Falk, Windscheid (1989), S. 62f. 1722 Vgl. schon oben S. 340 Fn. 1707. 1723 So Jhering in seinem Brief vom 6. Januar 1859 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 104, S. 307.

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davon ausgegangen, dass »Paulus in der berühmten l.21 de hered. vend. (18.4) unsere Frage, ob der Verkäufer von jedem der mehreren Käufer den Kaufpreis fordern könne, b e j a h e , während dies in der That keineswegs der Fall ist«1724. Solchermaßen zumindest von »positiven Aeußerungen des römischen Rechts verlassen« war in Jherings Augen überhaupt erst der Weg frei, »die Frage [sc. nach dem Bestehen von Kaufpreisansprüchen des Verkäufers] nach allgemeinen Prinzipien zu beantworten«1725. Zunächst schien Jhering allerdings auch ohne die ausdrückliche gesetzliche Regelung – die sogenannte »äußere« »Beglaubigung durch die Quellen«1726 – eine Versagung der Kaufpreisansprüche »kaum zu vermeiden«1727 bzw. wiederum nur möglich um den Preis einer durch schlichte Nachgiebigkeit motivierten »Durchlöcherung« des geltenden Rechtsprinzips. Die scheinbare Unvereinbarkeit einer formal gleichen Anwendung der Gefahrtragungsregel in allen denkbaren Fallkonstellationen des zufälligen Untergangs einerseits und einer angemessenen auch das Rechtsgefühl befriedigenden Lösung besonders gelagerter Fallkonstellationen wie der vorliegenden andererseits hat – wie Jhering selbst berichtet – »mich wahrhaft gepeinigt und zur Verzweiflung gebracht, bis mir denn noch in der 11ten Stunde ein Licht aufgegangen ist, und wie ich glaube kein Talglicht, sondern ein Stearinlicht, das ich wagen darf auch in den Jahrb[üchern] leuchten zu lassen.«1728

Gefunden hatte er dasselbe nicht etwa im »gesunde[n] Rechtsgefühl«, auch wenn dieses »uns zu unserer Ansicht den ersten Anstoß gegeben hat«1729, sondern im 1724 Vgl. Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 295f. sowie direkt dazu U.Falk, Windscheid (1989), S. 54, 57f., 67. Erst bei dem Studium der »Entscheidungsgründe des Urtheils zweiter Instanz« in dem ihm 1858 als Mitglied der Spruchfakultät vorgelegten Rechtsfall entdeckte Jhering, dass es anders als beim Prinzip über das commodum für die Anwendung des Prinzips der Gefahrtragung »periculum est emptoris« an einem ausdrücklichen Wort des Paulus über die Kaufpreisansprüche des Verkäufers fehlte. 1725 Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 296. 1726 Vgl. Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 48. 1727 Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 296. 1728 So Jhering in seinem Brief vom 6. Januar 1859 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 104, S. 307. Als Frucht seines Gutachtens erschien die von Jhering hier angekündigte Abhandlung bekanntermaßen noch im selben Jahr in den zunächst mit Gerber herausgegebenen »Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts«. Mit ihr hoffte Jhering in deutlicher Anspielung auf die Kritik Mommsens, »eine vermeintliche Monstrosität des röm[ischen] Rechts (mit der man mir gegenüber bereits die große Unbilligkeit, Rücksichtslosigkeit u.s.w. der röm[ischen] Jurispr[udenz] hat beweisen wollen)« widerlegt zu haben [undatierter Brief an Gerber (nach Pfingsten 1859), abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 115, S. 338]. Die Übersicht bei B.Windscheid, Pandekten II (91906), § 390, S. 666 Fn. 17 zeigt, dass der DoppelverkaufsFall durch Jherings Gutachten in den folgenden Jahren zu einem häufig und kontrovers diskutierten Gegenstand wurde. 1729 Vgl. das von M.Kunze, Lebensbild (1992), S. 26 Anm. 71 mitgeteilte Zitat aus Jherings

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Sinn und Zweck der einschlägigen allgemeinen Gefahrtragungsregel, deren Anwendungsbereich Jhering im Wege der »sog. restrictiven Interpretation« nun beschränkt sehen wollte auf die Fälle, wo in der Zeit zwischen Vertragsschluss und Vertragserfüllung »der Verkäufer durch den Untergang der Sache S c h a d e n erlitten hat«1730. Im Ergebnis konnte der Doppelverkäufer damit nur wahlweise einen Kaufpreisanspruch gegen einen der beiden Käufer geltend machen. Damit war zumindest eine Lösung gefunden, die Jhering inhaltlich mit dem Rechtsgefühl vereinbar erschien, ohne ein geltendes Prinzip des Rechts willkürlich in Frage zu stellen1731. Die weitergehende Lösung, dass zumindest in den Fällen des dolosen Doppelverkaufs »der Verkäufer seiner Ansprüche gegen a l l e Käufer verlustig ginge«, hielt Jhering dagegen auch weiterhin für allenfalls rechtspolitisch wünschenswert, aber de lege lata auf »dem Wege der bloßen Deduction« für rechtlich nicht begründbar1732.

Gutachten für die Gießener Spruchfakultät. Ähnlich auch in einem zweiten Fall Jhering, Kaufcontract II (1861), S. 427. Nicht ganz richtig ist daher die Darstellung von W.Fikentscher/U.Himmelmann, Iherings Einfluß (1995), S. 101, wonach Jhering aufgrund des Nachweises der Unbilligkeit des Prinzips der Gefahrtragung in einer Reihe von Fällen Ausnahmen postuliere. Hätte sich Jhering allein von der Frage der Billigkeit leiten lassen, wäre wohl auch er zumindest in den Fällen des arglistigen Doppelverkaufs zu der weitergehenden Lösung Windscheids gelangt. Auch sah Jhering in der teleologischen Beschränkung des Prinzips eben gerade nicht die von ihm weiterhin kritisch beurteilte »Ausnahme« aus »Billigkeits- oder Zweckmäßigkeitsrücksichten«. 1730 Vgl. Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 320, 307f., 323, 325. Eingehender zu Jherings rechtsdogmatischer Erklärung O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 73f.; ders., Jhering (1987), S. 254 und U.Falk, Windscheid (1989), S. 70f. 1731 Vgl. Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 316, 318. 1732 Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 317. Im Gegensatz zu dieser Auffassung Jherings hatte Windscheid mit Berufung auf die den Kaufvertrag beherrschende bona fides dem arglistigen Doppelverkäufer sogar jeglichen Kaufpreisanspruch versagen wollen [B.Windscheid, Pandekten II/2 (11866), § 390, S. 86f. mit Fn. 16f. sowie dazu U.Falk, Windscheid (1989), S. 68, 72]. Und seit der zweiten Auflage seines Pandektenlehrbuchs von 1869 sollte ebenfalls im Hinblick auf die bona fides dasselbe sogar dann gelten, wenn der Doppelverkäufer nicht arglistig gehandelt hatte, sondern »etwa in der berechtigten Erwartung, der erste Käufer werde ihn loslassen, oder in der irrigen Annahme, der erste Kaufvertrag sei nichtig« [B.Windscheid, Pandekten II (21869), § 390, S. 422 Fn. 17 a.E.]. Das immerhin auch von Jhering jetzt angeführte »Wesen der bona fidei« und der »Charakter des Kaufcontracts«, welcher im Lichte des »von den römischen Juristen sonst so sorgsam gehüteten Gegenseitigkeitsverhältniß[es]« gesehen werden müsse, mußten nach Jhering dagegen auf den Rahmen einer »restrictiven Interpretation« der positiven Gefahrtragungsregel beschränkt bleiben [Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 318, 320–322].

Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

dd)

345

Jherings Neubestimmung der Funktion des »Rechtsgefühls« gegenüber der Konsequenz des Rechts

Das Neue, wodurch Jhering nach eigenem späteren Bekenntnis mit dem Doppelverkaufs-Fall »den ersten öffentlichen Schritt in die neue Bahn« tat1733, war nicht überhaupt die Frage nach dem Sinn und Zweck einer Rechtsregel1734, nicht die grundsätzliche Einsicht in die geschichtliche Bedingtheit aller Rechtsinhalte durch sich ändernde gesellschaftliche Zwecke1735, auch nicht die theoretische »Unterscheidung zwischen geltungstragendem Begriff und wertendem Rechtsgefühl«1736 und nicht einmal die ausdrückliche Frage nach den Folgen einer formal konsequenten Deduktion für das »Leben« bzw. die »Interessen« der 1733 Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 339 Fn. 1. 1734 So zu Recht U.Diederichsen, Jhering (1993/1996), S. 184 und im Zusammenhang mit Jherings Theorie der Gesetzesauslegung A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 196f., 200 Fn. 64. Im Rahmen eines Überblicks zur Geschichte der juristischen Hermeneutik weist J.Edelmann, Entwicklung (1967), S. 15ff. m. w. N. bereits im 18. Jahrhundert eine fortgeschrittene Systematik der teleologischen Auslegung nach. Vgl. jetzt auch J.Schröder, Recht (22012), S. 236f. zur Gesetzesinterpretation sowie im übrigen Jherings eigene noch aus der Studentenzeit stammende Überlegungen zur Bestimmung des Gesetzesgrundes in Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 2r/v (vgl. oben Teil 1, S. 212f. Fn. 998), ferner Jhering, Reivindicatio (1857), S. 58f., 104; Ders., Mitwirkung I (1857), S. 157f., 162, 164; Ders., Geist II/2 (11858), § 45, S. 501, 531. Als geradezu zweckwidrig hatte Jhering, Sell-Rezension (1847), S. 62–64 das »seltsame Recht auf Hoffnung« bei W.Sell verworfen, lange bevor er es 1861 in seinen »Vertraulichen Briefen« bei Sell und Puchta persiflierte [wieder abgedruckt in Scherz und Ernst (1884), S. 17]. Vgl. ferner auch Jhering, Sell-Rezension (1847), S. 69, 79f. und – worauf in diesem Zusammenhang bereits R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 227 Fn. 123 hingewiesen hat – Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40. Jherings Brief vom 21. Dezember 1853, abgedruckt in: Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 12, S. 36 über den »Zweck« der »juristischen[n] Person« im römischen Recht wurde schon von W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 184 Fn. 321 als Beleg für das »Zweckdenken« des jungen Jhering angeführt. Auch deswegen kritisiert O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 62 mit Fn. 6 zu Recht, dass Fikentschers eigene »Unterscheidung zwischen konstruktions- und zweckmethodischer Phase bei Jhering […] nicht den springenden Punkt« des Wandels seiner Auffassungen treffe. Vgl. auch O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 156. 1735 Anders aber beispielsweise K.Riebschläger, Freirechtsbewegung (1968), S. 30 und D.Grimm, Recht (1969), S. 506. 1736 So aber O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 95 et passim. Gedanklich unterschieden zwischen geltendem Rechtsbegriff und wertendem Rechtsgefühl hat Jhering auch schon vor 1859. Immerhin berichtet Jhering selbst, dass er den Doppelverkaufs-Fall »früher in meinen Abh[andlungen]« aus dem Jahre 1844 nur mit einem unguten Gefühl anders entschieden habe, da sich schon damals »mein natürliches Rechtsgefühl dagegen« auflehnte [Losano-Briefe I /1984, Nr. 104 (Jherings Brief vom 6. Januar 1859 an Gerber), S. 306]. Nur sah sich Jhering damals noch außerstande, aus seinem Rechtsgefühl auch praktische Folgerungen für die rechtliche Entscheidung zu ziehen. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Jhering, Mitwirkung I (1857), S. 128 Fn. 7 zu einem »Resultat, das jedem Rechtsgefühl Hohn spricht, und das doch derjenige, der sich hier streng ans römische Recht halten will, schwerlich wird abwenden können.«

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Betroffenen1737. Neu war vielmehr, dass Fragen nach der aufgrund von Sinn und Zweck einer Rechtsregel zu beurteilenden Angemessenheit bzw. – wie Jhering es später in Worte fassen wird – »Richtigkeit« einer rechtlichen Entscheidung im Unterschied zur ihrer bloß theoretischen »Wahrheit«1738 zu einer entscheidungserheblichen (Gegen-) »Probe«1739 für die juristische Konsequenz bei der Ableitung einer Rechtsregel bzw. bei deren Anwendung wurden. Die rechtswissenschaftliche Deduktion wurde – wie es Michael Kunze treffend ausge-

1737 Vgl. etwa Jhering, Abhandlungen (1844), S. 160f., 166, 176; Ders., Sell-Rezension (1847), S. 79f.; Ders., Reivindicatio (1857), S. 116ff.; Ders., Mitwirkung I (1857), S. 185f., ferner Ders., Mitwirkung II (1858), S. 260f., 282 als Belege aus der Zeit zwischen 1844 und 1858 für eine an den Absichten und Interessen der Parteien orientierte Argumentation Jherings. Im Hinblick auf die formale Konsequenz fand der junge Jhering durch die Betrachtung der tatsächlichen Rechtsfolgen allerdings in der Regel nur bestätigt, dass sie in keinem Gegensatz zu der »praktische[n] Brauchbarkeit« stände [vgl. etwa Jhering, Reivindicatio (1857), S. 118] oder aber zumindest umgekehrt ein Absehen von der Konsequenz zugunsten der »Milde (›aequum esse‹ u.s.w.)« mitnichten automatisch für die Interessen der im konkreten Rechtsfall Betroffenen günstiger sei [vgl. etwa Jhering, Abhandlungen (1844), S. 13, 72]. Typisch für diese frühe Phase war beispielsweise seine Argumentation bei der juristischen Qualifikation von Inhaberpapieren. Jherings damals umstrittene Auffassung, dass eine Forderung immer »erst im Moment der Präsentation« des Papiers entstehe, verband er regelmäßig mit der Bemerkung, dass seine Konstruktion auch den praktischen Interessen nicht widerspreche. Denn ein praktisches »Interesse, schon vorher eine Obl[igation] anzunehmen, existirt nicht; so wie es existirt, kann auch die Obl[igation] begründet werden« [so Jhering in einem Brief vom 25. November 1855 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 51, S. 175 sowie Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 49f. Fn. 20 (= Ges. Aufs. I, S. 43 Fn. 21)]. Im Hinblick auf Jherings Ausführungen über das Konnossement in Reivindicatio (1857) hat bereits W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 168 erklärt, dass Jhering »hier wie ein Anhänger der ›Interessenjurisprudenz‹« vorginge. Auch der Grund für Jherings Überzeugung von der Notwendigkeit des Schuldmomentes zur Begründung eines Schadensersatzanspruches – später Anknüpfungspunkt seiner gleichnamigen Untersuchung zum »Schuldmoment im römischen Privatrecht« (1867) – war ursprünglich eine bereits vom jungen Jhering angestellte Folgenbetrachtung gewesen. Die gegenteilige Auffassung, »nämlich daß der Kausalnexus ausreiche«, hatte Jhering schon früh als einen »Irrtum« erkannt, »den das römische Recht zwar nicht ausdrücklich ausschließt, der aber zu den absurdesten Konsequenzen führt« [so Jhering in einem Brief vom 2. Januar 1855 an Gerber, wieder abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 39a, S. 134 sowie Jhering, Schuldmoment (1867), S. 217f.]. 1738 Vgl. nur Jhering, Zweck I (11877), S. 428ff.; Ders., Zweck II (11883), S. 119. Dazu K.Engisch, Wahrheit (1963), S. 264f., der Jhering als den ersten bezeichnet, der in der rechtsphilosophischen Literatur »das ›Richtige‹ […] als Maßstab des Praktischen, des Handelns« von der Wahrheitserkenntnis begrifflich unterschieden habe. 1739 So sprach Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 366f. davon, dass »das a b s t r a k t e Denken durch das k a s u i s t i s c h e « kontrolliert würde, indem man es sich zum Prinzip mache, »bei allen Rechtssätzen, Begriffen […] ihre Anwendung an einem konkreten Fall zu veranschaulichen und sie daran die Probe bestehen zu lassen«. Vgl. aber auch die folgende Fußnote.

Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

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drückt hat – mit Hilfe des Rechtsgefühls falsifizierbar1740. Das individualisierende Rechtsgefühl wurde so zu einer rechtserheblichen Kontrollinstanz für jede Rechtsentscheidung1741. Zwar widerrief Jhering damit nicht den für das Recht geltenden Grundsatz der formalen »Gerechtigkeit d. h. […] Gleichmäßigkeit«1742. Selbst dem Gesetzgeber hat Jhering noch in seiner Spätzeit geraten, sich im Interesse der »Aufrechterhaltung der Einfachheit und Consequenz im Recht« jedes Mal »ein Abgehen von der Consequenz des Rechts […] reiflich [zu] überlegen« und »ohne Noth keine Singularitäten und Abnormitäten« einzuführen1743. Eine unreflektierte Gefühlsjurisprudenz bei der Rechtsanwendung erschien Jhering ohnehin immer zutiefst ungerecht1744. Aber Jhering relativierte jetzt seine bisherige Gleichsetzung von »Gerechtigkeit« und »Gleichmäßigkeit« der Rechtsanwendung. Damit korrigierte er – das ist der Kern seines durch den Doppelverkaufs-Fall ausgelösten Krisenerlebnisses – sein eigenes Gerechtigkeitsverständnis im Hinblick auf das Recht. War ihm das sich gegen die Konsequenz der Rechtsregel richtende »einfache Rechtsgefühl« bisher nur als Gegenbegriff zur »wahren d.i. sich selbst gleich bleibenden Gerechtigkeit«1745 bzw. als Synonym für eine inkonsequente 1740 M.Kunze, Lebensbild (1992), S. 17; Ders., Forschungsbericht (1995), S. 141. Vgl. auch Jhering, Späte Notizen (Nachlass), Mappe i, Bl. 1r (»Ein Stück aus Collegienheften – ganz allgemein«). Dort heißt es in einer offenbar für einen Vortrag bestimmten stichwortartigen Gliederung zur »Lage des modernen Theoretikers« im Hinblick auf die Frage nach der Bedeutung der »Logik des Rechts«: »4. Ermäßig[un]g [sc. der Logik des Rechts] a. durch praktisches Bedürfniß«, was auch schon für den frühen Jhering selbstverständlich war, zusätzlich aber auch »b. durch die Idee der Billigk[ei]t – letzteres allein hier zu betrachten«. Wenn Jhering in seiner Frühzeit nur ersteres bejaht hatte, letzteres dagegen nicht [so ausdrücklich Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 17r], so liegt darin entgegen C.Helfer, Jhering (1968), S. 560 noch kein Widerspruch, denn tatsächlich handelt es sich hier um zwei unterschiedliche Gesichtspunkte. 1741 O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 84; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 154; A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 289. 1742 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 31. Vgl. nur bei Jhering, Zweck I (11877), S. 354 [= Ders., Zweck I (21884), S. 367 (Textänderung in Kursivdruck)] die Gegenüberstellung der in erster Linie vom Richter zu beobachtenden »f o r m a l e [ n ] « und der dem Gesetzgeber obliegenden »m a t e r i e l l e [ n ] Gerechtigkeit«. Erstere bezeichne »die ä u s s e r e Gleichheit, d. h. die G l e i c h m ä s s i g k e i t in der Anwendung des Gesetzes auf den einzelnen Fall [der einmal aufgestellten Norm auf alle Fälle].« 1743 Jhering, Rechtsschutz (1885), S. 403. 1744 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 22. Auch in der 1874 umgearbeiteten Fassung von § 24 in Geist II/1 sah Jhering weiterhin den Begriff des »bloßen [sic!] Rechtsgefühls« als Ausdruck der von ihm zeitlebens abgelehnten Gefühlsjurisprudenz, nämlich als »Einfluß des subjectiven Meinens und Fühlens, der subjectiven Innerlichkeit […], welche der bequemste Schlupfwinkel der Partheilichkeit ist« [Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 22]. In diesem Sinne auch zum Beispiel Jhering, Gotthardbahn-Gutachten (1884), S. 4; Ders., Zweck I (11877), S. 404ff., 425; Ders., Zweck I (21884), S. 434. Vgl. dazu auch O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 253f. 1745 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 46.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

»Charakterschwäche« erschienen, hinter der »sich der Abgrund der Willkühr und Selbstvernichtung öffnet«1746, so erlebte Jhering durch den DoppelverkaufsFall sozusagen am eigenen Leibe, dass das eigene Gerechtigkeitsgefühl unter Umständen auch ein legitimer Anlass sein könne, ein aufgrund formaler Konsequenz gefundenes Ergebnis zu überdenken. Hatte Jhering bisher das durch das Recht zu verfolgende »Ziel der Gerechtigkeit« zum »größten Theil« schon in der »Ständigkeit, Selbständigkeit des Rechts« verkörpert gesehen1747, welches zum »rein Zw e c k m ä ß i g e [ n ] […] nicht die entfernteste Beziehung hat«1748, so empfahl er in den auf den Doppelverkaufs-Fall folgenden Jahren dem Richter dort, »wo ein Anhaltspunkt im vorhandenen Recht sich finden läßt, aus der Consequenz«, im Übrigen aber »aus der Idee der Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit« zu entscheiden1749. Die Bedeutungsverschiebung, die der Ausdruck »Gerechtigkeit« hier erfahren hat, ist offenkundig. »Gerechtigkeit« im und durch das Recht, das war für Jhering nun nicht mehr nur die Absicherung der »Gleichmäßigkeit« der Rechtsanwendung gegenüber der ständigen Vorliebe eines »ungebildeten Rechtsgefühl[s]«1750 für den reinen »Zufall der bloß individuellen Gerechtigkeit1751. Vielmehr erblickte Jhering nun auch über dem jetzt nur noch »bloß Formalen der juristischen Logik […] als Höheres und Höchstes die substantielle Idee der Gerechtigkeit und Sittlichkeit«1752. 1746 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 22f. 1747 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 30f. mit Fn. 17. »Seitdem das Recht in sich selbst den [sc. kulturhistorischen] Prozeß der Ueberwindung des bloßen Gefühlsstandpunktes« zugunsten der formalen Gleichheit der Regel »durchgemacht hat«, hatte nach Jherings damaliger Ansicht die »Gerechtigkeit […] zum größten Theil schon in der Construktion unseres Rechts« selbst gelegen (aaO, S. 30f.). 1748 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 34. 1749 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 89. Jhering sprach in seinen Spätschriften nun auch ganz unbefangen in einem Atemzug von »den Grundsätzen der Gerechtigkeit, Billigkeit« [Jhering, Rechtsschutz (1885), S. 402], nachdem er bisher beide Ausdrücke immer peinlich genau auseinandergehalten und in der Billigkeit »eher eine Anklage, als eine Rechtfertigung der röm.[ischen] Jurisprudenz« gesehen hatte [JHERING, Habilitation (1843), S. 96 Anm.*]. 1750 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 23. 1751 Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 31 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 1752 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345 Fn. 506a (Kursivhervorhebung nicht im Original). Jhering gestand nun selbstkritisch seine bisherige »Ueberschätzung der logischen Seite des Rechts« ein (aaO). Einen unmißverständlichen Ausdruck findet Jherings verändertes Rechts- und Gerechtigkeitsverständnis auch in folgenden im Nachlass Jherings überlieferten Notizen: »Das Recht ist nicht bloß Sache des Wissens, sondern vor allem d[e]s Gefühls, des Sinns für Gerechtigkeit. Die Wissenschaft aber läuft stets Gefahr, das letztere Moment zu unterschätzen, […] sich dem Reiz der logischen Deduction hinzugeben […]. Sie spinnt sich immer mehr in ihr logisches Netz ein […] ihr Ziel, ihr Triumpf ist die Folgerichtigkeit des Denkens, sie ist stet[i]g darauf aus[,] […] durch eine rein dialektische Conseq[uen]z das Recht weiter zu bilden. Das ist die große Gefahr des rein formalen

Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

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Diese Idee der Gerechtigkeit war neu in Jherings Rechtsdenken. Nach seiner bisherigen Auffassung war die Jurisprudenz allein schon »durch Vervollkommnung der Technik des Rechts für das Höchste und Größte thätig« gewesen, da mit Blick auf die angestrebte Rechtsanwendungsgleichheit »die [juristische] Technik mittelbar die höchste ethische [sic!] Bedeutung« habe1753. Die von Jhering jetzt ins Spiel gebrachte »substantielle Gerechtigkeit« ging dagegen offensichtlich über die von ihm bisher herausgestellte »Gerechtigkeit« hinaus, die »zum größten Theil« schon in der formalen »Construktion unseres Rechts« liegen sollte1754. Sie bildete auch den Ausgangspunkt dafür, dass Jhering sich in seiner rechtstheoretischen Untersuchung der subjektiven Rechte in den sechziger Jahren – anders als ursprünglich geplant1755 – nun vornehmlich dem Denkens, die Idee der Mathematik in Anwendung auf Gebiete, die ihr fremd sind. […] Es kommt d[a]r[au]f an, die Jurisprudenz in ihre rechten Schranken zurückzuweisen, ihr die einfachen ethischen Wahrheit[en], aus denen jedes R.[echt] hervorgegangen ist, in die Erinnerung zurückzurufen. Gewisse Wahrheiten können nicht d[urch] d[en] Verst[an]d allein erkannt w[er]d[en], so[ndern] nur durch das Gefühl, durch den Willen des ganzen Menschen. Das Gefühl für Gerechtigkeit stumpft sich ab, je weniger es geübt w[ird], ähnlich wie das Gottesbewußtsein durch ein Gott entfremdetes Leben. Der Verstand sieht nicht mehr, wenn das Herz nicht mehr mit empfindet. Wo es Dinge des Gemüths, Gefühls des Herzens gibt, da kann der Verstand nur sehen, wenn das Gemüth etc. selber in ihm lebendig ist« [Jhering, Späte Notizen (Nachlass), Bl. 11r (eine Unterstreichung in der Handschrift ist hier durch Kursivhervorhebung kenntlich gemacht)]. 1753 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 339. 1754 Vgl. Jhering, Geist II/1 (11854), § 25, S. 30f. 1755 Die in Geist III/1 (11865), §§ 59–61 von Jhering begonnene, aber nicht mehr vollendete »Allgemeine Theorie der Rechte« leitet den »Zweiten Abschnitt« seiner in Geist II/1 (11854), §§ 22ff. begonnenen Ausführungen über das »spezifisch römische Rechtssystem« der vorklassischen Zeit ein. Jhering hat nach eigener Mitteilung in den §§ 59–61 im »vierten Band meines Geistes des römischen Rechts (1865) […] zuerst gegen den ›Kultus des Logischen‹, und die ›Schuldialektik‹ öffentlich die Lanze eingelegt (§ 59), nachdem ich dies bereits ohne Nennung meines Namens in den […] Vertraulichen Briefen über die heutige Jurisprudenz (1861 u.f.) getan hatte« [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 339; Ders., Besitzwille (1889), S. X]. Die von Jhering genannten »Vertraulichen Briefe« waren allerdings weniger Ausdruck des von Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 338 später selbst so bezeichneten »Umschwung[s]« gewesen, als das Ergebnis einer schon sehr viel länger geplanten »satyrische[n] Rundschau« über Fehlentwicklungen in der zeitgenössischen Jurisprudenz [vgl. Jherings Brief vom 8. Mai 1854 an Gerber), abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 34, S. 107f.]. Der »Umschwung«, dessentwegen Jhering schließlich »die ganze Anordnung des noch fehlenden Stücks des […] Bandes« über den »Geist des römischen Rechts«, nämlich die §§ 59ff. über die »Allgemeine Theorie der Rechte«, nach eigenem Bekunden »über den Haufen geworfen« hat [Ehrenberg-Briefe, Nr. 49 (nicht näher datierter Brief Jherings an Windscheid von 1864), S. 160], läßt sich anhand von Jherings Briefen ziemlich genau auf den Winter 1862/63 datieren [vgl. Losano-Briefe I /1984, Nr. 212, 220, 233 (Jherings Briefe an Gerber vom 1. April und 30. Dezember 1863 sowie vom 2. Juli 1865), S. 530f., 553, 573; Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 50, 54 (Jherings Briefe an Windscheid aus dem März 1864 sowie vom 18. April 1865), S. 165f., 176f.]. Manuskripte, denen noch die ursprünglich geplante Konzeption der Theorie der subjektiven Rechte zugrunde lag, sind im Nachlass Jherings überliefert [vgl. »9.) Manuskript

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

»substantielle[n] Moment des Rechts«, nämlich dem mit Inhalten des Rechts verfolgten »Nutzen, Gut, Werth, Interesse«1756 zuwandte, ohne damit allerdings »eine hohe ethische Bedeutung«1757 der Technik des Rechts im Hinblick auf die

und Gliederungsentwurf »Allgemeine Theorie der Rechte. […]« im Nachweis der unveröffentlichten Schriften Jherings am Ende dieser Untersuchung]. 1756 Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 307. Jhering selbst hat das »substantielle Moment« des geltenden Rechts in einem Zusammenhang gesehen mit der Rechtsphilosophie »auf philosophisch-anthropologischer Grundlage« von Heinrich Ahrens, der unter anderem auch auf das Prinzip des Nutzens bei Jeremy Bentham Bezug genommen hatte [P.Landau, Das substantielle Moment (2003), S. 250–252]. Die Idee der »substantiellen Gerechtigkeit« weist aber noch weit darüber hinaus. So hat sich Jhering, Zweck I (11877), S. 234f. später über den eigentlichen rechtstheoretischen Kontext hinausgreifend unmittelbar mit der »Idee der Gerechtigkeit« im nunmehr substantiellen Sinn eines inhaltlichen »Gleichmaass[es]« bzw. »Aequivalents« etwa von vertraglich vereinbarter Leistung und Gegenleistung, aber auch von Straftat und Strafe beschäftigt. Die in dem Sinne materieller Ausgewogenheit verstandene »G e r e c h t i g k e i t […] steht über der F r e i h e i t «, erklärte Jhering, Zweck I (11877), S. 148 nun. Offenbar mit sich selbst uneins war sich Jhering aber darüber, wie »die Verwirklichung der Idee der Gerechtigkeit auf ökonomischen Gebiet« im Verkehrsleben erfolgen und welche Aufgabe dabei vor allem auch dem Vertragsrecht zukommen sollte. Einerseits glaubte er in liberalistischem Geist, dass die mit dem »Interesse der Gesellschaft« identifizierte »Idee der Gerechtigkeit« als eine unbewußte, aber zwangsläufige Folge des richtig verstandenen individuellen Egoismus im Privatrechtsverkehr »am v o l l e n d e t s t e n zur Verwirklichung gelangt« (aaO, S. 148, 235f.). Allerdings sollte das Privatrecht bei offenbar dennoch nicht ganz auszuschließenden »Ausschreitungen« von Verkehrsbeteiligten gegen das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit eine entsprechende inhaltliche Überprüfung von Verträgen regeln (aaO, S. 147f.). Daneben sah Jhering andererseits seit den siebziger Jahren aber immer stärker auch eine substantielle Gerechtigkeit ganz anderer Art, nämlich die austeilende Gerechtigkeit als ein vom Recht zu berücksichtigendes Prinzip sozialer Ordnung an. Denn das soziale »Elend ganzer Klassen der Gesellschaft« sei »eine sociale Aufgabe, welche der durch den blossen Egoismus geleitete Verkehr überall ungelöst lässt«. Hier musste nach Jhering erst »das Christenthum den Egoismus im römischen Recht überwinden. Und dessen darf es sich rühmen – erst durch das Christenthum ist das Wohlthun und die Liebe wie durch die christliche Lehre im Leben so auch in der Gesetzgebung in ihr volles Recht eingesetzt worden« (aaO, S. 284f.). Vgl. in diesem Zusammenhang auch den von G.Radbruch, Nachlaß (1952), S. 26f. mitgeteilten bemerkenswerten Auszug aus einem Brief, den Jhering noch in seinem Todesjahr, nämlich am 10. April 1892, an den Straßburger Theologen E.W.Mayer schrieb: »Ich bedaure nichts mehr, als daß ich in meinem Zweck im Recht noch nicht an den Punkt gekommen bin, wo die Liebe und damit das Christentum in meinen Gesichtskreis tritt. Ich glaube, die Theologen würden mit mir zufrieden sein. An der Stelle würde auch das Problem der Selbstverleugnung, das ich vom Standpunkte des Egoismus aus, den ich an früherer Stelle [sc. in Zweck I (11877), S. 62ff. und Zweck II (11883), S. 195ff.] ausschließlich ins Auge zu fassen hatte, als ›wunderbar‹ bezeichnen mußte, seine Lösung finden.« Auf die nicht mehr erfolgte Ausführung dieses Gedankens hat bereits H.Lange, Wandlungen (1927), S. 93 hingewiesen. 1757 Jhering, Geist II/2 (41883), § 38, S. 326. Man beachte Jherings Wortwahl. In Geist II/2 (11858), § 38, S. 339, also vor dem Gutachten zum Doppelverkaufs-Fall, hatte Jhering noch »die höchste ethische Bedeutung« der Technik des Rechts beigemessen. Dies korrigierte Jhering in der zweiten Auflage und sprach mit Blick auf die substantielle Gerechtigkeit nur

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Gleichbehandlung gleicher Fälle, welche bis heute als eine der wichtigsten Funktionen der Rechtsdogmatik anerkannt ist1758, zu negieren. Indem Jhering den Gerechtigkeitsbegriff im Sinne formaler »Gleichmäßigkeit« um eine auch »substantielle Idee der Gerechtigkeit« erweiterte, befreite er sich aber vom dem selbst auferlegten »Molochdienst des Princip[s]«1759, also der Vorstellung, der Rechtsanwender sei aus Gründen der Wahrheit und Gerechtigkeit zu einem – wie er es nun nannte – »Fatalismus der juristi.[ischen] Logik«1760 bzw. »Kultus des Logischen« gezwungen, zu einer logischen Deduktion aus höheren Rechtsprinzipien »unbekümmert um die Folgen und das Unheil, das ein Rechtssatz, den man in den Quellen zu lesen oder aus der Konsequenz zu entnehmen glaubt, im Leben anstiftet«1761.

Nun stand die Konsequenz der Deduktion von Rechtsregeln aus geltenden Rechtsprinzipien unter dem auch praktisch werdenden Vorbehalt des ihnen vom Recht beigelegten Sinnes bzw. Zweckes. Dies war das Ende seines formalen Prinzipienrigorismus, nämlich der Vorstellung, dass der Rechtsanwender auf der Grundlage des geltenden Rechts im Gegensatz zum Gesetzgeber nicht zur Einschränkung formaler Konsequenz berechtigt sei, sondern umgekehrt zur »vollen principiellen Konsequenz«1762, d. h. zur Ziehung aller aus einem geltenden Rechtsprinzip ableitbaren Konsequenzen verpflichtet sei. Die Fallkonstellation im Doppelverkaufs-Fall »öffnete mir die Augen«, wie Jhering es später ausdrückte1763, dass sich nicht nur aus den äußeren Verkehrsbedürfnissen, sondern auch aus dem einem Rechtsprinzip zugrunde liegenden Gedanken bzw. Rechtswert selbst die Zulässigkeit und Notwendigkeit einer Beschränkung der

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noch davon, dass die »Technik mittelbar auch eine ethische Bedeutung« habe [Jhering, Geist II/2 (21869), § 38, S. 310]. Vgl. nur P.Raisch, Methoden (1995), S. 202f. m.w. N. So formulierte es Jhering in handschriftlichen Notizen, die von O.Behrends, Zeugnisse, Nr. 79, S. 95 aus Jherings Nachlass (Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 15:4, Mappe j, Bl. 2r) publiziert worden sind. Mit dem ihm eigenen Pathos hatte Jhering noch notiert: »Das Leben dem unempfindlichen Götzen geopfert – Kinder in die Arme des Moloch gelangt – wem kommt es zu gute? Nur demjenigen Juristen, der seine Freude daran hat, daß das Princip aufrechterhalten wird.« Jhering, Späte Notizen (Nachlass), Mappe i, Bl. 1v. Der Umstand, dass »die Rechtsfolgen verdiente sind, nicht wie ein Fatum über den Menschen kommen«, bezeichnete Jhering nun als Ausweis und Bedingung der »Billigkeit« einer Rechtsentscheidung (aaO). Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 339 mit Fn. 1. Eine durch die römischen Quellentexte nicht gestützte »weite Ausdehnung« eines Begriffs praktizierte Jhering allerdings auch schon vor 1859, um »sich nicht mit den einfachsten Forderungen der Billigkeit in den schroffsten Widerspruch [zu] setzen« [Jhering, Mitwirkung I (1857), S. 129]. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 271f. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 339 mit Fn. 1.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

formal-begrifflich möglichen Konsequenzen ergeben könne1764. Zwar hatte Jhering auch früher schon angenommen, dass in Fällen, in denen »die Römer aus Versehen die Regel zu allgemein gefaßt haben«, »wir [sc. die Wissenschaftler] das Recht und die Pflicht« haben, das »auszusprechen und die Formulirungen […] zu berichtigen.« Damit hatte er sich aber lediglich auf die Fälle bezogen, in denen sich der Pandektist auch schon auf entsprechende »Thatsachen des römischen Rechts« stützen konnte, nämlich auf in den Quellen bereits vorhandene »gesetzliche« Ausnahmen, die nur von den römischen Juristen noch nicht als solche erkannt bzw. bei der theoretischen Formulierung des einschlägigen Prinzips übersehen worden waren1765. Nun war Jhering aber auch gegenüber der formalen Konsequenz selbst kritisch geworden, und zwar auch dann, wenn diese Kritik sich nicht auf »ausdrückliche Quellenäußerungen«1766, sondern lediglich darauf stützen konnte, dass die »Resultate […] zum Theil allen Begriffen von Recht und Gerechtigkeit […] Hohn« sprechen1767 und einer teleologischen Reduktion »die Quellen wenigstens nicht e nt g e g e n s t e h e n «1768. Der Rechtsanwender konnte und musste damit jetzt nicht mehr davon ausgehen, dass der Gesetzgeber, der nachweislich ein bestimmtes »Princip will«, vorbehaltlich anders lautender positiver Regelung auch alle »Consequenzen« gewollt haben müsse, »einerlei ob er sich derselben bewußt geworden« sei oder nicht1769. Jherings Abkehr von seinem unkritischen Prinzipienrigorismus sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das individualisierende Rechtsgefühl, das die »Folgen und das Unheil« einer konkreten Rechtsentscheidung bewertet, über 1764 O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 75 spricht von den nun die Regeln kontrollierenden Rechtswerten. 1765 Jhering, Mitwirkung II (1858), S. 229f. 1766 Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 319: »Stellen gibt es hier nicht […].« Dass etwas »nicht ausdrücklich in unsern Quellen vorgeschrieben ist«, hatte Jhering, Abhandlungen (1844), S. 120 bisher nur in den Fällen für unschädlich gehalten, wo es der Wissenschaft darum gegangen war, im Namen der Gerechtigkeit »Consequenzen zu ziehen, die die römischen Juristen nicht gezogen haben«, hier dagegen beschränkte er mit demselben Argument umgekehrt die Ziehung der Konsequenzen. 1767 Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 321. 1768 Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 319. Vgl. dazu auch A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 137ff. 1769 Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 382. In der zweiten Auflage von 1869 hat Jhering diese Formulierung folgerichtig gestrichen und – in Scherz und Ernst (1884), S. 344 – die eigene frühere Auffassung als eine »Täuschung« bezeichnet, dass »die Begriffe, wie sie einmal angenommen sind« auf der Grundlage der geltenden Rechtssätze, automatisch auch »einen Anspruch auf schlechthinnige Annahme aller in ihnen gelegenen Konsequenzen erheben dürften.« Bei den römischen Juristen fand Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 13 jetzt auch Fälle »falsche[r] Consequenzmacherei, die selbst vom Standpunkt der rein formalen Consequenz zu verwerfen war […]. Wenn die angebliche Consequenz in eine Sackgasse geräth u.[nd] sich genöthigt sieht, die Inconsequenz zu Hülfe zu rufen, so enthält dies auf praktischem Gebiet den Beweis, daß sie eine verkehrte gewesen ist.«

Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

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die von ihm schon früher eingeräumte Bedeutung hinaus1770 zwar fortan eine – wie Jhering selbst es ausdrückte – in der Praxis wichtige »Probe«, ein »erster Anstoß« für die Überprüfung der formalen Konsequenz sein konnte, nicht aber auch schon ein hinreichender Grund für deren Beschränkung. Soweit sich nämlich aus Sinn und Zweck eines allgemeineren Rechtsprinzips nicht die Notwendigkeit seiner Einschränkung begründen lasse, sollte man nach Jhering allein aus dem Rechtsgefühl auch weiterhin keinen rechtlich erheblichen Vorbehalt ableiten können1771. Insoweit bekräftigte auch der gegenüber der formalen Konsequenz kritisch gewordene Jhering noch in seinen letzten Lebensjahren, was ihm immer selbstverständlich geblieben ist, nämlich dass die »R e c h t s regel […] begrifflich die a u s n a h m s l o s e Anwendung in sich schließt«1772 und dass gerade diejenige gesetzliche Regel, die inhaltlich mit dem richterlichen »Rechtsgefühl in schneidendem Contrast [Widerspruch] steht« und den Richter zu einer durch »die Menschlichkeit, das Mitleiden, das Erbarmen« motivierten Ausnahme dränge, gegebenenfalls doch »blinde[n] [strenge(n)] Gehorsam« fordere, da grundsätzlich erst in der Anwendung der Regel und nicht in der Ausnahme »die Uebung der Gerechtigkeit« liege1773. Insoweit sollte Jhering auch nach dem von ihm selbst so bezeichneten Umschwung die besondere »intellektuelle« und »moralische« Stärke1774 bzw. – so Jhering in Zweck I – die »t e c h n i s c h e « und die aus der »S c hu l e d e r G e r e c ht i g ke i t « folgende »m o r a l i s c h e « »Ueberlegenheit des Berufsrichters« gegen jede laienhaft versöhnliche Gefühlsjurisprudenz verteidigen1775. 1770 Vgl. nur Jhering, Mitwirkung I (1857), S. 129 mit einem Beispiel für die auch vor seinem »Umschwung« nicht nur legitime, sondern auch gebotene Berücksichtigung des Billigkeitsgefühls zur Begründung der weiten Auslegung eines einzelnen Quellenbegriffes: »Unsere Quellen kennen zwar eine so weite Ausdehnung dieses Begriffs nicht, allein ich glaube, daß man sie, wenn man sich nicht mit den einfachsten Forderungen der Billigkeit in den schroffsten Widerspruch setzen will, kaum wird umgehen können.« 1771 Insoweit hieß es bei Jhering auch weiterhin: In »der Civilrechtspflege verlangen wir die unverbrüchliche Anwendung des Gesetzes und nehmen die etwaigen Härten und Unbilligkeiten mit in den Kauf. Die Sicherheit der formalen Gerechtigkeit des Richters steht uns höher als die Vortheile einer unberechenbaren materiellen Gerechtigkeit, hinter der sich nur zu leicht die Willkür verbergen kann« [Jhering, Zweck I (21884), S. 434 (Kursivhervorhebungen nicht im Original)]. 1772 Jhering, Ausnahmen (1885), S. 5. 1773 Jhering, Zweck I (11877), S. 405 [= ders., Zweck I (21884), S. 411f. mit hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderungen]. Mit der Zurückweisung eines rechtlich nicht begründbaren »Mitleidens« und Erbarmens« hatte Jhering einmal seine wissenschaftliche Laufbahn begonnen. 1774 Vgl. S. 320. 1775 Jhering, Zweck I (11877), S. 404; Ders., Zweck I (21884), S. 397f. Mit dem Wort »moralisch« hatte Jhering hier nichts anderes als eine formal konsequente Regelanwendung unter »Verschliessen des Auges gegen jedes Ansehen der Person« wie auch gegen den Inhalt des unter Umständen mit dem eigenen »Rechtsgefühl in schneidendem Contrast« stehenden Gesetzes im Sinn [Jhering, Zweck I (11877), S. 404f.].

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Die Rechtsregeln, die nicht erst durch die Wissenschaft »zu Tage zu fördern« waren1776, waren auch weiterhin notfalls entgegen dem eigenem Rechtsgefühl »in allen Fällen gleichmässig zur Anwendung« zu bringen1777. Die einstige Warnung Puchtas, dass den Richter niemals ein bloßes »dunkles subjectives Gefühl, sondern ein seiner Gründe sich bewusstes, dem Geist des fraglichen Rechtsinstituts entsprechendes Ermessen der individuellen Umstände« bei seiner Entscheidung maßgeblich leiten solle1778, teilte Jhering nach seiner Abkehr vom formalen Prinzipienrigorismus mehr denn je. Das ist der Grund, warum Jhering auch nach seiner Neubewertung des die Laienempfindungen einschließenden Rechtsgefühls als einer praktisch sinnvollen Kontrollinstanz weiterhin mit Begriffen wie »Mitleiden« oder »Erbarmen« nicht nur nichts anfangen konnte, sondern sie schlicht als Bedrohung der »Gerechtigkeit« bewertete1779. In der daraus folgenden Überzeugung, dass das Recht immer auch Fälle »schwerste[r] [sc. persönlicher] Prüfung« des Rechtsanwenders mit sich bringe, »Gehorsam« und »W i l l e n s k r a f t [in einer bestimmten Richtung]«, nämlich gegen die eigenen Gefühle gerichtet, im »Dienst der Gerechtigkeit«1780 fordere, liegt ein wichtiges Kontinuum in Jherings Denken1781.

1776 Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 386. 1777 Jhering, Zweck I (11877), S. 407. Vgl. dazu auch O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 179ff. 1778 G.F.Puchta, Pandekten (21844), § 21, S. 31. Diese Übereinstimmung Puchtas und des methodenkritisch gewordenen Jhering in der Ablehnung einer Gefühlsjurisprudenz einerseits und in der Forderung nach einer angemessenen richterlichen Erwägung der Gründe einer Regelung andererseits erklärt sich auch daraus, dass Puchta den formalen Prinzipienrigorismus des frühen Jhering nie geteilt hat. In Gewohnheitsrecht II (1837), S. 57 hatte Puchta sogar ausdrücklich vor einem »Beharren auf dem strengen Recht« gewarnt, wenn dies »dem Zweck des Rechts widerspräche«. 1779 Jhering, Zweck I (11877), S. 405. 1780 Jhering, Zweck I (11877), S. 404f. [= ders., Zweck I (21884), S. 411 mit einer hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderung]. Mit einem heute deplaziert wirkenden Pathos vergleicht Jhering in Zweck I (11877), S. 404f. den richterlichen »blinde[n] Gehorsam gegen das Gesetz« als »S c h u l e d e r G e r e c h t i g k e i t « mit der »Subordination« eines Soldaten »in der strengen Schule der militärischen Zucht« und nennt den »Berufsrichter« einen »Berufssoldaten im Dienste des Rechts«. Und in einem Einschub für die zweite Auflage von 1884 charakterisiert er den »wahren Richter« sogar dadurch, dass dieser den Fall durch »Abstraction von jedem concreten Beiwerk […] nach Art eines Rechenexempels« entscheide [Jhering, Zweck I (21884), S. 398]. Solche und ähnliche Vergleiche dürfen gleichwohl nicht voreilig als ein Plädoyer Jherings für einen richterlichen Subsumtionsautomatismus missdeutet werden. Dass richterliche Rechtsanwendung kein »Rechenexempel« ist, wusste auch Jhering und hat es wiederholt ausdrücklich gesagt. Bei seinen insofern missverständlichen Vergleichen ging es Jhering vielmehr um eine rhetorisch wirkungsvolle Illustrierung des dem gewissenhaften Rechtsanwender immer wieder drohenden inneren Konflikts, wenn – allerdings noch jenseits der heute vor allem diskutierten Problematik einer Unrechtsgesetzgebung – dessen persönliche Auffassung von den Wertungen des anzuwendenden Gesetzes grundsätzlich abweicht. Vgl. zu diesem

Der »Gleichheitstrieb« und die »formale Selbständigkeit« des Rechts

355

Es lässt sich aber auch noch eine Kontinuität ganz anderer Art feststellen, nämlich Jherings weiterhin vorhandene Neigung zu einem – in einem nicht im philosophischen Sinne zu verstehenden1782 – »idealistischen« Rigorismus im Dienste der »Gerechtigkeit«. Kaum hatte Jhering seinen formalen Prinzipienrigorismus im Hinblick auf die »Konsequenz« bei der Erkenntnis des Rechts überwunden, fand er im Hinblick auf die »Konsequenz« bei der Durchsetzung des von Rechts wegen erkannten subjektiven Rechts einen neuen und auch gleich wieder umstrittenen1783 Ansatz für einen wiederum moralisch begründeten Rigorismus. Denn so wie Jhering früher ein Zurückschrecken der Jurisprudenz vor der rigorosen gedanklichen Konsequenz bei der Erkenntnis und Fortbildung des geltenden Rechts nur als Ausdruck moralischer »Schwäche« hatte ansehen können, erklärte er nun – übrigens im Gegensatz zu seiner früheren Auffassung – die konsequente und notfalls auch unerbittliche Durchsetzung der eigenen Rechtsposition, »selbst wenn der Schuldner darüber zu Grunde geht«, zur »Charakterfrage«1784. Ähnlich wie Jhering einst sogar noch in der »tyrannischen

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Aspekt auch A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 219, die aber die hier dargelegte Kontinuität im Werke Jherings nicht berücksichtigt. Vgl. zu dieser Kontinuität auch O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 82f. Es wäre in der Tat – so O.Behrends, Jhering (1987), S. 263 – »irreführend«, Jhering in »technischer Terminologie« als einen Vertreter der Philosophie des Deutschen Idealismus zu bezeichnen. In derselben Richtung nicht minder nachdrücklich auch schon W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 21, 59ff., insbes. S. 64ff. Anders sieht es zwar W.Schild, Kampf (1995), S. 55f. Aber der von Jhering selbst so bezeichnete »Idealismus« war – um mit seinen Worten zu sprechen – kein »Vorrecht edlerer Naturen« zur transzendentalphilosophischen Vernunfterkenntnis [Jhering, Kampf (1872), S. 45], sondern allein begründet in dem von Jhering ganz empirisch verstandenen »Gefühl der e i g e n e n Berechtigung« eines jeden Menschen [Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 105]. Vgl. nur H.Dernburg, Pandekten (31892), § 22, S. 48f. Fn. 5 gegen Jherings Rigorismus. Jhering, Kampf (1872), S. 26, 88 (»es ist das Zeichen einer schwachen Zeit, mit dem Schuldner zu sympathisiren. Sie selber nennt das Humanität«). Dazu teilweise kritisch H.Hofmeister, Jhering (1992), S. 44f. und K.Luig, Jhering (1993/1996), S. 266. Vgl. dagegen noch Jhering, Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 16r zur Notwendigkeit der Durchsetzung eines Klagerechts: »Indem man dies Prinzip aufstellt, d[aß] alle Verträge, sofern sie nicht unsittl[ich] seien etc, gültig seien, scheint man v.[on] der Idee auszugehe[n], als wenn der Richter verpflichtet sei, jedweden Willen der Bürger zu realisieren. Während der Rechtsschutz in der That nur da ertheilt werden sollte, wo ein Bedürfniß vorhanden ist, wo Handel u[nd] Wandel es erfordern – betrachtet man jetzt den Rechtsschutz als etwas, das s[ich] von selbst verstehe als 1 Mittel, deren jeder Mann sich für seine unklugen Verträge bedienen kann. Die Römer hatten in dieser Hinsicht eine viel gesundere Ansicht, sie betrachteten die actio als ein privilegium, das besonders nachgewiesen w[er]d[en] muß[te] – die actio ward aber nur da g[e]g[e]b[en], wo das allgem.[eine] Interesse es erforderte. Überhaupt stützte sich bei ihnen der Rechtsschutz auch deshalb schon mehr auf das Bedürfniß des Interesses, weil ja d[ie] Kl[age] auf Geld hinauslief.« Genau diese Auffassung wird Jhering Jahre später in Kampf (1872), S. 80, 91f. sowie Rechtsschutz (1885), S. 311 als einen das »gesunde Rechtsgefühl« und den »Idealismus« verletzenden »platten, öden Materialismus« zurückweisen [vgl. auch K.Luig, Jhering (1993/1996), S. 268 m.w.N.]. In Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 16v hatte es dagegen

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Handhabung der Rechtsconsequenz« im altrömischen Recht eine idealistische Haltung erblickt hatte, welcher der »Gerechtigkeit« angeblich sämtliche »Rücksichten auf individuelles Wohl zu opfern« bereit gewesen sei1785, pries Jhering nun den »Idealismus des Rechtssinnes im Menschen[,] der den Frevel und Hohn gegen die Idee des Rechts tiefer empfindet als das persönliche Unrecht«. Denn »Recht« – und diese Worte hätten auch schon Leitmotiv seines früheren Prinzipienrigorismus sein können – »ist Idealismus des Charakters«1786. weiter geheißen: »Ließ sich [sc. in Rom] ein Anspruch nicht auf Geld« reduzieren, so habe er nicht durchgeführt werden können. »Schon dadurch also, d[aß] die Römer k.[einen] Zwang zur Handlung kannten, waren s.[ie] dag[e]g[en] gesichert, Ansprüchen, die keiner Reduction auf Geld fähig waren, gerichtl[ichen] Schutz beizulegen. Bei uns ist aber auch dieses Schutzmittel weggefallen u[nd] bei dem Prinzip, d[aß] alle Verträge, sobald s.[ie] nicht verboten sind, gerichtl.[ich] realisiert w[er]d[e]n können, ist es doppelt leicht geworden, zu vergessen, d[aß] der Richter nur solche Verträge zu restituiren hat, die ein pekuniäres Interess[e] habe[n]« (die Unterstreichung im handschriftlichen Manuskript ist hier in Kursivschrift wiedergegeben). In Kampf (1872), S. 92 kritisierte Jhering dagegen später : »Wo bleibt der Rechtsschutz, wenn ein […] Geldinteresse nicht existirt?« Wenige Jahre zuvor hatte Jhering, Thesen/Nachlass (1865), S. 3 in einem Vortrag auch bereits die Art, »wie in unserer gemeinrechtlichen Praxis im Gegensatz zu der der Römer und Franzosen die Ansprüche auf das Interesse bez.[iehungsweise] Schadensersatz behandelt werden«, als »einen der wundesten Punkte unseres heutigen Rechtszustandes« kritisiert: »Die Strenge in der Beurtheilung des hier zu erbringenden Beweises verstößt gegen die einfachsten Grundsätze der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit und führt in vielen Fällen nahezu zu einer Schutzlosigkeit derartiger Ansprüche.« Man sieht, wie sich mit Jherings Veränderung des Standpunktes im Laufe der Jahre nicht nur die inhaltliche Ausfüllung der »Charakterfrage«, sondern auch die Charakterisierung des bemerkenswerterweise allerdings immer als vorbildlich für die Gegenwart bewerteten römischen Rechts änderte. 1785 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 23; § 29, S. 92. 1786 Jhering, Kampf (1872), S. 26, 45, 61, 74, 80. Vgl. dazu M.v.Rümelin, Jhering (1922), S. 54 sowie W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 193ff. und W.Schild, Kampf (1995), S. 50, 53ff. Für diesen »Idealismus« bei der Durchsetzung eigener Rechte fand Jhering – wenn auch nachträglich – bezeichnenderweise einen Anknüpfungspunkt bei Immanuel Kant, nämlich in der von diesem statuierten »Pflicht des Menschen g e g e n s i c h s e l b s t « [vgl. Jhering, Rechtsschutz (1885), S. 267]. In den Vorreden zu späteren Auflagen seiner Schrift »Der Kampf um’s Recht« wollte Jhering – hier allerdings deutlich untertreibend – sogar das »einzige Verdienst, welches ich beanspruchen kann«, darin sehen, Kants »Gedanken systematisch begründet und [sc. für das Recht] genauer ausgeführt zu haben« [vgl. Jhering, Kampf (1872), S. 104 und die anschließenden Bemerkungen des Herausgebers Hermann Klenner zu Übereinstimmungen zwischen den »Rigorismen Kants« und Jherings (aaO, S. 105); nicht überzeugend in diesem Zusammenhang ist dagegen der Verweis von H.Hofmeister, Jhering (1992), S. 45 auf eine mögliche Verbindung zur Rechtsphilosophie Hegels]. Etwas respektlos wollte daher A.Merkel, Jhering (1893), S. 26 sogar Jherings bekannte »Schrift eine Predigt über das K a n t ’sche Wort: ›Laßt Euer Recht nicht ungeahndet von Anderen mit Füßen treten‹ nennen.« Nun weist zwar O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 149 auch zutreffend darauf hin, dass Jhering sich in Zweck I gegen einen idealistischen Rigorismus des »fiat justitia, pereat mundus« ausgesprochen habe, der das »Wohl der Gesellschaft« bedingungslos dem geltenden Verfassungsrecht oder dem Recht des einzelnen unterordnen wolle [Jhering, Zweck I (11877), S. 415f., ferner auch

Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts

3.

Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts

a)

Der »Freiheitstrieb« als »sittliche Naturkraft«

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Den »Freiheitstrieb« zählte Jhering zu den klassischen »s i t t l i c h e n Nat u rk r ä f t e [ n ] «1787 – eine Ausdrucksweise, die – so unmöglich sie auch etwa Puchta noch erschienen wäre1788 –doch ziemlich treffend das ausdrückte, was Jhering als die vorgeschichtliche Grundlage dieses historischen Grundtriebes betrachtete. Letztere bestand nach Jherings Vorstellung nämlich darin, dass »Gott […] den Trieb nach Freiheit in des Menschen Brust eingepflanzt« habe1789 und dass folglich in der Natur des Menschen, nicht der Völker, die Notwendigkeit begründet liege, dass ein entsprechendes »Ideal« im Laufe der Geschichte in »der subjektiven Anschauung des Volks« und »objektiv im Recht selbst als Tendenz der Rechtsbildung«, kurz als sogenannter Grundtrieb in der Rechts- und Sozialordnung wirksam werde1790. Entsprechend der zweifachen, nämlich in der menschlichen Natur wie auch sittlich-religiös begründeten Notwendigkeit des »G e d a n ke [ n s ] d e r M a c ht u n d F re i h e i t « sprach Jhering daher auch vom »p s yc h o l o g i s c h n o t hw e n d i g e n u n d s i t t l i c h b e re c ht i g t e n Au s d r u c k d e s Pe r s ö n l i c h ke i t s g e f ü h l s nicht minder im öffentlichen als im

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1789 1790

Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 304 sowie Ders., Zweck II (11883), S. 225f.]. Was aber die Durchsetzung des jeweils geltenden Rechts anbetrifft, hat Jhering dasselbe der »Gewalt« und dem darin gegenüber dem Recht zum Ausdruck kommenden Bedürfnis des Lebens bzw. der Gesellschaft immer nur dann opfern wollen, wenn ein Überschreiten der Grenzen des formal – noch – geltenden Rechts wirklich ganz unumgänglich erschien zur Verwirklichung der welthistorischen Tat und zum tatsächlichen Wohle der Gesellschaft (vgl. oben Teil 1, S. 59 Fn. 224, S. 164 Fn. 751, S. 169f. Fn. 778). Denn nur im Falle der wirklich »rettende[n] That« gingen Gewalt und ein Bruch der noch verfassungsmäßigen Ordnung mit dem geschichtlich wahren Recht »Hand in Hand« [so jeweils sogar wörtlich gleichlautend Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 104f. sowie mehr als dreißig Jahre später Jhering, Zweck I (21884), S. 423, 425]. Im Übrigen aber waren juristisch geltendes Recht und damit auch das Recht des einzelnen unbedingt zu exekutieren. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 127. So zu Recht schon W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 178. Allerdings hat Jhering damit nicht behaupten wollen, dass alle »Naturkräfte« sittlich seien, sondern nur umgekehrt, dass einer sittlichen Idee die Unterstützung durch entsprechende Naturkräfte nicht nur nicht schade, sondern für ihre Realisierung letztlich sogar notwendig sei, da eine Realisierung gegen alle Naturkräfte ausgeschlossen wäre. Der dagegen in der idealistischen Philosophie besonders rigoros von Kant verfolgte Gedanke, dass man die Sittlichkeit des Menschen nur als einen Akt der Überwindung seiner eigenen Natur anerkennen könne, muss der – offenbar von frühester Jugend an – sinnlich-anschaulichen Denkweise Jherings [vgl. dazu O.Behrends, Jhering (1987), S. 242f.] in jeder Hinsicht schlicht »unnatürlich« erschienen sein. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 126 Fn. 143. Jhering, Geist II/1 (11854), § 23, S. 19; Ders., Geist II/2 (11858), § 37, S. 321.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Privatrecht«1791. Beides, die Zurückführung des Freiheits- und Machtgefühls des einzelnen auf die »Menschennatur«1792 wie dessen sittlich-religiöse Untermauerung1793, hat Jhering auch später nie grundsätzlich revidiert.

aa)

Die historische Verwirklichung des Freiheitstriebs

Historisch betrachtet war nach Jhering das von ihm so bezeichnete »ureigenste Recht des Subjekts auf freie Entfaltung seiner Individualität«1794 sowie das daraus folgende »Urrecht« auf Achtung und Verteidigung derselben1795 erst in einem langen Prozeß als »durch und durch historisches Produkt, aus praktischen Motiven hervorgegangen, mühsam und stückweise erkämpft«1796. Insofern stand für Jhering der Freiheitstrieb im Unterschied zum Gleichheitstrieb nicht am Beginn der universalhistorischen Entwicklung des Rechts1797. Geschichtlich frühe, aber auch entwicklungsgeschichtlich zurückgebliebene Rechts- und Sozialordnungen sah Jhering geradezu gekennzeichnet durch jegliches Fehlen eines Freiheitstriebes im Rechtsgefühl der Menschen. »Dies ist z. B. im wesentlichen der Standpunkt der orientalischen Völker ; der Gedanke der persönlichen in dem Subjekte selbst wurzelnden Freiheit ist ihnen nie aufgegangen«, und ein rechtliches System der Freiheit würde bei ihnen daher auch keine sittliche Berechtigung haben1798. Denn nicht »jedes Volk ist für die Freiheit reif […].« Gerade die »Zucht in den Jahren der Unmündigkeit« durch ein rechtliches »System der Unfreiheit« sollte in solchen Fällen die Voraussetzung dafür bilden, dass der Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 303. Vgl. insoweit O.Behrends, Jhering (1987), S. 262. Dazu unten S. 370. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 88. Jhering, Kampf (1872), S. 95. Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 139. Vgl. schon oben S. 295f. zum historischen Auftreten des »Gleichheitstriebs«, mit dem nach Jherings Vorstellung die Geschichte des Rechts begann. 1798 Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 132. Das »türkische Recht« wollte Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 26f. mit Fn. 13d) daher auch gar nicht in engeren Betracht ziehen im Hinblick auf die Frage, in welchen Rechten »die Gesetzgebung das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen« geachtet habe. Denn dieses »gehört weniger zu den europäischen als den orientalischen Rechten.« Und auch »bei einem Volke wie dem chinesischen, das auf der Stufe der Unmündigkeit erstarrt ist, und das es mit aller seiner Cultur nie über die Lebensanschauung eines altklugen Kindes hinausgebracht hat«, sollte nach Jherings Darstellung in dem 1874 für die dritte Auflage neu formulierten § 24 von Geist II/1 »der Gedanke der persönlichen Freiheit und mit ihm der Unterschied zwischen dem eigenthümlichen Wesen und Inhalt des Rechts und der Moral nie aufgegangen« sein (aaO, 24, S. 26). Woher Jhering auch jetzt noch – 1874 – solche geschichtsphilosophischen Erkenntnisse nahm, sagte er selbst, nämlich aus der »vorzügliche[n] Schilderung des chinesischen Wesens in H e g e l ’s Philosophie der Geschichte« [Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 26 Fn. 13c)]. 1791 1792 1793 1794 1795 1796 1797

Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts

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»Gedanke der persönlichen in dem Subjekte selbst wurzelnden Freiheit« historisch überhaupt wirksam werden könne1799 – eine entwicklungsgeschichtliche Legitimation der »Unfreiheit« im Recht, die für Puchta und erst recht für Savigny undenkbar gewesen wäre. War die Entwicklung eines historischen Bewusstseins von der Freiheit des einzelnen für Jhering nicht Voraussetzung für die Entstehung des Rechts, so doch für die historische Ausbildung des Privatrechts. Aus der Tatsache, dass Jhering ganzen Völkern in der Tradition der Hegelschen Geschichtsphilosophie schlicht die Reife für ein institutionelles System der Freiheit absprach, ergibt sich aber schon, dass er das der »Entdeckung des Privatrechts«1800 zugrunde liegende Bewusstsein der Freiheit nicht mehr in einem rein naturalistischen Sinne als »Ausdruck sittlicher Rohheit und Willkühr«1801 bzw. bloßer »Zügellosigkeit«1802 verstanden wissen wollte, sondern bereits im Sinne einer Freiheit »auf geschichtlich höherer Stufe«1803, die der »sittliche Mensch begehrt […], weil er das Gute aus e i g n e m A nt r i e b zu thun wünscht […].«1804 Ein derartiges Bewusstsein für den »Gegensatz zwischen Recht und Moral« sah Jhering – übrigens im Anschluss an Hegel1805 – erstmals vollständig »ausgeprägt […] im alten 1799 Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 132. Aus demselben Grunde wollte Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 74f. auch dem »segensreichen culturhistorischen Einfluß, den die Kirche des Mittelalters auf allen Gebieten des Rechts ausgeübt hat«, nicht seine Berechtigung absprechen, »weil der heutige Staat und die heutige Cultur jene Stufe zurückgelegt hat, welche die Vormundschaft der [sc. römisch-katholischen] Kirche nöthig und nicht bloß nöthig, sondern höchst segensreich« gemacht habe. »Auch die Vormundschaft hat ihre Berechtigung, ihre Periode, wo sie nicht eben als nothwendiges Übel zu ertragen, sondern wo sie eine Wohlthat ist, und nur dann fordert sie bei Völkern und Individuen Widerspruch heraus, wenn sie fortgesetzt werden soll, nachdem ihre Reife eingetreten ist. Man kann das Mittelalter als eine berechtigte Phase in der Entwicklung der Menschheit anerkennen, ohne es für die heutige Zeit zurückzuwünschen.« 1800 Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 135, 137; § 36, S. 304f. 1801 Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 133. »Die Freiheit als bloßer Zustand des Nichtbestimmtwerdens hat in dieser ihrer bloßen Negativität keine Berechtigung […]« (aaO, S. 129). 1802 So Jhering, Geist II/1 (31874), § 30, S. 131 mit einer Einfügung in der dritten Auflage von 1874. 1803 So W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 35 mit Blick auf den von Jhering betonten Zusammenhang zwischen der in Geist II/1 beschriebenen zweiten Stufe in der römischen Rechtsentwicklung und dem »subjektive[n] Prinzip, wie ich es seinen ursprünglichen Keimen nach bereits früher (§ 10–12) geschildert habe« [Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 56]. Diese Schilderung in Geist I, §§ 10–12 hatte im Zusammenhang gestanden mit der Darstellung des noch nicht sittlich entwickelten »subjektiven Willens«, dem von Jhering so bezeichneten »Urquell des römischen Rechts« in der »Periode der Thatkraft und der gewaltsamen Bildung des Rechts« [Jhering, Geist I (11852), § 10, S. 103]. 1804 Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 133. 1805 G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch., S. 351. In einem in Jherings Nachlass befindlichen Exzerpt hatte dieser auch die hier einschlägigen Passagen aus den im Jahre 1840 von Hegels Sohn Karl herausgegebenen »Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte« mit genauer

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Rom«1806, nachdem hier schon früh »die religiöse Substanz, die im primitiven Zustande das ganze Recht durchdringt«1807, zunehmend »zu einem separaten Dasein gelangte« und damit »von vornherein den römischen Geist auf eine Stufe« der welthistorischen Entwicklung setzte, »welche manche andere Völker nie erstiegen haben […].«1808 Zwar – so hatte Jhering in seinem mutmaßlich in den vierziger Jahren entstandenen Manuskript zu einer Universalrechtsgeschichte formuliert – ließen sich wesentliche »Momente des welthistor[ischen] Fortschritts«, nämlich »1. die Emancipation des R.[echts] von der Religion 2. die Sonderung des öff.[entlichen] von dem Privatrecht 3. die Anerkennung der Individualität in polit.[ischer] u[nd] privatrechtl.[icher] Hinsicht«

auch in anderen Rechtsordnungen, etwa bereits im attischen Recht, nachweisen1809. Aber das »Privatrecht ist […] in Athen bei weitem nicht so ausgebildet, wie das öffentliche; erst dem römischen Volke war es vorbehalten, demselben seine Anerkennung zu verschaffen«1810. Denn »eine Unvollkommenheit des attischen Rechts besteht darin, dass […] das Privatrecht hier noch nicht zu seiner vollen Selbständigkeit hatte gelangen können. […] das öffentliche Interesse hatte so sehr alles ergriffen, daß die Privatberechtigung darüber nöthigenfalls ignoriert wurde.«1811 Den entwicklungsgeschichtlich maßgeblichen »S c h r i t t z u r E nt d e c k u n g d e s P r ivat re c ht s «1812 hätten vielmehr erst die Römer gemacht. Indem sie angeblich »sämmtliche Verhältnisse, in denen das individuelle Leben sich bewegt« durch das »Prisma des Gedanken[s] der Herrschaft« bzw. Freiheit des einzelnen betrachteten1813, hätten sie für das Privatrecht das »absolut [vollkommen das] Richtige« getroffen1814 und »das eigentlich privatrechtliche Prinzip« entdeckt1815.

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1812 1813 1814

Seitenangabe in Stichworten notiert. Vgl. Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 2r : »Hegel Philos.[ophie d[er] G.[eschichte] […] S. 351 […] Ursprung u[nd] Ausbildung d[es] R.[echts] – bei d[en] Griechen Sitte u[nd] R[echt] noch eins – bei d[en] Römern Trennung u[nd] ein R[echt]sprinzip erfund[en], das äußerl.[ich] sei […].« Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 26. Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 49. Jhering, Geist II/1 (31874), § 26, S. 50f. Die leichten Textänderungen in dieser Passage gegenüber den Formulierungen in der ersten und zweiten Auflage sind rein stilistischer Art. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 36, Bl. 32r. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 36, Bl. 30r. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 36, Bl. 29v/30r. Es heißt in Jherings Manuskript auch: »Damit will ich aber nicht sagen, daß auch in Athen ähnlich wie im chines.[ischen] u[nd] indische[n] Recht öffentliches u[nd] Privatrecht noch ineinander überliefen. Vielmehr war der Unterschied beider Theile dem Athenischen zum Bewußtsein gekommen« (aaO, Bl. 30r). Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 304f. Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 142. Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 143; § 36, S. 304ff. [= ders., Geist II/1 (21866), § 31,

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»Der absolut richtige Gedanke ist: alle privatrechtlichen Verhältnisse sind Machtverhältnisse […]. Das Römische und mithin Vergängliche ist das Maß und die Ausdehnung, in der die Römer die Macht innerhalb der verschiedenen Verhältnisse zugelassen haben.«1816

Diese Auffassung hat Jhering auch dann nicht aufgegeben, als er später die auch für den Juristen maßgebliche Bedeutung der unterschiedlichen, auch widerstreitenden Interessen, die Inhaber subjektiver Rechte mit denselben jeweils verfolgen, in ihrer ganzen Tragweite erkannte und daher im Hinblick auf das Zentralstück der Pandektistik des 19. Jahrhunderts, das auf den Einzelwillen zurückgeführte subjektive Recht des einzelnen, prononciert feststellte: »Nicht der Wille oder die Macht bildet die Substanz des Rechts, sondern der Nutzen […].«1817

Entgegen anderslautenden Interpretationen hatte Jhering damit keinesfalls die grundlegende Bedeutung des Gedankens der Macht oder der Freiheit des einzelnen »für die Erklärung des Rechts im s u b j e c t iv e n Sinn«1818 bestritten1819. Vielmehr hat er nur auf die »Unzulänglichkeit des Willens- und Machtbegriffs für die Definition des Rechts«1820 im Hinblick auf »das praktische Verständnis der Rechte« hinweisen wollen1821. Denn – so betonte Jhering in einer für die dritte

1815 1816

1817

1818 1819 1820 1821

S. 132 mit einer hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderung in der zweiten Auflage von 1866]. Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 308. Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 306. Im Rahmen seiner rechtshistorischen Darstellung des älteren römischen Privatrechts hatte Jhering daher auch formuliert: »Das [sc. historisch] Charakteristische der Rechtsverhältnisse des ältern Rechts kann also nicht darin gesucht werden, daß sie reine Herrschaftsverhältnisse sind – es hieße nichts weiter als aussagen, daß die Römer zuerst die Sache juristisch erfaßt haben« [Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 144 (Kursivhervorhebung nicht im Original)]. Das historisch »Charakteristische« bzw. Individuelle, mithin nicht auf andere Rechtsordnungen Übertragbare des älteren römischen Rechts liege vielmehr »in der Fülle der Machtbefugniß, die sie [sc. die Römer] gewähren; darin daß dieselbe eine beinahe unbeschränkte, eine absolute Gewalt ist.« Jhering, Geist III/1 (41888), § 60, S. 350. Etwas zurückhaltender hatte sich Jhering noch in den Vorauflagen ausgedrückt. So hieß es in Geist III/1 (11865), § 60, S. 326 mit Fn. 462 über das »substantielle Element des Rechts«, dass »sich für den Willens- oder Machtbegriff innerhalb des Rechts ein inhaltsreicher, fruchtbarer Gesichtspunkt« für das Verständnis des jeweiligen subjektiven Rechts erschließe. »Ich sage ausdrücklich: i n n e r h a l b ; die hohe Bedeutung, die der Wille für den Erwerb des Rechts hat, steht hier überall noch nicht zur Frage.« Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 309. So aber etwa W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 165 m.w.N. So Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 307 in der stichwortartigen Vorausschau auf den folgenden Abschnitt zum »Begriff des Rechts« im subjektiven Sinn. Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 316. Am Ende dieses Paragraphen heißt es: »Möge man […] das Recht in seiner Totalität als M a c h t bezeichnen, – wenn man sich nur bewußt bleibt, daß die Macht nicht der Zweck des Rechts, sondern nur die Form ist, in der das Recht seinen Zweck zu erreichen hat« (aaO, S. 327).

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Auflage von Geist II/1 überarbeiteten Passage – auch jeder Rechtspraktiker und eben nicht nur der Historiker, Philosoph oder Politiker würde sich bei seiner juristischen Beurteilung konkreter Rechtsverhältnisse durch das Absehen von allen jeweils involvierten »sittlichen, politischen, ökonomischen Ideen u.s.w.« des »wirksamsten Mittels zu ihrem Verständniß berauben würde«1822. Den im Text unmittelbar vorangehenden Satz, wonach man für jede juristische Beurteilung von Lebensverhältnissen zunächst »den abstract-rechtlichen Machtgehalt derselben ausscheiden und zur Darstellung bringen« müsse1823, hat Jhering aber – davon kann man angesichts der folgenden Textänderung ausgehen – bewusst nicht gestrichen oder modifiziert. Geändert hat Jhering in den sechziger Jahren allerdings seine Auffassung über die »Bedeutung, die der Wille für die B e g r ü n du n g des subjektiven Rechts«1824 und die sich daraus jeweils ergebende Zuweisung eines abstrakt-rechtlichen Machtgehalts habe. Gegenüber »einer völligen Identificirung des subjectiven Rechts- und Willensbegriffes«, so als ob »ich nicht ein Recht haben kann, welches nicht in meinem, sondern im Willen des Gesetzes seinen Grund hat […]«1825, machte er nun geltend, dass es etwa im Falle von geistig Behinderten oder juristischen Personen auch subjektive Rechte gebe, die selbst theoretisch nicht in der staatlichen Anerkennung des jeweiligen Willens der Rechtsinhaber begründet sein könnten, sondern aus anderweitigen Überlegungen des Gesetzgebers resultieren müssten. Bei Zugrundelegung einer derart empirisch gefassten Auffassung des Willens war es allerdings nur konsequent, wenn Jhering bei der Begründung des subjektiven Rechts »an Stelle des Willens […] das Interesse setzte«1826. Denn nur so waren auch diejenigen Fälle subjektiver Rechte erfasst, in denen zumindest nach Jherings Verständnis, dagegen nicht auch zwangsläufig nach dem Verständnis von Vertretern der von Jhering kritisierten »Willenstheorie«1827, ein faktischer Wille des jeweiligen Rechtssubjekts als möglicher Anknüpfungspunkt für dessen subjektives Recht fehlte. Soweit dagegen in der Mehrzahl der Fälle subjektiver Rechte ein solcher auch empirischer 1822 Jhering, Geist II/1 (31874), § 36, S. 293. Anderes sollte allerdings auch nach Jherings jetziger Auffassung für die rein wissenschaftliche bzw. naturhistorische »Abstraction der Rechtsbegriffe« gelten (aaO). 1823 Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 305; Ders., Geist II/1 (31874), § 36, S. 293. 1824 Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 309f. Fn. 437. 1825 Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 310. 1826 Jhering, Zweck I (11877), S. IV. 1827 Nach Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 310 Fn. 438, S. 315 hatte von allen Pandektisten am »consequentesten P u c h t a diese Auffassung verfolgt«. Dabei überging Jhering aber, dass gerade Puchta bei seiner Rückführung des für die gesamte Rechtsordnung als zentral aufgefassten subjektiven Rechts auf die Kategorie des Einzelwillens diesen Willen in einem normativ-zurechnenden und nicht – wie Jhering – in einem empirisch-psychologischen Sinne verstanden hatte.

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Wille des jeweiligen Rechtsinhabers vorhanden war, hatte Jhering auch schon vor seiner Kritik der Willenstheorie nie allein auf diesen gesetzt. Denn – so meinte Jhering schon in den 1850er Jahren – »wie einerseits der Staat dies [sc. subjektive] Recht der Persönlichkeit anzuerkennen hat, so umgekehrt auch das Subjekt die in der göttlichen Mission des Staats liegenden Rechte. Beide beschränken sich also gegenseitig, aber sie schließen sich weder aus, noch leiten sie ihre Rechte der eine vom andern ab, der Staat so wenig das seinige von dem Individuum, wie einst die naturrechtliche Theorie lehrte, noch das Individuum vom Staat.«1828

Dass somit auch im Bereich des Vermögensprivatrechts »jene Aufgabe [sc. der Freiheitssicherung] nicht die einzige [ist], die an das Recht ergeht«1829, hat Jhering auch schon in den 1850er Jahren gewusst1830. Denn »darüber braucht heutzutage kein Wort verloren zu werden«, dass der moderne Staat keineswegs »bloß die Aufgabe hätte, die subjektive Freiheit zu realisiren«1831, und dass damit dem Staat im Hinblick auf gesetzliche Beschränkungen »das Recht zu einem derartigen Eingreifen in die individuelle Freiheitssphäre nicht bestritten werden kann«1832. Daher war nach Jhering auch die dem altrömischen Recht noch zugeschriebene »Möglichkeit einer […] exzessiven Verfolgung der Macht […] später hinweggefallen – es war das specifisch Römische, das der Zeit Angehörige, das mit der Zeit absterben konnte und mußte«1833, also gerade nicht das Recht im römischen Recht. Auch deswegen betonte Jhering von Anfang an, es wäre ganz »falsch zu glauben, als ob die historische Form [sc. des Privatrechts], in der der absolut richtige Gedanke zuerst zur Welt kam, gleichfalls der absolute wäre und ihn selbst für ewige Zeiten bedingte.«1834 So standen nach Jhering entwicklungsgeschichtlich betrachtet der Exzessivität des »ältern [sc. römischen] Recht[s]«, das beispielsweise nur wenige gesetzliche »Beschränkungen des Eigenthums« ge1828 Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 131. 1829 So etwa Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 24 in einer für die dritte Auflage überarbeiteten Passage. 1830 Vgl. nur Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 130 im Rahmen seiner Ausführungen zum »Wesen der Freiheit« einmal »abgesehn vom römischen Recht« (aaO, § 30, S. 124). Anders als für Puchta war für Jhering das Privatvermögensrecht schon in den 1850er Jahren nicht mehr nur ein die Freiheit des Einzelnen konkretisierendes System subjektiver Rechte gewesen. Daher ist es wohl auch nicht maßgeblich Jherings Verständnis des Freiheitsbegriffs gewesen, das Jhering seit 1860 kritisch werden ließ gegenüber dem ausschließlich begrifflichen Denken im Recht, wie A.Somek, Legal Formality (2002), S. 60f. meint. Jherings ursprünglicher Prinzipienrigorismus wurzelte vielmehr in einem Billigkeit und aequitas ausschließenden Gleichheitsbegriff. 1831 Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 130. 1832 Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 130. 1833 Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 308f. 1834 Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 306.

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kannt habe1835, auf der anderen Seite noch »Lücken« und »Inkonsequenzen« gegenüber, die sich mit »unseren Ideen von persönlicher Freiheit […] sehr wenig« vertragen hätten, da die rechtliche Freiheit zunächst noch nicht als ein alle Bereiche erfassendes allgemeingültiges Prinzip aufgefasst, sondern nur da, wo der aus praktischen Bedürfnissen und Zwangslagen entstehende »Druck […] besonders fühlbar geworden war, […] ins Leben gerufen« worden sei1836. Und wenn auch die »spätere [sc. römische] Zeit […] mit ihren abstracten Freiheitsund Gleichheitsideen an die Gegenwart« erinnere1837, so habe sich das römische Recht doch »nie zur praktischen Anerkennung der Rechtssubjektivität des Me n s c h e n als solchen erhoben«1838. Als Jhering in seinen späteren Jahren schließlich auch noch erkannte, dass sich zu jeder »M a c ht […] sehr wohl die Annahme einer gleichzeitigen P f l i c ht « des einzelnen vertrage, konnte er noch einen weiteren grundsätzlichen »Punkt« im Hinblick auf die theoretische Begründung des Privatrechts bezeichnen, an dem »sich nun die altrömische Auffassung von unserer heutigen« unterscheide, »denn erstere vermag diese beiden Begriffe: Macht und Pflicht in derselben Person nicht zusammen reimen.«1839 Dennoch ließ Jhering aber auch nie einen Zweifel daran, dass die Römer mit der Rückführung der »privatrechtlichen Auffassung« auf im jeweiligen »Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen«1840 wurzelnde »Machtverhältnisse«1841 das der »Idee des Rechts Entsprechende gefunden [getroffen]« hätten1842, was als das Recht im römischen Recht, als »reife und unvergängliche Frucht der Nachwelt [sc. nicht] verloren zu gehen brauchte«1843. Dabei gerieten Jherings eigene »Warnung […], unsere heutige Anschauungsweise nicht in jene Zeit zu übertragen«1844, wie auch der Gedanke der geschichtlichen Aufwärtsentwicklung 1835 Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 154. 1836 Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 139. Eine solche Argumentation sollte übrigens später ein wichtiges Moment in Jherings späteren Theorie der sittlichen und rechtlichen Evolution werden. 1837 Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 139. 1838 Jhering, Geist I (11852), § 16, S. 219 sowie § 9, S. 100 zum entsprechenden »Fortschritt des heutigen Rechts gegen das römische«. 1839 Jhering, Geist II/1 (31874), § 36, S. 296. Freilich sah er »die Reaction« dagegen auch noch auf römischen »Boden« eintreten (aaO, S. 297). 1840 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 27. 1841 Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 305ff. 1842 Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 239 [= ders., Geist II/1 (31874), § 33, S. 233 mit einer hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderung in der dritten Auflage von 1874]. 1843 Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 309. 1844 So Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 123 in bezug auf das römische Gleichheitsideal. Vgl. auch Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 59ff. zum historisch verfehlten »Versuch, die Idee der Omnipotenz der Volkssouveränität aus der heutigen Zeit ins römische Alterthum hinein zu übertragen«, sowie Jhering, Geist I (11852), § 11, S. 117 dazu, dass das römische Recht »nicht mit den Ideen des neunzehnten Jahrhunderts« zu beurteilen sei. »Inwieweit

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stellenweise ganz in den Hintergrund. So wie sonst nur noch in einer »Vorbemerkung« zur Darstellung des »Selbständigkeitstriebs des Rechts«1845 und später im Abschnitt über die juristische Technik in Geist II/2 verließ Jhering bei Darstellung des Freiheitstriebs im »Geist des römischen Rechts« zunächst sogar ausdrücklich die »Darstellung des ältern [sc. römischen] Rechts«, um »ganz abgesehen vom römischen Recht« das seiner Auffassung nach wahre »Wesen der Freiheit« und Unfreiheit zu erörtern und damit »eine Rechtfertigung des Gesichtspunktes vorauszuschicken, unter dem ich dasselbe [sc. das römische Recht] beurtheilen werde.«1846 Vor allem aber nahm er das frühe römische Recht zum unmittelbaren Maßstab für »das Recht der verschiedensten Völker« und Zeiten1847 bis hin zum »zum moderne[n] Polizeistaat in einer noch nicht lange hinter uns liegenden Epoche« im Hinblick auf die Frage, ob jeweils »das Selbstbestimmungsrecht des Bürgers mißachtet« worden sei1848. Gegenüber dem auch in späteren Auflagen weiterhin idealisierten »lichtvollen Untergrunde des altrömischen Rechts«1849 sah sich Jhering allerdings genötigt, die bis in die Rechtsordnungen seiner Zeit zu beobachtenden »Divergenzpunkte«1850 im Hinblick auf die Verwirklichung der nicht auf das Privatrecht beschränkten Idee der Freiheit im Recht zu erklären1851. Bestimmte Völker wies er dabei kurzer-

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allerdings Jhering diese guten Vorsätze konsequent durchhielt«, hält W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 39 Fn. 41 für fraglich. Dabei muss man aber immer in Rechnung stellen, dass schon die »guten Vorsätze« Jherings nicht diejenigen eines modernen Historikers waren, blieben doch auch für Jhering im Rahmen seiner Konzeption, die Verwirklichung der »Idee des Rechts« in der geschichtlichen Entwicklung nachzuweisen [Jhering, Geist I (11852), § 24, S. 21; Ders., Geist II/1 (31874), § 24, S. 23], Philosophie und Geschichte immer in besonderer Weise miteinander verbunden [vgl. zu dieser Konzeption schon eingehend Teil 1, Abschnitt I. 2.a)]. W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 266 spricht daher auch von Jherings »zweifache[r] Reflexion […]: auf eine Spiegelung des altrömischen Rechtssystems in Jherings Zeit und auf deren Rückspiegelung in eben jenem System.« Jhering, Geist II/1 (11854), §§ 24f., S. 20–35; Ders., Geist II/1 (31874), §§ 24f.; S. 19–39. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 123f. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 125. Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 27. Vgl. auch Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 128 Fn. 145: »Die Charakteristik des ältern römischen Rechts wird mir zu manchen Seitenblicken auf die heutige Zeit Gelegenheit geben […].« Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 27. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 124. Vgl. zu den von Jhering angenommenen »Ausflüssen« des »Grundsatz[es] der persönlichen Freiheit in Rom« außerhalb des Privatrechts Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 137f. Allerdings machte Jhering hier ganz in den Bahnen der Historischen Rechtsschule wie einst F.C.v.Savigny, Gönner-Rezension (1815), S. 131f. gegenüber Nikolaus Thaddäus Gönner auch klar, dass die Frage wahrer rechtlicher Freiheit oder Unfreiheit von »der Staatsform« vollkommen unabhängig sei [Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 125 Fn. 142]. Zeitgenössische Divergenzen in europäischen Rechtsordnungen und gar Rückschläge bei der Verwirklichung des Grundsatzes persönlicher Freiheit versuchte Jhering damit zu erklären, dass »das Steigen der Cultur und Civilisation« zwar immer eine

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hand einer niedrigeren Entwicklungsstufe zu, auf der der Freiheitstrieb noch nicht historisch wirksam geworden sei1852. In solchen Rechtsordnungen war nach Jhering das Fehlen des Freiheitsgedankens lediglich entwicklungsgeschichtlich feststellbar, nicht aber kritisierbar. Dagegen »stände [es] schlimm um die germanischen Völker, und sie würden mit China und den orientalischen Völkern auf Eine[r] Stufe rangiren, wenn sie in ihrem Recht das ›Prinzip der Subjektivität‹ nicht anerkannt hätten.«1853 Entwicklungsgeschichtlich kritisierbare Rückfälle waren allerdings auch hier nicht ausgeschlossen1854. So sah Jhering die Gesamtrechtsordnungen von – entwicklungsgeschichtlich – »modernen Völkern« auch nur auf »einer Skala« von Systemen relativ großer und relativ geringer Freiheit rangieren1855. Vor allem den Gedanken vom dirigistischen Wohlfahrts- und Erziehungsstaat aus der Zeit des aufgeklärten Absolutismus1856 betrachtete Jhering als direkt gegen »die Rechtsidee«1857 gerichtet: »Die Zeit liegt noch nicht fern, wo diese Anschauungsweise die Gesetzgebung wie die Wissenschaft völlig beherrschte. […] Allerdings hat sich ein Umschwung vorbereitet, aber wir stehen doch erst am Anfang desselben, denn jene Anschauungsweise hat sich nicht bloß in unsern Einrichtungen, Zuständen, Gesetzen u.s.w., sondern auch in der Ansicht des Volks sowohl wie der Regierungen so eingewurzelt, dass noch eine lange, lange Zeit über den Verlauf dieses Prozesses verfließen dürfte. Es handelt sich hier um eine Veränderung […] in […] dem Charakter und Rechtsgefühl des Volks, und derartige Umwandlungen vollziehen sich bekanntlich nur sehr langsam.«1858

In einer späteren Ausarbeitung für die 1874 erschienene dritte Auflage zu Geist II/1 sah Jhering selbst in Rom den »Fortschritt, den das alte Rom in dieser Beziehung [sc. des Zusammenhangs von Recht und Freiheit] bewerkstelligt, indem es Göttliches und Menschliches richtig von einander trennt, […] der Menschheit im zweiten Jahrtausend des Bestehens der ewigen Stadt wiederum verloren [gehen], das Recht muß ganz wie im Orient seinen Arm dazu

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höhere »intellektuelle Bildungsstufe der Völker«, nicht aber notwendig auch denselben Grad »der politischen Reife« bewirke (aaO, § 36, S. 319). So etwa Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 26f. mit Fn. 13d) zum türkischen Recht. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 126 Fn. 143. So war nach Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 222f. etwa das »deutsche Recht« zwar von einer »scheinbar consequenten Auffassung des Freiheitsbegriffs ausgegangen«. Im Laufe seiner Geschichte habe aber eine unreife, nämlich die »ethische Grundlage, – den schöpferischen Beruf der Persönlichkeit« verkennende Auffassung der Freiheit deren »Selbstvernichtung« bewirkt und damit »fast überall die Unfreiheit geärndtet, wo es die Freiheit gesäet hatte.« Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 124f. Dort heißt es etwa: »Von den modernen Völkern repräsentiert vorzugsweise das englische das erste [sc. System der Freiheit], das französische das zweite [sc. System der Unfreiheit]« (aaO, S. 124 Fn. 141). Vgl. dazu etwa D.Klippel, Persönlichkeit (1987), S. 279, 281f. m. w. N. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 129. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 127f.

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leihen, um Ketzer und Andersgläubige zu verfolgen und zu strafen, bis mit dem Beginn des dritten Jahrtausends der Protestantismus dem Christenthum, denselben Gedanken zurückerobert, den das heidnische Rom bereits besessen hatte: Freiheit des Glaubensbekenntnisses und des religiösen Lebens.«1859

Damit kam Jhering der Vorstellung Savignys, dass in der Geschichte des Rechts die vor aller Geschichte inhaltlich wahren Prinzipien historisch gewonnen und auch wieder verloren werden können, wohl an keiner anderen Stelle so nahe wie hier bei der Darstellung des Verhältnisses »der Unfreiheit zur Rechtsidee«1860. Allerdings hat Jhering das historische Vorbild, das im Hinblick auf die Verwirklichung des Freiheitsgedankens selbst manche moderne Rechtsordnung übertroffen haben sollte, bereits in die der Historischen Rechtsschule eher suspekte Zeit des altrömischen und nicht erst des klassischen römischen Rechts verlegt. Im Übrigen hat er auch die Verwirklichung dieser Rechtsidee erst am Ende eines langen universalrechtsgeschichtlichen Prozesses einer stufenmäßig voranschreitenden Fortschrittsgeschichte gesehen.

bb)

Die Begründung der Sittlichkeit des Freiheitstriebs

Wenn Jhering »den Gedanken der Macht und Freiheit« nicht nur als psychologisch notwendig, sondern auch sittlich berechtigt bezeichnete1861 und darauf aufbauend von der »Verpflichtung des Staats« sprach, »den produktiven Beruf des Willens als re c ht l i c h e Ma c ht u n d Fre i h e i t anzuerkennen und zu schützen«1862, stellt sich natürlich die Frage nach dem normativen Grund für eine derartige Verpflichtung, deren Missachtung – so Jhering wörtlich – zu »einem sittlichen Selbstmord«1863 führen würde. Allerdings Jhering im Gegensatz zu Puchtas Darlegung der »Philosophischen Grundlage« des Rechts1864 geradezu ostentativ »das Kap Horn der Rechtsphilosophie […], so weit unser Zweck es verstattet, in möglichst weiter Entfernung zu umschiffen« versucht1865. Damit bekundete Jhering nicht etwa sein Desinteresse an der »Idee des Rechts«, dem – so Jhering in späterer Auflage – »höchste[n] und schwierigste[n] Problem der ganzen Rechtswissenschaft«1866. Aber entsprechend seiner Konzeption, die »Idee des Rechts« im »Recht der [sc. historischen] Wirklichkeit« darzustellen, statt mit Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 26. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 129. Jhering, Geist II/1 (11854), § 35, S. 303. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 130. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S 131. So lautet Puchtas eigene Kapitelüberschrift für die einleitenden Paragraphen zur »Encyclopädie« des Rechts in Cursus I (11841), §§ 1–9. 1865 Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 48. 1866 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 23. 1859 1860 1861 1862 1863 1864

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

der zeitgenössischen Philosophie durch abstrakt-philosophische »Spekulation« die »begriffliche Selbständigkeit des Rechts, den Unterschied desselben von der Moral u.s.w. nachzuweisen«1867, weigerte sich Jhering auch später standhaft, in abstrakter Form im einzelnen »Rede und Antwort darüber [zu] stehen, welchen Inhalt die Idee des Rechts postulirt.«1868 Das hinderte Jhering allerdings nicht, auf die zeitgenössische Philosophie direkt Bezug zu nehmen.1869 Hatte er doch immerhin zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn den fehlenden Bezug zur zeitgenössischen Philosophie als ein wesentliches Manko der Historischen Rechtsschule kritisiert. So verwies Jhering darauf, dass er sich, »was den Unterschied von Recht und Moral anbetrifft, »zu der Ansicht von Stahl[s] Rechtsphilos.[ophie] […] bekenne.«1870 Dies 1867 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 20f. Vgl. zu dieser von Jhering als »philosophische Betrachtung des Positiven« bezeichneten Konzeption oben S. 276 Fn. 1354. 1868 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 23. Man kann sich allerdings fragen, ob Jhering seine Abstinenz von philosophischer Spekulation nicht in dem Moment aufgegeben hat, als er Ende der siebziger Jahre mit der Vorstellung einer in der Geschichte notwendig wirkenden »Zweckdialektik« [Jhering, Zweck I (11877), S. 105] eigene geschichtsphilosophische Grundlagen für konkrete Inhalte des Rechts bis hin zur Idee des Rechts zu legen versuchte. So sieht es beispielsweise W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 260ff., der darauf hinweist, dass Jherings Evolutionsdenken der Spätzeit durchaus nicht frei war von »sehr abstrakter apriorische[r] Konstruktion«, allerdings nicht idealistischer, speziell Hegelscher Provenienz (aaO, S. 273 Fn. 202 sowie S. 329ff., 344f.). Es würde wohl zu weit gehen, Jherings Zweckdenken deswegen als »geschichtsblind« zu bezeichnen, wie Pleister, aaO es tut. Auf jeden Fall verbarg sich aber hinter der Zweck-Formel als »höchstem weltbildendem Princip« [Jhering, Zweck I (11877), S. XII] ein universales geschichtsphilosophisches Bewegungsprinzip, dem Jhering in der kulturell-zivilisatorischen Entwicklungsgeschichte von »den niedersten Regionen des Lebens […], in denen nach der landläufigen Ansicht nur der Zufall, die Laune, die Willkür herrscht«, bis zum »dialektischen Fortschritt des Zweckes in dem Aufbau der sittlichen Weltordnung« alles unterzuordnen suchte, da »der Zweck alles gemacht hat« [vgl. nur Jhering, Zweck II (11883), S. XVIIf., ders., Zweck II (21886), S. 214 et passim]. Demgegenüber sieht O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 153f. nur den frühen Jhering den historischen »Stoff nach spekulativ-apriorischen Kategorien« organisieren, in Jherings Spätzeit soll dagegen der »Übergang von der spekulativen in die deskriptive Methode« erfolgt sein. 1869 Auf eine indirekte Bezugnahme hat jetzt J.Rückert, Jhering (2016), S. 202f. hingewiesen, wenn Jhering nämlich im ersten Band »in der Sprache des objektiven Idealismus« von der »heutzutage herrschenden Auffassung des Rechts als einen objectiven Organismus der menschlichen Freiheit« spreche, was »fast wörtlich in Schellings bekannt-berühmter, sog. Methodenvorlesung von 1803« stehe. Dies könnte vermittelt sein durch Stahl. Begriffliche Nähe bedeutet aber nicht immer auch schon sachliche Übereinstimmung. Die Tatsache, dass Schellings Sentenz fast genau ein halbes Jahrhundert später selbst noch bei Jhering auftaucht, sagt wohl mehr aus über den Zustand der Rechtsphilosophie um 1850 als über Jhering selbst. War doch nach Jherings Auffassung der Begriff des Rechts in der Weltgeschichte älter als Begriff der Freiheit und dessen Verknüpfung mit dem Recht – eine Auffassung, die schwerlich mit der Philosophie des Deutschen Idealismus zu vereinbaren war. 1870 Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 48 Fn. 34. Jhering nahm hier konkret Bezug auf F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 1, S. 161, nicht dagegen auf die 1854 erschienene

Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts

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wie auch weitere Anleihen Jherings bei Friedrich Julius Stahl, bei dem Jhering als Student einst »de jure naturae« gehört hatte1871, haben Wolfgang Pleister, der der Herkunft der Vorstellungen über »Persönlichkeit, Wille und Freiheit im Werke Jherings« in seiner gleichnamigen detaillierten Untersuchung nachgegangen ist, außer auf Puchta eben vor allem auf Stahl verweisen lassen1872. Tatsächlich konnte Pleister teilweise wörtliche Anleihen Jherings bei Stahls geschichtsphilosophischer Kritik an Hegels angeblich freiheitsvernichtendem »perpetuum mobile seiner Dialektik« nachweisen1873. Dennoch war – wie auch Pleister einräumt – die Kritik an einer Philosophie, die »das Gesetz, die logische, dialektische Nothwendigkeit als das Höchste« betrachtete und sowohl »die Persönlichkeit und Freiheit Gottes« wie auch die menschlichen freien »Persönlichkeiten zu bloßen Momenten des dialektischen Prozesses herab[drückt]«1874, seit Anfang der vierziger Jahre ohnehin ein Standardargument liberaler bis konservativer Hegel-Kritik1875. Mag auch Jherings Redeweise von der »göttlichen

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dritte Auflage desselben Werks, wo F.J.Stahl, Philosophie II/1 (31854), S. VII offensichtlich unter dem Eindruck der zwischenzeitlich eingetretenen »mächtigen Ereignisse der Zeit«, eine Anspielung auf die – gescheiterte – Revolution von 1848, seine Unterscheidung von Recht und Moral im obrigkeitlich-theistischen Sinne verschärfte. Vgl. F.J.Stahl, Philosophie II/1 (31854), § 1, S. 194f. mit Anm.*): »Die Begriffsbestimmung des Rechts in der II. Auflage war […] noch ungenügend.« Es fehlte in ihr nach Stahl, aaO ein wesentliches Merkmal von Recht und Moral, nämlich der Hinweis, dass die Moralnormen als »Gottes unmittelbare Gebote« und das Recht zwar nur als »der Inbegriff der Gebote menschlicher Obrigkeit«, »aber zum Dienste der göttlichen, bestimmt durch Gottes Gebote, gegründet auf Gottes Ermächtigung«, Gehorsam fordern. Vermutlich auch deswegen hat Jhering sein Bekenntnis zu Stahl in dieser Frage bereits in der zweiten Auflage von Geist II/1 gestrichen. Jhering, Vita (1843), Bl. 71; Ders., Savigny (1860), S. 19. Nach B.Klemann, Jhering (1989), S. 65 handelte es sich um die Vorlesung »Naturrecht oder Rechtsphilosophie«, die Stahl im Sommersemester 1842 in Berlin gehalten hat. Vgl. dazu auch W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 180f. m. w. N. Pleisters Resümee allerdings, wonach Jherings Begriff der »Persönlichkeit« Puchta das »irrational-voluntaristische Element« verdanke, Stahl hingegen das »personale Element, das als von Gott gewollter der Schöpfung eingeprägter Eigenwert aufgefaßt wird« [W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 187], erscheint angesichts der grundlegenden Bedeutung, die gerade auch Puchta dem letzteren Element beigelegt hat [vgl. nur G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 1, S. 3f.], etwas willkürlich. F.J.Stahl, Philosophie I (11830), S. 275. Vgl. dazu Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 54 (»freie That Gottes« statt »ein sich selbst bewegendes perpetuum Mobile der Dialektik«) sowie Jhering, Zweck II (21886), S. 113 zum »Perpetuum mobile der Weltgeschichte« als der »Fähigkeit, welche Hegel in seiner dialektischen Methode fälschlich dem Begriff beilegte […].« Zum Ganzen eingehend W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 166f. Fn. 673 a.E., S. 180ff., insbesondere S. 184ff. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 127 Fn. 144. W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 184, 189f. Im Übrigen hat Stahl im Vorwort zur zweiten Auflage seiner »Philosophie des Rechts« auch selbst ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die vor allem gegen die »Drachensaat des Hegelschen Pantheismus« [vgl. G.Lanczkowski, Artikel »Pantheismus« in: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.7

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Mission des Staats«1876 auf Stahl1877 zurückzuführen sein, so betonte Jhering doch gleichzeitig auch, dass die einzelne »Persönlichkeit [sc. des Menschen] mit ihrem Anrecht auf freie schöpferische Thätigkeit […] nicht minder von Gottes Gnaden« herrühre, so dass beide, Staat und Individuum, aus jeweils eigenem Recht existieren und sich gegenseitig beschränken sollten1878. Eine »Ableitung [sc. des Rechts] nur aus der gleich ursprünglichen Existenz und Aufgabe der Gemeinschaft«, wie es Stahl vorschwebte1879, hat Jhering nie befürwortet. Insofern wird man aus Jherings eigenem Bekenntnis zu Stahls Bestimmung des Verhältnisses von Recht und Moral keine zu weitgehenden Schlussfolgerungen ziehen dürfen. Die tatsächlich bestehenden Übereinstimmungen zwischen Jhering und Stahl betreffen gerade nicht das originär Stahlsche Gedankengut. Im Übrigen bestanden auch bei der Bestimmung des Verhältnisses von Recht und Moral von Anfang an nicht zu übersehende Unterschiede zwischen Jhering und Stahl. Anders als Jhering, der – hier Savigny noch näher als Puchta – zumindest bis zu seiner später erfolgten Neubestimmung des Freiheitsbegriffs im Sinne einer graduellen Abwägung nach den jeweils involvierten Individualund Gemeinschaftsinteressen1880 zunächst noch das geltende Recht im Sinne einer Zweiteilung nach seinem allein freiheitsverbürgenden »spezifischen Rechts-Gehalt«, dem eigentlichen »Rechtsstoff« einerseits und der »nur gesetzlich normirte[n] Moral, Zweckmäßigkeit u.s.w.« andererseits genau unterscheiden zu können glaubte1881, hat dagegen Stahl gerade keine »scharfe Scheidelinie« zur »Abgränzung des moralischen und des Rechtsgebietes« ge-

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(1989), Sp. 61; W.Jaeschke, in: H.Drüe, Hegel-Kommentar (2000), S. 475ff.] in Stellung gebrachte »Lehre von der Freiheit und Persönlichkeit Gottes […] nicht einen mir eigenthümlichen wissenschaftlichen Standpunkt« darstelle, sondern »den allgemeinen oder doch noch vorherrschenden menschlichen Glauben« [F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), S. VII]. In der Tat ist für Jhering auch später noch die Vorstellung eines personalen Schöpfergotts mit einem »bewussten Willen« grundlegend geblieben [vgl. etwa Jhering, Zweck I (11877), S. XI]. Dabei fehlte – entgegen W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 187f. – auch nie die Analogie von göttlicher und menschlicher »Schöpferkraft« durch die Ableitung der letzteren aus der »Gottebenbildlichkeit« des Menschen [Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 129f.]. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 131. In einer neuen Formulierung sprach Jhering, Geist II/1 (21866), § 30, S. 122 seit der zweiten Auflage sogar von einer »sittliche[n] Mission des Staats«, da – so das von Jhering hier noch einmal ausdrücklich bekräftigte Axiom des überkommenen und insoweit auch nicht auf die Historische Rechtsschule beschränkten Organismusgedankens – der Einzelne »doch nicht allein für sich« stehe, sondern auch »ein Glied eines höhern sittlichen Organismus« sei, »dessen Dasein […] auf göttlicher Einsetzung beruht […].« F.J.Stahl, Philosophie II/2 (21846), § 43, S. 148. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 131. F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 7, S. 174. Dazu der nächstfolgende Unterabschnitt 3. b). Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 48.

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sehen1882. Nicht – wie Jhering – im »Wesen der Freiheit selbst«1883, durch welches »das Recht sein Maß und Ziel in sich selbst trage«1884, sondern in dem im aristotelischen Sinne verstandenen »telos« der »faktischen Basis« der Lebensverhältnisse hatte Stahl »Aufgabe und […] Maaßstab des Rechts« gesehen1885. Während Jhering die »Eigenthümlichkeit« des Rechts gegenüber der Moral in dessen Inhalt und nicht in seiner »bloße[n] Form«, dem »äußern Zwange« sehen wollte1886, war für Stahl eben »p hy s i s c h e r Zw a n g […] von jeher […] der hauptsächlichste, nämlich handgreiflichste Unterschied von Recht und Moral« und bildete zusammen mit der zweiten Eigenschaft des Rechts, auch »eine Anforderung an den Willen – ein e t h i s c h e s [sic!] G e b o t « zu sein, die maßgebliche »Eigenthümlichkeit des Rechts«1887. Soweit dagegen zwischen Stahl und Jhering bei der Bestimmung des »Dualismus«1888 von Recht und Moral tatsächlich Übereinstimmung bestand, nämlich insoweit nach Stahl nur die Moral den guten »Wi l l e n d e s I n d iv i du u m s « selbst, die sittliche »Vollendung eines eigenen Wesen« bewirken solle1889, während dagegen die »Rechtspflicht […] b l o ß au f d i e H a n d l u n g [,] nicht wie die sittliche [sc. Pflicht] zugleich auf den B e w e g g r u n d « des Willens ziele, so lag dem allenfalls – so sah es zumindest Stahl selbst – »K a nt ’ s Unterscheidung der Le g a l i t ä t und der Mo r a l i t ä t «, nicht aber ein gerade der Rechtsphilosophie Stahls eigentümlicher Gedanke zugrunde1890. Tatsächlich sind auch bei Jhering entsprechende Parallelen zu Kant bis in die Terminologie hinein unübersehbar. So hat Jhering – allerdings ganz unkantisch jeweils erst für die Zeit nach dem Erreichen der geschichtlichen Entwicklungsstufe, die eine Ausbildung des Sinns für die sittliche Freiheit zulässt – ausgehend von der »Fähigkeit der Selbstbestimmung«, welche die Menschen »über die unbelebte Schöpfung und die Thierwelt erhebt«1891, vom Recht 1882 F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 4, S. 170. Dass jeweils ein »rechtlicher und sittlicher Bestandtheil« in den Lebensverhältnissen zu »scheiden« sei und dass das Recht letztere daher »nicht ihrem ganzen Umfange nach in sich aufzunehmen« habe, meinte allerdings auch Stahl (aaO, § 2, S. 165; § 4, S. 167). Nur sagte er das nicht als erster. 1883 Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 224f. 1884 Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 48. 1885 F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 3, S. 166. Danach sollte jedem »einzelnen Lebensverhältnisse […] (Vermögen, Ehe, elterlichem Verhältniß, Standesthätigkeit u.s.w.) […] eine weltökonomische Idee inne« wohnen, »die sich in ihm zu vollenden strebt […]« (aaO). »Das deutsche Wort ›Zweck‹ drückt nicht dasselbe aus; denn es würde ein außerhalb dieser Lebensverhältnisse (Ehe, Staat u.s.w.) liegendes Ziel bedeuten […]« (aaO, S. 166f. Anm.*). 1886 Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 48. 1887 F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 5, S. 172. 1888 So lautete das durch Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 49 übernommene Wort von F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 1, S. 161. 1889 F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 1, S. 161. 1890 F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 21, S. 214. 1891 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 24. I.Kant, MdS TL (1797), Einl. VIII, A 24 = WW VIII,

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gefordert, dem Menschen durch die Garantie rechtlicher Handlungs- und Dispositionsfreiheit, Jhering sprach insoweit sogar vom »höchste[n] Recht des Menschen, die Möglichkeit »zu seiner sittlichen Selbsterziehung« zu geben1892, »das G u t e aus e i g n e m Antriebe«1893 bzw. »das Gute rein des Guten wegen […] zu thun«1894. Anders als bei Puchta scheint in diesen Formulierungen Jherings sogar noch Kants kategorischer Imperativ anzuklingen. Allerdings meinte Jhering mit der Möglichkeit, aus »eignem Antriebe« das »Gute rein des Guten wegen« zu tun, nur die Freiheit von staatlichem Rechtszwang, nicht aber wie Kant auch die »Unabhängigkeit ihrer B e s t i m mu n g durch sinnliche Antriebe« des menschlichen Willens1895. Auch bei Jhering war es mithin so, wie es im Rahmen der Darstellung von Puchtas Begründung des Prinzips rechtlicher Freiheit bereits als typisch für nichtkantische Rechtsdenker des 19. Jahrhunderts festgestellt wurde.1896 Die Kantischen oder zumindest an Kant angelehnten Formulierungen außerhalb, aber eben auch innerhalb der Historischen Rechtsschule, etwa wenn Savigny von der »Reinheit der sittlichen Triebfeder«1897 und Stahl von dem für das Recht unbeachtlichen »Beweggrund« des Willens oder aber Jhering vom »eignen Antriebe« sprachen, zeugen nicht eigentlich von einer Rezeption der Kantischen Philosophie mit ihrer im sittlichen Willen allein praktisch werdenden Vernunft. Wohl aber verweisen sie auf eine Übernahme der Kantischen Begründung der unbedingten rechtlichen Freiheit des einzelnen mit der vorrechtlichen Eigenschaft jedes Menschen, ein sittlich autonomes und durch diese sittliche Freiheit auch sittlich gefordertes Willenssubjekt zu sein. Dass Jhering die eben darauf

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S. 522: »Das Vermögen, sich überhaupt irgend einen Zweck zu setzen, ist das Charakteristische der Menschheit (zum Unterschiede von der Tierheit).« Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 130. Daher dürfe man den Menschen nicht »zum Guten, Vernünftigen u.s.w. z w i n g e n « (aaO). Vgl. dazu I.Kant, MdS TL (1797), Einl. I, A 4, 6 = WW VIII, S. 509f., wonach die Ethik nur »Pflichten enthalte, zu deren Beobachtung man von andern nicht (physisch) gezwungen werden kann«, da der moralische »Pflichtbegriff keinen anderen als den S e l b s t z w a n g […] enthalten« könne. Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 51; § 30, S. 130, 133. Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 26. I.Kant, MdS RL (1797), Einl. I, AB 5 = WW VIII, S. 318. Den insoweit bestehenden grundlegenden Unterschied zwischen Kants und Jherings Denkansatz hat bereits W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 41ff., 46ff., 54ff., 64ff., 228 et passim im Einzelnen herausgearbeitet. Kants idealistische Willensmetaphysik und die Vorstellung eines seiner sinnlichen Komponente beraubten Willens waren Jhering nicht erst in seiner Spätphase vollkommen fremd gewesen. Der Wille war für Jhering immer der auch von sinnlichen Antrieben getragene tatsächliche Wille. Später hat Jhering Kants kategorischen Imperativ bezeichnenderweise auch als »eine psychologische Unmöglichkeit« bezeichnet [Jhering, Zweck I (11877), S. 57f.] – ein Einwand, mit dem nun wiederum Kant nichts hätte anfangen können. Vgl. C.-E. Mecke, Begriff (2009), S. 507–517. F.C.v.Savigny, System III (1840), § 122, S. 177.

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beruhende Trennung von Recht und Moral in dem von Pufendorf und Kant geprägten Wortgebrauch1898 schon im altrömischen Recht verwirklicht sehen wollte, weil bereits dort »der freie Mann das Gute rein des Guten wegen, nicht gezwungen zu thun wünscht[e]«1899, kann daher auch nur als eine große Geschichtskonstruktion betrachtet werden1900. Etwas richtiger lag Jhering schon mit seiner Behauptung, dass der nach seiner Auffassung dem spätantiken Rom verloren gegangene, die »Freiheit des Glaubensbekenntnisses und des religiösen Lebens« sichernde »Gegensatz zwischen Recht und Moral« in der Neuzeit durch den »Protestantismus dem Christenthum […] zurückerobert« worden sei1901 – eine offensichtliche Anspielung Jherings auf die Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers und dessen Bekenntnis zur Glaubensfreiheit1902. Wenn auch Kants spätere Unterscheidung von Recht und Moral an eine Differenzierung anknüpfte, die zum Grundbestand der Rechtsphilosophie überhaupt gehört und in Ansätzen bereits in der griechischen Antike nachweisbar ist1903, so hat wohl kein anderer Philosoph so streng, aber auch so wirkungsvoll wie Kant das Ethos der sittlichen Selbsterziehung des Menschen betont. Genau dieses Ethos wurde – herausgelöst aus seinem spezifisch vernunfttheoretischen Kontext bei Kant – von christlichen und insbesondere von den der protestantischen Kirche nahestehenden 1898 Vgl. R.Dreier, Jhering (1993/1996), S. 229f. mit Blick auf Jhering. 1899 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 26. 1900 So bezüglich Hegel schon M.Villey, droit romain (1971), S. 276: »Le droit dont en de´finitive Hegel cherche / nous faire saisir la rationalit8 concrHte est droit moderne et non plus du tout droit romain.« Offensichtlich war es Hegel gewesen, der Jhering zu dieser ideengeschichtlichen Konstruktion inspiriert hat, auch wenn sich Hegels Konstruktion – wie W.Wilhelm, Theorie (1972), S. 283f. Fn. 77 a.E. hervorhebt – noch nicht auf das altrömische, sondern auf das klassische Recht der römischen Kaiserzeit bezogen hatte. 1901 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 26. 1902 Vgl. nur H.Welzel, Naturrecht (41980), S. 100ff. zu Luthers Lehre von den zwei Reichen Gottes, dem einerseits die lex Divina und andererseits ein von Welzel sogenanntes weltliches Naturrecht entsprachen. Während die lex Divina nach Luther ohne äußere Macht ist, aber sich auf den Menschen mit einer der göttlichen Gerechtigkeit entsprechenden Gesinnung bezieht, soll sich das für die Welt bestimmte Naturrecht darauf beschränken, die irdische Ordnung, »als wäre da kein Gott«, sowohl für die Christen als auch für alle Anders- und Nichtgläubigen durch Zwang zum Frieden zu erhalten. Folglich hatte dieses weltliche Naturrecht mit dem Seelenheil des Einzelnen nichts zu tun (aaO, S. 102f.). Dieses ist nach Luther vielmehr, und zwar ohne die von der römisch-katholischen Kirche beanspruchte ausschließliche Mittlerstellung, die nach Jhering nur im Mittelalter berechtigte »Vormundschaft der Kirche« [Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 75], jeweils der Glaubens- und Gewissensentscheidung des einzelnen Individuums überantwortet. Letzteres bezeichnet H.J.Störig, Philosophie (151990), S. 287, 289 als eine »Befreiungstat«, ohne die vor allem »die Philosophie Immanuel Kants mit ihrer Lehre von der autonomen sittlichen Persönlichkeit« nicht denkbar gewesen wäre. 1903 Vgl. L.Samson, Artikel »Moralität/Legalität« in: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/ Bd.6 (1984), Sp. 179 m.w.N. zu der Verbindungslinie von der griechischen Antike und der Philosophie der Stoa zum Neuen Testament und neuzeitlichen Naturrecht. Ferner H.L.Schreiber, Rechtspflicht (1966), S. 6 m.w.N.

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Rechtsdenkern im 19. Jahrhundert nur zu gern übernommen zu einer unangreifbar erscheinenden, man könnte auch sagen überpositiven Legitimierung rechtlicher, insbesondere aber privatrechtlicher Freiheit des Einzelnen gegenüber dem Staat1904. Auch Jhering macht hier keine Ausnahme ungeachtet der Tatsache, dass er – anders als etwa Puchta oder auch Stahl – dem »konfessionellorthodoxem Christentum« distanziert gegenüberstand1905. Jhering verstand sich nämlich zeit seines Lebens durchaus als christlicher Rechtsdenker, auch wenn er seinen christlichen Theismus aufgrund seiner Distanz zum kirchlich-konfessionellen Christentum weniger hervorkehrte als Puchta und Stahl1906. 1904 Vollkommen zu Recht hat R.Dreier, Jhering (1993/1996), S. 229f. darauf hingewiesen, dass sich die »Pointe der Jheringschen Trennung zwischen Recht und Moral […] auf Kants Mahnung bringen [läßt]: ›Weh aber dem Gesetzgeber, der eine auf ethische Zwecke gerichtete Verfassung durch Zwang bewirken wollte‹«. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass Jhering selbst glaubte, Kants Rechtsbegriff sei – übrigens im Unterschied zu demjenigen Hegels – noch »über die äußere Erscheinungsform des Rechts: den Zw a n g nicht hinausgekommen […]« [Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 308]. 1905 Vgl. zu letzterem O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 173f.; Ders., Jhering (1987), S. 243f. mit Fn. 39. Dass Jhering anläßlich seiner Kandidatur für die Nationalliberale Partei bei den im Februar 1867 stattfindenden Wahlen zum konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes einen scherzhaft ironisch gefaßten Lebenslauf einleitete mit den Worten »Geboren? Ja! und zwar ehelich! Religion? Romanist […]« [Ehrenberg-Briefe/ 1913, Nr. 66, S. 214 sowie mit Erläuterungen F.Ritter, Jhering (1916), S. 45], war nach Behrends, aaO, S. 243 kein bloßer Scherz, sondern hatte auch einen ernsten Kern. Allerdings sollte man diesen auch nicht überbewerten. Der launige Ton zog sich durch die gesamte persönliche Vorstellung des Wahlkämpfers Jhering in seinem ostfriesischen Wahlkreis. 1906 Nach O.Behrends, Jhering (1987), S. 243 war Jhering – darin »Savigny gar nicht unähnlich« – nur ein »rationalistischer Theist«. Letzteres erscheint allerdings schon im Falle Savignys als zu wenig zur Charakterisierung seiner – im Unterschied zu Puchta – zwar in der Tat nicht konfessionsgebundenen, aber betont christlichen Glaubenseinstellung [dazu zuletzt S.Meder, Urteilen (1999), S. 145f. Fn. 64 m.w.N.]. Diese dokumentierte sich nicht nur in Savignys nachdrücklichem Bekenntnis zum Recht in der »christlichen Lebensansicht« [F.C.v.Savigny, System I (1840), § 15, S. 53], sondern auch in seiner entgegen O.Behrends, Savigny (1985), S. 276f.; Ders., Rechtsgefühl (1986), S. 80 so gar nicht zum »aufklärerischen Theismus« der Lessingschen Ringparabel passenden und nicht zuletzt auch in rechtlicher Hinsicht relevant gewordenen Einstellung gegenüber Juden [vgl. zu Savignys Haltung in dieser Frage bereits C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 672 Fn. 3378 m.w.N.]. Aber auch Jhering war wohl noch etwas mehr als nur ein »rationalistischer Theist«. Immerhin stellte er den ideengeschichtlichen »Sieg des Christenthums« in eine Reihe mit der Rezeption des römischen Rechts [Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 34v ; Ders., Geist I (21866), § 1, S. 1ff.] und identifizierte das Christentum mit dem in der neutestamentarischen Vorstellung vom liebenden Gott wurzelnden Gedanken der »Liebe«, der erst den »Egoismus des römischen Rechts« überwunden habe. Zwar lehnte Jhering anders als Savigny eine rechtliche Diskriminierung von Juden für die entwicklungsgeschichtlich erreichte Stufe seiner eigenen Zeit strikt ab. Im Zusammenhang mit dem Ende 1879 von dem damals schon berühmten Historiker Heinrich von Treitschke ausgelösten spektakulären Berliner Antisemitismusstreit, in dessen Verlauf sich zunächst nicht e i n nichtjüdischer Publizist finden sollte zu einer vorbehaltlosen öffent-

Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts

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Mithin war es auch für Jhering nicht anders als etwa für Puchta eine »einfache Wahrheit, daß die Persönlichkeit ihr Recht mit auf die Welt bringt, ein Recht von Gottes Gnaden, das jeder Staat respektiren soll«1907,

da eben »Gott […] den Trieb nach Freiheit in des Menschen Brust gepflanzt« habe1908. Daher lag auch nach Jhering der »Werth der rechtlichen Freiheit […] nicht bloß in dem, was sie materiell leistet und hervorbringt, sondern in ihrer sittlichen Bestimmung«1909 als »unentbehrliches Mittel zu[r] […] sittlichen lichen Zurückweisung der antisemitischen Ausfälle Treitschkes und anderer Vertreter der zeitgenössischen Gesellschaftselite [vgl. W.Boehlich, Nachwort (1988), S. 246 et passim und jüngst auf der Grundlage neuer Forschungen Uffa Jensen, »Die Juden sind unser Unglück!«, in: DIE ZEIT, Jg. 57, Nr. 25 vom 13. Juni 2002, S. 82] hat Jhering in einem Brief, den der Wiener Schriftsteller und Publizist Isidor Singer als eine Stimme »aus dem Lager der Nicht-Juden zu Gunsten der Angegriffenen« unter anderem auch von Jhering erbeten hatte [I.Singer, Judenfrage (1885), S. VIII], mit bemerkenswert deutlichen Worten Stellung bezogen gegen die damals selbst unter renommierten Wissenschaftlern bereits um sich greifende völkisch antisemitische »Bewegung […], welche unserer Zeit und unserem Vaterlande zur höchsten Unehre gereicht« [vgl. Jherings Brief vom 9. September 1884, publiziert in: Singer-Briefe (1885), S. 165f., auch auszugsweise mitgeteilt von A.Kohut, Jhering (1886), S. 364f., ferner insoweit fast gleichlautend schon Jherings Brief vom 19. Januar 1880 an den jüdischen Professor für Psychologie und Völkerpsychologie Moritz Lazarus (abgedruckt in: Behrends-Briefe/1992, Nr. 14, S. 117) sowie jetzt auch der in der Briefedition Losano-Briefe II /1996, Nr. 65, S. 185 vollständig veröffentlichte Brief Jherings vom 3. August 1879 an Julius Glaser mit einer von Jherings Tochter, Helene Ehrenberg, früher nicht publizierten Passage zum künftigen jüdischen Schwiegersohn Victor Ehrenberg]. Dennoch sind die im Rahmen des traditionellen Antisemitismus auch für einen gebildeten Christenmenschen dieser Zeit so typischen Ausfälle beispielsweise durch Titulierung eines wissenschaftlich oder auch persönlich nicht geschätzten Kollegen als »grünen Juden Bengel« u.s.w. zumindest in seinen jüngeren und mittleren Jahren auch Jhering keineswegs fremd gewesen [vgl. nur Losano-Briefe I /1984, Nr. 28 (Jherings Brief an Gerber vom 28. Oktober 1853), S. 86f. sowie aaO, Nr. 197, 202 (Jherings Briefe vom 7. November und 13. Dezember 1862), S. 501, 511]. Im Übrigen erscheint die Charakterisierung Jherings als »rationalistischen Theisten« auch deswegen nicht ganz treffend, weil man als einen solchen selbst noch einen Vertreter der Philosophie des Deutschen Idealismus bezeichnen könnte – eine Philosophie, die nach der im 19. Jahrhundert geläufigen Kritik des christlichen Theismus [vgl. P.Hünermann, Artikel »Theismus, spekulativer« in: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.10 (1998), Sp. 1059] zwar nicht Gott, wohl aber die Vorstellung der »Persönlichkeit und Freiheit Gottes« im Sinne der biblischen Offenbarung negierte. Eben dies hat vom Standpunkt eines christlichen Theismus aus neben vielen anderen eben auch Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 127 Fn. 144 offensichtlich direkt gegen Hegel gerichtet kritisiert. In diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtig dürfte auch der von Behrends selbst gegebene Hinweis sein, dass Jhering als ganz junger Mensch unter dem Einfluss seines theologisch interessierten Gymnasiallehrers offenbar sogar selbst einmal den Plan gehabt hatte, Theologie zu studieren [vgl. O.Behrends, Jhering (1987), S. 242 m.w.N.]. 1907 Jhering, Geist II/1 (11854), § 34, S. 241. 1908 Jhering, Geist II/2 (11858), § 30, S. 126 Fn. 143. 1909 So Jhering, Geist II/1 (31874), § 30, S. 128 in einer Formulierung aus der dritten Auflage.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Selbsterziehung« jedes Individuums1910. Denn nur im Hinblick auf die Bedeutung der sich »mit dem [sc. moralisch] Bösen so gut wie mit dem Guten«1911 vertragenden rechtlichen »Freiheit als Bedingung sittlicher Entwicklung«1912 und »Bedingung der [sc. moralischen] Vollkommenheit« des Einzelnen1913 war die rechtliche, und das heißt hier die privatrechtliche Freiheit jedes einzelnen nach Jhering »etwas selbst über dem Menschen Erhabenes […], ein Gut, das er rechtlich weder sich selbst, noch seinen Nachkommen verkümmern« dürfe1914. Voraussetzung für diese von Jhering 1874 noch einmal bekräftigte Wahlfreiheit zwischen dem moralisch Guten und Bösen1915 war natürlich die Unterscheidung zwischen »der moralischen und physischen Weltordnung«, deren Gleichsetzung Jhering »als eine Entwürdigung der ersteren entschieden« zurückwies, da – so Jhering praktisch mit Puchtas Worten – »das Wesen der ersteren […] die Freiheit, das der letzteren die Nothwendigkeit« sei1916. Selbst Puchtas ausdrückliche Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 130. Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 19. Jhering, Geist II/1 (11854), § 34, S. 239. Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 19. Denn »die Vollkommenheit oder sagen wir: das Gute erhält seinen ethischen Werth erst dadurch, dass es die eigene That des Subjects ist« (aaO). 1914 Jhering, Geist II/1 (11854), § 34, S. 239. 1915 Anders sieht es dagegen offenbar W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 230, 244f., der mit Blick auf das Fehlen einer »ethische[n] Ausrichtung [sc. des Willens] – Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse« im 1877 erschienenen ersten Band von Jherings Werk »Der Zweck im Recht« von einer »Entmachtung des Individuums« spricht. Das Individuum soll nach Pleister in Jherings nunmehriger Auffassung angeblich nicht mehr Zweck an sich selbst gewesen sein, sondern nur noch »Bedeutung für andere« Individuen gehabt haben und auch dies »nur, insofern es für diese da = zu irgendeinem ihrer [sic!] Zwecke tauglich ist«. Tatsächlich aber lag Jhering nichts ferner als das. War es doch gerade Jhering gewesen, der seit den sechziger Jahren vor derartigen Folgerungen, die man nach seiner Meinung aus der herrschenden Willenstheorie zur Begründung des subjektiven Rechts ziehen konnte, mit Verweis auf den unverfügbaren Selbstzweck jedes Individuums unabhängig von seinen Fähigkeiten und seinem Nutzen für andere nachdrücklich gewarnt hat. Dass Jhering ausgerechnet in diesem Punkt seine Auffassung zwischen 1874 und 1877 fundamental geändert haben sollte, wäre allein schon für sich unwahrscheinlich und wird im übrigen auch durch spätere Aussagen widerlegt. Die Aussagen, auf die Pleister, aaO Bezug nimmt, gehören vielmehr in den Kontext von Jherings Evolutionstheorie, also zum späteren Erklärungsmodell für den geschichtlichen Entstehungsprozess von gesellschaftlichen Normensystemen. Aber auch dieser Prozeß mußte nach der festen geschichtsphilosophischen Überzeugung von Jhering, Zweck I (11877), S. XIIf. selbst dann, »wenn tausend Mal die Welt so erschaffen würde, wie sie es einmal ward«, am Ende »das Recht, es mag wollen oder nicht«, zu dem im Text dargestellten System der Freiheit führen. Und sowohl für die so charakterisierte Rechtsordnung, die die moralische Freiheit in der Möglichkeit der ökonomischen Selbstbestimmung des Einzelnen garantiert, als auch für den sittlich-moralischen »Gegensatz dessen, was gut und böse ist«, sah Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 12, 42 den »letzten Urgrund« immer in »Gott«. 1916 So Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 128 vor allem gegen die idealistische Philosophie Hegels gerichtet. Vgl. zu Puchta C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 473f. und zu dieser Entsprechung bei Jhering und Puchta insoweit ganz zutreffend W.Pleister, Persönlichkeit

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Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts

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Berufung auf die Schöpfungsgeschichte1917 fehlte nicht bei Jherings Begründung der ebenfalls mit der »Gottähnlichkeit«1918 bzw. »Gottebenbildlichkeit«1919 des Menschen in Verbindung gebrachten Freiheit des Menschen1920, deren Ausübung die staatliche Rechtsordnung mit ihren Mitteln »bloß zu e r m ö g l i c h e n und zu e r l e i c ht e r n « habe1921. An dieser sittlich-theologischen Begründung der durch die Privatrechtsordnung zu sichernden »Anwartschaft [sc. aller Menschen] auf die ganze Welt«, d. h. der allein von der jeweiligen Schöpferkraft der Menschen begrenzten Freiheit, die »ganze Welt [ganze Erde]« nach den selbst gesetzten ideellen und vor allem materiellen Zwecken zu gestalten1922, hat Jhering auch

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(1982), S. 179. Der in Jherings Rede- und auch Denkweise von den »sittlichen Naturkräften« gleichwohl unverkennbare Unterschied zwischen Puchta und Jhering lässt sich noch präziser als bei Pleister, aaO, S. 178f. bezeichnen, der den Unterschied etwas vage in einer »vitalistisch[en]«, die »vitale Dimension« des Willens hervorkehrenden Willensauffassung Jherings sieht, so als hätte Puchta seinerseits eine nicht vitalistische, also mechanistische Willensauffassung gehabt. Der springende Punkt der Differenz scheint vielmehr darin zu liegen, dass Jhering den sittlichen Willen des Individuums nicht wie Puchta durch die Überwindung der »Finsterniß der Natur« im Menschen bestimmte [G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 3, S. 9 sowie dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 472– 474], sondern als zwar freie, aber deswegen keineswegs gegen die eigene Natur gerichtete Entscheidung für das Gute. G.F.Puchta, Pandekten (11838), S. VI. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 129f. sowie schon G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 4, S. 9. Jhering, Geist II/1 (31874), § 30, S. 128. Jhering, Zweck I (11877), S. 25. Vgl. insoweit zu Puchta C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 153f. sowie zu den Parallelen zwischen Puchta und Jhering schon W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 173ff. sowie S. 218 Fn. 928. Die Bezugnahme Jherings auf das Buch Genesis 1, 26 u n d 28 statt auf Genesis 1, 26 b i s 28 ist vielleicht gar nicht so zufällig bzw. »merkwürdig«, wie Pleister meint. Jhering lehnte sich hier offenbar direkt an Puchta an, der in seiner Auseinandersetzung mit Stahl [vgl. dazu F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845), § 26, S. 223] ebenfalls nur »Genes.I.26.28« angeführt hatte [G.F.Puchta, Pandekten (11838), S. VI]. Puchta war es im konkreten rechtsphilosophischen Kontext seiner vorbezeichneten Ausführungen offenbar weniger auf die von ihm hier als selbstverständlich vorausgesetzte »Gottähnlichkeit« des Menschen selbst angekommen, wovon allein die hier ausgelassene Versstelle in Genesis I, 27 handelt [vgl. dazu aber G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 1, S. 3], als vielmehr auf die aus der Schöpfungsgeschichte abgeleitete Folgerung, nämlich die auch biblische Legitimierung der Herrschaft des Menschen über die Erde. Letzteres hat nicht nur Puchta als theologische Fundierung der zeitgenössischen Privatrechtsordnung verstanden, sondern neben vielen anderen Privatrechtsjuristen des 19. Jahrhunderts auch Jhering, der selbst in Zweck I und II noch darauf Bezug nahm. Interessanterweise hat Jhering, nachdem er sich im Laufe der sechziger und siebziger Jahre immer mehr der Frage nach den durch die rechtliche Freiheit selbst gezogenen Grenzen zugewandt hatte, in Genesis 1, 28 aber auch den Hinweis darauf gefunden, dass der sittlichen und rechtlichen Freiheit der »Zweckv e r w e n d u n g [sc. von Gegenständen] Mass und Ziel«, also immanente Grenzen gesetzt seien durch die jeweilige »Zw e c k b e s t i m m u n g für das menschliche Bedürfniss« [Jhering, Zweck II (11883), S. 138]. Aus diesem Gedanken der Zweckbestimmung aller Gegenstände leitete Jhering dann teilweise sehr konkrete Folgerungen für das Recht ab. Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 132. Jhering, Zweck I (11877), S. 25 [= ders., Zweck I (21884), S. 25]. Vgl. auch G.F.Puchta,

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

noch dann festgehalten, als er die Rechtsideen nicht mehr als dem Menschen angeborene, anthropologisch kodierte, sondern als vom Menschen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung selbst geschaffene ansah1923. Insofern blieb die »Anerkennung des Rechts der Selbstbestimmung« des Einzelnen für Jhering auch weiterhin die »oberste Anforderung, die wir an das Recht richten«, der »Maßstab, nach dem wir seine innere Selbständigkeit [sc. bemessen], d. h. die Frage [sc. beantworten], in welchem Maße es das wahre Wesen des Rechts begriffen« habe1924. Und es blieb auch – wie Jhering noch in seinen letzten Lebensjahren formulierte – »die Anerkennung eines Rechts der Person, auf das, was sie i s t : ihrer Persönlichkeit, Rechtsfähigkeit, Freiheit« als »die logisch unumgängliche Voraussetzung aller Rechte, die sie h a t «, für eine entwickelte Rechtsordnung unverzichtbar1925.

b)

Die »innere oder materielle Selbständigkeit« als »Idee des Rechts«

Die Auffassung, dass man auch innerhalb des geltenden Privatrechts zwischen dem inhaltlich »rein Rechtlichen« und dem »bloß Moralischen oder Zweckmäßigen« unterscheiden müsse, hat Jhering auch in späteren Jahren grundsätzlich bekräftigt1926. Denn wenn alle »Gebote der Moral, die Sitte des Lebens, die Dogmen und Anforderungen der Religion, der nationale Canon des Schönen, Wahren, Zweckmäßigen zu Rechtssätzen gestempelt würden, so wäre das Individuum damit zu einem Automaten gemacht«, die Freiheit innerhalb und erst

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Cursus I (11841), § 4, S. 9; § 23, S. 54f. zu der Frage, warum ich »die äußeren Güter« »meinen Zwecken« unterwerfen darf. Vgl. dazu auch bereits O.Behrends, Jhering (1987), S. 259f., der auf »eine bedeutsame Kontinuität« in der Historischen Rechtsschule hinweist, da auch der späte »Jhering die für Savigny und die gesamte Historische Rechtsschule grundlegende Verankerung der Rechtsgeltung in einer geschichtswirksamen Theologie nicht aufhebt, sondern in einem evolutionären Theismus bewahrt«. Tatsächlich hat Jherings spätere Theorie der sittlichen Evolution nie die theologische Begründung der sittlichen Richtigkeit der höchsten Rechtsideen von Freiheit und Gleichheit erschüttert. Auch der Vorstellung von einer – letztlich durch Gott begründeten – Notwendigkeit der geschichtlichen Entwicklung blieb Jhering lebenslang verhaftet. Nur trat in seiner Spätzeit an die Stelle der alten von Jhering nun bestrittenen Vorstellung einer Entwicklung des Rechts auf der Grundlage eines angeborenen und lediglich durch entsprechende Anstöße in der Geschichte langsam sich entfaltenden sittlichen Vermögens des Menschen der Determinismus der Zwecke. Selbst »wenn tausend Mal die Welt […] erschaffen würde […], nach Milliarden Jahren müsste sie stets dieselbe Gestalt an sich tragen« und damit auch dieselben Rechtsideen hervorgebracht haben [Jhering, Zweck I (11877), S. XII (Vorrede) und S. 246; Ders., Zweck I (21884), S. 241]. Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 24. So Jhering, Geist III/1 (41888), § 61, S. 352 in einer für die vierte Auflage von 1888 neu formulierten Passage. Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 26.

Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts

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recht außerhalb des Privatrechts vernichtet1927. Mit diesem Grundgedanken hat Jhering 1874 selbst eine wichtige Kontinuität in seinem Werk bezeichnet. Daher gab es für ihn neben der »die Gerechtigkeit in der A n w e n d u n g des Rechts« garantierenden »f o r m a l e [n] Selbständigkeit des Rechts«1928 immer noch eine »i n n e r e oder m a t e r i e l l e « Selbständigkeit des Rechts, die zum Ausdruck bringen sollte, dass »das Recht nicht eine bloße Form ist, die jeden beliebigen Inhalt in sich aufzunehmen hat, sondern daß nur gewisse Zwecke ein Anrecht darauf haben, in dieser Form verwirklicht zu werden«,

nämlich nur diejenigen, die der »Idee des Rechts« entsprechen1929. Was aber der »Idee des Rechts« entspreche bzw. welche Inhalte des Rechts »i h m eigenthümlich sind« und welchen »fremdartigen Einflüssen«1930 es sich verschließen 1927 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 23f. 1928 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 22. Allerdings sah Jhering, Geist II/2 (11858), § 45, S. 496f. auch die formale Rechtsanwendungsgleichheit nicht beziehungslos neben dem Prinzip der rechtlichen Freiheit des Einzelnen stehen. Am Beispiel der im altrömischen Recht einerseits zu konstatierenden »rücksichtslose[n], ungehemmte[n] Durchführung« des Formalismus und andererseits des »Gedanken[s] der Freiheit«, welcher im Hinblick auf seine konsequente Durchführung dem altrömischen Formalismus »am nächsten kömmt«, verwies er auf »ein eigenthümliches Verhältniß, welches gerade zwischen diesen beiden Fundamentalgedanken des römischen Rechts obwaltet.« Denn dadurch, dass die »F o r m […] d i e g e s c hw o r e n e F e i n d i n d e r Wi l l k ü h r « sei, sei sie gleichzeitig auch eine » Zw i l l i n g s s c hw e s t e r d e r F r e i h e i t « des Einzelnen. Vgl. dazu O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 253f. 1929 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 23. In der ersten Auflage des vorgenannten Bandes fehlte zwar noch der Ausdruck der »inneren oder materiellen« Selbständigkeit. Der Sache nach war aber dieser Gedanke schon vorhanden. Nach Jherings Ausführungen in der ersten Auflage folgte nämlich aus dem »Prinzip [sc. der Freiheit des Enzelnen] […] für das Verhältniß des Staats zu dem Recht des Subjekts zweierlei: einmal, daß er dies Recht nicht willkürlich entziehen darf […] – sodann, daß er den Inhalt desselben nicht beliebig beschränken darf […]« [Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 142]. Vgl. auch Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 48 ausdrücklich dazu, dass das Recht »nicht eine bloße Form sei, […] die jeden beliebigen Inhalt in sich aufnehmen dürfe.« Dazu F.Belvisi, Positivität (2003), S. 440. 1930 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 20. Vgl. dazu aber auch schon Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 50: »Es liegt mir nichts daran, wenn man mir den Ausdruck: fremdartig bestreiten will«. Offensichtlich erschien Jhering dieser zuerst von Savigny verwendete Ausdruck [vgl. nur F.C.v.Savigny, System I (1840), § 16, S. 61] schon in der ersten Auflage nicht ganz unanfechtbar oder zumindest missverständlich. Denn auch der junge Jhering wollte ausdrücklich »nicht in Abrede stellen, daß in jedem Recht Bestimmungen vorkommen, die diesen Gesichtspunkten [sc. der Moral und den Interessen der Politik] angehören«. Nur sollten sich diese nie »auf dem Rechtsgebiete [so] in den Vordergrund drängen« dürfen, dass es »um das Recht selbst geschehen [ist], denn die rechtliche Freiheit besteht eben darin, das Sittliche und Zweckmäßige aus eignem Antriebe zu thun« [Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 50f.]. In den folgenden Auflagen hat Jhering den an dieser Stelle mehrfach verwendeten Ausdruck »Gesichtspunkte« kurzerhand durch die Ausdrücke »Interessen« bzw. »Zwecke« ersetzt [vgl. Jhering, Geist II/1 (21866), § 26, S. 48].

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

müsse, das hat Jhering in seinen Ausführungen zu dem von ihm sogenannten »Selbständigkeitstrieb« des Rechts in § 24 von Geist II/1 für das Privatrecht zweimal unterschiedlich beantwortet, nämlich zum ersten Mal 1854 in der ersten Auflage von Geist II/1 und zum zweiten Mal 1874 in der an dieser Stelle völlig neu formulierten dritten Auflage1931. Zwar ging Jhering sowohl 1854 als auch 1874 von demjenigen aus, was die »Idee des Rechts« bedrohe, nämlich sowohl das »Extrem« der »Unselbständigkeit des Rechts«1932 wie auch das »Extrem« bzw. die »Exaggeration der Selbständigkeit«1933. Was aber dem Privatrecht »eigenthümlich« und was ihm »fremdartig« und seine Selbständigkeit gefährdend sei, das sollte sich nach Jherings Darstellung von 1874 nicht mehr allein aus dem »Begriff der Selbständigkeit« der Person, also dem »Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen« ableiten lassen1934. Denn als die »höchste Aufgabe der Rechts« bezeichnete Jhering jetzt das »G l e i c h g e w i c ht d e r m e n s c h l i c h e n S e l b s t b e s t i m mu n g «, das sich ergeben sollte aus einer Abwägung zwischen dem »Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen« und den Interessen der »Gesammtheit«1935. Jhering hatte allerdings auch schon früher das Privatrecht nicht als bloßen Ausfluss eines abstrakten Freiheitsbegriffs verstanden, sondern ausdrücklich festgestellt, dass »die abstracte Freiheit des Subjekts« im jeweiligen »Z w e c k des Instituts […] ihr Ziel und Maß« finde1936. Daher soll zunächst geklärt werden, worin Jhering in seinen früheren und seinen späteren Jahren das »Ziel« aller Privatrechtsinstitute sah, um anschließend zu untersuchen, wie Jhering das sich aus dem Zweck der Institute ergebende »Maß« derselben bestimmte.

1931 Vgl. dazu Jherings Vorwort zur dritten Auflage in Geist II/1 (31874), S. V: »Der gegenwärtige Band hat mehr Veränderungen erfahren als der vorhergehende, überall habe ich in der Darstellung gebessert, […] und einige Parthieen sind vollständig umgearbeitet, insbesondere gilt dies von § 24, der in seiner früheren Gestalt hinter der Aufgabe, die er sich gestellt hatte: die Entwickelung der Idee der Selbständigkeit des Rechts weit zurückgeblieben war […].« 1932 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 21; Ders., Geist II/1 (31874), § 24, S. 25. 1933 Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 22; Ders., Geist II/1 (31874), § 24, S. 25. 1934 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 19f., 27. 1935 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 25. Vgl. auch A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 224f., die bei der Zitierung und Interpretation der einschlägigen Passage aus Geist II/1, § 24 allerdings den Umstand übergeht, dass Jhering vor der vollständigen Neufassung des Textes für die dritte Auflage von 1874 keinesfalls bereits davon ausgegangen war, im Konfliktfall den Interessen der »Gesamtheit Vorrang vor Sicherung und Erhaltung der Rechte des Einzelnen« (so Brockmöller, aaO, S. 224) zu geben. 1936 Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 224f.

Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts

aa)

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Das »Ziel« aller Privatrechtsinstitute

Mit dem aus den jeweiligen Zwecken der Privatrechtsinstitute sich ergebenden »Ziel« hat Jhering zum Beispiel bei der sich für den Gesetzgeber stellenden Frage nach den rechtlich zuzulassenden Möglichkeiten dinglicher Belastungen des Grundeigentums schon früh ganz direkt auch auf das mit dem Grundeigentum verbundene gesellschaftspolitische Ziel zurückgegriffen, nämlich die »ungemein hohe sowohl nationalökonomische als politische Bedeutung […] für eine Reihe der wichtigsten Verhältnisse z. B. die Landwirthschaft, den Grundadel u.s.w.«1937. Formalistisch hat der Jhering Mitte der 1850er Jahre das dem Privatrecht zugrunde liegende Freiheitsprinzip jedenfalls nicht begründet, wenn er den Gesetzgeber nicht nur vom Gesichtspunkt der »Gerechtigkeit« bzw. der »Idee des Rechts«, sondern auch »vom nationalökonomischen Gesichtspunkt« aus davor warnte, durch zu weitgehende testamentarische Verfügungsmöglichkeiten eine solche rechtliche Bindung zukünftiger Inhaber eines Grundeigentums zuzulassen, dass »die Freiheit des Verkehrs für ewige Zeiten gelähmt, der Fortschritt namenlos erschwert«, »der Zukunft [für alle Ewigkeit unlösbare] Fesseln« angelegt werden1938. Ganz offen argumentierte Jhering hier mit der rechtlichen Freiheit nicht nur als »Bedingung sittlicher Entwicklung« der einzelnen Menschen1939, sondern auch als Voraussetzung für ein funktionierendes auf »Gütervertheilung und Vermögenscirculation« beruhendes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem1940. Für »den Staat keinen Nachtheil« habe das Grundeigentum daher nur so lange, als der Gesetzgeber dafür sorge, dass die sozialpsychologische Identifikationsmöglichkeit des Eigentümers mit seinem Besitz erhalten bleibe und das Grundeigentum nicht unter nur rein formaler Beibehaltung der Rechtsposition faktisch »verkümmert werden« könne1941. 1937 Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 231. Die gesellschaftspolitische Gefahr, die durch zu starke Belastungsmöglichkeiten des Eigentums entstehe, sei »ein verkümmertes, krüppelhaftes, moralisch und ökonomisch sieches Eigenthum«, das dann zum wirtschaftlichen »Hemmschuh guter Landwirthschaft« werde (aaO, S. 233). Rechtliche Bindungen und Belastungen einer Sache dürften niemals ihre »ökonomische Bestimmung« verhindern, sondern müssten im Gegenteil noch »behülflich sein […] [sie] zu erreichen (aaO, S. 236). Vgl. unmittelbar dazu P.Caroni, Ungleiches Recht (1992), S. 119 sowie auch W.Wilhelm, Freiheit (1979), S. 26f. 1938 Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 238 [= ders., Geist II/1 (31874), § 33, S. 233 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz aus der dritten Auflage von 1874]. 1939 Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 239. Deswegen hat Jhering aber nie aufgehört, etwa »das Eigenthum zu den ethischen Existentialbedingungen der Person« zu zählen [vgl. nur Jhering, Vorlesungsskripte (Nachlass), Bl. 42r]. 1940 Jhering, Geist II/1 (11854), § 34, S. 242. 1941 Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 233. Das römische Recht hatte nach Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 340 diesem Gesichtspunkt des sozialpolitischen »Interesse[s] der F r e i h e i t d e s E i g e n t h u m s « – wie Jhering 1871 mit ausdrücklichem Bezug auf Geist II/ 1 formulierte – Rechnung getragen. Dagegen gehöre es – wie Jhering, Geist II/1 (31874),

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

Zu der faktischen »Ungleichheit in der Vertheilung der Güter« als »unausbleibliche[m] Resultat des freien Verkehrs« hat sich Jhering allerdings ausdrücklich bekannt1942. Zwar erkannte er schon früh an, dass der »heutige Communismus« das programmatische Ziel habe, die faktischen Ungleichheiten »im Interesse der Freiheit [zu] bekämpfen«1943. Aber angesichts des »ersten historisch bekannten Versuch[s] zur praktischen Realisirung einer solchen Auffassung«, nämlich der »bitterste[n] Satire auf die wahre Freiheit« in Sparta, war Jhering sich sicher, dass auch die Forderungen »unserer heutigen Gleichheitsapostel«1944 nur in der »ärgsten Unfreiheit«1945 enden könnten. Soziale »Ungleichheiten in der Stellung der Menschen […] z. B. in Rang, Stand, Vermögen u.s.w.« waren nach Jhering daher als »das unvermeidliche Resultat der Geschichte« vom Recht hinzunehmen1946. Es waren daher auch nur der »Gleichheitsschwindel und eine wilde Nivellirungssucht […] wie die Gegenwart sie hat kennen lernen«1947 in der »Zeit der französischen Revolution«, wie Jhering 1866 in der zweiten Auflage von Geist II/1 noch einmal bekräftigte1948, der zum

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§ 32, S. 158 wiederum 1874 in einem Zusatz zur dritten Auflage von Geist II/1 vermerkte – »zu den bedenklichsten Seiten unserer deutschen socialen und ökonomischen Zustände, daß der Besitz eines eigenen und allein bewohnten Hauses nicht bloß in der Arbeiterbevölkerung, sondern selbst in der gebildeten Klasse in allen größeren Städten mehr die Ausnahme als die Regel bildet – in dem eigenen Hause steckt ein Stück von dem Charakter des Menschen«, nämlich desjenigen Menschen, den Jhering orientiert am Leitbild des römischen Hausvaters als soziales Muster für die Moderne aus der Antike herauspräpariert hatte [vgl. zu letzterem schon W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 39f.]. Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 242. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 36, Bl. 38r/v. Der von Jhering hier verwendete Ausdruck »Communismus« war gerade erst in den vierziger Jahren aufgekommen [B.W.Bouvier, Bewegung (1986), S. 275]. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 88. Diese Parallele zwischen der antiken Despotie der »lykurgischen Gesetzgebung« in Sparta und den Forderungen des »heutigen Communismus« hatte Jhering bereits in Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 36, Bl. 37r ff. gezogen. Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 36, Bl. 38v. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 87f. Klassischen Ausdruck hat bekanntlich I.Kant, Gemeinspruch, A (Erstausgabe) 239 = WW XI, S. 147 dem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weithin unbestrittenen Gedanken gegeben, dass die unbedingte »durchgängige Gleichheit […] dem R e c h t e n a c h « durchaus »mit der größten Ungleichheit [sc. der Menschen], der Menge, und den Graden ihres Besitztums [sc. besteht], es sei an körperlicher oder Geistesüberlegenheit über anderen, oder an Glücksgütern außer ihnen und an Rechten überhaupt (deren es viele geben kann) respektiv auf andere; so daß des einen Wohlfahrt sehr vom Willen des anderen abhängt (des Armen vom Reichen), […] daß der eine dient (als Tagelöhner) der andere lohnt, u.s.w.«. Die ungefähr seit der Jahrhundertmitte aufkommende sozialpolitisch motivierte Kritik machte denn auch an erster Stelle Kants »Formalismus« für eine allzu strikte Trennung von privatrechtlicher und faktischer Gleichheit verantwortlich. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 97. Jhering, Geist II/1 (21866), § 29, S. 90. Auch die Bauernkriege hatten nach Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 88 auf einem »Mißverständniß der Gleichheit« beruht. Diese rein

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»Hasse gegen die Besitzenden, dieser traurigen Erscheinung der heutigen Zeit« geführt habe1949. Immerhin ist in diesem Zusammenhang aber bemerkenswert, dass Jhering auch schon in seinen früheren Jahren die »Wohlfahrtsfrage« im Rahmen der Darstellung des römischen »Freiheitstriebes« abhandelte1950 und den »socialen Schaden«1951, der einst durch eine krasse und sich auf ganze Bevölkerungsgruppen erstreckende soziale Ungleichheit in der Geschichte des antiken Roms entstanden sei, auch als eine Gefahr für das damalige rechtliche Freiheitssystem Roms bewertete, nämlich als einen »höchst bedenklichen Punkt«, der sich speziell im Falle Roms »vielleicht […] geradezu als der Todeskeim bezeichnen [lässt], an dem Rom später zu Grunde gegangen ist.«1952 Allein schon aufgrund dieser historischen Bewertung ist es Jhering immer klar gewesen, dass die »Sorge für das ökonomische Loos der ärmern Klassen«1953 von keinem Staat ungestraft ignoriert werden könne. Aber weil Jhering auf dem Hintergrund der von ihm dargestellten geschichtlichen Zustände im antiken Rom die soziale Frage seiner eigenen Zeit in den 1850er Jahren offenbar noch als marginal betrachtete1954, behandelte er in dem in erster Auflage 1854 heraus-

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negative historische Bewertung sollte Jhering später nach der Neubestimmung der Privatrechtsidee im Lichte der sozialen Frage seiner eigenen Zeit aber modifizieren. Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 89, 97. Jhering, Geist II/1 (11854), § 34, S. 239. Jhering, Geist II/1 (11854), § 34, S. 249. Jhering, Geist II/1 (11854), § 34, S. 242. Hier konnte Jhering, Vorlesungsskripte (Nachlass), Bl. 2r später mit folgenden vermutlich zwischen 1877 und 1880 entstandenen Auführungen in einem aus dem Nachlass überlieferten Manuskript anschließen: »Könnten wir die alten Zeiten wieder lebendig machen, wir würden das alte Rom wieder selber hören von Verwünschungen der Armen gegen die Reichen, von dem Nothgeschrei u[nd] dem Wehklagen der unglücklichen Opfer, die dem Übergewicht des Reichthums erlagen. Und alles dies geschah in Form des Rechts! Das Recht ist gleich für alle, das Recht kennt keinen Unterschied der Person. Ein herrlicher Grundsatz! Aber wenn die Rechtssätze so zugeschnitten sind, daß die Bedingungen, welche sie vorschreiben, für den Reichen federleicht, für den Armen […] schwerer sind, wo bleibt da die Gerechtigkeit? Da wird die Gleichheit vor dem Gesetz zum Hohn.« Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 242. Diesen beim jungen Jhering noch zu beobachtenden auffälligen Unterschied zwischen seiner bemerkenswert hohen Sensibilität für die soziale Frage in der fernliegenden Vergangenheit des römischen Altertums und dem sehr viel geringeren Bewusstsein für die soziale Frage als zeitgenössisches Problem in Deutschland vernachlässigt W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 158. So nahm Jhering, Geist II/1 (11854), § 34, S. 246 ausgehend von seiner rechtshistorischen Darstellung des römischen Altertums ohnehin vorwiegend den traditionellen Bereich der Landwirtschaft in den Blick. Während im Rom des Altertums die »Lage der Aermeren […] ganz unhaltbar« gewesen sei, sei die gegenwärtige Situation in Deutschland schon deswegen eine ganz andere, da bei »unsern heutigen Verhältnissen« ein »Ein gutes Jahr allen Schaden des vorhergehenden schlechten Jahres für den Landwirth wieder ausgleichen« könne. Nur ein aktuelles »Seitenstück« zu den römischen Zuständen fand der junge Jhering »auch heutzutage, nämlich im Weinbau, nur mit dem Unterschiede, daß die Ursachen, die hier dem großen Producenten ein so bedeutendes Uebergewicht über den kleinen geben, nicht in äußern« und damit änder-

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

gegebenen Band Geist II/1 auch alle mit dem sozial-gesellschaftlichen Ausgleich verbundenen Fragen wie vor ihm Savigny oder Puchta1955 noch nicht als Rechtsfragen, sondern als Fragen nach der »Pflicht der socialen Moral« des Staates und der Vermögenden gegenüber den ökonomisch schlecht Gestellten1956. Erst später – nämlich bereits unter dem unmittelbaren Eindruck von »K l a s s e n k a mp f «, »Arbeiterbewegung der Gegenwart [, (…) Strikes gewisser Arbeiterklassen] u. a.m.«1957 auch in Deutschland und nicht mehr nur im industriell fortschrittlichen England1958 – sah Jhering auch für das Privatrecht »eine

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baren »Verhältnissen, sondern in der Natur des Weinbaues und Weinhandels ihren Grund haben« (aaO, S. 246 Fn. 369). Im Übrigen, also außerhalb des Bereich der Landwirtschaft suchte Jhering, Geist II/1 (11854), § 34, S. 239ff. aber die »Quellen des Pauperismus« im antiken Rom (vgl. aaO, S. 239 die stichwortartige Abschnittsüberschrift) vor allem in der »unvollkommene[n] Organisation jenes Systems«. Traditionell überkommene Beschränkungen der Sitte und feudale Standesprivilegien hätten zu einer »übermäßigen Anhäufung« des Kapitals bei wenigen (aaO, § 31, S. 156) und zu einem fehlenden sozialökonomischen »Gleichgewicht der Kräfte« geführt, so dass das bloße »Talent und die persönliche Erwerbsfähigkeit […] dem Vermögen gegenüber völlig machtlos«, also gegenüber bestehendem »Grundbesitz wie Kapital« chancenlos gewesen seien (S. 255). Deutlich erkennt man in diesen Worten Jherings aus dem Jahre 1854 ein offenbar noch weitgehend intaktes liberalistisch geprägtes Weltbild und die daraus gespeiste Überzeugung, dass da, wo »Rührigkeit, Betriebsamkeit, Unternehmensgeist« (aaO, S. 250) nicht durch ständischkorporativen Geist beschränkt würden, auch die soziale Frage nicht ernsthaft virulent werden könne. Dass das ein Irrtum war, ist Jhering im Laufe der Jahre aber zunehmend bewusst geworden. Dazu weiter im Text. Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 511 Fn. 2563. Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 257 Fn. 385 a.E.. Es zeugt durchaus bereits von Jherings sozialem Verantwortungsbewußtsein, zugleich aber auch von einer zu dieser Zeit noch spürbaren Hilflosigkeit gegenüber den zunehmend erkennbar werdenden negativen Folgen eines sich gegenüber feudalen Beschränkungen und Zunftstrukturen durchsetzenden wirtschaftlichem Liberalismus, wenn Jhering, aaO, S. 257 Fn. 385 im Jahre 1854 in einer übrigens bereits in der zweiten Auflage von 1866 gestrichenen Anmerkung das alte und auch eigentlich von ihm als überholt angesehene feudal-patriarchalische Gutsherrenmodell des 18. Jahrhunderts noch nachträglich mit den Worten schönte: »Auch hier hatten die Römer das Rechte richtig erkannt, besser, als unsere heutige Aristokratie wenigstens in manchen Gegenden Deutschlands; der Adel des vorigen Jahrhunderts, der es mit der bürgerlichen Moral sehr leicht nahm, hat […] diese Pflicht der socialen Moral viel mehr gewürdigt und erfüllt.« Jhering, Zweck I (11877), S. 538 [= ders., Zweck I (21884), S. 552 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz]. Vgl. nur A.Kaiser, Vertragsfreiheit (1972), S. 213ff. zur sozialen und rechtlichen Situation der Arbeiterschaft im Deutschen Reich und ferner E.R.Huber, Verfassungsgeschichte II (31988), S. 416ff. zu den Anfängen der zunächst lokal begrenzten, aber proportional mit der Industrialisierung wachsenden sozialen Krise ganz neuer Qualität in der Zeit des Vormärz. Dass sich im deutschen Besitz- und Bildungsbürgertum ein Bewusstsein für die prekäre Lage der Industriearbeiterschaft aber erst sehr viel später und auch nur unter dem Druck der von Jhering angesprochenen politisch-sozialen Massenbewegungen zu bilden begann, dafür ist die Entwicklung von Jherings Rechtsdenken selbst ein typischer Beleg.

Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts

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Zeit kommen, wo das Eigenthum eine andere Gestalt an sich tragen wird, als heute, wo die Gesellschaft das angebliche Recht des Eigenthümers [Individuums], von den Gütern dieser Welt beliebig [möglichst] viel zusammen zu scharren [und in seiner Hand einen Grundbesitz zu vereinigen, auf dem Hunderte und Tausende von selbständigen Bauern leben könnten], eben so wenig anerkennen wird als das Recht des altrömischen Vaters über Tod und Leben seiner Kinder, als das Fehderecht, den Strassenraub der Ritter« und »das Strandrecht des Mittelalters.«1959 Aber – und das implizierte schon Jherings Redeweise von den s e l b s t ä n d i g e n Bauern1960 – das »Privateigenthum und das Erbrecht werden meiner Ansicht nach stets bestehen bleiben«1961, und – so fügte Jhering 1884 in der zweiten Auflage von Zweck I noch hinzu – »die auf Beseitigung desselben gerichteten socialistischen und communistischen Ideen halte

1959 Jhering, Zweck I (11877), S. 519 [= ders., Zweck I (21884), S. 533 mit hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderungen]. Die Textänderungen aus der zweiten Auflage von 1884 dokumentieren, wie Jherings Kritik im Laufe seiner letzten Jahre noch prinzipieller (»angebliches Recht des Individuums« statt nur »des Eigenthümers) und auch konkreter, nämlich auf spezifische aktuelle gesellschaftliche Missstände bezogen wurde wie etwa das ostpreußische Latifundienwesen (vgl. Jherings Altersgespräch in der folgenden Fußnote). Auch in einem mutmaßlich wohl ebenfalls erst für die zweite Auflage bestimmten handschriftlichen Entwurf zu Zweck I aus dem Nachlass hat Jhering die eigene Zeit als einen entwicklungsgeschichtlichen Durchgangspunkt auf dem Weg zum sittlich vollständig begründeten Begriff des Eigentums und damit auch der rechtlichen Freiheit des Einzelnen überhaupt dargestellt. Die inzwischen überwundene »Sklaverei, Leibeigenschaft, das Strandrecht« erschienen Jhering, Socialismus-Manuskriptfragment (Nachlass), Bl. 14f. dabei als Ausdruck einer noch vollkommen unbeschränkten Auffassung privatrechtlicher Freiheit. »Aber so wenig die Vergangenheit sich dadurch hat abschrecken lassen, diese Auswüchse des Eigenthumsrechts zu beseitigen, aber so wenig wird die Zukunft hoffentlich davor zurückschrecken, den letzten Rest der Unsittlichkeit im Eigenthum […] aufzuheben. Damit sie es können, muß die Maßregel durch einen Umschwung in der öffentlichen Meinung aber so vorbereitet worden sein, wie es seiner Zeit die Aufgebung der Leibeigenschaft, des Strandrechts u[nd] so vieler anderer Einrichtungen war, u[nd] darüber mögen noch Jahrhunderte [sic!] verfließen. Aber ich habe die feste Überzeugung, daß dieser Umschwung nicht ausbleiben wird, u[nd] daß einst eine Zeit kommen wird, wo man über die heutzutage herrschende Ansicht über die mit dem Begriff desselben [sc. des Eigentums] nothwendigerweise gegebene Unbegränztheit desselben ebenso denken wird[,] wie wir über die Ansicht vergangener Zeiten über das mit dem Begriff der Persönlichkeit gegebene Fehderecht, über die Unentbehrlichkeit der Tortur, des Viertheilens, Schächtens, die Rechtmäßigkeit des Strandrechts u[nd] so vielen anderen in die Form des Rechts gebrachten Roheiten« denken. 1960 Vgl. direkt dazu auch das von Jherings Sohn Hermann aufgezeichnete Gespräch über den Sozialismus, in dem Jhering im Herbst 1887 unter anderem geäußert haben soll: »Am ehesten kann ich mir noch vorstellen, daß man mit dem Latifundienwesen aufräumen und suchen wird, Maximalgrenzen für liegende Güter festzustellen und die Riesenbesitzungen einzelner durch zahlreiche Ansiedlungen freier Bauern zu ersetzen« [H.Jhering, Erinnerungen (1912), S. 457]. 1961 Jhering, Zweck I (11877), S. 519f.

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ich für eitle Thorheit […].«1962 Nicht also der Kernbestand von Privateigentum und Erbrecht, der beiden für die Privatrechtsordnung zentralen Rechtsinstitute, sollte nach Jhering angetastet werden. Nur eine »g e r e c h t e r e […] Vertheilung der Güter dieser Welt herbeizuführen«, hielt Jhering in seinen späteren Jahren für rechts- und sozialpolitisch unumgänglich1963. Auch diese Umvertei-

1962 Jhering, Zweck I (21884), S. 533. Sachlich entsprechend, aber noch ausführlicher und nachdrücklicher als an der vorstehend zitierten Stelle hat Jhering in einem Nachlassfragment ausgeführt [Jhering, Socialismus-Manuskriptfragment (Nachlass), Bl. 12ff. ausgeführt (Unterstreichungen im handschriftlich abgefassten Manuskript werden hier in Kursivschrift wiedergegeben)]: »Die erste Frage ist die brennende des Tages; die socialistische. Der Name Socialismus ist ein ganz zutreffender. Er hat zum Gegenstand die Ordnung der Gesellschaft (societas), theoretisch die Kritik derselben, praktisch die Änderung derselben. In den Augen mancher ist dies allein schon ausreichend, das Verdammungsurtheil über ihn zu sprechen, an dem bloßen Wort: Socialismus, Socialist, socialistisch klebt für sie der Makel des Unsittlichen oder des Verbrecherischen. Aber die bloße Thatsache, daß Jemand an der vorgefundenen bürgerlichen Ordnung etwas auszusetzen hat, enthält für ihn nicht den mindesten Vorwurf, es kommt darauf an, was er auszusetzen hat, ob er es begründen kann u[nd] in welcher Weise er die praktische Änderung herbeizuführen sucht. Den socialen Reformen sind stets sociale Betrebungen vorausgegangen […]. Der Socialismus in diesem Sinne d.h. das Bestreben einer Verbesserung der vorhandenen gesellschaftlichen Ordnung wird stets das Zeichen einer zum Nachdenken über sich u[nd] ihre Aufgabe gelangten willenskräftigen Zeit sein, er wird nur da fehlen, wo der […] Zustand ein so allgemein befriedigender ist, daß derartige Bestrebungen keinen Boden vorfinden, oder wo der Zustand der Bevölkerung ein so verkommener ist, daß sie apathisch auch den größten Druck erträgt. Das alte Rom in seiner kraftvollen Zeit war nie verschont von socialistischen Bestrebungen, in der Kaiserzeit hatte es Ruhe, bei uns in Deutschland fallen die Bauernkriege in die Zeit des geistigen Aufschwungs, nach dem dreißigjährigen Krieg, als unser Volk vollständig ermattet u[nd] erschlafft war, herrschte Grabesstille. Es ist hier nicht der Ort, die Ausstellungen, welche der heutige Socialismus gegen unsere Gesellschaft erhebt, u[nd] die Mittel zur Abhülfe, welche er vorschlägt, einer nähern Prüfung zu unterwerfen, aber ich darf nicht unterlassen, meine Meinung auszusprechen, um nicht den Schein auf mich zu laden, als scheute ich mich[,] offen mit der Sprache herauszugehen. Meiner Ansicht nach mischt er Berechtigtes u[nd] Unberechtigtes, Mögliches u[nd] Unmögliches durcheinander. Aber gleichwohl bin ich überzeugt, daß die durch ihn hervorgerufene Kritik unserer gesellschaftlichen Ordnung an derselben nicht ohne heilsame Einwirkungen vorübergehen wird. Die Grundlagen derselben werden ihre Unerschütterlichkeit auch ihm gegenüber beweisen, Eigenthum, Erbrecht, Kapital, Ungleichheit werden auch fernerhin bestehen bleiben, aber schwerlich in ihrer heutigen Gestalt. In Bezug auf das Eigenthum steht die Frage nicht so, daß man dasselbe entweder mit den Communisten über Bord werfen oder es in der Schroffheit, in der es heutzutage noch besteht, aufrechterhalten müßte. Ich kann mir den Menschen nicht ohne Eigenthum denken (S. …), aber daraus folgt keineswegs, daß die Gesellschaft dasselbe in einer Ausdehung zulassen müßte, welche durch seinen Zweck in keiner Weise geboten ist, u[nd] für die man keinen anderen Grund in die Wagschale zu werfen vermag als die vermeintliche Consequenz des Begriffs« des Eigentums. 1963 Jhering, Zweck I (11877), S. 520 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Vgl. zu dem damit verbundenen Fragenkreis W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 157ff.; W.Wilhelm, Freiheit (1979), S. 30ff.; W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 313ff.; H.Klenner, Jherings Kampf (1992), S. 142f. und K.Luig, Jhering (1993/1996), S. 262ff. m. w. N.,

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lung sollte allerdings nicht unmittelbar durch das Privatrecht, sondern durch das öffentliche Recht bewerkstelligt werden, das etwa »in Form gesteigerter Einkommens-, Erbschafts-, Luxus- und anderer Steuern auf das Privateigentum […] Druck« ausüben und durch einen auf diese Weise finanzierten Sozialtransfer »den Druck auf andere Teile des gesellschaftlichen Körpers […] verringern« sollte1964. Gleichwohl hat Jhering – und das ist das eigentlich rechtlich Wesentliche seiner veränderten Auffassung zur rechtlichen Freiheit – die Frage des sozialen Ausgleichs später nicht mehr allein als eine Frage der sozialen Moral des Gesetzgebers im Bereich des öffentlichen Rechts gesehen, sondern auch als eine Angelegenheit des Privatrechts, also als eine eigentlich rechtliche und damit der Rechtswissenschaft zugängliche Frage1965. Wohl vertrat Jhering weiterhin die Idee »der landläufigen Vorstellung, die in der traditionellen Definition der Juristen: Eigentum sei die v o l l e rechtliche Herrschaft über die Sache, ihre wissenschaftliche Ausprägung und Sanktion gefunden hat«1966, so als ob »das Eigenthum seiner ›Idee‹ nach die absolute Verfügungsgewalt in sich schlösse«1967. Aber aufgrund dieser von ihm nun sogenannten nur »individualistischen Rechtsauffassung«1968 sah Jhering im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine tatsächliche Güterverteilung hervorgebracht und sanktioniert, welche, »wenn man es beim rechten Namen benennen will, die Un e r s ä t t l i c h k e i t [ , G e f r ä s s i g k e i t ] d e s E g o i s m u s ist. Der Name, den es [sc. das Eigentum] [sie (sc. die Gefräßigkeit)] selber sich beilegt, ist ›Heiligkeit des Eigenthums‹ –, und gerade diejenigen, denen [im Uebrigen] nichts mehr heilig ist: der ödeste, bleichste [elende] Egoist, dessen Leben keinen Akt der Selbstverläugnung aufzuweisen hat, der krasseste [krasse] Materialist, der nur achtet, was er mit Händen greifen kann, der Nihilist [Pessimist] […] – über die Heiligkeit des Eigenthums sind sie alle einverstanden [, für das Eigenthum rufen sie eine Idee an, die sie sonst nicht kennen, die sie verspotten und thatsächlich mit Füssen treten.]«1969

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früher auch schon M.v.Rümelin, Jhering (1922), S. 77f. und E.Hurwicz, Ihering (1911), S. 40ff. m. w. N. Jhering, Zweck I (11877), S. 520. Vgl. auch T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 210 zur »wissenschaftliche[n] Dogmatik« im 19. Jahrhundert, die, solange sie – nach Giaro in der Tradition der privatrechtlichen Jurisprudenz im antiken Rom – die »politisch heiklen Themen der verteilenden Gerechtigkeit, wie etwa [sc. in Rom] die Agrarreformen oder die Entschuldung der Unterschichten«, aus dem Privatrecht ausgeblendet habe, diese auch »als fachjuristischer Bearbeitung unfähig« erklärt und damit der »öffentlichen Agitation und der Gesetzgebung« überlassen habe. Jhering, Zweck I (11877), S. 518f. Jhering, Zweck I (11877), S. 510. Jhering, Zweck I (11877), S. 519. Jhering, Zweck I (11877), S. 520 [= ders., Zweck I (21884), S. 534 mit hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderungen und Zusätzen].

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Um derartigen Auswüchsen im zeitgenössischen Verkehrsleben zu begegnen, die den von Jhering – sein Pathos verrät es nur zu deutlich – nach wie vor zugrunde gelegten sittlichen Kern der Privatrechtsinstitute konterkarierten, sollte eine von Jhering eher missverständlich sogenannte »g e s e l l s c h a f t l i c h e Eigenthumstheorie«1970 begründen, warum ungeachtet der für Jhering ganz selbstverständlich bleibenden Tatsache, dass Privatrechtsinstitute wie das Eigentum »zunächst [sic!] nur das Individuum zum Zweck haben«, doch auch alle subjektiven »Rechte des Privatrechts […] beeinflusst und gebunden [sind] durch die Rücksicht auf die Gesellschaft, es gibt kein einziges [sc. Recht], bei dem das Subject sagen könnte: dies habe ich ausschliesslich für mich, [ich bin Herr und Meister über dasselbe,] die Consequenz des Rechtsbegriffs bringt es mit sich [erfordert es], dass die Gesellschaft mich nicht beschränke.«1971

Die Botschaft war klar, auch wenn man sich mit Blick auf führende Repräsentanten der von Jhering kritisierten »landläufigen« Vorstellung fragen kann, ob Jhering beim Entwerfen des von ihm kritisierten Gegenbildes einer »individualistischen Rechtsauffassung«1972 nicht eher eine Karikatur als eine authentische Charakterisierung der etwa von Savigny, Puchta oder Windscheid vertretenen Auffassungen zum subjektiven Recht geboten hat. So hat bereits Okko Behrends darauf hingewiesen, dass es »allerdings ein großer Fehler [wäre] zu glauben«, dass Jhering schon mit seiner Einsicht, dass »das Recht ein doppeltes Ziel hat, nämlich einmal die Freiheit des Einzelnen [zu] gewährleisten, zum anderen das menschliche Zusammenleben als Ganzes bestmöglich [zu] ordnen« etwas grundsätzlich »Neues formuliert hätte.« Vielmehr hätten sowohl Savigny 1970 Jhering, Zweck I (11877), S. 514. Es ist daher zu weitgehend, wenn Wolfgang Pleister Jherings Spätwerk pauschal durch die – so lautet die einschlägige Kapitelüberschrift bei Pleister – »Zerstörung der individualistisch-freiheitlichen Konzeption des Geist und der von ihm beeinflussten Werke im Zweck und in anderen Spätwerken« charakterisiert sieht [W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 221 et passim; dagegen hat bereits B.J.Choe, Culpa (1988), S. 5 Fn. 20 Kritik angedeutet]. Zwar hat Jhering, Zweck I (11877), S. 514 in seinem Spätwerk tatsächlich geradezu plakativ die von ihm kritisierte »i n d i v i d u a l i s t i s c h e Eigenthumstheorie« der »allein richtige[n] […] g e s e l l s c h a f t l i c h e [ n ] Eigenthumstheorie« gegenübergestellt, dies aber nur, um die immer jeweils bestehende soziale Bindung im Rahmen des Rechtsinstituts, nicht jedoch die völlige Aufgabe dieses und anderer Privatrechtsinstitute, die ihm weiterhin als Ausdruck der unverfügbaren Freiheit des einzelnen galten, auch sprachlich anzudeuten. Insofern kann entgegen Pleister, aaO, S. 307 Fn. 330 a.E. zumindest für das Privatrecht keine Rede davon sein, dass Jhering in seiner Spätzeit den bisher »liberale[n], das Individuum als Persönlichkeit ernstzunehmende[n] Ansatz […] durch den Zweckmonismus und die Verabsolutierung der ›Gesellschaft‹ und ihrer ›Lebensbedingungen‹ wieder zunichte gemacht« habe. 1971 Jhering, Zweck I (11877), S. 519 [= ders., Zweck I (21884), S. 532 mit hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderungen]. 1972 Jhering, Zweck I (11877), S. 518f.

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als auch Puchta »diesen Dualismus in voller Klarheit und Erkenntnis seiner grundlegenden Bedeutung (wenn auch ohne Bewußtsein der jeweiligen theoretischen Herkunft) von ihren Quellen«, dem römischen Recht, übernommen.1973 In der Tat lag Puchtas Begriff der rechtlichen Freiheit dessen Konzept von den in den unterschiedlichen Rechtskreisen jeweils stark abgestuften Bindungen des Einzelnen zugrunde, je nachdem, ob der einzelne als solcher oder als »Glied einer organischen Verbindung« zu betrachten sei.1974 Allerdings ging es dem späten Jhering, und das ist der richtige Kern seiner plakativen, aber auch einprägsamen Entgegensetzung »individualistisch« kontra »gesellschaftlich«, mit seiner Kritik an der herrschenden »individualistischen Eigentumstheorie« gezielt auch um denjenigen Bereich des Privatrechts, in dem etwa Puchta den Einzelnen gerade nicht als ein grundsätzlich der Gemeinschaft verpflichtetes Glied eines sozialen Organismus betrachtet hatte, nämlich den Bereich des Privatvermögensrechts. Hier hatte Puchta die Grenzen der rechtlichen Freiheit des einzelnen nur in ausdrücklichen punktuellen Beschränkungen durch den Gesetzgeber gesehen, nicht aber – wie nun Jhering – in einer prinzipiellen Sozialrechtsbindung jedes rechtlich Berechtigten.

bb)

Das die individuelle Freiheit bestimmende »Maß« aller Privatrechtsinstitute

Es ist nur folgerichtig, dass Jhering entsprechend der im vorstehenden Abschnitt dargestellten Modifikation seiner Auffassungen über das gesellschaftliche Ziel aller Privatrechtsinstitute die Frage nach dem die Reichweite individueller Freiheit bestimmenden »Maß« derselben später grundsätzlich anders beantwortete, als er es in den 1850er Jahren noch getan hatte. Dabei ist es aber auch im Falle Jherings keineswegs so, dass er in seinen früheren Jahren von einer vollkommen bindungs- und schrankenlosen Allmacht des Privatrechtssubjekts ausgegangen wäre, die er im Rahmen seiner späteren Kritik der »individualistischen Rechtsauffassung«1975 zuschreiben sollte. Leiteten doch – wie gesehen – auch schon nach Jherings Darlegungen in Geist II/1 (11854) Staat und Individuum keinesfalls »ihre Rechte der eine vom andern ab«, sondern »beschränken sich […] gegenseitig«1976. Schon allein – so Jhering an gleicher Stelle – die »Er1973 O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 155ff. sowie auch schon Ders., Rechtsgefühl (1986), S. 87f. 1974 G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 22, S. 54. Dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 536–538. Ferner zu Windscheid U.Falk, Windscheid (1989), S. 89f. 1975 Jhering, Zweck I (11877), S. 519. 1976 Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 131. Vgl. ferner auch W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 307 Fn. 330 zu den »gesellschaftlichen Bindungen und Pflichten der Person sowie die Bedeutung der sozialen Gerechtigkeit« im Frühwerk Jherings.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

fahrung zeigt überall das Bestehen von gesetzlichen Beschränkungen der Freiheit, die lediglich vom Standpunkt des Individuums aus betrachtet nicht zu deduciren wären, zu denen also der Staat nicht berechtigt wäre, wenn er bloß die Aufgabe hätte, die subjektive Freiheit zu realisiren«1977. Im Übrigen, also abgesehen von den staatlichen Beschränkungen individueller und damit auch privatrechtlicher Freiheit, hatte Jhering 1854 zwar auch schon davon gesprochen, dass es so etwas wie eine innere Bindung privatrechtlicher Freiheit gebe, da – wie es bereits »das römische Recht richtig erfaßt und durchgeführt« habe – jeweils »der Zw e c k des Instituts […] das Maß für die dem Subjekt innerhalb desselben zu verstattende freie Bewegung« vorgebe1978. Gerade von den Römern könne man daher lernen, wie sie die »objektive Idee der persönlichen Freiheit höher stellten als das Prinzip der abstracten subjektiven Willensfreiheit«, welches »die Sache rein formell behandelt«1979. Allerdings meinte Jhering mit diesen Bindungen, die der privatrechtlichen »Freiheit nicht von außen auferlegt, sondern aus ihr selbst abgeleitet« würden, in seiner Darstellung von 1854 nur solche, die sich aus der »Gefahr der Selbstvernichtung der Freiheit«1980 für den Berechtigten selbst ergäben, beispielsweise durch Selbstknebelungsverträge, an denen der jeweils Versprechende nicht »den geringsten Nutzen« und »nicht das leiseste Interesse« habe und durch die »unter der falschen Freiheit […] die wahre zu Grunde« ginge1981. Dagegen sah Jhering zum 1977 Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 130. Jherings Verweis auf die »Erfahrung« kam nicht von ungefähr. So weist H.Coing, Privatrecht II (1989), S. 384 darauf hin, dass zum Beispiel das Grundeigentum, das in allen Ländern des europäischen Kontinents erst im Laufe des 19. Jahrhunderts gegenüber anderen Rechtsformen wie Lehnrecht oder bäuerlichem Leiherecht enorm an Bedeutung gewann, vor allem Anfang des 19. Jahrhunderts noch erheblichen öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterlag. Auch dürfe man nicht aus den Anfang des Jahrhunderts in der Pandektenwissenschaft aufkommenden privatrechtlichen Definitionen des Eigentums als einem umfassenden absoluten Herrschaftsrecht schließen, dass damit auch »schon damals die liberale wirtschaftspolitische Auffassung vom freien Eigentum gegolten hätte« (aaO, S. 384). Vgl. auch K.Kroeschell, Eigentumsbegriff (1977), S. 44ff. m. w. N. zu der etwa in Österreich und Preußen sogar erst nach 1848 vollendeten Bodenbefreiung, die dort nur noch nachvollziehen konnte, was die Pandektenwissenschaft mit einem aller politisch-feudalen Herrschaftsfunktion entkleideten abstrakten Eigentumsbegriff schon längst formuliert hatte. 1978 Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 224f. 1979 Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 226f. 1980 Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, S. 224ff. 1981 So Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 315. Dabei verwies Jhering, aaO, S. 316 im Jahre 1865 selbst auf das, was er im Hinblick auf die – nach Jhering von den Römern erkannte – »Gefahr der Selbstvernichtung« rechtlicher Freiheit schon im Rahmen seiner Darstellung des römischen Rechts in Geist II/1 (11854), § 33, S. 224ff. ausgeführt hatte. In Geist III/1 (11865), § 60, S. 315f. dienten Jhering solche Fälle möglicher »Selbstvernichtung der Freiheit«, bei der der »Wille […] sich sein eigenes Grab« grabe, nun als eklatante Beispiele für den »Willensformalismus« und »spiritualistische[n] Rechtsgenuß, bei dem die Willenstheorie es bewenden läßt: die Freude an der reinen Macht als solcher […].« Man fragt

Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts

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Beispiel den Fall einer »frivolen und chikanösen Ausübung [sc. eines subjektiven Rechts] auf Kosten des andern« erst in seinen späteren Jahren auch von der inneren aus dem Begriff der Freiheit selbst abgeleiteten Bindung erfasst1982. Alle Einschränkungen der Freiheit, die über den Zweck der Verhinderung ihrer »Selbstvernichtung« hinausgingen, betrachtete Jhering in der ersten Auflage von Geist II/1 mithin noch als gesetzliche Einschränkungen der »reinen« Rechtsbegriffe, die dazu dienten, dass sich die »Consequenz« durch »die starre Durchführung des Freiheitsbegriffs« nicht »bis zu einem Punkt verirren [könne], wo sie die praktische Brauchbarkeit des Instituts gefährden würde«1983. So seien beispielsweise im Nachbarrecht, eine Rechtsmaterie, die Jhering bei Erörterung der Frage nach den Grenzen rechtlicher Freiheit wohl auch wegen ihrer Anschaulichkeit bis in seine Spätschriften immer wieder gern anführte1984, »gewisse Beschränkungen des Einen Grundstücks im Interesse des andern […] mit absoluter Nothwendigkeit geboten«, weil in der Realität »eine natürliche Abhängigkeit des Einen Grundstücks vom andern und ein gegenseitiges Bedürftigkeitsverhältniß Statt findet«1985. Eine »Isolirung« der Rechtsbegriffe von derartigen Tatsachen, etwa die Ignorierung des »im äußersten Grade gefähr-

1982

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sich, ob der wissenschaftliche Gegner, gegen den Jhering in Sätzen wie dem vorstehenden schrieb, so jemals überhaupt existiert hat. Jhering selbst zumindest hat derartige Auffassungen auch in seinen früheren – begriffsjuristischen – Jahren nie vertreten. Ganz im Gegenteil findet sich in vermutlich noch aus den frühen 1840er Jahren stammenden Notizen Jherings, die in dessen Nachlass erhalten sind [vgl. zu Datierung und Zusammenhang M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 182f. mit Fn. 265 a.E.], beispielsweise bereits Jherings Bemerkung, dass »das Interesse die Rechtfertig[un]g der Verträge« sei: »Ohne vernünftiges Interesse sollte k.[ein] Vertrag gestattet sein. Daher Verbot […] solche[r] Assekuranzen, bei denen der Versicherte gar kein Interesse an der S[a]ch[e] hat« [Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 48r]. Vgl. Jhering, Reflexwirkungen (1871), S. 143f.; Ders., Rechtsschutz (1885), S. 316f. mit Fn. 54 mit jeweils ausdrücklichen Verweisen auf einen früheren aus den frühen sechziger Jahren stammenden Aufsatz, in dem Jhering, Grundeigenthümer (1862), S. 33 erstmals die im »Wesen« der Freiheit liegenden Bindungen des Grundeigentümers gegenüber Dritten begründet hat, ohne die »das Eigentum […] an seiner eignen Consequenz zu Grunde gehen« würde, wenn man etwa – und das war damals keineswegs ein hergeholtes Beispiel [vgl. nur R.Ogorek, Gefährdungshaftung (1975), S. 53 m.w.N.] – von einer vollkommen unbegrenzten »Erstreckung des Grundeigenthums in die Höhe« und »in die Tiefe« ausgehen und damit der »reine[n] Chikane« des Grundeigentümers gegenüber Dritten rechtlichen Raum geben würde [Jhering, Grundeigenthümer (1862), S. 26ff., 31ff.]. Vielmehr sollte das begründete »Interesse« des letzteren bzw. – so Jhering, Besitzwille (1889), S. Xf. Fn. 2 – der »Zweck […] als die wahre Gestalt der s.[o] g.[enannten] Natur der Sache« die jeweilige »Gränze der […] Ausübung des Rechts (Chikane)« bestimmen. Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 152. Vgl. ferner nur Jhering, Grundeigenthümer (1862), S. 22; Ders., Reflexwirkungen (1871), S. 143f.; Ders., Zweck I (11877), S. 516f. mit Anm.* et passim; Ders., Rechtsschutz (1885), S. 317, 353ff. Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 152.

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dete[n] Interesse[s] des Nachbarn« durch Gefahrquellen auf dem Grundstück wie überhaupt die Hinnahme von »praktisch undenkbaren Resultat[en]« konnte sich auch nach Ansicht des frühen Jhering keine Rechtsordnung leisten1986, ohne ihre soziale Wirksamkeit zu gefährden1987. Insofern sei selbst bereits das ältere römische Recht, obwohl in ihm wie wohl in »keinem andern Recht […] der reine Eigenthumsbegriff, d. h. der Gedanke der absoluten Herrschaft über die Sache, mit solcher Consequenz durchgeführt« worden sei, nicht ohne derartige Einschränkungen ausgekommen1988. Entsprechende Zusammenstellungen »über die gesetzlichen Beschränkungen des Eigenthums nach R.[ömischem] R.[echt]« konnte man allerdings auch in jedem besseren Pandektenlehrbuch nachlesen1989. Dagegen nahm Jhering bereits in der zweiten Auflage von Geist II/1 bei der Darstellung des vorbezeichneten Beispiels aus dem Nachbarrecht eine rechtstheoretisch wesentliche Korrektur vor. Ausdrücklich meinte er nun: »Die Uebersicht der s.[o] g.[enannten] gesetzlichen Beschränkungen des Grundeigenthums, die ich in der ersten Aufl.[age] an dieser Stelle gegeben hatte, halte ich […] nicht mehr für nöthig […].«1990

Denn Jhering sah die in der ersten Auflage von 1854 dargestellten Einschränkungen des Grundeigentums nun nicht mehr als die »s.g. gesetzlichen Beschränkungen« an, die aus dem Freiheitsbegriff übergeordneten Erwägungen vorgenommen wurden, sondern »vielmehr die G r ä n z e n des Grundeigenthumsbegriffs« selbst1991. Für das praktische Regelwerk der »in unsern Quellen enthaltenen einzelnen Fälle der Eigenthumsbeschränkung« hatte dieser Wandel in Jherings Auffassung allerdings keine unmittelbare Bedeutung, wohl aber für die theoretisch »p r i n z i p i e l l e Behandlung der Frage« nach den Grenzen der rechtlichen Freiheit des Einzelnen1992. Hatte Jhering zunächst – um bei seinem aufschlussreichen Beispiel des Nachbarrechts zu bleiben – die nicht im Interesse des Grundeigentümers erfolgenden Einschränkungen seiner rechtlichen FreiJhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 152f. mit Fn. 169. Vgl. dazu oben Teil 1, Abschnitt II. zur Positivität des Rechts. Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 152. Vgl. nur G.F.Puchta, Pandektenvorlesungen (1832), S. 59f. (Anmerkungen zu § 6); Ders., Pandekten (11838), § 124, S. 113f.; Ders., Pandekten (21844), § 145, S. 201ff., wo Puchta abgesehen von den »particuläre[n] polizeyliche[n] Vorschriften« auf dieselbe – von Heinrich Eduard Dirksen vorgenommene – Zusammenstellung von gemeinrechtlichen »gesetzlichen Beschränkungen« des Grundeigentümers Bezug nahm (aaO, S. 59) wie später Jhering [vgl. Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 152 Fn. 171; Ders., Grundeigenthümer (1862), S. 22 Fn. 1]. 1990 Jhering, Geist II/1 (21866), § 31, S. 141 Fn. 165. 1991 Jhering, Geist II/1 (21866), § 31, S. 141 Fn. 165. Vgl. zu derselben Unterscheidung auch bereits im antiken römischen Nachbarrecht W.Simshäuser, Sozialbindungen (1982), S. 331, 333, 360. 1992 Jhering, Grundeigenthümer (1862), S. 22.

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heit nur aus rechtsfremden Gründen mit gegebenenfalls allerdings durchaus auch »absoluter Nothwendigkeit geboten« gesehen1993, so ergaben sie sich jetzt schon aus dem Begriff des subjektiven Rechts selbst. Die Tatsache, dass Jhering der Gedanke einer innerrechtlichen Prinzipienabwägung zwischen freier Selbstbestimmung und sozialer Bindung schon früh bewegte und nicht erst in der Folge seines Krisenerlebnisses von 18581994 oder gar aufgrund seiner Lektüre von seit der Jahrhundertmitte erschienenen Werken der Nationalökonomie1995, lässt ein bereits im Oktober 1855 geschriebener Brief an Jherings germanistischen Kollegen und damals methodisch gleichgesinnten Freund Carl Friedrich Wilhelm Gerber erkennen. In dem Brief an Gerber äußerte sich Jhering anlässlich eines zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichten Aufsatzes von Gerber über das deutschrechtliche Familienfideikommiß1996 zur

1993 Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 152. In der Pandektistik gab Windscheid dieser Auffassung am Beispiel des Eigentums bis in die letzte Auflage seines Pandektenlehrbuchs treffend Ausdruck: »Das Eigentum ist als solches schrankenlos«. »Es ist die Negation der Beschränkung«; »[…] aber es verträgt Beschränkungen« [B.Windscheid, Pandekten I (91906), § 167, S. 857f. mit Fn. 3]. Denn das »Eigentum ist dasjenige Recht, welches a n s i c h den Willen des Berechtigten entscheidend für die Sache in der Gesamtheit ihrer Beziehungen macht. An sich; das will eben sagen: solange das R.[echt] den Spruch, den es in der Verleihung des Eigentums getan hat, nicht in dieser oder jener einzelnen Beziehung zurückgenommen hat« (aaO, S. 858 Fn. 5). Entgegen der Darstellung von W.Wilhelm, Freiheit (1979), S. 22ff. und – bezüglich Savigny und Puchta – auch von K.Kroeschell, Eigentumsbegriff (1977), S. 39f. lag darin aber weder der Formulierung noch der Sache nach schon eine Weiterentwicklung gegenüber der herrschenden pandektistischen Lehre vom Eigentum und dessen Grenzen. Die Vorstellung, dass nur »das Eigenthum an sich die ausschließliche Befugniß zu jeder Anwendung der Sache« durch den Eigentümer betreffe, im übrigen aber durchaus diversen »gesetzlichen Beschränkungen« unterliege [so wörtlich schon G.F.Puchta, Pandekten (11838), § 123, S. 113; Ders., Pandekten (21844), § 145, S. 201f. (Kursivhervorhebung jeweils nicht im Original)], war entgegen Wilhelm, aaO, S. 24f. nicht erst eine Erfindung von Windscheid, Bruns oder anderen, sondern ein Gemeinplatz in der zeitgenössischen Pandektistik. Ergab sich doch immerhin ein Teil dieser Beschränkungen direkt aus den römischen Quellen der Pandektistik. So – zumindest für die Pandektenwissenschaft seit der Jahrhundertmitte – zutreffend auch K.Kroeschell, Eigentumsbegriff (1977), S. 39f., 44. 1994 So aber O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 158f. 1995 Diesen Schluss legt W.Wilhelm, Freiheit (1979), S. 27f., 32 nahe, wenn er darauf hinweist, dass der Widerspruch insbesondere gegen die Vorstellung von einer begrifflichen Unbeschränktheit des Eigentums zunächst von der sich seit der Jahrhundertmitte etablierenden Nationalökonomie ausgegangen sei und dass Jhering – allerdings erst 1877 im ersten Band des »Zweck« – auf solche Stimmen aus der zeitgenössischen Nationalökonomie auch zustimmend Bezug genommen habe. Vgl. im Anschluss an Wilhelm auch W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 314f. Fn. 347. 1996 Bei dem »Familienfideikommiß« handelte es sich im deutschen Recht juristisch um eine rechtsgeschäftlich oder durch Verfügung von Todes wegen bestimmte Bindung der rechtsgeschäftlichen und erbrechtlichen Dispositionsfreiheit künftiger Eigentümer eines Familienguts. Vgl. im übrigen die folgende Fußnote.

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Frage möglicher immanenter Bindungen von subjektiven Rechten1997. Jhering schrieb dort: »Ich bin aber gegenwärtig gar nicht mehr der Ansicht, als ob das Eigenthumsprinzip das ausschließlich berechtigte wäre, erkenne vielmehr neben dem Individualprinzip (von dem das Eigenth[um] nur einen Ausfluß enthält) ein anderes an, für das ich noch keinen passenden Namen gefunden und das ich in Ermangelung eines bessern das Gemeinschafts Prinzip nenne. […] Schon bei den Römern findet sich dies Prinzip in den res publicae und gentilitiae, bei den Deutschen in noch größerer Ausdehnung. Auf diese Ausdehnung kömmt aber alles an; das eine Prinzip kann das andere verdrängen oder verschlingen, dies wäre ein entschiedenes Unglück, sie können aber sich auch beide in den rechten Gränzen halten. Ich werde das weiter einmal in unserer Zeitschrift ausführen.«1998 1997 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Jhering den Gedanken eines »neben dem Individualprinzip« auch für subjektive Rechte geltenden »Gemeinschafts Prinzip[s]« (vgl. den im Text zitierten Auszug seines Briefs an Gerber) ausgerechnet anlässlich eines Aufsatzes zum Familienfideikommiß entwickelte, also eines zeitgenössischen Rechtsinstitutes, das vor allem den Latifundienbesitz von Adelsfamilien in seinem Bestand rechtlich sanktionierte und mit dem Jhering im Namen seiner ebenfalls in einem rechtlichen Gemeinschaftsprinzip wurzelnden sogenannten »gesellschaftlichen Eigentumstheorie« später gerade »aufräumen« wollte (vgl. oben S. 385 Fn. 1960). Allerdings war auch schon in Jherings Brief an Gerber im Oktober 1855 das Familienfideikommiß der eher zufällige Aufhänger für einen sich als sehr grundsätzlich erweisenden Gedanken (vgl. dazu unten S. 395f. Fn. 2000). In der Frage des Familienfideikommisses selbst hatte Jhering dagegen schon damals auch gegenüber Gerber nicht seine – hier vordergründig noch lediglich mit dem »Individualprinzip« begründeten – Bedenken verhehlt: »Was unsere Differenz anbetrifft […], so gibst auch Du zu, daß das F[amilien] F[ideikommiß] nicht schlechthin und ohne alle Beschränkungen prakt[isch] denkbar ist, daß es also die Freiheit des Eigenth[ums] total vernichten könnte, wenn jeder jedes Grundstück in der Weise binden könnte. […] Es liegt darin, daß das F[amilien] F[ideikommiß] an sich einen Angriff auf das Eigenthumsprinzip enthält, daß man dasselbe nicht generalisiren könnte, ohne letzteres zu vernichten« [Losano-Briefe I /1984, Nr. 49 (Jherings Brief an Gerber), S. 167 und ferner auch schon Jhering, Geist II/1 (11854), § 34, S. 238f. zu den »Gegensätze[n] zwischen Freiheit und Gebundenheit« im römischen Recht und bei »den modernen Völkern«]. Genau umgekehrt machte dagegen C.F.W.v.Gerber, Familienfideikommiß (1857), S. 59ff. geltend, dass in der »Aufhebung des Familienfideikommisses vor Allem eine Verminderung des Rechtsstoffs, mithin eine Schmälerung der privatrechtlichen Freiheit [sic!], nicht bloß ein Angriff gegen den Adel« liegen würde und dass im übrigen »das Grundeigenthum in Deutschland niemals als ein Recht von schrankenloser Freiheit gegolten« habe, sondern »von je her durch einen Zusatz politischer oder sittlicher Pflichten besonderer Art gebunden gewesen« sei. Letzteres hatte allerdings auch Jhering – der Adressat der vorzitierten Bemerkung – schon für die antike Rechtsgeschichte Roms nie bestritten. Ihm ging es bei der Klärung des laut Gerber »in unserer Zeit so wichtig befundenen Princips der S o c i a l i t ä t « (aaO, S. 57) vielmehr um die Frage, ob es sich bei demselben nicht auch um ein genuin rechtliches Prinzip handeln könne. 1998 Losano-Briefe I /1984, Nr. 49 (undatierter Brief Jherings an Gerber aus der ersten Oktoberhälfte 1855), S. 167. Jhering hatte den Brief im Vorfeld der Herausgabe »unserer Zeitschrift«, der ab April 1856 erscheinenden »Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts« geschrieben. Auf Johannes Biermann, den Her-

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Dies hat Jhering auch tatsächlich getan – allerdings erst sieben Jahre später in einem im Sommer 1862 verfassten Aufsatz1999. Dort nahm er sich zur Klärung des Verhältnisses zwischen Freiheit und Gebundenheit der subjektiven Rechte das zentrale Recht jeder Privatrechtsordnung, nämlich das gewöhnliche Grundeigentum vor2000. Jherings Ziel war es dabei wohlgemerkt nicht, die nach ausgeber der ersten auszugsweise erfolgten Veröffentlichung dieses Briefes, geht dessen Datierung auf den Sommer 1855 zurück [vgl. Biermann-Briefe/1907, S. 52f.]. Da aber einerseits ein diesem undatierten Brief nach seinem Inhalt eindeutig vorangehender Brief Jherings das Datum vom 28. September 1855 trägt [vgl. Losano-Briefe I /1984, Nr. 48] und andererseits Gerber mit einem Antwortschreiben, in dem er auch kurz auf die im Text zitierte Stelle über das Verhältnis der »Freiheit des Eigenthums« und das »Princip der Socialität« einging, am 16. Oktober 1855 Jherings undatierten »Brief umgehend« beantwortete [Losano-Briefe I /1984, Nr. 50 (Gerbers Brief an Jhering), S. 169, 171], muss Jhering seinen undatierten Brief an Gerber in der ersten Oktoberhälfte 1855 geschrieben haben. 1999 Die Abhandlung, die in Band 6 der von Jhering und Gerber gemeinsam herausgegebenen »Jahrbücher« erschienen ist, hat Jhering im Juni oder Juli 1862 verfaßt [vgl. zur lückenlos belegbaren Entstehungsgeschichte Jhering, Grundeigenthümer (1862), S. 23 sowie den von Jhering und Gerber zwischen dem 19. Juni und 1. August 1862 geführten Briefwechsel, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 188, S. 480; Nr. 190, S. 485f.]. Unmittelbarer Anlass war zwar – wie Jhering selbst schreibt – eine im selben Heft erscheinende Abhandlung des Verdener Obergerichtsanwalts W.Werenberg zum Thema »Ueber die Collision der Rechte verschiedener Grundeigenthümer«. Mit Mario G. Losano [vgl. LosanoBriefe I /1984, S. 167 Fn. 5] wird man Jherings Abhandlung aber als Verwirklichung des schon im Jahre 1855 gefassten Planes ansehen können, sich in einem Aufsatz für die »Jahrbücher« mit der Frage nach dem Wechselverhältnis von rechtlicher Freiheit einerseits und in den subjektiven Rechten selbst begründeten sozialen Schranken der individuellen Freiheit andererseits grundsätzlich neu auseinanderzusetzen. Dies macht auch plausibel, warum sich Jhering im Sommer 1862 schließlich doch nicht auf eine »rein negativ gehaltene Kritik jener Abhandlung« Werenbergs beschränkte, sondern fast »wider Willen«, nämlich obwohl es ihm in diesen Wochen terminlich ganz ungelegen kam, die von Werenberg berührte Frage unbedingt »einer eingehenden positiven Bearbeitung« unterziehen wollte [Jhering, Grundeigenthümer (1862), S. 23 sowie auch mit ausdrücklichem Bezug auf den vorstehenden Aufsatz Jhering, Geist II/1 (21866), § 31, S. 141 Fn. 165]. Dabei trug Jhering nach eigener Mitteilung seine Gedanken zunächst auf »der in diesen Tagen (Juli [sc. 1862]) hier in Gießen abgehaltenen Versammlung des Juristen-Vereins für das Großherzogthum Hessen« vor, um dann – so wie er es später auch bei seiner berühmt gewordenen Schrift »Der Kampf um’s Recht« handhaben sollte [vgl. Jhering, Kampf (1872), S. V (Vorrede)] – auf der Grundlage seines stenographierten Vortrages den Aufsatz »Zur Lehre von den Beschränkungen des Grundeigenthümers im Interesse der Nachbarn« auszuarbeiten [vgl. Jhering, Grundeigenthümer (1862), S. 23f.]. 2000 Dagegen hatte Jhering in dem oben im Text zitierten Brief von 1855, in dem er wohl erstmals von durch ein »Gemeinschafts Prinzip« immanent gebundenen Rechten des Einzelnen gesprochen hatte, diese Bindung noch lediglich auf ganz spezifische Rechte des einzelnen bezogen, nämlich »insofern ich zu einer Gemeinschaft (: Staat, jur[istische] Person, Genossenschaft etc.) gehöre, und hierzu stelle ich auch das F[amilien] Fideik[ommiß] (das die Gemeinschaft der Personen in dem zeitlichen Nacheinander, wie dort in dem zeit[lichen] Nebeneinander zur Voraussetzung hat)« (Losano-Briefe I /1984, Nr. 49, S. 167). Damit war zwar auch das Familienfideikommiß nicht mehr bloß eine das Recht des Einzelnen beschränkende »Institution aus p o l i t i s c h e n Gründen«, die man

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dem Pandektenrecht und – soweit die einschlägigen »Bestimmungen des römischen Rechts bei uns nicht mehr gelten« – die nach den entsprechenden »neueren Gesetzgebungen« geltenden »Beschränkungen des Grundeigenthümers im Interesse des Nachbarn« im Einzelnen darzulegen2001. Es ging ihm vielmehr darum, die »p r i n z i p i e l l e Behandlung« dieser Beschränkungen, nämlich die theoretische Begründung der vornehmlich beim Grundeigentum vorhandenen Modifikationen »der nackten Eigenthumsconsequenz«, auf eine prinzipiell neue Grundlage zu stellen2002. Durch eine – wie es Uwe Diederichsen in heutigen Worten ausdrückt – konsistente rechtliche Theorie der Sozialbindung des Eigentums2003 wollte Jhering nämlich zeigen, dass sich die nachbarschaftsrechtlichen Beschränkungen des Grundeigentümers auf ein spezifisch rechtliches Prinzip zurückführen ließen und dass es sich bei denselben daher selbst dann, wenn sie auch noch »zugleich eine p o l i z e i l i c h e Beziehung« haben, doch um »durch und durch […] j u r i s t i s c h e « und nicht etwa rechtsfremde lediglich politisch begründbare Fragen handele2004. Damit hatte Jhering in seinem Aufsatz von 1862 erstmals nachbarschaftsrechtliche, also im Interesse von Dritten liegende »G r ä n z e n […] des

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eben nur politisch, nicht aber rechtlich begründen könne [so vorher noch Jhering, Geist II/1 (11854), § 34, S. 238f.]. Denn es war mit dem »Gemeinschafts Prinzip« nun auch rechtlich begründbar, dass bestimmte »Sachen, an denen hier dem Individuum ein Genuß gewährt wird«, im Hinblick auf die Gemeinschaft »nothwendigerweise insoweit seiner Disposition entzogen [sind], daß er [sc. der Berechtigte] den Genuß andern nicht entziehen oder verkürzen darf […].« Aber – so hatte Jhering, aaO in seinen brieflichen Überlegungen von 1855 noch gefolgert – »sie [sc. die vorbezeichneten Rechte] sind also nicht eigentlich sein Eigenthum.« Dagegen ging es in dem Aufsatz von 1862 nun auch um die immanenten rechtlichen Grenzen von »eigentlichem« Eigentum, nämlich von gewöhnlichem Grundeigentum. Vgl. Jhering, Grundeigenthümer (1862), S. 22 mit Fn. 1, S. 65f. mit Fn. 35f., 41. Von der grundsätzlichen rechtspolitischen Notwendigkeit dieser Beschränkungen musste Jhering ohnehin niemanden erst überzeugen. Jhering, Grundeigenthümer (1862), S. 22, 30. Denn »[…] was die Zusammenstellung der in unsern Quellen enthaltenen e i n z e l n e n Fälle der Eigenthumsbeschränkung anbetrifft, hat man keinen Grund, die Theorie einer Unterlassungssünde zu beschuldigen, allein was die p r i n z i p i e l l e Behandlung derselben anbetrifft, so glaube ich, wird man ihr den […] Vorwurf nicht ersparen können« (aaO, S. 22). U.Diederichsen, Jhering (1993/1996), S. 191. So ferner auch W.Fikentscher/U.Himmelmann, Iherings Einfluß (1995), S. 102f. sowie R.Ogorek, Gefährdungshaftung (1975), S. 52. Letztere weist darauf hin, dass in den zeitgenössischen Pandektenlehrbüchern wohl die Eigentumsbeschränkungen aufgeführt waren, nicht aber der Versuch gemacht wurde, »diese Beschränkungen auf ein allgemeines Prinzip« zu bringen (aaO). Vgl. insoweit auch schon Jherings eigene in der vorstehenden Fußnote zitierte Einschätzung der zeitgenössischen Pandektistik. Ferner jetzt eingehend L.Chun-Tao, Jherings Eigentumsbegriff (2015), S. 29–117 zu Jherings gebundenem Eigentumsbegriff und dessen Ableitung aus den römischen Quellen. Jhering, Grundeigenthümer (1862), S. 40.

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Grundeigenthumsbegriffs«, »nicht […] Beschränkungen«2005, aus den immanenten Schranken dieses Rechtes selbst abgeleitet. Vier Jahre später, nämlich in dem für die zweite Auflage von 1866 vollkommen neu formulierten § 1 in Geist I, formulierte es Jhering bereits allgemein für jede Art des Eigentums: »[…] es gibt kein absolutes, d. h. der Rücksicht auf die Gemeinschaft entbundenes Eigenthum […].«2006 Unter direktem Verweis auf die vorstehend zitierten Worte stellte Jhering in dem 1877 in erster Auflage erschienenen ersten Band über den »Zweck im Recht« fest: »Es ist also nicht wahr, daß das Eigenthum seiner ›Idee‹ nach die absolute Verfügungsgewalt in sich schlösse […] – die ›Idee‹ des Eigenthums kann nichts mit sich bringen, was mit der ›Idee der Gesellschaft‹ in Widerspruch steht.«2007

Nach Wolfgang Pleister hätte Jhering hier allerdings »mit gleichem Recht« auch bereits auf seine Abhandlung aus dem Jahre 1862 über die Beschränkungen des 2005 Jhering, Geist II/1 (21866), § 31, S. 141 Fn. 165. 2006 Jhering, Geist I (21866), § 1, S. 7. Der Kontext dieses Satzes macht allerdings auch deutlich, dass Jhering die Pflichtenbindung hier offenbar nicht mehr nur verallgemeinernd auf jegliches Privatrechtseigentum ausgeweitet, sondern im Vergleich zu seinem Aufsatz über die immanenten Grenzen des Grundeigentums vor allem auch inhaltlich entscheidend intensiviert hat. Denn Jhering ging es nun bereits weit über nachbarschaftsrechtlich gebotene Einschränkungen hinausgehend um den – mit Blick auf die Möglichkeit eines den zeitgenössischen Kolonialismus sanktionierenden Rechts – auch politisch bedenklichen Gedanken: »Die Erde gehört der Hand, die sie zu bebauen versteht […].« Zumindest im Hinblick auf das Privatrecht sieht K.Luig, Jhering (1993/1996), S. 264 in diesem Gedanken einen Rückgriff auf das »ältere pflichtengebundene Naturrecht aristotelisch-thomistischer Provenienz in der Schule von Pufendorf und Chr.Wolff, was Jhering selbst jedoch nicht in vollem Umfang bewußt« geworden wäre, da »Naturrecht für ihn stets das jüngere individualistische Naturrecht« gewesen sei. Jhering selbst sah den Gedanken, dass »das Recht […] in gewissen Verhältnissen dafür Sorge« zu tragen habe, »dass die Sache diejenige Verwendung finde, deren sie fähig ist«, allerdings bereits in der »mosaische[n] Schöpfungsgeschichte«, nämlich in Genesis 1, 28, ausgedrückt [Jhering, Zweck II (11883), S. 138f.]. Festzuhalten ist auf jeden Fall, dass Jhering der zeitgenössischen Kant-kritischen Naturrechtsphilosophie eines Heinrich Ahrens vor allem in der Frage nach den Grenzen des Grundeigentums bemerkenswert nahe kam, wenn er den in Zweck I weiter ausgearbeiteten und konkretisierten Gedanken einer Pflichtenbindung aller Rechte so formulierte, dass diese nicht mehr auf die Vermeidung der Verletzung von Rechten Dritter beschränkt war, sondern auch auf eine allgemeine Ausrichtung der Rechtsausübung des Einzelnen auf das Gemeinwohl zielte [vgl. dazu im Kontext der zeitgenössischen Rechtsphilosophie nach 1850 C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 518–523]. Diese – sich darin allerdings auch erschöpfenden – Parallelen zur »K r a u s e s chen Philosophie und Schule (A h r e n s , R ö d e r )« hat übrigens auch Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 312f. Fn. 441 selbst hervorgehoben. Vgl. fermer P.Landau, Das substantielle Moment (2003), S. 250f., 254 zur Vermittlung der Rechtsphilosophie Karl Christian Friedrich Krauses durch Heinrich Ahrens und Karl David August Röder und zur Umdeutung dieser Philosophie durch Jhering. 2007 Jhering, Zweck I (11877), S. 510f. mit Anm.*.

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Grundeigentümers verweisen können2008. Dies hat Jhering in der Tat getan in seinem 1885 veröffentlichten Aufsatz über den »Rechtsschutz gegen injuriöse Rechtsverletzungen«, wo er im Zusammenhang mit der Frage nach den Grenzen des Grundeigentums direkt auf den oben angeführten Aufsatz aus dem Jahre 1862 zurückverwies2009. Mit der Zugrundelegung einer bereits im Begriff des Eigentums, des Erbrechts2010 und letztlich aller »Rechte des Privatrechts«2011 liegenden Sozialbindung näherte sich Jhering nicht nur entsprechenden Vorstößen von Kritikern der »Eigentumsdoktrin des bürgerlichen Liberalismus« aus dem germanistischen Teil der zeitgenössischen Privatrechtswissenschaft an2012. Vielmehr formulierte er auch den entscheidenden Gedanken für die später von Otto von Gierke entwickelte und heute sogenannte »Innentheorie«2013, nach der »jedes [sc. subjektive] Recht eine ihm i m m a n e nt e S c h r a n ke « habe2014. Dagegen hatte 2008 W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 314 mit Fn. 347. 2009 Jhering, Rechtsschutz (1885), S. 316f. mit Fn. 54. Der Auffasssung, dass »Besitz und Eigenthum […] praktisch ihre Grenze am I n t e r e s s e « fänden, da »der Zw e c k , nicht die L o g i k auf dem Gebiete des Rechts zu herrschen berufen ist« (aaO, S. 316f.), stand Jherings ursprünglich noch in der ersten Auflage von Geist II/1 zum Ausdruck gekommene Auffassung gegenüber, nach der, abgesehen von denjenigen immanenten Schranken der Freiheit, die zur Verhinderung der »Selbstvernichtung der Freiheit« durch den Berechtigen selbst geboten seien, eine innere »Beschränkung des [sc. rechtlich erheblichen] Willens« nur noch »durch das l o g i s c h e Element der Institute« denkbar sei [Jhering, Geist II/1 (11854), § 33, 225 Fn. 340]. 2010 Jhering, Zweck I (11877), S. 509f. 2011 Jhering, Zweck I (11877), S. 519. 2012 Vgl. dazu eingehend K.Kroeschell, Eigentumsbegriff (1977), S. 46ff. Kroeschell zeigt, dass der aus dem römischen Recht abgeleitete abstrakte Eigentumsbegriff auch von der älteren Germanistik zunächst übernommen worden und noch bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts hinein unter Germanisten praktisch unbestritten geblieben war (aaO, S. 48f.). Seit Mitte der dreißiger Jahre hätten sich dann aber bei Germanisten wie Georg Beseler oder George Phillips erste Formulierungen eines in ostentativer Entgegensetzung zur pandektistischen Eigentumsdefinition entwickelten sogenannten deutschen pflichtgebundenen Eigentumsbegriffs gefunden (aaO, S. 51ff.). Phillips, bei dem Jhering übrigens als Student in München einst Deutsches Recht und Kirchenrecht gehört hatte, nahm dabei nach Kroeschell, aaO, S. 52f. in seiner germanistischen Eigentumslehre »in erstaunlicher Weise die Gedankenwelt und sogar das Vokabular Gierkes« vorweg. Vgl. wiederum zu Gierke die übernächste Fußnote. 2013 L.Enneccerus/H.C.Nipperdey, Lehrbuch I/2 (151960), § 239, S. 1441ff. Vgl. ferner auch K.Kroeschell, Eigentumsbegriff (1977), S. 63, 66; L.Raiser, Funktionsteilung (1977), 168f. m. w. N.; A.Georgiades, Eigentumsbegriff (1977), S. 153f. und O.Behrends, Struktur u. Wert (1990), S. 170. 2014 Vgl. O.Gierke, Aufgabe (1889), S. 20. Zuvor hatte sich Gierke, aaO, S. 6 Fn. 3 mit dem für seine Theorie der inneren Pflichtenbindung grundlegenden Gedanken, dass »auch im Privatrecht«, das »zuvörderst für Einzelinteressen sorgt, das Gemeinwohl [zu] erstreben« sei, ausdrücklich auf Jhering berufen. O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 159 mit Fn. 52 bezeichnet Jhering daher sogar als den »geistige[n] Vater der modernen ›Innentheorie‹ […], welche die Rechte von innen nimmt, statt sie, wie es eine freiheitliche

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selbst noch der einstige entschiedene Kritiker von Puchtas Theorie der subjektiven Rechte, Friedrich Julius Stahl, die subjektiven Rechte im Bereich des Vermögensrechts, allen voran »die verschiedene[n] Ausscheidung[en] der Eigenthumsbefugnisse«, »hier n u r [als] Rechte« des Einzelnen ansehen wollen, nämlich lediglich »begränzt durch die Bestimmung des Verhältnisses, aber nicht innerlich von einer Pflicht durchdrungen.«2015 Nach dem Urteil von Pleister stand Jhering vor allem mit der Annahme von gesellschaftlich bedingten inneren Schranken des Eigentumsrechts aber selbst »in der zeitgenössischen Pandektenwissenschaft [sc. der siebziger und achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts] ganz vereinzelt da und fand bei ihr kein Verständnis«2016. Begriffsbildung fordern muß, von außen einzuschränken.« Gierkes Ansatz ist allerdings vor allem auf dem Hintergrund der vorausgegangenen Kritik der jüngeren Germanistik am pandektistischen Eigentumsbegriff zu sehen. Im Übrigen sind in der Tat deutliche Parallelen zwischen der späteren Kritik Jherings und derjenigen Gierkes an dem in der Pandektistik herrschenden Privatrechtsverständnis nicht zu leugnen, wenn man einmal von dem nicht unwesentlichen Umstand absieht, dass Jhering seine Auffassung vom richtigen Rechte- und Pflichtenverständnis mit dem – jüngeren – römischen Recht, Gierke dagegen gerade im Abgrenzung von letzterem mit dem deutschen Recht zu belegen suchte. Davon abgesehen aber gilt: So wie für den späten Jhering die »beiden Begriffe: Macht und Pflicht in derselben Person« untrennbar zusammengehörten [Jhering, Geist II/1 (31874), § 36, S. 296; Ders., Zweck I (11877), S. 506ff., 514, 518f.] und jedes subjektive Recht in der im Lichte der »Lebensbedingungen der G e s e l l s c h a f t , d.[as] i.[st] der Gesammtheit Aller« zu bestimmenden »Zw e c k m ä s s i g k e i t « seine Grenzen gefunden hatte [Jhering, Zweck I (21884), S. 529f., 553], statuierte auch Gierke, aaO, S. 17, 20 im Jahre 1889: »[…] ›kein Recht ohne Pflicht‹ […]. Uns reicht schon an sich keine rechtliche Herrschaft weiter, als das in ihr geschützte vernünftige Interesse es fordert und die Lebensbedingungen es zulassen.« Und so wie Jhering, Zweck I (11877), S. 510, 514 die »g e s e l l s c h a f t l i c h e Eigenthumstheorie« der in der Pandektistik noch herrschenden Auffassung, nach der angeblich »das Eigenthum seiner ›Idee‹ nach die absolute Verfügungsgewalt in sich schlösse«, entgegengesetzt hatte, sah auch Gierke, aaO, S. 20 das den »sozialen Rechtsbegriff« vom »romanistischen System« unterscheidende Merkmal darin, dass letzterem – und hier konnte sich Gierke in der Tat auf entsprechende Formulierungen in der Pandektistik berufen – die Vorstellung »an sich schrankenloser Befugnisse, welche nur von außen her durch entgegenstehende Befugnisse eingeschränkt werden«, zugrunde läge (Kursivhervorhebung nicht im Original). Wie Jhering wollte auch Gierke, aaO, S. 21ff. die Grenzen des Eigentums je nach seinem jeweiligen Bezugsgegenstand differenziert sehen. Und wie Jhering zumindest im Falle des Grundeigentums weitete auch Gierke, aaO, S. 19 die Intensitität der Pflichtenbindung weit über ein Missbrauchsverbot zur Vermeidung der Verletzung der Rechte Dritter hinausgehend zu einer weitgehenden positiven Gemeinwohlbindung, nämlich zu einer Rechtspflicht des rechten Gebrauchs der eigenen Sache aus: »Im Nothfall darf sogar die Rechtsordnung nicht davor zurückscheuen, nicht blos den Mißbrauch des Eigenthums zu verbieten, sondern auch die Pflicht des r e c h t e n G e b r a u c h e s in dem sozial gebotenen Umfange zur Rechtspflicht zu stempeln.« 2015 F.J.Stahl, Philosophie II/1 (11833), S. 235f. Das hatte auch für Stahl konkret bedeutet, dass grundsätzlich jeder »Gebrauch […], selbst die Zerstörung [sc. von im Eigentum stehenden Sachen] […] nach Belieben gestattet« sei (aaO, S. 236). 2016 W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 314 Fn. 347 mit Bezugnahme auf W.Wilhelm, Freiheit (1979), S. 27ff., dessen einschlägige Ausführungen die etwas apodiktische

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In rechtstheoretischer Hinsicht hatte die Annahme einer durchgehenden inneren Schrankenbindung vor allem zwei Konsequenzen. Einerseits war der Grundsatz der Pflichtenbindung jetzt anders als nach älteren Modellen sozialer Pflichtenbindung beispielsweise bei Puchta oder Stahl2017 auch im Vermögensrecht nicht mehr nur eine Sache der gesetzlichen Beschränkung durch den staatlichen Gesetzgeber, welcher sozusagen aus seinem Recht nach eigener staatspolitischer Prärogative die rechtliche Freiheit des einzelnen nachträglich mit Einschränkungen versah. Vielmehr war die im jeweiligen subjektiven Recht verankerte Pflichtenbindung als innerrechtliche jetzt durchweg und nicht etwa nur im Familien- und Eherecht auch eine rechtswissenschaftlich relevante Frage geworden. Gehörten doch jetzt in jedem Bereich des Rechts immer »diese beiden Begriffe: Macht und Pflicht in derselben Person« untrennbar zusammen2018. Es war folglich auch nicht mehr so, dass nur das historisch »lebendige Recht der Wirklichkeit« zwischen »zwei äußersten Punkte[n]«, dem »Extrem der Unselbständigkeit [sc. des Rechts] auf der einen« und dem »Extrem der SelbstänWortwahl Pleisters allerdings nicht ganz decken. Denn nach Wilhelm, aaO hatte es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus auch abgesehen von Jhering »Juristen des romanistischen Fachs« gegeben, die die von der Historischen Rechtsschule überkommene »Eigentumslehre der Pandektenwissenschaft« im Sinne einer stärkeren Wiederbesinnung auf eine Sozialbindung des Eigentums kritisiert hätten. Allerdings blieben diese Stimmen auch in der Pandektistik der zweiten Jahrhunderthälfte ganz entschieden in der Minderheit. Insbesondere blieb vor allem unter den namhaftesten noch heute bekannten Pandektisten der Zeit Jherings spätere Auffassung – und insofern ist Pleisters Auffassung zutreffend – eine ganz vereinzelte Stellungnahme. Die meisten Kritiker standen vielmehr außerhalb der Pandektistik und der mit ihr identifizierten und kritisierten Historischen Rechtsschule [vgl. dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 518–521]. 2017 Vgl. zu Puchtas Konzeption einer abgestuften Pflichtenbindung innerhalb von »organischen Verbindungen« C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 536–538. Auch Stahl hatte mit seiner im Text zitierten Feststellung zu den subjektiven Rechten im Bereich des Vermögensrechts (vgl. den Beleg in der voranstehenden Fußnote) im Umkehrschluss deutlich gemacht, dass er die subjektiven Rechte außerhalb des Vermögensrechts sehr wohl »innerlich von einer Pflicht«, also einer immanenten Schranke »durchdrungen« sah. Auf den zur Begründung einer solchen Pflichtenbindung des Einzelnen damals verbreiteten Gedanken einer partiellen sozialen Einbindung des Einzelwesens in einen sozialen Organismus wie – so etwa Puchta – Familie, Volk oder Kirche hat bemerkenswerterweise auch noch Jhering in seinem Spätwerk Bezug genommen, als er eine durchgehende und abgestufte soziale Pflichtenbindung des Einzelnen sowohl im Recht [vgl. Jhering, Zweck I (11877), S. 453ff. (»Mensch als Glied höherer Einheiten […] (Staat, Kirche Vereine)«] als auch in der Moral [vgl. Jhering, Zweck II (11883), S. 142ff. (144): »nicht ein blosses Aggregat, sondern […] gliedliche Einheit«] zu begründen suchte. Allerdings war aus Puchtas ehemals romantischem Gedanken von auf »Liebe« beruhenden »Gemeinschaften« [C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 720f.] beim späten Jhering eine von Menschen bewusst geschaffene »Gemeinsamkeit dauernder Zwecke« geworden [Jhering, Zweck I (11877), S. 453]. Die damit begründete Pflichtenbindung bezog jetzt nicht nur alle Rechtsgebiete mit ein, sondern sie war nun ferner sowohl konkret, nämlich unterschiedlich für jedes einzelne Rechtsinstitut, als auch historisch wandelbar, nämlich abhängig von der jeweils aktuell vorzunehmenden Interessenabwägung. Vgl. dazu weiter im Text. 2018 Jhering, Geist II/1 (31874), § 36, S. 296.

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digkeit [sc. des Rechts] auf der andern Seite« im Laufe der Zeit »beständig oscillirt«2019. Vielmehr war nun die »i n n e re oder m a t e r i e l l e « Selbständigkeit des Rechts selbst bereits Ausdruck eines »G l e i c h g e w i c ht [ s ] d e r m e n s c h l i c h e n S e l b s t b e s t i m m u n g « zwischen der »Freiheit des eigenen Entschlusses« sowie »Zwecken und Postulaten des Gesammtlebens« geworden2020. Andererseits war das jeweilige Maß der innerhalb der rechtlichen Freiheit zu berücksichtigenden Pflichten wiederum abhängig von der Festlegung der äußeren »Gränzen«2021 der rechtlichen Freiheit. Die Grenzlinien zwischen dem selbst pflichtenhaltigen Recht auf der einen Seite und den rechtsfremden nur moralischen und politischen Pflichten auf der anderen Seite waren für Jhering nun überall und »ewig flüssige« geworden2022. Denn Jhering hatte zwar die Herleitung des »spezifisch rechtlichen und juristischen Moment[s]«2023 aus dem Freiheitsbegriff und die Unterscheidung des solchermaßen begründeten »Rechtsprinzips« von den ihm »fremdartig[en]« »Gesichtspunkten« bzw. »Interessen der Moral […] oder privaten ökonomischen Politik« keineswegs aufgegeben2024. Aber die jeweils entscheidende Bestimmung der Grenzlinie zwischen dem, was für das Recht schon »fremdartig« sei, und dem, was noch zum »rein Rechtlichen« gehöre2025, war nun nicht mehr begrifflich-abstrakt durch die Wissenschaft danach bestimmbar, was die in der sittlichen Autonomie jedes Menschen begründete und mit der »Machtbefugniß« des einzelnen identifizierte »Natur des [sc. subjektiven] Rechts mit sich bringt«2026. Vielmehr bedurfte diese 2019 So noch Jhering, Geist II/1 (11854), § 24, S. 21 in einer später gestrichenen Passage zum Gegensatz »der innern Selbstbestimmung« des Rechts und den geschichtlichen »äußere[n] Einflüsse[n], die seiner Natur widerstreben […].« 2020 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 23ff. 2021 Jhering, Geist II/1 (21866), § 31, S. 141 Fn. 165. 2022 Jhering, Zweck I (11877), S. 523. 2023 So auch ausdrücklich weiterhin Jhering, Geist II/1 (31874), § 26, S. 56 Fn. 41, wo sich Jhering trotz der anerkennenden Worte, die er für die in dieser Zeit etwa von Heinrich Ahrens repräsentierte Naturrechtsphilosophie im Hinblick auf deren Hervorhebung des Aspekts der Pflichtenbindung eines Rechts gefunden hatte (vgl. oben S. 397 Fn. 2006), doch auch distanzierte von »der gesammten Rechtsauffassung der Krause’schen Schule«, weil und insoweit sie »meiner Ansicht nach dem spezifisch rechtlichen und juristischen Moment viel zu wenig gerecht wird.« 2024 Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 50; Ders., Geist II/1 (21866), § 26, S. 48; Ders., Geist II/1 (31874), § 26, S. 52 mit Fn. 35. Vgl. auch Jhering, Geist II/1, aaO im Hinblick auf die von ihm verwendete Terminologie sowohl 1854 als auch 1866 bzw. 1874 sachlich gleichlautend: »Es liegt mir nichts daran, wenn man mir den Ausdruck: fremdartig bestreiten will; ich habe ihn nur gewählt, um den Gegensatz dieser beiden Gesichtspunkte [später : jener Interessen] zum Rechtsprinzip recht scharf zu bezeichnen [später : hervorzuheben].« 2025 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 26. 2026 So noch Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 142. Jhering, aaO hatte in dieser bereits 1866 in der zweiten Auflage gestrichenen Passage im Hinblick auf das »Verhältniß des Staats zu

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Abgrenzung nun einer für jedes einzelnes Rechtsinstitut jeweils aktuell vorzunehmenden konkret-historischen Interessenabwägung durch den Gesetzgeber. Keineswegs habe daher – so meinte Jhering in dem bereits angeführten Beispiel des Nachbarrechts, das er »zu den praktisch wichtigsten und legislativ [sic!] schwierigsten, die es gibt«, zählte2027 – »der Gesetzgeber die abstracte Idee der Freiheit des Eigentümers, d.[as] i.[st] die Fiction, als ob jeder auf seiner Scholle von der ganzen Welt isolirt sei und thun und lassen könne, was er wolle, für das Grundeigenthum zur Durchführung [zu] bringen […], sondern es öffnet sich ihm hier ein Mittelweg, auf dem er die Interessen beider Theile [sc. des Eigentümers und Dritter] versöhnen kann […]«2028 und dadurch die Grenzen der rechtlichen Freiheit des Grundeigentümers festlegt. Die jeweiligen Festlegungen dieser Grenzen waren konkret. Sie konnten also – dies übrigens in Übereinstimmung mit den noch weitergehenden Vorstellungen von germanistischen Kritikern des in der Pandektistik herrschenden Eigentumsbegriffs2029 – beispielsweise für das Grundstückseigentum grundsätzlich andere sein als für bewegliche Sachen. Wo der Rechtsanwender bei beweglichen Sachen vorbehaltlich einer nicht im subjektiven Recht selbst begründeten, also rechtsfremden Einschränkung noch an die »nackte, dürre Eigenthumsconsequenz« gebunden bleibe, könne er im Falle des Grundeigentums möglicherweise schon zur Annahme einer Gemeinbindung berechtigt sein2030. Vor allem aber waren die Grenzfestlegungen historisch, das heißt von Zeit und Ort abhängig geworden.

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dem Recht des Subjekts« den Staat, abgesehen von den einzelnen in seinem Recht begründeten Beschränkungen der rechtlichen Freiheit, dazu verpflichtet gesehen, »im Wesentlichen die ganze Fülle der Machtbefugniß, die die Natur des Rechts mit sich bringt, dem Subjekt zu belassen […].« Die genaue Bestimmung dessen, was »die Natur des [sc. jeweiligen subjektiven] Rechts mit sich bringt«, oblag damit 1866 noch allein der Wissenschaft, nicht – wie später – dem staatlichen Gesetzgeber. Jhering, Grundeigenthümer (1862), S. 22. Jhering, Reflexwirkungen (1871), S. 143. Vgl. nur W.Arnold, Recht der Römer (1868), S. 202f., der den angeblich deutschrechtlichen Eigentumsbegriff im Unterschied zum römischen dadurch charakterisiert sah, dass das »Eigenthum […] uns nicht überall der nämliche Begriff [ist], der ohne Rücksicht auf Subject oder Object zur Geltung kommt. […] So ist das Eigenthum ein anderes am Grund und Boden, ein anderes an fließendem Wasser, ein anderes an Bergwerken, Salinen und Forsten, wieder ein anderes an unkörperlichen Dingen […]; und vor Allem ist das Eigenthum an Mobilien ein anderes wie an Immobilien.« Die Diskussion um die damit aufgeworfene Frage nach der Einheitlichkeit des Eigentumsbegriffs reicht bis in die heutige Zeit [vgl. nur A.Georgiades, Eigentumsbegriff (1977), S. 154f. m. w. N.]. Jhering, Grundeigenthümer (1862), S. 30, 48; Ders., Geist II/1 (21866), § 31, S. 141 Fn. 165. Ferner auch Jhering, Zweck I (11877), S. 508f. zur unterschiedlichen Behandlung von Eigentum an unbeweglichen und beweglichen Sachen. Als eine nicht im subjektiven Recht selbst, sondern in rechtsfremden, nämlich »s i t t l i c h e n Gesichtspunkt[en]« begründete Einschränkung des Eigentumsrechts an beweglichen Sachen bezeichnete Jhering beispielsweise das Verbot der Tierquälerei auch aller im Privateigentum befindlichen Tiere (aaO).

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Wo etwa in »alter Zeit […] Jeder Bernstein suchen und nehmen [konnte], wo er ihn fand«, ohne fremde Eigentumsrechte zu berühren, würde er »heutzutage […] in Gegenden, wo das Suchen desselben verpachtet ist, damit ein Aneignungsdelict begehen. Ebenso verhielt es sich einst und verhält es sich jetzt mit dem Goldgraben in Kalifornien.«2031 Nur rhetorisch fragte Jhering in Zweck I: »Ob es jemals gelingen wird, dies ›Wie weit‹ klar zu bestimmen? Ich bezweifle es. Meines Erachtens ist die Frage eine ewig flüssige. Mit der Gesellschaft selber und den Zwecken und Anforderungen, die fort und fort sich stets neu erzeugend unwiderstehlich an sie herantreten, wird auch die Vorstellung von dem, was das Individuum ihr schulde, gleichen Schritt halten.«2032

Und »die Gesetzgebung wird wie bisher so auch in Zukunft die Beschränkungen der persönlichen Freiheit nicht nach einer abstracten doctrinären Formel, sondern nach dem praktischen Bedürfniss abmessen.«2033

Dass aber dieses »praktische Bedürfnis« entsprechend den jeweils vorherrschenden gesellschaftspolitischen Auffassungen der Zeit unter Umständen sehr weit gehen konnte, zeigen bereits Jherings eigene Vorstellungen zur Sozialbindung des Grundeigentums im Sinne einer auch rechtlich durchsetzbaren Pflicht zum rechten, nämlich aktiv gemeinwohlfördernden Gebrauch2034. Berechtigt 2031 Jhering, Rechtsschutz (1885), S. 318. 2032 Jhering, Zweck I (11877), S. 522f. 2033 Jhering, Zweck I (21884), S. 551. Bereits W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 63f. mit Fn. 144 sowie S. 308f. Fn. 332 hat darauf hingewiesen, dass im Jahre 1861 der damals junge Historiker Heinrich von Treitschke in seiner Schrift »Die Freiheit« schon lange vor Jhering von der Unmöglichkeit gesprochen hatte, mit »abstrakten […] Sätzen« der »Wirksamkeit der Gesellschaft ihre erlaubten Grenzen« zu ziehen: Eine feststehende »absolute Schranke für die Staatsgewalt gibt es nicht. Es bildet das größte Verdienst der modernen Wissenschaft, dass sie die Politiker gelehrt hat, nur mit Beziehungsbegriffen zu rechnen. […] Das Netz unseres Verkehrs hat so enge Maschen, daß sich notwendig tausend Kollisionen der Rechte und der Interessen ergeben […]« [H.v.Treitschke, Freiheit (1861), S. 17f.]. Dies wie auch die Tatsache, dass Treitschke seine Gedanken ebenso wie später Jhering, Zweck I (11877), S. 523ff. in – wenn auch viel zurückhaltenderer – kritischer Auseinandersetzung sowohl mit Wilhelm von Humboldts 1851 posthum erschienener Schrift »Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen« als auch mit der 1860 veröffentlichten deutschen Übersetzung von John Stuart Mills Schrift »On the liberty« entwickelte, könnte ein Beleg dafür sein, dass Jhering Treitschkes Schrift gekannt hat und sich zumindest in diesem Punkt in Zweck I, aaO auch von ihr anregen ließ. Zumindest ist es keinesfalls so, wie W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 309 Fn. 334 meint, dass Jhering im »Zweck« im Unterschied zum jungen Treitschke einem »wertblinden Relativismus« bei der Bestimmung der Schranken der Staatsgewalt das Wort geredet hätte. 2034 Vgl. grundsätzlich zur Entwicklung des Gedankens der Sozialpflichtigkeit des Eigentums vom 19. Jahrhundert bis in die jüngere Zeit K.Kroeschell, Eigentumsbegriff (1977), S. 51ff., 60ff. m. w. N. Während die im 19. Jahrhundert diskutierte Frage, ob die Eigentumsschranken immanente Schranken des Freiheitsrechts selbst oder aber nachträgliche

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zum gesetzlichen Einschreiten gegen den Eigentümer sollte der Staat nämlich nicht nur dann sein, wenn »grosse Flächen urbaren Landes unangebaut liegen«, »angenommen, […] es wüchse Unkraut, wo Korn wachsen kann, oder es würden ganze Landstriche dem Pfluge entzogen und der Jagd überwiesen […].« Vielmehr könne ein Gesetzgeber auch bereits dann, wenn ein Grundeigentümer »die Schätze des Bodens« nicht ausbeuten oder aber sein unbebautes Stadtgrundstück – für Jhering in einer »grössere[n] Stadt eine Ungehörigkeit« – nicht bebauen wolle, in »richtiger Würdigung« des Interesses der Gesellschaft daran, dass der »Grund und Boden […] Frucht trage«, im erstgenannten Fall einem interessierten Dritten »die Schürffreiheit« auch gegen den Willen des Eigentümers am Grundstück einräumen oder ihn im zweiten Fall vor »die Alternative [stellen], entweder selber zu bauen oder den Platz gegen entsprechenden Preis demjenigen abzutreten, der sich erbietet, darauf ein Haus zu setzen.«2035 Dies waren die ganz praktischen Konsequenzen von Jherings Auffassungswandel bei der Begründung der Schranken subjektiver Rechte2036. konstitutive Beschränkungen durch den Gesetzgeber seien, von den Verfassern des Bürgerlichen Gesetzbuches noch im Sinne der zweiten Alternative entschieden wurde, hat sich in der privatrechtlichen und verfassungsrechtlichen Eigentumslehre im Laufe des 20. Jahrhunderts die Vorstellung immanenter Schranken weitgehend durchgesetzt (aaO, S. 60f., 65f.). Entsprechend wird auch der Wortlaut von § 903 BGB heute nicht mehr als Ausdruck eines »an sich«, also vorbehaltlich gesetzlicher Beschränkung schrankenlosen Eigentumsrechts betrachtet [M.Wolff/L.Raiser, Sachenrecht (101957), § 51, S. 174f.; § 52, S. 178ff.]. 2035 Jhering, Zweck I (11877), S. 508f. Auf die vorbezeichnete Stelle in Zweck I kam Jhering, Zweck II (11883), S. 138f. noch einmal, und zwar jetzt im Rahmen seiner Theorie des Sittlichen zurück: »Zw e c k l o s e s Beschädigen, Zerstören, Vernichten von Dingen, welche dem Menschen dienen können, enthält eine Beraubung der Gesellschaft«. Darin liege auch der sittliche Grund, dass »das Recht […] in gewissen Verhältnissen dafür Sorge getragen hat, dass die Sache diejenige Verwendung finde, deren sie fähig ist (Bebauen der Grundstücke, der römische ager desertus, die Bestimmungen neuerer Gesetzgebungen über die Verpflichtung zur Cultivirung derselben – gebotene Benutzung von Bauplätzen in der Stadt – Ausnutzung von Bergwerken – Waldpolizei – Verpflichtung zur Ausnutzung von Concessionen, Patenten, Privilegien u.s.w. […].« Noch weiter als das Recht gehe allerdings das »sittliche Gefühl«, das ein generelles »Anrecht der Gesellschaft auf Realisirung der Zweckbestimmung der Dinge richtig erkannt« und formuliert habe: »In dem Vergeuden von Nahrungsmitteln, z. B. dem Wegwerfen von Brod, selbst in dem nutzlosen Brennen des Lichts erblickt die Moral des gemeinen Mannes eine Sünde, und die Zerstörungslust gilt allgemein und mit Recht als Beweis sittlicher Roheit […].« 2036 Nicht zu Unrecht sieht daher O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 158f. angesichts von Jherings »Auflösung des großen Dualismus«, aufgrund welcher er anders »als seine Lehrer […] die Prinzipien der utilitas nicht [sc. mehr] als antithetische Einschränkung des formalen Freiheitsrechts gesehen [hat], sondern als Inhalt desselben Gerechtigkeitszwecks, dem auch die formalen Regeln ihren Ursprung verdanken«, die »so konzipierte Gerechtigkeit […] ambivalent [werden]. Sie kann formale Freiheitsrechte genau so geben wie nehmen.« Und in der Tat verzichtete, wie K.Kroeschell, Eigentumsbegriff (1977), S. 62f. vermerkt, in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in Deutschland kaum »ein Autor jener Tage […] darauf, die Lehre von der Pflichtbindung als

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Allerdings sah Jhering die Grenzziehung zwischen »rechtlichen« und »fremdartigen« Gesichtspunkten auch jetzt keineswegs völlig in das Belieben des Gesetzgebers bzw. der jeweiligen gesellschaftlichen Vorstellungen gestellt. Diesen Eindruck könnte man zwar bekommen, wenn Jhering 1874 in Abwehr der auch von ihm bisher geteilten begrifflichen Unterscheidung von Recht und Moral nach äußeren und inneren Pflichten nun formulierte, dass sich die Ideen »des Guten, Schönen, Zweckmäßigen, der Religion« vom Recht nur dadurch unterscheiden würden, daß letzteres »sich zu seiner Verwirklichung des Zwanges bedient«2037, während er früher die »Eigenthümlichkeit« des Rechts gerade nicht »in dem äußern Zwange«, sondern in seinen Inhalten gesucht hatte2038. Tatsächlich war die sogenannte Selbständigkeit des Rechts jetzt nicht mehr nur aus der sittlichen Autonomie und dem damit verbundenen rechtlichen Freiheitsanspruch des Menschen abzuleiten2039. Aber – so Jhering 1874 – je »weiter immanente Grenze des Rechts auf den nationalsozialistischen Gemeinschaftsgedanken zu gründen.« Als ein Überwinder des Dualismus von Individuum und Gemeinschaft und damit – so der gleichlautende Titel – als ein Wegbereiter der »Politische[n] Jurisprudenz« wurde Jhering beispielsweise vereinnahmt von R.Schober, Jurisprudenz (1933), S. 35, 37, der lediglich bedauerte, »daß Jhering bei seinem Kampf gegen jenen konstruierten Individualismus nicht auch das Wort Individuum über Bord geworfen hat.« Vgl. in diesem Zusammenhang auch P.Liver, Eigentumsbegriff (1972), S. 162ff. m. w. N. sowie ferner die Nachweise bei K.F.Röhl, Rechtslehre (22001), S. 332f., 345. 2037 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 23. Vgl. aus dieser Zeit auch Jherings häufig zitierte Definition des Begriffs des Rechts: »Recht ist der Inbegriff der durch äusseren Zwang d. h. durch die Staatsgewalt gesicherten Lebensbedingungen der Gesellschaft im weiteren [weitesten] Sinn [des Wortes]« [Jhering, Zweck I (11877), S. 499 [= ders., Zweck I (21884), S. 511 mit hier in Klammern und Kursivschrift gesetzter Textänderung]. Nach W.Hess, Verhältnis (1961), S. 75 soll im Spätwerk Jherings in der Tat »jeder inhaltliche Gegensatz von Recht und Sittlichkeit weggefallen« sein. Vgl. dagegen aber weiter im Text. 2038 Jhering, Geist II/1 (11854), § 26, S. 48. 2039 Vgl. dagegen nur Jhering, Zweck I (11877), S. 506: »[…] die Idee, daß das Recht ausschliesslich für den Berechtigten da sei, […] das ist allerdings die herrschende Auffassung. […] Meiner Ansicht nach ist diese Vorstellung eine grundirrige«. Letzteres hieß allerdings wiederum auch nicht, dass das Individuum beim späten Jhering jeden Eigenwert, die Eigenschaft, durch seine spezifisch menschliche Würde Zweck an sich selbst zu sein, überhaupt verloren und damit jede Bedeutung für die Begründung des Rechts wie auch der Moral gegenüber dem kollektiven Zweck des gesellschaftlichen Gemeinwohls vollkommen eingebüßt hätte [so aber W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 245]. Was Jhering in seinem Spätwerk tatsächlich aufgegeben hat, war seine ursprüngliche Zweiteilung des Rechtssystems in solche »Rechte«, die sich ausschließlich von dem Individuum herleiten und solche, die es nicht tun [so noch Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 130f.]. Wenn Jhering demgegenüber später den Zweck »alle[r] Rechtssätze [in] die Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft« setzte [Jhering, Zweck I (11877), S. 453] und ebenso auch für den Bereich der Moral »nicht das Individuum als solches«, sondern »d i e G e s e l l s c h a f t […] [als] Zw e c k s u b j e k t d e s S i t t l i c h e n « bezeichnete [Jhering, Zweck II (11883), S. 153f.], so wollte er damit aber keineswegs das Individuum als Bezugspunkt und »Zwecksubjekt« für Recht und Moral durch die Gesellschaft einfach ersetzen. Vielmehr hat Jhering, Zweck I (21884), S. 463f. lediglich in einem ausdrücklich weit gefassten

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

nun das Recht« als eine mit äußerem Zwang sanktionierte Ordnung »sein Gebiet ausdehnt, umso kleiner wird folgeweise das Freiheitsgebiet, welches dem Menschen übrig bleibt«, und irgendwann sei der Punkt der inneren »Un s e l b s t ä n d i g ke i t d e s Re c ht s « erreicht2040. Ein solches völliges Überwiegen von Rechten der Gesammtheit auf »Kosten […] des Einzelnen« wäre nach Jhering aber einer Vernichtung des Rechts überhaupt gleich gekommen. »Jeder fühlt, daß eine solche Benutzung des Rechts der Idee desselben, d. h. seiner Aufgabe und Bestimmung für die Menschheit widersprechen würde, denn letztere kann unmöglich darin bestehen, aus dem Menschen eine Maschine zu machen und ihm gerade dasjenige, was ihn über die unbelebte Schöpfung der Thierwelt erhebt: die Fähigkeit der Selbstbestimmung rechtlich zu entziehen.«2041

In sogar noch deutlich Kantischer Diktion2042 blieben somit auch für den späteren Jhering der auf »aufgeklärtem Despotismus« beruhende »moderne Polizeistaat in einer noch nicht lange hinter uns liegenden Epoche«2043 sowie die »hochtönenden Phrasen von Volkswohl, Verfolgung objectiver Prinzipien, Sittengesetz« einer »alles verschlingenden und alles aus sich erst wieder gebärenden Omnipotenz des Staates« in einem unvereinbaren Gegensatz zum Begriff des

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»socialpolitischen Sinn […] die Gesellschaft als Zw e c k s u b j e c t des Rechts« bezeichnet, um dann »innerhalb der Gesellschaft in diesem weitesten Sinne […] wiederum besondere Zwecksubjecte« im Rechtssinn zu unterscheiden. Darunter sollte die »Masse [sc. der Menschen], die Gesellschaft im engeren Sinn«, aber nur eines der fünf »besondere[n] Zwecksubjecte« sein neben dem »Menschen als für sich betrachtetem Einzelwesen (Individuum)« sowie »als Glied höherer Einheiten« wie »Staat, Kirche, Vereine«. Denn auch durch letztere solle immer »der Rechtszweck für den Menschen realisirt« werden, indem durch die jeweilige juristische Person von Staat, Kirche oder Verein »die vortheilhaften Wirkungen derselben nur aufzufangen« und »auf die n a t ü r l i c h e Person: den Menschen, hinüber zu leiten« seien. Und sogar bis hin zur Ausdrucksweise entsprechend betrachtete Jhering, Zweck II (11883), S. 142–144 auch im Bereich der Moral die »Gesellschaft« in dem Sinne »als Zweck s u b j e c t des Sittlichen«, dass sie immer »das I n d i v i d u u m als Zwecksubject« umfasse. Das einzige »Zweck s u b j e k t des Sittlichen […] ist der Mensch«, dies allerdings nicht in dem Sinne, dass »das Sittengesetz […] nur das Individuum im Auge« habe, anstatt es immer auch »in seiner Eigenschaft als Glied des Ganzen« zu sehen. Denn einerseits sei das »Individuum […] Glied der Gesellschaft«, andererseits aber »letztere Product der Individuen«. Daher sei auch die in gemeinwohlfördernden »sittlichen Normen« liegende »vortheilhafte Rückwirkung auf das Wohl des handelnden Individuums nicht bloss als mögliche, zufällige, sondern als nothwendige Folge gesetzt […], ja nicht bloss als F o l g e , sondern implicite als Zweck.« Denn »das Ganze […] kann sich nicht wohl befinden, wenn der Theil leidet.« Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 23, 25. Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 24f. Bis in die Terminologie hinein reichen hier die Parallelen zu Kant, der es den »größte[n] denkbare[n] D e s p o t i s m u s « genannt hatte, wenn eine »Regierung […] auf dem Prinzip des Wohlwollens gegen das Volk […] errichtet wäre« [I.Kant, Gemeinspruch, A 236 = WW XI, S. 145f.]. Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 27 sowie auch Ders., Geist II/1 (11854), § 34, S. 267 (in späteren Auflagen unverändert). Dazu auch E.Hurwicz, Ihering (1911), S. 42f.

Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts

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Rechts2044. Dass Jhering entsprechende Gefährdungen der individuellen Freiheit des Menschen nicht nur in weit zurückliegenden Geschichtsepochen gesehen hat, zeigt seine spätere Polemik gegen den zeitgenössischen Utilitaristen John Stuart Mill, durch dessen konsequent utilitaristische Begründung des Rechts und der »Gränzen der Staatsgewalt« es nach Jhering »um die individuelle Freiheit geschehen« wäre, wenn nämlich vorgeblich »ohne Eingriff in seine Freiheit« einschneidende Maßregelungen des im Hinblick auf seine persönliche Lebensführung »unter polizeiliche Aufsicht« gestellten Individuums auch noch philosophisch gerechtfertigt werden könnten2045. Ironisch meinte Jhering an die Adresse von Mill gerichtet: »Ich frage: wünscht etwa der Leichtsinnige, Vergnügungssüchtige sich zu ruiniren? Er wünscht nur sein Leben zu geniessen; folglich kann man ihn ebenfalls hindern ohne Eingriff in seine Freiheit.« Freilich »wo fangen dann die Eingriffe in dieselbe überhaupt an? Es ist ein seltsames Freiheitsbild, das sich aus den einzelnen Beispielen, welche Mill anführt, zusammensetzt.«2046

Denn ein Freiheitsbegriff, der überhaupt keinen vom Staat unantastbaren Kernbereich mehr zu kennen schien, widersprach fundamental der seit Kant in Deutschland ganz herrschend gewordenen und auch von Jhering prinzipiell weiterhin mitgetragenen anti-paternalistisch bürgerlich-liberalen Auffassung, dass jeder das verbriefte »Recht haben muß, auch etwas Unzweckmäßiges zu thun«2047, also gegebenenfalls auch in sein persönliches Unglück zu rennen2048, zumindest solange es nicht – wie Jhering in seiner Spätzeit einschränkte – mit den »Lebensbedingungen der G e s e l l s c h a f t , d.[as] i.[st] der Gesammtheit Aller« im konkreten Einzelfall ganz unvereinbar wäre2049. Dabei war sich Jhering durchaus selbst bewusst, dass das Problem der Bestimmung der Grenzen der Freiheit des einzelnen mit einer »abstracten doctrinären Formel« wie dem Verweis auf die »Lebensbedingungen der […] Gesammtheit Aller« noch nicht gelöst war2050. Weil Jhering auf dieser abstrakten Ebene von einer »Unlösbarkeit 2044 Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 131. Die Tatsache, dass Jhering diese Stelle später nur in stilistischer Sicht leicht änderte und dass sie nahtlos an die zitierten Auszüge aus dem 1874 für die dritte Auflage neu gefaßten § 24 anknüpfen, zeigt ebenfalls, dass Jhering an diesen Aussagen auch später festgehalten hat. 2045 Jhering, Zweck I (11877), S. 530ff., 534. 2046 Jhering, Zweck I (11877), S. 534. 2047 Jhering, Geist II/1 (31874), § 24, S. 27 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 2048 C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 517f. 2049 Jhering, Zweck I (21884), S. 553. Gestehe man der Gesellschaft hingegen »wie Mill es thut, schlechthin die Befugniss zu, wegen einer solchen Benachtheiligung [sc. der Lebensbedingungen der Gesellschaft] zum Selbstschutz durch das Gesetz zu greifen, so ist es um die individuelle Freiheit geschehen […]« [aaO, S. 545 (Kursivhervorhebung nicht im Original)]. 2050 Jhering, Zweck I (21884), S. 551, 553. Dasselbe Problem stellte sich in einem anderen

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

des Problems«2051 ausging, hielt er die konkret-historische Abwägung für unabdingbar. In diesem Rahmen machte er anhand von konkreten Beispielen durchaus deutlich, wo zumindest nach seiner Auffassung auf der einen Seite der unantastbare Kernbereich der Freiheit eindeutig verletzt und auf der anderen Seite die Grenzen der individuellen Freiheit eindeutig überschritten wären. So sei letzteres beispielsweise dort der Fall, wo der Staat »lediglich aus theoretischem [doctrinärem] Respect vor der Freiheit, um nicht das Urrecht eines jeden […], zu kaufen, was er Lust hat, anzutasten«, den Drogenhandel zuließe und tatenlos zusähe, wie ein ganzes »Volk physisch und sittlich sich [sc. selbst] ruinirt«2052. Hingegen betrachtete Jhering den unantastbaren Kernbereich der individuellen Selbstbestimmung zu seiner Zeit dann für eindeutig verletzt, wenn der Staat mit Blick auf die sozial schädlichen Folgen der »Arbeitsscheu« Einzelner beispielsweise »Zwangsarbeitsanstalten für Faule« einrichten2053 oder zur Vermeidung gesellschaftlicher Folgekosten im Falle sozialer Verwahrlosung im familiären Bereich »der Polizei den Eingang in das Innere des Hauses […] öffnen und gleich wie das ökonomische so auch das sittliche Leben unter Aufsicht […] stellen« wollte2054. Sind dies auch Einzelbeispiele, so belegen sie doch, dass Jherings Redeweise von einem »Freiheitsgebiet, das ausschliesslich mir gehört, und das die Gesellschaft respectiren muss«2055, keine bloße Leerformel war und dass die Gesellschaft eben nicht »zu ihrer Selbsterhaltung letztlich alles, was ihr unter bestimmten Umständen zweckmäßig erscheint, tun« dürfen sollte2056.

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Kontext, nämlich im Rahmen von Jherings späterem Versuch, eine gesellschaftliche Theorie des Sittlichen zu formulieren, erneut: »Das Wohl der Gesellschaft? – welch elastischer Begriff! […] Mit den Völkern verhält es sich nicht anders als mit den Individuen. So wenig man für letztere eine allgemein gültige Formel des Wohls oder Glücks aufzustellen im Stande ist, ebenso wenig für die Völker. […] Worein das Wohl und Glück der Gesellschaft zu setzen sei, das ist, wie gesagt, eine Frage, welche sich nicht von der Theorie in Form einer abstracten gesellschaftlichen Glückseligkeitstheorie beantworten läßt […], sondern das ist eine Frage, welche die Geschichte der Menschheit beantwortet […]« [Jhering, Zweck II (11883), S. 204f.]. Jhering, Zweck I (11877), S. 536. Jhering, Zweck I (11877), S. 536 [= ders., Zweck I (21884), S. 550 mit einer hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderung]. Jhering, Zweck I (11877), S. 535. Jhering, Zweck I (11877), S. 532. Jhering, Zweck I (11877), S. 522. So aber W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 309 und früher auch schon W.Hess, Verhältnis (1961), S. 72. Pleister, aaO, S. 315 attestiert Jhering pauschal, im Laufe der siebziger Jahre unter »Übernahme darwinistischer Vorstellungen« eine »viel abstraktere und doktrinärere Betonung der gesellschaftlichen Belange« als der von ihm kritisierte John Stuart Mill formuliert zu haben, da Jhering es jetzt »weder vermocht noch […] als wünschenswert empfunden hat, gegen die Tendenz der Gesellschaft zu Gleichheit und Einschränkung ein Gegengewicht zu installieren«, wie noch einst »im § 30 Geist II/1«. Dabei hat Jhering gerade auch im Falle des von Pleister, aaO, S. 315, 340f. angeführten Paragraphen bei den – allerdings geringfügigen – Modifikationen in späteren Auflagen die in

Der »Freiheitstrieb« und die »innere oder materielle Selbständigkeit« des Rechts

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§ 30 enthaltenen Aussagen nicht nur nicht auch nur in Nuancen abgeschwächt, sondern sogar noch ausdrücklich bekräftigt, etwa wenn er in einer neuen Formulierung für die dritte Auflage von 1874 den »Werth der rechtlichen Freiheit […] in ihrer sittlichen Bestimmung« sah [Jhering, Geist II/1 (31874), § 30, S. 128]. Auch Pleisters eigene Interpretation von Jherings Spätwerk ist in diesem Punkt nicht ganz stimmig. Einerseits soll Jhering in Zweck I »seine gesamte bisherige, auch noch im KuR [sc. Kampf ums Recht] durchaus liberale, auf das Individuum abgestellte Rechts- und Gesellschaftskonzeption total aus den Angeln« gehoben (aaO, S. 304f.) und nur noch eine »schwache Resistenz gegenüber den menschenfeindlichen Konsequenzen, welche die Anwendung darwinistischer Prinzipien auf die Jurisprudenz« zur Folge hat, gezeigt haben (aaO, S. 315 Fn. 350). Andererseits bleibt es auch für Pleister weiterhin »unbestreitbar und anhand vieler Beispiele belegbar, daß Jhering […] sehr bemüht war, den Menschen als konkretes Einzelwesen ernst zu nehmen, der charaktervollen Persönlichkeit ihren positiven Stellenwert in einer vom Recht beherrschten Ordnung einzuräumen und zu bewahren […]« (aaO, S. 312 mit Fn. 340). Nur letzterem kann man zustimmen.

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Die dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Prinzipien

II.

Die Methode der Rechtswissenschaft

1.

Vom materiellen Rechtssystem zur Methode der Rechtswissenschaft

a)

Jherings Abkehr vom ungeschichtlichen Systembegriff des »orthodoxen Romanismus«

Die aus den 1850er Jahren stammenden Äußerungen Jherings zum »Rechtssystem«, dem »System« im herkömmlichen Sinn des Wortes als einer »logische[n] Gliederung des Rechts«2057, scheinen auf den ersten Blick noch ganz im Rahmen dessen zu liegen, was Jhering damals in der zeitgenössischen Diskussion über die wissenschaftliche Bedeutung und die Inhalte des Rechtssystems an Anschauungen vorfand. Denn auch Jhering bezeichnete die »systematische Classification« der Begriffe als die »letzte Consequenz« der rechtswissenschaftlichen Tätigkeit bzw. als »die Spitze der ganzen Aufgabe«2058. Hatte Puchta von der »Genealogie der Begriffe« gesprochen, so sprach Jhering von der »Stammtafel«2059 bzw. – seit der vierten und auch letzten zu seinen Lebzeiten herausgegebenen Auflage von Geist II/2 – vom »Stammbaum der Begriffe«2060. In einer Passage aus dem in erster Auflage 1858 erschienenen Band Geist II/2, die Jhering seit der dritten Auflage von 1875 noch dadurch aufgewertet hat, dass er sie aus der Fußnote in den Haupttext eingliederte, hob er die Bedeutung der 2057 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40. Vgl. oben Teil 1, S. 128--130 zu Jherings Unterscheidung des »Rechtssystems« im Unterschied zum »realen System« einer rechtshistorischen Epoche. 2058 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 396. 2059 Jhering, Geist II/2 (21869), § 38, S. 314; Ders., Geist II/2 (31875), § 38, S. 330. 2060 Jhering, Geist II/2 (41883), § 38, S. 330. Im Zusammenhang mit den »genealogischen Untersuchungen« der Rechtsbegriffe, womit Jhering die Rückführung der einzelnen Rechtsinstitute auf die ihnen ursprünglich zugrunde liegenden historischen »Gedanken«, also die historische Genese der Institute meinte, sprach Jhering auch schon in Geist I (11852), § 3, S. 35 von einem »Stammbaum«, nämlich dem »Stammbaum« der historischen »Gedanken«, die ein Institut im Laufe der geschichtlichen Entwicklung formten.

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Die Methode der Rechtswissenschaft

systematischen »Stammtafel der Begriffe« als wichtige Voraussetzung der »richtigen materiellen Erkenntniß« hervor und warnte gegenüber der »namentlich unter praktischen Juristen viel verbreiteten Ansicht, als ob die systematische Frage im Recht ein rein formales oder theoretisches Interesse habe«, dass vielmehr die systematischen Irrtümer in Wahrheit »zu den gefährlichsten [gehören], die es gibt«2061. Wie sehr dabei die idealistische Unterscheidung eines »inneren« und »äußeren« Systems der Erkenntnis2062 inzwischen auch in der Rechtswissenschaft zum wissenschaftstheoretischen Allgemeinplatz geworden war, verdeutlicht Jherings Feststellung in Geist I (11852), wonach »d a s heutzutage wohl keiner Bemerkung [sc. mehr bedarf], daß das System ebensowenig beim Recht wie bei jedem andern Gegenstande eine Ordnung sein soll, die man in die Sache h i n e i n bringt, sondern eine solche, die man h e r a u s h o l t «,

also »gleichbedeutend mit innerer Ordnung der Sache selbst« im Gegensatz zu einer »der Sache selbst fremde[n] Logik eines Schematismus«2063. Nicht anders hatte auch schon Puchta davor gewarnt, die Klassifikation der Rechtsbegriffe »als ein bloßes Schema von Definitionen« zu behandeln2064 und damit eine ihrem Gegenstand unangepasste Systematik des Rechts aufzustellen. Allerdings stellte Jhering in einem von 1869 stammenden Nachtrag gegenüber »Mißverständnissen« auch klar, dass er »unter S y s t e m « niemals »bloß die 2061 Jhering, Geist II/2 (31875), § 38, S. 331. So »lange die Wissenschaft noch nicht die rechte systematische Stelle für den Gegenstand gefunden [hat], hat sie ihn auch noch nicht recht begriffen« (aaO). Daher war das Rechtssystem auch für Jhering mehr als eine Einrichtung zu rein didaktischen Zwecken, nämlich nicht eine – wie er 1869 neu formulierte – »bloße durch Zweckmäßigkeitsrücksichten bestimmte Ortsanweisung für das Einzelne, um es mit leichter Mühe wieder zu finden«, sondern eine in »Form einer Tabelle« »mit der äußersten Breviloquenz ausgedrückte Ontologie der speciellen Wissenschaft« [Jhering, Geist II/2 (21869), § 38, S. 314]. 2062 Vgl. dazu schon eingehend C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 645–655. 2063 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 26, 31. Vgl. dazu M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 407; M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 142f., 146. Entgegen M.G.Losano, aaO, S. 150 ist dieser Gegensatz von »äußerem Schematismus« und »innerem Rechtssystem« aber von einem anderen Gegensatz bei Jhering zu unterscheiden, nämlich von dem nach Jhering im »Begriff der Geschichte« und nicht des Rechts liegenden Gegensatz der historischen »inneren Verwandtschaft […] der Thatsachen« einerseits und der zuweilen nur zufälligen »äußere[n] Verbindung derselben durch die Zeit« andererseits [Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 51, 53ff]. Letzteres war mitnichten eine lediglich in mystische Worte gekleidete »neue Formulierung« für den erstgenannten Gegensatz, wie Losano, aaO, S. 150 meint. Denn der zweite Gegensatz bezeichnete nicht die – den Inhalten des Rechts angemessene oder unangemessene – Formulierung des Rechtssystems, sondern historische Tatsachen wie zum Beispiel diejenige, dass sich im spätrömischen Recht aus der Zeit Justinians noch Reste altrömischer Auffassungen fänden, die mit dem auf spätrömischen Anschauungen beruhenden Recht in keinem »inneren« bzw. »organischen« Zusammenhang mehr ständen, sondern in einer lediglich »äußeren«, nämlich »durch die Zeit« und ihre Umstände zufällig hervorgebrachten Verbindung. 2064 G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 33, S. 101. Vgl. dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 625.

Vom materiellen Rechtssystem zur Methode der Rechtswissenschaft

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äußere Anordnung der Begriffe« verstanden habe, sondern »das Ganze der zur juristisch-begrifflichen Form erhobenen Rechtsbestimmungen«. Und er fügte an, dass im Hinblick auf das römische Recht vor allem das »System in d i e s e m Sinn« die »lebendige dialektische Kraft« enthalte, »von der jedes Blatt des corpus iuris Zeugniß ablegt« und die sich – wie Jhering 1869 ausdrücklich bekräftigte2065– »als eine unversiegbare Quelle neuer Rechtswahrheiten bewährt hat und täglich bewährt.«2066 Demgegenüber habe das System im Sinne einer Klassifikation zwar eine wichtige Bedeutung für die Rechtspraxis als »die praktisch vortheilhafteste Form des positiv gegebenen Stoffs«2067. Jhering hob beispielsweise die mnemotechnische Bedeutung einer Klassifikation (»plastische Anschaulichkeit«)2068 hervor. Soweit durch die Klassifikation aller Begriffe des positiven Rechts, welche nach »an sich inhaltslos[en], formal[en]« und »allge-

2065 Entgegen R.Dreier, Jhering (1993/1996), S. 230 kann man daher bezweifeln, ob gerade diese folgend im Text zitierten Worte Jherings »ein verkürzter Ausdruck dessen« sind, was Jhering der Sache nach seit Anfang der sechziger Jahre, dem Ausdruck nach seit 1884 [vgl. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 10 Fn. 1 a.E. (späterer Zusatz); S. 304 Fn. 2; S. 330f. (Anmerkung 14 zu S. 292), S. 337, 343, 345, 347, 358, 362] als »Begriffsjurisprudenz« öffentlich kritisierte und verspottete. 2066 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 369 Fn. 529a (seit der dritten Auflage Fn. 528a). Jhering hatte diese öffentliche Klarstellung namentlich gegen W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. 429f. gerichtet, der mit offensichtlicher Bezugnahme auf Geist II/2 (11858), § 41, S. 409–413 »diese Lobpreisungen [sc. auf das klassifizierende System], die besonders durch Puchta in Schwang gekommen sind«, kritisiert und demgegenüber geltend gemacht hatte, dass die Klassifikation rechtlicher Begriffe allenfalls »ein Nothbehelf unserer Erkenntniß [ist], nothwendig und förderlich allerdings, aber doch immer ein Behelf«. Das aber sah auch Jhering nicht anders und empfand daher die auf ihn gemünzte Kritik Wilhelm Arnolds, die in heutiger Zeit übrigens wiederholt wird von M.G.Losano, Studien (1984), S. 127, als ganz unberechtigt. Vgl. nur Jherings Brief vom 18. Januar 1866 an Wilhelm Arnold, abgedruckt in: Kroeschell-Briefe I /1978, Nr. 2, S. 275: »[…] haben Sie mir in Bezug auf meine Lobrede auf das ›System des Rechts‹ Unrecht gethan. Unter ›System‹ verstand ich in meiner Theorie der Technik nicht die systematische Anordnung der einzelnen Materien, sondern die juristische Form und Gestaltung des gesamten Stoffes, d. h. die Erhebung des Materials, das die Gesetze und Verordnungen uns bieten, zu Rechtsbegriffen, wenn Sie wollen die Rechtwissenschaft.« Vor Jherings öffentlicher Klarstellung hatte sich auch schon M.A.v.Bethmann-Hollweg, Savigny (1867), S. 56f. in derselben Weise gegen Arnolds »Mißverständniß« ausgesprochen. 2067 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 409. 2068 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 409f. Wenn Jhering in diesem Zusammenhang von der Erfassung des positiven Rechts durch die »Anschauung« bzw. von der »Möglichkeit eines Totaleindrucks« sprach, meinte er das von ihm sogenannte »juristische Anschauungsvermögen« (aaO) bzw. – wie er in der dritten Auflage ergänzend formulierte – die »Möglichkeit der Anschauung« der Systematik des Rechts durch »das juristische Auge« [Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 384]. Das muß man sich bewusst halten, da in der fachwissenschaftlichen Sprache des 19. Jahrhunderts mit den genannten Ausdrücken normalerweise etwas ganz anderes verbunden wurde, nämlich die Ergänzung bzw. Korrektur des abstrakten Rechts durch die Lebenswirklichkeit.

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meinen Kategorien« den »Stoff [wie bei der Folter] zum Geständniß zwingt«2069, auch die dem Gesetzgeber selbst nicht bewusst gewordenen »stillschweigenden Voraussetzungen, die dem Gesetz zu Grunde liegen«, aufgedeckt würden, maß er auch dem klassifizierenden System »eine außerordentliche dialektische Triebkraft« zu, nämlich einen tatsächlichen über das bloße Ordnen hinausgehenden Zuwachs an Erkenntnis über die Rechtsinhalte2070. Später sprach Jhering etwas schlichter von einer Bedeutung »für die Erkenntnis des G e s a m t z u s a m m e n h a n g e s .«2071 Dennoch ist nicht zu übersehen, dass Jhering dem »System« im Sinne einer Klassifikation rechtlicher Begriffe eine andere und weit weniger zentrale Bedeutung beimaß als früher Puchta, der noch – wohlgemerkt unter Zugrundelegung des vorstehenden Systembegriffs – die Digesten zu den bloßen »Compilationen« gezählt und gemeint hatte, dass solche »Compilationen, wie die Digesten, die nicht einmal ein wissenschaftliches Werk sind, […] niemand, der genau sprechen will, Systeme nennen« würde2072. Demgegenüber hat Jhering – 2069 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 411 [= ders., Geist II/2 (41883), § 41, S. 385 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz aus der vierten Auflage von 1883]. 2070 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 410f. »Dialektisch« wurde in der – nichthegelschen – Wissenschaftssprache der Zeit nicht nur von Jhering jede verstandesmäßig erlangte Erkenntnis genannt, die ohne gedanklichen Widerspruch durch die »Fortbewegung eines und desselben Gedankens« gewonnen worden war [so Jhering, Geist III/1 (11865), § 53, S. 129]. Von »Triebkraft« sprach Jhering hier, um auszudrücken, dass die Erkenntnis tatsächlich »produktiv« sein könne in dem Sinne, dass Zusammenhänge aufgedeckt würden, die dem »Gesetzgeber […] bei dem Act der Rechtsproduction« (S. 411) nicht bewusst gewesen seien. Den Ausdruck »Triebkraft«, der in der Wissenschaftssprache der Zeit im Vergleich zu den Ausdrücken »Trieb«, »Grundtrieb« oder »Triebfeder« zwar seltener, jedoch durchaus nicht unüblich war [vgl. nur K.T.Welcker, Encyklopädie (1829), S. 34; C.F.W.Gerber, Princip (1846), S. 251, 257; Ders., System (11848), S. XV; G.Lenz, Entstehung (1854), S. 5, 153; J.E.Kuntze, Geist I-Rezension (1855), S. 181; Ders., Wendepunkt (1856), S. 80; J.Unger, System I (1856), S. 59], verwendete Jhering aber nicht einheitlich, sondern in den sachlich unterschiedlichsten Zusammenhängen. So wurde die in den Quellen des römischen Rechts erfahrbare »Triebkraft der Idee« [Jhering, Solidarobligation (1886), S. 461; Ders., Reflexwirkungen (1871), S. 164], die innere »Triebkraft« eines Prinzips bzw. die »treibende Kraft des Begriffs« nach O.Behrends, Jhering (1987), S. 249 Fn. 61 geradezu zum Schlüsselbegriff Jherings. In einem jeweils unterschiedlichen Sinn bezeichnete Jhering – um nur einige Beispiele zu nennen – in Univers.rechtsgesch. (Nachlass), Bl. 47v die »Sittlichkeit« im Gegensatz zur »Verstandesconsequenz« und »legislative[n] Politik« als »die eigentliche Triebkraft« des »ganzen Familienrecht[s], Kriminalrecht[s] usw.« und sprach in Geist II/2 (31875), § 45a, S. 506 von der »Triebkraft« des Formalismus im altrömischen Recht, in Zweck I (11877), S. 79, 81, 230 von der »Triebkraft des Zweckbegriffs«, im Prager Vortrag (1877), Bl. 2 von der psychologischen »Triebkraft des Individuums«, in Besitzwille (1889), S. 465 von der »Triebkraft […] des Interesses« oder in Entwickl.gesch.(1894), S. 7 von der »treibende[n] Kraft im Innern« der Rechtsgeschichte. 2071 Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 352 mit Verweis auf Jhering, Geist II/2 (41883), § 38, S. 330. 2072 G.F.Puchta, Institutionen-Vorlesungen (1829), S. IX.

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wie Byoung Jo Choe zu Recht bemerkt – im »Geist« das klassifizierende »System« – obwohl doch eigentlich die »Spitze der ganzen Aufgabe« – geradezu beiläufig abgehandelt2073 und bei der Darstellung der »juristischen Technik« sogar selbst ausdrücklich gemeint, dass es »mit wenig Worten abgethan werden« könne2074. Die Erklärung für diese demonstrative Kürze liegt zunächst einmal darin, dass Jhering anders als Puchta mit der Frage nach der »Eintheilungsnorm« und den »Grundunterscheidungen«2075 des klassifizierenden Systems nicht die Vorstellung einer zumindest annähernden Wiedergabe des »inneren Systems« des Rechts verband, bei der man nach Puchtas Worten nicht mehr fragte, »wie lassen sich die Rechte classificiren, sondern wie classificiren sie sich selbst […]?«2076 Für Jhering, der hier Savigny näher stand als Puchta, blieb die Klassifikation der Rechtsbegriffe vielmehr immer – wie Savigny es ausgedrückt hatte – eine »Ordnung, in die wir [sc. die Wissenschaftler] sie [sc. die Rechtsbegriffe] stellen«2077. In einem Brief bekannte Jhering daher auch selbst ausdrücklich: »Den Einfluß des äußerlich systematischen Elements schlage ich durchaus nicht so hoch an.«2078 Für Jhering war allerdings weniger die von Savigny geltend gemachte Tatsache maßgeblich, dass in einer systematischen Darstellung niemals der ganze Zusammenhang von Recht und Lebenswirklichkeit wiedergegeben werden könne2079. Das war für Jhering nicht nur selbstverständlich, vielmehr sah er 2073 B.J.Choe, Culpa (1988), S. 166 Fn. 185. Vgl. auch schon J.Edelmann, Entwicklung (1967), S. 51 sowie ferner A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 201 Fn. 69. 2074 Jhering, Geist II/2 (31875), § 38, S. 330 i. V. m. § 41, S. 369 bzw. auch schon in der ersten Auflage Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 345 (»[…] bedürfen […] keiner näheren Erörterung«) i. V. m. § 41, S. 396. Zumindest missverständlich ist es daher auch, wenn H.J.Hommes, Konstruktion (1965), S. 330 die »systematische Klassifizierung der Rechtsbegriffe« bei Jhering als »Endziel und höchste Aufgabe« der naturhistorischen Methode bezeichnet. Denn als »Spitze« der naturhistorischen Untersuchung verstand Jhering die Klassifikation nur im Sinne einer abschließenden umfassenden Darstellung der Ergebnisse der rechtswissenschaftlichen Forschungsarbeit, ebenso wie er auch schon die dieser Darstellung unmittelbar vorangehende Definition der einzelnen die Klassifikation konstituierenden Institutsbegriffe nur noch als die »formelle Redaction oder Concentrirung der gefundenen Resultate« verstanden wissen wollte [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 391]. 2075 Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 616f., 699 Fn. 3503. 2076 So G.F.Puchta, Classification (1829), S. 247. Der Unterschied zwischen Puchta und Jhering lag also nicht darin, dass Jhering im Gegensatz zu Puchta das »äußere System« nicht mehr befriedigte [so aber M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 154], sondern darin, dass er anders als Puchta das klassifizierende System als ein nur »äußeres System« ansah, das nicht auch nur annähernd das innere System widerspiegeln könne. 2077 F.C.v.Savigny, System I (1840), S. XXXVII (Vorrede). 2078 Kroeschell-Briefe I /1978, Nr. 2 (Jherings Brief vom 18. Januar 1866 an Wilhelm Arnold), S. 275. 2079 Vgl. F.C.v.Savigny, System I (1840), S. XXXVII (Vorrede). Danach bildeten in »der reichen, lebendigen Wirklichkeit […] alle Rechtsverhältnisse Ein organisches Ganze[s]«. Da

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gerade die Existenzberechtigung der Wissenschaft darin, dass sie durch ihre »juristisch zersetzende Kraft« alles, was – wie Jhering in Geist II/2 (11858) mit ironischer Distanz zu der von Stahl noch verwendeten romantischen Ausdrucksweise formulierte – »den Eindruck eines ›Organismus‹« mache, »jenes poetische ›Verwachsen-Sein‹, ›Sich-organisch-Durchdringen‹ u.s.w.«, in seine den unterschiedlichsten Rechtsgebieten zugehörigen Einzelbestandteile auflöst2080. »Das Eine Element des Instituts gelangt im System hierhin, das andere dorthin«, und der Rechtsanwender »muß […] die einzelnen Elemente […] aus den verschiedensten Theilen des Systems zusammensuchen«2081. Da aber die Klassifikation auch nach Ansicht des jungen Jhering nie nur dem Zweck wissenschaftlicher Erkenntnis logischer Strukturen, sondern immer auch dem praktischen Zweck einer Erleichterung der Rechtsanwendung diente, durfte sie die jeweiligen historischen »Functionen« der Institute, die sich nach Jhering unter Umständen sogar ändern konnten, ohne eine Änderung der »Structur« nach sich zu ziehen2082, nicht ignorieren2083. Dass »z. B. Puchta die Vormundschaft ins Obligationenrecht stellt«, war für Jhering schon 1852 nur ein Beleg dafür, dass beim klassifizierenden System »unsere juristische Methode […] leider ein gar zu großes Gewicht auf die anatomische Structur der Institute, und ein zu geringes auf die Functionen« lege2084. Es ist übrigens bezeichnend für die

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2082 2083

2084

aber die »äußere Anordnung eines systematischen Werks« diesen »inneren Zusammenhang« der Rechtswirklichkeit niemals vollständig erfassen könne, sind »wir […] genöthigt, ihre Bestandtheile zu vereinzeln, um sie successiv in unser Bewußtseyn aufzunehmen und Anderen mitzutheilen.« Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 378. Vgl. auch H.Coing, Systembegriff (1969), S. 166. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 378f. mit Fn. 500. So zeige sich bei den die Rechtsinstitute bildenden Rechtssätzen, dass »manche scheinbar heterogene Rechtssätze aus denselben Elementen gebildet sind«, oder aber umgekehrt, dass ein »Rechtssatz ganz und gar aus verschiedenen einfachen begrifflichen Elementen« des Systems bestehe [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 28]. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 42 Fn. 19. Nach seiner in den späteren Jahren vertretenen Ansicht sollte sich die Klassifikation allerdings nur noch an den Funktionen der Institute orientieren. So bezeichnete Jhering im nicht mehr veröffentlichten Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 40 »die unnatürliche Systematik, welche das Zusammengehörige zerreißt, um die einzelnen Splitter an verschiedenen Orten unterzubringen«, als Ausdruck einer »falsche[n] Wissenschaftlichkeit« (die Unterstreichung im handschriftlichen Original ist hier in Kursivschrift wiedergegeben). Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 42 Fn. 19. In dieser Hinsicht kritisch auch schon A.W.F.v.Schröter, Puchta-Rezension (1840), S. 297. Nach G.F.Puchta, Pandekten (21844), § 332, S. 458 fand die Ansicht, dass »die Vormundschaft ein Familienverhältniß sey, […] weder in der Entstehung […] noch in der juristischen Natur des Verhältnisses die mindeste Begründung«. Eine derartige Sichtweise verkannte nach Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 488, dass der Zweck der »heutige[n] Vormundschaft […] ausschließlich eine Schutzanstalt im Interesse des Mündels« und nicht »ein R e c h t des Vormundes« sei. Vgl. später auch Jhering, Zweck I (11877), S. 468f.

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zeitgenössische Jurisprudenz, dass ein Widerspruch auf diese Bemerkung Jherings nicht lange auf sich warten ließ2085. Ein zweiter und noch tiefer liegender Grund für Jherings eher beiläufige Abhandlung der Klassifikation im »Geist« war aber dessen Überzeugung, dass jedes System des Rechts, und zwar das innere ebenso wie das äußere »immer ganz individuell« auf die jeweilige Rechtsordnung bezogen sei. Denn »diesem Rechte«, und damit meinte Jhering die jeweils gesamte Rechtsordnung, »ist ein anderes System eigenthümlich, als jenem.«2086 So gab Jhering der im zeitgenössischen Wissenschaftsverständnis verbreiteten und von ihm selbst auch geteilten Überzeugung von der Notwendigkeit der Ausbildung von Fachwissenschaften, die ihren Gegenstand in seiner jeweils spezifischen Eigenheit erfassen und nicht nach einer der »Sache selbst fremde[n] Logik«2087 untersuchen, in Bezug auf das Recht eine neue Wendung. Denn bisher stand bei der die Wissenschaftlichkeit verbürgenden Suche der Pandektisten nach »innerer Ordnung der Sache selbst« ganz die Frage nach der dem Recht im Gegensatz zu der anderen Wissenschaftsgegenständen eigentümlichen Ordnung im Vordergrund. Dem hatte die Vorstellung zugrunde gelegen, dass die dem Recht als solchem eigentümliche bzw. aus der Sache selbst sich ergebende Ordnung in den Inhalten des römischen Rechts verborgen sei, sich durch »Reinigung« des römischen Rechts auffinden und – so etwa Puchta im Hinblick auf die von ihm sogenannten »Grundunterscheidungen« der Rechtsbegriffe – sogar in einer Rechtsklassifikation allgemeingültig abbilden lasse. Letztere hatte dann mit wissenschaftlichem Wahrheitsanspruch einen Maßstab bilden sollen für die Beurteilung des jeweiligen Entwicklungsstandes historischer und gegenwärtiger Rechtsordnungen. Genau dieser »Maaßstab zur Beurtheilung eines einzelnen Rechts«, also einer konkreten Rechtsordnung, ist Jhering aber in den fünfziger Jahren – wie er es 1852 in der Einleitung zum »Geist des römischen Rechts« im Hinblick auf die »Naturlehre« des »R e c h t s überhaupt«2088 selbst formuliert hatte – zum Problem geworden2089. Daher war es konsequent von Jhering, die 2085 Vgl. J.E.Kuntze, Geist I-Rezension (1855), S. 182f., der zwar nicht den »Mißgriff Puchta’s« verteidigen wollte, aber gegen Jhering gerichtet meinte, dass sich an diesem »Mißgriff« nur zeige, wie »unsere juristische Methode« nicht zu viel, sondern umgekehrt zu wenig »Gewicht auf die (anatomische) Structur […] lege«. So auch schon J.E.Kuntze, Anzeige (1852), S. 260f. Die letztgenannte »Anzeige« ist zwar anonym erschienen. Die inhaltlichen und wörtlichen Übereinstimmungen auf S. 260–263 mit Kuntzes späteren Rezensionen [vgl. vor allem J.E.Kuntze, Geist I-Rezension (1855), S. 179, 182f., Ders., Geist II/1Rezension (1855), S. 309f.] lassen aber keinen Zweifel an der Verfasserschaft Kuntzes. 2086 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 26. Dieser Beleg gilt auch für die im Text folgenden Zitate. 2087 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 26. Vgl. auch die schon oben S. 412 Fn. 2063 angeführten Belege. 2088 Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 10; § 3, S. 26. 2089 Entgegen A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 236 bedeutet das aber noch keineswegs, dass »Jhering im Geist kritisiert, ohne einen ›roten Faden‹ zu haben.«

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Aufgabe der Wissenschaft im Rahmen der »dogmatische[n] Logik des Rechts« dahingehend zu formulieren, dass sie die der jeweiligen Rechtsordnung »eigenthümliche« bzw. »innere Ordnung« zu erkennen habe und dass entsprechend auch die äußere Ordnung, die »systematische Classification«, nicht der Ausgangspunkt, sondern immer nur der Endpunkt, die »letzte Consequenz« der Untersuchung einer Rechtsordnung nach der »naturwissenschaftlichen Methode«2090 sein könne. Nun lag allerdings auch Jhering die Annahme fern, dass die Systeme aller Rechtsordnungen immer ganz unterschiedlich seien und dass damit auch den konkreten Inhalten des römischen Rechts – abgesehen von ihrer positivrechtlichen Verbindlichkeit im gemeinen römischen Recht – keine hervorragende universalrechtsgeschichtliche Bedeutung zukomme. Vielmehr bemerkte Jhering wiederholt in im Grundsatz bis heute gültiger Weise2091, dass im Privatrecht an vielen aus dem römischen Recht stammenden Begriffen die Zeit scheinbar »spurlos vorüber [geht], die Grundbegriffe des römischen Sachenrechts: das Eigenthum, der Besitz, die Servituten sind heutzutage im Wesentlichen noch dieselben, wie vor zwei Jahrtausenden […]. Sie repräsentiren gewissermaßen die festen, unedleren Theile des Rechtsorganismus, die Knochen, die sich nicht erheblich mehr ändern, wenn sie einmal ausgewachsen sind.«2092

Alle diese »Knochen« des Privatrechts begriff Jhering aber dennoch als historisch, was nicht dazu berechtigte, einen mit der Rechtswissenschaft verknüpften Anspruch universeller wissenschaftlicher Wahrheit auf konkrete Inhalte des römischen Rechts zu beziehen. Eine zumindest im Hinblick auf die »Grundunterscheidungen« wahre »Genealogie« des Rechts, wie sie Puchta auf der Grundlage des römischen Rechts hatte formulieren wollen, schied für Jhering damit bereits in den 1850er Jahren ebenso aus2093 wie das, was Jhering in den 1870er Jahren – nun allerdings wohlgemerkt auf der Grundlage »einer Syste2090 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 396. 2091 Vgl. nur O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 11f. mit Fn. 5. 2092 Jhering, Schuldmoment (1867), S. 157. Ebenso Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 376 sowie DERS, Geist III/1 (11865), § 59, S. 294. In Geist I (11852), § 3, S. 34 hatte Jhering sogar von dem »allgemeinen logischen Knochensystem des Rechts« gesprochen, an das sich »der Geist des Volks und der Geist der Zeit« nur durch »Fleisch und Haut ansetzt[en], ihm den individuellen Charakter« verliehen. 2093 Vgl. etwa Jhering, Theorie der Rechte (Nachlass), Bl. 223r/v, wonach zwar nach der Entdeckung des Privatrechts der »Begriff des Rechts im subjectiven Sinn wie der des Rechts im objectiven Sinn« gleich geblieben sei, im Übrigen aber nicht nur die »Zahl und Arten, kurz das System der einzelnen Rechte«, das sich aus dem Inhalt der geltenden Rechtsregeln ergebe, sondern auch die »ihnen allen zu Grunde liegende gemeinsame Auffassung des Rechtsbegriffes selber«, die sich im jeweils »typischen Zuschnitt der Rechte« niederschlage, »ich will sie die Structur des Rechtsbegriffs nennen«, »dem Wechsel, dem Einfluß der historischen Verhältnisse unterworfen« sei (Unterstreichungen im handschriftlichen Original sind hier in Kursivschrift wiedergegeben).

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matik der menschlichen Zwecke«2094 – formulieren sollte, nämlich ein »Schema«, bei dem es ihm »nicht sowohl um das römische Recht als um die Förderung der Erkenntniss des Rechts überhaupt zu thun« war2095 und das – basierend auf der Vorstellung, dass sich die »Genesis« der Rechtsbegriffe »aus der Dialektik [aus der praktischen Triebkraft] des Zweckbegriffs mit Nothwendigkeit ergibt«2096 – sogar »sämmtliche Fälle und Formen der liberalen Verträge umfasst, und […] den Massstab [bildet], den wir an jedes positives Recht anzulegen haben.«2097 Erst hier in seinem Werk »Der Zweck im Recht«, dessen erster Band 1877 er2094 Jhering, Zweck I (11877), S. 63. 2095 Jhering, Zweck I (11877), S. 273f. 2096 Jhering, Zweck I (11877), S. 240f. [= ders., Zweck I (21884), S. 237 mit einer hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderung]. 2097 Jhering, Zweck I (11877), S. 273. Jherings Beispiel der »liberalen Verträge« ist insofern bemerkenswert, als es bei Puchta gerade die Obligationen gewesen waren, die er anders als alle anderen Privatrechtsformen als »so unbeschränkt und unbeschlossen« ansah, dass sich selbst im Hinblick auf ihre Hauptgruppen in der Genealogie der Rechte »gar keine vollständige Aufzählung derselben« denken ließe [C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 716f.]. Ohne den Unterschied verwischen zu wollen, der darin liegt, dass die »Dialektik«, die Jhering seiner »Genesis« der Rechtsbegriffe im Zweck zugrunde legte [Jhering, Zweck I (11877), S. 240f.], »nicht die logische des Begriffs« sein sollte, sondern unabhängig von den überlieferten römischen Rechtsbegriffen »die praktisch zwingende des Zweckes« [Jhering, Zweck I (21884), S. 97], bleiben doch bemerkenswerte Parallelen zu Puchtas Genealogie der Rechtsbegriffe [anders dagegen F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 452 Fn. 64]. Sowohl Puchtas »Genealogie« wie auch Jherings späte »Genesis« traten – daher rührt bei Jhering überhaupt der Begriff der »Dialektik« bzw. »Zweckdialektik« her – mit dem Anspruch unbedingter wissenschaftlicher Wahrheit auf. Beide suchten in der äußeren »Darstellung« der Rechtsbegriffe deren »inneren Zusammenhang« [Jhering, Zweck I (11877), S. 63, 104] darzustellen, den Puchta auf die »Freiheit« der »Geschichte« und die »Notwendigkeit« der »Vernunft« [C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 627–637], Jhering auf die sich entwicklungsgeschichtlich mit Notwendigkeit herausbildende »S y s t e m a t i k d e r m e n s c h l i c h e n Zw e c k e « zurückführte. Deren Darstellung hatte nach Jhering nämlich zum Ziel, den »inneren Zusammenhang, in dem sie [sc. die Zwecke und folglich auch die Rechtsbegriffe] unter einander stehen, aufzudecken, nachzuweisen, wie einer an den andern anknüpft, der höhere an den niedern, und nicht bloss anknüpft, sondern wie einer in der Consequenz seiner selbst [mit zwingender Nothwendigkeit] den andern aus sich hervortreibt«, »bis der höchste Punkt [die höchste Spitze] desselben erreicht ist« [Jhering, Zweck I (11877), S. 63, 81, 104f. [= ders., Zweck I (21884), S. 57f., 76, 97 mit hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderungen]. Auch wollten beide eine »Darlegung des Gesammtzusammenhanges des Rechts«, wo der äußere »Aufbau des Ganzen« ausgeht von der »Entdeckung […] der logischen Gliederung der einzelnen Theile, der durch keine Sprünge unterbrochenen Begriffsentwickelung, die vom Einfachsten ausgehend schrittweise zum Höheren gelangt« [Jhering, Zweck I (11877), S. IX (Vorrede); Ders., Zweck II (11883), S. XVIIIf.]. Bei der konkreten Begriffsgenese gibt es nicht nur strukturelle, sondern sogar überraschende inhaltliche Parallelen. Beim römischen Vertragsbegriff etwa – so erklärte sich Jhering diese Parallelen selbst – würden sich die zweckdialektische und die »begriffliche Entwicklung […] genau decken«, denn – so lautete auch jetzt noch die Prämisse Jherings – »Begriff und Geschichte bewegen sich vollständig p a r a l l e l « [Jhering, Zweck I (11877), S. 266f.].

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schien, hat Jhering den vom römischen Recht unabhängigen universellen Maßstab zur Beurteilung der Inhalte aller geltenden Rechtsordnungen in Vergangenheit und Gegenwart gefunden2098 – einen Maßstab in allerdings rein rechtswissenschaftlicher Absicht, da Jhering in dieser Schaffensphase bereits methodisch klar unterschied zwischen Erkenntnis rechtswissenschaftlicher Wahrheit einerseits und praktischer Rechtsgeltung sowie rechtlicher Richtigkeit andererseits2099. Dass es Jhering aber schon lange vor dieser Einsicht in die Notwendigkeit einer Unterscheidung von Erkenntnis und Geltung sowie – bei der Rechtsanwendung – von »Wahrheit« und »Richtigkeit« zum Problem geworden war, etwa im Stile Puchtas aus konkreten Inhalten des römischen Rechts ein von historischen Beigaben »gereinigtes« System, eine »Genealogie« des Rechts bzw. der subjektiven Rechte zu gewinnen, hing unmittelbar mit der zeitgenössischen Situation der Pandektistik Mitte des 19. Jahrhunderts zusammen. Damals waren nicht nur bei Jhering, sondern auch andere vor allem junge Pandektisten der Überzeugung, dass ein »Wendepunkt«2100 oder gar – so Jhering 1856 in seinem berühmten programmatischen Aufruf »Unsere Aufgabe« – ein »neuer Kampf

2098 In diesem Sinne auch A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 236. Vgl. ferner schon Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 299, wo Jhering es als »eine der Hauptaufgaben der folgenden Untersuchungen« bezeichnete, zur universalrechtshistorischen Beurteilung der Begriffe des römischen Rechts »das durch Zweckmäßigkeitsrücksichten oder andere Einflüsse Bedingte in diesen Begriffen nachzuweisen und damit einen Maßstab zu gewinnen für ihren Werth«. 2099 Jhering, Prager Vortrag (1877), Bl. 2f.; Ders., Zweck I (11877), S. 428ff. Ein aus ewigen menschlichen Zwecken abgeleitetes »Universalrecht für alle Völker und Zeiten« [Jhering, Zweck I (21884), S. 440] war im Hinblick auf die Geschichtlichkeit der Zwecke damit ebenso ausgeschlossen wie auch ein nur aus den jeweiligen historischen Zwecken abgeleitetes »historisches« Normalrecht für die jeweilige Epoche. Denn zwar glaubte der späte Jhering – soweit er in seiner gleichnamigen Untersuchung den »Zweck« selbst zum Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung machte –, »das für ewige Zeiten gültige Zweckschema des Rechts« aufgestellt zu haben [Jhering, Zweck I (11877), S. 456]. Wie sich nach der naturwissenschaftlichen Entwicklungstheorie Darwins »die eine Thierart aus der andern entwickelt, erzeugt sich aus dem einen Rechtszweck der andere, und wenn tausend Mal die Welt so erschaffen würde, wie sie es einmal ward, nach Milliarden Jahren müsste sie stets dieselbe Gestalt an sich tragen, die Welt des Rechts ganz so wie die physische« (aaO, S. XII). Aber diese Behauptung auf der Grundlage der bisherigen Rechtsentwicklung verstand Jhering als eine rein wissenschaftliche, die nach Überzeugung des späten Jhering wie alle anderen – zum Beispiel logischen – »Sätze der Wissenschaft« zwar den Anspruch auf Wahrheit »für ewige Zeiten« erheben können (aaO, S. 428), aber keine normative Bedeutung in dem Sinne haben, dass allein mit Berufung auf sie bestimmte Rechtsänderungen des geltenden Rechts gefordert oder aber verweigert werden könnten. 2100 Vgl. den Titel der 1856 erschienenen Schrift von Johannes Emil Kuntze »Der Wendepunkt der Rechtswissenschaft; ein Beitrag zur Orientierung über den gegenwärtigen Stand- und Zielpunkt derselben«.

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[…] innerhalb der Jurisprudenz«2101 notwendig sei2102. Denn – so resümierte Jhering damals den neuen Reformgeist, der »augenblicklich in unserer Wissenschaft gährt und drängt« – in »all’ unserem Suchen und Streben, so verschiedenartig es im Uebrigen auch sein mag, regt sich doch E i n e bewegende Kraft, E i n Gedanke, der Gedanke nämlich, daß die Wissenschaft nicht auf ein bloß r e c e p t i v e s Verhalten gegenüber dem historischen Stoff angewiesen [ist], sondern das Recht und den Beruf zur p r o d u c t i v e n Gestaltung hat, und sollte ich den [sc. neuen] Gegensatz, um den es sich meiner Meinung nach von jetzt an handeln wird, in eine Formel bringen, ich könnte ihn nicht anders fassen, als: r e c e p t i v e und p r o d u c t i v e Jurisprudenz.«2103

Die Zuspitzung des »neuen Gegensatzes« gerade auf diese Formel überrascht auf den ersten Blick, hatte doch der »alte« Kampf, nämlich der nicht nur von Jhering inzwischen als gewonnen bezeichnete2104 Kampf der Historischen Rechtsschule gegen die Vorstellungen eines statischen Naturrechts gerade auch der Anerkennung der tragenden Rolle der Juristen für die Rechtsentwicklung in kulturell fortgeschrittenen Gesellschaften und ihrer »produktiven« Funktion im Rahmen der Rechtsquellenlehre gegolten. Dennoch wurde aber in Jherings Programmschrift von 1856 mit Puchta, der auch noch zehn Jahre nach seinem Tod als die nach Savigny wichtigste Autorität der Historischen Rechtsschule galt2105, ausgerechnet derjenige Vertreter der Historischen Rechtsschule wegen seines »civilistischen Mumien-Cultus«2106 und seiner im Pandektenlehrbuch praktizierten »Methode des o r t h o d o x e n R o m a n i s m u s « angegriffen2107, der zwanzig 2101 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 2 (= Ges. Aufs. I, S. 2). 2102 Vgl. zum Ganzen auch A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 186ff. 2103 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 3f. (= Ges. Aufs. I, S. 3). Zustimmend J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 21. Vgl. auch B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 4f., 84 mit einem Aufruf zum »Selbstproduciren«: »Unsere Zeit ist nicht productiv gewesen, wohl aber reproductiv […].« 2104 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 2 (= Ges. Aufs. I, S. 1f.). Vgl. aber auch schon J.C.Bluntschli, Rechtsschulen (1839), Sp. 1922: »Es hat die historische Schule auf dem Gebiete des römischen bürgerlichen Rechts so entschiedene Erfolge erkämpft, dass es hier g e g e n w ä r t i g k e i n e h i s t o r i s c h e S c h u l e m e h r g i e b t . Eine wissenschaftliche S c h u l e ist nur so lange denkbar, als das Grundprincip, worauf sie beruht, ihr eigen ist […]. Sobald einmal, was sie vorher zu einer Schule gestempelt, G e m e i n g u t geworden ist der ganzen Wissenschaft, so hört sie auch auf als Schule zu gelten. Und das ist nun hier allerdings geschehen.« Ähnlich sah es Anfang der vierziger Jahre übrigens auch F.C.v.Savigny, System I (1840), S. XIII, XVI selbst. 2105 Auch Puchtas damals angesehenes von A. F.Rudorff fortgeführtes Pandektenlehrbuch besaß noch lange nach seinem Tod unmittelbare Wirksamkeit für die pandektistische Rechtspraxis. 2106 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 31 (= Ges. Aufs. I, S. 26). 2107 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 38 (= Ges. Aufs. I, S. 33) sowie Jherings Briefe vom 21. Dezember 1853 an Windscheid (abgedruckt in: Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 12, S. 37) sowie vom 21. Januar 1856 an Gerber (abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 56,

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Jahre zuvor am vehementesten für die Anerkennung einer sogar doppelten »Produktivität« des Juristenrechts gestritten hatte2108. Deutlich zeigt sich hier, dass inzwischen auch innerhalb der Pandektistik ein wichtiger Teil derjenigen Kritik auf fruchtbaren Boden gefallen war, welche in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts vor allem vom »gegnerischen« Lager der germanistischen Privatrechtswissenschaft an der Historischen Rechtsschule geübt worden war. Damals hatte beispielsweise bereits August Ludwig Reyscher mit besonderem Blick auf Puchta darauf hingewiesen, dass der konservative Umgang Puchtas mit dem überlieferten Pandektenrecht »um so auffallender ist, […] da er [sc. Puchta] […] deutlich zu erkennen gegeben hat, wie es ihm nur auf den Geist des römischen Rechts ankomme, nicht aber auf die positive Form (›das zufällige Beiwerk‹), worin es sich darstellt.«2109 In der Tat hatte Puchta in Anknüpfung an Savigny »die Befreiung von dem Buchstaben des römischen Rechts« und dafür die Rückbesinnung auf den »Geist des römischen Rechts« gefordert2110. Allerdings hatte er mit diesem »Geist« des römischen Rechts vor allem einen »Geist« im Sinn gehabt, nämlich den von allen Zeitläuften und Rechtsetzungen »unabhängigen Geist« des antiken römischen Rechts der klassischen Zeit, befreit »von dem Schicksal seines zufälligen Beiwerks« späterer Zeiten, womit Puchta den im Pandektenrecht überlieferten »Buchstaben« des römischen Rechts in »seiner besonderen Form in den justinianischen Gesetzbüchern« des sechsten nachchristlichen Jahrhunderts gemeint hat2111. Hier zeigt sich die ganze sich auch in den unterschiedlichen Bewertungen der Historischen Rechtsschule widerspiegelnde2112 Ambivalenz der um die Wende vom 18. zum

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S. 189). Ferner auch Jhering, Reivindicatio (1857), S. 48 Fn. 1 mit einem ausdrücklichen Hinweis auf »den Aufsatz von Puchta über die Cession« als einen konkreten Beleg für Jherings in seinem Aufsatz »Unsere Aufgabe« erhobenen Vorwurf mangelnder Produktivität der zeitgenössischen Jurisprudenz. Vgl. eingehend C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 392–406 zur »Produktivität« des JuristenGewohnheitsrechts sowie des Rechts der Wissenschaft, dessen Anerkennung als eigenständige Rechtsquelle Puchta sogar als das »Hinausgehen über den Standpunct der reinen historischen Schule« bezeichnet hatte. A.L.Reyscher, Für und wider (1842), S. 131, 137f. mit Bezug auf G.F.Puchta, SystemRezension (1840), S. 675f. Als Beispiel für Puchtas konservativen Umgang mit dem römischen Recht hatte Reyscher hier auf dessen Darstellung des Rechts der Ehre verwiesen [vgl. insoweit nur G.F.Puchta, Pandekten (11838), §§ 99, 100, S. 90–95]. Um so mehr lobte Reyscher wie später Jhering dagegen Savigny in diesem Punkt, da dieser, »nachdem er ausführlich die römische Infamie abgehandelt hat, allerdings ohne näheren Beweis, das römische Recht hierin nicht als [sc. in das geltende Recht] aufgenommen betrachtet« (aaO, S. 131). G.F.Puchta, System-Rezension (1840), S. 674ff. G.F.Puchta, System-Rezension (1840), S. 676. So hatte etwa der Herausgeber von Puchtas Pandektenlehrbuch an »Puchta’s Pandekten« gerade den auch maßgeblich durch sie bewirkten »Bruch der Buchstabenherrschaft« hervorgehoben [so A. F.Rudorff im Vorwort zur elften Auflage, wieder abgedruckt in:

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19. Jahrhundert sehr verbreiteten und auch von der Historischen Rechtsschule rezipierten Dichotomie von »Geist« und »Buchstaben«2113. Der von der Historischen Rechtsschule geforderte »Vorzug des Geistes vor dem Buchstaben«2114

G.F.Puchta, Pandekten (121877), S. XI], während dagegen M.v.Rümelin, Jhering (1922), S. 36 eben dieses Verdienst erst dem jungen Jhering zuerkennen wollte. 2113 Vgl. K.Rothe, Artikel »Geist« in: J.Ritter, Hist.Wörterbuch/Bd.3 (1974), Sp. 184f. und eingehend D.Nörr, Geist u. Buchstabe (1983), S. 23ff. m. w. N. zu diesem alten Topos, der ursprünglich aus der im Anschluss an 2. Korinther 3, 6ff. geführten theologischen Diskussion um den sensus spiritualis und sensus litteralis der Heiligen Schrift herrührt und zum Ende des 18. Jahrhunderts zunächst in die schöngeistige Literatur und die Philosophie Eingang fand. Im rechtsphilosophischen Kontext unterschied I.Kant, KpV (1788), A 271 = WW VII, S. 288 den »Buchstabe[n] des Gesetzes (Legalität)« und den »Geist« desselben »in unseren Gesinnungen (Moralität)«. In der juristischen Auslegungslehre wurde die Forderung, immer zwischen dem bloßen »Buchstaben des Rechts« und dem »Geist desselben« zu unterscheiden [so A. F.J.Thibaut, Theorie (11799), § 3, S. 14] und sich dabei mit »den Buchstaben der Gesetze […] nicht [zu] begnügen«, sondern »zu allgemeinen Grundsätzen [sc. zu] erheben; aber nur zu solchen, welche aus den positiven Quellen sich abstrahiren lassen« [J.A.L.Seidensticker, Geist (1797), S. 82, 94, 97], um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zum Allgemeinplatz. Vgl. nur P.J.A.Feuerbach, Philosophie (1804), S. 89, der es dem »Rechtsgelehrten […] als Aufgabe vorgelegt« sah, »von dem Buchstaben der individuellen Bestimmungen zu dem wahren lebendigen Geist der Gesetzgebung, der zugleich der Geist der Wissenschaft des Rechts ist, hinaufzusteigen«, damit – so etwa G.Hufeland, Geist (1815), S. 59 – »nie der todte Buchstabe, sondern nur der lebendige Geist, der ihn [sc. den Buchstaben] handhabt«, herrsche. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 38, S. 243; § 50, S. 323ff. musste den Topos vom »Vorzug des Geistes vor dem Buchstaben« also nur übernehmen, gab ihm im »System« aber in gleich zweifacher Hinsicht (vgl. insoweit auch D.Nörr, aaO, S. 41) eine besondere Anwendung auf das römische Recht. Erstens trat an die Stelle vom »Geist« der jeweiligen Gesetzgebung bzw. des Gesetzgebers im Falle des römischen Rechts der in »allgemeineren Principien« ausgedrückte Geist von dessen System. In letzterem sah Savigny zweitens auch dasjenige, was über die konkrete Rechtsordnung hinaus Geltung und Wahrheit beanspruchen könne im Unterschied zum »bloße[n] Buchstab des Rechts (jus strictum, ratio juris)«, Savignys Synonym für das nur »besondere oder nationale Element« des Rechts, das noch »unvollkommen und beschränkt« sei (aaO, § 15, S. 55). Genau darauf spielte auch G.F.Puchta, System-Rezension (1840), S. 675f. an, wenn er von der »wachsende[n] Macht des den Völkern Gemeinsamen« sprach und meinte: »Und dieses Gemeinsame haben wir nicht erst zu erfinden, es ist den Völkern im römischen Recht gegeben«, nämlich im »Geist des römischen Rechts«, das durch seine grundlegenden Prinzipien und Begriffe »die Bestimmung [hat], das Jus Gentium der neuen Welt zu seyn«. Ganz anders und direkt gegen die Historische Rechtsschule gerichtet hatte dagegen der Hegelianer E.Gans, Erbrecht I (1824), S. XIV die Dichotomie von Geist und Buchstaben verwendet, wenn er die Historische Rechtsschule pauschal für ihr »Rückwärtsgekehrtsein und das Lesen des todten Buchstabens« kritisierte und statt dessen forderte, bei der Beurteilung einer Rechtsordnung von deren »Volksgeist« und »seine[r] Berechtigung« im Prinzip der geschichtsphilosophischen »Vernunft« auszugehen. 2114 So F.C.v.Savigny, System I (1840), § 38, S. 243 über die »Justinianische Gesetzgebung insbesondere«, wozu Savigny ausdrücklich auch »die ganzen Digesten« zählte (§ 38, S. 240; § 41, S. 255; § 43, S. 270). Bei Puchta, Pandekten (21844), § 9a, S. 13 war etwas vorsichtiger davon die Rede, »daß man den Geist des Rechts und den Buchstaben unter-

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bedeutete zwar – auf die Geltung und zeitgenössische Anwendbarkeit des römischen Rechts bezogen – eine neue Freiheit und wissenschaftliche Selbständigkeit im Umgang mit den Quellen2115 sowie die endgültige Abkehr von der »Autoritätensucht« früherer Jahrhunderte2116, in denen der Beleg einer herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr gegolten hatte als die auf der Grundlage der Quellen erarbeitete eigene Auffassung. Aber soweit diese Freiheit weitgehend nur dazu genutzt wurde, diejenigen »Buchstaben« des Justinianischen Corpus zu entkräften, die nach dem romantischen Verfallsschema der Historischen Rechtsschule dessen wahren ursprünglichen »Geist« aus der klassischen Zeit des römischen Rechts nachträglich verfälscht hätten, beseitigte die neue wissenschaftliche Freiheit eben doch nicht dasjenige, was Jhering Mitte der 1850er Jahre mit den harten Worten seiner Programmschrift »Unsere Aufgabe« als blinden »Buchstaben-Fanatismus« bezeichnete, nämlich den »o rt h o d ox e n Ro m a n i s m u s «, der »nach Art der Inquisitionsgerichte versengend und brennend die wahre Lehre bethätigte«2117 gegenüber allen angeblichen späteren Verfälschungen durch die Justinianische Gesetzgebung und später – nach der Rezeption – durch juristische Lehre und Rechtsprechung etwa im Zeichen des Usus modernus pandectarum. Gerade am Beispiel Puchtas hat Jhering die Diskrepanz von Geist-und-Buchstaben-Rhetorik einerseits und einem »civilistischen Mumien-Cultus«2118 und zeitgenössischen »Götzendienst mit dem bloßen Buchstaben des römischen Rechts«2119 andererseits schon früh gesehen. Spätestens Mitte der fünfziger Jahre bildete dies – wie auch Jherings Briefwechsel mit Gerber aus diesen Jahren belegt2120 – sogar den Impuls seines wissenschaftlichen Reformgeistes auf dem Gebiet pandektistischer Rechtsdogmatik. Genau dieses Motiv hatte auch – nach Jherings eigenem Bekenntnis – »mir namentlich den Gedanken zu meinem Buch über den Geist des römischen Rechts eingegeben«, nämlich den Gedanken, mit der Herausarbeitung und Darlegung des historischen Geists des römischen Rechts »zu zeigen, wie viel spezifisch Römisches unsere Doctrin noch in sich trägt, und wie viel mithin [sc. der zeitgenössischen Rechtsdogmatik] zu thun noch übrig bleibt« bei der For-

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scheidend und jedem [sic!] seine gebührende Stelle gebend« eine neue »geistige Freiheit« gegenüber dem römischen Recht entwickelt habe. Daher sprach G.F.Puchta, Beseler-Rezension (1844), Sp. 28 von der Überwindung des »alte[n] Buchstabendienst[es]«. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 405. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 38 (= Ges. Aufs. I, S. 33). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 31 (= Ges. Aufs. I, S. 26). So Jhering in einem Brief vom 22. Mai 1854 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 34a, S. 110. Vgl. nur Losano-Briefe I /1984, Nr. 39a (Jherings Brief an Gerber vom 2. Januar 1855), S. 134; Nr. 46 (Jherings Brief an Gerber vom 2. August 1855), S. 156f.

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mulierung einer »Doctrin«, die dem gegenwärtig geltenden Recht angemessen wäre2121. Jherings Kritik entzündete sich in dieser Zeit zwar noch nicht an dem Glauben an die »Wahrheit« und »Logik« als den maßgeblichen Kriterien für die theoretische und praktische Jurisprudenz, wohl aber an der Tendenz in der zeitgenössischen Pandektenwissenschaft, eine angemessene rechtliche Gestaltung neuer Verkehrsformen mit dem Verdikt der »juristische[n] Unmöglichkeit«2122 zu belegen bzw. mit Verweis auf ein aus dem römischen Recht abgeleitetes System angeblich »wahrer« Begriffe des Rechts sogar eine gesetzgeberische Anpassung des geltenden Rechts als »unwissenschaftlich« bzw. »unwahr« abzulehnen2123. Während Jhering nämlich erst infolge seiner durch den Doppelverkaufs-Fall ausgelösten »geistige[n] Krise« Anfang der 1860er2124 für eine konkrete Rechtsordnung die Möglichkeit einer mit der »angebliche[n] Logik des Rechts« begründeten »absoluten Wahrheit der juristischen Begriffe«2125 infrage zu stellen begann, setzte er der noch darüber hinausgehenden Vorstellung beispielsweise Puchtas, juristische Begriffe bzw. darauf beruhende juristische Konstruktionen könnten sogar universelle Wahrheit in einem über die einzelne Rechtsordnung hinausgehenden Sinne beanspruchen, bereits in den 1850er Jahren die Auffassung entgegen: »Der Begriff der juristischen Möglichkeit und Unmöglichkeit scheint« nur »auf den ersten Blick ein absoluter zu sein, in der That aber ist er ein relativer. Wie vieles würde den römischen Juristen als juristisch unmöglich erscheinen, was heutzutage als juristisch möglich gilt (z. B. Forderungen, die dem jedesmaligen Innehaber eines Papiers zustehen, Indossamente in blanco[, Hypotheken an eigener Sache2126] u.s.w.), und an wie manchem nehmen wiederum sie keinen Anstoß, worin die älteren Juristen geradezu einen Verstoß gegen jede juristische Logik erblickt haben würden«2127. 2121 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 40 (= Ges. Aufs. I, S. 35). 2122 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 43 (= Ges. Aufs. I, S. 38). Und fast wörtlich identisch äußerte sich Jhering, Besitzwille (1889), S. 138 noch in seiner der »Kritik der herrschenden juristischen Methode« gewidmeten Altersschrift gegen »alle diejenigen Juristen, welche heutzutage einer Neuerung, die durch praktische Gründe geboten ist, mit dem Popanz der juristischen Unmöglichkeit glauben entgegentreten zu können.« Zu Recht meinte daher schon H.Lange, Wandlungen (1927), S. 102, dass Jhering in seiner Spätzeit »hier nichts zurückzunehmen« hatte. 2123 Vgl. zu dieser vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts »ihrer Autonomie und wissenschaftlichen Selbstherrlichkeit bewußten Jurisprudenz« grundsätzlich F.Wieacker, Pandektenwissenschaft (1968), S. 2ff., 13ff. 2124 Vgl. dazu schon oben S. 349 Fn. 1755. Ferner auch O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 14f., 122, 124. 2125 So Jhering in seinem Brief vom 18. April 1865 an Bernhard Windscheid, abgedruckt in: Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 54, S. 176f. 2126 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 359 (Zusatz seit der zweiten Auflage). 2127 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 402. Vgl. eingehend zu Jherings Verständnis der juristischen Logik unten Abschnitt II. 2. b) bb) zum Gesetz des Nichtwiderspruchs.

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Daher dürfe »die Wissenschaft […] keine j u r i s t i s c h e [ n ] Un m ö g l i c h ke i t e n statuiren.«2128 Denn wie »im Recht selbst, so findet auch in der Anschauungsweise der Wissenschaft ein ewiger Fortschritt statt, ihr geistiger Horizont und damit der Kreis des Möglichen erweitert sich, sei es durch ihr eignes Verdienst […], sei es durch die Macht der [sc. historischen] Thatsache«, wenn beispielsweise der Gesetzgeber der Wissenschaft »das bisher für juristisch unmöglich Gehaltene [als praktisch nothwendig] aufdrängt und ihr damit den Anlaß gibt [die Nöthigung auferlegt], das Gebiet des theoretisch Möglichen dem entsprechend auszudehnen«. Daher sei es unumgänglich, dass bei Änderungen des geltenden Rechts gegebenenfalls auch »die bisherigen Begriffe, Lehrsätze verändert« und dem jeweils neuen geltenden Recht angepasst würden2129, denn auch der »Kunst der Vermittelung des praktisch Neuen mit dem theoretisch Alten« durch »geschickte Manipulation« seien – nach Jhering übrigens ebenfalls dem Wandel der historischen Anschauung unterliegende – »Gränzen« gesetzt2130. Jenseits dieser Grenzen aber hatte sich nach Jherings Überzeugung 2128 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 402. Vgl. dazu auch die in der folgenden Fußnote zitierten Äußerungen Jherings in Scherz und Ernst (1884), S. 343f. 2129 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 402f. [= ders., Geist II/2 (21869), § 41, S. 360 mit hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderungen] und mit ausdrücklichem Bezug auf die mit dem vorstehenden Beleg zitierte Passage Jhering, Geist III/1 (11865), § 53, S. 126f. Es war mithin nicht Ausdruck einer neuen Einsicht, die er erst nach dem von ihm selbst so bezeichneten »Umschwung« nach dem Doppelverkaufs-Fall von 1858/59 gewonnenen hätte, als Jhering in Geist III/1 (11865), § 59, S. 302 mit Blick auf die vor allem von Puchta repräsentierte Behandlung des Pandektenrechts rhetorisch die Frage stellte: »Anstatt freudig in ihnen [sc. den modernen Rechtsbegriffen] eine Erweiterung unseres Vorstellungsvermögens zu begrüßen, sollen wir, weil unsere Logik über die Begriffe des römischen Rechts nicht hinauskam, ihnen das Stigma des Unjuristischen aufprägen, eingestehen, daß wir alles, was nicht römisch ist oder sich nicht über den römischen Leisten schlagen läßt, nicht zu begreifen vermögen, gleich als enthielte das römische Recht den für alle Zeiten gültigen Kanon des juristisch Denkbaren? Damit würden wir uns selber unser Verdammungsurtheil sprechen.« Fast gleichlautend Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 343ff., wo Jhering diesen Gesichtspunkt als einen der an die Adresse der »Begriffsjurisprudenz« gerichteten Vorwürfe formulierte: »Einem praktisch vom Gesetzgeber für notwendig erachteten Rechtsatz den Einwand des begrifflich Unmöglichen […] entgegensetzen, enthält die schlimmste Anklage, welche der Jurist gegen sich selber erheben kann.« Soweit durch den Gesetzgeber die Rechtssätze »beseitigt [werden], weil sie nicht mehr passen, so müssen auch sie [sc. die Rechtsbegriffe] weichen oder eine veränderte Gestalt annehmen […].« Zu Recht konzedierte M.v.Rümelin, Jhering (1922), S. 60 ausdrücklich, dass Jhering nach seiner Wende insoweit »nichts zurückzunehmen« hatte. 2130 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 403f.; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 48 (= Ges. Aufs. I, S. 41). Das älteste römische Recht hatte nach Jhering diese Grenzen sogar bis »ins Lächerliche« reichend überschritten (aaO, S. 403), da es zur Vermeidung der Änderung von Begriffen bei der Anpassung des Rechts auch vor einer »Verrenkung des vorhandenen Rechts« nicht zurückgeschreckt sei [Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 231]. Zwar habe das der »Entwicklung des juristischen Scharfsinns« gedient [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 404]. Für eine entwickelte Jurisprudenz wie diejenige des 19. Jahrhunderts verbot sich nach Jhering, aaO, S. 403 aber eine derartige »Aengstlichkeit und Pedanterie« bei der

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immer »das bisherige Dogma […] dem Neuen […] [zu] fügen« und nicht umgekehrt das »Neue« dem »Dogma«2131. Eben aus diesem Grunde gebe es gerade für »die heutige Jurisprudenz […] noch viel zu ändern«2132, denn – so Jhering 1865 direkt am vorangegangenen Band von 1858 anknüpfend – wenn »das Leben ihr [sc. der Jurisprudenz] neue Verhältnisse zuführt, wie z. B. die Inhaberpapiere, die Auslobungen, die sie mit den bisherigen römisch-rechtlichen Begriffen nicht genügend construiren kann, so darf sie sich der Anforderung, die zu dem Zweck nöthigen Begriffe aufzustellen, nicht entziehen«2133, so als ob »das Leben der Begriffe wegen da« sei statt umgekehrt »die Begriffe […] des Lebens wegen«2134.

Genau dies unterlassen zu haben, war aber nach Jherings Diagnose, die er seiner Programmschrift »Unsere Aufgabe« zugrunde legte, nur zu häufig zu konstatieren und habe nur unnötig »den Gegnern des römischen Rechts zu allen Zeiten Waffen in die Hand gegeben«2135. Daher konnte nach Jhering auch mit dem von germanistischen Kritikern des Pandektenrechts aufgebrachten Kampfbegriff vom »s.[o] g.[enannten] Ro m a n i s i re n « ein »durchaus berechtigter Vorwurf

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Anpassung des Rechts von selbst und erst recht ein gänzlicher Verzicht auf Anpassung. Dazu weiter im Text. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 403. Es war keine erst in den sechziger Jahren gewonnene Erkenntnis Jherings, wenn er in Geist III/1 (11865), § 59, S. 305 mit Blick auf die noch von Puchta behauptete »logische Unmöglichkeit der directen Stellvertretung« oder die Annahme der »angeblichen logischen Undenkbarkeit der Uebertragung von Forderungen« feststellte, dass die juristischen Begriffe auch schon bei den Römern dem historischen Bedürfnis und damit dem Wandel unterlagen und dass sich demselben immer »die Logik […] gefügt« habe. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 403. Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 230. Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 81; Ders., Geist III/1 (11865), § 59, S. 302f.; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 363]. Mit diesen berühmt gewordenen Worten [vgl. zu ihnen auch O.Behrends, in: Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 81f. Fn. 96] hat Jhering allerdings nicht nur einen Aspekt verbunden. In Jherings Wiener Antrittsvorlesung stand im Vordergrund die Kritik an Begriffen, bei deren Formulierung durch die Wissenschaft ihre »Möglichkeit der Anwendung von vornherein außer Acht gelassen war, vor allem die Beweisfrage« (aaO, S. 81f.) – ein Gesichtspunkt, den die »heutige Jurisprudenz […] viel zu wenig beachtet« habe. »An der Vernachlässigung dieser Aufgabe merkt man«, so formulierte Jhering in den fünfziger Jahren, »daß unser heutiges Recht mehr von Theoretikern als Praktikern bearbeitet wird« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 358, ferner auch Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 42–47; Ders., Besitzwille (1889), S. 144ff.]. In Geist III/1 dagegen verband Jhering mit seiner Feststellung zum einen die ebenfalls bereits in seinem Aufsatz Unsere Aufgabe (1856), S. 44 (= Ges. Aufs. I, S. 39) formulierte Kritik am »s . g . R o m a n i s i r e n «, nämlich die Kritik an der Vorstellung, »als enthielte das römische Recht den für alle Zeiten gültigen Kanon des juristisch Denkbaren« [vgl. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 302], zum anderen aber auch die Kritik an einer Jurisprudenz, die der Logik eine über den »Schulgebrauch« (S. 303), also die didaktisch-mnemotechnische Funktion hinausgehende Bedeutung beimesse. Nur an letztere hatte Jhering 1856 auch selbst noch geglaubt. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 38 (= Ges. Aufs. I, S. 33).

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beabsichtigt« sein2136. Dies gelte »z. B. [für] den Versuch, die Papiere auf den Inhaber vom Boden des römischen Obligationenrechts aus zu construiren, wie Thöl es neulich versucht« und dabei die Differenz übergangen habe, die bestehe zwischen der die Möglichkeit von Inhaberpapieren ausschließenden historischen Rechtsanschauung des römischen Obligationenrechts einerseits und des den Inhaberpapieren heute zugrunde liegenden »modernen Rechtsgedankens« andererseits2137. Wenn in derartiger Weise ein modernes privatrechtliches Institut »unter den römischen Begriff gezwängt wird«2138, war das nach Jhering nicht nur juristisch unrichtig, sondern auch eine Verkennung der geschichtlichen Entwicklung des Rechts überhaupt und vor allem des »entschiedenen Fortschritt[s] [sc. des gegenwärtigen] gegenüber dem römischen Recht«2139. 2136 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 44 (= Ges. Aufs. I, S. 39). So hatte beispielsweise im Jahre 1853 der Germanist Johann Caspar Bluntschli sogar gegenüber dem Germanisten Carl Friedrich Wilhelm Gerber, dem damals engsten Mitstreiter Jherings zur Reformierung der Rechtswissenschaft, den Vorwurf erhoben, dass Gerber »noch beengt und gefangen von römischen Schulbegriffen durch seine romanisirende Formulirung in wesentlichen Beziehungen die Natur des germanischen und des modernen Rechtes eher verletzt als geschützt hat« [J.C.Bluntschli, Privatrecht (11853), S. XIX]. Vermutlich auch direkt gegen Bluntschli hatte sich daher Jherings Verwahrung gerichtet, dass man diesen Vorwurf gemeinhin allzu pauschal erhebe und auch »die Richtung auf civilistische Construction, wie sie namentlich durch Thöl und Gerber in bedeutender Weise repräsentirt wird, schlechthin mit diesem Namen belegt. […] Das wirkliche Romanisiren ist nicht eine Folge dieser Methode, sondern umgekehrt ein Verstoß gegen dieselbe […]« [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 50f. (= Ges. Aufs. I, S. 44f.)]. 2137 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 49f. (= Ges. Aufs. I, S. 42, 44). In einem an Gerber gerichteten Brief vom 2. Januar 1855 [abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 39a, S. 134] formulierte Jhering sein Urteil zu Thöls »Abhandlung über Papiere au porteur« noch unverblümter : »Welch unglückliche und verzweifelte Wendungen, bloß um nicht der neuen Rechtsbildung eine Konzession gegenüber dem römischen Recht zu machen. Diese echt romanistische Zähigkeit hat sich bitter an ihm gerecht.« Dabei hatte Jhering ursprünglich sogar beabsichtigt, die nach Jherings Aussage von 1853 »seit mehreren Jahren« [vgl. Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 10 (Jherings Brief vom 29. Januar 1853 an Bernhard Windscheid), S. 30], auf jeden Fall aber schon vor 1850 geplante [vgl. Losano-Briefe I /1984, Nr. 2 (Gerbers Brief vom 13. Dezember 1849 an Jhering), S. 8; Nr. 5 (Jherings Brief an Gerber vom 6. April 1851), S. 19] und seit 1856 als »Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts« erscheinende Zeitschrift nicht nur – wie in den ersten Jahren des Erscheinens tatsächlich erfolgt – mit Gerber, sondern »nach alter [sic!] Verabredung mit Gerber und Thöl« zu gründen und herauszugeben [vgl. Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 12 (Jherings Brief vom 21. Dezember 1853 an Bernhard Windscheid), S. 38]. Thöls Abhandlung zu den Inhaberpapieren »in der neuesten Auf[age] seines Handelsrechts« hatte Jhering daher ebenso wie einer Abhandlung von Friedrich Mommsen zum Schadensersatzrecht auch »mit größtem Interesse« entgegengesehen [Losano-Briefe I /1984, Nr. 39 (Jherings Brief vom 2. Dezember 1854 an Gerber), S. 131]. Um so größer war dann Jherings Enttäuschung über den vermeintlichen Mit-»Kämpfer« in der »Zeit des Umschwunges«, wie sich Jhering früher einmal über Thöl geäußert hatte [vgl. Losano-Briefe I /1984, Nr. 17 (Jherings Brief vom 17. Juli 1852 an Gerber), S. 51]. 2138 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 44 (= Ges. Aufs. I, S. 39). 2139 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 49 (= Ges. Aufs. I, S. 42); Ders., Geist II/2 (11858),

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Für Jhering wog umso schwerer, dass es sich hier nicht um theoretische Randprobleme, sondern um praktische Erscheinungen des modernen Rechtsverkehrs handelte, die nicht nur im Handelsrecht in »vielen Arten […] uns im Leben umgeben […] (zB Theater-Eisenbahn-Billette etc.)«2140. Von »bewußter Abkehr von der voranschreitenden gesellschaftlichen Entwicklung«, die Walter Wilhelm in seiner in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einflussreichen Untersuchung der »Begriffsjurisprudenz« von Savigny bis Laband pauschal attestiert2141, ist hier zumindest nichts zu erkennen. Unter diesem Aspekt ist auch Jherings Auseinandersetzung mit »begriffsjuristischen Verirrung[en]«2142 durch § 41, S. 402. Dass eine solche wie die hier im Text zitierte Einsicht Jherings selbst unter damals jungen mit Jhering grundsätzlich sympathisierenden Romanisten keineswegs selbstverständlich war, können die Worte von J.E.Kuntze, Geist I-Rezension (1855), S. 225f. belegen, den es fast zur selben Zeit »drängt[e] […] zu bekennen[,] […] daß, so weit ich bis jetzt die Anschauungen und Bedürfnisse g e r a d e des m o d e r n e n Verkehrslebens beobachtet und erforscht habe, der Fond des röm. Rechts allenthalben als zureichend erschienen ist«, so dass »wir weder in der Lehre von der Stellvertretung […] noch der Uebertragung (?) von Forderungen und Stellung der Vollmachtgeber genöthigt sind, über die juristischen P r i n c i p i e n des röm. Rechts hinauszuspringen« und dass ferner eben auch »das civilistische Wesen des Ordre- und Inhaberpapiers, der Verkehr mit Forderungen und Schulden nur mit den scharfen Werkzeugen des röm. Rechts vollkommen wird beherrscht und verarbeitet werden können […].« 2140 So Jhering in einem Brief vom 2. Dezember 1854 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 39, S. 131. Das war auch der Grund, warum bei Jhering gerade die »Papiere au Porteur […] größtes Interesse erregt« hatten (aaO). Vgl. dazu auch Losano-Briefe I /1984, Nr. 52 (Gerbers Brief an Jhering vom 19. und 28. November 1855), S. 179f. Immerhin hatte das Recht der Inhaberpapiere, nachdem es bisher fast nur durch Germanisten bearbeitet worden war, gerade erst bei F.C.v.Savigny, Obligationenrecht II (1853), §§ 62ff., S. 92ff. eine umfassende Darstellung gefunden, die übrigens »weithin ohne justinianische Quellen« auskam [H.Kiefner, Kodifikationsstreit (1983), S. 60 m.w.N.], da Savigny insoweit ganz im Sinne von Jherings Kritik am Romanisieren ausdrücklich anerkannte, dass »das Römische Recht […] hier nur auf willkürliche und gezwungene Weise angewendet werden könne« (aaO, § 65, S. 123). Auf der anderen Seite war es wohl auch gerade eben dieser »Mangel der Anerkennung in den Quellen unseres gemeinen Rechts« (aaO, § 65, S. 122) gewesen, der Savigny die Forderung legitim erschienen ließ, mit Berufung auf die theoretischen Missbrauchsmöglichkeiten und auch auf rein staatswirtschaftliche Gründe – also in bemerkenswertem Unterschied zu den Grundsätzen für den Bereich des reinen römischen Rechts – die »Ausstellung von Papieren auf den Inhaber« nicht der »Willkür der Privatpersonen frei zu geben«, sondern »unter obrigkeitliche Genehmigung und Aufsicht« zu stellen (aaO, § 65, S. 125f.). Vgl. im Übrigen H.Kiefner, Einfluß Kants (1969), S. 17 zu Savignys Ablehnung von reinen Inhaberpapieren wie Inhaberschuldverschreibungen und auf den Inhaber ausgestellten Wechseln. Dazu sowie allgemein zur enorm wachsenden Bedeutung von Wertpapieren im 19. Jahrhundert H.Coing, Privatrecht II (1989), S. 574ff., 580ff. 2141 So W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 127. Für Windscheid hat bereits U.Falk, Windscheid (1989), S. 165ff. Wilhelms pauschale Behauptung zurückgewiesen. 2142 So U.Falk, Windscheid (1989), S. 51, 112 mit Verweis auf die »seit Jherings Angriffen auf die Begriffsjurisprudenz bekannten Beispiele«. Falk unterscheidet dabei allerdings nicht zwischen der auch vom jungen Jhering schon bekämpften Behauptung, dass bestimmte Regelungen wie etwa die Forderungsabtretung in einer jeden Gesetzgeber bindenden

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die Behauptung von angeblich allgemeingültigen »j u r i s t i s c h e [ n ] Un m ö g l i c h ke i t e n «2143 und »logischen Mißbildungen«2144 zu sehen. So führte Jhering bereits in den 1850er Jahren, also nicht nur lange bevor er 1884 das Wort von der »Begriffsjurisprudenz« prägte, sondern auch bevor er selbst – ausgelöst durch den Doppelverkaufs-Fall – das Verhältnis von formaler Konsequenz und Gerechtigkeit grundsätzlich zu überdenken begann2145, eine ganze Reihe von Beispielen für eine lebensfremde zeitgenössische Pandektistik an. Insbesondere gehören dazu neben den »Papiere[n] auf den Innehaber«2146 die in methodengeschichtlichen Darstellungen2147 regelmäßig an erster Stelle als Beleg für verfehlte Begriffsjurisprudenz angeführte Behauptung der begrifflichen Unmöglichkeit einer geteilten Erbschaft2148 sowie die in derselben Weise begründete Ablehnung der »directe[n] Stellvertretung des heutigen Rechts« an2149. Ebenso

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Weise angeblich »begriffsunmöglich« seien, und der vom jungen Jhering dagegen damals noch vertretenen Auffassung, dass im einzelnen Rechtsfall das individualisierende Gerechtigkeitsempfinden keine Kontrollfunktion für die formale Konsequenz haben dürfe. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 402. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 301f. Vgl. oben Abschnitt I. 2. c) dd). Jhering, Geist III/1(11865), § 59, S. 302, 296; Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 402; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 42, 49f. mit Fn. 20 (= Ges. Aufs. I, S. 37, 42ff. mit Fn. 21)]. Vgl. auch Jherings Brief vom 17. Juli 1852 an Gerber, wo er für den neuen Band Geist II/1 in Aussicht nahm, »des Gegensatzes [sc. zum römischen Recht] wegen unsere moderne Verknüpfung von Rechten mit einer persona incerta (: dem jeweiligen Innhaber) hervor[zu]heben« [Losano-Briefe I /1984, Nr. 17, S. 52]. Die »Statthaftigkeit der Stellung von Obligationen in personam incertam« war nach Jhering inzwischen »eine Thatsache des heutigen Lebens« geworden, und auch »bei den rein römischen Obligationsformen« betrachtete er das »Erforderniß der persona certa« als nur de lege lata begründbar [Jhering, Culpa (1861), S. 409]. Vgl. etwa F.Jerusalem, Rechtswissenschaft (1948), S. 148f., 167. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 301, 303; DERS, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/ Nachlass), § 62, S. 7. Die auch ohne die satirische Zuspitzung Jherings zuweilen geradezu komisch wirkenden Versuche, die überpositive Wahrheit der einschlägigen römischen »erbrechtlichen Sätze« zu begründen, die teilweise bereits im antiken Recht »mehr figurirten, als galten« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 405 Fn. 522 sowie H.Coing, Privatrecht I (1985), S. 563], persiflierte Jhering 1861 auch im »Zweiten Brief« von einem Unbekannten, wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 17–34. Jhering, der in seiner Dissertation von 1842 wohl selbst noch von der Unteilbarkeit der Erbschaft ausgegangen war, hat spätestens Mitte der fünfziger Jahre seine Auffassung geändert und bekannte daher in dem genannten »Zweiten Brief« von 1861: »[…] ich weiß jetzt, warum es mich seit fünf Jahren [sic!] mit so unwiderstehlichem Grausen erfaßte […]« (S. 27). Tatsächlich hatte Jhering genau fünf Jahre zuvor in »Unsere Aufgabe« und in dem zeitgleich für Geist II/2 verfaßten Kapitel zur »juristischen Technik« explizit auch die Unteilbarkeit der Erbschaft als eine Behauptung angeführt, bei der er sich »des Gefühls des Grauens nicht erwehren« könne [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 36 (= Ges. Aufs. I, S. 31f.); Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 405 Fn. 522; § 42, S. 441 mit Fn. 581]. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 296, 301f., 305; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 261, aber auch schon Jhering, Mitwirkung I (1857), S. 159, 164 sowie dazu W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 174f.; E.Schanze, Culpa (1978), S. 348 Fn. 98; U.Diede-

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hat Jhering auch nicht erst in den sechziger Jahren die angeblich universelle Notwendigkeit der »hereditas iacens« als einer vermögensrechtlichen Persönlichkeit2150 oder die Verabsolutierung des römischen Verbots einer Rechtsübertragung »in personam incertam oder futuram«, obwohl diese im deutschen Pfandrecht »keine Schwierigkeiten macht«, kritisiert2151 oder aber moniert, dass die Annahme des »Pfandrechts an eigner Sache (Handfesten, Hypothekenbriefe)« oder das Institut der damals sogenannten Singularzession nicht nur in der konkreten Rechtsordnung, sondern angeblich »logisch u n m ö g l i c h « sein sollten2152. Wer wie Puchta auch die gesetzliche Einführung dieser und »eine[r] Menge anderer moderner Begriffe« als »Willkür« bzw. die gesetzlich neu eingeführten Begriffe selbst als »monströse« bezeichnete, der demonstrierte nach Jhering nur, wie »abhängig […] unser Maßstab über das ›Willkührliche‹ vom römischen Vorurtheil« sei2153. Puchta zählte nach Jhering zu den »namhaftesten Repräsentanten« dieser Richtung, und »wenn ich nach eigner Erfahrung urtheilen darf, so hat gerade sein Beispiel auf Manche einen bestimmenden Einfluß ausgeübt […], wenigstens möchte es schwer sein, die in dieser Richtung begangenen Excesse noch zu überbieten«2154. Tatsächlich erinnerte sich Jhering an anderer Stelle später, wie

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richsen, Jhering (1993/1996), S. 183f. und W.Fikentscher/U.Himmelmann, Iherings Einfluß (1995), S. 99f. Vgl. Jherings Brief vom 21. Dezember 1853 an Windscheid, abgedruckt in: EhrenbergBriefe/1913, Nr. 12, S. 37f. Ferner dazu W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 183f. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 50 Fn. 20 (= Ges. Aufs. I, S. 44 Fn. 21); Ders., Geist II/ 2 (11858), § 402 Fn. 518. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 301–303, 305; Ders., Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 7f. Vgl. vorher auch schon Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 43 (= Ges. Aufs. I, S. 37) sowie Ders., Geist II/2 (11858), § 43, S. 462f., wo Jhering im Hinblick auf den römischen Ausschluss der Einzelabtretung einer Forderung von einem nach der römischen Vorstellungsweise zwar konsequenten, aber eben doch auch nur historisch »begründeten Satz von der Unübertragbarkeit der Rechte« sprach. Ähnlich äußerte sich zur selben Zeit auch B.Windscheid, Rechtswissenschaft (1854), S. 22. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 301f. mit Fn. 430. Jhering bezog sich hier unter anderem auf Puchtas harsche Zurückweisung einer nachrömischen Fortbildung des Besitzschutzes als angeblich unwissenschaftlich. Aber auch in den Fällen, in denen eine nachrömische Modifikation des geltenden Pandektenrechts gar nicht in Rede stand, war es nach Jhering nur der Beleg »für ein romanistisches Vorurtheil«, wenn man die geltende aus dem antiken Recht herrührende Behandlungsweise auch gleich noch »für die juristisch allein zu rechtfertigende erklärt« [Jhering, Culpa (1861), S. 406 Fn. 93]. Dass Jhering zum Beleg für das Gegenteil auf ein modernes Gesetzbuch, nämlich auf das 1861 fertiggestellte Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch hinwies, zeigt den Abstand zu Puchta. Die Tatsache, dass in diesem Gesetzbuch der Vertragsabschluss unter Abwesenden nach vom Pandektenrecht abweichenden Prinzipien geregelt wurde, wäre für Puchta kein Argument gegen den Ausschließlichkeitsanspruch der pandektenrechtlichen Prinzipien gewesen, sondern gerade umgekehrt ein Argument gegen den zeitgenössischen Gesetzgeber, der die »juristische Nothwendigkeit« verkenne. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 301 Fn. 429.

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auch er selbst als Student einmal für diesen »starren romanistischen Purismus« empfänglich gewesen sei und wie ihm die neuzeitlichen »neuern Juristen«, wie sie »Savigny […] in seinen Vorlesungen abzutun pflegte«, in seiner Studentenzeit »immer als höchst dürftige Leute erschienen, jeder von uns Zuhörern fühlte sich erhaben über sie.«2155 Aber – so fragte Jhering als noch junger Professor 1856 rhetorisch – wie »verträgt es sich […], wenn der Romanist seinen Zuhörern Regeln vorträgt oder ihnen etwas als juristisch unmöglich deducirt, wie z. B. die Verknüpfung einer Verpflichtung mit einer Sache, die Richtung der Obligation auf eine zukünftige, d. h. ungewisse Person, wovon der Germanist ihnen hinterher das Gegentheil nachweist?«2156

Dabei ging Jhering zwar durchaus davon aus, »daß die Regeln und Deductionen des Romanisten eine Wahrheit […] in Bezug auf die noch geltenden Institute des r ö m i s c h e n Rechts beanspruchen«2157 konnten und dass somit für letztere vorbehaltlich einer gewohnheitsrechtlichen oder gesetzlichen Änderung von einer entsprechenden juristischen Unmöglichkeit tatsächlich auszugehen war. Aber »etwas ganz Anderes ist es, ob es das Höchste und Letzte ist, wenn der Romanist« mit der Behauptung der juristischen Unmöglichkeit einen über das geltende römische Recht hinausgehenden universellen Wahrheitsanspruch verbindet, so »als existire kein deutsches Recht«2158. Ausdrücklich verstand Jhering dabei »unter dem deutschen Recht hier unser heutiges, nicht blos das der deutschen Privatrechtskompendien, sondern auch den usus modernus des römischen Rechts«2159. Den von germanistischer Seite den Romanisten häufig vorgeworfenen »›unhistorischen Sprung‹« von Justinian bis auf die Gegenwart»2160 wollte Jhering nicht mehr mitmachen. Jherings Kritik an einer Pandektenwissenschaft, die in nicht ausreichendem Maße die geschichtliche Veränderlichkeit des Rechts in Rechnung stellte, lässt sich daher auf drei Hauptpunkte zurückführen. Erstens war nach Jhering bisher nicht ausreichend beachtet worden, dass es für »die heutige Jurisprudenz« selbst »an der rein römischen Theorie (also ganz abgesehen von den Aenderungen des 2155 Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 327; Ders., Savigny-Nachruf (1861), S. 20. 2156 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 42 (= Ges. Aufs. I, S. 37). Dieselbe rhetorische Frage stellte Jhering später in Geist III/1 (11865), § 59, S. 301: »Wie nun, wenn es einem neuern Gesetzgeber gefiele, gerade das Gegentheil festzusetzen?« 2157 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 43 (= Ges. Aufs. I, S. 37). 2158 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 43 (= Ges. Aufs. I, S. 37). 2159 So Jhering in einem Brief vom 22. Mai 1854, in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 34a, S. 110. 2160 So Berthold Delbrück in einem an Windscheid gerichteten Brief vom 27. Dezember 1866 [mitgeteilt von B.Windscheid, Delbrück (1868), S. 290]. Delbrück, aaO, S. 291, der auch zu den Mitarbeitern von Jherings »Jahrbüchern« gehörte und dem »einen usus modernus zu schreiben […] als Ideal vorschwebt[e]«, sah in »Jhering’s These: durch das römische Recht über das römische Recht hinaus« nicht zu Unrecht einen ersten Schritt in diese Richtung.

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heutigen Rechts) noch viel zu ändern« gebe2161. Das Argument selbst war nicht neu. Was Jhering aber vor allem kritisierte, war die nach seiner Auffassung bisher mangelnde Umsetzung. Viel zu oft hatten nach Jhering auch »neuere Juristen« der Historischen Rechtsschule – den Namen des damals bereits verstorbenen Puchta nannte Jhering, »um Lebender nicht zu gedenken«2162, ausdrücklich – den »Gegensatz« von im Corpus iuris civilis überlieferten, aber aus verschiedenen Zeiten stammenden römischen »Constructionen« übersehen2163 und ignoriert, dass »z. B. die erbrechtlichen Sätze: nemo pro parte testatus etc., semel heres, semper heres und so manche andere […] bereits zur Zeit der klassischen Juristen mehr figurirten, als galten«2164.

Dieser unkritische und ungeschichtliche Umgang mit dem Corpus iuris civilis wog nach Ansicht des jungen Jhering umso schwerer, wenn man auf dieser Grundlage bei der Rechtsanwendung selbst ein im Hinblick auf die Parteiinteressen nicht mehr nachvollziehbares »tolles Resultat« hinnehme, so dass »ein darauf gebautes Urtheil« der Gerichte nur »die allgemeinste Entrüstung erregen und den angeblichen Werth des römischen Rechts in den Augen eines jeden verständigen Laien mehr als zweifelhaft machen würde«2165. Damit wiederholte sich für Jhering nur das, was er mit Blick auf die jüngere Pandektenwissenschaft ironisch als einen alten »Erfahrungssatz« bezeichnete, dass nämlich »ein Widerspruch nur aus dem Munde eines römischen Juristen zu kommen braucht, um unter ihren modernen Nachfolgern Hunderte zu finden, die ihn gläubig 2161 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 404f. 2162 Vgl. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 31 (= Ges. Aufs. I, S. 27). 2163 So Jhering im Hinblick auf die von der römischen »spätere[n] Jurisprudenz« bereits zugelassene »traditio in incertam personam« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 404f. Fn. 521]. In diesem konkreten Fall fügte Jhering die ausdrückliche Nennung von Puchtas Namen und die entsprechende Belegstelle aus dessen Pandektenlehrbuch zwar erst in der zweiten Auflage ein [vgl. Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 362 Fn. 521]. In seinem Programmaufsatz »Unsere Aufgabe« sparte Jhering aber nicht an Beispielen und gab eine ganze »Blumenlese« [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 37 (= Ges. Aufs. I, S. 33] aus Puchtas Pandektenlehrbuch [vgl. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 31ff. (= Ges. Aufs. I, S. 27ff.)]. 2164 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 405 Fn. 522; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 36f. (= Ges. Aufs. I, S. 31f.); Ders., Schuldmoment (1867), S. 220f.; Ders., Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 6f., 11, 18 sowie S. 20 Anm.*. 2165 Vgl. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 33 (= Ges. Aufs. I, S. 28), wo dieser Puchtas Ausführungen zur Wahlschuld [vgl. G.F.Puchta, Pandekten (21844), § 221, S. 313f.] ganz konkret auch entgegenhielt, dass jeweils ab dem Zeitpunkt der Wahlentscheidung durch den Schuldner das zu schützende Erfüllungsinteresse des Gläubigers, der »inzwischen Anstalten zur Entgegennahme der Waaren« getroffen sowie »Contracte […] über den Transport, den weiteren Verkauf u.s.w.« abgeschlossen habe, verletzt würde, wenn »schließlich […] der Schuldner sein Wort zurücknehmen können« sollte.

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nachsprechen und ihren Verstand gefangen nehmen.«2166 Hätte die Historische Rechtsschule demgegenüber ihr Programm wirklich konsequent umgesetzt und die Inhalte des Pandektenrechts jeweils auf die ihnen historisch zugrunde liegenden und teilweise von ganz »verschiedenen Entwicklungsstufen des römischen Rechts«2167 herrührenden Prinzipien zurückgeführt, dann wäre es nach Jhering nicht mehr möglich gewesen, dass etwa Puchta selbst durch »spätere kaiserliche Legislationen« Justinians bereits überholte und mit neuzeitlichen Grundsätzen der Interpretation »im schneidendsten Widerspruch« stehende »Ausflüsse römischer Formularjurisprudenz bloß darum, weil sie im corpus juris stehn, als gültige Rechtssätze« behandelte2168. Dies machte nach Jhering den einen bisher unbewältigten Teil des »Scheinleben[s] des R[ömischen] R[echts] in manchen Parthieen« aus2169. 2166 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 210. Auch knapp fünfzig Jahre später kritisierte Jhering, Besitzwille (1889), S. 274 noch fast wörtlich identisch den »hergebrachten Glauben an […] nahezu alles, was aus ihren [sc. der römischen Juristen] Händen gekommen ist«, »eine Gläubigkeit, die […] unserer heutigen Jurisprudenz so verderblich geworden ist« und die Jhering als Punkt 2 in seinem »Sündenregister« der 1889 noch herrschenden juristischen Methodenpraxis aufnahm. 2167 So B.Windscheid, Erbschaft (1853), S. 199, 202 mit Bezug auf Jherings Argumentation in dessen Abhandlungen (1844), S. 167ff. (179), wo Jhering innere Widersprüche des Pandektenrechts entwicklungsgeschichtlich erklärte. 2168 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 37 (= Ges. Aufs. I, S. 32) und konkret an die Adresse Savignys und Puchtas gerichtet Jhering, Besitzschutz (1869), S. 105, 125ff., 130f., 134f. Der fast wortgleiche, aber noch pauschal erhobene Vorwurf des von Jhering sehr geschätzten Johann Friedrich Kierulff, die Jurisprudenz behandle längst vergessene Rechtssätze »bloß darum, weil sie aus dieser Quelle« des Corpus iuris civilis stammten, als gültige Rechtssätze [J.F.Kierulff, Theorie (1839), S. XX], erhielt so eine theoretische Begründung. In seinen Briefen formulierte Jhering seine Kritik noch drastischer. So schrieb Jhering am 2. August 1855 an Gerber im Hinblick auf Puchtas Darstellung der gemeinrechtlichen Lehre vom Erbrecht: »Ich bin übrigens starr vor Entsetzen, wenn ich sehe, was man heutzutage noch als geltendes Recht darin aufführt; in keinem Rechtstheile stecken so viele Reste des altrömischen Formalismus, als in diesem, und nirgends kann und muß man so aufräumen mit dem spezif[isch] Römischen, als hier. Puchta ist nirgends schwächer, als im Erbrecht […]« [Losano-Briefe I /1984, Nr. 46, S. 156f.]. Unter Anspielung auf die in seinem Programmaufsatz »Unsere Aufgabe« aus Puchtas »Pandekten« angeführte »Blumenlese« (Fn. 2163) meinte Jhering in Geist II/2 (11858), § 42, S. 441: »Bei manchen Ausflüssen desselben [sc. des altrömischen Formalismus in den Pandekten] muß, wie ich meine, jeden Unbefangenen ein gewisses Grauen beschleichen, und es gehört ein eingefleischter Romanismus dazu, um keinen Anstoß an ihnen zu nehmen oder gar für das heutige Recht ihre Gültigkeit zu vertheidigen.« 2169 So Jhering in einem Brief an Gerber vom 21. Januar 1856, in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 56, S. 189. Vom zeitgenössischen »civilistischen Mumien-Cultus« [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 31 (= Ges. Aufs. I, S. 26)] wurde nach Jhering verkannt, dass »bei einer so conservativen Jurisprudenz, wie es die römische war«, bereits im Altertum die Juristen im »neueren römischen Recht« nicht selten schon damals überholten »antiquirten Rechtssätzen noch ein theoretisches Scheinleben rettete[n].« In diesem Sinne und mit ausdrücklicher kritischer Bezugnahme auf Puchta auch Jhering, Passive Wirkungen (1871),

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Der andere unbewältigte Teil des »Scheinlebens« – und das war zugleich auch der zweite Hauptkritikpunkt Jherings am Zustand der zeitgenössischen Pandektistik – war nach Jhering dadurch entstanden, dass die gemeinrechtliche Dogmatik die mittelalterlichen und neuzeitlichen Modifikationen des rezipierten römischen Rechts in Deutschland bei der Feststellung des geltenden Rechts häufig missachtete oder gar als wissenschaftlich nicht haltbar zu widerlegen versuchte. Nun hatte zwar Savigny – wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck der vorangegangenen Kritik von Seite der germanistischen Privatrechtswissenschaft aus – im 1840 erschienenen ersten Band zum »System des heutigen Römischen Rechts« ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht das Ziel der Historischen Rechtsschule sei, aus bloßer »Vorliebe für das römische Recht […] dieses überall in seiner Reinheit wiederherzustellen«2170. In diesem Sinne hatte Savigny sein Werk unter das berühmte und in der Folge noch von vielen anderen Pandektisten bemühte Motto gestellt: »[…] in dem Römischen Recht [ist] dasjenige zu scheiden, was schon abgestorben ist, von dem was noch fortlebt«2171. War man – so Jhering in »Unsere Aufgabe« – bei Savigny bis »zum Erscheinen seines S y s t e m s […] gewohnt, bei ihm vor Allem ein strenges Festhalten am römischen Recht zu supponiren«, so konnte man nun auch unter Inanspruchnahme der ganzen Autorität Savignys »die neuere Geschichte des römischen Recht« als einen »unausgesetzten Ausscheidungsprozeß« bezeichnen und fordern, »daß gerade die Gegenwart berufen ist, an dieser Ausscheidung einen hervorragenden Antheil zu nehmen.«2172 »Wie mußte man überrascht sein, zu finden«, meinte Jhering angesichts des damals offenbar nicht nur in germanistischen Kreisen verbreiteten Savigny-Bildes, »daß gerade er in so manchen Partien das römische Recht für beseitigt erklärte, die von andern Theoretikern noch sorgsam gepflegt wurden, z. B. bei der Infamie, den Privatstrafen. Keiner hat bisher mit jener romanistischen Orthodoxie mehr gebrochen, als er. Um so wichtiger war es, daß gerade e r es that […].«2173

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S. 329 sowie dort Fn. 203. Vgl. dazu aus romanistischer Sicht P.Koschaker, Europa (21953), S. 271ff. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 20, S. 94. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 20, S. 94. Daran knüpfte auch Jhering an, wenn er meinte: »Nicht also das wirklich Lebendige soll weichen, sondern nur das, was durch die Macht der alten Autorität des corp.[us] jur.[is] ein Scheinleben gewonnen hat« [so Jhering in seinem Brief vom 22. Mai 1854 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 34a, S. 110]. Vgl. auch Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 279f.; Ders., Besitzwille (1889), S. 421. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 39 (= Ges. Aufs. I, S. 34). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 39 (= Ges. Aufs. I, S. 34); Ders., Savigny-Nachruf (1861), S. 15. Zu den »andern Theoretikern« zählte nicht zuletzt auch Puchta. Vgl. nur G.F.Puchta, Pandekten (21844), § 261, S. 370], in dessen Lehrbuch die römischen Privatstrafen, die nach Jhering teilweise noch in römischer Zeit, endgültig aber nach der Rezeption durch das kanonische Recht ihre Geltung verloren hatten, auch noch als

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Dieses fast überschwängliche und angesichts der damaligen Bedeutung von Savignys Wort in der zeitgenössischen Pandektistik sichtlich von Erleichterung geprägte Lob des jungen Jhering2174 sollte aber nicht über die bereits zu dieser Zeit im Verhältnis zu Savigny bestehenden Differenzen im Hinblick auf den Umgang mit den nachrömischen Modifikationen des geltenden Pandektenrechts hinwegtäuschen. Ähnlich wie schon in seiner 1844 anonym erschienenen Artikelfolge zur Historischen Rechtsschule2175 hatte Jhering in seiner Programmschrift von 1856 vor allem die Gemeinsamkeiten mit Savigny als der unumstrittenen, ja zu diesem Zeitpunkt fast unanfechtbaren Autorität2176 der Schule betont. Während Jhering direkte Kritik an Savigny persönlich öffentlich erstmals 1861 wenige Tage nach dessen Tod2177 in seinem Nachruf auf Savigny

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»Scheinexistenzen« weiterhin »figurir[t]en […], als ob nichts geschehen wäre« [Jhering, Schuldmoment (1867), S. 220f., 227f.; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 30 (= Ges. Aufs. I, S. 26)]. Die römische »Infamie«, die ebenfalls auch von Puchta zunächst noch »sorgsam gepflegt« wurde (vgl. dazu schon oben S. 422 Fn. 2109 zur früheren Kritik von Reyscher), wurde später noch mehrfach Gegenstand von Jherings satirischer Abrechnung mit der zeitgenössischen Pandektenwissenschaft [vgl. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 44f., 279]. Aufgrund welcher Prämissen dagegen Savigny »in so manchen Partien das römische Recht für beseitigt erklärte«, ließ Jhering – wie O.Behrends, Jhering (1987), S. 248 Fn. 55 zu Recht bemerkt – hier aber offen. O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 105f. hält Jherings Lob für Savigny auch in der Sache für berechtigt. Vgl. Teil 1, S. 91f. Fn. 378. Vgl. nur Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 40 (= Ges. Aufs. I, S. 34f.) mit einer kaum verhüllten Kritik an der verbreiteten Gläubigkeit gegenüber einem »Urtheil aus seinem [sc. Savignys] Munde«. Selbst noch fast dreißig Jahre nach Savignys Tod zeugte von dessen weiterhin ungebrochener Autorität zumindest in der zeitgenössischen Pandektenwissenschaft auch Jherings Vorwort aus dem Jahre 1889 zu der letzten von ihm veröffentlichten Schrift »Der Besitzwille«. Obwohl Jhering die in Savignys klassisch gewordenem Erstlingswerk »Das Recht des Besitzes« begründete Auffassung zum Besitzwillen schon Mitte der vierziger Jahre für unzutreffend hielt, hat Jhering dies außerhalb seiner Vorlesungen doch erst sehr viel später öffentlich gemacht (vgl. unten S. 454 Fn. 2250) und die Darlegung seiner eigenen Auffassung über den Besitzwillen selbst noch im Jahre 1889 eingeleitet mit den Worten: »Ich bin mir bewußt, meinen wissenschaftlichen Namen bei dieser Schrift in einer Weise eingesetzt zu haben, daß, wenn die Vorwürfe und Anklagen, welche ich gegen Savigny erhoben habe, unbegründet sind, mein Name unheilbar Schaden leidet […]. Mag es darum sein! Ich gebe meine Person willig preis, wenn nur die Sache gefördert ist – ein großer Zweck ist einmal ohne Einsatz der eigenen Persönlichkeit nicht zu erreichen […]« [Jhering, Besitzwille (1889), S. XIIf.]. Der Eindruck, dass Jhering bewusst auf den Moment des Todes von Savigny für eine erste öffentliche Kritik gewartet hat, wird bestärkt durch eine Mitteilung, die Jhering schon in einem Brief vom 26. November 1854 anläßlich einer von Gerber verfassten, aber offenbar nicht publizierten Trauerrede für den damals gerade verstorbenen Carl Friedrich Eichhorn, das germanistische Haupt der frühen Historischen Rechtsschule, gemacht hatte. Jhering schrieb dazu damals an Gerber : »Wie gelegen ist Dir doch C.F.Eichhorn gestorben. Du hättest kein passenderes Thema finden können […]. Ich wünsche Dir, daß die noch lebenden Juristen, die Du zu einem gleichen Zweck anwenden könntest, wenn sie einmal sterben wollen, dieselbe Rücksicht in der Wahl des Zeitpunkts beobachten mögen; Savi-

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übte2178, hatte in Jherings Briefen sein Urteil über den »Säumer« Savigny auch schon in den 1850er Jahren deutlich skeptischer geklungen2179. Denn wenn Jhering gerade auch im Vergleich zu Puchta Savigny »in seinem kritischen Verhalten zum römischen Recht« lobte und hervorhob, dass nicht, »wie man es sonst wohl beim Romanisten gewohnt ist, […] die Bewunderung des römischen Rechts sein Urtheil gefangen genommen« habe2180, so konnte man nach Jhering Savignys Werk über das »System des heutigen römischen Rechts« doch »mit Recht zum Vorwurf machen«, dass sein »Titel nicht zum Werke passe«2181, da ein auffälliger »Hiatus zwischen ihm selbst und dem Titel ›h e u t i g e s Recht‹, den es sich beilegte«, bestehe2182. Zwar – so schränkte Jhering seine Kritik ein – würde Savigny im »System« »schließlich stets bei dem h e u t i g e n Recht« ankommen, aber er habe dem Leser »doch den oft sehr weiten Umweg durch das frühere Recht nicht erspart, auch wo derselbe durch den Zweck der Erleichterung des

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gny wäre ein fetter Bissen […]« [Losano-Briefe I /1984, Nr. 39, S. 127f.]. Diesen »Bissen« sicherte sich Jhering dann aber selbst in seinem ausführlichen Nachruf auf Savigny, der abschnittsweise vom 31. Oktober 1861, also nur sechs Tage nach Savignys Tod, bis zum 6. November 1861 zunächst in einer Tageszeitung erschien. Zumindest gedanklich war dieser Nachruf aber offenbar schon lange vorher vorbereitet gewesen. Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 10, 12ff. Vgl. auch K.Luig, Natur u. Geschichte (1997), S. 284ff. zu den »sehr deutliche[n], prinzipiell kritische[n] Worte[n]« Jherings in seinem Nachruf auf Savigny. »Säumer« hatte Jhering Savigny in seinem Brief an Gerber vom 29. Oktober 1854 (abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 38, S. 125) deswegen genannt, weil letzterer fast bis zum Ende seines Lebens gewartet hätte, bevor er 1840 überhaupt begonnen habe, das Programm der Historischen Rechtsschule im Hinblick auf das geltende Pandektenrecht auch umzusetzen. Und im Hinblick auf diese Umsetzung bemerkte Jhering im selben Brief, er habe es in der letzten Zeit unternommen, »namentl[ich] Sav[ignys] Obligationenrecht, das ich früher nur durchgelesen, durchzuarbeiten. Meiner Ansicht nach ist es das Schwächste, was Sav[igny] je geschrieben« habe. Vgl. ferner auch Jherings Brief vom 26. November 1854 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 39, S. 128. Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 17. Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 16. Jhering nahm auch hier einen bereits sehr alten von germanistischer Seite aus schon gleich nach Erscheinen der ersten Bände von Savignys »System« geäußerten Vorwurf auf. Vgl. nur L.v.Stein, Charakteristik (1841), S. 382: »Das Werk hätte entweder einen andern Titel, oder der Titel ein anderes Werk gefordert.« Ebenso A.L.Reyscher, Für und wider (1842), S. 129f. Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 15. Nach einer Mitteilung von H.Kiefner, Rechtsverhältnis (1982), S. 166f. Fn. 50 hatte auch Savigny selbst in der Entstehungsphase seines Werkes bei der Wahl des Titels geschwankt und – wie Kiefner es ausdrückt – »darüber sogar eine Umfrage veranstaltet«. Die von Savigny schriftlich festgehaltenen und in seinem Nachlass überlieferten Vorschläge von Hugo, Puchta und Rudorff sowie von Friedrich August Biener und von Savignys Sohn, Franz von Savigny, scheinen aber bezeichnenderweise alle nicht vom Bedenken des von Jhering kritisierten »Hiatus«, also der Kluft zwischen Titel und Inhalt geleitet gewesen zu sein. Lediglich Gustav Hugo hatte einst schlicht für den Titel »Das Römische Recht« plädiert, was aber später ebenfalls kaum Jherings Beifall gefunden hätte, da ein solcher Titel gänzlich offen gelassen hätte, ob das Werk das »heutige« oder das historische römische Recht zum Gegenstand habe.

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Verständnisses in keiner Weise geboten ist«2183. Aber gerade diese Frage, wo die geschichtliche Betrachtung im Rahmen einer dogmatischen Abhandlung des geltenden Rechts »geboten« und wo sie als ein unnötiger »Umweg« anzusehen sei, hatte Jhering – wie in Teil 1 dargelegt – schon 1844 anders beantwortet als Savigny. Das Gleiche gilt auch für die unter dem Gesichtspunkt der praktischen Relevanz vielleicht noch wichtigere Frage, ob und inwieweit erst nach der Rezeption des römischen Rechts, insbesondere durch den neuzeitlichen Usus modernus pandectarum erfolgte positivrechtliche Modifikationen des römischen Rechts Rechtsgeltung beanspruchen könnten. Nicht zuletzt mit der Haltung der Historischen Rechtsschule zum Usus modernus hatte sich vor allem von der Seite der germanistischen Privatrechtswissenschaft schon früh der Vorwurf des »antiquarischen Purismus« derselben verbunden2184. Auch Jhering, obwohl er selbst als Student in Savignys Vorlesungen offenbar noch ganz unter dessen Einfluss gestanden hatte2185, teilte diese Ansicht bald2186. So führte Jhering beispielsweise seit 1858 regelmäßig Savignys Kritik an gemeinrechtlichen Weiterbildungen des römischen Rechts, etwa die Kritik an der Spolienklage oder dem summariissimum2187, als Belege für die »doctrinäre Prüderie«2188 und den »romanistischen Purismus« Savignys an, der »zuerst das Beispiel gegeben [hat], die historische Fortbildung des römischen Rechts auf unserem einheimischen Boden einfach zu ignorieren« bzw. als bloße »Verirrungen der praktischen Jurisprudenz in ein recht helles Licht zu setzen«2189. Für Savigny und auch Puchta 2183 Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 16. Vgl. zu diesem Vorwurf auch H.Klenner, Savignys Forschungsprogramm (1991), S. 6f. sowie Ders., Rechtsphilosophie (1991), S. 96. 2184 Vgl. nur F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 391 Fn. 48, 394 Fn. 57 sowie Ders., Einwirkungen (1979), S. 319 mit einigen Beispielen zu durch den »Purismus der frühen historischen Schule« bewirkten Rückschritten in der gemeinrechtlichen Dogmatik. Ferner auch P.Koschaker, Europa (21953), S. 271ff.; G.Wesenberg/G.Wesener, Privatrechtsgeschichte (41985), S. 172, 175f. 2185 Vgl. oben S. 432. 2186 Vgl. Teil 1, S. 103 zu Jherings Haltung in den 1840er Jahren. Auch den Entschluss zur Herausgabe einer gegen den »historischen Romanismus« gerichteten Zeitschrift [so Jhering in seinem Brief vom 29. Oktober 1856 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 66a, S. 215] hatte Jhering offensichtlich bereits in den vierziger Jahren gefaßt (vgl. oben S. 95f. Fn. 392). 2187 Es handelte sich dabei um Weiterentwicklungen des römischen Rechts durch das kanonische Recht des Mittelalters (actio spolii) bzw. den Usus modernus (summariisimum) zur Vereinfachung und Beschleunigung des gemeinrechtlichen Besitzschutzes [vgl. M.Kaser, Röm.PrivatR (161992), § 21, S. 103 sowie H.Coing, Privatrecht I (1985), S. 285, 287; Ders., Privatrecht II (1989), S. 372f., 374]. 2188 Jhering, Besitzschutz (1869), S. 138f. 2189 Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 327 (Anmerkung 12) mit ausdrücklichem Hinweis auf Geist II/2 (vgl. dazu die in Fn. 2191 angeführten Belege aus der ersten und dritten Auflage von Geist II/2) und gleichlautend Jhering, Besitzschutz (1869), S. 12, 126f., 134f. Tatsächlich machte sich – worauf Jan Schröder in: G.Kleinheyer/J.Schröder, Deutsche

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waren derartige Vorwürfe nur »leeres Gerede«2190. Für Jhering aber wurden – wobei sich im Laufe der Jahre lediglich seine am Ende schließlich im Vorwurf der »Begriffsjurisprudenz« gipfelnden Formulierungen verschärften – nicht zuletzt diese beiden Beispiele des gemeinrechtlichen Besitzschutzes geradezu zum Paradebeispiel für die »leichtfertige und verständnißlose Abfertigung [sc. der nachrömischen Fortbildung des Rechts] durch Savigny«, die »leider unter den durch seinen Einfluß geleiteten Theoretikern nur zu willige Nachahmung gefunden hat«2191. In der Tat war auch in diesem Beispiel Savignys ablehnende Juristen (31989), S. 242, aber auch schon E.Ehrlich, Grundlegung (1913), S. 257 hingewiesen haben – in Savignys 1803 erstmalig erschienenen und von der Pandektenwissenschaft als methodisch wegweisend angesehenen Monographie »Das Recht des Besitzes« die Bewertung der nachrömischen Modifikationen schon daran bemerkbar, dass Savigny ihnen nach einer Darstellung des antiken Rechts auf fünfhundert Seiten trotz späterer Zusätze auch in der letzten von ihm herausgegebenen Auflage keine vierzig Seiten am Ende des Buches widmete. Und auch dort betonte Savigny, wie eben von Jhering kritisiert, dass die späteren »Modificationen des Römischen Rechts« entweder im Zusammenhang stünden mit den »bedeutenden Irrthümern, die man über die Römische Ansicht des Besitzes zu hegen pflegt«, oder aber dass sie das antike römische Recht nicht tatsächlich »verändert«, sondern »auf eine ganz consequente Weise fortgebildet« und damit »das Ganze der Römischen Theorie« nicht etwa aufgehoben, sondern »im Gegentheil […] deren Gültigkeit dadurch eben sehr deutlich anerkannt« und bestätigt hätten [F.C.v.Savigny, Recht des Besitzes (71865), § 48, S. 502; § 49, S. 509; § 50, S. 520f.; § 52, S. 535]. Nach Jhering dagegen würde im gemeinrechtlichen Besitzschutzverfahren »ein römischer Jurist […] das römische gar nicht wieder erkannt haben« [Jhering, Rechtsschutz (1885), S. 303f., 300, 311, 360]. Und für diejenigen, die glaubten, neuzeitliche Weiterentwicklungen des römischen Rechts »mit billigem Vornehmthun« als einen angeblich bloßen »›Irrthum neuerer Rechtslehrer‹« abtun zu können, wie Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 309 in offensichtlicher Anspielung auf Savigny dessen abwertende Formel zitierte, hatte Jhering nur noch Unverständnis übrig. Vgl. dazu auch P.Caroni, Savigny (1969), S. 107ff. und R.Scheuermann, Einflüsse (1972), S. 29, 33ff jeweils m. w. N. sowie ferner E.Wolf, Rechtsdenker (41963), S. 518, 521; R.Ogorek, Gefährdungshaftung (1975), S. 13f. und J.Schröder, Recht (22012), S. 199f. 2190 So Savigny wörtlich in einem 1836 verfassten Zusatz zur sechsten Auflage vom »Recht des Besitzes« gegenüber dem Vorwurf eines »Bestreben[s] der sogenannten historischen Schule, alles Recht ausschließend in Römische Formen einzuzwängen […]« [vgl. F.C.v.Savigny, Recht des Besitzes (71865), § 50, S. 520 und G.F.Puchta, Besitz-Rezension (1837), S. 688, der die entsprechende Passage aus Savignys Werk zustimmend sogar wörtlich zitierte]. Durchaus vorausschauend, wenngleich er auch wohl nicht damit rechnete, dass diese Kritik einmal aus der Historischen Rechtsschule selbst kommen würde, hatte Savigny 1836 noch angefügt: »Ohne Zweifel werden Manche diesen stehenden hergebrachten Tadel auch über die hier [sc. von Savigny] aufgestellte Ansicht der Spolienklage aussprechen« (aaO). 2191 Jhering, Geist II/2 (31875), § 44, S. 466 Fn. 635; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 327 (Anmerkung 12, S. 289). In den beiden Vorauflagen von Geist II/2 fehlte noch die ausdrückliche Nennung von Savignys Namen, was bezeichnend ist für Jherings anfängliche Zurückhaltung, auch Differenzpunkte mit Savigny öffentlich zu benennen. Denn in der Sache selbst war Jhering auch schon in der ersten Auflage derselben Meinung gewesen wie in der dritten, nur hatte er in der ersten Auflage seine Kritik an der immerhin auf Savigny

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Haltung zur »gesamte[n] moderne[n] Fortbildung des Instituts in Bezug auf den erweiterten Besitzesschutz (Spolienklage und Summariissimum)«, die nach Jherings zugespitzten Worten von 1884 nur ein Ausweis der »gänzliche[n] Gleichgültigkeit gegen die praktische Funktion des Besitzes im Leben«2192 war, »von Puchta noch überboten worden«2193. Was Jhering zu seinen scharfen Formulierungen veranlasste, war nicht nur die inhaltliche Kritik an der Gleichgültigkeit der zeitgenössischen Pandektisik gegenüber dem, was als »ein erheblicher Fortschritt über das römische Recht hinaus«2194 »durch ein gebieterisches Bedürfniß des Lebens motivirt« sei2195, sondern es war darüber hinaus auch die geltungstheoretische Kritik daran, dass hier eine historische Tatsache, nämlich die Geltung einer auf das Mittelalter zurückgehenden Erweiterung des römischen Besitzschutzes durch das kanonische Recht bzw. die sich daraus entwickelnde gewohnheitsrechtliche Praxis nachträglich noch auf der Grundlage des antiken Rechts mit dem Argument eines Verstoßes gegen die juristische Wahrheit eingeschränkt oder gar ganz bestritten werden sollte2196. In seinem Nachruf auf Savigny ging Jhering dann

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zurückgehenden Auffassung noch unverfänglicher pauschal gegen »gelehrte Theoretiker der Neuzeit« gerichtet [Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 492 Fn. 635]. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 357. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 357 Fn. 1; Ders., Besitzschutz (1869), S. 125f.; Ders., Besitzwille (1889), S. 284 Fn. 1, S. 459. So war für Puchta die gewohnheitsrechtliche Ausdehnung der »Spolienklage des canonischen Rechts« durch die »deutsche[n] Praktiker« nicht mehr als »eine in ihrer eigenen Absurdität sich vernichtende Meinung« [G.F.Puchta, Pandekten (21844), § 135, S. 186 Anm. c)]. Nach einem 1836 für die sechste Auflage hinzugefügten Zusatz zu seinem Werk »Das Recht des Besitzes« war es nach Savigny dagegen immerhin »nicht zu leugnen, dass sie [sc. die Spolienklage] seit Jahrhunderten in der Praxis festen Fuss gefasst hat«, so dass es nach Savigny hier und bei anderen Modifikationen nur noch darum gehen konnte, einen allzu weit gehenden »Götzendienst gegen die sogenannte Praxis« einzudämmen [F.C.v.Savigny, Recht des Besitzes (71865), § 50, S. 517; § 52, S. 534]. Jhering, Besitzwille (1889), S. 461; Ders., Rechtsschutz (1885), S. 301, 304. So Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 492 mit Fn. 635 im Hinblick auf die ältere römische Jurisprudenz als positives Gegenbeispiel zu der Tatsache, wie in der zeitgenössischen Pandektistik die »gelehrte[n] Theoretiker« mit der Spolienklage und dem summariissimum umgingen. Vgl. dazu Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 492 Fn. 635. So habe man »sich nicht wenig darauf gedünkt, die Unrichtigkeit [sc. nachrömischer Weiterentwicklungen] […] aufzudecken. Verdienstlicher wäre es gewesen zu fragen, ob denn diese Vorgänger so mit Blindheit geschlagen waren, daß sie handgreifliche Unwahrheiten für wahr halten konnten. Dann wäre man wohl dem wahren Grunde auf die Spur gekommen und hätte sich nicht verleiten lassen […] an Sätzen zu rütteln, die die Praxis i h r e r s e l b s t wegen für nöthig hielt, und für die sie in den Quellen nur nach einem noch so schwachen äußeren Anhaltspunkt suchte.« (aaO). Aber – so Jhering fast dreißig Jahre später gleichlautend in Scherz und Ernst (1884), S. 357 – dieser Gedanke, dass die Fortbildung »in einem zwingenden Bedürfnis ihren Grund gehabt haben muß, bleibt ihm [sc. Savigny] völlig fremd, er tut sie einfach damit ab, daß sie nicht römisch ist«. Vgl. dazu auch H.Coing, Privatrecht II (1989), S. 45 sowie die Nachweise bei C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 81.

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erstmals sogar so weit, öffentlich zu behaupten, dass »jene von Savigny selbst eingeräumte Entfremdung zwischen Theorie und Praxis« nicht nur eine »Erscheinung [ist], die in diesem Umfang erst aus der Zeit der historischen Schule datirt«, sondern dass dieser »Tadel […] auch und vor allem Savigny trifft«2197 – ein später posthumer Kommentar zu Savignys Vorrede im 1840 publizierten ersten Band seines Werks über das »System des heutigen Römischen Rechts«2198. Auch in seinen »Vertraulichen Briefen« hatte Jhering nur noch Spott übrig für das »Verdammungsurteil« von »Männern wie Puchta, Vangerow, Sintenis u. a.« über das, was »jahrhundertelang in der Praxis gegolten« habe2199 und was trotz »richtiger Würdigung der veränderten Verhältnisse und der Bedürfnisse unseres heutigen Verkehrs […] als eine aus Unkenntnis der Quellen oder mangelhafter Interpretation hervorgegangene Verirrung zu stigmatisieren« versucht werde2200. Die nach Jhering bei Puchta in ganz besonderem Maße hervortretende wissenschaftliche »Unduldsamkeit […] selbst gegen Bestimmungen des Gesetzgebers« ließ Jhering 1889 in seiner letzten zu Lebzeiten veröffentlichten, der »Kritik der herrschenden juristischen Methode«2201 gewidmeten Monographie Puchta mit ausdrücklichem Hinweis auf dessen Haltung zur Spolienklage sogar zur Gruppe der zwar »hervorragende[n] […], aber gewaltsamen[n], wissen2197 Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 13; Ders., Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 81. 2198 Vgl. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 327 (Anmerkung 12). Savigny hatte in der Vorrede zum »System des heutigen Römischen Rechts« eingeräumt, dass immer noch »unsrer juristischen Praxis der rechte Geist nicht überall inwohnt« und das »Hauptübel unsres Rechtszustandes in einer stets wachsenden Scheidung zwischen Theorie und Praxis« gesehen, welche aber »mehr durch den allgemeinen Gang der Entwicklung, als durch die Schuld der Einzelnen, herbeygeführt worden« sei [F.C.v.Savigny, System I (1840), S. XXIVf.]. 2199 Jhering, »Vierter Brief« von einem Unbekannten (1863), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 59f. 2200 Jhering, »Sechster Brief« von einem Unbekannten (1866), ursprünglich als »Erste Serie. Siebenter Brief« erschienen in der »Deutschen Gerichtszeitung. Neue Folge. Erster Band, Berlin 1866, S. 309–326, wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 97ff. (112) – eine Abhandlung mit »viel Gift darinne!« So zumindest urteilte Jhering selbst in einem Brief vom 15. November 1866 an Gerber [abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 250, S. 605] über diesen letzten von ihm publizierten »Vertraulichen Brief« [vgl. M.G.Losano, Bibliographie (1984), S. 218 (Nr. 33) sowie Losano-Briefe I /1984, S. 605 Fn. 1, S. 613 Fn. 1]. Am Ende des »Sechsten Briefs« hatte Jhering, aaO, S. 117 eine entsprechende »Blumenlese aus der neueren romanistischen Literatur« im »nächsten [sc. Vertraulichen] Briefe« angekündigt. Dieser ist allerdings, wie es in einem nach 1870 verfassten Manuskriptfragment zu der tatsächlich geplanten Fortsetzung der »Vertraulichen Briefe über die heutige Jurisprudenz« heißt, »als mir die Kanonenkugeln des Jahres 1866 dazwischen fuhren« und »die Feder fallen« ließen [Jhering, Briefe des Unbekannten (Nachlass), Bl. 1], nicht mehr zustande gekommen. Vgl. aber auch schon Jherings frühere »Blumenlese« in seinem Programmaufsatz Unsere Aufgabe (1856), S. 31ff., 37 (= Ges. Aufs. I, S. 27ff., 33) sowie dazu Jhering, Geist II/2 (11858), § 42, S. 441. 2201 So der Untertitel zu der von Jhering 1889 erschienenen Untersuchung mit dem Titel »Der Besitzwille«.

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schaftlich despotische[n] Naturen« bzw. der »unerbittliche[n] Doctrinäre« zählen und mit dem Verdikt »Begriffsjurisprudenz« belegen2202. An diesen Vorwurf der wissenschaftlichen »Unduldsamkeit« im Hinblick auf das positiv geltende Recht schloss sich schließlich Jherings dritter Hauptkritikpunkt an der zeitgenössischen Pandektenwissenschaften unmittelbar an, nämlich die Kritik an dem sich schon bei der theoretischen Formulierung von Grund- bzw. Gattungsbegriffen häufig äußernden Ausschließlichkeitsanspruch des römischen Rechts. Einmal ganz abgesehen von der Frage der Geltung des Rechts hatte es die Pandektistik nach Jhering nämlich bisher auch weitgehend versäumt, wenigstens in wissenschaftlicher bzw. rechtstheoretischer Hinsicht die »o b e r s t e n Regeln so« zu formulieren, daß sie nicht bloß den römischen, »sondern auch den Instituten des deutschen Rechts Raum zur juristischen Entfaltung ließen, z. B. [sind] die [sc. Institute] über die Obligation so [sc. zu formulieren], daß die Papiere auf den Innehaber, die Reallasten, das Indossament in blanco ihnen gegenüber nicht als juristische Unmöglichkeiten erscheinen. Der Gattungsbegriff der Obligation, den der Romanist aufstellt, müßte also von vornherein so weit sein, daß er die beiden Spezies, die Obligation des römischen und deutschen Rechts umfaßt«2203.

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Die wissenschaftliche Wahrheit der »juristischen Methode«

Die Erkenntnis einer eben gar nicht zur »ursprünglichen Einheit«2204 hinstrebenden Veränderlichkeit der Begriffe, ferner der sich um 1850 deutlich verstärkende und mangels eines nationalen Gesetzgebers allein auf der gemeinrechtlichen Privatrechtswissenschaft und Rechtsprechung lastende Druck2205, 2202 Jhering, Besitzwille (1889), S. 284 sowie aaO, S. 198 gegen die »Zumuthung der Unterordnung des Gesetzgebers unter die Logik des Rechts«. Jherings Verdikt »Begriffsjurisprudenz« in diesem Zusammenhang ist im übrigen auch ein guter Beleg dafür, dass nicht alles, was Jhering in seiner Spätzeit unter diesen Kampfbegriff faßte, erst das Ergebnis seines eigenen von ihm in den sechziger Jahren namhaft gemachten »Umschwungs« war. 2203 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 43 (= Ges. Aufs. I, S. 37f.); DERS., Geist II/2 (11858), § 41, S. 402. 2204 So noch F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1811), in: Savignyana II (1993), S. 176. Zu Recht weist O.Behrends, Jhering (1987), S. 253 darauf hin, dass der Satz »principium posterius derogat priori« aus Jherings Programmschrift [vgl. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 41 (= Ges. Aufs. I, S. 36)] in Savignys Denken eigentlich unmöglich gewesen wäre. Denn für Savigny – und insoweit nicht anders für Puchta – bedeutete der historische Wandel des Rechts keine »derogatio«, sondern im Gegenteil eine Bestätigung und Bekräftigung der ursprünglichen Prinzipien. So war nach F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 32 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 116) schon Rom nur deswegen »groß« geworden, weil dort immer »das neue blos zur Entwicklung des alten diente«. 2205 So forderte J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 63, dass der zeitgenössischen pandektistischen »Doktrin […] jetzt ernstlich zugesetzt wird«, beispielsweise endlich dem für den modernen Geschäftsverkehr so wichtigen »Cessions- und Stellvertretungsgedanken eine

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»mit den Bedürfnissen des schwunghaften Verkehrslebens Schritt zu halten«2206 auf dem Hintergrund eines rasanten technologischen Fortschrittes2207 und einer dadurch noch beschleunigten Entstehung eines modernen Kapitalmarktes2208, aber schließlich auch die in den Wissenschaften um 1850 vor sich gehende Ablösung der Philosophie als Paradigma für Wissenschaftlichkeit2209 durch die Naturwissenschaften2210 – alles das musste Jhering und andere junge Rechts-

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präzise und erschöpfende Formel zu schenken« und nicht mehr wie »ein Pendel […] zwischen der spröden [sc. römischen] Vorstellung einer procuratio in rem suam und der zerfließenden Idee einer ›übertragbaren‹ Obligation hin und her« zu schweben. In der Tat wog nach R.Scheuermann, Einflüsse (1972), S. 48 der damals von Kritikern der zeitgenössischen Pandektistik erhobene »Vorwurf der Lebensfremdfreiheit […] um so schwerer, als eine der wichtigsten Domänen der Romanisten, das größtenteils aus römischrechtlichen Elementen bestehende Obligationenrecht, in besonderem Maße einer Weiterentwicklung bedurft hätte.« J.E.Kuntze, Obligation (1856), S. 91. Vgl. E.Schanze, Culpa (1978), S. 350, der unter anderem darauf hinweist, dass bestimmte von Jhering erörterte rechtliche Probleme, wie etwa der Vertragsabschluss per Telegraphenübermittlung, überhaupt erst in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts technologisch aktuell geworden waren. Allgemein zur naturwissenschaftlich-technischen Entwicklung im Zeitalter der sogenannten industriellen Revolution H.Coing, Privatrecht II (1989), S. 78ff., ferner A.Kaiser, Vertragsfreiheit (1972), S. 118ff. Vgl. nur H.Coing, Privatrecht II (1989), S. 82f., 89, 100ff., 574ff.; F.-W.Henning, Entwicklung (1980), S. 63 und F.Schnabel, Deutsche Geschichte III (1934), S. 410 zu diesem zwischen 1840 und 1850 durch den enormen Kapitalbedarf (Industrie, Eisenbahn) einsetzenden dramatischen Wandel auf dem Kapitalmarkt, der auch zum Durchbruch der lange verpönten Inhaberpapiere führte. Nicht zufällig hatte J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 15f. m. w. N. auch auf die seit 1848 bestehende allgemeine deutsche Wechselordnung und die sich aus der enormen Verbreitung von »Wechselgeschäften« ergebende Notwendigkeit einer rechtsdogmatischen Bearbeitung des Wechselrechts hingewiesen. Denn gerade für typische Erscheinungen der erst jetzt wirklich zum Durchbruch kommenden freizügigen Erwerbsgesellschaft boten die römischen Quellen häufig »nur sehr geringe Ansätze« [F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 150 sowie Ders., Pandektenwissenschaft (1968), S. 2f.]. A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 163. Für Puchta war dagegen noch die »Philosophie […] Wissenschaft aller Wissenschaften« gewesen [G.F.Puchta, Encyclopädie (1825), S. 9]. Vgl. dazu A.Diemer, Natur- und Geisteswissenschaften (1968), S. 204ff.; W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 99f. m. w. N.; M.Riedel, Historismus (1971), S. 81ff.; F.Schnabel, Deutsche Geschichte III (1934), S. 29ff., 198f., 224f., 231ff.; H.Schnädelbach, Philosophie (41991), S. 70; J.Schröder, Gesetzesauslegung (1985), S. 50; M.Stolleis, Staatslehre (1997), S. 15ff. sowie die zeitgenössischen Bestandsaufnahmen bei Jhering, »Fünfter Brief« von einem Unbekannten (1863), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 80, im Jahre 1863 zur Wahrung des »Geheimnis[ses] meiner Autorschaft« noch in »persiflierte[r]« Form [vgl. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. V (Vorrede)], dagegen schon vorher ganz ernsthaft J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 2. Letzterer hatte nicht nur die Rechtswissenschaft, sondern den gesamten »Strom der Europäischen Wissenschaft […] an einem Wendepunkte angelangt« gesehen (aaO). Diesen größeren und vor allem wissenschaftstheoretischen und nicht politischen Zusammenhang übergeht dagegen D.Klippel, Naturrecht (1993), S. 44. Ihre »Rolle als Leitwissenschaft« (D.Klippel,

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lehrer der Zeit fast zwangsläufig zu der Frage nach der »Methode« der Rechtswissenschaft führen. Denn eines stand angesichts der praktisch-dogmatischen, aber auch wissenschaftstheoretischen Herausforderungen nicht nur für Jhering spätestens nach Kirchmanns Vortrag über »Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft«2211 außer Frage. Die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz durfte weder durch die angesichts der aktuellen Entwicklungen des zeitgenössischen »Verkehrslebens« in besonderer Weise sich aufdrängende Erfahrung der Veränderlichkeit des Rechts noch durch das neue – nicht mehr durch das philosophische System, sondern durch die induktiv-empirische Methode geprägte – Wissenschaftsparadigma der Naturwissenschaften2212 infrage gestellt werden2213. Nicht zuletzt deswegen hatte der Berliner Staatsanwalt Julius Hermann von Kirchmann mit seinem provokanten Vortrag im Jahre 1847 auch den Nerv der Rechtswissenschaftler seiner Zeit getroffen2214. Kirchmanns effektvoll vorgetragene Polemik berührte nämlich das wissenschaftliche Selbstverständnis der Hauptadressaten seiner Schrift2215 sehr viel mehr, als diese offen zuzugeben bereit waren2216. So resümierte Johannes Emil Kuntze knapp zehn Jahre später :

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aaO, S. 46) verlor die Philosophie um 1850 für alle Wissenschaften, und dies entgegen Klippel ganz unabhängig davon, welche Rolle die Rechtsphilosophie im politischen Liberalismus des Vormärz gespielt hatte. Der berühmte bis heute nicht genau datierbare, aber auf jeden Fall nach dem 15. Oktober 1847 [vgl. R.Wiethölter, Kirchmann (1988), S. 51 Fn. 8] vor der »Juristischen Gesellschaft« in Berlin gehaltene Vortrag wurde noch im selben Jahr publiziert. Vgl. die editorischen Hinweise von Hermann Klenner zu dem von ihm im Jahre 1990 herausgegebenen Reprint der Erstauflage [J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. VII; ferner auch E.Landsberg, Noten (1910), S. 317 Note 2]. Vgl. dazu B.Hoppe, Biologie (1978), S. 168f. m. w. N. Das hierarchische System von Regeln und Gesetzen war danach nicht mehr Ausgangspunkt, sondern Resultat und Endpunkt der empirischen Untersuchung. Jherings Auseinandersetzung mit der Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Rechtsdogmatik hat somit nicht erst – ausgelöst durch den Doppelverkaufs-Fall – »einige Jahre vor der Wiener Antrittsvorlesung« von 1868, die explizit diesem Thema gewidmet war, eingesetzt [so aber O.Behrends in: Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 7f. (Vorwort des Herausgebers)]. Neu war allerdings seit Anfang der sechziger Jahre Jherings Auseinandersetzung mit der Frage, welche Bedeutung der »Wissenschaftlichkeit« der Jurisprudenz bei der praktischen Rechtsgewinnung zukommen sollte. Gleich vier noch 1848 erschienene Gegenschriften sind überliefert zu dem Vortrag, der so viel Aufsehen erregte, dass er nach seiner ersten Veröffentlichung 1847 noch im folgenden Jahre zwei weitere Male aufgelegt werden musste [vgl. E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 737, 740; Ders., Noten (1910), S. 318f. (Note 10) sowie Hermann Klenner im Vorwort zum Nachdruck von J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. VIII]. Zu Recht bemerkt H.Klenner, Kirchmann (1990), S. 91, dass Kirchmanns Vortrag »in jeder Beziehung« gegen die Historische Rechtsschule gerichtet war. E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 737 sprach sogar von einer »Grabrede«, die Kirchmann mit seinem Vortrag »der historischen Schule« habe halten wollen, und M.v.Rümelin, Jhering (1922), S. 37f. Fn. 3 nannte den Vortrag eine »Kriegserklärung gegen […] die herrschende historische Schule«. Ähnlich sieht F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 415f. in

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»Man hat versucht, ihn zu widerlegen; aber kaum scheint es, als sei der tiefe und allgemeine Eindruck, welchen jener Angriff hervorgebracht, durch die Raschheit des entgegengesetzten Widerstandes bemeistert worden.«2217

»Tiefen und allgemeinen Eindruck« werden zwar kaum Kirchmanns eigene Vorschläge gemacht haben, etwa seine geradezu wie ein früher Vorgriff auf die Freirechtsjurisprudenz anmutenden Forderungen bezüglich der Rechtspraxis2218 oder seine wiederum noch ganz spätromantische Idealisierung des Kirchmanns Rede ein Symptom für »das Ende der historischen Rechtsschule in Deutschland«. 2216 Vgl. zu den überlieferten unmittelbaren Reaktionen die bereits in Fn. 2214 angeführten Hinweise über 1848 erschienene Gegenschriften. Jhering meinte sogar, dass man Kirchmann »durch eine ernstliche Widerlegung viel zu sehr geehrt hat« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 328f. Fn. 477]. Allerdings hielt es auch Jhering für nicht überflüssig, seinen eigenen Ausführungen über die »juristische Technik« eine »kurze Apologetik der Jurisprudenz« als Wissenschaft vorauszuschicken (aaO, S. 328). In seinem Nachlass findet sich auch ein wörtliches Exzerpt der zentralen und bekanntesten Passage aus Kirchmanns Vortrag [Jhering, Exzerpte (Nachlass), Bl. 3r]. Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Jherings Formulierung der Theorie der naturhistorischen Methode und Kirchmanns Vortrag vermuten H.J.Hommes, Methode (1970), S. 107 und B.J.Choe, Culpa (1988), S. 148. In diesem Sinne auch schon M.d.Jonge, Ihering (1888), S. 23f. 2217 J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 5. Vgl. aber auch noch über hundert Jahre später fast gleichlautend K.Larenz, Unentbehrlichkeit (1966), S. 8f., ähnlich G.Radbruch, Nachlaß (1952), S. 23f. Und in dem Jahr, in dem sich der Tag zum hundersten Mal jährte, an dem Kirchmann seinen Vortrag gehalten hatte, hat J.Esser, Anklagezustand (1947), S. 315, 317 in einem aus diesem Anlass erschienenen Aufsatz nicht nur »100 Jahre Anklagezustand über die Jurisprudenz« getitelt, sondern auch resümiert, dass in der seit der ersten Veröffentlichung des Vortrags vergangenen Zeit nacheinander »jeder einzelne Programmpunkt Kirchmanns inzwischen einmal die Ehre eines Systems oder gar einer Schule erfahren hat.« Dies meint heute D.Tripp, Positivismus (1983), S. 208ff. (210f.) sogar ganz apologetisch, wenn er behauptet, dass Kirchmanns Vortrag nicht nur bei den zeitgenössischen »Juristen nachhaltigen Eindruck« hinterlassen, sondern als bis heute gültiges Leitbild auch der gesamten »künftigen Jurisprudenz den Weg gewiesen« habe. Diametral entgegengesetzt meint dagegen H.H.Jakobs, Wiss. u. Gesetzgeb. (1983), S. 61, dass »auf diese Weise eine Wissenschaft nicht zu beirren war«. Zumindest eine bis heute noch andauernde Nachwirkung des Kirchmannschen Vortrages konstatieren aber beispielsweise D.Simon, Jurisprudenz (1988), S. 141, 148; J.Rückert, Autonomie (1988), S. 77 und R.Stichweh, Wissenschaftlichkeit (1992), S. 348. 2218 H.Klenner, Kirchmann (1990), S. 91. In seiner gesetzeskritischen Haltung ging Kirchmann sogar noch über die spätere Freirechtsbewegung insoweit hinaus, als er den Gesetzgeber zugunsten des »natürlichen« Rechts, »das in dem Volke lebt«, ganz auf die »leitenden Grundsätze« beschränken wollte [J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 38] und auch ohne die etwa von Hermann Kantorowicz zum Schutz des gesetzgeberischen Willens aufgestellten Kautelen [vgl. P.Raisch, Methoden (1995), S. 113f. m. w. N.] meinte, dass da, »wo die Verwickelung des Falles zu groß ist […] am Ende nur irgend eine Entscheidung, nur eine baldige und billige, die Hauptsache« sei (J.H.v.Kirchmann, aaO, S. 38). Nach der Auffassung von Behrends hat die Grenzen- und Maßlosigkeit von Kirchmanns Kritik diesen zu einem Vorläufer der Freirechtsbewegung gemacht [O.Behrends, in: Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 47f. Fn. 32 (Anmerkung des Herausgebers)].

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»Recht[s], was mit ihr [sc. der Nation] geboren und gewachsen ist« und welches sowohl durch Gesetzgeber2219 als auch durch die »künstlichen Berechnungen, gelehrten Deductionen« einer wissenschaftlichen Dogmatik bedroht werde2220. Wenn Kirchmann aber an der zeitgenössischen Pandektenwissenschaft deren »vorherrschende Neigung, die Bildungen der Gegenwart in die wohlbekannten Kategorien erstorbener Gestalten zu zwängen«, kritisierte2221 und dies gegenüberstellte den »Schöpfungen« der zeitgenössischen Natur- und Technikwissenschaften, die »der Menschheit die glänzendsten Dienste geleistet« hätten2222, wenn er ferner den in den zunehmend empirischen Methoden begründeten wissenschaftstheoretischen »Abstand« und die »Hoheit« der »Natur-Wissenschaften« gegenüber der Jurisprudenz feststellte2223 und angesichts dessen eine 2219 J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 34. In seiner Ablehnung einer Privatrechtskodifikation war Savigny nach der Ansicht Kirchmanns noch »nicht weit genug gegangen« (aaO, S. 21f.), und auch sonst forderte Kirchmann eine »Minderung der positiven Gesetze«, die sich im Übrigen »auf den Ausspruch der leitenden Grundsätze beschränken und die Anwendung derselben […] dem gesunden Sinne des Volkes überlassen« sollten (aaO, S. 38). Das alles lief Jherings Vorstellungen über Gesetz und Kodifikation vollkommen zuwider [vgl. Teil 1, Abschnitt III. 1 b)]. 2220 J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 34. Wenn nach Jhering von Cicero bis Hegel oder Kirchmann immer wieder der Wert der sogenannten juristischen Technik bestritten wurde, konnte dies nach Jherings – lebenslanger – Auffassung nur »sei es aus ideologischer Verblendung, sei es aus Gefallen an wohlfeiler Popularität, oder aus Unmuth über die geistige Arbeit« herrühren [vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 328f., 331f.; Ders., Geist II/2(31875), § 37, S. 316f. mit Fn. 477 (neu), S. 314 Fn. 472a]. 2221 J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 14–16. Ebenso kritisierte auch Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 44 (= Ges. Aufs. I, S. 39) das zeitgenössische »Romanisiren«, durch das jede nachrömische Rechtsbildung »unter den römischen Begriff gezwängt wird.« Der junge Jhering stand hier gerade nicht auf der Seite Puchtas, wie K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 43 geglaubt hat. 2222 J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 40. Ganz in diesem Sinne bekannte auch Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 361, dass er im Hinblick auf die Dogmatik »mit Neid auf andere Wissensgebiete blicke, die […] die reichste Ausbeute zu verzeichnen haben. Da »sich den Naturwissenschaften eine unbegränzte Möglichkeit neuer Beobachtungen und Entdeckungen öffnet«, erschienen sie Jhering, Schuldmoment (1867), S. 155 als der Inbegriff »wissenschaftliche[r] Forschung«. Vgl. in diesem Sinne auch der anfängliche Mitherausgeber der Jheringschen »Jahrbücher« C.F.W.Gerber, Rechtswissenschaft (1851), S. 3. 2223 J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 18, 30, 40. Gerade so empfanden auch Jhering und andere vor allem jüngere Wissenschaftler, die – was bereits F.J.Stahl, Rechtswissenschaft (1848), S. 54 in seiner Replik auf Kirchmanns Vortrags kritisch auf den Punkt gebracht hatte – wie Kirchmann ganz im Banne des neuen Wissenschaftsparadigmas standen, welches durch die empirisch-induktive Methode der »sogenannten exakten Wissenschaften« (Stahl) geprägt war [vgl. auch D.Simon, Jurisprudenz (1988), S. 145]. So forderte Jhering in den fünfziger Jahren für alle Bereiche der Jurisprudenz den nach seiner Meinung längst fälligen Nachvollzug des in den Naturwissenschaften scheinbar erreichten wissenschaftstheoretischen Vorsprungs [dazu noch lobend L.Mitteis, Jhering (1905), S. 655]. Nach der Lektüre von Gerbers 1852 erschienenem Werk »Über die öffentlichen Rechte« schrieb Jhering begeistert über »die Ähnlichkeit unseres Denkens und Strebens« in diesem Sinne an Gerber: »Es ist dasselbe hier am Staatsrecht vorgenommen, was ich an

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Besinnung auf den »Gegensatz zwischen Objekt und Wissenschaft«, also die Tilgung des – zuletzt identitätsphilosophisch geprägten – Paradigmas der Philosophie in der Rechtswissenschaft forderte2224 und wenn er schließlich nach einer »Vergleichung des Gegenstandes der Jurisprudenz mit den Objekten anderer Disziplinen« die »Eigenthümlichkeit« des Rechts als Wissenschaftsgegenstand konstatierte und die wissenschaftstheoretische Problematik erörterte, welche sich auf der Grundlage des neuen Wissenschaftsparadigmas aus der »Veränderlichkeit« des Wissenschaftsgegenstandes, nämlich aus der Positivität des Rechts für die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz überhaupt ergebe2225, meinem römischen Recht erstrebe – eine naturwissenschaftliche Untersuchung, eine chemische Analyse des Objekts […]. Es gab vor noch nicht langer Zeit eine Weise des naturwissenschaftlichen Studiums, die mit der noch heutzutage üblichen Methode der juristischen die größte Ähnlichkeit hatte – man studirte die Natur nicht aus sich selbst, sondern aus Aristoteles, Plinius, das Recht nicht aus sich selbst, sondern aus Ulpian und Paulus. Die Naturwissenschaft hat sich von dieser Verirrung und geistigen Sklaverei frei gemacht, für unsere Jurisprudenz steht die Zeit des Umschwunges bevor […]« [LosanoBriefe I /1984, Nr. 17 (Jherings Brief vom 17. Juli 1852), S. 51 – vgl. W.Lepenies, Naturgeschichte (1976), S. 30ff. zu dem damals überwundenen Verständnis der klassischen »Naturgeschichte«, auf das Jhering hier anspielte]. Im selben Sinne kritisierte noch vor Jhering auch B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 5f., 100: »Nicht den Gegenstand selbst, sondern den Spiegel [sc. des römischen Rechts] nennen wir unsere Quelle, deren Studium uns beschäftigt, und so treiben wir denn ganz vorherrschend nicht die Rechtswissenschaft, sondern die Wissenschaft von einer Rechtswissenschaft« statt vielmehr »wie […] der Chemiker« eine »selbständige Analyse« zum Beispiel aller »Seiten des Körpers des Besitzes« und anderer Rechtsbegriffe vorzunehmen. Vgl. dazu auch A.Brinz, Civilrecht (1855), S. 8. 2224 J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 7f. Dieser wichtigen sich um die Jahrhundertmitte vollziehenden wissenschaftstheoretischen Neu- und erkenntnistheoretischen Rückorientierung hinter Kant zurück [so zu Recht J.Rückert, Geist des Rechts II (2005), S. 133] auf die schon vom aristotelischen Wissenschaftsbegriff geforderte »Vorgegebenheit und Unveränderlichkeit des Objekts« [U.Neumann, Wissenschaftstheorie (1989), S. 377] gab Jhering 1883, also lange nach Vollzug dieser Rückorientierung noch einmal nachdrücklich Ausdruck, als er die »Anwendung der naturhistorischen Methode auf die Welt des Geistes« damit begründete, dass nur dann eine »reine, unbefangene Hingabe an das Object« möglich sei [Jhering, Zweck II (11883), S. 102], wenn sich diesem »Object« bzw. Wissenschaftsgegenstand, sei dieser das Recht oder die Ethik, »die Wissenschaft gerade so gegenüber stellt, wie der Naturforscher der Natur« (aaO, S. 100). Dabei verwies Jhering ausdrücklich auf die für die naturhistorische Methode der Rechtswissenschaft einschlägigen §§ 38–41 von Geist II/2, wo er »diese Methode und die Gründe, welche sie hervorgerufen haben, weiter ausgeführt« habe [Jhering, Zweck II (11883), S. 100 Anm.*]. Insoweit unzutreffend daher W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 152 Fn. 596. Vgl. dagegen C.-E.Mecke, Objektivität (2008), S. 153f. sowie eingehend Ders., Begriff (2009), S. 644–665 zu Puchta, der die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz noch unter dem alten Wissenschaftsparadigma zu begründen suchte. Zum Ganzen aus der Sicht moderner Erkenntnis- und Rechtstheorie A.Kaufmann, Wissenschaftlichkeit (1986), S. 426, 432. 2225 J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 11f. Zwar sollen nach Auffassung von J.Rückert, Autonomie (1988), S. 79 Kirchmanns Zeitgenossen in diesem Aspekt seiner Klagen »damals recht gelassen kein wirkliches Problem« gesehen haben. Zweifel daran sind aber – übrigens nicht nur im Hinblick auf Jhering – angebracht. Jhering beschäftigte

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dann verlieh Kirchmann genau den Fragen und »heimliche[n] Zweifeln«2226 Ausdruck, die viele in der Generation der jüngeren Juristen um 1850 bewegten und die bei denjenigen, die mit den Fragen gerade nicht auch die Antworten Kirchmanns übernehmen wollten, zu der Überzeugung führten, dass ein neuer »Kampf«, ein »Wendepunkt«2227, ein »Umschwung« bzw. eine »Regeneration«2228 der zeitgenössischen Rechtswissenschaft erforderlich sei2229. Diese »Regenera-

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das Verhältnis der Positivität des Rechts und der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz sogar so sehr, dass er die Frage nach dem »wissenschaftliche[n] Charakter der Jurisprudenz«, d. h. nach der von Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte zu unterscheidenden »positiven Jurisprudenz oder […] Dogmatik: der Lehre des in einem Lande geltenden positiven Rechts« 1868 sogar zum Hauptgegenstand seiner Wiener Antrittsvorlesung machte [vgl. Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 27, 47ff.]. Auf der Grundlage seines geschichtsteleologischen Fortschrittsglaubens und angesichts der im zeitgenössischen Pandektenrecht geschichtlich bewiesenen »Dauerhaftigkeit« [so nach Mitteilung des Herausgebers ein Stichwort neben dem Text des Manuskripts (aaO, S. 50 Fn. 41)] zumindest der »unedleren […] Knochen« des römischen Rechts (vgl. oben S. 418), war Jhering zwar weit davon entfernt, wie Kirchmann das Wesen des Rechts auf bloße Veränderlichkeit reduzieren zu wollen und die Jurisprudenz deswegen als eine bloße »Dienerin des Zufalls« anzusehen [so J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 22 und dagegen Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 64f., 71]. Dennoch aber meinte auch Jhering im Hinblick auf den »Federstrich« des Gesetzgebers und in deutlicher Anspielung auf Kirchmanns berühmte »drei berichtigende Worte« des Gesetzgebers: »Es ist wahr, meine Herren, dieser Vorwurf bezeichnet eine Schattenseite der Jurisprudenz […]. Dieses Moment des Positiven lastet schwer auf der Jurisprudenz« des geltenden Rechts [Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 49f.]. In Scherz und Ernst (1884) sollte Jhering dies sogar als den eigentlichen Grund für die Formulierung einer Theorie der »naturhistorischen Methode« angeben. Sie sollte – so Jhering selbstkritisch zurückblickend – »die Befreiung von dem geistigen Druck, mit dem das rein Positive auf mir lastete« bringen (aaO, S. 342). A.Ross, Rechtsquellen (1929), S. 206ff. Ferner auch M.Herberger, Beziehungen (1983), S. 84ff., der allerdings in seinen vorangehenden Ausführungen (S. 80ff.) nicht hinreichend deutlich werden lässt, dass die vorhergehende Juristengeneration diese Zweifel noch nicht bewegt hatten. Die um und vor 1800 geborenen Juristen hatten die wissenschaftstheoretische Herausforderung für die Jurisprudenz noch auf einem ganz anderem Gebiet gesehen, da sie noch, wie es G.Hugo, Encyclopädie (61820), § 483, S. 524 repräsentativ formulierte, davon ausgingen: »Eigentliche Wissenschaften (sciences exactes) sind Mathematik und Philosophie«. Vgl. oben S. 420 Fn. 2100. So Jhering seinem Brief vom 17. Juli 1852 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 17, S. 51f. In einem Punkt nahm Kirchmann – allerdings aufgrund anderer Prämissen als Jhering – sogar etwas vorweg, was zumindest Jhering in den vierziger und fünfziger Jahren noch nicht, seit Anfang der sechziger Jahre aber umso mehr bewegte. So findet sich – ob Zufall oder nicht – Kirchmanns rhetorische Figur des die Verkehrsbedürfnisse und das Rechtsgefühl »in seiner Brust« missachtenden »haarscharf scheidenden jungen Assessor[s]« [J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 37] Anfang der sechziger Jahre wortwörtlich in Jherings »Vertraulichen Briefen über die heutige Jurisprudenz« wieder, als Jhering nämlich erkannt hatte, dass die juristische Technik in der Rechtspraxis auch zum »Gegenstand des Schreckens« werden könne [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 37f., 49ff., 53f., 62–68].

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tion«, für deren Umsetzung Jhering im Jahre 1854 noch eine ganze Generation veranschlagte2230, sollte nämlich gerade das belegen, was zumindest in der zeitgenössischen Diskussion durch Kirchmanns Vortrag wohl am effektvollsten bestritten worden war, nämlich erstens die Werthaftigkeit der Jurisprudenz des geltenden Rechts als Wissenschaft auch auf der Grundlage des neuen Wissenschaftsparadigmas2231 und zweitens die Praxistauglichkeit des Pandektenrechts und der Pandektenwissenschaft auch im Hinblick auf die neuen Entwicklungen des zeitgenössischen Privatrechts- und Handelsverkehrs2232. 2230 Vgl. Losano-Briefe I /1984, Nr. 33 (Jherings Brief vom 26. März 1854), S. 101. Jhering meinte in diesem Brief an Gerber : »Ein großer Theil der jetzt lebenden ältern Juristen ist noch in der alten Schule gebildet, und der Tod muß noch recht aufräumen, ehe der Boden völlig empfänglich und fruchtbar geworden ist […]« (aaO). 2231 Vgl. zu diesem Aspekt von Jherings »höherer Jurisprudenz« auch H.Coing, Systembegriff (1969), S. 156f.; G.Dilcher, Positivismus (1975), S. 509f.; N.Roos, Tendenzen (1984), S. 242. Wie wirksam und dauerhaft das neue Wissenschaftsparadigma in der Rechtswissenschaft wurde, zeigt Ernst Immanuel Bekkers Festgabe für Jhering, die in dessen Todesjahr erschien. E.I.Bekker, Ernst und Scherz (1892), S. 136f. meinte dort mit Blick auf die Forschungsmethoden der zeitgenössischen »Medicin und Naturwissenschaften«: »Entweder muß auch die Jurisprudenz ihre Aufgaben in eben dieser Weise bewältigen können, oder aber sie ist überhaupt keine Wissenschaft im engeren Sinn«. Erst durch die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts – erstmals 1868 durch den Historiker Johann Gustav Droysen, dann durch den Philosophen Wilhelm Dilthey [J.Schröder, Gesetzesauslegung (1985), S. 50f., 60ff.] – unternommenen und um die Jahrhundertwende insbesondere von neukantianischen Philosophen forcierten Versuche, den eigenständigen Wissenschaftscharakter der Geisteswissenschaften gegenüber den Naturwissenschaften zu begründen, wurde der einheitlich empirisch-analytische Wissenschaftsbegriff wieder infrage gestellt [vgl. A.Diemer, Wissenschaftstheorie (1968), S. 9; K.Larenz, Wissenschaftscharakter (1960), S. 179 und G.Radbruch, Nachlaß (1952), S. 22]. Seines bis dahin für mehrere Jahrzehnte fast unbestritten paradigmatischen Anspruchs beraubt muss der empirisch-analytische Wissenschaftsbegriff seitdem mit anderen Wissenschaftsbegriffen, insbesondere mit dem hermeneutischen Wissenschaftsbegriff konkurrieren [vgl. R.Dreier, Selbstverständnis (1971), S. 57ff.; K.Larenz, Unentbehrlichkeit (1966), S. 11; D.v.Stephanitz, Exakte Wissenschaft (1970), S. 3ff.; D.Simon, Rechtswissenschaft (1992), S. 357f., 362ff.]. 2232 Vgl. dazu auch schon C.-E.Mecke, Objektivität (2008), S. 160. J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 15f. wandte sich sowohl gegen die »hemmende Kraft«, die »von dem Objekte«, also dem geltenden Recht als dem Gegenstand der zeitgenössischen Rechtswissenschaft ausgehe, als auch »gegen die Wissenschaft selbst«, die noch zusätzlich »eine zerstörerische Kraft auf den letztern« Gegenstand ausübe (aaO, S. 32). Der erstere Vorwurf richtete sich gegen jedes nicht für »Bauer und Bürger« (aaO, S. 37) verständliche »natürliche Recht«, das sich nicht »auf den Ausspruch der leitenden Grundsätze beschränken und die Anwendung derselben in den feinern Verzweigungen ohne peinliche Abwägung dem gesunden Sinne des Volkes überlassen« würde (aaO, S. 7, 38), und der zweite Vorwurf richtete sich gegen alle »gelehrten Richter« (aaO, S. 35) und »wissenschaftlichen Juristen« (aaO, S. 37) wie überhaupt gegen jede wissenschaftliche Rechtsdogmatik mit ihren »gelehrten Deductionen« (aaO, S. 34). Die Behauptung, dass Kirchmann in Wahrheit für eine – veränderte – Rechtswissenschaft im Sinne wissenschaftlicher Rechtsdogmatik gestritten habe, wie K.Schmidt, Kodifikationsidee (1985), S. 30 und

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Wenn dabei die Vorstellungen über die Art dieser »Regeneration« trotz einer ganz ähnlichen am neuen Wissenschaftsparadigma2233 ausgerichteten naturwissenschaftlichen Terminologie2234 in der Sache zum Teil auch ganz unter-

nochmals Ders., Jhering (1993/1996), S. 203 behauptet, ist daher nicht zutreffend [richtig dagegen H.Klenner, Kirchmann (1990), S. 88ff.; ferner auch schon A.Ross, Rechtsquellen (1929), S. 208ff.]. 2233 Den Wechsel der Wissenschaftsparadigmen in der Wissenschaftsgeschichte hat Jhering auch selbst ironisch reflektiert, wenn er 1863 noch anonym in den »Vertraulichen Briefen über die heutige Jurisprudenz. Von einem Unbekannten«, wieder abgedruckt bei Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 80, im Fünften Brief schreibt: »So wohnte z. B. zur Zeit der Naturphilosophie die Naturwissenschaft bei der Philosophie […]. In derselben Weise hat nun auch unsere Jurisprudenz von Zeit zu Zeit das Bedürfnis gefühlt, bei ihren Schwestern einen Besuch abszustatten, früher vorzugsweise bei der Geschichte, Philologie, Philosophie, im letzten Dezennium aber bei den Naturwissenschaften und der Medicin, und man könnte die gegenwärtige Phase in der Entwickelungsgeschichte unserer Wissenschaft als die naturwissenschaftliche […] bezeichnen.« Jherings persiflierende Ironie sollte aber nicht über zwei Aspekte hinwegtäuschen. Erstens erschienen derartigen Anleihen und Übertragungen zu dieser Zeit wissenschaftstheoretisch noch ohne weiteres legitim, weil bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Überzeugung von der Einheitlichkeit des Wissenschaftsbegriffs ungeachtet der Besonderheit der Einzelwissenschaften vorherrschte. Zweitens hat Jhering die naturhistorische bzw. naturwissenschaftliche Methode zumindest im Hinblick auf die Zukunft der Rechtswissenschaft keineswegs als Ausdruck einer bald vorübergehenden »Phase« angesehen, sondern an deren Wahrheitsfähigkeit geglaubt. 2234 Vgl. A.Brinz, Savigny-Rezension (1853), S. 2; J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 47–53, 75–78, 90–92. Dazu im historischen Rückblick H.Coing, Systembegriff (1969), S. 155f. sowie bereits E.Landsberg, Noten (1910), S. 339 (Note 14). Wer wie A. F.Rudorff das neue Wissenschaftsparadigma hingegen nicht teilte, der konnte folgerichtig der neuen »der niedern [sic!] Naturwissenschaft entlehnten Terminologie« [so A. F.Rudorff, Rechtsgeschichte (1857), S. VII] nur mit Unverständnis begegnen [vgl. dagegen die Replik von Jhering, Geist II/2 (11858), S. VIII, Xf.]. Welche quasinaturwissenschaftlichen Wortschöpfungen im Einzelnen dem Wissenschaftsgegenstand »Recht« angemessen seien, blieb aber auch unter den Verfechtern des neuen Wissenschaftsparadigmas heftig umstritten. Gegenseitig warf man sich Rückfälle in die Sprach- und Denkweise der – insbesondere idealistischen – Philosophie vor. So sprach etwa J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 23, 25 unter anderem im Hinblick auf Jhering von »einer krankhaften und misbräuchlichen« »auf civilistische Künsteleien hinauslaufenden transcendentalen Spiritualistik«, während für Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 2 Fn. 1, S. 27 Fn. 7 umgekehrt Kuntzes Terminologie »an Ueberschwenglichkeit, Verwegenheit, Maßlosigkeit und wahrhaft abschreckender Geschmacklosigkeit, kurz an stylistischer Trunkenheit« litt. Nicht minder scharf kritisierte Jhering die »affektierte philosophische [sic!] Phraseologie« von Burkhard Wilhelm Leist [Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 36 (Jherings Brief vom 14. September 1859 an Windscheid), S. 119], während ein Anonymus, es handelte sich nach den Mitteilungen von Ernst Landsberg offensichtlich um Karl Georg Bruns, wiederum über die von Jhering sogenannten »Rechtskörper« witzelte: »Hätte der Verf. doch einige dieser Körperchen als Muster beigelegt!« [Anonymus, Jhering-Rezension (1856), Sp. 800]. Vgl. zur Frage nach der Identität des Verfassers dieser Rezension E.Landsberg, Noten (1910), S. 339 (Note 10), anders J.Rascher, Brinz (1975), S. 55 mit Fn. 9 sowie S. 205 (vorletzter Titel). Die Nennung von Alois Brinz als Verfasser dieser Rezension durch

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schiedlich ausfielen2235, so war doch das Gefühl der Notwendigkeit einer Methodenreflexion und einer auf dieser Grundlage erneuerten dogmatischen Praxis weithin verbreitet2236. Jhering befürchtete deswegen zeitweilig sogar, dass er mit der Herausgabe seiner »Jahrbücher« und dem sie einleitenden programmatischen Aufruf »Unsere Aufgabe«, nach Jherings eigener Aussage einer »Quintessenz« seiner »allgemeine[n] Theorie der Technik«2237, im Wettlauf der Veröffentlichungen zu spät kommen könnte2238. Anders aber als etwa Leist2239 oder Kuntze und auch im Gegensatz zu anders

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E.I.Bekker, Leist (1907), S. 144 muss – den Mitteilungen von Landsberg, aaO nach zu urteilen – auf einem Versehen von Bekker beruhen]. Vgl. nur J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 48, 59; E.I.Bekker, Leist (1907), S. 146–149 sowie J.Rascher, Brinz (1975), S. 57ff. zu den Unterschieden bei Brinz, Jhering und Leist. So hatten das von J.E.Kuntze, aaO, S. 25ff., 46 als »juristische Teleologie« bezeichnete »Studium der Natur« von Leist oder die »Theorie der Lebensverhältnisse« und »Lebenszwecke« von Heinrich Ahrens einen ganz anderen Bezugspunkt als Jherings und Gerbers Erforschung der »Natur« der Rechtsbegriffe. Im Hinblick darauf, dass Leist das im Rahmen seiner »physiologischen Untersuchungen« vorgeschlagene »Naturstudium« der dem Recht vorgegebenen »Physis der Lebensverhältnisse« [B.W.Leist, Analyse III (1859), S. XIX, 280] bzw. der »Structur der factischen Lebensverhältnisse« [B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 27] als Bestandteil der juristischen Methode betrachtete, bezeichnete Jhering Leist vertraulich sogar »als einen mit einer fixen Idee behafteten […] Menschen, dem man nach der Seite, wo es bei ihm rappelt, manches zugute halten muß« [Ehrenberg-Briefe/ 1913, Nr. 36 (Jherings Brief vom 14. September 1859 an Windscheid), S. 120f. sowie auch Losano-Briefe I /1984, Nr. 54 (Jherings Brief vom 28. Dezember 1855 an Gerber), S. 187 m.w.N. in den Fußnoten 3ff.]. Vgl. zum Verhältnis von Jhering und Leist andererseits aber auch unten Fn. 2238. Vgl. etwa B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 10, 22f., 59. J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 47 gab diesem verbreiteten Gefühl mit den Worten Ausdruck: »Es ist nichts Neues, was Leist und die Anderen vor und nach ihm wollen, aber w i e sie es wollen, darin liegt das Neue! Sie fordern M e t h o d e , und diese hat nur zu l a n g e , hat b i s j e t z t gemangelt.« Das, »was wir tagtäglich vollziehen«, sei fortan »mit Bewußtsein und mit Methode fortzusetzen« (aaO, S. 97). So bezeichnete Jhering in Geist II/2 (11858), S. IV Anm.* den Einleitungsaufsatz selbst. So schrieb Jhering am 2. Januar 1855 an Gerber: »Ich kann es nicht länger ertragen, daß mir einer nach dem anderen zuvorkommt, und in den jüngst erschienenen Schriften habe ich so manche Anklänge (und mehr als das) an eigene Ideen gefunden, [so] daß ich mich nicht mehr bezwingen kann« [Losano-Briefe I /1984, Nr. 39a, S. 134, vgl. ferner auch Jhering, Geist II/2 (11858), S. IIIf. (Vorrede)]. Tatsächlich hatte beispielsweise B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 99f. die »juristische Logik«, die er – wie später Jhering die »höhere« Jurisprudenz – der schon immer »bei uns viel besprochene[n] juristische[n] Interpretationslehre« gegenüberstellte, als eine chemische Analyse beschrieben, und A.Brinz, Savigny-Rezension (1853), S. 2 hatte – noch bevor Jhering dieses Wort je öffentlich in seinen Publikationen verwendet hat – gemeint, man »könnte diese Richtung die naturhistorische nennen.« B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 2f. forderte damals, der in der Rechtsdogmatik »gegenwärtig herrschenden Methode entgegenzutreten«, und meinte damit nicht nur die gegenwärtige Methodenpraxis, sondern auch die Grundlegung einer nur begrifflich-systematischen Methode, die nach Leist »in Savigny’s Besitz ihren äußersten Anfangspunkt«

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lautenden heutigen Darstellungen2240 beabsichtigte Jhering im Hinblick auf die juristische Methode hingegen nicht auch eine »Reformirung der Methodik«2241 oder gar die Erfindung einer neuen juristischen Methode2242. Jhering setzte sich vielmehr allein zum Ziel, die juristische Methode, mit der »die römischen und die Juristen überhaupt operieren«, nicht nur zu praktizieren, sondern auch auf einer theoretischen Ebene zu reflektieren2243. Indem er den juristischen »Ap-

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hatte, aber doch nur »eine nothwendige Phase in der Fortbewegung der Wissenschaft« gewesen sei. So geht offenbar W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 70f., 90, 127f. davon aus, dass Jhering eine neue juristische Methode habe entwickeln wollen. In diesem Sinne auch L.Björne, Rechtssysteme (1984), S. 234 und früher bereits G.Radbruch, Nachlaß (1952), S. 25. Darüber hinaus behauptet Wilhelm, aaO, S. 90, 111f., dass eigentlich Carl Friedrich Wilhelm von Gerber die neue »Methode bereits gefunden und dargestellt hatte, ehe Jhering diese Methode ausführlich entwickelte und sie als solche bezeichnete«. Beide Behauptungen Wilhelms sind so nicht haltbar (vgl. zur zweiten Behauptung von Wilhelm unten S. 490f. Fn. 2428f.). Richtig dagegen schon H.Isay, Rechtsnorm (1929), S. 332 und A.Leist, Jhering (1919), S. 13. Vgl. auch die entsprechende Bewertung von Jherings Methodologie durch B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 24, S. 57 Fn. 2. So J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 11. Jherings rechtsmethodologischen Absichten genau entgegengesetzt wollte Kuntze gerade zeigen, dass die »Apparate unserer bisherigen dogmatischen Methode« nicht ausreichen, da es »für die civilistische Logik eine Grenze gibt« und »es in der Rechtswelt Phänomene gibt, welche denjenigen Werkzeugen unzugänglich sind, womit unsere Wissenschaft bis jetzt operirt hat« (aaO, S. 91, 94). In kritischer Absicht meinte daher A.Brinz, Jhering-Rezension (1860), S. 3 zum einschlägigen Band Geist II/2 von Jhering: »[…] neu [ist] nur der Umstand, daß über ihm [sc. dem Problem der juristischen Technik] eine eigene Theorie ersteht«. Vgl. dagegen Teil 1, S. 175 Fn. 800 zu der von Jhering für die rechtshistorische Darstellung angestellten Methodenreflexion. Letztere sollte anders als Jherings hier in Rede stehende Reflexion über die juristische Methode tatsächlich den »Versuch einer neuen Methode«, nämlich der Methode der rechtshistorischen Darstellung begründen [Jhering, Geist II/2 (11858), S. X (Kursivhervorhebung nicht im Original)]. So Jhering in seinem Brief vom 14. September 1859 an Windscheid, abgedruckt in: Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 36, S. 120. Da B.W.Leist, Analyse III (1859), S. XVIIIf. demgegenüber von der von Jhering »für das Civilrecht aufgestellten [sic!] Methode« gesprochen und betont hatte, dass Jherings Methode und seine eigene Methode im Einzelnen »völlig auseinandergehen«, schrieb Jhering daher auch in dem vorzitierten Brief an Windscheid: »[…] das Schweigen, das unsere Literatur über seine neue Methode beobachtet, soll von mir nicht gebrochen werden […]. Wie der gute Mann übrigens dazu kommt, die Theorie der juristischen Methode, die ich in der Technik entwickle, als eine von mir erst ins Leben zu rufende hinzustellen, ist mir wahrhaft unbegreiflich. Ich habe doch, wie ich meine, deutlich genug gesagt, daß ich diese Methode […] nicht als m e i n e Methode [betrachte] […], sondern als die, welche jeder ordentliche Jurist verwendet« (aaO, S. 120). Tatsächlich hatte Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 26f. (= Ges. Aufs. I, S. 23f.) auch schon in seinem programmatischen Aufruf »Unsere Aufgabe« konkrete zeitgenössische Einzeluntersuchungen der »höhere[n] Jurisprudenz« mit »werthvollsten Productionen der neuern Zeit« angeführt [vgl. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 27 (= Ges. Aufs. I, S. 23f.]. Richtig verstanden fühlen konnte sich Jhering dagegen von Joseph Unger, der nach der Lektüre von Geist II/2 hervorhob, Jhering habe »das mehr oder weniger unbewußte Produciren der Juristen zu bewußter Thätigkeit zu erheben« ver-

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parat« selbst bzw. die »Methode zum Gegenstand der Betrachtung«2244 machte, wollte Jhering nämlich diejenige wissenschaftliche Selbstreflektion nachholen, die von den Römern und bisher auch »leider von uns Neueren« versäumt worden sei2245. Der Versuch, die »juristische Methode« selbst zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung zu machen, erforderte nach Jherings wissenschaftstheoretischem Grundverständnis einer notwendigen Trennung von Subjekt und Objekt, von Wissenschaftler und Wissenschaftsgegenstand, dass man nicht anders als dort, wo die »Natur« für den Naturwissenschaftler oder die »Geschichte« für den Historiker2246 den Wissenschaftsgegenstand bilden, es sich zum Ziel setze, sich, »wie es ja bei der Kritik [sc. und damit in jeder Wissenschaft] nöthig ist, mit seinem Denken künstlich aus der Sache zurückzuziehen, sie zu isoliren und [zu] objectiviren und sich ihr als unbefangener Beobachter gegenüber zu stellen«2247. Dazu aber habe man – so Jhering in dem 1858 erschienenen Band Geist II/2 – »meines Wissens bisher noch nicht einmal den Versuch [sic!] gemacht«2248. Auch in Briefen betonte Jhering, dass es ihm in der bisherigen Literatur für »das Bedeutendste im ganzen Buch«, nämlich die in Band Geist II/2 dargelegte »allgemeine Theorie der Technik«, »an aller Vorarbeit« gefehlt habe2249. Tatsächlich schien lange Zeit mit der sogenannten Wiederentdeckung der »juristischen Methode« durch Savignys in der Pandektistik des 19. Jahrhunderts

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mocht [so Unger in seinem Brief vom 18. Juli 1860 an Jhering, abgedruckt in: BehrendsBriefe/1992, S. 112 ( = Losano-Briefe II /1996, Nr. 1a, S. 61)]. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 298. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 298f. Vgl. bereits Teil 1, Abschnitt I und II zu der von Jhering formulierten »Beobachterperspektive« des Rechtshistorikers und der von Jhering auch für die Rechtsgeschichte geforderten Methodenreflexion. Jhering, Geist III/1 (21871), § 59, S. 307. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 385. Vgl. auch Jhering, Geist II/2 (31875), § 37, S. 310: »Auch die römischen Juristen, Virtuosen in der praktischen Handhabung der Methode, wie sie es waren, haben doch, so viel wir wissen, nicht den bescheidensten Ansatz zu einer Theorie derselben gemacht, […] ja nicht einmal eine Aeußerung über die obersten Grundsätze derselben«. So Jherings Brief vom 15. August 1860 an Windscheid, abgedruckt in: Ehrenberg-Briefe/ 1913, Nr. 37, S. 123 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Vgl. auch Jherings Brief vom 2. Januar 1855 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 39a, S. 133f.: »Daß mein Kapitel über die Technik das bedeutendste im ganzen Werk werden wird, […] wird mir je länger, je mehr klar. Ich selbst erblicke darin den ersten Versuch, die Jurisprudenz zum Bewußtsein ihrer selbst zu bringen, und wenn alles andere von mir vergessen und beseitigt sein sollte, so meine ich, muß dieses Kapitel meinen Namen wenigstens noch so lange erhalten, als die Jurisprudenz nicht das, was ich hier gebe, sich vollständig zu eigen gemacht hat. Dann wird es nicht schwer sein, über mich hinauszukommen und durch etwas Besseres meinen ersten Versuch in Vergessenheit zu bringen« (Kursivhervorhebungen nicht im Druck der Briefedition).

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weithin gefeierten Erstlingsschrift »Das Recht des Besitzes« (1803)2250, der sogenannten »Gründungsurkunde der historischen Schule«2251, sowie mit dem Verweis auf die Vorbildfunktion der »virtuosen« Praxis der römischen »classischen Juristen«2252 und der Aufforderung, in den Anschauungsbeispielen der 2250 Vgl. E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 193ff. zu den in Wahrheit mehr in der damaligen Situation der Pandektistik und weniger in der Sachmaterie selbst liegenden Gründen, die der gesamten Pandektistik des 19. Jahrhunderts diese Erstlingsschrift Savignys so beispiellos bedeutend erscheinen und nach F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 386f. geradezu zum »Muster einer neuen Rechtsdogmatik« und »Vorbild der klassischen dogmatischen Monographie der deutschen Pandektenwissenschaft« werden ließ. Auch Jhering machte davon – bei aller frühen und späteren Kritik (vgl. zur letzteren unten S. 621 Fn. 3196) – zeit seines Lebens keine Ausnahme. Vgl. nur Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 23f. (= Ges. Aufs. I, S. 21): »Mit dem ›Recht des Besitzes‹ [sc. von Savigny] war die juristische Methode der Römer wieder erobert, und damit die heutige Jurisprudenz geboren.« Ferner Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 5 zur angeblichen »Rückkehr zur ächten, wissenschaftlichen Methode der römischen Juristen« sowie auch noch Jhering, Besitzschutz (1869), S. 1: »Unvergänglich und unantastbar bleibt ihr [sc. Savignys Schrift] der Ruhm, zuerst den Geist der römischen Jurisprudenz in unsere civilistische Dogmatik zurückgeführt zu haben […].« Obwohl Jhering in seiner letzten im Jahre 1889 publizierten Schrift über den Besitzwillen der pandektistischen »Methode«, die durch Savignys Erstlingsschrift »bereits nach wenigen Decennien den vollständigen Sieg davongetragen hatte« [Jhering, Besitzwille (1889), S. 247], den Kampf ansagte, lobte er auch hier noch Savignys »Werk über das Recht des Besitzes« dafür, dass es »durch die bestechenden Vorzüge, deren es sich rühmen kann, die deutsche Rechtswissenschaft in die Bahn gelenkt hat«, die einem in der Theoriegeschichte beispiellos »vollständigen Bruch mit der Vergangenheit« gleichgekommen sei [aaO, S. XI, 246f.; ferner auch Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 356 (»unvergängliche[s] Verdienst«, »wissenschaftliche Tat ersten Ranges«)]. Alles dies hat Jhering allerdings nicht davon abgehalten, dass er sich in der Sache selbst, nämlich mit Savignys im »Recht des Besitzes« entwickelter Theorie des Besitzwillens, so »lange ich mir ein selbständiges wissenschaftliches Urtheil zuschreiben darf, […] in Widerspruch gefühlt« hat, und dies »nicht etwa [nur] in Einzelnheiten, sondern in […] Grundlagen und Grundanschauungen«. Daher habe er in seinen Vorlesungen »schon seit 1846 [sic!]« eine von Savigny abweichende Auffassung über den Besitz vorgetragen, aber »ich habe es […] für meine Pflicht gehalten, meiner Ansicht vorerst keinen öffentlichen Ausdruck zu geben […]« [Jhering, Besitzschutz (1869), S. VI, 1f.; Ders., Besitzwille (1889), S. VIf. sowie Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 131 (Jherings Brief vom 29. Dezember 1887 an Oskar Bülow), S. 403]. 2251 So etwa F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 366, 386f. Freilich war diese »Gründungsurkunde« zumindest noch unvollständig, denn Savignys Programmschriften zur Volksgeistlehre datieren bekanntlich erst aus den Jahren 1814/15 und sind zumindest für die frühe vor allem durch Savigny und Puchta repräsentierte Historische Rechtsschule so wesentlich, dass man für die Zeit vor 1814 schwerlich schon von einer Historischen Rechtsschule sprechen kann. Andererseits blieb Savignys Erstlingswerk von 1803 und sein dort praktizierter Umgang mit den Quellen für die Pandektenwissenschaft des gesamten 19. Jahrhunderts auch dann noch beispielgebend, als Ende des 19. Jahrhunderts die Volksgeist- und Rechtsquellenlehre Savignys ihre ursprüngliche Wirkung auf die Rechtswissenschaft längst verloren hatte und allenfalls nur noch formelartig zitiert wurde. 2252 Vgl. G.F.Puchta, Vorlesungen I (11847), §§ 1–4, S. 1f.; Ders., Cursus I (11841), § 96, S. 418; § 102, S. 465 im Anschluss an F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 29ff., 33, 35 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 114–116, 118); Ders., System I (1840), S. XXXI; § 20, S. 92, aber

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römischen Juristen die »Methode [zu] suchen«, um »im Sinn und Geist der alten Juristen fortarbeiten zu können«2253, bereits alles rechtsmethodologisch Wesentliche über die eigentliche »juristische Methode« gesagt zu sein, und dies ungeachtet der Tatsache, dass die Vorstellungen, welche seit Savigny mit der juristischen Methode der römischen Juristen verbunden wurden, keineswegs alle übereinstimmten2254. Dennoch hatte selbst noch der junge Jhering im Jahre 1844 die eigentliche Gefahr für den Anspruch der Jurisprudenz auf Ebenbürtigkeit mit allen anderen Wissenschaften auf geschichtsphilosophischem Gebiet gesehen, nämlich darin, dass die Historische Rechtsschule bei der »Reform der Wissenschaft […] der Beihülfe der Philosophie entrathen zu können glaubte« und es nicht »zu einer Universal-Rechtsgeschichte und zu einer Schulphilosoeben auch Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 16, S. 32 Fn. 16; § 20, S. 300, 303 und später Jhering, Geist II/2 (31875), § 37, S. 310 über die römischen Juristen als den »Virtuosen in der practischen Handhabung der Methode« – eine Feststellung, die bereits »die Methodeneinheit der römischen Jurisprudenz ohne weiteres voraussetzt[e]« [so kritisch T.Giaro, Genealogie (1992), S. 513]. Dabei wollte auch Jhering nie abrücken von der Vorstellung einer dem römischen »Volk als juristisches Angebinde in die Wiege gelegte[n]« Prädisposition zum juristischen Denken [Jhering, Besitzwille (1889), S. 108], durch welche den römischen Juristen in der Antike »Wissen und Urtheil […] eins und in dem Maße ein lebendiges Stück von ihnen selbst« geworden sei [Jhering, Geist III/1 (21871), § 59, S. 307]. Das kam – wie O.Behrends, Struktur u. Wert (1990), S. 140 aus heutiger rechtshistorischer Sicht kritisiert – einem weitgehenden Verzicht auf »erklärende historische Reflexion« des »bewunderten Phänomens« in der Antike gleich [vgl. dazu auch O.Behrends, Jhering (1987), S. 251 m.w.N.; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 130f., 139 sowie dort die editorischen Anmerkungen auf S. 56f. Fn. 55; S. 60 Fn. 61, S. 89 Fn. 112]. Aber selbst noch der für geschichtsphilosophische Spekulation keineswegs empfängliche Jhering-Schüler Adolf Merkel gab in seinem Nachruf auf Jhering diesem in der Annahme recht, dass es nur die »Veranlagung des römischen Geistes« gewesen sein könne, die das »erstaunliche Werk der römischen Jurisprudenz«, die »logische Virtuosität der Juristen« hervorgebracht habe [A.Merkel, Jhering (1893), S. 21]. In den besten Zeiten der Historischen Rechtsschule war es wissenschaftlichen Außenseitern wie Johannes Jacob Christian Fr. Christiansen (vgl. zu ihm schon Teil 1, S. 132 Fn. 586) vorbehalten gewesen, sich angesichts eines solchen eigentlich auch schon für die Zeitgenossen erkennbar verklärenden Pathos zu mokieren über »das ekelhafte, laienhafte Gewäsch von ihrer [sc. der römischen Juristen] unerreichbaren Musterhaftigkeit, von ihrer sogenannten fast mathematischen Genauigkeit, ein Vorwurf [sic!], den man ihnen [sc. den römischen Juristen] am wenigsten machen kann […]« [J.Christiansen, Rechtsgeschichte (1838), S. 26]. 2253 F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1821–1824), in: Savignyana II (1993), S. 197; Ders., Beruf (1814), S. 35, 39 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 118, 120) sowie dazu T.Giaro, Wissenschaftlichkeit (1993), S. 119ff., 127 m.w.N. Ferner S.Meder, Urteilen (1999), S. 22f., 232ff. 2254 Dies gilt insbesondere für dasjenige, was Savigny selbst den römischen Juristen – mit mehr oder weniger historischem Recht – als »juristische Methode« zugeschrieben hat. Das von Savigny damit ausgedrückte Begriffs- und Methodenverständnis, dem die Denkform des »konkret-allgemeinen Begriffs« [O.Behrends, Savigny (1985), S. 307] bzw. ein »Konzept individueller Begriffsbildung« [S.Meder, Urteilen (1999), S. 11, 73] zugrunde lag, welches das jeweils »Besondere« zum »Ausgangspunkt für die Ermittlung des Allgemeinen« nahm, war alles andere als deckungsgleich mit den rechtsmethodologischen Vorstellungen Puchtas [C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 566–573] oder Jherings.

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phie […] gebracht« habe2255. Puchta hatte es – wie folgerichtig auch von Leist Mitte der fünfziger Jahre kritisiert wurde2256 – für vollkommen überflüssig gehalten, die »Erkenntniß des wissenschaftlichen Rechts und ihre Methode« überhaupt zum »Gegenstand besonderer Regeln« oder gar gesonderter theoretischer Reflexion zu machen2257. Genau das hatte nach Jhering aber dazu geführt, dass »die juristische Methode uns […] eben nur eine Sache des Gefühls und der Uebung« geblieben sei, was sich – so Jhering Mitte der fünfziger Jahre – nicht 2255 Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 406f. Hintergrund dieser Feststellungen Jherings aus dem Jahre 1844 war die Tatsache, dass der Historischen Rechtsschule von ihren Kritikern in den vorangegangenen Jahren häufig mangelnde Wissenschaftlichkeit wegen eines Defizits an philosophischer Grundlegung vorgeworfen worden war [vgl. nur D.Klippel, Historisierung (1997), S. 118]. Der junge Jhering hatte diesen unter dem damals noch herrschenden philosophischen Wissenschaftsparadigma die wissenschaftliche Reputation der gesamten Jurisprudenz gefährdenden Vorwurf aufgenommen und tatsächlich eine »Unterlassungssünde« der Historischen Rechtsschule eingestanden, aber zugleich entgegnet, dass das »noch keine Negation der Philosophie« überhaupt bedeute bzw. dass vielmehr jetzt, nachdem die Historische Rechtsschule zugegebenermaßen dazu »lange Zeit hindurch nicht einmal den Versuch« gemacht habe, »die gegenwärtige Jurisprudenz bereits im Wendepunkt zur Philosophie stehe«, indem sie für die Rechtsgeschichte eine über »gründliches Detail-Studium« hinausgehende »wahrhaft ersprießliche philosophische Methode« anzuwenden beginne [Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 406f.]. Für die Rechtsgeschichte hat Jhering auch später daran festgehalten, immerhin verstand er die historische Darstellung des römischen Rechts im »Geist« als »eine Aufgabe geschichtsphilosophischer Art« [Jhering, Geist II/2 (11858), S. V (Vorrede)]. Aber als Ausweis der Wissenschaftlichkeit diente Jhering Mitte der 1850er Jahre unter dem Wissenschaftsparadigma der »bevorstehenden neuen Epoche« [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 2 Fn. 1 (= Ges. Aufs. I, S. 2 Fn. 1)] nicht mehr die »philosophische Methode« für die Rechtsgeschichte, sondern die Theorie der »naturhistorischen Methode« für die Rechtsdogmatik. 2256 B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 22f. 2257 G.F.Puchta, Pandekten (21844), § 16, S. 26 sowie dazu C.-E.Mecke, Hermeneutik (2013), S. 48f. Vgl. ferner G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 33, S. 100; § 102, S. 465, wo Puchta sich darauf beschränkte, die vom »Gegenstand« der Rechtswissenschaft unterschiedene »Methode« derselben »näher zu bestimmen« als »die systematische Kenntniß des Rechts«. Bezeichnend für das Methodenbewußtsein der Jhering vorhergehenden Juristengeneration ist auch eine von August Heinrich Emil Danz verfasste Rezension der Pandektenlehrbücher von Mühlenbruch und Puchta. Neben der Frage nach der Erkenntnis des richtigen »System[s] des Rechts« war dort von der »Methode« nur im Sinne der »Darstellung dieser Erkenntniß« des Systems die Rede sowie ferner davon, wo »sich der Einigungspunkt dieser neuen Systeme [sc. Mühlenbruchs und Puchtas] finde, und wo die Methode«, also die Methode der Darstellung des geltenden Rechts, »ihn zerstört habe« [A.Danz, Mühlenbruch/Puchta-Rezension (1838), Sp. 1356, 1392, ähnlich auch A.W.F.v.Schröter, Puchta-Rezension (1840), S. 292]. Etwas anderes gilt dagegen für F.J.Stahl, Philosophie II/1 (11833), S. 165ff., der der »juristische[n] Methode« immerhin ein eigenes Kapitel gewidmet hatte, in dem er sich allerdings auf zeitgenössische Gemeinplätze beschränkte, wenn er erstens die von ihm mit der »juristische[n] Methode« identifizierte »Subsumtion« als eine »nicht blos logische, sondern lebendige« charakterisierte und zweitens feststellte, dass die »Grundlage aller Methode […] nothwendig das System« sei (aaO, S. 165, 168). Vgl. zum Ganzen auch H.Lange, Wandlungen (1927), S. 45 mit Fn. 177.

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zuletzt in Savignys weithin »recipirte[n] Phrase eines ›Rechnens mit Begriffen‹« niederschlage2258, eine »Phrase«, die – so Jhering 1866 – weder die Funktionsweise noch »das Eigenthümliche der juristischen Methode« weiter erhelle, da das, was mit ihr inhaltlich verbunden werde, so allgemein und selbstverständlich sei, dass es »von j e d e r [sic!] praktischen Wissenschaft« behauptet werden könne2259. Umso unverständlicher war es für Jhering, dass ausgerechnet für die juristische Methode »ein eigentliches B e w u ß t s e i n […] den meisten Juristen völlig fehlt, und daß unsere Wissenschaft alle anderen Gesetze besser kennt, als die G e s e t z e i h r e r s e l b s t .«2260

Deren Kenntnis war nach Jhering nicht nur unabdingbar für eine bewusst methodengeleitete und nicht nur zufällig »virtuose« Rechtspraxis. Vielmehr waren es auch gerade diese methodischen »Gesetze« der Wissenschaft über sich »selbst«, die – so Jherings Vorstellung – ebenso wie die Natur, die (Rechts-) Geschichte oder die Regeln der Mathematik und anders als die materiellen Rechtsnormen bzw. die aus ihnen gebildeten Rechtsbegriffe etwas wirklich Unveränderliches, von Zeit und Ort Unabhängiges darstellten und die damit der wissenschaftlichen Jurisprudenz auch einen den Forschungsobjekten von Natur-, Technik-, Geschichts- oder Mathematikwissenschaft gleichwertigen Wissenschaftsgegenstand liefern konnten. Denn – und davon war Jhering und nicht nur er2261 zeitlebens überzeugt – mit »derselben apodiktischen Gewißheit, mit der man behaupten kann, daß die Grundsätze der mathematischen Methode für alle Zeiten unwandelbar dieselben bleiben werden, läßt sich ein Gleiches für die der juristischen Methode behaupten.«2262 2258 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 322. Die »Phrase« wurde auch noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gern verwendet [vgl. etwa C.F.W.v.Gerber, Rektoratsrede (1865), S. 28]. 2259 Jhering, Geist I (21866), § 2, S. 18f. 2260 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 322. 2261 Noch vor Erscheinen von Jherings programmatischem Aufsatz »Unsere Aufgabe« hatte J.E.Kuntze, Obligation (1856), § 94, S. 375 in einem ebenfalls bereits »Unsere Aufgabe« betitelten Abschnitt formuliert: »Wie die Mathematik uns die Beziehungsgesetze und Maße der Körperwelt gibt, welche die unwandelbare Grundlage aller Bildungen und Prozesse sind; – wie die Physik und Chemie die Naturprozesse der Körperwelt […] uns darlegen; – wie die Anatomie und Physiologie den Bau und die Thätigkeit der einzelnen Theile der organischen Körper kennen lernen: so gibt es auch eine Mathematik des Rechtes […].« 2262 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 323; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 51 (= Ges. Aufs. I, S. 44). Nach F.Wieacker, Gründer (1959), S. 204 wollte Jhering damit »dem römischen Material das zeitlose, auch heute gültige Naturgesetz jeder Rechtstechnik abfragen.« Auch selbst hat F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 17 Fn. 14 noch die Auffassung vertreten, dass »System, Lehrsätze und Begriffe, d. h. die Dogmatik einer jeweils geltenden

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Die Tatsache, dass es die eine »juristische Methode« überhaupt gebe, war dabei für Jhering ebenso unzweifelhaft2263 wie die historische Tatsache, dass diese »trotz aller römischen Form im Wesentlichen als die absolut richtige, als die einzig denkbare«2264 bzw. – wie Jhering in der 1875 erschienenen dritten Auflage von Geist II/2 formulierte – »als die der Natur der Sache selber abgelauschte«2265 Methode bei den »römischen Juristen, [den] Virtuosen in der practischen Handhabung der Methode«2266, »historisch zuerst […] zum Vorschein gekommen ist.«2267 Die Möglichkeit, dass einem Gutteil dieser »Virtuosität« in Wahrheit ein sehr pragmatischer Methodeneklektizismus zugrunde gelegen haben könnte, kam Jhering dabei ebenso wenig in den Sinn wie früher Savigny2268. Selbst als Jhering später – inzwischen methodenkritisch geworden – im Hinblick auf die nun als notwendig erachtete Kontrollinstanz des Rechtsgefühls die Grenzen der »juristischen« bzw. – was für Jhering dasselbe war – der »wissenschaftlichen Methode«2269 für die konkrete Rechtsfindung erkannt hatte, kritisierte er bei sich und bei anderen bezeichnenderweise nur die »Ueberschätzung«2270 bzw. »Überspannung einer an sich mit dem Wesen der Jurisprudenz selber gegebenen Methode«2271.

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Rechtsordnung, strenggenommen […] so wenig Geschichte wie die Naturgesetze oder die logischen Sätze [haben] – mag auch ihr Erscheinen im Bewußtsein des Dogmatikers und der Rechtsgenossen geschichtlich und geschichtlichem Wandel unterworfen sein«. Kritisch dazu O.Behrends, Wieacker-Nachruf (1995), S. XLVI. Vgl. hingegen zu dieser Frage aus heutiger rechtstheoretischer Sicht R.Dreier, Rechtsth.u.Rechtsgesch. (1990), S. 19, 22; O.Weinberger, Wissenschaftsbegriff (1975), S. 112ff. Nach W.Krawietz, Konstruktion (1976), S. 5; Ders., Entscheidung (1978), S. 158, 189ff., 196 m.w.N. entspricht es der »gegenwärtig in der dogmatischen Rechtswissenschaft nahezu einhellig geteilten Einsicht […], daß es die juristische Methode […] nicht gibt […].« Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 323. Jhering, Geist II/2 (31875), § 37, S. 311. Jhering, Geist II/2 (31875), § 37, S. 310. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 51 (= Ges. Aufs. I, S. 44). Vgl. dagegen aus der Sicht der modernen Romanistik O.Behrends, Savigny (1985), S. 314; Ders., Struktur u. Wert (1990), S. 140 sowie T.Giaro, Genealogie (1992), S. 508. In dem Maße jedoch, in dem Jhering in seiner späteren Zeit seine eigene inzwischen methodenkritische Haltung auch bei den römischen Juristen der Antike wiederentdeckte, für die auch auf dem Höhepunkt der Entwicklung der »Rechtslogik« in klassischer Zeit tatsächlich nie »das Leben der Rechtslogik wegen da« gewesen sei [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 363], hat Jhering zumindest die römische Rechtspraxis nicht mehr ausschließlich auf die eine wahre juristische Methode zurückgeführt, sondern einen schlicht pragmatischen Zug in der römischen Jurisprudenz festgestellt. Jhering, Savigny-Nachruf (1861), S. 5. Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345 Fn. 506a; Ders., Besitzwille (1889), S. 198 Fn. 2. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 363. Jherings spätere »Kritik der herrschenden juristischen Methode«, so der Untertitel zu der letzten noch von Jhering selbst im Jahre 1889 veröffentlichten Schrift »Der Besitzwille«, ist mithin auch nicht eine Kritik der »juristischen Methode« selbst, sondern eine Kritik an der zeitgenössischen methodenunkritischen Anwendung derselben in der Rechtspraxis. Der von Jhering dort angeführte

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Hatte Puchta noch die genuin wissenschaftliche, über die einzelne Rechtsordnung hinausgehende Aufgabe in der Aufstellung eines aus dem römischen Recht gewonnenen genealogischen Systems der materiellen Begriffe des Rechts gesehen, das zumindest eine »Annäherung« an »die Wissenschaft selbst« sei2272, so sah Jhering diese Aufgabe in der Aufstellung einer »Theorie« bzw. eines »Systems« der methodischen Regeln und technischen Gesetze, denen die Bildung der materiellen Begriffe des Rechts unterliege. Die wissenschaftliche »T h e o r i e «, das hieß – wie Jhering es 1865 im Sinne des überkommenen Systemverständnisses ausdrückte – die »logische Durchbildung eines Princips, diese Dialektik des Gedankens, der von Regel zu Regel fortschreitend das ganze Recht umspannt« und »ein System von Re g e l n « formuliert, die in einem obersten Gesichtspunkt ihren letzten Grund« haben und »unter sich in engster Wechselwirkung« stehen, war nach Jhering somit – soweit als möglich – zu entwerfen für die juristische Methode und die mit ihr verbundenen Techniken des Rechts2273. Ohne sie – und hier sind die Nachwirkungen der Diskussion um Kirchmanns Vortrag unverkennbar – »müßte der Jurist zittern bei dem Gedanken, daß das bisherige Recht und damit seine Existenz als Jurist aufgehoben würde. Allein in dem bestimmten einzelnen Recht lernt er zugleich d a s Recht kennen, so wie Jemand, der e i n e Sprache wissenschaftlich studirt, zugleich das Wesen, die Gesetze u.s.w. d e r Sprache. Neben seinem rein positiven Wissen, der Kenntniß d i e s e s Rechts, besitzt er also noch ein höheres all-

»Gegensatz zweier Methoden« meinte also den Gegensatz von zwei Formen der tatsächlichen Anwendung der »juristischen Methode«, nämlich den Gegensatz der methodenunkritischen »formalistischen Richtung« und der jedes Ergebnis methodenunabhängig überprüfenden »realistischen oder teleologischen« Richtung [Jhering, Besitzwille (1889), S. IX]. 2272 G.F.Puchta, Rechtssysteme (1829), S. 222 sowie dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 644– 657. 2273 Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 232. Jherings geradezu »genealogische« Ausdrucksweise bei der Beschreibung des Systems der methodischen Regeln ist bezeichnend für Nähe und Distanz zu Puchta. Den überpositiven wissenschaftlichen Unbedingtheitsanspruch, den Puchta mit Hinweis auf das nicht nur in Freiheit, sondern auch in »Nothwendigkeit« gegründete System auf einzelne »Gattungen und Arten« materieller Rechtsbegriffe bezogen hatte [G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 2, S. 6; § 33, S. 102] und der der Grund dafür gewesen war, dass Puchta im Einzelnen besonders kompromisslos Behauptungen aufgestellt hatte, die ihm schließlich den Jheringschen Vorwurf der wissenschaftlichen »Unduldsamkeit« eintrugen (vgl. oben S. 441), übernahm Jhering nämlich, bezog ihn aber anders als Puchta nicht auf das materielle Recht, sondern auf die Theorie der formalen Regeln der juristischen Technik. In der Theorie der juristischen Methode glaubte Jhering dasjenige im Recht gefunden zu haben, was Puchta im »nothwendigen Zusammenhang« des Systems der materiellen Rechtsbegriffe gesucht hatte [vgl. M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 402], nämlich etwas historisch Unveränderliches und doch »nicht […] von außen ins Recht Hineingetragenes« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 324].

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gemeineres Gut, das nicht an die Scholle gebunden ist, das keine Rechts- und OrtsVeränderung ihm entwerthen kann«2274,

nämlich die wissenschaftliche Kenntnis und praktische Beherrschung der »Gesetze« der juristischen Methode. Über den rechtsspezifischen Begründungszusammenhang noch weit hinausgehend befand sich Jhering damit auch ganz im Einklang mit dem wissenschaftstheoretischen Geist der zeitgenössischen Naturund Technikwissenschaften, die die Einsicht in die Methode, »wie man erfindet«, zur Grundlage eines ganz neuen nicht mehr allein von Eingebung und genialem Einfall, sondern an erster Stelle von Planmäßigkeit und Vorausberechnung geprägten Forschungsverständnisses gemacht hatten2275. Dies waren die wesentlichen Gründe dafür, dass Jhering die Formulierung dieser »Gesetze« für das Kapitel über »das Wesen und die Grundgesetze der juristischen Technik im Allgemeinen«2276 in Geist II/2 um 1855 nach seinen eigenen damaligen Äußerungen eine Zeit lang geradezu »in eine Art von Begeisterung und Fanatismus«2277 versetzte und ihm als »das wichtigste und beste im ganzen Werk« erschien2278. Die »Grundgesetze der juristischen Technik« schienen Jhering dasjenige im römischen Recht zu sein, was zur selben Zeit etwa Leist nur noch außerhalb der Rechtssystematik in der »Physis der Lebensverhältnisse« finden zu können glaubte, nämlich ein »jenseits der positiven Rechtsordnung« liegendes »festes Residuum«, »einen festen Boden«, »objectiv« in dem Sinne, dass er einerseits im Hinblick auf seine Unveränderlichkeit »in verschiedenen Völkern und Zeiten« allen sich aus dem neuen Wissenschaftsparadigma ergebenden Anforderungen an einen echten Wissenschaftsgegenstand zu entsprechen schien2279 und andererseits – dies übrigens im Gegensatz

2274 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 326. 2275 Vgl. H.J.Störig, Wissenschaft II (1982), S. 55f. zur Umsetzung dieses Methodenverständnisses als der »Leistung des 19. Jahrhunderts«. 2276 Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), §§ 37–41 (S. 312–414). Dieser in der ersten Auflage noch über hundert Seiten lange Abschnitt fällt auch äußerlich aus der Gesamtdarstellung im »Geist« insoweit heraus, als Jhering hier ausdrücklich die historische Darstellung verließ, um in einem – man würde heute sagen – rechtstheoretischen Exkurs mit der allerdings aus »einer Betrachtung des römischen Rechts entnommen[en]« allgemeinen »Theorie der juristischen Technik« die rechtstheoretische Grundlage für die sich anschließende historische Darstellung der »römische[n] Technik« zu schaffen (aaO, § 37, S. 322). 2277 So Jhering in einem Brief vom 29. Juli 1856 an Windscheid, abgedruckt in: EhrenbergBriefe/1913, Nr. 20, S. 67. 2278 So Jhering in einem Brief vom 14. Oktober 1854 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 37, S. 121. 2279 Vgl. B.W.Leist, Analyse III (1859), S. XIII, XVIII. In bezug auf seine eigene Person schrieb Jhering später selbst ironisch von seinem in den fünfziger Jahren ausgeprägten »wissenschaftlichen Bedürfnis«, das in der »niederen Welt des Positiven […] etwas Dauerndes, Festes, an sich Wahres begehrte« [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 342].

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zu Leist2280 – aber doch jede im Namen der »wissenschaftlichen Wahrheit« erfolgende unhistorische Verabsolutierung bestimmter Inhalte des geltenden Rechts vermied. Beides schien Jhering unabdingbar. Dass die »geistige Unabhängigkeit und Freiheit« gegenüber den in den Pandekten überlieferten scheinbar absolut wahren »Formulierungen der römischen Jurisprudenz«2281 allein nicht ausreiche, machte Jhering in einer Mitte der fünfziger Jahre mit Windscheid sogar öffentlich ausgetragenen Kontroverse deutlich2282. Gegen Windscheid gerichtet, der unbekümmert um die theoretische 2280 B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 24f. glaubte, durch eine Untersuchung der Lebensverhältnisse »in einem überwiegenden Theile des ganzen Rechts eine endgültige Feststellung der einzelnen dazu gehörigen Institute« treffen und damit »die volle Befriedigung des der Menschheit innewohnenden Bedürfnisses nach einer definitiven juristischen Fixirung des Verhältnisses« erreichen zu können. Von diesem Standpunkt aus kritisierte B.W.Leist, Analyse III (1859), S. XVII, XIX daher auch an der »naturhistorischen« Untersuchung von Jhering und Gerber, dass sie sich nicht wirklich mit dem »o b j e c t i v - G e g e b e n e n «, nämlich den Lebensverhältnissen und »ihrem Gegensatz und Zusammenhang mit den positiven Rechtsinstituten« beschäftige, sondern sich mit der Untersuchung der Rechtsbegriffe auf »ein s u b j e c t i v - G e m a c h t e s « beschränke. 2281 Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 20 (Jherings Brief vom 29. Juli 1856 an Windscheid), S. 65. 2282 Äußerlich entzündet hatte sich diese Kontroverse zwischen Jhering und Windscheid an der Frage nach der juristischen Qualifikation der römischen hereditas iacens [vgl. zu Windscheids Standpunkt unten Fn. 2284 und dagegen Jherings gegen Windscheid gerichtete Anmerkung in Unsere Aufgabe (1856), S. 28f. Fn. 9 (= Ges. Aufs. I, S. 25 Fn. 9) sowie die diesbezüglichen Erläuterungen Jherings in seinem Brief vom 29. Juli 1856 an Windscheid (Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 20, S. 66f.)]. Die juristische Qualifikation der hereditas iacens gehörte zu den zentralen Streitfragen in der zeitgenössischen Pandektistik [vgl. U.Falk, Gegensatz (1990), S. 222, 225]. Der eigentliche Grund für die entgegen E.Wolf, Rechtsdenker (41963), S. 637 überhaupt nicht »merkwürdige« Kontroverse von Jhering und Windscheid lag aber tiefer und hatte neben einem grundsätzlichen rechtsdogmatischen [vgl. insoweit U.Falk, Gegensatz (1990), S. 226] auch einen nicht minder grundsätzlichen methodentheoretischen Aspekt zum Gegenstand. Jhering meinte nämlich, Windscheid grundsätzlich »vor einem Abweg […] warnen« zu müssen, zu dem dieser »eine bedenkliche Hinneigung verrathen« habe [Jhering, Mitwirkung II (1858), S. 273f. Fn. 94]. Die konstruktive Freiheit, die sich Windscheid im Umgang mit den geltenden Rechtsbegriffen zuweilen nahm, ging nach Jhering nämlich zu weit und missachtete, dass in allen Begriffen und somit auch »in den Begriffen, die wir einmal haben, etwas Obligatorisches« bzw. – so Jhering noch 1881 im leicht überarbeiteten Wiederabdruck seiner Programmschrift »Unsere Aufgabe« in: Ges. Aufs. I (1881), S. 25 Fn. 9 – »etwas logisch Zwingendes« liege. Daher müssen – so Jherings Ansicht von 1856 im Hinblick auf die hereditas iacens – »wir […] entweder« grundsätzlich »unsere Definition vom [sc. subjektiven] Recht ändern, so daß nach ihr die Existenz eines Rechts ohne Subject möglich erscheint, oder aber […] uns das Mittel gefallen lassen, vermöge dessen die römische Jurisprudenz hier geholfen« habe, nämlich durch »die künstliche Annahme eines Subjects, die Personification der her.[editas] jac.[ens]« [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 25 Fn. 9 (Kursivhervorhebung nicht im Original)]. Hier, aber auch später, als Jhering im Falle der hereditas iacens die letztgenannte technische Hilfskonstruktion selbst für überflüssig erklärte [vgl. nur Losano-Briefe II /1996, Nr. 7 (Jherings Brief vom 24. Juni 1864 an Joseph Unger), S. 82f. mit Fn. 6 (Anmerkungen des Herausgebers)], indem er sie durch den

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Fragestellung nach dem Recht im römischen Recht lieber konkret im einzelnen Fall Verabsolutierungen römischer Begriffe pragmatisch mit dem »festen Boden des Lebens unter den Füßen«2283 zu überwinden und auf diese Weise »unser Rechtsbewußtseyn […] g e g e n das römische Recht zur Geltung zu bringen« suchte2284, meinte Jhering 1856: »Mir liegt an der r ö m i s c h e n Jurisprudenz nichts«, aber je »bereitwilliger ich das r ö m i s c h e preisgebe«, »mich von dem starren Romanismus lossage«, »um so notwendiger scheint es mir, mit aller Kraft und Entschiedenheit darauf zu dringen, daß man an der juristischen Methode festhalte«2285. »Wollten wir s e i n e m [sc. Windscheids] Beispiel folgen, wir würfen nicht bloß die r ö m i s c h e , sondern die Jurisprudenz überhaupt über Bord. […] Dies ist – mein verehrter Freund verzeihe mir – das Räsonnement eines Laien« und »nicht sowohl ein Protest gegen die r ö m i s c h e Jurisprudenz, als gegen die Jurisprudenz schlechthin.«2286

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rechtstechnischen »Begriff der Gebundenheit des Rechtsobjects« vor Antritt der Erbschaft ersetzte, war für Jhering in methodischer Hinsicht entscheidend, dass man bei der juristischen Erklärung »nicht mit sich selbst in Widerspruch gerathen« dürfe, sondern sich immer »mit der Rechtslogik in Einklang zu setzen hat«, wenn man nicht »von vornherein auf jede begriffliche Gestaltung des Rechts verzichten will« [Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 198]. Dass Windscheid dagegen im exemplarischen Fall der hereditas iacens aus einem offensichtlich pragmatischen »Interesse des genannten Problems sich nicht gescheut« habe, mit der »Behauptung eines subjectlosen Rechts […] eine contradictio in adjecto« in Kauf zu nehmen, warf Jhering Windscheid auch dann noch vor, als er längst selbst eine kritische Haltung gegenüber der Tragweite juristischer Logik entwickelt hatte [Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 181f.; Ders., Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/ Nachlass)], § 62, S. 32 sowie dazu U.Falk, Gegensatz (1990), S. 224, 229, 231ff.]. B.Windscheid, Erbschaft (1853), S. 182. So B.Windscheid, Singularsuccession (1853), S. 42. Vgl. dazu J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 25 sowie die Fallstudien von U.Falk, Windscheid (1989), S. 25ff. Rein theoretische bzw. rechtsmethodologische Fragen oder gar der Entwurf zu einer allgemeinen Theorie der juristischen Technik lagen Windscheid im Unterschied zu Jhering fern. So war etwa die wichtige, in der zeitgenössischen Pandektistik so umstrittene Frage nach der Zulässigkeit der »Singularsuccession« für Windscheid, aaO, S. 40 schon durch das »Bedürfnis des Verkehrs« entschieden. In der nicht minder umstrittenen Frage der juristischen Qualifikation der römischen »hereditas iacens« fragte B.Windscheid, Erbschaft (1853), S. 185f., 188 mit Blick auf Jherings »Begriff einer substantiirten Persönlichkeit« nur rhetorisch: »ich frage, dürfen wir einen Begriff, wie er [sc. Jhering] ihn entwickelt, […] dem Leben bieten? […] Hier möchte ich fast ausrufen: schütteln wir uns […]. Hier handelt es sich nicht um juristische Demonstrationen, hier handelt es sich um die […] Gesundheit oder Ungesundheit einer Lebensanschauung.« So Jhering in seinem Brief vom 29. Juli 1856 an Windscheid, abgedruckt in: EhrenbergBriefe/1913, Nr. 20, S. 65, 67. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 28f. Fn. 9. Jhering war mit seiner Kritik an Windscheids Pragmatismus nicht allein. J.E.Kuntze, Geist I-Rezension (1855), S. 228 sprach sogar von »wahren Verzweiflungsschritten« Windscheids und brachte ihn in Zusammenhang mit der Absicht Kirchmanns, »die ganze Rechtswissenschaft als einen werthlosen Plunder zum Fenster hinauszuschütten«. Das war zwar übertrieben, brachte aber

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Jherings Gegenüberstellung einerseits des gegebenenfalls preiszugebenden »Römischen« in der Jurisprudenz und andererseits der allgemeingültigen »Methode«, letztere verstanden als Ausweis der »Jurisprudenz schlechthin«, ist bemerkenswert. Davon, dass neben der »Methode« auch bei den Inhalten des römischen Rechts das universalgültige bzw. »allgemeine Element« von den nur historischen, spezifisch römischen Bestandteilen geschieden werden müsse2287, war hier nämlich – zunächst – keine Rede mehr2288. Das änderte sich erst wieder, als Jhering Anfang der sechziger Jahre die Bedeutung des rein wissenschaftlichen Standpunkts überhaupt für die Rechtsanwendung zu relativieren und – zunächst implizit, später auch ausdrücklich – zwischen »Wahrheit« und »Richtigkeit« einer rechtlichen Lösung zu unterscheiden begann2289. Denn vom wissenschaftlichen Standpunkt der Rechtsdogmatik aus gesehen erschien Jhering – und das übrigens lebenslang – allein die juristische Methode, da sie scheinbar an keine »Scholle gebunden« war und sich durch »keine Rechts- und Orts-Veränderung […] entwerthen« ließ2290, als dasjenige im ständig sich entwickelnden geschichtlichen Recht, das den Anforderungen seines am neuen Wissenschaftsparadigma ausgerichteten a-historischen Wahrheitsbegriffs ent-

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das zum Ausdruck, was auch noch der methodenkritisch gewordene Jhering in seinen späteren Jahren weiterhin als Methoden- und Theoriedefizit an Windscheid kritisierte, wenn er beispielsweise in seinem an Windscheid gerichteten Brief vom 18. April 1865 feststellte: »[…] auch Du hast gefehlt. Während ich den Begriff und die Konstruktion über alles setzte, hast Du umgekehrt die Berechtigung dieses formal-rechtlichen Elements zu gering angeschlagen« (abgedruckt in: Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 54, S. 176). Vgl. nur F.C.v.Savigny, System I (1840), § 15, S. 55; § 20, S. 94. So war für Savigny mit »Scheidung« dessen, was im »Römischen Recht […] schon abgestorben ist, von dem was noch fortlebt«, eben nicht nur das noch geltende Pandektenrecht bezeichnet, sondern »großentheils« auch dasjenige, was als das »allgemeine Element« bzw. der universalgültige Inhalt des römischen Rechts »stets fortleben wird« (aaO). Bei dem jungen Jhering war dagegen nur von ersterem die Rede, nicht aber von letzterem. Bereits W.Wilhelm, Das Recht (1970), S. 231f., 234 hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die um die Mitte des 19. Jahrhunderts sehr verbreitete thesenartige Gegenüberstellung einerseits der inhaltlich »allgemeinen«, »rationalen«, »überpositiven« und andererseits der »besonderen«, »historischen«, »nationalen« Elemente im geltenden Recht bei Jhering gefehlt habe. Vgl. nur Jhering, Zweck I (11877), S. 428; Ders., Prager Vortrag (1877), S. 2f., wo Jhering zwischen dem auf dem »Rechtsgefühl« beruhenden Maßstab der »Richtigkeit« und demjenigen der wissenschaftlichen »Wahrheit« unterschied. Dazu O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 239. War auch Jhering nach K.Engisch, Wahrheit (1963), S. 264 der erste, der im Hinblick auf das Recht explizit von der Notwendigkeit einer Unterscheidung »des Wahren und Richtigen« gesprochen hat, so war Jherings Unterscheidung doch noch nicht vollkommen deckungsgleich mit der heute verbreiteten Terminologie, nach der der Ausdruck »Wahrheit« nur auf den Bereich empirisch-deskriptiver Aussagen, der Ausdruck »Richtigkeit« hingegen auf normative Aussagen bezogen wird [vgl. nur P.Raisch, Sonderprivatrecht (1990), S. 571f.; A.Kaufmann, Rechtsgewinnung (1999), S. 15]. Diese erkenntnistheoretische Unterscheidung machte Jhering noch nicht. Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 326.

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sprach.2291 Als a-historisch bzw. »zeitlos«2292 erschien Jhering die juristische Methode dabei nicht in dem Sinne, dass sie außerhalb der Geschichte entstanden sei, wohl aber in dem Sinne, dass – einmal abgesehen von kulturhistorisch begründeten unterschiedlichen »Stilen« der juristischen Technik2293 – allein sie nach ihrer geschichtlichen Hervorbringung durch »ganze Völker und Jahrhunderte«2294 nicht mehr der geschichtlichen Veränderlichkeit und Weiterentwicklung unterliege und damit unveränderlich sei wie die Natur oder die im geschichtlichen Rückblick zu konstatierenden Tatsachen der Vergangenheit. Nur für die juristische Methode galt nach Jhering ohne Einschränkung, dass sich in ihr »wie auf neutralem Boden die Juristen aller Länder und Zeiten« begegnen, da zwar inhaltlich »die Einrichtungen und Rechte der einzelnen Länder […] verschieden [sein können], aber die Art, sie zu betrachten und aufzufassen, dieselbe« sei bzw. sein müsse2295. Letzteres war auch der Grund dafür, dass Jhering, solange er noch die Rechtsfindung allein nach dem Maßstab ihrer Wissenschaftlichkeit bzw. Wahrheit beurteilte, »längere Zeit« geglaubt hatte, dass – wie Jhering seinen »Irrthum« später selbst beschrieb – »die eigentliche Größe und der wahre Werth des römischen Rechts in der juristischen Technik oder Methode zu suchen sei, jener rein formalen Fertigkeit des Operirens mit juristischen Begriffen, die gegen den Inhalt derselben sich indifferent verhält.«2296

2291 Keinesfalls gelten daher »die berühmten Paragraphen über die quasi begriffsjuristische Technik […] eigentlich nur dem System des älteren römischen Rechts und nicht etwa Jherings Gegenwart«, wie J.Rückert, Geist des Rechts I (2004), S. 145 meint. Zutreffend ist zwar, dass Jhering, Geist II/2 (11858), §§ 42ff. auch die historische »Technik des ältern [sc. römischen] Rechts« beschreibt, etwa das »Haften am Wort« (§ 44) bei den altrömischen Rechtsritualen. Eingebettet in die rechtshistorische Darstellung des Werks über den »Geist des römischen Rechts« ist aber eine universale »Theorie der juristischen Technik« (§§ 38–41) mit den drei »Fundamental-Operationen der juristischen Technik«, die nach Jhering sehr wohl Geltung für dessen Gegenwart beanspruchten. Dies folgt im Übrigen auch aus der fast zeitgleich entstandenen Programmschrift »Unsere Aufgabe« in Jherings Jahrbüchern. Die juristische Technik war für Jhering das zentrale Stück der von ihm angestrebten »Naturlehre des Rechts«, nämlich das Recht im geschichtlichen Recht, das »bei Gelegenheit der Beurtheilung eines einzelnen Rechts […] eine allgemeinere Wahrheit« beanspruche [Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 11]. 2292 Vgl. F.Wieacker, Gründer (1959), S. 204. 2293 Vgl. etwa Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 327; Ders., Geist III/1 (11865), § 58, S. 288ff. zum »juristischen Rococostyl« der altrömischen und englischen Jurisprudenz im Gegensatz zur »Reinheit des classischen Styls« »der juristischen Technik […] in ihrer vollendetsten Gestalt«. 2294 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 337. 2295 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 326. Dazu auch C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 167f. 2296 Jhering, Schuldmoment (1867), S. 176. Das übersieht C.Mährlein, Volksgeist (2000), S. 138, wenn er meint, dass Jhering den »Wert des Römischen Rechts […] nicht, wie Savigny, in der Methode der Juristen« gesehen habe.

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Tatsächlich war Jhering in seiner »gehobenen Stimmung«2297 bei der Formulierung der Theorie der »juristischen Technik« Mitte der fünfziger Jahre nicht weit entfernt gewesen von dem, was Stahl an der Germanistenversammlung von 1846 kritisiert hatte. Dort wurde nach Stahl nämlich »das römische Recht bloß als ein Vorbild juristischer Methode anerkannt«2298. Dass Stahl diesen Fehler nicht begangen habe, hat Jhering später selbst eingeräumt, als er ernüchtert durch den Doppelverkaufs-Fall Anfang der sechziger Jahren seine eigene Überschätzung des tatsächlich nur relativen Werts juristischer Technik bzw. – was für Jhering dasselbe war – wissenschaftlicher Methodik für die praktische Rechtsfindung zu erkennen begann. Dagegen muss man es wohl eher als eine – im Übrigen misslungene – Entlastungsstrategie in eigener Sache ansehen, wenn Jhering zugleich auch meinte, dass im Gegensatz zu Stahl zumindest Savigny den »I n h a lt des römischen Rechts […] für etwas so Gleichgültiges« gehalten habe, daß er den »Werth des römischen Rechts ausschließlich in ein rein formales Moment: das technisch-juristische setzt[e]« und damit »das Gewicht der übrigen den Werth der Rechte mit bestimmende Factoren völlig« übersah2299. In Wahrheit war es ganz im Gegenteil gerade Savigny gewesen, der von einer notwendigen »Evolution der neuern willkührlichen Systeme zum Römischen Recht«2300, nämlich von einer Rückkehr zu der in der Neuzeit längst verlorenen »ursprünglichen Einheit«2301 des klassischen Rechts gesprochen hatte. Den Umstand, dass – wie Jhering Mitte der sechziger Jahre feststellte – die »unvergänglichsten Verdienste, welche wir der römischen Jurisprudenz nachzurühmen haben«, nicht nur formal-technischer, sondern auch inhaltlicher Art seien2302, da im inhaltlichen »Stoff« des römischen Rechts, »in den leitenden Grundsätzen, den Regeln, Eintheilungen, Rechtssätzen […] ein Schatz von Erfahrungen und Gedanken«2303 enthalten sei, denen gleich der juristischen Methode eine über die 2297 So Jhering in seinem Brief vom 29. Juli 1856 an Windscheid über seine Zuversicht und Hoffnung, die er mit der Formulierung seiner Theorie der juristischen Technik damals verband [Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 20, S. 67]. 2298 F.J.Stahl, Philosophie II/1 (31854), § 27, S. 265f. Anm.* sowie dazu M.G.Losano, Studien (1984), S. 44. 2299 Jhering, Geist I (21866), § 2, S. 18–20. Entgegen M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 144 ist diese Kritik Jherings an Savigny nicht schon auf das Jahr 1852, sondern erst auf das Jahr 1866 zu datieren. Es handelte sich bei dieser Passage um einen erst in der zweiten Auflage eingefügten Zusatz zu Geist I, § 2. 2300 F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1803/04), in: Savignyana II (1993), S. 132. 2301 F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1811), in: Savignyana II (1993), S. 176. 2302 Jhering, Schuldmoment (1867), S. 176. 2303 Jhering, Geist I (21866), § 2, S. 19 und verallgemeinernd für alle entwickelten Rechtsordnungen Ders., Zweck I (21884), S. 442, 529f. Mit fast denselben Worten, nämlich als einen »Niederschlag d. h. eine Ablagerung des gesunden Menschenverstandes unzähliger Individuen, ein[en] Schatz von Erfahrungsätzen« bzw. als eine durch »ganze Völker und Jahrhunderte« »erkannte und befolgte Zweckmäßigkeit« hatte Jhering Mitte der fünfziger

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Die Methode der Rechtswissenschaft

historische Überlieferung hinausgehende universelle Geltung zukomme, hatte entgegen seiner eigenen Darstellung allenfalls einst Jhering selbst, nie aber Savigny übersehen2304.

2.

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

Mit seinen Ausführungen über di e » h ö h e re Ju r i s p r u d e n z oder die naturhistorische Methode«2305, deren Abfassung Jhering zu Beginn des Jahres 1855 begonnen und im Mai 1856 abgeschlossen hat2306, wollte Jhering im Rahmen Jahre allein die »juristische Technik« bzw. juristische Methode des Rechts charakterisiert und gegenüber einer nicht methodengeleiteten Rechtsfindung »des Laienthums« gerechtfertigt [Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 330–332; § 38, S. 337]. Dazu eingehend unten Abschnitt II. 2. b) cc). 2304 Zwar hatte F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 28 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 113) auf dem Hintergrund der Behandlung des römischen Rechts durch die Theoretiker eines rationalistischen Naturrechts im 18. Jahrhundert tatsächlich die juristische Methode der klassischen römischen Jurisprudenz als das wirklich »eigenthümliche des Römischen Rechts« bezeichnet. Deswegen waren Savigny aber nicht – wie von Jhering behauptet – die Inhalte des römischen Rechts »gleichgültig« gewesen. Ohnehin hätte es Savigny ganz fern gelegen, die juristische Technik im allgemeinen und die Technik des römischen Rechts im besonderen ganz formal zu verstehen und von den Inhalten des römischen Rechts völlig zu isolieren [vgl. nur O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 27 Fn. 50 m.w.N.]. Zeichnete sich nach Savigny doch gerade der durch den Usus modernus pandectarum unverfälschte Inhalt des römischen Privatrechts dadurch aus, dass er – sofern noch »lebendig« – nicht nur als geltendes »noch fortlebt«, sondern »großentheils« als universales Recht »stets fortleben wird« [F.C.v.Savigny, System I (1840), § 20, S. 94 sowie dazu O.Behrends, Hugo (1996), S. 191]. Den »Inhalt des Rechts als einen […] gleichgültigen« aufzufassen, hatte Savigny im Übrigen auch ausdrücklich als Ausdruck »einer einseitigen Behandlung des Rechts« bezeichnet [F.C.v.Savigny, System I (1840), § 15, S. 52]. 2305 Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 385 (Zwischentitel). 2306 Nachdem Jhering in Geist I (11852), § 3, S. 26ff. bereits eine »Andeutung dieser Auffassung« gegeben hatte, erfolgte die »nähere Ausführung« in Geist II/2, §§ 37–41 [vgl. Jhering, Unsere Aufgabe(1856), S. 8f. Fn. 2 (= Ges. Aufs. I, S. 7 Fn. 2)]. Nach Vorarbeiten Ende 1854 [vgl. Jherings Brief an Gerber vom 14. Oktober 1854, abgedruckt in: LosanoBriefe I /1984, Nr. 37, S. 121] hat Jhering die »Ausarbeitung« des Kapitels über die »juristische Technik« in Geist II/2 nach eigener Mitteilung in einem Brief vom 2. Januar 1855 »mit dem heutigen Tage begonnen« [so Jhering in seinem Brief an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 39a, S. 133]. Der Druck der ersten fertiggestellten Manuskripte kann nicht viel später erfolgt sein, da Jhering in seinem auf den 1. August 1858 datierten Vorwort zu Geist II/2 darauf hinweist, dass der »Druck der bisherigen Abtheilung […] bereits vor mehr als drittehalb Jahren begonnen« worden sei [Jhering, Geist II/2 (11858), S. III]. Im Wesentlichen abgeschlossen waren die Arbeiten an diesem nicht-historischen Exkurs einer »allgemeinen Theorie der Technik« offenbar bereits im Dezember 1855 [vgl. Losano-Briefe I /1984, Nr. 51 (Jherings Brief vom 25. November 1855), S. 174]; in Druck gegeben hat Jhering den diesen Exkurs beschließenden »bösartigen § [41]« nach einer Überarbeitung Ende Mai oder Anfang Juni 1856 [vgl. Losano-Briefe I /1984, Nr. 61

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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seiner Darstellung der »allgemeinen juristischen Technik« das leisten, was aus seiner Sicht bisher versäumt worden war, nämlich eine wissenschaftliche Theorie der »juristischen Methode«, eine Methodologie, die im Gegensatz zu den damals so bezeichneten Rechtsmethodologien2307 ausschließlich die Regeln bzw. »Gesetze«2308 der »juristischen Technik« und dabei insbesondere das spezifisch »Juristische«, also das die juristische Methode von den Methoden anderer Wissenschaften Unterscheidende zum Gegenstand haben sollte2309. Die »höhere (Jherings Brief vom 5. Juni 1856), S. 203]. Zwischenzeitlich hatte Jhering aber noch seine im April 1856 erschienene Programmschrift »Unsere Aufgabe« fertiggestellt, »zu deren Ausarbeitung der gegenwärtige Paragraph [sc. 41] mich veranlaßt hatte« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 385 Fn. 505] und die ursprünglich gar nicht als einleitende Programmschrift für die zusammen mit Gerber herausgegebenen »Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts« geplant war, sondern als eine selbständige monographische Abhandlung zur »Theorie der juristischen Construction« [vgl. Losano-Briefe I /1984, Nr. 49 (undatierter Brief Jherings aus der ersten Oktoberhälfte 1855), S. 166]. Im Laufe des Jahres 1855 war Jhering nämlich bei der Arbeit an § 41 der »Stoff […] während der langen Zeit, die ich bei diesem Punkt habe verweilen müssen, so angewachsen«, dass der rechtsmethodologische Exkurs den rechtshistorischen Rahmen von Geist II/2 auch nach Jherings Empfinden zu sprengen drohte [vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 385 Fn. 505]. Deswegen hatte Jhering in der vorzitierten noch 1855 formulierten Anmerkung in Geist II/2 (11858) die gleichwohl noch langen Ausführungen über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode« in § 41 von Geist II/2 auch nur als »Auszug einer größeren Abhandlung« bezeichnet [vgl. dagegen Jherings etwas späteren – beim Wiederabdruck von 1881 gestrichenen – editorischen Hinweis in Unsere Aufgabe (1856), S. 8f. Fn. 2]. Realisiert wurde von dieser »größeren Abhandlung« aber nur die seit Ende 1855 abgefasste und Anfang 1856 fertiggestellte Programmschrift »Unsere Aufgabe« [vgl. Losano-Briefe I /1984, Nr. 49 (Jherings undatierter im Oktober 1855 verfaßter Brief), S. 166]. 2307 Vgl. zum zeitgenössischen Wortgebrauch J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 118 Fn. 203 und A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 141. Mit dem Wort »Methodologie«, das nach Brockmöller, aaO insbesondere in den während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr verbreiteten juristischen Enzyklopädien häufig sogar schon im Titel verwendet wurde, verband sich zu dieser Zeit noch die Bedeutung einer bloßen »Anweisung, die Kenntniß des Rechts auf eine zweckmäßige Art zu erlangen« [so etwa C.F.Mühlenbruch, Encyclopädie (1807), § 2, S. 4], also eine Art Studienführer für den »künftigen Rechtsgelehrten« (aaO, § 5, S. 9). Diese Art von Rechtsmethodologie hatte Jhering mit seiner Theorie der juristischen Technik offenkundig nicht im Sinne. Vermutlich deswegen vermied er auch das Wort »Methodologie«. Denn selbst Savigny, der nach A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 96 Fn. 61f. ausweislich von inzwischen aus seinem Nachlass veröffentlichten frühen Vorlesungsunterlagen »eine der ersten Methodenlehren im modernen Sinne als eine Methodologie des rechtlich richtigen Entscheidens« entwickelte, hatte den Ausdruck »Methodologie« auch noch im hergebrachten Sinne des Wortes verwendet [vgl. nur A.Mazzacane, Jurisprudenz als Wissenschaft (1993), S. 11f., 17, 19 mit Bezug auf Savignys »Vorlesungen über juristische Methodologie«]. 2308 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398. 2309 B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 24, S. 57 Fn. 2 nannte daher auch Jherings einschlägige Ausführungen in Geist II/2 und in »Unsere Aufgabe« eine »Darstellung, welche trotz dessen, was sich im Einzelnen gegen dieselbe einwenden läßt, doch im Ganzen, als

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Die Methode der Rechtswissenschaft

Jurisprudenz«2310, von Jhering wegen der »eigenthümlichen Anschauungsweise des Rechts, die ich die n at u r h i s t o r i s c h e nennen möchte«2311, auch die »naerster Versuch der Begründung einer ›Technik des Rechtes‹« Anerkennung verdiene (Kursivhervorhebung nicht im Original). Ebenso in hochgestimmten Worten M.d.Jonge, Ihering (1888), S. 22ff. Demgegenüber hatte noch A.Brinz, Jhering-Rezension (1860), S. 3 kurz nach Erscheinen von Geist II/2 polemisiert, Jherings »Theorie der juristischen Technik [will] doch nichts weniger als das alte Ding einer juristischen Methodologie seyn – einer Disciplin, unter der man an alles […] denkt.« 2310 Im Hinblick auf Jherings Ausdrucksweise weist A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 200 Fn. 62 darauf hin, dass fast dreißig Jahre vor Jhering bereits K.T.Welcker, Encyklopädie (1829), S. XVIIIf. erst dann von einer »zugleich höheren und festen Jurisprudenz« sprechen wollte, wenn sie im Recht ein »inneres und äußeres System« nachgewiesen habe. Denn – so Welcker damals – erst durch die »möglichst systematisch geordnete harmonische Vereinigung des Einzelnen durch die gemeinschaftlichen Grundprincipien« von »Jus naturale und Gentium, honestas, aequitas, bona fides« werde »das Wissen [sc. über das Recht] wahrhaft lebendig und Leben zeugend« (aaO, S. XVIIIf., §§ 47–50); »ohne [sc. die] gründliche Frage nach höheren inneren und äußeren Gründen« erscheine das Recht dagegen »als durch Zufall oder positive Willkühr zusammengewürfelt« (aaO, S. 689). Dieser sachliche Kontext, die naturrechtlichen Prämissen Welckers und letztlich auch der zeitliche Abstand zu Jherings Ausführungen lassen eine auch nur terminologische Anleihe Jherings bei Welcker als ziemlich unwahrscheinlich erscheinen. Näherliegender ist es dagegen, dass Jhering mit seiner Unterscheidung einer »höheren« und einer »niederen Jurisprudenz« terminologisch auf eine klassische Einteilung der zeitgenössischen Hermeneutik zurückgegriffen hat, bei der die »niedere Kritik« und »niedere Hermeneutik« der »höheren Kritik und »höheren Hermeneutik« gegenübergestellt wurde [vgl. A.Diemer, Natur- und Geisteswissenschaften (1968), S. 211f.]. Die »niedere« Form der Untersuchung eines Textes galt der sauberen Erstellung bzw. Feststellung des maßgeblichen Textes (»niedere Kritik«) sowie seines Inhaltes im Hinblick auf Sprache, Grammatik, Stil und außertextliche Zusammenhänge (»niedere Hermeneutik«); die »höhere« Form bezeichnete dagegen die Herstellung textlicher Zusammenhänge sowie schließlich das Verstehen des Textes, also die eigentliche Erkenntnisleistung der wissenschaftlichen Hermeneutik. In dieser Wortbedeutung der allgemeinen Hermeneutik unterschieden beispielsweise F.C.v.Savigny, System I (1840), § 38, S. 242, 246ff. die »diplomatische (oder niedere)« und die »höhere Kritik« oder B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 24, S. 55 eine »niedere« Form der Auslegung einer Rechtsnorm, »welche den Sinn der vom Gesetzgeber gebrauchten Worte« und eine »höhere, welche den eigentlichen Gedanken eines Rechtssatzes oder eines Rechtsganzen bestimmt.« Das Besondere an Jherings Terminologie einer »niederen« und »höheren Jurisprudenz« lag allerdings darin, dass Jhering die Auslegung des Rechtsanwenders, also die gesamte juristische Hermeneutik, wie im übrigen auch die auf dieser Grundlage erfolgenden Schlussfolgerungen auf der Grundlage juristischer »Konsequenz« als eine in juristischer Hinsicht »niedere« Form der Erkenntnis, nämlich als Feststellung des durch das Gesetz unmittelbar oder mittelbar positiv Gegebenen verstand. Hingegen sollte die eigentlich »wissenschaftliche« Erkenntnis der höheren Jurisprudenz im Rahmen der »juristischen Technik« erst jenseits der Hermeneutik und der auf ihren Ergebnissen beruhenden »Deduktionen« beginnen. Auf letzteres nahm auch B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 24, S. 55 Bezug, wenn er erklärte, dass die »wissenschaftliche Behandlung des Rechts« nicht auf die Auslegung beschränkt sei, da erst jenseits der Auslegung »die Entwickelung der Begriffe« begänne. Jherings Redeweise von der »niederen« und der »höheren Jurisprudenz« übernahm Windscheid aber nicht, sondern stellte vielmehr mit Nachdruck und ganz offensichtlich direkt an die Adresse Jherings

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

469

turhistorische Methode«2312 genannt, bezeichnete denjenigen Teil der »Technik« der Jurisprudenz, durch den »Aufgabe und Methode [sc. der Jurisprudenz] eine specifisch juristische«2313 werden würden im Gegensatz zu den Ableitungs- und Auslegungsregeln der »niederen Jurisprudenz«, die die juristische Technik mit der allgemeinen Logik bzw. der allgemeinen Hermeneutik gemeinsam habe. Der Nachweis eines auch spezifisch juristischen Anteils an der »Methode« der Jurisprudenz war für Jhering entscheidend, weil die »Methode« der Rechtsdogmatik erst auf diese Weise »ihren eigenthümlichen wissenschaftlichen Charakter [erhält], der sie von allen andern Wissenschaften unterscheidet«2314. Denn der Nachweis des der jeweiligen Wissenschaft neben Gemeinsamkeiten mit anderen Wissenschaften »eigenthümlichen wissenschaftlichen Charakter[s]« war entsprechend dem Wissenschaftsverständnis der Zeit2315 die Voraussetzung dafür, dass die jeweilige Wissenschaft, hier also die von der Rechtsgeschichte emanzipierte Rechtsdogmatik, den Charakter einer vollwertigen und sich eigenständig konstituierenden »Wissenschaft« sowohl neben den im Hinblick auf ihren Wissenschaftscharakter unbestrittenen Teildisziplinen der Wissenschaft vom Recht, nämlich der Rechtsphilosophie und der Rechts-

2311 2312

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gerichtet fest: »Die Auslegung bildet keinen Gegensatz zu der wissenschaftlichen Behandlung des Rechts; sie i s t wissenschaftliche Behandlung […]« (aaO). Fünfzig Jahre später manifestierte sich für P.Heck, Rechtsgewinnung (1912), S. 194 ein vollkommener und »eigentümlicher Wandel der Anschauungen« in der Tatsache, dass »wir diejenige Betätigung, die Jhering mit einer gewissen Nichtachtung als niedere Jurisprudenz bezeichnet, heute allein als Wissenschaft anerkennen und in der höheren Jurisprudenz nur eine Verirrung sehen.« Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 387. Den eigentlichen Terminus »naturhistorisch« hat Jhering entgegen F.Wieacker, Jhering (1969), S. 21 Fn. 88 nicht schon in Geist I (11852) erstmals verwendet, sondern erst in den Passagen zu § 41 von Geist II/2, die – wie bereits dargelegt (vgl. S. 466 Fn. 2306) – in den Jahren 1855/56 entstanden und 1858 in erster Auflage publiziert worden sind [vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 385, 389 und im Anschluss daran Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 10, 18 (= Ges. Aufs. I, S. 8, 16)]. Bereits J.Rascher, Brinz (1975), S. 58 Fn. 40 hat aber darauf hingewiesen, dass vor Jhering schon A.Brinz, Savigny-Rezension (1853), S. 1f. im Jahre 1853 davon gesprochen hatte, dass »viel mehr neben als aus dieser [sc. geschichtlichen] Richtung […] eine neue erwacht zu sein« scheine, die »ausgeht von dem Gedanken, dass auch das Recht eine Natur hat, seine Elemente und seine Geschöpfe, seine Gattungen und seine Individuen, seine Macht und seine Schwäche, seinen Zufall und sein Gesetz […]. Man könnte diese Richtung die naturhistorische nennen.« Vgl. unten S. 514 Fn. 2563 zur Bedeutung des Terminus bei Jhering und in der Wissenschaftssprache des 19. Jahrhunderts. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 387 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 387 sowie dazu nachdrücklich zustimmend C.F.W.v.Gerber in seinem Brief vom 28. November 1856 an Jhering [Losano-Briefe I /1984, Nr. 69, S. 222f.]. So suchte beispielsweise in der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft Leopold von Ranke nach dem methodischen »Grundsatz, aus welchem ihr [sc. der Historie als Wissenschaft] eigentümliches Leben zukäme« [zitiert nach W.Hardtwig, Historie (1978), S. 15].

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Die Methode der Rechtswissenschaft

geschichte2316, wie auch gegenüber allen sonstigen rechtsfremden Wissenschaften, nicht zuletzt gegenüber den Naturwissenschaften behaupten konnte2317. 2316 Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 45, S. 498 zur Unterscheidung zwischen der »Rechtsphilosophie« und der »historischen Darstellung« des Rechts von der »positiven Jurisprudenz«. Alle drei »einzelnen Zweig[e] der Wissenschaft«, die Rechtsphilosophie, die Rechtsgeschichte und die Rechtsdogmatik, bezeichnete Jhering am Schluss seiner Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 78, 92 als wissenschaftlich vollwertig und nicht wechselseitig austauschbar : »Und wenn ich jetzt die Summe ziehe von dem, was ich gesagt habe, so nenne ich die Rechtswissenschaft das wissenschaftliche Bewußtsein in Dingen des Rechts, das Bewußtsein […] nach Seiten der Rechtsphilosophie hin […], nach Seiten der Rechtsgeschichte […], nach Seiten der Dogmatik […]«. Allerdings – so meinte Jhering, aaO, S. 55 auch hier noch – sei »das Moment der Wissenschaftlichkeit […] auf dem Boden des positiven Rechts selber, in der Dogmatik, […] schwerer zu behaupten als in den beiden anderen Gebieten der Jurisprudenz: in der Rechtsphilosophie und der Rechtsgeschichte […].« 2317 Von den Wissenschaften mit einem im 19. Jahrhundert unbestrittenen Wissenschaftscharakter kann man allerdings auch nur in einem sehr relativen Sinn sprechen. Innerhalb der – im weiteren Sinne – juristischen Fachdisziplinen war es allein die »Dogmatik des positiven Rechts« gewesen, deren Wissenschaftscharakter im Unterschied zur Philosophie des Rechts und später noch zur Rechtsgeschichte [vgl. N.Falck, Encyclopädie (1821), § 19, S. 31 mit Fn. 20] auch um 1850 noch – wie der Vortrag Kirchmanns über die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft belegt – zumindest umstritten war, nachdem früher einmal, nämlich vor dem Auftreten Savignys, allgemein eine vom Vernunftrecht unterschiedene Dogmatik des geltenden Rechts entweder überhaupt nicht vorgesehen oder aber – wie bei Gustav Hugo – als nicht wissenschaftlich betrachtet worden war [vgl. A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 64, 95]. Aus der weiter gefassten Perspektive der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte betrachtet gab es allerdings in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts praktisch keine universitäre Disziplin, die sich nicht zur »Erhebung […] zum Rang einer Wissenschaft« [J.G.Droysen, Historik (1857/1882), S. 451], zur Rechtfertigung ihrer Wissenschaftlichkeit genötigt sah, wie dies – allerdings unter Abweisung des naturwissenschaftlichen Wissenschaftsparadigmas – im Jahre 1863 der Historiker Droysen für den Bereich der Geschichtswissenschaft formuliert hat [A.Diemer, Wissenschaftstheorie (1968), S. 46; Ders., Natur- und Geisteswissenschaften (1968), S. 206, 217; J.Schröder, Gesetzesauslegung (1985), S. 50]. Vgl. ebenso aber auch schon die ein Menschenalter zuvor für das Pandektenrecht gestellte gleiche Frage von K.S.Zachariä, Behandlung (1795), S. 8, »in wie fern […] ein besonderes positives Privatrecht überhaupt zu dem Range einer Wissenschaft erhoben werden kann?«. Den Anlass zu dieser Frage hatte Zachariä, aaO, S. 5 schon kurz vor der Jahrhundertwende darin gesehen, dass »das Bedürfnis nach Wissenschaft immer lauter und lauter wird« und – damals allerdings noch mit Ausnahme der Juristen – »jeder Gelehrter in seinem Fache, durch Thätigkeit seines Nachbars, zu einer verhältnismäßigen Anstrengung gereizt und aufgefordert wird«. Gewechselt haben zwischen 1800 und 1850 bei den Bemühungen, auch die eigene Disziplin zum »Range einer Wissenschaft« zu erheben, lediglich das herrschende Wissenschaftsparadigma, wie die naturwissenschaftliche Disziplin der Chemie anschaulich belegt. Wurde ihr unter dem philosophischen Wissenschaftsparadigma von Kant noch der Charakter einer eigentlichen Wissenschaft rundheraus abgesprochen, da sich die Chemie nicht nach Prinzipien a priori konstituiere, sondern »blos empirische Gewißheit« enthalte [A.Diemer, Wissenschaftstheorie (1968), S. 32f.; J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 148; ferner zu diesem Wissenschaftsparadigma auch

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

471

Als eine dem Verständnis der praktischen Rechtsgewinnung dienende Methodologie »juristischer Technik« beabsichtigte Jherings Darstellung der »höheren Jurisprudenz« bzw. »naturhistorischen Methode« erstens die Beschreibung und Erklärung des von der Dogmatik geschaffenen »kunstgemäßen Mechanismus des Rechts«, die von Jhering sogenannte »objektive Technik« der Wissenschaft, »die die Operation der Anwendung des Rechts möglichst unterstützt und erleichtert« [vgl. dazu Abschnitt 2 b) bb)], und zweitens die methodentheoretische Reflexion über die »juristische Kunst« der Rechtsanwendung selbst, die von Jhering sogenannte »subjektive Technik« aus der Richterperspektive [vgl. dazu Abschnitt 2 b) cc)]2318. Von diesen beiden im Rahmen einer Methodologie der praktischen Rechtsgewinnung verbleibenden Reflexionen über die »juristische Technik« lässt sich aber noch ein dritter Aspekt in Jherings Darstellung der »höheren Jurisprudenz« unterscheiden, nämlich der von aller rechtsanwendungsbezogenen Dogmatik noch völlig abstrahierende Versuch einer Klärung des wissenschaftstheoretischen Status, des Gegenstandsbereiches sowie der rechtstheoretischen Funktion der »höheren Jurisprudenz« als einer der rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung dienenden Strukturtheorie des Rechts. Diese Strukturtheorie soll im Folgenden zunächst behandelt werden, da sie die theoretische Grundlage für die beiden rechtsanwendungsbezogenen Dimensionen der juristischen Technik betrifft.2319. M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 376ff., abweichend hingegen A.Kaufmann, Wissenschaftlichkeit (1986), S. 425], und erschien noch um 1830 K.T.Welcker, Encyklopädie (1829), S. XIV die Naturwissenschaft gerade einmal als eine »der untersten« Wissenschaften zu »w i s s e n s c h a f t l i c h e [ m ] Erkennen« geeignet, so wurde um 1850 die Naturwissenschaft und dort – wie nicht zuletzt die Rückwirkungen auf die zeitgenössischen Juristen zeigen – vor allem die Chemie, gefolgt von der Physik, zu der Leitwissenschaft überhaupt [vgl. dazu die für die unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen angeführten Belege bei A.Diemer, Natur- und Geisteswissenschaften (1968), S. 204ff.; K.E.Rothschuh, Physiologie (1968), S. 124f. sowie B.Klemann, Jherings Wandlung (1991), S. 147, 149 m.w.N.; J.Rascher, Brinz (1975), S. 61]. Insofern untypisch früh war die programmatische Forderung des Naturrechtlers L.A.Warnkönig, Versuch (1819), S. IIIf., VI, S. 68: »Die Rechtswissenschaft muß eine Naturwissenschaft werden, um ihren Rang im Kreise der Wissenschaften behaupten« zu können – eine Forderung allerdings, mit der Warnkönig noch keineswegs das Recht selbst mit der Natur hatte vergleichen wollen, sondern mit der er im Hinblick auf die »physische[n] Naturgesetze« lediglich die von ihm vermuteten »Ursachen der gleichmäßigen Bildung aller menschlichen Dinge und so der Staats- und Rechtsformen« nachzuweisen versucht hatte. 2318 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 339f. 2319 Mit den drei von einander zu unterscheidenden Aspekten einer theoretischen Reflexion über die Eigenart der technisch-konstruktiven Behandlung des geltenden Rechts [dazu folgend Abschnitt 2 a)] sowie der Darstellung der Prinzipien konstruktiver Begriffs- und Systembildung [dazu anschließend Abschnitt 2 b) aa)] und der Rechtsgewinnung im Einzelfall [dazu schließlich Abschnitt 2 b) bb)] umfasst Jherings Theorie der naturhistorischen Methode alle Voraussetzungen, die nach W.Krawietz, Konstruktion (1976), S. 6 erfüllt sein müssen, um »im Hinblick auf das verfolgte wissenschaftliche Anliegen und

472

Die Methode der Rechtswissenschaft

a)

Die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode« als eine Strukturtheorie des Rechts

aa)

Der wissenschaftstheoretische Status der »höheren Jurisprudenz«

Die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode« als eine Strukturtheorie des Rechts bezeichnet den Aspekt von Jherings »Theorie der juristischen Construction«, den Mario G. Losano als Jherings Versuch einer »MetaRechtswissenschaft« im Sinne einer Beschreibung und Klärung der die »juristische Construction« und damit die Rechtsdogmatik konstituierenden Elemente bezeichnet hat2320. Versteht man Metawissenschaft wissenschaftstheoretisch als eine »höhere«, nämlich der jeweiligen wissenschaftlichen Untersuchung noch vorgelagerte Instanz, die zunächst den Gegenstandsbereich einer Wissenschaft bestimmt und anschließend die sich aus dem Gegenstand ergebenden Voraussetzungen für die Konstituierung der Wissenschaft als Wissenschaft beschreibt2321, dann kann man in der »höheren Jurisprudenz« Jherings auch den Versuch einer gezielt und exklusiv den Gegenstandsbereich »juristischer Technik« reflektierenden Metatheorie sehen2322. Ohne eine »höhere« bzw. »naturhistorische Auffassung des Rechts« mochte die »juristische Technik« nach Jhering wohl durchaus Erkenntnisinteresse […] von dem Versuch […] eine[r] Theorie der juristischen Technik und Konstruktion« sprechen zu können. 2320 M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 143 ( = M.G.Losano, Studien (1984), S. 115). Dagegen B.J.Choe, Culpa (1988), S. 137. 2321 A.Diemer, Wissenschaftstheorie (1968), S. 6; M.Priester, Rechtstheorie (1971), S. 56ff.; G.Jahr, Rechtstheorie (1971), S. 311. In der Rechtswissenschaft ist es Anfang des 20. Jahrhunderts Georg Jellinek gewesen, der im Rahmen seiner Allgemeinen Staatslehre den modernen Ausdruck einer »metajuristischen« Untersuchung geprägt hat [H.M.Pawlowski/S.Smid, Artikel »Allgemeine Rechtslehre« in: N.Achterberg, LdR 2/10 (1985), S. 2]. 2322 T.Viehweg, Rechtsdogmatik (1970), S. 215f.; A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 132f. Viehweg, aaO spricht von dem in der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur bis dahin einmaligen Versuch einer reflexiven Rechtsforschung, die das juristische Denken selbst zum wissenschaftlichen Beobachtungsobjekt mache. Ähnlich auch schon E.Hurwicz, Ihering (1911), S. 44ff. sowie A.Baumgarten, Wissenschaft (1920), S. 18, 393, 396. Zwar war – worauf A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 153 hingewiesen hat – auch schon früher von der Notwendigkeit einer »juristischen Wissenschaftslehre« gesprochen worden, in der »die Rechtswissenschaft sich gleichsam selbst anschaut« [J.F.T.Schnaubert, Wissenschaftslehre (1819), § 12, S. 8; § 174, S. 140]. Aber solche Werke wie das vorgenannte hatten noch nicht eine Theorie über das Verfahren rechtsdogmatischer Erkenntnistätigkeit zum Ziel, sondern beschränkten sich auf Ergebnisse einer solchen Erkenntnis, nämlich auf den aus konkreten Rechtsordnungen gewonnenen »Organismus von Erkenntnissen«, das heißt auf »allgemeine Begriffe, Eintheilungen und Rechtssätze« (aaO). Als das in der Jurisprudenz erste Werk dieser Art bezeichnet J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 147 Fn. 72 den 1797 erschienenen »Abriß der Wissenschaftskunde und Methodologie der Rechtsgelehrsamkeit« von Gottlieb Hufeland.

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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»in richtiger Weise g e h a n d h a b t werden, aber b e g r i f f e n werden kann sie nicht. Dies ist erst von jenem höhern [nur von unserm] Standpunkt möglich.«2323

Wenn man hier zunächst einmal absieht von der Frage, ob es von Jherings »höherem« Standpunkt aus tatsächlich möglich sein konnte, die Praxis der juristischen Technik besser zu begreifen, so war das Besondere seines Ansatzes, dass es Jhering bei dem »Begreifen« nicht nur um eine anschließend von einem wirklichen Methodenbewusstsein geleitete »Handhabung« gegangen ist, sondern – unter bemerkenswert konsequenter Anwendung des allgemeinen zeitgenössischen Wissenschaftsbegriffs2324 auch auf den Bereich der Rechtsdogmatik – »zugleich [um] ein rein wissenschaftliches Interesse«, nämlich um eine von keinem konkreten Anwendungszweck geleitete Rechtserkenntnis, bei der »schon die Lust und Freude an Entdeckungen den Forscher weiter trieb[en]«2325. Denn dies sollte eben auch auf dem Gebiet der Rechtsdogmatik eine Voraussetzung für neue »Erfindungen und Entdeckungen« sein2326. Eben so hatte es der mit Jhering fast gleichaltrige Physiker und Physiologe Hermann von Helmholtz nur wenige Jahre später formuliert: »Wer bei der Verfolgung der Wissenschaften nach unmittelbarem praktischen Nutzen jagt, kann ziemlich sicher sein, dass er vergebens jagen wird. […] Der einzelne Forscher muss sich belohnt sehen durch die Freude an neuen Entdeckungen, als neuen Siegen des Gedankens über den widerstrebenden Stoff; durch die ästhetische Schönheit, welche ein wohlgeordnetes Gebiet von Kenntnissen gewährt, in welchem ein geistiger Zusammenhang zwischen allen einzelnen Theilen stattfindet, eines aus dem anderen sich entwickelt und alles die Spuren der Herrschaft des Geistes zeigt.«2327

In diesem Kontext zeigt schon Jherings Terminologie »rein wissenschaftliches Interesse«, »Erfindungen«, »Entdeckungen«, »Forscher«2328, dass Jhering, der 2323 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 [= ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 13 mit einer hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderung beim Wiederabdruck im Jahre 1881]. 2324 Vgl. W.Bumann, Wissenschaft (1970), S. 74f., wonach zu Beginn des 19. Jahrhunderts »Wissenschaft« im allgemeinen Wissenschaftsverständnis erstens zu einem Wertbegriff wurde und zweitens ihren vor allem im 17. und 18. Jahrhundert angenommenen Zweckcharakter verlor, indem sie ihre Legitimation nicht mehr durch ihren Nutzen, sondern durch ihren Wert für die Erkenntnis im Sinne eines reinen Wissenwollens erlangte. Vgl. ferner auch A.Diemer, Wissenschaftstheorie (1968), S. 3ff. zur Begründung des Wissenschaftscharakters der Wissenschaft im 19. Jahrhundert. Nach Mitteilung von A.Diemer, aaO, S. 10 wurde der für die Wissenschaft grundlegende Begriff der Theorie in einer französischen Enzyklopädie Ende des 18. Jahrhunderts bereits definiert als »doctrine qui se borne / la consid8ration de son objet, sans aucune application / la pratique soit que l’objet en soit susceptible ou non«. 2325 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 15). 2326 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 404. 2327 H.v.Helmholtz, Naturwissenschaften (1903), S. 182. 2328 Man muß sich bei Jherings Verwendung dieser Ausdrücke der Konnotationen bewußt sein, die in der zeitgenössischen Gelehrtenwelt mit ihnen verbunden wurden. Die Rede vom

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Die Methode der Rechtswissenschaft

hier wohlgemerkt nicht von der Rechtsgeschichte2329 oder einer geschichtlich verstandenen Rechtsdogmatik etwa im Sinne einer »Rekonstruktion« des geltenden Rechts durch dessen Rückführung auf seine zu »erforschenden« geschichtlichen Ursprünge, sondern von der ganz auf die »technische Auffassungsweise«2330 beschränkten Dogmatik des geltenden Rechts sprach, mehr im Sinn hatte, als eine juristische Methodenlehre für die Rechtspraxis und auch »Forscher« und vom »Forschen« war zwar nicht erst eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, aber sie erlebte in diesem Jahrhundert einen grundsätzlichen Bedeutungswandel sowie damit verbunden einen ungeheuren Aufschwung und eine allgemeine Verbreitung in der damals noch als einheitlich verstandenen Wissenschaftswelt. Während nämlich im 18. Jahrhundert die Bezeichnung des »Forschers« beispielsweise auf dem Gebiet der Geschichte nicht mehr bedeutet hatte als »Geschichtskenner«, »Gelehrter« auf dem Gebiet der Geschichte, wurde der Ausdruck »Forschung« im 19. Jahrhundert immer stärker zum Synonym für eine vom einzelnen Forschersubjekt unabhängige methodengeleitete Untersuchung, die »zugleich kritisches Verhalten und Produktion« war – »kritisch«, weil die Untersuchung auf unmittelbarer Analyse des Untersuchungsgegenstandes selbst beruhte anstelle seiner Deutung durch bereits vorher deduzierte Prinzipien; »Produktion«, weil die Untersuchung durch theoretische Verarbeitung von im Wege der Analyse gefundenen Ergebnissen kontinuierlich Neues und Unbekanntes erschließen sollte [W.Hardtwig, Historie (1978), S. 11, 15; A.Diemer, Wissenschaftstheorie (1968), S. 41]. Vgl. auch R.Stichweh, Wissenschaftlichkeit (1992), S. 330 zum Ausdruck »Forschung« als Leitbegriff des neuen Wissenschaftsverständnisses des 19. Jahrhunderts. Daher ist es zum Verständnis von Jherings Konzeption einer »rein wissenschaftlichen« Untersuchung des Rechts bereits terminologisch aufschlussreich, wenn er von den »Entdeckungen« des »Forschers« sprach und meinte: Die »treibenden Kraft des Gedankens, die innere Dialectik […] [schiebt und drängt uns weiter und] bringt uns damit zu neuen Entdeckungen; sie offenbart uns die entlegensten und verborgensten Beziehungen und Seiten« des Rechts [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 19 [= ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 16 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz im Wiederabdruck von 1881]. 2329 Dass Jhering sich in »Unsere Aufgabe« überhaupt, bevor er sich »dem eigentlichen Gegenstande der vorliegenden Betrachtung […], der Dogmatik« zuwandte, auf den ersten Seiten auch zur Rechtsgeschichte äußerte, hatte mit der beabsichtigten Darlegung des »Charakter[s] einer n a t u r h i s t o r i s c h e n Un t e r s u c h u n g « nur sehr mittelbar zu tun [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 7, 10 (= Ges. Aufs. I, S. 6, 8)]. Jhering nahm auf diesen Seiten nämlich Bezug auf seinen »Versuch einer neuen [sc. ergänzenden] Methode« der rechtshistorischen Untersuchung (vgl. oben Teil 1, S. 175 Fn. 800). »Durch eine solche Methode, wie immerhin wir sie nennen wollen«, könne man nämlich auch auf dem Gebiet »der Rechtsgeschichte von einer p r o d u c t i v e n Thätigkeit« und von »rechtshistorischen Entdeckungen« sprechen [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 5f. (= Ges. Aufs. I, S. 4f.)]. Lediglich dieser Aspekt wissenschaftlicher »Production des Subjects«, also des Wissenschaftlers durch – allerdings nicht rechtsbegriffliche, sondern historische – »Abstractionen« diente Jhering als Anknüpfungspunkt für die Darstellung der im Unterschied zu Jherings Methode der Rechtsgeschichte allerdings gar nicht neuen, sondern bereits von den römischen Juristen der Antike praktizierten »juristischen Methode« der Dogmatik. Auf diese traf nach Jhering der Aspekt der »Produktivität« ohnehin »in ungleich höherem Maße« zu als auf die am Beispiel des altrömischen Rechts im »Geist« erstmals praktizierte sogenannte produktive »Methode der rechtshistorischen Darstellung« [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 12ff. und § 5, S. 51ff. sowie Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 5, 7 (= Ges. Aufs. I, S. 5f.]. 2330 Jhering, Civilrechtsfälle (11847), S. IX.

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mehr als nur die methodologische Grundlegung der »juristischen Technik«, die nach Jhering schon von den römischen Juristen in »meisterhafte[r] Anwendung«2331, aber noch ohne ein entsprechendes wissenschaftliches Methodenbewusstsein praktiziert worden sei2332. Jhering wollte nämlich vielmehr demonstrieren, dass es nicht anders als in anderen Wissenschaften auch für die Rechtsdogmatik eine spezifisch juristische Grundlagendisziplin gebe, die allein vom Gegenstand des geltenden Rechts ausgehend unabhängig vom Willen des Gesetzgebers, von Kenntnissen über die geschichtliche Genese des jeweiligen Rechts und insbesondere auch unabhängig von aktuellen Fragen der gegenwärtigen Rechtspraxis Raum lasse für freie Forschung, für die wissenschaftliche »Lust und Freude an Entdeckungen«, die dann erst mittelbar, nämlich genau so wie nicht selten ganz zufällige »Entdeckungen der Naturwissenschaft […] dem Leben zu Gute« kämen, also eine praktische Anwendung in der zeitgenössischen Rechtsdogmatik fänden2333. Die vollständige methodologische Vergleichbarkeit von naturwissenschaftlicher und von rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung mag eine wissenschaftstheoretische Illusion Jherings gewesen sein. Aber wenn Rechtstheorie »eine kontemplative, wissenschaftliche Behandlung des Rechts« impliziert2334 und Ausdruck für »das Bedürfnis nach einer spezifisch juristischen Grundlagendisziplin« ist2335, dann wollte Jhering auf seine Weise zwar noch nicht dem Namen, aber der Sache nach bereits eine Rechtstheorie im modernen Sinne des Wortes, nämlich eine durch ihren »Bezug auf die Rechtsdogmatik definiert[e]« wissenschaftlich »allgemeine juristische Theorie des Rechts und der Rechtswissenschaft« formulieren, die zwar »ihre Begriffe und Theorien stets auch am geltenden Recht und an der Rechtsdogmatik zumindest des Rechtssystems, in dem der Rechtstheoretiker arbeitet, überprüfen und an ihnen exemplifizieren« lässt, im Übrigen aber über alle »juristischen Einzeldogmatiken« hinaus wissenschaftliche Geltung beansprucht2336. Nur durch eine Untersuchung des Rechts, die solchermaßen befreit ist von dem Status einer bloßen »Lastträgerin des Gesetzgebers, einer Sammlerin po2331 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 32 Fn. 16. 2332 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 322ff. Dies entspricht auch noch der heutigen romanistischen Einschätzung von T.Giaro, Mehrzweckmodell (1992), S. 325, dass die Römer mit den Regeln und Definitionen des klassischen Juristenrechts bestenfalls eine »theoretische Praxis« gekannt hätten, aber niemals zu einer eigentlichen Rechtstheorie vorgestoßen seien, »es sei denn, daß man bereit wäre, die juristische Systembildung mit der Theoriebildung zu verwechseln.« 2333 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 15). 2334 So T.Giaro, Mehrzweckmodell (1992), S. 325. 2335 So R.Dreier, Rechtsphilosophie (1992), S. 20. Vgl. auch W.Krawietz, Entscheidung (1978), S. 200ff., 210ff. 2336 R.Dreier, Rechtsphilosophie (1992), S. 20f. und speziell mit Bezug auf Jhering DERS., Jhering (1993/1996), S. 223ff., 226.

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sitiver Einzelnheiten« des geltenden Rechts2337, wie zuletzt von Kirchmann gegen die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz vorgebracht, und auch nur durch »die Emancipation der Jurisprudenz von dem Zufall des unmittelbaren Bedürfnisses« der Rechtspraxis2338 sah Jhering die für echte Wissenschaft unerlässliche »eigentliche w i s s e n s c h a f t l i c h e Fr e i h e i t d e r Ju r i s p r u d e n z «2339 gewährleistet und die »Erhebung der Jurisprudenz […] zu einer wahren Kunst und Wissenschaft« vollzogen2340. Erst durch diese »Erhebung« glaubte Jhering, dass der Rechtsdogmatik »das demüthige Loos erspart [wird], sich lediglich durch die Praxis zu neuen Entdeckungen anregen zu lassen, und so zu sagen, hinter ihr her zu hinken« statt wie eine wahre Rechtswissenschaft aufgrund der Forschung »mit ihren Antworten den Fragen der Praxis voranzueilen«2341. 2337 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 389. Vgl. J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848), S. 22: »Insoweit bleibt also der Wissenschaft nur das Werk des Erklärens, Verdeutlichens, das Werk des Schulmeisters; kein Wunder, dass die Wissenschaft sich damit nicht befassen mag«. Tatsächlich bezeichnete Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 13 (= Ges. Aufs. I, S. 11) die hermeneutische Tätigkeit der Jurisprudenz als eine in wissenschaftlicher Hinsicht »niedere« und meinte, dass »die Begeisterung, deren der Jurist für seine Wissenschaft fähig ist«, tatsächlich unerklärlich wäre, »wenn der Jurist verdammt wäre, sich in jenen niedern Regionen herumzutreiben«. 2338 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. In der dritten Auflage von 1875 hat Jhering diesen Passus zwar gestrichen; er tat dies aber nicht, weil er nicht mehr davon überzeugt gewesen wäre, dass sich die Jurisprudenz »nicht auf praktische Fragen beschränken darf« (aaO). Nie wollte Jhering »einer ausschließlich praktischen Bearbeitung der Jurisprudenz das Wort reden – wer etwas von mir weiß, weiß, daß ein beträchtliches Stück meiner wissenschaftlichen Thätigkeit sich in völlig anderen Regionen bewegt, als in denen der praktischen Jurisprudenz« [Jhering, Civilrechtsfälle (21870), S. V]. Aber anders noch als 1858 sah er später die »wissenschaftliche Freiheit« auf dem Gebiet der »Technik« des Rechts immer unter dem nicht wissenschaftlich begründbaren Vorbehalt der Richtigkeit des Ergebnisses. Die ausschließlich der »Wahrheit« verpflichtete wissenschaftliche Freiheit der Jurisprudenz verlegte er dagegen auf das Gebiet der Analyse der materiellen »Zwecke« des Rechts [vgl. dazu O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 90]. 2339 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. 2340 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 389. Vgl. auch Jhering in einem Brief vom 18. Januar 1866 an Wilhelm Arnold (abgedruckt in: Kroeschell-Briefe I /1978, Nr. 2, S. 275) zur »Erhebung des Materials, das die Gesetze und Verordnungen uns bieten« zur – so Jherings eigene Hervorhebung – »Rechtswissenschaft«. Der Vergleich mit Johann Gustav Droysens programmatischer »Erhebung der Geschichte zum Rang einer Wissenschaft« (vgl. oben S. 470f. Fn. 2317) zeigt, wie sehr sich im Hinblick auf dieses wissenschaftstheoretische Ziel fächerübergreifend sogar die Formulierungen ähnelten. 2341 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18f. (= Ges. Aufs. I, S. 16). Von dem unter »allen Bearbeitern der Wissenschaft« vermeintlich »traurigste[n] Loos« der Juristen, denen scheinbar »der Gegenstand ihres Forschens stets dahinschwinde, hatte schon N.Falck, Betrachtungen (1819), S. 16f. gesprochen, dessen «Juristische Encyklopädie« Jhering nach Falcks Tod als dessen ehemaliger Universitätskollege in Kiel 1851 in fünfter Auflage herausgegeben hat. Falck hatte allerdings noch an die Existenz von »rationellen Rechtswahrheiten«geglaubt, die als »das Bleibende und Ewige« nicht »dem Wechsel der Zeiten« unterlägen und durch eine »juristische Mathematik« ermittelbar wären (aaO, S. 13, 17).

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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Da Jherings wissenschaftstheoretisches Vorbild die zeitgenössischen Naturwissenschaften waren, zog er sie auch immer gern zum »Vergleich«2342 heran: »So wie die Naturwissenschaft die für das Leben folgenreichsten Entdeckungen in der Regel bei Fragen und Untersuchungen macht, die von vornherein gar keine praktische Beziehung hatten«2343

bzw. – so Jherings leicht überarbeitete Formulierung von 1875 – »gar keine Ausbeute in Aussicht stellten«2344, und »wie sie regelmäßig dadurch dem Leben am meisten d i e n t , daß sie sich ihm e n t z i e h t «2345, »so auch die Jurisprudenz. Ihre besten Entdeckungen macht sie nicht selten«2346 bzw. – wie Jhering in der vierten Auflage von 1883 abschwächte – »mitunter in völlig unpraktischen Regionen.«2347 Jhering legte dabei Wert auf die Feststellung, dass sein »Vergleich mit der Naturwissenschaft […] keine müßige Spielerei« sei2348, sondern vielmehr im Gegenstand der höheren Jurisprudenz, also dem Recht, seine tiefere Begründung finde.

bb)

Die »naturhistorischen Objecte« auf dem Gebiet des Rechts als Gegenstand der »höheren Jurisprudenz«

In seinem persönlichen Handexemplar zu Geist II/2 notierte Jhering handschriftlich neben den die Darstellung der »naturhistorischen Anschauungsweise des Rechts« einleitenden Sätzen in dem für die Darstellung der »juristischen Construction« zentralen § 41: »Da die ganze Anzahl der Bedingungen oder Theile aller Naturerscheinungen begränzt u[nd] verhältnißmäßig klein ist, so gelingt es zuletzt[,] alle Naturerscheinungen in Begriffe aufzulösen. Dieß ist die Aufgabe d[er] Wissenschaft; ihr Fortschritt ist abhängig von der Vereinfachung d[er] Thatsachen, er steht aber [sc. nicht] im Verhältniß zu ihrer Anzahl, sondern zur Summe des von den Thatsachen abgeleiteten Denkstoffs 2342 2343 2344 2345

Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 17 (= Ges. Aufs. I, S. 15). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 411. Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 386. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 411. Die Sperrung im Text hat Jhering in der zweiten Auflage eingefügt [Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 369]. 2346 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 411. 2347 Jhering, Geist II/2 (41883), § 41, S. 386. Vgl. unten S. 526ff. zu den Gründen für diese Abschwächung. Dass aber Jhering nur in seinem 1856 erschienenen Programmaufsatz »Unsere Aufgabe« zwischen Wissenschaft und Praxis unterschieden und der rechtswissenschaftlichen »Theorie eine eigene, für die Praxis wegweisende Funktion zuerkannt« hätte, wie R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 222 Fn. 91 behauptet, ist, wie die vorstehend angeführten Nachweise belegen, keineswegs zutreffend und verkennt Jherings mit der höheren Jurisprudenz verbundene wissenschaftstheoretische Prämissen. 2348 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 389.

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Die Methode der Rechtswissenschaft

oder Gedankenmaterials. Tausend Thatsachen für sich ändern den Standpunkt der Wissenschaft nicht […].«2349

Tatsächlich wurden – worauf Bernd Klemann hingewiesen hat – in den fünfziger Jahren in der nachweislich von Jhering aufmerksam verfolgten aktuellen Diskussion unter den zeitgenössischen Chemikern die Grundlagen für die sogenannte Strukturtheorie gelegt. Deren neue Vorstellung bestand darin, dass man bei der Erklärung von in der Natur vorkommenden chemischen Verbindungen auf die sie konstituierenden Elemente selbst zurückgehen müsse und dass sich alle organischen Verbindungen durch die Wissenschaft auf verhältnismäßig wenige Typen reduzieren ließen2350. Jhering zeigte sich also mit seiner vorzitierten handschriftlichen Bemerkung nicht nur auf der Höhe der Zeit in der Fachdiskussion der Chemie2351, sondern er sah auch einen unmittelbaren Bezug zum Recht und forderte daher : »Die Jurisprudenz s o l l keine Organismen

2349 Vgl. in Jherings Handexemplar von Geist II/2 (11858), § 41, S. 384. 2350 Vgl. B.Klemann, Jherings Wandlung (1991), S. 147ff. m.w. N.. Klemann weist auch darauf hin, dass einer der drei Protagonisten der sogenannten Strukturtheorie in der Chemie ein Schüler von Hermann Kopp war, mit dem Jhering nicht nur eng befreundet war [vgl. nur Losano-Briefe I /1984, Nr. 100 (Jherings Brief vom 8. Dezember 1858), S. 299; Nr. 121 (Jherings Brief vom 23. September 1859), S. 355], sondern bei dem Jhering 1860 sogar ein »Kolleg über physikalisch-chemische Probleme und Meteorologie« besucht hat. Jherings Söhne Hermann und Friedrich berichten, dass in Jherings Gießener Jahren (1852–1868) die Chemiker Hermann Kopp und Heinrich Will sowie der Physiker Heinrich Buff und der Zoologe Rudolf Leuckart »zu seinen intimsten Freunden« gehörten [H.Jhering, Erinnerungen (1912), S. 462f.; F.Jhering, Gießener Wirksamkeit (1907), S. 82 sowie dazu D.Klippel, Jhering (1992), S. 34 m.w.N.]. Auch Justus von Liebig, als dessen »unverbesserliche[r] Jünger« Jhering von F.Wieacker, Jhering (1969), S. 18 bezeichnet wird, war in Gießen bis Ende 1852 kurzzeitig Jherings Universitätskollege [D.v.Stephanitz, Exakte Wissenschaft (1970), S. 148 Fn. 205]. Mit ihm ist Jhering unmittelbar nach seiner Ankunft in Gießen in engeren Kontakt getreten [vgl. Losano-Briefe I /1984, Nr. 16 (Jherings Brief an Gerber vom 8. Mai 1852), S. 48f.]. Zudem wohnte Jhering in Gießen bis 1865 direkt gegenüber dem von Liebig begründeten chemischen Institut der Universität Gießen, der damals modernsten Einrichtung ihrer Art in Deutschland [E.Schmauderer, Stellung (1969), S. 57; D.Klippel, Jhering (1992), S. 34], in deren Laboratorium, wie Jhering in seinen Schriften auch einmal selbst erwähnte [vgl. Jhering, Zweck I (11877), S. 544], Liebig erstmals eine systematische Analyse organischer Körper vorgenommen und damit eine wichtige Grundlage für die organische Chemie geschaffen hatte [E.Schmauderer, Stellung (1969), S. 42f.; H.J.STÖRIG, Wissenschaft II (1982), S. 128f.]. Von dem Stellenwert, den Jhering den zeitgenössischen Naturwissenschaften beimaß, mag auch folgende aus dem Jahre 1864 stammende briefliche Mitteilung Jherings an Julius Glaser zeugen: »Da nun im September in Gießen die Naturforscher Versammlung Statt finden wird, welche mich nicht weniger als irgend ein Mitglied [sic!] in Anspruch nehmen wird, so mag ich nicht kurz vorher den J.T. [sc. Juristentag in Braunschweig] mitmachen […]« [LosanoBriefe II /1996, Nr. 6 (Brief vom 24. Juni 1864), S. 79]. 2351 Dazu und zum Übergang von der Naturphilosophie zur experimentellen Chemie in der Zeit zwischen 1800 und 1860 E.Schmauderer, Stellung (1969), S. 42–44, 57, 63, 67–70.

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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kennen, so wenig wie die organische Chemie«2352, denn – so fügte er in der zweiten Auflage von 1869 entsprechend seiner oben zitierten handschriftlichen Notiz noch an – »sie löst dieselben [sc. organischen Verbindungen] auf«2353. Zu unterscheiden sei nämlich einerseits die organische Verbindung in der Realität vor der künstlichen Ausscheidung ihres jeweiligen »juristischen Prozentgehalt[s]«2354, wo sie noch »nothwendig den Eindruck eines ›Organismus‹ [macht]; alles greift in schönster Weise in einander, rechtliche und ethische Momente, Form und Inhalt«, und andererseits die Abstraktion von dieser Realität in der »wissenschaftlichen Behandlung« und die Übersetzung der Realität in die Anschauungs- und Ausdrucksweise der Wissenschaft. Denn sobald »die juristischzersetzende Kraft« der wissenschaftlichen Jurisprudenz »sich an einem Rechtsinstitut […] bethätigt« hat, ist – wie in der Chemie – »die schöne Blume […] dahin, und wir haben statt dessen Stickstoff, Sauerstoff u.s.w.«2355. Darin lag es nach Jhering auch begründet, warum in der Rechtswissenschaft der »Anfänger […] sich […] in eine ganz fremde Begriffs-Welt versetzt« sehe, »die keine Anknüpfungspunkte mit seiner bisherigen Bildung«2356 und seinen bisherigen von der Laiensicht geprägten Erfahrungen mit dem Recht biete. Das für Jhering Entscheidende war dabei, dass man ebenso wenig wie in den Naturwissenschaften diese dem Laien fremde wissenschaftliche »Begriffs-Welt« bzw. »bloß juristische« und ausdrücklich nicht »reale« »Rechtsatomistik« mit der Rechts2352 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 379; Ders., Geist II/1 (11854), § 31, S. 143. 2353 Jhering, Geist II/2 (21869), § 39, S. 335. Auch schon in Geist II/2 (11858), § 39, S. 361 wollte Jhering die Jurisprudenz im Hinblick auf ihre analytische Funktion als die »C h e m i e d e s R e c h t s « bezeichnen (aaO, § 39, S. 361), die die Institute in »einzelne Atome auflöst« (aaO, § 39, S. 377). Der Begriff des nicht in seine Bestandteile aufgelösten »Organismus« wurde Jhering dagegen geradezu zum Gegenbegriff wissenschaftlicher Erklärung und – so Jhering in einem Zusatz zur dritten Auflage von 1875 – zum Synonym für ein »Deficit […] häufig auch des klaren Denkens überhaupt«, denn es »gibt […] freilich keinen bequemern Ausdruck als ›organisch‹, – je verschwommener der Begriff, desto ›organischer‹ die Sache« [Jhering, Geist II/2 (31875), § 39, S. 351 Fn. 501 a.E.]. 2354 Losano-Briefe I /1984, Nr. 39a (Brief Jherings vom 2. Januar 1855 an Gerber), S. 133. Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 143 betrachtete es als die spezifische Aufgabe der »juristische[n] Untersuchung«, den, »wenn ich so sagen darf, […] Procentgehalt der einzelnen Verhältnisse an Rechtsstoff [zu] bestimmen. […] In dieser nothwendigen Beschränkung eine Einseitigkeit zu finden, ist wahrhaft absurd« bzw. – so Jhering, Geist II/1 (21866), § 31, S. 132 auch später – »höchst verkehrt.« 2355 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 378f. Nicht überzeugend ist es daher auch, wenn B.Klemann, Jherings Wandlung (1991), S. 147, 149 Jherings Vergleiche mit der Chemie mit einer um 1860 beginnenden Lösung Jherings »von der organischen Begriffsauffassung« und einer angeblich damit einhergehenden »Lösung von der Bindung an das römische Recht« in Verbindung bringen will. Erstens hat Jhering die »Bindung an das römische Recht« sowohl in juristischer als auch in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht nach 1860 nicht anders gesehen als vorher und zweitens hat er eine »organische Begriffsauffassung« nie vertreten. 2356 Jhering, Civilrechtsfälle (11847), S. IX.

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wirklichkeit verwechsle und damit verkenne, dass »die juristisch-zersetzende Kraft« »nicht die Dinge, sondern nur die Begriffe« zersetzt, »ohne daß sich an dem re a l e n , p r a k t i s c h e n Bestande […] das Geringste änderte«2357. Die antike römische Jurisprudenz hatte nach Jhering diesen Unterschied instinktiv verstanden, die Wissenschaft der Chemie des 19. Jahrhunderts machte ihn bei ihrer Zersetzung bzw. Auflösung organischer Naturverbindungen zur Grundlage ihrer wissenschaftlichen Forschung und gab damit anderen zeitgenössischen Wissenschaften ihr Leitbild2358. Nur im Hinblick auf die Theorie der 2357 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 378f. sowie dazu W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 177 Fn. 720 a.E. Jhering ist auch später bei dem Vergleich mit der Chemie geblieben. So setzte er in der dritten Auflage von 1875 erläuternd hinzu: »[…] aber daraus [sc. aus dem analytischen Wesen der Wissenschaft] zu folgern, daß die praktische Function der Rechtsverhältnisse dadurch beeinträchtigt werde, wäre um nichts besser als zu glauben, daß die Analyse des Chemikers die Natur selber zu alteriren vermöge« [Jhering, Geist II/2 (31875), § 39, S. 351] und dass sie – so formulierte er für die vierte Auflage von 1883 – »statt die Natur zu verstehen, sich mit ihr in Widerspruch setzen wollte« [Jhering, Geist II/2 (41883), § 39, S. 351]. 2358 Vgl. B.Klemann, Jhering (1989), S. 200f. sowie H.J.Hommes, Wissenschaft II (1982), S. 54f., 95 über die Bedeutung der »Atomistik […] fast für den ganzen Bereich der Wissenschaften« des 19. Jahrhunderts. Ferner auch W.Lepenies, Naturgeschichte (1976), S. 121f. So suchten Physiologen entsprechend den Methoden von Physik und Chemie den Organismus in seine physikalischen und chemischen Bestandteile zu zerlegen [K.E.Rothschuh, Physiologie (1968), S. 125], Sprachwissenschaftler verglichen die Arbeit des Philologen »sur des mots et des syllabes« mit derjenigen des Chemikers im Labor [E.Renan, L’avenir (1848/1890), S. 897] und sahen in der analytischen Methode der Chemie eine geeignete Methode, um die Sprache durch Zerlegung in ihre Elemente zu erforschen. Selbst Historiker verglichen ihren Forschungsgegenstand mit demjenigen der Chemie [vgl. A.Diemer, Natur- und Geisteswissenschaften (1968), S. 206f.]. Ebenso forderte damals beispielsweise der Rechtshistoriker W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. XIII »auch für die Geschichte ein Verständniß der kleinsten Theile, aus denen doch schließlich alles Leben, im geschichtlichen wie im naturwissenschaftlichen Sinne, besteht und hervorgeht.« Gleichzeitig lobte Arnold, aaO, S. XXI in seinem Vorwort das Werk des Mediziners und Philosophen Hermann Rudolf Lotze »Mikrokosmos, Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit« (3 Bde, 1856–1864) als den von der Seite der Naturwissenschaftler »zum erstenmal […] gelungenen Versuch, […] Natur- und Geschichtswissenschaften von einem einheitlichen, gemeinsamen Gesichtspunkte aus zu behandeln und die Methode, die bisher nur für die ersteren galt, auch auf die historischen Disziplinen anzuwenden. Es [sc. Lotzes Werk] wird deshalb zumal den Historikern, wie den Juristen und Nationalökonomen zu angelegentlichem Studium zu empfehlen sein.« Dem pflichtete Jhering in zwei Briefen an Arnold [Kroeschell-Briefe I /1978, Nr. 1 und 2 (Briefe vom 10. Dezember 1865 und vom 18. Januar 1866), S. 274f.] ausdrücklich bei und meinte nach Lektüre des ganzen Buches von Arnold: »Lotze werde ich mir empfohlen sein lassen!« Auch selbst bemühte Jhering noch in seiner posthum erschienenen Entwickl.gesch.(1894), S. 43 den Vergleich mit dem »Chemiker«, der die Zusammensetzung »eines Körpers […] analysiert«, um im Hinblick auf die Untersuchung der maßgeblichen geschichtlichen Faktoren im »Bildungsprozeß des Volkscharakters« das für den Historiker allerdings immer unerreichbar bleibende Forschungsideal der Geschichtswissenschaft zu formulieren, wobei Jhering den »Volkscharakter« selbst wohlgemerkt nicht als ein »Werk des N a t u r, sondern der G e s c h i c h t e « verstand.

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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Rechtsdogmatik sah Jhering »das Wesen der zersetzenden Methode« und damit das Wesen der Wissenschaft vom geltenden Recht nur »wenig […] zur Zeit noch von Seiten der Wissenschaft begriffen«2359. Voraussetzung für das Verständnis der »zersetzenden Methode« auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Untersuchung des geltenden Rechts war nach Jhering nämlich, dass man auch hier genau unterscheide einerseits zwischen demjenigen, was die Wissenschaft als Gegenstand ihrer Forschung inhaltlich als »Substanz […] fertig aus den Händen des Lebens« bekomme – für Jhering waren das im Falle der Rechtsdogmatik die Regelungsinhalte des Rechts, der »Rechts s t o f f « bzw. die »Rechts s u b s t a n z « 2360, und andererseits demjenigen, was die Wissenschaft auf der Ebene der wissenschaftlichen Abstraktion selbst schaffe, das war für Jhering im Falle der Rechtsdogmatik die Bestimmung und Formulierung der »ächt-juristische[n] Ideen«, die »specifisch-juristische, dem naiven Denken des Laien fremde Form« bzw. formale »Structur« des Rechts, die ihr Dasein gerade »nicht den realen Motiven, Zwecken, Impulsen des Lebens, sondern der Kunst« juristischer Abstraktion und Formulierung dieser Abstraktion durch die wissenschaftliche Jurisprudenz verdanke2361. Die Art und Weise, wie letztere dabei verfahre, mache erst »ihren eigenthümlichen wissenschaftlichen Charakter [aus], der sie von allen andern Wissenschaften unterscheidet.«2362 Der »Gränzlinie« zwischen der wissenschaftlichen »Structur« des Rechts und dem vorwissenschaftlichen »Rechtsstoff« war nach Jhering vom »Begriff [her] ganz scharf [zu] bezeichnen und »mit zwei Worten in Gegensatz [sc. zu] stellen, […] es [sind] die Worte: Rechts i n s t i t u t , Rechts b e g r i f f auf der einen und Rechts s ä t z e und, Rechts p r i n c i p i e n auf der andern Seite.«2363 Die »Rechtssätze« und »Rechtsprinzipien«, von Jhering zusammengefasst als die Gesamtheit der »Rechtsregeln«2364, nannte Jhering aufgrund ihrer jedem verständlichen

2359 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 378f. 2360 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 388. 2361 Jhering, Geist III/1 (11865), § 54, S. 172. Das vorbezeichnete Zitat steht zwar im Kontext von Jherings rechtshistorischer Untersuchung der »Begriffe des ältern [sc. römischen] Rechts« (aaO); die in ihm enthaltene Aussage traf nach Jhering aber nicht weniger auf die zeitgenössische Rechtsbildung zu. Vgl. zum rechtshistorischen Kontext im übrigen Teil 1, Abschnitt III, 1.a) bb) »Das Gewohnheitsrecht in rechtshistorischer Hinsicht«. 2362 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 387 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 2363 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 387. 2364 Jhering, Unsere Aufgabe(1856), S. 9 (= Ges. Aufs. I, S. 8). Vgl. bereits oben S. 320f. Fn. 1607 zu dem nur relativen, nämlich lediglich durch den Grad der Allgemeinheit bestimmten Unterschied von »Rechtssatz« und »Rechtsprinzip« in Jherings Sprachgebrauch. Jherings Hinweis, dass für den Charakter der »Rechtsregel« nicht »ä u ß e r l i c h die imperativische Form«, also die Formulierung als Gebots- oder Verbotsnorm, sondern der inhaltliche Normcharakter entscheidend sei [Jhering, Unsere Aufgabe(1856), S. 9 (= Ges.

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»imperativische[n] Form«2365 die »Erscheinungsform des Rechts«, die als die »natürliche, naive« dem vorwissenschaftlichen Denken des juristischen Laien entspreche und daher zwar »historisch [gesehen] die erste«, aus der Perspektive der »höheren« wissenschaftlichen Jurisprudenz betrachtet aber die »n i e d e re « Form des positiven Rechts sei2366. Der Gegensatz dieser Aussagen Jherings zu den Auffassungen Savignys, aber auch Puchtas ist unübersehbar2367. Die abstrakte Rechtsregel war nach Savigny weder die »historisch erste« Erscheinungsform des Rechts, noch entsprach sie nach Savigny der »natürlichen, naiven« Auffassung des juristischen Laien. Ganz im Gegenteil bildete für Savigny die dem Laienbewusstsein entsprechende Erscheinungsform des Rechts gerade »nicht die der abstracten Regel, sondern die lebendige Anschauung der Rechtsinstitute in ihrem organischen Zusammenhang«2368. Und auch für Puchta bezeichnete die in der Rechtsregel liegende Abstraktion von der Wirklichkeit keine »natürliche, naive«, sondern die auf Abstraktion beruhende technische Erscheinungsform des positiven Rechts. Den Umstand, dass die zur Bildung einer Rechtsregel notwendigen Begriffe nur durch eine Abstraktion von den »realen Thatsachen und Verhältnisse[n] der Sitte und des Verkehrs«2369 gewonnen werden können, bestritt zwar auch Jhering nicht. So meinte er : »In gewissem Sinn kann man zwar auch diese Thätigkeit eine analytische und jeden Begriff ein Zersetzungsproduct nennen, insofern nämlich die Bildung der Begriffe darauf beruht, daß der denkende Geist aus der flüssigen Gedankensubstanz e i n e n Stoff nach dem andern herausgreift, ihn abgränzt und abscheidet und zur Selbständigkeit des individuellen logischen Seins erhebt.«2370

Aber dies war nach Jhering eben nichts anderes als eine Beschreibung des menschlichen Denkprozesses überhaupt und damit nur »eine allgemeine logische, keine specifisch juristische Operation.«2371 Konsequenterweise verstand Jhering auch die Auslegung der Rechtsnorm nicht als eine »specifisch juristische Operation – jede Wissenschaft, deren Quellen Urkunden sind, hat zu interpre-

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Aufs. I, S. 8); Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 385f.], gehört heute zum Grundbestand rechtstheoretischer Normtheorie. Jhering, Unsere Aufgabe(1856), S. 9 (= Ges. Aufs. I, S. 8). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 386. Anderer Auffassung ist O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 24, nach dessen Auffassung »man sofort erkennt«, dass der »von Jhering gebildete Gegensatz von imperativem Gesetz und dogmatischem Institut […] ganz derjenige Savignys« sei. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 7, S. 16. Vgl. dazu K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 14. Jhering, Geist III/1 (11865), § 54, S. 171. Jhering, Geist III/1 (11865), § 54, S. 171. Jhering, Geist III/1 (11865), § 54, S. 171.

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tiren – und darum gewinnt auch der Stoff selbst durch diese Operation keinen eigenthümlichen juristischen Charakter.«2372 Einen »eigenthümlichen wissenschaftlichen Charakter«, der die Jurisprudenz bzw. Dogmatik des geltenden Rechts »von allen andern Wissenschaften unterscheidet«2373 und damit auch als vollwertige eigenständige Wissenschaft legitimiere, erforderte nach Jhering, dass man nicht anders als auch schon in der Naturwissenschaft nicht bei »der [bloßen] T h a t s a c h e «2374 stehenbleibe, sondern »die Thatsachen auf Begriffe zurückzuführen«2375 und »eine begriffliche Verbindung und Erklärung derselben« versuche2376. Man muß sich dabei bewusst halten, dass Jhering hier, also im Falle der Jurisprudenz, mit den »bloßen Thatsachen«2377 bzw. dem »bloßen F a c t u m «2378 die vom Gesetzgeber vorgegebenen abstrakten Rechtsregeln meinte2379. Sie bildeten als »Rechtss u b s t a n z oder […] Rechtss t o f f «2380 den »gesetzlichen Rohstoff«2381 für die wissenschaftliche Untersuchung, die von Jhering sogenannte »höhere Jurisprudenz«. Deswegen bestimmte sich der »Gegensatz der höheren zur niederen Jurisprudenz« nach Jhering auch »durch den Gegensatz des Rechts b e g r i f f e s zu der Rechts re g e l « , nämlich durch »den Uebergang des Rechts aus dem niedern in den höhern Aggregatzustand vermittelt [durch] die j u r i s t i s c h e C o n s t r u c t i o n «, die »den gegebenen Rohstoff zu Begriffen verflüchtigt«2382 bzw. – so Jhering 1881 – »erhebt«2383. Diese Begriffe nannte Jhering in Anlehnung an die Chemie auch »das Präcipitat der Rechtssätze«2384, da letztere aus ihrer »ursprünglich flüssigen Gestalt« zahlreicher gesetzlicher Imperative durch eine treffende Begriffsdefinition »auf kleinsten Raum […] in Gestalt eines Rechtsbegriffs« »objectivirt und comprimirt«2385 seien. So könne »in einem einzigen« 2372 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 386. 2373 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 387. 2374 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 29 Fn. 9 [= ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 25 Fn. 9 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz im Wiederabdruck von 1881]. 2375 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 29 Fn. 9. 2376 Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 25 Fn. 9. 2377 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 29 Fn. 9 (= Ges. Aufs. I, S. 25 Fn. 9). 2378 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 401. 2379 Dass durch die Notwendigkeit einer juristischen Interpretation schon die Feststellung der »Tatsachen« im Falle der Rechtsregeln weder im Hinblick auf das Verfahren noch im Hinblick auf die Eindeutigkeit und Nachprüfbarkeit der Ergebnisse dieses Verfahrens keinesfalls vergleichbar ist mit der Feststellung von Naturtatsachen, überging Jhering hier allerdings ebenso wie auch sonst alle methodentheoretischen Probleme der juristischen Hermeneutik. 2380 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 388. 2381 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 387. 2382 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 9f.; Ders., Geist I (11852), § 3, S. 26. 2383 Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 8. 2384 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 27, 31. 2385 Jhering, Geist III/1 (11865), § 48, S. 4. In Unsere Aufgabe (1856), S. 10 hatte Jhering auch

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von der Wissenschaft »richtig gefaßten B e g r i f f […] der praktische Inhalt von zehn früheren Rechtssätzen aufgenommen« sein2386, was eben auch die Konzentrationsleistung des Systems der Rechtsbegriffe belege2387. Gemeint war mit dem »Begriff« hier also nicht wie in der »niederen Jurisprudenz« der »Begriff« als Bestandteil des vom Gesetzgeber herrührenden Rechtssatzes, dessen Inhalt durch die Interpretation der Rechtssätze ermittelt wird, sondern gemeint war hier der »Begriff« als – wie Jhering es in Anlehnung an die Chemie ausdrückte – der »Niederschlag«2388 bzw. das »Präcipitat«2389 von Rechtssätzen, nämlich als allein von der Wissenschaft zu formulierender und zu definierender Institutsbzw. Normeninbegriff2390.

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ausdrücklich vom »Begriff oder der Definition des Instituts« als – so Jhering im Wiederabdruck von 1881 – »dem logischen Grundriß« gesprochen, »der die wesentlichen Lineamente desselben wiedergibt«. Den solchermaßen auf das systematisch Wesentliche reduzierten Institutsbegriff hatte er dem unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten zugänglichen »weiche[n], biegsame[n] Element der Rechtssätze« gegenübergestellt [Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 10]. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 27. Vgl. nur die von Jhering selbst angeführten Beispiele von wissenschaftlich definierten Begriffen etwa in Geist I (11852), § 3, S. 27f. und in Geist II/2 (11858), § 39, S. 368f. Vgl. Jhering, Geist II/2 (21869), § 38, S. 314, wo er das System – übrigens nicht beschränkt auf die Jurisprudenz – als die »mit der äußersten Breviloquenz ausgedrückte Ontologie der speciellen Wissenschaft« bezeichnete, da »in Form einer Tabelle«, nämlich in »dem kahlen Skelett« des Systems rein technischer Begriffe, »das uns eine Wissenschaft darbietet, […] in unscheinbarster Gestalt eine Energie des Denkens, eine Concentration des reichsten Inhalts auf kleinstem Raum, wie in nichts anderem« stecke. Vgl. nur Jhering, Geist III/1 (11865), § 48, S. 4; Ders., Zweck II (11883), S. 100. Abgesehen von der wissenschaftlichen auf einer Definition beruhenden Begriffsbildung sprach Jhering auch schon im Zusammenhang mit jeder »Bildung des Abstracten aus dem Concreten«, beispielsweise durch die sprachliche Bezeichnung eines Rechtsgeschäfts »mit einem bestimmten Namen«, von einem »abstrakten Niederschlag« [Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 314f.]. Anders als den Ausdruck »Präzipitat« hat Jhering das deutsche Synonym »Niederschlag« auch in anderen sachlichen Zusammenhängen gern als anschauliche Metapher verwendet [vgl. nur C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 23 Fn. 57 mit Nachweisen]. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 27. Vgl. O.Behrends, Jhering (1987), S. 243 mit Fn. 39; M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 406f. zum chemischen Fachausdruck »Präzipitieren« als »Ausfällung« eines festen Stoffs bzw. Niederschlags (»Präzipitat«) und dessen Verwendung durch Jhering. Zu weit geht Herberger, aaO allerdings, wenn er in den zwei möglichen fachwissenschaftlichen Bedeutungen des Ausdrucks in der Chemie einen Hinweis sehen will auf die von Jhering unterschiedene reproduktive Tätigkeit der Jurisprudenz einerseits und deren produktive Tätigkeit andererseits. So weit ging Jherings Analogie und vermutlich auch Jherings chemisches Fachwissen tatsächlich nicht, denn er verwendete die Metapher vom »Präcipitat« ausschließlich im Zusammenhang mit der »produktiven« bzw. »höheren« Tätigkeit der Jurisprudenz. Vgl. zum Ganzen auch B.J.Choe, Culpa (1988), S. 165 m.w.N.. Vgl. R.Dreier, Natur der Sache (1965), 48f., 111f. m. w. N. und R.Wank, Begriffsbildung (1985), S. 6 m.w.N. zu dieser von Jhering allerdings nur implizit vorgenommenen Unterscheidung juristischer Begriffsbildung. Ausdrücklich differenzierte dagegen B.Wind-

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Die »Präcipitirung der Rechtssätze zu Rechtsbegriffen« im letztgenannten Sinne schied nach Jhering »die wissenschaftliche Auffassung und Behandlung eines Rechts von der Darstellung desselben in einem Gesetzbuch«2391 deswegen, weil erst mit der Formulierung eines präzis definierten Begriffs die jeder Wissenschaft allein gemäße Ebene gedanklicher Abstraktion vom Wissenschaftsgegenstand erreicht sei. Noch in einem in Reinschrift übertragenen Manuskript zum nicht mehr veröffentlichten vierten Band des »Geist« (= Band 3, 2. Abteilung) hielt Jhering fest, dass man zwar das gesamte Recht unter »die Kategorie des Imperatives (positiven, negativen – Gebots, Verbots)« bringen könne unabhängig davon, ob die »gesetzliche[n] Bestimmungen […] die sprachliche Form desselben an sich tragen«2392. »Aber für so wichtig ich es auch erachte, daß man sich der Möglichkeit dieser Auffassung bewußt wird, so wenig würde es sich doch in wissenschaftlicher Beziehung empfehlen, sie zu Grunde zu legen; es würde damit eine wissenschaftliche Klassifikation der Rechtssätze von vornherein unmöglich gemacht werden, der Imperativ an den Richter wäre das Grab jeder Systematik«2393.

Aus diesem Grunde hatte Jhering schon früher festgestellt und später keinesfalls revidiert: »Ich will nun allerdings nicht läugnen, daß das Zweckmoment für das (ich meine nicht bloß rechtsphilosophische, sondern auch praktisch-juristische) Verständniß des Instituts höchst wichtig, ja unerläßlich ist; was ich bestreite, ist nur, daß man darnach d e f i n i r e n darf.«2394 »D e f i n i r e n […] darf man nur nach einem Moment, nach dem man auch c l a s s i f i c i r e n kann […]. Solche Momente sind z. B. Subject, Object, Klage, Wirkung«2395.

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scheid, Pandekten I (11862), § 24, S. 56 diese »zwei Klassen«, in die die »Rechtsbegriffe zerfallen«. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 28 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 35. Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 36 (die Unterstreichung im handschriftlichen Manuskript ist hier im Text in Kursivschrift wiedergegeben). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 391; Ders., Geist II/1 (31874), § 36, S. 293 (unten). In Geist II/2 (21869), § 41, S. 349 Fn. 512 ergänzte Jhering noch: »Wo sollte z. B. die Vormundschaft ihren Platz finden? Wo der Ususfructus? Wäre der Zweck das maßgebende Moment, so müßten der Pachtcontract, die Emphyteusis und der Ususfructus an Grundstücken an einer Stelle zusammengestellt werden!« Vgl. zum Ganzen auch A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 200 Fn. 64 sowie J.Schröder, Recht (22012), S. 270–272. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 392f. So musste man nach Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 391 Fn. 511 beispielsweise die juristische Definition des Wechsels, die denselben »ontologisch«, also allein nach den abstrakt-logischen Merkmalen seiner »juristische[n] Natur« als ein von seiner causa abgelöstes Geldversprechen definiere, streng unterscheiden von der für das Verständnis des Wechsels nicht weniger wahren und nicht weniger wichtigen, aber doch für die rechtswissenschaftliche Untersuchung der »logischen Structur des Rechts« [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 31] irrelevanten »teleologischen

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In diesen formal-begrifflichen bzw. – wie Jhering es ganz entgegen dem ontologisch-anschauenden Begriffsdenken der römischen Antike2396 ausdrückte – »a n at o m i s c h e n Mo m e nt e n «, die jeweils »natürlich ihrerseits selbst wieder einer Definition« bedürften2397, sah Jhering das verkörpert, was er – und mancher vor2398 sowie andere nach ihm2399 – als die »S t r u c t u r «2400 einer Rechtsordnung bezeichnete. Im Falle der wissenschaftlichen (»höheren«) Methode der Rechtsdogmatik verband sich also mit der nach Jhering den Kern jeder wissenschaftlichen Untersuchung bildenden Abstraktion etwas methodisch ganz

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Definition« desselben als »kaufmännisches Papiergeld«. In seinem Handexemplar von Geist I (11852) notierte Jhering an dieser Stelle folgendes weiteres Beispiel für die Differenz von »Structur« und »Zweck« eines Rechtsinstituts: »Der Ususfructus gehört seiner juristischen Natur nach nicht zu den Servituten, denn er ist kein jus in re aliena, aber nach ökonomischer Betracht[un]g allerdings« (Jherings handschriftliche Unterstreichungen sind hier in Kursivschrift wiedergegeben). Vgl. ferner den in der zweiten Auflage eingefügten und für die vierte Auflage nochmals bearbeiteten Zusatz zu der vorzitierten Fußnote 511 über die von einer Berücksichtigung des »Zweckmoments« absehende rechtswissenschaftliche Bestimmung des »Begriff[s] des Bannrechts« [Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 348 Fn. 511] und ferner Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/ Nachlass), § 62, S. 5 zur Bedeutung der »scharfe[n] Auseinanderhaltung der Daseinsfrage des Rechts und der ökonomischen Zweckbestimmung desselben«. Dass auch der späte Jhering derart zwischen dem »Dasein« der Rechtsbegriffe und ihrer Zweckbestimmung genau unterschieden hat, übersieht J.Nocke, Beständigkeit (1986), S. 137. Vgl. D.Behrens, Begriff (1957), S. 353 zum ontologischen Begriffsdenken im klassischen römischen Recht im Unterschied zur »unanschaulich-abstrakten […] Begriffsbildung«, das auf der Grundlage mittels abstrakter Begriffsmerkmale gewonnener Begriffsdefinitionen die systematische Einordnung aller Begriffe als Ober- bzw. Unterbegriffe in ein klassifizierendes System ermöglicht. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 392f. mit Fn. 512. Vgl. F.J.Stahl, Philosophie I (11830), S. 574f. über das »technische Element« im Sinne der Historischen Rechtsschule »oder wie ich es lieber bezeichne, die Structur des Rechts«. Vgl. selbst noch P.Heck, Begriffsbildung (1932), S. § 5, S. 54–56, der die rechtswissenschaftliche »Strukturfrage« nach den allen Institutsbegriffen inhärenten anatomischen »Strukturmerkmale[n] Rechtssubjekt, Rechtsobjekt und Rechtsinhalt« einer physiologischen Betrachtung der Institutsbegriffe gegenüberstellte, welche die »funktionelle« »Lebensbedeutung« der Begriffe in den Blick nehme. Wie Jhering nahm dabei auch Heck auf die medizinische Unterscheidung von »Anatomie« und »Physiologie« Bezug. Zu diesen Parallelen mag die Tatsache beigetragen haben, dass es nach Hecks Selbstzeugnis »die methodischen Ausführungen in J h e r i n g s Geist des römischen Rechts Bd. II, 2« (1858), also dessen Ausführungen über die juristische Technik in dem »erste[n] juristische[n] Buch, das ich gelesen habe«, gewesen waren, die ihn so beeindruckt hatten, dass er schließlich sogar das Studienfach wechselte (aaO, § 3, S. 32). Wenn Heck weiterhin berichtet, dass ihn »die Aussicht auf die Umgestaltung der Wissenschaft durch Verwendung der Interessenbegriffe, die J h e r i n g am Schlusse eröffnete«, »mit heller Begeisterung« erfüllt habe, dann meinte er den Schluss des zuletzt erschienenen Bandes III/1 (1865, §§ 59–61), der die Fortsetzung des in Band II/1 (1854) begonnenen und auch noch von Heck als Einheit verstandenen »Zweiten Buchs« von Jherings Gesamtwerk darstellte. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 14, S. 30f.; Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 392; Ders., Geist III/1 (11865), § 48, S. 5.

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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anderes als im Falle der wissenschaftlich »productiven«2401 Methode, die Jhering für den Bereich der Rechtsgeschichte formuliert hatte. Während nämlich die »Abstractionen« des Rechtshistorikers in der Formulierung der gesellschaftlichen »Tendenzen und treibenden Gedanken« einer Rechtsepoche bestehen sollten auf der Grundlage der durch eine »physiologische Betrachtung« der historischen Rechtswirklichkeit ermittelten gesellschaftlichen »Functionen« der technischen Rechtsbegriffe2402, sollte dagegen die vom Rechtsdogmatiker in der »höheren Jurisprudenz« vorzunehmende juristisch-wissenschaftliche Abstraktion gerade im gänzlichen Absehen vom gesellschaftlichen bzw. rechtspolitischen »›Zweck‹ des Instituts« und einer Reduzierung desselben auf seine »anatomischen« bzw. »logische[n] Momente« bestehen2403. Niemals wollte Jhering damit leugnen, dass ausschließlich in »den Zwecken und Bedürfnissen d i e s e r bestimmten Zeit […] der Grund [liegt], warum d i e s e s Institut vorhanden ist oder diese bestimmte Gestalt trägt«2404 und dass das Recht nicht etwa eine »Emanation des Begriffes, der Begriff also das ursprüngliche, seiner selbst wegen da seiende«, sondern immer »nur das Sekundäre, das Produkt der Zwecke«2405 bzw. das »M i t t e l […] für die Zwecke des Lebens« sei2406. Aber dies alles konnte nach Jherings lebenslanger Vorstellung nicht den Untersuchungsgegenstand der »höheren Jurisprudenz« bilden. Erregte im Rahmen der praktischen bzw. »niederen Jurisprudenz« die »imperativische Form der Gebote und Verbote, der Ausdruck ›so und so soll es sein‹ […] fast nothwendig die Frage nach dem ›warum‹«2407, also nach den vom historischen »Willen des Gesetzgebers« mit den »Rechtssätzen, Rechtsregeln, Rechtsprincipien« verfolgten Zwecken2408, so sollte die »höhere Jurisprudenz als eine wissenschaftliche »Theorie der M i t t e l «2409 lediglich »die anatomische Structur der Institute« im Sinne einer rein »l o g i s c h e n Prüfung« des Rechts untersuchen2410. 2401 2402 2403 2404 2405 2406 2407 2408

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Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 5 (= Ges. Aufs. I, S. 5). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 5 (= Ges. Aufs. I, S. 5); Ders., Geist I (11852), § 4, S. 39ff. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 28; DERS., Geist II/2 (11858), § 41, S. 392. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40f. Ferner ausdrücklich auch schon Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 18v, wonach es im Vermögensrecht »kein Institut [gibt], d[a]s Selbstzweck wäre«. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 392. Dazu schon E.Hurwicz, Ihering (1911), S. 49ff. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40; DERS., Zweck II (11883), S. 101f. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8 (= Ges. Aufs. I, S. 7). Die verbreitete Behauptung, dass Jhering erst in seinem Alterswerk die »These« vertreten habe, dass »jede Rechtsnorm von praktischen Zwecken bedingt sei« [H.Coing, Ihering (1982), S. 9], wird dem Rechtsverständnis des jungen Jhering daher nicht gerecht. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 392. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40, S. 42 Fn. 19. So sah Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 47 (= Ges. Aufs. I, S. 41) durchaus den Unterschied zwischen einem einfachen Miteigentumsverhältnis und einer »Girobank«. Das aber »ändert […] an der [sc. überein-

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Die Methode der Rechtswissenschaft

Die vom Gesetzgeber, aber auch von den Vertragsparteien jeweils verfolgten »Zwecke« erschienen Jhering dagegen als »etwas höchst unbestimmtes, schwankendes« nicht nur einer rechtswissenschaftlichen, also naturhistorischen, sondern auch – und insoweit hat Jhering seine Auffassung später bekanntlich geändert – überhaupt einer systematischen Untersuchung nicht zugänglich, da sie sich »in einer oft unentwirrbaren Weise« häufig »durchkreuzen«, »ändern und wechseln« würden2411. Während die Zwecke des Rechts damit nur das zu bestätigen schienen, was von Kritikern gegen die Vergleichbarkeit des geltenden Rechts mit anderen Wissenschaftsgegenständen, allen voran der Natur, und damit letztlich gegen die Möglichkeit einer Jurisprudenz als Wissenschaft vorgebracht worden war, schien Jhering die wissenschaftliche Untersuchung der »Structur« bzw. »Logik des Rechts«2412 genau die Emanzipation von der »Beschränkung auf den Willen des Gesetzgebers«2413 und von den wechselnden »Bedürfnissen des Lebens«2414 zu garantieren, die nach Jherings Wissenschaftsbegriffs Voraussetzung war für die Annahme eines wahrheitsfähigen Objektes als tauglichem Wissenschaftsgegenstand2415, dem sich der Rechtsforscher methodisch »gerade so gegenüber stellt, wie der Naturforscher der Natur«2416. Jhering nannte daher auch die durch die »höhere Jurisprudenz« definierten Rechtsbegriffe »objectivirte[s] Denken«2417 bzw. »logisches ›Für sich sein‹«2418 und sprach davon, dass in den Rechtsbegriffen sich die Rechtssätze »vergeistigt haben«2419 zu »einer für sich seienden […] Existenz«, indem das objektive »›S e i n ‹ des B e g r i f f s « an die Stelle des subjektiven »›S o l l s ‹ der Norm« trete2420.

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stimmenden] juristischen Structur […] nicht das Mindeste.« Vgl. aber auch noch später Jhering, Geist III/1 (11865), § 55, S. 213 Fn. 277: »Was die juristischen Personen im übrigen sind, geht uns hier, wo es sich bloß um ihre Structur vom Standpunkt der juristischen Te c h n i k aus handelt, Nichts an.« Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 392. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40; Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 392. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8 (= Ges. Aufs. I, S. 7). Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40. Vgl. dazu auch T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 228. Jhering, Zweck II (11883), S. 100. Jhering, Geist III/1 (11865), § 48, S. 4. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 390. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40. Jhering, Zweck II (11883), S. 100f. Nachdem Jhering – ausgelöst durch den Doppelverkaufs-Fall – Anfang der sechziger Jahre die eigene »Ueberschätzung der logischen Seite des Rechts« [Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345 Fn. 506a] erkannt hatte, gestand er auch ganz offen ein, dass er allein in der »höhere[n] Welt der in sich ruhenden Begriffe, an welche die Macht der Gesetzgebers nicht hinanreichte«, deswegen »einst ausschließlich den wissenschaftlichen Charakter der Jurisprudenz« gesucht habe, weil die Rechtssätze in »der niederen Welt des Positiven, die, heute so, morgen so, meinem wissenschaftlichen Bedürfnis, das etwas Dauerndes, Festes, an sich Wahres begehrte, keine Befriedigung

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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Damit aber schienen aus Jherings Sicht alle Voraussetzungen gegeben, um mit vollem Recht auch die Jurisprudenz »trotz des Positiven in ihrem Gegenstande […] als Naturwissenschaft im Elemente des Geistes«2421 bzw. – wie Jhering 1869 in der zweiten Auflage von Geist II/2 bekräftigte – als eine »Naturwissenschaft auf geistigem Gebiet [zu] bezeichnen«2422. In dieser wissenschaftstheoretisch und nicht etwa politisch2423 begründeten Konzeption einer »Naturwissenschaft gewährte[n]« [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 342 (Kursivhervorhebung nicht im Original)]. 2421 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 389. 2422 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345. 2423 So aber W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 123f., der die »Hinwendung Jherings zur Begriffsjurisprudenz« auf eine bei Jhering in den vierziger und fünfziger Jahren angeblich noch vorhandene politisch »quietistische Neigung« zurückgeführt hat. Abgesehen davon, dass es gerade politisch quietistische Tendenzen gewesen waren, gegen die sich Jhering bereits in den vierziger Jahren gewendet hatte (vgl. nur Teil 1, S. 93 Fn. 383, S. 164f. Fn. 753, S. 193 Fn. 890), übergeht Walter Wilhelm wie übrigens auch H.Klenner, Rechtsphilosophie (1991), S. 180ff., dass nach Jhering die »naturhistorische« Untersuchung des geltenden Rechts die Kritik vom »legislativen Standpunkt« aus nie ersetzen sollte (vgl. oben S. 262f.). Was Wilhelm schließlich als konkrete Belege für seine Behauptung anführt, nämlich einerseits die briefliche Äußerung Jherings aus dem Jahre 1851, dass er sich »seit 2 Jahren völlig von allem, was Politik heißt, […] zurückgezogen« habe [Losano-Briefe I /1984, Nr. 11 (Jherings Brief vom 8. August 1851 an Gerber), S. 31] sowie andererseits die Tatsache, dass Jhering Mitte der sechziger Jahre an den politischen Ereignissen der Zeit nun wieder regen Anteil nahm, hat mit Jherings unterschiedlicher Haltung zur naturhistorischen Methode der Rechtsdogmatik vor und nach 1860 nichts zu tun. Die beiden von Wilhelm als Beleg für seine Behauptung angeführten Sachverhalte stehen vielmehr im Zusammenhang mit Jherings lebenslang leidenschaftlichen politischen Überzeugungen zur Herstellung der »Einheit Deutschlands«, ein Gedanke, der Jhering nach einem Brief an Karl Gustav Geib »über jeden [sic!] anderen Gedanken, selbst über den der Freiheit [sic!]« ging (so Jhering in seinem Brief vom 28. April 1862, abgedruckt in: Liebmann-Briefe/1910, S. 135) und für den er – wie er vier Jahre später unmittelbar nach der von Preußen gewonnenen Schlacht bei Königsgrätz in einem überschwenglichen Brief an Gerber nur noch einmal bekräftigten sollte – offenbar auch jeden innenpolitischen Preis zu zahlen bereit war, was immer »auch im Innern kommen mag: Absolutismus und Junkerthum und Militärherrschaft […]« (so Jhering in seinem Brief vom 24. Juli 1866, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984 Nr. 248, S. 599). Wie nun auf der einen Seite die mit der nationalen Einheitsbewegung verbundenen Ereignisse in und um Schleswig-Holstein Jhering Anfang 1864 »in einen Zustand der Aufregung versetzt[en], wie der März 1848 nicht« [Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 49 (auf Anfang 1864 datierter Brief Jherings), S. 159f.] und nach dem Zeugnis eines seiner Schüler sogar »an der Spitze der durch Deutschland gehenden Bewegung« selbst politisch aktiv werden ließen [vgl. M.G.Losano, Studien (1984), S. 20], so war es auf der anderen Seite im Jahre 1849 offensichtlich das Scheitern der Erhebung in den Herzogtümern Schleswig und Holstein gegen Dänemark gewesen, das Jhering nicht nur persönlich in eine »niedergedrückt[e]« Stimmung versetzt hatte und die »nächsten Jahre […] recht trübe« erscheinen ließ [so Jhering in seinem Brief vom 21. Januar 1851 an Gerber, abgedruckt in: LosanoBriefe I /1984 Nr. 4, S. 14f.], sondern das ihn – eben entsprechend der von Wilhelm als Beleg für Jherings angeblichen »Quietismus« angeführten Briefstelle – auch dazu bewogen hatte, sich von allem, »was Politik heißt«, vorerst »völlig« zurückzuziehen. Dass Jhering durch die Beschäftigung mit dem römischen Recht politisch immer besonders »sensibel […] die Gefährdungen der eigenen Zeit wahrnahm« [so wiederum O.Behrends, Jherings Evolu-

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Die Methode der Rechtswissenschaft

auf geistigem Gebiet«, das heißt einer »Naturwissenschaft«, die sich nicht etwa auf die dem Recht immer zugrunde liegende »Physis der Lebensverhältnisse«2424, sondern ausschließlich auf den von allen »faktischen (ethischen, sozialen usw.)« Zwecken abstrahierenden »juristischen Prozentgehalt in den verschiedenen Instituten«2425 in seiner »ganzen Nacktheit des [sc. technischen] Begriffs«2426 bezog, traf sich Jhering – wie er in Briefen auch selbst feststellte2427 – mit den methodischen Anschauungen seines langjährigen Freundes Carl Friedrich Wilhelm Gerber2428. Es war aber Jhering und nicht Gerber2429, der den »Vergleich«

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tionstheorie (1998), S. 137f.], wird man nach dem Vorstehenden allerdings auch kaum behaupten können. Vgl. zum zeitbedingten Nationalismus Jherings auch M.Kunze, Lebensbild (1992), S. 20 m.w.N. sowie Ders., Forschungsbericht (1995), S. 136f., 143. Dafür allerdings, dass im 19. Jahrhundert zwischen Nationalismus und Obrigkeitsdenken einerseits sowie Begriffsjurisprudenz andererseits ein unmittelbarer Zusammenhang bestanden habe, wie H.Klenner, Rechtsphilosophie (1991), S. 180 behauptet, wird man Jhering am wenigsten anführen können, fallen doch die besonders bedenklichen politischen Bemerkungen des »König[s] der Konstruktivisten« und seine »demütige Subalternität gegenüber […] Gewaltpraktikern« wie Bismarck erst in die Zeit, in der Jhering – zunächst der Sache, später auch dem Namen nach – auf rechtsmethodischem Gebiet die »Begriffsjurisprudenz« als Fehlentwicklung verurteilte. So B.W.Leist, Analyse III (1859), S. XIX. So Jhering in seinem Brief vom 2. Januar 1855 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 39a, S. 133. Unzutreffend ist daher die Auffassung von W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 230, der in der vorbezeichneten Briefstelle einen Beleg dafür sehen will, dass auch schon der junge Jhering gefordert habe, die »faktischen […] Zwecke […] beim Bau der juristischen Person als juristische Elemente zu beachten.« Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 304. Vgl. Jherings vom 2. Januar 1855 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 39a, S. 132f. Vgl. nur C.W.F.Gerber, System (11848), S. XVI: Die »Analyse und Construktion des r e i n j u r i s t i s c h e n Elements der Rechtsinstitute […] im Gegensatze der vielen rein faktischen und unwesentlichen Zuthaten«, dies »sind die Ideen, welche mich bei der Begründung eines Systems des deutschen Privatrechts geleitet haben.« Jhering bezeichnete daher auch »die juristische Construction des Rechts« als den »Gegenstand, an dem wir beide [sc. Jhering und Gerber] uns in der Wissenschaft gefunden haben« [vgl. LosanoBriefe I /1984, Nr. 33 (Jherings Brief vom 26. März 1854 an Gerber), S. 101 sowie auch Nr. 69 (Gerbers Brief vom 28. November 1856 an Jhering), S. 222f.]. Allerdings findet die Behauptung von W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 90, 111f., dass Gerber gegenüber Jhering »in der Entwicklung des Gedankens häufig führend« gewesen sei«, weder in Gerbers Schriften noch in dem veröffentlichten Briefwechsel von Gerber und Jhering eine Bestätigung (vgl. dazu auch die folgende Fußnote). Im Gegenteil hob Jhering gegenüber Gerber gerade hervor, wie »frappant« es für ihn gewesen sei, etwa bei der Unterscheidung des juristisch relevanten »Gesetzes« und der nur faktisch relevanten »Sitte« »Anklänge an eigne Ideen« zu finden, die er, Jhering, »seit Jahren durchdacht« habe und »über die wir beide uns gar nicht besprochen haben, die [also] Keiner von dem Andern kennen kann« [so Jhering in seinem Brief vom 12. Februar 1854 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 32, S. 97f.]. Zu weit geht daher W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 90, 111f., wenn er meint, dass sich in Gerbers Schriften bereits um die Mitte der vierziger Jahre sowohl in terminologischer als auch in praktischer Hinsicht das fände, was bei Jhering in den fünfziger Jahren

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der solchermaßen verstandenen Jurisprudenz »mit der Naturwissenschaft« konsequent sowohl auf deren zeitgenössische Methoden, nämlich die »chemische Analyse«2430 bzw. »Zersetzung« oder »Scheidekunst«2431, die Gewinnung eines »Präcipitat[s]«2432, die Unterscheidung einer »Anatomie« und »Physiologie«2433, als auch auf deren Gegenstand, nämlich die Natur, bezogen hat. Wie die

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unter der Bezeichnung »naturhistorische Methode« nur seine »theoretische Begründung und vollständige Formulierung« gefunden habe [anders auch schon E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 799f.]. Zwar sprach C.F.W.Gerber, Princip (1846), S. 301 tatsächlich von der zu einer »höheren Wissenschaft« notwendigen »productive[n] Geistesthätigkeit«. Aber abgesehen davon, dass diese Redeweise schon rein terminologisch gesehen auch bei Gerber durchaus nicht originell war (vgl. oben S. 468f. Fn. 2310), entstammen beide Termini an der von Wilhelm in Bezug genommenen Stelle einem der Jheringschen Theorie der »höheren Jurisprudenz« ganz fremden Kontext, nämlich dem Versuch des germanistischen Teils der zeitgenössischen Privatrechtswissenschaft, nach »Abstreifung des Zufälligen und Particulären« aus »alle[n] Particularrechte[n] Deutschlands« das »Product einer wirklich allgemeinen deutschen Rechtsüberzeugung« zu gewinnen (aaO) und diese als »eine höhere Vereinigung« der unterschiedlichen Partikularrechte entsprechend »der Richtung unserer Zeit […] durch eine philosophische [sic!] Verarbeitung zum wissenschaftlichen Bewußtsein« zu bringen (aaO, S. 238, 244, 293). In diesem Zusammenhang sprach Gerber von einer »künstlichen Analyse« und der Notwendigkeit »anatomischer Operationen« (aaO, S. 244), nämlich »Abstraction[en]« von den teilweise sehr unterschiedlichen Partikularrechtsordnungen [C.F.W.Gerber, System (11848), § 10, S. 16; dazu auch im Hinblick auf Jhering M.G.Losano, Studien (1984), S. 138f., 145]. Dasselbe gilt für Gerbers Aufforderung an die germanistische Privatrechtswissenschaft, den auf diese Weise durch »Abstraction« gewonnenen »bloße[n] [sic!] Begriffe[n] und Ideen« (aaO) durch deren Konkretisierung eine »körperhafte Gestalt« [C.F.W.v.Gerber, System (121875), § 10, S. 20] für das gemeine deutsche Privatrecht zu geben. Von einer »körperhaften« Gestalt hat Gerber im übrigen – anders als von W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 111 angenommen – nicht schon in der Ende der 1840er Jahre und damit vor Jherings »Geist« erschienenen ersten Auflage seines Lehrbuchs zum deutschen Privatrecht gesprochen, sondern vielmehr in offensichtlicher terminologischer Anlehnung an Jherings Redeweise von den »Rechtskörpern« erst in der 1867 erschienenen neunten Auflage [vgl. C.F.W.v.Gerber, System (91867), § 10, S. 18]. So Jhering in seinem Brief vom 17. Juli 1852 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 17, S. 51. Vgl. ferner auch Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 143. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 361, 372, 378; Ders., Geist III/1 (11865), § 49, S. 12ff. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 27. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 14; § 4, S. 39. Vgl. zur Bedeutung der »vergleichenden Anatomie« und »vergleichenden Physiologie« in den zeitgenössischen Naturwissenschaften B.Hoppe, Biologie (1978), S. 142f. Auf die Entwicklung der »beschreibenden Naturwissenschaften« zur »vergleichenden Anatomie […] und Pflanzenphysiologie« nahm Jhering auch noch im Rahmen seiner »Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts« ausdrücklich Bezug [vgl. Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 3]. Offensichtlich im Nachgange von Jhering [vgl. die Nachweise bei C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 87 (Nr. 41b a.E.)] unterschied bald auch J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 75ff. eine »Anatomie« und »Physiologie« des Rechts und sprach von »zeugenden Kräften (produktiven Potenzen)« [vgl. auch H.Coing, Systembegriff (1969), S. 155f.]. Allerdings hatte Kuntzes dreigeteilte Untersuchung der »Rechtsverhältnisse« in einer »juristischen Morphologie«, einer »juristischen Analysis (Anatomie)« und einer »biologischen Psychologie des Rechtes oder […] juristischen Biologie (Physiologie)« (aaO, S. 75f.) in der Sache nur wenig mit Jherings

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Die Methode der Rechtswissenschaft

die physikalisch-chemischen Grundelemente der Natur bezeichnenden Begriffe der Naturwissenschaft erschienen Jhering die juristischen Begriffe als »logische Quintessenz«2434 von »j u r i s t i s c h e [ n ] oder Re c ht s - K ö r p e r [ n ] « 2435, »als ein Inbegriff von juristischen E x i s t e n z e n «2436, »so zu sagen, lebenden Wesen, dienenden Geistern«2437 bzw. als »praktische Potenzen«2438 und juristische »Reagentien«2439 mit gleichsam physikalisch-chemischen »Eigenschaften und Kräfte[n]2440, die eine Untersuchung der »Phänomene im Leben des Körpers«, des »Verhalten[s] des Körpers zu andern Körpern« erlauben2441.

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Unterscheidung und Konzeption zu tun. Dasselbe gilt auch für den einige Jahre später von W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. V unternommenen »Versuch einer Physiologie des Rechts«, auch wenn Arnold, aaO, S. XXI sich »vor Allem« Jherings »Geist des römischen Rechts« verpflichtet fühlte. Dass die um den wissenschaftlichen Stellenwert ihres Faches bemühten Juristen mit ihrer Anlehnung an Begriffe und Anschauungen der zeitgenössischen Naturwissenschaft keine Ausnahme bildeten, zeigt sich allerdings auch hier. So wollte beispielsweise genau in demselben Jahr, in dem Jhering in Geist I (11852) für die Rechtsgeschichte die Unterscheidung einer anatomischen und einer physiologischen Betrachtung vorgeschlagen hat, der fast gleichaltrige französische Philosoph und Literaturhistoriker Hippolyte-Adolphe Taine (1828–1893) »aus der Geschichte eine Wissenschaft [sic!] […] machen, indem man für sie wie für die organische Welt eine Anatomie und Physiologie entwickelt« [zitiert nach W.Lepenies, Naturgeschichte (1976), S. 125f.]. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 390. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 388; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 10 (= Ges. Aufs. I, S. 8f.). In einem Zusatz zur dritten Auflage von Geist II/2 aus dem Jahre 1875 sprach Jhering auch von »einzelnen plastisch abgerundeten Körpern« als der »Incarnation« einer »Masse von Rechtssätzen« [vgl. Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 384]. Jhering, Unsere Aufgabe(1856), S. 10 (= Ges. Aufs. I, S. 8). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 10. So heißt es seit der dritten aus dem Jahre 1875 stammenden Auflage von Geist II/2 [Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 389]. Vgl. auch Jhering, Geist III/1 (11865), § 49, S. 14; Ders., Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 8; Ders., Geist II/2 (11858), § 47, S. 674. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 30. Vgl. dort auch auch die berühmt-berüchtigten von Jhering aber nie – etwa durch Streichung in späteren Auflagen – zurückgenommenen Worte: Die »Begriffe […] paaren sich und zeugen neue. Die Rechtssätze als solche haben nicht diese befruchtende Kraft« (aaO, S. 29). In Geist III/1 (11865), § 50, S. 27 bezeichnete Jhering auch die römischen »Actionen« als »processualische Reagentien«. Vgl. ferner J.E.Kuntze, Geist I-Rezension (1855), S. 224, der offenbar durch die Lektüre von Geist I (11852) inspiriert selbst davon sprach, dass im Recht wie »in der Natur […] Begattung und Combination der vorhandenen Elemente zu neuen Gestaltungen, und eine Steigerung und Entwickelung dieser Elemente zu reicheren Gliederungen und feineren Organismen« stattfände. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 395; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 10 (= Ges. Aufs. I, S. 8f.). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 395f. Wie stark Jhering seine Terminologie den Naturwissenschaften entlehnte, veranschaulichen die von B.Hoppe, Biologie (1978), S. 126 mitgeteilten Worte des französischen Enzyklopädisten Jean Le Rond d’Alembert, mit denen dieser die im 19. Jahrhundert für alle Bereiche der Naturwissenschaften maßgeblich gewordene Einzelerforschung der Naturphänomene mit anschließender verallgemeinernder Induktion vorbereitet hatte: »Toutes les propri8t8s que nous observons dans ces corps ont entre elles des rapports plus ou moins sensibles pour nous: la connaissance ou la

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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Jhering begründete diese an die Natur und die Naturwissenschaften angelehnte Terminologie einerseits mit didaktischen und mnemotechnischen Überlegungen2442. Andererseits stellte er aber auch klar, dass es sich bei der – »soll ich sagen naturhistorisch[en], sinnlich[en] oder juristisch[en]?«2443 – »Nachbildung der Natur im Elemente des Gedankens«2444 keineswegs bloß um eine metaphorische »Spielerei«2445 handele. Die »Transsubstantiation«2446 bzw.

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d8couverte de ces rapports est presque toujours le seul objet auquel il nous soit permis d’atteindre […]. Ce n’est donc point par des hypothHses vagues et arbitraire que nous pouvons esp8rer de conna%tre la nature, c’est par l’8tude r8fl8chie des ph8nomHnes, par la comparaison que nous ferons des uns avec les autres, par l’art de r8duire, autant qu’il sera possible, un grand nombre de ph8nomHnes / un seul qui puisse en Þtre regard8 comme le principe« (Kursivhervorhebung nicht im Original). Dass Jhering den zuletzt genannten Gedanken der wissenschaftlichen Reduktion der Vielzahl tatsächlicher »Phänomene« aus den Naturwissenschaften, nämlich aus der Chemie, abgeleitet hat, hat er sogar selbst gesagt [vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 361 über die »juristische Scheidekunst«]. Auch von »plastischen Potenzen«, die – zunächst noch als immaterielle, im 19. Jahrhundert aber zunehmend auch als materielle »Lebenskraft« verstanden – ursächlich seien für die Formen und Eigenschaften der Körper wurde in den Naturwissenschaften schon lange gesprochen [vgl. nur B.Hoppe, Biologie (1978), S. 137f. mit Fn. 118]. Im Hinblick darauf, dass er sich bei der Formulierung einer »Theorie der juristischen Technik« vollständig als Pionier fühlte, meinte Jhering in der Vorrede (S. Xf.) zu Geist II/2 (11858) gegenüber den Einwänden von A. F.Rudorff und insbesondere dessen Kritik an Jherings Terminologie: »Wer alte Begriffe statt mit alten Ausdrücken mit neuen, selbstfabricirten bezeichnet, ist ein Narr […]. In einer andern Lage aber befindet sich der, welcher neue Begriffe und Anschauungen vorzutragen hat, bestände das Neue auch nur darin, daß er etwas bereits Vorhandenes auf eine bestimmte einzelne Wissenschaft überträgt. Will er sich nicht bloß auf einige wenige Fachgenossen beschränken, will er zu einem größeren Publicum sprechen und namentlich, wie ich, auch Studierenden und Laien verständlich werden, so ist er gezwungen, für seine Ideen nach Anknüpfungspunkten zu suchen, über die ein Jeder gebietet, Bilder und Vergleiche [sic!] zu benutzen u.s.w.. Wo fänden sich diese Anknüpfungspunkte an das sinnliche Denken in dem Maße, als in der Natur, und mithin die zu recipirenden Ausdrücke in dem Maße, als in der Naturwissenschaft?« Vgl. auch Jhering, Geist III/1 (11865), § 49, S. 15 ganz allgemein zur Bedeutung des »anschauliche[n] Zeigen[s]« gedanklicher Vorgänge. Ferner Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 384 mit folgendem Zusatz zur dritten Auflage: »Alles das, was wir mit Recht als Kriterium und Vorzug des ächten juristischen Denkens betrachten: Raschheit, Leichtigkeit, Sicherheit des Urtheils […] hat zu seiner Voraussetzung die objective und subjective Möglichkeit der Anschauung, d. h. ein Bild, das angeschaut werden kann: den juristischen Körper […].« Ebenso wollte Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 10 (= Ges. Aufs. I, S. 8) auch schon zwanzig Jahre früher »die Vorstellung eines juristischen Körpers beibehalten, da sie die einfachste und natürlichste ist.« Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 393. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 12 (= Ges. Aufs. I, S. 11). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 389. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 31. Die Verwendung dieses Ausdrucks durch Jhering könnte auf Johann Friedrich Kierulff zurückgehen, der – allerdings im Rahmen der juristischen Hermeneutik (vgl. Teil 1, S. 211f. Fn. 991) – beschrieben hatte, wie die von ihm als »geistige Production, Kunst, eigenthümliche That des Juristen« qualifizierte »juristische Operation« den »ihr vorgelegten Gesetzesstoff transsubstanziirt, ihn selbst erst lebendig und wirklich macht«, in dem sie dessen »gesammte[n] innere[n] bisher latente[n]

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»Präcipitirung der Rechtssätze« zu Rechtsbegriffen sei »nicht ein Werk subjektiven Beliebens«2447 und die Formulierung der jeweiligen Begriffsdefinition als lediglich »formelle Redaction oder Concentrirung der gefundenen Resultate« sei immer »erst möglich«, »nachdem die Untersuchung des Körpers vollständig abgeschlossen ist.«2448 Darauf gründende Deutungen der »naturhistorischen« Ausdrucksweise Jherings als Beleg für einen den geistigen Status des Rechts ignorierenden »Naturalismus«2449 verfehlen Jherings Vorstellungen jedoch ebenso wie die umgekehrte, ebenfalls allein nach den Kategorien des 20. Jahrhunderts urteilende Annahme, Jhering könne, wenn er die »naturhistorische« Existenz des Rechts nicht »naturalistisch« verstanden habe, die bildhaften Ausdrücke nur als für den »Gebildeten« bestimmte »Anschauungshilfen«2450 gemeint haben, also als eine »Quasiontologie«, wie sie auch in der modernen Dogmatik heute noch verbreitet ist2451. Von daher ist die Frage, ob Jherings

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Gehalt […] zur Erkenntniß« bringt [J.F.Kierulff, Theorie (1839), § 4, S. 22]. Jhering, Geist II/2 (11858), § 44, S. 470 Fn. 610a hat die vorstehenden Ausführungen Kierulffs ausdrücklich zustimmend hervorgehoben. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 31. Etwas missverständlich – so zu Recht auch bereits M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 148f. (=Ders., Studien (1984), S. 120f.) – sprach Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 31 in diesem Zusammenhang sogar davon, dass die »logische Gliederung und Transsubstantiation der Rechtssätze« in den Rechtsbegriffen »keine von der Wissenschaft vorgenommene Bearbeitung des Stoffes« sei, sondern »in dem Rechte selbst« läge. Gemeint war damit, dass »die scheinbar [erst] durch die systematische Thätigkeit bewirkte logische Gliederung […] nur das Erkennen der wahren [sc. systematischen] Natur des [sc. jeweiligen] Rechts« sein könne (aaO). Letztere war nämlich nach Jhering – anders als noch für Puchta – keineswegs selbstverständlich, sondern immer abhängig von der konkreten »gesetzlichen Regulirung« entsprechend dem jeweiligen historischen Geist des Volks und der Zeit. Denn in einen »Stoff [, der] local zerstreut, zersplittert« ist, könne auch die Jurisprudenz – abgesehen von wenigen ganz »allgemeine[n] Abstractionen« – nicht mehr nachträglich eine Systematik einführen [Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 362]. Entsprechend zu verstehen ist auch Jherings Empfehlung an den »Gesetzgeber, der die Sache mit d i e s e m Auge« ansehen, das heißt also sich von der Rechtswissenschaft frühzeitig beraten lassen solle (aaO, S. 364). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 391. E.v.Hippel, Rechtsgesetz (1942), S. 83f.; E.Wolf, Rechtsdenker (41963), S. 623f., 640f.; F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 434; K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 25, 27. T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 211f. spricht von »subtilere[n] Erscheinungsformen des sogenannten naturalistischen Fehlschlusses«. F.Wieacker, Ihering (1973), S. 158; Ders., Darwinismus (1973), S. 66f.; H.Coing, Organismus (1973), S. 153f.; M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 146; W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 176f. (Fn. 720); D.v.Stephanitz, Exakte Wissenschaft (1970), S. 148. A.Baumgarten, Konstruktion (1926), S. 245 hat daher auch »von einer metaphorischen Jurisprudenz [sc. Jherings] reden« wollen. F.Wieacker, Darwinismus (1973), S. 67 räumt allerdings im Anschluss ein, dass es dort über die rein »sprachliche Veranschaulichung« hinausgegangen sei, wo Jhering »mittels der Analogie oder gar der Identifizierung rechtlicher Sollensbezüge mit ›körperweltlichen‹ Vorgängen und Wirkungszusammenhängen produktive dogmatische Sätze gewinnen will.« Vgl. dazu O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 24 Fn. 40; Ders., Jhering ein

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naturhistorische Begrifflichkeiten Ausdruck eines die geistige Dimension des Rechts leugnenden Naturalismus oder aber umgekehrt schlicht nur zeitbedingte sprachliche Metaphern2452 waren, schon falsch gestellt, weil bereits dieser Frage ein nur die vorbezeichneten Deutungsalternativen zulassendes heutiges Verständnis von Natur und Naturwissenschaft zugrunde liegt, das eben noch nicht dasjenige von Jhering und vielen seiner Zeitgenossen war.2453 Jhering selbst hat zur Exemplifizierung der von ihm so genannten »Ontologie der speciellen [sc. also gerade für die Jurisprudenz spezifischen] Wissenschaft«2454, die übrigens selbst manchem an die metaphorische Wissenschaftssprache der Zeit gewöhnten Zeitgenossen rätselhaft erschien2455, auf die »Nat u r- I m i t at i on [ e n ] « in der »Sprache der römischen Juristen« verwiesen2456. Tatsächlich konnte sich Jhering durch deren Begrifflichkeit nur bestätigt

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Rechtspositivist? (1993/1996), S. 250; G.Hassold, Konstruktion (1981), S. 132ff.; F.Wieacker, Sekunde (1962), S. 445ff.; Ders., Darwinismus (1973), S. 67f.; Ders., Jurisprudenz (1976), S. 18 sowie mit vielen Einzelbeispielen R.Gmür, Rechtswirkungsdenken (1981), S. 38ff., 67ff., 224f. et passim. Nur um das Mißverständnis einer Gleichsetzung der Jurisprudenz mit den Naturwissenschaft zu vermeiden, will Gmür heute nicht mehr wie Jhering von »Rechtskörpern«, sondern lieber von »Rechtsgebilden« sprechen (aaO, S. 39f.). Dabei ist vom Standpunkt der heutigen Wissenschaftstheorie aus gesehen nach U.Neumann, Rechtsontologie (1979), S. 48 nicht schon die dem menschlichen Anschauungsvermögen entgegenkommende »Möglichkeit einer begriffsrealistischen Interpretation einer dogmatischen Argumentation« kritikwürdig, sondern nur der Fall, in dem eine rechtsdogmatische Auffassung »nur in dieser Weise begründet werden kann«. So zuletzt wieder im Anschluss an Losano L.M.Lloredo Alix, Jhering (2012), S. 317; R.Seinecke, Jhering (2013), S. 262, 274, 277 und C.Möller, Konstruktion (2017), S. 775f. Für Jhering, und zwar sowohl für den jungen als auch für den späteren Jhering, war das »berühmte Bonmot« (Seinecke, aaO, S. 270 Fn. 59) von den »produktiven« Begriffen, die sich »paaren« und neue »zeugen«, eben keinesfalls ein »Bonmot«, sondern Ausdruck für die den Naturgesetzlichkeiten entsprechende, aber nicht mit ihnen identische gedankliche Notwendigkeit begrifflicher Kombinationen und Konstruktionen. Unterschiedlich hat Jhering im Laufe seines Lebens lediglich die Frage beurteilt, ob aus dieser gedanklichen Notwendigkeit auch schon auf die praktische Rechtsgeltung geschlossen werden könne oder nicht. C.-E.Mecke, Objektivität (2008), S. 163 m.w.N. Jhering, Geist II/2 (21869), § 38, S. 314; Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 391 Fn. 511. Vgl. nur Anonymus, Jhering-Rezension (1856), Sp. 800f. in einer mutmaßlich von Karl Georg Bruns (vgl. oben S. 450f. Fn. 2234) erschienenen Rezension von Jherings Programmschrift »Unsere Aufgabe«: »Ref.[erent] sieht voraus, daß seine Bemerkungen durch die Replik ›nicht verstanden‹ beseitigt werden, und muß denn auch in der That bekennen, nicht verstanden zu haben.« Konkret gegen Jherings Bezeichnung der Rechtsbegriffe als »Rechts-Körper« gerichtet hieß es dort noch: »Hätte der Verf.[asser] doch einige dieser Körperchen als Muster beigelegt!« Jhering reagierte auf diese Provokation übrigens wie vom Rezensenten selbst vorhergesagt [vgl. Losano-Briefe I /1984, Nr. 71 (Jherings Brief vom 31. Dezember 1856 an Gerber), S. 228 (»alberne[r] Angriff«)]. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41 S. 389f. Fn. 507, S. 407 mit Fn. 524f. sowie die Zusätze in Geist II/2 (21869), § 41, S. 346 Fn. 507, S. 364 Fn. 524 a.E.. Vgl. auch weitere zahlreiche Nachweise bei R.Gmür, Rechtswirkungsdenken (1981), S. 105ff. sowie dazu O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 78 Fn. 25 a.E.; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 1115f.,

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fühlen. Es ist von daher naheliegend, mit Okko Behrends, aber vor ihm auch schon Franz Wieacker2457 den Schlüssel zum Verständnis der »naturhistorischen« Anschauungsweise Jherings vornehmlich in der Antike, nämlich in dem durch die Quellentexte überlieferten römischen Rechtsdenken und dessen Ideengeschichte zu suchen2458. Allerdings war – wie Behrends selbst darlegt – das römische Rechtsdenken selbst nicht einheitlich. So stehe dem in der Jurisprudenz der klassischen und spätklassischen Zeit vorherrschenden Nominalismus im Begriffsdenken2459 vor allem in vorklassischer Zeit ein ideengeschichtlich im stoischen Naturrechtsdenken wurzelnder Glaube an die göttliche Herkunft und übergeschichtliche bzw. zeitlose Wahrheit der Begriffe2460 gegenüber. Dieser bis

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119f. Jhering selbst ging übrigens noch davon aus, dass die römischen Juristen des Altertums mit ihrer Ausdrucksweise lediglich die »Anschauung der natürlichen Welt […] für die juristische Construction adoptirte[n]« und damit das »n a t u r a l e « nur in der »Bedeutung einer N a t u r - I m i t a t i o n « verstanden [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 407 mit Fn. 524]. Vgl. nur F.Wieacker, Jurist (21961), S. 144, 151 zu den römischen Juristen in der Antike, deren in den Quellen überlieferte Begrifflichkeit daher rühre, dass sie Begriffe »nicht, wie bei uns, [als] logische, d. h. auf widerspruchsfreie Erkenntnis bezogene, oder rechtsethische, d. h. auf ein rechtliches Sollen bezügliche« Aussagen, sondern als »Aussagen über Dinge, Zustände und Wirkungen in einer selbständig existierenden Rechtswelt« verstanden hätten. Dem entspreche »die von Jhering beschriebene ›naturhistorische Methode‹«. Allerdings ist es nun gerade diese »logische, d. h. […] widerspruchsfreie Erkenntnis« gewesen, die Jhering – wie F.Wieacker, Jhering (1969), S. 21f. im Übrigen später auch selbst hervorgehoben hat – als ein Fundamentalgesetz der naturhistorischen Methode betrachtete [vgl. dazu eingehend unten Abschnitt II. 2. b) bb) sowie cc) jeweils zum »Gesetz des Nichtwiderspruchs«]. Es ist gerade das von F.Wieacker, Jurist (21961), S. 150; Ders., Darwinismus (1973), S. 67 beschriebene »in unserem Ausmaß den [sc. römischen] Juristen« und ihrem »Denktypus« fremde ausgeprägte Denken in Allgemeinbegriffen und abstrakten Definitionen gewesen, das auch Jherings naturhistorischer Sprech- und Denkweise zugrunde gelegen hat. B.J.Choe, Culpa (1988), S. 173 ordnet Jhering sogar ganz direkt einer römischen Rechtsschule der Antike zu und bezeichnet ihn als einen zur Rechtsfortbildung bereiten »›Prokulianer‹, der materiale Wertprinzipien erkennt und anerkennt, gleichwohl im Prinzip an der begriffsjuristischen Argumentation festhält.« Grundsätzlich skeptisch gegenüber einer solchen Vorgehensweise bei der Interpretation pandektistischer Schriften zeigt sich dagegen T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 215ff., 218ff., 222ff. und betont stattdessen »die geschichtlichen Distanzen zwischen der römischen Jurisprudenz und der Begriffsjurisprudenz« (S. 230). O.Behrends, Grundlagen (1994), S. 16–20 sowie Ders., jurisprudence classique (1990), S. 337f., 344ff. zu der in der antiken griechischen Philosophie verankerten juristischen Anthropologie, die das klassische römische Rechtsdenken und über dessen Vermittlung auch die neuzeitlichen Rechtssysteme Kontinentaleuropas geprägt habe. O.Behrends, Inst. u. prinz. Denken (1978), S. 219ff.; Ders., Les »veteres« (1977), S. 15ff., 25f., 32f.; Ders., Anthropologie juridique (1990), S. 341. Seinen ideengeschichtlichen Grund findet dieses Rechts- und Begriffsverständnis nach Behrends im stoischen »Begriffsrealismus«, der den Begriffen nicht eine nur durch menschliche Institutionen geschaffene »nominalistische ›Realität‹« von »präzisen Kunstfiguren«, sondern auch eine von allem menschlichen Denken und Handeln unabhängige körperliche »Realität« bei-

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in die spätklassische Zeit nicht vollständig aufgelöste Schulengegensatz im römischen Rechtsdenken der Antike2461 fand nun nach Behrends Interpretation bei Jhering, der »wie kein zweiter die philosophischen Gehalte des römischen Rechts erkannt« habe2462, in dessen Frühwerk einerseits und in dessen Spätwerk andererseits in einer ganz einmaligen Weise seine Fortsetzung2463 Während der junge Jhering wie Savigny und Puchta von einer »in ihrem Kern aprioristisch[en]« und insoweit der stoischen Naturrechtslehre verwandten Begriffsgläubigkeit, nämlich von einem »im Kern spekulativen Apriorismus« geprägt gewesen sei2464, sei Jhering nach seinem durch den Doppelverkaufs-Fall ausgelösten Krisenerlebnis von 1858/59 in das von der entgegengesetzten kulturanthropologischen Tradition2465 bestimmte Lager eines begriffsnominalistischen Rechtsdenkens gewechselt, wie es in der für die Historische Rechtsschule ohnehin eigentlich maßgebenden klassischen und spätklassischen Zeit der römischen Jurisprudenz vorherrschend gewesen sei2466. Dass Jhering vor 1859 die Rechtsbegriffe noch nicht als bloß menschlich geschaffene »Artefakte« verstanden habe, hat Jhering nach Behrends auch selbst dadurch belegt, dass er in

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gelegt habe [O.Behrends, Inst. u. prinz. Denken (1978), S. 199, 226f. mit Fn. 91; Ders., Grundlagen (1994), S. 18f.] und daher das »genus« nicht nur als einen vorgestellten, sondern als einen »wirkenden oder zeugenden Begriff, den die Vernunft erfaßt«, angesehen habe [O.Behrends, Wissenschaftslehre (1976), S. 287]. Vgl. dazu O.Behrends, Inst. u. prinz. Denken (1978), S. 192ff.; 208; 216ff.; Ders., Privatrechtsordnung (1978), S. 17, 23, S. 27 Fn. 42; Ders., Savigny (1985), S. 307–309; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 169. O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 60 Fn. 61. Kritisch auch in methodischer Hinsicht wird Behrends Interpretationsansatz von T.Giaro, Genealogie (1992), S. 544ff.; Ders., Mehrzweckmodell (1992), S. 327f. gesehen. O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 76ff., 81, 89, 91f.; Ders., Savigny (1985), S. 297; DERS., Jhering (1987), S. 252ff.; Ders., Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 244f.; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 107ff., 115ff. Jherings »höhere Jurisprudenz« beurteilt O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 181 als eine an Savigny anknüpfende »unbewußte Wiederbelebung« des »hochklassischen Denkens« der römischen Antike. Vgl. O.Behrends, Inst. u. prinz. Denken (1978), S. 217; Ders., Privatrechtsordnung (1978), S. 27ff.; Ders., Anthropologie juridique (1990), S. 338ff., 344ff.; Ders., Struktur u. Wert (1990), S. 142ff. Vgl. O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 149f., 167ff., 175ff., wo Behrends auch erläutert, warum der Unterschied zwischen Savigny und Jhering in dessen späterer Zeit »recht genau« vergleichbar sei mit dem Abstand zwischen den römischen Juristen Paulus und Ulpian, die nach der Auffassung von Behrends in der Spätklassik die beiden gegensätzlichen Traditionen im römischen Rechtsdenken repräsentiert haben. Vgl. dazu auch O.Behrends, Savigny (1985), S. 309 mit Fn. 143 sowie Ders., Jhering (1987), S. 256; Ders., Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 246. In der voranstehend zuletzt zitierten Untersuchung spricht Behrends auch davon, dass »Jherings ›Umschwung‹ […] wissenschaftsgeschichtlich gesehen damit nichts anderes als die Erneuerung der im rechtswissenschaftlichen Sinne positiven Jurisprudenz Roms« bzw. umgekehrt eine Abkehr von der stoisch geprägten Naturrechtstradition der vorklassischen römischen Jurisprudenz gewesen sei (aaO, S. 246).

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Geist II/22467 auf Savignys Wort von den Begriffen verwiesen habe, die den römischen Juristen wie »w i r k l i c h e We s e n « erschienen2468. Nach Behrends machte der junge Jhering damit nur augenfällig, dass er Savignys »in diesem Punkt durchaus den Grundannahmen der stoischen Naturrechtslehre« entsprechendem Rechtsglauben folgte, »der den Rechtsprinzipien geschichtliche Wirklichkeit« und übergeschichtliche Wahrheit zugesprochen habe2469. Nun ist allerdings gerade diesem auffälligerweie erst 1869 in der zweiten Auflage von Geist II/2 eingefügten Hinweis Jherings »statt aller auf Savigny«2470 und dessen aus der Berufs-Schrift stammende Redeweise von den Begriffen als »wirklichen Wesen« mit besonderer Vorsicht zu begegnen, wenn daraus Schlüsse für Jherings Denkweise gezogen werden sollen. Nach Erscheinen der ersten Auflage von Geist II/2 im Jahre 1858 war Jhering nämlich wegen seiner Bezeichnung der Begriffe als »Rechts-Körper« und der »Annahme eines 2467 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 343f. Fn. 506. 2468 O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 77f. Fn. 25; Ders., Jhering (1987), S. 251 Fn. 70; Ders., Gesetz und Dogmatik (1989), S. 23f. mit Fn. 40; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 118ff. Auch F.Wieacker, Jurist (21961), S. 144 hat in der Bezeichnung der Begriffe als »lebendige Wesen« einen wichtigen Hinweis auf die direkte Anknüpfung Savignys und auch Jherings am Begriffs- und Rechtsdenken der römischen Juristen gesehen. Vgl. ferner noch T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 212. 2469 O.Behrends, Savigny (1985), S. 297, 301, 307f. Im Hinblick darauf, dass nach Savigny und Puchta die Rechtsbegriffe »im Kern nicht vom Menschen geschaffen[e]« »unmittelbare Gegebenheiten des in der Geschichte fassbaren Volksgeistes« seien, spricht O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 76 daher auch von einer »in ihrem Kern aprioristisch[en]« Rechtsgeltungslehre und »aprioristischer Begrifflichkeit« bei Savigny und Puchta. F.Wieacker, Jhering (1969), S. 18 bezeichnet dagegen das Begriffsdenken aus Jherings Frühzeit als Ausdruck »für seinen begrifflichen Nominalismus«, der aus einer »Verallgemeinerung spezifisch römischer Anschauungen« resultiere [F.Wieacker, Darwinismus (1973), S. 67]. Soweit F.Wieacker, Darwinismus (1973), S. 67; Ders., Jurisprudenz (1976), S. 20 im Hinblick auf diese »spezifisch« römischen Anschauungen allerdings auf Jherings »Charakteristik der pontifikalen Rechtsontologie« bzw. des altrömischen Rechtsformalismus im »Geist« verweist, liegt darin gerade keine überzeugende Erklärung für dasjenige, was Jhering im Rahmen der Darstellung der naturhistorischen Methode die »Ontologie« des Rechts (vgl. oben S. 495f.) nannte. Denn im Gegensatz zu letzterer zeichnete sich nach Jhering, Geist II/2 (11858), § 45, S. 532f. der Rechtsformalismus des altrömischen Rechts im Kontext der im übrigen nicht »s p e c i f i s c h r e c h t l i c h e [ n ] , s o n d e r n […] a l l g e m e i n e [ n ] c u l t u r h i s t o r i s c h e [ n ] « Entwicklung gerade durch ein noch »in den Banden des sinnlichen Denkens befangene[n] Geist« aus, der »die Unbehülflichkeit im abstracten Denken und Reden ausgleicht«, in dem er noch »zu s i n n l i c h e n Ausdrucksmitteln seine Zuflucht nimmt, zu B i l d e r n in der Sprache«. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 407f. betrachtete derartige auch noch in der zeitgenössischen Jurisprudenz zu findende »von der Sprache recipirten B i l d e r « als auf der »niederste[n] Stufe« stehende »Constructionsversuche vom Standpunkt der natürlichen Auffassungsweise«, nicht aber als »w i r k l i c h e Constructionen«, denn ihnen liege noch keine abstrakt »juristische, sondern eine bloß figürliche« Denkweise zugrunde (aaO). Vgl. ferner auch Jhering, Mitwirkung II (1858), S. 253, 262. 2470 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 343f. Fn. 506.

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S e i n s «2471 auch schon von einigen Kollegen aus der Pandektistik – wie Jhering selbst schreibt – »getadelt«2472 bzw. »hart angelassen worden«2473. Was lag in dieser Situation näher, als sich zur Rechtfertigung darauf zu berufen, dass sich – wie Jhering es noch 1875 in einem Zusatz für die dritte Auflage formulierte – »Anklänge an sie [sc. die Auffassung, die den Rechtsbegriffen ›naturhistorische‹ Eigenschaften beilegt] längst vor mir bei Andern z. B. bei Savigny«2474 fänden? Denn immerhin galt Savigny auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ungeachtet der auch innerhalb der Pandektistik einsetzenden Kritik an seiner Rechtsquellenlehre und seiner Haltung zur Zivilrechtskodifikation als die überragende geistige Autorität der zeitgenössischen Jurisprudenz. Auch teilte Jhering – dies aber eben nicht nur in seiner Frühzeit – mit sehr vielen zeitgenössischen Juristen den aus heutiger rechtshistorischer Sicht als romantisch zu bezeichnenden Glauben der Historischen Rechtsschule2475, wonach die Begriffe trotz häufig mangelhafter oder ganz fehlender »Begriffsformulirungen der römischen Juristen« doch in dem Sinne in den römischen Juristen der Antike »lebten«2476, dass alle eine präzise und auch einheitliche Vorstellung von dem 2471 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 388f. 2472 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 343 Fn. 506. 2473 Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 360 Fn. 506. Im Jherings persönlichem Handexemplar von Geist II/2 (11858) findet sich auf S. 390 Jherings handschriftliche Notiz, die Grundlage wurde für die in der zweiten Auflage eingefügte Fußnote 506. Jherings Notiz im Handexemplar lautet: »Auch Savigny Beruf S. 29: die Begriffe sind d[en] röm.[ischen] Jur.[isten] wirkl[iche] Wesen gewes.[en] (Dies g[e]g[en] Brinz)«. Obwohl Jhering die von Alois Brinz in dessen Rezension zu Geist II/2 geäußerte Kritik [vgl. A.Brinz, JheringRezension (1860), S. 24ff.] für wenig qualifiziert hielt [vgl. nur Jherings Brief vom 15. August 1860 an Windscheid abgedruckt in: Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 37, S. 123], war es – was sich aus der in der zweiten Auflage dann tatsächlich eingefügten Fußnote 506 nicht mehr ergibt – doch offensichtlich diese Rezension von Brinz gewesen, die Jhering zur Erwiderung auf seine Kritiker veranlasst hatte. Weitere zeitgenössische Kritiker waren zum Beispiel Georg Bruns, Heinrich Dernburg, Johannes Emil Kuntze, Burkhard Wilhelm Leist, Adolf Friedrich Rudorff. H.Dernburg, Jhering-Rezension (1857), S. 364 meinte in seiner Rezension zu Jherings Programmschrift »Unsere Aufgabe« sogar : »Selten hat wohl ein Programm heftigere und gereiztere Anfechtungen hervorgerufen.« 2474 Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 360 Fn. 506. Ebenfalls erst aus der dritten Auflage von 1875 stammt Jherings Hinweis auf dasselbe Savigny-Zitat an einer weiteren Stelle, nämlich in Geist II/2 (31875), § 41, S. 384. In der Erstauflage hatte Jhering dagegen noch Bedenken gehabt gegen einen Vergleich der Rechtsbegriffe mit »juristischen Wesen«: »Ich würde sie [sc. die Rechtsbegriffe] […] gern juristische Wesen nennen, wenn der Ausdruck nicht etwas gesucht erschiene« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 387f.]. 2475 Vgl. O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 56f. Fn. 55. 2476 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 32 Fn. 16. Zu berücksichtigen ist bei dieser LebensMetapher die zeitgenössische Wissenschaftssprache. Wenn man ausdrücken wollte, wie das Denken von der bloßen Beschreibung und Sammlung des Gegebenen zur eigenständigen schöpferischen Reflexion übergehe, war es im 19. Jahrhundert nicht unüblich, davon zu sprechen, dass das »Wissen wahrhaft lebendig und Leben zeugend« wird [K.T.Welcker, Encyklopädie (1829), S. XIX] bzw. dass die überkommenen Begriffe in

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Inhalt der Begriffe gehabt hätten und auf dieser Grundlage den Umgang mit den Begriffen – »wie die meisterhafte Anwendung derselben zeigt«2477 – vollständig beherrschten. Hätte Jhering darüber hinausgehend mit den Worten von Savigny auch inhaltlich dasjenige verbunden, was nach Behrends Darlegungen in der Savignyschen Redeweise von den Begriffen als »wirklichen Wesen« vor allem zum Ausdruck kam, nämlich den »aprioristische[n] Kern« von Savignys Auffassung, wonach die Begriffe in dem Sinne »lebendig sind«, dass sie »keine menschlichen Artefakte« sind bzw. »vom Menschen nicht gemacht, sondern vorgefunden werden«2478, dann hätte Jhering 1869 bzw. 1875, also zu einer Zeit, zu der er auch nach der Interpretation von Behrends dieses Rechts- und Begriffsverständnis Savignys längst überwunden hatte2479, kaum noch in apologetischer Absicht auf die besagte Sentenz von Savigny verwiesen. Vor allem aber belegen Jherings Äußerungen aus der Zeit vor 1859, dass Jhering auch vor seinem »Umschwung« mit seiner »naturhistorischen« Ausdrucksweise nicht den »begrifflichen Apriorismus« verband, den Behrends in ihr ausgedrückt sieht2480. So hat Jhering auch schon vor 1859 die Begriffsbildung

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»uns […] selbständig« zu leben beginnen oder aber umgekehrt »practisch ganz unlebendig sind« [B.W.Leist, Analyse I (1854), S. 59f.]. In diesem Sinne ist es auch zu verstehen, wenn Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 369 Fn. 529a von der »lebendige[n]«, nämlich geistig schöpferisch »dialektische[n] Kraft« des »Systems« sprach. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 32 Fn. 16; Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 391: »So operiren die römischen Juristen mit ihren Begriffen mit größter Sicherheit, nichts desto weniger aber sind ihre Definitionen […] nicht selten durchaus ungenügend.« Ebenso hieß es auch schon bei F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 29 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 114), dass »ihre [sc. der römischen Juristen] Definitionen größtentheils sehr unvollkommen [waren], ohne dass die Schärfe und Sicherheit der Begriffe im geringsten darunter« gelitten hätte. So O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 77f.; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 181f. Vgl. nur O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 249f. Nach Behrends, aaO führte Jhering nach seinem »Umschwung« die Rechtsbegriffe, die er vorher wie Savigny als »lebende Wesen« verstanden habe, nun auf die formale Positivität menschlich gesetzter Begriffe zurück. Später hat Behrends diese Aussage wieder etwas eingeschränkt: Da sich »der Soziologe Jhering stärker von der historischen Schule emanzipiert [habe] als der Jurist«, sei Jhering als Jurist »seinen unkritischen Anfängen stärker verhaftet [geblieben], als es dem Programm seiner Wende entsprach«. Als Soziologe habe er »die Ordnungen seines soziologischen Evolutionsmodells dagegen konsequent als menschengemachte Formen« verstanden [O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 170, 181f.]. Vgl. insoweit O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 76–78, 81, 90 Fn. 40, S. 92. Den Kern dieses theistisch begründeten »Apriorismus« der Historischen Rechtsschule, der zu dem in »apriorisch aufgefassten Vernunft- und Verstandesbegriffen« gründenden »Apriorismus« Kants in einem »scharfen Gegensatz« stehe (aaO, S. 166f.), sieht Behrends in dem Glauben an die »logische Notwendigkeit im Sinne einer geistigen Vorgegebenheit«, die die Begriffe »nach dem Prinzip der Wahrheit unabänderlich« habe erscheinen lassen [O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 248]. Die vorwiegend im kritisch-pejorativen Sinne verwendeten Ausdrücke »Apriorismus« bzw. »aprioristisch«

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im Recht expressis verbis als eine menschliche »Kunstschöpfung«2481 bezeichnet bzw. als eine wissenschaftliche »Erhebung und Vergeistigung des Stoffes, den Menschensatzung geschaffen« habe2482. Jhering führte die Rechtsbegriffe somit nicht erst nach 18592483 auf das menschliche Denken zurück2484. Selbst die juristische Technik, die Gesetze der juristischen Methode, nach Auffassung des jungen Jhering immerhin die einzige an keine »Scholle« und keine Epoche gebundene Wahrheit im römischen Recht, hat Jhering niemals als »aprioristisch« vorgegeben verstanden, sondern als eine im Laufe der Jahrhunderte »erkannte und befolgte Zweckmäßigkeit«2485.

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gehen noch auf das 19. Jahrhundert zurück [vgl. W.Halbfass, Artikel »Apriorismus« in: J.Ritter, Hist.Wörterbuch/Bd.1 (1971), Sp. 476]. Nicht zuletzt Jhering selbst hatte in seiner späteren Polemik gegen die »Begriffsjurisprudenz« von einem »begrifflichen Apriorismus in der Jurisprudenz« [Jhering, Besitzwille (1889), S. X, S. 258] bzw. dem »verführerischen Reiz der Dialektik« [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 362] gesprochen. Beide Ausdrucksweisen gehörten aber – anders als der erst von Jhering geprägte Ausdruck »Begriffsjurisprudenz« – schon lange vorher zum festen Bestand der gängigen und nicht gerade präzisen Formeln wissenschaftlicher Polemik gegen ein in nach-idealistischer Zeit als übertrieben empfundenes Systemdenken und lebensfremde Abstraktion. Typisch ist etwa die aus dem Jahre 1847 stammende Kritik eines Anonymus, bei dem für W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 143–147 und B.Klemann, Jhering (1989), S. 87 Fn. 120 sogar »einiges dafür« spricht, dass es sich um Jhering gehandelt haben könnte [dazu eingehend C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 17f. Fn. 33]. Dieser Anonymus hatte die »aprioristische Begriffsentwicklung, oder in höherer Potenz die dialektische Methode« kritisiert, aus der unter dem Einfluss der idealistischen Philosophie auch »die Jurisprudenz viel lauwarmes Wasser geschöpft hat« [Anonymus, Christiansen-Rezension (1847), Sp. 691]. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 13 (= Ges. Aufs. I, S. 11). Jhering sprach ferner von der künstlichen »Schöpfung einer Welt aus rein geistigem Stoff« bzw. von einer »Nachbildung der Natur im Elemente des Gedankens«, die von der Jurisprudenz »erfunden« werde (aaO). Deswegen hatte Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 407 im Hinblick auf die entsprechende Ausdrucksweise römischer Juristen auch von »der Anschauung der natürlichen Welt entnommene[n]« für das Recht »adoptirte[n] »Natur-Imitation[en]« gesprochen. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 13 (= Ges. Aufs. I, S. 11). Anders O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 150, nach dessen Auffassung erst in der »kritischen Phase Jherings« nach 1859 »die Begriffe ihr Leben« verloren haben und nun – anders als bei Savigny oder Puchta – »zu positivistisch-nominalistischen Regelungsfiguren« wurden. Für F.Wieacker, Jhering (1969), S. 18 dagegen war Jherings »naturhistorische« Ausdrucksweise bei der Formulierung einer Theorie der »juristischen Technik« von Anfang an nur Ausdruck eines »begrifflichen Nominalismus«. So im Ergebnis auch schon P.Heck, Rechtsgewinnung (1912), S. 194, der zwar pauschal »bei den getreuen Anhängern der historischen Schule […] wirklichen Begriffsrealismus« im Unterschied zu einem offenbar bloß nominalistisch zu verstehenden »scholastischen Begriffsrealismus« ausmacht, um dann jedoch festzustellen: »Aber Jhering und die neueren Juristen, die dieses Verfahren handhaben, denken nicht daran, den dogmatischen Begriffen eine vorwissenschaftliche Existenz zuzuschreiben. Die Verkörperung der Begriffe ist bei ihm […] ein bewußt schaffender Vorgang, eine Methode der Rechtsgewinnung […].« Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 337.

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Wenn der junge Jhering überhaupt einmal von einem »a priori Konstruiren«2486 sprach, dann wollte er damit nicht erkenntnistheoretisch die »logische Notwendigkeit im Sinne einer geistigen Vorgegebenheit«2487 von Rechtsbegriffen und ihren Inhalten für jede Rechtsordnung ausdrücken, sondern im Gegenteil ganz unphilosophisch schlicht »eine gänzliche Freiheit von den geschichtlichen Begriffen der Römer«2488, da letztere nach Jhering nur als das Ergebnis von wissenschaftlichen »Versuche[n] zu betrachten [waren], die uns nicht binden« bei der systematischen Einordnung der die Jurisprudenz dagegen bindenden Rechtssätze des gemeinen römischen Rechts2489. Und wenn Jhering 1865 fest-

2486 Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 34r ; Ders., Abhandlungen (1844), S. 151, 155. 2487 So O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 248. Ein gutes Beispiel für einen solchen Glauben an die geistige Vorgegebenheit und Unveränderlichkeit der Rechtsbegriffe lieferte dagegen A.Brinz, Savigny-Rezension (1853), S. 2 mit seiner Kritik an Jherings Theorie der naturhistorischen Methode, die nach Brinz missachtete, dass die »Natur« des Rechts »von Juristen und Gesetzgebern nur gepflegt oder verdorben, niemals [aber] geschaffen« werden könne. 2488 So Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 34r in den 1840er Jahren im Zusammenhang mit der Frage nach den Wesensmerkmalen dinglicher Rechte. Dort heißt es unter der Überschrift »Dinglichkeit u[nd] Persönlichkeit«: »Die di[c]ken Nebel, die über dieser Materie liegen, haben nicht so sehr der Schwierigkeit der Materie ihr Entstehe[n] zu danken, sondern dem guthmüthigen Glauben unserer Juristen.« Statt sich von den »geschichtlichen Begriffen der Römer« – am Rande seines Manuskripts vermerkte Jhering hier noch: »der Skeptizismus so recht am Platze« – frei zu machen, »sah man die Dinglichkeit als etwas nothwendiges an, und wendete jenes Konstruiren a priori erst da an, wo es zu spät kam« (aaO), nämlich dort, wo die juristische Konstruktion nur noch die Folgerungen aus den wie selbstverständlich vorausgesetzten Begriffen ziehen konnte, die die römische Jurisprudenz formuliert hatte. Später wird Jhering allerdings sowohl diese von ihm schon immer kritisierte »Täuschung […], als ob die [sc. römischen] Begriffe bloß, weil sie einmal da sind, die Geltung unumstößlicher logischer Wahrheiten beanspruchen könnten«, als auch das Konstruieren »a priori« auf der Grundlage des geltenden Rechts einer konkreten Rechtsordnung, nämlich die erst nach Abkehr von seinem ursprünglichen Prinzipienrigorismus erkannte »Täuschung […], als ob die Begriffe, wie sie einmal« auf der Grundlage des jeweils geltenden Rechts durch die wissenschaftliche Jurisprudenz formuliert und als wahr »angenommen sind, einen Anspruch auf schlechthinnige Annahme aller in ihnen gelegenen Konsequenzen erheben dürften« [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 344], als gleichermaßen »begrifflichen Apriorismus in der Jurisprudenz« [vgl. nur Jhering, Besitzwille (1889), S. X] mit dem Verdikt »Begriffsjurisprudenz« belegen. 2489 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 225. Bei der wissenschaftlichen Begriffsbildung, hier des von Jhering sogenannten »Begriff[s] der substantiirten Persönlichkeit« für die hereditas iacens (aaO, S. 228, 235), ging es nach Jhering also nur darum, einen das jeweilige »praktische Recht deckenden Mechanismus zu erfinden« (aaO, S. 185). Ein Nachvollzug römischer Begriffs- und Theoriebildung bzw. der Versuch, »auf aprioristischem Wege zu ihrem Verständnis zu gelangen«, bedeutete danach also immer eine Rückversetzung »auf den Standpunkt der römischen Jurisprudenz« und die Beantwortung der Frage, zu welchen Ergebnissen ausgehend von »ihren juristischen Grundbegriffen« bei konsequenter

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stellte, dass die Rechtsbegriffe nur »die Concentrationsform materieller Rechtssätze« seien und sich damit »im Lauf der Zeit eben so gut, wie die Rechtssätze […] [verändern] m ü s s e n «2490, dann drückte er damit entgegen verbreiteter anderweitiger Auffassung2491 keine vollkommen neue erst nach seinem »Umschwung« erlangte Einsicht aus2492. Immerhin war es gerade Jhering gewesen, der auf dem Höhepunkt seiner »Begeisterung« und seines »Fanatismus«2493 bei der Formulierung der Theorie der »naturhistorischen Methode« festgestellt hatte: »Unser p r a k t i s c h e s Rechtsalphabet«2494, die »Bu c h s t a b e n des Rechts«2495, wie Jhering ausdrücklich nur der Anschaulichkeit halber das vom Rechtsdogmatiker anzustrebende »Ideal der juristischen Technik«2496, nämlich die durch wissenschaftliche Analyse zu ermittelnden »einfachen Bestandtheile«2497 bzw. »Grundbegriffe« einer geltenden Rechtsordnung nannte2498, »ist […] etwas Positives, Historisches, und die Geschichte eines jeden Rechts be[s]thätigt uns dies. Es ändern sich nicht bloß die Rechts s ä t z e , sondern mit ihnen auch die Begriffe und Institute, und es ändert sich nicht bloß die Beschaffenheit und Bedeutung unserer vorhandenen Rechts-Buchstaben, sondern die Zeit bringt uns völlig neue und streicht die alten aus.«2499

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Denkweise »die römischen Juristen, wenn sie das geltende Recht wissenschaftlich construiren oder reproduciren wollten, nothwendig kommen« mussten (aaO, S. 151, 155). Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 296. So heute etwa O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 248; B.Klemann, Jhering (1989), S. 197 oder K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 45, aber auch schon E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 811. Letzterer hatte sogar von Jherings »selbstvernichtender Dialektik« gesprochen, mit der Jhering »sich schließlich gegen sich selbst zu wenden« begann, weil er sogar juristische Grundbegriffe mit der Begründung für veränderlich hielt, dass sie eben nur Konzentrationsformen materieller Rechtssätze seien. Vgl. dazu W.Wilhelm, Das Recht (1970), S. 234. So Jhering über sich selbst in einem Brief vom 29. Juli 1856 an Windscheid (abgedruckt in: Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 20, S. 67). Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 375f.; § 39, S. 359f., 365; Ders., Geist I (11852), § 3, S. 30f.; Ders., Geist III/1 (11865), § 49, S. 16. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 365. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 365. Jhering, Geist III/1 (11865), § 49, S. 12. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 375f. Bei dieser »berühmten Stelle seines ›Geistes‹« [O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 243] darf man nicht vergessen, dass Jhering, der aus didaktisch-darstellerischen Gründen immer um anschauliche »Anknüpfungspunkte« bemüht war, »über die ein Jeder gebietet« (vgl. oben S. 493 Fn. 2442), sich des in der Sache selbst hinkenden Vergleichs durchaus bewusst gewesen ist: »Während nämlich das Alphabet der Sprache vollkommen abgeschlossen« und »trotz aller Umwandlung der Sprache dasselbe geblieben ist und bleiben wird, […] kann das des Rechts auf eine gleiche von Zeit und Ort, von der Geschichte und Nationalität unabhängige Geltung keinen Anspruch machen« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 374]. Jhering sprach daher auch von einem vor allem für den »Unkundigen« bestimmten »Vergleich« (aaO, § 39, S. 376). Vgl. dazu auch die folgende Anmerkung. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 375f. Wenn O.Behrends, Jhering ein Rechtspositi-

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Denn anders als Savigny, aber insoweit ebenso wie Puchta verstand Jhering – worauf bereits Walter Wilhelm hingewiesen hat2500 – nicht die »Begriffe und Institute« als den Rechtssätzen vorgegeben, sondern umgekehrt die Rechtssätze sowohl als die historisch »erste, frühere« als auch als die logisch vorangehende »Erscheinungsform des Rechts«2501. Die Begriffe und Institute bzw. in Jherings naturhistorischer Ausdrucksweise jeder juristische »Körper« waren danach nicht mehr und nicht weniger als »Träger einer Masse von Rechtssätzen oder vist? (1993/1996), S. 243f. diese Mitte der fünfziger Jahre entstandene Passage (vgl. oben S. 466f. Fn. 2306) zu Recht als einen Beleg dafür anführt, dass Jhering die über Jahrhunderte nicht veränderten Rechtsbegriffe als auf zweckmäßiger menschlicher Setzung beruhend verstand, spricht das nicht für, sondern gegen seine These, dass Jhering erst nach bzw. durch seinen »Umschwung« von 1858/59 zu diesem Begriffsverständnis gefunden habe. Im Übrigen hat Jhering an derselben Stelle (aaO, S. 374f.) noch unmissverständlich hinzugefügt: »Man könnte mir einwenden, daß es doch auch im Recht Grundbegriffe von absoluter Wahrheit gebe, seien es auch nur juristisch-logische Kategorien« wie zum Beispiel die theoretischen Unterscheidungen zwischen der Nichtigkeit und Anfechtbarkeit oder dem Sach- und Motivirrtum. »Allein so sehr ich die absolute Wahrheit dieser Begriffe und damit die M ö g l i c h k e i t e i n e s u n i v e r s e l l e n R e c h t s a l p h a b e t s zugebe, so darf man doch nicht außer Acht lassen, daß dieselben rein formaler Art sind, und daß wir es mittelst ihrer mithin nicht über eine formale juristische Logik (deren hohen didaktischen [sic!] Werth ich nicht bestreiten will) hinaus bringen würden. […] Es steht also mit jenen Begriffen s o , daß das Absolute daran etwas rein Formales, das Praktische daran etwas rein Positives ist. Allerdings kann diese positiv-praktische Gestaltung eine so verständige, zweckmäßige [sic!] sein, daß man ihr da, wo sie einmal gilt, gern eine ewige Dauer und selbst eine universelle Verbreitung prognosticiren möchte, allein nicht desto weniger müssen wir sie doch als etwas Positives und mithin möglicherweise dem Wechsel der Ansichten und Dinge Unterliegendes bezeichnen.« Trotz der klaren Worte in dieser und in anderen Passagen, die Jhering Mitte der fünfziger Jahre verfasst hat, wird das im Vorstehenden zum Ausdruck kommende Rechtsverständnis immer wieder als neue Erkenntnis des späten Jhering vorgestellt [vgl. nur J.Nocke, Beständigkeit (1986), S. 135]. Zutreffend dagegen J.Schröder, Recht (22012), S. 271f. 2500 W.Wilhelm, Das Recht (1970), S. 234 sowie – zu Savignys Institutsverständnis – auch schon W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 47ff., wo Wilhelm allerdings offenbar noch davon ausging, dass zwischen »Savignys ›Rechtsinstitut‹ und Jherings ›Rechtskörper‹ […] der Sache nach kein Unterschied« bestanden habe (aaO, S. 117). Vgl. dagegen aber B.Klemann, Jhering (1989), S. 130; Ders., Jherings Wandlung (1991), S. 140; B.J.Choe, Culpa (1988), S. 165 und mit Einschränkungen auch A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 193, 202f. mit Fn. 72, die zwar Wilhelms Ausführungen über die Vergleichbarkeit von Jherings und Puchtas Begriff des Rechtsinstituts für unrichtig hält, gleichzeitig aber doch auch auf den Unterschied zwischen Jherings und Savignys Verständnis der Rechtsinstitute hinweist. 2501 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 386, 391. Dies hat – wenn auch in kritischer Absicht – bereits G.Rümelin, Begriffsbildung (1878), S. 85f. hervorgehoben. Dagegen sieht O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 181 in der »höheren Jurisprudenz« Jherings den Beleg dafür, dass Jhering ebenso wie Savigny »in als vorhanden betrachteten Strukturen« dachte. Tatsächlich hatte aber das, was Jhering im Rahmen der »höheren« Jurisprudenz »Structur« nannte, nur wenig mit den »lebendige[n] allgemeine[n] Sinnstrukturen« zu tun, die nach Behrends Savigny »postuliert und in konkreten Verhältnissen wiederfindet« [O.Behrends, Savigny (1985), S. 307].

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richtiger nicht ein bloßer Träger, ein mit ihnen behangenes Gerippe, sondern [die Incarnation,] er [sc. der Körper] ist sie [sc. die Masse der abstrakten Rechtssätze] selbst […].«2502 Das nun allerdings im Unterschied zu Puchta von Jhering so bezeichnete »Positive, Historische« der Rechtssätze erstreckte sich damit auch auf die auf der Grundlage der Rechtsregeln gebildeten Rechtsbegriffe, was konkret bedeutete, dass nach Jhering die Wissenschaft dann und nur dann beispielsweise den Begriff des Pfandrechts neu zu bestimmen habe, wenn »ein neuerer Gesetzgeber […] das ganze Pfandrecht neu regulirt«, also die insoweit einschlägigen Rechtssätze modifiziere2503. Savignys Redeweise von einem »inneren und bleibenden Wesen der Rechtsbegriffe«2504 wird man daher auch beim jungen Jhering vergeblich suchen. Fand nach Savigny die aus dem »Rechtsinstitut« abstrahierte »Regel« jeweils »ihre tiefere Grundlage in der Anschauung des Rechtsinstituts«2505, »dessen organische Natur in jener abstracten Form unmöglich erschöpft werden kann«2506 und das Savigny auch den vom Gesetzgeber formulierten abstrakten Regeln vorgegeben ansah2507, so verstand Jhering die »Begriffe und Institute« im Rahmen der »höheren Jurisprudenz« in einem rein technischen Sinn als das in einer abstrakten »scharfen Definition«2508 zusammengefasste Ergebnis der »Bildung des Begriffs aus dem Material der Rechtssätze«2509. Für Jhering war daher auch die 2502 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 410. Den hier in Kursivschrift wiedergegebenen Zusatz in der Klammer hat Jhering in der dritten Auflage von 1875 eingefügt [vgl. Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 384]. Wortwörtlich gleichlautend hatte auch schon Puchta die Rechtsinstitute ganz abstrakt als bloße »Massen von Rechtssätzen« verstanden. 2503 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 29 Fn. 14. 2504 F.C.v.Savigny, System V (1841), § 228, S. 184. 2505 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 5, S. 9. W.Wilhelm, Savigny (1969), S. 128f. und O.Behrends, Savigny (1985), S. 307 weisen darauf hin, dass der Begriff des Rechtsinstituts bei Savigny zweimal vorkommt, einmal – so Behrends – sei er »im anschaulichen, sozial erlebbaren Rechtsverhältnis als dessen strukturgebender Typus enthalten«, zugleich könne er aber für die juristische Arbeit »auch technisch isoliert werden«. Anders als Savigny knüpfte Jhering bei der technischen »Begriffsbestimmung« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 391] im Rahmen der »höheren Jurisprudenz« aber gerade nicht an dem an, was »sich der natürlichen Auffassung als ein Institut darstellt«, da das, was sich aus der »natürlichen« Laienperspektive »als ein Institut darstellt« unter Umständen »juristisch als eine Vielheit einzelner juristischer« oder – was Jhering gerade aus der Betrachtung der »höheren Jurisprudenz« verbannen wollte – als ein erst noch juristisch aufzulösendes Konglomerat eigentlich »juristischer (und auch sittlicher usw.) Verhältnisse« entpuppt [so Jhering in seinem Brief vom 2. Januar 1855 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 39a, S. 133 (Kursivhervorhebung nicht in der Briefedition)], ferner Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 143ff.]. 2506 F.C.v.Savigny, System I (1840), § 13, S. 44. 2507 Vgl. insoweit auch O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 31 über die Rechtsinstitute bei Savigny als »die vom Gesetz vorausgesetzten und anerkannten Formen des Rechts«. 2508 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 20 (= Ges. Aufs. I, S. 18). 2509 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 28, 32; Ders., Besitzwille (1889), S. 62. Insofern wird man

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abstrakte Definition das eigentliche Signum der »höheren Jurisprudenz«2510, während Savigny, dem »Bestreben nach Abstractionen« ohnehin skeptisch gegenüberstehend2511 und darin dem römischen Rechtsdenken näher2512, »schulgerechte Definitionen«2513 als zwar nicht unwichtig, aber im Hinblick auf die »Anschauung des im Rechtsverhältnis verwirklichten Rechtsinstituts«2514 als eher sekundär bzw. als »nicht so unentbehrlich« ansah2515. Savigny hatte dabei das »Beyspiel der Römischen Juristen, die schlecht oder gar nicht definiren«2516, »ohne daß die Schärfe und Sicherheit der Begriffe im geringsten darunter leidet«2517, als den beweiskräftigsten Beleg für die Richtigkeit seine Auffassung verstanden. Jhering hingegen sah darin lediglich einen

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auch nicht mit W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 117; H.Coing, Systembegriff (1969), S. 159 oder O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 86; Ders., Gesetz und Dogmatik (1989), S. 18, 23f. sagen können, dass Jhering mit der Unterscheidung von »niederer« und »höherer« Jurisprudenz die Savignysche Unterscheidung von Rechtssatz und Rechtsinstitut nur weiter ausgearbeitet habe. Jhering hat sie vielmehr entscheidend modifiziert [so auch W.Wilhelm, Das Recht (1970), S. 234 und H.Coing, Privatrecht II (1989), S. 47]. Wohl hat Jhering zunächst an Savignys Unterscheidung angeknüpft, etwa wenn er in Geist I noch den Lebensprozess der Rechtsverhältnisse beschrieb, die sich »zu einigen weiten Grundformen«, den »Rechtsinstituten«, zusammenschlössen, welche »ihrem Begriff, Zweck und ihrer Structur nach von einander geschieden sind« [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 25]. Vgl. dazu F.C.v.Savigny, System I (1840), §§ 4, 5, § 59, S. 393. Spätestens aber mit Ausarbeitung der Theorie der juristischen Technik Mitte der 1850er Jahre hat Jhering die Savignysche Unterscheidung in einer Weise modifiziert, die kaum noch Savignys Zustimmung gefunden hätte. So waren für Jhering die Rechtsinstitute jetzt nur noch eine »Masse von Rechtssätzen« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 410] bzw. eine begriffliche »Incarnation« derselben [Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 384]. Aufgrund der vollständigen Eliminierung der »Zwecke« aus dem Institutsbegriff im Rahmen der »höheren« Jurisprudenz meinte Jhering sogar, dass sich »Zwecke […] ändern und wechseln [können], ohne daß mit dem Institut selbst die geringste Veränderung vor sich geht« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 392; Ders., Geist III/1 (11865), § 59, S. 294]. Vgl. nur Jhering, Geist II/2 (31875), § 39, S. 351f. Fn. 501, wo Jhering in einem Zusatz zur dritten Auflage von Geist II/2 auf eine zwei Jahre zuvor erschienene Schrift über die Staatslehre und die von deren Verfasser in einem ironischen Vers zusammengefasste Quintessenz verwies: »Was man nicht definiren kann, Das sieht man als organisch an«. Genau dies war für Jhering auch schon in den fünfziger Jahren gleichbedeutend gewesen mit dem Verzicht auf wissenschaftliche Erkenntnis überhaupt. F.C.v.Savigny, System I (1840), § 58, S. 392. Vgl. nur M.Kaser, Röm.PrivatR I (11971), § 46, S. 182. F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1809), in: Savignyana II (1993), S. 149. O.Behrends, Savigny (1985), S. 310. F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1809), in: Savignyana II (1993), S. 149. Wenn J.Schröder, Recht (22012), S. 271 mit Fn. 456 davon ausgeht, dass Jhering Savignys Auffassung von der nachrangigen Bedeutung der Begriffsdefinitionen geteilt habe, ist das mithin nicht zutreffend. Konstruktion und Definition waren für Jhering keine Gegensätze, im Gegenteil bildete für Jhering immer erst die Formulierung der gedanklich und sprachlich treffenden Worte den Abschluss einer gelungenen Konstruktion. F.C.v.Savigny, Vorlesungen (1809), in: Savignyana II (1993), S. 149. F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 29 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 114).

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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weiteren Beleg für die eben einmalige »ungewöhnliche Prädestination des römischen Volks zur Cultur des Rechts«2518 und forderte daher von den in seinen Augen minder prädestinierten Pandektisten seiner eigenen Zeit, überall dort, wo die römischen Juristen in ihren schriftlichen Überlieferungen »bloß ein Aggregat von Rechtssätzen überlieferten«, die in eine Definition mündende Begriffsbildung nachzutragen bzw. die überlieferten Definitionen auf der Grundlage des »Material[s] der Rechtssätze« – so weit als möglich – »zu verbessern«2519. Denn anders als für Savigny verband sich für Jhering mit der Unterscheidung der »Anschauung und Formulirung des Begriffs«2520 lediglich die Diskrepanz einerseits zwischen der umfassenden Vorstellung über den abstrakten Begriffsinhalt, welcher nach Jhering aus rein »anatomischen Momenten« wie eben der Frage nach »Subject, Object, Klage, Wirkung« etc. bestand2521, und andererseits deren sprachlicher Formulierung in einer Definition, dem »Monogramm des logischen Verstandes«, wie Jhering in einem Zusatz zur dritten Auflage von Geist II/2 die Definition in Anknüpfung an den damals bekannten Rechtsphilosophen Friedrich Adolf Trendelenburg bezeichnenderweise charakterisierte2522. Savigny hingegen hatte deswegen zwischen Begriff und Definition immer scharf unterschieden, weil er den »Begriff« nicht wie Jhering als bloßen Ausdruck des »logischen Verstandes«, sondern als einen – wie Okko Behrends es ausdrückt – in der sozialen Realität »verwirklichten oder verwirklichungsfähigen rechtlichen Strukturbegriff auffaßt[e], also als Rechtsinstitut«, das von einer abstrakten Definition immer nur unzureichend erfasst wird2523. Daher hätte Savigny seinen berühmten Ausspruch über die römischen Juristen, die »mit ihren Begriffen rechnen«2524, auch niemals in der Bedeutung verstanden, die Jhering der Metapher beilegte, als er – inzwischen skeptisch geworden hinsichtlich der Angemessenheit einer ausschließlich »naturhistorischen« Betrachtung für die praktische Rechtsgewinnung – in seiner Spätzeit meinte, dass die römischen Juristen dort, wo sie »bloß mit Begriffen gerechnet, abstract gedacht [haben], ohne sich das Verhältniß concret zu veranschaulichen und sich das Resultat klar zu machen«2525. Denn für Jhering ist die Fähigkeit, »mit den Rechtsbegriffen […] zu verkehren und zu operiren, als wären es concrete Gegenstände«, eben immer nur Ausdruck »der Fähigkeit des abstrakten Denkens« gewesen2526. 2518 2519 2520 2521 2522 2523 2524 2525 2526

Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 31f. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 32. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 390. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 392f. Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 364. O.Behrends, Savigny (1985), S. 314 Fn. 156. F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 29 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 114). Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), S. 14. Jhering, Civilrechtsfälle (11847), S. IX.

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Die Methode der Rechtswissenschaft

Schon bald sah sich Jhering daher auch entsprechender Kritik an seiner Theorie der juristischen Technik ausgesetzt. Johannes Emil Kuntze, der das Recht mit einem »Kunstwerk« verglich, »welches geboren und nicht ersonnen wird«2527, und in vollständigem Gegensatz zu Jhering meinte, dass die »organischen Grundphänomene« des Rechts wie das gegebene »Mysterium des Lebens« ohnehin »irrationale Größen der Rechtstheorie« seien, die sich »verstandesmäßig« niemals vollständig erfassen, »definiren«2528 und »in die starren, strengen Formeln civilistischer Logik zwängen« ließen2529, kritisierte an Jhering, dass dieser die »naturhistorischen« Lebensmetaphern statt auf die Rechtsverhältnisse auf »das Abstraktum des Rechtes« bezogen habe, so als ob »die einzelnen Rechtsverhältnisse, diese individuellen Lebensexistenzen, nur wie dialektische Emanationen« der Rechtsbegriffe anzusehen seien2530. Und Alois Brinz, der die »naturhistorische« Methode in dem Sinne verstand, dass »auch das Recht eine Natur hat, […] welche von Juristen und Gesetzgebern [sic!] nur gepflegt oder verdorben, niemals [aber] geschaffen«2531 werden könne, monierte an Jherings Ausführungen über die Rechtsbegriffe, dass dieser, anstatt »Existenzen vorauszusetzen, […] statt dessen fordert […], daß wir uns Begriffe bilden und erst dadurch Existenzen schaffen sollen.«2532 In der Tat hatte Jhering die Aufgabe der höheren Jurisprudenz darin gesetzt, dass »die Objekte, deren Natur und Wesen wir zu bestimmen haben, […] wir selbst erst [formen und] schaffen« müssen2533 aus dem jeweiligen »gesetzlichen Rohstoff«, das heißt den »engeren oder weiteren Regeln (Rechts s ä t z e n und Rechts p r i n c i p i e n )«2534. Im Übrigen hat Jhering auch noch nach seinem »Umschwung«, als er seine ursprüngliche »Ueberschätzung der logischen« bzw. – was für ihn dasselbe war – 2527 2528 2529 2530 2531

J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 66. J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 85, 89. J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 64f., 77, 79ff., 96. J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 59. A.Brinz, Savigny-Rezension (1853), S. 2. Brinz, der bereits vor Jhering von der »naturhistorischen« Richtung in der zeitgenössischen Jurisprudenz gesprochen hatte (vgl. oben S. 469 Fn. 2312), bezog die »reale Wesenhaftigkeit« allerdings nicht auf die Begriffe, sondern auf »die Rechte im subjectiven Sinn« und die »darin enthaltenen Befugnisse und Mächte« [A.Brinz, Jhering-Rezension (1860), S. 27f. sowie dazu J.Rascher, Brinz (1975), S. 57ff.]. 2532 A.Brinz, Jhering-Rezension (1860), S. 31, 35. Ähnlich hatte auch schon die Kritik in einer anonym erschienenen Rezension von Jherings Programmschrift »Unsere Aufgabe« gelautet: »Gewiß, das römische Recht hat Körper (res), und diese Körper sind Körper des Rechts – wenn man sie nicht lieber Dinge des Rechts nennen sollte; allein diese kann Verf. [sc. Jhering] nicht meinen, denn sie sind längst produciert, und nicht erst von den Juristen, weder von den höheren, noch von den niederen« [Anonymus, Jhering-Rezension (1856), Sp. 800f.]. 2533 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 10 [= ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 9 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz im Wiederabdruck von 1881]. 2534 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 386f. Diese »Jheringsche Besonderheit« hebt auch B.Klemann, Jhering (1989), S. 181 hervor.

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der naturhistorisch zu betrachtenden Seite des Rechts für die Rechtsgewinnung längst erkannt hatte2535, nicht nur an den naturhistorischen Lebensmetaphern festgehalten2536, sondern sie sogar noch auf andere Gebiete, etwa das Gebiet der Untersuchung des »substantiellen Elements« des Rechts, also der dem Recht zugrunde liegenden Interessen2537, vor allem aber auch auf das Gebiet der Ethik2538 und der Geschichte der sittlichen Evolution ausgeweitet. So wie er nämlich auf juristisch-dogmatischem Gebiet die in der Abstraktion liegende Produktivität in der »Werkstätte der Jurisprudenz«2539 beschrieben hatte als eine chemische Verflüchtigung des Rechtsstoffs zu Rechtsbegriffen, die »nicht ein Werk subjektiven Beliebens« sei, sondern »in dem Recht selbst« liege2540 und die 2535 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345 Fn. 506a. 2536 So liegt nach Jhering beispielsweise dem Begriff der »juristischen Gebundenheit«, den Jhering in Geist II/1 (11854), § 32, S. 176f. bereits erwähnt und in Passive Wirkungen (1871), S. 178ff. »in seiner begrifflichen Gestalt abstract erfaßt« hat (aaO, S. 262), naturhistorisch gesehen die – so Jhering 1871 wörtlich – »Erkenntniß und Benutzung der juristischen Widerstandskraft [zugrunde], welche die einem künftigen Zweck dienstbare Sache fremder Willkür entgegensetzt« (aaO, S. 186), solange die »Person« noch fehle, die Jhering auch weiterhin als ein logisch »wesentliches, unerläßliches Structurelement des [sc. subjektiven] Rechts« bezeichnete (aaO, S. 186, 197). Mit den durch den Begriff der Gebundenheit bezeichneten passiven Wirkungen subjektiver Rechte benannte Jhering ein naturhistorisches »Rechtsphänomen«, das deswegen »von wissenschaftlichem Werth« sei, als es »uns […] von der Möglichkeit eines bisher für unmöglich gehaltenen Vorgangs überzeugt und uns damit von einem Vorurtheil befreit, das der Erkenntniß der Wahrheit im Wege stand« (vgl. aaO, S. 253f.). Vgl. ferner O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 121, der allerdings auf der Grundlage seines Interpretationsansatzes die Tatsache, dass Jhering »seine mit [sc. naturhistorischen] Lebensmetaphern arbeitenden Darlegungen zur Begrifflichkeit des römischen Rechts auch nach seiner methodischen Wende geschont« hat, obwohl er eigentlich »Anlaß zu einer gründlichen Revision gehabt« hätte, mit einer Inkonsequenz Jherings erklärt. Dazu im Text, S. 420–424. 2537 So sprach Jhering, Geist III/1 (11865), § 61, S. 329 beispielsweise davon, dass die Interessen nie im »luftförmigen Zustand«, sondern nur in »Gestalt f e s t e r K ö r p e r « rechtlich geschützt werden könnten. Derartige Ausdrucksweisen waren für Jhering mehr als eine nur stilistisch erhebliche Bildersprache. Vielmehr drückte sich darin Jherings allgemeine Überzeugung aus, daß bestimmte Gesetzmäßigkeiten »der physischen oder moralischen Welt […] auch in der Rechtswelt« Gültigkeit haben, so zum Beispiel die Annahme, dass keine »absolute Isolirung eines Dinges oder einer Thatsache auf sich selber möglich ist, jedes Ding, jedes Ereigniß vielmehr, wie es einerseits von außen bedingt und bestimmt ist, so andererseits nach außen zurückwirkt« [Jhering, Reflexwirkungen (1871), S. 79f.]. In diesem Sinne bildeten in Jherings Vorstellung daher auch der terminologische »Ausdruck wie [sc. gedankliche] Begriff« (aaO, S. 82) der von ihm sogenannten »R e f l e x w i r k u n g e n fremder Rechte«, letztere von Jhering bestimmt als eine »eigenthümliche Art« des nur tatsächlichen »Nutzens oder Genusses (f a k t i s c h e s I n t e r e s s e )« von subjektiven Rechten Dritter [Jhering, Geist III/1 (21871), § 60, S. 327f. mit Fn. 445 a.E.], »ein Seitenstück zu den R e f l e x b e w e g u n g e n des thierischen Organismus« [Jhering, Reflexwirkungen (1871), S. 82]. 2538 Jhering, Zweck II (11883), S. XIV (Vorrede), S. 96ff. 2539 Jhering, Geist III/1 (11865), § 48, S. 2. 2540 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 31.

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der »feste[n], starre[n] Masse« der Rechtssätze »Leben einhaucht«2541 statt »eine Masse positiven Stoffes, ein todter« Bestand zu bleiben2542, so beschrieb Jhering in seinen späten Jahren auch den geistigen Prozess der sittlichen Evolution, der darin bestehe, dass der jeweils bereits vorhandene sittliche »Stoff […] nicht todt« in den Köpfen liegen bleibe, sondern sich in der geistigen »Werkstätte« »productiver Geister« »verflüchtigt«, »in Abstraction verwandelt« und »lebendig« werde, indem die »Stoffe« im menschlichen Geist »manchmal auch ohne Wissen des Menschen selbst« unterschiedliche »chemische Verbindungen eingehen« und dann »immer etwas Neues zum Vorschein« bringen2543. Diese Parallelität in der Ausdrucksweise ist nicht zufällig, denn sowohl die juristische Produktivität der Rechtswissenschaft als auch der nach Jherings späterer Evolutionstheorie durch »productive Geister« ständig angetriebene Fortschritt der sittlichen Vorstellungen beruhte nach Jhering wie »jeder Fortschritt in der Wissenschaft« überhaupt2544 auf dem »Abstractionsvermögen des menschlichen Geistes«2545. Und zu dessen Beschreibung hielt Jhering die naturhistorische Terminologie im Jahre 1884 für nicht weniger angemessen als in den 1850er Jahren bei der Formulierung der Theorie der juristischen Technik2546. Selbst 1889 erschienen Jhering die »Gedanken des Rechts« noch »ganz wie die lebenden Wesen«, die im Prozess des »Generalisiren[s] und Abstrahiren[s]«

Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 388f. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 23 (= Ges. Aufs. I, S. 20). Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 46–48. Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 48; Ders., Besitzwille (1889), S. 98ff. Vgl. auch schon Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 367: »[…] es ist nichts als das allbekannte Gesetz des We r d e n s «. 2545 Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 45. Das »Abstractionsvermögen« betrachtete Jhering immer als den »Pionnier des [sc. geistigen] Fortschrittes« und in seiner Spätzeit auch des sittlichen Fortschritts, weil der menschliche Verstand durch das »Abstractionsvermögen« zur gedanklichen Ziehung der »letzten Consequenzen« befähigt sei, ohne dass es dazu – zumindest nicht beim Wissenschaftler – »der Mitwirkung praktischer Motive« bedürfte wie zum Beispiel eines geschichtlich zufälligen Verkehrsbedürfnisses [Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 49f.; Ders., Entwickl.gesch.(1894), S. 24f.]. Entsprechend hatte Jhering in den 1850er Jahren auch den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt in der Jurisprudenz begründet. Durch die in der Abstraktion liegende »treibende Kraft des Gedankens« bzw. – was für Jhering dasselbe war – die »treibende Kraft des Begriffs« sei die wissenschaftlich arbeitende Jurisprudenz in der Lage, »zu neuen Entdeckungen« voranzuschreiten, ohne sich lediglich »durch die Praxis […] anregen zu lassen« und damit immer nur vom Zufall des »practischen Bedürfnisses« abhängig zu sein [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 16); Ders., Geist I (11852), § 3, S. 23 (unten)]. Endlich spielt sich die »Abstraktion« so wie beim »juristischen D e n k e n « [Jhering, Besitzwille (1889), S. 99; Ders., Geist II/2 (11858), § 39, S. 366ff.] auch beim »Nachdenken« im Rahmen der sittlichen Evolution vornehmlich »ab auf Höhen der Wissenschaft und Litteratur« [Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 23f.]. 2546 Anders T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 214f. 2541 2542 2543 2544

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»auszuwachsen und zu Kräften zu kommen« begännen2547. In der Manuskriptreinschrift zum nicht mehr erschienenen fünften Teilband über den »Geist des römischen Rechts« (Geist III/2) hatte Jhering sogar den von ihm so bezeichneten »Nominalismus«2548 der späteren Jurisprudenz des römischen Prinzipats, der in zahlreichen Fällen formales »Recht« und tatsächliche Befugnis vollständig habe auseinanderfallen lassen, auch deswegen kritisiert und als »gänzlich irrig[e]« Auffassungsweise bezeichnet, da hier ignoriert werde, dass durch die Jurisprudenz in einem entsprechend der jeweiligen Rechtsordnung historisch geltenden »Begriff des [sc. subjektiven] Rechts […] sämtliche Wirkungen, die er in sich schließt – sein Inhalt – zur Einheit zusammengefaßt [werden], aber nicht etwa bloß zur Einheit der Vorstellung, sondern zur Einheit des Seins.«2549

2547 Jhering, Besitzwille (1889), S. 98f. Dabei verwies Jhering selbst auf die entsprechenden Ausführungen in Geist II/2. Allerdings hatte er in diesen vierzig Jahre zuvor entstandenen Ausführungen den Prozess des Generalisierens und Abstrahierens von Rechtsgrundsätzen noch als eine bloße Frage der juristischen Technik verstanden [Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 365ff.] und damit allein der wissenschaftlichen Jurisprudenz überwiesen. 2548 Dazu eingehend C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 156–161. 2549 Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 21 (Jherings Unterstreichungen im handschriftlichen Manuskript sind im Text und im folgenden Zitat in Kursivschrift wiedergegeben). Weiter heißt es dort gegen die noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts in der Privatrechtsjurisprudenz verbreitete Vorstellung vom subjektiven Recht als bloßem Inbegriff einer Summe diverser Einzelbefugnisse gerichtet: »Wäre die erstere Vorstellung die zutreffende, so hieße das: das [sc. subjektive] Recht stellt sich dar als der Complex sämtlicher in ihm enthaltenen Wirkungen, es ist ein Aggregatbegriff d. h. die verschiedenen Wirkungen, die er in sich schließt, werden, statt sie einzeln aufzuzählen, der Kürze wegen mit einem einzigen Namen bezeichnet, aber dieser Name ist auch nur ein bloßer Name, wie es der eines Haufens für eine Vielheit von Menschen oder eines Bündels für eine Vielheit von Reisigen ist […]. Man kann sich den Inhalt des Rechts zur Anschauung bringen, indem man es in seine einzelnen Befugnisse – dies ist der entsprechende Ausdruck dafür – zerlegt, aber praktisch läßt sich das [sc. subjektive] Recht nicht zersetzen, es bildet eine unauflösliche Einheit, von der sich nichts abthun u[nd] zu der sich nichts hinzufügen läßt. Das Verhältniß der Befugnisse zum Recht ist also nicht das obige eines Bündels, sondern das der Regenbogenfarben im Sonnenlicht. Man kann durch das Prisma darthun, daß dieser aus jenen zusammengesetzt ist, aber man kann keine von ihnen ausscheiden, sie bilden eine untrennbare Einheit. Das Recht ist das Weiß des Sonnenlichts, der Jurist mag es unter dem juristischen Prisma in ein Menge einzelner Befugnisse zerlegen, aber das ist nur eine wissenschaftliche Operation[,] geeignet um sich den Inhalt desselben zur Anschauung zu bringen, praktisch ist das Recht ebenso wie das Sonnenlicht eine unzersetzbare Einheit. In diesem Sinn ist jedes Recht, welcher Art es auch sei[,] ein untheilbares, und damit steht auch der Gegensatz der theilbaren und untheilbaren Rechte in dem hergebrachten Sinn des Wortes nicht im Widerspruch, auch in dem kleinsten Theil des Eigenthums, Erbrechts, der Forderung ist das Recht des Eigenthums, Erbrechts, der Obligation ganz vorhanden, wie sämtliche Regenbogenfarben im schärfsten Sonnenstrahl, die Theilung [sc. im hergebrachten juristischen Sinn des Wortes] ist eine arithmetische (Bruch – oder Quotentheilung) [,] keine chemische (Zersetzung)« wie bei

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Es wird daher auch kaum mit einer bloßen Inkonsequenz Jherings in seiner späteren Werkphase zu erklären sein, dass dieser auf dem Gebiet der Dogmatik »seine mit Lebensmetaphern arbeitenden Darlegungen zur Begrifflichkeit des römischen Rechts auch nach seiner methodischen Wende geschont und sich auf einen generellen […] Vorbehalt beschränkt« hat2550. Vielmehr sind die bis in Jherings Spätwerk hinein nachweisbaren und auch nicht auf die Theorie der juristischen Technik beschränkten »Vergleich[e] mit der Naturwissenschaft«2551 bzw. »Parallele[n] aus der Naturwissenschaft«2552 ein deutlicher Hinweis darauf, dass Jherings Ausdrucksweise in einem allgemeineren als einem nur juristischdogmatischen bzw. pandektistischen Zusammenhang zu sehen ist2553. So war Jhering bis in seine Spätzeit davon überzeugt, dass es »wie in der Natur so auch in der moralischen Welt«2554 aller geistigen Schöpfungen der das Recht einschließenden »Cultur« neben wesentlichen Unterschieden2555 auch gemeinsame Ge-

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der strukturwissenschaftlichen Analyse der Begriffselemente durch die höhere Jurisprudenz (aaO, S. 21–23). So O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 121. Nach Behrends hätte Jhering eigentlich »Anlaß zu einer gründlichen Revision gehabt«, nachdem er sich nach 1858 »gerade von dem zentralen Punkt«, der nach Behrends die Lebensmetaphern »kohärent« machte, dem »begrifflichen Apriorismus«, gelöst habe (aaO). Jhering hielt es nach O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 79f. aber »für möglich, dem Leser abzuverlangen, die vorkritischen Teile seines Werkes nun im Lichte der neuen, in selbstkritischen Fußnoten hervorgehobenen Einsichten zu verstehen.« Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 389. Jhering, Rechtsgefühl (1884), S. 43. Selbst die innerdisziplinärgeschichtliche Entwicklung von der »frühere[n]« zur »neuere[n] Naturwissenschaft« (aaO) bezog Jhering regelmäßig in seine Parallelen mit ein. Über den »Umschwung in der bisherigen Methode der Rechtsgeschichtsschreibung« meinte Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 37 etwa: »Es ist kein anderer, als derselbe, der sich auf dem Gebiete der Naturwissenschaft und der Medizin in unserem Jahrhundert vollzogen und beiden bereits die wertvollsten Früchte getragen hat«. Nicht anders, nämlich mit Verweis auf die zeitgenössischen methodischen Neuerungen auf dem Gebiet der Naturwissenschaften hatte Jhering auch schon früher die Notwendigkeit der »naturhistorischen« Erforschung des Rechts begründet [vgl. insoweit nur Jherings entsprechende Worte in seinem Brief vom 17. Juli 1852 an Gerber, abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 17, S. 51]. Nach S.Meder, Urteilen (1999), S. 240 hat »Savigny seine Methode von der juristischen Entscheidungsfindung auch außerhalb der Rechtswissenschaft zur Anwendung gebracht«, etwa wenn er sich im akademischen Unterricht »gegen eine Denkmethode« wandte, »die vom Allgemeinen ausgeht, um Besonderes darunter zu subsumieren«, statt auf die »wissenschaftliche Individualität« zu setzen (aaO, S. 174ff., 240). Damit würde sich auch hier wiederum der Unterschied zum Methoden- und Wissenschaftsverständnis von Jhering zeigen, der jede wissenschaftliche Erkenntnis ganz auf das allgemeine, allenfalls bei den Individuen unterschiedlich stark ausgebildete »Abstractionsvermögen des menschlichen Geistes« zurückführte (vgl. oben im Text, S. 510). Jhering, Geist I (21866), § 3, S. 44. Den wichtigsten Unterschied zwischen der »o b j e k t i v e n Nothwendigkeit […] d e r p hy s i s c h e n We l t o r d n u n g « [Jhering, Geist II/1 (11854), § 30, S. 126] und der durch den menschlichen Geist konstituierten »moralischen Welt« sah Jhering im Hinblick auf die sittliche Freiheit des Menschen. Dieser für Jherings Rechtsbegriff ganz grundlegende

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setzmäßigkeiten und analoge Erscheinungsformen, Phänomene gebe2556. Vor allem war Jhering mit vielen Fachkollegen2557 und Zeitgenossen aus anderen Wissenschaftendisziplinen, etwa der Geschichtswissenschaften2558, aber auch der Medizin- und Naturwissenschaften2559 im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts2560 davon überzeugt, dass es ebenso wie in der Welt der Natur auch in der Welt des Geistes »Naturgesetz[e]« gebe, die sich »auf allen Gebieten des menschlichen Denkens und Wissens«2561 nachweisen ließen und denen das

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Unterschied [vgl. oben Abschnitt I. 3. a) zum »Freiheitstrieb« und dort insbesondere S. 376] hielt Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 55 aber eben auch hier nicht davon ab, Analogien zwischen dem allein durch physikalische Gesetze bestimmten »Planetensystem des Himmels« und dem »sittliche[n] Planetensystem« der Menschen herzustellen. Das ist ein besonders deutlicher Beleg dafür, dass Jherings für den heutigen Leser eher befremdlich wirkende Vergleiche zwischen Natur- und Kulturphänomenen nicht schon den Schluss zulassen, Jhering habe zwischen ersteren und letzteren überhaupt nicht unterschieden oder aber umgekehrt sich lediglich einer metaphorischen Sprache bedient. Vgl. Jhering, Geist I (11852), § 5, S. 55, 71; Ders., Geist II/1 (11854), § 27, S. 64f.; § 29, S. 87 über die Sätze, die für »die physische wie die moralische Welt […] gleichmäßig« gelten. Vgl. auch Jhering, Reflexwirkungen (1871), S. 79f.; Ders., Zweck I (11877), S. 529; Ders., Zweck II (11883), S. 113; Ders., Entwickl.gesch.(1894), S. 37f. T.Giaro, Rechtswahrheiten (2007), S. 80, der zu Recht hervorhebt, dass Vertreter der zeitgenössischen Pandektistik wie Kuntze oder Leist in der rechtsdogmatischen Untersuchung »etwa hinsichtlich der juristischen Personen und der organischen Früchte ihre biologistischen Metaphern durchaus ernst nahm[en].« So findet sich in einer Beilage zu den seit 1857 von dem Historiker Johann Gustav Droysen gehaltenen Vorlesungen zur »Historik« [J.G.Droysen, Historik (1857/1882), S. 451, 455f.] ein Text unter dem Titel »Erhebung der Geschichte zum Rang einer Wissenschaft« auf der Grundlage des von Arnold Ruge übersetzten Werks von Henry Thomas Buckle »History of civilisation« (2 Bde 1858, 1861), in dem es heißt: »Buckle sagt: er hoffe ›für die Geschichte des Menschen das oder doch etwas Ähnliches zu leisten, was anderen Forschern in den Naturwissenschaften gelungen ist, und in der Natur sind die scheinbar unregelmäßigsten und widersinnigsten Vorgänge erklärt und als im Einklange mit gewissen unwandelbaren und allgemeinen Gesetzen nachgewiesen worden; wenn wir die Vorgänge der Menschenwelt einer ähnliche Behandlung unterwerfen, haben wir sicher alle Aussicht auf einen ähnlichen Erfolg‹.« Vgl. die Nachweise unten in Fn. 2564. Vgl. H.-P.Haferkamp, Neukantianismus (2007), S. 113 zu der sich um 1880 etablierenden Gegenbewegung im Zeichen des Neukantianismus, die aber auf Jherings naturhistorische Auffassung der juristischen Technik keinen Einfluss mehr erlangte. Jhering, Geist II/2 (11858), § 43, S. 447. Als ein kulturelles »Naturgesetz«, das im Recht und seiner Geschichte nur seine Bestätigung finde, bezeichnete es Jhering beispielsweise, dass immer die »Sinnlichkeit […] die Vorstufe der Geistigkeit« sei und damit alles »ursprüngliche Denken der Individuen und Völker […] ein sinnliches« und als solches eine »Vorschule des abstracten Denkens« sei [Jhering, Geist II/2 (11858), § 43, S. 447; ders., Besitzwille (1889), S. 28f., 95, 486]. Auch die »Entwicklungsstufe[n]« des abstrakten Denkens in der Rechtsgeschichte waren für Jhering sowohl »im allgemeinen« als auch »im einzelnen Fall« nur Anwendungen des »allbekannte[n] Gesetz[es] des Werdens« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 367; Ders., Besitzwille (1889), S. 98]. Vgl. ferner Jhering, Geist II/2 (11858), § 43, S. 456: »Das Gesetz des Materialismus und Spiritualismus gilt, wie überall [sic!], so auch für die w i r t h s c h a f t l i c h e Entwicklung.« In der dritten Auflage

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Recht als ein Teil bzw. Ergebnis »des menschlichen Denkens« ebenso notwendig unterliege wie die physische Natur ihren Gesetzen. Wenn Jhering in dieser Weise den über die »Natur« gewonnenen Erkenntnissen Relevanz zusprach für die Untersuchung der – in der zeitgenössischen Ausdrucksweise2562 – »moralischen«, also geistigen Welt, und wenn er die juristische Methode als eine »naturhistorische« bzw. – was im zeitgenössischen und insbesondere auch Jherings Sprachgebrauch dasselbe war – »naturwissenschaftliche«2563 Methode charakvon 1874 fügte Jhering einen Zusatz ein über das sogenannte »Gesetz der Ausgleichung der Kraft, das geschichtliche [sic!] Prinzip, das in der Natur ganz so gilt, wie in der Geschichte« [Jhering, Geist II/1 (31874), § 36, S. 305 Fn. 472a]. Auch die »Erkenntnis der Beeinflussung der Völker sowohl wie der Individuen von der Außenwelt« diente Jhering in seiner posthum erschienenen Entwickl.gesch.(1894), S. 3, 37f. als ein Beleg dafür, dass »eine der unschätzbarsten Errungenschaften des naturgeschichtlichen Wissens unserer Zeit«, das Kausalitätsgesetz, »nicht bloß auf dem Gebiete des physischen Geschehens [sc. bei den Individuen], sondern auch des geistigen [sc. bei den Völkern]« nachweisbar und daher von den »Geisteswissenschaften« zugrunde zu legen sei. Der Unterschied – so Jhering, Vorgeschichte (1894), § 17, S. 96 über das von ihm sogenannte Kausalitätsgesetz – »besteht nur darin, daß die Naturwissenschaft vielfach dies […] nachzuweisen vermag, und mehr und mehr dahin gelangt, es nachzuweisen, während der Geisteswissenschaft der Einblick in die Vorgänge im Innern des Geistes bei Individuen wie Völkern verschlossen ist.« 2562 Vgl. A.Diemer, Natur- und Geisteswissenschaften (1968), S. 182f. 2563 Vgl. A.Diemer, Natur- und Geisteswissenschaften (1968), S. 179ff.; W.Lepenies, Naturgeschichte (1976), S. 29ff.; B.Hoppe, Biologie (1978), S. 127, 132 sowie F.Kambartel, Artikel »Naturgeschichte« und G.König, Artikel »Naturwissenschaften« in: J.Ritter/ K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.6 (1984), Sp. 526f., Sp. 641ff. zur allgemeinen Wortgeschichte der Ausdrücke »Naturgeschichte« und »Naturwissenschaft«. Danach ist der ursprünglich im Sinne reiner Beschreibung und später auch Klassifikation der vorhandenen Naturdinge verstandene Ausdruck »Naturgeschichte« der wesentlich ältere und fand sich als »Historia naturalis« bereits in der Antike (F.Kambartel, aaO, Sp. 526; W.Lepenies, aaO, S. 30ff., 36), während der Ausdruck »Naturwissenschaft« erst Anfang des 18. Jahrhunderts aufkam und die über die Naturbeschreibung hinausgehende Naturerklärung durch Theoriebildung bezeichnete (G.König, aaO, Sp. 641ff.; A.Diemer, aaO, S. 179). Mit dem Aufkommen eines evolutionären Geschichtsverständnisses Ende des 18. Jahrhunderts verlor die ausschließlich registrierende und nach äußerlichen Kriterien klassifizierende »Naturgeschichte« im klassischen Sinne schnell an Bedeutung gegenüber dem neuen das entwicklungsgeschichtliche Moment einbeziehenden Verständnis einer – so der neue Ausdruck – »Geschichte der Natur«, und das hieß – noch lange vor Darwin – die Erforschung und Erklärung der Veränderung sowie der – so bereits Kant – nicht erdichteten Kräfte und Gesetze dieser Veränderung (G.König, aaO, Sp. 644–646; W.Lepenies, aaO, S. 37, 39f.; A.Diemer, aaO, S. 180f.). Dessen ungeachtet erlebte der alte, aber noch bis ins 20. Jahrhundert gegenwärtige Ausdruck »Naturgeschichte« im 19. Jahrhundert sogar eine Konjunktur, wobei der Ausdruck jetzt allerdings in einem sowohl klassisch deskriptiven als auch in einem modernen entwicklungsgeschichtlichen Sinne verstanden wurde (vgl. F.Kambartel, aaO, Sp. 526f.). Die frühere Unterscheidung von nur beschreibender Naturgeschichte und erklärender Naturwissenschaft hatte sich damit erübrigt. So erklärt sich auch der Sprachgebrauch Jherings, der mit dem Ausdruck »Naturgeschichte« weder an den Mitte des 19. Jahrhunderts bereits überholten nur nach äußeren Kriterien klassifizierenden Begriff der Naturgeschichte im klassischen Sinne noch an einem »veralteten Wort der organistischen Naturphilosophie« anknüpfte [so aber F.Wieacker,

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terisierte, dann darf man nicht vergessen, dass Jhering dabei nicht an die im heutigen Sinne »modernen« Naturwissenschaften dachte2564, sondern an die zeitgenössischen Naturwissenschaften und dass er selbstverständlich von deren Natur- und Wissenschaftsverständnis ausging2565, das sich von dem heutigen Jhering (1969), S. 21], sondern ganz schlicht an den in seiner Zeit üblichen Sprachgebrauch der zeitgenössischen Naturwissenschaften. Sowohl in seinen jüngeren Jahren [vgl. nur Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 396f.] als auch in seiner Spätzeit [vgl. nur Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 37] verwendete Jhering daher die beiden Ausdrücke »Naturgeschichte« und »Naturwissenschaft« vollkommen synonym, wobei der Ausdruck »Naturwissenschaft« – ebenfalls entsprechend dem sich langsam wandelnden allgemeinen Sprachgebrauch gegen Ende des 19. Jahrhunderts – in Jherings Schriften mit den Jahren überwog. Eher irreführend ist daher die Erklärung von W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 190 sowie W.Fikentscher/U.Himmelmann, Iherings Einfluß (1995), S. 106, dass Jhering den Ausdruck »naturhistorisch« deswegen gewählt habe, um die historische Dimension des Rechts zu betonen. Nicht mit Jherings Schriften belegbar ist auch die Vermutung von A.W.H.Langhein, Analogie (1992), S. 100, Jhering könnte mit seiner »naturhistorischen Methode« als »Ergänzung der eigentlichen, positivistisch ausgeprägten Begriffsjurisprudenz […] soziologische Gegebenheiten als Grundlage des Rechts herausgestellt« haben. 2564 So aber T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 227, 229, wenn er vom »Jheringsche[n] Versuch« spricht, »die Rechtsdogmatik als eine strenge Naturwissenschaft im modernen Sinne zu modellieren«, und kritisiert, dass konsequent ausgeführt dieser Versuch nur in »einer Quasi-Physik, Quasi-Chemie, Quasi-Naturkunde, in einem Wort […] einer Quasi-Wissenschaft« enden könne. 2565 Zu Recht weist auch O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 120 darauf hin, dass Jhering selbstverständlich nicht die »Natur der modernen Naturwissenschaft« vor Augen hatte. Die zu Jherings Zeit herrschenden zeitgenössischen Vorstellungen über das Verhältnis von – in Jherings Worten gesprochen – »Natur« und »Cultur« bleiben allerdings auch bei Behrends außer Betracht. In rein wortgeschichtlicher Hinsicht weist A.Diemer, Wissenschaftstheorie (1968), S. 187 die »wohl […] erste« Verwendung der Redeweise von der »naturwissenschaftlichen und der geisteswissenschaftlichen Methode« zwar bereits in einer 1847 erschienenen Schrift nach. Knapp zehn Jahre danach beklagte J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 2 auch schon in der Sache, dass »Natur- und Geisteswissenschaft […] fast wie Feinde neben einander« ständen. Darin hat Kuntze, aaO auf dem Hintergrund der Erfolge der zeitgenössischen »Naturforschung« aber nur eine Herausforderung für die »historischen Wissenschaften« gesehen, mit den von »titanischen Elementen«, nämlich durch »Materialismus und Idealismus«, »massive Empirie und proteusartige Teleologie« angetriebenen Naturwissenschaften gleich zu ziehen durch eine ebenfalls »neue, geistigere und zugleich lebenskräftigere, Form des Gedankens«, damit das – damals noch – einheitliche »R e i c h d e r Wi s s e n s c h a f t als Ganzes [sic!] gerettet« werde (Kursivhervorhebungen nicht im Original). Eine eigenständige Theorie der »Geisteswissenschaften«, die wissenschaftstheoretisch zwischen einer geisteswissenschaftlich verstehenden und einer naturwissenschaftlich erklärenden Methode unterscheidet, begann sich dagegen erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auszubilden. Der moderne Gegensatz von Naturund Geisteswissenschaften, der in der Auffassung von der kategorialen Unterschiedlichkeit der Wissenschaftsmethode und des Erkenntnisziels begründet ist, geht sogar erst auf den Neukantianismus und dessen Unterscheidung zwischen »nomothetischen« Naturwissenschaften und »idiographischen« Kulturwissenschaften zurück [vgl. A.Diemer, Wissenschaftstheorie (1968), S. 9; Ders., Wissenschaftstheorie (1968), S. 191, 200f.,

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durchaus unterscheidet. Die Überwindung der spezifischen Naturphilosophie des Deutschen Idealismus und die Herausbildung der auf experimenteller Forschung fußenden »naturwissenschaftliche Methode«2566 Mitte des 19. Jahrhunderts war nämlich noch keineswegs gleichbedeutend mit einer vollständigen »Entmetaphysierung« der Natur durch die zeitgenössischen Naturwissenschaften2567. Auch als es um 1850 bereits »zum guten Ton« gehörte, »die Schelling’sche Naturphilosophie zu belächeln« und die »Reste Hegel’scher Anschauung« zu tilgen2568, blieb die Vorstellung von einer »gleich dem Naturgesetz bildenden und treibenden Ordnung« auf dem Gebiet der Geistesgeschichte erhalten2569. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war die Vorstellung, die Anfang des Jahrhunderts beispielsweise von Wilhelm von Humboldt formuliert und bezeichnenderweise noch über dreißig Jahre später von Johannes Emil Kuntze zur Rechtfertigung der zeitgenössischen »symbolisch-naturalistische[n] Betrachtungsweise in der Rechtsdogmatik« zitiert wurde, allgemein verbreitet, dass alle

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210ff.; G.König, Artikel »Naturwissenschaften« in: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.6 (1984), Sp. 649]. Vgl. über die neue »naturwissenschaftliche Methode« als »die einzige Methode […], die überhaupt existirt«, etwa den Mediziner Rudolf Virchow in seiner 1848 erschienenen gleichnamigen programmatischen Schrift [R.Virchow, Methode (1848), S. 7 sowie dazu H.Siefert, Virchow (1969), S. 322]. Dort heißt es zur Rolle des Experiments: »Die naturwissenschaftliche Frage ist die logische Hypothese, welche von einem bekannten Gesetz durch Analogie und Induction weiterschreitet; die Antwort darauf giebt das E x p e r i m e n t […]. Jeder Mensch […] ist befähigt, die Natur durch das Experiment zur Beantwortung einer Frage zu zwingen« (aaO, S. 7f.). Ganz ähnlich und vielleicht sogar in Kenntnis vorstehender Zeilen beschrieb Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 411 die naturhistorische Untersuchung des Rechts als eine Methode, die den »Stoff zum Geständniß zwingt«. Vgl. nur A.Diemer, Wissenschaftstheorie (1968), S. 44ff.; B.Hoppe, Biologie (1978), S. 162f.; F.Kaulbach, Artikel »Naturphilosophie« und G.König, Artikel »Naturwissenschaften« in: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.6 (1984), Sp. 554ff., Sp. 647. Dem mit Überwindung der Naturphilosophie in den Naturwissenschaften beginnenden »Kampf gegen die Ontologie« (A.Diemer, aaO, S. 45) stand auf der anderen Seite die Warnung vor zu »crassem Empirismus« gegenüber, wie es mit Rudolf Virchow immerhin ein herausragender Protagonist der neuen »naturwissenschaftlichen Methode« in seinem 1847 begründeten »Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin« formuliert hatte [R.Virchow, Erinnerungsblätter (1852), S. 547f. sowie dazu die bei H.Siefert, Virchow (1969), S. 322f. und B.Hoppe, Biologie (1978), S. 163 Fn. 227 angeführten Nachweise]. Viele Naturforscher der Zeit waren von der »metaphysischen Bedeutung« ihrer experimentell erlangten Forschungsergebnisse überzeugt [E.Wolf, Rechtsdenker (41963), S. 624], da sie die Naturgesetze noch als Ausfluss allgemeinerer Gesetzmäßigkeiten begriffen. J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 53, 58f., 99, der übrigens bei Jhering »mehr Reste Hegel’scher Anschauung« zu finden glaubte, »als vielleicht gut und der (›naturhistorischen‹) Richtung förderlich ist.« J.E.Kuntze, Obligation (1856), S. 83.

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»lebendigen Kräfte, der Mensch wie die Pflanze, die Nationen wie das Individuum, das Menschengeschlecht wie die einzelnen Völker, ja selbst die Erzeugnisse des Geistes […] wie Literatur, Kunst, Sitten, die äußere Form der bürgerlichen Gesellschaft […] Beschaffenheiten, Entwickelungen, Gesetze mit ein ander gemein« hätten2570.

Die darin gründenden und nicht auf die außer- bzw. vorrechtlichen Vorstellungen seiner Zeit beschränkten Prämissen waren es, die auch noch Jherings Denken – und zwar nicht nur sein Rechtsdenken2571 – lebenslang bestimmten2572. Ähnlich wie Johannes Emil Kuntze2573 durch die in den Quellen überlieferten 2570 J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 67, 75; Ders., Geist I-Rezension (1855), S. 224f. Vgl. auch B.Hoppe, Biologie (1978), S. 144, 171 sowie mit Blick auf zeitgenössische »Naturlehren« des Staates E.-W.Böckenförde, Organismus (1978), S. 586f., 596. Exemplarisch für dieses keineswegs auf die Jurisprudenz beschränkte Denken war das Vorhaben von Wilhelm Heinrich Riehl in seinem übrigens auch von Jhering rezipierten und im »Geist« zitierten [vgl. Jhering, Geist II/1 (11854), § 34, S. 246 Fn. 369; S. 257 Fn. 385] frühsoziologischen Werk »Die bürgerliche Gesellschaft« mit einem Versuch zu »einer gleichsam naturgeschichtlichen Untersuchung des bürgerlichen und politischen Menschen« [W.H.Riehl, Gesellschaft (1851), S. 26]. Riehl, der seinem vorgenannten Werk seit der zweiten Auflage von 1854 noch zusätzlich den Obertitel »Die Naturgeschichte des Volkes […]« gab, hatte dabei ähnlich wie Jhering in der Rechtsdogmatik eine geistig-kulturelle »Art von physikalisch-chemischem Prozeß in der neuesten Culturgeschichte« vorausgesetzt. Die »künstlich gebundenen Stoffe, welche das sociale Leben in Blut und Mark und Nerven warm und lebendig erhielten, zersetzen sich, lösen sich in ihre Grundbestandtheile auf, aber in diesem Processe der Zersetzung selber einigen sie sich wieder zu neuen Stoffen, und aus […] den verwesten Organismen sprießt ein neues, fremdartiges Leben auf« (aaO, S. 267). Zeitgenössisch sind auch Untersuchungen zur »Physiologie der Staaten« und zu den »Naturgesetzen« im »Kreise der Privatrechtsverhältnisse« und der »Nationalöconomie« [vgl. B.W.Leist, Naturalis ratio (1860), S. 14f.]. Das war nicht nur Ausdruck einer noch fehlenden angemessenen fachwissenschaftlichen Methodik und Fachterminologie, wie aus heutiger Sicht mit Blick auf Riehl, Jhering und andere H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 50, 52 urteilt, sondern es war auch Ausdruck für den noch bewahrten Glauben an die Existenz eines alle Gegenstände des Wissens umfassenden Weltzusammenhangs. Dieser Glaube schien die Möglichkeit zu eröffnen, die – wie es für diese Zeit repräsentativ W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. XXII ausdrückte – »exacte [sic!] Forschung, der die Naturwissenschaften ihre Blüthe verdanken, in verändertem [sic!] Sinne auch auf geschichtliche [sc. und andere] Untersuchungen übertragen« zu können. Es ist mithin eine unzulässige, wenngleich weithin übliche Vereinfachung, wenn D.Tripp, Positivismus (1983), S. 41, 43ff. et passim das Wissenschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts auf die Alternative einer entweder noch idealistischen Natur- und Weltauffassung oder eines schon »naturwissenschaftlich-exakten Denkens« im Sinne heutiger Wissenschaftskategorien reduziert. Ausschließlich aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts urteilt auch J.Gaudemet, Organicisme (1970), S. 35, wenn er mit Blick auf Jhering feststellt, es sei »toujours imprudent de transf8rer dans une discipline des concepts 8labor8s pour une autre«. 2571 Vgl. nur Jhering, Geist II/1 (11854), § 29, S. 87, wo Jhering die Entstehung und Existenz sozialer Ungleichheiten »in der moralischen Welt« mit einer Analogie zu den Gesetzen »der physischen Welt in der Natur« erklärt und rechtfertigt. 2572 Vgl. dazu auch T.Viehweg, Rechtsdogmatik (1970), S. 213f. 2573 J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 74f.

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»Nat u r- I m i t at i on [ e n ] « der römischen Juristen nur noch bestärkt2574 sah daher auch Jhering einen in der Sache selbst begründeten, nämlich im Recht liegenden Grund dafür, dass die juristische Konstruktion »sich den Gesetzen und Vorgängen der Natur möglichst eng anzuschließen, sie [sc. die Natur] auf ihrem [sc. rechtlichen] Gebiete und in ihrem [sic!] Stoff möglichst nachzubilden sucht.«2575

Darin lag kein »Naturalismus« im modernen Sinne einer von »philosophische[r] Bedenkenlosigkeit« geleiteten Gleichsetzung von »Natur« und »Recht«2576. Der in ihrem jeweiligen »Stoff« begründete Unterschied zwischen »Natur« und »Recht« war Jhering nicht nur wohl bewusst2577, sondern bildete überhaupt die Voraussetzung und Grundlage für die Formulierung einer rechtswissenschaftlichen Theorie der »naturhistorischen Methode«2578. Aber die in der gedanklichen »Logik« und »Konsequenz« liegende Notwendigkeit erschien Jhering entsprechend den Vorstellungen seiner Zeit2579 noch als ein zulässiges Analogon zu 2574 Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 407 Fn. 524f. Seit der zweiten Auflage von Geist II/ 2 verwies Jhering ergänzend auch noch auf die von J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 74f. genannten Beispiele von sogenannten Natur-Imitationen in den römischen Quellen [vgl. Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 346 Fn. 507]. 2575 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 407. 2576 So aber K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 25. Dieser von Larenz und weiteren Kritikern Jherings erhobene Vorwurf ist schon deswegen unangemessen, da er das Natur- und Wissenschaftsverständnis des 20. Jahrhunderts zugrunde legt, das Jhering und seinen Zeitgenossen noch fremd war. Vgl. G.Gawlick, Artikel »Naturalismus« und A.Hügli, Artikel »Naturalismus, ethischer« in: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.6 (1984), Sp. 517–521 zum heute in der Regel in polemischer Absicht verwendeten Begriff des »ethischen Naturalismus«, der von dem im 19. Jahrhundert verwendeten Begriff des »Naturalismus« grundsätzlich unterschieden werden müsse. 2577 Vgl. insoweit schon S. 376, 500f. zum Unterschied »der moralischen und physischen Weltordnung«. Anders dagegen O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 169f., 181f., 192, nach dessen Auffassung Jhering nur als »Rechtssoziologe«, nämlich in seiner späteren Theorie der sittlichen Evolution, den »naiven Monismus« überwunden habe, welcher nicht zwischen Naturgesetzen und menschengemachten Gesetzen unterscheiden könne. 2578 In diesem Sinne auch F.Wieacker, Jhering (1969), S. 21f. und U.Diederichsen, Jhering (1993/1996), S. 188 Fn. 77. 2579 Vermutlich sprach J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856), S. 69f. Fn. 1, S. 99 insoweit für viele seiner Zeitgenossen, wenn er sich einerseits als »himmelweit […] entfernt« bezeichnete von den »jetzt hinter uns liegenden, inkorrekten, romantischen, phantastischen, schülerhaften Konstruktionen des Naturlebens« durch Schelling, andererseits aber nicht die Auffassung von Wilhelm von Humboldt als überholt zurückwies, dass »es bei dem Erforschen der g e i s t i g e n [sc. Welt] immer ein sichernder Weg bleibt, d i e A n a l o g i e in jener [sc. Körperwelt] zu verfolgen […].« Selbst Darwins Durchbruch zum Evolutionsbegriff in der Biologie bedeutete, wie gerade Jherings spätere Evolutionstheorie des Rechts zeigt, nicht das Ende der Versuche, eine allerdings im Falle von Jhering – so O.Behrends, Evolutionstheorie des Rechts (1991), S. 290; Ders., Rechtsgefühl (1986), S. 126 zu Recht – »in vollem Bewußtsein des Unterschieds« vorgenommene Analogie biologischer und

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der in der physischen Natur liegenden Notwendigkeit der Naturgesetze. Die »logische« Notwendigkeit bildete so auf geistigem Gebiet ein Pendant zu der »naturhistorischen« Gesetzmäßigkeit auf dem Gebiet der Natur2580. Nur deswegen konnte Jhering im Rahmen der Rechtsdogmatik auch die Ausdrücke »naturhistorisch«, »logisch« und – zunächst auch – »juristisch« synonym verwenden2581. Und nur deswegen konnte Jhering den Versuch von Jeremy Bentham, nicht in Werken über das Recht, sondern über die Naturwissenschaften eine Grundlage für die »Principien der Gesetzgebung« zu finden, als eine – so Jhering in Geist I (21866) wörtlich – »ähnliche Betrachtungsweise für das Recht« bezeichnen und diesen Befund als eine Bestätigung seiner eigenen Darstellung der »juristischen Construction« in Geist II/2 begreifen2582. kultureller Prozesse nachzuweisen. Vereinzelt wurde sogar noch im 20. Jahrhundert die Möglichkeit einer »Analogie zwischen teleologischen und körperweltlichen Strukturen« erwogen [vgl. G.Hassold, Konstruktion (1981), S. 134 m.w.N.]. A.Baumgarten, Wissenschaft (1920), S. 383 hoffte etwa darauf, dass es dem »Denken der Zukunft« einmal gelänge, den in der Philosophiegeschichte lange vermuteten »eigentümlichen Zusammenhang zwischen dem Moralischen und dem Physischen« nachweisen und erklären zu können. 2580 In diesem Sinne führte etwa C.F.W.v.Gerber, System (121875), § 10, S. 10 Fn. 1 die Rückführbarkeit von Einzelbestimmungen auf ein einheitliches Prinzip als Beleg dafür an, dass »(wie in der Naturwissenschaft) die Wirkung höherer Gesetze« die Entwicklung und Anlage des römischen Rechts bestimmt habe. 2581 Vgl. nur Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 392f.; Ders., Geist II/2 (21869), § 41, S. 345 mit Fn. 506a; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 10ff., 21 (= Ges. Aufs. I, S. 8f., 18): »[…] die naturhistorische, oder nennen wir sie von jetzt an die juristische Methode […]« hatte danach ausdrücklich nur mit den sogenannten »a n a t o m i s c h e n M o m e n t e n « des Rechts zu tun, die »wie in einem logischen Brennpunkt im B e g r i f f zu erfassen« seien. W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 193 bezeichnet es daher zu Unrecht als einen Irrtum der Rezipienten von Jherings Werk, dass Jherings »naturhistorische Methode« die logische Struktur des Rechts zum Ausgangspunkt habe. Fikentschers Annahme, Jhering habe auch die Geschichte des römischen Rechts im »Geist« nach der »naturhistorischen Methode« darstellen wollen (aaO, S. 190), beruht auf einem grundsätzlichen Missverständnis beider Methoden, der rechtshistorischen auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte und der juristischen (»naturhistorischen«) Methode auf dem Gebiet der Rechtsdogmatik. Dieses Missverständnis hat seine Grundlage in Fikentschers mangelnder Unterscheidung der Methode der rechtshistorischen Darstellung einerseits, die Jhering seinem Werk »Geist des römischen Rechts« zugrunde gelegt und im Eingangsabschnitt (§§ 3–5) begründet hat, und der allgemeinen Theorie der juristischen Methode andererseits, die Jhering im Exkurs über die juristische Technik in Geist II/2 formulierte. 2582 Jhering, Geist I (21866), § 3, S. 27 Fn. 2e). Auf diesen nachträglichen Hinweis auf Bentham hat H.Coing, Systembegriff (1969), S. 161 aufmerksam gemacht. Wörtlich heißt es in der von Jhering im Zuge der zweiten Auflage von Geist I im Jahre 1866 eingefügten Fußnote: »Erst seit dem Erscheinen der ersten Auflage bin ich auf eine Stelle von B e n t h a m aufmerksam geworden, in welcher derselbe eine ähnliche Betrachtungsweise für das Recht aufstellt. Sie findet sich bei E t i e n n e D u m o n t , Jeremias Benthams Principien der Gesetzgebung. Cöln 1833. S. XXIII. ›Nicht in Büchern über das Recht, sagt er [sc. Bentham], habe ich Mittel zur Erfindung und Muster der Methode gefunden, vielmehr in Werken über Metaphysik, Physik, Naturgeschichte, Medicin. […] Könnte der politische

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Die Methode der Rechtswissenschaft

Die rechtstheoretische Funktion der »höheren Jurisprudenz« als rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung

Mit der Unterscheidung »zwischen dem h ö h e re n und n i e d e r e n Ag g re g at z u s t a n d des Rechts«2583, den jeweils zwei Erscheinungsformen jeder Rechtsordnung und der darauf gründenden Unterscheidung »zwischen n i e d e re r und h ö h e re r Ju r i s p r u d e n z «2584, war für Jhering auch theoretisch nachgewiesen, dass die Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz des geltenden Rechts, die »einzelne ihrer Jünger an ihr [sc. der Jurisprudenz] irre« werden und – wie beispielsweise Kirchmann – »selbst den Stein auf sie« werfen ließen2585, nicht im Untersuchungsgegenstand der Jurisprudenz, sondern allenfalls in deren fehlender Methodenreflexion begründet seien. Bei der Auslegung der »niederen« Rechtsregeln bleibe die Jurisprudenz zwar immer eine Interpretin fremder Gedanken bzw. – wie Jhering es ausdrückte – eine »Lastträgerin des Gesetzgebers«2586. Da Jhering zudem nicht anders als vor ihm auch Puchta lebenslang an der hergebrachten und vorsavignschen Unterscheidung von »grammatischer« Auslegung nach der Wortbedeutung und »logischer« Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers festgehalten hat,2587 konnte er ebenso wenig wie Puchta und anders als Savigny2588 im Prozess der Auslegung auch keine in irgendeiner Weise produktiv-schöpferische Erkenntnisleistung des jeweiligen Interpreten sehen.2589 Bot sich nach Jhering doch der »höheren

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Körper nicht auch seine A n a t o m i e , seine P h y s i o l o g i e , seine Nosologie, seine Materia medica haben? Was ich in Tribonian, Cocceji, Blackstone, Vattel, Pothier, Domat gefunden habe, ist sehr wenig; Hume, Helvetius, Linnee, Bergmann, Cullen sind mir weit nützlicher gewesen.‹« Entsprechend findet sich auch in Jherings persönlichem Handexemplar von Geist II/2 (11858) zu Beginn des für den Abschnitt über die juristische Technik zentralen § 41 über die »juristische Construction« neben der gedruckten stichwortartigen Vorschau auf den Inhalt (»Die naturhistorische Anschauungsweise des Rechts – der juristische Körper – allgemeine Schilderung desselben – […]«) Jherings handgeschriebene Notiz »Bentham (Dumont S. XXIII)«. Das von Jhering angegebene Werk, aus dessen Vorwort er zitiert, ist eine deutsche Übersetzung der französischen Edition durch Etienne Dumont [vgl. J.Bentham, Bentham’s Principien (1833), S. XXIIIf.]. Der Sperrdruck der Ausdrücke »Anatomie« und »Physiologie« im Bentham-Zitat geht auf Jhering zurück. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8 (= Ges. Aufs. I, S. 7). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 386. Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 332. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 389. Vgl. oben Teil 1, Abschnitt III. 1. b). C.-E.Mecke, Hermeneutik (2013), S. 40f., 44–46. C.-E.Mecke, Beiträge (2009), S. 548–551. Die Unterschätzung der juristischen Hermeneutik, die Puchta und Jhering gemeinsam haben, korrespondierte mit deren Überschätzung von durch die Rechtswissenschaft definierten Begriffen für das Rechtsdenken. Dahinter stand der Drang nach dem Erweis der wissenschaftstheoretischen Ebenbürtigkeit der Jurisprudenz mit der zeitgenössischen Systemphilosophie (Puchta) bzw. – eine Wissenschaftlergeneration später – mit den neuen Methoden der zeitgenössischen Naturwissenschaften (Jhering).

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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Jurisprudenz« durch Abstraktion vom jeweiligen inhaltlichen Regelungsgehalt des Rechts und durch Ermittlung und Definition der anatomischen Strukturen ein den »naturhistorischen Objecte[n]« der »Naturforscher« in wissenschaftstheoretischer Hinsicht vergleichbarer Forschungsgegenstand dar2590. Dieser lasse die Jurisprudenz »kaum anders […] als die Naturwissenschaft« rechtstheoretische »Entdeckungen« machen2591 und so die Jurisprudenz zu einer der Naturwissenschaft vollkommen ebenbürtigen »wahren Kunst und Wissenschaft« bzw. einer »Naturwissenschaft im Elemente des Geistes«2592 werden. Im Vergleich zur Naturwissenschaft ließ sich die zeitgenössische Jurisprudenz nach Jhering aber gerade in letzterer Hinsicht von dem »Vorwurf einer gewissen Indolenz und eines sich beim Positiven beruhigenden Quietismus nicht frei sprechen.«2593 In einem nach 1867 verfassten Vorlesungsskript notierte Jhering sogar : »Diese wissenschaftliche Theilnahmslosigkeit, welche in keiner anderen Wissenschaft einen so hohen Grad erreichen dürfte, als in der Jurisprudenz[,] hat ihren letzten Grund in der geschichtlichen Natur des Rechts. Das positive Recht beschränkt sich nicht bloß, sondern es soll sich auch beschränken auf die Aufstellung von Rechtssätzen d.i. Regeln, Normen, welche im einzelnen Fall zur Anwendung kommen sollen, also von praktischen Sätzen; Fragen, Wahrheiten, welche sich nicht unter diese praktische Form bringen lassen, gehören gar nicht in der Bereich des Gesetzgebers, sie fallen der Wissenschaft anheim. Aber die Wissenschaft schließt sich erfahrungsmäßig nur zu gern dem Vorbild des Gesetzgebers an, indem sie ihre Hauptkraft der praktischen Seite des Rechts zukehrt, u[nd] alle Fragen u[nd] Parthieen des Rechts, welche nicht nach dieser Seite hin liegen, entweder einfach der Philosophie (Rechtsphilosophie) überweist oder sich höchst dürftig mit ihnen abfindet.«2594

Damit aber verbrauchte die Jurisprudenz nach Jhering »ihre Hauptkraft an Aufgaben, die auch ein Philologe […] lösen« könnte2595. Dagegen könne gerade auf der nicht »praktischen Seite des Rechts« – so Jhering 1856 in seiner Programmschrift »Unsere Aufgabe« – »die Jurisprudenz, ich meine nicht die Rechtsphilosophie, sondern jene von den Philosophen oft über die Achsel angesehene practische Jurisprudenz, die [juristische] D o g m a t i k , sich, wie U l p i a n in l. 1 § 1 de J. et J. (1.1.) es thut, Philosophie« 2590 2591 2592 2593

Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 10 (= Ges. Aufs. I, S. 9). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 17f. (= Ges. Aufs. I, S. 15). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 389. Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 332. Vgl. auch Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 14, 20f., 26f. (= Ges. Aufs. I, S. 12, 18, 23) über die »Fachgenossen […], denen nie, weder auf der Universität, noch später das Verständniß jener unsichtbaren Welt aufgegangen ist, weil ihr Sinn von vornherein nur auf das Niedere stand.« 2594 Jhering, Vorlesungsskripte (Nachlass), Bl. 37r/38r (Jherings handschriftliche Unterstreichungen sind hier in Kursivschrift wiedergegeben). 2595 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 24 (= Ges. Aufs. I, S. 21).

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Die Methode der Rechtswissenschaft

nennen2596. Dies bekräftigte Jhering auch 1875 noch einmal, als er die vorgenannte Digestenstelle sogar unter wörtlicher Zitierung in einem Zusatz zur dritten Auflage auch in Geist II/2 einfügte2597. Diente sie ihm doch als ein willkommener Beleg dafür, dass die römischen Juristen der Antike, obwohl bzw. weil sie nach Jhering neben der Jurisprudenz »keine Philosophie hatten«2598, doch 2596 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 19 [= ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 16 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz beim Wiederabdruck im Jahre 1881]. An dieser in den Digesten zudem noch an exklusiver Stelle plazierten »berühmte[n] Definition« Ulpians [O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 143] konnte kein Pandektist vorbeigehen, was aber nicht heißt, dass jeder auch dieselben Schlussfolgerungen aus ihr zog wie Jhering. So hatte etwa G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 102, S. 466f. in dieser Definition Ulpians eher das Unterscheidende als das Gemeinsame von antiker römischer und zeitgenössischer pandektistischer Jurisprudenz bei der Bestimmung ihres Verhältnisses zur Philosophie ausgedrückt gesehen. Auch bei Jhering klingt deutlich deutlich an, wie sehr sich die Vertreter der »von den Philosophen oft über die Achsel angesehene[n] practische[n] Jurisprudenz« durch die nicht nur als abschätzig empfundenen, sondern wohl auch so gemeinten Äußerungen führender zeitgenössischer Philosophen wie Kant oder Hegel über die juristische Dogmatik in ihrem wissenschaftlichen Selbstbewußtsein getroffen fühlten. Auf sie bezog sich mithin auch Jherings Formulierung, dass den Vergleich von Dogmatik und Philosophie nur der juristisch »Unkundige […] belächeln« könne (aaO). 2597 Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 389. Dass Jhering – rechtshistorisch betrachtet – mit der Rückführung der naturhistorischen Methode auf die angeblich »national-römische Philosophie« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 414], »die Philosophie des praktischen Zwecks« [Jhering, Geist II/2 (41883), § 41, S. 389], sowohl vor als auch nach seiner Wende weit davon entfernt blieb, die von den römischen Juristen verwendete antike ars dialectica nach ihren wirklichen geistesgeschichtlichen Voraussetzungen zu verstehen, hat aus heutiger romanistischer Sicht nachdrücklich O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 141ff., 146ff. betont. Dagegen bezeichnet T.Giaro, Genealogie (1992), S. 508f. die vorzitierte Charakterisierung der in Wahrheit »höchstens […] hausbackene[n] Rechtsphilosophie« der römischen Juristen durch Jhering sogar noch als »großzügig«. Auf jeden Fall lag darin, dass Jhering mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die philosophischen Entwürfe seiner eigenen Zeit die »Jurisprudenz ein Stück angewandte[r] Philosophie« nannte, die Behauptung der Möglichkeit »eigenen Denkens« auch in einer »angewandten« Wissenschaft wie der Jurisprudenz [vgl. das von C.Helfer, Rechtsstudium (1966), S. 508 aus Jherings Nachlass mitgeteilte Manuskript zu einer im Sommersemester 1880 gehaltenen Vorlesung]. 2598 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 414. Weil den Römern die Fachphilosophie im neuzeitlichen Sinne fehlte, habe »alles, was an philosophischem Trieb und Talent in ihnen war, in i h r [sc. der praktischen Jurisprudenz] seine Befriedigung und seinen Auslaß gefunden« (aaO). Letzteres fand in den fünfziger Jahren noch Jherings uneingeschränkte Bewunderung. Das änderte sich nach Jherings Wende, als er den Nachweis der »substantielle[n] Idee der Gerechtigkeit und Sittlichkeit« im Recht zu einer eigenständigen »Aufgabe« der Rechtswissenschaft erklärte, die neben bzw. sogar über dem Nachweis des »bloß Formalen der juristischen Logik« stehe [Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345 Fn. 506a]. Im Hinblick darauf, dass das, »was sie [sc. die römischen Juristen der Antike] uns über das allgemeine Wesen des Rechts zu berichten wissen, […] überaus kümmerlich« sei, sah sich Jhering daher nun in seinen Vorlesungen »genöthigt […], den Implikationen, welche uns lediglich das Recht u[nd] die Lehre der Römer wiedergeben«, einen enzyklopädischen Teil

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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bereits erkannt hätten, was vor allem die jüngste neuzeitliche »Philosophie« gegenüber der juristischen Dogmatik nur zu oft herablassend bestritten hatte, nämlich ein eigenständiger »Zweig des menschlichen Wissens«2599, der menschlichen Erkenntnistätigkeit zu sein, wo der Gedanke des Forschers frei »und ungehindert, wie in der Philosophie, […] schweifen und forschen« könne2600. Die Philosophie, später sprach er auch von der Mathematik2601, galt Jhering hier als Prototyp einer im Unterschied etwa zur Jurisprudenz oder Naturwissenschaft überhaupt nicht praktischen, also niemals einem konkreten Anwendungszweck, sondern immer ausschließlich nur der Erkenntnis der Wahrheit dienenden Wissenschaft. »Frei und ungehindert« forschen wie in der Philosophie, das bedeutete nach Jhering übertragen auf die Jurisprudenz, dass auch dieser weder nur »die unmittelbar praktischen Fragen die Pfade [sc. bezeichnen], die sie zu wandeln hat«, noch dass sie lediglich innerhalb der »engen Schranken des positiven Gesetzes«, also der geltenden Rechtssätze verbleibe2602. Es sind also zwei nach Jhering allerdings unmittelbar miteinander verbundene Gesichtspunkte, die er meinte, wenn er von der Wissenschaft des Rechts forderte, sich auch der nicht »praktischen Seite des Rechts« zuzuwenden. Jhering bezog sich damit erstens auf das theoretische Untersuchungsinteresse der Jurisprudenz, die sich nicht auf die »Behandlung practischer Rechtsfragen, Controversen« beschränken dürfe2603 bzw. auf die bei konkret zu entscheidenden Rechtsfällen »täglich vorkommenden praktischen Fragen« der zeitgenössischen Dogmatik2604. Zweitens bezog sich Jhering auf die mit letzterem unmittelbar und nach Jherings ursprünglicher Auffassung sogar untrennbar2605 verknüpfte nicht

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über »I. Die Rechtsidee« und »II. Die Verwirklichung der Rechtsidee in der Geschichte« »vorauszuschicken«, um die »Vernachlässigung« dieser »Aufgabe […] von Seiten der römischen Jurisprudenz« auszugleichen [Jhering, Vorlesungsskripte (Nachlass), Bl. 37r/ 38r]. So lautete Jherings Zusatz an der einschlägigen Stelle in seinem Programmaufsatz »Unsere Aufgabe«, als er die Schrift zu dem 1881 erfolgten Wiederabdruck in seinen »Gesammelten Aufsätzen« vorbereitete [vgl. Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 16]. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 414; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 19 (= Ges. Aufs. I, S. 16). Vgl. nur Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 344f.: »Es ist ein schönes Ding um das konsequente Denken, und kaum in irgend einer Wissenschaft außer der Mathematik findet dasselbe einen so weiten Spielraum vor als in der Jurisprudenz, und gerade darauf beruht die außerordentliche Anziehungskraft […].« Allerdings wollte Jhering, als er die vorstehenden Zeilen verfasste, durch den Vergleich mit der Mathematik zugleich auch auf die Kehrseite einer ausschließlich auf gedanklicher Konsequenz beruhenden geistigen »Anziehungskraft« der Jurisprudenz hinweisen. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 413f. So beschrieb Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 26 (= Ges. Aufs. I, S. 23) das Arbeitsgebiet der »niedere[n] Jurisprudenz«. Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 385. Untrennbar verbunden war die »nicht-praktische« Seite im Sinne einer rein theoretischen Untersuchung des Rechts mit der »nicht-praktischen« Seite im Sinne der begrifflichen

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Die Methode der Rechtswissenschaft

»praktische« Erscheinungsform des Rechts, womit er das Recht in der »äußerlich unpractischen Form« der von der Jurisprudenz definierten Allgemeinbegriffe im Gegensatz zu der vom Gesetzgeber herrührenden Erscheinungsform der subsumierbaren Rechtsregeln bzw. »praktischen Sätze« des Rechts meinte2606. Was den ersten Gesichtspunkt angeht, sind die sich aus dem zeitgenössischen Wissenschaftsverständnis und aus dem Vergleich mit den Naturwissenschaften ergebenden wissenschaftstheoretischen Implikationen bereits dargelegt worden2607. Mit der »Emancipation der Jurisprudenz von dem Zufall des unmittelbaren Bedürfnisses« stand und fiel in Jherings Augen »die eigentliche w i s s e n s c h a f t l i c h e F re i h e i t d e r Ju r i s p r u d e n z « und damit deren Wissenschaftlichkeit überhaupt2608. Eine Jurisprudenz, die »nur das unmittelbar Practische suchen wollte« bzw. könnte2609 und nicht im Stande wäre, wie alle anderen Wissenschaften auch »re i n au f s i c h s e l b s t a n g e w i e s e n «2610 durch »Entdeckungen«2611 neue Erkenntnisse über ihr Wissensobjekt, das geltende Recht, hervorzubringen, wäre – Jhering sagt es zwar nicht ausdrücklich, aber implizit – nur ein Handwerk, eine nützliche Technik. Fast schon beschwörend und als habe er angesichts der unter Nichtjuristen durchgängig »geringschätzenden Meinung vom wissenschaftlichen Werth der Jurisprudenz«2612 auch noch selbst uneingestandene Zweifel, klingen Jherings Worte, wenn er darauf hinweist, dass die »praktische Jurisprudenz« bzw. »juristische Dogmatik«2613 wie

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Erscheinungsform des Rechts (vgl. dazu die folgende Fußnote), solange wie Jhering in der naturhistorischen Untersuchung noch »ausschließlich den wissenschaftlichen Charakter der Jurisprudenz« begründet gesehen hat [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 342]. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 20 (= Ges. Aufs. I, S. 18). Von der »praktischen« Form des Rechts bzw. den »praktischen« Sätzen im Unterschied zur »unpractischen Form« der Begriffe sprach Jhering hier in Anlehnung an die in der Philosophie traditionell gebräuchliche Ausdrucksweise im Hinblick auf das Recht als Inbegriff von handlungsleitenden und in diesem Sinne praktischen Rechtsnormen. Vgl. auch O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 143 Fn. 38 zur Bedeutung des Ausdrucks »praktisch« im »trivialen« und im »philosophischen Sinn«. Vom »trivialen […] Sinn« (aaO) des Wortes spricht Behrends offenbar im Hinblick auf die für Jhering so wichtige Bedeutung, dass die Jurisprudenz nicht nur anwendungsbezogen, um »nur das unmittelbar Practische [zu] suchen«, sondern auch theoretisch, ohne Aussicht auf »unmittelbare practische Verwerthung« tätig sein müsse [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 15)]. Vgl. zu letzterem auch E.Schanze, Culpa (1978), S. 335f. Vgl. oben S. 477. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 15). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 19 (= Ges. Aufs. I, S. 16). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 15). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 13 (= Ges. Aufs. I, S. 11f.). Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 16. Da, wo Jhering nichts anderes hinzufügte, sprach er bei Verwendung des Ausdrucks »Jurisprudenz« immer von »demjenigen Theil der Jurisprudenz […], der das eigentliche Gebiet des Wissens und Könnens der bei weitem größten Mehrzahl der Juristen bezeichnet: der positiven Jurisprudenz oder

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jede andere Wissenschaft auch für sich in Anspruch nehmen könne, dem menschlichen »Erkenntnißdrange«2614 zu dienen, da das geltende Recht, insbesondere natürlich das von einem bereits sehr hohen zivilisatorischen Entwicklungsstand zeugende Pandektenrecht wie jeder andere komplexe Gegenstand des Wissens auch ein »unerschöpfliches Feld des Forschens und Entdeckens, und eine Quelle des reichsten [intellektuellen2615] Genusses«2616 biete, der sogar den »geistig anspruchsvollsten Menschen« befriedigen2617 und auch »dem Ju r i s t e n […] Nahrung für sein wissenschaftliches Bedürfniß« verschaffen könne2618. Zwar bezeichnete Jhering es auch als »eine von den guten Lehren, die uns die römische Jurisprudenz gegeben hat«, dass »die Wissenschaft, u m [ wa h rh af t 2619] p r a c t i s c h z u s e i n , s i c h n i c ht au f d a s P r a c t i s c h e b e s c h r ä n ke n d a r f «2620. Die römischen Juristen lieferten hier im Kontext der Jheringschen Argumentation aber nur eine Bestätigung der allgemeinen, von den Naturwissenschaften zu Jherings Zeit eindrucksvoll demonstrierten, in der zeitgenössischen Jurisprudenz nach Jherings Auffassung aber in Vergessenheit geratenen wissenschaftstheoretischen Erkenntnis, dass auch eine praktische Wissenschaft häufig »gerade dadurch dem Leben dient, daß sie sich demselben entzieht«, da »eine Reihe der praktisch-wichtigsten Fragen, die man bisher auf unmittelbarem Wege vergebens zu lösen versuchte, ihre definitive Erledigung finden« können durch die Beantwortung einer »völlig unpraktische[n] Frage«2621.

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der Dogmatik: der Lehre des in einem Lande geltenden positiven Rechts« [Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 47f.]. Insoweit blieben also »die Rechtsphilosophie und die Rechtsgeschichte außer Betracht«, obwohl sie Jhering zusammen mit der Dogmatik unter den Begriff der Rechtswissenschaft bzw. Jurisprudenz in einem weiteren Sinne gefasst hat (aaO, S. 47f., 92). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 414. Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 388. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 413. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 14 (= Ges. Aufs. I, S. 12). Vgl. auch die Nachweise bei C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 82f. zu diesem werkbiographisch für Jhering keineswegs nebensächlichen Aspekt. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 24 (= Ges. Aufs. I, S. 21). Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 16. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 16); Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 411f. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 411 sowie mit ausdrücklichem Bezug auf die vorstehende Belegstelle in der 1889 bereits vierten Auflage von Geist II/2 auch Jhering, Besitzwille (1889), S. 130 mit Fn. 1. Die Tatsache, dass »die römischen Juristen z. B. beim Eigenthum die Frage von der Fortdauer desselben an einer ins Meer gefallenen Sache, an einem entflogenen Vogel, entronnenem Wilde« erörtern, betrachtete Jhering als Beleg dafür, dass sie die Richtigkeit ihrer theoretischen Begriffsdefinitionen an »ungewöhnliche[n] und praktisch völlig unwichtige[n]« Schulbuchfällen überprüften [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 401; Ders., Passive Wirkungen (1871), S. 219]. In seinem Handex-

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Die Methode der Rechtswissenschaft

Nun war Jhering nicht der einzige, der auf dem Hintergrund des allgemeinen zeitgenössischen Wissenschaftsverständnisses für die Rechtsdogmatik »eine klare und scharfe Sonderung« von Theorie und Praxis forderte2622. Keiner von Jherings Zeitgenossen ist aber so weit gegangen wie der junge Jhering, der in den fünfziger Jahren in ausdrücklicher Analogie zur experimentellen Forschung im Bereich der Naturwissenschaften behauptete, dass auf der Grundlage des geltenden Rechts auch »die naturhistorische Behandlungsweise des Rechts der Wissenschaft es möglich macht, mit ihren Antworten den Fragen der Praxis« systematisch und allein auf der Grundlage der Gesetze der juristischen Logik »voranzueilen«, so dass nicht anders als in der Grundlagenforschung der Naturwissenschaften manche heutigen Erkenntnisse der wissenschaftlichen Jurisprudenz unter Umständen »ein Jahrhundert unbenutzt« liegen oder sogar »nie auf eine […] unmittelbar practische Verwerthung hoffen« könnten2623. Die einem derartigen Schluss von der begrifflichen Möglichkeit auf die juristische Verbindlichkeit zugrunde liegende Bestimmung des Verhältnisses von juristischer Theorie und Praxis hat Jhering später, als er im Anschluss an den Doppelverkaufs-Fall die Rolle der Logik im Recht neu zu bewerten begann, bekanntlich als eine »Verirrung unserer heutigen Jurisprudenz«2624 bezeichnet. Es fragt sich allerdings, inwieweit das, was Jhering in den fünfziger Jahren als Ideal einer juristisch-dogmatischen Grundlagenforschung propagiert hatte, nämlich eine bewusst ohne Anknüpfung an die juristischen Probleme der zeitgenössischen Praxis, ohne Rücksicht auf die »practische Verwerthung« sozusagen auf Vorrat Rechtssätze produzierende Jurisprudenz2625, nicht vor allem eine Verir-

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emplar von Geist II/2 (11858) notierte sich Jhering unten auf S. 411 als ein Beispiel aus der zeitgenössischen Jurisprudenz für»Schulfälle, welche das Innerste d[e]r S[a]che zum Be[wu]ßtsein bringe[n] I. Regelsberger Erört. S. 12, 13 (Vertragsabschluß mit 1 Tauben)«. Diese Frage – so Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 368f. Fn. 528 im entsprechenden Zusatz zur zweiten Auflage – habe praktisch »ein höchst geringes Interesse, und doch ist sie für die Untersuchung der Natur des Vertragsabschlusses höchst förderlich.« In Geist II/ 2 (31875), § 41, S. 386 erweiterte Jhering den Anmerkungstext noch um ein weiteres »im Leben außerordentlich selten« vorkommendes, aber die »Wurzeln« des rechtlichen Begriffs aufdeckendes Beispiel aus der zeitgenössischen Literatur. Vgl. nur A.Brinz, Civilrecht (1855), S. 8. »Wo die Theorie sich frei von aller practischen Rücksicht entfaltet, wird sie […] erleuchtend auf die Praxis zurückwirken; wo nicht, so wird sie die Stelle der Praxis selbst nur mangelhaft vertreten, und aber auch auf dem Wege zu Erkenntniss des Rechts zurückbleiben« (aaO, S. 10). Ausdrücklich verstand Brinz dies als Kritik an der Historischen Rechtsschule, die auch in ihren theoretischen Arbeiten »zugleich practisch sein will« (aaO). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 15f.). Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 347. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 15f.). Vgl. dagegen später Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 345: »Gerade das aber ist es, was ich der Begriffsjurisprudenz zum Vorwurf mache, daß sie fährt, ohne sich darum zu kümmern, ob sie, wenn sie nach langer Fahrt endlich anlangt, wirkliche Güter, d. h. solche, welche für das Leben einen Wert haben, auszuladen vermag.« Letzteres hatte Jhering zwar auch schon in

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rung von Jhering gewesen ist. Letzteres wäre nämlich selbst Puchta, den Jhering als seinen früheren »Meister und Vorbild der richtigen juristischen Methode« später so gern pauschal für seine eigenen Verirrungen verantwortlich machte2626, ganz fremd gewesen2627. Es ist auch allein Jhering gewesen, der in seinen früheren Jahren den »Hochgenuß«2628 allein des bloßen juristischen Denkprozesses beschworen hatte mit der Begründung, dass die wissenschaftliche Jurisprudenz, die im Recht »nur einen Gegenstand erblickt, an dem das sich selber überlassene, seinen Reiz und Zweck in sich selber tragende logische Denken sich erproben kann«, auch dem Juristen »eine Arena [bietet] für logische Evolutionen, für die Gymnastik des Geistes«2629, vom jungen Jhering idealisiert als »Philosophie«2630, vom späten Jhering relativiert zu einer bloßen »Mathematik des Rechts«2631. Als Jhering in den 1860er Jahren seine ursprüngliche Bestimmung des Verhältnisses von Theorie und Praxis in der Weise modifizierte, dass fortan wieder allein »die

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Geist II/2 (11858), § 41, S. 414 gefordert. Nur hatte er dort aufgrund seines damals noch ungebrochenen Glaubens an die ausnahmslose Richtigkeit der theoretischen Konsequenz des Rechts auch in »den realen Dingen« geglaubt, dass die rein theoretische Konsequenz niemals nur »einem bloß subjectiven Erkenntnisdrange genügt«, sondern dass sie notwendigerweise immer »etwas für die Welt und Menschheit Werthvolles« (aaO) von der wissenschaftlichen »Entdeckungsreise« mitbringe [Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 312], sobald nur »die Gedanken, die er [sc. der Wissenschaftler] gefunden, keine bloßen Gedanken bleiben, sondern praktische Gewalten« werden, nämlich in der rechtsdogmatischen Praxis Anwendung fänden [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 414]. Diese Gewissheit hat Jhering später verlassen (vgl. dazu unten S. 256f.). Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 338. Nach Puchta hatte der Wissenschaftler nicht den Fragen der Praxis voranzueilen, sondern umgekehrt von den Fragen der Praxis auszugehen. Insoweit bezeichnete es Puchta als »die Pflicht eines Juristen«, der ein Verkehrsbedürfnis »anerkennt, ihm durch eine juristisch haltbare, rationale Hülfe entgegenzukommen« [G.F.Puchta, Erwiederung (1829), S. 207]. Problematisch bei Puchta war allerdings, was er selbst als neues zeitgenössisches Verkehrsbedürfnis anerkannte und was nicht – und welche »rationale Hülfe« durch juristische Konstruktion er nach seinem Verständnis eines wahren Systems der Rechtsbegriffe außerdem auch noch für »juristisch haltbar« erachtete und welche nicht. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 345; Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 414. Vgl. dazu F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 401. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 347. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 414. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 302; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 342. Sogar der Formulierung nach bezeichnete Jhering in seinen späteren Jahren genau das als »Mathematik des Rechts«, worauf er in den fünfziger Jahren noch den Vergleich der Jurisprudenz mit der Philosophie gegründet hatte, nämlich die Funktion der wissenschaftlichen Jurisprudenz als einer »Arena der dialektischen Gymnastik« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 414]. Als er später über »dem bloß Formalen der juristischen Logik […] als Höheres und Höchstes die substantielle Idee der Gerechtigkeit und Sittlichkeit« [Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345] stehen sah und ihm die »Logik« nicht mehr wie »einst ausschließlich den wissenschaftlichen Charakter der Jurisprudenz« bezeichnete, sprach er im Hinblick auf diese nur noch von einer »Schuldialektik« bzw. einer rein theoretischen »Mathematik des Rechts«, die außerhalb bzw. jenseits ihrer eigenen Gesetzmäßigkeiten noch ein »höhere[s] Ziel kenne[n]« müsse [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 339, 342].

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Die Methode der Rechtswissenschaft

Praxis handelnd und fortschreitend, die Theorie ihr nachfolgend und das, was jene gewonnen, in die richtige Form bringend«2632 sein sollte, dann kehrte er bei der Bestimmung des Verhältnisses von Theorie und Praxis im Grunde auch nur zu einer Einsicht zurück, die anderen immer selbstverständlich geblieben war2633. Davon unberührt blieb aber Jherings wissenschaftstheoretische Auffassung, dass der »Gegensatz des Theoretikers und des Praktikers« in der »dem Allgemeinen, dem Begriff« zugekehrten »Thätigkeit […] des Theoretikers« liege, nämlich in dessen »Fähigkeit der Abstraction«2634 bei der »Erhebung [sc. des geltenden Rechts] zu einer höhern d. h. begrifflichen Form« und dass letztere wiederum die Voraussetzung bilde für eine »sowohl in materieller wie formeller Beziehung […] schöpferische Thätigkeit« der Jurisprudenz2635, für »wahrhafte [ausschließlich2636] juristische Productionen«2637, die die Theorie »von jedem gesetzlichen Anhaltspunkt verlassen, lediglich [rein2638] auf sich selbst […] angewiesen«, gewinne2639. Die weitestgehende begriffliche Erfassung des gel2632 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 91. Vgl. dazu ferner Jhering, aaO, S. 85f.: »[…] so mag es vielleicht als ein Paradoxon klingen, wenn ich dem Praktiker für den Fortschritt im Recht die erste Stelle, ja die eigentlich maßgebende Stellung vindicire und dem Theoretiker bloß die Aufgabe zuweise, das was jener gewonnen und erobert in die richtige Form zu bringen. Ich stütze diese meine Ansicht auf Selbstbeobachtung. Meine besten Anregungen zu dogmatischen Untersuchungen habe ich stets praktischen Fällen verdankt. Der praktische Fall zeigte mir den Rechtssatz in einem ganz anderen Licht, von einer ganz anderen Seite […].« Diese Selbstbeobachtung hatte Jhering allerdings auch schon früher gemacht und sogar mit fast identischen Worten beschrieben [vgl. nur Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18f. (= Ges. Aufs. I, S. 16)]. Aber damals hatte er es noch als ein »demüthige[s] Loos« der Theorie betrachtet, wenn sie »sich lediglich durch die Praxis […] anregen« lasse (aaO). 2633 Stellvertretend dafür könnte insoweit Alois Brinz stehen. Dieser hatte – wie bereits erwähnt (oben S. 526) – in den fünfziger Jahren mit Jhering eine »klare und scharfe Sonderung« von Theorie und Praxis gefordert und sogar schon vor Jhering von einer »naturhistorischen« Richtung der zeitgenössischen Rechtsdogmatik gesprochen (vgl. oben S. 469 Fn. 2312). Gleichwohl war Brinz – sogar unter Vorwegnahme der im Text zitierten Jheringschen Formulierung aus dem Jahre 1868, also aus der Zeit nach dessen »Umkehr« – doch immer davon ausgegangen, dass »die Praxis vorausgeht, die Theorie nachfolgt: weil jene die schaffende, diese die erkennende Seite der Jurisprudenz ist« [A.Brinz, Civilrecht (1855), S. 8]. 2634 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 85. 2635 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 369f. Fn. 528. 2636 Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 387. 2637 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. 2638 Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 14. 2639 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 17 (= Ges. Aufs. I, S. 14). Zu den bereits 1856 bei der ersten Veröffentlichung seines Artikels »Unsere Aufgabe« aus dem römischen Recht angeführten Beispielen fügte Jhering für den Nachdruck seiner Schrift im Jahre 1881 noch die Lehren »von der Bedingung, der Nichtigkeit, Anfechtbarkeit« als Beispiele für ausschließlich juristische Produktionen hinzu [Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 14].

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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tenden Rechts2640 bildete neben dem dargelegten theoretischen Untersuchungsinteresse der Jurisprudenz mithin den zweiten Gesichtspunkt, den Jhering meinte, wenn er in dem oben2641 zitierten Vorlesungsskript davon sprach, dass die Jurisprudenz als Wissenschaft sich der nicht »praktischen Seite des Rechts« zuzuwenden habe. Denn solange die Jurisprudenz allein in der praktischen bzw. »niedern und substantiellen Welt des positiven Stoffs«2642 einer Rechtsordnung verbleibe, konnte sie nach Jhering aus den geltenden Rechtssätzen zwar »den ganzen Inhalt des gesetzgeberischen Willens zu Tage zu fördern«2643. Dabei war sie aber nicht nur nicht von jedem gesetzlichen Anhaltspunkt verlassen, sondern gerade umgekehrt auf ihn angewiesen. Eine über die Feststellung des gesetzgeberischen Willens hinausgehende Erkenntnis des geltenden Rechts war nach Jhering dagegen erst möglich, wenn »Form und Inhalt« des Rechts, nämlich die imperativische Gebotsform der Rechtsregel und ihre normativ-inhaltliche Aussage, die sich in der Erscheinungsform des Rechtssatzes »noch decken«2644, auseinandertreten. Denn während die Jurisprudenz »in Beziehung auf den I n h a l t durch den positiven Stoff gebunden ist«, war sie nach Jhering »in Bezug auf die F o r m […] vollkommen frei«2645 bzw. – genauer ausgedrückt – lediglich den sich aus den Gesetzen der juristischen Technik ergebenden Notwendigkeiten unterworfen2646. Ausschließlich letztere und nicht eine in den materiellen Regelungsgehalten einer Rechtsordnung nachweisbare geschichtliche Notwendigkeit sollte nach Jhering den Gegenstand der naturhistorischen Untersuchung des Rechts bilden. Nur deswegen hatte Jhering auch ausgerechnet »in der geschichtlichen Natur des

2640 Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 362; Ders., Geist II/2 (21869), § 39, S. 321: »Die Jurisprudenz kann das Allgemeine nur a b s t r a h i r e n d. h. es herausholen, wo es ist, aber sie kann es nicht s c h a f f e n . Der Erfolg ihrer auf Gewinnung des Allgemeinen gerichteten Bemühungen ist daher wesentlich davon abhängig, wie das Recht selber von vornherein angelegt, ob in ihm, wie im römischen von früh auf, mehr eine c e n t r a l i s i r e n d e , oder wie im deutschen, eine l o c a l i s i r e n d e Richtung heimisch gewesen ist.« Davon abgesehen gab es nach Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 29 Fn. 13 in jeder Rechtsordnung in systematischer Hinsicht immer »auch völlig unauflösbare Bestimmungen […], rein positive Vorschriften, die jeder Bemühung der Wissenschaft spotten, und die sich eben nur als Rechtssätze« und nicht als Begriffe »aufführen lassen«. 2641 Vgl. oben S. 521, 523f. 2642 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 13 (= Ges. Aufs. I, S. 11). 2643 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 386. 2644 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 386. 2645 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 399. 2646 Kritisch dazu H.J.Hommes, Konstruktion (1965), S. 334f., der aber eindeutig zu weit geht, wenn er meint, dass Jhering durch diese Auffassung im Ergebnis »das theoretische Denken in den Bereich der theoretischen Willkür« entlassen habe. Vgl. dagegen den folgenden Abschnitt b) über den konkreten Gehalt der Gesetze der juristischen Technik im Rahmen von Jherings Theorie der juristischen Konstruktion.

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Die Methode der Rechtswissenschaft

Rechts«2647, mit der die Historische Rechtsschule bisher pauschal den Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz begründet hatte2648, den tieferen bzw. »letzten Grund« für die von ihm in der zeitgenössischen Rechtsdogmatik konstatierte »wissenschaftliche Theilnahmslosigkeit«2649 sehen können. Jhering hatte damit zwar keineswegs die sich aus der Geschichte ergebende »innere Notwendigkeit«2650 des Rechts bestreiten wollen, die sich nach Auffassung der Historischen Rechtsschule in den geschichtlich bedingten Regelungsinhalten des Rechts jeder Zeit nachweisen ließ. Aber Jhering hat diese – letztlich geschichtsphilosophische – Notwendigkeit als eigenständigen Wissenschaftsgegenstand der wissenschaftlichen Rechtsgeschichte und deren Methoden zugewiesen, womit diese zur Begründung des Wissenschaftscharakters der Rechtsdogmatik ausschied. Für die Untersuchung der sich aus den Gesetzen der juristischen Technik ergebenden Notwendigkeit war das Recht dagegen jeweils zu unterscheiden nach »Inhalt« und »Form«, »Stoff«2651 und »Structur«2652, »Substanz«2653 und »Logik«2654, »Zweck« und »Mittel«2655. Die wissenschaftliche Dogmatik als eine »Theorie der [sc. technischen] M i t t e l «2656 hatte sich nach Jhering allein auf den jeweils zweiten Teil der vorbezeichneten Begriffspaare zu beschränken2657. Nicht 2647 Jhering, Vorlesungsskripte (Nachlass), Bl. 37r (Jherings handschriftliche Unterstreichung ist hier in Kursivschrift wiedergegeben). 2648 Vgl. nur F.C.v.Savigny, Zweck (1815), S. 6 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 264): »Die geschichtliche Schule nimmt an, der Stoff des Rechts sey durch die gesammte Vergangenheit der Nation gegeben, doch nicht durch Willkühr, […] sondern aus dem innersten Wesen der Nation selbst und ihrer Geschichte hervorgegangen.« Die Aufgabe der »Rechtswissenschaft« sei es daher, »diesen mit innerer Nothwendigkeit gegebenen Stoff zu durchschauen […].« 2649 Jhering, Vorlesungsskripte (Nachlass), Bl. 37r. 2650 Vgl. Fn. 2648. 2651 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 26; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 14, 17 (= Ges. Aufs. I, S. 12, 15); Ders., Geist II/2 (11858), § 38, S. 338, 340, 346; § 40, S. 380; § 41, S. 386, 408ff. 2652 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 390ff. 2653 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 13 (= Ges. Aufs. I, S. 11); Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 409. 2654 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 27; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 10 (= Ges. Aufs. I, S. 9). 2655 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 392. 2656 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 392. 2657 Im Unterschied zur Historischen Rechtsschule [vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 648 Fn. 3241] nahm Jhering mit der Entgegensetzung von wissenschaftlicher Form und positivem Stoff für den Bereich der Rechtsdogmatik also tatsächlich eine – ursprünglich sehr alte – Unterscheidung wieder auf, die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert vor allem von durch Kant beeinflussten Juristen in dem jetzt neuen Sinne einer Unterscheidung zwischen normativem Inhalt und innerem System des Rechts rezipiert worden war [F.Wieacker, Rechtsdogmatik (1970), S. 314f.; J.Blühdorn, Kant (1973), S. 382; J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 115f., 152ff.; Ders., Recht (2001), S. 269] und als solche im 19. Jahrhundert »eine der Quellen des juristischen ›Formalismus‹« wurde [J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 154; F.Wieacker, Rechtsdogmatik (1970), S. 315]. Die die Wissenschaftlichkeit der naturhistorischen Methode begründende

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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der normative Regelungsgehalt, die inhaltliche »Substanz« des Rechts, und auch nicht – in Gestalt einer Normentheorie – die imperativische Form des Rechts2658, sondern allein die »Structur«, die »Logik«, die logische »Form«, das »System« des jeweils geltenden Rechts, wie Jhering entsprechend der zeitgenössischen Wissenschaftssprache2659 abwechselnd die in einer Rechtsordnung erkenn- und beschreibbare systematische Ordnung des Rechts nannte, bildeten den Untersuchungsgegenstand der »höheren Jurisprudenz« und erhoben das jeweils geltende Recht zu dem, was es nach Jhering »als rein stoffartige Substanz (d. h. als bloßer Inbegriff von Regeln)«2660 nicht sein konnte, nämlich zur Höhe eines »Objects der Erkenntniß«2661. Die nach Jhering in der begrifflichen Erfassung liegende »Erhebung«2662 bzw.

2658

2659 2660 2661 2662

Notwendigkeit lag nach Jhering in der Tat allein in der Form, Struktur bzw. Logik des inneren Systems des Rechts begründet und nicht in dem normativen Inhalt, dem Stoff bzw. der Substanz von Rechtsregelungen. Der normative Gehalt wie überhaupt auch alle damit verbundenen Zwecke des Rechts waren für Jhering aus der spezifisch naturhistorischen Sicht der höheren Jurisprudenz betrachtet wissenschaftlich unbeachtlich. Etwas anderes sollte nur für den Rechtsdogmatiker im Rahmen der mit den gegebenen Rechtssätzen befassten und daher allerdings wissenschaftlich niederen Jurisprudenz sowie natürlich für den Rechtshistoriker gelten. Denn dessen nach Jhering auch in wissenschaftlicher Hinsicht keinesfalls niedere Arbeit hatte genau umgekehrt gerade in den Inhalten des Rechts und der sogenannten Physiologie der historischen Rechtswirklichkeit das jeweils entwicklungsgeschichtlich Zusammenhängende zu erkennen und dabei gegebenenfalls auch von rechtsdogmatischen Unterschieden der konkreten Formen und Strukturen eines geschichtlichen Rechtssystems als bloßen Sekundärerscheinungen einer entwicklungsgeschichtlichen Stufe zu abstrahieren. Eine Theorie der Rechtsnormen stand noch ganz außerhalb des wissenschaftlichen Blickfeldes von Jhering. Dagegen kritisierte bereits A.Brinz, Jhering-Rezension (1860), S. 32 in einer zeitgenössischen Rezension von Jherings Ausführungen über die juristische Technik, dass entgegen Jherings verkürzender Darstellung »die gesetzlichen Imperative keineswegs überall Gebote oder Verbote« seien, da die »Ermächtigung« weder unter das eine noch unter das andere falle, mithin also auch nicht – wie noch F.C.v.Savigny, System I (1840), § 16, S. 59 mit Bezug auf die »erlaubende[n]« Rechtsregeln gemeint hatte – »überhaupt nur Sinn haben [könnte] in Beziehung auf ein vorausgedachtes Verbot«. Genau an diesem Punkt sollte später H.Kelsen, Reine Rechtslehre (21960), S. 15f. im Rahmen seiner Normentheorie, in der er die formalen Strukturen der Normen unter Abstraktion von ihrem Inhalt zum Untersuchungsgegenstand machte [A.Kaufmann, Problemgeschichte (51989), S. 83], weiter arbeiten. Vgl. auch O.Weinberger, Wissenschaftsbegriff (1975), S. 111 zur modernen »Strukturtheorie des Rechts«, die nicht nur eine juristische Formlehre, sondern auch eine strukturelle Typologie des Rechtssatzes anstrebt. Vgl. dazu P.Bora, Artikel »Struktur« in: H.J.Sandkühler, Europ.Enzyklopädie/Bd. 4 (1990), S. 461. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 409. Den hier in Kursivschrift gesetzten Klammerzusatz fügte Jhering in Geist II/2 (31875), § 41, S. 383 zur Klarstellung in den Text ein. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 347. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 13 (= Ges. Aufs. I, S. 11); Ders., Zweck I (21884), S. 334 Anm.*. Vgl. auch Jherings Brief an Wilhelm Arnold vom 18. Januar 1866, wo Jhering bekräftigte: Erst »die Erhebung des Materials, das die Gesetze und Verord-

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Die Methode der Rechtswissenschaft

»Metamorphose des Rechts« aus dem Zustand »eines niedern […] rein positiven G e lt e n s in den eines begrifflichen und künstlerischen D a s e i n s «2663 war daher auch nichts anderes als eine zum Zwecke der wissenschaftlichen Untersuchung vorgenommene Abstraktion vom Regelungsgehalt des geltenden Rechts bzw. eine bewusste Reduktion auf dessen »logische Momente«2664. In dieser Weise im Rahmen der »naturhistorischen« Strukturuntersuchung abstrahiert vom normativen Regelungsgehalt des Rechts konnten nach Jhering beispielsweise die Bemessung des Schadens im Schadensersatzrecht und die »Ästimation v o rh a n d e n e r Wertobjekte« ungeachtet des in der »legislativen Gestaltung« zum Ausdruck kommenden ganz unterschiedlichen Regelungszwecks der jeweiligen Bestimmungen rein strukturell betrachtet als »dieselbe Größe« erscheinen, nur jeweils »mit dem Plus- oder Minuszeichen versehen«2665. Jhering ist sich dabei durchaus im Klaren darüber gewesen, dass das geltende Recht als »ein unmittelbar praktischer Stoff« von »engeren oder weiteren Regeln«2666 mit einem normativen Regelungsinhalt »nicht Ueberzeugung, Ansicht, Wissen u.s.w., kurz keine intellektuelle Größe [Potenz2667], sondern […] Wille«2668 sei, nämlich Ausdruck des der Wissenschaft vorgegebenen Willens des Normgebers, sei dieser nun der staatliche Gesetzgeber oder der beim Gewohnheitsrecht in der opinio necessitatis zum Ausdruck kommende Rechtsgeltungswille2669. In der naturhistorischen bzw. »äußerlich unpractischen

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nungen uns bieten, zu Rechtsbegriffen« sei »Rechtswissenschaft« [Kroeschell-Briefe I /1978, Nr. 2, S. 275]. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 346. Entgegen W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 53, 119 ist diese rechtswissenschaftliche »Metamorphose« von geltenden Rechtsregeln zu von Rechtswissenschaftlern definierten und nur noch »der Sache«, aber nicht mehr »der Form« nach imperativischen Institutsbegriffen [vgl. Jhering, Zweck I (21884), S. 334 mit Anm.*] zu unterscheiden von demjenigen, was früher F.C.v.Savigny, System I (1840), § 59, S. 393; Ders., System III (1840), § 104, S. 4 einmal als »Umwandlung oder Metamorphose der Rechtsverhältnisse« bezeichnet hatte. Denn diese Savignysche »Metamorphose« hatte die von Savigny sogenannte »bewegliche Seite« bzw. den »Lebensprozeß« im sozialen Verlauf von konkreten Privatrechtsverhältnissen zum Gegenstand. Sie hatte sich also auf die Änderung der Rechtslage durch die im Rechtsverkehr neu eintretenden »juristischen Thatsachen«, nämlich insbesondere die »Willenserklärungen oder Rechtsgeschäfte« der am Privatrechtsverhältnis Beteiligten bezogen (aaO, § 104, S. 5f.). Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 28. Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 338. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 386. Jhering, Geist I (21866), § 20, S. 332. Jhering, Geist I (11852), § 20, S. 305. Konkret bedeutete das nach Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 374f., dass selbst dort, wo unabhängig von den Inhalten einer konkreten Rechtsordnung, ein »begrifflich nothwendiger« Gegensatz, »ganz geeignet, die juristische Denkfähigkeit zu üben«, anzunehmen sei, wie es nach Jhering etwa bei dem »Gegensatz der Nichtigkeit und Anfechtbarkeit, des Rechts und der Ausübung, des Irrthums im Object und in den Beweggründen u.s.w.« der Fall war, noch nichts über die Frage der juristischen Geltung entschieden sei. Denn ob

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Form«2670 der von der Wissenschaft formulierten abstrakten Begriffe, die – »gewonnen aus Rechts s ä t z e n «2671 des geltenden Rechts – mit »einer scharfen Definition«2672 die jeweilige »juristische Individualität« der Rechtsinstitute »wie in einem logischen Brennpunkt« erfassen2673, wurde das Recht in Jherings Vorstellung aber gerade gezielt auf das reduziert, was sich nach seiner Auffassung am Recht als eine durch die Wissenschaft beschreib- und analysierbare »intellektuelle Größe« isolieren ließ, nämlich seine nach »den rein formalen Kategorien von Form und Substanz, Einheit, Identität, Modalität u.s.w.«2674 sich bestimmende jeweilige systematische Struktur. Es trifft daher nicht zu, dass sich die »von der Befehlsperspektive des Gesetzes« lösende Rechtswissenschaft bzw. »höhere« Jurisprudenz nach Jherings Vorstellung »um eine möglichst sachhaltige und die Lebensverhältnisse sichtbar machende Begriffsbildung« bemühen sollte2675. Denn was die Rechtsverhältnisse »sonst noch enthalten an andern Stoffen, an sittlichen, politischen, ökonomischen Ideen u.s.w.«2676, das sollte – so bekräftigte Jhering 1874 noch einmal ausdrücklich –

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diesen begrifflichen Gegensätzen auch »praktische Beachtung zu Theil werden« müsse oder ob sie »für dieses Recht nicht vorhanden, weil nicht praktisch«, also nicht juristisch geltend seien, »das ist Sache positiver Rechtssatzung«. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 20 (= Ges. Aufs. I, S. 18). Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 409. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 20 (= Ges. Aufs. I, S. 18). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 10 (= Ges. Aufs. I, S. 9). Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 338. Vgl. auch H.Wagner, Artikel »Begriff« in: H.Krings, Grundbegriffe (1973), S. 194, 198f. zu diesen »Schlüsselwörter[n]« traditioneller formaler Logik. So aber O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 251. Die nach Behrends in der Beschränkung auf »klassenlogische Formbegriffe« liegende »Einseitigkeit«, von der Behrends die Theorie der »höheren« Jurisprudenz befreien will, wäre daher auch kaum im Sinne Jherings gewesen, und dies ganz unabhängig davon, dass Jhering seit Anfang der sechziger Jahre seine ursprüngliche Auffassung über die Bedeutung der »Logik« für die Rechtsdogmatik änderte. Jherings Theorie der »höheren« Jurisprudenz blieb nämlich nicht nur deswegen auch später auf »klassenlogische Formbegriffe« beschränkt, weil Jhering seine Theorie in der Zeit vor seiner Wende formuliert hatte (so Behrends, aaO, S. 249), sondern auch deswegen, weil die Rechtsbegriffe – entgegen Behrends, aaO, S. 248 – auch nach Jherings späterer Auffassung nie »einen anschaulichen […] Blick auf die Lebensverhältnisse« geben konnten und geben sollten. War es doch gerade erst Jherings spätere Einsicht in die Grenzen von »begriffliche[r] Form« und »rein formaler Operation« der höheren Jurisprudenz gewesen, die ihn zu der Überzeugung geführt hatte, dass auch im Rahmen der wissenschaftlichen »Untersuchung und Forschung« von rechtlichen oder sittlichen Normenordnungen nach der Übersetzung der Normen in Begriffe immer wieder die »Rückkehr zu der natürlichen und ursprünglichen Form des Imperativs [sc. der Norm] […] unerlässlich« sei [Jhering, Zweck II (11883), S. 101f.], da niemals »die praktische Bestimmung der Rechtssätze und Begriffe« von der »mit rein wissenschaftlicher Unbefangenheit sich hingebenden naturhistorischen Betrachtung der Rechtswelt« ersetzt werden könne [Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 245]. Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 305.

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Die Methode der Rechtswissenschaft

»von dem Juristen zwar so wenig übersehen oder geringgeschätzt werden, daß er sich im Gegentheil damit des wirksamsten Mittels zu ihrem wahren Verständniß berauben würde, allein bei der Abstraction der Rechtsbegriffe soll er von alle dem absehen.«2677

Zu Recht wurde Jherings naturhistorische Auffassung des Rechts daher auch als ein im Zusammenhang mit dem allgemeinen zeitgenössischen Wissenschaftsverständnis stehender Versuch bezeichnet, den wissenschaftstheoretischen Anspruch, unter Abstraktion von normativen Vorgaben analytisch und deskriptiv vorzugehen, auf die wissenschaftliche Untersuchung des geltenden Rechts zu übertragen2678. Auch Jhering selbst charakterisierte die naturhistorische oder – was dasselbe ist – die »begriffliche Auffassungsweise« einer Normenordnung noch in späteren Jahren damit, dass sie nicht angibt, »was sein s o l l […], sondern […] was i s t , sie s c h i l d e r t [ , b e s c h r e i b t , e nt w i c ke lt ] .«2679 Theodor Viehweg hat darauf hingewiesen, dass eine derartige theoretische Unterscheidung des Rechts nach »Gelten« und »Dasein«2680, nach normativem Anspruch und beschreibbarer Struktur in der deutschen Rechtsliteratur bis dahin ohne Vorbild war2681. Dieser deskriptiv-analytische Aspekt von Jherings Theorie der Rechtstechnik wird allerdings zunächst noch durch zwei Umstände verdeckt. Zum einen hat Jhering in seinen frühen Jahren den »Nutzen« und somit die Funktion der naturhistorischen Untersuchung des Rechts noch nicht auf die Beschreibung und Analyse, nämlich den in der »möglichste[n] Erleichterung der subjectiven B e h e r r s c hu n g (Aneignung, Erlernung, Erkenntniß, Auffassung) des Rechts«2682 liegenden »didaktischen Werth«2683 der begrifflichen Darstellung

2677 Jhering, Geist II/1 (31874), § 36, S. 293; ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 391. 2678 H.Schelsky, Jhering-Modell (1972), S. 50. 2679 Jhering, Zweck II (11883), S. 100f. [= ders., Zweck II (21886), S. 99 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz]. 2680 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 346. 2681 Vgl. T.Viehweg, Rechtsdogmatik (1970), S. 214–216. Sowohl die Unterscheidung eines normativen und eines deskriptiven Aspekts der Dogmatik als auch die Frage, durch die Jhering zu dieser Unterscheidung geführt worden war, nämlich die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Rechtsdogmatik, sind bis heute aktuell geblieben. Vgl. nur D.Simon, Jurisprudenz (1988), S. 154 zu der heute verbreiteten »juristischen Standardformel« bei der Beantwortung dieser Frage, wonach es darauf ankomme, ob die Rechtsdogmatik »deskriptiv [= wissenschaftlich] oder normativ [= nichtwissenschaftlich] arbeite«. Auch für H.Klenner, Rechtsphilosophie (1991), S. 184 haben immerhin »die strukturtheoretischen Erörterungen Jherings Bleibendes für die Spezifik von Rechtstheorie und -philosophie geleistet, denn historisch-genetische und historisch-funktionale Betrachtungsweisen des Rechts bedürfen nun einmal der Ergänzung durch dessen logisch-strukturelle Analyse […].« 2682 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 340. 2683 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 375. Später wird Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 40 den Nutzen ganz auf den – so ist es in seinem hand-

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beschränkt gesehen. Darüber hinaus hat er zum anderen – ausgehend von seinem erst durch den Doppelverkaufs-Fall erschütterten Glauben an die für die Jurisprudenz geltende unbedingte Verknüpfung von intellektueller »Logik« und praktischer »Consequenz« – in der juristischen Technik auch die weitergehende »Möglichkeit einer Ver m e h r u n g des Rechts aus sich selbst, eines Wachsthums von innen heraus« erblickt2684. Wenn man im Hinblick auf diesen letzteren Aspekt vollkommen zu Recht von »Jherings Verkennung der grundlegenden Unterscheidung zwischen praktischer Rechtsbildung und theoretischer Begriffsbildung« spricht2685, muss man allerdings auch berücksichtigen, dass es gerade dieser Punkt gewesen ist, den Jhering in späteren Jahren – ohne die Unterscheidung der niederen und der höheren Jurisprudenz aufzugeben2686 – selbst korrigiert hat. Denn nach dem Doppelverkaufs-Fall erkannte Jhering die nur auf die »intellektuelle Potenz«2687 des Rechts gestützte »Vermehrung des Rechts aus sich selbst«2688 als eine »Ueberschätzung der logischen Seite des Rechts«2689 und als eine »Vertauschung der lediglich structurellen Bedeutung« eines Gesichtspunktes »mit der dogmatischen, praktischen Geltung«2690. Damit hat Jhering die

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schriftlichen Manuskript durch Unterstreichung hervorgehoben – »didaktischen« Wert beschränkt sehen. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 29. Vgl. Teil 1, Abschnitt III.1. So H.J.Hommes, Methode (1970), S. 108f. Vgl. auch R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 226; M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 148. Der junge Jhering selbst hätte einen solchen Vorwurf auf der Grundlage seiner ursprünglichen Prämisse, dass die gedankliche »Consequenz im Recht […] nicht bloß eine intellektuelle«, sondern immer auch »zugleich moral.[ische] Eigenschaft« sei [vgl. Jherings Randnotiz zu § 20, S. 301 in seinem Handexemplar von Geist I (11852) sowie oben Abschnitt I. 2. c) cc) zum Prinzipienrigorismus des jungen Jhering], allerdings kaum akzeptiert und geltend gemacht, dass die »Consequenz« den Inhalt des Rechts nicht modifiziere, sondern basierend auf dem Grundsatz formaler Gleichheit nur vervollständige. Darauf weisen zu Recht O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 84, 150, aber auch schon die frühen Kritiker der Begriffsjurisprudenz hin [vgl. nur P.Heck, Rechtsgewinnung (1912), S. 192f.; R.Müller-Erzbach, Relativität (1912), S. 205f. Fn. 2 oder M.v.Rümelin, Jhering (1922), S. 13 Fn. 2, S. 50ff., 59ff.]. Zu pauschal ist daher die immer wieder aufgestellte Behauptung, dass »Jhering nach eigenen Bekundungen in seinen späteren Werken von dieser [sc. der naturhistorischen] Methode abgerückt« sei [so in jüngerer Zeit zum Beispiel wieder K.Luig, Natur u. Geschichte (1997), S. 281]. Entgegen M.G.Losano, Studien (1984), S. 58f. steht dem im Text bezeichneten Befund auch nicht die Tatsache entgegen, dass Jhering im »Ersten Brief« von einem Unbekannten (1861), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 7 über Konzeption und »Namen der ›höhern Jurisprudenz‹« als einer theoretischen Grundlegung juristischer Technik spottete, die »sogar dies Konstruieren selbst wieder konstruiert«. Denn dies war nach Jherings später sogar öffentlichen Erklärung 1861 allein zur Wahrung des »Geheimnis[ses] meiner Autorschaft« geschehen [vgl. Jhering aaO, S. V (Vorrede) mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die hier in Rede stehende Seite 7]. Jhering, Geist I (21866), § 20, S. 332. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 29. Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345 Fn. 506a. Jhering, Besitzwille (1889), S. 273. In Scherz und Ernst (1884), S. 338 schilderte Jhering

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naturhistorische Untersuchung später selbst auf den verbleibenden deskriptivanalytischen Aspekt eingeschränkt2691, nicht aber überhaupt »die ganze naturhistorische Methode disqualifiziert«, wie nach Hendrik Jan Hommes eine isolierte Betrachtung späterer kritischer Äußerungen Jherings glauben lassen könnte2692. Erforderlich war die deskriptiv-analytische Untersuchung der Strukturen des Rechts nach Jhering deswegen, weil durch die beschreibende und vom Regelungsinhalt abstrahierende »Analyse erst die wahre [sc. systematische] Natur der Rechtssätze zur Erkenntniß«2693 gebracht werden könne und sich bei der Strukturuntersuchung zeige, wie »manche scheinbar heterogene Rechtssätze aus denselben Elementen gebildet sind« oder »der eine vor dem andern nur das Plus eines einzigen Momentes voraus hat«2694. Der Nachweis, dass sich dieselbe »Structurfrage«2695, also derselbe begriffliche Gesichtspunkt, bei ganz unterschiedlichen materiellen Regelungen stellen könne2696, wurde zur Grundlage für

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selbst, wie er ausschließlich aufbauend auf einer strukturellen Betrachtung »eine Lehre vom Schadensersatz« zu gewinnen versuchte. Tatsächlich zeugen in Jherings Nachlass noch umfangreiche aus den vierziger und fünfziger Jahren stammende Materialien, die Jhering für ein mehr als fünfhundert Seiten umfassendes Werk über das Schadensersatzrecht gesammelt hat, von diesen später abgebrochenen Arbeiten [vgl. M.Kunze, Forschungsbericht (1995), S. 146]. In einer Rezension zu Geist II/2 hatte A.Brinz, Jhering-Rezension (1860), S. 32 die Bedeutung der naturhistorischen Untersuchung von vornherein auf diesen Aspekt beschränkt gesehen: »Wer das Recht darstellt, indem und auf daß er es setze, mag, ja soll imperativisch, – wer es darstellt, um es sich und anderen begreiflicher zu machen, wird indicativisch sprechen, sagen, was ist, nicht daß es seyn solle.« H.J.Hommes, Konstruktion (1965), S. 331 Fn. 20. Der Eindruck, den man nach Hommes fälschlicherweise (»Man könnte meinen […]«) durch eine Reihe der bekannten späteren kritischen Äußerungen Jherings über die naturhistorische Methode bekommen könnte und häufig – insoweit typisch ist etwa die Darstellung bei A.Kaufmann, Problemgeschichte (51989), S. 110] – auch bekommen hat, trügt. Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht zutreffend, wenn Hommes für die Zeit nach Jherings Umschwung bei diesem noch genau dieselbe »Verkennung der grundlegenden Forderung, daß zwischen praktischer R e c h t s bildung und theoretisch-juristischer B e g r i f f s bildung unterschieden werden soll«, annimmt wie für die Zeit vor Jherings Umschwung (aaO, S. 331). War es doch gerade diese Unterscheidung gewesen, deren Notwendigkeit Jhering in der durch den Doppelverkaufs-Fall ausgelösten Krise bewusst wurde und die ihn die Bedeutung der naturhistorischen Untersuchung eben auf den Bereich der theoretisch-juristischen Begriffsbildung beschränken ließ. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 28f. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 28. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 394. Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 393ff. So ließen sich nach Jhering beispielsweise die Fragen nach dem Verhältnis von Pfandrecht und Forderung, Verzugszinsen und »Principalobligation«, Dienstbarkeit und Eigentum begrifflich unter demselben Strukturbegriff »Accessionsverhältniß« erfassen und erörtern. Dasselbe gelte, wie Jhering durch einen Zusatz zu dieser Stelle in einer späteren Auflage ergänzte, auch für Fragen der folgenden Art: »Sodann die Frage vom Verhältniß der Klage zum Recht; läßt sie sich von

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eine regelungsübergreifende bzw. regelungsunabhängige Untersuchung technischer Rechtsfiguren2697. Umgekehrt konnte sich nach Jhering zeigen, dass Rechtssätze mit demselben normativen Regelungsgehalt strukturell betrachtet vollkommen unterschiedlich gebildet, ja sogar »mancher [sc. einzelne] Rechtssatz ganz und gar aus verschiedenen begrifflichen Element besteht«2698. So versuchte Jhering beispielsweise durch Vergleiche von Regelungen des frühen römischen Rechts und des zeitgenössischen Pandektenrechts zu zeigen, wie derselbe normative Regelungsgehalt, in Jherings Worten dieselbe »Substanz«, dasselbe »Material«, derselbe »Stoff«, in einer ganz unterschiedlichen »juristischen Structur« auftreten könne2699. Der Vergleich älterer und jüngerer Rechtsordnungen konnte nach Jhering aber auch aufdecken, dass dieselbe begriffliche »Structur«, wie etwa »der allgemein logische Begriff der Id e nt i t ä t «, im Laufe der Zeiten sogar den entgegengesetzten Regelungsgehalt umfasst habe2700.

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letzterem trennen, und was bedeutet die Uebertragung der Klage ohne das Recht? ist sie ein Zusatz zu letzterem, oder letzteres selber in seiner processualischen Spannung u.s.w.?« [Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 367f.]. Unabhängig von ihrem jeweils ganz unterschiedlichen Regelungsgehalt entpuppten sich auf diese Weise beispielsweise die erbrechtliche hereditas iacens, die juristische Person, die Correalobligation und der Lehnsträger bei der Gesammtbelehnung als Ausdruck desselben rechtstechnischen »Mechanismus«, der »überall unter den verschiedensten Verhältnissen und zu den verschiedensten Zeiten« auftritt [Jhering, Geist III/1 (11865), § 55, S. 210] und der selbst wiederum Ausdruck der »keineswegs auf das Privatrecht« beschränkten allgemeineren »Idee der analytischen Vereinfachung des Thatbestandes« sei (aaO, § 54, S. 197). Durch diese Reduzierung auf die »Structur vom Standpunkt der juristischen Te c h n i k aus« (aaO, S. 213 Fn. 277) trat bei Jhering an die Stelle der Puchtaschen Suche nach der unwandelbaren Natur von Rechtsbegriffen wie der juristischen Person oder der hereditas iacens deren Bestimmung als ein technischer »Kunstgriff« (aaO, S. 213) bzw. ein von dem tatsächlichen »Destinatär […] der Rechte« [Jhering, Geist III/1 (11865), § 61, S. 330f.] streng zu unterscheidendes »nur […] technisches Instrument, um den Mangel der Bestimmtheit der Subjecte unschädlich zu machen« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 394 mit Fn. 513; Ders., Geist II/2 (21869), § 41, S. 350 Fn. 513]. Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 28. Jhering, Geist III/1 (11865), § 54, S. 172, 184f., 191f. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412. So zeigte nach Jhering in der römischen Rechtsgeschichte beispielsweise die »bekannte Controverse der Sabinianer und Prokulejaner über die Specification«, also über die eigentumsrechtlichen Auswirkungen der Verarbeitung einer fremden Sache, dass der Begriff der Identität ganz unterschiedlich gefüllt worden sei, je nachdem, ob man entsprechend der älteren »materialistische[n] Auffassung […] mit den Sabinianern die Substanz als das Wesentliche der Sache betrachten und daher den Einfluß der Specification auf das Eigenthum läugnen« oder aber entsprechend der jüngeren »spiritualistischere[n] Auffassung […] mit ihren Gegnern die Form und Bestimmung der Sache« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 43, S. 452 Fn. 586] bzw. – so Jhering später – den in der Verarbeitung liegenden Arbeitswert [Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 304] »für das Entscheidende ansehn und darum […] eine neue, dem Specificanten zufallende Sache annehmen« wolle (aaO, § 43, S. 452 Fn. 586). Vgl. zur rechtshistorischen Beurteilung von Jherings Darstellung aus heutiger romanistischer Sicht

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Die Methode der Rechtswissenschaft

Damit hatte Jhering die noch von Puchta gehegte Vorstellung, dass die Systematik des Rechts in einem untrennbaren und auch unwandelbaren Zusammenhang mit dessen Regelungsinhalt stehe, aufgegeben und statt dessen entsprechend dem modernen Verständnis einer analytischen »Strukturtheorie des Rechts« erkannt, dass es auch unter dem Aspekt der rechtswissenschaftlichen Wahrheit nicht nur »die einzig mögliche logische Schematisierung« bzw. Systematisierung des jeweils gegebenen Rechtsmaterials gibt2701. Dies war die Voraussetzung dafür, dass Jhering erstmals die »Form« bzw. »Structur« des Rechts und den Regelungsinhalt des Rechts zu jeweils gesonderten Gegenständen dogmatischer bzw. dogmengeschichtlicher Untersuchung machen konnte2702. Ausdrücklich stellte Jhering klar, dass er unter der »Structur« des Rechts »nicht etwa die Zahl u[nd] Arten, kurz das System der einzelnen Rechte, sondern […] den [sc. für die jeweilige Zeit] typischen Zuschnitt« des Systems der Rechte, also deren »spezielle Gestaltung« in der jeweiligen historischen Epoche im Sinn hatte2703. Im Rahmen von Jherings Strukturuntersuchung des Rechts waren die konkreten Regelungsinhalte nur Mittel zum Zweck der Auffindung von Gesetzen juristischer Technik, die sich aus der jeweils zu beobachtenden Struktur ablesen lassen sollten2704. Dabei unterschied Jhering zwischen begrifflichen Unter-

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O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 249 Fn. 18; Ders., Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 146–150. So O.Weinberger, Wissenschaftsbegriff (1975), S. 111 zum heutigen Verständnis einer »Strukturtheorie des Rechts«, die – wie Jherings Strukturtheorie – auf der Unterscheidung zwischen der »Formlehre« bzw. »strukturelle[n] Typologie« auf der einen Seite und dem inhaltlichen »Rechtsmaterial« auf der anderen Seite gründet. In der modernen rechtstheoretischen Diskussion wird der Ausdruck »Struktur« allerdings auch noch in ganz anderen Zusammenhängen verwendet, die mit der Verwendung im vorbezeichneten Sinne nichts zu tun haben. Das gilt beispielsweise für Konzeptionen einer soziologischen Strukturtheorie des Rechts [vgl. dazu W.Krawietz, Begriff des Rechts (1988), S. 160ff.] ebenso wie für moderne normtheoretische Strukturtheorien des Rechts [vgl. etwa J.R.Sieckmann, Rechtssystem (1992), S. 145ff.]. Im übrigen bezeichnet Jherings Unterscheidung von »Struktur« und »Substanz« des Rechts auch etwas anderes als die rechtsinhaltliche Antinomie von »Struktur und Wert«, mit der O.Behrends, Struktur u. Wert (1990), S. 154ff., 159ff. in der heutigen rechtstheoretischen Diskussion den im römischgriechischen Rechtsdenken gründenden traditionellen Gegensatz der Privatrechtsdogmatik zwischen einem freiheitssichernden formalisierten regelhaften Recht einerseits und den für solidarische Werte offenen und damit die individuelle Freiheit beschränkenden Rechtsprinzipien andererseits bezeichnet. Anders J.Nocke, Beständigkeit (1986), S. 129f., der die »Separierung der Rechtsinhalte von der Rechtsform« als das »gemeinsame Moment« aller Rechtslehren des 19. Jahrhunderts »im Umfeld der Begriffsjurisprudenz« bezeichnet. Jhering, Theorie der Rechte (Nachlass), Bl. 223v. Vgl. nur Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 230, 232 im Zusammenhang mit der Darstellung des nach Jhering für die »Kindheitszeit« jeder Jurisprudenz typischen Prinzips der »juristischen Oekonomie«: »Ich werde so viel Material heranziehen, als nöthig ist, um auch dem minder Kundigen ein anschauliches Bild jener Methode zu gewähren […].«

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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scheidungen, »die für ewige Zeiten ihren Werth behalten werden«2705, und Rechtsformen sowie rechtstechnischen »Erscheinung[en]«, die mit einer bestimmten »Culturepoche« verbunden seien bzw. sich mit »allgemein culturhistorischer Nothwendigkeit« in allen Rechtsordnungen nur auf einer gewissen »Culturstufe überall« wiederholen2706. Wie die »Fundamentaloperationen der legislativen Technik« für den Gesetzgeber2707 waren nach Jhering auch die »Fundamentalgesetze der juristischen Technik […] gleichmäßig geltend für alle Epochen der Jurisprudenz«2708. Überhaupt keinem historischen Wandel unterworfen waren nach Jhering allerdings nur das von ihm sogenannte Gesetz der Deckung und das Gesetz des Nichtwiderspruchs. Von der »Verschiedenheit der Entwicklungsstufe« abhängig sollte dagegen das von Jhering sogenannte »Gesetz der logischen Sparsamkeit« sein, welches im Hinblick auf »Art und […] Formen, in denen […] es zur Anwendung« komme, wechseln könne2709. Das von Jhering etwas unglücklich so bezeichnete »Gesetz der juristischen Schönheit«2710 war im Grunde nur ein 2705 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 404. So sollte nach Jhering »namentlich die analytische Vereinfachung des Tatbestandes« zu denjenigen strukturellen »Erscheinungen« im Recht gehören, die unabhängig von dem konkreten »Zusammenhang […], in dem sie historisch zuerst auftraten«, »eine allgemeine, für alle Zeiten gültige Wahrheit beanspruchen« könnten [so Jhering in einem Brief vom 18. April 1865 an Windscheid, abgedruckt in: Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 54, S. 175]. Auch war nach Jhering, Besitzwille (1889), S. 7, 108, 138 die gemeinrechtliche Unterscheidung zwischen Detention und Besitz, die auf die römische Unterscheidung der naturalis possessio und der civilis possessio zurückging, »so wenig positiv römischrechtlicher Art, daß sie sich für das juristische Denken aus der mit dem Begriff des Willens selber gesetzten Möglichkeit […] von selbst ergibt, und hätte nicht die römische Jurisprudenz den Gegensatz gefunden und praktisch verwerthet, so würde es die heutige haben thun müssen.« Auch sonst war nach Jhering der »römische Scharfsinn […] ungemein erfinderisch« und hatte »glückliche Würfe des juristischen Genies [hervorgebracht], die uns heutzutage noch als Muster dienen können« [Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 232]. 2706 Jhering, Geist III/1 (11865), § 58, S. 272. Mit »Zurücklegung derselben [sc. Kulturstufe] sterben sie mehr und mehr ab und verlieren sich endlich völlig« (aaO). 2707 Jhering, Besitzwille (1889), S. 150; Ders., Geist II/2 (11858), § 38, S. 347ff. Als ein »spätes Postulat« kann Jherings Forderung nach einer Theorie der legislativen Technik mithin nicht bezeichnet werden [so aber J.Rückert, Autonomie (1988), S. 99]. »Freilich – –«, so meinte Jhering, Besitzwille (1889), S. 150 wie einst in den fünfziger Jahren im Hinblick auf die Theorie der juristischen Technik, »die Theorie der legislativen Technik soll noch erst geschrieben werden!« Vgl. dazu auch B.J.Choe, Culpa (1988), S. 148. 2708 Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 229. 2709 Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 229. Als einen rein historischen Ausfluß dieses technischen Gesetzes bezeichnete Jhering beispielsweise die für eine noch nicht entwickelte Jurisprudenz typische und im frühen römischen Recht »ans Lächerliche streifende« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 342] »Verrenkung des vorhandenen Rechts«, um sich immer »mit dem Gegebenen [sc. den überlieferten Rechtsbegriffen] zu behelfen« [Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 230f.]. 2710 Vgl. nur Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 405 zu seinen eigenen Bedenken bei dieser

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Die Methode der Rechtswissenschaft

Oberbegriff für die »verschiedenen Ku n s t s t y l [ e ] verschiedener Epochen der Jurisprudenz«2711 und die ihnen zugrunde liegenden historischen Gesetze der juristischen Technik, wie zum Beispiel das von Jhering im altrömischen Recht konstatierte Gesetz der elementaren Einfachheit, das nach Jhering alle Regelungsmaterien des römischen Rechts dieser Zeit beherrschte2712. Nicht die einzelnen konkreten Antworten, die Jhering auf die am Beispiel des altrömischen Rechts in einem Vergleich mit späteren Rechtsepochen und auch anderen Rechtsordnungen2713 gestellten Strukturfragen gab, sind das in theoriegeschichtlicher Hinsicht Entscheidende. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang vielmehr die Tatsache, dass Jhering versucht hat, die von ihm jeweils als »technisches Instrument« verstandenen Rechtsformen in einer »Theorie der M i t t e l «2714 zu einem gesonderten – in Jherings Ausdrucksweise – »höheren« Untersuchungsgegenstand der Rechtswissenschaft zu machen und als »Structurfrage[n]«2715 grundsätzlich zu unterscheiden von der für das »praktisch-juristische Verständnis des Instituts höchst wichtig[en], ja unerläßlich[en]«2716 »Frage nach dem ›w a r u m ‹«2717, also dem »Zw e c k m o m e nt « des Rechts2718. Daher war Jherings Strukturtheorie – auch wenn Jhering noch nicht von einer »Rechtstheorie bzw. Theorie des Rechts« im Sinne der heutigen Fachdisziplin gesprochen hat2719 – im deutschen Sprachraum ein wichtiger Schritt auf dem

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Wortwahl, die ungeachtet der Tatsache, dass bereits die römischen Juristen »den Vorwurf einer inelegantia juris« oder »das angebliche Gesetz der Symmetrie« gekannt hätten (aaO, S. 405 Fn. 523), nach Jherings eigener Einschätzung auch seinen romanistischen Zeitgenossen ungewöhnlich und »gesucht« erscheinen mußte. Vor allem war die Wortwahl missverständlich, da Ausdrücke wie »Schönheit«, »Kunststyl«, »ästhetisches Gesetz« suggerierten, Jhering sei es – wie etwa E.Schanze, Culpa (1978), S. 336 offenbar auch annimmt – tatsächlich wie in der Kunst allein um den »ästhetischen« Wert einer juristischen Konstruktion als Selbstzweck gegangen. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 405f. Nach dem »Gesetz der Schönheit« sollte jede Konstruktion »anschaulich«, »durchsichtig« und »natürlich« sein (aaO, S. 406f.). Aber das »Natürliche ist das, was der Anschauungsweise einer bestimmten Zeit entspricht – was dieser Zeit natürlich, erscheint jener als völlig unnatürlich« (aaO, § 47, S. 685). Jhering, Geist III/1 (11865), § 54, S. 54, S. 172ff. Vgl. auch Jhering, Besitzwille (1889), S. 114 mit Verweis auf Geist II/2 zum »Gesichtspunkt der juristischen Symmetrie […] in der alten Jurisprudenz«. So nahm Jhering im Rahmen seiner Darstellung der juristischen Technik des altrömischen Rechts beispielsweise häufig auf das englische Recht seiner Zeit Bezug [vgl. nur Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 327; Ders., Geist III/1 (11865), § 56, S. 231; § 58, S. 272, 288]. Denn letzteres stand nach Jhering – rechtstechnisch gesehen – dem altrömischen Recht in vielen Gesichtspunkten näher als das altrömische Recht dem für das Pandektenrecht maßgeblichen klassischen römischen Recht. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 392, 394. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 394. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 391. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 391. A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 238 Fn. 181.

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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Weg zu einer von konkreten Rechtsinhalten unabhängigen allgemeinen Theorie des Rechts im Sinne einer »analytischen Rechtslehre«2720.

b)

Die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode« als eine der Rechtsgewinnung dienende Theorie der »juristischen Construction«

aa)

Die »technischen Interessen« bei der Rechtsgewinnung

Jhering bezeichnete in der Einführung zu seiner »Theorie der juristischen Technik« die juristische Technik – ein Ausdruck übrigens, der nach der zeitgenössischen Bemerkung von Alois Brinz als »ein neues, zum mindesten ungewohntes Wort« angesehen wurde2721 – als Antwort auf die »Frage […]: wie soll das Recht unbeschadet seines Inhaltes eingerichtet und gestaltet sein, daß es durch die Art seines Mechanismus zur Erfüllung der […] Anforderungen in Bezug auf die Verwirklichung des Rechts so viel wie möglich mitwirkt, die Operation der Anwendung seiner selbst auf den concreten Fall möglichst erleichtert und sichert?«2722

Dass die Technik die Anwendung des Rechts »auf den concreten Fall« allenfalls »erleichtert und sichert«, verstand sich für Jhering – wie wohl für jeden Pandektisten seiner Zeit2723 – von selbst. Denn die »Fertigkeit der Anwendung ist allerdings vorzugsweise Sache des Subjects, sie ist eine Kunst, die nur durch Uebung zu erlernen ist«2724 – »allein die Wissenschaft kann dennoch bis zu einem gewissen Grade hülfreiche Hand leisten.«2725 Darüber hinaus betrachtete 2720 A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 234, 248, 274. Vgl. auch H.J.Hommes, Methode (1970), S. 107, der in Jherings Theorie der juristischen Technik im deutschen Sprachraum den »Anstoß zur Entstehung der allgemeinen Rechtslehre im Sinne einer methodischen Analyse der Grundbegriffe der Rechtswissenschaft« sieht. Ähnlich M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 143 und T.Viehweg, Rechtsdogmatik (1970), S. 216. 2721 A.Brinz, Jhering-Rezension (1860), S. 1, 3. Diese Bemerkung von Brinz erstaunt insofern, als es sich in diesem Falle nicht um eine originelle Wortschöpfung Jherings handelte, sondern um eine Begrifflichkeit, die bereits Savigny in seiner Berufs-Schrift verwendet hatte, als er bekanntlich vom »technische[n] Element« des Rechts und auch expressis verbis von der »juristischen Technik« gesprochen hatte [F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 12, 20 (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 104, 108)]. Offensichtlich war dies aber selbst unter Anhängern Savignys – wie auch Alois Brinz einer war – nicht so bekannt, wie man das nach mancher heutigen Darstellung glauben könnte. 2722 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 336f. 2723 Anders M.Kaser, Rechtsfindung (1962), S. 77, der pauschal behauptet, die »Pandektenwissenschaft des 19. Jahrh.[underts]« habe durch ihre Begriffsarbeit den »Richter zum bloßen ›Subsumtionsautomaten‹ erniedrigt«. Zur weiten Verbreitung dieser – gleichwohl unzutreffenden – Auffassung bereits R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 4ff. m. w. N. 2724 Jhering, Geist II/2 (21869), § 38, S. 311. 2725 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 356.

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Die Methode der Rechtswissenschaft

Jhering die Anwendbarkeit des Rechts allerdings auch als abhängig von der »materiellen Angemessenheit oder Unangemessenheit« der jeweiligen Rechtsinhalte; letzteres war eine Frage, die auch nach Jherings späterer Auffassung »nicht zur Technik des Rechts gehörte«, da die juristische Technik in Jherings Verständnis per definitionem »rein f o r m a l e r Art« war2726. Dies galt im Prinzip auch für die von ihm so bezeichnete »Praktikabilität des Rechts«, wie Jhering die eine der »zwei Hauptrichtungen oder Hauptzwecke« der juristischen Technik bezeichnete, »ich nenne sie die t e c h n i s c h e n I nt e re s s e n «, nämlich die »möglichste Erleichterung der Operation der A nw e n du n g « des Rechts durch eine entsprechende Gestaltung der Rechtssätze2727. Zwar bedürfe es nach für die »Praktikabilität des Rechts« auch einer »gewisse[n] m a t e r i e l l e [ n ] Zurichtung« der Rechtssätze. Aber diese »m at e r i e l l - p r o du c t ive Kraft«2728 bezog sich – zumindest soweit sie von der Jurisprudenz aufgebracht wurde – nicht auf die normativen »Gedanken« des Rechts selbst, sondern nur auf die »praktische Brauchbarkeit«2729 der diese Gedanken formulierenden Rechtssätze. Nach Jhering standen nämlich die materielle »innere, rechtsphilosophische Vollkommenheit des Gedankens oder die rationelle Genauigkeit« und Konsequenz bei der Konkretisierung der normativen Idee durch ihre Formulierung in Rechtssätzen »und die praktische Brauchbarkeit des [sc. in dieser Weise als Rechtssatz formulierten] Gesetzes […] vielfach im umgekehrten Verhältniß«2730. Dies gefährde aber die »Le i c ht i g ke i t und S i c h e r h e i t der Anwendung des abstracten Rechts auf die concreten Fälle«2731. Daher bedurfte es nach Jhering einer entsprechenden auch »m at e r i e l l e [ n ] Gestaltung des Rechts«2732, welche nicht nur ausschließlich die formal korrekte Formulierung des von den »positiven rechtssetzenden Gewalten«2733 herrührenden Rechtsgedankens zum Gegenstand haben dürfe, sondern auch das im Hinblick auf den »Umsatz der abstracten Regel in concrete Verhältnisse«2734 bei der Rechtsanwendung Zweckmäßige. Daraus folgte nach Jhering zum Beispiel eine entsprechend vereinfachte Fassung der Subsumtionsvoraussetzungen der Rechtssätze durch den Verzicht auf eine vollständig konsequente Umsetzung des abstrakten 2726 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 336. Die Hervorhebung durch Sperrdruck hat Jhering erst in der vierten Auflage von 1883 eingefügt [vgl. Jhering, Geist II/2 (41883), § 38, S. 325]. 2727 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 340, 347. »Es ist dies nur ein anderer Ausdruck für das, was ich früher (B. 1 [= Geist I (11852), § 4] S. 42–47) die formale Realisirbarkeit des Rechts genannt habe«. Vgl. auch Jhering, Besitzwille (1889), S. 144ff. 2728 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352. 2729 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 348. 2730 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 348. 2731 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 42f.; ders., Geist II/2 (11858), § 38, S. 348. 2732 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352. 2733 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352. 2734 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 43.

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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normativen Regelungsgedankens2735 oder auch durch die Aufstellung von die Anwendung erleichternden Beweislastregeln2736. Eine derartige Gestaltung der Rechtssätze war allerdings dort unmöglich, wo die Wissenschaft bereits vom Gesetzgeber stammende »positive Rechtssätze vorfindet, denen die Praktikabilität abgeht«2737. Im Hinblick auf dasjenige, was der Gesetzgeber als »äußere Autorität ihr [sc. der Jurisprudenz] an positivem Stoff aufgedrängt hat«2738, bezeichnete Jhering die Wissenschaft daher auch in Hinsicht auf die Praktikabilität des Rechts als »machtlos«2739. Wenn er gleichwohl davon sprach, dass es Bereiche gebe, wo die Wissenschaft im Hinblick auf die Praktikabilität und insoweit damit auch auf die »m at e r i e l l e Zurichtung« der Rechtssätze »völlig freie Hand hat«2740, dann hing das mit der besonderen Situation des zeitgenössischen Privatrechts zusammen, das nur zu einem Teil und vor allem nicht im Falle des gemeinen römischen Rechts von einem neuzeitlichen Gesetzgeber in generell-abstrakten Rechtssätzen formuliert war. Da nun beim damals noch nicht kodifizierten Pandektenrecht die Pandektenwissenschaft im Rahmen der juristischen Technik etwa auf der Grundlage unterschiedlicher Digestenfragmente häufig »selbst erst die Rechtssätze zu finden«2741, nämlich zu formulieren hatte2742, kam hier der Gesichtspunkt der Praktikabilität auch für die Jurisprudenz in sehr viel höherem Maße zum Tragen. Die Pandektenwissenschaft konnte bei der auf der Grundlage der Quellenentscheidungen erfolgenden Formulierung von subsumtionsfähigen Rechtssätzen dem einzelnen Rechtssatz – soweit es die Vorgaben durch die Quellen zulie-

2735 Vgl. dazu schon oben S. 317 Fn. 1595. 2736 So entstanden nach Jherings seit Anfang der fünfziger Jahre regelmäßig wiederholter Kritik gravierende Praktikabilitätsdefizite durch die von ihm in der zeitgenössischen Jurisprudenz beobachtete – so Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 358; Ders., Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 81 – »Vernachlässigung« der »Beweisfrage« [vgl. im Übrigen Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 42–47; Ders., Geist II/2 (11858), § 38, S. 347–358; Ders., Kaufcontract II (1861), S. 455; Ders., Bereicherungsklage (1878), S. 13ff.; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 273; Ders., Besitzwille (1889), S. 88, 144ff.; Ders., Manuskriptfragment zur Funktion des Richters (Nachlass), VIII, S. 90]. Die vernachlässigte Beweisfrage bildete übrigens in Besitzwille (1889), S. 536f. den Punkt 4 des von Jhering aufgestellten »Sündenregister[s]« der Begriffsjurisprudenz. 2737 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 353. 2738 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 332. Allerdings konnte der Gesetzgeber nach Jhering auch im günstigsten Fall die Schwierigkeit des »Umsatz[es] der abstracten Regel in concrete Verhältnisse« [Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 43] nur erleichtern. 2739 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 353. 2740 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352f. 2741 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 353. 2742 Vgl. M.Kaser, Röm.PrivatR I (11971), § 52, S. 211 dazu, dass die römische Privatrechtsordnung nur zu einem Teil in Normen gefaßt sei und im Übrigen aus den Fallösungen abgelesen werden müsse. Eben das meinte Jhering mit der »Findung« der Rechtssätze.

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ßen2743 – »selbst von vornherein den erforderlichen praktikablen Zuschnitt geben«2744. Insoweit war die Praktikabilität also nicht nur »eine der Fundamentaloperationen der legislativen Technik«2745, sondern auch ein wichtiger Gesichtspunkt der juristischen bzw. rechtswissenschaftlichen Technik, bei dem die »Wissenschaft d. h. die bloße Deduction« nicht wie außerhalb des Pandektenrechts den gesetzlichen »Bestimmungen gegenüber machtlos« blieb2746. In jedem Falle machtlos, dafür aber wissenschaftlich produktiv war die Jurisprudenz nach Jhering dagegen im Hinblick auf den anderen der von ihm unterschiedenen Hauptzwecke der juristischen Technik bzw. »technischen Interessen«2747, nämlich im Hinblick auf die von der Praktikabilität zu unterscheidende juristische Bearbeitung des Rechts2748. Die Praktikabilität war in Jherings Terminologie »ein technischer Maßstab, mit dem wir das positive Recht selbst […] zu messen haben«, er hatte die »juristische Bearbeitung desselben«2749, nämlich die ausschließlich der Jurisprudenz vorbehaltene gedankliche bzw. »innere Perfectibilität des Rechts als eines Objects der E r ke n nt n i ß zum Gegenstand«2750. Darunter verstand Jhering die rein »f o r m a l e Vervollkommnung des Stoffs«2751 im Wege einer »q u a nt i t at ive n u n d q u a l i t at iv e n Ve re i n f a c hu n g d e s Re c ht s «2752. Bei dieser »Vereinfachung« dachte Jhering aber nicht wie im Rahmen der Praktikabilität an die konkrete Formulierung der Rechtssätze und ihrer Subsumtionsvoraussetzungen, sondern an die gedankliche Erfassung und begriffliche Zusammenfassung der den Rechtssätzen zugrunde liegenden normativen Gedanken bzw. »abstracten Inhalt[e]« des geltenden Rechts2753. Als die dazu dienenden »Fundamental-Operationen der juristischen 2743 Eine »völlig freie Hand« – so Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 353 – hatte natürlich auch die Pandektenwissenschaft schon wegen des für jede juristische Konstruktion geltenden Gesetzes der Deckung durch die Quellen nicht. So meinte Jhering selbst im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die im Einzelfall mit der Subsumtion von Rechtsbegriffen verbunden sein können: »Rücksichtlich der einzelnen im römischen Recht enthaltenen Vermuthungen sind wir heutzutage zwar gebunden [sic!], allein nichts hindert uns, für Fragen, bei denen wir freie Hand haben, Präsumtionen aufzustellen« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 358; DERS., Besitzwille (1889), S. 149]. Vgl. dazu auch schon Teil 1, S. 213f. 2744 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 353. 2745 Jhering, Besitzwille (1889), S. 150. 2746 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 353. 2747 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 340. 2748 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 353. Vgl. W.Krawietz, Konstruktion (1976), S. 2 zu diesen beiden Aufgaben der juristischen Technik aus der Sicht moderner Rechtsmethodologie. 2749 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 353. 2750 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 347. 2751 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352. 2752 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 341f. 2753 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 341.

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Technik« nannte Jhering »die A n a l y s e , C o n c e nt r a t i on und C o n s t r u c t i o n «2754. Dabei beschränkten sich nach Jhering die beiden zuerst genannten Operationen, nämlich »die Reduction«2755 der »Massenhaftigkeit« der Rechtssätze durch »Zersetzung [und Auflösung] des Stoffs« zur »Auffindung der einfachen Elemente des Rechts«2756, und die »auf gerade entgegengesetztem Wege«, nämlich durch »Abstraction eines Princips aus gegebenen Einzelnheiten« vorzunehmende »logische Concentration«2757 sowie darauf beruhend die »systematische Anordnung des Stoffes«2758 in einer »Stammtafel der Begriffe«2759 und schließlich die »juristische Terminologie«2760 vor allem auf eine mnemotechnische Funktion zur Erleichterung »des Gedächtnisses«2761. Nur die dritte Fundamentaloperation, die juristische Konstruktion, charakterisierte Jhering vollständig als eine »Sache des [sc. schöpferischen] Verstandes«2762. Sie bildete das eigentliche Kernstück der juristischen Technik im Rahmen der wissenschaftlichen Dogmatik vom geltenden Recht. Die »juristische Construction« war nach Jhering für die Rechtsdogmatik das, was der Ausdruck »organisch« für die zeitgenössische Rechtsgeschichte bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts gewesen ist, nämlich – so formulierte Jhering Mitte der fünfziger Jahre – das eine der beiden »Losungsworte der Jurisprudenz des neunzehnten Jahrhunderts«2763, ein Ausdruck, den »Jeder gebraucht […], ohne sich über den damit zu verbindenden Sinn genaue Rechenschaft zu geben«2764. Tatsächlich war – und ist2765 – der Ausdruck alles andere als theore2754 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 358f. 2755 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 343. 2756 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 361 [= ders., Geist II/2 (31875), § 39, S. 335 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz in der dritten Auflage von 1875]. 2757 Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 379f. 2758 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 343. 2759 Jhering, Geist II/2 (21869), § 38, S. 314. 2760 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 344. Vgl. auch schon F.C.v.Savigny, System I (1840), § 20, S. 92 über die Bedeutung »eine[r] sehr bestimmte[n] Terminologie« für die Rechtsanwendung. 2761 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 341. 2762 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 341. 2763 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 384. »Unsere heutige Jurisprudenz hat zwei Lieblingsausdrücke – beide erst seit etwa einem Menschenalter aufgebracht, aber dann schnell in Gebrauch gekommen, beide für sie gleich charakteristisch […]« (aaO). Da dies für den Ausdruck »organisch« knapp zwanzig Jahre später nicht mehr zutraf, aktualisierte Jhering diese Passage in der dritten Auflage von Geist II/2, indem er nun nur noch die »juristische Construction« anführte: »Der Ausdruck: juristische Construction gehört zu den gangbarsten Kunstausdrücken der heutigen Jurisprudenz, während er am Anfang unseres Jahrhunderts so gut wie unbekannt war« [Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 357]. 2764 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 384. Es ist mithin nicht so, dass Jhering sich als »Entdecker der juristischen Konstruktion« bezeichnet oder auch nur dafür gehalten hätte, wie T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 229 meint. Vgl. im übrigen auch W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. VI über »die sogenannte juristische Construction, von

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Die Methode der Rechtswissenschaft

tisch eindeutig bestimmt2766. In der zeitgenössischen Rechtsdogmatik bezeichnete er ganz unterschiedliche Aspekte der Rechtsgewinnung, d. h. der Entscheidung von Rechtsfragen auf der Grundlage eines autoritativen Rechtstextes2767, im Falle der Pandektistik also auf der Grundlage der Quellen des Corpus iuris civilis. der man heutzutage für römisches wie deutsches Recht soviel reden hört«, ferner A.Brinz, Jhering-Rezension (1860), S. 27 über »das erst in unseren Tagen beliebte Wort der Construction« und schließlich auch Jhering selbst im 1861 erschienen »Ersten Brief« von einem Unbekannten, wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 7: »Was ist konstruieren? Vor etwa fünfzig Jahren wußte man noch nichts davon […].« Dass auch schon um 1800 die »›Konstruktion‹ […] bekanntlich ein zentrales Stichwort der Zeit« gewesen sei [so J.Rückert, Konzeption (1993), S. 75 Fn. 58], ist daher zumindest für den juristischen Kontext nicht zutreffend. Nach J.Schröder, Recht (22012), S. 272f. ist das auch kein Zufall. Denn Wort und Begriff der Konstruktion als rechtserzeugender Methode setzten die in der Jurisprudenz erst im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts aufkommende Vorstellung eines inneren Systems des positiven Rechts voraus. »Vor der Zeit Jherings« allerdings, und das heißt hier vor 1850, wurde der Ausdruck nach P.Heck, Begriffsbildung (1932), § 6, S. 67 »anscheinend wenig gebraucht.« Nach 1850 änderte sich dies aber wohl nicht zuletzt durch Jhering vollständig, und die Konstruktion wurde nach J.Schröder, Rechtsdogmatik (1989), S. 52f. zur »methodischen Lieblingsoperation der Juristen des späten 19. Jahrhunderts«. 2765 So etwa H.J.Hommes, Konstruktion (1965), S. 327f., ferner G.Hassold, Konstruktion (1981), S. 132; K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 441f. sowie S.Weyand, Durchgangserwerb (1989), S. 5ff. m. w. N. zu den noch heute zu beobachtenden Verwendungsweisen des Ausdrucks, welcher – so Weyand, aaO, S. 5 – teilweise »rechtsmethodisch fundamental Verschiedenes« bezeichnet. Kritisch geht T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 208, 222ff. den – so der Untertitel seiner Abhandlung über die juristische Konstruktion – »Spuren eines anachronistischen Begriffes« in der modernen Romanistik nach (aaO, S. 230). 2766 Auch noch in der dritten Auflage von Geist II/2 stellte Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 357 im Hinblick auf den Ausdruck »juristische Construktion« fest: »Jeder gebraucht ihn […], und doch wenn man fragen würde: was bedeutet denn die juristische Construction, die jetzt eine so große Rolle spielt, wozu ist sie nöthig, was soll sie, nach welchen Grundsätzen verfährt sie? die wenigsten würden eine Antwort darauf zu ertheilen vermögen, da unsere Wissenschaft uns in Bezug auf diese Fragen völlig in Stich läßt […].« Dasselbe konstatierte M.v.Rümelin, Jhering (1922), S. 343ff. allerdings auch noch fünfzig Jahre später. »Nähere Forschungen über Entstehung und Geschichte des Begriffs ›Konstruktion‹ und sein Eindringen in die Rechtssprache« fehlen nach R.Gmür, Savigny (1962), S. 190 Fn. 4. Ohnehin gibt nach U.Falk, Windscheid (1989), S. 17 Fn. 94 der Ausdruck »Konstruktion« das von den Pandektisten damit verbundene Anliegen nur missverständlich wieder. J.Schröder, Recht (22012), S. 273, 276 übersetzt die Konstruktion als begriffsentwickelnde Einordnung einer Rechtsfigur oder nur eines Rechtsfalls durch deren Verbindung mit dem System der allgemeineren Begriffe des Rechts. In der Tat unterschied auch Jhering die »abstrakte« Konstruktion einer Rechtsfigur [Teil 2, Abschnitt II. 2. b) bb)] und die »konkrete« Konstruktion eines Rechtsfalls [Teil 2, Abschnitt II. 2. b) cc)]. 2767 Der Ausdruck »Rechtsgewinnung« wird hier in einem weiten Sinne verstanden als Oberbegriff einerseits für die Gewinnung des Rechts, das heißt die Feststellung subsumtionsfähiger Rechtssätze nach Auslegung und begrifflich-systematischer Bearbeitung des autoritativen Rechtstextes, und andererseits für die auf dieser Grundlage erfolgende An-

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Jhering unterschied daher auch zwischen der juristischen Konstruktion einerseits im Rahmen der »subjectiven« Technik, womit Jhering die eigentliche »juristische Kunst« der Rechtsanwendung bezeichnete, »deren Aufgabe die formale Vollendung des gegebenen Rechtsstoffs« sei, und andererseits der juristischen Konstruktion im Rahmen der »objectiven« Technik, nämlich – so Jhering – »die Verwirklichung dieser Aufgabe am Recht selbst, also den kunstgemäßen Mechanismus des Rechts, diejenige Einrichtung und Gestaltung desselben, die die Operation der Anwendung des Rechts möglichst unterstützt und erleichtert.«2768 Damit hatte Jhering die zwei Gegenstandsbereiche der juristischen Technik, nämlich das abstrakte Recht und den im konkreten Fall rechtlich zu beurteilenden Sachverhalt benannt. »Ein Nachtheil ist von dieser zwiefachen Bedeutung des Ausdrucks nicht zu befürchten, die Einsicht des Lesers wird es mir ersparen, durch einen eignen Zusatz anzugeben, welche von beiden Bedeutungen jedesmal gemeint ist«2769. Was für die juristische Technik im Allgemeinen galt, das galt natürlich erst recht für deren Kernstück, die juristische Konstruktion. Sie war ebenfalls in der von Jhering genannten »zwiefachen Bedeutung« zu verstehen, womit Jhering ungeachtet seines Vertrauens in »die Einsicht des Lesers« den Vorwurf einer für eine wissenschaftliche »Theorie […] überraschende[n] Unklarheit der […] Ausdrucksweise«2770 provozierte. Einen auch terminologischen Ausdruck hat Jhering der Unterscheidung beider Bereiche der juristischen Technik nur im Zusammenhang mit der jeder juristischen Konstruktion vorangehenden und mit dieser »im Einzelnen allerdings vielfach ineinander« übergehenden »Analyse« gegeben2771. Die Analyse, die sich auf »die analytische Behandlung des concreten Rechtsverhältnisses« bezog, nannte Jhering die »c o n c re t e Analyse«, hingegen »die Zersetzung innerhalb der ju-

2768 2769 2770

2771

wendung des Rechts, die Rechtsfindung im Einzelfall [vgl. in diesem Sinne etwa P.Heck, Rechtsgewinnung (1912), S. 194; M.Kriele, Rechtsgewinnung (1967), S. 14 Fn. 1; P.Mazurek, Rechtstheorie (51989), S. 303; B.Rüthers, Rechtstheorie (1999), S. 458, 487]. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 339f. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 340. So etwa H.Coing, Systembegriff (1969), S. 165 unter anderem mit Verweis darauf, dass neben Jherings naturwissenschaftlichen Analogien auch die Tatsache das Verständnis seiner Auffassungen erschwere, dass Jhering sowohl technisch-juristische Oberbegriffe, die das Ergebnis der abstrakten juristischen Konstruktion im Rahmen der von Jhering sogenannten objektiven Technik waren, als auch die rechtsbegriffliche Bewältigung von häufig komplexen Lebensvorgängen, die das Ergebnis der konkreten juristischen Konstruktion im Rahmen der sogenannten subjektiven Technik war, sprachlich undifferenziert »mit einem einzigen Wort«, nämlich dem »Wort Rechtskörper« bezeichnet habe. Coings Kritik ist keineswegs neu. Sie wurde auch schon von zeitgenössischen Rezensenten geäußert [vgl. nur A.Brinz, Jhering-Rezension (1860), S. 17f.]. Ebenso urteilte im 20. Jahrhundert beispielsweise M.v.Rümelin, Jhering (1922), S. 44f. mit Fn. 1. Vgl. im Anschluss an Coing heute auch L.Björne, Rechtssysteme (1984), S. 240. Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 359.

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Die Methode der Rechtswissenschaft

ristischen B e g r i f f s w e l t « die »a b s t r a c t e Analyse«2772. Und in diesem Sinn unterschied Jhering in der Sache auch die juristische Konstruktion als abstrakt im Rahmen der Theorie der objektiven Technik und als konkret im Rahmen der subjektiven Technik. Nun war es gerade Jhering, der im Hinblick auf beide Formen der juristischen Konstruktion von Anfang an betont hat, dass die Rechtsgewinnung nicht das Ergebnis eines Rechenexempels sein könne2773, da die juristische Konstruktion »weniger Sache des Fleißes und der Gelehrsamkeit, als des Talents und der Intuition« sei2774. »Eine g e lu n g e n e Construction«, so Jhering im Hinblick auf die objektive juristische Konstruktion, »ist in meinen Augen eine juristische T h a t , eine Leistung von bleibendem Werth, eine mißlungene ist absolut werthlos […]. Niemand, der sich an eine solche Aufgabe wagt, sollte sich verhehlen, daß er Lotterie spielt […]. Es beruht dies vielleicht darauf, daß, während der eigentlich gelehrten Arbeit stets der Schweiß anklebt, man einer derartigen Leistung […] nichts ansieht und daher nur zu leicht geneigt ist in dem, was die Frucht langjährigen Suchens war, das mühelose Geschenk einer glücklichen Stunde zu erblicken. Ein einziges Wort kann hier oft die Lösung geben, und wenn das Wort ausgesprochen, erscheint die Suche so natürlich und einfach, daß Jeder es hätte finden können«2775

– »das Ei des Columbus«, wie Jhering in der vierten Auflage von Geist II/2 im Jahre 1883 noch anfügte2776. Wenn somit die juristische Konstruktion nach Jhering auch nur zum Teil in Regeln fassbar und damit der Vorgang der Konstruktion auch nur zum Teil rationalisierbar war2777, so bildeten doch die vier Jhering, Geist III/1 (11865), § 49, S. 15f.; § 54, S. 169. Vgl. schon oben S. 308–310. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398 Fn. 514. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398 Fn. 514. Eine »Leistung von bleibendem Werth« war die juristische Konstruktion nach Jhering natürlich nur im Hinblick auf den jeweils geltenden Rechtsstoff. Bei anderen Rechtsinhalten bzw. bei deren Änderung stellte sich diese Aufgabe jeweils neu: »Daß unsere civilistischen Räthsel nicht so leicht zu rathen sind, kann man schon daraus entnehmen, daß unsere heutige Jurisprudenz, namentlich die germanistische, sich noch mit einer großen Zahl von Räthseln trägt, für die der Oedip noch erst erwartet wird!« (aaO) 2776 Jhering, Geist II/2 (41883), § 41, S. 371 Fn. 514. 2777 Nach M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 152 hat Jhering damit das Gebiet der juristischen Konstruktion überhaupt »aller wissenschaftlichen Strenge entzogen«. Ebenfalls kritisch F.Wieacker, Rechtsdogmatik (1970), S. 323f. Zu klären wäre allerdings Losanos Begriff »wissenschaftlicher Strenge«. Dass »die schöpferische Phantasie des Forschers – das Wesen aller Forschung ausmacht« (H.G.Gadamer), ohne dass deswegen durch methodische Postulate und Regeln »auf das mögliche Maß von Rationalität zu verzichten und alles der bloßen Beliebigkeit des subjektiven Dafürhaltens zu überlassen« wäre [K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 247] und dass beispielsweise im Rahmen einer Interpretation der psychische »Prozeß der Entdeckung« im Unterschied zum argumentativen »Prozeß der Rechtfertigung« der Interpretation nicht »intersubjektiv zu-

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»Fundamentalgesetze der juristischen Technik«2778, nämlich das »Gesetz der Deckung des positiven Stoffs«2779, das »Gesetz des Nichtwiderspruchs oder der systematischen Einheit«2780 und das »Gesetz der juristischen Schönheit«2781 sowie dessen Komplementärgesetz, das »Gesetz der logischen Sparsamkeit«2782, den Rahmen und die Grundlage jeder juristischen Konstruktion.

bb)

Die abstrakte »juristische Construction« im Rahmen der Theorie der »objektiven Technik«

Die Bearbeitung des »Recht[s] selbst«, nämlich »diejenige Einrichtung und Gestaltung desselben«, die die davon zu unterscheidende »Operation der Anwendung des Rechts möglichst unterstützt und erleichtert«2783, erfolgte nach Jhering – sofern sie nicht nur analytischer, sondern auch »gestaltender Art« war – durch die abstrakte »juristische Construction«2784. Die »Gestaltung« des gegebenen Rechtsstoffs lag nach Jhering darin, dass sich die Konstruktion nicht auf die aus den formulierten Rechtsregeln bzw. Rechtsprinzipien ableitbaren und damit »mittelbar bereits gegebenen Consequenzen« beschränkt2785, sondern »durch Entdeckung und Benutzung begrifflicher Unterschiede, durch Vereinigung des an sich Verschiedenen unter einem höhern Gesichtspunkt, kurz auf dem Wege einer logischen Zersetzung und Durchdringung des Stoffs«2786 die gedanklichen Strukturen des Rechts bzw. der sie bildenden »juristische[n] Körper« aufdeckt2787. Die juristische Konstruktion konnte insoweit im Hinblick auf bereits bekannte begriffliche Unterscheidungen »bloß adminiculirender«,

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gänglich und […] objektiv überprüfbar« ist [R.Alexy, Interpretation (1995), S. 78 m.w.N.], sind heute erkenntnistheoretische Gemeinplätze. Zu Recht hat daher auch K.Schmidt, Jhering (1993/1996), S. 207f. Jherings Rede von der notwendigen spekulativen Phantasie des Juristen als eine Beschreibung des wissenschaftlichen »Entdeckungsverfahren[s]« verstanden. Der von Losano formulierte Einwand fehlender wissenschaftlicher Strenge bei der Begriffsbildung wurde bereits von Jherings Zeitgenossen unmittelbar nach Erscheinen von Geist II/2 geäußert. In der zeitgenössischen Rezension eben dieses Bandes meinte etwa A.Brinz, Jhering-Rezension (1860), S. 23: »Zu fragen nun aber, wie man aus Rechtssätzen und Rechtsprincipien Rechtsbegriffe bildet, das muß natürlich schwer seyn, und können wir es dem Verf.[asser] nicht zum Vorwurf machen, daß er diese Frage mehr umkreist als löst […].« Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 229. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 400. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 405. Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 229; Ders., Geist II/2 (11858), § 38, S. 342. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 340. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 397. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 397. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 408. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 397.

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Die Methode der Rechtswissenschaft

also unterstützender »Art sein«, indem sie sich darauf beschränkte »einzelne Vorgänge im Leben des Körpers [zu] erklären«, etwa indem sie es unternahm, »scheinbare [sc. systematische] Widersprüche des Einzelnen gegen den Grundbegriff [zu] beseitigen«2788, oder indem sie in einer »P ro b e d e r C on s t r u c t i o n « den »Körper durch alle erdenkliche[n] Lagen hindurchführt, ihn in jede mögliche Verbindung mit andern Körpern bringt, ihn mit jedem ihrer Lehrsätze vergleicht« und überprüft, ob »alles zusammenstimmt«2789. Sie konnte nach Jhering aber auch auf der Grundlage der gegebenen Rechtsregeln ganz neue begriffliche Gesichtspunkte entdecken und mit einer entsprechenden Definition den juristischen »Körper […] erst als solchen ins Leben rufen«. In beiden Fällen handelte es sich nach Jhering um eine »G e s t a lt u n g d e s Re c ht s s t of f s i m S i n n d e r n at u r h i s t o r i s c h e n Me t h o d e «, wie Jhering die juristische Konstruktion »mit E i n e m Wort definiren zu können« meinte2790. Die dogmatischen Lehrsätze zu bestimmten theoretischen Einzelfragen wie etwa die theoretische »Erfassung des begrifflichen Gegensatzes von Besitz und Detention« oder die »ganz ausschließlich auf dem Boden des Ab s t r a c t e n «, also auf der Grundlage von »Begriffe[n], die bereits gewonnen waren«, formulierte »Lehre von der Untheilbarkeit der Obligationen, dem Accrescensrecht bei Miterben und Collegataren«2791 oder die Lehre »vom d i e s«2792 und »von der Bedingung«2793 wurden gewonnen durch – so Jherings Charakterisierung im Jahre 1871 – die »Abstraction, das Denken, oder sage ich: die Dialektik des Begriffs«, durch die »der einmal ins Leben gesetzte Begriff […] nicht eher Ruhe [hat], bis er Alles, was in ihm steckt, aus sich herausgetrieben hat«2794. 2788 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 397. 2789 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 401. In derselben Weise und mit ausdrücklichem Verweis auf Jhering hat in der Folge auch B.Windscheid, Pandekten I (11862), § 24, S. 56f. in seinem Lehrbuch die juristische Konstruktion der Begriffe der subjektiven Rechte als eine Untersuchung ihrer »Eigenschaften« und »ihre[r] Lebensphänomene (Entstehung, Untergang, Umgestaltung; Begründung, Vernichtung, Umgestaltung schlechthin oder mit einstweilen gehemmter Kraft; vollständige Vernichtung und Vernichtung durch Erzeugung einer Einrede; Umgestaltung der Person, dem Stoffe nach; Rechtsnachfolge, Gesammtnachfolge, Sondernachfolge usw.)« bezeichnet und noch hinzugefügt: »Dieß soll keine vollständige Aufzählung sein, sondern blos zur Orientierung dienen.« Was gemeint war, ist klar. Es ging – wie es E.Schanze, Culpa (1978), S. 336, 339f. mit Bezug auf Jhering in die Sprache und Vorstellungsweise unserer Zeit übersetzt – um den »für spätere Generationen von Juristen so bedeutsame[n] ›Lehrbuchfall‹«. 2790 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 397. 2791 Jhering, Besitzwille (1889), S. 94f. 2792 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 17 (= Ges. Aufs. I, S. 14); Ders., Passive Wirkungen (1871), S. 304ff. 2793 Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 14; Ders., Passive Wirkungen (1871), S. 304ff. 2794 Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 303. Damit wiederholte Jhering praktisch wörtlich,

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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Diese Lehrsätze zu bestimmten Rechtsinstituten machten nach Jhering den wesentlichen Teil der abstrakten »juristischen Construction«, der »eigentlich schöpferischen Thätigkeit der höheren Jurisprudenz« aus2795. Insoweit diene die juristische Konstruktion der »begrifflichen Verbindung und Erklärung« der geltenden Rechtssätze2796, auf welche zu verzichten nach Jherings lebenslanger Auffassung einen wissenschaftlichen »Bankerott, ein[en] Abfall von aller und jeder Jurisprudenz«, also einen Verzicht auf wissenschaftliche Jurisprudenz überhaupt bedeutet hätte2797. Dieses von ihm sogenannte »Philosophiren und Construiren in der Dogmatik«2798 charakterisierte Jhering deswegen als einen schöpferischen Vorgang bzw. eine »künstlerische Production«2799, da es mehr als »nur ein consequentes«2800 bzw. »consecutives logisches Denken«2801 voraussetze, nämlich auch ein intuitivkreatives »Erfinden«2802. »Ein einziges Wort«2803, nämlich ein Wort, das einen bisher nicht erkannten systematischen Zusammenhang oder Unterschied zum

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was er in den fünfziger Jahren im Zusammenhang mit der Darstellung der naturhistorischen Methode über die »außerordentliche dialektische Triebkraft« der juristischen Konstruktion geschrieben hatte: »In dieser [sc. begrifflichen] Form [sc. des Stoffs] wird die ganze Fülle seines Inhalts zu Tage gefördert, alles, was in ihm steckt, hervorgetrieben […]« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 410]. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16f. (= Ges. Aufs. I, S. 14). Nach J.Schröder, Recht (22012), S. 268ff. geht die produktive Begriffsbildung, die sich nicht auf die Definition von bereits im Gesetzes- und Gewohnheitsrecht enthaltenen Rechtsbegriffen beschränkt, erst auf die Wissenschaft des positiven Rechts im 19. Jahrhundert zurück. Allerdings – so Schröder, aaO, S. 269 weiter – begann die schöpferische Begriffsbildung durch Konstruktion nicht immer erst jenseits bereits bekannter Rechtsbegriffe. Tatsächlich zeigen auch die im Text zitierten von Jhering selbst angeführten Beispiele, dass er selbst auf dem Höhepunkt seines begriffsjuristischen Denkens in der zeitgenössischen pandektistischen Praxis den Schwerpunkt der »schöpferischen« bzw. wissenschaftlich »produktiven« Tätigkeit der Jurisprudenz gar nicht in der produktiven Bildung von neuen Begriffen sah, sondern in der systematischen Bestimmung und Definition der bereits bekannten. Dass deren positive Rechtsgeltung nun allerdings auch rechtsquellentheoretisch legitimiert war, und zwar unabhängig davon, ob sie in Gesetz oder Gewohnheitsrecht auftauchten oder nicht, blieb das geltungstheoretisch Wesentliche. Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 25 Fn. 9. Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 401; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 29 Fn. 9 sowie dies in teilweise neuer Formulierung bekräftigend Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 25 Fn. 9. Selbst dann, wenn ein geltender Rechtssatz »sich als ein rein positiver« [sc. also nicht aus allgemeinen Grundsätzen ableitbar] gäbe«, so Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 48f., 79, »würden wir nicht umhin können, neben seiner äußeren Beglaubigung durch die Quellen zugleich seinen inneren juristischen Charakter […] in’s Auge zu fassen«. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 414. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398. Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 371. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398.

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sprachlichen Ausdruck und damit zu Bewusstsein bringt, könne schon das »Ei des Columbus«2804, also die entscheidende schöpferische Leistung bilden bei der Formulierung der Begriffsdefinitionen und der sich daran anschließenden begrifflichen Erklärung der Rechtssätze2805. Insoweit »schafft [sc. die juristische Konstruktion] etwas Neues, was bisher nicht da war«2806, »baut« selbst und »baut [nicht] nur fort«2807, was durch bereits formulierte Prinzipien »mittelbar bereits« vorgegeben sei2808, sondern schaffe – sofern der richtige Gesichtspunkt erfasst, die gedanklich entscheidende Differenzierung getroffen sei – eine produktive »Leistung mit bleibendem Werth«2809. 2804 Jhering, Geist II/2 (41883), § 41, S. 371 Fn. 514. Das »Ei des Columbus« war eine unter Gelehrten damals bekannte Chiffre zum Ausdruck des schöpferisch kreativen Momentes der »Kunst« im Unterschied zu bloß theoretischer »Wissenschaft« [vgl. nur I.Kant, KdU (11790/21793), B 175 A 172f. mit Anm.* = WW X, S. 237f. mit Anm.*]. 2805 Welches Gewicht Jhering nicht nur im Rahmen von rechtswissenschaftlichen Untersuchungen auf die Begriffsarbeit zur gedanklichen Auffindung und sprachlichen Formulierung des für eine Differenzierung entscheidenden Gesichtspunktes legte, macht auch ein von Christian Helfer im Anschluss an Zweck II publiziertes Nachlassmanuskript Jherings zur sozial- bzw. kulturwissenschaftlichen Unterscheidung des sogenannten sozialen Anstands- und Taktgefühls deutlich [abgedruckt in: Jhering, Zweck II (41905), S. 569ff.]. Auch hier meinte Jhering, aaO, S. 576f., dass durch eine treffende »Begriffsbestimmung […] das Wesen des Taktes in einer Weise wiedergegeben« werde, »daß es nur der Verfolgung des angegebenen Gesichtspunktes bedarf, um mit aller Leichtigkeit den ganzen Inhalt, den der Gegenstand in sich schließt, zutage zu fördern«. Wie im rechtswissenschaftlichen Kontext die Deckung mit dem positiven Recht, so sollte hier im sozialwissenschaftlichen Kontext die »Deckung mit der Sprache« die »Richtigkeit des aufgestellten Begriffs« dartun. Und angenommen »die Sprache selber hätte den [sc. begrifflichen] Gegensatz des absolut und bedingt Anstößigen nie gefunden, d.i. dafür keine bestimmten Ausdrücke ausgemünzt, so würde es Sache der Wissenschaft sein, das Versäumte nachzuholen.« In einem im Manuskript allerdings wieder gestrichenen Zusatz hatte Jhering mit Blick auf seine eigene gedanklich schöpferische Begriffsarbeit noch die Bemerkung angefügt: »Mit dem Finden [sc. der Begriffe] hat es freilich keine so leichte Bewandtnis, und ich will das Geständnis nicht unter drücken, daß dasselbe im vorliegenden Fall [sc. der begrifflichen Unterscheidung von Takt und Anstand] nicht Sache der Intuition, sondern mühsamsten, angestrengtesten Denkens gewesen ist; in den zwei Worten ›bedingt anstößig‹ steckt für mich mehr Arbeit als in manchen meiner juristischen Abhandlungen«. Die offensichtlichen Parallelen zu Jherings Beschreibung der naturhistorischen Methode des Rechts sind nicht zufällig oder nur rein sprachlicher Art, denn Jhering, Zweck II (11883), S. XIV glaubte auch auf sozialwissenschaftlichem Gebiet, seine »Aufgabe ganz so […] lösen« zu können, »als ob sie juristischer Art wäre, und ich glaube hierbei durch die That gezeigt zu haben, in welchem Masse und mit welchem Vortheil sich die juristische Methode selbst bei Dingen nicht juristischer Art verwerthen läßt […].« 2806 So fügte es Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 354 als Zusatz in den Text der zweiten Auflage ein. 2807 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398. 2808 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 397. 2809 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398 Fn. 514. Nicht gefördert, sondern eher behindert wurde die nach Jhering in jeder juristischen Konstruktion liegende schöpferische Leistung einer gedanklichen Differenzierung durch das, was Jhering – für das heutige Verständnis

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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Bei der abstrakten juristischen Konstruktion ging es nach Jhering nämlich nicht nur darum, einen bisher »verkannten oder bestrittenen Rechts s at z zur Anerkennung zu bringen«, sondern – wie Jhering in den 1870er Jahren am Beispiel des von ihm geprägten und definierten Begriffs der Gebundenheit zeigte – auch darum, »eine Reihe räthselhafter, bisher theils gar nicht beachteter, theils mangelhaft begriffener Erscheinungen unter dem richtigen Gesichtspunkt zusammenzufassen und damit dem juristischen Verständniß zu erschließen.«2810 Es kann daher auch gar keine Rede davon sein, dass Jhering in seinen späteren Jahren in der juristischen Konstruktion kein Gestaltungsinstrument der Jurisprudenz mehr gesehen habe oder dass es mit »dem Konstruieren […] in der Zweckphase [sc. Jherings] aus« gewesen sei2811. Das wäre zumindest in dem für eher irreführend – als den »Constructionsapparat« des Rechts bezeichnet hat [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 407]. Letzterer ist nach B.J.Choe, Culpa (1988), S. 169 in den bisherigen Interpretationen von Jherings Werk zu kurz gekommen. Tatsächlich erfolgte die Konstruktion in der zeitgenössischen Jurisprudenz nach Jhering jedoch so, »daß in den bei weitem meisten Fällen ein eigner Constructionsapparat gar nicht zur Anwendung kömmt« (aaO, S. 408) und nach Jhering auch gar nicht zur Anwendung kommen sollte, weil es sich immer um »einen theoretisch minder correcten […] Weg« handele [Jhering, Geist III/1 (11865), § 58, S. 286]. Denn entweder seien derartige Konstruktionen »bloß figürliche«, also bildhafte, aber gedanklich und juristisch vollkommen unerhebliche Anschauungshilfen bzw. rein sprachliche Verkürzungen [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 408] oder aber – wie im Falle der »Scheingeschäfte« und »Fictionen« (aaO) – »juristische Nothlügen« [Jhering, Geist III/1 (11865), § 58, S. 266] zur Verdeckung eigentlich bestehender gedanklicher Unterschiede. Keinswegs erst im »dritten, nachkonstruktivistischen Bande des ›Geistes‹«, wie T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 218, 222, 225 meint, sondern schon in früheren Jahren sprach Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 323 vom »höchst bequeme[n], aber auch eben so werthlose[n] Mittel der Fiction«. Die konstruktive Annahme der »rückwirkenden Kraft« bezeichnete Jhering sogar als »eins der scheinbar künstlichsten Mittel« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 408] und lehnte es später als »Manipulation« der »Wahrheit« auch grundsätzlich ab [Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 192, 315], um es durch den dieser rechtswissenschaftlichen »Wahrheit« angeblich besser entsprechenden anschaulich-konstruktiven Begriff der Gebundenheit zu ersetzen. Vgl. zu Letzterem auch die folgenden Fußnoten. 2810 Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 179. Vgl. auch Jhering, aaO, S. 268 über die »dogmatische Unentbehrlichkeit des von uns aufgestellten Gesichtspunktes dinglicher Gebundenheit« sowohl im Hinblick auf »das r ö m i s c h e Recht« wie auch im Hinblick auf »unsere moderne Rechtsbildung«. Vgl. zum naturhistorischen Rechtsphänomen der Gebundenheit schon oben S. 509 Fn. 2536. 2811 So T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 231 und R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 228, 231. Ebenso auch beispielsweise L.Björne, Rechtssysteme (1984), S. 234 und U.Falk, Gegensatz (1990), S. 232 (»Konstruktion […] letztlich bedeutungslos«) oder früher schon A.Baumgarten, Konstruktion (1926), S. 247 und G.Radbruch, Nachlaß (1952), S. 25. E.Winter, Ethik (1980), S. 303 hat sogar von Jherings »Destruierung der einst von ihm selbst virtuos gehandhabten Konstruktionsjurisprudenz« sprechen wollen. Zutreffend dagegen F.Wieacker, Jhering (1969), S. 22; O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 89f.; Ders., Jhering (1987), S. 255f., 265f.; B.Klemann, Jherings Wandlung (1991), S. 132, 142; M.Kunze, Lebensbild (1992), S. 17; Ders., Forschungsbericht (1995), S. 141 sowie C.Mährlein, Volksgeist (2000), S. 144. Vor allem darf Jherings pauschale Ver-

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Jhering rechtsdogmatisch maßgeblichen Bereich des Pandektenrechts auch gar nicht möglich gewesen. Denn das im Corpus juris civilis überlieferte römische Recht war eben nur zum geringsten Teil »in allgemeiner Fassung und abstrakter Form überliefert«2812. Jhering als ein insoweit typischer Vertreter neuzeitlicher Pandektistik hat aber gerade in dieser der antiken Denkweise so gar nicht entsprechenden Form eines vollständig in abstrakten Regeln und definierten Begriffen formulierten Rechts2813 wie selbstverständlich die unerlässliche Grundlage der Rechtsgewinnung gesehen und musste damit notwendigerweise immer erst »dem vo r h a n d e n e n positiven Stoff die entsprechende juristische [sic!] spottung der juristischen Konstruktion im ersten der »Vertraulichen Briefe über die heutige Jurisprudenz« nicht als ein Beleg dafür verwendet werden, dass Jhering sich hier überhaupt von der »noch wenige Jahre zuvor so hoch gepriesenen juristischen Konstruktion« distanziert habe [so aber K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 45]. Jhering wiederholte in dem »Ersten Brief« vielmehr seine Kritik an einer bestimmten in der Pandektistik verbreiteten Praxis der juristischen Konstruktion. Soweit er mit Bezug auf sein eigenes Werk auch die »höhere Jurisprudenz« persiflierte, geschah dies nach Jherings eigenen Worten vor allem zum Schutz seines Inkognito bei der Publikation der »Vertraulichen Briefe« eines »Unbekannten« (vgl. dazu die bereits in Teil 1, S. 95f. Fn. 392 angeführten Nachweise). 2812 P.Heck, Rechtsgewinnung (1912), S. 196f. Ferner M.Kaser, Röm.PrivatR I (11971), § 52, S. 211. Die Frage, inwieweit sich nicht zuletzt aus der vor allem fallorientierten Form des überlieferten römischen Rechts auch berechtigte Rückschlüsse auf ein regel- und systemfeindliches römisches Rechtsdenken ziehen lassen, ist in der Romanistik allerdings seit langem umstritten. Vgl. insoweit nur S.Weyand, Durchgangserwerb (1989), S. 18ff., 76f. m. w. N. kritisch zu der häufig zu beobachtenden Charakterisierung antiker römischer Entscheidungspraxis als kasuistisch oder regelfeindlich. Allerdings hebt auch Weyand, aaO, S. 8f. das von ihm im klassischen römischen Recht festgestellte »Systemdenken« von den heute »tradierte[n] Systemvorstellungen insbesondere des 18. und 19. Jahrhunderts bewußt« ab. 2813 Grundlegend O.Behrends, Inst. u. prinz. Denken (1978), S. 227f.; Ders., Struktur u. Wert (1990), S. 139 zu der Unterschiedlichkeit der Denkweisen im modernen juristischen Denken und in der klassischen römischen Jurisprudenz sowie zu der in Verkennung dieses Unterschiedes »oft als Kasuistik fehlgedeutete[n] Praxisbezogenheit der klassischen römischen Jurisprudenz« (aaO, S. 228). Ferner auch M.Kaser, Rechtsfindung (1962), S. 50ff. und dort besonders S. 61f., 66, 74ff. zu dem wesentlichen Unterschied zwischen der Rechtsfindung der antiken römischen Juristen einerseits und dem neuzeitlichen kontinentaleuropäischen Rechtsdenken, in dessen Tradition die neuzeitliche Pandektenwissenschaft zumindest auch stand, andererseits. Nach M.Kaser, Röm.PrivatR I (11971), § 52, S. 211 muss daher jede Darstellung, die alle »Gedanken der [sc. römischen] Juristen als Normen« formuliert, »in Kauf nehmen, die Eigenart ihrer Geisteshaltung nicht immer völlig sachgetreu wiederzugeben.« Dies gelte erst recht für die Pandektisten des 19. Jahrhunderts [M.Kaser, Rechtsregeln (1986), S. 150f.], die wie Jhering nur in den Kategorien von »principielle[m]« bzw. »abstrakte[m] Denken« versus »casuistische[r] Gestaltung« dachten [vgl. nur Jhering, Geist II/2 (11858), § 40, S. 380; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 367] und glaubten, sie könnten dem »positiven Stoff« des römischen Rechts eine diesem neuzeitlichen Systemdenken »entsprechende juristische Gestaltung« geben [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 14 (= Ges. Aufs. I, S. 12)], ohne sich dadurch von Geist und auch Inhalt des in den Quellen überlieferten antiken Rechtsdenkens zu entfernen. Vgl. dazu ferner T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 223ff.

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Gestaltung« geben2814. Kaum anders hatten auch andere Pandektisten wie etwa Christian Friedrich Mühlenbruch von der Notwendigkeit der »Construction von Rechtsregeln aus den Justinianischen Rechtsbüchern« gesprochen, welche sich aus der »eigenthümliche[n] Schwierigkeit« ergebe, dass »Justinians Compilation […] großen Theils« nur »aus wissenschaftlichen Erörterungen und der Entscheidung einzelner Fälle« bestehe2815. Insofern haben – so Jhering 1869 – »wir […] die regula juris«, die abstrakte Rechtsregel, zumeist erst »selber zu abstrahiren« und zu formulieren2816. Das Rechtsinstitut der »culpa in contrahendo«, das Jhering 18602817 aus einem solchen »spröden, ja widerstrebendem Quellenmaterial« abgeleitet2818 bzw. – wie schon Ernst Landsberg formulierte – »sich zurecht gelegt hatte«2819, nachdem er die theoretische Begründung dieses Anspruchs – wie Jhering ebenfalls 1860 bekannte – »seit Jahren mit mir herumgetragen und gepflegt und mich ganz in sie hineingelebt« hatte2820, ist im Übrigen geradezu ein Musterbeispiel für die juristische Konstruktion als ein schöpferisch-produktives Gestaltungsinstrument der Jurisprudenz2821 und – so 2814 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 14 (= Ges. Aufs. I, S. 12). Aufgrund der aus dieser – nicht aus heutiger romanistischer Perspektive – »eigenartige[n] Beschaffenheit des recipierten Gesetzbuchs« Justininans hielt übrigens sogar Philipp Heck ungeachtet seiner Kritik am Inversionsverfahren zur Lückenergänzung allein den »Dualismus der Induktion und Deduktion«, nämlich die Rekonstruktion der abstrakten »allgemeinen Regeln und Begriffe«, die seiner Meinung nach den »Responsa der Juristen, Reskripte[n] der Kaiser« zugrunde gelegen haben mussten, und die anschließende Ableitung einer subsumtionsfähigen »Norm für den Entscheidungsfall« aus den »so rekonstruierten Regeln und Begriffe[n]« im konkreten Fall des Pandektenrechts nicht nur für legitim, sondern für unerlässlich [P.Heck, Rechtsgewinnung (1912), S. 196f.; Ders., Begriffsbildung (1932), § 8, S. 92]. F.Wieacker, Hermeneutik (1963), S. 12 hat in diesem Zusammenhang sogar von einem geradezu notwendigen »Anachronismus« der Begriffsbildung gesprochen: »Denn einer Rechtsdogmatik, deren Hauptstoff die historischen Texte des Corpus Iuris waren, war ein solcher Anachronismus ganz unentbehrlich. […] Folgerichtig erreichte daher die Unterwerfung der römischen Quellen unter anachronistische Begriffe ihren Höhepunkt in der Pandektenwissenschaft, nach dem Puchta und Savigny (dieser kennzeichnend in einem ›S y s t e m des h e u t i g e n römischen Rechts‹) die Begriffsbildung des Naturrechts in die positive Rechtswissenschaft rezipiert« hatten. Vgl. insoweit auch E.Bucher, Begriffsjurisprudenz (1966), S. 370, 374 sowie A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 136 m.w.N. über die schon von daher notwendig zentrale Stellung der juristischen Konstruktion in der Pandektenjurisprudenz des 19. Jahrhunderts. 2815 C.F.Mühlenbruch, Lehrbuch I (21837), § 66, S. 141. 2816 Jhering, Besitzschutz (1869), S. 221. 2817 Vgl. zur Datierung E.Schanze, Culpa (1978), S. 333f. Fn. 18. 2818 B.J.Choe, Culpa (1988), S. 67 sowie ferner dazu E.Schanze, Culpa (1978), S. 327, 339; H.Coing, Privatrecht II (1989), S. 440f. und U.Diederichsen, Jhering (1993/1996), S. 195ff. 2819 E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910), S. 806. 2820 Jhering, Culpa (1861), S. 372. 2821 Nach B.J.Choe, Culpa (1988), S. 1 war »die Rechtsfigur der c.i.c. als solche weder dem römischen Recht noch den neuzeitlichen europäischen Rechtsordnungen vor Jhering bekannt« gewesen.

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Erich Schanze – eine »beispielhafte Ausführung der Methodentheorie«, die Jhering Mitte der fünfziger Jahre formuliert hat2822. Ausdrücklich verwahrte sich Jhering auch 1865 weiterhin dagegen, den Versuch einer juristischen Konstruktion für ein nur »theoretisches Spiel« zu erklären2823. Denn nur dadurch, dass ein »Rechtsgeschäft auf vorhandene Begriffe zurückgeführt werden kann, gewinnt es rechtlichen Bestand, denn, was nicht abstract möglich ist, kann auch nicht concret wirklich werden.«2824 Selbst soweit »eine Frage der juristischen Construction« – so Jhering im Jahre 1871 – »ohne alle practische Consequenz« sei, sei sie damit noch nicht irrelevant, denn es »verdient auch in solchen Fragen das Correcte den Vorzug vor dem Incorrecten«2825. So wie der junge Jhering einst »die Lehre von der Theilbarkeit und Untheilbarkeit der Rechte […] wegen der unendlichen Feinheit und Kunst, mit der sie ausgearbeitet ist, eine civilistische Filigranarbeit« und »Meisterstück in dieser Beziehung« genannt hatte, ein konkretes Beispiel »der eigentlich schöpferischen Thätigkeit der höheren Jurisprudenz«, die »von jedem gesetzlichen Anhaltspunkt verlassen, lediglich [rein2826] auf sich selbst, [d. h. auf die naturhistorische Methode2827,] die Erschließung der innern Nothwendigkeit, die Erforschung der Natur der Sache angewiesen war«2828, so zählte er diese auch noch 2822 E.Schanze, Culpa (1978), S. 333f., 343; B.J.Choe, Culpa (1988), S. 99f., 132 sowie zustimmend K.Luig, culpa (1990), S. 72. Ferner auch schon F.Jerusalem, Rechtswissenschaft (1948), S. 154f.; H.-E.Henke, Begriffsjurisprudenz (1967), 392 und – mit kritischem Unterton – W.Fikentscher, Methoden (1976), S. 185. O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 177f. Fn. 165 sieht in Jherings Konstruktion der »culpa in contrahendo« allerdings den Anwendungsfall einer bereits modifizierten naturhistorischen »Begriffstechnik des kritisch gewordenen Jhering«. 2823 Jhering, Bemerkungen (1865), S. 376. Jhering wehrte sich damit gegen eine entsprechende Unterstellung von Eugen Kindervater in der Diskussion über die juristische Konstruktion von Versteigerungen. Jherings Einlassungen zu dieser Frage bieten nach M.G.Losano, Bibliographie (1970), S. 262 (Nr. 35) »ein interessantes Beispiel für eine Polemik über ein konkreten Fall von Rechtskonstruktion.« Vgl. dazu auch schon Teil 1, S. 208f. 2824 Jhering, Geist III/1 (11865), § 53, S. 126. 2825 Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 224. Zu Recht nehme man »Anstoß« an einer »falschen juristischen Construction«, denn »für den richtigen Gedanken« sei »auch die richtige Form zu finden« (aaO). Vgl. auch Jhering, Geist III/1 (11865), § 55, S. 224 zum »feine[n] Sinn für die Correctheit der juristischen Form«, der sich bei den Römern bewährt habe. Wenn sich Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 360 auch einmal dafür aussprach, »an richtiger Stelle den Mut der Ungründlichkeit [sc. zu] haben«, dann meinte er das nur in didaktischer Hinsicht, also im Hinblick auf den Rechtsunterricht. 2826 Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 14 (Textänderung). 2827 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 17. Die in Klammern und Kursivdruck gesetzten Worte hat Jhering in Ges. Aufs. I (1881), S. 14 gestrichen. 2828 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16f. (= Ges. Aufs. I, S. 14). So nannte Jhering die »Lehre von der Theilbarkeit eine der stoffreichsten, umfangreichsten« [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 412] bzw. »feinsten« Schöpfungen der römischen Jurisprudenz, »die es gibt« [Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 387].

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1889 mit fast denselben Worten zu den von der römischen Jurisprudenz »ganz ausschließlich auf dem Boden des Ab s t r a c t e n « gewonnenen »Meisterstücken des juristischen Scharfsinns«, der die »Begriffe […] bis in ihre feinsten Verzweigungen verfolgt«2829. Allerdings hat Jhering in seiner Spätzeit – inzwischen methodenkritisch geworden – nicht zuletzt mit Blick auf die zeitgenössischen Untersuchungen unter anderem zur Frage nach der »Untheilbarkeit der Obligationen«2830 auch klargestellt, dass »weitläuftige Untersuchungen über die feinsten juristischen Fragen des corp. juris« noch kein Wert an sich seien, besonders wenn ihnen »das dogmatische Endresultat für das heutige Leben so gut wie fehlt«2831. Verworfen hat der methodenkritisch gewordene Jhering damit aber nur die naturhistorische Untersuchung ausschließlich aus bloßer »Lust und Freude an Entdeckungen«, für deren Ergebnisse »auch gar kein [sc. konkret erkennbarer] Nutzen abzusehen« sei2832. Die von Jhering unterschiedenen Fundamentalgesetze im Rahmen der sogenannten objektiven Technik waren von dieser späteren Wende Jherings aber nur teilweise betroffen. (1) Das Gesetz der Deckung Gar nicht betroffen von Jherings methodenkritischen Wende war das von ihm sogenannte »Gesetz der Deckung des positiven Stoffs«, das nach Jherings lebenslanger Auffassung den Ausgangspunkt und die unabdingbare Voraussetzung für jede juristische Konstruktion bildete2833. Nach dieser Konstruktionsregel waren die 2829 Jhering, Besitzwille (1889), S. 94f. 2830 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 83. Vgl. dazu in seinen editorischen Hinweisen in Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 83 Fn. 99f. die von Okko Behrends angeführten Belege, die nur einen kleinen Ausschnitt aus den vielen zeitgenössischen Schriften zu den mit dem Begriff der Obligation verbundenen juristischen Fragen bilden. Die von Jhering an derselben Stelle angeführten Gesamtschuldverhältnisse (»Correalobligationen«), bezeichnet H.Kiefner, Einfluß Kants (1969), S. 17 geradezu als einen »Tummelplatz der Konstruktionen« im 19. Jahrhundert. Vgl. auch Jhering, »Zweiter Brief« (1861) und »Sechster Brief« (1866) von einem Unbekannten, wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 8ff., 107 sowie Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 250, 256, 281. 2831 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 83; Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 359. 2832 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 15). In den fünfziger Jahren hatte Jhering allerdings gerade mit der praktischen Aufgabe der wissenschaftlichen Jurisprudenz für die Notwendigkeit einer ganz zweckfreien naturhistorischen Forschung argumentiert (aaO); und dass eine »Wissenschaft, um practisch zu sein, sich nicht auf das Practische beschränken darf«, hat er auch später noch bekräftigt (vgl. oben S. 525) . Dass er aber in den sechziger Jahren nicht mehr in jeder naturhistorischen »Entdeckung« einen zugleich auch zumindest potentiellen Nutzen für die Rechtspraxis sah, hing mit seiner inzwischen veränderten Auffassung über den Anteil der »Logik« an der Rechtsfindung zusammen. 2833 Zu pauschal ist daher das Urteil von M.G.Losano, Studien (1984), S. 26f., wonach die

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»positiven Rechtssätze […] die gegebenen Punkte, bei denen die juristische Construction, wie immerhin sie dieselben auch verbinden möge, unter allen Umständen anlangen muß«2834.

Noch im Vorwort zu seinem letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Werk »Der Besitzwille« wies Jhering darauf hin, dass es die mangelnde Deckung mit »einige[n] Stellen« im Corpus iuris civilis gewesen war, die ihn Mitte der vierziger Jahre »zuerst an der Richtigkeit der S av i g ny ’schen Besitztheorie irre gemacht« habe2835. Das »Uebersehen der entgegenstehenden Zeugnisse der Quellen« bildete mithin auch Punkt 1 in Jherings »Sündenregister« im Rahmen seiner 1889 noch einmal zusammengefassten »Kritik der herrschenden juristischen Methode«2836. Zu Recht hat Erich Schanze daher die Digestenexegese zur Begründung eines Anspruchs aus »culpa in contrahendo« als eine keineswegs nur lästige Pflichtübung Jherings bezeichnet2837. Auch die von Jhering für den Fall des Fehlens eines entsprechenden Anspruchs konstatierte »Unbilligkeit und praktische Trostlosigkeit«2838 hätten nach Jhering nichts daran ändern können, dass der Anspruch »als völlig unconstruirbar anzuerkennen« wäre, wenn er nicht an die Quellen »anzulehnen« gewesen wäre2839 oder wenn sich dies – so Jhering allgemein zum Gesetz der »juristischen Deckung« – »nur in höchst gezwungener, gekünstelter Weise [sc. hätte] bewerkstelligen« lassen2840. Wie die Frage nach der »Deckung des positiven Stoffs« im Einzelfall zu beantworten war, hing nach Jhering immer auch von der Gestalt des jeweiligen »positiven Stoffs« ab und war damit eine Frage der von Jhering sogenannten objektiven Technik. Im Falle von Regelungen des modernen staatlichen Gesetzgebers sollten diese maßgeblich sein. Die abstrakte Konstruktion beschränkte sich hier also auf deren systematische Einordnung sowie die »Ver-

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maßgeblich auch von Jhering repräsentierte Konstruktionsjurisprudenz zwischen 1850 und 1855 »aufhört[e], sich den Quellen anzupassen, um stattdessen die Quellen sich selbst anzupassen«. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 388. Nicht zureffend ist daher die Feststellung von R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 225f., dass Jherings naturhistorische Methode den Juristen bis hin zur Rechtsfortbildung contra legem »vom Gesetzgeberwillen freistellen und ihn nur noch mit ihren [sc. der naturhistorischen Methode] eigenen Gesetzmäßigkeiten verbinden« wollte. Jhering, Besitzwille (1889), S. VI. So warf Jhering, Besitzschutz (1869), S. 174f. Savigny und auch Puchta, der im wesentlichen »die S a v i g ny ’sche Auffassung [sc. über den Besitz] theilt[e]«, vor, dass sie »im unerschütterlichen Glauben an die Wahrheit ihres Axioms [sc. bei der juristischen Konstruktion] […] an diesen Stellen [sc. der Quellen] mit verschlossenen Augen vorübergegangen« seien. Jhering, Besitzwille (1889), S. 536f. E.Schanze, Culpa (1978), S. 337 sowie Jhering, Culpa (1861), S. 333ff. selbst. Jhering, Culpa (1861), S. 328; Ders., Mitwirkung I (1857), S. 128 Fn. 7. Jhering, Culpa (1861), S. 348. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 48 (= Ges. Aufs. I, S. 41).

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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suche [der Wissenschaft], die praktischen Sätze rationell zu erklären«2841. Diese Erklärung durfte entsprechend dem Gesetz der Deckung nicht nur mit dem konkret einschlägigen Gesetz, sondern mit allen in einer Privatrechtsordnung geltenden Rechtsregeln nicht in Widerspruch stehen2842. Im Falle des Pandektenrechts hingegen, wo schon allein die Formulierung der Rechtsregel und für den Fall einer bereits im Corpus iuris civilis formulierten Rechtsregel deren Überprüfung am »positiven Stoff« eine juristische Konstruktion durch die Jurisprudenz notwendig machte, war die Bindung an das geltende Recht naturgemäß lockerer als bei neuzeitlichen Gesetzen2843. Zwar sprach Jhering auch in Bezug auf die Quellentexte des Corpus iuris civilis vom »Gesetzgeber«2844 und der »gesetzlichen«2845 Regelung. Aber das bezog sich nur auf einen von der Wissenschaft erst festzustellenden Teil der Quellentexte, nämlich den eigentlich bindenden »positiven Stoff«, also insbesondere die in den Pandekten überlieferten »Entscheidungen c on c re t e r Re c ht s f ä l l e «2846 im Unterschied zu der jeweils nur »theoretischen Abstraction, der ›regula juris‹ eines römischen Juristen«2847. Alles andere im Corpus iuris civilis, mochte es auch »einen rechtsphilosophischen oder legislativ-politischen Werth haben«, kam dagegen für die gemeinrechtliche Feststellung des positiven Rechts und der sich daraus ergebenden »dogmatischen[n] Wahrheit« theoretischer Begriffsbildung nicht in Betracht2848. Somit war die Rechtswissenschaft im speziellen Falle des Pandektenrechts in gleich zweifacher Hinsicht gefordert2849. Zum einen oblag es ihr, den soge2841 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 400 [=Ders., Geist II/2 (31875), § 41, S. 374 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz in der dritten Auflage von 1875]. 2842 Vgl. nur Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 252, 268ff. mit Beispielen aus dem preußischen ALR. 2843 F.Wieacker, Pandektenwissenschaft (1968), S. 12; Staudinger-Coing, BGB (131995), Rz 204. 2844 Vgl. nur Jhering, Sell-Rezension (1847), S. 63f. und auch noch Ders., Besitzwille (1889), S. 232. 2845 Vgl. nur Jhering, Reivindicatio (1857), S. 107. 2846 Jhering, Besitzwille (1889), S. 271. 2847 Jhering, Besitzschutz (1869), S. 221. Vgl. auch Jhering, Abhandlungen (1844), S. 225 sowie Ders., Mitwirkung II (1858), S. 249f.: Allein »in Fragen der juristischen Construction sind wir durch den Vorgang der römischen Juristen und die positive Autorität unserer Quellen nicht gebunden.« 2848 Jhering, Besitzschutz (1869), S. 31. 2849 Nicht weiterführend für das Verständnis dessen, was Jhering mit dem Gesetz der Deckung des positiven Stoffs meinte, ist daher die Feststellung von M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 152; Ders., Studien (1984), S. 126, dass man nach diesem Jheringschen Konstruktionsgesetz »nicht mehr und nicht weniger konstruieren kann, als positiv statuiert ist«. Die Frage, warum dann überhaupt noch eine Konstruktion notwendig gewesen sein sollte, bleibt hier ebenso unbeantwortet wie die entscheidende Frage, auf welche Weise denn festgestellt werden sollte, was »positiv statuiert ist«. Vgl. auch bereits die Kritik von A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 200 Fn. 65 an den vorstehenden Ausführungen von Losano.

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nannten positiven Stoff der Quellentexte gegebenenfalls in »die Form eines abstracten Re c ht s s at z e s «, »eines Re c ht s p r i n c i p s « zu bringen2850. Dabei hatte sich die Pandektenjurisprudenz möglichst »des exegetischen Geplänkels [sc. zu] enthalte[n]« und »den Ausschlag nicht in einzelnen Quellenstellen«, sondern – soweit aus der Gesamtheit der einschlägigen Quellenstellen ermittelbar – »in den allgemeinen Principien des Rechts zu suchen«2851. Entscheidend sollte dabei der »Gesammteindruck [sein], den die Quellenäußerungen […] machen«2852. Denn es sei – so meinte Jhering insoweit ganz im Sinne der Historischen Rechtsschule – »immer ein kümmerlicher Nothbehelf sich auf den bloßen Buchstaben zurückzuziehen«2853. In diesem Zusammenhang wollte Jhering nicht einmal ausschließen, dass »man vom Standpunkt der justinianischen Compilation aus den Worten […] Gewalt anthun muß«, wenn »um diesen Preis eine Vereinigung […] mit den sonstigen Quellenäußerungen gewonnen werden kann«2854. Wenn allerdings zwei »Stellen« mit einer konkreten rechtlichen Regelung eindeutig in einem »gegenseitigen Ausschließungsverhältniß stehen, heben sie sich gegenseitig auf, wovon denn die Folge ist, dass die Wissenschaft freie Hand bekommt und die Frage so entscheidet, als ob sie in den Quellen gar nicht berührt worden wäre«2855, das heißt also nach den allgemeinen Rechtsprinzipien, die aus den Quellen ableitbar sind. Das bedeutete nach Jhering allerdings noch keineswegs, dass damit nach geltendem Recht auch immer die »sachlich vollkommen richtig[e]« Lösung zur Anwendung kommen könne, selbst wenn theoretisch »ein neueres Gesetzbuch […] dieselbe ohne allen Anstand adoptiren« könnte2856. Die andere von der Feststellung des positiven Rechts durch den Nachweis einer »äußeren Beglaubigung durch die Quellen«2857 grundsätzlich zu unterscheidende Aufgabe der Rechtswissenschaft war nach Jhering dagegen »von rein doctrinärem Interesse; sie betrifft lediglich die richtige Construction«2858 bzw. 2850 Jhering, Besitzwille (1889), S. 271f. 2851 Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 8, 77. Wo eine Quellenstelle aus allgemeinen Prinzipien nicht erklärbar war bzw. gegensätzliche Auffassungen über die anwendbaren allgemeinen Rechtsprinzipien »nicht wissenschaftlich zum Austrag gebracht« werden konnten, blieb allerdings nach Jhering »für den Praktiker nichts übrig […], als sich einfach an die [sc. einzelnen ausdrücklichen] Entscheidungen der Quellen zu halten« (aaO, S. 79). 2852 Jhering, Solidarobligation (1886), S. 459. 2853 Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 79. 2854 Jhering, Kaufcontract II (1861), S. 471. 2855 Jhering, Krit, u. exeg. Allerlei II (1877), S. 447. 2856 Jhering, Krit. u. exeg. Allerlei II (1877), S. 448. 2857 Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 48. 2858 Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 280f. Fn. 128 a.E. sowie S. 317ff. hier konkret zu der Frage, ob der nach der positiven Regelung des römischen Rechts vollkommen unstrittige Schutz der dinglichen Anwartschaft mit der dogmatischen Figur »der rückwirkenden Kraft der Bedingung« oder der Figur einer dinglichen »Gebundenheit der Sache«

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den »inneren juristischen Charakter« einer zuvor festgestellten positiven Regelung2859, das heißt deren wissenschaftliche Einordnung in das Gesamtgefüge der einschlägigen Regelungen sowie die Klärung ihrer theoretischen wie auch praktischen Bedeutung. Denn ansonsten müsste – so Jhering in seinen Spätschriften – eine »positivrechtliche Thatsache einfach [sc. nur] registrirt werden« von der Rechtswissenschaft, ohne dass letztere sie »dem juristischen Denken […] zugänglich und verständlich« machen, sie »in das logische Gefüge des Rechts, wie ich es einmal nennen will, einreihen« würde2860. Nicht anders hatte Jhering auch bereits in einer seiner frühesten Schriften diese Alternative als »einen um rationelle Erfassung und Darstellung des Rechts unbekümmerten Empirismus« charakterisiert, in dem sich »eine große wissenschaftliche Unmündigkeit« ausdrücken würde, eben der Verzicht auf Rechtswissenschaft überhaupt2861. Für die juristische Geltung eines Rechtssatzes war die sogenannte rationelle Erfassung, also die »juristische Construction dieses Satzes« durch die Wissenschaft allerdings eine »untergeordnete, praktisch […] völlig einflußlose Frage«2862, und zwar ganz unabhängig davon, ob die Geltung des Rechtssatzes auf Gesetz oder auf Gewohnheitsrecht basierte bzw. ob er sich unmittelbar aus den Quellen des römischen Rechts ergab oder auf der Grundlage der Quellen erst von der Jurisprudenz formuliert werden musste2863.

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erklärt werden müsse (aaO, S. 310). Mochte der Beantwortung dieser Frage neben der theoretischen auch eine gewisse unmittelbar praktische Bedeutung zukommen (vgl. etwa aaO, S. 311), so ging es hier nach Jherings Worten doch nicht um die Formulierung eines »R e c h t s s a t z [ e s ] «, was allein »Sache der legislativen Erwägung« des Gesetzgebers sei, sondern um die wissenschaftliche »Constatirung eines Rechts p h ä n o m e n s . Der Rechtssatz lehrt uns die rechtliche N o t hw e n d i g k e i t , das Rechtsphänomen die rechtliche M ö g l i c h k e i t eines gewissen Vorgangs« (aaO, S. 253). Jhering, Bereicherungsklage (1878), S. 48. Jhering, Besitzwille (1889), S. 272f.; Ders., Passive Wirkungen (1871), S. 179. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 155. Jhering, Kaufcontract I (1859), S. 323 (Kursivhervorhebung nicht im Original); Ders., Passive Wirkungen (1871), S. 309. Es wäre daher ein Missverständnis, wenn man den im Text zitierten und – außerhalb seines Kontextes betrachtet – missverständlichen Halbsatz Jherings über die »völlig einflußlose Frage« der juristischen Konstruktion wie zum Beispiel Jan Schröder in: G.Kleinheyer/J.Schröder, Deutsche Juristen (31989), S. 138 oder A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 139 als eine – frühe – Kritik an der Notwendigkeit begrifflicher Konstruktion verstände. Dagegen zu Recht O.Behrends, Jhering (1987), S. 254 Fn. 81. Vgl. als Beispiel für den letztgenannten Fall etwa den von Jhering formulierten Anspruch aus culpa in contrahendo: Zunächst musste von der Jurisprudenz überhaupt erst der den Anspruch begründende Rechtssatz aus dem »in den Entscheidungen der Quellen mehr verborgenen, als ausgesprochenen Inhalt« des geltenden Rechts formuliert werden [Jhering, Culpa (1861), S. 333]. Aber »allein eine Einsicht in die juristische Natur desselben [sc. des Anspruchs] ist damit noch keineswegs gewonnen […].« Daher mußte nun die nach »Gewinnung einer quellenmäßigen Grundlage« für den Anspruch praktisch wohl einflusslose, aber wissenschaftlich, nämlich für die Einordnung des Anspruchs in das Gesamtsystem des Rechts sowie zur »detaillirteren Behandlung des Verhältnisses« uner-

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Entsprechend dem Gesetz der Deckung galt nach Jhering allerdings auch für die juristische Konstruktion, dass sie dann, wenn sie nicht »mit den Entscheidungen und Aussprüchen unserer Quellen in Uebereinstimmung steht«, nicht »w a h r « sei2864. Umgekehrt bezeichnete Jhering aber eine ausdrückliche Bestätigung durch Quellen- bzw. Gesetzesbeleg bei allen »Fragen der juristischen Construction« – unabhängig davon, ob sie von aus dem Pandektenrecht abgeleiteten Regelungen oder von neuzeitlichen Gesetzesbestimmungen wie »z. B. im preußischen Landrecht«2865 ausgehen – als unnötig bzw. »mehr zur Decoration und zur Beruhigung zeugnißbedürftiger Gemüther« dienend2866. Selbst gegenteilige »Formulirungen und Abstractionen der römischen Juristen binden uns nicht«2867. Denn – so meinte Jhering »zu allen Constructionsversuchen der römischen Juristen – decken sie sich mit dem positiven Recht, so nehmen wir sie an, wo nicht, so weisen wir sie als verfehlt zurück. Aber auch wo sie sich mit demselben decken, dürfen wir ihnen keine weitere Geltung zugestehen, als sie selber beanspruchen: eine rein f o r m a l - t e c h n i s c h e , sie sind nichts als D e n k f o r m e n für die juristische Vorstellung oder Anschauung«2868.

(2) Das Gesetz des Nichtwiderspruchs »Consequenz – Construction – Speculation«, das sind für Jhering lebenslang die drei Begriffe geblieben, die eine wissenschaftliche »Dialektik […] rein f o r m a l e r Operationen« bezeichneten2869. Dabei war die hier zuletzt genannte »Operation«, die im Rahmen der Rechtsdogmatik wohlgemerkt nicht philosophische2870, sondern »juristische Speculation«, welche man auch »die Deduction aus der Natur der Sache genannt hat«2871, in Jherings Terminologie nur ein

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lässliche »Begründung der Theorie der culpa in contrahendo« folgen (aaO, S. 333f. Fn. 7, S. 346). Vgl. unmittelbar dazu auch E.Schanze, Culpa (1978), S. 337ff. Jhering, Besitzschutz (1869), S. 222 Fn. 198a. So war beispielsweise im Falle des von Jhering, Rechtsschutz (1885), S. 268 »aufgestellten Begriff[s] der injuriösen Rechtsverletzung« die abstrakte begriffliche Definition »mittelst Betrachtung der einzelnen Fälle« in den Quellen »zu b e w e i s e n und sodann […] casuistisch zu v e r a n s c h a u l i c h e n .« Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 252. Jhering, Mitwirkung II (1858), S. 249. Jhering, Besitzwille (1889), S. 480. Jhering, Besitzwille (1889), S. 272. Dem hier zitierten Satz aus Jherings Spätzeit lag allerdings auch schon die nach seiner wissenschaftskritischen Wende vorgenommene Neubestimmung des Verhältnisses von rechtswissenschaftlicher Theorie und juristischer Praxis zugrunde [vgl. Teil 1, Abschnitt III. 2. b)]. Jhering, Zweck II (11883), S. 102. Vgl. zur Unterscheidung von philosophischer und juristischer Spekulation schon Teil 1, S. 240f. Fn. 1163. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 8 (= Ges. Aufs. I, S. 7); Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 412f. Entwicklungsgeschichtlich gesehen betrachtete Jhering, Besitzwille (1889), S. 91, 93, 96 das Aufkommen »der juristischen Spekulation« im Hinblick auf die »gewaltige Leistung des juristischen Abstractionsvermögens« als Ausdruck »des Fortschrittes des juristischen Denkens«.

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Synonym für die juristische »Construktion«. Diese wiederum war – wie Jhering immer hervorhob – »mehr als formale Logik und Consequenz«2872, insofern sie im Findungs- bzw. Entdeckungsprozess immer eine nicht formalisierbare schöpferische »Intuition« bei der Formulierung der Begriffe und ihrer Anwendung auf konkrete Fälle erforderte. Da die Begriffe nach Jherings Rechtsquellenlehre aber keineswegs »aus dem Nichts geschaffen« sein durften, weil »ich den ›Stoff‹ doch als gegeben voraussetze […] und der Jurisprudenz nur die Aufgabe seiner Erhebung zur höhern d. h. begrifflichen Form vindicire« ohne ein Recht zur inhaltlichen Änderung desselben2873, bezeichnete er die Konstruktion bzw. juristische Spekulation ungeachtet des kreativ-intuitiven Anteils an ihrer Entstehung als eine rechtsquellentheoretisch »formale« Operation. Aber auch die von Jhering selbst sogenannten Operationen der »bloß formalen Logik und Consequenz«2874 sind keineswegs im modernen Sinne formalisierbarer logischer Schlüsse2875 zu verstehen. Letzteres gilt erst recht für den Begriff der Deduktion, der für den heutigen Leser einschlägiger Texte aus der Zeit der Pandektenwissenschaft äußerst missverständlich sein kann, bildet doch gerade dieser Ausdruck heute einen praktisch nicht mehr in anderen Zusammenhängen verwendeten Zentralbegriff der modernen Logik und Mathematik2876. Dabei verwendete speziell Jhering den Ausdruck »Deduktion« in einem

2872 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 12 sowie Ders., Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 11. 2873 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 369f. Fn. 529a (mit Verweis auf S. 344) bzw. auch schon Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 388f., 412ff. Wenn Jhering hier in rechtsquellentheoretischer Hinsicht etwas missverständlich von der »auf dem Wege der j u r i s t i s c h e n S p e c u l a t i o n « erfolgenden »Hervorbringung eines absolut neuen Stoffes« sprach (aaO, S. 412), dann hatte er mit letzterem keinesfalls neue materiellrechtliche Regelungen im Sinn, die die rechtsquellentheoretische Zuständigkeit der Jurisprudenz überstiegen. Vielmehr bezog er dies – wie er in Geist II/2 (21869), § 41, S. 369f. Fn. 529a eben im Hinblick auf die insoweit »in materieller wie formeller Beziehung […] schöpferische Thätigkeit« noch einmal klarstellte – auf die Gesamtheit »neuer Rechtswahrheiten«, also auf alle wissenschaftlichen Rechtslehren, die die Rechtsdogmatik auf der Grundlage des geltenden Rechts zur Vorbereitung und Erleichterung von dessen Anwendung formulierte. Vgl. im übrigen schon Teil 1, Abschnitt III zu Jherings Rechtsquellenlehre. 2874 Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 11. 2875 Vgl. zum Verhältnis moderner Logik und überkommener juristischer Logik G.Haverkate, Gewißheitsverluste (1977), S. 133f. m.w. N. Die moderne formalisierbare Logik setzt einen engen Begriff der Logik voraus, der sich ausschließlich auf nicht inhaltliche bzw. »formale Regeln, d. h. auf Regeln, deren Geltung von einem spezifischen Anwendungsbereich unabhängig ist«, bezieht [vgl. U.Neumann, Juristische Logik (51989), S. 256f., 271]. 2876 Vgl. etwa K.Lorenz, Artikel »Deduktion« in: J.Ritter, Hist.Wörterbuch/Bd.2 (1972), Sp. 27. Die Frage, ob Deduktionen in diesem engen Sinne der modernen Ausdrucksweise der Wissenschaft der Logik auch in juristischen Begründungen eine tragende Rolle spielen können oder nicht [vgl. dazu nur E.v.Savigny, Methode (1971), S. 328ff.; H.Rüssmann,

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sogar noch weiteren Sinn, als es entsprechend dem fachwissenschaftlichen Sprachgebrauch der Zeit schon Puchta und andere zeitgenössische Rechtslehrer getan hatten. Denn Jhering subsumierte nicht nur – wie Puchta – »jedes ›vernünftige‹ (was hieß: mit Gründen versehene) Argument«2877 unter diesen Begriff, sondern praktisch jede Art von argumentativer Begründung, zuweilen sogar eine solche Argumentation, bei der die »Deduction […] den Stempel einer Auffassung an der Stirn [trägt], welche sich als die des Laien über juristische Dinge charakterisiren lässt« und von welcher sich die Rechtsprechung nie leiten lassen dürfe2878. Die spezifisch wissenschaftliche Deduktion aufgrund »einer bloß formalen Logik und Consequenz«2879 verstand allerdings auch Jhering in einem sehr viel engeren Sinne. Immerhin führte er bis in seine letzten Lebensjahre hinein »die Beweisführung des Dogmatikers […] ebenso wie die des Mathematikers« auf die Beweiskraft »des l o g i s c h z w i n g e n d e n « Grundes zurück und stellte sie der »Beweisführung des Historikers« aufgrund »des h i s t o r i s c h au s re i c h e n d e n G r u n d e s « entgegen2880. Und gegenüber Savignys oder auch Windscheids »Freiheit vom Begriffszwang«2881 betonte Jhering zeit seines Lebens beharrlich, dass »in den Begriffen, die wir einmal haben, etwas Obligatorisches«2882 bzw. – so Jhering 1881 – »etwas logisch Zwingendes«2883 liege. Denn eine »R e g e l verträgt Widerspruch d.[as] i.[st] Ausnahmen, ein B e g r i f f nicht.«2884 Noch in seiner letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Schrift »Der Besitzwille« kritisierte Jhering an der gegnerischen Besitztheorie, dass sie in ihrer Begründung nicht »streng logisch« vorgegangen sei2885. Auch bekannte er sich dort noch zu der möglichen wissenschaftlichen Bedeutung »der juristischen Consequenz […]: kurz gesagt des B e g r i f f s z w a n g e s «2886 – Sätze, die Windscheid zu der – allerdings nicht

2877 2878 2879 2880 2881

2882 2883 2884 2885 2886

Gesetzesbindung (1990), S. 35ff. und H.-J.Koch, Deduktive Entscheidungsbegründung (1990), S. 69ff. m. w. N.], gehört allein in den Kontext heutiger Methodendiskussion. So die von R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 218 Fn. 83, S. 224 Fn. 107 stammende Kurzcharakterisierung dessen, was sich hinter den zeitgenössischen Modetopoi wie »Logik«, »Abstraktion«, »Deduktion« auch bei Jhering tatsächlich verbarg. Jhering, Gotthardbahn-Gutachten (1884), S. 10. Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 11. Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 32. So O.Behrends, Savigny (1985), S. 306, 314, 320f. in bezug auf Savignys näher am antiken Vorbild liegenden Umgang mit den technischen Institutsbegriffen des römischen Rechts. Vgl. im Übrigen zu Windscheids Kontroverse mit Jhering über die Grenzen konstruktiver Freiheit schon oben S. 461f. Fn. 2282. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 29 Fn. 9. Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 25 Fn. 9. Jhering, Besitzwille (1889), S. 337; Ders., Geist II/2 (11858), § 41, S. 400. Jhering, Besitzwille (1889), S. 81. Jhering, Besitzwille (1889), S. 129. Denn – so lautete Jherings Begründung im Jahre 1889 – die »Jurisprudenz kann sich einmal der Nöthigung, die Begriffe bis in ihre feinsten Spitzen und Verzweigungen zu verfolgen, nicht entziehen, und nicht selten gelingt es ihr, in diesen

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mehr zu Jherings und Windscheids Lebzeiten veröffentlichten – Bemerkung veranlassten, dass der späte Jhering mit seinem Verweis auf einen wissenschaftlichen Begriffszwang »ein Stück Begriffsjurisprudenz« propagiere, das »schlimmer [ist], als alles, was J.[hering] jemals der heutigen Rechtswissenschaft vorgeworfen hat.«2887 Dennoch sollte weder Jherings noch in späten Jahren gezogener Vergleich der »Beweisführung« des Rechtsdogmatikers mit derjenigen des Mathematikers noch die Charakterisierung der Beweisführung als »logisch zwingend«, »formal« oder ähnliches darüber hinwegtäuschen, dass diese Charakterisierungen in der Sprache und im Denken von Jherings Zeit nicht dasselbe bedeuteten wie heute2888. Wogegen sich Jhering immer ausdrücklich wandte, war eine Art von »Opportunitätslogik«2889, nämlich ein unpraktischen Regionen Begriffsmomente zu entdecken, die für die richtige Fassung des Begriffs und damit zugleich für seine praktische Verwerthung sich als höchst fruchtbar erweisen« (aaO, S. 130). Soweit letzteres nicht gelänge, war nach Ansicht des späten Jhering allerdings der »Vorwurf des müßigen Geistesspiels« berechtigt, was »alle die, welche die Bestimmung der Wissenschaft darein setzen, dem Leben zu dienen, nur mit Bedauern erfüllen« könne (aaO, S. 131). Vgl. auch die folgende Fußnote. 2887 Diese Bemerkung stammt nach Auskunft von Theodor Kipp, dem späteren Herausgeber von Windscheids Lehrbuch, aus einer Kipp damals als handschriftliches Manuskript vorliegenden »zusammenhängende[n] Darstellung«, die Windscheid als Kritik an Jherings 1889 erschienener Monographie »Der Besitzwille« verfasst hatte. Theodor Kipp hat Windscheids Bemerkungen in dessen Lehrbuch posthum veröffentlicht [B.Windscheid, Pandekten I (91906), § 148, S. 737f. Anm. 4a]. Windscheids einstige Kritik an Jhering nimmt heute U.Falk, Gegensatz (1990), S. 237 wieder auf, wenn er meint, dass man zumindest unter Anlegung der heute »üblichen methodengeschichtlichen Maßstäbe« eine Kontinuitätslinie von »der Begriffsjurisprudenz (Jhering 1857) zur Begriffsjurisprudenz (Jhering 1871)« ziehen und im Hinblick auf Jherings im Text zitierte Äußerung über die Bedeutung des »›Begriffszwangs‹ selbst noch für den Jhering des Jahres 1889« diesen Nachweis führen könne. Allerdings schadet auch hier eine allzu plakative Vereinfachung auf Schlagworte. Denn nicht übersehen werden darf die Tatsache, dass Jhering in seiner Spätzeit weder einer »rein begrifflichen, d.[as] i.[st] alles praktischen Interesses baren« Begriffsjurisprudenz das Wort reden wollte [Jhering, Besitzwille (1889), S. 131] noch unbesehen von der nur wissenschaftlichen bzw. naturhistorischen Wahrheit auch auf die juristische Richtigkeit einer rechtsdogmatischen Konstruktion geschlossen hat. Anders T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 209 Fn. 1. 2888 So zu Recht schon R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 226, die auch auf Jherings inkonsistente Verwendung des Logikbegriffs hinweist. Ebenso A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 19 und J.Rückert, Geist des Rechts I (2004), S. 133. Vgl. im Übrigen auch W.Krawietz, Artikel »Logik, juristische« in: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.5 (1980), Sp. 423f., 431f. zu der erst später eingetretenen Bedeutungsverengung des Begriffs der juristischen Logik, der »bis weit in das 19. Jahrhundert hinein […] nicht bloß die L.[ogik] als solche meinte, sondern auch die spezifische Methodologie der Jurisprudenz als einer fachlich gebundenen Einzelwissenschaft mit einschloß«. Selbst in der allgemeinen Logik, heute üblicherweise verstanden als die Theorie aller Aussagen, deren Wahrheit allein aufgrund ihrer Form und nicht ihres Inhalts feststellbar ist [vgl. U.Neumann, Juristische Logik (51989), S. 271], liegen die Anfänge der Mathematisierung zur Sicherstellung einer streng formalen Logik erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts [H.J.Störig,

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»beständiges dialektisches Sichdrehen und Winden, eine Casuistik und Dialektik des Augenblicks, welche bei dem einzelnen Fall hinterher noch mit wesentlichen Momenten herausrückt, von denen bei der Begründung und Fassung des Begriffs selber gar nicht die Rede war, eine Dialektik ›für Alles‹, welche stets beweist, was gerade Noth thut und im folgenden Moment vergessen hat, was sie eben vorher gesagt hat.«2890

Entsprechend kritisierte Jhering die »Mißhandlung der Sprache und des gemeinen Denkens – unbewiesene Prämissen – fehlerhafte Schlüsse«2891 zum Beispiel durch bloß »spitzfindige Argumentation[en]« als vorgeblichen Beweis der »allgemeine[n] Anwendbarkeit« einer Regel2892 oder durch ein »Gewirre spitzfindiger und überschlagender Deduktionen«, nur um nicht ein »Stück römisches Recht über Bord« werfen zu müssen2893. Im Übrigen aber bedeutete die von Jhering in der Sprache seiner Zeit sogenannte »dialektische Fortbewegung eines und desselben Gedankens«2894 im Wege einer »streng logischen Deduc-

2889 2890

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Wissenschaft II (1982), S. 75]. Ein früher Versuch, die auf dem Gebiet der allgemeinen Logik einsetzenden neuen Entwicklungen wie die »Reform durch die Werke von Sigwart und Lotze« auch für die Jurisprudenz nutzbar zu machen, war die akademische Antrittsrede von G.Rümelin, Begriffsbildung (1878), S. 83f. Dieser wollte dort den – bezeichnend zurückhaltend formulierten – Versuch unternehmen, »durch einige formallogische Betrachtungen die Lösung gewisser juristischer Fragen wenn auch nicht herbeizuführen, so doch vorzubereiten.« Dazu J.Edelmann, Entwicklung (1967), S. 71 m.w.N. Nach R.Alexy, Analyse (1980), S. 13 stehen die heutigen Versuche, auch »im Bereich der Jurisprudenz […] mit Hilfe des Instruments der modernen Logik zu neuen Erkenntnissen zu gelangen«, in der Nachfolge des Mathematikers Gottlieb Frege, der 1882 die Vermutung äußerte, dass die von ihm entwickelte Formelsprache für eine präzise Anwendung der allgemeinen Logik auf dem Gebiet der Mathematik auch für andere wissenschaftliche Disziplinen eine Bedeutung erlangen könnte. So formulierte Jhering, Besitzwille (1889), S. 536f. selbst Punkt 6 in seinem späteren »Sündenregister« der »herrschenden juristischen Methode«. So – an dieser Stelle auf Savigny gemünzt – Jhering, Besitzschutz (1869), S. 173f. Ferner Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 261 sowie direkt gegen Puchta Jhering, Besitzwille (1889), S. 283f. Ebenso hat Jhering, Sell-Rezension (1847), S. 54 aber auch schon in jungen Jahren den bloßen »Schein streng logischer Anordnung« oder die Behauptung von Sätzen kritisiert, die zumindest vom eigenen »Standpunkt des Verfs. aus eine juristische Unmöglichkeit, ein Unding« seien und gegen die der besagte Verfasser im Verlauf seiner Argumentation dann auch noch dauernd, »ohne es zu wissen, verstößt […]« (aaO, S. 83). Der junge Jhering sprach insoweit auch vom nur »vermeintlich gründlichen und gewissenhaften Götzendienst der logischen Ordnung« (aaO, S. 51), da hier die Logik und das System nur im Munde geführt, tatsächlich aber eine Scheinlogik verfolgt werde. Diese frühe Kritik am »Götzendienst der logischen Ordnung« ist allerdings nicht zu verwechseln mit Jherings späterer auch die Rolle der Logik selbst betreffenden Kritik am »Götzencultus des Logischen« in der Jurisprudenz [Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 301]. Jhering, Besitzwille (1889), S. 537. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 5. So Jherings Brief vom 12. Dezember 1853 an Windscheid, abgedruckt in: EhrenbergBriefe/1913, Nr. 12, S. 38. Jhering, Geist III/1 (11865), § 53, S. 129. Die »Dialektik des Begriffs« war für Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 303 in ganz unhegelscher Bedeutung nur ein anderer Ausdruck für »Denken« bzw. gedankliche »Abstraction«.

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tion« nur so viel wie eine nachvollziehbare Gedankenabfolge, »bei der ein Glied sich an das andere reiht, keine Lücke gelassen, kein Mittelglied übersehen, kein Sprung gemacht wird.«2895 Und dies schloss – keineswegs beschränkt auf die üblicherweise der »Begriffsjurisprudenz« zugerechneten Juristen2896 – eine Art von Plausibilitätslogik mit ein. Danach wurden Schlussfolgerungen nicht deswegen als »logisch« bezeichnet, weil sie tatsächlich auf im engeren Sinne logischen Gesetzen beruhten, sondern weil sie eine zumindest vordergründige Plausibilität für sich hatten2897, die sie in der Regel aus Vorstellungen bezogen, welche »dem Sprachgebrauch im Bereich der gegenständlichen Welt entsprechen«2898. Insoweit spricht etwa Ulfrid Neumann von einer sogenannten »natürlichen Logik in der juristischen Argumentation«, die im Grunde keine Logik ist, da sie nichts zu tun hat mit der modernen in Kalküle übersetzbaren »formalen« Logik2899, über deren Nutzen für die juristische Argumentation heute diskutiert wird. Jhering hat sich derartige Fragen nach dem Unterschied einer solchermaßen »natürlichen« und einer »formalen« Logik allerdings nie gestellt. Denn für ihn war zeit seines Lebens die Plausibilitätslogik oder »natürliche Logik« noch gleichbedeutend mit »Logik« und »formaler Logik«, ja mit den Denkgesetzen 2895 Jhering, Besitzwille (1889), S. 80. 2896 Vgl. beispielsweise nur A. F.J.Thibaut, Versuche II (11801), S. 295, 300f.: »[…] wenn zwey Rechte direct collidiren, so tritt das ein, was würde statt gefunden haben, wenn beyde Rechte nicht existirten. Diese Regel liegt in der Natur der Sache, und es kann ohne Widerspruch gar keine andre gedacht [sic!] werden. Gleiche Kräfte heben gleiche Kräfte auf, und ein gleiches Recht muß also ein gleiches Recht mit sich selbst vernichten.« Einige Seiten später bekräftigte Thibaut noch: »Zwey gleiche Kräfte, welche einen Gegenstand nach entgegengesetzten Richtungen zu bewegen streben, bringen einen Stillstand hervor: – dieß ist ein Princip, welches in der Physik und überall nicht ohne einen platten Widerspruch geleugnet werden kann.« 2897 So sollte beispielsweise nach Jhering, Festungswerke (1862), S. 149f. die heute selbstverständliche rechtliche Qualifizierung des Eigentums an öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch als Eigentum im Sinne des Privatrechts »mit der Natur des Verhältnisses und [sic!] der juristischen Logik in unversöhnlichen Gegensatz« treten, da Eigentum an öffentlichen Sachen durch das »Recht des G e m e i n g e b r a u c h s « der »natürlichen Anwendungssphäre« des Privateigentums beraubt und damit beide Fälle von »Eigentum« in ihrem »b e g r i f f l i c h e n Kern« nicht mehr wirklich vergleichbar seien (aaO, S. 144ff.). 2898 Vgl. insoweit U.Neumann, Juristische Logik (51989), S. 271f. m. w. N. mit Verweis auf die in diesem Zusammenhang am häufigsten gestellte Frage nach der Möglichkeit von sogenannten Doppelwirkungen im Recht, also etwa die Frage nach der Anfechtbarkeit eines nichtigen Rechtsgeschäfts – eine Frage, die manche bekanntlich noch heute unter impliziter Bezugnahme auf den Bereich der gegenständlichen Welt mit dem begriffsrealistischen und erst Anfang des 20. Jahrhunderts von Theodor Kipp infrage gestellten Argument verneinen, dass etwas Nichtvorhandenes nicht Gegenstand von Handlungen sein könne. Dazu eingehender aus heutiger erkenntnistheoretischer Sicht U.Neumann, Rechtsontologie (1979), S. 47ff., 63ff., 78ff., 86ff. Ferner auch F.Wieacker, Darwinismus (1973), S. 67f. und K.Engisch, Einführung (71977), S. 38ff. m. w. N.. 2899 U.Neumann, Juristische Logik (51989), S. 271.

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überhaupt. So sprach Jhering beispielsweise im Hinblick auf die alte rechtstechnische Figur der Rückwirkung, von ihm charakterisiert als eine »Manipulation […] der Wahrheit« zur »gewaltsamen Umkehrung der ganzen Vergangenheit«2900, allen Ernstes davon, dass es auch »ein logischer Widerspruch [ist], das Dasein des Rechts rückwärts in eine Zeit hinein zu verlegen, wo sein Entwickelungsprozeß zugestandenermaßen noch im Laufen begriffen war«2901. Und Jherings rechtstechnische Figur der »Gebundenheit des Rechtsobjects«, nämlich die »Erkenntniß und Benutzung der juristischen Widerstandskraft« eines Rechtsobjekts2902, diente Jhering nicht nur dazu, beispielsweise die Verhinderung des »Aufrücken[s]« nachstehender Pfandgläubiger anschaulich »juristisch zu erklären«2903. Vor allem erschien sie Jhering notwendig, um unbezweifelbare »Thatsache[n] […] mit der Rechtslogik in Einklang zu setzen« und so in der rechtsdogmatischen Lehre die Vermeidung eines »Widerspruchs mit der juristischen Logik« sicherzustellen2904. Auch den privatrechtlichen »Gegensatz des directen Erwerbs und des Erwerbs durch Reflexwirkung«2905, wie Jhering das juristische »Seitenstück zu den Re f l e x b e w e g u n g e n des thierischen Organismus« nannte2906, charakterisierte er als einen »durch die juristische Logik gegebenen Gegensatz«, über den auch nicht »der Wille der Parteien Macht habe«2907. Selbst noch in seiner letzten öffentlichen Stellungnahme in der Jahr2900 2901 2902 2903 2904

Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 315. Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 305 Fn. 166 a.E. Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 185f. Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 237, 265f. Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 186, 198. Vgl. zum Hintergrund dieser Äußerungen schon oben S. 461f. Fn. 2282. Freilich war nach Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 400 allein die Rechtswissenschaft an eine derartige natürliche Rechtslogik gebunden, während der Gesetzgeber allenfalls gehalten war, sie möglichst nicht außer Acht zu lassen. So heißt es beispielsweise zu der römischen Rechtsregel »Traditio nihil amplius transferre debet vel potest ad eum qui accipit, quam est apud eum qui tradit« (Ulpianus 29 ad Sabinum D 41, 1, 20 pr.), einer Entsprechung zu der noch bekannteren Regel »Nemo plus juris ad alium transferre postest, quam ipse habet« (Ulpianus 46 ad edictum D 50, 17, 54) und klassisches Beispiel für räumlich-zeitliche Bilder und Vorstellungen im Denken und in der Sprache der Jurisprudenz [vgl. nur G.Hassold, Konstruktion (1981), S. 132f.; K.Engisch, Einführung (71977), S. 187f.; F.Wieacker, Darwinismus (1973), S. 67f.], in frühen handschriftlichen Notizen des jungen Jhering in Bemerkungen/Nachlass (1841/42), Bl. 9v ausdrücklich: »[…] ein Satz, der nicht nur in Rom, sondern auch bei uns Ausnahmen erlitten hat.« Vgl. zu den diesbezüglichen Ausnahmen in Rom und zu ihren in einer Bewertung der konkreten Interessenkonstellation liegenden Gründen T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991), S. 221f. Auch die im zeitgenössischen Recht enthaltenen gesetzlichen Ausnahmen durften nach Jhering keinesfalls im Namen der natürlichen Logik der vorstehend zitierten Rechtsregeln von der Wissenschaft korrigiert werden. 2905 Jhering, Reflexwirkungen (1871), S. 136. 2906 Jhering, Reflexwirkungen (1871), S. 82. 2907 Jhering, Reflexwirkungen (1871), S. 136. Ganz allgemein bezeichnete Jhering mit dem Ausdruck »Reflexwirkungen« die unabhängig vom rechtsgeschäftlichen Parteiwillen oder

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hundertkontroverse zur privatrechtlichen Qualifizierung des Besitzes2908 bezeichnete Jhering die gegnerische Auffassung, wonach allein schon der Wille von jemandem, eine Sache für sich zu erwerben oder aber nur »f ü r e i n e n A n d e r n zu haben«, rechtlich maßgeblich sei, obwohl allein durch das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Besitzwillens die ergriffene Sache noch in keiner Weise »berührt [sic!] wird, x bleibt x«, als eben der Logik widersprechend. Denn »die rein logische Betrachtung bringt vielmehr das G e g e nt h e i l mit sich«, es sei nämlich ein »Satz der Logik: x [= die Sache] bleibt x, mag A x für sich oder für B haben wollen«2909. Wenn eine solche »natürliche« Plausibilitätslogik im 20. Jahrhundert von Kritikern der Begriffsjurisprudenz, die vom Standpunkt »der modernen (namentlich mathematischen) Logik« aus urteilten, als schlichter »Nonsens« bezeichnet2910 und auf dieser Grundlage als eine lücken- und auch fehlerhafte Logik sowie eine fehlende Einsicht in die Grenzen der Aussagekraft formaler Logik kritisiert wurde2911, dann stießen hier ganz unterschiedliche Logik-Begriffe aufeinander. Bis in die jüngere Zeit finden sich noch Beispiele für eine derartige Kritik, die eine theoriegeschichtliche Erscheinung an einem Maßstab misst, den deren Protagonisten so noch gar nicht für sich aufgestellt hatten bzw. auch so noch gar nicht hatten aufstellen können2912. Dennoch wäre es vorschnell, wenn man aus der offensichtlich weniger strengen Verwendung des Logik-Begriffs kurzerhand auf eine im Sinne der idealistischen Philosophie »material[e]«2913 oder »substantialistische, organi-

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vom Schutzzweck eines Gesetzes in einem konkreten Verhältnis eintretenden Begünstigungen oder Belastungen einzelner Dritter. Vgl. dazu aus heutiger Sicht im Einzelnen G.Wagner, Theorie (1993), S. 331ff., 344ff. Vgl. J.Braun, Besitzrechtsstreit (1980), S. 457ff. zu dieser Kontroverse, an deren Anfang Savignys Erstlingswerk »Das Recht des Besitzes« aus dem Jahre 1803 gestanden hatte. Jhering, Besitzwille (1889), S. 303, 305. So etwa G.Edlin, Begriffs- und Interessenjurisprudenz (1932/34), S. 273, 278. E.Ehrlich, Logik (21925), S. 268f. kritisierte etwa, dass in der »Lehre der Klassiker von der Fruchtbarkeit der juristischen Logik« in Wahrheit »die formale Logik, an die sie dabei denken, […] unfruchtbar« und die juristische Konstruktion »keine logische Ableitung, sondern Rechtsschöpfung« sei. E.Stampe, Rechtsfindung (1905), S. 173 bestritt der »Rechtsfindung durch Konstruktion« daher ihren »Anspruch auf Wissenschaftlichkeit«. Und M.v.Rümelin, Konstruktion (1922/23), S. 353 Fn. 35 wies darauf hin, dass auch der im 19. Jahrhundert viel diskutierte »Begriff des ›subjektlosen Rechts‹« keineswegs auf einem logischen Fehler beruhe. Vgl. nur E.Bucher, Begriffsjurisprudenz (1966), S. 367 Fn. 16; H.-E.Henke, Begriffsjurisprudenz (1967), S. 393; W.Krawietz, Begriffsjurisprudenz (1971), S. 433. Darüber hinaus weist M.Frommel, Rezeption (1981), S. 163ff. am Beispiel Puchtas vollkommen zu Recht darauf hin, dass schon die Ausdrücke »formal« oder »formal-logisch« in der heutigen theoriegeschichtlichen Diskussion nicht selten nur eine negativ verstandene Chiffre bilden, hinter der sich unter Umständen sogar »gegensätzliche Positionen« verbergen (S. 165). So M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 407, 410 mit Bezug auf Jhering, der nach Herberger angeblich »den Bruch mit der ›logischen‹ Dogmatik-Tradition« aus vor-idealistischer Zeit

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sche Logik […] im Kontrast zu rationalistischeren Logiktypen wie etwa bei Kant«2914 schließen wollte. Die Tatsache, dass nicht alle Fälle, in denen Jhering und andere Juristen seiner Zeit ausdrücklich von »Logik« bzw. »formaler Logik« sprachen, heute im Wege des formalisierten Kalküls in eine stringente Schlusslogik übersetzt werden könnten, bedeutet aber noch nicht, dass Jhering überhaupt die »rationalistischeren Logiktypen wie etwa bei Kant« (J.Rückert) zugunsten einer grundsätzlich anderen »Denkform«2915 aufgegeben hätte – mochte diese andere Denkform auf einem Denken beruhen, das wie in der römischen Jurisprudenz der Antike »zyklisch, in Problemkreisen« und ohne Bezug auf ein umfassendes inneres und äußeres System abstrakter Allgemeinbegriffe verläuft2916, oder auch auf einem Denken, das wie die idealistische »wie sein Lehrer Puchta vollzieht.« Allerdings stützen die von Herberger angegeben Belegstellen nicht überzeugend dessen These, dass der junge Jhering im Sinne der von Herberger behaupteten »idealistische[n] Wende« (aaO, S. 402) nun »die Logik material begreift« bzw. »ins Inhaltliche wendet« (aaO, S. 407). Wohl hatte Jhering, wie Herberger anführt, von der Entdeckung der »innere[n] logische[n] Substanz« des Rechts gesprochen [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 32]. Diese Äußerung steht aber im Kontext von Jherings Überlegungen zur rechtshistorischen Rekonstruktion vergangener Rechts- und Sozialordnungen. Rekonstruierbar waren danach nur diejenigen »logische[n] Momente« bzw. diejenige Systematik einer Rechtsordnung, die in derselben auch tatsächlich vorhanden gewesen waren (vgl. § 3, S. 28f. mit Fn. 13). Dies konnte nach Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 362ff., § 40, S. 380 allein in Abhängigkeit einer jeweils mehr »c a s u i s t i s c h e [ n ] « oder aber »p r i n c i p i e l l e [ n ] Gestaltung« des historischen Rechts durch den Gesetzgeber von Rechtsordnung zu Rechtsordnung und auch innerhalb einer Rechtsordnung von geschichtlicher Epoche zu Epoche stark differieren. Wenn Jhering, wie Herberger ferner als Beleg für seine These anführt, ein »nur […] consecutives« [Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 371] bzw. »nur […] consequentes logisches Denken, […] Untersuchen, Forschen« als »rein receptive Bearbeitung« des Rechts qualifizierte [Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 397f.], so beweist das noch nicht, dass Jhering für die von ihm als produktiv charakterisierte Tätigkeit der Rechtswissenschaft von einem ganz anderen LogikBegriff ausgegangen ist. Denn erstens bezeichnete Jhering das nur rezeptiv logische Denken ausdrücklich als unverzichtbare Grundlage für die rechtsquellentheoretische Produktivität der Rechtswissenschaft [Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 7f. (= Ges. Aufs. I, S. 7)]. Zweitens unterlag auch die sogenannte produktive Tätigkeit mit dem Konstruktionsgesetz des Nichtwiderspruchs dem wichtigsten Gesetz traditioneller Logik. Wenn Jhering allerdings in der Tat mit Blick auf die bei jeder neuen wissenschaftlichen Konstruktion notwendige »Intuition« und Erfindungskraft die Logik allein für die wissenschaftlich »produktive« Tätigkeit für nicht ausreichend hielt, so lag darin keinesfalls schon die Behauptung einer neuen, nämlich mit der traditionellen Logik konkurrierenden »materialen« bzw. »inhaltlichen« Logik. 2914 So J.Rückert, Einfluß (1991), S. 63ff. mit Bezug auf Savigny und seine – so zumindest Rückert – »neue, unklassische Logik«. 2915 Vgl. H.Leisegang, Denkformen (1928), S. 12ff., der »das neue Wort ›Denkformen‹« als einen übergreifenden Ausdruck verwendet für im Hinblick auf die Bildung und Verknüpfung von Begriffen grundsätzlich zu unterscheidende Denkschulen, die in der Philosophiegeschichte seit der Antike anzutreffen seien. 2916 Vgl. F.Wieacker, Jurist (21961), S. 150, 152. So hat F.Wieacker, Jurisprudenz (1976), S. 18f. allerdings aus einer von Pandektisten wie Jhering damals noch keineswegs geteilten

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Philosophie eines Schelling oder Hegel den Satz des Widerspruchs als unverzichtbare Voraussetzung philosophisch wissenschaftlicher Erkenntnis ausdrücklich bestreitet2917. Tatsächlich hat Jhering nicht anders als Puchta immer am »G e s e t z d e s Ni c ht w i d e r s p r u c h s oder der systematischen Einheit«2918 und damit sowohl an einem Grundprinzip der klassischen Logik wie auch an einem maßgeblichen Postulat des »kantisch-pandektistischen Form- und Systembegriff[s]«2919 festgehalten. Jhering nannte daher auch neben dem Gesetz der Deckung nur noch das Gesetz des Nichtwiderspruchs, welches im Unterschied zu ersterem nicht »im p o s i t iv e n «, sondern »im l o g i s c h e n Element wurzelt«2920, »ein absolutes« Gesetz für alle juristischen Konstruktionen; denn eine »Construction, die gegen jene [sc. beiden Gesetze] verstößt, ist absolut unrichtig, ist k e i n e Construction […]« und nicht etwa nur eine unvollkommene Konstruktion2921. Als Gesetz für die wissenschaftliche Konstruktion bezog sich das Gesetz des Nichtwiderspruchs zwar nur auf »Widersprüche der Wissenschaft mit sich selbst«, nicht auf »Widersprüche des Gesetzgebers«, da nur die »Jurisprudenz […] wie an das Gesetz, so auch a n s i c h s e l b s t gebunden« sei. Nur »sie darf bei ihren Constructionen nicht mit sich selbst, mit den Begriffen, Lehrsätzen, die sie anderwärts aufgestellt hat, in Widerspruch treten, ihre Constructionen müssen

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modern romanistischen Perspektive darauf hingewiesen, dass die juristische Konstruktion in der römischen Jurisprudenz der Antike, die eher »suggestiv und überredend auf die Anschauung des Diskussionspartners wirken« sollte, »weder zwingende (›sichere‹), noch unterstützende (›plausible‹) Beweisgründe für die angebotene Lösung« einer juristischen Frage in einem Fall geboten habe, so dass sogar der einzelne »Jurist selbst […] sich nicht immer in anderen Fällen an das eigene Aperc¸u« gebunden gefühlt habe. Letzteres aber wäre entgegen Wieacker, aaO, S. 18 Fn. 52, der die naturhistorische Methode Jherings von dem angeblich »seiner geistigen Herkunft nach ganz verschiedenen […] Verfahren der Begriffsjurisprudenz« im Stile Puchtas grundsätzlich hat unterscheiden wollen [dazu schon skeptisch U.Neumann, Rechtsontologie (1979), S. 64], für Jhering und seine ganz zeittypischen Vorstellungen von der im zeitgenössischen Wissenschaftsethos begründeten gedanklichen »Nöthigung« jedes Wissenschaftlers durch den »Begriffszwang« unvorstellbar gewesen. Vgl. nur M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 402f. m. w. N. Ferner mit Bezug auf Hegels dialektische Methode H.Leisegang, Denkformen (1928), S. 25 et passim. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 400. So F.Wieacker, Jhering (1969), S. 21 mit Bezug auf den maßgeblich von Kant repräsentierten Systembegriff, aber mit der Einschränkung, dass dies nur »noch« für die frühe und mittlere »Phase« von Jhering gelte (aaO, S. 21f.). Diese Einschränkung ist offenbar der Annahme Wieackers geschuldet, dass Jhering in seinem Spätwerk von einer »konsequent naturalistischen Genealogie des Rechts« ausgegangen sei [vgl. nur F.Wieacker, Darwinismus (1973), S. 68ff. (88); dagegen aber zu Recht O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 149ff.]. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 405. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 406. Den Sperrdruck »k e i n e« zur Betonung seiner Auffassung hat Jhering erst in der dritten Auflage von 1875 eingefügt [vgl. Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 380].

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stimmen, sowohl in sich, als unter einander.«2922 Aber soweit im besonderen Falle des Pandektenrechts Normaussprüche des »Gesetzgebers« auf der Grundlage der Quellen überhaupt erst festgestellt und formuliert werden müssten, konnte die »Kritik des innerlich Unmöglichen«, die nach Jherings lebenslanger Auffassung »überall in der Wissenschaft […] Platz hat«, auch eine Quellenstelle wegen der mit ihr verbundenen Widersprüchlichkeit einfach als »unglaubwürdig[e]« Überlieferung des römischen Rechts entkräften2923. Wenn also zum Beispiel »in unsern Quellen sich eine Stelle fände, welche aussagte: die Verträge der Wahnsinnigen hätten verpflichtende Kraft, oder man könne auch ohne Testament, etwa durch pactum, einen Erben ernennen, so würde Niemand Anstand nehmen, die Stelle aus innern Gründen für unglaubwürdig zu erklären«2924

– dies natürlich immer unter der Voraussetzung, dass das konkret geltende Recht – wie hier das römische – Geisteskranken die Geschäftsfähigkeit ohne Einschränkung zweifelsfrei absprach oder die durch den Erblasser veranlasste Ernennung eines Erben auf eine andere als testamentarische Weise ausschloss. Denn auch bei der sogenannten Kritik des innerlich Unmöglichen war der »Begriff der juristischen Möglichkeit und Unmöglichkeit« bereits nach Auffassung des jungen Jhering nur »auf den ersten Blick«, nämlich nur mit Blick auf die jeweilige konkrete Rechtsordnung »ein absoluter […], in der That aber ist er ein relativer.«2925 Dass Jhering keine »absoluten«, also für alle Rechtsordnungen geltenden Aussagen über mögliche oder unmögliche Konstruktionen aus dem Gesetz des Nichtwiderspruchs ableitete, zeigt, dass er letzteres insoweit tatsächlich als formal auffasste. Dass nämlich unter Umständen dasjenige, »worin die älteren [sc. römischen] Juristen […] einen Verstoß gegen jede juristische Logik erblickt haben würden«, doch »heutzutage als juristisch möglich gilt«2926, war nach Jhering allein in den inhaltlichen Voraussetzungen oder Prämissen des jeweils geltenden Rechts begründet. Das gilt auch für die klassischen Beispiele begriffsjuristischer Plausibilitätslogik, wie etwa für die Begründung der Nicht2922 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 400. Missverständlich und im Kern auch nicht zutreffend ist die Interpretation von Jherings Gesetz des Nichtwiderspruchs durch M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 152; Ders., Studien (1984), S. 126, wenn Losano behauptet, eine Konstruktion der Rechtswissenschaft habe nach Jhering »in dem Maße keine Widersprüche aufweisen [dürfen], in dem das von ihr konstruierte Material frei von Widersprüchen ist«, und insoweit sei »das Gesetz der Nicht-Widersprüchlichkeit wenigstens teilweise mit dem der Übereinstimmung mit dem positiven Material [sc. Jherings Gesetz der Deckung] identisch.« 2923 Jhering, Krit. u. exeg. Allerlei I (1873), S. 391. 2924 Jhering, Krit. u. exeg. Allerlei I (1873), S. 391. 2925 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 403. 2926 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 402.

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übertragbarkeit einer Forderung mit dem Argument, dass die Forderung ein sozusagen höchstpersönliches Band (iuris vinculum) zwischen Schuldner und Gläubiger bilde2927. Solange nämlich nach Jhering in der römischen Rechtsgeschichte die Vorstellung herrschte, dass die Forderung »eine Qualität, […] Eigenschaft der Person« selbst und nicht ein »Object unserer Herrschaft« sei, wäre es ohne Inkonsequenz gar nicht möglich gewesen, eine Übertragbarkeit der Forderung zu begründen2928. Wo die Forderung aber wie im späteren Recht als ein »Object unserer Herrschaft« verstanden wurde, war auch nach Ansicht des frühen Jhering und entgegen der Auffassung von Puchta die Nichtübertragbarkeit einer Forderung zumindest mit der juristischen Logik nicht mehr zu begründen2929. Dasselbe gilt auch für die zuweilen noch heute als ein Problem der juristischen Logik behandelte Frage nach der Möglichkeit subjektloser subjektiver Rechte2930 – eine Frage, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anlässlich der Dauerkontroverse über die rechtliche Qualifikation der römischen »hereditas iacens – die arme, abgehetzte –«2931 von zeitgenössischen Pandektisten heftig diskutiert wurde2932. Gerade im Vergleich zu anderen Auffassungen und

2927 G.Hassold, Konstruktion (1981), S. 133. R.Gmür, Rechtswirkungsdenken (1981), S. 198f. spricht sogar von einer »Denkfigur, die typisch zum Bereich der naturhistorischen Methode gehört«. 2928 Jhering, Theorie der Rechte (Nachlass), Bl. 242r, 244r. Vgl. insoweit auch schon Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 401. 2929 Schon deswegen, weil er insoweit nicht zwischen Puchta und Jhering differenziert, bleiben die Erklärungsversuche von R.Gmür, Rechtswirkungsdenken (1981), S. 195–199 zur Anwendung der »begriffsjuristischen Methode« in dieser Frage oberflächlich. 2930 Als ein Problem der juristischen Logik betrachtet etwa R.Gmür, Rechtswirkungsdenken (1981), S. 89 die »subjektlose[n] Rechte, z. B. die zur römischen ›hereditas iacens‹ gehörenden Rechte« heute noch, wenn er meint, dass sie »nicht vorbehaltlos, sondern nur in dem Sinn bestehen [können], dass sie als aufschiebend bedingte Rechte einer gegenwärtigen oder künftigen, später zu bestimmenden Person aufgefasst werden.« Vgl. dagegen aber schon M.v.Rümelin, Konstruktion (1922/23), S. 353 Fn. 35. 2931 So Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 27 Fn. 6 (= Ges. Aufs. I, S. 24 Fn. 7) ironisch über die zeitgenössische pandektistische Diskussion, in der eben die Frage nach der juristischen Beurteilung der hereditas iacens »immer von Neuem wieder« auftauchte. 2932 Vgl. dazu nur U.Falk, Gegensatz (1990), S. 225ff. m. w. N. Dogmengeschichtlich betrachtet handelte es sich nach Falk bei der Frage nach der rechtlichen Konstruktion der hereditas iacens nach dem Todesfall, aber vor der nach römischem Recht für den Vermögensübergang erforderlichen Antretung der Erbschaft durch den Erben letztlich um die Verarbeitung der »rechtstechnischen Auswirkungen einer ihrer [sc. der Pandektistik] grundlegenden Schöpfungen, des subjektiven Rechts« (aaO, S. 226). Methodengeschichtlich betrachtet ging es aber auch grundsätzlich um die Frage nach dem Verhältnis der »Forderung der juristischen Logik« und »der souveränen Macht des Rechts« [J.Unger, Lehre (1859), S. 160f., 171] sowie methodentheoretisch betrachtet um die Frage nach dem Gehalt der »juristischen Logik« selbst. Insoweit hat bereits Falk, aaO, S. 228 auf J.E.Kuntze, Inhaberpapiere (1857), S. 234 hingewiesen, welcher jedem, der die juristische

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nicht zuletzt zu Puchtas Haltung in dieser Frage zeigt sich hier, dass es Jhering zwar um die Frage eines inneren Widerspruchs, keineswegs aber um die überpositive inhaltliche Wahrheit einer konkreten Rechtsfigur gegangen ist2933. Denn auch der junge Jhering hat nicht mit einer »aus dem Begriff und Wesen des Erbrechts sich ergebende[n] ›Naturnotwendigkeit‹ der fingierten Persönlichkeit der hereditas jacens«2934 argumentiert bzw. – wie zum Beispiel Karl Neuner – mit einer sich aus der Natur der Sache für jedes positive Recht ergebenden Notwendigkeit eines berechtigten Subjekts, so dass »in diesem Punkte die Souverainität des Rechts […], selbst wenn sie wollte, nichts anders machen könnte als es der Natur der Sache nach ist, eine Wahrheit, auf welche […] schon die römischen Juristen hingewiesen haben.«2935 Vielmehr hat Jhering, auch solange er mit Puchta der hereditas iacens noch eine spezifische Rechtspersönlichkeit zuschrieb, diese doch allein ausgehend von dem »Zweck des Erbrechts […], alle vererblichen Rechtsverhältnisse des Erblassers auf den Erben zu übertragen«, nie – wie Puchta2936 – als einen »Selbstzweck« betrachtet, der auch nach Antritt der Erbschaft und deren Übergang auf den Erben juristisch fortdauere, sondern nur als ein rechtstechnisches »Mittel«, das Jhering zur Vermeidung eines rechtssystematischen Widerspruchs der hereditas iacens mit den Prinzipien des konkret geltenden »Vermögens- und Erbrechts« als notwendig erschien2937. Umso vehementer stritt Jhering allerdings lebenslang gegen diejenigen, die wie Windscheid in dieser Frage überhaupt nicht das Problem eines möglichen

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Möglichkeit subjektloser subjektiver Rechte behauptete, vorwarf, »eine andere Logik gefunden« zu haben, so dass »eine Verständigung mit ihm […] unmöglich« sei. Vgl. allerdings auch T.Giaro, Rechtswahrheiten (2007), S. 33 mit Nachweisen zu nicht auf rechtsdogmatische Figuren bezogene, sondern auf letztlich weltschauliche Überzeugungen gegründete Wahrheitsbehauptungen Jherings aus den 1860er und 1870er Jahren wie etwa zum angeblich »ewig wahren« Schuldprinzip der alten Römer oder zum prokulianischen Arbeitsprinzip, das allein das »wahre Wesen« des sachenrechtlichen Instituts der Spezifikation bezeichne. So Jhering, »Zweiter Brief« von einem Unbekannten (1861), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 26 gegen den zeitgenössischen Pandektisten und Kirchenrechtler Friedrich Heinrich Vering. C.Neuner, Wesen (1866), S. 110, 129. So hatte, was U.Falk, Gegensatz (1990), S. 228f. übergeht, Jhering aber gerade nicht argumentiert. Vgl. dagegen auch schon B.Windscheid, Erbschaft (1853), S. 200, 202. Vgl. C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 740–747 m.w.N. Puchtas »dialektisches Kunststück« in dieser Frage [so Jhering, »Erster Brief« von einem Unbekannten (1861), wieder abgedruckt in: Ders., Scherz und Ernst (1884), S. 10] wurde für Jhering später zu einem typischen Beispiel für die »heutige Begriffsjurisprudenz« [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 9f. Fn. 1 a.E.]. Dabei konnte sich Jhering, Mitwirkung II (1858), S. 273 mit Blick auf seine 1844 erschienenen »Abhandlungen aus dem römischen Recht« zugute halten, dass er Puchtas Auffassung in dieser Frage »noch bei Lebzeiten P u c h t a ’ s angegriffen« habe. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 241f., 245.

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Widerspruchs der geltenden Rechtssystematik mit sich selbst erkennen wollten. Denn – so meinte Jhering – wenn »wir also einmal die Obligation, das Eigenthum u.s.w. als Rechte eines S u b j e c t s auffassen, das Moment der subjectiven Zuständigkeit [mithin] für ein dem Begriff des [sc. subjektiven] Rechts wesentliches erklären, so können wir uns bei der [bloßen] T h a t s a c h e , daß nach dem Tode des Erblassers die Rechte desselben o h n e Subjekt fortdauern, nicht beruhigen«2938,

es sei denn, man würde – was für Jhering angesichts seiner eigenen »Grundidee des Rechts«2939 allerdings eine nur rein theoretische Alternative war2940 – die grundlegenden Prinzipien des geltenden Vermögensrechts und entsprechend dann auch »unsere Definition vom Recht ändern, so daß nach ihr die Existenz eines [sc. subjectiven] Rechts ohne Subjekt möglich erscheint.«2941 »Ein Drittes gibt es nicht« – tertium non datur2942. (3) Die Gesetze der juristischen Schönheit und der logischen Sparsamkeit Die Formulierung der von Jhering sogenannten Gesetze der juristischen Schönheit und der logischen Sparsamkeit bzw. Ökonomie2943 war nicht nur eine 2938 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 29 Fn. 9 [=Ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 25 Fn. 9 mit hier durch Klammern und Kursivschrift kenntlich gemachten Zusätzen beim Wiederabdruck von 1881]. 2939 Vgl. nur Jhering, Geist III/1 (11865), § 61, S. 331 zur »Grundidee des Rechts, die in dem Satz, daß lediglich der Mensch der Destinatär, das Bestimmungsobject der Rechte ist […], ihren Ausdruck findet«. Im Übrigen schon Abschnitt I. 3. a) und b) in diesem Kapitel zu dem in der »Idee des Rechts« liegenden »Freiheitstrieb«, der jedem kulturell entwickelteren Recht nach Jhering zugrunde lag. 2940 Deswegen bezeichnete Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 181f. auch »die Behauptung eines subjectlosen Rechts« später einmal als einen Verstoß gegen »eine der unbestreitbarsten, selbstverständlichsten Wahrheiten«, »nicht anders, als wenn Jemand ein Messer ohne Klinge nicht bloß Messer n e n n e n , sondern für ein Messer a u s g e b e n , d. h. die Behauptung aufstellen wollte, die Klinge sei für das Messer unwesentlich.« Denn Vorstellungen wie etwa die in der zeitgenössischen Pandektistik verbreitete Auffassung, dass unabhängig vom geltenden Recht »die reivindicatio durch den Begriff des Eigenthums logisch postuliert« sei, so als ob man sich letzteren ohne reivindicatio »ebensowenig zu denken« vermöge »wie ein Messer ohne Klinge«, hat Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 342 gerade als Begriffsjurisprudenz kritisiert. 2941 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 29 Fn. 9 (= Ges. Aufs. I, S. 25 Fn. 9). 2942 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 401. An dieser Alternative im Hinblick auf das Gesetz des Nichtwiderspruchs änderte sich auch dadurch nichts, dass Jhering später in einer von der in den fünfziger Jahren noch »als erschöpfend angenommenen Alternative abweichenden Weise« [Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 25 Fn. 9 a.E.], nämlich mit Hilfe des Begriffs der Gebundenheit, das Problem eines möglichen Widerspruchs der hereditas iacens mit dem Begriff des subjektiven Rechts zu lösen suchte. 2943 Jhering selbst sprach vom »Gesetz der Sparsamkeit« [vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 344; Ders., Geist III/1 (11865), § 56, S. 229] und unterschied davon den dem heutigen Sprachgebrauch näherliegenden »Gesichtspunkt der j u r i s t i s c h e n O e ko n o m i e «

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originelle Schöpfung Jherings, sondern zeugte auch von einem bis dahin in der Jurisprudenz noch unbekannten Methodenbewusstsein. Denn im Unterschied zu den anderen beiden Fundamentalgesetzen der juristischen Technik, die in der Sache lediglich das ausdrückten, was prinzipiell auch schon bisher zum Methodenbewusstsein der zeitgenössischen Pandektistik gehört hatte, machte Jhering mit der Formulierung dieser beiden Gesetze für die juristische Technik erstmals gezielt auch die formale Struktur rechtswissenschaftlicher Konstruktion zum Gegenstand methodentheoretischer Reflexion. Franz Wieacker zählt diese beiden Konstruktionsideale ungeachtet ihrer etwas naiv unbeholfen wirkenden Bezeichnung durch Jhering sogar zu den besonders hervorhebenswerten Beispielen für die Originalität und Produktivität von Jherings rechtsmethodologischem Denken2944. Jhering hat in dem für die Theorie der juristischen Technik einschlägigen Abschnitt in Band II/2 seines Werkes über den »Geist des römischen Rechts« zwar nur drei Gesetze für die juristische Konstruktion genannt, nämlich das »Gesetz der Deckung des positiven Stoffs«, »das Gesetz des Nichtwiderspruchs« und das »Gesetz der juristischen Schönheit«2945. Aber zu Recht hat Hendrik Jan Hommes das Gesetz der logischen Sparsamkeit bzw. Ökonomie mit den vorgenannten drei Gesetzen in eine Reihe gestellt2946. Immerhin hat Jhering das Gesetz der Sparsamkeit an anderer Stelle selbst als »eins der Fundamentalgesetze der ju-

terminologisch insofern, als die juristische Ökonomie in Jherings Terminologie nur eine »spezifische Anwendung« fand [H.J.Hommes, Methode (1970), S. 106], nämlich einen entwicklungsgeschichtlichen Unterfall des für alle Zeiten gültigen Gesetzes der Sparsamkeit bildete. Mit dem Ausdruck »Oekonomie« meinte Jhering in einem entwicklungsgeschichtlichen Sinne das für eine weniger entwickelte Rechtsordnung noch typische »Bestreben, die vorhandenen Mittel bis zum äußersten Grad ihrer Verwendbarkeit auszunutzen« selbst um den Preis einer »Verrenkung des vorhandenen Rechts« [Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 230f.; Ders., Geist II/2 (11858), § 38, S. 345]. 2944 F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 451 mit Fn. 60. Vgl. auch M.Martinek, Jhering (2011), S. 27–29 zur »Ökonomie des Rechts« im Rahmen der Rechtsfortbildung. 2945 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 397ff. 2946 H.J.Hommes, Methode (1970), S. 106. Nicht von Jherings Theorie der naturhistorischen Methode gedeckt ist dagegen die weitergehende Auffassung von Hommes, dass Jhering »dem regulativen Gesetz der Schönheit« im Rahmen der naturhistorischen Methode ein weiteres »Prinzip zur Seite gestellt« habe, »nämlich das der ethischen Bewertung der Konstruktionsmittel.« Denn wenn auch rechtshistorisch betrachtet nach Jhering nicht nur die jeweiligen Inhalte des Rechts, sondern auch einzelne Konstruktionsmittel der Jurisprudenz von den jeweils historisch herrschenden sittlichen Vorstellungen beeinflusst waren, so war doch rechtsdogmatisch betrachtet die ethische Bewertung niemals ein normatives Regulativ im Rahmen der juristischen Technik. Die juristische Technik war vielmehr per definitionem rein formaler Art, was Jhering übrigens auch in seiner späteren methodenkritischen Zeit nur noch bekräftigt hat (vgl. schon oben S. 542 Fn. 2726). Vgl. insoweit gegen die Interpretation von Hommes auch bereits B.J.Choe, Culpa (1988), S. 161. Ferner in diesem Sinne E.Schanze, Culpa (1978), S. 336.

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ristischen Technik« bezeichnet2947. Mit Blick auf die »zwei Hauptrichtungen oder Hauptzwecke« der juristischen Technik, nämlich die »Vereinfachung des Rechts« zur »möglichste[n] Erleichterung der subjectiven B e h e r r s c hu n g « sowie der »Operation der A nw e n du n g desselben«2948, hatte er insoweit sogar vom »obersten Gesetz der Technik« gesprochen2949. Dabei kann man das Gesetz der logischen Sparsamkeit aus zwei Gründen als ein Komplementärgesetz des Gesetzes der juristischen Schönheit betrachten. Zum einen berührten sich beide Konstruktionsideale inhaltlich. Das Gebot der »höchsten Einfachheit« einer Konstruktion, bei dessen Beachtung sich nach Jhering einerseits die »höchste Kunst« bei der Anwendung des Gesetzes der juristischen Schönheit verkörperte2950, war andererseits gleichzeitig auch der Kerngehalt des Gesetzes der logischen Sparsamkeit, da nach Jhering »alle einzelne[n] Punkte, in denen jenes Gesetz sich äußert«, den Aspekt einer »q u a nt i t a t ive n u n d q u a l i t a t iv e n Ve re i n f a c hu n g d e s Re c ht s « zum Gegenstand haben2951. Zum anderen hatten beide Gesetze in Jherings Theorie der juristischen Technik aber auch denselben nur regulativen Status. Für das Gesetz der juristischen Schönheit hatte Jhering ausdrücklich darauf verwiesen, dass ein Verstoß gegen dasselbe nur den Wert der Konstruktion herabsetze, nicht aber die Konstruktion als juristisch, nämlich positivrechtlich oder logisch unmöglich ausschließt. »Dies Gesetz ist also nicht, wie die beiden ersten [sc. die Gesetze der Deckung und des Nichtwiderspruchs], ein absolutes«2952, nämlich konstitutives, sondern ein nur regulatives Prinzip rechtswissenschaftlicher Konstruktion2953. Dasselbe gilt aber auch für Jherings Gesetz der Sparsamkeit2954. Dieses betrachtete Jhering wie das Gesetz der Schönheit als zwar »gleichmäßig geltend für alle Epochen der Jurisprudenz«, aber im Unterschied zu den konstitutiven und unwandelbaren Gesetzen der Deckung und des Nichtwiderspruchs im Hinblick auf »die Art und die Formen, in denen […] es zur Anwendung« komme, als abhängig von der »Verschiedenheit der Entwicklungsstufe« einer Rechtsordnung2955. Schon von daher konnte es wie das Gesetz der Schönheit und anders als die anderen beiden Konstruktionsgesetze nicht dem einfachen Wahr/FalschSchema unterliegen, sondern immer nur – wie Mario G. Losano allerdings kriJhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 229. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 340. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 342f. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 406. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 342f. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 406. So zu Recht H.J.Hommes, Methode (1970), S. 105. Anders dagegen H.J.Hommes, Methode (1970), S. 106, der es als »im Geiste Jherings« liegend bezeichnet, das Gesetz der Sparsamkeit »zu den konstitutiven Gesetzen der juristischen Konstruktion« zu rechnen. 2955 Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 229.

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tisiert2956 – eine bessere oder schlechtere Annäherung an das jeweils geschichtlich vorherrschende Konstruktionsideal bilden2957. Im Zusammenhang mit dem Gesetz der juristischen Schönheit hat Jhering auch selbst von möglichen »Gradationen, vollkommnere[n] und unvollkommnere[n] Constructionen« gesprochen. »Der Vergleich mit der Kunst trifft selbst insofern zu, daß wir von einem verschiedenen Ku n s t s t y l verschiedener Epochen der Jurisprudenz sprechen können«2958

– Epochen, die nach Jhering nicht zufällig aufeinanderfolgten, sondern einem allgemeinen entwicklungsgeschichtlichen Prinzip unterlagen. So zeichnete sich danach die Entwicklungsgeschichte nicht nur des römischen Rechts2959 oder auch nur des Privatrechts2960 in frühen Zeiten »namentlich [vorzugsweise] durch das Bestreben einer p l a s t i s c h e n Darstellung und Motivirung innerer Thatsachen und Vorgänge« aus, während die Jurisprudenz in kulturell entwickelteren Zeiten vom rein bildlichen zum abstrakten Denken übergehe und »mehr mit begrifflichen, innerlichen Mitteln operirt, z. B. das Scheingeschäft durch Fictionen ersetzt«2961. Genau dasselbe Entwicklungsgesetz machte Jhering am Beispiel der 2956 Vgl. M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970), S. 152 bzw. Ders., Studien (1984), S. 126. Nicht – wie bei heutiger Kritik an der Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts üblich – einen zu engen, häufig als positivistisch bezeichneten, sondern einen offenbar noch zu weiten Wissenschaftsbegriff Jherings kritisiert Losano, wenn er meint, dass Jherings Konstruktionen auch deswegen »aller wissenschaftlichen Strenge entzogen« seien, weil schon im Rahmen von Jherings wissenschaftlichen Konstruktionsgesetzen »mehrere Konstruktionen desselben Rechtsmaterials möglich zu sein« schienen und diese damit »nicht mehr reine Erkenntnistätigkeit von Prinzipien« sein würden (aaO). Unverständnis darüber, dass nach Jhering der Jurist auch in rein wissenschaftlicher Hinsicht »bis zu einem gewissen Grad freie Hand habe, [so] daß es verschiedene Konstruktionen geben könne, die gleichmäßig den Gesetzen« der juristischen Konstruktion entsprächen, äußerte früher auch schon M.v.Rümelin, Jhering (1922), S. 46. 2957 So meinte Jhering beispielsweise 1859 in einem Brief an Gerber zu der von ihm selbst nicht geteilten juristischen Begründung des Urheberrechts durch Gerber : »Sie [sc. die Konstruktion] deckt alle einzelnen Rechtssätze.« Und »darüber kann in der That nach Deiner Darstellung kein Zweifel mehr sein, daß Deine Auffassung juristisch vollkommen haltbar ist, und daß die Entscheidung für die entgegenstehende [sc. Konstruktion] bloß Sache der Neigung sein wird.« Aber »Du wirst darin einverstanden mit mir sein, […] daß Du […] bei dieser Frage Dich zu der – laß mich es so ausdrücken – minder eleganten […] individualisirenden Ansicht bekennst« [abgedruckt in: Losano-Briefe I /1984, Nr. 115, S. 336f. (die in der Briefedition in Fn. 3 und 4 angegebenen Nachweise zur Entschlüsselung von Jherings jeweiligen Bezugnahmen auf Artikel von Gerber wurden offensichtlich vertauscht)]. 2958 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 406. 2959 Vgl. nur Jhering, Geist III/1 (11865), § 58, S. 272f., 288 zu den »›künstlichen Mittel[n]‹ der juristischen Oekonomie«: »[…] sie wiederholen sich auf einer gewissen Culturstufe überall […].« 2960 Vgl. nur Jhering, Geist III/1 (11865), § 58, S. 264 ausdrücklich auch zum öffentlichen Recht. 2961 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 406 [=Ders., Geist II/2 ( 21869), § 41, S. 363 mit einer

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Geschichte des römischen Rechts auch beim Gesetz der Sparsamkeit aus: »Was die älteste Jurisprudenz mit dem unbeholfenen Mittel des Scheingeschäfts, die mittlere mit dem schon etwas gelenkigeren der Fiction« vorgenommen habe, das »beschaffte die klassische in der höchsten und letzten Form: der analogen Ausdehnung«2962, nachdem eine »tausendjährige Uebung des Denkens […] endlich jene Sicherheit und Fertigkeit des abstracten Denkens gezeitigt hat«2963. Natürlich können beide Gesetze ihren Zusammenhang mit Jherings naturhistorischer Denk- und Ausdrucksweise nicht verleugnen. Darauf weist schon ihre bildhafte Benennung, aber auch die Art ihrer Beschreibung durch Jhering hin, der »das Wohlgefallen und Mißfallen, das gewisse Constructionen in uns erregen«2964, nicht etwa im Hinblick auf ihre praktischen Konsequenzen für den konkreten Fall, sondern scheinbar nur wie zum Selbstzweck im Hinblick auf ihre bloß technische Form zum Maßstab rechtsdogmatischer Argumentation erheben wollte. Dennoch ist dies nur die eine – überholte – Seite der beiden hier in Rede stehenden Konstruktionsgesetze Jherings. War auch die juristische Technik nach Jherings lebenslanger Auffassung per definitionem unabhängig und ohne Einfluss auf die jeweiligen Regelungsinhalte des Rechts2965, so hätte es Jhering doch immer fern gelegen, die Technik deswegen auch unabhängig von ihrer praktischen Aufgabe zu sehen, nämlich der Beförderung der Umsetzung des Rechts in der Lebenswirklichkeit unter strikter Wahrung der Rechtsanwendungsgleichheit. Anfangs, nämlich bis zum Durchbruch zur »substantielle[n] Idee der Gerechtigkeit und Sittlichkeit«2966 als ergänzendem Leitbild der Rechtsanwendung, hatte Jhering mit Blick auf die Gewährleistung der Rechtsanwendungsgleichheit sogar der »Technik mittelbar die höchste ethische Bedeutung«2967 beigelegt. Auch wenn Jhering diese »ethische Bedeutung« formaler Rechtsanwendungsgleichheit später zurückgestuft hat, so war ihm die juristische Technik doch immer alles andere als reiner Selbstzweck, sondern im Gegenteil »nichts [sc. anderes], als die erkannte und befolgte Zweckmäßigkeit in Bezug auf die Lösung der […] Aufgabe«, die »Anwendung auf den einzelnen Fall« so weit als möglich zu erleichtern2968. In dieser Hinsicht hat für das sogenannte Gesetz der Schönheit bereits Franz Wieacker zu Recht hervorgehoben, dass Jhering die mit diesem Konstrukti-

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hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderung in der zweiten Auflage von 1869]. Jhering, Geist III/1 (11865), § 58, S. 292. Jhering, Geist III/1 (11865), § 58, S. 288. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 406. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 336f. und für die juristische Technik ebenso später Jhering, Schuldmoment (1867), S. 176. Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 339 (Kursivhervorhebung nicht im Original). Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 337.

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onsideal konkret verbundenen Maximen wie »Anschaulichkeit«, »Durchsichtigkeit« und »Natürlichkeit«2969 nicht, »wie oft verkannt, […] nur als ästhetische« verstanden, sondern auch »in den Dienst der sozialen Aufgabe des Rechts« gestellt habe2970. Zumindest mittelbar, nämlich im Hinblick auf eine Beförderung der »Durchsichtigkeit«2971 juristischer Systematik, gilt dies auch für das von Jhering sogenannte Gesetz der Sparsamkeit. Mit ihm hat Jhering nämlich nicht nur am Beispiel des altrömischen Rechts in einer zumal in der Historischen Rechtsschule bis dahin unbekannten Weise die historische Funktion »der Rechtsform bei der sozialen Integration realer Machtlagen und Interessen« zu thematisieren versucht2972, sondern auch rechtstheoretisch eine der noch heute gültigen formalen »Grundvoraussetzungen effizienter Dogmatik« bei der Bildung von Rechtsbegriffen und Lehrsätzen formuliert2973. Mögen auch im einzelnen Jherings bildhafte Sprache und Vergleiche2974 bei 2969 Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 406f. Ferner auch noch Jhering, Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass), § 62, S. 40 dazu, dass – »die Deckung der Vorstellung mit den realen Rechtssätzen selbstverständlich vorausgesetzt« – die »einfachste, plastisch anschauliche Vorstellung […] die beste [ist]. Dieser Gesichtspunkt wird von der heutigen Jurisprudenz nicht selten gänzlich außer Acht gelassen und diesem Übersehen verdanken wir eine Menge völlig unfruchtbarer Künsteleien […].« 2970 F.Wieacker, Jhering (1969), S. 19f. Zustimmend B.J.Choe, Culpa (1988), S. 162. Gerade den künstlerisch-ästhetischen Aspekt des Konstruktionsgesetzes der Schönheit hebt dagegen jetzt I.Kroppenberg, Plastik (2015), S. 35–37 als Teil von »Jherings Fundamentalkritik« an der herrschenden Pandektistik hervor, »deren ›rezeptiver Thätigkeit‹ er seine produktiv-künstlerische Methode entgegengestellte.« In der Tat war das Konstruktionsgesetz der Schönheit im Unterschied zu den Gesetzen der Deckung mit dem positiven Stoff und dem Gesetz des Nichtwiderspruchs ein regulatives Prinzip, das in Abhängigkeit von der Kreativität des Konstruierenden nur mehr oder weniger erreicht wird. Ferner jetzt auch L.Chun-Tao, Jherings Eigentumsbegriff (2015), S. 74, 176f. zum Gesetz der juristischen Schönheit sowie dem verwandten und ebenfalls regulativen Gesetz der logischen Sparsamkeit als Grundlage für »ein hoch kreatives Rechtsdenken« Jherings bei seiner Konstruktion einer auf dem römischen Recht beruhenden Enteignungslehre. 2971 In ihr sieht H.-E.Henke, Begriffsjurisprudenz (1967), S. 413 den wahren und bleibenden Kern der Forderungen nach einer juristischen Ästhetik. 2972 F.Wieacker, Jhering (1969), S. 16. Vgl. insoweit etwa Jhering, Geist III/1 (11865), §§ 56ff. 2973 So S.Simitis, System (1972), S. 151 zur Bedeutung einer »Ökonomie« der Rechtsbegriffe für die »Stringenz der Argumentation«. Ferner auch zum Gesetz der Sparsamkeit als eine der »Bedingungen der sachlichen Konsistenz von Entscheidungen« A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 293 sowie K.Schmidt, Rechtsfiguren (1990), S. 25ff.; Ders., Jhering (1993/1996), S. 208ff., 215f. und H.Kötz, Rechtsdogmatik (1990), S. 78f. Auch schon F.Wieacker, Jhering (1969), S. 16 hat insoweit von bis »heute lebendig[en] […] Einsichten« gesprochen, »die Jhering aus der Beobachtung des Zusammenspiels von altrömischem Formalismus und Realismus zuwuchsen.« Zu eng dagegen W.Wilhelm, Methodenlehre (1958), S. 125ff., der in dem Konstruktionsgesetz der Sparsamkeit pauschal nur die politisch »eindeutig konservative Tendenz« der »›höhere[n]‹ Jurisprudenz« hat sehen wollen. 2974 Vgl. nur Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 360f., wo Jhering »die juristische Scheidekunst«, nämlich die »juristische Analyse« von Rechtsbegriffen und ihre Rückführung auf

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der Darstellung des Gesichtspunktes der »Vereinfachung« juristischer Begrifflichkeit und Systematik für die Rechtsdogmatik heute unangemessen und zum Teil sogar irreführend erscheinen, so ging es Jhering mit dem Gesetz der Sparsamkeit doch in der Sache vor allem um das im Grundsatz auch heute noch legitime Prinzip, dass von der wissenschaftlichen Rechtsdogmatik bei der Formulierung neuer dogmatischer Begriffe und Rechtsfiguren »nichts Ueberflüssiges postulirt [wird] […].«2975 Dies hat auch Jhering keineswegs bloß als wissenschaftlichen Selbstzweck oder nur als Mittel der Jurisprudenz verstanden, »das Material zu ökonomisiren«, um nicht »von der anschwellenden Masse des Stoffs zu Boden gedrückt« zu werden2976. Vielmehr war es Jhering auch darum gegangen, »dass eine Frage, die ihrer Natur nach eine allgemeine (nicht auf eine einzelne Species beschränkte) ist, als solche erkannt und möglichst allgemein«, und das heißt, im Sinne des Grundsatzes der Rechtsanwendungsgleichheit »beantwortet werde.«2977 Betrachtete Jhering dabei einerseits die Chancen der Rechtswissenschaft, das Allgemeine im geltenden Recht zu erkennen, auch als abhängig von der jeweiligen »Methode der gesetzlichen Regulirung«2978, so sah er andererseits die Gesetzgebung keineswegs durch das Gesetz der Sparsamkeit bei der Bildung neuen Rechts gebunden. Getreu Jherings Devise, dass eine entwickelte »Wissenschaft […] keine j u r i s t i s c h e [ n ] Un m ö g l i c h ke i t e n statuiren«2979 oder auch nur eine »Verrenkung des vorhandenen Rechts« praktizieren dürfe, sah er die Jurisprudenz aber gehalten, »sich der Anforderung, die zu dem Zweck nöthigen Begriffe aufzustellen, nicht [zu] entziehen«2980.

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die »einfachen Elemente«, die sogenannte »Chemie des Rechts« mit der Struktur der Sprache und der »Aufstellung eines Alphabets« in Verbindung brachte. An anderer Stelle hat Jhering aber von Anfang deutlich gemacht, dass er diesen auch in seiner methodenkritischen Phase weiterhin verwendeten Vergleich nicht allzu wörtlich verstanden wissen wollte (vgl. schon oben S. 503 Fn. 2498). Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 230. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 342. Auch die von ihm sogenannte »Präcipitirung der Rechtssätze zu Rechtsbegriffen« verstand Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 27–29 zunächst einmal nur als »Ve r e i n f a c h u n g « zum Zwecke der Übersichtlichkeit und »Analyse« des geltenden Rechts, nämlich als »bloße Auflösungen der gegebenen Rechtssätze« eines Rechtsinstituts durch deren Reduktion auf das in einer Definition des Institutsbegriffs formulierte inhaltlich Wesentliche des Regelungszusammenhangs. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 363. Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 362. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 402. Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 230f. Vgl. im Rahmen der sogenannten Theorie der objektiven Technik beispielsweise Jhering, Abhandlungen (1844), S. 232, 235 zur notwendigen »Aufstellung eines neuen Begriffs«, der »sich nicht auf bekannte Begriffe zurückführen« lasse.

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Die Methode der Rechtswissenschaft

Die konkrete »juristische Construction« im Rahmen der Theorie der »subjektiven Technik«

Die juristische Konstruktion im Rahmen der subjektiven Technik bezeichnete für Jhering den letzten und entscheidenden Schritt zur »Verwirklichung« bzw. »Objectivirung des Rechts im Leben«2981. Sie umfasste nämlich zum einen ausgehend von der im Rahmen der objektiven Technik formulierten abstrakten Rechtsregel die Subsumtion bzw. »A nw e n du n g des Rechtssatzes, den Umsatz der abstracten Regel in concrete Verhältnisse«2982, und zum anderen speziell auf dem Gebiet des Privatrechts die »c on c re t e Analyse« von privatautonom getroffenen Regelungen und in ihrem Rahmen vorgenommenen Handlungen, »d. h. die analytische Behandlung des concreten Rechtsverhältnisses« zum Zwecke seiner juristischen Bewertung2983. Auch wenn Jhering mit Blick auf die rechtsquellentheoretische Bindung der Jurisprudenz an den jeweiligen Inhalt des geltenden Rechts die subjektive, aus der Richterperspektive angewendete juristische Technik als eine nur »formale Vollendung des gegebenen Rechtsstoffs« bezeichnete2984, so charakterisierte er sie doch vor allem als eine »juristische Kunst«2985 – und zwar als eine Kunst, bei der die Wissenschaft nur »bis zu einem gewissen Grade hülfreiche Hand leisten« könne2986, da »die Fertigkeit der Anwendung […] allerdings vorzugsweise Sache des Subjects« des Rechtsanwenders sei und damit allenfalls »nur durch Uebung zu erlernen ist«2987. Insoweit bewegte sich Jhering ganz im Rahmen der vorherrschenden zeitgenössischen wissenschaftstheoretischen Auffassungen im Allgemeinen und der rechtswissenschaftlichen im Besonderen. Denn anders als noch in der rationalistischen Philosophie etwa eines Christian Wolff, dem der Übergang vom Allgemeinen zum Einzelnen bzw. die Subsumtion des Konkreten unter den abstrakten Begriff noch als eine rein logische Leistung des wissenschaftlichen Verstandes erschien, die der Kunst neben bzw. außer der Wissenschaft keinen theoretischen Eigenwert beließ, wurde seit Kant2988 die vom Verstand geleitete 2981 2982 2983 2984 2985 2986 2987 2988

Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 334. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 43. Jhering, Geist III/1 (11865), § 49, S. 15f. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 340. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 340. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 356. Jhering, Geist II/2 (21869), § 38, S. 311. Vgl. dazu die grundlegende Darstellung von J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 168ff., 176ff., 188ff. Ferner auch S.Meder, Urteilen (1999), S. 14, 26f., 31ff., 157ff. zu der von Aristoteles bis zum neuzeitlichen Rationalismus reichenden Traditionslinie, die die Kunst und Klugheit der Anwendung gegenüber der auf auf reines Erkennen beschränkten theoria »auf eine tiefere Stufe herabdrückt.« Nach Schröder war die Jurisprudenz im Zeitalter des neuzeitlichen Rationalismus bis Kant allerdings zugleich ganz Wissenschaft, aber auch ganz Kunst gewesen (aaO, S. 188f., 191). Letzteres ist nicht ver-

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Wissenschaft als das theoretische Vermögen der Bildung von Regeln und Begriffen erkenntnistheoretisch grundsätzlich unterschieden von der praktischen »Kunst« bzw. »Technik«2989, die beruhend auf dem von Kant sogenannten besonderen Vermögen der »Urteilskraft« »gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will.«2990 Vor allem Kantianische Juristen unterschieden seitdem – wieder2991 – explizit zwischen wissenschaftlichem Verstand und schöpferischer Urteilskraft. Terminologisch durchgesetzt hat sich die im Nachgang zu Kant um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zeitweise verbreitete Unterscheidung von Verstand und Urteilskraft letztlich zwar nicht. In der Sache selbst wurde die grundsätzliche Unterscheidung von gelehrter Wissenschaft und schöpferischer Kunst Anfang des 19. Jahrhunderts aber fast schon zu einem wissenschaftstheoretischen Allgemeinplatz und die Unterscheidung von erkennender

wunderlich. Denn als »ars boni et aequi« (Ulpian I institutionum D. 1, 1, 1 pr) hatten nach der berühmten Definition von Celsus immerhin schon die Römer die gesamte Jurisprudenz – allerdings noch nicht in Koordination zu einem theoretischen Begriff von Rechtswissenschaft [vgl. T.Giaro, Wissenschaftlichkeit (1993), S. 126f.] – charakterisiert und dies über den Weg der Rezeption des römischen Rechts auch allen neuzeitlichen Juristen als selbstverständliches Rechtsethos mitgegeben [vgl. nur A.Kaufmann, Rechtsgewinnung (1999), S. 38ff. m. w. N.]. Nur war die sogenannte »Kunst« der Jurisprudenz besonders im Zeitalter des Rationalismus dem rationalistischen Wissenschaftsverständnis vollkommen untergeordnet geblieben. 2989 I.Kant, KdU (11790/21793), B 175 A 172 = WW X, S. 237. »Ku n s t als Geschicklichkeit des Menschen wird […] von der Wi s s e n s c h a f t unterschieden (K ö n n e n vom Wi s s e n ), als praktisches vom theoretischen Vermögen, als Technik von der Theorie […]« (aaO). 2990 I.Kant, KrV (11781/21787), B 172 A 133 = WW IV, S. 184. Dies hatte Kant ausdrücklich auch auf die Urteilskraft des Juristen bezogen: »Ein Arzt […], ein Richter, oder ein Staatskundiger kann viel schöne pathologische, juristische oder politische Regeln im Kopfe haben, in dem Grade, daß er selbst darin gründlicher Lehrer werden kann, und wird dennoch in der Anwendung derselben leicht verstoßen, […] weil es ihm an natürlicher Urteilskraft (obgleich nicht am Verstande) mangelt, und er zwar das Allgemeine in abstracto einsehen, aber ob ein Fall in concreto darunter gehöre, nicht unterscheiden kann […]« [I.Kant, KrV (11781/21787), B 172f. A 133f. = WW IV, S. 185]. Vgl. dazu auch zusammenfassend J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 186f. m. w. N.. Bei Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 326 hieß es entsprechend: »Darum kann Jemand […] bei großem Wissen ein schlechter Jurist sein.« 2991 Aus der Perspektive der gesamten heute bekannten Geschichte der Wissenschaften betrachtet stand auch Kant nur in einer langen von M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 202 bis auf die Antike, nämlich bis auf das aristotelische prudentia-Verständnis zurückführbaren Reihe von Gelehrten, die den Unterschied von bloßem Wissen und praktischem Vermögen zur Anwendung bzw. Umsetzung dieses Wissens regelmäßig wieder neu ins allgemeine Bewusstsein heben mussten. Am Ende der Epoche des neuzeitlichen Rationalismus kam Kant diese Aufgabe zu. Denn der Rationalismus hatte – nicht nur im Recht – das Anwendungsproblem, den Blick auf das Besondere durch ein allzu großes Vertrauen in die abstrahierende Kraft des Verstandes vernachlässigt. Vgl. zum Ganzen auch R.Dreier, Irrationalismus (1985), S. 131f. m. w. N. sowie jetzt eingehend S.Meder, Urteilen (1999), S. 16f., 28ff., 157ff.

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Rechtswissenschaft und praktisch-schöpferischer Rechtskunst2992 – noch vor Entstehung der Historischen Rechtsschule – zu einem gängigen rechtswissenschaftlichen Topos2993. Argumentativ bewegte sich Jhering mit der Unterscheidung von Wissenschaft und Kunst in der Jurisprudenz allerdings auf einem schmalen Grat. Denn betonte er einerseits angesichts des eindeutig schöpferischen Charakters der Rechtsanwendung die Grenzen einer erkennenden Wissenschaft, die der juristischen Kunst nur »bis zu einem gewissen Grade hülfreiche Hand leisten« könne2994, so kritisierte er andererseits auch, dass »die Wi s s e n s c h a f t nur zu leicht [vergisst], daß sie auch Ku n s t sein soll, d. h. daß es mit den Begriffen und Rechtssätzen, die sie auf dem Wege der wissenschaftlichen Operation mittelst Interpretation, Construction, logischer Consequenz, Abstraction gewinnt, allein noch nicht gethan ist«2995,

2992 Diese nicht durch ihren Gegenstand, die Begriffe und Regeln des Rechts, sondern durch ihre Funktion und die Art des praktischen Umganges mit denselben von der rechtswissenschaftlichen Erkenntnis unterschiedene Kunst der Rechtsanwendung ist nicht zu verwechseln mit der älteren von J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 4f., 46ff., 54ff., 70ff. beschriebenen regelgeleiteten »Kunst« bzw. »praktischen Jurisprudenz« im Sinne von technisch-bürokratischen Anleitungen für juristische Praktiker in Gerichten und außergerichtlichen »Canzleyen«. Ihr auch disziplingeschichtlicher Ausschluß aus dem Bereich der Rechtswissenschaft war nach dem Fazit von Schröder ohnehin »bereits in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts vollzogen« (aaO, S. 80). Vgl. insoweit C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 354 zu Puchta, der derartige Kunstregeln lediglich noch 1822 in seinem frühen »Grundriß zu Vorlesungen über juristische Encyclopädie und Methodologie« aufgenommen hatte. 2993 Vgl. J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 190f. m. w. N.. Ferner R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 146 mit Fn. 4. Die Tatsache, dass Schröder, aaO bei seinem Versuch, die Wirkung der Unterscheidung zwischen Verstand und Urteilskraft in der juristischen Methodenlehre konkret nachzuweisen, in den von ihm durchgesehenen Pandektenlehrbüchern des 19. Jahrhunderts nicht fündig geworden ist, verwundert allerdings nicht. Ein Bewusstsein für das mit der Rechtsanwendung notwendig verbundene und auch »Irrationalismus« (Schröder) nicht ausschließende Ermessen, innerhalb dessen »Grenze[n] […] noch ein Hin- und Hergehen stattfindet« [G.W.F.Hegel, Rph. (1821), § 214, S. 189f.], kann man – wie es für die Interpretations- und Rechtsquellenlehre Regina Ogorek überzeugend gezeigt hat – gerade bei den Pandektisten des 19. Jahrhunderts zwar voraussetzen [vgl. nur das Resümee von R.Ogorek, Richterkönig (1986), S. 368f.]. Nur verbarg sich dieses Bewusstsein um die nicht logisch-mechanische Natur der Rechtsanwendung bei den Pandektisten des 19. Jahrhunderts in der Regel – eine Ausnahme bildet etwa Jhering, Zweck II (11883), S. 43 – nicht hinter dem Kantischen Ausdruck »Urteilskraft«, wie Schröder offenbar vermutet. Einschlägig sind hier vielmehr – so für Savigny bereits J.Rückert, Hermeneutik (2001), S. 317f. – die seit Savigny jedem Pandektisten des 19. Jahrhunderts geläufigen Ausdrücke »Kunst«, »Virtuosität«, »Genie, »juristischer Takt« oder »gesunder Menschenverstand«. 2994 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 356. 2995 Jhering, Geist II/2 (31875), § 38, S. 323f.

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da es im Rahmen der subjektiven Technik auch noch »einer besonderen Geschicklichkeit im Operiren mit Rechtsbegriffen – namentlich der juristischen D i a g n o s e « bedürfe2996. Und diese fasse nicht die »theoretische Analyse«, sondern »ein concretes Rechtsverhältniß«, also »vor allem das praktische Auftreten des Begriffs ins Auge«; die Grundlage bilde dabei eine Bestimmung sowohl der »Zwecke, denen er [sc. der Begriff] erfahrungsgemäß dienen soll«, wie auch der tatsächlichen »Umstände, unter denen er regelmäßig auftritt«2997. Insoweit hatte Puchta kurzerhand auf den »juristischen Takt« und »gesunden Menschenverstand« des jeweiligen Rechtsanwenders verwiesen und damit praktisch den gesamten Bereich der Rechtsanwendung, weitgehend sogar den der juristischen Auslegung, aus der methodentheoretischen Reflexion ausgeschlossen2998. Auch Jhering verbannte bekanntlich Fragen der juristischen Interpretation wie alle »Operationen der Jurisprudenz […], die dem Rechtsstoff […] seine ursprüngliche und unmittelbar practische Form belassen, […] es also über Rechtssätze und Rechtsprinzipien nicht hinausbringen«, in den wissenschaftlich weniger bedeutenden Bereich der »n i e d e r n Jurisprudenz«2999. Gleichzeitig wäre es für ihn aber einer Kapitulation vor seinem eigenen Anspruch gleichgekommen, die juristische Methode auch theoretisch zu erfassen und – naturhistorisch – auf den Begriff zu bringen, wenn er deren opus proprium, nämlich den eigentlichen Akt der Rechtsanwendung wie Puchta von vornherein nur dem persönlichen Talent, dem »gesunden Takt« oder der »instinctive[n] Ahnung«3000 des jeweiligen Rechtsanwenders überwiesen hätte. Auch erschien Jhering aufgrund seines nicht mehr am Wissenschaftsparadigma der Systemphilosophie des Deutschen Idealismus, sondern am induktiv-produktiven Forschungsideal der zeitgenössischen Naturwissenschaften orientierten Wissenschaftsbegriffs3001 gerade das Schöpferische, Kreative, die »In2996 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 325. Vgl. insoweit auch die weiteren Nachweise bei C.E.Mecke, Jhering (2010), S. 77f. 2997 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 357. 2998 G.F.Puchta, Pandekten (11838), § 16, S. 22; Ders., Pandekten (21844), § 15, S. 25 Anm. r) sowie dazu C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 354. 2999 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 9 (= Ges. Aufs. I, S. 8). 3000 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 (= Ges. Aufs. I, S. 13). Vgl. auch Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 16 zu diesem in der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts verbreiteten Ausdruck: »[…] was der Erkenntniß gebricht, ersetzt das Gefühl, der Takt.« Ferner Jhering, Zweck II (11883), S. 42ff. (45) ausführlich zum »Takt im j u r i s t i s c h e n Sinn« als Ausdruck für ein »praktisches Erfindungsvermögen, […] Treffer des Gefühls« im Gegensatz zur »blosse[n] mechanische[n] Anwendung der Regeln, die schablonenmässige Befolgung derselben […].«Aber auch im Hinblick auf die Angemessenheit der Inhalte von Rechtsregelungen sprach Jhering, Urheberrechts-Gutachten (1887), S. 18 vom falschen oder »richtigen Takt« bei der Rechtsetzung. 3001 Diesen wissenschaftstheoretischen Paradigmenwechsel von der »Philosophie als der Wissenschaft aller Wissenschaften« (Puchta) zu den zeitgenössischen Naturwissen-

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tuition« bzw. »juristische T h a t «3002 als derjenige Teil der juristischen Technik, der die Rechtsdogmatik erst zu einer allen übrigen Wissenschaften einschließlich der Rechtsgeschichte mit ihren produktiv »historischen Combinationen«3003 wirklich ebenbürtigen und gleichzeitig aber auch spezifisch juristischen Wissenschaft mache3004. Mit besonderem Blick auf das Schöpferische der Rechtsanwendung im Rahmen der subjektiven juristischen Technik erklärte Jhering, dass keine sonstige »im Uebrigen noch so werthvolle Beschäftigung mit dem Recht, wie die rechtsphilosophische und rechtshistorische, […] für sie Ersatz gewähren [kann], ja so hoch ich ein Wissen der letzteren Art stelle, als j u r i s t i s c h e s läßt es sich nicht bezeichnen.«3005

Insofern verstand Jhering die »Kunst« der Rechtsanwendung, die subjektive juristische Technik, bei der »viel von der Geschicklichkeit und dem richtigen Blick des Anwendenden« für das zu beurteilende Lebensverhältnis abhänge3006, selbst als einen – allerdings besonderen – Teil der Wissenschaft3007. Als beson-

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schaften als dem disziplinübergreifenden Leitbild für wissenschaftliche Methodik übersieht B.Rüthers, Rechtstheorie (1999), S. 266f., wenn er das zeitgenössische »Vorbild der Begriffsjurisprudenz« Puchtas auf »die erfolgreichen exakten Naturwissenschaften« zurückführt. Vgl. dagegen C.-E.Mecke, Objektivität (2008), S. 167. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 398 Fn. 514. Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 423. Die »producirende Thätigkeit auf dem Gebiete der Rechtsgeschichte« hatte Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 423 bereits in den vierziger Jahren dadurch charakterisiert, dass sie »dem Bereich der bloßen Gelehrsamkeit, wenn sie auch mit Scharfsinn gepaart ist, entzogen und [zu] eine[r] Kunst geworden« sei. Dies hatte der junge Jhering damit begründet, dass die Produktion der Rechtsgeschichte durch historische Kombination »vor allem Phantasie erfordert und die Fähigkeit, sich von den Einflüssen der modernen Bildung frei zu machen und ganz in die Anschauungsweise und sonstige Eigenthümlichkeit einer vergangenen Periode zu versetzen, in letzterer aufzugehen und sich dadurch ein zusammenhängendes und lebensvolles Bild von derselben zu verschaffen« (aaO). Vgl. schon oben S. 482f. zu Jherings Abgrenzung des allgemein Logischen und – im Rahmen der Auslegung – Philologischen vom spezifisch Juristischen im Rahmen der Rechtsdogmatik. Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 326; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 22f. (= Ges. Aufs. I, S. 19f.). Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 43. Nach S.Meder, Urteilen (1999), S. 15, 59, 67f. hat auch Savigny nach Überwindung seiner ursprünglichen Auffassung einer strikten Trennung Wissenschaft und Kunst wieder »unter einem gemeinschaftlichen Gesichtspunkt« betrachtet. Savigny hat aber die Wissenschaft und Kunst der Rechtsanwendung als Ausdruck der reflektierenden Urteilskraft verstanden, die Kant noch dem Gebiet der Ästhetik vorbehalten sah [Meder, aaO, S. 9, 18f., 25ff., 78, 81f. mit Fn. 1, S. 135ff., 156ff.]. Savigny war damit der juristischen Hermeneutik seiner Zeit voraus, und zwar insbesondere auch derjenigen von Puchta und Jhering. Denn sowohl Jhering als auch Puchta sind in ihren Methodenreflexionen zur Rechtsanwendung – in der Terminologie Kants – der Konzeption der bestimmenden Urteilskraft verhaftet geblieben, also der Vorstellung, dass im vorliegenden Zusammenhang die vor der Rechtsanwendung feststehende allgemeine Rechtsregel das Besondere durch

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ders verstand es Jhering nämlich bei der subjektiven juristischen Technik nicht nur, dass die »Kunst der juristischen Diagnose« allein schon »mit der theoretischen Kenntniß des Rechts keineswegs gegeben ist, sondern einer besonderen Anstrengung und vieljähriger Uebung bedarf«3008, soweit die Erlangung eines spezifisch »juristischen Sinn[s]«, »ein j u r i s t i s c h e s Auge«, nicht zu reden von den »Blicke[n] des juristischen Genies«, Jhering überhaupt erlernbar erschienen3009. Als besonders betrachtete es Jhering vielmehr auch, dass man »die A n w e n d u n g des Rechtssatzes, den Umsatz der abstracten Regel in concrete Verhältnisse […] bei jedem einzelnen Fall von neuem zu lösen« habe. Nie sei es hier so, wie im Rahmen der objektiven juristischen Technik, wo man ein Problem dann, wenn »man einen Rechtssatz e i n m a l richtig begriffen hat, […] ein für alle Mal gelöst« haben könne und »nicht bei jedem einzelnen Fall seiner Anwendung« neu erörtern müsse3010. Dabei sah Jhering die Schwierigkeiten der subjektiven juristischen Technik bzw. der Kunst der Rechtsanwendung in zweifacher Richtung. Im Rahmen der Subsumtion eines Sachverhaltes unter eine abstrakte Rechtsregel betraf die juristische Technik die »Fähigkeit des mühelosen begrifflichen Umsatzes zwischen Abstractem und Concretem, des Blicks, des Treffers in der Wahrnehmung des Rechtsbegriffs im Rechtsfall (j u r i s t i s c h e D i a g n o s e )«3011.

Die »Kunst der juristischen Diagnose«3012 bezog sich also auf das Problem der Konkretisierung des Abstrakten oder – subsumtionstheoretisch ausgedrückt – auf die Bildung des Untersatzes im Rahmen des juristischen Syllogismus, »und dieß kann sehr leicht, aber auch unendlich schwer sein.«3013 Denn – so meinte

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Subsumtion bestimmt und nicht erst umgekehrt im Akt der Rechtsanwendung durch die reflektierende Urteilskraft des individuellen Rechtsanwender jeweils neu gefunden wird [vgl. dazu auch C.-E.Mecke, Hermeneutik (2013), S. 37–43]. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 356; Ders., Zweck II (11883), S. 46f. Vgl. ferner auch schon LZ 1846, Sp. 73 aus der Jhering zuzuschreibenden Artikelfolge in LZ 1845/46 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (77)] zur »juristische[n] Diagnose« als einer »juristische[n] Kunst, […] die recht eigentlich den Juristen macht, ihn von dem rechtskundigsten Laien oder dem gelehrtesten Kenner des Rechts auf ’s schärfste sondert.« Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 22f. (= Ges. Aufs. I, S. 19f.). Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 43. Vgl. dagegen oben S. 548 zum »bleibenden Werth« einer Konstruktion im Rahmen der objektiven juristischen Technik. Jhering, Geist II/2 (31875), § 37, S. 313f.; Ders., Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 85. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 356. Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 43. Wenn J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 192 selbst um 1900 noch eine auch theoretische Problematisierung der Formulierung des Untersatzes im Rahmen des Syllogismusmodells vermisst, wäre auf Jhering zu verweisen. Denn Jhering hat zumindest in seiner Spätzeit dieses Problem der richterlichen Rechtsanwendung bereits in einer Weise theoretisch angesprochen, die über die bis dahin üblichen Verweise auf den »juristischen Takt« des Rechtsanwenders weit hinausgingen. So heißt es in einem vermutlich in Zweck I (11877), S. 378, 385f. aufgegangenen, teilweise mit

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Jhering auch schon zum Zeitpunkt der Ausarbeitung seiner Theorie der naturhistorischen Methode unmissverständlich gegen jede naive Vorstellung eines Subsumtionsautomatismus oder auch nur Subsumtionsideals gerichtet3014 – es Streichungen versehenen handschriftlichen Manuskript aus Jherings Nachlass: »[…] es ist die Frage, ob der Gesetzgeber es in der Hand hat, durch die Gestaltung des Rechts der Anwendung desselben die Sicherheit einer mathematischen Operation zu gewähren, den Einfluß des subjectiven Elements dabei völlig zu eliminiren, aus dem Richter, wollen wir sagen, eine Maschine zu machen, bei der man auf der einen Seite das Gesetz u.[nd] den Rechtsfall [sc. nur] hineinzustecken braucht[,] um auf der anderen Seite das richterliche Urtheil entgegen zu nehmen. Diesen Glauben haben manche Gesetzgeber genährt, und er hat in der That etwas Scheinbares. Das Verführerische beruht auf der logischen Einfachheit der richterlichen Operation. Sie ist nichts als ein Syllogismus, bei dem nur der Obersatz […] lautet. ›Der Mörder soll des Todes sterben‹, = wenn Jemand Mörder ist, so soll er des Todes sterben. Sache der Richters ist es, den Untersatz festzustellen: ›A ist Mörder‹, jedes Kind kann dann den Schluß ziehen: ›A muß des Todes sterben‹. Gelingt es[,] das Gesetz deutlich, bestimmt, erschöpfend abzufassen, so bedarf es zum Urtheil nichts weiter als eines Abklatsches desselben im concreten Fall, dem Gesetzgeber fällt die Function des Setzers in der Druckerei zu, er liefert den ›Satz‹, dem Richter die des Druckers, er zieht ihn ab, und dieselbe Sicherheit der absoluten Deckung zwischen Concretem und Abstractem, wie sie beim Druckbogen und Satz Statt findet, waltet auch beim Urtheil und dem Gesetz ob, die Druckfehler hat der Setzer zu verantworten, der Drucker hat sich nicht darum zu kümmern. Die ganze Vorstellung ist unhaltbar, sie beruht auf einer gänzlichen Unterschätzung der Schwierigkeiten der Aufgabe. Weder ist der Gesetzgeber im Stande, das Gesetz so einzurichten […] – keine Gesetzgebung der Welt hat bis jetzt das Problem gelöst, und keine wird es je lösen, das eigene Denken des Richters in Bezug auf diesen Punkt entbehrlich zu machen, noch auch ist die Subsumtion des concreten Falls unter das abstracte Recht so einfach, wie sie es, wenn die obigen Vergleiche zuträfen, sein müßten. Die Schwierigkeit steckt darin, daß der Untersatz, der im Schema Syllogismus gegeben wird: ›A ist ein Mörder‹, vom Richter erst festgestellt werden muß, und dazu bedarf es zweier Operationen; der thatsächlichen Constatirung des Factums (Beweis) und der juristischen Beurtheilung desselben (Diagnose), von denen die letztere, auch wenn der Gesetzgeber sie durch passende Gestaltung der Rechtssätze (Praktikabilität) […] erleichtert, so weit er kann* [*) S.[iehe] darüber meinen Geist des röm. Rechts I, S. 51. II S. 327, 328] doch noch solche Schwierigkeiten übrig läßt, daß sie die ganze Kunst des geschulten und erfahrenen Juristen erfordern. Die Vorstellung[,] durch ein Gesetzbuch den juristisch gebildeten, einsichtigen u.[nd] geübten Richter überflüssig u.[nd] die Anwendung des Rechts zu einer Sache des gewöhnlichen Menschenverstandes machen zu können, ist um nichts besser, als die, durch Anleitungen zum Dichten, Komponiren u.s.w. jeden Menschen zum Dichter und Komponisten machen zu können. So läßt sich also der Einfluß des subjectiven Moments in der Person des Richters bei der Rechtspflege nicht ausschließen, die Quelle der Unsicherheit, die sich daraus für das Recht ergibt, nicht verstopfen und jedes darauf gerichtete Bestreben des Gesetzgebers erscheint von vornherein als ein verfehltes« [Jhering, Manuskriptfragment zur Funktion des Richters (Nachlass), VIII, S. 89–91 (Unterstreichungen im handschriftlichen Manuskript sind hier in Kursivschrift wiedergegeben)]. 3014 Anderer Ansicht ist offenbar B.J.Choe, Culpa (1988), S. 150ff., für den es »keinen Zweifel« gibt, »daß Jhering sich für das Subsumtionsideal erklärt.« Zu klären wäre allerdings, was Choe unter »Subsumtionsideal« versteht. Wenn er darunter dasjenige versteht, was Jhering in der von Choe als Beleg für seine Behauptung zitierten Passage über die Notwendigkeit der Formulierung von typisierenden Rechtsbegriffen durch Gesetzgebung und Rechts-

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»kann nämlich ein concretes Rechtsverhältnis so eigenthümlich gestaltet sein, daß es die Merkmale z w e i e r Begriffe an sich trägt, und mithin eine Entscheidung für den einen oder andern absolut unmöglich ist. In einem solchen Zweifelsfall bedarf es nun, da eine Entscheidung einmal getroffen werden muß, eines Gewichts, das den Ausschlag gibt, und dies ist die V e r m u t h u n g , die juristische Präsumtion (praesumptio juris)«

oder aber, wenn auch eine solche Präsumtion den Rechtsanwender nicht »aus dem Zustand absoluter Ungewißheit errettet«3015 – Jhering sagt es zwar nicht ausdrücklich, aber der Schluss scheint unausweichlich – der richterlichen Dezision. Entsprechendes galt nach Jhering auch für die umgekehrte Richtung des »Umsatzes zwischen Abstractem und Concretem«3016, nämlich die juristisch abstrahierende Analyse eines konkreten auf privatautonom getroffenen Vereinbarungen beruhenden Rechtsverhältnisses, bei dem »der Jurist da, wo […] der Laie […] nur e i n e n Akt bemerkt, deren zwei annimmt, oder da, wo Jener überall keinen Akt wahrnimmt, einen oder gar mehre[re] statuirt und umgekehrt da, wo ein äußerer Akt in der That vorliegt, denselben n i c ht sieht, oder ihn in ganz anderer Weise auffaßt, als er äußerlich erscheint […].«3017

Auch hier bedurfte es nach Jhering »eines nur durch vieljährige Anstrengung und Uebung zu gewinnenden eigenthümlichen Au f f a s s u n g sve r m ö g e n s , einer besonderen Fertigkeit des abstracten Denkens: der juristischen I nt u i t i o n , I m a g i n at i o n «3018, um ein konkretes Lebensverhältnis auf eine mögliche rechtliche Relevanz zu überprüfen und insoweit mit den Begriffen des Rechts in rechtlich abstrahierter Form zu reformulieren. Beides, die von den Begriffen des Rechts ausgehende juristische »D i a g n o s e « eines Sachverhalts bei der Subsumtion von Rechtssätzen wie auch die von einem beliebigen Lebensverhältnis ausgehende juristische Bewertung desselben aufgrund der von jedem Juristen

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wissenschaft zur Erleichterung, aber auch Steuerung der Rechtsanwendung erklärt hat, dann allerdings hatte der frühe Jhering nicht weniger ein Subsumtionsideal als der späte Jhering [vgl. nur Jhering, Besitzwille (1889), S. 146ff.] und wie im übrigen auch heutige Vertreter der Methodenlehre. Wenn Choe dagegen die Auffassung meint, daß es für jeden Sachverhalt immer nur genau eine rechtliche Lösung gebe, dann wird man Jhering kein Subsumtionsideal, geschweige denn die Vorstellung eines logisch-mechanischen Subsumtionsautomatismus zuschreiben können. Vielmehr war sich Jhering – wie auch mutmaßlich aus den vierziger Jahren stammende Unterlagen aus Jherings Nachlass belegen [Jhering, Rechtsphilos. Notizen (Nachlass), Bl. 44v] – schon in ganz frühen Jahren der »Schwierigkeit, trotz allgemeiner Regeln«, »das object.[ive] R[echt] u[nd] die Individualität d[e]s concret[en] F.[alles]« in ein richtiges Verhältnis zu bringen und »letzterem die ihm zukomm[ende] Beurtheil[un]g zu geb[en]« (aaO), sehr wohl bewusst. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 357; Ders., Besitzwille (1889), S. 149ff. Jhering, Geist II/2 (31875), § 37, S. 313f. Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 327. Jhering, Geist II/2 (31875), § 37, S. 313.

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erwarteten besonderen »Fertigkeit des abstracten Denkens«, bezeichnete Jhering als »Ausdruck der j u r i s t i s c h e n B i l d u n g .«3019 »Sie ist es, die den Juristen vom Laien unterscheidet, nicht die M a s s e der Kenntnisse, s i e ist es, die den Werth des Juristen bestimmt, nicht das Maß der Gelehrsamkeit.«3020 Denn »G e s e t z e kann der Laie so gut auswendig lernen, als der Jurist […]. Aber um das Re c ht zu verstehen und anzuwenden« auf der Grundlage »einer besonderen Fertigkeit des abstracten Denkens« bei der Definition der Rechtsbegriffe sowie »einer besonderen Geschicklichkeit im Operiren« mit diesen Rechtsbegriffen, »dazu reicht der einfache Verstand und der natürliche Sinn nicht aus […].«3021 Mithin war nach Jhering die juristische Bildung, ohne die man bei Vermeidung einer bloß auf Gefühl beruhenden und damit potentiell willkürlichen Rechtsanwendung »im Leben nicht operiren kann, […] vielleicht in noch höherem Grade als das erforderliche Wi s s e n der[jenige] Umstand, der den Laien vom Juristen scheidet und ihm die Hülfe des letzteren unentbehrlich macht.«3022 Damit war die neben der Frage nach der wissenschaftlichen Eigenständigkeit der Rechtsdogmatik gegenüber anderen Wissenschaften nicht erst seit Kirchmann3023 ebenfalls zu beantwortende Frage nach der Existenzberechtigung eines

3019 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 325. 3020 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 325f. Hegels Kritik gegenüber einer sich als eigenständige Fachwissenschaft emanzipierenden Jurisprudenz, wonach »sowenig jemand Schuhmacher zu sein braucht, um zu wissen, ob ihm die Schuhe passen, ebensowenig […] er überhaupt zum Handwerk zu gehören [braucht], um über Gegenstände, die von allgemeinem Interesse sind, Kenntnis zu haben« [G.W.F.Hegel, Rph. (1821), § 215 Zusatz], kommentierte Jhering, Geist II/2 (21869), § 37, S. 298 Fn. 472a leicht gereizt: »Ein Urtheil darüber, ob die Schuhe passen, wird Niemand dem, der sie tragen soll absprechen; aber ein ganz anderes Ding ist es, ob der Schuster sich von ihm sagen lassen soll, wie er sie zu machen hat.« Der Vergleich mit dem Schuster [vgl. auch schon Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 331] hatte übrigens schon Vorläufer. Denn zumindest soweit Jhering mit seiner Spitze gegen Hegel auf den Unterschied von gelehrter Wissenschaft und spezifisch juristischer Kunst des Praktikers angespielt hatte, hätte er sich auch schon auf Kant berufen können. Dieser hatte nämlich allgemein über den Unterschied von Wissenschaft und Kunst gemeint: »C a m p e r beschreibt sehr genau, wie der beste Schuh beschaffen sein müßte, aber er konnte gewiß keinen machen« [I.Kant, KdU (11790/21793), B 175 A 173 = WW X, S. 238]. 3021 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 325, 333. Jhering hat die – auch rhetorisch dankbare – Unterscheidung zwischen »Gesetz« und »Recht«, die wie die alte ursprünglich theologische Unterscheidung zwischen »Buchstabe« und »Geist« (vgl. S. 423 Fn. 2113) inhaltlich ganz unterschiedlich ausgefüllt werden konnte, in anderen Kontexten auch in ganz anderer Bedeutung verwendet (vgl. nur oben S. 199 Fn. 923). 3022 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 356. 3023 Vgl. J.Rückert, Autonomie (1988), S. 65 zu diesem von ihm sogenannten »autonomiekritische[n] Modell zur Lückenfüllung, das unter den Stichworten Laienjustiz und populäre Kodifikation« Mitte des 19. Jahrhunderts »im Gefolge von Reyscher und anderen durch Beselers und Puchtas Polemik 1843/44 wieder für einige Zeit diskussionswürdig wurde.« Die Diskussion unter dem Stichwort »Laienjustiz« sollte nicht mehr verstummen.

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juristischen Fachmenschentums gegenüber dem natürlichen Judiz des Laien bei der Anwendung des Rechts für Jhering unmissverständlich beantwortet3024. (1) Das Gesetz der Deckung Die spezifisch schöpferische Leistung des Rechtsanwenders im Rahmen der subjektiven juristischen Technik verstand Jhering nur dann als eine auch rechtliche, wenn sie den konstitutiven Gesetzen der juristischen Konstruktion und hier vor allem dem Gesetz der Deckung nicht widersprach. Mit dieser »Voraussetzung […] wesentlich p o s i t ive r Art«3025 verbanden sich für Jhering bei der juristischen Konstruktion zwei verschiedene Annahmen, die auf den ersten Blick sogar widersprüchlich erscheinen können. Einerseits sollte – naturhistorisch gesprochen – die juristische »Gültigkeit des Rechtsgeschäfts auf seiner Reducirbarkeit auf bekannte Begriffe, seiner analytischen Löslichkeit« beruhen3026, da nämlich »der individuelle Wille [sc. der am Rechtsgeschäft Beteiligten] nu r s ow e i t wollen könne, als er durch den allgemeinen gedeckt ist«3027. Ein Rechtsgeschäft – so Jhering 1865 – gewinne nur dadurch, dass es »auf vorhandene Begriffe zurückgeführt werden kann, […] rechtlichen Bestand, denn, was nicht abstract möglich ist, kann auch nicht concret wirklich werden.«3028 Und jenseits des sogenannten allgemeinen Willens im »objective[n] Recht […] offenbart sich die Ohnmacht des individuellen Willens«3029. Andererseits hat Jhering bekanntermaßen das System nicht nur als Inbegriff »des p o s i t iv g e g e b e n e n Stoffs«, sondern ausdrücklich auch als eine »Quelle n e u e n Stoffs«, sogar als »e i n e u nve r s i e g b a re Q u e l l e n e u e n S t o f f s « 3024 Die in der zeitgenössischen Jurisprudenz von allen beklagte »Kluft zwischen Juristen und Laien« war ein altes Thema [Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 325ff., ferner auch J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 1, 4 m.w.N.], das Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem in der von Germanisten getragenen Diskussion um Laienrichter allerdings auch eine ganz praktische Aktualität gewann. Mit der Betonung der Notwendigkeit einer spezifisch juristischen »Intuition, Imagination«, einer juristischen Bildung und eines der Jurisprudenz »eigenthümlichen Auffassungsvermögens« wollte Jhering aber herausstellen, dass »der bloße Mutterwitz allein nicht aus[reicht]« [Jhering, Geist II/2 (31875), § 37, S. 313f.]. Damit grenzte er sich auch von Auffassungen wie etwa derjenigen Kants ab, der noch allein »das Spezifische des so genannten Mutterwitzes, dessen Mangel keine Schule ersetzen kann«, als das »Genie«, »Talent (Naturgabe)« bzw. »ingenium« betrachtet hatte, wodurch sich unter anderem die Urteilskraft des Richters von bloßer »Gelehrsamkeit« des Wissenschaftlers unterscheide [vgl. I.Kant, KrV (11781/21787), B 172f. A 133f. mit Anm.* = WW IV, S. 184f. mit Anm.*; Ders., KdU (11790/21793), B 181 A 179 = WW X, S. 241f. sowie dazu J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 185f. m.w. N.]. 3025 Jhering, Geist III/1 (11865), § 53, S. 126. 3026 Jhering, Geist III/1 (11865), § 53, S. 126. 3027 Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 309. 3028 Jhering, Geist III/1 (11865), § 53, S. 126. 3029 Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 309.

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bezeichnet3030 und deswegen prophezeit, dass die »Jurisprudenz nie ein absolutes Deficit an Rechtssätzen zu befürchten hat.«3031 Während diese Äußerungen Jherings im 19. Jahrhundert praktisch unkritisiert blieben3032, wurden sie an der Wende zum 20. Jahrhundert und später neben Karl Bergbohms bekanntem Ausspruch von der »logischen Expansionskraft«3033 des Rechts zum klassischen Beleg für eine verfehlte Vorstellung von der Lückenlosigkeit des Rechts bzw. »Geschlossenheit des Systems«3034. In der Tat könnte man sogar die Frage nach dem Sinn des Konstruktionsgesetzes der positiven Deckung des Stoffs stellen, wenn nach Jhering »ein absolutes Deficit an Rechtssätzen« ohnehin nicht zu befürchten sein sollte, »in wie ungewöhnlichen, abweichenden Bildungen sich auch der fortschreitende Verkehr ergehen möge«3035. Aus der Sicht Jherings hat ein Widerspruch zwischen den vorstehend zitierten Äußerungen aber nicht bestanden. Denn erstens bezog sich die Behauptung von der Unversiegbarkeit der Quelle auf das geltende Privatrecht und die gemeinrechtliche Privatrechtsrechtsdogmatik3036, und zweitens lag dieser Behauptung wie allen methodentheoretischen Überlegungen Jherings eine strikte rechtsquellentheoretische Unterscheidung von gesetzgeberischer und gewohnheits3030 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 409, 412. 3031 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16 (= Ges. Aufs. I, S. 14). 3032 Wohl hatte W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. 429f. zwar ohne ausdrückliche Nennung von Jherings Namen, aber unmittelbar gegen dessen im Text zitierte Worte in Geist II/2 gerichtet die Qualifizierung des Systems als eine »Quelle neuen Stoffs« kritisiert. Dies blieb damals aber eine Ausnahme. Auch Arnolds Kritik hatte sich nur gegen eine Überschätzung des Systems im Sinne von Rechtsklassifikationen gerichtet, die niemals »ein Surrogat für die uns unmögliche Totalanschauung des Rechts« sein könnten. Vgl. zu Jherings Erwiderung schon oben S. 413 Fn. 2066. 3033 K.Bergbohm, Jurisprudenz (1892), S. 386ff. 3034 E.Ehrlich, Grundlegung (1913), S. 270; P.Heck, Begriffsbildung (1932), § 1, S. 3; § 7, S. 72f.; F.Jerusalem, Rechtswissenschaft (1948), S. 152ff. Vgl. auch A.Kaufmann, Analogie (1965), S. 11f.; J.Edelmann, Entwicklung (1967), S. 82, 85f.; E.Winter, Ethik (1980), S. 382f. m.w. N. Schon E.Zitelmann, Lücken (1903), S. 41f. Anm. erschien Jhering dabei nur als ein Vorläufer Bergbohms: Die Vorstellung, dass »die Rechtsordnung als ein in sich geschlossenes und insofern lückenloses Ganzes anzusehen sei« und jede »angebliche Lücke des Rechts nur eine Lücke im Wissen vom Recht sei, tritt wohl schon bei Ihering hervor […]. Am tiefsten und eindringlichsten ist die Theorie von der logischen Geschlossenheit des Rechts von Bergbohm […] behandelt und befürwortet […].« Auch K.Bergbohm, Jurisprudenz (1892), S. 374 Fn. 6 a.E.; S. 383 Fn. 16 selbst hatte sich ausdrücklich auf »die Anregungen der wunderbaren Stellen in v. Jherings Geist u.s.w. I § 3 (4. Aufl. S. 31ff.)« berufen – »Stellen, die jedermann, bevor er über das Recht eine ›philosophische‹ Meinung äußert, auswendig kennen sollte […].« Vgl. dazu aber weiter im Text. 3035 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16 (= Ges. Aufs. I, S. 14). 3036 Zu Recht weist I.Kroppenberg, Plastik (2015), S. 17 darauf hin, dass stofflicher »Ausgangspunkt« der von Jhering unterschiedenen drei »Fundamental-Operationen der juristischen Technik« die Pandekten waren, also ein in seinen Ursprüngen zweitausend Jahre alter Fundus hochentwickelten Rechts- und Problemdenkens. Vgl. dazu auch C.-E.Mecke, Beiträge (2009), S. 556f.

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rechtlicher Rechtsetzung auf der einen Seite und rechtswissenschaftlicher Konstruktion auf der anderen Seite zugrunde3037. Was den zuerst genannten Gesichtspunkt angeht, ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden, dass sich die nicht auf Schlagworte beschränkte Kritik am sogenannten Dogma von der Lückenlosigkeit »im allgemeinen auf den späten Gesetzespositivismus« im ausgehenden 19. Jahrhundert beziehe3038. Gesetzespositivismus ist Jhering als Zivilrechtler und gemeinrechtlichem Pandektisten allerdings gleichermaßen fremd gewesen. Als Pandektist hatte er es ohnehin – noch – nicht mit einer umfassenden Privatrechtskodifikation eines staatlichen Gesetzgebers zu tun3039. Vor allem aber wusste er als Zivilrechtler gerade mit Blick auf die dem Privatrecht eigentümliche Privatautonomie, dass die »Erfindungskraft des Lebens aller Voraussicht und Berechnung spottet« und dass daher dann, wenn der staatliche »Gesetzgeber für jedes Rechtsverhältniß oder jede besondere Gestaltung eines solchen eine Regel aufstellen [müsste], […] der Stoff uns nicht bloß durch seine Massenhaftigkeit erdrücken, sondern trotz derselben uns täglich im Stich lassen« würde3040. Angesichts der Tatsache, dass die »Combinationskunst des Lebens […] so unerschöpflich« sei bei der autonomen Gestaltung der Privatrechtsverhältnisse durch die jeweils Beteiligten, hätte nach Jhering selbst »die reichste Casuistik eines Gesetzbuches ihren ewig neuen Fällen gegenüber dürftig erscheinen« müssen3041. Eine in diesem Sinne »abschließende Kodifikation […], die keine Lücken kennt, sondern nur den Unterschied zwischen Regelung und rechtsleerem Raum«, wie es später Karl Bergbohm propagieren sollte3042, war damit – wenn überhaupt – ohnehin nur im Strafrecht denkbar3043. Immerhin hatte schon der junge Savigny in seinen Vor3037 Vgl. zu dieser rechtsquellentheoretischen Unterscheidung Jherings Teil 1, Abschnitt III. und dort insbesondere S. 206. 3038 F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967), S. 437. 3039 Mit einigem Recht weist K.Schmidt, Jhering (1993/1996), S. 205f. daher mit Blick auf die im 19. Jahrhundert vorhandene historische »Praxis und Wissenschaft des gemeinen Rechts, das nicht als Zustand, sondern nur als Prozeß zu begreifen war«, darauf hin, dass auf diesem Hintergrund die »gegenwärtige Rechtsfortbildungsdiskussion […] Züge des Gesetzespositivismus [trägt], die Jhering fremd sind« bzw. ihm nach dem wissenschaftlichen Rechtsverständnis seiner Zeit noch fremd sein mussten. In dieser Richtung allgemein auch schon P.Koschaker, Krise (1938), S. 28f. sowie dies bekräftigend U.Falk, Jurist (1993), S. 616, wonach im speziellen Falle der »Rechtstexte des Corpus Juris« selbst eine methodentheoretisch »angeblich strenge Bindung an den historischen Gesetzgeberwillen in den meisten Fällen schon im Ansatz auf eine Fiktion hinauslaufen« musste. 3040 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 360f. 3041 Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 30. 3042 Vgl. O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 32f., der mit Blick auf die ganz besondere Rolle der gesetzlich anerkannten Privatrechtsdogmatik darauf hinweist, dass auch das Bürgerliche Gesetzbuch einen solchen »Gegensatz von abschließender Regelung und rechtsfreiem Raum« nicht kenne. 3043 Vgl. K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 378 m.w.N. dazu, dass im Unterschied zum

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lesungen darauf verwiesen, dass da, wo »die Gesetzgebung über einen einzelnen Punkt schweigt«, ein grundsätzlicher Unterschied zwischen »Zivilrecht« und »Kriminalrecht« gemacht werden müsse, da bei ersterem »durch Analogie […] die Gesetzgebung aus sich selbst ergänzt« werden dürfe und müsse, bei letzterem hingegen nicht3044. Zudem stellte sich im Zivilrecht die Frage nach der Deckung durch das positive Recht in einer ganz besonderen Weise. Denn wenn auch Jhering die Privatautonomie im geltenden Recht nicht mehr als eigenständige Rechtsquelle neben Gesetz und Gewohnheitsrecht betrachtete3045, so konnte doch aufgrund der Privatautonomie im konkreten Privatrechtsverhältnis die geltungsrechtliche Grundlage rechtlicher Ansprüche sowohl auf allgemeinverbindlichen »Rechtssätzen« aus Gesetz oder Gewohnheitsrecht als auch – Jhering unterschied hier terminologisch nicht – auf »Rechtssätzen« aus Rechtsgeschäft3046, also auf der Strafrecht für »das Zivilrecht und andere Rechtsgebiete […] ein […] ›allgemeiner negativer Grundsatz‹, demzufolge alle Handlungen ohne Rechtsfolgen bleiben, für die eine solche [sc. Rechtsfolge] im Gesetz nicht ausdrücklich bestimmt ist, abzulehnen« sei. A.Kaufmann, Analogie (1965), S. 2ff. hält allerdings ungeachtet des der späten Aufklärung entstammenden Grundsatzes »nullum crimen/nulla poena sine lege« auch für das Strafrecht Bergbohms gesetzespositivistische Identifizierung von Gesetz und Recht und die damit verbundene Verengung auf die Alternativen von rechtlicher Regelung oder rechtsleerem Raum, positivem Gesetz oder überpositivem Recht für unangebracht. 3044 F.C.v.Savigny, Methodenlehre/Grimms Vorlesungsnachschrift (1802/03), in: WesenbergAusgabe, S. 41f. und dazu J.Rückert, Autonomie (1988), S. 64 m.w.N. Selbst die Annahme eines Analogieverbotes im Strafrecht zuungunsten des Straftäters war in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts noch alles andere als selbstverständlich gewesen [vgl. nur J.Schröder, Ausnahmegesetze (1999), S. 623f.; Ders., Recht (22012), S. 159, 261 m.w.N.]. 3045 Vgl. R.Pohlmann, Artikel »Autonomie« in: J.Ritter, Hist.Wörterbuch/Bd.1 (1971), Sp. 704f. zu der von einigen Autoren bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein vertretenen Auffassung, dass die Privatautonomie als eine eigenständige Rechtsquelle neben Gesetz und Gewohnheitsrecht zu qualifizieren sei. Entgegen Pohlmann gehörte allerdings Puchta nie zu denjenigen, die diese Auffassung vertreten haben. Vielmehr hatte Puchta auf der Grundlage seiner Volksgeistlehre terminologisch und teilweise auch sachlich klarer als Jhering zwischen Rechtssatz und Rechtsgeschäft unterschieden. Letzteres gilt insbesondere für die Frage nach der rechtlichen Qualifizierung der Satzungsautonomie, welche Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 48 (= Ges. Aufs. I, S. 42) noch »nur [als] eine Steigerung d e r Autonomie, die man einem jeden Bürger zuschreiben kann«, verstanden wissen wollte [vgl. dagegen zu Puchta C.-E.Mecke, Begriff (2009), S. 385 Fn. 1900]. 3046 Vgl. beispielsweise Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 45, 47 (= Ges. Aufs. I, S. 39, 41) zum privatrechtlichen Institut der »Girobank«. Die sich aus den »Willenserklärung[en]« der »Bankinteressenten« ergebenden »Rechtssätze, die in Bezug auf das Verhältniß gelten«, waren Grundlage für die rechtswissenschaftliche Konstruktion der »civilistischen Structur einer G i r o b a n k « (aaO) – eine der »viele[n] spezifische[n] Geschäftstypen der neuen Entwicklung«, die mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert verbunden waren [vgl. F.Wieacker, Pandektenwissenschaft (1968), S. 5]. Gleiches galt nach Jhering für sonstige aufgrund des jeweiligen »Bedürfniß[es] des Verkehrs« privatautonom ver-

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nur für das konkrete Rechtsverhältnis verbindlichen und zuweilen noch heute sogenannten »lex contractus«3047 beruhen. Geltungstheoretisch erklärte Jhering die Rechtsverbindlichkeit der letzteren entgegen der Darstellung von Walter Wilhelm3048 nicht anders als die heutige Privatrechtsdogmatik auch3049 mit der »im Gesetz enthaltene[n] Anerkennung des Prinzips der Autonomie«, wodurch »letztere sich nicht als etwas au ß e r dem Gesetz Existirendes n e b e n dasselbe, sondern als etwas du rc h das Gesetz Existirendes u nt e r dasselbe« stelle3050. Im Ergebnis und konkret auf das einzelne in Rede stehende Rechtsverhältnis beschränkt kommt den Privatrechtssubjekten danach aufgrund der Privatautonomie, also der zwar nicht unbeschränkten, aber doch sehr weitgehenden Freiheit der Beteiligten sowohl bei der Festlegung des Inhalts als auch bei der Gestaltung der Form ihrer Rechtsgeschäfte eine bedeutende Kompetenz zur eigenverantwortlichen Begründung individueller Rechte und Rechtspflichten in einem Rechtsverhältnis zu3051. Rechtsgeschichtlich betrachtet kann dies unter

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einbarte »Einrichtungen und Rechtssätze, mit denen […] unser Recht bereichert wird«, ganz gleich ob sie »der Jurisprudenz passen oder sie in Verlegenheit setzen« [Jhering, Reivindicatio (1857), S. 112ff.]. Vgl. K.Larenz, Allg. Teil (51980), § 2 II e), S. 36. Nach F.Wieacker, Lex publica (21961), S. 48 geht der Ausdruck noch auf das altrömische Recht zurück, wo »das gleiche Wort lex ebenso auf autonome Festsetzung[en] (lex privata, lex contractus) wie auf gesamtrömische (lex publica) angewandt« wurde. Nach Jherings Deutung hatte im altrömischen Recht sogar ursprünglich eine weithin unbegrenzte »Autonomie« geherrscht, so dass zunächst überhaupt die »leges contractus […] die leges de contractibus ersetzen« mussten, bis ihnen »in späterer Zeit die Wissenschaft und Legislation« mit »sogenannten dispositiven (subsidiären, die Autonomie ergänzenden) Bestimmungen zu Hülfe« gekommen seien [Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 312, 314; Ders., Geist II/2 (11858), § 47, S. 605]. Die Tatsache, dass angesichts der ganz unterschiedlichen geistigen und auch politischen Voraussetzungen »Gesetz« im Rom der Antike etwas anderes bedeutete als »Gesetz« im sich im 19. Jahrhundert etablierenden Verfassungsstaat [F.Wieacker, aaO, S. 45], überging Jhering hier allerdings weitgehend. Schon J.Unger, System I (1856), S. 25 Fn. 1 wollte daher vom Vertrag als »Gesetz zwischen den Parteien (lex contractus)« nur noch in einem »vulgären unjuristischen Sinn« sprechen. Nach W.Wilhelm, Theorie (1972), S. 273 mit Fn. 45 soll entsprechend Jherings angeblich besonders »strikter Auffassung des Prinzips der Privatautonomie« der »Gesetzgebung im Bereich des Privatrechts nur eine sanktionierende Funktion« für die »rechtsschöpferische Kraft der Privatautonomie« zugekommen sein. Dazu K.Larenz, Allg. Teil (51980), § 1 I c), S. 7; § 2 II e), S. 37; Staudinger-Dilcher, BGB (121980), Einl. zu §§ 104–185, Rz 7f. sowie jüngst eingehend C.Heinrich, Vertragsfreiheit (2000), S. 64ff. m. w. N., ferner K.F.Röhl, Rechtslehre (22001), S. 209f., 531. So Jhering, Geist II/1 (11854), § 27, S. 68f.; § 31 S. 151ff. zwar im rechtshistorischen Kontext, aber in »dem von mir [sc. Jhering] hier zu Grunde gelegten v u l g ä r e n Sinn« als »nur ein anderer Ausdruck für Freiheit des rechtlichen Willens, Dispositionsbefugniß u.s.w.« des Einzelnen (aaO, § 31, S. 151 Fn. 167). Das Prinzip der Autonomie in diesem auch heutigen Sinne von Privatautonomie war nämlich »durch Jhering auf römischen Boden verpflanzt worden« [J.Murakami, Privatautonomie (1986), S. 475f.]. Vgl. auch Jhering, Geist III/1 (11865), § 53, S. 125f., wo dieser selbst das in der Privatautonomie gründende »Rechtsgeschäft« als die »Form« des Rechts charakterisierte, »in welcher

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Umständen auch Ausgangspunkt einer »normativen Verfestigung« zu dispositiven Regeln des objektiven Rechts sein3052. Deswegen sprach Jhering von »Rechtssätzen […], welche sich aus der gleichmässigen autonomischen Abschliessung der Rechtsgeschäfte im Verkehr nach und nach ablagern […]. Aber die Macht […] des Verkehrs wie der Wissenschaft, ist eine beschränkte […].«3053

Die Privatautonomie sowie die Aufgabe der Rechtswissenschaft, das geltende Gesetzes- und Gewohnheitsrecht als teilweise ergänzende, teilweise eigenständige Rechtsgrundlage für privatrechtliche Ansprüche innerhalb und außerhalb des Vertragsrechts im Wege der Analogie zu erweitern, bedeutete allerdings nicht, dass Jhering im geltenden Pandektenrecht keine Lücken im Sinne von de lege ferenda wünschbaren, de lege lata aber fehlenden und daher nach dem Gesetz der Deckung des positiven Stoffs vorerst unmöglichen Anspruchsgrundlagen gesehen hätte. Wohl glaubte der junge Jhering noch an die ungebrochene Kraft der »Consequenz in der Fortbildung des positiven Stoffs« des Rechts, das – so Jhering 1844 – »einzige Mittel [sc. des Juristen], durch das er über den Buchstaben oder über die Lücke des Gesetzes hinauskommen kann«3054. Aber abgesehen davon, dass Jhering auch diese Art der Lückenfüllung später einschränkte, da er von der theoretisch möglichen Konsequenz durch die jetzt dazwischen geschaltete Kontrolle des Rechtsgefühls keineswegs mehr unbesehen auf die auch praktisch geltende Konsequenz schließen lassen wollte, hat auch der junge Jhering die wissenschaftliche Ausfüllung von Lücken niemals so verstanden, als könnte die Rechtswissenschaft alle rechtspolitisch empfundenen Lücken des geltenden Rechts im Alleingang füllen. Konnte doch nach Jhering die der subjective Wille innerhalb der ihm vom Recht angewiesenen Schranken seine rechtsschöpferische Thätigkeit entfaltet. Nur insoweit er diese Gränzen innehält, schafft er wirklich; darüber hinaus bleibt sein Handeln entweder jeder Wirkung beraubt, ist ein leerer, nichtiger Akt, oder die Wirkung kehrt sich als negative gegen ihn […].« 3052 Vgl. zu dem zuletzt genannten Aspekt K.Schmidt, Jhering (1993/1996), S. 213, der die am Beispiel des älteren römischen Rechts gemachten rechtshistorischen Beobachtungen Jherings mit Entwicklungen im Bereich des heutigen Privatvertragsrechts wie etwa mit dem Leasing oder dem Franchising in Verbindung setzt. Ferner auch M.Martinek, Vertragstypen I (1991), S. 11, der sich heute gegen eine zu frühe kodifikatorische Festschreibung der zahlreichen modernen Vertragstypen ausspricht, die sich seit einigen Jahren bzw. Jahrzehnten herausbilden und »durch langjährige praktische Übungen, kautelarjuristische Erprobungen und gerichtliche Auseinandersetzungen erst konturieren müssen.« 3053 Jhering, Kampf (1872), S. 13. 3054 Jhering, Abhandlungen (1844), S. 12f. Den Richter, den nicht nur »das Gesetzbuch […] im Stich läßt«, sondern auch die die Gesetzeslücken feststellende und füllende wissenschaftliche Theorie, beschied Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 88f. auch noch später da, »wo ein Anhaltspunkt im vorhandenen Recht sich finden läßt, aus der Consequenz« zu entscheiden. Erst für verbleibende Fälle verwies er den Richter jetzt ganz offen auf die »Idee der Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit«, die auch den Gesetzgeber leiten würde. Denn der Richter »kann […] nicht unthätig bleiben, er muß entscheiden«.

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Rechtswissenschaft, wie er gegenüber entsprechenden Missverständnissen in der zweiten Auflage zu Geist II/2 noch einmal klarstellte, nie »aus dem Nichts« schaffen, sondern nur auf der Grundlage des gesetzlichen »Stoff[s]«, den »ich […] doch als gegeben voraussetze«, den »Keim […] erschließen und […] zur vollen Entfaltung […] bringen«3055, nämlich »die Beziehungen der entferntesten Punkte, die feinsten Unterschiede und Aehnlichkeiten, die stillschweigenden Voraussetzungen, die dem Gesetz zu Grunde liegen […] – kurz das Innerste und Geheimste des Stoffs […] ins Bewußtsein« bringen3056. Wenn Jhering dagegen von der unversiegbaren Quelle des Rechtssystems und von dem auch ohne jedes Zutun der Gesetzgebung niemals eintretenden Defizit an Rechtssätzen sprach, dann bezog er das nicht auf die Frage der Rechtsetzung, sondern auf die Frage der rechtswissenschaftlichen Konstruktion, also der rechtsdogmatischen Einordnung und »E r k l ä r u n g vorhandener Rechtssätze«3057. Und hier war nach Jherings rechtsquellentheoretischen Prämissen die Gesetzgebung nicht nur nicht erforderlich, sondern überhaupt gar nicht legitimiert, Stellung zu nehmen3058. So wie Jhering im Rahmen der objektiven juristischen Technik zwischen der Feststellung der Geltung »des Rechts im objectiven Sinn«3059 und dessen rechtswissenschaftlichen Konstruktion unterschied3060, so war auch im Bereich von rechtsgeschäftlichen Handlungen zwischen deren kraft der Privatautonomie rechtsbildenden Kraft im konkreten Rechtsverhältnis und deren rechtswissenschaftlichen Konstruktion zu unterscheiden. Die rechtswissenschaftliche Konstruktion durfte die privatrechtlichen Rechtsgeschäfte wegen des Prinzips der Privatautonomie ebenso wenig pauschal für »juristisch unmöglich«3061 erklären wie die Regelungen des Gesetzgebers. Denn – so formulierte Jhering mit Blick auf die Privatautonomie – der »Verkehr p ro d u c i r t ohne Rücksicht auf die Schwierigkeiten der juristischen Erklärung dessen, was er 3055 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 344, S. 369 Fn. 529a und – jetzt auch mit ausdrücklichem Verweis auf den Abschnitt über das »Gesetz der Deckung des positiven Stoffs« – nochmals Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 360, 371, S. 386 Fn. 528a. Es war für Jhering, Passive Wirkungen (1871), S. 303 eine sogar allgemeine und nicht nur die rechtsquellentheoretische Funktion der Rechtswissenschaft betreffende Wahrheit, dass die »Abstraction, das Denken, oder sage ich: die Dialektik des Begriff« niemals etwas inhaltlich vollkommen Neues »s c h a f f e n [kann], aber was sie vermag, ist: den […] einmal gegebenen Keim […] zur vollen Entwickelung drängen […].« 3056 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 410. 3057 Jhering, Reivindicatio (1857), S. 113. So ganz entgingen Jherings »›Begriff‹ und ›Konstruktion‹« also nicht »der peinlichen Frage nach der verfassungsrechtlichen Legitimation des gesamten Vorgangs«, wie U.Falk, Jurist (1993), S. 618 meint. 3058 Vgl. dazu schon eingehend Teil 1, Abschnitt III. 1. b) und dort insbesondere S. 206f. 3059 Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 308. 3060 Vgl. den vorstehenden Abschnitt II. 2. b) bb). 3061 Vgl. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 402 zum »Begriff der juristischen Möglichkeit und Unmöglichkeit«.

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bringt«, und wie im Falle der Sätze des objektiven Rechts habe sich auch hier die wissenschaftliche »Jurisprudenz […] der Thatsache unterzuordnen, sie anzuerkennen […].«3062 Dabei kam das Gesetz der Deckung bei der rechtlichen Beurteilung privatautonom gestalteter Rechtsverhältnisse allerdings in noch sehr viel stärkerem Maße zum Tragen als bei der wissenschaftlichen Konstruktion »des Rechts im objectiven Sinn«3063. Galt nach Jhering im Rahmen der sogenannten objektiven juristischen Technik das an die Wissenschaft gerichtete Gebot, im Hinblick auf die rechtsquellentheoretische Rechtsetzungsmacht der »positiven rechtssetzenden Gewalten«3064 weder für das geltende Recht noch bei gesetzlichen Rechtsänderungen die juristische Unmöglichkeit von bestimmten Rechtsfolgeregelungen zu behaupten3065, so war im Falle der juristischen Konstruktion von privatautonom gestalteten Rechtsverhältnissen die Frage nach deren juristischer »Löslichkeit«3066 immer auch untrennbar verbunden mit der Frage nach den mit dem jeweiligen Parteiwillen keineswegs immer notwendig deckungsgleichen Rechtsfolgen eines konkret zu beurteilenden Rechtsgeschäfts. Dessen juristische Beurteilung sollte zwar vom rechtsgeschäftlichen Willen der Beteiligten ausgehen und ihn der juristischen Konstruktion zugrunde legen3067. Aber nur ein »Nichtjurist würde die Entscheidung des Verhältnisses […] lediglich auf den Willen der Partheien stellen […].«3068 Denn der »Verkehr p r o d u c i r t […], und […] die Jurisprudenz c o n s t r u i r t ohne Rücksicht darauf, ob der Verkehr den juristischen Gesichtspunkt […] geahnt und angedeutet, oder übersehen hat.«3069

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Jhering, Reivindicatio (1857), S. 112. Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 308. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352. Vgl. S. 326, 425. Jhering, Geist III/1 (11865), § 53, S. 126; Ders., Geist II/2 (11858), § 39, S. 372. Vgl. Jhering, Mitwirkung II (1858), S. 260f., 282, wo Jhering den »entschiedensten Widerspruch mit der Absicht der Parteien« als das entscheidende Manko einer juristischen Konstruktion ansah, die von Christoph Gottlieb Adolf von Scheurl, einem bekannten zeitgenössischen Pandektisten und Schüler Puchtas, stammte. 3068 So Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 346 Fn. 507 a.E. in einem Zusatz zur zweiten Auflage von 1869. 3069 Jhering, Reivindicatio (1857), S. 112. Wenn Jhering hier den »Verkehr« und die »Jurisprudenz« sogar als zwei »Mächte« bezeichnete, die angeblich »völlig selbständig« voneinander seien, so ist das auch auf dem zeitgenössischen Hintergrund aufkommender Kritik am juristischen Fachmenschentum zu sehen, das es für Jhering zu verteidigen bzw. überhaupt erst einmal zu etablieren galt. Gerade die Abhandlung, aus der die vorstehenden Bemerkungen Jherings stammen, zeigt aber auch, dass Jhering die fachwissenschaftliche Autonomie der Jurisprudenz gegenüber dem »Laien-Bewußtsein« (aaO, S. 113) nie in dem Sinne verstanden hat, dass die Jurisprudenz mit dem »Laien-Bewußtsein« auch die objektiven Verkehrsinteressen der an einem Rechtsgeschäft Beteiligten

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Das heißt, die juristische Interpretations- und Beurteilungsmacht reklamierte Jhering exklusiv für die Jurisprudenz3070. Sie begründete in Jherings Augen auch die im Vergleich zur Rechtsquellenfunktion von Gesetzgebung und Gewohnheitsrecht besondere, nämlich rechtswissenschaftliche Autonomie und Produktivität. Im Hinblick auf diese Produktivität hat Jhering von einer »unversiegbaren Quelle« des inneren Systems der Rechtsbegriffe gesprochen und dies auch später nicht grundsätzlich revidiert3071. Zwar ist er später angesichts seiner veränderten Haltung zur theoretischen Konsequenz im Recht von der Vorstellung abgerückt, dass der »Verkehr« nur »so zu sagen, eine auf Veranlassung des praktischen Bedürfnisses unternommene Entdeckungsreise […] auf dem Gebiet der Autonomie« unternehme, da alles, was der Verkehr auf dem Gebiet der Privatautonomie finde, nichts anderes sei als bisher lediglich »verborgene Parthien des Rechts selbst, die mit der Autonomie bereits gegeben sind – aprioristisch zu bestimmende Combinationen des Vermögensaustausches, in der Natur der Sache gelegene Unterschiede, kurz die natürliche Gliederung und innere Logik der Verhältnisse, in denen der Verkehr sich bewegt.«3072

Mit dem Abrücken von der These, dass im Bereich der Privatautonomie alle nach dem geltenden Recht theoretisch möglichen Kombinationen des Vermögensaustausches »aprioristisch«, also lange vor, unter Umständen sogar »ein Jahrhundert« oder noch länger3073 vor ihrer durch den Verkehr erfolgenden »Ent-

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übergehen solle oder könne. Sie waren vielmehr der konkreten juristischen Konstruktion ebenso zugrunde zu legen wie die jeweiligen Absprachen im konkreten Rechtsverhältnis. Vgl. dazu aus der Sicht der modernen Privatrechtswissenschaft heute nicht prinzipiell anders M.Martinek, Vertragstypen I (1991), S. 29ff. Allerdings sind heute – wie es in seiner späteren Phase im Übrigen auch Jhering erkannte [vgl. Teil 1, Abschnitt III. 2. b)] – die besonderen Funktionen von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung zu unterscheiden. Beiden kommen nach Martinek, aaO, S. 30f. unterschiedliche Schlüsselpositionen zu bei der juristischen Konstruktion dessen, was der Verkehr produziert hat. Anders offenbar O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 147, der es als Ausdruck der »vorkritischen Phase« Jherings und dessen »damalige[r] Überzeugung« betrachtet, dass Jhering in der – so Behrends selbst – »klarstellenden Fußnote § 41 Nr. 528a« das System, begriffen »als das Ganze der zur juristisch-begrifflichen Form erhobenen Rechtsbestimmungen«, als eine »unversiegbare Quelle neuen Stoffs« bezeichnete [Jhering, Geist II/2 (21869), § 369 Fn. 529a bzw. – ohne Modifikationen im Fußnotentext – seit der dritten Auflage Jhering, Geist II/2 (31875), § 41, S. 386 Fn. 528a]. Unklar bleibt dabei aber, warum die von Jhering im Jahre 1869 eingefügte Klarstellung noch Ausdruck von dessen »vorkritischer Phase« gewesen sein soll, während Behrends, aaO, S. 148f. die von ihm im Anschluss aus Geist III/1 zitierte Passage aus dem Jahre 1865 zutreffend der »kritischen Phase« Jherings zurechnet. Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 312. Diese Passage hat Jhering 1866 in der zweiten Auflage von Geist II/1 gestrichen. Vgl. zu den Gründen im Folgenden S. 603ff. zum »Gesetz des Nichtwiderspruchs«. So noch Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18f. (= Ges. Aufs. I, S. 16), S. 29 über die Wissenschaft, die sich nicht »lediglich durch die Praxis zu neuen Entdeckungen anregen

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deckung« wissenschaftlich bestimmt werden könnten, wollte Jhering auch nicht mehr in der an Leibniz’ juristisch-mathematische Kombinatorik3074 erinnernden Weise behaupten, dass die nach einer »Zersetzung des Rechtsstoffs« gewonnene »Summe von einfachen, nicht weiter aufzulösenden Elementen […] uns […] in Stand setzen [kann], alle, auch die complicirtesten und ungewöhnlichsten Combinationen des Lebens zu entziffern.«3075 Dennoch hat Jhering auch noch im Jahre 1875, also lange nach der von ihm erklärten Wende im Hinblick auf die zu lassen« brauche, um »die Productionen des modernen Verkehrs« auch juristisch zu konstruieren: »Vielleicht liegt mancher von den gefundenen Rechtssätzen ein Jahrhundert lang unbenutzt, bevor sich der erste Fall ereignet […].« Vgl. dagegen später Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 91. 3074 Vgl. zu ihr eingehend M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 308ff. Wie Jhering hatte auch schon Leibniz im Anschluss an bis in das Mittelalter zurückreichende Ansätze zur juristischen Kombinatorik [z. B. Raymund(us) Lull(ius)] die Vorstellung, dass sich das Recht auf unauflösliche »Elemente«, ein »Alphabet des Rechts«, zurückführen lasse. Nach der Vorstellung von Leibniz sollte dies auf allen Rechtsgebieten und auch für alle Zeiten Fehlleistungen des Gesetzgebers vermeiden und richterliche Entscheidungsspielräume eingrenzen helfen. Dennoch unterschied sich die explizit mathematische und von Leibniz unter anderem auch auf das Recht angewendete Kombinatorik unter Einsatz echter Kalküle schon darin prinzipiell von den Vorstellungen Jherings zur Kombination der im Rahmen der Privatautonomie möglichen rechtsgeschäftlichen Verkehrsformen, dass Leibniz sich mit seiner Kombinatorik allein auf das äußere System, nämlich klassifikatorisch-diäretische Einteilungen wie »obligatorisch/dinglich«, »formbedürftig/formfrei« etc. bezog. Dies wird deutlich in einem Brief, in dem Leibniz im Jahre 1669 an den Kurfürsten von Mainz schrieb, dass derjenige, der »durch eine sonderliche art und Methodum das ganze jus privatum hodie in Imperio commune mit allen seinen regulis, fundamentis und säzen dergestalt begreift, und auf die prima principia bringt, daß wer diese einzige tafel entweder gefaßet, oder nur vor sich liegen oder hangen hat, […] alle vorfallende facta und casus juris privati in continenti decidiren, und die rationem decidendi gleichsam mit fingern in der tafel wird zeigen können […].« Eine Ähnlichkeit mit der späteren Vorstellung Jherings von der naturhistorischen Forschung, die in der Lage sei, den Fällen der Praxis unter Umständen um Jahrhrhunderte »voranzueilen«, besteht insofern, als auch schon Leibniz um der Praxis willen durch sein »vollkommenes werck« einer universalen Rechtstafel, »welche in der größe einer Landcharte etwa zu vergleichen« und »noch niemahl von iemand versucht, vielweniger verfertiget worden« sei, über dasjenige hinausgehen wollte, was »alle die jenigen die die jurisprudenz nicht weiter als ad usum definiendi omnes casus in praxi occurentes begehren«, juristisch zur Zeit beschäftigte [G.W.Leibniz, Schriften I/1, S. 21 Zeile 4–16]. Dennoch bestehen auch wichtige Unterschiede zwischen Leibniz und Jhering nicht nur im Hinblick auf das Naturrecht als Rechtsquelle, sondern auch hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Theorie und Praxis im Recht, ius strictum und aequitas, Norm und Begriff sowie Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Vgl. dazu meinen Beitrag »Die Rezeption des Rechtsdenkens von Gottfried Wilhelm Leibniz bei Gustav Hugo (1764–1844) und Rudolf von Jhering (1818–1892)«, in: Tilmann Altwicker et al. (Hrsg.), Rechts- und Staatsphilosophie bei G.W.Leibniz (im Erscheinen). Jenseits juristisch-mathematischer Kombinatorik findet sich die Vorstellung, durch Systembildung »alle[n] zukünftigen Problemen tunlichst ›auf Vorrat‹ vorzuarbeiten« [so etwa F.Bydlinski, Rechtsfindung (1995), S. 37], allerdings bis in die jüngere Zeit. 3075 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 372. Die Passage hat Jhering 1875 in der dritten Auflage von Geist II/2 gestrichen.

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Tatsache, dass »in derselben Weise, wie der Fortschritt des Denkens jeder Zeit neue Worte, so auch der der Verkehrsbewegung neue Rechtsverhältnisse oder eigenthümliche Complicationen derselben hervorbringt«, weiterhin ausdrücklich bekräftigt: »Glücklicherweise ist aber dies Neue nur zum kleinsten Theil wirklich neu, zum bei weitem größten Theil kehren in demselben nur vorhandene Größen wieder, die sich nur eigenthümlich verbunden oder gestaltet haben; das Neue ist nur eine Combination oder Modification gewisser Grundbegriffe, der einfachen Elemente des Rechts. Auch für das Recht also beruht die Möglichkeit der verhältnismäßig leichten Beherrschung eines scheinbar unerschöpflichen Stoffes auf derselben Procedur wie bei der Sprache: der Zersetzung und Auflösung des Stoffs in seine einfachen Elemente […].«3076

Dies unterschied sich von der entsprechenden Formulierung in Jherings zwanzig Jahre zuvor erschienener Programmschrift »Unsere Aufgabe«, die wegen ihres anschaulichen, aber eher irreführenden Vergleichs mit dem »zoologischen System der heutigen Wissenschaft« geradezu berüchtigt wurde, in der Sache nur um Nuancen3077. Eine entscheidende Einschränkung hat Jhering allerdings für die wissenschaftliche Konstruktion der von der Privatautonomie umfassten »Productionen [selbständigen Bildungen] des Verkehrs«3078 schon in seinen jungen Jahren gemacht. Ganz anders als später Karl Bergbohm, der ausgehend von seinem 3076 Jhering, Geist II/2 (31875), § 39, S. 335. Den hier zitierten Text hat Jhering erst in der vorbezeichneten dritten Auflage in Geist II/2 eingefügt. 3077 Vgl. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16 (= Ges. Aufs. I, S. 14), wo er »die Besorgniß, daß er [sc. der privatrechtliche Verkehr] uns etwas absolut Neues bringen könnte, d. h. etwas, was nicht unter irgend einen unserer bisherigen Begriffe fiele[, und wäre derselbe auch noch so allgemein« (beim Wiederabdruck 1881 gestrichen)], als unbegründet bezeichnet und noch hinzugefügt hat, dass »diese Besorgniß […] eben so unbegründet [sc. ist], als wenn man glauben wollte, es könnten heutzutage noch Thiere entdeckt werden, die im zoologischen System der heutigen Wissenschaft absolut kein Unterkommen fänden.« Eher irreführend war der Vergleich insofern, als Jhering mit dem »zoologischen System« der Naturwissenschaften auf ein äußeres System, eine Klassifikation, Bezug nahm. Darauf hatte er seinen Systembegriff im privatrechtsdogmatischen Kontext aber gerade nicht reduzieren wollen. Nur auf den ersten Blick verwandt mit dieser Äußerung Jherings ist übrigens die frühere Bemerkung von G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 21, S. 51, dass »durch die Entdeckung neuer Thier- und Pflanzengattungen kein neues Recht entsteht.« Puchta hatte sich hier nämlich nicht wie Jhering in seinem Vergleich auf die Haltung der Rechtswissenschaft gegenüber neu aufkommenden Rechtsformen und Institutsbegriffen im Privatrechtsverkehr bezogen, sondern auf die Abstraktionsfunktion des Rechts im Hinblick rechtliche irrelevante Unterschiede in der Lebenswirklichkeit. Danach war es im Falle der »Entdeckung neuer Thier- und Pflanzengattungen« durch die Naturwissenschaft für deren rechtliche Subsumierung »unter den gleichmäßigen Begriff der Sachen« im Rechtssinne – in der Tat – »ganz gleichgültig […], in welche naturgeschichtliche Classe das Thier u.s.w. gehört« (aaO, § 30, S. 85). 3078 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 29 [= ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 25 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz beim Wiederabdruck von 1881].

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rechtspositivistischen Standpunkt3079 ganz formal, also vollkommen unabhängig von konkreten Rechtsinhalten, die »innere Fruchtbarkeit« und »logische Expansionskraft« jedes, ja selbst desjenigen objektiven Rechts behaupten sollte, das »fast nichts [sic!] an geregelten Stoffen umfaßt«3080, sah Jhering seine Behauptung, dass in juristisch-technischer Sicht zumindest die »Grundformen oder Grundtypen« der auf der Grundlage der Privatautonomie möglichen Rechtsverhältnisse von der wissenschaftlichen Rechtsdogmatik schon entdeckt seien, untrennbar mit dem in den Pandekten überlieferten römischen Recht bzw. einer entwicklungsgeschichtlich vergleichbar weit fortgeschrittenen Privatrechtsdogmatik verknüpft3081. Und damit allerdings ist Jhering, zumal er die »Grundformen und Grundtypen der Rechtswelt« im Unterschied zu Puchta nicht im Sinne von definierten Oberbegriffen einer klassenlogischen Begriffshierarchie verstand, sondern als privatrechtsdogmatische Strukturen von typischen und damit einer geschichtlichen Konkretisierung bzw. Veränderung zugänglichen »einfachen Elemente[n] des Rechts«3082, bis heute nicht allein geblieben3083. 3079 W.Pöggeler, Einleitung (1998), S. 23ff. 3080 K.Bergbohm, Jurisprudenz (1892), S. 384f., 387. In einer der ersten zeitgenössischen Entgegnungen [vgl. A.Gängel/K.A.Mollnau, Methodenreformbewegung (1992), S. 298ff.] stellte E.Jung, Geschlossenheit (1900), S. 7 diese heute wohl bekannteste Passage aus Bergbohms Werk an den Anfang seiner Abhandlung und kommentierte: »Das entspricht bekanntlich nicht dem, was gewöhnlich gelehrt wird […] selbst in den Lehrbüchern des neuen bürgerlichen Rechts […].« 3081 Vgl. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16 [= ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 14 mit hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textmodifikationen beim Wiederabdruck von 1881] über »eine ausgebildete Jurisprudenz« wie die römische: »Eine Jurisprudenz, die seit Jahrtausenden arbeitet, hat die Grundformen oder Grundtypen der Rechtswelt entdeckt, und in ihnen hält sich [innerhalb ihrer verläuft] auch alle [jede] fernere Bewegung; so sehr sie im Uebrigen von der bisherigen divergiren möge; eine solche [gereifte] Jurisprudenz läßt sich nicht mehr durch die Geschichte in Verlegenheit bringen.« Kritisch dazu J.Esser, Möglichkeiten (1972), S. 98, 127, der aber ganz zutreffend bemerkt, dass Jhering in dieser Weise noch in »den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts […] frohlocken konnte«. Tatsächlich meinte Jhering selbst noch in Besitzwille (1889), S. 302 leicht ironisch, dass »der modernen Jurisprudenz eine Gelegenheit […] nur selten zu Theil wird: die des eigenen selbständigen Schaffens. Bei den meisten Materien des römischen Rechts ist unsere heutige Jurisprudenz darauf angewiesen, höchstens kleine Lücken zu ergänzen, Mängel, Ungenauigkeiten zu berichtigen, Widersprüche auszugleichen, kurz, es ist ihr dabei versagt, selber zu schaffen, sie begegnet fast überall dem römischen Juristen, der ihr diesen Genuß bereits vorweggenommen hat.« 3082 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 360ff. und Ders., Geist II/2 (31875), § 39, S. 334ff. sowie zur Geschichtlichkeit auch des von Jhering sogenannten »Alphabets« bzw. der »einfachen Elemente des Rechts« bereits oben S. 503. Vgl. im Übrigen zur Lehre vom rechtlichen Strukturtypus in der modernen Rechtsdogmatik K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 465f., der – wie übrigens einst Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 361f. – als Beispiele für rechtliche Grundtypen auf verschiedene Typen des Privatvertragsrechts wie Kauf, Tausch, Miete und moderne »Typenmischungen« wie zum Beispiel Leasing bzw.

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(2) Das Gesetz des Nichtwiderspruchs Das Gesetz des Nichtwiderspruchs, das »im l o g i s c h e n Element wurzelt«3084, bezeichnete für Jhering im Rahmen der subjektiven juristischen Technik neben der nicht auf bloß rechtliches Wissen reduzierbaren »juristischen Bildung«3085 den wichtigsten Teil desjenigen, was die Denkweise des Laien von der fachwissenschaftlichen Denkweise des Juristen bei der rechtlichen Beurteilung eines Sachverhaltes unterscheide bzw. nach den Konstruktionsgesetzen der naturhistorischen Methode unterscheiden sollte. Denn in dem »logischen Element« lag für Jhering der wesentliche Grund dafür, dass bei einem Rechtsgeschäft bereits die »kleinste Verschiebung« des Willens der am Rechtsgeschäft Beteiligten unter Umständen sogar ganz entgegen deren eigenen Intentionen und mit »unbequemen Resultate[n]« verbunden in der juristischen Bewertung »eine Verschiedenheit des ganzen Verhältnisses« bewirken könne3086. So könne bereits »eine Differenz von einem Loth im praktischen Resultat einen höchst wichtigen Unterschied begründen«, mithin ein für den Laien scheinbar »unbedeutendes Moment, eine kleine Nüance des Willensinhaltes oder Ausdrucks […] den Ausschlag geben […]. Dem Laien erscheint das als Spitzfindigkeit […]«3087 – für Jhering dagegen war es notwendiger Ausdruck fachwissenschaftlicher Autonomie des juristischen Denkens und der Grund für die unvermeidliche »Kluft zwischen dem gebildetsten Laien und einem Juristen der Gegenwart«3088. Der Satz »Juristen und Laien verstehen sich nicht […]«, und der daraus resultierende

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unterschiedliche Formen des Abzahlungskaufs verweist. Letztere hätte Jhering sicherlich als Beleg für die Richtigkeit seiner These über die von der Privatrechtsdogmatik bereits entdeckten »Grundformen und Grundtypen der Rechtswelt« betrachtet. So nennt etwa O.Behrends, Wirkungsgeschichte (1995), S. XII die Digesten bzw. Pandekten »den größten Thesaurus spezifisch zivilrechtlicher Erfahrung, den die Weltgeschichte des Rechts kennt.« Dass die Privatrechtsdogmatik im Vergleich zu anderen Wissenschaften vergleichsweise früh schon in der römischen Antike einen ersten und nicht mehr übertroffenen Höhepunkt erreicht habe, liegt nach O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989), S. 11f. mit Fn. 5 »in der großen Konstanz der privatrechtlichen Grundverhältnisse spätestens seit den antiken Stadtstaaten begründet. Sie erlaubte es z. B., eine Struktur wie die Obligation auf sehr früher Stufe gültig zu formulieren« und »so zu erfassen, daß – und dies ist mit Gültigkeit gemeint – die Folgezeit daran nichts wesentliches mehr zu ändern nötig fand.« Vgl. auch getrennt nach Sachgebieten H.H.Seiler, Rechtsdogmatik (1990), S. 114ff. sowie ferner M.Martinek, Vertragstypen I (1991), S. 22, der ungeachtet ganz unterschiedlicher neuer und komplexer Vertragsformen die nicht auf bekannte Grundtypen zurückführbaren »Verträge sui generis« im heutigen Privatvertragsrecht als »sehr selten« bezeichnet, »weil sich kaum je ein Bedürfnis für die ›Erfindung‹ eines völlig außerhalb der normativen Vertragstypologie und ihrer Kombinationsmöglichkeiten stehenden Vertrages ergibt.« Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 405. Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 325. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 355 mit Fn. 489. Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 356. Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 326.

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Vorwurf des Laien erschienen Jhering aus der Perspektive des Laien als wohl »begreiflich«, aber doch in der Sache »eben so unbegründet, als wenn ein Ungebildeter einem Chemiker die Sorgsamkeit und Genauigkeit im Wägen als Pedanterie anrechnen wollte.«3089 Dies war ein ganz gezielt gewählter Vergleich, der wie die gesamte juristische Methodologie Jherings immer im Zusammenhang mit seinem zeittypischen Bemühen gesehen werden muss, erstens den Erweis zu erbringen, dass die Jurisprudenz wissenschaftstheoretisch ebenbürtig mit den neuen ersten Wissenschaften seiner Zeit, den Naturwissenschaften, sei3090 und zweitens auch rechtsintern die in der Rechtspraxis beanspruchte exklusive Rolle der Jurisprudenz als Wissenschaft sowie die Autorität der Rechtswissenschaftler als Fachgelehrte zu verteidigen gegenüber Forderungen nach einer »unmittelbaren Theilnahme«3091 der Laien beispielsweise an der Rechtsprechung3092. Lag der Grund für Jherings geradezu herausfordernd offensive Haltung, mit 3089 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 356. Gönnerhaft und nicht ohne Standesdünkel meinte Jhering: »Im Munde des großen Haufens sind solche Ansichten ganz verzeihlich […]« (aaO, § 37, S. 328). Freilich steckte hinter dieser Bemerkung auch ein ganzes Stück Verunsicherung gegenüber zeitgenössischen Juristen, die sich wie Julius Hermann von Kirchmann »in dieser Hinsicht zum großen Haufen geschlagen haben« und es an der gebotenen »Achtung und Ehrfurcht [sic!] vor der in ihr [sc. der Rechtswissenschaft] fixirten geistigen Kraft« offensichtlich hatten fehlen lassen, ohne welche man »wie an keine Wissenschaft, so auch nicht an die Jurisprudenz herantreten sollte« (aaO, S. 328). Dies empfand Jhering, aaO, S. 329f. als um so irritierender für sein Selbstverständnis als Wissenschaftler, als in »den meisten anderen Wissenschaften […] kein gebildeter Laie im Falle einer solchen Differenz [sc. zwischen der Auffassung von Laien und Fachleuten] es wagen [würde], s i c h die Wahrheit und der Wissenschaft den Irrthum zuzutheilen; in den Dingen des Rechts kommt dies täglich vor.« 3090 Vgl. oben S. 443 zum neuen Wissenschaftsparadigma in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nach dem nicht mehr – wie noch bei G.F.Puchta, Cursus I (11841), § 32, S. 98 – die Philosophie »die erste aller Wissenschaften« war, sondern die Naturwissenschaften und dort insbesondere die Chemie. 3091 So G.Beseler, Volksrecht (1843), S. 64 allgemein zur Rechtsbildung sowie aaO, 253ff. speziell zur »namentlich in Civilsachen [sic!]« geforderten »Theilnahme [sc. der Laien] an den richterlichen Geschäften« (S. 254, 261). Beselers Ausgangspunkt war die von ihm behauptete »beachtenswerthe Thatsache, daß sich gegen sie [sc. die zeitgenössische, von akademisch gebildeten Juristen getragene Rechtsprechung] in Deutschland eine allgemeine Mißstimmung verbreitet hat […]« (S. 253). 3092 Vgl. insoweit nur J.Rückert, Autonomie (1988), S. 69f. m. w. N. zu Jherings lebenslang kritischen bzw. ablehnenden Haltung zu Schöffen- bzw. Geschworenengerichten. Jhering stand mit seiner Skepsis vor allem unter den Pandektisten keineswegs allein. So hatte beispielsweise auch Puchta die Forderung von Georg Beseler nach »Volksgerichten« als »Schwärmerei« abgetan (aaO, S. 66f.), während sie bei der zweiten Germanistenversammlung im Jahre 1847 in Lübeck zum wichtigsten Beratungsgegenstand und gleichzeitig auch zu einem von der Mehrheit der Germanisten befürworteten Reformvorschlag wurde [J.Schröder, Spezialistendogma (1976), S 31]. Die Diskussion überdauerte allerdings die Pandektenwissenschaft und fand erst Anfang des 20. Jahrhunderts in der Auseinandersetzung um die Freirechtsjurisprudenz ihren Höhepunkt (aaO, S. 38ff.).

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der er in den fünfziger Jahren die »täglich[en]« Klagen über die Kluft zwischen juristischem Laientum und Fachmenschentum nicht zu beschwichtigen, sondern im Gegenteil sogar noch rhetorisch gekonnt zuzuspitzen und mit einer ausdrücklichen »Apologetik der Jurisprudenz«3093 zu legitimieren suchte, in dem Anspruch begründet, ohne Abstriche die Wissenschaftlichkeit seiner Fachdisziplin zu belegen, so war das sogenannte »logische Element«, in dem das zweite Konstruktionsgesetz wurzelte3094, Jherings Mittel, um diesen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit glaubhaft zu machen. Auch aus diesem Grund hat Jhering daher die den Gesetzen der Naturwissenschaft an Festigkeit und Beständigkeit durchaus vergleichbare »Macht und Nothwendigkeit des Gedankens« so sehr betont3095. Nicht »unser Entschluß und freier Wille treibt uns in der Wissenschaft weiter, so daß wir die unbequemen Resultate vermeiden könnten […].«3096

Ein zeitbedingtes Wissenschaftsethos und der persönliche Prinzipienrigorismus Jherings3097 fanden hier zu einer für dessen Frühwerk folgenreichen Allianz zusammen. So kam der junge Jhering auch zu seiner berühmt-berüchtigten Behauptung, dass ein mit wissenschaftlicher Notwendigkeit abgeleiteter Rechtssatz, und »wäre auch gar kein Nutzen abzusehen, […] eben […] s e i n e r s e l b s t w e g e n [da ist], er existirt, weil er n i c ht n i c ht - e x i s t i r e n kann […].«3098 Solche und ähnliche3099 Aussprüche Jherings wirken auf den heutigen Leser aber nicht nur befremdend. Zumindest auf den ersten Blick überraschen sie auch, wenn man nämlich Jherings eigene Einsichten über die Entstehung und 3093 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 328. Fast schon provozierend meinte Jhering, aaO, S. 329 über den in »der Anklageschrift gegen die Jurisprudenz« zu findenden Vorwurf einer zu großen Kluft zwischen Juristen und Laien, etwa wenn man den Juristen »ihr[e] unnatürliche Auffassung und Widerspruch mit dem gesunden Menschenverstand« vorwerfe: »Es stände aber in der That schlimm um die Jurisprudenz und das Recht selbst, wenn es anders wäre!« 3094 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 405. 3095 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 355. 3096 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 355. 3097 Vgl. zu Jherings ethisch begründetem Prinzipienrigorismus eingehend Teil 2, Abschnitt I. 2. c) cc). 3098 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 15). 3099 Entsprechend hieß es etwa in Geist II/2 (11858), § 41, S. 392: »[…] es gibt auch eine ansehliche Zahl von Rechtskörpern, bei denen ein Zweck überall gar nicht angegeben werden kann, da sie nicht einem praktischen Bedürfniß (utilitas), sondern nur der juristischen Consequenz oder Nothwendigkeit (ratio juris) ihren Ursprung verdanken, nur existiren, weil sie nicht nicht-existiren können«. In diese Reihe von Feststellungen gehört auch Jherings vielleicht berühmt-berüchtigste Sentenz von den »productiv[en]« Begriffen, die – rein naturhistorisch betrachtet allein den Gesetzen der »dogmatischen Logik« und nicht dem Willen des Wissenschaftlers gehorchend – sich »paaren […] und [sc. neue Begriffe] zeugen« [Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 29].

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die Funktion juristisch-dogmatischer Begriffe in Betracht zieht. Denn immerhin war es Jhering selbst gewesen, der auch schon Anfang der fünfziger Jahre, also lange vor seiner methodenkritischen Wende gewusst hatte, dass das Recht inhaltlich keinesfalls eine bloße »Emanation des Begriffes, der Begriff also das ursprüngliche, seiner selbst wegen da seiende« sei, sondern vielmehr immer »nur das Sekundäre, das Produkt der Zwecke« des Lebens3100. Diese Einsicht in den Ursprung und in die sogenannte »Physiologie« einer Rechtsordnung in der Wirklichkeit hat der junge Jhering allerdings als Rechtshistoriker, also bei der Beurteilung einer historischen Rechtsordnung und der geschichtlich soweit als möglich zu rekonstruierenden Rechtswirklichkeit gehabt3101. Die ganz andere »Einsicht in die Logik des Zusammenhanges«3102 hatte Jhering dagegen, und dies übrigens auch keinesfalls nur in seiner Frühzeit, als Jurist bzw. Rechtsdogmatiker, nämlich bei der Beschreibung der juristischen Methode im Umgang mit den von den »positiven rechtssetzenden Gewalten«3103 herrührenden Rechtsinhalten. Im Hinblick auf die rechtsdogmatische Unterordnung der Rechtswissenschaft unter die sogenannten »juristisch-logischen Nothwendigkeit[en]«, die sich mit den im Rahmen der Privatautonomie ausgebildeten Verkehrsformen verbanden, kannte allerdings der junge Jhering offenbar keine Grenzen mehr – sieht man einmal ab von der auch schon in seiner Frühzeit über den »dialektischen Selbstentfaltungsprozeß des Rechts« gestellten und als »gebieterische[s] Bedürfniß des Lebens« übersetzten »›utilitas‹«3104. Selbst letztere bildete zumindest solange noch keine spürbare Beschränkung, wie »die Entdeckungen der Jurisprudenz« in der konkreten historischen Situation der jeweiligen Verkehrsgesellschaft noch gar keine »unmittelbar[e] practische Verwerthung« finden konnten3105. Sollte es im »dialektischen Selbstentfaltungsprozeß des Rechts«3106 doch gerade darum gehen, jenseits des »segensreichen Einfluß[es] des praktischen Bedürfnisses auf die Ausbildung der Wissenschaft« mit rechtswissenschaftlichen »Antworten den Fragen der Praxis«, also dem jeweiligen historischen Bedürfnis des Lebens »voranzueilen«3107, indem allein die aufgrund der Privatautonomie theoretisch mögliche Vielfalt juristischer Ver-

3100 Jhering, Geist I (11852), § 4, S. 40. 3101 Vgl. dazu eingehend Teil 1, Abschnitt I. 2. b). 3102 So lautet eine in der dritten Auflage in Geist II/2 (31875), § 37, S. 321 eingefügte Ergänzung Jherings. Vgl. im Übrigen bereits oben S. 564 mit weiteren Nachweisen aus Jherings Spätzeit. 3103 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 352. 3104 Jhering, Geist II/1 (11854), § 27, S. 67. 3105 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 15). 3106 Jhering, Geist II/1 (11854), § 27, S. 67. 3107 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18 (= Ges. Aufs. I, S. 16).

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kehrsformen, die scheinbar »aprioristisch zu bestimmende[n] Combinationen des Vermögensaustausches«3108 entwickelt würden. Jhering war es bei diesem mithin weder durch das Leben noch durch einen Gesetzgeber zu stoppenden »dialektischen Selbstentfaltungsprozeß des Rechts«3109 im Bereich des privatautonomen Handelns auch keinesfalls nur um Fälle von sogenannten »[zwingenden] juristisch-logische[n] Nothwendigkeit[en]«3110 gegangen, zu denen unter denselben materiellrechtlichen Prämissen »jede Jurisprudenz […] hätte gelangen müssen«3111. Mit letzterem hatte Jhering beispielsweise die in rechtsgeschäftlichen Dreipersonenverhältnissen zwecks Vermeidung eines konstruktiven Widerspruchs notwendige Vorstellung einer brevi manu traditio gemeint, sofern das Recht im normalen Zweipersonenverhältnis für die Übereignung eine traditio voraussetzte3112, oder die konstruktive Bewertung einer Zahlung als juristischen Ausdruck von gleichzeitig zwei Leistungen im Valuta- und Deckungsverhältnis, sofern nach dem für das normale Zweipersonenverhältnis geltenden Recht die Erfüllung einer Geldschuld ausschließlich durch Leistung an den Gläubiger dieser Schuld möglich war3113. Tatsächlich ist der junge Jhering aber noch viel weiter gegangen und hat allen Ernstes behauptet, dass im Bereich privatrechtlicher Rechtsgeschäfte »die Mehrheit der Mittel und Formen, mit und in denen sich ein und derselbe Zweck befriedigen läßt, keineswegs immer aus einem Bedürfniß des Verkehrs hervorgegangen [ist], sondern häufig nur die unbeabsichtigte Folge einer consequenten Ausbildung der vorhandenen Begriffe«

gewesen sei3114. Dass in der Privatrechtsdogmatik beispielsweise bestimmte rechtsgeschäftliche Verkehrsformen »in Betreff des Verkaufens einer fremden Sache« einmal als »Trödelcontract«, dann wieder als »Dienstmiethe, Mandat mit Honorar, Societät« oder aber auch als »bedingter Kaufcontract (wenn Jemand das Verkaufen einer fremden Sache übernimmt)« juristisch unterschiedlich qualifiziert wurden, sollte also gar nicht maßgeblich von den mit dem Rechtsgeschäft jeweils verfolgten rechtlichen Zwecken der Beteiligten abhängen oder von den Zwecken der insoweit differenzierenden gesetzlichen Regelungen,

3108 Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 312. 3109 Jhering, Geist II/1 (11854), § 27, S. 67. 3110 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 328 [= Ders., Geist II/2 (31875), § 37, S. 316 mit einem hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Zusatz in der dritten Auflage von 1875]. 3111 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 328. 3112 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 327 Fn. 474. 3113 Jhering, Geist II/2 (11858), § 37, S. 327 Fn. 473; Ders., Geist II/2 (31875), § 37, S. 316 Fn. 473. 3114 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 355 Fn. 489. Diese Passagen hat Jhering nach seiner methodenkritischen Wende in der zweiten Auflage vom »Geist« sämtlich gestrichen.

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sondern vielmehr davon, dass bestimmte Vertragsarten bei Erfüllung scheinbar desselben Zwecks aus rein logischen Gründen »nicht nicht« existieren könnten: »Vom Standpunkt des Verkehrs oder der Legislation [sic!] aus wäre eine solche Genauigkeit [sc. bei der juristischen Unterscheidung der genannten Vertragsarten] keineswegs erforderlich, allein selbst wenn sie statt etwas Wünschenswerthes etwas Nachtheiliges wäre – die Jurisprudenz kann sich dem einmal nicht entziehen, es ist die Logik des Verhältnisses, die sie weiter treibt«3115

und die dem jungen Jhering den rechtsgeschäftlichen Verkehr als eine »so zu sagen, […] auf Veranlassung des praktischen Bedürfnisses unternommene Entdeckungsreise […] auf dem Gebiet der Autonomie« erscheinen ließ3116. Dass dasjenige, was Jhering als das der »Dialektik der Sache selbst«3117 zugrunde liegende »logische Element« bezeichnete, nicht auf die »Logik des Schließens« reduzierbar war3118, bestätigt sich aber auch hier wieder3119. Den bereits angeführten juristischen Unterscheidungen konkreter Vertragsarten »in Betreff des Verkaufens einer fremden Sache«3120 oder auch den Unterscheidungen von »Stellvertretung und Bote« oder von einer »Servitut und eine[r] auf Errichtung einer solchen oder auf eine bloß persönliche Erlaubniß gerichtete[n] Obligation«3121 mochten zwar mit Blick auf die jeweils unterschiedlichen Parteiwillen, nämlich die mit dem rechtsgeschäftlichen Handeln jeweils verfolgten rechtlichen Zwecke sinnvolle und auch von einem Gesetzgeber zu beachtende Differenzierungen zugrunde liegen – logisch notwendig in dem Sinne, dass sich etwa aus der Rechtsfigur der Stellvertretung die Figur der Botenschaft nach den Regeln der Schlusslogik ableiten lassen könnte, waren sie aber mit Sicherheit nicht. Dass Jherings Logikbegriff, der zwar im Vergleich zu seiner heutigen Bedeutung weiter gefasst war, deswegen doch keinesfalls als substantialistisch im Sinne der Philosophie des Deutschen Idealismus bezeichnet werden kann, zeigt sich im Rahmen der subjektiven juristischen Konstruktion deutlich an Jherings Charakterisierung der juristischen Analogie, bei der Jhering unmittelbar auf traditionelle Kategorien der Klassenlogik Bezug nahm. Die »analogische Ausdehnung« bestehender geltender Regelungen war nämlich nach Jherings Ansicht »vom Standpunkt der niederen Jurisprudenz aus weder recht zu begreifen, noch 3115 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 355f. Fn. 488f.; Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 19 (= Ges. Aufs. I, S. 16). 3116 Jhering, Geist II/1 (11854), § 36, S. 312. 3117 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 355. 3118 So auch O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 127. 3119 Vgl. insoweit schon grundsätzlich zu Jherings Logikbegriff oben Abschnitt II. 2. b) bb) zum Gesetz des Nichtwiderspruchs im Rahmen der objektiven juristischen Konstruktion. 3120 Jhering, Geist II/2 (11858), § 38, S. 355 Fn. 489. 3121 Unter anderem diese Beispiele nannte Jhering in Geist II/2 (11858), § 38, S. 355 Fn. 488.

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mit Sicherheit zu bewerkstelligen. Denn […] wie«, so fragte sich Jhering 1856 in seiner Programmschrift »Unsere Aufgabe«, »läßt es sich begreiflich machen, daß ein Rechtssatz, den der Gesetzgeber nur für irgend ein bestimmtes Verhältniß aufgestellt hat, auf ein anderes sollte ausgedehnt werden dürfen? Wegen des Bedürfnisses? Allein wenn der Gesetzgeber dasselbe nicht anerkannt hat, wie dürften wir [sc. Juristen] es thun? Wegen Gleichheit des Grundes? Allein was i s t Gleichheit des Grundes? Und wohin würde ein Operiren mit diesem Gesichtspunkt führen! [Nein!]«3122

Über die »Gleichheit des Grundes«, das heißt also über die Ermittlung der ratio legis des betreffenden Rechtssatzes, konnte »die analoge Ausdehnung« nach Jhering wohl »immerhin durch den gesunden Takt oder die instinctive Ahnung ihrer wahren Bedeutung in richtiger Weise g e h a n d h a b t werden, aber b e g r i f f e n werden kann sie nicht. Dies ist erst von jenem höhern [nur von unserm] Standpunkt möglich.«3123

Dieser Standpunkt beruhte aber nun darauf, dass Jhering sich von dem Rechtssatz und dem ihm nach der ratio legis zugrunde liegenden »Willen des Gesetzes« bewusst »entfernt[e]« und stattdessen nur nach der klassenlogischen Stellung des von der Rechtswissenschaft definierten Institutsbegriffs fragte, dem der fragliche Rechtssatz kraft der Begriffsdefinition zuzuordnen war. So sollte sich die Frage nach der Zulässigkeit der Analogie schließlich auf eine bloße »Feststellung des Gattungs- und Art-Begriffs« der Institute reduzieren, nämlich auf »die Beantwortung d e r Frage: gehört ein Rechtssatz, der historisch zuerst an einer einzelnen A r t aufgetreten ist, der A r t [sc. dieses Institutsbegriffs] oder G a t t u n g [sc. eines klassenlogisch übergeordneten Institutsbegriffs] an?«3124

In Wahrheit war Jhering damit allerdings um kein Stück weitergekommen, beruhte doch auch die klassenlogisch »genaue Sonderung dessen, was der ganzen Gattung gemein und der einzelnen Art eigenthümlich ist«3125, entscheidend auf der Ermittlung des Grundes des Rechtssatzes und damit auf den ihm zugrunde

3122 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 (= Ges. Aufs. I, S. 12f.). Was hier im Text in Kursivschrift sowie in Klammern wiedergegeben ist, hat Jhering beim Wiederabdruck seiner Programmschrift im 1881 erschienenen ersten Band der »Gesammelten Aufsätze« gestrichen. 3123 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 [= ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 13 mit einer hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Änderung beim Wiederabdruck im Jahre 1881]. 3124 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 14f. (= Ges. Aufs. I, S. 12f.). Vgl. auch schon Jhering, Geist I (11852), § 3, S. 19 Fn. 6. 3125 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 16 (= Ges. Aufs. I, S. 13f.).

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liegenden Wertungen3126. Es zeigt sich hier aber, was man nach einem Hinweis von Okko Behrends sogar noch bei Jherings aus dessen Spätzeit stammender Theorie der sittlichen Evolution feststellen kann, nämlich die bis in das Spätwerk fehlende Unterscheidung »zwischen Verallgemeinerungen, die durch Abstraktion von Merkmalen zu klassenlogischen Oberbegriffen gelangen […], und Verallgemeinerungen, die zu Wertbegriffen führen«3127.

Soweit es nur das Verfahren der Verallgemeinerung betrifft, hat Jhering mithin sein ganzes Leben lang einerseits die begriffslogische Verallgemeinerung sowie die auf ihr beruhende produktive Variabilität der Begriffe3128 und andererseits die auf Wertungen beruhende Verallgemeinerung des auf normative Folgerichtigkeit und Einheit des Rechts hin orientierten Systemdenkens, dessen »außerordentliche dynamisierende Kraft« heute beispielsweise Claus-Wilhelm Canaris hervorhebt3129, weder terminologisch noch sachlich unterschieden. So ist es auch zu erklären, dass Jhering die juristische Analogie noch im Jahre 1889 in der letzten durch ihn selbst veröffentlichten Schrift als eine scheinbar rein logische Verallgemeinerung beschrieb, bei der die Jurisprudenz folgendermaßen vorgehe: »Aus a b c gewinnt sie x und aus x wiederum d e f, sie bewegt sich dabei, wenn ich es einmal bildlich ausdrücken soll, nicht in der Ebene, indem sie in gerader Linie von den gegebenen Größen zu den neuen fortschreitet, wie man dies fälschlich nicht selten anzunehmen pflegt, sondern sie nimmt, ob bewußt oder unbewußt, ist gleichgültig, den Umweg durch das Princip, durch x, d. h. sie steigt von unten nach oben, von a b c zu x, und von oben nach unten, von x zu d e f.«3130 3126 Vgl. C.-W.Canaris, Lücken (21983), S. 71; K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 381f., 384ff. und aus der Sicht der allgemeinen Logik U.Klug, Logik (41982), S. 109ff. 3127 O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 134. 3128 Vgl. insoweit nur H.Wagner, Artikel »Begriff« in: H.Krings, Grundbegriffe (1973), S. 199 zur Genese des Begriffs durch Abstraktion und der darin gründenden Variabilität des Begriffs, nämlich der »nach seinem Ursprung […] fast unbegrenzte[n] Fähigkeit an sich, sich mit anderen Begriffen einmal so, einmal ganz anders in positive Relationen zu setzen; und von jedem Begriffsstück gilt dasselbe. Es ist ganz klar, daß dank der drei Eigenschaften (der Allgemeinheit, der Variabilität, der schier universalen positiven Verknüpfbarkeit) das Reich der Begriffe kaum eine Grenze für seine Fähigkeit haben kann, noch den kompliziertesten Strukturen und den überraschendsten Variationen der Gegenstandsseite gerecht zu werden.« 3129 C.-W.Canaris, Systemdenken (21983), S. 99f. Nachdem »man einen bestimmten Rechtsgedanken in einer Vorschrift aufgedeckt hat«, gebiete der Gleichheitssatz die nach Canaris allerdings »oft noch heikle Wertungsprobleme« einschließende Frage, »warum er [sc. der Rechtsgedanke] nicht ›allgemein‹ gilt.« Habe »man aber ein Prinzip erst einmal als ›allgemein‹ anerkannt, […] so kann es in Verbindung mit dem Gebote wertungsmäßiger Folgerichtigkeit zu einer ungeahnten Fortbildung des Rechts führen […]« (aaO). 3130 Jhering, Besitzwille (1889), S. 149f.

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Diese Beschreibung der juristischen Analogie als einer unvollständigen Induktion zur rechtswissenschaftlichen Gewinnung des allgemeinen Prinzips sowie aller aus diesem Prinzip ableitbaren Rechtssätze3131, welche sich nur wenige Seiten nach Jherings – ironischerweise von Windscheid als schlimmste »Begriffsjurisprudenz« kritisierten – Ausführungen zum rechtswissenschaftlichen Begriffszwang findet3132, ist seit Philipp Heck3133 hinlänglich oft dargestellt worden als das »von Seiten der Gegner«3134 sogenannte Inversionsverfahren zur »konstruktiven Lückenergänzung«, das den Kern der begriffsjuristischen Methode bilde3135. Tatsächlich hatte hier der junge Jhering mit der Darstellung der Analogie als einem lediglich vom Standpunkt der höheren Jurisprudenz zu verstehenden3136 und damit auch rechtswissenschaftlich zu legitimierenden Verfahren den Schritt getan, den Puchta noch als eine »bloß logische« Auffassung rechtswissenschaftlichen Denkens abgelehnt hatte. Sollten doch nach Jherings erklärter Absicht mit der »naturhistorische[n] Auffassung« der Analogie durch eine »Feststellung des Gattungs- und Art-Begriffs, eine genaue Sonderung dessen, was der ganzen Gattung gemein und der einzelnen Art eigenthümlich ist«,

mit anderen Worten also durch eine Bestimmung der klassenlogischen Hierarchie der Institutsbegriffe und durch die sich danach jeweils ergebende systematische Stellung des analog anzuwendenden Rechtssatzes im Gesamtrechtssystem, alle mit dem Inhalt und »Willen des Gesetzes« zusammenhängenden Fragen der niederen Jurisprudenz nach einer Zulässigkeit der Analogie 3131 Vgl. J.Schröder, Recht (22012), S. 252ff. zu diesem Verfahren der Auf- und Ableitung von Rechtssätzen im System des geltenden Rechts. 3132 Vgl. Jhering, Besitzwille (1889), S. 129ff. und zu Windscheids Kritik oben S. 565 Fn. 2887. 3133 Vgl. nur P.Heck, Begriffsjurisprudenz (1909), 42ff.: »In dem Inversionsverfahren haben wir den Hauptschuldigen vor uns […]« (S. 46). 3134 P.Heck, Interessenjurisprudenz (1929), S. 93. 3135 P.Heck, Rechtsgewinnung (1912), S. 196f. Heck hat an dieser Stelle übrigens bereits kritisch angemerkt, dass Jhering »auch in den späteren Auflagen des Werkes« über den »Geist des römischen Rechts« an »der grundsätzlichen Zulässigkeit der Lückenergänzung durch Begriffskonstruktion«, also an der von Heck sogenannten Inversionsmethode, »nie gezweifelt« habe (aaO, S. 194). In Bezug auf den späten Jhering wollte P.Heck, Begriffsbildung (1932), § 8, S. 94 mit Fn. 2 daher auch nur von einer Jhering jetzt selbst »bewußte[n] Inversion« sprechen. Vgl. dazu ferner B.J.Choe, Culpa (1988), S. 158, der allerdings den Kern von Hecks Kritik am »Inversionsverfahren« nicht genau trifft, insoweit P.Heck, Begriffsbildung (1932), § 8, S. 92f., 96 nämlich zwischen unberechtigter »Inversion« und legitimer Induktion und Deduktion unterschieden hat. 3136 Denn »[…] b e g r i f f e n werden« konnte die Analogie nach Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15f. (= Ges. Aufs. I, S. 12f.) eben nicht im Rahmen der von Jhering sogenannten niederen Jurisprudenz, wo »man einmal nur R e c h t s s ä t z e kennt und nur mit Rechtssätzen operirt«, sondern »erst von jenem höhern Standpunkt« der »naturhistorische[n] Auffassung des Rechts« aus.

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ersetzt werden3137. Zumindest methodentheoretisch betrachtet war damit tatsächlich jede Möglichkeit ausgeschlossen, bei der Analogie noch andere nicht »bloß logische« (Puchta), nämlich »außerlogische, ›materielle‹« Aspekte in Betracht zu ziehen3138, die auf den Inhalt des analog auszuwendenden Rechtssatzes selbst oder aber unmittelbar auf die vom erweiterten Anwendungsbereich erfassten Lebensverhältnisse Bezug nahmen. Denn weder eine allein mit Bezugnahme auf die Lebensverhältnisse mögliche Prüfung »des Bedürfnisses«3139 der Analogie im jeweiligen Einzelfall noch eine vom Sinn und Zweck des Rechtssatzes ausgehende Wertung im Hinblick auf die Frage nach der wesentlichen »Gleichheit des Grundes«3140 hielt der junge Jhering auch nur als hinzukommende außerlogische Kontrolle der nun als Unterfall der unvollständigen Induktion aufgefassten Analogie für rechtswissenschaftlich noch beachtlich3141. Nun haben allerdings selbst manche Vertreter der Interessenjurisprudenz im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts dem logisch auf dem Wege einer »unvollständigen Induktion« erfolgenden »Inversionsverfahren« zumindest die Funktion einer sogenannten »Subsumptions- oder Analogiehypothese« zugestanden3142. Das juristisch Entscheidende für den Schritt von der Hypothese zur Analogie bleibt aber nach heute allgemeiner Auffassung, dass der analogischen Verallgemeinerung »nicht zusätzliche Faktoren«, und zwar vor allem »konkrete Wertungen des Einzelfalles«, entgegenstehen3143. Bei Jhering dagegen fand eine Prüfung des Vorhandenseins solcher Faktoren als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Analogie zumindest keinen methodentheoretischen Niederschlag mehr, wenn er die »Sicherheit« des analogischen Verfahrens in dem Maße steigen sah, in dem sich die juristische Tätigkeit »von ihrem Object, dem Willen 3137 Vgl. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 14ff. (= Ges. Aufs. I, S. 12ff.). 3138 So J.Schröder, Ausnahmegesetze (1999), S. 53 allerdings ganz generell über »die Neubewertung der juristischen Analogie im frühen 19. Jahrhundert und überhaupt die Theorie der Systembildung, die Bevorzugung der Logik und die Entstehung dessen, was man ›Begriffsjurisprudenz‹ nennt.« 3139 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 (= Ges. Aufs. I, S. 13). 3140 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 (= Ges. Aufs. I, S. 13). 3141 Nach J.Schröder, Recht (22012), S. 255 kannten Juristen wie Jhering, die sich der rein logischen Unsicherheit einer unvollständigen Induktion angeblich bewusst gewesen waren, im Rahmen der Analogie nur die rechtssystematische Kontrolle einer »widerspruchsfreien Einfügung [sc. des durch Analogie gewonnenen neuen Rechtssatzes] in das System«. Gerade darin, nämlich in der Beantwortung der Frage nach den rechtssystematischen »Momenten«, die einen Rechtssatz im System »als S p e c i e s charakterisiren« und »andere[n], die der ganzen G a t t u n g gemeinsam sind«, hatte nach Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 (= Ges. Aufs. I, S. 13) aber das Verfahren der »analoge[n] Ausdehnung« selbst bestanden. Insofern lag hierin nichts über die Analogie noch Hinausgehendes. 3142 So etwa H.Stoll, Interessenjurisprudenz (1931), S. 207 m.w.N. in ausdrücklicher Abweichung von Philipp Heck. 3143 G.Hassold, Konstruktion (1981), S. 138f.; K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 381f.

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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des Gesetzes, entfernt« habe3144. Dies steht in einem eigenartigen Kontrast zu der Tatsache, dass Jhering in seiner Frühzeit nicht anders als in seinem Spätwerk die juristische Praxis der »analogen Ausdehnung« als Ausdruck und Bewährung des »j u r i s t i s c h e n Ta k t s «, nämlich des »praktischen E r f i n d u n g svermögen[s] des Juristen« bezeichnet hat, mit Hilfe dessen der Jurist »verlassen von den Regeln, die ihm an die Hand gegeben sind, selbständig das Richtige d. h. das ihrem Sinn oder ihrer Bestimmung Gemässe zu treffen hat.«3145 Insofern kann füglich bezweifelt werden, ob Jhering mit seiner naturhistorischen Erklärung der juristischen Analogie wirklich wie beabsichtigt gerade dasjenige methodentheoretisch »b e g r i f f e n « bzw. für seine Zeitgenossen begreifbar zu machen versucht hat, was in der methodischen Praxis der juristischen Analogie auch nach Jherings Auffassung tagtäglich »immerhin durch den gesunden Takt oder die instinctive Ahnung […] in richtiger Weise g e h a n d h a b t « wurde3146. Diese Diskrepanz schien allerdings selbst in Jherings Spätwerk auf seine methodentheoretischen Beschreibungen der juristischen Analogie keinen Einfluss zu haben. So sollte die Sicherheit des analogischen Verfahrens – dem einst von Welcker sogenannten und wohl auch so verstandenen »Rechenexempel«3147 noch bemerkenswert ähnlich – zunächst einmal nur auf dem »Begriffszwang«3148, auf der »Logik des Zusammenhanges« beruhen3149 ; sie, die die »treibende Kraft des Gedankens«3150 etwa von »a b c« aufgrund des gemeinsamen »x« auf »d e f« schließen lässt3151, »schiebt und drängt uns weiter«, wie Jhering noch 1881 beim Wiederabdruck seiner früheren Programmschrift »Unsere Aufgabe« in den Text nachträglich einfügte3152. Denn rein naturhistorisch betrachtet konnte auch nach Jherings späterer Auffassung die »Jurisprudenz […] sich einmal der Nöthigung […] nicht entziehen«3153. Eine Unterscheidung von klassenlogischen »Begriffen« und Konsequenz im Sinne »des logischen Denkens« einerseits und von den eine normative Regel ausdrückenden Rechtssätzen als dem »Werk der juristischen Consequenz« andererseits erschien Jhering für die Charakterisierung dieser »Nöthigung« bis zum Schluss unnötig. Die wis3144 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 14–16 (= Ges. Aufs. I, S. 12f.). 3145 Jhering, Zweck II (11883), S. 42, 45f.: »Takt ist die Bewährung ihrer [sc. der Regeln] verständnissvollen Aufnahme und Aneignung durch Ergänzung, Fortbildung derselben in Fällen, wo sie ihn im Stich lassen, der Jurist würde sagen: durch analoge Ausdehnung.« 3146 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 [= Ders., Ges. Aufs. I (1881), S. 13]. 3147 Vgl. K.T.Welcker, Encyklopädie (1829), S. 573. 3148 Jhering, Besitzwille (1889), S. 129, 132. 3149 So lautet eine in der dritten Auflage in Geist II/2 (31875), § 37, S. 321 eingefügte Ergänzung Jherings. 3150 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 19 (= Ges. Aufs. I, S. 16). 3151 Jhering, Besitzwille (1889), S. 150. 3152 Jhering, Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 16. 3153 Jhering, Besitzwille (1889), S. 130.

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Die Methode der Rechtswissenschaft

senschaftliche Konsequenz, die für die Rechtssätze galt, galt nach Jhering »ebenso [für] die Begriffe«3154. Der methodentheoretisch entscheidende Bruch, den Jhering, als er die in den achtziger Jahren publizierten vorstehenden Zeilen schrieb, gegenüber seinen anfänglichen Vorstellungen der fünfziger Jahre längst vollzogen hatte, lag allerdings darin, dass er allein dem wissenschaftlichen Begriffszwang fortan nur noch »eine rein akademische Existenz« beimaß3155, also von der wissenschaftlichen bzw. naturhistorischen Wahrheit in den »rein l o g i s c h e n oder a k a d e m i s c h e n Re g i on e n der Rechtsbegriffe«3156 nicht mehr unbesehen auch auf eine juristische Geltung schließen wollte. Für die »auf dem Wege der analogen Ausdehnung« erfolgende Erweiterung des geltenden Rechts bedeutete das eine am Ende des wissenschaftlichen Verfahrens immer wieder notwendige Rückkehr zum jeweiligen »gesetzgeberischen Gedanken« des analog anzuwenden Rechtssatzes3157 und damit die neuerliche Rückbindung an die Ebene der von Jhering in den fünfziger Jahren einmal so bezeichneten niederen Jurisprudenz, die »nur Re c ht s s ä t z e kennt und nur mit Rechtssätzen operirt […].«3158 Denn nur auf dieser Ebene der »niedern und substantiellen Welt des positiven Stoffs«3159 ließ sich entscheiden, ob die von Jhering weiterhin als unvollständige Induktion verstandene Analogie ungeachtet der Breite ihrer im geltenden Recht vorhandenen Induktionsbasis entweder wegen des konkreten »gesetzgeberischen Gedankens«3160, der im analog zu erweiternden Rechtssatz zum Ausdruck kam, oder wegen eines vom Gesetzgeber rechtlich nicht anerkannten »Bedürfnisses«3161 oder eben auch mit Blick auf die »substantielle Idee der Gerechtigkeit und Sittlichkeit«3162 ausnahmsweise rechtlich nicht zulässig sein sollte3163. Dahinter stand das bereits dargestellte, durch den Doppelverkaufs-Fall 1858/ 3154 3155 3156 3157 3158 3159 3160 3161

Jhering, Besitzwille (1889), S. 129–131. Jhering, Besitzwille (1889), S. 132. Jhering, Besitzwille (1889), S. 131. Jhering, Besitzwille (1889), S. 149. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 (= Ges. Aufs. I, S. 12f.). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 13 (= Ges. Aufs. I, S. 11). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 (= Ges. Aufs. I, S. 13). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 15 (= Ges. Aufs. I, S. 13). Dass »der Gesetzgeber dasselbe [sc. Bedürfnis] nicht anerkannt hat« (aaO), blieb im Rahmen der höheren Jurisprudenz für die Frage der Zulässigkeit der Analogie gerade irrelevant. Aber mit Jherings späterer Rückbindung der Frage der Zulässigkeit an die niedere Jurisprudenz kam auch wieder der Wille des Gesetzgebers ins Spiel. 3162 Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345. 3163 Die möglichen Gründe für eine »negative Feststellung« über den Ausschluss einer Analogie [K.Larenz, Methodenlehre (61991), S. 381f., 384ff.] waren beim späten Jhering damit eher noch weitgehender als in der modernen Methodenlehre. Aber anders als die heutige juristische Methodenlehre betrachtete Jhering sie nicht als integrale Bestandteile eines rechtswissenschaftlichen Verfahrens, sondern als eine nachträgliche Kontrolle der Ergebnisse, die die höhere Jurisprudenz aufgrund naturhistorischer Zusammenhänge liefert.

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59 ausgelöste Abrücken Jherings von seinem ursprünglichen Prinzipienrigorismus3164. Nachdem Jhering die Vorstellung aufgegeben hatte, aus »moralischen« Gründen der Gerechtigkeit habe die Jurisprudenz bei der Anwendung und Fortbildung des Rechts eine unbedingte Konsequenz zu beachten, hat Jhering auch die von ihm sogenannte »intellektuelle« bzw. logische Konsequenz der »Dialektik« der Wissenschaft3165 zwar nicht negiert, wohl aber in ihrer Bedeutung für die praktische Jurisprudenz entscheidend relativiert. Schon bald nach dem Doppelverkaufs-Fall, nämlich bereits Anfang der sechziger Jahre3166 kam Jhering so zur grundsätzlichen Unterscheidung bzw. Neubestimmung des Verhältnisses zwischen juristischer Praxis und rechtswissenschaftlicher Theorie. Nicht mehr der Wissenschaft, sondern der juristischen Praxis räumte er fortan »die erste Stelle, ja die eigentlich maßgebende Stellung« ein und emanzipierte letztere damit von der nach seiner bisherigen Idealvorstellung die Praxis völlig beherrschenden Wissenschaft3167. Was dies in rechtsquellentheoretischer Hinsicht für das Verhältnis von Rechtswissenschaft, Rechtsprechung und – in den Fällen des von Jhering sogenannten einzelnen historischen Durchbruchspunkts im geltenden Recht – auch von Gesetzgebung bedeutete, ist bereits im Zusammenhang mit Jherings Rechtsquellentheorie dargestellt worden3168. Betrachtet man Jherings in der ersten Hälfte der sechziger Jahre vollzogene methoden- bzw. wissenschaftskritische Wende im Kontext seines Gesamtwerks, dann drängen sich allerdings bis hin zur sprachlichen Formulierung reichende Parallelen auf zum einstigen Reformdenken des jungen Jhering gegenüber dem sogenannten orthodoxen Romanismus, also der von Jhering bereits in den fünfziger Jahren an der Historischen Rechtsschule kritisierten und gerade auch bei Puchta beobachteten Neigung, konkrete Inhalte des überlieferten Pandektenrechts als für alle Zeiten allgemeingültig zu erklären3169. Jhering sprach nun – 1865 – in derselben Weise vom »Blendwerk der juristischen Dialektik« sowie von der zwar »im Wesen der Jurisprudenz selber tief begründete[n] Versuchung«, gleichwohl aber doch »logische[n] Selbsttäuschung« des rein wissenschaftlichen Denkens3170, wie er vor 1860 als junger Reformer die romanistische »Selbsttäuschung«, nämlich den »Glaube[n] an den absoluten Charakter des römischen Rechts«, den Versuch, »sich das Römische als das Absolute zu deduciren«,

3164 Vgl. Teil 2, Abschnitt I. 2. c) bb) – dd). 3165 Vgl. zu Jherings Verständnis der Konsequenz im Recht als zugleich »moralischer« und »intellektueller« Qualität eingehend Abschnitt I. 2. c) bb) und dort insbesondere S. 320. 3166 Vgl. zur genaueren Datierung unten S. 625 und Fn. 3211. 3167 Jhering, Wiener Antrittsvorlesung (1868), S. 85, 90f. 3168 Teil 1, Abschnitt III. 2. b). 3169 Vgl. oben Abschnitt II. 1. a) sowie auch schon Teil 1, Abschnitt I. 2. 3170 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 299f.

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kritisiert hatte3171. »Geblendet von dem ungewohnten Glanze« des römischen Rechts waren nach der im Jahre 1845 anonym erschienenen und mutmaßlich Jhering zuzuordnenden Darstellung deutsche Juristen schon bei der Rezeption des römischen Rechts gewesen3172. Daher hatte nach Ansicht des jungen Jhering im Hinblick auf das römische Recht eine ganz unkritische »Idealisirung desselben zu einer ratio scripta, einer geoffenbarten Vernunft in Dingen des Rechts, schon so früh Wurzeln schlagen und sich bei einzelnen Schwärmern selbst bis auf den heutigen Tag erhalten«

können.3173 Lediglich zusätzlich machte Jhering in der ersten Hälfte der sechziger Jahre nun ein weiteres »Blendwerk« aus, nämlich »den Nimbus des Lo g i s c h e n «: »Geblendet durch den Glanz des Logischen, der das römische Recht bedeckt«, so Jhering 1865, hätten die Juristen nicht selten »die l o g i s c h e Nothwendigkeit« über die »h i s t o r i s c h e , p r a k t i s c h e oder e t h i s c h e Berechtigung« einer juristischen Begründung gestellt3174. Neben dem – wie es in der zwanzig Jahre zuvor anonym erschienenen Artikelfolge geheißen hatte – »nicht selten […] blinden Fanatismus« von Pandektisten, die seit der Rezeption ganz unkritisch versuchten, möglichst viele Inhalte des römischen Rechts »auch dem Leben aufzudringen«3175, sah Jhering nun zusätzlich die juristischen »Fanatiker des Gedankens«3176, die auch unabhängig von bestimmten Inhalten des römischen Rechts bei der juristischen Entscheidung und Begründung einen »Götzencultus des Logischen«3177 betrieben, als verantwortlich dafür an, dass vitale »Interessen des Lebens« von der Jurisprudenz missachtet würden3178. Jherings Kritik an der zeitgenössischen Pandektenwissenschaft hatte sich also erweitert3179, die Adressaten dieser Kritik – sieht man einmal von den nun auch 3171 Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 376. 3172 Vgl. LZ 1845, Sp. 1192 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (57f., 119f.)]. 3173 Jhering, Geist II/1 (11854), § 39, S. 376. 3174 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 299f. (Kursivhervorhebung nicht im Original). 3175 So Jhering in der ihm zuzuschreibenden Artikelfolge in LZ 1845, Sp. 1192 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107 (60–62, 119f.)]. Ebenso auch Jhering, Geist I (11852), § 2, S. 6 sowie Ders., Unsere Aufgabe (1856), S. 38 (= Ges. Aufs. I, S. 33). 3176 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 300 (Kursivhervorhebung nicht im Original). 3177 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 301 Fn. 429. 3178 Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 303. 3179 Jherings bisherige Kritik an der romanistischen Selbsttäuschung über die Allgemeingültigkeit römischer Begriffe wie auch seine nicht erst 1865 erhobene Kritik an der Rechtsquellen- und auch Rechtsentstehungstheorie der Historischen Rechtsschule [vgl. dazu eingehend Teil 1, Abschnitt III. 1. a) aa) und bb)] war damit natürlich nicht hinfällig geworden, sondern mischte sich in Jherings späteren Angriffen gegen die zeitgenössische Pandektenwissenschaft mit dem neuen Vorwurf.

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gegen sich selbst gerichteten Vorwürfen ab3180 – allerdings kaum3181. Selbst die von Jhering aus der Pandektistik herangezogenen Beispiele zur Begründung der 3180 Vgl. nur Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 338: »Es gab eine Zeit, wo Puchta mir als Meister und Vorbild der richtigen juristischen Methode galt, und wo ich so tief in derselben befangen war, daß ich das Vorbild hätte überbieten können. […] Kurz, es kann kaum jemand ein solcher Fanatiker der logischen Methode gewesen sein, als ich zu jener Zeit […]. Aber dann kam bei mir der Umschwung« durch den Doppelverkaufs-Fall [vgl. dazu eingehend Teil 2, Abschnitt c) cc)], er »öffnete mir die Augen« (aaO, S. 339 Fn. 1). Dass man »sich jene Wandlung […] nicht als ein Damaskus« im Sinne eines abrupten Bruchs in Jherings Rechtsdenken vorstellen dürfe, wie es mit Verweis auf Jherings Selbstdarstellung zuerst Vertreter der Freirechtsjurisprudenz wie Hermann Kontorowicz und vorher bereits Ernst Fuchs behauptet hatten (S. 14f.), hat dagegen wenig später schon A.Leist, Jhering (1919), S. 8 zu bedenken gegeben. Aber erst in den Jhering-Interpretationen jüngeren Datums hat auch die grundsätzliche Damaskus-These im Sinne »einer rigiden Abwendung von der Begriffsjurisprudenz […] die überragende Bedeutung« verloren [M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 151]. Gegen eine Relativierung der Damaskus-These scheinen zwar Jherings unmissverständliche eigene Worte zu sprechen, also sein »berühmte[s] Verdammungsurteil« über die Begriffsjurisprudenz, dem »die spezifische Plausibilität der Selbstanklage eines großen Gelehrten anhaftet«, wie es U.Falk, Windscheid (1989), S. 10, 12, 16 formuliert. Allerdings werden eben gerade an »Jherings lautstarker Selbstkorrektur« (U.Falk) zunehmend Zweifel laut, zumal Jhering – worauf O.Behrends, Jhering (1987), S. 255 zu Recht hinweist – in seiner späteren gegen die Begriffsjurisprudenz gerichteten Kritik auch immer wieder Fehlentwicklungen geißelte, die er sich selbst gar nicht hatte zuschulden kommen lassen. Nach O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 126f. hat Jhering mit dem selbstkritischen Eingeständnis »seiner früheren Überschätzung des logischen Elements im Recht« daher »weder sprachlich noch sachlich« den »entscheidende[n] Punkt […] getroffen«. Das gleiche gelte für Jherings Interpreten, die in seinem Werk »zwischen konstruktions- und zweckmethodischer Phase« unterscheiden wollen [O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 62]. Aus anderen Gründen als Behrends will auch M.Herberger, Dogmatik (1981), S. 410 Jhering im Hinblick auf dessen selbstkritisches Eingeständnis einer früheren Überschätzung der Logik das Recht absprechen, »hier […] der berufene Interpret seiner eigenen Frühschriften« gewesen zu sein. Allerdings übergeht Herberger in seiner Interpretation Jherings frühen und zumindest unter den führenden Pandektisten der Zeit in dieser Form wohl einzigartigen Rigorismus. Unbestreitbar bleibt aber mit Sicherheit, dass bei Jherings Selbstanklagen immer auch Jherings Hang »zu etwas effekthascherische[n] Deklamationen« [W.Pleister, Persönlichkeit (1982), S. 339] sowie die Tatsache zu berücksichtigen ist, dass Jhering auch in ganz anderen Zusammenhängen seine im Laufe des Lebens vollzogenen wissenschaftlich »geistigen Kehrtwendungen mit unverhohlenem Pathos zu vollziehen« pflegte [C.Helfer, Jhering (1968), S. 560 sowie U.Falk, Kroeschell-Rezension (1989), S. 548f. jeweils mit m. w. N. und – mit Verweis auf Jherings Persönlichkeit – auch schon A.Merkel, Jhering (1893), S. 8]. Zwar etwas vage, aber doch gerade in diesem Zusammenhang nicht ganz unpassend empfiehlt insofern B.J.Choe, Culpa (1988), S. 133f., hier nicht jedes Wort Jherings auf die Goldwaage zu legen. Deutlich zu stark akzentuiert daher H.Klenner, Jherings Kampf (1992), S. 135. Danach hatte Jhering »nicht nur eine Bekehrung, nicht nur ein Damaskuserlebnis […], sondern taumelte von einem Paradigmenwechsel in den nächsten.« 3181 Vgl. nur Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 301 Fn. 429 im Zusammenhang mit dem »Götzencultus des Logischen«: »In P u c h t a zählt die […] geschilderte Richtung ihren namhaftesten Repräsentanten […].« Puchta war – übrigens ungeachtet der nicht zu

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Die Methode der Rechtswissenschaft

Kritik an der zeitgenössischen Rechtsdogmatik und dem ihr zugrunde liegenden Methodenverständnis waren nicht selten identisch3182. Wohl nicht ganz zufällig betitelte Jhering diejenigen Passagen in dem 1865 erschienenen Band III/1 seines Werks über den »Geist des römischen Rechts«, in denen er seine um den Vorwurf der Verabsolutierung der »juristischen Dialektik« erweiterte Kritik begründet und Fragen gestellt hat, auf die die zeitgenössische Wissenschaft bisher »die Antwort schuldig geblieben« sei3183, mit den Worten »Die Aufgabe«3184, also fast gleichlautend wie der Titel der knapp zehn Jahre zurückliegenden Programmschrift von 1856 zur Reformierung der zeitgenössischen Jurisprudenz »Unsere Aufgabe«3185.

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übersehenden Wertschätzung, die Jhering für Savigny u n d Puchta ein Leben lang hegte [vgl. nur Jhering, Besitzwille (1889), S. XIIf. sowie S. 283 Fn. 1] – auch derjenige gewesen, dem Jhering in den fünfziger Jahren bereits namentlich unter anderem »civilistischen Mumien-Cultus« im Umgang mit dem überlieferten römischen Recht vorgeworfen hatte. Lediglich seine direkt gegen Savigny gerichtete öffentliche Kritik hat Jhering erst seit den sechziger Jahren deutlich schärfer akzentuiert (vgl. zu den Hintergründen schon oben S. 436f. Fn. 2177), so dass er dann zuweilen sogar, etwa mit seinem gegen Savigny gerichteten Vorwurf eines die Inhalte des römischen Rechts als »gleichgültig« betrachtenden Formalismus, deutlich über das Ziel hinausschoss (vgl. dazu schon oben S. 466 Fn. 2304). Vgl. nur Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 301f. mit Verweisen auf die angeblich rechtswissenschaftliche Unmöglichkeit von unmittelbarer »Stellvertretung und […] Uebertragung bei Obligationen«, von »Papiere[n] auf den Innehaber« und »Pfandrechte[n] an eigner Sache« oder die Behandlung von »testamentarischer[r] und Intestaterbfolge [als] logisch incompatible[n] Begriffe« – dies waren alles Kritikpunkte, die Jhering auch schon in den fünfziger Jahren den Verfechtern eines »orthodoxen Romanismus« und »civilistischen Mumien-Cultus« vorgehalten hatte. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 294, 300. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 293ff. Vgl. ferner auch Jhering, Besitzwille (1889), S. 6ff. (»Die Aufgabe«) und zu dieser Schrift unten S. 621 Fn. 3196. In diesem Zusammenhang ist auch eine Kontinuität ganz anderer werkbiographischer Art zu sehen, nämlich Jherings immer wiederkehrender Zweifel an dem wissenschaftlichen »Reiz« seines Faches. So hatte sich Jherings Aufruf »Unsere Aufgabe« zunächst nur gegen »unsere antiquarisch-theoretische«, nämlich rechtsdogmatisch nicht oder nur wenig produktiv-schöpferische Jurisprudenz gerichtet. Der junge Jhering hatte sie nicht nur »zum Teufel« gewünscht, sondern sich ihretwegen gegenüber Gerber auch persönlich zu schwachen »Momenten« beruflicher Selbstzweifel bekannt: »Könnte ich noch einmal meinen Beruf wählen, ich würde schwerlich Jurist werden, wenigstens kein Romanist oder überhaupt kein Theoretiker« [Losano-Briefe I /1984, Nr. 101 (Brief vom 15. Dezember 1858), S. 302]. Nach seiner wissenschaftskritischen Wende konnte Jhering über diese »Momente« auch nicht mehr der von ihm zwischenzeitlich überschwänglich gefeierte wissenschaftliche »Reiz der Dialektik« [Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 362] und die bloße »Lust und Freude an [sc. begrifflichen] Entdeckungen« in den bereits nicht mehr »antiquarischen«, sondern im Sinne der naturhistorischen Methode produktiven zeitgenössischen Untersuchungen eines Otto Bähr, Hermann Buchka oder anderer hinweghelfen [vgl. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 18, 27 (= Ges. Aufs. I, S. 15, 23f) sowie ferner oben S. 447f. Fn. 2225, S. 488f. Fn. 2420 und die Nachweise bei C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 82f. zu der für Jhering so problematischen »Anziehungskraft« seines Faches und seinen daraus resultierenden Kompensationsversuchen]. Daher meinte Jhering, Scherz

Die Theorie über die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode«

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Die Tatsache, dass Jhering anders als noch 1856 die »Aufgabe« der Jurisprudenz seit den sechziger Jahren auch jenseits der naturhistorischen Methode sah, bedeutet allerdings nicht, dass er die Theorie der naturhistorischen Methode aufgeben hätte oder – zumindest für die Rechtspraxis – für obsolet erklären wollte. Jhering hat die vom naturhistorischen Standpunkt aus zu beachtende »Dialektik« bzw. »Logik des Rechts« niemals negiert3186. Wohl aber hat er deren Relevanz und damit auch die Bedeutung der naturhistorischen bzw. – das war für Jhering dasselbe3187 – der (natur-) wissenschaftlichen Methode für die juristische Begründung in den 1860er Jahren grundsätzlich relativiert. Insoweit hat Michael Kunze das Schlagwort vom »angeblichen ›Damaskus‹« Jherings treffend charakterisiert, wenn er feststellt: »Weniger in einer Umkehr besteht die Revolution seines Denkens als in der Entdeckung von etwas Zusätzlichem. Dieses Zusätzliche nennt er selbst, unklar genug, das Rechtsgefühl.«3188 Natürlich kann man sich fragen, ob es angesichts dieses Befundes überhaupt noch angemessen ist, von einer »Revolution« in Jherings Rechtsdenken zu sprechen. Auf jeden Fall war es aber eine wichtige Veränderung, wobei Jhering die Notwendigkeit der »Ermäßig[un]g« der Logik des Rechts nicht nur – wie schon früher – »durch [ein] praktisches Bedürfniß«, sondern eben auch »durch die Idee der Billigk[ei]t«3189 in einer im Vergleich zum theoretischen Aufwand bei der Formulierung der Theorie der naturhistorischen Methode geradezu »lapidaren […] Formel« ausgedrückt hat3190. Blieb doch die Frage,

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und Ernst (1884), S. 361 in seiner Spätzeit um so entschiedener : »Ich kann das Bekenntnis nicht unterdrücken: die Freude, nicht am römischen Recht […], aber an der heutigen romanistischen Literatur ist mir verloren gegangen […]; wäre ich noch jung, ich würde ein anderes Fach erwählen. Ob eine kommende Zeit dem augenblicklich so wenig ergiebigen Boden des römischen Rechts durch eine veränderte Art der Behandlung, z. B. die legislativ-politische und komparative, nicht noch eine reiche Ernte abgewinnen wird? Wer will es sagen?« Auch in diesem Zusammenhang ist wohl Jherings neuerliche Formulierung der – in Geist III/1 (11865), § 59 auch so betitelten – »Aufgabe« der zeitgenössischen Jurisprudenz zu sehen. Allerding hatte sich diese 1865 formulierte – »z. B. legislativpolitische und komparative« – Aufgabe gar nicht mehr in erster Linie an die Rechtsdogmatik, an die Lehre vom geltenden Recht gerichtet. Denn – so meinte Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 362 später – bis »zu einem gewissen Grade ist diese Dürftigkeit der Ernte durch den Boden [sc. des römischen Rechts] selber verschuldet. In praktisch dogmatischer und in exegetischer Beziehung ist er so gut wie erschöpft […].« So zu Recht O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 127. Gerber versicherte Jhering in einem Brief vom 2. Juli 1865 ungeachtet der »Umwandlung, die seit zwei Jahren in meiner ganzen Anschauung eingetreten ist«, sogar ausdrücklich, dass »die Vervollkommnung der logischen Seite des Rechts […] in meinen Augen stets eine der wesentlichsten Aufgaben der Wissenschaft bleiben« würde [Losano-Briefe I /1984, Nr. 233, S. 573]. Vgl. dazu oben S. 514f. Fn. 2563. M.Kunze, Forschungsbericht (1995), S. 141. Jhering, Späte Notizen (Nachlass), Mappe i, Bl. 1r. So treffend O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 158 mit Verweis auf die als

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Die Methode der Rechtswissenschaft

wann im Einzelfall das – hier wohlgemerkt individualisierende, nicht verallgemeinernde – »Rechtsgefühl«3191 bzw. wann die »substantielle […] Gerechtigkeit«3192 gegenüber der wissenschaftlich naturhistorischen Deduktion »Einspruch erheben« können sollte, ausschließlich der »Stätte des konkreten Wertens«, der jeweils »gegebene[n] Entscheidungssituation« des Praktikers überantwortet3193. Methodentheoretisch ist Jhering, wie nicht erst Helmut Coing bemerkt hat, ein »Neubau der juristischen Methode«, der das seit den sechziger Jahren von Jhering so häufig angeführte »substantielle Moment des Rechts«, also »Nutzen, Gut, Werth, Interesse«3194 des Rechts in die Theorie der juristischen Methode integriert hätte, »allerdings nicht mehr gelungen.«3195 Selbst Jherings

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Ausweis von Jherings methodentheoretischer Wandlung gern zitierte Anmerkung in Geist II/2 (21869), § 41, S. 369 Fn. 529a (seit der dritten Auflage Fn. 528a). Kaum weniger lapidar waren auch andere Jherings Wandlung signalisierende Zusätze in der zweiten Auflage von Geist II/2 bzw. entsprechende Aussprüche in der ersten Auflage von Geist III/1, etwa einerseits die Formel von der »Überschätzung«, aber eben damit auch – so O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 247 Fn. 16 zu Recht – weiterhin bestehenden grundsätzlichen Wertschätzung »der logischen Seite des Rechts« [Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 361 Fn. 506a] und andererseits Jherings bewusst plakativ vereinfachender Ausspruch: »Nicht was die Logik, sondern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl postulirt, hat zu geschehen […]« [Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 303]. Vgl. schon S. 287f. Fn. 1422 zu der zwar in beiden Fällen kritischen, aber in der kritischen Stoßrichtung und Funktion ganz unterschiedlichen Bedeutung des »Rechtsgefühls« als einer Kritik des bestehenden Rechts, die einmal, nämlich in der Rechtsdogmatik bzw. Rechtsanwendung, auf Individualisierung, das andere Mal, nämlich in der Entwicklungsgeschichte des Rechts, auf Verallgemeinerung drängt. Vgl. nur Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 345 Fn. 506a sowie zu Jherings Gerechtigkeitsverständnis vor und nach seiner Wende schon oben S. 527 Fn. 2631. O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 158. Jhering, Geist III/1 (11865), § 60, S. 307. H.Coing, Systembegriff (1969), S. 158, 170. Ebenso E.Bucher, Begriffsjurisprudenz (1966), S. 376; K.Larenz, Jhering (1970), S. 135; U.Diederichsen, Jhering (1993/1996), S. 187 Fn. 75. Auch bereits P.Heck, Begriffsbildung (1932), § 3, S. 30f.; § 7, S. 72f. hat kritisiert, dass Jhering entsprechend der von Heck so bezeichneten »genetische[n] Interessentheorie« nach seinem »Umschwung« zwar »die Interessen als die Grundlage der vorhandenen Rechtsnormen erkannt und hervorgehoben«, aber »die Schlußfolgerungen für die richterliche Fallentscheidung und für die Gestaltung der wissenschaftlichen Arbeit […] noch nicht gezogen« habe. Heck meinte übrigens, dass er »als Student« selbst »noch in dem Banne der konstruktiven Jurisprudenz« der »genetische[n] Interessentheorie« Jherings gestanden habe (aaO, § 3, S. 32f.). Seine eigene Wende sei ihm erst – übrigens wie so oft bei den geistigen Kehrtwendungen von »großen Gelehrten« [so U.Falk, Windscheid (1989), S. 10 mit Blick auf Jhering und Gustav Radbruch] – durch »die Erfahrungen der Praxis aufgedrängt worden.« Denn wie bei Jhering soll es auch nach Hecks Selbstzeugnis ein ganz konkreter »im Senate des Oberlandesgerichtes Frankfurt a.M.« zu entscheidender Fall gewesen sein, der ihm – allerdings bereits in seiner Zeit als Rechtsreferendar – zur »Erlangung der neuen Einsicht« verholfen habe. Wie Jhering mit seinem Bericht über die in der Silvesternacht 1858/59 »fertig geworden[e]« Akte zum Doppelverkaufs-Fall (S. 18, 342 Fn. 1719) gab auch Heck, aaO, § 3, S. 33 einen fast minutiösen Bericht über die ihm lebenslang »deutlich vor Augen« stehenden Umstände seiner eigenen Umkehr : »Die

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letzte – zumindest nach ihrem programmatischen Anspruch – methodentheoretische Schrift3196 blieb bezeichnenderweise schon ausweislich ihres Untertitels im Wesentlichen eine im »Endergebniß« in einem »Sündenregister« kulminierende »Kritik der herrschenden juristischen Methode«3197. Darüber hinaus ›hypothetische Norm‹ war sicher, aber über ihr hing das damals gefürchtete Damoklesschwert ›Nicht konstruierbar‹. […] Als ich von der Senatssitzung nach Hause ging […], [kam] mir die Einsicht […], daß das ganze Konstruktionsbedürfnis auf der alten Theorie der Begriffskausalität beruhe und daß die genetische Interessentheorie Jherings« zu der – nach Hecks Auffassung über Jhering hinausgehenden – »Folgerung führe[n]« müsse, »auch bei der Ergänzung fehlender Normen die Interessenprüfung genügen zu lassen.« 3196 Gemeint ist Jherings im Jahre 1889 erschienene Monographie über den Besitzwillen, deren Titel und Untertitel lauteten: »Der Besitzwille. Zugleich eine Kritik der herrschenden juristischen Methode«. Diese Schrift ist allerdings geradezu ein – wie man zu Jherings Zeiten gesagt hätte – »literarhistorisches« Unikum, und zwar nicht nur deswegen, weil schon Reihenfolge und Formulierung ihres Titels und Untertitels eher irreführend sind, sondern weil Jhering dies in seiner eigenen Vorrede auch gleich noch selbst einräumte: »Von den beiden Aufgaben, welche der Doppeltitel der Schrift namhaft macht, nimmt die erste die zweite, die zweite die erste Stelle ein« [Jhering, Besitzwille (1889), S. IX]. Denn nur vordergründig war die Schrift in erster Linie dem pandektistischen Dauerbrenner des 19. Jahrhunderts gewidmet – wenige Jahre vor Erlass des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Deutschland sozusagen als Abschluss der Jahrhundertdiskussion, die Savigny einst mit seiner in ihrer Wirkungsgeschichte ebenfalls nicht auf die rechtsdogmatische Spezialfrage beschränkten Erstlingsschrift von 1803 »Das Recht des Besitzes« eröffnet hatte (vgl. dazu oben S. 454 Fn. 2250f.). Tatsächlich betrachtete Jhering die rechtsdogmatische Besitzfrage in seiner Monographie von 1889 eigentlich nur als ein Demonstrationsobjekt für die methodentheoretische »Richtung, die ich bekämpfe« und die im Jahre 1803 »zuerst durch Savigny ins Leben gerufen und von mir vorzugsweise in ihm bekämpft« wird [so Jhering in seinem Brief vom 5. August 1888 an Windscheid, abgedruckt in: Kroeschell-Briefe II /1988, Nr. 31, S. 62f.]. Bei der Publikation seiner Monographie war nach Jhering sogar der »einzige Zweck, welcher mich leitete […], der juristischen Welt die Augen darüber zu öffnen, wie es mit dem Gegensatze der beiden Methoden beschaffen ist« [Jhering, Besitzwille (1889), S. XIV]. Entsprechend hatte er sich auch schon in dem vorbezeichneten Brief gegenüber Windscheid geäußert: »Nur die [sc. methodentheoretische] Absicht hat mir die Feder in die Hand gegeben, einer einzelnen, wenn auch noch so wichtigen dogmatischen Frage wegen würde ich sie meinem Zweck im Recht nicht entzogen haben«, womit Jhering die Arbeit an seinem gleichnamigen ebenfalls unvollendet gebliebenen zweiten Hauptwerk meinte, dessen erster und zweiter Band in den Jahren 1877 und 1883 erschienen waren. Paradoxerweise war es dann aber gerade die dogmatische Frage nach den Voraussetzungen und der juristischen Qualifizierung des Besitzes gewesen, die Jhering in seiner letzten Publikation zwang, die eigentlich geplante »principielle Erörterung« des Methodengegensatzes »für später zurückzustellen« [Jhering, Besitzwille (1889), S. IX]. Vgl. dazu auch die folgende Fußnote. 3197 Jhering, Besitzwille (1889), S. 535ff. Zwar sollte die vorgenannte Schrift laut Jherings Vorrede auch »der positiven Darlegung meiner eigenen Ansicht« dienen (aaO, S. XIV). Aber dies beschränkte sich in rechtsmethodologischer Hinsicht nur auf Andeutungen [vgl. etwa Jhering, Besitzwille (1889), S. Xf. Fn. 2 sowie direkt dazu O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 87f.]. Dasselbe galt auch schon für die in erster Auflage 1877 bzw. 1883 erschienenen beiden Bände von Jherings zweitem Hauptwerk »Der Zweck im Recht«. Wohl hatte sich Jhering dort immerhin für den »letzten [sic!] Abschnitt […] vorgenommen, die Tragweite des Zweckgedankens, nachdem ich ihn an der Hand der

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macht auch das von Jhering als »Endergebniß« zusammengestellte stichwortartige »Sündenregister« nur zu deutlich, dass die Kritik, die Jhering hier am Ende seiner Schaffens- und Lebenszeit an der zeitgenössischen Methodenpraxis übte, in den meisten Punkten Auffassungen entstammte, die Jhering keineswegs erst nach oder gar aufgrund seiner wissenschaftskritischen Wende um 1860 entwickelt hatte3198. Es ist mithin keinesfalls so, dass Jhering nach 1860 »die naturhistorische Methode verspottet« hätte3199. Verspottet hat er nur einen unkritischen Umgang mit den Ergebnissen derselben. Und es ist auch nicht so, dass Jhering »die naturhistorische [sc. Methode] nach seinem ›Umschwung‹ verwandelt« hätte in eine »naturhistorische Methode ohne (strenge Konsequenz fordernde) Begriffsgläubigkeit«3200. Tatsächlich blieb die naturhistorische Methode – vorbeGeschichte principiell begründet [habe], in besonderer Anwendung auf die wissenschaftliche Behandlung des Rechts darzulegen, sowohl für die allgemeineren Lehren, als für die wichtigsten einzelnen Rechtsinstitute.« Dazu aber sollte Jhering in dem Werk, das – so Jhering 1889 – in seiner »gegenwärtigen Gestalt […] eigentlich den Titel […]: Das teleologische System der sittlichen [sic!] Weltordnung« hätte tragen müssen, nicht mehr kommen angesichts der sich »im Verlauf des Werks […] mehr und mehr ergebende[n] Unmöglichkeit, meinen Nachweis ausschließlich auf das Recht zu beschränken« [Jhering, Besitzwille (1889), S. X]. 3198 Von den sechs in seinem »Sündenregister« der Begriffsjurisprudenz konkret genannten Kritikpunkten entsprechen mindestens fünf der von Jhering seit seiner Frühzeit erhobenen Kritik an der zeitgenössischen Pandektistik. Vgl. Jhering, Besitzwille (1889), S. 537: »1. Uebersehen der entgegenstehenden Zeugnisse der Quellen« – dazu oben S. 558; »2. Kritiklose Entgegennahme der rein doktrinären Abstraktionen der römischen Juristen« – dazu oben S. 434 Fn. 2166, »3. Gänzliche Vernachlässigung der geschichtlichen Seite der Frage [sc. einer rechtswissenschaftlichen Konstruktion]« – dazu Teil 1, S. 121 Fn. 523; »4. Vollendetes Schweigen in Bezug auf die Beweisfrage« – dazu oben S. 543 Fn. 2736; »6. […] Mißhandlung der Sprache und des gemeinen Denkens – unbewiesene Prämissen – fehlerhafte Schlüsse – eine Opportunitätslogik, die mit sich selber in Widerspruch geräth […]« – dazu oben S. 565f. sowie auch C.-E.Mecke, Objektivität (2008), S. 748. Allenfalls der von Jhering in seiner rechtshistorischen »Physiologie« des Rechts (vgl. dazu Teil 1, S. 120f.) aber ebenfalls nie völlig übergangene Punkt »5. Völlige Mißachtung der legislativpolitischen Seite der [sc. rechtsdogmatischen] Frage, nicht der leiseste Ansatz zu einer praktischen Kritik der angeblichen Gestalt der Sache im römischen Recht« und der erste Teil von Kritikpunkt »6. Gewaltsamste Durchführung des aufgestellten rein formalistischen Gesichtspunktes« berühren überhaupt die von Jhering erst nach seiner Wende seit den sechziger Jahren neu gestellten Fragen nach dem Verhältnis von abstrakt-wissenschaftlicher Begründung und individualisierend wertendem Rechtsgefühl bei der Rechtsanwendung, von formaler und »substantieller Gerechtigkeit«, vom »formalen« und »substantiellen Moment« des positiven Rechts. 3199 So aber zum Beispiel P.O.Ekelöf, Methode Jherings (1970), S. 27. Auch A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 131 trifft nicht den Kern von Jherings Wende, wenn er behauptet, dass Jhering fortan mit einem »entgegengesetzten Programm« aufgetreten sei. 3200 So aber O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/1996), S. 247 Fn. 16 (Zusatz in eckigen Klammern) sowie Ders., Rechtsgefühl (1986), S. 177f. Fn. 165 a.E. Dagegen heißt es im vorbezeichneten Aufsatz an anderer Stelle (aaO, S. 84) zutreffend, dass Jhering nach seiner wissenschaftskritischen Wende den beibehaltenen »Formen der niederen und

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haltlich Jherings im Vergleich zur heutigen Begriffsverwendung ohnehin weiteren Begriffs der Logik – »streng«; ihre Ergebnisse wurden aber »falsifizierbar«3201 bzw. rechtlich kontrollierbar durch nicht »naturhistorisch« wissenschaftliche Gesichtspunkte wie das individualisierend wertende Rechtsgefühl mit Blick auf den jeweiligen Zweck einer Regelung, von dem das naturhistorisch »höhere« Begriffsdenken nach Jherings lebenslanger Auffassung ja gerade gezielt abstrahieren sollte3202. Insofern unterschied Jhering fortan den »naturhistorische[n]« bzw. wissenschaftlich-theoretischen vom »praktisch-juristische[n]« Standpunkt. Auf der Grundlage dieser Unterscheidung war »nicht der naturhistorische« auch immer schon der »richtige Standpunkt« des Rechtspraktikers bzw. des mit der Lösung praktisch-dogmatischer Fragen befassten Wissenschaftlers3203. Die römischen Juristen des Altertums hatten nach Jhering bewiesen, dass sie »auch bei ihren rein theoretischen Untersuchungen […] sich nie auf den Standpunkt einer mit rein wissenschaftlicher Unbefangenheit sich hingebenden n a t u r h i s t o r i s c h e n Betrachtung der Rechtswelt [einer rein wissenschaftlichen Vertiefung in die Rechtswelt nach Art der Naturforscher]« gestellt hätten, sondern »stets die praktische B e s t i m m u n g der Rechtssätze und Begriffe, das Zw e c k m o m e nt fest im Auge« hatten, »während wir heutzutage dasselbe nur zu oft ruhig in der Sackgasse stecken lassen, in die es durch unsere Schuld gerathen ist.«3204

Der weiterhin wissenschaftlich »höhere«3205 naturhistorische Standpunkt der Rechtsdogmatik, deren Begründungen auch nach Ansicht des späten Jhering auf

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höheren Jurisprudenz […] in den Gerechtigkeitszwecken eine materielle Kontrollinstanz gegenüberstellt« (Kursivhervorhebung nicht im Original). So zuletzt M.Kunze, Forschungsbericht (1995), S. 141. Vgl. oben S. 485, 487, 533. Jhering, Besitzwille (1889), S. 33f. Fn. 2 (Kursivhervorhebungen nicht im Original). Vgl. ferner Jhering, Prager Vortrag (1877), Bl. 2f.; Ders., Zweck I (11877), S. 428ff. zu Jherings neuer Unterscheidung von wissenschaftlicher »Wahrheit« und praktisch-juristischer »Richtigkeit«: »Die Wahrheit ist stets nur e i n e , und jede Abweichung von ihr ist Irrthum […]. Aber für das Handeln oder, was dasselbe, für den Willen gibt es keinen absoluten Massstab, so dass nur der eine Willensinhalt der wahre, jeder andere ein falscher wäre, sondern der Massstab ist ein relativer […]. R i c h t i g k e i t ist der Massstab des P r a k t i s c h e n , d. h. des Handelns, Wa h r h e i t der des T h e o r e t i s c h e n , d. h. des Erkennens […]« (aaO, S. 428f.). Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 245 [= Ders., Geist III/1 (41888), § 56, S. 260 mit einer hier in Klammern und Kursivschrift gesetzten Textänderung in der vierten Auflage von 1888]. Entgegen anderweitiger Darstellungen [vgl. zum Beispiel H.Schlosser, Privatrechtsgeschichte (61988), S. 140f] weist O.Behrends, Jhering (1987), S. 243 Fn. 39 a.E. sowie S. 264 Fn. 124 zutreffend darauf hin, dass Jhering an der Unterscheidung zwischen »niederer« und »höherer« Jurisprudenz »auch in seiner kritischen Phase festgehalten« und die Begriffe der höheren Jurisprudenz – vorbehaltlich ihrer Kontrolle im Einzelfall – weiterhin »als formale Geltungsträger« des Rechts aufgefasst habe. Vgl. auch O.Behrends, Rechtsgefühl (1986), S. 84 und ders., Gesetz und Dogmatik (1989), S. 24.

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einer »l o g i s c h z w i n g e n d e n […] Beweisführung« beruhten3206, wurde damit zu dem jetzt nur noch »einseitigen Standpunkt juristischer Technik« im Unterschied zum praktisch »höhern legislativ-politischen und ethischen Standpunkt«3207. Die »Anwendung der naturhistorischen Methode auf die Welt des Geistes« als »au s s c h l i e s s l i c h e Betrachtungsform« rechtlicher, aber auch ethischer Normen erschien Jhering jetzt nicht mehr angemessen, da eben »jede begriffliche Auffassungsweise […] eine Gefahr in sich [birgt], deren ich an eigener und fremder Erfahrung bei der Jurisprudenz längst inne geworden bin; nämlich die, über den B e g r i f f den Zw e c k ausser acht zu lassen […].«3208

Dass die »Logik der Wissenschaft […] in der Ableitung und Consequenz der Begriffe nicht weiter geht, als die Natur der Verhältnisse« mit Blick auf »Grund und Zweck« des Rechts vorgebe3209, dass man als Jurist immer »den innigen Zusammenhang des Rechts mit dem Leben im Auge zu behalten« und daher bei »jedem einzelnen Institut […] nach dem praktischen Entstehungsgrund fragen, überall Zweck und Bedürfniß zu erforschen« habe, »dem ein Rechtssatz seinen Ursprung verdankt, und hierbei vor Allem die wirthschaftliche Seite«3210, diese

3206 Jhering, Entwickl.gesch.(1894), S. 32. Vgl. zu Jherings grundsätzlicher Unterscheidung der »Beweisführung« des Rechtsdogmatikers von derjenigen des Rechtshistorikers oben S. 131. 3207 Jhering, Geist III/1 (11865), § 57, S. 250. Der hier im Text zitierte Satzteil entstammt zwar einem etwas anderen Kontext, nämlich der Beschreibung der historischen »Schleichwege des [sc. römischen] Lebens«, womit Jhering. aaO, S. 247, 250f. die »Kunst« bzw. Findigkeit von römischen »Juristen oder Nichtjuristen« der Antike bezeichnet hat, das Recht bei einem – allerdings nur formal – »strengen Festhalten des juristischen Moments« durch sinnwidrige Anwendung »zu umgehen und zu untergraben […], um unerlaubte Zwecke zu verfolgen.« Dies war entsprechend Jherings Unterscheidung zwischen dem geltenden Recht und dem historisch »thatsächlichen« Recht (vgl. Teil 1, Abschnitt II. 2.) genau genommen eigentlich »kein Stück der römischen J u r i s p r u d e n z « mehr, »denn die Wissenschaft lehrt die Wege des Rechts, nicht die des Unrechts«. Jherings neuer kritischer Standpunkt gegenüber der juristischen Technik läßt sich aber auch hier an der rechtshistorischen Darstellung ablesen. Hatte er den »gegen das wahre Wesen der Dinge« gleichgültigen »formalistischen Nihilismus« in seinen früheren rechtshistorischen Charakterisierungen noch lediglich als Ausdruck des primitiven Formalismus der erst noch in der Entwicklung begriffenen altrömischen Rechts- und Kulturepoche dargestellt, so bezeichnete er den Formalismus jetzt als Ausdruck des »einseitigen Standpunkts juristischer Technik« überhaupt und sprach ebenso pauschal von der »dunkle[n] Kehrseite jener einseitig juristischen Lebensauffassung, welche die Römer kennzeichnet und in der Technik der Juristen nur ihren höchsten Gipfelpunkt erreicht […]« habe (aaO). 3208 Jhering, Zweck II (11883), S. 101. 3209 So übrigens mit dem – für einen Germanisten damals nicht ganz selbstverständlichen – ausdrücklichen Verweis auf die juristische »Methode der classischen [sc. römischen] Juristen« W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. 388f. 3210 W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. VIIIf. Vgl. zum Erscheinungszeitpunkt dieses Werkes und Jherings Band III/1 über den »Geist des römischen Rechts« unten S. 627 Fn. 3223.

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Erkenntnis hatten auch schon andere als Jhering3211. Bei Jhering musste es nach seinen früheren methodentheoretischen Äußerungen allerdings als etwas grundsätzlich Neues erscheinen. Hatte er doch einmal die im Einzelfall zu entscheidende Frage nach der Zulässigkeit der juristischen Analogie auf eine bloß klassenlogische »Feststellung des Gattungs- und Art-Begriffs« der Institute zu reduzieren versucht, um die bestenfalls durch »gesunden Takt oder […] instinctive Ahnung«3212, nicht aber wissenschaftlich entscheidbare Wertungsfrage nach der »Gleichheit des Grundes« ganz gezielt zu ersetzen3213. Diese Vermei3211 In bezug auf das vorzitierte Werk des Germanisten Wilhelm Arnold hat Jhering das in einem Brief an Arnold [Kroeschell-Briefe I /1978, Nr. 2 (Jherings Brief vom 18. Januar 1866), S. 275] auch ausdrücklich anerkannt: »Ich habe Ihr Buch jetzt vollständig gelesen […]. Am bedeutendsten und wichtigsten erscheint mir […] die Opposition, die Sie gegen die den Juristen zur zweiten Natur gewordene Überschätzung des logischen Elements erheben. Damit haben Sie den wunden Punkt unserer ganzen heutigen romanistischen [sic!] Jurisprudenz getroffen, und Sie haben diesen Krebsschaden an mehreren Stellen Ihres Buches in schlagender Weise bloßgelegt. Auch in dieser Beziehung sympathisiere ich jetzt völlig mit Ihnen, vor 4–5 Jahren noch hätten Sie in mir einen Gegner gehabt; der § 59 meines Buchs [sc. Geist III/1] kann Ihnen zeigen, welcher Umschwung in dieser Beziehung mit mir vorgegangen ist, und ich trage mich schon seit 2 Jahren mit der Idee einer eigenen Schrift, welche neben einer anderen positiven Richtung zugleich die negative einer Polemik gegen jene Verirrung unserer Jurisprudenz verfolgen soll, und bei der ich mich freue, die mächtige Unterstützung, die ich an Ihnen gefunden habe, mit ins Feld rücken zu lassen.« 3212 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 14f. (= Ges. Aufs. I, S. 12f.). 3213 Anders allerdings J.Schröder, Analogie (1997), S. 55 et passim, nach dessen Auffassung mit der im frühen 19. Jahrhundert erfolgten Herauslösung der Analogie aus der juristischen Interpretationslehre durch führende Juristen wie Feuerbach, Hufeland und vor allem den jungen Savigny die Analogie zu einem nur noch »als ›rein logische‹ Ergänzung des Rechts« verstandenen Schlussverfahren geworden war. Daher will J.Schröder, Recht (22012), S. 276 auch »das abwertend gemeinte Schlagwort ›Begriffsjurisprudenz‹ […], wenn überhaupt, dann schon auf Savignys Rechtslehre angewendet« wissen »und nicht, wie es üblich ist, erst auf die nachfolgende Juristengeneration seit Puchta […].« Das würde aber – bei aller mangelnden Differenziertheit dieses und ähnlicher Schlagworte – die Unterschiede des Analogie-Verständnisses zwischen Savigny und Puchta einerseits und dem frühen Jhering oder später auch Paul Laband [zu ihm M.Herberger, Logik (1984), S. 91ff., 101ff.] oder Karl Bergbohm andererseits nivellieren. So hat K.Bergbohm, Jurisprudenz (1892), S. 382, S. 384 Fn. 10 tatsächlich die rechtswissenschaftliche Lückenfüllung nicht mehr als eine Sache des Willens, sondern ausschließlich des Wissens aufgefaßt und speziell die »A n a l o g i e [auf] eine Schlußform« formaler Logik zu reduzieren versucht. Gleichwohl entsprach dies aber auch im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts noch keineswegs der allgemeinen Auffassung. Vgl. dagegen nur A.Brinz, Pandekten I (21873), § 25, S. 111; § 32, S. 127 zur immer nur »logisch blos mögliche[n] (analogische[n])« Erweiterung. Die Analogie sei »zwar logische Operation, aber kein Schluß«, »›ähnlich‹, verwandt, aber nicht wie Genus und Species in auf- und absteigender Linie, sondern […] nebeneinander seitwärts verwandt«. Kritisch hieß es auch in dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führenden Pandektenlehrbuch von B.Windscheid, Pandekten I (91906), § 22, S. 104 mit Fn. 6 zu der vom jungen Jhering in die Kategorien der Klassenlogik übersetzten Frage nach der »Gleichheit des Grundes« bei der juristischen

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dungsstrategie um der Wissenschaftlichkeit willen hat Jhering allerdings nicht durchhalten können. Denn spielte die wertende Frage nach der »Gleichheit des Grundes« auch in der Zeit nach Jherings wissenschaftskritischer Wende im Rahmen der naturhistorischen Feststellung von Gattungs- und Artbegriff des Rechts weiterhin keine Rolle, so hielt er jetzt doch immer eine »Rückkehr zu der natürlichen und ursprünglichen Form des Imperativs«3214, im Falle des Rechts also zu der jeweils von der niederen Jurisprudenz zu untersuchenden ratio legis, zu dem »Willen des Gesetzes«3215 für notwendig, um die Ergebnisse der höheren Jurisprudenz kontrollieren und ihnen gegebenenfalls – ohne ihre »rein akademische Existenz« bzw. theoretische Wahrheit zu bestreiten3216 – doch eine praktisch-juristische Verbindlichkeit absprechen zu können. (3) Die Gesetze der juristischen Schönheit und der logischen Sparsamkeit Wie für die juristische Konstruktion geltender Rechtssätze im Rahmen der objektiven juristischen Technik galten nach Jhering auch für »die analytische Behandlung des concreten Rechtsverhältnisses«, die sogenannte »c o n c r e t e Analyse«3217 im Rahmen der subjektiven juristischen Technik, die Gesetze der juristischen Schönheit und der logischen Sparsamkeit. Das hieß für Jhering zum einen die ausdrückliche Anerkennung alternativ möglicher rechtswissenschaftlicher Konstruktionen für dasselbe Rechtsverhältnis und zum anderen die »Kunst der Vermittelung«3218 auch ganz neuartiger Privatrechtsverhältnisse mit den Begriffen der juristischen Dogmatik unter Vermeidung des von Jhering an der zeitgenössischen Pandektistik schon früh kritisierten »s.g. Ro m a n i s i re n [ s ] «3219. Hatte Wilhelm Arnold im Jahre 1865 mit Blick auf »die sogenannte juristische Construction, von der man heutzutage für römisches wie deutsches Recht soviel reden hört«, kritisch angemerkt, dass es »auch im Recht so viele und verschie-

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Analogie: »[…] allein man darf nicht die wesentliche Gleichheit nur in konstruktiven Dingen suchen, sondern muß fragen, ob dieselben Gerechtigkeitsgründe, welche die Entscheidung des Gesetzgebers tragen, auch in dem anderen Falle obwalten.« So Jhering, Zweck II (11883), S. 101f. zur »Anwendung der naturhistorischen Methode« auf die »s i t t l i c h e n N o r m e n «. Bei letzteren sah Jhering allerdings auch die »wissenschaftliche Berechtigung« der naturhistorischen Methode nur noch in »ästhetischer Beziehung« als eine Form der Darstellung gegeben, also nicht einmal mehr als »Schuldialektik« [Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 303], nämlich wissenschaftliche »Dialektik […] rein f o r m a l e r Operationen (Consequenz – Construction – Speculation)« [Jhering, Zweck II (11883), S. 102] wie beim geltenden Recht im Rahmen der höheren Jurisprudenz bzw. wissenschaftlichen Rechtsdogmatik. Vgl. dagegen Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 14 (= Ges. Aufs. I, S. 12). Jhering, Besitzwille (1889), S. 132. Jhering, Geist III/1 (11865), § 49, S. 15f.; § 54, S. 169. Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 404. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 44 (= Ges. Aufs. I, S. 39).

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dene logische Möglichkeiten [gibt], daß die Consequenz allein noch nicht die Richtigkeit des Schlusses in einem einzelnen Fall verbürgt«3220, so traf er damit wohl methodentheoretische Vorstellungen im Stile Puchtas, nicht aber Jherings. Dieser hatte abgesehen von den methodentheoretisch bereits herausgestellten Unwägbarkeiten der »Kunst der juristischen Diagnose« im jeweils zu beurteilenden Einzelfall auch schon vor seiner methodenkritischen Wende die Möglichkeit von »vollkommnere[n] und unvollkommnere[n] Constructionen« in dem durch das Gesetz der Deckung und des Nichtwiderspruchs gezogenen Rahmens betont3221 und niemals aus der Tatsache, dass eine »Construction m ö g l i c h « ist, auch schon »die Brauchbarkeit und Nothwendigkeit derselben« folgern wollen3222. Wohl hatte Jhering vor seiner methodenkritischen Wende noch nicht, wie es Wilhelm Arnold im Jahre 1865, also im Erscheinungsjahr von Jherings erstem, bereits auf methodenkritischer Basis verfassten Band Geist III/13223, monieren sollte, bei den maßgeblichen Kriterien für die Auswahl zwischen verschiedenen möglichen Konstruktionen an »außer dem Recht liegende Gründe«, nämlich die »ethische« und »die wirthschaftliche Seite« als die »übrigen Seiten des Volkslebens« gedacht3224. Denn hinsichtlich der rechtsdogmatisch »künstlerischen Gestaltung des Stoffs« hatte Jhering, »insofern ihm [sc. dem Stoff, also dem Regelungsinhalt der geltenden Rechtssätze] nur in der Form, die sie [sc. die Jurisprudenz] ihm verleiht, dieselbe praktische Kraft verbleibt«, die Jurisprudenz sogar ausdrücklich als »vollkommen frei« bezeichnet, sie insoweit also vollständig der rechtswissenschaftlichen Autonomie überwiesen3225. Das heißt 3220 W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. VIf. 3221 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 406. 3222 Jhering, Mitwirkung II (1858), S. 249 (Sperrdruck im Original). Vgl. zu diesem Aspekt von Jherings Theorie der juristischen Konstruktion auch A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 200f. 3223 W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. XXI bekannte sich in seinem Vorwort unter anderem zu zeitgenössischen »nationalökonomischen Schriften«, aber auch »vor Allem [zu]: Jhering Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwickelung (bis jetzt vier Abtheilungen)«, das heißt, Jherings Band III/1 war zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Vorwortes bereits erschienen. Allerdings wies Arnold ausdrücklich darauf hin, dass von ihm gerade die bereits methodenkritische »vierte Abtheilung von Jhering [= Geist III/ 1] gar nicht mehr benutzt werden konnte, da die Arbeit [sc. Arnolds] in ihren wesentlichsten Theilen schon im Frühjahr 1863 vollendet war […].« 3224 W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. VII, XII (Vorrede) sowie auch S. 197ff., 393 et passim. In einem Brief an Arnold vom 10. Dezember 1865 [Kroeschell-Briefe I /1978, Nr. 1, S. 274] fand Jhering von seinem nun bereits methodenkritischen Standpunkt aus Arnolds »Vorrede […] mir ganz aus der Seele geschrieben«. Denn der »Kampf gegen die Alleinherrschaft der juristischen Dialektik […] betrifft eine Lebensfrage der heutigen Jurisprudenz. Keiner hat darüber bis jetzt etwas so Richtiges und Treffendes geschrieben, wie Sie.« 3225 Jhering, Geist II/2 (11858), § 41, S. 399f. So konnte man nach Jhering, aaO dann, wenn das geltende Recht aus »baupolizeilichen Rücksichten […] dem Eigenthümer die Vindication

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nicht, dass Jhering in dem durch das geltende Recht sowie durch das Verbot des Nichtwiderspruchs vorgegebenen Rahmen die rechtswissenschaftliche Entscheidung für eine von mehreren möglichen Konstruktionen nur noch als eine Frage der rechtsinternen Ästhetik oder gar »bloß [als] Sache der Neigung«3226 des jeweiligen Rechtsdogmatikers verstanden hätte. Auch vor seiner methodenkritischen Wende war es für Jhering selbstverständlich gewesen, dass die juristische Konstruktion ebenso wenig wie die juristische Technik überhaupt juristischer Selbstzweck sein sollte3227, sondern nur Mittel zum Zweck »einer des Baumaterials, das ein Anderer in sein Haus verbaut hatte«, versage, der durch eine spätere »Trennung des Materials z. B. durch Zusammenstürzen des Hauses« entstehenden Sachlage einen ganz »verschiedenen juristischen Ausdruck geben, nämlich den, daß das Eigenthum untergehe, späterhin aber wieder aufwache, oder aber, daß zwar das Eigenthum fortdauere, allein nur nicht geltend gemacht werden könne, so lange die Verbindung andauere.« Jhering verwarf nun die erstgenannte Konstruktionsalternative entsprechend seinem Grundsatz einer autonomen »künstlerischen Gestaltung« durch die Wissenschaft als technisch gleich doppelt »anstößig[e]« Vorstellungsweise, ohne auch nur mit einem Wort auf den öffentlich-rechtlichen Charakter sowie den Sinn und Zweck des vorübergehenden Vindikationsverbots oder auf die wichtige interessenrelevante Frage einzugehen, ob durch einen Untergang des Eigentums am verbauten Material bestehende Sicherungs- und Verwertungsrechte Dritter verletzt würden. Eigentümlicherweise hat Jhering diese Passage auch in späteren Auflagen nicht nur einfach beibehalten, sondern in der zweiten und dritten Auflage von 1869 bzw. 1875 noch stilistisch überarbeitet und sogar um einen ganzen Absatz ergänzt. Letzteres hat er allerdings keinesfalls deswegen getan, um – auch nur andeutungsweise – Ergänzungen in dem hier vorbezeichneten Sinne nachzutragen, sondern vielmehr um auf die von einer Puchtaschen Konstruktion nicht beachteten Grenzen der rechtswissenschaftlichen Autonomie hinzuweisen, die sich nach Jhering aus »unserm obigen Gesetz der Deckung des positiven Stoffs« durch das geltende Pandektenrecht ergaben [Jhering, Geist II/2 (21869), § 41, S. 356f. und – nochmals überarbeitet – Ders., Geist II/2 (31875), § 41, S. 373f.]. Vgl. dazu auch A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989), S. 294 mit Fn. 117. 3226 So Jhering in einem Brief aus dem Jahre 1859 an Gerber zu dessen aktueller Konstruktion des Urheberrechts – einer Konstruktion, die aber nach Jherings Auffassung dem Gesetz der Deckung entsprach insbesondere nicht gegen das Gesetz des Nichtwiderspruchs verstieß [Losano-Briefe I /1984, Nr. 115, S. 336f.]. 3227 In diesem Sinne hatte der bereits zitierte Germanist Wilhelm Arnold die zeitgenössische Jurisprudenz vor dem Gedanken gewarnt, »als sei das Recht nur um seiner selbst willen da oder als führe es ein isolirtes, auf sich beschränktes Dasein. Besonders sind die Romanisten dieser Gefahr ausgesetzt […]« [W.Arnold, Rechtsleben (1865), S. VIII]. Dass Arnold mit den »Romanisten« gerade auch Jhering meinte, legen seine zwar ohne ausdrückliche Nennung von Jherings Namen, aber offensichtlich auf diesen gemünzten kritischen Bemerkungen zur Beschreibung der rechtsdogmatischen und entwicklungsgeschichtlichen Rolle der Abstraktion im Recht nahe (aaO, S. 202): »Man meint trotz aller Abhängigkeit vom Leben sei das Recht doch davon wesentlich verschieden, und der Jurist habe es nur mit dem Procentgehalt an reinem Recht zu thun. […] Ja, man meint, ein Recht sei um so besser, je weniger es von dem zu Grunde liegenden factischen Stoff noch enthalte, je mehr es davon abstrahire, […] ihn so gleichsam vergeistige.« Daran hat Jhering allerdings auch später festgehalten. Denn er bekannte sich immer sowohl zum rechtsdogmatischen Erfordernis einer durch die »juristisch-zersetzende« Kraft der abstrahierenden Rechtswissenschaft erfolgenden Ausscheidung des juristischen »Prozentgehalts«

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vernünftigen Betrachtung des Sachverhältnisses«3228 mit den Kategorien des Rechts. Nur hatte dies keinen Niederschlag in der methodentheoretischen Formulierung der Konstruktionsgesetze gefunden. Erst nach seiner methodenkritischen Wende hat er der Rechtsdogmatik keine »Autonomie des juristischen Denkens« gegenüber »den realen Mächten« der Lebenswirklichkeit mehr zugestehen wollen3229. Im Zusammenhang mit dem von Jhering gleichwohl immer als selbstverständlich vorausgesetzten Ziel »einer vernünftigen Betrachtung des Sachverhältnisses«3230 ist es allerdings auch zu sehen, dass Jhering als das »höchste Gesetz« der juristischen Methode »die Erforschung und Anerkennung der juristischen Individualität des zu construirenden Verhältnisses«3231 und damit

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aus dem vorrechtlichen »Organismus« der Lebenswirklichkeit [Jhering, Geist II/1 (11854), § 31, S. 143; Ders., Geist II/2 (11858), § 39, S. 378f.; Ders., Geist II/2 (31875), § 39, S. 351 mit Fn. 501 a.E.] als auch zur Vorstellung einer entwicklungsgeschichtlichen Aufwärtsentwicklung des Rechts von einer zunächst »l o c a l e n historischen E r s c h e i n u n g s f o r m « zur »späteren reinen d. h. abstract allgemeinen Gestalt«, weil der »menschliche Geist« immer »früher das Concrete, als das Abstracte« gewinne [Jhering, Geist II/2 (11858), § 39, S. 365f., 370; Ders., Geist II/2 (31875), § 39, S. 343f.]. Jhering, Sell-Rezension (1847), S. 69. Jhering, Geist III/1 (11865), § 59, S. 300. Aus rechtshistorischer Sicht, also mit Blick auf den jeweils mutmaßlich wahren »historischen Grund« erschienen Jhering die rechtsdogmatischen »Deductionen der römischen Juristen« jetzt nur noch als »Rechenpfennige, Zahlmarken – ganz geeignet für den Zweck, dem sie dienen sollen, aber nicht wie wirkliches Geld« (aaO, S. 303). Dass Jhering aber auch mit seiner Suche nach den jeweils »realen Mächte[n]« in der historischen Lebenswirklichkeit als dem vorgeblich wahren Grund für dogmatische Theorien zumindest dogmengeschichtlich betrachtet keineswegs immer richtiger lag als in seinen früheren Jahren, zeigt O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 146ff. am Beispiel von Jherings einerseits in den fünfziger und andererseits in den sechziger Jahren gegebenen dogmengeschichtlichen Erklärungen für die in der römischen Rechtsgeschichte der Antike miteinander konkurrierenden Theorien über den Eigentumserwerb durch Spezifikation (Verarbeitung). Der von Jhering verwendete Ausdruck »reale Mächte« selbst war durch die 1853 anonym erschienene Schrift des liberalen Publizisten August Ludwig von Rochau über die »Grundsätze der Realpolitik, angewendet auf die staatlichen Zustände Deutschlands« durch ihr Bekenntnis zu den sozialen Machtverhältnissen als dem wesensbestimmenden Faktor der Politik »in aller Munde gekommen« [J.Rückert, Autonomie (1988), S. 57 Fn. 195; E.R.Huber, Verfassungsgeschichte II (31988), S. 386ff.]. Allerdings stellt Rückert, aaO, S. 56f. wohl zu Unrecht einen Zusammenhang her zwischen Jherings hier zitierten Worten aus dem Jahre 1865 und dessen einstiger Kritik an der »›Seligkeit des autonomen Denkens‹« in seinem 1844 anonym erschienenen Aufsatz über die Historische Rechtsschule [Jhering, Hist. Schule (1844), Sp. 407]. Denn mit der »Seligkeit des autonomen Denkens« hatte der junge Jhering als Rechtshistoriker die idealistische Rechts- und Geschichtsphilosophie zurückgewiesen, nämlich deren Behauptung einer »Autonomie« der Vernunft und einer geschichtsdialektisch auf sie zurückzuführenden Entwicklung des Rechts. Die rechtswissenschaftliche Autonomie des juristischen Denkens in der Rechtsdogmatik hatte Jhering damals (1844) aber noch keinesfalls auch nur im Ansatz in Frage gestellt. Jhering, Sell-Rezension (1847), S. 69. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 51 (= Ges. Aufs. I, S. 44).

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einerseits den ausdrücklichen Verzicht auf das »s.g. Ro m a n i s i re n «3232 forderte, also den Verzicht darauf, dass »der Rechtsstoff«, hier im Rahmen der subjektiven juristischen Technik also die privatautonom getroffene Regelung, »mit Verkennung seiner eigenthümlichen juristischen Natur unter den römischen Begriff gezwängt wird.«3233 Denn – so bekräftigte Jhering später – eine »gereifte Wissenschaft muß die Kraft besitzen, sich des Neuen in seiner wahren, ureignen Gestalt zu bemächtigen, und soll daher jene Nothbehelfe, mittelst deren die Jurisprudenz der Kindheitszeit dieser Aufgabe auszuweichen wusste, verschmähen.«3234 »Unsere heutige Wissenschaft genügt dem Gesetz der Sparsamkeit schon, indem sie nicht v e r s c hw e n d e t , d. h. nicht Ueberflüssiges postulirt […].«3235

Andererseits zählte Jhering zu den sich aus dem Gesetz der Sparsamkeit ergebenden »Voraussetzungen, unter denen die juristische Construction sich der v o r h a n d e n e n technischen Mittel entschlagen darf«3236, dass ebenso wie bei gesetzlichen bzw. gewohnheitsrechtlichen Regelungen auch im Hinblick auf die juristische Konstruktion neuer rechtsgeschäftlicher Verkehrsformen die »heutige Wissenschaft« zuerst alles dasjenige, »was sie […] auf dem Wege der Combination und Deduction gewinnen kann«, zur rechtsdogmatischen Erklärung nutzen müsse3237. »Wozu […] neue Begriffe postuliren, wenn die bereits vorhandenen vollkommen ausreichen?« Diese rhetorische Frage stellte Jhering mit Blick auf alle im Rahmen der Privatautonomie sich ausbildenden modernen rechtsgeschäftlichen Verkehrsformen wie zum Beispiel die für den bargeldlosen Zahlungsverkehr in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stark an Bedeutung gewinnende »Girobank«3238. Dass bei dem »Bestreben, die neuen Gedanken oder

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Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 44 (= Ges. Aufs. I, S. 39). Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 44 (= Ges. Aufs. I, S. 39). Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 230. Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 230. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 45 Fn. 15. Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 230. Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 45 (= Ges. Aufs. I, S. 39). Vgl. nur F.Wieacker, Pandektenwissenschaft (1968), S. 5 und F.-W.Henning, Entwicklung (1980), S. 66f., 75 zur enorm wachsenden Bedeutung des zeitgenössischen Giroverkehrs, der mit Blick auf die durch den schnellen Umschlag auf den Konten immer wichtiger werdenden Dienstleistungsfunktionen der Girobanken den bis dahin verbreiteten Wechsel bei der Abwicklung bargeldloser Zahlungen zu verdrängen begann. Zu einem »gewaltige[n] Aufschwung des Giroverkehrs« kam es in Deutschland zwar erst, als dieser im Jahre 1876 von der neu gegründeten deutschen Reichsbank reichsweit aufgenommen werden konnte [J.v.Gierke, Giroverkehr (1927), S. 957] und ganz »Deutschland e i n Giroplatz« wurde [H.Hartung, Giro-Verkehr (1880), S. 4, 61]. Aber auch schon in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als Jherings Aufsatz »Unsere Aufgabe« erstmals publiziert wurde, verschwammen zunehmend die Grenzen zwischen »reinen D e p o s i t e n b a n k e n « mit einem

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sagen wir besser : die neuen Zwecke und Bedürfnisse, die der Fortschritt der Bildung und die Entwicklung des Verkehrs mit sich bringen«3239, dem Versuch, sich nicht »auf eine bloße S c h i l d e r u n g des Verhältnisses [zu] beschränken«, sondern »eine juristische Erklärung desselben«, das heißt, eine konkrete juristische Konstruktion zu formulieren, immer der »ganze Zweck des Verhältnisses« entsprechend dem zu ermittelnden »Wille[n] der Parteien« zu Grunde zu legen sei, verstand sich für Jhering nicht erst seit seiner methodentheoretischen Wende – zumindest in der Theorie – von selbst3240.

»enggesteckten Geschäftskreis« und »Creditanstalten«, wie ein zeitgenössisches Banklehrbuch noch kritisierte [A.Wagner, Banken (1857), S. 314]. 3239 Jhering, Geist III/1 (11865), § 56, S. 231. 3240 Jhering, Unsere Aufgabe (1856), S. 45ff. mit Fn. 17 (= Ges. Aufs. I, S. 39ff. mit Fn. 18). Eine andere die Dogmengeschichte betreffende Frage ist es natürlich, ob Jhering bei seinen Konstruktionen auch den von den Parteien tatsächlich verfolgten Zweck der privatrechtlichen Vereinbarungen immer getroffen hat. So sah er im Falle der im Text zitierten »Girobank«, also bei der Bestimmung des Verhältnisses der »Bankinteressenten unter einander« und zu ihrer Bank, den Zweck der Willenserklärungen der Bankkunden bei Eröffnung eines Kontos noch auf »ein gemeinschaftliches H a b e n « der »Summe ihrer Einschüsse« und rechtlich damit auf die Bildung von »Miteigenthum« am »gesammte[n] Metallvorrath der Bank« gerichtet, der »durch eine Bankdeputation« verwaltet werde (aaO). Das entsprach aber weder dem Parteiwillen der Einleger in »der ursprünglichen Form des Depositengeschäfts, wie es die alten Girobanken betrieben« [vgl. H.Schönle, Bankrecht (21976), § 6, S. 62; § 7, S. 65] noch dem sich Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland ausbildenden Depositengeschäft »der neuen Deutschen Banken«. Bei letzterem rückte die Verwahrung immer mehr in den Hintergrund und – so eine zeitgenössische Charakterisierung – »das H a n d e l n , das Geschäftemachen der Banken der modernen Zeit« mit niedrig oder überhaupt nicht verzinsten Einlagen in den Vordergrund [A.Wagner, Banken (1857), S. 215, 219f.], so dass sich unter anderem auch die moderne Form des Girovertrages als umfassender Geschäftsbesorgungsvertrag im Hinblick auf ein – im Übrigen bereits dem römischen Recht bekanntes – depositum irregulare herausbilden konnte. Denn wirtschaftlich beruhten diese Bankgeschäfte nach einer zeitgenössischen Darstellung bereits darauf, dass die Bank einerseits für ihre Kunden Dienstleistungen, insbesondere mittels »Ab- und Zuschreibens […] Zahlungen unter ihren Deponenten bewerkstelligen« sollte und dass andererseits ein »Theil der Capitalien […] von der Bank, auch zeitweilig in anderer Weise productiv« zur Geldschöpfung verwendet werden konnte, weil die Deponenten die Summen nicht immer zu gleicher Zeit bedürfen [A.Wagner, Banken (1857), S. 49ff., 61]. Eine Einsicht in diese Zusammenhänge hat Jhering 1856 aber offenbar noch gefehlt.

Thesenförmige Zusammenfassung

Die Ablösung des Volksgeists als Geltungsgrundlage des positiven Rechts (S. 31–133) 1. Im Unterschied zur Rechtsentstehungslehre der Historischen Rechtsschule, die die Entstehung und Geltung des Rechts auf den »Volksgeist« zurückgeführt hat, spricht Jhering bereits in den 1850er Jahren nicht mehr vom »Volksgeist«, sondern vom »Geist des Volks und der Zeit«, der sich in einer Rechtsordnung niederschlage. Hinter dieser unterschiedlichen Terminologie verbergen sich auch sachlich unterschiedliche Vorstellungen. (S. 39–76) 2. Im Unterschied zur Historischen Rechtsschule rekurriert Jherings Begriff des Volks nicht auf das Volk als ein »Naturganzes« oder »ideales Volk« (Savigny), sondern auf die Gesamtheit der in einer Rechtsordnung lebenden Individuen. Eine Vertretung der Rechtsüberzeugung des Volks durch die Juristen ist damit ausgeschlossen. In der öffentlichen Diskussion rechtspolitischer Fragen kommt nach Jhering den Nicht-Juristen dieselbe Stimme zu wie den Juristen. (S. 32–36) 3. Bereits der junge Jhering betrachtet kein Volk mehr als die ausschließliche Quelle seines eigenen Rechts. Vielmehr haben jedes Volk und jede Rechtsordnung immer auch eine »Vorgeschichte«. (S. 36–38). Unterlagen aus Jherings Nachlass zeigen, dass sich der junge Jhering schon in den 1840er Jahren von der Rechtsentstehungslehre der Historischen Rechtsschule emanzipiert hat, ohne den grundsätzlichen Bruch mit Savigny vor dessen Tod (1861) auch öffentlich zu machen. (S. 39f., 54, 85f.) 4. Die dem Recht eines Volks zugrundeliegenden gemeinsamen Rechtsüberzeugungen betrachtet Jhering nicht mehr als die Quelle, sondern als das Ergebnis eines Rechtsbildungsprozesses. Im Unterschied zur Historischen Rechtsschule berücksichtigt Jhering am Beispiel des römischen Rechts bereits in den 1850er Jahren die Gewalt als einen historischen Faktor der Rechtsbildung. (S. 67–71)

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Thesenförmige Zusammenfassung

5. Nicht wie die Historische Rechtsschule den »Geist des Volks«, sondern den »Geist der Zeit« sieht der junge Jhering in seinem ersten Hauptwerk »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« als die maßgebliche Ursache der Rechtsbildung. (S. 62–71). Indem Jhering den »Geist des Volks« historisiert, macht er ihn für den Historiker kritisierbar und beraubt ihn seiner Rolle als Geltungsgrund des Rechts. Damit ist nicht mehr der »Volksgeist« die »Werkstätte« des Rechts (Puchta), sondern die »Geschichte«. (S. 71–73) 6. Gesellschaftliche Einzel- und Gruppeninteressen, die in einem antagonistischen Verhältnis zueinander stehen, betrachtet Jhering erst seit Mitte der 1860er Jahre als ausschließliche Ursachen für die Inhalte des Rechts. Während die Historische Rechtsschule individuelle Interessen noch als destruktiv für die Rechtsbildung bewertet hatte, werden sie durch Jhering und andere Zeitgenossen wie etwa Heinrich Ahrens oder Wilhelm Arnold zur Grundlage der Rechtsbildung erklärt. Spätestens damit ist auch die Vorstellung eines einheitlichen »Volksgeists« für die Rechtsentstehungslehre obsolet geworden. (S. 60–62, 73–76) 7. Jherings Neubestimmung des Verhältnisses von Volk, Geschichte und Recht in den 1850er Jahren hat unmittelbare Auswirkungen für seine Auffassung des Verhältnisses zwischen Dogmatik und Geschichte des Rechts. Jhering ging es in Auseinandersetzung mit der Historischen Rechtsschule sowohl um eine Emanzipierung der Rechtsdogmatik von der Rechtsgeschichte als auch umgekehrt um eine Emanzipierung der Rechtsgeschichte von der Rechtsdogmatik. (S. 76–87) 8. Zu Beginn seines wissenschaftlichen Lebens ist es zunächst die Rechtsgeschichte, in der Jhering sein Wissenschaftsideal eines Forschens mit »völliger wissenschaftlicher Freiheit« verwirklicht sieht. Nach seiner 1844 entwickelten Konzeption einer »producirende[n] Thätigkeit« auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte soll der Historiker durch eine »höhere« Kritik der Quellen, die sich an deren deskriptive »niedere« Bearbeitung anschließt, im Wege der »historischen Combination« die »zufällige Beschränkung« auf die überlieferten Quellentexte überwinden. Jhering knüpft damit an ältere Ansätze der konstruierenden Rechtsgeschichte in den Altertumswissenschaften an (Friedrich August Wolf, Barthold Georg Niebuhr) (S. 105–107, 125–133) 9. Auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte entwickelt Jhering am Beispiel des römischen Rechts den Begriff des »objektiven« bzw. »thatsächlichen Rechts«, das sich mit dem juristisch geltenden zeitgenössischen Recht allenfalls teilweise deckt, gelegentlich aber sogar in einem unmittelbaren Gegensatz zu ihm steht. (S. 108, 145–147) 10. Als Rechtshistoriker hat Jhering in den 1850er Jahren am Beispiel des altrömischen Rechts des Altertums eine »physiologische« Sichtweise auf die

Positivität des Rechts

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historische Rechtswirklichkeit entwickelt, die er seit den 1870er Jahren auch auf die frühsoziologische Untersuchung der Rechtswirklichkeit seiner eigenen Zeit übertragen sollte. (S. 114–130)

Positivität des Rechts (S. 135–172) 11. Bereits im Rechtsdenken des jungen Jhering fällt das wieder auseinander, was nach der Volksgeistlehre der Historischen Rechtsschule zusammengehört hatte, nämlich die Frage nach dem rechtlichen Grund für die Gültigkeit des Rechts, die Frage nach den geschichtlichen Ursachen für die Inhalte dieses Rechts sowie die Frage nach dessen »legitimierenden Grund«. (S. 139–142) 12. Als Historiker und als Jurist vertritt Jhering zwei unterschiedliche Begriffe des Rechts. Der Blick des Historikers ist nach Jhering auf das »thatsächliche« Recht, nämlich die in der Rechtsgeschichte tatsächlich wirksamen Sozialnormen und Verhaltensweisen gerichtet ungeachtet der Frage, ob die Sozialnormen auch Rechtsnormen sind. Dagegen beschränkt sich der auf vergangene oder gegenwärtige Rechtszustände gerichtete Blick des Juristen ausschließlich auf das jeweils juristisch geltende Recht ungeachtet der Frage, ob es im Einzelfall auch immer Anwendung findet. (S. 143–147) 13. Auch das juristisch geltende Recht hat nach Jhering eine »faktische Seite«, nämlich die konstante tatsächliche Anwendung der Rechtsnorm. Schon in den 1840er Jahren kritisiert Jhering die Historische Rechtsschule für die Auffassung, dass es immer der Staat sein müsse, der die Anwendung der Rechtsnorm sicherstelle. (S. 154–157, 168–171) 14. Vom Richter fordert Jhering als Jurist, nicht als Rechtshistoriker, den unbedingten Gehorsam gegenüber dem positiven Recht. Auch das gegen die Rechtsanwendung opponierende individuelle Rechtsgefühl des Richters ermächtige diesen nicht zu einer nicht vom geltenden Recht gedeckten Lösung des Konflikts. Vielmehr sei der Richter gegebenenfalls zu einer persönlichen »Selbstverläugnung im Dienst des Rechts« verpflichtet. (S. 159–162) 15. Der Rechtsbruch ist nach Jherings bereits seit den 1850er Jahren vertretenen Auffassung aus juristischer Sicht anders zu beurteilen als aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht. Im unüberbrückbaren Gegensatz zur Historischen Rechtsschule können nach Jhering nämlich aus der jeweils rückblickenden Bewertung des Rechtshistorikers der richterliche Ungehorsam, im Extremfall sogar die Revolution oder ein Staatsstreich legitim erscheinen, wenn der Bruch mit dem geltenden Recht den veränderten »Bedürfnissen des Lebens und den Anforderungen der Zeit« entspreche. Dahinter steht Jherings lebenslang anhaltender Glaube an eine stetige rechtliche und sittliche Aufwärtsentwicklung der Menschheit. (S. 157–172)

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Thesenförmige Zusammenfassung

16. Im Unterschied zu der von Savigny begründeten und von Puchta vertieften Rechtsquellenlehre der Historischen Rechtsschule tritt für Jhering bei der Abgrenzung von rechtlichen und nichtrechtlichen Normen die Frage nach der Entstehung des Rechts zurück hinter die Frage nach der Wirkung der Rechtsnormen. (S. 152–154)

Rechtsquellen (S. 173–260) 17. Dem Gewohnheitsrecht traditioneller Prägung räumt Jhering ebenso wie die Historische Rechtsschule für seine eigene Zeit nur noch eine untergeordnete Rolle ein. Gleichzeitig lehnt aber bereits der junge Jhering die auf Savigny zurückgehende und von Puchta weiterentwickelte Lehre vom Gewohnheitsrecht ab, wonach in rechtskulturell fortgeschrittenen Zeiten das Gewohnheitsrecht, darunter insbesondere das in Deutschland subsidiär geltende gemeine römische Recht, maßgeblich auf der Rechtsüberzeugung der Juristen als Vertretern des Volks in Rechtsfragen beruhe. (S. 176f., 184, 196– 206) 18. Mit der Ablehnung der Rechtsquellenlehre der Historischen Rechtsschule und der Bezugnahme auf die Wirkungsweise von Normen bei der Abgrenzung rechtlicher und nichtrechtlicher Normen stellt sich für Jhering die Frage nach der Feststellbarkeit und inhaltlichen Bestimmtheit des Gewohnheitsrechts in neuer Schärfe. Gewohnheitsrechtliche Normen unterscheiden sich nach Jhering von nichtrechtlichen Normen der Sitte lediglich durch eine »graduelle Differenz in der Stärke des Pflichtgefühls« der Adressaten der Norm. Den letzten Schritt zu einer rechtssoziologischen Differenzierung des Rechts nach seiner sozialen Wirksamkeit wie im 20. Jahrhundert zum Beispiel bei Theodor Geiger ist Jhering aber noch nicht gegangen. (S. 177–182) 19. Jherings Abkehr von den zunächst auch von ihm geteilten Auffassungen der Historischen Rechtsschule zum Gewohnheitsrecht setzt bereits lange vor der Zäsur seiner rechtsmethodologischen Auffassungen zur Tragweite der naturhistorischen Methode ein. (S. 182–189) 20. Bereits seit den 1840er Jahren beginnt Jhering im staatlichen Gesetz die maßgebliche Rechtsquelle für seine eigene Zeit zu sehen. Insbesondere für das römische Recht fordert Jhering bereits in der zweiten Hälfte der 1840er Jahre die von Savigny im Jahre 1814, aber auch noch um 1840 abgelehnte Zivilrechtskodifikation. Im Gegensatz zur Historischen Rechtsschule bestreitet er zugleich, dass das römische Recht in der Form des Pandektenrechts zu seiner Zeit tatsächlich bereits eine vollständige »innerliche Aneignung« in Deutschland gefunden habe. (S. 191–206)

Rechtsquellen

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21. Im Anschluss an die Historische Rechtsschule unterscheidet auch Jhering zwischen dem Gesetz, das sich der Klärung rechtsdogmatischer Fragen zu enthalten habe, und dem von der Rechtsdogmatik auf der Grundlage des Gesetzes entwickelten wissenschaftlichen Recht. Bereits der junge Jhering kritisiert aber, dass die Historische Rechtsschule von dieser Unterscheidung keine konsequente Anwendung auf das römische Recht gemacht und daher viele seiner Inhalte zu Unrecht auch im geltenden Pandektenrecht konserviert habe. (S. 206–211) 22. Im Hinblick auf die Auslegung der Gesetze verharrt Jhering im Gegensatz zu Savigny ganz in der traditionellen juristischen Hermeneutik. Daher kann Jhering auch die Auslegung der Gesetze nur als eine »niedere« Form der wissenschaftlichen Jurisprudenz auffassen, die zudem mit Blick auf die allgemeine Philologie nicht das opus proprium der Jurisprudenz im Vergleich zu anderen Wissenschaften darstelle. (S. 211f., 585) 23. Die rechtsquellentheoretische »Produktivität« der Jurisprudenz bildet für Jhering Mitte der 1850er Jahre den zentralen und im Grundsatz auch in späteren Jahren nicht mehr aufgegebenen Gesichtspunkt rechtswissenschaftlichen Arbeitens. Unmittelbares Vorbild für die »Produktivität« auf dem Gebiet der Dogmatik des geltenden Rechts ist die von Jhering bereits zehn Jahre früher entwickelte Konzeption einer wissenschaftlichen »Produktivität« des Historikers auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte (vgl. oben Nr. 8). (S. 217–221) 24. Wie in der Rechtsgeschichte unterscheidet Jhering seit Mitte der 1850er Jahre auch in der Rechtsdogmatik eine »rezeptive« bzw. »niedere« und eine »produktive« bzw. »höhere« Art der Wissenschaft. (S. 218–223, 227) 25. Zur »rezeptiven« bzw. »niederen« Tätigkeit auf dem Gebiet der Rechtsdogmatik zählt Jhering seit seiner Programmschrift »Unsere Aufgabe« (1856) unter Zuspitzung und Verengung des Begriffs der Produktivität »höherer« Jurisprudenz nicht mehr nur die juristische Auslegung, sondern auch die Ergänzung der geltenden Rechtssätze aufgrund von juristischer Konsequenz und juristischer Analogie. Mit Ergänzungen des Rechts durch Konsequenz und Analogie hatte dagegen Puchta noch die produktive Rechtsquellenfunktion der Rechtswissenschaft begründet. (S. 223–226, 228f.) 26. Während nach Jhering die produktive Rechtsgeschichte auf dem Gebiet des römischen Rechts dessen möglichst getreuer Rekonstruktion zum Verstehen der »juristischen Methode« der römischen Juristen dienen sollte, verfolgt Jhering mit seiner Theorie der produktiven Tätigkeit der Jurisprudenz auf dem Gebiet der Rechtsdogmatik zwei Ziele: Erstens sollte diese Theorie die wissenschaftstheoretische Ebenbürtigkeit mit den übrigen Wissenschaften, insbesondere den Naturwissenschaften seiner Zeit begründen. Zweitens erhebt Jhering den Anspruch, mit seiner Theorie das produktive Rechts-

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Thesenförmige Zusammenfassung

denken in der Praxis der römischen Juristen des Altertums wissenschaftlich zu reflektieren und zu erklären. Eine neue juristische Methode will Jhering dagegen nicht begründen. (S. 219–223, 226f., 451–453) 27. Die rechtsquellentheoretische Produktivität der Jurisprudenz setzt nach Jhering eine Überführung aller Rechtssätze in präzise definierte Rechtsbegriffe voraus. Mit dem Rekurs auf Justus Friedrich Rundes »Natur der Sache als Rechtsquelle« als Vorbild für die produktive Funktion der Rechtswissenschaft knüpft Jhering an ältere vor der Historischen Rechtsschule liegende Ansätze rechtswissenschaftlichen Denkens aus dem 18. Jahrhundert an. (S. 229–240) 28. Mit der Suche nach der »Entdeckung des Rechts-Alphabets« als dem Bestand einfachster Begriffe, aus dem die gesamte Rechtsordnung konstruiert werden könne, steht Jhering in einer vom Mittelalter bis zu Gottfried Wilhelm Leibniz reichenden Tradition rechtswissenschaftlichen Denkens. Im Unterschied zu Leibniz will Jhering die wissenschaftliche Rechtsproduktion aber völlig von dem Zweck der jeweiligen Rechtssätze und auch vom unmittelbaren Nutzen für die Rechtspraxis unabhängig machen. (S. 230, 503f., 600) 29. Die nach Jherings eigener Aussage durch ein von ihm zu erstellendes Rechtsgutachten zu einer zweifach verkauften Sache 1858/59 eingeleitete Wende in seinem methodentheoretischen Rechtsdenken bedeutet keine Abkehr von der These der Produktivität der Rechtswissenschaft. Allerdings unterstellt Jhering fortan sämtliche Resultate rechtswissenschaftlichen Denkens der hinzutretenden Kontrolle des individuellen Rechtsgefühls. Von einer wissenschaftsgläubigen Haltung findet Jhering seit 1859 zu einer wissenschaftskritischen Haltung. (S. 242–255) 30. Durch Jherings wissenschaftskritische Wende wird die Rechtswissenschaft von einer Rechtsgeltungsquelle zu einer bloßen Rechtsinhaltsquelle mit rein heuristischer Funktion herabgestuft. An die Stelle der Rechtswissenschaft als Rechtsquelle tritt die Rechtsprechung als Rechtsquelle. Auch nach Jherings Lehre vom historischen Durchbruchspunkt ist die Rechtswissenschaft nicht mehr zur selbstverantwortlichen Verallgemeinerung einer singulären Regelung im geltenden Recht berechtigt, sondern nur noch zu einem entsprechenden Appell an den Gesetzgeber. (S. 256–260)

Jherings inhaltlicher Begriff des Rechts (S. 261–409) 31. Während Jhering in den 1840er Jahren noch mit hergebrachten naturrechtlichen Vorstellungen über die von ihm diagnostizierten »Einseitigkeiten der historischen Schule hinausgehen« wollte, wird für ihn die Frage nach einem allgemeinen »Maaßstab zur Beurtheilung« vergangener und zeitgenössi-

Jherings inhaltlicher Begriff des Rechts

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scher Rechtsordnungen in den 1850er Jahren zu einem grundsätzlichen Problem und zum Ausgangspunkt für seine Untersuchung über den Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung in Jherings erstem zwischen 1852 und 1865 erschienenen Hauptwerk. (S. 261–269) 32. Seit den 1850er Jahren reduziert Jhering immer stärker seine anthropologischen Prämissen zugunsten einer zunehmenden Historisierung auch grundlegender sittlicher Überzeugungen. Deren Ausbildung und nicht nur deren Erkenntnis sei Ausdruck eines »langen und mühsamen Prozesses« in der Geschichte gewesen. 1877 gibt Jhering im ersten Band seines zweiten Hauptwerks »Der Zweck im Recht« auch den Glauben an ein angeborenes »Rechtsgefühl« auf. (S. 276–292) 33. Ungeachtet seiner von den 1850er Jahren bis in die 1880er Jahre reichenden Bemühungen um eine zunehmende Reduzierung anthropologischer und naturrechtlicher Prämissen glaubt Jhering bis an sein Lebensende sowohl an einen Gott in der Geschichte als »Urgrund« der sittlichen und rechtlichen Entwicklungsgeschichte als auch an zwei anthropologische Grunddeterminanten im menschlichen Denken, nämlich den »Gleichheitstrieb« sowie den »Macht- und Freiheitstrieb« des Menschen. (S. 277f., 292–295) 34. Am Anfang aller rechtsgeschichtlichen Entwicklung steht nach Jhering der »Gleichheitstrieb« des Menschen, der auf die Eindämmung der Willkür in den sozialen Beziehungen zielt. Das dem Menschen zugeschriebene Bedürfnis nach Gleichheit im Sinne einer Gleichbehandlung desjenigen, was nach den Vorstellungen der Zeit als gleich betrachtet wird, ist nach Jhering Voraussetzung für die Entstehung von Recht. Nicht Freiheit, wie noch Puchta meinte, sondern der Versuch der Herstellung von formaler Gleichheit ist nach Jhering conditio sine qua non für den Begriff des Rechts. (S. 293–301) 35. Den sowohl bei der Rechtsbildung als auch bei der Rechtsanwendung zum Tragen kommenden Gleichheitstrieb findet Jhering besonders ausgeprägt im altrömischen Recht verwirklicht. Nicht die rituellen Formen des frühen römischen Rechts selbst, wohl aber die den Römern dieser Zeit von Jhering zugeschriebene Haltung zur Gleichbehandlung im Sinne »eiserner Consequenz«, ihre »Abneigung gegen alles Individualisiren im Recht« und das Fehlen von Billigkeit und aequitas im altrömischen Recht erscheinen Jhering in den 1850er Jahren noch als beispielgebend auch für das Recht seiner eigenen Zeit. (S. 303–315) 36. Jherings Bekenntnis zur »eisernen Consequenz« beruht auf seiner ursprünglich rigoristischen Haltung zur Anwendung von Prinzipien. Im Namen unbedingter Gleichbehandlung fordert er vor 1859, dass sämtliche aus einem geltenden Rechtsprinzip ableitbaren Rechtssätze rücksichtlos anzuwenden seien. Als formal ist diese Art des Prinzipienrigorismus zu bezeichnen, da nach Jhering nicht der Inhalt eines bestimmten Prinzips,

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Thesenförmige Zusammenfassung

sondern allein der – vom jungen Jhering noch vollständig auf die Gleichbehandlung verengte – Begriff der Gerechtigkeit selbst eine »Tyrannei der Consequenz« bei der Anwendung des Rechts nicht nur legitimiere, sondern sogar unabweislich fordere. (S. 316–326) 37. Durch seinen formalen Prinzipienrigorismus, mit dem der junge Jhering vor 1859 die vom klassischen römischen Recht des Altertums bis zum neuzeitlichen gemeinen römischen Recht reichende Tradition der aequitas als Komplementärprinzip zum ius strictum als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und damit gegen den – verengten (Nr. 36) – Begriff der Gerechtigkeit verwirft, exponiert sich Jhering in den 1850er Jahren auch unter Fachkollegen. (S. 326–333) 38. Den formalen Prinzipienrigorismus überwindet Jhering erst anlässlich seines 1858/59 zu erstellenden Rechtsgutachtens (vgl. Nr. 29). Die weit über diesen Fall hinausgehende Konsequenz für Jherings Rechtsdenken ist eine Bedeutungserweiterung des Begriffs der Gerechtigkeit. Den Begriff der Gerechtigkeit verengt Jhering jetzt nicht mehr auf die Beachtung des »bloß Formalen der juristischen Logik«, sondern erweitert ihn auf eine die aequitas einschließende »substantielle Idee der Gerechtigkeit und Sittlichkeit«. Dadurch legt er den Grund für seine spätere Unterscheidung zwischen rechtswissenschaftlicher Wahrheit und juristischer Richtigkeit. (S. 333–356) 39. Der »Freiheitstrieb« des Menschen tritt nach Jhering historisch erstmals im römischen Recht auf. Seine Wirkung auf das Recht bezeichne den Beginn des Privatrechts, das ohne ein Bewusstsein für die – auch in Jherings Spätwerk biblisch begründete – rechtliche und moralische Freiheit des einzelnen Menschen nicht denkbar sei. (S. 357–378) 40. Das »Maß« der jedem Menschen zukommenden rechtlichen Freiheit hat Jhering für das Privatrecht im Laufe seines Lebens zweimal unterschiedlich begründet. Bis 1854 sieht er die rechtliche Freiheit des Einzelnen nur dadurch begrenzt, dass der Einzelne nicht freiwillig auf rechtlichem Wege eine »Selbstvernichtung der [sc. eigenen] Freiheit« herbeiführen dürfe zum Beispiel durch einen Vertrag, der ausschließlich dem Vertragspartner Rechte verschafft und einen Nutzen bringt. Seit 1855, also noch deutlich vor seiner methodentheoretischen Wende im Anschluss an den Doppelverkaufs-Fall (Nr. 29, 38), beginnt Jhering das »Maß« der Freiheit auf der Grundlage einer innerrechtlichen Prinzipienabwägung zwischen dem »Individualprinzip« und dem »Gemeinschaftsprinzip« zu bestimmen. Auf dieser Grundlage entwickelt Jhering in den 1870er Jahren unter dem Eindruck der sozialen Frage und der Bestrebungen des »Communismus« eine »gesellschaftliche Eigenthumstheorie«, mit der er in seiner Spätzeit eine starke Sozialbindung des Privateigentums begründet. (S. 378–409)

Vom System des Rechts zur Methode der Rechtswissenschaft

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Vom System des Rechts zur Methode der Rechtswissenschaft (S. 411–631) 41. Das »System« des Rechts, das bei Puchta noch die zentrale Rolle für die rechtswissenschaftliche Erkenntnis gespielt hatte, behält zwar auch bei Jhering lebenslang einen wichtigen Stellenwert, und zwar sowohl im Sinne eines klassifizierenden äußeren Systems, eines »Stammbaum der Begriffe«, als auch als inneres System des corpus iuris civilis, dem Jhering nach seiner methodentheoretischen Wende 1858/59 (Nr. 29, 38) weiterhin die »dialektische Kraft« einer »unversiegbaren Quelle neuer Rechtswahrheiten« attestiert. Dennoch relativiert Jhering im Vergleich zu seinen unmittelbaren Vorgängern in der Historischen Rechtsschule die Rolle des Systems für die Rechtserkenntnis beträchtlich. Erstens könne das System auf der Grundlage einer bestimmten Rechtsordnung immer nur der Endpunkt, niemals der Anfangspunkt wissenschaftlicher Betrachtung sein und zweitens blieben selbst seine Grundbegriffe ungeachtet einer zweitausendjährigen juristischen Geltung immer historisch, mithin veränderbar. (S. 411–420) 42. Mit Blick auf die Geschichtlichkeit und Veränderbarkeit jedes Rechtssystems kritisiert bereits der junge Jhering in den 1850er Jahren scharf, dass seine unmittelbaren Vorgänger in der Historischen Rechtsschule mit Verweis auf die aus dem klassischen römischen Recht des Altertums abgeleiteten Grundbegriffe neuzeitliche Rechtsinstitute wie zum Beispiel die unmittelbare Stellvertretung oder die Forderungszession für juristisch unmöglich erklärt hatten. Dieser Vorwurf des »orthodoxen Romanismus« geht später auch in Jherings Kritik der »Begriffsjurisprudenz« (1884) ein. (S. 421–442) 43. Als universal wahr für die »Juristen aller Länder und Zeiten« betrachtet Jhering spätestens seit Beginn der 1850er Jahre bis an sein Lebensende nicht irgendein System des Rechts, sondern allein die juristische Methode, die zuerst die römischen Juristen des Altertums in der Zeit des klassischen römischen Rechts praktiziert hätten. (S. 458–466) 44. Ausgehend von der Universalität der juristischen Methode formuliert Jhering in den Jahren 1855/56 eine diese Methode reflektierende Theorie der juristischen Technik. Jhering nimmt für seine Theorie in Anspruch, den spezifisch rechtswissenschaftlichen Charakter, den diese Methode von anderen wissenschaftlichen Methoden unterscheidet, benannt und die wissenschaftstheoretische Ebenbürtigkeit der juristischen Methode mit den Methoden anderer Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaften, begründet zu haben. (S. 466–471) 45. Jherings Hinwendung vom System des Rechts zur Methode der Rechtswissenschaft ist auf dem Hintergrund der um 1850 erfolgenden Ablösung der

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Thesenförmige Zusammenfassung

Philosophie als Paradigma für die Wissenschaftlichkeit (»Wissenschaft aller Wissenschaften«) durch die Naturwissenschaften zu sehen. Während die Philosophie seit 1800 unter dem Einfluss des Deutschen Idealismus das sich geschichtlich entfaltende System aller Erkenntnisse zum Maßstab für die Wissenschaftlichkeit erhoben hatte, wird seit der Jahrhundertmitte die induktive Methode der experimentell vorgehenden Naturwissenschaften zum Ausweis für wahre Wissenschaftlichkeit. Die idealistische Identifizierung von Subjekt und Objekt im Bewusstseinsprozess der Erkenntnis wird unter dem neuen naturwissenschaftlichen Wissenschaftsparadigma ersetzt durch die Entgegensetzung des experimentell zu untersuchenden Objekts und der dieses Objekt beobachtenden Wissenschaft. (S. 442–444, 452f., 457–466, 475–477) 46. Jherings Charakterisierung der spezifisch juristischen Methode als »naturhistorisch« sollte die 1847 von Julius Hermann von Kirchmann auf der Grundlage des neuen naturwissenschaftlichen Wissenschaftsparadigmas effektvoll bestrittene Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz des geltenden Rechts belegen. Die definierten Rechtsbegriffe erscheinen Jhering als naturgleiche Objekte, die die Jurisprudenz analog zur Untersuchung der Naturgegenstände durch die Naturwissenschaften experimentell untersucht und bearbeitet. (S. 444–449, 453, 457) 47. Jhering bekräftigt auch nach seiner methodentheoretischen Wende von 1858/59 (Nr. 29, 38) seine in den Jahren 1855/56 (Nr. 44) formulierte Auffassung, dass der mit der Begrifflichkeit und formalen »Structur« des Rechts arbeitende Teil der Jurisprudenz, die von Jhering so genannte »höhere Jurisprudenz«, eine »Naturwissenschaft im Elemente des Geistes« sei, die durch eine »chemische Analyse« gleichsam physikalisch-chemische »Eigenschaften und Kräfte« der als »Rechts-Körper« bezeichneten Rechtsbegriffe erforsche. Deutungen dieser von Jhering lebenslang beibehaltenen Vorstellung als juristischen Naturalismus treffen den Kern von Jherings Denken ebenso wenig wie die Charakterisierung seiner naturwissenschaftlich geprägten Sprache als bloße Anschauungshilfe oder nur zeitbedingte Rhetorik. Einerseits war sich Jhering nämlich immer bewusst, dass eine Gleichsetzung »der moralischen [= geistigen] und physischen Weltordnung« eine »Entwürdigung der ersteren« wäre. Andererseits teilte Jhering die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur unter Fachkollegen, sondern auch unter zeitgenössischen Naturwissenschaftlern und Medizinern verbreitete Auffassung, dass es bei allen Unterschieden im Einzelnen auch analoge Phänomene und Gesetzmäßigkeiten in Natur und Geist gebe, die ihre letzte Ursache in deren gemeinsamen göttlichen Ursprung haben. (S. 489–495, 508–519)

Vom System des Rechts zur Methode der Rechtswissenschaft

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48. Jherings Theorie der »höheren Jurisprudenz« bzw. »naturhistorischen Methode« soll drei Aufgaben erfüllen, nämlich erstens als eine Meta-Theorie der Rechtswissenschaft die Klärung des wissenschaftstheoretischen Status, des Gegenstandsbereichs sowie der rechtstheoretischen Funktion der »höheren Jurisprudenz«, zweitens die Beschreibung und Erklärung des von der Dogmatik geschaffenen »kunstgemäßen Mechanismus« des Rechts, der die Rechtsanwendung erleichtern soll (»objektive Technik«), sowie drittens die methodentheoretische Reflexion über die »juristische Kunst« der Rechtsanwendung selbst (»subjektive Technik«). (S. 471) 49. Den wissenschaftstheoretischen Status der »höheren Jurisprudenz« bzw. »naturhistorischen Methode« sieht Jhering in einer Art Grundlagenforschung, die wie die Naturwissenschaft nicht ständig am unmittelbaren Anwendungsnutzen ausgerichtet ist, sondern »mitunter auch in völlig unpraktischen Regionen« forscht. Der Bestimmung des Gegenstandsbereichs der »höheren Jurisprudenz« in Abgrenzung zur »niederen Jurisprudenz« liegt eine grundsätzliche Unterscheidung des Rechts nach »Inhalt« und »Form«, »Stoff« und »Structur«, »Substanz« und »Logik«, normativem »Zweck« und juristisch-technischem »Mittel« zugrunde. Die rechtstheoretische Funktion der »höheren Jurisprudenz« sieht Jhering darin begründet, dass nur der jeweils zweite Teil der vorstehenden Begriffspaare eine im strengen Sinne wissenschaftlich freie Forschung auf dem Gebiet der Rechtsdogmatik erlaube, während der jeweils erste Teil und mit ihm vor allem die Auslegung der Rechtsnormen keine vollständige wissenschaftliche Autonomie zulasse, da die wissenschaftlich »niedere Jurisprudenz« insbesondere abhängig bleibe vom jeweiligen Willen des Gesetzgebers. (S. 472– 492) 50. Jherings grundsätzliche Unterscheidung bei der rechtsdogmatischen Untersuchung zwischen normativem Inhalt und begrifflich-struktureller Form des geltenden Rechts war bis dahin ohne Vorbild. Gleichzeitig war Jherings Beschränkung der rechtstheoretischen Funktion der »höheren Jurisprudenz« auf die formale »Structur« des Rechts aber auch zukunftsweisend für die Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende Rechtstheorie bzw. Allgemeine Rechtslehre, soweit sich Jherings »höhere Jurisprudenz« auf eine deskriptivanalytische Untersuchung der Strukturen des Rechts beschränkt. Soweit Jhering hingegen in den 1850er Jahren mit seiner Theorie der »höheren Jurisprudenz« bzw. »naturhistorischen Methode« auch den weitergehenden Anspruch verband, eine »Vermehrung des Rechts aus sich selbst« rechtsquellentheoretisch legitimieren zu können, bei der das geltende Recht nach Überführung in seine begrifflich-strukturelle Form wiederum zu einer Quelle neuer normativer Rechtsinhalte in Gestalt von Rechtssätzen mit unmittelbarem juristischem Geltungsanspruch wird, hat Jhering dies nach

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Thesenförmige Zusammenfassung

seiner methodentheoretischen Wende 1858/59 korrigiert. Nun sieht er darin eine unzulässige »Vertauschung der lediglich structurellen Betrachtung« mit der »dogmatischen, praktischen Geltung« von Rechtssätzen. (S. 529–541) 51. Soweit die »höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode« neben ihrer Funktion als rechtsdogmatische Grundlagenforschung die Aufgabe hat, die Anwendung des Rechts zu erleichtern (Nr. 48), spricht auch Jhering von den »Fundamentaloperationen der juristischen Technik«, nämlich der juristischen »Analyse, Concentration und Construction«. Eine zentrale Rolle kommt dabei der juristischen Konstruktion zu sowohl bei der Erklärung rechtsdogmatischer Zusammenhänge geltender Rechtssätze im Rahmen der »objektiven [juristischen] Technik« aus der Perspektive der Rechtswissenschaft als auch bei der juristischen Falllösung aus der Richterperspektive im Rahmen der »subjektiven [juristischen] Technik«. (S. 541–557, 582–591) 52. Sämtliche juristische Konstruktionen von Rechtssätzen und Rechtsfällen dürfen nach den von Jhering benannten Konstruktionsgesetzen nicht im Widerspruch zum geltenden Recht stehen (»Gesetz der Deckung des positiven Stoffs«) und auch nicht gedanklich widersprüchlich sein (»Gesetz des Nichtwiderspruchs«), wobei Jhering nicht anders als seine Vorgänger »Logik« nicht im strengen Sinne formaler Logik, sondern nur im Sinne einer Art von inhaltlicher Plausibilitätslogik versteht. Während die beiden vorbezeichneten Konstruktionsgesetze konstitutive Voraussetzungen für jede juristische Konstruktion formulieren, haben die beiden anderen erstmals von Jhering namhaft gemachten Konstruktionsgebote der Anschaulichkeit und Transparenz (»Gesetz der juristischen Schönheit«) sowie der Einfachheit und Beschränkung auf das begriffliche Minimum (»Gesetz der logischen Sparsamkeit«) einen nur regulativen Charakter. (S. 557–581, 591–631) 53. Bereits vor seiner methodentheoretischen Wende (Nr. 29, 38) hat Jhering betont, dass die juristische Konstruktion mehr sei als nur »logisches Denken«, da ihr ein gedanklich schöpferischer Charakter zukomme. Gleichzeitig geht Jhering auch noch nach seiner methodentheoretischen Wende davon aus, dass jedes Problem der juristischen Konstruktion von Rechtssätzen (»objektive Technik«) ebenso wie ungelöste Probleme der Natur- und Technikwissenschaften prinzipiell immer eine »definitive Erledigung« für die Zukunft finden könne. Die durch den Richter erfolgende juristische Konstruktion eines Rechtsfalles (»subjektive Technik«) hält Jhering dagegen auch bereits in seinem Frühwerk niemals »ein für alle Mal gelöst«. Insbesondere hat sich Jhering lebenslang gegen jede Form eines naiven Subsumtionsautomatismus oder Subsumtionsideals gerichtet. (S. 232f., 524– 529, 584–589) 54. Jhering hat nach seiner methodentheoretischen Wende nicht nur an der naturhistorischen Auffassung zur »Structur« des Rechts festgehalten, son-

Vom System des Rechts zur Methode der Rechtswissenschaft

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dern die »Parallele[n] aus der Naturwissenschaft« in den 1880er Jahren sogar noch auf den außerrechtlichen Bereich seiner Theorie einer sittlichen Evolution ausgeweitet. Diese Parallelen zur Naturwissenschaft beziehen sich auch sachlich übereinstimmend sowohl in Jherings Theorie der naturhistorischen Methode der Rechtsdogmatik als auch in seiner Theorie der sittlichen Evolution im Bereich der zivilisatorischen Entwicklungsgeschichte jeweils auf das »Abstractionsvermögen des menschlichen Geistes«, das Jhering als einen nicht vom Willen gesteuerten, sondern quasi von Natur aus notwendigen geistig produktiven Prozess auffasst. (S. 246–255, 285f., 294, 508–514, 610) 55. Eine grundsätzliche Neuformulierung der Theorie der juristischen Methode unter Einbeziehung seiner seit der methodentheoretischen Wende (Nr. 29, 38) gewonnenen Einsichten hat Jhering in seiner Spätzeit nicht mehr unternommen. Es bleibt in seinem Spätwerk bei der allgemein gehaltenen Erkenntnis, dass die »naturhistorische Methode« zwar ihre Berechtigung behalte, aber als »ausschließliche Betrachtungsform« des Rechts nicht angemessen sei, da über dem »einseitigen Standpunkt juristischer Technik« die juristische Entscheidung unter Berücksichtigung des »höhern legislativpolitischen und ethischen Standpunkt[s]« stehe. (S. 614–626)

A Summary in theses

The displacement of Volksgeist (national spirit) as a basis for the validity of positive law (pp. 31–133) 1. In contrast to the teaching of the Historical School of Jurisprudence, which ascribed the formation and validity of law to the Volksgeist or national spirit, Jhering had already ceased to use the term Volksgeist by the 1850s and had begun to speak of the »spirit of the people and the period« reflected in a legal order. These differences in terminology also represent factually distinct notions. (pp. 39–76) 2. In distinction from the Historical School of Jurisprudence, Jhering’s use of the term »people« did not refer to the people as a »natural whole« or »ideal people« (Savigny), but to the totality of individuals living within a particular legal system. This meant that jurists could not be called upon to represent the legal convictions of the people. In Jhering’s view, non-jurists’ opinions in public discussions on questions of legal policy carried the same weight as those of jurists. (pp. 32–36) 3. Jhering dropped the idea of a people being the only source of its law quite early on in his career. He maintained that each people and each legal order also had a »history« leading up to its formation. (pp. 36–38). Documents from Jhering’s estate show that he emancipated himself from the doctrine of the formation of law taught by the Historical School of Jurisprudence as early as the 1840s; he refrained, however, from making this fundamental break with Savigny public before the latter’s death in 1861. (pp. 39f., 54, 85f.) 4. Jhering no longer viewed the jointly held legal convictions that underpin the law of a people to be the source of law, but rather the result of a process of law formation. In contrast to the Historical School of Jurisprudence, Jhering, as early as the 1850s, was already using Roman law as an example to show that violence had historically played a role in the formation of law. (pp. 67–71)

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A Summary in theses

5. In his first main work »The spirit of Roman law at the various stages of its development«, a young Jhering did not view the »spirit of the people« as the leading cause for the formation of law, as claimed by the Historical School of Jurisprudence, but rather the »spirit of the period«. (pp. 62–71). By historicising the »spirit of the people«, he exposed it to criticism by historians and robbed it of its role as a basis for the validity of law. As a consequence, it was no longer the »national spirit« that acted as the workshop of law (Puchta) but »history«. (pp. 71–73) 6. It was not until the mid-1860s that Jhering began to view the antagonistic relationship between individual and group interests within a society as the sole basis upon which law and its contents should be based. Whilst the Historical School of Jurisprudence had still judged individual interests to have a destructive impact on the formation of law, Jhering and some of his contemporaries, including Heinrich Ahrens and Wilhelm Arnold, declared them to be its very foundations. This obviously rendered obsolete the notion of a uniform »national spirit« as being relevant for the formation of law. (pp. 60–62, 73–76) 7. Jhering’s new determination of the relationship between the people, history and law in the 1850s had an immediate effect on his view of the relationship between legal doctrine and the history of law. In his conflict with the Historical School of Jurisprudence he focused both on the emancipation of the legal doctrine from the history of law, and vice versa, on the emancipation of the history of law from legal doctrine. (pp. 76–87) 8. In the early period of his academic life it was the history of law, which Jhering initially viewed as representative of his scientific ideal of pursuing research »in complete academic freedom«. According to his concept of a »productive occupation« with the history of law, developed in 1844, historians were called upon to overcome the »coincidental restriction« to the written sources that had survived and to pursue a »higher« critical appraisal of these sources following their descriptive »lower« study by means of an »historical combination« of both approaches. In so doing, Jhering was referring back to earlier approaches taken in the field of Classics by constructive historians of law (Friedrich August Wolf, Barthold Georg Niebuhr). (pp. 105–107, 125–133) 9. In the context of the history of law and using Roman law as an example, Jhering coined the term »objective« or »actual law«, which was at best partially congruent with contemporary operative law but was at other times in direct contradiction to it. (pp. 108, 145–147) 10. As a law historian and basing his findings on early ancient Roman law, Jhering, in the 1850s, developed a »physiological« view of historical legal reality, which he would, from the 1870s onwards, also apply to the early sociological study of the legal reality of the times he lived in. (pp. 114–130)

The positivity of law

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The positivity of law (pp. 135–172) 11. In his legal thinking, even as a young man, Jhering chose to separate what, according to the Historical School of Jurisprudence’s national spirit doctrine, had belonged together, namely the question of the legal basis for the validity of law, the historical reasons for the contents of law and the question of its »legitimising reason«. (pp. 139–142) 12. As a historian and jurist, Jhering represented two different approaches to prevailing law. The view of the historian was, according to Jhering, directed at the »actual« law, i. e. the social norms and codes of conduct that actually operate within the history of law, irrespective of the question as to whether social norms also serve as legal norms. The viewpoint of the jurist, on the other hand, trained purely on past or present legal situations, was restricted to the law that was in force at any given time, irrespective of whether it was actually being applied in each individual case. (pp. 143–147) 13. According to Jhering, prevailing law also had a »factual aspect«, namely the constant actual application of the legal norm. Jhering was criticising the Historical School of Jurisprudence as early as the 1840s for stating that it must always be the state that ensures that legal norms are in fact applied. (pp. 154–157, 168–171) 14. As a jurist, though not as a legal historian, Jhering felt that judges must exercise absolute obedience towards positive law. Even if a judge’s personal sense of justice was opposed to the application of a law, he was not entitled, in Jhering’s view, to propose a solution to the conflict which would not be covered by prevailing law. The judge was, rather, bound to practice »selfdenial in the service of law«. (pp. 159–162) 15. As early as the 1850s, Jhering already felt that breaches of law should be assessed differently from the viewpoint of the jurist than from the viewpoint of the evolutionary historian. In unsurmountable contrast between himself and the Historical School of Jurisprudence, Jhering believed that in hindsight and from the point of view of the legal historian, judicial disobedience and in extreme cases even a revolution or coup d’8tat could appear legitimate if the breach of prevailing law was consistent with the changing »vital needs and challenges of the time«. This was underpinned by Jhering’s lifelong faith in humanity’s constant improvement of the legal contents and humanity’s moral values. (pp. 157–172) 16. In contrast to the doctrine on the sources of law represented by the Historical School of Jurisprudence, which had been founded by Savigny and further developed by Puchta, Jhering, when differentiating between legal and nonlegal norms, viewed the question of the sources of law as less important than the question of the effect of legal norms. (pp. 152–154)

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A Summary in theses

Sources of law (pp. 173–260) 17. Both the Historical School of Jurisprudence and Jhering attached very little importance to the role played by traditional customary law at the time. However, by the same token, Jhering even as a young man in the 1850s rejected the doctrine of customary law, as it had been first conceived by Savigny and then further developed by Puchta, which stipulated that in times of legal and cultural advancement the customary law, such as the common Roman law, which was of subsidiary validity in Germany, was essentially shaped by the legal opinions of jurists as agents representing the people in legal matters. (pp. 176f., 184, 196–206) 18. When Jhering rejected the Historical School of Jurisprudence’s doctrine on the sources of law and referred to the effect of norms when separating legal from non-legal norms, the question of the detectability and contextual determination of customary law came into sharp focus. According to Jhering, customary legal norms differ from non-legal moral norms solely by a »gradual varience in the intensity of the sense of duty« experienced by the person addressed by any given norm. However, Jhering did not go as far as to suggest a differentiation of law in terms of its social efficacy as was proposed in the 20th century by proponents of the sociology of law, for instance by Theodor Geiger. (pp. 177–182) 19. Jhering’s renunciation of the opinions of the Historical School of Jurisprudence on customary law, which he had shared in the early 1840s, occurred long before the break in his methodological opinions on the importance of the natural historical method. (pp. 182–189) 20. In the 1840s Jhering began to view statutory law as the leading source of law for his time. As early as the second half of the 1840s he was calling for civil law codification, which had been rejected by Savigny in 1814 and also still in 1840, particularly in terms of Roman law. In contrast to the Historical School of Jurisprudence, he also disputed the notion that Roman law had already been »internally adopted« throughout Germany in the form of the law of pandects. (pp. 191–206) 21. In line with the Historical School of Jurisprudence Jhering also differentiated between the law, which in his view should not become involved with solving questions of legal doctrine, and academic law, which is established by legal doctrine on the basis of law. Jhering even as a young man, however, criticised the Historical School of Jurisprudence for not consistently applying this differentiation to Roman law and for wrongly conserving many of its contents in the prevailing law of pandects. (pp. 206–211) 22. In terms of interpreting the law, Jhering, in contrast to Savigny, adhered to traditional juristic hermeneutics. As a consequence, Jhering viewed the in-

Sources of law

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terpretation of a law as no more than a »low« form of scientific jurisprudence, which furthermore and in view of general philology did not represent the opus proprium for jurisprudence in comparison to other sciences. (pp. 211f., 585) 23. In Jhering’s view, first voiced in the 1850s and never really renounced even in later life, the »productivity« of jurisprudence in terms of the doctrine on the sources of law was the central focus of jurisprudential work. The direct predecessor to the concept of »productivity« in the field of the doctrine of prevailing law, was the concept of the scientific »productivity« of the historian in the field of the history of law, as established by Jhering ten years previously (see no. 8). (pp. 217–221) 24. As in terms of the history of law, Jhering, in the mid-1850s, also made a difference between a »receptive« or »low« and a »productive« or »high« type of science in terms of the doctrine of law. (pp. 218–223, 227) 25. By intensifying and condensing the term and concept of productivity in his manifesto »Our task« (1856), he not only regarded juristic interpretation as a »receptive« or »low« occupation in the field of legal doctrine but also the addition of prevailing legal rules based on juristic consequence and analogy. Puchta, in contrast, had in fact used additions of this kind to justify the productive function of jurisprudence as a source of law. (pp. 223–226, 228f.) 26. Whilst according to Jhering the productive history of law in the field of Roman law and its precise reconstruction was intended to help jurists understand the »juristic methods« used by Roman jurists, Jhering himself used his theory of productive occupation in jurisprudence in the field of legal doctrine to pursue two distinct goals. Firstly, he wished to prove that jurisprudence was on a par with other sciences in terms of the philosophy of science, particularly the natural sciences at the time. Secondly, Jhering claimed that his theory was a scientific reflection and explanation of productive legal thinking in the practice of Roman jurists. However, he did not wish to establish a new method of jurisprudence. (pp. 219–223, 226f., 451– 453) 27. In order for jurisprudence to be productive as a source of law, it was necessary, according to Jhering, for all legal rules to be transferred to precisely defined legal concepts. By referring to Justus Friedrich Runde’s »nature of things as a source of law« as a model for the productive function of jurisprudence, Jhering drew on earlier, 18th century approaches to jurisprudential thinking that predated the Historical School of Jurisprudence. (pp. 229–240) 28. By seeking to »discover a legal alphabet«, a collection of simple terms that could be used to construct the entire legal order, Jhering joined a tradition of jurisprudential thinking that stretched from the Middle Ages to Gottfried Wilhelm Leibniz. In contrast to Leibniz, however, Jhering strove to com-

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A Summary in theses

pletely separate the academic production of law from the purposes of legal rules and from their direct benefit to judicial practice. (pp. 230, 503f., 600) 29. The change in Jhering’s methodological thinking, which by his own admission came about whilst he was working on a legal opinion in 1858/59 on an object that had been sold twice, did not constitute a rejection of his own thesis on the productivity of jurisprudence. However, he would subsequently submit any outcomes of jurisprudential thinking to the additional scrutiny of his individual sense of justice. From 1859 onwards, Jhering had turned from an attitude that trusted absolutely in scientific thinking to one that was critical of its results. (pp. 242–255) 30. As a consequence of Jhering’s reversal, jurisprudence was demoted from the position of a source of the validity of law to that of a source of legal content with a purely heuristic purpose. Jurisprudence as a source of law is replaced by jurisdiction as a source of law. Moreover, according to Jhering’s doctrine of the »historical point of breakthrough«, jurisprudence was no longer entitled to autonomously give general validity to a particular rule in prevailing law, but was now forced to appeal to the lawmaker to carry out this task. (pp. 256–260)

Jhering’s concept of the contents of law (pp. 261–409) 31. Whilst in the 1840s Jhering was still using the traditional notions of natural law to, in his words, »transcend the bias of the Historical School of Jurisprudence«, he began, in the 1850s, to focus on the question of a general »benchmark for the assessment« of past and current legal orders as a fundamental problem and as a starting point for his study of the »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« (»Spirit of Roman law at the various stages of its development«); published between 1852 and 1865, this was his first major work. (pp. 261–269) 32. From the 1850s onwards, Jhering reduced his anthropological premises more and more in favour of an increasing historicisation even of fundamental moral convictions. Not just the recognition of these convictions, but also their formation, he claimed, were the result of a »long and arduous process« throughout history. In the first volume of his second major work, »Law as a means to an end«, published in 1877, he renounced his previously held conviction that man had an innate »sense of justice«. (pp. 276–292) 33. Despite the fact that Jhering strove, from the 1850s to the 1880s, to reduce the anthropological and natural-law premises, he never lost faith, either in God as an historical »primordial driving force« behind the moral and legal history of the development of mankind or in two basic anthropological factors

Jhering’s concept of the contents of law

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in human thinking, namely the »urge for equality« and the »urge for power and freedom«. (pp. 277f., 292–295) 34. According to Jhering, the »urge for equality« and the will to eradicate arbitrariness in social relationships were at the centre of the development of legal history. The purportedly human need for equality in the sense of equal treatment of what is looked upon as being equal in any given period, was in his view a prerequisite for the formation of law. Not freedom, as Puchta saw it, but the attempt to create formal equality was, according to Jhering, the conditio sine qua non for the definition of law. (pp. 293–301) 35. Jhering felt that Roman law responded particularly well to this urge for equality, both in terms of the formation of law and in terms of its application. Not the ritual forms of early Roman law itself but the Roman attitude, as Jhering saw it, of offering equal treatment with a »steely consistency«, the Roman »aversion to all individualisation before the law« and the lack of equity or aequitas in early ancient Roman law seemed to him to be exemplary and a model for the law of his time. (pp. 303–315) 36. Jhering’s commitment to »steely consistency« was based on his rigorist attitude towards adhering to one’s principles. In the name of unconditional equal treatment, he demanded before 1859, that all legal rules that could be derived from a valid legal principle had to be applied uncompromisingly. This type of rigorous adherence to one’s principles can be identified as formal because, according to Jhering, it was not the content of a particular principle but simply the definition of justice itself, reduced in his early years to the concept of equal treatment alone, which not only legitimised but, in fact, even demanded a »tyranny of consistency« in the application of law. (pp. 316–326) 37. This formal adherence to certain principles, with which Jhering as a young man prior to 1859 rejected the tradition of aequitas as a complementary principle alongside ius strictum, which had come down from the classical Roman law of Antiquity to the common Roman law of his day, denouncing it as a violation of the principle of equality and of this very narrow (no. 36) definition of justice, would in the 1850s have exposed Jhering amongst colleagues in his own field. (pp. 326–333) 38. He did not renounce this rigorous adherence to these principles until he was asked in 1858/59 to compile the legal opinion mentioned above (see no. 29). One of the consequences of this work, which went far beyond the case itself, was that the definition of justice in Jhering’s legal thinking was significantly extended. He no longer reduced the definition of justice to the »purely formal aspects of juristic logic« but extended it to form a »substantial concept of justice and morality« which now included aequitas. In doing so, he laid the

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A Summary in theses

groundwork for the subsequent differentiation between jurisprudential truth and juristic correctness. (pp. 333–356) 39. According to Jhering the »urge for freedom« in humans first occurred, historically, in Roman law. Its impact on law, in Jhering’s view, formed the beginning of private law, which was inconceivable without an awareness of the legal and moral freedom of every individual human being, a freedom which, even in his later years, he saw as being rooted in the Bible. (pp. 357– 378) 40. Over the course of his lifetime, Jhering proposed two differing arguments for the »extent« of legal freedom attributed to each human being from the point of view of private law. Prior to 1854 he felt that an individual’s legal freedom was only restricted by the fact that the individual would not be allowed to pursue the »destruction of [his or her own] freedom« by legal means, for instance by entering into a contract that only gave rights and was of benefit to the other party. After 1855, long before his methodological reversal brought about by the double-sales case (no. 38), Jhering began to define the »extent« of freedom on the basis of an intra-legal balancing of principles, a balancing of the »individual principle« against the »commonwealth principle«. On this basis and under the influence of the social question and the ideals of »communism«, he developed a »societal theory of property« in the 1870s. In his latter years he would use this theory to justify the social obligation linked to ownership of private property. (pp. 378–409)

From a system of law to a method of jurisprudence (pp. 411–631) 41. The »system« of law, which in Puchta’s view had played the most central role in gaining jurisprudential insight, would also retain much importance throughout Jhering’s life, both as an external system of classification, a »genealogy of terms«, and as an internal system of corpus iuris civilis, to which Jhering continued to attribute the »dialectic power« of an »inexhaustible source of new legal truths«, even after his methodological reversal of 1858/59 (no. 38). Nevertheless, in comparison to his immediate predecessors from the Historical School of Jurisprudence, Jhering downgraded the system’s role in gaining legal insight to a considerable degree. He felt, firstly, that the system as based on a particular legal order could only ever be the end point of scientific study and never the starting point and that, secondly, even its basic terms, despite being legally valid for two-thousand years, would always remain historical and therefore changeable. (pp. 411–420)

From a system of law to a method of jurisprudence

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42. In view of the historical and changeable nature of any legal system, Jhering, even as a young man in the 1850s, was already voicing harsh criticism of the fact that his immediate predecessors from the Historical School of Jurisprudence, with reference to basic legal concepts that had been derived from the classical Roman law of Antiquity, had declared certain modern legal institutions such as the direct agency or the assignment of a claim to be legally impossible. Jhering would later incorporate the same accusation of adhering to an »orthodox Romanism« into his criticism of the »jurisprudence of concepts« (1884). (pp. 421–442) 43. By the 1850s at the latest Jhering had, out of all the systems chosen the juristic method, first used by Roman jurists in Antiquity, to be the only one that contained the universal truth for »jurists from all countries and periods« and he would continue to have faith in it for the rest of his life. (pp. 458–466) 44. In 1855/56, on the basis of the universal nature of the juristic method, Jhering formulated a theory of juristic technique that reflected this method. Jhering claimed to have shaped the theory’s specifically jurisprudential character, which separated the method from other scientific methods and to have proved its epistemological equality with the methods employed by other fields of scientific research, particularly the natural sciences. (pp. 466–471) 45. Jhering’s turning from the system of law to the method of jurisprudence must be seen against the background of philosophy (the »science of all sciences«) being replaced by the natural sciences as the paradigm of scientific endeavour , which took place around 1850. Whilst the field of philosophy, under the influence of German Idealism had declared the evolving system of all insight to be the benchmark of scientific endeavour in the first half of the 19th century, the inductive method employed by the more experimentally-minded natural sciences began to be hailed as the crucial aspect of scientific enquiry from the mid-1800s onwards. Under this new paradigm of scientific research, the idealist identification of subjects and objects in the process of gaining insight was replaced by the juxtaposition of the object that was to be experimentally examined and the science that set out to observe it. (pp. 442–444, 452f., 457–466, 475–477) 46. Jhering’s characterisation of the specifically juristic method as »natural historical« was intended to attest to the scientific nature of the jurisprudence of prevailing law, which had been disputed to great effect by Julius Hermann von Kirchmann in 1847, who had based his argument on the new scientific paradigm of the natural sciences. In Jhering’s view, legal concepts were studied experimentally and processed by jurisprudence much like natural objects were examined by the natural sciences. (pp. 444–449, 453, 457) 47. Even after his methodological reversal of 1858/59 (no. 38), Jhering reiterated his opinion of 1855/56 (no. 44) that the part of jurisprudence that worked

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with the definitions and formal »structure« of law, in his words the »higher jurisprudence«, was a »natural science in spirit«, which examined the quasi physical and chemical »characteristics and forces« of legal concepts, which he termed »legal bodies« by means of a »chemical analysis«. To interpret this notion, which Jhering held onto throughout his lifetime, as juristic naturalism, however, does as little justice to the core of Jhering’s thinking, as does characterising his natural scientific language as purely demonstrative or eraspecific rhetoric. Jhering was, in fact, always aware that equating »the moral [=spiritual] with the physical world order« would be equal to »degrading the former«. On the other hand, Jhering shared the view that was widespread in the second half of the 19th century, not only amongst his colleagues in the field but also amongst contemporary natural scientists and physicians, that all differences in the detail were, in fact, balanced by analogous phenomena and regularities between the natural and the spiritual, which were both ultimately rooted in a joint divine origin. (pp. 489–495, 508–519) 48. Jhering’s theory of »higher jurisprudence« or the »natural historical method« was intended to fulfil three tasks, firstly as a meta-theory of jurisprudence to clarify the epistemological status, the topic of discourse and the function of »higher jurisprudence« with regard to legal theory, secondly to describe and explain the »skilful mechanism« of law as created by the doctrine, which is intended to facilitate the application of law (»objective technique«) and thirdly to reflect methodologically on the »art of jurisprudence« in the application of law itself (»subjective technique«). (p. 471) 49. In Jhering’s view, the epistemological status of »higher jurisprudence« and the »natural historical method« was rooted in a type of basic research which, like the natural sciences, was not driven by an immediate benefit from its use but which »sometimes« examined »completely impractical areas«. The identification of the topic of discourse of »higher jurisprudence« as distinct from »lower jurisprudence« was based in principle on the differentiation within law of »content« and »form«, »matter« and »structure«, »substance« and »logic«, or normative »purpose« and juristic-technical »means«. According to Jhering, the function of »higher jurisprudence« from the point of view of legal theory was rooted in the fact that only the second part of each pairing listed above could be examined freely in the strict scientific sense from the point of view of legal doctrine, whilst the first part of the pairing, and therefore the interpretation of the legal norms, did not tolerate complete scientific autonomy since »lower jurisprudence« in particular remained highly dependent on the will of the lawmaker concerned. (pp. 472–492) 50. Jhering’s basic differentiation in his examinations of the legal doctrine between normative content and conceptional and structural form of the prevailing law had up to then been unprecedented. At the same time, his re-

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striction of the function of »higher jurisprudence« from the point of view of legal theory to the formal »structure« of law was trend-setting with regard to legal theory and general jurisprudence, which would emerge at the end of the 19th century, as long as his »higher jurisprudence« was limited to a descriptive and analytical examination of the structures of law. However, whilst Jhering, in the 1850s, linked his theory of »higher jurisprudence« and his »natural historical method« with the notion that an »augmentation of law out of itself« could be legitimised based on the study of the sources of law, whereby prevailing law, once it was transformed into a conceptional and structural form, could in turn become a new source of normative legal content in the shape of legal rules with an automatic juristic claim to validity, he himself corrected this idea after his methodological reversal of 1858/59. He subsequently viewed this as an inadmissible »intermixing between the purely structural view« and the »dogmatic practical validity« of legal rules. (pp. 529–541) 51. Insofar as »higher jurisprudence or the natural historical method«, besides serving as a legal doctrinal research tool, was charged with facilitating the application of law (no. 48), Jhering also spoke of the »fundamental operations of juristic technique«, in other words, the juristic »analysis, concentration and construction«. Juristic construction, according to Jhering, played a central role in this, both for the explanation of the legal doctrinal background of prevailing legal rules from the perspective of jurisprudence as part of the »objective [juristic] technique« and for the juristic resolution of cases from the perspective of the judge as part of the »subjective [juristic] technique«. (pp. 541–557, 582–591) 52. According to the laws of construction outlined by Jhering, the juristic constructions of legal rules and court cases must not be at odds with prevailing law (»law of cover of all positive material«) or contain contradictory thoughts (»law of non-contradiction«); Jhering, like his predecessors, understood logic here not as formal logic in the strict sense but as a type of logic that exhibited conceptional plausibility. Whilst the two laws of construction mentioned above contained constitutive prerequisites for any juristic construction, two other rules of construction first established by Jhering, that of clarity and transparency (»law of juristic beauty«) and that of simplicity and conceptional restraint (»law of logical frugality«), only had regulatory purposes. (pp. 557–581, 591, 631) 53. Even before his methodological reversal (no. 38), Jhering stressed that juristic construction was more than just »logical thinking«, because it also had aspects of conceptional creativity. After his methodological reversal, he was still of the opinion that any problems arising from the juristic construction of legal rules (»objective technique«), much like unsolved problems in the

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A Summary in theses

natural and technological sciences, could, in principle, be »positively concluded« for future reference. The juristic construction of a court case as carried out by a judge (»subjective technique«), on the other hand, could, according to Jhering even in his early years, never be »resolved once and for all«. Jhering throughout his lifetime argued with particular vehemence against all forms of na"ve automatic or idealised subsumption. (pp. 233f., 524–529, 584–589) 54. After his methodological reversal, Jhering not only held onto the natural historical viewpoint of »structure« in law, but in the 1880s, he even extended the »parallel[s] from the natural sciences« to cover the non-legal part of his theory on the evolution of of moral values. Both in Jhering’s theory on the natural historical method of pursuing legal doctrine and in his theory on the evolution of moral values with regard to the history of civilisation, these parallels with the natural sciences refer to the »power of abstraction in the human spirit«, which Jhering viewed not as a process led by human will but as a spiritually creative process that was required by nature. (pp. 246–255, 285f., 294, 508–514, 610) 55. After his methodological reversal (no. 38), Jhering in his latter years never actually used his newly gained insight to rephrase his theory of the juristic method. His later work simply contains the realisation in general terms that the »natural historical method«, whilst still partially justified, was not suitable as an »exclusive way of examining« law, since the juristic decision with due regard to the »higher, legislative political and ethical stance« was superior to the »one-sided viewpoint of the juristic technique«. (pp. 614– 626)

Streszczenie w tezach

Zniesienie poje˛ cia »ducha narodu« jak podstawy obowia˛ zywania prawa pozytywnego (s. 31–133) 1. O ile historyczna szkoła prawa geneze˛ i obowia˛zywanie prawa wywodziła z »ducha narodu«, o tyle Rudolf von Jhering juz˙ w latach 50. XIX wieku nie mjwi o »duchu narodu«, lecz o »duchu narodu i czasu«, ktjry znajduje odzwierciedlenie w nowym porza˛dku prawa. Ta rjz˙nica terminologiczna jest znacza˛ca, gdyz˙ skrywa sie˛ za nia˛ merytoryczna odmiennos´c´ stanowisk. (s. 39–76) 2. W odrjz˙nieniu od historycznej szkoły prawa Jhering poje˛cia narodu nie odnosi do narodu jako »naturalnej całos´ci« albo jako »narodu idealnego« (jak czynił to Friedrich Carl von Savigny), lecz do całos´ci indywidujw z˙yja˛cych w danym porza˛dku prawnym. Wykluczył tym samym reprezentowanie przekonan´ prawnych narodu jedynie lub głjwnie przez prawnikjw. Zdaniem Jheringa w publicznej debacie na temat zagadnien´ politycznoprawnych opinie nieprawnikjw powinny miec´ takie samo znaczenie jak opinie prawnikjw. (s. 32–36) 3. Juz˙ młody Jhering nie uwaz˙ał z˙adnego narodu za wyła˛czne z´rjdło swojego prawa. Raczej kaz˙dy narjd i kaz˙dy porza˛dek prawny maja˛ zawsze rjwniez˙ swoja˛ »wczes´niejsza˛ geneze˛« (s. 36–38). Dokumenty ze spus´cizny Jheringa pokazuja˛, z˙e młody Jhering juz˙ w latach 40. XIX wieku z dystansem odnosił sie˛ do pogla˛djw reprezentantjw historycznej szkoły prawa na temat powstawania prawa, choc´ zasadniczego zerwania z mys´la˛ Savigny’ego nie ogłaszał publicznie przed jego ´smiercia˛ (w 1861 r.). (s. 39 i nast., 54, 85 i nast.) 4. W lez˙a˛cych u podstaw prawa danego narodu wspjlnych przekonaniach prawnych Jhering nie upatruje z´rjdła, lecz wyniku pewnego prawotwjrczego procesu. Odmiennie niz˙ historyczna szkoła prawa Jhering juz˙ w latach 50.

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Streszczenie w tezach

XIX wieku uwzgle˛dnia – na przykładzie prawa rzymskiego – siłe˛ (Gewalt) jako historyczny czynnik tworzenia prawa. (s. 67–71) W swoim pierwszym głjwnym dziele Der Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung (»Duch prawa rzymskiego na rjz˙nych etapach jego rozwoju«) młody Jhering włas´ciwej przyczyny tworzenia prawa upatruje – inaczej niz˙ historyczna szkoła prawa – nie w »duchu narodu«, lecz w »duchu czasu«. (s. 62–71). Nadaja˛c »duchowi narodu« aspekt historyczny Jhering umoz˙liwił historykom szersza˛ jego krytyke˛ i pozbawił »ducha narodu« roli legitymacji prawa. W ten sposjb »warsztatem«, w ktjrym tworzy sie˛ prawo, nie jest juz˙ »duch narodu« (jak uwaz˙ał Georg Friedrich Puchta), lecz »historia«. (s. 71–73) Dopiero od połowy lat 60. XIX wieku Jhering zacza˛ł traktowac´ interesy społeczne jednostek i grup pozostaja˛cych we wzajemnym, antagonistycznym stosunku jako wyła˛czne przyczyny powstawania tres´ci prawa. Podczas gdy historyczna szkoła prawa interesy indywidualne oceniała jeszcze jako destruktywne dla tworzenia prawa, Jhering oraz jego wspjłczes´ni – np. Heinrich Ahrens i Wilhelm Arnold – ogłosili je podstawa˛ tworzenia prawa. Najpjz´niej w tym włas´nie momencie rjwniez˙ wyobraz˙enie o jednolitym »duchu narodu« w konteks´cie teorii powstawania prawa straciło swoja˛ aktualnos´c´. (s. 60–62, 73–76) Nowe okres´lenie stosunku mie˛dzy narodem, historia˛ i prawem, dokonane przez Jheringa w latach 50. XIX wieku, ma bezpos´redni wpływ na jego pogla˛d dotycza˛cy relacji mie˛dzy dogmatyka˛ a historia˛ prawa. W sporze z historyczna˛ szkoła˛ prawa Jheringowi chodziło zarjwno o emancypacje˛ dogmatyki prawa od historii prawa, jak i odwrotnie – o autonomie˛ historii prawa wzgle˛dem dogmatyki. (s. 76–87) Na pocza˛tku działalnos´ci naukowej Jheringa najwaz˙niejsza˛ role˛ odgrywała pierwotnie historia prawa, w ktjrej – jak uwaz˙ał – realizuje sie˛ jego ideał nauki: badania opartego na »pełnej wolnos´ci naukowej«. Zgodnie z opracowana˛ przez Jheringa w roku 1844 koncepcja˛ »działalnos´ci produktywnej« (»producierende Tätigkeit«) – w dziedzinie historii prawa badacz powinien w drodze »historycznej kombinacji« (»historische Combination«) przezwycie˛z˙yc´ »przypadkowe ograniczenie« istnieja˛cymi tekstami z´rjdłowymi za pomoca˛ »wyz˙szej« krytyki z´rjdeł poprzedzonej ich »niz˙szym«, deskryptywnym opracowaniem. Jhering nawia˛zuje tym samym do starszych metod konstruuja˛cej historii prawa w naukach o staroz˙ytnos´ci (reprezentowanych przez takich uczonych, jak Friedrich August Wolf czy Bathold Georg Niebuhr). (s. 105–107, 125–133) W dziedzinie historii prawa Jhering rozwina˛ł na przykładzie prawa rzymskiego poje˛cie »obiektywnego«, czy tez˙ »rzeczywistego prawa« (»thatsächliches Recht«), ktjre najwyz˙ej cze˛s´ciowo pokrywa sie˛ z prawem obowia˛zu-

Pozytywnos´c´ prawa

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ja˛cym jurystycznie w danym okresie, a niekiedy pozostaje z nim nawet w bezpos´redniej sprzecznos´ci. (s. 108, 145–147) 10. W latach 50. XIX wieku Jhering jako historyk prawa rozwina˛ł na przykładzie prawa starorzymskiego »fizjologiczne« spojrzenie na historyczna˛ rzeczywistos´c´ prawna˛, ktjre pjz´niej – w latach 70. XIX wieku – stosował przy pierwszych wczesnosocjologicznych badaniach rzeczywistos´ci prawnej jego czasjw. (s. 114–130)

Pozytywnos´c´ prawa (s. 135–172) 11. Juz˙ w mys´li prawnej młodego Jheringa rozbite zostały elementy, ktjre według koncepcji ducha narodu reprezentowanej przez historyczna˛ szkołe˛ prawa ła˛czyły sie˛ ze soba˛, a mianowicie pytania o przyczyne˛ prawna˛ obowia˛zywania prawa, o historyczne przyczyny tres´ci tego prawa oraz o jego »przyczyne˛ legitymuja˛ca˛«. (s. 139–142) 12. Jako historyk i jako prawnik Jhering głosi dwa odre˛bne poje˛cia prawa. Spojrzenie historyka jest według niego skierowane na prawo »rzeczywiste«, a mianowicie na rzeczywis´cie odziaływuja˛ce w danym okresie historycznym normy społeczne i sposoby zachowan´ bez uwzgle˛dnienia pytania, czy normy społeczne sa˛ rjwniez˙ normami prawnymi. Wodrjz˙nieniu od tego spojrzenie prawnika dotycza˛ce przeszłego i wspjłczesnego stanu prawnego ogranicza sie˛ wyła˛cznie do obowia˛zuja˛cego kaz˙dorazowo jurystycznie prawa bez uwzgle˛dnienia pytania, czy znajduje ono zawsze zastosowanie w poszczegjlnym przypadku. (s. 143–147) 13. Rjwniez˙ prawo obowia˛zuja˛ce jurystycznie ma według Jheringa »strone˛ faktyczna˛«, a mianowicie stałe rzeczywiste zastosowanie normy prawnej. Juz˙ w latach 40. XIX wieku krytykował on pogla˛d historycznej szkoły prawa, z˙e to zawsze pan´stwo musi byc´ gwarantem stosowania normy prawnej. (s. 154– 157, 168–171) 14. Natomiast Jhering nie jako historyk prawa, ale jako prawnik, wymaga od se˛dziego bezwarunkowego i kaz˙doczesnego posłuszen´stwa prawu pozytywnemu. Nawet indywidualne odczucie se˛dziego, ktjre sprzeciwiałoby sie˛ zastosowaniu prawa, nie uprawnia go do wydania orzeczenia nie znajduja˛cego oparcia w prawie obowia˛zuja˛cym. Wdanej sytuacji se˛dzia zobowia˛zany jest w kaz˙dym razie do »zaprzeczenia samemu sobie w słuz˙bie prawu« (»Selbstverläugnung im Dienst des Rechts«). (s. 159–162) 15. Juz˙ od lat 50. XIX wieku Jhering utrzymywał, z˙e złamanie prawa nalez˙y postrzegac´ inaczej z perspektywy jurydycznej, a odmiennie z perspektywy rozwoju historycznego. W przeciwien´stwie do przedstawicieli historycznej szkoły prawa Jhering utrzymywał niezmiennie, z˙e w ocenie retrospektywnej

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Streszczenie w tezach

historyka prawa se˛dziowskie nieposłuszen´stwo, a w skrajnym przypadku nawet rewolucja, czy zamach stanu moga˛ byc´ legitymowane, jes´li złamanie obowia˛zuja˛cego prawa odpowiada zmienionym »potrzebom z˙ycia i wymogom czasu«. Z przekonaniem tym ła˛czy sie˛ – towarzysza˛ca Jheringowi przez całe z˙ycie – wiara w stały poste˛p ludzkos´ci pod wzgle˛dem prawa i obyczaju. (s. 157–172) 16. W odrjz˙nieniu od teorii z´rjdeł prawa stworzonej przez Savigny’ego i pogłe˛bionej przez Puchte˛ w ramach historycznej szkoły prawa, Jhering prezentował pogla˛d, z˙e w wyznaczaniu prawnych i nieprawnych norm mniejsze znaczenie ma pytanie o geneze˛ prawa niz˙ pytanie o odziaływanie norm prawnych. (s. 152–154)

Z´ródła prawa (s. 173–260) 17. Jhering – podobnie jak historyczna szkoła prawa – tradycyjnie rozumianemu prawu zwyczajowemu przypisuje jedynie role˛ podrze˛dna˛ w jego czasach. Jednoczes´nie juz˙ młody Jhering odrzuca stworzona˛ przez Savigny’ego i rozwinie˛ta˛ naste˛pnie przez Puchte˛ teorie˛ prawa zwyczajowego, według ktjrej w czasach kulturowoprawnego rozwoju prawo zwyczajowe, w tym zwłaszcza obowia˛zuja˛ce w Niemczech pomocniczo powszechne prawo rzymskie, opiera sie˛ w duz˙ej mierze na prawniczych przekonaniach prawnikjw jako przedstawicieli narodu w kwestiach prawnych. (s. 176 i nast., 184, 196–206) 18. W zwia˛zku z tym, z˙e Jhering odrzucił teorie˛ z´rjdeł prawa historycznej szkoły prawa oraz odnosił sie˛ przy rozgraniczaniu norm prawnych od nieprawnych do zagadnienia odziaływania norm, pytanie o moz˙liwos´c´ stwierdzenia i merytorycznego okres´lenia prawa zwyczajowego na gruncie jego koncepcji nabiera nowego znaczenia. Jhering uwaz˙ał, z˙e normy prawa zwyczajowego rozrjz˙niaja˛ sie˛ od pozaprawnych norm obyczajowych według »zrjz˙nicowania stopnia poczucia obowia˛zku« adresata normy. Jhering nie uczynił jednak ostatniego kroku ku sformułowaniu socjologicznoprawnego rozrjz˙nienia prawa na podstawie kryterium jego socjalnego odziaływania, tak jak to w XX wieku uczynił na przykład Theodor Geiger. (s. 177–182) 19. Odrzucenie przez Jheringa podzielanych przez niego pierwotnie przekonan´ historycznej szkoły prawa dotycza˛cych prawa zwyczajowego miało miejsce juz˙ na długo przed cezura˛ w jego prawnometodologicznych pogla˛dach na temat »metody historycznoprzyrodniczej« wypracowanej na gruncie nauk s´cisłych. (s. 182–189) 20. Juz˙ od lat 40. XIX wieku miarodajnego z´rjdła prawa dla wspjłczesnego mu s´wiata Jhering zacza˛ł upatrywac´ w kodeksie przyje˛tym przez pan´stwo. Juz˙ w drugiej połowie lat 40. XIX wieku dopominał sie˛ szczegjlnie w odniesieniu

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do prawa rzymskiego kodyfikacji prawa cywilnego, odrzucanej w 1814 r., jak rjwniez˙ jeszcze około 1840 r. przez Savigny’ego. W przeciwien´stwie do historycznej szkoły prawa Jhering wa˛tpił jednoczes´nie w to, czy w Niemczech nasta˛piło całkowite »wewne˛trzne przyswojenie« prawa rzymskiego w formie prawa pandektowego. (s. 191–206) 21. Przyła˛czaja˛c sie˛ do stanowiska historycznej szkoły prawa Jhering dokonuje rozrjz˙nienia mie˛dzy prawem stanowionym, ktjre powinno wstrzymywac´ sie˛ od wyjas´niania kwestii prawno-dogmatycznych, oraz prawem naukowym, tworzonym przez dogmatyke˛ prawa na podstawie prawa stanowionego. Ale juz˙ młody Jhering krytykuje historyczna˛ szkołe˛ prawa za to, z˙e nie zastosowała tego rozrjz˙nienia w sposjb konsekwentny w odniesieniu do prawa rzymskiego i z˙e z tego powodu wiele tres´ci tego prawa w sposjb nieuzasadniony »zakonserwowano« rjwniez˙ w obowia˛zuja˛cym prawie pandektowym. (s. 206–211) 22. Odnos´nie interpretacji prawa stanowionego Jhering pozostaje – w przeciwien´stwie do Savigny’ego – całkowicie oddany tradycyjnej, prawniczej hermeneutyce. Sta˛d tez˙ interpretacje˛ prawa stanowionego Jhering rozumie rjwniez˙ jedynie jako »niz˙sza˛« forme˛ naukowej jurysprudencji, ktjra poza tym na tle ogjlnej filologii nie stanowi akurat opus proprium prawoznawstwa w porjwnaniu z innymi dziedzinami nauki. (s. 211 i nast., 585) 23. Od połowy lat 50. XIX wieku »produktywnos´c´« jurysprudencji w dziedzinie teorii z´rjdeł prawa stanowi dla Jheringa centralny – zasadniczo niezmieniony juz˙ az˙ do kon´ca działalnos´ci tego uczonego – element koncepcji naukowej pracy prawniczej. Idee˛ »produktywnos´ci« w dogmatyce prawa obowia˛zuja˛cego poprzedzała bezpos´rednio koncepcja naukowej »produktywnos´ci« historyka w dziedzinie historii prawa, rozwinie˛ta przez Jheringa juz˙ dziesie˛c´ lat wczes´niej (por. wyz˙ej pkt. 8) (s. 217–221) 24. Jak w obre˛bie historii prawa, tak rjwniez˙ w obszarze dogmatyki prawa Jhering od połowy lat 50. XIX rozrjz˙niał »recepcyjny«, czyli »niz˙szy« oraz »produktywny«, tj. »wyz˙szy« rodzaj nauki. (s. 218–223, 227) 25. Zawe˛z˙aja˛c wprowadzone przez siebie poje˛cie produktywnos´ci »wyz˙szej« jurysprudencji Jhering w swoim programowym pis´mie »Unsere Aufgabe« (»Nasze zadanie«, 1856 r.) do »recepcyjnej« – »niz˙szej« – działalnos´ci w dziedzinie dogmatyki prawa zaliczał juz˙ nie tylko prawnicza˛ interpretacje˛, lecz takz˙e uzupełnianie obowia˛zuja˛cych przepisjw prawnych na podstawie prawniczego wnioskowania i prawniczej analogii. W odrjz˙nieniu od Jheringa, Puchta, wskazuja˛c na uzupełnienia tego rodzaju, uzasadniał jeszcze produktywna˛ funkcje˛ nauki prawa jako z´rjdła prawa. (s. 223–226, 228 i nast.) 26. O ile »produktywna« historia prawa w dziedzinie prawa rzymskiego w przekonaniu Jheringa słuz˙yc´ miała jego moz˙liwie wiernej rekonstrukcji w

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celu zrozumienia »metody prawniczej« rzymskich prawnikjw, o tyle za pomoca˛ teorii produktywnej działalnos´ci jurysprudencji w dziedzinie dogmatyki prawa Jhering stawiał sobie dwa cele. Po pierwsze teoria ta miała uzasadniac´ taka˛ sama˛ wartos´c´ naukowa˛ prawoznawstwa, jaka˛ posiadały inne nauki, zwłaszcza nauki ´scisłe jego czasjw. Drugim zamiarem Jheringa była z kolei naukowa refleksja i naukowe wyjas´nienie produktywnego sposobu mys´lenia prawniczego w praktyce rzymskich jurystjw. Nie było jednak zamiarem Jheringa stworzenie nowej metody prawniczej. (s. 219–223, 226f., 451–453) 27. Według Jheringa warunkiem produktywnos´ci jurysprudencji w aspekcie teorii z´rjdeł prawa jest przetworzenie wszystkich przepisjw prawa na precyzyjnie zdefiniowane poje˛cia prawnicze. Odwołuja˛c sie˛ do koncepcji Justusa Friedricha Runde Natur der Sache als Rechtsquelle (»Natura rzeczy jako z´rjdło prawa«) jako wzorca dla produktywnej funkcji nauki prawa jako z´rjdła prawa, Jhering wła˛czył do swej koncepcji starsze, XVIII-wieczne podejs´cie mys´lenia prawniczego, ktjre poprzedzało historyczna˛ szkołe˛ prawa. (s. 229–240) 28. W swoim poszukiwaniu »odkrycia alfabetu prawnego« jako zasobu najprostszych poje˛c´ prawnych, z ktjrych moz˙na by zbudowac´ cały system prawny, Jhering przyła˛czył sie˛ do tradycji naukowego mys´lenia prawniczego sie˛gaja˛cej od ´sredniowiecza az˙ do Gottfrieda Wilhelma Leibniza. W przeciwien´stwie do Leibniza Jhering naukowa˛ produktywnos´c´ prawa pragna˛ł jednak całkowicie uniezalez˙nic´ od celowos´ci danych przepisjw prawa, a takz˙e od ich bezpos´redniego poz˙ytku dla praktyki prawniczej. (s. 230, 503 i nast., 600) 29. Po wykonaniu pod koniec 1858 roku ekspertyzy prawnej na temat dwukrotnej sprzedaz˙y tej samej rzeczy w teoretyczno-metodologicznej mys´li prawnej Jheringa dokonała sie˛, jak przyznawał sam uczony, zasadnicza przemiana. Choc´ nie oznaczała ona odrzucenia teorii »produktywnej« funkcji nauki prawnej, to jednak od tego czasu Jhering podporza˛dkowywał wszelkie rezultaty naukowego mys´lenia prawnego kontroli indywidualnego »wyczucia prawnego« (»Rechtsgefühl«). Od 1859 r. Jhering przemierzył zatem droge˛ od wiary w nauke˛ prawa do postawy krytycznej wobec niej. (s. 242–255) 30. Wskutek krytycznej przemiany w mys´li naukowej Jheringa prawoznawstwo przestaje byc´ z´rjdłem obowia˛zywania prawa i zostaje sprowadzone jedynie do roli zwykłego z´rjdła tres´ci prawa o czysto heurystycznej funkcji. W miejsce nauki prawa jako z´rjdła prawa pojawia sie˛ orzecznictwo jako z´rjdło prawa. Rjwniez˙ według koncepcji Jheringa dotycza˛cej historycznego punktu zwrotnego nauka prawa nie jest juz˙ upowaz˙niona do samodzielnego

Merytoryczne poje˛ cie prawa w uje˛ ciu Jheringa

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uogjlnienia pojedynczej regulacji prawa obowia˛zuja˛cego, lecz jedynie do zwrjcenia sie˛ z odpowiednim postulatem do ustawodawcy. (s. 256–260)

Merytoryczne poje˛ cie prawa w uje˛ ciu Jheringa (s. 261–409) 31. O ile w latach 40. XIX wieku Jhering pragna˛ł wyjs´c´ poza diagnozowane przezen´ »jednostronne ograniczenia szkoły historycznej« posługuja˛c sie˛ jeszcze tradycyjnymi wyobraz˙eniami prawa naturalnego, o tyle w latach 50. XIX wieku zasadnicza˛ kwestia˛ oraz punktem wyjs´ciowym jego pracy Geist des römischen Geistes auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung (»Duch prawa rzymskiego na rjz˙nych etapach jego rozwoju«), pierwszego głjwnego dzieła Jheringa wydanego mie˛dzy 1852 a 1865 r., staje sie˛ pytanie o »kryterium oceny« przeszłych i wspjłczesnych porza˛dkjw prawa. (s. 261– 269) 32. Pocza˛wszy od lat 50. XIX wieku Jhering coraz bardziej ograniczał załoz˙enia antropologiczne na korzys´c´ bardziej historycznego spojrzenia rjwniez˙ na zasadnicze przekonania etyczne. Kreowanie tych przekonan´, a nie jedynie ich postrzeganie, jest według Jheringa wyrazem »długiego i z˙mudnego procesu« w historii. W roku 1877 – w pierwszym tomie swojego drugiego głjwnego dzieła Der Zweck im Recht (»Cel prawa«) – Jhering zrezygnował rjwniez˙ z wiary w przyrodzone »wyczucie prawne«. (s. 276–292) 33. Mimo z˙e przez długi czas – od lat 50. az˙ po lata 80. XIX w. – Jhering starał sie˛ w coraz wie˛kszym stopniu ograniczyc´ załoz˙enia antropologiczne oraz te nawia˛zuja˛ce do prawa naturalnego, to jednak az˙ do kon´ca swej działalnos´ci wierzył zarjwno w istnienie Boga w historii jako »przyczyny« etycznego i prawnego poste˛pu, jak rjwniez˙ w dwa podstawowe determinanty antropologiczne ludzkiego mys´lenia, a mianowicie w ludzki »pope˛d rjwnos´ci« (»Gleichheitstrieb«) oraz »pope˛d władzy i wolnos´ci« (»Macht- und Freiheitstrieb«). (s. 277 i nast., 292–295) 34. Według Jheringa wszelki rozwjj prawno-historyczny bierze swjj pocza˛tek w ludzkim »pope˛dzie rjwnos´ci« (»Gleichheitstrieb«), ktjrego celem jest zniwelowanie wszelkiej samowoli w stosunkach społecznych. Przypisywane człowiekowi pragnienie rjwnos´ci w sensie rjwnego traktowania tego, co zgodnie z wyobraz˙eniami danego czasu uznawane było za rjwne, jest dla Jheringa warunkiem wyjs´ciowym powstawania prawa. Nie wolnos´c´, jak to uznawał jeszcze Puchta, lecz prjba stworzenia formalnej rjwnos´ci jest dla Jheringa conditio sine qua non poje˛cia prawa. (s. 293–301) 35. Zdaniem Jheringa prawo rzymskie okresu archaicznego w sposjb szczegjlny urzeczywistniało pragnienie rjwnos´ci, co znalazło wyraz zarjwno w tworzeniu prawa, jak i jego zastosowaniu. Nie chodzi przy tym o formy

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obrze˛dowe samego prawa rzymskiego epoki archaicznej, ale o postawe˛ przypisywana˛ przez Jheringa Rzymianom tego czasu, polegaja˛ca˛ na rjwnym traktowaniu z »z˙elazna˛ konsekwencja˛«, ich »nieche˛ci do wszelkiej indywidualizacji w prawie« oraz jwczesnym braku jeszcze poje˛cia słusznos´ci (aequitas). Cechy te uznawane były przez Jheringa jeszcze w latach 50. XIX w. za włas´ciwe dla prawa jego własnych czasjw. (s. 303–315) 36. Przywia˛zanie Jheringa do zasady »z˙elaznej konsekwencji« wia˛zało sie˛ z jego pocza˛tkowo rygorystyczna˛ postawa˛ odnos´nie stosowania zasad. W imie˛ bezwarunkowo rjwnego traktowania Jhering z˙a˛da przed rokiem 1859, z˙eby wszelkie normy, ktjre moz˙na było wydedukowac´ z obowia˛zuja˛cej zasady prawnej, stosowac´ bezwzgle˛dnie. Ten rodzaj rygoryzmu dotycza˛cego zasad okres´lic´ nalez˙y jako formalny, poniewaz˙ w przekonaniu Jheringa nie tres´c´ jakiejs´ konkretnej zasady, lecz samo poje˛cie sprawiedliwos´ci – wtedy jeszcze całkowicie zawe˛z˙ane przez Jheringa do rjwnego traktowania – nie tylko legitymuje, lecz nawet nieodwołalnie wymaga »tyranii konsekwencji« (»Tyrannei der Consequenz«) w stosowaniu prawa. (s. 316–326) 37. Wyste˛puja˛ca˛ od klasycznego prawa rzymskiego az˙ do powszechnego prawa rzymskiego czasjw nowoz˙ytnych tradycje˛ aequitas, be˛da˛ca˛ zasada˛ uzupełniaja˛ca˛ w stosunku do ius strictum, Jhering odrzucił przed 1859 r. jako naruszaja˛ca˛ w jego przekonaniu zasade˛ absolutnej rjwnos´ci, a tym samym jako niezgodna˛ z jego wjwczas wa˛sko rozumianym (pkt. 36) poje˛ciem sprawiedliwos´ci. W latach 50. Jhering postawa˛ ta˛ zajmuje na tle kolegjw po fachu pozycje˛ odosobniona˛. (s. 326–333) 38. Formalny rygoryzm zasad Jhering przezwycie˛z˙ył dopiero w zwia˛zku z ekspertyza˛, ktjra˛ wykonywał pod koniec roku 1858 (por. pkt. 29). Efektem tej pracy w naste˛pnych latach, wykraczaja˛cym poza przedmiot opinii i maja˛cym znaczenie dla mys´li prawniczej Jheringa, jest rozszerzenie znaczenia poje˛cia sprawiedliwos´ci. Jhering przestał zawe˛z˙ac´ poje˛cie sprawiedliwos´ci »jedynie do czysto formalnej strony jurystycznej logiki«, lecz porzeszył je o »włas´ciwa˛ idee˛ sprawiedliwos´ci i etycznos´ci« (»substantielle Idee der Gerechtigkeit und Sittlichkeit«), ktjra zawiera w sobie aequitas. Tym samym uczony kładzie fundament pod pjz´niejsze rozrjz˙nienie prawdy nauki prawa i jurystycznej poprawnos´ci. (s. 333–356) 39. Według Jheringa »pope˛d wolnos´ci« u ludzi wyste˛puje historycznie dopiero w prawie rzymskim. Wpływ tego pope˛du na prawo dał pocza˛tek prawu prywatnemu, ktjrego nie moz˙na sobie wyobrazic´ bez załoz˙enia prawnej i moralnej wolnos´ci pojedynczego człowieka. Wolnos´c´ te˛ Jhering uznawał rjwniez˙ w pjz´niejszych latach za zakorzeniona˛ w Biblii. (s. 357–378) 40. W cia˛gu swojego z˙ycia Jhering zaproponował dwa rjz˙ne wyjas´nienia zakresu przypadaja˛cej kaz˙demu człowiekowi wolnos´ci w konteks´cie prawa prywatnego. Do 1854 roku Jhering uwaz˙ał, z˙e prawna wolnos´c´ pojedynczego

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człowieka moz˙e byc´ ograniczona wyła˛cznie wtedy, gdy uniknie sie˛ przez to samozniszczenia tej wolnos´ci, do czego prowadziłaby np. umowa przysparzaja˛ca prawa i korzys´ci jedynie drugiej stronie. Od 1855 r., a wie˛c jeszcze przed teoretyczno-metodologicznym przełomem pod wpływem pracy nad kazusem podwjjnej sprzedaz˙y (pkt. 38), Jhering zacza˛ł wyznaczac´ »miare˛« wolnos´ci na podstawie wewna˛trzprawnego wywaz˙ania zasad mie˛dzy »zasada˛ indywidualnos´ci« i »zasada˛ wspjlnoty«. Na tej podstawie w latach 70. XIX. w. rozwina˛ł on pod wpływem kwestii społecznej oraz ideałjw »komunizmu« tzw. »społeczna˛ teorie˛ własnos´ci«. Teoria˛ ta˛ uczony uzasadnia w swojej pjz´nej fazie działalnos´ci mocne ograniczenie prawa własnos´ci w imie˛ interesjw społecznych w prawie prywatnym. (s. 378–409)

Od systemu prawa do metody nauki prawnej (s. 411–631) 41. »System« prawa, ktjry u Puchty odgrywał jeszcze centralna˛ role˛ w naukowym poznaniu prawa, zachowuje co prawda rjwniez˙ u Jheringa przez cały okres jego działalnos´ci duz˙e znaczenie, i to zarjwno jako zewne˛trzny system poje˛c´ – »drzewo geneaologiczne poje˛c´«, jak rjwniez˙ jako wewne˛trzny system corpus iuris civilis, ktjremu uczony nawet juz˙ po teoretyczno-metodologicznym przełomie z lat 1858–1859 przypisuje w dalszym cia˛gu »dialektyczna˛ siłe˛« »niewyczerpanego z´rjdła nowych prawd prawnych«. Jednak w porjwnaniu ze swoimi bezpos´rednimi poprzednikami z historycznej szkoły prawa role˛ systemu w poznaniu prawnym Jhering znacza˛co relatywizuje. Po pierwsze według niego system – na podstawie okres´lonego porza˛dku prawnego – zawsze moz˙e byc´ jedynie punktem kon´cowym, nigdy punktem wyjs´cia rozwaz˙ania naukowego, a po drugie nawet jego poje˛cia podstawowe – niezalez˙nie od dwjch tysie˛cy lat ich obowia˛zywania – pozostaja˛ zawsze historyczne, a tym samym zmienne. (s. 411–420) 42. Z uwagi na historycznos´c´ i zmiennos´c´ kaz˙dego systemu prawnego juz˙ młody Jhering w latach 50. XIX wieku poddawał ostrej krytyce stanowisko swoich bezpos´rednich poprzednikjw z historycznej szkoły prawa, ktjrzy powołuja˛c sie˛ na podstawowe poje˛cia wywiedzione z klasycznego prawa rzymskiego, za nie do przyje˛cia uznawali pewne nowoz˙ytne instytucje prawne, jak na przykład bezpos´rednia˛ reprezentacje˛, czy tez˙ cesje˛ roszczen´. Ten zarzut »ortodoksyjnego romanizmu« znalazł potem rjwniez˙ swoje odzwierciedlenie w przedstawionej przez Jheringa w pjz´niejszych latach krytyce »jurysprudencji poje˛ciowej« (1884 r.). (s. 421–442) 43. Za uniwersalnie prawdziwy dla »prawnikjw wszelkich krajjw i czasjw« Jhering uwaz˙ał co najmniej od pocza˛tku lat 50. XIX. w. az˙ do kon´ca swej działalnos´ci nie okres´lony system prawa, lecz jedynie prawnicza˛ metode˛,

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ktjra˛ stosowali najpierw prawnicy rzymscy w klasycznym okresie prawa rzymskiego. (s. 458–466) 44. Przyjmuja˛c uniwersalizm metody prawniczej, Jhering sformułował w latach 1855–1856 teorie˛ techniki prawniczej, ktjra odzwierciedlała te˛ metode˛. Uczony pragna˛ł przy tym okres´lic´ jej specyficzny, prawno-naukowy charakter odrjz˙nia˛cy metode˛ prawnicza˛ od innych metod naukowych oraz uzasadnic´ jej teoretyczno-naukowe rjwnouprawnienie w stosunku do metod innych nauk, zwłaszcza nauk przyrodniczych. (s. 466–471) 45. Dokonane przez Jheringa przesunie˛cie akcentjw z systemu prawa na metode˛ prawoznawstwa nalez˙y rozpatrywac´ w konteks´cie maja˛cego miejsce w połowie XIX wieku procesu wyparcia filozofii jako paradygmatu naukowos´ci (»nauka nauk«) przez nauki przyrodnicze. O ile od 1800 r. – pod wpływem niemieckiego idealizmu – filozofia brała za miare˛ naukowos´ci rozwijaja˛cy sie˛ historycznie system wszelkiego poznania, o tyle od połowy XIX wieku legitymacja˛ prawdziwej naukowos´ci staje sie˛ metoda indukcyjna nauk przyrodniczych, maja˛ca charakter eksperymentalny. Idealistyczna identyfikacja podmiotu i przedmiotu w procesie naukowego poznania prawdy zasta˛piona zostaje – w ´swietle nowego paradygmatu naukowos´ci przeje˛tego z obszaru przyrodoznawstwa – przez przeciwstawienie przedmiotu, ktjry podlega eksperymentalnemu badaniu, oraz obserwuja˛cej dany przedmiot nauki. (s. 442–444, 452 i nast., 457–466, 457–477) 46. Przedstawiona przez Jheringa charakterystyka specyficznej metody prawniczej w kategoriach metody »historycznoprzyrodniczej« – czyli zaczerpnie˛tej z nauk przyrodniczych – miała potwierdzic´ naukowos´c´ jurysprudencji obowia˛zuja˛cego prawa, ktjra˛ w roku 1847 Julius Hermann von Kirchmann w dos´c´ efektowny sposjb poddawał w wa˛tpliwos´c´ na podstawie nowego paradygmatu naukowego wyznaczonego przez nauki przyrodnicze. Zdefiniowane poje˛cia prawne Jhering traktował jak przedmioty naturalne, ktjre jurysprudencja analizuje analogicznie, jak robia˛ to nauki przyrodnicze. (s. 444–449, 453, 457) 47. Po zmianie swego metodologicznego stanowiska po roku 1858 (pkt. 29, 38) Jhering podtrzymywał wyraz˙one juz˙ w latach 1855–1856 (pkt. 44) przekonanie, z˙e ta cze˛´sc´ juryprudencji, ktjra operuje poje˛ciami i formalna˛ »struktura˛« prawa, czyli – według okres´lenia uczonego – »wyz˙sza jurysprudencja«, jest »nauka˛ s´cisła˛ w z˙ywiole ducha«, badaja˛ca˛ za pomoca˛ »analizy chemicznej« rjwnie fizyczno-chemiczne »włas´ciwos´ci i siły« poje˛c´ prawnych okres´lanych jako »ciała prawne«. Okres´lenie wyobraz˙enia naukowos´ci, z ktjrym Jhering identyfikował sie˛ az˙ do kon´ca swej działalnos´ci, mianem naturalizmu prawniczego, jak tez˙ traktowanie zapoz˙yczonego z nauk przyrodniczych je˛zyka uz˙ytego przez Jheringa jako zwykłego s´rodka wyrazu lub zgodna˛ z duchem czasu retoryke˛ nie oddaje jednak istoty mys´li

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uczonego. Z jednej strony Jhering był zawsze s´wiadomy, z˙e zrjwnanie ze soba˛ »moralnego [tj. »duchowego«] i fizycznego porza˛dku s´wiata« oznaczałoby degradacje˛ tego pierwszego. Z drugiej strony jednak podzielał on przekonanie szeroko rozpowszechnione ws´rjd wspjłczesnych mu naukowcjw z dziedzin ´scisłych oraz medycyny, z˙e przy wszystkich rjz˙nicach w szczegjłach – istnieja˛ tez˙ analogiczne zjawiska i prawidłowos´ci w sferze natury i »ducha« (czyli kultury), ktjre maja˛ ostateczna˛ przyczyne˛ we wspjlnym boskim pocza˛tku. (s. 489–495, 508–519) 48. Teoria »wyz˙szej jurysprudencji« lub »metody historycznoprzyrodniczej« miała spełnic´ trzy zadania. Po pierwsze jako metateoria nauk prawnych miała słuz˙yc´ wyjas´nieniu statusu epistemologicznego, zakresu przedmiotowego oraz funkcji »wyz˙szej jurysprudencji« w odniesieniu do teorii prawa, po drugie opisaniu i wyjas´nieniu »włas´ciwego mechanizmu« (»kunstgemäßen Mechanismus«) prawa stworzonego przez dogmatyke˛, ktjry ma ułatwiac´ stosowanie prawa (»technika obiektywna«), a wreszcie po trzecie metodologicznej refleksji dotycza˛cej »sztuki prawniczej« samego stosowania prawa (»technika subiektywna«). (s. 471) 49. Jhering postrzega status epistemologiczny »wyz˙szej jurysprudencji«, czy tez˙ »metody historycznoprzyrodniczej« na gruncie badan´ podstawowych, ktjre – podobnie jak w naukach przyrodniczych – nie zawsze skierowane sa˛ na bezpos´rednia˛ korzys´c´ w zastosowaniu, lecz »niekiedy tez˙ wykonywane sa˛ w zupełnie niepraktycznych dziedzinach«. Okres´lenie zakresu przedmiotowego »wyz˙szej jurysprudencji« w odrjz˙nieniu od »niz˙szej jurysprudencji« opiera sie˛ na zasadniczym podziale prawa według kryterium »tres´ci« i »formy«, »tworzywa« i »struktury«, »substancji« i »logiki«, normatywnego »celu« oraz »s´rodka« z zakresu techniki prawa. Teoretyczno-prawna˛ funkcje˛ »wyz˙szej jurysprudencji« Jhering uzasadnia tym, z˙e kaz˙dorazowo jedynie drugi człon kaz˙dej ze wskazanych tu par poje˛ciowych moz˙e byc´ badany swobodnie w sposjb naukowy z punktu widzenia dogmatyki prawa, natomiast pierwszy człon, a w zwia˛zku z tym interpretacja norm prawnych, nie pozwala na pełna˛ naukowa˛ autonomie˛ pod wzgle˛dem naukowym, poniewaz˙ »niz˙sza jurysprudencja« jest tu szczegjlnie uzalez˙niona od kaz˙doczesnej woli ustawodawcy. (s. 472–492) 50. Wypracowane przez Jheringa zasadnicze rozrjz˙nienie normatywnej tres´ci oraz poje˛ciowo-strukturalnej formy obowia˛zuja˛cego prawa w celu analizy prawno-dogmatycznej było samodzielnym osia˛gnie˛ciem tego uczonego, niemaja˛cego na tym polu poprzednikjw. Jednoczes´nie ograniczenie funkcji »wyz˙szej jurysprudencji« do badania formalnej »struktury« prawa przez Jheringa wyznaczało droge˛ przyszłej teorii prawa – czy tez˙ ogjlnej nauki prawa – ktjra była rozwijana pod koniec XIX wieku. Taka˛ teze˛ moz˙na postawic´, o ile opisana przez Jheringa »wyz˙sza jurysprudencja« ograniczała sie˛

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Streszczenie w tezach

– podobnie jak pjz´niejsza ogjlna nauka prawa – do deskryptywno-analitycznego badania struktur prawa. Natomiast o ile w latach 50. XIX wieku Jhering »wyz˙sza˛ jurysprudencje˛« ła˛czył z koncepcja˛, według ktjrej »rozmnaz˙anie sie˛ prawa z siebie samego« miało zyskiwac´ legitymacje˛ na gruncie teorii z´rjdeł prawa, przy czym prawo obowia˛zuja˛ce po przekształceniu go w poje˛ciowo-strukturalna˛ forme˛ miałoby z kolei samo stawac´ sie˛ rjwniez˙ z´rjdłem nowej normatywnej tres´ci w postaci przepisjw maja˛cych bezpos´rednia˛ moc obowia˛zuja˛ca˛, to po swojej przemianie metodologicznej w latach 1858 / 1859 uczony dokonał korekty tego przekonania rozpoznaja˛c, iz˙ oznaczałoby ono niedopuszczalne »zrjwnanie samej analizy strukturalnej« z »dogmatycznym, praktycznym obowia˛zywaniem« przepisjw prawnych, a zatem postawienie tych dwjch rjz˙nych płaszczyzn na tym samym poziomie. (s. 529–541) 51. O ile »wyz˙sza jurysprudencja lub metoda historycznoprzyrodnicza« – oprjcz swej funkcji w ramach badan´ podstawowych w dogmatyce prawa – ma za zadanie ułatwienie stosowania prawa (pkt. 48), o tyle Jhering mjwi takz˙e o »fundamentalnych operacjach techniki prawniczej«, a mianowicie prawniczej technice »analizy, koncentracji i konstrukcji«. Głjwna rola przypada przy tym prawniczej konstrukcji, i to zarjwno przy wyjas´nianiu przez dogmatyke˛ prawa zwia˛zkjw mie˛dzy obowia˛zuja˛cymi przepisami prawnymi w ramach »obiektywnej [prawniczej] techniki«, jak i przy rozwia˛zywaniu danego kazusu z perspektywy se˛dziego w ramach »subiektywnej [prawniczej] techniki«. (s. 541–557, 582–591) 52. Zgodnie z prawami konstrukcji (Konstruktionsgesetze) wskazanymi przez Jheringa wszystkie jurystyczne konstrukcje reguł prawnych i spraw sa˛dowych nie moga˛ stac´ w sprzecznos´ci z obowia˛zuja˛cym prawem (»prawo obje˛cia substancji pozytywnej« – »Gesetz der Deckung des positiven Stoffs«), jak tez˙ zawierac´ sprzecznos´ci intelektualnych (»prawo niesprzecznos´ci« – »Gesetz des Nichtwiderspruchs«), przy czym Jhering, tak jak jego poprzednicy, rozumie »logike˛« nie w dzisiejszym sensie logiki formalnej, ale tylko w sensie swoistej logiki wiarygodnos´ci co do tres´ci. Podczas gdy dwa wyz˙ej wymienione prawa konstrukcji formułuja˛ konstytutywne warunki wszelkich konstrukcji prawniczych, dwie pozostałe reguły konstrukcyjne wymienione przez Jheringa maja˛ tylko regulatywny charakter, wyznaczaja˛c kierunek pracy prawnika. Sa˛ to wymogi konstrukcyjne jasnos´ci i przejrzystos´ci (»prawo jurystycznego pie˛kna« – »Gesetz der juristischen Schönheit«) oraz prostoty i ograniczenia sie˛ do poje˛ciowego minimum (»prawo logicznej oszcze˛dnos´ci« – »Gesetz der logischen Sparsamkeit«). (s. 557–581, 591–631) 53. Jeszcze przed swoja˛ przemiana˛ metodologiczna˛ (pkt. 38) Jhering podkres´lał, z˙e konstrukcje prawnicze sa˛ czyms´ wie˛cej niz˙ »logicznym mys´leniem«, poniewaz˙ maja˛ intelektualnie twjrczy charakter. Jednoczes´nie – rjwniez˙ po

Od systemu prawa do metody nauki prawnej (s. 411–631)

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metodologicznej przemianie – Jhering wychodził z załoz˙enia, z˙e kaz˙dy problem prawniczej konstrukcji reguł prawnych (»technika obiektywna«), podobnie jak nierozwia˛zane dotychczas problemy nauk przyrodniczych i technicznych, zasadniczo zawsze moz˙e znalez´c´ »definitywne rozwia˛zanie« na przyszłos´c´. Natomiast prawnicza konstrukcja okres´lonej sprawy stworzona przez se˛dziego (»subiektywna technika«) – jak twierdził Jhering nawet we wczesnych pracach – nigdy nie moz˙e byc´ rozstrzygnie˛ta »raz na zawsze«. Przez całe z˙ycie Jhering wyste˛pował szczegjlnie przeciwko wszelkim formom naiwnego automatyzmu subsumcji. (s. 232 i nast., 524–529, 584–589) 54. Po swojej przemianie metodologicznej Jhering nie tylko zachował »historycznoprzyrodnicza˛« – a wie˛c odwołuja˛ca˛ sie˛ do sposobu mys´lenia wypracowanego na gruncie przyrodoznawstwa – koncepcje˛ »struktury« prawa, ale w latach 80. XIX wieku »paralele z naukami przyrodniczymi« rozszerzył nawet jeszcze na nieprawnicza˛ sfere˛ teorii ewolucji moralnej. Zarjwno w teorii Jheringa dotycza˛cej »historycznoprzyrodniczej« metody w dziedzinie dogmatyki prawa, jak i w jego koncepcji ewolucji moralnej w dziedzinie historii cywilizacji, podobien´stwa do nauk przyrodniczych odnosza˛ sie˛ w ten sam sposjb kaz˙dorazowo do »zdolnos´ci ludzkiego umysłu do abstrakcji«, ktjrej Jhering nie uwaz˙ał za proces zalez˙ny od woli, lecz niejako z natury konieczny i twjrczy pod wzgle˛dem duchowym. (s. 246–255, 285 i nast., 294, 508–514, 610) 55. W pjz´nej fazie działalnos´ci Jhering nie podja˛ł sie˛ juz˙ zasadniczego przeformułowania swojej teorii metody prawniczej, ktjre uwzgle˛dniałoby metodologiczna˛ przemiane˛ jego mys´li naukowej (pkt. 38). W swoich pjz´niejszych dziełach uczony ograniczył sie˛ jedynie do ogjlnego sformułowania, z˙e »metoda historycznoprzyrodnicza« ma co prawda swoje uzasadnienie, ale nie moz˙e stanowic´ »jedynego sposobu badania« prawa, gdyz˙ decyzja prawnicza uwzgle˛dniaja˛ca »wyz˙szy, legislacyjno-polityczny i etyczny punkt widzenia« ma przewage˛ nad »jednostronnym stanowiskiem techniki prawniczej«. (s. 614–626)

Verzeichnis der Quellen und Literatur

In den Fußnoten zum Text werden alle Werke mit dem Namen des Verfassers, dem im folgenden Verzeichnis angegebenen Kurztitel sowie dem Erscheinungsjahr und den betreffenden Seitenzahlen angeführt. Im Falle von photomechanischen Nachdrucken bzw. von sonstigen Wiederabdrucken, die den Ursprungstext inhaltlich vollkommen unverändert wiedergeben, ist nach den in den Fußnoten verwendeten Kurztiteln als Erscheinungsjahr jeweils das Erscheinungsjahr derjenigen Ausgabe angegeben, die dem Nach- bzw. Wiederabdruck zugrunde lag. Soweit aus mehreren Bänden eines Werkes zitiert wird, ist dem Kurztitel noch eine römische Ziffer für die Bandzahl angefügt. Im Falle der mehrfachen Auflage eines Werkes ist die Auflage durch eine hochgestellte arabische Ziffer vor der Angabe des Erscheinungsjahrs gekennzeichnet. Im Falle der Existenz von mehreren Auflagen eines Werks wird aus einer anderen als der ersten Auflage bei Verfassern des 19. Jahrhunderts in der Regel und bei Rudolf von Jhering ausschließlich nur dann zitiert, wenn und soweit in der jeweiligen späteren Auflage Änderungen am Text vorgenommen wurden. Unterschiedliche Veröffentlichungen desselben Autors sind im Nachweis der Quellen und Literatur jeweils nach ihrem Erscheinungsjahr chronologisch geordnet und im Falle mehrerer Veröffentlichungen in demselben Erscheinungsjahr mit den Buchstaben (a, b, …) hinter der Jahreszahl im Kurztitel gekennzeichnet. Bisher unveröffentlichte Nachlasssachen sind im Kurztitel mit dem Zusatz »Nachlass« und – soweit zuverlässig datierbar – mit der Jahreszahl ihrer Entstehung versehen. Alle Zitate aus den Quellen und der Literatur sind in der jeweils zeitgenössischen Schreibweise und Zeichensetzung wiedergegeben. Nur offensichtliche Schreibfehler wurden berichtigt.

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Verzeichnis der Quellen und Literatur

I.

Quellen

1.

Jherings veröffentlichte Schriften

Artikelfolge in der »Literarischen Zeitung (LZ)«, Berlin 1843 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 31–51] Die neuern Angriffe auf das römische Recht I. Der Rationalismus, in: LZ 1843, Nr. 58 (22. Juli 1843), Sp. 921–927 Die neuern Angriffe auf das römische Recht II. Der Purismus, in: LZ 1843, Nr. 95 (29. November 1843), Sp. 1517–1522 Artikelfolge in der »Literarischen Zeitung (LZ)«, Berlin 1844 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 152] Die Stellung der Jurisprudenz zu Gegenwart, in: LZ 1844, Nr. 7 (24. Januar 1844), Sp. 101–105 [zit.: Jurisprudenz (1844)] Die historische Schule der Juristen I., in: LZ 1844, Nr. 13 (14. Februar 1844), Sp. 197– 201 Die historische Schule der Juristen. II. Umfang ihrer Wirksamkeit, in: LZ 1844, Nr. 26 (30. März 1844), Sp.405–410 Die historische Schule der Juristen. III. Charakter ihrer Wirksamkeit, in: LZ 1844, Nr. 27 (3. April 1844), Sp. 421–425 Die historische Schule der Juristen. IV. Uebersicht der Leistungen, in: LZ 1844, Nr. 34 (27. April 1844), Sp. 533–536 Die historische Schule der Juristen. V. Die historische Ansicht und der Fortschritt, in: LZ 1844, Nr. 36 (4. Mai 1844), Sp. 565–569 [zit.: Hist. Schule (1844)] Abhandlungen aus dem römischen Recht, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1844, Aalen 1968 [zit.: Abhandlungen (1844)] Artikelfolge in der »Literarischen Zeitung«, Berlin 1845/46 [vgl. zur Verfasserschaft Jherings C.-E.Mecke, Jhering (2010), S. 51–107] Römische und moderne Jurisprudenz. I. Die Apotheose der römischen Jurisprudenz, in: LZ 1845, Nr. 75 (20. September 1845), Sp. 1189–1193 Römische und moderne Jurisprudenz. II. Thätigkeit der Modernen. Die Reproduktion des römischen Rechts, in: LZ 1845, Nr. 91 (15. November1845), Sp. 1441–1448 Römische und moderne Jurisprudenz. Die juristische Kunst. – Die Productivität, in: LZ 1846, Nr. 5 (17. Januar 1846), Sp. 73–80 Römische und moderne Jurisprudenz. Die Gunst und Ungunst der historischen Verhältnisse. – Die Jurisprudenz als Kunst und Wissenschaft, in: LZ 1846, Nr. 19 (7. März 1846), Sp. 297–304 Civilrechtsfälle ohne Entscheidungen. Zu akademischen Zwecken herausgegeben von Rudolf Jhering. Erstes Heft, enthaltend 100 Rechtsfälle vom Verfasser und 36 vom verstorbenen G.F.Puchta, Leipzig 1847 [zit.: Civilrechtsfälle (11847)] Rezension »Die formellen Verträge des neueren römischen Obligationenrechts in Vergleichung mit den Geschäftsformen des griechischen Rechts von Dr. R.Gneist […] Berlin 1845«, in: Allgemeine Literatur-Zeitung 1847, Band 2, Nr. 177, Sp. 257–261; Nr. 178, Sp. 265–272; Nr. 179, Sp. 279f. [zit.: Gneist-Rezension (1847)]

Quellen

675

Rezension »Ueber bedingte Traditionen, zugleich als Revision der Lehre von den Wirkungen der Bedingungen bei Verträgen im Allgemeinen. Eine civilistische Erörterung von Dr. Wilhelm Sell, Zürich 1839«, in: Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft XI (1847), Nr. 10, S. 865–909, wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Vermischte Schriften juristischen Inhalts, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1879, Aalen 1968, S. 47–102 [zit.: Sell-Rezension (1847)] Gekennzeichnete Zusätze von Jhering, in: Nikolaus Falck, Juristische Encyklopädie auch zum Gebrauche bei akademischen Vorlesungen. Nach des Verfassers Tode herausgegeben von R.Jhering, Fünfte, verbesserte Ausgabe, Leipzig 1851 [zit.: Falcks Encyklopädie (51851)] Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung Alle Zitate aus diesem Werk wurden jeweils d e r Auflage entnommen, in der sie e r s t m a l s erschienen sind. Die aus diesem Werk zitierten h a n d s c h r i f t l i c h e n Notizen Jherings sind jeweils seinem persönlichen Handexemplar der ersten Auflage entnommen. Jherings Urheberschaft für die handschriftlichen Randbemerkungen in seinen Handexemplaren wird durch die Handschrift selbst sowie zusätzlich auch dadurch verbürgt, dass sich etliche der handschriftlichen Randnotizen in späteren Auflagen des jeweiligen Bandes in gedruckter Form wiederfinden. In einem Brief äußerte Jhering selbst, daß er wegen der »Aufzeichnungen, welche die Stelle des Manuscripts für künftige Auflagen vertreten, und Bemerkungen, die ausschließlich für mich bestimmt sind und ein fremdes Auge nicht vertragen«, die »Handexemplare meiner Schriften […] nie aus den Händen« geben würde, »selbst hier am Ort nicht, geschweige nach außerhalb« (Brief vom 17. Dezember 1884 an Adolf Kohut, abgedruckt in: Kohut-Briefe/1892, S. 216). Die Handexemplare Jherings zur jeweils ersten Auflage werden in der Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen aufbewahrt. Jeder Einband trägt ein aufgeklebtes Etikett mit der Aufschrift »Geschenk der Erben des Prof. Rudolf v. Jhering, 1910«. Erster Theil, Leipzig 1852 [zit.: Geist I (11852)] Zweite, verbesserte Auflage, Leipzig 1866 [zit.: Geist I (21866)] Dritte, revidirte Auflage, Leipzig 1873 [zit.: Geist I (31873)] Vierte Auflage, Leipzig 1878 [zit.: Geist I (41878)] Fünfte Auflage, Leipzig 1891 [zit.: Geist I (51891)] Zweiter Theil. Erste Abtheilung, Leipzig 1854 [zit.: Geist II/1 (11854)] Zweite, verbesserte Auflage, Leipzig 1866 [zit.: Geist II/1 (21866)] Dritte, verbesserte Auflage, Leipzig 1874 [zit.: Geist II/1 (31874)] Fünfte unveränderte Auflage, posthum herausgegeben von V.Ehrenberg, Leipzig 1894 [zit.: Geist II/1 (51894)] Zweiter Theil. Zweite Abtheilung, Leipzig 1858 [zit.: Geist II/2 (11858)] Zweite, verbesserte Auflage, Leipzig 1869 [zit.: Geist II/2 (21869)] Dritte, verbesserte Auflage, Leipzig 1875 [zit.: Geist II/2 (31875)] Vierte verbesserte Auflage, Leipzig 1883 [zit.: Geist II/2 (41883)] Dritter Theil. Erste Abtheilung, Leipzig 1865 [zit.: Geist III/1 (11865)]

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Verzeichnis der Quellen und Literatur

Zweite, verbesserte Auflage, Leipzig 1871 [zit.: Geist III/1 (21871)] Vierte verbesserte Auflage, Leipzig 1888 [zit.: Geist III/1 (41888)] Unsere Aufgabe, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, hrsg. von C.F.von Gerber und R.Jhering, Nr. I in Heft 1 (April 1856), Erster Band (3 Hefte), Jena 1857, S. 1–52, in leicht überarbeiteter Form wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 1. Abhandlungen aus den vier ersten Bänden der Jahrbücher, Neudruck der Ausgabe Jena 1881, Aalen 1969, S. 1–46 [zit.: Unsere Aufgabe (1856), S. 1ff. (= Ges. Aufs. I, S. 1ff.) bzw. – soweit lediglich auf beim Wiederabdruck von 1881 neu eingefügte Textfragmente Bezug genommen wird – Unsere Aufgabe, in: Ges. Aufs. I (1881), S. 1ff.]. Uebertragung der Reivindicatio auf Nichteigenthümer (1857), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 1, Neudruck der Ausgabe Jena 1881, Aalen 1969, S. 46–121 [zit.: Reivindicatio (1857)] Mitwirkung für fremde Rechtsgeschäfte (1857), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 1, Neudruck der Ausgabe Jena 1881, Aalen 1969, S. 122–188 [zit.: Mitwirkung I (1857)] Mitwirkung für fremde Rechtsgeschäfte (1858), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 1, Neudruck der Ausgabe Jena 1881, Aalen 1969, S. 189–290 [zit.: Mitwirkung II (1858)] Beiträge zur Lehre von der Gefahr beim Kaufcontract (1859), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 1, Neudruck der Ausgabe Jena 1881, Aalen 1969, S. 291–326 [zit.: Kaufcontract I (1859)] Beiträge zur Lehre von der Gefahr beim Kaufcontract (1861), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 1, Neudruck der Ausgabe Jena 1881, Aalen 1969, S. 426–490 [zit.: Kaufcontract II (1861)] Culpa in contrahendo oder Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen (1861), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 1, Neudruck der Ausgabe Jena 1881, Aalen 1969, S. 327–425 [zit.: Culpa (1861)] Friedrich Karl von Savigny (Nachruf von 1861), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 2, Neudruck der Ausgabe Jena 1882, Aalen 1969, S. 1–21 [zit.: Savigny-Nachruf (1861)] Zur Lehre von den Beschränkungen des Grundeigenthümers im Interesse der Nachbarn (1862), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts.

Quellen

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Band 2, Neudruck der Ausgabe Jena 1882, Aalen 1969, S. 22–66 [zit.: Grundeigenthümer (1862)] Der Streit zwischen Basel-Land und Basel-Stadt über die Festungswerke der Stadt Basel. Ein Rechtsgutachten (1862), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Vermischte Schriften juristischen Inhalts, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1879, Aalen 1968, S. 103– 154 [zit.: Festungswerke (1862)] Bedeutung des römischen Rechts für die moderne Welt. Abdruck aus der unter der Presse befindlichen zweiten Auflage von des Verfassers »Geist des römischen Rechts«, Leipzig 1865 [zit.: Bedeutung (1865)] Bemerkungen zu obiger Entgegnung, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Herausgegeben von R.Jhering. Bd. 7 (1865), S. 376–394 [zit.: Bemerkungen (1865)] Der Lucca-Pistoja-Eisenbahnstreit. Ein Beitrag zu mehreren Fragen des Obligationenrechts, insbesondere der Theorie des dolus und der Lehre von der Stellvertretung (1867), wieder abgedruckt unter dem Titel »Der Lucca-Pistoja-Actienstreit. Ein Beitrag zu […]« in: Rudolf von Jhering, Vermischte Schriften juristischen Inhalts, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1879, Aalen 1968, S. 241–351 [zit.: Lucca-Pistoja-Eisenbahnstreit (1867)] Der Lucca-Pistoja-Actienstreit. Zweiter Beitrag, betreffend die Frage vom Abschluß der Verträge für, aber nicht auf Namen des Mandanten (1867), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Vermischte Schriften juristischen Inhalts, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1879, Aalen 1968, S. 352–361 [zit.: Lucca-Pistoja-Actienstreit (1867)] Das Schuldmoment im römischen Privatrecht. Eine Festschrift, Gießen 1867, mit einem Nachtrag von 1879 wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Vermischte Schriften juristischen Inhalts, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1879, Aalen 1968, S. 155–229 (Abdruck von 1867), S. 230–240 (Nachtrag von 1879) [zit.: Schuldmoment (1867)] Beiträge zur Lehre vom Besitz, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Herausgegeben von Rudolf von Jhering, Band 9 (1868), S. 1–196 [zit.: Beiträge (1868)] Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft? Jherings Wiener Antrittsvorlesung vom 16. Oktober 1868. Aus dem Nachlass herausgegeben und mit einer Einführung, Erläuterungen sowie einer wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung versehen von Okko Behrends, Göttingen 1998, S. 19–92 [zit.: Wiener Antrittsvorlesung (1868)] Über den Grund des Besitzschutzes. Eine Revision der Lehre vom Besitz, Neudruck der 2. Auflage Jena 1869, Aalen 1968 [zit.: Besitzschutz (1869)] Civilrechtsfälle ohne Entscheidungen. Zum akademischen Gebrauch bearbeitet und herausgegeben von Dr. Rudolf Jhering. Zweite wesentlich veränderte Auflage, Jena 1870 [zit.: Civilrechtsfälle (21870)] Der Kampf ums Recht (1872). Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, 1. Aufl. Freiburg (Breisgau)/Berlin 1992 (Haufe-Schriftenreihe zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung; Bd. 3), S. 1–131 [zit.: Kampf (1872)] Passive Wirkungen der Rechte. Ein Beitrag zur Theorie der Rechte (1871), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 2, Neudruck der Ausgabe Jena 1882, Aalen 1969, S. 178–351 [zit.: Passive Wirkungen (1871)]

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Verzeichnis der Quellen und Literatur

Die Reflexwirkungen oder die Rückwirkung rechtlicher Thatsachen auf dritte Personen (1871), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 2, Neudruck der Ausgabe Jena 1882, Aalen 1969, S. 79–177 [zit.: Reflexwirkungen (1871)] Kritisches und exegetisches Allerlei (1873), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 2, Neudruck der Ausgabe Jena 1882, Aalen 1969, S. 352–428 [zit.: Krit. u. exeg. Allerlei I (1873)] Kritisches und exegtisches Allerlei (Fortsetzung) (1877), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 2, Neudruck der Ausgabe Jena 1882, Aalen 1969, S. 429–452 [zit.: Krit. u. exeg. Allerlei II (1877)] Vortrag über den »Begriff des Rechts«, gehalten am 14. Oktober 1877 in Prag, protokollartige Vortragswiedergabe in: Tagesbote aus Böhmen (Prag) vom 16. Oktober 1877, 26. Jahrgang, Nr. 287, Bl. 2f. [zit.: Prager Vortrag (1877)] Der Zweck im Recht. Erster Band, Leipzig 1877 [zit.: Zweck I (11877)] Zweite umgearbeitete Auflage, Leipzig 1884 [zit.: Zweck I (21884)] Zweiter Band, Leipzig 1883 [zit.: Zweck II (11883)] Zweite umgearbeitete Auflage, Leipzig 1886 [zit.: Zweck II (21886)] Herausgegeben mit einem Vorwort und mit zwei bisher unveröffentlichten Ergänzungen aus dem Nachlass Jherings versehen von Christian Helfer, Reprografischer Nachdruck der 4. Auflage Leipzig 1905, Hildesheim/New York 1970 [zit.: Zweck II (41905)] Ist der ehemalige gutgläubige Besitzer einer fremden Sache verpflichtet, nach deren Untergang dem Eigenthümer derselben den gelösten Kaufpreis herauszugeben? (1878), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 3, Neudruck der Ausgabe Jena 1886, Aalen 1969, S. 1–86 [zit.: Bereicherungsklage (1878)] Vermischte Schriften juristischen Inhalts, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1879, Aalen 1968 [zit.: Verm.Schr. (1879)] Scherz und Ernst in der Jurisprudenz. Eine Weihnachtsgabe für das juristische Publikum (1884), unveränderter reprographischer Nachdruck der 13. Auflage 1924, Darmstadt 1988 [zit.: Scherz und Ernst (1884)] Ueber die Entstehung des Rechtsgefühles, revidierte und mit einigen textkritischen Anmerkungen und Verweisungen versehene Wiedergabe des Vortragsprotokolls vom 12. 03. 1884 in: O.Behrends (Hrsg.), Rudolf von Jhering, Ueber die Entstehung des Rechtsgefühles mit einer Vorbemerkung und einem anschliessenden Interpretationsund Einordnungsversuch von Okko Behrends, Napoli 1986 (Antiqua. Collana diretta da Luigi Labruna. 29), S. 7–54 [zit.: Rechtsgefühl (1884)] Rechtsgutachten vom 31. August 1884, in: O.Bähr/R.v.Jhering, Zwei Rechtsgutachten in Sachen der Gotthardbahn-Gesellschaft gegen die Unternehmung des grossen Tunnels (Favre), Luzern 1884, S. 3–21 [zit.: Gotthardbahn-Gutachten (1884)]

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Quellen

Rechtsschutz gegen injuriöse Rechtsverletzungen (1885), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 3, Neudruck der Ausgabe Jena 1886, Aalen 1969, S. 233–408 [zit.: Rechtsschutz (1885)] Ausnahmen bestätigen die Regel, in: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben, Berlin, den 4. Juli 1885, Nr. 27, Bd. XXVIII, S. 4–6 [zit.: Ausnahmen (1885)] Drei Stunden im Hause des Fürsten von Bismarck (1885), veröffentlicht in: Heinrich von Poschinger (Hrsg.), Bismarck und Jhering. Aufzeichnungen und Briefe, Berlin 1908, S. 9–41 [zit.: Bismarck (1885)] Die active Solidarobligation (1886), wieder abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Band 3, Neudruck der Ausgabe Jena 1886, Aalen 1969, S. 409– 464 [zit.: Solidarobligation (1886)] Rechtsgutachten für das Reichsjustizhauptamt vom 13. März 1887 zum Urheberrecht an Schriftwerken, abgedruckt in: M.G.Losano (Hrsg.), Un inedito di Rudolf von Jhering sulla tutela degli inediti. Appendice. I. Testo tedesco, erschienen in: Rivista di diritto industriale, Jg. 17, Mailand 1968, Nr. 1–2, S. 16–21 [zit.: Urheberrechts-Gutachten (1887)] Der Besitzwille. Zugleich eine Kritik der herrschenden juristischen Methode, Jena 1889 [zit.: Besitzwille (1889)] Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts. Einleitung. – Verfassung des römischen Hauses. Aus dem Nachlass herausgegeben, Leipzig 1894 [zit.: Entwickl.gesch.(1894)] Vorgeschichte der Indoeuropäer. Aus dem Nachlass herausgegeben, Leipzig 1894 [zit.: Vorgeschichte (1894)] Nachgelassene Aphorismen Rudolf von Jherings, mitgeteilt von Christian Helfer in: Archiv für Kulturgeschichte 48 (1966), S. 148–151 [zit.: Aphorismen] Zeugnisse, in: O.Behrends (Hrsg.), Rudolf von Jhering. Beiträge und Zeugnisse aus Anlaß der einhundersten Wiederkehr seines Todestages am 17. 9. 1992, Göttingen 1992, S. 61– 96 [zit.: O.Behrends, Zeugnisse]

2.

Unveröffentlichtes aus Jherings Nachlass und universitätsamtliche Unterlagen

Eine vorläufige Übersicht des in der Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staatsund Universitätsbibliothek Göttingen (SUB) aufbewahrten wissenschaftlichen Nachlasses von Jhering ist inzwischen online gestellt und abrufbar unter dem Link: http://hans.sub.uni-goettingen.de/nachlaesse/Jhering.pdf Hinter den Ziffern zur Blattangabe bezeichnet entsprechend der archivalischen Gepflogenheit der Buchstabe »r« = r.(ecto) jeweils die Vorderseite, der Buchstabe »v« = v.(verso) die Rückseite eines Blattes. (1) Aufzeichnungen Jherings, deren Deckblatt beschriftet sind mit der Aufschrift »Bemerkungen 6 Juni 1841«, aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der

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Verzeichnis der Quellen und Literatur

Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 14:13, Bl. 1r–18r [zit.: Bemerkungen/Nachlass (1841/42)] Die Datierung auf dem Deckblatt (6. Juni 1841) bezeichnet offenbar den Beginn der überwiegend zusammenhängenden, teilweise auch notizartigen Aufzeichnungen Jherings. Umfang, Art und Inhalt der Aufzeichnungen deuten darauf hin, dass sie noch in der Studentenzeit Jherings, also in den Jahren 1841/42 entstanden sind. Einen zusätzlichen Hinweis auf die frühen vierziger Jahre als mutmaßlichem Zeitraum für die Abfassung der Aufzeichnungen gibt auch ein loser Zettel zwischen den Aufzeichnungen, der möglicherweise den Rest eines Belegzettels für eine Buchentleihe Jherings in seiner Studentenzeit darstellt. Lesbar ist noch der Beginn eines Buchtitels »Joh. de Dicastello tract[…]« und die bis Michaelis (= 29.9.) 1842 aktuelle Berliner Adresse Jherings »Schumannsstr.« sowie das Kürzel »R« und daneben das Datum »29.2.42«. In der Schumannsstr. 5 wohnte Jhering nach den Unterlagen der Universität nur anderthalb Jahre, nämlich seit seiner Immatrikulation in Berlin zu Ostern 1841 bis Michaelis 1842. Danach ist Jhering in die Friedrichsstr. 182 umgezogen (vgl. »Amtliches Verzeichniß des Personals und der Studirenden auf der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Auf das Sommerhalbjahr von Ostern bis Michaelis 1841«, S. 14 sowie »Amtliches Verzeichniß des Personals und der Studirenden auf der Königl. Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin. Auf das Winterhalbjahr Michaelis 1842 bis Ostern 1843«, S. 15). Die 16 Blätter umfassenden Aufzeichnungen bestehen teilweise aus kurzen Lesenotizen Jherings (Bl. 10v, 17v), größtenteils aber aus ausformulierten Gedanken zu Grundsatzfragen des Rechts wie etwa zur Bedeutung der Nationalität für die Rechtsentstehung (Bl. 8r/v), über den Geltungsgrund des Rechts bzw. das Verhältnis von »Gesetz« und »Recht« (Bl. 9v–10v) oder zur Bedeutung und Funktion von Staat und Strafrecht (Bl. 5r ff.). Besonders die gegliederten Aufzeichnungen zu Beginn der Handschrift über die Bestimmung des Gesetzesgrundes, die ratio legis nach dem Willen des Gesetzgebers in Anknüpfung an A. F.J.Thibaut, Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Bd. 1 (21817), S. 170 (Bl. 2r/v, 3v–4v) sowie über die Geschichtlichkeit der Rechtsbegriffe (Bl. 2v–3r) machen den Eindruck einer sorgfältigen Ausarbeitung. Einen kurzen Themenüberblick hat bereits B.Klemann, Jhering (1989), S. 67 gegeben. Entgegen Klemann lautet allerdings auf Bl. 11r bzw. – nach der Seitenzählung von Klemann, der nicht die von der archivalischen Bestandsaufnahme herrührende Paginierung der Blätter zugrunde legt – auf »S. 19–20« der Aufzeichnungen die von Jhering verfasste Überschrift nicht »Das Prinzip des Subjektivismus und objektive Vernunft«, sondern ganz unphilosophisch schlicht »Das Prinzip des subjectiven und object.[iven] Unrechts (:Zurechnung, Zufall)«. (2.a) Exzerpte Jherings aus zeitgenössischen Schriften zur Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 8:7 Heft 2 [zit.: Exzerpte (Nachlass)] (2.b) Aphorismen, literarische Versuche und sonstige Notizen (»Bemerkungen«, »Eigene Gedanken« etc. ), aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 8:7 Heft 3 [zit.: Einfälle und Notizen (Nachlass)]

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(3.) Rechtsphilosophische und rechtstheoretische Notizen, aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, nach der dort befindlichen »Vorläufigen Bestandsaufnahme des Nachlasses Rudolf von Jhering« verzeichnet als »Hefte ohne Umschlag, einzelne Seiten – ca. 80 Seiten – 1840–42(?) – ›Allgemeine Ideen‹ – Rechtsphilosophische Notizen«, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 2:1, Bl. 1r–161r [zit.: Rechtsphilos. Notizen (Nachlass)] Es handelt sich bei diesen aus losen Blättern bestehenden Unterlagen ganz überwiegend um offensichtlich sehr frühe und nur teilweise zusammenhängende Ausführungen und Notizen Jherings. In der Nachlass-Mappe finden sich rechtsphilosophische Bemerkungen Jherings zur »Entfalt[un]g des R[echts] in der G[eschichte« (Bl. 1r), ein Exzerpt aus Hegels Geschichtsphilosophie (Bl. 2r) sowie geschichtsphilosophische Notizen und Skizzen (Bl. 5ff.) und rechtsphilosophische Notizen zum Strafrecht [»Allgemeiner Theil« (Bl. 9f., 18r)]. Daneben befinden sich in der Mappe auch zusammenhängende Ausführungen zu grundlegenden Begriffen des Vermögensrechts (Bl. 18v, 22r–41v), kurze Notizen zur »Naturlehre u[nd] Politik des Privatrechts« (Bl. 42ff.) und zur »Naturlehre der Verträge« (Bl. 52v), Überlegungen zum Verhältnis von Theorie und Rechtspraxis (Bl. 4r) und zum Verhältnis von Gesetz und Vertrag als Geltungsgrund für Rechte und Pflichten (Bl. 54r/v) sowie Notizen zur »Publizität der Rechtshandlungen« im »älteren Röm[ischen] R.[echt]« (Bl. 52r) und zur Systematik des römischen Privatrechts (Bl. 15ff.). Ein auf Bl. 11r und 12r befindlicher teilweise bereits von M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 157 Fn. 58 mitgeteilter Gliederungsentwurf ist nach Kunze anzusehen als Gliederung zu dem wahrscheinlich nicht erhaltenen »Ersten Buch« (§§ 1–28) von Jherings Enzyklopädie [vgl. dazu unten Position (8.) mit Anmerkungen zur »Juristschen Enzyklopädie« in Kasten 11:2 (2) des Jhering-Nachlasses]. Tatsächlich würde der Gliederungsentwurf zu Jherings Konzeption im »Ersten« Buch seiner »Encycl.[opädie]« passen, in dem er sich »[mi]t dem R.[echt] überhaupt, nicht dem ein[e]s b[e]stimmt[en] Volk[e]s« beschäftigen wollte [Jhering, Univers.rechtsgesch. (Nachlass), § 29, Bl. 54r]. Dafür wie auch für den Entstehungszeitraum der in der Mappe gesammelten Unterlagen gibt es zwar keine ausdrücklichen Hinweise. Aber erstens deuten die für Jherings frühe Jahre typische Handschrift sowie bestimmte Eigentümlichkeiten einer abkürzenden Schreibweise auf einen sehr frühen Entstehungszeitpunkt hin. So ersetzte der junge Jhering auch in anderen aus den vierziger Jahren stammenden handschriftlichen Manuskriptnotizen die Präposition »durch« regelmäßig durch ein eigentümliches Kürzel und die Präposition »auf« häufig durch den Endbuchstaben »f«. Zweitens finden sich auch deutliche inhaltliche Hinweise im Text, die auf den frühen Entstehungszeitraum hindeuten. Vor allem die genannten rechts- und geschichtsphilosophischen Notizen etwa über den »Orient« (vgl. nur Bl. 6v) als auch das Exzerpt aus Hegels Geschichtsphilosophie stehen offensichtlich im Zusammenhang mit Jherings in den vierziger Jahren verfassten »Universalrechtsgeschichte« [vgl. unten Position 8 zu Kasten 11:2(2) des Jhering-Nachlasses]. Auch eine nicht vor 1841 entstandene Notiz auf Bl. 48v des Handschriftenkonvoluts verrät ihren mutmaßlichen Entstehungszeitpunkt in den vierziger Jahren durch ihren Inhalt. Denn dort fehlt in Jherings noch etwas unbeholfen wirkender Beschreibung der in der historischen Entwicklung stattfindenden »Ausbild[un]g ein[e]s bestimmten Begriffs u[nd] [sc. dessen] Übertrag[un]g [au]f andere Ver[hältnisse]« noch jeder Hinweis auf Jherings Lehre vom »historischen Durch-

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bruchspunkt« des Rechts, auf den Jhering im Zusammenhang mit der historischen Genese von Rechtsbegriffen seit den fünfziger Jahren regelmäßig Bezug nahm. Im Zusammenhang mit der Datierungsfrage hat bereits B.Klemann, Jhering (1989), S. 69 Fn. 83 auf einen in dieser Nachlassmappe befindlichen Zettel hingewiesen, auf dem sich Jherings bis Michaelis (= 29.9.) 1842 aktuelle Berliner Adresse findet. Der Zettel ist in derselben Anordnung wie ein Zettel, der sich in dem Handschriftenkonvolut »Bemerkungen (1841/42)« findet [vgl. dazu oben (1.)], wie folgt beschrieben: »Zöpfl, Deutsche Staats- u Rechtsgeschichte«, links unten findet sich das Namenskürzel »R«, daneben das Datum »7.7.42« und rechts daneben Jherings ältere Berliner Adresse »R Jhering, stud ju[r], Schumannsstr. 5«. Offensichtlich handelt es sich hier wie bei dem in »Bemerkungen (1841/42)« befindlichen Zettel um einen von einer Buchentleihe herrührenden Belegzettel Jherings aus seiner Studentenzeit. Den losen Zettel hat Jhering später auf der Rückseite für Notizen verwendet. Diese beschriebene Rückseite wurde bei der archivalischen Sichtung von Kasten 2:1 in der Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen als Bl. 50r (Vorderseite) paginiert. Missverständlich ist es daher, wenn nach B.Klemann, aaO Jhering in den in Kasten 2:1 aufbewahrten losen Unterlagen »auf S. 50 notierte«. Auch Klemanns Schlussfolgerung, dass durch die Datierung des mutmaßlichen Belegzettels auf den 7. Juli 1842 eine definitive zeitliche Eingrenzung des Entstehungszeitraums dieses und a l l e r übrigen in Kasten 2:1 befindlichen Unterlagen auf spätestens 1842 möglich sei (aaO, S. 67–69), ist zu weitgehend. In der Mappe finden sich auch einzelne Notizen, die nachweislich aus einer viel späteren Zeit stammen. Dies gilt beispielsweise für Jherings kritische Bemerkungen über die zeitgenössische Justiz (»In unserer Justiz heißt es nicht vae victis, s[on]d[ern] vae justis. […]«)** auf Bl. 4r. Jhering nahm auf diesem Blatt unter anderem Bezug auf »Seuffert 18. 138«, also den erst 1865 erschienenen Band 18 (Entscheidung Nr. 138) des 1847 von Johann Adam Seuffert begründeten »Archivs für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten«. In der vorliegenden Arbeit wird allerdings nur aus solchen Blättern zitiert, die mit sehr großer Wahrscheinlichkeit aus den vierziger Jahren, vermutlich sogar aus der ersten Hälfte der vierziger Jahre stammen. (4.) In lateinischer Sprache abgefasster handgeschriebener Lebenslauf Jherings (Vita), eingereicht im Rahmen seines Habilitationsverfahrens im Frühjahr 1843, aufbewahrt im Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Acta der Königlichen FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin betreffend: Habilitationen und Nostrificationen der Privatdocenten von 1839 bis 1856, Juristische Fakultät, Akte 140, Bl. 71 [zit.: Vita (1843)] (5.) Original der von Jhering 1843 eingereichten Habilitationsschrift zum Thema »In wieweit muß der, welcher eine Sache herauszugeben hat, den mit ihr gemachten Gewinn restituiren?«, aufbewahrt im Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Acta der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin betrefffend: Habilitationen und Nostrificationen der Privatdocenten von 1839 bis 1856, Juristische Fakultät, Akte 140, Bl. 100 (S. 1–104) [zit.: Habilitation (1843)] In teilweise überarbeiteter Form hat Jhering diese Schrift im Jahre 1844 zusammen mit zwei weiteren Abhandlungen unter dem Titel »Abhandlungen aus dem römischen Recht« veröffentlicht [vgl. Jhering, Abhandlungen (1844), S. 3–86]. Aus der im Archiv

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der Humboldt-Universität zu Berlin aufbewahrten Habilitationshandschrift wird daher nur insoweit zitiert, als sie von der 1844 in den »Abhandlungen« veröffentlichten Fassung abweicht. (6.) »Abrechnung der Universitäts-Quästur mit dem Herrn Dr. Jhering« zur Vorlesung über »Prinzipien des älteren römischen Rechts« in Berlin im Sommersemester 1843, aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staatsund Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 7:3, Bl. 1r–2r [zit.: Abrechnung/Nachlass (1843)] (7.) Hörerlisten von Jherings Vorlesungen in Berlin ab dem Sommersemester 1843, aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 9:2, nicht paginiert [zit.: Hörerlisten (Nachlass)] (8.) Juristische Enzyklopädie (§§ 2, 29ff.). Zweites Buch. Universalrechtsgeschichte (ungeordnetes Fragment, bestehend aus 161 gefalteten Quartblättern); aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 11:2 (2) [zit.: Univers.rechtsgesch. (Nachlass)] Diese Nachlass-Mappe enthält ein besonders bemerkenswertes Zeugnis aus Jherings Frühzeit. Die Handschrift zeichnet sich erstens durch den Umfang der größtenteils zusammenhängenden, wenn auch ungeordneten und lückenhaften Ausführungen aus, zweitens durch die Thematik der Ausführungen und drittens nicht zuletzt auch durch den Entstehungszeitraum. In Jherings Nachlass entdeckt und in einer ersten Beschreibung und Einordnung der wissenschaftlichen Diskussion zugänglich gemacht wurde diese Handschrift durch Michael Kunze in einem im Jahre 1991 erschienenen Beitrag [M.Kunze, Jherings Universalrechtsgeschichte. Zu einer unveröffentlichten Handschrift des Privatdozenten Dr. Rudolf Jhering, in: H.Mohnhaupt (Hrsg.), Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988–1990), Frankfurt a.M. 1991, S. 151–186; Ders., Forschungsbericht (1995), S. 132–134]. Kunze hat eine Veröffentlichung im Zusammenhang mit der von ihm geplanten Jhering-Biographie vorgesehen. Im Hinblick auf eine genauere Beschreibung der Handschrift kann hier auf den erstgenannten Beitrag von Kunze (aaO, S. 153ff.) verwiesen werden. Von der Thematik her bemerkenswert ist die Handschrift schon deswegen, weil Jhering damit nachweislich in seinen frühen Jahren eine detaillierte »Juristische Enzyklopädie« ausgearbeitet hat. Noch in einer 1997 erschienenen Untersuchung hatte Annette Brockmöller in ihrer Darstellung der »enzyklopädischen Bewegung im 19. Jahrhundert« festgestellt, Jhering habe »die juristische Enzyklopädie als […] wissenschaftliche Darstellungsform abgelehnt« und daher wie Savigny auch keine verfasst [A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997), S. 154, 182]. Eine derart prinzipielle Ablehnung der juristischen Enzyklopädie durch Jhering lässt sich aber nicht nachweisen, zumal Jhering im Jahre 1851 in leicht überarbeiteter Ausgabe die »Juristische Encyclopädie« seines verstorbenen Kieler Universitätskollegen Nikolaus Falck herausgegeben und im Übrigen in seinen eigenen Vorlesungen, wie diverse Vorlesungsunterlagen (vgl. etwa die hier im Quellennachweis unter Position 15 angeführten Unterlagen aus der Zeit nach 1867) belegen, jahrzehntelang »Juristische Enzyklopädie« gelesen hat. Angesichts der »vielen zwischen 1843 und 1857 erschienenen ›Enzyklopä-

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dien‹« [J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979), S. 5, 79] hat Jhering allerdings diejenigen juristischen Enzyklopädien kritisiert, die von einer mangelnden wissenschaftlichen Eigenständigkeit des Verfassers zeugten. So bemerkte er etwa in einem Brief vom 18. Dezember 1853, dass dazu, »eine gute Encyclopädie zu schreiben […] etwas mehr [gehört], als Excerpiren […]« [Losano-Briefe I /1984, Nr. 29, S. 92 sowie EhrenbergBriefe/1913, Nr. 10 (Jherings Brief vom 29. Januar 1853), S. 27 zur »Enzyklopädie von Wenk«]. Innerhalb der Enzyklopädie hat Jhering eine detaillierte und nicht auf das römische Recht beschränkte »Universalrechtsgeschichte des Rechts« ausgearbeitet und allein dadurch bereits in den vierziger Jahren Eigenständigkeit gegenüber dem Schulgründer der Historischen Rechtsschule, Friedrich Carl von Savigny, dokumentiert. Jhering hat die mit einem einleitenden § 29 beginnende »Universalrechtsgeschichte« als »Zweites Buch« bezeichnet (Bl. 54v). In der Einleitung schreibt er : »Freilich ist ein solcher Versuch sehr schwer bei dem jetzigen Stande unserer Literatur. Eine literar.[ische] Behandl[un]g d[ie]ses Stoffes existirt bisher nicht. Für einen Haupttheil des Privatrechts, das Erbrecht[,] hat Gans den Versuch gemacht. […] Dies Werk ist aber nicht vollendet« (Bl. 54v). »Wir haben bisher [sc. im ersten Buch] den Versuch gemacht, aus dem reichen Material, das uns die Geschichte des Rechts bei allen cultivirten Völke[r]n darbietet, gewisse allgemeine Gesichtspunkte zu abstrahiren […]. Diese comparative Betrachtung wollen wir dann hiermit b[e]schließ[en] […] diese Seite des Betrachtung ist bisher noch wenig ausgebildet. Dasselbe ist auch der Fall mit der zweiten Betrachtungsweise –, der universalhistorischen […]. Dafür ist außerordentl.[ich] wenig geschehen. Die Juristen haben sich nicht darum bekümmert, sie beschränkten sich meist auf d[a]s römische u[nd] deutsche R.[echt]. Auch ich beabsichtigte anfängl.[ich] der Sitte zu folge[n] u[nd] mich in der Encycl.[opädie] bloß auf d[a]s in D.[eutschland] geltende Recht zu beschränken, allein auf den Rath eines hiesige[n] Lehrers will ich den Versuch einer universalhistor.[ischen] Darstellung des Rechts machen.« Darin unterscheide sich das zweite Buch von dem – bisher leider nicht auffindbaren – »ersten, worin wir uns [mi]t dem R.[echt] überhaupt, nicht dem ein[e]s b[e]stimmt[en] Volk[e]s beschäftigt ha[be]n« (Bl. 54r). M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 155f. hat nachgewiesen, daß die vorliegenden Aufzeichnungen höchstwahrscheinlich in Jherings vorlesungsfreiem Wintersemester 1843/44 entstanden, in toto aber spätestens vor dem Jahre 1851 abgeschlossen gewesen sein müssen. Sehr wahrscheinlich besteht ein zeitlicher Zusammenhang mit Jherings erstmals im Wintersemester 1844/45 gehaltenen Vorlesung zur »Encyclopädie und Methodologie des Rechts« [M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 155f.; Ders., Forschungsbericht (1995), S. 132 sowie B.Klemann, Jhering (1989), S. 81]. Denn offensichtlich haben die Niederschrift oder zumindest Teile von ihr Jhering als Vorlesungsvorlage gedient. Für einzelne Teile – etwa die Abschnitte zur »Wissenschaft« (§ 50) und zum »deutschen Privatrecht« (§ 58) – lässt sich das belegen, da Jhering dort zuweilen die direkte Anrede »Sie« (Bl. 53v, Bl. 140r/140v) verwendet hat. Auch deuten die in Teilen der Handschrift zahlreich vorhandenen und offensichtlich erst nach der Niederschrift vorgenommenen Unterstreichungen von Signalwörtern sowie Literaturhinweise am Beginn mancher Abschnitte (z. B. § 33, Bl. 79r ; § 34, Bl. 89r) auf diesen Verwendungszweck hin. Dennoch bleibt die Frage, ob sich der Bestimmungszweck darin erschöpfte. Zu Recht hat schon M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991), S. 154 darauf hingewiesen, daß einige der vollständig ausformulierten, teilweise über-

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arbeiteten und mit Zusätzen versehenen Teile des Manuskripts überhaupt nicht wie eine bloße Vorlesungsunterlage, sondern wie das Manuskript eines zur Veröffentlichung bestimmten Buches wirken. Möglicherweise hat Jhering dieses Projekt erst im Laufe der vierziger Jahre fallen lassen zugunsten seines zweiten Projektes, der ursprünglich schon für 1847/48 geplanten Herausgabe seines Werks über den »Geist des römischen Rechts«, an dem er seit 1842 arbeitete. Eine Rekonstruktion der Gliederung der »Universalrechtsgeschichte« ergibt, daß Jhering sie in drei und nicht – wie Kunze, aaO, S. 153f. meint – in vier Hauptteile (»Abschnitte«) unterteilte (vgl. Bl. 42r): Zweites Buch(.) Universalrechtsgeschichte Einleitung (§ 29) Erster Abschnitt: Orientalische Rechte (§§ 30ff.) Zweiter Abschnitt: Das Recht des klassischen Alterthums (§§ 36ff.) Dritter Abschnitt: Recht der neueren christl.[ichen] Völker (§§ 42ff.) Erste Unterabtheilung: Das Gemeinsame in der modernen Rechtsbildung A. Die gemeinsamen Faktoren derselben Römisches Recht – Christenthum (§§ 46–49) – Wissenschaft (§ 50) B. Die materielle Gemeinsamkeit der neueren Rechte (§§ 51–54) Völkerrecht (§ 51) – Kirchenrecht (§ 52) – Handelsrecht (§ 53) – Lehensrecht (§ 54) Zweite Unterabtheilung: Das Recht der einzelnen Völker (§§ 55ff.) (9.) Manuskript und Gliederungsentwurf »Allgemeine Theorie der Rechte. I. Begriff u.[nd] Wesen des Rechts. A. Das Recht eine Eigenschaft der Person«, »1. Die Structur des Rechtsbegriffs«; aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 17:3, Bl. 220–224 [zit.: Theorie der Rechte (Nachlass)] Der in diesem Manuskript enthaltenen Fassung der »Theorie der Rechte« liegt noch die ältere von Jhering vor 1865 vertretene Auffassung zugrunde, dass »der Rechtsbegriff […] mit dem Machtbegriff« zusammenfalle (Bl. 223v). Jhering verwies insoweit auch ausdrücklich auf seine bereits in »B. 2 [= Geist II/1 (11854)] S. 303–305« veröffentlichten Ausführungen (Bl. 223v). Wahrscheinlich sind die handschriftlichen Ausarbeitungen über die »Allgemeine Theorie der Rechte« Anfang der sechziger Jahre, nachdem sich bereits die in »B. 2 [= Geist II/1 (11854)] S. 8 angekündigte Theorie des Willens […] zu einer Theorie der Rechte erweitert hatte« [Jhering, Geist III/1 (11865), S. V], noch auf der Grundlage der ursprünglich für Geist III/1 geplanten Konzeption entstanden, also bevor Jhering Ende 1863 die »ganze Anordnung, die ich mir seit Jahren gemacht, über den Haufen gestoßen« hat, »weil im letzten Jahr so viel Neues hinzugekommen war, daß es in dem bisherigen Fachwerk kein Unterkommen mehr finden konnte« [Losano-Briefe I /1984, Nr. 220 (Jherings Brief vom 30. Dezember 1863), S. 553; vgl. auch Jhering, Geist III/1 (11865), S. V]. (10.) Gedruckte »Thesen zu dem für die dritte Jahressitzung des juristischen Vereins am 7. August 1865 angekündigten Vortrag des Geh. Justizraths Dr. Jhering über das Verhältniß des Rechts und Interesses«, aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der

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Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 16:8 [zit.: Thesen/Nachlass (1865)] (11.) Entwurf zu »Briefe des Unbekannten über die heutige deutsche Jurisprudenz. Neue Folge. Erster Brief«, aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 7:1a [zit.: Briefe des Unbekannten (Nachlass)] Jhering selbst berichtet in »Plaudereien eines Romanisten« (1880), wieder abgedruckt in: Jhering, Scherz und Ernst (1884), S. 119ff., dass er, »kurz bevor ich Wien verließ«, um im Sommer 1872 an die Universität Göttingen zu wechseln, angeregt durch Mitglieder der Wiener »Juristischen Gesellschaft«, vor der er auch Anfang desselben Jahres den weltberühmt gewordenen Vortrag über den »Kampf ums Recht« gehalten hatte, es »auf eine Fortsetzung meiner Briefe eines Unbekannten abgesehen« hatte. Erscheinen sollte die Fortsetzung in den Wiener »Juristischen Blättern« (aaO, S. 121 mit Fn. 2 sowie auch S. Vf.). Dazu ist es bekanntlich nicht gekommen. Die erstmals zwischen 1861–66 in der »Preußischen Gerichts-Zeitung«, seit 1. Juli 1861 »Deutschen Gerichts-Zeitung«, anonym erschienenen sechs »Vertraulichen Briefe über die heutige Jurisprudenz. Von einem Unbekannten« fanden keine direkte Fortsetzung mehr. An ihrer Stelle erschienen erst fast zehn Jahre später die »Plaudereien eines Romanisten«, die Jhering 1884 in seiner bekannten Schrift »Scherz und Ernst in der Jurisprudenz« im Anschluss an die sechs »Vertraulichen Briefe« aus der »Preußischen Gerichtszeitung« wieder abdrucken ließ. Die Tatsache, dass Jhering gleichwohl Anfang der siebziger Jahre ernsthaft an einer Fortsetzung der »Vertraulichen Briefe […]. Von einem Unbekannten« gearbeitet hat, belegt das in seinem Nachlass überlieferte Manuskript. Der Entwurf des »Ersten Briefes« der »Neuen Folge« lässt sich eindeutig auf die Zeit nach 1869 datieren, da Jhering im Entwurf auf den »Krieg […] von 1870« Bezug nahm. Mit Blick auf die angeführten eigenen Schilderungen Jherings in den »Plaudereien eines Romanisten« ist der Entwurf entweder am Ende von Jherings Wiener Zeit oder zu Beginn seiner Göttinger Zeit entstanden. (12.) Manuskripte zum ersten Band »Der Zweck im Recht«, aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 16:8 a) Einleitungsentwurf »Das Problem«, Bl. 5–11 [zit.: Einleitungsentwurf (Nachlass)] In der »Vorläufigen Bestandsaufnahme Rudolph von Jhering« in der Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen wird das ausformulierte, aber mit vielen Streichungen und Einschüben versehene Manuskript als »Entwurf eines Einleitungskapitels […] (vermutlich sehr früh)« geführt. Genau genommen handelt es sich sogar um zwei Entwürfe, einen ersten kurzen und einen zweiten längeren, jeweils betitelt mit der Überschrift »I. Das Problem«, die beide nicht zu Ende geführt sind. C.Helfer, Jhering (1968), S. 557, 570 Fn. 89, der einige Sätze aus dem längeren der beiden Entwürfe publiziert hat, bezeichnet das Manuskript als einen Entwurf zur Vorrede des 1877 erschienenen ersten Bandes »Der Zweck im Recht«. Die jeweilige Überschrift »I. Das Problem« (Bl. 3, 5) ist zwar bei einer Vorrede unüblich. Auch weichen beide Manuskriptentwürfe erheblich vom Aufbau der 1877 tatsächlich publizierten »Vorrede zur ersten Auflage«

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in Zweck I (11877) ab. Inhaltlich entsprechen sich aber der zweite längere Manuskriptentwurf und die Vorrede in Zweck I (11877), S. Vff. weitgehend, was dafür spricht, dass es sich hier in der Tat um einen Vorentwurf zur Vorrede für Zweck I (11877) handelt. So heißt es zu Beginn des zweiten Manuskriptentwurfs: »Die Aufgabe der gegenwärtigen Schrift besteht in dem Nachweis des Satzes, daß der Zweck die einzige Triebkraft […] des ganzen Rechts ist« (Bl. 5). Vgl. dazu Jhering, Zweck I (11877), S. VI: »Der Grundgedanke des gegenwärtigen Werkes besteht darin, dass der Zweck der Schöpfer des gesammten Rechts ist […].« Nach dem Manuskriptentwurf (Bl. 6) war die Erkenntnis »der Bedeutung des Zweckmomentes für den Begriff u[nd] die Gestaltung des Rechts im subjektiven Sinn« der Ausgangspunkt, »diese Untersuchungen trieben mich mit jenem unwiderstehlichen Zwange, den die Logik der Sache ausübt, immer weiter : vom subjectiven zum objectiven Recht u[nd] innerhalb des letzteren von einem Punkt zum andern, bis ich mich schließlich einem Endergebniß gegenüber befand, das ich ursprünglich mir kaum getraute zu gestehen […], dem Satz nämlich, daß der Zweckgedanke die alleinige Triebfeder, die allerzeugende schöpferische Kraft des Recht ist«. Vgl. dazu Jhering, Zweck I (11877), S. V: »Der Begriff des Interesses nöthigte mich, den Zweck ins Auge zu fassen, und das Recht im subjectiven Sinn drängte mich zu dem im objectiven Sinn, und so gestaltete sich das ursprüngliche Untersuchungsobject zu einem ungleich erweiterten, zu dem des gegenwärtigen Buches: der Zweck im Recht.« Weiter bezeichnen nach dem Manuskriptentwurf »die menschlichen Zwecke […] die Sprossen auf der Leiter des Rechts« (Bl. 7), aus denen sich das Recht in »vielen Jahrtausenden« (Bl. 6) »zur Höhe emporgearbeitet« hat. Es waren allein die Zwecke, die den Menschen »zum unausgesetzten Fortschreiten gezwungen haben – ein Zweck hat den andern nach sich gezogen, der vorhergehende hat dem nachfolgenden Quartier gemacht, ein Bedürfnis das andere gezeugt« (Bl. 7). Vgl. dazu Jhering, Zweck I (11877), S. XIIf.: »Das Recht kennt eben so wenig Sprünge wie die Natur, erst muss das Vorgehende da sein, bevor das Höhere nachfolgen kann.« Es mögen »tausende von Jahren vergehen«, wenn »es aber einmal da ist, so ist das Höhere unvermeidlich – jeder vorhergehende Zweck erzeugt den folgenden.« Nach dem Manuskriptentwurf ist dem Menschen daher nicht das »Rechtsgefühl […] mit auf die Welt gegeben worden, sondern er hat jeden einzelnen Rechtssatz erst suchen, finden u[nd] praktisch erproben müssen. […] Die herrschende Auffassung dreht das Verhältniß vollständig um«, wenn sie »das Recht aus dem Rechtsgefühl, anstatt umgekehrt das Rechtsgefühl aus dem Recht hervorgehen läßt« (Bl. 8). Aber es »ist hier noch nicht der Ort, diese Auffassung genauer zu begründen, es gilt mir hier nur, in groben Umrissen die Aufgabe zu skizziren, welche die Schrift sich gesetzt hat. […] Der Zweck ist der alleinige Schöpfer des ganzen Rechts. Von diesem Satz, in den ich den Inhalt der ganzen Schrift zusammendränge, habe ich […] die Negation […] der gangbaren Ansicht […] hervorgehoben: es gibt keine andere Rechtsquelle neben jener einen […]« (Bl. 9) Vgl. dazu Jhering, Zweck I (11877), S. XIII: »Nicht das Rechtsgefühl hat das Recht erzeugt, sondern das Recht das Rechtsgefühl – das Recht kennt nur eine Quelle: den Zweck. Doch ich breche ab, um nicht Ausführungen, die dem zweiten Theil meiner Schrift vorbehalten bleiben müssen, vorweg zu nehmen.« Auch wenn Jhering im Manuskriptentwurf an einer Stelle den Prozess der rechtlichen Evolution bereits mit dem Kind vergleicht, das »von der Mutter erzogen, […] selbständig

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geworden, […] die Mutter mittelst ihrer eigenen Lehren zu berichtigen beginnt« (Bl. 8), ein Vergleich, den Jhering noch nicht in Zweck I (11877), wohl aber – angefangen mit der Vorrede zu Zweck II (11883), S. Xf. – in diversen Schriften aus den 1880er Jahren verwendet hat, so spricht nach dem Vorhergehenden doch sehr viel dafür, dass es sich bei dem vorliegenden handschriftlichen Manuskript wenn nicht um Entwürfe für eine Vorrede, so doch zumindest um Entwürfe für ein ursprünglich geplantes Einleitungskapitel zum ersten Band von Jherings Werk »Der Zweck im Recht« handelt, vergleichbar dem späteren – in Schmollers Jahrbuch (1882), S. 2–21 auch bereits als leicht gekürzter Vorabdruck erschienenen – Einleitungsabschnitt in Zweck II (11883), S. 96ff., 108ff. zum »Plan und Gang der folgenden Untersuchungen« über das »Sittliche als Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung«. b) Manuskriptfragment zur Frage des Sozialismus, Bl. 12ff. [zit.: Socialismus-Manuskriptfragment (Nachlass)] Nicht mehr zu der unter a) angeführten Einleitung gehören die Manuskriptseiten, die in der Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen mit durchlaufender archivalischer Paginierung an die Einleitung (Bl. 5–11) anschließen. Von Jhering stammt die Paginierung »207ff.«, es handelt sich also um Teile aus einem größeren Konvolut und zwar vermutlich aus dem ersten Band »Der Zweck im Recht«. Darauf deuten die Entsprechungen zwischen den Bl. 12ff. im handschriftlichen Manuskript über die »brennende [sc. Frage] des Tages: die socialistische« (Bl. 12) und Jherings Ausführungen in Zweck I (11877), S. 518ff. hin. Die Tatsache, daß Jhering erst in der zweiten Auflage von Zweck I im Zusammenhang mit dem »Gedanke[n] des g e s e l l s c h a f t l i c h e n Charakters der Privatrechte« auch ausdrücklich auf die »socialistischen und communistischen Ideen« Bezug nahm [Jhering, Zweck I (21884), S. 532f.], könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich bei dem Manuskriptfragment um Ausführungen handelt, die ursprünglich in die zweite Auflage von Zweck I hatten Eingang finden sollen. Zumindest was die sachliche Quintessenz der Ausführungen im Manuskript angeht, nach denen man das Eigentum weder »mit den Communisten über Bord werfen« noch »in der Schroffheit, in der es heutzutage noch besteht, aufrechterhalten« sollte (Bl. 13), haben sie in die zweite Auflage von Zweck I auch tatsächlich Eingang gefunden [vgl. Jhering, Zweck I (21884), S. 533]. (13.) Manuskriptfragment zur Funktion des Richters, aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 16:2 [zit.: Manuskriptfragment zur Funktion des Richters (Nachlass)] In dem wenige Seiten umfassenden Manuskriptfragment (S. 89–93) verweist Jhering auf »meine Schrift über den Grund des Besitzschutzes Aufl. 2« aus dem Jahre 1869 und auf sein erstes Hauptwerk über den »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung«, wobei sich der Verweis auf Band II/2 des vorstehenden Werkes frühestens auf die 1875 erschienene dritte Auflage von Geist II/2 beziehen kann. Das ergibt sich einerseits aus den im Manuskriptverweis angegebenen Seitenzahlen (S. 327, 328) und andererseits aus der inhaltlichen Bezugnahme auf den Gesichtspunkt der »Praktikabilität« des Rechts (vgl. die Wiedergabe dieser Passage in Teil 2, S. 587f. Fn. 3013). Die Handschrift kann daher also nicht vor 1875 angefertigt sein. Inhaltlich

Quellen

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handelt das Fragment von der Stellung des Richters, der angesichts der Notwendigkeit der »juristischen Diagnose« nicht als »eine Maschine« betrachtet werden könne, »bei der man auf der einen Seite das Gesetz u[nd] den Rechtsfall hineinzustecken braucht[,] um auf der anderen Seite das richterliche Urtheil entgegen zu nehmen« (VIII. 89). Dies wie auch die Paginierung (VIII. 89; VIII. 90, … ) deuten darauf hin, dass das Fragment zu einer frühen Version von Kapitel VIII in Zweck I (1877) gehört, in dessen gedruckter Fassung sich Jhering ebenfalls mit der Stellung des Richters (S. 302ff.) und der Vorstellung einer »Urtheilsmaschine« (S. 307) beschäftigt. (14.) Konzepte und Manuskripte zum Besitzwillen (1889) in Mappe j, Bl. 1ff., Mappe i, Bl. 11ff.; Vortragsnotizen u. ä. aus der Spätzeit in Mappe i, Bl. 1ff., aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 15:4 [zit.: Späte Notizen (Nachlass)] (15.) Vorlesungsmanusskripte und Notizzettel (u. a. »Allgemeine Lehre der Rechte«, »Enzyclopädischer Theil I. Die Rechtsideen II. Die Verwirklichung der Rechtsideen in der Geschichte. III. Die Rechtswissenschaft«), aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 18:1 [zit.: Vorlesungsskripte (Nachlass)] Bei den lückenhaften und ungeordneten, aber größtenteils mit Gliederungspunkten versehenen Aufzeichnungen handelt es sich offenbar um Vorlesungsunterlagen Jherings zu einer Einführungsvorlesung für Anfänger über Grundbegriffe des Privatrechts. Ein Großteil der Aufzeichnungen besteht nur aus Stichwörtern. Da Jhering sich Verweise auf Band III/1 seines in erster Auflage 1865 erschienenen Werkes über den »Geist des römischen Rechts« (B. 23r) sowie auf seine 1867 erstmals erschienene Schrift »Das Schuldmoment im römischen Privatrecht« (Bl. 27r) notiert hat, müssen die Unterlagen aus späterer Zeit stammen. Einige in derselben Mappe befindliche Blätter, die nach dem abweichenden Blattformat und der eigenhändigen Paginierung Jherings zu urteilen (vgl. nur »S. 19«, »S. 17 u[nd] 18« auf Bl. 1r, 2r) offenbar aus einem anderen Nachlasskonvolut stammen, sind vermutlich zwischen 1877 und 1880 entstanden. Dort verweist Jhering in ausformulierten Ausführungen über die faktische Ungleichheit von Armen und Reichen bei der Rechtsverfolgung auf die 1877 erschienene fünfte Auflage seiner Schrift »Der Kampf um’s Recht«. Die sechste Auflage der vorgenannten Schrift ist im Jahre 1880 erschienen. Die Notizen auf den vorgenannten Blättern werden daher vermutlich zwischen 1877 und 1880 entstanden sein. (16.) Reinschriftliches Manuskriptfragment der ersten Paragraphen aus der nicht veröffentlichten zweiten Abteilung des dritten Bandes vom »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung« (in einer nicht vor 1889 entstandenen Fassung); aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staatsund Universitätsbibliothek Göttingen, - Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 19:1(2), Bl. 3ff. [§ 62, S. 1–12; §§ 63ff.] - Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 19:2 [§ 62, S. 13–46] – in der »Vorläufigen Bestandsaufnahme des Nachlasses Rudolf von Jhering« [http://hans.sub.uni-goettingen.de/nachlaesse/ Jhering.pdf] irrtümlich bezeichnet als ein Fragment zu Jherings »Entwicklungsgeschichte des Römischen Rechts« [zit.: Geist III/2 (Manuskriptreinschrift/Nachlass)]

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Verzeichnis der Quellen und Literatur

Auf ein im Nachlass befindliches ausgearbeitetes Manuskript zur »Fortsetzung des ›Geist des römischen Rechts‹« hatte bereits Jherings Schwiegersohn, der ebenfalls an der Göttinger Universität als Professor für deutsches Privatrecht ordinierte Handels- und Versicherungsrechtler Victor Ehrenberg, im Vorwort (S. VI) zur zwei Jahre nach Jherings Tod erfolgten fünften Auflage von Geist II/1(51894) hingewiesen und dort auch die schließlich dann aber doch unterbliebene Veröffentlichung angekündigt. Tatsächlich befindet sich im Göttinger Nachlass Jherings in den Kästen 2, 4 und 19 umfangreiches Material zum »Dritten Theil. Abtheilung 2« des unvollendeten ersten Hauptwerkes Jherings, dessen Schlusskapitel nach einer in JK 19:1(2) befindlichen Gliederungsübersicht mit § 80 enden sollte. Eine zweite von O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998), S. 165 Fn. 58 in einigen Gliederungspunkten mitgeteilte Gliederungsskizze aus Jherings Göttinger Nachlass (JK 18:4), die aber von der Gliederungsübersicht aus JK 19:1(2) stark abweicht, reicht bis § 75. Möglicherweise gibt sie die ursprünglich für Geist III geplante »Anordnung« wieder, die Jhering sich »seit Jahren gemacht« und 1863 nach eigenem Bekunden wieder »über den Haufen gestoßen« hat [vgl. Losano -Briefe I /1984, Nr. 220 (Brief Jherings vom 30. Dezember 1863), S. 553]. Den Versuch einer zumindest partiellen Rekonstruktion der Fragmente und Entwürfe hat Michael Kunze in Aussicht gestellt [M.Kunze, Forschungsbericht (1995), S. 137]. In vollständig ausgearbeiteter und reinschriftlicher Form ist nur das hier angeführte Manuskriptfragment überliefert. Die Reinschrift, die mit § 62 (II. Wirkungen der Rechte) unmittelbar an die in Geist III/1 noch veröffentlichten §§ 60, 61 (I. Begriff des Rechts) anschließt, ist nicht zuletzt im Hinblick auf ihre Entstehungszeit bemerkenswert. Denn dort nimmt Jhering beispielsweise Bezug auf den ersten Entwurf zum Bürgerlichen Gesetzbuch von 1887 (§ 62, S. 14) und zitiert aus seinen Werken »Scherz und Ernst« von 1884 (§ 62, S. 14) sowie »Der Besitzwille« von 1889 (§ 62, S. 2, 28). Auch die Zitate aus dem »Geist« beziehen sich jeweils auf die letzte zu Jherings Lebzeiten erschienene Auflage, nämlich zum Beispiel auf die vierte Auflage von Geist II/1 aus dem Jahre 1880 (§ 63, S. 5) oder die vierte Auflage von Geist III/1 aus dem Jahre 1888 (§ 62, S. 1, 3, 43). Dass sich hier tatsächlich Jhering nach der jeweils neuesten Auflage selbst zitierte und die Belegnoten nicht etwa erst posthum von Victor Ehrenberg zur Vorbereitung einer Veröffentlichung eingefügt worden sind, ergibt sich aus Formulierungen in den Anmerkungen wie etwa »***Mein Besitzwille, S. 408fl.« (§ 62, S. 2; § 62, S. 28; § 64, S. 28), »Von mir behandelt in den Jahrbüchern Band 10 S. 557fl. […]« (§ 63, S. 6), »Von mir nachgewiesen in meiner Abhandl.[ung] über diesen Gegenstand [sc. das Persönlichkeitsrecht], meine Jahrbücher 23, No 6« (§ 62, S. 26) etc. Die Tatsache, dass nicht nur in den Anmerkungen, sondern auch im Text des Manuskripts selbst Bezug genommen wird auf den ersten Entwurf zum Bürgerlichen Gesetzbuch (1888), den Jhering dagegen sogar noch in seinem letzten selbst publizierten und ebenfalls im vorliegenden Manuskript zitierten Werk »Der Besitzwille« wegen dessen bereits »seit December 1887« erfolgender Drucklegung »theils gar nicht, theils erst an späterer Stelle« hatte berücksichtigen können [Jhering, Besitzwille (1889), S. XIVf.], schließt auch aus, dass Jhering in einem möglicherweise sehr viel älteren Manuskript Ende der achtziger Jahre lediglich aktualisierte Anmerkungen eingefügt hat. Zwar stammt die Reinschrift selbst nicht von Jherings Hand, wovon insbesondere die Handschrift, aber auch markante Schreibfehler zeugen, die Jhering so kaum unterlaufen wären [z. B.: römische »Republick« (§ 62, S. 10) oder »semel heres semper heris« (§ 62, S. 7) oder »quod ad singulo rum utilitatem

Quellen

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suectat« statt »quod ad singulorum utilitatem spectat« (§ 62, S. 45)]. Aber auch die der Reinschrift zugrunde liegende Vo r l a g e Jherings kann aufgrund der genannten Bezugnahmen auf bis 1889 erschienene Veröffentlichungen zumindest ihre endgültige Form nicht vor 1889 bekommen haben. Das heißt, dass Jhering, der nach seinen eigenen aus den 1880er Jahren stammenden Aussagen den »Geist« nur »vorläufig zur Seite« gelegt [Scherz und Ernst (1884), S. 388; Zweck II (11883), S. V (Zueignung an Glaser und Unger)] und im Jahre 1885 ein Weiterschreiben ausdrücklich »in Aussicht genommen« hatte [Brief an O.Bülow vom 20. Juni 1885 in: Ehrenberg-Briefe/1913, Nr. 125, S. 388; vgl. auch M.Kunze, Lebensbild (1992), S. 21 mit Fn. 148; Ders., Forschungsbericht (1995), S. 136f. m. w. N.], um 1889/90 die Arbeit am »Geist« tatsächlich wieder aufgenommen hat, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass Jhering nach Mitteilung von Victor Ehrenberg noch im Frühjahr 1889, als er »sein Buch ›Der Besitzwille‹ beendet hatte«, ursprünglich »beabsichtigte […], sich dem ›Zweck im Recht‹ ausschließlich zu widmen« [V.Ehrenberg in: Jhering, Vorgeschichte (1894), S. V]. Unterstellt man auch die Richtigkeit der weiteren Mitteilung von Ehrenberg, daß Jhering sich »die letzten zwei Jahre seines Lebens«, also vom Herbst 1890 bis zu seinem Tod im September 1892, im Rahmen neuer rechtshistorischer Arbeiten tatsächlich nur noch »ausschließlich der babylonischen Kultur gewidmet« hat [so V.Ehrenberg in: Jhering, Vorgeschichte (1894), S. VI], so muss Jhering zumindest vorher, also zwischen Frühjahr 1889 und Herbst 1890, noch auf eine Drucklegung von Geist III/2 hingearbeitet haben. Die Tatsache, dass die Drucklegung von Jherings größeren Werken immer etappenweise erfolgte (vgl. zu diesem Verfahren Teil 1, S. 185 Fn. 854), könnte sogar dafür sprechen, dass auch die vorliegende Reinschrift noch auf Jherings eigene Veranlassung und zu seinen Lebzeiten erfolgte. Nach Auskunft seines Sohnes Hermann hatte Jhering nämlich auch bei allen anderen veröffentlichten Bänden des »Geist« vor der Drucklegung immer die Anfertigung einer »sauberen Reinschrift« veranlasst. Danach diktierte er in Gießen abends einem Universitätssekretär, in »späteren Jahren hat er nie wieder diktiert, wohl aber gern die geschickte Hilfe meiner Stiefmutter angenommen, welche sein schnell niedergeschriebenes, vielfach durchgestrichenes und korrigiertes und durch Einschaltungen und Überklebungen schwer leserlich gewordenes Manuskript in guter Handschrift kopierte« [H.Jhering, Erinnerungen (1912), S. 466]. Louise Jhering dürfte daher auch die vorliegende Reinschrift der §§ 62ff. zur Vorbereitung der Drucklegung von »Geist III/2« besorgt haben. Sie könnte dies natürlich auch erst nach Jherings Tod getan haben. Dafür sprächen die vorstehend erwähnten nicht mehr korrigierten Schreibfehler der Reinschrift, welche wie schon im Falle des von Victor Ehrenberg posthum herausgegebenen Werks »Vorgeschichte der Indoeuropäer« ebenfalls »durch den Zustand des [sc. schlecht lesbaren] Manuskripts verursacht« sein werden [vgl. Jhering, Vorgeschichte (1894), S. VII]. Nach dem Vorwort des Herausgebers hatte Louise Jhering schon im Falle der »Vorgeschichte der Indoeuropäer« fast »ein volles Jahr lang […] in unermüdlicher Arbeit Wort für Wort die teilweise kaum lesbare Handschrift zu entziffern sich bemüht […]« (aaO). Möglicherweise sogar auf Veranlassung von Ehrenberg könnte sie dies nach Jherings Tod auch getan haben im Falle der »Fortsetzung des ›Geist des römischen Rechts‹«, deren von Jhering fertig ausgearbeitete Abschnitte Ehrenberg – wie er noch im Juli 1894 öffentlich angekündigt hatte – »demnächst veröffentlichen« wollte [Geist II/ 1(51894), S. VI]. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass die der Reinschrift zugrundeliegnde Vorlage von Jherings Hand nicht vor 1889 entstanden sein kann.

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Verzeichnis der Quellen und Literatur

(17.) Manuskriptfragment zur Frage der Entstehung der Volksarten, aufbewahrt im Nachlass Jherings, Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms R.v.Jhering, Kasten 16:5 [zit.: Volksarten (Nachlass)] Dieses aus Jherings Spätzeit stammende Manuskriptfragment steht offensichtlich mit seinen Arbeiten zur unvollendeten und 1894 posthum aus Jherings Nachlass herausgegebenen »Vorgeschichte der Indoeuropäer« im Zusammenhang [vgl. dazu M.G.Losano, Bibliographie (1984), S. 237]. So stellen die Ausführungen auf S. 68 offenbar eine frühe Version von Jhering, Vorgeschichte (1894), § 17, S. 94ff. dar. (18.) Catalog der Bibliothek des verstorbenen Prof. Dr. Rudolf v.Jhering, seit dem Erwerb im Jahre 1894 aufbewahrt in der Humboldt-Universität zu Berlin, Rara-Abteilung in Haus 1 (Sign.: 40 Ap 11 671 R) [zit.: Nachlass-Catalog]

3.

Veröffentlichte Briefe Jherings

Die Briefesammlungen, aus denen zitiert worden ist, sind chronologisch nach dem Jahr ihrer Publikation geordnet. Ein Brief und ein Briefauszug von Jhering aus den Jahren 1881 und 1882, abgedruckt von K.E.Franzos, Rudolf von Jhering, in: Deutsche Dichtung, XIII. Band, 3. Heft, Berlin 1892, S. 79f. [zit.: Franzos-Briefe/1892] Ein Brief Jherings vom 9. September 1884, abgedruckt in: Briefe berühmter christlicher Zeitgenossen über die Judenfrage. Nach Manuscripten gedruckt und mit Autorisation der Verfasser zum ersten Male herausgegeben, mit biographischen Skizzen der Autoren und einem Vorworte versehen von I.Singer, Wien 1885, S. 165–167 [zit.: Singer-Briefe (1885)] Drei Briefe von Rudolf von Jhering. Mitgetheilt von Adolph Kohut, in: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben, Band 42, Nr. 40, Berlin 1892, S. 215–217 [zit.: Kohut-Briefe/1892] Johannes Biermann (Hrsg.): Rudolf von Jhering (1852–1868). Briefe und Erinnerungen. Zur Erinnerung an Rudolf von Jhering in Gießen. Eine anspruchslose Festgabe für die Freunde und Schüler Jherings zum dreihundertjährigen Jubiläum der Universität Gießen, Berlin 1907, S. 11–76 [zit.: Biermann-Briefe/1907] Vier Briefe von Jhering, abgedruckt in: Heinrich von Poschinger (Hrsg.), Bismarck und Jhering. Aufzeichnungen und Briefe, Berlin 1908, S. 5–9, 42–48 [zit.: PoschingerBriefe/1908] Auszüge aus sieben Briefen Jherings als Handschriften-Faksimile abgedruckt in: Otto Liebmann (Hrsg.), Die Juristische Fakultät der Universität Berlin von ihrer Gründung bis zur Gegenwart in Wort u. Bild, in Urkunden u. Briefen. Mit 450 handschriftlichen Widmungen. Festgabe der Deutschen Juristen-Zeitung zur Jahrhundertfeier der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1910, S. 130–135 [zit.: LiebmannBriefe/1910] Helene Ehrenberg (Hrsg.), Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde. Mit zwei Bildnissen, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1913, Aalen 1971 [zit.: Ehrenberg-Briefe/ 1913]

Literatur

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Ein Jugendbrief Rudolf Jherings, abgedruckt in: Upstalsboom-Blätter für ostfriesische Geschichte und Heimatkunde. Herausgegeben von der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Alterthümer zu Emden, 6. Jg., Emden 1916, S. 78–82 [zit.: Jugendbrief/1916] Albert Bruckner (Hrsg.), Unbekannte Briefe R.[udolf] von Jherings aus seiner Frühzeit. 1846–1852, in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Neue Folge, Bd. 53, Basel 1934, S. 34–71 [zit.: Bruckner-Briefe/1934] Eigenhändig verfasster Lebenslauf Jherings in einem unveröffentlichten Brief vom 19. Dezember 1879 an den Amtsgerichtsrat Netter in Crossen/Oder, abgedruckt in: Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht. Ausgewählte Schriften mit einer Einleitung von Gustav Radbruch. Herausgegeben von Christian Rusche, Nürnberg 1965, S. 445– 448 [zit.: Eigenhändiger Lebenslauf (1879)] Karl Kroeschell, Zwei unbekannte Briefe Jherings, abgedruckt in: Festschrift für Franz Wieacker zum 70. Geburtstag. Herausgegeben von Okko Behrends, Malte Dießelhorst, Hermann Lange, Detlef Liebs, Joseph Georg Wolf, Christian Wollschläger, Göttingen 1978, S. 274–276 [zit.: Kroeschell-Briefe I /1978] M.G.Losano (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber. Teil 1, Ebelsbach 1984 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Band 55/1. Herausgegeben im Auftrag der Juristischen Fakultät von Sten Gagn8r, Arthur Kaufmann, Dieter Nörr) [zit.: Losano-Briefe I /1984] Karl Kroeschell (Hrsg.), Jherings Briefe an Windscheid. 1870–1891, Göttingen 1988 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 170), S. 17–65 [zit.: Kroeschell-Briefe II /1988] Okko Behrends (Hrsg.), Briefe von und an Jhering, in: Ders., Rudolf von Jhering. Beiträge und Zeugnisse aus Anlaß der einhundersten Wiederkehr seines Todestages am 17. 9. 1992, Göttingen 1992, S. 99–118 [zit.: Behrends-Briefe/1992] M.G.Losano (Hrsg.), Der Briefwechsel Jherings mit Unger und Glaser, Ebelsbach 1996 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Band 78. Herausgegeben im Auftrag der Juristischen Fakultät von Arthur Kaufmann, Peter Landau, Dieter Nörr) [zit.: LosanoBriefe II /1996]

II.

Literatur

ACHTERBERG, Norbert (Hrsg.): Ergänzbares Lexikon des Rechts. Gruppe 2 (Abteilung Rechtsphilosophie), Neuwied/Darmstadt 1981ff. [zit.: N.Achterberg, LdR 2/Nr. des Artikels (Erscheinungsjahr des jeweiligen Artikels)] AHRENS, Heinrich: Juristische Encyclopädie, oder organische Darstellung der Rechtsund Staatswissenschaft auf Grundlage einer ethischen Rechtsphilosophie, Neudruck der Ausgabe Wien 1855, Aalen 1970 [zit.: H.Ahrens, Encyclopädie (1855)] ALEXY, Robert: Die logische Analyse juristischer Entscheidungen (1980), wieder abgedruckt in: Robert Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs. Studien zur Rechtsphilosophie, Erste Auflage, Frankfurt am Main 1995, S. 13–51 [zit.: R.Alexy, Analyse (1980)]

694

Verzeichnis der Quellen und Literatur

DERS.: Theorie der juristischen Argumentation. Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, 3. Auflage Frankfurt am Main 1996 [zit.: R.Alexy, Argumentation (31996)] ANONYMUS: Rezension zu »Zur Lehre von der naturalis obligatio und condictio indebiti. Eine civilistische Abhandlung von […] C.Christiansen […] Kiel […] (1844)«, in: Literarische Zeitung (LZ), Nr. 43 (26. Mai 1847), Sp. 690–692 [zit.: Anonymus, Christiansen-Rezension (1847)] ANONYMUS: Rezension zu »Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Herausg. von C.F.v.Gerber u. R.Jhering, 1. Bd. (In 3 Heften) 1. Heft. Nr. 1 ›Unsere Aufgabe‹, Jena 1856«, in: Literarisches Centralblatt für Deutschland, Heft Nr. 50 vom 13. 12. 1856, Sp. 800f. [zit.: Anonymus, Jhering-Rezension (1856)] ARNOLD, Wilhelm: Cultur und Rechtsleben, Berlin 1865 [zit.: W.Arnold, Rechtsleben (1865)] DERS.: Cultur und Recht der Römer, Berlin 1868 [zit.: W.Arnold, Recht der Römer (1868)] BAUMGARTEN, Arthur : Die Wissenschaft vom Recht und ihre Methode. Teil 1. Die theoretische Grundlegung, Neudruck der Ausgabe Tübingen 1920, Aalen 1978 [zit.: A.Baumgarten, Wissenschaft (1920)] DERS.: Juristische Konstruktion und konstruktive Jurisprudenz (1926), wieder abgedruckt in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. Band CCCCXXXIV), S. 238–251 [zit.: A.Baumgarten, Konstruktion (1926)] BEHRENDS, Okko: Die Wissenschaftslehre im Zivilrecht des Q.Mucius Scaevola pontifex, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen aus dem Jahre 1976, Philologisch-Historische Klasse, Göttingen 1976, S. 263–304 [zit.: O.Behrends, Wissenschaftslehre (1976)] DERS.: Institutionelles und prinzipielles Denken im römischen Privatrecht, in: ZRG Rom. Abt. 95 (1978), S. 187–231 [zit.: O.Behrends, Inst. u. prinz. Denken (1978)] DERS.: Römische Privatrechtsordnung und Grundrechtstheorie, in: Gerhard Dilcher/ Norbert Horn (Hrsg.), Sozialwissenschaften im Studium des Rechts. Band IV. Rechtsgeschichte, München 1978 (JuS-Didaktik. Schriften zur Didaktik und Methodik des Rechtsunterrichts und zur Juristenausbildung. Heft 6), S. 13–42 [zit.: O.Behrends, Privatrechtsordnung (1978)] DERS.: Tiberius Gracchus und die Juristen seiner Zeit – die römische Jurisprudenz gegenüber der Staatskrise des Jahres 133 v. Chr., in: K.Luig/D.Lieb (Hrsg.), Das Profil des Juristen in der europäischen Tradition. Symposion aus Anlaß des 70. Geburtstages von Franz Wieacker, Ebelsbach 1980, S. 25–121 [zit.: O.Behrends, T.Gracchus (1980)] DERS.: Geschichte, Politik und Jurisprudenz in F.C.v.Savignys System des heutigen römischen Rechts, in: Okko Behrends/Malte Diesselhorst/Wulf Eckart Voß (Hrsg.), Römisches Recht in der europäischen Tradition. Symposion aus Anlaß des 75. Geburtstages von Franz Wieacker, Ebelsbach 1985, S. 257–321 [zit.: O.Behrends, Savigny (1985)] DERS.: Das ›Rechtsgefühl‹ in der historisch-kritischen Rechtstheorie des späten Jhering. Ein Versuch zur Interpretation und Einordnung von Jherings zweitem Wiener Vortrag, in: Rudolf von Jhering, Ueber die Entstehung des Rechtsgefühles mit einer Vorbemerkung und einem anschliessenden Interpretations- und Einordnungsversuch von

Literatur

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Okko Behrends, Napoli 1986 (Antiqua. Collana diretta da Luigi Labruna. 29), S. 55–184 [zit.: O.Behrends, Rechtsgefühl (1986)] DERS.: Rudolph von Jhering (1818–1892). Der Durchbruch zum Zweck des Rechts, in: Fritz Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, Göttingen 1987 (Göttinger Universitätsschriften. Serie A: Schriften. Band 6), S. 229– 269 [zit.: O.Behrends, Jhering (1987)] DERS.: Das Bündnis zwischen Gesetz und Dogmatik und die Frage der dogmatischen Rangstufen, in: O.Behrends/W.Henckel (Hrsg.), Gesetzgebung und Dogmatik. 3. Symposion der Kommission »Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart am 29. und 30. April 1988, Göttingen 1989 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge Nr. 178), S. 9– 36 [zit.: O.Behrends, Gesetz und Dogmatik (1989)] DERS.: Von der Freirechtsjurisprudenz zum konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken, in: Ralf Dreier/Wolfgang Sellert (Hrsg.): Recht und Justiz im »Dritten Reich«, Frankfurt am Main 1989, S. 34–79 [zit.: O.Behrends, Freirechtsjurisprudenz (1989)] DERS.: Struktur und Wert. Zum institutionellen und prinzipiellen Denken im geltenden Recht, in: Okko Behrends/Malte Dießelhorst/Ralf Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft. Symposion zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker, Göttingen 1990 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. PhilologischHistorische Klasse. Dritte Folge. Nr. 181), S. 138–174 [zit.: O.Behrends, Struktur u. Wert (1990)] DERS.: Rudolf von Jhering und die Evolutionstheorie des Rechts, in: Günter Patzig (Hrsg.), Der Evolutionsgedanke in den Wissenschaften. Kolloquium der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen am 9. Februar 1990, Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse Heft Nr. 7, Göttingen 1991, S. 290–310 [zit.: O.Behrends, Evolutionstheorie des Rechts (1991)] DERS.: War Jhering ein Rechtspositivist? Eine Antwort auf Ralf Dreiers Frage (1993), wieder mitabgedruckt in: O.Behrends (Hrsg.), Jherings Rechtsdenken. Theorie und Pragmatik im Dienste evolutionärer Rechtsethik, Göttingen 1996 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge Nr. 216), S. 235–254 [zit.: O.Behrends, Jhering ein Rechtspositivist? (1993/ 1996)] DERS.: Die rechtsethischen Grundlagen des Privatrechts, in: F.Bydlinski/T.Meyer-Maly (Hrsg.), Die rechtsethischen Grundlagen des Privatrechts, Wien/New York 1994 (Rechtsethik, Bd. 1), S. 1–33 [zit.: O.Behrends, Grundlagen (1994)] DERS.: Zur Wirkungsgeschichte des Corpus Iuris Civilis, in: Okko Behrends/Rolf Knütel/ Berthold Kupisch/Hans Hermann Seiler (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis. Text und Übersetzung. Band II. Digesten 1–10, Heidelberg 1995, S. XII–XXII [zit.: O.Behrends, Wirkungsgeschichte (1995)] DERS.: Franz Wieacker, in: ZRG Rom. Abt. 112 (1995), S. XIII–LVII [zit.: O.Behrends, Wieacker-Nachruf (1995)] DERS.: Gustav Hugo – Der Skeptiker als Wegbereiter der vom Geist der Romantik geprägten Historischen Rechtsschule, in: Edward Gibbon, Historische Übersicht des Römischen Rechts – übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Gustav Hugo, mit einem Vorwort und einer Würdigung Gustav Hugos neu herausgegeben von Okko Behrends, Göttingen 1996, S. 159–226 [zit.: O.Behrends, Hugo (1996)]

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Verzeichnis der Quellen und Literatur

DERS.: Rezension zu »Gerhard Luf und Werner Ogris (Hrsg.), Der Kampf ums Recht. Forschungsband aus Anlaß des 100. Todestages von Rudolf von Jhering, Berlin 1995«, in: ZRG Rom. Abt. 114 (1997), S. 561–572 [zit.: O.Behrends, Luf/Ogris-Rezension (1997)] DERS.: Jherings Evolutionstheorie des Rechts zwischen Historischer Rechtsschule und Moderne. Eine wissenschaftsgeschichtliche Einordnung des Jheringschen Rechtsdenkens aus Anlaß der Herausgabe der Wiener Antrittsvorlesung »Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft?«, in: Rudolf von Jhering, Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft? Jherings Wiener Antrittsvorlesung vom 16. Oktober 1868. Aus dem Nachlass herausgegeben und mit einer Einführung, Erläuterungen sowie einer wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung versehen von Okko Behrends, Göttingen 1998, S. 93–202 [zit.: O.Behrends, Jherings Evolutionstheorie (1998)] DERS.: Das Privatrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs, seine Kodifikationsgeschichte, sein Verhältnis zu den Grundrechten und seine Grundlagen im klassischrepublikanischen Verfassungsdenken, in: Der Kodifikationsgedanke und das Modell des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Herausgegeben von Okko Behrends und Wolfgang Sellert, Göttingen 2000 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 236), S. 9–82 [zit.: O.Behrends, Privatrecht (2000)] DERS.: Die Gewohnheit des Rechts und das Gewohnheitsrecht. Die geistigen Grundlagen des klassischen römischen Rechts mit einem vergleichenden Blick auf die Gewohnheitsrechtslehre der Historischen Rechtsschule und der Gegenwart, in: Die Begründung des Rechts als historisches Problem. Herausgegeben von Dietmar Willoweit unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner, München 2000 (Schriften des Historischen Kollegs. Herausgegeben von der Stiftung Historisches Kolleg. Kolloquien 45), S. 19–135 [zit.: O.Behrends, Gewohnheitsrecht (2000)] BEHRENS, Dietrich: Begriff und Definition in den Quellen, in: ZRG Rom Abt. 74 (1957), S. 352–363 [zit.: D.Behrens, Begriff (1957)] BEKKER, Ernst Immanuel: Ueber das gemeine Deutsche Recht der Gegenwart und dessen Behandlung, in: Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts, herausgegeben von Ernst Immanuel Bekker und Theodor Muther, Erster Band, Leipzig 1857, S. 1–23 [zit.: E.I.Bekker, Gemeines Recht (1857)] DERS.: Ernst und Scherz über unsere Wissenschaft. Festgabe an Rudolf von Jhering zum Doctorjubiläum, Leipzig 1892 [zit.: E.I.Bekker, Ernst und Scherz (1892)] DERS.: Burkard Wilhelm Leist unter seinen Aequalen, in: ZRG Rom. Abt. 28 (1907), S. 129–157 [zit.: E.I.Bekker, Leist (1907)] BELVISI, Francesco: Die Positivität des Rechts beim frühen Jhering. Zwischen Formalismus und Realismus, in: Theorie des Rechts und der Gesellschaft. Festschrift für Werner Krawietz zum 70. Geburtstag. Herausgegeben von Manuel Atienza, Enrico Pattaro, Martin Schulte, Boris Topornin, Dieter Wyduckel, Berlin 2003, S. 429–458 [zit.: F.Belvisi, Positivität (2003)] BENDER, Peter : Die Rezeption des römischen Rechts im Urteil der deutschen Rechtswissenschaft, Frankfurt a.M./Bern/Las Vegas 1979 (Rechtshistorische Reihe, Band 8) [zit.: P.Bender, Rezeption (1979)] BENTHAM, Jeremy : Grundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, aus den Handschriften des englischen Rechtsgelehrten Jeremias Bentham, herausgegeben von Etienne Dümont. Nach der zweiten, verbesserten und vermehrten Auflage für Deutsch-

Literatur

697

land bearbeitet und mit Anmerkungen von Dr. Friedrich Eduard Beneke, Erster Band, Berlin 1830 [zit.: J.BENTHAM, Grundsätze (1830)] DERS.: Jeremias Bentham’s, des englischen Juristen, Principien der Gesetzgebung. Herausgegeben von Etienne Dumont. Nach der neuesten Auflage übersetzt, Köln 1833 [zit.: J.Bentham, Bentham’s Principien (1833)] BERGBOHM, Karl (Magnus): Jurisprudenz und Rechtsphilosophie. Kritische Abhandlungen. Erster Band: Einleitung. – Erste Abhandlung: Das Naturrecht der Gegenwart, Leipzig 1892 [zit.: K.Bergbohm, Jurisprudenz (1892)] BESELER, Georg: Volksrecht und Juristenrecht, Leipzig 1843 [zit.: G.Beseler, Volksrecht (1843)] BETHMANN-HOLLWEG, Moritz August von: Erinnerung an Friedrich Carl von Savigny als Rechtslehrer, Staatsmann und Christ, in Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Herausgegeben von D.Rudorff und D.Bruns in Berlin, D.Roth in München und D.Böhlau in Rostock. Sechster Band, Weimar 1867 [zit.: M.A.v.Bethmann-Hollweg, Savigny (1867)] BIHLER, Michael: Rechtsgefühl, System und Wertung. Ein Beitrag zur Psychologie der Rechtsgewinnung, München 1979 (Münchener Universitätsschriften. Reihe der Juristischen Fakultät. Herausgegeben im Auftrag der Juristischen Fakultät von Peter Lerche, Werner Lorenz, Claus Roxin. Band 43) [zit.: M.Bihler, Rechtsgefühl (1979)] BIRR, Josefa: Jhering’s concept of Rechtsgefühl and its role in The Struggle for Law, in: Transformacje prawa prywatnego 4/2017, S. 5–16 [zit.: J.Birr, Jhering’s concept of Rechtsgefühl (2017)] BJÖRNE, Lars: Deutsche Rechtssysteme im 18. und 19. Jahrhundert, Ebelsbach 1984 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Band 59. Herausgegeben im Auftrag der Juristischen Fakultät von Sten Gagn8r, Arthur Kaufmann, Dieter Nörr) [zit.: L.Björne, Rechtssysteme (1984)] BLÜHDORN, Jürgen: Zum Zusammenhang von »Positivität« und »Empirie« im Verständnis der deutschen Rechtswissenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Jürgen Blühdorn/Joachim Ritter (Hrsg.), Positivismus im 19. Jahrhundert. Beiträge zu seiner geschichtlichen und systematischen Bedeutung, Frankfurt am Main 1971 (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. Band 16), S. 123–159 [zit.: J.Blühdorn, Rechtswissenschaft (1971)] DERS.: »Kantianer« und Kant. Die Wende von der Rechtsmetaphysik zur »Wissenschaft« vom positiven Recht, in: Kant-Studien 64 (1973), S. 363–394 [zit.: J.Blühdorn, Kant (1973)] BLUNTSCHLI, Johann Caspar : Die neueren Rechtsschulen der deutschen Juristen überhaupt und die historische Schule insbesondere, in: Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst. Herausgegeben von Arnold Ruge und Theodor Echtermeyer, Zweiter Jahrgang, Leipzig 1839, Sp. 1905–1911, 1913–1925, 1929–1933, 1937–1941, 1945–1952, 1955–1960 [zit.: J.C.Bluntschli, Rechtsschulen (1839)] DERS.: Deutsches Privatrecht. Erster Band, Nachdruck der ersten Auflage München 1853, Frankfurt am Main 1983 [zit.: J.C.Bluntschli, Privatrecht (11853)] BÖCKENFÖRDE, Ernst-Wolfgang: Die Historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts, in: Sonderdruck aus Collegium Philosophicum. Studien

698

Verzeichnis der Quellen und Literatur

Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, Basel/Stuttgart 1965, S. 9–36 [zit.: E.-W.Böckenförde, Historische Rechtsschule (1965)] DERS.: Artikel »Organ, Organismus, Organisation, politische Körper« (Fortsetzung) in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Herausgegeben von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck, Band 4 Mi-Pre, Stuttgart 1978, S. 561–622 [zit.: E.-W.Böckenförde, Organismus (1978)] BOEHLICH, Walter : Nachwort, in: Walter Boehlich (Hrsg.), Der Berliner Antisemitismusstreit, Frankfurt am Main 1988, S. 239–266 [zit.: W.Boehlich, Nachwort (1988)] BOEHMER, Gustav : Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung. Zweites Buch. Erste Abteilung. Dogmengeschichtliche Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Tübingen 1951 [zit.: G.Boehmer, Grundlagen (1951)] BOHNERT, Joachim: Beiträge zu einer Biographie Georg Friedrich Puchtas, in: ZRG Germ. Abt. 96 (1979), S. 229–242 [zit.: J.Bohnert, Biographie Puchtas (1979)] BOUVIER, Beatrix W.: Die Anfänge der sozialistischen Bewegung, in: H.Reinalter (Hrsg.), Demokratische und soziale Protestbewegungen in Mitteleuropa 1815–1848/49, Frankfurt a.M. 1986, S. 265–302 [zit.: B.W.Bouvier, Bewegung (1986)] BRACKENHOEFT, Theodor : Erörterungen über die Materien des allgemeinen Theils von Linde’s des deutschen gemeinen Civilprozesses, Leipzig 1842 [zit.: T.Brackenhoeft, Erörterungen (1842)] DERS.: Rezension zu »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwickelung. Von Rudolph Ihering […] Thl. I. Leipzig […] 1852«, in: Heidelberger Jahrbücher der Literatur 45 (1852), S. 842–851 [zit.: T.Brackenhoeft, Geist I-Rezension (1852)] DERS.: Rezension zu »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwickelung. Von Rudolph Ihering […]. Zweiter Theil. Erste Abtheilung, Leipzig […] 1854«, in: Heidelberger Jahrbücher der Literatur 48 (1855), S. 131–143 [zit.: T.Brackenhoeft, Geist II/1-Rezension (1855)] BRAUN, Johann: Kant und Hegel – Positionen des Vernunftrechts, in: JuS 1974, S. 552–558 [zit.: J.BRAUN, Vernunftrecht (1974)] DERS.: Der Besitzrechtsstreit zwischen F.C.von Savigny und Eduard Gans. Idee und Wirklichkeit einer juristischen Kontroverse, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 9/1980 (1981), S. 457–506 [zit.: J.BRAUN, Besitzrechtsstreit (1981)] Ders.: Eduard Gans und die Wissenschaft von der Gesetzgebung, in: ZNR 1982, S. 156– 173 [zit.: J.BRAUN, Gans (1982)] BRINZ, Alois: Rezension zu »Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts. Von Friedrich Carl von Savigny. Erster Band. Berlin […] 1851«, in: Kritische Blätter civilistischen Inhalts. In zwanglosen Heften von Alois Brinz, Nr. 3, Erlangen 1853, S. 1ff. [zit.: A.Brinz, Savigny-Rezension (1853)] DERS.: Civilrecht. Einleitung, in: Jahrbücher der deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung, hrsg. von H.Th.Schletter, I. Band, Erlangen 1855, S. 6–10 [zit.: A.Brinz, Civilrecht (1855)] DERS.: Rezension zu »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung. Von Rudolph Jhering. Leipzig … 1858«,

Literatur

699

in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, hrsg von J.Pölzl, Zweiter Band, München 1860, S. 1–37 [zit.: A.Brinz, Jhering-Rezension (1860)] DERS.: Lehrbuch der Pandekten. Erster Band, Nachdruck der 2. veränderten Auflage Erlangen 1873, Goldbach 1997 (= 100 Jahre Bürgerliches Gesetzbuch: Pandektenrecht. Band 3) [zit.: A.Brinz, Pandekten I (21873)] BROCKMÖLLER, Annette: Die Entstehung der Rechtstheorie im 19. Jahrhundert in Deutschland, Baden-Baden 1997 (Studien zur Rechtsphilosophie und Rechtstheorie herausgegeben von Robert Alexy und Ralf Dreier. Band 14) [zit.: A.Brockmöller, Rechtstheorie (1997)] BUCHER, Eugen: Was ist »Begriffsjurisprudenz«? (1966), wieder abgedruckt in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. Band CCCCXXXIV), S. 358–389 [zit.: E.Bucher, Begriffsjurisprudenz (1966)] BUMANN, Waltraud: Der Begriff der Wissenschaft im deutschen Sprach- und Denkraum, in: A.Diemer (Hrsg.), Der Wissenschaftsbegriff. Historische und systematische Untersuchungen. Vorträge und Diskussionen im April 1968 in Düsseldorf und im Oktober 1968 in Fulda, Meisenheim am Glan 1970 (Studien zur Wissenschaftstheorie. Band 4), S. 64–75 [zit.: W.Bumann, Wissenschaft (1970)] BYDLINSKI, Franz: Hauptpositionen zum Richterrecht, in: JZ 1985, S. 149–155 [zit.: F.Bydlinski, Richterrecht (1985)] DERS.: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, Zweite, ergänzte Auflage, Wien/New York 1991 [zit.: F.Bydlinski, Methodenlehre (21991)] DERS.: Über prinzipiell-systematische Rechtsfindung im Privatrecht. Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 17. Mai 1995, Berlin/New York 1995 (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin. Heft 141) [zit.: F.Bydlinski, Rechtsfindung (1995)] CANARIS, Claus-Wilhelm: Die Feststellung von Lücken im Gesetz. Eine methodologische Studie über Voraussetzungen und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung praeter legem, 2., überarbeitete Auflage, Berlin 1983 (Schriften zur Rechtstheorie. Heft 3) [zit.: C.-W.Canaris, Lücken (21983)] DERS.: Systemdenken und Systembegriff entwickelt am Beispiel des deutschen Privatrechts, 2., überarbeitete Auflage, Berlin 1983 (Schriften zur Rechtstheorie. Heft 14) [zit.: C.-W.Canaris, Systemdenken (21983)] CARONI, Pio: Savigny und die Kodifikation. Versuch einer Neudeutung des »Berufes«, in: ZRG Rom. Abt. 86 (1969), S. 97–176 [zit.: P.Caroni, Savigny (1969)] DERS.: Ungleiches Recht für alle. Vom Werden des ungleichen und nicht systemwidrigen Privatrechts, in: Roland Herzog (Hrsg.), Zentrum und Peripherie. Zusammenhänge – Fragmentierungen – Neuansätze. Festschrift für Richard Bäumlin zum 65. Geburtstag, Chur/Zürich 1992, S. 107–133 [zit.: P.Caroni, Ungleiches Recht (1992)] CHOE, Byoung Jo: Culpa in contrahendo bei Rudolph von Jhering, Göttingen 1988 (Göttinger rechtswissenschaftliche Studien. Herausgegeben von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen. Band 138) [zit.: B.J.Choe, Culpa (1988)] CHUN-Tao, Lee: Jherings Eigentumsbegriff. Seine römisch-rechtlichen Grundlagen und sein Einfluss auf das BGB, Göttingen 2015 [zit.: L.Chun-Tao, Jherings Eigentumsbegriff (2015)]

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Verzeichnis der Quellen und Literatur

CHRISTIANSEN, Johannes Jacob Christian Friedrich: Die Wissenschaft der römischen Rechtsgeschichte im Grundbegriffe. Erster Band, Altona 1838 [zit.: J.Christiansen, Rechtsgeschichte (1838)] DERS.: Institutionen des Römischen Rechts oder erste Einleitung in das Studium des Römischen Privatrechts, Altona 1843 [zit.: J.J.C.Christiansen, Institutionen (1843)] COING, Helmut: Zur Geschichte des Privatrechtsystems, Frankfurt am Main 1962 [zit.: H.Coing, Gesch.d.Privatrechtsystems (1962)] DERS.: Der juristische Systembegriff bei Rudolf von Ihering, in: J.Blühdorn/J.Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1969 (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. Band 3), S. 149–171 sowie S. 172–184 (Diskussionsbeiträge) [zit.: H.Coing, Systembegriff (1969)] DERS.: Das Verhältnis der positiven Rechtswissenschaft zur Ethik im 19. Jahrhundert, in: J.Blühdorn/J.Ritter (Hrsg.), Recht und Ethik. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1970 (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. Band 9), S. 11–28 [zit.: H.Coing, Ethik (1970)] DERS.: Bemerkungen zur Verwendung des Organismusbegriffs in der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts in Deutschland, in: Gunter Mann (Hrsg.), Biologismus im 19. Jahrhundert. Vorträge eines Symposiums vom 30. bis 31. Oktober 1970 in Frankfurt am Main, Stuttgart 1973 (Studien zur Medizingeschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Band V), S. 147–157 [zit.: H.Coing, Organismus (1973)] DERS.: Rudolf von Ihering und Bentham. Interessenjurisprudenz und englische utilitaristische Philosophie, in: Günter Weick (Hrsg.), 375 Jahre Rechtswissenschaft in Gießen. Vorträge von Helmut Coing, Hans-Heinrich Jescheck und Otto Rudolf Kissel im Rahmen der Festveranstaltungen zur 375-Jahrfeier der Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen 1982, S. 1–14 [zit.: H.Coing, Ihering (1982)] DERS.: Europäisches Privatrecht. Band I. Älteres Gemeines Recht (1500–1800), München 1985 [zit.: H.Coing, Privatrecht I (1985)] Band II. 19. Jahrhundert. Überblick über die Entwicklung des Privatrechts in den ehemals gemeinrechtlichen Ländern, München 1989 [zit.: H.Coing, Privatrecht II (1989)] DANZ, August Heinrich Emil: Das Systematische in der Methode der beiden neuesten Pandectenlehrbücher von Mühlenbruch und Puchta, in: Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst. Herausgegeben von Arnold Ruge und Theodor Echtermeyer, Erster Jahrgang, Leipzig 1838, Sp. 1353–1356, 1361–1366, 1369–1376, 1377–1384, 1389–1392 [zit.: A.Danz, Mühlenbruch/Puchta-Rezension (1838)] DELBRÜCK, Berthold: Die Uebernahme fremder Schulden nach gemeinem und preussischem Rechte, Berlin 1853 [zit.: B.Delbrück, Uebernahme (1853)] DERS.: Das absolute Recht. G.Lenz, Über die geschichtliche Entstehung des Rechts. Eine Kritik der historischen Schule, Greifswald/Leipzig 1854, in: Kritische Ueberschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, herausgegeben von L.Arndts, J.C.Bluntschli und J.Pözl, Zweiter Band, München 1855, S. 115–132 [zit.: B.Delbrück, Recht (1855)] DERNBURG, Heinrich: Rezension zu »E.Ruhstrat, Ueber Savigny’s Lehre von der Stellvertretung (Oblig., Band 2, § 54–61), Oldenburg 1852«, in: Kritische Zeitschrift für die

Literatur

701

gesammte Rechtswissenschaft, Band 2 (1855), S. 394–396 [zit.: H.Dernburg, Ruhstrat-Rezension (1855)] DERS.: Rezension zu »Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Herausgegeben von C.F.v.Gerber und R.Jhering. Jena … 1856«, in: Kritische Zeitschrift für die gesammte Rechtswissenschaft, Vierter Band, Heidelberg 1857, S. 364–368 [zit.: H.Dernburg, Jhering-Rezension (1857)] DERS.: Lehrbuch des Preußischen Privatrechts und der Privatrechtsnormen des Reichs. Erster Band: Die Allgemeinen Lehren und das Sachenrecht des Privatrecht Preußens und des Reichs, Vierte, neu bearbeitete Auflage, Halle a.S. 1884 [zit.: H.Dernburg, Lehrbuch (41884)] DERS.: Pandekten. Band 1: Allgemeiner Theil und Sachenrecht, 3. Verbesserte Auflage, Berlin 1892 [zit.: H.Dernburg, Pandekten (31892)] DIEDERICHSEN, Uwe: Jherings Rechtsinstitute im deutschen Privatrecht der Gegenwart (1993), wieder mitabgedruckt in: O.Behrends (Hrsg.), Jherings Rechtsdenken. Theorie und Pragmatik im Dienste evolutionärer Rechtsethik, Göttingen 1996 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge Nr. 216), S. 175–200 [zit.: U.Diederichsen, Jhering (1993/1996)] DIEMER, Alwin: Die Begründung des Wissenschaftscharakters der Wissenschaft im 19. Jahrhundert – Die Wissenschaftstheorie zwischen klassischer und moderner Wissenschaftskonzeption, in: A.Diemer (Hrsg.), Beiträge zur Entwicklung der Wissenschaftstheorie im 19. Jahrhundert. Vorträge und Diskussionen im Dezember 1965 und 1966 in Düsseldorf (Studien zur Wissenschaftstheorie. Band 1), Meisenheim am Glan 1968, S. 3–62 [zit.: A.Diemer, Wissenschaftstheorie (1968)] DERS.: Die Differenzierung der Wissenschaften in die Natur- und Geisteswissenschaften und die Begründung der Geisteswissenschaften als Wissenschaft, in: A.Diemer (Hrsg.), Beiträge zur Entwicklung der Wissenschaftstheorie im 19. Jahrhundert. Vorträge und Diskussionen im Dezember 1965 und 1966 in Düsseldorf (Studien zur Wissenschaftstheorie. Band 1), Meisenheim am Glan 1968, S. 174–223 [zit.: A.Diemer, Naturund Geisteswissenschaften (1968)] DILCHER, Gerhard: Der rechtswissenschaftliche Positivismus, in: ARSP 61 (1975), S. 497–526 [zit.: G.Dilcher, Positivismus (1975)] DREIER, Ralf: Zum Begriff der »Natur der Sache«, Berlin 1965 (Münsterische Beiträge zur Rechts- und Staatswissenschaft. Band 9) [zit.: R.Dreier, Natur der Sache (1965)] DERS.: Zum Selbstverständnis der Jurisprudenz als Wissenschaft (1971), wieder abgedruckt in: Ralf Dreier, Recht – Moral – Ideologie. Studien zur Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 48–69 [zit.: R.Dreier, Selbstverständnis (1971)] DERS.: Recht und Gerechtigkeit (1982), wieder abgedruckt in: Ralf Dreier, Recht – Staat – Vernunft, Frankfurt am Main 1991, S. 8–38 [zit.: R.Dreier, Recht u. Gerechtigkeit (1982)] DERS.: Irrationalismus in der Rechtswissenschaft (1985), wieder abgedruckt in: Ralf Dreier, Recht – Staat – Vernunft, Frankfurt am Main 1991, S. 120–141 [zit.: R.Dreier, Irrationalismus (1985)] DERS.: Der Begriff des Rechts (1986), wieder abgedruckt in: Ralf Dreier, Recht – Staat – Vernunft, Frankfurt am Main 1991, S. 95–119 [zit.: R.Dreier, Begriff (1986)] DERS.: Rechtsbegriff und Rechtsidee. Kants Rechtsbegriff und seine Bedeutung für die gegenwärtige Diskussion, Frankfurt am Main 1986 (Würzburger Vorträge zur

702

Verzeichnis der Quellen und Literatur

Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie. Heft 5) [zit.: R.Dreier, Rechtsbegriff u. Rechtsidee (1986)] DERS.: Rechtstheorie und Rechtsgeschichte, in: Okko Behrends/Malte Dießelhorst/Ralf Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft. Symposion zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker, Göttingen 1990 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 181), S. 16–34 [zit.: R.Dreier, Rechtsth.u.Rechtsgesch. (1990)] DERS.: Zum Verhältnis von Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, in: Volkmar Schöneburg (Hrsg.), Philosophie des Rechts und das Recht der Philosophie. Festschrift für Hermann Klenner, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1992 (Philosophie und Geschichte der Wissenschaften. Studien und Quellen. Band 16), S. 15–28 [zit.: R.Dreier, Rechtsphilosophie (1992)] DERS.: Jherings Rechtstheorie – eine Theorie evolutionärer Rechtsvernunft (1993), wieder mitabgedruckt in: O.Behrends (Hrsg.), Jherings Rechtsdenken. Theorie und Pragmatik im Dienste evolutionärer Rechtsethik, Göttingen 1996 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 216), S. 222–234 [zit.: R.Dreier, Jhering (1993/1996)] DREIER, Ralf/Stanley L. Paulson: Zum 50. Todestag von Gustav Radbruch, in: ARSP 89 (1999), S. 463–509 [zit.: R.Dreier/S.L.Paulson, Radbruch (1999)] DROYSEN, Johann Gustav : Historik. Band 1: Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung der Vorlesungen (1857). Grundriß der Historik in der ersten handschriftlichen (1857/58) und in der letzten gedruckten Fassung (1882), Stuttgart-Bad Cannstatt 1977 (Historik. Historisch-kritische Ausgabe von Peter Ley. Band 1) [zit.: J.G.Droysen, Historik (1857/1882)] DRÜE, Hermann/Anne-Marie Gethmann-Siefert/ Christa Hackenesch/ Walter Jaeschke/ Wolfgang Neuser/ Herbert Schnädelbach: Hegels Philosophie. Kommentare zu den Hauptwerken. Band 3: Hegels »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften« (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriß, Darmstadt 2000 [zit.: H.Drüe, HegelKommentar (2000)] DWORZAK, Joseph Franz: Die wissenschaftlichen Versuche unserer Zeit über das Wesen des römischen Rechts, in: Magazin für Rechts- und Staatswissenschaft mit besonderer Rücksicht auf das österreichische Kaiserreich, hrsg. von Fr. Haimerl, XIV. Band, Wien 1856, S. 41–76 (Fortsetzung und Schluß) [zit.: J.F.Dworzak, Versuche (1856)] ECK, Ernst: Zur Feier des Gedächtnisses von B.Windscheid und R.v.Jhering. Vortrag gehalten in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 17. December 1892, Berlin 1893 [zit.: E.Eck, Gedächtnis (1893)] EDELMANN, Johann: Die Entwicklung der Interessenjurisprudenz. Eine historisch-kritische Studie über die deutsche Rechtsmethodologie vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bad Homburg vor der Höhe/Berlin/Zürich 1967 (Studien und Texte zur Theorie und Methodologie des Rechts. In Verbindung mit Helmut Coing, Heinz Wagner und Thomas Würtenberger herausgegeben von Josef Esser. Band 1) [zit.: J.Edelmann, Entwicklung (1967)] EDLIN, Gregor: Begriffs- und Interessenjurisprudenz (1932/34), wieder abgedruckt in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. Band CCCCXXXIV), S. 268–285 [zit.: G.Edlin, Begriffsund Interessenjurisprudenz (1932/34)]

Literatur

703

EHRLICH, Eugen: Grundlegung der Soziologie, Unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1913, Dritte Auflage, Berlin 1967 [zit.: E.Ehrlich, Grundlegung (1913)] DERS.: Die juristische Logik, Neudruck der 2. Auflage Tübingen 1925, Aalen 1966 [zit.: E.Ehrlich, Logik (21925)] EISELE, Fr.:Civilistische Kleinigkeiten, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Herausgegeben von Rudolf v. Jhering, Josef Unger und Otto Bähr, Band 23 (1885), S. 119–147 [zit.: F.Eisele, Kleinigkeiten (1885)] EKELÖF, Per Olof: Zur naturhistorischen Methode Jherings. Ein Diskussionsbeitrag, in: Franz Wieacker/Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 27f. [zit.: P.O.Ekelöf, Methode Jherings (1970)] ELLSCHEID, Günter : Einleitung, in: Günter Ellscheid/Winfried Hassemer (Hrsg.), Interessenjurisprudenz, Darmstadt 1974 (Wege der Forschung. Band CCCXLV), S. 1–13 [zit.: G.Ellscheid, Einleitung (1974)] ENGISCH, Karl: Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, Zweite, ergänzte Auflage, Heidelberg 1968 (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Jahrgang 1953. I. Abhandlung) [zit.: K.Engisch, Konkretisierung (21968)] DERS.: Einführung in das juristische Denken, Siebente, neu bearbeitete Auflage, Stuttgart/ Berlin/Köln/Mainz 1977 [zit.: K.Engisch, Einführung (71977)] ENNECCERUS, Ludwig: Friedrich Carl v. Savigny und die Richtung der neueren Rechtswissenschaft. Nebst einer Auswahl ungedruckter Briefe, Marburg 1879 [zit.: L.Enneccerus, Savigny (1879)] DERS.: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Fünfzehnte, neubearbeitete Auflage von Hans Carl Nipperdey. Zweiter Halbband: Entstehung, Untergang und Veränderung der Rechte, Ansprüche und Einreden, Ausübung und Sicherung der Rechte, Tübingen 1960 [zit.: L.Enneccerus/H.C.Nipperdey, Lehrbuch I/2 (151960)] ESSER, Josef: 100 Jahre Anklagezustand über die Jurisprudenz. Zum Gedächtnis Julius H.v.Kirchmanns, in: Deutsche Rechts-Zeitschrift, 2. Jahrgang, Tübingen 1947, S. 315– 319 [zit.: J.Esser, Anklagezustand (1947)] DERS.: Möglichkeiten und Grenzen des dogmatischen Denkens im modernen Zivilrecht, in: AcP 172 (1972), S. 97–130 [zit.: J.Esser, Möglichkeiten (1972)] EVERDING, Karl Friedrich: Die dogmengeschichtliche Entwicklung der Stellvertretung im 19. Jahrhundert, Diss. Münster 1951 [zit.: K.F.Everding, Stellvertretung (1951)] FALCK, Nikolaus: Allgemeine Betrachtungen über Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, in: Kieler Blätter für 1819. Ersten Bandes erste Hälfte, Kiel 1819, S. 1–87 [zit.: N.Falck, Betrachtungen (1819)] DERS.: Juristische Encyclopädie, auch zum Gebrauche bei academischen Vorlesungen, Kiel 1821 [zit.: N.Falck, Encyclopädie (1821)] FALK, Ulrich: Ein Gelehrter wie Windscheid. Erkundungen auf den Feldern der sogenannten Begriffsjurisprudenz, Frankfurt 1989 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 38) [zit.: U.Falk, Windscheid (1989)]

704

Verzeichnis der Quellen und Literatur

DERS.: Rezension zu »Karl Kroeschell (Hg.), Jherings Briefe an Windscheid 1870–1891, Göttingen […] 1988«, in: Ius commune. Zeitschrift für Europäische Rechtsgeschichte. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Band XVI (1989), S. 546–551 [zit.: U.Falk, Kroeschell-Rezension (1989)] DERS.: »Ein Gegensatz principieller Art«. Betrachtungen zur rechtsdogmatischen Diskussion um die Möglichkeit subjektloser subjektiver Rechte, in: RJ 9 (1990), S. 221–240 [zit.: U.Falk, Gegensatz (1990)] DERS.: Der wahre Jurist und der Jurist als solcher. Zum Gedenken an Bernhard Windscheid, in: RJ 12 (1993), S. 598–633 [zit.: U.Falk, Jurist (1993)] FEUERBACH, Paul Johann Anselm: Über Philosophie und Empirie in ihrem Verhältnis zur positiven Rechtswissenschaft. Eine Antrittsrede (1804), wieder abgedruckt in: Paul Johann Anselm Feuerbach und Carl Joseph Anton Mittermaier, Theorie der Erfahrung in der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts. Zwei methodische Schriften, Frankfurt am Main 1968, S. 59–100 [zit.: P.J.A.Feuerbach, Philosophie (1804)] FIKENTSCHER, Wolfgang: Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung. Band III. Mitteleuropäischer Rechtskreis, Tübingen 1976 [zit.: W.Fikentscher, Methoden III (1976)] FIKENTSCHER, Wolfgang / Ulrich HIMMELMANN: Rudolph von Iherings Einfluß auf Dogmatik und Methode des Privatrechts, in: Gerhard Luf / Werner Ogris (Hrsg.), Der Kampf ums Recht. Forschungsband aus Anlaß des 100. Todestages von Rudolf von Ihering, Berlin 1995, S. 95–115 [zit.: W.Fikentscher/U.Himmelmann, Iherings Einfluß (1995)] FROMMEL, Monika: Die Rezeption der Hermeneutik bei Karl Larenz und Josef Esser, Ebelsbach 1981 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Band 47. Herausgegeben im Auftrag der Juristischen Fakultät von Sten Gagn8r, Arthur Kaufmann, Dieter Nörr) [zit.: M.Frommel, Rezeption (1981)] FUCHS, Ernst: Juristischer Kulturkampf (1912), wieder abgedruckt in: Ernst Fuchs, Gesammelte Schriften über Freirecht und Rechtsreform. Herausgegeben von Albert S. Foulkes. In 3 Bänden, Band 2, Aalen 1973, S. 13–174 [zit.: E.Fuchs, Kulturkampf (1912)] FUHRMANN, Manfred: Jhering als Satiriker. Die »Vertraulichen Briefe über die heutige Jurisprudenz« literarisch betrachtet, in: O.Behrends (Hrsg.), Jherings Rechtsdenken. Theorie und Pragmatik im Dienste evolutionärer Rechtsethik, Göttingen 1996 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge Nr. 216), S. 17–31 [zit.: M.Fuhrmann, Jhering (1996)] GÄNGEL, Andreas/Karl A. Mollnau: Stationen der Methodenreformbewegung in Deutschland oder Richterabsolutismus contra Gesetzesabsolutismus?, in: Gesetzesbindung und Richterfreiheit. Texte zur Methodendebatte 1900–1914. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Andreas Gängel und Karl A. Mollnau, Freiburg/ Berlin 1992 [zit.: A.Gängel/K.A.Mollnau, Methodenreformbewegung (1992)] GANS, Eduard: Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwickelung. Eine Abhandlung der Universalrechtsgeschichte. Erster Band: Das römische Erbrecht in seiner Stellung zu vor- und nachrömischem, Berlin 1824 [zit.: E.Gans, Erbrecht I (1824)]

Literatur

705

Dritter Band: Das Erbrecht des Mittelalters, Stuttgart und Tübingen 1829 [zit.: E.Gans, Erbrecht III (1829)] GAUDEMET, Jean: Organicisme et 8volution dans la conception de l’histoire du droit chez Jhering, in: Franz Wieacker/Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. PhilologischHistorische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 29–39 [zit.: J.GAUDEMET, Organicisme (1970)] GEBHARDT, Bruno: Handbuch der deutschen Geschichte. Band 3: Von der Französischen Revolution bis zum ersten Weltkrieg. In Verbindung mit K.E.Born, M.Braubach, T.Schieder und W.Treue herausgegeben von Herbert Grundmann, Achte, vollständig neubearbeitete Auflage, Stuttgart 1960 [zit.: B.Gebhardt, Handbuch (81960)] GEORGIADES, Apostolos: Eigentumsbegriff und Eigentumsverhältnis, in: Beiträge zur europäischen Rechtsgeschichte und zum geltenden Zivilrecht. Festgabe für Johannes Sontis. Herausgegeben von Fritz Baur, Karl Larenz, Franz Wieacker, München 1977, S. 149–166 [zit.: A.Georgiades, Eigentumsbegriff (1977)] GERBER, Carl Friedrich Wilhelm (von): Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts. Eine germanistische Abhandlung, Nachdruck der Ausgabe Jena, 1846. Mit einer Einleitung herausgegeben von Wolfgang Pöggeler, Hildesheim/ Zürich/New York 1998 (Historia Scientarium: Rechtswissenschaft) [zit.: C.F.W.Gerber, Princip (1846)] DERS.: System des Deutschen Privatrechts. Erste Abtheilung, Jena 1848 [zit.: C.F.W.Gerber, System (11848)] Neunte verbesserte Auflage, Jena 1867 [zit.: C.F.W.v.Gerber, System (91867)] Zwölfte, verbesserte Auflage, Jena 1875 [zit.: C.F.W.v.Gerber, System (121875)] DERS.: Ueber deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft überhaupt (1851), wieder abgedruckt in: ders., Gesammelte juristische Abhandlungen, Jena 1872, S. 1–14 [zit.: C.F.W.Gerber, Rechtswissenschaft (1851)] DERS.: Ueber den Begriff der Autonomie, in: AcP 37 (1854), S. 35–62 [zit.: C.F.W.Gerber, Autonomie (1854)] DERS.: Einleitung zur Abteilung »Deutsches Privatrecht« der »Jahrbücher der deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. In Verbindung mit mehreren Gelehrten herausgegeben von H.Th.Schletter« (1855), wieder abgedruckt in: ders., Gesammelte juristische Abhandlungen, Jena 1872, S. 15–22 [zit.: C.F.W.Gerber, Einleitung (1855)] DERS.: Beiträge zur Lehre vom deutschen Familienfideikommiß, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts. Herausgegeben von C.F.von Gerber und R.Jhering. Erster Band, Jena 1857, S. 53–100 [zit.: C.F.W.v.Gerber, Familienfideikommiß (1857)] DERS. Rektoratsrede, gehalten am 31. Oktober 1865 an der Universität Leipzig, abgedruckt in: ders., Gesammelte juristische Abhandlungen, Jena 1872, S. 23–35 [zit.: C.F.W.v.Gerber, Rektoratsrede (1865)] GIARO, Tomasz: Romanistische Constructionsplaudereien. Auf den Spuren eines anachronistischen Begriffes, in: RJ 10 (1991), S. 209–231 [zit.: T.Giaro, Constructionsplaudereien (1991)]

706

Verzeichnis der Quellen und Literatur

DERS.: Das Mehrzweckmodell einer wahrheitsfähigen Rechtsdogmatik. Mit Glossen zum usus hodiernus Caroli Friderici, in: RJ 11 (1992), S. 319–329 [zit.: T.Giaro, Mehrzweckmodell (1992)] DERS.: Von der Genealogie der Begriffe zur Genealogie der Juristen. De Sabinianis et Proculianis fabulae, in: RJ 11 (1992), S. 508–554 [zit.: T.Giaro, Genealogie (1992)] DERS.: Die Illusion der Wissenschaftlichkeit, in: Legal Change in Western Tradition, Index. International Survey of Roman Law, Band 21 (1993), S. 107–134 [zit.: T.Giaro, Wissenschaftlichkeit (1993)] Ders.: Römische Rechtswahrheiten. Ein Gedankenexperiment, Frankfurt am Main 2007 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Band 219) [zit.: T.Giaro, Rechtswahrheiten (2007)] GIERKE, Julius von: Artikel »Giroverkehr« in: Fritz Stier-Somlo und Alexander Elster, Handwörterbuch der Rechtswissenschaft. Zweiter Band Deichverbände – Giroverkehr, Berlin und Leipzig 1927, S. 956–960 [zit.: J.v.Gierke, Giroverkehr (1927)] GIERKE, Otto: Die soziale Aufgabe des Privatrechts. Vortrag gehalten am 5. April 1889 in der juristischen Gesellschaft zu Wien, Berlin 1889 [zit.: O.Gierke, Aufgabe (1889)] GMÜR, Rudolf: Savigny und die Entwicklung der Rechtswissenschaft, Münster 1962 [zit.: R.Gmür, Savigny (1962)] DERS.: Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte. Theorie und Geschichte der Denkformen des Entstehens und Erlöschens von subjektiven Rechten und andern Rechtsgebilden, Bern 1981 [zit.: R.Gmür, Rechtswirkungsdenken (1981)] GRIMM, Dieter : Recht und Politik, in: JuS 1969, S. 501–509 [zit.: D.Grimm, Recht (1969)] DERS.: Methode als Machtfaktor, in: Norbert Horn (Hrsg.), Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Helmut Coing zum 70. Geburtstag, Band 1, München 1982, S. 469–492 [zit.: D.Grimm, Methode (1982)] GROMITSARIS, Athanasios: Theorie der Rechtsnormen bei Rudolph von Ihering. Eine Untersuchung der Grundlagen des deutschen Rechtsrealismus, Berlin 1989 (Schriften zur Rechtstheorie. Heft 132) [zit.: A.Gromitsaris, Rechtsnormen (1989)] HAFERKAMP, Hans-Peter : Georg Friedrich Puchta und die »Begriffsjurisprudenz«, Frankfurt am Main 2004 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Band 171) [zit.: H.-P.Haferkamp, Puchta (2004)] DERS.: Neukantianismus und Rechtsnaturalismus, in: Marcel Senn/D#niel Pusk#s (Hrsg.): Rechtswissenschaft als Kulturwissenschaft?, Stuttgart 2007, S. 105–120 [zit.: H.-P.Haferkamp, Neukantianismus (2007)] DERS.: Die sogenannte Begriffsjurisprudenz im 19. Jahrhundert – »reines« Recht?, in: Otto Depenheuer (Hrsg.), Reinheit des Recht. Kategorisches Prinzip oder regulative Idee?, Wiesbaden 2010, S. 79–99 [zit.: H.-P.Haferkamp, Begriffsjurisprudenz (2010)] DERS.: Die Historische Rechtsschule, Frankfurt am Main 2018 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Band 310) [zit.: H.-P.Haferkamp, Historische Rechtsschule (2018)] HAMMEN, Horst: Die Bedeutung Friedrich Carl v. Savignys für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, Berlin 1983 (Schriften zur Rechtsgeschichte, Heft 29) [zit.: H.Hammen, Savigny (1983)]

Literatur

707

HARTUNG, Hugo: Der Check- und Giro-Verkehr der deutschen Reichsbank, Berlin 1880 (Deutsche Zeit- und Streit-Fragen. Flugschriften zur Kenntniß der Gegenwart. Jahrgang IX) [zit.: H.Hartung, Giro-Verkehr (1880)] HASSOLD, Gerhard: Rechtsfindung durch Konstruktion, in: AcP 181 (1981), S. 131–142 [zit.: G.Hassold, Konstruktion (1981)] HATTENHAUER, Hans: Einleitung zu DERS., Thibaut und Savigny. Ihre programmatischen Schriften, München 1973, S. 9–58 [zit.: H.Hattenhauer, Einleitung (1973)] HAVERKATE, Görg: Gewißheitsverluste im juristischen Denken. Zur politischen Funktion der juristischen Methode, Berlin 1977 (Schriften zur Rechtstheorie. Heft 73) [zit.: G.Haverkate, Gewißheitsverluste (1977)] HECK, Philipp: Was ist diejenige Begriffsjurisprudenz, die wir bekämpfen? (1909), wieder abgedruckt in: Günter Ellscheid/Winfried Hassemer (Hrsg.), Interessenjurisprudenz, Darmstadt 1974 (Wege der Forschung. Band CCCXLV), S. 41–46 [zit.: P.Heck, Begriffsjurisprudenz (1909)] DERS.: Das Problem der Rechtsgewinnung (1912), teilweise wieder abgedruckt in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. Band CCCCXXXIV), S. 191–200 [zit.: P.Heck, Rechtsgewinnung (1912)] DERS.: Begriffsjurisprudenz und Interessenjurisprudenz (1929), wieder abgedruckt in: Günter Ellscheid/Winfried Hassemer (Hrsg.), Interessenjurisprudenz, Darmstadt 1974 (Wege der Forschung. Band CCCXLV), S. 88–108 [zit.: P.Heck, Interessenjurisprudenz (1929)] DERS.: Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, Tübingen 1932 [zit.: P.Heck, Begriffsbildung (1932)] HEGEL, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Auf der Grundlage der »Werke« von 1832–1845 neu editierte Ausgabe in der Schriftenreihe »Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft«, Werke in 20 Bänden, Band 12, 2. Auflage, Frankfurt a.M. 1989 [zit.: G.W.F.Hegel, Ph.d.Gesch.] DERS.: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (1821). Mit Hegels eigenhändigen Notizen in seinem Handexemplar und den mündlichen Zusätzen. Herausgegeben und eingeleitet von Helmut Reichelt, Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1972 [zit.: G.W.F.Hegel, Rph. (1821)] HEINRICH, Christian: Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit. Die Grundlagen der Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle am Beispiel ausgewählter Probleme des Arbeitsrechts, Tübingen 2000 [zit.: C.Heinrich, Vertragsfreiheit (2000)] HELFER, Christian: Rudolf von Ihering über das Rechtsstudium, in: JZ 1966, S. 506–509 [zit.: C.Helfer, Rechtsstudium (1966)] DERS.: Rudolf von Jhering als Rechtssoziologe. Eine Erinnerung zum 150. Geburtstag, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 20. Jahrgang, Köln/Opladen 1968, S. 553–571 [zit.: C.Helfer, Jhering (1968)] DERS.: Jherings Gesellschaftsanalyse im Urteil der heutigen Sozialwissenschaft, in: Franz Wieacker/Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 79–88 [zit.: C.Helfer, Gesellschaftsanalyse (1970)]

708

Verzeichnis der Quellen und Literatur

HELMHOLTZ, Hermann von: Ueber das Verhältniss der Naturwissenschaften zur Gesammtheit der Wissenschaft. Akademische Festrede gehalten zu Heidelberg beim Antritt des Prorectorats 1862, in: H.v.Helmholtz, Vorträge und Reden. Erster Band, Fünfte Auflage, Braunschweig 1903, S. 157–185 [zit.: H.v.Helmholtz, Naturwissenschaften (1903)] HENKE, Horst-Eberhard: Wie tot ist die Begriffsjurisprudenz? (1967), wieder abgedruckt in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. Band CCCCXXXIV), S. 390–415 [zit.: H.-E.Henke, Begriffsjurisprudenz (1967)] HENNING, Friedrich-Wilhelm: Die Entwicklung der Aktiv- und der Passivgeschäfte der Banken im 19. Jahrhundert in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des Kontokorrent- und des Wechselkredits, in: Helmut Coing/Walter Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert. Band V: Geld und Banken, Frankfurt am Main 1980 (Studien zur Rechtswissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts. Band 5), S. 55–76 [zit.: F.-W.Henning, Entwicklung (1980)] HERBERGER, Maximilian: Wissenschaftstheorie für Juristen. Logik – Semiotik – Erfahrungswissenschaften, Frankfurt am Main 1980 (Juristische Lernbücher. Band 13) [zit.: M.Herberger, Wissenschaftstheorie (1980)] DERS.: Dogmatik. Zur Geschichte von Begriff und Methode in Medizin und Jurisprudenz, Frankfurt a.M. 1981 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Texte und Monographien. Bd. 12) [zit.: M.Herberger, Dogmatik (1981)] DERS.: Beziehungen zwischen Naturwissenschaft und Jurisprudenz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. Organ der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte Band 6/1983, S. 79–88 [zit.: M.Herberger, Beziehungen (1983)] DERS.: Logik und Dogmatik bei Paul Laband. Zur Praxis der sog. juristischen Methode im ›Staatsrecht des Deutschen Reiches‹, in: Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Ancien R8gime. Europäische Ansichten. Herausgegeben von Erk Volkmar Heyen, Frankfurt am Main 1984 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Texte und Monographien. 21), S. 91–104 [zit.: M.Herberger, Logik (1984)] HESS, William: Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit im deutschen Rechtsdenken des 19. Jahrhunderts, Freiburger Diss. 1961 [zit.: W.Hess, Verhältnis (1961)] HEYMANN, Ernst: Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät, in: Otto Liebmann (Hrsg.), Die Juristische Fakultät der Universität Berlin von ihrer Gründung bis zur Gegenwart in Wort u. Bild, in Urkunden u. Briefen. Mit 450 handschriftlichen Widmungen. Festgabe der Deutschen Juristen-Zeitung zur Jahrhundertfeier der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1910, S. 3–66 [zit.: E.HEYMANN, Berliner Juristenfakultät (1910)] HIPPEL, Ernst von: Rechtsgesetz und Naturgesetz, Halle (Saale) 1942 (Die Gestalt. Abhandlungen zu einer allgemeinen Morphologie. Heft 9) [zit.: E.v.HIPPEL, Rechtsgesetz (1942)] HOFMEISTER, Herbert: Jhering in Wien, in: O.Behrends (Hrsg.), Rudolf von Jhering. Beiträge und Zeugnisse aus Anlaß der einhundersten Wiederkehr seines Todestages am 17. 9. 1992, Göttingen 1992, S. 38–48 [zit.: H.Hofmeister, Jhering (1992)]

Literatur

709

HOMMES, Hendrik Jan: Zum Begriff der »juristischen Konstruktion«. Eine Analyse der Auffassungen bei von Jhering, G8ny, Scholten und Meijers (1965), wieder abgedruckt in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. Band CCCCXXXIV), S. 327–357 [zit.: H.J.Hommes, Konstruktion (1965)] DERS.: Rudolf von Jherings naturhistorische Methode, in: Franz Wieacker/Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 101–115 [zit.: H.J.HOMMES, Methode (1970)] HOPPE, Brigitte: Umbildungen der Forschung in der Biologie im 19. Jahrhundert, in: Konzeption und Begriff der Forschung in der deutschen Historie des 19. Jahrhunderts, in: A.Diemer (Hrsg.), Konzeption und Begriff der Forschung in den Wissenschaften des 19. Jahrhunderts. Referate und Diskussionen des 10. wissenschaftstheoretischen Kolloquiums 1975, Meisenheim am Glan 1978 (Studien zur Wissenschaftstheorie. Band 12), S. 104–188 [zit.: B.HOPPE, Biologie (1978)] HUBER, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band I. Reform und Restauration 1789–1830, Nachdruck der zweiten, verbesserten Auflage 1967, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1975 [zit.: E.R.Huber, Verfassungsgeschichte I (21967)] Band II. Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830–1850, Dritte wesentlich überarbeitete Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1988 [zit.: E.R.Huber, Verfassungsgeschichte II (31988)] HUFELAND, Gottlieb: Ueber den eigenthümlichen Geist des Römischen Rechts im Allgemeinen mit Beziehung auf neuere Gesetzgebungen, in: Gottlieb Hufeland, Ueber den eigenthümlichen Geist des römischen Rechts im Allgemeinen und im Einzelnen mit Vergleichungen neuer Gesetzgebungen. Eine Reihe von Abhandlungen, welche zugleich als erläuterndes Handbuch über die ungewöhnlichen Darstellungen in dem Lehrbuch des gemeinen Civilrechts dienen können. Erster Theil, Abhandlung I., Gießen 1815 [zit.: G.Hufeland, Geist (1815)] HUGO, Gustav : Lehrbuch der juristischen Encyclopädie. Zweiter, ganz von neuem ausgearbeiteter, Versuch, Berlin 1799 ( = Lehrbuch eines civilistischen Cursus […]. Erster Band, welcher als allgemeine Einleitung in die Jurisprudenz überhaupt und den civilistischen Cursus insbesondere, die juristische Encyclopädie enthält) [zit.: G.Hugo, Encyclopädie (21799)] Sechste, vermehrte und verbesserte, Ausgabe, Berlin 1820 ( = Lehrbuch eines civilistischen Cursus […]. Erster Band, welcher als allgemeine Einleitung die juristische Encyclopädie enthält) [zit.: G.Hugo, Encyclopädie (61820)] DERS.: Lehrbuch des Naturrechts, als einer Philosophie des positiven Rechts, besonders des PrivatRechts […]. Zweyter, ganz von neuem ausgearbeiteter, Versuch, Berlin 1799 ( = Lehrbuch eines civilistischen Cursus […]. Zweyter Band, welcher das Naturrecht, als eine Philosophie des positiven Rechts enthält) [zit.: G.Hugo, Naturrecht (21799)] Vierte, sehr veränderte, Ausgabe, Berlin 1819 ( = Lehrbuch eines civilistischen Cursus […]. Zweyter Band, welcher das Naturrecht, als eine Philosophie des positiven, besonders des PrivatRechts, enthält) [zit.: G.Hugo, Naturrecht (41819)]

710

Verzeichnis der Quellen und Literatur

DERS.: Beyträge zur civilistischen Bücherkenntniß der letzten vierzig Jahre, aus den Göttingischen gelehrten Anzeigen und den Vorreden, besonders zu den Theilen des civilistischen Cursus, zusammen abgedruckt und mit Zusätzen begleitet vom Geheimen JustizRath Ritter Hugo, Beylage zum civilistischen Cursus und dem civilistischen Magazin. Erster Band, Berlin 1828 [zit.: G.Hugo, Beyträge (1828)] HURWICZ, Elias: Rudolf von Ihering und die deutsche Rechtswissenschaft. Mit besonderer Berücksichtigung des Strafrechts, Berlin 1911 (Abhandlungen des kriminalistischen Seminars an der Universität Berlin. Herausgegeben von Franz v. Liszt. Neue Folge. Sechster Band. 4. Heft) [zit.: E.Hurwicz, Ihering (1911)] IGGERS, Georg G.: Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart [Autoris. Übertr. aus dem Engl. von Christian M. Barth]. Vom Autor durchges. und erw. Ausg., Wien/Köln/Weimar 1997 [zit.: G.G.IGGERS, Dt. Geschichtswissenschaft (1997)] ISAY, Hermann: Rechtsnorm und Entscheidung, Berlin 1929 [zit.: H.ISAY, Rechtsnorm (1929)] JÄDE, Christian (Hrsg.): Rudolf von Jhering. Pandektenvorlesung nach Puchta. Ein Kollegheft aus dem Wintersemester 1859/60, Göttingen 2008 [zit.: C.Jäde, Pandektenvorlesung (2008)] JAHR, Günther : Zum Verhältnis von Rechtstheorie und Rechtsdogmatik, in: Günther Jahr/Werner Maihofer (Hrsg.), Rechtstheorie. Beiträge zur Grundlagendiskussion, Frankfurt am Main 1971, S. 303–311 [zit.: G.Jahr, Rechtstheorie (1971)] JAKOBS, Horst Heinrich: Wissenschaft und Gesetzgebung im bürgerlichen Recht nach der Rechtsquellenlehre des 19. Jahrhunderts, Paderborn/München/Wien/Zürich 1983 (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft. Herausgegeben von Alexander Hollerbach, Hans Maier, Paul Mikat. Neue Folge, Heft 38) [zit.: H.H.Jakobs,Wiss. u. Gesetzgeb. (1983)] JERUSALEM, Franz W.: Kritik der Rechtswissenschaft, Frankfurt am Main 1948 [zit.: F.Jerusalem, Rechtswissenschaft (1948)] JHERING, Friedrich von: Zur Gießener Wirksamkeit Rudolf von Jherings, in: Johannes Biermann (Hrsg.): Rudolf von Jhering (1852–1868). Briefe und Erinnerungen. Zur Erinnerung an Rudolf von Jhering in Gießen. Eine anspruchslose Festgabe für die Freunde und Schüler Jherings zum dreihundertjährigen Jubiläum der Universität Gießen, Berlin 1907, S. 77–90 [zit.: F.Jhering, Gießener Wirksamkeit (1907)] JHERING, Hermann von: Erinnerungen an Rudolf von Jhering (1912), in: Anhang zu Helene Ehrenberg (Hrsg.), Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde. Mit zwei Bildnissen, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1913, Aalen 1971, S. 445–472 [zit.: H.Jhering, Erinnerungen (1912)] JONGE, Morris de: Rudolf von Ihering. Eine Skizze nach seinen Werken gezeichnet, Berlin 1888 [zit.: M.d.Jonge, Ihering (1888)] JØRGENSEN, Stig: Die Bedeutung Jherings für die neuere skandinavische Rechtslehre, in: Franz Wieacker/Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 116–126 [zit.: S.Jørgensen, Jhering (1970)] JUNG, Erich: Von der ›logischen Geschlossenheit‹ des Rechts (1900), wieder abgedruckt in: Gesetzesbindung und Richterfreiheit. Texte zur Methodendebatte 1900–1914.

Literatur

711

Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Andreas Gängel und Karl A. Mollnau, Freiburg (Breisgau)/Berlin 1992, S. 7–36 [zit.: E.Jung, Geschlossenheit (1900)] KAISER, Andreas: Zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Gesellschaftsordnung während des 19. Jahrhunderts insbesondere in den Auseinandersetzungen über den Arbeitsvertrag, Diss. jur. Berlin 1972 [zit.: A.Kaiser, Vertragsfreiheit (1972)] KANT, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft 1 und 2 (11781/21787). Werkausgabe Band III und IV. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Taschenbuchausgabe, text- und seitengleich mit W.Weischedels Theorie-Werkausgabe Immanuel Kant von 1968, 1. Auflage, Frankfurt a.M. 1974 [zit.: I.Kant, KrV (11781/21787), A (Erstausgabe) … B (Zweitausgabe) …. = WW IV] DERS.: Kritik der praktischen Vernunft (1788). Werkausgabe Band VII. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Taschenbuchausgabe, text- und seitengleich mit W.Weischedels Theorie-Werkausgabe Immanuel Kant von 1968, 1. Auflage, Frankfurt a.M. 1974, S. 103–302 [zit.: I.Kant, KpV (1788), A (Erstausgabe) … = WW VII] DERS.: Kritik der Urteilskraft (11790/21793). Werkausgabe Band X. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Taschenbuchausgabe, text- und seitengleich mit W.Weischedels Theorie-Werkausgabe Immanuel Kant von 1968, 1. Auflage, Frankfurt a.M. 1974 [zit.: I.Kant, KdU (11790/21793), A (Erstausgabe) … B (Zweitausgabe) … = WW X] DERS.: Die Metaphysik der Sitten in zwey Theilen. Erster Theil. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1797). Werkausgabe Band VIII. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Taschenbuchausgabe, textund seitengleich mit W.Weischedels Theorie-Werkausgabe Immanuel Kant von 1968, 5. Auflage, Frankfurt a.M. 1982 [zit.: I.Kant, MdS RL (1797), A (Erstausgabe) … B (Zweitausgabe) … = WW VIII] Zweiter Theil. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre (1797). Werkausgabe Band VIII. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Taschenbuchausgabe, textund seitengleich mit W.Weischedels Theorie-Werkausgabe Immanuel Kant von 1968, 5. Auflage, Frankfurt a.M. 1982 [zit.: I.Kant, MdS TL (1797), A (Erstausgabe) … B (Zweitausgabe) … = WW VIII] DERS.: Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: DERS., Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, Bd. 1, Werkausgabe Band XI. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Taschenbuchausgabe, text- und seitengleich mit W.Weischedels Theorie-Werkausgabe Immanuel Kant von 1968, 1. Auflage, Frankfurt a.M. 1977, S. 125–172 [zit.: I.Kant, Gemeinspruch, A (Erstausgabe) … = WW XI] KANTOROWICZ, Hermann: Der Kampf um die Rechtswissenschaft. Von Gnaeus Flavius, Heidelberg 1906 [zit.: H.Kantorowicz, Kampf (1906)] DERS.: Was ist uns Savigny? (1911), wieder abgedruckt in: Helmut Coing/Gerhard Immel (Hrsg.), Rechtshistorische Schriften. Von Dr. Hermann Kantorowicz weiland Professor der Rechte in Freiburg/Br., Kiel und Cambridge, Karlsruhe 1970 (Freiburger Rechtsund Staatswissenschaftliche Abhandlungen. Herausgegeben von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg/Br., Band 30), S. 397–417 [zit.: H.Kantorowicz, Savigny (1911)] DERS.:Iherings Bekehrung, in: Deutsche Richterzeitung, VI. Jahrgang, Nr. 2 (15. Januar 1914), Sp. 84–87 [zit.: H.Kantorowicz, Iherings Bekehrung (1914)]

712

Verzeichnis der Quellen und Literatur

KASER, Max: Zur Methode der römischen Rechtsfindung, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen aus dem Jahre 1962. Philologisch-Historische Klasse, Göttingen 1962, S. 47–78 [zit.: M.Kaser, Rechtsfindung (1962)] DERS.: Römische Rechtsgeschichte, Unveränderter Nachdruck der zweiten, neubearbeiteten Auflage von 1967, Göttingen 1976 [zit.: M.Kaser, Röm.Rechtsgesch. (21967)] DERS.: Das Römische Privatrecht. Erster Abschnitt. Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, Zweite, neubearbeitete Auflage mit Nachträgen zum Ersten Abschnitt, München 1971 (Handbuch der Altertumswissenschaft. Zehnte Abteilung, Rechtsgeschichte des Altertums, Dritter Teil Dritter Band, Zweiter Abschnitt) [zit.: M.Kaser, Röm.PrivatR I (11971)] DERS.: Anhang über Rechtsregeln, literarischen Juristenstil, justinianische Streichungen und Kürzungen, neu abgedruckt in: Max Kaser, Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode. Ausgewählte, zum Teil grundlegend erneuerte Abhandlungen, Wien/Köln/Graz 1986, S. 146–154 [zit.: M.Kaser, Rechtsregeln (1986)] DERS.: Römisches Privatrecht. Ein Studienbuch, 16., durchgesehene Auflage, München 1992 [zit.: M.Kaser, Röm.PrivatR (161992)] KASPER, Franz: Das subjektive Recht – Begriffsbildung und Bedeutungsmehrheit, Karlsruhe 1967 (Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftliche Abhandlungen. Herausgegeben von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg/Br., Band 25) [zit.: F.Kasper, Recht (1967)] KAUFMANN, Arthur : Analogie und ›Natur der Sache‹. Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Typus. Vortrag gehalten vor der Juristischen Studiengesellschaft in Karlsruhe am 22. April 1964, Karlsruhe 1965 (Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe. Schriftenreihe. Heft 65/66) [zit.: A.Kaufmann, Analogie (1965)] DERS.: Über die Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft. Ansätze zu einer Konvergenztheorie der Wahrheit, in: ARSP 72 (1986), S. 425–442 [zit.: A.Kaufmann, Wissenschaftlichkeit (1986)] DERS.: Problemgeschichte der Rechtsphilosophie, in: Arthur Kaufmann/Winfried Hassemer (Hrsg.): Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 5., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Heidelberg 1989, S. 25–141 [zit.: A.Kaufmann, Problemgeschichte (51989)] DERS.: Das Verfahren der Rechtsgewinnung. Eine rationale Analyse: Deduktion, Induktion, Abduktion, Analogie, Erkenntnis, Dezision, Macht, München 1999 [zit.: A.Kaufmann, Rechtsgewinnung (1999)] KELSEN, Hans: Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, Zweite, vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage 1960. Unveränderte Nachdruck Wien 1983 [zit.: H.Kelsen, Reine Rechtslehre (21960)] KIEFNER, Hans: Der Einfluß Kants auf Theorie und Praxis des Zivilrechts im 19. Jahrhundert, in: J.Blühdorn/J.Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1969 (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. Band 3), S. 3–25 [zit.: H.Kiefner, Einfluß Kants (1969)] DERS.: Das Rechtsverhältnis. Zu Savignys System des heutigen Römischen Rechts: Die Entstehungsgeschichte des § 52 über das »Wesen der Rechtsverhältnisse«, in: Norbert Horn (Hrsg.), Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart. Festschrift

Literatur

713

für Helmut Coing zum 70. Geburtstag, Band 1, München 1982, S. 149–176 [zit.: H.Kiefner, Rechtsverhältnis (1982)] DERS.: Das Städel’sche Kunstinstitut. Zugleich zu C.F.Mühlenbruchs Beurteilung eines berühmten Rechtsfalls, in: Quad. Fior. 11/12 (1982/83). Tomo 1, S. 339–397 [zit.: H.Kiefner, Kunstinstitut (1982/82)] DERS.: Thibaut und Savigny. Bemerkungen zum Kodifikationsstreit, in: Festschrift für Rudolf Gmür zum 70. Geburtstag. Herausgegeben von Arno Buschmann, Franz-Ludwig Knemeyer, Gerhard Otte und Werner Schubert, Bielefeld 1983, S. 53–85 [zit.: H.Kiefner, Kodifikationsstreit (1983)] KIERULFF, Johann Friedrich: Theorie des Gemeinen Civilrechts. Erster Band, Altona 1839 [zit.: J.F.Kierulff, Theorie (1839)] KIRCHMANN, Julius Hermann von: Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Ein Vortrag, gehalten in der juristischen Gesellschaft zu Berlin von StaatsAnwalt v. Kirchmann. Reprint des Textes der Erstauflage von 1848. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990 [zit.: J.H.v.Kirchmann, Werthlosigkeit (1848)] KLEINHEYER, Gerd / Jan SCHRÖDER (Hrsg.): Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten. Eine biographische Einführung in die Geschichte der Rechtswissenschaft. Unter Mitarbeit von Erwin Forster, Hagen Hof und Bernhard Pahlmann, 3., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Heidelberg 1989 [zit.: G.Kleinheyer/J.Schröder, Deutsche Juristen (31989)] KLEMANN, Bernd: Rudolf von Jhering und die Historische Rechtsschule, Frankfurt a.M./ Bern/New York/Paris 1989 (Rechtshistorische Reihe. Herausgegeben von H.-J.Becker u. a.. Band 70) [zit.: B.Klemann, Jhering (1989)] DERS.: Jherings Wandlung, in: Heinz Mohnhaupt (Hrsg.), Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988–1990). Beispiele, Parallelen Positionen, Frankfurt a.M. 1991 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 53), S. 130–150 [zit.: B.Klemann, Jherings Wandlung (1991)] KLENNER, Hermann: Kirchmann oder : Die Provokation als Produktivkraft, in: Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 79–98 [zit.: H.Klenner, Kirchmann (1990)] DERS.: Deutsche Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert. Essays, Berlin 1991 [zit.: H.Klenner, Rechtsphilosophie (1991)] DERS.: Savignys Forschungsprogramm der Historischen Rechtsschule und die geistesgeschichtliche Lage Berlins im 19. Jahrhundert, in: Heinz Mohnhaupt (Hrsg.), Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988–1990). Beispiele, Parallelen Positionen, Frankfurt a.M. 1991 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 53), S. 2–33 [zit.: H.Klenner, Savignys Forschungsprogramm (1991)] DERS.: Jherings Kampf ums Recht, in: Rudolf v. Jhering, Der Kampf ums Recht, hrsg. und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1992, S. 133–147 [zit.: H.Klenner, Jherings Kampf (1992)]

714

Verzeichnis der Quellen und Literatur

KLIPPEL, Diethelm: Historische Wurzeln und Funktionen von Immaterialgüter- und Persönlichkeitsrechten im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte (ZNR), 4. Jahrgang 1982, S. 132–155 [zit.: D.Klippel, Hist. Wurzeln (1982)] DERS.: Persönlichkeit und Freiheit. Das ›Recht der Persönlichkeit‹ in der Entwicklung der Freiheitsrechte im 18. und 19. Jahrhundert, in: Günter Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1987 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte. Band 2), S. 269– 290 [zit.: D.Klippel, Persönlichkeit (1987)] DERS.: Rudolf von Jhering an der Juristischen Fakultät der Ludwigs-Universität Gießen (1852–1868), in: O.Behrends (Hrsg.), Rudolf von Jhering. Beiträge und Zeugnisse aus Anlaß der einhundersten Wiederkehr seines Todestages am 17. 9. 1992, Göttingen 1992, S. 31–37 [zit.: D.Klippel, Jhering (1992)] DERS.: Naturrecht und Politik im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: Karl Graf Ballestrem (Hrsg.), Naturrecht und Politik, Berlin 1993, S. 27–48 (Philosophische Schriften. Band 8) [zit.: D.Klippel, Naturrecht (1993)] DERS.: Die Historisierung des Naturrechts. Rechtsphilosophie und Geschichte im 19. Jahrhundert, in: Jean-FranÅois Kerv8gan/Heinz Mohnhaupt (Hrsg.), Recht zwischen Natur und Geschichte. Le droit entre natur et histoire. Deutsch-fanzösisches Symposion vom 24. bis 26. November 1994 an der Universität Cergy-Pontoise, Frankfurt am Main 1997 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 100), S. 103–124 [zit.: D.Klippel, Historisierung (1997)] KLUG, Ulrich: Juristische Logik, Vierte, neubearbeitete Auflage, Berlin/Heidelberg/New York 1982 [zit.: U.Klug, Logik (41982)] KOCH, Hans-Joachim: Deduktive Entscheidungsbegründung, in: Okko Behrends/Malte Dießelhorst/Ralf Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft. Symposion zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker, Göttingen 1990 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 181), S. 69–94 [zit.: H.-J.Koch, Deduktive Entscheidungsbegründung (1990)] KÖTZ, Hein: Rechtsvergleichung und Rechtsdogmatik, in: Rechtsdogmatik und Rechtspolitik. Hamburger Ringvorlesung im Auftrag des Fachbereichs herausgegeben von Prof. Dr. Karsten Schmidt, Berlin 1990 (Hamburger Rechtsstudien herausgegeben von den Mitgliedern des Fachbereichs Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg. Heft 78), S. 75–89 [zit.: H.Kötz, Rechtsdogmatik (1990)] KOHUT, Adolf: Rudolf von Jhering. Eine biographisch-kritische Studie, in: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte. Ein Familienbuch für das gesamte geistige Leben der Gegenwart. Sechzigster Band (April bis September 1886), Braunschweig 1886, S. 361– 375 [zit.: A.Kohut, Jhering (1886)] KOLLER, Peter : Theorie des Rechts. Eine Einführung, Wien/Köln/Weimar 1992 [zit.: P.Koller, Theorie (1992)] KOSCHAKER, Paul: Die Krise des römischen Rechts und die romanistische Wissenschaft, München/Berlin 1938 (Schriften der Akademie für Deutsches Recht. Gruppe Römisches Recht und fremde Rechte Nr. 1) [zit.: P.Koschaker, Krise (1938)] DERS.: Europa und das römische Recht, Zweite, unveränderte Auflage, München und Berlin 1953 [zit.: P.Koschaker, Europa (21953)]

Literatur

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KRAWIETZ, Werner : Begriffsjurisprudenz (1971), wieder abgedruckt in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. Band CCCCXXXIV), S. 432–437 [zit.: W.Krawietz, Begriffsjurisprudenz (1971)] DERS.: Zur Einleitung: Juristische Konstruktion, Kritik und Krise dogmatischer Rechtswissenschaft, in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. Band CCCCXXXIV), S. 1–10 [zit.: W.Krawietz, Konstruktion (1976)] DERS.: Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis. Eine Untersuchung zum Verhältnis von dogmatischer Rechtswissenschaft und rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung, Wien/New York 1978 (Forschungen aus Staat und Recht. Band 38) [zit.: W.Krawietz, Entscheidung (1978)] DERS.: Der soziologische Begriff des Rechts, in: RJ 7 (1988), S. 157–177 [zit.: W.Krawietz, Begriff des Rechts (1988)] KRIECHBAUM, Maximiliane: Dogmatik und Rechtsgeschichte bei Ernst Immanuel Bekker, München 1984 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Band 61. Herausgegeben im Auftrag der Juristischen Fakultät von Sten Gagn8r, Arthur Kaufmann, Dieter Nörr) [zit.: M.Kriechbaum, Bekker (1984)] KRIELE, Martin: Theorie der Rechtsgewinnung entwickelt am Problem der Verfassungsinterpretation, Berlin 1967 (Schriften zum öffentlichen Recht. Band 41) [zit.: M.Kriele, Rechtsgewinnung (1967)] KRINGS, Hermann/Hans Michael Baumgartner/Christoph Wild (Hrsg.): Handbuch philosophischer Grundbegriffe. Studienausgabe. Band 5, München 1974 [zit.: H.Krings, Grundbegriffe (1974)] KROESCHELL, Karl: Zielsetzung und Arbeitsweise der Wissenschaft vom gemeinen deutschen Privatrecht, in: Helmut Coing/Walter Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert. Band I, Frankfurt am Main 1974 (Studien zur Rechtswissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts. Band 1), S. 249–276 [zit.: K.Kroeschell, Privatrecht (1974)] DERS.: Zur Lehre vom »germanischen« Eigentumsbegriff, in: Rechtshistorische Studien. Hans Thieme zum 70. Geburtstag zugeeignet von seinen Schülern, Köln/Wien 1977, S. 34–71 [zit.: K.Kroeschell, Eigentumsbegriff (1977)] DERS.: Einleitung, in: Jherings Briefe an Windscheid. 1870–1891. Herausgegeben von Karl Kroeschell, Göttingen 1988 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 170), S. 7–13 [zit.: K.Kroeschell, Einleitung (1988)] KROPPENBERG, Inge: Die Plastik des Rechts. Sammlung und System bei Rudolf v. Jhering, Berlin 2015 [zit.: I.Kroppenberg, Plastik (2015)] KRÜGER, Herbert: Kant und die Staatslehre des 19. Jahrhunderts. Ein Arbeitsprogramm, in: J.Blühdorn/J.Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1969 (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. Band 3), S. 49–56 [zit.: H.Krüger, Staatslehre (1969)] KÜBLER, Friedrich: Bankgeschäfte und Privatrechtsdogmatik, in: Helmut Coing/Walter Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert.

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Verzeichnis der Quellen und Literatur

Band V: Geld und Banken, Frankfurt am Main 1980 (Studien zur Rechtswissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts. Band 5), S. 77–93 [zit.: F.Kübler, Bankgeschäfte (1980)] KÜHNAST, L.: Jhering’s Definition des Rechts, in: Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, in besonderer Beziehung auf das Preußische Recht mit Einschluß des Handelsund Wechselrechts, herausgegeben von Rassow und Küntzel, Dritte Folge, Vierter Jahrgang (Der ganzen Reihe der Beiträge XXIV. Jahrgang), Berlin 1880, S. 1–20 sowie S. 153–170 [zit.: L.Kühnast, Definition (1880)] KUNTZE, Johannes Emil: Anzeige zu »Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwickelung. Von Rud. Jhering […] 1. Theil. Leipzig […] 1852«, anonym erschienen (vgl. aber zur Verfasserschaft Kuntzes Teil 2, S. 417 Fn. 2085) in: Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur. Unter Mitwirkung der Universität Leipzig herausgegeben von E.G. Gersdorf. Zehnter Jahrgang, Dritter Band, Leipzig 1852, S. 258–264 [zit.: J.E.Kuntze, Anzeige (1852)] DERS.: Das römische und deutsche Recht in der Gegenwart und die Aufgabe der modernen Rechtswissenschaft in der Zukunft (Sammelrezension u. a. zu »Rud. Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedene[n] Stufen seiner Entwickelung. 1. Theil. Leipzig 1852«), in: Kritische Ueberschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, herausgegeben von L.Arndts, J.C.Bluntschli und J.Pözl, Zweiter Band, München 1855, S. 173–228 [zit.: J.E.Kuntze, Geist I-Rezension (1855)] DERS.: Rezension zu »R.Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwickelung. Zweiter Theil. Erste Abtheilung, Leipzig 1854«, in: Jahrbücher der deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. In Verbindung mit mehreren Gelehrten herausgegeben von H.Th.Schletter, I. Band, Erlangen 1855, S. 309–315 [zit.: J.E.Kuntze, Geist II/1-Rezension (1855)] DERS.: Die Obligation und die Singularsuccession des römischen und heutigen Rechtes. Eine civilistische Studie, Leipzig 1856 [zit.: J.E.Kuntze, Obligation (1856)] DERS.: Der Wendepunkt der Rechtswissenschaft; ein Beitrag zur Orientierung über den gegenwärtigen Stand- und Zielpunkt derselben, Leipzig 1856 [zit.: J.E.Kuntze, Wendepunkt (1856)] DERS.: Die Lehre von den Inhaberpapieren oder Obligationen au porteur, rechtsgeschichtlich, dogmatisch und mit Berücksichtigung der deutschen Partikularrechte dargestellt, Leipzig 1857 [zit.: J.E.Kuntze, Inhaberpapiere (1857)] KUNZE, Michael: Jherings Universalrechtsgeschichte. Zu einer unveröffentlichten Handschrift des Privatdozenten Dr. Rudolf Jhering, in: Heinz Mohnhaupt (Hrsg.), Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988–1990). Beispiele, Parallelen, Positionen, Frankfurt a.M. 1991 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 53), S. 151–186 [zit.: M.Kunze, Universalrechtsgeschichte (1991)] DERS.: Jherings Jubiläum, in: Die Bedeutung der Wörter. Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Festschrift für Sten Gagn8r. Herausgegeben von Michael Stolleis zusammen mit Monika Frommel, Joachim Rückert, Rainer Schröder, Kurt Seelmann, Wolfgang Wiegand, München 1991 [zit.: M.Kunze, Jherings Jubiläum (1991)]

Literatur

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DERS.: Rudolf von Jhering – ein Lebensbild, in: O.Behrends (Hrsg.), Rudolf von Jhering. Beiträge und Zeugnisse aus Anlaß der einhundersten Wiederkehr seines Todestages am 17. 9. 1992, Göttingen 1992, S. 11–28 [zit.: M.Kunze, Lebensbild (1992)] DERS.: Rudolf von Jhering. Ein Forschungsbericht, in: G.Luf und W.Ogris (Hrsg.), Der Kampf ums Recht, Berlin 1995, S. 125–148 [zit.: M.Kunze, Forschungsbericht (1995)] LANDAU, Peter : Puchta und Aristoteles. Überlegungen zu den philosophischen Grundlagen der historischen Schule und zur Methode Puchtas als Zivilrechtsdogmatiker, in: ZRG Rom. Abt. 109 (1992), S. 1–30 [zit.: P.Landau, Puchta (1992)] DERS.: Die Rechtsquellenlehre in der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, in: Juristische Theoriebildung und Rechtliche Einheit. Beiträge zu einem rechtshistorischen Seminar in Stockholm im September 1992. Sonderdruck aus Rättshistoriska Studier 1993, Band XIX, S. 69–89 [zit.: P.Landau, Rechtsquellenlehre (1993)] DERS.: Das substantielle Moment im Recht bei Rudolph von Jhering. Krausistische Elemente in Jherings Rechtstheorie, in: Claus Dierksmeier (Hrsg.), Die Ausnahmen denken. Festschrift zum 60. Geburtstag von Klaus-Michael Kodalle, Würzburg 2003, S. 247–255 [zit.: P.Landau, Das substantielle Moment (2003)]. LANDSBERG, Ernst: Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft. Dritte Abteilung. Zweiter Halbband, Text von E.Landsberg. 19. Jahrhundert bis etwa 1870. Fortsetzung zu der Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, erste und zweite Abteilung, von R.Stintzing, 2. Neudruck der Ausgabe München 1910, Aalen 1978 (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit. Achtzehnter Band. Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft) [zit.: E.Landsberg, Geschichte III/2 (1910)] DERS.: Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft. Dritte Abteilung. Zweiter Halbband, Noten von E.Landsberg. Fortsetzung zu der Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, erste und zweite Abteilung, von R.Stintzing, 2. Neudruck der Ausgabe München 1910, Aalen 1978 [zit.: E.Landsberg, Noten (1910)] LANGE, Harry : Die Wandlungen Jherings in seiner Auffassung vom Recht, Berlin 1927 [zit.: H.Lange, Wandlungen (1927)] LANGE, Heinrich: BGB. Allgemeiner Teil. Ein Studienbuch, München und Berlin 1952 [zit.: H.Lange, BGB (1952)] LANGHEIN, A.W.Heinrich: Das Prinzip der Analogie als juristische Methode. Ein Beitrag zur Geschichte der methodologischen Grundlagenforschung vom ausgehenden 18. bis zum 20. Jahrhundert, Berlin 1992 (Hamburger Rechtsstudien herausgegeben von den Mitgliedern des Fachbereichs Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg. Heft 82) [zit.: A.W.H.Langhein, Analogie (1992)] LARENZ, Karl: Über den Wissenschaftscharakter der Rechtswissenschaft, in: Estudios juridico-sociales. Homenaje al Profesor Luis Legaz y Lacambra, Band 1, Santiago de Compostela 1960, S. 179–186 [zit.: K.Larenz, Wissenschaftscharakter (1960)] DERS.: Richterliche Rechtsfortbildung als methodisches Problem, in: NJW 1965, S. 1–10 [zit.: K.Larenz, Rechtsfortbildung (1965)] DERS.: Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 20. April 1966, Berlin 1966 (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e.V., Berlin. Heft 26) [zit.: K.Larenz, Unentbehrlichkeit (1966)] DERS.: Rudolf von Jhering und die heutige Lage der deutschen Rechtswissenschaft, in: Franz Wieacker/Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion

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Verzeichnis der Quellen und Literatur

zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 135–141 [zit.: K.Larenz, Jhering (1970)] DERS.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. Sechste, neu bearbeitete Auflage, Berlin/ Heidelberg/New York/London/Paris/Tokyo/Hong Kong/Barcelona/Budapest 1991 (Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissen-schaft. Abteilung Rechtswissenschaft) [zit.: K.Larenz, Methodenlehre (61991)] DERS.: Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 5., neubearbeitete Auflage, München 1980 [zit.: K.Larenz, Allg. Teil (51980)] LAUTNER, Julius G.: Zur Bedeutung des römischen Rechts für die europäische Rechtskultur und zu seiner Stellung im Rechtsunterricht. Mit einem Nachwort von Max Kaser, herausgegeben von C.Soliva u. B.Huwiler, Zürich 1976 [zit.: J.G.Lautner, Bedeutung (1976)] LAVRANU, Aliki: Historizität und Verbindlichkeit von Werten. Zu Gustav Hugos Rechtsphilosophie und zu Friedrich Carl von Savignys Rechtslehre, Diss. Göttingen 1996 [zit.: A.Lavranu, Historizität (1996)] LEIBNIZ, Gottfried Wilhelm: Sämtliche Schriften und Briefe. Herausgegeben von der Preussischen Akademie der Wissenschaft. Erste Reihe. Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel. Erster Band. 1668–1676, Darmstadt 1923 [zit.: :G.W.Leibniz, Schriften I/1] LEISEGANG, Hans: Denkformen, Berlin/Leipzig 1928 [zit.: H.Leisegang, Denkformen (1928)] LEIST, Alexander : Rudolf von Jhering. Zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages, Göttingen 1919 [zit.: A.LEIST, Jhering (1919)] LEIST, Burkhard Wilhelm: Civilistische Studien auf dem Gebiete dogmatischer Analyse. Erstes Heft. Ueber die Analyse Römischer Rechtsinstitute, Jena 1854 [zit.: B.W.Leist, Analyse I (1854)] DERS.: Civilistische Studien auf dem Gebiete dogmatischer Analyse. Drittes Heft. Ueber die Natur des Eigenthums, Jena 1859 [zit.: B.W.Leist, Analyse III (1859)] DERS.: Naturalis ratio und Natur der Sache. Ein Nachtrag zu der Schrift »Ueber die Natur des Eigenthums«, Jena 1860 [zit.: B.W.Leist, Naturalis ratio (1860)] LEONHARD, Rudolf: Ein Nachruf für Jhering und Windscheid, in: Nachrufe und Ehrung [Gesammelte Nachrufe der Universität Göttingen], Bd. 9, ohne Orts- und Jahresangabe, um 1893, S. 249–283 [zit.: R.Leonhard, Nachruf (1893)] LENZ, Gustav : Ueber die geschichtliche Entstehung des Rechts. Eine Kritik der historischen Schule, Greifswald und Leipzig 1854 [zit.: G.Lenz, Entstehung (1854)] LEPENIES, Wolf: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, München/Wien 1976 [zit.: W.LEPENIES, Naturgeschichte (1976)] LIEBMANN, Otto (Hrsg.), Die Juristische Fakultät der Universität Berlin von ihrer Gründung bis zur Gegenwart in Wort u. Bild, in Urkunden u. Briefen. Mit 450 handschriftlichen Widmungen. Festgabe der Deutschen Juristen-Zeitung zur Jahrhundertfeier der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1910 [zit.: O.Liebmann, Fakultät (1910)] LIVER, Peter : Eigentumsbegriff und Eigentumsordnung, in: Peter Liver, Privatrechtliche Abhandlungen. Festgabe zum 70. Geburtstag des Verfassers am 21. August 1972.

Literatur

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Herausgegeben von Hans Merz, Bern 1972, S. 149–173 [zit.: P.Liver, Eigentumsbegriff (1972)] LLOREDO ALIX, Luis M.: Rudolf von Jhering y el paradigma positivista. Fundamentos ideoljgicos y filosjficos de su pensamiento jur&dico, Madrid 2012 [zit.: L.M.Lloredo Alix, Jhering (2012)] LOSANO, Mario G.: Bibliographie Rudolf von Jherings, in: Franz Wieacker/Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 252–302 [zit.: M.G.Losano, Bibliographie (1970)] DERS.: Dichtung und Wahrheit in Jherings Konstruktionslehre, in: Franz Wieacker/ Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 142–154 [zit.: M.G.Losano, Konstruktionslehre (1970)] DERS.: Bibliografia di Rudolf von Jhering, in: DERS., Carteggio Jhering – Gerber (1849– 1872), Milano 1977 (Universit/ degli studi di Milano. Facolt/ di giurisprudenza. Studi di diritto privato 37), S. 563–626 [zit.: M.G.Losano, Bibliografia (1977)] DERS.: Bibliographie Rudolf von Jherings, in: DERS.: Studien zu Jhering und Gerber. Teil 2, Ebelsbach 1984 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Band 55/2. Herausgegeben im Auftrag der Juristischen Fakultät von Sten Gagn8r, Arthur Kaufmann, Dieter Nörr), S. 207–273 [zit.: M.G.Losano, Bibliographie (1984)] DERS.: Studien zu Jhering und Gerber. Teil 2, Ebelsbach 1984 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Band 55/2. Herausgegeben im Auftrag der Juristischen Fakultät von Sten Gagn8r, Arthur Kaufmann, Dieter Nörr) [zit.: M.G.Losano, Studien (1984)] DERS.: Der Briefwechsel Jherings mit Unger und Glaser, Ebelsbach 1996 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Band 78. Herausgegeben im Auftrag der Juristischen Fakultät von Arthur Kaufmann, Peter Landau, Dieter Nörr) [zit.: M.G.Losano, Briefwechsel (1996)] LUHMANN, Niklas: Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt a.M. 1981 [zit.: N.LUHMANN, Ausdifferenzierung (1981)] LUIG, Klaus: Von Savignys Irrtumslehre zu Jherings culpa in contrahendo, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte (ZNR), 12. Jahrgang 1990, S. 68–76 [zit.: K.Luig, culpa (1990)] DERS.: Jherings Evolutionstheorie des Werdens des Rechts durch Tun und der gesellschaftliche Charakter des Privatrechts (1993), wieder abgedruckt unter dem Titel »Rudolf von Jhering und die historische Rechtsschule« in: O.Behrends (Hrsg.), Jherings Rechtsdenken. Theorie und Pragmatik im Dienste evolutionärer Rechtsethik, Göttingen 1996 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge Nr. 216), S. 255–268 [zit.: K.Luig, Jhering (1993/1996)] DERS.: Recht zwischen Natur und Geschichte. Das Beispiel Rudolf von Jhering, in: JeanFranÅois Kerv8gan/Heinz Mohnhaupt (Hrsg.), Recht zwischen Natur und Geschichte.

720

Verzeichnis der Quellen und Literatur

Le droit entre natur et histoire. Deutsch-fanzösisches Symposion vom 24. bis 26. November 1994 an der Universität Cergy-Pontoise, Frankfurt am Main 1997 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 100), S. 281–303 [zit.: K.Luig, Natur u. Geschichte (1997)] MÄHRLEIN, Christoph: Volksgeist und Recht. Hegels Philosophie der Einheit und ihre Bedeutung in der Rechtswissenschaft, Würzburg 2000 (Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften. Reihe Philosophie. Band 286) [zit.: C.Mährlein, Volksgeist (2000)] MAIHOFER, Werner : Realistische Jurisprudenz, in: Günther Jahr/Werner Maihofer (Hrsg.), Rechtstheorie. Beiträge zur Grundlagendiskussion, Frankfurt am Main 1971, S. 427–470 [zit.: W.Maihofer, Jurisprudenz (1971)] MARTINEK, Michael: Moderne Vertragstypen. Band I. Leasing und Factoring, München 1991 (Schriftenreihe der Juristischen Schulung. Heft 109) [zit.: M.Martinek, Vertragstypen I (1991)] DERS.: Rudolf von Jhering (1818–1892) – Leben und Werk eines großen deutschen Juˇ asopis Pravnog fakulteta Univerziteta Union u Beogradu risten, in: Pravni zapisi. C 2011, S. 5–31 [zit.: M.Martinek, Jhering (2011)] MARX, Heinrich: Die juristische Methode der Rechtsfindung aus der Natur der Sache bei den Göttinger Germanisten Johann Stephan Pütter und Justus Friedrich Runde, Göttingen 1967 [zit.: H.Marx, Natur der Sache (1967)] MAZUREK, Per : Analytische Rechtstheorie, in: Arthur Kaufmann/Winfried Hassemer (Hrsg.): Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 5., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Heidelberg 1989, S. 293–305 [zit.: P.Mazurek, Rechtstheorie (51989)] MAZZACANE, Aldo: Jurisprudenz als Wissenschaft. Die Vorlesungen über juristische Methodologie von Friedrich Carl von Savigny, in: Friedrich Carl von Savigny, Vorlesungen über juristische Methodologie (1802–1842). Herausgegeben und eingeleitet von Aldo Mazzacane, Frankfurt a.M. 1993 (Ius commune. Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 63 = Savignyana. Texte und Studien. Herausgegeben von Joachim Rückert. Bd. 2), S. 1–55 [zit.: A.Mazzacane, Jurisprudenz als Wissenschaft (1993)] MECKE, Christoph-Eric: Objektivität in Recht und Rechtswissenschaft bei G.F.Puchta und R.v.Jhering, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie ARSP 94 (2008), S. 147–169 [zit.: C.-E.Mecke, Objektivität (2008)] DERS.: Puchtas und Jherings Beiträge zur heutigen Theorie der Rechtswissenschaft, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie ARSP 95 (2009), S. 540–562 [zit.: C.E.Mecke, Beiträge (2009)] DERS.: Begriff und System des Rechts bei Georg Friedrich Puchta, Göttingen 2009 [zit.: C.E.Mecke, Begriff (2009)] DERS.: Rudolf von Jhering. Anonym publizierte Frühschriften und unveröffentlichte Handschriften aus seinem Nachlass. Mit Textsynopsen, Erläuterungen und werkgeschichtlicher Einordnung, Göttingen 2010 [zit.: C.-E.Mecke, Jhering (2010)] DERS.: »Regeln werden nur den Schwachköpfen dienen, um sie des eigenen Denkens zu überheben« – Puchtas und Savignys juristische Hermeneutik im Vergleich, in: Stephan

Literatur

721

Meder/Gaetano Carlizzi/Christoph-Eric Mecke/Christoph Sorge (Hrsg.), Juristische Hermeneutik zwischen Vergangenheit und Zukunft, Baden-Baden 2013, S. 37–58 [zit.: C.-E.Mecke, Hermeneutik (2013)] DERS.: Rezension zu »Joachim Rückert/Thomas Duve (Hrsg.): Savigny international?, Frankfurt am Main 2015«, in: ZRG Germ Abt. 134 (2017), S. 481–483 [zit.: C.-E.Mecke, Rückert/Duve-Rezension (2017)] DERS.: Rudolf von Jhering’s »Struggle for law« – the rejection of alternative forms of dispute resolutions?, in: Transformacje prawa prywatnego 4/2017, S. 37–50 [zit.: C.E.Mecke, Jhering’s »Struggle for law« (2017)] DERS.: Friedrich Carl von Savignys Rechtsdenken und die Romantik, in: Antje Arnold/ Walter Pape (Hrsg.): Romantik und Recht: Recht und Sprache, Rechtsfälle und Gerechtigkeit, Berlin 2018 (Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft. 12), S. 34– 59 (im Erscheinen). MEDER, Stephan: Urteilen. Elemente von Kants reflektierender Urteilskraft in Savignys Lehre von der juristischen Entscheidungs- und Regelfindung, Frankfurt am Main 1999 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 118 = Savignyana. Texte und Studien. Herausgegeben von Joachim Rückert. Bd. 4) [zit.: S.Meder, Urteilen (1999)] DERS.: Mißverstehen und Verstehen. Savignys Grundlegung der juristischen Hermeneutik, Tübingen 2004 [zit.: S.Meder, Mißverstehen (2004)] DERS.: Ius non scriptum – Traditionen privater Rechtsetzung, Tübingen 2008 [zit.: S.Meder, Ius non scriptum (2008)] MEDER, Stephan/Christoph-Eric Mecke: Savigny global 1814–2014. ›Vom Beruf unsrer Zeit‹ zum transnationalen Rechts des 21. Jahrhunderts, Göttingen 2016 [zit.: S.Meder/ C.-E.Mecke, Savigny global (2016)] MERKEL, Adolf: Jhering, in: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, 32. Band. Neue Folge XX. Band 1893, S. 6–40 [zit.: A.Merkel, Jhering (1893)] MITTEIS, Ludwig: Rudolph von Jhering, in: Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung, XLIII. Jahrgang. Neue Folge XXIX. Jahrgang, Nr. 43 vom 25. Oktober 1892, S. 337f. [zit.: L.Mitteis, Jhering (1892)] DERS.: Artikel »Jhering« in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), 50. Band. Nachträge bis 1899, Neudruck der 1. Auflage von 1905, 2. unveränderte Auflage Berlin 1971, S. 652–664 [zit.: L.Mitteis, Jhering (1905)] MÖLLER, Cosima: Die juristische Konstruktion im Werk Rudolf von Jherings, in: JZ 2017, S. 770–777 [zit.: C.Möller, Konstruktion (2017)] MOELLER, Ernst von: Die Trennung der deutschen und der römischen Rechtsgeschichte, Weimar 1905 [zit.: E.v.Moeller, Rechtsgeschichte (1905)] MOHNHAUPT, Heinz: Universalgeschichte, Universal-Jurisprudenz und rechtsvergleichende Methode im Werk P.J.A.Feuerbachs, in: Heinz Mohnhaupt (Hrsg.), Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988–1990). Beispiele, Parallelen Positionen, Frankfurt a.M. 1991 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 53), S. 91–128 [zit.: H.Mohnhaupt, Universalgeschichte (1991)]

722

Verzeichnis der Quellen und Literatur

MOMMSEN, Friedrich: Beiträge zum Obligationenrecht. Erste Abtheilung: Die Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluß auf obligatorische Verhältnisse, Braunschweig 1853 [zit.: F.Mommsen, Beiträge (1853)] DERS.: Erörterungen aus dem Obligationenrecht. Erstes Heft. Erörterungen über die Regel: Commodum ejus esse debet, cujus periculum est, Braunschweig 1859 [zit.: F.Mommsen, Erörterungen (1859)] MÜHLENBRUCH, Christian Friedrich: Lehrbuch der Encyclopädie und Methodologie des positiven in Deutschland geltenden Rechts. Zum Gebrauche academischer Vorlesungen, Rostock und Leipzig 1807 [zit.: C.F.Mühlenbruch, Encyclopädie (1807)] DERS.: Die Lehre von der Cession der Forderungsrechte. Nach den Grundsätzen des Römischen Rechts dargestellt […], Greifswald 1817 [zit.: C.F.Mühlenbruch, Cession (1817)] DERS.: Rechtliche Beurtheilung des Städelschen Beerbungsfalles. Nebst einer Einleitung über das Verhältniß der Theorie zur Praxis, Halle 1828 [zit.: C.F.Mühlenbruch, Beurtheilung (1828)] DERS.: Ausführliche Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld, ein Commentar von Christian Friedrich von Glück. Nach des Verfassers Tode fortgesetzt von Christian Friedrich Mühlenbruch, Vierzigster Theil, Erlangen 1838 [zit.: C.F.Mühlenbruch, Erläuterung (1838)] MÜLLER-ERZBACH, Rudolf: Die Relativität der Begriffe und ihre Begrenzung durch den Zweck des Gesetzes. Zur Beleuchtung der Begriffsjurisprudenz (1912), wieder abgedruckt in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. Band CCCCXXXIV), S. 201–207 [zit.: R.Müller-Erzbach, Relativität (1912)] MURAKAMI, Junichi: Zur Geschichte des Begriffs »Privatautonomie«, in: Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, herausgegeben von Albrecht Dieckmann, Rainer Frank, Hans Hanisch, Spiros Simitis, Baden-Baden 1986, S. 467–480 [zit.: J.Murakami, Privatautonomie (1986)] NEUMANN, Ulfrid: Rechtsontologie und juristische Argumentation. Zu den ontologischen Implikationen juristischen Argumentierens, Hamburg 1979 [zit.: U.Neumann, Rechtsontologie (1979)] DERS.: Juristische Logik, in: Arthur Kaufmann/Winfried Hassemer (Hrsg.): Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 5., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Heidelberg 1989, S. 256–292 [zit.: U.Neumann, Juristische Logik (51989)] DERS.: Wissenschaftstheorie der Rechtswissenschaft, in: Arthur Kaufmann/Winfried Hassemer (Hrsg.): Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 5., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Heidelberg 1989, S. 375–391 [zit.: U.Neumann, Wissenschaftstheorie (1989)] NEUNER, Carl: Wesen und Art der Privatrechtsverhältnisse. Eine civilistische Ausführung, nebst einem Anhange, den Grundriß zu einem neuen Systeme für die Darstellung des Pandektenrechts enthaltend, Kiel 1866 [zit.: C.Neuner, Wesen (1866)] NEUSÜß, Wolfgang: Gesunde Vernunft und Natur der Sache. Studien zur juristischen Argumentation im 18. Jahrhundert, Berlin 1970 (Schriften zur Rechtsgeschichte. Heft 2) [zit.: W.NEUSÜß, Vernunft (1970)]

Literatur

723

NOCKE, Joachim: Über die Beständigkeit des Juristen als solchen, in: Jürgen Simon (Hrsg.), Regulierungsprobleme im Wirtschaftsrecht. Beiträge zu Markt, Verwaltung und Recht, Neuwied/Darmstadt 1986, S. 125–160 [zit.: J.Nocke, Beständigkeit (1986)] NÖRR, Dieter : Geist und Buchstabe: ein Goethe-Zitat bei Savigny, in: ZRG Germ. Abt. 100 (1983), S. 20–45 [zit.: D.Nörr, Geist u. Buchstabe (1983)] DERS.: Savignys philosophische Lehrjahre. Ein Versuch, Frankfurt am Main 1994 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 66) [zit.: D.Nörr, Lehrjahre (1994)] NÖRR, Knut Wolfgang: Eher Hegel als Kant. Zum Privatrechtsverständnis im 19. Jahrhundert, Paderborn/München/Wien/Zürich 1991 (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft. Herausgegeben von Alexander Hollerbach, Hans Maier, Paul Mikat. Neue Folge, Heft 58) [zit.: K.W.Nörr, Eher Hegel als Kant (1991)] OGOREK, Regina: Untersuchungen zur Entwicklung der Gefährdungshaftung im 19. Jahrhundert, Köln/Wien 1975 (Forschungen zur neueren Privatrechtsgeschichte. Herausgegeben im Namen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte in Verbindung mit H.Krause, W.Kunkel und F.Wieacker von Helmut Coing und Hans Thieme. Band 22) [zit.: R.Ogorek, Gefährdungshaftung (1975)] DIES.: Volksgeist »Spätlese«, in: RJ 4 (1985), S. 3–17 [zit.: R.Ogorek, Volksgeist (1985)] DIES.: Richterkönig oder Subsumtionsautomat? Zur Justiztheorie im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1986 (Rechtsprechung. Materialien und Studien. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Band 1) [zit.: R.Ogorek, Richterkönig (1986)] DIES.: Die Erbschaft ausschlagen?, in: Norm und Tradition. Welche Geschichtlichkeit für die Rechtsgeschichte? Fra norma e tradizione. Quale storicit/ per la storia guiridica?, herausgegeben von Pio Caroni und Gerhard Dilcher, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 183– 191 [zit.: R.Ogorek, Erbschaft (1998)] OLIVECRONA, Knut: Jherings Rechtspositivismus im Lichte der heutigen Wissenschaft, in: Franz Wieacker/Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 165–176 [zit.: K.Olivecrona, Jherings Rechtspositivismus (1970)] OTT, Walter: Der Rechtspositivismus. Kritische Würdigung auf der Grundlage eines juristischen Pragmatismus, Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 1992 (Erfahrung und Denken. Schriften zur Förderung der Beziehungen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften. Band 45) [zit.: W.Ott, Rechtspositivismus (21992)] OTTE, Gerhard: Kritik des juristischen Geltungsbegriffs, in: Festschrift für Rudolf Gmür zum 70. Geburtstag. Herausgegeben von Arno Buschmann, Franz-Ludwig Knemeyer, Gerhard Otte und Werner Schubert, Bielefeld 1983, S. 359–368 [zit.: G.Otte, Kritik (1983)] PASINI, Dino: La sociologia interna di Jhering, in: Franz Wieacker/Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wis-

724

Verzeichnis der Quellen und Literatur

senschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 177–191 [zit.: D.PASINI, sociologia interna (1970)] PLEISTER, Wolfgang: Persönlichkeit, Wille und Freiheit im Werke Jherings, Ebelsbach 1982 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Band 51. Herausgegeben im Auftrag der Juristischen Fakultät von Sten Gagn8r, Arthur Kaufmann, Dieter Nörr) [zit.: W.Pleister, Persönlichkeit (1982)] PÖGGELER, Wolfgang: Einleitung, in: Carl Friedrich Wilhelm von Gerber, Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts. Eine germanistische Abhandlung, Nachdruck der Ausgabe Jena, 1846. Mit einer Einleitung herausgegeben von Wolfgang Pöggeler, Hildesheim/Zürich/New York 1998 (Historia Scientarium: Rechtswissenschaft), S. 5–55 [zit.: W.Pöggeler, Einleitung (1998)] PUCHTA, Georg Friedrich: Grundriß zu Vorlesungen über juristische Encyclopädie und Methodologie, Erlangen 1822 [zit.: G.F.Puchta, Grundriß (1822)] DERS.: Ueber die Perioden in der Rechtsgeschichte (1823), wieder abgedruckt in: Georg Friedrich Puchta, Kleine zivilistische Schriften. Gesammelt und herausgegeben von Adolph August Friedrich Rudorff, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1851, Aalen 1970, S. 135–148 [zit.: G.F.Puchta, Perioden (1823)] DERS.: Encyclopädie als Einleitung zu Institutionen-Vorlesungen, Leipzig und Berlin 1825 [zit.: G.F.Puchta, Encyclopädie (1825)] DERS.: Rezension zu »Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwickelung. Eine Abhandlung der Universalrechtsgeschichte von Dr. Eduard Gans. (Auch unter dem Titel: das römische Erbrecht in seiner Stellung zum vor- und nachrömischen.) Berlin […] Erster Band 1824 […] Zweiter Band 1825 […]«, in: Jahrbücher der gesammten deutschen juristischen Literatur, hrsg. von Friedrich Christoph Karl Schunck, Bd. 1, Erlangen 1826, S. 1–43 [zit.: G.F.Puchta, Gans-Rezension (1826)] DERS.: Anzeige von »(II.) Bemerkungen über die Verbindlichkeeit der Vormünder, die Mündelcapitalien verzinslich auszuleihen. Von […] Marezoll in Gießen. [AcP 9 (1826)] S. 36–52«, in: Jahrbücher der gesammten deutschen juristischen Literatur, hrsg. von Friedrich Christoph Karl Schunck, Bd. 5 (1827), S. 276–280 [zit.: G.F.Puchta, Marezoll-Anzeige (1827)] DERS.: Das Gewohnheitsrecht. Erster Theil, Erlangen 1828, Nachdruck Darmstadt 1965 [zit.: G.F.Puchta, Gewohnheitsrecht I (1828)] Zweiter Theil, Erlangen 1837, Nachdruck Darmstadt 1965 [zit.: Gewohnheitsrecht II (1837)] DERS.: Lehrbuch für Institutionen-Vorlesungen, München 1829 [zit.: G.F.Puchta, Institutionen-Vorlesungen (1829)] DERS.: Nachtrag: Erwiederung auf Herrn Prof. Heffter’s Aufsatz im Rheinischen Museum (1829), wieder abgedruckt in: Georg Friedrich Puchta, Kleine zivilistische Schriften. Gesammelt und herausgegeben von Adolph August Friedrich Rudorff, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1851, Aalen 1970, S. 189–209 [zit.: G.F.Puchta, Erwiederung (1829)] DERS.: Betrachtungen über alte und neue Rechtssysteme (1829), wieder abgedruckt in: Georg Friedrich Puchta, Kleine zivilistische Schriften. Gesammelt und herausgegeben von Adolph August Friedrich Rudorff, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1851, Aalen 1970, S. 221–239 [zit.: G.F.Puchta, Rechtssysteme (1829)]

Literatur

725

DERS.: Zu welcher Classe von Rechten gehört der Besitz? Beantwortet durch eine Classification der Rechte überhaupt (1829), wieder abgedruckt in: Georg Friedrich Puchta, Kleine zivilistische Schriften. Gesammelt und herausgegeben von Adolph August Friedrich Rudorff, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1851, Aalen 1970, S. 239–258 [zit.: G.F.Puchta, Classification (1829)] DERS.: System des gemeinen Civilrechts zum Gebrauch bei Pandektenvorlesungen, Nachdruck der Ausgabe München 1832, Goldbach 1997 ( = 100 Jahre Bürgerliches Gesetzbuch: Pandektenrecht. Band 49) [zit.: G.F.Puchta, Pandektenvorlesungen (1832)] DERS.: Rezension zu »Das Recht des Besitzes. Eine civilistische Abhandlung von Dr.F.C.v.Savigny […] Sechste vermehrte und verbesserte Auflage. Gießen […] 1837«, in: Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft, hrsg. von Aemilius Ludwig Richter, Erster Jahrgang, Zweiter Band, Leipzig 1837, S. 669–690 [zit.: G.F.Puchta, Besitz-Rezension (1837)] DERS.: Rezension zu »Die Wissenschaft der römischen Rechtsgeschichte im Grundrisse. Von Dr. J.Christiansen […]. Erster Band. Altona […] 1838«, anonym [vgl. aber zur Verfasserschaft Puchtas dieser selbst in seinem Brief vom 25. Juni 1840 an Savigny, abgedruckt in: Bohnert-Briefe/1979, Nr. 13, S. 59ff. (60f.)] erschienen in: Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft, hrsg. von Aemilius Ludwig Richter, Zweiter Jahrgang, Dritter Band, Leipzig 1838, S. 491–504 [zit.: G.F.Puchta, Christiansen-Rezension (1838)] DERS.: Lehrbuch der Pandekten, Leipzig 1838 [zit.: G.F.Puchta, Pandekten (11838)] DERS.: Pandekten Zweite sehr vermehrte Ausgabe, Leipzig 1844 [zit.: G.F.Puchta, Pandekten (21844)] Dritte verbesserte Auflage, Leipzig 1845 (letzte von Puchta selbst besorgte Auflage) [zit.: G.F.Puchta, Pandekten (31845)] Zwölte auf Grund der früheren A. F.Rudorff ’’schen Bearbeitung sorgfältig revidirte und vermehrte Auflage von […] Th. Schirmer, Leipzig 1877, Nachdruck der 12. Auflage 1877, Goldbach 1999 ( = 100 Jahre Bürgerliches Gesetzbuch: Pandektenrecht. Band 18) [zit.: G.F.Puchta, Pandekten (121877)] DERS.: Rezension zu »Ueber die sogenannte historische und nicht-historische Rechtsschule. Von A. F.J.Thibaut (1838)«, in: Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft, hrsg. von Aemilius Ludwig Richter und Robert Schneider, Dritter Jahrgang, Fünfter Band, Leipzig 1839, S. 187–199 [zit.: G.F.Puchta, Thibaut-Rezension (1839)] DERS.: Rezension zu »System des heutigen Römischen Rechts von Friedrich Carl von Savigny. Erster und zweiter Band. Berlin, 1840«, in: Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft, hrsg. von Aemilius Ludwig Richter und Robert Schneider, Vierter Jahrgang, Achter Band, Leipzig 1840, S. 673–715 [zit.: G.F.Puchta, System-Rezension (1840)] DERS.: Cursus der Institutionen. Erster Band. Einleitung in die Rechtswissenschaft und Geschichte des Rechts bey dem römischen Volk, Nachdruck der 1. Auflage Leipzig 1841, Goldbach 1997 ( = 100 Jahre Bürgerliches Gesetzbuch: Pandektenrecht. Band 36) [zit.: G.F.Puchta, Cursus I (11841)] Zweiter Band. Nachdruck der 1. Auflage Leipzig 1842, Goldbach 1997 ( = 100 Jahre

726

Verzeichnis der Quellen und Literatur

Bürgerliches Gesetzbuch: Pandektenrecht. Band 36) [zit.: G.F.Puchta, Cursus II (11842)] DERS.: Grundzüge des Civilrechts (undatiertes Fragment), abgedruckt unter zeitlicher Einordnung bei den im Jahre 1842 von Puchta verfaßten Schriften in: Georg Friedrich Puchta, Kleine zivilistische Schriften. Gesammelt und herausgegeben von Adolph August Friedrich Rudorff, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1851, Aalen 1970, S. 592–596 [zit.: G.F.Puchta, Grundzüge (undat.)] DERS.: Zur Vorbereitung eines Urtheils über den Ehescheidungsentwurf, in: Fliegende Blätter für Fragen des Tags, Nr. I (Januar), Berlin 1843 [zit.: G.F.Puchta, Ehescheidungsentwurf (1843)] DERS.: Rezension zu »Volksrecht und Juristenrecht. Von D.Georg Beseler […] Leipzig, 1843« in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Herausgegeben von der Societät für wissenschaftliche Kritik zu Berlin. Erster Band, Berlin 1844, Sp. 1–30 [zit.: G.F.Puchta, Beseler-Rezension (1844)] DERS.: Vorlesungen über das heutige römische Recht von Georg Friedrich Puchta. Aus dessen Nachlass herausgegeben von Dr. Adolf August Friedrich Rudorff […]. Erster Band, Leipzig 1847 [zit.: G.F.Puchta, Vorlesungen I (11847)] Aus dessen Nachlass herausgegeben von Dr. Adolf August Friedrich Rudorff […]. Sechste, vermehrte und verbesserte Auflage. Erster Band, Nachdruck der 6. Auflage Leipzig 1873, Goldbach 1999 ( = 100 Jahre Bürgerliches Gesetzbuch. Pandektenrecht. Band 30) [zit.: G.F.Puchta, Vorlesungen I (61873)] RADBRUCH, Gustav : Rechtsphilosophie (31932), wieder abgedruckt in: Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie. Studienausgabe. Herausgegeben von Ralf Dreier und Stanley L. Paulson, Heidelberg 1999, S. 1–192 [zit.: G.Radbruch, Rechtsphilosophie (31932)] DERS.: Eine Feuerbach-Gedenkrede sowie drei Aufsätze aus dem wissenschaftlichen Nachlass von Gustav Radbruch. Mit einer Vorbemerkung herausgegeben von Eberhard Schmidt, Tübingen 1952 (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart. Eine Sammlung von Vorträgen und Schriften aus dem Gebiet der gesamten Staatswissenschaften. Heft 172) [zit.: G.Radbruch, Nachlaß (1952)] RAISCH, Peter : Handels- oder Unternehmensprivatrecht als Sonderprivatrecht?, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (ZHR), 154. Band 1990, S. 567–578 [zit.: P.Raisch, Sonderprivatrecht (1990)] DERS.: Juristische Methoden. Vom antiken Rom bis zur Gegenwart, Heidelberg 1995 [zit.: P.Raisch, Methoden (1995)] RAISCH, Peter / Beate Maasch: Analogie: ein eigener Auslegungstopos – ein Beitrag zur einheitlichen Interpretation des GWB, in: Clemens-August Andreae, Jochen Kirchhoff, Gerd Pfeiffer (Hrsg.), Wettbewerb als Herausforderung und Chance. Festschrift für Werner Benisch, Köln/Berlin/Bonn/München 1989, S. 201–217 [zit.: P.Raisch/ B.Maasch, Analogie (1989)] RAISER, Ludwig: Funktionsteilung des Eigentums, in: Beiträge zur europäischen Rechtsgeschichte und zum geltenden Zivilrecht. Festgabe für Johannes Sontis. Herausgegeben von Fritz Baur, Karl Larenz, Franz Wieacker, München 1977, S. 167–179 [zit.: L.Raiser, Funktionsteilung (1977)] RAISER, Thomas: Das lebende Recht. Rechtssoziologie in Deutschland, 3. überarbeitete Auflage, Baden-Baden 1999 [zit.: T.Raiser, Recht (31999)]

Literatur

727

RASCHER, Jürgen: Die Rechtslehre des Alois von Brinz, Berlin 1975 (Schriften zur Rechtsgeschichte. Heft 11) [zit.: J.Rascher, Brinz (1975)] REGELSBERGER, Ferdinand: Streifzüge im Gebiet des Zivilrechts. I. Das jus singulare und die analoge Anwendung, in: Festgabe der Göttinger Juristen-Fakultät für Rudolf von Jhering zum fünfzigjährigen Doktor-Jubiläum am VI. August MDCCCXCII, Neudruck der Ausgabe 1892, Aalen 1970, S. 45–59 [zit.: F.Regelsberger, Streifzüge (1892)] REHBINDER, Manfred: Max Weber und die Rechtswissenschaft, in: Manfred Rehbinder/ Klaus-Peter Tieck (Hrsg.), Max Weber als Rechtssoziologe, Berlin 1987 (Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung. Band 63), S. 127–149 [zit.: M.REHBINDER, M.Weber (1987)] REINHARDT, Volker : Hauptwerke der Geschichtsschreibung, Stuttgart 1997 [zit.: V.Reinhardt, Geschichtsschreibung (1997)] RENAN, Ernest: L’avenir de la science. Pens8es de 1848 (1890), in: Henriette Psichari (Hrsg.), Oeuvres complHtes de Ernest Renan. Band III, Paris 1949, S. 713–1151[zit.: E.Renan, L’avenir (1848/1890)] REXIUS, Gunnar : Studien zur Staatslehre der historischen Schule, in: Historische Zeitschrift, Bd. 107 (1911), S. 496–539 [zit.: G.REXIUS, Staatslehre (1911)] REYSCHER, August Ludwig: Das gesammte württembergische Privatrecht. Erster Band, Tübingen 1837 [zit.: A.L.Reyscher, Privatrecht (1837)] DERS.: Für und wider das deutsche Recht, in: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, hrsg. von August Ludwig Reyscher und Wilhelm Eduard Wilda, Siebenter Band, Leipzig 1842, S. 121–156 [zit.: A.L.Reyscher, Für und wider (1842)] DERS.: Begriff des gemeinen deutschen Rechts, in: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, hrsg. von Georg Beseler, August Ludwig Reyscher und Wilhelm Eduard Wilda, Zehnter Band, Tübingen 1846, S. 153–180 [zit.: A.L.Reyscher, Begriff (1846)] RIEBSCHLÄGER, Klaus: Die Freirechtsbewegung. Zur Entwicklung einer soziologischen Rechtsschule, Berlin 1968 (Schriftenreihe des Instituts für Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung der Freien Universität Berlin. Band 11) [zit.: K.Riebschläger, Freirechtsbewegung (1968)] RIEDEL, Manfred: Positivismuskritik und Historismus. Über den Ursprung des Gegensatzes von Erklären und Verstehen im 19. Jahrhundert, in: Jürgen Blühdorn/Joachim Ritter (Hrsg.), Positivismus im 19. Jahrhundert. Beiträge zu seiner geschichtlichen und systematischen Bedeutung, Frankfurt am Main 1971 (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. Band 16), S. 81–91 [zit.: M.Riedel, Historismus (1971)] RIEHL, Wilhelm Heinrich: Die bürgerliche Gesellschaft, Stuttgart und Tübingen 1851 [zit.: W.H.RIEHL, Gesellschaft (1851)] RITTER, F.: Vor fünfzig Jahren. Rudolf von Jhering 1866/67, in: Upstalsboom-Blätter für ostfriesische Geschichte und Heimatkunde. Herausgegeben von der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Alterthümer zu Emden, 6. Jahrgang, Emden 1916, S. 41–47 [zit.: F.Ritter, Jhering (1916)] RITTER, Joachim (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Völlig neubearbeitete Ausgabe des »Wörterbuchs der philosophischen Begriffe« von Rudolf Eisler. Band 1: A-C, Darmstadt 1971 [zit.: J.Ritter, Hist.Wörterbuch/Bd.1 (1971)]

728

Verzeichnis der Quellen und Literatur

Band 2: D-F, Darmstadt 1972 [zit.: J.Ritter, Hist.Wörterbuch/Bd.2 (1972)] Band 3: G-H, Darmstadt 1974 [zit.: J.Ritter, Hist.Wörterbuch/Bd.3 (1974)] RITTER, Joachim und Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. Völlig neubearbeitete Ausgabe des »Wörterbuchs der philosophischen Begriffe« von Rudolf Eisler. Band 5: L–Mn, Darmstadt 1980 [zit.: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.5 (1980)] Band 6: Mo-O, Darmstadt 1984 [zit.: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.6 (1984)] Band 7: P-Q, Darmstadt 1989 [zit.: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.7 (1989)] Band 8: R-Sc, Darmstadt 1992 [zit.: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.8 (1992)] Band 9: Se-Sp, Darmstadt 1995 [zit.: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.9 (1995)] Band 10: St-T, Darmstadt 1998 [zit.: J.Ritter/K.Gründer, Hist.Wörterbuch/Bd.10 (1998)] RITTER, Joachim, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. Völlig neubearbeitete Ausgabe des »Wörterbuchs der philosophischen Begriffe« von Rudolf Eisler. Band 11: U-V, Darmstadt 2001 [zit.: J.Ritter/K.Gründer/G.Gabriel, Hist.Wörterbuch/Bd.11 (2001)] RÖHL, Klaus F.: Allgemeine Rechtslehre. Ein Lehrbuch, 2., neu bearbeitete Auflage, Köln/ Berlin/Bonn/München 2001 [zit.: K.F.Röhl, Rechtslehre (22001)] ROOS, Nico: Antiformale Tendenzen im modernen Recht – eine These Max Webers, diskutiert am Beispiel der Laienrichterfrage, in: Stefan Breuer/Hubert Treiber (Hrsg.), Zur Rechtssoziologie Max Webers. Interpretation, Kritik, Weiterentwicklung, Opladen 1984 (Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung. Band 65), S. 223–267 [zit.: N.ROOS, Tendenzen (1984)] ROSS, Alf: Theorie der Rechtsquellen. Ein Beitrag zur Theorie des positiven Rechts auf Grundlage dogmenhistorischer Untersuchungen, Leipzig und Wien 1929 (Wiener Staats- u. Rechtswissenschaftliche Studien. Neue Folge der Wiener Staatswissenschaftlichen Studien. Herausgegeben in Verbindung mit Hans Mayer und Othmar Spann von Hans Kelsen, Band XIII) [zit.: A.Ross, Rechtsquellen (1929)] ROTHSCHUH, K.E.: Zur Entwicklung der Methodologie in der Physiologie seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, in: A.Diemer (Hrsg.), Beiträge zur Entwicklung der Wissenschaftstheorie im 19. Jahrhundert. Vorträge und Diskussionen im Dezember 1965 und 1966 in Düsseldorf (Studien zur Wissenschaftstheorie. Band 1), Meisenheim am Glan 1968, S. 121–136 [zit.: K.E.ROTHSCHUH, Physiologie (1968)] RUDORFF, Adolf (August) Friedrich: Römische Rechtsgeschichte. Erster Band. – Rechtsbildung, Leipzig 1857 [zit.: A. F.Rudorff, Rechtsgeschichte (1857)] RÜCKERT, Joachim: August Ludwig Reyschers Leben und Rechtstheorie. 1802–1880, Berlin 1974 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Band 13. Herausgegeben im Auftrag der Juristischen Fakultät von Sten Gagn8r, Arthur Kaufmann, Dieter Nörr) [zit.: J.Rückert, Reyscher (1974)] DERS.: Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny, Ebelsbach 1984 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Band 58. Herausgegeben im Auftrag der Juristischen Fakultät von Sten Gagn8r, Arthur Kaufmann, Dieter Nörr) [zit.: J.Rückert, Savigny (1984)]

Literatur

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DERS.: Autonomie des Rechts in rechtshistorischer Perspektive, Hannover 1988 (Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Hannover. Heft 19) [zit.: J.Rückert, Autonomie (1988)] DERS.: » … Dass dies nicht das Feld war, auf dem er seine Rosen pflücken konnte … ?« Gustav Hugos Beitrag zur juristisch-philosophischen Grundlagendiskussion nach 1789, in: Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts. Vorträge der Tagung der deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) in der Bundesrepublik Deutschland. Göttingen, 12.–14. Oktober 1988. Herausgegeben von Ralf Dreier, Stuttgart 1990 (ARSP Beiheft Nr. 37), S. 94–128 [zit.: J.Rückert, Grundlagendiskussion (1990)] DERS.: Savignys Einfluß auf die Jurisprudenz in Deutschland nach 1900, in: Heinz Mohnhaupt (Hrsg.), Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988–1990). Beispiele, Parallelen Positionen, Frankfurt a.M. 1991 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 53), S. 34–71 [zit.: J.Rückert, Einfluß (1991)] DERS.: Bernhard Windscheid und seine Jurisprudenz »als solche« im liberalen Rechtsstaat (1817–1892), in: JuS 1992, S. 902–908 [zit.: J.Rückert, Windscheid (1992)] DERS.: Savignys Konzeption von Jurisprudenz und Recht, ihre Folgen und ihre Bedeutung bis heute, in: Tijdschr 61 (1993), S. 65–95 [zit.: J.Rückert, Konzeption (1993)] DERS.: Savignys Hermeneutik – Kernstück einer Jurisprudenz ohne Pathologie, in: Jan Schröder (Hrsg.), Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik – Rechtswissenschaft, Philosophie, Theologie. Beiträge zu einem interdisziplinären Symposion in Tübingen, 29. September bis 1. Oktober 1999, Stuttgart 2001 (Contubernum. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. Band 58), S. 287–327 [zit.: J.Rückert, Hermeneutik (2001)] DERS.: Rudolf von Jhering (1818–1892). Professor, in: Niedersächsische Juristen. Ein historisches Lexikon mit einer landesgeschichtlichen Einführung und Bibliographie. Herausgegeben von Joachim Rückert und Jürgen Vortmann unter Mitarbeit von Andr8 Depping, Thomas Henne, Peter Oestmann u. a., Göttingen 2003, S. 209–234 [zit.: J.Rückert, Jhering (2003)] DERS.: Der Geist des Rechts in Jherings »Geist« und Jherings »Zweck«. Teil 1, in: Rechtsgeschichte Rg 5 (2004), S. 128–149 = http://dx.doi.org/10.12946/rg05/128-149 [zit.: J.Rückert, Geist des Rechts I (2004)] DERS.: Der Geist des Rechts in Jherings »Geist« und Jherings »Zweck«. Teil 2, in: Rechtsgeschichte Rg 6 (2005), S. 122–139 = http://dx.doi.org/10.12946/rg06/122-142 [zit.: J.Rückert, Geist des Rechts II (2005)] DERS.: Rudolf von Jhering (1818–1892) – ein ostfriesischer Niedersachse in den Fesseln der Metaphysik, in: Rechtsleben in Hannover. 50 Jahre Juristische Studiengesellschaft, Halle an der Saale 2016, S. 193–224 [zit.: J.Rückert, Jhering (2016)] RÜCKERT, Joachim/Thomas Duve (Hrsg.): Savigny international?, Frankfurt am Main 2015 [zit.: J.Rückert/T.Duve, Savigny international? (2015)] RÜCKERT, Ludwig: Der Begriff des gemeinen deutschen Privatrechts, Erlangen 1857 [zit.: L.Rückert, Privatrecht (1857)] RÜMELIN, Gustav : Juristische Begriffsbildung. Akademische Antrittsschrift (1878), wieder abgedruckt in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsju-

730

Verzeichnis der Quellen und Literatur

risprudenz, Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. Band CCCCXXXIV), S. 83–106 [zit.: G.Rümelin, Begriffsbildung (1878)] RÜMELIN, Max von: Rudolf von Jhering. Rede gehalten bei der akademischen Preisverteilung am 6. November 1922, Tübingen 1922 [zit.: M.v.Rümelin, Jhering (1922)] DERS.: Zur Lehre von der juristischen Konstruktion, in: ARWP 16 (1922/23), S. 343–355 [zit.: M.v.Rümelin, Konstruktion (1922/23)] RÜSSMANN, Helmut: Möglichkeit und Grenzen der Gesetzesbindung, in: Okko Behrends/Malte Dießelhorst/Ralf Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft. Symposion zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker, Göttingen 1990 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 181), S. 35–56 [zit.: H.Rüssmann, Gesetzesbindung (1990)] RÜTHERS, Bernd: Rechtstheorie, München 1999 [zit.: B.Rüthers, Rechtstheorie (1999)] RUNDE, Justus Friedrich: Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, Sechste rechtmäßige Auflage, herausgegeben von Christian Ludwig Runde, Göttingen 1821 [zit.: J.F.Runde, Grundsätze (61821)] SÄCKER, Franz Jürgen: Zur demokratischen Legitimation des Richter- und Gewohnheitsrechts, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 4 (1971), S. 145–150 [zit.: F.J.Säcker, Legitimation (1971)] DERS.: Einleitung, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1, Allgemeiner Teil (§§ 1–240), AGB-Gesetz, 4. Auflage, München 2001, S. 3–107 [zit.: F.J.Säcker, Einleitung (42001)] SANDKÜHLER, Hans Jörg: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. Band 4 (R-Z), Hamburg 1990 [zit.: H.J.Sandkühler, Europ.Enzyklopädie/ Bd. 4 (1990)] SAVIGNY, Eike von: Zur Rolle der deduktiv-axiomatischen Methode in der Rechtswissenschaft, in: Rechtstheorie. Beiträge zur Grundlagendiskussion. Herausgegeben von Günther Jahr und Werner Maihofer, Frankfurt am Main 1971, S. 315–349 [zit.: E.v.Savigny, Methode (1971)] SAVIGNY, Friedrich Carl von: Anleitung zu einem eigenen Studium der Jurisprudenz. Nachgeschrieben im Winter 1802, vom 7. November 1802 bis 1. März 1803, veröffentlicht unter dem Titel: Juristische Methodenlehre. Nach der Ausarbeitung des Jakob Grimm. Herausgegeben von Gerhard Wesenberg, Stuttgart 1951 [zit.: F.C.v.Savigny, Methodenlehre/Grimms Vorlesungsnachschrift (1802/03), in: Wesenberg-Ausgabe] DERS.: Vorlesungen über juristische Methodologie (1802–1842). Herausgegeben und eingeleitet von Aldo Mazzacane, Frankfurt am Main 1993 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 63 = Savignyana. Texte und Studien. Herausgegeben von Joachim Rückert. Bd. 2), S. 69–215 [zit.: F.C.v.Savigny, Vorlesungen (Jahresangabe), in: Savignyana II (1993)] DERS.: Rezension des »Lehrbuchs der Geschichte des Römischen Rechts von Gustav Hugo, 2te Ausg. Berlin 1799, 3te Ausg. Berlin 1806« (1806), wieder abgedruckt in: F.K.v.Savigny, Vermischte Schriften. In 5 Bänden, Band 5, Neudruck der Ausgabe Berlin 1850, Aalen 1968, S. 1–36 [zit.: F.C.v.Savigny, Hugo-Rezension (1806)] DERS.: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Erste Auflage, Heidelberg 1814, wieder abgedruckt in: Hans Hattenhauer (Hrsg.), Thibaut und Savigny. Ihre programmatischen Schriften, München 1973, S. 95–192

Literatur

731

[zit.: F.C.v.Savigny, Beruf (1814), S. 1ff. (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 95ff.)] Dritte Auflage, Heidelberg 1840 [zit.: F.C.v.Savigny, Beruf (31840)] DERS.: Ueber den Zweck dieser Zeitschrift, in: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, herausgegeben von F.C.v.Savigny, C.F.Eichhorn und J.F.L.Göschen. Band I. Heft I, Berlin, Stettin und Elbing 1815, S. 1–17, wieder abgedruckt in: Hans Hattenhauer (Hrsg.), Thibaut und Savigny. Ihre programmatischen Schriften, München 1973, S. 261–268 [zit.: F.C.v.Savigny, Zweck (1815), S. 1ff. (= Hattenhauer-Ausgabe, S. 261ff.)] DERS.: Rezension zu »N.Th.v.Gönner, über Gesetzgebung und Rechtswissenschaft in unserer Zeit, Erlangen […] 1815« (1815), wieder abgedruckt in: F.C.v.Savigny, Vermischte Schriften. In 5 Bänden, Band. 5, Neudruck der Ausgabe Berlin 1850, Aalen 1968, S. 115– 172 [zit.: F.C.v.Savigny, Gönner-Rezension (1815)] DERS.: Stimmen für und wider neue Gesetzbücher (1816), wieder abgedruckt in: Hans Hattenhauer (Hrsg.), Thibaut und Savigny. Ihre programmatischen Schriften, München 1973, S. 231–254 [zit.: F.C.v.Savigny, Stimmen (1816)] DERS.: Pandektenvorlesung 1824/25. Herausgegeben von Horst Hammen, Frankfurt am Main 1993 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte. Bd. 62 = Savignyana. Texte und Studien. Herausgegeben von Joachim Rückert. Bd. 1) [zit.: F.C.v.Savigny, Pandektenvorlesung/anonyme Nachschrift (1824/25), in: Savignyana I (1993)] DERS.: System des heutigen Römischen Rechts. Erster Band, Berlin 1840 [zit.: F.C.v.Savigny, System I (1840)] Dritter Band, Berlin 1840 [zit.: F.C.v.Savigny, System III (1840)] Fünfter Band, Berlin 1841 [zit.: F.C.v.Savigny, System V (1841)] DERS.: Darstellung der in den Preußischen Gesetzen über die Ehescheidung unternommenen Reform (1844), wieder abgedruckt in: Friedrich Karl von Savigny, Vermischte Schriften. Band 5, Neudruck der Ausgabe Berlin 1850, Aalen 1968, S. 222–352 [zit.: F.C.v.Savigny, Ehescheidung (1844)] DERS.: Das Obligationenrecht als Teil des heutigen Römischen Rechts. In 2 Bänden. Zweiter Band, Neudruck der Ausgabe Berlin 1853, Aalen 1973 [zit.: F.C.v.Savigny, Obligationenrecht II (1853)] DERS.: Das Recht des Besitzes. Eine civilistische Abhandlung, Unveränderter reprografischer Nachdruck der 7., aus dem Nachlass des Verfassers und durch Zusätze des Herausgebers vermehrten Auflage von Adolf Friedrich Rudorff (1865), Darmstadt 1967 [zit.: F.C.v.Savigny, Recht des Besitzes (71865)] SCHANZE, Erich: Culpa in contrahendo bei Jhering, in: Helmut Coing (Hrsg.), Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Bd. VII, Frankfurt a.M. 1978, S. 326–358 [zit.: E.Schanze, Culpa (1978)] SCHELSKY, Helmut: Das Jhering-Modell des sozialen Wandels durch Recht. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Beitrag, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Band 3 (1972), S. 47–86 [zit.: H.Schelsky, Jhering-Modell (1972)] SCHEUERMANN, Reimund: Einflüsse der Historischen Rechtsschule auf die oberstrichterliche gemeinrechtliche Zivilrechtspraxis bis zum Jahre 1861, Berlin/New York 1972 (Münsterische Beiträge zur Rechts- und Staatswissenschaft. Herausgegeben von

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Verzeichnis der Quellen und Literatur

der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Band 17) [zit.: R.Scheuermann, Einflüsse (1972)] SCHILD, Wolfgang: Der rechtliche Kampf gegen das Unrecht. Reflexionen zu Rudolf von Jherings Vortrag »Der Kampf ums Recht«, in: Gerhard Luf / Werner Ogris (Hrsg.), Der Kampf ums Recht. Forschungsband aus Anlaß des 100. Todestages von Rudolf von Ihering, Berlin 1995, S. 31–56 [zit.: W.Schild, Kampf (1995)] SCHLOSSER, Hans: Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte. Ein Studienbuch, 6., völlig neubearbeitete und erweiterte Auflage, Heidelberg 1988 [zit.: H.Schlosser, Privatrechtsgeschichte (61988)] SCHMAUDERER, Eberhard: Die Stellung des Wissenschaftlers zwischen chemischer Forschung und chemischer Industrie im 19. Jahrhundert, in: Technikgeschichte in Einzeldarstellungen. Nr. 11. Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik im 19. Jahrhundert. 5. Gespräch der Georg-Agricola-Gesellschaft, Düsseldort 1969, S. 37– 93 [zit.: E.Schmauderer, Stellung (1969)] SCHMID, Reinhold: Theorie und Methodik des bürgerlichen Rechts, Jena 1848 [zit.: R.Schmid, Theorie (1848)] SCHMIDT, Karsten: Die Zukunft der Kodifikationsidee. Rechtsprechung, Wissenschaft und Gesetzgebung vor den Gesetzeswerken des geltenden Rechts, Heidelberg 1985 (Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe. Schriftenreihe. Heft 167) [zit.: K.Schmidt, Kodifikationsidee (1985)] DERS.: Zivilistische Rechtsfiguren zwischen Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, in: Rechtsdogmatik und Rechtspolitik. Hamburger Ringvorlesung im Auftrag des Fachbereichs herausgegeben von Prof. Dr. Karsten Schmidt, Berlin 1990 (Hamburger Rechtsstudien herausgegeben von den Mitgliedern des Fachbereichs Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg. Heft 78), S. 9–32 [zit.: K.Schmidt, Rechtsfiguren (1990)] DERS., Jherings Geist in der heutigen Rechtsfortbildung. Ein Streifzug durch den »Geist des römischen Rechts« aus heutiger Sicht (1993), wieder mitabgedruckt in: O.Behrends (Hrsg.), Jherings Rechtsdenken. Theorie und Pragmatik im Dienste evolutionärer Rechtsethik, Göttingen 1996 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge Nr. 216), S. 201–221 [zit.: K.Schmidt, Jhering (1993/1996)] SCHNABEL, Franz: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Band 3: Erfahrungswissenschaften und Technik, Unveränderter photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Freiburg i.Br. 1934, München 1987 [zit.: F.Schnabel, Deutsche Geschichte III (1934)] SCHNÄDELBACH, Herbert: Philosophie in Deutschland 1831–1933, 4. Auflage, Frankfurt am Main 1991 [zit.: H.Schnädelbach, Philosophie (41991)] SCHOBER, Reinhold: Politische Jurisprudenz. Eine Würdigung ihres Wegbereiters Jhering, Berlin 1933 [zit.: R.Schober, Jurisprudenz (1933)] SCHÖNLE, Herbert: Bank- und Börsenrecht. Ein Studienbuch, 2., neubearbeitete Auflage, München 1976 [zit.: H.Schönle, Bankrecht (21976)] SCHOOF, Wilhelm: Unbekannte Briefe der Brüder Grimm. Unter der Benutzung des Grimmschen Nachlasses und anderer Quellen in Verbindung mit Jörn Göres herausgegeben von Wilhlem Schoof, Bonn 1960 [zit.: Schoof-Briefe (1960)]

Literatur

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SCHREIBER, Hans-Ludwig: Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, Berlin 1966 [zit.: H.-L.Schreiber, Rechtspflicht (1966)] SCHRÖDER, Jan: Savignys Spezialistendogma und die »soziologische« Jurisprudenz, in: Rechtstheorie 7 (1976), S. 23–52 [zit.: J.Schröder, Spezialistendogma (1976)] DERS.: Wissenschaftstheorie und Lehre der »praktischen Jurisprudenz« auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1979 (Ius commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Texte und Monographien. Band 11) [zit.: J.Schröder, Wissenschaftstheorie (1979)] DERS.: Rezension zu »Maximilian Herberger, Dogmatik. Zur Geschichte von Begriff und Methode in Medizin und Jurisprudenz, Frankfurt a.M. 1981«, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte (ZNR), 4. Jahrgang 1982, S. 52–55 [zit.: J.Schröder, Herberger-Rezension (1982)] DERS.: Gesetzesauslegung und Gesetzesumgehung. Das Umgehungsgeschäft in der rechtswissenschaftlichen Doktrin von der Spätaufklärung bis zum Nationalsozialismus, Paderborn/München/Wien/Zürich 1985 (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft. Herausgegeben von Alexander Hollerbach, Hans Maier, Paul Mikat. Neue Folge, Heft 44) [zit.: J.Schröder, Gesetzesauslegung (1985)] DERS.: Rezension zu »Richterkönig oder Subsumtionsautomat? Zur Justiztheorie im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1986«, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte (ZNR), 10. Jahrgang 1988, S. 234–239 [zit.: J.Schröder, Ogorek-Rezension (1988)] DERS.: Zur rechtlichen Relevanz der herrschenden Meinung aus historischer Sicht, in: Das Eigentum. Vorträge gehalten auf der Tagung der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften Hamburg am 10., 11. und 12. Dezember 1987 von K.D.Erdmann, W.Böhmer, H.Hattenhauer, D.Olzen, K.Heuchert, J.Schröder, O.Kraus herausgegeben von J.F.Baur, Göttingen 1989 (Veröffentlichungen der Joachim Jungius-Gesellschaft Hamburg Nr. 58), S. 143–164 [zit.: J.Schröder, Relevanz (1989)] DERS.: Das Verhältnis von Rechtsdogmatik und Gesetzgebung in der neuzeitlichen Rechtsgeschichte (am Beispiel des Privatrechts), in: O.Behrends/W.Henckel (Hrsg.), Gesetzgebung und Dogmatik. 3. Symposion der Kommission »Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart am 29. und 30. April 1988, Göttingen 1989 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge Nr. 178), S. 37–66 [zit.: J.Schröder, Rechtsdogmatik (1989)] DERS.: Zur Analogie in der juristischen Methodenlehre der frühen Neuzeit, in: ZRG Germ. Abt. 114 (1997), S. 1–55 [zit.: J.Schröder, Analogie (1997)] DERS.: Auslegung von Ausnahmegesetzen in der frühen Neuzeit, in: Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag. Herausgegeben von Karl-Hermann Kästner, KnutWolfgang Nörr, Klaus Schaich, Tübingen 1999, S. 615–629 [zit.: J.Schröder, Ausnahmegesetze (1999)] DERS.: Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methode vom Humanismus bis zur historischen Schule (1500–1933), 2. Auflage, München 2012 [zit.: J.Schröder, Recht (22012)] SCHRÖTER, August Wilhelm Ferdinand von: Rezension zu »Lehrbuch der Pandekten. Von Dr. Georg Friedrich Puchta … Leipzig 1838«, in: Kritische Jahrbücher für deutsche

734

Verzeichnis der Quellen und Literatur

Rechtswissenschaft, hrsg. von Aemilius Ludwig Richter und Robert Schneider, Vierter Jahrgang, Siebter Band, Leipzig 1840, S. 289–301 [zit.: A.W.F.v.Schröter, PuchtaRezension (1840)] SCHULZ, Fritz: Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, Weimar 1961 [zit.: F.Schulz, Geschichte (1961)] SEIDENSTICKER, Johann Anton Ludwig: Geist der juristischen Literatur von dem Jahre 1796, [anonym erschienen] Göttingen 1797 [zit.: J.A.L.Seidensticker, Geist (1797)] SEILER, Hans Hermann: Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik, in: Rechtsdogmatik und Rechtspolitik. Hamburger Ringvorlesung im Auftrag des Fachbereichs herausgegeben von Prof. Dr. Karsten Schmidt, Berlin 1990 (Hamburger Rechtsstudien herausgegeben von den Mitgliedern des Fachbereichs Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg. Heft 78), S. 109–123 [zit.: H.H.Seiler, Rechtsdogmatik (1990)] SEINECKE, Ralf: Methode und Zivilrecht beim »Begriffjuristen« Jhering (1818–1892), in: Joachim Rückert/Ralf Seinecke (Hrsg.), Methodik des Zivilrechts – von Savigny bis Teubner, 2. Auflage 2012, S. 123–150 [zit.: R.Seinecke, Methode (22012)] DERS.: Rudolf von Jhering anno 1858. Interpretation, Konstruktion und Recht der sog. »Begriffsjurisprudenz«, in: ZRG Germ. Abt. 130 (2013), S. 238–280 [zit.: R.Seinecke, Jhering (2013)]. SEITZ, Carl Joseph: Das praktische Bedürfniß der Rechtsreform gegenüber der historischen Schule, Erlangen 1865 [zit.: C.J.Seitz, Bedürfniß (1865)] SELLERT, Wolfgang: Der Beitrag der Germanisten zur Kodifikation des Zivilrechts: 1814– 1849, in: Der Kodifikationsgedanke und das Modell des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Herausgegeben von Okko Behrends und Wolfgang Sellert, Göttingen 2000 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 236), S. 83–100 [zit.: W.Sellert, Beitrag (2000)] SIECKMANN, Jan-Reinard: Rechtssystem und praktische Vernunft. Zur Struktur einer normativen Theorie des Rechts, in: ARSP 78 (1992), S. 145–165 [zit.: J.-R.Sieckmann, Rechtssystem (1992)] SIEFERT, Helmut: Rudolf Virchow und das medizinische Schrifftum des 19. Jahrhunderts, in: Buch und Wissenschaft. Beispiele aus der Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik. Im Auftrage des Driburger Kreises herausgegeben von Eberhard Schmauderer, Düsseldorf 1969, S. 315–347 [zit.: H.Siefert, Virchow (1969)] SIMITIS, Spiros: Die Bedeutung von System und Dogmatik – dargestellt an rechtsgeschäftlichen Problemen des Massenverkehrs, in: AcP 172 (1972), S. 131–154 [zit.: S.Simitis, System (1972)] SIMON, Dieter : Jurisprudenz und Wissenschaft, in: RJ 7 (1988), S. 141–156 [zit.: D.Simon, Jurisprudenz (1988)] DERS.: Die Rechtswissenschaft als Geisteswissenschaft, in: RJ 11 (1992), S. 351–366 [zit.: D.Simon, Rechtswissenschaft (1992)] SIMSHÄUSER, Wilhelm: Sozialbindungen des spätrepublikanisch-klassischen römischen Privateigentums, in: Norbert Horn (Hrsg.), Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Helmut Coing zum 70. Geburtstag, Band 1, München 1982, S. 329–361 [zit.: W.Simshäuser, Sozialbindungen (1982)] SINGER, Isidor: Briefe berühmter christlicher Zeitgenossen über die Judenfrage. Nach Manuscripten gedruckt und mit Autorisation der Verfasser zum ersten Male heraus-

Literatur

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gegeben, mit biographischen Skizzen der Autoren und einem Vorworte versehen von I.Singer, Wien 1885, S. I–XLV (Vorwort) [zit.: I.Singer, Judenfrage (1885)] SOHM, Rudolph: Institutionen. Geschichte und System des römischen Privatrechts. Bearbeitet von Ludwig Mitteis. Herausgegeben von Leopold Wenger, 14. und 15. Tausend der 17. Auflage, Berlin 1949 [zit.: R.Sohm/L.Mitteis/L.Wenger, Institutionen (171949)] SOMEK, Alexander : Legal Formality and Freedom of Choice. A Moral Perspective on Jhering’s Constructivism, in: Ratio Juris 15 (2002), S. 52–62 [zit.: A.Somek, Legal Formality (2002)] SPEITKAMP, Winfried: Anti-Naturrecht im 19. Jahrhundert. Zur Staatslehre Karl Vollgraffs, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert. Kontinuität – Inhalt – Funktion – Wirkung. Herausgegeben von Diethelm Klippel, Goldbach 1997 (Naturrecht und Rechtsphilosophie in der Neuzeit. Studien und Materialien. Band 1), S. 19–44 [zit.: W.Speitkamp, Anti-Naturrecht (1997)] STAHL, Friedrich Julius: Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht. Erster Band. Die Genesis der gegenwärtigen Rechtsphilosophie, Heidelberg 1830 [zit.: F.J.Stahl, Philosophie I (11830)] DERS.: Die Philosophie des Rechts. Erster Band: Geschichte der Rechtsphilosophie. Zweite Auflage, Heidelberg 1847 [zit.: F.J.Stahl, Philosophie I (21847)] DERS.: Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht. Zweyter Band. Christliche Rechts- und Staatslehre. Erste Abtheilung, Heidelberg 1833 [zit.: F.J.Stahl, Philosophie II/1 (11833)] DERS.: Die Philosophie des Rechts. Zweiter Band: Rechts- und Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung. Erste Abtheilung: enthaltend die allgemeinen Lehren und das Privatrecht, Zweite Auflage, Heidelberg 1845 [zit.: F.J.Stahl, Philosophie II/1 (21845)] Erste Abtheilung: enthaltend die allgemeinen Lehren und das Privatrecht. Dritte Auflage, Heidelberg 1854 [zit.: F.J.Stahl, Philosophie II/1 (31854)] DERS.: Die Philosophie des Rechts. Zweiter Band. Rechts- und Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung. Zweite Abtheilung: enthaltend das vierte Buch: die Lehre vom Staat und die Principien des deutschen Staatsrechts, Zweite Auflage, Heidelberg 1846 [zit.: F.J.Stahl, Philosophie II/2 (21846)] DERS.: Rechtswissenschaft oder Volksbewußtsein? Eine Beleuchtung des von Herrn Staatsanwalt Kirchmann gehaltenen Vortrags: Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft (1848), in: Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1990, S. 47–77 [zit.: F.J.Stahl, Rechtswissenschaft (1848)] STAMMLER, Rudolf: Pandektenrecht in den Tagen des Deutschen Baundes 1815ff., in: Deutsches Rechtsleben in alter und neuer Zeit. Lehrreiche Rechtsfälle gesammelt und bearbeitet von Rudolf Stammler, Zweiter Band: Deutsches Rechtsleben während des 19. Jahrhunderts, München 1932, S. 109–118 [zit.: R.Stammler, Rechtsleben (1932)] STAMPE. Ernst: Rechtsfindung durch Konstruktion (1905), wieder abgedruckt in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. Band CCCCXXXIV), S. 172–178 [zit.: E.Stampe, Rechtsfindung (1905)]

736

Verzeichnis der Quellen und Literatur

STEIN, Lorenz von: Zur Charakteristik der heutigen Rechtswissenschaft. System des heutigen römischen Rechts, von Friedrich Carl von Savigny. B. 1–4 Berlin 1840 u. 41, in: Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst (1841), S. 365f., 369f., 373f., 377– 387, 389–391, 393–395, 397–399 [zit.: L.v.Stein, Charakteristik (1841)] STEPHANITZ, Dieter v.: Exakte Wissenschaft und Recht. Der Einfluß von Naturwissenschaft und Mathematik auf Rechtsdenken und Rechtswissenschaft in zweieinhalb Jahrtausenden. Ein historischer Grundriß, Berlin 1970 (Münsterische Beiträge zur Rechts- und Staatswissenschaft. Herausgegeben von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster) [zit.: D.v.Stephanitz, Exakte Wissenschaft (1970)] STICHWEH, Rudolf: Motive und Begründungsstrategien für Wissenschaftlichkeit in der deutschen Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts, in: RJ 11 (1992), S. 330–351 [zit.: R.Stichweh, Wissenschaftlichkeit (1992)] STÖRIG, Hans Joachim: Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft in zwei Bänden. Band 2, Frankfurt a.M. 1982 [zit.: H.J.Störig, Wissenschaft II (1982)] DERS.: Kleine Weltgeschichte der Philosophie, 15., überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln 1990 [zit.: H.J.Störig, Philosophie (151990)] STOLL, Adolf: Friedrich Karl v. Savigny. Ein Bild seines Lebens mit einer Sammlung seiner Briefe. Zweiter Band. Professorenjahre in Berlin 1810–1842. Mit 317 Briefen und 33 Abbildungen, Berlin 1929 [zit.: A.Stoll, Savigny-Briefe II (1929)] Dritter Band. Ministerzeit und letzte Lebensjahre 1842–1861. Mit 216 Briefen und mit sonstigen Schriftstücken und 18 Abbildungen, Berlin 1939 [zit.: A.Stoll, SavignyBriefe III (1939)] STOLL, Heinrich: Begriff und Konstruktion in der Lehre der Interessenjurisprudenz (1931), wieder abgedruckt in: Günter Ellscheid/Winfried Hassemer (Hrsg.), Interessenjurisprudenz, Darmstadt 1974 (Wege der Forschung. Band CCCXLV), S. 153–210 [zit.: H.Stoll, Interessenjurisprudenz (1931)] STOLLEIS, Michael: Die Allgemeine Staatslehre im 19. Jahrhundert, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert. Kontinuität – Inhalt – Funktion – Wirkung. Herausgegeben von Diethelm Klippel, Goldbach 1997 (Naturrecht und Rechtsphilosophie in der Neuzeit. Studien und Materialien. Band 1), S. 3–18 [zit.: M.Stolleis, Staatslehre (1997)] STÜHLER, Hans-Ulrich: Die Diskussion um die Erneuerung der Rechtswissenschaft von 1780–1815, Berlin 1978 (Schriften zur Rechtsgeschichte. Heft 15) [zit.: H.J.Stühler, Erneuerung (1978)] SZ]SZY-SCHWARZ, Guszt#v : Rudolph von Jhering und sein nächstes Buch. Der Zweck im Recht von Rudolph von Jhering. Zweiter Band. Leipzig Breitkopf u. Härtel 1883 (Übersetzung aus dem Ungarischen eines erstmals 1884 in Budapest erschienenen Aufsatzes), abgedruckt in: O.Behrends (Hrsg.), Rudolf von Jhering. Beiträge und Zeugnisse aus Anlaß der einhundersten Wiederkehr seines Todestages am 17. 9. 1992, Göttingen 1992, S. 49–56 [zit.: G.Szászy-Schwarz, Jhering (1884)] THIBAUT, Anton Friedrich Justus: Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts. Erster Band, Jena 1798 [zit.: A. F.J.Thibaut, Versuche I (11798)] Erster Band. Zweyte verbesserte Ausgabe, Jena 1817 [zit.: A. F.J.Thibaut, Versuche I (21817)] Zweyter Band, Jena 1801 [zit.: A. F.J.Thibaut, Versuche II (11801)]

Literatur

737

DERS.: Theorie der logischen Auslegung des Römischen Rechts, Altona 1799 [zit.: A. F.J.Thibaut, Theorie (11799)] DERS.: Ueber das Studium der Römischen Rechtsgeschichte, in: Heidelbergische Jahrbücher der Literatur für Jurisprudenz und Staatswissenschaften. Erster Jahrgang (1808), S. 3–16 [zit.: A. F.J.Thibaut, Rechtsgeschichte (1808)] DERS.: Ueber die sogenannte historische und nicht-historische Rechtsschule, in: AcP 21 (1838), S. 391–419 [zit.: A. F.J.Thibaut, Hist. Rechtsschule (1838)] THÖL, Heinrich, Einleitung in das deutsche Privatrecht, Göttingen 1851 [zit.: H.Thöl, Einleitung (1851)] DERS.: Das Handelsrecht. Erster Band. Fünfte umgearbeitete Auflage, Leipzig 1875 [zit.: H.Thöl, Handelsrecht (51875)] TREITSCHKE, Heinrich von: Die Freiheit (1861), wieder abgedruckt in: Ausgewählte Schriften von Heinrich von Treitschke. Erster Band, Leipzig 1907, S. 1–47 [zit.: H.v.Treitschke, Freiheit (1861)] TRIPP, Dietrich: Der Einfluß des naturwissenschaftlichen, philosophischen und historischen Positivismus auf die deutsche Rechtslehre im 19. Jahrhundert, Berlin 1983 (Schriften zur Rechtsgeschichte. Heft 31) [zit.: D.Tripp, Positivismus (1983)] TROJAN, Ernst-Jürgen: Über Justus Möser, Johann Gottfried Herder und Gustav Hugo zur Grundlegung der Historischen Rechtsschule. Eine geisteswissenschaftliche Abhandlung, Diss. jur. Bonn 1971 [zit.: E.-J.Trojan, Grundlegung (1971)] ULLRICH, Hans Günther : Doppelverkauf und stellvertretendes commodum. Von D. 18.4.21 zu § 281 BGB, Diss. jur. Bonn 1990 [zit.: H.G.Ullrich, Doppelverkauf (1990)] UNGER, Joseph: System des österreichischen allgemeinen Privatrechts. Erster Band, Leipzig 1856 [zit.: J.Unger, System I (1856)] DERS.: Zur Lehre von den juristischen Personen, in: Kritische Ueberschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, herausgegeben von L.Arndts, J.C.Bluntschli und J.Pözl, Sechster Band, München 1859, S. 147–188 [zit.: J.Unger, Lehre (1859)] UNTERHOLZNER, Karl August Dominikus: Rezension zu »Puchta […]: Das Gewohnheitsrecht. Erster Theil. Erlangen […] 1828«, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft, Band 5, Stuttgart 1829, S. 372–383 [zit.: K.A.D.Unterholzner, PuchtaRezension (1828)] VIEHWEG, Theodor : Rechtsdogmatik und Rechtszetetik bei Jhering, in: Franz Wieacker/ Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 211–216 [zit.: T.VIEHWEG, Rechtsdogmatik (1970)] VILLEY, Michel: Le droit romain dans la »Philosophie des Rechts« de Hegel, in: Archives de philosophie du droit (1971), S. 275–290 [zit.: M.Villey, droit romain (1971)] VIRCHOW, Rudolf: Die naturwissenschaftliche Methode und die Standpunkte in der Therapie, in: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin. Bd. 2 (1848), S. 3–37 [zit.: R.VIRCHOW, Methode (1848)] DERS.: Erinnerungsblätter, in: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin 4 (1852), S. 541–548 [zit.: R.VIRCHOW, Erinnerungsblätter (1852)] VOGENAUER, Stefan: Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent. Eine vergleichende Untersuchung der Rechtsprechung und ihrer historischen

738

Verzeichnis der Quellen und Literatur

Grundlagen. Band I, Tübingen 2001 (Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht. Band 72) [zit.: S.Vogenauer, Auslegung I (2001)] VOLK, Klaus: Die Juristische Enzyklopädie des Nikolaus Falck. Rechtsdenken im frühen 19. Jahrhundert, Berlin 1970 (Schriften zur Rechtstheorie. Heft 23) [zit.: K.Volk, Enzyklopädie (1970)] WÄCHTER, Carl Georg von: Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts. Zweiter Band. Allgemeinen Lehren, Stuttgart 1842 [zit.: C.G.Wächter, Handbuch II (1842)] WAGNER, Adolf: Beiträge zur Lehre von den Banken, Leipzig 1857 [zit.: A.Wagner, Banken (1857)] WAGNER, Gerhard: Rudolph von Jherings Theorie des subjektiven Rechts und der berechtigenden Reflexwirkungen, in: AcP 193 (1993), S. 319–347 [zit.: G.Wagner, Theorie (1993)] WANK, Rolf: Die juristische Begriffsbildung, München 1985 (Schriften des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln; Bd. 48, I) [zit.: R.Wank, Begriffsbildung (1985)] WARNKÖNIG, Leopold August: Versuch einer Begründung des Rechts durch eine Vernunftidee. Ein Beytrag zu den neuern Ansichten über Naturrecht, Rechtsphilosophie, Gesetzgebung und geschichtliche Rechtswissenschaft, Bonn 1819 [zit.: L.A.Warnkönig, Versuch (1819)] DERS.: Rechtsphilosophie als Naturlehre des Rechts, Freiburg i.Br. 1839 [zit.: L.A.Warnkönig, Naturlehre (1839)] WEINBERGER, Ota: Der Wissenschaftsbegriff der Rechtswissenschaften. Programm einer erkenntniskritischen Jurisprudenz, in: Der Wissenschaftsbegriff in den Naturund in den Geisteswissenschaften. Symposion der Leibniz-Gesellschaft Hannover, 23. und 24. November 1973, Wiesbaden 1975 (Studia Leibnitiana. Sonderheft 5), S. 102– 116 [zit.: O.WEINBERGER, Wissenschaftsbegriff (1975)] WELCKER, Karl Theodor : Die Universal- und die juristisch-politische Encyklopädie und Methodologie, zum Gebrauche bei Vorlesungen und für das Selbststudium (Das innere und äußere System der praktischen natürlichen und römisch-christlich-germanischen Rechts-, Staats- und Gesetzgebungs-Lehre. Erster Band; der mehr historisch-philosophischen Seite erste Abtheilung; oder die Grundlagen und Grundverhältnisse), Stuttgart 1829 [zit.: K.T.Welcker, Encyklopädie (1829)] WELZEL, Hans: Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, unveränderter Nachdruck der 4. Auflage, Göttingen 1980 [zit.: H.Welzel, Naturrecht (41980)] WERTENBRUCH, Wilhelm: Versuch einer kritischen Analyse der Rechtslehre Rudolf von Jherings, Berlin 1955 (Neue Kölner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Heft 4) [zit.: W.Wertenbruch, Versuch (1955)] WESENBERG, Gerhard/Gunter Wesener : Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte im Rahmen der europäischen Rechtsentwicklung. Von der zweiten Auflage an bearbeitet von Gunter Wesener, Vierte, verbesserte und ergänzte Auflage, Wien/Köln/Graz 1985 [zit.: G.Wesenberg/G.Wesener, Privatrechtsgeschichte (41985)] WETZELL, Georg Wilhelm: Zwei Nachrufe auf Puchta (1846), wieder abgedruckt in: Georg Friedrich Puchta, Kleine zivilistische Schriften. Gesammelt und herausgegeben

Literatur

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von Adolph August Friedrich Rudorff, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1851, Aalen 1970, S. XIII–L [zit.: G.W.Wetzell, Puchta-Nachrufe (1846)] WEYAND, Stefan: Der Durchgangserwerb in der juristischen Sekunde. Systemdenken oder Problemdenken im klassischen römischen Recht, Göttingen 1989 (Göttinger rechtswissenschaftliche Studien. Herausgegeben von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen. Band 143) [zit.: S.Weyand, Durchgangserwerb (1989)] WIEACKER, Franz: Gründer und Bewahrer. Rechtslehrer der neueren deutschen Privatrechtsgeschichte, Göttingen 1959 [zit.: F.Wieacker, Gründer (1959)] DERS.: Lex publica. Gesetz und Rechtsordnung im römischen Freistaat, in: Franz Wieacker, Vom römischen Recht. Zehn Versuche, Zweite, neubearbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart 1961, S. 45–82 [zit.: F.Wieacker, Lex publica (21961)] DERS.: Der römische Jurist, in: Franz Wieacker, Vom römischen Recht. Zehn Versuche, Zweite, neubearbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart 1961, S. 128–160 [zit.: F.Wieacker, Jurist (21961)] DERS.: Entwicklungsstufen des römischen Eigentums, in: Franz Wieacker, Vom römischen Recht. Zehn Versuche, Zweite, neubearbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart 1961, S. 187–221 [zit.: F.Wieacker, Entwicklungsstufen (21961)] DERS.: Die juristische Sekunde. Zur Legitimation der Konstruktionsjurisprudenz, in: Existenz und Ordnung. Festschrift für Erik Wolf zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main 1962, S. 421–453 [zit.: F.Wieacker, Sekunde (1962)] DERS.: Notizen zur rechtshistorischen Hermeneutik, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen aus dem Jahre 1963. Philologisch-Historische Klasse, Göttingen 1963, S. 1–22 [zit.: F.Wieacker, Hermeneutik (1963)] Ders.: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2., neubearbeitete Auflage, Göttingen 1967 [zit.: F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte (21967)] DERS.: Pandektenwissenschaft und industrielle Revolution, in: Juristen-Jahrbuch 9 (1968/69), S. 1–28 [zit.: F.Wieacker, Pandektenwissenschaft (1968)] DERS.: Rudolph von Jhering, 2. Auflage, Stuttgart 1968 [zit.: F.Wieacker, Jhering (21968)] DERS.: Rudolph von Jhering, in: ZRG Rom. Abt. 86 (1969), S. 1–36 [zit.: F.Wieacker, Jhering (1969)] DERS.: Der Kampf des 19. Jahrhunderts um die Nationalgesetzbücher, in: Festschrift für Wilhelm Felgentraeger zum 70. Geburtstag, Göttingen 1969, S. 409–422 [zit.: F.Wieacker, Nationalgesetzbücher (1969)] DERS.: Zur praktischen Leistung der Rechtsdogmatik, in: Hermeneutik und Dialektik. Aufsätze II. Sprache und Logik. Theorie der Auslegung und Probleme der Einzelwissenschaften, herausgegeben von Rüdiger Bubner, Konrad Cramer, Reiner Wiehl, Tübingen 1970, S. 311–336 [zit.: F.Wieacker, Rechtsdogmatik (1970)] DERS.: Vorwort zur Herausgabe von »Jherings Erbe«, in: Franz Wieacker/Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 9–16 [zit.: F.Wieacker, Vorwort (1970)]

740

Verzeichnis der Quellen und Literatur

DERS.: Jhering und der »Darwinismus«, in: Gotthard Paulus/Uwe Diederichsen/ClausWilhelm Canaris (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz zum 70. Geburtstag, München 1973, S. 63–92 [zit.: F.Wieacker, Darwinismus (1973)] DERS.: Bemerkungen über Ihering und den Darwinismus, in: Gunter Mann (Hrsg.), Biologismus im 19. Jahrhundert. Vorträge eines Symposiums vom 30. bis 31. Oktober 1970 in Frankfurt am Main, Stuttgart 1973 (Studien zur Medizingeschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Band V), S. 158–163 [zit.: F.Wieacker, Ihering (1973)] DERS.: Zur Rolle des Arguments in der römischen Jurisprudenz, in: Festschrift für Max Kaser zum 70. Geburtstag. Herausgegeben von Dieter Medicus und Hans Hermann Seiler, München 1976, S. 3–27 [zit.: F.Wieacker, Jurisprudenz (1976)] WIEGAND, Wolfgang: Julius Hermann von Kirchmann (1802–1884). Der Philosoph als wahrer Rechtslehrer, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, Baden-Baden 1988 [zit.: R.Wiethölter, Kirchmann (1988)] WILHELM, Walter: Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert. Die Herkunft der Methode Paul Labands aus der Privatrechtswissenschaft, Frankfurt a.M. 1958 [zit.: W.Wilhelm, Methodenlehre (1958)] DERS.: Savignys überpositive Systematik, in: J.Blühdorn/J.Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1969 (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. Band 3), S. 123–136 sowie S. 137–147 (Diskussionsbeiträge) [zit.: W.Wilhelm, Savigny (1969)] DERS.: Das Recht im römischen Recht, in: Franz Wieacker/Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen 1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 228–239 [zit.: W.Wilhelm, Das Recht (1970)] DERS.: Zur Theorie des abstrakten Privatrechts. Die Lehre Jherings, in: Walter Wilhelm (Hrsg.), Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Frankfurt a.M. 1972, S. 265–287 [zit.: W.Wilhelm, Theorie (1972)] DERS.: Private Freiheit und gesellschaftliche Grenzen des Eigentums in der Theorie der Pandektenwissenschaft, in: Helmut Coing/Walter Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert. Band IV: Eigentum und industrielle Entwicklung, Wettbewerbsordnung und Wettbewerbsrecht, Frankfurt am Main 1979 (Studien zur Rechtswissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts. Band 4), S. 19–39 [zit.: W.Wilhelm, Freiheit (1979)] WINDSCHEID, Bernhard: Die Singularsuccession in Obligationen, in: Kritische Ueberschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, herausgegeben von L.Arndts, J.C.Bluntschli und J.Pözl, Erster Band, München 1853, S. 27–46 [zit.: B.Windscheid, Singularsuccession (1853)] DERS.: Die ruhende Erbschaft und die vermögensrechtliche Persönlichkeit, in: Kritische Ueberschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, herausgegeben von L.Arndts, J.C.Bluntschli und J.Pözl, Erster Band, München 1853, S. 181–207 [zit.: B.Windscheid, Erbschaft (1853)] DERS.: Recht und Rechtswissenschaft. Greifswalder Universitäts-Festrede (1854), wieder abgedruckt in: B.Windscheid, Gesammelte Reden und Abhandlungen. Herausgegeben von Paul Oertmann, Leipzig 1904, S. 1–24 [zit.: B.Windscheid, Rechtswissenschaft (1854)]

Literatur

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DERS.: Rezension zu »F.Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht. Erste Abtheilung. Die Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluß auf obligatorische Verhältnisse (1853)«, in: Kritische Zeitschrift für die gesammte Rechtswissenschaft. Zweiter Band. Zweites Heft, Heidelberg 1855, S. 106–145 [zit.: B.Windscheid, Mommsen-Rezension (1855)] DERS.: Das römische Recht in Deutschland (1858), wieder abgedruckt in: B.Windscheid, Gesammelte Reden und Abhandlungen. Herausgegeben von Paul Oertmann, Leipzig 1904, S. 25–49 [zit.: B.Windscheid, Röm.Recht (1858)] DERS.: Lehrbuch des Pandektenrechts. Erster Band. Erste Auflage, Düsseldorf 1862 [zit.: B.Windscheid, Pandekten I (11862)] Neunte Auflage, unter vergleichender Darstellung des deutschen bürgerlichen Rechts bearbeitet von Theodor Kipp. Neudruck der Ausgabe Frankfurt am Main 1906, Aalen 1963 [zit.: B.Windscheid, Pandekten I (91906)] Zweiter Band. Zweite Abtheilung, Erste Auflage, Düsseldorf 1866 [zit.: B.Windscheid, Pandekten II/2 (11866)] Zweite Auflage, Düsseldorf 1869 [zit.: B.Windscheid, Pandekten II (21869)] DERS.: Die geschichtliche Schule in der Rechtswissenschaft (1878), wieder abgedruckt in: B.Windscheid, Gesammelte Reden und Abhandlungen. Herausgegeben von Paul Oertmann, Leipzig 1904, S. 66–80 [zit.: B.Windscheid, Geschichtl. Schule (1878)] DERS.: Die Aufgaben der Rechtswissenschaft (Leipziger Rektoratsrede vom 31. Oktober 1884), wieder abgedruckt in: B.Windscheid, Gesammelte Reden und Abhandlungen. Herausgegeben von Paul Oertmann, Leipzig 1904, S. 100–116 [zit.: B.Windscheid, Aufgaben (1884)] WINTER, Eggert: Ethik und Rechtswissenschaft. Eine historisch-systematische Untersuchung zur Ethik-Konzeption des Marburger Neukantianismus im Werke Hermann Cohens, Berlin 1980 (Schriften zur Rechtstheorie. Heft 92) [zit.: E.Winter, Ethik (1980)] WOLF, Erik: Grosse Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, vierte, durchgearbeitete und ergänzte Auflage, Tübingen 1963 [zit.: E.Wolf, Rechtsdenker (41963)] WOLFF, Martin/Ludwig Raiser : Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Dritter Band. Sachenrecht. Zehnte Bearbeitung von Ludwig Raiser, Tübingen 1957 [zit.: M.Wolff/ L.Raiser, Sachenrecht (101957)] ZACHARIÄ v.Lingenthal, Karl Salomo: Ueber die wissenschaftliche Behandlung des Römischen Privatrechts, Wittenberg 1795 [zit.: K.S.Zachariä, Behandlung (1795)] DERS.: Die Hauptstufen in der Entwicklung des deutschen Rechts, in: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, hrsg. von August Ludwig Reyscher und Wilhelm Eduard Wilda, Erster Band, Leipzig 1839, S. 222–242 [zit.: K.S.Zachariä, Hauptstufen (1839)] ZIMMERMANN, Reinhard: Heutiges Recht, Römisches Recht und heutiges Römisches Recht, in: Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik. Herausgegeben von Reinhard Zimmermann in Verbindung mit Rolf Knütel und Jens Peter Meincke, Heidelberg 1999, S. 1–39 [zit.: R.Zimmermann, Recht (1999)] ZWEIGERT, Konrad: Jherings Bedeutung für die Entwicklung der rechtsvergleichenden Methode, in: Franz Wieacker/Christian Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolph von Jhering, Göttingen

742

Verzeichnis der Quellen und Literatur

1970 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. PhilologischHistorische Klasse. Dritte Folge. Nr. 75), S. 240–251 [zit.: K.ZWEIGERT, Jherings Bedeutung (1970)] ZWILGMEYER, Franz: Die Rechtslehre Savignys. Eine rechtsphilosophische und geistesgeschichtliche Untersuchung, Leipzig 1929 (Leipziger rechtswissenschaftliche Studien, hrsg. von der Leipziger Juristen-Fakultät. Heft 37) [zit.: F.Zwilgmeyer, Savigny (1929)]

Personenregister Im Personenregister werden mit Ausnahme des Namens Rudolf von Jherings sämtliche Namen im Text und in den Fußnoten berücksichtigt, sofern sie in den Fußnoten nicht rein bibliographischer Natur sind. Fettgedruckte Seitenziffern hinter den Personennamen weisen darauf hin, dass der Personenname (auch) im Haupttext erwähnt wird. Soweit die Seitenziffern ohne Fettdruck angegeben sind, findet der Name nur in den Fußnoten Erwähnung.

Ahrens, Heinrich 61, 290, 350, 397, 401, 451, 634, 648, 660 Alembert, Jean Le Rond de 492 Archimedes 63 Aristoteles 330, 333, 447, 582 Arnold, Wilhelm 61, 63, 80, 413, 415, 476, 480, 492, 517, 531, 592, 624f., 626f., 627f., 634, 648, 660 Bachofen, Johann Jakob 72, 88, 99f., 113, 131, 138, 141, 154, 156, 164, 193, 240, 273 Bähr, Otto 95, 230, 618 Behrends, Okko 14, 44, 69f., 80, 99, 110f., 124, 169, 185, 252, 266, 275, 282f., 285f., 287f., 292, 308f., 311, 317, 321f., 327, 330f., 334, 336, 345, 355f., 374f., 378, 388, 404, 414, 436, 442, 455, 496–498, 500, 503–505, 507, 509, 515, 518, 524, 533, 535, 553, 561, 571, 599, 603, 610, 617, 619f., 623, 629, 690 Bekker, Ernst Immanuel 84, 227, 449, 451 Bentham, Jeremy 73, 304f., 350, 519f. Bergbohm, Karl 32, 62, 148, 161, 164, 176, 592f., 594, 601f., 625 Bergmann, Carl 520 Beseler, Georg 192, 194–196, 234, 309, 398, 590, 604 Biener, Friedrich August 437 Bismarck, Otto von 167–170, 490 Blackstone, William 520 Bluntschli, Johann Caspar 428

Brinz, Alois 95, 207, 259f., 451f., 468f., 499, 502, 508, 526, 528, 531, 536, 541, 546, 549, 625 Brockmöller, Annette 61, 76, 128, 146, 158f., 254, 355, 380, 417, 467f., 472, 504, 559, 627, 683 Bruns, Karl Georg 95, 393, 450, 495, 499 Bucher, Eugen 161, 333 Buchka, Hermann Friedrich 95, 618 Buckle, Henry Thomas 513 Bülow, Oskar 454, 691 Buff, Heinrich 478 Camper, Peter 590 Canaris, Claus-Wilhelm 248, 318, 610 Choe, Byoung Jo 120, 236, 388, 415, 445, 496, 553, 555, 576, 588f., 611, 617 Christiansen, Johann(es) Jacob Christian Friedrich 75, 132, 200, 455, 501 Cocceji, Samuel von 520 Coing, Helmut 161, 202, 390, 487, 519, 547, 620 Creuzer, Leonhard 196 Cullen, William 520 Danz, August Heinrich Emil 456 Delbrück, Berthold 95, 208, 230, 432 Dernburg, Heinrich 95f., 106, 224, 227, 240, 249, 355, 499 Dilthey, Wilhelm 449 Dirksen, Heinrich Eduard 392 Domat, Jean 520

744 Droysen, Johann Gustav 449, 470, 476, 513 Dumont, Etienne 305, 519f. Ehrenberg, Helene (geb. Jhering) 375 Ehrenberg, Victor 37, 79, 375, 690f. Ehrlich, Eugen 181, 334, 439, 569 Eichhorn, Karl Friedrich 239, 436 Ernst August I. (König von Hannover) 168, 170 Esser, Josef 251, 445, 602 Falck, Nikolaus 72, 75, 476, 683 Falk, Ulrich 205, 330, 429, 546, 565, 573, 593, 597, 617 Feuerbach, Paul Johann Anselm 41f., 83, 423, 625 Fikentscher, Wolfgang 16, 63, 79, 81f., 264, 344–346, 383, 490, 515, 519 Frege, Gottlieb 566 Fuchs, Ernst 13, 14, 161, 617 Gadamer, Hans-Georg 548 Gajus/Gaius (römischer Jurist) 331 Gans, Eduard 22, 41, 42f., 66, 272, 274, 331, 423, 684 Geib, Karl Gustav 489 Geiger, Theodor 147, 182, 636, 650, 662 Gerber, Carl Friedrich Wilhelm (von) 18, 19, 22, 23, 41, 80, 95f., 115, 122f., 131, 167, 174, 180, 185, 205f., 208f., 223, 226, 235f., 265, 278, 291, 316, 322, 336, 338, 342f., 345f., 349, 375, 393–395, 421, 424, 428–430, 434–438, 441, 446, 448f., 451– 453, 460f., 466f., 469, 478f., 489, 490, 491, 495, 505, 512, 578, 618f., 628 Giaro, Tomasz 105, 387, 475, 494, 496f., 513, 515, 522, 545f. Gibbon, Edward 69 Gierke, Otto von 398f. Glaser, Julius 375, 478, 691 Glück, Christian Friedrich 208 Gmeiner, Franz Xaver 235 Gneist, Heinrich Rudolf 312 Gönner, Nikolaus Thaddäus 365 Goldschmidt, Levin 204

Personenregister

Grimm, Jacob 132, 141 Grolmann, Karl Ludwig Wilhelm von 41f. Gromitsaris, Athanasios 39, 128f., 154, 163, 185, 188, 232, 245, 622 Heck, Philipp 14, 317, 469, 486, 501, 546f., 555, 611f., 620f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 20, 22, 38, 42f., 49, 66, 68, 71, 72, 83, 103, 109, 112, 144, 155, 158, 167, 183f., 191, 199, 272, 274, 282, 296, 298f., 304, 330, 356, 359f., 369f., 373–376, 446, 516, 522, 571, 590, 681 Hegel, Karl 72 Helfer, Christian 347, 552, 686 Helmholtz, Hermann von 473 Helv8tius, Claude Adrien 520 Herberger, Maximilian 21, 76, 88f., 225f., 448, 484, 569f., 583, 617 Herder, Johann Gottfried 37, 67 Hommes, Hendrik Jan 415, 445, 480, 529, 535, 536, 546, 576f. Hugo, Gustav 67, 69, 77–80, 81, 118, 139, 141, 154, 167, 276, 437, 448, 470, 600 Humboldt, Wilhelm von 403, 516, 518 Hume, David 520 Huschke, Georg Philipp Eduard 132 Jäde, Christian 17, 65 Jellinek, Georg 472 Jhering, Friedrich (von) 478 Jhering, Hermann (von) 385, 478, 691 Jhering, Louise von 691 Justinian I. (römischer Kaiser) 412, 432, 434, 555 Kant, Immanuel 154, 161, 179, 240, 274, 282, 295, 329–331, 356f., 371–373, 374, 382, 397, 406f., 423, 447, 470, 500, 514, 522, 530, 570, 571, 582f., 586, 590f. Kantorowicz, Hermann 14f., 337, 445 Kelsen, Hans 531 Kierulff, Johann Friedrich 56, 83f., 94, 198, 212, 230f., 274, 277, 309, 434, 493f. Kindervater, Eugen 208, 556

745

Personenregister

Kipp, Theodor 318, 565, 567 Kirchmann, Julius Hermann von 20, 67, 135, 444–446, 447, 448f., 450, 459, 462, 470, 476, 520, 590, 604, 642, 655, 668 Klemann, Bernd 33, 67, 92, 126, 129, 183, 187, 198, 217, 291, 369, 478, 479, 501, 508, 680, 682, 684 Klenner, Hermann 84, 272, 356, 438, 444, 450, 489f., 534, 617 Kohut, Adolph 301, 675 Kopp, Hermann 478 Krause, Karl Christian Friedrich 397, 401 Kroeschell, Karl 393, 398, 404 Kuntze, Johannes Emil 33, 83f., 93–95, 157f., 184, 417, 420, 429, 442f., 444, 450, 451, 452, 457, 491f., 499, 508, 513, 515, 516, 518, 573 Kunze, Michael 22, 35, 39f., 41f., 49, 66, 116, 121, 142, 165, 168, 185, 191, 261, 263f., 273, 275, 276, 282, 295, 319, 346f., 490, 619, 681, 683–685, 690f.

Luther, Martin

373

Laband, Paul 429, 625 Landsberg, Ernst 14, 208, 332, 450f., 454, 491, 555 Lange, Harry 82, 208, 324, 350, 425 Larenz, Karl 95, 265, 320, 445f., 518, 554, 602 Lazarus, Moritz 375 Leibniz, Gottfried Wilhelm 266, 600, 638, 651, 664 Leist, Burkhard Wilhelm 95, 137f., 198, 208, 320, 421, 426, 447, 450–452, 461, 499f., 513, 617 Lenz, Gustav 130, 265 Leo, Heinrich 35 Leuckart, (Karl Georg Friedrich) Rudolf 478 Liebig, Justus von 478 Linn8, Carl von 520 Lloredo Alix, Luis M. 17–19, 495 Losano, Mario G. 66, 106, 129, 131, 324, 395, 412f., 415, 465, 472, 548f., 557, 559, 572, 577f. Lotze, Hermann Rudolf 480, 566 Lull(ius), Raymund(us) 600

Paulus (Apostel) 13 Paulus (römischer Jurist) 15, 334, 336, 338f., 340, 342f., 447, 497 Pfordten, Ludwig Karl Heinrich von 193 Phillips, Georg(e) 398 Pleister, Wolfgang 16, 35, 72, 82, 93, 129, 165, 191, 198, 230, 243f., 278, 282, 283, 284, 297, 305, 355, 357, 359, 365, 368, 369, 370, 372, 376f., 388, 397, 398, 399,400, 403, 405, 408f., 447, 501 Poschinger, Heinrich von 168 Pothier, Robert-Joseph 520 Puchta, Georg Friedrich 13, 18, 20, 21f., 26f., 31–34, 35, 36, 38, 45–48, 49f., 50, 51f., 54, 56, 57f., 62, 64–66, 73, 74–78, 79f., 82f., 84, 85f., 88f., 95, 98–100, 109, 113f., 119, 120f., 124, 126, 131f., 136, 138, 139f., 142, 147f., 151f., 154, 158, 161, 164, 169, 173–176, 180, 181, 182, 185–187, 188, 191f., 195, 197–201, 203, 204f., 206, 210, 211, 212f., 215, 217f., 221–224, 225, 229f., 234, 236, 240–243, 259, 262, 263, 265f., 269f., 272, 274, 277, 279, 280, 283, 297, 301f., 303, 308f., 313,

Mährlein, Christoph 14, 31, 464, 553 Marx, Karl 80, 234, 236f. Mayer, Emil W. 350 Meder, Stephan 151, 174, 512, 582, 586 Merkel, Adolf 61, 74, 110, 125, 319, 356, 455 Mill, John Stuart 403, 407f. Mommsen, Friedrich 18, 324, 334–336, 338f., 340f., 342f., 428 Mühlenbruch, Christian Friedrich 332f., 456, 467, 555 Nettelbladt, Daniel 239 Neuner, Karl 574 Niebuhr, Bartold Georg 105, 634, 648, 660 Ogorek, Regina 56, 62, 82, 105, 161, 163, 227, 260, 308f., 345, 439, 477, 558, 565, 584

746 317f., 320, 322, 326, 327f., 330, 332f., 337, 339–341, 345, 354, 357, 359, 362f., 367, 369f., 372, 374–376, 377, 384, 388f., 392f., 399f., 411f., 413, 414–418, 419, 420–422, 423,424f., 426f., 431, 433f., 435f., 437f., 439f., 441, 442f., 446f., 454f., 456, 459, 482, 494, 497f., 501, 504f., 520, 522, 527, 538, 555, 558, 564, 566, 569–571, 573f., 584, 585f., 590, 594, 598, 601, 602, 604, 611f., 615, 617f., 625, 627, 634, 636f., 639, 641, 648–651, 653f., 660, 663, 665 Pütter, Johann Stephan 237 Pufendorf, Samuel von 373, 397 Radbruch, Gustav 117, 160, 318, 350, 620 Ranke, Leopold von 469 Regelsberger, Ferdinand 260, 526 Reuter, Wilhelm 101 Reyscher, August Ludwig 235, 239, 422, 436f., 590 Riehl, Wilhelm Heinrich 517 Rochau, August Ludwig von 629 Röder, Karl David August 397 Rudorff, Adolf Friedrich 48, 70, 72, 79, 86, 421f., 437, 450, 493, 499 Rückert, Joachim 15, 18f., 36, 125, 218, 234, 239, 330, 368, 447, 464, 539, 546, 570 Rückert, Ludwig 228, 236–238, 277 Ruge, Arnold 513 Runde, Christian Ludwig 239 Runde, Justus Friedrich 234–239, 240, 242, 638, 651, 664 Saulus (siehe Apostel Paulus) Savigny, Franz von 437 Savigny, Friedrich Carl von 13, 17, 18, 21f., 31, 32–34, 33–35, 36f., 39–41, 43–47, 50–52, 54, 55, 56, 58, 62f., 65–68, 73, 74–79, 80f., 82, 84, 85–90, 91, 92, 93, 96f., 100, 101, 102, 104, 107f., 110, 112, 115–117, 119, 121f., 124, 125, 126, 127f., 136, 138, 139, 140, 141f., 144, 146, 147–152, 161, 164, 169, 173f., 178, 181, 182–184, 186f., 188, 191f., 194–199,

Personenregister

200f., 202, 204–207, 208, 209, 210f., 215–218, 223, 228, 231, 242, 259, 262, 272, 273, 274f., 279f., 283, 287, 306, 309, 310, 313, 318, 320, 321f., 322, 327, 330, 332, 359, 367, 370, 372, 374, 378f., 384, 388, 393, 415, 421f., 423, 429, 432, 434, 435–441, 442, 446, 451, 453, 454, 455, 457f., 463f., 465f., 470, 482, 497–500, 501, 504, 505–507, 508, 512, 520, 530– 532, 541, 545, 555, 558, 564, 566, 569f., 584, 586, 593, 618, 621, 625, 633, 636f., 647, 649f., 659, 662f., 683f. Schanze, Erich 75, 199, 305, 443, 540, 550, 555, 556, 558 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 368, 518, 571 Schelsky, Helmut 69, 255, 284f., 294, 304, 318, 517 Scheurl, Christoph Gottlieb Adolf 598 Singer, Isidor 375 Sintenis, Carl Friedrich Ferdinand 441 Stahl, Friedrich Julius 73, 89, 110, 138, 140, 154, 166, 183, 193, 198f., 261, 274, 279, 295, 368–372, 374, 377, 399f., 416, 446, 456, 465, 486 Stein, Lorenz von 149, 201–203, 306, 437 Stintzing, Roderich 72 Taine, Hippolyte-Adolphe 492 Thibaut, Anton Friedrich Justus 41f., 84, 141, 191f., 199, 212f., 235, 263, 266, 274, 330–332, 423, 567, 680 Thöl, Heinrich 303, 332, 428 Treitschke, Heinrich von 61, 374f., 403 Trendelenburg, Friedrich Adolf 274, 507 Tribonian(us), Flavius (römischer Jurist) 520 Ulpian(us), Domitius (römischer Jurist) 208, 331, 447, 497, 522, 568, 583 Unger, Joseph 414, 452f., 461, 573, 595, 691 Vangerow, Adolph von 441 Vattel, Emer(ich) de 520 Vering, Friedrich Heinrich 574

747

Personenregister

Virchow, Rudolf

516

Wächter, Karl Georg von 193, 203f., 225 Warnkönig, Leopold August 267, 277, 471 Weber, Max 69, 154, 179 Welcker, Karl Theodor 277, 309, 468, 471, 499, 613 Welzel, Hans 373 Werenberg, W. 395 Weyand, Stefan 546, 554 Wieacker, Franz 13, 16, 136, 158, 283, 285, 318, 320, 333, 419, 457f., 469, 478, 494, 496, 498, 501, 514, 553, 555, 570f., 576, 579f. Wilhelm, Walter 73, 77f., 83, 129, 131, 136, 143, 149, 176, 181, 184, 264f., 268,

298f., 365, 373, 393, 399f., 429, 452, 463, 489–491, 504, 505f., 532, 580, 595 Wilhelm I. (deutscher Kaiser) 170 Will, Heinrich 478 Windscheid, Bernhard 18, 55, 60, 80, 87, 94f., 115f., 151, 159–161, 185, 194f., 203f., 205, 234, 266, 274, 318, 332, 335, 337, 338, 339, 341, 343f., 349, 388f., 393, 421, 425, 428f., 431f., 434, 450–453, 460, 461, 462f., 465, 467f., 485, 499, 503, 539, 550, 564f., 566, 574, 611, 621, 625 Wolf, Friedrich August 105, 634, 648, 660 Wolff, Christian 239, 397, 582 Zachariä, Karl Salomo

77, 276, 305, 470

Beiträge zu Grundfragen des Rechts Herausgegeben von Stephan Meder Die drei Grundfragen des Rechts, die vor gut zweihundert Jahren der Rechtsgelehrte Gustav Hugo formulierte – »Was ist Rechtens?«, »Wie ist es Rechtens geworden?« und »Ist es vernünftig, daß es so sey?« – stellen sich bis heute. Die Frage nach dem geltenden Recht zielt heute nicht nur auf dessen Prinzipien und Regeln, sondern auch auf das Verhältnis von Gesetz und Recht, juristischer Geltung und sozialer Wirklichkeit. Die Frage nach der Geschichte des Rechts betrifft auch das sich wandelnde Verhältnis zwischen den Rechtsquellen sowie das Verhältnis von Tradition und Gegenwartsbezug der Rechtsinhalte. Die Frage nach den richtigen Inhalten des Rechts bezieht sich heute vor allem auf das rechtliche Verhältnis zwischen der größtmöglichen Freiheit des Einzelnen und dem notwendigen Mindestmaß sozialer Gleichheit und Gemeinwohlbindung des Rechts. So sind die Grundfragen des Rechts niemals von lediglich theoretischer Bedeutung, sondern haben einen unmittelbar praktischen Bezug zur Rechtsentstehung, Rechtsauslegung und Rechtsanwendung. Antworten auf diese Fragen versuchen aus unterschiedlichen Perspektiven die Beiträge dieser Reihe zu geben.

Weitere Bände dieser Reihe: Band 24: Karl Eckhart Heinz Die Ordnungen der Bürgerschaft Moral und Recht als Regelsysteme für Frieden zwischen Menschen und zwischen Staaten 2018, 208 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-0809-2 Band 23: Christoph Sorge Verpflichtungsfreier Vertrag als schuldrechtlicher Rechtsgrund Das Rechtsgeschäft der condictio ob rem gemäß § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB jenseits von Erfüllungszwang und Markttausch 2017, 938 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-0756-9 Band 22: Stephan Meder / Christoph-Eric Mecke (Hg.) Savigny global 1814–2014 ›Vom Beruf unsrer Zeit‹ zum transnationalen Recht des 21. Jahrhunderts 2016, 598 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-0394-3 Band 21: Frank Weidner Der lange Kampf um die Einführung von Witwen- und Witwerrenten Analyse der sozialpolitischen Diskussionen von 1890 bis 1911 2016, 207 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-0601-2 Band 20: Siegfried Großekathöfer Besatzungsherrschaft und Wiederaufbau Staatliche Strukturen in der britischen Zone 1945–1949 2016, 152 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-0571-8

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